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German Pages [470] Year 2020
Forschungen zum Alten Testament 2. Reihe Herausgegeben von Konrad Schmid (Zürich) ∙ Mark S. Smith (Princeton) Hermann Spieckermann (Göttingen) ∙ Andrew Teeter (Harvard)
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Petra Schmidtkunz
Das Moselied des Deuteronomiums Untersuchungen zu Text und Theologie von Dtn 32,1 – 43
Mohr Siebeck
Petra Schmidtkunz, geboren 1984; Studium der Ev. Theologie in Berlin, Cambridge und Kyoto; 2013 erste theologische Prüfung und Diplom; 2019 Promotion; seit 2018 Research Fellow am Bible Department der Hebräischen Universität von Jerusalem. orcid.org/0000-0001-5125-8659
ISBN 978-3-16-158293-6 / eISBN 978-3-16-158294-3 DOI 10.1628 / 978-3-16-158294-3 ISSN 1611-4914 / eISSN 2568-8367 (Forschungen zum Alten Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Über setzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Meinen Berliner Freundinnen
Vorwort Die vorliegende Studie entstand im Kontext der interdisziplinären DFGForschungsgruppe „Natur in politischen Ordnungsentwürfen: Antike – Mittelalter – Frühe Neuzeit“ (FOR 1986) der Ludwig-Maximilians-Universität München, im Teilprojekt 1 „Das gezähmte Chaos und die göttliche Gabe der Fruchtbarkeit. Naturmotivik in der althebräischen Königsideologie und ihre Transformation in der heilsgeschichtlichen Theologie des Alten Testaments“. Sie wurde jedoch überwiegend an meinem Schreibtisch in Berlin verfasst, im Wintersemester 2018/19 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen und an einem neuen Schreibtisch in Jerusalem für den Druck geringfügig überarbeitet. Für die Begleitung der Arbeit danke ich daher Menschen an unterschiedlichen Orten: den beiden Teilprojektleitern der Münchener Forschergruppe, Prof. Christoph Levin und Prof. Reinhard Müller, sowie allen übrigen Münchener „Naturfreund*innen“, ferner den Mitgliedern der Alttestamentlichen Sozietäten der Ludwig-Maximilians-Universität München, der HumboldtUniversität zu Berlin und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Ein eigener Dank gebührt Prof. Reinhard Müller dafür, dass er mit Geduld und Ehrgeiz mein Doktorvater gewesen ist, und Prof. Reinhard Achenbach für die Übernahme des Zweitgutachtens. Besondere Unterstützung habe ich zudem von Einzelnen erfahren und möchte diese gern erwähnen: In Berlin gab mir die Lehrstuhl-Familie um Prof. Bernd U. Schipper einen freundlichen und stabilen akademischen Rahmen, darüber hinaus haben sich Prof. Josef Tropper und Prof. Christof Hardmeier Zeit genommen, um spezifische Aspekte des Moseliedes mit mir zu diskutieren. Ann-Kristin Wigand und Sophie-Christin Holland versorgten mich auch noch in Jerusalem mit Informationen und kritischen Anmerkungen. Zuvor haben mir Nora Angleys in München sowie Dr. Sabine Joy Ihben-Bahl und Dr. Patrick Bahl in Münster regelmäßig Unterkunft gewährt, damit ich meinen Doktorvater treffen, die jeweiligen Sozietäten besuchen und mich mit meinem Kollegen im Teilprojekt, Dr. Dr. Peter Juhás, austauschen konnte. Friederike Hoffmann und Jan Philipp Bensmann haben geduldig und akribisch Korrektur(en) gelesen. Meine Familie in Deutschland, in den Niederlanden und in Israel hat in vielfältiger Weise zur Entstehung der Arbeit beigetragen – und ich
VIII
Vorwort
schätze mich glücklich, dass wir nun die Freude über die Fertigstellung dieses Buches teilen können. Im Verlag Mohr Siebeck möchte ich Elena Müller, Bettina Gade und Tobias Stäbler für die zuvorkommende und zügige Behandlung aller meiner Fragen und Besonderheiten der Drucklegung danken. Gewidmet ist das Buch meinen Freundinnen aus Berliner Zeiten, Anne Muirhead, Ann-Kristin Wigand, Hiromi Hoshiko-Stockhammer, Katharina Walliczek und Dr. Marietheres Döhler, weil sie stets Verständnis für das verrückte Leben mit Wissenschaft und Kindern hatten. Jerusalem, Ostern 2020
Petra Schmidtkunz
Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis .............................................................................. XV
Einleitung.................................................................................... 1 I. Thema und Ziel der vorliegenden Studie .................................................... 1 II. Forschungsgeschichtlicher Überblick ....................................................... 2 III. Aufbau der vorliegenden Studie ..............................................................14
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes. Übersetzung und Textkritik ........................................................17 1.1 Der Text des Liedes Dtn 32,1–43 ................................................................ 17 1.2 Die Textzeugen ............................................................................................ 31 1.3 Zur Textgeschichte einzelner Verse ............................................................. 32 1.3.1 Zu Dtn 32,5 .............................................................................................. 32 1.3.2 Zu Dtn 32,8–9 .......................................................................................... 34 1.3.3 Zu Dtn 32,43 ............................................................................................ 41
Kapitel 2: Der Gedankengang des Moseliedes. Inhalt, Textpragmatik und Literarkritik ........................................ 48 Exkurs: Zur Adressat(inn)enausrichtung bei J. L. Austin und W. Iser .............. 50 A. Zur Literarkritik in Dtn 32,5 ......................................................................... 53 Exkurs: JHWHs Volk als Hörer des Moseliedes ............................................... 55
X
Inhaltsverzeichnis
Exkurs: Der Gott des Moseliedes ...................................................................... 58 B. Zur Literarkritik in Dtn 32,14–15 ................................................................. 62 C. Zur Literarkritik in Dtn 32,30–33................................................................. 77 Exkurs: Die Feinde JHWHs .............................................................................. 87 D. Zur Literarkritik in Dtn 32,43 ...................................................................... 91
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes. Innerbiblische Parallelen und Traditionskritik ............................. 95 3.1 Zum Motivbegriff ......................................................................................... 95 3.2 Zur Motivanalyse im Moselied: Traditionen, Motive, Sprachbilder ......... 102 3.3 Die einzelnen Motive ................................................................................. 104 3.3.1 Der Liedauftakt: Höraufrufe an Himmel und Erde (V.1) ....................... 104 3.3.1.1 Der Sonderfall im Deuteronomium: Himmel und Erde als Zeugen .... 109 Exkurs: Zur Deutung des Moseliedes als „Gerichtsrede“ .............................. 110 3.3.2 Die Charakterisierung der Rede als Unterweisung (V.1–2) ................... 112 3.3.3 Die Anrufung JHWHs als Fels (V.3–4.15.18.30.31).............................. 115 3.3.4 Der Gegensatz zwischen JHWH und seinem Volk (V.4–6) .................. 118 3.3.4.1 Vollkommenheit JHWHs (V.4) und Verdorbenheit des Volkes (V.5–6) ........................................................... 118 3.3.4.2 Die Wege JHWHs und das Vergehen des Abweichens vom Weg (V.4–5a) ................................. 120 3.3.4.3 Der Ungehorsam der Söhne (V.5–6) ................................................... 126 3.3.4.4 JHWH als Vater und Schöpfer (V.6)................................................... 126 3.3.5 Die Autorität der Alten (V.7) ................................................................. 130 3.3.6 Die Verteilung der Völker und JHWHs Erbteil (V.8–9) ........................ 131 3.3.6.1 Die Verteilung der Völker (V.8) ......................................................... 132 Exkurs: Eljon und die Gottessöhne .................................................................137 3.3.6.2 JHWHs Erbteil (V.9) ........................................................................... 143 3.3.7 JHWHs Führung in der Wüste (V.10–12) .............................................. 148 3.3.7.1 Versorgung in der Wüste (V.10) ......................................................... 148 3.3.7.2 JHWH als Geier (V.11) ....................................................................... 150 Exkurs: Der Geier als Beschützer im Alten Orient ......................................... 151 3.3.7.3 JHWHs Führung (V.12) ...................................................................... 155
Inhaltsverzeichnis
XI
3.3.8 Das Wohlergehen des Volkes (V.13–14) ............................................... 156 3.3.8.1 Das Fahren über die Höhen des Landes (V.13a–b) ............................. 157 3.3.8.2 Honig und Öl aus dem Felsen (V.13c–d) ............................................ 158 Exkurs: Öl und Honig als göttliche Wohltaten................................................ 161 3.3.8.3 Reihen von Naturalien (V.14) ............................................................. 162 3.3.9 Der Frevel des Volkes: Missachtung JHWHs und Verehrung anderer Götter (V.15–18) .................... 163 3.3.9.1 Israels Missachtung des göttlichen Felsens (V.15.18)......................... 164 Exkurs: JHWH als Zeugender oder als Gebärende? ...................................... 169 3.3.9.2 Die Beleidigung JHWHs durch die Verehrung anderer Götter (V.16–17) .............................................. 171 3.3.10 JHWHs Reaktion auf den Frevel des Volkes (V.19–20) ...................... 174 3.3.10.1 Die Sünde an JHWH als Versäumnis uneinsichtiger Söhne und Töchter (V.19.20c–d) ...................................................................................... 175 3.3.10.2 Das Angesicht JHWHs und das „Ende“ des Volkes (V.20a–b) ........ 177 3.3.11 Der Zusammenhang von Beleidigung und göttlichem Eifer (V.16.21) ......................................................................................................... 180 3.3.12 JHWHs brennender Eifer (V.21–22) .................................................... 182 3.3.13 JHWHs Machterweise durch Strafen (V.23–26) .................................. 187 3.3.13.1 Von JHWH geschickte Übel (V.23–25) ............................................ 188 3.3.13.2 Das zur Strafe getilgte Andenken (V.26) .......................................... 195 3.3.14 Die Hybris des Feindes und die Zurücknahme der göttlichen Strafe (V.27) ......................................... 200 3.3.15 Die Dummheit des Volkes: Fehlende Einsicht in das „Ende“ (V.28–29).................................................... 203 3.3.16 Die Sentenz von der Verfolgung durch Wenige (V.30) ....................... 207 3.3.17 Der Fels und die anderen: JHWH in Abgrenzung zu Göttern und Menschen (V.31) ............................... 209 3.3.18 Die Verdorbenheit des Weinstocks (V.32–33) ..................................... 211 3.3.18.1 Sodom und Gomorra als Inbegriff der Sündhaftigkeit (V.32a–b) ..... 212 3.3.18.2 Der Wein als Sinnbild des Volkes (V.32–33) ................................... 213 3.3.18.3 Das Gift der Frevler (V.32c–d.33) .................................................... 215 3.3.19 JHWHs Gerichtsplan (V.34–36) .......................................................... 218 3.3.19.1 JHWHs Kammern (V.34) .................................................................. 219 Exkurs: Zugang zu den göttlichen Kammern .................................................. 224 3.3.19.2 Der Tag der Rache und Vergeltung (V.35–36b) ............................... 227 3.3.19.3 Die Knechte JHWHs (V.36b)............................................................ 230 3.3.19.4 JHWHs Feststellung, dass Gebundener und Freier nichts mehr sind (V.36c–d) ........................................................................................................ 232 3.3.20 Die Ohnmacht der Götter (V.37–38) .................................................... 234
XII
Inhaltsverzeichnis
3.3.21 JHWHs Selbstvorstellung als einzigartiger Gott (V.39)....................... 238 3.3.22 JHWHs Auftreten als Richter (V.40–42) ............................................. 242 3.3.22.1 JHWH als Schwörender (V.40) ......................................................... 242 3.3.22.2 JHWHs Waffen im Gericht (V.41–42) .............................................. 246 3.3.22.3 Die Vergeltung gegenüber denen, die JHWH hassen (V.41d) ......... 248 Exkurs: Schwüre eines Gottes ......................................................................... 252 3.3.23 Die Schlussdoxologie: Anerkennung JHWHs als Souverän (V.43) ..... 254 3.4 Fazit .......................................................................................................... 261
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes. Gestalt und Textpragmatik von Dtn 32 im Vergleich mit den formgeschichtlich verwandten Kompositionen Ps 78; 81; 106; Neh 9; Jes 63–64 ................................................276 4.1 Zur Einbettung in den Buchkontext ........................................................... 278 4.1.1 Der Buchkontext von Dtn 32.................................................................. 278 4.1.2 Der Buchkontext von Neh 9 ................................................................... 279 4.1.3 Der Buchkontext von Jes 63–64............................................................. 280 4.1.4 Der Buchkontext von Ps 78; 81; 106...................................................... 280 4.1.5 Weiterführende Fragen zum literarischen Kontext ................................ 281 4.2 Die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart der Adressatinnen und Adressaten ................................................................................................ 282 4.2.1 Geschichte und Gegenwart in Dtn 32..................................................... 283 4.2.2 Geschichte und Gegenwart in Ps 78 ....................................................... 284 4.2.3 Geschichte und Gegenwart in Ps 81 ....................................................... 287 4.2.4 Geschichte und Gegenwart in Ps 106 ..................................................... 290 4.2.5 Geschichte und Gegenwart in Neh 9 ...................................................... 291 4.2.6 Geschichte und Gegenwart in Jes 63–64 ................................................ 294 Exkurs: Geschichtsdeutung im Erra-Epos ...................................................... 297 4.3 Fazit .......................................................................................................... 302 Exkurs: Imperfekt-Formen für die Rede über die Vergangenheit ................... 309
Inhaltsverzeichnis
XIII
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes. Textpragmatik und Redaktionskritik in Dtn 31–32 .....................314 5.1 Der Text des Moselied-Rahmens (Dtn 31–32) .......................................... 317 5.2 Zusammenhänge und Spannungen innerhalb des Rahmentextes .............. 323 5.3 Die Rahmung des Liedes im engeren Sinn (Dtn 31,16–22.28–30; 32,44) .......................................................................... 327 5.4 Spannungen zwischen dem Lied und seiner Einleitung (Dtn 31,16–22.28–30) ..................................................................................... 334 5.4.1 Lexikalische Beobachtungen .................................................................. 334 5.4.1.1 Das Verhältnis zu den fremden Göttern in Dtn 31,16 und Dtn 32,12 ............................................................................. 336 5.4.1.2 Der brennende Zorn in Dtn 31,17 und Dtn 32,22 ................................ 337 5.4.1.3 Das Verbergen des göttlichen Angesichts in Dtn 31,17.18 und Dtn 32,20 ........................................................................ 337 5.4.1.4 Die Übel in Dtn 31,17.21 und Dtn 32,23 ............................................ 337 5.4.1.5 Milch und Honig in Dtn 31,20 und Dtn 32,13.14................................ 338 5.4.1.6 Essen und Sattwerden in Dtn 31,20 und Dtn 32,15 ............................. 339 5.4.1.7 Verschmähen/Verwerfen in Dtn 31,20 und Dtn 32,19 ........................ 339 5.4.1.8 Die Rolle der Ältesten in Dtn 31,28 und 32,7 ..................................... 340 5.4.1.9 Himmel und Erde in Dtn 31,28 und Dtn 32,1 ..................................... 341 5.4.1.10 Das Sich-Vergehen des Volkes in Dtn 31,29 und Dtn 32,5 .............. 341 5.4.1.11 Die Beleidigung JHWHs durch das Volk in Dtn 31,29 und Dtn 32,16.21 ........................................................................ 342 5.4.1.12 Zwischenfazit .................................................................................... 342 5.4.2 Die Charakterisierung des Liedes........................................................... 344 Exkurs: Zeugenschaft in der Hebräischen Bibel ............................................. 345 Exkurs: Zur Ausgestaltung der „Fabel“ von Dtn 31–32 in MT und LXX ....... 349 5.5 Fazit .......................................................................................................... 354
Ergebnisse .................................................................................... 359 I. Die verschiedenen Kontexte des Moseliedes................................................ 360 II. Die rekonstruierte Textgrundlage............................................................... 361
XIV
Inhaltsverzeichnis
III. Unterschiedliche Textentwicklungen: Varianten in den alten Versionen .. 364 IV. Die Quellen................................................................................................ 367 V. Die ursprüngliche Aussageabsicht ............................................................. 368 VI. Die (unerwartete) theologische Engführung ............................................. 372 VII. Greifbare Nachwirkungen ........................................................................ 375 VIII. Der theologiegeschichtliche Ort: Abschließende Einordnung von Text und Theologie des Moseliedes .............. 377 Anhang I: Die Textentwicklung in Dtn 32,8–9 ............................................... 379 Anhang II: Die Textentwicklung in Dtn 32,43................................................ 380 Literaturverzeichnis......................................................................................... 381 Stellenregister.................................................................................................. 411 Personenregister .............................................................................................. 445 Sachregister ..................................................................................................... 447
Abkürzungsverzeichnis AHw III AEL ANET
BL
CAD
DJD I
DJD VI
DJD VII
DJD IX
DJD XI
SODEN, WOLFRAM VON. 1981. Akkadisches Handwörterbuch Bd. III. Wiesbaden: Harrassowitz. LANE, EDWARD W. 1863. An Arabic-English Lexicon. London: Williams & Norgate. PRITCHARD, JAMES B. 1969. Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament. 3. Aufl. Princeton: Princeton University Press. BAUER, HANS/LEANDER, PONTUS. 1922. Historische Grammatik der hebräischen Sprache des Alten Testamentes. Halle (Saale): Max Niemeyer. BIGGS, ROBERT D. et al. (Hrsg.). 1956–2010. The Assyrian Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago Bd. 1–21. Chicago/Glückstadt/Winona Lake: The Oriental Institute/J.J. Augustin Verlagsbuchhandlung/Eisenbrauns. BARTHÉLÉMY, DOMINIQUE/MILIK, JÓZEF T. (Hrsg.). 1955. Discoveries in the Judaean Desert I. Qumran Cave 1. Oxford: Clarendon Press. DE VAUX, ROLAND/MILIK, JÓZEF T. (Hrsg.). 1977. Discoveries in the Judaean Desert VI. Qumrân Grotte 4 (II). I. Archéologie II. Tefillin, Mezuzot et Targums (4Q128– 4Q157). Oxford: Clarendon Press. BAILLET, MAURICE (Hrsg.). 1982. Discoveries in the Judaean Desert VII. Qumrân Grotte 4 (III). Oxford: Clarendon Press. SKEHAN, PATRICK W./ULRICH, EUGENE/SANDERSON, JUDITH E. (Hrsg.). 1992. Discoveries in the Judaean Desert IX. Qumran Cave 4 (IV). Palaeo-Hebrew and Greek Biblical Manuscripts. Oxford: Clarendon Press. ESHEL, ESTHER et al. (Hrsg.). 1998. Discoveries in the Judaean Desert XI. Qumran Cave 4 (VI). Poetical and Liturgical Texts, Part 1. Oxford: Clarendon Press.
XVI
Abkürzungsverzeichnis
DJD XIV
DJD XX
DJD XXVIII
DJD XXXIV
DJD XXXVI
DJD XL
DUL
Ges18
GELS
GK
HALAT
JM
KAI
ULRICH, EUGENE/CROSS, FRANK NIE W. (Hrsg.). 1995. Discoveries
M./CRAWFORD, SIDin the Judaean Desert XIV. Qumran Cave 4 (IX). Deuteronomy, Joshua, Judges, Kings. Oxford: Clarendon Press. ELGVIN, TORLEIF/KISTER, MENACHEM/LIM, TIMOTHY (Hrsg.). 1997. Discoveries in the Judaean Desert XX. Qumran Cave 4 (XV). Sapiential Texts, Part 1. Oxford: Clarendon Press. GROPP, DOUGLAS M. et al. (Hrsg.). 2001. Discoveries in the Judaean Desert XXVIII. Wadi Daliyeh II and Qumran Cave 4. Oxford: Clarendon Press. STRUGNELL, JOHN/HARRINGTON, DANIEL J. (Hrsg.). 1999. Discoveries in the Judaean Desert XXXIV. Qumran Cave 4 (XXIV). Sapiential Texts, Part 2. 4QInstruction (MûsƗr lƟ mƝvîn): 4Q415ff. Oxford: Clarendon Press. PFANN, STEPHEN J. et al. (Hrsg.). 2000. Discoveries in the Judaean Desert XXXVI. Qumran Cave 4 (XXVI). Cryptic Texts and Miscellanea, Part 1. Oxford: Clarendon Press. STEGEMANN, HARTMUT/SCHULLER, EILEEN/NEWSOM, CAROL (Hrsg.). 2009. Discoveries in the Judaean Desert XL. 1QHodayota. Oxford: Clarendon Press. DEL OLMO LETE, GREGORIO/SANMARTÍN, JOAQUÍN. 2015. A Dictionary of the Ugaritic Language in the Alphabetic Tradition. Handbook of Oriental Studies/Handbuch der Orientalistik Bd. 112. 3. Aufl. Leiden/Boston: Brill. GESENIUS, WILHELM. 2013. Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament. 18. Aufl. Berlin et al.: Springer-Verlag. MURAOKA, TAKAMITSU. 2002. A Greek-English Lexicon of the Septuagint. Chiefly of the Pentateuch and Twelve Prophets. Louvain/Paris/Dudley: Peeters. GESENIUS, WILHELM. 1985. Hebräische Grammatik. Völlig umgearbeitet von E. Kautzsch. 28. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. KOEHLER, LUDWIG/BAUMGARTNER, WALTER. 2004. Hebräisches und Aramäisches Lexikon zum Alten Testament Bd. 1–2. 3. Aufl. Leiden: Brill. JOÜON, PAUL/MURAOKA, TAKAMITSU. 2011. A Grammar of Biblical Hebrew. 2. Aufl. Rom: Gregorian and Biblical Press. DONNER, HERBERT/RÖLLIG, WOLFGANG. 1962. Kanaanäische und aramäische Inschriften Bd. 1–3. Wiesbaden: Harrassowitz.
KTU
LSJ Lutherbibel 1984
Lutherbibel 2017
LXX
MS 6 (C)
MT
RHSh Séfer Abišaޏ
SP
Tg/Tgg
Abkürzungsverzeichnis
XVII
DIETRICH, MANFRIED/LORETZ, OSWALD/SANMARTÍN, JOAQUÍN (Hrsg.). 2013. Die keilalphabetischen Texte aus Ugarit, Ras Ibn Hani und anderen Orten. Alter Orient und Altes Testament Bd. 360/1. 3. Aufl. Münster: UgaritVerlag. LIDDELL, HENRY G./SCOTT, ROBERT/JONES, SIR HENRY. 1996. A Greek-English Lexicon. Oxford: Clarendon Press. EVANGELISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND (Hrsg.). 1985. Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft. EVANGELISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND (Hrsg.). 2017. Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung. Revidiert 2017. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft. RAHLFS, ALFRED/HANHART, ROBERT (Hrsg.). 2006. Septuaginta. 2. Aufl. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft. WEVERS, JOHN W. (Hrsg.). 1977. Deuteronomium. Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum Bd. III,2, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. TAL, ABRAHAM (Hrsg.). 1994. The Samaritan Pentateuch. Edited according to Ms 6 (C) of the Shekhem Synagogue. Texts and Studies in the Hebrew Language Bd. VIII. Tel Aviv: Tel Aviv University Press. MCCARTHY, CARMEL (Hrsg.). 2007. Deuteronomy. Biblia Hebraica Quinta Bd. 5. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft. SCHENKER, ADRIAN (Hrsg.). 1997. Biblia Hebraica Stuttgartensia. 5. Aufl. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft. TAL, ABRAHAM (Hrsg.). 2015. Genesis. Biblia Hebraica Quinta Bd. 1. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft. Traktat Rosh Ha-Shanah PÉREZ CASTRO, FEDERICO (Hrsg.). 1959. Séfer Abišaޏ. Edición del fragmento antiguo del rollo sagrado del Pentateuco hebreo samaritano de Nablus. Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas. Samaritanischer Pentateuch TAL, ABRAHAM/FLORENTIN, MOSHE (Hrsg.). 2010. The Pentateuch. The Samaritan Version and the Masoretic Version. Tel Aviv: The Haim Rubin Tel Aviv University Press. Targum/Targumim
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
TUAT AF Bd. III
KAISER, OTTO (Hrsg.). 1990–1997. Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Weisheitstexte, Mythen und Epen. Alte Folge Bd. III. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn. TUAT NF Bd. VIII JANOWSKI, BERND/SCHWEMER, DANIEL (Hrsg.). 2015 Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Weisheitstexte, Mythen und Epen. Neue Folge Bd. VIII. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. UG TROPPER, JOSEF. 2012. Ugaritische Grammatik. Alter Orient und Altes Testament Bd. 273. 2. Aufl. Münster: Ugarit-Verlag. Vg WEBER, ROBERT/GRYSON, ROGER (Hrsg.). 2007. Biblia Sacra Vulgata. 5. Aufl. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft. WO’C WALTKE, BRUCE K./O’CONNOR, MICHAEL P. 2010. An Introduction to Biblical Hebrew Syntax. 11. Aufl. Winona Lake: Eisenbrauns. Zürcher Bibel 2007 KIRCHENRAT DER EVANGELISCH-REFORMIERTEN LANDESKIRCHE DES KANTONS ZÜRICH (Hrsg.). 2013. Zürcher Bibel 2007. 4. Aufl. Zürich: Theologischer Verlag.
Einleitung Die Quintessenz der Thora Vor seinem Tode sprach Rabbi Hirsch von Rymanow Mal um Mal die Worte aus dem Gesange Moses vor sich hin: „Ein Gott der Treue und kein Harm.“ Dann sagte er: „Das ist die Quintessenz der heiligen Thora, zu wissen, daß er ein Gott der Treue ist und daß also kein Harm geschieht. Ihr mögt fragen: ‚Wenn dem so ist, wozu dann die ganze Thora? Es würde doch genügen, Gott hätte am Sinai den einen Vers gesagt!‘ Die Antwort ist: kein Mensch kann dies Eine erfassen, ehe er die ganze Thora gelernt und geübt hat.“ (Martin Buber: Die Erzählungen der Chassidim, 605–606)
I. Thema und Ziel der vorliegenden Studie I. Thema und Ziel
Das sogenannte „Moselied“ (Dtn 32,1–43) gibt nicht sofort zu erkennen, für wen es geschrieben wurde. Wer es liest, wird direkt von ihm angesprochen und zugleich vor etliche Rätsel gestellt: Woher stammen die für das Deuteronomium so untypischen Aussagen über JHWH? Worauf beziehen sich die Vorwürfe, die den Hörenden gemacht werden? Geht es im Mittelteil um Israel oder um dessen Feinde? Warum wird nicht deutlicher auf eine bestimmte historische Situation Bezug genommen? Schließlich: Aus welcher Zeit stammt das Lied und wie ist es an seine jetzige Stelle im Deuteronomium und damit in den Kanon der Hebräischen Bibel und des christlichen Alten Testaments gelangt? In der bisherigen Forschung zum Moselied sind bereits verschiedene methodische Zugänge gewählt worden, um diese Fragen zu beantworten. Jedoch kam es durch die Konzentration auf bestimmte Einzelaspekte der Komposition oft zu einseitigen und untereinander stark divergenten Schlussfolgerungen. Mit der vorliegenden Studie soll deshalb eine umfassende Neuuntersuchung von Dtn 32,1–43 unternommen werden. Sie zielt darauf, nicht nur einzelne Auffälligkeiten des Textes isoliert zu erklären, sondern auch die Zusammenhänge zwischen diesen Eigenheiten zu erhellen. Zu diesem Zweck sollen unterschiedliche Methoden kombiniert werden, wobei der Textpragmatik als integrierender Betrachtungsweise besondere Bedeutung zukommt: Es wird durchgehend danach gefragt, welche (theologischen) Anliegen im Lied fassbar werden, um angesichts der Fülle zu untersuchender Teilaspekte nicht das große Ganze der Komposition aus dem Blick zu verlieren. Indem untersucht wird, welche
2
Einleitung
Wirkung bestimmte Erscheinungen im Text auf ihre ursprüngliche Adressatenschaft hatten (oder haben mochten), soll der Charakter des Moseliedes auch für eine heutige Leserschaft anschaulich und seine Komplexität verständlich werden. Im Kern geht es folglich darum, zu beschreiben, wie sich die Herausbildung theologischer Überzeugungen auf die Entstehung und Entwicklung des Textes von Dtn 32,1–43 ausgewirkt hat.
II. Forschungsgeschichtlicher Überblick II. Forschungsgeschichtlicher Überblick
Den bisher umfassendsten Beitrag zur Textkritik des Moseliedes hat 1973 BRUNO VOLKWEIN vorgelegt („Textkritische Untersuchungen zu Dtn 32,1– 43“) und darin nicht nur einen aus MT, SP, LXX, den Qumran-Fragmenten sowie verschiedenen anderen alten Textzeugen rekonstruierten „Archetyp“ des Liedes vorgestellt, sondern auch die textkritischen Entscheidungen der bis dahin erschienenen Kommentarliteratur ausführlich diskutiert. Besondere Berücksichtigung finden textkritische Befunde v.a. in den Kommentaren von KARL BUDDE (1920: „Das Lied Mose’s. Deut. 32“) und RICHARD D. NELSON („Deuteronomy“, 2002 in der Reihe „The Old Testament Library“) und ferner durch SALVADOR CARRILLO ALDAY in seiner Monographie „El Cántico de Moisés (Dt 32)“ (1970). Von Bedeutung sind daneben eine Reihe von Einzelstudien, die sich speziell mit der Rekonstruktion des Urtextes von Dtn 32,8 und/oder Dtn 32,43 befassen, weil hier die Versionen am drastischsten voneinander abweichen.1 Während die meisten dieser Untersuchungen sich darauf beschränken, die älteste Lesart zu ermitteln, werden vereinzelt auch Datierungsvorschläge für die zugrunde liegenden Eingriffe in den Text gemacht, so von RUDOLF MEYER (1961/1993: „Die Bedeutung von Deuteronomium 32,8f.43 [4Q] für die Auslegung des Moseliedes“), der die Textänderung
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PATRICK W. SKEHAN: „A Fragment of the ‘Song of Moses’ (Deut. 32) from Qumran“ (1954); PAUL WINTER: „Der Begriff ‚Söhne Gottes‘ im Moselied Dtn 32,1–43“ (1955); DOMINIQUE BARTHÉLÉMY: „Les Tiqquné Sopherim et la critique textuelle de l’Ancien Testament“ (1963); CARMEL MCCARTHY: „The Tiqqune Sopherim (and Other Theological Corrections in the Masoretic Text of the Old Testament)“ (1981); MAURIZIO LANA: „Deuteronomio e Angelologia alla Luce di una Variante Qumranica (4Q Dt 32,8)“ (1983); PIERREMAURICE BOGAERT: „Les trois rédactions conservées et la forme originale de l’envoi du cantique de Moïse (Dt 32,43)“ (1985); SAMUEL E. LOEWENSTAMM: „Naতalat Yhwh“ (1992); RUDOLF MEYER: „Die Bedeutung von Deuteronomium 32,8f.43 (4Q) für die Auslegung des Moseliedes“ (1993); ARIE VAN DER KOOIJ: „The Ending of the Song of Moses: On the PreMasoretic Version of Deut 32:43“ (1994); ROBERT HANHART: „Die Söhne Israels, die Söhne Gottes und die Engel in der Masora, in Qumran und in der Septuaginta. Ein letztes Kapitel aus ‚Israel in hellenistischer Zeit‘“ (2002); INNOCENT HIMBAZA: „Dt 32,8, une correction tardive des scribes. Essai d’interprétation et de datation“ (2002); ALEXANDER ROFÉ: „The End of the Song of Moses (Deuteronomy 32.43)“ (2002).
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ausdrücklich in der Hasmonäerzeit (2.–1. Jh. v. Chr.) verortet, oder DOMINIQUE BARTHÉLÉMY (1963: „Les Tiqquné Sopherim et la critique textuelle de l’Ancien Testament“), der eine solche unter der religiösen Hegemonie der Pharisäer (ab der Mitte des 1. Jhs. v. Chr.) nicht mehr für möglich hält. Beide führen somit zur Begründung für ihre Einschätzungen das religiöse Klima unter den Hasmonäern an.2 In Abgrenzung von Barthélémy argumentiert INNOCENT HIMBAZA (2002: „Dt 32,8, une correction tardive des scribes. Essai d’interprétation et de datation“) für eine Datierung der Veränderung von Dtn 32,8 ins 1. Jh. n. Chr. Er begründet dies damit, dass nach Ausweis außerbiblischer jüdischer Texte die ursprüngliche Lesart des Moseliedes erst in dieser Zeit wegen ihrer mythologischen Konnotation problematisch geworden sei. MAURIZIO LANA hingegen (1983: „Deuteronomio e Angelologia alla Luce di una Variante Qumranica [4Q Dt 32,8]“) sieht die Korrekturen in Dtn 32,8.43 im Zusammenhang mit der „ursprünglichen Komposition“ des Buches Deuteronomium,3 die er in vorexilischer Zeit veranschlagt. Da die korrigierte Fassung des Liedes der monotheistischen Grundtendenz des Deuteronomiums – nicht aber den spezifischen Tendenzen späterer DeuteronomiumsBearbeitungen – entspreche, kommt er zu dem Schluss, das (zuvor selbständige und dann umgestaltete) Lied sei bereits im 7. Jh. v. Chr. in die erste Fassung des Deuteronomiums eingefügt worden. Im Bereich der Literarkritik finden sich markante Überlegungen in einer Reihe zumeist älterer Kommentare und Einzelstudien. Eine nennenswerte Anzahl von Versen scheidet CARL STEUERNAGEL in seiner Übersetzung für den „Handkommentar zum Alten Testament“ (1900: „Übersetzung und Erklärung der Bücher Deuteronomium und Josua und Allgemeine Einleitung in den Hexateuch“) als Zusätze aus. Weil es die unmittelbar bevorstehende Bestrafung des Feindes erwarte und Ähnlichkeiten mit Deutero-Jesaja aufweise, sei das Lied spät-exilischen Ursprungs. Im Zuge der (nicht näher datierten) späteren Einfügung in den Pentateuch habe aber ein Redaktor verschiedene Verse ergänzt, die nicht mehr die Hoffnung der Urfassung teilten, sondern sich mahnend an die Hörerschaft wandten. Wegen ihrer Eigenwilligkeit stechen die Monographie von ABRAHAM LEVY („The Song of Moses. Deuteronomy 32“) aus dem Jahr 1930 und der 1955 erschienene Aufsatz von PAUL WINTER („Der Begriff ‚Söhne Gottes‘ im Moselied Dtn 32,1–43“) besonders hervor. Durch eine enorme Zahl von Umstellungen und Streichungen sucht Levy das ursprüngliche Lied nach metrischen Gesichtspunkten wiederherzustellen. Auch er
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Nach Ansicht Meyers hatte dieses Klima zur Folge, jüdische Vormachtansprüche durch den veränderten (und dann auf „Israel“ ausgerichteten) Text von Dtn 32,8.43 abstützen zu wollen, während Barthélémy zufolge die Pharisäer einen schon korrigierten Text weiter tradierten. 3 LANA 1983, 188–189: „il Cantico fa parte del Deuteronomio fin dalla sua prima strutturazione“.
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Einleitung
erkennt Ähnlichkeiten zu Deutero-Jesaja und identifiziert als Grund für die Abfassung des Moseliedes (durch einen „nationalistisch“4 gesinnten Autor in der Zeit des babylonischen Exils) die Gefahr, die Exilierten aus Juda und Israel könnten infolge ihrer Integration in die neue kulturelle Umgebung den Glauben an JHWH verlieren. Für ihn gehören folglich gerade die mahnenden Passagen zum Grundstock des Liedes. Dagegen identifiziert Winter im überlieferten Text des Moseliedes die Bestandteile von zwei zuvor unabhängigen Kompositionen (namentlich eines älteren Preis- und eines jüngeren Scheltliedes), die sekundär miteinander verbunden worden seien. Seine Datierung reicht sehr viel weiter zurück, wenn er das ältere Lied der „Vergangenheit israelitischer Stammesgeschichte und Stammespoesie“ zuordnet und auch das jüngere Lied bereits „kurz vor dem Untergang des Reiches Judah“,5 mithin im 8. Jh. v. Chr. ansetzt. Ausdrücklich in der Absicht, Winters Analyse zu entkräften, rekonstruiert EBERHARD BAUMANN (1956: „Das Lied Mose’s (Dt XXXII 1–43) auf seine gedankliche Geschlossenheit untersucht“) den Gedankengang des Moseliedes und erkennt in der Aufforderung, allein JHWH die Ehre zu geben, das Hauptanliegen der Komposition. Er sondert daraufhin solche Verse als Zusätze aus, die in grammatischer und/oder logischer Hinsicht die Entfaltung dieser Ermahnung stören.6 Als Entstehungszeit nimmt er auf Grund der Übereinstimmungen mit verschiedenen Propheten und der biblischen Berichte von den Freveln unter Manasse dessen Regentschaft an, womit seine Datierung nur ein halbes Jahrhundert später liegt als die von Winter. Hinsichtlich der Motiv- bzw. Traditionskritik fehlen tiefgreifende Studien bisher fast völlig. Zwar wird in den Kommentaren zum Moselied im Rahmen der Besprechung einzelner Verse regelmäßig auf Parallelstellen in der Hebräischen Bibel verwiesen. Doch diese werden nur selten systematisch ausgewertet. SAMUEL R. DRIVER findet (1902 in der dritten Auflage von „A Critical and Exegetical Commentary on Deuteronomy“ für die Reihe „The International Critical Commentary“) „wenige wörtliche Parallelen“,7 datiert das Moselied aber wegen seiner gedanklichen Nähe zu Jeremia und Ezechiel sowie auch zum deuteronomistischen Schrifttum in das 7. Jh. v. Chr. Mit großem Nachdruck verweist Budde (1920) hingegen auf die starken Übereinstimmungen mit den
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LEVY 1930, 40: „nationalistic“. 5 WINTER 1955, 45. 6 Zudem stellt er fest, dass gerade diese Verse mehrheitlich nicht zur Prosarahmung des Moseliedes in Dtn 31 passen, was ihren sekundären Charakter weiter belege. 7 S.R. DRIVER 1902, 347: „Though the literary individuality of the poet is strong, and there are consequently few verbal parallels, the general thought of the poem, and its predominant ideas, have decidedly greater affinities with the prophets of the Chaldæan age, than with the earlier prophets, Amos, Hosea, Isaiah or Micah.“
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Propheten zur Zeit der „Verbannung“, 8 Ezechiel und Deutero-Jesaja. Einen Ansatz zur Erforschung weisheitlicher Elemente im Moselied bietet JAMES R. BOSTON in seinem Aufsatz „The Wisdom Influence upon the Song of Moses“ (1968) und verortet es auf dieser Basis ohne weitere Spezifizierung im Umfeld von „‘court’ or ‘royal’ wisdom“9. Ferner liefert JEFFREY H. TIGAY in seinem Kommentar „Deuteronomy/ĠĜīĔĖ“ für die Reihe „The JPS Torah Commentary“ (1996) zahlreiche Hinweise auf textliche Parallelen innerhalb und außerhalb der Hebräischen Bibel, die indessen vorwiegend wegen der beigefügten philologischen Erklärungen von Interesse sind. Ausführlicher hat sich CHRISTIANE WÜSTE in ihrer Studie „Fels – Geier – Eltern“ (2018) mit den drei im Titel genannten Motiven beschäftigt, sich dabei jedoch stark auf die Endgestalt des Textes sowie rezeptionsästhetische Fragen konzentriert. Wesentlich umfangreicher ist die Literatur zur Form- bzw. Gattungskritik. HERMANN GUNKELS Charakterisierung des Moseliedes als Gerichtsrede, die er zuerst 1915 in der Einleitung zu HANS SCHMIDTS Buch „Die großen Propheten“ formuliert, bleibt bis heute einflussreich. Insbesondere in den 50er und 60er Jahren des 20. Jhs. findet sie ihren Niederschlag in Aufsätzen von HERBERT HUFFMON (1959: „The Covenant Lawsuit in the Prophets“), JULIEN HARVEY (1962: „Le ‘Rîb-Pattern’, Réquisitoire prophétique sur la Rupture de l’Alliance“), ERNEST G. WRIGHT (1962: „The Lawsuit of God: A Form-Critical Study of Deuteronomy 32“), MATHIAS DELCOR (1966: „Les attaches littéraires, l’origine et la signification de l’expression biblique ‘Prendre à témoin le ciel et la terre’“) sowie in der Monographie von EBERHARD VON WALDOW (1963: „Der traditionsgeschichtliche Hintergrund der prophetischen Gerichtsreden“). Wie die Überschriften anzeigen, wird die Gattung „Gerichtsrede“ zumeist prophetischen Kreisen zugeschrieben. Im Einzelnen variieren aber die Annahmen über ihren Zweck und ihre Form (und damit verbunden die zeitlichen Einordnungen) so stark, dass man es eher mit einem Sammelbegriff für anklagende Reden denn mit einer verlässlichen Definition zu tun hat.10 Dennoch wird bis heute gelegentlich auf diese Charakterisierung zurückgegriffen und dabei zumeist auf Wright als Hauptvertreter verwiesen. Dieser hatte seinerseits Überlegungen seiner Vorgänger aufgegriffen, die Form der „Gerichtsrede“ als echte prophetische Äußerung (d.h. als Anklage und Urteilsspruch im Namen JHWHs) interpretiert und ein anschauliches Schema seiner integralen Elemente vorgelegt. Zudem nahm er an, dass die Praxis solcher Reden vom 9./8. bis ins 6. Jh. v. Chr. (in Israel und Juda) verbreitet war, was im Folgenden die Bezugnahmen im Blick auf sehr unterschiedliche Texte ermöglichte. So
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BUDDE 1920, 45, vgl. EBD., 26: „Das ist Hesekiel wie er leibt und lebt; an keinen andren [sic] Propheten schließt unser Lied so eng an wie an ihn, ja es ist vor ihm und ohne ihn gar nicht denkbar.“ 9 BOSTON 1968, 202. 10 Vgl. den Exkurs in Kap. 3 „Zur Deutung des Moseliedes als ‚Gerichtsrede‘“.
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Einleitung
orientiert sich auch Boston in seiner Monographie „The Song of Moses. Deuteronomy 32:1–43“ (1966) an Wrights Klassifizierung und deutet das Moselied als modifizierte Gerichtsrede, deren Zweck darin bestanden habe, im 8. Jh. v. Chr. unter Hiskija Anhänger nördlicher und südlicher Traditionen zu „vereinen“.11 Kurioserweise stützen sich Huffmon (1959), Harvey (1962), Wright (1962), von Waldow (1963) und Delcor (1966) in ihren Darstellungen auf GEORGE E. MENDENHALL, der zwar altorientalische Vorbilder für den biblischen Bundesgedanken zusammenträgt,12 sich jedoch strikt gegen die Bezeichnung des Moseliedes als „covenant lawsuit“ verwahrt. Stattdessen kennzeichnet er das Lied in seinem Aufsatz „Samuel’s ‘Broken Rîb’: Deuteronomy 32“ (1975) als prophetische Rede, die im 11. Jh. v. Chr. nach schwerer Niederlage gegen die Philister – möglicherweise von Samuel selbst vorgetragen – im Volk Israel den Glauben an JHWH als einzige Zuflucht stärken sollte. Noch Jahrhunderte später habe es dann den großen Propheten Israels als Quelle und Inspiration, gleichsam als „Bibel“, 13 dienen können. Einen ganz anderen Standpunkt vertritt GERHARD VON RAD in seinem Kommentar „Das fünfte Buch Mose. Deuteronomium“ (in zweiter Auflage 1968 für „Das Alte Testament Deutsch“), wo er eine große Bandbreite unterschiedlicher, im Lied bewusst neu kombinierter Formelemente diagnostiziert und diese als Hinweis auf eine relativ späte Entstehungszeit wertet. Ein derart freier Umgang mit überlieferten (u.a. weisheitlichen, prophetischen und hymnischen) Formen setze eine fortgeschrittene Traditionsentwicklung voraus; die theologische Nähe zu Deutero-Jesaja, Ezechiel und zu deuteronomistischen Texten weise ihrerseits mindestens in die Exilszeit. Als wahrscheinlichstes Ursprungsmilieu der Komposition nennt er hingegen die Weisheit. Auch Carrillo Alday (1970) unterstreicht, wie stark das Moselied von verschiedenen Traditionen abhänge. Ihm zufolge bietet das Lied im Wesentlichen eine leicht memorierbare Zusammenfassung der wichtigsten Themen des Deuteronomiums, wobei jedoch auch eine Beeinflussung durch Jeremia, Ezechiel und Deutero-Jesaja zu konstatieren sei. Schon dies lässt ihn zur Annahme einer Abfassung während des Exils tendieren. Bestätigt sieht er sich hierin durch die – nur knapp dargebotene – Feststellung, dass das Moselied wegen seiner sprachlichen und theologischen Eigenheiten nicht vom exilischen Endredaktor des Deuteronomiums stammen könne, dieser aber das Lied bereits voraussetze. Eine andere Perspektive empfiehlt JOS LUYTEN (1985: „Primeval and eschatological overtones in the Song of Moses [Dt 32,1–43]“) und hebt zunächst die Gemeinsamkeiten des Moseliedes mit
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BOSTON 1966, 220: „to unite or reunite“. Mithin vermutet der Autor bereits hier wie in der zitierten Untersuchung zu weisheitlichen Elementen im Moselied (BOSTON 1968) eine Nähe zum (judäischen) Königshof. 12 Vgl. MENDENHALL 1955. 13 MENDENHALL 1975, 65: „a major source, the ‘bible’ so to speak, of the prophetic movement“.
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den „Geschichtspsalmen“ Ps 78; 105; 106; Jes 63,7–64,11 hervor. Gegenüber diesen (wie auch gegenüber seinem literarischen Kontext im Buch Deuteronomium) zeichne sich aber das Moselied durch einen besonders weitreichenden Blickwinkel aus: So grundlegend wie kaum ein anderer Text in der Hebräischen Bibel reflektiere das Lied die Beziehung JHWHs zu seinem Volk und greife dabei nicht nur auf zahlreiche andere biblische Texte zurück, sondern wähle eine Sprache, die bereits Anklänge an die Apokalyptik erkennen lasse. Stärker an den Adressatinnen und Adressaten orientiert postuliert STEVEN WEITZMAN 1994 in seinem Aufsatz „Lessons from the Dying: The Role of Deuteronomy 32 in its Narrative Setting“ die Zugehörigkeit des Moseliedes zu einem kulturübergreifenden Genre der Vermächtnisliteratur. Diese These beruht freilich auf einer synchronen Zusammenschau des Liedes mit seinem literarischen Kontext. Wieder anders identifiziert MATTHEW THIESSEN (2004: „The Form and Function of the Song of Moses [Deuteronomy 32:1–43]“) das Lied als einen kultischen Hymnus der Vor-Königszeit, der sich in dichterischer Freiheit teilweise an die Form der Gerichtsrede anlehne. 14 KLAUS SEYBOLD schließlich rezipiert in seinen Erwägungen „Krise der Geschichte. Geschichtstheologische Aspekte im Moselied Dt 32“ im Jahr 2005 (implizit oder explizit) frühere Vorschläge zur Formbestimmung und geht davon aus, dass das Lied im Laufe eines längeren Erweiterungsprozesses wechselnden Aussageabsichten gedient hat und dementsprechend Merkmale unterschiedlicher Gattungen aufweist. Ursprünglich, d.h. in exilischer Zeit, habe es als prophetische Gerichtsrede nur die Verse 1–25 umfasst,15 sei in früh-nachexilischer Zeit in dem Umfeld, das auch für die Tradierung der Asaf-Psalmen verantwortlich war, zu einer weisheitlichen Lehrrede ergänzt worden und zuletzt durch redaktionelle Tätigkeit als Weissagung des Mose überliefert worden. Unter den Ansätzen zur Redaktionskritik des Moseliedes sind grundsätzlich zwei Haupttendenzen auszumachen. Vor allem in der Forschung des 19. und beginnenden 20. Jhs. sieht man das Moselied im Zusammenhang der klassischen Pentateuch-Quellen, die innerhalb der Moselied-Rahmung unterschieden, aber nicht eigens daraufhin befragt werden, wann und von wem das Lied verfasst wurde. Es gilt in diesen Entwürfen meist als eine (von den übrigen Quellen unabhängige) Komposition von relativ hohem Alter und unbekanntem Ursprung, die den Redigierenden schon als in sich abgeschlossene Komposition vorlag. Beispiele für diese Sichtweise liefern die Kommentare von AUGUST KNOBEL (1861: „Die Bücher Numeri, Deuteronomium und Josua“ in der Reihe „Kurzgefasstes exegetisches Handbuch zum Alten Testament“), AUGUST DILLMANN (1886 unter demselben Titel in derselben Reihe), ALFRED BERTHOLET (1899: „Deuteronomium“ in der Reihe „Kurzer Hand-Commentar zum Alten
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Auch er bezieht sich hierfür im Wesentlichen auf Wright, ungeachtet der Tatsache, dass dieser durchaus an die Zeit der Monarchie(n) denkt. 15 Eine eigenständige Literarkritik wird hier jedoch nicht geboten.
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Einleitung
Testament“), aber auch die schon erwähnten Kommentare von Steuernagel (1900) und S.R. Driver (1902). Sehr ausführlich stellt AUGUST KLOSTERMANN (1893: „Der Pentateuch. Beiträge zu seinem Verständnis und seiner Entstehungsgeschichte“) dar, wie das Moselied seinen Ort im heutigen Deuteronomium gefunden habe, und wird damit für nachfolgende Untersuchungen zur ständigen Referenz: Ursprünglich habe das Lied (zusammen mit seiner Einleitung Dtn 31,16–22) unabhängig existiert, sei dann in den Erzählzusammenhang Num 1–27; Dtn 33–34* übernommen und erst im Anschluss an die Einfügung von Dtn 5–28* in diesen Zusammenhang durch neu geschaffene Übergänge in Dtn 1–4* und 29–31* Teil der heute vorhandenen Narration des Deuteronomiums geworden. Abgesehen von diesen Verhältnisbestimmungen und der Andeutung, das Lied könnte mosaisch sein, enthält sich Klostermann indes einer Datierung.16 Seit der zweiten Hälfte des 20. Jhs. findet man dagegen verschiedene Versuche, das Verhältnis des Moseliedes zu seinem Kontext im Deuteronomium genauer zu bestimmen. Schon 1967 behandelt Carrillo Alday in einem kurzen Zeitschriften-Beitrag die Frage, wie das Lied an seinen jetzigen literarischen Ort gelangt sei („Contexto redaccional del Cántico de Moisés [Dt 31,1– 32,47]“),17 jedoch ebenfalls ohne die Herkunft der Dichtung an sich zu thematisieren. Er betont, wie planvoll die Kapitel 31–32 des Deuteronomiums rund um das Thema Gesetz durchkomponiert seien, so dass auch das Lied nach dem Willen der abschließenden deuteronomistischen Buchredaktion gänzlich in den Dienst des deuteronomischen Gesetzes gestellt werde. 1992 erklärt JAMES W. WATTS (in dem diesbezüglichen Abschnitt der Untersuchung „Psalm and Story. Inset Hymns in Hebrew Narrative“), das Moselied sei wegen seines eminent didaktischen Charakters ins Deuteronomium eingefügt worden. Obwohl es mitsamt seiner Einleitung einer unabhängigen Quelle entstamme, teile es zentrale Theologoumena mit dem Rest des Deuteronomiums. Wie Carrillo Alday (1967; 1970) ist auch Watts der Meinung, die Redigierenden des Deuteronomiums hätten das Moselied aufgegriffen, um sich seine Einprägsamkeit zunutze zu machen und am Ende der entstehenden Buchkomposition deren Botschaft noch einmal besonders einzuschärfen. Der Zeitpunkt dieser Redaktion wird bei Watts ohne nähere Erläuterung mit dem 7. oder 6. Jh. v. Chr. angegeben. Auch MARTIN ROSE beschreibt in seinem Kommentar für die „Zürcher Bibelkommentare AT“ (1994: „5. Mose. Teilband 2: 5.Mose 1–11 und
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Vgl. KLOSTERMANN 1893, 262: „Meine ‚scholastische Methode‘ erlaubt mir nur, zu sagen, was ich auch bewiesen zu haben glaube, daß das sogenannte Lied Mose nicht bloß vor dem Verfasser des jetzigen Deuteronomiums, sondern schon vor dem des früheren Buches Numeri als ein deutlicher Überlieferung nach mosaisches Zeugnis für die Zukunft Israels vorhanden war.“ 17 Der Text dieses Aufsatzes erscheint wieder als Kapitel in der bereits zitierten Monographie, vgl. CARRILLO ALDAY 1970, 135–145.
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26–34. Rahmenstücke zum Gesetzescorpus“) die Funktion des Moseliedes ganz ähnlich, wenn er es als theologisches Resümee und damit als Text zur Unterweisung einer Religionsgemeinschaft charakterisiert. Auf Grund der Spannungen innerhalb der Prosarahmung nimmt er gleichwohl an, dass das Moselied erst spät- oder nachexilisch in das schon weitgehend existierende Deuteronomium eingefügt wurde und dabei auch seine abschließende Gestalt erhielt. Demgegenüber begründet PAUL SANDERS (1996: „The Provenance of Deuteronomy 32“) seine „vorexilische“18 Datierung des Moseliedes wiederum v.a. damit, dass dessen Einleitung eine unmittelbare Reaktion auf das Exil darstelle und ihrerseits das Lied bereits voraussetze. 19 Weiterhin erörtert REINHARD G. KRATZ in seinem Aufsatz „Der literarische Ort des Deuteronomiums“ (2000a) und andeutungsweise in dem Überblickswerk „Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments“ (2000b), wie das Moselied einschließlich seiner engsten Rahmung im Zusammenhang mit den letzten Fortschreibungen der Erzählung im Deuteronomium in dieses übernommen worden sei, „um dem Deuteronomium und dem Pentateuch einen würdigen […] Abschluß zu geben.“ 20 Trotz der ansonsten differenzierenden Betrachtung der Wachstumsstufen in Dtn 31 und 32 bleibt allerdings offen, woher das Lied selbst stammen könnte und wie das Verhältnis zu seiner unmittelbaren Einund Ausleitung zu bestimmen ist. Erst zu Beginn des 21. Jhs. mehren sich die Stimmen, welche die Integration des Moseliedes ins Deuteronomium mit konkreten Hypothesen in Bezug auf die theologischen Absichten hinter der Redaktion verknüpfen. So entfaltet Nelson (2002) die Auffassung, dem Moselied komme – zusammen mit einer Reihe weiterer „Nachfolger“ bzw. „Stellvertreter“ des Mose (Josua, Gesetz, Priester, Älteste)21 – in der Narration des Deuteronomiums die Aufgabe zu, den Tod des Mose literarisch aufzufangen. Obwohl ursprünglich nicht für diesen Kontext geschaffen, fungiere das Lied nunmehr als Ermahnung, der Lehre des Mose weiterhin zu folgen. Dadurch erweitere es gemäß der Absicht derer, die es in das beinahe schon vollständige Deuteronomium einflochten, die Möglichkeiten seiner künftigen Adressatenschaft, sich in ihrem Leben von JHWHs Willen leiten zu lassen. In einem Artikel aus dem Jahr 2007 vermutet MARK LEUCHTER („Why is the Song of Moses in the Book of Deuteronomy?“), das Lied sei unter Josia ins Deuteronomium eingefügt worden, weil es die theologischen Interessen der judäischen Land-Leviten spiegele und somit die vom König angestrebte Re-Integration der nördlichen Bevölkerungsteile habe unterstützen sollen. Der Verweis auf das integrative Moment des Liedes erinnert an die eher formkritisch angelegte Argumentation bei
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SANDERS 1996, 352 u.ö.: „pre-exilic“. 19 Für das Fehlen relevanter redaktionskritischer Ansätze in der Mitte des 20. Jhs. vgl. SANDERS 1996, 340–343. 20 KRATZ 2000b, 134–135. 21 Vgl. NELSON 2002, 357: „successors to Moses“.
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Einleitung
Boston aus dem Jahr 1966, die jedoch an den König Hiskija geknüpft war. Wegen einiger Übereinstimmungen mit dem Orakel der Prophetin Hulda in 2.Kön 22 erkennt JACK R. LUNDBOM im Moselied gar das unter Josia gefundene „Buch der Weisung“. Diese These findet sich zuerst 1976 in dem Aufsatz „The Lawbook of the Josianic Reform“, sie liegt aber auch seinem 2013 veröffentlichten Kommentar („Deuteronomy. A Commentary“) zu Grunde. Hier führt er weiter aus, das Lied sei als Teil des Komplexes Dtn 31–34 noch unter Josia dem Deuteronomium hinzugefügt worden. Eine frühestens perserzeitliche Einfügung nimmt RAIK HECKL (2011: „Die Präsentation tradierter Texte in Dtn 31 zur Revision der dtr Geschichtstheologie“) an, da das Lied als Erklärung des Exils fungiere. Auch er geht wiederum davon aus, das Moselied sei den Redigierenden bereits in seiner heutigen Gestalt überliefert worden. ECKART OTTO erklärt indessen in seinem Aufsatz „Moses Abschiedslied in Deuteronomium 32. Ein Zeugnis der Kanonsbildung in der Hebräischen Bibel“ (2009) und ebenso in seinem Kommentar (2017: „Deuteronomium 23,16– 34,12“ in der Reihe „Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament“), das Moselied sei mitsamt seiner narrativen Umrahmung in der späten Perserzeit und mit Blick auf den entstehenden Kanon der Hebräischen Bibel für seinen jetzigen Ort im Deuteronomium geschaffen worden, um Mose als schrift- und zukunftskundigen Propheten zu stilisieren. REINHARD ACHENBACH teilt diese Einschätzung in seinem Artikel „Die Prophezeiungen des Mose in Deuteronomium 28–32“ (2014). Daneben widmet sich eine Reihe von Autoren im Sinne der Narratologie, d.h. ohne ein redaktionsgeschichtliches Modell anzubieten, der Frage, welche Botschaft das Moselied auf der Ebene des Endtextes innerhalb des Deuteronomiums vermittelt. Sowohl NORBERT LOHFINK (1962: „Der Bundesschluß im Land Moab. Redaktionsgeschichtliches zu Dt 28,69–32,47“; 1993: „Zur Fabel in Dtn 31–32“; 1995: „Zur Fabel des Deuteronomiums“) als auch CASPER LABUSCHAGNE (1971: „The Song of Moses: Its Framework and Structure“; 1997: „The Setting of the Song of Moses in Deuteronomy“) plädieren in mehreren Artikeln dafür, das Lied im Kontext von Dtn 28,69–32,47 (und damit als Element der Erzählung vom Bundesschluss in Moab) zu betrachten. Auch DENNIS T. OLSON (1994: „Deuteronomy and the Death of Moses. A Theological Reading“), JEAN-PIERRE SONNET (1997: „The Book within the Book. Writing in Deuteronomy“), BRIAN BRITT (2000: „Deuteronomy 31–32 as a Textual Memorial“), JOHANNES TASCHNER (2008: „Die Mosereden im Deuteronomium“) und DOMINIK MARKL (in dem entsprechenden Abschnitt seiner Monographie „Gottes Volk im Deuteronomium“ aus dem Jahr 2012) konzentrieren sich auf den narrativen Gehalt des Deuteronomium-Rahmens und die hierin feststellbare Verwebung von Themensträngen. Eine Ausnahme bildet der Aufsatz von KARIN FINSTERBUSCH „Integrating the Song of Moses into Deuteronomy and Reshaping the Narrative. Different Solutions in MT Deut 31:1–32:47 and [the Hebrew Vorlage of] LXX Deut 31:1–32:47“ (2016), weil hier auch die text-
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und redaktionsgeschichtlichen Implikationen der unterschiedlichen Erzählungsführung in MT und LXX erwogen werden. Finsterbusch zufolge verdankt sich die Textform des MT der Umgestaltung einer ursprünglich selbständigen Dichtung zum Zeitpunkt ihrer Einfügung in ein noch unabhängig (vom Rest des heutigen Pentateuchs) existierendes Deuteronomium. Kurz vor oder nach Ende des Exils sei diese erfolgt, um mit Hilfe des Moseliedes die Befolgung der deuteronomischen Gebote anzumahnen. Demgegenüber beruhe die Version von LXX nicht nur auf einer anderen Vorlage als MT, sondern setze zudem schon den gesamten Pentateuch als literarischen Kontext und Bezugsrahmen voraus. Ihre Gestalt gehe daher letztlich auf Änderungen im Zusammenhang mit der Integration des Deuteronomiums in den Pentateuch zurück. Ansätze zur Untersuchung der Textpragmatik des Moseliedes, wie sie sich auch bei Finsterbusch zeigen, finden sich bereits in dem Aufsatz „Das Proömium im Moselied Dtn 32. Struktur, Sprechakte und Redeintentionen von V.1– 3“ (1990) von HUBERT IRSIGLER. Detailliert verfolgt Markl (2012) die Fragestellung mit Blick auf das ganze Lied weiter. Theologiegeschichtliche Einordnungen ergeben sich bei beiden als Konsequenz der erkennbar werdenden Kommunikationssituation, indem ein zu dieser passender historischer Ort ermittelt wird. Für Irsigler ist dies das Juda der Exilszeit, für Markl hingegen die persische Provinz Jehud. Demgegenüber betont JAN P. FOKKELMAN (1998 im ersten Band von „Major Poems of the Hebrew Bible at the Interface of Hermeneutics and Structural Analysis“), das Moselied „weigere sich“, auf eine bestimmte Epoche festgelegt zu werden,22 weil es eine zeitlose Lehre enthalte. Entsprechend verzichtet er selbst auf einen Datierungsvorschlag und führt stattdessen vor, wie das Lied (ähnlich den Psalmen) unabhängig von konkreten Gegebenheiten seine Hörerschaft zu allen Zeiten in die Verantwortung vor JHWH rufe. Ausdrückliche Datierungsversuche werden indes v.a. im Rückgriff auf drei spezifische Frageperspektiven unternommen. Es sind dies die Suche nach sprachlichen Kennzeichen einer bestimmten Epoche, die Identifizierung einzelner Inhalte des Liedes mit historischen Größen oder Ereignissen sowie die religions- bzw. theologiegeschichtliche Beurteilung des Gottesbildes im Moselied.23 Eine Datierung auf Grund linguistischer Kriterien wird weitaus häufiger kritisiert, als dass sie tatsächlich unternommen wird. Jedoch hat die dezidierte Frühdatierung durch WILLIAM F. ALBRIGHT (1959: „Some Remarks on the Song of Moses in Deuteronomy XXXII“ mit der Datierung ins 11./10. Jh.
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FOKKELMAN 1998, 142: „the poem refuses to be pinned down“. 23 Für einen Gesamtüberblick bisheriger Datierungsversuche vgl. auch PREUß 1982, 165– 169; SANDERS 1996, 6–98; OTTO 2017, 2157–2163.
12
Einleitung
v. Chr.)24 sowie in neuerer Zeit wieder durch JAN JOOSTEN (2011: „Deutéronome 32,8–9 et les commencements de la religion d’Israël“ mit der Datierung in das 12./11. Jh. v. Chr.) mit dazu geführt, die Grundlage dieser Datierungsmethode kritisch zu überdenken. So wird eine extreme Frühdatierung des Moseliedes, die sich allein auf dessen vermeintlich archaische Sprache stützt, in den vergleichenden Studien von DAVID A. ROBERTSON (1972: „Linguistic Evidence in Dating Early Hebrew Poetry“), ROBYN VERN (2011: „Dating Archaic Biblical Hebrew Poetry. A Critique of the linguistic Arguments“) und TANIA NOTARIUS (2013: „The Verb in Archaic Biblical Hebrew“), aber auch in der Monographie über das Moselied von Sanders (1996) letztlich abgelehnt. Sie alle kommen – trotz ihrer unterschiedlichen Grundüberzeugungen – zu dem Schluss, dass die beobachtbaren sprachlichen Eigenheiten des Liedes zu widersprüchlich sind, um auf dieser Basis eine eindeutige Zuschreibung vorzunehmen. Bei der Suche nach Anspielungen auf historische Bezugspunkte dominieren die Versuche, die im Moselied erwähnten Feinde des Volkes zu identifizieren. Hier zeigt schon die breite Streuung der vorgeschlagenen Zuordnungen, wie notwendig es ist, weitere Aspekte in die Diskussion einzubeziehen. H EINRICH EWALD (1857: „Das große lied [sic] im Deuteronomium, c. 32“) rechnet die Sprache des Moseliedes dem Nordreich Israel zu und schließt von daher auf die Assyrer als dessen Hauptfeind. Dies steht im krassen Gegensatz zu Budde (1920) und Levy (1930), die die Affinitäten des Liedes mit prophetischen Traditionen des Südreichs hervorheben und sich für die Babylonier als gemeinte Gegner aussprechen. Weil sich die religiösen Verfehlungen der Königszeit und im Speziellen die kultischen Vergehen der Könige Israels (wie sie in den Könige-Büchern beschrieben werden) im Lied spiegelten, die Deportationen durch Assyrer oder Babylonier aber noch nicht vorausgesetzt würden, kommen Knobel (1861) und Dillmann (1886) in ihren Kommentaren zu dem Schluss, dass die „Syrer“ (zur Zeit der Aramäerkriege) gemeint sein müssen. Hierin treffen sie sich mit SOLOMON A. NIGOSIAN, der sich in einer Reihe von Artikeln aus unterschiedlichen Blickwinkeln der Datierungsfrage annimmt. Auf Grund seiner form- und theologiegeschichtlichen Überlegungen in „The Song of Moses (Dt 32). A Structural Analysis“ (1996) und einer sprachlichen Analyse in „Linguistic Patterns of Deuteronomy 32“ (1997) datiert er das Lied zunächst grob ins 10.–8. Jh. v. Chr. In einem weiteren Aufsatz mit dem programmatischen Titel „Historical Allusions for Dating Deut 32“ (2003) sucht er dann ausdrücklich nur in den Schilderungen der Könige-Bücher, die diesen vorher umrissenen Zeitraum betreffen, nach Übereinstimmungen mit dem Moselied und findet sie für das Ende des 9. Jhs. v. Chr., woraus sich die Identifikation der Feinde mit den Aramäern („Syrians“) ergibt. ERNST SELLIN (1925: „Wann
24
Vgl. ALBRIGHT 1968, 1–52 mit zusammenfassenden Bemerkungen zu „Verse and Prose in Early Israelite Tradition“.
II. Forschungsgeschichtlicher Überblick
13
wurde das Moselied Dtn 32 gedichtet?“) bemerkt, dass der Fokus des Liedes durchgehend auf dem Land und dem Verhalten der (wahren) JHWH-Anhänger liege. Deshalb komme als Feind keine fremde Macht in Frage, sondern der Teil der Bevölkerung „Kanaans“, der im 5. Jh. v. Chr. in Folge der assyrischen und babylonischen Eroberungen unter den Einfluss fremder Götter geraten war. Sellin nennt sie „die Samaritaner im weitesten Sinne des Wortes“.25 Mit Blick auf die im Moselied gebotene Zusammenfassung der Geschichte des Volkes kommt OTTO EISSFELDT (1958: „Das Lied Moses Deuteronomium 32,1–43 und das Lehrgedicht Asaphs Psalm 78 samt einer Analyse der Umgebung des Mose-Liedes“) zu einem völlig anderen Schluss. Er setzt das Geschilderte mit einzelnen Epochen innerhalb der biblischen Erzählung von Exodus, Landnahme und Sesshaftwerdung in Kanaan gleich und stellt fest, dass das Lied „die Kriegsnot über das eben in Kanaan seßhaft gewordene Israel hereinbrechen läßt“.26 Da er diese Sicht auf die Vergangenheit offenbar für historisch belastbar hält, kann er weiter folgern, die Rede sei von den Philistern, welche die (gerade ins Land gekommenen) Israeliten im 11. Jh. v. Chr. existenziell bedrohten. Schwerpunktmäßig mit Blick auf die Verse 8–9.43 des Moseliedes wird immer wieder auch eine theologiegeschichtliche Bewertung des Gottesbildes versucht. MANFRED WEIPPERT artikuliert in seinem erstmals 1990 veröffentlichten (und erneut 1997 abgedruckten) Aufsatz „Synkretismus und Monotheismus. Religionsinterne Konfliktbewältigung im alten Israel“ die (mehrfach auch von Eissfeldt vertretene) Ansicht, bei diesen vermeintlich polytheistischen Aussagen über JHWH handele es sich um vorexilische Überlieferungsstücke, die zur Zeit der babylonischen oder persischen Oberherrschaft gemeinsam mit anderen Elementen zum Moselied zusammengefügt und dabei monotheistisch umgedeutet worden seien. Dagegen benennt Meyer (1961, wieder abgedruckt 1993) die politische Konstellation der Perserzeit als Modell für das in Dtn 32 skizzierte Verhältnis JHWHs zu anderen Gottheiten. Ähnlich äußert sich KONRAD SCHMID in seiner Studie zu Dtn 32,8–9 und Ps 82 (2006 erschienen unter dem Titel: „Gibt es ‚Reste hebräischen Heidentums‘ im Alten Testament? Methodische Überlegungen anhand von Dtn 32,8f und Ps 82“ sowie 2011 mit der veränderten Überschrift „Traditionsgeschichtliche oder literarische Aufnahmen vorgegebener Stoffe? Dtn 32,8f und Ps 82 als methodische Testfälle für die literarische Rekonstruierbarkeit von Resten ‚hebräischen Heidentums‘ im Alten Testament“). Ausdrücklich widerspricht er Weippert, indem er die Rede von anderen Gottheiten neben JHWH als Ausdruck einer späten und hoch reflektierten universalistischen Konzeption erklärt.
25
SELLIN 1925, 164, vgl. weiter EBD.: „die ganze, bunt zusammengewürfelte Landesbevölkerung Kanaans, mit der die jüdische Gemeinde in der nachexilischen Zeit sich auseinanderzusetzen und herumzustreiten hatte“. 26 EISSFELDT 1958, 20.
14
Einleitung
III. Aufbau der vorliegenden Studie III. Aufbau
Um das ganze Spektrum dieser Forschungsansätze würdigen und zugleich kritisch beleuchten zu können, folgt die vorliegende Studie in ihrem Aufbau grundsätzlich den klassischen (diachron gefassten) Methodenschritten alttestamentlicher Exegese: Textkritik, Literarkritik, Traditionskritik, Formkritik, Redaktionskritik. Dabei wird jedoch die synchrone Logik und Pragmatik des Textes stets mitbedacht und auf diese Weise sichergestellt, dass die einzelnen Aspekte der Analyse auf das Gesamtverständnis des Moseliedes bezogen bleiben. Darüber hinaus dienen Exkurse zur Klärung grundlegender Methodenfragen, zur Behandlung schwieriger Einzelprobleme und zur Einordnung des Liedes in den Kontext (der Literatur) der altorientalischen Umwelt. In Kapitel 1 („Der Text des Moseliedes. Übersetzung und Textkritik“) ergänzen sprachvergleichende Beobachtungen zur Philologie und Grammatik in den Anmerkungen den Vergleich der überlieferten Textzeugen. Zudem wird die Plausibilität bestimmter Textentwicklungen anhand graphischer Schematisierungen überprüft (Anhang I und II). In Kapitel 2 („Der Gedankengang des Moseliedes. Inhalt, Textpragmatik und Literarkritik“) werden lexikalische, grammatische und andere Auffälligkeiten des Textes gemeinsam betrachtet und auf ihr Zustandekommen befragt, um so nicht nur der ursprünglichen Botschaft, sondern auch den Gründen für Veränderungen am Text des Liedes auf die Spur zu kommen. In Kapitel 3 („Die Motivik des Moseliedes. Innerbiblische Parallelen und Traditionskritik“) ist der eigentlichen Analyse eine Methodenreflexion vorgeschaltet, welche wesentliche Schwächen bisheriger Untersuchungen aufzeigt sowie adäquate Möglichkeiten zur Klassifizierung und Gewichtung der zahlreichen inner- und außerbiblischen Parallelen des Moseliedes eröffnet. Wo einzelne Textparallelen relativ sicher datierbar sind, ergeben sich aus der Bestimmung der Rezeptionsrichtung bereits Hinweise auf die Abfassungszeit des Moseliedes. In Kapitel 4 („Die Form des Moseliedes. Gestalt und Textpragmatik von Dtn 32 im Vergleich mit den formgeschichtlich verwandten Kompositionen Ps 78; 81; 106; Neh 9; Jes 63–64“) ermöglicht der gezielte Blick auf die Funktion wiederkehrender Formelemente in den betrachteten Texten ein neues Verständnis ihrer konzeptionellen Gemeinsamkeiten. Auf diese Weise erhalten die Spekulationen über das Abfassungsmilieu dieser Texte eine zusätzliche formale Grundlage, die sich theologiegeschichtlich auswerten lässt. In Kapitel 5 („Der Rahmen des Moseliedes. Textpragmatik und Redaktionskritik in Dtn 31–32“) werden – ähnlich wie in Kapitel 2 für das Lied an sich – die Spannungen innerhalb des Rahmentextes und auch zwischen Lied und Rahmen daraufhin untersucht, welche unterschiedlichen Interessen sich darin spiegeln und wie diese miteinander verwoben sind. Hieraus lässt sich schließen, welche Rolle das Moselied bei der Endredaktion des Deuteronomiums spielte und wie sich die Einfügung in seinen literarischen Kontext auf das Gesamtverständnis der Pentateuch-Narration auswirkte.
III. Aufbau
15
Nachdem somit bereits in den einzelnen Kapiteln die Grenzen der klassischen exegetischen Methoden durch die Kombination mit anderen Fragestellungen verschiedentlich geweitet wurden, bringt die Diskussion der Ergebnisse am Ende der Studie auch die Teilergebnisse der fünf Kapitel miteinander ins Gespräch. So können mehrdeutige Beobachtungen durch Einsichten aus anderen Blickwinkeln präzisiert und Einzelheiten in einen größeren Zusammenhang gestellt werden. Zugleich bietet diese umfassende Zusammenschau die Möglichkeit, die Resultate vorausgehender Untersuchungen zu überprüfen und neu zu bewerten.
Kapitel 1
Der Text des Moseliedes: Übersetzung und Textkritik 1.1 Der Text1 des Liedes Dtn 32,1–43 1.1 Der Text des Liedes
1
a b
Horcht, ihr Himmel, so will ich reden, und die Erde höre die Worte meines Mundes.
2
a b
Tropfen wie der Regen soll meine Lehre, rieseln wie der Tau meine Rede,
c d
wie Regenschauer auf Grün und wie Regengüsse auf Gras.
a b
Wenn2 ich den Namen JHWHs ausrufe3, gebt unserem Gott Ehre!
3
1
Geboten wird die Übersetzung des rekonstruierten Textes. Abweichungen von MT stehen in spitzen Klammern: . Wahrscheinliche Zusätze zum Urtext erscheinen in kursiver Schrift (vgl. Dtn 32,5aȕ.14e.15c.30.31.32–33.43d.e, im Falle von V.30–33 mit zusätzlicher Einrückung zur Markierung der Reihenfolge, in der die Einschübe erfolgten) und werden in Kap. 2.A–D im Rahmen der Literarkritik diskutiert. Um in den folgenden Erörterungen möglichst präzise Bezugnahmen auf den Text zu ermöglichen, werden die einzelnen Kola (und nicht die Bikola) mit Buchstaben bezeichnet. Mit Blick auf das Moselied vgl. für diese Praxis z.B. WILLIAMS 2000; KAISER 2003. Sofern nicht anders angegeben, handelt es sich auch bei allen sonstigen ins Deutsche übersetzten Bibelstellen und weiteren Zitaten in der gesamten Studie um eigene Übersetzungen. 2 Übersetzung als Temporalgefüge gegen LXX (ľüó), vgl. GK §164 d sowie PHILLIPS 1973, 210, aber auch schon Rashi (mit Verweis auf Lev 23,10) und Rashbam, beide zit. bei CARASIK 2015, 216. Dagegen ließe die Deutung des einleitenden ĜĞ als kausale Verknüpfung mit Dtn 32,1–2 („…denn…“) das zweite Kolon des Verses (Dtn 32,3b) unverbunden stehen, vgl. aber DILLMANN 1886, 395; STEUERNAGEL 1900, 115; S.R. DRIVER 1902, 349. LXX löst das Problem, indem sie das Verb in Dtn 32,3a in den Aorist setzt und dadurch (wie meine deutsche Übersetzung) Dtn 32,3a als Bedingung für Dtn 32,3b formuliert, vgl. WEVERS 1995, 510; DOGNIEZ/HARL 2007, 322: „Car j’ai invoqué le nom du Seigneur ; Donnez magnificence à notre Dieu !“. 3 Gegen SP (ėĘėĜ ĠĬĔ ēīĪ: „den Namen JHWHs anrufen“), vgl. LXX (ôëõěþ: „den Namen nennen“ bzw. „ausrufen“, hier wie Gen 16,13 für ĠĬēīĪ), vgl. RIESSLER 1913, 125; VON RAD 1968, 136; OTTO 2017, 2143; WÜSTE 2018, 24.
18
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes
4
5
6
7
a b
Der Fels, vollkommen ist sein Werk! Denn alle seine Wege sind Recht.
c d
Ein Gott der Treue und ohne Unrecht, gerecht und aufrichtig ist er.
a b
Vergangen haben sich an ihm seine Nicht-Söhne4 mit ihrem Makel,5 eine verkehrte und verdrehte Generation.
a b
Tut ihr JHWH dies an, törichtes und unweises Volk?
c d
Ist er nicht dein Vater, der dich geschaffen, er, der dich gemacht und dich zugerüstet hat?
a b
Gedenke der Tage der Vorzeit, betrachtet die Jahre aller Generationen.
c d
Frage deinen Vater, dass er dir berichte, deine Ältesten, dass sie es dir sagen:
4
Gegen SP, LXX und masoretische Akzente, die die Verneinung auf das Verb beziehen. Vgl. aber GK §152 e; Nahmanides, zit. bei CHAVEL 1959, ėħĭ [sic: Seitenangabe in hebräischen Buchstaben]: ĢĘĩīĭĥĔĘĜģĔĠēīĪĜīĬēĞĘĜģĔēğĠēīĪĘ („und er nennt sie ‚NichtSöhne‘ wie er sie ‚Söhne‘ nennt zur Zeit des Wohlwollens“); Ibn Ezra, zit. bei KRINSKY 1961, 247: ĠġĘġĘėęĘĘĜģĔēğĠėĬĬĪĥīĘĖĘğĭĚĬīġēĘğĜēĞ („als ob [der Vers] sagte: ‚es hat sich an ihm eine verkehrte Generation vergangen‘, dass sie nicht seine Kinder sind und dies ihr Makel ist“) sowie die Übersetzungen bei RIESSLER 1913, 125: „Unkinder“; KÖNIG 1917, 206: „die nicht seine Kinder“; BUBER/ROSENZWEIG 1992, 561: „Unsöhne[…]“; ROSE 1994, 563: „nicht seine Söhne“; NELSON 2002, 363: „nonchildren“. Zur Begründung vgl. unten 1.3.1. 5 Mit MT: ĠġĘġ („ihr Makel“). Für die Entwicklung der Glosse in den anderen Versionen vgl. unten 1.3.1 und die Literarkritik in Kap. 2.A.
1.1 Der Text des Liedes
a b
Als der Höchste die Nationen als Erbe verteilte6, als er die Menschensöhne voneinander trennte,
c d
setzte7 er die Grenzen der Völker fest nach der Zahl der söhne8.
9
a b
Ja, JHWH sein Volk Jakob 9, sein abgemessenes Erbteil .10
10
a b
Er fand es im Wüstenland und in Verlassenheit, im Geheul der Einöde.11
c d
Er umhegte es, hatte auf es Acht, bewahrte es wie seinen Augapfel.
8
19
Zur Deutung von MT (ğĚģėĔ) als Defektivschreibung des Infinitiv constructus vgl. SP (ğĜĚģėĔ) und 4QDeutj (>ğ@ĜĚģėĔ) sowie BÖTTCHER 1866, §1055 Cj III (Erklärung der Vokalisierung durch den Guttural am Anfang des folgenden Worts ĢĘĜğĥ); GK §53 k; SANDERS 1996, 154. Auf Grund des Parallelismus membrorum in V.8a.b („verteilen“/„voneinander trennen“) sind die „Nationen“ als Erbe aufzufassen, vgl. LXX: ľüïîóïöěúóāï÷ĽŸĀóûüøÏ ġù÷ò („als der Höchste die Nationen zuteilte“). Ausführlicher hierzu Kap. 3.3.6.1. 7 Die Kurzform der Präformativ-Konjugation in MT/SP (ĔĩĜ) wird gedeutet als poetische (archaisierende) Narrativ-Form, vgl. Böttcher 1866, §949 g („fiens simplex praeter[itum]“); GK §109 k; WO’C 31.1.1a.d; JM §113 h; S ANDERS 1996, 156; TROPPER 1998, 169–171; SEYBOLD 2005, 69–70. Vgl. auch die ebenfalls perfektiv gebrauchten Imperfekte in V.9– 13.15–18 sowie den Exkurs „Imperfekt-Formen für die Rede über die Vergangenheit“ in Kap. 4. 8 Mit 4QDeutj (ĠĜėĘğē ĜģĔ >Ä@) und LXX nach Codices Alexandrinus und Vaticanus (ôëüąċúóùöļ÷ċññěõþ÷ùïøŶ), aber gegen MT/SP (ğēīĬĜĜģĔīħĤġğ: „nach der Zahl der Söhne Israels“). Zur Begründung vgl. unten 1.3.2. 9 Mit LXX (ôëťĠñï÷ĤùòöïúťÏôýúŤøýõëļÏëŻüøŶØëôþì) wird die Konsonantenfolge von MT/SP am Verseingang (ĪğĚĜĞ) gegen die masoretische Punktierung (Ī Ąğ ăĚĜŨĂ ) als urĀ Ĝą Ũþ ) interpretiert, vgl. hierzu ausführlich unten 1.3.2. sprünglich verbale Wendung (ĪžĚ 10 Gegen MT („Jakob“ am Beginn des zweiten Kolons und ohne „Israel“) ist hinsichtlich Stichometrie und Textumfang SP und LXX zu folgen („Jakob“ zum ersten Kolon zählend, Nennung von „Israel“ am Ende des zweiten Kolons), vgl. hierzu ausführlich unten 1.3.2. 11 In MT werden „Geheul“ (ğğĜ) und „Einöde“ (ĢġĬĜ) durch Munach verbunden, während „in Verlassenheit“ (ĘėĭĔ) durch Tifcha vom Folgenden abgesetzt wird. SP und LXX bieten jeweils eigenständige Interpretationen durch leichte Variation des von MT bezeugten Konsonantentextes, vgl. SCHORCH 1997, 58–59.63; MCCARTHY 2007, 142*; OTTO 2017, 2144.2148 (für SP); WEVERS 1995, 514; DOGNIEZ/HARL 2007, 327 (für LXX); WRIGHT 1962, 28. 6
20
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes
a b
Wie ein Geier12, der sein Nest bewacht13, über seinen Jungen schwebt,
c d
breitete er seine Flügel aus, nahm es, hob es auf seine Schwinge.
12
a b
JHWH allein14 führte es, und bei ihm war kein fremder Gott.
13
a b
Er ließ es über die Höhen des Landes fahren und es aß15 die Erträge des Feldes,
c d
und er ließ es Honig saugen aus einem Felsen und Öl aus Felsgestein,
11
Das hebräische Wort īŘģ (MT/SP) bedeutet „Geier“, kann aber auch als Oberbegriff für große (Raub-)Vögel gebraucht werden und wird in der LXX stets mit ċïüĻÏ („Adler“) wiedergegeben, vgl. KRONHOLM 1986, 682–683.688 sowie den Exkurs in Kap. 3 „Der Geier als Beschützer im Alten Orient“. 13 Mit LXX (ûôïĄûëó, von ûôïĄāþ: „bedecken“, „beschützen“, vgl. GELS, 512) wird īĜĥĜ (MT/SP) gedeutet als Langform (Habitativ, vgl. %/J*.J) einer Wurzel īĜĥ („behüten“, „schützen“, vgl. HALAT, 776), verwandt mit ugaritisch ƥyr („behüten“, „beschützen“, vgl. GINSBERG HARTMANN STAMM PEELS 1994) und arabisch ƥƗra („eifersüchtig bewachen“, „behüten“, vgl. AE/ WEHR 1985, 934), vgl. Hi 8,6 sowie die Übersetzungen bei BUDDE PHILLIPS OTTO 2017, 2144. Gegen die von Vg (sicut aquila provocans ad volandum pullos suos) bezeugte Deutung Ęĥ („wecken“, vgl. GES18, 939 und die Übersetzungen u.a. bei von īĜĥĜ als Hifޏil von ī STEUERNAGEL S.R. DRIVER 1902, 357– BUIS/LECLERCQ 1963, 196–197 VON RAD SANDERS 1996, 164–LUNDBOM 2013, 880) spricht – abgesehen von der fragwürdigen ornithologischen Gegebenheit – der Kontext des Moseliedes, in dem die V.10–11 durch die parallelen Verben īĩģ (V.10d: „bewahren“) und īĜĥ (V.11a: „bewachen“) verklammert werden, vgl. KNOBEL VOLKWEIN 1973, 157– NELSON 2002, 372. Da die hebräische Wurzel ī ĩģ als Äquivalent von ugaritisch nƥr ÄEHVFKW]HQ³ YJO +$/$7 GES18 '8/ ]X JHOWHQ KDW VFKHLGHW GLHVH ĜĥĜ (d.h. die Ableitung von einer mit nƥr verwandten hebräischen Wurzel) Herleitung für ī im Übrigen aus. 14 LXX (ôŴúóøÏöĻ÷øÏĮñï÷) verdeutlicht im ersten Kolon, dass sich ĖĖĔ („allein“) auf das Tun JHWHs bezieht (vgl. den adverbialen Gebrauch und die Verbindung von ĖĖĔ und Verb durch Munach in Lev 13,46; Jer 15,17). Trotzdem ist der Parallelismus der Exklusivitätsaussagen über JHWH in LXX durch das Pronomen der dritten Person Plural (öïüɌëŻüņ÷: „mit ihnen“) aufgehoben, während das PronomenżŪ Ăĥ („mit/bei ihm“) in MT/SP auf JHWH zu beziehen ist, vgl. Kap. 2 zur Subjektkontinuität der V.8–14 sowie LEVY 1930, 70; BOSTON 1966, 56; VOLKWEIN 1973, 160; S ANDERS 1996, 167. Anders z.B. BUDDE 1920, 22. 15 MT bietet wegen des Subjektwechsels die schwierigere Lesart (ğĞēĜĘ: „und es aß“) gegenüber SP (ĘėğĞēĜ: „er speiste es“) und LXX (ĠĀńöóûï÷ëŻüøŵÏ: „er speiste sie“), die den Kola a und c entsprechend ein kausatives Verb mit JHWH als Subjekt bezeugen und durch ein Objekt-Suffix im Singular bzw. Plural unterschiedlich geglättet haben, vgl. S.R. DRIVER 1902, 359; KÖNIG 1917, 208; NELSON 2002, 363.367; MCCARTHY 2007, 143*. 12
1.1 Der Text des Liedes
14
a b
Rahm vom Großvieh und Milch vom Kleinvieh mit Fett von Lämmern und Widdern,16
c d
der Herden von Baschan und von Ziegenböcken mit Nierenfett von Weizen.
e
Und Weinbeerenblut trankst du17, gärenden Wein.
21
16
Zeileneinteilung mit dem Aleppo-Codex, 4QpaleoDeutr und LXX, aber gegen die masoretischen Akzente des Codex Leningradensis (trennendes Geresch für ĠĜīĞ und verbindendes Mahpach für ĠĜğĜēĘ), denen zufolge das zweite Kolon mit ĠĜīĞ („Lämmern“) enden und das dritte mit ĠĜğĜēĘ („und Widdern“) beginnen müsste, vgl. DJD IX, 147; MCCARTHY 2002, 37–38; DIES. 2005, 30–31. Dagegen spricht die poetische Regelmäßigkeit: Es sind in jedem der drei ersten Kola des Verses jeweils zwei durch Ę verbundene (Gruppen von) Tiere(n) anzunehmen, vgl. DILLMANN 1886, 400; BERTHOLET 1899, 97; VOLKWEIN 1973, 162; SANDERS 1996, 174; TIGAY 1996, 305 sowie die Übersetzungen u.a. bei STEUERNAGEL 1900, 117; S.R. DRIVER 1902, 359; BUDDE 1920, 48; NELSON 2002, 363; LUNDBOM 2013, 849. 17 Die griechischen Textzeugen sind sehr uneinheitlich: Die Codices Alexandrinus (ġóø÷) und Vaticanus (ġóï÷) bieten ein Verb in der dritten Person Plural bzw. Singular und damit einen gegenüber MT/SP (ėĭĬĭ) grammatisch harmonisierten Text; das Zeugnis der Revisionen variiert noch stärker, vgl. die Angaben im Apparat bei BROOKE/MCLEAN 1911, 662; WEVERS 1977, 349; weiterhin DERS. 1995, 517 sowie die Literarkritik in Kap. 2.B.
22
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes
a b
18 und Jeschurun wurde fett und schlug aus
c
– fett, dick, feist bist du geworden –19
d e
und er verwarf den Gott, der ihn gemacht hat, und verhöhnte den Fels seiner Rettung.
16
a b
Sie reizten ihn20 durch Fremdlinge, durch Abscheulichkeiten beleidigten sie ihn.
17
a b
Sie opferten den Dämonen, die nicht Gott sind, Göttern, die sie nicht gekannt hatten,
c d
neuen, die kürzlich gekommen waren, die eure21 Väter nicht gefürchtet hatten.
15
Mit SP/4Qphyln (ĥĔĬĜĘĔĪĥ>Ĝğ@Ğē>Ĝ@) und LXX (ôëťġƫëñï÷ØëôþìôëťĠ÷ïõĤûùò) ist gegenüber MT das erste Kolon des Verses zu ergänzen. Der eindeutige Parallelismus mit dem folgenden Kolon (V.15b), die andernfalls fehlende Einordnung des seltenen Namens „Jeschurun“ (vgl. nur noch Dtn 33,5.26; Jes 44,2) sowie die Bezugnahme im Rahmenkapitel in Dtn 31,20 sprechen für die Ursprünglichkeit von V.15a, vgl. u.a. DILLMANN 1886, 401; STEUERNAGEL 1900, 117; BUDDE 1920, 23–24; LEVY 1930, 45.73; BUIS/LECLERCQ 1963, 196; VON RAD 1968, 137; VOLKWEIN 1973, 164–165. Zur Ursprünglichkeit der Form von SP (ohne einleitende Konjunktion) gegenüber LXX vgl. die Literarkritik von V.14–15 in Kap. 2.B. 19 LXX präsentiert für den gesamten Vers Verbformen in der dritten Person Singular, was als Harmonisierung zu deuten ist, vgl. BUDDE 1920, 24 sowie die Literarkritik in Kap. 2.B. 20 MT/SP bieten dem Kontext entsprechend Suffixe der dritten Person Singular an den Verben in beiden Kola (V.16a: ĘėēģĪĜ; V.16b: ĘėĤĜĥĞĜ). LXX (V.16a: ëúńÿý÷Ą÷ öï; V.16b: ĠÿïŤôúë÷Ą÷ öï) und 4Qphyln (ĜģĘ>Ĥ@ĜĥĞ>Ĝ@) bezeugen dagegen Suffixe der ersten Person Singular, was vielleicht als (versehentliche) Angleichung an V.21 zu verstehen ist, vgl. VOLKWEIN 1973, 74; WEVERS 1995, 518; SANDERS 1996, 181; MCCARTHY 2007, 144*–145*. 21 Gegen LXX (øŧëüěúïÏëŻüņ÷: „ihre Väter“), wo das Pronomen der dritten Person Plural gegenüber MT/SP/1QDeutb (ĠĞĜĭĔē) und 4Qphyln (ėġĞĜĭĘĔē) eine Angleichung an den Kontext darstellt, vgl. u.a. S.R. DRIVER 1902, 360; VOLKWEIN 1973, 169; ROSE 1994, 564.569; SANDERS 1996, 185; NELSON 2002, 364.367; OTTO 2017, 2144. 18
1.1 Der Text des Liedes
18
a b
Den Fels, der dich geboren hat, missachtetest22 du, und du vergaßest den Gott, der dich hervorbrachte.
19
a b
Und als JHWH es sah, schmähte23 er wegen der Beleidigung durch seine Söhne und Töchter24
20
a b
und sagte: „Ich will mein Angesicht vor ihnen verbergen, sehen,25 was ihr Ende ist,
c d
denn eine Generation von Verkehrtheiten sind sie, Söhne, in denen keine Treue ist.
23
Die samaritanische Lesetradition (tišša für SP/4Qphyln: ēĬĭ) bezeugt ein Imperfekt Qal der Wurzel ēŘģ bzw. ėŘģ („vergessen“), vgl. BEN-ণAYYIM 1977, 188 (aufgeführt unter der Wurzel ĜŘģ); EBD., 552; DERS. 2000, 164; SCHORCH 1997, 59. Entsprechend ist das Verb in MT (ĜŘàĂ ųĄ ) als Kurzimperfekt von ėŘģ zu verstehen, vgl. BÖTTCHER 1866, §454 į.§493 C.§494,2.§1172,17; BL §57 g''; GK §75 s.ii. Die ungewöhnliche Vokalisierung und fehlendes Dagesch für assimiliertes ģ (Dehnung der ersten Silbe) sind der Stellung in Pausa geschuldet, vgl. schon Ibn Ezra, zit. bei CARASIK 2015, 225. Es ergibt sich ein klarer Parallelismus der Verben ėŘģ (V.18a: „missachten“, übersetzt in Anlehnung an AISTLEITNER 1967, 216: „vernachlässigen“ für ugaritisch nši֒ ) und ĚĞŘ (V.18b: „vergessen“), vgl. KLOSTERMANN 1893, 298; VOLKWEIN 1973, 32.170; SANDERS 1996, 186; MCCARTHY 2007, 145*; OTTO 2017, 2144.2181. 23 Die gewählte Übersetzung spiegelt einen hebräischen Wortlaut, der wegen des absolut gebrauchten Verbs Ĩēģ und der ungewöhnlichen Constructus-Verbindung ĘĜĭģĔĘĘĜģĔĤĥĞġ ebenfalls auffällig ist. LXX und 4Qphyln scheinen den schwierigen Text von MT/SP vereinfacht zu haben. Beide greifen dabei auf das Verb ēģĪ bzw. ëúøÿŴ÷øöëó aus V.16a zurück, was sich wahrscheinlich wegen des Parallelismus der Verben ēģĪ und ĤĥĞ in V.16 nahelegte. Während 4Qphyln nur ein einziges Kolon bietet und Ĩēģ durch ēģĪ ersetzt (ēģĪĜĘėĘėĜē>īĜ@Ę: „Und JHWH sah es und ereiferte sich“), bedient sich LXX in V.19a einer Doppelübersetzung für Ĩēģ (ôëťïŮîï÷ôŴúóøÏôëťĠāĤõþûï÷ôëťëúþÿŴ÷ùò: „Und der Herr sah es und ereiferte sich und wurde aufgebracht…“), um den Anschluss an das zweite Kolon zu glätten, vgl. VOLKWEIN 1973, 175; WEVERS 1995, 520; SANDERS 1996, 186–187; DOGNIEZ/HARL 2007, 331. Für den absoluten Gebrauch von Ĩēģ („schmähen“, „mit Verwerfung reagieren“) vgl. jedoch Jer 14,21 (ebenfalls mit JHWH als Subjekt): ĝġĬĢĥġğĨēģĭČğē („Schmähe nicht um deines Namens willen“). 24 Für die Interpretation von V.19b als Constructus-Verbindung im Sinne eines Genitivus subiectivus vgl. das analoge ĔĜĘēĤĥĞ („die Beleidigung durch den Feind“) in V.27a sowie STEUERNAGEL 1900, 118, der trotz anderer Übersetzung anerkennt: „doch ist ĘĜĭģĔĘĘĜģĔvon ĤĥĞ abhängig“; S.R. DRIVER 1902, 364; VON RAD 1968, 137; VOLKWEIN 1973, 174; TIGAY 1996, 307; CHRISTENSEN 2002, 801; NELSON 2002, 364.368.373; LUNDBOM 2013, 850, aber auch Tg Neophyti, übers. bei MCNAMARA 1997, 154. Für den Ausdruck ĤĥĞġ als Grund eines Ärgernisses vgl. Ps 6,8: ĜģĜĥ ĤĥĞġ ėĬĬĥ („Schwach geworden ist mein Auge vor Kummer“) sowie S.R. DRIVER 1902, 364; VON RAD 1968, 137; NIELSEN 1995, 281; LUNDBOM 2013, 887. 25 MT überliefert das Verb ėēīē im Qal (ė Ąēīþ Ąē). LXX: įİȟȦ („ich werde [ihnen] zeigen“) hat wohl dieselbe Vorlage als Hifޏil interpretiert (ė Ąēīþ ąē) und so den Anthropomorphismus des „sehenden“ Gottes vermieden, vgl. DILLMANN 1886, 403; BUDDE 1920, 27– 28; WEVERS 1995, 520; OTTO 2017, 2150. 22
24
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes
21
a b
Sie haben mich gereizt durch einen Nicht-Gott, beleidigt durch ihre Nichtse.
c d
So will ich sie reizen durch ein Nicht-Volk, durch eine törichte Nation will ich sie beleidigen.26
a b
Ja, ein Feuer, das entbrannt ist in meiner Nase,27 lodert bis an die tiefste Unterwelt,
c d
frisst das Land und seinen Ertrag, versengt die Fundamente der Berge.
23
a b
Ich will gegen sie Übel 28, meine Pfeile an ihnen verbrauchen.
24
a b
Sind sie entkräftet durch Hunger und angegriffen29 durch Seuche und bitteres Verderben,
c d
dann will ich den Zahn wilder Tiere auf sie loslassen mit dem Gift der im Staub Kriechenden.
22
26
Röm 10,19 bezeugt prinzipiell den Wortlaut von V.21c–d der LXX, legt aber die Aussage Mose als direkte Rede an das Volk in den Mund: ĠñŅ ëúëāòõńûþ ŷöĆÏ ĠɌ øŻô ġù÷ïóĠɌġù÷ïóċûý÷ěüŏëúøúñóņŷöĆÏ („Ich werde euch zur Eifersucht reizen durch ein Nicht-Volk, durch ein unverständiges Volk werde ich euch verärgern“). 27 Gegen die Syndese mit Ę und die Vokalisierung der Verben in Kolon b.c.d in MT als Narrative ist mit SP (Asyndese in Kolon c.d) und LXX (Asyndese in Kolon b.c.d, Verbformen im Futur) davon auszugehen, dass das Perfekt in Kolon a (ėĚĖĪ) einen Relativsatz einleitet und die Kola b–d ursprünglich mittels Verben im Imperfekt das resultierende Geschehen (als künftiges bzw. mögliches) darstellen sollten, vgl. BUDDE 1920, 29; LINDER 1924, 388.400; VOLKWEIN 1973, 178; WEVERS 1995, 522; SANDERS 1996, 192. 28 Anstelle der masoretischen Vokalisierung (ė ĄŮĤþ ąē), die ein Hifޏil des Verbs ėħĤ („wegraffen“) ausdrückt, ist mit der samaritanischen Lesetradition (ƗsƝfa, Piޏel von ĦĤē, vgl. BENণAYYIM 1977, 30.552; SCHORCH 1997, 60–61) und LXX (ûý÷Ąÿþ, von ûý÷Ąñþ: „versammeln“, „zusammenbringen“, vgl. GELS, 533) eine Herleitung der Verbform ėħĤē von der Wurzel ĦĤē (Qal: „versammeln“, vgl. GES18, 84) zu bevorzugen und die Vokalisierung in ė Ćħ Ĥćþ ē (vgl. Mi 4,6 LXX: ûý÷Ąÿþ) zu ändern, vgl. BERTHOLET 1899, 98; BUDDE 1920, 30; WEVERS 1995, 522; CHRISTENSEN 2002, 801.802.807; DEN HERTOG/LABAHN/POLA 2011, 595. 29 Gegen SP, der ein suffigiertes Nomen ĘġĚğ („sein Brot“, vgl. Gen 49,20 sowie BENণAYYIM 1977, 154) annimmt, und LXX (ìúńûïó ŀú÷ěþ÷: „Nahrung von Vögeln“), die offenbar von einer Wurzel ĠĚğ II („essen“) ausgeht, spricht der Kontext dafür, das Partizip Passiv ĜġĚğ in MT/1QDeutb von ĠĚğ I („bekämpfen“, vgl. für beide Wurzeln HALAT, 500; GES18, 604) abzuleiten, vgl. Ps 35,1; 56,2–3 sowie GORDIS 1943, 178: „warred upon by Reseph“; CAQUOT 1956, 59: „combattus par Reshep“; WRIGHT 1962, 30: „Attacked by pestilence“; PREUß 1984, 923; GREENFIELD 1987b, 152; CHRISTENSEN 2002, 801.807. Zur Vorstellung personifizierter Übel vgl. auch die Motivuntersuchung in Kap. 3.3.13.1.2.
1.1 Der Text des Liedes
25
a b
Draußen soll das Schwert die Kinder wegnehmen und aus den Zimmern der Schrecken,
c d
den jungen Mann wie die junge Frau, den Säugling mit dem grauhaarigen Alten.
26
a b
Ich hätte gesagt: ‚Ich werde sie auslöschen30, ich will ihr Andenken vom Menschen wegnehmen!‘,
27
a
wenn ich nicht die Beleidigung durch den Feind fürchtete.
b c
Auf dass ihre Bedränger es nicht verkennen, auf dass sie nicht sagen: ‚Unsere Hand31 ist erhaben
d
und nicht JHWH hat dies alles getan!‘
25
Gegen die samaritanische Tradition, die in den orthographischen Varianten ĠėĜħē (vgl. Manuskript 6 [C]) und ĠėĜħē(vgl. Sefer Abiša )ޏvon einem suffigierten Substantiv Ħē ausgeht (abbƯyyimma: „mein Zorn sind sie“, vgl. BEN-ণAYYIM 1977, 31.552; SCHORCH 1997, 61), ist ein Verb anzunehmen und MT (ĠėĜēħē) als Hifޏil einer Wurzel ėēħ zu deuten. Zur Erklärung wird meist die arabische Wurzel faҴƗ („zerspalten“, vgl. BARTH 1887, 615; HALAT, 858; GES18, 1034) herangezogen, die im IV. Stamm (kausativ) jedoch „verwunden“ bedeutet, vgl. AEL, 2326; STEINGASS 1884, 772. Eine engere Parallele zum Moselied bietet die qatabanische und minäische (madhabische) Wurzel fҴy, die im Kausativstamm (sfҴy) die Bedeutung „zerstören“, „entfernen“ hat, vgl. RICKS 1989, 128; ARBACH 1993, 32. Formen von sfҴy begegnen in stereotypen Schutzformeln am Ende von minäischen Weihinschriften, mit denen die Gottheiten gebeten werden, Gaben/Gebäude und Inschrift vor dem zu beschützen, der sie zerstören, entfernen oder auslöschen will, vgl. schon D.H. MÜLLER 1876, 701– 703 sowie AVANZINI 2013 mit genauerer Übersetzung der auch von Müller zitierten Inschrift M 185 (mit dem Verb sfҴy in Z.3), aber dort z.B. auch M 203, Z. 8; M 222, Z. 3; M 247, Z. 4; Shaqab 2, Z. 9 (Hinweis von Peter Stein, Jena). Der hier jeweils ausgedrückten Sorge um das Andenken der Stifterpersonen entspricht die in Dtn 32,26 ausgesprochene Drohung JHWHs, in der „auslöschen“ (V.26a) und „das Andenken wegnehmen“ (V.26b) einen stimmigen Parallelismus ergeben. Zur Orthographie vgl. EWALD 1870, §252 a; GK §58 75 mm. LXX (îóëûïúņ: „zerstreuen“) setzt vielleicht ein anderes Verb voraus, könnte jedoch auch deutend übersetzt haben, vgl. VOLKWEIN 1973, 191; WEVERS 1995, 524. 31 LXX hat die hebräische Vorlage offenbar paraphrasiert, vgl. WEVERS 1995, 524–525; DOGNIEZ/HARL 2007, 333–334; MCCARTHY 2007, 148*–149*. Codex Leningradensis bezeugt für MT, ebenso Manuskript 6 (C) für SP, die Pluralform ĘģĜĖĜ („unsere Hände“), vgl. die samaritanische Lesetradition yƝdƯnu bei BEN-ণAYYIM 1977, 552, die ebenfalls ein Substantiv im Plural bezeugt. Dagegen sollte entsprechend der Singularform des Verbs ( ėġī: „ist erhoben/erhaben“) mit dem Aleppo-Codex, Manuskript EBP.IIB 17 der Russischen Nationalbibliothek St. Petersburg, Manuskript Sassoon 507 für MT sowie Sefer Abiša ޏfür SP (ĘģĖĜ) und LXX (ħíïťúħöņ÷) ein Nomen im Singular (mit pluralischem Possessivsuffix) angenommen werden, vgl. VOLKWEIN 1973, 197; SANDERS 1996, 204–205; MCCARTHY 2007, 149*. 30
26
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes
28
a b
Denn sie sind eine Nation, die an Plänen zugrunde geht,32 und in ihnen ist keine Einsicht.
29
a b
Wenn sie weise wären,33 könnten sie dies begreifen, auf ihr Ende achten.“
30
a b
Wie verfolgt ein Einzelner Tausend und Zweie schlagen Zehntausend in die Flucht,
c d
wenn nicht deshalb, weil ihr Fels sie verkauft und JHWH sie preisgegeben hat?
a b
Ja, nicht wie unser Fels ist ihr Fels und unsere Feinde sind Vollstrecker34.
31
In dem Ausdruck ĭ ĘĩĥĖĔēĜĘĕ erfüllt die Constructus-Verbindung ĭĘĩĥĖĔē („ein an Plänen Zugrundegehender“) die Funktion eines Relativsatzes zum Subjekt ĜĘĕ („eine Nation“), vgl. S.R. DRIVER 1902, 371: „a people lost in counsel“; KÖNIG 1917, 210: „ein Volk irregehend in (seinen) Plänen“; SANDERS 1996, 206: „a nation lost in counsel“ sowie schon Tg Neophyti, übers. bei MCNAMARA 1997, 156: „a nation perishing through evil counsels“; Ibn Ezra (trotz der abzulehnenden Identifikation der „Nation“ mit den Feinden), zit. bei CARASIK 2015, 229 mit Verweis auf Jes 1,30 ( ėğĥĭğĔģėğēĞ: „wie eine Terebinthe, die an Laub verwelkt“) sowie Kap. 2 z.St. und die Motivanalyse in Kap. 3.3.15. Die meisten Kommentierenden beziehen das (singularische) Partizip ĖĔē dagegen auf ĭĘĩĥ als (pluralisches) Subjekt und müssen dann entweder die Inkongruenz im Numerus ignorieren, sie als Intensivierung erklären (vgl. GK § 124 e) oder durch umschreibende Übersetzungen überspielen, vgl. z.B. STEUERNAGEL 1900, 119: „dem aller Rat abgeht“; RIESSLER 1913, 127: „dem alle Überlegung fehlt“; von Rad 1968, 138: „dem aller Rat gebricht“; OTTO 2017, 2145: „dessen Pläne scheitern“, aber auch HALAT, 3: „dem keine Ratschläge helfen“; GES18, 3: „dem es an Rat gebricht“. Die zitierten Übersetzungen zeugen von dem Bemühen, den Relativsatz einerseits (grammatisch korrekt) auf „die Nation“ zu beziehen und zugleich eine Aussage über die „Pläne“ zu treffen, als wären diese das Subjekt des Satzes. Für die ungewöhnliche Vokalisierung von MT (Ė ąĔēć statt Ė ăĔēć als Partizip Qal von ĖĔē) vgl. BÖTTCHER 1866, §371.§378 mit Verweis auf die „gutturale Vocal-Färbung“ durch den Anfangsbuchstaben des folgenden Wortes (ĭ Ęĩĥ); EWALD 1870, §213 c; BL §69 m; Rashbam, zit. bei CARASIK 2015, 229 mit verschiedenen analogen Beispielen. 33 In SP und (der Vorlage von) LXX erscheint die einleitende Konjunktion Ęğ zu ēğ vereinfacht, vgl. VOLKWEIN 1973, 199; WEVERS 1995, 525; SANDERS 1996, 207. Das Verb im Perfekt (ĘġĞĚ) ist wegen seiner in die Gegenwart hineinreichenden Bedeutung präsentisch übersetzt, vgl. BÖTTCHER 1866, §948 c.§949 e; GK §106 g sowie die Übersetzungen u.a. bei DILLMANN 1886, 406; BUDDE 1920, 49; NIELSEN 1995, 282; OTTO 2017, 2145. 34 Versionen und Übersetzende sind uneins über die Bedeutung von ĠĜğĜğħ (MT) bzw. ĠĜğğħ (SP). LXX (ċ÷Ļòüøó: „[sie sind] unverständig“) scheint die schwierige Vorlage durch ein vom Kontext inspiriertes Prädikat ersetzt zu haben, vgl. VOLKWEIN 1973, 204; WEVERS 1995, 527; MCCARTHY 2007, 150*; DEN HERTOG/LABAHN/POLA 2011, 596. Die beiden Parallelstellen für das Substantiv Ex 21,22 (ĠĜğğħ) und Hi 31,11 (ĠĜğĜğħ) deuten auf eine juridische Instanz hin („Richter“), wobei die samaritanische Lesetradition zwischen Ex 21,22 (fƝlaթ ծ lΩm: „Fürbittende“) und Dtn 32,31 (fallaթ ծ lΩm: „Sehende“) differenziert und die Bedeutung „Richter“ ausschließt, vgl. BEN-ণAYYIM 1977, 226.425.552; DERS. 2000, 14.254. 32
1.1 Der Text des Liedes
32
a b
Ja, vom Weinstock Sodoms ist ihr Weinstock und aus den Weingärten Gomorras.
c d
Ihre Weinbeeren sind giftige Weinbeeren, bittere Trauben haben sie.
33
a b
Drachengift ist ihr Wein und grausames Schlangengift.
34
a b
„Ist es nicht verwahrt bei mir, versiegelt in meinen Kammern,
35
a b
35 der Rache und Vergeltung, für die Zeit, da ihr Fuß wankt?
c d
Ja, nahe ist der Tag ihres Verderbens und das ihnen Bereitete eilt herbei.“
27
Tatsächlich passt es weder zu der Aussage von V.27 noch zu V.31a, wenn den „Feinden“ in V.31b eine aktive Funktion gegenüber dem Volk JHWHs zugesprochen würde, vgl. TIGAY 1996, 310; WÜSTE 2018, 50. Vielmehr erfordert der Kontext eine Rolle, die JHWH die letzte Gewalt überlässt. Die ursprüngliche Bedeutungsbreite der Wurzel ğğħ dürfte die Ambivalenz dieser strafenden und dennoch untergeordneten Position umfasst haben (vgl. HALAT, 881–882; GES18, 1056). Die gewählte Übersetzung lehnt sich an den Gebrauch des Piޏel in Ps 106,30 an, vgl. KLOSTERMANN 1893, 326: „Strafvollstrecker“, aber auch schon Nahmanides, zit. bei CARASIK 2015, 230 sowie die Motivanalyse in Kap. 3.3.17. 35 Gegenüber MT (ĠĪģĜğ: „Mein ist die Rache…“) ist der übereinstimmende Zeilenanfang von SP (ĠĪģ ĠĘĜğ: „…für den Tag der Rache…“) und LXX (Ġ÷ ħöěúď ĠôîóôĤûïþÏ: „Am Tag der Vergeltung…“) zu bevorzugen, da dieser besser an V.34 anknüpft und ĠĘĜğ ĥğ: „für die Zeit…“) ergibt. („für den Tag…“) einen stimmigen Parallelismus mit V.35b (ĭ Vgl. zudem für ĠĪģ ĠĘĜ („Tag der Rache“) Prov 6,34; Jes 34,8; 61,2; 63,4. Die verkürzte Variante von MT kann entweder als Haplographie oder als falsch gelesene Abkürzung erklärt werden, vgl. VOLKWEIN 1973, 211–214; WEVERS 1995, 528; TOV 2001, 257; MCCARTHY 2007, 150*; DEN HERTOG/LABAHN/POLA 2011, 596 sowie die Übersetzungen u.a. bei DILLMANN 1886, 408–409; STEUERNAGEL 1900, 120; BUDDE 1920, 36.50; BUIS/LECLERCQ 1963, 200; VON RAD 1968, 138; TIGAY 1996, 311; NELSON 2002, 365.368. Dagegen wird MT für ursprünglich gehalten von KÖNIG 1917, 211; SANDERS 1996, 229; OTTO 2017, 2145.2151 mit der Annahme, SP/LXX hätten auf der Basis von V.35b (und in Anlehnung an die genannten Parallelstellen für ĠĪģĠĘĜ, so OTTO und SANDERS) den Parallelismus erst nachträglich konstruiert. Röm 12,19; Heb 10,30 zitieren übereinstimmend einen griechischen Text, der dem Satzanfang von MT entspricht, dann aber wie LXX das hebräische Nomen Ġ ăũŘĂ („Vergeltung“) verbal wiedergibt: Ġöøť ĠôîŤôòûóÏ ĠñŅ ċ÷üëøîńûþ („Mein ist die Rache, ich werde heimzahlen“). Vgl. für dieses verbale Verständnis auch das Zeugnis der Targumim.
28
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes
a b
Ja, richten wird JHWH sein Volk36 und über seine Knechte sich erbarmen,
c d
wenn er sieht, dass die Kraft geschwunden ist und nichts mehr sind Gebundener und Freier.
37
a b
Und er wird sagen:37 „Wo sind ihre Götter, der Fels, auf den sie vertraut haben,
38
a b
die38 das Fett ihrer Opfer essen, trinken den Wein ihres Trankopfers?
c d
Sie sollen sich erheben und euch helfen, sein über euch ein Schutzschirm.
a b
Seht nun, dass ich, ich es bin und kein Gott bei mir ist.
c d
Ich töte und mache lebendig, wie ich geschlagen habe, heile ich auch.
e
Und es gibt keinen, der aus meiner Hand rettet.
a b
Ja, ich will meine Hand zum Himmel erheben39 und sagen: ‚So wahr ich in Ewigkeit lebendig bin!
36
39
40
36
Heb 10,30 zitiert im Anschluss an das (von LXX abweichende) Zitat von V.35a, vgl. die vorige Anm., den LXX-Text von V.36a: ôúó÷ïŦ ôŴúóøÏ üļ÷ õëļ÷ ëŻüøŶ („der Herr wird sein Volk richten“). 37 Am besten lassen sich die Lesarten von SP (ĘīġēĘ: „Und sie werden sagen…“) und 4QDeutq (ėĘėĜīġ>ēĘ]: „Und JHWH wird sagen…“)/LXX (ôëťïŮï÷ôŴúóøÏ: „Und der Herr sagte…“) erklären als Erweiterungen des von MT überlieferten Textes (īġēĘ), vgl. VOLKWEIN 1973, 96.223; S ANDERS 1996, 233. 38 LXX bezeugt im ersten Bikolon Verben der zweiten Person Plural (īûùŤïüï ôëť ĠŤ÷ïüï: „[deren Opferfett und Libationswein] ihr esst und trinkt“), wodurch der Übergang zu V.39 geglättet und zugleich die Unterstellung abgemildert wird, das Volk habe fremden Göttern zu essen und zu trinken gegeben, vgl. VOLKWEIN 1973, 74; SANDERS 1996, 235– 236.414–418; DOGNIEZ/HARL 2007, 338; MCCARTHY 2007, 151*–152*. 39 Die griechische Überlieferung kennt ein mittleres Kolon (ôëťŀöøŶöëóüĥ÷îïÿóĄ÷ üIJîïÿóĒöøý: „und bei meiner Rechten schwören“), das nach den fünf Kola des vorausgehenden Verses das stichometrische Gleichgewicht wieder herstellt (5 Kola in V.39 + 3 Kola in V.40) und die für JHWH überraschende Geste aus V.40a erklärt. Auch wegen des unterschiedlich bezeugten Wortlauts (vgl. Codices Alexandrinus/Vaticanus: üĥ÷ îïÿóĄ÷ öøý; Codex Coislinianus: üIJîïÿóĒöøý) ist das Kolon für sekundär zu halten, vgl. VOLKWEIN 1973, 84.232; WEVERS 1978, 137; DERS. 1995, 531–532; SANDERS 1996, 241–242.
1.1 Der Text des Liedes
41
42
a b
Wenn ich den Blitz meines Schwertes geschärft habe und meine Hand nach dem Recht greift,
c d
will ich Rache erwidern meinen Bedrängern und denen, die mich hassen, vergelten.
a b
Ich will meine Pfeile trunken machen von Blut und mein Schwert soll Fleisch fressen
c d
vom Blut des Durchbohrten und Gefangenen, vom Haupt der Anführer des Feindes.‘“40
29
MT setzt „vom Haupt“ (Řēīġ) durch Tifcha vom folgenden Ausdruck „Anführer des Feindes“ (ĔĜĘēĭĘĥīħ) ab. Allerdings ist mit LXX (ċļôïƫëõĦÏċúíĻ÷üþ÷Ġíùúņ÷: „vom Haupt der Anführer der Feinde“) der Konsonantentext von MT (ĔĜĘēĭĘĥīħĬēīġ) bzw. SP (ĔĜĘēĭĥīħĬēīġ) in V.42d als doppelte Constructus-Verbindung aufzufassen. Die Deutung Ęĥīħ durch LXX („Anführer“ und nicht „Haare“) wird hingegen durch des Wortes ĭĥīħ/ĭ Ęĥīħ („Anführer“) die masoretische Akzentsetzung gestützt, da sie Řēī („Haupt“) und ĭ gleichordnet: „vom Haupt, von den Anführern des Feindes“, vgl. DILLMANN 1886, 411; LINDER 1924, 389.405–406; VOLKWEIN 1973, 237–238; SANDERS 1996, 245–248; BENণAYYIM 2000, 264; OTTO 2017, 2145.2151. 40
30
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes
43
a b
Jubelt, 41, 42, 43
c
Denn das Blut seiner 44 wird er rächen
d e
und Rache erwidern seinen Bedrängern 45
f
und den Boden seines Volkes46 entsühnen.
Mit 4QDeutq (ĠĜġĬ) und LXX (ȠȡĮȞȠ) gegen MT/SP (ĠĜĘĕ: „Nationen“). Röm 15,10 bezeugt ein nur in LXX (im Anschluss an das erste Bikolon) überliefertes Kolon, das eine hybride Doppelübersetzung des hebräischen ersten Kolons darstellt: ïŻƫúĄ÷ùòüïġù÷òöïüą üøŶõëøŶëŻüøŶ („Freut euch, ihr Nationen, mit seinem Volk“). Hierzu und zur Begründung aller textkritischen Entscheidungen in V.43 vgl. unten 1.3.3. 42 Mit LXX (Ĉöë ëŻüŒ) gegen die masoretische Vokalisierung (ʖĘŪ ąĥ: „sein Volk“) des zweideutigen Konsonantentextes von MT/SP/4QDeutq (Ęġĥ). 43 Mit 4QDeutq (ĠĜėğē ğĞ Ęğ ĘĘĚĭĬėĘ) und LXX (ôëť úøûôý÷òûĄüþûë÷ ëŻüŒ Ą÷üïÏýŧøťùïøŶ) wegen des sich ergebenden Parallelismus membrorum in V.43a.b; das Kolon fehlt in MT/SP. Heb 1,6 bezeugt die Variante ôëťúøûôý÷òûĄüþûë÷ëŻüŒĄ÷üïÏ ČññïõøóùïøŶ („und vor ihm niederfallen sollen alle Engel Gottes“), was einer Kombination der beiden Kola b (ôëť úøûôý÷òûĄüþûë÷ ëŻüŒ Ą÷üïÏ ýŧøť ùïøŶ) und d (ôëť Ġ÷óûíýûĄüþûë÷ ëŻüŒ Ą÷üïÏ Čññïõøó ùïøŶ) der LXX oder einer Parallelüberlieferung von V.43b entspricht, vgl. Ode 2,43b im Codex Alexandrinus: ôëť úøûôý÷òûĄüþûë÷ ëŻüŒĄ÷üïÏøŧČññïõøóùïøŶ. 44 Mit 4QDeutq (ĘĜģĔ) und LXX (üņ÷ ýŧņ÷) gegen MT/SP (ĘĜĖĔĥ: „seiner Knechte“), deren Wortlaut sich vermutlich im Zuge der Umdeutung von V.43a (Ersetzung der Lesart żŪ Ăĥ durch ĘŪ ʖ ĥą ) an den Parallelismus von żŪĥą („sein Volk“) und ĘĜĖĔĥ („seine Knechte“) in V.36 anlehnte, vgl. WINTER 1955, 44; VOLKWEIN 1973, 263; VAN DER KOOIJ 1994, 100; SANDERS 1996, 253; NELSON 2002, 380; MCCARTHY 2007, 153*; OTTO 2017, 2153. 45 Mit 4QDeutq (ĠğĬĜ ĘĜēģĬġğĘ) und LXX (ôëť üøŦÏ öóûøŶûó÷ ċ÷üëøîńûïó) wegen des sich ergebenden Parallelismus membrorum in V.43d.e; das Kolon fehlt in MT/SP. Zur Literarkritik der Kola d.e vgl. Kap. 2.D. 46 Die Aufeinanderfolge zweier suffigierter Substantive in MT ( ĘġĥĘĭġĖē) lässt sich entweder als Dittographie oder als bewusste Verwendung eines Ę-compaginis erklären, vgl. BL §65 i; GK §90 k; MEYER 1992 §45 3e. Der Konsonantentext von MT muss deshalb gegenüber SP/4QDeutq (ĘġĥĭġĖē) und LXX (üĥ÷ñĦ÷üøŶõëøŶëŻüøŶ) nicht als eigenständige Texttradition betrachtet werden, vgl. den analogen Fall Gen 1,24 (MT: ĨīēČĘĭĜĚ; SP: ĭĜĚ Ĩīēė) sowie KLOSTERMANN 1893, 348; STEUERNAGEL 1900, 121; VOLKWEIN 1973, 264– 265; SANDERS 1996, 254–255; NELSON 2002, 366.380 und schon Rashbam, zit. bei BROMBERG 1969, ğī [sic: Seitenangabe in hebräischen Buchstaben]: ėġĖēėĢġĘġĥĠĖĚģĪĜ („er wird das Blut seines Volkes vom Erdboden abwischen“). Die masoretische Akzentsetzung aber geht von zwei gleichwertigen suffigierten Substantiven aus und trennt ĘĭġĖē und Ęġĥ durch Tifcha, vgl. KÖNIG 1917, 212–213; SANDERS 1996, 254; OTTO 2017, 2145. 41
1.2 Die Textzeugen
31
1.2 Die Textzeugen47 1.2 Die Textzeugen
Außer dem Masoretischen Text (MT), dem Samaritanischen Pentateuch (SP) und der Septuaginta (LXX) können zur Rekonstruktion des Moseliedes Fragmente von acht Schriftrollen aus Qumran herangezogen werden. Hier finden sich Belege für 35 der 43 Verse des Liedes. Der Umfang der vorhandenen Belege ist jedoch sehr unterschiedlich und reicht von zwei Buchstaben eines Wortes (4QDeutc für Dtn 32,3) über einzelne bruchstückhaft bezeugte Verse (4QDeutj und 4QDeutb) und mehrere Verse umfassende, aber höchst lückenhafte Abschnitte (4QDeutk1, 4QpaleoDeutr und 1QDeutb) bis zu längeren zusammenhängenden Passagen in 4QDeutq und 4Qphyln, die jeweils neun Verse dokumentieren. Nahezu vollständig erhalten und zusammenhängend lesbar sind nur die Abschnitte Dtn 32,14–20.32–33 in 4Qphyln sowie Dtn 32,41–43 in 4QDeutq. Die folgende Übersicht zeigt, welche Verse des Moseliedes in den einzelnen Dokumenten aus Qumran belegt sind:48 Vers 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Qumran-Fragmente 4QDeutb 4QDeutb 4QDeutb; 4QDeutc nicht bezeugt nicht bezeugt 4QpaleoDeutr 4QDeutj; 4QpaleoDeutr 4QDeutj; 4QpaleoDeutr 4QDeutq 4QDeutq; 4QpaleoDeutr 4QpaleoDeutr nicht bezeugt 4QpaleoDeutr 4QpaleoDeutr; 4Qphyln 4Qphyln 4Qphyln 1QDeutb; 4QDeutk1; 4Qphyln 4QDeutk1; 4Qphyln 1QDeutb; 4Qphyln 1QDeutb; 4Qphyln 1QDeutb 1QDeutb; 4QDeutk1
Vers
Qumran-Fragmente
23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43
4QDeutk1 1QDeutb 1QDeutb; 4QDeutk1 1QDeutb; 4QDeutk1 1QDeutb; 4QDeutk1 nicht bezeugt 1QDeutb nicht bezeugt nicht bezeugt 4Qphyln 4QpaleoDeutr; 4Qphyln nicht bezeugt 4QpaleoDeutr nicht bezeugt 4QDeutq 4QDeutq 4QDeutq 4QDeutq 4QDeutq 4QDeutq 4QDeutq
47
Für einen Überblick über das Textmaterial und Möglichkeiten der Textrekonstruktion vgl. CRAWFORD 2005. 48 Vgl. für 1QDeutb: DJD I; für 4QDeutb, 4QDeutc, 4QDeutj, 4QDeutk1, 4QDeutq: DJD XIV; für 4QpaleoDeutr: DJD IX; für 4Qphyln: DJD VI.
32
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes
Ferner lassen die Zitate des Moseliedes im Neuen Testament (vgl. Röm 10,19; 12,19; 15,10; Heb 1,6; 10,30) von Fall zu Fall verschiedenartige Übereinstimmungen mit den uns bekannten Versionen erkennen. Möglicherweise beziehen sich die Verfasser(innen) des Römer- und Hebräerbriefes zwar auf denselben griechischen Text.49 Ihr Referenztext (oder ihre Referenztexte) stimmte(n) jedoch nicht durchgehend mit einem der uns vorliegenden Textzeugen überein. So entsprechen Röm 10,19 (vgl. Dtn 32,21); 50 15,10 (vgl. Dtn 32,43); Heb 10,30b (vgl. Dtn 32,36) der LXX; Röm 12,19; Heb 10,30a (vgl. Dtn 32,35) dagegen eher MT und Heb 1,6 (vgl. Dtn 32,43) einem Text, welcher der LXX nahesteht, aber nicht mit ihr identisch ist.51
1.3 Zur Textgeschichte einzelner Verse 1.3 Zur Textgeschichte einzelner Verse
1.3.1 Zu Dtn 32,552 Die unterschiedlichen Versionen von MT, SP und LXX für Dtn 32,5 lassen sich alle auf eine gemeinsame Vorlage zurückführen, die dem Konsonantentext des späteren MT entspricht. Dtn 32,5: Vorlage
MT53
SP
LXX
ĘĜģĔēğĘğĭĚĬ ĠġĘġ ğĭğĭħĘĬĪĥīĘĖ
Vergangen hat sich an ihm, seine Nicht-Söhne, ihr Makel, eine verkehrte und verdrehte Generation. ĘĜñģĔē åğĘğĭĚĬ Vergangen hat sich nicht an ihm, seine Söhne, ĠġĘġ ihr Makel, ğĭğĭħĘĬĪĥīĘĖ eine verkehrte und verdrehte Generation. ĘğēğĘĭĚĬ Vergangen haben sich nicht an ihm ĠĘġĜģĔ Söhne des Makels, ğĭğĭħĘĬĪĥīĘĖ eine verkehrte und verdrehte Generation. ħöĄúüøûë÷øŻôëŻüŒ Sie sündigten, nicht ihm, üěô÷ëöþöòüĄ schuldige Kinder, ñï÷ïąûôøõóąôëť eine verdorbene und verkehrte Generation. îóïûüúëööě÷ò
Die hypothetische Vorlage stellt im synonymen Parallelismus den „Nicht-Söhnen“ (V.5a) die „verkehrte und verdrehte Generation“ (V.5b) gegenüber, wobei der Ausdruck ĘĜģĔ ēğ („seine Nicht-Söhne“) an die ebenfalls mit der
49
Vgl. den übereinstimmenden Wortlaut in Röm 12,19; Heb 10,30. 50 Zur Umdeutung der Sprecherrolle vgl. oben Anm. 26. 51 Vgl. hierzu im Einzelnen auch die Anmerkungen oben zur Übersetzung. 52 Für eine ausführliche Diskussion vgl. MCCARTHY 2002, 41–44; DIES. 2007, 140*. 53 Unvokalisiert, aber mit Einzeichnung der sinnverändernden Akzente.
1.3 Zur Textgeschichte einzelner Verse
33
Verneinung ēğ zusammengesetzten Nomina54 in Dtn 32,17 (ėžÿ ą ē ēğ) und 21 (ğēČēğ und ĠĥČēğ) erinnert.55 Für die Ursprünglichkeit eines solchen Textes, der die Verneinung in V.5a auf das Nomen bezieht, sprechen aber nicht nur der klare Parallelismus und die Stilverwandtschaft mit anderen Stellen im Lied. Auch die Eigenheiten der überlieferten Versionen sind als Bearbeitungen dieser Textform gut erklärbar: Mit der Eintragung eines Akzents (Tifcha: ଉ), फ़ der die Verneinung der Vorlage in V.5a (ēğ) auf das vorausgehende Verb bezieht, veränderten die Masoreten den naheliegenden Sinn des ersten Kolons, ohne in den Konsonantenbestand eingreifen zu müssen. 56 Anstatt von „Nicht-Söhnen“ (vgl. die Vorlage) sprach V.5a nun davon, dass sich die Söhne JHWHs „nicht [an JHWH] vergangen haben“, was die Aussage dieses Kolons abmildert,57 doch zugleich einen Widerspruch zum zweiten Kolon aufwirft, in dem dieselben „Söhne“ als „verkehrte und verdrehte Generation“ bezeichnet werden.58 SP und LXX spiegeln dieses veränderte Textverständnis. Beide Textzeugen sind einander so ähnlich, dass für sie eine gemeinsame Vorlage als Zwischenstufe angenommen werden kann.59 Auf dieser Entwicklungsstufe wurde der Text nun im Sinne der masoretischen Akzentsetzung auch im Wortlaut verändert: Indem die Verneinung unmittelbar dem Objekt („ihm“) vorangestellt wurde (SP: Ęğēğ; LXX: øŻôëŻüŒ), entstand ein syntaktisch glatterer Text. Umgekehrt ist schwer vorstellbar, weshalb der von SP/LXX bezeugte Text in den sperrig wirkenden Wortlaut von MT umgeformt worden sein sollte.60 Die Pluralform des Verbs am Anfang von V.5a in SP/LXX (ĘĭĚĬ bzw. ħöĄúüøûë÷
54
Vgl. MCCARTHY 2002, 44: „a kind of composite noun with negative impact“. 55 Vgl. SANDERS 1996, 146; TIGAY 1996, 301; NELSON 2002, 367; CRAWFORD/JOOSTEN/ULRICH 2008, 356. 56 Vgl. MCCARTHY 2002, 43: „[…] the accentual pattern linking ēğĘğ here is difficult and unusual. In place of the more obvious reading of the consonantal Hebrew text, ‘they have (lit. it has) behaved corruptly towards him, they are his NO-SONS’, the Masoretic accents, by linking the negative particle ēğ with the preceding verb ĭĚĬ and its indirect object Ęğ (=God), thereby separating it from ĘĜģĔ, preserve an old midrashic interpretation (‘they did not behave corruptly towards him, his sons…’).“ Ebenso SANDERS 1996, 145. 57 Auf der Basis des vorliegenden Textmaterials kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Masoreten JHWH in Fortführung von V.4 als Subjekt des Verbs betrachteten („Er hat sich nicht an ihm [= dem Volk] vergangen, seine Söhne, [es ist] ihr Makel, eine verkehrte und verdrehte Generation“). Die syntaktisch ähnliche Konstruktion von Dtn 32,5a–b und 6a– b (mit dem Volk als explizitem Subjekt in beiden Kola) legt ein solches Verständnis jedoch nicht nahe, vgl. VOLKWEIN 1973, 122–123.136. Auch fehlte andernfalls die Grundlage für den Rückbezug in V.6a: „Tut ihr JHWH dies an…?“. Zur Verwendung des Verbs im Singular bei pluralischem Subjekt vgl. GK §145 l. 58 Vgl. MCCARTHY 2002, 42. 59 Vgl. VOLKWEIN 1973, 121; SANDERS 1996, 145; OTTO 2017, 2146. 60 Vgl. KÖNIG 1917, 206; VOLKWEIN 1973, 133; SANDERS 1996, 145; NELSON 2002, 367.
34
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes
statt MT: ĭĚĬ) scheint eine weitere Harmonisierung zu sein.61 Schließlich deuten auch die unterschiedlichen Formulierungen am Ende des ersten Kolons (MT: ĠġĘġ ĘĜģĔ; SP: ĠĘġ ĜģĔ; LXX: üěô÷ë öþöòüĄ) darauf hin, dass SP und LXX eine schwierige Vorlage verändert haben.62 1.3.2 Zu Dtn 32,8–9 Die bekannten Textzeugen weichen in Dtn 32,8d auf so markante Weise voneinander ab, dass von absichtlicher Textveränderung auszugehen ist. 63 Als Fortsetzung der Aussage von V.8c: „[JHWH] setzte die Grenzen der Völker fest“ (vgl. MT: ĠĜġĥĭğĔĕĔĩĜ;64 LXX: ġûüòûï÷ľúóëĠù÷ņ÷) bieten MT und SP übereinstimmend ğēīĬĜ ĜģĔ īħĤġğ („nach der Zahl der Söhne Israels“), 4QDeutj hingegen (am Beginn einer neuen Zeile) die Lesung ĠĜėĘğē ĜģĔ („[nach der Zahl] der Gottessöhne“).65 Die griechische Überlieferung ist ebenfalls gespalten. Während die Codices A (Alexandrinus) und B (Vaticanus) ôëüąċúóùöļ÷ċññěõþ÷ùïøŶ („nach der Zahl der Engel Gottes“) bezeugen, wird Theodotion die Wendung ôëüąċúóùöļ÷ýŧņ÷Øûúëòõ („nach der Zahl der Söhne Israels“, vgl. MT/SP) zugeschrieben, Aquila dagegen ïūÏ ĀĦƫø÷ ýŧņ÷Øûúëòõ („nach der Verteilung der Söhne Israels“) und Symmachus einfach ôëüąýŧøŵÏØûúëòõ („nach den Söhnen Israels“).66 Das älteste LXX-Manuskript (Papyrus Fouad 266, 1. Jh. v. Chr.) bricht nach dem Wort ýŧņ÷ („der Söhne“) ab. 67 Der innerbiblische Vergleich zeigt, dass Constructus-Verbindungen, die der Lesart von 4QDeutj (ĠĜėĘğēĜģĔ) entsprechen, in der LXX sonst beinahe immer durch den griechischen Ausdruck Čññïõøó üøŶ ùïøŶ wiedergegeben
61
Vgl. VOLKWEIN 1973, 133; WEVERS 1995, 511; SANDERS 1996, 146; NELSON 2002, 367; MCCARTHY 2007, 140*; OTTO 2017, 2146. Dagegen halten CRAWFORD/JOOSTEN/ULRICH 2008, 356 die Pluralform des Verbs von SP/LXX für ursprünglich, vgl. STEUERNAGEL 1900, 115. 62 Vgl. hierzu die Literarkritik in Kap. 2.A. 63 Vgl. die Untersuchungen von SKEHAN 1954; WINTER 1955; BARTHÉLÉMY 1963; MCCARTHY 1981; LANA 1983; LOEWENSTAMM 1992; MEYER 1993; HANHART 2002; HIMBAZA 2002. 64 SP ist nur orthographisch verschieden: ĠĜġĥĭğĘĔĕĔĩĜ. 65 Vgl. DJD XIV, 90. Das Ende der vorausgehenden Zeile mit dem zu vermutenden Text īħĤġğ ist nicht erhalten. 66 Vgl. die Angaben im Apparat bei FIELD 1875, 320; BROOKE/MCLEAN 1911, 661; WEVERS 1977, 347. Es findet sich außerdem die Aquila-Lesart ïūÏĀĦƫø÷ýŧņ÷ùïøŶ („nach Abstimmung/Verteilung der Gottessöhne“), vgl. dazu CARRILLO ALDAY 1970, 15–16. 67 Vgl. HANHART 2002, 171; CRAWFORD 2005, 324. Beide kritisieren die Konjektur ýŧņ÷ùïøŶ für die Göttinger Septuaginta, die lediglich durch die Armenische Übersetzung gestützt wird, vgl. WEVERS 1978, 85.
1.3 Zur Textgeschichte einzelner Verse
35
werden.68 So kann das Zeugnis von 4QDeutj und LXX mit hoher Wahrscheinlichkeit einer gemeinsamen Lesetradition zugeordnet werden. 69 Für die Ursprünglichkeit der Lesart ĠĜėĘ ğēĜģĔ in V.8d spricht der Textzusammenhang: Weder die „Grenzen der Völker“ aus V.8c noch die in V.9 thematisierte besondere Erwählung Israels werden durch den Text von MT/SP in V.8d: īħĤġğ ğēīĬĜĜģĔ („nach der Zahl der Söhne Israels“) schlüssig begründet.70 Dagegen liefert die „Zahl der Gottessöhne“ (vgl. 4QDeutj: ĠĜėĘğēĜģĔ>īħĤġ@)71 nicht nur einen sinnvollen Maßstab für die Verteilung der „Völker“ (vgl. V.8c). Zugleich beschreibt die wechselseitige Zuordnung von Völkern und Gottessöhnen nach V.8c–d den Hintergrund für das, was anschließend in V.9 von Jakob/Israel und JHWH ausgesagt wird:72 Während alle übrigen Völker den (nicht genauer benannten) „Gottessöhnen“ zufallen, teilt JHWH sich selbst sein Volk zu. Die im Kontext weniger logische Lesart von MT/SP ist mutmaßlich einer Korrektur geschuldet, die das scheinbar gleichberechtigte Nebeneinander von JHWH und anderen Göttern in der hebräischen Version von V.8–9 beseitigen sollte.73 Ein Vergleich des Vokabulars für Götter und götterähnliche Wesen in MT und LXX macht deutlich, dass die griechische Tradition JHWH tendenziell stärker von den anderen Wesen abgrenzt. Während in MT Wesenheiten, die JHWH umgeben oder ihm als Mittler zugeordnet werden, als ĠĜėğē (Ps 8,6; 97,7; 138,1: „Götter“) oder ĠĜėğē ĜģĔ (Hi 1,6; 2,1; 38,7: „Gottessöhne“) bzw. ČīĔ ĢĜėğē (Dan 3,25: „Gottessohn“) bezeichnet werden können und damit auch lexikalisch eng an JHWH als „Gott“ (ĠĜėğē) herangerückt sind,74 markiert LXX an diesen Stellen durch die Bezeichnung ČññïõøÏ bzw. ČññïõøóüøŶùïøŶ, d.h. „Engel (Gottes)“, die Unterordnung dieser Wesen gegenüber JHWH bereits mittels der Wortwahl. Dies gilt auch für den Text von Dtn 32,8, der dem Gott JHWH (V.9a) ursprünglich die „Gottessöhne“ (V.8d 4QDeutj: ĠĜėĘğēĜģĔ) gegenüberstellte. In der Übersetzung der LXX konnte kein Zweifel an der
Vgl. Hi 1,6; 2,1 (ĠĜėğēė ĜģĔ); 38,7 (ĠĜėğē ĜģĔ); Dan 3,25 (ĢĜėğēČīĔ) sowie Kap. 3.3.6.1. Für das hohe Alter der Lesart ČññïõøóüøŶùïøŶ des Codex Alexandrinus für ĠĜėğēėĜģĔ in Gen 6,2 (gegenüber ýŧøťüøŶùïøŶ in den übrigen griechischen Textzeugen sowie Gen 6,4, was als spätere wörtliche Angleichung an MT gedeutet werden kann) vgl. FIELD 1875, 22; BROOKE/MCLEAN 1906, 13; BARTHÉLÉMY 1963, 299; HARL 1994, 125; TAL 2015, 91–92. 69 Vgl. HANHART 2002; 173; HIMBAZA 2002, 533.540. 70 Vgl. MAYES 1981, 384; LANA 1983, 183–184. 71 Ebenso dürfte die Vorlage der LXX gelautet haben, vgl. oben Anm. 69. 72 Vgl. VOLKWEIN 1973, 144: „Die Lesart der LXX befriedigt mehr. Sie entspricht besser dem Kontext und verbindet 8 eng mit 9“; ebenso STEUERNAGEL 1900, 116; WINTER 1955, 42, vgl. auch SCHENKER 2007, 517–518. 73 Vgl. SKEHAN 1954; WINTER 1955, 42; VOLKWEIN 1973, 150–153; MCCARTHY 1981, 213; DIES. 2007, 140*–141*; MEYER 1993, 124–125; SANDERS 1996, 156–157; TIGAY 1996, 514–515. 74 Vgl. nur Ps 7,12 neben Ps 8,6; Ps 98,3 nach Ps 97,7; Hi 1,1.5 neben Hi 1,6; Dan 3,26 nach Dan 3,25. 68
36
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes
wesentlichen Unterscheidung zwischen den „Engeln Gottes“ (V.8d LXX: ČññïõøóùïøŶ) und JHWH, d.h. dem „Herrn“ (V.9a: ôŴúóøÏ), aufkommen. Der Wortlaut von V.8 des hebräischen Urtextes jedoch konnte in Verbindung mit V.9 so verstanden werden, dass JHWH nur einer der untergeordneten „Gottessöhne“ und damit zugleich von dem „Höchsten“ (V8a: ĢĘĜğĥ) unterschieden wäre. Um die Möglichkeit dieser Zuordnung zu vermeiden, ist die ursprüngliche hebräische Lesung in V.8d: ĠĜėĘ ğē ĜģĔ, wie sie noch 4QDeutj bezeugt und LXX als Vorlage gedient hat, in ğēīĬĜ ĜģĔ geändert worden (vgl. MT/SP).75 Zwar musste hierfür eine durchaus merkliche Änderung im Schriftbild in Kauf genommen werden.76 Die grobe Sinnänderung hingegen konnte sich offenbar an eine Tradition anlehnen, der zufolge die Zahl der Söhne Israels von Bedeutung für die Verteilung der Völker auf der Erde war.77 Die veränderte Lesart von MT/SP schließlich bot die Grundlage für die Revisionen von Aquila, Theodotion und Symmachus mit den unterschiedlichen Formulierungen um die „Söhne Israels“ (ýŧøťØûúëòõ). Ebenso dürfte Papyrus Fouad eine frühe griechische Übersetzung des revidierten Textes bezeugen.78 Im Anschluss an die Verteilung der Völker auf die „Gottessöhne“ in V.8 kann die Aussage von V.9 nur parallel zu V.8c–d – und nicht als Begründung von V.8 – verstanden werden: Von V.8 zu V.9 wird der alle Völker und ihre Götter umfassende Blick auf das Verhältnis JHWHs zu seinem Volk verengt. Folglich kommt der Partikel (vermutlich þŨ stattĜŨĂ )79 am Anfang von V.9a emphatische Bedeutung zu („Ja,…“).80 Die Ersetzung des Ausdrucks ĠĜėĘ ğēĜģĔ in V.8d durch ğēīĬĜĜģĔ scheint jedoch eine Umdeutung am Eingang von V.9 zur Folge gehabt zu haben. Hierauf deutet der Text der LXX (ôëť Ġñï÷Ĥùò öïúťÏ ôýúŤøý õëļÏ ëŻüøŶ Øëôþì: „Und zum Anteil des Herrn wurde sein Volk Jakob“), der in seiner hebräischen Vorlage eine Verbalkonstruktion
75
Vgl. BARTHÉLÉMY 1963, 297; VOLKWEIN 1973, 151; MCCARTHY 1981, 212–213; SANDERS 1996, 156–157. 76 Schreibt man ĠĜėĘğē und ğēīĬĜ nebeneinander, zeigt sich, dass eine versehentliche Verschreibung (sowohl in paläo-hebräischer als auch in aramäischer Schrift) ausgeschlossen werden kann; anders ALBRIGHT 1959, 343. 77 Vgl. CLARKE 1984, 249 für die wie selbstverständlich erscheinende Verknüpfung von ēĜĞēğġ („die Boten“, „die Engel“) und ğēīĬĜĖēĭĬħģ („die Seelen Israels“) im Tg PseudoJonathan zu Dtn 32,8:ĜğĕĭēĖ ĢĜġġĥ ĜĔīĔī ēĜĞēğġ ĢĜĥĔĘĬ Ġĥ ēĭĩĜħ ēġī ēģġĜę ēĜė ĜĔ
ğēīĬĜĖ ēĭĬħģ ĢĜĥĔĘĬ ĢĜĜģġ ĠĘĞĤĞ ēĜġĘē ĜġĘĚĭ ĠĜĪē ēģġĜę ēĜė ĜĔĘ ēĭīĪ ĜġĚġğ ĢĘėġĜĥ ĠĜīĩġğ ĘĭĚģĖ („…zu dieser Zeit warf er die Lose mit den 70 Engeln, den Anführern der
Nationen, denen offenbart war, die Stadt zu sehen, und zu dieser Zeit setzte er die Grenzen der Völker fest nach der Summe der Zahl der 70 Seelen Israels, die nach Ägypten hinabgegangen sind“) sowie BARTHÉLÉMY 1963, 297–300; LANA 1983, 184–185; HIMBAZA 2002, 541. 78 Vgl. HANHART 2002, 170. 79 Vgl. hierzu das Folgende. 80 Vgl. WEVERS 1995, 513–514; TIGAY 1996, 303: „Ki can hardly mean ‘for’ here, since the verse does not explain the preceding one“.
1.3 Zur Textgeschichte einzelner Verse
37
vorgefunden zu haben scheint. Auch zwei hebräische Manuskripte,81 die statt Ęġĥ (MT/SP) Ęġĥ ĭē lesen, d.h. den Ausdruck „sein Volk“ als AkkusativObjekt verstehen, stützen eine verbale Interpretation. Dadurch werden die beiden Vorgänge in V.8 und 9 auch grammatisch gleichgeordnet.82 Die griechische Konjunktion ôëŤ(„und“) am Anfang von V.9 widerspricht dieser Auffassung nicht, sondern stützt lediglich die Annahme, dass der Zusammenhang von V.8 und 9 nicht kausal gedacht war.83 Ein entscheidender Grund für die zum Teil stark voneinander abweichenden Interpretationen von V.9a und damit für die Unsicherheit bei der Identifikation des ursprünglichen Wortlauts ist, dass die hebräische Wurzel ĪğĚ mit der Grundbedeutung „(zu)teilen“84 sowohl im Sinne eines aktiven Besitzergreifens als auch eines eher passiven Empfangens verstanden werden kann.85 Dasselbe Verb ĪğĚ könnte ausdrücken, dass JHWH sein Erbteil (von einem Dritten) erhält, ebenso aber auch, dass er es sich selbst zuweist.86 Der Kontext des Moseliedes, in dem „der Höchste“ (V.8a) und JHWH (V.9a) parallelisiert werden,87 erfordert eine Übersetzung im Sinne von „in Besitz nehmen“.88 Drei verschiedene Vorschläge für eine entsprechende hebräische Vorlage sind bisher gemacht worden. 89 Sofern man das einleitende ĜĞ durch ein Ę-consecutivum (plus präformatives Ĝ) ersetzt,90 kann als ursprünglicher Text ein Narrativ ĪğĚĜĘ des Verbs ĪğĚ angenommen werden („Und [JHWH] teilte sich [sein Volk] zu“), bei noch stärkerer Textänderung auch die
81
Manuskripte 69 und 109 nach der Kennicott-Klassifikation, vgl. CARRILLO ALDAY 1970, 16; VOLKWEIN 1973, 17.20. 82 Vgl. BUDDE 1920, 16–17: „ĪğĚ entspricht dem ğĚĂ þģ ąėşþ […] und ĘĖĜīħėĔ, es muß also den Anteil bezeichnen, der Jahve bei der Weltteilung zufiel, nicht unabhängig davon bereits der seinige war. Der bloße Nominalsatz ist dafür nicht zulässig.“ OTTO 2017, 2176 betont im Gegenteil die Ungleichartigkeit der Zuordnung, um die Nominalkonstruktion des MT zu rechtfertigen: „Wäre die Zuteilung von Jakob an JHWH ein Vorgang parallel zu Dtn 32,8, so wären finite Verbformen zu erwarten.“ 83 Eine mit dem Text der LXX begründete Ersetzung von ĜĞ durch Ę vor dem Substantiv ĪĄğ ăĚ im hebräischen Text scheint deshalb unangebracht, vgl. VOLKWEIN 1973, 77. Anders z.B. BERTHOLET 1899, 96; STEUERNAGEL 1900, 116. 84 Vgl. H.H. SCHMID 1971a, 576; TSEVAT 1977, 1015. 85 Vgl. TSEVAT 1977, 1015: „Anteil nehmen oder geben“. 86 Vgl. auch Kap. 3.3.6.2. 87 Vgl. hierzu auch den Exkurs „Der Gott des Moseliedes“ in Kap. 2. 88 Vgl. GES18, 359. 89 Vgl. VOLKWEIN 1973, 148–149. CARRILLO ALDAY 1970, 149 gibt V.8–9 verkürzt so wieder, als setzte er ebenfalls ein Verb voraus, ohne dies jedoch explizit zu machen: „cuando el Altísimo repartió las naciones, según el número de los hijos de Dios, entonces reservó para sí a Jacob, como la parte de su heredad“. 90 Vgl. GK §49, auch Ę-conversivum oder ĝĘħĜėėıĘ. Für die beiden folgenden Vorschläge vgl. BUDDE 1920, 19.
38
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes
Form Ī Ąğ ăĚĜėĜĘ („Und es wurde [sein Volk JHWHs] Erbteil“), 91 die dem griechischen Text auf den ersten Blick besonders nahe kommt und das Problem der Verb-Semantik umgeht. Ohne Veränderung des Konsonantentexts wäre die Vokalisierung von ĪğĚ als Perfekt Ī ąğ ĆĚ nach unveränderter Partikel ĜŨ Ă denkbar („Ja, [JHWH] hat sich [sein Volk] zugeteilt“).92 Stattdessen schlage ich eine vierte Lösung vor, die ebenfalls auf dem Konsonantentext von MT/SP beruht und dabei zugleich die grammatische Gestalt des Kontextes berücksichtigt:93 In Übereinstimmung mit den finiten Verbformen im vorausgehenden V.8 und im folgenden V.10 (Präformativ-Konjugation in perfektiver Bedeutung) kommt in V.9 einer Präformativ-Form ĪğĚĜ mit verseinleitendem emphatischem þŨdie größte Plausibilität zu („Ja, [JHWH] teilte sich [sein Volk] zu“).94 Wegen der Gleichheit der Konsonanten käme sowohl eine Form im Qal Ā Ĝą )95 als auch eine Piޏel-Form (Ī ăũ ąĚ þĜ)96 in Frage. Die nächsten Parallelen (ĪžĚ für die Verwendung des Verbs im Moselied stehen aber sämtlich im Qal,97 so dass dieser Stamm auch in Dtn 32,9 anzunehmen ist. Die Zusammenschau aller Belegstellen im Qal ergibt weiterhin, dass in der LXX für die Übersetzung von 20 Belegen neun verschiedene Verben verwendet werden.98 Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Gleichsetzung von ñŤñ÷øöëó öïúťÏ mit ĪğĚ im Falle des Moseliedes nicht überraschend. Der griechische Ausdruck bietet eine neutrale Umschreibung des mehrdeutigen Verbs und muss keinesfalls auf einen hebräischen Nominalsatz hinweisen. Im Zuge sich wandelnden Sprachempfindens mag es jedoch zu einer nachträglichen Deutung von V.9aĮ als AfformativĂ (Ī ąğ ĆĚĜŨĂ : „ja, er hat sich zugeteilt“) und schließForm mit vorausgehendem ĜŨ lich zu einer Umdeutung als nominale Wendung Ī Ąğ ăĚ ĜŨĂ („ja, der Anteil…“) gekommen sein, wie sie MT bezeugt. Letztere muss im Zusammenhang mit der Überarbeitung von V.8d (Ersetzung von ĠĜėĘ ğēĜģĔ durch ğēīĬĜĜģĔ) stehen, da durch sie die inhaltliche Parallelität von V.8 und 9 gestört und die
91
Vgl. BUDDE 1920, 16–17; LEVY 1930, 65; ROFÉ 1969, IX sowie die Übersetzung bei VON RAD 1968, 137. 92 Vgl. MEYER 1993, 124. STEUERNAGEL 1900, 116 postuliert als ursprüngliche Lesung ĪğĚĘ und übersetzt „doch Jahves Teil wird Jakob, sein Volk“. 93 Vgl. für diese Forderung VOLKWEIN 1973, 149. Den Anstoß für die vorgeschlagene Rekonstruktion gab die gemeinsame Textbetrachtung mit Josef Tropper, Berlin. 94 Für emphatisches þŨ vgl. GK §118 x; HALAT, 433 (þŨ, unter 5.: „scheinbar überflüssig, betonend“); UG §85.7b; GORDIS 1943; SCHOORS 1981, 247–248. 95 Vgl. Hi 27,17; Prov 17,2. 96 Vgl. Gen 49,27; Hi 21,17; Jes 53,12; Dan 11,39; Mi 2,4. 97 Vgl. Kap. 3.3.6.2 sowie außer Hi 27,17; Prov 17,2 auch Dtn 4,19; 29,25, wo JHWH ebenfalls Subjekt ist, jedoch nicht sich selbst, sondern den Völkern (Gestirne als) Götter zuweist. 98 Für ĪğĚ im Piޏel ist die Übersetzung oft îóëöïúŤāþ, was in Dtn 32,8 aber für ğĚģ Hifޏil steht. Dies mag ein weiterer Grund für die umschreibende Wiedergabe von ĪğĚ in V.9 sein, vgl. WEVERS 1995, 512.
1.3 Zur Textgeschichte einzelner Verse
39
Gleichordnung der Verben in beiden Versen folglich obsolet wurde. Wahrscheinlich ist auch die unterschiedliche Stichometrie von V.9 auf denselben Texteingriff zurückzuführen: SP und LXX bieten „Jakob“ (V.9a) und „Israel“ (V.9b) jeweils am Ende des Kolons. MT teilt diesen Parallelismus (vermutlich ebenso wie 4QDeutq)99 nicht. Dtn 32,9: MT 4QDeutq SP LXX
ĘġĥėĘėĜĪ Ąğ ăĚĜĞ ĘĭğĚģğĔĚĔĪĥĜ
Ja, der Anteil JHWHs ist sein Volk, Jakob sein abgemessenes Erbteil. Ęĭğ>Ěģ …sein Erbteil ĔĪĥĜĘġĥėĘėĜĪğĚĜĞ Ja, der Anteil JHWHs ist sein Volk Jakob, ğēīĬĜĘĭğĚģğĔĚ sein abgemessenes Erbteil Israel. ôëťĠñï÷ĤùòöïúťÏôýúŤøý Und zum Anteil des Herrn wurde sein Volk õëļÏëŻüøŶØëôþì Jakob, ûíøŤ÷óûöëôõòúø÷øöŤëÏ zum Landgebiet seines Erbes Israel. ëŻüøŶØûúëòõ
Die Häufigkeit der doppelten Anrede des Volkes – als „Jakob“ und „Israel“ – an anderen Stellen100 in MT und LXX erlaubt noch keine Entscheidung über das Alter dieses Parallelismus in Dtn 32,9. Das vielfache Vorkommen der Doppelbezeichnung kann ebenso gut zur Begründung der Ursprünglichkeit von „Israel“ in SP/LXX gegenüber MT angeführt werden wie auch als Argument für eine nachträgliche Ergänzung in einer gemeinsamen Vorlage von SP/LXX, wodurch die Übereinstimmung mit der häufig bezeugten Ausdrucksweise sekundär angestrebt wurde.101 Die bis zu diesem Punkt rekonstruierte Textgeschichte stützt allerdings die zuerst genannte Alternative, dass der längere Text in Dtn 32,9 (mit „Israel“ am Schluss, vgl. SP/LXX) der ursprünglichere ist:102 Nach der Ersetzung des inkriminierten Ausdrucks ĠĜėĘ ğē ĜģĔ durch ğēīĬĜ ĜģĔ in Dtn 32,8d stand „Israel“ in den beiden aufeinanderfolgenden Versen Dtn 32,8.9 mit ganz
MitĘĭğ>Ěģ dürfte das Zeilenende erreicht sein, vgl. DJD XIV, 139. Das Fragment ist aber nicht zweifelsfrei zu identifizieren, weshalb es nur unter Vorbehalt in die Argumentation einbezogen werden sollte. 100 BERGES 2008, 157 zählt „ca. 50 Belege im AT“; meine Zählung ergibt für MT 80 Belege, vgl. Kap. 3.3.6.2. 101 Ein mit Dtn 32,9 vergleichbarer Befund liegt in Jes 29,22 (in einem Weheruf gegen das Volk) vor. Hier bietet MT ebenfalls nur ĔĪĥĜ, während LXX Øëôþì und Øûúëòõ parallelisiert, vgl. DOGNIEZ/HARL 2007, 326. 102 Vgl. BERTHOLET 1899, 96; STEUERNAGEL 1900, 116; RIESSLER 1913, 120; LEVY 1930, 65; BUIS/LECLERCQ 1963, 196; MEYER 1993, 124–125. Dagegen halten DILLMANN 1886, 398; BUDDE 1920, 19; VOLKWEIN 1973, 152–153; SANDERS 1996, 159; MCCARTHY 2007, 141* (mit Verweis auf DOGNIEZ/HARL 2007, 326, die hier jedoch nur einen subjektiven Eindruck beschreiben: „comme si“); OTTO 2017, 2147 die MT-Lesart für ursprünglicher. 99
40
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes
unterschiedlicher Bedeutung. In V.8d diente die „Zahl der Söhne Israels“ zur Begründung für die Vielzahl der Völker, in V.9b dagegen war „Israel“ als einheitliche Größe im Blick. So ist es gut vorstellbar, dass MT angesichts der Eintragung des Wortes „Israel“ in V.8 dasselbe in V.9 ganz anders gebrauchte Wort getilgt und die beiden Kola von V.9 neu aufgeteilt hat.103 In SP blieb das ursprüngliche „Israel“ in V.9b stehen, wo es sich nun sachlich mit dem sekundären „Israel“ in Dtn 32,8d stößt. Postuliert man dagegen, der kürzere Text in V.9 (d.h. ein Text ohne „Israel“ in V.9b, wie er von MT gegen SP/LXX bezeugt wird) sei der ursprünglichere, müsste man weiter annehmen, SP habe nach der Eintragung von „Israel“ in V.8 (die MT und SP teilen) auch in V.9 „Israel“ nachträglich ergänzt, obwohl sich dadurch eine Spannung zu V.8 ergibt. Dies erscheint umso fragwürdiger als LXX und SP zwar in V.9 einander entsprechen, LXX jedoch in V.8 (gegen MT/SP) die ursprünglichere Lesart ohne „Israel“ bezeugt. Sollte also LXX in Dtn 32,8–9 nicht durchgehend die ältere Lesart bezeugen, müsste „Israel“ in V.9b von SP und LXX entweder unabhängig voneinander eingetragen worden sein (nämlich nach der Änderung von V.8d, durch die sich SP und LXX unterscheiden) oder aber es müsste die Änderung in V.8d (die MT und SP gemeinsam haben) im Anschluss an die Textänderung in V.9b bei SP (durch die sich MT und SP unterscheiden) unabhängig voneinander erfolgt sein. Beides ist schwer vorstellbar.104 Ich halte es daher für wahrscheinlicher, dass ein ursprünglich längerer (V.9 mit „Israel“) und theologisch anstößiger hebräischer Text (V.8 mit den „Gottessöhnen“), wie ihn jetzt nur noch LXX vollständig bezeugt, im Laufe der Überlieferung erst geändert (vgl. V.8d MT/SP) und dann der Änderung entsprechend in einem Teil der Überlieferung durch Kürzung harmonisiert wurde (Wegfall von „Israel“ in V.9b MT). Überdies ergibt in SP/LXX die jeweils doppelte Benennung in V.9a („sein Volk“ + „Jakob“) und b („sein Erbteil“ + „Israel“) einen genauen Parallelismus, was als poetisches Argument für die Ursprünglichkeit dieser Stichometrie gewertet werden kann.105 Diese Auffassung wird gestützt durch die Beobachtung, dass die Gegenüberstellung von Völkern und Ländern ein wiederkehrendes Muster im Moselied bildet.
103
So ausdrücklich schon BERTHOLET 1899, 96; LEVY 1930, 65. 104 Für eine graphische Darstellung der Alternativen vgl. Anhang I. 105 Zwar wird ĪğĚ mit doppeltem Akkusativ („etw. zuteilen als“) sonst mit Präposition verwendet, diese kann aber wechseln, vgl. Num 26,53; Jos 13,7; Neh 9,22; Dan 11,39. Insofern wäre auch die Übersetzung als doppelter Akkusativ zu erwägen: „Ja, JHWH teilte sich als sein Volk Jakob zu, als sein abgemessenes Erbteil Israel.“ Vgl. die Umschreibung von CARRILLO ALDAY 1970, 149: „como la parte de su heredad“.
1.3 Zur Textgeschichte einzelner Verse
41
Dtn 32,8 (Urtext): a b c d
ĠĜĘĕĢĘĜğĥğĜĚģėĔ ĠĖēĜģĔĘĖĜīħėĔ ĠĜġĥĭğĔĕĔĩĜ ĠĜėğēĜģĔīħĤġğ
Als der Höchste die Nationen als Erbe verteilte, als er die Menschensöhne voneinander trennte, setzte er die Grenzen der Völker fest nach der Zahl der Gottessöhne.
Dtn 32,43 (Urtext): c d
ĠĘĪĜĘĜģĔĠĖĜĞ ĘġĥĭġĖēīħĞĘ
Denn das Blut seiner Söhne wird er rächen und den Boden seines Volkes entsühnen.
Sowohl in Dtn 32,8* (vgl. 4QDeutj/LXX) als auch in Dtn 32,43c–d* (vgl. MT/SP V.43b.d; 4QDeutq V.43c.f; LXX V.43e.h) werden Menschen parallel zu ihrem Landbesitz erwähnt: V.8a–b spricht von den „Nationen“ bzw. „Menschensöhnen“, das folgende Bikolon V.8c–d hat die „Grenzen der Völker“ und damit ihre Länder im Blick. In der rekonstruierten Fassung von V.43 steht das „Blut“ der Kinder JHWHs, mithin das Symbol ihres Menschseins, mit dem „Boden seines Volkes“ im Parallelismus. Entsprechend stimmig ist es, wenn auch in V.9 ursprünglich das Volk und das Land, „Jakob“ und „Israel“ in Parallele vorkamen.106 Dtn 32,9 (Urtext, vgl. SP/LXX): a b
ĔĪĥĜĘġĥėĘėĜĪğĚĜĞ ğēīĬĜĘĭğĚģğĔĚ
Ja, JHWH teilte sich (als) sein Volk Jakob zu, (als) sein abgemessenes Erbteil Israel.
1.3.3 Zu Dtn 32,43 Die stark voneinander abweichenden Versionen des Schlussverses in MT/SP, 4QDeutq und LXX müssen im Zusammenhang mit der (vermuteten) Umgestaltung der V.8–9 des Moseliedes gesehen werden.107 Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Belege aus Qumran zu zwei verschiedenen Manuskripten gehören: V.8 (mit der Lesung ĠĜėĘğē ĜģĔ) ist in 4QDeutj bezeugt, V.43 dagegen in 4QDeutq.108
106
Zur Vorstellung von Volk und Land als Besitz JHWHs vgl. auch Kap. 3.3.6. 107 Vgl. zusammenfassend SKEHAN 1954; WINTER 1955; CARRILLO ALDAY 1970, 26– 31; VOLKWEIN 1973, 238–266; LANA 1983; BOGAERT 1985; MEYER 1993; VAN DER KOOIJ 1994; TIGAY 1996, 516–518; HANHART 2002; ROFÉ 2002. 108 Schon diese Feststellung muss dem Bestreben entgegengehalten werden, die Ausdrücke in V.8d* (ĠĜė>Ę@ğēĜģĔ) und V.43b* (ĠĜėğēğĞ) um jeden Preis zu harmonisieren. Des Weiteren spricht der innerbiblische Vergleich dafür, ĠĜėğē ĜģĔ und ĠĜėğē in bestimmten Kontexten als synonym anzusehen, vgl. MACH 1992, 77 sowie Kap. 3.3.6.1.
42
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes
Zusammenschau der bezeugten Versionen für Dtn 32,43: 4QDeutq
SP (MT)
a
ĠĜġĬĘģĜģīė Ęġĥ
a
b
ĘğĘĘĚĭĬėĘ ĠĜėğēğĞ
b
a
ĠĜĘĕĘģĜģīė Ęġĥ
c
d
c
ĘĜģĔĠĖĜĞ ĠĘĪĜ
b
ĘĜĖĔĥČĠĖĜĞ ĠĘ ĪĜ
e
d
ĔĜĬĜĠĪģĘ ĘĜīĩğ
c
ĔĜĬĜĠĪģĘ ĘĜīĩğ
f
e
ĘĜēģĬġğĘ ĠğĬĜ
g
f
ĭġĖēīħĞĜĘ Ęġĥ
īħĞĘ ĘġĥĘ ĭġĖē
h
d
LXX ïŻƫúĄ÷ùòüïøŻúë÷øŤĈöëëŻüŒ ôëťúøûôý÷òûĄüþûë÷ëŻüŒĄ÷üïÏ ýŧøťùïøŶ ïŻƫúĄ÷ùòüïġù÷òöïüąüøŶõëøŶëŻüøŶ ôëťĠ÷óûíýûĄüþûë÷ëŻüŒĄ÷üïÏ ČññïõøóùïøŶ ľüóüļëŪöëüņ÷ýŧņ÷ëŻüøŶ ĠôîóôïŦüëó2ĠôîóôĆüëó3 ôëťĠôîóôĤûïóôëťċ÷üëøîńûïóîŤôò÷ üøŦÏĠíùúøŦÏ ôëťüøŦÏöóûøŶûó÷ċ÷üëøîńûïó ôëťĠôôëùëúóïŦôŴúóøÏüĥ÷ñĦ÷üøŶ õëøŶëŻüøŶ
Ebenso wie der Ausdruck ĠĜėĘ ğēĜģĔ in Dtn 32,8d scheint auch der ursprüngliche Wortlaut von V.43 zu Bearbeitungen geführt zu haben. Diese müssen im Fall von V.43 sogar noch umfangreicher gewesen sein und hatten in den Textzeugen unterschiedlich lange Verse zum Ergebnis: MT/SP umfassen vier, 4QDeutq sechs und LXX acht Kola. Im Einzelnen lässt sich die Textentwicklung auf der Basis der vorliegenden Versionen folgendermaßen rekonstruieren:109 Ausgangspunkt für alle weiteren Änderungen dürfte die Umgestaltung des ersten Bikolons in einem hebräischen Original gewesen sein, das im Wesentlichen 4QDeutq entsprach. Dtn 32,43 (Urtext, vgl. 4QDeutq): a b
ĘġĥĠĜġĬĘģĜģīė ĠĜėğēğĞĘğĘĘĚĭĬėĘ
Jubelt, ihr Himmel, mit ihm, und fallt vor ihm nieder, alle ihr Götter!
Wie in V.8d hat eine korrigierende Hand in diesem Bikolon die Hinweise auf Wesenheiten im direkten Umfeld JHWHs getilgt. Dies geschah auf zweierlei Weise: Im ersten Kolon wurde die Vokabel ĠĜġŘ („Himmel“) durch ĠĜĘĕ
109
Für eine graphische Darstellung der Textentwicklung in V.43 vgl. Anhang II. Für die Literarkritik und damit eine weitere Annäherung an den hypothetischen Urtext vgl. Kap. 2.D.
1.3 Zur Textgeschichte einzelner Verse
43
(„Nationen“) ersetzt, 110 so dass das Lexem Ęġĥ (vokalisiert als żŪ Ăĥ: „mit ihm“)111 in der Folge uminterpretiert und als żŪ ąĥ („sein Volk“) gelesen werden musste. Auch der Imperativ ĘģĜģīė erfuhr eine geringfügige Neuinterpretation. Da er nun durch żŪĥą („sein Volk“) als Objekt ergänzt wurde, musste er in der Folge transitiv verstanden werden, was aber durchaus im normalen Bedeutungsspektrum von Ģģī Hif liegt.112 Das zweite Kolon (vgl. V.43b 4QDeutq: ĠĜėğēğĞĘğĘĘĚĭĬėĘ) scheint wegen der vorausgesetzten Szenerie eines JHWH huldigenden Hofstaats ganz gestrichen worden zu sein. Das Resultat dieser Veränderungen bezeugen MT und SP.113 Dtn 32,43 MT/SP:114 a
żŪ ąĥĠĜĘĕĘģĜģīė
Lasst jubeln, ihr Nationen, sein Volk!
Sowohl die ursprüngliche (vgl. 4QDeutq) als auch die veränderte Textform des ersten Kolons (vgl. MT/SP) werden auch von LXX bezeugt. Offenbar hat eine Rezensentin oder ein Rezensent die unterschiedlichen hebräischen Versionen in einer griechischen Fassung kombiniert und den in MT verloren gegangenen Parallelismus durch ein neu geschaffenes Kolon d wieder hergestellt.115
Für das gleiche Phänomen vgl. Ps 29,1: ęĥĘ ĖĘĔĞ ėĘėĜğ ĘĔė ĠĜğē ĜģĔ ėĘėĜğ ĘĔė („Gebt JHWH, ihr Göttersöhne, gebt JHWH Ehre und Stärke“) und Ps 96,7:ėĘėĜğ ĘĔė ęĥĘĖĘĔĞėĘėĜğĘĔėĠĜġĥĭĘĚħĬġ („Gebt JHWH, ihr Völkerfamilien, gebt JHWH Ehre und Stärke“) und dazu ROFÉ 1969, X; TIGAY 1996, 517; HOSSFELD/ZENGER 2000, 669; TOV 2001, 269; KRAUS 2003, 837 sowie Kap. 3.3.23. 111 Für die Ursprünglichkeit dieser Lesung spricht der Textzusammenhang, da JHWH der zentrale Akteur des ganzen Verses ist und sich die auf V.43a(.b) folgende Begründung sowohl in MT/SP (vgl. V.43b: „denn das Blut seiner Knechte wird er rächen“) als auch in 4QDeutq (vgl. V.43c: „denn das Blut seiner Söhne wird er rächen“) eindeutig auf ihn bezieht, vgl. SANDERS 1996, 251; TIGAY 1996, 517 Anm. 18; MCCARTHY 2007, 153*. 112 Für den intransitiven Gebrauch (wie in 4QDeutq: „Jubelt…“) vgl. die gleich lautenden Imperative Ps 32,11; 81,2 und für den transitiven Gebrauch (wie in MT/SP: „Lasst jubeln…“) vgl. die indikativischen Belege Hi 29,13; Ps 65,9. 113 Vgl. CARRILLO ALDAY 1970, 30; VOLKWEIN 1973, 265; BOGAERT 1985, 334; MEYER 1993, 126.131; SANDERS 1996, 250–251; ROFÉ 2002, 49–50. 114 Für die MT entsprechende Vokalisierung von Ęġĥ im SP vgl. SCHORCH 1997, 62. 115 Vgl. VOLKWEIN 1973, 249–250.266; MACH 1992, 75–79; MEYER 1993, 126; SANDERS 1996, 249–252. Dagegen nehmen BOGAERT 1985, 337–338; T IGAY 1996, 517 eine hebräische Vorlage für V.43a–d LXX an. CROSS 1995, 134–135 rekonstruiert einen Urtext, der die Vorlage für V.43d LXX, nicht aber für V.43b LXX enthalten hätte. Erst die Erweiterung dieses Urtextes um ein Bikolon zu Proto-4QDeutq habe die Vorlage für LXX V.43a– d abgegeben. Anschließend wäre demnach Proto-4QDeutq wieder gekürzt worden, ohne dass ein Beleg für diese hypothetische Entwicklungsstufe des Texts überdauert hätte. 110
44
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes
Dtn 32,43 LXX: a ïŻƫúĄ÷ùòüïøŻúë÷øŤĈöëëŻüŒ b ôëťúøûôý÷òûĄüþûë÷ëŻüŒĄ÷üïÏ ýŧøťùïøŶ c ïŻƫúĄ÷ùòüïġù÷òöïüąüøŶõëøŶ ëŻüøý d ôëťĠ÷óûíýûĄüþûë÷ëŻüŒĄ÷üïÏ ČññïõøóùïøŶ
Freut euch, ihr Himmel, mit ihm, und niederfallen sollen vor ihm alle Gottessöhne! Freut euch, ihr Nationen, mit seinem Volk und stärken sollen sich ihm116 alle Engel Gottes!
Für eine hebräische Vorlage des zweiten Kolons im zweiten Bikolon des griechischen Textes (V.43d: ôëťĠ÷óûíýûĄüþûë÷ëŻüŒĄ÷üïÏČññïõøóùïøŶ) gibt es keine überzeugenden Anzeichen. Der innerbiblische Vergleich zeigt, dass das Verb Ġ÷óûíŴþ(„sich oder jdn. stärken“) sonst nie in Lobaufrufen und bis auf eine (schwer zu deutende) Ausnahme117 immer mit Akkusativ-Objekt verwendet wird. 8RUa es um eine Handlung zwischen Menschen und Gott, ist zudem in der Regel JHWH das Subjekt. Um das ungewöhnliche Dativ-Objekt (ëŻüŒ: „ihm“) in V.43d LXX zu erklären, wurden dennoch in Anlehnung an hymnische Wendungen in den Psalmen mögliche Textvorlagen rekonstruiert.118 Weil aber 4QDeutq bereits ein gut zu Kolon a passendes Kolon b bezeugt und MT vielmehr durch eine weitere Streichung die Symmetrie des Gesamtverses erreicht,119 ist kein Grund erkennbar, weshalb ein weiteres Kolon im Hebräischen hätte entstehen sollen.120 Darüber hinaus scheint es unplausibel, dass eine hebräische Vorlage einerseits durch Textänderung den Hinweis auf Mächte neben JHWH eliminiert (vgl. V.43a MT), andererseits aber ein Kolon neu einträgt, in dem wiederum solcherlei Wesen auftauchen (vgl. V.43d LXX). Dagegen sind freie Doppelübersetzungen ein gut belegtes Phänomen
116
Ohne den Dativ zu erklären, betont BOGAERT 1985, 337, dass sich das Verb auf das Volk und nicht auf JHWH beziehen müsse. 117 Vgl. Hos 10,11: ëúëûóþĤûøöëó Øøýîë÷ Ġ÷óûíŴûïó ëŻüŒ Øëôþì (Übersetzung LXX-Deutsch: „über Juda will ich schweigen; Jakob wird ihm Stärke geben“, vgl. KARRER/ KRAUS 2009, 1174). Wahrscheinlich beruht der griechische Text auf einer Fehllesung des Übersetzers oder der Übersetzerin (īīŘ: „fest“ bzw. „stark sein/machen“ für ĖĖř: „eggen“), vgl. BONS 2011, 2325. 118 Vgl. SKEHAN 1954, 15: „wehƗbû ҵǀz lô kǀl benê ҴƝlîm“ („und bringt ihm Stärke, alle ihr Göttersöhne“); ROFÉ 1969, IX; DERS. 2002, 54: ĠĜėğēĜģĔĘęğĥĜĘ („und lasst die Gottessöhne frohlocken“, mit der Annahme einer anschließenden Metathese von ĘęğĥĜĘ zu ĘğĘęĥĜĘ und darauf folgender Worttrennung Ęğ ĘęĥĜĘ); CROSS 1995, 135: „whbw ҵwz lw bny Ҵlhym“ („und bringt ihm Stärke, ihr Gottessöhne“ ). Alle drei Vorschläge missachten jedoch, dass die als Parallele genannten Imperative ĖĘĔĞĘĔė bzw. ęĥĘĔė in Ps 29,1.2; 96,7.8 von LXX Ps 28,1.2; 95,7.8 durch das Verb ƫěúþ („tragen“, „bringen“) mit entsprechendem Objekt wiedergegeben werden. 119 Vgl. dazu das Folgende. 120 Vgl. aber für diese Meinung BOGAERT 1985, 337–338; WEVERS 1995, 534.
1.3 Zur Textgeschichte einzelner Verse
45
der LXX. 121 Auch das Nebeneinander der Ausdrücke Ą÷üïÏ ýŧøť ùïøŶ (V.43b LXX) und Ą÷üïÏČññïõøóùïøŶ (V.43d LXX) lässt sich als innergriechische Variation derselben hebräischen Vorlage (ĠĜėğē ğĞ, vgl. V.43b 4QDeutq) erklären. Wie sich im Vergleich mit anderen Bibelstellen erkennen lässt, hat ein fortdauernder Auslegungsprozess sehr wahrscheinlich dazu geführt, dass die Wesen im Umfeld JHWHs zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich charakterisiert und entsprechend unterschiedliche Übersetzungen gewählt wurden.122 Weiter deutet die zwischen Kolon b und d schwankende Verteilung der beiden Subjekte Ą÷üïÏýŧøťùïøŶ und Ą÷üïÏČññïõøóùïøŶ durch die Textzeugen auf einen längeren Textentstehungsprozess hin.123 Und schließlich findet sich in Dtn 32,40, wo die LXX gegenüber MT/SP ein offenbar frei ergänztes Kolon aufweist,124 ein unbestrittenes Beispiel für eine Neubildung im griechischen Text. Auch dieser Befund spricht dafür, eine freie Neuschöpfung in V.43d LXX ebenfalls für möglich zu halten. Die eigenwillige Dativ-Konstruktion Ġ÷óûíýûĄüþûë÷ëŻüŒ („stärken sollen sich ihm“) könnte dabei auf das besondere theologische Verständnis der oder des Rezensierenden zurückgehen. Die folgenden Kola des Verses bieten nur noch vergleichsweise geringe Unterschiede zwischen den Versionen. Statt ĘĜģĔ(„seiner Söhne“) im dritten Kolon des rekonstruierten Textes (vgl. V.43c 4QDeutq; V.43e LXX: üņ÷ýŧņ÷) lesen MT/SP ĘĜĖĔĥ(„seiner Knechte“, vgl. V.43b MT/SP), was vermutlich der Umdeutung von Ęġĥ in V.43a geschuldet ist: Die neue Vokalisierung (ʖĘŪ ąĥ: „sein Volk“) mag zu einer Anlehnung an den Parallelismus von żŪĥą („sein Volk“) und ĘĜĖĔĥ(„seine Knechte“) aus V.36 geführt haben.125
121
Vgl. nur Dtn 23,18 LXX sowie VOLKWEIN 1973, 76–81; MACH 1992, 77 (mit Verweis auf Dtn 33,2 LXX als weiteres Beispiel für eine Doppelübersetzung); TIGAY 1996, 517 Anm. 20; ROFÉ 2002, 51 (mit Verweis auf Gen 32,2 LXX); DEN HERTOG/LABAHN/POLA 2011, 527. 122 Vgl. oben 1.3.2 sowie MACH 1992, 65–113; MEYER 1993, 127 Anm. 15; TIGAY 1996, 517; HANHART 2002. 123 Vgl. Ode 2 im Codex A (mit Ą÷üïÏøŧČññïõøóùïøŶ im zweiten undĄ÷üïÏýŧøť ùïøŶ im vierten Kolon), die von Heb 1,6 bezeugte Variante des zweiten Kolons mit dem Subjekt Ą÷üïÏČññïõøóùïøŶ (s. auch oben Anm. 43), ferner die Angaben im Apparat bei BROOKE/MCLEAN 1911, 666; WEVERS 1977, 359 sowie VOLKWEIN 1973, 65–66; HANHART 2002, 171–172. 124 Vgl. oben Anm. 39. 125 Vgl. oben Anm. 44 sowie Kap. 2 z.St. und Kap. 3.3.19.3.
46
Kapitel 1: Der Text des Moseliedes
Dtn 32,43c: 4QDeutq LXXB (V.43e) SP (MT) (V.43b)
= Urtext ĠĪĜĘĜģĔĠĖĜĞ ľüóüļëŪöëüņ÷ýŧņ÷ ëŻüøŶĠôîóôĆüëó
Denn das Blut seiner Söhne wird er rächen Denn das Blut seiner Söhne wird er rächen126
ĠĘ ĪĜĘĜĖĔĥČĠĖĜĞ
Denn das Blut seiner Knechte wird er rächen
In MT/SP folgt ein einzelnes Kolon, in 4QDeutq und LXX ein Bikolon, das höchstwahrscheinlich eine sekundäre Einfügung aus V.41 darstellt.127 Im Rahmen der Textkritik allerdings kann lediglich festgestellt werden, dass der hebräische Text in Dtn 32,43d, wie ihn 4QDeutq bezeugt (ĘĜīĩğ ĔĜĬĜ ĠĪģĘ), von LXX wohl missverstanden und das Substantiv ĠĪģ („Rache“) durch das Verb Ġôîóôěþ („vergelten“) wiedergegeben wurde, so dass in V.43f LXX zwei griechische Verben einem hebräischen entsprechen:128 4QDeutq (V.43d) LXX (V.43f)
= MT/SP (V.43c)
ĘĜīĩğĔĜĬĜĠĪģĘ und Rache erwidern seinen Be drängern
ôëťĠôîóôĤûïóôëťċ÷üëøîńûïó îŤôò÷üøŦÏĠíùúøŦÏ
und vergelten und Strafe heimzahlen den Feinden
Dass MT/SP das in 4QDeutq und LXX folgende Kolon nicht mitbezeugen, wird im Zusammenhang mit der (oben diskutierten) Streichung der zweiten Hälfte des ersten Bikolons in V.43 (V.43b 4QDeutq/LXX) verständlich. Nachdem durch diesen Eingriff die Anzahl der Kola im Vers ungerade geworden war, stellte die neuerliche Streichung eines Kolons (vgl. V.43e 4QDeutq:ĘĜēģĬġğĘ ĠğĬĜ) das stichometrische Gleichgewicht des Verses wieder her.129
126
Codex B bezeugt das VerbĠôîóôĄāþ („rächen“), Codex A dagegen das weitaus häufigere Ġôîóôěþ („rächen“, „vergelten“), das auch im nächsten Kolon vorkommt, vgl. die Editionen von BROOKE/MCLEAN 1911, 666 und RAHLFS/HANHART 2006, 350, die B folgen, sowie WEVERS 1977, 359; DERS. 1978, 138, der jedoch die Lesart von A für ursprünglicher hält. 127 Vgl. Kap. 2.D. 128 Vgl. BOGAERT 1985, 333 Anm. 16; MEYER 1993, 126 Anm. 14; WEVERS 1995, 534. 129 Vgl. CARRILLO ALDAY 1970, 30; MCCARTHY 2007, 153*.
1.3 Zur Textgeschichte einzelner Verse
47
Im letzten Kolon stimmen alle Versionen nahezu überein: MT (V.43d) SP (V.43d) 4QDeutq (V.43f) LXX (V.43h)
ĘġĥĘĭġĖēīħĞĘ und den Boden seines Volkes ent-
sühnen und den Boden seines Volkes entsühnen ĘġĥĭġĖēīħĞĜĘ und den Boden seines Volkes entsühnen ôëťĠôôëùëúóïŦôŴúóøÏüĥ÷ñĦ÷ und der Herr wird das Land seines üøŶõëøŶëŻüøŶ Volkes säubern
= Urtext (?)
ĘġĥĭġĖēīħĞĘ
Die zuvor beschriebene Interpretation des Lexems ĠĪģĘ in V.43d 4QDeutq/ V.43c MT/SP durch die LXX als Verb mit vorangehendem Ę-consecutivum deutet darauf hin, dass ihre Vorlage auch im letzten hebräischen Kolon eine solche konsekutive Perfekt-Form (īħĞĘ: „und er wird entsühnen“) vorgefunden hat (vgl. V.43d MT/SP). Die Verbform in 4QDeutq (īħĞĜĘ) hingegen lässt sich als Imperfekt mit der einfachen Konjunktion Ę und somit als gleichbedeutende Variante verstehen.130 Die suffigierte Form ĘĭġĖē in V.43d MT131 und der verdeutlichende Zusatz ôŴúóøÏ in V.43h LXX sind als stilistische Eigenheiten zu betrachten, die keine gesonderte Vorlage voraussetzen.132 Folglich muss als Ergebnis der Textkritik der von 4QDeutq für V.43 bezeugte Text gegenüber den Versionen von MT/SP und LXX als der ursprünglichere gelten.133
130
Vgl. SKEHAN 1954, 14; ARTOM 1957, 288.290; VOLKWEIN 1973, 263–264; VAN DER KOOIJ 1994, 97; SANDERS 1996, 253–254; MCCARTHY 2007, 154*. 131 Vgl. oben Anm. 46; WEVERS 1995, 534–535. 132 Vgl. VOLKWEIN 1973, 81; WEVERS 1995, 534. 133 Vgl. CARRILLO ALDAY 1970, 13; MEYER 1993; SANDERS 1996, 248–256.
Kapitel 2
Der Gedankengang des Moseliedes: Inhalt, Textpragmatik und Literarkritik Nachdem in Kapitel 1 durch den Vergleich der überlieferten Textzeugen eine erste Annäherung an den Urtext des Moseliedes unternommen wurde, sollen in Kapitel 2 mögliche Zusätze ermittelt werden, durch die sich selbst die ältesten Textzeugen vom vermuteten Urtext unterscheiden (Literarkritik). Als Kriterium für die Ursprünglichkeit soll dabei neben der Einheitlichkeit und Korrektheit der verwendeten Sprache1 die textpragmatische Kohärenz des Moseliedes Beachtung finden.2 Ich gehe also davon aus, dass die ursprüngliche Fassung des Moseliedes sich mit einer bestimmten Botschaft an eine bestimmte Adressatenschaft richtete und dass diese spezifische Ausrichtung an der Textgestalt erkennbar ist.3 Diesem Ansatz liegt die Einsicht zu Grunde, dass die Hörenden oder Lesenden eines Textes an Hand bestimmter sprachlicher Signale in ihrem Textverständnis gelenkt werden. Im Anschluss an Christof Hardmeiers Studien zur Textpragmatik sollen diese textimmanenten Hinweise systematisch erfasst
1
Vgl. UTZSCHNEIDER/NITSCHE 2014, 281: „Mit der ‚Einheitlichkeit‘ oder ‚Uneinheitlichkeit‘ eines Textes ist der Eindruck formaler und/oder inhaltlicher Stimmigkeit bzw. Unstimmigkeit gemeint, den ein Text bei seinen modernen wissenschaftlichen Lesern hervorruft. Als Hinweis auf einen literargeschichtlichen Vorgang wird insbesondere die Wahrnehmung von ‚Uneinheitlichkeiten‘ gewertet […].“ 2 Textpragmatik wird hier in Anlehnung an einen sprachwissenschaftlichen Minimalkonsens verstanden als Untersuchung der Funktionsweise von (tatsächlich verwendeter) Sprache, vgl. SCHNEIDER 2005, 872: „[P]ragmatics is the study of language use. […] It examines how linguistic resources are used in communication and investigates a speaker’s (or writer’s) intentions and a hearer’s (or reader’s) interpretations.“ Vgl. auch UTZSCHNEIDER/NITSCHE 2014, 77: „[…] kurz gesagt: Texte sind auf Wirkungen im Bereich der Emotionen und des Handelns bedacht. Um diese Dimension des Sprechens und damit der Texte geht es in der Textpragmatik“ sowie für die Anwendung in der alttestamentlichen Wissenschaft WAGNER 1997 (AT insgesamt); IRSIGLER 1990 (Dtn 32,1–3); TALSTRA 1997 (Dtn 31); MARKL 2012 (Dtn 32). 3 Vgl. ISER 1994, 89: „Pragmatische Zeichenverwendung hat immer mit Verhalten zu tun, das im Empfänger bewirkt werden soll. […] Damit ist zugleich angedeutet, daß die Pragmatik als eine Dimension der Zeichenverwendung selbstverständlich nicht von der Syntax – der Beziehung der Zeichen untereinander – und der Semantik – der Beziehung der Zeichen auf Objekte – abstrahieren kann. Im Gegenteil, die Pragmatik setzt vielfach Syntax und Semantik voraus und impliziert sie in den Beziehungen der Zeichen auf den Interpretanten.“
Kapitel 2: Der Gedankengang des Moseliedes
49
werden, um zu einer überprüfbaren Einschätzung der Wirkweise des Textes zu gelangen.4 Wie Hinweisschilder an einem Weg führen Redeeinleitungen, Ortsund Zeitangaben, beziehungsanzeigende Pronomina und Suffixe sowie bestimmte Leitworte und Anspielungen Leserin und Leser (oder Hörerin und Hörer) durch einen Text. Durch die sorgfältige Beschreibung der so angelegten „Textspur“ lässt sich formal bestimmen, wie die Kommunikation der Botschaft gesteuert wird.5 Die teilweise komplizierte und auf verschiedene Sprechende verteilte Gedankenfolge des Moseliedes wird dadurch leichter nachvollziehbar. Darüber hinaus können sich auch Veränderungen der Kommunikationssituation, d.h. der (gegenüber der ursprünglich schreibenden Person) gewandelte Standpunkt einer oder eines Bearbeitenden und die bei dieser Bearbeitung antizipierten spezifischen Bedürfnisse einer späteren Adressatenschaft, auf die Textgestalt auswirken. Ich nehme daher weiter an, dass Umdeutungen oder Ergänzungen der ursprünglichen Botschaft ebenfalls an der Form und Sprache des Textes ablesbar sind, insofern ihre Eintragung in den Text die zuvor existierenden argumentativen und rhetorischen Zusammenhänge stört. Auffälligkeiten in Grammatik und Vokabular sowie logische Ungereimtheiten sind deshalb daraufhin zu untersuchen, ob sie als absichtliche Eingriffe in den Text verstehbar sind. Ein Zusatz ist dann mit einiger Sicherheit zu identifizieren, wenn die (als Urtext zu rekonstruierende) Textstelle ohne die vermutete Ergänzung schlüssiger erscheint und sich zugleich eine konkrete (mögliche) Absicht für die Abänderung plausibel machen lässt.6
4
Vgl. hierzu grundlegend HARDMEIER 2003, 47–135 sowie HARDMEIER/HUNZIKERRODEWALD 2006. 5 Vgl. HARDMEIER/HUNZIKER-RODEWALD 2006, 16: „[Die Textspur] besteht aus einer Folge von Sprachzeichen mit einem je spezifischen Instruktionsgehalt, die dem Leser oder Hörer im Rezeptionsprozess schrittweise die entsprechenden Referenz- oder Verknüpfungsleistungen abverlangen.“ 6 Vgl. HARDMEIER 2003, 30: „Das Primärziel einer Textanalyse muss die Erhebung von kommunikationspragmatischen Sinneinheiten sein, wie sie sich als textförmige Gesamtgestalt eines autorseitig synchronen Kommunikationsangebotes in der Textspur zeigen […]. Dabei begründen ggf. Textteile, die sich gegenüber der kommunikationspragmatischen Geschlossenheit solcher Einheiten als disfunktional [sic] erweisen und ihre Kohärenz stören, einen objektbezogenen Diachronie-Verdacht und fordern auch methodisch die diachrone Nachfrage heraus.“
50
Kapitel 2: Der Gedankengang des Moseliedes
Exkurs: Zur Adressat(inn)enausrichtung bei John L. Austin7 und Wolfgang Iser8 Der Sprechakttheorie des Sprachphilosophen John L. Austin zufolge erschöpft sich die Bedeutung einer Äußerung nicht in ihrem sachlichen Gehalt. Neben dem – lediglich als wahr oder falsch zu beurteilenden – Aussageinhalt („Mitteilungsgehalt“9) gelte es, die spezifischen Bedingungen einer Redesituation in den Blick zu nehmen. Denn erst mit der Rezeption eines Inhalts durch ein Gegenüber könne eine Botschaft ihre Wirkung entfalten und die Kommunikation als geglückt gelten. In der XI. Vorlesung seines 1962 posthum erschienenen Manuskripts „How to do things with words“ fasst Austin seine bis heute in verschiedenen Disziplinen nachhallende Erkenntnis geradezu beiläufig zusammen: „Once we realize that what we have to study is not the sentence but the issuing of an utterance in a speech situation, there can hardly be any longer a possibility of not seeing that stating is performing an act. Moreover, […] stating […] is an act to which […] it is essential to ‘secure uptake’ […]. And statements do ‘take effect’ […].“10 Eine ähnliche Einsicht formuliert der Literaturwissenschaftler Wolfgang Iser mit Bezug auf literarische Texte 1976 im Vorwort zu seiner „Theorie ästhetischer Wirkung“: „[D]er Text ist ein Wirkungspotential, das im Lesevorgang aktualisiert wird.“11 Iser betont in diesem Vorgang die Rolle der lesenden Person, die sich den vom Text angebotenen Sinn für sich selbst zu erschließen hat. Damit dies jedoch möglich wird, muss ein Text die Lesenden so ansprechen, dass sie sich zu dessen Inhalt in Beziehung setzen können.12 Austin weiterdenkend schreibt Iser: […] die aus der Philosophie der normalen Sprache [= „ordinary language philosophy“] abgeleitete Sprechakttheorie versucht die Bedingungen zu beschreiben, die das Gelingen der Sprachhandlung gewährleisten. Um solche Bedingungen geht es auch in der Lektüre fiktionaler Texte, die insofern eine Sprachhandlung bewirken, als im Lesen eine Verständigung
7
Vgl. AUSTIN 1962. 8 Vgl. ISER 1994. 9 IRSIGLER 1990, 163. 10 AUSTIN 1962, 138. Für die durch Eike von Savigny besorgte deutsche Übersetzung vgl. AUSTIN 1972, 155: „Haben wir uns einmal klargemacht, daß wir nicht den Satz, sondern die Äußerung in einer Sprechsituation untersuchen müssen, dann können wir überhaupt nicht mehr übersehen, daß eine Handlung vollzieht, wer eine Feststellung trifft. Darüber hinaus […gilt], daß für Feststellungen […] die ‚Sicherung des Verständnisses‘ wesentlich ist […]. Und Feststellungen ‚haben Ergebnisse‘ […].“ 11 ISER 1994, 7. 12 Vgl. ISER 1994, 60–61: „Wenn wir davon ausgehen, daß Texte erst im Gelesenwerden ihre Realität gewinnen, so heißt dies, daß dem Verfaßtsein der Texte Aktualisierungsbedingungen eingezeichnet sein müssen, die es erlauben, den Sinn des Textes im Rezeptionsbewußtsein des Empfängers zu konstituieren.“
Kapitel 2: Der Gedankengang des Moseliedes
51
mit dem Text bzw. über den Text mit dem, was er zu vermitteln bestrebt ist, gelingen sollte, aber auch mißlingen kann.13
Um die ursprüngliche Gestalt des Moseliedes noch genauer zu erheben als dies im Rahmen der Textkritik möglich war, steht deshalb im Folgenden die Botschaft des Moseliedes im Mittelpunkt. Es soll nachgezeichnet werden, wovon das Lied handelt und wie es seine Hörer- oder Leserschaft für die Thematik gewinnt. „Denn nirgends sind Worte das Eigentliche. Nur dem Kleinigkeitskrämer sind sie die Hauptsache. Worte sind Ausdrucksmittel der Gedanken und Empfindungen.“14 So äußerte sich bereits Anfang des 20. Jhs. Hermann Gunkel und formulierte ein Desiderat für künftiges exegetisches Arbeiten, das hier aufgegriffen wird:15 Im Sinne Gunkels gilt es, den „Gedanken“ auf die Spur zu kommen, die zur Verschriftlichung des Moseliedes führten.16 Bevor wir jedoch das Lied in dieser Weise abschreiten, ist auf zwei Besonderheiten der Adressat(inn)enausrichtung hinzuweisen: Zum einen wird die Kommunikationssituation des Moseliedes nur durch die Einbettung in die Narration des Deuteronomiums näher bestimmt.17 Weder der Name „Mose“ noch die Bezeichnung „Lied“ kommen in Dtn 32,1–43 selbst vor. Allein die Prosarahmung des Stückes identifiziert Mose als Vortragenden18 „dieses Liedes“19. Folgt man den unmittelbaren Rahmenversen, muss ferner als implizierte Hörerschaft die „ganze Versammlung Israels“ (Dtn 31,30: ğēīĬĜğėĪČğĞ) bzw. „das Volk“ (Dtn 32,44: Ġĥė) angenommen werden. Das Moselied selbst macht weniger konkrete Angaben dazu, wer als hörend von ihm angeredet wird. Namentlich angesprochen werden in Dtn 32,1 „Himmel“ (ĠĜġŘ) und „Erde“ (Ĩīē), in V.6 ein „törichtes und unweises Volk“ (ĠĞĚ ēğĘ ğĔģ Ġĥ), dessen Vater JHWH ist, und im (rekonstruierten) Schlussvers 43 wieder „Himmel“ und „alle Götter“ (ĠĜėğē ğĞ).20 Erst durch den Deuteronomiumskontext wird der Text folglich als Moses „Abschiedslied“21 innerhalb der Mosefiktion verortet und auf die Situation der bevorstehenden Landnahme bezogen. Das „törichte und unweise Volk“ wird dadurch mit der Versammlung des Volkes Israel in Moab identifiziert.
13
ISER 1994, 89. 14 GUNKEL 1913, 12. 15 Gunkels Aufsatz „Ziele und Methoden der Erklärung des Alten Testamentes“ erschien erstmals 1904, wieder abgedruckt in: GUNKEL 1913, 11–29. 16 Alle Stellenangaben beziehen sich, sofern der Textzeuge nicht eigens genannt wird, auf den in Kap. 1.1 rekonstruierten Text. 17 Zum Rahmen des Moseliedes (Dtn 31,1– –52) und seinem Verhältnis zu Dtn 32,1–43 vgl. ausführlich Kap. 5. 18 Vgl. Dtn 31,22.30; 32,44. 19 Vgl. Dtn 31,19.21.22.30; 32,44: ĭēęėėīĜĬė. 20 4QDeutq, vgl. LXX sowie Kap. 1.3.3. 21 IRSIGLER DXIJHQRPPHQEHLOTTO DERS. 2017, 2130.
52
Kapitel 2: Der Gedankengang des Moseliedes
Zweitens ist zwischen textimmanenten und empirischen Adressatinnen und Adressaten zu unterscheiden,22 wenngleich im Moselied eine kunstfertige Verschränkung der Blickwinkel stattfindet. Die vom Text vorausgesetzten (= textimmanenten) Adressatinnen und Adressaten bleiben im Lied selber so unbestimmt, dass verschiedene reale Hörende und Lesende, d.h. empirische Adressatinnen und Adressaten, im Laufe der Zeiten sich in dem „törichten und unweisen Volk“ wiedererkennen konnten und können.23 Die Gleichsetzung mit dem Volk Israel in Moab durch den Rahmen ist nur eine Möglichkeit, das „Rollenangebot des Textes“24 zu konkretisieren. In jedem Fall wird die Hörerschaft außerhalb der Textwelt von den allgemein gehaltenen Imperativen und „Anweisungen“25 innerhalb des Liedes genauso angesprochen wie die vom Text selbst implizierten Hörenden.26 In Kapitel 5 wird die unterschiedliche Ausrichtung von Lied und Rahmung ausführlicher zu diskutieren sein. Einstweilen sollen hier nun der Gedankengang des Moseliedes an sich betrachtet und seine textpragmatische Grundstruktur skizziert werden. Schon der Eröffnungsvers macht deutlich, dass die Botschaft des Liedes den Horizont einer bestimmten menschlichen Versammlung übersteigt. Die Höraufrufe an Himmel und Erde (V.1)27 markieren vielmehr das „universale Forum“28 für das machtvolle Handeln JHWHs an den Menschen.29 Wie fallender Regen (vgl. V.2) sollen sich seine Worte flächendeckend verbreiten und die Hörenden in das Geschehen des Vortrags involvieren (vgl. die direkten
22
Für eine Diskussion dieser Begrifflichkeit vgl. REICHERT 2001, 102. 23 Iser beschreibt das Phänomen der immer wieder neuen Rezipierbarkeit fiktionaler Texte mit Hilfe seines Konzepts des „impliziten Lesers“, vgl. ISER 1970, 8: „Wir aktualisieren den Text durch die Lektüre. Offensichtlich aber muß der Text einen Spielraum von Aktualisierungsmöglichkeiten gewähren, denn er ist zu verschiedenen Zeiten von unterschiedlichen Lesern immer ein wenig anders verstanden worden, wenngleich in der Aktualisierung des Textes der gemeinsame Eindruck vorherrscht, daß die von ihm eröffnete Welt, so historisch sie auch sein mag, ständig zur Gegenwart werden kann.“ 24 ISER 1994, 65. 25 HARDMEIER/HUNZIKER-RODEWALD 2006, 15–16: „[Texte] wurden und werden als Kommunikationsangebote […] im Blick auf bestimmte Kommunikationspartner erzeugt, um in einem Lese- bzw. Rezeptionsprozess eingelöst zu werden. Die Einlösung von textförmigen Kommunikationsangeboten erfolgt […] gemäß den Anweisungen, die in der Sprachgestalt des rezipierten Textes angelegt sind.“ 26 Die klare Standortbestimmung des Rahmens wirkt sich folglich auch auf das Selbstverständnis der späteren Textrezipientinnen und -rezipienten aus, die zwangsläufig ebenfalls mit dem von Mose angeführten Volk Israel identifiziert werden. 27 Alle alleinstehenden Versangaben in diesem Kapitel beziehen sich auf Dtn 32. 28 Vgl. IRSIGLER 1990, 168: „universales Redeforum“; NELSON 2002, 370: „universal forum“; OTTO 2017, 2175. 29 Vgl. die Wiedererwähnung der „Himmel“ am Schluss des Liedes in V.40.43.
Kapitel 2: Der Gedankengang des Moseliedes
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Anreden in Form von Imperativen in V.3.7).30 Indem V.3 die Absicht der sprechenden Person (V.3a: „den Namen JHWHs ausrufen“) mit dem Auftrag an die Zuhörenden (V.3b: „unserem Gott die Ehre geben“) parallelisiert, werden Letztere – wer auch immer sie seien – unmittelbar für das Anliegen des Liedes eingenommen. Zusätzlich unterstreicht das Possessivsuffix der ersten Person Plural im zweiten Bikolon (ĘģĜėğē: „unser Gott“), dass das Thema des Liedsängers oder der Liedsängerin zugleich Sache der Zuhörenden ist. Die zunächst besungene Treue JHWHs (V.4) bildet jedoch nur den positiven Hintergrund, vor dem sich die Untreue seiner „Söhne“ (V.5) umso schrecklicher ausnimmt. So kontrastieren V.4–5 den „gerechten und aufrichtigen“ Gott JHWH (V.4d: īĬĜĘĪĜĖĩ) mit seinem „verkehrten und verdrehten“ Volk (V.5b: ğĭğĭħĘĬĪĥ), das sich gerade nicht gottgemäß verhält.31
A. Zur Literarkritik in Dtn 32,5 Bereits die Textkritik von V.5 hatte gezeigt, dass sich die Versionen von MT, SP und LXX im Laufe eines mehrstufigen Prozesses aus einer gemeinsamen Textvorlage entwickelt haben müssen.32 Dtn 32,5: Vorlage Vergangen hat sich an ihm, seine Nicht-Söhne, ihr Makel, ĠġĘġĘĜģĔēğĘğĭĚĬ eine verkehrte und verdrehte Generation. ğĭğĭħĘĬĪĥīĘĖ MT Vergangen hat sich nicht an ihm, seine Söhne, ihr Makel, ĠġĘġĘĜģñ ĔēåğĘğĭĚĬ eine verkehrte und verdrehte Generation. ğĭğĭħĘĬĪĥīĘĖ SP Vergangen haben sich nicht an ihm Söhne des Makels, ĠĘġĜģĔĘğēğĘĭĚĬ eine verkehrte und verdrehte Generation. ğĭğĭħĘĬĪĥīĘĖ LXX Sie sündigten, nicht ihm, schuldige Kinder, ħöĄúüøûë÷øŻôëŻüŒ üěô÷ëöþöòüĄ eine verdorbene und verkehrte Generation. ñï÷ïąûôøõóąôëť îóïûüúëööě÷ò
30
Vgl. DILLMANN 1886, 395: „Object dieser Wirkung sind die Zuhörer, d.h. nicht Himmel und Erde […], sondern die Isr[aeliten], die als Empfänger des Lehrunterrichts sofort in V.3.5f. hervortreten.“ Weitere Imperative finden sich am Schluss des Liedes, vgl. V.39 (an die Hörenden) sowie V.43 (an „Himmel“ und „Götter“ gerichtet). Das Moselied wirbt also an seinem Anfang und Ende besonders nachdrücklich um die Aufmerksamkeit seiner Hörerschaft. 31 Vgl. Nahmanides, zit. bei CARASIK 2015, 217: „‘Crookedness’ [ĭĘĬĪĥė] is the opposite of the straightness invoked in v. 4 […]. By the same token, ‘perversity’ [ğĭğĭħė] is the opposite of ‘truth’ [ĪĜĖĩė]. Since He is true and upright and the people are the opposite, they are not His children, but act corruptly (from His perspective).“ 32 Vgl. Kap. 1.3.1.
54
Kapitel 2: Der Gedankengang des Moseliedes
Die Untersuchung der Syntax und Semantik des Verses zwingt jedoch darüber hinaus zu der Annahme, dass schon diese Vorlage durch eine Glosse erweitert worden war. Der unterschiedliche Wortlaut von MT, SP und LXX bezeugt auch den jeweils eigenständigen Umgang mit dieser Glosse: Syntaktisch unverbunden steht das Wort ĠġĘġ („ihr Makel“) in MT am Ende von V.5a und kann nicht in einen sinnvollen grammatischen Zusammenhang mit dem Rest des Verses gebracht werden (ĠġĘġĘĜģĔēğĘğĭĚĬ).33 In SP erscheint das WortĠĘġ dagegen als Teil einer Constructus-Verbindung (ĠĘġĜģĔ) und ist so in den Satzzusammenhang integriert. Inhaltlich weniger stimmig, aber grammatisch korrekt lautet V.5a hier: ĠĘġ ĜģĔ Ęğ ēğ ĘĭĚĬ („Vergangen haben sich nicht an ihm Söhne des Makels“). Nahezu wörtlich entspricht LXX dem Text von SP, wobei die Constructus-Verbindung ĠĘġĜģĔ durch den Ausdruck üěô÷ëöþöòüĄ wiedergegeben ist. Das hier verwendete Adjektiv öþöòüĻÏ ist ein Hapax legomenon der LXX, während das hebräische ĠĘġ in kultischen und weisheitlichen Texten der Hebräischen Bibel häufiger begegnet.34 Besonders mit Blick auf den Gegensatz von ĠĘġ („Makel“) und ĠĜġĭ („vollkommen“) in Lev 22,21; Num 19,2 scheint es plausibel, dass ein Glossator oder eine Glossatorin die gegensätzlichen Charakterisierungen JHWHs und seines Volkes in V.4–5 noch verstärken wollte: Im Kontrast zur Aussage über JHWH in V.4a: Ęğĥħ ĠĜġĭ („vollkommen ist sein Werk“) unterstreicht die Vokabel ĠĘġ die Schlechtigkeit des Volkes. Ohne die entsprechende GlosseĠġĘġ („ihr Makel“) dürfte V.5 ursprünglich folgendermaßen gelautet haben:35 a Vergangen haben sich36 an ihm seine Nicht-Söhne, b eine verkehrte und verdrehte Generation.
5
ĘĜģĔēğĘğĭĚĬ ğĭğĭħĘĬĪĥīĘĖ
33
Vgl. VOLKWEIN 1973, 131.136; SANDERS 1996, 147–148. 34 Vgl. die Aufstellungen bei VOLKWEIN 1973, 131–132; SANDERS 1996, 147–149. In kultischen Zusammenhängen wird ĠĘġ normalerweise mit dem (auch im klassischen Griechisch geläufigen) Substantiv öņöøÏ übersetzt, vgl. Lev 21,17 u.ö.; Num 19,2; Dtn 15,21; 17,1. Anders ist der Sprachgebrauch dagegen in den weisheitlichen Texten Hi 11,15; 31,7; Prov 9,7 (nur hier erscheint das Verb öþöĄøöëó). Das Adjektiv öþöòüĻÏ ist im klassischen Griechisch bei Aischylos belegt, scheint jedoch weit weniger verbreitet gewesen zu sein als das verwandte Substantiv und Verb, vgl. LSJ, 1158. 35 Vgl. CRAWFORD/JOOSTEN/ULRICH 2008, 355–356, die den Ausdruck deswegen nicht in den Haupttext ihrer kritischen Edition aufnehmen; MCCARTHY 2002, 44, mit dem entgegengesetzten Schluss: „The addition ĠġĘġ is most likely a gloss, but one that has entered the text at a very early stage, and is recorded in all the versions; consequently it should not be omitted as suggested by some commentators“; VON RAD 1968, 136; VOLKWEIN 1973, 136; MAYES 1981, 383. 36 Für die sinngemäße Übersetzung des singularischen Verbs vgl. (mit Blick auf den Plural im zweiten Kolon) GK §145 l sowie Kap. 1 Anm. 57.
Kapitel 2: Der Gedankengang des Moseliedes
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Damit ist der Grundkonflikt benannt, der sich im Folgenden entfaltet:37 Unerschütterlich wie ein Fels und treu wie ein Vater versorgte JHWH sein Volk (vgl. V.8–14), seine „Söhne“ aber dankten es ihm schlecht und hingen anderen Göttern an (V.15–18).
Exkurs: JHWHs Volk als Hörer des Moseliedes Bemerkenswerterweise wird JHWHs Volk im ganzen Moselied kein einziges Mal ausdrücklich „Israel“ genannt. So erwies sich der Ausdruck ğēīřĜ ĜģĔ („Söhne Israels“) in V.8d SP/MT als sekundär.38 Ferner werden in dem textkritisch schwierigen V.9 „Jakob“ und „Israel“ zwar ursprünglich parallelisiert (vgl. SP/LXX). Streng genommen steht hier jedoch „Jakob“ für das Volk, „Israel“ aber für dessen Landbesitz. Dtn 32,9: Urtext Ja, JHWH teilte sich sein Volk Jakob zu, ĔĪĥĜĘġĥėĘėĜĪğĚĜĞ ğēīĬĜĘĭğĚģğĔĚ sein abgemessenes Erbteil Israel. MT Ja, der Anteil JHWHs ist sein Volk, ĘġĥėĘėĜĪğĚĜĞ Jakob sein abgemessenes Erbteil. ĘĭğĚģğĔĚĔĪĥĜ SP Ja, der Anteil JHWHs ist sein Volk Jakob, ĔĪĥĜĘġĥėĘėĜĪğĚĜĞ ğēīĬĜĘĭğĚģğĔĚ sein abgemessenes Erbteil Israel. LXX Und zum Anteil des Herrn wurde sein ôëťĠñï÷ĤùòöïúťÏôýúŤøýõëļÏ Volk Jakob, ëŻüøŶØëôþì zum Landgebiet seines Erbes Israel. ûíøŤ÷óûöëôõòúø÷øöŤëÏëŻüøŶ Øûúëòõ
Je vier Mal finden sich die Bezeichnungen „(sein) Volk“ 39 und „(seine) Söhne“40, zweimal die Zusammenfassung als „Generation“41 und ebenso oft
37
Vgl. IRSIGLER 1990, 164: „Mit der auslösenden Grundsatzerklärung, der entscheidenden Problemsetzung V.4–5, beginnt das Textcorpus […]. Die Durchführung und Konsequenz der Grundsatzerklärung und ihres zentralen Themas folgt in V.6–42 insgesamt“; ROSE 1994, 567: „Jahwe ist in seinem Gott-Sein ewig und unerschütterlich stabil, wie die härtesten Felsen, während man bei Israel nur Schwanken und Unbeständigkeit konstatieren kann. Auf diesem Grundakkord baut das ganze Lied auf.“ Ähnlich KNOBEL 1861, 327; S.R. DRIVER 1902, 350; BUDDE 1920, 14; TIGAY 1996, 300–301. 38 Vgl. hierzu und für die Rekonstruktion des Parallelismus von „Jakob“ und „Israel“ in V.9 die Ausführungen zur Textgeschichte in Kap. 1.3.2 sowie Anhang I. 39 V.6: Ġĥ („Volk“); V.9.36.43:Ęġĥ(„sein Volk“). 40 V.5: ĘĜģĔ ēğ („seine Nicht-Söhne“); V.19: ĘĜĭģĔĘ ĘĜģĔ („seine Söhne und Töchter“); V.20: ĠĜģĔ („Söhne“); V.43:ĘĜģĔ(„seine Söhne“). 41 V.5.20: īĘĖ.
56
Kapitel 2: Der Gedankengang des Moseliedes
der Name „Jakob“42. Hinzu kommt je einmal „Jeschurun“43, „Erbteil“44 und „Nation“45. In der Zusammenschau dieser Namen und Bezeichnungen wird der Bezug auf JHWH sehr deutlich (vgl. „Söhne“, „Erbteil“ und das wiederholte Possessivpronomen „sein“), es fehlt dagegen jegliche politische Charakterisierung. Als ein Verbund von Söhnen und Töchtern scheint das Volk – wie der Erzvater Jakob, dessen Namen es trägt – direkt JHWH zu unterstehen. Eine Mittlerfigur spielt in dem Lied, obwohl es Mose zugeschrieben wird,46 keine besondere Rolle. An zwei Stellen macht sich die sprechende Person sogar mit den Hörenden gemein (vgl. V.3.31); im Übrigen tritt sie zwar dem Volk mehrmals mit Mahnungen und Vorwürfen gegenüber (vgl. V.6.15.18), wird jedoch als Charakter nicht greifbar. Insofern bietet sie sich zur Identifikation und als Symbol einer besonderen Gottesbeziehung gerade nicht an. Identitätsstiftend wirkt vielmehr die Berufung auf die gemeinsame Geschichte und denselben Gott, der in dieser Geschichte wirkt.47 Rhetorische Fragen (V.6) und Imperative (V.7) fordern die Zuhörerschaft direkt dazu heraus, sich zu dem bisher Gesagten ins Verhältnis zu setzen. Dadurch wird die Verzahnung der verschiedenen Adressiertenperspektiven gut erkennbar. Hatten V.4–5 von JHWH und seinen „Söhnen“ in der dritten Person gehandelt und den Hörenden die Situation in der Außensicht vorgestellt, wechselt in V.6 die Perspektive zur direkten Anrede. Indem V.6 den Vorwurf aus V.5 aufnimmt (vgl. V.5a: „Vergangen haben sich an ihm seine NichtSöhne…“) und ihn unmittelbar gegen die Hörenden wendet (vgl. V.6a: „Tut ihr JHWH dies anÄ?“; V.6c: „Ist er nicht dein Vater Ä?“), können diese nicht in distanzierter Betrachtung verharren. Sie werden vielmehr selbst als Kinder JHWHs angeredet und dadurch gezwungen, sich auf ihre eigene Gottesbeziehung zu besinnen. Gemeinsam mit dem vom Text implizierten „Volk“ gilt dies für jede neue Hörerin (oder Leserin) und jeden neuen Hörer (oder Leser). Besonderer Nachdruck entsteht durch die mehrmalige Verwendung des
42
V.9.15. 43 V.15. 44 V.9: ėğĚģ. 45 V.28: ĜĘĕ. 46 Zur sekundären Einbettung des Moseliedes in die Narration des Pentateuchs vgl. Kap. 5.5. 47 Vgl. MARKL 2012, 242: „Das Moselied thematisiert so umfassend und intensiv wie kein anderer Text im Dtn die Beziehungsgeschichte Jhwhs mit seinem Volk. Es bildet einen Höhepunkt der negativen Charakterisierung des Gottesvolks im Dtn und soll dieses zugleich – paradoxerweise – zum Gotteslob bewegen, weil Jhwh trotz seines zeitweiligen Zornes treu bleibt. Die Differenz zwischen Mose als weisheitlichem Lehrer und dem angesprochenen ‚dummen Volk‘ hebt sich dann auf, wenn sich in der ganzen Gemeinschaft aufgrund der im Lied vermittelten Erkenntnis verwirklicht, was der Beter zu Beginn fordert (v3): ‚Bringt Größe unserem Gott!‘“
Kapitel 2: Der Gedankengang des Moseliedes
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Pronomens ēĘė(„er“) für JHWH (vgl. V.6c.d): Auf ihn kommt es an, er ist der für das Volk Handelnde und zu ihm müssen sich die Angesprochenen wiederum verhalten. Die zweimal rhetorisch gebrauchte Fragepartikel Čė (V.6a.c) dient der Bekräftigung des gemeinsamen Standpunktes der JHWH gegenüberstehenden Menschen. Auch an mehreren anderen Stellen im Moselied wird die Aufmerksamkeit der Hörenden durch direkt gestellte Fragen auf bestimmte paränetische Inhalte gelenkt und die Auseinandersetzung mit diesen dadurch forciert, vgl. V.20.30.34.37. Weiter schlägt V.7 eine Brücke in die Vergangenheit und erinnert daran, dass das Verhältnis zu JHWH in der Tradition der Väter grundgelegt ist. Sie können von den Ereignissen der „Vorzeit“ ( ĠğĘĥ) erzählen und sie in der Gegenwart hörbar machen (vgl. V.7c: „berichten“, V.7d: „sagen“). Auf diese Weise lernen die Hörenden außerhalb der Textfiktion die (im Lied nacherzählte) Geschichte JHWHs mit seinem Volk als Vorgeschichte der eigenen Gegenwart zu verstehen. Trotz ihrer hymnischen Anklänge48 bildet die gesamte Komposition deshalb eine Unterweisung,49 welche die Aufmerksamkeit der Zuhörenden auf die Überlieferung von ihrem Gott JHWH und seinem Handeln in der Geschichte lenkt. Mit V.8 beginnt ein Rückblick auf diese (gemeinsame) Geschichte,50 wobei zuerst JHWHs fürsorgendes Handeln thematisiert wird (V.8–14). Unklar bleibt, ob das nun (bis einschließlich V.19) Ausgeführte weiterhin dem- bzw. derselben Sprechenden in den Mund gelegt ist51 oder den in V.7 genannten Vätern und Ältesten52. Seine Legitimität erhält das Gesagte in jedem Fall durch den Verweis auf die traditionelle Autorität der Vorfahren.53 Der dementsprechend überwiegend in dritter Person gehaltene Bericht54 über die Geschehnisse vergangener Zeiten folgt der weiträumigen Perspektive der Einleitung und beginnt mit der Aufteilung der Völker, d.h. der „Menschensöhne“ (V.8b: ĠĖēĜģĔ) auf
Vgl. hierzu VON RAD KÜHLEWEIN TIGAY NELSON 2002, 369. 49 Vgl. V.1: Ě ąĪ Ąğ („Lehre“) sowie Kap. 3.3.2. 50 Die Einleitung durch die beiden Infinitive mit Ĕ in V.8a.b („Als…/als…“) bietet eine der wenigen Zeitangaben im Moselied. Daneben finden sich nur noch die (semantisch überflüssige) Markierung der Gegenwart in V.39 („jetzt“) als „aufmerksamkeitslenkendes“ Element (vgl. HARDMEIER 2003, 90) sowie die Verweise auf die Zukunft in V.35 bzw. die Ewigkeit in V.40. 51 So z.B. DILLMANN 1886, 397; STEUERNAGEL 1900, 116. 52 So BUDDE 1920, 16.20, jedoch mit der Einschränkung, dass ab V.10 wieder der „Dichter“ das Wort habe; ähnlich S.R. DRIVER 1902, 355, der annimmt, die Antwort der Ältesten erstrecke sich bis V.14 „or rather, probably, gliding insensibly into the poet’s own discourse“; vgl. auch SCHALLMEYER 1788 z.St. (ohne Seitenzählung). 53 Vgl. TIGAY 1996, 302: „If the audience has any doubt about the truth of what is said, it can turn to its elders – the custodians of historical tradition in a predominantly oral culture – for confirmation.“ 54 Vgl. hierzu unten die Bemerkungen zu V.14.15.17.18. 48
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die „Gottessöhne“ (V.8d 4QDeutj: ĠĜėĘğēĜģĔ)55. Auch das besondere Verhältnis JHWHs zu seinem Volk wird in V.9 auf dieses Geschehen in den „Tagen der Vorzeit“ (V.7a: ĠğĘĥĭĘġĜ) zurückgeführt: JHWH behält sich gerade dieses Volk und sein Land als Erbteil vor.
Exkurs: Der Gott des Moseliedes Es kann hinterfragt werden, ob das Subjekt von V.8: ĢĘĜğĥ („der Höchste“) mit dem Subjekt von V.9: ėĘėĜ (JHWH) identisch ist. Grammatisch und logisch eröffnet der Text zwei gegensätzliche Verstehensmöglichkeiten: „Der Höchste“ und JHWH könnten zwei Namen derselben Gottheit sein.56 In V.8–9 wäre dann durchgehend von JHWH die Rede, dem auch das Epitheton „der Höchste“ zufällt. 57 Ein gewichtiger Sinnunterschied ergibt sich, wenn man zwischen den beiden Versen von einem Subjektwechsel ausgeht. Denn dies würde bedeuten, dass in V.8 „der Höchste“ als eine von JHWH unterschiedene (und JHWH überlegene) Gottheit auftritt.58 Mit Blick auf den textkritischen Befund zu Dtn 32,8d und die Rekonstruktion nach 4QDeutj: ĠĜėĘğēĜģĔīħĤġğ („nach der Zahl der Gottessöhne“)59 ist zu konstatieren, dass der ursprüngliche Text des Moseliedes zweifellos die Vorstellung eines Götterpantheons voraussetzt. Fraglich ist also nur, ob JHWH als dessen Haupt oder bloßes Mitglied anzusehen ist. Im ersten Fall wäre JHWH derjenige, der zugleich anderen Gottheiten (den „Gottessöhnen“) und sich selbst jeweils ein Volk als persönliches Eigentum zuteilt. Im anderen Fall hätte ein über JHWH stehender „Höchster“ verschiedenen Göttern ihre Völker zugemessen und es JHWH lediglich überlassen, sich Israels anzunehmen.60
Vgl. LXX: ċññěõþ÷ùïøŶ. Zur Version von MT/SP vgl. Kap. 1.3.2. 56 Für die kombinierende BenennungĢĘĜğĥėĘėĜvgl. Ps 7,18; 47,3; 97,9 sowie für beide Gottesnamen im Parallelismus auch Ps 18,14/2.Sam 22,14; Ps 21,8; 83,19; 91,9; 92,2. In Gen 14,22 findet sich fernerĢĘĜğĥ als Attribut zu ğē in der Reihung ĢĘĜğĥğēėĘėĜ(„JHWH, der höchste Gott“). 57 So z.B. TIGAY SCHENKER 1997a, 440–441 mit einer ausführlichen SRHWRORJLVFKHQXQGWH[WSUDJPDWLVFKHQ%HJUQGXQJ DERS. 2007, 515–NELSON 2002, 371: „both context (including v. 39) and poetic parallelism make clear that these two designations refer to the same God“K. SCHMID 2011c, 132–OTTO 2017, 2176. 58 So BUDDE 1920, 17–19, vgl. EBD., 19: „Das ist in der Tat eine Ketzerei, die vielleicht im ganzen Alten Testament nur hier zutage tritt“; EISSFELDT 1958, 9; LOEWENSTAMM 1992, 352–354 (mit der zusätzlichen Annahme, V.8 handle von einer Epoche vor der Entstehung Israels, weshalb hier von JHWH gar nicht die Rede sei und dieser erst in V.9, aber dann vollkommen souverän auftrete); M. WEIPPERT 1997, 5. 59 Vgl. LXX: ôëüąċúóùöļ÷ċññěõþ÷ùïøŶ („nach der Zahl der Engel Gottes“). 60 Der Text von MT [SP] in V.9a: >ĔĪĥĜ@ Ęġĥ ėĘėĜ Ī Ąğ ăĚ ĜĞ („Ja, der Anteil JHWHs ist sein Volk [Jakob]“) scheint dieses Verständnis zu unterstützen, weil er JHWH rein passiv 55
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Bei der Beantwortung dieser theologisch bedeutsamen Frage ist indessen zwischen der Aussageintention des Textes und dessen traditionsgeschichtlichem Hintergrund zu unterscheiden. Der Vergleich mit mythischen Erzählungen aus den nordwestsemitischen Nachbarkulturen Israels gibt Grund zu der Annahme, dass die Rede vom „Höchsten“ und JHWH in Dtn 32,8–9 auf die Vorstellung einer Konkurrenz zwischen zwei Gottheiten innerhalb eines Kreises von „Gottessöhnen“ zurückgeht.61 Für sich betrachtet spricht das Moselied jedoch nicht davon, dass JHWH den Platz an der Spitze der Götter erst erringen müsste. Im Lied wird vielmehr ein Konflikt um die Anerkennung der (bereits vorausgesetzten) uneingeschränkten Autorität JHWHs durch das Volk Israel erkennbar. Andere Götter werden durchaus noch mehrfach erwähnt.62 An all diesen Stellen erscheinen sie aber in deutlicher Abgrenzung zu JHWH als nicht-anwesend (V.12.39), nicht-göttlich, unbekannt und unwirksam (V.17.21. 31.37–39) oder demütig unterworfen (V.43). Ihre Erwähnung dient somit letztlich der Profilierung JHWHs als alleinige Bezugsgröße für Israel.63 Andererseits wird JHWH im Moselied mit verschiedenen Gottesbezeichnungen und Beinamen apostrophiert,64 so v.a. als „Fels“,65 aber auch mit den verschiedenen Ausdrücken für „Gott“: „Elohim“,66 „El“,67 und „Eloha“.68 Daneben wird er einmal auch „Vater“ genannt69 und ein weiteres Mal mit einem „Geier“ verglichen.70 Diese Vielzahl von Benennungen bringt zum Ausdruck, wie vielfältig das Wirken JHWHs ist. Er vereint auf sich die verschiedensten Funktionen, die von einem Gott angenommen werden können, und ist deshalb in jeder Weise als (einzig wirkmächtiger) Gott anzusprechen. Innerhalb dieses Gesamtkontextes liegt es nahe, dass auch in V.8–9 JHWH als höchster (und deshalb über Israel, aber zugleich über den anderen Völkern und ihren Göttern stehender) Gott angesehen und dafür u.a. mit dem Namen ĢĘĜğĥ („der Höchste“) belegt wird.71
darstellt. Vgl. aber Kap. 1.3.2 für die Rekonstruktion von V.9b: ĔĪĥĜĘġĥėĘėĜ ĪžĚ Ā Ĝą Ũþ („Ja, JHWH teilte sich sein Volk Jakob zu“), der zufolge das Subjekt JHWH in V.9 eindeutig dem Subjekt „der Höchste“ in V.8 parallelisiert wird. 61 Vgl. hierzu den Exkurs in Kap. 3 „Eljon und die Gottessöhne“. 62 Vgl. V.12.17.21.31.37–39.43. 63 Vgl. SANDERS 1996, 426–429; SCHENKER 1997a, 444, insbes. Anm. 25; DERS. 2007, 518–519 sowie Kap. 3 zu den betreffenden Stellen. 64 Für die Bezeichnung ėĘėĜ („JHWH)“ vgl. V.3.6.9.12.19.27.30.36. 65 V.4.15.18.30.31: īĘĩ. 66 V.3: ĠĜėğē. 67 V.4.12.18: ğē. 68 V.15: ėĘğē, vgl. V.17: ąėžÿē. 69 V.6: Ĕē. 70 V.11: ī Řģ. 71 Vgl. ELNES/MILLER 1999, 296: „It is clear that Israel appropriated ޏElyôn as an epithet for its own High God, Yahweh“ sowie die diplomatische Formulierung bei LUNDBOM 2013, 906: „the Most High, now known to be Yahweh“.
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Nachdem so die besondere Erwählung des Volkes durch JHWH (vgl. V.8–9) als zu erinnerndes Grunddatum festgestellt wurde, widmen sich V.10–14 der gemeinsamen Geschichte „aller Generationen“.72 Dieser Weg JHWHs mit „seinem Erbteil“ (V.9b:ĘĭğĚģ) beginnt damit, dass JHWH dem Volk in der Wüste begegnete und sich seiner annahm (vgl. V.10).73 Bildreich wird beschrieben, wie das hilflose Volk von Anfang an der besonderen Zuwendung seines Gottes teilhaftig wurde. Auch der Vergleich mit einem sorgenden Elternvogel in V.11 illustriert die Fürsorge, welche laut V.12a „JHWH allein“ (ĖĖĔėĘėĜ) gewähren konnte und wollte. Im Unterschied zu V.8 konzentriert sich die Rede nun ganz auf JHWH und sein Volk. Die Existenz anderer Völker ist vorerst ausgeblendet, das Wirken eines „fremden Gottes“ (V.12b: īĞģğē) neben JHWH wird explizit ausgeschlossen und die Exklusivität seiner Beziehung zu seinem Volk auf diese Weise unterstrichen: Das zum alleinigen Empfänger von JHWHs Wohltaten bestimmte Volk (vgl. V.9) wird seinerseits auf JHWH als seinen einzigen Gott verwiesen. Wie reich das Volk von JHWH bedacht wurde, zeigen V.13– 14. Die kausativen Verben in V.13 (ĔĞī und ĪģĜ im Hifޏil) führen die Versorgung mit dem Lebensnotwendigen wie auch dem Mehr-als-Notwendigen („die Erträge des Feldes“, Honig und Öl)74 direkt auf den göttlichen Ernährer zurück. Gesteigert wird der Eindruck großer Fülle durch die umfängliche Aufzählung verschiedener Agrarprodukte in V.14.75 Dtn 32,13–14: 13
14
a b c d a b c d e
Er ließ es über die Höhen des Landes fahren und es aß die Erträge des Feldes und er ließ es Honig saugen aus einem Felsen und Öl aus Felsgestein, Rahm vom Großvieh und Milch vom Kleinvieh mit Fett von Lämmern und Widdern, der Herden von Baschan und von Ziegenböcken mit Nierenfett von Weizen. Und Weinbeerenblut trankst du, gärenden Wein.
ĨīēĜĭĘġĔČğĥĘėĔĞīĜ ĜĖĬĭĔĘģĭğĞēĜĘ ĥğĤġĬĔĖĘėĪģĜĘ ī ĘĩĬĜġğĚġĢġĬĘ ĢēĩĔğĚĘīĪĔĭēġĚ ĠĜğĜēĘĠĜīĞĔğĚČĠĥ ĠĜĖĘĭĥĘĢĬĔČĜģĔ ėěĚĭĘĜğĞĔğĚČĠĥ ī ġĚČėĭĬĭĔģĥČĠĖĘ
Vgl. V.7b: īĘĖĘČīĘĖĭĘģĬĘģĜĔ („Betrachtet die Jahre aller Generationen“). 73 Möglicherweise ist die Diskrepanz zwischen den in V.9a: ĪğĚ („sich zuteilen“) und V.10a: ēĩġ („finden“) ausgedrückten Sachverhalten weniger groß als die deutsche Übersetzung vermuten ließe. Darauf deuten Ibn Ezra z.St., zit. bei CARASIK 2015, 220, sowie GERLEMAN 1971, 923: „[ēĩġ] bezeichnet Ziel und Ergebnis irgendeiner Bestrebung im weiteren Sinne“. Eine rein theologische Erklärung bietet LUNDBOM 2013, 879: „Yahweh could certainly have ‘chosen’ Israel before ‘finding’ her.“ 74 Vgl. hierzu CAQUOT RINGGREN 1995 sowie den Exkurs in Kap. 3 „Öl und Honig als göttliche Wohltaten“. 75 Vgl. auch den folgenden Abschnitt B zur Literarkritik in V.14–15. 72
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Abgesehen vom letzten Kolon in V.14 lässt sich die hier begegnende Reihe von Tieren und tierischen Produkten als Fortsetzung von V.13 und erweitertes Objekt des Verbs ĪģĜ Hif in Dtn 32,13c verstehen („er ließ es […] saugen“).76 V.14e steht dann als Monokolon grammatisch isoliert. Alternativ könnte das Verb ėĭŘ von V.14e („[…] trankst du“) auf die gesamte vorangehende Aufzählung V.14a–d bezogen werden.77 Dies ergäbe eine ausgewogenere Satzverteilung. Die unvermittelte direkte Anrede der zweiten Person Singular in V.14e unterbricht jedoch die Perspektive der umgebenden Verse. Sowohl zuvor als auch anschließend ist vom Volk in der dritten Person die Rede,78 so dass es plausibler erscheint, in V.14e die grammatische Ausnahme zu sehen und den Rest des Verses mit dem Verb von V.13c in Verbindung zu bringen. Fernerhin ergibt sich aus der Literarkritik von V.14–15 die Möglichkeit, die Nahrungsmittel aus V.14 dem Verb in V.15a zuzuordnen.79 Mit der Wiederaufnahme der Schilderung in V.15 wendet sich der Rückblick der Untreue des Volkes gegenüber JHWH und damit der unrühmlichen Seite seiner Geschichte zu.80 Auch grammatisch zeichnet sich ein Wandel ab. Bisher war innerhalb der Retrospektive (ab V.8) nahezu ausschließlich JHWH Subjekt des Geschehens.81 Eine Ausnahme bildet V.13b („und es aß die Erträge des Feldes“), der allerdings klar vom vorhergehenden Kolon und JHWHs dort beschriebener Aktion abhängt („Er ließ es über die Höhen des Landes fahren“).82 Erst mit der Subjektstellung in V.14e erscheint das Volk plötzlich als souveräner Akteur, wodurch der folgende inhaltliche Richtungswechsel schon angekündigt wird: V.15–18 führen aus, wie das Volk, durch die Wohltaten JHWHs verwöhnt, von seinem Gott abfiel und sich fremden Göttern zuwandte. Mit Variationen im Numerus (V.15 und 18 bieten Singularformen, V.16–17 dagegen Pluralformen) ist in diesem Abschnitt durchgehend das Volk das Subjekt. Wie in V.9 wird es kollektiv mit dem Namen „Jakob“ (V.15a SP/4Qphyln/ LXX) und parallel dazu mit der ebenfalls personifizierenden Bezeichnung „Jeschurun“ (V.15b) belegt. Durch diese Namensnennung entsteht ein klares
76
So DILLMANN 1886, 400; BUDDE 1920, 23; SANDERS 1996, 172, vgl. auch die Übersetzung z.B. bei OTTO 2017, 2144. 77 So offenbar LUNDBOM 2013, 882, obwohl die Übersetzung (EBD., 849) dieses Verständnis nicht klar wiedergibt. 78 Vgl. die Formen der dritten Person Singular in V.13b und V.15a.b (das Volk als Subjekt) sowie in V.13c (das Volk als Objekt). 79 Vgl. hierzu das Folgende. 80 Vgl. NELSON 2002, 373: „The poem now turns to the countertheme of faithlessness […].“ 81 Vgl. FOKKELMAN 1998, 95: „God is the giving subject with Israel, his grammatical object, at the receiving end“; SEYBOLD 2005, 70–71. 82 BUDDE 1920, 48 liest in V.13b mit SP und LXX „speiste ihn“ und begründet, EBD., 22–23: „Wo Jahves liebreiches Tun so stark betont wird, muß der gefällige Wechsel der Subjekte noch eine Zeitlang zurückstehn.“
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Gegenüber zu JHWH,83 dessen Wohltaten zuvor beschrieben wurden. Nun gilt das Interesse der Reaktion des Volkes, welches für das eigene unangemessene Verhalten verantwortlich gemacht wird. Summarisch formuliert das erste Bikolon in V.15,84 Jakob/Jeschurun sei „satt“, „fett“ und überheblich geworden. In direkter Rede (ĭĜĬĞĭĜĔĥĭģġĬ: „fett, dick, feist bist du geworden“) richtet V.15c diesen Tadel gegen die Zuhörerschaft.85 Erst daraufhin kommt, als Auswuchs des unverdienten Schlemmerlebens, am Ende von V.15 die entscheidende Verfehlung Jakobs/Jeschuruns zur Sprache: die Abkehr von seinem Gott (vgl. V.15d.e: „er verwarf“ bzw. „verhöhnte“ JHWH).
B. Zur Literarkritik in Dtn 32,14–15 Wie V.14e („und Weinbeerenblut trankst du, gärenden Wein“) sprengt auch V.15c („fett, dick, feist bist du geworden“) als Monokolon die grammatische und poetische Struktur des restlichen Verses. Dies wird von den meisten Kommentaren bemerkt, aber höchst gegensätzlich entweder als Stilmittel86 oder als Textverderbnis87 erklärt. Tatsächlich findet die direkte Anrede der Zuhörenden Entsprechungen in V.6 („Tut ihr JHWH dies an…?“) und kurz darauf in V.18 („du missachtetest“, „du vergaßest“), was auf eine rhetorische Strategie hindeutet.88 Andererseits lassen sich Unstimmigkeiten im Kontext kaum leugnen. Es irritiert, dass die Aufzählung der einfachen landwirtschaftlichen Produkte in V.14 (Milch, Rahm, Weizen) plötzlich durch einen Einwurf über das Genussmittel Wein (V.14e: ī Ąġ ĄĚ) erweitert wird, 89 vor allem, da das Verb
83
Vgl. SEYBOLD 2005, 73. 84 Zur Poetologie vgl. Kap. 1 Anm. 18. 85 Vgl. OTTO 2017, 2179: „Das Moselied wechselt mit der auffälligen Doppelung dieses Motivs [d.h. Jeschuruns Fettwerden in V.15b.c] von der dritten in die zweite Person der Anrede und damit von der erzählten Zeit des Mose in die direkte Anrede der Adressaten des Deuteronomiums […] und weist voraus auf den Wechsel in Dtn 32,17(fin).18.“ 86 Vgl. KLOSTERMANN 1893, 298–299 (für V.15); S.R. DRIVER 1902, 360 (zu V.14e): „The change to the 2nd pers. […] is such as often occurs in Heb[rew] poetry; here its effect is to bring vividly home to Israel the truth of what is said (cf. v.15. 18)“; Nielsen 1995, 284; Fokkelman 1998, 91–92; Nelson 2002, 373: „The abrupt change to the second person directs the argument at the audience (cf. vv. 15, 18)“. 87 Vgl. STEUERNAGEL 1900, 117 (zu V.14e bzw. 15c): „vielleicht liegt ein Textfehler vor“, „wahrscheinlich ist der Text korrupt“; SCHLÖGL 1904, 10; BUDDE 1920, 23–25 mit der Meinung, V.14e und 15c hätten ursprünglich zusammengehört und durch partiellen Ausfall (V.15c) und Neuplatzierung für „Textverwirrung“ (EBD., 25) und weitere Änderungen gesorgt; WRIGHT 1962, 29. 88 Sowohl in V.6 als auch in V.18 handelt es sich allerdings um vollständige Bikola. 89 Vgl. BAUMANN 1956, 417: „v. 14 ist nach Form und Gedanke durch die überschiessende fünfte Halbzeile überfüllt. Während die vorhergehenden Halbzeilen von der Viehwirtschaft handeln, redet die fünfte vom Wein. Und das in plötzlicher Anrede.“
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„trinken“ (ėĭŘ) sich nur schlecht mit den vorausgehenden festen Nahrungsmitteln verbinden lässt. Ferner wird in V.15 das Verb ĢġŘ („fett werden“) aus V.15b (ĢĘīĬĜĢġĬĜĘ: „Jeschurun wurde fett“) unmittelbar danach in V.15c wiederholt (ĭģġĬ: „du bist fett geworden“). Die Varianten für V.14e90 und 15c91 in der griechischen Texttradition bestärken den Eindruck, dass hier ein Bearbeitungsprozess stattgefunden hat.92 Zusammengefasst werden die Beobachtungen verständlich, rechnet man mit V.14e.15c als paränetischen Ergänzungen (nach dem Vorbild der in V.6.18 bereits vorliegenden Anreden) zu den ursprünglich je vier Kola umfassenden (und inhaltlich schon vollständigen) Versen 14a–d und 15a–b.d–e:93 14
15
a b c d a b d e
Rahm vom Großvieh und Milch vom Kleinvieh mit Fett von Lämmern und Widdern, der Herden von Baschan und von Ziegenböcken mit Nierenfett von Weizen. Jakob aß und wurde satt und Jeschurun wurde fett und schlug aus. Und er verwarf den Gott, der ihn gemacht hat, und verhöhnte den Fels seiner Rettung.
ĢēĩĔğĚĘīĪĔĭēġĚ ĠĜğĜēĘĠĜīĞĔğĚČĠĥ ĠĜĖĘĭĥĘĢĬĔČĜģĔ ėěĚĭĘĜğĞĔğĚČĠĥ ĥĔĬĜĘĔĪĥĜğĞēĜ ěĥĔĜĘĢĘīĬĜĢġĬĜĘ ĘėĬĥėĘğēĬěĜĘ ĘĭĥĬĜīĘĩğĔģĜĘ
Offensichtlich könnte V.15a dieses rekonstruierten Textes (ĥĔĬĜĘĔĪĥĜğĞēĜ) ohne weitere Konjekturen auch auf V.14 zurückbezogen werden, so dass die Aufzählung der Nahrungsmittel von V.14 mit dem Verb „essen“ (ğĞē) aus V.15a verbunden wäre: „…aß Jakob und wurde satt“.94 Mit dieser Annahme ließe sich SP wegen des asyndetischen Versbeginns von V.15a (ĔĪĥĜ ğĞēĜ) gegenüber der Syndese von LXX (ôëť ġƫëñï÷ Øëôþìm) als ursprünglicher(er) Text erklären. LXX scheint nach der Eintragung von V.14e („und Weinbeerenblut trankst du, gärenden Wein“) den Übergang zu V.15a durch Änderung der Verbform95 in die dritte Person Singular (ġóï÷: „er trank“) oder Plural (ġóø÷: „sie tranken“) statt der zweiten Person Singular von MT/SP (ėĭŘĭ: „du trankst“) und die Verwendung der Konjunktion ôëť („und“) am
Codex Alexandrinus: ġóø÷; Codex Vaticanus/Theodotion: ġóï÷; Aquila: Ťïûëó; Symmachus: ġóïÏ. 91 Codex Alexandrinus/Vaticanus: ĠõóĄ÷ùòĠëíŴ÷ùòĠõëüŴ÷ùò; Symmachus/Theodotion: ĠõóĄ÷ùòÏ. 92 Vgl. VOLKWEIN 1973, 74–75. 93 Vgl. VOLKWEIN 1973, 163–166, der durchaus annimmt, „daß hier wahrscheinlich Ergänzungen zum Urtext vorliegen“ (EBD., 162 Anm. 493), im Rahmen seiner textkritischen Arbeit jedoch keine Textstreichungen vornimmt; IRSIGLER 1990, 162 Anm. 13 sowie für die Beurteilung von V.15c als Zusatz SCHALLMEYER 1788 z.St. (ohne Seitenzählung); LINDER 1924, 398; BUIS/LECLERCQ 1963, 196. 94 Vgl. KLOSTERMANN 1893, 291–293. 95 Für diese grundsätzliche Tendenz der LXX vgl. VOLKWEIN 1973, 75. 90
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Anfang von V.15a geglättet zu haben. In MT dürfte V.14e („und Weinbeerenblut trankst du, gärenden Wein“) dagegen V.15a („Jakob aß und wurde satt“) verdrängt haben, wodurch die plötzliche Aufeinanderfolge der ungleichartigen Verbalausdrücke von V.14e und 15a ebenfalls vermieden wurde.96 Das durch den Zusatz V.14e entstandene stichometrische Ungleichgewicht (fünf statt vier Kola in V.14) wurde in SP/LXX im Folgevers wieder aufgefangen, da der Zusatz V.15c hier ebenfalls in der ungeraden Zahl von fünf Kola resultierte.97 Die beiden darauf folgenden Verse beschreiben konkret den Dienst an anderen Gottheiten, die der Tradition des Volkes fremd98 und der Verehrung unwürdig sind.99 Es wird betont, dass diese Gottheiten nicht (wie JHWH) durch eine gemeinsame Geschichte mit dem Volk verbunden waren (vgl. V.17b–d).100 Stattdessen bringen die Attributierungen „neu“ und „kürzlich gekommen“101 einen engen Bezug zur Gegenwart der sprechenden Person (und im Vollzug des Vortrags auch zur Gegenwart der Hörenden) zum Ausdruck und verknüpfen den Vorwurf des Götzendienstes mit ihrer Situation. 102 Bemerkenswert ist der Wechsel von singularischen zu den pluralischen Verbformen in V.16–17.103 Im Unterschied zur Schilderung von V.9–14.15 wird das Volk hier nicht mehr in
96
Vgl. VOLKWEIN 1973, 165, der außerdem in Betracht zieht, dass man durch Streichung von V.15a „den guten Namen Jakobs retten wollte“; MCCARTHY 2007, 144*. Anders S.R. DRIVER 1902, 361; SANDERS 1996, 179; OTTO 2017, 2149, die V.15a für sekundär halten. 97 Insofern ist BUDDE 1920, 24, obgleich er für die Ursprünglichkeit beider Kola argumentiert, in seiner Schlussfolgerung zuzustimmen: „Die beiden Zeilen in der Anrede, 14b [= 14e] und 15aȕ [= 15c], ziehen sich gegenseitig an und sind nur nebeneinander möglich“. 98 Vgl. V.16a: ĠĜīę („Fremdlinge“); V.17b: ĠĘĥĖĜēğ („die sie nicht gekannt hatten“). 99 Vgl. V.16b: ĭ ĔĥĘĭ („Abscheulichkeiten“); V.17a: ėğēēğĠĜĖĬ („Dämonen, die nicht Gott sind“). 100 Vgl. für die temporale Deutung von ĔīĪġ in V.17c („kürzlich“) z.B. DILLMANN 1886, 402; STEUERNAGEL 1900, 117; S.R. DRIVER 1902, 363; VON RAD 1968, 141; TIGAY 1996, 306; anders BUDDE 1920, 25–26 (mit lokaler Deutung: „aus der Nähe“, vgl. EBD., 48). Die meisten Kommentierenden betonen das Alter als Kriterium der Bedeutsamkeit und vernachlässigen dabei den Beziehungsaspekt, so TIGAY 1996, 306: „In the ancient world antiquity was a hallmark of authenticity“, vgl. auch NELSON 2002, 371 (zu V.7): „The truth of this story cannot be denied, for it is deeply rooted in the past.“ Demgegenüber bemerkt ROSE 1994, 569, die „Götter“ seien „nicht durch Tradition […] und Erfahrung legitimiert“. 101 Vgl. V.17c: ĘēĔĔīĪġĠĜĬĖĚ. 102 Zum Bezugsrahmen einer (textlichen) Kommunikationssituation vgl. HARDMEIER 2003, 49–51.62–63, zur temporalen Orientierungskomponente EBD., 94–95. 103 Vgl. BERTHOLET 1899, 97: „Der Plural [V.]16 und der Übergang in die direkte Rede [V.]17 sind wohl in Kauf zu nehmen“; VON RAD 1968, 141: „gelegentlich geht die Darstellung der Geschichte scheinbar zufällig in die Form der Du-Anrede über (V.14b. 15aȕ. 18), was dem Ganzen den Charakter einer prophetischen Anklagerede gibt“. S TEUERNAGEL 1900, 117 notiert zu V.14–15: „die 2. pers. [sic] fällt auf“ bzw. „ist auffällig“ und anschließend: „In [v.]16–18 befremdet der Übergang in den Plur[al] und vom Ende des v. 17 ab in die direkte Anrede, die zunächst plur[alisch], dann in v. 18 sing[ularisch] ist.“
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der Maske des einzigen Auserwählten dargestellt, von dem im Singular gesprochen („Jakob“, „er“) und der im Zusatz von V.15c auch als Einzelner angesprochen wird. Stattdessen geht es nun um das Verhalten der ganzen Gruppe. Nur in V.18 appelliert das Lied nochmals an eine einzelne Person. Sachlich entspricht der hier geäußerte Vorwurf, JHWH sei „missachtet“104 und „vergessen“ 105 worden, dem schon in V.15d–17d Gesagten. Die Besonderheit von V.18 besteht allein in der gewählten Sprechweise: Zwischen zwei Versen, die von den Vätern in dritter Person Plural handeln (V.17 und 19), wird durch die Anrede in zweiter Person Singular („du missachtetest“ bzw. „vergaßest“) plötzlich der einzelne Mensch für das Fehlverhalten der Gruppe zur Verantwortung gezogen. Überdies setzen die Anreden in V.15 und 18 die jeweils aktuelle Hörerschaft mit den Agierenden des geschilderten Geschehens gleich.106 Jeder neue Hörer und jede neue Hörerin wird so angesprochen, als hätte er oder sie den Frevel begangen. Auf diese Weise führt das Lied die Unheilsgeschichte Israels bis an die Gegenwart heran. In den hebräischen Versionen verstärkt das Possessivsuffix in V.17d diese Tendenz: 107 Obwohl das Subjekt des gesamten Verses in der dritten Person Plural steht, erfolgt die Näherbestimmung der verehrten Götter unter Bezugnahme auf die Hörenden in der zweiten Person Plural („eure Väter“ statt des zu erwartenden „ihre Väter“).108 Mithin wird jede und jeder einzelne Hörende des Moseliedes zur Exponentin oder zum Exponenten der einen Geschichte JHWHs mit seinem Volk und persönlich durch seine programmatische Strafrede angesprochen. Diese folgt auf die Anklage in V.18 und ist formal ebenfalls Teil des Rückblicks. 109 Die Überleitung in V.19–20aĮ zeigt durch die Renominalisierung JHWHs110 sowie die neue Redeeinleitung („Äund sagte“) den Sprecherwechsel an und
Vgl. V.18a: ĜŘĂ Ąų („du missachtetest“). 105 Vgl. V.18b: ĚĞĬĭĘ („und du vergaßest“). 106 Vgl. OTTO 2017, 2181. 107 Vgl. MT/SP (ĠĞĜĭĔē) und 1QDeutb (ėġĞĜĭĘĔē). 108 LXX scheint dagegen das Suffix dem Subjekt des Verses angeglichen zu haben: øŻô ĸîïóûë÷øŧëüěúïÏëŻüņ÷ („die ihre Väter nicht gekannt hatten“), vgl. Kap. 1 Anm. 21. 109 Vgl. zur Gliederung KÜHLEWEIN 1973, 117: „Der eigentliche Geschichtsbericht beginnt in V 8–14 mit dem Bericht von Jahwes früheren Heilstaten, dem in V 15–18 der von ,VUDHOV$EIDOO IROJW HU VFKOLHW PLW GHP %HULFKW YRQ -DKZHV 5HDNWLRQ DXI ,VUDHOV 6QGH wobei die Worte, die Jahwe in seinem Zorn sprach, in direkter Rede überliefert sind (V 20– 25).“ 110 Zur Renominalisierung als sprachliches Gestaltungsmittel vgl. HARDMEIER 2003, 64: „Durch die pronominale Wiederaufnahme von Personen, Gegenständen oder Sachverhalten kann […] Kontinuität […] angezeigt werden. […] Demgegenüber werden Diskontinuitäten und damit Gliederungseinschnitte im Redeverlauf u.a. durch Themen- oder Personenwechsel erzeugt. Sie können sprachlich u.a. durch Renominalisierungen, d.h. durch die namentliche oder nominale Wiederaufnahme von zuvor pronominalisierten Größen angezeigt werden.“ 104
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markiert das Weitere (ab V.20aȕ: „Ich willÄ“) als Reaktion JHWHs auf die verwerfliche „Beleidigung durch seine Söhne und Töchter“ (V.19b).111 Nachdem also die sprechende Person das problematische Verhältnis JHWHs zu seinem Volk umrissen hat (V.4–19), fällt die Schlussfolgerung JHWH selbst zu. 112 In der Gottesrede trägt er die Absicht vor, dem treulosen Volk seine Gunst zu entziehen. 113 Ein besonderer Akzent liegt dabei auf dem „Ende“ (ĭĜīĚē) der Menschen, das zwar vorerst nicht inhaltlich bestimmt, dafür aber umso eindrücklicher in das Zentrum des Hörendeninteresses gerückt wird. Die indirekte Frage JHWHs vor sich selbst, „was ihr Ende ist“ (vgl. V.20b: ĠĭĜīĚēėġ), weckt die Erwartung der Zuhörenden, dass es sich hierbei um eine entscheidende Fragestellung handelt.114 Sie erscheint umso bedrohlicher, als unmittelbar im Anschluss der schon in V.5–6 ausgedrückte Vorwurf wiederholt wird, das Volk verhalte sich JHWH gegenüber falsch.115 Mit zwingender Logik führt V.21 vor, dass solches Fehlverhalten nicht folgenlos bleibt, sondern Frevel und Ahndung einen Geschehenszusammenhang bilden. Im Perfekt verwendet stellen die Verben ēģĪ („reizen“) und ĤĥĞ („beleidigen“) das Handeln des Volkes dar (vgl. V.21a–b: „Sie haben mich gereiztÄ beleidigtÄ“). Gleich darauf beschreiben dieselben Verben im Voluntativ die göttliche Strafe (vgl. V.21c–d: „So will ich sie reizenÄ beleidigen“), so dass sich das üble Tun der Menschen schließlich im Wortsinn gegen sie selbst wendet.116 Der nachdrückliche Gebrauch der Pronomina in V.21a: Ġė(„Sie haben…“) und V.21c: ĜģēĘ („So will ich…“)117 dient der Kontrastierung der Partner bzw. Gegner in diesem Geschehen und verstärkt den Eindruck ihrer Gegensätzlichkeit.118 Auffällig ist auch, dass innerhalb der Strafrede (V.20–25) nur in der Zusammenfassung der Freveltaten in V.20c–d.21a–b das Volk Subjekt ist, während ansonsten JHWH selbst oder von ihm eingesetzte Kräfte (V.22: „Feuer“; V.25: „Schwert“) diese Funktion innehaben und damit den Ablauf der Ereignisse prägen.119 Über vier Verse werden einzelne, sich bis zur Vernichtung steigernde
111
Vgl. ROSE 1994, 569; NELSON 2002, 373. 112 Vgl. SEYBOLD 2005, 73. 113 Vgl. V.20a: ĠėġĜģħėīĜĭĤē („Ich will mein Angesicht vor ihnen verbergen…“). 114 BERTHOLET 1899, 98 und TIGAY 1996, 307 deuten die Frage JHWHs als Ironie (dessen, der es besser weiß), was aber weder der Dramatik noch der paränetischen Tendenz des Kontextes entspricht. Vgl. stattdessen MARKL 2012, 234 für die sich hier entfaltende „logische Dynamik“. 115 Vgl. V.20c: ėġėĭĞħėĭīĘĖĜĞ („denn eine Generation von Verkehrtheiten sind sie“). 116 Vgl. TIGAY 1996, 307: „The punishment of Israel is emphatically just.“ EBD., 308 findet sich auch die Bezeichnung „poetic justice“, gleichfalls bei NELSON 2002, 373. 117 Vgl. auch das vierfache Vorkommen von Pronomina bzw. Suffixen der dritten Person Plural in V.20. 118 Vgl. STEUERNAGEL 1900, 118. 119 TIGAY 1996, 309 betont mehrfach, dass die „Übel“ in V.24 nicht personifiziert erscheinen, sondern nur als JHWHs Werkzeuge.
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Strafen ausgemalt, mit denen JHWHs Zorn sich Bahn bricht (V.22–25): „Feuer“ (V.22: Řē), „Übel“ (V.23: ĭĘĥī), „Hunger“ (V.24: Ĕĥī), „Seuche“ (ĦŘī), „Verderben“ (ĔěĪ), „wilde Tiere“ (ĭĘġėĔ) und „Gift“ (ėġĚ), „Schwert“ (V.25: ĔīĚ) und „Schrecken“ (ėġĜē). Auf konkrete (historische) Begebenheiten lassen sich die Drohungen nicht deuten. Hierzu sind sie zu allgemein gehalten. Vielmehr umreißen sie den „bis an die tiefste Unterwelt“ ausgreifenden Machtbereich JHWHs120 und unterstreichen seine Entschlossenheit, dem Abfallen des Volkes mit seiner ganzen Macht zu begegnen.121 Verschiedene Arten von Drangsalen erscheinen als Instrumente (bzw. „Pfeile“) JHWHs,122 denen niemand entkommen kann (vgl. V.25c–d). Zwar handelt die gesamte (mit V.8 einsetzende) Geschichtsschau grundsätzlich von den untreu gewordenen „Vätern“ (vgl. V.7). Doch das darin (ab V.20) enthaltene Gotteswort bekommt durch die Formulierung in direkter Rede zeitlose Bedeutung. Mit jedem neuen Vortrag des Moseliedes scheint sich JHWH auch in wechselnden Kontexten wieder unmittelbar an die jeweiligen Hörenden zu wenden, wenngleich eine ausdrückliche Identifikation der Adressaten und Adressatinnen mit den verurteilten „Söhnen und Töchtern“ (V.19) fehlt. Anders als in V.18 (und den Zusätzen in V.14.15) wird in V.19–25 niemand in zweiter Person angesprochen, sondern die Rede in dritter Person konsequent durchgehalten. Dies hat zur Folge, dass letztlich eine gewisse Distanz der Textrezipierenden zu den dargestellten Schrecknissen gewahrt bleibt. Obwohl ihre Furchtbarkeit sachlich feststeht, wirken die Strafen in dem Bericht über Dritte weit weniger beunruhigend als es bei einer konkret gegen die Hörenden oder Lesenden gerichteten Ankündigung der Fall wäre. Bestätigt wird der hypothetische Charakter der vorausgegangenen Verse durch die neuerliche Redeeinleitung in V.26 („Ich hätte gesagtÄ“). Sie ist ihrerseits Teil der in V.20 begonnenen Gottesrede und setzt die Einleitung von V.19–20 voraus.123 Dadurch wird das in V.26 Gesagte als Selbstzitat JHWHs markiert. JHWH unterbricht seine eigene Strafrede mit einer Reflexion über die unerwünschten Konsequenzen einer Vernichtung der Frevler, wie sie in V.21–25 ausgemalt worden war.124 Weil die Perfekt-Form des Verbs zu Beginn
V.22b: ĭ ĜĭĚĭğĘēĬČĖĥ. Vgl. TIGAY 1996, 308: „Fire is a metaphor for God’s anger […], and burning to the bottom of Sheol and to the foundations of the mountains is a picturesque description of its power.“ 121 Vgl. die zahlreichen Voluntative in V.20: ėīĜĭĤē ėēīē („ich will verbergen“ bzw. ÄVHKHQ³ 9ĠēĜģĪēĠĤĜĥĞē ÄLFKZLOOVLHUHL]HQ³E]ZÄEHOHLGLJHQ³ 923: ėħĤēėğĞē ÄLFKZLOOYHUVDPPHOQ³E]ZÄYHUEUDXFKHQ³ 9ĚğŘē („ich will loslassen“). 122 Vgl. V.23: ĜĩĚ („meine Pfeile“). 123 Vgl. V.19.20aĮ: īġēĜĘ ĘĜĭģĔĘ ĘĜģĔ ĤĥĞġ ĨēģĜĘ ėĘėĜ ēīĜĘ („Und als JHWH es sah, schmähte er wegen der Beleidigung durch seine Söhne und Töchter und sagte…“). 124 Vgl. VON RAD 1968, 142: „Die seit V.8 laufende Schilderung von Geschichtsereignissen bricht ab; eine neue Schilderung von kommenden Ereignissen wird erst in V.36 einsetzen. Der Abschnitt V.26–35 ist also ein Zwischenstück, das uns aus der Unruhe der 120
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von V.26 (Ĝĭīġē: „Ich hätte gesagt…“) eine in der Vergangenheit möglich gewesene (aber nicht ausgeführte) Handlung ausdrückt, ist die daraufhin zitierte Ankündigung (ĠėĜēħē: „Ich werde sie auslöschen…“)125 lediglich als nicht realisierte Möglichkeit zu verstehen.126 Einer tatsächlichen Bestrafung des Volkes steht die angenommene Hybris „des Feindes“ (V.27a) entgegen, der im Folgenden von JHWH als redend eingeführt und zitiert wird: „Unsere Hand ist erhaben und nicht JHWH hat dies alles getan“. 127 Auf diese Weise nimmt JHWH die Fehldeutung des Feindes vorweg, zu der es gar nicht erst kommen darf. Um jedoch zu verhindern, dass sich „ihre Bedränger“ (V.27b: ĘġĜīĩ) die Bezwingung des Gottesvolkes als eigene Leistung zuschreiben, muss JHWH auf die angekündigten Strafmaßnahmen verzichten (vgl. V.27b bzw. V.27c: „auf dass sie nicht…“). Die Identität des „Feindes“ bzw. der „Bedränger“ bleibt indes schattenhaft. Weder die formelhafte Bezeichnung als „Nicht-Volk“ (V.21c: ĠĥČēğ) und „törichte Nation“ (V.21d: ğĔģĜĘĕ) noch die allgemeine Kriegsmetaphorik (vgl. V.25) ermöglichen eine eindeutige Festlegung.128 Im Guten wie im Schlechten, d.h. als Instrument für JHWHs Zorn wie als Verächter seiner Macht, ist nicht der Feind als solcher Gegenstand der Reflexion. Von Bedeutung ist ausschließlich der Einfluss, den das Verhalten des Feindes im Angesicht des Gottesvolkes haben könnte. Zwar kann sich JHWH des Feindes als Mittel bedienen und sein Volk damit züchtigen, andererseits aber besteht die Gefahr, dass die vernichtende Gewalt des Feindes missverstanden wird und JHWHs Macht in Frage stellt. Indem JHWH nun die Bewahrung seiner Ehre zum Kalkül erklärt, ist seine Autorität auch angesichts ausbleibender Strafe vorerst gesichert.129
geschichtlichen Vorgänge herausführt und an einem Selbstgespräch in der Tiefe des göttlichen Herzens teilnehmen läßt“. 125 Für die Übersetzung vgl. Kap. 1 Anm. 30. 126 Vgl. GK §106 p und den Einsatz mitĜğĘğ („wenn nicht“) in V.27 sowie STEUERNAGEL 1900, 119: „in Wirklichkeit hat Jahve nicht so gesprochen“. 127 V.27c–d: ĭ ēęČğĞğĥħėĘėĜēğĘėġīĘģĖĜ. 128 Vgl. die Ausführungen zu V.21 u.a. bei KLOSTERMANN 1893, 301–303; SANDERS 1996, 36–40; CHRISTENSEN 2002, 807: „The terms used here are poetic in nature, used in analogy with ‘no-god’ with no specific nation in mind“; NELSON 2002, 373: „The identity of this group is deliberately obscured“. Dagegen finden sich eindeutige Identifikationen z.B. bei EWALD 1857, 42 („die Assyrer“); KNOBEL 1861, 325.331 („die Syrer“); STEUERNAGEL 1900, 118; BUDDE 1920, 28–29 (beide identifizieren mit Verweis auf Ps 74,18: ğĔģĠĥ, die „Chaldäer“ DOV ğĔģĜĘĕ aus Dtn 32,21), ebenso schon Tg Pseudo-Jonathan, übers. bei CLARKE 1998, 92–93; SELLIN 1925, 164 u.ö. („die Samaritaner“); EISSFELDT 1958, 22–24.41 („die Philister“). Für weitere Identifizierungen und entsprechende Datierungsversuche vgl. EBD., 22–23; OTTO 2017, 2158. 129 Vgl. VON RAD 1968, 142: „Hier hat die Mitteilung dieser Erwägung eine ausgesprochen ätiologische Funktion, denn es geht um die Beantwortung der Frage, warum denn Jahwe sein Volk trotz so schwerer Versündigungen doch nicht verstoßen hat.“
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Doch damit sind die Ausführungen zu JHWHs Plänen noch nicht abgeschlossen. Es folgt eine verschachtelte Begründung des eben Erwogenen (V.28–33).130 Da eine neue Redeeinleitung erst in V.37 steht, legt das Moselied nahe, dass JHWH in V.28 weiterspricht. Die Gottesrede kehrt also nach dem Selbst- (V.26aȕ.b) und dem Fremdzitat (V.27cȕ.d) auf die Redeebene der Verse 20–25.26aĮ.27a–cĮ zurück. Für das Verständnis der folgenden beiden Verse tun sich aber zwei Alternativen auf. V.28–29 könnten sich entweder auf den Hochmut der Feinde beziehen oder auf die in V.26 geäußerte Absicht JHWHs, sein Volk „auszulöschen“. Die Frage ist also, ob mit der „Nation“ (ĜĘĕ), „die an Plänen zugrunde geht“, in V.28 die Feinde gemeint sind oder das Gottesvolk. Rein grammatikalisch lässt sich keine klare Antwort geben. Dtn 32,26–29: 26 27
28 29
a b a b c d a b a b
Ich hätte gesagt: ‚Ich werde sie auslöschen, ĠėĜēħēĜĭīġē ich will ihr Andenken vom Menschen wegnehmen!‘, ĠīĞęĬĘģēġėĭĜĔĬē ī ĘĕēĔĜĘēĤĥĞĜğĘğ wenn ich nicht die Beleidigung durch den Feind fürchtete. ĘġĜīĩĘīĞģĜČĢħ Auf dass ihre Bedränger es nicht verkennen, ėġīĘģĜĖĜĘīġēĜČĢħ auf dass sie nicht sagen: ‚Unsere Hand ist erhaben ĭ und nicht JHWH hat dies alles getan!‘ ēęČğĞğĥħėĘėĜēğĘ Denn sie sind eine Nation, die an Plänen zugrunde geht, ėġėĭĘĩĥĖĔēĜĘĕČĜĞ ėģĘĔĭĠėĔĢĜēĘ und in ihnen ist keine Einsicht. Wenn sie weise wären, könnten sie dies begreifen, ĭ ēęĘğĜĞĬĜĘġĞĚĘğ auf ihr Ende achten. ĠĭĜīĚēğĘģĜĔĜ
Versteht man das Pronomen ėġė („sie“) in V.28a als unmittelbare Anknüpfung an das Feindeszitat, so würde die Überheblichkeit des Feindes mit seiner fehlenden Einsicht begründet: Die „Bedränger“ verkennen JHWH (vgl. V.27), denn „sie sind eine Nation, die an Plänen zugrunde geht, und in ihnen ist keine Einsicht.“131 Ebenso gut schließt der Satz allerdings an JHWHs eigentlichen Zornesausbruch an, falls das Pronomen auf sein Volk bezogen wird. In diesem Fall würde dessen Strafwürdigkeit betont: JHWH hätte Grund, sein Volk auslöschen zu wollen (vgl. V.26), denn „sie sind eine Nation, die an Plänen zugrunde geht, und in ihnen ist keine Einsicht.“132 Einen logischen Schluss, der
130
Für einen Überblick über die Kommunikationsstruktur in V.28–36 vgl. MARKL 2012, 233, dessen Deutung weitgehend mit der im Folgenden vorgeschlagenen übereinstimmt. Allerdings ist gegen Markl V.28–29 noch der Gottesrede zuzurechnen, vgl. hierzu das Folgende. 131 So BERTHOLET 1899, 99; VON RAD 1968, 142; NELSON 2002, 375 (obwohl er die Deutung auf Israel nicht ausschließt); OTTO 2017, 2187; auch ROSE 1994, 570; TIGAY 1996, 310; LUNDBOM 2013, 893, die jedoch einen von JHWH unterschiedenen Sprecher annehmen, sowie STEUERNAGEL 1900, 119, der von einem Sprecherwechsel zwischen V.28 (JHWH) und V.29 (Kommentator) ausgeht. 132 So auch DILLMANN 1886, 406, aber mit der Annahme, dass V.28–30 nicht Rede JHWHs, sondern des „Dichters“ (EBD., 405) ist; weiterhin S.R. DRIVER 1902, 370; LINDER
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die rhetorische Anlage des Liedes berücksichtigt, hat August Klostermann formuliert: Aber es wäre doch wohl die allersonderbarste Geschwätzigkeit, wenn in einer Rede, die Israels Vergangenheit und Gegenwart zur Predigt für die Menschheit machen will, der Redner entweder in eigener Person oder im Munde Jahves über den Unverstand derjenigen Kreise, welche Israel dermalen besonders bedrücken oder bedrängen werden, so viel Worte verlöre, obwohl er von diesem Unverstande für Jahves Ehre nur in einem Falle zu fürchten hätte, der durch V. 26. 27 ausdrücklich als nicht wirklich bezeichnet worden ist, und noch verwunderlicher wäre es, daß der Dichter oder Jahve den Unverstand dieser Feinde beklagt haben sollte, nicht etwa weil Israel darunter zu leiden hätte, sondern im eigenen Interesse der Feinde.133
Eine Reihe von Beobachtungen (vornehmlich im Bereich der Semantik) stützt die Position Klostermanns, unter der „Nation“ von V.28 JHWHs eigenes Volk zu verstehen. Bereits der demonstrative Gebrauch des Pronomens (ėġė) erinnert stark an die Gegenüberstellung JHWHs und seines Volkes in V.20–21: 20
21
a Und [JHWH] sagte: Ich will mein Angesicht vor ihnen ĠėġĜģħėīĜĭĤēīġēĜĘ verbergen, ĠĭĜīĚēėġėēīē b sehen, was ihr Ende ist, c denn eine Generation von Verkehrtheiten sind sie, ėġėĭĞħėĭīĘĖĜĞ ĠĔĢġēČēğĠĜģĔ d Söhne, in denen keine Treue ist. ğēČēğĔĜģĘēģĪĠė a Sie haben mich gereizt durch einen Nicht-Gott, ĠėĜğĔėĔĜģĘĤĥĞ b beleidigt durch ihre Nichtse. ĠĥČēğĔĠēĜģĪēĜģēĘ c So will ich sie reizen durch ein Nicht-Volk, ĠĤĜĥĞēğĔģĜĘĕĔ d durch eine törichte Nation will ich sie beleidigen.
1924, 401–402; MARKL 2012, 232, aber auch schon Tg Neophyti, übers. bei MCNAMARA 1997, 156 (V.29) mit einer inhaltlichen Zuspitzung: „If Israel were wise they would learn the Law, they would consider what is to happen in their future.“ CHRISTENSEN 2002, 803, beschreibt die Uneindeutigkeit der Stelle: „The transition from the end of YHWH’s speech in v 27 to the beginning of Moses’ concluding narration in v 29 appears to be deliberately ambiguous, as the words of v 28 make sense in reference to the enemy nation as well as to Israel.“ 133 KLOSTERMANN 1893, 316–317.
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Die Charakterisierung der „Nation“ in V.28–29 als hoffärtig und dumm ähnelt den Aussagen über JHWHs Volk in V.5–6:134 5 6
a b a b c d
Vergangen haben sich an ihm seine Nicht-Söhne,135 eine verkehrte und verdrehte Generation. Tut ihr JHWH dies an, törichtes und unweises Volk? Ist er nicht dein Vater, der dich geschaffen, er, der dich gemacht und dich zugerüstet hat?
ĘĜģĔēğĘğĭĚĬ ğĭğĭħĘĬĪĥīĘĖ ĭ ēęČĘğġĕĭėĘėĜğČė ĠĞĚēğĘğĔģĠĥ ĝģĪĝĜĔēēĘėČēĘğė ĝģģĞĜĘĝĬĥēĘė
Dort schloss sich dem Vorwurf der törichten Geschichtsvergessenheit der Verweis auf die Tradition der Väter an, vgl. V.7: 7
a b c d
Gedenke der Tage der Vorzeit, betrachtet die Jahre aller Generationen. Frage deinen Vater, dass er dir berichte, deine Ältesten, dass sie es dir sagen.
ĠğĘĥĭĘġĜīĞę ī ĘĖĘČīĘĖĭĘģĬĘģĜĔ ĝĖĕĜĘĝĜĔēğēĬ ĝğĘīġēĜĘĝĜģĪę
Entsprechend konstatiert JHWH in V.28b, es fehle dem Volk an „Einsicht“ (ėģĘĔĭ), um aus der Geschichte zu lernen. Was V.7 einforderte, wird in V.29 vorläufig für gescheitert erklärt: 29
a Wenn sie weise wären, könnten sie dies begreifen, b auf ihr Ende achten.
ĭ ēęĘğĜĞĬĜĘġĞĚĘğ ĠĭĜīĚēğĘģĜĔĜ
Die wörtlichen Übereinstimmungen in V.6–7 und V.29 sind bemerkenswert: Noch ist das „unweise“ Volk (V.6b: ĠĞĚēğ) nicht „weise geworden“ (V.29a: ĘġĞĚ Ęğ); die Aufforderung, die Vergangenheit zu „betrachten“ (vgl. V.7b: ĘģĜĔ), erscheint abgewandelt zu dem Ziel, auf das Ende zu „achten“ (vgl. V.29b: ĘģĜĔĜ). Auch die Rede vom „Ende“ (ĭĜīĚē) deutet auf das Gottesvolk hin. In V.20 hatte JHWH angezeigt, das Geschick „seiner Söhne und Töchter“ (V.19b) hänge von seiner Zuwendung ab, und er selbst wolle sehen, „was ihr Ende ist“ (ĠĭĜīĚēėġ), wenn er sein Angesicht vor ihnen verberge. Ebenso müssten nach V.29 auch sie selbst diesem Zusammenhang Rechnung tragen und „auf ihr Ende achten“ (ĠĭĜīĚēğĢĜĔ). V.28–29 führen also nach dem einstweiligen Strafverzicht von V.27 aus, weshalb JHWHs Absicht, sein Volk zu schlagen, grundsätzlich berechtigt ist. Die in V.20–25 vorausgegangene lange Strafrede behält damit trotz der Selbstbeschränkung JHWHs ihre Gültigkeit. Gleichwohl
134
Vgl. MARKL 2012, 235–236 Anm. 452. Dagegen begründet OTTO 2017, 2188 seine Deutung auf die Feinde mit dem Postulat, der „das Unheil transzendierende Horizont eines Subtextes“ in V.15–25 bereite eine Sinnumkehrung der Vokabeln in V.28–29 vor, vgl. EBD., 2155.2187–2188. 135 Zur Literarkritik vgl. oben Abschnitt A.
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bringt die grammatische Unschärfe in V.28–29 ein eigenes Wahrheitsmoment zum Ausdruck: Das uneinsichtige Gottesvolk ähnelt seinen Feinden zum Verwechseln und verhält sich gerade darin besonders frevelhaft (vgl. V.16– 18.21a–b).136 Auch die rhetorische Frage in V.30 (ĦğēĖĚēĦĖīĜėĞĜē: „Wie verfolgt ein Einzelner Tausend…?“) scheint die Rede JHWHs zunächst einfach fortzusetzen, indem sie benennt, was seine Kinder als weises Volk zu erkennen hätten: Einsichtig auf ihr „Ende“ achtend (vgl. V.29) müssten sie begreifen, dass JHWH die Ursache hinter der zeitweiligen Übermacht der Feinde ist (vgl. V.30).137 Allerdings wird im vierten Kolon von V.30 plötzlich von JHWH in der dritten Person gesprochen. Wegen des Parallelismus der Ausdrücke „ihr Fels“ (V.30c: ĠīĘĩ) und „JHWH“ (V.30d) muss sogar das gesamte zweite Bikolon als Rede über JHWH begriffen werden. 138 Der Vortrag wird dadurch grammatisch inkonsistent. Von V.30 aus zurückblickend können verschiedene Deutungen erwogen werden: 139 Möglicherweise hat das redende Subjekt ohne Ankündigung bereits in V.28 gewechselt, so dass V.28–30 einem Sprecher oder einer Sprecherin zufallen, der bzw. die die Gottesrede kommentiert.140 Diese Lesart lässt sich allerdings nicht durch formale Beobachtungen untermauern. Gut erkennbar ist dagegen, dass das grammatische Profil in V.26–27 dem von V.28–29 sehr ähnlich ist. Es tauchen nach V.26–27 keine neuen Formen der ersten Person Singular auf,141 so dass das redende Ich in V.28–29 durch keinerlei Angaben von dem in V.26–27 unterschieden wird. Zudem werden die
136
Zum paränetischen Potenzial der Stelle vgl. CHRISTENSEN 2002, 808: „The ambiguity here as to whether vv 28–29 refer to Israel or to Israel’s enemies is probably intentional. The next section (vv 30–43) focuses attention specifically on Israel, whereas v 27 contains the very words of the enemy nation. Both that enemy nation and the people of Israel are ‘void of sense’ and with ‘no understanding’. The reason for God’s judgment is Israel’s lack of discernment. […] ‘If they were wise’ and would look with their eyes, and listen with their ears, and ‘comprehend this’ with their minds, ‘they would understand what their end would be,’ and they could choose to turn and be healed.“ 137 So z.B. S.R. DRIVER 1902, 371; BUDDE 1920, 33; MARKL 2012, 234 Anm. 444. Anders DILLMANN 1886, 406, der V.29 nur auf das vorher Gesagte zurückbezieht. 138 Vgl. DILLMANN 1886, 406. 139 Vgl. BUDDE 1920, 32–33 zu V.28–31: „Freilich sucht man volle Klarheit über die Frage, wer hier redet, und von wem die Rede ist, fast in allen Kommentaren vergeblich, und oft genug bleibt man sogar ungewiß, wie der Ausleger selbst den Zusammenhang aufgefaßt hat“. Budde selbst nimmt an, V.28–35 setze zwar die JHWH-Rede (über die Feinde) fort, V.30–31 aber sei ein weiteres Feindeszitat. 140 Vgl. DILLMANN 1886, 405; S.R. DRIVER 1902, 370; ROSE 1994, 570; TIGAY 1996, 310; MARKL 2012, 233; LUNDBOM 2013, 893; OTTO 2017, 2187. 141 Vgl. die Schattierung für die Formen der ersten Person Singular (= JHWH): .
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Formen der dritten Person Plural (Pronomina, Suffixe und Verbformen)142 wie in V.26–27 so auch in V.28–29 ganz selbstverständlich für das, worüber gesprochen wird, weiterbenutzt. Dtn 32,26–29: 26 27
28 29
a b a b c d a b a b
Ich hätte gesagt: ‚Ich werde sie auslöschen, ĠėĜēħēĜĭīġē ich will ihr Andenken vom Menschen wegnehmen!‘, Ġī ĞęĬĘģēġėĭĜĔĬē wenn ich nicht die Beleidigung durch den Feind fürchtete. ī ĘĕēĔĜĘēĤĥĞĜğĘğ Auf dass ihre Bedränger es nicht verkennen, ĘġĜīĩĘīĞģĜČĢħ auf dass sie nicht sagen: ‚Unsere Hand ist erhaben ėġīĘģĜĖĜĘīġēĜČĢħ und nicht JHWH hat dies alles getan!‘ ĭ ēęČğĞğĥħėĘėĜēğĘ Denn sie sind eine Nation, die an Plänen zugrunde geht, ėġėĭĘĩĥĖĔēĜĘĕČĜĞ und in ihnen ist keine Einsicht. ėģĘĔĭĠėĔĢĜēĘ Wenn sie weise wären, könnten sie dies begreifen, ĭ ēęĘğĜĞĬĜĘġĞĚĘğ auf ihr Ende achten. Ġĭ ĜīĚēğĘģĜĔĜ
Dies bedeutet, dass auf der Textoberfläche weder die Sprecherrolle noch das Thema der Rede in V.26–29 verändert wird. 143 In V.30 wechseln dagegen plötzlich alle Bezüge. Während V.26–29 von einer Gruppe redeten und dementsprechend in V.29 Verben der dritten Person Plural verwendet wurden, bietet V.30a–b im Kontrast dazu die dritte Person Singular (ĦĖīĜ: „[er] verfolgt“) und kein einziges Element expliziter Anknüpfung. Vielmehr wird JHWH, der zuvor in V.26–29 durchgehend als Sprecher impliziert war, in V.30c–d ausdrücklich als neues Subjekt eingeführt (Renominalisierung). Ferner ergänzten Suffixe der dritten Person Plural (als Verweise auf das Volk) in V.26 die Aussagen JHWHs, die dort in erster Person formuliert waren (ĠėĜēħē: „ich werde sie auslöschen“; ĠīĞęĬĘģēġėĭĜĔĬē: „ich will ihr Andenken vom Menschen wegnehmen“). In V.30c–d hingegen liegen die entsprechenden Suffixe der dritten Person Plural für das Volk mit den Aussagen über JHWH in dritter Person144 grammatisch auf einer Ebene (ĠīĞġ ĠīĘĩ: „ihr Fels hat sie verkauft“; ĠīĜĕĤėėĘėĜ: „JHWH hat sie preisgegeben“).
142
Vgl. die Unterstreichungen durch Wellenlinien für die Formen der dritten Person Plural: . 143 Vgl. zum Phänomen der Sequenzbildung und den hierzu erforderlichen Kontinuitätssignalen HARDMEIER 2003, 64.121–122.125–128, insbes. 127: „Minimalsequenzen der Textkommunikation liegen dann vor, wenn sich in einer Satzfolge gleichartige Kontinuitätssignale über zwei oder mehrere Satzperioden hinweg mit – im Falle von Pronominalisierungen – unverändertem Rückbezug finden und/oder wenn die Satzart und die Anknüpfungsformen in einer Satzfolge unverändert bleiben.“ 144 Vgl. die Umrahmungen für die Aussagen über JHWH in dritter Person: .
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30
a b c d
Wie verfolgt ein Einzelner Tausend und Zweie schlagen Zehntausend in die Flucht, wenn nicht deshalb, weil ihr Fels sie verkauft und JHWH sie preisgegeben hat?
ĦğēĖĚēĦĖīĜėĞĜē ėĔĔīĘĤĜģĜĠĜģĬĘ Ġī Ğġ Ġī Ęĩ ČĜĞēğČĠē Ġī ĜĕĤė ėĘėĜ Ę
Die Perspektivenverschiebung in V.30 könnte als Stilmittel zur Intensivierung der JHWH-Rede interpretiert werden. Durch den Wechsel von der Ich-Perspektive in die Rede über Israels „Fels“ höbe sich JHWH sprachlich von sich selbst ab, um den Zuhörenden die richtige Deutung des Geschehens als abstrahierte Lehre vorzulegen.145 Doch zweifellos unterscheidet sich V.30 hinsichtlich des Ausdrucks deutlich von der vorhergehenden JHWH-Rede. Die in eine rhetorische Frage gekleidete Sentenz146 bezeugt eine beobachtende, weitaus distanziertere Haltung zu den Begebenheiten als die explizit tadelnden Worte in V.28–29. Am Beginn von V.31 aber verändert sich die Perspektive erneut, da nun nicht mehr über JHWH und sein Volk, sondern vielmehr aus der Sicht des Volkes gesprochen wird.147 Zwar wird der veränderte Standpunkt nicht als solcher explizit gemacht, doch die Wendung „unser Fels“ (V.31a: ĘģīĘĩ) identifiziert die sprechende Person als Teil des Volkes, in dessen Namen sie sich über JHWH und die Feinde äußert:148 31
a Ja, nicht wie unser Fels ist ihr Fels b und unsere Feinde sind Vollstrecker.
ĠīĘĩ Ęģī Ęĩ ĞēğĜĞ ĠĜğĜğħĘģĜĔĜēĘ
Der Blickwinkel der bzw. des ungenannten Sprechenden in V.31 entspricht dem des Liedanfangs.149 In V.31 nimmt die Rede dann auch das Felsmotiv aus V.4 auf150 und knüpft damit zugleich an die Sentenz von V.30 an.151 Trotzdem stehen V.30 und V.31 nicht nur grammatisch, sondern auch inhaltlich zueinander im Widerspruch. Im Gegensatz zu V.30, in dem das zerstörerische Handeln JHWHs gegen sein Volk dem Feind in die Hände spielte, betont V.31 die Distanz zwischen JHWH und dem Feind samt dessen Gottheit.152
145
Vgl. NELSON 2002, 375: „The erroneous logic of vv. 27–28 is countered by the correct reasoning of vv. 29–30.“ 146 Zu V.30a–b vgl. Lev 26,8; Jos 23,10; Jes 30,17 sowie die Motivanalyse in Kap. 3.3.16. 147 Vgl. NELSON 2002, 376: „Verses 31–33 return to an evaluation of the foe“; sowie schon Rashbam (der bis einschließlich V.30 JHWH als Sprecher annimmt) zu V.31, zit. bei CARASIK 2015, 230: „Moses is now speaking in his own voice.“ 148 Vgl. die Unterstreichungen durch gestrichelte Linien für die Formen der ersten Person Plural: . 149 Vgl. V.3b:ĘģĜėğēğğĖĕĘĔė(„gebt unserem Gott Ehre!“). 150 Vgl. V.4a:ĘğĥħĠĜġĭīĘĩė („Der Fels, vollkommen ist sein Werk!“). 151 Vgl. V.30c: ĠīĞġĠīĘĩČĜĞ („weil ihr Fels sie verkauft hat“) sowie auch die Erwähnungen des „Felsens“ in V.18 (ebenfalls in direkter Rede der sprechenden Person an die Zuhörenden) und V.37 (JHWH-Rede). 152 Vgl. V.31a: ĠīĘĩĘģīĘĩĞēğ („nicht wie unser Fels [d.h. JHWH] ist ihr Fels“).
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Schließlich ist in V.32–33 fraglich, ob hier in der dritten Person von JHWHs Volk153 oder von den Feinden154 die Rede ist: 32
33
a b c d a b
Ja, vom Weinstock Sodoms ist ihr Weinstock und aus den Weingärten Gomorras. Ihre Weinbeeren sind giftige Weinbeeren, bittere Trauben haben sie. Drachengift ist ihr Wein und grausames Schlangengift.
ĠģħĕĠĖĤĢħĕġČĜĞ ėīġĥĭġĖĬġĘ ĬĘīČĜĔģĥĘġĔģĥ ĘġğĭīīġĭğĞĬē ĠģĜĜĠģĜģĭĭġĚ ī ęĞēĠĜģĭħĬēīĘ
Zwar sind die grammatischen Bezüge in V.31 eindeutig. Das dort zuletzt genannte Subjekt sind die Feinde des Volkes (vgl. V.31b: „unsere Feinde“) und der Text bietet keinerlei Anzeichen dafür, dass mit der dritten Person Plural in V.32 ein anderes Subjekt gemeint wäre als in V.31.155 Zudem scheint die syntaktische Einheitlichkeit in V.31–33 gegen einen plötzlichen Bruch zu sprechen. Alle drei Verse bestehen ausschließlich aus sehr ähnlich gestalteten nominalen Wendungen.156 Durch den gleichlautenden Anfang mit der Partikel ĜĞ werden die Aussagen der Verse 31 und 32 koordiniert und in ihrer Bedeutung gleichgeordnet. 157 Insofern müssten die Herabsetzungen in V.32–33 (wie V.31b) als Charakterisierungen der Feinde des JHWH-Volkes aufgefasst werden.158 Als ihr Hauptmerkmal erweist sich ihre Verdorbenheit: Dem verderbten Ursprung159 der Feinde entspricht ihre verdorbene Frucht160 und eine ganz und
153
Vgl. z.B. SCHALLMEYER 1788 z.St. (ohne Seitenzählung); KNOBEL 1861, 333; KLOSTERMANN 1893, 328–329; RIESSLER 1913, 123; KÖNIG 1917, 211; LINDER 1924, 402–403; BOSTON 1966, 113–115, aber auch schon Tg Neophyti, übers. bei MCNAMARA 1997, 157; Rashi; Rashbam, beide zit. bei CARASIK 2015, 230. 154 Vgl. z.B. DILLMANN 1886, 407; STEUERNAGEL 1900, 119–120; S.R. DRIVER 1902, 372–373; BUDDE 1920, 36; VON RAD 1968, 142; ROSE 1994, 571; NELSON 2002, 376; MARKL 2012, 232; OTTO 2017, 2188. 155 Vgl. DILLMANN 1886, 407 (zu V.32–33): „gegenüber von V. 31 wiederum einen Wechsel der Beziehung der Suff[ixe] anzunehmen, ist sehr misslich“. 156 Die einzige Variation entsteht dadurch, dass das Prädikat dem Subjekt mehrheitlich vorangestellt wird (vgl. V.31a.32a.33a), diesem aber auch nachfolgen kann (vgl. V.31b.32c). 157 Vgl. DILLMANN 1886, 407; S.R. DRIVER 1902, 372. Anders STEUERNAGEL 1900, 119: „die Auffassung, dass das ĜĞ v. 32 dem von v. 31 parallel steht, ist nur eine im Notfall zulässige“ und wohl auch TIGAY 1996, 310–311, der V.28–31 als Unterbrechung der Gottesrede auffasst und diese in V.32 fortgesetzt sieht. 158 Vgl. DILLMANN 1886, 407; S.R. DRIVER 1902, 372–373; BUDDE 1920, 36; NELSON 2002, 376. 159 Vgl. V.32a: ĠĖĤ Ģħĕ („Weinstock Sodoms“); V.32b: ėīġĥ ĭġĖĬ („Weingärten Gomorras“). 160 Vgl. V.32c: ĬĘī ĜĔģĥ („giftige Weinbeeren“); V.32d: ĭīīġ ĭğĞĬē („bittere Trauben“) und dazu z.B. S.R. DRIVER 1902, 372; NELSON 2002, 376.
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gar verderbliche Wirkung.161 Die in ihrer Redundanz besonders eindringlichen Sprachbilder ließen sich als Warnung an Israel verstehen, sich nicht durch das Beispiel Fremder verführen und durch ihre Gottlosigkeit „vergiften“ zu lassen. Gegen diese Sichtweise sind v.a. in Anbetracht der Motivik von V.32–33 Einwände erhoben worden. Mit dem Hinweis, dass sowohl der Vergleich mit einer Weinpflanze als auch mit Sodom und Gomorra an anderen Stellen der Hebräischen Bibel häufig dem Volk Israel gilt,162 kann das ĜĞ in V.32 als emphatische Redeeinleitung gedeutet163 und der Inhalt von V.32–33 in Fortsetzung von V.26–29 auf Israel bezogen werden.164 Die Motivanalyse wird aber zeigen, dass neben Vergleichen mit Israel auch eine Reihe von Belegstellen für die Anwendung der Wein- und der Sodom-und-Gomorra-Motivik auf andere Völker existieren.165 Schwerer wiegt daher in der Diskussion über die Identifikation des in V.32–33 implizierten Subjekts der Verweis auf die Gesamtlogik des Moseliedes, die eindeutig dafür spricht, die strittigen Aussagen auf Israel zu beziehen: Zweifellos „hat dieses Lied es mit Israels religiöser Untreue als der Quelle seines vielfachen Mißgeschicks zu tun“.166 Schon V.5–6.19–20.28– 29 betonten die Verderbtheit des Volkes, so dass eine weitere Auseinandersetzung mit dieser Thematik in V.32–33 nicht überraschen muss.167 Während der klagende Ausruf von V.29 (ĘġĞĚĘğ: „Wenn sie weise wärenÄ“) jedoch die grundsätzliche Weisheitsfähigkeit des JHWH-Volkes voraussetzt, gehen V.32–33 offenbar nicht davon aus, dass Israel dem Ideal einer verständigen Nation noch entsprechen könnte. Die Gleichsetzung mit Sodom und Gomorra, den beiden Städten, die in der Erzählung der Genesis wegen ihrer notorischen Gottlosigkeit vernichtet wurden,168 unterstreicht zwar den Vorwurf gegenüber dem Volk, konterkariert aber zugleich den Anspruch, es zur Besserung zu bewegen.
Vgl. V.33: ī ęĞēĠĜģĭħĬēīĘĠģĜĜĠģĜģĭĭġĚ(„Drachengift ist ihr Wein und grausames Schlangengift“) und dazu DILLMANN 1886, 407–408; BUDDE 1920, 35–36; MARKL 2012, 232. 162 Vgl. KNOBEL 1861, 333; KÖNIG 1917, 211; LINDER 1924, 402–403, aber auch (obwohl sie selbst die Motivik auf die Feinde deuten) S.R. DRIVER 1902, 373; NELSON 2002, 376: „The image of these foes as a bad vine stands in sharp contrast to the customary use of vine and vineyard as images for Israel“. 163 So ausdrücklich bei KÖNIG 1917, 211. 164 Vgl. schon Rashi, zit. bei CARASIK 2015, 230: „This resumes v. 26. ‘I might have made their memory cease, for their deeds are those of Sodom and Gomorrah.’“ 165 Vgl. Kap. 3.3.18. 166 KÖNIG 1917, 211, vgl. BAUMANN 1956, 419: „Die Feinde und ihr Fels sind für das Lied durchaus kein Gegenstand der Betrachtung“; BOSTON 1966, 115. 167 Vgl. Tg Neophyti, übers. bei MCNAMARA 1997, 157 (V.32): „For the works of his people are comparable to the works of the people of Sodom, and their thoughts are comparable to the thoughts of the people of Gomorrah“. 168 Vgl. Gen 18–19 sowie Kap. 3.3.18.1. 161
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C. Zur Literarkritik in Dtn 32,30–33 Nicht alle Kommentierenden tragen den skizzierten Unstimmigkeiten in der Gedankenfolge des Liedes Rechnung. So fassen einige V.28–33 des Moseliedes schlicht als durchgehende Rede des Liedsängers auf und nehmen stillschweigend in Kauf, dass sich dessen Blickwinkel im Verlauf seiner Äußerungen verändert.169 Eduard Nielsen betrachtet auf Grund motivischer und sprachlicher Einzelbeobachtungen den gesamten Abschnitt V.28–35 als Einfügung im Zuge einer „judäischen Redaktion“.170 Bei anderen dagegen haben der unangekündigte zweifache Sprecherwechsel in V.30 und 31 und die dadurch entstehende Verwirrung um die Bezüge der auftauchenden Personen („wir“ bzw. „sie“) zu höchst disparaten literarkritischen Beurteilungen geführt. Paul Riessler sieht zunächst in V.30 den „Zusatz eines Spätern, der den Vers 29 auf die Heiden bezog“, und ferner in V.32–33 einen archaisierenden „Anhang zu V.29“. 171 Dagegen versteht Alfred Bertholet V.30–31 als eine Unterbrechung der Gottesrede, durch die V.28 (!) auf Israel bezogen werde.172 In V.32 erkennt er die eigentliche Fortsetzung von V.29. Dieser Meinung ist auch Hubert Irsigler und identifiziert zwei „nachinterpretierende Zusätze in der Gottesrede V.20–35: V.30 (zu zǀ()ގt V.29b) und V.31 (zu V.30).“173 Nach Ansicht Carl Steuernagels wiederum müssen V.29–31 sekundär sein, da in V.30–31, „von denen v. 29 nicht getrennt werden kann,“ die Rede zum „Dichter“ wechselt, „während vorher und nachher Jahve redet, ohne dass der Wechsel des Redenden irgendwie angedeutet wäre“.174 Steuernagel zufolge führten V.32–33 ursprünglich V.28 weiter. Als Begründung von V.30 begreift August Dillmann V.31–33, ohne dass er hieraus die Notwendigkeit ableitet, diese Verse als Zufügungen auszusondern.175
169
Vgl. DILLMANN 1886, 405; S.R. DRIVER 1902, 370–372; ROSE 1994, 570; LUNDBOM 2013, 893; OTTO 2017, 2187; leicht abgewandelt T IGAY 1996, 310–311, der die Gottesrede schon in V.32 fortgesetzt sieht. Wesentlich kritischer beschreibt dagegen schon Rashi die Problematik des Textes an dieser Stelle und referiert verschiedene Positionen zu den herrschenden Bezügen, zit. bei CARASIK 2015, 235 (im Anschluss an die Ausführungen zu V.43). Für Buddes Auffassung einer bis V.35 reichenden JHWH-Rede vgl. oben Anm. 139. 170 NIELSEN 1995, 285.291–292 mit Verweis auf eine gewisse Nähe zu Ps 78 (in V.29– 30), die Erwähnung von Sodom und Gomorra (in V.32–33) und die sprachliche Eigenart (in V.34–35). 171 RIESSLER 1913, 123. 172 Vgl. BERTHOLET 1899, 99. 173 IRSIGLER 1990, 162 Anm. 13. 174 STEUERNAGEL 1900, 119. 175 Vgl. DILLMANN 1886, 407.
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Gestützt auf die Beobachtungen zur sprachlichen Kohärenz in V.28–33 kann dagegen die gestaffelte Einfügung von drei Zusätzen plausibel gemacht werden: V.32–33; V.30; V.31. 28 29 30
31 32
33
a b a b a b c d a b a b c d a b
ėġėĭĘĩĥĖĔēĜĘĕČĜĞ Denn sie sind eine Nation, die an Plänen zugrunde geht, ėģĘĔĭĠėĔĢĜēĘ und in ihnen ist keine Einsicht. Wenn sie weise wären, könnten sie dies begreifen, ĭ ēęĘğĜĞĬĜĘġĞĚĘğ auf ihr Ende achten. ĠĭĜīĚēğĘģĜĔĜ ĦğēĖĚēĦĖīĜėĞĜē Wie verfolgt ein Einzelner Tausend ėĔĔīĘĤĜģĜĠĜģĬĘ und Zweie schlagen Zehntausend in die Flucht, ĠīĞġĠīĘĩČĜĞēğČĠē wenn nicht deshalb, weil ihr Fels sie verkauft ĠīĜĕĤėėĘėĜĘ und JHWH sie preisgegeben hat? Ja, nicht wie unser Fels ist ihr Fels ĠīĘĩĘģīĘĩĞēğĜĞ und unsere Feinde sind Vollstrecker. ĠĜğĜğħĘģĜĔĜēĘ ĠģħĕĠĖĤĢħĕġČĜĞ Ja, vom Weinstock Sodoms ist ihr Weinstock ėīġĥĭġĖĬġĘ und aus den Weingärten Gomorras. ĬĘīČĜĔģĥĘġĔģĥ Ihre Weinbeeren sind giftige Weinbeeren, ĘġğĭīīġĭğĞĬē bittere Trauben haben sie. Drachengift ist ihr Wein ĠģĜĜĠģĜģĭĭġĚ und grausames Schlangengift. ī ęĞēĠĜģĭħĬēīĘ
Die Abfolge und die Gründe der einzelnen Einfügungen sind folgendermaßen vorstellbar: Um die negative, aber vielleicht nicht hinreichend streng erscheinende Beurteilung Israels in V.28–29 zu verstärken, sind hier zunächst V.32– 33 angefügt worden (Zusatz 1).176 Dadurch unterstrich der Ergänzer oder die Ergänzerin – durchaus im Einklang mit dem ursprünglichen Lied –, dass die fehlende Einsicht des Volkes (vgl. V.28–29) keine akzeptable Haltung, sondern eine echte Sünde darstellt. Die gegenüber dem Rest des Liedes deutlich radikalere Ausdrucksweise, die statt einer Mahnung eher einer abschließenden Verurteilung gleichkommt, spricht aber dagegen, in V.32–33 die ursprüngliche Fortsetzung von V.29 zu sehen, wie Bertholet und Irsigler sie vermuteten.177 Vielmehr ist dem Urteil Riesslers zuzustimmen, der in V.32–33 einen „Anhang“ zu V.29 erkannte. Mit Riessler und Irsigler ist auch V.30 als Nachtrag zu identifizieren, der im Namen JHWHs präzisiert, was das Volk von V.29 „begreifen“ soll (Zusatz 2). 178 Diese Ergänzung konnte notwendig werden, nachdem der Aufruf zur
176
Vgl. BAUMANN 1956, 419 (der jedoch V.32–33 für ursprünglich hält): „Der Vorwurf von v. 28f erfährt mit v. 32f eine bedeutsame Vertiefung: Der Abfall kommt nicht aus Mangel an Einsicht, sondern aus bösem Willen!“ 177 BERTHOLET 1899, 99 identifiziert als Subjekt jedoch die „Feinde“. 178 Für diese Aussagetendenz vgl. EISSFELDT 1958, 12 (trotz der abweichenden Identifikation des Subjekts): „v. 30–31 führen Erwägungen vor, die Israels Feinde eigentlich anstellen müßten“; aber ähnlich (für V.27–30) schon Rashi, zit. bei CARASIK 2015, 230.
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Einsicht in V.29 durch den ersten Zusatz (V.32–33) von seinem eigentlichen Zielpunkt (in V.34) getrennt worden war.179 Allerdings verschob sich mit dem Zusatz von V.30 die Stoßrichtung der Paränese: Anstatt auf JHWHs zukünftiges Handeln im Gericht (vgl. V.34–35) wurde das Volk nun auf die konkrete Bedrohung durch die Feinde verwiesen, die JHWH zur Ausführung seiner Strafen einsetzen würde. Wenngleich V.30c–d davon spricht, dass JHWH der maßgebliche Akteur des Geschehens ist, so werden die Feinde doch durch die Formulierung von V.30a–b als Objekt der Reflexion in ihrer Existenz aufgewertet. Diesen Eindruck korrigiert (wie Irsigler andeutete) der letzte Zusatz in V.31, der noch einmal betont, dass hinter den Feinden keine eigene Macht steht, sondern dass das Tun der Feinde allein von JHWH abhängt (Zusatz 3). Die (unvermittelte) Perspektive der ersten Person Plural und die thesenhafte Formulierung deuten auf eine glossierende Hand hin,180 so dass die stilistische Ähnlichkeit von V.31 mit V.32–33 als (unwillkürliche) Anpassung an den bereits existierenden Text erklärt werden muss. Schließlich ergibt sich aus der Einfügung von V.31 aber auch ein neuer Bezug für die Aussagen von V.32–33. Die Abwertung der Feinde in V.31b erscheint nun als erstes Glied einer Reihe von Negativ-Charakterisierungen, die zwar innerhalb des Zusammenhangs von V.28–29.32–33 auf Israel (d.h. die „Nation“ aus V.28a) bezogen waren, aber durch die zwei aufeinander folgenden Einschübe V.30.31 auf der Ebene des Endtextes deutlich von ihrem früheren Referenzpunkt abgerückt wurden. Absichtlich oder unabsichtlich hat die Ergänzung von V.31 somit das verschärfte Urteil des ersten Zusatzes V.32–33 gegen Israel aufgehoben und stattdessen gegen die Feinde gewendet. Während Irsigler gegenüber Bertholet bereits mit zwei unabhängigen Einschüben in V.30.31 rechnete und Riessler sowohl V.30 als auch V.32–33 als Nachträge identifizierte, ist folglich anzunehmen, dass alle vier zwischen V.29 und 34 liegenden Verse (V.30.31.32–33) ursprünglich nicht zur Gottesrede gehörten. Erst in V.34 taucht das explizite singularische „Ich“ aus V.26–27 wieder auf,181 erkennbar an den Formen „bei mir“ (V.34a: ĜĖġĥ) und „in meinen Kammern“ (V.34b: ĜĭīĩĘēĔ). Mit der Frageformel ēĘėČēğė („Ist es nichtÄ?“) setzt JHWH die Rede von V.29 fort. Die entscheidende Rolle für die kontextuelle Verknüpfung fällt dabei dem Pronomen ēĘė („es“) in V.34a zu. Im überlieferten Endtext ist nicht auf den ersten Blick klar, womit es gleichgesetzt wird und
179
Zur Begründung des ursprünglichen Zusammenhangs von V.29.34 vgl. auch das auf diese literarkritischen Ausführungen Folgende. 180 Vgl. VOLKWEIN 1973, 202, aber auch schon Rashbam, zit. bei CARASIK 2015, 230, mit der Annahme, hier kommentiere Mose die vorausgehende Gottesrede. 181 Vgl. ROSE 1994, 571; FOKKELMAN 1998, 116; LUNDBOM 2013, 896 und schon Ibn Ezra, zit. bei CARASIK 2015, 231.
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was demnach bei JHWH „verwahrt“ und „versiegelt“ ist (vgl. V.34a.b). Die Mehrheit der Kommentierenden verzichtet auf literarkritische Operationen in V.32–33 und deutet das ēĘė aus V.34 anaphorisch auf den giftigen „Wein“ in V.33, wobei dieser „Wein“ entweder als Strafe182 oder aber als aufzubewahrende Sünde der Feinde aufgefasst wird.183 Der Ausdruck ēĘėČēğė ließe sich freilich auch kataphorisch interpretieren und auf V.35 beziehen.184 Das Verwahrte wäre dann der bei JHWH beschlossene „Tag ihres Verderbens“ (V.35c: ĠĖĜēĠĘĜ).185 Berücksichtigt man indes die oben dargestellten Ergebnisse der Literarkritik und sondert V.30–33 als Zusätze aus, wird sofort erkennbar, dass das unbestimmte ēĘė in V.34 mit dem „Ende“ (ĭĜīĚē) aus V.29 gleichzusetzen ist.186 Bevor die Gottesrede in die Sentenz von V.30 überging, war in V.29 zunächst das Pronomen ĭēę („dies“) mit dem Terminus ĠĭĜīĚē („ihr Ende“) parallelisiert worden: 29
a Wenn sie weise wären, könnten sie dies begreifen, b auf ihr Ende achten.
ĭ ēęĘğĜĞĬĜĘġĞĚĘğ ĠĭĜīĚēğĘģĜĔĜ
In der ursprünglichen Fassung der Gottesrede (V.20–29.34–35) erfüllt das Pronomen ēĘė („es“ bzw. „jenes“), das sich normalerweise auf bereits Bekanntes bezieht, eine dem ĭēę in V.29 komplementäre Funktion. 187 Die beiden
182
Vgl. TIGAY 1996, 311; LUNDBOM 2013, 896. 183 Vgl. DILLMANN BERTHOLET STEUERNAGEL S.R. DRIVER BUDDE ROSE 1994, 571 (als eine Möglichkeit, vgl. auch unten Anm. 185). Dagegen beziehen die Tgg Onqelos, vgl. BERLINER 1884, 236, und PseudoJonathan, vgl. CLARKE 1984, 5DVKL]LWEHLCARASIK 2015, 230–231, aber auch KÖNIG 1917, 211 das ēĘė in V.34 auf die Sünden Israels. Ganz außerhalb des Moseliedes sucht OTTO 2017, 2188 den Bezugspunkt für das ēĘė und findet ihn in Dtn 29,28: ėĘėĜğĭīĭĤģė („Die verborgenen Dinge sind für/bei JHWH“). 184 Vgl. grundlegend GK §136. Gleichwohl wird hier darauf verwiesen, dass der anaphorische Gebrauch des Pronomens ēĘė weit geläufiger ist, vgl. dazu das Folgende. 185 Vgl. BRAULIK 1992, 234; ROSE 1994, 571 (als eine weitere, von ihm eher abgelehnte Möglichkeit); FOKKELMAN 1998, 116–117. Alle drei vertreten dabei die Ansicht, dass sich das Possessivpronomen („Tag ihres Verderben“) auf die Feinde bezieht. Dagegen versteht KLOSTERMANN 1893, 332–333 unter dem ēĘė in V.34 die noch geheim gehaltene Erkenntnis „des Dichters“ von der künftigen Bestrafung Israels. 186 Vgl. CHRISTENSEN 2002, 818 (obwohl tentativ und mit Bezug auf die Feinde): „The word ēĘė, ‘that,’ refers to the ‘latter end’ of Israel’s enemies in v 29, or perhaps their calamity as announced in vv 32–33.“ 187 Vgl. GK §136 a: „Das Pronomen demonstr[ativum] ėĄę […] und das gleichfalls als Demonstrativum gebrauchte Pron[omen] personale ēţė […] unterscheiden sich so, daß ėĄę […] fast stets auf eine vorliegende (neue), dag[egen] ēţė […] auf eine schon erwähnte oder schon bekannte Person oder Sache hinweist […].“ In V.6.27 spielt diese Unterscheidung keine Rolle, da ĭēę beide Male nur auf das unmittelbar eingeführte Thema Bezug nimmt und der jeweilige Redegang dann damit abgeschlossen ist.
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Demonstrativpronomina ĭēę und ēĘė bezeichnen aus unterschiedlicher Perspektive dasselbe,188 indem sie auf das „Ende“ des Volkes vor- bzw. zurückverweisen.189 Was dann folgt, sind genauere Ausführungen zu diesem „Ende“. Die Zustimmung erheischende Frage von V.34–35: ēĘėČēğė („Ist es nicht…?“) appelliert an das Vertrauen der Zuhörenden, dass JHWHs Macht sich schließlich durchsetzen wird, auch wenn es zwischenzeitlich nicht danach aussieht. 190 JHWH betont, das Schicksal des Gottesvolkes (V.20.29: „ihr Ende“ bzw. V.34a: „es“) sei nicht den Feinden überlassen, sondern in seinen göttlichen „Kammern“ (V.34b: ĜĭīĩĘēĔ) „verwahrt“ (V.34a: ĤġĞ) und „versiegelt“ (V.34b: ĠĭĚ).191 Damit ist klar, dass auch das scheinbare Zugeständnis an die Feinde (vgl. V.26–27) nur ein vorübergehender Aufschub der angemessenen „Rache und Vergeltung“ (V.35a: ĠğĬĘĠĪģ) sein kann und das heraufbeschworene Strafgericht doch einmal kommen wird (vgl. V.20–25). Hingegen ist nicht eindeutig erkennbar, gegen wen sich die Drohung in V.35 richtet. Wie schon in V.28–29 sind die Suffixe der dritten Person Plural mehrdeutig.192 Ob „sie“, deren „Fuß wankt“ (V.35b) und deren „Verderben“ nahe ist (V.35c), hier das Volk JHWHs193 oder seine Feinde194 bezeichnet, kann wiederum nur aus dem Kontext geschlossen werden.195 Grundsätzlich könnte das angedrohte Gericht auf das Volk und seine Feinde gemeinsam abzielen, waren doch die Vergehen bereits einander gleichgesetzt worden.196 Für das Gottesvolk als intendierten Adressaten spricht zunächst die Tatsache, dass die
188
Vgl. mit Blick auf die unterschiedlichen Genera der Pronomina GK §136 b: „Im Sinne unseres Neutrum (=solches) steht ĭēć ę (seltener ėĄę) […], dag[egen] ēţė häufiger als ēĜėĂ .“ 189 Gerade weil ĭ ēę als Demonstrativum in der Regel auf etwas Folgendes vorverweist, konnte nach der Einfügung von V.30.31.32–33 das „Ende“ auch mit den folgenden Beschreibungen identifiziert werden. Sowohl die Auslieferung durch JHWH (V.30) als auch der giftige „Wein“ der Feinde (V.32–33) mochten dadurch als Spielarten des dräuenden „Endes“ (= „dies“) erscheinen. 190 Vgl. DILLMANN 1886, 408; VON RAD 1968, 142: „[Das Ergebnis in V.34–35] besteht darin, daß sich Jahwe seines nur ihm zustehenden Richter- und Rächeramtes erinnert“. 191 Vgl. SEYBOLD 2005, 74: „Die Vorstellung, die hier dominiert, ist die einer göttlichen Vorratskammer, wo die Zeiten der Zukunft (oder die Zukunftspläne) gehortet werden (ĜĭīĩĘēĔ). Sie liegen dort versiegelt (ĠĭĚ) und verborgen (ĜĖġĥ ĤġĞ) und warten darauf, dass der Termin für ihre Verwirklichung eintritt.“ 192 Vgl. V.35b: Ġğĕī („ihr Fuß“); V.35c: ĠĖĜē („ihr Verderben“); V.35d: Ęġğ („ihnen“). 193 So KNOBEL 1861, 334; MARKL 2012, 232.237.241, aber auch schon Tg Onqelos, übers. bei GROSSFELD 1988, 99; Tg Neophyti, übers. bei MCNAMARA 1997, 158; Tg Pseudo-Jonathan, übers. bei CLARKE 1998, 94. 194 So DILLMANN 1886, 408; S.R. DRIVER 1902 374; BUDDE 1920, 37; TIGAY 1996, 311; CHRISTENSEN 2002, 818; NELSON 2002, 376; OTTO 2017, 2155.2188–2190. 195 Vgl. z.B. DILLMANN 1886, 408, der mit Verweis auf V.42.43 annimmt, die Feinde seien gemeint, und dagegen MARKL 2012, 236, der JHWHs Handeln an Israel in V.7–14 zur Voraussetzung der Konzentration auf Israel auch in V.34–36 erklärt. 196 Vgl. oben zu V.28–29 und Anm. 136 sowie V.37–38 mit derselben Unsicherheit.
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gesamte wörtliche Rede JHWHs ab V.20 auf das Ergehen dieses Volks ausgerichtet war und an den Feinden lediglich hinsichtlich ihres Einflusses, nicht aber um ihrer selbst willen interessiert war.197 Auch hatte die JHWH-Rede direkt vor der Unterbrechung durch die kommentierenden Zusätze (V.30–33) in V.28–29 ebenfalls in der dritten Person von seinem Volk gehandelt.198 Schließlich knüpft V.35 inhaltlich an das zuvor mit Bezug auf JHWHs Anhängerinnen und Anhänger Gesagte an: Die rhetorisch kunstvolle Umkehrung des Frevels durch JHWH in V.21 („Sie habenÄ, so will ichÄ“) ist sachlich mit „Rache und Vergeltung“ (V.35a) angemessen wiedergegeben, während „das Bereitete“ (V.35d: ĭĖĭĥ) im Sinne des Künftigen und zu Erwartenden an das für das Volk heraufbeschworene „Ende“ (vgl. V.20.29) gemahnt. Doch gerade in dem Moment, da in der Rede JHWHs das wankende Volk (vgl. V.35b) von seiner Schuld eingeholt zu werden droht (vgl. V.35c–d), wird die Gottesrede unterbrochen.199 In den Worten von V.36 klingt die Überzeugung an, dass das Gericht JHWHs nicht nur Verderben bereit hält, sondern auf ein Zurechtbringen seines Volkes zielt. 200 Dies macht der Parallelismus der Verben ĢĜĖ („richten“ bzw. „Recht schaffen“)201 und ĠĚģ Hif („sich erbarmen“) in V.36a.b deutlich. Statt von der völligen Vernichtung des ungehorsamen Volkes (vgl. V.19– 25) geht der oder die Sprechende davon aus, dass JHWH sich am erwarteten „Tag ihres Verderbens“ (V.35c: ĠĖĜē ĠĘĜ) über seine wahren Anhängerinnen und Anhänger, d.h. „über seine Knechte“, „erbarmen wird“.202 JHWHs Initiative (vgl. V.36a–b) kontrastiert dabei mit der völligen Ohnmacht der Menschen, deren „Kraft geschwunden ist“ (V.36c). Laut V.20 hatte JHWH „sehen“ wollen, „was ihr Ende ist“, und er „sieht“ nun, dass sie allesamt „nichts“ mehr sind.203 Fasste man dagegen V.34–35 als Drohung gegen die Feinde des Volkes auf, wäre unverständlich, weshalb am Ende von V.36 noch von der Schwachheit
197
Vgl. BAUMANN 1956, 419–420. 198 Vgl. schon Rashi, zit. bei CARASIK 2015, 231 (zu V.35): „Up to this point, Moses has warned them reprovingly that this song will bear witness against them: ‘When the punishment comes upon them, they will realize that I told them so in advance.’ From this point on, the song testifies to the reassuring things that will come to them once the punishment is done with, as promised at the beginning of c[hapter] 30.“ 199 Vgl. für die Beobachtung DILLMANN 1886, 409; OTTO 2017, 2190; mit Begründung BUDDE 1920, 37: „Es wäre stillos im höchsten Grade, wenn der zornige Jahve gleichzeitig mit dem Urteil auch schon die Begnadigung ausspräche.“ 200 Vgl. ROSE 1994, 571: „Zur Wiederherstellung der Ordnung gehört, daß Gott seinem Volk ‚Recht schafft‘“; OTTO 2017, 2190: „soteriologisches Rechtshandeln“. 201 Zur Semantik von ĢĜĖ vgl. LIEDKE 1971, 445–HAMP 1977. Zur Übersetzung mit „richten“ im Moselied vgl. Kap. 3.3.19.2. 202 Vgl. V.36b: ĠĚģĭĜĘĜĖĔĥČğĥ und dazu VON RAD 1968, 142: „es handelt sich um einen rettenden Rechtsakt“. 203 Vgl. V.36c–d: ĔĘęĥĘīĘĩĥĤħēĘĖĜĭğęēČĜĞėēīĜĜĞ („…wenn er sieht, dass die Kraft geschwunden ist und nichts mehr sind Gebundener und Freier“) und dazu MARKL 2012, 234 Anm. 442.
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des JHWH-Volkes die Rede sein sollte, nachdem JHWH sich doch schon in V.35 gegen die Feinde (und damit gegen die Unterdrücker des Volkes) gewandt hätte.204 Es bliebe nur die Möglichkeit, das ĜĞ am Anfang von V.36 kausal zu verstehen und in V.36a–b die Begründung für das in V.35c–d Geschilderte zu sehen. 205 Dadurch aber würde letztlich die Schwächung der Feinde (vgl. V.35b) mit der vorausgegangenen Schwächung des Volkes durch die Feinde (vgl. V.36c–d) begründet206 und JHWHs alleinige „Kompetenz der ‚rächenden‘ und ‚vergeltenden‘ Wiederherstellung der Ordnung“207 zugunsten einer selbst JHWH bezwingenden Wirkmächtigkeit der Feinde in Frage gestellt. Diese Aussageabsicht kann dem Moselied speziell mit Blick auf V.27 nicht unterstellt werden.208 Ebenso machtlos wie das Volk erscheinen indes auch die (falschen) Götter, auf die es seine Hoffnung gesetzt hatte. Nach ihnen lässt V.37 wieder JHWH fragen, womit die Gottesrede (diesmal explizit) 209 fortgeführt wird. Wieder könnten sich die Markierungen der dritten Person Plural in V.37.38a–b sowohl auf das Volk JHWHs210 als auch auf dessen Feinde211 beziehen (vgl. V.37a: „ihre Götter“; V.37b: „auf den sie vertraut haben“; V.38a: „das Fett ihrer Opfer“; V.38b: „den Wein ihres Trankopfers“).212
204
Seltsamerweise nimmt die Mehrheit der Kommentierenden zwar an, V.34–35 zielten auf die Feinde, gleichzeitig aber beschreiben fast alle den Übergang zu V.36 als plötzliches Einlenken JHWHs, was dann wenig stimmig ist, vgl. DILLMANN 1886, 409: „Wendung zum Besseren“; S.R. DRIVER 1902, 375: „the extremity of their need will move Him to take compassion upon them“; NELSON 2002, 376: „Yahweh’s mood changes and divine anger moderates“. 205 Die Übersetzung müsste dann etwa lauten: „Ja, nahe ist der Tag ihres [d.h. der Feinde] Verderbens und das ihnen Bereitete eilt herbei. Denn Recht schaffen wird JHWH seinem Volk und über seine Knechte sich erbarmen.“ Vgl. STEUERNAGEL 1900, 120; S.R. DRIVER 1902, 373; ROSE 1994, 565. 206 So tatsächlich STEUERNAGEL 1900, 120; S.R. DRIVER 1902, 375. Für die Deutung von V.36 als Ausdruck von JHWHs souveräner Richtergewalt vgl. aber KÖNIG 1917, 214; VON RAD 1968, 142; NELSON 2002, 376. 207 ROSE 1994, 571. 208 Wesentlich einleuchtender Rashi zu V.36a, zit. bei CARASIK 2015, 231: „This phrase is not explaining the previous verses but beginning something new.“ 209 Zu den Varianten der Redeeinleitung vgl. Kap. 1 Anm. 37. 210 So DILLMANN 1886, 409–410; STEUERNAGEL 1900, 120; S.R. DRIVER 1902, 377; BUDDE 1920, 38; BOSTON 1966, 125–128; NIELSEN 1995, 292; TIGAY 1996, 312. 211 So EWALD 1857, 62; MAYES 1981, 392; ROSE 1994, 571; OTTO 2017, 2190. 212 Vgl. oben zu V.28–29 sowie die Unterstreichungen durch Wellenlinien für die Formen der auf Menschen bezogenen dritten Person Plural: .
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a b a b c d
Und er wird sagen: „Wo sind ihre Götter, der Fels, auf den sie vertraut haben, die das Fett ihrer Opfer essen, trinken den Wein ihres Trankopfers? Sie sollen sich erheben und euch helfen, sein über euch ein Schutzschirm.“
ĘġĜėğēĜēīġēĘ ĘĔĘĜĤĚīĘĩ ĘğĞēĜĘġĜĚĔęĔğĚīĬē ĠĞĜĤģĢĜĜĘĭĬĜ ĠĞīęĥĜĘĘġĘĪĜ ėīĭĤĠĞĜğĥĜėĜ
Dass tatsächlich die Angehörigen des Gottesvolkes als Götterverehrende identifiziert werden, liegt nahe, nachdem schon in V.20–25.28–29.34–35 ebenfalls aus dem Munde JHWHs von ihnen in der dritten Person die Rede war. Doch die Hörerschaft wird dazu herausgefordert, auf Grund der genannten Vorwürfe selbst zu überprüfen, wem die Anklage gilt. Wer unter den Hörenden sich an Götter neben JHWH gehalten und ihnen „geopfert“ hat, wird nun von JHWH darauf angesprochen und zur Rechenschaft gezogen. Dabei erfüllen die zwangsläufig ins Leere laufende Frage: „Wo sind ihre Götter Ä?“ (V.37a) und JHWHs anschließender Aufruf an die fremden Götter, sich schützend für ihre Anhängerinnen und Anhänger zu erheben (V.38c–d) eine aufdeckende Funktion.213 Wenn sich die „Götter“ nicht wie gewünscht „erheben“ (V.38c), werden diejenigen, die darauf vertraut hatten, dadurch ihrer fehlgeleiteten Überzeugung überführt.214 Nachdem JHWH in V.37.38a–b von diesen Menschen wie von den Göttern nur in dritter Person gesprochen hatte, werden in V.38c– d die Anhänger und Anhängerinnen der Götter mittels der Suffixe in zweiter Person Plural plötzlich auch direkt angesprochen (vgl. V.38c: „euch helfen“; V.38d: „sein über euch ein Schutzschirm“).215 Dies erinnert an die Anreden innerhalb des Rückblicks (vgl. V.6.7.17.18),216 die die Schilderung immer wieder unterbrachen, um die Hörerschaft zur erzählten Geschichte in Beziehung zu setzen.217 So fordert auch der abrupte Perspektivwechsel zwischen dem ersten und zweiten Bikolon in V.38 gerade von denen, die sich als Volk JHWHs verstehen, die selbstkritische Anerkennung der wahren Machtverhältnisse, d.h. die Absage an alle fremden „Götter“ (V.37a), die nicht „helfen“ (V.38c).218
213
Vgl. NELSON 2002, 376–377: „Yahweh is […] for rhetorical purposes, adopting Israel’s apostate point of view.“ 214 Vgl. DILLMANN 1886, 410: „Die Gottesstimme, die aus den Thatsachen zu dem mürbe gewordenen Volke redet, wird in Worte Gottes gefasst“; VON RAD 1968, 142 mit der Aussage, das Lied stütze sich auf das „schon innergeschichtlich wahrnehmbare Versagen der Götzen“. 215 Vgl. oben die entsprechenden Hervorhebungen der Formen der zweiten Person Plural. 216 Außerdem die Zusätze V.14.15. 217 Vgl. NELSON 2002, 377. 218 Vgl. ROSE 1994, 571–572: „Die zweite Hälfte von V.38 ist zur direkten Anrede eines ‚Ihr‘ übergegangen: Damit sind in erster Linie die fremden Völker gemeint, die sich vor dem J|WWOLFKHQ *HULFKW ]X YHUDQWZRUWHQ KDEHQ HV VROOHQ VLFK DEHU DXFK DOOH GLH ,VUDHOLWHQ angesprochen fühlen, die nicht in aller Treue Jahwes ‚Diener‘ sind (V.36), sondern in der
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Die so erwiesene Machtlosigkeit der Götter bildet ferner einen Hintergrund, vor dem sich die machtvollen Selbstprädikationen JHWHs in V.39 umso strahlender abheben.219 Nicht die eigentliche Argumentation verleiht der Gottesrede hier Überzeugungskraft, sondern die Form der Anrede. Die Aufmerksamkeit der Hörenden wird am Anfang von V.39 plötzlich gefesselt. Mit dem Aufruf „Seht nun“ (V.39a: ėĭĥĘēī) werden sie nicht nur angeredet, sondern durch die ausdrückliche temporale Markierung („nun“) auch in ihrer eigenen Gegenwart erreicht. JHWH selbst verschafft sich hier Gehör und lenkt die Aufmerksamkeit auf sich.220 Wenngleich es sich bei V.39 strenggenommen um eine für die Zukunft angekündigte Aussage handelt,221 mithin ein noch nicht gegenwärtiges „Jetzt“ vorweggenommen wird, so unterbricht der Appell doch die thematische Entfaltung des Liedes und schafft eine direkte Verbindung zur Hörerschaft.222 Der weitere Vers bündelt dann im Munde JHWHs Aussagen, die für das Gottesbild des Moseliedes zentral sind: Es gibt keinen Gott neben ihm und seine Macht ist umfassend und einzigartig.223 Damit sagt JHWH über sich aus, was anderen Göttern abgesprochen wird.224 Während diese anderen vergeblich gesucht werden (vgl. V.37a), ist JHWH allein merklich gegenwärtig (V.39a.b); zu „fürchten“ waren keine anderen Götter (vgl. V.17d), sondern JHWH, der „tötet“ und „schlägt“ (V.39c.d); andere Götter „helfen“ nicht und sind kein „Schutzschirm“ (vgl. V.38.39e), aber JHWH „macht lebendig“ und „heilt“ (V.39c.d). Wie zuvor im Lied wird JHWH in Abgrenzung von anderen Göttern (vgl. V.8–9.12.17.21) 225 und zugleich über sein Wirken an den
Versuchung stehen, den imponierenderen Gottesdiensten und Religionen ihrer Zeit zu folgen.“ 219 Vgl. BERTHOLET 1899, 100: „Der kläglichen Ohnmacht der Götter gegenüber, tritt nun um so [sic] leuchtender Jahwes alleinige Gottheit hervor“; CHRISTENSEN 2002, 819. 220 Vgl. S.R. DRIVER 1902, 378: „With impassioned eloquence the poet, speaking in Jehovah’s name, bids Israel now, whatever may have been the case hitherto, recognize […] His sole divinity […]“; MARKL 2012, 234 Anm. 442 mit Verweis auf die zentrale Bedeutung des „Sehens“ im Moselied: „Hatte bisher Jhwh die entscheidend klare Sicht auf Israels Handeln und Erleiden gehabt, das es selbst nicht ‚verstehen‘ konnte (v29, vgl. v6.28), soll nun Israel endlich Jhwh und sein Handeln ‚sehen‘.“ Anders OTTO 2017, 2156, der wegen seiner Engführung von „JHWHs Ankündigung des Unheils für die Völker als Heilsankündigung für Israel“ annehmen muss, dass in V.39 nicht das Gottesvolk angesprochen sein kann, sondern die Feinde. 221 Vgl. V.37a: īġēĘ („Und er wird sagen…“). 222 Vgl. MARKL 2012, 241: „[Das Moselied will die Adressierten mit] seiner überwältigend lebendigen und wirkmächtigen Präsenz […] konfrontieren“. 223 Vgl. BAUMANN 1956, 416: „Darf verkannt werden, dass der Gedankengang des ‚Liedes‘ […] in v. 39 gipfelt? Er gipfelt in der Aufforderung zu klarer Erkenntnis und Anerkenntnis, Jhw [sic] ist allein Gott.“ 224 Vgl. NELSON 2002, 377: „Yahweh is the complete opposite of the absent and impotent gods mocked in vv. 37–38.“ 225 Außerdem im Zusatz V.31.
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Menschen (vgl. V.6.9–14.19–27.36) 226 charakterisiert. Statt eines abstrakten monotheistischen Axioms bietet das Moselied seinen Hörerinnen und Hörern eine lebendige Anschauung des göttlichen Wirkens.227 Die beherrschende Präsenz JHWHs wird durch die viermalige Verwendung des Pronomens Ĝģē („ich“) in V.39 unterstrichen.228 Auch die auffällige Länge des Verses ist wohl am besten textpragmatisch erklärt, da keine grammatischen oder inhaltlichen Gründe vorliegen, eines der fünf Kola für nicht ursprünglich zu halten. Vielmehr wird die „Hand“ JHWHs (vgl. V.39e) durch die Alleinstellung des letzten Kolons besonders betont und dadurch die entscheidende Stellung dieses Motivs in V.40–41 vorbereitet.229 Bekräftigend folgt ein Schwur (V.40–42), der das in V.39 Postulierte konkretisiert und begründet. 230 Mit ihm finden JHWHs Überlegungen zum Umgang mit den Menschen ihren Abschluss.231 Da JHWH sich abermals selbst zitiert, fallen Ankündigung und Durchführung des Schwurs für die Ohren der Hörerschaft in eins: Beachtet man die Redeeinleitung (vgl. V.40: „ich will […] sagen“), verkündet JHWH sein Gericht als zukünftiges Geschehen,232 das unabhängig vom Liedvortrag erst realisiert werden muss. 233 Gleichzeitig aber nimmt die schon im Rahmen der Ankündigung wörtlich zitierte Formulierung „So wahr ich in Ewigkeit lebendig bin!“ (V.40b: ĠğĥğĜĞģēĜĚ) das Schwurgeschehen vorweg. Sprachlich wird so die Zukunft bereits gegenwärtig. Durch
226
Außerdem im Zusatz V.30. 227 Insofern verfehlt die Diskussion um die Reinheit des im Lied vertretenen Monotheismus (z.B. bei LUNDBOM 2013, 900; OTTO 2017, 2192) den Anspruch der Komposition, vgl. NELSON 2002, 377: „Verse 39 proclaims Yahweh’s incomparable activity and power, but not any sort of absolute monotheism.“ 228 Zusätzlich verstärkt wird der Effekt durch die Variante ĜĞģē im folgenden V.40. Vgl. MARKL LUNDBOM 2013, 899.901. 229 Vgl. BUDDE 1920, 39; LINDER 1924, 405, der auf die „concatenatio“ von V.39e (ĜĖĜġ) und 40a (ĜĖĜ) als Gestaltungsmittel hinweist. 230 Vgl. DILLMANN 1886, 410: „Seine [d.h. JHWHs] alleinige Gottheit, wie er sie durch Zerschlagung seines Volkes bewiesen hat, wird er nun auch durch Heilung desselben u. Zerschlagung seiner Feinde beweisen. Da aber das noch künftig ist u. möglicherweise noch eine Zeitlang ansteht, den Hörern also diese Seite des göttlichen Waltens noch nicht erfahrungsmässig vorliegt, wie die erste, so begründet er die Aufforderung zur Erkentniss [sic] derselben durch einen Schwur […].“ 231 Vgl. STEUERNAGEL 1900, 121: „Diese Ankündigung wird, weil sie dem Dichter die Hauptsache ist, in Form eines Schwures gegeben“; VON RAD 1968, 142–143: „In V.39–42 verkündet nun Jahwe selbst in großer Feierlichkeit den in seiner Erwägung (V.26–35) gefaßten Entschluß“. FOKKELMAN 1998, 127 nennt den Schwur „the most binding linguistic formula available“. 232 Und zwar innerhalb der ohnehin schon für die Zukunft angekündigten Rede, vgl. V.37a. 233 Vgl. auch die Voluntative in V.41c: ĔĜŘē („ich will [Rache] erwidern“); V.41d: ĠğŘē („ich will vergelten“); V.42a: īĜĞŘē („ich will [meine Pfeile] trunken machen“).
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die anschauliche Beschreibung der von JHWH vollkommen dominierten Szenerie234 wird der in V.26–27 zwischenzeitlich aufgekommene Eindruck getilgt, JHWH könnte seinen Gegnern das Feld überlassen. Vor dem inneren Auge der Hörenden reckt sich nun JHWHs Hand einflussgebietend gen Himmel (vgl. V.40a) und ersetzt das Bild vom Triumph des Feindes, der seiner „Hand“ den Sieg über das JHWH-Volk zuschreibt (vgl. V.27c–d). 235 In äußerst brutaler Sprache beschwört JHWH ein Strafgericht herauf, das nicht mehr (wie in V.20–25) gegen sein ganzes Volk gerichtet ist, sondern explizit gegen diejenigen, die ihn „bedrängen“ und „hassen“ (vgl. V.41c–d).236 Gerade ihnen sind nun „Rache“ und „Vergeltung“ bestimmt, die schon in V.35 angekündigt waren.237
Exkurs: Die Feinde JHWHs Nahezu einmütig gehen alte und neue Kommentare davon aus, dass sich V.41– 42 (in Fortsetzung von V.35) gegen die fremden Feinde richten, die zuvor das Gottesvolk bedrängt haben.238 Die bisherige Analyse des Moseliedes hat aber gezeigt, dass dessen Kernanliegen das Ergehen des Gottesvolkes ist. 239 Teil dieses Schicksals wiederum ist die von JHWH her drohende Strafe für gottloses Verhalten. Ausgehend von dem ausführlich beschriebenen Frevel (V.5–
234
Vgl. V.40a: „…ich will meine Hand zum Himmel erheben“; V.41a–b: „Wenn ich den Blitz meines Schwertes geschärft habe und meine Hand nach dem Recht greift…“. 235 Vgl. MARKL 2012, 235 Anm. 448. 236 Vgl. BAUMANN 1956, 420: „[…] um bestätigt zu finden, dass die Glieder des eignen Volkes Gegenstand des göttlichen Zornes sind. Jhw [sic] nimmt Rache an seinen Feinden, ob sie nun ausserhalb oder innerhalb seines Volkes angetroffen werden.“ 237 Vgl. V.35a SP: Ġ ăũŘĘĠĪģĠĘĜğ Ă („für den Tag der Rache und Vergeltung“) mit V.41c– d: Ġ ăũ ąŘĀēĜēģĬġğĘĜīĩğĠĪģĔĜĬē(„ich will Rache erwidern meinen Bedrängern und denen, die mich hassen, vergelten“) sowie NIELSEN 1995, 292; NELSON 2002, 377; LUNDBOM 2013, 901: „application“ des in V.35 Angekündigten. 238 Vgl. z.B. Tg Neophyti, übers. bei MCNAMARA 1997, 159; Ibn Ezra und Rashi, zit. bei CARASIK 2015, 235; DILLMANN 1886, 411; STEUERNAGEL 1900, 121; S.R. DRIVER 1902, 379; VON RAD 1968, 143; PHILLIPS 1973, 219; ROSE 1994, 572; NIELSEN 1995, 292; TIGAY 1996, 313; NELSON 2002, 377–378; OTTO 2017, 2192–2195. Anders aber schon KÖNIG 1917, 212.214, der die Feinde als die Frevler in Israel identifiziert; BAUMANN 1956 (vgl. oben Anm. 236) sowie WÜSTE 2018, 87–88. Auch KLOSTERMANN 1893, 342–343 rechnet zwar mit einer Scheidung innerhalb des Volkes, deutet die Feinde in V.41–42 aber als NichtIsraeliten. 239 Vgl. die vorausgegangene Erörterung sowie als unstrittige Indizien zunächst die Imperative (V.3.7.39) und direkten Anreden in zweiter Person (V.6.7.14.15.17.18.37.38), ferner in der Gesamtanlage die langen Ausführungen zu Wohl und Frevel des Volkes (V.8– 14.15–18) und die detaillierte Strafandrohung (V.19–25.26–27), schließlich die grundsätzliche Ankündigung in V.36.
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6.15–18) richten sich die Drohungen in V.19–21.26 ganz klar gegen das Volk JHWHs.240 Gerade angesichts der Charakterisierung JHWHs als „gerecht und aufrichtig“ (V.4d: īĬĜĘ ĪĜĖĩ), die durch das wiederkehrende, Unumstößlichkeit versinnbildlichende Felsenmotiv noch verstärkt wird,241 erscheint es unplausibel, dass sein berechtigter Zorn (vgl. V.21–22) schließlich vollkommen ohne Auswirkung auf sein Volk bleiben sollte.242 Umgekehrt liefert das Moselied nur eine schmale Basis für die Hypothese, am Schluss des Liedes gelte der göttliche Zorn allein den Feinden des Volkes. Sie werden in V.27 erstmals erwähnt und dort nur als Begründung für JHWHs Strafaufschub zitiert. Von hier aus auf die Gottesrede V.20–25 zurückblickend erscheinen sie als Handlungsdiener JHWHs, die sich gerade nicht in eigener Souveränität über das Volk JHWHs erheben können. Zwar wird ihr (mögliches) Verhalten mit demselben Wort ĤĥĞ („Beleidigung“) bezeichnet wie der Frevel des Gottesvolkes.243 Darüber hinaus findet sich jedoch als Begründung für eine Bestrafung nur ihr grundsätzlich verdorbener Charakter, von dem lediglich der (zudem ursprünglich wohl auf Israel bezogene)244 Zusatz in V.32–33 spricht. Konkrete Vergehen werden ihnen im Moselied nicht vorgeworfen. Die Hinweise im Lied auf die Übertretungen des Volkes245 und das Verschwimmen der Grenzen zwischen Volk und Feind246 deuten vielmehr darauf hin, dass ein Nachahmen der Feinde durch das Gottesvolk das eigentliche Problem darstellt.247 Vor diesem Hintergrund scheint es umso passender, dass am Schluss des Liedes nicht mehr zwischen dem Volk und seinen Gegnern (vgl. V.27), 248 sondern zwischen JHWH und seinen Gegnern unterschieden wird (vgl. V.41–43). 249 Diese
240
Um einen Zirkelschluss zu vermeiden, bleiben V.28–29.34–35, die von manchen Auslegenden auf die Feinde bezogen werden, an dieser Stelle unberücksichtigt. 241 Vgl. V.4a.15.18 sowie die Zusätze V.30.31. 242 DILLMANN 1886, 411 meint, an die Frevler im Gottesvolk sei in V.41 nicht zu denken, „da ja an diesen das Gericht schon geübt ist (V. 36)“, und missachtet dabei, dass in V.36 ausdrücklich nur vom Erbarmen JHWHs über sein Volk die Rede ist und der Frevel noch gar nicht konkret verhandelt wird. 243 Vgl. V.27a: ĔĜĘēĤĥĞ („Beleidigung durch den Feind“); V.19:ĘĜĭģĔĘĘĜģĔĤĥĞ („Beleidigung durch seine Söhne und Töchter“) sowie V.16.21 mit dem Verb ĤĥĞ („beleidigen“) und dem Volk Israel als Subjekt. 244 Vgl. oben Abschnitt C. 245 Vgl. insbes. V.16a: „sie reizten ihn durch Fremdlinge“; 17c: „[sie opferten] neuen [Göttern], die kürzlich gekommen waren“. 246 Vgl. oben die Diskussionen zu V.28–29.34–35.37–38. 247 Vgl. KEISER 2005, 497: „the identification of Yahweh’s servants and enemies in Deut. xxxii 28–43 is obscure, possibly for the express purpose of raising in the mind of the reader the question of who really is Yahweh’s servant and who really is his enemy“. 248 Vgl. außerdem den Zusatz V.31. 249 Eine Mittelposition nimmt das suffixlose ĔĜĘē („Feind“) in V.27a ein, das sowohl im Sinne von Feind des Volkes (vgl. den Zusatz V.31) als auch von Feind JHWHs (vgl. V.42– 43) verstanden werden kann. So auch KÖNIG 1917, 210.
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Verschiebung bringt klar zum Ausdruck, dass JHWH innerhalb und außerhalb seines Volkes diejenigen bestrafen will, die ihm die Anerkennung verweigern.250 Verglichen mit dem früher im Lied beschriebenen Arsenal disparater Waffen251 fällt in V.41–42 die zugespitzte Kampfmetaphorik auf. Unter Zuhilfenahme von „Schwert“ (V.41a.42b) und „Pfeilen“ (V.42a) scheint JHWH sich nun für eine Entscheidungsschlacht mit seinen Feinden zu rüsten.252 In schauerlicher Weise übernimmt V.42 die Motivik von V.37–38 und malt aus, wie sich JHWH von den fremden, falschen Göttern unterscheidet. Während diese offenbar nicht „essen“ (V.38a: ğĞē) und „trinken“ (V.38b: ėĭŘ), obwohl ihnen Opfer dargebracht werden,253 kann JHWH „essen“ (V.42b: ğĞē) und sogar „trunken werden“ (V.42a: īĞŘ Hif), weil er sich selbst mit „Fleisch“ (V.42b) und „Blut“ (V.42a.c) seiner Feinde versorgen wird. Mit dieser blutigen Drohung gegen den „Feind“ (V.42d: ĔĜĘē) endet die Gottesrede, doch der Schlussvers des Moseliedes (V.43) kehrt noch einmal zur Perspektive des Liedanfangs zurück.254 Da eine Überleitung fehlt, ist nur an Hand des Redeinhalts darauf zu schließen, dass nun wieder die Person das Wort hat, die schon das Lied eröffnete: Blickwinkel, 255 Redeform 256 und Adressierte257 wiederholen sich. War im ersten Vers des Liedes zusammen mit dem Himmel die Erde angesprochen, richtet sich der zweite Imperativ des letzten Verses sogar an „alle Götter“.258 Auf diese Weise bekräftigt der Liedschluss den Anspruch, dass die Botschaft des Moseliedes nicht nur einzelne Menschen angeht, sondern eine geradezu alles und alle umfassende Gültigkeit besitzt.259
250
S.R. DRIVER 1902, 379 verkennt den Sachverhalt, wenn er meint, „the sinners in Israel itself […] lie, as before (v.36), outside the range of his [= the poet’s] thoughts“. 251 Vgl. u.a. V.21: „Nicht-Volk“; V.22: „Feuer“; V.24: „Zahn wilder Tiere“. 252 Vgl. DILLMANN 1886, 411; TIGAY 1996, 313; NELSON 2002, 377. 253 Dies ist nicht der Hauptfokus der rhetorischen Frage in V.37–38: „Wo sind ihre Götter […], die das Fett ihrer Opfer essen, trinken den Wein ihres Trankopfers?“, der Sachverhalt wird von ihr gleichwohl insinuiert: Die falschen Götter werden weder aufstehen noch essen und trinken, weil sie nicht existieren. 254 Vgl. DILLMANN 1886, 411; NIELSEN 1995, 293; TIGAY 1996, 315; NELSON 2002, 378; MARKL 2012, 232. 255 Rede über JHWH, seine „Söhne“ und „Bedränger“ in dritter Person, vgl. V.3–5 mit der Rede über JHWH und seine „Nicht-Söhne“. 256 Häufung von Imperativen, vgl. V.1a.3b.43a.b (4QDeutq/LXX). 257 „Himmel“ (ĠĜġŘ), vgl. V.1a.43a (4QDeutq/LXX). 258 V.43b 4QDeutq: ĠĜėğēğĞ, vgl. LXX: Ą÷üïÏýŧøť ùïøŶ („alle Gottessöhne“). Zur Textkritik vgl. Kap. 1.3.3. 259 Vgl. ROSE 1994, 572; LUNDBOM 2013, 903.
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Allerdings geht das in V.43 von „Himmeln“ und „Göttern“ verlangte Tun über den Imperativ von V.1 noch hinaus.260 Der Aufruf, mit JHWH zu „jubeln“ (V.43a) und vor ihm „niederzufallen“ (V.43b 4QDeutq/LXX), entspricht vielmehr dem Imperativ in V.3b: ĘģĜėğēğğĖĕĘĔė („Gebt unserem Gott Ehre!“) und konkretisiert ihn.261 So fordert die sprechende Person am Ende des Vortrags buchstäblich eine dem Gehörten angemessene Haltung ein. Durch den abschließenden Lobaufruf erhält das unmittelbar vorausgehende JHWH-Wort (V.37–42) besonderes Gewicht.262 Allein die Tatsache, dass der oder die Sprechende direkt mit dem Imperativ ĘģĜģīė (V.43a: „Jubelt…“) an die JHWHRede anschließt, zeichnet das Gesagte als preisungswürdig aus. Es folgt aber ganz am Schluss des Liedes (verknüpft durch die Konjunktion ĜĞ)263 zusätzlich eine Begründung für die Aufforderung zu Jubel und Proskynese. Die textkritischen Überlegungen hatten bereits ergeben, dass der von 4QDeutq für V.43 bezeugte Text unter den existierenden Versionen der älteste sein dürfte. 264 Auch in diesem Text jedoch wirkt der Zusammenhang der letzten Kola etwas gezwungen. Dtn 32,43 4QDeutq: c d e f
Denn das Blut seiner Söhne wird er rächen und Rache erwidern seinen Bedrängern und denen, die ihn hassen, vergelten und den Boden seines Volkes entsühnen.
ĠĘĪĜĘĜģĔĠĖĜĞ ĘĜīĩğĔĜĬĜĠĪģĘ ĠğĬĜĘĜēģĬġğĘ ĘġĥĭġĖēīħĞĜĘ
Eine Verheißung an die „Söhne“ JHWHs (vgl. V.43c.f) umrahmt eine Rachedrohung gegen „seine Bedränger“ und die, „die ihn hassen“ (vgl. V.43d–e). Unverkennbar wird dabei in V.43d–e das Rachemotiv aus V.41c–d wiederholt.265 Das angekündigte Blutgericht (vgl. V.40–42) wird dadurch als Eintreten JHWHs für seine „Söhne“ (V.43c) bzw. sein „Volk“ (V.43f) gedeutet.266
260
Vgl. V.1a: „Horcht, ihr Himmel“ und parallel dazu den Jussiv in V.1b: „und die Erde
höre“. 261
Während in V.3b nicht eigens ausgesprochen wurde, wie weit der Adressiertenkreis des Imperativs gezogen war, lässt V.43a–b die entsprechenden Ausrufe ausdrücklich in die himmlische Sphäre hineinreichen. 262 Vgl. VON RAD 1968, 143: „Das Lied schließt mit einem Hymnus, der auf diese Verkündung des göttlichen Entschlusses antwortet“. 263 Vgl. V.43b MT/SP; V.43c 4QDeutq bzw. V.43e LXX: ľüó. 264 Vgl. Kap. 1.3.3. 265 Die Formulierungen von V.41c.d (c: „meinen %HGUlQJHUQ³ G ÄGHQHQ GLH mich hassen“) werden in V.43d.e lediglich von der ersten in die dritte Person übertragen (d: „seinen %HGUlQJHUQ³HÄGHQHQGLHihn hassen“). 266 Vgl. LUNDBOM 2013, 903. OTTO 2017, 2155–2156 sieht hierin die theologische Pointe des Moseliedes, wenn er betont, Mose lege „die Unheilsankündigung für die Feinde
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D. Zur Literarkritik in Dtn 32,43 Verschiedene Beobachtungen sprechen dafür, eine Fassung des Schlussverses ohne die Kola 43d–e (4QDeutq; vgl. V.43f–g LXX) für ursprünglicher zu halten.267 Betrachtet man V.43 isoliert, fällt bereits auf, dass der klare Parallelismus der Kola c und f durch das Bikolon V.43d–e zerrissen wird.268 Poetologisch erscheint V.43d–e daher störend. Die große Ähnlichkeit von V.43d–e und V.41c–d gibt weiter Anlass, an der Ursprünglichkeit des Bikolons an einer der beiden Stellen zu zweifeln. Dtn 32,41: c d
Ich will Rache erwidern meinen Bedrängern und denen, die mich hassen, vergelten.
ĜīĩğĠĪģĔĜĬē ĠğĬēĜēģĬġğĘ
Dtn 32,43 (4QDeutq): d e
Und er wird Rache erwidern seinen Bedrängern und denen, die ihn hassen, vergelten.
ĘĜīĩğĔĜĬĜĠĪģĘ ĠğĬĜĘĜēģĬġğĘ
Mit Blick auf die Kontexte wird ersichtlich, dass die Formulierungen von V.41c–d (bzw. V.43d–e) als Konsequenz (Apodosis) des in V.41a–b Angekündigten (Protasis) in V.41 ihren ursprünglichen Platz haben müssen, während in V.43 der Rekurs auf Rache und Vergeltung mit der Beschreibung der positiven Auswirkungen des göttlichen Gerichts konkurriert.269 Dtn 32,41: a b c d
Wenn ich den Blitz meines Schwerts geschärft habe und meine Hand nach dem Recht greift, will ich Rache erwidern meinen Bedrängern und denen, die mich hassen, vergelten.
ĜĔīĚĪīĔĜĭĘģĬČĠē ĜĖĜěħĬġĔęĚēĭĘ ĜīĩğĠĪģĔĜĬē ĠğĬēĜēģĬġğĘ
Israels“ (EBD., 2155) bzw. „die Ankündigung des Unheils für die Völker“ (EBD., 2156) als „Heilsankündigung für Israel“ (EBD., 2155.2156) aus. 267 Vgl. z.B. SKEHAN 1954, 15; WRIGHT 1962, 33; IRSIGLER 1990, 162 Anm. 13; CROSS 1995, 135; ROFÉ 2002, 49 sowie die ausführliche Diskussion der Textgeschichte von V.43 bei VOLKWEIN 1973, 238–266. 268 Dies gilt auch für MT/SP, die zwischen den hier mit c und f bezeichneten Kola kein Bikolon, sondern nur das V.41c entsprechende, hier d genannte Monokolon ĘĜīĩğĔĜĬĜĠĪģĘ („und Rache erwidern seinen Bedrängern“) bieten. 269 Vgl. VOLKWEIN 1973, 261: „Die Stichoi 6o [= d, gezählt nach LXX] und 7o [= e] machen den Eindruck eines späteren Einschubs, da sie 41b [= 41c–d] zu wörtlich wiederholen und die Halbzeilen 5o und 8o auseinanderreißen.“
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Dtn 32,43 (4QDeutq): c d e f
Denn das Blut seiner Söhne wird er rächen und Rache erwidern seinen Bedrängern und denen, die ihn hassen, vergelten und den Boden seines Volkes entsühnen.
ĠĘĪĜĘĜģĔĠĖĜĞ ĘĜīĩğĔĜĬĜĠĪģĘ ĠğĬĜĘĜēģĬġğĘ ĘġĥĭġĖēīħĞĜĘ
Klar zu erkennen ist der innere Widerspruch in V.43 am unterschiedlichen Gebrauch der Wurzel ĠĪģ in V.43c.d. Bezeichnet das Verb ĠĪģ in V.43c ein begünstigendes Handeln JHWHs für seine Söhne, muss unter dem Substantiv ĠĪģ in V.43d ein zerstörerisches und strafendes Tun verstanden werden. Auch rein inhaltlich erscheint der Schlussvers folglich glatter ohne V.43d.e. Dtn 32,43 Urtext (= 4QDeutq a–c.f): a* b* c* d*
Jubelt, ihr Himmel, mit ihm und fallt vor ihm nieder, alle ihr Götter! Denn das Blut seiner Söhne wird er rächen und den Boden seines Volkes entsühnen.270
ĘġĥĠĜġĬĘģĜģīė ĠĜėğēğĞĘğĘĘĚĭĬėĘ ĠĘĪĜĘĜģĔĠĖĜĞ ĘġĥĭġĖēīħĞĜ Ę
Die Art der Formulierung in V.43c*–d* mag aber den Einschub der beiden aus V.41 entlehnten Kola veranlasst haben: Es wird zunächst nicht ausgesagt, welche konkrete Bluttat JHWH vergelten soll, sondern nur darauf angespielt, dass der „Boden“ (V.43d*: ėġĖē) des Landes durch das „Blut seiner Söhne“ (V.43c*: ĘĜģĔĠĖ) befleckt wurde. Als Grund hierfür sind ursprünglich sicher die Praktiken des Gottesvolkes selber anzunehmen.271 Durch den Einschub (im Folgenden: V.43y.z), der mit dem Ausdruck ĠĪģĔĘŘ an die Wurzel ĠĪģ in V.43c* anknüpft,272 wird jedoch die Rache für das vergossene Blut der „Söhne“ mit der Rache an den „Bedrängern“ (V.43y) parallelisiert.
Die Vorlage der LXX hat als Verbform sicher ī ħĞĘgelesen; ī ħĞĜĘ ist hier aber gleichbedeutend und eine Entscheidung über die Ursprünglichkeit an dieser Stelle nicht möglich, vgl. Kap. 1.3.3. 271 Mit der Notwendigkeit, das Land wegen der Vergehen des Volkes zu entsühnen, rechnen auch S.R. DRIVER 1902, 381; KÖNIG 1917, 212; VON RAD 1968, 143; LUNDBOM 2013, 903. Explizit ausgeschlossen wird diese Deutung von DILLMANN 1886, 412; TIGAY 1996, 315 Anm. 175. Eine Mittelposition vertritt NELSON 2002, 378, indem er allgemein auf „the polluting effects of bloodshed on the land in warfare“ verweist. 272 Vgl. VOLKWEIN 1973, 265–266: „vielleicht aufgrund von ĠĘĪĜ wurde 41bĮ [= 41c] in entsprechender Form eingefügt“. 270
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Dtn 32,43 Urtext mit Einschub (= 4QDeutq): a* b* c* y z d*
Jubelt, ihr Himmel, mit ihm und fallt vor ihm nieder, alle ihr Götter! Denn das Blut seiner Söhne wird er rächen und Rache erwidern seinen Bedrängern und denen, die ihn hassen, vergelten und den Boden seines Volkes entsühnen.
ĘġĥĠĜġĬĘģĜģīė ĠĜėğēğĞĘğĘĘĚĭĬėĘ ĠĘĪĜĘĜģĔĠĖĜĞ ĘĜīĩğĔĜĬĜĠĪģĘ ĠğĬĜĘĜēģĬġğĘ ĘġĥĭġĖēīħĞĜĘ
Infolgedessen erscheinen fremde „Bedränger“ als diejenigen, die das „Blut der Söhne“ vergossen haben, – und nicht etwa die Söhne selbst, die leichtfertig mit ihrem Blut und Land umgegangen wären. 273 Die Einfügung des aus V.41 entlehnten Bikolons verengt jedoch nicht allein den Fokus des Schlussverses, sondern wirkt sich auch auf das Gesamtverständnis der Liedbotschaft aus. Wenn „Himmel“ und „Götter“ (V.43a*.b*) im ursprünglich nur vier Kola umfassenden V.43 lediglich dazu aufgerufen werden, JHWHs gutmachende Taten zu beglaubigen (vgl. V.43c*–d*), so ist das gleichbedeutend mit der Zusage, dass durch JHWH die Lebensgrundlage seines Volkes gesichert bleibt. Vorwürfe und Warnungen an die „Söhne, in denen keine Treue ist“ (V.20), bereiten dann nur den Weg (zurück) zu der bleibenden Aufforderung, JHWH für seine Größe Anerkennung zu zollen (vgl. V.3.43). War diesem Ruf zu Beginn des Liedes die Feststellung gefolgt, dass sich das Gottesvolk (einschließlich der gegenwärtigen Hörenden) seiner Sohnschaft unwürdig verhielt (V.5, vgl. V.19.20), führten Geschichtsrückblicke und göttliche Urteile die achtsame Hörerschaft schließlich zu der Einsicht, wem sie ihr Leben und Wohlergehen zu danken habe. Aus dem „törichten und unweisen Volk“ (V.6) wird so im Laufe des Liedes eine „weise Nation“ (vgl. V.28–29), die „sieht“ (vgl. V.39) und erkennt, wie einzigartig ihr Gott ist.274 Indem der erweiterte Schlussvers den „Söhnen“ JHWHs (V.43c*) noch einmal die „Bedränger“ und „Hasser“ (V.43y.z) gegenüberstellt, wird dagegen der Doppelcharakter des göttlichen Gerichts als Errettung und Strafe betont. 275
273
Vgl. S.R. DRIVER 1902, 381: „According to the context, the reference [= V.43d MT: ĘġĥĘĭġĖēīħĞĘ] will be to the heathen adversaries, who have massacred innocent Israelites, and committed other excesses in the land […]; but it is possible, in the concluding words of his poem, that the poet may mean his words to be understood more generally, and to include a reference to the defilements wrought by the sins of Israel itself.“ 274 Vgl. KLOSTERMANN 1893, 341–342 (zu V.39): „Das ist demnach die Erkenntnis, die Israel, das bisher thörichte Volk, jetzt gewinnen kann und soll, daß nicht bloß Jahwe es ist, der allein solches Unglück verhängt hat, sondern daß auch er allein es ist, bei dem die Hilfe dagegen zu finden und von dem sie zu erwarten ist.“ 275 Über die genaue Bedeutung des Verses in dieser Gestalt sind sich die Kommentierenden uneins, vgl. BERTHOLET 1899, 100: „Eigentlich fragt man sich, warum Jahwe das Blut seiner Knechte zu rächen hat, wenn es doch auf seine eigene Veranstaltung hin, als Strafe
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Kapitel 2: Der Gedankengang des Moseliedes
Durch die Scheidung zwischen zu bestrafenden „Bedrängern“ und zu rächenden „Söhnen“ wird die ursprüngliche Absonderung des gesamten Volkes von den anderen Völkern276 endgültig in den Hintergrund gedrängt277 und eindringlich an die mit der Sohnschaft verbundene Verantwortung erinnert, ein JHWH entsprechendes Leben zu führen. Die Ersetzung von ĘĜģĔ („seine Söhne“) durch ĘĜĖĔĥ („seine Knechte“) in MT/SP278 verstärkt diese Tendenz, da nun die Gunst JHWHs ausdrücklich nicht mehr seinem ganzen Volk, sondern allein den Gottesfürchtigen unter seinen Kindern, namentlich „seinen Knechten“, zukommt.279 Das gesamte Moselied wird auf diese Weise zu einer Warnung an alle, die sich zum Gottesvolk zählen,280 JHWHs gerechtes Gericht zu fürchten und den Status als „Söhne (und Töchter) JHWHs“281 nicht zu verspielen.
für Sünde, vergossen worden ist (vgl. v. 21 26).“ Für die Bestrafung der Feinde, die sich nicht mehr gegen das Gottesvolk erheben sollen, als Hauptaussage vgl. Rashi, zit. bei CARASIK 2015, 235; Ibn Ezra, der das Volk und nicht JHWH als Akteur nennt, zit. EBD.: „The point is that the Israelites will wreak vengeance on the nations, thus cleansing the land of the blood spilled in it“; STEUERNAGEL 1900, 121; BUDDE 1920, 41; ROSE 1994, 572. Anders stellt Tg Pseudo-Jonathan, übers. bei CLARKE 1998, 95–96, die Sühne für die Vergehen des Volkes gleichberechtigt neben die Rache an den Bedrängern: „For he has avenged and kept the blood of his servants that was shed; and returned the revenge of the punishment upon his enemies, and he, by his Memra, will make atonement for the sins of his land and of his people“; ebenso Tg Neophyti, übers. bei MCNAMARA 1997, 160; ähnlich auch S.R. DRIVER 1902, 380–381; VON RAD 1968, 143; LUNDBOM 2013, 903: „Yahweh will reconcile, pacify, and cleanse both his land and his people of all guilt they have incurred. This has been and will in the future be accomplished by slaying not only an idolatrous enemy, but also idolatrous Israelites.“ 276 Vgl. V.8.9.21c.d.27a.b. 277 Erinnert sei an die Verwischung der Grenzen zwischen dem Volk JHWHs und den Feinden in V.28–29.35.37–38, vgl. oben den Exkurs „Die Feinde JHWHs“. Auch hatte schon der letzte, auf den Kommentar von V.36 folgende Redegang JHWHs statt einer pauschalen Verurteilung des Volkes nur noch die Bestrafung seiner „Bedränger“ und derer, die ihn „hassen“, (V.41) zum Ziel. 278 Vgl. Kap. 1 Anm. 44 sowie Kap. 1.3.3. 279 Vgl. BAUMANN 1956, 416; BOGAERT 1985, 334; WÜSTE 2018, 85. 280 Vgl. BOGAERT 1985, 339–340; NELSON 2002, 378: „Significantly, the poem concludes with the words ‘his people’ [= Ęġĥ] as the chief focus of Yahweh’s concern“. 281 Vgl. V.19:ĘĜĭģĔĘĘĜģĔ(„seine Söhne und Töchter“) und dazu ROSE 1994, 571 mit der Feststellung, dass sich die frevelhaften Israeliten „nicht mehr rechtmäßig als seine ‚Söhne und Töchter‘ betrachten dürfen“.
Kapitel 3
Die Motivik des Moseliedes: Innerbiblische Parallelen und Traditionskritik In diesem Kapitel sollen Motivparallelen des Moseliedes innerhalb der Hebräischen Bibel untersucht werden. Da der Begriff „Motiv“ in der Exegese jedoch nicht einheitlich gebraucht wird, 1 ist dem eigentlichen Analyseteil eine Begriffsklärung sowie eine kurze Erläuterung des Vorgehens voranzuschicken.
3.1 Zum Motivbegriff 3.1 Zum Motivbegriff
In den gängigen exegetischen Lehrbüchern ist die Untersuchung von „Motiven“ normalerweise der Traditionskritik oder -geschichte zugeordnet. Trotz der unterschiedlichen Benennungen des Arbeitsschritts 2 herrscht der Sache nach Einigkeit, dass es hier – im Unterschied zu literarischen Abhängigkeiten – um die Erhebung der gedanklichen Voraussetzungen eines Bibeltextes geht.3 Es wird angenommen, dass sich einzelne Vorstellungsgehalte in wiedererkennbaren sprachlichen Mustern tradieren, und umgekehrt, dass anhand charakteristischer Wendungen und Inhalte, die sich in einem Text aufspüren lassen, auf die ihnen zugrunde liegenden Überzeugungen und somit auch auf bestimmte Kreise von Verfassenden und Bearbeitenden zurückgeschlossen werden kann. Sowohl Vorstellungen als auch deren sprachliche Realisierung können in diesem Zusammenhang mit „Tradition“ gemeint sein.4 Teilweise werden ferner
1
Vgl. RICHTER 1971, 75 Anm. 11: „‚Motiv‘ ist das am häufigsten bei Textanalysen auftretende Wort, ein unscharfer Begriff, bei dem kaum auszumachen ist, was er meint.“ Bemerkenswerterweise wird selbst im „Wörterbuch alttestamentlicher Motive“ keine eigene Motivdefinition geboten, sondern zur Anschauung lediglich auf die Musik und einen dort gebräuchlichen Motivbegriff verwiesen, vgl. F IEGER/KRISPENZ/LANCKAU 2013, 9. 2 Vgl. HUBER (in: FOHRER et al.) 1993, 102–119: „Motiv- und Traditionskritik“; STECK 1999, 126–149: „Traditionsgeschichte“; VIEWEGER (in: KREUZER et al.) 2005, 88–95: „Traditionskritik und Traditionsgeschichte“; UTZSCHNEIDER/NITSCHE 2014, 237–265: „Traditionskritik und -geschichte“; BECKER 2015, 122–137: „Traditionsgeschichte“. 3 Vgl. HUBER (in: FOHRER et al.) 1993, 104–105 Anm. 110; STECK 1999, 126–127; VIEWEGER (in: KREUZER et al.) 2005, 88; UTZSCHNEIDER/NITSCHE 2014, 237; BECKER 2015, 123. 4 Vgl. nur UTZSCHNEIDER/NITSCHE 2014, 262 mit der Definition: „Traditionen: Geprägte Vorstellungen, die Teil des alltäglichen Wissens oder der kollektiven Erinnerung einer
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
einzelne Elemente dieser „Traditionen“ als „Motive“ bezeichnet, so dass ein „Motiv“ gegenüber einer „Tradition“ die kleinere Einheit darstellt.5 Außerdem wird das „Motiv“ zumeist keiner bestimmten Trägergruppe zugeordnet und dadurch von der „Tradition“ unterschieden.6 Gemeinsam ist den Lehrbuchdefinitionen ihre stark inhaltliche Ausrichtung. Eine klare formale Bestimmung dessen, was ein Motiv ausmacht, ist diesen Darstellungen nicht zu entnehmen. Hier setzte schon 1971 mit den Ausführungen in „Exegese als Literaturwissenschaft“ Wolfgang Richters Methodenkritik an.7 Um der Nachprüfbarkeit willen fordert Richter die Berücksichtigung form- bzw. gattungskritischer Ergebnisse in der Traditionskritik und denkt hier an (syntaktisch zu bestimmende) „geprägte Wendungen“ oder „Formeln“,8 die er allerdings streng von (inhaltlich definierten) „Motiven“ unterscheidet.9
Gruppe, eines Volkes oder einer Kultur sind […]“ und dagegen HUBER (in: FOHRER et al.) 1993, 111: „Traditionen sind selbständige sprachliche Gebilde […]“. 5 Vgl. STECK 1999, 141: „[Der] Begriff ‚Motivgeschichte‘ zielt auf die Geschichte kleinster thematischer Bausteine in Texten. […] wie die t[raditions-]g[eschichtlich]e Arbeit zeigt, stellen solche kleinsten thematischen Bausteine sehr häufig feste Vorstellungen oder Vorstellungselemente dar, die in unlöslichem Sinnbezug auf größere Vorstellungszusammenhänge stehen“ oder UTZSCHNEIDER/NITSCHE 2014, 262 mit der Definition „Motive: Kleinere Themen und Erzählelemente, die als Bausteine für Traditionen dienen können“. 6 Vgl. HUBER (in: FOHRER et al.) 1993, 105: „Unter einem Motiv wird […] ein frei umlaufendes, d.h. nicht mit einem bestimmten Personenkreis verbundenes, geprägtes Bedeutungssyndrom verstanden, das ein Verfasser aus verschiedenen Gründen aufgreifen kann“ oder VIEWEGER (in: KREUZER et al.) 2005, 88: „Die Motivkritik bearbeitet schließlich geprägte Bilder und Themen, d.h. frei umlaufende, unselbständige, (im Gegensatz zu Tradition) nicht mit einem bestimmten Trägerkreis zu verbindende, geprägte Vorstellungen.“ 7 Vgl. RICHTER 1971, 156: „Die traditionsgeschichtliche Forschung am Alten Testament leidet an einer methodischen Schwäche: ihrem inhaltlichen Ansatz. Sie identifiziert so weithin den traditionsgeschichtlichen Gesichtspunkt mit einem inhaltsgeschichtlichen, meint also, die Fragestellung sei erschöpft, wenn man eine Motiv-, Stoff- oder Themengeschichte der Inhalte geschrieben hat. Da notwendigerweise jede Einheit aus Form und Inhalt besteht, behandelt man nicht mehr die Tradition einer Einheit, wenn man nur inhaltlichen Aspekten nachgeht und die Form völlig außer acht [sic] läßt. Die Tradition einer Einheit läßt sich also nur bis zu dem Punkt verfolgen, wo sie formal greifbar ist […].“ 8 RICHTER 1971, 101: „Eine geprägte Wendung liegt vor, wenn sich die festgeprägte Wortverbindung auf ein literarisches Werk beschränkt; sie ist hier Ausdruck der Ansicht eines Autors. Eine Formel liegt vor, wenn sich die festgeprägte Wortverbindung in mehr als einem literarischen Werk findet.“ 9 Vgl. RICHTER 1971, 99–103.158–159 sowie die entsprechenden Definitionen in den Kapiteln zur Form- bzw. Gattungsgeschichte bei MARKERT (in: FOHRER et al.) 1993, 73.83; STECK 1999, 105; VIEWEGER (in: KREUZER et al.) 2005, 72; UTZSCHNEIDER/NITSCHE 2014, 136.263.
3.1 Zum Motivbegriff
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Zur Anwendung kommen solche formalen Kategorien in neueren Studien zur Intertextualität alttestamentlicher Texte,10 wo „gleiche oder sehr ähnliche Formulierungen“,11 „gemeinsame Redewendungen“ (definiert als „syntaktisch feststehende Wortverbindungen“), 12 „wörtliche Parallelen“ 13 oder „Leitwörter“14 als Ausgangspunkt für literargeschichtliche Überlegungen benannt werden. Untersucht wird in der Regel, ob und wie die Autorinnen oder Autoren eines bestimmten biblischen Buches andere, aus heutiger Sicht ebenfalls kanonische Texte rezipiert haben. Ziel jener Untersuchungen ist es, die erkennbaren Ähnlichkeiten zweier (oder mehrerer) Texte als absichtsvolle Bezugnahmen eines Textes auf einen anderen zu erweisen. Hierfür kommen verschiedene Arten der Aufnahme des älteren Textes in Frage (Zitate, Umschreibungen oder Anspielungen), mit denen wiederum unterschiedliche Haltungen zum Vorgegebenen (z.B. Zustimmung, Überbietung, Ablehnung oder Umdeutung) ausgedrückt werden können. 15 Ein derart „erweiterter Begriff der Traditionsgeschichte […], bei dem die Bezüge zu verschrifteter Tradition, d.h. zu Texten im Mittelpunkt stehen“16 sprengt jedoch den Rahmen der klassischen Methodenlehren.17 Ausdrücklich grenzen die meisten von ihnen die Verarbeitung von „geprägten Vorstellungen“ 18 und Phänomene literarischer Abhängigkeit gegeneinander ab. 19 So wird im Namen der Traditionskritik bzw. -geschichte
10
Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen einem synchronen, rezeptionsorientierten Intertextualitätsverständnis (vgl. z.B. BAIL 1998; TRIMPE 2000 sowie für das Moselied ansatzweise auch WÜSTE 2018) und den nachstehend zitierten diachronen, textgeschichtlich ausgerichteten Ansätzen, vgl. SCHULTZ 1999; G. FISCHER 2005a, 65–75; HIBBARD 2006; LYONS 2009; SCHIPPER 2012; KRAUSE 2014; KWON 2016. Für einen Überblick zum Umgang mit dem Intertextualitätsbegriff in der alttestamentlichen Wissenschaft vgl. SEILER 2013, 17–33.45–48; weiterführende Hinweise finden sich auch bei KWON 2016, 30–37.225– 227. 11 G. FISCHER 2005a, 65, vgl. HIBBARD 2006, 5: „shared vocabulary“; KRAUSE 2014, 46 u.ö.: „Ähnlichkeiten“; KWON 2016, 41: „common themes and expressions“. 12 LYONS 2009, 47: „shared locutions“; EBD., 58: „words in combination and in identifiable syntactic constructions“. 13 SCHULTZ 1999, 330 u.ö.: „verbal parallels“. 14 SCHIPPER 2012, 25.35. 15 Zu diesen Grundkategorien und weiteren Differenzierungsmöglichkeiten vgl. S OMMER 1998, 10–18; SCHULTZ 1999, 183–199.210–239; G. FISCHER 2005a, 71–73; LYONS 2009, 50; SALZER 2010, 21–29; SCHIPPER 2012, 24; KRAUSE 2014, 56–57. 16 SCHIPPER 2012, 81. 17 Vgl. UTZSCHNEIDER/NITSCHE 2014, 263: „Die Analyse der Intertextualität gehört nicht zum ‚Methodenkanon‘ des Proseminars.“ 18 VIEWEGER (in: KREUZER et al.) 2005, 89; UTZSCHNEIDER/NITSCHE 2014, 262; vgl. HUBER (in: FOHRER et al.) 1993, 102 u.ö.: „geprägte Bedeutungssyndrome“; STECK 1999, 126 u.ö.: „geprägte Sachgehalte“; ebenso BECKER 2015, 123 im Anschluss an Steck. 19 Vgl. die Ausführungen zur Unterscheidung von „Formeln“ und „Wendungen“ bei MARKERT (in: FOHRER et al.) 1993, 73.83; die Behauptung bei STECK 1999, 127: „Es zeigen sich nämlich über das Alte Testament verstreut oder charakteristisch gebündelt
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
lediglich versucht, solche „Vorstellungen“ zu identifizieren, die unabhängig von schriftlichen Vorlagen in einen Text eingeflossen sind. Vorausgesetzt wird dabei ein kategorialer Unterschied zwischen mündlicher und schriftlicher Überlieferung, der zu hinterfragen ist. Grundsätzlich ist daran zu erinnern, dass mündliche Weitergabe nicht an sich nachgewiesen werden kann. Immer muss aus den existierenden Texten auf ihren jeweiligen Ursprung geschlossen werden. Auf textmorphologischer Basis kann jedoch ganz offensichtlich kein eindeutiges Urteil darüber gefällt werden, ob sich ein bestimmter Abschnitt im heutigen biblischen Kanon aus mündlichen oder schriftlichen Quellen speist. Dies zeigen schon die gegensätzlichen Meinungen im Hinblick darauf, ob die wortgetreue mehrfache Bezeugung einer feststehenden Wendung eher auf mündlichen oder schriftlichen Hintergrund deutet. In einem grundlegenden Aufsatz zur „hermeneutischen Frage in der Theologie“ formulierte Claus Westermann 1968 die Überzeugung, dass rein mündliche Überlieferung an die Gestalt fester Formulierungen gebunden sei, die Niederschrift dagegen auch Freiheiten im Umgang mit dem Traditionsbestand ermögliche: „Erst wo die Traditionen schriftlich fixiert sind, wird es möglich, aus einer vorliegenden schriftlichen Tradition ohne Rücksicht auf die ursprüngliche Form einzelne Gedanken, Vorstellungen, Motive zu übernehmen.“20 Ihm zufolge wären gleichbleibende Formulierungen daher ein Beweis für Oralität als Quelle bestimmter Texte. Mit Blick auf empirische Arbeiten zur Traditionsvermittlung scheint diese Einschätzung heute überkommen. So konstatierte schon 1988 Patricia Kirkpatrick, gestützt auf eigene Feldforschung: „oral compositions are rarely preserved unchanged over an extended period of time“.21 Ähnlich äußerte sich Harald M. Wahl im Zusammenhang seiner Studien zu den Jakobserzählungen.22
Übereinstimmungen, die nicht aus ü[berlieferungs]g[eschichtlich]er oder literarischer Abhängigkeit der Belegtexte voneinander stammen“ sowie EBD., 130; VIEWEGER (in: KREUZER et al.) 2005, 92; die Einordnung des Phänomens „Intertextualität“ im Kapitel zur Redaktionsgeschichte bei BECKER 2015, 93–94; auch WESTERMANN 1968, 217 mit Betonung der Verschiedenheit von mündlicher und schriftlicher Tradierungsweise, vgl. dazu ausführlicher unten. Anders aber UTZSCHNEIDER/NITSCHE 2014, 247: „[D]ie Grenzen zwischen einer traditionsgeschichtlichen und einer intertextuellen Beziehung sind nicht immer eindeutig zu ziehen.“ 20 WESTERMANN 1968, 218. Ähnlich äußert sich zunächst auch ASSMANN 2007, 139: „Der Hauptunterschied zwischen schriftlicher und mündlicher Überlieferung liegt darin, daß mündliche Überlieferung auf Wiederholung basiert, d.h. Variation ausgeschlossen wird, während schriftliche Überlieferung Variation zuläßt, sogar ermutigt.“ Allerdings hebt er die Unterscheidung im Folgenden selbst wieder auf, wenn er feststellt, dieser Grundsatz gelte nicht „im Umgang mit heiligen Texten, für die schon im Bereich der mündlichen Überlieferung äußerste Wortlauttreue strengstes Gebot ist“, vgl. EBD., 145. 21 KIRKPATRICK 1988, 117. 22 Vgl. WAHL 1997, 171: „Im Prozeß der mündlichen Überlieferung wird ein Stoff niemals konserviert […].“
3.1 Zum Motivbegriff
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Der von Wahl beschriebene Paradigmenwechsel von der Annahme der Stabilität mündlicher Überlieferung zur Behauptung ihrer Wandelbarkeit23 wird ansatzweise auch in den alttestamentlichen Methodenlehrbüchern erkennbar. Beispielsweise erklärt Dieter Vieweger zur Einführung in die Motivkritik, dass Motive sowohl ihrer Form als auch ihrer Anwendung nach variabel seien: „Solche Vorstellungskomplexe verdanken ihre Bildung nicht formgeschichtlichen Gegebenheiten.“24 Entsprechend sucht man das Stichwort „Motiv“ bei Vieweger im Kapitel „Formkritik und Formgeschichte“ vergeblich. 25 Auch Uwe Becker scheint nicht mit wortgetreuer mündlicher Tradierung zu rechnen, wenn er im Falle von „liturgischen Formeln oder Weisheitssprüchen“ einen ursprünglich mündlichen Sitz im Leben zwar nicht ausschließt, die betreffenden Texte aber doch eher für Beispiele „intensiver Schreibtischarbeit“ hält.26 Geht man schließlich wie Helmut Utzschneider und Stefan A. Nitsche von der Gleichzeitigkeit mündlicher und schriftlicher Überlieferung derselben Stoffe aus,27 so ergibt sich automatisch, dass eine Unterscheidung zwischen beiden Tradierungsweisen auf Grund der sprachlichen Gestalt unmöglich sein muss.28 Dies deckt sich mit einigen kritischen Anmerkungen Wolfgang Richters zu den stilistischen Gemeinsamkeiten „bei schriftlichen und mündlichen Texten“29 sowie den Grenzen der Unterscheidbarkeit zwischen mündlicher und schriftlicher Tradition: „Die Methode [der Traditionskritik] führt an deutlich markierbare Grenzen und baut damit der Willkür der genialen Ahnungen vor.“30
23
Vgl. WAHL 1997, 211–212. 24 VIEWEGER (in: KREUZER et al.) 2005, 92. 25 Vgl. VIEWEGER (in: KREUZER et al.) 2005, 67–79. 26 BECKER 2015, 79. 27 Vgl. UTZSCHNEIDER/NITSCHE 2014, 294: „[…] können wir auch damit rechnen, dass Mündlichkeit und Schriftlichkeit nebeneinander bestanden, wie dies beispielsweise für viele Volks- und Kirchenlieder und für die Überlieferung moderner Hits der Unterhaltungsmusik auch heute noch der Fall ist: Wiewohl der Text in Schriftform existiert und verfügbar ist, wird er in vielen Situationen mündlich tradiert und kommuniziert.“ 28 Vgl. UTZSCHNEIDER/NITSCHE 2014, 244–245 (zur Intertextualität) sowie EBD., 295: „Von diesen Voraussetzungen her – die Mündlichkeit ist kein einheitliches Phänomen und sie ist bis zur Unkenntlichkeit in die Schriftlichkeit aufgegangen – lässt sich u. E. keine generell anzuwendende Methodik für die Rekonstruktion der mündlichen Vorformen einzelner biblischer Texte angeben.“ Ähnliche Schlussfolgerungen legen aber auch die Äußerungen von BECKER 2015, 104–105 im Zusammenhang der Formgeschichte und KREUZER (in: KREUZER et al.) 2005, 101 am Schluss des Kapitels zur Redaktionskritik sowie die äußerst disparaten Charakterisierungen für „geprägte Sachgehalte“ bei STECK 1999, 127 nahe. 29 RICHTER 1971, 159 Anm. 27. 30 RICHTER 1971, 164. Vgl. auch die implizite Nebeneinanderstellung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit bei KRÜGER 2006, 241: „Zudem ist anzunehmen, dass Traditionen auch ohne spezielle Trägergruppen überleben können – etwa weil sie in einer Gemeinschaft weit verbreitet sind oder weil sie in literarisch fixierter Form vorliegen und ganz unterschiedlichen Personen oder Gruppen zugänglich sind.“
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Offenbar beruht die Trennung zwischen Traditionsgeschichte/-kritik (im Sinne einer Suche nach den gedanklichen Voraussetzungen eines Textes) und der Erforschung schriftlicher Rezeptionsprozesse (mit dem Ziel, literarische Abhängigkeiten zu ermitteln) auf einer ungenügend reflektierten Abstraktion. Zwar können in der Theorie die Geisteswelt einer bestimmten Epoche und deren literarische Zeugnisse voneinander geschieden werden. Folgendes ist jedoch zu bedenken: Da alle menschlichen Ideen des (sprachlichen oder künstlerischen) Ausdrucks bedürfen, um kommunizierbar zu sein,31 muss auch die Übernahme von Ideen in einen neuen Kontext in einer bestimmten, grundsätzlich nachvollziehbaren Weise erfolgen – beispielsweise durch den Gebrauch eindeutiger Redewendungen. Umgekehrt sind Ideen (nur) anhand dieser manifesten Ausdrucksformen nachweisbar. 32 Ferner sind sowohl Ideen als auch Texte Produkte von geistigen Strömungen, so dass durch die Zitation einer Textstelle auf die dahinter liegende Gedankenwelt Bezug genommen werden kann.33 Mithin gleichen sich mündliche und schriftliche Überlieferung (als Varianten der Textentstehung) darin, dass in jedem Fall ein bereits geprägter Inhalt mittels einer spezifischen Sprachgestalt Eingang in eine neue Komposition findet. Ob ein solcher Gegenstand den jeweiligen Rezipientinnen und Rezipienten, d.h. den (neuen) Autorinnen und Autoren schriftlich vorlag, ob er erzählt oder vorgelesen wurde und ob das Vorgetragene dabei einer vorhandenen Vorlage genau entsprach, ist ohne entsprechende Zusatzinformationen am resultierenden Text jedoch nicht abzulesen.34 Weil überdies für die Hebräische Bibel keine eindeutigen Zeugnisse über die Umstände der Textproduktion existieren, ist die Grundlage der strikten Unterscheidung zwischen literarischer Abhängigkeit und gedanklicher Verwandtschaft entsprechender Texte äußerst zweifelhaft. Zwei gleichlautende Textstücke könnten theoretisch auf dieselbe mündliche Quelle zurückgehen, während andererseits die Abhängigkeit eines einzelnen Textes von seiner schriftlichen Quelle dadurch verschleiert sein mag, dass der Quellentext im neuen Text nur sinngemäß, aber nicht wörtlich wiedergegen wurde. Ein weiteres Problem besteht darin, „traditionelle
31
Vgl. WESTERMANN 1968, 218: „Das, was tradiert wird, muß in irgendeinem Sinn eine Form haben. Es werden also nicht Gedanken, Vorstellungen, Theorien, auch nicht freischwebende Motive tradiert, sondern sprachliche Gebilde, die dadurch tradierbar sind, daß sie eine feste Form haben, in der sie weitergegeben werden können.“ 32 Vgl. BECKER 2015, 124: „Die traditionsgeschichtliche Untersuchung eines Einzeltextes kann nur von bestimmten sprachlichen Phänomenen ausgehen, die im Text selbst zum Ausdruck kommen“. 33 Ob mit der Übernahme eines bestimmten Wortlauts tatsächlich die Anknüpfung an dessen ursprünglichen Sinn beabsichtigt war, kann freilich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Kontexte erwogen werden. Vgl. dazu das Folgende. 34 Vgl. KIRKPATRICK 1988, 116: „distinguishing between oral and written texts on the basis of certain stylistic features is no longer tenable“.
3.1 Zum Motivbegriff
101
Vorstellungen als solche zu erkennen“.35 Solange außerbiblische Quellen fehlen, um den charakteristischen Sprachgebrauch und die Überzeugungen einzelner Gruppen (von Schreibenden) zu belegen, kann nur durch Vergleich des vorliegenden Textmaterials erwogen werden, ob ein Inhalt singulär oder weitverbreitet gewesen sein mag und ob er typischerweise in bestimmten Situationen zur Sprache kam. Hier spielt der literarische Kontext der untersuchten Lexeme und Redewendungen eine entscheidende Rolle. Nur wenn eine wiederkehrende Formulierung jeweils auch in ähnlicher Weise verwendet wird, ist davon auszugehen, dass den betreffenden Stellen eine gemeinsame Ansicht zugrunde liegt.36 Gleichwohl dürfen die auf der Textebene feststellbaren Zusammenhänge nicht als unmittelbare und erschöpfende Dokumentation der Ideengeschichte missverstanden werden.37 Angesichts dieser Erkenntnislage nimmt die folgende Untersuchung davon Abstand, die geistige Heimat des Moseliedes vollständig rekonstruieren zu wollen. Anstatt sich der Spekulation über die Gedankenwelt der unbekannten biblischen Autorinnen und Autoren hinzugeben, scheint es redlicher, sich auf die tatsächlich zugänglichen „Textwelten“38 zu konzentrieren. Dies kann konkret nur bedeuten, den Sprachgebrauch in einzelnen Textabschnitten zu vergleichen. Um Zirkelschlüsse zu vermeiden, müssen ferner in der Analyse die Oberflächenstruktur 39 eines Textes (Worte, Wortgruppen, Redewendungen)
35
UTZSCHNEIDER/NITSCHE 2014, 237. 36 Vgl. RICHTER 1971, 99: „Die Fragestellung [d.h. die Suche nach ‚geprägten Elementen‘] ist durchaus nicht auf bloße Mutmaßungen angewiesen […]. Sie besteht in der Feststellung, ob formal gleichgebaute Wortverbindungen oder Wortgruppen wiederholt belegt sind. Der Ausgang von einem einzelnen Wort oder Begriff erlaubt solche Feststellungen nicht; die Wortverbindung läßt aber den für ein Wort oder einen Begriff typischen Kontext erkennen und zeigt seine sprachliche Eingeflochtenheit und stilistische Besonderheiten des Gebrauchs.“ Für eine exemplarische Kritik zur Bestimmung von „Deuteronomismen“ vgl. LOHFINK 1995a, 324: „Eine erste Frage ist, welchen Sinn das Belegstellenzählen für Einzelwörter hat und was entsprechende Wortparallelstellenlisten eigentlich wirklich beweisen“; ähnlich auch HIBBARD 2006, 140; KRAUSE 2014, 58–61; KWON 2016, 23–27.41. 37 Vgl. RÖSEL 2002, 741: „Offenbar reichen die entwickelten Instrumente noch nicht aus, um das wechselseitige Verhältnis von Religion, Sprache und Leben angemessen zu beschreiben und damit sichere Kategorien für die Erkenntnis und Darstellung antiker Denkmuster zu gewinnen“; VETTE 2008, 7: „Da eine Tradition selten in detaillierter Breite in einem Text aufgenommen wird, stützt sich das Erkennen einer Tradition zumeist auf auffällige Leitbegriffe, Bilder, Redewendungen oder Wortensembles, die den Exegeten an Inhaltskomplexe erinnern und die ihn auf Parallelen in anderen Texten aufmerksam machen.“ 38 Vgl. HARDMEIER 2003; DERS. 2004. 39 Vgl. die grundlegende sprachwissenschaftliche Definition der „Oberflächenstruktur“ bei BUßMANN 2008, 487: „Unmittelbar beobachtbare aktuelle Gestalt von Sätzen, wie sie in der Kommunikation verwendet werden“ sowie HARDMEIER 1978, 113; UTZSCHNEIDER/NITSCHE 2014, 63–64.
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
und die dahinter vermuteten Aussageabsichten, d.h. die Tiefenstruktur 40 des Textes, unterschieden und systematisch aufeinander bezogen werden.41 Unter „Motiv“ wird daher im Folgenden eine wiedererkennbare Wortverbindung verstanden, die an mehreren Belegstellen für den gleichen Inhalt steht, d.h. ein Phänomen an der Textoberfläche, dem eine bestimmte Texttiefenstruktur korrespondiert.42
3.2 Zur Motivanalyse im Moselied: Traditionen, Motive, Sprachbilder 3.2 Zur Motivanalyse
Ausgehend von der oben entwickelten Motivdefinition soll im Folgenden nach Parallelen für prägnante Wendungen und Wortgruppen aus dem Moselied gesucht werden. Lexikalisch und syntaktisch eindeutige Entsprechungen können sich selbstverständlich nur in Texten finden, die ebenfalls in hebräischer Sprache abgefasst sind.43 Das Hauptaugenmerk der Analyse wird deshalb auf den Texten der Hebräischen Bibel liegen. Mit Blick auf jede einzelne Belegstelle ist zu überprüfen, was genau mit dem fraglichen Ausdruck jeweils gemeint ist und welche Annahmen er impliziert. Nur wenn über die formale Gemeinsamkeit hinaus auch inhaltliche Übereinstimmungen mit dem Moselied vorliegen, sollen die betreffenden Textstellen als Motivparallelen bezeichnet werden. Es kann aber sein, dass der Sprachgebrauch grundsätzlich gemeinsame Voraussetzungen erkennen lässt und dennoch spezifische Abwandlungen aufweist.
40
Vgl. die Definitionen bei UTZSCHNEIDER/NITSCHE 2014, 64: „Die Art und Weise, in der der Text seine Zeichen arrangiert, nennen wir die ‚Oberflächenstruktur‘“ bzw. EBD.: „Die Art und Weise, in der der Text seine Inhalte entfaltet und darbietet, nennen wir die ‚Tiefenstruktur‘.“ Hilfreich zum Verständnis sind auch die Ausführungen zu Oberflächenund Tiefenstruktur mündlicher und schriftlicher Texte bei ASSMANN 2007, 132. 41 Vgl. RICHTER 1971, 92: „[Der Analyseschritt zur Erarbeitung der Texttiefenstruktur] geht von der Wortebene aus und greift die Glieder heraus, die dort als charakteristisch erkannt worden sind; dabei geht er auf die Bedeutungsseite einzelner Glieder ein, ohne doch den Inhalt schon ins Auge zu fassen. Das Kriterium beruht somit auf der literaturwissenschaftlichen Auswertung semantischer Gesichtspunkte und besteht in der Isolierung mehrfach vorkommender Lexeme oder Bedeutungsklassen von Wortgruppen und Wörtern, die auf ihre Funktion in der Einheit hin befragt werden.“ [Hervorhebung P.S.] Für die häufig anzutreffende Vermischung beider Ebenen vgl. nur STECK 1999, 136, wo die Frage nach „vorgegebene[n] Vorstellungen“ gleichgesetzt wird mit der Suche nach einem „Wortfeld […], das literarisch unabhängig auch in anderen Texten begegnet“, ohne darauf einzugehen, wie vielfältig die Relationsmöglichkeiten von Vorstellungen und Worten sind. 42 Dies entspricht bei unterschiedlicher Terminologie der zitierten Forderung Wolfgang Richters, bei der Untersuchung von Traditionen Form und Inhalt gleichermaßen zu berücksichtigen, vgl. oben Anm. 7. 43 Zur Erweiterung des Bezugsrahmens vgl. den Schluss dieses Abschnitts.
3.2 Zur Motivanalyse
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Deshalb ist ferner zu erwägen, unter welchen Umständen ein Motiv absichtlich abgewandelt oder mit einem anderen Motiv kombiniert worden sein könnte, um die ursprüngliche Vorstellung zu überbieten, in Frage zu stellen oder zu erweitern.44 Weil die große Mehrheit der biblischen Texte nicht eindeutig datierbar ist, bilden derartige Überlegungen zur Pragmatik die wichtigste Grundlage bei der Bestimmung möglicher Abhängigkeiten zwischen den Texten.45 Im Verlauf der Untersuchung wird sich außerdem zeigen, dass Motive im oben definierten Sinn, d.h. sprachlich und kontextuell eindeutig umgrenzte Wortverbindungen, auch dazu benutzt werden können, um übergreifenden theologischen Konzeptionen zum Ausdruck zu verhelfen. Diese müssen ihrerseits nicht in demselben Maße lexikalisch festgelegt sein, sondern können wegen ihres größeren Umfangs auch anhand bestimmter sachlicher Übereinstimmungen (wie der Konstellation von Agierenden oder einer ausdrücklich beschriebenen Überzeugung) identifiziert werden. In den exegetischen Lehrbüchern werden solche – primär über ihren Inhalt definierten – Überzeugungen und Anschauungen meist als „Traditionen“ bezeichnet und bestimmten Trägergruppen zugeschrieben. Im Anschluss an die oben eingeführte Unterscheidung zwischen den zugrunde liegenden Ideen (Tiefenstruktur) und der sprachlichen Gestalt (Oberflächenstruktur) eines Motivs soll hier weiterhin auch zwischen dem theologischen Inhalt einer „Tradition“ (d.h. der eigentlichen Konzeption) und deren sprachlicher Repräsentation differenziert werden. Die Zuordnung eines vorliegenden Textstücks zu einer „Tradition“ bedeutet immer, von der Textgestalt auf die dahinterliegende Theologie zu schließen und aus der Summe ähnlicher theologischer Aussagen eine theologische Strömung zu rekonstruieren.46 Folglich kann für das Moselied auf Grund bestimmter inhaltlicher und sprachlicher Eigenheiten eine Nähe zu anderen Texten konstatiert und diese Nähe als Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen „Tradition“ gedeutet werden. Andererseits ist mit Blick auf manche Formulierungen im Moselied festzustellen, dass an anderen Stellen der Hebräischen Bibel ähnliche Vorstellungen in den gleichen Worten ausgedrückt werden, ohne dass im strengen Sinn eine verbindende Theologie erkennbar wäre. Sogar in den Zeugnissen der altorientalischen Umwelt, speziell den nordwestsemitischen Nachbarkulturen Israels finden sich solche Gemeinsamkeiten im Ausdruck, die auf vergleichbare Vorstellungszusammenhänge hindeuten. 47 Auch scheinen gewisse Formen
44
Vgl. oben Anm. 15. 45 Vgl. HARDMEIER 1978, 288–291 (mit Blick auf den zweckgebundenen Gebrauch eines bestimmten Stils im Unterschied zu formorientierter schriftgelehrter Mosaikarbeit). Vorschläge zur Bestimmung der Rezeptionsrichtung finden sich bei G. FISCHER 2005a, 66–67; LEONARD 2008; LYONS 2009, 59–75; KRAUSE 2014, 61–65. 46 Vgl. KRÜGER 2006, 241: „Dass Traditionen regelmäßig ‚Trägergruppen‘ zugeordnet werden können, […] wird in der Forschung oft mehr behauptet als bewiesen.“ 47 Vgl. die entsprechenden Exkurse in diesem Kapitel.
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
bildlicher Rede über die Grenzen der biblisch-hebräischen Sprache hinweg verbreitet gewesen zu sein. Ähnlich wie dies im Bereich der Ikonographie durch die Schule von Othmar Keel bereits angezeigt wurde, darf mithin auch hinsichtlich poetischer Ausdrucksformen davon ausgegangen werden, dass die Hebräische Bibel „Lokalausprägungen des Phänomens Religionen in SyrienPalästina“48 abbildet und damit Teil eines (sogar über den genannten Raum noch hinausgehenden) kulturellen Kontinuums ist. Bei der Analyse der einzelnen Motive des Moseliedes wird also nicht nur auf die Verwandtschaft mit innerbiblisch belegten theologischen Traditionen hinzuweisen sein, sondern auch auf die erkennbare Einbettung in den weiteren Kontext nordwestsemitischer Dichtung.49
3.3 Die einzelnen Motive 3.3 Die einzelnen Motive
3.3.1 Der Liedauftakt: Höraufrufe an Himmel und Erde (V.1) Die Eröffnung des Moseliedes mit den parallelen Aufforderungen ĘģĜęēė („Horcht“) und ĥġŘĭ („sie soll hören“) ähnelt Höraufrufen in anderen poetischen Stücken der Hebräischen Bibel, die sich ebenfalls mit den beiden Verben Ģęē Hif („hinhören“, „horchen“) und ĥġŘ („hören“) an die Zuhörenden wenden.50 Dtn 32,1: 1
a Horcht, ihr Himmel, so will ich reden, b und die Erde höre die Worte meines Mundes.
ėīĔĖēĘĠĜġĬėĘģĜęēė ĜħČĜīġēĨīēėĥġĬĭĘ
Die Vergleichstexte sind auf alle Teile des heutigen Kanons verteilt und dabei genau wie das Moselied meist in Erzählzusammenhänge eingebunden51 oder Teil von Propheten-Reden.52 Eine Reihe von Belegen findet sich jedoch auch in den Psalmen.53 Hier ist zumeist Gott der Adressat,54 während im Übrigen
48
NIEHR 1998, 239. 49 Für einen Überblick (mit einem Schwerpunkt auf den Gemeinsamkeiten mit der ugaritischen Literatur) vgl. GREENFIELD 1987a. 50 Der Parallelismus kann jedoch auch um ein drittes Verb erweitert sein, vgl. Ps 17,1; Jes 28,23; Hos 5,1 für ĔŘĪ Hif („aufmerken“) neben Ģęē Hif und ĥġŘ. 51 Vgl. Gen 4,23 („Lamech-Lied“); Num 23,18 (Spruch Bileams); Ri 5,3 („DeborahLied“); Hi 33,1; 34,2.16 (Elihu-Reden). 52 Vgl. Jes 1,2.10; 28,23; 32,9; Jer 13,15; Hos 5,1; Joel 1,2. 53 Vgl. Ps 17,1; 39,13; 49,2; 54,4; 84,9; 143,1. 54 Eine Ausnahme bildet nur Ps 49,2, der sich an die „Völker“ (ĠĜġĥ) bzw. „Bewohner der Welt“ (ĖğĚ ĜĔĬĜ) richtet.
3.3 Die einzelnen Motive
105
verschiedene Einzelpersonen, 55 kleinere Gruppen 56 oder auch das gesamte Volk57 angesprochen sein können. Ferner können dem Appell zum Zuhören sowohl Hymnen58 als auch Drohungen,59 Unterweisungen60 wie Klagen61 folgen. So ist diese Form der Anrede nicht auf einen bestimmten Inhalt oder Kontext beschränkt. Als wesentliche Gemeinsamkeit aller zitierten Passagen ist vielmehr ihre textpragmatische Funktion zu erkennen: Höraufrufe wie am Anfang des Moseliedes scheinen an den unterschiedlichsten Stellen gewählt worden zu sein, um die Aufmerksamkeit der Textrezipierenden zu sichern.62 Die Suche nach Parallelstellen für „Himmel“ (ĠĜġŘ) und „Erde“ (Ĩīē) als Adressierte des Höraufrufs erbringt ebenfalls ein uneinheitliches Ergebnis.63 Nur ein einziges Mal außerhalb des Moseliedes sind in Jes 1,2 ebenfalls „Himmel“ und „Erde“ explizit als Hörende angesprochen, und zwar mit denselben Verben in vertauschter Reihenfolge.64 Jes 1,2:65 ĨīēĜģĜęēėĘĠĜġĬĘĥġĬ ī ĔĖėĘėĜĜĞ
Hört, ihr Himmel, und horche, Erde, denn JHWH hat geredet.
55
Vgl. Num 23,18: Balak; Hi 33,1: Hiob. 56 Vgl. Gen 4,23: Lamechs Frauen; Hi 34,2: die „Weisen“ (ĠĜġĞĚ) und „Erkennenden“ (ĠĜĥĖĜ); Jes 32,9: Frauen Jerusalems. 57 Vgl. Jes 1,10; 28,23; Jer 13,15; Hos 5,1; Joel 1,2. 58 Vgl. Ri 5,3; Ps 84,9. 59 Vgl. Jes 1,2.10; 32,9; Jer 13,15; Hos 5,1. 60 Vgl. Num 23,18; Hi 34,2.16; Ps 49,2; Jes 28,23; Joel 1,2. 61 Vgl. Ps 39,13; 54,4; 143,1. 62 Vgl. die Charakterisierungen bei HOSSFELD/ZENGER 2000, 90 (zu Ps 54,4): „standardisierte Rede“; GROß 2009, 304 (zu Ri 5,3): „konventionelle Sprache“; BEUKEN 2010, 241 (zu Jes 32,9): „Der Höraufruf zielt auf eine Annahme der Botschaft“, mit Verweis auf Gen 4,23; Mi 6,1, sowie die Urteile bei WESTERMANN 1976a, 454 (zu Gen 4,23): „Die Aufforderung zum Hören als Einleitung eines Wortes oder Liedes ist nicht an eine bestimmte Redeform gebunden“; GROß 2009, 304 (mit Verweis auf HARDMEIER 1978): „Höraufrufe fungieren gattungsunabhängig als Redeeröffnungen am Anfang eines Textes oder Textabschnitts.“ Anders WOLFF 1990, 122–123 (zu Hos 5,1) mit der verallgemeinernden Klassifizierung mehrgliedriger Höraufrufe als „Lehreröffnungsformel“. 63 Vgl. BOSTON 1968, 198–199. 64 Das hier vorliegende Phänomen, dass zwei (möglicherweise) voneinander abhängige Textstellen einander nicht genau gleichen, sondern die zentralen Worte in umgekehrter Reihenfolge bieten, wird in Anlehnung an Beobachtungen von Moshe Seidel zu Parallelen des Jesaja-Buches mit den Psalmen gelegentlich als „Seidels Gesetz“ bzw. ğĖĜĜęĪĘĚ bezeichnet. SEIDEL 1978, Ė zitiert auch die Parallele von Dtn 32,1 und Jes 1,2. Er liefert jedoch keine Methode zur Bestimmung der Rezeptionsrichtung, weil aus seiner Sicht die zeitliche Priorität der Psalmen und auch des Deuteronomiums gegenüber Jesaja ohnehin feststand. 65 Zu dieser engen Parallele vgl. ausführlich das Folgende.
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Eine implizite Parallele findet sich in Ps 50,4, wo das göttliche Rufen ein Hören von „Himmel“ und „Erde“ voraussetzt: ğĥġĠĜġĬėČğēēīĪĜ ĘġĥĢĜĖğĨīēėČğēĘ
[Unser Gott] ruft zu den Himmeln oben und zur Erde zu richten sein Volk.
Häufiger ist die Erde allein oder mitsamt ihrer Bewohnerschaft Adressatin einer Aufforderung zum Hören, jedoch (fast) nie gleichzeitig in Kombination mit den beiden Verben Ģęē Hif und ĥġŘ.66 Dagegen steht die Eröffnung des Moseliedes den Aufrufen in Ri 5,3; Ps 49,2 sehr nahe, insofern diese beiden Verse sich mit den Verben ĢęēHif undĥġŘ zwar nicht an „Himmel“ und „Erde“, aber ebenso wie Dtn 32,1 an ein „weltweites Publikum“67 richten. Ri 5,3: Hört, ihr Könige, horcht ihr Würdenträger, ich, für JHWH will ich singen.
ĠĜģęīĘģĜęēėĠĜĞğġĘĥġĬ ėīĜĬēĜĞģēėĘėĜğĜĞģē
Ps 49,2: ĠĜġĥėČğĞĭēęČĘĥġĬ ĖğĚĜĔĬĜČğĞĘģĜęēė
Hört dies, alle ihr Völker, horcht, alle ihr Bewohner der Welt.
Gleiches gilt für Mi 6,1–2 mit den an die „Berge“ (ĠĜīėė), „Hügel“ (ĭĘĥĔĕė) und die „Fundamente der Erde“ (ĨīēĜĖĤġ) gerichteten Variationen des Verbs ĥġŘ. Aber auch die Höraufrufe an „Inseln“ (ĠĜĜē) und „Völker“ (ĠĜġēğ) in Jes 49,1, an die „Nationen“ (ĠĜĘĕ), die das Gehörte auf den Inseln weiterverkünden sollen, in Jer 31,10 oder an die „Berge Israels“ (ğēīĬĜĜīė) in Ez 36,4 sind hier zu nennen. Mit dem Himmel zusammen kann die Erde andererseits nicht nur zum Hören, sondern auch zum Jubeln aufgefordert sein.68 Eine gegenteilige Reaktion auf göttliches Handeln wird in Jer 4,28 angekündigt, wo Erde und Himmel trauern. Aufrufe an den Himmel (ohne die Erde) finden sich hingegen in Dtn 32,43 (4QDeutq, vgl. LXX); Ps 148,4 zum Lob und Jer 2,12 zum Erschrecken. Auch in der Durchsicht dieser Aufforderungen zeigt sich, dass „Himmel“ und „Erde“ keine exklusiv Adressierten sind.69
Vgl. Jes 8,9 (nur ein Verb: Ģęē Hif); 34,1 (ĥġŘ und ĔŘĪ Hif); Jer 6,18–19 (ĥġŘ und ĥĖĜ); 22,29 (nur ein Verb: ĥġŘ); Mi 1,2 (ĥġŘ und ĔŘĪ Hif); 6,2 (ĥġŘ und konjiziert Ģęē Hif, vgl. WOLFF 2004, 136–137). 67 GROß 2009, 304 (bezogen auf Ri 5,3). 68 Vgl. Ps 69,35; 96,11/1.Chr 16,31; Jes 44,23; 49,13; Jer 51,48. 69 So werden in Ps 69,35 und 96,11 /1.Chr 16,31 auch die „Meere“ (ĠĜġĜ) bzw. „das Meer“ (ĠĜė), in Ps 148,4 neben den „Himmeln der Himmel“ (ĠĜġĬė ĜġĬ) noch die „Wasser über den Himmeln“ (ĠĜġĬė ğĥġ īĬē ĠĜġė) erwähnt. In Jes 44,23 sind außer „Himmel“ und 66
3.3 Die einzelnen Motive
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Hinsichtlich einer möglichen literarischen Abhängigkeit fällt auf, dass die Suche nach Parallelen zum doppelten Höraufruf in Dtn 32,1 mehrfach ins Jesaja-Buch führt. Einerseits finden sich in Jes 1–39 gehäuft die erwähnten Höraufrufe an verschiedene Adressatinnen und Adressaten,70 andererseits spielen „Himmel“ und „Erde“ (als gemeinsam Agierende) v.a. im hinteren Teil des Jesaja-Buches eine prägnante Rolle.71 Schon diese Feststellung deutet darauf hin, dass Jes 1,2 mit Blick auf ein schon weitgehend vorliegendes Jesaja-Buch formuliert wurde. Angesichts der zahlreichen Querbezüge zu anderen Stellen im Buch kann der Abschnitt Jes 1,2–9 geradezu als „einleitende Zusammenfassung der Botschaft Jesajas“72 bezeichnet werden. Da also bei der Abfassung des Jesaja-Prologs offenbar bewusst auf die schon existierende Jesaja-Literatur zurückgegriffen wurde, um das Buch „mit einem Text zu eröffnen, der deutlich jesajanisches Profil trug“,73 und sich die Formulierung von Jes 1,2 gut als Synthese jesajanischer Wendungen erklären lässt, ist es unwahrscheinlich, dass hier zudem das Moselied rezipiert wurde. Vielmehr erscheint die Aufnahme von Jes 1,2 in Dtn 32,1 sehr plausibel, weil der Autor oder die Autorin des Moseliedes als der „nachahmende Dichter“74 auf diese Weise die eigentlich JHWH angemessene Haltung übernahm, indem er oder sie Himmel und Erde als Zuhörerschaft reklamierte. Auch abgesehen von den inner-jesajanischen Zusammenhängen müsste umgekehrt die Modellierung der JHWH-Rede in Jes 1 nach dem Vorbild des oder der menschlichen Singenden in Dtn 32 deutlich weniger überzeugend wirken. Darüber hinaus aber macht die Vielzahl der mit Dtn 32,1 und Jes 1,2 verwandten und über die gesamte Hebräische Bibel verteilten Höraufrufe deutlich, dass wir es hier insgesamt nicht mit einer eigenständigen Tradition, sondern mit einer rhetorischen Figur zu tun haben.75 Denn der Parallelismus der Verben Ģęē Hif und ĥġŘzeigt an sich offenbar keine spezifische Thematik an. Der innerbiblische Vergleich ergibt vielmehr, dass die beiden Verben unabhängig vom inhaltlichen Zusammenhang des Textes oft wegen ihres pragmatischen Gehalts verwendet werden. Dies erklärt, warum an ihrer Stelle oder ergänzend auch andere, gleichbedeutende Verben (v.a. ĔŘĪ Hif) gebraucht werden. Es
„Erde“ auch „Berge“ (ĠĜīė), „Wald“ (īĥĜ) und „Baum“ (Ĩĥ), in Jes 49,13 ebenfalls die „Berge“ mit angesprochen und zum Gotteslob aufgefordert. 70 Vgl. den Parallelismus der Verben Ģęē Hif und ĥġŘ in Jes 1,2.10; 28,23; 32,9 sowie BEUKEN 2003, 70: „Der doppelte Aufruf, auf Gottes Wort zu hören, klingt in unterschiedlichen Kontexten durch das gesamte Jesaja-Buch“. 71 Vgl. Jes 13,13; 37,16; 40,12.22; 42,5; 44,23.24; 45,8.12.18; 48,13; 49,13; 51,6.13.16; 65,17; 66,1.22. 72 K. SCHMID 2011a, 48. 73 BEUKEN 2003, 66, vgl. WILDBERGER 1972, 16–17. 74 DUHM 1968, 24. 75 Vgl. TIGAY 1996, 509 mit dem allgemeinen Hinweis auf die Verwandtschaft des Moseliedes mit unterschiedlichen literarischen Genres.
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handelt sich bei der doppelten Aufforderung in Dtn 32,1/Jes 1,2 also um eine spezifische Ausprägung einer grundsätzlich verbreiteten und kontextuell nicht festgelegten Redeform.76 Ähnlich verhält es sich mit dem Appell an „Himmel“ und „Erde“, der schwerpunktmäßig bei den Propheten, aber in inhaltlich höchst unterschiedlichen Zusammenhängen und ebenfalls mit Variationen vorkommt. Schon die gelegentliche Kombination von Himmel und Erde als Adressierte mit anderen menschlichen und nicht-menschlichen Größen sollte davor bewahren, den Topos zu eng zu fassen. Fernerhin ist zu bedenken, dass alle Belegstellen für die parallele Anrufung von Himmel und Erde der Poesie zuzurechnen sind.77 Als Hintergrund dieses speziellen Parallelismus muss folglich keine besondere inhaltliche Konstellation (Zeugenvorstellung, Kosmologie o.Ä.), sondern schlicht das formale poetische Grundprinzip des Parallelismus membrorum angenommen werden. 78 In Verbindung mit der oben ermittelten textpragmatischen Funktion der Höraufrufe kommt Himmel und Erde eine Stellvertreterfunktion zu, wenn sie in Psalmen und Prophetenbüchern zum Hören, Trauern oder Jubeln aufgerufen werden. Sie werden dazu aufgefordert, sich so zu verhalten, wie es eigentlich die menschlichen Hörenden bzw. Lesenden tun sollten. Auf diese Weise kann sich der Text an ein konkretes Gegenüber richten und dieses direkt anreden, ohne sich jedoch auf eine bestimmte Zielgruppe festlegen zu müssen. Die gewählte Anrede scheint im Gegenteil die Allgemeingültigkeit des Gesagten zu unterstreichen. Indem der Radius der Adressatenschaft derartig weit gezogen ist, wird dem Gesagten unwillkürlich weitreichende Bedeutung zugesprochen.79
76
Vgl. HARDMEIER 1978, 302–303: „Der Höraufruf repräsentiert nichts anderes als die verschiedenen Typen von Redetexten gemeinsame Textfunktion der Aufmerksamkeitsforderung am Textanfang, genau gesagt, die Aufmerksamkeitsforderung eines Sprechers gegenüber einem Adressaten für seine unmittelbar folgende Äußerung“; ähnlich mit Blick auf Ps 78,1 auch GÄRTNER 2012, 52: „Der Höraufruf steht im Zusammenhang verschiedener Vorstellungskomplexe und Bezugstexte.“ 77 Vgl. Ps 50,4; 69,35; 96,11/1.Chr 16,31; Jes 1,2; 44,23; 49,13; Jer 4,28; 51,48. 78 Vgl. HARDMEIER 1978, 311–312 Anm. 86. 79 Vgl. KLOSTERMANN 1893, 268–269; STEUERNAGEL 1900, 114–115 (zu Dtn 32,1): „Der Gegenstand der Dichtung ist der erhabenste, der sich denken lässt; dem entsprechend [sic] fordert der Dichter Himmel und Erde auf ihm zuzuhören, d.h. die ganze Welt, wie dies ähnlich Jes 1,2 u. sonst geschieht. Dadurch wird von vornherein in dem Leser oder Hörer des Gedichts das Gefühl erweckt, dass das Lied auch seine besondere Beachtung verdient“; NELSON 2002, 370; BEUKEN 2003, 70: „Im Jesaja-Buch stehen Himmel und Erde für die weltweite Bedeutung dessen, was sich zwischen Gott und Israel abspielt.“
3.3 Die einzelnen Motive
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3.3.1.1 Der Sonderfall im Deuteronomium: Himmel und Erde als Zeugen Anders als in den bisher vorgestellten Fällen verhält es sich in Dtn 4,26; 30,19; 31,28. Himmel und Erde sind hier nicht die eigentlichen Adressaten, sondern werden von Mose nur als Zeugen seiner Rede benannt.80 Dtn 4,26/Dtn 30,19: Ich habe heute die Himmel und die Erde als Zeugen gegen euch aufgerufen…
ČĭēĘĠĜġĬėČĭēĠĘĜėĠĞĔĜĭĖĜĥė Ĩīēė
Dtn 31,28: Versammelt alle Ältesten eurer Stämme und eure Amtsträger zu mir, so will ich diese Worte in ihre Ohren reden und die Himmel und die Erde als Zeugen gegen sie aufrufen.
ĠĞĜěĔĬĜģĪęČğĞČĭēĜğēĘğĜėĪė ĭēĠėĜģęēĔėīĔĖēĘĠĞĜīěĬĘ ČĭēĠĔėĖĜĥēĘėğēėĠĜīĔĖė ĨīēėČĭēĘĠĜġĬė
Zwar wird eine dem Moselied ähnliche Weltsicht erkennbar, der zufolge nichtmenschliche Agierende innerhalb des menschlichen Handlungsraumes Einfluss nehmen können. Die an den drei genannten Stellen in Variationen vorgetragene Ankündigung des Mose, JHWH werde die Untreue seines Volkes bestrafen, richtet sich aber sinnvollerweise ausschließlich an das Volk selbst: Ihm wird unterstellt, sich nicht nach JHWHs Willen zu verhalten. Deshalb muss ihm zur Abschreckung gedroht werden. Ein entsprechender Appell an Himmel und Erde fehlt, da diese hier nicht mit dem Volk auf einer Ebene gedacht werden. Vielmehr scheinen sie in Dtn 4,26; 30,19; 31,28 keinerlei eigener Unterweisung zu bedürfen und deshalb ausdrücklich als dritte Partei zwischen JHWH und dem Volk auftreten zu können. Mit einer solchen Instanz rechnet das Moselied nicht. Stattdessen entsteht der gewünschte Nachdruck in Dtn 32,1 gerade dadurch, dass gegenüber JHWH die ganze Welt zur demütigen Anerkennung verpflichtet wird.81 In ihrer Pragmatik unterscheiden sich Dtn 4,26; 30,19; 31,28 daher grundlegend von den zuvor besprochenen Texten (einschließlich des Moseliedes),82 in denen Himmel und Erde eine Stellvertreterfunktion für das Volk zugedacht war.83
80
Vgl. auch den Exkurs „Zeugenschaft in der Hebräischen Bibel“ in Kap. 5. 81 Vgl. KLOSTERMANN 1893, 269: „Allerdings aber ist es auf ein bloße Zeugenschaft nicht abgesehen, sondern auf mehr […]“ sowie den Schluss des Liedes (Dtn 32,39–43), der besonders deutlich macht, dass JHWH keinen Beistand zur Durchsetzung seines Gerichts benötigt. 82 Anders DILLMANN 1886, 395; MAYES 1981, 382; LUNDBOM 2013, 872. 83 Vgl. S.R. DRIVER 1902, 349 (zu Dtn 32,1 mit Verweis auf Ps 50,4; Jes 1,2; 34,1; Mi 1,2; 6,1–2): „Heaven and earth are invoked, not as witnesses (426 3019 3128), but as forming an audience whose attention may be claimed on account of the solemnity and importance of the truths which the poet has to declare“; ähnlich BUDDE 1920, 13; TIGAY 1996, 299.509–
110
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Exkurs: Zur Deutung des Moseliedes als „Gerichtsrede“ Die im Anschluss an Hermann Gunkel in den 50er und 60er Jahren des 20. Jhs. populär gewordene formgeschichtliche Klassifizierung des Moseliedes als „Gerichtsrede“84 hat eine Reihe von Argumenten gegen sich.85 Zum einen sind die einschlägigen Untersuchungen 86 sehr uneinig darüber, worin genau die mutmaßlichen Übereinstimmungen der in Frage kommenden Texte87 bestehen und wie diese zu erklären seien, so dass schlicht eine Grundlage dafür fehlt, zwingend eine gemeinsame Herkunft anzunehmen. Zum anderen treffen gerade auf das Moselied wichtige Gemeinsamkeiten, die an mehreren der übrigen Texte zu beobachten sind, nicht zu. So zeichnet sich die hypothetische Gattung der „Gerichtsrede“ („rib-pattern“)88 zwar nach Ansicht der meisten Autoren grundsätzlich durch den bereits von Gunkel und Joachim Begrich skizzierten charakteristischen Aufbau aus (Eröffnung, Anklage, Schuldspruch, Urteil).89 Die einzelnen Form-Elemente werden jedoch immer wieder anders umrissen, so dass in der Auseinandersetzung mit den konkreten Texten häufig einzelne, jeweils unterschiedliche sprachliche oder thematische Aspekte im Vordergrund stehen.90 Zu den möglichen Kriterien für die Zugehörigkeit zur Gruppe der „Gerichtsreden“ gehören neben der Anrufung von Himmel und Erde91 auch das Vorkommen der Wurzel ĔĜī („streiten“ bzw. „Rechtsstreit“) 92 oder die
510; NELSON 2002, 370. Zur unterschiedlichen Deutung von „Himmel“ und „Erde“ in Moselied (Dtn 32,1) und Rahmen (Dtn 31,28) vgl. auch Kap. 5.4.1.9. 84 Vgl. Gunkels Ausführungen zur „prophetischen Gerichtsrede“ in der Einleitung „Die Propheten als Schriftsteller und Dichter“ bei H. SCHMIDT 1915, LXIV–LXVI; GUNKEL/BEGRICH 1985 (Erstauflage 1933), 329 mit weiteren Ausführungen von Begrich EBD., 364–366. 85 Vgl. aber die positive Aufnahme z.B. bei BOSTON 1966, 158–171; MAYES 1981, 382; TIGAY 1996, 509. Dagegen ausdrücklich CHRISTENSEN 2002, 794; OTTO 2017, 2173. 86 Vgl. unter Berücksichtigung des Moseliedes: HUFFMON 1959; HARVEY 1962; WRIGHT 1962; VON WALDOW 1963; DELCOR 1966; dagegen ohne Bezug auf das Moselied: WÜRTHWEIN 1952; GEMSER 1955; WESTERMANN 1960. 87 Genannt werden in der Regel mindestens Jes 1,2–3; Jer 2; Hos 4,1–3; Mi 6,1–8; Ps 50; dazu öfter auch Dtn 4,26; 30,19; 31,28. 88 Vgl. für diesen Begriff GEMSER 1955; HARVEY 1962. 89 So im Wesentlichen schon bei GUNKEL/BEGRICH 1933, vgl. DIES. 1985, 365; ähnlich HUFFMON 1959, 285–286; WRIGHT 1962, 52. Vgl. aber auch WESTERMANN 1960, 93.143– 144; HARVEY 1962, 177; DELCOR 1966, 19. 90 Vgl. zu dieser Problematik VON WALDOW 1963, 10–11; DANIELS 1987, 360 (mit Blick auf Jes 1; Jer 2; Mi 6; Hos 4): „In the absence of structural and/or contentual features which group these texts together and distinguish them from other texts, not only should the term ‘prophetic lawsuit’ be abandoned but also the underlying conception that these texts belong to a single genre.“ 91 Vgl. HUFFMON 1959, 286–289; DELCOR 1966, 19–20. 92 Vgl. GREMSER 1955.
3.3 Die einzelnen Motive
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Thematik des Bundes.93 Wo die Anrufung von Himmel und Erde einhellig zum essenziellen Bestandteil erklärt wird, streitet man sich, ob sie als Zeugen oder als Richter auftreten94 und welcher Art ihre Autorität ist.95 Uneinigkeit herrscht weiter im Hinblick darauf, ob die Vorstellung eines Rechtsstreits mit JHWH auf (hethitische oder assyrische) Vasallenverträge,96 auf ursprünglich profane Rechtsvorgänge im eigenen Land97 oder auf das Mythologem einer Götterversammlung98 zurückgeht und ob solche Auseinandersetzungen in Israel (möglicherweise am Tempel) tatsächlich inszeniert wurden99 oder nur als literarische Form100 Gestalt gewannen.101 Der widersprüchliche Umgang mit diesen Fragen erinnert an die zu Beginn dieses Kapitels diskutierten Schwierigkeiten, eine verlässliche Motivdefinition zu finden. Auf der Ebene der Gattung lässt die Debatte um die Form der „Gerichtsrede“ vergleichbare Unschärfen erkennen.102 Will man sich angesichts der weit auseinandergehenden Einschätzungen auf das zweifelsfrei Feststellbare konzentrieren, fällt im Vergleich mit den möglichen Formparallelen auf, dass sich im Moselied gerade der namengebende Begriff ĔĜī („Rechtsstreit“) nicht findet. Auch der Bund spielt als Thema im Moselied keine Rolle. Andererseits bestehen, wie oben gezeigt, für die Redeeröffnung durchaus sprachliche Parallelen zu anderen Texten, die thematisch nicht mit irgendeiner Art von „Gerichtsrede“ in Verbindung zu bringen sind.103 Schließlich ist nicht zu übersehen, dass das Moselied in seiner vollen Länge das angenommene Formschema („primary lawsuit form“)104 in jedem
93
Vgl. WÜRTHWEIN 1952, 12–15; HUFFMON 1959, 292–294; HARVEY 1962, 180; VON WALDOW 1963, 19–25; DELCOR 1966, 24. 94 Vgl. die Diskussionen bei VON WALDOW 1963, 14–19; DELCOR 1966, 23–24. 95 D.h., ob sie eine von JHWH unabhängige Qualifikation für ihr Amt haben, vgl. ausführlich WRIGHT 1962, 45–49. 96 Vgl. HUFFMON 1959, 291.294; HARVEY 1962, 180–184.186–188; DELCOR 1966, 22, die sich hier v.a. auf MENDENHALL 1955, 31–34 beziehen, obwohl dieser selbst das Moselied ausdrücklich nicht als ‘lawsuit’ o.Ä. auffasste, vgl. MENDENHALL 1975, 66.70.72. 97 Vgl. WESTERMANN 1960, 97. 98 Hier werden dann auch Texte wie Ps 82 oder Jes 41; 44 in die Diskussion einbezogen, vgl. HUFFMON 1959, 286.290–291.295; HARVEY 1962, 190; WRIGHT 1962, 42.46 sowie zu dieser Thematik ebenfalls unten den Exkurs „Eljon und die Gottessöhne“. 99 Vgl. WÜRTHWEIN 1952. 100 Vgl. WESTERMANN 1960. 101 Vgl. zu den unterschiedlichen Herleitungen DANIELS 1987, 339–340. 102 Vgl. die Problemanzeige bei VON WALDOW 1963, 3, der sich der Traditionsgeschichte der „prophetischen Gerichtsreden“ zuwendet, weil „die Formgeschichte bisher zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen ist“ sowie EBD., 19–20 für eine präzise Unterscheidung zwischen formalen und inhaltlichen Gesichtspunkten. 103 Vgl. BOSTON 1966, 152: „On the basis of this evidence of variety of function, it would seem to me that one should not attempt to put very much emphasis on the use of the expression as a formal element in any Gattung“; DERS. 1968, 198–199; DANIELS 1987, 360. 104 WRIGHT 1962, 54.
112
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Fall sprengt. Nimmt man aber an, das Lied repräsentiere eine erweiterte Form (mit einem Kern in Dtn 32,1–25105 oder 1.4–29106), so ließen sich gerade die Verse, welche ausdrücklich von JHWHs Gericht handeln (vgl. Dtn 32,40–42), nicht mit der Zugehörigkeit zu einer ursprünglichen Gattung der „Gerichtsrede“ begründen. Die bisherige Analyse der Moseliederöffnung hat gegenüber dem vorgestellten formgeschichtlichen Erklärungsansatz (mit der Deutung des Liedes als „Gerichtsrede“) gezeigt, dass sowohl die aufmerksamkeitsfordernden Höraufrufe „Horcht!“ (ĘģĜęēė) und „sie soll hören“ (ĥġŘĭ) als auch die stellvertretende Anrede von „Himmel“ (ĠĜġŘ) und „Erde“ (Ĩīē) als umfassendes Auditorium Parallelen in unterschiedlichen Kontexten und nahezu allen Teilen der Hebräischen Bibel haben und dass diese Parallelen textpragmatischer Art sind.107 Ferner scheint die engste Parallele zu Dtn 32,1, namentlich der Höraufruf in Jes 1,2, gut als redaktionelles Produkt im fortgeschrittenen Entstehungsstadium des Jesaja-Buches erklärbar zu sein und zugleich wegen seiner programmatischen Stellung am Anfang der dort aufgezeichneten Botschaft von JHWH eine theologisch reizvolle Vorlage für das Moselied zu geboten zu haben.108 3.3.2 Die Charakterisierung der Rede als Unterweisung (V.1–2) Wie sich gezeigt hat, ist die Eröffnung des Moseliedes durch den doppelten Höraufruf an Himmel und Erde noch nicht auf eine bestimmte Thematik festgelegt. Erst die nähere Bezeichnung dessen, worauf man hören soll, weist in einen enger umgrenzten Vorstellungsraum. Es ist dies die gedankliche Sphäre der Weisheit, wie sie v.a. in den Proverbien greifbar wird. Dtn 32,1–2: 1 2
a b a b c d
Horcht, ihr Himmel, so will ich reden, und die Erde höre die Worte meines Mundes. Tropfen wie der Regen soll meine Lehre, rieseln wie der Tau meine Rede, wie Regenschauer auf Grün und wie Regengüsse auf Gras.
ėīĔĖēĘĠĜġĬėĘģĜęēė ĜħČĜīġēĨīēėĥġĬĭĘ ĜĚĪğīěġĞĦīĥĜ ĜĭīġēğěĞğęĭ ēĬĖČĜğĥĠīĜĥĬĞ ĔĬĥČĜğĥĠĜĔĜĔīĞĘ
Zunächst lässt sich in weisheitlichen Texten eine Tendenz erkennen, mit suffigiertem ėħČĜīġē („die Worte meines/deines/seines Mundes“, vgl. Dtn 32,1b)
105
Vgl. HUFFMON 1959, 289; HARVEY 1962, 177. 106 Vgl. WRIGHT 1962, 52–54. 107 Vgl. TIGAY 1996, 299.509. 108 Zu weiteren Anleihen aus dem Jesaja-Buch, die diese Einschätzung erhärten, vgl. das Folgende und besonders das Fazit unter 3.4.
3.3 Die einzelnen Motive
113
Lehrinhalte zu bezeichnen. 109 Eindeutig gilt dies dann für den Begriff Ě ąĪ Ąğ („Lehre“), der außer in Dtn 32,2a noch acht Mal in MT vorkommt und dabei immer in Kombination mit weisheitlichen Charakterisierungen steht.110 So bezeichnen die mit Ě ąĪ Ąğ parallelisierten Substantive fast alle eine Anleitung zu gelingendem Leben.111 Umgekehrt werden die Worte Hiobs in Hi 11,4 durch Zofar der Weisheit JHWHs entgegengesetzt (vgl. Hi 11,5–6) und damit Hiobs Anspruch, eine „Lehre“ zu verkünden, abgelehnt. Schließlich handelt es sich bei dem Gotteswort Jes 29,24 um eine Verheißung für die noch Unverständigen, so dass die positive Wirkung der „Lehre“ unmittelbar dem „Irren“ (ėĥĭ) und „Murren“ (Ģĕī) der Menschen kontrastiert wird.112 Demgegenüber werden die Empfänger einer „Lehre“ in den betreffenden Texten ausnahmslos als „Weise“ qualifiziert.113 Die Vergleiche der „Lehre“ mit Regen oder Tau in Dtn 32,2114 scheinen dagegen nicht zwingend weisheitlicher Naur zu sein. Zwar drückt Hi 29,23 in ähnlichen Worten einen ähnlichen Zusammenhang aus wie das Moselied: Und sie warteten auf mich wie auf den Regen und haben ihren Mund aufgesperrt wie nach Spätregen.
ĜğīěġĞĘğĚĜĘ ĬĘĪğġğĘīĥħĠėĜħĘ
109
Vgl. Ps 78,1; Prov 4,5; 5,7; 7,24; 8,8 sowie die expliziten Zuschreibungen in den jeweiligen Textabschnitten: Ps 78,1: ğĜĞřġ („Weisheitslied“ ?, vgl. Zürcher Bibel 2007; SÆBØ 1976, 826; Ges18, 747: „(?) Kunstlied, (?) Lehrgedicht, (?) Wechselgesang“); Prov 4,1; 5,1; 7,1 (Höraufrufe eines Vaters an seine Söhne/seinen Sohn); Prov 8,1.3 (Einlei ĤĘġ („Zucht“, „Erziehung“) sowie tung zur Rede der personifizierten Weisheit); Prov 8,10: ī die einschlägigen Parallelismen zu ėħČĜīġē innerhalb der Vergleichstexte: Ps 78,1: ėīĘĭ („Weisung“), Prov 4,5: ėġĞĚ („Weisheit“); ėģĜĔ („Erkenntnis“). 110 Vgl. Hi 11,4; Prov 1,5; 4,2; 7,21; 9,9; 16,21.23; Jes 29,24 sowie BOSTON 1968, 201. Von den sechs Proverbien-Belegen für Ě ąĪ Ąğ werden drei explizit als Teil einer Unterweisung ausgezeichnet, vgl. Prov 1,1 (zu 1,5): ğēīĬĜ ĝğġ ĖĘĖČĢĔ ėġğĬ ĜğĬġ („Sprüche Salomos, des Sohnes Davids, des Königs von Israel“); Prov 4,1 (zu 4,2): Ĕē īĤĘġ („Zucht“ bzw. „Erziehung des Vaters“); Prov 9,1.3 (zu 9,9): Rufen der Weisheit. 111 Vgl. Prov 1,5: ĭĘğĔĚĭ („Steuerung“, „Lenkung“, „Leitung“); 4,2: ėīĘĭ („Weisung“) sowie 4,1: Ĕē īĤĘġ („Zucht des Vaters“); ėģĜĔ („Erkenntnis“); Jes 29,24: ėģĜĔ („Erkenntnis“). Entsprechend erscheint die Verbalverbindung Ě ąĪ Ąğ ĦĤĜ Hif („Lehre hinzufügen“) stets im Parallelismus mit Formulierungen, die das Zunehmen an Weisheit ausdrücken, vgl. Prov 1,5: ĭĘğĔĚĭ ėģĪ („Lenkung annehmen“); 9,9: ĠĞĚ („weise werden“); 16,23: ğĞř Hif („klug machen“). Eine Ausnahme bildet nur Prov 7,21, wo Ě ąĪ Ąğ ironisierend die Rede der „fremden Frau“ meint (vgl. Prov 7,5: ėīę ėĬē) und mit ėĜĭħĬ ĪğĚ („Glätte ihrer Lippen“) parallelisiert ist. 112 Vgl. ausführlich SWEENEY 1996, 378–380. 113 Vgl. Prov 1,5: ĠĞĚ („Weiser“); ĢĘĔģ („Verständiger“); 9,9: ĠĞĚ („Weiser“); ĪĜĖĩ („Gerechter“); 16,21: ĔğČĠĞĚ („einer mit weisem Herzen“); ĢĘĔģ („Verständiger“); 16,23: ĠĞĚ („Weiser“) sowie die Charakterisierung durch die Verben ĥĖĜ („erkennen“) XQG Ėġğ („lernen“) in Jes 29,24. 114 Vgl. V.2a: īěġ („Regen); V.2b: ğě („Tau“); V.2c: ĠīĜĥř („Regenschauer“); V.2d: ĠĜĔĜĔī („Regengüsse“).
114
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
In Ps 72,6 aber dient ein wiederum verwandter Vergleich der Charakterisierung des gottesfürchtigen Königs. Leicht lässt sich überdies aufzeigen, dass die verschiedenen Arten von Regen, die im Moselied genannt werden, in unterschiedlichen Zusammenhängen einen (göttlichen) Segen symbolisieren.115 Auch dort, wo im Micha-Buch ein Vergleich mit dem „Tau“ und eine (fast)116 wortgenaue Parallele zu Dtn 32,2d: ĔĬĥČĜğĥĠĜĔĜĔīĞĘ („und wie Regengüsse auf Gras“) kombiniert auftauchen, soll damit wahrscheinlich die enge Verbindung der Israeliten zu JHWH ausgedrückt werden, vgl. Mi 5,6: Und der Rest Jakobs wird inmitten vieler Völker sein wie der Tau von JHWH, wie Regengüsse auf Gras, der/das nicht auf den Menschen hofft und nicht auf Menschensöhne wartet.
ĠĜġĥĔīĪĔĔĪĥĜĭĜīēĬėĜėĘ ĠĜĔĜĔīĞėĘėĜĭēġğěĞĠĜĔī ēğĘĬĜēğėĘĪĜČēğīĬēĔĬĥČĜğĥ ĠĖēĜģĔğğĚĜĜ
Das Verständnis der Stelle wird erstens dadurch erschwert, dass nicht klar ist, ob sich der Relativsatz auf den „Tau“ oder auf das „Gras“ bezieht. Zusätzlich sorgt der folgende Vers, in dem der „Rest Jakobs“ (ĔĪĥĜ ĭĜīēŘ) mit einem reißenden Löwen verglichen wird, für Verwirrung, vgl. Mi 5,7: Und der Rest Jakobs wird unter den Nationen, inmitten vieler Völker sein wie ein Löwe unter den Tieren des Waldes, wie ein Junglöwe unter den Kleinvieh-Herden, der, wenn er hindurchgeht, zertrampelt und reißt, und es gibt keinen, der rettet.
ĔīĪĔĠĜĘĕĔĔĪĥĜĭĜīēĬėĜėĘ īĥĜĭĘġėĔĔėĜīēĞĠĜĔīĠĜġĥ īĔĥĠēīĬēĢēĩČĜīĖĥĔīĜħĞĞ ğĜĩġĢĜēĘĦīěĘĤġīĘ
Gerade wenn man jedoch die Kernaussage der Rede vom „Tau“ und den „Regengüssen“ darin sieht, dass das Sein Israels und auch der Völker von JHWH her bestimmt ist, ergibt sich ein stimmiger Gesamtzusammenhang in Mi 5,6– 7: Der „Rest Jakobs“ kann nicht aus eigener Kraft unter den Völkern bestehen, dank der Kraft JHWHs aber ist er diesen sogar überlegen.117 Abgesehen von der oberflächlichen Ähnlichkeit eines positiven, Segen implizierenden Bildes ist in Mi 5,6 folglich keine tiefer gehende Gemeinsamkeit mit V.2 des Moseliedes erkennbar.118 Ebenso kann auch die Beschreibung in Hi 29,23 als Variante
115
Vgl. besonders anschaulich Ps 65,11, wo das Aufweichen durch „Regengüsse“ (ĠĜĔĜĔī) mit JHWHs Segnen unmittelbar identifiziert wird. Daneben finden sich ausdrückliche positive Vergleiche mit dem „Tau“ (ğě) in Ps 133,3; Prov 19,12; Hos 14,6 und anders formulierte Gleichsetzungen mit Segen in Gen 27,28; Dtn 33,13.28; Hi 29,19; Sach 8,12, vgl. dazu KELLER 1971, 366. Man beachte ferner die fluchhafte Abwesenheit von ěġ) in 2.Sam 1,21; 1.Kön 17,1 „Tau“ in Gen 27,39; Hag 1,10 bzw. „Tau“ und „Regen“ (ī oder „Regengüssen“ (ĠĜĔĔī) in Jer 3,3. 116 In Mi 5,6 fehlt das initiale Ę. 117 Vgl. KESSLER 1999, 240–242; WOLFF 2004, 130. 118 Das Ende von Mi 5,7 erinnert an Dtn 32,39e: ğĜĩġĜĖĜġĢĜēĘ („und es gibt keinen, der aus meiner Hand rettet“). Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass Mi 5,7 viel enger mit
3.3 Die einzelnen Motive
115
des übergeordneten Vergleichs von segensreichen Gütern mit lebenspendendem Regen verstanden werden. Keinesfalls aber ist diese Redeweise nur der Stilisierung des weisheitlichen Lehrers vorbehalten. 3.3.3 Die Anrufung JHWHs als Fels (V.3–4.15.18.30.31) Am Anfang der Belehrung des Moseliedes steht in Dtn 32,3 eine programmatische Aufforderung: ēīĪēėĘėĜĠĬĜĞ ĘģĜėğēğğĖĕĘĔė
Wenn ich den Namen JHWHs ausrufe, gebt unserem Gott Ehre!
Sie erinnert an hymnische Stücke im Psalter 119 – wobei mit ğĖĄ Šć („Ehre“, „Größe“) auf ein v.a. im Deuteronomium gebräuchliches Prädikat JHWHs zurückgegriffen wird120 – und bereitet den Ausruf in V.4a vor: ĘğĥħĠĜġĭīĘĩė
Der Fels, vollkommen ist sein Werk!
Als „Name JHWHs“ (Dtn 32,3a: ėĘėĜ ĠĬ) ist „Fels“ (īĘĩ) in der Poesie der Hebräischen Bibel häufig bezeugt. Von 74 Belegen des Wortes īĘĩ außerhalb des Moseliedes haben 29 die Funktion eines Gottes-Epithetons. Sie finden sich in Psalmen, in den Liedern der Samuel-Bücher und in poetischen Passagen bei den Propheten.121 Hinzu kommen verschiedene īĘĩ-haltige Personennamen im Buch Numeri, die ebenfalls die Gleichsetzung mit einer Gottheit erkennen lassen.122 Christiane Wüste schlägt vor, zwischen der – vermeintlich älteren, weil banger auf tatsächlichen Schutz bedachten – Bezeichnung JHWHs als Fels in
Hos 5,14 verwandt ist:ēĬēĝğēĘĦīěēĜģēĜģēėĖĘėĜĭĜĔğīĜħĞĞĘĠĜīħēğğĚĬĞĜĞģēĜĞ ğĜĩġĢĜēĘ („Denn ich bin wie ein Löwe für Efraim und wie ein Junglöwe für das Haus Juda. Ich, ich werde reißen und davongehen, ich werde sie aufheben und es gibt keinen, der rettet“). Vgl. auch unten Kap. 3.3.21. 119 Vgl. für die Aufforderung ĘĔė („Bringt…“) in diesem Sinne Ps 29,1.2; 96,7.8/ 1.Chr 16,28.29. 120 Vgl. Dtn 3,24; 5,24; 9,26; 11,2; sonst in dieser Bedeutung nur noch Num 14,19; Ps 79,11; 150,2. 121 Vgl. Ps 18,3.32.47; 19,15; 28,1; 31,3; 62,3.7.8; 71,3; 73,26; 78,35; 89,27; 92,16; 94,22; 95,1; 144,1; 1.Sam 2,2 („Lied der Hannah“); 2.Sam 22,3.32.47 („Psalm Davids“); 2.Sam 23,3 („Letzte Worte Davids“); Jes 8,14; 17,10; 26,4; 30,29; 44,8; Hab 1,12 sowie WÜSTE 2018, 108 mit der Feststellung, für die „Rede von JHWH als īţĩ“ sei „ein deutliches Schwergewicht in den Psalmen bzw. allgemeiner in poetischen Texten oder Psalmensprache zu verzeichnen.“ 122 Vgl. Num 1,5; 2,10; 7,30.35; 10,18 (īĘĩĜğē); Num 1,6; 2,12; 7,36.41; 10,19 ĘĩėĖħ); Num 3,35 (ğēĜīĘĩ). (ĜĖŘĜīĘĩ); Num 1,10; 2,20; 7,54.59; 10,23 (ī
116
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Vertrauensaussagen individueller Klage- und Dankpsalmen123 sowie dem hymnischen Lob JHWHs als Fels124 zu unterscheiden, weil im letzteren Fall die „Schutzerfahrung bereits […] selbstverständlich“125 sei. Allerdings räumt sie zugleich ein, dass alle diese Aussagen „explizit im weiteren Kontext von Rettungs-Erfahrungen“ 126 stehen. Noch jünger seien ferner solche Belege, die zwar „Aspekte von Rettung […], Vertrauen […] oder Beständigkeit“, nicht aber die ursprünglich mit dem Fels verbundene „Konnotation von Schutz, Zuflucht und Sicherheit“ aufwiesen. 127 Als Spätstadium der Motiventwicklung betrachtet sie schließlich die nicht mehr metaphorische, sondern lexikalisierte Verwendung der Vokabel īĘĩ für JHWH oder sogar andere Götter,128 wie sie (auch) im Moselied begegnet.129 Insbesondere mit Blick auf die Befunde bei Sirach und in den Qumran-Schriften scheint tatsächlich ein zunehmend abstrakteres Verständnis der Bezeichnung īĘĩ („Fels“) im Sinne eines – im Wechsel mit anderen Gottesnamen zu gebrauchenden – Namens für JHWH konstatierbar zu sein.130 Im Vergleich mit den übrigen Belegstellen müssen jedoch zwei Aspekte des Sprachgebrauchs im Moselied besonders betont werden: Zunächst ist schon die schiere Anzahl von sieben Vorkommen (in sechs Versen)131 als Epitheton bemerkenswert.132 Außerdem aber fällt auf, wie konsequent es in die Erzählung des Liedes eingebunden ist. Gegenüber dem sonstigen Gebrauch von īĘĩ als Anrede, Titel oder Bild für die Qualitäten JHWHs verzichtet das Moselied nicht nur auf die Kombination mit erwartbaren Sprachbildern zum Ausdruck der Stärke und Verlässlichkeit, sondern konstruiert erstaunliche Kontraste. Zwar wird īĘĩmehrfach in Parallele mit anderen Gottesbezeichnungen verwendet (vgl. Dtn 32,4.18: ğē; V.15: ėĘğē; V.30: ėĘėĜ). Auch entsprechen der Ausdruck ĘĭĥĬĜīĘĩ(Dtn 32,15: „Fels seiner Rettung“) und die Unvergleichlichkeitsaussage ĠīĘĩ ĘģīĘĩĞ ēğ (Dtn 32,31: „nicht wie unser Fels ist ihr Fels“) grundsätzlich der „theologisch-
123
Vgl. WÜSTE 2018, 112–113. Als Beispiele gelten offenbar Ps 18,3.32/2.Sam 22,3.32; Ps 28,1; 31,3; 62,3.7.8; 71,3. 124 Vgl. WÜSTE 2018, 114 mit den Beispielen Ps 18,47/2.Sam 22,47; Ps 95,1; 144,1. 125 WÜSTE 2018, 114. 126 WÜSTE 2018. 127 WÜSTE 2018, 115. Als Beispiele führt sie Ps 19,15; 73,26; 78,35; 92,16; Jes 26,4 an (vgl. EBD., 114–115). 128 Vgl. hierzu aber unten Anm. 135. 129 Vgl. WÜSTE 2018, 115–118. 130 Vgl. Sir 4,6; 51,12; 1QHa XIX, Z.18; 4Q337 Fragment 2 ii, Z.8; 4Q504 V, Z.19 sowie WÜSTE 2018, 118–121. 131 Vgl. Dtn 32,4.15.18.30.31(zweimal).37. In V.13 findet sich daneben der einzige Beleg für īĘĩ im Moselied, der sich nicht auf eine Gottheit, sondern das tatsächliche Gesteinsmaterial bezieht. 132 Vgl. FABRY 1989, 981: „Leitmotiv“; NELSON 2002, 370: „theological axiom“; OTTO 2017, 2174: „roter Faden“.
3.3 Die einzelnen Motive
117
metaphorischen“ Redeweise in den meisten Paralleltexten.133 Jedoch können dem Subjekt īĘĩ im Moselied auch verschiedene Eigenschaften und sogar Handlungen zugeschrieben werden, die den stereotypen Assoziationsrahmen der Felsenmotivik sprengen.134 Außer in Dtn 32,4 ist dies auch in Dtn 32,18: ĝĖğĜ īĘĩ („der Fels, der dich geboren hat“) und Dtn 32,30: ĠīĞġ ĠīĘĩČĜĞ („weil ihr Fels sie verkauft hat“) zu beobachten. Ähnlich kühne Zuordnungen finden sich nur noch in 2.Sam 23,3; Ps 144,1; Hab 1,12 – stets jedoch im synonymen Parallelismus mit einem anderen Gottesnamen. 2.Sam 23,3: ğēīĬĜīĘĩīĔĖ
Der Fels Israels hat geredet.
Ps 144,1: …mein Fels, der meine Hände im Kampf unterweist…
ĔīĪğĜĖĜĖġğġėĜīĘĩ
Hab 1,12: Und [du] Fels hast sie zum Richten bestimmt.
ĘĭĖĤĜĚĜĞĘėğīĘĩĘ
Gänzlich beispiellos ist schließlich die Übertragung der Bezeichnung īĘĩ auf fremde Götter im Moselied, vgl. Dtn 32,31.37.135 Mit der Benennung JHWHs als „Fels“ in Dtn 32,4 scheint das Moselied also einerseits formelhaften, zumeist hymnischen Sprachgebrauch aufzunehmen; andererseits dienen die Verknüpfung mit weisheitlicher Terminologie (vgl. Dtn 32,4–6) und die im weiteren Lied hinzukommenden Zuschreibungen (vgl. Dtn 32,15.18.30.31) einer außergewöhnlich umfassenden Charakterisierung JHWHs als des einzig verehrungswürdigen, aber missachteten Gottes. Anders gesagt: Gleich zu Beginn des Moseliedes bringt der „Felsenname“ (wie in den innerbiblischen Parallelen) die Erwartungshaltung der Liedsängerinnen und -sänger gegenüber JHWH als dem unerschütterlichen Beschützer des Volkes zum Ausdruck. 136 Durch die genannten Erweiterungen aber wird im
133
FABRY 1989, 980. 134 Vgl. SCHMIDTKUNZ 2016, 36.40 sowie auch unten 3.3.9.1.3 und 3.3.9.1.4. 135 WÜSTE 2018, 116 zitiert in diesem Zusammenhang zudem 1.Sam 2,2; 2.Sam 22,32/ Ps 18,32; Jes 44,8. Allerdings wird hier überall ausgesagt, dass es gerade keinen Felsen wie JHWH gibt. Vgl. aber Jes 31,9: īĘĔĥĜīĘĕġġĘĥğĤĘ („und sein Fels wird vor Grauen vergehen“), wo ĘĥğĤ den Gott Assurs bezeichnet. Dieser singuläre Sprachgebrauch irritiert die Auslegenden, vgl. WILDBERGER 1982, 1245–1246; BEUKEN 2010, 217–218, die „Fels“ hier für die Bezeichnung eines Heeresteils halten. Die Keilschriftzeugnisse für den Ausdruck šadû bzw. šadû rabû („Felsen“ bzw. „großer Felsen“) als akkadisches Gottes-Epitheton deuten jedoch daraufhin, dass der Gott Aššur gemeint ist, vgl. AHw III, 1125; CAD Bd. 17/1, 57. 136 Vgl. VAN DER WOUDE 1976, 542; FABRY 1989, 980.
118
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Verlauf des Liedes die so versinnbildlichte Treue JHWHs zu Israel auf verschiedene Weise qualifiziert. JHWHs Haltung zu seinem Volk wird begründet, veranschaulicht und von möglichen anderen Göttern abgegrenzt, wodurch sich letztlich der (in Psalmen wie auch im Moselied geforderte) Lobpreis JHWHs herleitet.137 3.3.4 Der Gegensatz zwischen JHWH und seinem Volk (V.4–6) Der angesichts der typischen Kontexte von ėħČĜīġē („Worte des Mundes“) und ĚąĪ Ąğ („Lehre“) in Dtn 32,1–2 schon zu vermutende weisheitliche Anspruch 138 des Moseliedes wird durch den folgenden Inhalt bestätigt, vgl. Dtn 32,4–6: 4
5
6
a b c d a b a b c d
Der Fels, vollkommen ist sein Werk! Denn alle seine Wege sind Recht. Ein Gott der Treue und ohne Unrecht, gerecht und aufrichtig ist er. Vergangen haben sich an ihm seine Nicht-Söhne mit ihrem Makel eine verkehrte und verdrehte Generation. Tut ihr JHWH dies an, törichtes und unweises Volk? Ist er nicht dein Vater, der dich geschaffen, er, der dich gemacht und dich zugerüstet hat?
ĘğĥħĠĜġĭīĘĩė ěħĬġĘĜĞīĖČğĞĜĞ ğĘĥĢĜēĘėģĘġēğē ēĘėīĬĜĘĪĜĖĩ ĘĜģĔēğĘğĭĚĬ ĠġĘġ ğĭğĭħĘĬĪĥīĘĖ ĭ ēęČĘğġĕĭėĘėĜğČė ĠĞĚēğĘğĔģĠĥ ĝģĪĝĜĔēēĘėČēĘğė ĝģģĞĜĘĝĬĥēĘė
Im Einzelnen lassen sich folgende Motive unterscheiden: „Vollkommenheit JHWHs (V.4) und Verdorbenheit des Volkes (V.5–6)“, „Die Wege JHWHs und das Vergehen des Abweichens vom Weg (V.4–5a)“, „Der Ungehorsam der Söhne (V.5–6)“, „JHWH als Vater und Schöpfer (V.6)“. 3.3.4.1 Vollkommenheit JHWHs (V.4) und Verdorbenheit des Volkes (V.5–6) Sowohl die Charakterisierung JHWHs in Dtn 32,4 als auch die des Volkes in Dtn 32,5–6 erfolgt mit Hilfe einschlägiger Kategorien, wie sie auch aus der Weisheitsliteratur bekannt sind. Das Wortpaar īŘĜĘĪĜĖĩ (Dtn 32,4d: „gerecht und aufrichtig“), im Moselied auf JHWH bezogen, begegnet zur Beschreibung von Menschen in Prov 21,18; 29,27 und zieht sich als „weisheitliche
137
Vgl. KEISER 2005, 487: „the overall scope and purpose of the song is presented as a proclamation of the name of the Lord“. 138 Vgl. insbes. die Definitionen von Ě ąĪ Ąğ bei H.H. SCHMID 1971b, 876: „‚Übernahme‘ als Terminus weisheitlicher Tradition“ und SEEBASS 1984, 594: „das, was man sich an Weisheit oder Lehre zu eigen hat machen können und daher weiterzugeben in der Lage ist“.
3.3 Die einzelnen Motive
119
Gruppenbezeichnung […] durch den ganzen Psalter“.139 Ebenfalls von JHWH wird beides indes nur in der Tzade-Strophe von Ps 119 ausgesagt.140 Ps 119,137: ėĘėĜėĭēĪĜĖĩ ĝĜěħĬġīĬĜĘ
Gerecht bist du, JHWH, und richtig sind deine Urteile.
Aber auch die negative Zusammenstellung ğĭğĭħĘŘĪĥ (Dtn 32,5b: „verkehrt und verdreht“) für das Volk hat Parallelen in den Warnungen von Ps 18,27141 und Prov 8,8142. Nahezu alle Attribute JHWHs in Dtn 32,4 erscheinen zudem in wiederkehrenden Verbindungen (überwiegend) in weisheitlichen Texten zur Charakterisierung vorbildlicher Menschen. Hierzu zählt die Kombination von ĠĜġĭ (Dtn 32,4a: „vollkommen“) und ĪĜĖĩ (Dtn 32,4d: „gerecht“), mit der auch Noach 143 und Hiob 144 beschrieben werden, und die mit Abwandlungen noch in Ps 15,2 und Prov 11,5 den paradigmatischen „weisen Menschen“ charakterisiert. Auch die kombinierte Zuschreibung ĠĜġĭ (Dtn 32,4a: „vollkommen“) und īŘĜ (Dtn 32,4d: „aufrichtig“) betrifft sonst Menschen.145 Gleiches gilt für ĪĜĖĩ(„gerecht“) und ĠĞĚ(„weise“),146 wobei jedoch im Moselied dem „gerechten“ JHWH (vgl. Dtn 32,4d) das „unweise“ Volk (Dtn 32,6b: ĠĞĚēğ) kontrastiert wird. Gerade die Gegenüberstellung der vollendeten Natur JHWHs mit seinen frevelhaften Kindern aber erinnert an das „stark antithetische Ethos der Weisheit“147 mit seinen typischen Gegensatzpaaren.148 Beispiele sind ĪĜĖĩ (Dtn 32,4d: „gerecht“) und ğĘĥ (Dtn 32,4c: „Unrecht“) 149 oder auch ĠĜġĭ
139
HOSSFELD/ZENGER 2008, 140, vgl. Ps 32,11; 33,1; 64,11; 97,11; 140,14. 140 Das Phänomen, das in Ps 119 an der Gleichsetzung von JHWHs vollkommenem Gesetz mit dem Ideal der vollkommenen Lebensführung des Frommen erkennbar wird, ist als „Sapientialisierung“ der Tora bezeichnet worden, vgl. GRUND 2004, 286.338–352; SCHIPPER 2012, 264–266. Dasselbe Phänomen der Neuinterpretation traditioneller Themen durch die Gleichsetzung mit Konzepten der Weisheit scheint sich auch im Moselied zu spiegeln, vgl. dazu ausführlicher das Folgende und besonders das Fazit unter 3.4. 141 In 2.Sam 22,27 findet sich statt ğĭħ Hitp („sich verdreht zeigen“) die Wurzel ğ ħĭ Hitp („sich albern zeigen“). 142 Vgl. auch Prov 8,6: ĠĜīĬĜ. 143 Vgl. Gen 6,9: ĘĜĭīĖĔėĜėĠĜġĭĪĜĖĩĬĜē Ěą ģć („Noach war ein gerechter Mann, vollkommen unter seinen Zeitgenossen“). 144 Vgl. Hi 12,4: ĠĜġĭ ĪĜĖĩ ĪĘĚĬ („[zum] Gespött [wird] der Gerechte, der Vollkommene“). 145 Vgl. Hi 1,1.8; 2,3; Ps 37,37; Prov 2,7.21; 28,10. 146 Vgl. Dtn 16,19; Ps 37,30; Prov 9,9; 10,31; 11,30; 23,24; Koh 9,1. 147 Vgl. NELSON 2002, 371: „sharply oppositional ethics of wisdom“. 148 Vgl. KEDAR-KOPFSTEIN 1995, 696. 149 Vgl. Prov 29,27; Ez 18,24.26; 33,13.18; Zef 3,5.
120
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
(Dtn 32,4a: „vollkommen“) und ŘĪĥ (Dtn 32,5b: „verkehrt“).150 Zwar ist häufig bemerkt worden, dass JHWH und sein Volk in Dtn 32,4–6 in einen starken Kontrast zueinander gesetzt werden. 151 Parallelen aus der Weisheitsliteratur werden indes regelmäßig nur für die Charakterisierung des Volkes aufgezählt.152 Dass jedoch gerade weisheitliches Vokabular dazu benutzt wird, die Qualitäten JHWHs zu betonen, ist bisher nicht beachtet worden. Hierin aber muss eine Besonderheit des Moseliedes gesehen werden. Indem es nicht nur den Lebenswandel der Menschen reflektiert und dabei an weisheitliche Unterweisungen erinnert,153 sondern auch JHWH selbst in die moralische Beurteilung einbezieht, zeigt das Lied den engen Zusammenhang zwischen JHWHs Sein und dem Tun der Menschen auf.154 3.3.4.2 Die Wege JHWHs und das Vergehen des Abweichens vom Weg (V.4–5a) Besonders deutlich kommt die Einschätzung des Gottesverhältnisses im Moselied durch die Hervorhebung der „Wege“ JHWHs zum Ausdruck. In Dtn 32,4b heißt es von diesen: ěħĬġĘĜĞīĖČğĞ („alle seine Wege sind Recht“). Von JHWHs „Wegen“ ist auch sonst im Pentateuch, in Vorderen und Hinteren Propheten und in den Schriften die Rede. Es lassen sich jedoch in den verschiedenen Textbereichen (und z.T. sogar innerhalb derselben) unterschiedliche Akzentsetzungen beobachten. Im Deuteronomium bedeutet „auf JHWHs Wegen gehen“ ihn zu lieben und seine Gebote zu befolgen. 155 JHWHs Wege sind also hier die Wege, die der Mensch gehen soll. Entsprechend wird das „Abweichen“ (īĘĤ) von dem Weg,
150
Vgl. Hi 9,20; Ps 18,26–27; Prov 10,9; 11,20; 19,1/28,6; 28,18 sowie BRUEGGEMANN 1977, 235; WARMUTH 1989, 348: „weisheitliches Wortpaar“. 151 Vgl. z.B. STEUERNAGEL 1900, 115; S.R. DRIVER 1902, 351; KÖNIG 1917, 206; BOSTON 1966, 26; NELSON 2002, 371. 152 Vgl. S.R. DRIVER 1902, 348.353; BOSTON 1966, 35–36; MAYES 1981, 383; WEITZMAN 1994, 380; NIELSEN 1995, 287; NELSON 2002, 371; LUNDBOM 2013, 874; OTTO 2017, 2175. 153 So jüngst auch WÜSTE 2018, 241–242.247. 154 Entgegensetzungen des „gerechten“ JHWH mit frevelhaften Menschen finden sich außerhalb der Weisheitsschriften auch in einigen späten Textzusammenhängen, vgl. 2.Chr 12,6; Neh 9,8.33; Jer 12,1; Dan 9,7.14; Klg 1,18, die offenbar wie das Moselied auf weisheitliche Reflexionen zurückgreifen. Zur späten Einfügung von Jer 12,1–4 ins JeremiaBuch vgl. WANKE 1995, 124–125.127. Das Moselied entfaltet die Thematik jedoch in besonderer Breite, wie das Folgende zeigen wird. 155 Vgl. Dtn 8,6; 10,12; 11,22; 19,9; 26,17; 28,9; 30,16: ĘĜĞīĖĔĭĞğğ bzw. Č ğĞĔĭĞğğ ĘĜĞīĖ („auf seinen Wegen“ bzw. „auf allen seinen Wegen gehen“). In Dtn 8,6 kommt das Moment der Gottesfurcht hinzu: ĘĭēėēīĜğ („indem du ihn fürchtest“).
3.3 Die einzelnen Motive
121
den zu gehen JHWH „geboten“ hat (ėĘĩ), als Frevel gebrandmarkt.156 Die parallelen Berichte vom Bundesbruch verwenden in Dtn 9,12 und Ex 32,8 exakt dieselbe Formulierung:157 Sie sind eilends abgewichen von dem Weg, den ich ihnen geboten habe.
ĠĭĜĘĩīĬēĝīĖėČĢġīėġĘīĤ
Während diese Ausdrucksweise jedoch im Deuteronomium häufig bezeugt ist, kommen im Buch Exodus nur noch in Ex 33,13 Gottes Wege zur Sprache, als Mose um Erkenntnis der Wege JHWHs und damit zugleich um Gotteserkenntnis bittet.158 Ein einziges Mal wird im Pentateuch außerhalb des Moseliedes der „Weg JHWHs“ (ėĘėĜĝīĖ) grundsätzlich mit dem „Recht“ (ěħŘġ) gleichgesetzt. Dies geschieht in Gen 18,19, wo es als Aufgabe Abrahams und seiner Nachkommen bezeichnet wird, „dass sie den Weg JHWHs bewahren, Gerechtigkeit und Recht zu tun“ (ěħĬġĘėĪĖĩĭĘĬĥğėĘėĜĝīĖĘīġĬĘ). Gerade dieser Vers aber wird einhellig als späte Zufügung angesehen und dabei als weisheitliche Reflexion klassifiziert.159 Die übrigen Geschichtsbücher (Vordere Propheten und Chronik) folgen nahezu ausschließlich dem Sprachgebrauch des Deuteronomiums. Auch hier wird das „Gehen auf seinen [d.h. JHWHs] Wegen“ (ĘĜĞīĖĔĭĞğğ) in erster Linie als Befolgen seiner Gebote verstanden.160 Umgekehrt fällt auf, dass das Verb ĭĚŘ Pi („verderben“, „sich vergehen“), mit dem in V.5 das Verhalten des Volkes zusammengefasst wird,161 außerhalb des Moseliedes nur selten einen an JHWH begangenen Frevel ausdrückt. Meist beschreibt es die Zerstörung von Städten oder die Vernichtung von Menschen
156
Vgl. Dtn 9,12.16; 11,28; 13,6; 31,29. Auch in Dtn 5,33 geht es um das Gebot, den Weg zu gehen, nicht aber um das Abweichen. 157 Zum Verb ĭĚŘ Pi und weiteren Parallelen vgl. weiter unten. 158 Im Übrigen bezeichnet ĝīĖ im Buch Exodus fast immer den Weg der Israeliten in oder durch die Wüste. Die einzige weitere Ausnahme ist Ex 18,20, wo jedoch nicht JHWH „den Weg, den [die Israeliten] gehen sollen“ (ėĔ ĘĞğĜ ĝīĖėČĭē) gebietet, sondern Mose von seinem Schwiegervater dazu aufgefordert wird, in diesem Sinne zu gebieten. Dieser Befund kann die Annahme stützen, dass JHWHs Mitteilung an Mose in Dtn 9,12–14 (mit dem Hinweis auf das Abweichen vom Weg) gegenüber Ex 32,7–14 ursprünglicher ist, vgl. z.B. DOHMEN 2004, 302–303; OTTO 2012, 957–960. 159 Vgl. z.B. ZIMMERLI 1976, 81–84; WESTERMANN 1989, 346–352, insbes. 352: „Es ist für diese späte Frömmigkeit lebenswichtig, daß der von den Frommen geforderten Gerechtigkeit (V. 19) die Gerechtigkeit Jahwes, um die es in V.23–32 geht, entspricht. Ein Zweifel an Gottes Gerechtigkeit muß die Frömmigkeit, den ‚Weg Jahwes‘ ins Wanken bringen; daher der Eifer um Gottes Gerechtigkeit, der sich in V.23–32 zeigt […]“; LEVIN 1993, 170 (ohne ausdrücklichen Verweis auf die Weisheit, aber mit verschiedenen Argumenten für die Bestimmung von Gen 18,19 als Zusatz). 160 Vgl. Jos 22,5; Ri 2,22; 2.Sam 22,22/Ps 18,22; 1.Kön 2,3; 8,58; 11,33.38; 2.Kön 21,22; 2.Chr 17,6. 161 Vgl. Dtn 32,5a: Ęğ ĭ ĚĬ: „vergangen hat sich an ihm“.
122
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
(durch JHWH oder andere Menschen). Besonders bemerkenswert ist es, dass von insgesamt vier Stellen, an denen sich ĭĚŘPi noch gegen JHWH richtet,162 drei zugleich die Wendung ĝīĖėĢġīĘĤ („vom Weg abweichen“) benutzen.163 Auf die doppelte Bezeugung des Bundesbruchs in Ex 32 und Dtn 9 ist bereits hingewiesen worden. Mal 2 scheint hieran anzuknüpfen.164 So bildet die Verbindung des VerbsĭĚŘ Pi mit dem Wegemotiv gegenüber dem sonstigen Gebrauch des Verbs eine eigenständige Konzeption ab, die auch in Dtn 32,4–5 erkennbar wird. Freilich expliziert das Moselied (anders als die Parallelstellen Ex 32,7–8; Dtn 9,12; Mal 2,8) nicht sofort, worin das „Vergehen“ des Volkes besteht. Erst im weiteren Verlauf des Liedes wird die Thematik breiter entfaltet. Doch aus dem Nacheinander der „Wege“ JHWHs in Dtn 32,4 und dem „SichVergehen“ der Söhne in Dtn 32,5 ist darauf zu schließen, dass es sich der Sache nach auch hier um ein Abweichen von JHWHs Wegen handelt. Die Charakterisierungen von Dtn 32,4–5 lassen sich somit als (Ergebnis der) Reflexion der auch in Ex 32,7–8; Dtn 9,12; Mal 2,8 geschilderten Thematik des Ungehorsams verstehen. Nur wenige Male benutzen hingegen die Hinteren Propheten das Bild von den Wegen JHWHs, um direkt anzumahnen, dass das Volk JHWHs Gebote einzuhalten habe.165 Weitaus häufiger unterstreicht die Rede von JHWHs Wegen in den prophetischen Büchern die Macht und Vollkommenheit JHWHs 166 und lässt sie (deshalb) als Gegenstand der Erkenntnis figurieren.167 Als Spezialfall des zu Erkennenden identifizieren Jes 58,2; Jer 5,4.5 den Weg JHWHs mit dem „Recht ihres Gottes“. 168 Ähnlich werden ĝīĖ („Weg“) unděħŘġ („Recht“) noch in Jes 40,27; 59,8 und Jer 7,5 gleichgesetzt, allerdings mit Bezug auf die Wege der Menschen. Sehr vielfältig sind schließlich die Bezugnahmen auf JHWHs Wege in den Büchern Hiob, Psalmen und Proverbien. So können sie, wie meist in Pentateuch und Vorderen Propheten, als Oberbegriff für das den Menschen von JHWH gebotene Tun stehen.169 Wie mehrmals in den Propheten symbolisieren sie an anderen Stellen die Vollkommenheit und Macht JHWHs 170 oder die
162
Vgl. Ex 32,7; Dtn 9,12; Hos 9,9; Mal 2,8. 163 Vgl. Ex 32,8; Dtn 9,12; Mal 2,8. 164 Vgl. HILL 1998, 214 (über Mal 2,8): „The language of the entire clause seems to echo the account of the post-Exodus golden calf apostasy led by Aron […]“. 165 Vgl. Jes 42,24; 63,17; Sach 3,7. 166 Vgl. Jes 40,14; 55,9; Hos 14,10; Nah 1,3. 167 Vgl. Jes 2,3/Mi 4,2; Jes 40,14; 58,2; Jer 5.4.5; Ez 33,17.20; Hos 14,10. 168 Jes 58,2, singularisch wegen des Rückbezugs auf ĜĘĕ („Nation“): ĘĜėğē ěħĬġ bzw. Jer 5,4: ĠėĜėğē ěħĬġ. 169 Vgl. Hi 23,11; 24,13; 34,27 (zusammen mit dem Verb īĘĤ für die Negation); Ps 18,22; 81,14; 119,3; 128,1. 170 Vgl. Hi 26,14; 36,23; Ps 5,9; 18,31; 77,14.20; 119,37 (ähnlich auch Ps 119,27. 30.32.33); 138,5; 145,17; Prov 8,22; 10,29.
3.3 Die einzelnen Motive
123
Essenz der von JHWH zu erlangenden Erkenntnis.171 Einmal erfolgt auch im Psalter (in Ps 25,9) die Gleichsetzung von „Weg“ und „Recht“ JHWHs. Eine bemerkenswerte Ähnlichkeit besteht allerdings zwischen Dtn 32,4a–b und 2.Sam 22,31/Ps 18,31. Dtn 32,4a–b: ĘğĥħĠĜġĭīĘĩė ěħĬġĘĜĞīĖČğĞĜĞ
Der Fels, vollkommen ist sein Werk! Denn alle seine Wege sind Recht.
2.Sam 22,31/Ps 18,31: ĘĞīĖĠĜġĭğēė
Gott, vollkommen ist sein Weg!
In diesem sogenannten „Psalm Davids“ (2.Sam 22/Ps 18) schließt sich dem Ausruf ğēė („Gott!“)172 am Anfang von V.31 eine Aussage über die Vollkommenheit von JHWHs Weg an. Ganz ähnlich folgt in Dtn 32,4 auf die durch Anfangsstellung betonte Gottesbezeichnung īĘĩė („der Fels!“) zunächst der Hinweis auf die Vollkommenheit des Werkes JHWHs, der dann im zweiten Kolon durch einen Satz über seine Wege noch ergänzt wird. Anders als das Moselied erwähnt der doppelt überlieferte „Psalm Davids“ mehrmals auch einen Weg (JHWHs), den ein Mensch geht.173 Doch es lassen sich weitere Gemeinsamkeiten beider Kompositionen feststellen. Hierzu zählt die in 2.Sam 22/ Ps 18 ebenfalls mehrfach vorkommende Bezeichnung JHWHs als „Fels“ 174 sowie die bedrohliche Schilderung einer Theophanie,175 die mehrere Elemente mit JHWHs Drohungen in Dtn 32,22–25 teilt. In der Zusammenschau der verglichenen Texte fällt auf, wie sich der Blick des Moseliedes auf die „Wege JHWHs“ insbesondere von deren deuteronom(ist)ischer Konzeption unterscheidet. Letztere, so wie sie in Deuteronomium und Vorderen Propheten greifbar wird, versteht JHWHs Wege als von ihm gegebene und einzuhaltende Gebote, woraus sich notwendig eine direkte Korrelation von menschlichem Handeln und göttlichen Wegen ergibt. Dagegen sieht das Moselied zunächst vom menschlichen Tun ab und spricht von den „Wegen JHWHs“ nur, um JHWH selbst zu charakterisieren. Damit ähnelt es zahlreichen Stellen in Propheten und Schriften. Wenn in den jeweiligen Texten Menschen überhaupt eine Rolle spielen, so wird durch den Rückgriff auf weisheitliche Terminologie des (nicht immer gelingenden) Erkennens meist die Distanz
171
Vgl. Hi 21,14; Ps 25,4.8.9.12; 27,11; 32,8; 51,15; 67,3; 86,11; 95,10; 103,7 (ähnlich auch Ps 143,8); Prov 20,24. 172 Vgl. auch 2.Sam 22,33.48/Ps 18,33.48. 173 Vgl. 2.Sam 22,22.33/Ps 18,22.33 sowie das Folgende. 174 Vgl. 2.Sam 22,3.32.47/Ps 18,3.32.47 sowie oben 3.3.3. 175 Vgl. 2.Sam 22,8–16/Ps 18,8–16.
124
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
zu JHWH betont. Dies entspricht der krassen Entgegensetzung von JHWH und seinen Kindern in Dtn 32,4–6. Allerdings ist andererseits zu bemerken, dass die Attribute aus Dtn 32,4–6, die hier zur Beschreibung JHWHs in Abgrenzung von den Menschen dienen, zusammen mit der Vokabel ĝīĖ („Weg“) in weisheitlichen Kontexten nahezu ausschließlich den Lebensweg und -wandel von Menschen bezeichnen. 176 Während also das Einhalten des rechten „Weges“ nach deuteronomi(sti)scher Auffassung eine Frage des Gehorsams gegenüber der Gottheit ist, herrscht im weisheitlichen Schrifttum die Ansicht vor, ein gelingender Lebensweg könne vom Vater oder Lehrer durch Unterweisung erlernt werden.177 Das Moselied scheint beide Modelle zu verbinden, indem es JHWHs Wege als verstandesmäßig einleuchtende Norm darstellt: Die explizite Zuschreibung weisheitlicher Tugenden zu JHWH stilisiert diesen selbst zum Vorbild der Menschen und drückt die Ansicht aus, dass der vernünftigerweise einzig gangbare Weg des Gottesvolks von JHWH vorgegeben ist.178 Ähnlich verhält es sich in 2.Sam 22/Ps 18, wo ebenfalls eine Auseinandersetzung um das richtige Verhältnis von menschlichen und göttlichen „Wegen“ spürbar ist. Sehr wahrscheinlich spiegeln hier die verschiedenen Aussagen über „Wege“ (vgl. 2.Sam 22,22.31.33/Ps 18,22.31.33) ein im Laufe der Zeit gewandeltes Verständnis: 179 In einem älteren Textstück (vgl. Ps 18,33) wird angenommen, dass JHWH den „Weg“ der betenden Person „vollkommen machte“ (ĠĜġĭĢĭĜĘ),180 während in einer jüngeren Schicht des Psalms nicht nur die Vollkommenheit von JHWHs Weg ausgesagt (vgl. 2.Sam 22,31/Ps 18,31), sondern zugleich bekräftigt wird, dass die betende Person ihrerseits die Wege JHWHs einhält (vgl. 2.Sam 22,22/Ps 18,22). Somit setzt „Davids Psalm“ mit Bezug auf die Menschen voraus, was im Moselied angemahnt wird: dass sie mit ihrem Verhalten der Vollkommenheit JHWHs entsprechen können bzw. sollen. Schon diese Feststellung legt nahe, dass es sich beim Moselied um eine
Vgl. für ĠĜġĭ („vollkommen“), ėģĘġē („Treue“), ğĘĥ („Unrecht“), ĪĜĖĩ („gerecht“), īŘĜ („aufrichtig“), ŘĪĥ („verkehrt“) oder ĠĞĚ („weise“) – teilweise kombiniert – in Verbindung mit ĝīĖ („Weg“): 1.Sam 12,23; 1.Kön 8,32/2.Chr 6,23; Hi 17,9; Ps 1,6; 37,14; 101,2.6; 119,1.30; Prov 2,20; 11,5.20; 12,15.26; 14,12/16,25; 15,19; 16,17; 21,2.8.29; 22,5; 28,6.10.18; 29,27; Ez 28,15 sowie LIEDKE 1971, 793; KOCH 1976, 1049; DERS. 1977, 305; KEDAR-KOPFSTEIN 1995, 697–698. 177 Vgl. HABEL 1976, 260; KOCH 1977, 306: „Für das Gelingen des dæræۚ ist Beistand der Weisheit notwendig, die sich im Munde des weisheitlichen Lehrers inkarniert.“ 178 Vgl. KOCH 1977, 312 über eine entsprechende Tendenz der Qumran-Literatur: „Ein heilvoller dæræۚ ist nur denkbar, wenn der Mensch in die göttlichen derƗۚîm eintritt.“ 179 Zu den vermuteten Wachstumsstufen des Psalms vgl. z.B. HOSSFELD 1987, 186–187; ADAM 2001, 36–41.229–21; SAUR 2004, 57–77; SALO 2017, 21–36. 180 Die Parallelstelle in 2.Sam 22,33 liest ĠĜġĭ īĭĜĘģ („er hat [meinen Weg] vollkommen ĭģ Hif („freilassen“, „springen lasfrei gemacht“), was dem sonstigen Sprachgebrauch von ī sen“) widerspricht und vermutlich auf einen Lesefehler zurückgeht, vgl. z.B. SCHMUTTERMAYR 1971, 134–135; S EYBOLD 1996, 79. 176
3.3 Die einzelnen Motive
125
jüngere Weiterentwicklung desselben Gedanken handelt. Aus der Reflexion des Psalms über die Möglichkeit richtigen menschlichen Handelns im Verhältnis zu JHWH 181 ist nunmehr eine regelrechte Forderung geworden, wie die Fortsetzung des Moseliedes zeigen wird.182 Die an mehreren Stellen erkennbare sprachliche und motivische Nähe zwischen „Davids Psalm“ und dem Moselied (Weg- und Theophaniemetaphorik, betonte Gottesanrede am Versanfang, Bezeichnung JHWHs als „Fels“) deutet in jedem Fall darauf hin, dass es Berührungspunkte zwischen den jeweiligen Verfasserinnen oder Verfassern gegeben hat. Allerdings sind konkrete Übernahmen, d.h. eine direkte literarische Abhängigkeit eines Textes vom anderen, nicht nachweisbar. Geht man dennoch von einer unmittelbaren Beeinflussung aus, müsste „Davids Psalm“ als Vorlage des Moseliedes betrachtet werden. Hierfür spricht, dass sowohl die Wegmetaphorik183 als auch die Ausrufe am Versanfang184 durch ihre Wiederholung prägend für den Psalm sind, während sie im Moselied nur einmalig auftauchen und deshalb als punktuelle Rezeption erklärbar sind. Daneben ergibt sich gerade aus der Tatsache, dass der Psalm doppelt überliefert ist, eine weitere Bestärkung für die Vermutung, dass er als Quelle für das Moselied gedient haben könnte. Denn die beiden parallel überlieferten Versionen sind in den Fällen, wo sie dem Moselied am nächsten stehen (vgl. insbes. 2.Sam 22,31/ Ps 18,31), vollkommen identisch. Im Falle einer späten Übernahme aus dem Moselied wäre gerade hier zu erwarten, dass die Textfassungen sich deutlich unterscheiden. Schließlich sollte bedacht werden, dass die Verse, die Gemeinsamkeiten mit dem Moselied aufweisen, verschiedenen Wachstumsstufen des Psalms zugeschlagen werden. 185 Daher ist es wahrscheinlicher, dass bei der Abfassung des Moseliedes ein bereits mehrfach erweiterter „Psalm Davids“ vorlag und die Formulierung des jüngeren Moseliedes beeinflusste. Andernfalls müsste angenommen werden, dass bei jeder einzelnen Bearbeitung des erst noch anwachsenden Psalms erneut auf das Moselied zurückgegriffen worden wäre. Wenngleich also abschließend kein eindeutiges Urteil über die literarische Verwandtschaft des Moseliedes mit dem „Psalm Davids“ gefällt werden kann, kristallisiert sich doch eine plausible Erklärung für die beobachteten Übereinstimmungen heraus: Ein über längere Zeit tradierter und mehrmals ergänzter „Psalm“, der zuletzt David zugeschrieben und an zwei Stellen in den biblischen
181
Zum Reflexionsprozess, der sich im Psalm abbildet, vgl. HOSSFELD 1987, 184–186; GERSTENBERGER 1988, 97–98; SEYBOLD 1996, 82.83; ADAM 2001, 204–213; SAUR 2004, 77–79. 182 Vgl. v.a. Dtn 32,6.29.39. 183 Vgl. 2.Sam 22,22.31.33/Ps 18,22.31.33. 184 Vgl. 2.Sam 22,31.33.48/Ps 18,31.33.48. 185 Vgl. oben Anm. 179 sowie MATHYS 1994, 146 (zu 2.Sam 22): „ein formgeschichtliches Kunstprodukt“.
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Kanon aufgenommen wurde (2.Sam 22/Ps 18), dürfte in einem theologisch und poetisch gebildeten Milieu verbreitet gewesen sein. Dort wird er in unterschiedlicher Weise andere Schreibende und Redigierende beeinflusst haben, so dass er sowohl als ganzer in die Erzählung der Samuel-Bücher eingeflochten wurde als auch partiell die Sprache des Moseliedes mitgeformt hat. 3.3.4.3 Der Ungehorsam der Söhne (V.5–6) Der bereits angesprochene Gegensatz zwischen JHWH und seinem Volk erscheint dadurch noch verstärkt, dass die Beziehung im Bild von „Vater“, vgl. Dtn 32,6: ĝĜĔē („dein Vater“), und Söhnen, vgl. Dtn 32,5: ĘĜģĔ („seine Söhne“), veranschaulicht wird.186 An zahlreichen Stellen in den Proverbien drückt gerade diese Relation zwischen Menschen ein bedeutsames Gefälle aus: Der unwissende Sohn muss auf den Vater (und gelegentlich auch auf die Mutter) hören, um Einsicht zu erlangen.187 Als Resultat der gewonnenen Klugheit wird mehrfach die Freude der Eltern angegeben. Andererseits begegnet wiederholt die Warnung, Vater und Mutter nicht durch Torheit zu verärgern.188 Eine solche Wertvorstellung scheint auch dem Moselied zugrunde zu liegen, wenn in Dtn 32,6 und später auch in Dtn 32,18–20 das törichte Verhalten des Volkes als besondere Schande der ungehorsamen Kinder gegenüber dem Vater JHWH gekennzeichnet wird.189 Der typisch weisheitliche Appell an den Sohn, seinem Vater zu gehorchen, 190 wird im Moselied offenbar auf das Ur-Verhältnis JHWHs zu seinem Volk übertragen, um der abstrakten Forderung, JHWHs Gebote einzuhalten, gegenüber der Hörerschaft Plausibilität zu verleihen. 3.3.4.4 JHWH als Vater und Schöpfer (V.6) Wenn in Dtn 32,6 JHWH ausdrücklich als „Vater“ (Ĕē) des Volkes bezeichnet wird,191 so stellt dies insbesondere im Pentateuch eine Ausnahme dar.192 In der
186
Vgl. grundsätzlich WÜSTE 2018, 214, die für Parallelen aber v.a. auf die „anklagenden Gerichtsreden der Prophetie“ verweist. Im Folgenden wird sich zeigen, dass Moselied und Propheten in ähnlicher Weise weisheitliche Muster übernehmen. 187 Vgl. Prov 1,8; 4,1.3; 6,20; 13,1; 15,5; 23,22; 28,7 sowie auch Hi 15,10.18. 188 Vgl. Prov 10,1; 15,20; 17,21.25; 19,13.26; 20,20; 23,24. 189 Vgl. deshalb zu den weisheitlichen Implikationen der Vater-Söhne-Konstellation auch unten 3.3.10.1. 190 Vgl. SÆBØ 1971b, 561–562: „‚Weise‘ ist überhaupt jemand, der auf ‚Rat‘ hört (Spr 12,15) und ‚Zucht‘ liebt (Spr 13,1; 19,20; 29,15). Er erfreut seinen Vater (10,1; 15,20; 23,24).“ Zum Gebrauch der Anreden „Vater“ und „Sohn“ in Unterweisungszusammenhängen vgl. auch JENNI 1971a, 6; KÜHLEWEIN 1971, 319. 191 Vgl. V.6c: ĝģĪ ĝĜĔē ēĘėČēĘğė („Ist er nicht dein Vater, der dich geschaffen […] hat?“). 192 Vgl. JENNI 1971a, 14: „[D]as AT [ist] in der Verwendung der Vaterbezeichnung für Jahwe sehr zurückhaltend […]“; ähnlich RINGGREN 1973, 17.
3.3 Die einzelnen Motive
127
gesamten Tora findet sich – trotz der vereinzelten Rede von Israel als Kinder bzw. „Söhne JHWHs“193 – kein weiteres Beispiel für die explizite Anwendung des Vaternamens auf JHWH. Die wenigen Belege außerhalb der Tora stehen entweder im Zusammenhang mit Verheißungen gegenüber König David (und seinen Nachkommen), beschränken die Vorstellung mithin auf JHWHs Beziehung zum Herrscher,194 oder aber in prophetischen Texten, die Israels gefährdete Gottesbeziehung zum Thema haben.195 Als „Söhne“ JHWHs (vgl. Dtn 32,5) werden die Angehörigen des Volkes Israel hingegen auch in Jes 1,2; 30,1.9; Hos 2,1; 11,1 tituliert, ohne dass hier im Gegenzug das Wort „Vater“ fällt. Während dieser Sprachgebrauch allerdings bei Hosea im größeren Zusammenhang der ausgeprägten Familienmetaphorik des Buches steht,196 fällt die entsprechende Redeweise im Jesaja-Buch auf. 197 Sie ist hier beschränkt auf zwei verwandte Textbereiche (Jes 1,2; 30,1.9), von denen der erste vielleicht den zweiten rezipiert,198 dabei aber eine stärkere Affinität zu Weisheitstexten erkennen lässt. 199 Mit Jes 1,2; 30,1.9; 63,16; 64,7; Jer 3,4.19; Mal 1,6; 2,10 teilt das Moselied unterdessen die Überzeugung, dass der Fürsorge JHWHs (des „Vaters“) eine kindliche „Gehorsamspflicht“200 Israels entspreche. Diese Vorstellung deckt sich im Grunde mit den Forderungen der Proverbien im Hinblick auf menschliche Söhne und Väter. In Jes 64,7; Mal 2,10 allerdings wird der vom Volk (als dem „Kind“) geforderte
193
Vgl. außer den Belegen im Moselied: Ex 4,22–23; Dtn 14,1. 194 Vgl. 2.Sam 7,14; 1.Chr 17,13; 22,10; 28,6; Ps 89,27. 195 Vgl. Jes 63,16; 64,7; Jer 3,4.19; 31,9; Mal 1,6; 2,10. Möglicherweise bezeugen die Prophetenbücher dabei eine Ausweitung der ursprünglich auf den König bezogenen Idee einer Gotteskindschaft auf das ganze Volk, vgl. BÖCKLER 2000, 271.378; G. FISCHER 2005b, 151–152 (zu Jer 31,9). WÜSTE 2018, 219 erkennt in der „Rede vom Volk Israel als Kind(ern), also einem Kollektiv“ [Hervorhebung P.S.] eine Besonderheit der Hebräischen Bibel, „weil sich dafür [in der altorientalischen Umwelt] keine direkten Vorläufer finden lassen“. 196 Vgl. Hos 1,3.6.8–9; 2,3–7; 3,1; 5,7; 9,12–13; 13,13 sowie WOLFF 1990, 30–31.255. Die einmalige Wendung ĜĚČğēĜģĔ (Hos 2,1: „Söhne des lebendigen Gottes“) ist als positives Gegenbild zu den ĠĜģĘģę ĜĖğĜ („Hurenkindern“) aus Hos 1,2 zu sehen. 197 Vgl. BEUKEN 2003, 70: „Die Metapher ‚Söhne‘ (geschlechtsneutral für ‚Kinder‘) wird im Jesaja-Buch ebenso spärlich für das Verhältnis von Israel zu JHWH gebraucht […] wie die Metapher ‚Vater‘ für die Beziehung von JHWH zu Israel […].“ 198 Vgl. KAISER 1981a, 28–31. 199 Vgl. WILDBERGER 1972, 13–15; BEUKEN 2003, 71. 200 JENNI 1971a, 16, vgl. BÖCKLER 2000, 271 (mit Verweis auf Dtn 32,6; Jes 63,16; 64,7; Jer 3,4.19; 31,9; Mal 1,6; 2,10 und Ps 103,13, obgleich Ps 103 nur einen Vergleich JHWHs mit einem Vater bietet): „Der Schwerpunkt des Bildes [von JHWH als Vater des Volkes Israel] liegt zunächst auf der Barmherzigkeit Gottes. In den späteren Belegen rückt das von den Söhnen erwartete Verhalten in den Vordergrund.“ Außerdem EBD., 394: „Generell gilt […], dass die Rede von Gott als Ĕē ‚Vater‘ ein wechselseitiges Verhältnis zum Ausdruck bringt. […] Bis auf Ps 68,6 ist das Bild von Gott als Vater im Alten Testament an allen Stellen ein ethisches Bild.“ Ähnlich schon S.R. DRIVER 1902, 352; I. FISCHER 1989, 115: „Das Motiv kommt auffallend oft in Scheltreden […] vor.“
128
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Gehorsam wie im Moselied zugleich mit JHWHs Schöpfermacht in Verbindung gebracht, vgl. Dtn 32,6c–d: Ist er nicht dein Vater, der dich geschaffen, er, der dich gemacht und dich zugerüstet hat?
ĝģĪĝĜĔēēĘėČēĘğė ĝģģĞĜĘĝĬĥēĘė
Der Appell des Volkes gegenüber JHWH in Jes 64,7 verwendet kein Verb, sondern das ebenfalls in Schöpfungszusammenhängen häufig vorkommende Nomen ėřĥġ („Werk”),201 um an JHWHs Schöpfersein zu erinnern: Aber nun, JHWH, unser Vater [bist] du, wir der Ton, und du der, der uns formt, und das Werk deiner Hand [sind] wir alle.
īġĚėĘģĚģēėĭēĘģĜĔēėĘėĜėĭĥĘ ĘģğĞĝĖĜėĬĥġĘĘģīĩĜėĭēĘ
Im Kontext dieses Klagegebetes zielt die Anrede JHWHs als Vater und Schöpfer auf die besondere Beziehung zwischen JHWH und den klagenden Menschen sowie seine Verantwortung gerade für sie. Darüber hinaus wird die göttliche Schöpfermacht nicht thematisiert; der Rest der Schöpfung ist an dieser Stelle nicht von Interesse.202 Auch die zweite Parallele, die JHWH zugleich als Vater und Schöpfer beschreibt, konzentriert sich auf das Sein Israels ohne auf die übrige Schöpfung Bezug zu nehmen, vgl. Mal 2,10:203 Haben wir nicht alle einen einzigen Vater, hat nicht ein einziger Gott uns geschaffen?
ĘģğĞğĖĚēĔēēĘğė ĘģēīĔĖĚēğēēĘğė
Hier ist JHWHs Schöpfertätigkeit durch das ihm „allein vorbehalten[e]“ 204 Verb ēīĔ („schaffen“) ausgedrückt. Auffällig ist die formale Nähe zu Dtn 32,6 wegen der (doppelten) Einleitung mit der Fragepartikel ēĘğė. Allen drei Textstellen (Dtn 32,6; Jes 64,7; Mal 2,10) ist gemeinsam, dass sie JHWHs Vaterrolle gegenüber seinem Volk Israel als bekannten Topos voraussetzen. 205
201
Vgl. die Übersicht bei I. FISCHER 1989, 197–198. 202 Vgl. I. FISCHER 1989, 194 (eine deutero-jesajanische Tendenz auf Jes 64,7 übertragend): „Die Tatsache, daß er [= JHWH] Israel erschaffen hat, ist Vertrauensgrund, daß er für Israel auch handeln wird […]“; BÖCKLER 2000, 290–291. 203 Vgl. BÖCKLER 2000, 331: „Vergleichspunkt zwischen den beiden Bildern in Vers 10aĮ und 10aȕ ist weniger das schöpferische Tun als vielmehr das ĖĚē ‚eins‘“; KESSLER 2011, 191: „Der Vorspruch zu Maleachis III. Strophe in 2,10a betont die Einheit der im ‚wir/uns‘ zusammengefassten Größe, in der wir […] Israel sehen können. […] Diese nach V 10a fast schon natürliche, schöpfungsmäßige Einheit müsste – so die Intention der rhetorischen Fragen – mit aller Kraft bewahrt werden.“ 204 W.H. SCHMIDT 1971b, 338. 205 Vgl. DILLMANN 1890, 526; FOHRER 1986, 256; VERHOEF 1988, 266; MEINHOLD 2006, 186.198; WILLI-PLEIN 2007, 257; KESSLER 2011, 191. Im Falle von Dtn 32,6 und Mal 2,10
3.3 Die einzelnen Motive
129
Ferner ist leicht zu erkennen, dass in keinem der Paralleltexte der Schwerpunkt auf JHWHs Schöpferhandeln an sich liegt. Vielmehr betonen die Verweise auf das Geschaffensein Israels durch JHWH die (grundsätzliche und deshalb anzuerkennende) enge Bindung der Menschen an ihren Gott. Dies gilt auch für das Moselied, wo die stark weisheitlich gefärbte Antithese von JHWH und Volk (Dtn 32,4–5) durch die rhetorischen Fragen in Dtn 32,6 als eigentlich unhaltbar ausgewiesen wird. Fragt man nach dem traditionsgeschichtlichen Hintergrund der schöpfungstheologisch aufgeladenen Verben in Dtn 32,6c–d (ėģĪ: „schaffen“; ėřĥ: „machen“; ĢĘĞ Pol: „befestigen“, „bereiten“), 206 ist wiederum zuerst ins JesajaBuch zu blicken. Das heißt, die jeweils für sich sehr unspezifisch konnotierten Verben ėřĥund ĢĘĞ Pol drücken zwar überall dort, wo sie zusammen verwendet werden,207 unmissverständlich JHWHs Schöpfermacht aus.208 Doch während sich im Psalter und bei Hiob das Individuum im Einklang mit dem Schöpfer zeigt, wird bei Deutero-Jesaja und im Moselied vorgeführt, wie das Volk seinen Schöpfer verkennt. Dabei ist das Schöpfungsvokabular im Falle der deutero-jesajanischen Beispiele fest im textlichen Umfeld der Belegstellen verankert.209 Das Verb ėģĪ im Sinne von „schaffen“ lässt sich dagegen nicht auf einen speziellen Textbereich festlegen.210 Gegenüber den oben vorgestellten Parallelen für die Verknüpfung von Vaterrolle und Schöpfermacht JHWHs (Jes 64,7 und Mal 2,10) legt die Dichte der gebrauchten Spezialtermini (ėģĪ, ėřĥ, ĢĘĞ Pol) im Moselied einen stärkeren Akzent auf das Schöpfungsthema.211
unterstreicht die als Zitationsformel gebrauchte Partikel ēĘğė („Ist nicht…?“ bzw. „Haben wir nicht…?“) die vorgängige Gültigkeit des Gesagten, an die nur erinnert werden muss. 206 Für diese grundsätzliche Charakterisierung vgl. RINGGREN 1973, 17–18; BÖCKLER 2000, 297–298. 207 Vgl. VOLLMER 1976, 366: „Seinem unspezifischen Charakter entsprechend kann mit dem Verbum ҵĞh Gottes Tun in allen Bereichen wiedergegeben werden“; GERSTENBERGER 1971, 816: „Eigentlich theologische Gehalte lassen sich nur für Wortverbindungen, nicht für Einzelformen der Wurzel knjn nachweisen.“ 208 Vgl. Hi 31,15 (JHWH als Schöpfer aller Menschen); Ps 99,4 (JHWH als Begründer von Rechts- und Weltordnung, vgl. HOSSFELD/ZENGER 2000, 701–702); Ps 119,73 (JHWH als Schöpfer der/des Betenden und der Gebote); Jes 45,18; 51,13 (JHWH als Schöpfer der Welt und Herr über die Geschichte); außerdem Ps 8,4 mit dem Nomen ėřĥġ („Werk“) und dem Verb ĢĘĞ Pol (JHWH als mächtiger Herr der Welt). 209 Vgl. BERGES 2008, 428; DERS. 2015, 161–162. 210 ėģĪ ist in dieser Bedeutung noch fünf Mal in der Hebräischen Bibel zu finden und hat dabei mit einer Ausnahme, vgl. Gen 4,1 mit der etwas gezwungenen Ätiologie des Namens „Kain“: ėĘėĜČĭēĬĜēĜĭĜģĪ („Ich habe einen Mann/Menschen geschaffen mit JHWH“), immer JHWH zum Subjekt, vgl. insbes. Gen 14,19.22 mit der partizipialen Gottesbezeichnung ĨīēĘ ĠĜġĬ ėģĪ ĢĘĜğĥ ğē ėĘėĜ : „(JHWH,) der höchste Gott, Schöpfer von Himmel und Erde“ sowie Ps 139,13; Prov 8,22. An allen Belegstellen wird die Aktivität JHWHs als Grundbedingung des Seins herausgestellt. 211 Vgl. auch unten 3.3.9.1.4.
130
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Für eine bewusste Verschränkung der Topoi spricht auch die Fortsetzung des Liedes, die den Blick in Richtung Urzeit (Schöpfungszeit) richtet (vgl. Dtn 32,7–9). Durch die Verbindung des Schöpfungsvokabulars mit dem (menschlich gedachten) weisheitlichen Vaterbild übersetzt das Moselied die deutero-jesajanische Vorstellung von JHWH als Schöpfer der ganzen Welt in ein Gottesbild, das dem einzelnen Menschen unmittelbar nachvollziehbar ist und dennoch einen universalen Horizont behält. Argumentativ werden gewissermaßen alle Register gezogen, wenn zusätzlich zur unmittelbar einleuchtenden Analogie mit der menschlichen Vaterrolle auch JHWHs umfassende Macht als Schöpfer hervorgehoben und dadurch seine Autorität besonders betont wird.212 Darüber hinaus scheinen Jes 64,7 und Mal 2,10 sogar noch weitere Traditionen aufgegriffen und in ihrem Sinne gebündelt zu haben. Im Falle von Jes 64,7 tritt das mehrfach bei Jesaja und Jeremia benutzte Bild von JHWH als Töpfer hinzu;213 in Mal 2,10 ist die auch für Deutero-Jesaja so wichtige Vorstellung von JHWH als persönlich für Israel aktivem (Schöpfer-)Gott auszumachen.214 Dabei erscheint die Schöpfungsmotivik wiederum als Ausschmückung des Vaterbildes, das an beiden Stellen die primäre Botschaft von der engen Verbundenheit JHWHs mit seinem Volk ausdrückt. Es könnte also sein, dass die Verbindung beider Motive im Moselied den beiden Prophetentexten vorausgeht und die Verfasserinnen oder Verfasser von Jes 64,7 und Mal 2,10 den Motivkomplex noch einmal erweiterten.215 3.3.5 Die Autorität der Alten (V.7) Im Anschluss an die Charakterisierungen JHWHs und des Volkes (in Dtn 32,4– 6) erinnert in Dtn 32,7 der Verweis auf die Autorität des (menschlichen) „Vaters“ (vgl. Dtn 32,7c: ĝĜĔē) bzw. der „Ältesten“ (vgl. Dtn 32,7d: ĝĜģĪę) an die entsprechende Hochschätzung des Alters in weisheitlichen Texten: 216 7
a b c d
Gedenke der Tage der Vorzeit, betrachtet die Jahre aller Generationen. Frage deinen Vater, dass er dir berichte, deine Ältesten, dass sie es dir sagen.
ĠğĘĥĭĘġĜīĞę ī ĘĖĘČīĘĖĭĘģĬĘģĜĔ ĝĖĕĜĘĝĜĔēğēĬ ĝğĘīġēĜĘĝĜģĪę
212
Vgl. MATHYS 1994, 168 (auch mit Blick auf V.15.18): „Freilich besitzt es [= das Theologoumenon von JHWHs Schöpferhandeln] nur dienende Funktion, stützt den Hauptgedankengang und wird nicht um seiner selbst willen entfaltet.“ 213 Vgl. PAURITSCH 1971, 229; FOHRER 1986, 256; I. FISCHER 1989, 193–197. 214 Vgl. MEINHOLD 2006, 199–200; KESSLER 2011, 191. 215 Dagegen geht MEINHOLD 2006, 200 für alle drei Texte von einer ähnlichen, aber unabhängigen Gedankenentwicklung aus. Vgl. auch Kap. 4.2.6 für Gemeinsamkeiten von Dtn 32 und Jes 63–64. 216 Vgl. Hi 8,8; 12,12; 15,10; Ps 119,100 sowie CONRAD 1977, 641–642.
3.3 Die einzelnen Motive
131
Dieselbe Haltung ist aber auch an etlichen weiteren Stellen in der Hebräischen Bibel bezeugt.217 Gleiches Vokabular findet sich für ähnliche Aussagen hingegen nur in Jos 4,21; Hi 8,8. Auch an diesen beiden Stellen geht es um das Befragen (ğēŘ) der „Väter“ (ĭĘĔē), um sich über Vergangenes kundig zu machen. In Jos 4,21 allerdings bildet dies die Einleitung einer „Musterkatechese“,218 die sich (wie Ex 12,26; Dtn 6,20; Jos 4,6) auf eine konkrete Gegebenheit oder Praxis des Volkes bezieht und deshalb ätiologische Funktion hat: Wenn morgen eure Söhne ihre Väter fragen: ‚Was sind diese Steine?‘
ī ġēğĠĭĘĔēČĭēīĚġĠĞĜģĔĢĘğēĬĜīĬē ėğēėĠĜģĔēėėġ
Dagegen sucht Hiobs Gefährte Bildad in Hi 8,8 durch den Verweis auf das Wissen der Älteren seine grundsätzlichen Überlegungen zum Sein der Menschen im Angesicht JHWHs abzusichern: ĢĘĬĜīīĖğēģČğēĬČĜĞ ĠĭĘĔēīĪĚğĢģĘĔĘ
Ja befrage doch die frühere Generation und achte auf das Forschen ihrer Väter.
Hier ist eine sachliche Nähe zum Moselied nicht zu leugnen.220 Doch hat die entsprechende Wortverbindung an sich keinen Seltenheitswert, so dass aus dem Befund keine Abhängigkeiten erschlossen werden können. Deshalb sollte hinsichtlich der Befragung von „Vater“ und „Ältesten“ in Dtn 32,7 wohl allgemeiner von einer rhetorischen Figur gesprochen werden.221 Ähnlich den Höraufrufen am Anfang des Liedes lässt sie sich nicht eindeutig einem bestimmten Textkorpus oder Milieu zuordnen.222 3.3.6 Die Verteilung der Völker und JHWHs Erbteil (V.8–9) Dtn 32,8–9:223 8
9
a b c d a b
Als der Höchste die Nationen als Erbe verteilte, als er die Menschensöhne voneinander trennte, setzte er die Grenzen der Völker fest nach der Zahl der söhne. Ja, JHWH sein Volk Jakob , sein abgemessenes Erbteil .
ĠĜĘĕĢĘĜğĥğĚģėĔ ĠĖēĜģĔĘĖĜīħėĔ ĠĜġĥĭğĔĕĔĩĜ ĠĜėĘğēĜģĔīħĤġğ ĔĪĥĜĘġĥėĘėĜĪğĚĜĞ ğēīĬĜĘĭğĚģğĔĚ
217
Vgl. z.B. Dtn 4,32; Jos 4,21; Ri 6,13; Ps 44,2; 78,3; Joel 1,2–3. 218 OTTO 2012, 822, vgl. HERTZBERG 1973, 29; KNAUF 2008, 61. 219 Zur Konjektur von ĢģĘĞĘ vgl. z.B. FOHRER 1989, 183–184. 220 Vgl. DELITZSCH 1864, 87; FOHRER 1989, 191. 221 Vgl. TIGAY 1996, 302; NELSON 2002, 371. 222 Zur den diversen Funktionen der Berufung auf Vergangenes vgl. (trotz der Verengung auf den Kontext der Weisheit) HABEL 1976, 270–271. 223 Zur Textkritik vgl. Kap. 1.3.2.
132
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Obwohl V.8 und V.9 in der Argumentation des Moseliedes eng zusammenhängen, finden sich Parallelen für die jeweilige Motivik an unterschiedlichen Stellen. Die beiden Themen „Die Verteilung der Völker (V.8)“ und „JHWHs Erbteil (V.9)“ sollen deshalb nacheinander behandelt werden. 3.3.6.1 Die Verteilung der Völker (V.8) Der Parallelismus der Verben ğĚģ Hif („erben lassen“, „als Erbe verteilen“) und Ėīħ Hif („abtrennen“, „trennen“) in Dtn 32,8a–b ist in verschiedener Hinsicht singulär: Als der Höchste die Nationen als Erbe verteilte, als er die Menschensöhne voneinander trennte…
ĠĜĘĕĢĘĜğĥğĚģėĔ ĠĖēĜģĔĘĖĜīħėĔ
In der Mehrheit der ansonsten bezeugten Fälle wird ğĚģ Hif benutzt, um auszudrücken, dass JHWH (bzw. stellvertretend Josua) das Volk Israel das Land erben lässt.224 Auch Ėīħ Hif bezeichnet sonst nicht die Verteilung von Völkern.225 Allerdings wird die Verzweigung der Söhne Noachs in Gen 10,5.32 mit dem Nifޏal des Verbs Ėīħ („sich teilen“, „sich abzweigen“) beschrieben. Gen 10,5: Von diesen haben sich die Inseln der Nationen abgezweigt…
ĠĜĘĕėĜĜēĘĖīħģėğēġ
Gen 10,32: Diese sind die Familien der Söhne Noachs nach ihren GeĠĭĖğĘĭğĚģČĜģĔĭĚħĬġėğē schlechterfolgen in ihren Nationen, und von diesen haben ĠĜĘĕėĘĖīħģėğēġĘĠėĜĘĕĔ sich die Nationen auf der Erde abgezweigt nach der Sintflut. ğĘĔġėīĚēĨīēĔ
Zweifellos wird hier grundsätzlich ein dem Moselied ähnliches Geschehen dargestellt, da beide Texte von der Ausbreitung der Menschen in der Vorzeit handeln. Bezeichnenderweise aber wird in Gen 10 durch die Verwendung des Nifޏal gerade nicht auf einen Urheber verwiesen,226 während das Moselied es zum Lehrinhalt erhebt, dass ĢĘĜğĥ („der Höchste“) schon vor langer Zeit für die Ereignisse in der Menschenwelt verantwortlich war. Im Vergleich zu Gen 10
224
Vgl. Dtn 1,38; 3,28; 12,10; 19,3; 31,7; Jos 1,6, aber auch Jer 3,18; 12,14. 225 Vgl. Gen 30,40 (Jakobs Absonderung der dunklen von den hellen Lämmern in der Herde Labans); Rut 1,17; 2.Kön 2,11; Prov 16,28; 17,9; 18,18 (jeweils Trennung zwischen Freunden oder Feinden). 226 Der Vorgang in Gen 10 erscheint wie eine natürliche Entwicklung, vgl. Gen 25,23 mit der Ankündigung JHWHs gegenüber Rebekka: ĝĜĥġġ ĠĜġēğ ĜģĬĘ ĝģěĔĔ >ĠĜĘĕ@ ĠĜĜĕ ĜģĬ ĘĖīħĜ („Zwei Nationen sind in deinem Bauch und zwei Völker werden sich aus deinem Inneren abzweigen“).
3.3 Die einzelnen Motive
133
erscheint Dtn 32,8 daher wie eine theologische Nach-Interpretation.227 Niemals sonst aber begegnet „der Höchste“ in der Hebräischen Bibel als Subjekt der Verben ğĚģ Hif oder Ėīħ Hif.228 Im zweiten Bikolon von V.8 steht der textgeschichtlich brisante Terminus ĠĜėĘğēĜģĔ(Dtn 32,8d 4QDeutj: „Gottessöhne“):229 ĠĜġĥĭğĔĕĔĩĜ ĠĜėĘğēĜģĔīħĤġğ
…setzte er die Grenzen der Völker fest nach der Zahl der Gottessöhne.
Dieser vieldiskutierte Ausdruck findet sich wie im Moselied ohne Artikel nur noch in Hi 38,7, mit Artikel außerdem in Hi 1,6; 2,1 sowie in Verbindung mit „den Menschentöchtern“ (ĠĖēėĭĘģĔ) auch in Gen 6,2.4. Hi 38,7: …beim vereinten Jubeln der Morgensterne und als alle ĜģĔČğĞĘĥĜīĜĘīĪĔĜĔĞĘĞĖĚĜČĢīĔ ĠĜėğē Gottessöhne jauchzten.
Hi 1,6; 2,1: Und es geschah an dem Tag, als die Gottessöhne kamen, ĠĜėğēėĜģĔĘēĔĜĘĠĘĜėĜėĜĘ ĢěĬėČĠĕēĘĔĜĘėĘėĜČğĥĔĩĜĭėğ um vor JHWH zu treten, da kam auch der Satan in ihre ĠĞĭĔ Mitte…
Gen 6,2: Und die Gottessöhne sahen die Menschentöchter, dass sie schön waren…
ĠĖēėĭĘģĔČĭēĠĜėğēėČĜģĔĘēīĜĘ ĭ ĔěĜĞ
Gen 6,4: …als die Gottessöhne zu den Menschentöchtern kamen.
ĭĘģĔČğēĠĜėğēėĜģĔĘēĔĜīĬē ĠĖēė
Mit Erhard Blum ist zu beobachten, dass sowohl ĠĜėğē (ohne Artikel) als auch ĠĜėğēė (mit Artikel) zur Bezeichnung JHWHs als „Gott“ dienen kann,230 so
227
Vgl. LUYTEN 1985, 342; SEYBOLD 2005, 68–69. 228 Zu ĢĘĜğĥ („Eljon“ bzw. „der Höchste“) vgl. auch den Exkurs „Eljon und die Gottessöhne“ am Ende dieses Abschnitts. 229 Vgl. LXX: ôëüą ċúóùöļ÷ ċññěõþ÷ ùïøŶ für die ursprüngliche LesungĜģĔ īħĤġğ ĠĜėĘ ğē („nach der Zahl der Gottessöhne“) in Dtn 32,8d. 230 Vgl. BLUM 2008, 105, aber auch schon W.H. SCHMIDT 1971a, 165–166 sowie zur Veranschaulichung z.B. 2.Sam 7,26 (ohne Artikel): ğēīĬĜČğĥĠĜėğēĭĘēĔĩėĘėĜ („JHWH der Heerscharen ist Gott über Israel“) neben Dtn 4,35 u.ö. (mit Artikel): ĠĜėğēėēĘėėĘėĜ („JHWH ist Gott“), aber auch 1.Sam 2,27 u.ö. (ohne Artikel): ĠĜėğēČŘĜē („Gottesmann“) neben Jos 14,6 u.ö. (mit Artikel): ĠĜėğēėČŘĜē.
134
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
dass auch ĠĜėğēĜģĔ und ĠĜėğēėĜģĔ, sofern sie JHWH zugeordnet sind, gleichermaßen mit „Gottessöhne“ im Sinne von „Söhne des einen Gottes (JHWH)“ übersetzt werden darf. Die Frage der Zuordnung ist jedoch im Falle von Dtn 32,8 umstritten, da manche Exegesetreibende der Meinung sind, ĢĘĜğĥ (V.8a: „der Höchste“) sei nicht mit JHWH identisch, sondern JHWH vielmehr nur einer der „Söhne“ des von JHWH zu unterscheidenden „Höchsten“.231 Die entsprechende Bezeichnung ĢĘĜğĥ ĜģĔ („Söhne des Höchsten“) findet sich in Ps 82,6, wo JHWH (hier gemäß der Konvention des Elohistischen Psalters nur ĠĜėğē, „Gott“ genannt)232 spricht: Ich habe gesagt: ‚Götter seid ihr, Söhne des Höchsten ihr alle!‘
ĢĘĜğĥĜģĔĘĠĭēĠĜėğēĜĭīġēČĜģē ĠĞğĞ
Dieser Satz fällt Ps 82,1 zufolge „in der Gottesversammlung, in der Mitte der Götter“ (ĠĜėğēĔīĪĔğēČĭĖĥĔ). Auch hier ist dem Wortlaut nach nicht klar, ob die „Gottesversammlung“ nach dem (dann obersten) Gott JHWH heißt und als „Söhne des Höchsten“ folglich JHWHs „Söhne“ anzusehen sind.233 Eine Bezeichnung „Söhne JHWHs“ ist in der Hebräischen Bibel nicht bezeugt. Wohl aber heißen in Ps 29,1; 89,7 Wesen in der göttlichen Sphäre, die JHWH ungleich sind und sich ihm nur ehrerbietig unterordnen können, ĠĜğē ĜģĔ („Göttersöhne“). Als unvergleichbar „unter den Göttern“ (ĠğēĔ bzw. ĠĜėğēĔ) wird JHWH in Ex 15,11; Ps 86,8 bekannt. Aus demselben Grund müssen sich „alle Götter“ (ĠĜėğēČğĞ) in Ps 97,7.9 vor JHWH niederwerfen, was dem Schlussvers des Moseliedes nach 4QDeutq/LXX entspricht, vgl. Dtn 32,43a– b*:234 Jubelt, , ,
ĘġĥĠĜġĬĘģĜģīė ĠĜėğēğĞĘğĘĘĚĭĬėĘ
Die Vorstellung einer um JHWH zusammentretenden „Versammlung“ von gottähnlichen Wesen, wie sie unter den genannten Stellen v.a. in Hi 1; 2; Ps 82; 89 greifbar wird, begegnet außerdem in Hi 15,8 (ėĘğē ĖĘĤ: „Rat Gottes“); Jer 23,18 (ėĘėĜĖĘĤ: „Rat JHWHs“),235 aber ohne spezielle Terminologie auch
231
Vgl. zu dieser textpragmatisch nicht haltbaren Position den Exkurs „Der Gott des Moseliedes“ in Kap. 2. 232 Vgl. Ps 82,1 und dazu z.B. WANKE 1994, 445; HOSSFELD/ZENGER 2000, 480–481. 233 So jedoch WEISER 1966, 380; SEYBOLD 1996, 325. Eine bewusst mehrdeutige Formulierung vermuten HOSSFELD/ZENGER 2000, 486.489, weil dadurch JHWH nicht in Konkurrenz zu einem möglichen anderen Oberhaupt der Götter gerate, sondern eine Rolle jenseits dieser Alternative zugesprochen bekomme. 234 Vgl. auch unten 3.3.23. 235 Vgl. auch Ps 89,6: ĠĜĬĖĪğėĪ („Versammlung der Heiligen“); V.8: ĠĜĬĖĪČĖĘĤ („Rat der Heiligen“).
3.3 Die einzelnen Motive
135
in 1.Kön 22,19–22; Jes 6; Sach 3. In Hi 15,8; Jer 23,18 geht es darum, dass wirkliche Erkenntnis einfachen Menschen verborgen bleibt und nur im Umkreis JHWHs anzutreffen ist.236 Die drei übrigen Textstellen sind als prophetische Schauungen gestaltet und bieten ausführlichere Schilderungen einer klar von JHWH dominierten Zusammenkunft: In 1.Kön 22; Jes 6 wird JHWH beschrieben, wie er auf seinem himmlischen „Thron“ (vgl. 1.Kön 22,19; Jes 6,1: ēĤĞ) sitzt und von einem Thronrat umgeben ist. Die Erwähnung eines Throns fehlt in Sach 3. Hier bildet der/ein „Bote JHWHs“ (Sach 3,1: ėĘėĜĝēğġ) den Mittelpunkt des Geschehens. Dennoch ist die Szenerie vergleichbar, insofern stets JHWH redet und Anweisungen ausgibt. Als Besonderheit erscheint es, dass unter den ansonsten offenbar nicht menschlich gedachten Anwesenden einmal Jesaja selbst (vgl. Jes 6) und einmal der Hohepriester Josua (vgl. Sach 3) direkt vor JHWH steht. In den beiden vorderen Rahmenkapiteln des Buches Hiob tritt „der Satan“ (Hi 1,6; 2,1: Ģěřė) aus dem Kreis der übrigen „Gottessöhne“ hervor und bekommt von JHWH die Erlaubnis bzw. den Auftrag, Hiob in die Versuchung der Gotteslästerung zu führen. An den meisten zitierten Stellen erfüllen die gottähnlichen Wesen im Umkreis JHWHs also entweder eine bestimmte Aufgabe, die JHWH ihnen zuweist,237 oder es fällt ihnen zu, JHWH zu huldigen.238 In Ex 15,11; Ps 86,8 dient die Erwähnung der anderen „Götter“ dagegen der bloßen Abgrenzung von JHWH und damit der Betonung seiner unvergleichbaren Macht. Das JHWH gegenüber gänzlich eigenständige Handeln der „Gottessöhne“ in der Urgeschichte der Genesis (wo sie sich Menschentöchter als Frauen nehmen)239 unterscheidet diesen Text deutlich von allen zuvor genannten und – trotz der gemeinsamen Urzeit-Thematik – auch vom Moselied, wo die „Gottessöhne“ nur als passive Bezugsgröße genannt werden und über ihr Tun kein Wort verloren wird. Allein handelnd ist in Dtn 32,8 „der Höchste“; ob den „Gottessöhnen“ mit der Festsetzung der Völkergrenzen eine konkrete Aufgabe zugewiesen wird, bleibt ungesagt. Auch die Vorstellung einer Zusammenkunft der „Gottessöhne“ als Thronrat des „Höchsten“ wird nicht erkennbar. So wie der Text geschrieben ist, müssten die „Gottessöhne“ bei der Zuteilung der Menschen nach dem Moselied nicht einmal selbst anwesend sein.
236
Vgl. PARKER 1999a, 207. 237 Vgl. 1.Kön 22; Hi 1,6; 2,1; Sach 3,4. In Ps 82 werden sie dafür verurteilt, „ungerecht gerichtet“/„Unrecht verteten“ (vgl. Ps 82,2: ğĘĥ ěħŘ), ihre Aufgabe also nicht erfüllt zu haben. 238 Vgl. Dtn 32,43 (4QDeutq/LXX); Ps 29,1; 89,6–8; 97,7.9; Hi 38,7. In Jes 6,8 ist es Jesaja, der den göttlichen Auftrag übernimmt, während die „Serafim“ (vgl. Jes 6,2.6: ĠĜħīř) JHWH aufwarten. 239 Vgl. VON RAD 1972, 84: „die eigentlich Handelnden sind […] die oberen Himmelsbewohner“ sowie die ausführlichen Überlegungen zur Eigenmächtigkeit der ĠĜėğēė ĜģĔ bei WESTERMANN 1976a, 494–500.504.
136
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Nicht selten wird als mögliche Parallele für das Geschehen in Dtn 32,8 auch die abschließende Offenbarung des Daniel-Buches (Dan 10–12) genannt. Hier erwähnt „ein in Leinen gekleideter Mann“ 240 Daniel gegenüber „Fürsten“ (ĠĜīř), die als Vertreter verschiedener Völker gegeneinander kämpfen.241 Offenbar handelt es sich – wie auch bei dem in Leinen Gekleideten selbst – um Wesen von menschenähnlicher und doch nicht-menschlicher Art.242 Andererseits wird ihnen auch keine explizit göttliche Qualität zugesprochen. Der Name des „Fürsten“ von Israel, ğēĞĜġ („Michael“ = „wer ist wie Gott?“), soll ihn vielleicht als von JHWH eingesetzt kennzeichnen und hervorheben, dass dem Volk Israel dank seines Beistandes eine besondere Rolle unter den Völkern zukommt.243 Er lässt aber die eigentliche Beziehung zu JHWH („Gott“) umso mysteriöser erscheinen. Auch das Wirken der übrigen „Fürsten“ wird nicht in Relation zu JHWH gesetzt und scheint von ihm völlig unabhängig zu sein. Ebenso wenig wird gesagt, worauf die Zuordnung der „Fürsten“ zu den Völkern beruht, so dass offen bleiben muss, ob eine dem Moselied vergleichbare Verteilung auch im Daniel-Buch vorausgesetzt wird.244 In jedem Fall ist der scharfe Gegensatz zum Moselied unübersehbar, dass der „Fürst“ Michael das Volk Israel anführt (Dan 10,21; 12,1) – und nicht JHWH selbst.245 Als enge Parallele zu Dtn 32,8 kann Dan 10; 12 folglich nicht betrachtet werden. Mit Blick auf die innerbiblischen Parallelen für die Konzeption einer Gruppe von Göttern oder götterähnlichen Wesen im Umfeld JHWHs ist demnach festzuhalten, dass das Moselied nur hinsichtlich der Darstellung jubelnder „Götter“ in V.43 Ähnlichkeit mit Ps 29,1; 89,6–8; 97,7.9; Hi 38,7 besitzt. Die Aussage von V.8 über die Verteilung der „Menschensöhne“ auf die „Gottessöhne“ lässt sich hingegen mit keinem anderen Text vergleichen. 246 Allein
Dan 12,5: ĠĜĖĔĬĘĔğĖĚēČĬĜē. 241 Vgl. Dan 10,13.20–21; 12,1. Benannt werden neben Michael, dem „Fürsten“ Israels, „der Fürst des Königreichs Persien“ (Dan 10,13: Ĥīħ ĭĘĞğġ ī Ĭ) bzw. „der Fürst Persiens“ (Dan 10,20: Ĥīħ īĬ) und „der Fürst Jawans“ (Dan 10,20: ĢĘĜČīĬ). 242 Vgl. MONTGOMERY 1964, 419–420; PORTEOUS 1968, 127; GOLDINGAY 1989, 291– 292. 243 Vgl. GOLDINGAY 1989, 306. 244 Vgl. aber die Anlehnung an Dan 10 im Tg Pseudo-Jonathan zu Dtn 32,8–9, übers. bei CLARKE 1998, 90 sowie zu den sachlichen Gemeinsamkeiten MACH 1992, 22–25. Auch COLLINS 1993, 374 nennt Dtn 32,8–9 als Parallele für die Zuordnung von Völkern und ihren Beschützern in Dan 10(–12), ohne jedoch die Unterschiede zwischen beiden Texten zu erörtern. 245 Vgl. PORTEOUS 1968, 128.143; GOLDINGAY 1989, 292.306; COLLINS 1993, 375: „It should be noted that in the Hebrew Bible prior to Daniel, the Lord serves as ruler of Israel, a role given to Michael here“ (mit Verweisen für Parallelen zu dieser Vorstellung in der Qumran-Literatur). 246 Vgl. VON RAD 1968, 140: „Das besondere [sic] an der Stelle ist nicht, daß sie neben Jahwe noch von anderen himmlischen Wesen spricht – diese Vorstellung ist im Alten 240
3.3 Die einzelnen Motive
137
Ps 82 zeigt eine ähnliche Ambivalenz in Bezug darauf, wie das Verhältnis JHWHs zur Gruppe der „Söhne des Höchsten“ (Ps 82,6) bzw. der „Gottessöhne“ (Dtn 32,8) gedacht ist, während eine solche Frage in Dan 10; 12 nicht einmal aufkommt, da die „Fürsten“ und JHWH nicht gemeinsam erwähnt werden. Sowohl in Dtn 32 als auch in Ps 82 wird vom Kontext her klar, dass das Handeln JHWHs jeweils maßgeblich ist,247 während die Sprache diese Aussageintention auf den ersten Blick eher verschleiert. Nimmt man aber ernst, dass weder in Ps 82 noch in Dtn 32 von einem positiven Wirken der „Götter“ bzw. „Gottessöhne“ neben JHWH gesprochen wird, ist Konrad Schmid zuzustimmen, dass deren Erwähnung nur ein „polytheistische[s] Sprachspiel“ 248 im Dienste monotheistischer Universalitätsaussagen sein kann.249
Exkurs: Eljon und die Gottessöhne Zur Beurteilung der in Dtn 32,8* nur knapp angedeuteten Szenerie ist der vergleichende Blick in eine Reihe von Quellentexten aus Mesopotamien sowie dem Gebiet des heutigen Syrien und Israel aufschlussreich. Denn es finden sich hier verschiedene Hinweise auf Vorstellungszusammenhänge, die auch in das Moselied eingeflossen sein dürften. Allerdings wird ebenso deutlich, dass die Darstellung des Liedes Züge aufweist, die sich aus diesen altorientalischen Parallelen nicht erklären lassen. Das Äquivalent der Bezeichnung ĢĘĜğĥ („Höchster“) taucht einmal in einer aramäischen Inschrift des 8. Jhs. v. Chr. im Korpus aus Sefire auf.250 Der Befund ist nicht eindeutig: ĢĜğĥĘğē könnte in der Aufzählung der Zeugen des Vertrags zwei eng verbundene Gottheiten, „ގEl“ und „ޏEljan“, oder aber eine einzige Gottheit mit einem zusammengesetzten Namen bezeichnen.251 Letzteres würde den „zweiteilige[n] ugar[itischen] Gottesbezeichnungen“,252 aber auch der Benennung JHWHs als ĢĘĜğĥğē in Gen 14,18–20.22; Ps 78,35 entsprechen. In Ugarit jedoch wird nicht der prinzipiell als oberste Gottheit verehrte Gott
Testament gar nicht selten –, sondern daß sie ihnen in der Weltregierung eine so wichtige Funktion zuerkennt. Immerhin kommt die Vorstellung dem Psalm 82 nahe, demzufolge [sic] diesen Himmlischen die Aufgabe oblag, in den Völkern für Recht und Ordnung zu sorgen.“ 247 Vgl. jeweils besonders die Schlussverse (Dtn 32,43; Ps 82,8) sowie für Ps 82 v.a. WANKE 1994, 447–453; K. SCHMID 2011c, 135–136. 248 K. SCHMID 2011c, 135, vgl. EBD., 136: „Auch in Ps 82 haben wir es von vornherein mit der Rezeption polytheistischer Religiosität im Rahmen monotheistischer Religiosität zu tun – und nicht mit polytheistischer Religiosität selbst.“ 249 Für eine entsprechende Datierung von Ps 82 in die Perserzeit vgl. WANKE 1994, 451– 453; K. SCHMID 2011c, 135–138. 250 Vgl. KAI, 239 (Nr. 222 A, Z.11). 251 Vgl. ZOBEL 1989, 143; ELNES/MILLER 1999, 294–295. 252 ZOBEL 1989, 143, vgl. für denselben Hinweis KAI, 246; ELNES/MILLER 1999, 295.
138
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
ގEl „Höchster“ genannt,253 sondern sein (zeitweiliger) Gegenspieler Baޏal,254 wie die Parallelisierungen von bҵl („Baޏal“) und ҵly („der Höchste“) im KeretEpos erkennen lassen.255 Andererseits nennt wiederum ގEl etwas später im selben Epos die versammelten Götter bny („meine Söhne“),256 was ihn faktisch über alle Mitglieder des Pantheons erhebt.257 Die Konkurrenz der beiden Götter ގEl und Baޏal durchzieht das ugaritische Textkorpus.258 Das sich hieraus ergebende Nebeneinander von Rollenzuschreibungen erinnert wiederum an den babylonischen Mythos Enuma eliš, in dem der ursprünglich niedere Gott Marduk durch seine Tatkraft im Kampf gegen die Urmutter Tiamat zum Obersten der Götter aufsteigt259 und im Zuge dessen offenbar auch Attribute anderer Götter (wie Anu, Enlil und Ea) auf sich vereint.260 Schon die Feststellungen, dass ĢĜğĥ in Sefire möglicherweise als Namensbestandteil und ҵly in Ugarit offenbar als Beiname eines Gottes fungierte, sprechen dafür, dass ĢĘĜğĥ in Dtn 32,8a ebenfalls als Zusatzbezeichnung für JHWH mit der Bedeutung „Höchster“ aufgefasst werden konnte. Die wechselnde Zuschreibung von Funktionen und Attributen der Götter an der Spitze des Pantheons in Ugarit (ގEl, Baޏal) und Babylon (Tiamat, Anu, Enlil, Ea, Marduk) weist in dieselbe Richtung. Denn darin zeigt sich, dass in den nordwestsemitischen Nachbarkulturen Israels/Judas nicht zwangsläufig immer dieselbe Gottheit als Oberhaupt der übrigen Götter identifiziert wurde, sondern diese Rolle eine Auszeichnung des zum jeweiligen Zeitpunkt am meisten verehrten Gottes darstellte.261
253
Vgl. RENDTORFF 1966, 282: „In ugaritischen Texten begegnet keine dem hebräischaramäischen ҵæljôn/ҵæljan entsprechende Bezeichnung für El.“ 254 Vgl. RENDTORFF 1966, 282; GREENFIELD 1987a, 547; ZOBEL 1989, 141–142; ELNES/ MILLER 1999, 295. 255 Vgl. KTU 1.16 III, Z.5–6.7–8. 256 Vgl. KTU 1.16 V, Z.24. 257 Zur Bezeichnung der Götter in Ugarit als „Söhne ގEls“ vgl. auch das Folgende. 258 Vgl. MULLEN 1980, 9–12; GREENFIELD 1987a, 548: „Even after Baޏal becomes head of the gods, the assembly remains the domain of El“; NIEHR 1990, 17–18 sowie KTU 1.3 V, Z.32–33; 1.4 IV, Z.43–44 für die Bezeichnung Baޏals als König der Götterversammlung in Gegenwart ގEls. 259 Vgl. zusammenfassend TUAT AF Bd. III, 565–568; KÄMMERER/METZLER 2012, 7– 8 sowie im Epos insbes. Tafel IV. 260 Vgl. JACOBSEN 1943, 169–170; TUAT AF Bd. III, 568 sowie im Epos insbes. Tafel VII. Für eine entsprechende Tendenz in Bezug auf JHWH vgl. RENDTORFF 1966, 285.291. 261 Vgl. ELNES/MILLER 1999, 295: „…there is a wide range of evidence to suggest that ޏElyôn was a common epithet in the West Semitic region, applied at different times and in different cultures to any god thought to be supreme.“ Für einen entsprechenden „Wandel in der syrisch-kanaanäischen Religion des 1. Jahrtausends [v. Chr.]“ und den Aufstieg des Gottes Baޏalšamem zum Oberhaupt des phönizischen und aramäischen Pantheons vgl. NIEHR 1990, 21–41.
3.3 Die einzelnen Motive
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Ob „der Höchste“ im Moselied tatsächlich von Anfang an mit JHWH (Dtn 32,9a) gleichgesetzt wurde, kann freilich auf der Basis dieser Vergleiche nicht entschieden werden. Die in den Zeugnissen aus Israels Umwelt erkennbaren Konzeptionen lassen grundsätzlich auch die Deutung zu, JHWH sei in Dtn 32,8 zunächst nur einer unter den „Gottessöhnen“ gewesen und habe noch einen höheren Gott über sich gehabt. In diesem Fall stünden Dtn 32,8 und 43 jedoch in Spannung zueinander, da am Schluss des Liedes nicht von einem über JHWH erhabenen Gott die Rede ist. Die Vorstellung in V.43*, dass „alle Götter“ JHWH huldigen,262 ist plausibler, wenn er schon in V.8 als Oberhaupt der „Gottessöhne“ verstanden wurde. Es muss aber für diese Erklärung des Moselieds vor dem Hintergrund der nordwestsemitischen Parallelen keinesfalls angenommen werden, der Autor oder die Autorin des Moseliedes habe JHWH mit einer bestimmten Gottheit eines polytheistischen Vorstellungskreises identifiziert.263 Vielmehr scheint die schreibende Person sich einer im Polytheismus wurzelnden Sprachkonvention bedient zu haben, um die aus ihrer Sicht JHWH gebührende höchste Verehrung auszudrücken.264 Aber auch hinsichtlich der Identität der ĠĜėĘğē ĜģĔ („Gottessöhne“) in Dtn 32,8d (4QDeutj) eröffnet die Betrachtung der nordwestsemitischen Parallelen ein besseres Verständnis. Dabei ist sofort anzumerken, dass in der Umgebung Israels verschiedenste Ausdrücke bezeugt sind, um die offenbar weithin verbreitete Vorstellung einer „Götterversammlung“ zu versprachlichen.265 Weiterhin sind in Anbetracht der wenig ausführlichen Schilderung in Dtn 32,8–9 konkrete Übereinstimmungen des Moseliedes mit außerbiblischen Texten schwer zu erheben. Wie auch im Fall der innerbiblischen Parallelen muss überwiegend aus den jeweils erkennbar werdenden Konstellationen auf konzeptionelle Gemeinsamkeiten zurückgeschlossen werden. In einer phönizischen Inschrift aus Karatepe (8. Jh. v. Chr.)266 wird neben den drei einzeln aufgeführten Göttern Baޏalšamem („Baޏal des Himmels“?), „ގEl, der die Erde geschaffen hat“ und „Sonne(ngott) der Ewigkeit“ auch kl dr
262
Vgl. 4QDeutq/LXX. 263 So jedoch z.B. COOKE 1964, 33–34. Gerade weil in Ugarit, wo dem Gott ގEl die prominenteste Rolle zukommt, kein ĢĘĜğĥ vergleichbares Epitheton für ގEl bezeugt ist, scheint die entsprechende, von CROSS 1973, 51–52; M. WEIPPERT 1997, 5.24 und anderen vertretene Auffassung fraglich, die Bezeichnung JHWHs als ĢĘĜğĥ spiegele die Ablösung ގEls durch JHWH als höchste Gottheit in Jerusalem wieder. Dagegen ausführlich RENDTORFF 1966. 264 Vgl. ELNES/MILLER 1999, 296. 265 Vgl. COOKE 1964, 26–27.39; GREENFIELD 1987a, 548: „The assembly of the gods is a well-known institution in ancient Near Eastern religion“; MULLEN 1992, 214: „Despite the common mythological depictions of the assembly of the gods, the terminology used to describe this concept is rather diverse.“ 266 Vgl. KAI, 37 (Nr. 26 A III, Z.19).
140
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
bn Ҵlm („der ganze Kreis der Göttersöhne“)267 dazu aufgerufen, sich an demjenigen zu rächen, der die Inschrift oder gar das Gebäude bzw. die Stadt des Auftraggebenden zerstört. Aus der Reihenfolge der Erwähnungen (und anderen ähnlichen Reihungen)268 hat man geschlossen, dass der Gott Baޏalšamem an der Spitze der übrigen Götter steht und somit insbesondere den nicht einzeln namentlich genannten „Göttersöhnen“ vorgeordnet war. Tatsächlich wird das Verhältnis der phönizischen Götter zueinander in den erhaltenen Textzeugnissen genauso wenig expliziert wie das der ĠĜėĘ ğē ĜģĔ („Gottessöhne“) zu ĢĘĜğĥ („dem Höchsten“) in Dtn 32,8*. Allein die Unterordnung anderer „Götter“ unter den hervorgehobenen einen „Höchsten“ bzw. Baޏalšamem scheint gesichert.269 Natürlich muss berücksichtigt werden, dass zur Rekonstruktion der phönizischen Religion v.a. Inschriften und keine ausführlichen literarischen Schilderungen zur Verfügung stehen. In unserem Zusammenhang ist aber in erster Linie die gut erkennbare Parallele bedeutsam, dass der Gott Baޏalšamem – wie JHWH an verschiedenen Stellen der Hebräischen Bibel – nicht im biologischen Sinn als Vater der anderen Götter, sondern in wechselnden Konstellationen stets als der wichtigste oder eigentliche Handlungsträger verstanden wurde.270 In ugaritischen Texten stößt man auf die grammatisch in mehrfacher Hinsicht uneindeutige Wendung bn ގilm. Wo bn nicht den Singular „Sohn“,271 sondern einen Plural bezeichnen muss, kann bn ގilm mit „Söhne der Götter“ übersetzt werden. So findet sich einmal im Baޏal-Zyklus der Ausdruck pېr bn ގilm („Versammlung der Söhne der Götter“).272 Es wäre indes auch möglich, das Lexem ގilm als Zusammensetzung des Singulars il (als Eigenname „ގEl“) mit enklitischem „m“ zu interpretieren.273 Für diese Deutung spricht vielleicht die mehrfache Bezeugung des Parallelismus dr bn ގil/mpېrt bn ގil („Kreis der Söhne ގEls“/„Versammlung der Söhne ގEls“), in dem eindeutig der Name des Gottes ގEl als Nomen rectum der Verbindung auftaucht.274 Andererseits kann die anscheinend synonyme Verwendung der Ausdrücke pېr bn ގilm und pېr ގilm als Beleg dafür gewertet werden, dass das Wort bn („Sohn“, „Söhne“) keine streng genealogische Bedeutung haben muss, sondern schlicht
267
Vgl. NIEHR 1990, 27; PARKER 1999b, 794. 268 Vgl. NIEHR 1990, 26–29; RÖLLIG 1999, 149–150. 269 Vgl. z.B. ODEN 1977, 463: „The pattern of the Lord of Heaven as the leader of the pantheon […] seems firmly established“; RÖLLIG 1999, 149. 270 Vgl. MULLEN 1980, 274; NIEHR 1990, 75; RÖLLIG 1999, 150–151. 271 So in KTU 1.4 VIII, Z.16; 1.5 I, Z.12; 1.6 II, Z.31 mit Bezug auf Mot. 272 Vgl. KTU 1.4 III, Z.14. Die Übersetzung in TUAT NF Bd. VIII, 214 lautet „Versammlung der Götter“. 273 Vgl. MULLEN 1992, 214; PARKER 1999b, 794; SMITH 2001, 41–42. 274 Vgl. z.B. KTU 1.40, Z.25; 1.65, Z.2–3.
3.3 Die einzelnen Motive
141
Zugehörigkeit markiert.275 Insofern erhält auch die Übersetzung „Söhne der Götter“ (im allgemeineren Sinn von „Götter“ anstelle des stärker familiär gedachten „Söhne ގEls“) für bn ގilm eine weitere Stütze.276 Eindeutig diesem pluralischen Verständnis von ގilm entspricht wiederum die Rede von den ĠĜğēĜģĔ („Göttersöhnen“) in Ps 29,1; 89,7. Die engste Parallele zu Ps 82,1 mit der singularisch formulierten Constructus-Verbindung ğēČĭĖĥ („Gottesversammlung“) steht wieder im Keret-Epos und lautet ҵdt Ҵilm,277 wo Ҵilm ganz sicher ebenfalls als Plural („Versammlung der Götter“) zu interpretieren ist, da ausdrücklich auf die alle Götter umgreifende (und damit den engeren Kreis um ގEl übersteigende) Reichweite der Versammlung hingewiesen wird.278 Demgegenüber wird etwas später in demselben Epos ausdrücklich ein „Kreis ގEls“279 erwähnt. Exemplarisch deutet sich somit im Keret-Epos an, dass in der nordwestsemitischen Mythologie zwischen der Vorstellung einer (zu einem bestimmten Zweck zusammenkommenden) Versammlung der Götter und dem (unabhängig von einzelnen Aufträgen und Aufgaben existierenden) Pantheon unterschieden werden muss.280 Möglicherweise ist zudem aber schlicht davon auszugehen, dass in Ugarit nicht nur die Begriffe zur Bezeichnung derselben Gruppe von Göttern variieren (vgl. den Parallelismus von dr und mpېrt), sondern gelegentlich auch mit demselben Begriff unterschiedliche bzw. unterschiedlich große Gruppen von Göttern gemeint sind. Ein weiterer Seitenblick in die akkadische Literatur zeigt, dass dies hier der Fall gewesen sein dürfte. Entsprechend dem ugaritischen pېr ގilm wird auch im Akkadischen die Bezeichnung puېur ilƗni („Versammlung der Götter“) verwendet.281 So geschieht dies beispielsweise in dem schon zitierten Mythos Enuma eliš, wo zunächst die „Versammlung“ (puېru) der oberen Götter um Tiamat und Apsu 282 gegen deren
Für pېr bn ގilm vgl. KTU 1.4 III, Z.14; für pېr ގilm vgl. KTU 1.47, Z.29; 1.118, Z.28; 1.148, Z.9 sowie PARKER 1999b, 794–795 und die Übersetzung für KTU 1.4 III, Z.14 in TUAT NF Bd. VIII, 214 Anm. 253. Anders SMITH 2001, 44. 276 Vgl. PARKER 1999b, 795, der die Begriffe bn Ҵil und bn ގilm für austauschbar hält: „[…] that the phrase translated literally ‘the children of El’ was already so idiomatic a term for the collectivity of the gods that it no longer conveyed the fatherhood of El, but was simply a periphrasis for ‘gods’, i.e. ‘divine beings’.“ 277 Vgl. KTU 1.15 II, Z.7.11. 278 Vgl. TUAT NF Bd. VIII, 252 Anm. 300. 279 KTU 1.15 III, Z.19: dr Ҵil, vgl. auch KTU 1.39, Z.7 für das sachliche Äquivalent pېr bҵl („Versammlung Baޏals“) sowie SMITH 2001, 42 für weitere Beispiele solcher „more restricted groupings“. 280 Vgl. PARKER 1999a, 205; SMITH 2001, 42–43 (für Ugarit); WHITE 2014, 10–17. 281 Vgl. MULLEN 1992, 214; PARKER 1999a, 204; SMITH 2001, 41. 282 I, Z.55: puېrušun: „ihre Versammlung“; I, Z.153 u.ö.: puېur ilƗni: „Versammlung der Götter“, vgl. KÄMMERER/METZLER 2012, 123.148. 275
142
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
„Erstgeborene“ (bukrnj)283 bzw. „Söhne“ (marnj)284 auftritt, weil diese niederen Götter durch ihren Lärm die oberen Götter störten. Verwirrenderweise aber werden späterhin auch die für Tiamat kämpfenden Götter ihre „Erstgeborenen“ genannt285 und andererseits die zusammengetretenen Bekämpften ebenfalls als „Versammlung“286 oder „Versammlung der „Götter“287 bezeichnet. Im Vergleich mit den akkadischen und ugaritischen Texten fällt noch einmal besonders auf, dass das Verhalten der „Gottessöhne“ im Moselied nicht eigens thematisiert wird. Während insbesondere in der akkadischen Literatur die „Versammlung der Götter“ regelmäßig gemeinsame Entscheidungen zu treffen hat288 und ebenso wie die ugaritischen „Göttersöhne“ bzw. „Söhne ގEls“ als diskutierend und gemeinsam tafelnd dargestellt wird,289 verzichten die biblischen Autorinnen und Autoren grundsätzlich auf derlei Ausgestaltungen. 290 Wie sich gezeigt hatte, gehen einige Texte der Hebräischen Bibel aber zumindest davon aus, dass „Götter“ oder götterähnliche Wesen JHWH als ihrem Oberhaupt huldigen und gehorchen.291 Dieses Verhalten passt zur Vorstellung eines (gegenüber einem Pantheon) enger gefassten Thronrats, „der den als König konzipierten höchsten Gott als beratendes und dienstbares Gremium umgibt.“292 Das Moselied scheint im Unterschied dazu in V.8 zunächst eine Gesamtheit von Göttern im Blick zu haben. Es setzt diese aber nicht kollektiv in Beziehung zum Geschehen unter den Menschen, wie das z.B. durch den Beschluss zur Sintflut im Atramপasis- und Gilgameš-Epos der akkadischen Mythologie oder bei den Rangstreitigkeiten der ugaritischen Götter im BaޏalZyklus mit ihren Auswirkungen auf die Vegetation der Erde der Fall ist.
283
I, Z.34 u.ö.: bukrišun: „ihre (3.Pers. Pl.) Erstgeborenen“, vgl. KÄMMERER/METZLER 2012, 117. 284 I, Z.52: ilƗni marƝšu: „die Götter, seine [Apsus] Söhne“, vgl. KÄMMERER/METZLER 2012, 122. 285 III, Z.37 u.ö.: bukriša: „ihre (3.Pers. Sg. fem.) Erstgeborenen“. 286 II, Z.158 u.ö.: puېru: „Versammlung“, vgl. KÄMMERER/METZLER 2012, 176. 287 VI, Z.86 u.ö.: puېur ilƗni: „Versammlung der Götter“, vgl. KÄMMERER/METZLER 2012, 264. 288 Vgl. JACOBSEN 1943, 167–172. 289 Vgl. zusammenfassend COOKE 1964, 28; GREENFIELD 1987a, 548; MULLEN 1992, 215; PARKER 1999a, 205: „The essential business of the council is discussion leading to a decision […].“ 290 Vgl. COOKE 1964, 46: „the individualization, personalization and specification of function which characterized this idea-complex in other cultures of the Near East finds little parallel in the Hebrew-Jewish records“. 291 Vgl. oben 3.3.6.1. 292 NIEHR 1990, 71 (hier mit Bezug auf syrisch-kanaanäische Zeugnisse), vgl. für Ugarit z.B. MULLEN 1980, 22–45. In Mesopotamien scheint eher die Unterscheidung zwischen namentlich bekannten und in der Götterversammlung auch einzeln hervortretenden „großen Göttern“ und nicht ausdifferenzierten Gruppen von niederen Göttern grundlegend zu sein, vgl. SALLABERGER 2005, 294–295.299–300.
3.3 Die einzelnen Motive
143
Vielmehr bildet die grob skizzierte Szenerie der Zuteilung von Menschen- und Gottessöhnen im Moselied nur den Hintergrund für den eigentlich interessanten Rückblick auf die Geschichte JHWHs mit seinem Volk Israel, in der andere Götter keine Rolle spielen (sollen). Umgekehrt ist der geradezu universale Blickwinkel des Moseliedes auf die gesamte Völkerwelt einzigartig unter den Textzeugnissen der nordwestsemitischen Nachbarkulturen. 293 Zwar kann als Parallele zur Verteilung der Menschen auf verschiedene „Gottessöhne“ im Moselied eine sumerische Sintflut-Erzählung angeführt werden.294 Vermutlich ist es hier die Muttergöttin Nintu, die in der Zeit vor der Flut nacheinander fünf Städte jeweils einer (durch Epitheta bezeichneten) Gottheit übergibt. 295 Die Städte bilden hier aber nicht die Gesamtheit der Menschenwelt ab.296 Eine dem Moselied vergleichbare Einordnung der Beziehung eines Gottes zu seinem Volk in den Rahmen der Weltgeschichte findet sich in den Nachbarkulturen Israels nicht.297 3.3.6.2 JHWHs Erbteil (V.9) Um die Plausibilität der in Kapitel 1 rekonstruierten Verbalform ĪžĚ Ā Ĝą in Dtn 32,9a zu überprüfen, soll ein Vergleich sowohl für den rekonstruierten Text (ėĘėĜĪğĚĜĞ: „ja, JHWH teilte sich zu“) als auch für das von MT/SP Überlieferte (ėĘėĜĪğĚĜĞ: „ja, das Erbteil JHWHs“) unternommen werden. Das in der Rekonstruktion verwendete Verb ĪğĚ („teilen“, „verteilen“, „zuteilen“) bezeichnet regelmäßig die Verteilung bzw. Zuteilung von Land (und anderen Gütern). Zum Vergleich mit dem Moselied aber sind nur die Stellen
293
Vgl. K. SCHMID 2011c, 130–131. 294 Vgl. ANET, 42–44; TUAT AF Bd. III, 448–458. 295 Kolumne II, Z.14–18, vgl. LAMBERT/MILLARD 1969, 140–141; TUAT AF Bd. III, 452. 296 Folgt man der Praeparatio evangelica des Eusebius von Cäsarea (4. Jh. n. Chr.), gehörte eine ähnliche Vorstellung auch zur phönizischen Religion. In diesem Werk (I.10, Z.33– 35) wird berichtet, der Gott „Kronos“ habe Königreiche und Städte an andere Götter übergeben, vgl. MRAS 1982, 49–50. Auch in dieser Darstellung werden jedoch keinesfalls alle von Menschen bewohnten Gebiete berücksichtigt. 297 LOEWENSTAMM 1992, 347 behauptet eine Ähnlichkeit von Dtn 32,9 mit dem Atramপasis-Mythos, allerdings losen hier die Götter die Weltgegenden untereinander aus und von Menschen ist gar nicht die Rede, vgl. LAMBERT/MILLARD 1969, 42–43; TUAT NF Bd. VIII, 134. Weiterhin verweisen BARTHÉLÉMY 1963, 296; KOCH 2007, 141 als Parallelen zu Dtn 32,8–9 auf KTU 1.3 VI, Z.26–27 und KTU 1.4 VIII, Z.12–14, weil hier jeweils von einem „Erbteil“ (nۊlth) Kotar-wa-asis bzw. Mots die Rede ist. Es wird aber an keiner der beiden Stellen angedeutet, dass sie ein mit Dtn 32,8 vergleichbares Verteilungsszenario voraussetzen.
144
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
relevant, an denen JHWH das Subjekt bildet.298 Von diesen bieten Dtn 4,19; 29,25 die engsten Parallelen zum rekonstruierten Text von Dtn 32,9. Dtn 4,19: …und dass du nicht deine Augen zum Himmel aufhebst ČĭēĭĜēīĘėġĜġĬėĝĜģĜĥēĬĭČĢħĘ und die Sonne und den Mond und die Sterne, das ganze ğĞĠĜĔĞĘĞėČĭēĘĚīĜėČĭēĘĬġĬė Heer des Himmels, siehst und verführt wirst und vor ĠėğĭĜĘĚĭĬėĘĭĚĖģĘĠĜġĬėēĔĩ ihnen niederfällst und ihnen dienst, die JHWH, dein ĝĜėğēėĘėĜĪğĚīĬēĠĭĖĔĥĘ Gott, allen Völkern unter dem ganzen Himmel zugeteilt ĠĜġĬėČğĞĭĚĭĠĜġĥėğĞğĠĭē hat.
Dtn 29,25: …und [weil] sie hingingen und anderen Göttern dienten und vor ihnen niederfielen, Göttern, die sie nicht gekannt hatten und die er ihnen nicht zugeteilt hatte.
ĠĜīĚēĠĜėğēĘĖĔĥĜĘĘĞğĜĘ ČēğīĬēĠĜėğēĠėğĘĘĚĭĬĜĘ ĠėğĪğĚēğĘĠĘĥĖĜ
Diese Passagen beschreiben eine Zuteilung, die sich umgekehrt zu der im Moselied geschilderten verhält: In Dtn 4 und 29 wird ausgedrückt, dass JHWH den Völkern unterschiedliche Götter zugeteilt habe, während in Dtn 32 die Menschen verteilt und den Gottessöhnen zugeordnet werden und Israel dabei JHWH selbst zufällt. Beide Arten der Zuteilung beruhen aber letztlich auf derselben komplexen Vorstellung von JHWH als universal mächtigem und zugleich Israel privilegierendem Gott. Denn in jedem Fall obliegt es JHWH, Völker und Götter einander zuzuordnen, während zudem Israel als besonders zu ihm gehörig ausgezeichnet wird. 299 Die unterschiedliche Ausgestaltung des Gedankens ist dem Blickwinkel des jeweiligen Kontextes geschuldet, da in Dtn 4; 29 die Vielzahl der Gestirne und Götter den Ausgangspunkt bildet, in Dtn 32 dagegen die besondere Rolle Israels. Die grundsätzliche Übereinstimmung in der gedanklichen Konzeption dieser Texte jedenfalls spricht dafür, im ursprünglichen Text von Dtn 32,9a ebenfalls mit dem Verb ĪğĚ zu rechnen.300
298
Vgl. Dtn 4,19; 29,25 (Zuteilung der Götter zu den Völkern); Neh 9,22 (Verteilung von Land an das Volk); mit Eloha als Subjekt: Hi 39,17 (Zuteilung von Weisheit an die Straußenhenne). 299 Vgl. Dtn 4,20; 29,24; 32,9 sowie SCHENKER 2007. 300 Eine zusätzliche Stütze erhält die verbale Deutung von Dtn 32,9 durch die mehrfach (in anderen Stämmen) belegte Kombination der Verben aus Dtn 32,8a (ğĚģ Hif) und 9a (ĪğĚ), vgl. Num 26,55 (ĪğĚ Nif und ğĚģ Qal); Jos 19,51 (beide Pi). Wie in Kap. 1 und 2 gezeigt, sind im Moselied die in Dtn 32,8a und 9a ausgedrückten Handlungen so aufeinander bezogen, dass V.9 einen Spezialfall des in V.8 Geschilderten darstellt, was der synonymen Verwendung beider Verben an den genannten Stellen in den Geschichtsbüchern entspricht.
3.3 Die einzelnen Motive
145
Weitere signifikante Gemeinsamkeiten zeigen sich gerade mit Blick auf Dtn 32,8–9 und Dtn 4,19–20:301 Im engsten Kontext von Dtn 4,19–20 häufen sich nicht nur die auch in Dtn 32,9 begegnenden Vokabeln ĪğĚ („zuteilen“), Ġĥ („Volk“), ėğĚģ („Erbteil“). In Dtn 4,16 wird zudem der Frevel an JHWH mit demselben Verb ĭĚŘ („sich vergehen“) ausgedrückt wie im Moselied:302 …dass ihr euch nicht vergeht und euch ein Götterbild macht.
ğĤħĠĞğĠĭĜĬĥĘĢĘĭĚĬĭČĢħ
Im Zusammenhang der (wahrscheinlich mehrfach erweiterten) Ermahnungen von Dtn 4, JHWHs Gebote einzuhalten, bietet Dtn 4,19–20 eine „Möglichkeit, mit der rätselhaften Tatsache fertig zu werden, dass trotz der Universalität Jahwes nicht alle Völker ihm dienen.“303 Eine ähnliche Denkfigur liegt auch hinter Dtn 32,8–9: In beiden Texten soll erklärt werden, wie sich die (vermeintliche) Existenz anderer Götter mit dem Herrschaftsanspruch JHWHs verträgt. Sowohl Dtn 4 als auch Dtn 32 rechnen damit, dass das Volk in die Versuchung kommt, andere Götter zu verehren. Und beide Texte reagieren darauf mit einer doppelten Strategie: Einerseits werden andere Gottheiten lächerlich gemacht,304 andererseits aber wird JHWH in besonderer Weise als Israels Gott ausgezeichnet und der Vorzug dieser einmaligen Beziehung betont.305 Sofern also Israel von JHWH dazu ausersehen ist, nur ihm, JHWH, zu dienen und davon auch profitiert, müssten andere Götter als uninteressant und ihre Verehrung als unweise erscheinen.306 Im Vergleich mit Dtn 4 wird im Moselied der Ursprung der Gottesbeziehung jedoch weiter in die Vergangenheit zurückprojiziert: Nicht erst seit dem Exodus (vgl. Dtn 4,20) oder dem Bundesschluss (vgl. Dtn 4,13), sondern seitdem es einzelne Völker gab, war JHWH der Gott Israels.307
301
Vgl. BERTHOLET 1899, 96; S.R. DRIVER 1902, 356; BUDDE 1920, 18; MAYES 1981, 384; ROSE 1994, 568; K. SCHMID 2011c, 131–132; LUNDBOM 2013, 878; OTTO 2017, 2177. Dagegen sieht DILLMANN 1886, 398 im griechischen Text von Dtn 32,8 erst eine späte Angleichung an Dtn 4,19. 302 Vgl. oben 3.3.4.2. Das Verb steht jeweils in einem anderen Stamm (Dtn 4,16: Hifޏil; 32,5: Piޏel), ist aber in beiden Fällen bedeutungsgleich. 303 VEIJOLA 2004, 106 mit Verweis auf Dtn 29,25; 32,8–9 als Parallelen, vgl. BERTHOLET 1899, 17; S.R. DRIVER 1902, 70–71; LUNDBOM 2013, 243–244; R. MÜLLER 2015, 426; OTTO 2017, 562–566. 304 Vgl. Dtn 4,3.28; 32,16–17.38. 305 Vgl. Dtn 4,4.6–8.31–38; 32,10–14.36.39.43. 306 Die weisheitliche Argumentation ist ein weiterer verbindender Zug der beiden diskutierten Kapitel, vgl. Dtn 4,6–8.39; 32,4–6.28–29. 307 Vgl. PREUß 1982, 168: „Israel ist mit Jahwe als seinem Führungsgott schon vorzeitlich (!) eng verbunden“; ROSE 1994, 568: „Die Anfänge der Geschichte der Beziehung zwischen Jahwe und Israel reichen bis in eine sagenhaft-mythische Zeit zurück […]“; SCHENKER 2007, 518.
146
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Für den Text von MT/SP in Dtn 32,9a, der anstatt eines Verbs ĪğĚ das Nomen in der Constructus-Verbindung ėĘėĜĪğĚ („Anteil“ bzw. „Teil JHWHs“) bietet, gibt es hingegen keine wörtliche Parallele. An den meisten Belegstellen der Hebräischen Bibel bezeichnet Ī Ąğ ăĚ menschlichen Besitz, häufig den Boden oder das Schicksal eines Menschen.308 Eine Teilgruppe hiervon bilden die Belege, die JHWH als „Teil“ von Menschen benennen.309 Damit ist jedoch gerade das Gegenteil von dem formuliert, was das Moselied sagt: In Dtn 32,9 ist Israel JHWHs „Teil“ – und zwar ganz unabhängig davon, ob ĪğĚ verbal oder nominal aufgefasst wird. Ein vergleichbarer Ausdruck findet sich nur in einem einzigen Text, der Endzeitvision in Sach 2,16: Und JHWH wird Juda als sein Teil besitzen310 auf heiligem Boden und Jerusalem nochmal erwählen.
ğĥĘĪğĚėĖĘėĜČĭēėĘėĜğĚģĘ ĠğĬĘīĜĔĖĘĥīĚĔĘĬĖĪėĭġĖē
Wie im MT/SP des Moseliedes wird das Volk (hier „Juda“) JHWHs „Teil“ genannt. Dabei stellt das Buch Sacharja als künftige Wiederherstellung dar, was im Moselied ein Geschehen der Vorzeit ist. Ähnliche „Zeitverschiebungen“ lassen sich auch zwischen prophetischen Texten im Ezechiel- oder JesajaBuch sowie einzelnen Deuteronomium-Passagen und dem Moselied feststellen.311 Allerdings zielt Sach 2 darauf, dass Juda letztlich zusammen mit allen Völkern „JHWHs Volk“ sein wird. 312 Damit liegt gerade keine inhaltliche Übereinstimmung mit dem Moselied vor. Vielmehr verstärkt auch dieser Vergleich den bereits gewonnenen Eindruck, dass Dtn 32,9a besser verbal zu verstehen ist.
308
Vgl. Gen 14,24; 31,14; Lev 6,10; Num 18,20; 31,36; Dtn 10,9; 12,12; 14,27.29; 18,1.8; Jos 14,4; 15,13; 18,5–7.9; 19,9; 22,25.27; 1.Sam 30,24; 2.Sam 20,1; 1.Kön 12,16; 2.Kön 9,10.36.37; 2.Chr 10,16; Neh 2,20; Hi 17,5; 20,29; 27,13; 31,2; 32,17; Ps 16,5; 17,14; 50,18; 73,26; 119,57; 142,6; Koh 2,10.21; 3,22; 5,17.18; 9,6.9; 11,2; Jes 17,14; 57,6; 61,7; Jer 10,16; 51,19; Klg 3,24; Ez 45,7; 48,8.21; Hos 5,7; Am 7,4; Mi 2,4; Hab 1,16. 309 Vgl. Num 18,20; Jos 22,27; Ps 16,5; 73,26; 119,57 (JHWHs Wort); 142,6; Jer 10,16; 51,19; Klg 3,24; sinngemäß auch die folgenden Belege, die aussagen, dass der Stamm Levi weder „Anteil noch Erbe“ (ėğĚģĘĪğĚ) in Israel hat, auch wenn die Begründung, dass dies JHWH ist, nicht immer ausgesprochen wird: Dtn 10,9; 12,12; 14,27.29; 18,1; Jos 14,4; 18,7. 310 Für das Verb ğĚģ („besitzen“) vgl. Dtn 32,8 (hier im Hifޏil). 311 Vgl. 3.3.7.1; 3.3.8.1–2; 3.3.9.1.1; 3.3.10.2 (zu Dtn 32,10.13.15.20) sowie das Fazit unter 3.4. 312 Vgl. insbes. Sach 2,15 sowie ELLIGER 1964, 119: „Gewiß wird Gott sein auserwähltes Volk wie ein besonderes Erbteil halten […]. Aber das schließt nicht aus, daß auch andere Völker den Weg zum Herrn finden und wirklich Gottes Volk werden mitten unter seinem auserwählten Volk“; HANHART 1998, 154–155.
3.3 Die einzelnen Motive
147
Für die Constructus-Verbindung ĘĭğĚģğĔĚ (Dtn 32,9b: „sein abgemessenes Erbteil“) findet sich eine Parallele in Ps 105,11/1.Chr 16,18 (hier ohne die Nota accusativi ĭē):313 …dir will ich das Land Kanaan geben, euer abgemessenes Erbteil.
ğĔĚĢĥģĞČĨīēČĭē Ģĭēĝğ ĠĞĭğĚģ
Hier jedoch ist wieder das Land Kanaan das „abgemessene Erbteil“ des Volkes, während im Moselied das Volk „Erbteil“ JHWHs genannt wird. In variierenden Wendungen spricht die Hebräische Bibel durchaus noch öfter von Israel als Ġĥ („Volk“) und ėğĚģ („Erbteil“) JHWHs. 314 Dadurch erscheint der Sprachgebrauch des Moseliedes als eine bewusste Herleitung dieses Verhältnisses. Ferner ist an dieser Stelle kurz darauf einzugehen, dass sich die alten Versionen des Moseliedes darin unterscheiden, ob am Ende von Dtn 32,9 „Israel“ steht (SP; LXX) oder nicht (MT).315 Der in Kapitel 1 rekonstruierte Text folgt SP/LXX und enthält den Parallelismus von „Jakob“ (V.9a) und „Israel“ (V.9b). Insgesamt werden die beiden Namen auch im masoretischen Text der Hebräischen Bibel 80 Mal parallel verwendet. Von „seinem Volk Jakob“ (ĔĪĥĜ Ęġĥ) und „seinem Erbteil Israel“ (ğēīřĜ ĘĭğĚģ) wie in Dtn 32,9 SP/LXX ist indes (bei Vertauschung der jeweils zuerst genannten Bezeichnung) nur noch einmal in Ps 78,71 die Rede: Von den Mutterschafen hat er [David] geholt, um Jakob, sein Volk, zu weiden, Israel, sein Erbteil.
ĘēĜĔėĭĘğĥīĚēġ ĘĭğĚģğēīĬĜĔĘĘġĥĔĪĥĜĔĭĘĥīğ
Der engere Kontext unterscheidet sich vom Moselied, wenngleich der wesentliche Teil des Psalms ebenfalls ein Rückblick auf die Geschichte JHWHs mit seinem Volk ist. Eine literarische Abhängigkeit lässt sich nicht belegen. Aber es fällt erneut auf, dass Dtn 32 und Ps 78 durch gemeinsame Formulierungen und Motive verbunden sind.316
313
Ps 78,55 ist grammatisch anders konstruiert und enthält keine Constructus-Verbindung: ėğĚģğĔĚĔĠğĜħĜĘĠĜĘĕĠėĜģħġĬīĕĜĘ („Und er vertrieb Völker vor ihnen und ließ sie mit der Messleine fallen als Erbteil…“). 314 Vgl. Dtn 4,20; 9,26.29; 1.Kön 8,51.53; Ps 28,9; 33,12; 78,62.71; 94,5.14; 106,40; Jes 47,6; Joel 2,17; 4,2; Mi 7,14. Vgl. im Gegensatz dazu Dtn 20,16; 1.Kön 8,36; Jer 12,14 (mit JHWH als Geber des Landes) sowie Jos 17,14 (mit Josua in dieser Funktion), wo ėğĚģ das „Erbteil“ des Volkes (und nicht JHWHs) bezeichnet. 315 Vgl. Kap. 1.3.2. 316 Vgl. Dtn 32,1 und Ps 78,1; Dtn 32,8 und Ps 78,35; Dtn 32,10 und Ps 78,40; Dtn 32,12 und Ps 78,14.53; Dtn 32,15 und Ps 78,29; Dtn 32,16.21 und Ps 78,58; Dtn 32,24 und Ps 78,48 sowie die Fazite unter 3.4 und in Kap. 4.3.
148
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Während also JHWH in der Hebräischen Bibel regelmäßig als Zuteiler des Landes beschrieben wird, der dem Volk Israel dessen Landbesitz zum dauernden Erbe übergibt, verwendet das Moselied dasselbe einschlägige Vokabular, um auszudrücken, dass JHWH sich auch selbst ein Volk und ein Land verschafft habe. Obwohl die Vorstellung von Israel als JHWHs ėğĚģ („Erbteil“, vgl. Dtn 32,9b) in Psalmen und Geschichtsbüchern verbreitet und auch in einigen prophetischen Büchern bekannt ist, wird allein im Moselied ausgemalt, wie es ursprünglich zu dieser besonderen Beziehung kam: Nur hier erscheint JHWH als Verteiler von Völkern. 3.3.7 JHWHs Führung in der Wüste (V.10–12) V.10–12 des Moseliedes scheinen als Schauplatz alle die Wüste vorauszusetzen. Hinsichtlich der motivischen Einzelheiten müssen die Verse indes einzeln betrachtet werden: „Versorgung in der Wüste (V.10)“, „JHWH als Geier (V.11)“, „JHWHs Führung (V.12)“. 3.3.7.1 Versorgung in der Wüste (V.10) Indem das Moselied in Dtn 32,10 ausschließlich positiv von JHWHs Sorge um sein Volk in der Wüste spricht, unterscheidet es sich deutlich von anderen Texten, die einen Aufenthalt Israels in der Wüste thematisieren.317 Dtn 32,10a–b: Er fand es im Wüstenland und in Verlassenheit, im Geheul der Einöde.
ī ĔĖġĨīēĔĘėēĩġĜ ĢġĬĜğğĜĘėĭĔĘ
Auch Hos 9,10 spricht davon, wie JHWH sein Volk in der Wüste fand, und zitiert ihn folgendermaßen: Wie Trauben in der Wüste habe ich Israel gefunden…
ğēīĬĜĜĭēĩġīĔĖġĔĠĜĔģĥĞ
Grundsätzlich wird in Hos 9 – und dort insbesondere in Hos 9,10 – eine dem Moselied vergleichbare Dynamik erkennbar: Obwohl JHWH sich gut um sein Volk Israel gekümmert hatte, fiel dieses anschließend zu anderen Göttern ab. Hos 9 allerdings ist als reine Anklagerede JHWHs gegenüber seinem Volk gestaltet und stellt die Untreue Israels und die deshalb erfolgende Bestrafung in den Mittelpunkt. Das Bild von den „Trauben in der Wüste“ bringt als positiver Kontrast die besondere Innigkeit der Beziehung JHWHs zu Israel in früheren Zeiten zum Ausdruck, wird aber durch Schilderungen des später verdorbenen Verhältnisses gerahmt. Die „Wüste“ wird hier nicht weiter thematisiert und die
317
Vgl. z.B. SEYBOLD 2005, 70–71.
3.3 Die einzelnen Motive
149
Rede von den Früchten bleibt ein einzelner heller Punkt inmitten der Negativdarstellung. Im Moselied hingegen bildet die Erwähnung der „Wüste“ den Auftakt einer längeren Schilderung der Wohltaten JHWHs an seinem Volk. Bei der Betrachtung von Hos 9,10 und Dtn 32,10 wird gut erkennbar, wie ein gemeinsames Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten an verschiedenen Stellen der Hebräischen Bibel in je unterschiedlicher Weise verwendet wurde, um bestimmte Gedanken dem jeweiligen Kontext gemäß zu formulieren. Im Rahmen der Anklage von Hos 9 ist der Verweis auf die „Wüste“ Teil eines Vergleichs und damit ausdrücklich als bildliche Rede gebraucht, während das Moselied Israels Aufenthalt in der Wüste als Begebenheit der Vergangenheit und kollektive Erinnerung des Volkes präsentiert.318 Die Eindringlichkeit beider Textstellen beruht auf der vorausgesetzten Gleichsetzung der Wüste mit Verlassenheit und Entbehrung.319 Eine spezifische konzeptionelle Übereinstimmung von Hos 9 und Dtn 32 lässt sich jedoch nicht feststellen, so dass darüber hinaus keine literarische Abhängigkeit anzunehmen ist.320 Angesichts der gemeinsamen Rückblicksperspektive im Moselied und in den Überlieferungen vom Auszug aus Ägypten in den Büchern Exodus bis Numeri sowie den Gesetzesrahmungen im Deuteronomium ist es jedoch umso erstaunlicher, dass sich die Formulierungen von Dtn 32,10 kaum mit den darin enthaltenen Wüstenschilderungen decken. Der Gedanke, JHWH habe Israel in der Wüste „gefunden“ ist diesen ebenso fremd wie die Wendung in Dtn 32,10b: ĢġĬĜğğĜĘėĭĔ („in Verlassenheit, im Geheul der Einöde“), für die es überhaupt keine Vergleichsstellen gibt. Der Parallelismus von īĔĖġ („Wüste“) und ĢġŘĜ („Einöde“) begegnet lediglich in drei Psalmen und zweimal bei DeuteroJesaja.321 Bei den Psalmen handelt es sich um Rückblicke auf unglückliche Zeiten, als Israel in der Wüste gegen JHWH aufbegehrte (vgl. Ps 78,40; 106,14) bzw. als Israel in Mangel lebte (Ps 107,4). In einem positiven Zusammenhang stehen īĔĖġ und ĢġŘĜ in Jes 43,19–20, wo JHWH im Rahmen einer umfassenden Zukunftsvision ankündigt, sein Volk wie die Wüste neu zu beleben, vgl. Jes 43,20: Die Tiere des Feldes werden mich ehren, Schakale und ėģĥĜĭĘģĔĘĠĜģĭėĖĬėĭĜĚĜģĖĔĞĭ Strauße, wenn ich Wasser gegeben habe in die Wüste, ĢġĜĬĜĔĭĘīėģĠĜġīĔĖġĔĜĭĭģČĜĞ ĜīĜĚĔĜġĥĭĘĪĬėğ Ströme in die Einöde, um mein Volk, meinen Erwählten zu tränken.
318
Vgl. den Appell an die Erinnerung in Dtn 32,7. 319 Vgl. TALMON 1984, 680; KREUZER 2013, 459–460. 320 Vgl. M. WEIPPERT 1997, 4 Anm. 14 mit der Warnung, aus der Kombination einzelner Worte schon eine Tradition abzuleiten, „da man andernfalls auch eine Tradition ‚Erblicken am Feigenbaum‘ [vgl. Hos 9,10] zu postulieren hätte, was absurd wäre.“ 321 Für den Ausdruck „Wüstenland“ (īĔĖġĨīē) ist Prov 21,19 der einzige zusätzliche, inhaltlich jedoch völlig andersartige Beleg: ĤĥĞĘĠĜģĘĖġĭĬēġīĔĖġČĨīēĔĭĔĬĔĘě („Besser im Wüstenland wohnen als eine zänkische Frau und Ärger“).
150
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Offenkundig handelt es sich bei diesem Text um eine Verheißung und nicht wie im Moselied um einen Rückblick. Allerdings stimmt die Grundaussage, dass JHWH sein Volk in „Wüste“ und „Einöde“ versorgt, in beiden Fällen überein. 322 Somit präsentiert das Moselied eine positive Neudeutung der „Wüste“ gegenüber den Geschichtstraditionen, die anderswo im Pentateuch greifbar sind: Dem Lied zufolge hat JHWH sich seines Volkes Israel in der Wüste angenommen und überließ es nicht der Not und Verzweiflung, von der v.a. in den Büchern Exodus und Numeri berichtet wird. Der heilvolle Zukunftsausblick von Jes 43 scheint dabei in die Frühzeit des Volkes zurückprojiziert worden zu sein. Für Dtn 32,10c–d hingegen lassen sich überhaupt keine spezifischen TextVerwandtschaften benennen: ĘėģģĘĔĜĘėģĔĔĤĜ ĘģĜĥĢĘĬĜēĞĘėģīĩĜ
Er umhegte es, hatte auf es Acht, bewahrte es wie seinen Augapfel.
Lediglich die Redewendung „wie seinen Augapfel bewahren“ (ĢĜĥĢĘĬĜēĞīĩģ) steht mit Abwandlungen in Prov 7,2; Ps 17,8 (beide Male mit dem Verb īġŘ), ohne dass eine weitergehende thematische Parallele erkennbar wäre. 3.3.7.2 JHWH als Geier (V.11) Erst der Vergleich JHWHs mit einem Geier, der seine Jungen beschützt, hat wieder Ähnlichkeit mit verschiedenen Stellen der Hebräischen Bibel, vgl. Dtn 32,11: 11
a b c d
Wie ein Geier, der sein Nest bewacht323, über seinen Jungen schwebt, breitete er seine Flügel aus, nahm es, hob es auf seine Schwinge.
ĘģĪīĜĥĜīĬģĞ ĦĚīĜĘĜğęĘĕČğĥ ĘėĚĪĜĘĜħģĞĬīħĜ ĘĭīĔēČğĥĘėēĬĜ
Insgesamt betonen die meisten Belegstellen für Vergleiche mit einem „Geier“ die Schnelligkeit, mit der ein Unheil hereinbrechen kann, nämlich so „wie ein Geier“ (īŘģĞ) fliegt oder herabstürzt.324 Einen positiven Charakter haben hingegen lediglich die beiden Vergleiche in Ex 19,4 und Ps 103,5.
322
Ein weiterer Rückblick mit positiven Verweisen auf die Wüstenzeit Israels findet sich in Jer 2. Genau wie in Dtn 32 liefert die Erinnerung an die „Wüste“ hier (vgl. Jer 2,2.6) eine verheißungsvolle Folie, von der sich die späteren Verfehlungen des Volkes umso erschreckender abheben. Doch von dem Begriff īĔĖġ abgesehen ist das Vokabular in Jer 2 ein gänzlich anderes als in Dtn 32. 323 Für die Übersetzung vgl. Kap. 1 Anm. 13. 324 Vgl. Dtn 28,49; Hi 9,26; Prov 23,5; Jer 48,40; 49,22; Hos 8,1; Hab 1,8.
3.3 Die einzelnen Motive
151
Sachlich entspricht dem Moselied am ehesten die Gottesrede in Ex 19,4:325 Ihr habt gesehen, wie ich an Ägypten gehandelt habe. Und ich hob euch auf Geierflügel und brachte euch zu mir.
ĠĜīĩġğĜĭĜĬĥīĬēĠĭĜēīĠĭē ēĔēĘĠĜīĬģĜħģĞČğĥĠĞĭēēĬēĘ ĜğēĠĞĭē
Hier vergleicht sich JHWH selbst (implizit, d.h. ohne Verwendung der Vergleichspartikel Ğ) mit einem „Geier“, der sein Volk „auf [seine] Flügel hebt“,326 um es zu tragen. Unterstrichen wird dadurch im unmittelbaren Vorfeld der Sinai-Theophanie die Besonderheit der Zuwendung, die JHWH Israel vor allen Völkern zuteilwerden lässt und die die Voraussetzung für den zu schließenden Bund ist, vgl. die Fortsetzung in Ex 19,5: 327 Und wenn ihr nun hört, auf meine Stimme hört und ĜğĪĔĘĥġĬĭĥĘġĬČĠēėĭĥĘ meinen Bund bewahrt, dann werdet ihr mir zum Eigen- ėğĕĤĜğĠĭĜĜėĘĜĭĜīĔČĭēĠĭīġĬĘ ĨīēėČğĞĜğČĜĞĠĜġĥėČğĞġ tum aus allen Völkern, denn mein ist die ganze Erde.
Das Buch Exodus führt indessen nicht weiter aus, welche Qualitäten im Einzelnen mit den „Geierflügeln“ verbunden sind. Der Text scheint bestimmte positive Assoziationen bei den Lesenden oder Hörenden vorauszusetzen. Vermutlich spielen Konzeptionen aus der altorientalischen Umwelt hierbei ebenfalls eine Rolle. Ähnliches dürfte für die Erneuerung der Jugend in Ps 103,5 gelten: ĜĞĜīĘĥģīĬģĞĬĖĚĭĭ („wie der Geier erneuert sich deine Jugend“). Des Weiteren stehen häufig in den Psalmen die „Flügel“ (ĠĜħģĞ) JHWHs für den göttlichen Schutz, den sich der oder die Betende erhofft.328
Exkurs: Der Geier als Beschützer im Alten Orient Im gesamten östlichen Mittelmeerraum finden sich Bild- und Textzeugnisse, die belegen, dass der von Menschen erhoffte Schutz durch eine Gottheit an verschiedenen Orten über mehrere Jahrtausende als Beschirmung durch Vogelflügel dargestellt wurde. In besonderer Weise gilt dies für die Flügel des Geiers.
325
Vgl. WÜSTE 2018, 159–160. 326 Die beiden Lexeme ĠĜħģĞ („Flügel“) und ēřģ („aufheben“) sind in Dtn 32,11 auf zwei Kola verteilt, vgl. V.11c: ĘĜħģĞĬīħĜ („er breitete seine Flügel aus“); V.11d: ĘĭīĔēČğĥ ĘėēĬĜ („er hob ihn auf seine Schwinge“). 327 Vgl. DOHMEN 2004, 59: „Auf dem Hintergrund des verwendeten Geierbildes zeigt sich, dass der ganze Satz sehr eindrucksvoll das Thema der Erwählung Israels dadurch vorbereitet, dass das Volk von seinem Gott JHWH nicht nur aus Ägypten befreit, sondern auch auf geradezu göttliche Weise zur Begegnung mit ihm gebracht worden ist.“ 328 Vgl. Ps 17,8; 36,8; 57,2; 61,5; 63,8; 91,4 (hier im Parallelismus mit ėīĔē, vgl. Dtn 32,11d); ebenso Rut 2,12.
152
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Mit Blick auf die Rede von JHWH in Dtn 32,11 ist es bedeutsam, dass die geschilderte Szene auch zu bestimmten Gottesvorstellungen passt, die in den Nachbarkulturen Israels greifbar werden. Denn sofern als Vorbild für den Vergleich im Moselied entsprechende Zuschreibungen zu anderen Göttern in Frage kommen, erübrigt sich möglicherweise die problematische Suche nach direkten Analogien in der Tierwelt.329 Allerdings sind die verfügbaren Belege ganz unterschiedlicher Art und bezeugen unterschiedliche Grade der Abstraktion in Bezug auf echte Vögel.330 In Anatolien und Ägypten sind nach Ausweis von Bildzeugnissen geiergestaltige Gottheiten verehrt worden – vermutlich weil man dem aasfressenden Geier Macht über Leben und Tod zuschrieb.331 Man sah, dass er Totes fraß und (daraus) weiterlebte. Die entsprechende Darstellung von anatolischen Muttergöttinnen kann also als direkter Ausdruck der von ihnen erwarteten Qualitäten aufgefasst werden:332 Als Herrinnen über das Werden und Vergehen mussten sie wie der sich scheinbar selbst „erneuernde“ Geier mit ewiger Jugend gesegnet sein. Möglicherweise steht diese Vorstellung auch hinter der zunächst rätselhaft erscheinenden Formulierung von Ps 103,5: ĜĞĜīĘĥģīĬģĞĬĖĚĭĭ („wie der Geier erneuert sich deine Jugend“).333 Ähnlich sind in ägyptischen Königsgräbern Darstellungen der Göttinnen Mut, Nechbet oder Nut erhalten und teilweise von Texten begleitet, die darauf hindeuten, dass gerade mit den (Geier)Flügeln der Gottheiten die Assoziation von ewigem Leben verbunden war.334 Sabäische Inschriften bezeugen dagegen, dass man sich im 1. Jt. v. Chr. auf der Arabischen Halbinsel Schutz von nswr bzw. niswar („Adler“, „Geier“) genannten Göttern erhoffte.335 Personennamen, die dieselbe Wurzel (im Singular) als theophores Element enthalten, unterstreichen die Bedeutung. Überliefert sind beispielsweise die Frauennamen šfnnsr und ۊmnnsr, die entweder perfektiv oder imperativisch zu übersetzen sind: „Nasr hat mich bewacht“ und „Nasr hat mich beschützt“ bzw. „Nasr bewache dich“ und „Nasr beschütze dich“.336 Noch für das 1. Jh. n. Chr. belegen vergleichbare aramäische Inschriften im mesopotamischen Hatra die Verehrung einer (Schutz-)Gottheit nšr.337
329
Vgl. Kap. 1 Anm. 13. Zum Streit darüber, ob ein Vogel sich tatsächlich so verhalte wie in Dtn 32,11 geschildert, vgl. zustimmend: S.R. DRIVER 1902, 358; G.R. DRIVER 1958; ablehnend: PEELS 1994; KOENEN 1995, 180. 330 Vgl. SCHMIDTKUNZ 2016. 331 Vgl. für einen thematischen Überblick SCHROER 1995; DIES. 1997. 332 Vgl. SCHROER 1995, 61–66 mit Belegen, die bis ins 7. Jt. v. Chr. zurückreichen. 333 Vgl. SCHROER 1997, 304; DOHMEN 2004, 59. 334 Vgl. ALDRED 1976, 101–105.216–219; SCHROER 1995, 66–67; DIES. 2001, 11. 335 Vgl. W.W. MÜLLER 1994. 336 Vgl. W.W. MÜLLER 1994, 102–104. 337 Vgl. VATTIONI 1981, insbes. 42 (Inschrift 49.3) und 81 (Inschrift 232.e.1); W.W. MÜLLER 1994, 105–106.
3.3 Die einzelnen Motive
153
Aus Assyrien, wo Hochgötter in der Regel nicht theriomorph dargestellt wurden,338 sind sprachliche Vergleiche von Gottheiten mit Vögeln überliefert. Erstaunliche Ähnlichkeit mit der bildlichen Rede in Dtn 32,11 haben insbesondere zwei neuassyrische Orakel aus dem 7. Jh. v. Chr. Sie richten sich an den König und verheißen ihm Schutz. So bekundet eine (auf Grund von Textlücken nicht identifizierbare) Gottheit: „Zwischen meinen Flügeln habe ich dich großgezogen.“339 In einem Ausspruch der Ištar von Arbela vergleicht sich diese gegenüber Asarhaddon mit einem „geflügelten Vogel“ (i܈܈ur akappi): „Jeden Tag, jeden Morgen beschütze ich dich. Deine Krone mache ich fest. Wie ein geflügelter Vogel über seinen Jungen gurre ich über dir, kreise, laufe ich um dich herum.“340 Sowohl im Moselied als auch in den zitierten neuassyrischen Aussprüchen wird nichts darüber ausgesagt, ob bzw. wie man sich die Gestalt der jeweiligen Gottheit vorstellte. Ausgemalt wird lediglich das Verhalten, das man der Gottheit unterstellte. Für dieses Verhalten wird so selbstverständlich auf die Tierwelt verwiesen, dass bei den Schreibenden und ihren Adressatinnen und Adressaten eine gemeinsame Annahme über die Fürsorge von (Mutter-) Vögeln vorgeherrscht haben muss. Ob diese Annahme wiederum echter Anschauung (d.h. einem real beobachtbaren bzw. beobachteten Verhalten bei Geiern oder anderen Vögeln) entsprach, ist jedoch nicht zu ermitteln. Den vielleicht eindrücklichsten Beleg für die weite Verbreitung der Vorstellung vom Schutz, der unter den Flügeln einer Gottheit zu finden wäre, liefert die in Variationen in nahezu allen zuvor genannten Gegenden anzutreffende Symbolik der Flügelsonne. Sie stammt vermutlich aus Ägypten und hat sich seit dem 2. Jt. v. Chr. im ganzen Vorderen Orient verbreitet.341 Obwohl es sich bei der geflügelten Sonnenscheibe sehr wahrscheinlich um die abstrahierte Darstellung eines vogelartig vorgestellten Gottes handelt, 342 kann auch hier nicht mit Sicherheit festgestellt werden, wie konkret das Motiv bei den Betrachtenden noch mit einem echten Vogel in Verbindung gebracht wurde. Selbst wenn jedoch mit Friedhelm Hartenstein anzunehmen sein mag, dass die in den Psalmen vielfach gebrauchte Wendung ĝĜħģĞğĩĔ („im Schatten deiner
338
Vgl. WIGGERMANN 1994, 233: „Anthropomorphism […] distinguishes gods from monsters […]. Lesser gods of nature […] can be represented by hybrids composed out of human and natural elements³ LEMON 2010, 38: „Mesopotamian art only occasionally depicts gods and goddesses with animal or vegetal attributes, that is, as ދhybrid beings.ތ These anthropomorphic Mesopotamian deities, then, are presented in ways quite unlike the gods of Egypt, who have numerous animal attributes and can be recognized readily in anthropomorphic as well as theriomorphic depictions.“ 339 Zit. nach M. WEIPPERT 1985, 62. 340 Vgl. PARPOLA 1997, 15 sowie für die Übersetzung M. WEIPPERT 2014, 214. 341 Vgl. KWAKKEL 2010, 155. Zur Verbreitung des Symbols in Syrien und Mesopotamien vgl. ausführlich MAYER-OPIFICIUS 1984. 342 Vgl. WILDUNG 1977, 277: „Ihr primäres Element ist ein Falkenflügelpaar, das zunächst als eigenständLJHV(PEOHPDXIWULWW>«@³LAUBER 2008.
154
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Flügel“)343 auf die Ausgestaltung des Jerusalemer Tempels und einen dort über dem Eingang zum Allerheiligsten angebrachten Flügelsonnenfries zurückgeht,344 so muss doch zugestanden werden, dass diese Symbolik ursprünglich in der Tierwelt verwurzelt ist.345 Archäologische Funde aus dem heutigen Israel/Palästina dokumentieren zudem, dass den Autorinnen und Autoren der Hebräischen Bibel bildliche Darstellungen geflügelter Götter ebenfalls aus ihrem näheren Umfeld bekannt gewesen sein dürften.346 Auch ohne genau bestimmen zu können, ob dem Vergleich JHWHs mit einem Geier in Dtn 32,11 eine konkrete figürliche Darstellung, eine geprägte Redewendung oder nur eine Vorstellung zugrunde lag, kann somit auf Grund der vorhandenen Bild- und Textzeugnisse davon ausgegangen werden, dass die Formulierung der zeitgenössischen Hörerschaft nicht nur eingeleuchtet hat, sondern überdies eindeutig theologisch aufgeladen war.347 So bieten die biblischen und außerbiblischen Vergleichs(kon)texte von Dtn 32,11 weitere Anknüpfungsmöglichkeiten für eine positive Deutung der Wüste (vgl. schon V.10), die im Gegensatz zu den Pentateuch-Erzählungen steht. Als eines der wenigen verheißungsvollen Bilder der Wüstenzeit könnte dabei das Getragenwerden auf JHWHs „Geierflügeln“ (Ex 19,4) den Anstoß für die Ausgestaltung von Dtn 32,11 gegeben haben.348 Gleichwohl muss eine Abhängigkeit des Moseliedes von Ex 19,4 nicht zwingend angenommen werden, da die Bildsprache in Dtn 32,11 auch aus sich heraus verständlich ist. Ebenso rühren unübersehbare Ähnlichkeiten mit bestimmten Psalmversen, die ihrerseits den Schutz und die Fürsorge JHWHs gegenüber seinem Volk zum Ausdruck bringen,349 möglicherweise daher, dass es sich bei diesen eindeutig positiv geprägten Wendungen um verbreitetes Formelgut handelte.350
Vgl. Ps 17,8; 36,8; 57,2; 63,8 sowie Ps 61,5: ĝĜħģĞīĭĤĔ („im Schutz deiner Flügel“). 344 Vgl. HARTENSTEIN 2008, 159–161 mit dem Hinweis auf phönizische Vorbilder. 345 Vgl. KEEL 1996, 170, der betont, es handle sich bei den diskutierten „Flügeln“ um ein unmittelbar eingängiges Bild, dessen Verständnis nicht an die Nähe zum Tempel gebunden sei. 346 Vgl. CROWFOOT/CROWFOOT 1938, 16 und Plate III.1 für eine Elfenbeinschnitzerei aus Samaria (8. Jh. v. Chr.), auf der die ägyptischen Göttinnen Isis und Nephthys ihren symbolisch dargestellten Bruder Osiris mit ihren Flügeln beschützen, sowie KEEL 1994, 91–134 für eine Gruppe ägyptisierender Amulette aus Megiddo (vermutlich Ende des 10./Anfang des 9. Jhs. v. Chr.), von denen mehrere schützende Vogelflügel oder Flügelsonnen zeigen. 347 Vgl. SCHROER 1997, 309: „Neue Gottesbilder entstehen nicht aus nichts, sondern aus vorgegebenen Bildern, Vorstellungen und Konstellationen“; KWAKKEL 2010, 164. 348 Vgl. WÜSTE 2018, 178: „Während in Ex 19,4 JHWHs Führung des Volkes durch die Wüste als Tragen / ēřģ auf ī ĄŘĄģ-Flügeln dargestellt wird, ist das Bild in Dtn 32,11 umfassender ausgeführt.“ 349 Vgl. insbes. Ps 17,8 und 91,4 mit ihren mehrfachen Vokabelparallelen. 350 Entsprechend bemerkt WÜSTE 2018, 252 mit Blick auf Ex 19,4 und Dtn 32,11: „Dabei sind beide Bilder jeweils literarische Verknüpfungen unterschiedlicher Motive […].“ 343
3.3 Die einzelnen Motive
155
3.3.7.3 JHWHs Führung (V.12) Es folgt in Dtn 32,12 eine knappe Zusammenfassung der Führung Israels durch JHWH: 12
a JHWH allein führte es b und bei ihm war kein fremder Gott.
ĘģĚģĜĖĖĔėĘėĜ ī ĞģğēĘġĥĢĜēĘ
Sie steht in Verbindung mit zwei unterschiedlichen Traditionssträngen, die beide das Verb ėĚģ Hif („führen“) mit JHWH als Subjekt gebrauchen. Interessanterweise erscheint diese Wendung regelmäßig sowohl im Zusammenhang mit der Führung des Volkes Israel durch die Wüste351 als auch zum Ausdruck persönlicher Führung eines Individuums im Sinne einer Anleitung zu moralisch guter Lebensführung.352 Daneben gibt es vereinzelte Belege dafür, dass JHWH andere Völker353 oder sein Volk in der Not führt.354 Wegen der Wüstenthematik in Dtn 32,10 steht Dtn 32,12 vordergründig v.a. Ex 13 und den entsprechenden Aufnahmen in Ps 78 und Neh 9 nahe, vgl. Ex 13,21: JHWH aber ging am Tag in einer Wolkensäule vor ihnen her, um sie den Weg zu führen.
ĖĘġĥĔĠġĘĜĠėĜģħğĝğėėĘėĜĘ ĝīĖėĠĭĚģğĢģĥ
Die große Anzahl der moralisch qualifizierenden Belege für das Verb ėĚģ Hif sowie die Charakterisierung JHWHs in Dtn 32,4 als Gott des rechten Wegs355 lassen jedoch annehmen, dass auch eine entsprechend moralisierende Reflexion im Hintergrund von Dtn 32,12a steht: ĘģĚģĜ ĖĖĔ ėĘėĜ („JHWH allein führte es [d.h. das Volk]“). Damit verbindet das Lied die beiden am häufigsten bezeugten Verwendungsweisen vonėĚģ Hif,356 um eine Geschichtstradition Israels (nämlich die Führung des Volkes in der Wüste durch JHWH in Gestalt der Wolkensäule) als Führung auf dem gesinnungsmäßig richtigen Weg zu deuten.
351
Vgl. mit expliziter Nennung des Gottesnamens JHWH: Ex 13,21, aber auch Gen 24,48 (JHWH führt den Knecht Abrahams auf Brautwerbung) sowie außerdem Neh 9,12.19; Ps 78,14.53. 352 Vgl. Hi 31,18; Ps 23,3; 31,4; 43,3; 61,3; 73,24; 139,10; 143,10. Entsprechend erscheinen in Prov 6,22 Gebot und Weisung der Eltern als Subjekt, in Prov 11,3 die „Vollkommenheit der Rechtschaffenen“ (ĠĜīŘĜ ĭ ġĭ). 353 Vgl. Hi 12,23; Ps 67,5. 354 Vgl. Ps 107,30; Jes 57,18. 355 Vgl. Dtn 32,4b: ěħĬġĘĜĞīĖČğĞĜĞ („Denn alle seine Wege sind Recht“) sowie oben 3.3.4.2. 356 Ganz anders, d.h. mit einem menschlichen Subjekt, wird das Verb ėĚģ Hif nur in 7 von 28 Fällen benutzt, vgl. Num 23,7; 1.Sam 22,4; 1.Kön 10,26; 2.Kön 18,11; Ps 78,72; Prov 18,16; als abgrenzende Frage JHWHs an Hiob auch Hi 38,32.
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Demgegenüber scheint die Formulierung von Dtn 32,12b: īĞģğēĘġĥĢĜēĘ („und bei ihm war kein fremder Gott“) auf den ersten Blick keine breite Tradition hinter sich zu haben, denn die Bezeichnung īĞģ ğē („fremder Gott“) kommt nur noch zweimal vor, vgl. Ps 81,10 (in einer Ermahnung, die dort den Geschichtsrückblick unterbricht); Mal 2,11 (in einer Anklage gegen Mischehen). Allerdings dürften beide Texte von deuteronomistischer Sprache abhängig sein, indem sie die häufiger bezeugte Formulierung īĞģĠĜėğē bzw.ĠĜėğē īĞģė (vgl. Gen 35,2.4; 357 Dtn 31,16; Jos 24,20.23; Ri 10,16; 1.Sam 7,3; 2.Chr 33,15; Jer 5,19) abwandeln.358 Auch die Verwendung des Ausdrucks in Dtn 32,12b entspricht dem „strengen JHWH-allein-Standpunkt“359 deuteronomistischer Theologie, der an den genannten Vergleichsstellen deutlich wird. In Anbetracht weiterer Übereinstimmungen des Moseliedes mit Mal 2 und v.a. mit Ps 81 sowie des tendenziell unselbständigen Charakters beider Texte ist fernerhin zu vermuten, dass diese sich bewusst an die Formulierung von Dtn 32,12 anlehnen.360 3.3.8 Das Wohlergehen des Volkes (V.13–14) In der Beschreibung der Fülle an Nahrung, die JHWH seinem Volk in Dtn 32,13–14 zukommen lässt, finden sich Überschneidungen mit verschiedenen anderen Texten. 13
14
a b c d a b c d e
Er ließ es über die Höhen des Landes fahren und es aß die Erträge des Feldes und er ließ es Honig saugen aus einem Felsen und Öl aus Felsgestein, Rahm vom Großvieh und Milch vom Kleinvieh mit Fett von Lämmern und Widdern, der Herden von Baschan und von Ziegenböcken mit Nierenfett von Weizen. Und Weinbeerenblut trankst du, gärenden Wein.
ĨīēĜĭĘġĔČğĥĘėĔĞīĜ ĜĖĬĭĔĘģĭğĞēĜĘ ĥğĤġĬĔĖĘėĪģĜĘ īĘĩĬĜġğĚġĢġĬĘ
ĢēĩĔğĚĘīĪĔĭēġĚ ĠĜğĜēĘĠĜīĞĔğĚČĠĥ ĠĜĖĘĭĥĘĢĬĔČĜģĔ ėěĚĭĘĜğĞĔğĚČĠĥ ī ġĚČėĭĬĭĔģĥČĠĖĘ
357
Für die Beurteilung von Gen 35,2.4 als Teil eines deuteronomistischen Einschubs vgl. LANG 1986, 461; WESTERMANN 1989, 671; BOECKER 1992, 122–123. 358 Vgl. für diese Einschätzung MARTIN-ACHARD 1976, 67; LANG 1986, 461 sowie (für Ps 81,10) BRIGGS/BRIGGS 1960, 212; SEYBOLD 1996, 322.323; (für Mal 2,11) MEINHOLD 2006, 208; KESSLER 2011, 196. 359 LANG 1986, 461. 360 Vgl. für Ps 81,10: BRIGGS/BRIGGS 1960, 212; HOSSFELD/ZENGER 2000, 475; B. WEBER 2003a, 40 sowie unten 3.3.8 (zu V.13–14); für Mal 2,11: WILLI-PLEIN 2007, 260 sowie oben 3.3.4 (zu V.5.6).
3.3 Die einzelnen Motive
157
Als Einzelaspekte der Schilderung können „Das Fahren über die Höhen des Landes (V.13a–b)“, „Honig und Öl aus dem Felsen (V.13c–d)“ und „Reihen von Naturalien (V.14)“ getrennt voneinander betrachtet werden. 3.3.8.1 Das Fahren über die Höhen des Landes (V.13a–b) Für die Vorstellung, dass JHWH sein Volk „über die Höhen des Landes fahren lässt“ (Dtn 32,13a: ĨīēĜĭĘġĔČğĥĘėĔĞīĜ), sind zunächst Jes 58,14; Am 4,13; Mi 1,3 zu vergleichen. In allen drei Versen gibt es die Formulierung ĨīēĜĭĘġĔ bzw. ĨīēĜĭġĔ („Höhen des Landes“).361 Während bei Amos und Micha jedoch JHWH selbst im Rahmen eines hymnischen Einwurfs (Am 4,13)362 bzw. einer Theophanie-Schilderung (Mi 1,3–4) auf die Höhen „tritt“ (ĝīĖ Qal), hat die Jesaja-Stelle mit dem Moselied gemeinsam, dass JHWH hier nicht selbst majestätisch erscheint, sondern seinem Volk ein solches Auftreten ermöglicht. In beiden Fällen wird das Verb ĔĞī Hif („reiten lassen“ bzw. „fahren lassen“) verwendet, vgl. Jes 58,14: Dann wirst du dich über JHWH freuen und ich werde dich über die Höhen des Landes fahren und das Erbe deines Vaters Jakob essen lassen.
ČğĥĝĜĭĔĞīėĘėĘėĜČğĥĕģĥĭĭęē ĔĪĥĜĭğĚģĝĜĭğĞēėĘĨīēĜĭĘġĔ ĝĜĔē
Es fällt auf, dass der betreffende Vers bei Jesaja thematisch und lexikalisch sehr gut in seinen Kontext integriert ist: Das Thema von Jes 58 ist das rechte Befolgen des Gotteswillens. Im Anschluss an die Ausführungen zum wahren Fasten zu Beginn des Kapitels wendet sich Jes 58,13 der Einhaltung des Sabbats zu und Jes 58,14 verspricht für gottgefälliges Verhalten der Menschen eine entsprechende Auszeichnung durch JHWH. Weiter sind Jes 58,13–14 auch durch die Wurzel ĕģĥ („Freude“, „sich freuen“) verbunden. Sofern also das angeredete Volk bereit ist, von seinen eigenen Schritten abzusehen und den Sabbat nach Gottes Willen zu halten, verspricht JHWH als Belohnung, es „über die Höhen des Landes fahren“ und seine Fülle genießen zu lassen.363 Im Gegensatz dazu stellt das Moselied dasselbe Tun JHWHs als bedingungslose Versorgung des Volkes dar. Was bei Jesaja erst einem zukünftigen Heilsszenario entspricht, ist laut dem Moselied die heilvolle Vergangenheit des Volkes. Eingedenk der guten Einbindung von Jes 58,14 in seinen Kontext liegt es nahe, in der Formulierung des Moseliedes eine Rückprojektion der prophetischen Heilsvision zu sehen.364
Die defektive Schreibung ĜĭġĔ (statt ĜĭĘġĔ) findet sich nur in Am 4,13. 362 Für diese Klassifizierung vgl. WOLFF 1985, 254. 363 Vgl. zu diesem Zusammenhang OSWALT 1998, 508–509; KOOLE 2001, 158–159. 364 Ein ähnlicher Fall lag bereits für Dtn 32,10 im Verhältnis zu Jes 43,19–20 vor. Das gilt auch unter der Annahme, Jes 58 sei erst nachträglich um die Verse 13–14 ergänzt worden, da die beiden Verse in jedem Fall zusammengehören und zwischen ihnen und dem in 361
158
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
3.3.8.2 Honig und Öl aus dem Felsen (V.13c–d) Wie schon V.13a–b so lässt sich auch die zweite Vershälfte von V.13 im Moselied als Rückprojektion einer ursprünglich auf die Zukunft zielenden Textstelle deuten. Man vergleiche die prominente Rolle von „Honig“ (ŘĔĖ) und „Öl“ (ĢġŘ) in 32,13c–d und Dtn 8,8. Dtn 32,13,c–d: …und er ließ es Honig saugen aus einem Felsen und Öl aus Felsgestein.
ĥğĤġĬĔĖĘėĪģĜĘ ī ĘĩĬĜġğĚġĢġĬĘ
Dtn 8,8: …ein Land von Weizen und Gerste und Wein und Feige ĢĘġīĘėģēĭĘĢħĕĘėīĥĬĘėěĚĨīē und Granatapfel, ein Land von Ölolive und Honig. ĬĔĖĘĢġĬĭĜęČĨīē
Die Suche nach Parallelstellen für das gemeinsame Vorkommen von „Honig“ und „Öl“ als Zeichen des Wohlergehens führt dabei zunächst in ganz unterschiedliche Kontexte. So bietet Dtn 8,8 eine Schilderung des Landes, in das JHWH sein Volk führen wird. In Jer 41,8 verweisen Gefangene auf einen geheimen Vorrat an Nahrungsmitteln, um sich zu retten. Rückblicke finden sich in Ez 16,13.19 (auf die glückliche Jugendzeit Jerusalems) und in Ez 27,17 (auf den vergangenen Wohlstand von Tyros). Überall wird das gleiche Stereotyp vorausgesetzt, dass bestimmte Gaben des Kulturlandes, zu denen „Honig“ und „Öl“ maßgeblich gehören, ihre Besitzer als beneidenswert wohlhabend auszeichnen. Eine besondere Nähe des Moseliedes besteht jedoch zu Dtn 8,8. Der gesamte Kontext von Dtn 8 knüpft (thematisch und lexikalisch) wahrscheinlich schon an verschiedene andere Texte innerhalb und außerhalb des Deuteronomiums an (vgl. insbes. Dtn 6 und 7).365 Als Vorlage für das Moselied wird Dtn 8 seinerseits aus zwei Gründen wahrscheinlich: Zum einen bietet das Kapitel, wie v.a. die Schlussverse Dtn 8,19–20 herausstellen, eine umfassende Auslegung des Fremdgötterverbots. Der Abfall von JHWH wird hier ausdrücklich als Folge des Wohlstandes dargestellt (vgl. v.a. Dtn 8,14.17), während dieser Zusammenhang im Moselied wohl im Hintergrund steht, aber nicht explizit zur Sprache kommt. Die Denkfigur, dass das Geschenk göttlicher Versorgung (vgl. Dtn 32,10–14) vom Fehlverhalten des Volkes (vgl. Dtn 32,15–18) gefolgt wird, ist vielleicht deshalb im Moselied so selbstverständlich zu Grunde gelegt, weil sie hier nicht zum ersten Mal auftaucht, sondern aus Dtn 8 bereits bekannt
Jes 58,1–12 Gesagten weitaus mehr Kongruenz besteht als zwischen der einzelnen Aussage in Dtn 32,13a und seinem unmittelbaren Kontext. Für die Meinung, Jesaja rezipiere das Moselied vgl. jedoch BLENKINSOPP 2003, 182. 365 Vgl. ACHENBACH 1991, 309–328 sowie für einen Überblick über die wichtigsten Einschätzungen: OTTO 2012, 899–904.921–922.
3.3 Die einzelnen Motive
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war. 366 Zum anderen wird in Dtn 8 nicht nur von der Versorgung mit ŘĔĖ („Honig“) und ĢġŘ („Öl“) gesprochen. Zusätzlich findet sich einige Verse später auch das Motiv des nährenden Felsens, vgl. Dtn 8,15: ĬĜġğĚė īĘĩġ ĠĜġ („Wasser aus dem Gesteinsfelsen“), was Dtn 32,13d lexikalisch überaus nahesteht: īĘĩ ĬĜġğĚġ ĢġĬ („Öl aus Felsgestein“). Die Formulierungen im Moselied jedoch übertreffen das in Dtn 8 Beschriebene auf wundersame Weise, was für eine bewusste Überbietung spricht. Und wieder verortet das Moselied in der Vergangenheit, was in der Vorlage von Dtn 8 erst für die Zukunft vorausgesehen war. Hinsichtlich des in V.13c ebenfalls erwähnten „Felsens“ (ĥğĤ) wiederum lohnt ein Blick in verschiedene Richtungen. Während ein Wasser spendender Felsen mehrfach in den biblischen Erzählungen von der Wüstenwanderung vorkommt,367 verspricht JHWH außerdem in Ps 81 als Belohnung für rechtes Verhalten seinem Volk (wie im Moselied) „Honig“ aus dem Felsen (hier: īĘĩ). Ps 81,17: Und ich will es vom Weizenfett essen lassen und aus einem Felsen mit Honig dich sättigen.
ėěĚĔğĚġĘėğĜĞēĜĘ ĝĥĜĔĬēĬĔĖī ĘĩġĘ
Mit guten Gründen wird zumeist angenommen, dass der Psalm hier das Moselied zitiert. 368 Für eine literarische Abhängigkeit zwischen beiden Texten spricht neben der gemeinsamen Rede von der Speisung mit „Honig“ (ŘĔĖ) aus einem „Felsen“ (Dtn 32,13: ĥğĤ; Ps 81,17: īĘĩ) die zusätzliche Erwähnung von ėěĚ ĔğĚ („Weizenfett“), vgl. Dtn 32,14d: ėěĚ ĭĘĜğĞ ĔğĚ („Nierenfett von Weizen“).369 Weitere literarkritische Beobachtungen machen zudem wahrscheinlich, dass Ps 81 eine Vielzahl anderer Texte rezipiert hat, zu denen auch
366
Vgl. zum Charakter von Dtn 8 als Auslegung des Fremdgötterverbots (Ersten Gebots): VEIJOLA 2004, 217; OTTO 2012, 920–921. 367 Vgl. für Belege mit ī Ęĩ: Ex 17,6; Dtn 8,15; Ps 78,20; 105,41; 114,8; Jes 48,21; für solche mit ĥğĤ: Num 20,8.10.11; Neh 9,15; Ps 78,16. Nur in Dtn 8,15; Ps 114,8 findet sich außerdem wie im Moselied ŘĜġğĚ („Gestein“, „Felsgestein“). 368 Vgl. DELITZSCH 1894, 546; BAETHGEN 1897, 252; DUHM 1922, 317; BRIGGS/BRIGGS 1960, 210; SEYBOLD 1996, 324; B. WEBER 2003a, 38.42. Zurückhaltender HOSSFELD/ZENGER 2000, 478: „Verbindungen zum Moselied“. Im Gegensatz dazu kommt LORETZ 2002, 226.228 auf Grund seiner kolometrischen Analyse zu dem Schluss, Ps 81,17 gehöre zum vorexilischen (und stark veränderten) Grundbestand des Psalms und hänge nicht mit dem Moselied zusammen, vgl. auch die folgende Anm. 369 Vgl. S.R. DRIVER 1902, 360; B. WEBER 2003a, 41. Zur Erklärung dieser auffälligen Wendung im Moselied mit Blick auf Jes 34,6 vgl. unten 3.3.8.3. Dagegen nimmt LORETZ 2002, 225.233 an, ĔğĚ bedeute in Ps 81,17 (aus dem Akkadischen und Ugaritischen hergeleitet) „Hügel“, weshalb keine Verwandtschaft mit Dtn 32,13 bestehe.
160
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
das Moselied gehört.370 Insgesamt deutet der Aufbau des Psalms darauf hin, dass hier einzelne Elemente der tradierten Geschichte Israels bewusst mit paränetischen Anreden verflochten wurden, um die geschichtlichen Inhalte zu aktualisieren.371 Anders als im Falle von Ps 81, wo lexikalische und thematische Entsprechungen mit dem Moselied eine literarische Abhängigkeit wahrscheinlich machen, scheint die Ähnlichkeit von Hi 29,6 und Dtn 32,13 lediglich einem gemeinsamen Repertoire sprachlicher Ausdrucksformen geschuldet zu sein, also letztlich auf eine gemeinsame Anschauung vom glücklichen Leben zurückzugehen.372 Auch in Hi 29,6 fließt „Öl“ (ĢġŘ) aus einem „Felsen“ (īĘĩ), da Hiob sich an die vergangene gute Zeit erinnert: …als ich meine Schritte in Rahm badete und der Fels mir Bäche von Öl ergoss.
ĜĖġĥĪĘĩĜīĘĩĘėġĚĔĜĞĜğėĨĚīĔ ĢġĬČĜĕğħ
Der Kontext unterscheidet sich jedoch vom Moselied, denn Hi 29,6 gehört zur letzten Rede Hiobs vor den Reden des Elihu und JHWHs Antwort (Hi 29–31). Sie fasst Hiobs Tragik zusammen und gewinnt ihre Überzeugungskraft daraus, dass in großer Dichte symbolische Sprache verwendet wird.373 So ist die Schilderung des Überflusses in Hi 29,6 nur ein Element unter mehreren, das anzeigt, „was es heißt, in Gottes Segen zu leben“. 374 Auf diese Weise entsteht ein schrecklicher Kontrast zu Hiobs späterem Unglück. Um der Eindrücklichkeit willen stützt sich der Text auch auf bekannte Beschreibungen göttlichen Segens, wie sie im Pentateuch vorliegen, und entwickelt sie bildkräftig weiter. Hiobs Rede und genauso das Moselied zeigen folglich, dass die Autorinnen und Autoren sich einerseits auf literarische Vorlagen stützen konnten, andererseits aber auch an kulturell bedingten Sprachkonventionen partizipierten und eine entsprechende Bildsprache verwendeten.
370
Zu den gedanklichen und literarischen Voraussetzungen von Ps 81 vgl. ausführlich BOOIJ 1984 (trotz der hier vertretenen Frühdatierung) sowie GUNKEL 1986, 360; SEYBOLD 1996, 324; DOEKER 2002, 220–223; B. WEBER 2003a (insbes. 42 mit der Charakterisierung des Moseliedes als „verinnerlichte[r] Hintergrund“ des Psalms). 371 Vgl. ausführlicher Kap. 4.2.3. 372 GUNKEL 1986, 360 differenziert hier nicht, sondern konstatiert zu Ps 81,17 mit Verweis auf Dtn 32,13; Hi 29,6: „Die Vorstellung gehört ursprünglich der Welt des Märchens an […].“ 373 Vgl. FOHRER 1989, 406: „mehr oder weniger sprichwörtliche[…] Redewendungen“; ausführlich STRAUß 2000, 174–178. 374 STRAUß 2000, 176.
3.3 Die einzelnen Motive
161
Exkurs: Öl und Honig als göttliche Wohltaten In der Literatur aus Ugarit findet sich ein dem Moselied vergleichbares Beispiel für die Zusammenstellung von „Honig“ und „Öl“ als Zeichen göttlichen Wirkens: KTU 1.6 III, Z.6–7 = 12–13 beschreibt den Inhalt eines Traums, durch den der Göttervater ގEl erkennen kann, dass der Wetter- und Vegetationsgott Baޏal nach seiner Niederlage gegen Mot nicht mehr tot ist: šmm šmn tmܒrn nېlm tlk nbtm („der Himmel regnete Öl, die Bäche flossen von Honig“).375 Das Lexem šmn („Fett“, „Öl“) entspricht unmittelbar dem hebräischen Ģ Ąġ ĄŘ in Dtn 32,13d; anstelle des ugaritischen nbt („Honig“) bzw. des direkten hebräischen Äquivalents376 ĭ Ąħģć steht in Dtn 32,13c das innerbiblisch weitaus häufigere Ř ąĔšþ .377 Ähnlich wie in der Hebräischen Bibel werden „Öl“ und „Honig“ auch in den ugaritischen Texten in sehr unterschiedlichen Kontexten erwähnt: als Güter für den Verzehr oder zum kultischen Gebrauch378 und gelegentlich in bildlicher Rede. 379 Offenkundig gehörten „Öl“ und „Honig“ in Ugarit grundsätzlich zum Leben der Menschen. Zugleich aber scheinen sie so eindeutig als göttliche Gaben verstanden worden zu sein, dass die Redewendung „der Himmel regnete Öl, die Bäche flossen von Honig“ ohne weiteren Hinweis auf den Ursprung von „Öl“ und „Honig“ als Beweis für die Gegenwart des Gottes Baޏal gelten konnte. Ebenso selbstverständlich wird im Moselied davon ausgegangen, dass die Versorgung des Volkes mit „Öl“ und „Honig“ eine Aufgabe des göttlichen Ernährers ist. Seine besondere Ausdruckskraft gewinnt das Sprachbild in Dtn 32,13c–d aus der überraschenden Aussage, dass die begehrenswerten Güter auf übermenschliche Weise aus Felsgestein hervorgebracht werden müssen. Dass sie als wertvolle Gaben überhaupt von JHWH kommen, steht hingegen außer Frage. Für die Interpretation des Moseliedes sollte der zweifache Beleg aus dem Baޏal-Zyklus (KTU 1.6 III, Z.6–7 = 12–13) nicht als konkrete Vorlage überbewertet werden. Gleichwohl wird hier ein gemeinsamer Vorstellungshintergrund erkennbar, der andere
375
Vgl. für die Übersetzung TUAT NF Bd. VIII, 233; TROPPER 2008, 85. 376 Für die Entsprechung vgl. TROPPER 2008, 85. 377 Einen genau mit KTU 1.6 III, Z.6–7.12–13 übereinstimmenden Parallelismus von ĭ Ąħćģ („Honig“) und Ģ Ąġ ĄŘ („Öl“) bietet Prov 5,3. Die beiden Bezeichnungen für „Honig“ Ř ąĔšþ und ĭ Ąħ ģć stehen parallel in Ps 19,11; Prov 24,13; Hld 4,11. 378 Vgl. für die zahlreichen Verwendungen von šmn („Öl“) die Unterteilung in DUL, 816– 817; für nbt („Honig“) als Opfergabe KTU 1.14 II, Z.19 = IV, Z.2. In der Hebräischen Bibel wird dagegen nur Ģ Ąġ ĄŘ („Öl“) und keinesfalls Ř ąĔšþ („Honig“) zum Opfern verwendet, vgl. Lev 2,1 und im Gegensatz dazu Lev 2,11 sowie CAQUOT 1977, 137. 379 Vgl. für šmn („Öl“): KTU 1.3 II, Z.39; IV, Z.43 sowie auch mit Blick auf die Wendung in KTU 1.6 III, Z.6–7 = 12–13: ZOBEL 1970.
162
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Beobachtungen zur Abhängigkeit bestimmter Aspekte des biblischen JHWHBildes von der Mythologie Ugarits bestätigt.380 Zusammengenommen ergeben die beiden Motivteile in Dtn 32,13c–d (Honig und Öl als Ausdruck des gesegneten Lebens sowie der Nahrung spendende Fels) eine weitere positive Deutung der Wüste. Speziell der Vergleich mit zwei Beschreibungen des Manna im Pentateuch unterstreicht, wie das Lied offenbar einzelne positive Aspekte älterer Traditionen aufgreift und sie zur Verstärkung der eigenen Aussage kombiniert: Wird in Ex 16,31 der Geschmack des Manna mit ŘĔĖĔĭĚĜħĩ („Fladen mit Honig“) verglichen, so steht anstelle dessen in Num 11,8 ĢġŘėĖŘğ („Ölkuchen“). Beide, Honig und Öl, kommen nun im Moselied aus einem Felsen – und nicht nur Wasser wie in Ex 17 und Num 20! Folglich wird das Bild von der Frühgeschichte des Volkes im Moselied gegenüber der sonstigen Darstellung im Pentateuch gleich mehrfach überboten. Zudem nimmt das Lied die Zukunftsvisionen von Dtn 8 und Jes 58 vorweg, indem der geschilderte Reichtum an Nahrungsmitteln nicht erst als künftige Belohnung für Wohlverhalten in Aussicht steht, sondern als JHWHs ursprünglich bedingungslose Zuwendung für sein Volk erscheint. 3.3.8.3 Reihen von Naturalien (V.14) Die für Dtn 32,13 beschriebene Überbietung älterer Texte durch die Formulierungen des Moseliedes wird in V.14 weiter ergänzt durch die Aufzählung von Tier(produkt)en, die bereits in verschiedenen Reihen von Opfertieren381 und metaphorischen Beschreibungen in Gerichtstexten382 vorkommen. Zudem begegnet auch im Gesang auf den Untergang von Tyros in Ez 27,21 eine zweite Reihe von Handelsgütern, die den Wohltaten JHWHs in Dtn 32,14 entsprechen.383 Möglicherweise boten sich bei der Abfassung des Moseliedes die vorliegenden Aufzählungen zum Ausdruck großer Fülle an, denn unter diesem Aspekt stimmen das Lied und die zitierten Texte überein. Ein engerer Zusammenhang mit der Opferthematik ist darüber hinaus im Moselied nicht zu erkennen.384 Mit Blick auf eine Angabe in Jes 34,6: ĠĜğĜē ĭĘĜğĞ ĔğĚ („Nierenfett von Widdern“) lässt sich aber die ansonsten überraschende Formulierung von Dtn 32,14d: ėěĚĭĘĜğĞĔğĚ („Nierenfett von Weizen“) erklären: Der „Weizen“, obgleich ein Produkt des Kulturlandes wie Öl und Honig, ist vermutlich bei der
380
Vgl. z.B. GREENFIELD 1987a; ZOBEL 1989, 134.141–149; SMITH 2001; R. MÜLLER 2008, 241–243. 381 Vgl. Num 7,17 u.ö.; Jes 1,11. 382 Vgl. Jes 34,6; Jer 51,40; Ez 39,18. 383 Vgl. außerdem die schon mit Blick auf Dtn 32,13 erwähnten Güter in Ez 27,17. 384 Vgl. zur Betonung des Wohlstands GREENBERG 2005, 204–205 (zu Ez 27,17.21); BEUKEN 2010, 315 (zu Jes 34,6).
3.3 Die einzelnen Motive
163
Kombination der verschiedenen Güter sprachlich der Aufzählung von (Opfer-) Tieren angeglichen worden.385 Für ĔģĥČĠĖ (Dtn 32,14e: „Traubenblut“) bietet hingegen nur Gen 49,11 (im Segen für Juda) eine weitere Belegstelle, wobei jedoch sachlich keinerlei Nähe zu den übrigen Parallelen für Dtn 32,14 besteht. Dies stützt die in Kapitel 2 auf der Basis von Grammatik und Poetologie erarbeitete Vermutung, dass Dtn 32,14e von anderer Herkunft ist als Dtn 32,14a–d. Für Dtn 32,13–14d gilt mithin, dass im Rückgriff auf eine verbreitete Bildsprache ältere Aussagen der Hebräischen Bibel über das Leben aus JHWHs Fülle weitergedacht und überboten wurden, während Dtn 32,14e oberflächliche Ähnlichkeit in der Sprache, aber keinen inneren Zusammenhang mit den Vorlagen von V.13–14d aufweist. 3.3.9 Der Frevel des Volkes: Missachtung JHWHs und Verehrung anderer Götter (V.15–18) Der Rückblick auf das frevelhafte Tun des Volkes (Dtn 32,15–18) hat Teilparallelen in verschiedenen Text(bereich)en, sowohl in Hinsicht auf den Inhalt der Vorwürfe als auch auf die Bewertung der Handlungen. Dabei lassen sich im Wesentlichen zwei Motivkomplexe unterscheiden: „Israels Missachtung des göttlichen Felsens (V.15.18)“ und „Die Beleidigung JHWHs durch die Verehrung anderer Götter (V.16–17)“. Die Verse 15 und 18 hängen sachlich und lexikalisch eng zusammen und umschließen die ihrerseits zusammengehörigen Verse 16 und 17 wie eine Klammer. 15
16 17
18
a b c d e a b a b c d a b
386 und Jeschurun wurde fett und schlug aus – fett, dick, feist bist du geworden – und er verwarf den Gott, der ihn gemacht hat, und verhöhnte den Fels seiner Rettung. Sie reizten ihn durch Fremdlinge, durch Abscheulichkeiten beleidigten sie ihn. Sie opferten Dämonen, die nicht Gott sind, Göttern, die sie nicht gekannt hatten, neuen, die kürzlich gekommen waren, die eure Väter nicht gefürchtet hatten. Den Fels, der dich geboren hat, missachtetest du, und du vergaßest den Gott, der dich hervorbrachte.
ĥĔĬĜĘĔĪĥĜğĞēĜ ěĥĔĜĘĢĘīĬĜĢġĬĜĘ ĭ ĜĬĞĭĜĔĥĭģġĬ ĘėĬĥėĘğēĬěĜĘ ĘĭĥĬĜīĘĩğĔģĜĘ ĠĜīęĔĘėēģĪĜ ĘėĤĜĥĞĜĭĔĥĘĭĔ ėğēēğĠĜĖĬğĘĚĔęĜ ĠĘĥĖĜēğĠĜėğē ĘēĔĔīĪġĠĜĬĖĚ ĠĞĜĭĔēĠĘīĥĬēğ
ĜĬĭĝĖğĜīĘĩ ĝğğĚġğēĚĞĬĭĘ
385
Ähnlich TIGAY 1996, 305. Im Licht dieser Überlegung erscheint die Erklärung bei LORETZ 2002 unnötig kompliziert, vgl. oben Anm. 369. 386 Zur Ursprünglichkeit des Kolons vgl. Kap. 1 Anm. 18; Kap. 2.B.
164
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
3.3.9.1 Israels Missachtung des göttlichen Felsens (V.15.18) Innerhalb des Motivkomplexes von V.15.18 können nochmals vier einzelne Motive auseinandergehalten werden: „Die Missachtung JHWHs aus Sattheit (V.15)“, „Die Bezeichnung Israels als Jeschurun (V.15b)“, „Der vergessene Fels (V.15.18)“, „Der gebärende Fels (V.18)“. 3.3.9.1.1 Die Missachtung JHWHs aus Sattheit (V.15) Als Ausgangspunkt für die Anklage gegen das Volk führt Dtn 32,15a (SP/ 4Qphyln/LXX) an, dass „Jakob aß und satt wurde“ (ĥĔĬĜĘĔĪĥĜğĞēĜ). Gleich an mehreren Stellen im Deuteronomium wird dieses „Essen und Sattwerden“ erwähnt und ist dabei stets von einer Warnung vor dem Abfall von JHWH begleitet.387 Dabei droht Israel nach Ausweis von Dtn 6,12; 8,11.14, JHWH zu „vergessen“ (ĚĞŘ), was Dtn 32,18b entspricht: …und du vergaßest den Gott, der dich hervorbrachte.
ĝğğĚġğēĚĞĬĭĘ
Dagegen läuft es Dtn 11,16; 31,20 zufolge Gefahr, sich anderen Göttern zuzuwenden und ihnen zu „dienen“ (ĖĔĥ),388 wie es (bei anderem Vokabular) auch Dtn 32,16–17 beschreiben. Auch in Ps 78,29; Neh 9,25 findet sich das Motiv vom „Essen und Sattwerden“, genau wie im Moselied mit anschließendem Tadel, doch ist dieser wiederum in je verschiedenen Worten ausgedrückt. 389 Ps 78; Neh 9 und Dtn 32 haben miteinander gemein, dass die verwerfliche Abkehr des Volkes von seinem Gott hier bereits in der (erzählten) Vergangenheit stattgefunden hat. Bei den übrigen Stellen im Deuteronomium handelt es sich hingegen um Warnungen für die Zukunft. Die Aufzählung der Verfehlungen des Volkes in Neh 9,25 bietet zudem noch eine weitere Überschneidung mit dem Moselied, denn hier finden wir die
387
Vgl. Dtn 6,11; 8,10.12; 11,15; 31,20. Auch in Dtn 14,29; 26,12 begegnet die Verbindung der beiden Verben ğĞē und ĥĔř; hier geht es jedoch um die Versorgung der Leviten, Fremden, Waisen und Witwen. 388 Vgl. Dtn 11,16: Ġėğ ĠĭĜĘĚĭĬėĘ ĠĜīĚēĠĜėğēĠĭĖĔĥĘ ĠĭīĤĘ („und ihr euch nicht abwendet und anderen Göttern dient und vor ihnen niederfallt“); Dtn 31,20:ĠĜėğēČğēėģħĘ ĜĭĜīĔČĭēīħėĘĜģĘĩēģĘĠĘĖĔĥĘĠĜīĚē („und sie werden sich anderen Göttern zuwenden und ihnen dienen und mich verwerfen und meinen Bund brechen“). 389 Vgl. Ps 78,32: ĘĜĭĘēğħģĔĘģĜġēėČēğĘĖĘĥČĘēěĚĭēęČğĞĔ („Bei all dem haben sie weiter gesündigt und nicht an seine Wunder geglaubt“); Neh 9,26: ČĭēĘĞğĬĜĘĝĔĘĖīġĜĘĘīġĜĘ ĭğĘĖĕĭĘĩēģĘĬĥĜĘĝĜğēĠĔĜĬėğĠĔĘĖĜĥėČīĬēĘĕīėĝĜēĜĔģČĭēĘĠĘĕĜīĚēĝĭīĘĭ („Und sie waren widerspenstig und rebellierten gegen dich und warfen deine Weisung hinter sich und deine Propheten haben sie getötet, die bei ihnen Zeugnis abgelegt haben, um sie zu dir zurückzubringen, und sie taten große Schmähungen“).
3.3 Die einzelnen Motive
165
einzige Parallele für die erweiterte Reihung der Verben ğĞē („essen“), ĥĔř („satt werden“) und ĢġŘ („fett werden“), vgl. Dtn 32,15a–b (SP): ĥĔĬĜĘĔĪĥĜğĞēĜ ěĥĔĜĘĢĘīĬĜĢġĬĜ
Jakob aß und wurde satt, Jeschurun wurde fett und schlug aus.390
In Neh 9,25 steht das Verb ĢġŘ mit gleicher Bedeutung im Hifޏil: …und sie aßen und wurden satt und fett…
ĘģĜġĬĜĘĘĥĔĬĜĘĘğĞēĜĘ
Im Moselied-Rahmen in Dtn 31,20 findet sich – anders als im Lied – ĢŘĖ („fett werden“) als drittes Verb hinter ğĞē(„essen“) und ĥĔř („satt werden“).391 Die größte Ähnlichkeit hat Dtn 32,15 demnach fraglos mit Neh 9,25. Die Gesamtkomposition von Neh 9 lässt wegen der insgesamt zahlreichen Rückgriffe auf pentateuchische Inhalte vermuten, dass auch Dtn 32 schon Teil des hier verwendeten Quellenmaterials war und das Moselied (in der Version von SP/ 4Qphyln/LXX) somit gegenüber Neh 9 der ältere Text ist.392 Im Vergleich mit den vier Parallelen im Deuteronomium (Dtn 6,11; 8,10.12; 11,15; 31,20) fällt auf, dass das Moselied kombiniert, was dort nur jeweils getrennt voneinander vorkommt: Wurde an den genannten Stellen entweder nur angekündigt, das Volk werde JHWH „vergessen“ (vgl. Dtn 6,12; 8,11.14) oder es werde anderen Göttern „dienen“ (vgl. Dtn 11,16; 31,20), bringt das Moselied (in V.15.18 bzw. V.16–17) nacheinander beides zur Sprache. Da der gesamte Abschnitt Dtn 32,15–18, wie sich noch zeigen wird, als breite Illustration der Sünde des Volkes gestaltet ist, kann vermutet werden, dass das Moselied als rezipierender Text den Zusammenhang beider Vorwürfe unterstreichen sollte.393 3.3.9.1.2 Die Bezeichnung Israels als Jeschurun (V.15b) Die seltene Bezeichnung „Jeschurun“ (ĢĘīŘĜ) in Dtn 32,15a MT bzw. 15b SP/ 4Qphyln findet sich nur noch dreimal in der Hebräischen Bibel.394 Gerade in Kapitel 44 des Jesaja-Buches zeigen sich wiederum mehrere Gemeinsamkeiten mit dem Moselied: In Dtn 32,15a.b (SP/4Qphyln) wie in Jes 44,2 stehen ĔĪĥĜ
Vgl. auch 4Qphyln (mit anderer Wortreihenfolge in b):ĢġĬĜĘěĥĔĜ@ĥĔĬĜĘĔĪĥ>Ĝğ@Ğē>Ĝ ĢĘ>īĬĜ; LXX: ôëťġƫëñï÷ØëôþìôëťĠ÷ïõĤûùòôëťċïõĄôüóûï÷Ľīñëòöě÷øÏ („Und Jakob aß und wurde satt und der Geliebte schlug aus“). 391 Vgl. hierzu auch Kap. 5.4.1.6. 392 Vgl. WILLIAMSON 1985, 313–316; PRÖBSTL 1997, 86–94; NEWMAN 1999, 63–102 sowie Kap. 1 Anm. 18 zur Textkritik von Dtn 32,15. 393 Die Wahrscheinlichkeit, dass der Moselied-Rahmen einschließlich Dtn 31,20 das Moselied voraussetzt, ist in Kap. 5 gesondert zu behandeln. 394 Vgl. Dtn 33,5.26 (Mosesegen); Jes 44,2 (Segen JHWHs für das Volk). LXX liest an allen vier Stellen Ľīñëòöě÷øÏ („der Geliebte“); vgl. zur Herleitung des Griechischen von ŘĜ WEVERS 1995, 518; DOGNIEZ/HARL 2007, 329. der hebräischen Wurzel ī 390
166
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
und ĢĘīŘĜ im Parallelismus, während beide Belegstellen im Mosesegen (Dtn 33,5.26) ĢĘīŘĜ alleine bieten. Sehr ähnlich ist die sowohl bei Jesaja als auch im Moselied verwendete Ausdrucksweise für JHWH als Schöpfer, vgl. Dtn 32,15d SP (c MT): ĘėĬĥėĘğē(„der Gott, der ihn gemacht hat“); Jes 44,2: ĝĬĥėĘėĜ („JHWH, der dich macht/gemacht hat“). Ferner verdient der in beiden Texten vorkommende Parallelismus von ėĘğē („Gott“) und īĘĩ („Fels“) Beachtung. Dtn 32,15d–e (SP)/15c–d (MT): Und er verwarf den Gott, der ihn gemacht hat, und verhöhnte den Fels seiner Rettung.
ĘėĬĥėĘğēĬěĜĘ ĘĭĥĬĜīĘĩğĔģĜĘ
Jes 44,8:395 Gibt es einen Gott außer mir? Und es gibt keinen Fels, ich kenne keinen.
ĜĖĥğĔġėĘğēĬĜė ĜĭĥĖĜČğĔīĘĩĢĜēĘ
Für die Ursprünglichkeit der Benennung ĢĘīŘĜ in Jes 44,2 und die bewusste Verwendung im Parallelismus mit ĔĪĥĜ spricht der dortige Kontext: In Abgrenzung zur negativen Charakterisierung „Jakobs“ im vorhergehenden Abschnitt (Jes 43,22–28) wird ihm durch das „Heilsorakel“396 Jes 44,1–5 der Name „Jeschurun“ beigelegt, der wahrscheinlich von der Wurzel īŘĜ („aufrichtig“, „gerade“) abgeleitet und daher positiv konnotiert ist.397 In Dtn 32 sind dagegen abgesehen von der Verwandtschaft mit Jes 44 keine Gründe für die plötzliche Einführung dieses Namens erkennbar. Eine Engführung des Vergleichs auf Dtn 32,15d–e (SP)/15c-d (MT) und Jes 44 greift jedoch zu kurz. 3.3.9.1.3 Der vergessene Fels (V.15.18) Der in V.15 gegenüber „Jakob“/„Jeschurun“ formulierte Vorwurf, er habe seinen „Felsen“, d.h. seinen Gott, nicht geehrt, wird in V.18 in direkter Anrede unmittelbar gegen die Hörerschaft gerichtet. Dtn 32,15d–e (SP)/15c–d (MT): Und er verwarf den Gott, der ihn gemacht hat, und verhöhnte den Fels seiner Rettung.
ĘėĬĥėĘğēĬěĜĘ ĘĭĥĬĜīĘĩğĔģĜĘ
395
Eine Ähnlichkeit von Jes 44,8 mit Dtn 32,12.39 ist in der Sache gegeben, lexikalisch beschränkt sie sich jedoch auf den Gebrauch der Verneinungspartikel ĢĜē. 396 BERGES 2008, 318. 397 Vgl. ELLIGER 1978, 389; BALTZER 1999, 244–245; BERGES 2008, 320, der trotzdem für eine Abhängigkeit vom Moselied eintritt, vgl. EBD., 331. Für die Ursprünglichkeit des Kontextes in Jes 44 plädiert indes auch DUHM 1968, 330 wegen der Komplementarität zum Vorhergehenden, ohne jedoch „Jakob“ eine negative Bedeutung zuzuschreiben.
3.3 Die einzelnen Motive
167
Dtn 32,18: Den Fels, der dich geboren hat, missachtetest du, und du vergaßest den Gott, der dich hervorbrachte.
ĜĬĭĝĖğĜīĘĩ ĝğğĚġğēĚĞĬĭĘ
Auf eine sehr ähnliche Kombination von Anklage und Anrede mit dem FelsenEpitheton stößt man zudem in Jes 17,10: Denn du hast den Gott deiner Rettung vergessen und des Felsens deines Schutzes nicht gedacht.
ĝĥĬĜĜėğēĭĚĞĬĜĞ ĭ īĞęēğĝęĥġīĘĩĘ
Lediglich in Dtn 32,18 und Jes 17,10 wird die Gottesbezeichnung īĘĩ („Fels“) im Zusammenhang mit der Wurzel ĚĞŘ („vergessen“) gebraucht.398 Andererseits handelt es sich bei der Gottvergessenheit gerade um das Vergehen, welches in Dtn 6,12; 8,11.14 als Folge des „Essens und Sattwerdens“ (vgl. Dtn 32,15) angeprangert wurde. Insofern steht das Moselied mit dem Gedankengang in V.15.18 sowohl Dtn 6,12; 8.11.14 als auch Jes 17,10 nahe. Zweifelsohne ist Jes 17,10 gut in seinen Kontext integriert.399 Der Hinweis auf den ĝęĥġīĘĩ („Felsen deines Schutzes“) bildet einen schlüssigen Kontrast zu den ĘęĥġĜīĥ(„Städten seines Schutzes“) im vorhergehenden Vers Jes 17,9; und die in Jes 17,11 folgende Drohung mit Verderben schließt ebenfalls sinnvoll an den Vorwurf von 17,10 an. In Anbetracht der unterschiedlichen Urteile zur Genese von Jes 17,10 ist eine Einschätzung der Relation zu Dtn 32,15.18 jedoch schwierig.400 Da die beiden Verse im Moselied eine Klammer um Dtn 32,16– 17 bilden und sich, wie oben angedeutet, gut als Zusammenschau der Gefahren von Dtn 6,12; 8,11.14 („Vergessen“ JHWHs) und Dtn 11,16 (Dienst an anderen Göttern) begreifen lassen, könnten Dtn 32,15.18 zwei Teile einer zusammengehörenden Entfaltung der deuteronomischen Thematik darstellen, wobei sich Dtn 32,15 vielleicht an Jes 44,2 und Dtn 32,18 an Jes 17,10 anlehnt.401 Auf Grund der Rede von JHWH als „Fels“ (īĘĩ) und als „Rettung“ (ėĥĆ ţŘ þĜ bzw. ĥ ąŘăĜ) ähneln darüber hinaus Dtn 32,15d–e (SP)/15c–d (MT) und Jes 17,10 auch mehreren Psalmen. Die größte Nähe besteht zu Ps 18/2.Sam 22.402
In Ps 78,35 wird dagegen positiv formuliert: Ġğēĕ ĢĘĜğĥ ğēĘ ĠīĘĩ ĠĜėğēČĜĞ ĘīĞęĜĘ („Und sie erinnerten sich, dass Gott ihr Fels ist und Gott, der Höchste, ihr Erlöser.“) 399 Vgl. DUHM 1968, 135: „es gibt schwerlich eine Stelle, wo diese Ausdrücke [d.h. „Gott des Heils“ und „Felsen der Zuflucht“] besser motiviert sind und unmittelbarer aus dem Zusammenhang hervorwachsen als hier“; BEUKEN 2007, 157–160. 400 Vgl. KAISER 1983, 68: „Ganz unsicher sind Adressat, Herkunft und Alter des begründeten Drohwortes der V. 10 und 11.“ Kaiser und andere scheinen aber einig, dass Jes 17,10 bereits auf die Sprache der Psalmen zurückgeht, vgl. EBD.; WILDBERGER 1989, 655–656; BLENKINSOPP 2000, 306 sowie das Folgende. 401 Vgl. oben 3.3.9.1.2. 402 Für grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis zwischen Dtn 32 und 2.Sam 22/ Ps 18 vgl. oben 3.3.4.2. 398
168
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Ps 18,3: JHWH, mein Fels und meine Festung und mein Erretter, mein Gott, mein Fels, auf den ich vertraue, mein Schild und Horn meiner Rettung, meine Fluchtburg.
ĜěğħġĘĜĭĖĘĩġĘĜĥğĤėĘėĜ ĘĔČėĤĚēĜīĘĩĜğē ĜĔĕĬġĜĥĬĜČĢīĪĘĜģĕġ
2.Sam 22,3: Mein Gott403, mein Fels, auf den ich vertraue, mein Schild und Horn meiner Rettung, meine Fluchtburg und mein Zufluchtsort, mein Retter, aus Gewalt rettest du mich.
ĘĔČėĤĚēĜīĘĩĜėğē ĜĥĬĜĢīĪĘĜģĕġ ĜĤĘģġĘĜĔĕĬġ ĜģĥĬĭĤġĚġĜĥĬġ
2.Sam 22,47:404 ĜĥĬĜīĘĩĜėğē
…mein Gott, Fels meiner Rettung
Nicht zuletzt begegnet in Ps 18 auch der in Dtn 32,15 betrachtete Parallelismus von ėĘğē („Gott“) und īĘĩ(„Fels“), vgl. Ps 18,32:405 ėĘėĜĜĖĥğĔġėĘğēĜġĜĞ ĘģĜėğēĜĭğĘęīĘĩĜġĘ
Ja, wer ist Gott außer JHWH und wer ist ein Fels außer unserem Gott?
Die Häufigkeit, mit der die Lexeme „Rettung“ und „Fels“ in weiteren Psalmen kombiniert erscheinen, zeigt aber, dass es sich hierbei um eine typische Redeform der Poesie handelt.406 Offenbar haben die Verfasserinnen oder Verfasser von Jes 17 und Dtn 32 diese hymnische Sprache aufgegriffen, um durch die vertraute Ausdrucksweise die eigentlich zu erwartende respektvolle Haltung gegenüber JHWH zu betonen. 3.3.9.1.4 Der gebärende Fels (V.18) Das in Dtn 32,18a–b, aber auch schon 32,15d (SP)/15c (MT) mit den Gottesaussagen verbundene Schöpfungsvokabular zeigt eindeutige Berührungen mit dem Hiob-Buch. Von den gesamtbiblisch 55 Belegen für die Gottesbezeichnung ėĘğē stehen 41 bei Hiob und zwei davon in Verbindung mit dem Verb ėřĥ („machen“), wie es auch in Dtn 32,15d (SP)/15c (MT) der Fall ist:ėĘğē ĘėĬĥ(„der Gott, der ihn gemacht hat“). An beiden Hiob-Stellen wird die Größe JHWHs betont, der hier mit ėĘğēbezeichnet ist.
403
So wahrscheinlich zu lesen (Ĝ ąėžÿē) gegen MT (Ĝ ăėžÿē), vgl. SCHMUTTERMAYR 1971,
41. Die Parallele in Ps 18,47 liest einfach: ĜĥĬĜĜėĘğē („Gott meiner Rettung“). In der parallelen Überlieferung von 2.Sam 22,3 steht für „Gott“ ğē statt ėĘğē. 406 Vgl. Ps 62,3.7.8; 89,27; 95,1. 404 405
3.3 Die einzelnen Motive
169
Hi 4,17 (Elifas-Rede): Ist ein Mensch vor Gott gerecht oder ein Mann rein vor dem, der ihn gemacht hat?
ĪĖĩĜėĘğēġĬĘģēė ī ĔĕČīėěĜĘėĬĥġĠē
Hi 35,10 (Anklage innerhalb der Elihu-Rede): ĜĬĥėĘğēėĜēīġēČēğĘ
Und man hat nicht gesagt: ‚Wo ist Gott, der mich gemacht hat?‘
Auch der in Dtn 32,18 vorkommende Parallelismus der Verben ĖğĜ („gebären“) und ğĘĚ Pol („hervorbringen“, „kreißen“) ist bei Hiob bezeugt, wenngleich das Subjekt nicht JHWH ist, vgl. Hi 39,1: Kennst du die Zeit des Gebärens der Bergziegen, achtest du auf das Kreißen der Hirschkühe?
ĥğĤČĜğĥĜĭĖğĭĥĭĥĖĜė ī ġĬĭĭĘğĜēğğĚ
Im Moselied jedoch findet in V.(15.)18 eine eigenwillige Kombination von Gottesbeschreibungen statt. Durch die gewagte Vermischung von FelsenEpitheton und Schöpfungsvokabular veranschaulicht die schreibende Person, dass der normalerweise in den Psalmen als felsenfest verlässlicher Retter besungene Gott407 nicht nur Schöpfer der Welt und aller Menschen ist (wie in den Parallelen bei Hiob hervorgehoben)408 und Verehrung fordert (wie es die besprochenen Paränesen des Deuteronomiums klarstellen),409 sondern dass dies alles gerade in Bezug auf sein Volk gilt, dem er wie eine Mutter oder ein Vater verbunden ist. Dies stellt eine besonders drastische Indienstnahme von Sprache dar,410 die nur als gezielte Verarbeitung und Überbietung bereits verbreiteter Vorstellungen verständlich wird.
Exkurs: JHWH als Zeugender oder als Gebärende? Die Bedeutung der beiden Verben ĖğĜ („gebären“) und ğĘĚ Pol („hervorbringen“, „kreißen“) verdient eine zusätzliche Anmerkung, da die Auslegenden uneinig darüber sind, inwieweit JHWH durch die Formulierung von Dtn 32,18 eine ausschließlich weibliche oder aber eine beide Geschlechter umgreifende Rolle als Vater und Mutter zugeschrieben werden soll. Tatsächlich kann das VerbĖğĜ im Qal sowohl „gebären“ als auch „(er)zeugen“ bedeuten.411 Hieraus
407
Vgl. Ps 18,3.32.47; 19,15; 28,1; 31,3; 62,3.7.8; 71,3; 73,26; 78,35; 89,27; 92,16; 94,22; 95,1; 144,1. 408 Vgl. Hi 4,17; 35,10; 39,1. 409 Vgl. Dtn 6,11; 8,10.12; 11,15. 410 Vgl. S.R. DRIVER 1902, 363. 411 Vgl. GES18, 464; HALAT, 393.
170
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
ergeben sich theoretisch zwei Deutungsvarianten für das Moselied: Entweder wird der Parallelismus in Dtn 32,18 als Kombination männlicher und weiblicher Aspekte aufgefasst und entsprechend mit „zeugen“/„hervorbringen“ übersetzt.412 Oder aber die Tätigkeit des „Felsens“ in Dtn 32,18 wird rein weiblich gedacht und streng synonym übersetzt: „gebären“/„hervorbringen“.413 An allen Stellen, die sonst den Parallelismus von Ėğʩ Qal und ğĘĚ (in verschiedenen Stämmen) bezeugen, 414 hat jedoch ĖğĜ eindeutig die Bedeutung „gebären“.415 Unverkennbar wird stets das Verhalten einer niederkommenden Frau bzw. eines weiblichen Tieres beschrieben. Mehrmals dient dies wegen der damit assoziierten Hilflosigkeit zur Illustrierung eines Schreckenszustandes.416 Doch überall geht es darum, einen natürlichen und bekannten Vorgang zu veranschaulichen. Ein solches Verständnis legt sich auch im Moselied nahe, zielte doch schon die Gegenüberstellung JHWHs und seiner „Söhne“ in Dtn 32,4–6 darauf, zu zeigen, wie unnatürlich die respektlose Haltung des Volkes gegenüber seinem Gott und „Vater“ war. Entsprechend betont V.18, dass JHWH, der dem Volk wie eine Mutter zugewandt und verbunden war, „natürlicher Weise nicht hätte in Vergessenheit kommen können und sollen.“417 Eine Kombination männlicher und weiblicher Attribute ergibt sich für JHWH folglich nur aus der Gesamtschau des Moseliedes, nicht aber in V.18 allein, wo ĖğĜ also mit „gebären“ angemessen wiedergegeben ist.418 In einem vergleichbaren Sinn wird JHWH in Ps 90,2 als Subjekt des Verbs ğĘĚ Pol („hervorbringen“) in der Rolle der/des Gebärenden vorgestellt:419 Bevor die Berge geboren wurden und du das Land und den Erdkreis hervorbrachtest, und von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du Gott.
ţĖ ĆũĉĜĠĜīėĠīěĔ ğĔĭĘĨīēğğĘĚĭĘ ğēėĭēĠğĘĥČĖĥĠğĘĥġĘ
Auch hier dürfte der Schwerpunkt der Aussage indes nicht darauf liegen, JHWH weibliche Züge zuzuschreiben. Vielmehr kommt durch die Wortwahl zum Ausdruck, dass JHWHs Schöpferhandeln zugleich mächtig und
412
Vgl. DILLMANN 1886, 402; BERTHOLET 1899, 98; STEUERNAGEL 1900, 117; S.R. DRIVER 1902, 363–364; ROSE 1994, 569; LUNDBOM 2013, 886. 413 Vgl. BUDDE 1920, 26.48; BOSTON 1966, 76; VON RAD 1968, 137; TIGAY 1996, 307; PLAUT 2004, 328; GRUND 2006, 313; WÜSTE 2018, 229.231. 414 Vgl. Hi 39,1; Jes 13,8; 23,4; 26,17–18; 54,1; 66,7–8; Mi 4,10 sowie ausführlich GRUND 2006, 312–317. 415 Dies gilt im Übrigen auch für die meisten anderen Belegstellen für ĖğĜ im Qal, vgl. TIGAY 1996, 307; GRUND 2006, 313. Die Verwendung mit einem männlichen Subjekt ist in der Hebräischen Bibel die große Ausnahme und kommt nur in 17 Versen vor, von denen wiederum 13 zu den Genealogien in Gen und 1.Chr gehören. 416 Vgl. Jes 13,8; 26,17–18; Mi 4,10. 417 KLOSTERMANN 1893, 297, vgl. TIGAY 1996, 307; WÜSTE 2018, 254. 418 Vgl. WÜSTE 2018, 231. 419 Vgl. GRUND 2006, 307–309.
3.3 Die einzelnen Motive
171
fürsorglich ist. Es besteht „eine intime Beziehung zwischen schlechterdings ungleichen Größen“. 420 Aber mit Blick auf den fundamentalen Unterschied zwischen (Menschen-)Welt und Gott spielt die Frage des Geschlechts letztlich keine Rolle.421 3.3.9.2 Die Beleidigung JHWHs durch die Verehrung anderer Götter (V.16–17) Umrahmt von der Verurteilung in Dtn 32,15.18 wird in V.16–17 der Frevel des Volkes genauer charakterisiert: 16 17
a b a b c d
Sie reizten ihn durch Fremdlinge, durch Abscheulichkeiten beleidigten sie ihn. Sie opferten Dämonen, die nicht Gott sind, Göttern, die sie nicht gekannt hatten, neuen, die kürzlich gekommen waren, die eure Väter nicht gefürchtet hatten.
ĠĜīęĔĘėēģĪĜ ĘėĤĜĥĞĜĭĔĥĘĭĔ ėğēēğĠĜĖĬğĘĚĔęĜ ĠĘĥĖĜēğĠĜėğē ĘēĔĔīĪġĠĜĬĖĚ ĠĞĜĭĔēĠĘīĥĬēğ
Die Darstellung erfolgt mit Hilfe zweier stereotyper Redeweisen. Es handelt sich um den Vorwurf, JHWH zu „beleidigen“ (ĤĥĞ Hif, vgl. Dtn 32,16b), sowie die Rede von den „Göttern, die sie nicht gekannt hatten“ (vgl. Dtn 32,17b: ĠĘĥĖĜēğĠĜėğē).422 Schon das Verb ĤĥĞ Hif („beleidigen“) vertritt einen feststehenden Topos: An 40 von 43 Belegstellen außerhalb des Moseliedes und seines Rahmens423 drückt es aus, dass das Volk oder seine Könige das Fremdgötterverbot missachtet und andere Götter als JHWH verehrt haben.424 Weil sich die große Mehrzahl dieser Belege im Deuteronomium, in den Geschichtsbüchern und bei Jeremia finden, ist die Ausdrucksweise als deuteronomistisches „Klischee“ bezeichnet worden.425 In diesen Zusammenhang gehört auch die Beobachtung, dass von den beiden parallelen Berichten vom Sündenfall mit dem „goldenen Kalb“ die Version im Buch Exodus lediglich davon spricht, das
420
HOSSFELD/ZENGER 2000, 609, vgl. B. WEBER 2003b, 119. 421 Für die Kombination männlicher und weiblicher Attribute in Bezug auf JHWH als notwendige Konsequenz eines monotheistischen Gottesbildes vgl. WÜSTE 2018, 233–234. 422 Der Parallelismus der Verben ēģĪ Hif („reizen“) und ĤĥĞ Hif („beleidigen“) kommt außer in Dtn 32,16.21 nur noch einmal in Ps 78,58 vor. Ein Parallelismus der Wurzeln findet sich hingegen in Dtn 4,24–25; Hi 5,2; Ez 16,42, vgl. hierzu ausführlicher unten 3.3.11. 423 Vgl. Dtn 31,29. 424 Vgl. Dtn 4,25; 9,18; Ri 2,12; 1.Kön 14,15; 2.Kön 17,11.17; 21,15; 22,17; 23,19; 2.Chr 34,25; Ps 78,58; 106,29; Jes 65,3; Jer 7,18.19; 8,19; 11,17; 25,6.7; 32,29.30.32; 44,3.8; Ez 8,17; 16,26; Hos 12,15 sowie für die Königsbewertungen: 1.Kön 14,9; 15,30; 16,2.7.13.26.33; 21,22; 22,54; 2.Kön 21,6; 23,26; 2.Chr 28,25; 33,6. Lediglich zweimal wird ĤĥĞ Hif für zwischenmenschliches Verhalten (1.Sam 1,7; Neh 3,37) und – von Dtn 32,21 abgesehen – nur noch einmal für JHWHs Tun gegenüber Menschen verwendet (Ez 32,9). 425 LOHFINK 1984, 302.
172
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Volk habe „gesündigt“, vgl. Ex 32,30: ėğĖĕėēěĚĠĭēěĚĠĭē („Ihr habt mit einer großen Sünde gesündigt“), während die Formulierung im Deuteronomium sehr viel ausführlicher ist und auch das Verb ĤĥĞ Hif benutzt, vgl. Dtn 9,18: …wegen all eurer Sünden, mit denen ihr gesündigt habt, zu tun das Böse in den Augen JHWHs, ihn zu beleidigen.
ĠĭēěĚīĬēĠĞĭēěĚČğĞğĥ ĘĤĜĥĞėğėĘėĜĜģĜĥĔĥīėĭĘĬĥğ
Ebenso scheint die Redewendung ĠĘĥĖĜ ēğĠĜėğē („Götter, die sie nicht gekannt haben“) aus Dtn 32,17b „fest im Deuteronomium verankert“ zu sein,426 von hier aus aber auch ihren Weg ins Jeremia-Buch gefunden zu haben.427 An zwei Belegstellen bei Jeremia sind weitere Wortparallelen zu Dtn 32,16–17 zu verzeichnen. Innerhalb der „Tempelrede“ wird in Jer 7,9–10 das Substantiv ĭĔĥĘĭ („Abscheulichkeiten“, vgl. Dtn 32,16b) verwendet: Stehlen, töten, ehebrechen und zum Trug schwören und īěĪĘīĪĬğĥĔĬėĘĦēģĘĚĩīĔģĕė dem Baޏal räuchern und anderen Göttern nachlaufen, ĠĜīĚēĠĜėğēĜīĚēĝğėĘğĥĔğ ĠĭĖġĥĘĠĭēĔĘĠĭĥĖĜČēğīĬē die ihr nicht gekannt habt! Und dann werdet ihr komĜġĬČēīĪģīĬēėęėĭĜĔĔĜģħğ men und vor mich treten in diesem Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, und sagen: ‚Wir sind geret- ĭēĭĘĬĥĢĥġğĘģğĩģĠĭīġēĘĘĜğĥ ėğēėĭĘĔĥĘĭėČğĞ tet!‘, um all diese Abscheulichkeiten zu tun.
Angesichts der Verwüstung Jerusalems wird in Jer 44,3 die Schuld Israels mit dem Verb ĤĥĞ Hif („beleidigen“, vgl. Dtn 32,16b.21d) beschrieben: …wegen ihres Übels, das sie getan haben, mich zu beĜģĤĥĞėğĘĬĥīĬēĠĭĥīĜģħġ leidigen, zu gehen, zu räuchern, zu dienen anderen Göt- ĠĜīĚēĠĜėğēğĖĔĥğīěĪğĭĞğğ ĠĞĜĭĔēĘĠĭēėġėĠĘĥĖĜēğīĬē tern, die sie nicht gekannt haben, ihr und eure Väter.
Der folgende Vers fasst diese Schuld mit dem Begriff ėĔĥĘĭ („Abscheulichkeit“, hier im Singular) zusammen, vgl. Jer 44,4: Tut doch nicht die Sache dieser Abscheulichkeit, die ich ĭēęėėĔĥĭėČīĔĖĭēĘĬĥĭēģČğē hasse. ĜĭēģĬīĬē
Zwar ist die Rede von ĭĘĔĥĘĭ („Abscheulichkeiten“) zur Bezeichnung frevelhaften Tuns gegenüber JHWH wiederum geläufig im Deuteronomium und bei Jeremia.428 Die zitierten Beispiele deuten aber schon an, dass der Sprachgebrauch des Moseliedes sich von der „im D[eu]t[ero]n[omium] und in der von ihm abhängigen Literatur“429 typischen Verwendung abhebt. Kann ėĔĥĘĭ (im
426
OTTO 2017, 2181, vgl. (mit Abwandlungen) Dtn 11,28; 13,3.7.14; 28,64; 29,25. 427 Vgl. Jer 7,9; 19,4; 44,3. 428 Vgl. GERSTENBERGER 1976, 1051–1052; PREUß 1995, 583–585. 429 PREUß 1995, 583.
3.3 Die einzelnen Motive
173
Singular oder Plural) im Deuteronomium verschiedenartige Gebräuche und Dinge bezeichnen, von denen sich das Volk um JHWHs willen abzugrenzen hat,430 meint der Plural ĭĔĥĘĭ im Lied eindeutig „Götzen“, vgl. Dtn 32,16b: ĘėĤĜĥĞĜ ĭĔĥĘĭĔ („durch Abscheulichkeiten beleidigten sie ihn“).431 In dieser Bedeutung findet sich das Wort sonst v.a. bei Ezechiel.432 Auch im EzechielBuch aber begegnen daneben Redewendungen wie ĭĘĔĥĘĭėřĥ („Abscheulichkeiten tun“),433 die einen viel breiteren Sinnhorizont besitzen. Auf eine weitere große Gruppe von 21 Belegstellen für den Begriff ėĔĥĘĭ trifft man ferner in den Proverbien. Erstaunlicherweise ist die Formulierung ėĘėĜ ĭĔĥĘĭ („[Es ist] eine Abscheulichkeit/ein Gräuel für JHWH“) gleichermaßen im Deuteronomium wie im Proverbien-Buch beheimatet.434 Mit Götzenbildern sind nur die Belege in Dtn 7,25 und 27,15 in Verbindung zu bringen; die übrigen Beispiele beziehen sich auf verschiedenste Angelegenheiten kultischer und ethischer Natur. Die Herkunft dieser Ausdrucksweise ist daher – wie der ursprüngliche Sinn von ėĔĥĘĭ überhaupt – nicht mit Sicherheit zu bestimmen.435 Gerade diese Verankerung in verschiedenen Textbereichen der Hebräischen Bibel ist jedoch im Moselied an mehreren Stellen zu beobachten. Erinnert sei an die Ausführungen zu den Lexemen ĝīĖ (V.4: „Weg“), Ĕē(V.6: „Vater“) oder ėĚģ Hif (V.12: „führen“). Diese Lexeme besaßen sowohl in der Weisheit als auch in den Geschichtstraditionen bzw. der Prophetie je eigene Bedeutungsnuancen, die sich im Moselied ergänzen und dessen Überzeugungskraft auf diese Weise verstärken.436 So ist zu vermuten, dass auch dort, wo im Lied in Dtn 32,16–17 vordergründig nur die Ablehnung von Götzen(bildern) thematisiert ist, der Begriff ėĔĥĘĭ gerade wegen seiner Verbreitung in unterschiedlichen Kontexten gewählt wurde: Die mögliche Assoziation der ethischen und juristischen Konnotationen, die den negativen Ton des Verses intensivieren, dürfte beabsichtigt sein. Nur eine einzige Parallele hingegen hat der Ausdruck ĠĜĖŘ (vgl. Dtn 32,17a: „Dämonen“). In Ps 106,37 werden sie erwähnt, im folgenden V.38 heißt es,
430
Vgl. PREUß 1995, 584–585. Das Lexem ist im Deuteronomium insgesamt 17 Mal be-
zeugt. Vgl. auch den Parallelismus zu ĠĜīę („Fremdlinge“) in V.16a. Vgl. Ez 5,11; 6,9 (?); 7,20; 11,18.21; 14,6; 16,36; 44,7 (?), aber auch Dtn 7,26; 2.Kön 23,13; 2.Chr 34,33; Esr 9,1.11.14 (?); Jes 44,19; Jer 16,18. 433 Vgl. Ez 8,6.9.13 u.ö. 434 Vgl. Dtn 7,25; 12,31; 17,1; 18,12; 22,5; 23,19; 25,16; 27,15; Prov 3,32; 11,1.20; 12,22; 15,8.9.26; 16,5; 17,15; 20,10.23. 435 Vgl. GERSTENBERGER 1976, 1054–1055: „Vielleicht hat die kultische Verwendung die rechtliche und ethische nach sich gezogen; vielleicht ist das Wort aber auch in mehreren Lebensbereichen gleichzeitig zur Abwehr des Fremden gebraucht worden.“ 436 Vgl. 3.3.10.1 für ĤĥĞ in deuteronomistischer Literatur (Verb) und Weisheit (Nomen) sowie 3.3.10.2 für ĭĜīĚē („Ende“); 3.3.19.2 für ĖĜē („Verderben“); 3.3.22.3 für ĠğŘ Pi („vergelten“) jeweils in der Weisheit und bei den Propheten. 431 432
174
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
dass die Israeliten ihnen unter dem Einfluss anderer Völker Kinderopfer dargebracht haben. Der Kontext ist folglich trotz oberflächlicher Ähnlichkeit mit Dtn 32,16–17 im engeren Sinne nicht vergleichbar. Die Wortwahl im Moselied lässt an dieser Stelle jedenfalls nicht darauf schließen, der Frevel des Volkes habe darin bestanden, dass sie Menschen geopfert hätten. Vielmehr wird durch die Vielzahl der Bezeichnungen für die fremden Götter in V.16–17 deren in jeder Weise befremdlicher Charakter betont: Dtn 32,16a: Dtn 32,16b: Dtn 32,17a: Dtn 32,17b: Dtn 32,17c: Dtn 32,17d:
ĠĜīę
Fremdlinge Abscheulichkeiten Dämonen, die nicht Gott sind Götter, die sie nicht gekannt hatten neue [Götter], die kürzlich gekommen waren437 [Götter], die eure Väter nicht gefürchtet hatten
ĭ ĔĥĘĭ ąėžÿēēğĠĜĖŘ ĠĘĥĖĜēğĠĜėğē ĘēĔĔīĪġĠĜĬĖĚ ĠĞĜĭĔēĠĘīĥĬēğ
Gegenüber dem hier nicht verwendeten, aber ansonsten offenbar weiter verbreiteten Ausdruck īĞģ ğ ăē bzw. īĞģ>ė@ Ĝėğē („fremder Gott“, „fremde Götter“)438 wird dadurch sehr viel eindringlicher gezeigt, wie unverständlich die Hinwendung des Volkes zu diesen Göttern ist. 3.3.10 JHWHs Reaktion auf den Frevel des Volkes (V.19–20) Es finden sich mit Blick auf V.19–20 des Moseliedes einerseits Parallelen für die Charakterisierung des Volkes als frevelhafte Kinder und andererseits für die eigentliche Reaktion JHWHs, der im Zorn sein Gesicht verbirgt. 19 20
a b a b c d
Und als JHWH es sah, schmähte er wegen der Beleidigung durch seine Söhne und Töchter und sagte: ‚Ich will mein Angesicht vor ihnen verbergen, sehen, was ihr Ende ist, denn eine Generation von Verkehrtheiten sind sie, Söhne, in denen keine Treue ist.‘
ĨēģĜĘėĘėĜēīĜĘ ĘĜĭģĔĘĘĜģĔĤĥĞġ ĠėġĜģħėīĜĭĤē ĠĭĜīĚēėġėēīē ėġėĭĞħėĭīĘĖĜĞ ĠĔĢġēČēğĠĜģĔ
Die Parallelstellen werden in zwei Abschnitten nacheinander besprochen: „Die Sünde an JHWH als Versäumnis uneinsichtiger Söhne und Töchter (V.19.20c– d)“ sowie „Das Angesicht JHWHs und das ‚Ende‘ des Volkes (V.20a–b)“.
Die Wendung ĠĜŘĖĚ ĠĜėğē („neue Götter“) findet sich noch in Ri 5,8, aber der Schwerpunkt liegt hier im Deborah-Lied auf dem Triumph, den Deborah für JHWH herbeiführt. Der Blickwinkel unterscheidet sich also kategorial von Dtn 32,16–17, vgl. GROß 2009, 315: „Hier [d.h. in Ri 5,8] wird keine Schuld Israels reflektiert“. 438 Vgl. für ī Ğģ ğ ăē: Dtn 32,12; Ps 81,10; Mal 2,11; für īĞģ>ė@ Ĝėğē: Gen 35,2.4; Dtn 31,16; Jos 24,20.23; Ri 10,16; 1.Sam 7,3; 2.Chr 33,15; Jer 5,19. 437
3.3 Die einzelnen Motive
175
3.3.10.1 Die Sünde an JHWH als Versäumnis uneinsichtiger Söhne und Töchter (V.19.20c–d) Dass JHWH im Moselied „schmäht“ (vgl. Dtn 32,19a), bedeutet eine Umkehrung des gewöhnlichen Sprachgebrauchs. Normalerweise sind es Menschen, die Gott „schmähen“ bzw. „verwerfen“ (Ĩēģ). Nur noch in Jer 14,21; Klg 2,6 ist JHWH wie im Moselied Subjekt dieses Verbs.439 Genau wie in Dtn 32,19 fehlt ferner auch in Jer 14,21 ein Objekt. Dtn 32,19: Und als JHWH es sah, schmähte er wegen der Beleidigung durch seine Söhne und Töchter.
ĨēģĜĘėĘėĜēīĜĘ ĘĜĭģĔĘĘĜģĔĤĥĞġ
Jer 14,21: Verschmähe nicht um deines Namens willen, verhöhne nicht den Thron deiner Herrlichkeit, gedenke, brich nicht deinen Bund mit uns!
ĝġĬĢĥġğĨēģĭČğē ĝĖĘĔĞēĤĞğĔģĭČğē ĘģĭēĝĭĜīĔīħĭČğēīĞę
Wegen der kunstvollen, wahrscheinlich sekundären dramatischen Ausgestaltung von Jer 14–15 und verschiedener Anzeichen in Jer 14 für „Beziehungen zu späterer Literatur“ 440 kann vielleicht davon ausgegangen werden, dass Jer 14,21 (auch) das Moselied rezipiert.441 Die Meinung mancher Exegesetreibender, die in Dtn 32,19b genannten „Söhne und Töchter“ JHWHs seien als direktes Objekt des Verbs Ĩēģ in V.19a aufzufassen,442 ist mit Blick auf die Parallelstellen für die Formulierung von V.19b (ĘĜĭģĔĘĘĜģĔĤĥĞ: „Beleidigung durch seine Söhne und Töchter“) abzulehnen. Als besonders erhellend erweist sich der Vergleich mit der Weisheitsliteratur: 443 Gut die Hälfte der 25 Belege für das Nomen ĤĥĞ („Ärgernis“,
439
Alle drei Belege mit JHWH als Subjekt stehen im Qal, alle 14 Piޏel-Belege haben menschliche Subjekte. In Klg 2,6 besteht mit dem Verb ĭĚŘ Pi („sich vergehen“, hier: „zerstören“) zwar eine weitere Vokabelparallele zum Moselied, der Wortgebrauch ist jedoch ĚŘ Pi; weiter hat gänzlich anders: In Dtn 32,5 ist das Volk, in Klg 2,6 JHWH Subjekt von ĭ das Verb Ĩēģ in Klg 2,6 „König und Priester“ zum Objekt, so dass der Kontext nicht mit Dtn 32,19 vergleichbar ist. 440 W.H. SCHMIDT 2008, 264. 441 So G. FISCHER 2005a, 487. Vgl. für den inhomogenen Charakter von Jer 14–15 auch DUHM 1901, 127; CARROLL 1986, 307: „The composition of the section [= Jer 14,1–15,4/9] has brought together a number of discrete units and given them the appearance of a unity“ sowie unten 3.3.12 mit Ausführungen zu V.22 des Moseliedes, der in Jer 15,14 rezipiert worden sein dürfte. Anders RUDOLPH 1968, 99, der annimmt, Jer 14 gehöre zur „Urrolle“. 442 Vgl. z.B. KNOBEL 1861, 330: „und Jehova sah es und verwarf vor Unmuth seine Söhne und Töchter“; BUDDE 1920, 48; BUIS/LECLERCQ 1963, 198; ROSE 1994, 564. 443 Vgl. LOHFINK 1984, 297.
176
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
„Beleidigung“)444 findet sich bei Hiob, in den Proverbien und bei Kohelet, wo es fast immer persönlichen menschlichen Kummer bezeichnet.445 Gleiches gilt für drei der vier Belege in den Psalmen. 446 Eine sehr enge Parallele zu Dtn 32,19 bietet unter den genannten Textstellen Prov 17,25: Ein Ärgernis für seinen Vater ist ein törichter Sohn und Bitterkeit für die, die ihn geboren hat.
ğĜĤĞĢĔĘĜĔēğĤĥĞ ĘĭĖğĘĜğīġġĘ
Wie im Moselied stellt auch in Prov 17 das Verhalten eines ungehörigen Kindes eine Zumutung für den Vater bzw. die Eltern dar.447 Dieselbe grammatische Konstruktion wie in Dtn 32,19b (Nomen ĤĥĞ im Status constructus + Beleidigender im Status rectus) findet sich außer in Dtn 32,27 (ĔĜĘēĤĥĞ: „Beleidigung durch den Feind“) noch in Prov 27,3: Ein Stein ist schwer und eine Last der Sand, aber das Ärgernis durch einen Toren ist schwerer als beide.
ğĘĚėğěģĘĢĔēČĖĔĞ ĠėĜģĬġĖĔĞğĜĘēĤĥĞĘ
Im Sinne eines Frevels gegen JHWH wird das Nomen ĤĥĞ noch dreimal als Teil der Figura etymologica „mit einer Beleidigung beleidigen“ (Nomen und Verb Hif ĤĥĞ) in den Könige-Büchern verwendet.448 Dieser spezielle Sprachgebrauch erscheint angesichts der großen Anzahl von Belegen für den rein verbalen Ausdruck ĤĥĞ Hif („beleidigen“) zur Bezeichnung des Sich-Vergehens an JHWH wie eine punktuell nachgetragene Verstärkung.449 Im Unterschied hierzu verwendet das Moselied die Wurzel ĤĥĞ als Verb (vgl. Dtn 32,16.21) und als Nomen (vgl. Dtn 32,19.27) in verschiedenen Versen. So ergibt sich in der Zusammenschau des Liedes ein neuer Sinnzusammenhang. Um diesen zu erfassen, sei daran erinnert, dass die Verwendung des Verbs ĤĥĞ im Moselied deuteronomistischer Redeweise entspricht: Wie in den Büchern Deuteronomium, Richter, 1./2.Könige, 2.Chronik und Jeremia bezeichnet ĤĥĞ Hif in Dtn 32,16 die Übertretung des Fremdgötterverbots.450 Demgegenüber wird das Nomen ĤĥĞ („Ärgernis“, „Beleidigung“) in Dtn 32,19 (Gleiches gilt für
Bei Hiob in der Schreibung řĥĞ. 445 Vgl. Hi 5,2; 6,2; 17,7; Prov 12,16; 17,25; 21,19; 27,3; Koh 1,18; 2,23; 5,16; 7,3.9; 11,10. Eine Ausnahme bildet nur Hi 10,17, denn hier geht es um den Ärger, den JHWH (vermeintlich) gegen Hiob empfindet. 446 Vgl. Ps 6,8, 10,14; 31,10. Wie in Hi 10,17 bezeichnet ĤĥĞ in Ps 85,5 den Verdruss JHWHs über die Betenden. 447 Vgl. für die Thematik (bei anderem Vokabular) Prov 10,1; 15,20; 17,21; 19,13; 29,15. 448 Vgl. 1.Kön 15,30; 21,22; 2.Kön 23,26. 449 Vgl. STOLZ 1971, 839; LOHFINK 1984, 301. 450 In Dtn 32,21 wird das Verb in diesem Sinn noch einmal aufgenommen und dann auch auf JHWH übertragen, erfährt also eine Bedeutungserweiterung. Vgl. dazu im Folgenden ausführlicher. 444
3.3 Die einzelnen Motive
177
Dtn 32,27) in einem weisheitlichen Sinne benutzt,451 um die Auswirkungen der Fremdgötterverehrung auf das Verhältnis des Volkes zu seinem Gott zu markieren. Offenbar spielte die in den verschiedenen Kontexten jeweils charakteristische Verwendung der Wurzel ĤĥĞ der Person, die das Moselied schrieb, in die Hände, um ihrer Ansicht des grundlegenden Zusammenhangs zwischen den Taten des Volkes und dem Handeln JHWHs Ausdruck zu verleihen: Dem Moselied zufolge ist die Untreue des Volkes gegenüber JHWH ein törichtes Vergehen. Diese Beurteilung wird durch die Charakterisierung der „Söhne“ JHWHs in Dtn 32,20c–d verstärkt: …denn eine Generation von Verkehrtheiten sind sie, Söhne, in denen keine Treue ist.
ėġėĭĞħėĭīĘĖĜĞ ĠĔĢġēČēğĠĜģĔ
Die Ähnlichkeit mit einer Reihe von Sprichwörtern im Buch Proverbien ist augenfällig.452 Zugleich bildet die Formulierung ĠĔ ĢġēČēğ ĠĜģĔ („Söhne, in denen keine Treue ist“) einen offensichtlichen Gegensatz zur Beschreibung JHWHs in Dtn 32,4c: ğĘĥ ĢĜēĘ ėģĘġē ğē („ein Gott der Treue und ohne Unrecht“).453 Mithin ist es eine Beleidigung für JHWH, dass seine „Söhne“ (und „Töchter“, vgl. V.19b) ihm nicht entsprechen. 3.3.10.2 Das Angesicht JHWHs und das „Ende“ des Volkes (V.20a–b) Wenn JHWH „sein Angesicht verbirgt“ (ĠĜģħīĭĤ Hif), hat das nach dem Verständnis der Hebräischen Bibel normalerweise Schaden für die Menschen zur Folge.454 Entsprechend finden sich v.a. in den Psalmen sowohl Klagen über die Verborgenheit JHWHs, die sich dieser Redeweise bedienen,455 als auch Bitten, er möge sein Angesicht nicht abwenden.456 In prophetischen Texten hingegen erscheint das Verbergen des göttlichen Angesichtes wiederholt als Konsequenz
451
Vgl. v.a. die oben genannten Belege in den Proverbien sowie STOLZ 1971, 840: „Die Weisheitsliteratur sieht im káҵas eine gefährliche Gemütsbewegung“. 452 Vgl. für ĭĞħėĭ „Verkehrtheiten“ (Schreibweise hier immer: ĭĘĞħėĭ) Prov 2,12.14; 6,14; 8,13; 10,31.32; 16,28.30; 23,33; für Ģġē („Treue“, hier immer im Plural: ĠĜģĘġē) Prov 13,17; 14,5; 20,6; auch Jes 26,2 (ĠĜģġē). 453 Vgl. BERTHOLET 1899, 98; STEUERNAGEL 1900, 118. 454 Vgl. SIMIAN-YOFRE 1989, 645: „Das Verbergen des Antlitzes JHWHs […] ist nicht nur einfach eine Strafe, sondern es bedeutet den radikalen Abbruch der Beziehungen zwischen Gott und dem Menschen“; HARTENSTEIN 2008, 71–78. Nur in Ps 51,11 hat das verborgene göttliche Angesichts eine positive Bedeutung, weil JHWH so die Sünden der Betenden nicht sieht. 455 Vgl. Ps 10,11; 13,2; 30,8; 44,25; 88,15; 104,29 sowie auch Hi 13,24; Jes 8,17. 456 Vgl. für die stereotype Wendung ĝĜģħ īĭĤĭČğē („Verbirg nicht dein Angesicht“): Ps 27,9; 69,18; 102,3; 143,7 sowie für die tatsächliche erfolgte Zuwendung Ps 22,25: ČēğĘ ĘĜģħīĜĭĤė („Und er hat sein Angesicht nicht verborgen“).
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
von Verfehlungen gegenüber JHWH und wird mit der Bestrafung des Gottesvolkes nahezu gleichgesetzt.457 Derselben Logik folgen auch der Moselied-Rahmen458 sowie JHWHs Ankündigung in Dtn 32,20: Ich will mein Angesicht vor ihnen verbergen, sehen, was ihr Ende ist, denn eine Generation von Verkehrtheiten sind sie, Söhne, in denen keine Treue ist.
ĠėġĜģħėīĜĭĤē ĠĭĜīĚēėġėēīē ėġėĭĞħėĭīĘĖĜĞ ĠĔĢġēČēğĠĜģĔ
Gegenüber den Psalmen-Belegen stehen die prophetischen Parallelstellen dem Moselied auch deshalb näher, weil es sich in der Mehrheit der Fälle ebenfalls um Gottesreden handelt.459 Während jedoch die Prophetenbücher auf bereits erfolgte Bestrafung zurückblicken und das Verb īĭĤ Hif deshalb mit Vergangenheitsformen benutzt wird,460 zitiert das Moselied JHWH mit einer Rede, die den Heilsentzug erst für die Zukunft androht, vgl. Dtn 32,20a: ĜģħėīĜĭĤē(„Ich will mein Angesicht verbergen“). Folglich bleibt in der Logik des Liedes die Analogie mit den Prophetentexten zunächst eine Möglichkeit, die vielleicht noch abgewendet werden kann. Das folgende Kolon unterstreicht die Ausrichtung auf die Zukunft mit der indirekten Frage JHWHs: ĠĭĜīĚēėġ(Dtn 32,20b: „was ihr Ende ist“), vgl. auch Dtn 32,29: Wenn sie weise wären, könnten sei dies begreifen, auf ihr Ende achten.
ĭ ēęĘğĜĞĬĜĘġĞĚĘğ ĠĭĜīĚēğĘģĜĔĜ
Der Begriff ĭĜīĚē („Ende“) bezeichnet in allen Teilen der Hebräischen Bibel häufig das individuelle oder kollektive Schicksal von Menschen 461 und hat
457
Vgl. Jes 54,8; 59,2 (mit den Sünden der Menschen als Subjekt des Verbergens); 64,6; Jer 33,5; Ez 39,23.24; Mi 3,4. Einen positiven Ausblick für die Zukunft, wenn Strafe nicht mehr notwendig sein wird, formuliert Ez 39,29: ĠėġĜģħ ĖĘĥīĜĭĤēČēğĘ („Und ich werde mein Angesicht nicht mehr vor ihnen verbergen“). 458 Vgl. Dtn 31,17–18: ğĞēğ ėĜėĘ Ġėġ Ĝģħ ĜĭīĭĤėĘ ĠĜĭĔęĥĘ ēĘėėČĠĘĜĔ ĘĔ Ĝħē ėīĚĘ
ėğēėĭĘĥīėĜģĘēĩġĜĔīĪĔĜėğēĢĜēČĜĞğĥēğėēĘėėĠĘĜĔīġēĘĭĘīĩĘĭĘĔīĭĘĥīĘėēĩġĘ ĠĜīĚēĠĜėğēČğēėģħĜĞėĬĥīĬēėĥīėČğĞğĥēĘėėĠĘĜĔĜģħīĜĭĤēīĭĤėĜĞģēĘ („Und an
jenem Tag wird mein Zorn gegen es entbrennen und ich werde sie verlassen und mein Angesicht vor ihnen verbergen und es wird zum Fraß werden und viele Übel und Bedrängnisse werden es treffen und es wird an jenem Tag sagen: ‚Ist es nicht, weil mein Gott nicht in meiner Mitte ist, dass mich diese Übel getroffen haben?‘ Aber ich werde verbergen, mein Angesicht verbergen an jenem Tag wegen all des Üblen, das es getan hat, denn es hat sich anderen Göttern zugewandt“). 459 Vgl. Jes 54,8; Jer 33,5; Ez 39,23.24. 460 Perfekt in Jes 54,8; Jer 33,5; konsekutives Imperfekt in Ez 39,23.24. 461 Vgl. Num 23,10; 24,20; Dtn 8,16; Hi 8,7; 42,12; Ps 37,38; 73,17; Prov 5,4.11; 14,12.13; 16,25; 19,20; 20,21; 23,32; 25,8; 29,21; Jes 41,22; 47,7; Jer 5,31; 17,11; 29,11;
3.3 Die einzelnen Motive
179
dabei ganz allgemein zunächst die Bedeutung eines zeitlichen oder logischen „Danach“.462 Im Pentateuch und in den Propheten begegnet zudem insgesamt 13 Mal die feststehende Wendung ĠĜġĜėĭĜīĚēĔ („am Ende der Tage“),463 die sich jedoch in gut der Hälfte der Fälle ebenfalls auf die noch von den Angeredeten selbst erlebbare Zukunft bezieht.464 Obwohl die Prophetentexte meist die Zukunft des ganzen Volkes angesichts zu beklagender Sünde thematisieren 465 und deshalb dem Moselied zu vergleichen sind, zeigt der Blick in die weisheitlichen Parallelstellen, dass das Lied auch mit der dort mehrmals geübten Betrachtung des (individuellen) Frevlergeschicks Gemeinsamkeit hat.466 Dies gilt in noch stärkerem Maße für die zweite Erwähnung von ĭĜīĚē in Dtn 32,29, weshalb die Parallelen weiter unten ausführlicher vorgestellt werden. Schließlich ist noch die Verwandtschaft von Dtn 32,20.29 mit dem apokalyptischen Ausblick in Dan 12 bemerkenswert, vgl. insbes. Dan 12,8: Und ich habe es gehört, aber verstand nicht und sagte: ‚Mein Herr, was ist das Ende dieser Dinge?‘
ėīġēĘĢĜĔēēğĘĜĭĥġĬĜģēĘ ėğēĭĜīĚēėġĜģĖē
Auch hierauf wird bei der Besprechung von Dtn 32,29 zurückzukommen sein. Vorläufig ist festzuhalten, dass die Formulierungen von Dtn 32,19–20 dazu einladen, die Verfehlungen des Volkes im Licht weisheitlicher Überlegungen zum Schicksal der Frevler zu bedenken. Der Zusammenhang, der sich somit aufdrängt, lautet: Wenn JHWH seine Zuwendung abzieht („sein Gesicht verbirgt“) – wie es Propheten als Strafe androhen und Psalmen als lebensbedrohlich fürchten –, dann wird das Schicksal des Volkes („ihr Ende“) ihrem eigenen frevlerischen Verhalten entsprechend furchtbar sein. Dabei zielt das Lied direkt auf die Einsicht der Hörenden, die in der Bestrafung der uneinsichtigen Kinder JHWHs nach den Maßstäben der Proverbien eine logische Folge törichten Verhaltens erkennen sollen.
31,17; Am 8,10; Klg 1,9. In Jer 12,4 MT: ĘģĭĜīĚēČĭēėēīĜēğ („Er sieht unser Ende nicht“) ist ĘģĭĜīĚē („unser Ende“) wohl nach LXX: øŻôŁĀïüëóĽùïļÏĽîøŵÏħöņ÷ („Gott wird unsere Wege nicht sehen“) in ĘģĜĭĚīē („unsere Pfade“) zu korrigieren, vgl. JENNI 1971b, 115; WANKE 1995, 124; W.H. SCHMIDT 2008, 237. 462 Vgl. SEEBASS 1973, 224. 463 Vgl. Gen 49,1; Num 24,14; Dtn 4,30; 31,29; Jes 2,2; Jer 23,20; 30,24; 48,47; 49,39; Ez 38,16; Dan 10,14; Hos 3,5; Mi 4,1. 464 Anders Jes 2,2/Mi 4,1; Jer 48,47; 49,39, die von der (fernen) Zukunft fremder Völker handeln sowie Dan 10,14; Hos 3,5 mit Bezug auf Israel; vgl. auch JENNI 1971b, 117: „Da der Ausdruck hajjƗmƯm ‚die Tage‘ […] nicht abstrakt die Zeit überhaupt meint […], sondern ‚die gegenwärtig laufende Zeit‘ […], ist bei ҴaۊarƯt nicht die extreme Bed[eutung] ‚Ende‘ anzunehmen, sondern wie in akk[adisch] ina/ana aېrât njmƯ ‚in Zukunft‘ o.ä. […] die nichtextreme Bed[eutung] ‚spätere Zeit, Fortgang, Folgezeit, Zukunft‘.“ 465 Vgl. Jes 41,22; 47,7 (Babel); Jer 5,31; 29,11; 31,17; Am 8,10; mit der Wendung ĠĜġĜėĭĜīĚēĔ („am Ende der Tage“) vgl. Jer 23,20; 30,24; Ez 38,16. 466 Vgl. Ps 37,37–38; 73,17; Prov 19,20.
180
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
3.3.11 Der Zusammenhang von Beleidigung und göttlichem Eifer (V.16.21) Unter Verwendung der beiden Verben ēģĪ („reizen“) und ĤĥĞ („beleidigen“), die in Dtn 32,16 bereits das Fehlverhalten des Volkes beschrieben hatten, führt Dtn 32,21 den Zusammenhang von Frevel und Strafe näher aus: 21
a b c d
Sie haben mich gereizt durch einen Nicht-Gott, beleidigt durch ihre Nichtse. So will ich sie reizen durch ein Nicht-Volk, durch eine törichte Nation will ich sie beleidigen.
ğēČēğĔĜģĘēģĪĠė ĠėĜğĔėĔĜģĘĤĥĞ ĠĥČēğĔĠēĜģĪēĜģēĘ ĠĤĜĥĞēğĔģĜĘĕĔ
Die erste Hälfte des Verses (Dtn 32,21a–b) zeigt große Übereinstimmung mit V.16: 16
a Sie reizten ihn durch Fremdlinge, b durch Abscheulichkeiten beleidigten sie ihn.
ĠĜīęĔĘėēģĪĜ ĘėĤĜĥĞĜĭĔĥĘĭĔ
Freilich hat die Sprecherperspektive gewechselt: War in Dtn 32,16 von JHWH und dem Volk in der dritten Person die Rede, hat Dtn 32,21 nun die Form einer Gottesrede, so dass JHWH von sich in der ersten und vom Volk in der dritten Person spricht. Inhaltlich gleichen sich jedoch die Aussagen. Ohne Bedeutungsänderung stehen die Verben nun im Piޏel (statt wie in V.16 im Hifޏil), anstatt der „Fremdlinge“ (ĠĜīę) und „Abscheulichkeiten“ (ĭĔĥĘĭ) aus V.16 nennt V.21a–b als Gründe für den Zorn JHWHs „einen Nicht-Gott“ (ğēČēğ) und „ihre Nichtse“ (ĠėĜğĔė). Während sich die wenigen Parallelen für den Ausdruck ğēČēğ (V.21a: „Nicht-Gott“) in Jes 31,3; Ez 28,2.9 auf Menschen beziehen und daher eine ganz andere Stoßrichtung haben, ist die Bezeichnung ĠĜğĔė (V.21b: „Nichtse“) in der Bedeutung „Götzen“ mehrfach bezeugt. Die engsten Parallelen zum Moselied finden sich in 1.Kön 16,13.26; Jer 8,19, wo ebenfalls das Verb ĤĥĞ (im Hifޏil, vgl. Dtn 32,16b) verwendet wird. Man betrachte wegen der extremen Ähnlichkeit in der Formulierung gegenüber dem Moselied zunächst 1.Kön 16,13.26 mit der Darstellung der Sünde, zu der Israel unter den Königen Bascha und Ela bzw. Omri verführt wurde: …JHWH, den Gott Israels, zu beleidigen durch ihre Nichtse.
ğēīĬĜĜėğēėĘėĜČĭēĤĜĥĞėğ ĠėĜğĔėĔ
Demgegenüber scheint die Ausdrucksweise in Jer 8,19 deutlich eigenständiger: Warum haben sie mich beleidigt mit ihren Götterbildern, mit ihren Nichtsen der Fremde?
ĜğĔėĔĠėĜğĤħĔĜģĘĤĥĞėĥĘĖġ ī Ğģ
3.3 Die einzelnen Motive
181
Doch das Gesamttableau der Parallelstellen für ĠĜğĔė („Nichtse“) im Sinne von Götzen zeigt, dass Dtn 32,21b sich mit seinem Wortgebrauch in eine ganze Gruppe von inhaltlich ähnlichen Texten einreiht467 und mit der Kombination der Lexeme ĤĥĞ(„beleidigen“) und ĠĜğĔė („Nichtse“) wie schon Dtn 32,16 in großer Nähe zu typisch deuteronomistischer Redeweise formuliert ist.468 In Dtn 32,21c–d jedoch wird plötzlich JHWH zum Subjekt der beiden Verben ēģĪ („reizen“) und ĤĥĞ („beleidigen“), die in V.16 und V.21a–b das Tun des Volkes beschrieben hatten. Und damit erweitert sich der Bezugsrahmen des gesamten Verses. Zunächst ist leicht erkennbar, dass mit dem Subjektwechsel der Fokus des Liedes vom Volk auf JHWH und sein Handeln übergeht. Die scheinbar schematische Wiederholung der Verben in Dtn 32,21c–d zeigt aber nicht nur mit größtmöglicher Klarheit, wie eng JHWHs und der Menschen Tun zusammenhängen. Der innerbiblische Vergleich für die Verbindung der hier gebrauchten Lexeme mit JHWH eröffnet zugleich eine traditionsgeschichtlich bedeutsame Perspektive:469 Hervorzuheben sind zunächst die Belege für das Adjektiv ēĆū ąĪ („eifernd“). Es wird in der Wendung ēĆū ąĪğ ăē („eifernder Gott“), ausschließlich JHWH zugeordnet470 und steht dabei immer im Zusammenhang mit dem Fremdgötterverbot, 471 das ja auch in Dtn 32,16.21 problematisiert wird.472
467
Vgl. noch Ps 31,7; Jer 10,8; 14,22; Jona 2,9 sowie in vergleichbarer Bedeutung mit dem Singular ğĔė („Nichtiges“): 2.Kön 17,15; Jer 2,5; 10,3.15; 16,19; 51,18. 468 Für das Verb ĤĥĞ vgl. oben 3.3.9.2 und für ĠĜğĔė vgl. SEYBOLD 1977, 339: „Zu einer speziellen Verwendung kommt hæڬæl im Umkreis der dtr Fremdgötterpolemik und tritt damit an die Seite einer Gruppe von Bezeichnungen für ‚Götze‘ im AT, ‚die das Sein jener Wesen in Abrede stellen‘ [zit. EISSFELDT 1962, 271].“ 469 Weniger relevant scheint der häufig anzutreffende Verweis auf Ps 74,18. Der hier im Parallelismus mit ĔĜĘē („Feind“) gebrauchte Ausdruck ğĔģ Ġĥ („törichtes Volk“) ist genau genommen keine Parallele für Dtn 32,21: ğĔģ ĜĘĕ („törichte Nation“), sondern nur für Dtn 32,6: ĠĞĚ ēğĘ ğĔģ Ġĥ (über Israel: „törichtes und unweises Volk“). Die Verbindung wird dennoch hergestellt, um die Identität der Feinde im Moselied zu deuten, vgl. auch Kap. 2 Anm. 128. 470 In Ex 34,10 ergänzt durch die Aussage: ĘġĬēģĪėĘėĜĜĞ („Denn der Name JHWHs ist ‚Eifernder‘“). 471 Vgl. Ex 20,5; 34,14; Dtn 4,24; 5,9; 6,15 sowie BERG 1979; REUTER 1993, 58: „Etwa die Hälfte aller Belege [der Wurzel ēģĪ] handelt von der Eifersucht Gottes. Sie sind von erheblichem Gewicht, da sie das zentrale Charakteristikum a[lt]t[estament]lichen Gottesglaubens, den Alleinverehrungsanspruch JHWHs und damit das Hauptgebot betreffen.“ 472 Vgl. TIGAY 1996, 306: „By worshipping other gods Israel provoked the indignant rage that God warned about in the Decalogue.“
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Wie im Moselied in V.16.21 folgen überdies in Dtn 4,24–25 die beiden Wurzeln ēģĪ und ĤĥĞ dicht aufeinander:473 …denn JHWH, dein Gott, ein fressendes Feuer ist er, ğēēĘėėğĞēĬēĝĜėğēėĘėĜĜĞ ein eifernder Gott. ēģĪ ĠĭģĬĘģĘĠĜģĔĜģĔĘĠĜģĔĖĜğĘĭČĜĞ Wenn du Kinder und Kindeskinder zeugst und ihr alt werdet im Land, dann werdet ihr euch vergehen und ein ĭģĘġĭğĤħĠĭĜĬĥĘĠĭĚĬėĘĨīēĔ Götterbild machen jeglicher Gestalt und das Böse tun in ĝĜėğēČėĘėĜĜģĜĥĔĥīėĠĭĜĬĥĘğĞ ĘĤĜĥĞėğ den Augen JHWHs, deines Gottes, ihn zu beleidigen…
Das Kapitel Dtn 4 bietet (wie z.T. schon diskutiert) noch weitere Gemeinsamkeiten mit dem Moselied, so die Verwendung des Verbs ĪğĚ für die „Zuteilung“ von Völkern und Göttern durch JHWH in Dtn 4,19 (vgl. Dtn 32,9) und die Bezeichnung Israels als „(Volk des) Erbteil(s)“ JHWHs in Dtn 4,20: Ġĥ ėğĚģ (vgl. Dtn 32,9), aber auch die Erwähnung des „fressenden Feuers“ in Dtn 4,24: ėğĞē Řē (vgl. Dtn 32,22)474 und die Anrufung von „Himmel“ und „Erde“ in Dtn 4,26 (vgl. Dtn 32,1)475. Eine literarische Verbindung zwischen den beiden Texten ist daher wahrscheinlich. Speziell mit Blick auf Dtn 32,16.21 hat es den Anschein, als wollte das Moselied die in Dtn 4,24–25 unverbunden nacheinander angeführten Vorstellungen vom Charakter JHWHs als „eifernder Gott“ (vgl. Dtn 4,25: ēĆū ąĪ ğ ăē) und der notorischen „Beleidigung“ JHWHs durch das Volk (vgl. Dtn 4,25: ĤĥĞ Hif) in ein logisches Verhältnis überführen. Indem die beiden Verben ēģĪ und ĤĥĞ parallelisiert und dann nacheinander sowohl vom Volk (vgl. Dtn 32,16.21a–b) als auch von JHWH (vgl. Dtn 32,21c–d) als Subjekt ausgesagt werden, entsteht der Eindruck eines zwingenden Zusammenhangs dieser ansonsten in der Hebräischen Bibel nur getrennt verhandelten Themen. 3.3.12 JHWHs brennender Eifer (V.21–22) Für die erste Hälfte von Dtn 32,22 gibt es zwei enge Parallelen bei Jeremia, die das Feuer des göttlichen Zorns mit den gleichen Verben ĚĖĪ („entbrennen“, „entzünden“) und ĖĪĜ („lodern“)476 beschreiben wie das Moselied. Dtn 32,22a–b:477 Ja, ein Feuer, das entbrannt ist in meiner Nase, lodert bis an die tiefste Unterwelt.
ĜħēĔėĚĖĪĬēČĜĞ ĭ ĜĭĚĭğĘēĬČĖĥĖĪĜĭ
473
Vgl. OTTO 2017, 2180. 474 Vgl. hierzu unten 3.3.12. 475 Zu den Unterschieden in diesem speziellen Fall vgl. oben 3.3.1.1. 476 Das Verb steht bedeutungsgleich in Dtn 32,22 im Qal, in Jer 15,14; 17,4 im Hofޏal. 477 Zu Form und Übersetzung des Relativsatzes vgl. LXX und Kap. 1 Anm. 27.
3.3 Die einzelnen Motive
183
Jer 15,14: Denn ein Feuer ist in meiner Nase entbrannt, gegen euch wird es lodern.
ĖĪĘĭĠĞĜğĥĜħēĔėĚĖĪĬēČĜĞ
Jer 17,4: Denn ihr habt ein Feuer entzündet in meiner Nase, bis in Ewigkeit wird es lodern.
ĖĪĘĭĠğĘĥČĖĥĜħēĔĠĭĚĖĪĬēČĜĞ
Alle drei Stellen sind aber in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Dies zeigt die sonstige Verwendung der betreffenden Verben mit dem Subjekt Řē („Feuer“): Dass ein „Feuer entbrennt“ (ĚĖĪ Řē), wird in der Hebräischen Bibel außer im Moselied und an den beiden genannten Stellen im Buch Jeremia noch zweimal bei Jesaja ausgesagt. Auch hier ist es ein Ausweis göttlichen Tuns.478 Das Gleiche gilt für den Ausdruck, dass ein „Feuer lodert“ (ĖĪĜ Řē), sofern das Qal verwendet wird. Noch zweimal werden so bei Jesaja göttliche Strafen formuliert.479 Besonders zahlreich sind die Parallelen für das dritte Verb in Dtn 32,22, ğĞē („essen“, „fressen“), in Verbindung mit dem Subjekt Řē („Feuer“), vgl. Dtn 32,22c: [Das Feuer] frisst das Land und seinen Ertrag…
ėğĔĜĘĨīēğĞēĭ
„Fressendes Feuer“ steht in der Hebräischen Bibel grundsätzlich in einem Zusammenhang mit JHWH.480 Einige wenige Stellen bezeichnen mit der Lexemverbindung Řē („Feuer“) und ğĞē („essen“) einen vordergründig profanen bzw. natürlichen Vorgang,481 immer ist jedoch JHWH als eigentlicher Urheber des Geschehens erkennbar.482 Hintergründig im Blick ist JHWH auch an den Stellen, wo ein von Menschen dargebrachtes Opfer durch ein „fressendes Feuer“ verzehrt wird. 483 Vor allem aber wird JHWH durch „fressendes Feuer“ begleitet, wenn er Menschen gegenüber seine Macht erweist. Vorausgesetzt wird dabei vielfach ein Fehlverhalten der jeweiligen Menschen, das
478
Vgl. Jes 50,11 (Strafe für die Verfehlungen des Volkes); 64,1 (Zeichen einer Theophanie). 479 Vgl. Jes 10,16; 65,5. In Lev 6,2.5.6 wird wie in Jer 15,14; 17,4 der Hofޏal benutzt, das Verb bezieht sich hier aber auf das ständige Brandopfer der Leviten. 480 Vgl. IRSIGLER 2002, 185 mit Hinweisen auf außerbiblische Zeugnisse für diese altorientalische Vorstellung in Bezug auf andere Gottheiten. 481 Vgl. Num 21,28; Ri 9,15.20; Jes 5,24; Ez 15,4.5; 19,12; Joel 1,19.20. 482 Vgl. nur die Fortsetzungen von Ez 15,4.5 in V.7 oder von Ez 19,12 in V.14. 483 Vgl. Lev 6,3; 9,24; Ri 6,21; 1.Kön 18,38; 2.Chr 7,1.
184
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JHWHs „Zorn“ (Ħē) hervorruft bzw. ein entsprechendes Feuer in seiner „Nase“ (Ħē) anfacht, vgl. Dtn 32,22a.c: Ja, ein Feuer, das entbrannt ist in meiner Nase, […] frisst…
ğĞēĭ>@ĜħēĔėĚĖĪĬēČĜĞ
Hiervon ist außerdem die Rede in Num 11,1; Ps 21,10; Klg 2,3; 4,11; 484 Jes 30,27.30; Zef 3,8. Lediglich in 2.Sam 22,9/Ps 18,9 steht die Lexemkombination von „fressendem Feuer“ und „Nase“ bzw. „Zorn“ (Ħē) nicht in einem Strafkontext, sondern dient ausschließlich zur Illustration einer Theophanie, die wiederum auch in fast allen zuvor zitierten Textstellen anklingt.485 Dagegen tritt der vielfach implizierte Aspekt der Gotteserscheinung als „fressendes Feuer“ in den Erzählungen von der Sinai-Theophanie ganz deutlich in den Vordergrund,486 vgl. Ex 24,17; Dtn 4,24; 5,25; 9,3. Dreimal wird JHWH im Deuteronomium geradezu mit dem Feuer gleichgesetzt. Dtn 4,24: JHWH, dein Gott, ein fressendes Feuer ist er.
ēĘėėğĞēĬēĝĜėğēėĘėĜ
Dtn 5,25: ĭēęėėğĖĕėĬēėĘģğĞēĭ
Dieses große Feuer wird uns fressen.
Dtn 9,3: JHWH, dein Gott, geht selbst vor dir her als ein fressen- ĬēĝĜģħğīĔĥėČēĘėĝĜėğēėĘėĜ des Feuer. ėğĞē
Hier werden die „Fundamente“ Zions vom Feuer „gefressen“ (ėĜĭĖĘĤĜ ğĞēĭĘ), im Moselied dagegen die „Fundamente der Berge versengt“, vgl. Dtn 32,22d: ĜĖĤĘġ ěėğĭĘ ĠĜīė. 485 Vgl. Ps 21,10; Jes 30,27.30; Zef 3,8 sowie eine Reihe von Strafkontexten, in denen das Verb ğĞē („essen“, „fressen“) fehlt und nur die Substantive Řē („Feuer“) und Ħē („Nase“ bzw. „Zorn“) zusammen auftauchen: Ps 78,21; Jes 65,5; 66,15 (mit Theophaniecharakter); Jer 15,14; 17,4; Ez 22,20; Nah 1,6 (mit Theophaniecharakter). Daneben finden sich zahlreiche Texte, in denen die Rede vom „fressenden Feuer“ (Řē + ğĞē) ohne Verweis auf JHWHs „Zorn“ oder „Nase“ (Ħē) eine Strafe ausdrückt, vgl. Lev 10,2; Num 11,1; 16,35; 26,10; Hi 15,34; 20,26; 22,20; 31,12; Ps 78,63; Jes 9,17; 10,17; 26,11; 29,6; 33,11.14; Jer 5,14; 17,27; 21,14; 48,45 (vgl. Num 21,28); 49,27; 50,32; Klg 2,3; 4,11; Ez 15,7; 19,14; 21,3; 23,25; 28,18; Hos 8,14; Am 1,4.7.10.12; 2,2.5 (~ĔĬēĜĭĚğĬĘ); 1,14; 5,6; 7,4; Obd 18; Nah 3,13.15; Zef 1,18 (NB: ĘĭēģĪĬēĔ); Sach 9,4; 11,1; 12,6, oder als Machterweis fungiert, vgl. 2.Kön 1,10.12.14; Hi 1,16; Ps 50,3. 486 Bemerkenswerterweise betont Ex 3,2 ausdrücklich, dass „der brennende Dornbusch“ (Ř ăē Ćş īĥă şć ėĄģŬþ ąė), in dem der Bote JHWHs vor Mose erscheint, vom Feuer „nicht gefressen wurde“ (ğ ĆŨ ĉēĘģģĜē). 484
3.3 Die einzelnen Motive
185
Der Exodustext hingegen ist vorsichtiger formuliert und verwendet vergleichende Sprache. Ex 24,17: ĭğĞēĬēĞėĘėĜĖĘĔĞėēīġĘ
Und die Erscheinung der Herrlichkeit JHWHs war wie ein fressendes Feuer.
Die feststehende Wendung ĭğĞēŘē bzw. ėğĞē Řē für das göttliche „fressende Feuer“ ist mithin fast immer drohend gebraucht.487 Nur Ex 24,17 verbleibt im Rahmen einer majestätischen Beschreibung; an allen anderen genannten Stellen werden entweder das Volk Israel488 oder aber fremde Völker489 durch das Feuer von Vernichtung bedroht.490 Im Vergleich mit dem Moselied ist an dieser Stelle erneut Dtn 4,24 besonders interessant, da hier eine Verknüpfung der Wurzel ēģĪ („reizen“, „eifern“) mit der Vorstellung des „fressenden Feuers“ stattfindet: Denn JHWH, dein Gott, ein fressendes Feuer ist er, ein eifernder Gott.
ğēēĘėėğĞēĬēĝĜėğēėĘėĜĜĞ ēģąĪ
Im Moselied werden beide Aspekte breiter ausgeführt, vgl. Dtn 32,21c.d–22: 21 22
c d a b c d
So will ich sie reizen durch ein Nicht-Volk, durch eine törichte Nation will ich sie beleidigen. Ja, ein Feuer, das entbrannt ist in meiner Nase, lodert bis an die tiefste Unterwelt, frisst das Land und seinen Ertrag, versengt die Fundamente der Berge.
ĠĥČēğĔĠēĜģĪēĜģēĘ ĠĤĜĥĞēğĔģĜĘĕĔ ĜħēĔėĚĖĪĬēČĜĞ ĭ ĜĭĚĭğĘēĬČĖĥĖĪĜĭ ėğĔĜĘĨīēğĞēĭ ĠĜīėĜĖĤĘġěėğĭ
Als „lexikalisierte Metapher“ 491 findet sich in Ez 36,5; Zef 1,18; 3,8 die Constructus-Verbindung ėēģĪŘē: „Feuer des (göttlichen) Eifers“. Diese und die wenigen anderen Stellen, an denen weitere Kombinationen der beiden
487
Vgl. Ex 24,17; Jes 30,27 bzw. Dtn 4,24; 9,3; Jes 29,6; 30,30; 33,14; Joel 2,5. 488 Vgl. Dtn 4,24; Joel 2,5 (gegen Jerusalem); Jes 29,6 (gegen Jerusalem und die Bedränger Jerusalems?); 33,14 (gegen Feinde JHWHs in Jerusalem und unter den Völkern?). 489 Vgl. Dtn 9,3 (gegen fremde Völker im Land Kanaan); Jes 30,27.30 (gegen Assur). 490 Vgl. auch die Beobachtungen zur Verwendung von ēĆū ąĪğē bei BRAULIK 1988, 265: „Das Deuteronomium hat im Anschluß an Ex 34,14 […] die Prädikation Jahwes als ҴƝl qannƗҴ weiter entwickelt. […] Kennzeichnend ist […], daß von allen ҴƝl -Titeln nur ҴƝl qannƗҴ mit dem Ausschließlichkeitsanspruch Jahwes gegenüber Israel verknüpft wird“; REUTER 1993, 58: „Anders als in den Fremdgötterverboten des Dekalogs fehlt Ex 34,14 die Verknüpfung mit Strafen oder Konsequenzen bei Nichtbeachtung des Gebotes. Diese erhalten aber mit Fortschreiten der Geschichte Israels große Bedeutung“. 491 IRSIGLER 2002, 185 (zu Zef 1,18).
186
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Lexeme ėēģĪ („Eifer“) und Řē („Feuer“) auftauchen,492 scheinen die Verknüpfung von Dtn 4,24 bereits vorauszusetzen:493 Überall wirkt der Zusammenhang schon selbstverständlich und wird nicht näher begründet. Jörg Jeremias betont die Unterschiede zwischen den Berichten von der Sinai-Theophanie und anderen Theophanie-Texten.494 Ein wichtiges Kriterium ist für ihn, dass die Theophanie am Sinai in Ex 19; 20; 24; 34; Dtn 4; 5; 9 ein Erschrecken des Volkes bewirke, während JHWHs Erscheinen in den übrigen „Texten der Gattung der Theophanieschilderungen“495 (in Psalmen und Propheten) auf die Vernichtung der Feinde JHWHs ziele. Entsprechend seien Naturphänome wie Blitze und Donner nur in den nicht-pentateuchischen Theophanie-Texten (der von Jeremias identifizierten eigentlichen Gattung) als Waffen JHWHs vorgestellt, während sie in den Berichten der Bücher Exodus und Deuteronomium – viel weniger aggressiv – lediglich die Gegenwart JHWHs anzeigten. Ähnlich erkennt auch Willem Beuken ein von der Sinai-Theophanie unabhängiges (und mit Ausnahme von Ex 15 nur bei Propheten und in Psalmen begegnendes) „Theophanieparadigma“, zu dem „die Vernichtung von Gottes Feinden“ als „klassisches Element“ gehöre.496 Wie die obige Untersuchung gezeigt hat, lassen sich auch mit Blick auf das „fressende Feuer“ einzelne Texte danach unterscheiden, ob sich das „Feuer“ gegen Israel oder gegen fremde Völker richtet. Die Textbereiche sind aber nicht so klar voneinander geschieden, wie die Klassifizierungen bei Jeremias und Beuken suggerieren: Auch prophetische Theophanien können (wie das Moselied) Israel bedrohen und umgekehrt richtet sich das göttliche „Feuer“ in Dtn 9,2–3 gegen die ĠĜĪģĥ ĜģĔ (vgl. Dtn 9,2: „Anakiter“).497 Ein letzter Blick zurück auf Dtn 32,22 und die Parallelstellen für das vierte dort vorkommende Verb ěėğ („versengen“) bestätigt die Befunde zu den vorhergehenden Kola: „versengendes Feuer“ (Řē + ěėğ) kommt in der Hebräischen Bibel noch sechs weitere Male vor und ist immer ein Anzeichen für göttliche Gegenwart (in Strafen oder Theophanie oder einer Mischung von beidem).498 Es kann sich aber die hierin anschaulich werdende Macht JHWH sowohl gegen Israel als auch gegen andere Völker wenden. Die Besonderheit des Moseliedes liegt folglich nicht darin, dass sich das „fressende Feuer“ in Dtn 32,22 gegen das Volk Israel richtet. Bemerkenswert ist vielmehr, dass die Strafandrohungen in Dtn 32,21–22 sprachlich so eng mit der
492
Vgl. Ps 79,5; Jes 26,11; Ez 23,25; 38,19. 493 Vgl. REUTER 1993, 62–62. 494 Vgl. JEREMIAS 1977, 107–109. 495 JEREMIAS 1977, 108. 496 BEUKEN 2010, 190 mit der folgenden Aufzählung von Theophanie-Texten: Ex 15; Jes 59; 66; Jer 25; Nah 1; Hab 3; Ps 18; 46; 48; 68; 76; 97. Vgl. auch EBD., 192. 497 Vgl. oben Anm. 488 und 489. 498 Vgl. Ps 83,15; 97,3; 104,4; 106,18; Joel 1,19; 2,3.
3.3 Die einzelnen Motive
187
Dekalogauslegung in Dtn 4 verwandt sind. Die Ähnlichkeit beschränkt sich in diesem Fall nicht auf die Form oder die Funktion der Theophanie. In dieser Hinsicht stehen auch einige prophetische Drohungen dem Lied sehr nahe, da sie auf Freveltaten des Volkes reagieren. Überdies aber spiegelt sich im Moselied die Charakterisierung JHWHs selbst als „Eifernder“ (ēĆū ąĪ), die ebenfalls in den Kontext der Sinai-Überlieferung gehört. Diese Verknüpfung nun zeichnet Dtn 4 und Dtn 32 vor allen anderen Parallelstellen aus.499 So setzt das Lied die Beschreibung JHWHs in Dtn 4,24 (ēģĪ ğē ēĘė ėğĞē Ĭē: „ein fressendes Feuer ist er, ein eifernder Gott“) in eine konkrete Botschaft um: JHWH reagiert seinem Charakter gemäß auf den Frevel seines Volkes, indem sich sein „brennender Eifer“ gegen die Frevler richtet.500 Vor diesem Hintergrund sind abschließend noch einmal die beiden oben zitierten Jeremia-Parallelen zu Dtn 32,22a–b zu betrachten. Sowohl Jer 15,14 als auch Jer 17,4 sind verschiedentlich als Einschübe in das Jeremia-Buch klassifiziert worden.501 In beiden Fällen stimmt die (zu Dtn 32,22 parallele) Gottesrede nicht mit der Redeperspektive des Kontextes überein, im Falle von Jer 15,14 scheint der Zusammenhang noch stärker gestört als in Jer 17,4. Deshalb wird innerhalb des Jeremia-Buches zumeist eine Übernahme von Jer 17,4 in Jer 15,14 vermutet.502 Doch das Fehlen des Abschnitts Jer 17,1–4 in LXX deutet auch hier auf eine späte Eintragung in das Kapitel. Da in beiden Kapiteln ausdrücklich strafende Worte JHWHs aneinandergefügt wurden,503 ist eine Rezeption des Moseliedes (neben anderen Texten) nicht unwahrscheinlich. 504 Umgekehrt wäre jedoch schwer erklärlich, weshalb aus einem der JeremiaKapitel unter den zahlreichen negativen Bildern gerade die Formulierung vom „Feuer“, das in JHWHs „Nase entbrannt“ ist, hätte entlehnt (und dann anders erweitert) werden sollen. 3.3.13 JHWHs Machterweise durch Strafen (V.23–26) Die Drohung von Dtn 32,22 bildet den Auftakt einer Aufzählung von Schrecklichkeiten, die ansonsten ebenfalls v.a. in Theophanie-Schilderungen und
Hinzu kommt in beiden Kapiteln in größter Nähe zu Řē („Feuer“) und ēĆū ąĪ („Eifernder“) bzw. ēģĪ Hif („reizen“) die Verwendung des Verbs ĤĥĞ Hif/Pi („beleidigen“) zur Bezeichnung der Freveltaten Israels. 500 Vgl. DILLMANN 1886, 404: „Die furchtbare Gewalt, mit welcher die ė Ćē þģ ĂĪ Gottes ([Dtn] 4,24) wirkt (wenn sie nämlich nicht durch Busse u. Umkehr beschwichtigt wird), wird dadurch [d.h. durch die Schilderungen in Dtn 32,22] anschaulich gemacht.“ 501 Vgl. z.B. für Jer 15,14: DUHM 1901, 135; RUDOLPH 1968, 106; WEISER 1969, 132; MCKANE 1986, 343.384; WANKE 1995, 153–154; W.H. SCHMIDT 2008, 278; für Jer 17,4: WEISER 1969, 144; G. FISCHER 2005a, 549. 502 Vgl. DUHM 1901, 135; RUDOLPH 1968, 106; WEISER 1969, 130; MCKANE 1986, 384. 503 Vgl. Jer 15,1.2.6.9.11.19.20; 17,5.19.20.21.24. 504 Vgl. DILLMANN 1886, 404; G. FISCHER 2005a, 506 sowie oben 3.3.10.1 (zu Dtn 32,19 und Jer 14,21). Anders OTTO 2017, 2183. 499
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Strafandrohungen vorkommen und in dem Abschnitt „Von JHWH geschickte Übel (V.23–25)“ näher zu untersuchen sind. Aber auch aus der Suche nach Parallelen für die zunächst singulär scheinende Ankündigung JHWHs in V.26 ergibt sich ein aufschlussreicher Einblick in die Traditionsgeschichte, der anschließend unter der Überschrift „Das zur Strafe getilgte Andenken (V.26)“ entfaltet wird. 23 24
25
26
a Ich will gegen sie Übel 505, b meine Pfeile an ihnen verbrauchen. a Sind sie entkräftet durch Hunger und angegriffen durch Seuche b und bitteres Verderben, c dann will ich den Zahn wilder Tiere auf sie loslassen d mit dem Gift der im Staub Kriechenden. a Draußen soll das Schwert die Kinder wegnehmen b und aus den Zimmern der Schrecken, c den jungen Mann wie die junge Frau, d den Säugling mit dem grauhaarigen Alten. a Ich hätte gesagt: ‚Ich werde sie auslöschen, b ich will ihr Andenken vom Menschen wegnehmen!‘
ĭ ĘĥīĘġĜğĥėħĤē ĠĔČėğĞēĜĩĚ ĦĬīĜġĚğĘĔĥīĜęġ ĜīĜīġĔěĪĘ ĠĔČĚğĬēĭĘġėĔČĢĬĘ ī ħĥĜğĚęĭġĚČĠĥ ĔīĚČğĞĬĭĨĘĚġ ėġĜēĠĜīĖĚġĘ ėğĘĭĔČĠĕīĘĚĔČĠĕ ėĔĜĬĬĜēČĠĥĪģĘĜ ĠėĜēħēĜĭīġē ĠīĞęĬĘģēġėĭĜĔĬē
3.3.13.1 Von JHWH geschickte Übel (V.23–25) Die Strafen, die dem Volk in diesem Abschnitt angekündigt werden, können ihrer traditionsgeschichtlichen Verankerung nach in drei Gruppen aufgeteilt werden: „Pfeile, Hunger, Schwert und Kinderlosigkeit“, „Seuche und Verderben“ sowie „Spezifische Übel im Moselied“. 3.3.13.1.1 Pfeile, Hunger, Schwert und Kinderlosigkeit Der Parallelismus von ĭĘĥī („Übel“) und ĠĜĩĚ („Pfeile“) in Dtn 32,23 ist singulär,506 doch mit Bezug auf JHWH werden „Pfeile“ in der Hebräischen Bibel mehrfach als Begleiterscheinung einer Theophanie erwähnt.507 Gelegentlich illustrieren sie auch von Gott geschickte Leiden oder Strafen, d.h. entweder die Leiden des Individuums508 oder die Strafen des Volkes.509 Auch in Dtn 32,23
505
Für die Verbform vgl. Kap. 1 Anm. 28. 506 Vgl. aber mit Blick auf das Folgende die Verbindung des Adjektivs ĠĜĥī („üble“) mit dem Substantiv ĜĩĚ („meine Pfeile“) in Ez 5,16. 507 Vgl. 2.Sam 22,15/Ps 18,15; Ps 77,18; 144,6; Hab 3,11; Sach 9,14. 508 Vgl. Hi 6,4; 34,6; Ps 38,3; Klg 3,12 (vielleicht mit kollektiver Bedeutung im Sinne der zweiten Gruppe von Belegen). 509 Vgl. Jes 5,28; Ez 5,16. In Ez 5,16–17 finden sich daneben noch mehrere Übereinstimmungen mit Dtn 32,23–25, die einen literarischen Zusammenhang nahelegen, vgl. dazu das Folgende.
3.3 Die einzelnen Motive
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sind JHWHs „Pfeile“ gegen sein Volk gerichtet, in Dtn 32,42 dann enger gefasst nur gegen seine Feinde, vgl. Dtn 32,41c–42a (ebenfalls in Gottesrede): 41 42
c Ich will Rache erwidern meinen Bedrängern d und denen, die mich hassen, vergelten. a Ich will meine Pfeile trunken machen von Blut…
ĜīĩğĠĪģĔĜĬē ĠğĬēĜēģĬġğĘ ĠĖġĜĩĚīĜĞĬē
Zwei der folgenden Bedrohungen, nämlich Ĕĥī (Dtn 32,24a: „Hunger“) und ĔīĚ (Dtn 32,25a: „Schwert“), tauchen auch sonst typischerweise gemeinsam auf, v.a. bei Jeremia510 und Ezechiel, dabei in beiden Büchern meist als Trias zusammen mit ī ĄĔĖĄ („Pest“) und immer in Strafankündigungen gegen das Volk Israel.511 Größere Ähnlichkeit mit Dtn 32,24–25 hat Ez 14,21, wo sogar wie in Dtn 32,24c das Verb ĚğŘ Pi („senden“, „loslassen“) begegnet. Dtn 32,24c: …dann will ich den Zahn wilder Tiere auf sie loslassen.
ĠĔČĚğĬēĭĘġėĔČĢĬĘ
Ez 14,21: Wenn ich nun meine vier üblen Strafen gegen Jerusalem ĔīĚĠĜĥīėĜěħĬĭĥĔīēČĜĞĦē loslasse, Schwert und Hunger und böses Getier und ČğēĜĭĚğĬīĔĖĘėĥīėĜĚĘĔĥīĘ Pest… ĠğĬĘīĜ
Kinderlosigkeit kommt zusammen mit „Hunger“ und „Schwert“ nicht nur in Dtn 25,24–25 vor, sondern auch in Jer 18,21, wenngleich die Wurzel ğĞŘ bei Jeremia adjektivisch gebraucht wird (ğĘĞŘ: „kinderlos“), im Moselied dagegen als Verb im Piޏel („kinderlos machen“).512 Dtn 32,25a: Draußen soll das Schwert die Kinder wegnehmen.
ĔīĚČğĞĬĭĨĘĚġ
510
G. FISCHER 2005a, 244 (zu Jer 5,12) nennt sie: „die für das Buch [Jeremia] typischen Plagen“. 511 Vgl. I±U Ĕĥī und ĔīĚ: Jer 5,12; 11,22; 14,13.15.16.18; 15,2; 16,4; 18,21; 42,16; 44,12.18.27; für die vollständige Trias: Jer 14,12; 21,7.9; 24,10; 27,8.13; 29,17.18; 32,24.36; 34,17; 38,2; 42,17.22; 44,13; Ez 5,12.17; 6,11.12; 7,15; 12,16; 14,21 sowie 1.Chr 21,12 (gegenüber 2.Sam 24,13 um das „Schwert“ ergänzt); 2.Chr 20,9; daneben vgl. I±U Ĕĥī und ĔīĚ: Hi 5,20; Jes 51,19; Klg 4,9 sowie zur Motivgeschichte der Trias ausführlich H. WEIPPERT 1973, 149–180. 512 Vgl. für die Redeweise „das Schwert macht kinderlos“ nur noch 1.Sam 15,33 (Samuel zum König von Amalek): ĝġēĠĜĬģġğĞĬĭČĢĞĝĔīĚĠĜĬģėğĞĬīĬēĞ („Wie dein Schwert Frauen kinderlos gemacht hat, so soll deine Mutter kinderlos sein unter den Frauen“).
190
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Jer 18,21: Deshalb gib ihre Söhne dem Hunger und stürze sie in ČğĥĠīĕėĘĔĥīğĠėĜģĔČĭēĢĭĢĞğ die Hände des Schwerts und ihre Frauen sollen kinderĭ ĘğĞĬĠėĜĬģėģĜėĭĘĔīĚČĜĖĜ los sein…
Als Strafe für das Volk wird dasselbe Verb noch mehrfach verwendet.513 Größere Überschneidungen mit dem Moselied liegen in den Klageliedern, bei Jeremia und Ezechiel vor. Eine Szenerie wie in Dtn 32,25a–b wird in Klg 1,20 beschrieben. Dtn 32,25a–b: Draußen soll das Schwert die Kinder wegnehmen und aus den Zimmern der Schrecken.
ĔīĚČğĞĬĭĨĘĚġ ėġĜēĠĜīĖĚġĘ
Klg 1,20: Draußen hat das Schwert die Kinder weggenommen, im Haus ist es wie der Tod.
ĔīĚČėğĞĬĨĘĚġ ĭ ĘġĞĭĜĔĔ
Die vorwurfsvolle Klage JHWHs in Jer 15,7: ĜġĥČĭēĜĭĖĔēĜĭğĞĬ („Kinderlos gemacht, zugrunde gerichtet habe ich mein Volk“) ist in Jer 15,2.3.9 wiederum gerahmt von „Hunger“ und „Schwert“, die auch in Dtn 32,24–25 genannt werden. Ähnlich verhält es sich mit den beiden Drohungen Ez 5,17 (vgl. Ez 5,12.16) und 14,15 (vgl. Ez 14,13.17.21). Überall stehen „Kinderlosigkeit“, „Schwert“ und „Hunger“ in Kombination. Zudem begegnet in Jer 15,3 ĭġėĔ Ĩīēė („wildes Getier des Landes“)514 als Parallele für die „wilden Tiere“ aus Dtn 32,24c (ĭĘġėĔ) und in Ez 5,16 erscheinen Ĕĥīė ĜĩĚ („Pfeile des Hungers“), die an die „Pfeile“ in Dtn 32,23b gemahnen. Der insgesamt redundante Stil von Ez 5 und 14 sowie die sich abwechselnden lexikalischen Übereinstimmungen mit Lev 26; Dtn 32 und der Trias von Schwert, Hunger und Pest aus dem Buch Jeremia deuten darauf hin, dass Ezechiel hier der letzte rezipierende Text ist. Er dürfte somit schon auf das Moselied und seine (in Parallelismen gestalteten) Ausschmückungen jeremianischer Straftexte zurückgreifen. 515 Ebenso zitieren vermutlich die Klagelieder das Moselied.516
513
Vgl. zunächst die Drohungen Lev 26,22; Hos 9,12 (in V.14 im Hifޏil) sowie die Negierung desselben in dem positiven Zukunftsentwurf Ez 36,12.13.14. 514 Lexikalisch anders dagegen Ez 5,17; 14,15.21: ėĥīėĜĚ („böse Tiere“), die in Ez 5,17; 14,15 als Subjekt des Verbs ğĞŘ Pi vorkommen. 515 Vgl. ZIMMERLI 1979, 100–101.135–137.302–303.316–318; POHLMANN 1996, 100– 101.196–206; GREENBERG 2001, 152–153.299–300. 516 Vgl. KAISER 1981b, 313.323; BERGES 2002, 122.
3.3 Die einzelnen Motive
191
3.3.13.1.2 Seuche und Verderben Für die Drohung mit Ħ ĄŘīĄ („Seuche“), vgl. Dtn 32,24: Ħ Ĭī ĜġĚğ („angegriffen durch Seuche“ bzw. „durch Seuche Angegriffene“),517 bildet die TheophaniePassage Hab 3 die wichtigste Parallele, vgl. Hab 3,5: Vor ihm her geht die Pest und die Seuche zieht aus zu seinen Füßen.518
ī ĔĖĝğĜĘĜģħğ ĘĜğĕīğĦĬīēĩĜĘ
Auch zwei Psalmen erwähnen Ħ ĄŘīĄ im Umfeld JHWHs, beide Male steht das Lexem jedoch im Plural: Im Kontext einer Theophanie erscheinen ĭŘĪČĜħŘī in Ps 76,4 als zu bezwingende Gegner JHWHs und sind vielleicht mit „Pfeile“ oder „Blitze des Bogens“ zu übersetzen; in Ps 78,48 liefert JHWH (im Rahmen der Nacherzählung der ägyptischen Plagen) das Vieh den ĠĜħŘī („Seuchen“ oder „Blitzen“) aus.519 Ohne speziellen Bezug auf JHWH scheint Ħ ĄŘ īĄ in Hi 5,7 (im Singular); Hld 8,6 (zweimal im Plural) im Sinne von „Flamme(n)“ gebraucht zu sein. Zwar lassen alle sechs genannten Belege (einschließlich des Moseliedes) eine lose Verwandtschaft mit Zügen einer westsemitischen Gottheit „Reschef“ erkennen, die von Ugarit bis Ägypten als Feuer und/oder Krankheiten bringend vorgestellt wurde,520 der Vergleich der biblischen Parallelen zeigt aber divergierende Traditionsentwicklungen an. Gemeinsamkeit besteht nur darin, dass die tradierten Eigenschaften eines Gottes Reschef als bloße Phänomene versachlicht oder mindestens zu Dämonen (Hab 3,5) depotenziert und zugleich JHWH untergeordnet werden. 521 Dabei gehen Dtn 32,24; Ps 78,48; Hab 3,5 offenbar eher von einer Krankheit („Seuche“) aus, während sich für Hi 5,7; Ps 76,4; Hld 8,6 die Bedeutung „Flamme“ oder „Blitz“ näherlegt. Auch das Verhältnis zu JHWH ist unterschiedlich und reicht von Gegnerschaft (vgl. Ps 76,4) über Neutralität (vgl. Hi 5,7; Hld 8,6) bis zur Vorstellung einer Indienstnahme von Ħ ĄŘīĄ durch JHWH (vgl. Dtn 32,24; Ps 78,48; Hab 3,5).522 Ähnlich weit gespannt ist das Spektrum der wenigen Parallelen für die Bedrohung durch Ĕ Ąě ĄĪ („Verderben“), vgl. Dtn 32,24b: ĜīĜīġ Ĕ Ąě ĄĪ („bitteres Verderben“) sowie Ps 91,6; Jes 28,2; Hos 13,14. Im Hintergrund steht hier vermutlich die (schwach bezeugte) semitische Gottheit „Qeteb“, deren Profil im
517
Für die Übersetzung vgl. Kap. 1 Anm. 29. 518 Zur Übersetzung vgl. das Folgende. 519 HOSSFELD/ZENGER 2000, 392–393 schlagen für ĭ ŘĪČĜħŘī in Ps 76,4 die Übersetzung „Brände des Bogens“ oder „blitzende Bogen“ vor; EBD., 417.437 für ĠĜħŘī in Ps 78,48 „Seuchen“. 520 Vgl. CAQUOT 1956, insbes. 64; MULDER 1990, 685–689; XELLA 1999, 700–703. 521 Vgl. CAQUOT 1956, 68; MULDER 1990, 688; XELLA 1999, 703; OTTO 2017, 2184. 522 Vgl. NELSON 2002, 374: „a demon in Yahweh’s service“. Mit Blick auf die oben zi ĄĔĖĄ („Pest“) in Ps 78,50. tierte Trias bei Jeremia und Ezechiel vgl. die Erwähnung von ī
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Wesentlichen aus den biblischen Belegen erhoben werden muss.523 Handelt es sich bei dem Phänomen Ĕ Ąě ĄĪ in Ps 91,6 um eine Gefahr, vor der JHWH die betende Person schützen wird, vgl. auch Ps 91,3.6: ī ĄĔĖĄ („Pest“) und V.5: ĨĚ ĦĘĥĜ („fliegender Pfeil“), vergleicht Jes 28,2 (in einem Weheruf gegen Efraim) einen „Starken und Mächtigen“ im Dienst JHWHs (ĜģĖēğĨġēĘĪęĚ) mit einem „Sturm des Verderbens“ (ĔěĪ īĥř). Im Falle von Hos 13,14 hängt die Zuordnung davon ab, ob in der Phrase ğĘēĬ ĝĔěĪ Ĝėē ĭĘġ ĝĜ īĔĖ Ĝėē das Wort Ĝėē als Fragepartikel „wo?“524 oder als Verbalform „ich bin“525 gedeutet wird. Im ersten Fall muss die Übersetzung lauten: „Wo ist deine Pest, Tod, wo ist dein Verderben, Unterwelt?“. Damit würde Ĕ Ąě ĄĪ als ein Agent der Unterwelt, also als eine JHWH entgegengesetzte und von ihm bezwungene Macht identifiziert. Andernfalls ist zu übersetzen: „Ich werde deine Pest sein, Tod, ich werde dein Verderben sein, Unterwelt“ und Ĕ Ąě ĄĪ wäre ein Synonym für die Macht JHWHs. Die hier deutlich werdende rezeptionsgeschichtliche Unsicherheit hinsichtlich des guten oder bösen Charakters von Ĕ Ąě ĄĪ spiegelt besonders eindrücklich die Ambivalenz von Erhabenheit und Zerstörung, die schon den beiden Gottheiten Ħ ĄŘ īĄ und Ĕ Ąě ĄĪ innegewohnt haben dürfte. Im Anschluss an diese Beobachtung ist auf eine grundsätzliche Dynamik hinzuweisen: Sowohl Ħ ĄŘīĄ als auch Ĕ Ąě ĄĪ treten (mit Ausnahme von Hld 8,6) in der Hebräischen Bibel stets in Verbindung mit anderen (personifizierten) Übeln auf, besonders häufig zusammen mit ī ĄĔĖĄ , vgl. Ps 91,6; Hos 13,14; Hab 3,5. Auch für dieses Phänomen, das an diesen Stellen grundsätzlich mit „Pest“ übersetzt werden kann,526 wird angenommen, dass es sich ursprünglich um eine Gottheit oder einen Dämon handelte.527 Wie die (mythologisch weniger aufgeladenen) Wetterphänomene oder Waffen, die als Attribute JHWHs beschrieben werden, fordern die mit Ħ ĄŘīĄ , Ĕ Ąě ĄĪ und ī ĄĔĖĄ verbundenen Assoziationen von Macht und Gewalt dazu heraus, JHWHs Rolle ihnen gegenüber zu profilieren. Die Religionsgeschichte scheint hier parallel verschiedene Wege eingeschlagen zu haben. Einerseits kann JHWH gerade in den Psalmen so dargestellt werden, dass er über das Chaos und alle bösen Mächte triumphiert, so auch über ĭŘĪČĜħŘī in Ps 76,4 und Ĕ Ąě ĄĪ in Ps 91,6 (und wahrscheinlich in
523
Vgl. CAQUOT 1956, 67–68; WYATT 1999, 673. 524 Vgl. LXX (øŶħîŤôòûøýùĄ÷ëüïøŶüļôě÷üúø÷ûøýĔîò); Lutherbibel 2017: „Tod, wo ist deine Seuche; Hölle, wo ist deine Pest?“ und recht einhellig in modernen Kommentaren, so z.B. STUART 1987, 199; WOLFF 1990, 286. 525 Vgl. Aquila (ïûøöëó úòöëüë ûøý ùë÷ëüï ïûøöëó îòñöë ûøý ëîò); Symmachus (ïûøöëóõòñòûøýï÷ùë÷ëüþïûøöëóëôòîóëûøýï÷ëîò); Theodotion (ôëóïûüëóò îóôòûøýï÷ùë÷ëüþôëóòõòñòûøýï÷ëîò); Vulgata (ero mors tua o mors ero morsus tuus inferne); Lutherbibel 1984: „Tod, ich will dir ein Gift sein; Totenreich, ich will dir eine Pest sein“. 526 Vgl. GES18, 240; HALAT, 203: „Beulenpest“; DEL OLMO LETE 1999, 231. 527 Vgl. CAQUOT 1956, 68; DEL OLMO LETE 1999, 232.
3.3 Die einzelnen Motive
193
Hos 13,14).528 Andererseits gewinnen bestimmte Schilderungen vom Auftreten JHWHs gerade dadurch ihre besondere Strahlkraft, dass sich unterschiedliche Kräfte (wie Ħ ĄŘ īĄ in Ps 78,48; Hab 3,5 und Ĕ Ąě ĄĪ in Jes 28,2) von vornherein in seinem Gefolge befinden. Diese Form der Zuordnung unterstreicht in aller Schlichtheit die Überzeugung, „[d]ass Stärke nur von Gott herrühren kann“.529 Schon die Untersuchung der Textpragmatik in Kapitel 2 hatte ergeben, dass sich das Moselied klar der zweiten Gruppe von Texten zuweisen lässt: Von einem kosmischen Kampf findet sich in Dtn 32 keine Spur. Die einzige Autorität hinter den in Dtn 32,22.23–25 geschilderten Übeln ist JHWH, der nicht nur (wie in Hab 3,5) von machtvollen Erscheinungen begleitet wird, sondern diese auch nach seinem Willen (gegen sein Volk) einsetzen kann (vgl. Ps 78,48; Jes 28,2). 3.3.13.1.3 Spezifische Übel im Moselied Für das zweite Bikolon in Dtn 32,24 wird häufig auf Mi 7,17 als Parallele verwiesen.530 Dtn 32,24c–d: …dann will ich den Zahn wilder Tiere auf sie loslassen mit dem Gift der im Staub Kriechenden.
ĠĔČĚğĬēĭĘġėĔČĢĬĘ ī ħĥĜğĚęĭġĚČĠĥ
Mi 7,17: Sie werden Staub lecken wie die Schlange, wie die auf der Erde Kriechenden.
ĨīēĜğĚęĞĬĚģĞīħĥĘĞĚğĜ
Tatsächlich besteht formal eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Ausdrücken īħĥ ĜğĚę (Dtn 32,24d: „im Staub Kriechende“) und ĨīēĜğĚę (Mi 7,17: „auf der Erde Kriechende“), doch der jeweilige Kontext ist ein völlig anderer: Im Micha-Buch dienen Schlange und Staub als Bilder der Erniedrigung, durch welche die Feinde bedroht sind,531 im Moselied dagegen ist die Schlange ausdrücklich mit „Gift“ (ėġĚ) 532 verbunden und dadurch selbst als bedrohlich
528
Vgl. HOSSFELD/ZENGER 2000, 386.622 sowie für einen thematischen Überblick R. MÜLLER 2008, 236–250. 529 BEUKEN 2010, 57 (zu Jes 28,2). 530 Vgl. z.B. DILLMANN 1886, 404; S.R. DRIVER 1902, 368; ROSE 1994, 570; TIGAY 1996, 309 Anm. 120; OTTO 2017, 2186. 531 Vgl. KESSLER 1999, 307–308; JEREMIAS 2007, 228: „‚Staub lecken‘ ist geläufiges Bild für Besiegte“. 532 Vgl. auch V.33 sowie in dieser Bedeutung sonst nur noch Hi 6,4; Ps 58,5; 140,4 und evtl. Hab 2,15. Die deutlich verbreitetere und in vielen Strafkontexten bezeugte Bedeutung „Zorn“ könnte mitschwingen und JHWHs Strafe (das „Gift“) als Frucht seines „Zorns“ auszeichnen. Ähnlich erklärt SCHUNCK 1977, 1033 den Zusammenhang der scheinbar weit
194
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
gekennzeichnet. Dem Sinngehalt nach dürfte Mi 7,17 eher mit Gen 3 verwandt sein als mit dem Moselied, vgl. Gen 3,14: Und Gott JHWH sagte zur Schlange: ‚Weil du dies geĜĞĬĚģėČğēĠĜėğēėĘėĜīġēĜĘ tan hast, seist du verflucht unter allem Vieh und unter ėġėĔėČğĞġėĭēīĘīēĭēęĭĜĬĥ allen Tieren des Feldes, auf deinem Bauch sollst du geĝğĭĝģĚĕČğĥėĖĬėĭĜĚğĞġĘ hen und Staub sollst du fressen alle Tage deines LeĝĜĜĚĜġĜČğĞğĞēĭīħĥĘ bens.‘
Vorrangig unter einem poetischen Aspekt ist wohl ferner Dtn 32,25b–d zu betrachten:533 …und [wegnehmen soll] aus den Zimmern der Schrecken, den jungen Mann wie die junge Frau, den Säugling mit dem grauhaarigen Alten.
ėġĜēĠĜīĖĚġĘ ėğĘĭĔČĠĕīĘĚĔČĠĕ ėĔĜĬĬĜēČĠĥĪģĘĜ
Zwar bezeichnet ėġĜē (vgl. Dtn 32,25b) an mehr als der Hälfte der Belegstellen eindeutig den „Schrecken“ vor JHWH,534 eine gemeinsame Aussagetendenz mit dem Moselied wird in diesen überwiegend erzählenden Passagen aber nicht erkennbar.535 Das durch Merismen und Accumulatio geprägte zweite Bikolon in Dtn 32,25 erinnert seinerseits gerade nicht an die stereotypen Aufzählungen, die sich ansonsten mehrmals im Deuteronomium finden.536 In der Zusammenschau der in Dtn 32,22.23–25 angekündigten „Übel“ (Dtn 32,23a: ĭĘĥī) fällt somit auf, dass die Elemente „Hunger“ (Dtn 32,24a: Ĕĥī), „Schwert“ und „Kinderlosigkeit“ (vgl. Dtn 32,25a: ĔīĚČğĞĬĭ), aber auch „wilde Tiere“ (Dtn 32,24c: ĭĘġėĔ) typisch für Strafkontexte sind, während das Phänomen „Seuche“ (Dtn 32,24a: Ħ ĄŘīĄ ) eindeutig in den Vorstellungsbereich von Theophanien gehört. Für „Feuer“ (Dtn 32,22a: Řē), „Pfeile“ (vgl. Dtn 32,23b: ĜĩĚ) und „Verderben“ (Dtn 32,24b: Ĕ Ąě ĄĪ) zeigte der Vergleich, dass sie verschiedentlich in Texten vorkommen, die beide Traditionsbereiche verknüpfen. In diesen doppelt
auseinander liegenden Bedeutungen „Gift“ und „Zorn“ mit einer gemeinsamen Grundbedeutung „‚Heiß-Sein‘ (durch Gift bzw. durch Wein bzw. vor Erregung)“. 533 Vgl. NELSON 2002, 375: „The text uses language of all-inclusive totality […].“ 534 Vgl. Gen 15,12; Ex 15,16; 23,27; Jos 2,9; Hi 9,34; 13,21; 20,25; 33,7; Ps 88,16; Jer 50,38. 535 Vgl. ZOBEL 1973, 235–238. Er nennt als Hauptmerkmal von ėġĜē den Effekt, den JHWH auf Menschen hat, der aber in sehr verschiedenen Situationen auftreten kann. 536 Für ĝĭġēĘĝĖĔĥĝĭĔĘČĝģĔĘėĭē („du und dein Sohn und deine Tochter, dein Knecht und deine Magd“, teilweise mit Erweiterungen) vgl. Ex 20,10; Dtn 5,14; 12,18; 16,11.14; für ĦěėĘĠĜĬģėĘĠĭġ („Männer und die Frauen und die Kleinkinder“) vgl. Dtn 2,34; 3,6 bzw. in der Variante ĦěėĘĠĜĬģėĘĠĜĬģēė („die Männer und die Frauen und die Kleinkinder“) vgl. Dtn 31,12.
3.3 Die einzelnen Motive
195
aufgeladenen Parallelen fand sich möglicherweise ein Vorbild für das Moselied, um das Strafhandeln JHWHs als machtvollen Beweis seiner Göttlichkeit auszugestalten. 537 Offenbar aus poetischen Gründen, d.h., um die Drohungen noch anschaulicher zu machen, wurden zudem einige Aspekte sprachlich erweitert538 oder gar zusätzlich eingeflochten – vgl. die singulären Ausdrücke in Dtn 32,24d: īħĥ ĜğĚę ĭġĚ („Gift der im Staub Kriechenden“) oder Dtn 32,25b: ėġĜē ĠĜīĖĚġ („aus den Zimmern [soll] der Schrecken [die Menschen wegnehmen]“). 3.3.13.2 Das zur Strafe getilgte Andenken (V.26) Obgleich die Hebräische Bibel an verschiedenen Stellen davon spricht, dass JHWH das „Andenken“ (ī ĄĞăę) von Menschen tilgt, um sie zu bestrafen,539 ist die Formulierung von Dtn 32,26 einmalig: Ich [= JHWH] hätte gesagt: ‚Ich werde sie auslöschen, ich will ihr Andenken vom Menschen wegnehmen!‘
ĠėĜēħēĜĭīġē ĠīĞęĬĘģēġėĭĜĔĬē
Nicht nur das Verb ėēħ („auslöschen“) im ersten Kolon ist ein Hapax legomenon,540 auch die Verbindung der beiden Lexeme ī ĄĞăę („Andenken“) und ĭĔŘ Hif („aufhören machen“, „wegnehmen“) findet sich anderswo nicht. Wegen der weiteren Parallelen541 zwischen Dtn 9 und Dtn 32 erscheint die zumindest sachlich gegebene Ähnlichkeit mit dem Ausruf JHWHs gegenüber Mose in Dtn 9,14 bedeutsam: Lass ab von mir und ich will sie vernichten und ihren Namen auslöschen unter dem Himmel…
ČĭēėĚġēĘĠĖĜġĬēĘĜģġġĦīė ĠĜġĬėĭĚĭġĠġĬ
Hinsichtlich des Gesamtkontextes ist jedoch auch Jes 26 eine bemerkenswerte Parallele zum Moselied. Innerhalb der sogenannten Jesaja-Apokalypse (Jes 24–27) wird in diesem „Lied“ (vgl. Jes 26,1: īĜŘ) des Jubels besungen, wie JHWH den Gerechten (in Juda) wohltut, während er die Frevler (innerhalb und außerhalb seines Volkes)542 bestraft. Anders als im Moselied scheint die
537
Vgl. insbes. Dtn 4,24; 9,3; Ps 21,10; 64,8; Jes 28,2; 29,6; 30,27.30; 33,14. 538 Vgl. die vier Kola umfassende Schilderung des verheerenden Feuers in Dtn 32,22. 539 Vgl. Ex 17,14; Dtn 25,19; Ps 9,6–7; 34,17; 109,15; Jes 26,14. Mit dem „Namen“ (ĠŘ) als Objekt der Vernichtung vgl. auch Dtn 9,14; 29,19; 2.Kön 14,27; Ps 9,6; 109,13. 540 Vgl. Kap. 1 Anm. 30. 541 Vgl. Dtn 9,12 und 32,5; 9,18 und 32,16. 542 Die Zuordnung ist nicht immer eindeutig, Jes 26,10 nennt allgemein den „Frevler“ (ĥŘī), Jes 26,11 scheint in Opposition zu JHWHs Volk von äußeren Feinden auszugehen, Jes 26,21 spricht von der „Schuld der Bewohner der Erde“ (ĨīēėČĔĬĜ ĢĘĥ), vgl. Jes 26,9: „Bewohner des Erdkreises“ (ğĔĭ ĜĔĬĜ).
196
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Bestrafung der Frevler bereits zurückzuliegen,543 doch JHWHs Gerichtshandeln wird in sehr ähnlichen Wendungen beschrieben. Allein die eigentliche Damnatio memoriae ist in Jes 26,14 (im Unterschied zum Moselied) mit dem Verb ĖĔē Pi ausgedrückt: …und du machtest jedes Andenken an sie zunichte.
ĘġğīĞęČğĞĖĔēĭĘ
In Jes 26 ist dies die Strafe derer, die das „Volk“ 544 bzw. die „Nation“ 545 JHWHs bedrängten, während sich die entsprechende Drohung in Dtn 32,26 gegen das Gottesvolk selbst richtet. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass beide Texte auf eine vergleichbare Lehre zielen:546 Die Uneinsichtigkeit gegenüber JHWH, die sich als fehlende Anerkennung seiner Macht äußert, muss geahndet werden. In beiden Texten verschwimmen dabei die ethnischen zugunsten ethischer Grenzen, wenn aus der Abgrenzung zwischen dem Volk und seinen Feinden eine solche zwischen Gerechten und Frevlern wird.547 Zur Charakterisierung beider Parteien und ihres Gottesverhältnisses bedienen sich Dtn 32 und Jes 26 ganz ähnlicher Terminologie. So wird JHWH in Dtn 32,4 mit denselben Worten beschrieben wie seine Anhängerinnen und Anhänger in Jes 26.548 Dtn 32,4c–d: ğĘĥĢĜēĘėģĘġēğē ēĘėīĬĜĘĪĜĖĩ
Ein Gott der Treue und ohne Unrecht, gerecht und aufrichtig ist er.
Jes 26,2: …eine gerechte Nation, die Treue bewahrt.
ĠĜģġēīġĬĪĜĖĩČĜĘĕ
543
Vgl. DUHM 1968, 183; SWEENEY 1996, 339; BEUKEN 2007, 367. Anders KAISER 1983,
169. Vgl. Jes 26,11: Ġĥ. Vgl. Jes 26,15: ĜĘĕ. 546 Vgl. POLASKI 2001, 270: „In Isaiah 26 and Deuteronomy 32 remarkably similar lessons are taught. YHWH’s judgment is a powerful educational experience.“ 547 Vgl. DUHM 1968, 185; KAISER 1983, 169–170; BEUKEN 2007, 392: „[…] wird die besondere Stellung von JHWHs Volk inmitten der Nationen ([Jes] 25,8–9) durch den Unterschied zwischen den Gerechten, die nach JHWHs Urteil verlangen, und den Frevlern, denen gar JHWHs erhobene Hand (V 7–11) keine Lehre ist, ersetzt“ sowie Kap. 2 und im Folgenden die Ausführungen zu Dtn 32,28–36.40–42 für eine ähnliche Dynamik im Moselied. Dagegen nimmt WILDBERGER 1989, 990–991 in Jes 26 eine durchgehende Scheidung zwischen Israel und seinen Feinden an. 548 Vgl. auch die Abgrenzung von den Frevlern durch die verbale Verwendung der Wurzel ğĘĥ in Jes 26,10: ğĘĥĜĭĘĚĞģĨīēĔĪĖĩĖġğČğĔĥĬīĢĚĜ („Erfährt ein Frevler Erbarmen, lernt er keine Gerechtigkeit, im redlichen Land wird er freveln…“). 544 545
3.3 Die einzelnen Motive
197
Jes 26,7: Der Pfad für den Gerechten ist Geradheit, gerade ist die Bahn des Gerechten, die du ebnest.
ĠĜīĬĜġĪĜĖĩğĚīē ĤğħĭĪĜĖĩğĕĥġīĬĜ
Die große Nähe von Dtn 32,4 zur Sprache der Proverbien ist bereits diskutiert worden.549 Auch für Jes 26,7 wurde eine solche Nähe mehrfach festgestellt.550 Seltener wird gesehen, dass das Lexem ěħŘġ („Recht“) in Jes 26,8–9 ebenfalls in einem weisheitlichen, wiederum Dtn 32,4 entsprechenden Sinn gebraucht wird.551 Dtn 32,4a–b: ĘğĥħĠĜġĭīĘĩė ěħĬġĘĜĞīĖČğĞĜĞ
Der Fels, vollkommen ist sein Werk! Denn alle seine Wege sind Recht.
Jes 26,8–9: Ja, den Weg deiner Gerichte/Gerichtstaten haben wir erwartet […] Denn wenn deine Gerichte/Gerichtstaten auf die Erde kommen, haben die Bewohner des Erdkreises Gerechtigkeit gelernt.
ĝĘģĜĘĪėĘėĜĝĜěħĬġĚīēĦē >@ ĘĖġğĪĖĩĨīēğĝĜěħĬġīĬēĞĜĞ ğĔĭĜĔĬĜ
Weiter begegnen in Dtn 32 und Jes 26 jeweils die „erhabene Hand“ als Triumphgeste und das „fressende Feuer“, das sich gegen diejenigen richtet, die JHWH und seine Autorität nicht anerkennen. Dtn 32,22a (gegen das Volk):552 Ja, ein Feuer, das entbrannt ist in meiner Nase…
ĜħēĔėĚĖĪĬēČĜĞ
Dtn 32,27b–d (mit der Anmaßung der erhabenen Hand durch die Feinde): Auf dass ihre Bedränger es nicht verkennen, auf dass sie nicht sagen: ‚Unsere Hand ist erhaben und nicht JHWH hat dies alles getan!‘
ĘġĜīĩĘīĞģĜČĢħ ėġīĘģĜĖĜĘīġēĜČĢħ ĭ ēęČğĞğĥħėĘėĜēğĘ
549
Vgl. oben 3.3.4. 550 Vgl. KAISER 1983, 169; WILDBERGER 1989, 987; BEUKEN 2007, 372. 551 Vgl. aber D.G. JOHNSON 1988, 73 für die Beurteilung von Jes 26,7–10 als weisheitlich; WILDBERGER 1989, 987 (zu Jes 26,8): „Israel weiß, daß die Wege des Gerechten Gradheit sind (der dem einzelnen geltende Weisheitsspruch ist also auf Israel übertragen […])“. 552 Für die Übersetzung des Relativsatzes vgl. LXX und Kap. 1 Anm. 27.
198
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Dtn 32,41b–d (mit der Betonung der mächtigen Hand JHWHs): …und wenn meine Hand nach dem Recht greift, will ich Rache erwidern meinen Bedrängern und denen, die mich hassen, vergelten.
ĜĖĜěħĬġĔęĚēĭĘ ĜīĩğĠĪģĔĜĬē ĠğĬēĜēģĬġğĘ
Jes 26,11: JHWH, deine Hand ist erhaben, sie sehen es nicht […], ja, das Feuer wird deine Bedränger fressen.
>@ĢĘĜęĚĜČğĔĝĖĜėġīėĘėĜ ĠğĞēĭĝĜīĩĬēČĦē
Anschließend wird in Jes 26,12 für die Taten JHWHs zugunsten seines Volkes das Verb ğĥħ („tun“) verwendet, während der Vorwurf an die Feinde in Dtn 32,27 gerade darin besteht, dass sie das machtvolle „Tun“ JHWHs negieren.553 Abgesehen von diesen Gemeinsamkeiten in der Darstellung der Haltung, die JHWH gegenüber seinen Gegnerinnen und Gegnern, aber auch gegenüber seinen Anhängerinnen und Anhängern einnimmt, wird JHWH wie in Dtn 32,4.15.18.30.31 auch in Jes 26,4 īĘĩ („Fels“) genannt. Insgesamt scheint Jes 26 wegen der Rückbezüge auf Motive in Jes 24–25 und andere Stellen im Jesaja-Buch gut als Fortschreibung innerhalb der JesajaTradition erklärbar zu sein.554 Unverkennbar ist jedoch in lexikalischer und thematischer Hinsicht zudem die Nähe zu den Proverbien mit der Unterscheidung zwischen Frevlern und Gerechten, die sich auch im Moselied beobachten ließ.555 Wahrscheinlich besteht indes trotz der betrachteten Übereinstimmungen keine literarische Abhängigkeit zwischen den Texten von Dtn 32; Jes 26, denn die Aussageabsichten unterscheiden sich in mancherlei Hinsicht, und zwar sowohl auf der Ebene einzelner Verse als auch mit Blick auf den jeweiligen Gesamttext.556 So skizziert Jes 26 einzelne Aspekte einer Zukunftsvision für eine Gemeinschaft von JHWH-Anhängerinnen und -Anhängern, die „gerechte Nation“ (Jes 26,2: ĪĜĖĩČĜĘĕ), die sich gegen ihre (und JHWHs) Gegnerinnen und Gegner abgrenzt. Bei den Sprechenden überwiegt dabei die
Vgl. für das Verb ğĥħ mit JHWH als Subjekt noch Prov 16,4; Jes 41,4 sowie WILDBERGER 1989, 991. 554 Vgl. ausführlich POLASKI 2001, 206.218–242; HIBBARD 2006, 119–167, aber auch SWEENEY 1996, 316–320; BEUKEN 2007, 312–313.365. Dagegen KAISER 1983, 144–145. Von den meisten Kommentierenden wird der insgesamt disparate Charakter von Jes 24–27 betont und mit verschiedensten literarkritischen Modellen begründet, vgl. D.G. JOHNSON 1988, 14–16. 555 POLASKI 2001, 270: „The images which demonstrate a division between Israel and her adversaries in Deuteronomy 32 are similar, if not identical, to those which describe the division between the righteous and the wicked in Isaiah 26.“ 556 D.G. JOHNSON 1988, 83 erkennt ein gemeinsames „pattern“ hinter Dtn 32 und Jes 24– 27; POLASKI 2001, 268–270 benennt Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Dtn 32 und Jes 26. 553
3.3 Die einzelnen Motive
199
Überzeugung, selbst bereits auf der richtigen Seite zu stehen bzw. auf der von JHWH geebneten „Bahn des Gerechten“ (Jes 26,7: ĪĜĖĩ ğĕĥġ) zu gehen. Folglich erwarten sie von JHWH nur noch die Vollendung seines Gerichtshandelns gegenüber dem „Frevler, der keine Gerechtigkeit gelernt hat“ (Jes 26,10: ĥĬī ĪĖĩ ĖġğČğĔ).557 Im Moselied werden die Charakterisierungen der Frevelnden wie auch der Gerechtigkeit JHWHs hingegen aufgeboten, um bei den Adressierten zunächst ein Bewusstsein für die entsprechende Problematik zu wecken. Es erscheint viel weniger klar, dass es in Israel überhaupt eine Gruppe von „Gerechten“ gibt.558 Einerseits also übertragen sowohl Dtn 32 als auch Jes 26 weisheitliche Überzeugungen, die sich in den Proverbien auf das Individuum beziehen, auf das Schicksal des ganzen Volkes,559 um die Richtigkeit von JHWHs richterlichem Tun darzulegen. Andererseits geschieht dies im Detail auf so unterschiedliche Weise, dass nicht von einer literarischen Abhängigkeit ausgegangen werden sollte. Stattdessen ist anzunehmen, dass die Verfasserinnen oder Verfasser grundsätzlich ähnliche theologische Ideen vertraten und sie ihrem jeweiligen Anliegen gemäß flexibel ausgestalteten.560 Die Vorstellung, dass JHWH Frevel mit Vernichtung straft, wird in Dtn 32,26 in eine begründete Drohung gegen Israel gegossen; in Jes 26,14 dagegen ist sie als Aussage formuliert und unterstreicht die Gewissheit der Sprechenden, dass sie im Gericht nichts zu fürchten haben. Die grundsätzliche Verwurzelung beider Texte in der Bildsprache der Hebräischen Bibel wird auch an der Redeweise von der „erhabenen Hand“, 561 vom strafenden „Feuer“562 und von JHWH als „Fels“563 erkennbar. Wie sehr aber die Verknüpfung von moralischen Reflexionen und Gerichtsterminologie bereits in der Weisheitsliteratur selbst angelegt war, kann für das Moselied der Vergleich mit Prov 10,7 und Ps 112,5–6 verdeutlichen. Prov 10,7: Das Andenken des Gerechten dient zum Segen, aber der Name der Frevler wird verfaulen.
ėĞīĔğĪĜĖĩīĞę ĔĪīĜĠĜĥĬīĠĬĘ
557
Vgl. Jes 26,9.11.21; 27,1 sowie SWEENEY 1996, 343. 558 Vgl. Dtn 32,5–6.19–20.28–29. 559 Vgl. für Jes 26: KAISER 1983, 169 (zum paränetischen Charakter von Jes 26,7–21); POLASKI 2001, 271–278 sowie das Zitat von WILDBERGER oben Anm. 551; für Dtn 32: die Ausführungen oben unter 3.3.4. 560 Vgl. auch die Warnung von HIBBARD 2006, 139–140, die Ähnlichkeit mit Proverbien nicht mit literarischer Abhängigkeit zu verwechseln: „These kinds of texts [= Prov 4,18; 15,19] were undoubtedly part of the broader intertextual web that made up the social background for any discourse in ancient Israel, but there are no specific textual connections between them and Isa 26.“ 561 Vgl. unten 3.3.14. 562 Vgl. oben 3.3.12. 563 Vgl. oben 3.3.3.
200
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Ps 112,5–6: Gut ist der Mann, der sich erbarmt und leiht, der seine Angelegenheiten nach dem Recht erledigt. Denn in Ewigkeit wird er nicht wanken, im ewigen Andenken wird er ein Gerechter sein.
ėĘğġĘĢģĘĚĬĜēČĔĘě ěħĬġĔĘĜīĔĖğĞğĞĜ ěĘġĜČēğĠğĘĥğČĜĞ ĪĜĖĩėĜėĜĠğĘĥīĞęğ
Beide Textstellen bekunden eine Überzeugung, die auch hinter JHWHs Gerichtshandeln im Moselied steht und dort mit ähnlichen Worten ausgedrückt wird: Zu einem künftigen Zeitpunkt des Gerichts564 wird es sich auszahlen, JHWH gemäß (d.h. als „Gerechter“, vgl. Dtn 32,4d: ĪĜĖĩ) zu leben. Wer dies aber nicht tut, wird „wanken“ und zu Fall kommen.565 3.3.14 Die Hybris des Feindes und die Zurücknahme der göttlichen Strafe (V.27) Auf die Ähnlichkeit der Ausdrücke ĔĜĘēĤĥĞ (Dtn 32,27a: „Beleidigung durch den Feind“) und ĘĜĭģĔĘ ĘĜģĔ ĤĥĞ (Dtn 32,19b: „Beleidigung durch seine Söhne und Töchter“) sowie die Nähe dieser Constructus-Verbindungen zum Proverbien-Buch ist bereits verwiesen worden.566 Auch in der Beurteilung des „Feindes“ in Dtn 32,27 klingt somit weisheitliches Denken an und zugleich wird wegen der paradigmatischen Bedeutung des Verbs ĤĥĞ Hif („beleidigen“) im deuteronomistischen Schrifttum wieder die Assoziation zum Fremdgötterverbot aufgerufen. Das Feindeszitat in Dtn 32,27c–d konkretisiert dann das, was dem Feind vorzuwerfen ist, als Anmaßung gegenüber JHWH: ėġīĘģĖĜ>@ ĭ ēęČğĞğĥħėĘėĜēğĘ
[…] ‚Unsere Hand567 ist erhaben und nicht JHWH hat dies alles getan!‘
Dabei findet ein Motiv Verwendung, auf das man auch an anderen Stellen der Hebräischen Bibel stößt: die „erhobene“ bzw. „erhabene Hand“ (ėġīĖĜ). Im Pentateuch wird dieser Gestus immer von Menschen berichtet, so mit positiver Bedeutung in Ex 14,8; Num 33,3 von Israel beim Auszug aus Ägypten und negativ in Num 15,30 von einem absichtlich (d.h. „mit erhobener Hand“) gegen JHWH Frevelnden. Mit Bezug auf JHWH lesen wir von der „erhobenen/erhabenen Hand“ in Ps 89,14: ĠĘīĭ ĝĖĜ („deine Rechte erhebt sich“) und Jes 26,11: ĝĖĜ ėġī ėĘėĜ („JHWH, erhoben ist deine Hand“), eventuell auch in Mi 5,8: ĝĜīĩČğĥ ĝĖĜ Ġīĭ („deine Rechte erhebe sich über deine Bedränger“), wobei hier nicht eindeutig ist, ob es um JHWH selbst oder den von ihm
Vgl. Dtn 32,41b: ĜĖĜěħĬġĔęĚēĭĘ („und [wenn] meine Hand nach dem Recht greift“). 565 Dtn 32,35b: ĠğĕīěĘġĭĭĥğ („für die Zeit, da ihr Fuß wankt“). 566 Vgl. oben 3.3.10.1. 567 Für die Singularform vgl. Kap. 1 Anm. 31. 564
3.3 Die einzelnen Motive
201
vorhergesagten Herrscher geht. In Ps 118,16 steht ėĘėĜ ĢĜġĜ („die Rechte JHWHs“) anstelle der „Hand“ und es wird bejubelt, dass sie im Angesicht der Gegner „erhöht“ ist und „Mächtiges tut“: ğĜĚ ėĬĥ ėĘėĜ ĢĜġĜ.568 Letztlich haben alle genannten Belege gemeinsam, dass die „erhobene“ bzw. „erhabene Hand“ ein Zeichen legitimer oder angemaßter Macht ist, die im direkten Zusammenhang mit JHWH steht, indem sie entweder von ihm kommt569 oder sich gegen ihn richtet.570 Die Kontexte der genannten Stellen weisen indes keine besondere Nähe zum Moselied auf. Immerhin zeigen die Beispiele in Ex 14,8; Num 33,3, dass Menschen durchaus legitime Subjekte dieses Tuns sein können, allerdings nur, sofern sie im Einklang mit dem Willen JHWHs handeln. Dies gilt für die Feinde in Dtn 32,27 natürlich nicht. Ebenso fälschlich rühmt sich Assur in Jes 10,13–14: Durch die Kraft meiner Hand habe ich es getan und ĜĭĘģĔģĜĞĜĭġĞĚĔĘĜĭĜĬĥĜĖĜĚĞĔ durch meine Weisheit, denn ich bin verständig. Und ich >@ĠĜġĥĭğĘĔĕīĜĤēĘ werde die Grenzen der Völker beseitigen […] ĠĜġĥėğĜĚğĜĖĜĢĪĞēĩġĭĘ und wie ein Vogelnest fand meine Hand den Reichtum der Völker…
Das ganze Kapitel Jes 10 handelt davon, wie Assur seine Rolle als Strafwerkzeug JHWHs gegen sein Volk verkennt und deshalb schließlich selbst bestraft werden muss. Wenngleich im Moselied der Feind anonym bleibt, so ist die Problematik des sich überhebenden fremden Volkes doch die gleiche.571 Das Moselied hat die Charakterisierung aus Jes 10 vielleicht verallgemeinert. 572 Zudem wirkt Assurs Anmaßung der Weisheit wie eine Negativfolie für die im Lied von Israel erwartete Einsicht in JHWHs universales und machtvolles Handeln.573
568
Für eine mögliche Bezugnahme von Ps 118 auf Ex 14–15 vgl. HOSSFELD/ZENGER 2008, 318.326. 569 Vgl. Ex 14,8; Num 33,3; Ps 89,14; 118,16; Jes 26,11; Mi 5,8. 570 Vgl. Num 15,30. 571 Nicht nur der Triumph über Israel, sondern auch die Macht über die „Grenzen der Völker“ wird sowohl in Jes 10 als auch im Moselied problematisiert, vgl. Dtn 32,8c (mit „dem Höchsten“ als Subjekt): ĠĜġĥĭğĔĕĔĩĜ („er setzte die Grenzen der Völker fest“) sowie WILDBERGER 1972, 399; KAISER 1981a, 224–225; BEUKEN 2003, 283–285. 572 Unter den Moselied-Kommentierenden wurde die Gemeinsamkeit von Dtn 32 und Jes 10 bisher fast nicht beachtet, vgl. aber DILLMANN 1886, 405. Für entsprechende Hinweise in den Jesaja-Kommentaren vgl. die vorige Anmerkung. 573 Vgl. insbes. Dtn 32,5–7.28–29 mit dem zweimaligen Vorkommen der Wurzel ĢĜĔ, die auch in Jes 10,13 vorkommt. Für die Auseinandersetzung mit der Weisheit in Jes 10 vgl. WILDBERGER 1972, 399–401; BEUKEN 2003, 285.
202
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Neben dem Motiv der (angemaßt) erhobenen Hand verdient jedoch JHWHs Zurückhaltung mit Blick auf die Feinde weitere Beachtung, vgl. den vollständigen Vers Dtn 32,27: …wenn ich nicht die Beleidigung durch den Feind fürchtete. Auf dass ihre Bedränger es nicht verkennen, auf dass sie nicht sagen: ‚Unsere Hand ist erhaben und nicht JHWH hat dies alles getan!‘
ī ĘĕēĔĜĘēĤĥĞĜğĘğ ĘġĜīĩĘīĞģĜČĢħ ėġīĘģĖĜĘīġēĜČĢħ ĭ ēęČğĞğĥħėĘėĜēğĘ
Für die aus Angst vor einer Reaktion der Feinde nicht ausgeführte Strafe finden sich bedeutsame Parallelen, die unter sich auf verschiedene Weisen zusammenhängen. Im Geschichtsrückblick von Ps 106 leitet die Partikel ĜğĘğ („wenn nicht“) wie im Moselied die Erklärung dafür ein, weshalb JHWH sein Volk nicht vernichtet hat, vgl. Ps 106,23: Und er drohte, sie zu vernichten, wäre nicht Mose gewesen, sein Erwählter, der vor seinem Angesicht in die Bresche trat, seinen Zorn vom Verderben abzukehren.
ĠĖĜġĬėğīġēĜĘ ĘīĜĚĔėĬġĜğĘğ ĘĜģħğĨīħĔĖġĥ ĭ ĜĚĬėġĘĭġĚĔĜĬėğ
Dabei rekurriert der betreffende Psalmabschnitt (Ps 106,19–23) auf die Perikope vom „goldenen Kalb“. 574 Wie in Ex 32/Dtn 9 so auch in Ps 106 wird die Verschonung des Volkes nach dem Frevel auf Moses Fürbitte zurückgeführt. Ebenfalls nur dank der Fürbitte des Mose entgeht das Volk in Num 14,12–20 der Vernichtung durch JHWH, nachdem es bei der Rückkehr der Kundschafter aus dem zu erobernden Land (Num 13) entmutigt und rebellisch geworden war. Grundsätzliche Ähnlichkeit besteht mithin zwischen dem Verhalten JHWHs in Dtn 32,26–27 und dem in Ex 32,10–14; Dtn 9,25–29(+10,10); Ps 106,19–23 sowie auch dem in Num 14,12–20 Berichteten: Trotz seiner erklärten Wut auf sein Volk verzichtet JHWH darauf, es zu vernichten. Allerdings wird im Moselied der Grund für JHWHs Zorn allgemeiner als Abfall zu anderen Göttern beschrieben (vgl. Dtn 32,15–18) und sein Einlenken als Ergebnis seiner eigenen göttlichen Überlegungen dargestellt. In dieser Hinsicht wiederum gleicht das Moselied dem Monolog JHWHs in Ez 20, in dessen Verlauf JHWH dreimal davon spricht, „seinen Zorn über sein sündiges Volk ausgießen“ zu wollen (ĠėĜğĥĜĭġĚĝħŘğ) und jedes Mal mit dem Hinweis auf seinen Namen doch davon absieht (ĜġŘ Ģĥġğ).575 Sprachlich aber steht dem Moselied eine Bitte des Mose an JHWH in Dtn 9 am nächsten. Nur hier findet sich als Begründung für die Zurückhaltung
574
Vgl. HOSSFELD/ZENGER 2008, 130. 575 Vgl. Ez 20,8–9.13–14.21–22.
3.3 Die einzelnen Motive
203
JHWHs ebenfalls die Formulierung ĘīġēĜČĢħ („damit sie/auf dass sie nicht sagen…“) mit den Feinden des Volkes als Subjekt, vgl. Dtn 9,27–28: Gedenke deiner Knechte, Abraham, Isaak und Jakob, ĪĚĩĜğĠėīĔēğĝĜĖĔĥğīĞę wende dich nicht der Halsstarrigkeit dieses Volkes und ėęėĠĥėĜĬĪČğēĢħĭČğēĔĪĥĜğĘ seiner Bosheit und seiner Sünde zu, ĘĭēěĚČğēĘĘĥĬīČğēĘ damit sie nicht sagen in dem Land, von dem wir ausge- ĠĬġĘģĭēĩĘėīĬēĨīēėĘīġēĜČĢħ zogen sind: ‚JHWH konnte sie nicht in das Land brin- ĨīēėČğēĠēĜĔėğėĘėĜĭğĞĜĜğĔġ ĠėğīĔĖČīĬē gen, wovon er zu ihnen geredet hat.‘
Detailuntersuchungen der vorgestellten Parallelen ergeben, dass die Fürbitte des Mose in Dtn 9,25–29 die Episoden von Ex 32 und Num 14 schon voraussetzt576 und ferner Ez 20 eine Neuinterpretation der dort gebotenen Stoffe darstellt. 577 Auch wegen der Menge an weiteren Übereinstimmungen zwischen Dtn 9 und 32 ist anzunehmen, dass das Moselied denselben Stoff in der spezifischen Fassung von Dtn 9 rezipiert hat. Besonders auffällig sind in diesem engsten Zusammenhang die beiden Texten gemeinsame Drohung, den „Namen“ des Volkes zu „tilgen“ (vgl. Dtn 9,14: ĖġŘ Hif; Dtn 32,26: ėēħ Hif), sowie die Beschreibung des Frevels als „Vergehen“ (vgl. Dtn 9,12; Dtn 32,5: ĭĚŘ Pi). Im Unterschied zu Ps 106 und Ez 20 allerdings löst sich das Lied von der Situierung des Frevels in der Vergangenheit, um eine zeitlose Lehre über JHWHs Gerichtshandeln zu formulieren. Inwiefern Ps 106 und Dtn 32 an dieser Stelle voneinander abhängig sein könnten, lässt sich nicht mit Gewissheit entscheiden, da von der Partikel ĜğĘğ („wenn nicht“) abgesehen keine besonderen Gemeinsamkeiten bestehen und beide Texte auch als unabhängige Adaptionen der Pentateuchvorlage(n) verstehbar sind. Die sprachliche Übereinstimmung mag in diesem Fall dem gemeinsamen Verständnis der Sache geschuldet sein. 3.3.15 Die Dummheit des Volkes: Fehlende Einsicht in das „Ende“ (V.28–29) Im Vergleich mit den sonstigen Stellen, an denen die Worte ėĩĥ („Plan“, „Ratschlag“) und ĖĔē („zugrunde gehen“, „zunichtewerden“) zusammen gebraucht
576
Vgl. z.B. S.R. DRIVER 1902, 116; VEIJOLA 2004, 236–238; OTTO 2012, 948.985–986. 577 Vgl. ZIMMERLI 1979, 439: „Ez 20 ist in seinem traditionsgeschichtlichen Hintergrund nur zu verstehen, wenn man sieht, wie der Prophet […] das ihm schon vorliegende geheiligte Element der Credoformulierung aufgreift und aus ihr heraus Israels Geschichte erzählt“; GREENBERG 2001, 419–420: „Die Traditionen des Pentateuch, näherhin der Exodus und die Wüstenwanderungen, […] wurden adaptiert […]. Ezechiel allein weiß von einem bereits in Ägypten ergangenen Gebot, den Götzendienst aufzugeben, das sofort verletzt wurde. Für Ezechiel sind daher alle Phasen der Sünde Israels gleich und bestehen darin, Gottes Gesetze zu mißachten und sie durch menschliche zu ersetzen“; POHLMANN 2001, 307.311–313. Für die grundsätzliche Ähnlichkeit von Dtn 32,26–27 mit Dtn 9,25–29; Ez 20,8–9.13–14.21–22 vgl. auch MAYES 1981, 389.
204
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
werden,578 fällt die Formulierung von Dtn 32,28 wegen ihrer grammatischen Konstruktion auf: Denn sie sind eine Nation, die an Plänen zugrunde geht, und in ihnen ist keine Einsicht.
ėġėĭĘĩĥĖ ąĔē ć ĜĘĕČĜĞ ėģĘĔĭĠėĔĢĜēĘ
Allein im Moselied steht das Substantiv „Pläne“ im Plural (ĭĘĩĥ), doch das Verb ist ein Partizip im Singular und deshalb am natürlichsten auf das vorausgehende Substantiv zu beziehen: Ė ąĔćē ĜĘĕ („eine Nation, die [an Plänen] zugrunde geht“).579 Daraus ergibt sich eine andere Stoßrichtung als an den zu vergleichenden Prophetenstellen. Während bei Jeremia und Ezechiel beklagt wird, dass den Menschen der „Rat“ ausgeht, sind es im Moselied die Menschen selbst, die umkommen. Da ferner die parallele Aussage im zweiten Kolon von V.28 dem Volk die „Einsicht“ (ėģĘĔĭ) abspricht, sind im Vergleich vielmehr die Textstellen interessant, an denen die beiden Begriffe ėĩĥ und ėģĘĔĭ ebenfalls in einen Zusammenhang gebracht werden. Dies ist noch in Hi 12,13; Prov 20,5; 21,30 der Fall, wo ėĩĥ wiederum stets im Singular steht. Alle drei Belege lassen ein positives Verständnis von ėĩĥ erkennen, indem sie ėģĘĔĭ („Einsicht“) und ėĩĥ („Plan“, „Rat“, „Ratschluss“) gleichstellen 580 bzw. einander zuordnen.581 Dies entspricht der grundsätzlich positiven Bedeutung, die ėĩĥ auch an den oben zitierten Prophetenstellen (Jer 18,18; 49,7; Ez 7,26) zukommt. Allerdings zeigt sich mit Blick auf die gesamte Hebräische Bibel (und besonders auf die zahlreichen Belege im Jesaja-Buch), dass ėĩĥ als „Rat“ oder „Plan“ von Menschen nicht automatisch etwas Gutes ist, sondern dass es „[a]n der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung eines menschlichen Ratschlags mit JHWHs Plan hängt […], ob er als Plan Erfolg hat oder nicht.“582
578
Vgl. Jer 18,18; 49,7; Ez 7,26. 579 Zu dieser Annahme zwingt auch der Parallelismus der beiden Kola, vgl. Kap. 1 Anm. 32 und Kap. 2 z.St. Berücksichtigt man, dass das Verb regelmäßig sowohl mit Menschen (vgl. z.B. Dtn 4,26; 8,19 u.ö.) als auch mit geistigen Qualitäten wie Rat, Weisheit, Einsicht etc. zusammen verwendet werden kann (vgl. neben den bereits genannten Beispielen für ėĩĥ z.B. noch Hi 8,13; Jes 29,14; Jer 7,28), wäre auch eine absichtliche Unschärfe in der Zuordnung des Verses für möglich zu halten. Die beiden denkbaren Aussagen (das Volk geht an seinen Plänen zugrunde bzw. die Pläne des Volkes werden zunichte) unterscheiden sich in ihrer Konsequenz nicht wesentlich, vgl. auch Obd 8 (mit den Menschen und der Sache als Objekte des Verbs ĖĔē Hif): ĘĬĥīėġėģĘĔĭĘĠĘĖēġĠĜġĞĚĜĭĖĔēėĘ („Und ich werde die Weisen aus Edom und die Einsicht vom Berg Esaus vernichten“). 580 Vgl. Hi 12,13; Prov 21,30. Beide Stellen betonen die Überlegenheit göttlicher Weisheit. 581 Vgl. Prov 20,5, von der menschlichen Weisheit. 582 RUPPERT 1982, 732. Vgl. den Kontrast göttlicher und menschlicher Pläne in Ps 106,13.43 oder Jes 19,3.11.17.
3.3 Die einzelnen Motive
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Diese Problematik wird in Jes 30,1a sehr deutlich: Wehe den widerspenstigen Söhnen, Spruch JHWHs, einen Plan auszuführen, der aber nicht von mir ist!
ėĘėĜČĠēģĠĜīīĘĤĠĜģĔĜĘė ĜģġēğĘėĩĥĭĘĬĥğ
Die Fortsetzung zeigt auch, welcher Art der verwerfliche Plan Israels in diesem Fall ist, vgl. Jes 30,1b–2: …und ein Trankopfer auszugießen, das aber nicht nach ĭ ĘħĤĢĥġğĜĚĘīēğĘėĞĤġĝĤģğĘ meinem Geist ist, um Sünde auf Sünde zu häufen, die ĭĖīğĠĜĞğėėĭēěĚČğĥĭēěĚ gehen, nach Ägypten hinabzuziehen, und meinen Mund ęĘĥġĔęĘĥğĘğēĬēğĜħĘĠĜīĩġ nicht befragt haben, Zuflucht zu suchen in der Zuflucht ĠĜīĩġğĩĔĭĘĤĚğĘėĥīħ des Pharao und sich zu bergen im Schatten Ägyptens.
In der Formulierung und noch mehr dem Gehalt nach fallen mehrere Gemeinsamkeiten mit der Gottesrede in Dtn 32,37–38b auf: ĘġĜėğēĜēīġēĘ ĘĔĘĜĤĚīĘĩ
Und er wird sagen: ‚Wo sind ihre Götter, der Fels, auf den sie vertraut haben [= bei dem sie sich geborgen haben], die das Fett ihrer Opfer essen, trinken den Wein ihres Trankopfers?‘
ĘğĞēĜĘġĜĚĔęĔğĚīĬē ĠĞĜĤģĢĜĜĘĭĬĜ
Obschon für das frevelhafte „Trankopfer“ zwei unterschiedliche Begriffe verwendet werden, ist die Übereinstimmung in der Thematik verblüffend. In beiden Texten wirft JHWH seinem Volk vor, der falschen Macht Opfer (ėĞĤġ bzw. ĝĜĤģ) dargebracht und sich im Gegenzug Schutz von ihr erhofft zu haben (ėĤĚ).583 Bei Jesaja sind „Plan“ (ėĩĥ) und „Trankopfer“ (ėĞĤġ) unmittelbar identifiziert. Im Moselied hingegen bleibt der konkrete Inhalt der „Pläne“ (ĭĘĩĥ) in Dtn 32,28 noch unbestimmt. Die rhetorische Frage in Dtn 32,37–38 lässt sich aber durchaus als erklärende Ausführung verstehen. Zwischen der allgemeinen Verurteilung des Volkes in Dtn 32,28–29 und der nächsten Bezugnahme auf dessen eigenes Tun in Dtn 32,37–38 liegen nur die (als Zusätze zu klassifizierenden)584 Reflexionen über den Charakter JHWHs und des Volkes (Dtn 32,30–33) sowie die Ankündigung des Gerichts in Dtn 32,34–36. Die Details des Frevels werden mithin erst erwähnt, wenn die Gerichtsdrohung ausgesprochen ist. Auf diese Weise kann das Lied die Machtlosigkeit der falschen Götter und JHWHs Machtdemonstration einander effektvoll gegenüberstellen.
583
Zur spezifischen Bedeutung der Trankopfer in diesem Kontext vgl. BEUKEN 2010, 155–156. 584 Vgl. Kap. 2.C.
206
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Auch wenn in Dtn 32,28 somit keine konkreten Frevel benannt werden, so lässt sich doch anhand des Vokabulars in Dtn 32,28–29 erkennen, dass offenbar ein Gegensatz besteht zwischen den „Plänen“ der „Nation“ und dem eigentlich für sie Wünschenswerten. Freilich erscheint JHWH nicht als direktes Gegenüber, wenn in Dtn 32,28b die fehlende „Einsicht“ (ėģĘĔĭ) des Volkes beklagt wird und der folgende Vers die Fähigkeit der Menschen anmahnt, „weise“ zu sein, zu „begreifen“ und „auf ihr Ende [zu] achten“, vgl. Dtn 32,29: Wenn sie weise wären, könnten sie dies begreifen, auf ihr Ende achten.
ĭ ēęĘğĜĞĬĜĘġĞĚĘğ ĠĭĜīĚēğĘģĜĔĜ
Augenfällig ist zunächst vielmehr der Gegensatz zu einer Haltung, die in der Weisheitsliteratur gelobt wird, vgl. Prov 19,20:585 ī ĤĘġğĔĪĘėĩĥĥġĬ ĝĭĜīĚēĔĠĞĚĭĢĥġğ
Höre auf Rat und nimm Zucht an, damit du an deinem Ende weise wirst.
Aber schon in Dtn 32,20b war das „Ende“ (ĭĜīĚē) des Volkes gewissermaßen von JHWH in den Blick genommen worden: ĠĭĜīĚēėġėēīē
Ich will sehen, was ihr Ende ist.
Wenn Dtn 32,29 nun unterstreicht, dass dem Volk selbst dieser „Durchblick“ fehlt,586 wird also einerseits der Gegensatz zwischen JHWH und seinem Volk betont (er sieht, was sie nicht erkennen können) und andererseits die Haltung des Volkes nachdrücklich als unweise charakterisiert. 587 Ähnliches geschieht mehrfach im Jesaja-Buch in den Kapiteln 1–39, wenn dort „der Terminus ‚Ratschluss‘ (ėĩĥ) die Gegenüberstellung von JHWHs Geschichtslenkung und den vergeblichen Versuchen seiner Gegner, ihre eigenen Pläne und Absichten durchzusetzen (vgl. [Jes] 5,19; 11,2; 14,26; 19,17; 25,1 und 8,10; 19,3.11; 29,15; 30,1; 36,5)“ bezeichnet und dabei „Weisheit“ (ėġĞĚ) „gleichermaßen innerhalb der Kap. 1–39 die Gegenüberstellung von JHWH und seinen Gegnern markiert (11,2; 31,2; 33,6 und 5,21; 10,13; 19,11; 29,14).“ 588
585
Vgl. auch die endlich endende Qual der betenden Person in Ps 73,17 (bezogen auf die Einsicht in das Schicksal der Frevler): ĠĭĜīĚēğėģĜĔēğēČĜĬĖĪġČğēēĘĔēČĖĥ („…bis ich kam in die Heiligtümer Gottes, achtete auf ihr Ende“). 586 Vgl. die (unerfüllbare Bedingungen einleitende) Wunschpartikel Ęğ („wenn doch“, „wenn nur“) in Dtn 32,29a. 587 Vgl. STÄHLI 1971, 751: „Die häufig im Wortfeld von jҵ܈/ҵƝ܈Ɨ vorkommenden Wurzeln ۊkm, bƯn, Ğkl mit ihren Derivaten […] machen deutlich, daß die Wurzel j ৢޏin den Bereich der Weisheit gehört.“ Alle drei genannten Verben werden jedoch in Dtn 32,29 mit Bezug auf das Volk verneint. 588 BEUKEN 2010, 95 (zu Jes 28,29).
3.3 Die einzelnen Motive
207
Interessanterweise begegnen auch die einschlägigen Verben ĠĞĚ („weise sein“), ğĞř Hif („begreifen“), ğ ĢĜĔ („achten auf”) zusammen mit dem Substantiv ėĩĥ sowohl in klassisch weisheitlichen Büchern als auch bei den Propheten.589 Außerdem dienen die Verben ğĞř Hif XQG ĢĜĔ Hif mehrfach bei Daniel zur Charakterisierung der weisen Gefährten.590 Folglich scheint das Moselied sich in eine v.a. für Proto-Jesaja prägend gewordene Tradition der Deutung des göttlichen Ratschlusses mit Hilfe weisheitlicher Kriterien einzureihen. Als Besonderheit des Liedes aber ist anzusehen, dass es die Themen „Strafe“ und „Erkenntnis“ verbindet.591 3.3.16 Die Sentenz von der Verfolgung durch Wenige (V.30) Für das erste Bikolon von Dtn 32,30 gibt es Parallelen in Lev 26,8; Jos 23,10; Jes 30,17. Dtn 32,30a–b: ĦğēĖĚēĦĖīĜėĞĜē ėĔĔīĘĤĜģĜĠĜģĬĘ
Wie verfolgt ein Einzelner Tausend und Zweie schlagen Zehntausend in die Flucht…
Lev 26,8: Und fünf von euch werden hundert verfolgen und hundert von euch werden zehntausend verfolgen und eure Feinde werden vor euch durch das Schwert fallen.
ėēġėĬġĚĠĞġĘħĖīĘ ĘħĖīĜėĔĔīĠĞġėēġĘ ĔīĚğĠĞĜģħğĠĞĜĔĜēĘğħģĘ
Jos 23,10: Ein Mann von euch verfolgt tausend, denn JHWH, euer Gott, ist es, der für euch kämpft, wie er zu euch geredet hat.
ĦğēČĦĖīĜĠĞġĖĚēČĬĜē ĠĞğĠĚğģėēĘėĠĞĜėğēėĘėĜĜĞ ĠĞğīĔĖīĬēĞ
Jes 30,17: Tausend werden vor dem Drohen von einem, vor dem Drohen von Fünfen werdet ihr fliehen, bis ihr übrig bleibt wie der Mast auf der Spitze des Berges und das Banner auf dem Hügel.
ĖĚēĭīĥĕĜģħġĖĚēĦğē ĘĤģĭėĬġĚĭīĥĕĜģħġ īėėĬēīČğĥĢīĭĞĠĭīĭĘģČĠēĖĥ ėĥĔĕėČğĥĤģĞĘ
In allen vier Texten geht es darum, dass eine kleine Anzahl von Verfolgern eine Gruppe von Menschen zur Flucht zwingt. Dabei verwenden Lev 26,8 (in
589
Vgl. Hi 42,3; Prov 19,20; Jer 49,7; Mi 4,14 sowie STÄHLI 1971, 751 für weitere Beispiele mit den Derivaten der Wurzeln. 590 Vgl. Dan 1,4.17; 9,22, aber auch die Beschreibung der Auserwählten in Dan 11,33; 12,10. 591 Vgl. jedoch für eine ähnliche Tendenz in Jes 26 oben 3.3.13.2.
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
einem Segenswort JHWHs an das Volk) und Jos 23,10 (in einer Paränese Josuas) ebenfalls das Verb ĦĖī („verfolgen“, vgl. Dtn 32,30a), während das Verb ĤĘģ sowohl in Dtn 32,30b (hier im Hifޏil: „in die Flucht schlagen“) als auch in einer Drohung JHWHs gegenüber Israel in Jes 30,17 (hier im Qal: „fliehen“) begegnet.592 Hinsichtlich des Vokabulars scheint das Moselied eine Kombination der übrigen Texte zu bieten, denn nur in Dtn 32,30a–b kommen beide Verben vor. Inhaltlich entspricht Dtn 32,30a–b eher dem Jesaja-Text, wie die Fortsetzung in Dtn 32,30c–d zeigt: …wenn nicht deshalb, weil ihr Fels sie verkauft und JHWH sie preisgegeben hat?
ĠīĞġĠīĘĩČĜĞēğČĠē ĠīĜĕĤėėĘėĜĘ
Sowohl in Dtn 32 als auch in Jes 30 sind es die Israeliten, die in großer Zahl vor einer kleinen Anzahl Verfolger zurückweichen müssen, während Lev 26 und Jos 23 die umgekehrten Verhältnisse zum Zeichen für JHWHs Beistand erklären. Beide Möglichkeiten verbindet der – Segen und Fluch alternierende – Text Dtn 28,7.25. Anders als alle genannten Parallelen spricht das Moselied in Dtn 32,30 das Volk allerdings nicht direkt an, sondern redet in dritter Person von ihm. Die Parallelisierung des Gottesnamens JHWH mit dem Epitheton „Fels“ (īĘĩ) in Dtn 32,30c–d entspricht innerhalb des Moseliedes den Gleichsetzungen von ğē („Gott“) und īĘĩ in Dtn 32,4.18 sowie von ėĘğē („Gott“) und īĘĩ in Dtn 32,15 und ist auch ansonsten geläufig in hymnischen Texten.593 Die Ausdrucksweise, dass JHWH sein Volk „verkauft“ (īĞġ), vgl. Dtn 32,30c, ist hingegen typisch für das Buch Richter.594 Sie erscheint dort immer in der Verbindung ĖĜĔ īĞġ („in die Hand [von jemandem] verkaufen“) und in insgesamt stereotypen Wendungen, um die Strafe für einen Frevel zu beschreiben.595 Der skizzierte Konkordanzbefund legt nahe, dass sich das Moselied in Dtn 32,30 bereits geprägter Formulierungen bedient, um zu verdeutlichen, wie wichtig der Beistand JHWHs ist, ohne dass ein tieferer theologischer Zusammenhang mit den genannten Parallelstellen erkennbar wäre. Der Rückgriff auf geprägte Sprache kann als weiterer Hinweis auf den sekundären Charakter des Verses im Moselied gewertet werden.596
Vgl. für ĤĘģ Qal („fliehen“) auch Segen und Fluch in Dtn 28,7.25 (Segen: Feinde fliehen, Fluch: Israel flieht). 593 Vgl. 1.Sam 2,2; 2.Sam 22,32.47/Ps 18,3.32.47; Ps 19,15; 28,1; 92,16; 94,22; 95,1; 144,1; Jes 26,4; 30,29; 51,1; Hab 1,12 sowie oben 3.3.3. 594 Vgl. GROß 2009, 203. 595 Vgl. Ri 2,14; 3,8; 4,2; 10,7; sonst nur vereinzelt, vgl. 1.Sam 12,9; Ps 44,13; Jes 50,1 sowie mit anderen Völkern als Objekt Ez 30,12 (Ägypten); Joel 4,8 (Tyros und andere Feinde). 596 Vgl. die Literarkritik in Kap. 2.C. 592
3.3 Die einzelnen Motive
209
3.3.17 Der Fels und die anderen: JHWH in Abgrenzung zu Göttern und Menschen (V.31) Nur im Moselied in V.31 wird die Bezeichnung īĘĩ („Fels“) auch für einen fremden Gott gebraucht: ĠīĘĩĘģīĘĩĞēğĜĞ ĠĜğĜğħĘģĜĔĜēĘ
Ja, nicht wie unser Fels ist ihr Fels und unsere Feinde sind Vollstrecker.
In der gesamten Hebräischen Bibel ist dieses Epitheton sonst ausschließlich JHWH vorbehalten – und wird, wie bereits erwähnt, zumeist in Parallele mit (seinen) anderen Gottesnamen und -bezeichnungen verwendet.597 In V.37 des Moseliedes wird durch JHWHs rhetorische Frage nach den anderen „Göttern“ die Annahme, auch diese seien als „Felsen“ anzusprechen, als Trugschluss erwiesen. Dtn 32,37: ĘġĜėğēĜēīġēĘ ĘĔĘĜĤĚīĘĩ
Und er wird sagen: ‚Wo sind ihre Götter, der Fels, auf den sie vertraut haben?‘
Einige wenige Parallelen gibt es hingegen für den Ausdruck ĠĜğĜğħ („Richter“, „Vollstrecker“) in Dtn 32,31b, der hier die „Feinde“ des Volkes charakterisiert. Noch zweimal im Plural (vgl. Ex 21,22 in defektiver Schreibweise: ĠĜğğħ; Hi 31,11) und einmal im Singular (vgl. Hi 31,28: ĜğĜğħ) bezeichnet der Begriff offenbar eine strafmittlerische Instanz. Nach Ausweis der drei genannten Stellen wird sie gebraucht, wenn Menschen sich so aneinander oder an Gott versündigen, dass ein gewöhnliches Gericht ausfällt.598 In Ex 21,22 wird der Fall geschildert, dass eine Frau als Zuschauerin eines Streits durch den Stoß eines Mannes ihr Kind verliert. Die Konsequenz lautet: …bestraft soll er werden, wie es der Mann der Frau ihm auferlegt, und er wird es durch Richter/Vermittler599 geben.
ğĥĔĘĜğĥĭĜĬĜīĬēĞĬģĥĜĬĘģĥ ĠĜğğħĔĢĭģĘėĬēė
Im 31. Kapitel des Hiob-Buches zählt Hiob Sünden auf, die er nicht begangen hat, die aber ansonsten gerichtet werden müssten. So beteuert er in Hi 31,9–10,
Das wesentlich seltener als Gottes-Epitheton gebrauchte Äquivalent ĥğĤ ist fünf Mal auf JHWH bezogen, vgl. 2.Sam 22,2; Ps 18,3; 31,4; 42,10; 71,3, und einmal (in Jes 31,9) auf den Gott Assurs, vgl. oben Anm. 135. 598 Vgl. DE WARD 1977, 1. 599 Vgl. NOTH 1973, 137: „Schiedsrichter“; DOHMEN 2004, 140: „Wächter“; ALBERTZ 2015, 79: „Schiedsrichter“. 597
210
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
sofern er sich zur Frau seines Nächsten verirrt hätte, müsste er entsprechend seine eigene Frau verlieren, vgl. den folgenden Vers Hi 31,11: Denn das ist eine Schandtat und das ist eine Schuld für die Richter600…
ĠĜğĜğħĢĘĥēĘėĘėġęēĘėČĜĞ
In Hi 31,27 dagegen verwahrt sich Hiob davor, die Gestirne verehrt zu haben, vgl. wiederum das Folgende in Hi 31,28: ĜğĜğħĢĘĥēĘėČĠĕ
Auch das ist eine Schuld für den Richter.
An allen drei Stellen scheint es die Aufgabe der ĠĜğĜğħ zu sein, im Falle eines Vergehens im Namen der geschädigten Person für einen entsprechenden Ausgleich oder eine Strafe zu sorgen. Dies ist grundsätzlich auch die Funktion der „Feinde“ in Dtn 32,31, da sie nicht in eigener Sache auftreten, sondern lediglich von JHWH dazu eingesetzt wurden, sein Volk zu bestrafen. Darüber hinaus werden für die rein hypothetischen Szenarien in Ex 21,22; Hi 31,11.28, bei denen die Person des Strafmittlers unerheblich ist, und die Situation im Moselied mit der konkreten Zuschreibung dieser Aufgabe zu einer bestimmten Personengruppe (den „Feinden“) keine Gemeinsamkeiten erkennbar. Weiterhin sind zwei der insgesamt vier Belege für das Piޏel von ğğħ wie die nominalen Parallelen in Ex 21,22; Hi 31,11.28 verstehbar im Sinne eines stellvertretend richtenden Handelns (1.Sam 2,25; Ps 106,30).601 In der Mahnrede Elis an seine Söhne in 1.Sam 2,25 ist JHWH Subjekt von ğğħ Pi („richten“),602 zudem begegnet auch ğğħ Hitp („bitten“, „eintreten für“): Wenn ein Mensch gegen einen Menschen sündigt, dann ĠĜėğēĘğğħĘĬĜēğĬĜēēěĚĜČĠē ĘğČğğħĭĜĜġĬĜēČēěĚĜėĘėĜğĠēĘ wird Gott ihn richten. Aber wenn ein Mensch gegen JHWH sündigt, wer wird für ihn eintreten?
In Ps 106,28–31 wird die Sünde und Bestrafung des Volkes wegen des BaޏalPeor (vgl. Num 25) zusammengefasst und das Eintreten des Pinchas gegen ein frevlerisches israelitisch-midianitisches Paar mit dem Verb ğğħ Pi wiedergegeben, vgl. Ps 106,30: …und Pinchas stand auf und richtete/vollstreckte ein Urteil und die Plage hörte auf.
ėħĕġėīĩĥĭĘğğħĜĘĤĚģĜħĖġĥĜĘ
600
Für die Übersetzung „Richter“ hier und in Hi 31,28 vgl. F OHRER 1989, 423.424; sinngemäße Umschreibungen bei WEISER 1968, 210.211; STRAUß 2000, 163.164. 601 Die beiden anderen Belege finden sich in Gen 48,11; Ez 16,52. 602 Zur Ambivalenz des Verbs vgl. DE WARD 1977, 12, die darauf hinweist, ğğħ Pi könne hier entweder positiv im Sinne des Hitpaޏel („eintreten für“) oder aber negativ im Sinne von „Strafe vollstrecken“ verstanden werden.
3.3 Die einzelnen Motive
211
In diesem speziellen Fall bedeutet ʬʬʴ Pi offenbar, dass der Mensch Pinchas an JHWHs Stelle handelte, vgl. Num 25,11:603 Pinchas, der Sohn Eleasars, des Sohnes Aarons, des ĢėĞėĢīėēČĢĔīęĥğēČĢĔĤĚģĜħ Priesters, hat meinen Zorn von den Söhnen Israels abge- ğēīĬĜČĜģĔğĥġĜĭġĚČĭēĔĜĬė wendet, indem er mit meinem Eifer unter ihnen geeifert ĜĭĜğĞČēğĘĠĞĘĭĔĜĭēģĪČĭēĘēģĪĔ hat, so dass ich sie nicht in meinem Eifer vernichtet ĜĭēģĪĔğēīĬĜČĜģĔČĭē habe.
Und diese Dimension des Handelns entspricht auch dem in Dtn 32,31 Gesagten: Die Feinde des Volkes treten zwar als Strafende auf, sind aber nur Werkzeuge im Dienst JHWHs. Allerdings besteht der entscheidende Unterschied zwischen Pinchas und den „Feinden“ im Moselied darin, dass Letztere ihre Aufgabe verkennen. Anstatt mit einem echten gemeinsamen Motiv haben wir es in Dtn 32,31; Ps 106,30 folglich mit gleichartigem Sprachgebrauch zu tun.604 Allein auf Grund dieser Beobachtung jedoch kann der in Kapitel 2 erhobene Zweifel an der Ursprünglichkeit von Vers 31 im Moselied nicht weiter qualifiziert werden. 3.3.18 Die Verdorbenheit des Weinstocks (V.32–33) Dtn 32,32–33: 32
33
a b c d a b
Ja, vom Weinstock Sodoms ist ihr Weinstock und aus den Weingärten Gomorras. Ihre Weinbeeren sind giftige Weinbeeren, bittere Trauben haben sie. Drachengift ist ihr Wein und grausames Schlangengift.
ĠģħĕĠĖĤĢħĕġČĜĞ ėīġĥĭġĖĬġĘ ĬĘīČĜĔģĥĘġĔģĥ ĘġğĭīīġĭğĞĬē ĠģĜĜĠģĜģĭĭġĚ ī ęĞēĠĜģĭħĬēīĘ
In diesem längsten Zusatz zum Moselied sind drei Motive eng miteinander verwoben: „Sodom und Gomorra als Inbegriff der Sündhaftigkeit (V.32a–b)“, „Der Wein als Sinnbild des Volkes (V.32–33)“, „Das Gift der Frevler (V.32c– d.33)“.
603
Vgl. REUTER 1993, 61; PRÖBSTL 1997, 153. Anders HOSSFELD/ZENGER 2008, 131, die Pinchas in Num 25/Ps 106 als eintretend für Israel verstehen. 604 Dieser Befund ist jedoch interessant im Zusammenhang mit weiteren sprachlichen Ähnlichkeiten von Dtn 32 und Ps 106, auf die in Kap. 4 näher eingegangen wird. Vgl. ansonsten VOLKWEIN 1973, 204–207. Als sachlich (jedoch nicht lexikalisch) verwandte Stellen werden meist Ex 14,25; 1.Sam 4,8; 5,7 u.ä. angegeben, vgl. z.B. DILLMANN 1886, 407; S.R. DRIVER 1902, 372; LUNDBOM 2013, 895.
212
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
3.3.18.1 Sodom und Gomorra als Inbegriff der Sündhaftigkeit (V.32a–b) ć Ĥþ („SoAbgesehen von den Bezeichnungen für JHWH und sein Volk sind Ġš dom“) und ėīĆ ġć ĥĀ („Gomorra“) die einzigen Eigennamen, die im Moselied genannt werden.605 Insgesamt wird der Ort Sodom in der Hebräischen Bibel 19 Mal alleine erwähnt und außerdem noch 19 Mal zusammen mit Gomorra. Die Grundlage für die meisten dieser Belegstellen bildet die Erzählung von der Sünde und Zerstörung Sodoms und Gomorras in Gen 18–19. 606 Denn beide Städte und ihr Untergang werden (v.a. in den Prophetenbüchern) häufig als abschreckendes Beispiel für die Sünde oder die entsprechende Bestrafung von Völkern gebraucht.607 Im Pentateuch geschieht dies nur einmal in Dtn 29,22, wo die Israel drohende Strafe bei Verletzung des Bundes mit der Zerstörung Sodoms und Gomorras verglichen wird. Weitere Vergleiche mit Sodom (und Gomorra) für das Volk Israel finden sich mit anklagendem Blick auf die Sünde des Volkes bei Jesaja, Jeremia und Ezechiel608 und bei Amos im Rückblick auf strafende Zerstörung.609 Hinzu kommt in Anknüpfung an die prophetische Tradition die Verurteilung der Sünde Israels in Klg 4,6. 610 Gegenüber anderen Völkern dient der Vergleich mit Sodom und Gomorra dagegen stets dazu, die jeweiligen Zerstörungsandrohungen der Propheten zu verstärken.611 Sprachlich stimmen gerade die Beschreibungen des Untergangs auffällig überein. 612
605
Vgl. Kap. 2 und darin insbes. die Exkurse: „JHWHs Volk als Hörer des Moseliedes“; „Der Gott des Moseliedes“; „Die Feinde JHWHs“. Am auffälligsten ist, dass die Feinde in Dtn 32,21.27.41.42 nicht näher benannt werden. Aber auch die Anspielungen auf die Geschichte des Volkes und den Aufenthalt in der Wüste (vgl. Dtn 32,10–14) kommen im Unterschied zu anderen biblischen Retrospektiven (vgl. Kap. 4) ohne Ortsbezeichnungen aus. 606 Anders MULDER 1986, 764–765, der eher mit einer gemeinsamen außerbiblischen Quelle für Gen 19 und die Prophetentexte rechnet. 607 Vgl. außerdem Gen 10,19 (Völkertafel); 13,10.12.13 (Lots Gebiet); 14,2.8.10– 12.17.21.22 (Abrahams Sieg gegen kanaanäische Könige). In Gen 13,13 findet sich ein, vermutlich nachgetragener, Hinweis auf die Bosheit Sodoms:ėĘėĜğ ĠĜēěĚĘ ĠĜĥī ĠĖĤ ĜĬģēĘ Ėēġ („Aber die Menschen von Sodom waren böse und sündigten sehr gegen JHWH“), vgl. WESTERMANN 1989, 208. 608 Vgl. Jes 1,9.10; 3,9; Jer 23,14; Ez 16,46.48.49.53.55.56. Mit Blick auf den weiteren Kontext vgl. auch Jes 3,10–11 (Scheidung zwischen Frevlern und Gerechten); Jer 23,15: ĬēīČĜġĠĜĭĪĬėĘ („und ich werde ihnen Giftwasser zu trinken geben“). 609 Vgl. Am 4,11. 610 Vgl. BERGES 2002, 246 (zu Klg 4,6): „Mit dieser Einschätzung [d.h. dass die Sünde des Volkes größer ist als die Sodoms] wirft sich der Dichter den Mantel der Propheten um, für die die Zerstörung Sodoms das warnende Beispiel des strafenden Gottes war […].“ 611 So in Jes 13,19 (gegen Babel); Jer 49,18 (gegen Edom)/50,40 (gegen Babel); Zef 2,9 (gegen Moab und Ammon). 612 Vgl. die wiederkehrende Wendung ėīġĥĘ ĠĖĤĭĞħėġĞ („wie die Zerstörung Sodoms“ bzw. „Sodoms und Gomorras“) in Dtn 29,22; Jes 13,19; Jer 49,18; 50,40; Am 4,11 sowie Jes 1,7, sofern man ĠĜīę ĭĞħėġĞ („wie eine Zerstörung durch Fremdlinge“) zu ĠĖĤĭĞħėġĞ („wie die Zerstörung Sodoms“) konjiziert.
3.3 Die einzelnen Motive
213
Jedoch wird hinsichtlich des Gesamtbefunds zugleich ein flexibler Umgang mit der Tradition von der Sünde und Zerstörung Sodoms und Gomorras erkennbar: Erstens werden oft beide Städte zusammen genannt, manchmal jedoch auch Sodom alleine;613 zweitens kann sich der Vergleich entweder auf die Sünde oder auf die Zerstörung beziehen; drittens sind die mit Sodom und Gomorra verglichenen Sünden unterschiedlicher Art und viertens können sowohl Israel als auch andere Völker von dem Vergleich betroffen sein.614 Der zuletzt genannte Aspekt ist für die Literargeschichte des Moseliedes von zentraler Bedeutung. Denn nur so lässt sich erklären, dass durch den Einschub von V.31 der Vergleich mit Sodom und Gomorra vom Volk JHWHs auf die Feinde übergehen konnte.615 Wäre die Tradition fest mit nur einer der beiden Größen verbunden gewesen, hätte dem gewandelten Verständnis des Moseliedes ein Anknüpfungspunkt gefehlt. Angesichts der dargestellten, recht ausgewogenen Verteilung von Vergleichen mit Israel und mit anderen Völkern war es hingegen möglich, durch die Ergänzung von V.32–33 zunächst Israel mit Sodom und Gomorra zu vergleichen und den Aussagezusammenhang des bereits zweifach ergänzten Textes (Dtn 32,30.32–33) anschließend durch Einschub von V.31 dahingehend zu verändern, dass sich der Vergleich am Ende auf die Feinde bezog und Israel entlastet wurde (vgl. Dtn 32,30–33 in der heutigen Anordnung). 3.3.18.2 Der Wein als Sinnbild des Volkes (V.32–33) Ganz eigentümlich ist dem Moselied im Unterschied zu allen weiteren Parallelen die Verbindung der Sodom-und-Gomorra-Tradition mit der Wein-Motivik.616 Der „Weinstock“ (Ģħĕ) kann ein positives Bild für Israel sein.617 Wesentlich häufiger aber ist er ein negatives Symbol für Israel618 und gelegentlich auch für andere Völker.619 In einem negativen Sinn schließlich wird der Frevler in Hi 15,33 mit einem „Weinstock“ verglichen. Anders als das vielfach und vielseitig verwendete Bild vom „Weinstock“ werden Ĕģĥ („Weinbeere“) und ğĞŘē („Traube“) nur vergleichsweise selten in bildlicher Rede verwendet. Wie in Dtn 32,32c–d bezieht sich diese Rede stets auf das Volk Israel. Dort, wo das Volk durch ĠĜĔģĥ („Weinbeeren“) symbolisiert wird, geht es immer um seine
613
Vgl. Jes 3,9; Ez 16; Klg 4,6. 614 Vgl. MULDER 1986, 767: „Die Tradition ist variabel und ändert sich, je nachdem der Kontext auf spezielle Aspekte der ‚Bosheit‘ Sodoms verweist.“ 615 Vgl. Kap. 2.C. 616 Vgl. Dtn 32,32a: Ģħĕ („Weinstock“); V.32b: ĭġĖŘ („Weingärten“); V.32c: ĠĜĔģĥ („Weinbeeren“); V.32d: ĭğĞŘē („Trauben“); V.33a: ĢĜĜ („Wein“). 617 Vgl. Ps 80,9.15; Hos 14,8. 618 Vgl. Jer 2,21; 6,9; 8,13; Ez 15,2.6; 17,6.7.8; 19,10; Hos 10,1. 619 Vgl. Jes 16,8.9/Jer 48,32 (Moab); Jes 34,4 (Welt/Edom).
214
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Abtrünnigkeit von JHWH.620 In verschiedenen Variationen wird geschildert, wie die von JHWH geliebte Pflanze Israel sich nicht in der zu erwartenden Weise entwickelt und dafür von JHWH verurteilt wird.621 So ist im „Weinberglied“ in Jes 5 die Verfehlung Israels als Verfaulen der „Weinbeeren“ umschrieben, vgl. Jes 5,2 (und ähnlich V.4): …und [der Weinbergbesitzer] erwartete, dass [der Weinberg] Weinbeeren bringe, aber er brachte Faulbeeren.
ĠĜĬēĔĬĥĜĘĠĜĔģĥĭĘĬĥğĘĪĜĘ
Das Schicksal des „Weinstocks“ in Jer 8,13 ist es dagegen, gar keine „Weinbeeren“ mehr zu tragen, was ebenfalls als Schuldigbleiben des Volkes oder auch schon als Konsequenz göttlicher Bestrafung verstanden werden kann (vgl. Jer 8,12). Demgegenüber setzt Hos 9,10 zwar damit ein, dass JHWH sein Volk mit „Weinbeeren in der Wüste“ (īĔĖġĔĠĜĔģĥ) vergleicht. Die Bildebene wird dann aber verlassen und der Frevel Israels konkret als Abfall zum Baޏal-Peor beschrieben. Die Gemeinsamkeit der drei Texte besteht darin, dass sie alle einen Konflikt aufzeigen zwischen JHWHs ursprünglicher Intention mit seinem Volk (dem Gedeihen der Weinpflanze und dem Heranreifen von Weinbeeren) und dessen tatsächlicher Entwicklung zum Verderben.622 Der von JHWH intendierte Zustand wird einhellig mit dem Vorhandensein von „Weinbeeren“ gleichgesetzt. Lediglich das unrühmliche Schicksal wird unterschiedlich ausgestaltet, bei Hosea unter Verzicht auf jegliche bildliche Rede, bei Jeremia symbolisiert durch ausbleibende und bei Jesaja durch faulige Früchte. Ebenso sind die im Moselied genannten ŘĘīČĜĔģĥ (Dtn 32,32c: „giftige Weinbeeren“) und ĭīīġ ĭğĞŘē (Dtn 32,32d: „bittere Trauben“) als Produkte aus Sodom und Gomorra, d.h. als Folgen eines sündhaften Lebenswandels verstehbar.623 Wegen der Detailunterschiede und angesichts der weiten Verbreitung von Weinbau-Metaphorik ist eine direkte literarische Abhängigkeit dieser Texte untereinander jedoch nicht anzunehmen. Gleiches gilt auch mit Blick auf die bildhafte Verwendung des Begriffs ğĞŘē („Traube“). Je einmal wird er mit Bezug auf Israel in einem positiven (vgl. Jes 65,8), einmal in einem negativen Bild eingesetzt (vgl. Mi 7,1). Weitere Vokabelparallelen oder kontextuelle Übereinstimmungen liegen hier nicht vor. Wenn schließlich ĢĜĜ (Dtn 32,33a: „Wein“) in bildlicher Rede begegnet, so
620
Vgl. Jes 5,2.4; Jer 8,13; Hos 9,10. 621 Vgl. (auf Jer 8,13 nur bedingt zutreffend und mit der Deutung von Dtn 32,32–33 auf die Feinde Israels) ANGERSTORFER 1989, 229: „JHWH inspiziert die Taten der Völker, artikuliert im Bild vom Winzer, der seine Trauben beurteilt.“ 622 Vgl. BEUKEN 2003, 136 (zu Jes 5,2 aber mit Verweis auch auf die Parallelstellen): „Die Erwartung von ‚Trauben‘ […] ergibt sich logischerweise aus den Anstrengungen des Besitzers.“ 623 Vgl. auch unten 3.3.18.3.
3.3 Die einzelnen Motive
215
steht dies mehrmals im Zusammenhang mit JHWHs Zornesbecher (ĤĘĞ).624 Die Bedeutung ist dann klar negativ; gereicht wird der Becher jedoch von Fall zu Fall sowohl Israel als auch anderen Völkern.625 Mithin lässt sich für die bildliche Rede vom Wein in Dtn 32,32–33 keine klare Vorlage in der Hebräischen Bibel ermitteln. Die Ausdrucksweise des Moseliedes gehört vielmehr in einen Assoziationsraum, der wegen der landwirtschaftlichen Voraussetzungen der Umwelt nahelag. 626 Es lassen sich unterschiedliche Abstraktionsgrade beobachten. Das an vielen Stellen bereits erkennbar theologisch aufgeladene Verständnis des Weinstocks und seiner Erzeugnisse „als sichtbare Zeichen des Segens JHWHs“627 wird in anderen Texten weiter abstrahiert und auf die Beurteilung des Lebenswandels von Menschen übertragen, so dass deren Wohlergehen als reiche Frucht, ihr (wohlverdientes) Verderben hingegen als ausbleibende Ernte beschrieben werden können. Den meisten oben zitierten Texten ist dabei die gottgemäße Lebensweise des Volkes Israel das zentrale Anliegen, 628 allerdings werden als mahnende Beispiele auch andere Völker in den Blick genommen.629 Dies hat die Weinbau-Metaphorik mit der Sodom-und-Gomorra-Tradition gemeinsam. Auch die Kombination beider Motivkomplexe erlaubte folglich die wechselnde Zuordnung der Aussagen von Dtn 32,32–33 zu Israel und anschließend zu den Feinden.630 Vor dem skizzierten traditionsgeschichtlichen Hintergrund dürfte eine gegenüber Israel mahnende Tendenz in jedem Fall merkbar gewesen sein. 3.3.18.3 Das Gift der Frevler (V.32c–d.33) Als drittes Element neben den Bildern von „Sodom und Gomorra“ und des „Weines“ sind die Aussagen in Dtn 32,32–33 vom Thema des „Gifts“ und der „Bitterkeit“ geprägt. 631 Für die Begriffe Řēī (vgl. Dtn 32,33b, die Schreibweise ŘĘī ist Dtn 32,32c eigentümlich) und ėġĚ (vgl. Dtn 32,33a) zeigt der Parallelstellenvergleich, dass „Gift“ in beiden Fällen nur eine Nebenbedeutung ist. Bis auf zwölf Belege bedeutet Řēī immer „Kopf“ oder „Haupt“.632 Wo
624
Vgl. Ps 75,9; Jer 25,15; 51,7. 625 Vgl. DOMMERSHAUSEN 1982, 620: „Der Becher mit Wein in der Hand JHWHs ist Bild für Gottes Zorn- und Strafgericht über Israel und andere Völker.“ 626 Vgl. ANGERSTORFER 1989, 227–228; A.R. MÜLLER 2001, 1074. 627 HENTSCHKE 1977, 62, vgl. Gen 49,11–12 für eine Häufung entsprechender Begriffe im Jakobssegen für Juda, weitere Beispiele EBD., 63–65. 628 Vgl. Ps 80,9.15; Jes 5,2.4; 65,8; Jer 2,21; 6,9; 8,13; Ez 15,2.6; 17,6.7.8; 19,10; Hos 9,10; 10,1; 14,8; Mi 7,1. 629 Vgl. Ps 75,9; Jes 16,8.9; 34,4; Jer 25,15; 48,32; 51,7. 630 Vgl. wiederum Kap. 2.C. 631 Vgl. Dtn 32,32c: ŘĘīČĜĔģĥ („giftige Weinbeeren“); V.32d: ĭ īīġ ĭ ğĞŘē („bittere ġĚ („Drachengift“); V.33b: īęĞē ĠĜģĭħ Řēī („grausames SchlanTrauben“); V.33a: ĠģĜģĭ ĭ gengift“). 632 Vgl. auch Dtn 32,42.
216
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Řēī jedoch im Sinne von „Gift“ gebraucht wird, hat der jeweilige Text immer mit dem Schicksal von Menschen zu tun, entweder dem des Gottesvolkes633 oder auch dem einer einzelnen Person.634 Mit Řēī wird entweder der schlechte Charakter von Menschen635 oder aber die von ihnen zu erleidende Qual bzw. Strafe bezeichnet.636 Es handelt sich also durchweg um bildlichen Sprachgebrauch und auch die hier erkennbar werdende Verschiedenheit in der Verwendung des Sprachbildes hat der Umdeutung von Dtn 32,32–33 Vorschub geleistet.637 Besonders auffällig ist die Übereinstimmung zwischen Dtn 32,33 und Hi 20,16 (über die angemessene Bestrafung des Frevlers).
Dtn 32,33: ĠģĜĜĠģĜģĭĭġĚ ī ęĞēĠĜģĭħĬēīĘ
Drachengift ist ihr Wein und grausames Schlangengift.
Hi 20,16a: ĪģĜĜĠĜģĭħČĬēī
Schlangengift wird er saugen.
Noch seltener als Řēī wird das Lexem ėġĚ in der Bedeutung „Gift“ verwendet,638 während die Hauptbedeutung „Zorn“ ist. In Hab 2,15 sind beide Bedeutungen nicht voneinander zu trennen:639 Weh dem, der seinen Nächsten trinken lässt, dein Gift/ deinen Zorn beimischend…
ĝĭġĚĚħĤġĘėĥīėĪĬġĜĘė
Von den drei übrigen Belegen drückt einer wiederum die von JHWH auferlegte Qual aus640 und zwei dienen zur Charakterisierung von Frevlern.641 Mehrfach begegnet an den genannten Stellen auch das Lexem Ģĭħ („Schlange“, vgl.
633
Vgl. Dtn 29,17; Jer 8,14; 9,14; 23,15; Hos 10,4; Am 6,12. 634 Vgl. Hi 20,16; Ps 69,22; Klg 3,5.19. 635 Vgl. Dtn 29,17; Hos 10,4; Am 6,12. 636 Vgl. Hi 20,16; Ps 69,22; Jer 8,14; 9,14; 23,15; Klg 3,5.19. 637 Vgl. nur die Deutung des „Gifts“ als Strafe bei TIGAY 1996, 311; NELSON 2002, 376. 638 Vgl. Hi 6,4; Ps 58,5; 140,4. 639 Möglicherweise spielt auch der Text von Dtn 32,33 mit dieser Doppeldeutigkeit, so dass in der Beurteilung der Frevler (als giftig) zugleich JHWHs Reaktion (Zorn) mitklingt, vgl. LXX, die sowohl ėġĚ als auch Řēī mit ùýöĻÏ („Zorn“) übersetzt: ùýöļÏîúëôĻ÷üþ÷ ĽøŮ÷øÏëŻüņ÷ôëťùýöļÏċûŤîþ÷ċ÷ŤëüøÏ („Zorn von Drachen ist ihr Wein und unheilbarer Zorn von Giftschlangen“) sowie LUNDBOM 2013, 896. 640 Vgl. Hi 6,4. 641 Vgl. Ps 58,5; 140,4.
3.3 Die einzelnen Motive
217
Dtn 32,33b) zur Verstärkung der Rede vom „Gift“.642 So geschieht es mit Blick auf den Charakter der Frevler in Ps 58,5: Gift haben sie gleich dem Gift der Schlange, wie eine taube Schlange, die ihr Ohr verschließt.
ĬĚģČĭġĚĭĘġĖĞĘġğČĭġĚ ĘģęēĠěēĜĬīĚĢĭħČĘġĞ
In Hi 20,14.16 dient die Rede von den „Schlangen“ hingegen dazu, die Strafe der Frevler zu illustrieren. Als Äquivalent zu ĠĜģĭħČŘēī (vgl. Hi 20,16 sowie Dtn 32,33b) findet sich in Hi 20,14 die Verbindung ĠĜģĭħ ĭīĘīġ („Galle/Gift von Schlangen“), was wieder an den Ausdruck ĭīīġ ĭğĞŘē („bittere Trauben“) in Dtn 32,32d erinnert.643 Die metaphorische Rede vom „Gift“ scheint demnach eng mit dem Nachdenken über das Sein und Ergehen von Frevlern verbunden zu sein. Möglicherweise ist die insbesondere bei Hiob bezeugte Auseinandersetzung mit individuellem Frevel644 aus weisheitlichem Denken in prophetische und andere Texte übernommen und dabei auf das ganze Volk ausgeweitet worden. Mit Blick auf das Moselied sind mehrere, teilweise bereits angedeutete Verknüpfungen interessant. So steht in Dtn 29,17 eine Warnung vor dem Bundesbruch: Auf dass es bei euch keine Wurzel gebe, die Gift und Wermut hervorbringt…
ėģĥğĘĬēīėīħĬīĬĠĞĔĬĜČĢħ
Hieran schließt sich in Dtn 29,22 ein Vergleich (der sonst erfolgenden Strafe) mit dem Ergehen Sodoms und Gomorras an. Umgekehrt folgt auf den Vergleich der Propheten und Bewohner Jerusalems mit Sodom und Gomorra in Jer 23,14 die Erwähnung von „Giftwasser“ (ŘēīČĜġ) als Strafe für die Propheten, die das Volk irreleiten, vgl. Jer 23,15: Siehe, ich lasse sie Wermut essen und Giftwasser trinken, denn von den Propheten Jerusalems ist Gottlosigkeit ausgegangen in das ganze Land.
ĠĜĭĪĬėĘėģĥğĠĭĘēğĜĞēġĜģģė ĠğĬĘīĜĜēĜĔģĭēġĜĞĬēīČĜġ ĨīēėČğĞğėħģĚėēĩĜ
Den einzigen weiteren Beleg für den Parallelismus von ĢĜģĭ („Drache“) und Ģĭħ („Schlange“) bietet Ps 91,13: ĢĜģĭĘ īĜħĞ Ĥġīĭ ĝīĖĭ ĢĭħĘ ğĚĬČğĥ („Auf Löwe und Schlange wirst du treten, zertrampeln Junglöwe und Drache“), wobei es sich jedoch um eine Verheißung handelt, die mit den übrigen Textstellen nichts zu tun hat. 643 Vgl. in dieser Bedeutung noch Hi 13,26: ĭ Ęīīġ Ĝğĥ ĔĭĞĭČĜĞ („Ja, Bitternisse schreibst du mir zu“). 644 Vgl. Hi 6,4; 20,14.16. 642
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Die Bildbereiche „Wein“ und „Gift“ werden dagegen in Jer 8,13–14 kombiniert, um das schlimme Ergehen des Volkes zu veranschaulichen, vgl. die Gottesrede in Jer 8,13: Es sind keine Weinbeeren am Weinstock und keine Fei- ėģēĭĔĠĜģēĭĢĜēĘĢħĕĔĠĜĔģĥĢĜē gen am Feigenbaum und die Blätter sind verwelkt. ğĔģėğĥėĘ
Die Reaktion des Volkes in Jer 8,14 lautet: JHWH, unser Gott, hat uns umkommen lassen und uns ĬēīČĜġĘģĪĬĜĘĘģġĖėĘģĜėğēėĘėĜ Giftwasser trinken lassen, denn wir haben gesündigt geėĘėĜğĘģēěĚĜĞ gen JHWH.
In Hos 10 schließlich ist zu lesen, wie der „üppige Weinstock“ Israel (Hos 10,1: ĪĪĘĔĢħĕ) so sehr verdorben ist, dass sein „Recht wie Gift in den Furchen des Feldes geblüht hat“ (Hos 10,4: ĜĖĬ Ĝġğĭ ğĥ ěħĬġ ĬēīĞ Ěīħ).645 Gegenüber den zitierten Parallelstellen hat es den Anschein, als hätte das Moselied den Nachdruck seiner Aussage in Dtn 32,32–33 durch die Kombination nicht nur zweier, sondern sogar dreier Motivkomplexe (Sodom-undGomorra, Wein, Gift) noch weiter steigern wollen. Zudem bestärkt die vermutete Herkunft der Giftmotivik aus der weisheitlichen Reflexion über das Schicksal von Frevlern das in Kapitel 2 vertretene Urteil, dass die Verse Dtn 32,32–33 ursprünglich einen Kommentar zum frevelhaften Charakter des Gottesvolkes darstellten. 3.3.19 JHWHs Gerichtsplan (V.34–36) Dtn 32,34–36: 34 35
36
a b a b c d a b c d
‚Ist es nicht verwahrt bei mir, versiegelt in meinen Kammern 646 der Rache und Vergeltung, für die Zeit, da ihr Fuß wankt? Ja, nahe ist der Tag ihres Verderbens und das ihnen Bereitete eilt herbei.‘ Ja, richten wird JHWH sein Volk und über seine Knechte sich erbarmen, wenn er sieht, dass die Kraft geschwunden ist und nichts mehr sind Gebundener und Freier.
ĜĖġĥĤġĞēĘėČēğė ĜĭīĩĘēĔĠĭĚ ĠğĬĘĠĪģĠĘĜğ ĠğĕīěĘġĭĭĥğ ĠĖĜēĠĘĜĔĘīĪĜĞ ĘġğĭĖĭĥĬĚĘ ĘġĥėĘėĜĢĜĖĜČĜĞ ĠĚģĭĜĘĜĖĔĥČğĥĘ ĖĜĭğęēČĜĞėēīĜĜĞ ĔĘęĥĘīĘĩĥĤħēĘ
Vgl. Am 6,12: ėģĥğğėĪĖĩĜīħĘěħĬġĬēīğĠĭĞħė („Ihr habt Recht zu Gift verkehrt und die Frucht der Gerechtigkeit zu Wermut“). 646 Zur Textkritik vgl. Kap. 1 Anm. 35. 645
3.3 Die einzelnen Motive
219
In der JHWH-Rede in V.34–35 verbindet sich das Motiv von „JHWHs Kammern (V.34)“ mit einer Konzeption, die sich als „Der Tag der Rache und Vergeltung (V.35–36b)“ bezeichnen lässt. Als weitere Motive erscheinen in diesem Zusammenhang „Die Knechte JHWHs (V.36b)“ und „JHWHs Feststellung, dass Gebundener und Freier nichts mehr sind (V.36c–d)“. 3.3.19.1 JHWHs Kammern (V.34) Da das Wort Ĥ ĉġ ĆŨ (Dtn 32,34a: „verwahrt“) ein Hapax legomenon ist, konzentriert sich die traditionsgeschichtliche Untersuchung von Dtn 32,34 auf das zweite Kolon und die Rede von den „versiegelten Kammern“. Dass sie „versiegelt“ seien, wird in der Hebräischen Bibel ansonsten meistens von Briefen oder Verträgen ausgesagt.647 In Bezug auf eine Offenbarung JHWHs wird das Verb ĠĭĚ („versiegeln“) hingegen in den Büchern Jesaja und Daniel benutzt.648 In all diesen Fällen geht es darum, dass der Wille JHWHs den Menschen (vorerst) verborgen ist, obwohl er sich auf ihre eigene Zukunft bezieht und sie somit direkt betreffen wird. Deshalb sind diese Belege als die engsten Parallelen zum Moselied anzusprechen.649 Am Schluss einer Gerichtsankündigung in der sog. Jesaja-Denkschrift/Immanuel-Schrift (Jes 6–8) lautet der Auftrag an den Propheten in Jes 8,16: Zeugnis zusammenbinden, Weisung versiegeln in meinen Schülern.
ĜĖġğĔėīĘĭĠĘĭĚėĖĘĥĭīĘĩ
Ferner wird JHWHs verhüllte Absicht mit seinem „verborgenen Angesicht“ in Verbindung gebracht, vgl. die Fortsetzung in Jes 8,17: Und ich werde warten auf JHWH, der sein Angesicht verbirgt vor dem Haus Jakob, und auf ihn hoffen.
ĭĜĔġĘĜģħīĜĭĤġėėĘėĜğĜĭĜĞĚĘ ĘğČĜĭĜĘĪĘĔĪĥĜ
Folgt man der in Kapitel 2 vertretenen Argumentation, dass das im Moselied in Dtn 32,34 unbestimmt bleibende ēĘė („es“) sich auf das in Dtn 32,20.29 erwähnte ĠĭĜīĚē („ihr Ende“) bezieht, so ist die Ähnlichkeit des Moseliedes mit Jes 8 unübersehbar. Beide Texte sprechen davon, dass dem Volk ein Schicksal
647
Vgl. 1.Kön 21,8 (Nabots Weinberg); Neh 10,1.2 (Vereinbarung nach dem Bußgebet); Est 3,12; 8,8.10 (verschiedene Schreiben des Königs); Jer 32,10.11.14.44 (Ackerkauf in Anatot). 648 Vgl. Jes 8,16; 29,11; Dan 9,24; 12,4.9. 649 Um die Ansicht zu stützen, Dtn 32,34 gelte der aufbewahrten Sünde der Feinde, wird als Parallele gelegentlich Hi 14,17 angeführt: ĜģĘĥČğĥğħěĭĘĜĥĬħīĘīĩĔĠĭĚ („Versiegelt im Bündel wäre meine Sünde und du würdest meine Schuld übertünchen“). Das Partizip Ġ ĉĭ ĆĚ („versiegelt“) drückt hier jedoch gerade nicht aus, dass Hiobs Sünde für ein bevorstehendes Gericht aufbewahrt, sondern dass sie JHWHs Blick entzogen würde, vgl. aber S.R. DRIVER 1902, 373; ROSE 1994, 571.
220
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
bevorsteht, welches den Menschen selbst noch unbekannt ist und das davon bestimmt sein wird, ob JHWH „in seiner souveränen Verborgenheit“650 sich seinem Volk schließlich wieder gnädig zuwendet. Auf unterschiedliche Weise wird in beiden Texten die Hoffnung deutlich, dass diese neuerliche Zuwendung tatsächlich erfolgen wird.651 Zudem geht in Jes 8 dem Hinweis auf JHWHs Zukunftsplan eine Aussage über die Nichtigkeit menschlicher Pläne voraus, vgl. Jes 8,10: Plant einen Plan und er wird zerbrochen, beredet eine ĠĘĪĜēğĘīĔĖĘīĔĖīħĭĘėĩĥĘĩĥ Sache und sie wird sich nicht ergeben, denn mit uns ist ğēĘģġĥĜĞ Gott.
Dagegen hatte es in Dtn 32,28a in Bezug auf Israel geheißen: Denn sie sind eine Nation, die an Plänen zugrunde geht.
ėġėĭĘĩĥĖĔēĜĘĕČĜĞ
Im Weheruf Jes 29 wird JHWHs Zukunftsdrohung mit einer „versiegelten Schrift“ verglichen, da das Volk ihren Inhalt nicht versteht, vgl. Jes 29,11: Und die Vision von allem war für euch wie die Worte īħĤėĜīĔĖĞğĞėĭĘęĚĠĞğĜėĭĘ der versiegelten Schrift, die man einem gibt, der eine īħĤĥĖĘĜČğēĘĭēĘģĭĜČīĬēĠĘĭĚė Schrift kennt, indem man sagt: ‚Lies dies doch!‘ und er ĜĞğĞĘēēğīġēĘėęČēģēīĪīġēğ sagt: ‚Ich kann es nicht, denn sie ist versiegelt.‘ ēĘėĠĘĭĚ
Auch hier betont das Ende des Abschnitts den Gegensatz zwischen JHWHs Absichten und menschlicher Weisheit, vgl. Jes 29,14: Deshalb, siehe, ich werde dieses Volk weiter wunderbar behandeln, wunderbar und wundersam behandeln, und die Weisheit seiner Weisen wird zugrunde gehen und der Verstand seiner Verständigen wird sich verbergen.
ČĠĥėČĭēēĜğħėğĦĤĘĜĜģģėĢĞğ ĭġĞĚėĖĔēĘēğħĘēğħėėęė ī ĭĭĤĭĘĜģĔģĭģĜĔĘĘĜġĞĚ
Vergleichbar resignativ und lexikalisch ähnlich ist Dtn 32,29 formuliert: Wenn sie weise wären, könnten sie dies begreifen, auf ihr Ende achten.
ĭ ēęĘğĜĞĬĜĘġĞĚĘğ ĠĭĜīĚēğĘģĜĔĜ
In einen apokalyptischen Kontext rückt das Daniel-Buch die Rede von einer versiegelten Offenbarung. In Kapitel 9 wird Daniel vom Engel Gabriel
650
BEUKEN 2003, 230 (zu Jes 8,16–18). 651 Vgl. Dtn 32,36.43; Jes 8,17–18 sowie DUHM 1968, 85; KAISER 1981a, 190–191; BEUKEN 2003, 231: „Diese wichtige Sicht des Gerichts, die die prophetische Existenz unverbrüchlich mit einem Leben in der Hoffnung auf JHWH über dessen Verhüllung hinaus verbindet, stützt sich auf die Tatsache, dass ‚JHWH Zebaot auf dem Berg Zion wohnt‘ […]“.
3.3 Die einzelnen Motive
221
ausersehen, Einsicht in JHWHs Zukunftspläne zu nehmen, während zugleich beschlossen ist „Schauung und Prophet zu versiegeln“ (vgl. Dan 9,24:ĠĭĚğ ēĜĔģĘĢĘęĚ). Noch einmal ergeht dann in Kapitel 12 an Daniel der Auftrag, sein Wissen um die kommenden Ereignisse vorerst geheim zu halten, vgl. Dan 12,4: Aber du Daniel, verschließe die Worte und versiegle die Schrift bis zur Endzeit.
ĠĭĚĘĠĜīĔĖėĠĭĤğēĜģĖėĭēĘ ĨĪĭĥČĖĥīħĤė
Im Anschluss an die Beschreibung des in Leinen gekleideten Mannes (vgl. Dan 12,7), die manches mit JHWHs Auftreten in Dtn 32,40 gemein hat,652 bekräftigt Dan 12,9, dass die Offenbarung des Gotteswillens einem späteren Zeitpunkt vorbehalten ist: Und er sagte: ‚Geh Daniel, denn die Dinge sind verschlossen und versiegelt bis zur Endzeit.‘
ĠĜġĭĚĘĠĜġĭĤČĜĞğēĜģĖĝğīġēĜĘ ĨĪĭĥČĖĥĠĜīĔĖė
Und schließlich greift auch Dan 12,10 das Thema der (mangelnden) Einsicht auf: …und alle Frevler werden nicht verstehen, aber die Einsichtigen werden verstehen.
ĠĜğĞĬġėĘĠĜĥĬīČğĞĘģĜĔĜēğĘ ĘģĜĔĜ
Alle vorgestellten Texte gehen davon aus, dass JHWHs Pläne für die Zukunft seinem Volk nicht unmittelbar einsichtig sind. In Jes 29 scheint nur JHWH allein das Kommende absehen zu können, während die Figur des Propheten in Jes 8 immerhin eine (begründete) Hoffnung auf eine heilvolle Zukunft hat. Beide Kapitel im Jesaja-Buch aber weisen auch darauf hin, dass dem Volk das rechte Verständnis für JHWHs Absichten fehlt. Im Daniel-Buch wiederum teilt JHWH sein Wissen mit Daniel und hebt ihn dadurch von allen anderen Menschen ab. Die Offenbarung der versiegelten Zukunftspläne wird hier ausdrücklich mit einer Scheidung zwischen „Frevlern“ (ĠĜĥŘī) und „Einsichtigen“ (ĠĜğĞřġ) verbunden. Eine solche Scheidung deutet sich im Moselied ebenfalls an. Sie ist aber, wie die weitere Betrachtung von Dtn 32,34–35 zeigen wird, eng mit prophetischen Gerichtsvorstellungen verknüpft. Insofern scheint das Lied eine mittlere Position zwischen den weisheitlich gefärbten, immanent bleibenden Zukunftsdrohungen des Jesaja-Buches und den apokalyptischen Endzeiterwartungen bei Daniel einzunehmen. Die Angabe des Ortes, an dem JHWHs Plan für das „Ende“ des Volkes verborgen ist, verstärkt den (v.a. in der Analyse der Strafandrohungen in Dtn 32,20–25 gewonnenen) Eindruck, dass das Moselied im Kontext prophetischer Gerichtsankündigungen zu verstehen ist. Während mit dem Ausdruck
652
Vgl. dazu unten 3.3.22.1.
222
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
īĩĘē („Kammer“, vgl. Dtn 32,34b) meist Vorrats- oder Schatzkammern im Palast oder im Tempel bzw. die darin enthaltenen Vorräte oder Schätze653 und gelegentlich auch die Besitztümer von Völkern654 oder einzelnen Menschen655 bezeichnet werden, sind im Vergleich mit dem Moselied jene weitaus wenigeren Stellen von Bedeutung, an denen mit īĩĘē ein Ort bei JHWH gemeint ist. Dies ist im Pentateuch nur noch in Dtn 28,12 der Fall, wo mit dem Begriff īĩĘē auf den himmlischen Regenspeicher als Quelle des göttlichen Segens verwiesen wird. Als Ausdruck für JHWHs umfassende Gewalt über die Schöpfung wird zweimal in den Psalmen seine Autorität über die „Kammern der Tiefen“ (vgl. Ps 33,7: ĭĘġĘėĭ ĭĘīĩē) bzw. des „Windes“ angeführt, vgl. Ps 135,7: ĘĜĭĘīĩĘēġ ĚĘīČēĩĘġ („der den Wind herausbringt aus seinen Kammern“). Letztere Formulierung findet sich ganz ähnlich auch zweimal im Buch Jeremia, vgl. Jer 51,16 (10,13): …und er brachte den Wind heraus aus seinen Kammern.
ĘĜĭīĩēġĚĘīēĩĘ ĜĘ
Die beiden Verse gehören zu einer längeren Doppelung im Jeremia-Buch (vgl. Jer 10,12–16 = 51,15–19), wobei Jer 10 innerhalb des Buches der ältere Text zu sein scheint656 und zudem auch die Vorlage für die Rezeption in Ps 135 geliefert haben dürfte.657 In Jer 10 steht die fragliche Formulierung, die selbst Teil eines „Jahwehymnus“658 ist, im Zusammenhang einer Polemik gegen Israels Götzen. Dasselbe Lob auf JHWHs Schöpfermacht wird dann zur Verstärkung der Drohungen gegen Babel 659 auch in die lange Spruchkomposition Jer 50–51 übernommen. Im Vergleich mit Jer 10, wo der Fokus insgesamt auf dem einzigartigen Gottsein JHWHs liegt, fällt umso deutlicher auf, wie in Jer 50–51 Aussagen unterschiedlicher Art verknüpft sind und wie stark dabei
653
Vgl. alle Belege in den Büchern Jos, Kön, Chr, Esr, Neh sowie Jes 39,2.4; Jer 38,11; Dan 1,2; Mal 3,10. 654 Vgl. Jes 2,7; 30,6; 45,3; Jer 15,13; 17,3; 20,5; 48,7; 49,4; 50,37; 51,13; Ez 28,4; Hos 13,15; Joel 1,17; Mi 6,10. 655 Vgl. Prov 8,21; 10,2; 15,16; 21,6.20. 656 Vgl. DUHM 1901, 102; RUDOLPH 1968, 75.309; WEISER 1969, 434; CARROLL 1986, 841; WANKE 2003, 450; G. FISCHER 2005a, 398; DERS. 2005b, 607. 657 Vor allem aus psalterkompositorischen Gründen (Aufnahme von Elementen der Nachbarpsalmen und zentraler Passagen aus verschiedenen Teilen der Bibel, insgesamt kompilatorischer Charakter) ist davon auszugehen, dass Ps 135 den Prophetentext rezipiert hat, wobei der Horizont gewahrt blieb und die jeremianischen Aussagen als Begründung des Gotteslobs verwendet wurden, vgl. DELITZSCH 1894, 772–773; SEYBOLD 1996, 503–504; HOSSFELD/ZENGER 2008, 662–663.667, aber auch CARROLL 1986, 259. 658 WEISER 1969, 87. Für die Nicht-Ursprünglichkeit von Jer 10,1–16 im Jeremia-Buch vgl. z.B. RUDOLPH 1968, 71; CARROLL 1986, 254. 659 Vgl. Jer 50,1: ēĜĔģėĘėĜġīĜĖĜĔĠĜĖĬĞĨīēČğēğĔĔČğēėĘėĜīĔĖīĬēīĔĖė („Das Wort, das JHWH geredet hat gegen Babel, gegen das Land der Kasdäer, durch den Propheten Jeremia“).
3.3 Die einzelnen Motive
223
die Charakterisierung JHWHs der Gerichtsbotschaft gegenüber Babel dienstbar gemacht wird. Gut erkennbar ist der eklektische Charakter des Textes auch am verschiedenartigen Gebrauch des Begriffs īĩĘē, der in Jer 50–51 an vier Stellen mit drei Bedeutungen vorkommt: In Jer 50,37; 51,13 wird dabei schlicht der Reichtum Babels bezeichnet,660 in Jer 51,16 findet sich das zitierte Schöpferlob mit dem Hinweis auf JHWHs Gewalt über die „Kammern“ des Windes. Eine ganz andere Art „Kammer“ scheint dagegen der allererste Beleg für īĩĘē innerhalb dieses Abschnitts vorauszusetzen, vgl. Jer 50,25:661 JHWH hat seine Kammer geöffnet und die Werkzeuge seines Zorns herausgebracht.
ĜğĞČĭēēĩĘĜĘĘīĩĘēČĭēėĘėĜĚĭħ Ęġĥę
Genau wie im Moselied in Dtn 32,34 wird auch in Jer 50,25 auf einen Ort bei JHWH angespielt, der nur ihm zugänglich ist und über deren Inhalt er allein verfügt. Die eindeutige Identifizierung dieses Inhalts mit feindlichen Kämpfern (den „Werkzeugen seines Zorns“) in Jer 50,25 hat bisweilen zu einer entsprechenden Engführung in der Deutung von Dtn 32,34–35 geführt.662 Als Gemeinsamkeit beider Texte ist jedoch der enge Bezug zu Gerichtsvorstellungen festzuhalten. Eine direkte Verbindung der in Jer 50,25 und 51,16 getrennt präsentierten Sphären (des Zorns bzw. der Wetterphänomene) ist in der JHWH-Rede in Hi 38,22–23 zu beobachten: Bist du zu den Kammern des Schnees gekommen und sahst du die Kammern des Hagels, die ich zurückgehalten habe für die Zeit der Bedrängnis, für den Tag des Kampfes und des Krieges?
ĕğĬĭĘīĩēČğēĭēĔė ėēīĭĖīĔĭĘīĩēĘ ī ĩČĭĥğĜĭĞĬĚČīĬē ėġĚğġĘĔīĪĠĘĜğ
Die beiden Verse sind Teil von JHWHs Antwort an Hiob in Hi 38–39. Mit Hilfe von rhetorischen Fragen betont JHWH in diesen Kapiteln, wie seine göttliche Weisheit und Vorsehung menschliches Vermögen übersteigen. Ein Beispiel dafür, dass die Sphäre JHWHs den Menschen (und damit auch Hiob) unzugänglich bleibt, sind seine himmlischen „Kammern“. Deren Inhalt ist Hi 38,22–23 zufolge nicht allein meteorologischer Natur, sondern umfasst in einem abstrakteren Sinne auch das Schicksal von Menschen.663
660
Vgl. oben Anm. 654. 661 Möglicherweise greift der Vers hier auf die Gerichtsankündigung gegen Babel in Jes 13 zurück, vgl. Jes 13,5: ĨīēėČğĞğĔĚğĘġĥęĜğĞĘėĘėĜĠĜġĬėėĩĪġĪĚīġĨīēġĠĜēĔ („Sie kommen aus einem fernen Land, vom Ende der Himmel, JHWH und die Werkzeuge seines Zorns, um das ganze Land zu verderben“) sowie RUDOLPH 1968, 303; WEISER 1969, 430; G. FISCHER 2005b, 583. 662 Vgl. Kap. 2 zur Deutung des ēĘė in Dtn 32,34a als aufbewahrte Strafe. 663 Vgl. FOHRER 1989, 506; STRAUß 2000, 362–363.
224
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Exkurs: Zugang zu den göttlichen Kammern Eine zusätzliche Einsicht hinsichtlich des Motivs der göttlichen „Kammern“ (ĭīĩĘē) liefert die Betrachtung altorientalischer sowie nicht-kanonischer jüdischer Parallelen: Innerbiblisch deutet zunächst der Vergleich von Jer 10 und 51 sowie auch der Kompositcharakter664 von Hi 38–39 darauf hin, dass es sich bei der Verbindung der Aspekte von Schöpfermacht und Geschichtswalten in diesem Motiv um eine literarisch recht späte Entwicklung handelt. Die zahlreichen lexikalischen und thematischen Verbindungen zwischen Jer 50–51 und Dtn 32 lassen ferner vermuten, dass die Verfasserin oder der Verfasser des Moseliedes sich an das dort entworfene Szenario anlehnt. Dabei ist es bemerkenswert, wie selbstverständlich im Moselied auf das Vorhandensein von etwas „Versiegeltem“ bei JHWH verwiesen wird, obgleich der genaue Gehalt gar nicht ausdrücklich genannt ist. Die (durch den Einschub der Verse 30.31.32–33 noch gesteigerte) Unklarheit um diesen verborgenen Vorrat erhellt sich indes bei einem Seitenblick auf außerbiblische Texte, in denen ebenfalls bestimmte Inhalte vor einer Mehrheit möglicher Adressierter verborgen gehalten werden. Christopher Begg hat schon 1988 in einem weit ausgreifenden Artikel angedeutet, dass sich hinsichtlich des Motivs der verschlossenen Kammer eine traditionsgeschichtliche Linie von mesopotamischen Herrschertexten über die alttestamentliche Literatur bis zur apokalyptischen Henoch-Überlieferung nachzeichnen lässt.665 Überblickt man dieses ganze Spektrum, kann es sich bei den verborgenen Gütern um sehr verschiedene Größen handeln. Entscheidend (und gerade für das Verständnis des Moseliedes von zentraler Bedeutung) ist, dass der Zugang zu der jeweiligen „Kammer“ nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen gewährt wird. Im Falle altorientalischer Herrscher entscheidet hierüber menschliche Willkür.666 In den nicht-kanonischen Apokalypsen – insbesondere in der Henoch-Literatur, aber auch in der syrischen Baruch-Apokalypse (2.Bar) und in 4.Esr – ist es hingegen JHWH selbst, der einer einzelnen Person das Privileg zugesteht, Einblick in die himmlischen Gefilde zu nehmen, wo sich Naturgewalten, 667 Segen, 668 gute Werke bzw. Gerechtigkeit, 669
664
Vgl. z.B. FOHRER 1989, 494–498. 665 Vgl. BEGG 1988. 666 Vgl. für die ausnahmsweise Öffnung königlicher Schatzkammern die Beispiele bei BEGG 1988, 16–17, aber auch 2.Kön 20,13/Jes 39,2. 667 1.Hen (= Äthiopischer Henoch) 17,3; 18,1 u.ö.; Übersetzung bei UHLIG 2003; 2.Hen (= Slawischer Henoch) 5–6; Übersetzung bei BÖTTRICH 2003; 2.Bar 10,11; 59,11; Übersetzung bei KLIJN 2003. 668 1.Hen 1,11. 669 2.Bar 14,12; 24,1; 4.Esr 7,77; Übersetzung bei STONE 1990.
3.3 Die einzelnen Motive
225
Ungerechtigkeiten 670 oder aber geheimes Wissen 671 unter Verschluss befinden.672 Anders als die Henoch-Schriften kennen 2.Bar und 4.Esr auch besondere „Kammern“ der Seelen, in denen allein die Seelen der Gerechten bis zu ihrer Auferstehung verwahrt zu werden scheinen.673 In den außerbiblischen Texten aus Qumran, die bei Begg ganz unberücksichtigt blieben, wird das Lexem īĩĘē („Kammer“) fast immer „in übertragener, theologischer und religiöser Bedeutung“ 674 gebraucht. Soweit der fragmentarische Zustand der Zeugnisse erkennen lässt, ist auch hier stets JHWH der Eigentümer einer solchen „Kammer“, die in 4Q418 einmal (wie in 2.Bar/ 4.Esr) ein Ruheort der Seelen zu sein scheint,675 in den meisten Fällen aber offenbar Weisheit bzw. „Erkenntnis(se)“ enthält.676 An einer Stelle in 4Q418 wird der Zugang zu Gottes īĩĘē („Kammer“) ausdrücklich mit der Erlangung von ğĞĬ („Verständnis“, „Verstand“) gleichgesetzt.677 In 4Q419 greift dagegen JHWH selbst und allein auf seine „Kammer“ zu, um Gericht zu halten.678 Außerdem ist in den qumranischen Texten generell ein enger Zusammenhang mit der Thematik von Licht und Dunkelheit festzustellen, was noch an die Rede von Wetterphänomenen erinnert, gleichzeitig jedoch auf abstraktere Vorstellungen vom Inhalt der göttlichen „Kammern“ hinweist.679 Die Belege der Hebräischen Bibel für JHWHs „Kammern“ scheinen ihrerseits mehrere Stufen einer Entwicklung von einer dinglichen zur einer metaphorisch-theologischen Vorstellung zu bezeugen.680 Den königlichen Schatzkammern noch sehr ähnlich ist „seine gute Kammer“ in Dtn 28,12 (ĔĘěė ĘīĩĘē),
670
1.Hen 42,3. 671 3.Hen (= Hebräischer Henoch) 8; Übersetzung bei HOFMANN 1985; 2.Bar 44,14. 672 Nach Ansicht von NEWSOM 1980, 324 ist Henochs himmlische Reise direkt nach dem Vorbild „altorientalischer Diplomatie“ („Near Eastern diplomacy“) gestaltet, wobei Gott die Rolle des Schätze besitzenden Herrschers einnimmt (mit Verweis auf 1.Kön 20,13). 673 Vgl. 1.Hen 22, aber 2.Bar 21,23; 30,2–4; 4.Esr 4,35.41; 7,32.80.95 sowie JUHÁS 2019. 674 RUNGELRATH 2011, 104. 675 4Q418 Fragment 237, Z.3, vgl. DJD XXXIV, 447 sowie RUNGELRATH 2011, 102. 676 4Q286 Fragment 1 ii, Z.7: ğĞĬīĩĘē, vgl. DJD XI, 12; 4Q298 Fragment 3+4 i, Z.9: ĭĘģĜĔīĩĘē, vgl. DJD XX, 23; 4Q418 Fragmente 81+81a, Z.9 (Parallelismus von ğĞĬ und ī ĩĘē), vgl. DJD XXXIV, 301 sowie die folgende Anm.; 4Q426 Fragment 7, Z.3 (Ę ī@ĩĘē in einem syntaktisch unklaren Zusammenhang mit ğĞĬ), vgl. DJD XX, 219; Fragment 10, Z.1 (īĩĘē in einem syntaktisch unklaren Zusammenhang mit ėģĜĔ), vgl. EBD., 221–222. 677 4Q418 Fragmente 81+81a, Z.9: ėĞğĜĬġė ĘīĩĘēĔĘ ėĞğ Ěĭ>ħ @ğĞĬ ėĭēĘ: „Und dir, Erkenntnis hat er dir eröffnet und dir Herrschaft über seine Kammer gegeben“, vgl. DJD XXXIV, 301.303.307 sowie RUNGELRATH 2011, 103. 678 4Q419 Fragment 8 ii, Z.5, vgl. DJD XXXVI, 329–330 sowie RUNGELRATH 2011, 102–103. 679 Vgl. RUNGELRATH 2011, 104. 680 Eine ähnliche Entwicklung ließe sich auch für die Henoch-Literatur beschreiben, deren ältester Kern sogar älter als das Daniel-Buch sein dürfte, vgl. NEWSOM 1980, 310; COLLINS 2016, 53–54.
226
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
stärker theologisch aufgeladen durch die Verbindung mit Schöpfungsvorstellungen sind Hi 38,22; Ps 33,7; 135,7; Jer 10,13; 51,16. In Dtn 32,34; Jer 50,25 überwiegt dagegen der Gerichtsaspekt, der auch schon in Hi 38,22–23 erkennbar wurde. Dabei wird sowohl in Dtn 32,34 als auch in Hi 38,22 explizit gesagt, dass die „Kammern“ JHWHs ein Ort beschränkten Zugangs sind, was implizit auch in den übrigen Texten vorausgesetzt war, dort aber nicht eigens thematisiert wurde, vgl. auch Bar 3,15. 681 Beggs Beobachtung, dass das Motiv des „Eintretens in himmlische Schatzkammern“ in apokalyptischer Literatur eine prominente Rolle spielt und dort in Weiterführung weisheitlicher Texte (Hi 8,22–23; Bar 3,15) die herausgehobene Stellung eines einzelnen Vertrauten JHWHs betont,682 stützt den Verdacht, dass sich das Moselied gewissermaßen auf dem Weg in Richtung der apokalyptischen Literatur befindet.683 Sein Appell an die Einsicht der Hörenden bezüglich „ihres Endes“ (vgl. Dtn 32,20.29: ĠĭĜīĚē) und die Hinweise auf das besondere Wissen Daniels im Hinblick auf die „versiegelte Schrift“ (vgl. Dan 9,24; 12,4.9–10) lassen sich ebenfalls gut in die skizzierte gedankliche Entwicklung einordnen: Beide Texte setzen voraus, dass das bei JHWH „Versiegelte“ nur von bestimmten Menschen gewusst werden kann. Gleichzeitig warnen die Textzeugnisse aus Qumran mit ihrer starken Betonung der bei bzw. von Gott zu erlangenden Weisheit davor, die exklusiv erscheinenden Offenbarungen der (sogenannten) apokalyptischen Schriften als geheime Literatur misszuverstehen. Das Postulat einer auf wenige auserwählte Persönlichkeiten beschränkten Weitergabe eines bestimmten Wissens muss vielmehr als literarische Technik begriffen werden: Die vorgeblich über lange Zeit verborgen gewesene Botschaft sollte den Zeitgenossinnen und Zeitgenossen der schreibenden Personen durch diese Einkleidung als besonders glaubwürdig und bedeutsam erscheinen, während die Texte tatsächlich gerade für dieses Publikum verfasst und ihre Inhalte damit durchaus zur Verbreitung gedacht waren. 684 So erscheint zwar der Aufruf des Moseliedes, zu „begreifen“ (Dtn 32,29a: ğĞř Hif) wesentlich direkter an das ganze Volk gerichtet (und damit eher weisheitlich) als die Ankündigung in Dan 12, die selbst die
Hier für die „Kammern“: ùòûëýúøŤ (wie sonst normalerweise in LXX für ĭ ĘīĩĘē). 682 Vgl. BEGG 1988, 19: „The foregoing survey makes clear, that the motif of ‘entry into heavenly treasuries’ had considerable currency in apocalyptic literature; this literature regularly depicts its seer-heroes as enjoying entrée into the supra-terrestial storeromms [sic] housing e.g., metereological phenomena, the heavenly bodies and divine benefits. It is only, however, against the background of Wisdom texts like Job 38,22 and Bar 3,15 that the import of this feature becomes fully evident: the apocalypticists have transformed the generalized implicit negations of those texts into positive assertions about an Enoch, a Moses, or an Ezra.“ 683 Vgl. SEYBOLD 2005, 75: „Die Vorstellung eines Vorrats von Zukunftsplänen, die hier anklingt, ist dann in der Zeit der Apokalyptik aufgegriffen und groß ausgebaut worden.“ 684 Vgl. COLLINS 2016, 48–51. 681
3.3 Die einzelnen Motive
227
„Einsichtigen“ erst zur Zeit des Endes „verstehen“ (vgl. Dan 12,10: ĢĜĔ). In beiden Fällen aber reizt der Text die Hörenden, selber zu den Verständigen gehören zu wollen. Als verbindendes Element der weisheitlichen und apokalyptischen Literatur, zwischen denen das Moselied also anzusiedeln ist, offenbart sich mithin die Frage der „Einsicht“ (vgl. Dtn 32,28: ėģĘĔĭ), aus der sich eine Scheidung zwischen den Menschen ergibt. 3.3.19.2 Der Tag der Rache und Vergeltung (V.35–36b) Mit Blick auf die Fortsetzung des Moseliedes fällt auf, dass die bereits zitierte Formulierung von Hi 38,23 in Sinn und Wortlaut Dtn 32,35a–b (SP/LXX) stark ähnelt. Hi 38,23: … die ich zurückgehalten habe für die Zeit der Bedrängnis, für den Tag des Kampfes und des Krieges.
ī ĩČĭĥğĜĭĞĬĚČīĬē ėġĚğġĘĔīĪĠĘĜğ
Dtn 32,35a–b SP:685 [Ist es nicht verwahrt bei mir…] für den Tag der Rache und Vergeltung, für die Zeit, da ihr Fuß wankt?
ĠğĬĘĠĪģĠĘĜğ ĠğĕīěĘġĭĭĥğ
Derselbe Parallelismus von ĠĘĜ („Tag“) und ĭĥ („Zeit“) wie in Dtn 32,35a–b SP begegnet ferner in Jer 50,27.31: ĠĭĖĪħ ĭĥ ĠġĘĜ ēĔČĜĞ („Denn gekommen ist ihr Tag, die Zeit ihrer Heimsuchung”) bzw. ĝĜĭĖĪħ ĭĥ ĝġĘĜ ēĔ ĜĞ („Denn gekommen ist dein Tag, die Zeit deiner Heimsuchung“). Darüber hinaus aber sind hinsichtlich der Formulierung ĠğĬĘ ĠĪģ ĠĘĜğ („für den Tag der Rache und Vergeltung“) auch die prominente Verwendung der Wurzeln ĠğŘ XQG ĠĪģ in Jer 50–51 bemerkenswert686 sowie im Rückblick auf die Aufzählung der Übel in Dtn 32,22–25 der gehäufte Gebrauch der Vokabeln Řē („Feuer”)687 und ĔīĚ („Schwert“) 688 in diesen beiden Kapiteln bei Jeremia. Die Merismen in Jer 51,22: ėŘēĘ ŘĜē („Mann und Frau“), īĥģĘ ĢĪę („Alter und Junger“), īĘĚĔ ėğĘĭĔĘ („junger Mann und junge Frau“) erinnern zumindest in ihrer Art an
Vgl. LXX: Ġ÷ ħöěúď ĠôîóôĤûïþÏ ċ÷üëøîńûþ Ġ÷ ôëóúŒ ľüë÷ ûƫëõIJ Ľ øŵÏ ëŻüņ÷ („Am Tag der Vergeltung werde ich heimzahlen, zu dem Zeitpunkt, da ihr Fuß ins Wanken gerät“) sowie Kap. 1 Anm. 35 zur Textkritik. 686 Vgl. Jer 51,6.56. 687 Vgl. Jer 50,32; 51,32.58. 688 Vgl. Jer 50,35–37; 51,50. 685
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Dtn 32,25. Zudem wird Babel in Jer 50,40 mit Sodom und Gomorra verglichen und in Jer 51,7 im Bild des Weins zu JHWHs Strafwerkzeug erklärt: Ein goldener Becher ist Babel in der Hand JHWHs, die ganze Erde betrunken machend, von seinem Wein haben die Nationen getrunken, deshalb sind die Nationen verrückt geworden.
ėĘėĜČĖĜĔğĔĔĔėęČĤĘĞ ĨīēėČğĞĭīĞĬġ ĠĜĘĕĘĭĬėģĜĜġ ĠĜĘĕĘğğėĭĜĢĞČğĥ
Allerdings ist Babel dadurch in Jer 50–51 nicht allein als Übel für andere identifiziert. Wegen seiner eigenen Frevelhaftigkeit muss es vielmehr auch selbst bestraft werden, vgl. z.B. Jer 50,14: Stellt euch auf ringsum gegen Babel, alle, die den Bogen treten, schießt auf es, spart nicht am Pfeil, denn gegen JHWH hat es gesündigt.
ĜĞīĖČğĞĔĜĔĤğĔĔČğĥĘĞīĥ ČğēĘğġĚĭČğēėĜğēĘĖĜĭĬĪ ėēěĚėĘėĜğĜĞĨĚ
Schon dieses Oszillieren zwischen den Rollen des Rächers und des selber zu Bestrafenden ist wiederum als Hintergrund für die widersprüchliche Deutung der Verse Dtn 32,31–33 im Moselied zu beachten.689 Weiter ist zu bemerken, dass die teilweise parallelen Kapitel 10 und 51 im Jeremia-Buch unterschiedliche Parteien adressieren: Jer 10 richtet sich gegen das „Haus Israel“ (vgl. Jer 10,1: ğēīĬĜĭĜĔ), Jer 51 aber „gegen Babel“ (vgl. Jer 51,1: ğĔĔČğĥ). Angesichts dieser verschiedenen Ausgestaltungen derselben Strafthematik scheint es wenig verwunderlich, dass die Aussageabsicht des Moseliedes im Laufe der Textentstehung (sowie der anschließenden Rezeptionsgeschichte) unterschiedlich interpretiert werden konnte. Ins Umfeld der Ausdrucksweise von Dtn 32,35 gehört indessen noch eine Reihe anderer prophetischer Texte. Der „Tag der Rache“ (ĠĪģ ĠĘĜ) kommt in mehreren Ankündigungen im Buch Jesaja vor.690 Auch der Parallelismus von ĠĘĜ („Tag“) und ĭĥ („Zeit“) steht mehrmals in Drohkontexten.691 Und an den meisten dieser Belegstellen kommen noch weitere Begriffe vor, die auch in Dtn 32,35 begegnen. So steht ĠĖĜē ĠĘĜ („Tag ihres Verderbens“) auch in Jer 46,21, was gegen Ägypten gerichtet ist. Genau diese Wendung (mit demselben Suffix der dritten Person Plural) bezieht sich bei den Propheten immer
689
Vgl. Kap. 2.C. 690 Jes 34,8 (Gericht über Edom); 61,2 (Trost für Israel); 63,4 (Gericht über die Völker); in der verwandten Formulierung ėĠĪģ ĠĘĜ außerdem in Jer 46,10 (Gericht über Ägypten). Der einzige weitere Beleg für ĠĪģĠĘĜ („Tag der Rache“) findet sich in Prov 6,34 mit Bezug auf die persönliche Rache des betrogenen Ehemannes. 691 Vgl. Jer 30,7; 46,21; 50,27.31; Ez 7,7.12; 30,3.
3.3 Die einzelnen Motive
229
auf das Schicksal von Völkern,692 wohingegen sie in weisheitlichen Schriften (mit anderen Suffixen) der Rede von individueller Not angehört.693 Möglicherweise liegt hier eine Übertragung der Vorstellung von einem durch eigenes Verhalten „verdienten“ Ergehen des Einzelnen auf Kollektive vor.694 In zwei Drohungen bei Ezechiel, die ĠĘĜ und ĭĥ parallelisieren (vgl. Ez 7,7; 30,3), wird überdies das nahende Gericht wie in Dtn 32,35c durch das Adjektiv ĔĘīĪ („nahe“) ausgedrückt. Die nächste Parallele der Wendung im Moselied: ĜĞ ĠĖĜē ĠĘĜ ĔĘīĪ („Ja, nahe ist der Tag ihres Verderbens“) lautet jedoch ĔĘīĪ ĜĞ ėĘėĜ ĠĘĜ („Ja,/Denn nahe ist der Tag JHWHs“) und findet sich in Jes 13,6 (gegen Babel); Joel 1,15 (gegen Israel); 4,14 (gegen die Völker); Obd 15 (gegen Edom/die Völker); Zef 1,7 (gegen Juda) sowie ähnlich außerdem noch in Joel 2,1 (gegen Juda); Zef 1,14 (gegen Juda). Die Fülle dieser in ihrer Thematik sehr homogenen Parallelstellen zeigt deutlich, dass im Hintergrund der Formulierung von Dtn 32,35 das prophetische Motiv vom „Tag JHWHs“ (ėĘėĜĠĘĜ) als Gerichtstag steht. Die Szenerie im Moselied wird jedoch weiter ausgestaltet. Der Blick in den Psalter lässt erkennen, wie sich die Rede vom „wankenden Fuß“ (ğĕī ěĘġ) normalerweise darauf bezieht, dass JHWH die betende Person gerade vor diesem Übel bewahren soll.695 Auch bei sechs von zwölf Belegen für das Verb ŘĘĚ („eilen“) geht es darum, dass JHWH „zur Hilfe eilt“ (ėīęĥğ ŘĘĚ).696 Es entsteht der Eindruck, das Moselied habe eine bewusste Umkehrung der (ermutigenden) Psalmensprache vorgenommen: Anstatt selbst zur Hilfe „herbeizueilen“ (ŘĘĚ) und den „wankenden Fuß“ (ğĕī ěĘġ) der Menschen zu bewahren, lässt JHWH das „Verderben“ (ĖĜē) auf sie zu „eilen“. Blickt man weiter auf den folgenden Vers, so zeigt sich, dass der Wortlaut von Dtn 32,36a–b genau mit Ps 135,14 identisch ist: Ja, richten (oder: Recht verschaffen) wird JHWH sein(em) Volk und über seine Knechte sich erbarmen.
ĘġĥėĘėĜĢĜĖĜČĜĞ ĠĚģĭĜĘĜĖĔĥČğĥĘ
Im Moselied entsteht dadurch plötzlich ein Kontrast zum vorher pauschal angekündigten „Verderben“, vgl. Dtn 32,35c: ĠĖĜēĠĘĜĔĘīĪĜĞ
Ja, nahe ist der Tag ihres Verderbens.
692
Vgl. noch Jer 18,17 (Töpfergleichnis gegen das Volk); Obd 13 (gegen Edom, aber bezogen auf Judas Verderben) sowie SÆBØ 1971a, 124: „ҴƝd ist ein Ausdruck des Gerichtshandelns Gottes (vgl. Jer 18,17; 46,21; 48,16; auch Dtn 32,35)“. 693 Vgl. Hi 21,30; Prov 27,10, aber auch 2.Sam 22,19/Ps 18,19. 694 Vgl. SÆBØ 1971a, 124: „Das Wort dürfte im weisheitlichen Raum seinen eigentlichen Lebensbereich gehabt haben, ist aber dann von der (späteren) prophetischen Sprache aufgenommen worden.“ 695 Vgl. Ps 38,17; 66,9; 94,18; 121,3. 696 Vgl. Ps 22,20; 38,23; 40,14; 70,2.6; 71,12.
230
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Es deutet sich eine Scheidung zwischen den Menschen unter dem göttlichen Gericht an, wenn dessen Ausgang entweder „Verderben“ oder „Erbarmen“ sein kann.697 Im Psalm dagegen scheint sich „seine Knechte“ auf die Gesamtheit des Volkes zu beziehen, denn dem entsprechenden Vers geht in Ps 135,10–12 eine Gegenüberstellung der „vielen Nationen“ (vgl. Ps 135,10a: ĠĜĔīĠĜĘĕ) mit „seinem [d.h. JHWHs] Volk Israel“ in seiner Gesamtheit (vgl. Ps 135,12b: Ęġĥ ğēīĬĜ) voraus. Folglich sollte in Ps 135,14 das Verb ĢĜĖ eher mit „Recht verschaffen“ (nämlich gegenüber den vielen Nationen) übersetzt, also ein synonymer Parallelismus („Recht verschaffen“/„sich erbarmen“) vorausgesetzt werden. Im Moselied aber begegnet uns ein synthetischer Parallelismus („richten“/„sich erbarmen“). Hier stellt das Erbarmen (im zweiten Kolon) eine Entfaltung des zuvor (im ersten Kolon) angekündigten Gerichts dar. Gerade die unterschiedliche Art des Parallelismus spricht in meinen Augen dafür, dass Ps 135 hier der spätere und vom Moselied abhängige Text ist: Der Psalm vereinfachte die komplexe Aussage von Dtn 32, indem der synthetische Parallelismus als ein synonymer aufgefasst wurde. Hinzu kommt, dass der Ausdruck „Knechte“ in Ps 135 in drei ganz unterschiedlichen Bedeutungen vorkommt. Scheinen PLW ėĘėĜ ĜĖĔĥ („Knechte JHWHs“) zu Beginn in Ps 135,1 nur die Frommen am Tempel angesprochen zu sein (vgl. Ps 135,2), ist mit ĘĜĖĔĥ („seine Knechte“) in Ps 135,9 die Dienerschaft des Pharao, in Ps 135,14 aber – wie oben erwähnt – das ganze Volk JHWHs gemeint. Auch diese Inkongruenz verstärkt den Eindruck, dass der Psalm hier der (aus unterschiedlichen Kontexten) rezipierende Text ist.698 3.3.19.3 Die Knechte JHWHs (V.36b) Es ist aufschlussreich, zu sehen, wie unterschiedlich die Bezeichnung ĠĜĖĔĥ („Knechte“) in der Hebräischen Bibel insgesamt verwendet wird und wo sich hier Überschneidungen mit dem Moselied feststellen lassen. Im
Vgl. DILLMANN 1886, 409, der die Parallelisierung von Ęġĥ („sein Volk“) und ĘĜĖĔĥ („seine Knechte“) dahingehend deutet, „dass dieses Rettungsgericht eben doch nur den Frommen u. Bekehrten im Volk gilt“. Kurioserweise spricht VON RAD 1968, 142 mit Blick auf Dtn 32,36a.b von einem synonymen Parallelismus (und übersetzt die Verben entsprechend mit „Recht schaffen“/„sich erbarmen“ bzw. „Mitleid haben“), obwohl er zuerkennt, die „Zuwendung Jahwes“ sei „mit einer Demütigung seines Volkes verbunden“. 698 Zum eklektischen Charakter von Ps 135 vgl. oben Anm. 657. Aus denselben Gründen sind Kommentierende der Psalmen und des Deuteronomiums weitgehend einhellig der Meinung, Ps 135,14 habe das Moselied rezipiert, vgl. zu Ps 135: DELITZSCH 1894, 773; SEYBOLD 1996, 503; HOSSFELD/ZENGER 2008, 662.668–669; GÄRTNER 2012, 334–335 sowie zu Dtn 32: S.R. DRIVER 1902, 375; TIGAY 1996, 312; NELSON 2002, 376; LUNDBOM 2013, 897. Dagegen sucht OTTO 2017, 2164 zu erweisen, dass das Moselied ein „Mosaik aus Zitaten“ und im Falle von Parallelen stets der nehmende Text ist. Entsprechend fehlt in seinem Kommentar jeder Hinweis auf Ps 135,14. Vgl. stattdessen DERS. 2009, 674 mit der Deutung von Dtn 32,36a–b als „Zitat“ (!) von Ps 90,13. 697
3.3 Die einzelnen Motive
231
Deuteronomium und den (deuteronomistisch geprägten) Geschichtsbüchern wird regelmäßig das Verb ĖĔĥ („dienen“) benutzt, wenn ausgedrückt werden soll, dass Menschen sich zu JHWH halten (oder aber im Gegenteil zu anderen Göttern abfallen).699 Das Nomen Ė ĄĔĥĄ bzw. ĠĜĖĔĥ („Knecht/e“) wird dagegen an den meisten Stellen in den Geschichtsbüchern, aber auch oft in den Propheten für die Diener eines Königs gebraucht. Sehr viel seltener werden die, die JHWH anhängen, seine „Knechte“ genannt.700 Dabei können einzelne Personen wie die Erzväter, Mose oder König David, aber auch das ganze Volk Israel gemeint sein. Eine besondere Gruppe bilden die Belege für die offenbar deuteronomistische Titulierung ĠĜēĜĔģėĘĝĜĖĔĥ („meine/deine/seine Knechte, die Propheten“).701 Von dieser stereotypen Formulierung abgesehen, wird die pluralische Bezeichnung ĠĜĖĔĥ mit Bezug auf JHWH mehrmals in den Psalmen702 und bei Trito-Jesaja703 gebraucht, um bestimmte Menschen vor anderen in Israel auszuzeichnen.704 Diese Redeweise entspricht dem Moselied in Dtn 32,36, wo nur ein Teil des Volkes erwarten darf, dass JHWH sich ihrer „erbarmt“. Curt Lindhagen hat vermutet, die Bezeichnung ėĘėĜČĜ ĖĔĥ („Knecht“ bzw. „Knechte JHWHs“)705 entstamme zwar dem Kultus und bezeichnete ursprünglich diejenigen, die JHWH vorschriftsmäßig opferten. Gerade weil aber die Frage des korrekten „Dienstes“ an JHWH immer wieder zu Uneinigkeit im Volk führte, habe sich ein abstrakterer Sinn dieser Redeweise etablieren können.706 Ähnliches stellt auch Ingrid Riesener fest, wenn sie die Bezeichnung
699
Vgl. RIESENER 1979, 204–205.220–223; RINGGREN 1986, 993–994. 700 Vgl. v.a. das Buch Josua; 2.Sam 7/1.Chr 17 (Natans-Verheißung); 1.Kön 3 (Salomos Bitte um Weisheit); 1.Kön 8/2.Chr 6 (Salomos Weihegebet); 1.Kön 11 (JHWHs Ankündigung der Reichsteilung); das Buch Nehemia; die Rahmen-Kapitel des Hiob-Buches sowie die deutero-jesajanischen Gottesknechtslieder. 701 Vgl. 2.Kön 9,7; 17,13.23; 21,10; 24,2; Esr 9,11; Jer 7,25; 25,4; 26,5; 29,19; 35,15; 44,4; Dan 9,6.10; Am 3,7; Sach 1,6; außerdem Ez 38,17: ğēīĬĜĜēĜĔģĜĖĔĥ („meine Diener, die Propheten Israels“) sowie RINGGREN 1986, 1002–1003. 702 Vgl. Ps 34,23; 69,37; 113,1; 134,1; 135,1 – in Ps 79,2.10; 89,51; 90,13.16; 102,15.29 ist wahrscheinlich das ganze Volk gemeint – sowie dazu RINGGREN 1986, 1000. 703 Vgl. Jes 56,6 (einschließlich Nicht-Israeliten); 65,8.9.13–15; 66,14 sowie dazu RIESENER 1979, 247–249. 704 Vgl. außerdem 1.Kön 8,23.32.36; 2.Kön 9,7; 10,23; 2.Chr 6,14.23.27; Neh 2,20; Jes 54,17. 705 Vgl. 1.Kön 8,32; 2.Kön 9,7b; 10,23; 2.Chr 6,23; Ps 34,23; 35,27; Jes 65,8.9.13.14.15; 66,14 sowie aramäisch in Dan 3,26.28; 6,21 und die verbalen Belege in Mal 3,18 sowie aramäisch (mit dem Verb Ěğħ) in Dan 3,17; 6,17.21. 706 Vgl. LINDHAGEN 1950, 260: „So we have here a style of writing, coloured by the cult. But this does not in any way mean that ėĘėĜČĜ ĖĔĥ in these passages has an exclusively cultic sense. […] The alternative terms to ėĘėĜČĜ ĖĔĥ that are employed – even if most of them belong to the sphere of the cult – to a great extent point to moral qualifications […].“ Zur Verknüpfung von kultischer und moralischer Perspektive bei Trito-Jesaja vgl. auch PAURITSCH 1971, 237; RUSZKOWSKI 2000, 88–97.
232
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
ĥ ĆŘ īĆ („Frevler“) an bestimmten Stellen als „Oppositionsbegriff“ zum Ė ĄĔ Ąĥ („Knecht“) JHWHs ausmacht. 707 Auf diese Weise betrachtet erscheint die Selbstbezeichnung „Knechte“ in den Psalmen wie eine Selbstauszeichnung708 und es erklärt sich, weshalb bei Trito-Jesaja die im Gericht Bestehenden als „Knechte“ bezeichnet und dadurch vom Rest des Volkes abgegrenzt werden.709 Ganz ähnlich wie im Moselied wird am Ende des Jesaja-Buches „das JhwhVolk zu einer Entscheidungsgemeinschaft, zu einer Gemeinde von Jhwh-Anhängern“,710 die sich nicht mehr allein über die Abstammung von Israel definiert, sondern darüber, ob sich die einzelnen Israeliten zu JHWH halten. Häufig werden als Hintergrund für den Sprachgebrauch bei Trito-Jesaja die „innergemeindlichen Spannungen im nachexilischen Jerusalem“ 711 angenommen. Wenngleich für Dtn 32,36 keine literarische Abhängigkeit von Trito-Jesaja erkennbar ist, so bietet sich hier wegen der analogen Gedankenführung ein Anknüpfungspunkt für weitere Überlegungen zum Milieu, in dem das Moselied entstanden sein könnte.712
3.3.19.4 JHWHs Feststellung, dass Gebundener und Freier nichts mehr sind (V.36c–d) Unbestreitbare Verwandtschaft besteht zwischen mehreren Stellen in den Könige-Büchern und dem Moselied in Dtn 32,36c–d: …wenn er sieht, dass die Kraft geschwunden ist und nichts mehr sind Gebundener und Freier.
ĖĜĭğęēČĜĞėēīĜĜĞ ĔĘęĥĘīĘĩĥĤħēĘ
Dreimal findet sich der (in seiner Bedeutung umstrittene)713 MerismusīĘĩĥĘ ĔĘęĥĘ in einer stereotypen Ausrottungsdrohung als Reaktion auf Freveltaten gegen JHWH auch in 1./2. Kön.
RIESENER 1979, 234, vgl. EBD., 229: „Ė ĄĔ ĥĄ als Bezeichnung für die Israeliten meint also einerseits die Jahwe-Anhänger, die den Frevlern gegenüberstehen, andererseits sämtliche Israeliten, die als Jahwes Volk den anderen gegenüberstehen.“ 708 Vgl. BERGES 2000, insbes. 176. Anders WESTERMANN 1976b, 197; RINGGREN 1986, 1000, die diesen Sprachgebrauch der Psalmen lediglich für einen Ausdruck von Demut halten. 709 Vgl. WESTERMANN 1976b, 192; RUSZKOWSKI 2000, 88.92 sowie zur Scheidung zwischen „Knechten“ und dem Rest des Volkes speziell in Jes 65: BLENKINSOPP 2003, 274– 275; OBERMAYER 2014, 296–307. 710 RUSZKOWSKI 2000, 173. 711 OBERMAYER 2014, 276, vgl. auch ELLIGER 1933, 291–291; DUHM 1968, 474 u.ö.; BLENKINSOPP 1997, 166–170.173–175 (mit der These, dass die „Knechte“ eine eigene Sekte bildeten). 712 Vgl. auch Kap. 4 sowie die „Ergebnisse“ am Schluss des Buches. 713 Vgl. NOTH 1968, 316; WRIGHT/MILGROM 1989, 335. 707
3.3 Die einzelnen Motive
233
1.Kön 14,10; 21,21; 2.Kön 9,8: Und ich werde ausrotten von ~ wer an die Mauer uriniert, den Gebundenen und Freien in Israel.
īĘĩĥĘ īĜĪĔĢĜĭĬġağĜĭīĞėĘ ğēīĬĜĔĔĘęĥĘ
Die Wendung scheint hier schlicht zu betonen, dass JHWH ausnahmslos gegen alle männlichen Israeliten vorgehen will.714 Noch weiter stimmt Dtn 36c–d indes mit 2.Kön 14,26 überein: Denn JHWH hatte das sehr bittere Elend Israels geseėīġğēīĬĜĜģĥČĭēėĘėĜėēīČĜĞ hen, dass nichts mehr war der Gebundene und nichts īęĥĢĜēĘĔĘęĥĤħēĘīĘĩĥĤħēĘĖēġ mehr war der Freie und es keinen Helfer für Israel gab. ğēīĬĜğ
Nicht nur ähnelt die Formulierung, dass JHWH „das sehr bittere Elend Israels gesehen“ hatte, der Überleitung in Dtn 32,36c: ėēīĜĜĞ („…wenn er sieht…“). Auch der jeweilige Kontext ist vergleichbar. Im Moselied schloss sich an Fehlverhalten und Strafandrohungen unvermittelt die Rettungsankündigung von V.36 an. Ebenso findet sich in 2.Kön 14,24 zunächst die Aufzählung der Sünden Jerobeams II.: Und er tat das Böse in den Augen JHWHs, er ist nicht ČğĞġīĤēğėĘėĜĜģĜĥĔĥīėĬĥĜĘ abgewichen von all den Sünden Jerobeams, des Sohnes ēĜěĚėīĬēěĔģČĢĔĠĥĔīĜĭĘēěĚ Nebats, mit denen er Israel sündigen gemacht hatte. ğēīĬĜČĭē
Hierauf folgt jedoch eine Wendung zum Guten (vgl. 2.Kön 14,25), die mit dem Satz in 2.Kön 14,26 begründet wird. Außerdem mildert 2.Kön 14,27 das von V.24 her eigentlich zu erwartende Urteil noch einmal explizit ab: Und JHWH hatte nicht geredet, den Namen Israels unter ĠĬČĭēĭĘĚġğėĘėĜīĔĖČēğĘ dem Himmel auszulöschen und er errettete sie durch die ĖĜĔĠĥĜĬĘĜĘĠĜġĬėĭĚĭġğēīĬĜ Hand Jerobeams, des Sohnes Joaschs. ĬēĘĜČĢĔĠĥĔīĜ
Wenngleich das Vokabular ein anderes ist, entspricht der Gedankengang doch augenfällig der zurückgenommenen Drohung JHWHs in Dtn 32,26–27. Eine derart umfangreiche, auf mehreren Ebenen feststellbare Übereinstimmung deutet auf literarische Abhängigkeit. Da der Ausdruck ĔĘęĥĘ īĘĩĥ („Gebundener und Freier“) zur umfassenden Bezeichnung aller Menschen an einem Ort offenbar typisch für die Könige-Bücher ist, muss man eher vermuten, dass das Moselied diese Formulierung von dort übernommen hat, als umgekehrt.
714
Vgl. NOTH 1968, 316; WÜRTHWEIN 1985, 177.
234
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
3.3.20 Die Ohnmacht der Götter (V.37–38) Dtn 32,37–38: 37 38
a b a b c d
Und er wird sagen: ‚Wo sind ihre Götter, der Fels, auf den sie vertraut haben, die das Fett ihrer Opfer essen, trinken den Wein ihres Trankopfers? Sie sollen sich erheben und euch helfen, sein über euch ein Schutzschirm.‘
ĘġĜėğēĜēīġēĘ ĘĔĘĜĤĚīĘĩ ĘğĞēĜĘġĜĚĔęĔğĚīĬē ĠĞĜĤģĢĜĜĘĭĬĜ ĠĞīęĥĜĘĘġĘĪĜ ėīĭĤĠĞĜğĥĜėĜ
Ähnliche Fragen wie in Dtn 32,37a: ĘġĜėğēĜē („Wo sind ihre Götter?“) finden sich in verschiedenen Spottreden in der Hebräischen Bibel. Dort sind es fast immer die Feinde Israels, die mit der auf Israel bezogenen Frage: „Wo ist dein/ ihr Gott?“ unterstellen, JHWH sei abwesend.715 Noch ein einziges Mal aber richtet – wie im Moselied – JHWH selbst in Jer 2,28 die Frage an sein Volk, wo dessen Götter seien. Diese Frage und ihr Kontext bilden die engste Parallele zu Dtn 32,37–38, vgl. Jer 2,27–28: …die zum Holz sagen: ‚mein Vater bist du‘ und zum Stein: ‚du hast mich geboren‘ […], aber zur Zeit ihrer Not sagen sie: ‚Erhebe dich und errette uns!‘ Aber wo sind deine Götter, die du dir gemacht hast? Sie sollen sich erheben, wenn sie dich erretten können, zur Zeit deiner Not! […]
ĭēĢĔēğĘėĭēĜĔēĨĥğĠĜīġē ĘīġēĜĠĭĥīĭĥĔĘ>@ĜģĭĖğĜ ĘģĥĜĬĘėĘėġĘĪ ĘġĘĪĜĝğĭĜĬĥīĬēĝĜėğēėĜēĘ >@ĝĭĥīĭĥĔĝĘĥĜĬĘĜČĠē
In dieser Gottesrede hält JHWH seinem Volk vor, dass es einerseits zwar Götzen verehrt, andererseits aber im Notfall doch Hilfe bei ihm (JHWH) sucht. Hierauf folgt JHWHs Frage nach den Göttern, verbunden mit einer entlarvenden Aufforderung an diese selbst, sie mögen ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen. Im Moselied stellt JHWH die gleiche Frage in der dritten Person:Ĝē ĘġĜėğē (Dtn 32,37a: „Wo sind ihre Götter?“) und es schließt sich eine ganz ähnlich formulierte Aufforderung an, vgl. Dtn 32,38c: ĠĞīęĥĜĘ ĘġĘĪĜ („Sie sollen sich erheben und euch helfen…“). Schon die Frage nach den Göttern, wie sie JHWH in Dtn 32,37a; Jer 2,28 in den Mund gelegt wird, ist vor dem Hintergrund der übrigen Fragen nach Gott bemerkenswert. Denn nur in Dtn 32; Jer 2 mischt sich JHWH, dessen Existenz sonst mehrfach in solchen Worten angezweifelt wurde, selbst in die Auseinandersetzung um den Sinn und Zweck von Gottesverehrung ein. Seine Rede nimmt den bekannten Topos des höhnischen Feindes auf und wandelt ihn zu seinem Vorteil ab. Es folgt dann aber in Gestalt der Aufforderung, die Götter möchten sich erheben, in beiden Texten
Vgl. mit dem Fragewort ėăŦ ąē: Ps 42,4.11; 79,10/115,2; Joel 2,17; auf die Götter anderer Völker bezogen, aber mit gleichem Sinn auch 2.Kön 18,34/Jes 36,19; mit dem Fragewort żŦ ąē: Mi 7,10. 715
3.3 Die einzelnen Motive
235
(vgl. Dtn 32,38c; Jer 2,28) noch ein weiterer paränetischer Kunstgriff.716 Die Kombination zweier derart eigenwilliger rhetorischer Figuren bei gleichzeitig nahezu identischem Vokabular lässt keinen Zweifel, dass zwischen den beiden Texten eine literarische Abhängigkeit besteht. Mehrere Beobachtungen sprechen dafür, dass Jer 2,27–28 der ursprüngliche Kontext ist.717 Vor allem ist die Aufforderung JHWHs in Jer 2,28 (ĝĘĥĜĬĘĜČĠēĘġĘĪĜ: „sie sollen sich erheben, wenn sie dich erretten können“) hier als Reaktion auf die Bitte des Volkes in Jer 2,27 (ĘģĥĜĬĘėĘ ėġĘĪ: „Erhebe dich und errette uns“) besser motiviert.718 Im Moselied wird nicht gesagt, dass das Volk angesichts der zuvor benannten Strafen auf fremde Götter (oder überhaupt auf irgendeinen Beistand) hoffte. Frage und Aufforderung JHWHs werden hier ganz unvermittelt ausgesprochen. Dagegen scheint in der Fassung des Moseliedes die Grammatik vereinfacht worden zu sein, indem die beiden Verben ĠĘĪ („sich erheben“) und īęĥ („helfen“) – Letzteres für bedeutungsverwandtes ĥŘĜ Hif („erretten“) in Jer 2 – nun durch einfaches Ęmiteinander verbunden sind. Schließlich fügen sich V.27–28 so gut in die Gesamtkomposition von Jer 2 ein, dass es sehr naheliegt, anzunehmen, sie seien für diesen Kontext verfasst worden. Hierfür sprechen insbesondere die Erwähnung der nicht-gestellten Fragen nach JHWH in Jer 2,6.8 und die plastischen Beschreibungen der unfähigen Götzen in Jer 2,11.13.719 Sowohl die Frage als auch die Aufforderung im Moselied sind jedoch gegenüber Jer 2 um einige Elemente erweitert, die sich grundsätzlich zwei Bereichen zuordnen lassen. Für die Ausgestaltung der Frage müssen wir in die Psalmen schauen. Zunächst fällt für die Redewendung aus Dtn 32,37b: ĘĔĘĜĤĚīĘĩ („der Fels, auf den sie vertraut haben“) abermals eine Parallele in 2.Sam 22/ Ps 18 auf.720 Ps 18,3 (2.Sam 22,3): Mein Gott, mein Fels, auf den ich vertraue/bei dem ich mich berge!
ĘĔČėĤĚēĜīĘĩĜė ğē
Sowohl das Epitheton īĘĩ („Fels“) als auch die Wendung ĔėĤĚ („sich bergen bei“, „vertrauen auf“) mit Bezug auf JHWH sind indessen typisch für die
716
Für JHWHs Aufforderung an sein Volk, sich doch zur Hilfe an die zuvor erwählten fremden Götter zu wenden, vgl. noch Ri 10,14 mit ganz anderem Vokabular. 717 Zwar scheint Jer 2,28 innerhalb des Jeremia-Buches sekundär zu sein und auf Jer 11,13 zurückzugreifen, der Zusammenhang von Jer 2,27–28 ist gleichwohl stimmig komponiert, vgl. DUHM 1901, 29; CARROLL 1986, 135–136; HERRMANN 1990, 148–149. Anders G. FISCHER 2005a, 170–171, der für Jer 2,28 eine Abhängigkeit vom Moselied annimmt. 718 Vgl. DUHM 1901, 29; CARROLL 1986, 135. 719 Vgl. RUDOLPH 1968, 21; CARROLL 1986, 135–136; W.H. SCHMIDT 2008, 91. 720 Zum Verhältnis dieser beiden Kompositionen vgl. ausführlich oben 3.3.4.2.
236
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
hymnische Sprache der Psalmen überhaupt.721 Wir haben es also mit klassischen poetischen Ausdrucksformen zu tun, die im Moselied in ungewohnter Weise verwendet werden: In der (vordergründig auf die fremden Götter gerichteten) Frage des Liedes scheint die Wortwahl bewusst an die Sprache der Psalmen angelehnt zu sein, um auf JHWH als die typische – und auch hier erwünschte – Antwort vorauszuweisen. Mit der Aufforderung an die Götter kommt zweitens eine bestimmte Form prophetischer Götzenkritik zum Vergleich in den Blick. Ausgangspunkt der Überlegungen ist das Lexem źĜĤĆĂ ģ („Trankopfer“) in Dtn 32,38b. In dieser Bedeutung ist das Wort ein Hapax legomenon der Hebräischen Bibel.722 Auf dieselbe Wurzel ĝĤģ (im Qal: „ausgießen“) geht jedoch das bedeutungsgleiche Wort ź ĄĤĄģ zurück. Dieses wiederum begegnet nicht nur im Rahmen von Kultvorschriften,723 sondern auch häufig in götzenkritischen Texten.724 Besondere Nähe zum Moselied wird in Jer 7,18; 32,29 erkennbar, denn in beiden Versen drückt das im Lied so prominente Verb ĤĥĞ Hif („beleidigen“) zugleich aus, wie sich der falsche Opferdienst des Volkes auf JHWH auswirkt. Jer 7,18: …und Ausgießen von Trankopfern für die anderen Götter, um mich zu beleidigen.
ĢĥġğĠĜīĚēĠĜėğēğĠĜĞĤģĝĤėĘ ĜģĤĥĞė
Jer 32,29: Sie haben auf ihren Dächern dem Baޏal geräuchert und Trankopfer ausgegossen für die anderen Götter, um mich zu beleidigen.
ĘĞĤėĘğĥĔğĠėĜĭĘĕĕČğĥĘīěĪ ĢĥġğĠĜīĚēĠĜėğēğĠĜĞĤģ ĜģĤĥĞė
Dies entspricht genau der gedanklichen Konstellation im Moselied, sofern man die Inhalte von Dtn 32,16.21.37–38 zusammenzieht: JHWH ist verärgert, weil sein Volk sich anderen Göttern zugewandt (vgl. Dtn 32,16.21.37) und diesen offenbar sogar Opfer gebracht hat (Dtn 32,38a–b). Die mehrfache Bezeugung schon der einzelnen Termini ź ĄĤĄģ und ĤĥĞ Hif bei Jeremia725 spricht dafür, dass auch ihre Verknüpfung bewusst im Rahmen der jeremianischen Buchtradition vorgenommen wurde. Der in Jer 7,18; 32,29 explizit gemachte Zusammenhang
Vgl. für ī Ęĩ oben Anm. 121; für ėĤĚ Ps 2,12; 5,12; 7,2; 11,1; 16,1; 17,7; 18,3.31; 25,20; 31,2.20; 34,9.23; 36,8; 37,40; 57,2; 61,5; 64,11; 71,1; 91,4; 118,8.9; 141,8; 144,2. Gesamtbiblisch erscheint Ĕ ėĤĚin 30 von 34 Belegen mit Bezug auf JHWH als Objekt. 722 In Dan 11,8 ist ĝĜĤģ mit „Gussbild“ zu übersetzen. 723 Wie in Dtn 32,38 in Verbindung mit ĢĜĜ („Wein“) noch in Lev 23,13 (ebenfalls als Constructus) sowie Ex 29,40; Num 15,5.7.10; 28,14. 724 Vgl. Jes 57,6; Jer 7,18; 19,13; 32,29; 44,17.18.19.25; Ez 20,28. 725 Für ź ĄĤĄģ vgl. Jer 19,13; 44,17.18.19.25; für ĤĥĞ Hif vgl. Jer 7,19; 8,19; 11,17; 25,6.7; 32,30.32; 44,3.8. 721
3.3 Die einzelnen Motive
237
von „Trankopfern“ für die fremden Götter (ĠĜĞĤģ) und der „Beleidigung JHWHs“ (ausgedrückt durch ĤĥĞ Hif) kann dann die Grundlage für die weitere Ausgestaltung der Thematik im Moselied geliefert haben. Oben wurde zudem bereits bei der Besprechung von Dtn 32,28 im Zusammenhang der göttlichen und menschlichen „Pläne“ (ĭĘĩĥ) auf die Verwandtschaft von Jes 30,1–2 mit dem Moselied hingewiesen. In dieser Passage wird für „Trankopfer“ noch ein weiteres, von derselben Wurzel abgeleitetes Nomen gebraucht (vgl. Jes 30,1: ė ĆĞ ăŬ ąġ) und außerdem das verwerfliche Verhalten des Volkes mit Hilfe des Verbs ėĤĚ („sich bergen“, „vertrauen“) beschrieben, vgl. Jes 30,1–2: Wehe den widerspenstigen Söhnen, Spruch JHWHs, ĭĘĬĥğėĘėĜČĠēģĠĜīīĘĤĠĜģĔĜĘė einen Plan auszuführen, der aber nicht von mir ist, und ĜĚĘīēğĘėĞĤġĝĤģğĘĜģġēğĘėĩĥ ein Trankopfer auszugießen, das aber nicht nach meiĭēěĚČğĥĭēěĚĭĘħĤĢĥġğ nem Geist ist, um Sünde auf Sünde zu häufen, die ge- ĘğēĬēğĜħĘĠĜīĩġĭĖīğĠĜĞğėė hen, nach Ägypten hinabzuziehen, und meinen Mund ğĩĔĭĘĤĚğĘėĥīħęĘĥġĔęĘĥğ nicht befragt haben, Zuflucht zu suchen in der Zuflucht ĠĜīĩġ des Pharao und sich zu bergen im Schatten Ägyptens.
Auch dieser Text könnte also dem Moselied als Vorlage gedient haben. Für die Rezeptionsrichtung spricht in diesem Fall, dass die Zuflucht in Ägypten das beherrschende Thema in Jes 30 ist und die Formulierung ĠĜīĩġ ğĩĔ ĭĘĤĚğĘ („sich im Schatten Ägyptens bergen“) in Jes 30,2 somit thematisch gut eingebunden ist. Im Moselied hingegen, das insgesamt eher abstrakt formuliert ist, wäre zur Charakterisierung der falschen Götter anstelle der Worte in Dtn 32,37b: ĘĔ ĘĜĤĚ īĘĩ („der Fels, auf den sie vertraut haben“) auch gut eine andere Ergänzung denkbar gewesen. So ist es wahrscheinlich, dass der konkrete Wortlaut sich aus dem Jesaja-Text ergab. Nur deutete das Moselied die Figur der falschen Zufluchtnahme (Ĕ ėĤĚ) entsprechend seiner eigenen, auf den Abfall zu fremden Göttern konzentrierte Argumentation nicht auf eine Nation, sondern direkt auf die „Götter“, vgl. Dtn 32,37: Und er wird sagen: ‚Wo sind ihre Götter, der Fels, auf den sie vertraut haben?‘
ĘġĜėğēĜēīġēĘ ĘĔĘĜĤĚīĘĩ
Sicherlich legte sich der Rückgriff auf das Gottes-Epitheton īĘĩ („Fels“) dabei wegen der gehäuften Verwendung im Lied und auch um der Logik des Bildes willen doppelt nahe. So dürften die Sprache der Psalmen und die zitierten Wendungen aus der prophetischen Literatur (Jes 30,2; Jer 2,27–28; 7,18; 32,29) gemeinsam im Hintergrund der Formulierung von Dtn 32,37–38 stehen. Die Verkehrung traditioneller Zuschreibungen in diesen beiden Versen spricht für das Moselied als rezipierenden Text, wobei sich die Abänderung der Motivik zusammengefasst so darstellen lässt: Nicht für JHWH, den wahren Gott (ĠĜėğē) und Felsen
238
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
(īĘĩ), dem allein zu vertrauen ist (ėĤĚ),726 bringen die Menschen die gebührenden Opfer dar (ĚĔę und ĝĜĤģ bzw. sonst: ĝĤģ),727 sondern für nichtige Götter, von denen nicht zu erwarten ist, dass sie sich erheben (ĠĘĪ) und helfen (hier: īęĥ, sonst: ĥŘĜ)728 und Schutzschirm sind (hier: ėīĭĤ, sonst: īĭĤ)729. Das alles vermag nur der wahre Fels JHWH, wie ihn die Tradition bezeugt. Indem aber die vielfach auf JHWH bezogenen Wendungen in Dtn 32,37–38 mit fremden Göttern in Zusammenhang gebracht werden, wird das geschilderte Verhalten vor dem Hintergrund der Paralleltexte ad absurdum geführt. 3.3.21 JHWHs Selbstvorstellung als einzigartiger Gott (V.39) Der lange Vers Dtn 32,39 ist zusammengesetzt aus mehreren Aussagen, die jeweils Parallelen in verschiedenen Text(bereich)en der Hebräischen Bibel haben: 39
a b c d e
Seht nun, dass ich, ich es bin und kein Gott bei mir ist. Ich töte und mache lebendig, wie ich geschlagen habe, heile ich auch. Und es gibt keinen, der aus meiner Hand rettet.
ēĘėĜģēĜģēĜĞėĭĥĘēī ĜĖġĥĠĜėğēĢĜēĘ ėĜĚēĘĭĜġēĜģē ēħīēĜģēĘĜĭĩĚġ ğĜĩġĜĖĜġĢĜēĘ
Der Aussage von Dtn 32,39a: ēĘėĜģēĜģē („ich, ich bin es“) sehr ähnlich sind die von JHWH gesprochenen Sätze bei Deutero-Jesaja, in denen die Wendung mit einfachem Pronomen (ēĘėČĜģē) der Profilierung von JHWHs alleiniger Wirkmächtigkeit in der Geschichte Israels dient.730 Ferner sind auch die Parallelen für die (stets auf JHWH bezogene) doppelte Verwendung des Pronomens Ĝģē (und ĜĞģē) fast alle bei Deutero-Jesaja anzutreffen, 731 wobei auch zweimal die Formulierung ēĘė ĜĞģē ĜĞģē vorkommt.732 Das zweite Kolon von
726
Vgl. ohne Nennung des Felsen-Epithetons: Rut 2,12; 2.Sam 22,31; Ps 2,12; 5,12; 7,2; 11,1; 16,1; 17,7; 18,31; 25,20; 31,2.20; 34,9.23; 36,8; 37,40; 57,2; 61,5; 64,11; 71,1; 91,4; 118,8.9; 141,8; 144,2; Prov 30,5; Jes 14,32; 57,13; Nah 1,7; Zef 3,12; mit Nennung des Felsen-Epithetons: 2.Sam 22,3/Ps 18,3. 727 Vgl. Lev 23,37; Num 6,17; 15,5; 2.Kön 16,15; 1.Chr 29,21. 728 Vgl. Ps 3,8; 76,10; Jer 2,27. 729 Vgl. Ps 27,5; 31,21; 32,7; 61,5 (hier in Verbindung mit dem Verb ėĤĚ); 91,1; 119,114; Jes 16,4. 730 So in Jes 41,4; 43,10.13; 46,4; 48,12; 52,6. Außerdem kommt die Formel ēĘėČĜģē überhaupt nur noch einmal in 1.Chr 21,17 vor (mit David als Subjekt). Zur Charakteristik der Redeweise bei Deutero-Jesaja vgl. OSWALT 1998, 345; WILLIAMS 2000, 47–48; DIESEL 2006, 288: „Dass es bei Deuterojesaja an vielen Stellen um die Botschaft geht, ‚nur Jahwe/ Jahwe allein‘ vermag geschichtsmächtig zu wirken, ist bei den Auslegern unumstritten.“ 731 Vgl. für Ĝģē Ĝģē: Jes 48,15; Hos 5,14 (mit Ähnlichkeit ebenfalls zu Dtn 32,39e); für ĜĞģēĜĞģē: Jes 43,11.25; 51,12. 732 Vgl. Jes 43,25; 51,12 und zum Zusammenhang mit ēĘėĜģē: OSWALT 1998, 345.
3.3 Die einzelnen Motive
239
Dtn 32,39: ĜĖġĥ ĠĜėğē ĢĜēĘ („und [dass] kein Gott bei mir ist“) hat zwar keine exakte wörtliche Parallele. Zahlreiche nahezu gleich lautende Einzigkeitsaussagen finden sich aber wiederum bei Deutero-Jesaja.733 Um die Möglichkeit der Existenz anderer göttlicher Wesen auszuschließen, steht bei Deutero-Jesaja häufig ĖĘĥ ĢĜēĘ („[ich bin JHWH] und kein anderer“).734 Die Formulierung des Moseliedes ĜĖġĥ ĠĜėğē ĢĜēĘ entspricht dem inhaltlich, nimmt aber gleichzeitig die Ausdrucksweise von Dtn 32,12b auf: īĞģ ğē Ęġĥ ĢĜēĘ („und bei ihm war kein fremder Gott“). Für die beiden folgenden Kola Dtn 32,39c.d gibt es einige vergleichbare Stellen in gänzlich anderen Kontexten. Sie alle sprechen in dritter Person über JHWH und heben dabei seine besonderen göttlichen Eigenschaften hervor. So begegnen die beiden Verben aus V.39c (ĭĘġ Hif: „töten“; ėĜĚ Pi: „lebendig machen“) als Oppositionspaar auch im „Lied der Hannah“ in 1.Sam 2,6 sowie in einem Ausruf des Königs von Israel vor der Heilung Naamans in 2.Kön 5,7.735 Dtn 32,39c: ėĜĚēĘĭĜġēĜģē
Ich töte und mache lebendig.
1.Sam 2,6: JHWH tötet und macht lebendig, führt in die Unterwelt hinab und führt herauf.
ėĜĚġĘĭĜġġėĘėĜ ğĥĜĘğĘēĬĖĜīĘġ
2.Kön 5,7: Bin ich Gott, zu töten und lebendig zu machen?
ĭ ĘĜĚėğĘĭĜġėğĜģēĠĜėğēė
Dtn 32,39d ähnelt wegen der an beiden Stellen gebrauchten Verben ĨĚġ („schlagen“) und ēħī („heilen“) vor allem der Apologie des Elifas zugunsten JHWHs in Hi 5,18.736 Dtn 32,39d: ēħīēĜģēĘĜĭĩĚġ
Wie ich geschlagen habe, heile ich auch.
733
Vgl. für Deklarationen JHWHs in erster Person Jes 43,12.13; 44,6; 45,5.6.18.21.22; 46,9 sowie Ex 9,14; Hos 5,14; 13,4; Joel 2,27; für solche über JHWH in dritter Person Dtn 4,35.39ʖ; 1.Kön 8,60; Jes 45,14. 734 So in Jes 45,5.6.18.22 sowie in der längeren Variante ĠĜėğē ĖĘĥ ĢĜēĘ („…und kein anderer Gott“) Jes 45,14.21; 46,9; vgl. aber auch Dtn 4,35.39; 1.Kön 8,60; Joel 2,27. Zum Verständnis dieser Form der Einzigkeitsaussagen im Sinne von Aussagen über die alleinige Wirkmächtigkeit JHWHs vgl. DIESEL 2006, 315–317. 735 In 2.Kön 5,7 steht ėĜĚ gleichbedeutend im Hifޏil. 736 Vgl. aber auch Jes 19,22; 30,26; Hos 6,1.
240
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Hi 5,18: Denn er ist es, der verletzt und verbindet, er schlägt und seine Hände heilen.
ĬĔĚĜĘĔĜēĞĜēĘėĜĞ ėģĜħīĭĘĜĖĜĘĨĚġĜ
Ein spezifischer gemeinsamer Hintergrund dieser einzelnen Texte lässt sich nicht feststellen. Da besagte Gegensatzpaare auf je verschiedene Weise mit anderen Ausdrücken kombiniert erscheinen, handelt es sich bei ihnen vermutlich um geprägte Elemente des Sprachschatzes, deren Verwendung jedoch nicht an einen bestimmten Kontext gebunden war.737 Das letzte Kolon des Verses, Dtn 32,39e: ğĜĩġĜĖĜġĢĜēĘ („und es gibt keinen, der aus meiner Hand rettet“), lässt sich hingegen wieder klar traditionsgeschichtlich verorten und führt erneut ins Jesaja-Buch. Die Redewendung ğĩģ ĖĜġ („aus jemandes Hand retten“) findet sich mit unterschiedlichen Subjekten (= Rettenden) 65 Mal in der Hebräischen Bibel. Inhaltlich, sprachlich und auch hinsichtlich der Redeperspektive genau mit Dtn 32,39e identisch ist dabei ein JHWH-Wort in Jes 43,13, das vollständig lautet: Auch von heute an bin ich es und es gibt keinen, der aus meiner Hand rettet.
ēĘėĜģēĠĘĜġČĠĕ ğĜĩġĜĖĜġĢĜēĘ
Die Aussage ist Teil einer längeren Gottesrede, die (einschließlich mehrerer Neueinsätze) sogar mehr als das gesamte Kapitel Jes 43 umfasst738 und in der JHWH mit Beispielen aus der Geschichte Israels illustriert, wie er sein Volk auch angesichts dessen Verfehlungen stets begleitet und bewahrt hat. Innerhalb dieses größeren Kontextes sind zahlreiche Parallelen zum Moselied vorhanden, wie sich bereits gezeigt hat (und im Folgenden noch weiter zeigen wird). Die angestellten Vergleiche belegen mithin, dass die Parallelen von Dtn 32,39 und Deutero-Jesaja und hier insbesondere in Jes 43 und 45 zunächst auf der Versebene äußerst zahlreich sind.739 Weitet man nun den Blick für die übergreifende Thematik in diesem Teil des Jesaja-Buches, so lassen sich auch hier bedeutsame Gemeinsamkeiten feststellen: Wie im Moselied in Dtn 32,28–29, so wird auch in Jes 42,18–20 durch JHWH selbst die Uneinsichtigkeit seines Volkes beklagt.740 Nachdem er es in seinem Zorn gestraft und den Feinden ausgeliefert hat (vgl. Dtn 32,20–25; Jes 42,21–25), erfolgt aber in beiden Texten ein starker Appell an das Volk, doch noch die einzigartige Macht JHWHs hinter
737
Vgl. NELSON 2002, 377: „traditional attributes“. 738 Vgl. z.B. die Zusammenfassung von Jes 42,13–44,23 unter der Überschrift „Die Auseinandersetzung JHWHs mit seinem blinden und tauben Knecht Jakob/Israel“ bei BERGES 2008, 245. 739 Vgl. auch BOSTON 1966, 129; PHILLIPS 1973, 219; MAYES 1981, 392. 740 Vgl. z.B. DUHM 1968, 319; ELLIGER 1978, 282–283; BERGES 2008, 260–261.
3.3 Die einzelnen Motive
241
seinen (heilvollen und strafenden) Taten zu erkennen, vgl. Dtn 32,39a bzw. Jes 43,1 – beide Male gefolgt von plakativen Selbstbeschreibungen JHWHs. Dtn 32,39a: ēĘėĜģēĜģēĜĞėĭĥĘēī
Seht nun, dass ich, ich es bin…
Jes 43,1: ėĘėĜīġēČėĞėĭĥĘ
Und nun, so hat JHWH gesprochen…
Interessanterweise korrespondiert der – durch den Vorwurf, das Volk sei blind und taub – nur implizit ausgedrückten Aufmerksamkeitsforderung von Jes 42,18–20 die direkte Aufforderung zum Sehen in Dtn 32,39. Zentrales Thema in Jes 43 ist dann die „Disputation JHWHs mit seinem Volk“741 mit dem erkennbaren Ziel, beim Auditorium die Anerkennung JHWHs als des allein mächtigen Gottes zu erwirken.742 Wiederum genau wie im Lied743 laufen die Schuldzuweisungen an das Volk und die Betonung der göttlichen Führung, die sich in Jes 44 noch fortsetzen, schließlich auf einen universalen Jubel zu JHWHs Ehren hinaus, vgl. Jes 44,23:744 Jubelt, Himmel, denn JHWH hat es getan, jauchzt, Tiefen der Erde, brecht, Berge, in Jubel aus, der Wald und jeder Baum in ihm, denn JHWH hat Jakob erlöst und in Israel verherrlicht er sich.
ėĘėĜėĬĥČĜĞĠĜġĬĘģī ĨīēĭĘĜĭĚĭĘĥĜīė ėģīĠĜīėĘĚĩħ ĘĔĨĥČğĞĘīĥĜ ĔĪĥĜėĘėĜğēĕČĜĞ ī ēħĭĜğēīĬĜĔĘ
Außerdem bilden die nächsten Parallelen der zusammengesetzten Aussage von Dtn 32,39a–b: ĜĖġĥĠĜėğē ĢĜēĘēĘė Ĝģē Ĝģē ĜĞ („dass ich, ich es bin und kein Gott bei mir ist“) ein Leitmotiv im anschließenden „Kyros-Kapitel Jes 45“.745 Nach der ausführlichen Behandlung der Geschichte JHWHs mit seinem Volk in Jes 42–44 geht es in Jes 45 um den speziellen Fall göttlicher Führung durch die Gestalt des Kyros und die damit zusammenhängende Frage, wer die letzte und höchste Autorität über das Weltgeschehen hat.746 Auch wenn im Moselied
741
BERGES 2008, 245. 742 Vgl. die teilweise schon zitierten Einzigkeitsaussagen in Jes 43,10–13 sowie ELLIGER 1978, 283: „Völlig deutlich ist, daß D[eu]t[ero]jes[aja] seinen Hörern durchaus die Fähigkeit zutraut, sich seiner Verkündigung zu öffnen.“ 743 Vgl. Dtn 32,43 und dazu unten 3.3.23. 744 Vgl. auch oben 3.3.1. 745 BERGES 2008, 401. Vgl. Jes 45,5.6.18.21.22. 746 Vgl. WESTERMANN 1970, 131–132; BALTZER 1999, 274–275; HERMISSON 2003, 26– 27.
242
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
die (zeitweilig triumphierenden) Feinde des Volkes nicht konkret benannt werden, so ist doch unverkennbar, dass in Dtn 32,26–27 eine ähnliche Unsicherheit thematisiert wurde wie bei Deutero-Jesaja. Sowohl in Jes 45 als auch im Moselied wird deshalb das Verhältnis JHWHs zu seinem Volk in den Rahmen seiner Souveränität über alle Völker und deren Götter gestellt.747 Ganz eindeutig entspricht also die Aussagetendenz des Moseliedes insgesamt, aber auch speziell der theologische Impetus von Dtn 32,39 der Botschaft von Jes 42–45. Dabei ist die Komposition bei Deutero-Jesaja so geschlossen, dass sowohl die Parallelen in Dtn 32,39a.b.e als auch vereinzelte ähnliche Formulierungen in anderen Büchern als Entlehnungen aus dem Jesaja-Buch betrachtet werden müssen.748 Anscheinend hat der Verfasser oder die Verfasserin des Moseliedes jedoch die bei Deutero-Jesaja vorgefundene „programmatische Verdichtung dessen, was [JHWHs] einzigartige Göttlichkeit ausmacht“,749 mit Hilfe der formelhaften Gegensatzpaare in Dtn 32,39c.d noch anschaulicher entfalten wollen.750 3.3.22 JHWHs Auftreten als Richter (V.40–42) Am Schluss der letzten JHWH-Rede im Moselied erscheinen drei verschiedene Motive miteinander kombiniert: „JHWH als Schwörender (V.40)“, „JHWHs Waffen im Gericht (V.41–42)“ sowie „Die Vergeltung gegenüber denen, die JHWH hassen (V.41d)“. 3.3.22.1 JHWH als Schwörender (V.40) Die Ankündigung des Gerichts erfolgt im Moselied durch eine Schwurgeste, d.h. durch die Beschreibung einer Handlung in Verbindung mit einem Ausspruch, die beide in ähnlicher Weise auch an anderen Stellen zum Schwören verwendet werden.
747
Vgl. BERGES 2008, 402 für die übereinstimmende monotheistische Engführung bei Deutero-Jesaja und im Moselied sowie EBD., 441: „Doch nicht die Niederlage der Götter, die keine sind, steht als Ziel vor Augen, sondern die weltweite Erkenntnis, dass JHWH nicht nur der siegreiche, sondern auch der einzig rettende Gott ist.“ 748 Vgl. zu dieser Frage auch unten 3.3.23. Für die Einschätzung der „Geschichtswirksamkeit“ JHWHs als zentrales Thema bei Deutero-Jesaja vgl. D. MICHEL 1981, 514–515; HARTENSTEIN 2013, 229–231. Für einzelne Hinweise zur (redaktionellen) Geschlossenheit der deutero-jesajanischen Komposition vgl. z.B. ELLIGER 1978, 281.313–314.346.364– 365.370.421–422.491. Zur Rezeption durch das Moselied vgl. RIESSLER 1913, 123; BUIS/ LECLERCQ 1963, 201; OTTO 2017, 2170.2191–2192. Anders SANDERS 1996, 420–421; WILLIAMS 2000, 50 (die sich auf Sanders beruft und annimmt, Deutero-Jesaja sei vom Moselied „inspiriert“). 749 BERGES 2008, 284 (zu Jes 43,10). 750 Vgl. WILLIAMS 2000, 48: „vivid explication“; OTTO 2017, 2170.
3.3 Die einzelnen Motive
243
Dtn 32,40: Ja, ich will meine Hand zum Himmel erheben und sagen: ‚So wahr ich in Ewigkeit lebendig bin!‘
ĜĖĜĠĜġĬČğēēĬēČĜĞ ĠğĥğĜĞģēĜĚĜĭīġēĘ
Von JHWH wird in der Hebräischen Bibel mehrmals und in verschiedenen Büchern gesagt, dass er seine „Hand erhebt“ (ĖĜēřģ), um seinem Volk das Land zuzuschwören. 751 Dieselbe Geste kann jedoch in Psalmen und bei Ezechiel auch Drohungen, also Schwüre negativen Inhalts begleiten, wie es im Moselied der Fall ist.752 Gegenüber dem eigenen Volk „erhebt JHWH seine Hand“, um sein Landversprechen zurückzunehmen, 753 gegen die Leviten, um ihnen zur Strafe das Priestertum abzusprechen,754 und gegen die Bedränger eines Einzelnen oder des Volkes „erhebt“ er sie zum Gericht. 755 Eine Zwischenposition nimmt Jes 49,22 ein, da sich JHWHs „Hand“ hier zum Heil seines Volkes, aber doch gegen die es umgebenden Nationen „erhebt“, auf dass diese die Kinder Israels aus der Zerstreuung zurückbringen. Die Thematik der (erneuten) Landgabe steht also auch bei Jesaja im Hintergrund.756 Nun sind gerade die Stellen, an denen von JHWHs Landversprechen die Rede ist, sprachlich sehr homogen. Nahezu ohne Variation findet sich stets die gleiche Wendung a ĭĭğ ĜĖĜČĭē Ĝĭēřģ īŘē Ĩīēė („das Land, von dem ich geschworen habe, es ~ zu geben“).757 Hier kann also eindeutig von einem feststehenden Motiv gesprochen werden, da mit identischen Worten immer wieder derselbe Sachverhalt ausgedrückt wird. Weiterhin verwenden alle Verse, in denen JHWH droht, sein Versprechen zurückzunehmen und dem Volk das Land vorzuenthalten, dieselbe Wendung ağīĔĖġĔ Ġėğ ĖĜ ēřģ („die Hand in der Wüste gegen sie erheben, um ~“),758 was eine Abwandlung desselben Motivs darstellt. Die gedankliche Weiterentwicklung der Tradition geht mit einer geringfügigen Modifikation im Wortgebrauch einher; der Bezug zum ursprünglichen Motiv bleibt jedoch sachlich und sprachlich erkennbar. Schließlich scheint sich das Bild der „erhobenen Hand“ JHWHs von der engen Bindung an das Zuschwören des Landes gelöst zu haben und auch auf andere
751
Vgl. Ex 6,8; Num 14,30; Neh 9,15; Ez 20,5–6.28.42; 47,14. 752 Vgl. Ps 10,12; 106,26; Ez 20,15.23; 36,7; 44,12. 753 Vgl. Ps 106,26; Ez 20,15.23. 754 Vgl. Ez 44,12. 755 Vgl. Ps 10,12; Ez 36,7. 756 Vgl. BERGES 2015, 69: „Die Adressaten sollen sich die Heimkehr der Kinder Zions vergegenwärtigen und sehen, wie JHWH seine ‚Hand‘ (ĖĜ) zu den Nationen ‚erhebt‘ (ēřģ). Der Ausdruck bezeichnet eigentlich einen Schwurritus, der eng mit der Gabe des Landes verknüpft ist […].“ 757 Vgl. Ex 6,8; Ez 20,28.42; 47,14; mit anderem Verb statt Ģĭģ Num 14,30 (ĢĞŘ Pi); Ęĭ); mit anderem Numerus Neh 9,15 (Rede über JHWH in zweiter Person: ĭēĬģ Ez 20,6 (ī ĝĖĜČĭē). 758 Vgl. Ps 106,26; Ez 20,15.23.
244
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Schwursituationen übertragen worden zu sein. So unterschiedlich wie die einzelnen Drohungen ist dann auch die Sprache.759 Es sticht ins Auge, dass sich von insgesamt 16 Belegen der Wortverbindung ĖĜ („Hand“) und ēřģ („erheben“) neun beim Propheten Ezechiel finden. Sie verteilen sich auf alle drei skizzierten Verwendungsbereiche (Zuschwören des Landes, Rücknahme des Landgabeversprechens, andere Drohungen) und bilden zugleich ein wichtiges Gliederungsmerkmal in Ez 20,760 so dass bei der Komposition des Kapitels die Traditionsentwicklung bereits sehr weit fortgeschritten gewesen sein muss. Schon in der Analyse von Dtn 32,27 war überdies aufgefallen, dass die Gesamtdynamik in Ez 20 der zurückgenommenen Strafe im Moselied sehr ähnlich ist. Während jedoch verschiedene Episoden der Geschichte JHWHs mit seinem Volk bei Ezechiel recht konkret nacherzählt werden und die Feinde des Volkes dort ganz klar mit den Ägyptern identifiziert sind, nennt das Moselied weder in Dtn 32,27 noch in Dtn 32,40–42 die Namen derer, gegen die JHWH sich wendet. Ferner findet sich in Ps 106 sowohl eine Zurücknahme der Strafe (Ps 106,23) als auch ein Schwur JHWHs mit erhobener Hand (Ps 106,26). Auch hier ist die Ausdrucksweise konkreter und enger an die Pentateuch-Erzählungen der Wüstenzeit angelehnt als im Moselied. Da andererseits schon die pentateuchischen Texte die zurückgenommene Strafe (vgl. Ex 32,10–14; Num 14,12–20; Dtn 9,25–29) und das Motiv der zum Schwur erhobenen Hand JHWHs kennen (vgl. Ex 6,8; Num 14,30), bestätigt die Analyse von Dtn 32,40 eine bereits im Zusammenhang mit V.27 unternommene Überlegung: Das Moselied scheint nicht von Ez 20 und Ps 106 abzuhängen, sondern setzt wie diese die Wüstenerzählungen des Pentateuchs voraus, abstrahiert dabei aber viel stärker und interpretiert neu. So gehört JHWHs Ankündigung in Dtn 32,40 mit Blick auf die Motiventwicklung offenkundig in die letztgenannte Kategorie der Schwüre, die mit der Gabe des Landes nichts zu tun haben, sondern schlicht eine bestimmte Strafe androhen.761 Als sprachliche Besonderheit, die sich an keiner anderen Belegstelle mit JHWH als Subjekt findet, fällt hier die Erwähnung des „Himmels“ auf, vgl. Dtn 32,40a: Ja, ich will meine Hand zum Himmel erheben.
ĜĖĜĠĜġĬČğēēĬēČĜĞ
Auch von Abram und von einem Boten JHWHs im Daniel-Buch wird berichtet, dass sie in Verbindung mit einem Schwur ihre Hände „zum Himmel erheben“, doch steht in beiden Fällen das Verb ĠĘī Hif.762 Trotzdem ist die Parallele bei
759
Vgl. Ps 10,12; Ez 36,7; 44,12. 760 Vgl. ZIMMERLI 1979, 442–444; KRÜGER 1989, 238–240. 761 Anders BERGES 2015, 69, der auch Dtn 32,40 als Beispiel für die enge Verknüpfung des „Schwurritus“ mit der „Gabe des Landes“ nennt (vgl. oben Anm. 756). 762 Vgl. Gen 14,22; Dan 12,7.
3.3 Die einzelnen Motive
245
Daniel, speziell hinsichtlich der eigentlichen Schwurformel, sprachlich eng mit Dtn 32,40 verwandt, vgl. Dan 12,7: Und ich hörte den in Leinen gekleideten Mann, der über īĬēĠĜĖĔėĬĘĔğĬĜēėČĭēĥġĬēĘ den Wassern des Stromes stand, und er erhob seine ĘģĜġĜĠīĜĘīēĜėĜġĜġğğĥġġ Rechte und seine Linke zum Himmel und schwor bei ĜĚĔĥĔĬĜĘĠĜġĬėČğēĘğēġĬĘ dem in Ewigkeit Lebendigen… ĠğĘĥė
Sehr viel häufiger wird von den verschiedensten Menschen die Schwurformel ėĘėĜČĜĚ („So wahr JHWH lebt!“) gebraucht.763 Im Mund JHWHs findet sich entsprechend die Formulierung ĜģēČĜĚ („So wahr ich lebendig bin!“), mehrmals auch in textlicher Nachbarschaft mit der oben beschriebenen Geste der „erhobenen Hand“.764 Vor dem Hintergrund dieser vielen grundsätzlich ähnlichen Belege, die jedoch im Detail anders lauten als die Formel im Moselied, fällt die starke Übereinstimmung von Dtn 32,40 und Dan 12,7 besonders ins Gewicht. Dtn 32,40bȕ: ĠğĥğĜĞģēĜĚ
So wahr ich in Ewigkeit lebendig bin!
Dan 12,7: ĠğĘĥėĜĚĔ
…bei dem in Ewigkeit Lebendigen…
Zudem redet, wie bereits im Zusammenhang mit Dtn 32,34 erwähnt, in Dan 12,9 der „in Leinen Gekleidete“ von den Dingen, die bis zur Endzeit „versiegelt“ bleiben sollten. Damit wird in Dan 12 aber lediglich in JHWHs Namen auf eine künftige Klärung der Zustände vorausgewiesen, während JHWH in den folgenden Versen des Moselieds sein Gerichtshandeln unmittelbar und eindeutig beschreibt. Erneut ist damit eine grundsätzliche Nähe des Moseliedes zur Sprache und zum apokalyptischen Denken des Daniel-Buches deutlich geworden, wenngleich die Unterschiede der jeweiligen Texte gegen eine direkte literarische Abhängigkeit sprechen.
763
Vgl. Ri 8,19; Rut 3,13; 1.Sam 14,39.45; 19,6; 20,3.21; 25,26.34; 26,10.16; 28,10; 29,6; 2.Sam 4,9; 12,5; 14,11; 15,21; 22,47/Ps 18,47; 1.Kön 1,29; 2,24; 17,1.12; 18,10.15; 22,14; 2.Kön 2,2.4.6; 3,14; 4,30; 5,16.20; 2.Chr 18,13; Jer 4,2; 5,2; 12,16; 16,14.15; 23,7.8; 38,16; 44,26; Hos 4,15. 764 Vgl. Num 14,21.28 (und die „erhobene Hand“ in V.30); Jes 49,18 (und die „erhobene Hand“ in V.22); Jer 22,24; Ez 5,11; 14,16.18.20; 16,48; 17,16.19; 18,3; 20,3 (und die „erhobene Hand“ in V.5.). 31.33; 33,11.27; 34,8; 35,6.11; Zef 2,9.
246
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
3.3.22.2 JHWHs Waffen im Gericht (V.41–42) Im Unterschied zum Schwur des „in Leinen Gekleideten“ in Dan 12,9 (vgl. Dtn 32,40) droht JHWH in Dtn 32,41–42 ganz offen mit Gericht und Vergeltung: 41
42
a b c d a b c d
Wenn ich den Blitz meines Schwertes geschärft habe und meine Hand nach dem Recht greift, will ich Rache erwidern meinen Bedrängern und denen, die mich hassen, vergelten. Ich will meine Pfeile trunken machen von Blut und mein Schwert soll Fleisch fressen vom Blut des Durchbohrten und Gefangenen, vom Haupt der Anführer des Feindes.
ĜĔīĚĪīĔĜĭĘģĬČĠē ĜĖĜěħĬġĔęĚēĭĘ ĜīĩğĠĪģĔĜĬē ĠğĬēĜēģĬġğĘ ĠĖġĜĩĚīĜĞĬē ī ĬĔğĞēĭĜĔīĚĘ ėĜĔĬĘğğĚĠĖġ ĔĜĘēĭĘĥīħĬēīġ
Eindrücklich ist zunächst die Kombination von ĪīĔ („Blitz“) und ĔīĚ („Schwert“) in Dtn 32,41a. Sie führt zu Parallelstellen in Theophanie- und Strafkontexten. So wird das Lexem ĪīĔ („Blitz“) in der Hebräischen Bibel erstaunlicherweise ausschließlich im Zusammenhang mit göttlichen Machterweisen verwendet.765 Das Spektrum reicht von der Sinai-Theophanie766 über Verse des Schöpferlobs767 und der Drohung768 bis zur Beschreibung von Wesen in JHWHs Umfeld.769 Dass das „Schwert“ eine typische Komponente in Strafankündigungen ist, hatte schon die Untersuchung zu Dtn 32,25 gezeigt.770 Außer im Moselied sind „Schwert“ und „Blitz“ aber nur noch in Ez 21,14– 15.20.33 (im „Schwertlied“ gegen Jerusalem) und Nah 3,3 (in einem Weheruf gegen Ninive) kombiniert. Beide Texte scheinen die symbolische Bedeutung v.a. des „Schwertes“, aber auch der Termini Řē („Feuer“)771 und ėĔėğ bzw. Ĕėğ („Flamme“)772 als Zeichen göttlicher Bestrafung schon vorauszusetzen.773 Denn die „Blitze“ stellen hier kein eigenständiges Element dar, sondern verschmelzen als Hinweise auf das „Blitzen“ der Waffen mit den übrigen Bildern zu einer „literarische[n] Ikonographie“.774 Dies gilt im Besonderen für Nah 3,3,
765
Vgl. Ex 19,16; 2.Sam 22,15/Ps 18,15; Hi 20,25; 38,35; Ps 77,19; 97,4; 135,7; 144,6; Jer 10,13/51,16; Ez 1,13; 21,15.20.33; Dan 10,6; Nah 2,5; 3,3; Hab 3,11; Sach 9,14. 766 Vgl. Ex 19,16. 767 Vgl. Hi 38,35; Ps 135,7; Jer 10,13/51,16. 768 Vgl. Hi 20,25; Ez 21,15.20.33; Nah 2,5; 3,3. 769 Vgl. Ez 1,13; Dan 10,6. 770 Vgl. oben 3.3.13.1. 771 Vgl. Ez 21,3.36.37; Nah 3,13.15. 772 Vgl. Ez 21,3; Nah 3,3. 773 Vgl. POHLMANN 2001, 322–325; PERLITT 2004, 27; GREENBERG 2005, 39–40 mit der Annahme, Ez 21 sei u.a. von Dtn 32,41 abhängig; FABRY 2006, 190. 774 FABRY 2006, 190 (zu Nah 3,3).
3.3 Die einzelnen Motive
247
wo die Aufzählung von Aspekten des Kampfes fast gänzlich ohne Verb auskommt und somit kein eigentliches Geschehen beschrieben wird. Deutlicher noch als die Verwandtschaft mit Theophanie-Schilderungen aber ist die Ähnlichkeit von Dtn 32,41–42 mit prophetischen Gerichtstexten. Zahlreiche Vokabelparallelen verbinden das Moselied vor allem mit Jes 34. Fokussiert man zunächst nur die Tatsache, dass Dtn 32,41–42 eine Drohung JHWHs darstellt, ist natürlich grundsätzlich von Bedeutung, dass das ganze Kapitel Jes 34 ebenfalls eine Gerichtsankündigung gegenüber „Nationen“ und „Völkern“775 bzw. gegenüber „Edom“776 ist. Im Weiteren ist eine Fülle von Vokabelparallelen zu vermerken.777 Hinzu kommen noch einige Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Gesamtkomposition des Moseliedes. Am auffälligsten ist der in beiden Texten am Anfang stehende und gleichlautende Höraufruf an die Erde: Ĩīēė ĥġĬĭ („die Erde höre“, vgl. Dtn 32,1; Jes 34,1).778 Die Schilderung des göttlichen Strafhandelns in Dtn 32,42 ähnelt aber grundsätzlich den weit ausgreifenden Gerichtsszenen gegen verschiedene Völker, die sich zahlreich in den Prophetenbüchern finden.779 Allein für die Formulierung ĠĖġ ĜĩĚ īĜĞĬē („Ich will meine Pfeile trunken machen von Blut“) in Dtn 32,42a gibt es keine Parallele, da das Verb īĞŘ („trunken werden“) in Gerichtskontexten normalerweise auf die zu bestrafenden Menschen bezogen wird.780 Die Verwendung des Verbs im Moselied, mit den „Pfeilen“ als Subjekt, ist ungewöhnlich und lässt sich vielleicht als poetische Analogiebildung zum „fressenden Schwert“ in Dtn 32,42b begreifen: īĬĔ ğĞēĭ ĜĔīĚĘ („und mein Schwert soll Fleisch fressen“). Von einem solchen „fressenden Schwert“ ist gelegentlich im Zusammenhang mit menschlichen Kämpfen die Rede,781 zumeist aber in Gerichtskontexten, wo es sich dann um das „Schwert“ JHWHs handelt. 782 Im Moselied
Vgl. Jes 34,1: ĠĜĘĕ bzw. ĠĜġēğ. 776 Vgl. Jes 34,5. 777 Vgl. Jes 34,5 für ĔīĚ („Schwert“) und ěħŘġ („Recht“, „Gericht“) aus Dtn 32,41a–b; Jes 34,8 für den Parallelismus von ĠĪģ („Rache“) und ĠğŘ („Vergeltung“) aus Dtn 32,41c– d (hierzu auch 3.3.19.2 und 3.3.22.3); Jes 34,6 für die Rede von ĠĖ („Blut“) und ĔīĚ („Schwert“) aus Dtn 32,42a–b; Jes 34,3 für ĠĖ („Blut“) und ğğĚ („Durchbohrter“) aus Dtn 32,42c. 778 Darüber hinaus wird der Begriff Ģħĕ („Weinstock“) in Jes 34,4 und im Zusatz in Dtn 32,32 verwendet, die Vokabel Ĥ Ąħ Ąē („Ende“) in Jes 34,12 und in Dtn 32,36. Schließlich sprechen sowohl Jes 34,7 als auch Dtn 32,43c.f 4QDeutq (bei leicht unterschiedlichem Vokabular) davon, dass das Blut von Erschlagenen die Erde tränkt. 779 Vgl. z.B. Jes 1,18–31; 31; 66,15–24; Jer 14–15; 46–49; Ez 7; 21; 28–32; 35; Nah 2– 3; Zef 2. 780 Dies ist bei 11 von 18 Belegen des Verbs der Fall, dreimal wird auch das Hifޏil in diesem Sinne (also anders als im Moselied) gebraucht, vgl. Jer 48,26; 51,39.57. 781 Vgl. 2.Sam 2,26; 11,25; 18,8 sowie im übertragenen Sinn Prov 30,14; Jer 2,30. 782 Vgl. für Texte gegen Israel: Jes 1,20; Jer 12,12 (sofern hier Ĩīēė „das Land“ und nicht „die Erde“ und damit ein umfassendes Gericht bedeutet); Hos 11,6; gegen andere Völker: Jes 31,8 (Assur); Jer 46,10.14 (Ägypten); Nah 2,14 (Ninive) sowie weitere Texte, in denen 775
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
findet sich noch eine Präzisierung zum Objekt bzw. Opfer des Schwerts, vgl. Dtn 32,42b–c: …und mein Schwert soll Fleisch fressen vom Blut des Durchbohrten und Gefangenen…
ī ĬĔğĞēĭĜĔīĚĘ ėĜĔĬĘğğĚĠĖġ
Dies erinnert an die Wendung ĔīĚČğğĚ („ein vom Schwert Durchbohrter“), die in einzelnen Beschreibungen menschlicher Kriegshandlungen begegnet,783 vor allem aber mit JHWH als Akteur in Strafkontexten.784 3.3.22.3 Die Vergeltung gegenüber denen, die JHWH hassen (V.41d) In V.41c–d beschreibt JHWH das Ziel seines Auftretens als Richter: Ich will Rache erwidern meinen Bedrängern und denen, die mich hassen, vergelten.
ĜīĩğĠĪģĔĜĬē ĠğĬēĜēģĬġğĘ
Ganz prinzipiell ist das Lexem ĠĪģ („Rache“) – auch abgesehen von der Wendung ĠĪģ ĠĘĜ („Tag der Rache“) – in der Hebräischen Bibel überwiegend auf JHWH als den ausführenden Rächer bezogen.785 Erstaunlicherweise aber kann JHWHs Rache sich sowohl positiv als auch negativ auf sein Volk auswirken, da er dabei entweder gegen Völker einschreitet, die Israel bedrängen,786 oder aber sein eigenes Volk bestraft.787 In Jes 59,17; 61,2 wird sogar eine Tendenz erkennbar, die der inneren Differenzierung am Ende des Moseliedes entspricht.788 Sowohl in Jes 59 als auch Jes 61 geht es um das Schicksal des Volkes Israel, wobei Kap. 59 die früheren Verfehlungen, Kap. 61 primär die heilvolle Zukunft im Blick hat. In beiden Fällen wird jedoch kein pauschales Urteil über das ganze Volk gefällt. Jes 59,18 spricht ausdrücklich davon, dass JHWH „gemäß den Taten vergelten wird“ (ĠğĬĜ ğĥĞ ĭĘğġĕ ğĥĞ), also nur diejenigen zu bestrafen gedenkt, die tatsächlich gefrevelt haben. In Jes 61,2 werden ČĭģĬ ĢĘĩī („Jahr des Wohlwollens“) und ĠĪģ ĠĘĜ („Tag der Rache“) parallelisiert,
das Verb ğĞē nur indirekt auf ĔīĚ bezogen ist: Jer 15,3 (gegen Israel); Ez 7,15 (gegen Israel); Nah 3,15 (gegen Ninive). 783 Vgl. Num 19,16; 31,8; Jos 13,22; 2.Sam 1,22; Jes 22,2. 784 Vgl. zum „Richtschwert JHWHs“ KAISER 1982, 171; BEUKEN 2010, 217 (mit einer Liste) sowie Jes 66,16 (umfassendes Gericht); Jer 14,18 (gegen Juda und Jerusalem); Klg 4,9; Ez 21,19 (gegen Israel); 28,23 (gegen Zidon); 30,4.11.24; 31,17.18; 32,21.22. 23.24.25.28.29.30.31.32 (gegen Ägypten); 35,8 (gegen das Gebirge Seir); Nah 3,3 (gegen Ninive); Zef 2,12 (gegen die Kuschiter). 785 D.h. an 13 von 17 Belegstellen (Lev 26,25; Dtn 32,35.41.43; Ps 58,11; Jes 34,8; 35,4; 47,3; 59,17; 61,2; 63,4; Ez 24,8; Mi 5,14). Vgl. LIPIēSKI 1986, 604. 786 Vgl. Jes 34,8; 35,4; 47,3; 63,4; Mi 5,14. 787 Vgl. Lev 26,25; Ez 24,8. 788 Vgl. den Exkurs in Kap. 2 „Die Feinde JHWHs“.
3.3 Die einzelnen Motive
249
was ebenfalls auf eine differenzierte Behandlung der Menschen unter dem Gericht hindeutet. 789 Statt völliger Vernichtung bezweckt die „Rache“ in Dtn 32,41; Jes 59,17–18; 61,2 eine Scheidung zwischen den zu bestrafenden Frevlern790 und denen, die sich an JHWH halten,791 – also letztlich die Rückkehr zu einer gerechten Ordnung der Dinge. Diese ist in allen drei Kapiteln (Dtn 32; Jes 59; 61) durch das Wort ěħŘġ auf den Begriff gebracht.792 Für die theologiegeschichtliche Einordnung des Moseliedes spielt unterdessen der Gebrauch des Verbs ĠğŘ Pi („vergelten“) in V.41d eine besondere Rolle. Dort, wo JHWH sonst Subjekt des Verbs ist, bezeichnet es meistens eine strafende Handlung, was v.a. bei Jeremia und Trito-Jesaja zu beobachten ist.793 Zum Gesamtbild gehören aber auch die Stellen, an denen allgemeiner das Prinzip der Vergeltung nach Taten beschrieben wird,794 sowie die Beispiele für das Vergelten von Gutem795 bzw. mit Gutem796. Von all diesen Belegen für das Verb ĠğŘ Pi mit JHWH als Subjekt verdienen mehrere Drohungen am Ende der Bücher Jesaja und Jeremia sowie die Paränese in Dtn 7 wegen der zusätzlichen Vokabelparallelen mit Dtn 32,41–42 Beachtung. Auf die Nähe zu Jes 59,17–18 wurde bereits hingewiesen. Zu erinnern ist ferner an das Wort gegen Babel in Jer 51,6.797 Ebenfalls gegen JHWHs „Feinde“ richtet sich Jes 66,6: Die Stimme JHWHs, der Vergeltung übt an seinen Feinden.
ĘĜĔĜēğğĘġĕĠğĬġėĘėĜğĘĪ
789
Vgl. B. JOHNSON 1986, 98–99: „Das Urteil, das Gericht kann auch den Inhalt des Gerichtes bezeichnen. Dieser Inhalt ist positiv für diejenigen, die gerecht und unschuldig sind, aber negativ für die Frevler und Gottlosen.“ 790 Vgl. Jes 59,18: ĘĜīĩ und ĘĜĔĜē („seine Bedränger“ und „seine Feinde“). Beide Bezeichnungen finden sich auch in Dtn 32,41c bzw. V.42d. 791 Vgl. Dtn 32,43c nach 4QDeutq: ĘĜģĔ („seine Söhne“) bzw. nach MT/SP: ĘĜĖĔĥ („seine Knechte“); Jes 59,20: ĔĪĥĜĔ ĥĬħ ĜĔĬ („diejenigen in Jakob, die von der Sünde umkehren“). In Jes 61,6 ist das neue Verhältnis beider Gruppen zusammengefasst: ĘēīĪĭėĘėĜĜģėĞĠĭēĘ ĘīġĜĭĭ ĠĖĘĔĞĔĘ ĘğĞēĭ ĠĜĘĕ ğĜĚ ĠĞğ īġēĜ ĘģĜėğē ĜĭīĬġ („Ihr aber werdet ‚Priester JHWHs‘ gerufen werden, ‚Diener unseres Gottes‘ wird von euch gesagt werden, den Reichtum der Nationen werdet ihr essen und ihrer Herrlichkeit werdet ihr euch rühmen“). 792 Vgl. die Verweise auf das (fehlende) „Recht“ (ěħŘġ) in Jes 59,8.9.11.14.15; 61,8 sowie Dtn 32,4: ěħĬġĘĜĞīĖČğĞ („alle seine Wege sind Recht“) und Dtn 32,41: ěħĬġĔęĚēĭĘ ĜĖĜ („und meine Hand greift nach dem Recht“). 793 Vgl. Dtn 7,10; Ri 1,7; 2.Sam 3,39; 2.Kön 9,26; Hi 21,19; 34,33; Ps 31,24; Jes 59,18; 65,6; 66,6; Jer 16,18; 25,14; 32,18; 51,6.24.56 sowie GERLEMAN 1976, 932–933. 794 Vgl. Hi 34,11; Ps 62,13. 795 Vgl. Rut 2,12; 1.Sam 24,20; Hi 8,6; 41,3; Prov 19,17; 25,22. 796 Vgl. Jes 57,18 (Tröstungen für die Elenden); Joel 2,25 (Wiederherstellung des Landes). 797 Vgl. oben 3.3.19.2.
250
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Einige Verse später folgt eine Schilderung der zu erwartenden Übel, vgl. Jes 66,16: Ja, mit Feuer wird JHWH Gericht halten und mit seinem Schwert gegen alles Fleisch und zahlreich werden die von JHWH Durchbohrten sein.
ěħĬģėĘėĜĬēĔĜĞ ī ĬĔČğĞČĭēĘĔīĚĔĘ ėĘėĜĜğğĚĘĔīĘ
Sie erinnert stark an Dtn 32,22 (Řē). 4.41 (ěħŘġ). 25.41 (ĔīĚ). 42 (īřĔ und ğğĚ). Ähnlich verhält es sich mit der Drohung gegen das Volk Israel in Jes 65,6: ĠĪĜĚČğĥĜĭġğĬĘĜĭġğĬČĠēĜĞ
…wenn ich nicht vergolten habe; und ich werde vergelten auf ihren Schoß.
In ihrem Umfeld finden sich sowohl Parallelen zur Beschreibung des Frevels im Moselied (vgl. Jes 65,3 mit Dtn 32,16.21) als auch zur Strafankündigung (vgl. Jes 65,5.12 mit Dtn 32,22.25). Bemerkenswert ist mit Blick auf die Textgeschichte und den masoretischen Text von Dtn 32,43 auch die in Jes 65 gehäufte Verwendung des Begriffs ĜĖĔĥ (vgl. Jes 65,8.13.14: „mein Knecht“) bzw. ĘĜĖĔĥ (vgl. Jes 65,15: „seine Knechte“), vgl. Dtn 32,43b (MT):798 Denn das Blut seiner Knechte wird er rächen…
ĠĘĪĜĘĜĖĔĥČĠĖĜĞ
Schließlich ist zu bemerken, dass beide Dekalogfassungen (vgl. Ex 20; Dtn 5) und die Dekalogauslegung in Dtn 7 das Partizip Qal des Verbs ēģř („hassen“) verwenden, das (im Piޏel) auch in Dtn 32,41d die Gegner JHWHs bezeichnet: ĠğĬē ĜēģĬġğĘ („und denen, die mich hassen, will ich vergelten“).799 Ex 20,5 (Dtn 5,9): Denn ich bin JHWH, dein Gott, ein eifernder Gott, heimsuchend die Schuld der Väter gegenüber den Söhnen (und) bis ins dritte und vierte bei denen, die mich hassen.
ĖĪħēģĪğēĝĜėğēėĘėĜĜĞģēĜĞ ĠĜĬğĬČğĥĘ ĠĜģĔČğĥĭĘ ĔēĢĘĥ ĜēģĬğĠĜĥĔīČğĥĘ
Während jedoch in Ex 20,5/Dtn 5,9 das Verb ĖĪħ („heimsuchen“) JHWHs Reaktion auf den Frevel des Volkes ausdrückt, verwendet Dtn 7,10 ĠğŘ Pi („vergelten“), das sich ebenfalls in Dtn 32,41d findet.
798
Vgl. hierzu Kap. 1 Anm. 44 sowie oben 3.3.19.3. 799 Vgl. Ex 20,5; Dtn 5,9; 7,10 sowie JENNI 1976, 837; LIPIēSKI 1993, 830.
3.3 Die einzelnen Motive
251
Dtn 7,10: …und der denen, die ihn hassen, ins Angesicht vergilt, ihn zu vernichten, er wird nicht zögern, dem, der ihn hasst, ins Angesicht wird er ihm vergelten.
ĘĖĜĔēėğĘĜģħČğēĘĜēģĬğĠğĬġĘ ĘğČĠğĬĜĘĜģħČğēĘēģĬğīĚēĜēğ
Außerdem begegnet auch im Gebet des in Jerusalem gefangen gesetzten Jeremia das Verb ĠğŘ Pi („vergelten“), und zwar in einer Formulierung, die ansonsten auf Ex 20,5/Dtn 5,9 zurückgeht, vgl. Jer 32,18:800 …der du Tausenden Treue erweist und die Schuld der Väter den Söhnen nach ihnen in den Schoß vergiltst…
ĭĘĔēĢĘĥĠğĬġĘĠĜħğēğĖĤĚėĬĥ ĠėĜīĚēĠėĜģĔĪĜĚČğē
Zusammengefasst lassen sich diese Feststellungen so deuten, dass das Moselied – wie auch Dtn 7; Jer 32,18 – den (deuteronomischen) Dekalog bereits voraussetzt801 und die sich aus dem dort zu findenden Fremdgötterverbot ergebenden Konsequenzen in Anlehnung an Dtn 7 ausformuliert.802 In den Ausdeutungen von Dtn 7; 32 besteht ferner Affinität zu einer spät-prophetischen Vergeltungstheologie, wie sie am Ende der Bücher Jesaja und Jeremia greifbar wird. Dabei scheint die Verwendung des Verbs ĠğŘ Pi („vergelten“) zur Bezeichnung eines solchen Handelns, das sich am (idealen) Zusammenhang von Tun und Ergehen orientiert, ursprünglich in der Weisheit zu wurzeln.803 Nach dem dort erkennbaren Vorbild göttlichen Vergeltens gegenüber Individuen beschreiben auch Trito-Jesaja, Jeremia und das Moselied JHWHs Gerichtshandeln, indem sie das für prophetische Gerichtstexte sonst übliche Urteil gegen ein ganzes Volk ausdifferenzieren und zwischen den zu Bestrafenden und den zu Belohnenden unterscheiden.804 Über die Darstellung JHWHs als Richter in Dtn 32,40–42 ist somit abschließend Folgendes zu sagen: Mehrere Texte, in denen sich Parallelen zu V.41–42 des Moseliedes finden, waren bereits im Zusammenhang mit JHWHs Strafankündigungen in V.23–26 zitiert worden.805 So erhärtet sich der Eindruck, dass
800
Zur Abhängigkeit der Stelle vom Dekalog in Ex 20,5/Dtn 5,9 vgl. DUHM 1901, 267; RUDOLPH 1968, 213; CARROLL 1986, 624; WANKE 2003, 304; G. FISCHER 2005b, 202. 801 Zur Neufassung von Dtn 5,9–10 in Dtn 7,9–10 vgl. VEIJOLA 2004, 207–208; OTTO 2012, 870. 802 Vgl. auch oben 3.3.9.2 für die Ähnlichkeiten von Dtn 7,25–26 und Dtn 32,16 in Bezug auf den Umgang mit Götzen. 803 Vgl. Hi 8,6; 21,19; 34,11.33; 41,3; Ps 31,24; Prov 19,17; 25,22. 804 Vgl. SCHARBERT 1972, 321–323; ILLMAN 1995, 97: „In späten Bearbeitungen von Jes und Jer taucht das Motiv vom ‚göttlichen Vergelter‘ mehrmals auf. Die ‚Vergeltung‘ wird an Kollektive [sic], nicht wie in der Weisheitsliteratur an Personen ausgeübt.“ 805 Vgl. u.a. 2.Sam 22,15/Ps 18,15; Ps 77,18; 144,6; Jer 15,2–3; Ez 7,15; Hab 3,11; Sach 9,14.
252
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
sich das Moselied zur Darstellung seiner besonderen Gerichtsbotschaft einer (in Straf- und Theophanietexten) verbreiteten Motivik bedient. Das insgesamt an prophetische Texte erinnernde grausame Szenario des angekündigten Gerichts wird jedoch in Dtn 32,41–42 mit einer Scheidung zwischen zwei Gruppen im Volk verknüpft.806 Diese scheint an weisheitliche Kategorien angelehnt zu sein,807 stützt sich lexikalisch aber auf die Unterscheidung im Umfeld des Dekalogs zwischen denen, die sich an das Fremdgötterverbot halten, und denen, die dies nicht tun (d.h. die JHWH „hassen“). Da es hierbei (aus Sicht des Moseliedes) um die Grundlage des Gottesverhältnisses geht, wendet sich in Dtn 32,40 JHWH selbst an die Hörenden: Die personalisierte Sprache des Schwurs macht eine indirekte Vermittlung durch Prophetenworte überflüssig.808 Eine vergleichbare Übertragung menschlicher Gesten auf JHWH ist gehäuft in späten kompilierenden Passagen bei Ezechiel aufgefallen.809 Auf diese Weise verbindet die Gottesrede des Moseliedes das ganze Gewicht traditioneller prophetischer Drohungen mit weisheitlich gefärbter Reflexion und unterstellt beide direkt JHWHs eigener Autorität.
Exkurs: Schwüre eines Gottes Auch aus dem Alten Ägypten und Mesopotamien wird berichtet, dass Gottheiten bei sich selbst geschworen hätten. Und vergleichbar mit dem Befund der Hebräischen Bibel scheint man in Ägypten und v.a. in Assyrien von den Göttern angenommen zu haben, dass sie ganz ähnliche Schwurformeln benutzten wie die Menschen.810 Das heißt, während Menschen im Gericht verschiedene Gottheiten als Garanten ihrer Aussagen anrufen konnten, erfüllen die Götter diese bekräftigende Funktion selbst oder untereinander.811 Eine enge Parallele
806
Vgl. auch unten 3.3.23 für die Scheidung zwischen „Hassern“ und „Söhnen“ JHWHs. 807 Vgl. auch oben 3.3.4 sowie den Exkurs „Zugang zu den göttlichen Kammern“. 808 Dieser ursprünglich textpragmatisch begründete Gesichtspunkt (vgl. Kap. 2) ermöglichte in der Folge die Integration des Liedes in die Mose-Fiktion (vgl. Kap. 5), für die eine direkte Erwähnung der Propheten störend gewesen wäre. 809 Vgl. JHWHs „erhobene Hand“ (ĖĜēřģ) in Ez 20,5.6.15.23.28.42; 36,7; 44,12; 47,14 und die Schwurformel ĜģēČĜĚ, meist in der langen Form ėĘėĜĜģĖēĠēģĜģēČĜĚ („So wahr ich lebe, Spruch des Herrn JHWH“) in Ez 5,11; 14,16.18.20; 16,48; 17,16.19; 18,3; 20,3.31.33; 33,11.27; 34,8; 35,6.11. 810 Für die eminente Bedeutung des Eides im Gericht vgl. mit Blick auf Ägypten: LURJE 1971, 142–153; KAPLONY 1975, 1189.1191; auf Mesopotamien: PEDERSEN 1914, 187–189; SAN NICOLÒ 1938, 308–310.311–312 sowie CAD Bd. 1/1, 131–134 (adû A); CAD Bd. 11/2, 290–294 (nƯšu A) und CAD Bd. 18, 159–168 (tamû) mit zahlreichen Beispielen für das Schwören bei Göttern. 811 Vgl. für Ägypten: WILSON 1948, 135 (Nr. 29).141 (Nr. 72).143 (Nr. 82.84); KAPLONY 1975, 1189; für Mesopotamien: MERCER 1912, 29–30.37; PEDERSEN 1914, 158. Die beiden
3.3 Die einzelnen Motive
253
zu JHWHs Schwur in Dtn 32,40: ĠğĥğĜĞģēĜĚ („So wahr ich in Ewigkeit lebendig bin…“) findet sich im ägyptischen Mythos „Die Vernichtung des Menschengeschlechts“, der in mehreren Königsgräbern des Neuen Reiches überliefert ist.812 Zunächst beteuert hier die Göttin Hathor, nachdem sie im Auftrag des Gottes Re die aufrührerischen Menschen vernichtet hat, gerade bei diesem Gott: ʡG^ M`MQQʻUWWQԀQʫ NQ MMZVʫPQ MPUP ʻZMZQʡPʩUME M813 („So wahr du mir lebst, ich habe mich der Menschen bemächtigt, und es war angenehm für mein Herz“)814. Daraufhin lässt Re die mordlustige Göttin mit Bier besänftigen, schwört aber bei sich selbst: ʡGMQʩPQM 5ԀZ ԀQʫ MQ MMZME M ZUʡZUUZQQʩQԀ VQ815 („So wahr ich mir lebe, mein Herz ist viel zu müde, um mit [den Menschen] zusammen zu sein“)816. In diesem Mythos halten indes die übrigen Götter am Ende den erbosten Gott Re davon ab, die Menschheit gänzlich zu vernichten. Ferner scheint es sowohl in Ägypten als auch in Mesopotamien üblich gewesen zu sein, einen Schwur vor Gericht mit erhobener rechter Hand zu leisten und dadurch auf die Verbindlichkeit des Gesagten gegenüber der göttlichen Sphäre hinzuweisen.817 Nur die Hebräische Bibel jedoch überträgt die Geste auf die Gottheit selbst.818 Mit Blick auf das „Schwert“ JHWHs, das in Dtn 32,41 als Rachewerkzeug zum Einsatz kommt, ist es bemerkenswert, dass im Einflussbereich der altassyrischen Kultur offenbar beim bzw. vor dem „Schwert des Gottes Aššur“ (patrum ša Aššur) geschworen wurde. Dies belegen zahlreiche akkadische Texte
Letzteren verweisen auf das akkadische Gilgameš-Epos mit dem darin zitierten Schwur der sumerischen Muttergöttin bei ihrer eigenen Halskette (Tafel XI, Z.164–165 der ninivitischen Fassung), vgl. TUAT AF Bd. III, 734. Dagegen scheinen die von MERCER 1912, 30 aus der kuthäischen Legende von Naram-Sin zitierten Worte lnj anƗknjma („Bei mir!“) nicht von der Göttin Ištar, sondern vom König Naram-Sin gesprochen zu sein, vgl. GRESSMANN 1970, 232; WESTENHOLZ 1997, 316–317.318–319.322–323. 812 Vgl. zum Hintergrund BRUNNER 1985, 35; HORNUNG 1997, 74–81. 813 Ägyptologische Umschrift von Daniel A. Werning, Berlin, vgl. BRUGSCH 1881, 6 sowie die metrische Umschrift von Gerhard Fecht bei HORNUNG 1997, 113. 814 Übersetzung nach BRUNNER 1985, 37, vgl. WILSON 1948, 135; HORNUNG 1997, 38– 39. 815 Ägyptologische Umschrift von Daniel A. Werning, Berlin, vgl. BRUGSCH 1881, 9 sowie die metrische Umschrift von Gerhard Fecht bei HORNUNG 1997, 115. 816 Übersetzung nach BRUNNER 1985, 37, vgl. WILSON 1948, 135; HORNUNG 1997, 40. 817 MERCER 1912, 38 (mit grundsätzlichem Fokus auf Babylonien und Assyrien) spricht von einem „almost universal custom of lifting up the hand in taking an oath“; PEDERSEN 1914, 149 führt diese Gewohnheit darauf zurück, dass ursprünglich ein Götterbild oder heiliger Gegenstand berührt wurde und mit zunehmender Transzendierung des Gottesverständnisses nur mehr in Richtung der Gottheit gezeigt werden konnte, vgl. LURJE 1971, 141 (mit Fokus auf das Alte Ägypten). 818 Vgl. oben 3.3.22.1.
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Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
aus dem 20.–18. Jh. v. Chr., 819 unter denen besonders die Sammlung von Rechtsurkunden aus der (in der heutigen Türkei gelegenen) assyrischen Handelsniederlassung Kültepe auf Grund ihres Umfangs hervorsticht. Ganz regelmäßig stößt man hier auf die stereoptypen Formulierungen maېar patrim ša Aššur šƯbutƯni niddin („vor dem Schwert Aššurs gaben wir unser Zeugnis“) und maېar patrim ša Aššur dƯnam iddin („vor dem Schwert Aššurs sprach [eigtl. gab] er das Urteil“).820 Wir können hieraus ersehen, dass JHWHs Drohung in Dtn 32,41–42 eine enge sachliche Parallele in der Vorstellungswelt der alten Assyrer hatte: In beiden Fällen wird von der göttlichen Waffe geredet, um auszudrücken, dass die oberste Gewalt im Gericht bei der Gottheit, d.h. bei JHWH bzw. bei Aššur liegt.821 3.3.23 Die Schlussdoxologie: Anerkennung JHWHs als Souverän (V.43) Die folgende Betrachtung wird zeigen, dass der in Kapitel 1 und 2 rekonstruierte Schlussvers des Moseliedes (Dtn 32,43*) auch in motivischer Hinsicht die größte Plausibilität besitzt:822 43
a b c d
Jubelt, , ,
Denn das Blut seiner wird er rächen Und den Boden seines Volkes entsühnen.
ĘġĥĠĜġĬĘģĜģīė ĠĜėĘğēğĞĘğĘĘĚĭĬėĘ ĠĪĜĘĜģĔĠĖĜĞ ĘġĥĭġĖēīħĞĜĘ
Von insgesamt nur vier Belegen für das Hifޏil des Verbs Ģģī außerhalb des Liedes werden zwei mit kausativer Bedeutung verwendet („jubeln lassen“) wie in Dtn 32,43a MT: żŪ ąĥĠĜĘĕĘģĜģīė
Lasst jubeln, Nationen, sein Volk!
Die Parallelen für diesen Wortgebrauch in Hi 29,13; Ps 65,9 lassen keinen vergleichbaren Kontext erkennen.823
819
Vgl. insbes. CAD Bd. 18, 163.164 sowie SAN NICCOLÒ 1938, 311; HIRSCH 1961, 64– 66; KAISER 1982, 172; zur Praxis des Schwörens bei einer Waffe im Alten Orient allgemein auch PEDERSEN 1914, 153. 820 Vgl. die große Mehrheit der Texte bei EIßER/LEWY 1930, 244–320; C. MICHEL/GARELLI 1997, 225–257. 821 Vgl. HIRSCH 1961, 65: „Beim Schwerte (oder vielleicht ganz wörtlich ‚auf dem Schwerte‘) schwört man und läßt man schwören, man ergreift es und läßt es ergreifen in einer besonders feierlichen Form des Eides (?).“ 822 Vgl. für die Textkritik Kap. 1.3.3 und für die Literarkritik Kap. 2.D. 823 Hi 29,13: Ģģīē ėģġğē Ĕğ („das Herz der Witwe lasse ich jubeln“); Ps 65,9: Č ĜēĩĘġ ĢĜģīĭĔīĥĘīĪĔ („die Ausgänge des Morgens und des Abends lässt du jubeln“).
3.3 Die einzelnen Motive
255
Zwei weitere Belege sind intransitiv zu verstehen wie Dtn 32,43a 4QDeutq:824 żŪ ĂĥĠĜġĬĘģĜģīė
Jubelt, ihr Himmel, mit ihm!
Die beiden Vergleichstexte Ps 31,11; 81,2 teilen überdies die grammatische Form eines Imperativs der zweiten Person Plural: ĘģĜģīė („Jubelt“). Ps 32,11: Freut euch an JHWH und frohlockt, ihr Gerechten, und jubelt, alle, die aufrichtigen Herzens sind!
ĠĜĪĜĖĩĘğĜĕĘėĘėĜĔĘĚġĬ ĔğČĜīĬĜČğĞĘģĜģīėĘ
Ps 81,2: ĘģęĘĥĠĜėğēğĘģĜģīė ĔĪĥĜĜėğēğĘĥĜīė
Jubelt für Gott, unsere Stärke, jauchzt dem Gott Jakobs!
Mit dem Verb Ģģī im Qal oder Piޏel finden sich weitere Parallelen. Auf diese Weise werden die „Himmel“ (ĠĜġŘ) auch dreimal bei den Propheten zum Jubeln aufgerufen.825 Zwei Beispiele im Qal stehen bei Jesaja: Gerichtet an Himmel, Tiefen der Erde und Wald mit Bäumen bildet der Aufruf in Jes 44,23 den Abschluss einer Götzenpolemik und betont dadurch JHWHs Hilfe für sein Volk in einem universellen Rahmen.826 Zum Abschluss des zweiten Gottesknechtsliedes fordert Jes 49,13 Himmel, Erde und Berge angesichts des für das Gottesvolk zu erwartenden Trostes zum Jubel auf. Und Jer 51,48 antizipiert (mittels eines konsekutiven Perfekts im Piޏel) das Gotteslob von Himmel und Erde für den Zeitpunkt, da Babel vernichtet ist. In allen drei Fällen ist also der Aufruf zum Lob eine Reaktion auf JHWHs helfendes Handeln für sein Volk bzw. gegen Israels und JHWHs Feinde. Das entspricht der Konstellation am Ende des Moseliedes. Das nur in 4QDeutq auf Hebräisch bezeugte Kolon Dtn 32,43b: Ęğ ĘĘĚĭĬėĘ ĠĜėğē ğĞ („und fallt vor ihm nieder, alle ihr Götter“) hat seine engsten Parallelen in den JHWH-Königs-Psalmen. Wortgleich bis auf das Ę am Kolonbeginn lautet so der Schluss von Ps 97,7. Die Verbform ist hier jedoch wegen des Kontextes wahrscheinlich als Perfekt zu deuten.827
824
Die im Original aus Qumran nicht enthaltene Vokalisierung ist aus Verständnisgründen (partiell) ergänzt. 825 Vgl. oben 3.3.1. Die ĠĜĘĕ („Nationen“) aus Dtn 32,43a MT finden sich sonst nie als Subjekt des Verbs Ģģī . 826 Vgl. auch oben 3.3.21. 827 Vgl. z.B. JEREMIAS 1987, 137.139; SEYBOLD 1996, 383; HOSSFELD/ZENGER 2000, 674; KAISER 2003, 366.
256
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Ps 97,6–7:828 6 7
a b a b c
Die Himmel haben seine Gerechtigkeit verkündet und alle Völker haben seine Herrlichkeit gesehen. Schämen sollen sich alle Diener eines Götterbildes, die sich der Götzen rühmen, alle Götter sind vor ihm niedergefallen.
ĘĪĖĩĠĜġĬėĘĖĜĕė ĘĖĘĔĞĠĜġĥėČğĞĘēīĘ ğĤħĜĖĔĥČğĞĘĬĔĜ ĠĜğĜğēĔĠĜğğėĭġė ĠĜėğēČğĞĘğČĘĘĚĭĬė
Für den Gebrauch desselben Verbs im Imperativ (ĘĘĚĭĬė) gibt es weitere Beispiele in den Psalmen. Sie sind mit einer Ausnahme alle formal identisch und bilden auch eine ähnliche Situation ab.829 Dem Sinn von Dtn 32,43 4QDeutq kommt Ps 29,1–2 am nächsten, da in beiden Texten göttliche Wesen zur Anbetung JHWHs aufgefordert werden. Der Vergleich von Ps 29 und Ps 96/ 1.Chr 16 führt ferner zu der Annahme, dass Ps 96,7–9 auf Ps 29,1–2 als Vorlage zurückgeht und dass bei der Neuformulierung ĠĜğē ĜģĔ („Göttersöhne“) durch ĠĜġĥ ĭĘĚħŘġ („Völkerfamilien“) ersetzt wurde. Ps 29,1–2: Gebt JHWH, ihr Göttersöhne, gebt JHWH Ehre und Stärke! Gebt JHWH die Ehre seines Namens, fallt vor JHWH nieder im Schmuck von Heiligkeit!
ĠĜğēĜģĔėĘėĜğĘĔė ęĥĘĖĘĔĞėĘėĜğĘĔė ĘġĬĖĘĔĞėĘėĜğĘĔė ĬĖĪČĭīĖėĔėĘėĜğĘĘĚĭĬė
Ps 96,7–9: Gebt JHWH, ihr Völkerfamilien, gebt JHWH Ehre und Stärke! Gebt JHWH die Ehre seines Namens, bringt Tribut und kommt in seine Höfe! Fallt vor JHWH nieder im Schmuck von Heiligkeit, zittert vor ihm, alles Land!
ĠĜġĥĭĘĚħĬġėĘėĜğĘĔė ęĥĘĖĘĔĞėĘėĜğĘĔė ĘġĬĖĘĔĞėĘėĜğĘĔė ĘĜĭĘīĩĚğĘēĔĘėĚģġČĘēĬ ĬĖĪČĭīĖėĔėĘėĜğĘĘĚĭĬė ĨīēėČğĞĘĜģħġĘğĜĚ
828
R. MÜLLER 2008, 89–90 erklärt Ps 97,6b.7a.b als Zusätze gegenüber dem ursprünglichen Zusammenhang Ps 97,6a.7c: ĠĜėğēČğĞĘğČĘĘĚĭĬė>@ĘĪĖĩĠĜġĬėĘĖĜĕė („Die Himmel haben seine Gerechtigkeit verkündet […] alle Götter sind vor ihm niedergefallen“), was grammatisch und inhaltlich vielleicht den besten Sinn ergibt; ähnlich KAISER 2003, 366, der jedoch nur V.7a.b [bei ihm: 7a] als Zusatz einstuft: ĠĜğĜğēĔĠĜğğėĭġėğĤħĜĖĔĥČğĞĘĬĔĜ („Schämen sollen sich alle Diener eines Götterbildes, die sich der Götzen rühmen“). 829 Vgl. Ps 29,2; 45,12; 96,9/1.Chr 16,29; Ps 99,5.9. Lediglich in Ps 45,12 richtet sich ein Imperativ der zweiten Person Singular an eine Königstochter vor dem König. Alle anderen Imperative sind solche der zweiten Person Plural und das Objekt der Verehrung, stets mit ~ğ angeschlossen, ist ausnahmslos JHWH bzw. in Ps 99,5: ĘĜğĕīĠĖė („der Schemel seiner Füße“) und in V.9: ĘĬĖĪīė („der Berg seiner Heiligkeit“). Subjekt des Verbs sind in Ps 29 die ĠĜğē ĜģĔ („Göttersöhne“), in Ps 96/1.Chr 16 die ĠĜġĥ ĭĘĚħĬġ („Völkerfamilien“), in Ps 99 ĠĜġĥėČğĞ („alle Völker“).
3.3 Die einzelnen Motive
257
Auf die Rezeption von Ps 29 in Ps 96 deutet v.a. die Beobachtung, dass Ps 96 formal uneinheitlich wirkt und weitere Parallelen mit anderen Texten (u.a. aus Deutero-Jesaja und dem benachbarten Ps 95) aufweist.830 Dadurch wird seine Abhängigkeit auch von Ps 29 sehr wahrscheinlich. Mit Blick auf das Moselied lässt die Ersetzung von ĠĜğēĜģĔ („Göttersöhne“) durch ĠĜġĥ ĭĘĚħŘġ („Völkerfamilien“) es noch näherliegend erscheinen, dass das sehr ähnliche Subjekt ğĞ ĠĜėğē („alle Götter“) in Dtn 32,43b 4QDeutq ebenfalls ursprünglich ist und nachträglich inkriminiert wurde.831 Gegenüber den großen kosmischen Urgewalten, welche in Ps 29 die Szenerie prägen, 832 ist der Ort des Geschehens nicht nur in Ps 96, sondern auch in Ps 99 eher menschlich und übersichtlicher gedacht: Während Ps 96 schlicht von den „Höfen“ des Tempels spricht, in denen die JHWH-Verehrer zusammenkommen (vgl. Ps 96,8), wird in Ps 99 der Zion als JHWHs Fußschemel vorgestellt (vgl. Ps 99,5.9).833 Zum Lob aufgerufen sind dementsprechend die Menschen aus allen Völkern (vgl. Ps 96,7 bzw. Ps 99,2–3), aber auch hier wird wie in Ps 29 und Dtn 32 auf die Motivik der Proskynese zurückgegriffen, um die JHWH gebührende Verehrung auszudrücken. Die Gruppe ĠĜėğē ğĞ („alle Götter“) wird zwar nirgends sonst wie in Dtn 32,43b 4QDeutq direkt angesprochen, sie taucht aber in ebenso untergeordneter Stellung zu JHWH abgesehen von Ps 97 noch in einigen weiteren Psalmen auf.834 JHWH wird hier als „größer“ (Ps 95,3; 135,5: ğĘĖĕ), „furchtbarer“ (Ps 96,4: ēīĘģ) oder „erhabener“ (Ps 97,9: ĭĜğĥģ) „als alle Götter“ (Čğĥ ĠĜėğēČğĞ bzw. in Ps 135,5: ĠĜėğēČğĞġ) bezeichnet. Wenngleich also das „Niederfallen aller Götter“ (ĘĘĚĭĬė + ĠĜėğēČğĞ) vor JHWH in genau diesen Worten außer im Moselied nur in Ps 97,7 vorkommt, so wird doch deutlich, dass die Szenerie am Schluss des Liedes mehrere Sachparallelen im Psalter hat. Denn in den zitierten Psalmen zeugen sowohl die Variationen des Imperativs ĘĘĚĭŘė („fallt nieder“) mit verschiedenen Adressaten (Götter oder
830
Vgl. ROFÉ 1969, X; JEREMIAS 1987, 124–127; TIGAY 1996, 517; HOSSFELD/ZENGER 2000, 669–670; TOV 2001, 269; KRAUS 2003, 837; ZENGER 2003, 183–184. 831 Vgl. Kap. 1.3.3. In diesem Fall fiel die Korrektur radikaler aus, da das gesamte Kolon in MT ausgelassen ist. 832 Vgl. ZENGER 2003, 166–169 zum vorausgesetzten (mythischen) Weltbild. 833 Vgl. KRAUS 2003, 854: „Im Unterschied zu Ps 96; 97 und 98 handelt Ps 99 nicht von dem Kommen Jahwes zu den Völkern, sondern von der in Bund und Gottesrecht sich ereignenden Begegnung mit Israel.“ Stärker psalterkompositorisch denkend HOSSFELD/ZENGER 2000, 704: „Mit der Proklamation des auf seinem Kerubenthron am Zion gegenwärtigen Weltkönigs ist gewissermaßen das vorher immer wieder mit neuen Bildern gezeichnete Theophanie-Kommen JHWHs an einem ‚Ruheort‘ vollendet, wo JHWH nun verehrt werden kann bzw. soll, zunächst von Israel selbst (Ps 99) und dann von den Völkern zusammen mit Israel (Ps 100).“ 834 Vgl. Ps 95,3; 96,4.5/1.Chr 16,25.26; Ps 97,7.9; 135,5.
258
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Menschen)835 als auch die Kontrastierungen JHWHs mit „allen Göttern“ (ČğĞ ĠĜėğē) davon, dass im Zentrum der Aufmerksamkeit stets JHWH steht und die „Götter“ nur der Profilierung seiner Größe dienen. Zwar wird JHWH im Moselied nicht als König bezeichnet, die Stilisierung in Dtn 32,43* entspricht aber durchaus der Konzeption (eines) Gottes als Oberhaupt in einem Kreis huldigender (Götter-)Wesen, wie sie u.a. für die JHWH-Königs-Psalmen typisch, aber auch aus den Nachbarkulturen Israels bekannt ist.836 Im Unterschied zu V.8 (4QDeutj/LXX) des Moseliedes, wo sich aus den (inner- wie außerbiblischen) Parallelstellen keine zusätzlichen Details zum Vorstellungshintergrund rekonstruieren ließen, scheint V.43 somit traditionsgeschichtlich gut in der Hebräischen Bibel (sowie dem weiteren Umfeld nordwestsemitischer Mythologie) verankert zu sein. Eine literarische Abhängigkeit des Moseliedes von Ps 97,7c kann darüber hinaus nicht sicher festgestellt werden, da keine weiteren umfassenden Übereinstimmungen zwischen beiden Texten bestehen, sondern die Gemeinsamkeiten sich auf einzelne Stichworte aus dem Kontext von Theophanie-Schilderungen beschränken.837 Im Vergleich mit „der überwiegend scharf abgrenzenden Sprache Deuterojesajas“,838 derer sich auch das Moselied an einigen Stellen bedient,839 fällt die stärker inkludierende Redeweise der Psalmen auf. Anstatt die anderen „Götter“ zu negieren, werden sie JHWH untergeordnet. Die Tatsache, dass das Moselied auf beide Arten der Verhältnisbestimmung zurückgreift und hierin offenbar zunächst keinen Widerspruch sah, deutet darauf hin, dass bei der Abfassung des Liedes nicht nur die deutero-jesajanischen Aussagen, sondern auch die zitierten Psalmen bereits eindeutig monotheistisch verstanden wurden.840 So spiegeln Dtn 32,8.43 zwei wichtige Ergebnisse der Auseinandersetzung Israels mit den nordwestsemitischen Vorstellungen vom Königtum (eines) Gottes wieder: das Verständnis von JHWHs Herrschaft „als Königtum über die Götter, aber auch als Königtum über die Welt“.841 Das Lied setzt die jeweilige Überzeugung schon voraus, weshalb es sie nicht mehr als neue Erkenntnis einführt, sondern nur noch ihre Anerkennung einfordert. Es ist aber zu konstatieren, dass die am Ende des Moseliedes geschilderte Szene der „niederfallenden Götter“ gerade das Gegenteil dessen darstellt, was
835
Vgl. Ps 29,2; 96,9/1.Chr 16,29; Ps 99,5.9. 836 Vgl. ZENGER 2003, 165; R. MÜLLER 2008, 129 sowie oben den Exkurs „Eljon und die Gottessöhne“. 837 Vgl. oben 3.3.12 und 3.3.22.2 für Vokabelparallelen in Ps 97,3–4 und Dtn 32,22.41 sowie daneben 3.3.4.1 für den Gebrauch der AttributeĪĜĖĩ („gerecht“) und īŘĜ („aufrichtig“) in Ps 97,11 und Dtn 32,4. 838 HARTENSTEIN 2013, 231. 839 Vgl. insbes. Jes 43,10.13 sowie oben 3.3.21, aber auch 3.3.7.3; 3.3.9.2; 3.3.20. 840 Vgl. HARTENSTEIN 2013, 231–236 sowie für ähnliche Überlegungen K. SCHMID 2011c. 841 JEREMIAS 1987, 149.
3.3 Die einzelnen Motive
259
im Dekalog mit dem Fremdgötterverbot als Gefahr thematisiert wird:842 Israel könnte „andere Götter“ haben (vgl. Ex 20,3; Dtn 5,7: ĠĜīĚē ĠĜėğē) und vor seinen Götterbildern „niederfallen“, vgl. Ex 20,5; Dtn 5,9: ĠėğėĘĚĭĬĭČēğ
Du sollst nicht vor ihnen niederfallen.
Dtn 32,43b 4QDeutq/LXX bannt diese Gefahr, indem hier die Götter selbst vor dem einzigen echten Gott „niederfallen“ und dem Volk damit zumindest in der Logik des Textes keine andere Wahl lassen, als es ihnen nachzutun.843 Parallelen für das letzte (rekonstruierte) Bikolon des Liedes sind dagegen nicht leicht zu identifizieren. 844 Vom „Blut“ der „Söhne“, vgl. Dtn 32,43c 4QDeutq: ĠĘĪĜ ĘĜģĔČĠĖ ĜĞ („Denn das Blut seiner Söhne wird er rächen“), spricht die Hebräische Bibel nur noch zweimal im Zusammenhang mit Kinderopfern, vgl. 106,37–38; Ez 16,36, was zumindest augenscheinlich dem Kontext des Moseliedes nicht entspricht. Dem Wortlaut des masoretischen Textes: ĜĞ ĠĘĪĜ ĘĜĖĔĥČĠĖ („Denn das Blut seiner Knechte wird er rächen“) steht jedoch ein Ausruf in Ps 79,10 sehr nahe: Es soll bekannt werden unter den Völkern vor unseren Augen die Rache für das vergossene Blut deiner Knechte!
ĘģĜģĜĥğĠĜĘĕĔĥĖĘĜ ĝĘħĬėĝĜĖĔĥČĠĖĭġĪģ
Innerhalb des Psalms bezieht sich dies auf V.3 zurück, wo (mit Bezug auf die „Knechte“ JHWHs als Opfer) das Vergehen derer, die Jerusalem verheert haben, beschrieben wird: Sie haben ihr Blut ausgegossen wie Wasser rings um Jerusalem und es gab keinen, der sie begrub.
ĠĜġĞĠġĖĘĞħĬ ĠğĬĘīĜĭĘĔĜĔĤ ī ĔĘĪĢĜēĘ
Anspielungen auf andere biblische Texte und die Eigenheit der geschilderten Situation deuten darauf hin, dass in Ps 79 die Zerstörung Jerusalems 587/6 v. Chr. bewältigt wurde.845 Es wäre ferner möglich, dass bei der Überarbeitung von Dtn 32,43 gerade Ps 79,10 den Anstoß dafür bot, ĘĜģĔ („seine Söhne“)
842
Vgl. DOHMEN 2004, 302. 843 Vgl. KAISER 2003, 369: „Dann werden die Himmel jauchzen und die Göttersöhne samt den von ihnen regierten Völker [sic] (G V.43c) anbetend vor Jahwe niederfallen.“ 844 Eine Besprechung der Kola d und e (= c.ø MT bzw. d.e 4QDeutq) erübrigt sich hier unabhängig von text- und literarkritischen Entscheidungen, da die Motivik bereits unter 3.3.22 im Zusammenhang mit V.41 besprochen wurde. Vgl. aber Kap. 1.3.3. und Kap. 2.D. 845 Vgl. HOSSFELD/ZENGER 2000, 446–447; KRAUS 2003, 714–715.
260
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
durch ĘĜĖĔĥ („seine Knechte“) zu ersetzen. 846 Die solchermaßen geänderte Version des Moseliedes verspräche somit nachdrücklich, was im Psalm als drängende Hoffnung geäußert wird. Die umgekehrte Rezeptionsrichtung ist wegen der inneren Kohärenz von Ps 79,3.10 und angesichts der ansonsten im Moselied überwiegenden Bezeichnung des Volkes als „Söhne“ (vgl. Dtn 32,5.19.20) unwahrscheinlich.847 Auch für den Gebrauch des Verbs īħĞ im letzten Kolon des Liedes finden sich in der Hebräischen Bibel keine eindeutigen Parallelen. Insgesamt geht es bei dem mit īħĞ bezeichneten und v.a. im Pentateuch bezeugten Tun meistens darum, JHWH angesichts eines (möglichen) Vergehens des Volkes durch Opfer wieder gnädig zu stimmen.848 Es sind also zumeist Menschen, die Sühne schaffen wollen. Nur an wenigen Stellen ist wie im Moselied JHWH das Subjekt von īħĞ, ohne dass sich aus diesen Belegen Rückschlüsse für das Verständnis von Dtn 32,43 ziehen ließen.849 Eine gewisse sachliche Nähe aber besteht zu Jes 27,9: Deshalb wird durch dieses die Schuld Jakobs gesühnt und dies ist die ganze Frucht des Wegnehmens seiner Sünde: Wenn er alle Altarsteine wie zerschlagene Kalksteine macht, werden sich keine Ascheren und Kultbauten mehr erheben.
ČğĞėęĘĔĪĥĜČĢĘĥīħĞĜĭēęĔĢĞğ ĜģĔēČğĞĘġĘĬĔĘĭēěĚīĤėĜīħ ĘġĪĜČēğĭĘĩħģġīĕČĜģĔēĞĚĔęġ ĠĜģġĚĘĠĜīĬē
Hier steht das Verb īħĞ im Puޏal und bezieht sich offenbar auf kultische Vergehen Israels, gegen die JHWH selbst einschreitet. Zwar kann der Vers auch so interpretiert werden, dass „Jakob“ Subjekt der geforderten Zerstörung ist,850 zuvor jedoch wird eindeutig JHWH als aktiv um sein Volk bemühter Gärtner seines Weinbergs beschrieben (vgl. Jes 27,2–5). Das Thema des Textes ist mithin – wie im Moselied – das Verhältnis JHWHs zu Israel und die dem
846
Erinnert sei aber auch an die mögliche Vorbildfunktion von Dtn 32,36 innerhalb des Liedes, vgl. Kap. 1 Anm. 44, sowie den Sprachgebrauch bei Trito-Jesaja, der vorbildhaft gewirkt haben könnte, vgl. oben 3.3.19.3. 847 Auch in Ps 79,9 wird in unmittelbarer Nähe zur Rede vom vergossenen Blut wie in ħĞ Pi („sühnen“, „vergeben“) verwendet; der Dtn 32,43d (MT) bzw. f (4QDeutq) das Verb ī Sinn ist jedoch im Moselied ein ganz anderer. 848 Vgl. Ex 29,36.37; 30,10.15.16; Lev 1,4; 4,20.26.31.35; 5,6.10.13.16.18.26; 6,23; 7,7; 8,15.34; 9,7; 10,17; 14,18–21.29.31.53; 15,15; 16,6.10.11.16–18.20.24.27.30.32–34; 17,11; 19,22; Num 6,11; 8,12.19.21; 15,25.28; 17,11.12; 25,13; 28,22.30; 29,5; 31,50; 1.Chr 6,34; 2.Chr 29,24; Neh 10,34; Ez 43,20.26; 45,15.17.20. 849 Vgl. Dtn 21,8; Ps 78,38, aber auch 2.Chr 30,18; Ps 65,4; 79,9; Jer 18,23; Ez 16,63. Zwar erinnert die Wortwahl in Dtn 21,8 an Dtn 32,43, doch der Kontext ist kaum vergleichbar, geht es doch in Dtn 21 um ein nicht aufzuklärendes individuelles Vergehen, im Moselied dagegen um die ausdrücklich beklagte Schuld des von JHWH abtrünnig gewordenen Volkes. 850 Vgl. z.B. BEUKEN 2007, 404; anders GRAY 1956, 458; LEENE 2000, 204.
3.4 Fazit
261
göttlichen Bemühen entsprechende Haltung seines Volkes.851 Gerade in Anbetracht der zahlreichen Beispiele für Sühne, die durch menschliches Handeln (und das Vergießen von tierischem Blut) erwirkt wird, und im Kontrast auch zu Moses Fürbitte nach dem Frevel mit dem „goldenen Kalb“852 scheint der Schlussvers des Moseliedes seinerseits zu betonen, dass JHWH das entscheidende Handeln zugunsten seiner (wahren) „Söhne“ selber vollzieht.853
3.4 Fazit 3.4 Fazit
Ganz offenkundig steht das Moselied in unterschiedlicher Weise mit zahlreichen anderen Passagen der Hebräischen Bibel in Beziehung. Nur bei einem Teil von ihnen lässt sich jedoch ein literarisches Abhängigkeitsverhältnis (mit dem Moselied als zitierendem oder zitiertem Text) wahrscheinlich machen. Daneben teilt das Lied offenbar an mehreren Stellen zentrale Gedanken eines bestimmten biblischen Buches oder einer bestimmten Gruppe von Texten, ohne dass im strengen Sinn ein Zitat oder eine gezielte Anspielung vorliegt. Noch einmal hiervon zu unterscheiden sind schließlich solche Textstellen, die auf Grund sprachlicher Übereinstimmungen zunächst den Eindruck erwecken, ähnliche Aussagen wie das Moselied zu treffen, während ein Vergleich der Kontexte zeigt, dass die jeweils entfalteten Inhalte keine tiefergehende Verwandtschaft besitzen. Bevor wir darauf eingehen, welche Schlussfolgerungen aus diesen Einzelbeobachtungen zu ziehen sind, und tabellarisch zusammentragen, welche Texte als Vorlagen für das Moselied gedient und welche es ihrerseits rezipiert haben, ist daher mit Blick auf die eingangs formulierte Motivdefinition854 summarisch zu konstatieren: Gemeinsame Motive (im Sinne von sprachlich und inhaltlich gleichartigen Wortverbindungen) sind häufig, aber nicht zwangsläufig Anzeichen für eine literarische Abhängigkeit zwischen dem Moselied und den
851
Vgl. LEENE 2000, 205: „Even if Jacob is to be taken as the subject of v. 9b, in any case the conditional character is weakened by the fact that Jacob’s behaviour is the direct fruit of what YHWH did Himself.“ 852 Vgl. Ex 32,30: ĠĞĭēěĚĖĥĔėīħĞēĜğĘēėĘėĜČğēėğĥēėĭĥĘ („Und nun will ich zu JHWH hinaufsteigen, vielleicht kann ich Sühne erwirken für eure Sünden“). 853 Vgl. BEUKEN 2007, 405–406 (mit Blick auf die wenigen Belegstellen für īħĞ im Jesaja-Buch): „der Begriff Versöhnung ist im Wesentlichen dadurch bestimmt, dass nicht Gottes Zorn gegen sein Volk ein Ende nimmt, sondern dass umgekehrt Israels Beziehung zu JHWH wiederhergestellt wird“; LEENE 2000, 204: „YHWH’s violent action is not deadly for Jacob (v. 7b) but expiatory“. 854 Vgl. oben 3.1.
262
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
entsprechenden Vergleichstexten.855 Ein und dasselbe Motiv kann an verschiedenen Stellen gebraucht werden, ohne dass diese literarisch aufeinander bezogen sind.856 Andererseits scheint das Moselied gelegentlich sogar dort von einem anderen Text abhängig zu sein, wo keine exakten wörtlichen Parallelen existieren, sondern die gemeinsame Überzeugung (im Sinne einer theologischen Konzeption) unterschiedlich ausgedrückt wird.857 Auch der umgekehrte Fall der Aufnahme von Motiven aus dem Moselied in einen anderen Text ist zu erkennen.858 Mehrfach bieten die zum Vergleich herangezogenen Texte hingegen lediglich Sprachbilder und Redewendungen, die dem Sprachgebrauch des Moseliedes ähneln, während die übergeordnete Thematik der Texte vollkommen unterschiedlich ist. In solchen Fällen sollte nicht von gemeinsamer Motivik gesprochen werden. Diese Beispiele machen vielmehr deutlich, dass das Moselied ein Produkt eines lebendigen intellektuellen – textkundigen und -schaffenden – Milieus ist, in dem bestimmte Ausdrucksformen verbreitet waren und zur Darstellung und Betonung wiederkehrender Sachverhalte (in Übereinstimmung bzw. in bewusster Auseinandersetzung mit den sprachlich und kulturell gegebenen Konventionen) frei verwendet werden konnten.859 Indem die Differenzierung zwischen motivischen (d.h. zugleich formalen und inhaltlichen), konzeptionellen und rein sprachlichen Gemeinsamkeiten des Moseliedes mit anderen Texten davor bewahrt, jede Art von Übereinstimmung ungeprüft als Beweis für einen inneren Zusammenhang zu interpretieren, beugt sie allzu leichtfertigen Schlussfolgerungen in Bezug auf die Genese des Liedes vor. Wo aber im Vergleich der Motivik des Moseliedes mit den Parallelstellen ein gedanklicher Fortschritt zwischen den Texten oder Textgruppen feststellbar (und die Motiventwicklung somit rekonstruierbar) ist, kann auf dieser Basis eine relative Chronologie der Textentstehung entworfen werden. Konkretere Anhaltspunkte zur Datierung des Moseliedes ergeben sich, sofern darüber hinaus einzelne Vergleichstexte genauer datiert werden (können).860
855
Für ein Beispiel von literarischer Abhängigkeit vgl. oben 3.3.4.2 zum Gebrauch des ĚŘ Pi („sich vergehen“) als Ausdruck des Frevels, den das Volk an JHWH verübt, Verbs ĭ in Dtn 9,12 und daran angelehnt in Dtn 32,5. 856 Vgl. ebenfalls oben 3.3.4.2 zur Identifikation von „Weg JHWHs“ (ėĘėĜ ĝīĖ) und „Recht“ (ěħŘġ) in Gen 18,19 und Dtn 32,4. 857 Vgl. oben 3.3.14 zur Rücknahme der Vernichtungsdrohung in Dtn 9,25–29 und Dtn 32,26–27. Hier lässt sich die Annahme eines Zusammenhangs erhärten durch den Verweis auf weitere Übereinstimmungen von Dtn 9 und Dtn 32, vgl. oben Anm. 855 sowie die ebenfalls in beiden Kapiteln anzutreffende Verbindung des Verbs ĭĚŘ Pi mit dem Wegemotiv. 858 Vgl. z.B. oben 3.3.7.3; 3.3.8.2 zu Dtn 32,12–13 und Ps 81,10.17. 859 Vgl. hierzu auch das Fazit des folgenden Kapitels unter 4.3 sowie die „Ergebnisse“ am Schluss des Buches. 860 Vgl. hierzu das Folgende sowie die „Ergebnisse“ am Schluss des Buches.
3.4 Fazit
263
Im Einzelnen lässt die Analyse für folgende Motive eine literarische Abhängigkeit des Moseliedes von anderen Texten, d.h. die Übernahme eines Motivs in das Moselied, annehmen: Dtn 32 Motiv 1 4–5a
8 9 10 13a–b 13c–d 15 15b 18 16.21
Parallelstelle ursprünglicher Kontext
Höraufrufe an Himmel Jes 1,2 und Erde Die Wege JHWHs und Dtn 9,12 das Vergehen des Abweichens vom Weg Die Verteilung der Gen 10,5.32 (?) Völker JHWHs Erbteil Dtn 4,19–20 Versorgung in der Jes 43,19–20 (?) Wüste Das Fahren über die Jes 58,14 Höhen des Landes Honig und Öl aus dem Dtn 8,8.15 Felsen Die Missachtung Dtn 6,11–12; JHWHs aus Sattheit 8,10–12.14; 11,15 Die Bezeichnung Israels Jes 44,2 als Jeschurun Der vergessene Fels Jes 17,10
Der Zusammenhang von Beleidigung und göttlichem Eifer 21–22 JHWHs brennender Eifer 34 JHWHs Kammern 36c–d JHWHs Feststellung, dass Gebundener und Freier nichts mehr sind 37–38 Die Ohnmacht der Götter 39a.b.e JHWHs Selbstvorstellung als einzigartiger Gott 41–42 JHWHs Waffen im Gericht 41d Vergeltung gegenüber denen, die JHWH hassen
Dtn 4,24–25
Dtn 4,24
Jesaja-Prolog: Anklage JHWHs gegen Israel Erzählung vom „goldenen Kalb“
Völkerverteilung nach der Flut Gebotsparänese Zuspruch JHWHs für Israel Vision vom gottgefälligen Leben Gebotsparänese Gebotsparänese Zuspruch JHWHs für Israel Spruch gegen Damaskus: Vergleich mit Israel Gebotsparänese
Gebotsparänese
Jer 50,25; 51,16 Wort gegen Babel 2.Kön 14,26 Errettung Israels trotz der Sünden Jerobeams II. Jes 30,2; Jer 2,27–28 Jes 43,10–13
Drohung bzw. Anklage JHWHs gegen Israel Zuspruch JHWHs für Israel
Jes 34,3.5.6.8
Gerichtsankündigung gegen Edom
Dtn 7,10
Gebotsparänese
Aus dieser Übersicht ergeben sich weitreichende Schlussfolgerungen. Insbesondere kann in literarhistorischer Perspektive geschlossen werden, dass das Moselied die Formulierung des Fremdgötterverbots und die darauf bezogenen
264
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Gebotsparänesen des Deuteronomiums (Dtn 4; 6; 7; 8; 11), die ebenfalls den Dekalog veranschaulichende Erzählung vom „goldenen Kalb“ (Dtn 9), aber auch die nach demselben Maßstab formulierten Königsbeurteilungen (wie sie z.B. in 2.Kön 14 zum Tragen kommen) schon voraussetzt. Weiter muss bei der Abfassung des Liedes nicht nur die Ausformulierung der deutero-jesajanischen monotheistischen Formeln (vgl. insbes. Jes 43), sondern auch die Gesamtkomposition des Jesaja-Buches einschließlich der Rahmung bereits weitgehend abgeschlossen gewesen sein (vgl. Jes 1; 58). Die wahrscheinliche Rezeption des Stammbaums Noachs mit dem Bericht von der Völkerverteilung nach der Flut (Gen 10) zeugt davon, dass die universalistische Einfassung der Genesis durch genealogische Angaben ihrerseits bereits vorgelegen haben dürfte. Die Komposition des Moseliedes zeichnet sich jedoch speziell durch die Art der Rezeption ihrer Vorlagen aus. Häufig werden die Aussagen anderer Texte im Lied mit einem neuen Akzent versehen. So erscheinen die prophetischen Orakel gegen fremde Völker (Jes 17; 34; Jer 50–51) und gegen Israel (Jer 2), obwohl ursprünglich auf verschiedene Adressatinnen und Adressaten bezogen, im Lied alle gegen das Volk Israel gerichtet. Besonders der Vergleich von Dtn 9,25–29 und Dtn 32,27 macht das theologische Selbstverständnis des Liedes deutlich. An diesen beiden Stellen finden sich ganz unterschiedlich vorgestellte Begründungen dafür, dass JHWH eine über sein Volk beschlossene Strafe schließlich doch nicht ausführt: Während die Rücknahme der Strafe in Dtn 9 auf die Fürbitte des Mose zurückgeführt wird, schreibt die Neufassung des Moseliedes das Einlenken JHWHs dessen eigener Überlegung zu und macht dadurch eine Mittlerfigur obsolet. Dieser Umgang mit den Texten zeigt, dass der Autor oder die Autorin des Moseliedes die unmittelbare Beziehung JHWHs zu seinem Volk in den Mittelpunkt des Interesses rücken wollte. Er oder sie verstand JHWH als universale Autorität (die allen Völkern der Erde gebieten und drohen konnte),861 wollte die Botschaft des Liedes jedoch ausdrücklich und ohne weitere Vermittlung auf das Volk JHWHs zuspitzen. Das Phänomen der Neuakzentuierung betrifft aber auch theologische Konzeptionen, die mehrfach in der Hebräischen Bibel begegnen, so dass als Quelle des Moseliedes in diesen Fällen nicht ein einzelner Text, sondern die hinter den Texten liegende gemeinsame Tradition angesehen werden muss. So erscheinen die Wohltaten (Dtn 32,10–14) und Strafen JHWHs (Dtn 32,23–25) gegenüber den Parallelstellen gebündelt und zugleich entpolitisiert,862 da sie
861
Sofern man der Annahme folgt, das Moselied rezipiere auch Gen 10 (s. Tabelle oben), findet sich hier ein Beispiel für die Zuspitzung des Weltgeschehens auf JHWH als alleinigen Souverän: Im Unterschied zu Gen 10,5.32, wo kein Akteur und keine Akteurin angegeben wird, benennt das Moselied in Dtn 32,8 ĢĘĜğĥ („den Höchsten“) und damit JHWH (vgl. Dtn 32,9a) als Urheber der Völkerverteilung, vgl. oben 3.3.6.1. 862 Zur Frage, ob ein Text wie das Moselied tatsächlich unpolitisch sein kann, vgl. die „Ergebnisse“ am Schluss des Buches.
3.4 Fazit
265
im Lied direkt auf das Volk bezogen sind und nicht durch Propheten oder Könige vermittelt werden. In Dtn 32,13 wird das Wohlergehen des Volkes dadurch illustriert, dass JHWH Öl und Honig aus dem Felsen hervorkommen lässt. Damit wird jedoch nicht nur auf die Gebotsparänese in Dtn 8 (und die dortige Erwähnung von Honig, Öl und Felsen) Bezug genommen, sondern zugleich das mehrfach im Pentateuch gebrauchte Motiv des Wasser spendenden Felsens863 abgewandelt und überboten. Unter den aufgezählten Strafen begegnen in Dtn 32,24 die beiden Lexeme Ħ ĄŘīĄ und Ĕ Ąě ĄĪ, die im Moselied nicht mehr in einem mythologischen Sinn, sondern gänzlich versachlicht als „Seuche“ bzw. „Verderben“ verstanden werden, während sich an anderen Stellen der Hebräischen Bibel (vgl. Ps 91,6; Jes 28,2; Hab 3,5) ihre ursprüngliche Funktion zur Bezeichnung von Dämonen noch erahnen lässt. Hinsichtlich der Bezeichnung JHWHs als Fels lässt sich eine ähnliche Umprägung durch das Moselied beobachten, wenn in Dtn 32,4.15.18.37 von den ursprünglich (in den Psalmen) mit diesem Epitheton verbundenen Assoziationen abstrahiert und „Fels“ ganz grundsätzlich als ein Synonym für „Gott“ gebraucht wird.864 In Umkehrung der ursprünglichen Zeitverhältnisse projiziert das Moselied in Dtn 32,10.13.15 positive Ausblicke865 aus dem Deuteronomium und dem Buch Jesaja in die Frühzeit des Volkes, um JHWHs Sorge für sein Volk nicht nur als künftige Möglichkeit, sondern als immer schon vorgängiges Heilshandeln darzustellen und die Erwartungen an die Adressatinnen und Adressaten hieraus ableiten zu können. Ein weiteres Beispiel für die Zuspitzung von Aussagen auf das Volk Israel und eine damit einhergehende dramatische Inszenierung liefert Dtn 32,20a–b. Während das Verbergen des göttlichen Angesichts in den Büchern der Propheten Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Micha lediglich als eine von JHWH gegen verschiedene Völker beschlossene oder bereits ergangene Strafe beschrieben wird,866 steigert das Moselied die Eindringlichkeit der entsprechenden Ankündigung, indem es JHWH selbst sein Strafhandeln als immer noch dräuende, aber durch die Zuhörenden auch abwendbare Zukunft ausmalen lässt. In der abschließenden Gerichtsszene in Dtn 32,40–42 wird der durch diese Kompositionstechnik erreichte Effekt noch einmal intensiviert: Drohungen, wie sie in Jes 34 und anderen Straftexten (zumeist gegen fremde Völker) durch die Propheten vorgetragen werden, sind hier JHWH in einer als Schwur stilisierten Gottesrede in den Mund gelegt und machen so das göttliche Urteil über seine Gegner in direkter Anrede hörbar. Durch die (Selbst-)Beschreibung JHWHs als eines mit ausgestreckter Hand Schwörenden erhält die aufgerufene Szenerie
863
Vgl. Ex 17,6; Num 20,8.10.11 sowie dazu 3.3.8.2. 864 Vgl. WÜSTE 2018, 145 sowie das Folgende. 865 Vgl. Dtn 6; 8; 11; Jes 43,20 (?); 58,13–14. 866 Vgl. Jes 54,8; 59,2; 64,6; Jer 33,5; Ez 39,23.24; Mi 3,4 sowie 3.3.10.2.
266
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
zudem eine Eindringlichkeit, der man sich als Hörerin oder Hörer kaum entziehen kann. Gelegentlich handelt es sich bei den Vorlagen des Moseliedes bereits um Verknüpfungen von Motiven, die das Lied noch verstärkt oder illustriert. Hierzu gehört die Gleichsetzung des eifernden Gottes mit dem Feuer in Dtn 4,24–25. Sie wird im Lied durch das Feuer als Strafdrohung im Anschluss an die Verurteilung des Frevels (in Dtn 32,21–22) eindrücklich ausgemalt. Ein weiteres Beispiel ist die Rede von der Vergeltung gegenüber den Hassern JHWHs in Dtn 7,10, die schon in dieser früheren Form die Ermahnung zum Gebotsgehorsam mit dem Gedanken einer drohenden Abrechnung verbindet. In Dtn 32,41c–d ist dieser Zusammenhang aufgenommen und in den größeren Kontext der Gerichtsszene (Dtn 32,40–42) eingefügt worden. In den meisten Fällen aber bekommen die Aussagen des Moseliedes ihr besonderes Gewicht durch die Kombination von ursprünglich unabhängigen Motiven oder Konzeptionen, die hier zum ersten Mal zueinander in Beziehung gesetzt werden. Fast immer ist dabei eine Verknüpfung mit weisheitlichen Denkmustern zu beobachten, wie die folgende Übersicht zeigt: Dtn 32 Motiv(komplex)
ursprüngliche Kontexte
4.15.18 (fehlende) Verehrung des Felsens JHWH
Psalmen: Anrufung JHWHs als Fels Proverbien: weisheitliche Charakterisierungen von Menschen Hi 4; 35; 39; Deutero-Jesaja: JHWH als Schöpfer Jes 17: Missachtung des göttlichen Felsens
Durch den abstrahierenden Gebrauch des Gottes-Epithetons „Fels“ im Moselied als Synonym für JHWH erweitert sich (v.a. in Dtn 32,4.15.18) der Vorstellungshorizont, der in den Psalmen mit dieser Anrufung verbunden war: Ergänzt um weisheitliche und schöpfungstheologische Elemente wird aus dem Beinamen „Fels“, der ursprünglich nur die Festigkeit JHWHs und den von ihm erwarteten Schutz symbolisieren sollte, ein vollwertiger Gottesname. 4–6
Der Gegensatz zwischen JHWH und seinem Volk
Ex 32/Dtn 9; Dtn 8; 10; 11; Jos 22; 1.Kön 11 u.a.: Gehen auf JHWHs Wegen Proverbien; Ps 37; 119 u.a.: Lebenswandel des Individuums Jer 3; 31 u.a.: JHWH als Vater Deutero-Jesaja: JHWH als Schöpfer Proverbien: menschliche Vater-Sohn-Beziehung
In Dtn 32,4–6 wird der deuteronomistische Maßstab zur Beurteilung des Verhältnisses zwischen JHWH und seinem Volk (Einhalten insbesondere des Fremdgötterverbots) im Rückgriff auf weisheitliche Kategorien einsichtig
3.4 Fazit
267
gemacht (Halten der Gebote als Weisheit)867 und in Anlehnung an DeuteroJesaja zusätzlich als Gehorsam gegenüber dem Schöpfer plausibilisiert. Die Übertragung des in den Proverbien viel beschworenen Gehorsamsideals (ein vorbildlicher Sohn gehorcht seinem Vater) auf das Volk als Kinder JHWHs findet sich ansatzweise schon in der prophetischen Literatur (vgl. v.a. Jer 3; 31), wird aber im Moselied zum grundlegenden Paradigma ausgebaut. 12
JHWHs Führung
Ex 13: Führung des Volkes durch die Wüste Hi 31; Ps 31; 43; 73; 143; Prov 6; 11 u.a.: Lebensführung des Individuums
Dtn 32,12 verbindet das Motiv der Wüstenwanderung – im Sinne eines Geführtwerdens durch JHWH, wie es in Ex 13 zur Sprache kommt – mit der weisheitlichen Überzeugung, dass jeder Lebensweg unter JHWHs Führung verlaufen sollte. 15–18
Der Frevel des Volkes Dtn 6; 8: Vergessen JHWHs Dtn 11: Verehrung anderer Götter
In Dtn 32,15–18 verzahnt das Moselied die Vorwürfe der Gottvergessenheit und der Verehrung anderer Götter, die in Dtn 6; 8 bzw. Dtn 11 nur getrennt vorkommen, zu einer allumfassenden Anklage gegenüber dem Volk. 16–17.19. Die Beleidigung Dtn 4; 9; Ri 2; 1.Kön 14; 15; 16; 21; 22; 2.Kön 17; 21; 21.27 JHWHs durch den Fre- 22; 23; Jer 7 (Tempelrede); 8; 11; 25; 32; 44 u.a.: vel des Volkes Beleidigung JHWHs (ĤĥĞ Hif) durch Übertretung des Fremdgötterverbots Dtn 7; 12; 17; 18; 22; 23; 25; 27; Prov 3; 11; 12; 15; 16; 17; 20: Verurteilung von menschlichem Verhalten als Abscheulichkeit für JHWH (ėĘėĜ ĭĔĥĘĭ) Proverbien; Kohelet; Hiob: persönlicher Kummer (Nomen ĤĥĞ bzw. řĥĞ)
In mehreren Anläufen beschreibt das Moselied in Dtn 32,16–17.19.21.27, dass JHWH von seinem Volk wie von dessen Gegnern verachtet wird. Dabei greift es einerseits auf deuteronomistische Ausdrucksweisen zurück (ĤĥĞ Hif; ėĔĥĘĭ für Götzen und andere Dinge, die zu vermeiden sind), um diese Missachtung als Frevel an JHWHs Gebot zu kennzeichnen. Zugleich wird der deuteronomistischen Charakterisierung aber eine allgemeinere moralische Bedeutung unterlegt, weil dieselben oder ähnliche Ausdrücke auch aus weisheitlichen Kontexten bekannt sind und im Lied ebenfalls in Übereinstimmung mit diesem Sprachgebrauch verstanden werden können (Nomen ĤĥĞ; ėĔĥĘĭ als
867
Ähnlich WÜSTE 2018, 247.
268
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
abzulehnendes Verhalten). Hieraus ergibt sich eine doppelte Verurteilung des geschilderten Verhaltens. 19–20. Das „Ende“ des Volkes Jes 54; Jer 33; Ez 39: zur Strafe verborgenes Angesicht 28–29 JHWHs Jes 41; 47; Jer 5; 12; 23; 29; 30; 31; Am 8: Schicksal (ĭĜīĚē) eines sündigen Volkes Ps 37; 73; Prov 19: individuelles Frevlergeschick (ĭĜīĚē) Jes 1–39: Konflikt zwischen Plänen JHWHs und der Menschen Ps 73; Prov 19.20.21: Einsicht in JHWHs Pläne
In Dtn 32,19–20.28–29 werden Aspekte eines kollektiven Schicksalsverständnisses (vgl. die Bestrafungen ganzer Völker bei Jesaja, Jeremia, Ezechiel oder Amos) sowie Betrachtungen des individuellen Frevlergeschicks (wie es in Psalmen oder Proverbien begegnet) gemeinsam auf das Volk Israel bezogen. 23–26
JHWHs Machterweise Propheten: Strafandrohungen gegen Völker Dtn 9: Vernichtungsdrohung gegen Israel durch Strafen Ps 112; Prov 10: JHWHs Urteil über Individuen
Eine weitere Zusammenschau prophetischer und weisheitlicher Überzeugungen bietet Dtn 32,23–26. Gegenüber den ursprünglichen Kontexten der in Dtn 32,23–25 rezipierten (überwiegend) prophetischen Theophanie- und Straftexte erhält das Moselied zunächst durch die Bündelung der Motive eine eindrucksvolle Intensität. Zudem ist die Zusammenfassung der bildreichen Drohungen in Dtn 32,26 in weisheitlicher Diktion gehalten (vgl. Ps 112; Prov 10), obwohl sie sachlich der göttlichen Vernichtungsdrohung in Dtn 9 nahesteht. Ansätze für die Anwendung weisheitlicher Kriterien zur Beurteilung des gesamten Volkes finden sich schon bei Proto-Jesaja. Ähnlich wie im Moselied (aber offenbar unabhängig von ihm) werden die weitreichenden Strafandrohungen JHWHs jedoch nur in Jes 26, d.h. innerhalb der sogenannten JesajaApokalypse Jes 24–27, reflektiert und explizit als Folge mangelnder Einsicht der betreffenden Menschen gedeutet. 32–33
Die Verdorbenheit des Gen 18–19; Propheten: (Vergleiche mit) Sodom und Weinstocks Gomorra Propheten: Vergleiche des Volkes mit Wein Hiob: Charakter und Strafe der Frevler
Gleich drei Motive sind in einem der Zusätze zum Moselied868 in Dtn 32,32–33 miteinander verwoben, um (im Sinne des ursprünglichen Liedes) die
868
Vgl. Kap. 2.C.
3.4 Fazit
269
moralische Tiefendimension prophetischer Anklagen gegen das Volk Israel zu betonen. Durch die Vermischung von bildhaften Vorwürfen, wie sie aus der prophetischen Literatur bekannt sind (Vergleich mit Sodom und Gomorra, Weinbau-Metaphorik), mit der für das Buch Hiob typischen und ebenso plastischen Verurteilung von Frevlern (Gift-Metaphorik) wird die ablehnende Haltung der schreibenden Person unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. 34–35
JHWHs Gerichtsplan
Hi 38; Jer 10; 50–51: JHWHs Kammern Jes 34; Jer 46: Tag der Rache gegen Völker Jer 18; 46; Obd 13: Tag des Verderbens (ĖĜē) als Strafe für Völker Hi 21; Prov 27: Tag des Verderbens (ĖĜē) als individuelles Schicksal
In Dtn 32,34–35 erscheinen Aussagen weisheitlicher und prophetischer Schriften über das „Verderben“ von Einzelnen (bei Hiob und in den Psalmen) und von Völkern (bei Jeremia und Obadja) kombiniert, wobei das Moselied außerdem die prophetische Rede vom „Tag der Rache“ aufgreift. 37–38
Die Ohnmacht der Götter
Psalmen: Zuflucht bei JHWH Jer 2: Vertrauen auf falsche Götter Jes 30; Jer 7; 32: Opfer für falsche Götter
Um zu betonen, wie unangemessen die Verehrung anderer Götter außer JHWH ist, wird in Dtn 32,37–38 eine für die Psalmen typische Charakterisierung JHWHs (als Ort der Zuflucht) auf fremde Götter bezogen und dabei mit einer Redeweise kombiniert, wie sie in Verurteilungen des Opferdienstes für fremde Götter in der prophetischen Literatur gebraucht wird. Auf diese Weise veranschaulicht schon der Sprachgebrauch die Verkehrtheit der Situation, in der anderen Göttern zukommt, was eigentlich JHWH zusteht. 40–42
JHWHs Auftreten als Richter
Pentateuch: JHWH als Schwörender Propheten, insbes. Jes 34: JHWHs Gericht über Völker Dtn 7: Vergeltung gegenüber denen, die JHWH hassen
In Dtn 32,40–42 stützt sich das Moselied nicht allein auf das Motiv der Vergeltung an denen, die JHWH hassen (vgl. Dtn 7,10), sondern verknüpft die Vorstellung von JHWH als Schwörendem (die wahrscheinlich zunächst an die Landgabe-Thematik im Pentateuch geknüpft war und in außerbiblischen Texten Parallelen findet) mit prophetischen Strafdrohungen zu einer reich ausgestalteten Gerichtsszene, die anstelle der Propheten JHWH selbst als Mahner seines Volkes auftreten lässt.
270
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes 43
Huldigung vor JHWH JHWH-Königs-Psalmen: konkurrenzlose Herrschaft JHWHs Ex 20/Dtn 5: Verbot, vor anderen Göttern niederzufallen
Schließlich scheint der Schlussvers des Liedes Dtn 32,43, der sicher die JHWH-Königs-Psalmen (und das Motiv der Huldigung vor JHWH) zum Vorbild hat, bewusst im Gegensatz zum Fremdgötterverbot (d.h. dem Verbot, anderen Göttern zu huldigen) formuliert zu sein. In der Aufzählung dieser Verknüpfungen fällt auf, dass das Moselied mehrfach auf Lexeme zurückgreift, die unabhängig voneinander in verschiedenen Traditionszusammenhängen stehen und infolgedessen der neuen Komposition gleichzeitig unterschiedliche Bedeutungsebenen eintragen. Hierbei handelt es sich stets um Begriffe, die charakteristisch für prophetische oder deuteronomistische Überzeugungen sind, denen aber darüber hinaus zumeist auch in weisheitlichen Diskursen eine prägende Rolle zukommt: ĝīĖ (Dtn 32,4: „Weg“); Ĕē (Dtn 32,6: „Vater“); ėĚģ Hif (Dtn 32,12: „führen“); ėĔĥĘĭ (Dtn 32,16: „Abscheulichkeit“); ĤĥĞ Hif (Dtn 32,16.21: „beleidigen“) bzw. das Nomen ĤĥĞ (Dtn 32,19.27: „Beleidigung“); ĭĜīĚē (Dtn 32,20.29: „Ende“); ėĩĥ (Dtn 32,28: „Plan“); ĖĜē (Dtn 32,35: „Verderben“); ĠğŘ Pi (Dtn 32,41: „vergelten“). Ihre Verwendung ermöglichte es dem Verfasser oder der Verfasserin des Moseliedes, wichtige Themen der heute zum alttestamentlichen Kanon gehörenden Literatur in einem neuen Licht erscheinen zu lassen und ihre Relevanz für die einzelnen Zuhörenden deutlich zu machen: Die aus dem Deuteronomium und der prophetischen Literatur bekannten Vorwürfe der Gottvergessenheit und Gottesverachtung werden als mangelnde Einsicht charakterisiert und die daraufhin drohende Bestrafung geradezu logisch aus dem Wesen JHWHs abgeleitet. Ferner wird eine JHWH gemäße Lebensführung, wie sie v.a. im Deuteronomium ausbuchstabiert ist, als wahre Weisheit präsentiert. Noch knapper formuliert: Das Moselied bietet eine weisheitliche Reflexion des Fremdgötterverbots,869 welche die Missachtung desselben als unverständliche Torheit deutet. Um die Folgen dieses törichten Ungehorsams zu verdeutlichen, bedient sich das Moselied an mehreren Stellen einer Sprache, die als proto-apokalyptisch bezeichnet worden ist. 870 Maßgeblich sind hier v.a. die Ähnlichkeiten von Dan 9 und 12 mit der Rede von dem bei JHWH verborgenen „Ende“ ( ĭĜīĚē) des Volkes. 871 Bezüglich des Motivs der „Kammern“ (ĭīĩĘē) JHWHs zum
869
Zum Charakter des Moseliedes als „Auslegung des Ersten Gebots“ vgl. R. MÜLLER 2015, 427. 870 Vgl. LUYTEN 1985, 347: „the Song of Moses of Dt 32 is the work of someone […] who was a forerunner of the apocalypticists“. 871 Vgl. insbes. Dtn 32,20.29 und Dan 12,8; Dtn 32,34 und Dan 9,24; 12,4.9–10.
3.4 Fazit
271
Ausdruck seiner besonderen Verfügungsgewalt ließ sich das Moselied in einen Prozess zunehmender Abstrahierung der Bildsprache einordnen, der sich in Hi 38; Jer 10; 50–51 bereits abzeichnet, sich in nach- und außerkanonischen Texten (wie 4.Esr; der Baruch- und Henoch-Literatur sowie einigen QumranSchriften) fortsetzt und dabei immer stärker eschatologische Züge bekommt.872 Aber auch die Nähe zur Jesaja-Apokalypse873 und trito-jesajanischen Gerichtsankündigungen874 sind bemerkenswert. Zur Veranschaulichung seiner Botschaft stützt sich das Moselied aber nicht nur auf theologisch klar umrissene Konzepte, sondern es bedient sich auch zahlreicher Sprachbilder und Formulierungen, die im Vergleich mit Texten innerhalb und außerhalb des heutigen biblischen Kanons als stehende Wendungen ausgewiesen werden konnten. Schon der Liedeingang mit dem Höraufruf an Himmel und Erde (Dtn 32,1) sowie der klar weisheitlichen Charakterisierung des Moseliedes als „Lehre“ (Dtn 32,2a) zeigt, dass sich das Moselied zwar an weisheitlichen Unterweisungen (wie sie sich im Buch Hiob und in den Proverbien finden) orientiert, zugleich aber (wie einige von diesen) auf rhetorische Mittel zurückgreift, die nicht allein der Weisheitsliteratur vorbehalten sind. Im Falle der Höraufrufe des Moseliedes und seiner Vorlage in Jes 1,2 scheint sich allerdings eine kontextuell zunächst nicht festgelegte Redeweise (Aufforderungen zum Hören durch zwei oder drei parallele Verben sowie Himmel, Erde oder andere nicht-menschliche Größen als stellvertretend Adressierte) bei der Rezeption von Teilen der Jesaja-Überlieferung im Moselied zum Motiv verdichtet zu haben. Neben dem (ähnlich auch in Psalmen und Propheten begegnenden) Höraufruf in Dtn 32,1 finden sich im Moselied weitere Beispiele für den Gebrauch offensichtlich verbreiteter poetischer Redeformen, die je nach Kontext verschiedenen Aussageabsichten dienstbar gemacht werden konnten. Hierzu zählt die Veranschaulichung göttlichen Segens durch Bilder vom Tau und vom Regen (vgl. Dtn 32,2), die Berufung auf die Autorität der Alten (Dtn 32,7), der Verweis auf die Wüste als Sinnbild der Lebensfeindlichkeit (Dtn 32,10) oder die Anspielung auf Vogelflügel zum Ausdruck des Schutzes durch eine Gottheit (Dtn 32,11). Für die Rede von Honig und Öl, mit denen JHWH Dtn 32,13c–d zufolge sein Volk versorgt, scheint zwar Dtn 8,8.15 die unmittelbare Vorlage gegeben zu haben. Weitere Texte der Hebräischen Bibel wie auch der ugaritischen Literatur bezeugen indessen, dass die starke symbolische Aufladung dieser beiden Naturprodukte (als Inbegriffe göttlichen Wohlwollens) zu den typischen Ausdrucksformen nordwestsemitischer Poesie gehört. Eine spezielle Form von geprägter Rede findet sich in dem Zusatz zum Moselied in Dtn 32,30. Offenbar handelt es sich bei der rhetorischen Frage in Dtn 32,30a–b um die Abwandlung einer geläufigen (und in verschiedenen
872
Vgl. den Exkurs „Zugang zu den göttlichen Kammern“. 873 Vgl. 3.3.13.2 für die Überschneidungen des Moseliedes mit Jes 26. 874 Vgl. 3.3.22.3.
272
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
Kontexten angeführten) Sentenz, ohne dass eine literarische Abhängigkeit nachweisbar wäre. Ähnlich verhält es sich in Dtn 32,39c.d, insofern die dort verwendeten Gegensatzpaare (von Verben) auch in den Vorderen Propheten und Hiob begegnen, dort aber in anderen Aussagezusammenhängen stehen. Für das Verständnis der Gerichtsszene in Dtn 32,40–42 scheint bedeutsam, dass die hier verwendete Motivik nicht nur literarisch und konzeptionell von anderen Texten der Hebräischen Bibel abhängt, sondern Ähnlichkeiten auch mit Vorstellungen aus der altorientalischen Umwelt aufweist 875 und somit keine reine Neuschöpfung des Moseliedes darstellt. Auch an anderen Stellen war zu bemerken, dass das Moselied häufig selbst dort, wo es von anderen Texten abhängig ist, überdies auf weiter verbreitete Redeweisen zurückgreift. Dies lässt sich am besten so erklären, dass dem Verfasser oder der Verfasserin des Moseliedes ebenso viel an der Aufnahme von Traditionen wie an der Verständlichkeit der Ausführungen lag. Um die voraussetzungsreiche Botschaft des Liedes nicht abstrakt werden zu lassen, stützten sich Verfasser oder Verfasserin wie auch später Ergänzende (v.a. in Dtn 32,30. 32–33) auf einprägsame Bildreden und gängige Formulierungen. Auf diese Weise entstand ein Text, der die Hörenden und Lesenden nicht nur intellektuell, sondern auch emotional anspricht und eigene Assoziationen freizusetzen vermag. Darüber hinaus kommen einige grundsätzliche Gestaltungsprinzipien zur Anwendung, die ebenfalls die Rezipierbarkeit des Liedes erleichtern: Durch den Verzicht auf konkrete Namensnennungen – auch dort, wo in den Ursprungstexten Personen und Orte angegeben waren – wird verhindert, dass sich die neuen Adressatinnen und Adressaten vom Geschehen ausgeschlossen oder nicht betroffen fühlen.876 Stattdessen konkretisiert sich die Botschaft des Moseliedes dadurch, dass Aussagen über JHWH, die anderswo in der Hebräischen Bibel abstrakt formuliert sind (z.B. die Autorität JHWHs als Gesetzgeber im Deuteronomium, die Schöpfermacht JHWHs bei Hiob, die Einzigkeit JHWHs bei Deutero-Jesaja), unmittelbar auf die Hörerschaft bezogen werden. Dies geschieht nicht nur durch die Form der direkten Anrede (vgl. Dtn 32,20.26. 34.39.40). Auch die Modellierung der Gottesbeziehung nach dem Vorbild der weisheitlichen Vater-Sohn-Beziehung (vgl. Dtn 32,4–6.19–20), die Verbindung von menschlichen Eigenschaften mit dem Felsennamen (vgl. Dtn 32,4. 15.18), die Beschreibung seines Zorns in wörtlicher Entsprechung zum Tun der Menschen (vgl. Dtn 32,16.21) und die Stilisierung JHWHs als sehend, schwörend und drohend im Gericht (vgl. Dtn 32,19–20.26.40–42) tragen dazu bei, dass die Inhalte des Moseliedes seine Adressatenschaft persönlicher ansprechen als dies an den ursprünglichen Textstellen zumeist der Fall ist.
875
Vgl. den Exkurs „Schwüre eines Gottes“. 876 Vgl. FOKKELMAN 1998, 113: „[…] it is this very avoidance which is essential to the aims and character of this didactic poem. In order to remain effective, the last thing this poem wants is to be locked within one specific horizon of origin.“
3.4 Fazit
273
Mit Blick auf die Frage nach der Abfassungszeit des Moseliedes ist (im Sinne der Ermittlung eines Terminus ante quem) abschließend anzuführen, bei welchen Parallelstellen mit der Übernahme eines Motivs aus dem Moselied in andere Kontexte zu rechnen ist. Dtn 32 Motiv 6
JHWH als Vater und Schöpfer
12
JHWHs Führung
13c–d 15a–b 19 22
23–25 25a–b 36
Honig und Öl aus dem Felsen Die Missachtung JHWHs aus Sattheit JHWHs Reaktion auf den Frevel des Volkes JHWHs brennender Eifer
Von JHWH geschickte Übel Tod drinnen und draußen Die Knechte JHWHs
Parallelstelle neuer Kontext Jes 64,7 (?) Mal 2,10 Mal 2,11 Ps 81,10 Ps 81,17 Neh 9,25 Jer 14,21 (?) Jer 15,14; 17,4
Ez 5; 14 Klg 1,20 Ps 135,14
Anrufung und Bekenntnis zu JHWH Appell zur Einheit des Volkes Appell zur Einheit des Volkes Gottesrede zur Ermahnung des Volkes Gottesrede zur Motivierung des Volkes Rückblick auf die Sünden des Volkes Auseinandersetzung Jeremias mit JHWH über die Not des Volkes Auseinandersetzung Jeremias mit JHWH über die Not des Volkes bzw. Drohung JHWHs gegenüber dem Volk Gerichtsankündigung JHWHs über Jerusalem bzw. über Israel Klage Jerusalems über ihre Verwüstung Hymnus der Knechte JHWHs
Weil die Bücher Nehemia, Klagelieder und Maleachi es wahrscheinlich rezipieren, ist anzunehmen, dass das Moselied in der Zeit des Zweiten Tempels eine bekannte und für zitierwürdig gehaltene Komposition gewesen bzw. geworden ist. Auch die Feststellung, dass Jes 64 möglicherweise das Moselied verarbeitet, fügt sich in dieses Bild. Hinsichtlich der übrigen Textparallelen hängt der Rückschluss auf die Entstehungszeit des Moseliedes von den zugrunde gelegten Redaktionsmodellen für die Bücher Ezechiel und Jeremia sowie den Einschätzungen zu den Entstehungsumständen von Ps 81 und 135 ab. Mit aller Vorsicht kann gesagt werden, dass Ez 5; 14, aber auch Jer 17 und die vermutlich noch jüngere Einheit Jer 14–15 (in der wiederum aus Jer 17 zitiert wird) eklektische Texte bieten, die bereits einen (jeweils) weit fortgeschrittenen Buchwerdungsprozess voraussetzen.877 Ähnlich ist mit Blick auf Ps 81 und 135 zu argumentieren: Beide scheinen zahlreiche Texte innerhalb und
877
Vgl. die Hinweise auf die entsprechende Kommentarliteratur unter 3.3.10.1 (zu Jer 14); 3.3.12 (zu Jer 15; 17); 3.3.13.1.1 (zu Ez 5; 14).
274
Kapitel 3: Die Motivik des Moseliedes
außerhalb des heutigen Psalters vorauszusetzen.878 Folglich können die Übernahmen aus dem Moselied in die genannten Texte prinzipiell alle in der Perserzeit verortet werden. Insbesondere für Ps 81 aber gehen die formkritischen Urteile und damit zusammenhängend die angebotenen Datierungen weit auseinander.879 Dasselbe gilt auch für die bisherige Forschung zum Moselied, weshalb die Fragestellung mit Blick auf beide Kompositionen (und andere Vergleichstexte) in Kapitel 4 dieser Arbeit weiter verfolgt wird. Schon die obige Tabelle lässt jedoch eine wichtige Gemeinsamkeit der rezipierenden Texte erkennen: Offenbar bestand eine Tendenz, bei der Darstellung geschichtlicher Retrospektiven, die das schwere Schicksal des Volkes Israel thematisieren, auf Formulierungen des Moseliedes zurückzugreifen. Neben den zweifelsfrei identifizierbaren Motivparallelen finden sich aber in denselben Texten zum Teil auch weniger eindeutige Ähnlichkeiten mit dem Moselied, so v.a. in Ps 81 und 135.880 Es ist deshalb zu vermuten, dass das Lied zunächst nicht auf Grund seines (erst später durch die Einfügung in den Pentateuch erreichten)881 autoritativen Status rezipiert wurde: Die zitierenden Texte scheinen nicht unbedingt darauf zu zielen, das Moselied klar als Quelle zu kennzeichnen. Vielmehr lehnten sich die Verfasserinnen und Verfasser der späteren Kompositionen gemäß ihren eigenen Aussageabsichten und um des Ausdrucks willen mehr oder weniger eng an die eingängige Sprache des Liedes an. Im Vorgriff auf die Ergebnisse von Kapitel 5 dieser Studie ergibt sich daher als wahrscheinlicher Rezeptionszeitraum eine Phase vor dem Abschluss der Deuteronomiumsredaktion, als das Moselied noch unabhängig von seinem jetzigen Kontext tradiert wurde. Im Sinne einer Richtungsanzeige können auch die Ähnlichkeiten in Sprachgebrauch und Thematik des Moseliedes mit proto-apokalyptischen (vgl. Jes 26; Trito-Jesaja) und sogar genuin apokalyptischen Schriften (vgl. Dan 9; 12; Henoch; qumranische Literatur) die Datierung absichern. Denn die feststellbaren Gemeinsamkeiten lassen sich gut damit erklären, dass die genannten Kompositionen auch ihrer Entstehungszeit nach nahe beieinander liegen. Rechnet man aber das Moselied ebenfalls zur proto-
878
Vgl. die Hinweise auf die Literatur unter 3.3.7.3 (zu Ps 81) und 3.3.19.2 (zu Ps 135). 879 Vgl. zusammenfassend LORETZ 2002, 215: „Die vorliegende Texteinheit wird entweder als Ergebnis einer zufälligen Agglomeration von Teilen unterschiedlichster Herkunft, als Widerspiegelung eines einheitlichen, lebendigen liturgischen Geschehens mit wechselnden Akteuren oder als Produkt von Umstellungen, Bearbeitung und Glossierung verstanden.“ 880 Vgl. neben den Motivparallelen (Dtn 32,12 und Ps 81,10; Dtn 32,13 und Ps 81,17 bzw. Dtn 32,36 und Ps 135,14) auch die Ähnlichkeit von Dtn 32,43 mit Ps 81,2 (Aufruf zum Jubel) und Ps 135,5 (Unterordnung der Götter gegenüber JHWH). In diesem Zusammenhang ist auch an die Übereinstimmungen zwischen Dtn 32 und einem weiteren Asaf-Psalm zu erinnern: U.a. auf Grund der zahlreichen Motivparallelen dürften Dtn 32 und Ps 78 demselben Abfassungsmilieu entstammen (vgl. ausführlicher Kap. 4), wenngleich hier vermutlich nicht mit literarischer Abhängigkeit zu rechnen ist, vgl. insbes. 3.3.6.2. 881 Vgl. Kap. 5 sowie die „Ergebnisse“ am Schluss des Buches.
3.4 Fazit
275
apokalyptischen Literatur, dürfte es durchaus zu den späte(st)en Texten der Hebräischen Bibel zählen. Hinsichtlich der konzeptionellen Übereinstimmung mit Ps 82 hängt die Datierung wiederum davon ab, wie die Rede von den JHWH umgebenden „Göttern“ gedeutet wird. Die Interpretation als Reflex auf die politischen und geistesgeschichtlichen Verhältnisse der Perserzeit ist plausibel und ergänzt sich mit dem bereits Ermittelten.882 Auf der Basis der bisher unternommenen Motivanalyse kann das Moselied folglich zwischen die Abfassung der inner-deuteronomischen Gebotsparänesen und die Komposition des Maleachi-Buches eingeordnet und somit etwa in die mittlere Perserzeit datiert werden.883
882
Vgl. oben 3.3.6.1 sowie insbes. MEYER 1993; WANKE 1994; K. SCHMID 2011c. 883 Die Komposition (der Erzählung) des Nehemia-Buches kommt als Datierungskriterium nicht in Frage, da Neh 9 (mit dem Zitat aus dem Moselied in Neh 9,25) wahrscheinlich nachträglich in das Buch eingefügt wurde, vgl. unten Kap. 4.1.2.
Kapitel 4
Die Form des Moseliedes: Gestalt und Textpragmatik von Dtn 32 im Vergleich mit den formgeschichtlich verwandten Kompositionen Ps 78; 81; 106; Neh 9; Jes 63–64 Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
Im Anschluss an die traditionsgeschichtliche Analyse einzelner Motive im Moselied widmet sich dieses Kapitel einem Vergleich des Gesamttextes mit anderen poetischen Stücken in der Hebräischen Bibel, um die Eigenarten von Form und Funktion des Moseliedes besser wahrnehmen zu können. Hierzu soll es Ps 78; 81; 106; Neh 9; Jes 63–64 gegenübergestellt werden. Bei den ausgewählten Texten handelt es sich ebenfalls um Dichtungen,1 deren Hauptinhalt der Rückblick auf die Geschichte des Gottesvolkes ist. Ihnen ist darüber hinaus gemeinsam, dass sie die Vergangenheit als Wechselspiel zwischen JHWHs Wohltaten und dem gottlosen Verhalten des Volkes vorstellen und daraus Schlüsse für die Gegenwart der Hörenden ziehen. Dagegen unterscheiden sich die Texte sowohl hinsichtlich ihrer Einbettung in den jeweiligen Buchkontext als auch in der Art, wie sie den Blick auf die Geschichte mit der Ausrichtung auf die Adressatinnen und Adressaten verbinden.
1
Dies ist umstritten für Neh 9, vgl. die Erörterung bei WILIAMSON 1985, 305–306. Für die Klassifizierung als Poesie vgl. z.B. GUNNEWEG BAUTCH 2003, 109.
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
277
Übersicht der formkritisch relevanten Merkmale:
Dtn 32,1–43
Ps 78
Einbettung gerahmt in den Buch- durch kontext Dtn 31,14– 30; 32,44–47 Ziel der Dichtung - laut Rah- - Zeugnis mung (Dtn 31,19. 21.26) - im Text - Lehre - Weisung selbst (Dtn 32,2) (Ps 78,1) + Gotteslob (Dtn 32,3.43)
Ps 81
Ps 106
Neh 9,5/6– 37
Jes 63,7– 64,11
gerahmt keine Einleidurch tung; AntNeh 9,1– wort JHWHs 5(a?); 10,1ff in Jes 65 (?)
- Gotteslob (Neh 9,5)
- Gotteslob - Gotteslob - Gotteslob (Ps 81,2–4) (Ps 106,1– (v.a. 2.48) + Gna-Neh 9,6–7) denbitte (Ps 106,4– 5.47) Sprechende Sprecher(in) Sprecher(in) Sprecher(in) Sprecher(in) Volk aus dem aus dem aus dem aus dem (lt. RahVolk (lt. Volk Volk Volk mung Rahmung (Ps 81,1–6), Neh 9,4–5: Dtn 31,22.30: JHWH Leviten) Mose), (Ps 81,7–17) JHWH-Zitat (Dtn 32,20– 29.34–35.37– 42) Adressierte Himmel und Volk FestgeVolk (impli- JHWH Erde (Ps 78,1) meinde zit), auch (Neh 9,6 (Dtn 32,1), = Volk JHWH u.ö.) Volk (impli(Ps 81,2–4) (Ps 106,4.7) zit) Verhältnis Geschichte Geschichte Geschichte Geschichte Geschichte von = Anlass zur = Lehrbei- = Begrün- = Lehrbei- = Zeugnis Geschichte Reflexion spiel für das dung der spiel für das der Gnade und Gegen- über gottge- Volk Identität als Volk JHWHs wart mäßes VerGottesvolk halten Ausblick positiv für heilvolle positiv für offen: offen: die Söhne/ Wende in den Fall Rettungs- Klage geKinder, der Vergan- künftigen bitte an genüber negativ für genheit Gehorsams JHWH JHWH die Feinde JHWHs
- Gedenken (Jes 63,7) + Bitte um Rettung (Jes 63,17; 64,8) Sprecher(in) aus dem Volk
JHWH (Jes 63,14– 64,11)
Geschichte = Zeugnis der Gnade JHWHs
offen: Rettungsbitte an JHWH
278
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
4.1 Zur Einbettung in den Buchkontext 4.1 Zur Einbettung in den Buchkontext
Unter den hier ausgewählten Vergleichstexten haben die Kompositionen Neh 9,5b/6–37 und Jes 63,7–64,11 mit dem Moselied (Dtn 32,1–43) gemein, dass sie sich als poetische Einheiten klar von ihrem literarischen Kontext abheben, zugleich aber innerhalb dieses Kontextes eine bestimmte Funktion erfüllen und deshalb auch mit diesem verknüpft sind. Zwar lassen sich mit Blick auf Ps 78; 81; 106 ebenfalls thematische und lexikalische Verbindungslinien zu den jeweiligen Nachbarpsalmen beobachten, jedoch kann im Psalter wegen der gänzlich fehlenden Erzählpassagen keine dem Deuteronomium, Nehemia und (mit Abstrichen) 2 auch Jesaja vergleichbare Progression der Handlung nachgezeichnet werden. Betrachtet man also zunächst die Stücke außerhalb des Psalters (Dtn 32; Neh 9; Jes 63–64), wird schnell klar, dass das Moselied – synchron – sehr viel enger mit seinem Kontext verflochten ist als Neh 9 und Jes 63–64 mit dem ihrigen. 4.1.1 Der Buchkontext von Dtn 32 Allein im Falle des Moseliedes scheint es angemessen, von einer Rahmung der poetischen Einheit durch den sie umgebenden Prosatext zu sprechen, da die Abschnitte Dtn 31,14–30 und Dtn 32,44–47 ohne das Lied keine sinnvolle Erzählfolge ergäben.3 Augenfällig zeigt sich dies am mehrmaligen Gebrauch der Bezeichnung ĭēęėČėīĜŘė („dieses Lied“), die in Dtn 31 vier Mal auf das Moselied vorverweist und im Anschluss in Kapitel 32 noch einmal auf es zurückbezogen ist (vgl. Dtn 31,19.21.22.30; 32,44). Durch den ersten dieser Verweise in Dtn 31,19 wird das Lied als solches überhaupt erst identifiziert und eingeführt.4 Zugleich aber gibt schon diese kurze Aussage (und ausführlicher V.21) die Funktion des Liedes an, so dass über die bloße Erwähnung hinaus auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem in Kapitel 32 Folgenden besteht.5 Vokabelparallelen intensivieren die Verknüpfung.6 Dabei ist es für die aktuelle
2
Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Psalmen und Jes 63–64, sofern auch Trito-Jesaja eine Abfolge von tendenziell gleichberechtigten Kompositionen bietet, die nicht durch überleitende Abschnitte explizit zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, vgl. dazu im Folgenden ausführlicher. 3 Für eine Differenzierung zwischen den einzelnen Schichten der Rahmenerzählung vgl. Kap. 5.1–3. 4 In Dtn 32,1–43 fehlt jede Selbstbezeichnung für die Komposition, vgl. die Einleitung in Kap. 2. 5 Vgl. Dtn 31,21:ĜĞĖĥğĘĜģħğĭēęėėīĜĬėėĭģĥĘĭĘīĩĘĭĘĔīĭĘĥīĘĭēĢēĩġĭČĜĞėĜėĘ ĘĥīęĜħġĚĞĬĭēğ („Und es wird geschehen, wenn viele Übel und Bedrängnisse es [= das Volk] treffen, dann wird dieses Lied in seinem Angesicht als Zeuge antworten, denn es wird nicht vergessen werden aus dem Mund seiner Nachkommenschaft“). 6 Vgl. hierzu ausführlich Kap. 5.4.1.
4.1 Zur Einbettung in den Buchkontext
279
Fragestellung unerheblich, ob der Rahmen und das Lied zeitgleich oder nacheinander verfasst wurden. Entscheidend ist an dieser Stelle vielmehr, dass das Moselied auf der Ebene des Endtextes durch die in Prosa geschriebene Rahmung in den Geschehensablauf des Buches Deuteronomium integriert ist. 4.1.2 Der Buchkontext von Neh 9 Im Falle von Neh 9 sind Gebetstext und Rahmenhandlung so weit verschmolzen, dass die Kommentierenden uneinig sind, wo genau das eigentliche Gebet beginnt. Genannt werden entweder V.5b7 oder V.68 als Gebetseröffnung. In jedem Fall dient Neh 9,5a als Gebetseinleitung: ėĘėĜČĭēĘĞīĔĘġĘĪėĜĚĭħėĜģĔĬėĜĖĘėėĜĔīĬėĜģĔĬĚĜģĔğēĜġĖĪĘĥĘĬĜĠĜĘğėĘīġēĜĘ ĠğĘĥėČĖĥĠğĘĥėČĢġĠĞĜėğē
Und es sagten die Leviten Jeschua und Kadmiel, Bani, Chaschabneja, Scherebja, Hodija, Schebanja, Petachja: ‚Erhebt euch, preist JHWH, euren Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit!‘
Fraglich ist dann, ob der folgende Halbvers noch zur Redeeinleitung gehört oder schon Teil des Gebetes selbst ist, vgl. V.5b: ėğėĭĘėĞīĔČğĞČğĥĠġĘīġĘĝĖĘĔĞĠĬĘĞīĔĜĘ
Und man preise den Namen deiner Herrlichkeit und erhoben sei er über jeden Preis und Ruhm.
Allerdings sind darüber hinaus keine lexikalischen Überschneidungen oder inhaltlichen Bezugnahmen des umgebenden Textes auf das Gebet feststellbar.9 Die Zusammengehörigkeit ergibt sich einfach aus dem ungestörten Lesefluss beim nahezu unmerklichen Übergang von der Erzählung zum Gebet.10 Auch das folgende Kapitel Neh 10 lässt sich zwar problemlos im Anschluss an das Gebet von Neh 9 lesen und verstehen,11 schließt inhaltlich jedoch enger an die
7
Vgl. MATHIAS 1995, 5; NEWMAN 1999, 58–60 sowie WILLIAMSON 1985, 303–304; DERS. 1988, 117–118; S CHUNCK 2009, 264–265.266 (beide mit zusätzlicher Annahme eines teilweisen Textausfalls in der Mitte des Verses). 8 Vgl. RENDTORFF 1997, 112; DUGGAN 2001, 157; BAUTCH 2003, 101.107. 9 Vgl. WILLIAMSON 1985, 309: „We have seen that it has uncharacteristically little to do with its immediate context, but it was of considerable importance for the final editor’s purpose.“ 10 Anders SCHUNCK 2009, 266–267, der in Neh 9,2:ĭĘģĘĥĘ ĠėĜĭēěĚČğĥ ĘĖĘĭĜĘ ĘĖġĥĜĘ ĠėĜĭĔē („Und sie traten hin und bekannten sich zu ihren Sünden und den Verschuldungen ihrer Väter“) eine deutliche „Anlehnung an den Inhalt des folgenden Gebets“ erkennt, obwohl im Gebet sogar die Reihenfolge von Aufzählung der Vätersünden und eigenem Sündenbekenntnis vertauscht ist. 11 Vgl. BAUTCH 2003, 108: „The transition [= Neh 10,1: ĭēęČğĞĔĘ], whether translated concessively as ‘despite all this’ or more broadly as ‘because of all this’, implies one common voice extending from the prayer (Neh 9:6–37) to the covenant (10:1), thus linking the two core elements of Nehemiah 9–10.“
280
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
Erzählung von den Versammlungen zum Laubhüttenfest und zum Fasten in Neh 8.9,1–4 an.12 4.1.3 Der Buchkontext von Jes 63–64 Noch weitaus fraglicher als für Neh 9 ist das Verhältnis von Jes 63,7–64,11 zu den (Teil-)Kapiteln, die dieses poetische Stück im heute vorliegenden JesajaBuch umgeben.13 Hier fehlt jegliche Ein- oder Ausleitung als explizites Verbindungsglied; der Übergang von der JHWH-Rede zum Wort der oder des Betenden in Jes 63,7 erfolgt ebenso unvermittelt wie der neuerliche Sprecherwechsel in Jes 65,1. Der Versuch, Jes 65 als direkte Antwort JHWHs auf die vorausgehende Klage zu deuten,14 ist in Ermangelung konkreter Bezugnahmen wiederholt kritisiert worden.15 Dennoch lässt sich die Komposition Jes 63,7– 64,11 vielleicht ihrem Inhalt nach als logisches Element in der Dramaturgie am Schluss von Trito-Jesaja verstehen. Dieser Sicht folgend ergibt sich die besondere Heilsbotschaft Trito-Jesajas gerade aus der Spannung zwischen der Klage (Jes 63,7–64,11, vgl. auch Jes 59) und den Zusagen von künftigem Heil (vgl. die oftmals als Kern bezeichneten Kapitel Jes 60–62), die durch die Ankündigung des Gerichts über die Frevler (vgl. Jes 63,1–6; 65–66) am Schluss des Buches in eine für die Frommen ebenfalls heilvolle Perspektive überführt wird.16 Der Zusammenhang von Jes 63,7–64,11 mit seiner literarischen Umgebung ist folglich nicht sprachlich herausgearbeitet, sondern bietet sich dem und der Lesenden nur durch die Anordnung der Texte als Verständnismöglichkeit an. Dies kommt einer psalmenübergreifenden Lektüre des Psalters nahe.17 4.1.4 Der Buchkontext von Ps 78; 81; 106 Speziell die hier zu untersuchenden Psalmen 78; 81 und 106 scheinen auf Grund von gemeinsamen Kompositionsmerkmalen sowie Stichwort- und Themenverbindungen sogar enger auf ihre Nachbarpsalmen bezogen zu sein als
12
Vgl. WILLIAMSON 1988, 117–118; NEWMAN 1999, 57; SCHUNCK 2009, 270.282. Anders MATHIAS 1995, 6 mit dem Hinweis auf weitere Vertreter der Zusammengehörigkeit von Neh 9 und 10. 13 Für einen Überblick über die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten vgl. T IEMEYER 2014. 14 Vgl. z.B. KOENEN 1990, 159; WEBSTER 1990, 96–101; STECK 1991, 221–225 (mit der Ansicht, Jes 65–66 böte eine Korrektur und Erweiterung von Jes 63,7–64,11); GOLDENSTEIN 2001, 227–228; TIEMEYER 2014, 64. 15 Vgl. z.B. I. FISCHER 1989, 271–277; LAU 1994, 286–287; AEJMELAEUS 1995, 46–47. 16 Vgl. hierzu ausführlicher WESTERMANN 1970, 245–246; AEJMELAEUS 1995, 46–49; RUSZKOWSKI 2000. 17 Vgl. AEJMELAEUS 1995, 37: „Den Psalm Jes 63,7–64,11 hat man oft als eine eigenständige Einheit betrachtet, einen Fremdkörper in einem Prophetenbuch, der ebenso gut im Psalter stehen könnte.“
4.1 Zur Einbettung in den Buchkontext
281
Jes 63–64 auf seinen Kontext.18 So ist Ps 78 trotz der Besonderheit seiner Form (Belehrung, kein Gebet) in die Gruppe der Asaf-Psalmen 73–83 eingebettet, besonders vernetzt aber durch bestimmte Vokabeln (einschließlich der Gottesnamen) und den Blickwinkel auf das Volk Israel mit seinen Nachbarpsalmen 77 und 79.19 Als engste Formparallelen zu Ps 81 gelten zwar die beiden „Festpsalmen“ 50 und 95,20 eine merkliche Verbindung hinsichtlich Inhalt und Redesituation besteht jedoch auch zu den Nachbarpsalmen 80 und 82: Ähnlich dem, was oben über den möglichen Zusammenhang von Jes 63–64 und Jes 65 gesagt wurde, können auch Ps 80 und 81 einander als Rede und Antwort zugeordnet werden. In Ps 80 wendet sich das Volk an JHWH, der in Ps 81 mit seiner Ansprache und Ermahnung reagiert. Die Gottesrede setzt sich anschließend in Ps 82 fort.21 Ps 106 schließlich bildet mit den „Halleluja“-Rufen in V.1.48 das Schlussstück sowohl der „Trias“ von Ps 104–106 als auch des gesamten vierten Psalmenbuchs (vgl. Ps 104,35; 105,45; 106,1.48). 22 Von Walther Zimmerli prominent als „Zwillingspsalmen“ zusammengefasst,23 bieten die Psalmen 105 und 106 dabei einen komplementären Rückblick auf die Geschichte unter den Aspekten des Heils (Ps 105) und des Unheils (Ps 106),24 doch lassen sich erstaunlicherweise auch lexikalische und motivische Parallelen mit Ps 107, dem ersten Psalm des letzten Psalmenbuchs, erkennen.25 4.1.5 Weiterführende Fragen zum literarischen Kontext Schon dieser kurze Überblick macht deutlich, dass das Verhältnis der hier besprochenen Texte zu ihrem literarischen Umfeld jeweils ähnliche Fragen aufwirft. Die erste dieser Fragen lautet offensichtlich, ob die jeweilige Komposition unabhängigen Ursprungs ist oder für ihren jetzigen Buchkontext verfasst wurde. Im Falle von Dtn 32 geben v.a. die erkennbaren Spannungen innerhalb der Einleitung zum Moselied in Dtn 31 sowie die widersprüchlichen Bezeichnungen als Ėĥă („Zeuge“) in Dtn 31,19.21.26 und als Ě ąĪ Ąğ („Lehre“) in Dtn 32,2
18
Vgl. zur Psalmenrezeption in Abhängigkeit vom Buchkontext z.B. GÄRTNER 2012, 29–
33. 19 Vgl. HOSSFELD/ZENGER 2000, 430–432, die als kompositorisches Merkmal zudem eine Mittelposition des Themas von Ps 78 zwischen dem Fokus auf Israel (Ps 73–77) und dem Fokus auf Völker (Ps 79–83) ausmachen; GÄRTNER 2012, 102–134; KLEIN 2014, 176– 181. 20 Vgl. FODOR 1999, 126; HOSSFELD/ZENGER 2000, 469. 21 Vgl. HOSSFELD/ZENGER 2000, 477–478 mit dem zusätzlichen Hinweis auf das gemeinsame Thema des Ersten Gebots in Ps 81 und 82. 22 Vgl. HOSSFELD/ZENGER 2008, 112–114.121–122 sowie für inhaltliche Gemeinsamkeiten der Psalmen 104–106 z.B. HOSSFELD 2004. 23 Vgl. ZIMMERLI 1974, 267–270. 24 Vgl. GÄRTNER 2012, 135: „Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte“. 25 HOSSFELD/ZENGER 2008, 110–114.135–137; GÄRTNER 2012, 135–290; KLEIN 2014, 187–306.
282
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
zu der Vermutung Anlass, ein ursprünglich selbständiger Text sei nur notdürftig mit dem bereits vorhandenen Textmaterial der (jetzigen) Rahmenhandlung verwoben worden.26 In Neh 9 stimmen Rahmen und Gebet besser zusammen, weil beide von einem Gotteslob ausgehen (vgl. Neh 9,5–7), doch die Unklarheit hinsichtlich der Identität der oder des Sprechenden und des Gebetsanfangs lassen die Ursprünglichkeit der jetzigen Textfolge ebenfalls fraglich erscheinen.27 In der Exegese von Jes 63–64 hat dagegen der plötzliche Wechsel von Perspektive und Stimmung dazu geführt, das Stück als Einschub zu betrachten.28 Nimmt man die ursprüngliche Selbständigkeit einer Dichtung an, ist fernerhin zu überlegen, ob sie einem konkreten (liturgischen) Gebrauchskontext entstammt oder von vornherein als literarischer Text konzipiert war und als schriftgelehrte „Schreibtischarbeit“29 entstanden ist. Dabei kann natürlich auch im Falle der gezielten Abfassung für den jetzigen Ort in der Hebräischen Bibel auf Quellen ganz unterschiedlicher Art (einschließlich mündlicher Überlieferung) zurückgegriffen worden sein. 30 Die Frage nach dem schriftgelehrten Charakter im Unterschied zu einer nachträglichen Verschriftung von mündlich Tradiertem ist also mit unterschiedlichen Abstufungen zu stellen. Mit Blick auf alle genannten Kompositionen sind die unterschiedlichsten Antworten auf diese Fragen gegeben worden. Sie sollen deshalb im Anschluss an die folgende Untersuchung zum Geschichtsverständnis der einzelnen Texte noch einmal aufgegriffen werden.31
4.2 Die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart der Adressatinnen und Adressaten 4.2 Die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart
Keiner der Vergleichstexte beschränkt sich darauf, (die) Geschichte Israels lediglich nachzuerzählen. Auf unterschiedliche Weise wird vielmehr eine jeweils gegenwärtige Hörerschaft zur überlieferten Tradition ins Verhältnis gesetzt. Hierbei spielen sowohl grammatische Aspekte (Rede im Namen der Hörerschaft, zur Hörerschaft oder über die Hörerschaft) als auch die stärker lexikalisch vermittelte Auffassung von der Geschichte selbst (erklärtes oder
26
Vgl. z.B. STEUERNAGEL 1900, 114; BUDDE 1920, 1; VON RAD 1968, 135–136; MAYES 1981, 380; ROSE 1994, 566; LUNDBOM 2013, 857 sowie ausführlich Kap. 5.2–4. 27 Der Kommentar von WILLIAMSON 1985, 309 zu Neh 8–9 kann auch für Dtn 31–32 gelten: „Entirely free composition would have surely led to a smoother narrative.“ 28 Vgl. WESTERMANN 1970, 306; AEJMELAEUS 1995, 37; zusammenfassend und zustimmend TIEMEYER 2014, 54–57. 29 BECKER 2015, 79. 30 Vgl. die Überlegungen zu Schriftlichkeit und Mündlichkeit in Kap. 3.1. 31 Vgl. das Fazit unter 4.3.
4.2 Die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart
283
impliziertes Selbstverständnis der Kompositionen als Zeugnis für Gottes Sein, Lehrbeispiel für die möglichen Konsequenzen menschlichen Handelns, Begründung für die Abhängigkeit der Menschen von JHWH) eine Rolle. Um das Zusammenwirken der jeweils gewählten sprachlichen Mittel übersichtlich darstellen zu können, erfolgt die Beschreibung der Kompositionen nacheinander. 4.2.1 Geschichte und Gegenwart in Dtn 32 Am Anfang und am Ende des Moseliedes wendet sich die oder der anonym bleibende Sprechende32 an ein kosmisches Auditorium.33 Die eigentliche Ermahnung (vgl. V.6–7) allerdings richtet sich an eine Gruppe von Menschen, deren Gott JHWH ist,34 mithin an das „Volk“ Israel (vgl. V.6: Ġĥ). Die eindringlichsten Inhalte (Androhung von Strafen und Gericht) werden sogar als Gottesrede präsentiert, hinter deren Autorität die Person der zitierenden Sprecherin oder des Sprechers gänzlich zurücktritt.35 Weite Teile des Liedes haben also die Form einer unmittelbaren Warnung JHWHs gegenüber seinem Volk. Im Vorfeld der Gottesrede illustriert ein Geschichtsrückblick (V.8–18) die Notwendigkeit dieser Ansprache. Die Retrospektive beginnt mit einer universalgeschichtlichen Reminiszenz (V.8–9), um sich erst anschließend auf die Geschichte Israels mit JHWH bis in die Gegenwart zu konzentrieren. Im Zentrum des Interesses steht indes nicht die zeitliche Abfolge bestimmter Ereignisse,36 sondern der grundsätzliche Gegensatz im Verhältnis Israels zu seinem Gott JHWH.37 Von Anbeginn der Geschichte erscheint JHWH als Israels fürsorglicher Versorger (vgl. V.8–14), dem das in V.3.43 geforderte Lob gebührt. Demgegenüber werden die Vorfahren als undankbar beschrieben (V.15–17). Der Bericht über die Vergangenheit wird jedoch durch zwei direkte Anreden an die Zuhörenden gerahmt (vgl. V.7.18), 38 so dass die anschließende Strafrede JHWHs (V.19–26) nicht nur als logische Konsequenz der Geschichte im Sinne einer bereits überwundenen Krise, sondern zugleich als unmittelbare Drohung für die Gegenwart zu hören ist.39
32
Das lyrische Ich der Komposition wird nur durch die Rahmung (vgl. Dtn 31,22.30) mit Mose identifiziert. 33 Vgl. Dtn 32,1: ĠĜġĬė („Himmel“) und Ĩīēė („Erde“); V.43 (4QDtnq): ĠĜġĬ („Himmel“) und ĠĜėğē ğĞ („alle Götter“). 34 Vgl. die Kollektivierung in Dtn 32,3: ĘģĜėğē („unser Gott“). 35 Vgl. Dtn 32,20–29.34–35.37–42. 36 So lassen sich denn auch kaum direkte Übernahmen aus den pentateuchischen Geschichtsdarstellungen nachweisen, vgl. Kap. 3.3–4. 37 Vgl. SEYBOLD 2005, 73: „Die Geschichtsdarstellung ist […] auf das modellhafte Gegenüber Jakob / Israel / Jeschuruns [sic] zu seinem Gott reduziert […].“ 38 Die Anreden in V.14e.15c sind als verstärkende Zusätze zu interpretieren, vgl. Kap. 2.B. 39 Vgl. SEYBOLD 2005, 64: „Es geht […] um die Geschichte der Gottesbeziehung, wie sie im Horizont eines Gerichtstages erscheint. Sie [= die Gerichtsrede] erklärt aktuelle
284
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
Ohne den Zusammenhang der Generationen eigens zu thematisieren, werden allein durch diese Anordnung die Vergehen der Vorfahren implizit mit der (sündigen) Vergangenheit der jeweiligen Hörerschaft gleichgesetzt und diese als Repräsentantin des gesamten Volkes zur Verantwortung gezogen. Andererseits fordern die rhetorischen Fragen in V.6 (in direkter Rede)40 und V.37–38 (in dritter Person)41, aber auch die Wunschformel Ęğ („Wenn doch…“) in V.29 dazu heraus, speziell die eigene Haltung zu JHWH zu überprüfen. Schließlich findet mit Blick auf die Zukunft eine Differenzierung unter den Hörenden statt, wenn am Ende des Liedes nicht mehr JHWHs Wohltaten und der Frevel seines Volkes, sondern vielmehr JHWHs Feinde und seine Söhne einander entgegensetzt werden. Indem die Rache JHWHs nur seinen Bedrängern angedroht (vgl. V.40–42), seinem Volk aber der Ertrag dieser Rache verheißen wird (vgl. V.43), gibt das Moselied klar vor, dass eine Rettung aus Bedrängnis an die Anerkennung JHWHs als wahre und alleinige Gottheit gebunden ist. So können diejenigen Hörenden, die sich nach der Belehrung durch das Lied auf ihr ursprüngliches Verhältnis zu JHWH besinnen und sich zu den „Söhnen“ (und nicht zu JHWHs Feinden) zählen, einen heilvollen Zukunftsausblick auf sich beziehen.42 4.2.2 Geschichte und Gegenwart in Ps 78 Auf den ersten Blick zerfällt der Psalm in zwei Teile, die sich als Grundlegung zum Geschichtsverständnis (vgl. V.1–8) und eine anschließende Beispielerzählung aus der Vergangenheit des Volkes (V.9–72)43 begreifen lassen.44 Dabei erfolgt der Geschichtsrückblick nicht streng chronologisch, sondern in zwei Durchgängen (V.9–39 und V.40–72), deren zeitlicher Horizont sich teilweise überschneidet und im Wesentlichen die Zeit der Wüstenwanderung umfasst. Die gesamte Komposition richtet sich laut des Psalmeneingangs an das „Volk“ (Ġĥ), mit dem sich die sprechende Person in der Verehrung JHWHs
Gegenwart auf der Basis bestimmter Ereignisse der Vergangenheit und fordert […] Reaktionen.“ 40 Vgl. Dtn 32,6a: ĭēęČĘğġĕĭ ėĘėĜğČė („Tut ihr JHWH dies an…?“); V.6c:ēĘėČēĘğė ĝģĪĝĜĔē („Ist er nicht dein Vater, der dich geschaffen hat…?“). 41 Vgl. Dtn 32,37a: ĘġĜėğēĜē („Wo sind ihre Götter…?“). 42 Vgl. FOKKELMAN 1998, 142–143: „[…] the Song exhorts to reflection: every generation in Israel (and then, every reader willing to imagine himself in that position) is here made conscious of their elected status (as God’s favourite), of the adage resulting from that: noblesse oblige, and of the accompanying pitfalls of being spoiled, moral laziness, etc., and hence of their own responsibility in the face of God.“ 43 Vgl. HOSSFELD/ZENGER 2000, 420: „eine Erzählung, die sich an das Volk richtet“. 44 Vgl. GÄRTNER 2012, 50.55, für die jedoch das „Proömium“ bis V.11 reicht; KLEIN 2014, 110.
4.2 Die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart
285
verbunden weiß,45 dem sie jedoch zugleich exponiert gegenübersteht, indem sie es als Ĝġĥ (V.1: „mein Volk“) bezeichnet. Trotz der vermeintlichen Gleichordnung in Bezug auf JHWH fällt dem sprechenden Ich somit in Bezug auf die Hörenden eine stärker profilierte Rolle zu als im Moselied. Dort war der Inhalt der Komposition in weisheitlicher Diktion als „meine Lehre“ bezeichnet worden (vgl. Dtn 32,2: ĜĚĪğ) und die Worte der sprechenden Person hatten nur den Rahmen für die Gottesrede gebildet. Demgegenüber ist Ps 78, obwohl durchgehend menschliche Rede,46 als „meine Weisung“ (vgl. Ps 78,1: ĜĭīĘĭ) qualifiziert und nimmt dadurch schon begrifflich geradezu die Stelle der göttlichen Rede ein.47 JHWH selbst kommt in Ps 78 nicht zu Wort und wird auch nicht als Gegenüber angesprochen. Überhaupt finden sich im ganzen Psalm lediglich zu Beginn zwei direkte Anreden, die von dem oder der Sprechenden an das Volk gerichtet werden (vgl. V.1b.c). Danach wechselt das redende Subjekt von der ersten Person Singular in den Plural (V.3–5), der das Volk mit einschließt, um letztlich ab V.6 über das Volk in Gegenwart und Vergangenheit nur noch in der dritten Person zu reden. Selbst die Erklärung, wozu die Besinnung auf die Geschichte notwendig ist, wird nicht als Ermahnung formuliert, sondern stellt nur fest: Die früheren Taten JHWHs müssen erzählt werden, „damit die spätere Generation sie kennt“.48 Es folgt die programmatische Gegenüberstellung der Nachkommen, die „in Gott ihr Vertrauen setzen und die Taten Gottes nicht vergessen und seine Gebote bewahren“ sollen,49 mit dem negativen Beispiel der „störrischen und widerspenstigen Generation“50 der Väter.51 Damit jedoch enden die direkten Bezugnahmen auf die Gegenwart der Hörerschaft ganz. Im weitaus umfangreicheren Hauptteil (V.9–72) werden die eigentlichen Inhalte der Tradition geradezu unpersönlich referiert. Es findet sich kein Gotteslob und kein Sündenbekenntnis.52 Und im Unterschied zu den direkten Drohungen im Moselied werden Strafen nur als Ereignisse vergangener Zeiten
45
Vgl. die Verwendung der dritten Person Plural sowie die Verweise auf JHWH und die Väter in V.3–5, ähnlich Dtn 32,3. 46 Abgesehen von dem kurzen Zitat des Volkes innerhalb des Rückblicks von V.19–20 findet überhaupt kein Sprecherwechsel statt. 47 Vgl. Ps 78,5.10, wo ėīĘĭ eindeutig die „Weisung“ JHWHs bezeichnet. 48 Ps 78,6: ĢĘīĚēīĘĖĘĥĖĜĢĥġğ. 49 Ps 78,7: ĘīĩģĜĘĜĭĘĩġĘğēČĜğğĥġĘĚĞĬĜēğĘĠğĤĞĠĜėğēĔĘġĜĬĜĘ. 50 Ps 78,8: ėīġĘīīĘĤīĘĖ. 51 Vgl. HOSSFELD/ZENGER 2000, 433: „Die V 7–8 nennen die grundlegende Perspektive für die gesamte Geschichtsdarstellung und geben das ideale Verhalten Israels als Paradigma vor.“ 52 WILLIAMSON 1990, 55 weist im Vergleich mit Jes 63,7–64,11 darauf hin, dass Ps 78 zwar die Sünden der Väter benennt, hingegen keine Spur eines eigenen Sündenbekenntnisses enthält: „although it includes acknowledgement of the sins of previous generations, it does not contain any hint of present confession“.
286
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
vorgeführt. Beinahe unmerklich gelenkt wird das Verständnis der Hörenden hier nur durch einzelne resümierende Passagen, die (ähnlich den Anreden im Moselied) die eigentliche Rückschau durchziehen.53 Besonderes paränetisches Gewicht haben die Charakterisierungen in V.35.38–39. Nominale Konstruktionen, in V.38–39 durch Imperfekte ergänzt, geben hier fundamentale Theologoumena wieder, die nicht nur für die erzählte Zeit, sondern gleichermaßen in der Gegenwart der jeweiligen Hörenden gelten. Zusätzlich qualifizieren Varianten des Verbs īĞę („erinnern“, in V.35 mit dem Volk, in V.39 mit JHWH als Subjekt) die Aussagen als erinnerungswürdig. 54 In Abgrenzung hierzu ist das Nicht-Erinnern der Väter Ausdruck ihrer Sündhaftigkeit.55 Wird also die Identität des Gottesvolkes dadurch gewahrt, dass man sich der göttlichen Zuwendung JHWHs zu seinem Volk „erinnert“,56 besteht zugleich die Gefahr einer negativen Traditionskette der „Schuldkontinuität“,57 vgl. V.57a: Und sie waren abtrünnig und handelten treulos wie ihre Väter.
ĠĭĘĔēĞĘĖĕĔĜĘĘĕĤĜĘ
Indem der Psalm schon zu Beginn das positive und das negative Beispiel klar voneinander abgegrenzt hatte (vgl. V.7–8), ist den Hörenden ihr Vorbild vor Augen gesetzt.58 Gleichwohl eröffnet der Psalm keine eigene Zukunftsperspektive. Selbst die am Schluss angedeutete heilvolle Wende verbleibt im Horizont des Vergangenen.59 Denn die Vernichtung Schilos und teilweise Verwerfung Israels durch JHWH (V.59–64) sind ebenso wie sein dreifaches Erwählungshandeln an Juda, dem Zion und David (V.65–72) durch Perfekt- und NarrativFormen als letzter Abschnitt des Rückblicks dargestellt und formal von diesem
53
Vgl. V.10–11.17.22.32–39.40–43.56–57 sowie WITTE 2006, 22.30: „a connection between the presentation of salvation history and sin-theology is typical of Ps 78“. 54 Vgl. Ps 78,35: Ġğēĕ ĢĘĜğĥ ğēĘ ĠīĘĩ ĠĜėğēČĜĞ ĘīĞęĜĘ („Und sie erinnerten sich, dass Gott ihr Fels ist und Gott, der Höchste, ihr Erlöser“); V.38:ĭĜĚĬĜČēğĘĢĘĥīħĞĜĠĘĚīēĘėĘ ĘĭġĚČğĞīĜĥĜČēğĘĘħēĔĜĬėğėĔīėĘ („Aber er ist barmherzig, vergibt Schuld und vernichtet nicht und oft wird er seinen Zorn zurücknehmen und seinen ganzen Grimm nicht wecken“); V.39: ĔĘĬĜēğĘĝğĘėĚĘīėġėīĬĔČĜĞīĞęĜĘ („Und er erinnerte sich, dass sie Fleisch sind, Wind, der vergeht und nicht zurückkehrt“). 55 Vgl. Ps 78,42: īĩČĜģġ ĠĖħČīĬē ĠĘĜ ĘĖĜČĭē ĘīĞęČēğ („Nicht haben sie seiner Hand gedacht, des Tages, da er sie vom Bedränger losgekauft hat“). 56 Vgl. GÄRTNER 2012, 102: „[…] sollen sich die Beter durch die Reflexion der Geschichte der Barmherzigkeit Jhwhs bewusst werden und sich aufgrund dessen ihrer Identität als Gottesvolk vergewissern“. 57 GÄRTNER 2012, 101 u.ö., vgl. WITTE 2006, 27: „The attitude towards history and law becomes a criterion of God’s community“. 58 GUNKEL 1986, 340: „Dies alles aber führt er [= der Verfasser des Psalms] aus zur Mahnung des gegenwärtigen Geschlechtes: mögen sie nicht werden, wie ihre Väter gewesen sind.“ 59 Vgl. LUYTEN 1985, 344. Anders WITTE 2006, 36, der das Motiv der Erwählung als thematische Brücke in die Zukunft versteht.
4.2 Die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart
287
nicht unterschieden. Anders als das Moselied macht Ps 78 also lediglich deutlich, welches Schicksal den „Vätern“ begegnete, während es der Hörerschaft selbst überlassen bleibt, aus dem Geschilderten die nötigen Konsequenzen für ihr eigenes Verhalten zu ziehen. 60 Die bleibende Aktualität der Geschichte wird durch den Verweis auf die früheren Generationen eher angemahnt als vermittelt.61 4.2.3 Geschichte und Gegenwart in Ps 8162 Sehr viel deutlicher als Ps 78 bringt Ps 81 die Verzahnung von Geschichte und Gegenwart zur Sprache. Es ist der einzige hier besprochene Text, der einen spezifischen Anlass für seine Rezitation angibt, vgl. V.4: ŘĖĚĔ („am Neumond“) bzw. ĘģĕĚĠĘĜğėĤĞĔ („am Vollmond, zum Tag unseres Festes“) und in der folgenden Begründung direkt auf JHWH selbst als Autorität hinter den Worten des Textes verweist. Dadurch erhält Ps 81 von vornherein eine größere Legitimation als das Moselied oder Ps 78, die sich beide grundsätzlich als Botschaften einer oder eines menschlichen Sprechenden an das übrige Volk präsentieren, vgl. Ps 81,5: ēĘėğēīĬĜğĪĚĜĞ ĔĪĥĜĜėğēğěħĬġ
Denn es ist eine Satzung für Israel, ein Gesetz für den Gott Jakobs.
Entsprechend groß sind auch die Redeanteile JHWHs im Psalm: Im Anschluss an den begründeten Lobaufruf (vgl. V.2–6) eines Sprechers oder einer
MATHIAS 1993, 75–76: „Seine [= des Psalmisten] Lehre (ėīĘĭ) hat den Zweck, die Hörer zu befähigen und anzuregen, ihrerseits das Gehörte weiterzugeben, so daß die Tradition nicht abbricht (V.6). Die Weitergabe ist jedoch nur die Ermöglichung des eigentlichen Lehrzwecks, der auf Verhaltensänderung zielt und sowohl positiv wie negativ angegeben wird. […] Das Verhältnis des Menschen zu Gott wird hier aus dem richtigen Verstehen der Geschichte abgeleitet. Die Geschichte wird zur Lehrmeisterin über die Folgen dieser Verhältnisbestimmung. Damit hat die Lehre des Psalms durchaus eine paränetische Tendenz.“ Ähnlich WITTE 2006, 39: „Read with the eyes of faith, the ancient history of Israel is, as the authors of Ps 78 reconstructed and interpreted the epoch from ‘Exodus to David’, an exemplary opportunity to learn about the relationship between man and God.“ 61 Vgl. HOSSFELD/ZENGER 2000, 441 mit einer Beschreibung der asafitischen Geschichtsdeutung: „Die von Gott beabsichtigte Heilsgeschichte für Israel ist von seiten [sic] des Volkes von den Anfängen her eine warnende Sündengeschichte.“ 62 Die Motivuntersuchung in Kap. 3 kam mit Blick auf Ps 81 zu dem Schluss, dass er im Falle mehrerer Verse sehr wahrscheinlich vom Moselied abhängig ist. Durch die formkritische Betrachtung verstärkt sich der Eindruck, dass Ps 81 die Botschaft von Dtn 32 aufnimmt und noch einmal neu in Szene setzt. Dies schmälert den Erkenntniswert jedoch nicht, da das Verhältnis der beiden Texte Rückschlüsse auf die Arbeitsweise der Verfassenden ermöglicht. Vgl. auch das Fazit unter 4.3. 60
288
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
Sprecherin aus dem Volk,63 der die Hörenden durch die Aufforderungen zu kultischem Handeln als Festgemeinde identifiziert, 64 wendet sich ab V.7 JHWH selbst an diese Adressatenschaft und rekapituliert in direkter Rede die Tradition von der Herausführung aus Ägypten einschließlich der Gabe der Tora.65 Auf diese Weise betont der Psalm nicht nur die gegenwärtige Zusammengehörigkeit der Hörerschaft, sondern erinnert zugleich an die gemeinsame Verankerung in einer Geschichte mit JHWH. Jede neue Versammlung von Hörenden (und das von ihnen dargebrachte Gotteslob) wird als Erfüllung eines in der Vergangenheit ergangenen Gebotes gedeutet, das jedoch erstens in einen größeren Traditionszusammenhang gehört und zweitens als Wort des weiter wirkenden Gottes fernerhin gilt.66 Auch im Moselied bewirkte die Formulierung als Gottesrede eine besondere Intensität der Mahnung. Allerdings fiel dort der Rückblick der menschlichen sprechenden Person zu (vgl. Dtn 32,8–18) und nur die daraus zu ziehenden Konsequenzen wurden JHWH in den Mund gelegt (vgl. Dtn 32,20–27). In Ps 81 dagegen fällt das Hören auf die Geschichte ganz und gar mit dem Hören auf JHWHs Wort (und in V.10–11 sogar buchstäblich mit dem Hören auf sein Gesetz) in eins.67 Wie der Rückblick (V.7–8.12–13) ist aber auch die Paränese (V.9–11.14–17) als Gottesrede formuliert und scheint keiner zusätzlichen Vermittlung zu bedürfen. Entscheidend ist aus der Sicht von Ps 81 offenbar allein, ob das Volk dazu bereit ist, das einmal geäußerte Gotteswort in seiner existenziell bleibenden Bedeutung zu „hören“,68 oder ob es an der „Bereitschaft zum Hören, Gehören und Gehorchen“69 fehlen lässt. Der mehrfache Wechsel zwischen Formen der zweiten und dritten Person innerhalb der Gottesrede hat dabei denselben Effekt wie die Rahmung des Rückblicks in Dtn 32 durch direkte
Vgl. die Identifizierung über den gemeinsamen Gott in Ps 81,2:ĘģęĘĥ ĠĜėğēğ ĘģĜģīė ĔĪĥĜĜėğēğĘĥĜīė („Jubelt für Gott, unsere Stärke, jauchzt dem Gott Jakobs“). 64 Vgl. die Lobaufforderungen in Ps 81,2: ĘģĜģīė („jubelt“); ĘĥĜīė („jauchzt“); V.3: Ęēř („hebt an“); Ęģĭ („spielt“); V.4: ĘĥĪĭ („stoßt“). 65 Eine Ausnahme bildet nur noch der kommentierende Einschub V.16. 66 Vgl. DOEKER 2002, 224: „Durch die Form der Gottesrede gewinnt die Aussage die Aktualität der gesprochenen Wortes. Es liegt nicht nur eine erinnernde Wiedergabe vor, wie sie durch ein Zitat vermittelt würde. Vielmehr re-präsentiert die Aussage das damalige Geschehen und holt es durch die direkte Rede in die Gegenwart des Hörers hinein. Daran wird deutlich, daß die göttliche Zusage nicht an Relevanz verloren hat und immer noch aktuell ist.“ Ähnlich AUFFRET 1993, 299: „C’est ce même ISRAEL, interpellé en [v.] 5 par le Dieu de l’alliance qui l’a libéré d’EGYPTE, qui doit se rappeler pour aujourd’hui ses pressantes invitations à la fidélité.“ 67 Vgl. B. WEBER 2003a, 39 mit der Charakterisierung der „Gottesrede als aktualisierende Anwendung von Heilsgeschichte und Gesetzesgabe“. 68 Vgl. die häufige Verwendung des Verbs ĥġŘ in Ps 81,6.9.12.14. 69 B. WEBER 2003a, 40. 63
4.2 Die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart
289
Anreden: Das Tun der Väter und die eigene Verantwortung werden miteinander verwoben.70 Ferner lässt sich im Vergleich mit dem Moselied und Ps 78 feststellen, dass Ps 81 durch den gezielten Wechsel zwischen verschiedenen Verbformen die Spannungsmomente der beiden Vergleichstexte kombiniert. So pendelt Ps 81 nicht nur (wie in Ps 78 beobachtet) zwischen perfektivisch-vergangenheitlicher und nominal-allgemeingültiger Rede hin und her,71 um den Zusammenhang von geschehenen Heilstaten und JHWHs grundsätzlich gnädigem Sein zu betonen. Daneben bringen die gehäuften Imperative und Jussiv-Formen (wie im Moselied)72 zum Ausdruck, „dass die Rettung der Bewährung bedarf“,73 dem Handeln JHWHs also ein angemessenes Tun der Menschen folgen muss. Auch am Schluss des Psalms zeigen die Tempora der Verben an, wie das Geschick des Volkes beurteilt wird: Im Perfekt bzw. Narrativ formuliert die letzte Rückblicks-Sequenz den Ungehorsam des Volkes und die deshalb schon erfolgte Strafe (vgl. V.12–13) als ein Lehrstück der Vergangenheit; durch Wunschformen im Partizip und Imperfekt wird hingegen eine mögliche Zukunftsperspektive angedeutet (vgl. V.14–17).74 Für den Fall künftigen Gehorsams verspricht JHWH in Ps 81 neuerliche Wohltaten (namentlich die Bezwingung der Feinde und die Versorgung mit Nahrung) entsprechend dem früher ergangenen Wort, dass JHWH dem treuen Volk „den Mund füllen“ wolle (vgl. V.10–11).75
70
Vgl. DOEKER 2002, 225: „Ziel der Gottesrede ist es somit, das Volk an seine Geschichte zu erinnern und diese Erinnerung als Ermahnung zu funktionalisieren.“ 71 Vgl. unter 4.2.2 die Hinweise zu Ps 78,35.38–39 sowie die Verknüpfung von Nominalsatz und Perfekt-Form in Ps 81,5–6:ĦĤĘėĜĔĭĘĖĥĔĪĥĜĜėğēğěħĬġēĘėğēīĬĜğĪĚĜĞ ĠĜīĩġ ĨīēČğĥ ĘĭēĩĔ ĘġĬ („Denn es ist eine Satzung für Israel, ein Gesetz für den Gott Jakobs. Als ein Zeugnis hat er es aufgestellt in Josef, bei seinem Auszug gegen das Land Ägypten“). Im Gegensatz dazu bilden die streng nominal formulierten Charakterisierungen JHWHs in Dtn 32,4: ēĘėīĬĜĘĪĜĖĩğĘĥĢĜēĘėģĘġēğēěħĬġĘĜĞīĖČğĞĜĞĘğĥħĠĜġĭīĘĩė („Der Fels, vollkommen ist sein Werk! Denn alle seine Wege sind Recht. Ein Gott der Treue und ohne Unrecht, gerecht und aufrichtig ist er“) nicht die Schlussfolgerung bereits erfolgter Heilstaten, sondern gehen einer solchen Schilderung (vgl. V.8–14) apodiktisch voraus. 72 Vgl. Dtn 32,3.7.39 sowie außer den eröffnenden Aufrufen zum kultischen Handeln in Ps 81,2–4 auch V.9: Ĝġĥ ĥġŘ („Höre, mein Volk…“); V.10: ėĘĚĭŘĭ ēğ („du sollst nicht niederfallen“); V.11: ĝĜħČĔĚīė („öffne deinen Mund“). 73 B. WEBER 2003a, 39 (hier speziell zu Ps 81,7–8), vgl. aber für die Thematik grundsätzlich EBD., 39–40. 74 Vgl. B. WEBER 2003a, 41: „Die Konjunktive zum Schluss sagen, wie es sein könnte und würde – sie sind eine indirekte Verheißung.“ 75 Vgl. zur Dynamik der Gottesrede HOSSFELD/ZENGER 2000, 473: „Im Stil einer deuteronomistischen Alternativpredigt werden zwei Möglichkeiten des Verhaltens vor Augen gestellt: auf der einen Seite Undank und Ungehorsam Israels, belegbar aus der Geschichte und in den Konsequenzen bis in die Gegenwart des Sprechers erfahrbar und auf der anderen Seite das gehorsame Hören, das Israel ans Herz gelegt wird, ja, um das mit Versprechungen für die Zukunft geworben wird, die allerdings bestimmte Bedingungen stellen.“ Ähnlich DOEKER 2002, 225: „Die Zusage von v.17 verdeutlicht dem Hörer […],
290
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
4.2.4 Geschichte und Gegenwart in Ps 106 In diesem Psalm wird die ausführliche Darstellung der Sündengeschichte des Volkes Israel zwar durch Lobaufrufe an das Volk (V.1–2.48) und Rettungsbitten an JHWH (V.4–5.47) gerahmt, der lange Mittelteil aber ist – wie der Hauptteil von Ps 78 – konsequent als Rückblick formuliert und spricht über das Volk und JHWH nur in dritter Person (vgl. V.7–46).76 Eine Verknüpfung der Vergangenheit mit der Gegenwart der Hörenden erfolgt nur indirekt durch den programmatisch vorgeschalteten V.6: Wir haben mit unseren Vätern gesündigt, wir haben uns schuldig gemacht, wir haben gefrevelt.
ĘģĜĭĘĔēČĠĥĘģēěĚ ĘģĥĬīėĘģĜĘĥė
Eine ähnliche Gleichsetzung von Sünden fand sich auch in Ps 78,57a: Und sie waren abtrünnig und handelten treulos wie ihre Väter.
ĠĭĘĔēĞĘĖĕĔĜĘĘĕĤĜĘ
In Ps 78 jedoch bezog sich der Vergleich auf die verschiedenen Generationen innerhalb des Rückblicks. Das konkrete Verhalten der gegenwärtigen Hörerschaft wird weder in Ps 78 noch in Ps 106 thematisiert.77 Freilich herrscht auch in der Rückschau von Ps 106 ein klarer Antagonismus von JHWHs bleibender Güte und dem durchgehend sündigen Handeln des Volkes, der in immer neuen Beispielen vorgeführt und durch zusammenfassende Kommentare bewertet wird.78 Auch diese Wertungen sind indes Teil der Retrospektive und werden den Späteren ohne direkte Ansprache lediglich vorgelegt.79 Es bleibt wie schon in Ps 78 dem einzelnen Hörer und der einzelnen Hörerin überlassen, von den Taten der Vorfahren zu abstrahieren und die entsprechende Deutung auf sich selbst und ein möglicherweise ähnliches Verhalten zu beziehen.80 Während jedoch Ps 78 an seinem Beginn zumindest eine grundlegende Reflexion über die Bedeutung der Traditionsvermittlung bietet, fehlt in Ps 106 jegliche direkte Belehrung der Hörerschaft. Ebenso wenig werden Vorwürfe oder
daß sich die Gottesrede nicht in der Ermahnung erschöpft, sondern ebenfalls die Perspektive auf eine positive Zukunft hin öffnet.“ 76 Das Bewusstsein einer gemeinsamen Identität wird lediglich an den suffigierten Formen der ersten Person Plural in Ps 106,6–7.47 erkennbar. 77 Vgl. HOSSFELD/ZENGER 2008, 128. 78 Für diese Ähnlichkeit zwischen Ps 78 und Ps 106 vgl. auch WITTE 2006, 30. 79 Vgl. V.8.13.39–40.43–46. 80 Vgl. mit Blick auf Ps 78; 105; 106; 135; 136: GÄRTNER 2012, 382–384 („Die Geschichtspsalmen als Paradigma kollektiver Gedächtnisse“); KLEIN 2014, 366.
4.2 Die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart
291
Aufforderungen zu einem bestimmten Lebenswandel an sie gerichtet. Nur sehr verhalten und abstrakt formuliert V.3 ein gutes Beispiel: ěħĬġĜīġĬĜīĬē ĭ ĥČğĞĔėĪĖĩėĬĥ
Wohl denen, die das Recht bewahren, dem, der zu jeder Zeit Gerechtigkeit übt.
Selbst die abschließende Rettungsbitte steht in keinem ausdrücklichen Zusammenhang mit dem zuvor Geschilderten. Inhaltlich schließt sie allein an das Sündenbekenntnis in V.6 an81 und setzt nur JHWHs grundsätzlich geschichtsmächtiges Handeln voraus – ohne einen spezifischen Aspekt der Rückschau aufzugreifen oder Bedingungen für eine zukünftige Heilswende aufzuzeigen. Angesichts einer Geschichte, die von „einer unerschöpflichen Huld und einer unbegreiflichen Schuld“82 erzählt, scheint den Zuhörenden von Ps 106 in der Erwartung erneuter göttlicher Zuwendung nur der dankende Lobpreis JHWHs aufgetragen zu sein.83 4.2.5 Geschichte und Gegenwart in Neh 9 In Neh 9 wendet sich eine Gruppe, die sich selbst als Vertreterin des Volkes Israel identifiziert,84 an JHWH. Dadurch unterscheidet sich die Komposition von den vorherigen Texten, in denen stets das Volk als Kollektiv von einem oder einer Einzelnen angeredet war und diese Sprecherrolle teilweise JHWH zufiel.85 Vor allem aber ist bemerkenswert, dass sogar das Gotteslob in Neh 9 direkt an JHWH adressiert ist, während es in den Vergleichstexten immer in der dritten Person von ihm handelt. Sofern man die Aufforderung zum Lob in Neh 9,5b zur Komposition hinzuzählt, 86 ist allein sie mit den Aufrufen in Dtn 32,3b; Ps 81,2–4; Ps 106,1 vergleichbar. Neh 9,5b: Und man preise den Namen deiner Herrlichkeit und erhoben sei er über jeden Preis und Ruhm.
ĝĖĘĔĞĠĬĘĞīĔĜĘ ėğėĭĘėĞīĔČğĞČğĥĠġĘīġĘ
81
Vgl. HOSSFELD/ZENGER 2008, 134: „Die Schlussbitte der Wir-Gruppe in V 47 greift die Redesituation von Sündenbekenntnis und Gebetsüberleitung aus V 6–7a auf.“ 82 KRAUS 2003, 907. 83 Vgl. HOSSFELD/ZENGER 2008, 137: „Aus der verfahrenen Geschichte gab und gibt es nur den neuen Anfang durch JHWHs Liebe.“ 84 Vgl. die Pronomina und Suffixe der ersten Person Plural, teilweise mit Bezug auf JHWH oder die „Väter“, in Neh 9,9.16.32–34.36–37. 85 Vgl. Dtn 32,1–3.6–7.17–18 (sowie für JHWH als Sprecher Dtn 32,20–29.34–35.37– 42); Ps 78,1–5; Ps 81,2–4 (sowie für JHWH als Sprecher Ps 81,7–15.17); Ps 106,1.4–7.47. 86 Vgl. hierzu oben Anm. 7 und 8.
292
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
Ab Neh 9,6 jedoch spricht das Volk in direkter Rede zu JHWH. Die Ansprache ist zweigeteilt: Auf eine ausführliche Preisung (V.6–31) folgt abschließend eine Klage (V.32–37). Beide Abschnitte haben die Vergangenheit des Volkes im Blick, die Art der Bezugnahme ist jedoch verschieden. In V.6–31 bildet der Rückblick auf die Geschichte den zentralen Inhalt des Gotteslobs. Zum Auftakt betont die Anspielung auf die Weltschöpfung in Neh 9,6 – ähnlich der Erinnerung an die Verteilung der Völker durch JHWH in Dtn 32,8 – seine allem vorgeordnete und alles Geschehen umgreifende göttliche Macht.87 Ferner ist die (über die Erwählung Abrahams und den Exodus bis zum Exil reichende) Rückschau wie schon in Ps 78 und 106 mit deutenden Kommentaren durchsetzt. Diese unterstreichen, dass JHWH immer zum Wohl der Israeliten handelte, wohingegen das Volk ab der Wüstenzeit regelmäßig mit Frevel reagierte. 88 Wegen der gehäuften Verwendung des Pronomens ėĭē („du“) hat der ganze Abschnitt auch den Charakter eines Bekenntnisses, dessen zeitlose Gültigkeit durch die zahlreichen nominalen Wendungen über das Sein JHWHs zum Ausdruck kommt.89 Innerhalb der von Perfektiven und Narrativen geprägten Rückschau heben sie die Bedeutung des punktuell geschilderten göttlichen Tuns auf eine grundsätzliche Ebene.90 In V.32 erfolgt schließlich auch eine explizite Verknüpfung der (dargestellten) Geschichte mit der Gegenwart: ėēğĭėČğĞĭēĝĜģħğěĥġĜČğēĖĤĚėĘĭĜīĔėīġĘĬēīĘģėĘīĘĔĕėğĘĖĕėğēėĘģĜėğēėĭĥĘ ĖĥīĘĬēĜĞğġĜġĜġĝġĥČğĞğĘĘģĜĭĔēğĘĘģēĜĔģğĘĘģĜģėĞğĘĘģĜīĬğĘģĜĞğġğĘģĭēĩġČīĬē ėęėĠĘĜė
Und nun, unser Gott, du großer, gewaltiger und furchtbarer Gott, Bewahrer des Bundes und der Treue, nicht wenig sei vor dir all die Mühsal, die uns getroffen hat, unsere Könige, unsere Fürsten und unsere Priester und unsere Propheten und unsere Väter und dein ganzes Volk, seit den Tagen der Könige von Assur bis zu diesem Tag.
Durch die Anrufung JHWHs und den Rückblick auf die eigene unmittelbare und gleichermaßen sündhafte Vergangenheit in V.34–35 reihen sich die
87
Vgl. I. FISCHER 1989, 228: „Eine derart ausführliche Geschichtsschau von der Urgeschichte bis zum Exil findet sich nicht einmal in den sogenannten Geschichtspsalmen (vgl. Ps 78; 105; 106), geschweige denn in unserem Lied [= Jes 63–64].“ 88 Vgl. V.8.16–17.19.21.23.26.29–31 sowie DUGGAN 2001, 164–166; BAUTCH 2003, 113. Diese Abfolge einer sündenfreien Frühzeit und späterer Gottlosigkeit des Volkes entspricht in gewisser Weise dem doppelten Rückblick im Moselied auf die Wohltaten JHWHs (Dtn 32,8–14) und die Freveltaten des Volkes (Dtn 32,15–18). 89 Vgl. 9,6.7.8.17.19.27.28.31 sowie MATHIAS 1995, 15–16; NEWMAN 1999, 56: „formulaic biblical phrases describing various divine attributes“. 90 Vgl. zur Verknüpfung der Geschichte mit dem Sein JHWHs: WILLIAMSON 1988, 121; MATHIAS 1995, 22; DUGGAN 2001, 193: „the continuity of the people’s history from past to present is due to the character of God rather than to any trait within the people“ sowie für das gleiche Phänomen oben 4.2.2 (zu Ps 78); 4.2.3. (zu Ps 81).
4.2 Die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart
293
Sprecherinnen und Sprecher mit ihrem Unglück in die wechselvolle Geschichte ein. Einerseits wird das beschriebene Elend der Hörenden bzw. Betenden als letztes Glied einer langen Kette von selbstverschuldeten Verhängnissen und damit als Konsequenz der Geschichte gesehen.91 Andererseits leitet sich aber die Hoffnung auf göttliche Rettung ebenfalls aus dieser Geschichte ab, da sich JHWH in der Vergangenheit gegenüber den sündigen Vätern und Müttern immer wieder barmherzig gezeigt hat.92 Mit dem Wechsel von der Rede über die Vorfahren in der dritten Person zur Rede in der ersten Person des sündigen Volkes (in V.32) führt das Gebet in Neh 9 aber nicht nur vor, dass Elend und Errettung beide aus der Geschichte begründbar sind (wie dies die zuvor betrachteten Psalmen taten),93 sondern ermöglicht der Hörerschaft eine unmittelbare Aneignung des Gesagten.94 Indem sowohl JHWHs Wirkmächtigkeit in der Geschichte als auch die eigenen Sünden in einer Gruppe bekannt werden, betonen die Sprechenden über die Rezitation von Neh 9 ihre gemeinsame Identität als Gottesvolk.95 Trost und Mahnung, die den Hörenden – der Redeperspektive gemäß – hier nicht zugesprochen werden können, leiten sich von dieser Identifikation ab: Im Sinne eines Analogieschlusses bietet der Text allen, die das Gebet mitsprechen (wollen), die Grundlage zur Bewertung und Bewältigung ihrer eigenen Situation. 96 Gleichwohl bleibt die letzte Verantwortung für eine Wende zum Guten bei JHWH, von dessen gnädigem Eingreifen schon in der Vergangenheit das Wohl seines Volks abhing. Neh 9 ähnelt darin Ps 106. Beide Kompositionen stimmen in ihrem Aufbau überein, insofern sie jeweils mit einem Lobaufruf einsetzen und die Rückschau auf das Ergehen der Väter mit einem Appell an JHWH beenden. 97 In Ps 106,47 jedoch wird ausdrücklich um JHWHs Hilfe gebeten, während es sich bei der Äußerung in Neh 9,32–37 primär um eine Klage über
91
Interessanterweise bleibt das Bekenntnis der eigenen Sünden sehr vage, vgl. Neh 9,33: ĘģĥĬīėĘģĚģē („wir haben uns schuldig gemacht“). Konkreter werden die Vergehen der „anderen“ beschrieben (vgl. V.34–35). Dies lässt an die Differenzierung zwischen Feinden und Söhnen innerhalb des Volkes am Schluss des Moseliedes denken. 92 Vgl. DUGGAN 2001, 231. 93 Für den grundsätzlichen Charakter der Belehrung spielt es keine Rolle, ob das sprechende „Ich“ JHWH oder ein Mensch ist. 94 Vgl. GUNNEWEG 1987, 129: „Wie sich das Gebet von E[sr] 9 faktisch als Belehrung an die Leser richtet, so auch, wenn auch mit anderem Inhalt, der Psalm N[eh] 9.“ 95 Besonders augenfällig wird diese Verbundenheit dadurch, dass die Wendung „unsere Väter“ die Komposition regelrecht durchzieht, vgl. Neh 9,9.16.32.34.36 sowie MATHIAS 1995, 14: „Väter und Söhne verbindet nicht nur die Kontinuität von Schuld, sondern auch der Glaube an den einen Gott“; SCHUNCK 2009, 282. 96 Vgl. MATHIAS 1995, 25: „Die Gemeinde gedenkt der eigenen Vergangenheit und der durchgängig erfahrenen Huld Gottes und versucht, die Konsequenzen zu ziehen“; BAUTCH 2003, 124: „With regard to the people, the prayer in Neh 9:6–37 has two principal functions or aims, to console and to exhort.“ 97 Vgl. GUNNEWEG 1987, 124; WILLIAMSON 1988, 119.
294
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
die eigene elende Situation handelt.98 Auch Neh 9 lässt demnach offen, wie eine gelingende Zukunft des Volkes im Angesicht JHWHs aussehen kann. 4.2.6 Geschichte und Gegenwart in Jes 63–64 Der Eingangsvers kennzeichnet die Komposition als „Erinnerung“ und lässt eine Betrachtung früherer Ereignisse erwarten, vgl. Jes 63,7: Die Freundlichkeiten JHWHs will ich in Erinnerung bringen, die Ruhmestaten JHWHs…
ī ĜĞęēėĘėĜĜĖĤĚ ėĘėĜĭğėĭ
Der zunächst folgende Rückblick (Jes 63,8–14) bildet jedoch nur den Unterbau für eine Anrufung JHWHs (Jes 63,15–64,11), die auch die veränderten Lebensumstände des Gottesvolkes abbilden will und den größeren Teil des Textes ausmacht. Als sprechend ist ein einzelner Repräsentant oder eine Repräsentantin des Volkes Israel zu identifizieren, der bzw. die in der Retrospektive in dritter Person über das Volk redet, sich aber im Gegenüber zu JHWH (explizit ab Jes 63,16) mit dem Rest des Volkes verbindet und sich in der ersten Person Plural ausdrückt. Innerhalb des Eröffnungsverses schwankt die Perspektive zwischen kollektivierender Rede in erster Person99 und distanzierender Verwendung der dritten Person,100 als sollte damit die intendierte Parallelisierung der beiden folgenden Abschnitte bereits angezeigt werden. Der Zusammenhang von Rückblick und Anrufung wird indes durch mehrere Mittel hergestellt. Eine programmatische Rolle spielt hierbei das JHWH-Zitat zu Beginn des Rückblicks, vgl. Jes 63,8: Und er sagte: ‚Gewiss sind sie mein Volk, Söhne, die nicht treulos handeln‘…
ėġėĜġĥČĝēīġēĜĘ ĘīĪĬĜēğĠĜģĔ
Anstatt mit einem grundlegenden Ereignis wie der Völkerverteilung (vgl. Dtn 32,8) oder der Schöpfung (vgl. Neh 9,6) einzusetzen und so das Verhältnis JHWHs zu seinem Volk geschichtlich herzuleiten,101 wird in Jes 63,8 mit der Bezeichnung der Israeliten als „mein Volk“ bzw. „Söhne“ eine besondere Beziehung bereits selbstverständlich vorausgesetzt.102
Nur ganz zurückhaltend formuliert Neh 9,32 den Appell, die „Mühsal“ (ėēğĭ) des Volkes möge „nicht wenig sein“ (verneintes ěĥġ) vor JHWH, vgl. GUNNEWEG 1987, 129. 99 Vgl. Jes 63,7a:ėĘėĜĘģğġĕČīĬēğĞğĥĞ („gemäß allem, was JHWH uns erwiesen hat“). 100 Vgl. Jes 63,7b: ĠğġĕČīĬē ğēīĬĜ ĭĜĔğ ĔĘěČĔī („die Fülle an Gutem für das Haus Israel, die er ihnen erwiesen hat“). 101 Vielmehr deutet Jes 63–64 die Weite von JHWHs Machtbereich in Zeit und Raum als Rahmen aller Geschehnisse durch einzelne, über den ganzen Text verteilte Hinweise an, vgl. Jes 63,9.11.12.16.19; 64,3.4 (ĠğĘĥ: „Ewigkeit“); Jes 63,15.19 (ĠĜġŘ: „Himmel“). 102 Vgl. RUSZKOWSKI 2000, 57 sowie Dtn 32,5.6.19.20.43 und ausführlich Kap. 2. 98
4.2 Die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart
295
Von allen Vergleichstexten bietet die Retrospektive in Jes 63,8–14 die am wenigsten konkreten Bezüge auf pentateuchische Geschichtstraditionen. Während sich in Ps 78; 106; Neh 9 und (in einem geringeren Maß) auch in Ps 81 zahlreiche Paraphrasen und Übernahmen (v.a. aus den Exoduserzählungen) entdecken lassen,103 erinnert die Skizze von der wunderbaren Führung JHWHs in Jes 63 nur entfernt an andere Darstellungen des Auszugs aus Ägypten.104 Diese Unabhängigkeit im Ausdruck ist dafür ihrerseits mit Beobachtungen zum Moselied vergleichbar. Auch dort war die große Eigenständigkeit gerade im Blick auf die Schilderung der göttlichen Führung des Volkes aufgefallen.105 Ferner reicht die Rückblende in Jes 63 keinesfalls an die Gegenwart der Hörenden heran. Vielmehr bildet die Anrufung JHWHs als „unser Vater“ (vgl. Jes 63,16; 64,7: ĘģĜĔē) das verbindende Element zwischen den Generationen, nachdem mitten in Jes 63,14 die Rede über JHWH106 zur Anrede107 geworden ist. So liegt zwischen den Beschreibungen der früheren und der späteren Zustände ein Appell an die Fürsorgepflicht JHWHs, des gemeinsamen „Vaters“, vgl. Jes 63,15–16: ēğğēīĬĜĘĘģĥĖĜēğĠėīĔēĜĞĘģĜĔēėĭēČĜĞ>@ĝĭīēħĭĘĝĬĖĪğĔęġėēīĘĠĜġĬġěĔė ĝġĬĠğĘĥġĘģğēĕĘģĜĔēėĘėĜėĭēĘģīĜĞĜ
Schau vom Himmel und sieh von der Wohnung deiner Heiligkeit und Herrlichkeit […]. Denn du bist unser Vater, denn Abraham hat uns nicht gekannt und Israel hat sich nicht um uns gekümmert. Du, JHWH, bist unser Vater; ‚unser Erlöser von Ewigkeit her‘ ist dein Name!
Es folgt die Beschreibung gegenwärtiger Bedrängnisse (vgl. Jes 63,18–19a) sowie die Beschwörung einer Theophanie, die allein das Elend des Volkes beenden könnte (vgl. Jes 63,19b–64,4a). Nachdem die sprechende Person im Namen des Volkes die Sünden der eigenen Generation benannt hat (vgl.
103
Vgl. für Ps 78: KREUZER 1989, 234–236; HOSSFELD/ZENGER 2000, 420–421.441; GÄRTNER 2012, 61–99; KLEIN 2014, 113–138; für Ps 81: HOSSFELD/ZENGER 2000, 478; DOEKER 2002, 214–216; für Ps 106: KREUZER 1989, 240–241; PRÖBSTL 1997, 169–170; GÄRTNER 2012, 199–229; KLEIN 2014, 241–165; für Neh 9: WILLIAMSON 1985, 313–316; PRÖBSTL 1997, 86–94; NEWMAN 1999, 103. 104 Vgl. AEJMELAEUS 1995, 40: „Eigentlich handelt es sich nicht um Geschichtserzählung, sondern um Andeutungen und Bilder der wunderbaren Führung, die der Erinnerung und den verzweifelten Fragen Inhalt geben. In den einzelnen Ausdrücken findet man keine Berührung mit irgendwelcher Erzähltradition im AT“; ausführlicher GOLDENSTEIN 2001, 148–151. Vgl. auch BAUTCH 2019, 142 zum „reflektierenden“ und „transhistorischen“ Charakter der Unheilsschilderungen in Jes 63–64. 105 Vgl. Kap. 3.3.7. 106 Vgl. Jes 63,14a: ĘģĚĜģĭ ėĘėĜ ĚĘī Ėīĭ ėĥĪĔĔ ėġėĔĞ („Wie dem Vieh, das ins Tal hinabsteigt, verschaffte der Geist JHWHs ihm [= dem Volk] Ruhe“). 107 Vgl. Jes 63,14b: ĭīēħĭĠĬĝğĭĘĬĥğĝġĥĭĕėģĢĞ („So hast du dein Volk geleitet, um dir einen Namen von Herrlichkeit zu machen“).
296
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
Jes 64,4b–6), 108 wird JHWH ein weiteres Mal als Vater angerufen, vgl. Jes 64,7: ĘģğĞĝĖĜėĬĥġĘĘģīĩĜėĭēĘīġĚėĘģĚģēėĭēĘģĜĔēėĘėĜėĭĥĘ
Aber nun, JHWH, unser Vater bist du! Wir sind der Ton und du bist der, der uns formt, und das Werk deiner Hände sind wir alle.
Die erwartete Konsequenz dieser Feststellung formuliert eine Rettungsbitte (Jes 64,8), die – anders als die Bitte in Ps 106 – in den Redezusammenhang integriert (vgl. auch die vorherige Bitte in Jes 63,17b) und auf das eigene Bekenntnis zu JHWH bezogen ist,109 wodurch sie größere Plausibilität erhält.110 Dennoch stehen am Schluss der Komposition eine weitere Klage (Jes 64,9–10) und eine offene Frage (Jes 64,11), die beide wiederum verdeutlichen, dass die Rettung des Volkes keine billige Selbstverständlichkeit ist. Da innerhalb des Rückblicks die beiden Fragen nach göttlicher Zuwendung in Jes 63,11 erkennbar positiv beschieden wurden (vgl. Jes 64,14), bietet die Vergangenheit eine Folie für das, was in der Gegenwart der oder des Sprechenden erhofft werden kann. Die Hoffnung hat aber einen ganz bestimmten Grund. Wie in Neh 9 erscheint das akute Elend des Volkes in Jes 63–64 als beklagenswerte Wiederholung der Geschichte, und zwar derselben Geschichte, die auch JHWH als Retter bekannt gemacht hat. Eigentlicher Inhalt der in Jes 63,7 angekündigten Erinnerung sind folglich nicht die Ereignisse der Vergangenheit,111 sondern der, der sie bewirkte und noch in der Gegenwart der Hörenden weiter wirkt. Indem die sprechende Person in V.14 die Perspektive verändert und aus der Rede in dritter Person über JHWH und sein Volk in die Anrede JHWHs überwechselt, überführt sie den Rückblick in ein aktuelles Bekenntnis und erinnert diejenigen, die in die Klage über die eigene Bedrängnis einstimmen, letztlich an JHWH selbst.112
108
Vgl. AEJMELAEUS 1995, 44: „Das Sündenbekenntnis ist nicht bloß ein geschichtliches […]. Die Partizipien in V. 6 beschreiben den jetzigen Zustand des Volkes.“ 109 Für die grundsätzliche Übereinstimmung zwischen Ps 106 und Jes 63–64 vgl. WILLIAMSON 1990, 56: „Both passages introduce the historical retrospect in terms of praise, both use it as a vehicle for confession, and both conclude with an appeal for salvation.“ 110 Vgl. BAUTCH 2003,39: „This confession of sin is more involved and direct than those found in the psalms of communal lament“. 111 Die Charakterisierung von RUSZKOWSKI 2000, 59 als „Sehnsucht […] nach der Zeit Mosis“ greift deshalb zu kurz. 112 Insofern ist I. FISCHER 1989, 252 nur eingeschränkt zuzustimmen, wenn sie meint: „Das Gedenken und Vergegenwärtigen der Heilstaten zielt nicht sosehr [sic] auf das Volk hin, sondern auf JHWH.“ Da es sich um einen Text handelt, der von Menschen rezipiert wird, zielt er natürlich auf das Volk und will es auf JHWH ausrichten. Für das Festhalten am selben Gott vgl. WESTERMANN 1970, 308.
4.2 Die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart
297
Exkurs: Geschichtsdeutung im Erra-Epos In der akkadischen Literatur findet sich mit dem babylonischen Erra-Epos eine überraschende Formparallele zum Moselied. 113 Das im Epilog als zamƗru („Lied“)114 bezeichnete und vermutlich auf den Anfang des 1. Jts. v. Chr. zu datierende Werk115 ist deutlich länger116 als das Moselied und möglicherweise auch deshalb in der bisherigen Forschung noch nicht mit diesem verglichen worden.117 Die Gemeinsamkeiten beider Kompositionen sind jedoch bemerkenswert: Nicht nur die sprachliche Gestaltung ist vergleichbar, sondern auch die jeweils erkennbare Zielsetzung. Entsprechend ergeben sich bei der Interpretation von Moselied und Erra-Epos ähnliche Schwierigkeiten, insbesondere hinsichtlich der historischen Verortung der dargestellten Ereignisse und der Bestimmung der Abfassungszeit. Beide Texte scheinen ältere Stoffe zu rezipieren und sie unter dem Eindruck bestimmter historischer Notwendigkeiten neu zu formulieren, um ihrer Adressatenschaft eine verlässliche Deutung der Gegenwart und eine Ermutigung für die Zukunft zu bieten. Das Erra-Epos setzt damit ein, dass der Gott Erra von den „Sieben“118 dazu aufgestachelt wird, die Menschen zu vernichten. Zur Begründung heißt es, die Menschen hätten Erra nicht genügend geachtet (Tafel I).119 Mit einem Trick verdrängt Erra den obersten Gott Marduk von seinem Thron und erhält dadurch die Macht, das Geschehen auf der Erde ins Unheil zu stürzen (Tafel II). Der Einspruch des Gottes Išum und anderer Götter kann Erra nicht von seinem Plan abbringen, Babylon zu zerstören und die Menschen zu töten (Tafel III). Erra beschreibt ausführlich, welche Verwüstungen er u.a. durch den Einfall fremder Völker in Babylon bewirkt hat (Tafel IV). Kurz darauf bereut er die
113
Text bei CAGNI 1970; für Übersetzungen vgl. CAGNI 1977 (englisch); BOTTÉRO/KRAMER 1989 (französisch); TUAT AF Bd. III, 781–801 (deutsch). 114 Tafel V, Z.49.59, vgl. MACHINIST 1983, 221: „poem“; BOTTÉRO 1985, 221: „poème“; BODI 1991, 62: „poem“ bzw. „Lehrgedicht“ sowie Dtn 31,19 u.ö.: ėīĜŘ („Lied“) für Dtn 32,1–43. 115 Vgl. CAGNI 1977, 20–21; EDZARD 1980, 166; MACHINIST 1983, 221 sowie unten die weiteren Ausführungen zur Datierung. 116 Vermutlich bilden die erhaltenen Teile etwa 2/3 des Gesamttextes (von ursprünglich ca. 750 Zeilen auf fünf Tafeln), vgl. CAGNI 1977, 5; BOTTÉRO/KRAMER 1989, 680; BODI 1991, 52. 117 SONNET 1997, 255–256 erwähnt zwar im Zusammenhang mit dem Moselied das ErraEpos, bezieht sich jedoch nur abgrenzend auf dessen Epilog, vgl. unten Anm. 145. 118 Tafel I, Z.8 u.ö.: (ilu) sebetti oder sibitti. Eine nicht weiter differenzierte Gruppe niederer Götter im Umfeld Erras, vgl. CAGNI 1977, 18: „seven wicked gods, without individual names“; EDZARD 1980, 168: „die kampfeslüsternen, bösartigen Begleiter des Erra“. 119 Zu dieser Problematik und der Frage, inwieweit es hier um menschliche Sünde in einem der Hebräischen Bibel entsprechenden Sinn geht, vgl. BOTTÉRO/KRAMER 1989, 721– 722; BODI 1991, 62–68.
298
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
Auswirkungen seines Handelns und beschließt, auch für den Wiederaufbau Babylons und den Sieg über dessen Feinde zu sorgen. Abschließend bekundet der namentlich genannte Schreiber Kabti-il(an)i-Marduk, der vorliegende Text sei ihm nachts im Traum offenbart und nach der Niederschrift von den Göttern, einschließlich Erras, gelobt worden. Erra selbst kündet denjenigen Wohlergehen an, die sein „Lied“ singen und aufbewahren, so dass sein Name auf ewig erinnert werde (Tafel V). Im Vergleich mit großen akkadischen Epen wie Enuma Eliš oder Atramېasis fällt im Erra-Epos der erhebliche Anteil an wörtlicher Rede auf.120 Die Darstellung des Geschehens erfolgt überwiegend in Gesprächen oder Selbstgesprächen der Götter. Ganz ähnlich verhält es sich im Moselied.121 Außerdem sind in Bezug auf beide Kompositionen die vielen Übereinstimmungen mit anderen bekannten Texten bemerkt worden.122 Wie die Untersuchungen in Kapitel 3 gezeigt haben, hat das Moselied zahlreiche Texte der (entstehenden) Hebräischen Bibel rezipiert und dabei Redewendungen teilweise umgedeutet oder neu kombiniert. Daneben fanden sich aber auch sprachliche Gemeinsamkeiten, die als literarisch unabhängig und somit als Ausdruck einer gemeinsamen Sprachund Gedankenwelt zu gelten hatten. Ebenso sind im Erra-Epos neben literarischen Bezügen bestimmte „traditionelle Vorgaben“123 aufgefallen. Anders als beim Moselied besteht unter den Kommentierenden jedoch Einigkeit, dass das Erra-Epos mit Blick auf die erkennbaren Parallelen stets der rezipierende Text ist und die Epen Enuma Eliš, Atramېasis, Gilgameš sowie andere kleinere Werke der akkadischen Literatur bereits voraussetzt. 124 Zu diesem sicheren Schluss führen mehrere Beobachtungen, die auf das Moselied nicht oder kaum zutreffen. So unterscheidet sich das Erra-Epos von den älteren akkadischen Epen beispielsweise dadurch, dass es auf Wiederholungen ganzer (Rede-)Einheiten verzichtet und den teilweise mit diesen Kompositionen identischen Stoff vergleichsweise gerafft präsentiert.125 Auch der komplexe Aufbau der Handlung, der beinahe spielerische Umgang mit Namen und Eigenschaftszuschreibungen126 sowie die Tatsache, dass sich der Verfasser/Schreiber mit Namen nennt,127 deuten darauf hin, dass hier – bewusst und für die Zeitgenossinnen
120
Vgl. MACHINIST 1983, 225; BOTTÉRO 1985, 223; BOTTÉRO/KRAMER 1989, 707–708; BODI 1991, 60–61. 121 Vgl. die Gottesrede in Dtn 32,20–29.34–35.37–42 sowie die Ausführungen zur Textpragmatik in Kap. 2. 122 Vgl. GÖSSMANN 1956, 81: „Mehr als einmal wird der Leser des Era-Epos [sic] aufmerksam auf Ereignisse und Wendungen, die anderweitig mehr oder minder bekannt sind.“ 123 BOTTÉRO 1985, 273 u.ö.: „données traditionnelles“, vgl. GÖSSMANN 1956, 82. 124 Vgl. GÖSSMANN 1956, 81–82; BOTTÉRO 1985, 224–226.249–252.262–263.266.268– 269; BOTTÉRO/KRAMER 1989, 710–712.722–727. 125 Vgl. BOTTÉRO 1985, 223 Anm. 3. 126 Vgl. MACHINIST 1983, 223; BOTTÉRO 1985, 274. 127 Vgl. GÖSSMANN 1956, 85–86; BOTTÉRO 1985, 223 Anm. 3.
4.2 Die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart
299
und Zeitgenossen erkennbar – auf eine breite Basis an Traditionsstoffen zurückgegriffen wurde.128 Folgerichtig hat man das Erra-Epos als „letzte große Dichtung“129 in akkadischer Sprache bezeichnet. Allein die genaue Bestimmung der Abfassungszeit bleibt umstritten. 130 Zwar werden im Text verschiedene feindliche Völker namentlich erwähnt und die Zerstörung in Babylon und der Umgebung recht konkret beschrieben. Hierin liegt ein bedeutender Unterschied zum Moselied.131 Wegen der vielen Auseinandersetzungen, von der die Zeit zwischen Alt- und Neubabylonischem Reich geprägt war, und der entsprechend schlechten Dokumentation einzelner Kriegszüge können jedoch von der Schilderung im Epos kaum belastbare Rückschlüsse auf die ihr (möglicherweise) zugrunde liegende politische Situation gezogen werden.132 Ebenso wenig erlaubt die Betrachtung der verwendeten Sprache eine zweifelsfreie Datierung, denn „[w]ie man in später Zeit bewußt altertümelte, so ist auch der umgekehrte Fall nicht selten: daß man nämlich ältere Texte modernisierte.“133 Gleichwohl ist wiederholt versucht worden, bestimmte grammatische, orthographische oder stilistische Merkmale zu Datierungszwecken auszuwerten.134 Gerade der Vergleich der zum Erra-Epos und zum Moselied jeweils zusammengetragenen Einzelerkenntnisse aber zeigt, dass die sprachliche Gestalt einer Komposition nur in Verbindung mit Überlegungen zur Textpragmatik und Überlieferungssituation sinnvoll interpretiert werden kann.135 Schließlich reagieren beide Kompositionen offenbar auf ein ähnliches Bedürfnis: Der Rückgriff auf bekannte Stoffe, die eindringliche Bildsprache und die direkten (An-)Reden dienen dazu, die Hörenden von der Gültigkeit des Gesagten zu überzeugen, obwohl ihre eigenen Überlegungen womöglich dagegen sprechen. Das Erra-Epos scheint die Frage beantworten zu wollen, wieso der Gott Marduk seine Stadt Babylon nicht vor der Zerstörung hatte bewahren
128
Vgl. GÖSSMANN 1956, 82; MACHINIST 1983, 224–225; BOTTÉRO 1985, 223.271–274. 129 Vgl. BOTTÉRO 1985, 275; BOTTÉRO/KRAMER 1989, 680: „La dernière composition mythologique“. 130 Vgl. EDZARD 1980, 169: „Die Datierungsfrage ist trotz allem auf sie verwendeten Scharfsinn noch nicht befriedigend gelöst“; MACHINIST 1983, 221; BODI 1991, 55–56. Da der insgesamt zu überblickende Zeitraum für die akkadische Literatur jedoch weitaus größer ist als im Falle der Hebräischen Bibel, schließen sich die sichere relative Einordnung (ErraEpos jünger als andere Epen) und die Unsicherheit in Bezug auf die konkrete Abfassungszeit nicht aus. 131 Vgl. Kap. 2 zu V.27 sowie den Exkurs „Die Feinde JHWHs“. 132 Vgl. aber VON SODEN 1971, 255–256; BOTTÉRO 1985, 254–261 mit den jeweils sehr präzisen, einander jedoch deutlich widersprechenden Datierungen auf ca. 765–763 bzw. den Anfang des 9. Jhs. v. Chr. 133 GÖSSMANN 1956, 86. 134 Vgl. GÖSSMANN 1956, 86–87; EDZARD 1980, 169. 135 Vgl. auch unten den Exkurs „Imperfekt-Formen für die Rede über die Vergangenheit“.
300
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
können.136 Es schöpft aus den bekannten Überlieferungen, um das, was dort über das Sein der Menschen und der Gottheit ausgesagt wurde, neu auf die Gegenwart zu beziehen:137 Marduk garantierte den alten Mythen zufolge die Ordnung der Welt – solange er auf seinem Thron saß. Folglich erklärte die List des Gottes Erra einerseits, weshalb der „göttlichen“ Stadt Babylon Unheil geschehen konnte, und andererseits, weshalb Marduk dennoch als (prinzipiell) mächtiger Beschützergott anzusehen war. 138 Im Unterschied zu den älteren Epen, in deren Zentrum die grundlegenden Fragen nach der Herkunft der Welt und der Menschen standen, haben wir es hier mit einer „théologie de l’Histoire“139 zu tun, die sich mit der bloßen Wiederholung der tradierten Stoffe nicht begnügen (konnte), sondern neue Fragen beantworten wollte.140 Über die Identität des Verfassers kann nur spekuliert werden. Er muss aber ein Interesse daran gehabt haben, in einer Situation gesellschaftlicher Instabilität (wie sie die Jahrhunderte um 1000 v. Chr. kennzeichnete) den Marduk-Kult in Babylon zu bewahren.141 Einem ähnlichen Rechtfertigungszwang unterlagen auch Denkende und Schreibende in Israel/Juda, wenn sie an der Souveränität JHWHs festhaltend die politische Ohnmacht des Volkes anerkennen mussten.142 Mit menschlicher Logik war diesem Problem nicht beizukommen. Anstelle einer gelehrten Argumentation boten die Verfassenden des Moseliedes und des Erra-Epos ihren Adressatinnen und Adressaten deshalb die Möglichkeit, in den als direkte Rede formulierten Passagen den schwer verständlichen Göttern selbst zu lauschen.143
136
Vgl. LAMBERT 1962, 119: „The Erra Epic is the expression of frustrated patriotism“; LABAT 1970, 115; BOTTÉRO 1985, 262 (mit Verweis auf die Analogie zur Zerstörung Jerusalems, die in den Klageliedern besungen und bewältigt wurde); BOTTÉRO/KRAMER 1989, 721–722. 137 Vgl. BOTTÉRO/KRAMER 1989, 726: „Là est son originalité : non pas dans l’invention des mythes et des articulations de leur développement, mais dans leur usage et application.“ 138 Vgl. BOTTÉRO 1985, 264–267; BODI 1991, 61 (der jedoch im Gegensatz zu Bottéro die Verfehlungen der Menschen als Grund für Erras Verhalten betont). 139 BOTTÉRO 1985, 262. Vgl. CAGNI 1977, 13: „a religious way of interpreting history“ sowie ROSE 1994, 567 (zum Moselied): „Doch begnügt sich die Unterweisung keinesfalls mit einer erzählenden Darstellung in poetischer Gestalt, sondern läßt eine ‚Theologie der Geschichte‘ erkennen […].“ 140 Vgl. BODI 1991, 57: „Kabti-ilƗni-Marduk was not just a compiler. Rather, he offered a creative synthesis of ancient Mesopotamian traditions applying them to a particularly difficult situation in the history of Babylon which he attempted to elucidate in his manner.“ 141 Vgl. HRUŠKA 1973, 5; CAGNI 1977, 13: „All the scholars who reviewed our edition of Erra have shared substantially our interpretation concerning the patriotic-religious orientation of Kabti-ilƗni-Marduk […].“ 142 Dies galt grundsätzlich zu verschiedenen Zeiten, aber sicher verstärkt nach den Niederlagen gegen Assyrer und Babylonier im 8.–6. Jh. v. Chr. und der anschließenden Eingliederung der Provinz Jehud ins Perserreich, vgl. dazu das Fazit unter 4.3. 143 Vgl. BOTTÉRO 1985, 271.
4.2 Die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart
301
Doch die Botschaft erschöpfte sich nicht in der Belehrung über den göttlichen Willen. Sowohl das Moselied als auch das Erra-Epos verband den darzustellenden Inhalt mit einem Auftrag an die Hörerschaft. Zielte das Moselied auf die Anerkennung JHWHs als einziger Gott, so forderte das Erra-Epos eine besondere Würdigung Erras,144 die sich u.a. durch die Rezitation des Textes ausdrücken sollte.145 Im Falle des Moseliedes fordert die narrative Rahmung die Weitergabe an die Nachgeborenen, vgl. Dtn 31,19: ėīĜĬėĜğČėĜėĭĢĥġğĠėĜħĔėġĜĬğēīĬĜČĜģĔČĭēėĖġğĘĭēęėėīĜĬėČĭēĠĞğĘĔĭĞėĭĥĘ ğēīĬĜĜģĔĔĖĥğĭēęė
Und nun schreibt dieses Lied für euch auf und lehre es die Söhne Israels, lege es in ihren Mund, damit dieses Lied mir zum Zeugen wird bei den Söhnen Israels.
Der Schluss des Erra-Epos richtet sich gleichermaßen an Götter und Menschen, vgl. Tafel V, Z.49.53.56: ilu ša za-ma-ru ša-a-šu i-na-du ina a-šir-ti-šu lik-tam-me-ra […] zammeru ša i-܈ar-ra-ېu ul i-ma-t ina šip-ti […] ina a-šir-ti um-ma-ni a-šar ka-a-a-an šu-me i-zak-ka-ru u-zu-un-šu-nu a-pet-ti Im Heiligtum des Gottes, der dieses Lied preist, soll sich Überfluss anhäufen […] Der Sänger, der es singt, soll nicht im Gericht sterben […] Im Heiligtum der Gelehrten, wo sie meinen Namen nennen, werde ich ihre Ohren öffnen.146
Es folgt die Ermunterung, eine Tafel mit dem Text im Haus zu deponieren. Befestigungslöcher an den erhaltenen Tafeln zeugen davon,147 dass das ErraEpos tatsächlich in seiner Schriftform (als Amulett gegen Krankheit und Zerstörung)148 im Leben der Menschen eine Rolle spielte. Als Analogie zu betrachten wäre die Verwendung des Moseliedes in Tefillin, wie sie in Höhle 4 in Qumran gefunden wurden.149 Beides beweist, dass die Dichtungen eine Bedeutung erlangten, die den Horizont ihrer unmittelbaren Entstehungsumstände überstieg.
144
Vgl. HRUŠKA 1973, 7: „[Der Dichter] will nicht informieren, sondern durch die direkten Rede [sic] der Götter ausdrücklich bewegen und den Hörer zur persönlichen Stellungsnahme und Entscheidung führen.“ Für das Moselied vgl. die entsprechenden textpragmatischen Überlegungen in Kap. 2 und unter 4.2.1. 145 SONNET 1997, 255 deutet dagegen den Verweis auf die apotropäische Wirkung des Textes im Epilog des Erra-Epos als Ausdruck einer „selbstreferenziellen Logik“ („self-referential logic“), durch die sich das an seinem Schluss nur sich selbst anpreisende Epos vom Moselied unterscheide. 146 Eigene Übersetzung, vgl. aber die in Anm. 113 genannten Publikationen. 147 Vgl. EDZARD 1980, 169; BOTTÉRO 1985, 276; BOTTÉRO/KRAMER 1989, 717. 148 Vgl. Tafel V, Z.57–58. 149 Vgl. DJD VI, 72–74.
302
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
Da für das Erra-Epos nahezu gesichert ist, wo es innerhalb des akkadischen Textkorpus (als „letzte große Dichtung“)150 verortet werden muss, sind die aufgezählten Ähnlichkeiten mit dem Moselied auch im Rückblick auf die Motivanalysen in Kapitel 3 der vorliegenden Studie von großem heuristischem Wert: Die unter Akkadistinnen und Akkadisten nicht angezweifelte Meinung, dass die Übereinstimmungen mit anderen akkadischen Kompositionen als Rezeptionen durch das Erra-Epos zu deuten sind, liefert ein Modell dafür, wie die Genese des Moseliedes im Verhältnis zu seinen Textparallelen vorstellbar ist. Darüber hinaus ergeben sich aus den Überlegungen zum Umgang mit überlieferten Stoffen in einer Krisenzeit zusätzliche Anhaltspunkte für die Interpretation und zeitliche Einordnung der hier im Rahmen der Formkritik vorgestellten Textparallelen.
4.3 Fazit 4.3 Fazit
Die Einzelbetrachtungen von Dtn 32; Ps 78; 81; 106; Neh 9; Jes 63–64 haben klar vor Augen geführt, wie sehr die Kompositionen – trotz unleugbarer formaler Unterschiede – inhaltlich und funktional übereinstimmen.151 Textpragmatisch gesehen ist ihr gemeinsames Anliegen die Ermahnung der Hörenden zu einem gottgemäßen Leben im Sinne eines Lernens aus der rekapitulierten Vergangenheit.152 Zwar erwecken die Texteröffnungen den Eindruck, es würden sehr verschiedene Themen verhandelt.153 Im Verlauf der Kompositionen aber zeigt sich, dass auch die vermeintlichen Lehrtexte explizites Gotteslob (vgl. Dtn 32,3–4.43; Ps 78,4) und die Lobeshymnen konkrete Ermahnungen und aktuelle Belehrungen enthalten (vgl. Ps 81,5.9–11.14; 106,3; Neh 9,29.31). Weiter umfasst das Gedenken in Jes 63–64 auch Gotteslob (vgl. Jes 63,16.19b– 64,3.7) und Ermahnungen (vgl. Jes 64,4). Und umgekehrt gilt genauso, dass in Dtn 32; Ps 78; 81; 106; Neh 9 die Begründungen für das Gotteslob und die Lehrinhalte in den Darstellungen der Geschichte zu finden sind und somit erinnert werden müssen. Die Preisung JHWHs und die Ermahnung der Hörenden zu gottgemäßer Lebensführung erscheinen überall als logische Konsequenz der
150
Vgl. oben Anm. 129. 151 Zur Unterscheidung zwischen Tiefen- und Oberflächenstruktur eines Textes vgl. Kap. 3.1 sowie für Erwägungen zum Geschichtsverständnis der besprochenen Texte auch FENSHAM 1981 (zu Neh 9; Ps 106); LUYTEN 1985 (zu Dtn 32; Ps 78; 106; Jes 63–64); DUGGAN 2001, 226–228 (zu Neh 9; Ps 78; 106); S EYBOLD 2005 (zu Dtn 32; Ps 78; 81; 106). 152 Für eine entsprechende Einschätzung zum Erra-Epos vgl. HRUŠKA 1973, 7: „Der Autor bietet das Bild einer möglichen Wirklichkeit[,] die zwar im Detail archaisiert und als bereits geschehen konkret präsentiert wird, im ganzen aber in die Zukunft zielt.“ 153 Vgl. die (mit Höraufrufen verbundene) Ankündigung von Lehrinhalten in Dtn 32,1–2; Ps 78,1, die Lobaufforderungen in Ps 81,2–4; 106,1–2, auch V.47c–d.48; Neh 9,5b sowie die Selbstaufforderung zum Gedenken in Jes 63,7.
4.3 Fazit
303
Erinnerung früheren göttlichen Handelns am Volk Israel. So wird stets die Fürsorge JHWHs für sein Volk in der Vergangenheit thematisiert und als unverdiente Wohltat gepriesen. Demgegenüber erscheinen in allen Vergleichstexten die Sünden des Volkes als Ausweis von Undankbarkeit, die von JHWH geahndet wird oder wurde. Gemeinsam ist den Texten aber zugleich das Verständnis, wie Geschichte und Gegenwart miteinander verknüpft und aufeinander zu beziehen sind: Es ist derselbe Gott JHWH, der die Geschichte gelenkt hat und der die Gegenwart beherrscht, und es ist (seiner Tradition und Geschlechterfolge nach) dasselbe Volk, von dem in den Rückblicken die Rede ist und das in den Mahnungen angesprochen wird.154 Folglich gilt die Deutung der Geschichte auch für die gegenwärtigen Hörenden in ihrer Zeit weiter und kann als Anleitung für das Handeln in der eigenen Gegenwart benutzt werden. Die Sünden der Vorfahren dienen mithin plakativ als schlechtes Vorbild. Die sich nahelegende Konsequenz für die Hörerschaft kann nur in einer dem Wohlwollen JHWHs entsprechenden dankbaren Haltung bestehen. Abgezielt wird somit auf ein Verhalten, das gerade nicht dem geschilderten Beispiel folgt, sondern im Kontrast dazu durch eigenes Bemühen gebessert wird. Allerdings formulieren nicht alle Kompositionen ihre Ermahnungen an die gegenwärtige Hörerschaft gleichermaßen explizit und gerade die unterschiedliche Gestaltung des Ausblicks auf die Konsequenzen der Schuld trägt maßgeblich zum je eigenen Profil der Texte bei. So führen in Ps 106 und Jes 63– 64 die Sündenbekenntnisse (Ps 106,6; Jes 63,15–19a; 64,5–6.9–10) zu einer direkten Bitte um Errettung (Ps 106,4–5.47; Jes 64,7–8.11) und bringen damit das eigene Verhängnis selbstbewusster zum Ausdruck als die ebenfalls bekennende, aber nicht in eine Anrede mündende Klage über das eigene Elend in Neh 9,32–37. Alle drei Kompositionen erwarten jedenfalls eher ängstlich von JHWH das letztlich schicksalsentscheidende Handeln. Sehr viel optimistischer blickt man mit den abschließenden Verheißungen von Dtn 32 und Ps 81 (Dtn 32,43c–d*;155 Ps 81,15–17) sowie am Schluss der Einleitung in Ps 78,7– 8 in die Zukunft. Diese Texte trauen den Hörenden zu, die Verantwortung für ein gottgemäßes Leben selbst zu übernehmen und müssen deshalb das Ende nicht offen lassen. Am eindrucksvollsten stellen dabei letztlich die Drohungen in Dtn 32 vor Augen, wie wichtig es ist, die ausführlich thematisierte Verantwortung tatsächlich zu übernehmen (vgl. Dtn 32,21c–25.34–35.39–42). Wie aber lassen sich dieses gemeinsame Geschichtsverständnis (Geschichte als Paradigma) und die Ähnlichkeit einzelner Elemente der Kompositionen
154
Vgl. für alle hier diskutierten Texte WILLIAMSON 1988, 125 (zu Neh 9): „[The author] catches himself and his contemporaries up into the historical continuum […].“ 155 = Dtn 32,43c.f in der Übersetzung in Kap. 1.1, vgl. die Text- und Literarkritik in Kap. 1.3.3 und Kap. 2.D.
304
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
(Lob, Lehre, Erinnerung) angesichts der (grammatisch und sachlich) so unterschiedlichen Redeperspektiven verstehen? Traditionell klassifizierte man die hier betrachteten Texte auf Grund einzelner Wendungen, die einen bestimmten Gebrauchskontext anzuzeigen schienen. Höchst divergierend sind demnach Dtn 32 und Ps 78 als Lehrgedichte, 156 Ps 106; Neh 9; Jes 63–64 als Bußgebete157 und Ps 81 als Festpsalm charakterisiert worden.158 Als Gemeinsamkeit insinuierten die gewählten Bezeichnungen lediglich die mündliche Weitergabe der Kompositionen innerhalb einer (jeweils unterschiedlichen) Trägergruppe. Allerdings war mit der Annahme einer spezifischen Vortragssituation noch nicht darüber befunden, wie und von wem die einzelnen Texte verfasst worden sein mochten. Vor allem wegen der Fülle an Querbezügen zu anderen (heute) kanonischen Texten kommen neuere Analysen vielfach zu dem Schluss, dass es sich bei unseren Vergleichstexten um „schriftgelehrte“ Kompositionen handelt.159 Diese Kennzeichnung wiederum sagt nichts darüber aus, für welchen Zweck diese „dichte, reflektierte Literatur“160 bestimmt war. Die oben angestellten Überlegungen zur Pragmatik weisen hingegen einen Weg, um die Erwägungen zur Herkunft der Texte und solche zu ihrem Gebrauch zu verbinden. Sowohl die Einhelligkeit in Bezug auf das Thema (die Geschichte des Volkes) als auch die Aussageabsicht der Texte (Motivierung zum Lernen aus der Geschichte) deuten auf ein gemeinsames geistiges Milieu.161 Übereinstimmungen im sprachlichen Ausdruck (wiederkehrende Motive und Redewendungen) verstärken diesen Eindruck. Als Hintergrund für das jeweils in den Texten Verhandelte wird übereinstimmend etwa folgende Situation erkennbar: Angesichts eines unerfreulichen Geschichtsverlaufs scheint das Volk Israel in seinem Selbstverständnis erschüttert. Die Verunsicherung, aus welcher Kraft die Zukunft zu meistern sei, führt zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition, als deren zentraler Inhalt die Gottesbeziehung
156
Vgl. EISSFELDT 1958, 5; KLEIN 2014, 87.110. 157 Vgl. WILLIAMSON 1990, 56–58. 158 Vgl. FODOR 1999, 126; HOSSFELD/ZENGER 2000, 469; DOEKER 2002, 208. 159 Vgl. exemplarisch für Ps 78; 106: KLEIN 2014, 358.372–373; für Ps 81: DOEKER 2002, 220–223; für Neh 9: NEWMAN 1999, 114–116; für Jes 63–64: GOLDENSTEIN 2001, 249–251. 160 K. SCHMID 2011b, 1. 161 Vgl. z.B. GUNNEWEG 1987, 124: „Von den bereits genannten Geschichtspsalmen [Ps 78; 105; 106; 135; 136] zeigen begreiflicherweise diejenigen die größte Ähnlichkeit mit N[eh] 9, welche mit den gnädigen Führungen und Gaben Gottes in der Geschichte Israels Verstockung und Versündigung kontrastieren, also Ps 78 und 106.“ Für Ähnlichkeiten vgl. auch KÜHLEWEIN 1973, 120–125 (zu Ps 78 und 106 im Vergleich mit Jes 63–64; Neh 9); I. FISCHER 1989, 205–256, insbes. 251–256 (zu Jes 63–64 im Vergleich mit Neh 9; Ps 78; 106; Dtn 32); FÜGLISTER 1991, 269 (zu Ps 78 im Vergleich mit Dtn 32; Ps 81); NEWMAN 1999, 108–114 (zu Neh 9 im Vergleich mit Ps 78; 106; Jes 63–64); KLEIN 2014, 177– 178.382–391 (zu Ps 78 im Vergleich mit Ps 81 bzw. Neh 9).
4.3 Fazit
305
angesehen wird.162 Da menschliches Handeln offenbar als nicht ausreichend mächtig erfahren wurde, um das eigene Heil zu sichern, erfolgt nun der Rekurs auf JHWH als feste Bezugsgröße im Fluss der Zeiten. Dagegen kommt menschlichen Autoritäten und Institutionen keinerlei identifikationsstiftende Aufgabe zu: Weder vom Krieg noch vom Kult an sich erhofft man sich Rettung; Königtum und Tempel spielen in den untersuchten Texten praktisch keine Rolle.163 Stattdessen wird das Bemühen erkennbar, sich mit Hilfe tradierter Inhalte der kollektiven Identität als Gottesvolk zu vergewissern164 und die Möglichkeiten für künftiges Wohlergehen im direkten Gegenüber zu JHWH auszuloten.165 Vielfach wird als historischer Ort dieser Reflexionen das (früh-)nachexilische Jehud angenommen.166 Hiermit scheint einerseits gewährleistet, dass die rezipierten Traditionen bereits textlich vorlagen, und andererseits stellt der Verlust der Eigenstaatlichkeit einen nachvollziehbaren Grund für die kollektive Zaghaftigkeit des Volkes dar. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die betrachteten Texte die Konzeption eines durch die Zugehörigkeit zu JHWH konstituierten Volkes (im Unterschied zu einer politischen oder ethnischen Entität) bereits selbstverständlich voraussetzen. Wir finden hier nicht den Versuch, eine solche alternative Identität erst zu etablieren. Vielmehr geht es spürbar darum, die rein theologisch begründete Identität „Israels“ (gegenüber anderen Modellen der Selbstverständigung) zu profilieren. Und dies verweist eher in die spätere Perserzeit, da eine politische Selbständigkeit der Provinz Jehud (entgegen anfänglicher Restaurationshoffnungen) nicht mehr als realistisch erschien. Andererseits wird auch noch keinerlei gezielte antihellenistische Polemik greifbar. So liegt es nahe, die auffallende Abstraktion der Texte von realen gesellschaftlichen Gegebenheiten damit zu erklären, dass sich den schreibenden Personen unter den Herrschaftsverhältnissen ihrer Zeit (d.h.
162
NEWMAN 1999, 115: „the role of the historical retrospect when it is found in prayers offered by Israelites, whether in the Psalms or in narratives, is to affirm a community’s selfunderstanding in relation to God“. 163 Lediglich Neh 9,32 erwähnt die Könige, Fürsten, Priester und Propheten, stellt sie jedoch in eine Reihe mit dem übrigen Volk. 164 Vgl. WILLIAMSON 1985, 318, der am Beispiel von Neh 9 überzeugend darlegt, welche Wirkung die gemeinsame Geschichtsbetrachtung auf den Einzelnen hat; RUSZKOWSKI 2000, 58: „So vertritt das Klagegebet Jes 63*/64 das Ideal ‚eines ganzen Volkes mit einem einzigen Gott‘, allerdings aus einer Situation heraus, in welcher beides auf dem Spiel steht.“ 165 Vgl. KLEIN 2014, 373 (zusammenfassend für die Psalmen 78; 105; 106; 114; 135; 136): „Der theologische Diskurs, der sich im literarischen Werden der Texte abzeichnet, zielt auf die Frage, wer das Gottesvolk Israel und wer der Gott Israels ist.“ 166 Vgl. für Ps 78: GÄRTNER 2012, 134; KLEIN 2014, 104; für Ps 81: LORETZ 2002, 227; für Ps 106: GÄRTNER 2012, 241; KLEIN 2014, 306; für Neh 9: NEWMAN 1999, 115; BAUTCH 2003, 136; für Jes 63–64: GOLDENSTEIN 2001, 246–247; BAUTCH 2003, 61 sowie zusammenfassend und prägnant HIDAL 1978, 19: „Is. 63-Neh. 9-Dt. 32 have much in common and all belong to the same period: the postexilic restoration.“
306
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
vermutlich etwa im 5./4. Jh. v. Chr.) keine Möglichkeit, aber auch keine dringende Notwendigkeit zeigte, sich unmittelbar mit politischen Anliegen zu beschäftigen. Anstatt ihre Hoffnung auf einen (eigenen oder fremden) Herrscher zu setzen, verschrieben sie sich der geistigen Konsolidierung ihrer Adressatenschaft. Zu diesem Zweck instrumentalisierten, ja konstruierten sie die Geschichte des Gottesvolkes. Mithin muss sicherlich von einer kleineren Gruppe besonders ausgebildeter Verfasserinnen oder Verfasser ausgegangen werden. Die umfassende Kenntnis der geschichtlichen Überlieferungen, d.h. der hohe Grad an Reflexion und die Menge an rezipierter Tradition, in Kombination mit der erkennbaren paränetischen Absicht sprechen dafür, hinter den Texten einen Zirkel schriftgelehrter Personen mit hoher Bildung und einem gesellschaftlichem Führungsanspruch zu suchen.167 Ihr Anliegen muss es gewesen sein, die Verehrung JHWHs sicherzustellen und die Identität des JHWH-Volkes zu festigen, indem sie daran erinnerten, was die Zugehörigkeit zu diesem Gott und zu diesem Volk ausmachte und wem seine Angehörigen die Möglichkeit ihres Wohlergehens zu verdanken hatten. Auf diese Weise wurde – angesichts herrschaftspolitischer Umstände, die eigentlich nicht mit der Vorstellung göttlicher Souveränität kompatibel scheinen konnten – ein Idealbild des Volkes in Vergangenheit und Zukunft entworfen. Vor allem in den positiven Rückblenden tritt der apologetische Charakter von Dtn 32; Ps 78; 81; 106; Neh 9; Jes 63–64 hervor. Sie zeigen an, dass die Gegenwart den Autorinnen oder Autoren als Motivation für ein JHWH gemäßes Leben nicht ausreichte, und belegen zugleich, weshalb diese Gegenwart erduldet und dennoch zugleich auch gestaltet werden soll. Ganz ähnlich dienten auch im Erra-Epos Schilderungen und Zitate aus der göttlichen Sphäre dazu, die schwer erträglichen Geschehnisse im Zusammenhang mit feindlichen Invasionen unter den Menschen in Babylon zu erklären und als zu meisternde Herausforderung zu rechtfertigen. Die zweifellos erkennbaren Unterschiede in der Form der diskutierten Texte mögen ihrer Verwendung in unterschiedlichen Kontexten geschuldet sein. Setzt man voraus, dass alle fraglichen Kompositionen ohnehin von Schriftgelehrten im gezielten Rückgriff auf vorliegendes Textmaterial verfasst wurden, schließen sich die Annahme einer gleichen oder ähnlichen Herkunft (der „Schreibtisch“ der Gelehrten) und der Gebrauch an unterschiedlichen Orten keinesfalls aus. Denn die einzelnen Kompositionen mögen ja bewusst divergent gestaltet worden sein, um die zentralen Gedanken bei verschiedenen Gelegenheiten darlegen (bzw. in verschiedenen Schriftkontexten unterbringen) zu können und so ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Gerade das Beispiel von Ps 81 zeigt, dass die Arbeit der Verfassenden schon zur
167
Ähnlich auch K. SCHMID 2011b, 2; NEUMANN 2016, 16–18. Beide sind jedoch der Ansicht, „schriftgelehrte Literatur“ habe sich vor allem an (andere) Schriftgelehrte gerichtet und weite Teile des Volkes nicht im Blick gehabt.
4.3 Fazit
307
Entstehungszeit unserer kanonischen Texte ein fortlaufender Prozess mit unterschiedlichen Ausdrucksformen gewesen sein muss: Obwohl Ps 81 unter den betrachteten Parallelen als einziger „Festpsalm“ gilt und seiner äußeren Form nach am meisten von den übrigen Texten abweicht, dokumentieren die Übernahmen aus dem Moselied die enge Verwandtschaft beider Kompositionen. Wie schon im Fall des Moseliedes selbst (und der übrigen Paralleltexte) rezipierten die Abfassenden von Ps 81 Textmaterial, das ihre Ansichten von JHWHs Geschichtswalten und der entsprechenden Verantwortung seines Volkes unterstreichen konnte. Zu ihren Quellen aber gehörte dann seinerseits das Moselied, was angesichts der in diesem bereits vorhandenen, ebenso anschaulichen wie eindringlichen Reflexionen nicht verwundern sollte. Weiter sind auch dort, wo eine direkte literarische Abhängigkeit nicht sicher ist, die sprachlichen Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen anderen Kompositionen gut erklärbar, sofern man sie als Werke desselben Kreises von schriftgelehrten Personen versteht. Innerhalb dieses (von uns nur auf der Basis der Schriftzeugnisse zu rekonstruierenden) geistigen Milieus können die wiederkehrenden Formulierungen und Gedankenfiguren zum grundlegenden Repertoire gehört haben. Dies betrifft beispielsweise die Gegenüberstellung des „gerechten“ JHWH mit frevelhaften Menschen168 und das Interesse an seinen „Wegen“,169 das Bild von JHWH als Vater,170 die Thematik der göttlichen Führung durch die Wüste171 und damit verbunden den Begriff ĢĘ ġĜ ŘĜ („Einöde“)172 sowie die Bezeichnung des Wasser bzw. Honig spendenden Felsens als ĥğĤ,173 die Rede vom „Essen“ und „Sattwerden“,174 den Parallelismus der Verben ēģĪ Hif („reizen“) und ĤĥĞ Hif („beleidigen“),175 die Reflexion über die verderblichen Pläne von Menschen176 sowie die nicht-ausgeführte göttliche Strafe177 oder die Vorstellung von JHWHs erhabener bzw. erhobener Hand.178 Zudem spricht die große Anzahl dieser Gemeinsamkeiten dafür, auch den rätselhaft erscheinenden Ausdruck ĠĜğĜğħ in einem der Zusätze des Moseliedes (vgl. Dtn 32,31b) im Sinne von Ps 106,30 (wo das Verb ğğħ Pi in einem eindeutigen Sinn gebraucht wird) zu verstehen:179 Wenn sich auch für den Grundtext des Moseliedes keine literarischen Abhängigkeiten von Ps 106 nachweisen
168
Vgl. Dtn 32,4–6; Neh 9,8.33. 169 Vgl. Dtn 32,4; Jes 63,17. 170 Vgl. Dtn 32,6; Jes 63,16; 64,7. 171 Vgl. Dtn 32,12; Neh 9,12.19; Ps 78,14.53. 172 Vgl. Dtn 32,10; Ps 78,40. 173 Vgl. Dtn 32,13; Neh 9,15; Ps 78,16. 174 Vgl. Dtn 32,15; Neh 9,25; Ps 78,29. 175 Vgl. Dtn 32,16.21; Ps 78,58. 176 Vgl. Dtn 32,28–29; Ps 106,13.43. 177 Vgl. Dtn 32,26–27; Ps 106,19–23. 178 Vgl. Dtn 32,27.40; Neh 9,15; Ps 106,26. 179 Vgl. Kap. 3.3.17.
308
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
lassen, so ist es doch gut vorstellbar, dass die Bearbeitung vom Wortlaut des Psalms beeinflusst war. Ob die uns überlieferten Kompositionen (oder Teile derselben) tatsächlich auch unabhängig von ihrem (späteren) Status als kanonische Texte in konkreten Situationen zur Belehrung oder Ermutigung vorgetragen wurden, lässt sich nicht be- und nicht widerlegen. Ihre Sprachgestalt ist hierfür jedenfalls bestens geeignet:180 Die Anreden und Appelle mögen durchaus in bestimmten Situationen an ein reales Auditorium gerichtet gewesen sein und die eingängige Bildsprache dürfte in einem mündlichen Vortrag besonders gut zur Geltung gekommen sein. Auch legen die Psalmen nahe, dass Reflexionen in der Art des Moseliedes unabhängig von einem narrativen Kontext verständlich waren. Die Rahmentexte von Dtn 32 und Neh 9, aber auch die Einleitung von Ps 81 deuten darauf hin, dass den ursprünglichen Hörenden oder Lesenden dieser Endtexte eine entsprechende Vortragssituation vertraut oder zumindest leicht vorstellbar war. Es könnte folglich auch sein, dass die heute im Kanon zu findenden schriftgelehrten Kompositionen bewusst in Anlehnung an mündlich tradierte und rezitierte Stoffe geschaffen wurden. Möglicherweise sind Neh 9 und Dtn 32 also genau deshalb in einen Erzählkontext eingefügt worden, um ihnen den Anschein von Gebrauch und damit eine größere Autorität zu verschaffen.181 Gerade die Rezeptionsgeschichte des Moseliedes zeigt indessen, dass es offenbar auch einzeln gebetet worden und in neue Kontexte übertragen worden ist. Beispiele bieten die isolierte Bezeugung des Liedes unter den Tefillin in Qumran182 sowie die Bemerkung im Talmud, dass die sechs Abschnitte des Liedes einst am Tempel beim Zusatzopfer am Sabbat und später in entsprechender Einteilung auch in den Synagogen rezitiert worden seien.183 Nicht nur im Falle der Psalmen, sondern auch des Erra-Epos und des Moseliedes erwiesen sich die Begründungen des Weltgeschehens durch den Verweis auf göttliches Handeln offenbar als so plausibel, dass die ursprünglich zur Stärkung des Glaubens an Marduk bzw. JHWH gedachten Texte schließlich zu (scheinbar) zeitlosen Zeugnissen eben dieses Glaubens wurden.184
180
Vgl. BOSTON 1966, 192–193 (mit Blick auf Dtn 32; Neh 9; Ps 81). 181 Vgl. z.B. GUNNEWEG 1987, 129 (zu Neh 9) sowie Kap. 5.5 für das Moselied. 182 Vgl. oben Anm. 149. 183 Vgl. RHSh 31a. 184 Für die Möglichkeit einer bewusst nicht zu detaillierten Schilderung im Erra-Epos, die von vornherein auf eine breitere historische Anschlussfähigkeit zielt, vgl. CAGNI 1977, 21; BODI 1991, 56.
4.3 Fazit
309
Exkurs: Imperfekt-Formen für die Rede über die Vergangenheit Zusätzlich zu den schon diskutierten Gemeinsamkeiten lässt sich in Dtn 32; Ps 78; 81; 106; Neh 9; Jes 63–64 beobachten, dass an bestimmten Stellen frei stehende185 Imperfekte für die Darstellung vergangener Ereignisse verwendet werden. Im Moselied ist dies in Dtn 32,8–18 der Fall.186 Unter den Vergleichstexten finden sich die meisten Belege in Ps 78; 81 und Neh 9, wo jeweils bestimmte Abschnitte überwiegend in dieser Weise formuliert sind.187 Aber auch in Ps 106 und Jes 63–64 sind einzelne Fälle zu verzeichnen.188 Von diesen allen erklären sich jedoch lediglich die Aussagen in Neh 9 durchweg als Beispiele für den aspektiven Gebrauch des Imperfekts, dem zufolge diese Verbform innerhalb eines Vergangenheitskontextes „repeated, habitual or durative action“189 ausdrückt. In Neh 9,12(19) steht im Zusammenhang mit JHWHs Führung die Wendung: ėĔČĘĞğĜīĬēĝīĖėČĭēĘ ĠėğīĜēėğ
…um ihnen (auch) den Weg zu erleuchten, auf dem sie gingen.
Die Verbform ĘĞğĜ („sie gingen“) bezeichnet hier, da es sich um die Wanderung des Volkes durch die Wüste handelt, eindeutig eine Handlung „die einen längeren oder kürzeren Zeitraum hindurch andauerte[…]“.190 In Neh 9,27–28 wird dagegen der beharrliche Ungehorsam des Volkes beschrieben:191 ĠĜĔīėĝĜġĚīĞĘĥġĬĭĠĜġĬġėĭēĘĝĜğēĘĪĥĩĜĠĭīĩĭĥĔĘĠėğĘīĩĜĘĠėĜīĩĖĜĔĠģĭĭĘ ĠėĜīĩĖĜġĠţĥĜŘżĜ Ă þĘĠĜĥĜĬĘġĠėğĢĭĭ ėĭēĘĝĘĪĥęĜĘĘĔĘĬĜĘĠėĔĘĖīĜĘĠėĜĔĜēĖĜĔĠĔęĥĭĘĝĜģħğĥīĭĘĬĥğĘĔĘĬĜĠėğĚĘģĞĘ ĠĜĭĥĭĘĔīĝĜġĚīĞĠăğĜůĂ ąĭ þĘĥġĬĭĠĜġĬġ
D.h. nicht durch Ę-consecutivum eingeleitete Imperfekt- bzw. Präformativ-Formen. 186 Zur verbalen Deutung von Dtn 32,9 vgl. Kap. 1.3.2. 187 Vgl. Neh 9,12.19.27–28; Ps 78,15.20.26.29.40.45.47–50.64.72; 81,7–8.13. 188 Vgl. Ps 106,12.19.43; Jes 63,13–14. 189 JM §113 e, vgl. GK §107. 190 GK §107 b. Auf den ersten Blick gleichartig scheint Dtn 32,12a: ĘģĚģĜ ĖĖĔ ėĘėĜ („JHWH allein führte es“); der Parallelismus mit V.12b: īĞģğēĘġĥĢĜēĘ („und bei ihm war kein fremder Gott“) lässt den ganzen Vers jedoch als Grundsatzaussage und nicht einfach als Schilderung einer Ereignisfolge erscheinen. 191 Vgl. PRÖBSTL 1997, 12: „In v.27b-28bȕ dient das Imperfekt dazu, den iterativen Charakter der geschilderten Ereignisse klarzumachen.“ 185
310
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
Und du gabst sie in die Hand ihrer Bedränger und sie bedrängten sie und zur Zeit ihrer Bedrängnis schrien sie zu dir. Und du hörtest sie aus den Himmeln und nach deiner großen Barmherzigkeit gabst du ihnen Retter und sie retteten sie aus der Hand ihrer Bedränger. Aber als sie Ruhe hatten, kehrten sie dazu zurück, Böses zu tun vor dir, und du überließest192 sie der Hand ihrer Feinde und sie verfolgten sie. Und sie kehrten um und schrien zu dir. Und du hörtest sie aus den Himmeln und errettetest sie nach deiner Barmherzigkeit, viele Male.
Die Angabe ĠĜĭĥ ĭĘĔī („viele Male“) am Ende von V.28 bringt unmissverständlich zum Ausdruck, dass die beschriebenen Handlungen „sich in der Vergangenheit, sei es in bestimmten Zwischenräumen oder je bei Gelegenheit wiederholten“.193 Dieselbe Erklärung kann auch für je einen Vers in Ps 78 und 106 gelten. Ps 78,40: ī ĔĖġĔĘėĘīġĜėġĞ ĢĘġĜĬĜĔĘėĘĔĜĩĥĜ
Wie oft sie ihm trotzten in der Wüste, ihn kränkten in der Einöde!
Ps 106,43: ĠğĜĩĜĭĘĔīĠĜġĥħ ĠĭĩĥĔĘīġĜėġėĘ ĠģĘĥĔĘĞġĜĘ
Viele Male errettete er sie, aber sie trotzten ihm mit ihrem Rat und versanken194 in ihrer Schuld.
An anderen Stellen in Dtn 32; Ps 78; 81; 106; Jes 63–64 greift dieses Erklärungsmodell nicht.195 Es fällt aber bei der Durchsicht dieser Belege eine kleine Gruppe besonders auf: In Dtn 32,8.18; Ps 78,26.29 begegnen Kurzformen des Imperfekts, die morphologisch dem akkadischen Präteritum (= Kurzform der Präformativ-Konjugation: „iprus“) und der Kurzform der Präformativ-Konjugation im Ugaritischen („yaqtul“) entsprechen.196
192
Dieses und die folgenden beiden Verben sind in MT als Narrative vokalisiert, dürften Ă þĘ („und sie retteten sie“) und danach das Verb Ġ ăğĜůĂ ąĭ þĘ aber – wie zuvor das Verb ĠţĥĜŘżĜ („und du errettetest sie“) – ursprünglich als Imperfekte mit einfachem Ę gedacht gewesen sein. 193 GK §107 e. 194 Auch dieses Verb ist in MT als Narrativ vokalisiert, dürfte aber in Übereinstimmung mit den beiden anderen Verben des Verses als Imperfekt mit einfachem Ę gedacht gewesen sein, vgl. oben Anm. 192. 195 Vgl. Dtn 32,8–18; Ps 78,15.20.26.29.45.47–50.64.72; 81,7–8.13; 106,12.19; Jes 63,13–14. 196 Wahrscheinlich wird eine analoge Form auch im Kanaanäisch der Amarna-Briefe greifbar, vgl. H.-P. MÜLLER 1983, 36–39.41; SANDERS 1996, 299; TROPPER 1998, 157– 159.162–163.
4.3 Fazit
311
Dtn 32,8*:197 Als der Höchste die Nationen als Erbe verteilte, als er die Menschensöhne voneinander trennte, setzte er die Grenzen der Völker fest nach der Zahl der söhne.
ĠĜĘĕĢĘĜğĥğĚģėĔ ĠĖēĜģĔĘĖĜīħėĔ ĠĜġĥĭğĔĕĔ ăůąĜ ĠĜėĘğēĜģĔīħĤġğ
Dtn 32,18: Den Fels, der dich geboren hat, missachtetest du, und du vergaßest den Gott, der dich hervorbrachte.
ĜŘĂ ĄųĝĖğĜīĘĩ ĝğğĚġğēĚĞĬĭĘ
Ps 78,26: Er ließ den Ostwind in den Himmeln losbrechen und er trieb den Südwind mit seiner Kraft.
ĠĜġĬĔĠĜĖĪĥ ąŬąĜ ĢġĜĭĘęĥĔĕėģĜĘ
Ps 78,29: Und sie aßen und wurden sehr satt und er brachte198 ihnen, wonach sie verlangten.
ĖēġĘĥĔĬĜĘĘğĞēĜĘ ĠėğēĔĜĠĭĘēĭĘ
Da die Kurzformen der Präformativ-Konjugation im Akkadischen und Ugaritischen das gewöhnliche Erzähltempus der Vergangenheit bilden,199 wird gelegentlich angenommen, Kurz-Imperfekte zum Ausdruck vergangener Handlungen stellten auch den Normalfall einer frühen Sprachstufe des Hebräischen dar.200 Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Kurz- und Langformen der Präformativ-Konjugation im biblischen Hebräisch nur bei bestimmten endungs- und suffixlosen201 Verben aus der Klasse der Mediae-/Tertiae infirmae oder im Hifޏil möglich.202 Dies hat zur Folge, dass die existierenden Belege für frei stehende Präformativ-Formen unterschiedlich interpretiert werden: Entweder grenzt man Lang- und Kurzformen so voneinander ab, dass die perfektivische Verwendung von langen Präformativ-/Imperfekt-Formen ignoriert und alle entsprechenden Belege als Zeugnisse für modalen Sprachgebrauch gedeutet werden.203 Oder es muss damit gerechnet werden, dass „morphologisch indifferent[e]“ Formen regelmäßig kurze Präformativ-/Imperfekt-Formen
197
Vgl. 4QDeutj; LXX sowie zur Textkritik Kap. 1.3.2. 198 Wahrscheinlich (gegen MT) zu vokalisieren als: ē ăĔĆĜ. 199 Vgl. für das Akkadische: VON SODEN 1995, 129; TROPPER 2011, 61; für das Ugaritische: SEGERT 1984, 89; SIVAN 1997, 99 (mit Verweis auf Dtn 32,8); UG §76.411. 200 Vgl. dazu TROPPER 1998; NOTARIUS 2013. 201 D.h. nicht mit Objekt-Suffixen oder emphatischen Endungen versehenen Formen der 1.Pers. Sg.; 2.Pers. Sg.m.; 3.Pers. Sg.m./f.; 1.Pers. Pl. 202 Vgl. GK §48 g; TROPPER 1998, 156–157. 203 Vgl. JOOSTEN 1999, der jedoch eine Reihe von Fällen als „anomalous“ unerklärt lassen muss (EBD., 15.24).
312
Kapitel 4: Die Form des Moseliedes
repräsentieren – die sich vielleicht nur in der Aussprache von den Langformen unterschieden.204 Beide Argumentationen setzen jedoch voraus, dass die Hebräische Bibel neben dem Perfekt (Afformativ-Konjugation) und dem Narrativ (Imperfekt + Ę-consecutivum) auch die Verwendung von frei stehenden Präformativ-Formen (Imperfekt ohne Ę-consecutivum) für vergangenheitliche Kontexte kennt. Wegen des entsprechenden Gebrauchs solcher Verbformen in älteren semitischen Sprachen (namentlich im Akkadischen und Ugaritischen) einerseits und der Häufung von Afformativ-Formen (Perfekt) in Erzählkontexten von anerkanntermaßen späten Texten der Hebräischen Bibel andererseits,205 nimmt man an, dass im Falle der Hebräischen Bibel (frei stehende) Imperfekte mit perfektivischer Bedeutung das relativ hohe Alter des jeweiligen Textes bezeugen.206 Demzufolge kann der Hinweis auf die perfektiv zu deutenden Imperfekt-Formen in Dtn 32,8.18 (oder Dtn 32,8–18) als Argument für eine Frühdatierung des Moseliedes dienen.207 Tatsächlich deutet sich in Dtn 32,11 ein differenzierender Gebrauch von Kurz- und Langformen an: Während die Langform des Imperfekts von īĜĥ („bewachen“)208 in V.11a – wie das folgende, morphologisch nicht differenzierbare Verb in V.11b – eine gewöhnliche Handlung im Sinne des Habitativ beschreibt („zu wachen“ bzw. „zu schweben pflegen“), drücken die morphologisch ebenfalls nicht als Kurz- oder Langformen zu bestimmenden Verben in V.11c.d JHWHs Tun in der Vergangenheit aus und wären sinngemäß als Kurzformen zu interpretieren.209 Dtn 32,11: 11
a b c d
Wie ein Geier, der sein Nest bewacht, über seinen Jungen schwebt, breitete er seine Flügel aus, nahm es [= das Volk Israel], hob es auf seine Schwinge.
ĘģĪīĜĥĜīĬģĞ ĦĚīĜĘĜğęĘĕČğĥ ĘėĚĪĜĘĜħģĞĬīħĜ ĘĭīĔēČğĥĘėēĬĜ
Dagegen könnte die Langform innerhalb des Zusatzes in Dtn 32,14e: ė ĄųŘþ ųĂ („du trankst“), 210 obwohl hier die Erzählung aus der Vergangenheit
204
Vgl. TROPPER 1998, 170.177. 205 Vgl. GK §111 b; ROBERTSON 1972, 17–28; SMITH 1991, 27–33; SANDERS 1996, 314. 206 Zur Erklärung der Narrativ-Formen als Zusammenwachsen der Kurz-Imperfekte mit der Konjunktion Ę (und damit als Übergangsstufe zwischen frei stehenden Imperfekten und Perfekten als Erzähltempus) vgl. z.B. BL §36 e; SMITH 1991, 5–6.14; TROPPER 1998, 168– 169. 207 Das Gleiche gilt für die übrigen oben in Anm. 195 genannten Verse, vgl. die Diskussionen bei ROBERTSON 1972, 36–38.153–156; SANDERS 1996, 296–333; NOTARIUS 2013, 77–89. 208 Zu Form und Übersetzung vgl. Kap. 1 Anm. 13. 209 Vgl. RAINEY 1986, 16. 210 Zu erwarten wäre die Kurzform þųŘþ ăų.
4.3 Fazit
313
weitergeführt wird, darauf zurückzuführen sein, dass bei der Ergänzung des Verses das grammatische Muster der ursprünglichen Komposition missachtet wurde.211 Dtn 32,13–14: 13
14
a b c d a b c d e
Er ließ es über die Höhen des Landes fahren und es aß die Erträge des Feldes und er ließ es Honig saugen aus einem Felsen und Öl aus Felsgestein, Rahm vom Großvieh und Milch vom Kleinvieh mit Fett von Lämmern und Widdern, der Herden von Baschan und von Ziegenböcken mit Nierenfett von Weizen. Und Weinbeerenblut trankst du, gärenden Wein.
ĨīēĜĭġĔČğĥĘėĔĞīĜ ĜĖĬĭĔĘģĭğĞēĜĘ ĥğĤġĬĔĖĘėĪģĜĘ ī ĘĩĬĜġğĚġĢġĬĘ ĢēĩĔğĚĘīĪĔĭēġĚ ĠĜğĜēĘĠĜīĞĔğĚČĠĥ ĠĜĖĘĭĥĘĢĬĔČĜģĔ ėěĚĭĘĜğĞĔğĚČĠĥ ī ġĚČė ĄųŘþ ĂųĔģĥČĠĖĘ
Demgegenüber muss aber zunächst berücksichtigt werden, dass archaische Sprache auch gezielt „archaisierend“ eingesetzt worden sein könnte.212 Ob dabei vor allem ästhetische oder legitimatorische Überlegungen maßgeblich waren, wird kaum entschieden werden können. Angesichts der Parallelen in Ps 78;213 Ps 106; Jes 63–64,214 die keinesfalls als Beispiele der ältesten hebräischen Dichtung gelten, ist die offenbar bewusste Verwendung von frei stehenden Präformativ-Formen in Dtn 32 jedenfalls gut als Ausdruck einer poetischen Konvention zu erklären.215 Die Zusammenschau unserer Vergleichstexte deutet somit darauf hin, dass die schlichte Schlussfolgerung vom perfektiven Gebrauch der Imperfekt-Formen auf ein hohes Alter des jeweiligen Textes sich nicht empfiehlt. Genauso wenig wie die Rede über Vergangenes notwendigerweise ein hohes Alter des Textes implizieren muss, dürfte von der (vermeintlich) archaischen Sprachform auf ein hohes Alter des Inhalts geschlossen werden.
211
Vgl. die Literarkritik in Kap. 2.B. 212 Vgl. ROBERTSON 1972, 147–150; NOTARIUS 2013, 22–24 sowie das Zitat bei GÖSSMANN oben Anm. 133. Eine gründliche Kritik der Datierung biblischer Texte auf Grund linguistischer Beobachtungen bietet VERN 2011. 213 Wo sich eindeutig ebensolche Kurzformen finden, vgl. oben zu Ps 78,26.29. 214 Wo morphologisch uneindeutige Imperfekte perfektivisch verwendet werden, vgl. Ps 106,12.19; Jes 63,13–14. 215 Vgl. H.-P. MÜLLER 1983, 40–42; VERN 2011, 31–34.
Kapitel 5
Der Rahmen des Moseliedes: Textpragmatik und Redaktionskritik in Dtn 31–32 Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
Bei der Lektüre von Dtn 31–32 fällt einerseits auf, dass die Erzählung in Dtn 31,1–32,44–52 sich wie ein Rahmen um das Moselied (Dtn 32,1–43) legt. Andererseits aber ist dieser Rahmen keineswegs einheitlich. Sprachliche und logische Inkonsistenzen – sowohl innerhalb des Rahmentextes als auch im Verhältnis zum eigentlichen Lied – werfen Fragen nach der ursprünglichen Textgestalt und Aussageintention auf. Traditionell wurde die komplexe Endgestalt des Textes redaktionsgeschichtlich als Flechtwerk mehrerer Parallelüberlieferungen von Tod und Vermächtnis des Mose erklärt.1 Dabei herrschte seit dem Ende des 19. Jhs.2 weitgehend Einigkeit in der Zuschreibung bestimmter Passagen (so namentlich von Dtn 31,9– – ]XP Ä'HXWHURQRPLVWHQ³ ' 'WQ 31,14–15.23 zum „Elohisten“ E bzw. ]XPÄ-HKRZLVWHQ³-('WQ–52 zur Priesterschrift P).3 Gerade der Abschnitt Dtn 31,16–22, in dem das Lied prominent vorkommt, und Dtn 31,24–29, wo zumindest sprachliche Anklänge an den Inhalt des Liedes zu finden sind, wurden jedoch immer wieder unterschiedlich beurteilt, zerlegt und verschiedenen Quellen oder Bearbeitungsstufen zugeschlagen.4 Das Verhältnis dieser Stücke zum eigentlichen Lied blieb ebenfalls bis heute umstritten. Die Mehrheit der Kommentierenden tendiert zu der Annahme, das Moselied sei als ursprünglich selbständige Komposition nachträglich in die Erzählung des Deuteronomiums eingefügt worden, woraufhin eine entsprechende
1
Vgl. z.B. KNOBEL 1861, 318–323.336; DILLMANN 1886, 386–391.412–413; KLOSTERMANN 1893, 229–262; BERTHOLET 1899, 92–93.101–102; STEUERNAGEL 1900, 110– 114.121–122; S.R. DRIVER 1902, lxxvi.333.337–338.382–283; HEMPEL 1914, 90–100, aber auch TIGAY 1996, 503–505; NELSON 2002, 355–356.378 (ausgehend von sukzessiver Textanreicherung, die gleichwohl aus unterschiedlichen Quellen schöpfe). 2 Insbesondere seit KLOSTERMANN 1871/1893. 3 Vgl. zusammenfassend LOHFINK 1962, 46 sowie DILLMANN 1886 (mit der Bezeichnung B = „jüngerer Elohist“ anstelle von E/JE); S.R. DRIVER 1902; HEMPEL 1914; TIGAY 1996; NELSON 2002. Klostermanns eigene Analyse zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur das Verhältnis von Lied und Rahmen, sondern ausführlich auch den (älteren) Zusammenhang der jetzigen Moselied-Rahmung mit anderen Pentateuch-Stücken in den Blick nimmt, vgl. KLOSTERMANN 1893, 227–235. 4 Vgl. hierzu unten 5.3.
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
315
Einleitung habe formuliert werden müssen.5 Als Variante existiert die Ansicht, das Lied und sein erzählerischer Rahmen seien gemeinsam ins Deuteronomium übernommen worden.6 Um die Spannungen zwischen Rahmen und Lied zu erklären, ist aber auch vorgeschlagen worden, das Moselied ersetze eine ältere Komposition, auf die sich die Einleitung ursprünglich bezogen habe.7 Dagegen vertritt Eckart Otto die (bisher kaum kritisch rezipierte)8 Hypothese, das Moselied sei zusammen mit seiner Rahmung für seinen jetzigen Ort im Deuteronomium verfasst worden,9 wobei man allerdings nur die Einleitung mit Rücksicht auf die bereits vorliegende Deuteronomiums-Erzählung, das Lied selbst aber in bewusstem Widerspruch hierzu formuliert habe.10 Seit der Mitte des 20. Jhs. bemühte sich zudem eine Reihe von Auslegenden, den Text von Dtn 31–32 im Sinne der Endredaktion als durchgehende Erzählung zu begreifen, und rückte die synchrone Logik der Gesamtkomposition in den Mittelpunkt des Interesses.11 Vor allem Norbert Lohfink suchte in mehreren Anläufen zu ergründen, welche Vorstellung vom Ereignisablauf bei der Redaktion von Dtn 31–32 vorausgesetzt wurde, und lieferte eine Rekonstruktion der „Fabel“12 in Dtn 31. Zugleich räumte er ein: Die Gestalt des Kapitels [= Dtn 31] ist in einem solchen Ausmaß von anderen Rücksichten bestimmt, daß wir kaum erwarten dürfen, daß man die einzelnen Handlungen auch noch genau nach ihrer Abfolge in der vorausgesetzten Fabel anordnen konnte […].13
5
Vgl. z.B. KNOBEL 1861, 326; STEUERNAGEL 1900, 112.114; S.R. DRIVER 1902, 347; CORNILL 1913, 70–71; VON RAD 1968, 136.139; PHILLIPS 1973, 209; MAYES 1981, 381– 382; ROSE 1994, 566; SANDERS 1996, 335; NELSON 2002, 355; LEUCHTER 2007, 316–317; HECKL 2011, 230–233. 6 Vgl. HEMPEL 1914, 267; LABUSCHAGNE 1971, 91–93; MEYER 1993, 133–134. 7 Vgl. EWALD 1857, 64–65; BUDDE 1920, 41–46 (mit der Annahme, das Moselied habe den älteren Mosesegen als Abschiedsrede des Mose verdrängt). 8 Vgl. ansatzweise HECKL 2011, 231 Anm. 24. 9 So auch ACHENBACH 2014, 169–179. 10 Ottos Idee besagt im Kern, der heilvolle Ausblick des Liedes werde der Adressatenschaft mit Hilfe zweideutiger (amphibolischer) Ausdrucksformen als selbst zu entdeckende Botschaft angeboten. Mose erscheine zwar „[a]uf der Textoberfläche […] als Prophet […], der zunächst Dtn 29–31 entsprechend Unheil als Folge des Bundesbruchs ansagt“ (OTTO 2017, 2170); die Raffinesse der Komposition bestehe aber gerade darin, das Moselied durch Anspielungen auf hoffnungsvolle Textstellen noch etwas anderes sagen zu lassen als die Einleitung vorgibt, vgl. DERS. 2009, 670–671 sowie unten Anm. 184 und ausführlicher die „Ergebnisse“ am Schluss des Buches. 11 Vgl. LOHFINK 1962; DERS. 1993; DERS. 1995b; LABUSCHAGNE 1971; DERS. 1997; SONNET 1997; TALSTRA 1997; BRITT 2000; FINSTERBUSCH 2016 sowie unten den Exkurs „Zur Ausgestaltung der ‚Fabel‘ von Dtn 31–32 in MT und LXX“. 12 LOHFINK 1993, 255 als Wiedergabe des englischen „plot“, vgl. präzisierend DERS. 1995b, 65 Anm. 1 mit der Aussage, dass für das Gemeinte im Englischen tatsächlich „meist ‚story‘ gesagt wird“. 13 LOHFINK 1993, 261.
316
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
Im Folgenden sollen daher triftige Folgerungen aus der diachronen und der synchronen Betrachtung aufgegriffen werden, um herauszuarbeiten, wie das Moselied mit den übrigen Themensträngen in Dtn 31–32 verknüpft ist.14 Ein besonderes Problem stellt sich beim Vergleich der Funktion des Moseliedes aus Sicht der Rahmung mit dem Selbstverständnis des Liedes, wie es in den Kapiteln 2–4 dieser Studie bestimmt wurde. Gerade die wörtlichen Übereinstimmungen von Lied und Rahmentext sind aufschlussreich: Mehrfach tauchen dieselben Worte oder gleichlautende Wendungen auf, doch drücken sie an ihrem jeweiligen Ort zumeist nicht dasselbe aus. Achtet man beim Vergleich der Wortparallelen darauf, wie die scheinbar identische Redewendung gebraucht wird und worauf sie sich im Einzelnen bezieht, zeigen sich bedeutsame konzeptionelle Unterschiede zwischen Lied und Rahmen. Die sich hier andeutenden Spannungen bestätigen sich im Hinblick darauf, wie unterschiedlich das Lied selbst und die Rahmung das Lied als solches charakterisieren. Wie schon bei der Analyse des Moseliedes an sich15 erweist sich mithin die Textpragmatik als wichtiger Schlüssel zur Rekonstruktion des Textwerdungsprozesses. Erst nachdem die verschiedenen Aussageabsichten innerhalb des Rahmens miteinander und mit dem Lied verglichen und auf ihr logisches Verhältnis zueinander untersucht worden sind, lässt sich die Einbettung des Liedes in seinen literarischen Kontext als Ergebnis eines redaktionellen Prozesses skizzieren.16
14
Vgl. für diesen Ansatz TALSTRA 1997, 96: „The frequent change of actors in the narrative frame can be taken as a signal that the most effective way of entering the text is to analyse it in terms of the various roles and actors presented, rather than in terms of its chronological order or its theological concepts.“ 15 Vgl. Kap. 2. 16 Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf den unmittelbaren Textzusammenhang von Moselied und Rahmung. Deshalb werden die im Folgenden unter 5.1 identifizierten Schichten der Erzählung nicht mit hypothetischen Bearbeitungsstufen des Buches Deuteronomium korreliert. Je nach vorausgesetztem Entstehungsmodell mögen hier klare Zuordnungen evident erscheinen, entsprechende Übereinstimmungen von Moselied-Rahmung und übrigem Deuteronomium müssen jedoch nicht auf dieselbe Hand zurückgehen, sondern könnten jeweils auch als bewusste Fortschreibungen (d.h. spätere Anknüpfungen) zu deuten sein.
5.1 Der Text des Moselied-Rahmens
317
5.1 Der Text des Moselied-Rahmens (Dtn 31–32) 5.1 Der Text des Moselied-Rahmens
Dtn 31,1–3a.4–6.9–13: Moses Abschied vom Volk und Übergabe der Weisung an Priester und Älteste Dtn 31,3b.7–8: Einsetzung Josuas als Anführer des Volkes durch Mose Dtn 31,14–15.23: Einsetzung Josuas als Anführer des Volkes durch JHWH
Dtn 31,24– –47: Einsetzung der Weisung als Zeuge (durch Mose) Dtn 31,16–22.28–30: E in se t z u n g d e s L ie d e s a l s Z e u g e ( d u r c h M o se a u f JH W H s G e h e iß ) +32,1–43: Lied Dtn 32,44: Na c h tra g zu m Lie d Dtn 32,48–52: Moses Tod Dtn 31,1 Und Mose vollendete17 zu reden alle diese Worte zu ganz Israel. 2 Und er sagte zu ihnen: „Ich bin heute ein Sohn von 120 Jahren, ich kann nicht mehr hinausgehen und hereinkommen. Und JHWH hat zu mir gesagt: ‚Du wirst diesen Jordan nicht überqueren.‘ 3a JHWH, dein Gott, er ist es, der ihn vor dir überquert, er wird diese Nationen vor dir vernichten und du wirst sie beerben. 3b Josua, er ist es, der ihn vor dir überquert wie JHWH geredet hat.
Mit 1QDeutb: ėğēė ĠĜīĔ@Ėė ğĞ ĭē īĔĖğ ėĬġ ğĞĜĘ und LXX: ôëť ûý÷ïüěõïûï÷ ÛþýûĦÏõëõņ÷Ą÷üëÏüøŵÏõĻñøýÏüøŴüøýÏ, vgl. Dtn 32,45 sowie BERTHOLET 1899, 92; STEUERNAGEL 1900, 111; VON RAD 1968, 132; MAYES 1981, 372–373; LOHFINK 1993, 259.274; TIGAY 1996, 289; NELSON 2002, 351.353. Die Lesart von MT/SP:īĔĖĜĘėĬġĝğĜĘ ėğēė ĠĜīĔĖėČĭē („Und Mose ging und redete diese Worte…“) stellt mit Blick auf den Kontext eine Glättung dar, weil die folgende Moserede dadurch als Fortsetzung der bis dahin im Deuteronomium gebotenen Unterweisung ausgewiesen wird. Demgegenüber betrachten NWACHUKWU 1995, 88–90; MCCARTHY 2007, 134* den Text von MT/SP als lectior difficilior, weil Mose an dieser Stelle nirgendwo hingeht, und sehen in 1QDeutb/LXX ein sekundäres Bemühen um Kohärenz. Die leicht von 1QDeutb abweichende Formulierung in LXX (õëõņ÷: „indem er redete“ statt īĔĖğ: „zu reden“) spricht aber dafür, dass die in 1QDeutb bezeugte Lesart als Vorlage für LXX und MT gedient hat. Wird dagegen der Wortlaut von MT als Vorlage angenommen, ist man gezwungen, ein komplizierteres Szenario zu postulieren, d.h. neben einer Änderung zum Text von 1QDeutb gleich zwei absichtliche Änderungen auf dem Weg zur Textform der LXX vorauszusetzen, nämlich von īĔĖĜĘ ėĬġ ĝğĜĘ („Und Mose ging und redete…“) zu īĔĖğėĬġğĞĜĘ („Und Mose vollendete zu reden…“) und dann weiter zu ôëť ûý÷ïüěõïûï÷ ÛþýûĦÏ õëõņ÷ („Und Mose vollendete, indem er redete…“). 17
318
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
4 Und JHWH wird ihnen tun, wie er Sihon und Og getan hat, den Königen der Amoriter,18 und ihrem Land, die er vernichtet hat. 5 Und JHWH wird sie vor euch geben und ihr sollt ihnen tun wie19 ich euch geboten habe. 6 Seid stark und mutig und fürchtet euch nicht und erschreckt euch nicht vor ihnen,20 GHQQ-+:+GHLQ*RWWLVWHVGHUPLWGLUJHKWHUZLUGGLFK nicht aufgeben und dich nicht verlassen.“ 7 Und Mose rief Josua herbei und sagte zu ihm vor den Augen von ganz Israel: „Sei stark und mutig, denn du sollst mit diesem Volk hineinkommen 21 in das Land, von dem JHWH ihren Vätern geschworen hat, es ihnen zu geben. Und du sollst es ihnen als Erbe verteilen. 8 Aber JHWH ist es, der vor dir hergeht, er wird bei dir sein, er wird dich nicht aufgeben und dich nicht verlassen. Fürchte dich nicht und entsetze dich nicht.“
9 Und Mose schrieb diese Weisung auf22 und gab sie den Priestern, den Söhnen Levis, die die Lade des Bundes JHWHs trugen, und allen Ältesten Israels. 10 Und Mose gebot ihnen folgendermaßen:23 „Am Ende von sieben Jahren, zum Zeitpunkt des Erlassjahres, zum Fest der Hütten, 11 wenn ganz
LXX zeigt eine Erweiterung: øũĮûë÷ěúë÷üøŶØøúîĄ÷øý („die jenseits des Jordans waren“) in Angleichung an Dtn 3,8; 4,47, vgl. WEVERS 1995, 491; DOGNIEZ/HARL 2007, 313; MCCARTHY 2007, 89. 19 Mit LXX (ôëùĻüóĠ÷ïüïóõĄöò÷ŷöŦ÷), vgl. Vg (sicut praecepi vobis). Die Wendung von MT/SP (ĠĞĭēĜĭĜĘĩīĬēėĘĩġėČğĞĞ: „nach dem ganzen Gebot, das ich euch geboten habe“) scheint in Anlehnung an Dtn 26,13 und ähnliche Formulierungen in Dtn 6,25; 8,1; 11,8.22 u.ö. ergänzt, um die Bedeutung der göttlichen Vorschriften zu betonen, vgl. LABERGE 1990, 147–148; LOHFINK 1993, 274; NELSON 2002, 351.353; FINSTERBUSCH 2016, 646 Anm. 45. Dagegen meint OTTO 2017, 2089, dass LXX den längeren Text sekundär vereinfacht habe, was auch von MCCARTHY 2007, 135* in Erwägung gezogen wird. 20 LXX vereinheitlicht grammatisch, indem nur Verbformen der zweiten Person Singular verwendet werden, vgl. LABERGE 1990, 148 (der auch anmerkt, MT/SP könnten durch die teilweise Änderung in den Plural die Verantwortung aller Personen betont haben wollen); MCCARTHY 2007, 135*. Zudem übersetzt LXX pleonastisch mit drei verneinten Aufforderungen, vgl. WEVERS 1995, 492; DOGNIEZ/HARL 2007, 313. 21 Gegen SP: ėęėĠĥėĭēēĜĔĭ/Vg: tu enim introduces populum istum („du sollst dieses Volk […] hineinbringen“), die wahrscheinlich an Dtn 31,23 angeglichen haben. LXX: ïūûïõïŴûįúļúøûńøýüøŶõëøŶüøŴüøý („du wirst vor diesem Volk hineingehen“) scheint eine mittlere Position zwischen Dtn 31,7 MT und Dtn 31,23 zu beziehen, vgl. NELSON 2002, 351.353; MCCARTHY 2007, 135*–136*; OTTO 2017, 2089–2090. Dagegen hält LABERGE 1990, 148–149 die Vorlage von LXX für den theologisch am wenigsten elaborierten und daher ältesten Text. 22 LXX: ôëť ġñúëĀï÷ ÛþýûĦÏ üą ųĤöëüë üøŶ ÷Ļöøý üøŴüøý ïūÏ ìóìõŤø÷ („Und Mose schrieb die Worte dieses Gesetzes in ein Buch“) scheint auf eine Vorlage zurückzuge ħĤ@ğĥ („auf [eine Rolle]“) sohen, die schon an Dtn 31,24 angleicht, vgl. auch 4QDeuth: ī wie dazu LOHFINK 1993, 272; WEVERS 1995, 495; NELSON 2002, 351.353; MCCARTHY 2007, 89; OTTO 2017, 2090. 23 LXX ergänzt Ġ÷ üIJ ħöěúď ĠôïŤ÷į („an jenem Tag“), vgl. LABERGE 1990, 150; MCCARTHY 2007, 89. 18
5.1 Der Text des Moselied-Rahmens
319
Israel kommt, um sich dem Angesicht JHWHs, deines Gottes, sehen zu lassen an dem Ort, den er erwählen wird, sollst du24 diese Weisung gegenüber ganz Israel in ihre Ohren rufen. 12 Versammle das Volk, die Männer und die Frauen und die Kleinkinder und deinen Fremden, der in deinen Toren ist, damit sie hören und damit sie lernen, dass sie JHWH, euren Gott, fürchten, und darauf achten,25 alle Worte dieser Weisung zu tun. 13 Und ihre Söhne, die es nicht gewusst haben, sollen hören und lernen, JHWH, euren Gott, zu fürchten, alle Tage, die ihr lebt26 auf dem Erdboden, wofür ihr den Jordan überquert, um ihn in Besitz zu nehmen.“ 14 Und JHWH sagte zu Mose: „Siehe, nahe gekommen sind deine Tage, zu sterben. Rufe Josua und stellt euch auf am Zelt der Begegnung und ich will ihm gebieten.“ Und Mose ging und Josua und sie stellten sich auf am Zelt der Begegnung. 15 Und JHWH ließ sich sehen27 am Zelt in einer Wolkensäule und die Wolkensäule stand über dem Eingang des Zeltes.
16 U n d JHW H s a g t e z u M o s e : „ Si e h e , w e n n d u b e i d e in e n V ä ter n li e g st, d a n n w ir d d i e s e s Vo lk s ic h e r h e b e n u n d h u r e n n a c h d e n G ö t te r n d e r Fr e m d e d e s L a n d e s, 28 in d as es g ek o m m en is t, in d e s sen M it te . U n d e s w ir d m i c h v e r la s sen u n d m ein e n Bu n d b r e c h e n , d e n i c h m it ih m g e sch lo s sen h a b e . 17 U n d a n jen e m Tag w ir d m e in Z o r n g e g en e s e n tb r e n n e n u n d ich w er d e s ie v er la s sen u n d m ein A n g e s ic h t v o r ih n e n v e r b e rg e n u n d e s w ir d z u m Fr a ß w e r d e n u n d v ie le Ü b e l u n d Bed r ä n g n i s se w e r d e n e s tr e ff e n u n d e s w ir d a n jen e m Tag s a g e n : ‚ I st e s n ich t, wei l m ein Go t t n ich t in m e in er M it te i st, d a s s m ic h d ie se Ü b e l g e t r o ff e n h a b e n ?‘ 18 Aber ic h w e r d e v er b e rg e n , m ein A n g e si c h t v e r b e rg en a n
4QDeutb (ĘēīĪĭ) und LXX (ċ÷ëñ÷ńûïûùï) lesen einen Plural, der wohl als Harmonisierung zu deuten ist, vgl. TIGAY 1996, 292 Anm. 13; MCCARTHY 2007, 89. Für die umgekehrte Ansicht einer Harmonisierung in MT vgl. STEUERNAGEL 1900, 111. 25 LXX hat das ī ġŘ („bewahren“, „achten auf“) der Vorlage offenbar als ĥġŘ („hören“) fehlgelesen, vgl. LABERGE 1990, 151; WEVERS 1995, 497. 26 SP/LXX haben das Subjekt dieses Nebensatzes dem Subjekt des Hauptsatzes angeglichen: ĠĜĜĚĠė bzw. ëŻüøťāņûó÷ („sie leben“), vgl. WEVERS 1995, 497; NELSON 2002, 353. 27 In Anlehnung an Num 12,5 liest LXX: ôëťôëüěìòôŴúóøÏĠ÷÷ïƫěõò („Und der Herr kam herab in einer Wolke…“), vgl. WEVERS 1995, 498; NELSON 2002, 353–354; MCCARTHY 2007, 136*; OTTO 2017, 2091. 28 Die doppelte Constructus-Verbindung ĨīēėČīĞģĜėğē ist vielleicht das Ergebnis einer Ergänzung des Ausdrucks īĞģĜėğē („Götter der Fremde“), der durch die Angabe >@Ĩīēė („des Landes […]“) präzisiert wurde, vgl. DILLMANN 1886, 388; BERTHOLET 1899, 94; STEUERNAGEL 1900, 112; MAYES 1981, 377; NIELSEN 1995, 278. 24
320
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
jen e m Tag w eg e n a l l d e s Ü b len , d a s e s g et a n h at, d e n n e s h a t s ic h a n d er e n G ö tt e r n z u g ew a n d t. 19 U n d n u n sch r e ib t d i e s e s L i e d 29 f ü r e u c h a u f u n d leh r e e s d ie Sö h n e I sr ae ls, leg e e s in ih r e n M u n d , d a m it d i e se s L ie d m i r z u m Z eu g e n w i r d b e i d en Sö h n e n I sr a e l s. 20 D e n n ich w e r d e e s z u d e m E r d b o d e n 30 b r in g e n , v o n d e m ich sein e n V äte r n g e sch wo r e n h a b e, ü b e r f l ie ß e n d a n M il c h u n d H o n i g . U n d e s w i r d e ss e n u n d sa tt u n d f e tt w e r d e n u n d si c h a n d er e n G ö tte r n z u w e n d e n u n d si e w e r d e n ih n e n d i e n e n u n d m ic h v er w e r f en u n d e s w ir d m e in e n Bu n d b r e c h e n . 31 21 U n d e s w ir d g es c h e h e n , w e n n v ie le Ü b e l u n d Bed r ä n g n i s se e s tr e ff e n , 32 dann w ird d ie se s L ied in se inem Ang es ich t al s Z e u g e a n t w o r ten , d e n n e s w ir d n ic h t v e rg e ss e n w e r d e n a u s d e m M u n d s e in e r N a c h k o m m en sc h a f t. Ja, ich h a b e se in S tr e b en , d a s e s h e u te u n t e r n im m t, e r k a n n t, b e v o r ich e s in d a s L a n d b r in g e , v o n d e m ich g e sch w o r e n h a b e . “ 22 U n d M o se s c h r i e b d ie s e s L ie d a n j e n e m Tag a u f u n d leh r t e e s d ie Sö h n e I srael s. 23 Und er33 gebot Josua, dem Sohn Nuns, und sagte: „Sei stark und mutig, denn du sollst die Söhne Israels hineinbringen in das Land, von dem ich ihnen geschworen habe. Aber ich werde bei dir sein.“
29
Wohl in Anlehnung an Dtn 31,30; 32,44 hat LXX den ursprünglich kürzeren Wortlaut, ēęėėīĜĬėČĭē („dieses Lied“), erweitert: ųĤöëüëüĦÏŗîĦÏüëŴüòÏ („Worte vgl. MT/SP: ĭ dieses Liedes“), vgl. auch 4QDeutc: ėīĜĬėĜī>ĔĖ@ĭē; außerdem sind in LXX harmonisierend und in Übereinstimmung mit Dtn 31,14; 32,44 alle Imperative in den Plural gesetzt, vgl. WEVERS 1995, 501; NELSON 2002, 352.354; MCCARTHY 2007, 137*–138*; OTTO 2017, 2092. 30 LXX ergänzt in Anlehnung an Dtn 3,25; 4,22 u.ö. zu ïūÏüĥ÷ñĦ÷üĥ÷ċñëùĤ÷ („in das gute Land“), vgl. NWACHUKWU 1995, 82; WEVERS 1995, 502. 31 LXX bezeugt harmonisierend alle Verben, die sich auf das Volk beziehen, im Plural, vgl. WEVERS 1995, 502; MCCARTHY 2007, 138*. 32 Dieser Bedingungssatz fehlt in LXX, so dass die Aussage verallgemeinert wird, vgl. WEVERS 1995, 503; NELSON 2002, 354 (mit der Annahme einer Haplographie); OTTO 2017, 2092. Dagegen ist die Ankündigung breiter ausgeführt: ċļ ûüĻöëüøÏ ëŻüņ÷ ôëť ċļ ûüĻöëüøÏüøŶûěúöëüøÏëŻüņ÷(„aus ihrem Mund und aus dem Mund ihrer Nachkommenschaft“). 33 Die verschiedenen Zeugen der LXX nehmen (implizit oder explizit) Mose als Subjekt an und lesen entsprechend am Ende des Verses übereinstimmend: ôëťëŻüļÏġûüëóöïüą ûøŶ („und er wird mit dir sein“), aber die Logik des Textes und die Uneinheitlichkeit innerhalb der griechischen Tradition (d.h. ob Mose erwähnt wird oder nicht) sprechen für das Zeugnis von MT/SP mit JHWH als implizitem Subjekt, vgl. LOHFINK 1993, 259.272–273;
5.1 Der Text des Moselied-Rahmens
321
24 Und es geschah, als Mose vollendete, die Worte34 dieser Weisung auf eine Rolle zu schreiben, bis sie vollzählig waren, 25 da gebot Mose35 den Leviten, die die Lade des Bundes JHWHs trugen, folgendermaßen: 26 „Nehmen sollt ihr diese Rolle der Weisung und sie legen an die Seite der Lade des Bundes JHWHs, eures Gottes, so dass sie dort zum Zeugen gegen dich werde. 27 Denn ich habe deine Widerspenstigkeit und deine Halsstarrigkeit erkannt. Siehe, während ich heute noch bei euch lebe, seid ihr widerspenstig gewesen gegen JHWH – und wieviel mehr nach meinem Tod! 28 Ver sa m m e l t a l l e Ä l t es te n e u r e r S tä m m e u n d eu re Am ts träg er 36 zu m ir, so wi ll i ch d ie se Wo r t e 37 in ih r e O h r e n r ed e n u n d d ie H i m m e l u n d d ie E r d e a l s Z eu g e n g e g e n sie a u f r u f e n . 29 D e n n ich h a b e e r k a n n t : N a c h m e i n e m To d , d a w e r d e t i h r e u c h v e rg e h e n , v e rg e h e n u n d a b w e i c h e n v o n d em Weg , d en ich e u c h g e b o ten h a b e. U n d d a s Ü b e l w ir d e u c h tr e ff e n a m E n d e d e r Tag e, d e n n ih r tu t d a s Bö s e in d e n A u g en JH W H s , ih n z u b e le id ig e n d u r c h d a s Wer k e u r er H än d e . “ 30 Un d Mo s e red ete in d ie O h r e n d e r g an z e n Ver sa m m lu n g I sr a e l s d i e Wo r t e d i e se s L ied e s, b i s si e v o l lz äh lig war en . Mo se lie d D t n 3 2 , 1 – 4 3 38
WEVERS 1995, 504; SONNET 1997, 153–154; DOGNIEZ/HARL 2007, 318; MCCARTHY 2007, 138*–139*; OTTO 2017, 2092–2093. Anders LABERGE 1990, 157. 34 LXX ergänzt zu Ą÷üëÏüøŵÏõĻñøýÏ („alle Worte“), um zu verdeutlichen, dass die „Weisung“ einschließlich des „Liedes“ weitergegeben wird, vgl. FINSTERBUSCH 2016, 643. Auch LABERGE 1990, 157; WEVERS 1995, 505 gehen von einem Zusatz in LXX aus, deuten ihn aber als Betonung der einzelnen Bestimmungen des Gesetzes bzw. als textlich unbedeutend. 35 Das (vom vorhergehenden Vers her eindeutige) Subjekt „Mose“ wird in LXX nicht eigens genannt, vgl. WEVERS 1995, 505. 36 LXX bezeugt eine längere Reihe von Gruppen im Volk, die (vermutlich schon auf der Ebene der Vorlage) an Dtn 29,9 (MT) bzw. 10 (LXX) angelehnt ist, vgl. 4QDeutb: ĠĞĜīěĬĘ ĠĞĜěħĬĘ >ĠĞĜģĪęĘ @ĠĞĜěĔĬ („eure/r Stämme und eure Ältesten und eure Richter und eure Amtsträger“) sowie LOHFINK 1993, 259–260.273; WEVERS 1995, 507; NELSON 2002, 354; MCCARTHY 2007, 139*; OTTO 2017, 2093. Anders LABERGE 1990, 159. 37 LXX ergänzt ähnlich wie in V.24 zu Ą÷üëÏ üøŵÏ õĻñøýÏ üøŴüøýÏ („alle diese Worte“), um zu verdeutlichen, dass die „Weisung“ einschließlich des „Liedes“ weitergegeben wird, vgl. FINSTERBUSCH 2016, 643–644 sowie oben Anm. 34. 38 Für die Übersetzung vgl. Kap. 1.1.
322
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
Dtn 32,44 U n d Mo s e k a m u n d red e te a ll e Wo rte d ie se s Lied es 39 in d ie O h ren d e s Vo l k e s, e r u n d J o su a 40, d e r S o h n Nu n s. 45 Und Mose vollendete zu reden alle diese Worte zu ganz Israel. 41 46 Und er sagte zu ihnen: „Richtet euer Herz auf alle Worte, die ich heute gegen euch bezeuge, die ihr euren Söhnen gebieten sollt, darauf zu achten, alle Worte dieser Weisung zu tun. 47 Denn es ist kein leeres Wort für euch, ja es ist euer Leben. Und durch dieses Wort werdet ihr die Tage verlängern auf dem Erdboden, wofür ihr den Jordan überquert, um ihn in Besitz zu nehmen.“ 48 Und JHWH redete zu Mose an eben diesem Tag, folgendermaßen: 49 „Steige auf diesen Berg des Abarim, den Berg Nebo, der im Land Moab, gegenüber von Jericho liegt, und sieh das Land Kanaan, das ich den Söhnen Israels als Eigentum gebe. 50 Und stirb auf dem Berg, wohin du hinaufsteigst, und lass dich mit deinen Vorfahren versammeln, wie dein Bruder Aaron gestorben ist auf dem Berg Hor und mit seinen Vorfahren versammelt wurde, 51 weil ihr treulos geworden wart gegen mich inmitten der Söhne Israels, bei den Wassern von Meribat-Kadesch in der Wüste Zin, weil ihr mich nicht geheiligt habt inmitten der Söhne Israels. 52 Ja, von gegenüber sollst du das Land sehen, aber du sollst nicht dorthin kommen, in das Land, das ich den Söhnen Israels gebe.“42
39
LXX wiederholt zunächst Dtn 31,22 und bietet anschließend eine Variante des hebräischen Texts von Dtn 32,44, in der „alle Worte dieses Liedes“ durch „alle Worte dieses Gesetzes“ (Ą÷üëÏüøŵÏõĻñøýÏüøŶ÷ĻöøýüøŴüøý) ersetzt ist. Dadurch wird das „Lied“ als ein Teil des „Gesetzes“ noch einmal ausdrücklich diesem zugeordnet, vgl. WEVERS 1995, 535; DOGNIEZ/HARL 2007, 341 sowie oben Anm. 34 und 37. 40 Mit SP/LXX/Vg; anders MT: ĥŘĘė („Hoschea“) wie sonst nur in Num 13,8.16, weshalb ein Schreibfehler wahrscheinlich ist, vgl. BERTHOLET 1899, 101; S.R. DRIVER 1902, 381; VON RAD 1968, 139. Für phantasievollere Spekulationen zur überraschenden Namensform in MT vgl. SONNET 1997, 133–134; OTTO 2017, 2153–2154. 41 In LXX scheint „alle diese Worte“ (versehentlich?) ausgefallen zu sein, während der gegenüber MT leicht kürzere Text von SP: ėğēėĠĜīĔĖėĭē offenbar an Dtn 31,1 angeglichen ist, wo ğĞ („alle“) ebenfalls fehlt, vgl. WEVERS 1995, 535; NELSON 2002, 369; OTTO 2017, 2154. Anders LOHFINK 1993, 275, der von sukzessivem Textwachstum in SP und MT ausgeht. Die Erzählperspektive legt nahe, dass LXX möglicherweise knapper formuliert hat, um das endgültige Ende der Mosereden ausdrücklich hinter dem Liedvortrag zu markieren, vgl. unten den Exkurs „Zur Ausgestaltung der ‚Fabel‘ von Dtn 31–32 in MT und LXX“. 42 In LXX fehlt die Angabe „in das Land, das ich den Söhnen Israels gebe“. Dies kann als Kürzung in LXX oder als Erweiterung in MT/SP nach Dtn 32,49 gedeutet werden, vgl. MCCARTHY 2007, 154*–155* sowie OTTO 2017, 2154 (der eine Kürzung in LXX annimmt) bzw. WEVERS 1995, 538; NELSON 2002, 369 (die von einer Erweiterung in MT/SP ausgehen).
5.2 Zusammenhänge und Spannungen
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5.2 Zusammenhänge und Spannungen innerhalb des Rahmentextes 5.2 Zusammenhänge und Spannungen
Im Text von Dtn 31–32 werden unterschiedliche Modelle zur Orientierung des Volkes nach dem Tod des Mose greifbar.43 Diese sind teilweise miteinander kombiniert und stehen teilweise in klarem Gegensatz zueinander. Nur ein Teil der Inkonsistenzen im Text von Dtn 31–32 betrifft indes ĭēęėėīĜŘė („dieses /LHG³ GDVLQ'WQHUZlKQWZLUG'RFKVROOHQGie einzelnen Widersprüche des Gesamttextes hier kurz benannt werden,44 um anzuzeigen, dass das Verhältnis des Moseliedes zu seinem textlichen Rahmen nicht die einzige Schwierigkeit bei der Interpretation von Dtn 31–32 darstellt. Vielmehr erweist sich das Moselied als das letzte Glied in einer Reihe unterschiedlicher Anliegen, die in die Erzählung von Dtn 31–32 eingetragen wurden. Beim Durchgang durch den Text fallen besonders die folgenden fünf Widersprüche ins Auge. 1) Es besteht eine Konkurrenz zwischen Anweisungen, die sich direkt an das Volk richten,45 und solchen, die zunächst auf Josua als Anführer des Volkes zielen.46 Dadurch werden letztlich die Idee einer unmittelbaren Führung des Volkes durch JHWH und das Konzept einer durch Josua vermittelten göttlichen Führung nebeneinander gestellt, vgl. insbesondere die einander sachlich ausschließende Parallelität von Dtn 31,3a und Dtn 31,3b. Dtn 31,3a: JHWH, dein Gott, er ist es, der [den Jordan] vor dir überquert…
ĝĜģħğīĔĥēĘėĝĜėğēėĘėĜ
Dtn 31,3b: Josua, er ist es, der [den Jordan] vor dir überquert…
ĝĜģħğīĔĥēĘėĥĬĘėĜ
2) Ferner herrscht Unklarheit darüber, wie sich die Autorität Josuas begründet. Seine Einsetzung zum Anführer des Volkes wird sowohl Mose47 als auch JHWH48 in den Mund gelegt. Die jeweils vorangestellte Ermutigung lautet in
43
Vgl. NELSON 2002, 357: „The emphasis is on successors to Moses that will serve Israel in the future […]“; OTTO 2017, 2093. Die meisten Kommentierenden nennen nacheinander Josua, die „Weisung“/„Tora“ und das „Lied“ als Orientierungsgrößen für das Volk, vgl. z.B. STEUERNAGEL 1900, 110; LABUSCHAGNE 1971, 92; TIGAY 1996, 288; TALSTRA 1997, 96; OTTO 2017, 2093–2094. 44 Vgl. für eine Zusammenstellung auch TIGAY 1996, 502–503. 45 Vgl. Dtn 31,3a.5–6. 46 Vgl. Dtn 31,3b.7–8. 47 Vgl. Dtn 31,7–8. 48 Vgl. Dtn 31,23.
324
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
beiden Fällen identisch: ĨġēĘĪęĚ (Dtn 31,7.23: „Sei stark und mutig…“). Die sich anschließenden Formulierungen ähneln einander,49 insofern sie beide auf das Zuschwören des Landes und den Beistand JHWHs für Josua zu sprechen kommen. In der unterschiedlichen Schwerpunktsetzung hinsichtlich des eigentlichen Auftrags deutet sich hingegen ein Ringen um die Bedeutung von Josuas Tun im Verhältnis zu JHWH und damit auch im Verhältnis zu Mose an.50 Geht Josuas Beauftragung von Mose aus und bezieht sich nur darauf, JHWHs eigenes Handeln (durch die Verteilung des Landes) zu ergänzen, steht Josua deutlich hinter Mose zurück, vgl. Dtn 31,7: ĠĭĘēėģğĜĚģĭėĭēĘĠėğĭĭğĠĭĔēğėĘėĜĥĔĬģīĬēĨīēėČğēėęėĠĥėČĭēēĘĔĭėĭē
…denn du sollst mit diesem Volk hineinkommen in das Land, von dem JHWH ihren Vätern geschworen hat, es ihnen zu geben. Und du sollst es ihnen als Erbe verteilen.
Setzt dagegen JHWH selbst nicht nur Mose, sondern auch Josua dazu ein, eigenständig gegenüber dem Volk zu agieren (und es in das Land hineinzubringen), kommt die Aufgabe Josuas der Rolle des Mose sehr nahe, vgl. Dtn 31,23: ĠėğĜĭĥĔĬģČīĬēĨīēėČğēğēīĬĜĜģĔČĭēēĜĔĭėĭēĜĞ
…denn du sollst die Söhne Israels hineinbringen in das Land, von dem ich ihnen geschworen habe.
3) Weiterhin werden unterschiedliche Vorstellungen im Blick darauf erkennbar, welche Personen in welcher Art für die ėīĘĭ („Weisung“) zuständig sein sollen. So heißt es in Dtn 31,9–13, „Priester“ und „Älteste“ seien gemeinsam dafür verantwortlich, die „Weisung“ zu verwahren und regelmäßig im Volk vorzutragen, vgl. Dtn 31,9: ČğĞČğēĘėĘėĜĭĜīĔĢĘīēČĭēĠĜēĬģėĜĘğĜģĔĠĜģėĞėČğēėģĭĜĘĭēęėėīĘĭėČĭēėĬġĔĭĞĜĘ ğēīĬĜĜģĪę
Und Mose schrieb diese Weisung auf und gab sie den Priestern, den Söhnen Levis, die die Lade des Bundes JHWHs trugen, und allen Ältesten Israels.
In SP sind sie teilweise auch identisch, vgl. Dtn 31,7 SP:ğēėęėĠĥėĭēēĜĔĭėĭēĜĞ Ĩīēė („denn du sollst dieses Volk in das Land […] hineinbringen“) bzw. Dtn 31,23:ėĭēĜĞ ĨīēėğēğēīĬĜĜģĔĭēēĜĔĭ („denn du sollst die Söhne Israels in das Land […] hineinbringen“). Vgl. dazu auch oben Anm. 21. 50 Die Abweichungen zwischen den Versionen mit Blick auf das Subjekt von Dtn 31,23 (JHWH oder Mose) unterstreichen die Unsicherheit in dieser Frage, vgl. oben Anm. 33. Zu den unterschiedlichen Sichtweisen auf Josua vgl. SCHÄFER-LICHTENBERGER 1990, 139; FREVEL 2000, 289–290. 49
5.2 Zusammenhänge und Spannungen
325
Dagegen sieht Dtn 31,25–26 vor, dass die „Leviten“ die „Weisung“ aufbewahren: >@ėęėėīĘĭėīħĤĭēĚĪğīġēğėĘėĜČĭĜīĔĢĘīēĜēĬģĠĜĘğėČĭēėĬġĘĩĜĘ
Da gebot Mose den Leviten, die die Lade des Bundes JHWHs trugen, folgendermaßen: „Nehmen sollt ihr diese Rolle der Weisung [… ]“
An dieser Stelle wird jedoch nichts darüber gesagt, ob oder wie die „Weisung“ vorgetragen werden soll.51 Zum einen spiegelt also der Text zwei verschiedene Konzepte von der Trägerschaft der Lade („Priester“ nach Dtn „Leviten“ nach Dtn 31,25). Zum anderen deutet sich hinsichtlich der Aufgabe, das Volk zu unterweisen, ein Rollenkonflikt mit Mose an. Die Konkurrenz zwischen Mose und den übrigen Handlungsträgern verschärft sich noch, wenn in Dtn 31,28 die „Ältesten“ ausdrücklich nur zum Zuhören verpflichtet werden und in Dtn 32,46 – nachdem alle Anweisungen an die verschiedenen Akteure ausgesprochen sind – Mose noch einmal selbst als Vermittler der „Weisung“ auftritt und damit die Kompetenz der „Priester“ und „Ältesten“ zur Unterweisung (vgl. Dtn 31,9–11) abschließend in Frage stellt.52 4) Mehrfach überlagern sich Aussagen zu der von Mose vermittelten „Weisung“ (vgl. Dtn ėīĘĭ) und dem „Lied“ des Mose (vgl. 'WQ ėīĜŘ). Von „Weisung“ und „Lied“ wird erzählt, 0RVH KDEH VLH DXIJHVFKULHEHQ YJO IU GLH Ä:HLVXQJ³ 'WQ IU Gas „Lied“ Dtn 31,22). Auch werden beide gegenüber dem Volk als „Zeuge“ ( Ė ăĥ) FKDUDNWHULVLHUWYJOIUGLHÄ:HLVXQJ³'WQIUGDVÄ/LHG³'WQ Darüber hinaus unterscheiden sich die beiden Größen in einer Reihe von Details: Die „Weisung“ gilt als „Zeuge“ für das, was Mose im Voraus über den Ungehorsam des Volkes erkannt hat (vgl. Dtn 31,27), das „Lied“ hingegen erfüllt dieselbe Funktion hinsichtlich dessen, was JHWH voraussieht (vgl. Dtn 31,21). Nur die „Weisung“ wird ausdrücklich in Zusammenhang mit der „Lade des Bundes JHWHs“ (Dtn 31,9.26: ėĘėĜĭĜīĔĢĘīē) gebracht und deren Trägern sowie den Ältesten Israels zur Aufbewahrung (und laut Dtn 31,9 auch zum Vortrag) anvertraut. Demgegenüber obliegt es allein Mose (einmal zusammen mit Josua) – nicht aber den Leviten, Priestern oder Ältesten –, das „Lied“ zu lehren.53 Andererseits verschwimmen in Dtn 31,28–29 die Grenzen zwischen „Lied“ und „Weisung“, weil sich ėğēėĠĜīĔĖė („diese „Worte“) in Dtn 31,28 formal auf die „Weisung“ bezieht, das Vokabular in Dtn 31,28–29 jedoch starke Übereinstimmungen mit dem „Lied“ aufweist. 54 Die
51
Zur Differenzierung zwischen den beiden Aufträgen zur Aufbewahrung und zum Vortrag vgl. MAYES 1981, 379. 52 Vgl. TALSTRA 1997, 100. 53 Vgl. Dtn 31,19.22.30; 32,44 (hier einmal gemeinsam mit Josua). 54 Vgl. ausführlicher unten 5.4.1.
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Ungewissheit in Bezug auf das Verhältnis von „Lied“ und „Weisung“ wird auch dadurch befördert, dass der genaue Umfang der „Weisung“ im ganzen Text von Dtn 31–32 unsicher bleibt.55 5) Schließlich ist Dtn 31–32 nicht konsistent in Bezug darauf, ob Mose allein oder aber Josua neben Mose für die Weitergabe des „Liedes“ verantwortlich ist. Ausdrücklich erwähnt wird mehrmals, dass Mose das „Lied“ aufschreiben oder lehren soll bzw. dies tut.56 Die Verse Dtn 31,14–15 rücken Josua in die Nähe des Liedes, indem sie ihn zum Zuhörer der in Dtn 31,16–21 folgenden und an Mose gerichteten Rede JHWHs machen. Nur implizit wird Josua durch die pluralische Aufforderung in Dtn 31,19a neben Mose mit der Niederschrift des „Liedes“ beauftragt. Als Vortragenden benennt ihn allein Dtn 32,44b. Demgegenüber scheint auf der Ebene des Endtextes die Führerschaft Josuas mit der zentralen Rolle der „Weisung“ prinzipiell vereinbar zu sein. Das Nebeneinander von Josua und „Weisung“ (bzw. der Priester oder Leviten und Ältesten als Bewahrer der „Weisung“) ist nicht vollkommen spannungsfrei.57 Jedoch erfüllen beide Konzepte der Nachfolge Moses offenbar (narrativ) so unterschiedliche Bedürfnisse, dass sie nahezu unvermittelt nebeneinander im Text stehen können: Josua wird das Volk über den Jordan in das zugeschworene /DQG IKUHQ58 die Verantwortung für die Unterweisung des Volkes im Land liegt in anderen Händen.59 Ebenso kann das „Lied“ sachlich neben Josua bestehen, weil es gleichfalls erst nach dem Einzug des Volkes ins Land60 seine Wirkung entfalten soll,61 wenn der Zug über den Jordan geglückt ist und das Volk von JHWH abfallen wird.62
55
Vgl. z.B. LABUSCHAGNE 1997, 124–126 (mit der Annahme, in Dtn 31,24–26 sei mit ėīĘĭ das „Lied“ gemeint); BRITT 2000, 366–367 (mit einer Beschreibung der Unsicherheiten und verschiedener Lösungsmöglichkeiten); HECKL 2011, 236–239 (mit der Annahme, in Dtn 31,9 sei der gesamte Pentateuch als ėīĘĭ bezeichnet, in Dtn 31,26 indessen nur das Buch Deuteronomium). Dagegen wird das „Lied“ klar durch Dtn 31,30; 32,44 auf die Verse Dtn 32,1–43 beschränkt. Allerdings vermutet LUNDBOM 2013, 13–18, dass es sich bei dem „Lied“ um das unter Josia im Tempel aufgefundene „Buch der Weisung“ (vgl. 2.Kön 22,8: ėīĘĭėīħĤ) handelt. 56 Vgl. Dtn 31,19b.22.30; 32,44a. 57 Vgl. BRITT 2000, 364: „[…] the abrupt transition from 31:8 to 31:9 could suggest that Joshua and the text both substitute for the authority of Moses.“ Auch die singularische Anrede in Dtn 31,11–12 ist verdächtig, da sie der Textlogik nach den „Priestern“ und „Ältesten“ gelten müsste, sich aber grammatisch eher auf Josua beziehen lässt. 58 Vgl. Dtn 31,3b.7–8.23. 59 Vgl. Dtn 31,9–13.25–26. 60 Vgl. Dtn 31,16.20. 61 Vgl. Dtn 31,19.21. 62 Vgl. BRITT 2000, 364: „The reader of the text may come away puzzled about chronology, but the commission of Joshua and the importance of the ėīĘĭ and song is beyond doubt.“
5.3 Die Rahmung des Liedes im engeren Sinn
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5.3 Die Rahmung des Liedes im engeren Sinn (Dtn 31,16–22.28– 5.3 Die Rahmung des Liedes im engeren Sinn
Aus dem soeben Ausgeführten ist nicht nur zu schließen, dass das Moselied seinem jetzigen literarischen Kontext ursprünglich fremd war, sondern auch, dass der Einfügung des Liedes ins Deuteronomium bereits eine mehrstufige Textentwicklung vorausging: Die Verse Dtn 31,1–3a.3b.4–6.7–8.9–13.14– 15.23.24––47 stimmen das Volk und die Zuhörerschaft des Deuteronomiums darauf ein, dass Moses Interaktion mit dem Volk zu einem Ende gelangen wird. Dabei kommen verschiedene Aspekte der Nachfolge und Zukunftssicherung zur Sprache, die in keinem Zusammenhang mit dem „Lied“ stehen.63 Der Schluss in 32,48–52 liegt literarisch noch einmal auf einer eigenen Ebene. Hier richtet sich JHWH allein an Mose und gibt ihm letzte Hinweise zu den Umständen seines bevorstehenden TRGHVZHGHUGDVÄ/LHG³QRFK die übrigen Akteure aus Dtn 31–32 (das Volk, Josua, Priester bzw. Leviten, Älteste, die „Weisung“) spielen in 32,48–52 eine Rolle. 64 Allerdings sind die Verse Dtn 31,16–22.28– GLH HLQHQ %H]XJ ]XP 0RVHOLHG HUNHQQHQ lassen, ihrerseits in unterschiedlicher Weise mit der übrigen Erzählung in Dtn 31–32 verwoben. Eine sorgfältige Betrachtung der jeweiligen Nahtstellen erlaubt Rückschlüsse auf den Redaktionsprozess und die Gründe für die Einfügung des Moseliedes an seinen überlieferten Ort in der Bibel. Beachtung verdient zunächst der ursprüngliche Zusammenhang der Verse Dtn 31,14–15.23. Seltsamerweise kündigen Dtn 31,14–15 eine Indienstnahme Josuas durch JHWH an, obwohl dann erst einmal offen bleibt, um welche Aufgabe es sich dabei konkret handeln soll: ėĬġĝğĜĘĘģĘĩēĘĖĥĘġğėēĔĘĔĩĜĭėĘĥĬĘėĜČĭēēīĪĭĘġğĝĜġĜĘĔīĪĢėėĬġČğēėĘėĜīġēĜĘ ğėēėĚĭħČğĥĢģĥėĖĘġĥĖġĥĜĘĢģĥĖĘġĥĔğėēĔėĘėĜēīĜĘĖĥĘġğėēĔĘĔĩąĜĭĜĘĥĬĘėĜĘ
Und JHWH sagte zu Mose: „Siehe, nahe gekommen sind deine Tage, zu sterben. Rufe Josua und stellt euch auf am Zelt der Begegnung und ich will ihm gebieten.“ Und Mose ging und Josua und sie stellten sich auf am Zelt der Begegnung. Und JHWH ließ sich sehen am Zelt in einer Wolkensäule und die Wolkensäule stand über dem Eingang des Zeltes.
63
Vgl. FINSTERBUSCH 2016, 636: „It should be noted that the revelation of the song as a divine Torah supplement in Moab is completely unexpected in the Deuteronomic plot.“ 64 Diese Verse sind traditionell der Priesterschrift zugeschrieben worden, vgl. zusammenfassend FREVEL 2000, 290–306, der selbst dieser Meinung ist. So auch NOTH 1967, 190– 192, aber mit der nuancierenden Einschätzung von Dtn 32,48–52 als redaktionell bedingter Wiederholung von Num 27,12–14. Dagegen führen OTTO 2000, 223–225 und ACHENBACH 2003, 321–329 sowie DERS. 2014, 169 den Abschnitt ursprünglich auf eine (Priesterschrift und deuteronomisches Deuteronomium voraussetzende) Hexateuchredaktion (Otto) bzw. eine noch jüngere Pentateuchredaktion (Achenbach) zurück.
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Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
Im überlieferten Endtext folgt in Dtn 31,16 anstelle einer Beauftragung Josuas eine Rede JHWHs an Mose, die auf das Lied hinführt. Zwar steht dann in Dtn 31,19 ein pluralischer Imperativ, der als Auftrag an Mose und Josua verstanden werden kann, das Lied niederzuschreiben. Allerdings wird im Anschluss an die Rede in Dtn 31,22 nur von Mose berichtet, dass er das Lied aufschrieb und lehrte.65 Anschließend setzt am Anfang von Dtn 31,23 das Verb ĘĩĜĘ („Und er gebot…“) voraus, dass das hier nicht eigens genannte Subjekt aus dem vorausgehenden Text bereits bekannt ist. Als Fortsetzung von Dtn 31,22, in dem Mose das Subjekt ist, ergibt Dtn 31,23 jedoch keinen Sinn: Da nicht Mose, sondern JHWH den Israeliten das Land zugeschworen hat, muss Dtn 31,23 ursprünglich auf einen Vers gefolgt sein, in dem JHWH das Subjekt war.66 Die Verwendung desselben Verbs ėĘĩ Pi („gebieten“) in Dtn 31,14.23 deutet darauf hin, dass Dtn 31,14–15 tatsächlich die Beauftragung Josuas zur Führung des Volkes vorbereiten sollten und somit ursprünglich mit Dtn 31,23 zusammengehörten. Dtn 31,14–15.23: ĝğĜĘ ĘģĘĩēĘĖĥĘġğėēĔĘĔĩĜĭėĘĥĬĘėĜČĭēēīĪĭĘġğĝĜġĜĘĔīĪĢėėĬġČğēėĘėĜīġēĜĘ 14 ĚĭħČğĥ Ģģĥė ĖĘġĥ ĖġĥĜĘ Ģģĥ ĖĘġĥĔ ğėēĔ ėĘėĜ ēīĜĘ 15 ĖĥĘġ ğėēĔ ĘĔĩĜĭĜĘ ĥĬĘėĜĘ ėĬġ >@ğėēė ĜĭĥĔĬģČīĬēĨīēėČğēğēīĬĜĜģĔČĭēēĜĔĭėĭēĜĞĨġēĘĪęĚīġēĜĘĢĘģČĢĔĥĬĘėĜČĭē ĘĩĜĘ 23 ĝġĥėĜėēĜĞģēĘĠėğ
14 Und JHWH sagte zu Mose: „Siehe, nahe gekommen sind deine Tage, zu sterben. Rufe Josua und stellt euch auf am Zelt der Begegnung und ich will ihm gebieten.“ Und Mose ging und Josua und sie stellten sich auf am Zelt der Begegnung. 15 Und JHWH ließ sich sehen am Zelt in einer Wolkensäule und die Wolkensäule stand über dem Eingang des Zeltes. […] 23 Und er gebot Josua, dem Sohn Nuns, und sagte: „Sei stark und mutig, denn du sollst die Söhne Israels hineinbringen in das Land, von dem ich ihnen geschworen habe. Aber ich werde bei dir sein.“
Der noch im Endtext augenfällige Zusammenhang dieser drei Verse wird jedoch durch die Einfügung von Dtn 31,16–22 zerrissen. 67 In diesem Stück kommt mit dem „Lied“ neben Josua und der von den Priestern und Ältesten gelehrten „Weisung“ eine neue Größe ins Spiel,68 die nach dem Tod des Mose
65
Auch die beiden weiteren Imperative in Dtn 31,19, die im Singular formuliert sind und sich an Mose zu richten scheinen: ėĖġğ („lehre es“); ĠėĜħĔėġĜř („lege es in ihren Mund“), sprechen dafür, dass der ganze Abschnitt nicht auf Josua hin formuliert wurde. 66 Vgl. oben Anm. 33. 67 Vgl. z.B. DILLMANN 1886, 388; STEUERNAGEL 1900, 112; S.R. DRIVER 1902, 336; VON RAD 1968, 135; MAYES 1981, 375; BLUM 1990, 85; SANDERS 1996, 338; T IGAY 1996, 296; NELSON 2002, 355; OTTO 2017, 2121. Dagegen nimmt CHRISTENSEN 2002, 769 eine bewusste konzentrische Struktur an. 68 Vgl. EISSFELDT 1966, 331 mit der Bemerkung, Dtn 31,16–21 stelle „eigentlich nichts anderes als eine in Prosa umgesetzte Zusammenfassung des Liedes dar.“
5.3 Die Rahmung des Liedes im engeren Sinn
329
für das Volk wichtig wird. Schon Ibn Ezra erkannte – wie zahlreiche andere nach ihm –, dass diese Verse die Narration stören.69 Allerdings erhält der neue Stoff durch die Einbettung in die bereits existierende Gottesrede eine rhetorisch geschickte Verankerung im Text.70 Die theologische Legitimation des hier vorbereiteten Liedvortrags ist folglich mit Einbußen in der erzählerischen Logik erkauft. Inhaltlich setzt die Einfügung von Dtn 31,16–22 zudem bereits den Abschnitt Dtn 31,24–27 voraus, der die Übergabe der „Weisung“ an die Priester und Ältesten (in Dtn 31,9–13) fortschreibt 71 und die „Weisung“ als „Zeuge“ charakterisiert, vgl. Dtn 31,26–27:72 ĜĞĖĥğĝĔĠĬČėĜėĘĠĞĜėğēėĘėĜČĭĜīĔĢĘīēĖĩġĘĭēĠĭġĬĘėęėėīĘĭėīħĤĭēĚĪğ ĦēĘėĘėĜČĠĥĠĭĜĂ ėĠĜīġġĠĘĜėĠĞġĥĜĚĜģĖĘĥĔĢėėĬĪėĝħīĥČĭēĘĝĜīġČĭēĜĭĥĖĜĜĞģē ĜĭĘġĜīĚēČĜĞ
Nehmen sollt ihr diese Rolle der Weisung und sie legen an die Seite der Lade des Bundes JHWHs, eures Gottes, so dass sie dort zum Zeugen gegen dich werde. Denn ich habe deine Widerspenstigkeit und deine Halsstarrigkeit erkannt. Siehe, während ich heute noch bei euch lebe, seid ihr widerspenstig gewesen gegen JHWH – und wieviel mehr nach meinem Tod!
Diese Charakterisierung knüpft ihrerseits an die Erzählung in Dtn 9 an, wo es nicht nur um die „Tafeln des Bundes“ geht (Dtn 9,[9.11.]15: ĭĜīĔė ĭĚ>Ę@ğ), sondern auch die „Widerspenstigkeit“ und „Halsstarrigkeit“ des Volkes zu
69
Vgl. Ibn Ezra, zit. bei CARASIK 2015, 210.213, aber auch STEUERNAGEL 1900, 112; S.R. DRIVER 1902, 338; VON RAD 1968, 135; TIGAY 1996, 288, der die Einsetzung Josuas durch JHWH und die Einführung des Liedes in Dtn 31,14–23 als „digressions“ bezeichnet; FINSTERBUSCH 2016, 635.638. 70 Vgl. MAYES 1981, 376; NELSON 2002, 356–357. 71 Zu Dtn 31,24–27 als Fortschreibung von Dtn 31,9–13 vgl. S.R. DRIVER 1902, 343 (mit der ausdrücklichen Abgrenzung von Dtn 31,28–30) sowie grundsätzlich für Dtn 31,24 als Fortsetzung von Dtn 31,13: MAYES 1981, 379; NELSON 2002, 355: „The act of Moses in writing the law (vv. 9–13) is picked up again only in v. 24, after digressions […]“; OTTO 2017, 2093.2105. Allerdings liegen für Otto die Verse Dtn 31,24–29 offenbar auf einer Ebene, setzen Dtn 31,16–22 schon voraus und waren alle von vornherein auf das Lied zu beziehen. Zur Trennung zwischen Dtn 31,24–27 und 28–30 „from a prosodic point of view“ vgl. CHRISTENSEN 2002, 779.780; ähnlich auch STEUERNAGEL 1900, 112; NELSON 2002, 361–362. Alle drei ordnen jedoch den gesamten Abschnitt Dtn 31,24–30 demselben Verfasser zu und nehmen an, dieser habe innerhalb des Abschnitts verschiedene Blickwinkel kombiniert. Für die Formulierung von Dtn 31,16–22.28–30 „in Anlehnung an Dtn 31,9– 13.24–27“ vgl. aber BLUM 1990, 86. 72 Zur Zeugenfunktion der „Weisung“ vor dem Hintergrund altorientalischer und innerbiblischer Parallelen vgl. TIGAY 1996, 297 (insbes. Anm. 48–51). Die gebotenen Beispiele stützen die Annahme, dass die Charakterisierung als „Zeuge“ ursprünglich mit der „Weisung“ verbunden war und erst nachträglich auf das „Lied“ übertragen wurde, vgl. unten Anm. 77.
330
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
Moses Lebzeiten mehrfach betont wird.73 In Dtn 9–10 führt diese „Widerspenstigkeit“ schließlich dazu, dass Mose die Tafeln zerschmettert (vgl. Dtn 9,17) und JHWH sie neu schreibt, woraufhin sie in der „Lade“ deponiert werden (Dtn 10,1–5). Durch die Anweisung des Mose an die Leviten in Dtn 31,26, die Weisung „an der Seite der Lade des Bundes JHWHs“ (ėĘėĜČĭĜīĔ ĢĘīē Ėĩġ) aufzubewahren, wird gegenüber dem Volk die Weisung neben den „Tafeln des Bundes“ mit den Zehn Geboten als verbindliches Schriftstück legitimiert und zu deren Verstärkung gegen die Sündhaftigkeit des Volkes in Stellung gebracht.74 Damit ist der Horizont von Dtn 9 jedoch überschritten. Entsprechend könnten die Verse Dtn 32,45–47 im Anschluss an die Aussagen von Dtn 31,24– 27 ursprünglich dazu gedient haben, den Auftrag zur Aufbewahrung der „Weisung“ als „Zeuge“ noch in die Reden des Mose zu integrieren. Dtn 31,24––47:75 ČĭēėĬġĘĩĜĘ 25 ĠġĭĖĥīħĤČğĥĭēęėČėīĘĭėĜīĔĖČĭēĔĭĞğėĬġĭĘğĞĞĜėĜĘ Dtn 31,24 ČĭĜīĔĢĘīēĖĩġĘĭēĠĭġĬĘėęėėīĘĭėīħĤĭēĚĪğ 26 ī ġēğėĘėĜČĭĜīĔĢĘīēĜēĬģĠĜĘğė ĜĚ ĜģĖĘĥĔ Ģė ėĬĪė ĝħīĥČĭēĘ ĝĜīġČĭē ĜĭĥĖĜ ĜĞģē ĜĞ 27 Ėĥğ ĝĔ ĠĬČėĜėĘ ĠĞĜėğē ėĘėĜ ĜĭĘġĜīĚēČĜĞĦēĘėĘėĜČĠĥĠĭĜėĠĜīġġĠĘĜėĠĞġĥ >@ ĘġĜĬ Ġėğē īġēĜĘ 46 ğēīĬĜČğĞČğē ėğēė ĠĜīĔĖėČğĞČĭē īĔĖğ ėĬġ ğĞĜĘ Dtn 32,45 Č ğĞČĭēĭĘĬĥğīġĬğĠĞĜģĔČĭēĠĘĩĭīĬēĠĘĜėĠĞĔ ĖĜĥġĜĞģēīĬēĠĜīĔĖėČğĞğĠĞĔĔğ ČğĥĠĜġĜĘĞĜīēĭėęėīĔĖĔĘĠĞĜĜĚēĘėČĜĞĠĞġēĘėĪīīĔĖČēğĜĞ 47 ĭēęėėīĘĭėĜīĔĖ ėĭĬīğėġĬĢĖīĜėČĭēĠĜīĔĥĠĭēīĬēėġĖēė
Dtn 31,24 Und es geschah, als Mose vollendete, die Worte dieser Weisung auf eine Rolle zu schreiben, bis sie vollzählig waren, 25 da gebot Mose den Leviten, die die Lade des Bundes JHWHs trugen, folgendermaßen: 26 „Nehmen sollt ihr diese Rolle der Weisung und sie legen an die Seite der Lade des Bundes JHWHs, eures Gottes, so dass sie dort zum Zeugen gegen dich werde. 27 Denn ich habe deine Widerspenstigkeit und deine Halsstarrigkeit erkannt. Siehe, während ich heute noch bei euch lebe, seid ihr widerspenstig gewesen gegen JHWH – und wieviel mehr nach meinem Tod!“ […] Dtn 32,45 Und Mose vollendete zu reden alle diese Worte zu ganz Israel. 46 Und er sagte zu ihnen: „Richtet euer Herz auf alle Worte, die ich heute gegen euch bezeuge, die ihr euren Söhnen gebieten sollt, darauf zu achten, alle Worte dieser Weisung zu tun. 47 Denn es ist kein leeres Wort für euch, ja es ist euer Leben. Und durch dieses Wort werdet ihr die Tage verlängern auf dem Erdboden, wofür ihr den Jordan überquert, um ihn in Besitz zu nehmen.“
Die Verse Dtn 32,45–47 drücken eine mit Dtn 31,24–27 übereinstimmende Vorstellung aus, da in Dtn 32,46 das Verb ĖĘĥ Hif („bezeugen“) mit Bezug auf
73
Vgl. Dtn 9,6.7.13.23.24.27 sowie BERTHOLET 1899, 94; S.R. DRIVER 1902, 343; ROSE 1994, 562; TALSTRA 1997, 99; NELSON 2002, 362; MARKL 2012, 203; OTTO 2017, 2125. 74 Vgl. SONNET 1997, 181–182. 75 Zum Zusammenhang dieser Verse vgl. BUIS/LECLERCQ 1963, 203; MAYES 1981, 379– 380; CHRISTENSEN 2002, 780; MARKL 2012, 219.
5.3 Die Rahmung des Liedes im engeren Sinn
331
die „Weisung“ verwendet und dadurch die existenzielle Bedeutung der in Dtn 31,26 von Mose bereits als „Zeuge“ charakterisierten Worte nochmals betont wird. Die Fokussierung auf das „Tun“ der Weisung, das „Leben“ und das „Inbesitznehmen des Landes“ in Dtn 32,46–47 erinnert hingegen an Dtn 30,14–16.19–20.76 Dtn 30,14.16: ĨīēĔĝĜėğēėĘėĜĝĞīĔĘĭĜĔīĘĭ ĜĜĚĘ>@ĘĭĬĥğĝĔĔğĔĘĝĜħĔĖēġīĔĖėĝĜğēĔĘīĪČĜĞ ėĭĬīğėġĬČēĔėĭēČīĬē
Ja, sehr nahe ist dir das Wort, in deinem Mund und in deinem Herzen, es zu tun. […] so dass du lebst und zahlreich wirst und JHWH, dein Gott, dich segnet in dem Land, in das du kommst, um es in Besitz zu nehmen.
Dtn 32,46–47: īġĬğĠĞĜģĔČĭēĠĘĩĭīĬēĠĘĜėĠĞĔĖĜĥġĜĞģēīĬēĠĜīĔĖėČğĞğĠĞĔĔğĘġĜĬĠėğēīġēĜĘ ĘĞĜīēĭėęėīĔĖĔĘĠĞĜĜĚēĘėČĜĞĠĞġēĘėĪīīĔĖČēğĜĞĭēęėėīĘĭėĜīĔĖČğĞČĭēĭĘĬĥğ ėĭĬīğėġĬĢĖīĜėČĭēĠĜīĔĥĠĭēīĬēėġĖēėČğĥĠĜġĜ
Und er sagte zu ihnen: „Richtet euer Herz auf alle Worte, die ich heute gegen euch bezeuge, die ihr euren Söhnen gebieten sollt, darauf zu achten, alle Worte dieser Weisung zu tun. Denn es ist kein leeres Wort für euch, ja es ist euer Leben. Und durch dieses Wort werdet ihr die Tage verlängern auf dem Erdboden, wofür ihr den Jordan überquert, um ihn in Besitz zu nehmen.“
Insgesamt deuten der Zusammenhang von Dtn 31,24– –47 und die hEHUHLQVWLPPXQJHQPLW'WQGDUDXIKLQGDVVGDV9HUVWlQGQLVGHUÄ:HL sung“ als „Zeuge“ in Dtn 31,2646 aus diesen Passagen abgeleitet ist. In Dtn 31,16–22 allerdings wird diese Charakterisierung dann auf das „Lied“ übertragen (vgl. Dtn 31,19.21), so dass „Weisung“ und „Lied“ in Konkurrenz zueinander geraten.77 Zur Harmonisierung der beiden ursprünglich unabhängigen und ganz unterschiedlichen Größen werden die Ausführungen zur „Weisung“ in Dtn 31,24–27 durch die Verse Dtn 31,28–30 dahingehend ergänzt, dass die Zeugenschaft als Funktion der „Weisung“ mittels Wortparallelen mit dem Inhalt des „Liedes“ in Verbindung gebracht wird. Als Nachtrag innerhalb
76
Vgl. DILLMANN 1886, 413; S.R. DRIVER 1902, 382; NELSON 2002, 378; MARKL 2012, 225–227; OTTO 2017, 2197. 77 Zur Plausibilität dieser Abfolge vgl. auch VON RAD 1968, 135–136; MAYES 1981, 376.378; WATTS 1992, 79. Umgekehrt nehmen z.B. BERTHOLET 1899, 93; STEUERNAGEL 1900, 113 an, in Dtn 31,24.26 sei ursprünglich vom „Lied“ die Rede gewesen. Ähnlich (trotz der Unterschiede im Detail) auch EISSFELDT 1966, 332 mit der Annahme, die Stücke Dtn 31,9–13 und 31,30; 32,45–47 seien um die älteren, „von dem Liede handelnden Abschnitte 31,14–23; 32,44.1–43 [sic]“ herumgruppiert worden, um sie „einzuwickeln“ und so nachträglich auf das Gesetz zu beziehen, wobei die ebenfalls sekundären Verse Dtn 31,24– 30 [sic] die Umdeutung zusätzlich unterstützen sollten.
332
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
der Moserede wird Dtn 31,28–30 anhand der Spannungen erkennbar, die sich zu Dtn 31,24–27 ergeben. Dtn 31,24–27.28–30: ČĭēėĬġĘĩĜĘ 25 ĠġĭĖĥīħĤČğĥ ĭ ēęėČėīĘĭė ĜīĔĖČĭē ĔĭĞğėĬġĭĘğĞĞĜėĜĘ Dtn 31,24 ČĭĜīĔĢĘīēĖĩġĘĭēĠĭġĬĘ ėęė ėīĘĭėī ħĤĭ ē ĚĪğ 26 īġēğėĘėĜČĭĜīĔĢĘīēĜēĬģĠĜĘğė ĜĚ ĜģĖĘĥĔ Ģė ėĬĪė ĝħīĥČĭēĘ ĝĜīġČĭē ĜĭĥĖĜ ĜĞģē ĜĞ 27 Ėĥğ ĝĔ ĠĬČėĜėĘ ĠĞĜėğē ėĘėĜ ĜĭĘġĜīĚēČĜĞĦēĘėĘėĜČĠĥĠĭĜėĠĜīġġĠĘĜėĠĞġĥ ėĖĜĥēĘ ėğēėĠĜīĔĖėĭ ēĠėĜģęēĔėīĔĖēĘĠĞĜīěĬĘĠĞĜěĔĬĜģĪęČğĞČĭēĜğēĘğĜėĪė 28 īĬēĝīĖėČĢġĠĭīĤĘĢĘĭĚĬĭĭĚĬėČĜĞĜĭĘġĜīĚēĜĭĥĖĜĜĞ 29 ĨīēėČĭēĘĠĜ ąġĬėČĭēĠĔ ĘĤĜĥĞėğ ėĘėĜ ĜģĜĥĔ ĥīėČĭē ĘĬĥĭČĜĞ ĠĜġĜė ĭĜīĚēĔ ėĥīė ĠĞĭē ĭēīĪĘ ĠĞĭē ĜĭĜĘĩ ĠġĭĖĥ ĭēęėėīĜĬėĜīĔĖČĭē ğēīĬĜğėĪČğĞĜģęēĔėĬġīĔĖĜĘ 30 ĠĞĜĖĜėĬĥġĔ
Dtn 31,24 Und es geschah, als Mose vollendete, die Worte dieser Weisung auf eine Rolle zu schreiben, bis sie vollzählig waren, 25 da gebot Mose den Leviten, die die Lade des Bundes JHWHs trugen, folgendermaßen: 26 „Nehmen [sollt ihr] diese Rolle der Weisung und sie legen an die Seite der Lade des Bundes JHWHs, eures Gottes, so dass sie dort zum Zeugen gegen dich werde. 27 Denn ich habe deine Widerspenstigkeit und deine Halsstarrigkeit erkannt. Siehe, während ich heute noch bei euch lebe, seid ihr widerspenstig gewesen gegen JHWH – und wieviel mehr nach meinem Tod! 28 Versammelt alle Ältesten eurer Stämme und eure Amtsträger zu mir, so will ich diese Worte in ihre Ohren reden und die Himmel und die Erde als Zeugen gegen sie aufrufen. 29 Denn ich habe erkannt: Nach meinem Tod, da werdet ihr euch vergehen, vergehen und abweichen von dem Weg, den ich euch geboten habe. Und das Übel wird euch treffen am Ende der Tage, denn ihr tut das Böse in den Augen JHWHs, ihn zu beleidigen durch das Werk eurer Hände.“ 30 Und Mose redete in die Ohren der ganzen Versammlung Israels die Worte dieses Liedes, bis sie vollzählig waren.
Nach der Anrede an „die Leviten“ (vgl. Dtn 31,25) wird das Auditorium in Dtn 31,28 um „alle Ältesten eurer Stämme und eure Amtsträger“ ergänzt. Im Anschluss an den Auftrag zur Aufbewahrung der „Weisung“ (vgl. Dtn 31,24.26) kündigt Mose dann an, „diese Worte“ (Dtn 31,28: ėğēėĠĜīĔĖė) laut vortragen zu wollen, wobei jedoch nicht ausdrücklich gesagt wird, ob damit Worte der zuvor genannten „Weisung“ oder „dieses Liedes“ (Dtn 31,30) gemeint sind.78 Schließlich erscheint die Begründung für den Vortrag „dieser Worte“ in Dtn 31,29 (obschon in anderen Worten) zu wiederholen, was zuvor in Dtn 31,27 begründend zur Aufbewahrung der „Weisung“ gesagt worden war.79 Zudem zeigen sich in Dtn 31,28–29 gleich mehrere Vokabelparallelen zum Moselied,80 während die Formulierungen in Dtn 31,24–27 keinerlei Überschneidungen mit dem Lied aufweisen. Um zum „Lied“ zurückzulenken und dessen Rezitation tatsächlich einzuleiten, schließt der letzte Vers der Moserede mit einer kurzen Überleitung in Dtn 31,30, die die bisher genannten Zuhörenden,
78
Hervorhebung der fraglichen Ausdrücke durch Umrahmungen: 79 Hervorhebung der Begründungen durch Wellenlinien: . 80 Vgl. unten 5.4.1.
.
5.3 Die Rahmung des Liedes im engeren Sinn
333
vgl. Dtn 31,25.28, als „die ganze Versammlung Israels“ (ğēīĬĜ ğėĪČğĞ) zusammenfasst.81 Als Zeichen für den sekundären Charakter von Dtn 31,28–30 gegenüber Dtn 31,24–27 kann schließlich auch die Tatsache gewertet werden, dass Dtn 31,30 die Formulierung „bis sie vollzählig waren“ (Ġġĭ Ėĥ) aus Dtn 31,24 übernimmt und (statt auf „die Worte dieser Weisung“) auf „die Worte dieses Liedes“ bezieht.82 Im Anschluss an das eigentliche Lied (Dtn 32,1–43) übernimmt Dtn 32,44 dann die neuerliche Verknüpfung mit der älteren Erzählung, in der nur von der „Weisung“ die Rede war und die durch die Einfügung des Liedes und die Hinführung zu ihm (Dtn 31,16–22.28––43) unterbrochen wurde. Der Vers erfüllt in mehrfacher Hinsicht eine Brückenfunktion und steht zugleich sprachlich in einer gewissen Spannung zu Dtn 31,30. Dtn 32,44 dürfte deshalb jünger sein als die Hinführung zum Lied. 83 Der Vers benennt nicht nur (im Unterschied zu Dtn 31,28–30) ausdrücklich das „Volk“ als Hörerschaft84 und widerspricht damit der Eingrenzung der Hörenden in Dtn 31,25 (ĠĜĘğė: „die Leviten“) und Dtn 31,28 (ĠĞĜīěĬĘĠĞĜěĔĬĜģĪęČğĞ: „alle Ältesten eurer Stämme und eure Amtsträger“). 85 Durch den zusätzlichen Hinweis auf Josua beschließt Dtn 32,44 auch die mehrfach erweiterte Szene des gemeinsamen Auftretens von Mose und Josua,86 deren Kern in Dtn 31,14–15.23 greifbar wurde. Außerdem unterstreicht das Nacheinander von Dtn 32,44 und Dtn 32,45, dass die Weitergabe des „Liedes“ ebenfalls noch Teil der von Mose an das Volk gerichteten Reden ist, denn die Abschlussnotiz, die ursprünglich der Integration der Fortschreibung in Dtn 31,24–27 gedient haben wird, folgt noch in Dtn 32,45.
Die sprachliche Nähe von Dtn 31,28.30 (vgl. die gemeinsame Redewendung: ī ĔĖ Pi ĠĜģęēĔ: „in die Ohren reden“) könnte auch als Hinweis auf eine nachträgliche Wiederaufnahme gedeutet werden. In diesem Fall handelt es sich in Dtn 31,30 um einen Nachtrag, der schon im Sinne von Dtn 32,44 die Eingrenzung der Hörenden auf ĠĜĘğė („die Leviten“) sowie ĠĜģĪęČğĞ („alle Ältesten“) und ĠĜīěŘ („Amtsträger“) in Dtn 31,25.28 korrigiert, vgl. LOHFINK 1993, 264–265, aber auch unten Anm. 85. Dagegen meint F INSTERBUSCH 2016, 636–637, dass Mose das „Lied“ in Dtn 31,28 nur vor Teilen des Volkes, in Dtn 31,30 dann vor ganz Israel vorträgt, vgl. auch LOHFINK 1993, 266–267 sowie unten den Exkurs „Zur Ausgestaltung der ‚Fabel‘ von Dtn 31–32 in MT und LXX“. 82 Hervorhebung der Formulierung durch gestrichelte Linien: . 83 Vgl. BERTHOLET 1899, 101; STEUERNAGEL 1900, 121; ROSE 1994, 572; NELSON 2002, 378; MARKL 2012, 217. 84 Vgl. sachlich Dtn 31,1.7. 85 Interpretiert man Dtn 31,30 bereits als entsprechende Korrektur, bleibt der davon abweichende Wortlaut von Dtn 32,44 meines Erachtens unverständlich. 86 Vgl. WATTS 1992, 72: „The addition of Joshua as a speaker of the psalm in 32.44 [sic] appears to be an afterthought.“ Zur Namensform ĥŘĘė („Hoschea“) in Dtn 32,44 MT vgl. oben Anm. 40. 81
334
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
Dtn 32,44.45: ĢĘģČĢĔĥĬĘėĜĘēĘėĠĥėĜģęēĔĭēęėČėīĜĬėĜīĔĖČğĞČĭēīĔĖĜĘėĬġēĔĜĘ
ğēīĬĜČğĞČğēėğēėĠĜīĔĖėČğĞČĭēīĔĖğėĬġğĞĜĘ
Und Mose kam und redete alle Worte dieses Liedes in die Ohren des Volkes, er und Josua, der Sohn Nuns. Und Mose vollendete zu reden alle diese Worte zu ganz Israel.
Erst durch diese doppelte hintere Rahmung wird das „Lied“ ein Teil der „Weisung“.87
5.4 Spannungen zwischen dem Lied und seiner Einleitung (Dtn 31,16–22.28–30) 5.4 Spannungen zwischen dem Lied und seiner Einleitung
Die Charakterisierung des Moseliedes durch seinen engeren literarischen Rahmen steht in mehrfacher Hinsicht im Widerspruch zum Lied selbst.88 In den Kommentaren wird hierzu meistens bemerkt, die Hinführung zum Lied in Dtn 31 betone nur die tragische Rolle des Liedes im Zusammenhang mit dem drohenden Abfall des Volkes von JHWH,89 während das Lied auch eine hoffnungsvolle Botschaft vermittle.90 Die Unterschiede zwischen dem Selbstverständnis des Liedes und seiner Deutung durch die Rahmung lassen sich aber noch präziser benennen.91 5.4.1 Lexikalische Beobachtungen Auf der Lexemebene fällt sofort ins Auge, dass das Lied von seinem lyrischen Ich in Dtn 32,2 als Ě ąĪ Ąğ („Lehre“) bezeichnet wird, während JHWH es in der Rahmung Ė ăĥ (Dtn 31,19.21: „Zeuge“) nennt. 92 Weiterhin zeigt sich bei
87
Vgl. SONNET 1997, 179; MARKL 2012, 215. 88 Vgl. z.B. STEUERNAGEL 1900, 114; S.R. DRIVER 1902, 342.344.349; CORNILL 1913, 71; VON RAD 1968, 136; MAYES 1981, 376; LUYTEN 1985, 347; TIGAY 1996, 506; NELSON 2002, 355–356. 89 Genannt wird entweder die Funktion der Warnung, vgl. S TEUERNAGEL 1900, 114; CORNILL 1913, 70; NELSON 2002, 355 („cautionary function“), oder der Erklärung mit Blick auf zu erwartende Strafe, vgl. MAYES 1981, 376 („interpretation“); TIGAY 1996, 506 („explanation“). 90 Vgl. STEUERNAGEL 1900, 114.121 (Verheißung der „Begnadigung“ Israels); CORNILL 1913, 71 („Trostlied“); TIGAY 1996, 506 („hope of deliverance“); NELSON 2002, 369 („potential for restauration“). 91 Zur textimmanenten Logik der Einleitung vgl. das Fazit unter 5.5. 92 Dabei wird unterschiedlich beurteilt, wofür das Lied zeugen soll, vgl. z.B. BERTHOLET 1899, 94: dafür, dass eine Bestrafung des Volkes angekündigt war; KÖNIG 1917, 205: dafür, dass JHWH das eintretende Unheil vorhersah; TIGAY 1996, 506: für den Bund; SONNET 1997, 150: dafür, dass JHWH auch dann Herr des Geschehens ist, wenn er sein Gesicht
5.4 Spannungen zwischen dem Lied und seiner Einleitung
335
genauerer Betrachtung, dass die meisten Worte, die in Lied und Rahmung vorkommen, an den verschiedenen Stellen in jeweils eigentümlicher Weise verwendet werden und somit sachlich nicht dasselbe ausdrücken. Trotz der äußerlichen Ähnlichkeiten deutet der Sprachgebrauch also darauf hin, dass Lied und Rahmen unterschiedliche Vorstellungshorizonte repräsentieren. Dtn 31 16
Dtn 32 ĨīēėČīĞģĜėğēĜīĚēėģęĘ 12
„und huren nach den Göttern der Fremde des Landes“ 17
ĘĔĜħēėīĚĘ 22
„und mein Zorn wird gegen es entbrennen“ ĠėġĜģħĜĭīĭĤėĘ 20
ĠėġĜģħėīĜĭĤēīġēĜĘ
„und er sagte: ‚Ich will mein Angesicht vor ihnen verbergen…‘“
ĠĘĜĔīġēĘĭĘīĩĘĭĘĔīĭ ĘĥīĘėēĩġĘ 23 ĜĔīĪĔĜėğēĢĜēČĜĞğĥēğėēĘėė ėğēėĭ ĘĥīėĜģĘēĩġ
„und viele Übel und Bedrängnisse werden es treffen und es wird an jenem Tag sagen: ‚Ist es nicht, weil mein Gott nicht in meiner Mitte ist, dass mich diese Übel getroffen haben?‘“ ĜģħīĜĭĤēīĭĤėĜĞģēĘ 20
ĠėġĜģħėīĜĭĤēīġēĜĘ
„und er sagte: ‚Ich will mein Angesicht vor ihnen verbergen…‘“
ĭĔęĘĜĭĔēğĜĭĥĔĬģČīĬēėġĖēėČğē 14 ĬĔĖĘĔğĚ
„…zu dem Erdboden, von dem ich seinen Vätern geschworen habe, überfließend an Milch und Honig“
ĭ ĘĥīĘġĜğĥėħĤē
„Ich will gegen sie Übel versammeln…“
„Aber ich werde verbergen, mein Angesicht verbergen…“ 20
ĜħēĔėĚĖĪĬēČĜĞ
„Ja, ein Feuer, das entbrannt ist in meiner Nase“
„und ich werde mein Angesicht vor ihnen verbergen“
18
ī ĞģğēĘġĥĢĜēĘ
„und bei ihm war kein fremder Gott“
ĢēĩĔğĚĘīĪĔĭēġĚ
„Rahm vom Großvieh und Milch vom Kleinvieh“ 13
ĥğĤġĬĔĖĘėĪģĜĘ
„und er ließ ihn Honig saugen aus einem Felsen“ ĢĬĖĘĥĔĬĘğĞēĘ 15
„Und es wird essen und satt und fett werden…“ ĜģĘĩēģĘ 19
„und sie werden mich verwerfen“
ĥĔĬĜĘĔĪĥĜğĞēĜ ěĥĔĜĘĢĘīĬĜĢġĬĜĘ
„Jakob aß und wurde satt93 und Jeschurun wurde fett und schlug aus“ ĨēģĜĘėĘėĜēīĜʥ „Und als JHWH es sah, schmähte er…“
verbirgt. Auch diese Varianz spricht dafür, dass es sich bei der Zeugenschaft des Liedes nicht um einen ursprünglichen Zusammenhang handelt, vgl. oben Anm. 72 und 77 sowie das Fazit unter 5.5. 93 Vgl. SP/4Qphyln und LXX sowie Kap. 1 Anm. 18.
336 21
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes ĭ ĘīĩĘĭĘĔīĭĘĥīĘĭēĢēĩġĭČĜĞ 23
„wenn viele Übel und Bedrängnisse es treffen…“ 28
ĠĞĜěĔĬĜģĪęČğĞČĭēĜğēĘğĜėĪė ĠĜīĔĖėĭēĠėĜģęēĔėīĔĖēĘĠĞĜīěĬĘ ĨīēėČĭēĘĠĜġĬėČĭēĠĔėĖĜĥēĘėğēė
ĭ ĘĥīĘġĜğĥėħĤē
„Ich will gegen sie Übel versammeln…“ 7
„Versammelt alle Ältesten eurer Stämme und eure Amtsträger zu mir und, so will ich diese Worte in ihre Ohren reden und die Himmel und die Erde als Zeugen gegen sie aufrufen.“
ĠğĘĥĭĘġĜīĞę ī ĘĖĘČīĘĖĭĘģĬĘģĜĔ ĝĖĕĜĘĝĜĔēğēĬ ĝğĘīġēĜĘĝĜģĪę
„Gedenke der Tage der Vorzeit, betrachtet die Jahre aller Generationen. Frage deinen Vater, dass er dir berichte, deine Ältesten, dass sie es dir sagen.“ 1
ėīĔĖēĘĠĜġĬėĘģĜęēė ĜħČĜīġēĨīēėĥġĬĭĘ
„Horcht, ihr Himmel, so will ich reden, und die Erde höre die Worte meines Mundes…“ 29
ĢĘĭĚĬĭĭĚĬėČĜĞ
5
„dass ihr euch vergehen, vergehen werdet“
ĘğĭĚĬ
„Vergangen haben sich an ihm…“
ĠĞĜĖĜėĬĥġĔĘĤĜĥĞėğ 16
„ihn zu beleidigen durch das Werk eurer Hände“
ĘėĤĜĥĞĜĭĔĥĘĭĔ
„durch Abscheulichkeiten beleidigten sie ihn“ 21
ĜģĘĤĥĞğēČēğĔ
„sie haben mich beleidigt durch ihre Nichtse“
5.4.1.1 Das Verhältnis zu den fremden Göttern in Dtn 31,16 und Dtn 32,12 Jeweils eine Stelle in Lied und Rahmen bezieht das Lexem īĞģ („Fremde“, d.h. „fremder Ort“) auf – möglicherweise – neben JHWH existierende Götter. Das Lied verwendet in Dtn 32,12 den weniger häufigen Ausdruck īĞģ ğē („Gott der Fremde“ bzw. „fremder Gott“)94 und verneint, dass ein solcher an der Seite JHWHs in der Geschichte des Volkes aktiv gewesen wäre. Im Gegensatz zu dieser Beschreibung der idealen Frühzeit des Volkes liegt der Fokus in Dtn 31,16 auf dem erwarteten Abfall des Volkes zu den īĞģĜėğē bzw.Ĝėğē ĨīēėČīĞģ („Göttern der Fremde“ bzw. „der Fremde des Landes“).95 Dieses Abfallen von JHWH wird am Schluss des Verses Dtn 31,16 mit dem Bundesbruch identifiziert. Der Begriff ĭĜīĔ („Bund“) ist dem Moselied ganz unbekannt, kommt in der Rahmung aber nochmals in Dtn 31,20 vor.96 Die sehr ähnlichen
Vgl. nur Ps 81,10; Mal 2,11. Für das Verhältnis der Ausdrücke īĞģ ğē und ĠĜėğē ī Ğģė vgl. Kap. 3.3.7.3. 95 Zur Literarkritik vgl. oben Anm. 28 sowie für īĞģĜėğē Jos 24,20; Jer 5,19; fürĠĜėğē ī Ğģė Gen 35,2.4; Jos 24,23; Ri 10,16; 1.Sam 7,3; 2.Chr 33,15. 96 Demgegenüber findet sich in der Rahmung des Moseliedes keine der Bezeichnungen, die im Lied in Dtn 32,16–17 für die frevelhafterweise von Israel verehrten Götter benutzt 94
5.4 Spannungen zwischen dem Lied und seiner Einleitung
337
Formulierungen īĞģ ğē (Dtn 32,12: „Gott der Fremde“) und īĞģ Ĝėğē (Dtn 31,16: „Götter der Fremde“) dienen mithin in Lied und Rahmung mit jeweils höchst unterschiedlicher Aussageabsicht zur Näherbestimmung von Israels Gottesverhältnis. 5.4.1.2 Der brennende Zorn in Dtn 31,17 und Dtn 32,22 Der Sache nach ähneln die Aussagen über JHWHs Reaktion auf den Abfall des Volkes in Dtn 31,17; 32,22 einander. Doch das in beiden Fällen verwendete LexemĦē ist im Lied in Dtn 32,22 mit „Nase“, im Rahmen in Dtn 31,17 indes mit „Zorn“ zu übersetzen. Ferner wurden für den gleichen Vorgang des „Entbrennens“ zwei unterschiedliche hebräische Verben gewählt: ĚĖĪ in Dtn 32,22 und ėīĚ in Dtn 31,17. Die Motivanalyse hatte bereits gezeigt, dass die metaphorische Redeweise des Moseliedes (ĜħēĔėĚĖĪŘē: „ein Feuer, das entbrannt ist in meiner Nase“)97 der poetischen Sprache von Theophanie-Aussagen zuzurechnen ist.98 Sie findet sich in der Hebräischen Bibel weit seltener als die Formulierung des Rahmens, d.h. die Verbindung des Verbs ėīĚ („entbrennen“) mit dem Subjekt Ħē („Zorn“). Letztere ist insgesamt 54 Mal belegt und spiegelt gewöhnlichen Sprachgebrauch. So kann durchaus auch von Menschen gesagt werden, dass ihr „Zorn entbrennt“ (ĦēėīĚ).99 Im Vergleich mit dem Lied benutzt der Rahmen folglich, um den Zorn JHWHs auszudrücken, eine allgemeine Beschreibung, die von der bildlichen Vorstellungswelt des Liedes nichts erkennen lässt. 5.4.1.3 Das Verbergen des göttlichen Angesichts in Dtn 31,17.18 und Dtn 32,20 Die jeweils in wörtlicher Rede von JHWH selbst artikulierte Drohung, er werde sein „Angesicht verbergen“ (ĠĜģħ īĭĤ Hif) drückt sowohl im Lied (in Dtn 32,20) als auch im Rahmentext (in Dtn 31,17.18) die Strafe JHWHs für die Verfehlung des Volkes aus und wird in allen drei Fällen nur geringfügig variiert. Hier also entsprechen Lied und Rahmen einander. 5.4.1.4 Die Übel in Dtn 31,17.21 und Dtn 32,23 Sowohl im Moselied als auch in der Rahmung gehören ĭĘĥī („Übel“ im Plural) zu den Strafen, die JHWH selbst seinem Volk androht. Auffälligerweise aber
werden, vgl. Dtn 32,16a: ĠĜīę („Fremdlinge“); V.16b: ĭĔĥĘĭ („Abscheulichkeiten“); V.17a: ąėžÿēēğĠĜĖŘ („Dämonen, die nicht Gott sind“); V.17b: ĠĘĥĖĜēğĠĜėğē („Götter, die sie nicht gekannt hatten“); V.17c: ĘēĔĔīĪġĠĜĬĖĚ („neue [Götter], die kürzlich gekommen waren“); V.17d: ĠĞĜĭĔēĠĘīĥĬēğ („[Götter], die eure Väter nicht gefürchtet hatten“). 97 Für die Übersetzung des Relativsatzes vgl. LXX sowie Kap. 1 Anm. 27. 98 Vgl. insbes. Jes 50,11; 64,1; Jer 15,14; 17,4 sowie Kap. 3.3.12. 99 Vgl. z.B. Gen 30,2; Ri 9,30; 1.Sam 11,6; Hi 32,3.
338
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
bietet das Lied in Dtn 32,23 das Lexem allein und als Objekt einer Handlung JHWHs, 100 während in der Rahmung in Dtn 31,17.21 zweimal die längere Wendung ĭĘīĩĘ ĭĘĔī ĭĘĥī („viele Übel und Bedrängnisse“) als Subjekt des Verbs ēĩġ (hier: „treffen“) erscheint. Für diese Ausdrucksweise finden sich zwei Teilparallelen in Est 8,6 (ēĩġ + ėĥī) und 1.Sam 10,19 (ĭĘīĩ + ĭĘĥī). Die Formulierung des Liedes (ĭĘĥīĦĤē: „Übel versammeln“) ist hingegen singulär.101 In der Rahmung erscheinen die „Übel“ durch die Verwendung in Subjektstellung gegenüber JHWH eigenständiger als im Lied. 102 Freilich drückt sich innerhalb von Dtn 31,17 die klare Überzeugung aus, dass JHWHs Strafen tatsächlich ihre Wirkung erzielen. Dies geschieht durch die (verkürzte) Wiederholung der Redewendung (ĭĘĥī allein mit dem Verb ēĩġ) im Munde des Volkes, vgl. Dtn 31,17b: ėğēėĭĘĥīėĜģĘēĩġĜĔīĪĔĜėğēĢĜēČĜĞğĥēğė
Ist es nicht, weil mein Gott nicht in meiner Mitte ist, dass mich diese Übel getroffen haben?
Hierin liegt ein entscheidender sachlicher Unterschied zum Moselied, wo am Ende der JHWH-Rede in Dtn 32,29 vorläufig offen bleibt, ob die Erfahrung des Gestraftwerdens das Volk zur Einsicht führt: Wenn sie weise wären, könnten sei dies begreifen, auf ihr Ende achten.
ĭ ēęĘğĜĞĬĜĘġĞĚĘğ ĠĭĜīĚēğĘģĜĔĜ
Die Rahmung sieht demnach schon als gesichert an, was im Lied noch erhofft wird. 5.4.1.5 Milch und Honig in Dtn 31,20 und Dtn 32,13.14 Mit der v.a. im Hexateuch häufiger vorkommenden Wendung ŘĔĖĘĔğĚĭĔę („überfließend an Milch und Honig“) 103 wird im Moselied-Rahmen in Dtn 31,20 das den Israeliten für die Zukunft zugeschworene Land beschrieben. Demgegenüber finden sich die beiden Lexeme Ĕ ĆğĆĚ („Milch“) und ŘĔĖ („Honig“) im Lied zwar ebenfalls zum Ausdruck des Segens, der dem Volk dank JHWH zuteilwird. Hier begegnen sie indessen in der Schilderung der idealen Frühzeit. Auch werden sie nicht wie im Rahmen stereotyp zusammen
Vgl. Dtn 32,23: ĭĘĥīĘġĜğĥėħĤē („Ich will gegen sie Übel versammeln“) sowie zu Textkritik und Übersetzung Kap. 1 Anm. 28. 101 Vgl. auch Kap. 3.3.13.1.1. 102 Vgl. LOHFINK 1962, 53 Anm. 76: „Die vielen Übel und Bedrängnisse (sie sind selbst grammatisches Subjekt geworden) ‚finden‘ die Israeliten. Das ist eine ganz andere Stufe theologischer Reflexion als im Lied.“ 103 Vgl. Ex 3,8.17; 13,5; 33,3; Lev 20,24; Num 13,27; 14,8; 16,13.14; Dtn 6,3; 11,9; 26,9.15; 27,3; Jos 5,6; Jer 11,5; 32,22; Ez 20,6.15. 100
5.4 Spannungen zwischen dem Lied und seiner Einleitung
339
gebraucht, sondern bilden jeweils Parallelismen mit anderen Agrarprodukten. In Dtn 32,13 wird ŘĔĖ („Honig“) parallel zu Ģ Ąġ ĄŘ („Öl“) genannt und in Dtn 32,14 steht ĢēĩĔ ăğĚ Ā („Milch vom Kleinvieh“) innerhalb des Kolons parallel zu īĪĔĭēġĚ („Rahm vom Großvieh“) und zusammen mit diesem im Parallelismus mit ĠĜğĜēĘĠĜīĞĔ Ąğ ăĚ („Fett von Lämmern und Widdern“) aus dem folgenden Kolon.104 Ĕ Ćğ ĆĚ („Milch“) und ŘĔĖ („Honig“) sind im Lied folglich Teil einer umfassenden Aufzählung der Wohltaten JHWHs, die Anklänge an andere Reihungen innerhalb der Hebräischen Bibel aufweist,105 sich aber von der formelhaften Ausdrucksweise des Rahmens, ŘĔĖĘĔğĚĭĔę („überfließend an Milch und Honig“), lexikalisch und semantisch deutlich unterscheidet. 5.4.1.6 Essen und Sattwerden in Dtn 31,20 und Dtn 32,15 Grundsätzlich wird in Moselied und Rahmen der gleiche Zusammenhang formuliert, dass das Volk, von JHWH gut versorgt, den Urheber dieser Wohltaten verkennt und von ihm abfällt. Im rekonstruierten Liedtext von Dtn 32,15 heißt es zunächst:106 ĥĔĬĜĘĔĪĥĜğĞēĜ („Jakob aß und wurde satt“), was einem Teil der Ankündigung des Rahmens in Dtn 31,20 entspricht: ĥĔĬĘğĞēĘ („und [das Volk] wird essen und satt werden“). In der Folge aber verwendet das Lied das Verb ĢġŘ („fett werden“), der Rahmen dagegen das bedeutungsgleiche ĢŘĖ, um auszudrücken, wie das Volk mit dem Segen JHWHs unverantwortlich umgeht. Dies ist umso bemerkenswerter als der Paralleltext in Neh 9,25 wie das Moselied (hier im Qal) das Verb ĢġŘ (im Hifޏil) bezeugt: ĘģĜġĬĜĘ ĘĥĔĬĜĘ ĘğĞēĜĘ („und sie aßen und wurden satt und fett“).107 Der Wortgebrauch des Rahmens ist mit Blick auf den Rest der Hebräischen Bibel weniger spezifisch, denn das Verb ĢŘĖ kommt mit 11 Belegen (in verschiedenen Stämmen) fast dreimal so häufig vor wie das im Moselied verwendete ĢġŘ (4 Belege) und kann ganz unterschiedliche Sachverhalte ausdrücken. Theologisch viel pointierter wird ĢġŘ hingegen – wie im Lied – ausschließlich im Zusammenhang mit der Untreue des Volkes Israel verwendet.108 5.4.1.7 Verschmähen/Verwerfen in Dtn 31,20 und Dtn 32,19 Während im Lied in Dtn 32,19 das Verb Ĩēģ im Qal („schmähen“, „verschmähen“, „verwerfen“) mit JHWH als Subjekt gebraucht wird, steht es im Rahmen in Dtn 31,20 mit dem Volk als Subjekt und im Piޏel („verwerfen“). Bereits im Zuge der Motivkritik war bemerkt worden, dass die Hebräische Bibel in der Mehrheit der Fälle Menschen als Subjekt des Verbs Ĩēģ nennt, JHWH hingegen
104
Zur Zeileneinteilung vgl. Kap. 1 Anm. 16. 105 Vgl. hierzu Kap. 3.3.8.2–3. 106 Vgl. SP/4Qphyln/LXX sowie Kap. 1 Anm. 18 und Kap. 2.B. 107 Vgl. hierzu Kap. 3.3.9.1.1. 108 Vgl. außer Dtn 32,15; Neh 9,25 noch Jes 6,10; Jer 5,28.
340
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
außerhalb des Liedes nur noch zweimal.109 Der Rahmen schließt sich also dem weiter verbreiteten Sprachgebrauch an. Für die Verhältnisbestimmung von Rahmen und Lied ist aber nicht nur von Interesse, dass dasselbe Verb Ĩēģ innerhalb der Moselied-Rahmung den Frevel des Volkes, im Lied selbst jedoch die hieraus resultierende Haltung JHWHs bezeichnet. Da beide Aspekte jeweils in Lied und Rahmen zur Sprache kommen, ist es ebenso bemerkenswert, welche unterschiedlichen Äquivalente für das Verb Ĩēģ gewählt wurden: Die im Lied in Dtn 32,19 mit Ĩēģ („schmähen“) ausgedrückte Reaktion JHWHs ist im Rahmen in Dtn 31,17 mit Ĕęĥ („verlassen“) wiedergegeben; der im Rahmen in Dtn 31,20 mit Ĩēģ Pi („verwerfen“) ausgedrückte Frevel des Volkes ist im Lied in Dtn 32,15 mit Řěģ („verwerfen“), ğĔģ Pi („verhöhnen“), in Dtn 32,18 mit ėŘģ („missachten“)110, ĚĞŘ („vergessen“) umschrieben. Mithin kann zwischen Lied und Rahmen in diesem Fall nur von einer sehr losen Verknüpfung gesprochen werden. 5.4.1.8 Die Rolle der Ältesten in Dtn 31,28 und 32,7 Vordergründig scheint die Ankündigung des Mose in Dtn 31,28 gut mit dem Lied zusammenzustimmen, da sie zuallererst begründet, weshalb die „Ältesten“ über ein weiterzugebendes Wissen verfügen: ĨīēėČĭēĘĠĜġĬėČĭēĠĔėĖĜĥēĘėğēėĠĜīĔĖėĭēĠėĜģęēĔėīĔĖēĘ
…so will ich diese Worte in ihre Ohren reden und die Himmel und die Erde zu Zeugen gegen sie aufrufen.
Das passt zu der im Lied in Dtn 32,7 implizierten Vorstellung, dass die „Ältesten“ in der Lage sind, die Jüngeren über JHWH zu belehren. Allerdings wird das weiterzugebende Wissen hier als geschichtliche Erinnerung charakterisiert: ĠğĘĥĭĘġĜīĞę ī ĘĖĘČīĘĖĭĘģĬĘģĜĔ
Gedenke der Tage der Vorzeit, betrachtet die Jahre aller Generationen. Frage deinen Vater, dass er dir berichte, deine Ältesten, dass sie es dir sagen.
ĝĖĕĜĘĝĜĔēğēĬ ĝğĘīġēĜĘĝĜģĪę
Dem Lied zufolge entspricht sein eigener Inhalt also dem, was im Volk ohnehin bereits bekannt ist und erinnert werden soll. Der Rahmen allerdings präsentiert die Botschaft des Liedes als etwas Neues, das erst von JHWH (durch Vermittlung des Mose) bekannt gemacht werden muss. In dieser grundlegenden Beurteilung unterscheiden sich Lied und Rahmung fundamental, was auf sehr verschiedene paränetische Konzeptionen schließen lässt.
109
Vgl. Jer 14,21; Klg 2,6 sowie Kap. 3.3.10.1. 110 Zu Übersetzung und Textkritik vgl. Kap. 1 Anm. 22.
5.4 Spannungen zwischen dem Lied und seiner Einleitung
341
5.4.1.9 Himmel und Erde in Dtn 31,28 und Dtn 32,1 Am Anfang des Moseliedes werden in Dtn 32,1 eindeutig „Himmel“ (Dtn 32,1a: ĠĜġŘ) und „Erde“ (Dtn 32,1b: Ĩīē) als Hörende der folgenden Botschaft angesprochen.111 Menschliche Adressierte sind ausdrücklich erst in Dtn 32,6 benannt.112 In der Rahmung in Dtn 31,28 hingegen richtet sich die mit Dtn 32,1 wortgleiche Ankündigung „so will ich reden“ ( ėīĔĖēĘ) an „alle Ältesten eurer Stämme und eure Amtsträger“ (ĠĞĜīěĬĘĠĞĜěĔĬĜģĪęČğĞ), während „Himmel und Erde“ angesichts des zu Verkündenden „als Zeugen aufgerufen“ werden (ĖĘĥ Hif). Vermutlich schließt das Bezeugen der Botschaft auch ein Hören derselben ein. Die unterschiedliche Charakterisierung von „Himmel“ und „Erde“ und die damit zusammenhängende Verhältnisbestimmung in Bezug auf die menschliche Hörerschaft in Dtn 31,28; 32,1 scheint jedoch ein jeweils unterschiedliches Verständnis der Kommunikationssituation in Rahmen und Lied vorauszusetzen.113 Gerade weil in beiden Versen mit dem „Geredeten“ und folglich „Zu-Hörenden“ das Lied gemeint ist, muss es verwundern, dass die Adressatenschaft offenbar jeweils anders gefasst wird: Das Lied selbst richtet sich in Dtn 32,1 gleich mit seiner Eröffnung an ein denkbar weites Auditorium, dessen Grenzen mit „Himmel“ und „Erde“ angegeben werden, so dass prinzipiell alle Hörenden, die sich mit der vortragenden Person zu deren Gott JHWH bekennen,114 direkt angeredet sind.115 Der Rahmen indessen lässt die Worte des Mose in Dtn 31,28 zunächst nur Teilen des Volkes, nämlich den „Ältesten“ und „Amtsträgern“ gesagt sein und führt „Himmel und Erde“ letztlich als Garanten dieser exklusiven Form der Überlieferung ein – denn sie müssten ja abgesehen vom Inhalt auch bezeugen, zu wem Mose geredet hat.116 5.4.1.10 Das Sich-Vergehen des Volkes in Dtn 31,29 und Dtn 32,5 Im Lied und im Rahmen wird der Frevel des Volkes mit dem Verb ĭĚŘ bezeichnet. Das Lied verwendet in Dtn 32,5 das Piޏel, der Rahmen in Dtn 31,29 das Hifޏil, aber die Bedeutung „sich vergehen“ ist in beiden Fällen dieselbe. Mit Blick auf die vorausgegangene Motivanalyse ist zu bemerken, dass der Rahmen wie in Ex 32,7–'WQ 0DO 2,8 das Verb ĭĚŘ mit der Wendung ĝīĖė Ģġ īĘĤ („vom Weg abweichen“) kombiniert und direkt auf JHWHs
Vgl. die Ankündigung ėīĔĖēĘ („so will ich reden“) in Dtn 32,1a. 112 Vgl. Dtn 32,6: ĠĞĚ ēğĘ ğĔģ Ġĥ („törichtes und unweises Volk“) sowie die Ausführungen zur Textpragmatik in Kap. 2. 113 Vgl. LUYTEN 1985, 347; THIESSEN 2004, 404. 114 Vgl. Dtn 32,3: ĘģĜėğēğ ğĖĕ ĘĔė ēīĪē ėĘėĜ ĠĬ ĜĞ („Wenn ich den Namen JHWHs ausrufe, gebt unserem Gott Ehre!“). 115 Vgl. Kap. 2 sowie Kap. 3.3.1. 116 Vgl. für die unterschiedliche Deutung von „Himmel“ und „Erde“ in Rahmen und Lied z.B. S.R. DRIVER 1902, 344.349; BUDDE 1920, 13; MAYES 1981, 380; TIGAY 1996, 298; NELSON 2002, 370 sowie ergänzend Kap. 3.3.1.1. 111
342
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
Gebote bezieht.117 Obwohl sich große Teile des Liedes sachlich gerade mit den Implikationen des fehlenden Gebotsgehorsams befassen, ist die Aussage in Dtn 32,5 zunächst wesentlich knapper und dadurch grundsätzlicher gehalten. 5.4.1.11 Die Beleidigung JHWHs durch das Volk in Dtn 31,29 und Dtn 32,16.21 Schließlich bezeichnen sowohl das Moselied selbst in Dtn 32,16 als auch der Rahmen in Dtn 31,29 die Verehrung anderer Götter durch das Volk – deuteronomistischem Sprachgebrauch gemäß – mit dem Verb ĤĥĞ Hif („beleidigen“). Innerhalb der Rahmung findet sich in unmittelbarer Nähe zu diesem Verb auch der Ausdruck ėĘėĜĜģĜĥĔĥīėėřĥ („das Böse in den Augen JHWHs tun“), wie er ebenfalls für die Bücher Deuteronomium bis 2. Könige und besonders für die Königsbewertungen typisch ist.118 Das Lied bietet seinerseits eine Abwandlung in Dtn 32,21, wo in demselben Sinn und Zusammenhang das Piޏel von ĤĥĞ benutzt wird. 5.4.1.12 Zwischenfazit Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in Moselied und Rahmen nur in drei Fällen dieselben Worte auch in derselben Weise verwendet werden. Dies betrifft JHWHs Drohung, sein „Angesicht zu verbergen“, 119 sowie die beiden Verben zum Ausdruck des Frevels, den das Volk gegenüber JHWH begeht: ĭĚŘ Hif/Pi („sich vergehen“)120 und ĤĥĞ Hif („beleidigen“).121 Deutlich in der Überzahl sind demgegenüber die Worte und Wendungen, die in Lied und Rahmen jeweils merklich anders verwendet werden. An zwei Stellen scheint der Rahmen im Vergleich mit dem Lied die gemeinsamen Vokabeln in einem allgemeineren Sinne zu verwenden und die theologische Aufladung des Liedes nicht zu teilen: Gegenüber den geläufigen Formulierungen des Rahmens in Dtn 31,17.20 bringt das Lied in Dtn 32,22 den Zorn und in Dtn 32,15 das Fettwerden des Volkes deutlich pointierter zum Ausdruck. Eine jeweils ganz andere Art von Aussage transportieren die Bezeichnungen īĞģĜėğē („Götter der Fremde“) bzw. īĞģğē („fremder Gott“) in Dtn 31,16 und Dtn 32,12, das Wort ĭĘĥī („Übel“) in Dtn 31,17.21 und
117
Vgl. Kap. 3.3.4.2. Die genannten Vergleichsstellen bezeugen jedoch wie das Lied das Piޏel des Verbs. 118 Vgl. Dtn 4,25; 9,18; 17,2; Ri 2,11; 3,7.12; 4,1; 6,1; 10,6; 13,1; 1.Sam 15,19; 1.Kön 11,6; 14,22; 15,26.34; 16,19.25.30; 21,20.25; 22,53; 2.Kön 3,2; 8,18.27; 13,2.11; 14,24; 15,9.18.24.28; 17,2.17; 21,2.6.16.20; 23,32.37; 24,9.19. In Dtn 9,18 findet sich sogar die exakt mit Dtn 31,29 übereinstimmende Formulierung ĘĤĜĥĞėğ ėĘėĜ ĜģĜĥĔ ĥīė („das Böse in den Augen JHWHs, ihn zu beleidigen“). 119 Vgl. Dtn 31,17.18; Dtn 32,20: ĠĜģħīĭĤ Hif. 120 Vgl. Dtn 31,29; 32,5. 121 Vgl. Dtn 31,29; 32,16.
5.4 Spannungen zwischen dem Lied und seiner Einleitung
343
Dtn 32,23, das Verb Ĩēģ („verwerfen“ bzw. „schmähen“) in Dtn 31,20 und Dtn 32,19, die Verweise auf die „Ältesten“ in Dtn 31,28 und Dtn 32,7 sowie auf „Himmel und Erde“ in Dtn 31,28 und Dtn 32,1. Es fällt auch auf, dass die Rahmung viel stärker von formelhafter Rede geprägt ist. Dies gilt nicht nur für die oben diskutierten Vergleichsstellen, doch mit Blick auf sie ist der Befund besonders eindrücklich. Während im Lied die Worte Ĕ Ćğ ĆĚ („Milch“), ŘĔĖ („Honig“) und ĭĘĥī („Übel“) jeweils in Redezusammenhängen gebraucht werden, für die es keine exakten Parallelen in der Hebräischen Bibel gibt,122 waren die entsprechenden Redewendungen des Rahmens alle mehrfach belegt. Selbst zwei der drei Ausdrücke, die in Rahmung und Lied in demselben Sinn verwendet werden, traten im Rahmen in Verbindungen auf, die auch anderswo in der Hebräischen Bibel begegneten: das Verb ĭĚŘ („sich vergehen“) zusammen mit der Formulierung ĝīĖė Ģġ īĘĤ („vom Weg abweichen“) und das Verb ĤĥĞ Hif („beleidigen“) in Kombination mit der Formulierung ėĘėĜ ĜģĜĥĔ ĥīė ėřĥ („das Böse in den Augen JHWHs tun“). Ebenso fanden sich in den Fällen, da in Lied und Rahmen verwandte (aber nicht dieselben) Worte benutzt wurden, mehr (so für īĞģ Ĝėğē: „Götter der Fremde“) bzw. prägnantere (so für ĖĘĥ Hif: „zu Zeugen aufrufen“ mit Himmel und Erde als Objekt) Parallelstellen für die Formulierung des Rahmens. Die folgende Tabelle fasst diesen Befund zusammen. Dtn 31 16
17.21 20
Parallelen: īĞģĜėğē („Götter der Fremde“)
ĭĘīĩĘĭĘĔīĭĘĥī („viele Übel und Bedrängnisse“) + ēĩġ („treffen“) ŘĔĖĘĔğĚĭĔę
(„überfließend an Milch und Honig“)
28 29 29
ĖĘĥ Hif („zu Zeugen aufrufen“) mit Himmel und Erde als Objekt ĭĚŘ Hif („sich vergehen“) + ĝīĖėĢġīĘĤ („vom Weg abweichen“) ĤĥĞ Hif („beleidigen“) + ėĘėĜĜģĜĥĔĥīėėřĥ („das Böse in den Augen JHWHs tun“)
122
Vgl. Kap. 3.3.8.2–3 und 3.3.13.1.1.
*HQ-RV Ri 6DP 2.Chr -HU 1.Sam 10,19 (ĭĘīĩ + ĭ Ęĥī) Est 8,6 (ēĩġ + ėĥī) ([ Lev 1XP 'WQ -RV -HU (] 'WQ Ex 32,7–'WQ0DO 2,8 (mit ĭĚŘ Pi) Dtn 9,18
344
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
Als einzige längere Wendung ist ĠĜģħīĭĤ Hif („das Angesicht verbergen“) mit JHWH als Subjekt sowohl im Lied als auch zweimal im Rahmen und darüber hinaus häufiger in der übrigen Hebräischen Bibel bezeugt.123 Angesichts dieser Beobachtungen muss bezweifelt werden, dass Lied und Rahmung von einer Hand stammen. Vielmehr scheint der Rahmentext unter bewusster Bezugnahme auf das Lied, jedoch mit einer ganz anderen Agenda geschrieben worden zu sein. Die vielfachen wörtlichen Anklänge lassen das Bemühen erkennen, auf das Lied vorauszuweisen, doch die Entsprechungen bleiben oberflächlich. Anstatt auf die Aussagen des Liedes hinzuführen und dessen Botschaft vorzubereiten, lehnt sich der Rahmen an andere Texte und Traditionen an und schafft dadurch einen Kontext für das Moselied, den dieses selbst nicht voraussetzt. 5.4.2 Die Charakterisierung des Liedes Mit der Bezeichnung Ě ąĪ Ąğ („Lehre“) in Dtn 32,2 ist schon ein wichtiger Hinweis zum Selbstverständnis des Moseliedes gegeben: Es handelt sich um eine Komposition, die eine Botschaft zu vermitteln sucht und deshalb an die Einsicht ihrer Hörerschaft appelliert.124 Dabei verkörpert das Lied nicht selbst einen neuen Lehrinhalt, sondern setzt voraus, dass die Traditionen Israels, auf die es sich bezieht, den Hörenden bereits bekannt sind.125 Was es seinerseits vorlegt, sind lediglich Schlüsse aus diesen ihm vorgegebenen und im Volk bezeugten Stoffen.126 Die Rückblicke (Dtn 32,8–14.15–18.19.26) und gehäuften Zitate (vgl. Dtn 32,20–29.34–35.37–42 einschließlich der mehrfachen Verschachtelung von Selbst- und Fremdzitaten) haben starken Verweis-Charakter. So liefert die (tradierte) Geschichte des Volkes Israel dem Moselied einen Hintergrund,127 um über den Zusammenhang von göttlichem und menschlichem Handeln zu reflektieren und das richtige Verhalten gegenüber JHWH anzumahnen. Dementsprechend wird die Einsicht in die alleinige Geschichtsmächtigkeit JHWHs zum zentralen Kriterium für die Zugehörigkeit zum Gottesvolk – und die Scheidung im Volk zwischen den treulosen (vgl. Dtn 32,20) und den einsichtigen „Söhnen“ (vgl. Dtn 32,29) JHWHs zum Fluchtpunkt der
123
Vgl. Dtn 31,17.18; 32,20; Hi 13,24; Ps 10,11; 13,2; 22,25; 27,9; 30,8; 44,25; 69,18; 88,15; 102,3; 104,29; 143,7; Jes 8,17; 54,8; 64,6; Jer 33,5; Ez 39,23.24.29; Mi 3,4 sowie Kap. 3.3.10.2. 124 Vgl. insbes. Dtn 32,6.28–29.39 sowie die Ausführungen zur Textpragmatik in Kap. 2 und die Motivanalyse in Kap. 3.3.2. 125 Vgl. die rhetorischen Fragen in Dtn 32,6.34–35. 126 Vgl. Dtn 32,7c–d: ĝğĘīġēĜĘĝĜģĪęĝĖĕĜĘĝĜĔēğēĬ („Frage deinen Vater, dass er dir berichte, deine Ältesten, dass sie es dir sagen“). 127 Vgl. Dtn 32,7a–b: ī ĘĖĘČīĘĖĭĘģĬĘģĜĔĠğĘĥĭĘġĜīĞę („Gedenke der Tage der Vorzeit, betrachtet die Jahre aller Generationen“) sowie die grundsätzlichen Überlegungen zur Bezugnahme auf die Geschichte in Kap. 4.2.1.
5.4 Spannungen zwischen dem Lied und seiner Einleitung
345
Geschichte.128 Demgegenüber verweist die im Rahmen für das Lied verwendete Bezeichnung Ėĥă (Dtn 31,19.21: „Zeuge“) in einen völlig anderen Assoziationsraum.129
Exkurs: Zeugenschaft in der Hebräischen Bibel Zweimal wird in der Hebräischen Bibel ausführlich davon gehandelt, dass ein nicht-menschlicher „Zeuge“ (Ėĥă ) die Gültigkeit einer Absprache zwischen Menschen bekräftigen soll: In Gen 31 bestimmen Jakob und Laban einen „(Stein-)Haufen“ (Gen 31,48.52: ğąŠ) zum Zeugen für ihre gemeinsame Grenzziehung;130 in Jos 22 erklären die Israeliten – nach einem anfänglichen Streit zwischen den Stämmen um einen östlich des Jordans erbauten „Altar“ (Jos 22,11.26: ĚĔęġ) – gerade diesen Altar schließlich gegenüber den Stämmen östlich und westlich des Jordans zum gemeinsamen „Zeugen“ (Jos 22,27.28.34) dafür, dass man demselben Gott dient. Öfter wird in grundsätzlichen Bestimmungen in den Büchern Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium ein einzelner Mensch als „Zeuge“ für einen bestimmten Sachverhalt benannt. Wie in den Beispielen aus Gen 31 und Jos 22 geht es auch in diesen Fällen darum, dass eine neutrale Instanz zwischen zwei Parteien die Wahrheit einer beide Seiten betreffenden Aussage bekräftigt.131 Demgemäß betonen zahlreiche Sprüche innerhalb der Proverbien, wie wichtig die Aufrichtigkeit eines solchen „Zeugen“ ist.132 Vereinzelt wird bei Hiob und in den Psalmen ein „Zeuge“ zwischen Menschen und JHWH gesucht, um die Qualität des Gottesverhältnisses, von dem jeweils die Rede ist, zu bestätigen.133 An mehreren Stellen in den prophetischen Büchern erscheint JHWH jedoch selbst als „Zeuge“ für den von seinem Volk (nicht) begangenen Frevel, um mit allem Nachdruck die weitreichende Bedeutung der in Zweifel gezogenen Rechtschaffenheit des Volkes zu veranschaulichen. 134 Hier wurde die ursprüngliche Konzeption des „Zeugen“ als einer neutralen Instanz zwischen
128
WÜSTE 2018, 97 spricht von der „Unterscheidung in [sic] JHWH-Treue und Frevler“ und merkt an: „Der Begriff ĥ ĆŘīĆ wird im Moselied zwar nicht verwendet, der Sache nach geht es aber darum.“ 129 Vgl. LUYTEN 1985, 347. 130 Dabei scheint der sichtbare „Haufen“ ein Symbol für die ebenfalls genannten unsichtbaren Zeugen zu sein: in Gen 31,44 der „Bund“ (ĭĜīĔ) selbst, in Gen 31,50 hingegen „Gott“ (ĠĜėğē). 131 Vgl. Ex 20,16; Num 35,30; Dtn 17,6 u.ö. sowie VAN LEEUWEN 1976, 211; SIMIANYOFRE 1986, 1112: „Die am genauesten identifizierbare Kategorie [des Gebrauchs von Ėĥă ] ist die des Zeugen vor Gericht.“ 132 Vgl. Prov 6,19; 12,17.19 u.ö. 133 Vgl. Hi 16,8.19; Ps 89,38 (in bildlicher Rede). 134 Vgl. Jer 29,23; 42,5; Mi 1,2; Zef 3,8; Mal 3,5.
346
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
zwei Vertragspartnern 135 überlagert von der Vorstellung, dass gegenüber JHWH jeder menschliche Täuschungsversuch ohnehin zwecklos und ein weiterer „Zeuge“ daher überflüssig sei.136 Ganz ähnlich wie in der Moselied-Rahmung (in Dtn 31,19.21.26) wird indessen auch im (konjizierten) Text von Jes 30 ein Schriftstück zum „Zeugen“ erklärt, vgl. Jes 30,8–9:137 ēĘėĜīġĠĥĜĞĠğĘĥČĖĥĖĥğĢĘīĚēĠĘĜğĜėĭĘėĪĚīħĤČğĥĘĠĭēĚĘğČğĥėĔĭĞēĘĔėĭĥ ėĘėĜĭīĘĭĥĘġĬĘĔēČēğĠĜģĔĠĜĬĚĞĠĜģĔ
Nun komm, schreibe es auf eine Tafel bei ihnen und auf einer Rolle schreibe es fest, damit es zum Zeugen wird für einen späteren Tag, bis in Ewigkeit, denn es ist ein widerspenstiges Volk, betrügerische Söhne, Söhne, die nicht hören wollen auf die Weisung JHWHs.
Die an den zitierten Textstellen greifbar werdende Konzeption kann aber auch mit Hilfe des Verbs ĖĘĥ Hif („als Zeuge aussagen“ bzw. „zu Zeugen aufrufen“) ausgedrückt werden. 138 Zwei längere Beispiele aus dem zwischenmenschlichen Bereich finden sich in 1.Kön 21 (Falschaussagen gegen Nabot) und Jer 32 (Ackerkauf in Anatot), wo jeweils Menschen als Zeugen für die (vermeintliche) Legitimität eines Rechtsaktes auftreten.139 In Dtn 4,26; 30,19 beruft Mose dagegen Himmel und Erde in diese Funktion. Der Kontext ist an beiden Stellen der Bundesschluss JHWHs mit seinem Volk.140 Himmel und Erde werden zu Zeugen dieses Bundes gemacht und sollen von dritter Seite bestätigen, welche Strafen dem Volk drohen, falls es von JHWH abfällt.141 Damit wird der Bund in der Sicht des Deuteronomiums – wie die menschlichen Verträge zwischen Jakob und Laban (vgl. Gen 31) oder Jeremia und seinem Cousin Chanamel (vgl. Jer 32) – gegenüber der einseitigen Missachtung durch eine der Vertragsparteien abgesichert: Weil Himmel und Erde ebenfalls um den Inhalt des Bundes wissen, kann er weder von JHWH noch vom Volk geleugnet oder stillschweigend ignoriert werden. Er muss deshalb als unbedingt gültig angesehen werden. Anders als in Dtn 4,26; 30,19, wo es unzweifelhaft darum geht, durch die Anrufung von Zeugen den Inhalt des Bundes zwischen JHWH und seinem Volk zu bestätigen, wird in Dtn 31,19.21 nicht ganz klar, was genau das (von Mose
135
In diesem Sinne wird JHWH auch in 1.Sam 12,5 als „Zeuge“ angerufen. 136 Vgl. VAN LEEUWEN 1976, 216–217. 137 Für die Konjektur des MT von Ė ąĥ Ćğ („für immer“) zu Ėĥă ğþ („zum Zeugen“) in Jes 30,8 vgl. z.B. KAISER 1983, 231; BLENKINSOPP 2000, 414.415. 138 Vgl. SIMIAN-YOFRE 1986, 1121–1123. An den meisten Stellen wird ĖĘĥ Hif jedoch eher abstrakt im Sinne von „warnen“ oder „bekunden“ gebraucht, um die Wichtigkeit einer Aussage zu betonen, vgl. z.B. Gen 43,3; Ex 19,21.23; 1.Sam 8,9; Hi 29,11; Jer 6,10 u.ö. 139 Vgl. in diesem Sinne auch Jes 8,2. 140 Vgl. Dtn 4,13.23.31 bzw. Dtn 28,69; 29,8.11.13.20.24. 141 Vgl. SIMIAN-YOFRE 1986, 1122 sowie Kap. 3.3.1.1.
5.4 Spannungen zwischen dem Lied und seiner Einleitung
347
im Auftrag JHWHs an das Volk weitergegebene) „Lied“ bezeugen soll. Freilich wird derselbe Kontext aufgerufen wie in Dtn 4; 30, denn vom „Bund“ (ĭĜīĔ) ist auch in Dtn 31,16.20 die Rede. Da jedoch eindeutige syntaktische Verknüpfungen in Dtn 31,16–21 fehlen, kann als zu bezeugender Inhalt entweder JHWHs anfängliches Wohlwollen gegenüber dem Volk (vgl. Dtn 31,20a), der Abfall des Volkes (d.h. der Bundesbruch, vgl. Dtn 31,16.20b), die es daraufhin ereilenden Strafen (vgl. Dtn 31,17–18) oder JHWHs Vorauswissen all dessen (vgl. Dtn 31,21) angenommen werden.142 Mit Blick auf den Inhalt des Liedes könnte prinzipiell all dies gemeint sein, d.h. das Lied würde (gemäß der Fiktion des Deuteronomiums) zu einem zukünftigen Zeitpunkt nach der Landnahme durch seinen Wortlaut nicht nur bestätigen, was nach JHWHs Willen zu geschehen hatte, sondern auch, dass JHWH den Bundesbruch seines Volkes vorausgesehen hatte.143 Allerdings findet sich im Lied selbst kein Hinweis auf den „Bund“. Auch die Gebote oder die „Weisung“ werden nicht erwähnt, ebenso wenig der Sinai oder der Horeb als Orte des Bundesschlusses und der Gebotsmitteilung. Während der Rahmen die Thematik des Frevels direkt mit der Rede vom „Bund“ verknüpft (vgl. Dtn 31,16.20),144 das „Lied“ (zumindest teilweise) mit der „Weisung“ gleichsetzt (vgl. Dtn 31,24––47)145 und sich in seinem Ausblick fernerhin ganz konkret auf die Landnahme als positive Konsequenz der Bundestreue bezieht (vgl. Dtn 31,16.20.21), spielen diese zentralen Themen des Deuteronomiums im Lied keine Rolle.146 Für seine Geschichtskonzeption sind – im Unterschied zum übrigen Deuteronomium, einschließlich des Rahmens – nicht theologische Leitsätze oder -worte von Bedeutung, sondern ausschließlich die praktischen Konsequenzen der Gottesbeziehung. Beides, d.h. sowohl die Beziehung des Volkes zu JHWH als auch die sich daraus ergebenden Verpflichtungen, stellt es als natürlich und keinesfalls als gesetzlich dar.147 Folglich soll das Lied aus der Sicht des Rahmens etwas bezeugen, für das es selbst gar nicht steht: die (in weiten Teilen des Deuteronomiums ausdrücklich verhandelte, in Dtn 32,1–43 aber nicht einmal ausgesprochene) Bedeutung des Bundes.148
142
Vgl. oben Anm. 92 für die unterschiedlichen Beurteilungen in der Literatur. 143 Zur Frage nach dem prophetischen Charakter des Liedvortrags vgl. auch das Fazit unter 5.5. 144 Vgl. dagegen die völlig anderen Beschreibungen des Frevels im Lied in Dtn 32,15– 18. 145 Vgl. auch oben 5.3. 146 Vgl. RÜTERSWÖRDEN 2006, 191. 147 Vgl. hierzu insbes. Kap. 3.3.4 und 3.3.9.1. 148 Vgl. LOHFINK 1962, 53; TIGAY 1996, 509–510.
348
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
Wie unterschiedlich Rahmen und Lied konzipiert sind, lässt sich außerdem daran erkennen, in welcher Weise das Volk jeweils angeredet wird:149 Im Lied wendet sich ein anonymes, individuell nicht fassbares Ich an die Hörerschaft, indem es an die gemeinsame Gottesbeziehung erinnert. Die Rahmung identifiziert Mose als diese Gestalt (vgl. Dtn 31,19.22.30; 32,44) und hebt ihn ausdrücklich vom Volk ab, anstatt ihn als Teilhaber an der gemeinsamen Geschichte zu beschreiben. In Dtn 31,29 scheint Mose gegenüber dem Rest des Volkes geradezu auf der Seite JHWHs zu stehen: ĠĞĭēĭēīĪĘĠĞĭēĜĭĜĘĩīĬēĝīĖėČĢġĠĭīĤĘĢĘĭĚĬĭĭĚĬėČĜĞĜĭĘġĜīĚēĜĭĥĖĜĜĞ ĠĞĜĖĜėĬĥġĔĘĤĜĥĞėğėĘėĜĜģĜĥĔĥīėČĭēĘĬĥĭČĜĞĠĜġĜėĭĜīĚēĔėĥīė
Denn ich habe erkannt: Nach meinem Tod, da werdet ihr euch vergehen, vergehen und abweichen von dem Weg, den ich euch geboten habe. Und das Übel wird euch treffen am Ende der Tage, denn ihr tut das Böse in den Augen JHWHs, ihn zu beleidigen durch das Werk eurer Hände.
Entsprechend „erkennt“ (ĥĖĜ) nicht nur JHWH (vgl. Dtn 31,21), sondern auch Mose schon im Vorhinein (vgl. Dtn 31,27.29), wie das Volk sich künftig verhalten wird. 150 Nach dem Verständnis des Rahmens beweist somit die Geschichte, dass die Einschätzung der Zukunft ein göttliches Privileg ist. Allein Mose kann ebenfalls erkennen, was geschehen wird, weil JHWH es ihm ermöglicht. Im Lied hingegen ist eine ganz andere Art von Voraussicht thematisiert, wenn in Dtn 32,29 über das Volk gesagt wird: Wenn sie weise wären, könnten sei dies begreifen, auf ihr Ende achten.
ĭ ēęĘğĜĞĬĜĘġĞĚĘğ ĠĭĜīĚēğĘģĜĔĜ
Hier ist es Sache des Volkes, zu erkennen, welche Folgen sein frevelhaftes Verhalten am „Ende“ haben muss. In mehreren Anläufen wird dieser weisheitliche Anspruch als zentrales Anliegen im Lied formuliert (vgl. Dtn 32,5–7.19– 20.28–29), während dagegen die mangelnde Einsicht des Volkes im Rahmen überhaupt nicht als Problem erscheint. Der Rahmung zufolge versteht das Volk in Dtn 31,17 sofort, dass die „Übel“, die es erleidet, als Folge von JHWHs
149
Vgl. für das Folgende auch den Exkurs „JHWHs Volk als Hörer des Moseliedes“ in Kap. 2. 150 Die verschiedenartigen Motivparallelen von Dtn 31,21 und Gen 6,5; 8,21, d.h. die Vorstellung eines frevelhaften „Strebens“ (ī ĄĩăĜ) der Menschen, sowie von Dtn 31,27 und Dtn 9,6.7.13.23.24.27, d.h. die Klage über das Volk als „widerspenstig“ (ėīġ Hif) und „halsstarrig“ (ĦīĄ ĥć Čė ăŘ þĪ), und schließlich von Dtn 31,29 und Ex 32,7–8; Dtn 9,12; Mal 2,8, d.h. die Charakterisierung des Volkes als „sich vergehend“ (ĭĚŘ Pi bzw. Hif) und „vom Weg abweichend“ (ĝīĖė Ģġ īĘĤ), zeigen an, dass hier keine einheitliche Konzeption vorliegt, sondern nach und nach verschiedene Inhalte mit der Vorstellung der göttlichen bzw. mosaischen Vorsehung verbunden wurden.
5.4 Spannungen zwischen dem Lied und seiner Einleitung
349
Abwesenheit und diese wiederum als Reaktion auf die eigene Gottlosigkeit gedeutet werden müssen: ĭĘīĩĘĭĘĔīĭĘĥīĘėēĩġĘğĞēğėĜėĘĠėġĜģħĜĭīĭĤėĘĠĜĭĔęĥĘēĘėėČĠĘĜĔĘĔĜħēėīĚĘ ėğēėĭĘĥīėĜģĘēĩġĜĔīĪĔĜėğēĢĜēČĜĞğĥēğėēĘėėĠĘĜĔīġēĘ
Und an jenem Tag wird mein Zorn gegen es entbrennen und ich werde sie verlassen und mein Angesicht vor ihnen verbergen und es wird zum Fraß werden und viele Übel und Bedrängnisse werden es treffen und es wird an jenem Tag sagen: „Ist es nicht, weil mein Gott nicht in meiner Mitte ist, dass mich diese Übel getroffen haben?“
Die unterschiedliche Charakterisierung des Moseliedes im Rahmen und durch das Lied selbst ist mithin auf mehreren Ebenen zu erfassen und hängt mit einer jeweils eigenen Geschichtskonzeption und einer ganz verschiedenen Beurteilung des Verhältnisses von JHWH und seinem Volk zusammen. Scheint das Lied, für sich betrachtet, eher auf die Frage zu reagieren, wozu das frevelhafte Volk nach dem Abfall noch eine Chance bekommt, beantwortet der Rahmen die Frage, wie JHWH den Abfall des Volkes überhaupt zulassen konnte und verweist zur Bestätigung auf das Lied. Für die Hörenden oder Lesenden bedeutet dies, dass sie in der Moselied-Einleitung zunächst darüber belehrt werden, wie die verschiedenen Themen des Deuteronomiums zusammenhängen, und erfahren, dass JHWH ihre Ignoranz gegenüber dem hier Grundgelegten in seinen Geschichtsplan schon einkalkuliert hatte. Durch das Lied werden sie dann aber selbst aufgefordert, ihre Geschichte JHWH entsprechend zu gestalten.
Exkurs: Zur Ausgestaltung der „Fabel“ von Dtn 31–32 in MT und LXX Norbert Lohfink hat den Begriff der „Fabel“ eingeführt, um den in Dtn 31–32 auf der Ebene des Endtextes vorausgesetzten Ereignisablauf zu bezeichnen. 151 Sein Anliegen war es, die Logik zu erfassen, nach der eine redigierende Person die – durchaus auch von ihm angenommenen – „geprägten Quellen“152 dieser Kapitel angeordnet und verbunden hatte. Somit stehen Lohfinks Überlegungen nicht im Widerspruch zu den klassischen Versuchen, innerhalb von Dtn 31–32 ursprünglich unabhängige Texteinheiten zu identifizieren. Auch er nimmt die Unterschiedlichkeit des in diesen beiden Kapiteln zusammenkommenden Materials wahr. Sein Blick richtet sich aber nicht auf die Herkunft der einzelnen Stoffe, sondern auf die Art und Weise, in der sie kombiniert worden sind. Es lohnt sich, MT und LXX gezielt unter diesem Aspekt miteinander zu
151
Vgl. oben Anm. 12. 152 LOHFINK 1962, 51.
350
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
vergleichen. Denn an den verschiedenen Schwerpunktsetzungen der Versionen lässt sich ein jeweils spezifischer Gestaltungswille ablesen, was letztlich Rückschlüsse auf die unterschiedlichen Aussageabsichten der Tradierenden bzw. Übersetzenden, aber auch auf die von ihnen in ihrer Vorlage wahrgenommenen Mängel ermöglicht. Eine mögliche Rekonstruktion der in Dtn 31–32 hinter dem Text von MT und LXX liegenden Intentionen hat Karin Finsterbusch vorgestellt,153 wobei sie die erkennbaren Differenzen in der „Fabel“ auf zwei unterschiedliche Standorte in Bezug auf die literarische Einbettung des Moseliedes zurückführt: Die Erzählung von MT ziele darauf, das Moselied in ein noch unabhängiges Deuteronomium zu integrieren,154 während die Version der LXX schon mit Blick auf den gesamten Pentateuch formuliert worden sei.155 Insgesamt bietet MT156 einen Text, der in erzählerischer Hinsicht uneinheitlicher, stellenweise überraschend oder sogar unplausibel ist. Ein grundlegender Unterschied in der Konzeption der Narration von MT und LXX wird gleich zu Beginn in Dtn 31,1 deutlich:157 In Folge einer – absichtlichen oder unabsichtlichen – minimalen Buchstabenvertauschung (bei der Ğ und ğ den Platz wechseln) öffnet MT die eigentlich schon abgeschlossene Gesetzesverkündung des Mose noch einmal für eine weitere Rede. Dtn 31,1 MT: ī ĔĖĜĘėĬġĝğĜĘ
Und Mose ging und redete…
Der von 1QDeutb bezeugte, vermutlich ursprüngliche Wortlaut passt besser zum Vorhergehenden, da die Paränese von Dtn 30 tatsächlich zu einem Ende gekommen war. Dtn 31,1 1QDeutb: ī ĔĖğėĬġğĞĜĘ
Und Mose vollendete zu reden…
MT ermöglicht formal eine unkomplizierte Fortsetzung der Moserede, verzichtet aber auf eine logische Anknüpfung. Dies entspricht der Grundtendenz von MT im Umgang mit dem Text in Dtn 31–32. Sehr viel eleganter löst LXX das Problem, wenn hier das ursprüngliche Verb „vollenden“ beibehalten, aber
153
Vgl. FINSTERBUSCH 2016. 154 Vgl. auch CARRILLO ALDAY 1970, 135–145. 155 Vgl. FINSTERBUSCH 2016, 632–633.647–648. 156 Das in diesem Exkurs über MT Gesagte gilt im Wesentlichen auch für SP, vgl. aber für Einzelheiten die Anmerkungen zur Übersetzung oben unter 5.1. 157 Vgl. LOHFINK 1993, 258–259.
5.4 Spannungen zwischen dem Lied und seiner Einleitung
351
inhaltlich neu gefüllt wird: Erst durch weitere Worte, die diesem Satz folgen, wird Mose sein Reden tatsächlich abschließen. Dtn 31,1 LXX: ôëťûý÷ïüěõïûï÷ÛþýûĦÏõëõņ÷
Und Mose vollendete, indem er redete…
Mehrmals erweckt fernerhin die Version der Masoreten (bedingt durch Wechsel im Numerus der Verben) den Eindruck, dass Josua plötzlich als Akteur dem Mose zur Seite tritt und wieder verschwindet. So ist in Dtn 31,16 Mose allein angesprochen, nachdem vorher (laut Dtn 31,14–15) Mose und Josua vor JHWH treten.158 In Dtn 31,19 bemerkt man einen Wechsel gar innerhalb des Verses: Auf einen pluralischen Imperativ zum Niederschreiben des Liedes (offenbar an Mose und Josua gerichtet) folgen zwei singularische hinsichtlich der mündlichen Weitergabe (die wohl auf Mose zu beziehen sind). Stattdessen finden sich in diesem Vers in LXX nur Pluralformen, so dass durchgehend Mose und Josua gemeinsam beauftragt werden, zu schreiben und zu lehren. In Dtn 31,28 MT verwundert, dass die zuvor angeredeten Leviten (vgl. Dtn 31,25) gerade die „Ältesten“ und „Amtsträger“ als weitere Hörer des Liedes herbeiholen sollen. Auch ist fraglich, wie sich diese Aufforderung zu Dtn 31,30 verhält, wo (anscheinend noch darüber hinausgehend) „die ganze Versammlung Israels“ angesprochen ist. Ob hier zwei unterschiedliche Versammlungen zusammengetreten sein sollen, um das Lied zu hören, lässt der Text nicht klar erkennen. 159 Der ganze Nachdruck liegt in MT darauf, dass Mose (mit gutem Grund) das Lied verkündet. LXX macht in Dtn 31,28 umfassendere Angaben zur Hörerschaft. Als sollte schon hier auf die Gesamtheit des Volkes hingewiesen werden, zählt der Text zusätzlich „Anführer“ und „Richter“ auf.160 Im Anschluss an den Liedtext insinuieren auch in Dtn 32,44 die singularischen Verbformen des MT, dass Mose – wie in Dtn 31,30 – allein „kam und redete“, um das Lied zu Gehör zu bringen, doch der Schluss des Verses erwähnt daneben Josua. 161 In LXX sind die Aufgaben anders verteilt: Mose allein schreibt das Lied auf, während Mose und Josua gemeinsam die Weisung lehren. Dadurch vermeidet LXX nicht nur die Wiederholung des schon in Dtn 31,30 Gesagten (Mose trug das Lied vor), zugleich werden „Lied“ und „Weisung“ dank der Formulierung von Dtn 32,44–45 klarer aufeinander bezogen.
158
So auch in LXX, vgl. aber das Folgende. 159 Vgl. oben Anm. 81. 160 Vgl. oben Anm. 36. 161 FINSTERBUSCH 2016, 637 Anm. 22 erwägt, dass die Inkonsistenzen in Bezug auf die Tätigkeiten von Mose und Josua das Ringen unterschiedlicher Interessengruppen im Blick auf die Endredaktion des Pentateuchs und Hexateuchs spiegeln könnten.
352
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
Dtn 32,44–45 MT: īĔĖğėĬġğĞĜĘĢĘģČĢĔĥĬĘėĘēĘėĠĥėĜģęēĔĭēęėČėīĜĬėĜīĔĖČğĞČĭē īĔĖĜĘėĬġēĔĜĘ ğēīĬĜČğĞČğēėğēėĠĜīĔĖėČğĞČĭē
Und Mose kam und redete alle Worte dieses Liedes in die Ohren des Volkes, er und Hoschea,162 der Sohn Nuns. Und Mose vollendete zu reden alle diese Worte zu ganz Israel.
Dtn 32,44–45 LXX: ôëťġñúëĀï÷ÛþýûĦÏüĥ÷ŗîĥ÷üëŴüò÷Ġ÷ĠôïŤ÷įüIJħöěúďôëťĠîŤîëÿï÷ëŻüĥ÷üøŵÏ ýŧøŵÏØûúëòõôëťïūûĦõùï÷ ÛþýûĦÏ ôëťĠõĄõòûï÷ Ą÷üëÏ üøŵÏ õĻñøýÏ üøŶ ÷Ļöøý üøŴüøýïūÏüąŎüëüøŶõëøŶëŻüļÏôëťʄòûøŶÏĽüøŶÜëýòôëťûý÷ïüěõïûï÷ÛþýûĦÏ õëõņ÷ë÷üťØûúëòõ Und Mose schrieb dieses Lied an jenem Tag auf und lehrte es die Söhne Israels. Und Mose ging hinein und redete alle Worte dieses Gesetzes in die Ohren des Volkes, er und Josua, der Sohn Nuns. Und Mose vollendete zu reden zu ganz Israel.
Während in MT unklar bleibt, was in Dtn 32,45 mit „allen diesen Worten“ gemeint und ob hier nur der Liedvortrag oder aber die gesamte Verkündigung des Mose beendet ist, wird das „Lied“ in der Version der LXX zuerst vollständig aufgeschrieben und verkündet und anschließend der Vortrag des „Gesetzes“ insgesamt abgeschlossen. Möglicherweise musste die Frage der Abfassung des Liedes im Verhältnis zur „Weisung“ in Dtn 32,44–45 MT noch derart vage bleiben, weil die ausdrückliche Erweiterung der Tradition (d.h. die Ergänzung des Gesetzes durch das Lied) Widerspruch hervorgerufen hätte.163 Für die Hochschätzung der deuteronomischen Gesetzesverkündigung spricht jedenfalls, dass MT (anders als LXX) die Rede in Dtn 31,5 um den Verweis auf „das ganze Gebot“ JHWHs ergänzt. 164 In der Absicht, die göttliche Autorität des Moseliedes dennoch zu unterstreichen, wurde dagegen die menschliche Logik der Erzählung weniger wichtig genommen.165 Vermutlich durfte indes schon in der Vorlage von LXX166 die – in MT noch als Hauptanliegen erkennbare – Legitimierung des Moseliedes als gelungen
Zur Namensform ĥŘĘė („Hoschea“) in Dtn 32,44 MT vgl. oben Anm. 40. 163 Vgl. auch LOHFINK 1993, 270–271. 164 Vgl. LABERGE 1990, 148: „En contexte de conquête, cette lecture paraît gauche, mais en contexte deutéronomiste, on comprend que le TM a souligné ici ce qui est dit ailleurs.“ Auch CARRILLO ALDAY 1970, 139–141 betont, dass das Moselied sekundär in den Dienst des deuteronomischen Gesetzes gestellt wurde, und spricht mit Blick auf Dtn 31,1– 32,47 von einem redaktionellen „Diskurs über das Gesetz“ (vgl. EBD., 139: „discurso del Redactor Deuteronomista sobre la Ley“). 165 Vgl. auch LOHFINK 1993, 263: „Durch seine Struktur wird das Kapitel [= Dtn 31 MT] vor allem aussagen wollen, daß Nachfolgeregelung und im Bund gegebene Tora engstens zusammengehören“ sowie FINSTERBUSCH 2016, 635–638 mit der Feststellung: „the revelation of the Song causes some ‘plot-trouble’“ (EBD., 638). 166 Vgl. unten Anm. 174. 162
5.4 Spannungen zwischen dem Lied und seiner Einleitung
353
vorausgesetzt werden. Anstatt streng darauf zu achten, dass das Lied Mose bzw. JHWH zugeschrieben wurde, konnte somit der Harmonisierung der Narration mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.167 Um der erzählerischen Stringenz willen wurde Josua, der sonst in Bezug auf das „Lied“ keinerlei Funktion hatte, nun durchgehend als Vermittler neben Mose genannt.168 Auch scheint die Tatsache, dass das Lied schon unbestritten zum (entstehenden) Kanon gehörte, die Freiheit gebracht zu haben, den Hergang der Abfassung und Bekanntgabe im Land Moab weiter zu präzisieren.169 Da gerade in der unmittelbaren Liedrahmung ganz offensichtlich frei umformuliert wurde, muss der Zusammenhang zwischen „Lied“ und dem Rest der mosaischen Verkündigung als solcher nunmehr etabliert gewesen und den Bearbeitenden als genügend abgesichert erschienen sein. Die LXX-Variante in Dtn 31,1 verdeutlicht sogar dahingehend, dass die „Weisung“ erst vollständig war, als das „Lied“ hinzukam: țĮ ıȣȞİIJȜİıİȞ ȂȦȣıોȢ ȜĮȜȞ ʌȞIJĮȢ IJȠઃȢ ȜંȖȠȣȢ IJȠIJȠȣȢ („Und Mose vollendete, indem er alle diese Worte redete…“). Der LXX-Text wirkt aber nicht nur grammatisch und logisch geglättet.170 An mehreren Stellen wurde bei der Überarbeitung zweifellos auf Formulierungen aus anderen Texten im Deuteronomium zurückgegriffen, um bestimmte Aussagen anschaulicher zu machen.171 Bewusste Angleichungen an andere Verse innerhalb von Dtn 31 stärken zudem die innere Kohärenz der Narration. 172 Durch die Auslassung der Protasis in Dtn 31,21 („Wenn viele Übel und Bedrängnisse es treffen…“) bekommt das „Lied“ in LXX schließlich eine viel allgemeinere Bedeutung als die Anspielung in MT auf die bevorstehende Katastrophe vermuten ließe. Norbert Lohfinks Charakterisierung des Textes von Dtn 31 als „literarische Kunstform“173 (im Unterschied zur linearen Repräsentation eines realen Geschehens) gilt mithin sowohl für die Darstellung in MT als auch für die der LXX, wenngleich in unterschiedlicher Weise. Beide Texttraditionen gehen
167
Vgl. FINSTERBUSCH 2016, 646.468: „[…] the version represented by the LXX indicates that the pentateuchal redactors thought carefully about the narrative logic of the artificial literary composition of the (Proto-)Pentateuch. It is evident how much questions of plot mattered to them.“ 168 Vgl. v.a. die Pluralformen in Dtn 31,19. 169 Vgl. FINSTERBUSCH 2016, 632–633. 170 Weitere Beispiele hierfür finden sich noch in Dtn 31,3 LXX (sekundäre Syndese mit ôëť); Dtn 31,13 LXX (Anpassung des Pronomens im Nebensatz an das Subjekt des Hauptsatzes: „…die sie leben“ anstatt „…die ihr lebt“ in MT); Dtn 31,21 LXX (Ergänzung um Bezugnahme auf den „Mund“ der Angeredeten anstatt nur den der „Nachkommenschaft“); Dtn 31,23 LXX (Mose als Subjekt gemäß V.22 und entsprechende Rede von Gott in dritter Person). 171 Vgl. Dtn 31,4 LXX (Einfügung zu den Königen aus Dtn 3,8; 4,47); Dtn 31,20 LXX („das gute Land“ entsprechend Dtn 3,25; 4,22 u.ö.). 172 Vgl. Dtn 31,7: Angleichung an V.23; Dtn 31,9: Angleichung an V.24. 173 LOHFINK 1962, 52.
354
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
deutlich erkennbar auf eine inhomogene Komposition zurück, in der das Moselied nur oberflächlich mit dem Kontext verbunden war. In MT beschränkte sich die Glättung dieses Zusammenhangs möglicherweise auf die vom Schriftbild her naheliegende Umformulierung der beiden Verben in Dtn 31,1, um das Lied als Äußerung des Mose in das Deuteronomium aufzunehmen, sowie eine vereinzelt wahrnehmbare Tendenz, angesichts dieser Einfügung die fundamentale Rolle des Gesetzes bzw. der „Weisung“ noch einmal besonders hervorzuheben (vgl. Dtn 31,5 MT). Verschiedene Unstimmigkeiten (mit und ohne Bezug auf das „Lied“) blieben im Text stehen und können nun als Hinweise auf die ursprünglich disparaten Erzählstränge dienen. Hier sind die Hörenden und Lesenden gefragt, angesichts der literarischen Ungereimtheiten die innere Logik des gebotenen Stoffes zu erschließen. In der LXX hingegen ist die Erzählung so stark überarbeitet worden,174 dass sich der Ablauf des Geschehens nicht nur klarer, sondern streckenweise sachlich anders darstellt als in MT, welcher der ältesten Fassung des Textes näher stehen dürfte.175 Zusammengenommen liefern diese Beobachtungen ein zusätzliches Argument in der Debatte, ob das Moselied – ggf. mitsamt seiner unmittelbaren Rahmung – für seinen jetzigen Kontext in Dtn 31–32 geschaffen wurde. Die offenkundige Erklärungsbedürftigkeit der (mutmaßlich) frühesten Version des Gesamtzusammenhangs spricht dagegen: Eine mit Blick auf den Kontext abgefasste Komposition hätte den Tradierenden von MT und LXX – bzw. ihrer Vorlagen – vermutlich weniger Schwierigkeiten bereitet.
5.5 Fazit 5.5 Fazit
Es hat sich gezeigt, dass das Moselied und seine Rahmung in Dtn 31–32 nicht als geschlossene Gesamtkomposition zu verstehen sind.176 Innerhalb des Prosatextes (Dtn 31,1–30; 32,44–52) deuten die sprachlichen und sachlichen Differenzen auf einen mehrstufigen und von unterschiedlichen theologischen Interessen geleiteten Wachstumsprozess, der hier nicht näher untersucht wurde. Aber auch mit Blick auf das Lied und seine unmittelbare Einleitung
174
Es ist nicht in jedem Fall eindeutig zu entscheiden, ob die Unterschiede zwischen LXX und MT bereits auf einer abweichenden hebräischen Vorlage von LXX beruhen (hierfür sprechen die punktuellen Übereinstimmungen mit 1QDeutb; 4QDeutb; 4QDeuth) oder erst bei der Übersetzung ins Griechische zustande kamen (hierfür können zahlreiche Eigenheiten des Textes angeführt werden, die sich in keiner hebräischen Version finden), vgl. für Einzelheiten die Anmerkungen zur Übersetzung unter 5.1. Für die Annahme einer weitgehenden Übereinstimmung von LXX mit der hebräischen Vorlage vgl. F INSTERBUSCH 2016, 631. 175 Vgl. auch LOHFINK 1993, 258. 176 Vgl. zusammenfassend BRITT 2000, 364: „Deuteronomy 31–32 does not read as a continuous narrative“.
5.5 Fazit
355
(Dtn 31,16–22.28–30) 177 sind unterschiedliche Schwerpunktsetzungen deutlich geworden. Sowohl der Wortgebrauch in einzelnen Versen als auch die theologische Gesamtperspektive in Dtn 32,1–43 unterscheiden sich so stark vom übrigen Text, dass ein gemeinsamer Ursprung als sehr unplausibel erscheint.178 Wo mit dem Hinweis auf die zahlreichen lexikalischen Übereinstimmungen zwischen Dtn 31,16–21.28–29 und Dtn 32,1–43 (oder Teilen davon) dennoch eine gemeinsame Verfasserschaft angenommen wird, müssen die festgestellten Differenzen unerklärt bleiben.179 Aus der Art, wie das Lied in der Rahmung charakterisiert wird, lässt sich hingegen schließen, dass bei der Redaktion des Deuteronomiums ein starkes Interesse bestanden haben muss, das Moselied nachträglich in den älteren Erzählzusammenhang von Dtn 31–32* zu integrieren: Obwohl es die Handlung nicht voranbringt, ist das Lied sehr kunstvoll in die schon bestehende Narration eingearbeitet worden.180 Es erhält seine Legitimation durch die Einführung als eine von JHWH selbst gegenüber Mose (und Josua) offenbarte Komposition zur Unterweisung des Volkes. Hierdurch erscheinen nicht nur der Ursprung, sondern auch die Weitergabe des Liedes als besonders sanktioniert.181 Die stärkere Bezugnahme der Einleitung auf die rückblickenden Passagen des Liedes (Dtn 32,8–27) steht dabei im Einklang mit der Mose-Fiktion. Innerhalb des im Deuteronomium gebotenen Rückblicks auf die (Auszugs-)Geschichte des Volkes lag es nahe, in der Einleitung des Moseliedes wiederum an die Retrospektive des Liedes selbst anzuknüpfen. Dies gilt umso mehr, als die im Lied formulierte Zukunftsperspektive sich als Konsequenz aus der Reflexion über die Vergangenheit ergibt. Ohne die heute existierende Einbettung des Liedes in die Pentateuch-Erzählung war die Hörerschaft unmissverständlich dazu aufgefordert, Schlussfolgerungen aus dem Vorgetragenen zu ziehen und sich auf die Inhalte der Überlieferung zu besinnen. Erst durch die Rückbindung an Mose (bzw. die Rückführung auf JHWH) erhielt das Lied selbst den Status eines autoritativen Textes, dessen Verweise auf die Zukunft als Prophezeiungen
177
Wie sich herausgestellt hat, sind die Verse Dtn 31,16–22.28–30 gut als Produkt einer einzigen Redaktion erklärbar; lediglich Dtn 31,30 könnte jünger sein. Hinzu kommt die abschließende Nachinterpretation in Dtn 32,44, die Dtn 31,16–22.28–30 schon voraussetzt. 178 Vgl. THIESSEN 2004, 404: „to equate the understanding of the editor of Deuteronomy with the understanding of the author of the Song is tendentious“. 179 Vgl. v.a. OTTO 2009, 654–656; DERS. 2017, 2104.2163–2164, aber auch HEMPEL 1914, 267; LABUSCHAGNE 1971, 91–93; DERS. 1997, 129. 180 Zur „Verknotung“ der Handlungsfäden des Deuteronomiums in Dtn 31–32 vgl. LOHFINK 1993, 271; ähnlich NELSON 2002, 357: „This redactional arrangement makes law the framework for the appointment of Joshua and associates the song with the law. […] The roles of each are articulated and interrelated […].“ 181 Vgl. für einen ähnlichen Fall die Beauftragung zur Weitergabe des „Höre Israel“ (Dtn 6,4: ğēīřĜĥġŘ) in Dtn 6,6–9 sowie unten Anm. 185.
356
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
aufgefasst werden konnten.182 Solange jedoch die im Moselied angelegte paränetische Absicht noch bewusst war, konnte der Hinweis auf die Zukunftsbedeutung des Textes in der Einleitung als selbstverständlich entfallen. Wenn demgegenüber von Kommentierenden gelegentlich angemerkt wird, der (heilvolle) Ausblick des Liedes sei in der Einleitung nicht berücksichtigt,183 beruht das folglich auf einer verkürzten Wahrnehmung der Textpragmatik im Lied selbst.184 Am überzeugendsten erklärt sich demnach die Formulierung der Einleitung als Versuch, die geschichtstheologischen Überlegungen des Liedes mosaischer und sogar göttlicher Autorität zu unterstellen, um ihnen möglichst großen Einfluss zu sichern.185 Immerhin stimmen die Rahmenerzählung (ungeachtet ihrer internen Widersprüche) und das Lied darin überein, dass eine heilvolle Zukunft des Volkes eine Möglichkeit, aber keineswegs eine gesicherte Entwicklung darstellt. Andererseits unterscheiden sich Rahmen und Lied im Hinblick darauf, wie viel Eigenverantwortung sie der Hörerschaft in der Gestaltung ihrer Gottesbeziehung zugestehen. Während das Lied keinerlei Vermittlungsinstanz für den göttlichen Willen voraussetzt und stattdessen direkt an die Erkenntnis(fähigkeit) der Hörerschaft appelliert, 186 betrachtet die Moselied-Rahmung das Lied nur als eines von mehreren Mitteln, um dem Volk die Botschaft JHWHs einsichtig zu machen. Hier bekommt das Lied zu diesem Zweck neben Mose, Josua, den „Priestern“ bzw. „Leviten“, den „Ältesten“ und „Amtsträgern“ und
182
Vgl. S.R. DRIVER 1902, 349: „The original aim of the poem […] was to point to a moral from the past ; but naturally, when it came to be regarded as a work of the Mosaic age, it was understood differently, as a warning for the future […].“ Ähnlich SEYBOLD 2005, 65. 183 Vgl. z.B. STEUERNAGEL 1900, 114; MAYES 1981, 376; NELSON 2002, 356; OTTO 2017, 2128 sowie oben 5.4. 184 Unwahrscheinlich ist aus textpragmatischer Sicht daher auch die Hypothese bei OTTO 2009, 653–654; DERS. 2017, 2170, die Spannungen zwischen Lied und Rahmen dienten der Stilisierung des Mose als einsamer Prophet, der angesichts einer bedrückenden Vergangenheit und Gegenwart (auf versteckte Weise!) eine heilvolle Zukunft für das Volk ansage, vgl. auch unten Anm. 193. 185 Vgl. FISHBANE 1985, 436 (der dieses Phänomen einen Spezialfall aggadischer Exegese nennt, hier mit Blick auf Dtn 4,16–19; 7,9–10; 8,3): „[…] the authority of the new teaching is derived from the fact that it reports or cites an authoritative text, tradition, or speech from the past. Moses’ traditional authority as guardian and teacher of the traditions is thus capitalized upon. The fact that these instances of traditio are from his mouth – together with the significant fact that he purports to report divine words from the past which he himself had mediated – helps, furthermore, to cast a strong authoritative aura over his ‘deuteronomic’ words […].“ Ähnlich FOKKELMAN 1998, 67: „[…] if we respect the context of Deut.32 we learn in Chapter 31 that this is God’s own text.“ Zur integrierenden Funktion des Mose als „Gestalt der Tradition“ angesichts „divergierende[r] Gruppeninteressen und Traditionen“ in nachexilischer Zeit vgl. CRÜSEMANN 1992, 131. 186 Vgl. v.a. Dtn 32,29.39.
5.5 Fazit
357
schließlich neben der „Weisung“ seinen Platz.187 Die aus dem Kontext des unmittelbar zuvor geschilderten Bundesschlusses (vgl. Dtn 29–30) auf das Lied übertragene Vorstellung, dass zur Absicherung einer Übereinkunft ein „Zeuge“ benötigt würde,188 unterstreicht, dass das Hauptinteresse bei der Einfügung des Moseliedes dem Schutz und der Stärkung der Beziehung des Volkes zu JHWH galt. Unter diesem Blickwinkel dürften auch die unterschiedlichen Assoziationen, was eigentlich durch das Lied zu bezeugen sei, alle berechtigt gewesen sein. Da das „Lied“ gewissermaßen öffentlich zwischen JHWH und seinem Volk stehen sollte, konnte es durchaus nach verschiedenen Seiten Verschiedenes beglaubigen: Es bestätigte die Rechtmäßigkeit der Strafen gegen Israel, sowohl um die Schuld des Volkes zu konstatieren als auch um JHWHs hartes Vorgehen zu rechtfertigen und dem Vorwurf vorzubeugen, JHWH sei seinerseits willkürlich oder aus Schwäche vom Volk abgerückt. Erhält also das Moselied durch die Verbindung mit der Rahmenerzählung in Dtn 31–32 zusätzliche Legitimation, so dient umgekehrt die Einfügung des Liedes zur Absicherung der hinter dem Deuteronomium stehenden Tradition(en).189 Indem das Lied die Botschaft des Deuteronomiums bzw. der gesamten vorausgehenden Tora gegenüber den einzelnen Hörerinnen und Hörern oder Leserinnen und Lesern einsichtig macht, stützt es seinerseits die Autorität dessen, was zuvor in der Narration dargestellt und behauptet wurde.190 Als Nebeneffekt ergibt sich auf der Ebene des Endtextes hinsichtlich der Person des Mose zudem „eine neuerliche Ausgestaltung des Prophetenbildes“:191 Nach der Lektüre des Moseliedes (Dtn 32,1–43) muss die Bezeichnung des Mose als „Prophet“ (ēĜĔģ) in Dtn 34,10 zweifellos auch auf seinen Liedvortrag und die damit (laut Dtn 31,16.19) zusammenhängende Beauftragung durch JHWH bezogen werden.192 Allerdings ist zugleich anzuerkennen, dass das Moselied wie alle biblische Prophetie nicht der Verherrlichung des „Propheten“ dienen sollte,193 sondern auf eine Verhaltensänderung der Zuhörenden zielte.
187
Vgl. Dtn 31,3.7.9.14.19.21.22.23.24–26.28; 32,44.46–47. 188 Vgl. LOHFINK 1962, 54–55. 189 Vgl. PREUß 1982, 165: „Als Vermächtnis des Mose […] will und soll es [= das Moselied] als Zusammenfassung der Weisung des Mose verstanden werden.“ 190 Vgl. TALSTRA 1997, 101–102: „the text […] is a challenge to the reader to understand his own role among the others presented in the text“. 191 ACHENBACH 2014, 169. 192 Vgl. ACHENBACH 2003, 322; DERS. 2014, 179; RÖMER 2007, 181 sowie grundsätzlich auch OTTO 2009, 653–654; DERS. 2017, 2170. Zu Recht bemerkt indessen MATHYS 1994, 167 (zu Dtn 32): „Im Zusammenhang mit den V. 34–43 (nur) von Prophetie zu sprechen, genügt nicht. Sie sind von ihrem Inhalt her zu unspezifisch und zu wenig konkret, um als prophetisch gelten zu können […].“ 193 Gegen die Engführung der Mosedeutung auf seinen prophetischen Aspekt vgl. PERLITT 1994, 19: „In der israelitischen Religion der Distanz zwischen Gott und Mensch überschritt nur einer diese Grenze: Mose. Ein schmaler Strang der alttestamentlichen
358
Kapitel 5: Der Rahmen des Moseliedes
Dabei hatte das Lied gegenüber den anderen Modellen der Wegleitung in Dtn 31 klare Vorteile: Mose musste am Ende der Pentateuch-Erzählung sterben, Josua konnte als Charakter der Vergangenheit verblassen, die Priester/Leviten, Ältesten und Amtsträger drohten ebenfalls durch die Zeitläufte entmachtet zu werden und die Tora („Weisung“) blieb als Sammlung von Geboten grundsätzlich distanziert und unpersönlich. Um dennoch die Aktualität des JHWHWillens für alle Zeiten festzuhalten, setzte man daher auf die zeitlose Kraft poetischer Sprache, d.h. auf das Moselied als „Zeuge“ für kommende Generationen.194
Überlieferung hat diese Unmittelbarkeit hier und da durch den Titel Prophet angedeutet. Aber auch dieser Titel wurde nie der Schlüssel, der die Türen zu Mose öffnet. Immer blieb seine Gestalt ebenso deutungsfähig wie deutungsbedürftig.“ Entsprechend beschreibt RÖMER 2007, 181–182 die Stilisierung des Mose zum einzigartigen Propheten in Dtn 34,10–12 als Mittel zur Profilierung der Tora. 194 Vgl. WATTS 1992, 80–81 zu den didaktischen Stärken von Poesie im Allgemeinen und als Begründung für die Einfügung des Moseliedes ins Deuteronomium; ähnlich schon CARRILLO ALDAY 1970, 142–143.157; FISCH 1988, 64–65.
Ergebnisse Die vorliegende Studie hatte das erklärte Ziel, Text und Theologie des „Moseliedes“ (Dtn 32,1–43) umfassend neu zu untersuchen. Dies erschien besonders reizvoll angesichts der höchst disparaten Blickwinkel, unter denen diese Komposition bisher betrachtet wurde. So vermittelte bereits der forschungsgeschichtliche Überblick einen Eindruck von der Fülle an sprachlichen, gedanklichen, historischen und theologischen Zusammenhängen, die sich auf die Entstehung und Entwicklung des Textes ausgewirkt haben. Zugleich wurde hier deutlich, wie disparat die Schlussfolgerungen der bisherigen Forschungsansätze ausfielen, weil sie sich meist stark auf einzelne dieser Kontexte konzentrierten. Um die unterschiedlichen Analysemethoden und ihre jeweiligen Ergebnisse aufeinander beziehen zu können, wurde in dieser Studie auf die Frage nach der Textpragmatik zurückgegriffen. Dementsprechend waren die hier vorgelegten Einzeluntersuchungen zu Text, Gedankengang, Motivik, Form und Rahmung des Liedes in den Kapiteln 1 bis 5 konsequent auf die jeweils bei der Adressatenschaft intendierte Wirkung bezogen. Dabei bestätigte sich, dass eine Vielzahl an Kontexten zu berücksichtigen ist, um den theologiegeschichtlichen Ort des Moseliedes angemessen zu beschreiben. Es galt jedoch, frühere Beobachtungen anderer Autorinnen und Autoren nicht nur zu sammeln, sondern systematisch auszuwerten. Insbesondere bei der Sichtung der (inner- und außerbiblischen) Vergleichstexte ergaben sich in der Folge bedeutsame neue Einblicke in das Ursprungsmilieu des Liedes. Hierzu zählt die eminent weisheitliche Prägung des Liedes, seine sprachliche und motivische Verwandtschaft mit ugaritischer Literatur sowie der formgeschichtliche Zusammenhang von Dtn 32,1–43 mit einer Anzahl von geschichtstheologischen Dichtungen innerhalb der Hebräischen Bibel. Es deuteten sich aber auch wichtige Überschneidungen von bisher getrennt behandelten Untersuchungsaspekten an. Deshalb geht es nun abschließend darum, diese Konvergenzen in den Mittelpunkt zu stellen und die unter verschiedenen Blickwinkeln gewonnenen Einsichten zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Dadurch wird es möglich, eine ganze Reihe strittiger Fragen in der Moseliedforschung nunmehr kohärent zu beantworten.
360
Ergebnisse
I. Die verschiedenen Kontexte des Moseliedes I. Die verschiedenen Kontexte
Schon in seinen verschiedenen Textformen und Entstehungsstufen ist das Moselied unterschiedlichen Kreisen zuzuordnen. Nicht nur die überlieferten Versionen von MT, SP, LXX und Qumran-Fragmenten spiegeln – wie dies auch an anderen Texten der Hebräischen Bibel zu beobachten ist – durch ihre je eigene Textgestalt voneinander abweichende theologische Standpunkte. Zudem ist angesichts der rekonstruierbaren und von allen Versionen bezeugten Bearbeitungsstufen anzuerkennen, dass die Deutung des Liedes bereits uneinheitlich war, bevor die uns überlieferten Texttraditionen sich herausbildeten. Selbst auf der Ebene ihrer (als solcher nicht bezeugten) gemeinsamen Vorstufe hat das Ringen um ein angemessenes Textverständnis verschiedene Zusätze und Textänderungen provoziert. Dadurch aber wird der ursprüngliche Gedankengang des Liedes teilweise verschleiert, so dass der erste Abfassungskontext nur noch in Auseinandersetzung mit und in Abgrenzung von diesen frühen Interpretationen zu eruieren ist. In ähnlicher Weise droht die narrative Rahmung in Dtn 31–32 den Blick auf die dem Moselied eigene Logik zu verstellen, wenn die darin angebotene (redaktionelle) Charakterisierung des Liedes mit dem Selbstverständnis der ursprünglichen Komposition gleichgesetzt wird. Für sich betrachtet vermittelt das Lied eine andere Botschaft als im Zusammenhang der Erzählung des Buches Deuteronomium, in die es mit Hilfe der Rahmung erst sekundär eingebunden wurde. Davon noch einmal zu unterscheiden ist die kompositionelle Funktion, die dem Lied durch seine herausgehobene Position am Schluss des Deuteronomiums mit Blick auf den Gesamtaufbau des Pentateuchs zukommt. Schließlich sind die (möglichen) Einflüsse aus der Sprache und Literatur der kulturellen Umgebung wahrzunehmen. Als Dichtung in hebräischer Sprache teilt das Moselied nicht nur Inhalte und Ausdrucksformen mit Schriften, die heute die Hebräische Bibel bilden oder als frühjüdische Literatur beispielsweise in Qumran überliefert wurden. Darüber hinaus schöpft es auch aus dem größeren (und älteren) Traditionsstrom altorientalischer und namentlich nordwestsemitischer Epik. Nach Ausweis der strukturellen Gemeinsamkeiten mit Kompositionen wie Ps 78; 81; 106; Neh 9; Jes 63–64 entstammt das Lied ferner einem schriftgelehrten Milieu, in dem die vom Gott JHWH und seinem Volk handelnden Überlieferungen verschiedentlich neu bearbeitet wurden, um späteren JHWH-Anhängerinnen und -Anhängern als Programmtexte einer religiösen Selbstvergewisserung zu dienen.
II. Die rekonstruierte Textgrundlage
361
II. Die rekonstruierte Textgrundlage II. Die rekonstruierte Textgrundlage
Zunächst implizierte die Frage nach dem Ursprungskontext des Moseliedes logischerweise die Suche nach dem ursprünglichen Text, der in mehreren Schritten (näherungsweise) rekonstruiert wurde: Jede Beschränkung auf eine der gut bezeugten alten Versionen (MT, SP oder LXX) hätte bedeutet, ungeprüft einen dieser Texte mit dem Urtext zu identifizieren oder die Frage nach dem ursprünglichen Gedankengang des Liedes von vornherein zu übergehen.1 Dagegen ergaben die Untersuchungen zur Text- (Kapitel 1) und Literargeschichte (Kapitel 2), dass keine der bekannten Textformen – einschließlich der in Qumran ansatzweise greifbaren Versionen – mit dem Urtext gleichzusetzen ist. Einer solchen gemeinsamen Vorlage, von der ausgehend sich die existierenden Textzeugen als Überarbeitungen und unabsichtliche Variationen herleiten lassen, dürfte aber der in Kapitel 1.1 in Übersetzung gebotene Text (ohne die kursivierten Zusätze) entsprechen. Als älteste Veränderungen müssen die in Kapitel 2 herausgearbeiteten Zusätze (V.5aȕ.14a.15c.30.31.32–33.43d–e) deshalb gelten, weil sie im Gedankengang des Moseliedes zwar unstimmig sind, aber in allen alten Versionen bereits vorkommen. Gemeinsam ist diesen Nachträgen, dass sie verstärken, was im Grundtext angelegt war, indem sie alle darauf zielen, das Verhältnis JHWHs zu seinem Volk noch genauer zu bestimmen. Gleichwohl handelt es sich um Erweiterungen von unterschiedlicher Art, die keineswegs alle dieselbe Haltung ausdrücken. Die Formulierungsunterschiede zwischen den Versionen (insbesondere die grammatischen Abweichungen in 5aȕ.14a.15c sowie der unterschiedliche Textumfang in V.43)2 weisen ferner darauf hin, dass hier auf jeweils eigene Weise versucht wurde, den nachträglich erweiterten Text dennoch harmonisch zu gestalten. Durch die eingestreuten Anreden in V.14e.15c wendet sich das Lied direkt an jede und jeden innerhalb seiner Adressatenschaft. Dtn 32,14e MT/SP3 (= früheste Fassung des Zusatzes): Und Weinbeerenblut trankst du, gärenden Wein.
īġĚČėĭĬĭĔģĥČĠĖĘ
1
Für Untersuchungen des Moseliedes, die sich diesem Problem nicht stellen und MT zur Basis ihrer (weitgehend synchronen) Überlegungen machen, vgl. SONNET 1997; FOKKELMAN 1998; T ASCHNER 2008; MARKL 2012; WÜSTE 2018. 2 Vgl. die Anmerkungen zur Übersetzung in Kap. 1.1, ferner 1.3.1 und 1.3.3 sowie die entsprechenden Ausführungen in Kap. 2.A.B.D. 3 Die Abweichungen in SP sind rein orthographisch: īġĥėĭĬĭĔģĥĠĖĘ, vgl. TAL/FLORENTIN 2010, 612–613.
362
Ergebnisse
Dtn 32,15c MT/SP (= früheste Fassung des Zusatzes): ĭ ĜĬĞĭĜĔĥĭģġĬ
Fett, dick, feist bist du geworden!
Beide Kola sind unter demselben Blickwinkel formuliert und erweitern das Lied zusammengenommen um ein ganzes Bikolon, so dass die stichometrische Balance des Liedes (wegen der gerade bleibenden Anzahl von Kola) formal erhalten bleibt. V.14e.15c könnten deshalb aus derselben Hand eines Ergänzers oder einer Ergänzerin stammen, der oder die sich berufen fühlte, die Botschaft des Moseliedes gegenüber der Hörerschaft zuzuspitzen. Möglicherweise stehen die beiden Erweiterungen auch im Zusammenhang mit der in Kapitel 5 verhandelten Einfügung des Liedes ins Deuteronomium, denn die direkten Anreden bilden eine konkrete Umsetzung dessen, was die Rahmung in Dtn 31,21 ankündigt: ĖĥğĘĜģħğĭēęėėīĜĬėėĭģĥĘĭĘīĩĘĭĘĔīĭĘĥīĘĭēĢēĩġĭČĜĞėĜėĘ
Und es wird geschehen, wenn viele Übel und Bedrängnisse es treffen, dann wird dieses Lied in seinem Angesicht als Zeuge antworten…
In V.5a des Liedes findet sich dagegen eine Glosse, die dem Kontext gemäß in der dritten Person vom Volk handelt und dessen Frevel expliziter macht, indem sie sein Verhalten als ĠĘġ („Makel“) bezeichnet. Dtn 32,5 (früheste Fassung mit Zusatz = Konsonantentext MT): Vergangen hat sich an ihm, seine Nicht-Söhne, ihr Makel, eine verkehrte und verdrehte Generation.
ĠġĘġĘĜģĔēğĘğĭĚĬ ğĭğĭħĘĬĪĥīĘĖ
Dem Sinn und der Perspektive nach ähnlich, jedoch in einem weit größerem Umfang (von drei Bikola) unterstreicht der Kommentar in V.32–33 das verwerfliche Verhalten des Volkes: Ja, vom Weinstock Sodoms ist ihr Weinstock und aus den Weingärten Gomorras. Ihre Weinbeeren sind giftige Weinbeeren, bittere Trauben haben sie. Drachengift ist ihr Wein und grausames Schlangengift.
ĠģħĕĠĖĤĢħĕġČĜĞ ėīġĥĭġĖĬġĘ ĬĘīČĜĔģĥĘġĔģĥ ĘġğĭīīġĭğĞĬē ĠģĜĜĠģĜģĭĭġĚ ī ęĞēĠĜģĭħĬēīĘ
Gemäß der übereinstimmenden Intention mit der Glosse in V.5a könnte eine gemeinsame Verfasserschaft vorliegen.
II. Die rekonstruierte Textgrundlage
363
Der Zusatz in V.30 ist anderer Natur, obwohl auch er das Geschehen von außen kommentiert: Wie verfolgt ein Einzelner Tausend und Zweie schlagen Zehntausend in die Flucht, wenn nicht deshalb, weil ihr Fels sie verkauft und JHWH sie preisgegeben hat?
ĦğēĖĚēĦĖīĜėĞĜē ėĔĔīĘĤĜģĜĠĜģĬĘ ĠīĞġĠīĘĩČĜĞēğČĠē ĠīĜĕĤėėĘėĜĘ
Sein Anliegen ist nicht (wie in V.5a.32–33), den Charakter des Volkes zu illustrieren, sondern zu verdeutlichen, wie JHWH auch angesichts der Bedrängnis des Volkes souveräner Herr der Lage ist. V.30 stellt somit den Versuch dar, JHWH argumentativ zu entlasten. Im Gegensatz dazu zielt V.31 darauf, die Gegner abzuwerten: ĠīĘĩĘģīĘĩĞēğĜĞ ĠĜğĜğħĘģĜĔĜēĘ
Ja, nicht wie unser Fels ist ihr Fels und unsere Feinde sind Vollstrecker.
Da die Aussagen der Verse 30.31.32–33 offenkundig aufeinander Bezug nehmen und die Botschaft des Liedes dadurch in entscheidender Weise umprägen, ließ sich hier die Reihenfolge der Ergänzungen bestimmen. Meine Rekonstruktion dreier gestaffelter Zusätze (in der Folge V.32–33; V.30; V.31) nahm bisherige Deutungsversuche auf und führte sie weiter, so dass hier erstmals eine befriedigende Erklärung für den mehrfachen Wechsel der Perspektive innerhalb des Liedes geboten wurde. 4 Zugleich konnte so die eingangs gestellte Frage beantwortet werden, ob es im Mittelteil des Liedes um Israel oder seine Feinde geht: Ursprünglich war die gesamte Gottesrede der Verse 28–29.34–35 auf Israel bezogen. Die beiden ersten Ergänzungen in V.32–33 und V.30 teilten noch diese Voraussetzung. Durch die dritte Ergänzung in V.31 aber änderten sich die ursprünglichen Bezugnahmen, so dass im Endtext die auf diesen Vers folgenden Aussagen auf die Feinde gedeutet werden mussten, wenngleich sie sachlich (auch) auf Israel passten. Auf Grund ihrer Kürze und des isolierten Vorkommens ist hingegen für die Glosse in V.5aȕ nur schwer abschließend zu bestimmen, ob sie in einem ursprünglichen Zusammenhang beispielsweise mit V.32–33 steht. Die Besonderheit von V.43d–e besteht schließlich darin, dass beide Kola aus V.41 entlehnt sind. Dtn 32,41c–d: Ich will Rache erwidern meinen Bedrängern und denen, die mich hassen, vergelten.
4
Vgl. die Ausführungen in Kap. 2.C.
ĜīĩğĠĪģĔĜĬē ĠğĬēĜēģĬġğĘ
364
Ergebnisse
Dtn 32,43d–e 4QDeutq (= früheste Fassung des Zusatzes): Und er wird Rache erwidern seinen Bedrängern und denen, die ihn hassen, vergelten.
ĘĜīĩğĔĜĬĜĠĪģĘ ĠğĬĜĘĜēģĬġğĘ
Zwar scheint auch V.30 auf geprägte Wendungen zurückzugreifen. Nur in V.43 hingegen zitiert das Moselied sich selbst, was eine weniger resolute Art der Textergänzung darstellt, aber dennoch von dem Interesse zeugt, die Botschaft des Liedes zu vereindeutigen und seine Wirkung dadurch zu verstärken.
III. Unterschiedliche Textentwicklungen: Varianten in den alten Versionen III. Unterschiedliche Textentwicklungen
Jünger als die in Kapitel 2 analysierten Zusätze sind die Textvarianten, die in Kapitel 1 betrachtet wurden. Sie werden nicht von allen Versionen geteilt, sondern belegen, dass die ursprüngliche Komposition (einschließlich der besprochenen frühe Zusätze) in verschiedenen Rezipierendenkreisen jeweils spezifisch verstanden und dabei auch bewusst umgestaltet wurde. Am auffälligsten sind die Eingriffe in den Text von V.8.43. Gegenüber dem rekonstruierten Urtext (bzw. seiner frühesten Ergänzung), wie ihn jeweils noch ein Qumran-Fragment bezeugt (vgl. 4QDeutj bzw. 4QDeutq), werden hier sowohl in der Texttradition von SP/MT als auch von LXX markante Änderungen erkennbar. In diesem Zusammenhang scheint der enge Fokus der textkritischen Einzelstudien berechtigt,5 weil die Veränderungen in V.8 und 43 unter sich zwar zusammengehören, mit Blick auf die Gesamtkomposition aber nur punktuelle Überarbeitungen darstellen.6 Wie sich in 4QDeutj zeigt, muss in V.8d ursprünglich von „Gottessöhnen“ (ĠĜėĘğēĜģĔ) die Rede gewesen sein, in V.43a–b dagegen gemäß 4QDeutq von „Himmeln“ (ĠĜġĬ) und „Göttern“ (ĠĜėğē). Obwohl diese Ausdrücke in ihrem Kontext der souveränen Herrschaft JHWHs nicht entgegenstehen,7 haben sie offenbar zu einem Zeitpunkt nach der Einfügung des Moseliedes ins Deuteronomium und dem Abschluss des Pentateuchs den Argwohn der
5
Vgl. SKEHAN 1954; WINTER 1955; BARTHÉLÉMY 1963; MCCARTHY 1981; LANA 1983; BOGAERT 1985; LOEWENSTAMM 1992; MEYER 1993; VAN DER KOOIJ 1994; HANHART 2002; HIMBAZA 2002; ROFÉ 2002. 6 Schon deshalb ist die Datierung der Textkorrekturen ins 7. Jh. v. Chr. durch LANA 1983 abzulehnen. Auch die Tatsache, dass MT/SP und LXX unterschiedliche Textentwicklungen bezeugen, spricht gegen seine These, die Korrekturen stünden im Zusammenhang mit der ersten Zusammenstellung des Deuteronomiums als Buch. 7 Vgl. die entsprechenden Überlegungen in Kap. 2 sowie Kap. 3.3.6. und 3.3.23.
III. Unterschiedliche Textentwicklungen
365
Tradierenden erregt.8 Im Zuge der Übersetzung ins Griechische wurde die Formulierung von V.8d durch die Gleichsetzung von ĠĜėĘ ğēĜģĔ („Söhne Gottes“) mit ČññïõøóùïøŶ („Engel Gottes“) so abgeschwächt, dass sie dem Urtext weiterhin nahestand, doch der Gedanke an eine Konkurrenz zu JHWH nahezu ausgeschlossen werden konnte. Dtn 32,8: LXX: ľüïîóïöěúóāï÷ĽŸĀóûüøÏġù÷ò ŇÏîóěûïóúï÷ýŧøŵÏÐîëö ġûüòûï÷ľúóëĠù÷ņ÷ ôëüąċúóùöļ÷ċññěõþ÷ùïøŶ
4QDeutj: Als der Höchste die ğ@ĜĚģėĔ Nationen zuteilte, als er die Söhne Adams verteilte, setzte er die Grenzen der Nationen fest nach der Zahl der Engel ĠĜėĘğēĜģĔ> Gottes.
[…] als Erbe verteilte…
…] Söhne Gottes.
In der von MT und SP gemeinsam bezeugten Tradition ist der anstößige Text dagegen radikal abgewandelt worden, da anstelle der ĠĜėĘ ğē ĜģĔ („Söhne Gottes“) nun ğēīĬĜĜģĔ („Söhne Israels“) genannt werden: MT (SP): Als der Höchste die Nationen als Erbe verteilte, als er die Menschensöhne voneinander trennte, setzte er die Grenzen der Völker fest nach der Zahl der Söhne Israels.
ĠĜĘĕĢĘĜğĥğĜ ĚģėĔ ĠĖēĜģĔĘĖĜīħėĔ ĠĜġĥĭğĘ ĔĕĔĩĜ ğēīĬĜĜģĔīħĤġğ
Weil aber „die Zahl der Söhne Israels“ (ğēīĬĜĜģĔīħĤġ) keinen unmittelbar einleuchtenden Maßstab für die Verteilung von Völkern auf der Erde bietet, ist die Schilderung der Vorzeit-Geschehnisse in Dtn 32,8 MT/SP deutlich weniger schlüssig als in LXX.
8
Die Versionen müssen nach der Einfügung des Moseliedes in das Deuteronomium und der Herausbildung des Pentateuchs entstanden sein, da MT/SP und LXX eine gemeinsame Vorlage je spezifisch verändert haben (wenngleich in V.8 mit ähnlicher Absicht). Außerdem aber setzt die LXX-Version in V.43 nicht nur den ursprünglichen, sondern auch den veränderten hebräischen Text von MT/SP bereits voraus, weshalb diese Umgestaltung im griechischen Text als letzte erfolgt sein muss, vgl. (auch für das Folgende) Kap. 1.3.2. und 1.3.3. Die Übereinstimmungen von MT und SP sprechen ihrerseits dafür, die Änderungen nicht zu spät anzusetzen, vgl. WINTER 1955, 40. Das Votum von HIMBAZA 2002 (der die Textänderung in V.8 im 1. Jh. n. Chr. verortet) ist auf dieser Basis unmöglich. Für eine Datierung der Texteingriffe in V. 8 und 43 in früh- oder vor-hasmonäische Zeit vgl. BARTHÉLÉMY 1963, 303. Dagegen nimmt MEYER 1993, 131 ausdrücklich die hasmonäische Zeit an, was eine sehr späte Entstehung der LXX-Lesart erst ab Ende des 2. Jhs. v. Chr. bedingen würde.
366
Ergebnisse
Ähnlich verhält es sich auch in V.43a, wo 4QDeutq und LXX zufolge „die Himmel“ (ĠĜġĬ bzw. øŻúë÷øŤ) mit JHWH „jubeln“ bzw. „sich freuen“ sollen. MT/SP bieten dagegen die – im Kontext unsinnig erscheinende – Aufforderung ĘġĥĠĜĘĕĘģĜģīė: Auch hier wird der Hinweis auf die außermenschliche Sphäre durch die Ersetzung eines Wortes vermieden, da nicht wie ursprünglich „Himmel“, sondern „Nationen“ (ĠĜĘĕ) angeredet werden. Zusätzlich musste der präpositionale Ausdruck żŪĥĂ („mit ihm“) als Objekt żŪ ąĥ („sein Volk“) umgedeutet werden. 4QDeutq:
MT/SP: ĘġĥĠĜĘĕĘģĜģīė
Lasst jubeln, Nationen, sein Volk!
LXX: ĘġĥĠĜġĬĘģĜģīė ïŻƫúĄ÷ùòüïøŻúë÷øŤĈöëëŻüŒ
Jubelt, ihr Himmel, mit ihm!
Freut euch, ihr Himmel, mit ihm!
Das möglicherweise an dieser Stelle nur schwer abzuändernde folgende Kolon Dtn 32,43b wurde in MT/SP sogar gänzlich gestrichen: 4QDeutq: ĠĜėğēğĞĘğĘĘĚĭĬėĘ und fallt vor ihm nieder, alle ihr Götter!
LXX: ôëťúøûôý÷òûĄüþûë÷ëŻüŒ Ą÷üïÏýŧøťùïøŶ
und fallt vor ihm nieder, alle ihr Gottessöhne!
Schließlich bietet LXX in Dtn 32,43a–d einen Text, der am besten als Kombination der von 4QDeutq (Dtn 32,43a–b) und MT/SP (Dtn 32,43a) bezeugten Texte zu verstehen ist, wobei eine Vorlage für das letzte der vier Kola (Dtn 32,43d LXX) nicht bekannt ist und vermutlich eine freie Ergänzung innerhalb der griechischen Tradition darstellt:9 LXX: ïŻƫúĄ÷ùòüïøŻúë÷øŤĈöëëŻüŒ ôëťúøûôý÷òûĄüþûë÷ëŻüŒ Ą÷üïÏýŧøťùïøŶ ïŻƫúĄ÷ùòüïġù÷òöïüąüøŶõëøŶ ëŻüøŶ ôëťĠ÷óûíýûĄüþûë÷ëŻüŒĄ÷üïÏ ČññïõøóùïøŶ
Freut euch, ihr Himmel, mit ihm, § 4QDeutq und fallt vor ihm nieder, alle ihr Got- § 4QDeutq tessöhne! Freut euch, ihr Nationen, mit seinem § MT/SP Volk, und stärken sollen sich ihm alle Engel Gottes!
Mit der Mehrheit der existierenden Forschungsliteratur ist somit der in den Qumran-Fragmenten von 4QDeutj und 4QDeutq bezeugte Text von Dtn 32,8 bzw. 43 gegenüber den anderen erhaltenen Textzeugen jeweils für
9
Vgl. auch Anhang II.
IV. Die Quellen
367
ursprünglicher zu halten, 10 wobei der Text der LXX zugleich eine größere Treue zum Urtext und eine höhere inhaltliche Konsistenz aufweist als MT/SP.
IV. Die Quellen IV. Die Quellen
Um das Verhältnis des Moseliedes zu anderen Texten (innerhalb und außerhalb des heutigen Kanons der Hebräischen Bibel) möglichst präzise erfassen zu können, erwies es sich als hilfreich, zwischen inhaltlichen, sprachlichen sowie zugleich inhaltlich und sprachlich bestehenden Übereinstimmungen zu unterscheiden. Nur Beispiele der letzten Gruppe wurden im Rahmen der Traditionskritik (Kapitel 3) als Motivparallelen bezeichnet. Das Vorgehen entsprach dem (schon in den 70er Jahren des 20. Jhs. geäußerten) Desiderat Wolfgang Richters, Motivanalysen nicht allein auf subjektive Einschätzungen über den Inhalt von Texten zu gründen, sondern auf der Basis formal überprüfbarer Gesichtspunkte durchzuführen. Indem folglich schon in meiner Motivdefinition11 das Verhältnis von Form und Inhalt textlicher Parallelen problematisiert war, wurde es möglich, unterschiedliche Grade der Verwandtschaft zwischen den Texten aufzuzeigen. Diese reichten von literarischer Abhängigkeit über die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Tradition bis hin zu bloß äußerlicher Ähnlichkeit. Gegenüber bisher vorgelegten Untersuchungen zu „innerbiblischen Parallelen“ des Moseliedes 12 bedeutet diese Herangehensweise eine entscheidende Neuerung. Das Ergebnis ist ein äußerst differenziertes Bild von der Einbettung des Moseliedes in seine kulturelle Umwelt: Inhaltlich knüpft das Lied an verschiedenste Überlieferungen vom Handeln JHWHs an und präsentiert sie gewissermaßen in einem neuen Gewand. Motive, die auch an anderen Stellen der Hebräischen Bibel begegnen, werden abstrahiert, gebündelt, gesteigert und neu kombiniert.13 Insbesondere Texte aus den Büchern Deuteronomium (Dtn 4; 6– 9) und Jesaja (Jes 1; 42–45; 58) werden eindeutig aufgenommen und weitergedacht. Andererseits teilt das Lied offenbar mehrfach die Thematik anderer Texte ohne konkret auf diese selbst Bezug zu nehmen. Dies gilt beispielsweise für prophetische Strafankündigungen oder weisheitliche Reflexionen über die Torheit. Hier muss als Grund für die sachliche Nähe die Verwurzelung der Verfasserinnen oder Verfasser in einem gemeinsamen geistigen Umfeld
10
Vgl. z.B. SKEHAN 1954; BARTHÉLÉMY 1963; MEYER 1993; VAN DER KOOIJ 1994; ROFÉ 2002; MCCARTHY 2007. Allerdings war die Einstufung der sechs Kola von 4QDeutq als Urtext (durch MEYER 1993, 126–127; VAN DER KOOIJ 1994, 99) auf Grund literarkritischer Überlegungen abzulehnen. 11 Vgl. Kap. 3.1. 12 Vgl. z.B. DRIVER 1902; BUDDE 1920; BOSTON 1968; SANDERS 1996; KEISER 2005; OTTO 2009; DERS. 2017; WÜSTE 2018, aber auch G. FISCHER 2005a und 2005b. 13 Vgl. zusammenfassend Kap. 3.4.
368
Ergebnisse
angenommen werden. Zur Veranschaulichung des Gesagten dienen aber mehrfach auch Sprachbilder und Redewendungen, die nicht im engeren Sinn einem theologischen Diskurs zuzuordnen sind, sondern schlicht zum poetischen Repertoire des Schreibmilieus gehört haben dürften. Es handelt sich um traditionelle Muster und sprachliche Konventionen, die sich vielfach auch in der Poesie der altorientalischen Umwelt, speziell der ugaritischen Epik finden. Die eindrückliche Bildsprache des Moseliedes muss also weder ganz aus sich heraus noch im schematischen Abgleich mit „innerbiblischen Parallelen“ erklärt werden. Vielmehr zählte neben der Vertrautheit mit den Überlieferungen vom Gott JHWH auch eine gute rhetorische bzw. poetische Bildung zu den Voraussetzungen, über die der Verfasser oder die Verfasserin des Liedes verfügte.14 Dieser Eindruck bestätigte sich durch die Betrachtung der formgeschichtlich verwandten Kompositionen Ps 78; 81; 106; Neh 9; Jes 63–64. Während eine literarische Abhängigkeit nur zwischen dem Moselied und Ps 81 (mit dem Psalm als späterem und rezipierendem Text) aufgezeigt und für Jes 63–64 (ebenfalls als rezipierend) wahrscheinlich gemacht werden konnte, wiesen sie allesamt ähnliche Formulierungen und Motive auf, was auf ein entsprechend geprägtes Milieu der Abfassenden schließen lässt.15
V. Die ursprüngliche Aussageabsicht V. Die ursprüngliche Aussageabsicht
Bereits die in Kapitel 2 untersuchten Zusätze zeigen, dass der im rekonstruierten Urtext formulierte Auftrag, über das Gottesverhältnis zu reflektieren (vgl. insbes. Dtn 32,6.7.29.39), innerhalb der ersten Adressatenschaft verschiedentlich (positiv) aufgenommen wurde: Unterschiedliche Rezipientinnen und Rezipienten müssen den Text für grundlegend und weiter tradierungswürdig gehalten haben, wobei sie ihre eigenen Assoziationen als Korrekturen und Verdeutlichungen für die Nachwelt ergänzten. Dies passt gut zu der Erkenntnis aus der Formkritik (Kapitel 4), dass das Moselied vermutlich mit dem Ziel verfasst wurde, größere Teile der Bevölkerung im perserzeitlichen Jehud zur Besinnung auf die Identität als Volk JHWHs aufzurufen. Gegen die Annahme eines – kleinen, weitgehend ähnlich denkenden und nicht für ein breiteres Publikum schreibenden – Zirkels von traditionsbewussten Literaten16 sind die verschiedenartigen textlichen Zusätze zum Lied besser verständlich als Folge einer an verschiedenen Stellen in unterschiedlicher Weise erfolgten Reflexion. In Bezug auf die ursprüngliche Aussageabsicht des Moseliedes greifen aber v.a. die Ergebnisse von Kapitel 2 und 3 ineinander: Sowohl textpragmatisch
14
Vgl. KWON 2016 für ähnliche Überlegungen mit Blick auf die Gemeinsamkeiten von Hiob und Deutero-Jesaja. 15 Vgl. zusammenfassend Kap. 4.3 sowie auch das Folgende. 16 Vgl. K. SCHMID 2011b; NEUMANN 2016.
V. Die ursprüngliche Aussageabsicht
369
als auch motivgeschichtlich gesehen zeichnet sich das Lied durch seinen eminent paränetischen Charakter aus. Die in Kapitel 2 beschriebene Ausrichtung auf die Hörerschaft mit Hilfe formaler Mittel (Imperative, Anreden in zweiter Person, rhetorische Fragen) ergänzt die inhaltliche Zuspitzung auf die Hörenden, die in Kapitel 3 ausführlich beleuchtet wurde. In Anbetracht der Vielzahl rezipierter Motive und Traditionen ließ sich als integrierendes Prinzip des Liedes der Rekurs auf die Weisheit ausmachen. Dieser besteht auf der Ebene der einzelnen Verse zunächst darin, dass Inhalte, die dem Pentateuch oder den Propheten entstammen, mit typisch weisheitlichen Konzeptionen gleichgesetzt und dadurch bewertet oder veranschaulicht werden.17 Zu den Motiven, die aus der Weisheitsliteratur ins Moselied übernommen wurden, zählt auch das des klugen „Sohnes“ (ĢĔ), der auf die Worte der Mutter oder des Vaters hört.18 Es findet offensichtliche Verwendung in Dtn 32,5–6, wo das Volk und JHWH einander als ungehörige „Söhne“ und vorbildlich-fürsorglicher „Vater“ entgegengesetzt werden. Überdies aber spielt das Modell einer (idealerweise auf der kindlichen Einsicht in die gute elterliche Erziehung basierenden) Eltern-KindBeziehung eine prägende Rolle im Gesamtaufbau des Moseliedes: Indem die Angehörigen des JHWH-Volkes wiederholt als „Söhne“ (Dtn 32,5.19.20.43*) bzw. „Söhne und Töchter“ (Dtn 32,19) JHWHs bezeichnet, dabei aber mehrfach ihres Ungehorsams angeklagt werden, steht als angestrebtes Ideal der Gehorsam gegenüber JHWH als weisem Vater im Hintergrund des gesamten Textes. Wie an die „Söhne“ im Buch der Proverbien richtet sich eine bestimmte Erwartungshaltung an die, die im Moselied „Söhne“ genannt werden. Auch abgesehen von den einzelnen spezifisch weisheitlichen Charakterisierungen, die sich über das Lied verteilt finden, erscheint somit der Wille JHWHs wie die Quintessenz der Weisheit. Durchweg geht es darum, der Hörerschaft das Tun JHWHs (als essenziell richtig, gerecht und weise) zu vermitteln und die sich daraus für sie (als seine Kinder) ergebenden Konsequenzen einsichtig zu machen. Diese fundamentale weisheitliche Ausrichtung des Moseliedes ist bisher nicht beachtet worden. Ein Grund hierfür dürfte sein, dass die modellhaften Typisierungen der „Weisen“ in den Proverbien stets nur mit der Beschreibung des Volkes im Moselied, nicht aber mit der Darstellung JHWHs verglichen wurden. Erst diese gemeinsame Verhältnisbestimmung, d.h. die Beurteilung sowohl JHWHs als auch seines Volkes nach weisheitlichem Maßstab, verleiht indes dem Moselied seine besondere Anschaulichkeit. Zwar wird das Substantiv ėġĞĚ („Weisheit“) im Lied nicht benutzt. Doch in Dtn 32,6.29 finden sich – beide Male verneint – das Adjektiv ĠĞĚ („weise“) bzw. das Verb ĠĞĚ („weise sein“ bzw. „werden“) mit Bezug auf die Hörenden, um an deren eigene Verantwortung zu appellieren. Das Moselied zielt aber nicht auf eine vom
17
Vgl. für einen Überblick Kap. 3.4. 18 Vgl. Hi 15,10.18; 31,18; Prov 1,8; 4,1.3; 6,20; 10,1; 13,1; 15,5.20; 17,21.25; 19,13.26; 23,22.24; 28,7.
370
Ergebnisse
Menschen selbständig zu erlangende Einsicht in das Weltgeschehen. Es reagiert vielmehr auf das grundsätzlich auch bei Hiob und Kohelet verhandelte Problem, dass JHWHs Handlungen unverständlich wirken können:19 Auf die (implizite) Frage, warum JHWH sein Volk nicht vor fremden Angriffen beschützt, damit es friedlich und gedeihlich leben könnte, antwortet das Moselied mit einer umfassenden theologischen Konzeption. Indem es die Zusammenhänge zwischen göttlichem und menschlichem Tun vorführt und begründet (vgl. v.a. Dtn 32,16.21), ermutigt das Lied die Anhängerinnen und Anhänger JHWHs selbst angesichts einer Notlage zum Festhalten an ihrem Gott und einer diesem Gott gemäßen Lebensführung.20 Die damit skizzierte paränetische Grundhaltung des Liedes deutet darauf hin, dass es mit dem Anspruch geschrieben wurde, ein Thema von zentraler Bedeutung für die Identität seiner Adressatinnen und Adressaten zu entfalten.21 Dasselbe trifft (mit Abstufungen) auch auf die im Rahmen der Formkritik (Kapitel 4) zum Vergleich herangezogenen Dichtungen (Ps 78; 81; 106; Neh 9; Jes 63–64) zu. Offenbar griff man bei der Abfassung dieser Kompositionen, einschließlich des Moseliedes, auf einen gemeinsamen Schatz an Inhalten und Ausdrucksformen zurück. Es fällt ferner auf, dass alle genannten Texte sich unmittelbar auf das Verhältnis JHWHs zu seinem Volk konzentrieren und weder der Monarchie noch dem Priestertum eine konstitutive Rolle zugestehen. Diese Beobachtung wiederum bekommt in Verbindung mit der Motivkritik (Kapitel 3) und den hier festgestellten literarischen Bezügen des Moseliedes zu anderen heute kanonischen Texten besonderes Gewicht: Da einerseits Dtn 4; 6–9; Jes 1; 42–45; 58 recht sicher im Moselied rezipiert werden und es andererseits sehr wahrscheinlich bei der Abfassung von Ps 81; 135; Jes 63–64; Mal 2 bereits vorlag, konnte das Lied mit einiger Bestimmtheit in die Perserzeit datiert werden. Seine (proto-)apokalyptischen Züge, 22 die es mit Jes 26 und Trito-Jesaja teilt, deuten ebenso in diese Richtung wie die Ähnlichkeit zu Ps 82, wo JHWH wie im Moselied in der Umgebung von „Göttern“ (ĠĜėğē) gezeichnet wird.23 Die Eingliederung der ehemaligen Königtümer Israel und Juda in das Achämenidenreich bot einen plausiblen Anlass, die Identität „Israels“ in einem universalen Kontext zu reflektieren. In Dtn 32 und Ps 82 geschieht dies (u.a.) dadurch, dass die „Götter“ als potenzielle Bezugsgrößen für das Volk
19
Zum Theodizee-Charakter des Moseliedes vgl. schon KÖNIG 1917, 214; BUDDE 1920,
45. 20
Vgl. Kap. 4.2 und 4.3 sowie den Exkurs in Kap. 4 „Geschichtsdeutung im ErraEpos“ für ein vergleichbares Phänomen in der akkadischen Literatur. 21 Für die Instrumentalisierung religiöser Traditionen zur Konstruktion der Identität „Israels“ in persischer und hellenistischer Zeit vgl. HENSEL 2016, 392–396. 22 Was im Moselied anklingt, findet sich in hellenistischer Zeit voll entfaltet z.B. in Dan 9; 10; 12, vgl. Kap. 3.3.10.2; 3.3.15; 3.3.19.1. 23 Vgl. Dtn 32,43 (4QDeutq); Ps 82,1.6 sowie auch Dtn 32,8 (4QDeutj): ĠĜėĘğēĜģĔ.
V. Die ursprüngliche Aussageabsicht
371
gegenüber JHWH relativiert und abqualifiziert werden. 24 Wie auch der Gebrauch archaisch anmutender grammatischer Formen25 lässt sich die Erwähnung der „Götter“ gut als Bezugnahme auf eine als normativ respektierte Vergangenheit erklären. Im Angesicht neuer kultureller Einflüsse diente diese Rückbindung dazu, die eigene Identität zu begründen und abzusichern: Die Gemeinschaft der Adressatinnen und Adressaten kann sich durch die hinter ihr liegende Geschichte als geformt und gefestigt begreifen. Und sofern angenommen wird, dass JHWH das Verhältnis zu den „Göttern“ anderer Völker bereits geklärt hat, müssen sie in der Gegenwart der Zuhörenden keine Rolle mehr spielen. Die Auseinandersetzung mit der Frage nach anderen Göttern dürfte aber in der Zeit des Zweiten Tempels umso mehr gefordert gewesen sein, als der nunmehr zu ausdrücklicher Form gelangende Monotheismus durch die bloße Annahme, dass andere Götter existieren könnten, von Grund auf in Frage gestellt wurde. Um dem entgegenzuwirken, integrierte das Moselied (wie auch Ps 82) die Vorstellung fremder Götter in seine Konzeption und betonte zugleich die kategoriale Überlegenheit und Souveränität JHWHs.26 Gegenüber den rezipierten Traditionen zeichnet sich das Moselied fernerhin dadurch aus, dass es sich nicht auf ein bestimmtes Gottesbild oder eine anderweitig bekannte Theologie festlegen lässt. Die Person, die es schrieb, repräsentiert nicht nur einen Strang der ihr überlieferten Tradition (wie z.B. die deuteronomistische Theologie, die Weisheit oder eine spezifische prophetische Lehre), sondern bietet mit Blick auf den Gott JHWH eine Synthese verschiedener Überzeugungen. 27 Jenseits theologischer Einzelmeinungen und
24
Vgl. R. MÜLLER 2007, 23–24: „Etwa ein halbes Jahrhundert nach dem Untergang des Königtums Juda (587/6 v. Chr.) begann sich in den Grenzen der persischen Provinz Jehud ein neuartiges Gemeinwesen zu konstituieren, das sich selbst den uralten Namen ‚Israel‘ gab. Seinen Mittelpunkt bildete die Verehrung Jahwes, des einstigen Königsgottes der Staaten Israel und Juda.“ 25 Zum Phänomen der Archaisierung vgl. exemplarisch den Exkurs in Kap. 4 „ImperfektFormen für die Rede über die Vergangenheit“. Ferner ist anzumerken, dass die möglichen Kennzeichen archaischer Sprache im Moselied nur partiell auftauchen. Es findet sich beispielsweise das Suffix der dritten Person Plural żġ- nur an Nomen und Präpositionen, nicht aber an Verben. (Im Schilfmeerlied Ex 15 verhält es sich bezeichnenderweise gerade umgekehrt!) Somit repräsentiert das Lied nicht durchgehend die Sprache, die von den hierzu Forschenden als archaisches Hebräisch rekonstruiert wird. Deshalb ist stattdessen von einer selektiven Verwendung aus stilistischen Gründen auszugehen, vgl. VERN 2011, 17–18.41. 232.234–241. 26 NIEHR 1990, 206–209.225–226 spricht in diesem Zusammenhang (bezugnehmend auf Gershom Scholem und Rüdiger Lux) von der „Rache des Mythos“: Die geistige Konzentration des Monotheismus auf eine einzige Größe mache die (Re-)Integration disparater Elemente der Erfahrungswelt nötig. 27 Vgl. BAUTCH 2019 für ähnliche Beobachtungen mit Blick auf Jes 63–64, wo er deuteronomi(sti)sche, priesterliche und prophetische Anliegen kombiniert sieht. Mit Verweis auf parallele Tendenzen im Pentateuch datiert er die Komposition in die späte Perserzeit.
372
Ergebnisse
möglicherweise gar widersprüchlicher Lehren ermöglicht das Lied eine ganzheitliche Sicht auf das religiöse Erbe. Dadurch ermuntert es seine Hörer- oder Leserschaft, den gemeinsamen Kern hergebrachter theologischer Deutungen zu suchen und zukünftigen Herausforderungen als Gruppe entsprechend geeint entgegenzusehen.
VI. Die (unerwartete) theologische Engführung VI. Die theologische Engführung
Immer wieder ist in der Forschung angemerkt worden, das Moselied müsse „vor dem Exil“ verfasst worden sein, weil in ihm von der Zerstörung Jerusalems und einer Wegführung des Volkes aus dem Land nicht die Rede ist.28 Freilich findet sich auch die exakt entgegengesetzte Position, das Lied diene dazu, nachträglich „das Unheil des Exils zu erklären.“29 Wieder andere vermuteten das Exil selbst als Grund und „Inspiration“30 für die Abfassung des Moseliedes. In ähnlicher Weise sind nahezu alle inhaltlichen und sprachlichen Komponenten des Moseliedes bereits in ganz verschiedene Jahrhunderte datiert worden.31 Erst durch die Verknüpfung von Textpragmatik und klassischer Exegese wird hingegen ersichtlich, welcher theologische Sinn hinter der (vermeintlichen) Unbestimmtheit des Moseliedes liegt: Wie die vergleichenden Untersuchungen zur Motiv- (Kapitel 3) und Formkritik (Kapitel 4) dokumentieren, reflektiert das Moselied nicht einfach bekannte Überlieferungen vom Handeln JHWHs an seinem Volk. In der Gegenüberstellung mit den Rückblickspassagen der formgeschichtlich verwandten Kompositionen Ps 78; 81; 106; Neh 9; Jes 63–64, in denen ebenfalls zahlreiche Parallelen aus der Hebräischen Bibel begegnen, fiel auf, wie stark das Lied von seinen Vorlagen abstrahiert. Es spannt mit seinen Schilderungen einen weiten Bogen durch die Geschichte des JHWH-Volkes, ohne dabei jedoch Orte oder Namen zu erwähnen. Hierin unterscheidet sich das Moselied merklich von den genannten Vergleichstexten. Zwar sind auch in Jes 63–64 die Bezugnahmen auf die Erzählung(en) des Pentateuchs freier als in den übrigen Dichtungen, selbst hier aber werden sowohl
28
Vgl. NIGOSIAN 1996, 18: „In this list of calamities [= Dtn 32,22–26] the absence of reference to the ‘exile’ can only be explained if the Song was composed and already traditional prior to the exile.“ Ähnlich z.B. DILLMANN 1886, 393; TIGAY 1996, 30.512; THIESSEN 2004, 419. SANDERS 1996, 433 beruft sich auf dieses Argument nur am Rande. 29 HECKL 2011, 234, vgl. EBD., 236 sowie MAYES 1981, 382. U.a. mit Blick auf die vorige Anmerkung ist jedoch WÜSTE 2018, 18 nicht zuzustimmen, es bestehe heute ein „weitgehender Konsens“ zur „nachexilischen“ Datierung des Liedes. 30 LEVY 1930, 11: „the impulse and the inspiration“, vgl. S TEUERNAGEL 1900, 114; HEMPEL 1914, 267; BUDDE 1920, 44–46. 31 Vgl. die Einleitung, außerdem RÜTERSWÖRDEN 2006, 191; OTTO 2017, 2160 für einen Überblick über die wichtigsten Kontroversen.
VI. Die theologische Engführung
373
„Mose“ (Jes 63,11.12) und „Abraham“ (Jes 63,16) als auch „Zion“ bzw. „Jerusalem“ (Jes 64,9) explizit genannt. In Dtn 32 fehlen solche konkreten Anknüpfungen indessen völlig.32 Die Hörenden und Lesenden werden dadurch in besonderer Weise auf JHWH als entscheidenden Akteur an allen Orten und zu allen Zeiten verwiesen.33 Erkennt man diesen Effekt als zentrales Anliegen des Moseliedes (an), muss die Widersprüchlichkeit früherer Charakterisierungen nicht mehr verwundern. Obwohl häufig bis zu einem gewissen Grad schlüssig, konnte keine der bisherigen formkritischen Bestimmungen vollständig überzeugen.34 Alle Versuche, den ursprünglichen Verwendungszweck des Liedes zu ermitteln, mussten aber letztlich scheitern, weil es nicht für einen bestimmten Anlass geschrieben wurde, sondern in der Absicht, unabhängig von spezifischen Lebensbedingungen einleuchtend zu sein.35 Vermutlich hätte fast jeder Vergleich mit einer klar fassbaren Epoche der (tradierten) Geschichte die politische Bedeutungslosigkeit der Zuhörenden unter der Perserherrschaft wenig hoffnungsvoll erscheinen lassen. In der – weit vom Zentrum entfernt liegenden – Provinz war auf Wirtschaft und Herrschaft des Imperiums sicherlich kein nennenswerter Einfluss zu nehmen. Für das Alltagsleben in Jehud dürfte es sich eher nahegelegt haben, die fremde Oberherrschaft zu akzeptieren und sich mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten bestmöglich zu arrangieren. Eine vielleicht zu Beginn der Perserzeit anzutreffende Erwartung erneuter Unabhängigkeit ist im Moselied keinesfalls auszumachen. In dieser letztlich von Unterordnung innerhalb eines inhomogenen Gefüges geprägten Situation erinnert das Lied seine Hörerschaft stattdessen daran, dass sie Teil einer umfassenden Geschichte und unaufhebbar
32
Wenn in Dtn 32,9* (zur Textkritik vgl. Kap. 1.3.2) das „Volk Jakob“ und das „Erbteil Israel“ genannt werden, geschieht dies in ganz allgemeiner Weise, d.h. ohne jeglichen Rückgriff auf eine bekannte historisierende Überlieferung, vgl. den Exkurs „JHWHs Volk als Hörer des Moseliedes“ in Kap. 2. 33 Somit gilt auch hinsichtlich des Verhältnisses von Inhalt und Darstellungsform im Moselied, was BRITT 2000, 372 mit Blick auf die Gesamtkomposition von Dtn 31–32 formuliert hat: „In fact one could say that the most impressive feature of the text’s poetics is its hermeneutics […].“ 34 Man denke an die nicht miteinander zu vereinbarenden Identifikationen als Gerichtsrede (Gunkel bei SCHMIDT 1915 sowie verschiedene Spätere, vgl. den Exkurs in Kap. 3 „Zur Deutung des Moseliedes als ‚Gerichtsrede‘“); als Gesetzbuch (LUNDBOM 1976; DERS. 2013); als Vermächtnisliteratur (WEITZMAN 1994) oder als kultischer Hymnus (T HIESSEN 2004). 35 Vgl. FOKKELMAN 1998, 142–143 sowie (trotz seiner Festlegung auf das Moselied als Kultlied) THIESSEN 2004, 423: „It is not only the modern reader who finds the language of the Song vague and the identity of the ‘no-people’ enigmatic. The language is purposefully vague and the enemy intentionally faceless. The author’s goal was not to describe a particular historical situation but to compose a liturgical work that would not quickly become obsolete.“
374
Ergebnisse
bezogen auf den Herrn dieser Geschichte ist. 36 Hierin liegt ein besonderes Hoffnungspotenzial: In allen Vergleichstexten in Kapitel 4 spiegelte sich ein Bewusstsein dafür, dass „Israel“ seinen Platz unter den Völkern behaupten musste und hierzu nicht über die nötigen militärischen oder politischen Mittel verfügte. Überall richtete sich deshalb der Wunsch nach Beistand und Rettung auf JHWH. Am konsequentesten aber schließt das Moselied alle menschlichen Machtoptionen aus und formuliert ein Programm, das einzig die Orientierung an JHWH zulässt und von jeglicher Politik gänzlich schweigt.37 Diese Engführung auf JHWH lässt sich auch daran ablesen, wie im Moselied die Motivik der Vorlagen abgeändert wurde: Die weisheitlichen Charakterisierungen JHWHs zu Beginn (vgl. Dtn 32,4–6) lassen ihn – und nicht etwa einen menschlichen Lehrer – als einzige Autorität des Volkes erscheinen. Wohltaten und Strafen, die an anderen Stellen der Hebräischen Bibel auch allgemein zum Ausdruck einer guten oder schlechten Lebenssituation dienen können, werden im Moselied allesamt und ausschließlich auf JHWH zurückgeführt (vgl. Dtn 32,10–14.22–25). Insbesondere die anderswo (vgl. Ps 76,4; 91,6; Jes 28,2; Hos 13,14; Hab 3,5) auch als selbständige Akteure erscheinenden Phänomene „Seuche“ und „Verderben“ (Dtn 32,24: Ħ ĄŘīĄ bzw. Ĕ Ąě ĄĪ) sind im Moselied nur als Werkzeuge JHWHs vorgestellt. Fernerhin fehlt im Lied jeder Hinweis darauf, dass JHWH sich in seinen Erwägungen über das Schicksal seiner „Kinder“ und seiner Gegner mit Mose beraten hätte – was einen entscheidenden Unterschied zur Darstellung Moses als Fürbitter in der Erzählungen vom „goldenen Kalb“ (vgl. Ex 32/Dtn 9) oder der Kundschafter-Erzählung (vgl. Num 14) markiert. Auch das „Ende“ (Dtn 32,20.29: ĭĜīĚē) des Volkes ist dem Moselied zufolge allein in JHWHs Gewalt (vgl. Dtn 32,34), während dieser Begriff ansonsten meist weniger spezifisch im Sinne eines später eintretenden Zeitpunktes verwendet wird. Zusätzlich verstärken die langen Passagen, die als Gottesreden gestaltet sind, die extreme Fokussierung auf JHWH als konkurrenzlos zu respektierendes Gegenüber.38 Allerdings spitzt das Moselied seine Botschaft auch in umgekehrter Richtung zu. Viel energischer als die in Kapitel 4 betrachteten Vergleichstexte zieht es (wie ausführlich in Kapitel 2 dargestellt) seine Hörerinnen und Hörer zur
36
Vgl. MARKL 2012, 281: „In ihm [= dem Moselied] bündeln sich als zentrale Themen und Anliegen alttestamentlicher Theologie die Unvergleichlichkeit Jhwhs und sein Ringen um die bleibende Beziehung mit jenem Volk, das er geschaffen hat und wie seinen Augapfel behütet […].“ 37 Vgl. BAUMANN 1956, 416: „[Der Gedankengang des Liedes] gipfelt in der Aufforderung zu klarer Erkenntnis und Anerkenntnis; Jhw [sic] ist allein Gott“; WÜSTE 2018, 242: „Dass das Erkennen und auch das Anerkennen der alleinigen Verehrung JHWHs der Drehund Angelpunkt des Liedes ist […].“ Für die Ausrichtung auf JHWH anstelle des Königs als Indiz für die Datierung in die Zeit nach dem Ende der Monarchie vgl. R. MÜLLER 2015, 415; WÜSTE 2018, 100. 38 Vgl. WATTS 1992, 73.
VII. Greifbare Nachwirkungen
375
Rechenschaft. Sie werden mehrfach direkt angeredet, mit den Überlieferungen von den Freveltaten des JHWH-Volkes als ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert und durch rhetorische Fragen an das ihnen eigentlich Bekannte erinnert: dass sie selbst – an ihrem eigenen Ort – sich vor JHWH verantworten müssen. Somit bietet das Lied eine doppelte Engführung auf JHWH und auf die Einzelnen in der Hörerschaft. Seine Rhetorik und Motivik stehen ganz und gar im Dienst der theologischen Konzentration auf die unmittelbare Beziehung der Hörenden zu JHWH.39 Auch die im Lied auftretenden – und in der Forschung höchst unterschiedlich identifizierten – Feinde40 sind deshalb keine bestimmte Nation, die das Volk JHWHs von außen bedroht (hat), sondern grundsätzlich all diejenigen, die sich JHWH entgegenstellen und seine Anhängerinnen und Anhänger dazu verleiten könnten, ebenfalls von JHWH abzufallen.41
VII. Greifbare Nachwirkungen VII. Greifbare Nachwirkungen
Welchen Einfluss das Moselied auf verschiedene Adressatinnen und Adressaten gehabt hat, beweisen Teilergebnisse der Motivanalyse (Kapitel 3) und Redaktionskritik (Kapitel 5). Zum einen muss das Moselied zur Abfassungszeit der Schriften, die ausweislich der Motivkritik auf es zurückgreifen (vgl. v.a. die Bücher Nehemia, Klagelieder und Maleachi sowie Ps 81; 135), bereits Verbreitung und Akzeptanz erlangt gehabt haben. In diesen Fällen wurde es vermutlich wegen seiner Ausdruckskraft rezipiert und – ohne Verweis auf seine Herkunft – aus sich heraus für glaubwürdig gehalten.42 Überdies aber bestand offenbar Veranlassung, das Lied durch die Rückbindung an Mose in einem übergreifenden Vorstellungszusammenhang zu verorten und es auch formal als autoritative Komposition auszuweisen: Indem das Lied in die Erzählung des Deuteronomiums integriert wurde, rückte es selbst in die größte Nähe zu den Quellen, aus denen es sich speiste, und erhielt Teil an deren Legitimation als göttlich sanktionierte Texte. Der lexikalische und konzeptionelle Vergleich des Liedes (Dtn 32,1–43) mit seiner narrativen Rahmung (Dtn 31,16–22.28–30; 32,44) hat jedoch die grundlegenden Differenzen zwischen beiden vor Augen geführt und die mehrheitlich vertretene Meinung bestätigt, dass das Lied erst
39
Vgl. WATTS 1992, 73: „[…] the Song of Moses focuses concentrated attention on God’s actions and intentions, allowing additional room only to the object of God’s attentions, the people of Israel.“ 40 Vgl. die Einleitung des Buches sowie Kap. 2 Anm. 128. 41 Dies war prinzipiell schon von SELLIN 1925 richtig erkannt worden, als er wegen der großen Nähe der Feinde zum Volk bemerkte, es müsse sich um die „Samaritaner“ handeln. Vgl. BAUMANN 1956 mit der Bekräftigung, das Lied zeige kein Interesse an den Feinden an sich, sondern nur am Ergehen des Gottesvolkes. 42 Vgl. Kap. 3, insbes. das Fazit unter 3.4.
376
Ergebnisse
sekundär an seinen Ort im Deuteronomium gelangt ist.43 Sowohl die Unstimmigkeiten zwischen Lied und unmittelbarer Rahmung als auch die Widersprüche innerhalb der längeren Narration von Dtn 31–32 zeugen davon, dass sich die nunmehr zum Moselied gewordene Komposition in ihren neuen (literarischen) Kontext der Tora-Konzeption des Deuteronomiums einfügen musste:44 So wurde aus dem Aufruf eines anonymen Lehrers oder einer Lehrerin, JHWH durch die eigene Lebensführung die Ehre zu geben, der Aufruf Moses, die Tora zu befolgen, um JHWH gemäß zu leben. Im zoroastrischen Schrifttum der Achämenidenzeit erkennt Yishai Kiel eine ganz ähnliche Tendenz: „The personal authority of Zarathustra, as the recipient and mediator of the law set down by Ahura Mazda, […] serves to unify and consolidate the different components of the Zoroastrian Tradition as well as justify their inclusion in a single coherent framework of textual unity and scriptural authority.“ 45 Ohne dass eine direkte „Übersetzung“ der zoroastrischen Konstellation in den Kontext der Hebräischen Bibel angenommen werden muss,46 findet sich hier ein plausibles Modell der Kanonbildung, das vielleicht auch die Übernahme des sogenannten Moseliedes in das Buch Deuteronomium (und damit letztlich in den Pentateuch) erklären kann. Sollte, wie Kiel mit Blick auf die Komposition der Bücher Esra und Nehemia annimmt, die Vorstellung einer mosaischen Autorität hinter den Schriften des Pentateuchs an die Zuschreibung unterschiedlicher Texte und Traditionen zu Zarathustra angelehnt sein, bietet sich hier ein weiterer Hinweis zur zeitlichen Einordnung des Moseliedes: (Erst) Nachdem die Konzeption Zarathustras als ursprünglicher Garant und Vermittler religiöser Schriften im Zusammenhang mit der Propagierung achämenidischer Herrschaftsideologie den Pentateuch-Redigierenden bekannt geworden war, konnten sie sich – bewusst oder unbewusst – an dieser orientieren.47
43
Vgl. z.B. KNOBEL 1861; DILLMANN 1886; KLOSTERMANN 1893; STEUERNAGEL 1900; S.R. DRIVER 1902; HEMPEL 1914; BUDDE 1920; LEVY 1930; WINTER 1955; BOSTON 1966; VON RAD 1968; LUNDBOM 1976; MAYES 1981; LANA 1983; WATTS 1992; ROSE 1994; TIGAY 1996; THIESSEN 2004; SEYBOLD 2005; LEUCHTER 2007; HECKL 2011 sowie Kap. 5.4. 44 Vgl. Kap. 5.2–4, insbes. Kap. 5.4.2. sowie WATTS 1992, 66.80: „…the incorporation of the psalm [= Dtn 32,1–43] at the end of Deuteronomy and its description as having the same function as the law, may be an attempt to use the psalm’s prestige to help gain the book’s acceptance. […] The intention seems to have been to bring home to readers as forcefully as possible the message of the book as a whole.“ 45 KIEL 2017, 345. 46 Vgl. KIEL 2017, 344. 47 Vgl. KIEL 2017, 332: „That the Avestan concept of the law of Ahura Mazda mediated through the figure of Zarathustra could have reached the Judean scribes via Achaemenid agency is possible on several grounds. Whether, as the authors of Ezra-Nehemiah would have us believe, the Achaemenids actively endorsed or authorized the consolidation and promulgation of pentateuchal law (and other local endeavors) is difficult to ascertain. Even if they did not, this hardly excludes the possibility that the Judean scribes were inspired by
VIII. Der theologiegeschichtliche Ort
377
VIII. Der theologiegeschichtliche Ort: Abschließende Einordnung von Text und Theologie des Moseliedes VIII. Der theologiegeschichtliche Ort
Das bisher Dargestellte zusammenfassend lässt sich die in der Einleitung gestellte Frage nach dem theologiegeschichtlichen Hintergrund des Moseliedes folgendermaßen beantworten: Das „Lied“ Dtn 32,1–43* dürfte in der mittleren Perserzeit, d.h. etwa im 5. Jh. v. Chr. als religiöser Programmtext geschrieben worden sein. Seine Aufgabe war es, im Rückgriff auf existierende Überlieferungen vom Gott JHWH und dessen Handeln an seinem Volk „Israel“ die Identität der JHWH-Anhängerinnen und -Anhänger in der persischen Provinz Jehud (neu) zu definieren. Angesichts ihrer politischen Unselbständigkeit sollte es die Hörerschaft an ihre existenzielle Verwiesenheit auf JHWH erinnern, hinsichtlich der Bandbreite an überlieferten Traditionen wiederum an ihre kollektive Identität als Gottesvolk. Dabei sind die ungewöhnlichen Aussagen des Liedes über JHWH – neben anderen Besonderheiten im Ausdruck – das Produkt eines Reflexionsprozesses: Um die bleibende Relevanz der JHWH-Traditionen (als Traditionen „Israels“) zu verdeutlichen, hat die Verfasserin oder der Verfasser des Moseliedes sie neu formuliert und mit Blick auf die intendierte Hörerschaft zugespitzt. Die Vorwürfe, die im Lied vorgebracht werden, zielen dementsprechend darauf, die Gottvergessenheit der Hörerinnen und Hörer als drohenden Identitätsverlust bewusst zu machen. Einen solchen zu befürchten, musste in einer periphären, politisch wie wirtschaftlich unbedeutenden Provinz des riesigen achämenidischen Imperiums durchaus naheliegen. Schließlich zeigt die komplizierte Text-, Literar- und Redaktionsgeschichte des Liedes, dass es sein ursprüngliches Ziel offenbar erreicht und seine Adressatenschaft dazu bewogen hatte, sich mit der (eigenen bzw. von ihr anzueignenden) Überlieferung auseinanderzusetzen. Als Folge des fortgesetzten Nachdenkens über die Gottesbeziehung „Israels“ ist nicht nur der Text des Moseliedes mehrfach verändert worden. Auch die Einfügung des Liedes ins Deuteronomium zeugt davon, dass es (vermutlich gegen Ende der Perserzeit) faktisch den Status eines autoritativen Textes erlangt hatte und deshalb als „Destillat der Tora“48 Mose zugeschrieben werden konnte.
Zoroastrian models of canonization, codification, and revelation mediated by the Achaemenids.“ 48 FISCH 1988, 61: „distillation of Torah“.
Anhang I
Die Textentwicklung in Dtn 32,8–9 Bekannte Textvarianten: V.8d: 4QDeutj/ ĠĜėĘğēĜģĔ LXX ČññïõøóùïøŶ MT/SP ğēīĬĜĜģĔ
Bezeichnung in der Grafik:
V.9b:
E
MT
I1
SP/ LXX
Bezeichnung in der Grafik: ĘĭğĚģ
Ø
ğēīĬĜĘĭğĚģ
I2
mØûúëòõ
Ein Pfeil bezeichnet jeweils eine Textänderung, eine Gruppe gleichartiger Pfeile einen möglichen Entstehungsprozess aller bekannten Textvarianten. 1. Szenario, ohne „Israel“ in V.9b (ĘĭğĚģ: „sein Erbteil“, vgl. MT): E–Ø
E – I2 = LXX
hypothetisch
ƵŶĂďŚćŶŐŝŐĞ ŶĚĞͲ ƌƵŶŐ͗ї/ϭ
ƵŶĂďŚćŶŐŝŐĞŝŶͲ ĨƺŐƵŶŐǀŽŶ/Ϯ
I1– Ø = MT
I1– I2 = SP
2. Szenario, mit „Israel“ in V.9b (ğēīĬĜ ĘĭğĚģ: „sein Erbteil Israel“, vgl. SP/LXX): E–Ø
E – I2 = LXX
hypothetisch
ƵŶĂďŚćŶŐŝŐĞ ŶĚĞƌƵŶŐ͗ ї/ϭ
I1– Ø = MT
I1– I2 = SP
Ergebnis: Die plausibelste, weil einfachste Lösung beschreibt der Weg der durchgezogenen Pfeile im 2. Szenario: E – I2 (= LXX) ĺ I1 – I2 (= SP) ĺ I1 – Ø (= MT).
Anhang II
Die Textentwicklung in Dtn 32,43 Urtext Jubelt, ihr Himmel, mit ihm, und fallt vor ihm nieder, alle ihr Götter! Denn das Blut seiner Söhne wird er rächen und den Boden seines Volkes entsühnen.
ĘġĥĠĜġĬĘģĜģīė ĠĜėğēğĞĘğĘĘĚĭĬėĘ ĠĪĜĘĜģĔĠĖĜĞ ĘġĥĭġĖēīħĞĘ
a=a* Jubelt, ihr Himmel, mit ihm, b=b* und fallt vor ihm nieder, alle ihr Götter! c=c* Denn das Blut seiner Söhne wird er rächen d=y und Rache erwidern seinen Bedrängern e=z und denen, die ihn hassen, vergelten f§d* und den Boden seines Volkes entsühnen.
ĘġĥĠĜġĬĘģĜģīė ĠĜėğēğĞĘğĘĘĚĭĬėĘ ĠĪĜĘĜģĔĠĖĜĞ ĘĜīĩğĔĜĬĜĠĪģĘ ĠğĬĜĘĜēģĬġğĘ ĘġĥĭġĖēīħĞĜĘ
a* b* c* d* 4QDeutq
Einschub vgl. V.41c.d
MT/SP Textänderungen
Streichung von b* und z
aa* Lasst jubeln, ihr Nationen, sein Volk! bc* Denn das Blut seiner Knechte wird er rächen c=y und Rache erwidern seinen Bedrängern d§d* und den Boden seines Volkes entsühnen.
żŪ ąĥĠĜĘĕĘģĜģīė ĠĘĪĜĘĜĖĔĥČĠĖĜĞ ĘĜīĩğĔĜĬĜĠĪģĘ ĘġĥĘĭġĖēīħĞĘ
LXX ïŻƫúĄ÷ùòüïøŻúë÷øŤĈöë ëŻüŒ (vgl. MT/SP und b§b* und niederfallen sollen vor ihm alle Gottes- ôëťúøûôý÷òûĄüþûë÷ 4QDeutq) söhne! ëŻüŒĄ÷üïÏýŧøťùïøŶ Textverschmel- c§aMT Freut euch, ihr Völker, mit seinem Volk ïŻƫúĄ÷ùòüïġù÷òöïüą üøŶõëøŶëŻüøý zung Neuformulied und stärken sollen sich ihm alle Engel Got- ôëťĠ÷óûíýûĄüþûë÷ëŻüŒ rung tes. Ą÷üïÏČññïõøóùïøŶ e=c* Denn das Blut seiner Söhne wird er rächen ľüóüļëŪöëüņ÷ýŧņ÷ ëŻüøŶ ĠôîóôïŦüëó2ĠôîóôĆüëó3 f§y und den Feinden vergelten und Strafe heim- ôëťĠôîóôĤûïóôëť zahlen ċ÷üëøîńûïóîŤôò÷üøŦÏ ĠíùúøŦÏ g§z und den Hassern vergelten ôëťüøŦÏöóûøŶûó÷ ċ÷üëøîńûïó h§d* und der Herr wird das Land seines Volkes ôëťĠôôëùëúóïŦôŴúóøÏ säubern. üĥ÷ñĦ÷üøŶõëøŶëŻüøŶ Doppelübersetzung
a§a* Freut euch, ihr Himmel, mit ihm,
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Stellenregister Wird eine Textstelle nur in den Fußnoten erwähnt, erscheint die entsprechende Seitenangabe kursiviert.
Altes Testament Genesis 1,24 3,14 4,1 4,23 6,2 6,4 6,5 6,9 10 10,5 10,19 10,32 13,10 13,12–13 14,2 14,8 14,10–12 14,17 14,18–20 14,19 14,21–22 14,22 14,24 15,12 16,13 18–19 18,19 18,23–32 19 24,48 25,23
30 194 129 104–105 35, 133 35, 133 348 119 264 132, 263–264 212 132, 263–264 212 212 212 212 212 212 137 129 212 68, 129, 137, 244 146 194 17 76, 212, 268 121, 262 121 212 155 132
27,28 27,39 30,2 30,40 31 31,14 31,44 31,48 31,50 31,52 32,2 35,2 35,4 43,3 48,11 49,1 49,11–12 49,11 49,20 49,27
114 114 337 132 345–346 146 345 345 345 345 45 156, 174, 336, 343 156, 174, 336, 343 346 210 179 215 163 24 38
Exodus 3,2 3,8 3,17 4,22–23 6,8 9,14 12,26 13 13,5 13,21
184 338, 343 338, 343 127 243, 244 239 131 155, 267 338, 343 155
412
Stellenregister
14–15 14,8 14,25 15 15,11 15,16 16,31 17 17,6 17,14 18,20 19–20 19,4 19,5 19,16 19,21 19,23 20 20,3 20,5 20,10 20,16 21,22 23,27 24 24,17 29,36–37 29,40 30,10 30,15–16 32 32,7–14 32,7–8 32,8 32,10–14 32,30 33,3 33,13 34 34,10 34,14
201 200–201 211 186, 371 134–135 194 162 162 159, 265 195 121 186 150–151, 154 151 246 346 346 250, 270 259 181, 250–251, 259 194 345 26, 209–210 194 186 184–185 260 236 260 260 122, 202–203, 266, 374 121 122, 341, 343, 348 121, 122 202, 244 172, 261 338, 343 121 186 181 181, 185
Leviticus 1,4 2,1 2,11 4,20 4,26
260 161 161 260 260
4,31 4,35 5,6 5,10 5,13 5,16 5,18 5,26 6,2 6,3 6,5–6 6,10 6,23 7,7 8,15 8,34 9,7 10,2 10,17 13,46 14,18–21 14,29 14,31 14,53 15,15 16,6 16,10–11 16,16–18 16,20 16,24 16,27 16,30 16,32–34 17,11 19,22 20,24 21,17 22,21 23,10 23,13 23,37 26 26,8 26,22 26,25
260 260 260 260 260 260 260 260 183 183 183 146 260 260 260 260 260 184 260 20 260 260 260 260 260 260 260 260 260 260 260 260 260 260 260 338, 343 54 54 17 236 238 190 74, 207–208 190 248
Numeri 1–27 1,5–6
8 115
1,10 2,10 2,12 2,20 3,35 6,11 6,17 7,17 7,30 7,35–36 7,41 7,54 7,59 8,12 8,19 8,21 10,18–19 10,23 11,1 11,8 12,5 13 13,8 13,16 13,27 14 14,8 14,12–20 14,19 14,21 14,28 14,30 15,5 15,7 15,10 15,25 15,28 15,30 16,13–14 16,35 17,11–12 18,20 19,2 19,16 20 20,8 20,10–11 21,28 23,7
Stellenregister 115 115 115 115 115 260 238 162 115 115 115 115 115 260 260 260 115 115 184 162 319 202 322 322 338, 343 203, 374 338, 343 202, 244 115 245 245 243, 244, 245 236, 238 236 236 260 260 200, 201 338, 343 184 260 146 54 248 162 159, 265 159, 265 183–184 155
23,10 23,18 24,14 24,20 25 25,11 25,13 26,10 26,53 26,55 27,12–14 28,14 28,22 28,30 29,5 31,8 31,36 31,50 33,3 35,30 Deuteronomium 1–4 1,38 2,34 3,6 3,8 3,24 3,25 3,28 4
4,3 4,4 4,6–8 4,13 4,16–19 4,16 4,19–20 4,19 4,20 4,22 4,23 4,24–25 4,24 4,25
413 178 104–105 179 178 210, 211 211 260 184 40 144 327 236 260 260 260 248 146 260 200–201 345
8 132 194 194 318, 353 115 320, 353 132 144–145, 182, 186– 187, 264, 267, 347, 367, 370 145 145 145 145, 346 356 145 145, 263 38, 144, 145, 182 144, 145, 147, 182 320, 353 346 171, 182, 263, 266 181, 182, 184–187, 195, 263 171, 182, 342
414
Stellenregister
4,26 4,28 4,30 4,31–38 4,31 4,32 4,35 4,39 4,47 5–28 5 5,7 5,9–10 5,9 5,14 5,24 5,25 5,33 6–9 6 6,3 6,4 6,6–9 6,11–12 6,11 6,12 6,15 6,20 6,25 7 7,9–10 7,10 7,25–26 7,25 7,26 8 8,1 8,3 8,6 8,8 8,10–12 8,10 8,11 8,12
109, 110, 182, 204, 343, 346 145 179 145 346 131 133, 239 145, 239 318, 353 8 186, 250, 270 259 251 181, 250–251, 259 194 115 184 121 367, 370 158, 264, 265, 267 338, 343 355 355 263 164, 165, 169 164–165, 167 181 131 318 158, 249–251, 264, 267, 269 251, 356 249, 250–251, 263, 266, 269 251 173 173 158–159, 162, 264– 267 318 356 120 158, 263, 271 263 164, 165, 169 164–165, 167 164, 165, 169
8,14 8,15 8,16 8,17 8,19–20 8,19 9–10 9
9,2–3 9,3 9,6 9,7 9,9 9,11 9,12–14 9,12
9,13 9,14 9,15 9,16 9,17 9,18 9,23 9,24 9,25–29 9,26 9,27–28 9,27 9,29 10 10,1–5 10,9 10,10 10,12 11 11,2 11,8 11,9 11,15 11,16 11,22 11,28
158, 164–165, 167, 263 159, 263, 271 178 158 158 204 330 122, 186, 195, 202– 203, 262, 264, 266– 268, 329–331, 374 186 184, 185, 195 330, 348 330, 348 329 329 121 121–122, 195, 203, 262, 263, 341, 343, 348 330, 348 195, 203 329 121 330 171, 172, 195, 342, 343 330, 348 330, 348 202–203, 244, 262, 264 115, 147 203 330, 348 147 266 330 146 202 120 264, 265, 266–267 115 318 338, 343 164, 165, 169, 263 164–165, 167 120, 318 121, 172
12 12,10 12,12 12,18 12,31 13,3 13,6 13,7 13,14 14,1 14,27 14,29 15,21 16,11 16,14 16,19 17 17,1 17,2 17,6 18 18,1 18,8 18,12 19,3 19,9 20,16 21,8 22 22,5 23 23,18 23,19 25 25,16 25,19 26,9 26,12 26,13 26,15 26,17 27 27,3 27,15 28,7 28,9 28,12 28,15 28,49
Stellenregister 267 132 146 194 173 172 121 172 172 127 146 146, 164 54 194 194 119 267 54, 173 342 345 267 146 146 173 132 120 147 260 267 173 267 45 173 267 173 195 338, 343 164 318 338, 343 120 267 338, 343 173 208 120 222, 225 208 150
28,64 28,69–32,47 28,69 29–31 29–30 29 29,8 29,9 29,10 29,11 29,13 29,17 29,19 29,20 29,22 29,24 29,25 29,28 30 30,14–16 30,16 30,19–20 30,19 31–34 31–32
31,1–32,47 31
31,1–30 31,1–3 31,1 31,3 31,4–11 31,4–6 31,4 31,5–6 31,5 31,7–8 31,7 31,8 31,9–13
415 172 10 346 8, 315 357 144 346 321 321 346 346 216, 217 195 346 212, 217 144, 346 38, 144, 145, 172 80 82, 331, 347, 350 331 120 331 109, 110, 343, 346 10 8–9, 14, 282, 314– 323, 326–327, 333, 349–350, 354–355, 357, 360, 373, 376 352 4, 48, 278, 281, 315, 334, 352, 353, 358 51, 314, 354 317, 327 322, 333, 350–351, 353–354 317, 323, 326, 327, 353, 357 318 317, 327 353 323 352, 354 317, 323, 326, 327 132, 318, 324, 333, 353, 357 326 314, 317, 324, 326, 327, 329, 331
416
Stellenregister
31,9–11 31,9 31,11–18 31,11–12 31,11 31,12 31,13 31,14–30 31,14–23 31,14–15 31,14 31,16–22
31,16–21 31,16
31,17–18 31,17 31,18–23 31,18 31,19
31,20
31,21
31,22
31,23
31,24–30 31,24–29 31,24–27 31,24–26
325 324–325, 326, 353, 357 319 326 325 194, 325 329, 353 277–278 329, 331 314, 317, 326–328, 333, 351 320, 328, 357 8, 314, 317, 327– 329, 331, 333–334, 355, 375 326, 328, 347, 355 156, 174, 326, 328, 335–337, 342–343, 347, 351, 357 178, 337, 342, 344, 347 335, 337–338, 340, 342–343, 348 320 335 51, 277–278, 281, 297, 301, 323, 325– 326, 328, 331, 334, 345–346, 348, 351, 353, 357 22, 164–165, 326, 335–336, 338–340, 342–343, 347, 353 51, 277–278, 281, 323, 325, 326, 331, 334, 336–338, 342– 343, 345–348, 353, 357, 362 51, 277–278, 283, 322, 323, 325, 326, 328, 348, 353, 357 314, 317, 318, 323, 324, 326, 327–328, 333, 353, 357 321, 329, 331, 347 314, 329 317, 327, 329–333 326, 357
31,24 31,25–26 31,25 31,26–27 31,26 31,27 31,28–30 31,28–29 31,28
31,29 31,30
32
32,1–43
32,1.4–29 32,1–25 32,1–3 32,1–2 32,1
32,2
32,3–5
318, 321, 325, 329, 331, 332–333, 353 325, 326 325, 332–333, 351 329 277, 281, 325, 326, 330–332, 346 325, 332, 348 317, 327, 329, 331– 334, 355, 375 325, 332, 355 109, 110, 325, 332– 333, 336, 340–341, 343, 351, 357 121, 171, 179, 332, 336, 341–343, 348 51, 277–278, 283, 320, 325, 326, 331, 332–333, 348, 351, 355 13–14, 48, 137, 144–145, 147, 149, 150, 164–165, 167, 168, 187, 190, 193, 195–199, 201, 203, 211, 224, 230, 234, 249, 251, 262, 274, 276, 278–279, 281, 283–284, 287–288, 302–310, 313, 370, 373 1–2, 51, 277–278, 297, 314, 317, 321, 326, 331, 333, 347, 355, 357, 359, 375– 377 112 7, 112 17, 48, 291 112–115, 118, 302 31, 51–52, 57, 89, 90, 104–109, 110, 112, 147, 182, 247, 263, 271, 277, 283, 336, 341, 343 31, 52, 113–114, 271, 277, 281, 285, 334, 344 89
32,3–4 32,3
32,4–19 32,4–7 32,4–6
32,4–5 32,4
32,5–7 32,5–6
32,5
32,6–42 32,6–7 32,6
32,7–14 32,7–9 32,7
32,8–27 32,8–18
Stellenregister 302 31, 53, 56, 59, 74, 87, 89, 90, 93, 115, 277, 283, 285, 289, 291, 341 66 18 117–118, 120, 124, 130, 145, 170, 266, 272, 307, 374 53–56, 120–123, 129, 263 31, 33, 53–54, 59, 74, 88, 115–120, 122–123, 155, 173, 196–198, 200, 208, 249, 250, 258, 262, 265–266, 270, 272, 289, 307 201, 348 33, 53, 66, 71, 76, 87–88, 118–120, 126, 199, 369 17, 31–34, 53–55, 56, 93, 119–122, 126–127, 145, 175, 203, 260, 262, 294, 336, 341–342, 361– 363, 369 55 71, 283, 291 31, 33, 51, 55, 56– 57, 59, 63, 80, 84, 85, 86, 87, 93, 119, 125, 126–130, 173, 181, 270, 273, 283– 284, 294, 307, 341, 344, 368–369 81 130 31, 53, 56–58, 60, 64, 67, 71, 84, 87, 130–131, 149, 271, 283, 289, 336, 340, 343, 344, 368 355 283, 288, 309, 310, 312
32,8–14 32,8–10 32,8–9
32,8
32,9–15 32,9–14 32,9
32,10–14 32,10–12 32,10–11 32,10
32,11–13 32,11 32,12–13 32,12
32,13–14 32,13
32,14–20 32,14–15 32,14
417 20, 55, 57, 65, 87, 283, 292, 344 19 13, 34–41, 55, 58– 60, 85, 94, 131– 132, 136, 139, 143, 145, 283, 379 2–3, 31, 34–38, 40, 42, 55, 57–58, 60– 61, 67, 132–140, 142, 143–147, 201, 258, 263, 264, 292, 294, 310–312, 364– 366, 370, 379 64 86 31, 35–40, 55, 56, 58, 59, 60–61, 132, 139, 143–148, 182, 263, 264, 309, 373, 379 60, 145, 158, 212, 264, 374 148 20 31, 38, 57, 60, 146– 147, 148–150, 154– 155, 157, 263, 265, 271, 307 20 31, 59, 60, 150– 154, 271, 312 262 31, 59–60, 85, 147, 155–156, 166, 173– 174, 239, 267, 270, 273, 274, 307, 309, 335–337, 342 60–61, 156–157, 163, 313, 338–339 31, 61, 116, 146, 157–162, 263, 265, 271, 273, 274, 307, 335, 339 31 22, 61–64, 67, 84 17, 21, 31, 57, 60– 61, 87, 159, 162–
418
Stellenregister
32,15–25 32,15–18
32,15–17 32,15
32,16–18 32,16–17
32,16
32,17–18 32,17
32,18–20 32,18
32,19–27 32,19–26 32,19–25 32,19–21 32,19–20
32,19
163, 283, 312, 335, 339, 361–362 71 55, 61, 65, 87, 88, 158, 163, 165, 202, 267, 292, 344, 347 22, 65, 283 17, 31, 56, 57, 59, 61–62, 65, 87–88, 116–117, 130, 146– 147, 163–169, 171, 198, 208, 263, 265– 266, 272–273, 283, 307, 335, 339–340, 342, 361–362 64, 72 61, 64, 145, 163– 165, 167, 171–174, 267, 336 23, 31, 88, 147, 171–174, 176, 180– 182, 236, 250, 251, 263, 270, 272, 307, 336, 337, 342, 370 291 31, 33, 57, 59, 62, 65, 84–85, 87–88, 171–174, 337 23, 126 31, 56, 57, 59, 61– 63, 64, 65, 67, 74, 84, 87–88, 116– 117, 130, 163–171, 198, 208, 263, 265– 266, 272, 283, 310– 312, 340 86 283 67, 82, 87 88 65, 67, 76, 93, 174– 177, 179, 199, 260, 268, 272, 348 31, 55, 57, 59, 65– 67, 71, 88, 94, 175– 177, 187, 200, 267, 270, 273, 294, 335, 339–340, 343–344, 369
32,20–35 32,20–29 32,20–27 32,20–25 32,20–21 32,20
32,21–25 32,21–24 32,21–22 32,21
32,22–26 32,22–25 32,22
32,23–26 32,23–25 32,23 32,24–25 32,24
32,25–27 32,25
32,26–35 32,26–29 32,26–27
77 80, 277, 283, 291, 298, 344 69, 288 65, 66, 71, 81, 84, 87–88, 221, 240 70 31, 55, 57, 66–67, 71, 81–82, 93, 146, 177–179, 206, 219, 226, 265, 270, 272, 294, 335, 337, 342, 344, 369, 374 67, 303 24 88, 182–187, 263, 266 22, 31–33, 59, 66, 67, 68, 72, 82, 85, 88–89, 94, 147, 171, 172, 176, 180– 182, 212, 236, 250, 263, 267, 270, 272, 307, 336, 342, 370 372 67, 123, 193–194, 227, 374 31, 66, 67, 89, 175, 182–184, 186–187, 194, 195, 197, 250, 258, 273, 335, 337, 342 187–188, 251, 268 188, 264, 268, 273 31, 67, 188, 190, 194, 335–338, 343 189–190 31, 66–67, 89, 147, 189–191, 193–195, 265, 374 25 31, 66, 68, 189– 190, 194–195, 228, 246, 250, 273 67–68, 86 69, 73, 76 72–73, 79, 81, 87, 202, 203, 233, 242, 262, 307
32,26
32,27–30 32,27–28 32,27
32,28–43 32,28–36 32,28–35 32,28–33 32,28–31 32,28–30 32,28–29
32,28
32,29–31 32,29–30 32,29
32,30–43 32,30–33 32,30–31 32,30
32,31–33 32,31
Stellenregister 31, 67–70, 73, 76, 88, 94, 188, 195– 200, 203, 268, 272, 344 78 74 23, 27, 31, 59, 67, 68, 69–71, 72, 80, 83, 87–88, 94, 176– 177, 197–198, 200– 203, 212, 244, 264, 267, 270, 307 88 69, 196 72, 77 69, 77–78 26, 72, 75 69, 72 69, 71–74, 76, 78– 79, 81–82, 83, 84, 88, 93, 94, 145, 199, 201, 203–207, 240, 268, 307, 344, 348, 363 31, 56, 69–72, 77, 79, 85, 204–206, 220, 227, 237, 270 77 74, 77 31, 70, 71–73, 76– 82, 85, 125, 178– 179, 206, 219–220, 226, 270, 284, 338, 344, 356, 368–369, 374 72 17, 77–80, 81, 82, 205, 213 72, 77, 78 17, 31, 57, 59, 72– 74, 77–80, 81, 86, 88, 116–117, 198, 207–208, 213, 271– 272, 361, 363–364 74, 75, 77, 228 17, 27, 31, 56, 59, 74–75, 77–79, 85, 88, 116–117, 198,
32,32–35 32,32–33
32,32 32,33 32,34–43 32,34–36 32,34–35
32,34
32,35–36 32,35
32,36–40 32,36
32,37–42 32,37–39 32,37–38
32,37
32,38 32,39–43 32,39–42 32,39
419 209–211, 213, 307, 361, 363 27 17, 31, 75–80, 81, 88, 211, 213–218, 268, 272, 361–363 31, 75–77, 212– 215, 217, 247 31, 76, 80, 193, 213–217 357 81, 205, 218–219 77, 79–82, 83, 84, 88, 219, 221, 223, 269, 277, 283, 291, 298, 303, 344, 363 31, 57, 79–81, 219– 223, 226, 245, 263, 270, 272, 374 219, 227–230 28, 31–32, 57, 77, 80–83, 87, 94, 200, 227–229, 248, 270 28 30, 31–32, 45, 55, 59, 67, 82–83, 84, 86, 87–89, 94, 145, 220, 229–233, 247, 260, 263, 273, 274 90, 277, 283, 291, 298, 344 59 81, 83–84, 85, 88, 89, 94, 205, 234– 238, 263, 269, 284 31, 57, 69, 74, 83– 85, 86–87, 116, 117, 209, 234–237, 265, 284 31, 83–85, 87, 89, 145, 234–236 109 86, 303 31, 53, 57, 59, 85– 86, 87, 93, 114, 125, 145, 166, 238– 242, 263, 272, 289, 344, 356, 368
420
Stellenregister
32,40–42
32,40–41 32,40
32,41–43 32,41–42
32,41
32,42–43 32,42
32,43
32,44–52 32,44–47 32,44–45 32,44
32,45–47 32,45 32,46–47 32,46 32,48–52 32,49 33–34 33,2 33,5 33,13
86, 90, 112, 196, 242, 244, 251, 265– 266, 269, 272, 284 86 31, 45, 52, 57, 86– 87, 221, 242–246, 252–253, 272, 307 31, 88 29, 87, 89, 189, 212, 246–249, 251– 252, 254, 263 31, 46, 86, 87, 88, 89–93, 94, 198, 200, 246, 247, 248– 251, 253, 258–259, 263, 266, 270, 363, 380 81, 88 31, 86, 89, 189, 215, 247–248, 249, 250 2–3, 13, 17, 30–32, 41–47, 51, 53, 55, 59, 77, 89–93, 106, 134, 135, 136, 137, 139, 145, 220, 241, 247–249, 250, 254– 261, 270, 274, 277, 283–284, 294, 302– 303, 361, 363–366, 369, 370, 380 51, 314, 322, 354 277–278, 347 334, 351–352 51, 278, 317, 320, 322, 323, 325–327, 331, 333, 348, 351, 352, 355, 357, 375 314, 317, 327, 330– 331 317, 333, 352 331, 357 325, 330–331 314, 317, 327 322 8 45 22, 165, 166 114
33,26 33,28 34,10–12 34,10
22, 165, 166 114 358 357
Josua 1–24 1,6 2,9 4,6 4,21 5,6 13,7 13,22 14,4 14,6 15,13 17,14 18,5–7 18,9 19,9 19,51 22 22,5 22,11 22,25 22,26 22,27 22,28 22,34 23 23,10 24,20 24,23
222 132 194 131 131 338, 343 40 248 146 133 146 147 146 146 146 144 266, 345 121 345 146 345 146, 345 345 345 208 74, 207–208 156, 174, 336, 343 156, 174, 336, 343
Richter 1,7 2 2,11 2,12 2,14 2,22 3,7 3,8 3,12 4,1 4,2 5,3 5,8
249 267 342 171 208 121 342 208 342 342 208 104, 105, 106 174
Stellenregister
6,1 6,13 6,21 8,19 9,15 9,20 9,30 10,6 10,7 10,14 10,16 13,1
342 131 183 245 183 183 337 342 208 235 156, 174, 336, 343 342
Rut 1,17 2,12 3,13
132 151, 238, 249 245
1.Samuel 1,7 2,2 2,6 2,25 2,27 4,8 5,7 7,3 8,9 10,19 11,6 12,5 12,9 12,23 14,39 14,45 15,19 15,33 19,6 20,3 20,21 22,4 24,20 25,26 25,34 26,10 26,16 28,10 29,6 30,24
171 115, 117, 208 239 210 133 211 211 156, 174, 336, 343 346 338, 343 337 346 208 124 245 245 342 189 245 245 245 155 249 245 245 245 245 245 245 146
2.Samuel 1,21 1,22 2,26 3,39 4,9 7 7,14 7,26 11,25 12,5 14,11 15,21 18,8 20,1 22 22,2 22,3
421
22,48 23,3 24,13
114 248 247 249 245 231 127 133 247 245 245 245 247 146 123–126, 167, 235 209 115–116, 123, 168, 235, 238 123 184 58 188, 246, 251 229 121, 124 119 123–125, 238 115–117, 123, 208 123, 124, 125 115–116, 123, 168, 208, 245 123, 125 115, 117 189
1.Könige 1,29 2,3 2,24 3 8 8,23 8,32 8,36 8,51 8,53 8,58 8,60 10,26
245 121 245 231 231 231 124, 231 147, 231 147 147 121 239 155
22,8–16 22,9 22,14 22,15 22,19 22,22 22,27 22,31 22,32 22,33 22,47
422
Stellenregister
11 11,6 11,33 11,38 12,16 14–16 14,9 14,10 14,15 14,22 15,26 15,30 15,34 16,2 16,7 16,13 16,19 16,25 16,26 16,30 16,33 17,1 17,12 18,10 18,15 18,38 20,13 21–22 21 21,8 21,20 21,21 21,22 21,25 22 22,14 22,19–22 22,53 22,54
231, 266 342 121 121 146 267 171 233 171 342 342 171, 176 342 171 171 171, 180 342 342 171, 180 342 171 114, 245 245 245 245 183 225 267 346 219 342 233 171, 176 342 135 245 135 342 171
2.Könige 1,10 1,12 1,14 2,2 2,4 2,6 2,11 3,2
184 184 184 245 245 245 132 342
3,14 4,30 5,7 5,16 5,20 8,18 8,27 9,7 9,8 9,10 9,26 9,36–37 10,23 13,2 13,11 14 14,24–27 14,24 14,26 14,27 15,9 15,18 15,24 15,28 16,15 17 17,2 17,11 17,13 17,15 17,17 17,23 18,11 18,34 20,13 21–23 21,2 21,6 21,10 21,15 21,16 21,20 21,22 22 22,8 22,17 23,13 23,19 23,26
245 245 239 245 245 342 342 231 233 146 249 146 231 342 342 264 233 342 263 195 342 342 342 342 238 267 342 171 231 181 171, 342 231 155 234 224 267 342 171, 342 231 171 342 342 121 10 326 171 173 171 171, 176
Stellenregister
23,32 23,37 24,2 24,9 24,19
342 342 231 342 342
8–9 8,1–9,4 9–10 9
1.Chronik 6,34 16 16,18 16,25–26 16,28–29 16,29 16,31 17 17,13 21,12 21,17 22,10 28,6 29,21
260 256 147 257 115 256, 258 106, 108 231 127 189 238 127 127 238
2.Chronik 6 6,14 6,23 6,27 7,1 10,16 12,6 17,6 18,13 20,9 28,25 29,24 30,18 33,6 33,15 34,25 34,33
231 231 124, 231 231 183 146 120 121 245 189 171 260 260 171 156, 174, 336, 343 171 173
9,1–5 9,2 9,4–5 9,5.6–37 9,5–7 9,5 9,6–37 9,6–31 9,6–8 9,6–7 9,6 9,8 9,9 9,12 9,15 9,16–17 9,16 9,19 9,21 9,22 9,23 9,25
Esra 9,1 9,11 9,14
173 173, 231 173
Nehemia 2,20 3,37
146, 231 171
9,26 9,27–28 9,28 9,29–31 9,29 9,31 9,32–37 9,32–34 9,32 9,33 9,34–35 9,36–37 9,36 10 10,1 10,12 10,34
423 282 280 279–280 14, 155, 164–165, 275, 276–280, 282, 291–296, 302–309, 360, 368, 370, 372 277 279 277 277–278 282 277, 279, 291, 302 279, 293 292 292 277 277, 279, 292, 294 120, 292, 307 291, 293 155, 307, 309 159, 243, 307 292 291, 293 155, 292, 307, 309 292 40, 144 292 164–165, 273, 275, 307, 339 164, 292 292, 309 310 292 302 302 292–293, 303 291 292–294, 305 120, 293, 307 292, 293 291 293 277, 279 279 219 260
424
Stellenregister
Ester 3,12 8,6 8,8 8,10
219 338, 343 219 219
Hiob 1 1,1 1,5 1,6 1,8 1,16 2 2,1 2,3 4 4,17 5,2 5,7 5,18 5,20 6,2 6,4 8,6 8,7 8,8 8,13 9,20 9,26 9,34 10,17 11,4–6 11,15 12,4 12,12 12,13 12,23 13,21 13,24 13,26 14,17 15,8 15,10 15,18 15,33 15,34 16,8 16,19
134 35, 119 35 35, 133, 135 119 184 134 35, 133, 135 119 266 169 171, 176 191 239–240 189 176 188, 193, 216–217 20, 249, 251 178 130, 131 204 120 150 194 176 113 54 119 130 204 155 194 177, 344 217 219 134–135 126, 130, 369 126, 369 213 184 345 345
17,5 17,7 17,9 20,14 20,16 20,25 20,26 20,29 21 21,14 21,17 21,19 21,30 22,20 23,11 24,13 26,14 27,13 27,17 29–31 29,6 29,11 29,13 29,19 29,23 31 31,2 31,7 31,9–10 31,11 31,12 31,15 31,18 31,27 31,28 32,3 32,17 33,1 33,7 34,2 34,6 34,11 34,16 34,27 34,33 35 35,10 36,23 38–39
146 176 124 217 216–217 194, 246 184 146 269 123 38 249, 251 229 184 122 122 122 146 38 160 160 346 43, 254 114 113–114 209, 267 146 54 209 26, 209–210 184 129 155, 369 210 209–210 337 146 104–105 194 104–105 188 249, 251 104–105 122 249, 251 266 169 122 223–224
38 38,7 38,22–23 38,23 38,32 38,35 39 39,1 39,17 41,3 42,3 42,12 Psalmen 1,6 2,12 3,8 5,9 5,12 6,8 7,2 7,12 7,18 8,4 8,6 9,6–7 10,11 10,12 10,14 11,1 13,2 15,2 16,1 16,5 17,1 17,7 17,8 17,14 18 18,3
18,8–16 18,9 18,14 18,15 18,19 18,22
Stellenregister 269, 271 35, 133, 135, 136 223, 226 227 155 246 266 169, 170 144 249, 251 207 178
124 236, 238 238 122 236, 238 23, 176 236, 238 35 58 129 35 195 177, 344 243–244 176 236, 238 177, 344 119 236, 238 146 104 236, 238 150, 151, 154 146 123–126, 167, 186, 235 115–116, 123, 168, 169, 208–209, 235, 236, 238 123 184 58 188, 246, 251 229 121–123, 124, 125
18,26–27 18,27 18,31 18,32 18,33 18,47 18,48 19,11 19,15 21,8 21,10 22,20 22,25 23,3 25,4 25,8 25,9 25,12 25,20 27,5 27,9 27,11 28,1 28,9 29 29,1–2 29,1 29,2 30,8 31 31,2 31,3 31,4 31,7 31,10 31,11 31,20 31,21 31,24 32,7 32,8 32,11 33,1 33,7 33,12
425 120 119 122, 123–125, 236, 238 115–117, 123, 168, 169, 208 123, 124, 125 115–116, 123, 168– 169, 208, 245 123, 125 161 115–116, 169, 208 58 184, 195 229 177, 344 155 123 123 123 123 236, 238 238 177, 344 123 115–116, 169, 208 147 256–257 44, 115, 256 43, 134, 135, 136, 141 258 177, 344 267 236, 238 115–116, 169 155, 209 181 176 255 236, 238 238 249, 251 238 123 43, 119 119 222, 226 147
426
Stellenregister
34,9 34,17 34,23 35,1 35,27 36,8 38,3 37 37,14 37,30 37,37–38 37,37 37,38 37,40 38,17 38,23 39,13 40,14 42,4 42,10 42,11 43 43,3 44,2 44,13 44,25 45,12 46 47,3 48 49,2 50 50,3 50,4 50,18 51,11 51,15 54,4 56,2–3 57,2 58,5 58,11 61,3 61,5 62,3 62,7–8 62,13 63,8 64,8
236, 238 195 231, 236, 238 24 231 151, 154, 236, 238 188 266, 268 124 119 179 119 178 236, 238 229 229 104–105 229 234 209 234 267 155 131 208 177, 344 256 186 58 186 104–105, 106 110, 281 184 106, 108–109 146 177 123 104–105 24 151, 154, 236, 238 193, 216, 217 248 155 151, 154, 236, 238 115–116, 168–169 115–116, 168–169 249 151, 154 195
64,11 65,4 65,9 65,11 66,9 67,3 67,5 68 68,6 69,18 69,22 69,35 69,37 70,2 70,6 71,1 71,3 71,12 72,6 73–83 73–77 73 73,17 73,24 73,26 74,18 75,9 76 76,4 76,10 77–79 77,14 77,18 77,19 77,20 78
78,1–8 78,1–5 78,1 78,3–6 78,3 78,4 78,5–8
119, 236, 238 260 43, 254 114 229 123 155 186 127 177, 344 216 106, 108 231 229 229 236, 238 115–116, 169, 209 229 114 281 281 267–268 178–179, 206 155 115–116, 146, 169 68, 181 215 186 191–192, 374 238 281 122 188, 251 246 122 7, 14, 77, 147, 155, 164, 274, 276–278, 280–281, 284–287, 289–290, 292, 295, 302–310, 313, 360, 368, 370, 372 284 291 108, 113, 147, 277, 285, 302 285 131 302 285
78,7–8 78,9–72 78,9–39 78,10–11 78,10 78,11 78,14 78,15 78,16 78,17 78,19–20 78,20 78,21 78,22 78,26 78,29 78,32–39 78,32 78,35 78,38–39 78,38 78,40–72 78,40–43 78,40 78,45 78,47–50 78,48 78,50 78,53 78,55 78,56–57 78,57 78,58 78,59–64 78,62 78,63 78,64 78,65–72 78,71 78,72 79–83 79 79,2 79,3 79,5 79,9
Stellenregister 286, 303 284–285 284 286 285 284 147, 155, 307 309–310 159, 307 286 285 159, 309–310 184 286 309, 310–311, 313 147, 164, 307, 309, 310–311, 313 286 164 115–116, 137, 167, 169, 286, 289 286, 289 260 284 286 147, 149, 307, 309, 310 309–310 309–310 147, 191, 193 191 147, 155, 307 147 286 286, 290 147, 171, 307 286 147 184 309–310 286 147 155, 309–310 281 259 231 259, 260 186 260
79,10 79,11 80–82 80,9 80,15 81–82 81
81,1–6 81,2–6 81,2–4 81,2 81,4–5 81,5–6 81,5 81,6 81,7–17 81,7–15 81,7–8 81,9–11 81,9 81,10–11 81,10 81,12–13 81,13 81,14–17 81,14 81,15–17 81,16 81,17 82 82,1 82,2 82,6 82,8 83,15 83,19 84,9 85,5 86,8 86,11
427 231, 234, 259–260 115 281 213, 215 213, 215 281 14, 156, 159–160, 273–274, 276–278, 280–281, 287–289, 292, 295, 302–310, 360, 368, 370, 372, 375 277 287 277, 288–289, 291, 302 43, 255, 274, 288 287 289 288, 302 288 277 291 288, 289, 309–310 288, 289, 302 288 288–289 156, 174, 262, 273, 274, 336 288–289 309–310 288–289 122, 288, 302 303 288 159, 160, 262, 273, 274, 289, 291 13, 111, 137, 275, 370–371 134, 141, 370 135 134, 137, 370 137 186 58 104–105 176 134–135 123
428
Stellenregister
88,15 88,16 89,6–8 89,6 89,7 89,14 89,27 89,38 89,51 90,2 90,13 90,16 91,1 91,3 91,4 91,5 91,6 91,9 91,13 92,2 92,16 94,5 94,14 94,18 94,22 95 95,1 95,3 95,10 96–100 96 96,4 96,7–9 96,7–8 96,7 96,8 96,9 96,11 97 97,3–4 97,3 97,4 97,6–7 97,7 97,9 97,11
177, 344 194 135, 136 134 134, 141 200, 201 115, 127, 168–169 345 231 170 230–231 231 238 192 151, 154, 236, 238 192 191–192, 265, 374 58 217 58 115–116, 169, 208 147 147 229 115, 169, 208 257, 281 115–116, 168–169, 208 257 123 257 256–257 257 256 44, 115 43, 257 257 256, 258 106, 108 186, 257 258 186 246 256 35, 134, 135, 136, 255, 256, 257–258 58, 134, 135, 136, 257 119, 258
98,3 99 99,2–3 99,4 99,5 99,9 101,2 101,6 102,3 102,15 102,29 103,5 103,7 103,13 104–106 104,4 104,29 104,35 105–106 105 105,11 105,41 105,45 106
106,1–2 106,1 106,3 106,4–7 106,4–5 106,6–7 106,6 106,7–46 106,7 106,8 106,12 106,13 106,14 106,18 106,19–23 106,19 106,23 106,26 106,28–31 106,29
35 256, 257 257 129 256, 257, 258 256, 257, 258 124 124 177, 344 231 231 150–152 123 127 281 186 177, 344 281 290 7, 292 147 159 281 7, 14, 202–203, 211, 244, 276–278, 280–281, 290–293, 295–296, 302–310, 313, 360, 368, 370, 372 277, 291, 302 281, 291 291, 302 291 277, 290, 303 290 290–291, 303 290 277 290 309–310, 313 204, 290, 307 149 186 202, 307 309–310, 313 244 243–244, 307 210 171
106,30 106,37–38 106,39–40 106,40 106,43–46 106,43 106,47–48 106,47 106,48 107 107,4 107,30 109,13 109,15 112 112,5–6 113,1 114,8 115,2 118 118,8–9 118,16 119 119,1 119,3 119,27 119,30 119,32–33 119,37 119,57 119,73 119,100 119,114 119,137 121,3 128,1 133,3 134,1 135–136 135 135,1–2 135,1 135,5 135,7 135,9–12 135,14 138,1
Stellenregister 27, 210–211, 307 173 290 147 290 204, 307, 309, 310 302 277, 290, 291, 293, 303 277, 281, 290 281 149 155 195 195 268 199–200 231 159 234 201 236, 238 201 119, 266 124 122 122 122, 124 122 122 146 129 130 238 119 229 122 114 231 290 222, 230, 273–274, 370, 375 230 231 257, 274 222, 226, 246 230 229–230, 273, 274 35
138,5 139,10 139,13 140,4 140,14 141,8 142,6 143 143,1 143,7 143,8 143,10 144,1
429
144,2 144,6 145,17 148,4 150,2
122 155 129 193, 216 119 236, 238 146 267 104–105 177, 344 123 155 115–116, 117, 169, 208 236, 238 188, 251 122 106 115
Proverbien 1,1 1,5 1,8 2,7 2,12 2,14 2,20 2,21 3 3,32 4,1 4,2 4,3 4,5 4,18 5,1 5,3 5,4 5,7 5,11 6 6,14 6,19 6,20 6,22 6,34 7,1 7,2
113 113 126, 369 119 177 177 124 119 267 173 113, 126, 369 113 126, 369 113 199 113 161 178 113 178 267 177 345 126, 369 155 27, 228 113 150
430
Stellenregister
7,5 7,21 7,24 8,1 8,3 8,6 8,8 8,10 8,13 8,21 8,22 9,1 9,3 9,7 9,9 10 10,1 10,2 10,7 10,9 10,29 10,31–32 11–12 11,1 11,3 11,5 11,20 11,30 12,15 12,16 12,17 12,19 12,22 12,26 13,1 13,17 14,5 14,12–13 14,12 15–17 15,5 15,8–9 15,16 15,19 15,20 15,26 16,4 16,5 16,17
113 113 113 113 113 119 113, 119 113 177 222 122, 129 113 113 54 113, 119 268 126, 176, 369 222 199 120 122 119, 177 267 173 155 119, 124 120, 124, 173 119 124, 126 176 345 345 173 124 126, 369 177 177 178 124 267 126, 369 173 222 124, 199 126, 176, 369 173 198 173 124
16,21 16,23 16,25 16,28 16,30 17,2 17,9 17,15 17,21 17,25 18,16 18,18 19–21 19,1 19,12 19,13 19,17 19,20 19,26 20 20,5 20,6 20,10 20,20 20,21 20,23 20,24 21,2 21,6 21,8 21,18 21,19 21,20 21,29 21,30 22,5 23,5 23,22 23,24 23,32 23,33 24,13 25,8 25,22 27 27,3 27,10 28,6
113 113 124, 178 132, 177 177 38 132 173 126, 176, 369 126, 176, 369 155 132 268 120 114 126, 176, 369 249, 251 126, 178, 179, 206, 207 126, 369 267 204 177 173 126 178 173 123 124 222 124 118 149, 176 222 124 204 124 150 126, 369 119, 126, 369 178 177 161 178 249, 251 269 176 229 120, 124
Stellenregister
28,7 28,10 28,18 29,15 29,21 29,27 30,5 30,14
126, 369 119, 124 120, 124 126, 176 178 118, 119, 124 238 247
Kohelet 1,18 2,10 2,21 2,23 3,22 5,16 5,17–18 7,3 7,9 9,1 9,6 9,9 11,2 11,10
176 146 146 176 146 176 146 176 176 119 146 146 146 176
Hoheslied 4,11 8,6
161 191–192
Jesaja 1–39 1 1,2–9 1,2–3 1,2
1,7 1,9–10 1,10 1,11 1,18–31 1,20 1,30 2,2 2,3 2,7 3,9–11
107, 206, 268 107, 110, 264, 367, 370 107 110 104, 105, 107–108, 109, 112, 127, 263, 271 212 212 104–105, 107 162 247 247 26 179 122 222 212
3,9 5 5,2 5,4 5,19 5,21 5,24 5,28 6–8 6 6,1 6,2 6,6 6,8 6,10 8 8,2 8,9 8,10 8,14 8,16–18 8,16–17 8,17–18 8,17 9,17 10 10,13–14 10,13 10,16 10,17 11,2 13 13,5 13,6 13,8 13,13 13,19 14,26 14,32 16,4 16,8–9 17 17,9–11 17,10 17,14 19,3 19,11 19,17 19,22
431 213 214 214, 215 214, 215 206 206 183 188 219 135 135 135 135 135 339 219–221 346 106 206, 220 115 220 219 220 177, 344 184 201 201 206 183 184 206 223 223 229 170 107 212 206 238 238 213, 215 168, 264, 266 167 115, 263 146 204, 206 204, 206 204, 206 239
432
Stellenregister
22,2 23,4 24–27 24–25 25,1 25,8–9 26 26,1 26,2 26,4 26,7–21 26,7–11 26,7–10 26,7–9 26,7 26,8 26,9–11 26,9 26,10 26,11–12 26,11 26,14 26,15 26,17–18 26,21 27,1 27,2–5 27,7 27,9 28,2 28,23 28,29 29 29,6 29,11 29,14 29,15 29,22 29,24 30 30,1–2 30,1 30,2 30,6 30,8–9 30,9
248 170 195, 198, 268 198 206 196 195–199, 207, 268, 271, 274, 370 195 177, 196, 198 115–116, 198, 208 199 196 197 197 199 197 195 199 196, 199 198 184, 186, 196, 199, 200, 201 195, 196, 199 196 170 195, 199 199 260 261 260, 261 191–193, 195, 265, 374 104–105, 107 206 220–221 184–185, 195 219, 220 204, 206, 220 206 39 113 237, 269 205, 237 127, 206 263 222 346 127
30,17 30,26 30,27 30,29 30,30 31 31,2 31,3 31,8 31,9 32,9 33,6 33,11 33,14 34 34,1 34,3 34,4 34,5–6 34,5 34,6 34,7 34,8 34,12 35,4 36,5 36,19 37,16 39,2 39,4 40,12 40,14 40,22 40,27 41 41,4 41,22 42–45 42–44 42,5 42,13–44,23 42,18–20 42,21–25 42,24 43 43,1 43,10–13 43,10
74, 207–208 239 184, 185, 195 115, 208 184, 185, 195 247 206 180 247 117, 209 104–105, 107 206 184 184–185, 195 247, 264–265, 269 106, 109, 247 247, 263 213, 215, 247 263 247 159, 162, 247 247 27, 228, 247–248, 263 247 248 206 234 107 222, 224 222 107 122 107 122 111, 268 198, 238 178–179 242, 367, 370 241 107 240 240–241 240 122 240–241, 264 241 241, 263 238, 242, 258
43,11 43,12–13 43,13 43,19–20 43,20 43,22–28 43,25 44 44,1–5 44,2 44,6 44,8 44,19 44,23 44,24 45 45,3 45,5–6 45,8 45,12 45,14 45,18 45,21–22 46,4 46,9 47 47,3 47,6 47,7 48,12 48,13 48,15 48,21 49,1 49,13 49,18 49,22 50,1 50,11 51,1 51,6 51,12 51,13 51,16 51,19 52,6 53,12 54 54,1
Stellenregister 238 239 238, 240, 258 149, 157, 263 149, 265 166 238 111, 165–166, 241 166 22, 165–167, 263 239 115, 117, 166 173 106–108, 241, 255 107 240–242 222 239, 241 107 107 239 107, 129, 239, 241 239, 241 238 239 268 248 147 178–179 238 107 238 159 106 106–108, 255 245 243, 245 208 183, 337 208 107 238 107, 129 107 189 238 38 268 170
54,8 54,17 55,9 56–66 56,6 57,6 57,13 57,18 58 58,1–12 58,2 58,13–14 58,14 59 59,2 59,8–9 59,8 59,11 59,14–15 59,17–18 59,17 59,20 60–62 61 61,2 61,6 61,7 61,8 63–64
63 63,1–6 63,4 63,7–64,11
63,7 63,8–14 63,11–12 63,11 63,13–14 63,14–64,11 63,14 63,15–64,11
433 178, 265, 344 231 122 274 231 146, 236 238 155, 249 157, 162, 264, 367, 370 158 122 157, 265 263 186, 248–249, 280 178, 265 249 122 249 249 248–249 248 249 280 248–249 27, 228, 248–249 249 146 249 14, 130, 276–278, 280–282, 292, 294– 296, 302–310, 313, 360, 368, 370, 371, 372 295 280 27, 228, 248 7, 277–278, 280, 285, 294–296, 302– 310 277, 280, 294, 296, 302 294–295 294, 373 296 309–310, 313 277 295 294
434
Stellenregister
63,15–19 63,15–16 63,15 63,16 63,17 63,18–19 63,19–64,4 63,19–64,3 63,19 64 64,1 64,3–4 64,4–7 64,4 64,5–6 64,6 64,7–8 64,7 64,8 64,9–11 64,9–10 64,9 64,11 64,14 65–66 65 65,1 65,3 65,5 65,6 65,8–9 65,8 65,12 65,13–15 65,17 66 66,1 66,6 66,7–8 66,14 66,15–24 66,15 66,16 66,22
303 295 294 127, 294–295, 302, 307, 373 122, 277, 296, 307 295 295 302 294 273 183, 337 294 296 302 303 178, 265, 344 303 127–130, 273, 295, 302, 307 277, 296 296 303 373 303 296 280 232, 250, 277, 280– 281 280 171, 250 183–184, 250 249, 250 231 214, 215, 250 250 231, 250 107 186 107 249 170 231 247 184 248, 250 107
Jeremia 2 2,2 2,5 2,6 2,8 2,11 2,12 2,13 2,21 2,27–28 2,27 2,30 3 3,3 3,4 3,18 3,19 4,2 4,28 5 5,2 5,4–5 5,12 5,14 5,19 5,28 5,31 6,9 6,10 6,18–19 7–8 7 7,5 7,9–10 7,18–19 7,18 7,19 7,25 7,28 8,12 8,13–14 8,13 8,14 8,19 9,14 10
110, 150, 234–235, 264, 269 150 181 150, 235 235 235 106, 247 235 213, 215 234–235, 237, 263 238 247 266–267 114 127 132 127 245 106, 108 268 245 122 189 184 156, 174, 336, 343 339 178–179 213, 215 346 106 267 269 122 172 171 236–237 236 231 204 214 218 213, 214, 215 216 171, 180, 236 216 222, 224, 228, 269, 271
10,1–16 10,1 10,3 10,8 10,12–16 10,13 10,15 10,16 11 11,5 11,13 11,17 11,22 12 12,1–4 12,4 12,14 12,16 13,15 14–15 14,1–15,4/9 14,12 14,13 14,15–16 14,18 14,21 14,22 15,1–2 15,2–3 15,2 15,3 15,6 15,7 15,9 15,11 15,13 15,14 15,17 15,19–20 16,4 16,14–15 16,18 16,19 17 17,1–4 17,3
Stellenregister 222 228 181 181 222 222, 226, 246 181 146 267 338, 343 235 171, 236 189 268 120 179 132, 147 245 104–105 175, 247, 273 175 189 189 189 189, 248 23, 175, 187, 273, 340 181 187 190, 251 189 248 187 190 187, 190 187 222 175, 182, 183, 184, 187, 273, 337 20 187 189 245 173, 249 181 273 187 222
17,4 17,5 17,11 17,19–21 17,24 17,27 18 18,17 18,18 18,21 18,23 19,4 19,13 20,5 21,7 21,9 21,14 22,24 22,29 23 23,7–8 23,14 23,15 23,18 23,20 24,10 25 25,4 25,6–7 25,14 25,15 26,5 27,8 27,13 29–31 29,11 29,17–18 29,19 29,23 30,7 30,24 31 31,9 31,10 31,17 32 32,10–11 32,14
435 182, 183, 184, 187, 273, 337 187 178 187 187 184 269 229 204 189–190 260 172 236 222 189 189 184 245 106 268 245 212, 217 212, 216, 217 134–135 179 189 186, 267 231 171 249 215 231 189 189 268 178–179 189 231 345 228 179 266–267 127 106 179 267, 269, 346 219 219
436
Stellenregister
32,18 32,22 32,24 32,29–30 32,29 32,30 32,32 32,36 32,44 33 33,5 34,17 35,15 38,2 38,11 38,16 41,8 42,5 42,16 42,17 42,22 44 44,3–4 44,3 44,4 44,8 44,12 44,13 44,17–19 44,18 44,25 44,26 44,27 46–49 46 46,10 46,14 46,21 48,7 48,16 48,26 48,32 48,40 48,45 48,47 49,4 49,7 49,18 49,22
249, 251 338, 343 189 171 236–237 236 171, 236 189 219 268 178, 265, 344 189 231 189 222 245 158 345 189 189 189 267 171, 172 236 231 171, 236 189 189 236 189 236 245 189 247 269 228, 247 247 228, 229 222 229 247 213, 215 150 184 179 222 204, 207 212 150
49,27 49,39 50–51
51,18 51,19 51,22 51,24 51,32 51,39 51,40 51,48 51,50 51,56 51,57 51,58
184 179 222–224, 227–228, 264, 269, 271 222 228 223, 226, 263 227, 228 227, 228 184, 227 227 222, 223 194 212, 228 228 228 227, 249 215, 228 222, 223 222 222–223, 226, 246, 263 181 146 227 249 227 247 162 106, 108, 255 227 227, 249 247 227
Klagelieder 1,9 1,18 1,20 2,3 2,6 3,5 3,12 3,19 3,24 4,6 4,9 4,11
179 120 190, 273 184 175, 340 216 188 216 146 212, 213 189, 248 184
50,1 50,14 50,25 50,27 50,31 50,32 50,35–37 50,37 50,38 50,40 51 51,1 51,6 51,7 51,13 51,15–19 51,16
Ezechiel 1,13 5 5,11 5,12 5,16–17 5,16 5,17 6,9 6,11–12 7 7,7 7,12 7,15 7,20 7,26 8,6 8,9 8,13 8,17 11,18 11,21 12,16 14 14,6 14,13 14,15 14,16 14,17 14,18 14,20 14,21 15,2 15,4–5 15,6 15,7 16 16,13 16,19 16,26 16,36 16,42 16,46 16,48–49 16,48 16,52 16,53 16,55–56 16,63
Stellenregister
246 190, 273 173, 245, 252 189, 190 188 190 189, 190 173 189 247 228 228, 229 189, 248, 251 173 204 173 173 173 171 173 173 189 190, 273 173 190 190 245, 252 190 245, 252 245, 252 189–190 213, 215 183 213, 215 183–184 213 158 158 171 173, 259 171 212 212 245, 252 210 212 212 260
17,6–8 17,16 17,19 18,3 18,24 18,26 19,10 19,12 19,14 20 20,3 20,5–6 20,5 20,6 20,8–9 20,13–14 20,15 20,21–22 20,23 20,28 20,31 20,33 20,42 21 21,3 21,14–15 21,19 21,20 21,33 21,36–37 22,20 23,25 24,8 27,17 27,21 28–32 28,2 28,4 28,9 28,15 28,18 28,23 30,3 30,4 30,11 30,12 30,24 31,17–18 32,9
437 213, 215 245, 252 245, 252 245, 252 119 119 213, 215 183 183–184 202–203, 244 245, 252 243, 252 245 338, 343 202–203 202–203 243, 252, 338, 343 202–203 243, 252 236, 243, 252 245, 252 245, 252 243, 252 246–247 184, 246 246 248 246 246 246 184 184, 186 248 158, 162 162 247 180 222 180 124 184 248 228, 229 248 248 208 248 248 171
438
Stellenregister
32,21–25 32,28–32 33,11 33,13 33,17 33,18 33,20 33,27 34,8 35 35,6 35,9 35,11 36,4 36,5 36,7 36,12–14 38,16 38,17 38,19 39 39,18 39,23–24 39,29 43,20 43,26 44,7 44,12 45,7 45,15 45,17 45,20 47,14 48,8 48,21
248 248 245, 252 119 122 119 122 245, 252 245, 252 247 245, 252 248 245, 252 106 185 243–244, 252 190 179 231 186 268 162 178, 265, 344 178, 344 260 260 173 243–244, 252 146 260 260 260 243, 252 146 146
Daniel 1,2 1,4 1,17 3,17 3,25 3,26 3,28 6,17 6,21 9–10 9 9,6
222 207 207 231 35 35, 231 231 231 231 370 270, 274 231
9,7 9,10 9,14 9,22 9,24 10–12 10 10,6 10,13 10,14 10,20 10,21 11,8 11,33 11,39 12 12,1 12,4 12,5 12,7 12,8 12,9–10 12,9 12,10
120 231 120 207 219, 221, 226, 270 136 137 246 136 179 136 136 236 207 38, 40 137, 179, 226, 245, 270, 274, 370 136 219, 221, 226, 270 136 221, 244, 245 179, 270 226, 270 219, 221, 245–246 207, 221, 227
Hosea 1,2 1,3 1,6 1,8–9 2,1 2,3–7 3,1 3,5 4 4,1–3 4,15 5,1 5,7 5,14 6,1 8,1 8,14 9 9,9 9,10 9,12–13 9,12
127 127 127 127 127 127 127 179 110 110 245 104–105 127, 146 115, 238–239 239 150 184 148–149, 220 122 148–149, 214, 215 127 190
Stellenregister
9,14 10 10,1 10,4 10,11 11,1 11,6 12 12,15 13,13 13,14 13,15 14,6 14,8 14,10
190 218 213, 215, 218 216, 218 44 127 247 221 171 127 191–193, 374 222 114 213, 215 122
Joel 1,2–3 1,2 1,15 1,17 1,19–20 1,19 2,1 2,3 2,5 2,17 2,25 2,27 4,2 4,8 4,14
131 104–105 229 222 183 186 229 186 185 147, 234 249 239 147 208 229
Amos 1,4 1,7 1,10 1,12 1,14 2,2 2,5 3,7 4,11 4,13 5,6 6,12 7,4 8 8,10
184 184 184 184 184 184 184 231 212 157 184 216, 218 146, 184 268 179
439
Obadja 8 13 15 18
204 229, 269 229 184
Jona 2,9
181
Micha 1,2 1,3–4 2,4 3,4 4,1 4,2 4,6 4,10 4,14 5,6–7 5,8 5,14 6 6,1–8 6,1–2 6,1 6,10 7,1 7,10 7,14 7,17
106, 109, 345 157 38, 146 178, 265, 344 179 122 24 170 207 114 200, 201 248 110 110 106, 109 105 222 214, 215 234 147 193–194
Nahum 1 1,3 1,6 1,7 2–3 2,5 2,14 3,3 3,13 3,15
186 122 184 238 247 246 247 246, 248 184, 246 184, 246, 248
Habakuk 1,8 1,12 1,16 2,15
150 115, 117, 208 146 193, 216
440
Stellenregister
3 3,5 3,11
186, 191 191–193, 265, 374 188, 246, 251
Zefanja 1,7 1,14 1,18 2 2,9 2,12 3,5 3,8 3,12
229 229 184, 185 247 212, 245 248 119 184–185, 345 238
Haggai 1,10
114
Sacharja 1,6 2 2,15
231 146 146
2,16 3 3,1 3,4 3,7 8,12 9,4 9,14 11,1 12,6
146 135 135 135 122 114 184 188, 246, 251 184 184
Maleachi 1,6 2 2,8 2,10–11 2,10 2,11 3,5 3,10 3,18
127 122, 156, 370 122, 341, 343, 348 273 127–130 156, 174, 336 345 222 231
Neues Testament Römerbrief 10,19 12,19 15,10
Hebräerbrief 1,6 10,30
24, 32 27, 32 30, 32
30, 32, 45 27–28, 32
Außerkanonische Schriften Baruch 3,15
226
2.Baruch (Syrische Baruch-Apokalypse) 10,11 224 14,12 224 21,23 225 24,1 224 30,2–4 225 44,14 225 59,11 224
4.Esra 4,35 4,41 7,32 7,77 7,80 7,95
225 225 225 224 225 225
1.Henoch (Äthiopischer Henoch) 1,11 224 17,3 224 18,1 224 22 225
42,3
Stellenregister 225
2.Henoch (Slawischer Henoch) 5–6 224 3.Henoch (Hebräischer Henoch) 8 225
441
Oden 2 2,43
45 30
Sirach 4,6 51,12
116 116
Schriften vom Toten Meer (Qumran-Schriften) 1QDeutb
22, 24, 31, 65, 317, 350, 354
1QHa
116
4QpaleoDeutr
21, 31
4QDeutb
31, 319, 321, 354
4Qphyln
22–23, 31, 61, 164– 165, 335, 339
4QDeutc
31, 320 4Q286
225
4QDeuth
318, 354 4Q298
225
4QDeutj
19, 31, 34–36, 41, 58, 133, 139, 258, 311, 364–366, 370, 379
4Q337
116
4Q418
225
259, 260, 283, 364, 366, 367, 370, 380
4QDeutk1
31
4Q419
225
4QDeutq
28, 30, 31, 39, 41– 47, 51, 89, 90–93, 106, 134, 135, 139, 247, 249, 255–257,
4Q426
225
4Q504
116
Altorientalische und Altägyptische Mythen Ägypten
Mesopotamien
Die Vernichtung des Menschengeschlechts Z.37 253 Z.73–74 253
Enuma eliš I, Z.34 I, Z.52 I, Z.55 I, Z.153 II, Z.158 III, Z.37 IV
142 142 141 141 142 142 138
442
Stellenregister
VI, Z.86 VII
142 138
Erra-Epos I I, Z.8 V, Z.49 V, Z.59 II III IV V V, Z.49 V, Z.53 V, Z.56 V, Z.57–58
297 297 297 297 297 297 297 298 301 301 301 301
Gilgameš-Epos (Ninivitische Fassung) XI, Z.164–165 253 Sumerische Sintflut II, Z.14–18 143
KTU 1.5 I, Z.12 KTU 1.6 II, Z.31 III, Z.6–7 III, Z.12–13
140 140 161 161
Keret-Epos (KTU 1.14–1.16) KTU 1.14 II, Z.19 161 IV, Z.2 161 KTU 1.15 II, Z.7 141 II, Z.11 141 III, Z.19 141 KTU 1.16 III, Z.5–6.7–8 138 V, Z.24 138 KTU 1.39 Z.7
141
KTU 1.40 Z.25
140
KTU 1.47 Z.29
141
KTU 1.65 Z.2–3
140
KTU 1.118 Z.28
141
KTU 1.148 Z.9
141
Ugarit Baҵal-Zyklus (KTU 1.1–1.6) KTU 1.3 II, Z.39 161 IV, Z.26–27 143 IV, Z.43 161 V, Z.32–33 138 KTU 1.4 III, Z.14 140–141 IV, Z.43–44 138 VIII, Z.12–14 143 VIII, Z.16 140
Stellenregister
443
Inschriften Altsüdarabien (Minäisch) M 185, Z.3 25 M 203, Z.8 25 M 222, Z.3 25 M 247, Z.4 25 Shaqab 2, Z.9 25 Hatra (Aramäisch) 49.3 152
232.e.1
Karatepe (Phönizisch) KAI 26 A III, Z.19 139 Sefire (Aramäisch) KAI 222 A Z.11 137
Antike Autoren Eusebius von Cäsarea Praeparatio evangelica I.10, Z.33–35 143
152
Personenregister Achenbach, Reinhard 10 Albright, William F. 11 Austin, John L. 50 Barthélémy, Dominique 3 Baumann, Eberhard 4 Becker, Uwe 99 Begg, Christopher 224–226 Begrich, Joachim 110 Bertholet, Alfred 7, 77–79 Beuken, Willem 186 Blum, Erhard 133 Boston, James R. 5–6, 10 Britt, Brian 10 Budde, Karl 2, 4, 12 Carrillo Alday, Salvador 2, 6, 8 Delcor, Mathias 5–6 Dillmann, August 7, 12, 77 Driver, Samuel R. 4, 8 Eissfeldt, Otto 13 Ewald, Heinrich 12 Finsterbusch, Karin 10–11, 350 Fokkelman, Jan P. 11
Jeremias, Jörg 186 Joosten, Jan 12 Keel, Othmar 104 Kiel, Yishai 376 Kirkpatrick, Patricia 98 Klostermann, August 8, 70 Knobel, August 7, 12 Kratz, Reinhard G. 9 Labuschagne, Casper 10 Lana, Maurizio 3 Leuchter, Mark 9 Levy, Abraham 3, 12 Lindhagen, Curt 231 Lohfink, Norbert 10, 315, 349, 353 Lundbom, Jack R. 10 Luyten, Jos 6 Markl, Dominik 10–11 Mendenhall, George E. 6 Meyer, Rudolf 2, 13 Nelson, Richard D. 2, 9 Nielsen, Eduard 77 Nigosian, Solomon A. 12 Nitsche, Stefan A. 99 Notarius, Tania 12
Gunkel, Hermann 5, 51, 110 Hardmeier, Christof 48–49 Hartenstein, Friedhelm 153 Harvey, Julien 5–6 Heckl, Raik 10 Himbaza, Innocent 3 Huffmon, Herbert 5–6 Ibn Ezra 329 Irsigler, Hubert 11, 77–79 Iser, Wolfgang 50–51
Olson, Dennis T. 10 Otto, Eckart 10, 315 Rad, Gerhard von 6 Richter, Wolfgang 96, 99, 367 Riesener, Ingrid 231–232 Riessler, Paul 77–79 Robertson, David A. 12 Rose, Martin 8 Sanders, Paul 9, 12 Schmid, Konrad 13, 137
446
Personenregister
Schmidt, Hans 5 Sellin, Ernst 12–13 Seybold, Klaus 7 Sonnet, Jean-Pierre 10 Steuernagel, Carl 3, 8, 77 Taschner, Johannes 10 Thiessen, Matthew 7 Tigay, Jeffrey H. 5 Utzschneider, Helmut 99 Vern, Robyn 12 Vieweger, Dieter 99
Volkwein, Bruno 2 Wahl, Harald M. 98–99 Waldow, Eberhard von 5–6 Watts, James W. 8 Weippert, Manfred 13 Weitzman, Steven 7 Westermann, Claus 98 Winter, Paul 3–4 Wright, Ernest G. 5–6 Wüste, Christiane 5, 115–117 Zimmerli, Walther 281
Sachregister
Für die Diskussion einzelner Motive siehe auch das Inhaltsverzeichnis.
Abfassungsmilieu 6, 14, 126, 232, 262, 274, 304, 307, 359–360, 368 Abram, Abraham 121, 155, 203, 212, 244, 292, 295, 373 Achämenidenreich – siehe Perserreich Achämenidenzeit – siehe Perserzeit Ägypten, Ägypter 36, 149, 151–153, 191, 200, 203, 205, 208, 228, 237, 247–248, 252–253, 288, 289, 295 – siehe auch Exodus Akkadisch (Sprache) 159, 310–312 Akkadisches, akkadische Literatur 117, 141–142, 253, 297–299, 302, 370 Ältere, Älteste 9, 18, 57, 71, 109, 130– 131, 317–318, 321, 324–329, 332– 333, 336, 340–341, 343, 344, 351, 356, 358 Appell 4, 71, 85, 86, 90, 93, 104–106, 108–109, 115, 126, 128, 149, 226, 234–236, 240–241, 271, 273, 288, 291, 293, 294, 295, 302, 308, 318, 326, 351, 366, 374 Apokalyptik, Apokalypse, apokalyptische Schriften 7, 179, 195, 220–221, 224, 226–227, 245, 268, 270–271, 274–275, 370 Archaisierung, archaische Sprache 12, 19, 77, 302, 313, 371 Assur, Assyrien, Assyrer 12–13, 68, 111, 117, 153, 185, 201, 209, 247, 252–254, 292, 300 Aššur (Gottheit) 117, 253–254
Atramপasis, Atramপasis-Epos 142, 143, 298 Aufforderung – siehe Appell Aufmerksamkeitsforderung 108, 241 Auszug (aus Ägypten) – siehe Exodus Baޏal, Baޏal-Zyklus 138–140, 141, 142, 161, 172, 236 – Baޏal-Peor 210, 214 Baޏalšamem 138, 139–140 Babel, Babylon(ien), Babylonier 4, 12– 13, 138, 179, 212, 222–223, 228– 229, 249, 253, 255, 263, 297–300, 306 Bekenntnis 273, 293, 296 Belehrung – siehe Lehre Bund, Bundesgedanke, Bundesschluss 6, 10, 111, 145, 151, 164, 175, 212, 257, 292, 318–321, 324– 325, 329–330, 332, 334, 336, 345, 346–347, 352, 357 – Bundesbruch 121–122, 217, 315, 336, 347 Dämon, Dämonen 22, 64, 163, 171, 173–174, 191–192, 265, 337 Dekalog 181, 185, 250–252, 259, 264, 330 – siehe auch Fremdgötterverbot – Dekalogauslegung 187, 250
448
Sachregister
Deutero-Jesaja 3–6, 129–130, 149, 238–240, 242, 257, 266–267, 272, 368 Deuteronomismus, deuteronomistisch 4, 6, 8, 156, 171, 173, 176, 181, 200, 231, 266–267, 270, 289, 342, 352, 371 Doppelübersetzung 23, 30, 45, 380 Dummheit – siehe Torheit Einfügung – von Zusätzen ins Moselied 46, 77– 79, 81, 93, 379 – des Moseliedes ins Deuteronomium/ in den Pentateuch 3, 8, 10–11, 14, 274, 327, 333, 357, 358, 362, 364, 365, 377 ގEl 137–142, 161, 185 Eljon – siehe Höchster Elohistischer Psalter – siehe Psalter Endredaktion, Endtext 10, 14, 79, 279, 308, 315, 326, 328, 349, 351, 357, 363 Engel 30, 34–36, 44, 58, 220, 365–366, 380 – siehe auch Göttersöhne, Gottessöhne Enuma eliš 138, 141 Erbteil 19, 37–41, 55–56, 58, 60, 131– 132, 143–148, 182, 263, 373, 379 Erra, Erra-Epos 297–302, 306, 308 Erstes Gebot – siehe Fremdgötterverbot Exil 4, 6, 9–11, 292, 372 Exodus 149, 200, 288, 289, 295 Flügelsonne 153–154 Fremdgötterpolemik – siehe Götzenkritik, Götzenpolemik Fremdgötterverbot 158, 159, 171, 176, 181, 185, 200, 251–252, 259, 263, 266–267, 270, 281 Gebotsparänese 263–265, 275 – siehe auch Paränese Gehorsam 124, 128, 267, 277, 289, 369 – Gebotsgehorsam 266, 342
– Gehorsamspflicht 127 – siehe auch Ungehorsam Geier 5, 20, 59, 148, 150–154, 312 Gericht 79, 81–82, 84, 86, 88, 94, 112, 199, 209, 219, 225, 228, 229–230, 232, 242–243, 246–254, 263, 269, 272, 283, 301, 345 – Gerichtsrede 5–7, 110–112, 126, 283, 373 – siehe auch Richter Geschichtsrückblick 57, 61, 65, 84, 93, 143, 147, 149–150, 156, 158, 163, 202, 212, 273–274, 276, 281, 282– 296, 303, 344, 355, 372 Geschichtstradition 150, 155, 173, 295 Gift, giftig 24, 27, 67, 75–76, 78, 80, 81, 188, 192, 193–195, 211, 212, 214–218, 269, 362 – siehe auch Schlange, Schlangengift Gilgameš, Gilgameš-Epos 142, 253, 298 Glosse 18, 54, 362–363 Goldenes Kalb 171, 202, 261, 263–264, 374 Göttersöhne 43–44, 134, 140–142, 256–257, 259 – siehe auch Engel, Gottessöhne Gottessöhne 19, 34–36, 40–41, 44, 58– 59, 89, 131, 133–137, 139–144, 311, 364, 366, 380 – siehe auch Engel, Göttersöhne Götterversammlung, Gottesversammlung 43, 111, 134–135, 138, 139– 142 Gottesbeziehung 56, 120, 127, 145, 196, 252, 272, 283, 304, 337, 345, 347–348, 356, 368, 377 Gottesrede 66–67, 69, 72, 75, 77, 79– 80, 82–83, 85, 88–89, 151, 178, 180, 187, 189, 205, 218, 234, 240, 252, 265, 273, 281, 283, 285, 288, 289– 290, 298, 329, 363, 374 Gottesverhältnis – siehe Gottesbeziehung Götze, Götzen, Götzenbild 84, 173, 180–181, 222, 234–235, 251, 256, 267 – Götzendienst 64, 203
Sachregister
– Götzenkritik, Götzenpolemik 181, 222, 236, 255 Hatra 152 Henoch, Henoch-Literatur 224–225, 271, 274 Hexateuch 3, 338, 351 – Hexateuchredaktion 327 Höchster (Gottesname) 19, 36–37, 41, 58–59, 131–135, 137–140, 167, 201, 264, 286, 311, 365 Hofstaat – siehe Götterversammlung, Gottesversammlung Hohepriester 135 – siehe auch Priester, Priestertum Höhle 4 (Qumran) 301 – siehe auch Qumran Höraufruf 52, 104–108, 112, 113, 131, 247, 263, 271, 302 Imperfekte, frei stehende – siehe Kurz-Imperfekte Intertextualität 97, 98–99 Ištar 253 – Ištar von Arbela 153 Jakob 19, 22, 35–36, 37–38, 39–41, 44, 55–56, 58–59, 61–65, 114, 131, 132, 147, 157, 163–166, 203, 219, 240, 241, 249, 255, 260, 283, 287, 288– 289, 335, 339, 345–346, 373 – Jakobssegen 215 Jehud 11, 300, 305, 368, 371, 373, 377 Jeschurun 22, 56, 61–63, 163–166, 263, 283, 335 JHWH-Königs-Psalmen 255, 258, 270 Jordan 317, 318, 319, 322–323, 326, 330–331, 345 Josua (Nachfolger Moses) 9, 132, 147, 208, 317–320, 322–328, 329, 333– 334, 351–353, 355–356, 358 Kanon, kanonische Texte 1, 10, 97–98, 104, 126, 270–271, 304, 307–308, 353, 367, 370 – Kanonbildung 376 Karatepe 139 Keret-Epos 138, 141
449
Kinderopfer 174, 259 – siehe auch Opfer Knecht, Knechte 28, 30, 43, 45–46, 82, 83, 93, 94, 155, 194, 203, 218–219, 229–232, 240, 249, 250, 259–260, 273, 380 – Gottesknechtslied(er) 231, 255 Kommunikationspragmatik – siehe Textpragmatik Kommunikationssituation 11, 49, 51, 64, 341 König, Könige 9–10, 12, 106, 113, 114, 127, 138, 142, 153, 171, 175, 180, 189, 212, 219, 231, 239, 253, 256– 257, 258, 265, 292, 305, 318, 353, 374 – Königsbewertungen, Königsbeurteilungen 171, 264, 342 – Königshof, Königreich 6, 136, 143 – Königszeit 7, 12 – Königtum 258, 305, 370, 371, 374 Kurz-Imperfekte 19, 310–313 Lade (des Bundes) 318, 321, 324–325, 329–330, 332 Landnahme 13, 51, 347 Lawsuit form – siehe Gerichtsrede Lebensführung, Lebenswandel, Lebensweise 119, 120, 155, 214–215, 266– 267, 270, 291, 302, 370, 376 Lehre 9, 11, 17, 57, 74, 105, 109, 112– 113, 115, 118, 120, 124, 126, 196, 203, 271, 277, 281, 284–285, 287, 290, 293, 300–302, 304, 308, 317, 325–326, 334, 344, 355, 371–372 – siehe auch Paränese – Lehrinhalt 113, 132, 302, 344 – Lehrrede 7 Leviten 9, 164, 183, 243, 277, 279, 321, 325–327, 330, 332–333, 351, 356, 358 – siehe auch Priester Marduk 138, 297, 299–300, 308 Mesopotamien 137, 142, 153, 252–253 Monarchie – siehe Königtum
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Sachregister
Monotheismus, monotheistisches Denken 3, 13, 86, 137, 171, 242, 258, 264, 371 – siehe auch Polytheismus Mosefiktion 51 Moserede 317, 332, 350 Mosesegen 165, 166, 315 Motivdefinition 95, 102, 111, 261, 367 Mutter 126, 169–170, 189, 369 Muttergöttin 143, 152, 253 Narration 8–9, 14, 51, 56, 329, 350, 353, 355, 357, 376 Nordwestsemitisches 59, 103–104, 138–139, 141, 143, 258, 271, 360 Opfer, Opfergabe, Opfertier 28, 83–84, 89, 161, 162–163, 183, 205, 234, 236–238, 260, 269, 308 – siehe auch Kinderopfer, Trankopfer Pantheon 58, 138, 140, 141–142 Papyrus Fouad 34, 36 Paränese 79, 169, 208, 249, 288, 350 – siehe auch Gebotsparänese, Lehre Perserreich 300, 370 Perserzeit 10, 13, 137, 274–275, 305, 370, 371, 373, 376–377 Polytheismus, polytheistisches Denken 13, 137, 139 – siehe auch Monotheismus Priester 9, 175, 211, 249, 292, 305, 317–318, 324–329, 356, 358 – siehe auch Hohepriester, Leviten – Priesterschrift 314, 327 – Priestertum, priesterlich 243, 370, 371 Psalter 115, 119, 123, 129, 229, 257, 274, 278, 280 – Elohistischer Psalter 134 – Psalterkomposition 222, 257 Qumran 2, 31, 41, 116, 124, 136, 225– 226, 255, 271, 274, 301, 308, 360– 361, 364, 366 – siehe auch Höhle 4 Rache 27, 29–30, 46, 81–82, 86, 87, 90–93, 94, 189, 198, 218, 227–228,
246, 247, 248–249, 259, 269, 284, 363–364, 380 – „Rache des Mythos“ 371 – Rachewerkzeug 253 Retrospektive – siehe Geschichtsrückblick Rezeptionsrichtung 14, 103, 105, 237, 260 Rib pattern – siehe Gerichtsrede Richter 26, 111, 209–210, 248, 251, 269, 321, 351 – Richteramt, Richtergewalt, richterliches Tun 81, 83, 199 – siehe auch Gericht Rückblick – siehe Geschichtsrückblick Sabbat 157, 308 Sattheit, Sattwerden 164, 167, 263, 273, 307, 339 Scheidung (zwischen Menschengruppen) 87, 94, 196, 212, 221, 227, 230, 232, 249, 252, 344 Schlange 193–194, 216–217 – Schlangengift 27, 75, 76, 78, 211, 215, 216, 362 – siehe auch Gift Schöpfer, Schöpferhandeln, Schöpfermacht 126, 128–130, 166, 169–170, 222, 224, 266–267, 272–273 – Schöpferlob 223, 246 Schöpfung, Schöpfungsvorstellungen, Schöpfungstheologie, Schöpfungsvokabular 128–130, 168–169, 222, 226, 266, 292, 294 Schwur 86, 242–246, 252–253, 265 Sefire 137–138 Segen 114–115, 160, 163, 165, 199, 208, 215, 222, 224, 271, 338–339 – siehe auch Jakobssegen, Mosesegen Seidels Gesetz 105 Sodom (und Gomorra) 27, 75–78, 211– 215, 217–218, 228, 268–269, 362 Sprechakttheorie 50 Strafandrohung, Strafankündigung 87, 186, 188–189, 221, 233, 246, 250– 251, 268, 367
Sachregister
Strafgericht – siehe Gericht Tag JHWHs 229 Talmud 308 Tefillin 301, 308 Tempel 111, 154, 222, 230, 257, 273, 305, 308, 326, 371 – Tempelrede 172, 267 Textpragmatik 1, 11, 14, 48, 49, 52, 58, 86, 103, 105, 107–109, 112, 134, 193, 252, 276, 298, 299, 301, 302, 304, 314, 316, 341, 344, 356, 359, 368, 372 Theophanie 123, 125, 157, 183, 184, 186–188, 191, 194, 246–247, 252, 257, 258, 268, 295, 337 – am Sinai 151, 184, 186, 246 Thronrat – siehe Götterversammlung, Gottesversammlung Tochter, Töchter 23, 55, 56, 66–67, 71, 88, 94, 133, 135, 174–175, 177, 194, 200, 256, 369 Torheit, törichtes Verhalten 71, 126, 177, 179, 203, 270, 367 – siehe auch Weisheit Trägergruppe 96, 99, 103, 304 Trankopfer 28, 83–84, 89, 205, 234, 236–237 – siehe auch Opfer Tyros 158, 162, 208 Ugarit, ugaritische Literatur 104, 137– 142, 161–162, 191, 271, 359, 368 Ugaritisch (Sprache) 20, 23, 159, 310– 312 Ungehorsam 122, 126, 270, 289, 309, 325, 369 – siehe auch Gehorsam Universalität, Universalitätsaussagen 137, 145
451
Unterweisung – siehe Lehre Untreue (gegen Gott) 53, 61, 76, 109, 148, 177, 339 Ursprungsmilieu – siehe Abfassungsmilieu Urtext 2, 17, 36, 41–42, 43, 46–49, 55, 63, 92–93, 361, 364–365, 367–368, 380 Vergeltung 27, 81–82, 87, 91, 218, 227, 246, 247, 248–251, 263, 266, 269 Wegmetaphorik, Wegemotiv 122, 125, 262 Wein 21, 27–28, 60, 62–64, 75–76, 78, 80, 83–84, 89, 156, 158, 194, 205, 211, 213–216, 218, 228, 234, 236, 268–269, 313, 361–362 – Weinbeere 27, 75, 78, 211, 213– 214, 215, 218, 362 – Weinberg 214, 219, 260 – Weinstock 27, 75, 78, 211, 213– 215, 218, 247, 268, 362 Weisheit 5–6, 112–113, 118, 119, 121, 124, 131, 144, 173, 201, 204, 206, 220, 223, 225–226, 231, 251, 267, 270, 369, 371 – siehe auch Torheit Wüste, Wüstenland, Wüstenwanderung, Wüstenzeit 19, 60, 121, 148–150, 154–155, 159, 162, 203, 212, 214, 243–244, 263, 267, 271, 284, 292, 307, 309–310, 322 Zarathustra 376 Zehn Gebote – siehe Dekalog Zeuge, Zeugenschaft 109, 111, 137, 278, 281, 301, 317, 320–321, 325, 329–332, 334, 335, 336, 340–341, 343, 345–347, 357–358, 362 – Zeugenvorstellung 108