Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR als Ideologiepolizei: Zur Bedeutung einer Heilslehre als Mittel zum Griff auf das Bewußtsein für das Totalitarismusmodell [1 ed.] 9783428486069, 9783428086061

Als Schild und Schwert der marxistisch-leninistischen SED hatte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) auch die Bild

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German Pages 390 Year 1996

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Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR als Ideologiepolizei: Zur Bedeutung einer Heilslehre als Mittel zum Griff auf das Bewußtsein für das Totalitarismusmodell [1 ed.]
 9783428486069, 9783428086061

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SIEGFRIED MAMPEL

Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR als Ideologiepolizei

SCHRIFTENREIHE DER GESELLSCHAFT FÜR DEUTSCHLANDFORSCHUNG BAND 50

Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR als Ideologiepolizei Zur Bedeutung einer Heilslehre als Mittel zum Griff auf das Bewußtsein für das Totalitarismusmodell

Von

Siegfried Mampel

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Mampel, Siegfried: Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR als Ideologiepolizei : zur Bedeutung einer Heilslehre als Mittel zum Griff auf das Bewusstsein für das Totalitarismusmodell / von Siegfried Mampel. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung ; Bd. 50) ISBN 3-428-08606-6 NE: Gesellschaft für Deutschlandforschung: Schriftenreihe der Gesellschaft ...

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5774 ISBN 3-428-08606-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @

Inhalt Vorbemerkung .... . ..................... . ................................ . .............

11

Einführung; Der Griff der SED nach dem Denken der Menschen......... . .......... . ..

13

Die Quellen .....................................................................

21

Exkurs: Zur Anerkennung der von der JHS verliehenen akademischen Grade ....

33

1/.

Der Begriff der politisch-ideologischen Diversion und sein Entstehen ............

36

11/.

Die Funktionen der politisch-ideologischen Diversion ...........................

46

111.

Entstehen und Entwicklung der politisch-ideologischen Diversion ............ . ..

55

V.

Die Organisation der politisch-ideologischen Diversion aus der Sicht des Ministeriums für Staatssicherheit im Jahre 1972 ......................................

66

I.

V1.

a) Die zentrale Planung und Leitung ............................................

66

b) Die Führungszentren der PID .................................................

76

c) Die Forschungsorgane ........................................................

79

d) Die "operativ-taktischen" Organe der PID ....................................

81

e) Die Hauptangriffsrichtungen der PID .........................................

83

f) Allgemeines zur Bekämpfung der Zentren der PID . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

g) Untauglicher Versuch des Nachweises der PID ................. . .............

85

Die Organisation der politisch-ideologischen Diversion aus der Sicht des MjS in den Jahren 1987/1988........................................................

91

a) Allgemeines zu den Zentren der PID .........................................

91

b) Die Führungsorgane der PID .................................................

93

c) Realisierung der Leitfunktionen gegenüber Forschungsorganen ............... 100 d) Steuerung der durchführenden Organe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 e) Durchführung der PID durch die Führungsorgane selbst ...................... 105 f) Die Forschungsorgane der PID . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

6

Inhalt g) Die durchführenden Organe .................................................. 108 h) Ausländische Einrichtungen zur PID ......................................... 117 i) Inhaltliche Grundlagen und Angriffsrichtungen der PID ....................... 123 j) Bestimmung des Feindbildes des MfS durch Darstellung der Organe der PID .. 138

VII.

Formen, Mittel und Methoden der politisch-ideologischen Diversion. . . . . . .. . . . .. 140 a) Unter der sozial-liberalen Koalition .......................................... 140 1. Zur Deutschlandpolitik der sozial-liberalen Koalition. . . . . ... .. .. . . . .... . .. 140

2. Indirekte Kontakte zur PID durch elektronische Medien ... . .......... . . . .. 146 3. Indirekte Kontakte zur PID durch Printmedien ... . ..................... . .. 154 4. Direkte Kontakte zur PID .............................................. . .. 158 5. Organisierung friedensgefährdender Vorkommnisse ....................... 168 b) Unter der christlich-liberalen Koalition bis 1988 .............................. 170 1. Allgemeine Kriterien. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. .. . . . .. . . . .. . . . . .. . . . . .. . . . .. . 170

2. Zur Arbeitsweise "durchführender Organe" ............................... 172 3. Direkte Kontakte zur PID ................................................. 180

VIII. Bedingungen für die Auswirkungen der politisch-ideologischen Diversion. . . . . . . . 183 a) Geheime Forschungsergebnisse über die Einstellung von Menschen zur SEDDiktatur ...................................................................... 183 b) Aus der Sicht des Ministeriums für Staatssicherheit im Jahre 1972 ............ 184 1. Objektive und subjektive Bedingungen für den Erfolg der PID ............ 184

2. Die begünstigenden Faktoren.............................................. 186 3. Der Kampf gegen "falsches" Bewußtsein. . . . . . . . .. . . .. . . . .. . .. . . .. . . .. . . .. 193 4. Weitere Differenzierung im "falschen" Bewußtsein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 197 5. "Feindliche Stützpunkte" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 202 6. Ahnung von künftigen Entwicklungen................. . ................... 210 7. Der gesamte Umfang des Kampfes gegen die PID ......................... 212 c) Aus der Sicht des Ministeriums für Staatssicherheit in den Jahren 1987/1988

214

1. Andere Aspekte der Untersuchung ........................................ 214

2. Soziale und individuelle Bedingungen für die Wirkung der PID ........... 216 3. Konzentration des Gegners auf ausgewählte Personengruppen ............. 219 4. Das Wechselspiel zwischen Massenmedien und "inneren" Bedingungen für den Erfolg der politisch-ideologischen Diversion .......................... 222

Inhalt

7

5. Die sozialen Bedingungen für die Wirkung der politisch-ideologischen Diversion ................................................................. 226 6. Die individuellen Bedingungen für die Wirkung der politisch-ideologischen Diversion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 233 7. Denken und Verhalten der Menschen in der ehemaligen DDR als angebliche Wirkung der politisch-ideologischen Diversion ..................... 238

IX.

Die DDR- und vergleichende DeutschlandJorschung sowie die Ostforschung in der Sicht des MfS ................................................................ 242 a) Die Bedeutung der DDR-Forschung in der Bonner Republik für die ,,Feindtätigkeit" gegen die ehemalige DDR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 242 b) Die Materialien für die Abfassung der Dissertation über die Ost- und DDRForschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 244 c) Die Periodisierung der Ost- und DDR-Forschung in der Sicht des MfS ........ 245 d) Die Beurteilung der Differenzen in der DDR-Forschung der alten Bundesrepublik durch das MfS ...................................................... 247 e) Die Aufgaben der DDR-Forschung aus der Sicht des MfS in den Jahren 1987/ 1988 ......................................................................... 259 f) Charakterisierung der Forschungsorgane ...................................... 262 g) Einzelne Forschungsorgane .................................................. 265 I. Das Gesamtdeutsche Institut - Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben (BfGA) ........................................................... 266 2. Die Gesellschaft für Deutschlandforschung (GfD) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 267 3. Die Forschungsinstitute von Stiftungen systemtragender Parteien ........ 268 4. Das Institut für Gesellschaft und Wissenschaft (IGW) an der Universität Erlangen-Nürnberg ...................................................... 269 5. Das Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik 272 6. Die Forschungsstelle für unabhängige Literatur und gesellschaftliche Bewegungen Osteuropas an der Universität Bremen/Bremer Archiv ........ 274 7. Das Zentralinstitut VI der Freien Universität Berlin (ZI VI) .............. 274 8. Das Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (BIOST) ............................................................... '.. 275 9. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ............ . ...... 277 10. Ostwissenschaftliche Institute ............................ . ............... 278 11. Die Stiftung Wissenschaft und Politik .................................... 279 12. Das Südostinstitut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 280 13. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ........................... 280 14. Gesellschaften des privaten Rechts als Träger der Ostforschung .......... 281 15. Zur Finanzierung der Institutionen der DDR- und der Ostforschung ...... 285

8 X.

Inhalt Die angebliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten der ehemaligen DDR durch politisch-ideologische Diversion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 287

a) Die politisch-ideologische Diversion als Problem der völkerrechtswidrigen Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten .................... 287 b) Die Behandlung des Problems nach Abschluß des Grundlagenvertrages ...... 292 c) Die "gegnerischen" Grundpositionen und deren Bekämpfung................. 299 1. Die Mißachtung der Menschenrechte ...................................... 300

2. Die Offenheit der deutschen Frage ........................................ 307 d) Die angebliche Völkerrechtswidrigkeit der politisch-ideologischen Diversion aus der Sicht des Ministeriums für Staatssicherheit in den Jahren 1987/l988 310 XI.

Die Verantwortung für die Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion ... 314

a) Die Gesamtverantwortung des Ministeriums für Staatssicherheit für die Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion. . . ... . . . .. . . . . . . .. . ... . . . .. .. 314 b) Spezifische Funktionen des Ministeriums für Staatssicherheit in Wahrnehmung seiner Gesamtverantwortung ........................................... 319 c) Weitere Aufgaben des Ministeriums für Staatssicherheit bei der Wahrnehmung seiner Gesamtverantwortung ................................................. 320 1. Die Inforrnationspflicht ................................................... 321

2. Die Öffentlichkeitsarbeit .................................................. 322 d) Zum Zusammenwirken mit Staatsorganen und gesellschaftlichen Einrichtungen ........................................................................... 326 e) Die operative Personenkontrolle .............................................. 327 f) Die Wahrnehmung der Gesamtverantwortung des Ministeriums für Staats-

sicherheit aus der Sicht der Jahre 1987/ 1988 ................................. 330

Xli.

Der Einsatz von Spitzeln (IM/GM) zur Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 334

a) Grundsätzliche Aufgaben der Spitzel, Befehle und Weisungen des Ministers für Staatssicherheit ........................................................... 334 b) Die Werbung von Spitzeln (IM/GM) ......................................... 339 1. Die Werbung für alle Verantwortungsbereiche ............................. 339

2. Die Werbung für Agenten der äußeren Abwehr ............................ 348 c) Der Einsatz der Ideologiepolizisten ........................................... 351 1. Die Qualifikation der Ideologiepolizisten .................................. 352

2. Die Aufträge für die Ideologiepolizisten ................................... 355

Inhalt

9

3. Weitere Voraussetzungen für den Einsatz .................................. 357 4. Der Einsatz gegen Personen mit schwankender Einstellung ................ 358 5. Der Einsatz zur Zersetzung feindlicher Gruppierungen .................... 359 6. Der Einsatz zur Beseitigung begünstigender Bedingungen ................. 361 7. Abschließendes zum Einsatz zur Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion .................................................................. 362 Schlußbetrachtung ..................................................................... 364

a) Die Bedeutung des Kampfes gegen die politisch-ideologische Diversion ...... 364 b) Die Vergeblichkeit der Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion

366

Literaturverzeichnis ................................................................... 371 Abkürzungsverzeichnis ................................................................. 377 Sachregister ................................................. . ......................... 380 Zum Autor dieser Veröffentlichung ..................................................... 389

Vorbemerkung Diese Analyse beschäftigt sich mit einer spezifischen Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR (MfS), unterscheidet sich aber von manchen anderen. Deshalb sei eine Vorbemerkung gestattet. Was die allgemeinen Schwierigkeiten angeht, die für eine Forschung durch Auswertung von Stasi-Unterlagen bestehen, so kann sich der Verfasser dieser Arbeit aus eigener Erfahrung den Ausführungen von Hermann Weber! anschließen. Zumindest jemand, der nicht dem Stab der Abteilung Bildung und Forschung beim Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStUIBF) angehört, also "extern" arbeitet, sieht sich vielen Hemmnissen gegenüber, denen er bei der Arbeit in anderen Archiven nicht begegnet. Diese können auch durch die begrüßenswerte, kollegiale Hilfe der Wissenschaftler bei BStUlBF nicht wettgemacht werden, vor allem von solchen aus der Deutschlandforschung der Zeit vor der Wende, die entgegen den Interessen der Herstellung der realen deutschen Einheit und der sachkundigen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit abgewickelt worden ist. Für diese Unterstützung ist herzlich zu danken. Besonders hinderlich erwies sich das Fehlen von Orientierungmöglichkeiten, wie etwa von Findbüchern. Dazu kommt das Verbot der Verwendung noch nicht "erschlossener Unterlagen". Zwar haben Veröffentlichungen von BF wesentliche Hinweise geben können. Für die vorliegende Arbeit gilt das insbesondere für die Publikationen über die ,,Juristische Hochschule" des MfS (JHS). Trotzdem kann niemand, der sich "extern" mit Stasi-Unterlagen beschäftigt, gewiß sein, daß er alle für ihn relevanten Unterlagen einsehen konnte. Ferner ist für die Zusammenarbeit von externen Forschern das Verbot hinderlich, an andere Stellen Duplikate von überlassenen Unterlagen weiterzugeben, wenn das so ausgelegt wird, daß auch die unmittelbare Überlassung an andere im Bereich des BStU tätige Forscher für nicht zulässig erachtet wird. So muß auch die vorliegende Analyse unter den Vorbehalt einer möglichen Unvollständigkeit wegen Fehlens nicht zugänglicher oder nicht bekannter Unterlagen gestellt werden. Der Verfasser ist aber der Überzeugung, daß ihm Wesentliches nicht entgangen ist. Die Analyse mußte sich mit Texten befassen, deren Stil nicht nur vom typischen SED-Jargon geprägt war, sondern auch nicht selten die Merkmale einer wohl über1 Hennann Weber, Die aktuelle Situation in den Archiven für die Erforschung der DDRGeschichte, Deutschland Archiv 7/1 994, S. 690 ff.

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Vorbemerkung

all üblichen polizeilichen Ausdrucksweise tragen. Soweit aus Abhandlungen wörtlich zitiert wird, ist das für den Leser erkennbar. Der Verfasser war aber bemüht, nur dann wörtlich zu zitieren, wenn das für die Authentizität notwendig erschien. Da er aber den Leser vor der Analyse mit dem Inhalt der Abhandlungen bekannt machen mußte, war es häufig notwendig, diesen indirekt wiederzugeben. Dazu war es erforderlich, sich des Konjunktivs zu bedienen, um deutlich zu machen, daß die Sicht der Autoren der analysierten Abhandlungen wiedergegeben wird, sowie des Plusquamperfekts, da es sich dabei glücklicherweise um etwas Vorvergangenes handelt. Eine gewisse Schwerfälligkeit der Darstellung konnte so nicht vermieden werden; es wird gebeten, diese in Kauf zu nehmen. Dagegen wurde, um deren Fluß nicht allzu sehr zu stören, aus Raumgründen ab etwa dem zweiten Drittel der Analyse darauf verzichtet, bei den Zitaten die Seite der betreffenden Abhandlung zu nennen. Sonst wäre die Zahl der Anmerkungen unangemessen angestiegen. Da die analysierten Abhandlungen der Öffentlichkeit ohnehin nicht zugänglich sind, ist das zu rechtfertigen. Der Leser wird gebeten, dem Verfasser zu vertrauen, daß die Wiedergabe zutreffend ist. Er hat sich nur erlaubt, hin und wieder im Interesse der Lesbarkeit den Stil der Abhandlungen zu verbessern. Der Autor hat nach Möglichkeit Darstellung und Analyse auch optisch voneinander getrennt. Bei einigen kurzen Bemerkungen konnte das im Interesse der Lesbarkeit nicht eingehalten werden. Es galt der Grundsatz, daß ratio vor emotio geht. So sehr das bei dem Thema auch oft schwerfiel, wurde Polemik vermieden. Zuweilen konnte der Autor jedoch nicht umhin, seiner Kritik drastisch Ausdruck zu verleihen. Ausgewertet wurden nicht personenbezogene Informationen, sondern nur sachbezogene Abhandlungen. Der Leser findet also weder die Namen von "Betroffenen" im Sinne des Stasi-Unterlagengesetzes - StUG 2 -, also von Opfern, noch mit wenigen Ausnahmen von Mitarbeitern des MfS. Genannt werden indessen die Verfasser der analysierten Abhandlungen und deren Auftraggeber als Mitarbeiter des MfS. Eine Verletzung des Anonymisierungsgebots des § 32 StUG ist so von vornherein vermieden worden. In den Fußnoten werden auch Autoren von wissenschaftlichen Publikationen in der Bonner Republik aufgeführt. Soweit aus diesen in den analysierten Abhandlungen auf deren Einstellung gefolgert wurde, ist freilich ein Schluß auf die Namen dieser Wissenschaftler von den Anmerkungen her möglich. Das Anonymisierungsgebot in § 32 StUG kann so nicht verletzt werden. Im übrigen sind in den Anmerkungen genannte Autoren durch ihre Veröffentlichungen zu Personen der Zeitgeschichte geworden. Für das Ergebnis seiner Analyse trägt der Verfasser die alleinige Verantwortung.

2 § 6 Abs. 3 Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (Stasi- Unterlagen-Gesetz - StUG) vom 20. 12. 1991 (BGBI. I S. 2272).

Einführung Der Griff der SED nach dem Denken der Menschen Im klassenkämpferischen Arsenal der Machthaber in der ehemaligen DDR gibt es einen Begriff, der deutlich den hohen Stellenwert anzeigt, den die Ideologie für die Machtbehauptung der SED, zur Erhaltung ihrer Suprematie der SED hatte. Er lautet: ideologische, oder im Jargon des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die politisch- ideologische Diversion (PID). Als Schild und Schwert der SED und der von ihr ausgeübten Diktatur über Staatsapparat und Gesellschaftsorganisation gehörte es zu den Aufgaben des MfS im inneren Bereich der DDR vor allem, dem Regime abträgliche Handlungen aufzuspüren, die mutmaßlichen und wirklichen Täter zu observieren, diese festzunehmen, sie zu verhören und für die Staatsanwaltschaften Unterlagen für Anklagen zu schaffen, die dann zu meist harten Urteilen der politischen Justiz führten. Diese Tätigkeit des MfS ist allgemein bekannt und hat mindestens zu Abscheu und Empörung in der Öffentlichkeit geführt. Weniger bekannt ist, daß auch die Bekämpfung der politisch- ideologischen Diversion eine Aufgabe des MfS war, wenn es auch darauf kein Monopol hatte. Sie war weniger spektakulär als andere Tätigkeiten, die es mit Recht in Verruf gebracht haben. Denn es ging dabei nicht um die Verfolgung einzelner Personen, wenn sie auch hier nicht völlig ausgeschlossen war. Es ging dabei um das Denken der Menschen, und zwar nicht nur einzelner oder von Gruppen, sondern um die Einstellung der ganzen Bevölkerung, oder doch um große Teile von ihr, zur Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR, zu deren ökonomischen und sozialen Grundlagen, zur SED-Führung und ihren Glauben an die stetige Richtigkeit deren Politik trotz aller Schwankungen, mit anderen Worten und poetischer ausgedrückt: um die Seelen der Deutschen im Machtbereich der SED. Das MfS mußte sich eines Problems der Massenpsychologie annehmen. Dazu reichten die einfachen Mittel einer Geheimpolizei nicht aus. Zur Bewältigung dieses Problems bedurfte es eines - um den Jargon des SED zu verwenden - "Vorlaufs", den nur geisteswissenschaftliche Kenntnisse verschaffen konnten. Daran mangelte es offenbar in den Anfangsjahren des MfS, wenn auch die Aufgabe schon früh gestellt war. Immer war diese von ihm nur schwer zu bewältigen. Diese Arbeit wird sich mit dem Anteil des MfS an der Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion beschäftigen. Auch hier führte es einen Abwehrkampf. Er ging gegen die Kräfte, die sich gegen die von der SED-Führung betrie-

14

Einführung

bene ideologische Indoktrination mit dem Ziele, bei den Gewaltunterworfenen ein sozialistisches Bewußtsein zu schaffen, zur Wehr setzten. Das SED-Regime, die DDR und mit ihr das MfS gehören der Vergangenheit an. Zu deren Ende hat nicht wenig beigetragen, daß die SED den Kampf um das Bewußtsein der ihr ausgelieferten Menschen trotz aller Anstrengungen und trotz mancher scheinbarer Erfolge nicht in dem von ihr erstrebten Ausmaße gewonnen hat. Sicher hat auch das totale Versagen der SED-Diktatur im wirtschaftlichen Bereich 1989 die Menschen auf die Straße getrieben. Das Entscheidende aber war, daß es der SED nicht gelungen war, die übergroße Mehrheit für sich und ihre Politik zu gewinnen. Trotzdem hat die Herrschaft dieser Partei Auswirkungen gehabt, die heute noch nicht völlig überwunden sind. Es gibt, wie jeder auch nur wenig politisch Kundige weiß, die beklagenswerte "Mauer in den Köpfen" selbst noch nach den Jahren, die seit der staatlichen Wiedervereinigung Deutschlands schon verflossen sind. Das Entstehen dieser Mauer darf nicht monokausal erklärt werden. Eine wesentliche Ursache für diesen beklagenswerten Zustand liegt darin, daß im Osten Deutschlands von der sowjetischen Besatzungsmacht und deren deutschen Helfern, der marxistisch-leninistischen SED, ein totalitäres System errichtet wurde. Von diesem wurden die Deutschen dort geprägt. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie dem System anhingen, sich ihm nur anpaßten, sich vor ihm in "Nischen" zurückzogen oder es grundsätzlich ablehnten. So unterschiedlich die Einstellung der Menschen zum Regime auch war, niemand konnte sich seinem Einfluß entziehen. Je nach dieser verhielten sie sich anders, aber niemand blieb völlig unbeeinflußt. Zum sozialistischen System schrieb Friedrich Nietzsche bereits 1878, also in der Zeit, während der Karl Marx "Die Kritik am Gothaer Programm" verfaßte (1875) und Friedrich Engels diese Arbeit veröffentlichte (1891), in prophetischer Weise: l "Der Sozialismus ist der phantastische jüngere Bruder des fast abgelebten Despotismus, den er beerben will; seine Bestrebungen sind im tiefsten Verstande reaktionär. Denn er begehrt eine Fülle der Staatsgewalt, wie sie nur je der Depotismus gehabt hat, ja er überbietet alles Vergangene dadurch, daß er die förmliche Vernichtung des Individuums anstrebt; als weIches ihm wie ein unberechtigter Luxus der Natur vorkommen und durch ihn in ein zweckmäßiges Organ des Gemeinwesens umgebessert werden soll. Seiner Verwandtschaft wegen erscheint er immer in der Nähe aller exzessiven Machtentfaltungen."

Die Beteiligung des MfS am Kampf um das Denken der Menschen, um ihr Bewußtsein, zeigt in eklatanter Weise, daß die DDR-Diktatur ein System verkörperte, das die Wesensmerkmale des Totalitarismus und nicht nur des Autoritarismus trug, 1 Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, Nr. 473. Den Hinweis auf das Zitat verdanke ich dem Schriftsteller Rolf Schneider, Schöneiche bei Berlin, der es in seinem Beitrag ,,Eintritt in ein geistiges Neuland" in "Der Tagesspiegel" vom 14. 8. 1994 (Beilage "Weltspiegel") brachte.

Einführung

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wie ein nicht unerheblicher Teil und zu gewissen Zeiten sogar maßgeblicher Teil der DDR-Forschung in der Bonner Republik meinte. 2 Für beide Systeme gilt zwar, daß in ihnen die Macht von nur einer politischen Kraft ausgeübt also monopolisiert wird. Der Unterschied besteht indessen in den Grenzen der Machtausübung. In einem autoritären System werden die Gesellschaft und ihre Menschen weitgehend in Ruhe gelassen, sofern sie nur Gehorsam leisten. In totalitären Systemen dagegen soll auch die Gesellschaft in den Griff genommen werden, der einzelne, wie Nietzsche vorhersah, total in den Dienst des Systems gestellt werden. Während ein autoritäres System mehr oder weniger jeden "nach seiner Fasson" selig werden läßt, verlangt ein totalitäres System, daß die Menschen die Machthaber aus innerer Überzeugung aktiv unterstützen. Sie sollen an die Richtigkeit deren jeweiliger Politik, unbeirrt durch etwaige Schwankungen, felsenfest glauben. Jedes autonome, vor allem jedes kritische Denken soll ausgeschaltet werden. Im Ergebnis sollen alle Gewaltunterworfenen die gleiche Meinung haben. Andersdenkende werden als Außenseiter, Schädlinge oder Feinde angesehen und mindestens unter Kontrolle gehalten, zumeist aber mit allen Mitteln bekämpft. Zur Rechtfertigung der Machtausübung berufen sich in einem totalitären System die Machthaber auf eine Heilslehre mit Ausschließlichkeitsanspruch. Sowohl in einem autoritären als auch in einem totalitärem System ist die monopolistische Machtübung ein Essentiale von Konstanz. Nur in einem totalitären System dagegen ist der monopolistische Griff auf die Gesellschaft und das Denken der Menschen ein ebenfalls konstantes Essentiale. 3 Variabel ist dagegen die Inhaberschaft des Machtmonopols. So kann dessen Inhaber eine Einzelpersönlichkeit ("Führer") sein oder eine Gruppe ("kollektive Führung"). Variabel sind auch die Mittel, mit deren Hilfe die Macht ausgeübt wird, so etwa das Militär, kombiniert mit Milizen und einer terroristischen Geheimpolizei mit Exekutivvollmachten, oder eine Bürokratie, deren Bestandteil ebenfalls eine terroristische Geheimpolizei ist, oder eine Gruppe von religiösen Würdenträgern wie das Mullah-Regime im Iran. Die Erkenntnis von der Variabilität der Mittel to2 Die Irrtümer der zeitweise herrschenden Richtung in der DDR-Forschung der Bonner Republik haben sie insgesamt weithin in Verruf gebracht, als nach der Wende die Wirklichkeit der ehemaligen DDR nicht mehr zu verbergen oder zu beschönigen war. Zu bedauern ist, daß nur wenige sich zu ihren Irrtümern bekannten. Um so mehr sind die zu achten, die sie einsahen. 3 Die Unterscheidung zwischen konstanten Essentialien und Variabeln zuerst in: Siegfried Mampel, Versuch eines Ansatzes für eine Theorie des Totalitarismus, in: "Totalitarismus", Band 23 der Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, 2. Auflage Berlin 1993, S. 13 ff. Wolfgang-Uwe Friedrich bezeichnet mit Recht daher in dem von ihm herausgegebenen "Spezial Issue" der "German Studies Review" "Totalitäre Herrschaft - Totalitäres Erbe", Arizona States University, Tempe, 1994, S. I ff., die SED-Diktatur als "bürokratischen Totalitarismus" .

16

Einführung

talitärer Machtausübung macht einen Vergleich totalitärer Systeme ohne Gleichsetzung möglich, womit eine wichtige Streitfrage befriedigend gelöst werden kann. Variabel ist auch der Inhalt der Heilslehre. Sie kann rassistisch sein wie im Nationalsozialismus. Sie kann aber auch religiöser Natur sein wie im islamistischen Fundamentalismus. In den totalitären Staaten des ,,realen Sozialismus" war die Ideologie des Marxismus-Leninismus die Heilslehre mit Ausschließlichkeitsanspruch. Von ihrer Richtigkeit sollten alle Gewaltunterworfenen überzeugt sein und, falls sie es noch nicht waren, überzeugt werden. Die Mittel dazu waren ebenfalls variabel. Es gehörten dazu Verlockung und Drohung, das Versprechen von materiellen Vorteilen und die Verbreitung von Furcht vor Bestrafung, also psychische Verfolgung, aber auch die physische Verfolgung, identisch also mit einem Mittel der Machtausübung. Vor allem gehörte dazu die Durchorganisierung der Gesellschaft durch mehr oder weniger gewaltsame Schaffung von Einheitsorganisationen für Gruppen in der Gesellschaft (Arbeitnehmer, Frauen, Jugend, Kulturträger, Sporttreibende). Zu nennen ist weiter das Abhalten von Großveranstaltungen, Aufmärschen, Volksfesten und dergleichen. Vor allem hatten Bildung und Erziehung außer der Vermittlung fachlicher Kenntnisse und kulturellen Wissens sowie körperlicher Ertüchtigung die ideologische Indoktrination mit dem Marxismus-Leninismus zum Inhalt. Vom Kindergarten an, über die Schule und berufliche Ausbildung bis zur Erwachsenenbildung waren die Menschen in Ostdeutschland ihr ausgesetzt. Je nach Bedarf und politischer Lage wurden die Mittel variabel eingesetzt. Mal wurde das eine Element, mal ein anderes bevorzugt. So war es möglich, daß auch im realen Sozialismus die Zügel gelockert werden konnten, ohne daß dadurch das System seinen totalitären Charakter verloren hätte. Denn nur scheinbar wurde der Griff auf die Gesellschaft und das Denken der Menschen zurückgenommen. Das Streben nach ideologischer Indoktrination blieb gleich, unbeschadet des Wechsels in den Mitteln. Das Fehlen dieser Erkenntnis mußte den Blick von DDR- Forschern trüben, die nur den äußeren Schein sahen und, aus welchen Gründen auch immer, den realen Sozialismus für entwicklungsfähig ansahen. Die Unterscheidung von konstanten und variablen Essentialien eines totalitären Systems ist geeignet, einen solchen Irrtum zu venneiden. Mit ihrer Hilfe wird deutlich, daß ein Herrschaftssystem auch bei Wandlungen totalitär bleibt, solange nur der Kern, nämlich die ungehemmte und unkontrollierte, auf Dauer angelegte Machtausübung bis hinein in das Denken der Menschen mit Hilfe einer Ausschließlichkeit beanspruchenden Heilslehre erhalten bleibt. 4 4 In der DDR-Forschung der Bonner Republik hatte sich besonders Peter Christian Ludz, vor allem in "Parteielite im Wandel", Köln und Opladen 1968, S. 11 ff., gegen das Totalitaris-

Einführung

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Diese Feststellung ist deshalb so wichtig, weil auch nach dem Ende der ,,realsozialistischen" Systeme in der ehemaligen DDR und den osteuropäischen Staaten die Gefahr des Totalitarismus keineswegs gebannt ist. In Deutschland besteht diese Gefahr sogar in zweifacher Weise. Der Rechtsradikalismus hat zwar keine Erfolge in Wahlen, aber die Ausschreitungen seiner Anhänger zeigen seine unveränderte Virulenz. Die Nachfolgerin der SED, die PDS, gibt sich zur Zeit demokratisch, und das nicht ungeschickt. Aber auch die KPD/ SED hat sich von 1945 bis 1949 demokratisch gegeben. Dann hat sie sich in eine "Partei neuen Typus", in eine marxistisch-leninistisch-stalinistische Partei verwandelt und die Suprematie über Staatsapparat und Gesellschaft, wenn auch mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht, beansprucht und vor allem auch errungen. Wer kann ausschließen, daß sich die PDS eines Tages daran ein Beispiel nimmt? Principiis obsta! Im Nahen Osten und in Afrika, mindestens bis zur Sahara, droht der islamistische Fundamentalismus totalitäre Systeme zu errichten. Im Iran ist ihm das schon gelungen. So sind Darstellung und Analyse der Tätigkeit des MfS mit dem, was man "Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion" nannte, nicht nur ein Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit, die zu wichtig ist, als daß man sie allein den Historikern überlassen dürfte, sondern auch von nicht zu unterschätzender Bedeutung für künftige potentielle Gefahren. Erforderlich erscheint es, noch etwas zu den Indoktrinationsbemühungen der SED mit dem Marxismus-Leninismus auszuführen. Diese bestehen auch in der Wissensvermittlung, aber sie sind mit solcher nicht gleichzusetzen. 5 muskonzept gewandt. Er meinte damit einer "Versachlichung" der DDR-Forschung zu dienen. Er fand dabei im Trend einer falsch verstandenen Entspannungspolitik viele Anhänger. Nach der Wende in der ehemaligen DDR 1989 ist das heute nicht verständlich, obwohl sich immer noch Epigonen finden, die solche Irrtümer verteidigen. Dabei hatte z. B. Leonard B. Schapiro schon 1972 in seinem umfassenden Stichwort "Totalitarismus" der vergleichenden Enzyklopädie "Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft", Freiburg, Basel, Wien 1972, Sp. 465 ff., sich überzeugend für die Beibehaltung des Totalitarismuskonzepts eingesetzt. Er verwies auch darauf, daß Carl J. Friedrich, einer der Begründer des Totalitarismuskonzepts, schon 1969 den Totalitarismus nicht für ein festes, unveränderliches System hielt (hier Sp. 483). Dem trägt die Unterscheidung von konstanten Essentialien und Variablen (vgl. Anm. 3) Rechnung. 5 Noch nach der Wende entgegnete dem Verf. anläßlich einer Diskussion in Potsdam über das totalitäre System in der ehemaligen DDR eine politische Soziologin, ursprünglich an der PU Berlin, sie habe bei einer neuen Lehrtätigkeit in einem östlichen Bundesland bei ihren Studenten kaum Kenntnisse über den Marxismus-Leninismus feststellen können - ein Zeichen dafür, wie wenig in einem Teil der DDR- Forschung der Bonner Republik von der Bedeutung der "sozialistischen" Bewußtseinsbildung in der ehemaligen DDR für das dortige Herrschaftssystem Kenntnis genommen wurde und so das Wesen eines totalitären Systems nicht sah oder sogar sehen wollte. Auch Christiane Lemke, Die Ursachen des Umbruchs 1989 - Politische Sozialisation in der ehemaligen DDR, Opladen 1991, spricht immer noch von einer geringen Bedeutung der politisch-ideologischen Erziehung. 2 Mampel

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Im Unterschied zum Nationalsozialismus mit seiner recht primitiven Blut- und Bodenlehre verfügt der ,,reale" Sozialismus mit dem dialektischen und historischen Materialismus als "wissenschaftlicher" Grundlage des Marxismus-Leninismus über ein höchst kompliziertes Lehrgebäude, das im einzelnen genauer zu kennen, eher Sache von Intellektuellen ist als der großen Masse. Deshalb verlangte die Schaffung des "sozialistischen" Bewußtseins nicht eine genaue Kenntnis dieses Lehrgebäudes. Die SED sah es als genügend an, wenn die Masse der ihrer Gewalt Unterworfenen Regeln verinnerlichte, die sie als sozialistische Moral bezeichnete. Bewußt wurde eine Assoziation zum jüdisch-christlichen Dialog geschaffen, als von Walter Ulbricht6 diese in zehn Geboten zusammengefaßt wurde? Diese zehn Gebote der sozialistischen Moral wurden 1963 in das Parteiprogramm der SED unter Ziffer 57g aufgenommen und blieben darin bis zu ihrer Auflösung. Diese sollten nicht nur Mitglieder und Kandidaten der SED zur Grundlage ihres Handeins machen, sondern letztlich alle ihrer Gewalt Unterworfenen. Dazu sollten sie erzogen werden, so sollten sie mit "sozialistischem" Bewußtsein erfüllt werden. So forderte Walter Ulbricht 1957 mit fortdauernder Geltung: 8 "Seitdem in einem Teil Deutschlands die Arbeiter- und Bauern-Macht errichtet wurde, hat die Arbeiterklasse als ihre führende Kraft die Pflicht, die marxistisch-leninistische 6 Walter Ulbricht, Grundsätze der sozialistischen Ethik und Moral, aus dem Referat auf dem V. Parteitag (10. - 16. 7. 1958), Protokoll, Band 1, S. 159 - 164, hier zitiert aus: Walter Ulbricht, Über die Dialektik unseres sozialistischen Aufbaus, Ost-Berlin 1959, hier S. 185. 7 Die zehn Gebote der sozialistischen Moral lauten: 1. Du sollst Dich stets für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse und aller Werktätigen sowie für die unverbrüchliche Verbundenheit aller sozialistischen Länder einsetzen. 2. Du sollst Dein Vaterland lieben und stets bereit sein, Deine ganze Kraft und Fähigkeit für die Verteidigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht einzusetzen. 3. Du sollst helfen, die Ausbeutung der Menschen durch die Menschen zu beseitigen. 4. Du sollst gute Taten für den Sozialismus vollbringen, denn der Sozialismus führt zu einem besseren Leben für alle Werktätigen. 5. Du sollst beim Aufbau des Sozialismus im Geiste der gegenseitigen Hilfe und der kameradschaftlichen Zusammenarbeit handeln, das Kollektiv achten und seine Kritik beherzigen. 6. Du sollst das Volkseigentum schützen und mehren. 7. Du sollst stets nach Verbesserungen Deiner Leistungen streben, sparsam sein und die sozialistische Arbeitsdisziplin festigen. 8. Du sollst Deine Kinder im Geiste des Friedens und des Sozialismus zu allseitig gebildeten, charakterfesten und körperlich gestählten Menschen erziehen. 9. Du sollst sauber und anständig leben und Deine Familie achten. 10. Du sollst Solidarität mit den um ihre nationale Befreiung und ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben. 8 Walter Ulbricht, Über die Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins, aus dem Schlußwort einer Diskussion mit Angehörigen der Intelligenz in Leipzig, a. a. O. wie Anm. 5, hier S. 163.

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Lehre in bezug auf die sozialistische Moral nicht nur für die eigene Klasse anzuwenden, sondern sie zu moralischen Gesetzen zu entwickeln, die für alle Volksschichten Geltung haben."

Daran, daß auch die SED für die "Arbeiterklasse" handeln sollte, ließ Walter Ulbricht keinen Zweifel: 9 "Die sozialistische Bewußtseinsentwicklung kann wesentlich durch eine richtige Erziehungsarbeit der Partei, der Nationalen Front des demokratischen Deutschland und des Arbeiter- und Bauern-Staates gefördert werden."

Im Grunde wurde so eine Abkehr von den Massen nur schwer oder sogar nicht eingängigen Rationalen zum Emotionalen vollzogen. Parallelen zum Nationalsozialismus drängen sich auf. Auch das bezeugte Walter Ulbricht, als er am 1. 3. 1958 schrieb: 10 "Unsere Weltanschauung, die durch die Praxis tausendfach bestätigt wird, begründet die unerschütterliche Gewißheit vom Siege des Neuen, des Sozialismus, über das Alte, den Kapitalismus; sie gibt uns die klare Perspektive."

Letztlich laufen die zehn sozialistischen Gebote zwar nicht expressis verbis, aber doch praktisch auf die einfachen Formeln hinaus: 1. Die Partei hat immer recht. 2. Der Sozialismus siegt. 3. Jeder hat die Pflicht, sich mit vollem Einsatz aller seiner geistigen und körperlichen Kräfte für den Sieg des Sozialismus einzusetzen. 4. Dazu muß jeder sozialistisches Bewußtsein haben oder zu ihm gebracht werden. 5. Der Feind steht im Westen. Dem MfS fiel dabei die Aufgabe zu, alles in seiner Macht Stehende zu tun, das zu bekämpfen, was auch nur Zweifel an der Berechtigung dieser Grundforderung erweckte. Dabei sollte es auch in einem Raum tätig werden, für den selbst das weitausgebaute politische Strafrecht der DDR nicht relevant war. Denn SED und mit ihr das MfS wollen verhindern, daß "antisozialistisches" Denken zum antisozialistischen Handeln wurde, das unter den in der ehemaligen DDR herrschenden Verhältnissen nur im Verborgenen vorbereitet und vollzogen, also im "Untergrund" geleistet werden konnte. Für das Verständnis des MfS und das der SED- Führung, und das heißt, a. a. O. wie Anm. 5, hier S. 167. Walter Ulbricht, Über das Studium des dialektischen Materialismus in den Grundorganisationen, Brief des Zentralkommitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an alle Grundorganisationen der Partei vom 1. 3. 1958, a. a. O. wie Anm. 5, hier S. 12. 9

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2*

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diesem zugrundeliegend, galt: "Ohne PID keine PUT", ohne politisch-ideologische Diversion keine politische Untergrundtätigkeit. ll Deshalb ist es verständlich, daß das MfS auch mit dieser Aufgabe betraut wurde. Denn wo die PID aufhört und die PUT beginnt, war sicher in den Augen der Parteiführung nur schwer zu entscheiden. So übertrug man auch die Bekämpfung der PID dem MfS. Kompetenzkonflikten war so vorgebaut. Der vom Verfasser geprägte Begriff "Ideologiepolizei" soll diese Funktion des MfS kennzeichnen. Die Bekämpfung der PID sollte offensiv erfolgen. Sie sollte in die Bundesrepublik hinein vorangetrieben werden, in die "Zentren" der PID. Dabei benutzte es geheimdienstliche Mittel, wie sie typisch sind. Damit verfuhr es also genauso, wie es dem Gegner vorgeworfen wurde. Diese Unehrlichkeit verwundert in Anbetracht des Charakters des MfS nicht im geringsten, muß aber erwähnt werden, damit nicht bei politisch Unbewanderten Irrtümer entstehen. Im übrigen machte sich die SED-Führung genau dessen schuldig, was sie als feindliche Tätigkeit mit PID bezeichnete. Sie hat jahrelang die KPD und später die DKP finanziell unterstützt und mit politischer Argumentation versehen. Im Herbst 1994 wurde aufgedeckt, daß sie auch die westdeutsche Friedensbewegung massiv unterstützt hat. 12 Das geschah zur selben Zeit, zu der sie im eigenen Bereich die Friedensbewegung, vor allem mit Hilfe des MfS, verfolgte. Nicht nur zur Aufarbeitung der Geschichte der ehemaligen DDR, sondern auch aus leider aktuellen Gründen und nicht zuletzt als empirischer Nachweis für das Totalitarismusmodell ist die Darstellung über das MfS als Ideologiepolizei notwendig.

11 Hanna Labrenz-Weiß, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abt. Bildung und Forschung beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR, Die Beziehungen zwischen Staatssicherheitsdienst, SED und den akademischen Leitungsgremien an der Humboldt-Universität zu Berlin, in: "Totalitäre Herrschaft Totalitäres Erbe", German Studies Review, Spezial Issue, a. a. 0., wie Anm. 3, S. 131ff. 12 Nach einer Meldung der Berliner Tageszeitung "Der Tagesspiegel" vom 3. 12. 1994 hat Manfred Wilke kürzlich im Parteiarchiv Akten des Politbüros des ZK der SED entsprechende Unterlagen gefunden. So wurde im Juli 1981 ein Maßnahmekatalog zur Beeinflussung der Friedensbewegung in der Bundesrepublik und anderen westlichen Ländern im Sinne des Warschauer Pakts beschlossen. Weitere Maßnahmen waren u. a.: Die Entsendung von Delegationen zu "Friedensmärschen" und anderen Veranstaltungen im westlichen Ausland sowie die Unterstützung von "Massenaktionen", unter anderem durch die Entsendung von Künstlern sowie Agitations- und Propagandamaterialien.

I. Die Quellen Als Quellen dienten in erster Linie Dissertationen, die im Promotionsverfahren an der "Juristischen Hochschule Potsdam" (JHS) geschrieben waren, ferner einschlägige Befehle und Dienstanweisungen. Wertvolle Erkenntnisse wurden in Gesprächen mit dem früheren Leiter des Lehrstuhles VI der JHS für "Politisch-ideologische Diversion", Dietrich Fischer, mit Beginn ab 4. 1. 1995 gewonnen. Auf Studienmaterial der JHS wurde nicht zurückgegriffen, da dieses nur Sekundärliteratur ohne besonderen Erkenntniswert darstellt. Die JHS war eine Einrichtung des MfS und gehörte zu den dem Minister direkt unterstellten Einheiten. Ihr Zweck war die Qualifizierung von Mitarbeitern des MfS mit dem Ziele, ihnen die Weihe eines Hochschulabschlusses zu verleihen. Dienstrechtlich war sie der Hauptabteilung (HA) Kader und Schulung unterstellt. 1 Die JHS wurde schon 1951 zunächst als "Schule" mit Sitz in Potsdam-Eiche gegründet. Am 16. 2. 1965 bekam sie den Rang einer "Juristischen Hochschule". Durch geheime Verfügung des Ministers für Hoch- und Fachschulwesen erhielt sie am 18. 6. 1968 die Befugnis, die akademischen Titel "Diplom-Jurist", "Doktor" (Dr.) aufgrund einer Promotion A und aufgrund einer Promotion B den "Doktor 1 Die Organisationsstruktur des Ministeriums für Staatssicherheit 1989, herausgegeben vom Beauftragten für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Abteilung Bildung und Forschung (BStUIBF), Reihe A Nr. 2/92, 2. Auflage, Berlin 1993, S. 48 ff. Karl W. Fricke, der schon 1982 die JHS erstmals erwähnt hatte (Der Staatssicherheitsdienst, Köln 1982, S. 196) hebt in der dritten Auflage dieses Werkes (Köln 1989) hervor (Anm. 21 zu Kapitel 8, S. 250), daß die JHS in der DDR ohne jede Erwähnung geblieben war. Auch in der vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen 1962 veröffentlichten Schrift, die ebenfalls Karl W. Fricke zum Verfasser hatte, wird sie nicht erwähnt. Er hatte von ihr nach einer dem Verfasser gegebenen mündlichen Auskunft erst 1979 erfahren. Auch bei Siegfried Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, 2. Auflage 1982, Aufstellung in Rz. 66 - 72 zu Art. 17, fehlt sie, ebenso im Hauptartikel "Universitäten und Hochschulen" des DDR-Handbuches, 3. Auflage, 1985 (verfaßt von Gert Joachim Glaessner). Dagegen wird die JHS im DDR-Handbuch (Artikel "Ministerium für Staatssicherheit") genannt, der auch von Karl W. Fricke verfaßt ist. Nach der Wiedervereinigung erschien: Dietrich Fischer, Die "Juristische Hochschule Potsdam" - "Kaderschmiede" des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit, Deutschland Archiv, 12/1990, S. 1891, sowie Günter Förster, Die Dissertationen an der "Juristischen Hochschule" des MfS, Eine annotierte Bibliographie, Reihe A Nr. 2/1994; Jens Gieseke, Doktoren der Tschekistik, Die Promovenden der ,,Juristischen Hochschule" des MfS, BF informiert Nr. 6/1994; Clemens Vollshals, Das Ministerium für Staatssicherheit, ein Instrument totalitärer Machtausübung, 1995, herausgegeben vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR, Abteilung Bildung und Forschung.

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I. Die Quellen

der Wissenschaften" (Dr. sc.) zu verleihen. Am 1. 6. 1981 wurde das Recht zuerkannt, die Lehrbefugnis (facultas docendi = venia legendi) zu erteilen. 2 Indessen führte die JHS drei Promotionen und zwei Habilitationen als eigene durch, die vor dem 18. 6. 1968 an der "Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft Walter Ulbricht" geschrieben waren. 3 Sie hatten Mitarbeiter der JHS, darunter deren ersten Rektor, zum Verfasser. Die Aufgaben der JHS im einzelnen waren die Durchführung eines Hochschuldirekt- bzw. Fernstudiums, Ausbildung von Offiziers schülern zu "Diplom-Juristen", Durchführung eines Fachschuldirekt- bzw. Fachschulstudiums, Durchführung von Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen, von Promotionsverfahren, Lehre und Forschung (Grundlagenforschung, angewandte und anwendungsorientierte Forschung) sowie Gutachtertätigkeit. 4 Die Bezeichnung dieser Ausbildungsrichtung des MfS als "Juristische" Hochschule war irreführend. Denn mit Rechtswissenschaft hatte sie nur wenig zu tun. Nur einer ihrer drei Sektionen trug diese Bezeichnung. Die anderen beiden hießen "Sektion Marxismus-Leninismus" und "Sektion Politisch-operative Spezialdisziplin".5 Trotzdem durften sich ihre Absolventen nach erfolgreichem Abschluß ihres Studiums "Diplom-Jurist" nennen. Als akademische Grade verlieh die JHS den "Dr. jur." und den "Dr. sc. jur.". In der MfS-Struktur 1989, als der letzten, firmierte sie denn auch nur noch als "Hochschule des MfS".6 So war sie auch bis zum 16.2. 1965 genannt worden. Nach einer Aufstellung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BSTU), Abt. Bildung und Forschung 2 ,Clemens Vollnhals, a. a. O. wie Anm. I, S. 8; nach Günter Förster, a. a. O. wie Anm. 1, ist das Recht zur Verleihung des Dr. sc. der JHS erst am 1. 6. 1981 verliehen worden, er kann das auch urkundlich nachweisen. Indessen sind zwischen 18.6. 1968 und 1. 6. 1981 zahlreiche Promotionen B an der JHS geschrieben worden (Verzeichnis bei Günter Förster, a. a. 0., S. 55 ff.). Seit der "Verordnung über die akademischen Grade" vom 6.11. 1969 (GBI.DDR II S. 1022) wurden von den Universitäten und Hochschulen der ehemaligen DDR folgende akademische Grade verliehen: 1. Diplom eines Wissenschaftszweiges (Diplom- ... ), 2. Doktor eines Wissenschaftszweiges (Dr.... ), 3. Doktor der Wissenschaften (Dr. sc .... ). Die Verleihung des Dr. sc .... trat an die Stelle des Dr. habil., schloß aber die venia legendi (docendi) nicht mehr ein. Die Lehrbefugnis wurde fortan von den "Wissenschaftlichen Räten" verliehen, wenn der Bewerber nach einer zweijährigen Lehrtätigkeit an einer Universität oder Hochschule der ehemaligen DDR (also auf Probe) die Fähigkeit "zur Festigung und Entwicklung des sozialistischen Staatsbewußtseins der Studenten" bewiesen hatte. Außerdem hatte die JHS zweimal die Ehrendoktorwürde verliehen, und zwar an einen Oberst des sowjetischen KGB sowie an den bekannten Kanzlerspion Günter Guillaume, Mitarbeiter der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) (Günter Förster, a. a. 0 wie Anm. 1, S. 107). 3 Nach einer mündlichen Auskunft von Dietrich Fischer am 4. 1. 1995. 4 Günter Förster, a. a. 0., wie Anm. 1, S. 6. 5 Günter Förster, a. a. 0., wie Anm. 1, S. 9ff., insbesondere S. 52. 6 Die Organisations struktur des Ministeriums für Staatssicherheit, 1989, a. a. 0., wie Anm.l.

I. Die Quellen

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(BF), sind 174 Dissertationen A und B (einschließlich der beiden Habilitationsschriften) erfaßt. Sie sind nur selten die Arbeit eines einzelnen, meist waren sie Kollektivarbeiten. Die Bewerber, die schon einen akademischen Titel führten, erwarben den Dr. sc. jur., die anderen den einfachen Doktortitel. Insgesamt führt die Aufstellung 485 Autoren auf. Davon erwarben 100 den Titel Dr. sc. jur. 7 Zum Promotionsverfahren wurden im allgemeinen nur hauptamtliche Mitarbeiter des MfS, meist von einer Hauptverwaltung, zugelassen. In Ausnahmefällen durften auch die Mitarbeiter anderer Dienststellen promovieren, so zwei des Presseamtes beim Ministerrat der DDR, einer von der Fachschule der Zollverwaltung, zwei vom Institut der Zollverwaltung, einer von der Inspektion des Ministeriums der Finanzen, einer vom Militär-medizinischen Dienst. Zwei Autoren waren Angehörige des sowjetischen Geheimdienstes (KGB) und drei des kubanischen. 8 Das geringste Prädikat, das die JHS für Promotionen A vergeben hatte, war "magna cum laude", das Prädikat "summa cum laude" war nicht selten. Promotionen B blieben ohne Prädikat. Obwohl an der JHS trotz ihres Namens eigentlich nur nebenbei Rechtswissenschaft gelehrt wurde, verlieh sie ausschließlich die akademischen Grade, die einer juristischen Ausbildung entsprechen. Nach einer Feststellung der Abteilung BF beim BSTU hatten nur etwa 10 % der Arbeiten juristischen Inhalt. 9 Für diese Arbeit wurden vier Dissertationen ausgewertet: 1. Die psychologische Kriegführung und politisch- ideologische Diversion des westdeutschen Imperialismus gegen das sozialistische Lager, insbesondere gegen die DDR. Die Anforderungen an die Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion durch die Diensteinheiten des MfS im Zusammenwirken mit anderen Staatsorganen und gesellschaftlichen Organisationen. Verfasser: Oberstleutnant Dr. Helmut Eck (JHS) und Oberst Professor Dr. Tregubenkow (Hochschule des KGB); Grad: Dr. sc. jur.; Jahr: 1972 (künftig zitiert mit Diss. I).

2. Die Bekämpfung der imperialistischen Ost- und DDR- Forschung und ihrer Einrichtungen inderBRD. Verfasser: Major Erwin Dietrich (JHS) und Hauptmann Hans-Peter Wagner (JHS); Grad: Dr. jur.; Prädikat: magna cum laude; Jahr: 1974 (künftig zitiert mit Diss. 2). 3. Politische und völkerrechtliche Aspekte der Arbeit des MfS zur offensiven Zurückweisung der von den Staatsorganen bzw. Feindeinrichtungen der BRD ausgehenden Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR. 7 Günter Förster, a. a. 0., wie Anm. I, S. 40, Titel der Dissertationen S. 55 - 107, Verzeichnis der Verfasser der Dissertationen, S. 124 - 138. 8 a. a. 0., wie Anm. 7. 9 Günter Förster, a. a. 0., wie Anm. I, S. 50.

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I. Die Quellen

Verfasser: Oberstleutnant Helmut Möller (HA IX), Major Peter Jaskulski (HA IX) und Major Frank Osterloh (HA IX). Grad: Dr. jur.; Prädikat: magna cum laude; Jahr: 1980 (künftig zitiert mit Diss. 3). 4. Die politisch-ideologische Diversion gegen die DDR (Entwurf des Lehrbuches). Verfasser: Oberstleutnant Dr. Eberhard Herrmann (JHS), Oberstleutnant Karl Philipp (JHS), Major Rolf Köhler (JHS) und Hauptmann Andreas Pitsch (JHS). Grad: Eberhard Herrmann Dr. sc. jur.; die anderen Dr. jur.; Prädikat: magna cum laude; Jahr: 1987 (künftig zitiert mit Diss. 4, Lehrbuch).

Aus der letztgenannten Schrift entstand im Februar 1988 ein Lehrbuch 10 mit demselben Titel. Es weicht im allgemeinen geringfügig, in einem Abschnitt indessen nicht unwesentlich vom Entwurf ab. Auf Einzelheiten wird zu gegebener Zeit eingegangen. Die Dissertationen an der JHS entsprechen in mehrfacher Hinsicht nicht den allgemein üblichen, wie es auch bei anderen Universitäten der ehemaligen DDR nicht selten war. Bis zur Promotion mußte zwar ein Verfahren durchlaufen werden. In diesem wurden Gutachten eingeholt. Die Gutachter waren, z. B. bei der unter 4. genannten Dissertation, zu einem Teil Lehrkräfte der JHS, zu einem anderen Teil waren sie Leiter anderer Dienststellen des MfS, also Praktiker. Die Gutachten wurden von einer Kommission aus hochrangigen Angehörigen der JHS, die wie alle dort an maßgeblicher Stelle Beschäftigten hohe Offiziere waren, angefordert und ihr zugeleitet. Vor dieser Kommission hatten die Bewerber ihre Dissertationen in Referaten zu verteidigen. Zunächst verdient eine wesentliche Eigenheit der Dissertationen an der JHS Beachtung: Die Dissertationen wurden nicht veröffentlicht. Sie hatten die Geheimhaltungsstufe "Vertrauliche Verschlußsache" (VVS) oder sogar "Geheime Verschlußsache" (GVS) und wurden dementsprechend, nur in Maschinenschrift vervielfältigt, mit einer geringen Stückzahl hergestellt. Sie waren also der Öffentlichkeit nicht zugänglich und Ausgewählten nur mit Erlaubnis. Eine unerlaubte Weitergabe erfüllte den Straftatbestand des Verrats militärischer Geheimnisse (§ 272 StGB/ DDR mit der Strafandrohung einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder einer Verurteilung auf Bewährung oder mindestens von Strafarrest). Denn der Dienst in den Organen des MfS galt als Wehrersatzdienst 11 und ihre Angehörigen unterlagen daher dem Militärstrafrecht (§ 251 ff. StGBIDDR). 10 Die politisch-ideologische Diversion gegen die DDR, Lehrbuch für das Hochschuldirektstudium und das Hochschulfernstudium - Rechtswissenschaft - herausgegeben von der Juristischen Hochschule Potsdam, Februar 1988,270 S. Die JHS lehrte nach eigenen Lehrbüchern, die nur für den eigenen Gebrauch geschrieben waren. Nach Auskunft von BStUIBF gab es etwa 30 Lehrbücher. n § 1 Abs. 3 der 2. Durchführungsbestimmung zur Reservistenordnung vom 19.4. 1963 (GBI. DDR I S. 279), dazu auch "Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Lehrkommentar zum Strafgesetzbuch", herausgegeben vom Ministerium der Justiz und der Deut-

I. Die Quellen

25

Die vier hier analysierten Dissertationen hatten folgende Geheimhaltungsstufen und Seitenzahlen: Geheimhaltungsstufe

Zahl der Seiten (DIN A 4)

Diss. 1:

VVS

462

Diss.2:

GVS

553

Diss.3:

VVS

363

Diss.4:

VVS

242

Die Geheimhaltung der Dissertationen hat ihren Grund in deren Inhalt. Weil die JHS den Zweck hatte, den Qualifikation der Mitarbeiter des MfS als Schild und Schwert der SED zu erhöhen, mußte die bei ihr betriebene Forschung ausschließlich dazu dienen, die Arbeit der Staatssicherheit zu verbessern. Die Dissertationen als Ergebnisse dieser Forschung konnten daher keinen anderen Zweck verfolgen. Ob diese Abhandlungen daher die Kriterien erfüllen, die in Deutschland von einer Dissertation, insbesondere von einer rechtswissenschaftlichen, zu verlangen sind 12, ist zweifelhaft. Es geht dabei um die Wissenschaftlichkeit, die davon abhängt, was unter "Wissenschaft" zu verstehen ist. Hier sind Definitionsschwierigkeiten nicht zu verkennen, weil der Begriff umstritten ist. 13 Wer an ihn die Maßstäbe "Vorurteilsfreiheit", "Genauigkeit der Recherchen", "Verifizierbarkeit jeder Aussage" und "autonome Wertbestimmung" legt, muß freilich zum Ergebnis gelangen, daß die an der JHS entstandenen Abhandlungen keinen wissenschaftlichen Charakter haben. Wenn hier auch nur vier von insgesamt 174 Dissertationen besprochen werden, so kann daraus doch der Schluß auf den Charakter aller anderen gezogen werden. Bei einer Einrichtung, die einzig und allein den Zweck hatte, daran mitzuwirken, die Sicherheit eines Staatswesens von ideologischer Prägung zu gewährleisten und zu verbessern, sind Vorurteilsfreiheit und autonome Wertbestimmung von selbst ausgeschlossen. schen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften Walter Ulbricht, Ost-Berlin 1969, S.297. 12 Beispielsweise ist nach Punkt 7 Abs. 1 der Promotionsordnung für den Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin (Amtsblatt der Freien Universität Berlin 111 1992 vom 5. 6. 1992) eine Dissertation ..eine rechtswissenschaftliche Abhandlung, die auf einer selbständigen Forschung beruht und die Fähigkeit zur vertieften rechtswissenschaftlichen Forschung nachweisen muß". 13 Auch wenn der Begriff maßgeblich außerrechtlich zu bestimmen ist, sei doch auf einige wichtige Grundgesetzkommentare hingewiesen: MaunzlDüriglHerzoglScholz, Grundgesetz, Rdnr. 86 zu Art. 5 in der 4. Auflage 1977 passim, verfaßt von Rupert Scholz; Ingo von Münch, Grundgesetzkommentar, Rdnr. 86 zu Art. 5, Band 1,2. Auflage 1982 passim.

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1. Die Quellen

Die Lehren des Marxismus-Leninismus und die Schlüsse der SED-Führung aus ihnen für die jeweils aktuelle politische Lage wurden nach dem Motto "Die Partei hat immer recht" als Axiome behandelt, also als Sätze, die nicht bewiesen zu werden brauchen, weil sie richtig sind, nicht lediglich als Prämissen, also nur als Voraussetzungen, deren Richtigkeit erst noch bewiesen werden muß, als Hypothesen, die erst noch zu verifizieren sind und daher der Gefahr unterliegen, auch falsifiziert zu werden. Diese These entsprach der Auffassung von "Parteilichkeit", die in der ehemaligen DDR Bedingung für jede wissenschaftliche Tätigkeit war. 14 Ferner ist die Zeit zu beachten, während der sie entstanden. Es war die, in der die Bundesregierung unter der Leitung des Bundeskanzlers Brandt die Beziehungen zu den osteuropäischen kommunistischen Staaten zu entspannen versuchte. Das stellte die Führung der SED und damit auch das MfS vor eine neue Lage. Nach außen mußten sie auf den Entspannungskurs einschwenken. Zugleich befürchteten sie aber, ihn zu befolgen, hieße die innere Sicherheit der ehemaligen DDR zu gefährden. Dem MfS oblag, dafür Vorkehrungen zu treffen. Es wurde erkannt, daß nunmehr die geistige Auseinandersetzung an Gewicht gewann. Diese sollte indessen nicht nur auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, sondern auch darüber hinaus betrieben werden. Auch in dieser Beziehung konnte von Vorurteilsfreiheit keine Rede sein. Was das Recherchieren von Sachverhalten angeht, so mußten die Verfasser nach der mündlichen Mitteilung des ehemaligen Leiters des Lehrstuhles "Politisch-ideologische Diversion" an der JHS die Verfasser von Abhandlungen generell die Erkenntnisse anderer Dienststellen des MfS, insbesondere die Hauptabteilung Auf14 Zum Wissenschaftsbegriff in der ehemaligen DDR: Siegfried Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, a. a. 0 wie Anm. I, Rz. 3 zu Art. 17. Der Schluß der hier analysierten Dissertationen auf deren Gesamtheit kann gezogen werden. Als Beispiel soll auf eine Abhandlung verwiesen werden, die wirtschaftliche Probleme behandelt, also außerhalb des Themas dieser Arbeit liegt, nämlich auf die Dissertation ,,zur Vermeidung ökonomischer Verluste und zur Erwirtschaftung zusätzlicher Devisen im Bereich Kommerzielle Koordinierung des Ministeriums für Außenwirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik", vorgelegt von den "Genossen" Alexander Schaick-Golodkowski und Heinz Volpert, betreut von keinem geringeren als dem Minister für Staatssicherheit, Generaloberst Mielke höchstpersönlich. (Horst Fischer, Schaick-Imperium - Ausgewählte Dokumente, 1993, Dokument 9). In den Vorbemerkungen trägt Punkt 1 die Überschrift "Die Konzeptionen des westdeutschen Imperialismus zur Störung der Außenwirtschaftsbeziehungen der DDR und zur Schädigung der Volkswirtschaft". Die Störtätigkeit wird also einfach vorausgesetzt, wird als Axiom angesehen. Punkt 2.3 ist überschrieben: "Die stärkere Einbeziehung der Zollfahndung und der Zollermittlung für das System der Sicherung der Außenhandelsbeziehungen der DDR - die Möglichkeiten dieser Organe zur Aufdeckung begünstigender Bedingungen und Erscheinungsformen der wirtschaftlichen Störtätigkeit sowie zur Vermeidung ökonomischer Verluste". Also schon an sehr früher Stelle werden praktische Ratschläge gegeben. Das wird fortgesetzt in Punkt 2.4 mit der Überschrift: "Die Möglichkeiten einer verstärkten Einbeziehung der Intercontrol GmbH und ihrer Beauftragten in die Bekämpfung der Störtätigkeit sowie zur Verminderung von Devisenverlusten". So geht es weiter in 2.5, 3.2, 3.3, 3.4, 3.5.

I. Die Quellen

27

klärung (HV A) übernehmen, ohne die Möglichkeit der Kontrolle zu haben. Eigene Recherchen waren ihnen verwehrt. Diese wurden indessen nicht mit wissenschaftlichen Methoden, sondern mit den bei Geheimdiensten üblichen, im Falle von MfS besonders zweifelhaften Methoden, gewonnen. Vom Erfordernis gewissenhaften Recherchierens war man also weit entfernt. Außerdem schreckten die Verfasser nach eigener Bekundung nicht davor zurück, Informationen nach Gutdünken zu ergänzen (siehe unten IX. d». Aufmerksamkeit verdient auch die Tatsache, daß der Einfluß der ehemaligen Sowjetunion deutlich sichtbar ist. Die Diss. 1 hatte als wichtigsten Verfasser einen Oberst des KGB, der als Professor an der Hochschule des sowjetischen Geheimdienstes lehrte und es sicher nicht nötig hatte, an der JHS zum Dr. sc. zu promovieren. Ganz offensichtlich war das MfS auch zu dieser Zeit nicht fähig, mit der neuen Lage ohne die Hilfe des "Großen Bruders" auszukommen oder wurde zumindest dafür nicht für fähig gehalten. Charakteristisch ist ferner, daß die neue Lage als Ergebnis der erfolgreichen Politik des kommunistischen Lagers angesehen wurde. Ob die führenden Kräfte der ehemaligen DDR wirklich daran glaubten oder sich damit nur Mut machen wollten, muß dahin stehen. Es kommt auch darauf heute nicht mehr an. Dieses alles wird schon in den einleitenden Ausführungen der Abhandlungen evident. So ergibt sich der Auftrag zur Forschung aus den einleitenden Sätzen der Diss. 2 (S. 8): "Im Führungsseminar 1971 sowie in den nachfolgenden Dienstkonferenzen orientierte der Genosse Minister die Organe des MfS auf die sich herausbildende neue politische Lage und die sich daraus ergebenden politisch-operativen Aufgaben zur Sicherung und Unterstützung der Politik von Partei und Regierung. Der Genosse verwies auf die Notwendigkeit, den Feind mit geeigneten operativen Mitteln und Methoden auf seinem eigenen Territorium empfindlich zu schlagen."

In der Einleitung der Diss. 1 (S. 10 ff.) finden sich Ausführungen über die neue Lage als Erfolg der Politik der sozialistischen Staaten. Es wird einfach vorausgesetzt. An ihm darf nicht gezweifelt werden. So heißt es: "Die erfolgreiche Entwicklung der sozialistischen Staatengemeinschaft und die damit verbundene unaufhaltsame Verlagerung des weltpolitischen Kräfteverhältnisses zugunsten der Kräfte des Friedens und des Sozialismus bestimmen immer stärker den Gang der politischen Entwicklung in der Welt. Diese Entwicklung ist objektiv mit einer Einengung des militärischen, politischen, ökonomischen und ideologischen Bewegungs- und Handlungsspielraums des Imperialismus verbunden. Die neuen Klassenkampfbedingungen führen insgesamt zu einer Verstärkung der Labilität des imperialistischen Systems und schränken seine politische und besonders seine militärische Aktionsfähigkeit wesentlich ein. Zugleich ist die zunehmende Einengung des militärischen, politischen, ökonomischen und ideologischen Bewegungs- und Handlungsspielraums des Imperialismus jedoch mit einem enormen Anwachsen der Aggressivität verbunden, die ihren Ausdruck in der durch den Imperialismus herbeigeführten Verschärfung internationaler Spannungen findet. Deshalb darf, wie der XlV. Parteitag der KPDSU und der VIII. Parteitag der

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I. Die Quellen SED übereinstimmend nachgewiesen haben, die hohe Gefährlichkeit des Imperialismus keinen Augenblick unterschätzt werden."

Der Auftrag für die Diss. 2, die sich mit der Ost- und DDR-Forschung in der Bonner Republik beschäftigte, wird dort (S. 8/9) wie folgt begründet und formuliert: "Die Analyse des feindlichen Vorgehens gegen die sozialistischen Staaten erbrachte verstärkt seit Beginn der siebziger Jahre den Nachweis, daß mit besonderer Unterstützung führender SPD-Politiker die imperialistische Ost- und DDR-Forschung eine immer größere Rolle im System der Feindtätigkeit erhält."

Auch hier wurde eine Behauptung aufgestellt, deren Richtigkeit nachzuweisen erst gar nicht versucht wurde. Sodann wird die Bedeutung des Forschungsvorhabens mit seinem vorweggenommenen Ergebnis begründet: Die Ost- und DDRForschung müsse verstärkt bekämpft werden. Denn sie führe zu subversiven Auswirkungen auf dem Gebiet der DDR, die letztlich zu liquidieren seien. Die Bedeutung wird dadurch unterstrichen, daß der Befehl für das Forschungsvorhaben von höchster Stelle kommt. So heißt es a. a. 0.: "Dies begründet die exakte Bestimmung des politisch- operativen Stellenwertes, den die "Ost- und DDR-Forschung" bei der Korrektur und weiteren Profilierung der außenpolitischen Strategie des Imperialismus der BRD gegenüber den sozialistischen Ländern im allgemeinen und im Zusammenhang mit den vielfältigen Formen und Arten des subversiven Kampfes im besonderen einnimmt. Die operative Bedeutung und die Komplexität einer solchen AufgabensteIlung erbrachte die Notwendigkeit eines Forschungsvorhabens. Deshalb entsprach der 1. Stellvertreter des Ministers, Genosse Generalleutnant Beater, dem Ersuchen des Leiters der HV A, Generalleutnant Wolf, die juristische Hochschule des MfS in Zusammenarbeit mit der Abteilung X der HV A damit zu beauftragen, eine politisch-operative Analyse und Wertung der ,Ost- und DDR-Forschung' vorzunehmen sowie qualifizierte Materialien für die Durchführung politisch- aktiver Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung in der BRD auszuarbeiten. Entsprechend den dienstlichen Bestimmungen ist der Aufklärung der Pläne, Absichten und Maßnahmen der ,Ost- und DDRForschung' und ihrer Führungsorgane, deren Behinderung, Einschränkung und offensive Bearbeitung vorrangige AufgabensteIlung der HV A. Den Diensteinheiten der Abwehr wurde nach den Orientierungen des Genossen Minister die verantwortungsvolle Aufgabe gestellt, im engen Zusammenwirken mit der Aufklärung, die subversiven Aktivitäten der ,Ost- und DDR-Forschung' auf dem Territorium der DDR frühzeitig zu erkennen und zielstrebig zu liquidieren. Dies erfolgt mit den bewährten tschekistischen Methoden der Aufdeckung und politisch- operativen Bearbeitung feindlicher Stützpunkte sowie feindlicher Kanäle, Einfluß- und Abschöpfungsmöglichkeiten auf dem Territorium der DDR."

Unmißverständlich werden die an den Marxismus-Leninismus in der zur Zeit des Forschungsvorhabens geltenden Lesart gebundenen Orientierung und Wertvorgabe verlangt, wenn es heißt: "Für beide AufgabensteIlungen ist die Analyse der ,Ost- und DDR-Forschung' von einern marxistischen Standpunkt, die politisch-operative Einordnung und Wertung dieser

I. Die Quellen

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gesellschaftlichen Erscheinungen in den Herrschaftsmechanismus des Imperialismus der BRD unter seinen veränderten Existenzbedingungen erforderlich." In der Einleitung zur Diss. 3 (S. 6) wird die Bestimmung des spezifischen Forschungsauftrages durch das verlangte Ergebnis ebenfalls evident, indem es auf die Bekämpfung politischer Untergrundarbeit gerichtet wird, hier unter dem Aspekt einer "imperialistischen" Einmischungspolitik und -tätigkeit. So ist a. a. O. zu lesen: "Die Forschungsaufgabe ist ein Bestandteil und zugleich eine Weiterführung der von der Leitung des MfS angewiesenen wissenschaftlichen Untersuchung von politischen, rechtlichen und politisch-operativen Grundfragen, Aufgaben und Lösungswegen zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit." Schließlich gipfelte die Auftragsforschung zur Bekämpfung der "politisch-ideologischen" Diversion in der Diss. 4 als Entwurf eines Lehrbuches und nach eingehender Diskussion unter den Spitzen des MfS zu dem, wie schon erwähnt, nur geringfügig vom Entwurf abweichenden endgültigen Fassung des Lehrbuchs. In der Einleitung zur Diss. 4 (Lehrbuch) heißt es zum Inhalt und damit auch für die maßgebenden Grundsätze für dessen Gestaltung (S. 4): "Es wird der Versuch unternommen, den derzeitigen gesellschaftswissenschaftlichen Erkenntnisstand bzw. auswertbaren politisch-operativen Erkenntnisse des MfS zur politisch-ideologischen Diversion für Ausbildungszwecke aufzubereiten, zu systematisieren und weiterzuentwickeln. Das Lehrbuch kann seine Funktionen im Ausbildungsprozeß nur in Verbindung mit speziellen Vorlesungen, Seminaren und weiterführender Literatur erfüllen." Tatsächlich gehen Entwurf und Lehrbuch gegenüber den anderen genannten Dissertationen in manchen Punkten über das hinaus, was das MfS bis dahin für seinen Erkenntnisstand gehalten hatte. An den für die Ausarbeitung durchweg geltenden Grundsätzen änderte sich nicht das geringste. Typisch für die Dissertationen an der JHS ist ihr starker Praxisbezug. Dafür zeugen nicht nur die verlangten und damit vorausgesetzten Ergebnisse, sondern vor allem, daß aus diesen praktische Folgerungen für die Arbeit des MfS gezogen und dafür Empfehlungen gegeben werden. Diese gehen nicht in Einzelheiten. Solche werden offensichtlich der Befehlsgebung überlassen. Aber die Ratschläge sollen dafür Grundlagen geben und außerdem Hinweise für die Praxis sein. Die Empfehlungen sind Gegenstand des jeweilig letzten Abschnittes oder Kapitels der Abhandlungen oder sogar der beiden letzten, wie sich schon aus deren Überschriften ergibt. So trägt der Abschnitt 5 der Diss. 1 (S. 292 - 369) die Überschrift: "Die Qualifizierung der IMlGMS-Arbeit. Der Einsatz der IMlGMS und die Zusammenarbeit mit ihnen zur zielgerichteten Aufklärung und Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion".

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I. Die Quellen

Die Überschrift zum Abschnitt 6. a. a.

o. (S. 370 - 421) lautet:

"Die Funktionen des IM-Systems bei der Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion".

Das Kapitel 11 im 2. Hauptteil der Diss. 2 (nicht durchnumeriert) trägt die Überschrift: "Die politisch-operativen Materialien zur Bekämpfung der imperialistischen Ost- und DDR-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland durch politisch-aktive Maßnahmen des MfS".

Punkt 4 der Diss. 3 (S. 259 - 343) ist überschrieben: "Völkerrechtliche Möglichkeiten, Anwendungserfahrungen und Vorschläge zur weiteren Erhöhung des Beitrages des MfS bei der offensiven Zurückweisung der von Staatsorganen bzw. Feindzentralen der BRD ausgehenden Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR".

Nach der Überschrift des Punkt 8 der Diss. 4 (Lehrbuch) sind dessen Gegenstand: ,,Ausgewählte Fragen der Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion und ihre Auswirkungen".

Im Lehrbuch von 1988, dessen Grundlage die Diss. 4 bildete, fehlt dieser Abschnitt. In der Vorbemerkung dazu heißt es (S. 5): "Das abschließende Kapitel wird in einem gesonderten Studienmaterial weitergeführt". Warum dieser gerade für ein Lehrbuch wichtige Abschnitt nicht darin aufgenommen wurde, ist nicht festzustellen. Zur Fertigstellung dieses Studienmaterials ist es offensichtlich nicht mehr gekommen. Die analysierten Dissertationen tragen also den Charakter von Rechtfertigungsschriften, verbunden mit Anweisungen zum Handeln. Sie passen sich so vollständig in ein System ein, das ihre Verfasser an wichtiger Stelle getragen haben. Dessen Heilslehre trug in kritischer Sicht ebensolchen Charakter und sollte von den Gewaltunterworfenen verinnerlicht werden, wozu die Indoktrination zu dienen hatte. Sicher sind die Dissertationen Ergebnisse einer Denkarbeit und unterscheiden sich von Erzeugnissen rein propagandistischer Schriften. Ihr Inhalt wird systematisch dargestellt. Die Abhandlungen sind so als Erzeugnisse einer Denkfabrik zu kennzeichnen, wie es solche auch in freiheitlich- demokratischen Ländern gibt. Diese sollen im allgemeinen Politikern Analysen liefern, Folgerungen aus ihnen ziehen und Empfehlungen geben, nicht selten in Variationen. Sie sind Auftragsarbeiten. Indessen unterscheiden sie sich grundlegend von den Erzeugnissen "westlicher" Denkfabriken. Ihre Analyse bezieht sich niemals auf die Politik der Partei- und Staatsführung. Ihre Richtigkeit ist Axiom. An ihr zu zweifeln, ist nicht nur uner-

I. Die Quellen

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laubt, sondern gilt sogar nicht selten als strafbar. Analysiert wird nur das Verhalten derer, die, ob nun im Inland oder im Ausland, anderer Auffassung sind. Deren Haltung wird von vornherein Feindlichkeit unterstellt. Nur aus derartigen Analysen werden Folgerungen gezogen und auf ihrer Grundlage Empfehlungen gegeben, die keine Varianten kennen. Zur Erfüllung solcher Zwecke wäre es nicht erforderlich, derartige Arbeiten mit der Verleihung akademischer Grade auszuzeichnen und ihnen so eine höhere Weihe zu geben. Wenn das doch geschah, so waren dafür mit höchster Wahrscheinlichkeit mehrere Gründe maßgebend. Sollte durch sie die systematische Aus- und Weiterbildung in den theoretischen Grundlagen, den Spezialwissenschaften und - last not least - die marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften sowie das Streben nach hohen wissenschaftlichen Leistungen gefördert werden. 15 Die ,,realsozialistischen" Länder strebten danach, ihre politischen Maßnahmen wissenschaftlich zu rechtfertigen. So sollte offensichtlich· auch dem Tun des MfS eine Grundlage gegeben werden, die für wissenschaftlich gehalten wurde. Die Form einer Dissertation an einer Hochschule verlieh einen entsprechenden Nimbus, insbesondere eine juristische Dissertation. . Wenn die Dissertationen an der JHS der Wissenschaftlichkeit entbehren, die außerhalb der ,,realsozialistischen Staaten" und auch dort im allgemeinen gefordert wird, so bedeutet das nicht, daß sie als bedeutungslos abgetan werden dürften. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Die JHS hatte die Aufgabe, nicht nur der Forschung, sondern auch vor allem der Lehre zu dienen, d. h. sie hatte Offizieren des MfS das nötige Rüstzeug für deren praktisches Handeln zu geben. Die Forschungsergebnisse der Dissertationen dienten als Lehrmaterial. Aus ihnen kann daher entnommen werden, was den Zöglingen der JHS an Kenntnissen beigebracht wurde und vor allem, in welchem Geiste sie ihren praktischen Aufgaben nachkommen sollten. Sie waren nicht "Letztverbraucher", sondern sollten ihren Untergebenen das weitergeben, was ihnen an der JHS beigebracht worden war. Das ist von hohem Erkenntniswert. Für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit haben sie vor allem den Wert, daß aus ihnen das wahre Denken, die eigentliche Bewußtseinshaltung der Mitarbeiter des MfS und damit auch der Partei- und Staatsführung zu erkennen ist. Andererseits stellte sich nach der Wende 1989 heraus, daß es selbst an der JHS Mitarbeiter gab, die in den letzten Jahren der ehemaligen DDR an der Richtigkeit dessen zweifelten, auf das sie sich, aus welchen Gründen auch immer, eingelassen hatten. Zu ihnen ist sogar der ehemalige Mitarbeiter des MfS zu rechnen, der zuletzt ein Jahr lang Leiter des Lehrstuhles für "Politisch-ideologische Diversion" an der JHS gewesen war. Er hat sich dem Verfasser von sich aus als "Quelle" angeboten und ist nach seinem Persönlichkeitsbild für glaubwürdig zu halten. 15 Verwaltungsrecht, Lehrbuch, herausgegeben von der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft, Potsdarn-Babelsberg, Ost-Berlin 1979, s. 529.

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I. Die Quellen

Entscheidend ist indessen, daß anhand der hier analysierten Dissertationen gezeigt werden kann, was der Kern der Macht in der DDR dachte, oft im Gegensatz zu dem, was er verlautbarte. Wenn aus ihm das auf der marxistisch-leninistischen Lehre vom Klassenkampf beruhende atavistische Freund-Feind-Denken deutlich wurde 16 , verwundert das nicht. Höchst erstaunlich ist jedoch, was die Verfasser der Abhandlungen über die Entspannungspolitik der sozial-liberalen Bundesregierung in Wirklichkeit dachten. Deshalb ist es unbedenklich, Ansichten von Promovenden der JHS mit denen des MfS gleichzusetzen, wie in dieser Analyse nicht selten verfahren wird. Wie stark der Druck auf die JHS von oben war, zeigt das Schicksal von kritischen Bemerkungen, die von Gutachtern der Diss. 4 gemacht worden waren. In der endgültigen Fassung im Lehrbuch wurden die als Empfehlungen gedachten Bemerkungen nicht berücksichtigt, weil das MfS nach Auskunft des zuständigen ehemaligen Lehrstuhlinhabers an der früheren JHS, Dietrich Fischer, dieses wegen einiger vorgeschlagener Differenzierungen nicht wollte. Ein weiteres Merkmal des Denkens hoher MfS-Offiziere mit dem Anspruch, wissenschaftlich zu arbeiten, ist die Annahme, Strukturelemente der eigenen politischen Systeme müßte es auch in anderen, sogar in gegensätzlichen geben. Es handelt sich in den analysierten Abhandlungen etwa um die Vorstellung: Weil es in der DDR zentrale Planung und Leitung gegeben habe, hätte das auch in den als "imperialistisch" verschrieenen Staaten so sein müssen. Also wurde zunächst davon ausgegangen, daß auch die PID zentral geplant und geleitet gewesen wäre. Später wurde an dieser Ansicht freilich nur noch eingeschränkt festgehalten. Die Instrumentalisierung der Wissenschaft zum Nutzen der SED-Diktatur ist evident. Nicht die Tatsache, daß den Dissertationen von höchster Stelle gegebene staatliche Aufträge zugrunde liegen, ist ausschlaggebend, sondern daß sie an den von der Partei- und Staatsführung vorgegebenen Ergebnissen orientiert waren. Ebenso zeigt sich in ihnen die Vorstellung, die Rechtsvorschriften freiheitlichdemokratischer Länder hätten zur Vorbeugung und Abwehr von vermeintlichen Gefahren für die ehemalige DDR instrumentalisiert werden können und dürfen, wie auch die eigenen Rechtsvorschriften zum Nutzen und Wohle der realsozialistischen Herrschaft geschaffen und angewendet worden waren. Schließlich zeigt sich in den analysierten Abhandlungen die für die ehemalige DDR typische Auffassung von den polizeilichen Aufgaben, hier erfüllt mit geheimdienstlichen Methoden. Sie sollen nicht nur in der Gefahrenabwehr liegen, sondern wie in vorkonstitutionellen, noch nichtrechtsstaatlichen Herrschaftssystemen in der allgemeinen Gefahrenvorbeugung mit Allgemeinzuständigkeit der Polizei. Gefahr wird schon im regimefeindlichen Denken, in einem falschen Bewußt16 So auch Bernhard Baule, Die politologische Freund-Feind-Differenz als ideologische Grundlage des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), Deutschland Archiv, 2/1991, S.170ff.

Exkurs

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sein gesehen, womit der Charakter der SED-Diktatur als eines bürokratisch-totalitären Systems mit einer den Gewaltunterworfenen zu indoktrinierenden Heilslehre voll bestätigt wird. Als Urheber der Gefahr werden niemals die von der SED geschaffenen inneren Verhältnisse der ehemaligen DDR angesehen, sondern stets Einflüsse von außen, eben die PID. Vor ihr hatte man im MfS entweder große Angst oder man schürte sie geflissentlich, um dessen Bedeutung als Ideologiepolizei zu demonstrieren. Außer den Aufschlüssen über das wirkliche Denken des inneren Zirkels der Partei- und Staatsführung und damit des MfS sind die Abhandlungen der JHS, zumindest die hier analysierten Dissertationen, für die Aufarbeitung der Vergangenheit der ehemaligen DDR wegen eines weiteren Sachverhalts von nicht zu unterschätzendem Wert. Sie genossen nicht ohne Grund einen hohen Geheimnisschutz. Sie enthalten u. a. auch Forschungsergebnisse, die in einem schroffen Gegensatz zu Bekundungen der Partei- und Staats führung dort stehen. Als Beispiel dienen Angaben über die Einstellung der Bevölkerung zum SED-System, die in der alten Bundesrepublik zwar nur von wenigen gemacht, aber vielfach von der veröffentlichen Meinung dort nicht geglaubt wurden, weil sie lediglich auf Erfahrungen beruhten, die empirisch schlecht nachweisbar waren. Man vertraute in Publizistik und auch in Wissenschaft hier meist eher den Selbstzeugnissen der Machthaber dort. Wie falsch das war, kann nunmehr aus Abhandlungen der JHS entnommen werden. Aus einem letzten Grund sind die hier vorliegenden Abhandlungen von Erkenntniswert. Es ist allgemein bekannt, daß die Unterlagen der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A), also der Auslandsspionage, kaum verfügbar sind, weil sie entweder vernichtet oder verschwunden sind. 17 Der erwähnte ehemalige Lehrstuhlinhaber an der JHS berichtete dem Verfasser am 5. 1. 1995, die Angaben in den ausgewerteten Dissertationen über westliche Einrichtungen seien der JHS von der HV A zur Verfügung gestellt worden. So lohnt es sich schon, die Abhandlungen der JHS trotz ihres Mangels an Wissenschaftlichkeit zu analysieren.

Exkurs: Zur Anerkennung der von der JHS verliehenen akademischen Grade

Der Mangel an Wissenschaftlichkeit der an der JHS geschriebenen Dissertationen führt zur Frage, ob die auf deren Grundlage verliehenen akademischen Grade auch im wiedervereinigten Deutschland geführt werden dürfen. Das Problem bezieht sich freilich auf einen relativ geringen Personenkreis, ist aber trotzdem wich17 Nach dem Zweiten Tätigkeitsbericht des BUSt 1995 (S. 50), der erst nach Abschluß des Manuskripts dieser Arbeit vorlag, ist nur wenig orginales Material erhalten geblieben, obwohl die HV A über einen großen Apparat und zahlreiche Spione verfügte.

3 Mampel

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I. Die Quellen

tig, und zwar nicht nur wegen der Gleichwertigkeit akademischer Titel im allgemeinen, sondern auch im Verhältnis zu denen, die in der DDR von normalen Universitäten und Hochschulen auf der Grundlage von wissenschaftlichen Abhandlungen verliehen worden waren. Nach Art. 37 Abs. 1 letzter Satz des Einigungsvertrages 18 bleibt das Recht auf Führung in der ehemaligen DDR erworbener staatlich anerkannter oder verliehen!!r akademischer Berufsbezeichnungen, Grade und Titel ,,in jedem Fall" unberührt, das heißt auch dann, wenn die Gleichwertigkeit eines erworbenen oder staatlich anerkannten schulischen, beruflichen oder akademischen Abschlusses oder Befahigungsnachweises in einem Einzelfall nicht festgestellt werden kann. Es wird also die Gleichwertigkeit anerkannt. Es fragt sich, ob diese Regelung auch auf die Verleihung akademischer Grade durch die JHS angewandt werden kann. Denn eine Ausbildung an der JHS kann nicht erst nach einer Nachprüfung in einem Einzelfall zur Feststellung führen, daß diese nicht zur Befähigung zum Berufsrichter führen kann, sondern es ist in Anlage I (Kap. III, Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz, Sachgebiet A: Rechtspflege Abschnitt III, Punkt 8 y, jj) bestimmt, daß dies generell nicht der Fall ist. Es liegt hier also eine Besonderheit vor, die von der allgemeinen Regelung grundsätzlich abweicht. Offenbar ist im Einigungsvertrag übersehen worden, diese besondere Situation bei der Regelung der Weiterführung akademischer Titel zu berücksichtigen. Aber vielleicht ist auch daran gedacht worden, daß einige Absolventen normaler Universitäten an der JHS promoviert hatten, wenn auch stets als Mitarbeiter oder doch auf Empfehlung des MfS. Wenn das der Fall gewesen sein sollte, war es sicher ein Fehler. Denn gerade die Mitarbeit beim MfS oder dessen Empfehlung hätten nicht der Anlaß sein dürfen, auf diesen Personenkreis Rücksicht zu nehmen. Außerdem ist er nur sehr klein, so daß er durchaus anhand einer Einzelfallprüfung berücksichtigt werden könnte. Abhilfe könnte der Gesetzgeber schaffen. Denn ein Ausweg über die Judikative ist kaum zu finden. Dieser könnte zwar über eine Anzeige wegen falscher Titelführung (§ 132a StGB) eingeschlagen werden. Geltend gemacht werden könnte, daß die Führung eines von der JHS verliehenen akademischen Grades dem ordre public der Bundesrepublik widerspricht. Dabei wäre auf den amtlichen Protokollvermerk zu Nr. 2, Kap. 11, Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern, Sachgebiet A: Staats- und Verwaltungsrecht, Abschnitt 11 des Einigungsvertrages hingewiesen werden, demzufolge von der ehemaligen DDR verliehene Auszeichnungen nur dann weiter geführt oder getragen werden dürfen, wenn das dem ordre public der Bundesrepublik Deutschland nicht widerspricht. Eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung empfiehlt sich zwar. Aber aus subjektiven Gründen würde eine strafrechtliche Verfolgung wegen mangelnden Unrechtsbewußtseins höchstwahr18 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - vom 31. 8. 1990 (BGB!. 11 S. 889).

Exkurs

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scheinlich scheitern. So könnte zwar im Einzelfall objektiv die Unrechtsmäßigkeit der Führung eines von der JHS verliehenen akademischen Grades festgestellt werden. Indessen ist kaum anzunehmen, daß die Justiz sich dieser Frage annimmt. Denn sie ist ihrem Wesen nach Sache einer fachkundigen Verwaltungsbehörde.

11. Der Begriff der politisch-ideologischen Diversion und sein Entstehen Der Begriff der politisch-ideologischen Diversion (im folgenden abgekürzt mit pm) ist vom MfS für seine Zwecke geprägt und wird offensichtlich nur von ihm gebraucht.

In der Diss. 4 auf Seite 9 1 der Anm. 1 ist zu entnehmen, daß der "von der Partei, vom Genossen Minister bei öffentlichkeits wirksamen Reden und Aufsätzen, von Gesellschaftswissenschaftlern der DDR, der Sowjetunion und anderer sozialistischer Länder verwendete Begriff ,IDEOLOGISCHE DIVERSION' identisch ist mit dem im MfS verwendeten Begriff "politisch-ideologische Diversion". Ferner heißt es dort, daß weitere in der Parteiliteratur, in gesellschaftlicher bzw. militärwissenschaftlicher Literatur und anderen Veröffentlichungen verwendete Begriffe wie "PSYCHOLOGISCHE KRIEGFÜHRUNG", "IDEOLOGISCHER KRIEG", "KRIEG IN DER VIERTEN DIMENSION" und andere in der Regel synonym gebraucht würden, aber oft auch weitergehende oder abweichende Inhalte bzw. Bedeutungen hätten. Letztere Begriffe können hier vernachlässigt werden. Es ist aber der Frage nachzugehen, warum das MfS in seinem internen Sprachgebrauch sich nicht mit dem "landläufigen" Begriff "ideologische Diversion" begnügte, sondern sich für die Verwendung eines eigenen Begriffs für dieselbe Sache entschieden hatte. Dazu ist es nützlich, von der Definition des Begriffs "ideologische Diversion" auszugehen. Aus der Erläuterung dieses Begriffs im "Kleinen politischen Wörterbuch,,2 ist unter diesem zu verstehen: - die Einschleusung der bürgerlichen Ideologie in die sozialistischen Länder im breiten Umfang, - die Begrenzung des Einflußbereichs des Sozialismus, - die Untenninierung der Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft, - die Verbreitung dem Sozialismus fremder und feindlicher Lebens- und Verhaltensweisen. Die ideologische Diversion bezwecke, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die sozialistische Ordnung auf lange Sicht auch für den Einsatz anderer, vor allem 1 Es werden die Seiten der Diss. 4 genannt, nicht des Lehrbuches mit nahezu identischem Inhalt. 2 Kleines Politisches Wörterbuch, Berlin-Ost 1973, S. 245.

11. Der Begriff der PID und sein Entstehen

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militärischer Kampfmethoden, stunnreif zu machen, die der Imperialismus auch unter den Bedingungen der Durchsetzung der Politik der friedlichen Koexistenz im Arsenal des anti sozialistischen Kampfes bereithalte. Im Sprachschatz des MfS tauchte, soweit feststellbar, der Begriff der PID relativ spät auf. Das Gesetz über die Bildung des Ministeriums für Staatssicherheit vom 8. 2. 19503 war ein Organisationsgesetz, das über dessen Aufgaben kein Wort verlor. Auch in dem zur Geheimen Kommandosache erklärten und in nur zwei Exemplaren hergestellten Beschluß des Nationalen Verteidigungsrates vom 3. 7. 19694 über das Statut des MfS war unter dessen Aufgaben lediglich allgemein von der offensiven Aufdeckung geheimer subversiver Pläne und Absichten feindlicher Agenturen gegen die DDR und anderer sozialistischer Länder die Rede, worunter auch die PID verstanden werden konnte, ohne daß sie ausdrücklich genannt wurde. In einem Lagebericht des Referats 5/1 der Hauptabteilung V des MfS über die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses Freiheitlicher Juristen aus dem Jahre 1961 (MfS-Archiv-Nr. 1725/64, S. 4) wird als eines seiner Hauptanliegen schlicht "die ideologische Diversion" genannt. Wie in der Diss. 1 (S. 16/17) zu lesen ist, hatte der "Genosse Minister" in seinem Referat auf dem Führungsseminar der JHS im März 1971 5 nachdrücklich unterstrichen, daß sich die Systemauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus zunehmend auf den politisch-ideologischen Kampf verlagere; die politischideologische Auseinandersetzung sei zu einem entscheidenden Faktor im Kampf um die Frage "Wer - wen?" geworden. Der Begriff PID wird im Referat offenbar noch nicht verwendet. Trotzdem scheint er schon vorher gebraucht worden zu sein. Denn der Ministerbefehl Nr. 11166 vom 15. 5. 1966 (VVS MfS 008 Nr. 366/66) erging "zur politischoperativen Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion und Untergrundtätigkeit unter jugendlichen Personenkreisen der DDR". Wenn auch der Begriff PID verwendet wird, blieb er doch ohne Definition. Allerdings wird kein Hehl daraus gemacht, um was es ging. Einleitend hieß es darin, die Mehrheit der Jugend in der DDR nehme aktiv Anteil am umfassenden Aufbau des Sozialismus und zeige auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens vorbildliche Leistungen. Diesen Entwicklungsprozeß versuche der Gegner zu stören, um junge Bürger der DDR dem Einfluß der sozialistischen Erziehung zu entziehen, sie zur Passivität zu verleiten, den Zusammenschluß negativer Kräfte unter Anleitung von Organisatoren feindlicher Handlungen zu fördern mit dem Ziel, kriminelle und staatsfeindliche Handlungen zu provozieren und auszulösen. Schon 1966 führte das MfS vermeintliche und sicher auf wirkliche Verfehlungen auf feindliche Einflüsse im mentalen BeGBVDDR I S. 95. Hier zitiert nach Horst Fischer, Scha1ck-Imperium, Ausgewählte Dokumente, Bochum 1993, Dokument 5. 5 Der Text des Referates ist im Archiv des ehemaligen MfS zur Zeit (noch)? nicht auffindbar. 3

4

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11. Der Begriff der PID und sein Entstehen

reich zurück. Der Anlaß des Befehls war, wie dessen zweiter Absatz zeigt, daß der Anteil von Jugendlichen unter 25 Jahren nicht nur an kriminellen, sondern auch an staatsfeindlichen Handlungen hoch war. Daher sah das MfS es als seine Aufgabe an, die Jugend der DDR vor "feindlichen Einflüssen" zu schützen, auf die dieser große Anteil zurückzuführen sei. Der Befehl dokumentiert die Rolle des MfS als Ideologiepolizei, wenn auch beschränkt auf Jugendliche, schon recht früh. Der Befehl Nr. 40/68 des Ministers für Staatssicherheit vom 2. 12. 1968 (GVS 008 Nr. 471/69) "über die Durchführung politisch-operativer Maßnahmen zur Ausschaltung des Überraschungsmomentes und zum rechtzeitigen Erkennen einer akuten Kriegsgefahr" beschäftigte sich in einer ausführlichen Begründung u. a. mit dem angeblichen "System der Kriegsvorbereitung auf ideologischem Gebiet". Dies sei u. a. darauf gerichtet, "mit der Anwendung raffiniert ausgeklügelter Methoden der politisch-ideologischen Diversion und psychologischen Kriegführung" (Hervorheb. vom Verf.) zu erreichen, "nachhaltigen Einfluß auf labile und schwankende Teile der Bevölkerung auszuüben, um so ideologische, aber auch militärische Stützpunkte des Gegners zu schaffen". Hier wird also nicht nur ein Zusammenhang der PID mit der PUT, sondern sogar jene als Akt der Kriegsvorbereitung angesehen. In engem Zusammenhang mit der Darstellung der Befehlsgebung zur Bekämpfung der PID in der Diss. 1 wird darin (S. 280) der Grund dafür angegeben, daß allein das MfS diese Aufgabe erfüllen könne, also auch die Funktion einer Ideologiepolizei haben müsse. Denn die Bekämpfung der PID sei "immanenter Bestandteil des Kampfes gegen den Feind durch alle politisch-operativen Sicherheitssysteme" (Hervorheb. vom Verf.). Es könnten keine selbständigen operativen Sicherheitssysteme zur offensiven Bekämpfung der PID geschaffen werden. Das würde, wie es unter Hinweis auf die Ergebniszusammenfassung einer Konferenz der JHS vom 2. 7. 1970 weiter heißt, "der Komplexität und den Systemcharakter der Feindtätigkeit als auch der Notwendigkeit und Forderung ihrer komplexen und systernhaften Bekämpfung nicht gerecht werden". Im Befehl 40/68 wurde ein Schwerpunkt bei der Bekämpfung der PID der Hauptabteilung XX des MfS gebildet. Diese solle sich u. a. auf ,,- spürbar nachteiliges Wirken der politisch-ideologischen Diversion unter bestimmten Kreisen und Schichten der Bevölkerung, vor allem unter Kulturschaffenden, Schriftstellern, Redakteuren und ähnlichen Personenkreisen, die offen und verstärkt hetzerisch auftreten und als ,Sprachrohr' des Feindes besonders gefährlich werden können; - Auftreten von Aufweichungstendenzen und Unzufriedenheitsbekundungen, Vorlesungs streiks und anderen bemerkenswerten negativen Erscheinungen an Hoch- und Fachschulen" erstrecken. Dieser Befehl sollte also über die Jugend hinaus Meinungsmultiplikatoren und speziell auch Studenten vor den Einflüssen der PID bewahren - Personenkreise,

II. Der Begriff der PID und sein Entstehen

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die aus der Sicht der SED-Führung und damit auch des MfS offenbar für besonders "anfällig" gehalten wurden. In diesem Zusammenhang ist auch der Befehl Nr. 20/69 und die Dienstanweisung Nr. 3/69 zur Organisierung der politisch- operativen Arbeit in den Bereichen der Kultur und Massenkommunikationsmittel erwähnenswert. Er geht nämlich davon aus, daß die Bereiche Kultur und Massenkommunikationsmittel eine "bedeutende Stellung bei der politisch-ideologischen Erziehung und Bildung der Menschen und im Klassenkampf zwischen Sozialismus und Imperialismus" einnähmen, wie die Diss. 1 (S. 285) hervorhebt. Der Bekämpfung der PID sollte ferner die Richtlinie Nr. 1/71 des Ministers zur Organisierung der operativen Personenkontrolle dienen. Denn, wie in der Diss. 1 (S. 283) zu lesen ist, war die operative Personenkontrolle "ausgehend von den Zielen und der speziellen politisch-operativen Methodik" ein "bedeutsamer operativer Prozeß zur Aufdeckung und Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion". Den genannten Befehlen gemeinsam ist, daß sie zwar umschreiben, was unter PID zu verstehen ist, aber von der Formulierung einer Definition absehen. Das gilt auch für die Ausführungen des "Genossen Minister" auf seinen regelmäßig durchgeführten Dienstkonferenzen und Tagungen mit leitenden Mitarbeitern "aller operativer Linien". Nach der Diss. 1 (S. 287) spielen diese zwar eine wesentliche Rolle für die "Organisierung und Durchführung der politisch-operativen Arbeit im Kampf gegen die PID". Sie bildeten die Grundlage für die Führungs- und Leitungstätigkeit auf allen Ebenen und in allen ,,Linien" des MfS 6 • Ihre ,,konsequente und allseitige Durchsetzung" sei eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Bekämpfung der PID. Erst als im Zuge der Entspannungspolitik das MfS seine Tatigkeit vermehrt auf die Abwehr geistiger Einflüsse von außen verlagerte und deshalb der JHS, wie oben (Abschnitt I) dargestellt wurde, befohlen wurde, entsprechende Forschung zu betreiben, wurde daran gegangen, sich näher mit dem "Wesen" der PID zu befassen und für diesen Begriff Formulierungen zu finden. Der Anfang wurde mit der Diss. I gemacht, die, wie berichtet, unter starkem sowjetischen Einfluß entstanden war. Darin wurde das Wesen der PID so definiert (S.33): "Die politisch-ideologische Diversion ist der bewußte, planmäßige und differenzierte Kampf imperialistischer Kräfte und Einrichtungen, die unter Einsatz eines Komplexes 6 Das Linienprinzip war nach dem "Wörterbuch der Staatssicherheit" (Veröffentlichungen der Abteilung Bildung und Forschung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR [BFIBStUj, Reihe A, Nr. 1193, S. 243) ein Grundsatz des Organisationsaufbaus des MfS. Danach hatten operative Diensteinheiten sowohl auf zentraler als auch auf bezirklicher Ebene die spezifische Verantwortung für die Sicherung bestimmter gesellschaftlicher Bereiche, für die Bekämpfung bestimmter Angriffsrichtungen des Feindes bzw. die Realisierung spezifischer operativer Arbeitsprozesse (z. B. Untersuchung oder Observation).

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11. Der Begriff der PID und sein Entstehen von subversiven Mitteln vorwiegend getarnt und verdeckt gegen die Theorie und Praxis des Sozialismus mit dem Ziel ankämpfen, in einem mehrstufigen Prozeß die ideologische Substanz und die politischen Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft von innen heraus zu zersetzen (Hervorheb. vom Verf.), im Inneren der sozialistischen Länder den Widerstand gegen die führende Rolle der kommunistischen Parteien und des sozialistischen Staates zu organisieren und über die ,Sozialdemokratisierung' und ,Liberalisierung' der sozialistischen Gesellschaft den Prozeß der Restauration der imperialistischen Verhältnisse in Gang zu setzen."

Hinzugefügt wird (S. 33/34): "Die Bestimmung des Wesens der politisch-ideologischen Diversion bringt zum Ausdruck, daß der Gegner mittels dieses Systems die sozialistische Gesellschaft in ihrer Gesamtheit angreift, um Bedingungen zur Vorbereitung, Organisierung und Entfaltung der schleichenden Konterrevolution zu schaffen .... "

Die Diss. 1 versucht auch eine Erklärung über das Entstehen des Begriffs der PID zu geben. Es ist daraus zu entnehmen (S. 28129), daß das Kollegium des Ministeriums für Staatssicherheit in Auswertung verschiedener Analysen zum Wesen der psychologischen Kriegführung bereits im Jahre 1958 den Schluß gezogen habe, daß der Gegner seine Anstrengungen besonders darauf konzentriert hätte, den Wirkungsprozeß der politisch-ideologischen Zersetzungstätigkeit, angefangen von der Störung der sozialistischen Bewußtseinsbildung bis zur Aktivierung und Stimulierung staatsverbrecherischer Handlungen zu tarnen und schwer durchschaubar zu machen. Das demagogische Verschleiern und Verdecken der antisozialistischen Zielstellung der politisch-ideologischen Zersetzungstätigkeit wäre gegenwärtig (d. h. im Jahre 1971, der Zeit, zu der die Diss. 1 geschrieben wurde - der Verf.) besonders von den Aufweichungsexperten der SPD betrieben worden. Das hätte das Kollegium veraniaßt, den Begriff der Diversion, der bis dahin im militärischen und ökonomischen Bereich verwandt worden sei, auf die hinterhältigen politischideologischen Angriffe des Feindes zu übertragen und das Wesen der psychologischen gegen die sozialistischen Länder mit dem Begriff "politisch-ideologische Diversion" genau zu präzisieren. Dazu beruft sich die Diss. 1 auf Referate, die der 1982 verstorbene Bruno Beater (letzter Dienstgrad: Generaloberst, letzte Dienststellung: Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit) in den Jahren 1958 und 1962 an der JHS gehalten hatte 7 . Damit ist wohl die Verwendung des Begriffs "Diversion" erklärt, aber noch nicht, warum diese vom MfS nicht "ideologische Diversion", wie etwa im zitierten "Kleinen Politischen Wörterbuch"g, sondern "politisch-ideologische Diversion" genannt wird. Der Zusatz "politisch" geht nach Dietrich Fischer (Gespräch vom 4. 1. 1995) auf sowjetischen Einfluß zurück. In der UdSSR hatte sich diesem zufol7 Leider ist der Text auch dieses Referates im Archiv des ehemaligen MfS (noch?) nicht auffindbar. 8 Wie Anm. 2.

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ge in einem Meinungsstreit die Ansicht durchgesetzt, die Diversion hätte sich nicht auf die Ideologie beschränkt, sondern sich auch und vielleicht sogar vor allem gegen die politischen Machtverhältnisse gerichtet. Das hätte im Zusatz "politisch" ausgedrückt werden sollen. Die Erklärung bestätigte die Schlüsse des Verfassers dieser Analyse, die dieser aus einem Vergleich der beiden Definitionen zieht. Dabei fallen folgende Unterschiede auf: 1. Während in der Definition des "Kleinen Politischen Wörterbuches" wohl von den Grundlagen der sozialistischen Gesellschaftsordnung gesprochen wird, die von der ideologischen Diversion unterminiert werden soll und nur in einem hier nicht zitierten Nebensatz u. a. die Liquidierung der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei erwähnt wird, ist in der Definition der PID in der Diss. 1 die Organisation des Widerstandes gegen die führende Rolle der marxistisch- leninistischen Partei und des sozialistischen Staates ein wesentlicher Bestandteil. 2. Damit wird eine enge Beziehung zwischen der PID und der PUT - politische Untergrundtätigkeit - (anders konnte der Widerstand gegen die führende Rolle der Partei und den sozialistischen Staat nicht organisiert werden) hergestellt. Mit der Behauptung, PID und PUT ständen im engen Zusammenhang, die PID führe unweigerlich zur PUT, wird in der Definition selbst die Tätigkeit des MfS bei der Bekämpfung der PID, also dessen Eigenschaft als Ideologiepolizei, gerechtfertigt. Deutlich wird auch, daß die politische Macht, in der ehemaligen DDR die der SED, ihre Suprematie, ebenso ein konstantes Element einer totalitären Herrschaft ist, wie der Griff auf das Denken der Menschen, auf ihr Bewußtsein mittels der Indoktrination einer Heilslehre, in der ehemaligen DDR des Marxismus-Leninismus. 3. In der Definition der PID in der Diss. 1 wird der Einsatz eines Komplexes von subversiven Mitteln und Methoden vorwiegend getarnt und verdeckt gegen die Theorie und Praxis des Sozialismus mit Nachdruck betont. Im "Kleinen Politischen Wörterbuch" ist davon nichts zu lesen. In hier nicht zitierten Stellen wird darin auf die systematische Verbreitung der PID durch Massenmedien, Propagandazentralen und wissenschaftliche Forschungsinstitute abgestellt. Es werden zwar auch "Sozialdemokratismus" und andere von Revisionisten aller Schattierungen propagierte "Modelle" für einen verbesserten Sozialismus, eine dezentralisierte Wirtschaft, Demokratisierung und Entideologisierung des gesellschaftlichen Lebens angesprochen, aber die Methoden werden noch nicht als "verdeckt und getarnt" bezeichnet. Die Diss. 2 (1974) und 3 (1980) bringen keine Definition der PID. In der Diss. 2 wird die Ost- und DDR-Forschung der Bonner Republik als PID behandelt, ohne daß der Begriff erläutert würde. Ebenso wird in der Diss. 3 der Begriff PID ohne Erklärung verwendet, wenn darin ausgeführt wird, daß die PUT von der PID inspiriert würde (S. 22) und der Imperialismus im Interesse seiner konterrevolutionären Zielsetzung PID und Völkerverhetzung betreibe (S. 24).

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In zeitlicher Abfolge befindet sich in dem im April 1985 in letzter Auflage von der JHS herausgegebenen Werk "Das Wörterbuch der Staatssicherheit - Definitionen des MfS zur politisch-operativen Arbeit" (GVS JHS 001-400/81 9) eine weitere Erläuterung des Begriffs PID. Darin wird einleitend die PID als "Bestandteil der gegen den realen Sozialismus gerichteten Subversion des Feindes, der die subversiven Angriffe auf ideologischem Gebiet umfaßt" bezeichnet. Als etwas Neues ist zu registrieren, daß hier in einem Satz zweimal auf eine subversive Tätigkeit abgestellt wird. Damit soll offensichtlich verdeutlicht werden, daß mit PID nicht die offene geistige Auseinandersetzung gemeint ist, wie sie zu dieser Zeit besonders zwischen SPD und SED versucht wurde. 10 Im einzelnen wird hier unter PID verstanden: 1. Die Zersetzung des sozialistischen Bewußtseins bzw. die Störung und Verhinderung seiner Herausbildung; 2. Die Untergrabung des Vertrauens breiter Bevölkerungskreise zur Politik der kommunistischen Parteien und der sozialistischen Staaten; 3. Die Inspirierung antisozialistischer Verhaltensweisen bis hin zur Begehung von Staatsverbrechen; 4. Die Mobilisierung feindlich-negativer Kräfte in den sozialistischen Staaten; 5. Die Entwicklung einer feindlichen, ideologischen, personellen Basis in den sozialistischen Staaten zur Inspirierung politischer Untergrundtätigkeit; 6. Das Hervorrufen von Unzufriedenheit, Unruhe, Passivität und politischer Unsicherheit unter breiten Bevölkerungskreisen. Hinzugefügt wird, die subversiven Angriffe richteten sich besonders gegen die politische Macht der Arbeiterklasse und ihre marxistisch-leninistischen Parteien, den Marxismus- Leninismus als Weltanschauung der Arbeiterklasse in seiner Gesamtheit, die Rolle und Stellung der UdSSR und der KPdSU in der sozialistischen Staatengemeinschaft und im Friedenskampf, den proletarischen Internationalismus und die Einheit und Geschlossenheit der europäischen und internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung. An dieser neuen Definition ist bemerkenswert, daß sie den angeblichen Angriff auf das schon vorhandene oder noch im Entstehen befindliche "sozialistische Bewußtsein" der Menschen zuerst nennt, was als Aufgabe des MfS die von ihm zu leistende Vorbeugung, impliziert (Punkte 1. und 2.). Sodann wird, wie schon vorWie Anm. 6, S. 323. Nach dem Abschluß des "Grundlagenvertrages" zwischen der Bonner Republik und der damaligen DDR vom 21. 7. 1972 (BGB!. 11, S. 423) führten die "Grundwertekommission der SPD" und die ,,Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED" langandauemde Gespräche, die am 27. 8. 1987 ein gemeinsames Papier "Streit der Ideologie und die gemeinsame Sicherheit" (Text im Deutschland Archiv, 1/1968, S. 86) erbrachte. 9

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her, in die Erläuterung aufgenommen, daß die PID zur PUT führe (Punkt 3.). Als neue Elemente tauchen dann auf, daß die PIDIPUT zur Mobilisierung feindlicher Kräfte in den sozialistischen Staaten und sogar zur Bildung von personellen Basen führe, womit offenbar Zusammenkünfte reformerischer und sogar gegnerischer Menschen gemeint sind (Punkte 4. und 5.). Neu ist auch, daß die PID auf Passivität und Unsicherheit "unter breiten Bevölkerungskreisen" ziele, daß diese von der "bewußten Mitgestaltung an der sozialistischen Gesellschaft" abgehalten werden sollten und damit der. Gefahr ausgesetzt seien, zum Spielball gegnerischer Kräfte zu werden (Punkt 6.). Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß hier damals aktuelle Entwicklungen in den osteuropäischen Ländern vom MfS mit Argwohn betrachtet wurden, weil befürchtet wurde, sie würden, wie es dann auch geschah, auf die DDR übergreifen, wobei freilich dem MfS der übliche Fehler unterlief, den angeborenen, urwüchsigen Freiheitswillen der Menschen in der ehemaligen DDR zu mißachten und ihr Denken, Fühlen und Handeln auf PID zurückzuführen. Wenn die Definition im "Wörterbuch der Staatssicherheit" als Angriffsziel der PID das nennt, was es als Macht der Arbeiterklasse und ihrer Parteien bezeichnet, was in Wirklichkeit die ungehemmte, auf Dauer angelegte Herrschaft der Parteiführung war, so wird auch damit die Tätigkeit des MfS als Ideologiepolizei in seiner Aufgabe als "Schild und Schwert" der SED, genauer gesagt, ihrer Führung, gerechtfertigt. Die letzte Definition der PID vor der Auflösung des MfS brachten die Diss. 4 und gleichlautend das entsprechende Lehrbuch. In der Diss. 4 (S. 9) ist, offenbar aus didaktischen Gründen in einem Kasten, zu lesen: "Das Wesen der politisch-ideologischen Diversion wird aus der Sicht des MfS mit folgenden grundlegenden Aussagen bestimmt: POLITISCHE-IDEOLOGISCHE DIVERSION (PID) ist das subversive ideologische Einwirken des Imperialismus auf das gesellschaftliche Bewußtsein in sozialistischen Staaten und das individuelle sozialistische Bewußtsein ihrer Bürger, insbesondere durch das planmäßige und systematische Verbreiten von Konzeptionen, Anschauungen, Wertungen und Grundsätzen, deren Inhalt sowohl von militant-grobschlächtigen als auch von flexibel-verschleiertem Antikommunismus geprägt ist. Sie ist Ausdruck des aggressiven Wesens des Imperialismus. Mit ihr wird das subversive Ziel verfolgt, in den sozialistischen Staaten in einem langfristigen Prozeß entscheidende ideologische Voraussetzungen für konterrevolutionäre Veränderungen zu schaffen. Diese Zielstellung schließt ein, die sozialistische Bewußtseinsentwicklung zu verhindern, das sozialistische Bewußtsein ihrer Bürger zu zersetzen, feindlich-negatives Handeln zu aktivieren. Sie wird durch das imperialistische Herrschaftssystem entsprechend den strategischen Grundlinien seines Kampfes gegen die sozialistischen Staaten konzipiert, durch spezielle Einrichtungen und Organe in imperialistischen Ländern geleitet, unter Anwendung und Mißbrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden vorbereitet und vor allem über elektronische Medien, den Mißbrauch von Kontakten und die Einschleusung von Informationsträgern in sozialistische Länder realisiert. Sie vergiftet die normalen Beziehungen zwischen den Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung und ist unvereinbar mit den Prinzipien der friedlichen Koexistenz."

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Zu dieser Definition heißt es in dem Gutachten des Oberstleutnant Professor Dr. sc. Fischer von der JHS (S. 2) zur Diss. 4 (Lehrbuch): "Der Neuwert der Forschungsergebnisse wird insbesondere in der Darstellung des Wesens der politisch-ideologischen Diversion, den herausgearbeiteten Merkmalen und den subversiven Zielstellungen deutlich. Es ist den Autoren gelungen - entsprechend den Anforderungen eines Lehrbuches - übersichtlich, systematisch und überzeugend das Wesen der politisch-ideologischen Diversion herauszuarbeiten und darzulegen."

Als Unterschiede zu den vorangegangenen Definitionen sind vor allem folgende zu registrieren: 1. Nicht nur das "gesellschaftliche" Bewußtsein, sondern auch das "individuelle" Bewußtsein der Bürger erschien als Angriffsziel der PID. Welche praktische Bedeutung das gehabt haben könnte, bleibt unklar, auch wenn man davon ausgeht, daß offenbar die Verfasser der Diss. 4 davon ausgingen, das gesellschaftliche Bewußtsein sei etwas anderes als die Summe des Bewußtseins von Individuen, indem sie, dem Vorbild der UdSSR folgend, die Lehren von Sigmund Freud nicht ignorierten. 11 2. Nachdem bereits in der Diss. 2 (1. Hauptteil, S. 28ff.) eine Differenzierung im Antikommunismus der Bundesrepublik als Folge des Grundlagenvertrages festgestellt worden war, wurde nunmehr zwischen einer "militant-grobschlächtigen" und einer "flexibel-verschleierten" Methode des Antikommunismus differenziert. Darauf wird insbesondere bei der MfS-Analyse der Ost- und DDR-Forschung in der Bonner Republik während der Entspannungspolitik zurückzukommen sein. 3. Deutlicher als zuvor wird gemacht, daß der PID trotzdem eine einheitliche Konzeption zugrunde liege und diese zentral geleitet, verbreitet und realisiert würde. 4. Hervorgehoben wird, daß die PID wissenschaftlich vorbereitet würde. 5. Als Instrumente der PID werden nunmehr nicht nur die Massenmedien, sondern auch die Kontakte zwischen den Menschen in den unterschiedlichen Staatsund Gesellschaftsordnungen und die Einschleusung von Informationsträgem in die sozialistischen Länder genannt. Damit wird deutlich, daß das MfS in den vermehrten Begegnungen von Menschen in West und Ost eine Gefahr für die Sicherheit der ehemaligen DDR und deren diktatorische Führung, für die Suprematie der SED, sah. Die Veränderungen in der Definition des Begriffs PID zeigten, daß die JHS sich gewandelten Verhältnissen anzupassen versuchte, wobei freilich das Feindbild un11 Artikel "Bewußtsein" in "Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft, eine vergleichende Enzyklopädie" (Herausgeber: C. D. Kernig in Zusammenarbeit mit anderen), 1966, Bd. I, Sp. 715ff.

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verändert blieb. So unternahm sie auf ihre Weise, dem MfS zu helfen, dessen Aufgabe als "Schild und Schwert" der SED- Führung zu erfüllen. Wandlungen sind dem Marxismus-Leninismus nicht fremd. Er hat sie gerade auf ideologischem Gebiet unter Beweis gestellt. Nach Marx wird das Bewußtsein der Menschen durch ihr gesellschaftliches Sein bestimmt. 12 Lenin machte dann insofern einen Rückzieher, als er meinte, das Bewußtsein sei nur "annähernd" eine Widerspiegelung des Seins. 13 Bereits er maß ihm in revolutionären Umwälzungen hohe Bedeutung ZU. 14 Stalin meinte, der theoretische Überbau habe starke Wirkungen auf die Veränderungen in der Basis und hielt die Änderung des gesellschaftlichen Bewußtseins durch ideologische Indoktrination, mit anderen Worten: die Manipulation der Massen, für ein unverläßliches Erfordernis. 15 In der Zeit nach Stalin wurde ein Gleichgewicht zwischen Basis und Überbau angenommen. 16 Indessen war für die DDR ein Beharren auf Stalinsche Positionen mindestens insoweit erforderlich, als ein Verzicht auf die ideologische Indoktrination für das totalitäre System der ehemaligen DDR die Gefahr heraufbeschworen hätte, es ins Wanken zu bringen. Um dieser zu begegnen, sah sich das MfS und mit ihm die JHS bei ihrer auf Befehl betriebenen Forschung in der Pflicht, alles zur Abwehr dieser Gefahr zu tun. Da weder die SED-Führung noch mit ihr das MfS und die JHS den authochtonen Freiheitswillen des Volkes in der ehemaligen DDR in der Lage waren zu erkennen, war die Bekämpfung der angeblichen PID ein Kampf gegen Windmühlen. Das stellte sich dann 1989 heraus.

12 Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Karl MarxJF. Engels, Werke, BerlinOst 1956 ff., Band 13, S. 8. I3 W. I. Lenin, Materialismus und Empiriokratismus, Werke, deutsch Berlin-Ost 1956 1968, Bd. 14, S. 324, S. 329. 14 W. I. Lenin, a. a. O. wie Anm. 13, Band 13, S. 13 ff., Band 30, S. 163 ff., zitiert nach Stichwort "Historischer Materialismus", a. a. 0 wie An'm. 11. 15 J. W. Stalin, Über den dialektischen und historischen Materialismus, Berlin-Ost 1950, S. 647 ff. 16 Enzyklopädie, a. a. O. wie Anm. 11.

111. Die Funktionen der politisch-ideologischen Diversion Nach der Definition des Begriffs PID sind auf deren Grundlage den Diss. folgend ihre Funktionen näher zu beschreiben. Die Diss. 1 nennt deren sechs (S. 34 ff.): 1. Die systemzersetzende und systemzerstörende PID wird als Form der subversiven Tätigkeit, die für den Gegner objektiv notwendig sei, um alle anderen subversiven Mittel und Methoden gegen die sozialistis'che Gesellschaft zu aktivieren und funktionsfähiger zu gestalten, bezeichnet. Die PID nimmt danach also eine Schlüsselstellung ein, womit ihre Bedeutung besonders betont wird. Sodann wird ausgeführt, die PID beinhalte ,,hinterhältige und raffinierte feindliche Aktionen in der intellektuellen und emotionalen Sphäre", die darauf gerichtet seien, einen bestimmten Zielbereich - in Gestalt einer Person, Gruppe, Organisation, Objekt, gesellschaftlichen Bereich bzw. der gesamten sozialistischen Gesellschaft - ideologisch so zu ersetzen und zu beeinflussen, daß sich die in diesen Bereichen tätigen Personen, grundsätzlich oder in wichtigen Teilfragen mit den ideologischen und politischen Positionen der imperialistischen Mächte identifizierten und davon ausgehend "subversive Aktionen gegen die sozialistische Gesellschaft" organisierten und durchführten. So sollten im Innern der sozialistischen Gesellschaft feindliche Potenzen und feindliche ideologische Stützpunkte geschaffen und aktiviert, die "staatsverbrecherische" Tätigkeit stimuliert und die Bedingungen für die Vorbereitung und Durchführung nicht etwa schlechthin der Konterrevolution, sondern der "schleichenden" geschaffen werden. Es wird die Furcht nicht so sehr vor einem gewaltsamen Umsturz des totalitären Systems erkennbar, sondern vor einem allmählichen Wandel, einer Aufweichung in Richtung auf eine langsame Veränderung der Zwangsherrschaft, vor allem die Angst, die auch die Teile des Volkes, die bisher die kommunistische Herrschaft unter dem Einfluß der ideologischen Indoktrination zu unterstützen bereit waren, nunmehr ihre Lage erkennen und sie ablehnen würden. Die Realisierung dieser Funktion ermögliche dem Gegner "ein stufenweises Vorgehen, einen stufenweisen Einsatz sei,ner Kräfte, Mittel und Methoden". Es wird behauptet, er konzentriere sich zunächst darauf, in einem Zielbereich feindliche ideologisch-politische Stützpunkte in Gestalt einer Person oder Gruppe zu schaffen, die dann die Zersetzungstätigkeit weiter treiben sollten. Die Verfasser der Diss. 1 unterstellen damit dem ,,Feind" eine Strategie, die Lenin und seine Bolschewiken vor der Oktoberrevolution in Rußland anwandten - auch das ein Beispiel für die Übertragung eigener Vorstellungen auf die freie Welt. Auf den Gedanken, daß auch ohne gezielte Einflüsse von außen die der SED-Diktatur unterwor-

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fenen Menschen eine oppositionelle Einstellung, vielleicht nur mit reformerischer Zielrichtung haben könnten, kamen die Verf. der Diss. 1 nicht. Indessen ist zu beachten, daß die PID nach deren Auffassung si~h nicht gegen die physische Existenz von Personen oder die Existenz von Organisationen und Einrichtungen in der sozialistischen Gesellschaft richtet, sondern darauf abziele, Personen bzw. Organisationen zu "Instrumenten der imperialistischen Politik" zu machen. Damit wird klargestellt, daß der PID nicht Terror unterstellt wird. 2. Die zweite Funktion wird als besonders gefährlich empfunden. Sie hat zum Inhalt, "die mit ihr verfolgten konterrevolutionären und staatsfeindlichen Ziele zu tarnen und zu verdecken". Die Tarnung habe einen zweifachen Zweck: Einmal solle sie Personen schützen, die im feindlichen Sinne tätig würden, zum anderen solle sie Vorstellungen verbreiten, die geeignet seien, "massenwirksam" zu werden, wie Demokratisierung, menschliche Erleichterungen, nationale Gemeinsamkeiten, Aussöhnung mit dem Osten, Kooperation mit den sozialistischen Ländern, also all da, was sich in der Bonner Republik die Anhänger des Slogans "Wandel durch Annäherung" erstrebten und erhofften. In der Sicht der JHS und mit ihr des MfS war das Streben nach diesen Zielen nichts anderes als eine besonders gefährliche Methode der PID. Als für die Tarnung der Ziele der PID geeignete Plattformen werden genannt: Sozialdemokratismus, moderner Revisionismus, Nationalismus und Konvergenztheorie. Es ist schwer zu glauben, daß die SED-Führung, jedenfalls in ihrem Kern, anderer Meinung gewesen wäre, wenn sie sich auch ausnahmslos nach außen friedfertig ausgab und in Grenzen eine Politik der Entspannung betrieb. 1 Den "Aufweichungsexperten der SPD" wird vorgeworfen, sie entwickelten eine ,,immanente" Kritik, d. h. sie würden den Marxismus-Leninismus verbal anerkennen und den unter Führung der kommunistischen Parteien verwirklichten Sozialismus als eine Verflachung und Verfälschung des Sozialismus interpretieren. Wie diese Behauptung verifiziert werden soll, bleibt schleierhaft und offenbart damit einen Mangel an Wissenschaftlichkeit der Diss. 1. Denn wo sollten sich Sozialdemokraten befunden haben, die auch den "Leninismus" erkannt hätten? In weiteren Ausführungen spricht die Diss. 1 dann auch nur noch vom Marxismus, der verbal anerkannt worden wäre, um die "marxistisch-Ieninistische" Theorie "von innen heraus" zu verfälschen und Forderungen nach Verbesserung der sozialistischen Gesellschaft zu erheben, "die im Endeffekt auf die Liquidierung der sozialistischen Gesellschaft hinauslaufen". Deren Träger sollten die sogenannten Reforrnkommunisten sein, die noch nicht offen mit einem Programm des Umsturzes der sozialistischen Gesellschaft auftreten würden. Als Grund für diese Tarnung wird angegeben, daß dafür zunächst noch keine Massenbasis vorhanden sei. Ein zweiter Grund ist für das Denken der Verf. der Diss. 1, von denen einer immerhin ein Professor an der höchsten wissenschaftlichen Einrichtung des sowjetischen KGB war, besonders interessant. Es solle nämlich durch die Tarnung keine "HandI Eine Auswertigung der Akten des Politbüros des ZK der SED in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen könnte sicher hierzu weitere Aufschlüsse geben.

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habe zur Organisierung von Hilfeleistungen für das gefährdete sozialistische Land" gegeben werden. Die Intervention anderer sozialistischer Staaten, an ihrer Spitze die UdSSR, in ein anderes Land, dessen sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung nach Meinung der orthodoxen Kommunisten durch "Liberalisierung" in Gefahr zu geraten drohte, wurde so ins Kalkül gezogen, daß sie als Grund für die Tarnung der bösen Absichten des Feindes bei der PID ins Feld geführt wurde. Die Geschichte hat indessen gelehrt, daß die kommunistischen Regime ohne PID durch die vom urwüchsigen Freiheitswillen angetriebenen Völker gestürzt wurden und daß jede Intervention der UdSSR ausblieb, weil diese selbst daran war, sich von der kommunistischen Diktatur zu befreien. 3. Ferner soll die PID die "Funktion der Herstellung einer weitgehenden Übereinstimmung der politisch-ideologischen Zersetzungstätigkeit mit realen Vorgängen in der gesellschaftlichen Praxis der sozialistischen Länder" gehabt haben. Damit wurde eingeräumt, daß dort nicht alles so war, wie die kommunistische Propaganda es gern vorgegaukelt hätte. Das hätte die PID ausgenutzt. Insoweit wird als PID bezeichnet, was nichts anderes war, als die wirkliche Lage in den sozialistischen Staaten darzustellen. Um diese in Erfahrung zu bringen, seien nicht nur die feindlichen Geheimdienste eingesetzt worden, sondern auch die imperialistische Ost- und DDR-Forschung, deren Auf- und Ausbau in Westdeutschland besonders forciert worden sei. Das habe seine Ursachen weitgehend in den mittels PID zu lösenden Aufgaben gehabt. Diese Einrichtungen hätten sich darauf konzentriert, mittels komparativer Forschung im Sinne des Vergleichs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR und eines Strukturvergleichs zwischen den sozialistischen Ländern in sogenannten schwachen Stellen, Entwicklungsschwierigkeiten, Strukturproblemen und durch tendenziöse Auswahl zufälliger negativer Erscheinungen Grundlagen für die zielgerichtete wirksame PID zu entwickeln. Hier zeigt sich, welche Bedeutung die JHS der DDR-Forschung beimaß. Einige Jahre später wurde dann sogar im Zuge des erwähnten Forschungsauftrages die Diss. 2 zu diesem Thema geschrieben. Auf sie wird unten gesondert eingegangen. 4. Als eine neue "Trägerwaffe" für die Funktion der Infiltrierung von konterrevolutionären Ideen und Theorien, deren Mittel und Methoden sich gewaltig ausgedehnt und verfeinert hätten, werden die im Zuge der Entspannungspolitik vermehrten Kontakte zwischen den Menschen aus den unterschiedlichen Staats- und Gesellschaftsordnungen genannt. Die Diss. 1 führt eine Fülle von Kontaktmöglichkeiten an, die ausnahmslos angeblich der PID gedient hätten. Wörtlich heißt es darin: "Über ein aufeinander abgestimmtes System der Kontakttätigkeiten, die Ausnutzung aller Formen des kulturellen, sportlichen, wissenschaftlichen und Touristenaustausches, der Ausnutzung der Formen der ökonomischen Beziehungen, des grenzüberschreitenden Verkehrs, des Mißbrauchs der Transitwege, des Postverkehrs und anderer Formen versucht der Gegner, die politisch- ideologische Zersetzungstätigkeit zu verstärken."

Alle diese Mittel seien zwar auch unabhängig von der PID praktisch vorhanden gewesen. Für die Organisierung der PID hätten sie ihre Bedeutung dadurch gewon-

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nen, daß sie untereinander abgestimmt und kombiniert dazu eingesetzt würden, bestimmte Zielbereiche zu zersetzen und Bedingungen für die Aktivierung der staatsverbrecherischen Tatigkeit zu schaffen bzw. zu verbessern. 5. Als weitere Funktion wird der Vorwurf genannt, der typisch ist für die Argumentation von Autoren, die keine Skrupel kennen. Nach der Methode, anderen vorzuwerfen, was man selbst sich scheut zu tun, wird nämlich behauptet, die PID hätte die Funktion, gezielt Lügen, Betrug, Gerüchte, Drohung und Versprechen einzusetzen und anzuwenden. Es wird zwar zugegeben, darüber seien nur ,,relativ wenig Aussagen" vorhanden, weil diese Problematik ein auch für die imperialistischen Theoretiker und Praktiker der PID ein recht "unbequemes Thema" sei. Diese reichten nach der Diss. I aber aus, um "einige Grundsätze" herauszuarbeiten, nach denen der Einsatz dieser Mittel und Methoden erfolgt sei. Es wird, ohne dafür einen Beweis anzutreten geschweige denn zu führen, die "Einschätzung" der PID werde vom Gegner nicht nach den Kategorien "Ehrlichkeit, Wahrheitsliebe usw.", sondern nur nach der Wirkung und dem Ergebnis auf dem Wege zu geplanten konterrevolutionären Zielen vorgenommen. Davon ausgehend, das bedeutet, entsprechend dem den Jesuiten zugeschriebenen Satz "Der Zweck heiligt die Mittel", habe für die PID gegolten, "wenn Lüge, Verfälschung, Betrug, Gerüchte, Drohungen und Versprechungen auf dem Wege zum Ziel weiterhelfen", dann sei diese Anwendung empfehlenswert gewesen. Wenn die Wahrheit schädlich gewesen sei, hätte sie nicht verbreitet werden dürfen, hätte sie entstellt und umgeformt werden müssen. Ganz abgesehen davon, daß diese Behauptung, die, ohne in Polemik zu verfallen, dreist genannt werden muß, unterstellt sie dem "Gegner" Dummheit. Die Erfahrung lehrt, daß auf die Dauer die Wahrheit nicht zu verheimlichen ist und derjenige jedes Vertrauen verspielt, der sich der Lüge bedient, besonders, wenn das planmäßig und laufend geschieht. Lügen haben eben kurze Beine, wie schon der Volksmund sagt. Die nationalsozialistische Propaganda unter Goebbels und letztlich die ehemalige DDR, letztere besonders mit ihren Unwahrheiten über die wirtschaftliche Lage schon Jahre vor der Wende, sind anschauliche Beispiele. 6. Schließlich wurde der PID die Funktion zugeschrieben, den imperialistischen Regierungen Positionen zu verschaffen, ihre konterrevolutionäre und aggressive Politik demagogisch als Politik der Entspannung und Normalisierung der Beziehungen zwischen Sozialismus und Imperialismus zu deklarieren. So hätte das "Freund-Feind-Bild" - mit dem wörtlichen Gebrauch dieses Begriffs wurde eine, wie schon erwähnt, typische Einstellung des Offizierskorps des MfS auch von dessen Angehörigen deutlich gemacht - von der westdeutschen Bundesrepublik und den sozialistischen Ländern überwunden werden und ein "Freund-Freund-Verhältnis" vorgetäuscht werden sollen, "das zur Grundlage für das gezielte Einwirken auf die Werktätigen der sozialistischen Länder und für die Manipulation der eigenen Bevölkerung" werden sollte. Der Darstellung der Funktionen der PID folgt eine Abgrenzung zu allem dem, was nicht dazu gehört habe. 4 Mampel

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Nur dann hätte von PID gesprochen werden können, wenn es sich um "bewußte, beabsichtigte und geplante Vorgänge" gehandelt habe. Die PID habe zwar an "Geschehnisse, Ereignisse, Erlebnisse, Gewohnheiten u. a. Faktoren sowie an begünstigende Bedingungen" angeknüpft und diese für sich ausgenutzt. Das Vorhandensein von begünstigenden Bedingungen in der sozialistischen Gesellschaft habe offensichtlich werden lassen, "daß es auch Vorgänge und Erscheinungen in der sozialistischen Gesellschaft" gegeben habe, die zu einer negativen Beeinflussung des politischen Verhaltens von Personen habe führen können, aber nicht mit der PID identisch gewesen seien. Auch wenn der Gegner falsche Hoffnungen bzw. vorhandene Unklarheiten für die Ziele der PID bewußt ausgenutzt habe, hätten diese Unklarheiten nicht in die Wesensbestimmung der PID einbezogen werden können. Um welche "begünstigenden Bedingungen" es sich handelt, wird der Diss. 1 folgend später erörtert werden. Nur soviel kann schon jetzt gesagt werden, der ursprüngliche, angeborene Wille, frei zu sein, über die eigenen Angelegenheiten selbst zu bestimmen sowie über die Angelegenheiten der Allgemeinheit mitentscheiden zu können, wird mit keiner Silbe erwähnt. Die PID wurde von anderen im "System des subversiven Kampfes" verwandten Aktivitäten unterschieden, wenn auch die Grenzen mitunter verschwommen gewesen seien. So sei die von den Geheimdiensten organisierte und gelenkte Spionage zur Sammlung interessierender Nachrichten sowie die Tatigkeit anderer, feindlicher Stellen zur Erkundung geheim zu haltender Nachrichten mit der PID nicht identisch gewesen. Der wesentliche Unterschied hätte darin bestanden, daß die Spionage wesentliche Grundlagen und Ausgangspunkte geschaffen hätte und die PID davon ausgehend so organisiert gewesen sei, daß die ideologische und politische Substanz der sozialistischen Gesellschaft zersetzt und zerstört werde. Mit anderen Worten: Aufgabe der Spionage sei es gewesen, das Material zu beschaffen, das durch die PID ausgewertet wurde, um es zur Zersetzung brauchbar zu machen, und das Ergebnis zu verbreiten. Trotzdem wurde den Geheimdiensten ein immer stärker werdender Einfluß auf die Festlegung der ,,Linien und Methoden" der PID zugeschrieben. Auch wurde zwischen der psychologischen Kriegführung und der PID des Imperialismus einerseits und dem offensiven Klassenkampf der kommunistischen und Arbeiterparteien gegen den Imperialismus und für die Herausarbeitung des sozialistischen Bewußtseins der Menschen andererseits unterschieden. Dazu wurde ausgeführt, die "im wachsenden Widerspruch zu den Volksrnassen befindliche imperialistische Klasse" sei im Interesse der Erhaltung ihrer Macht ebenso gezwungen gewesen, die geistige und politische Manipulierung der Volksrnassen zu perfektionieren, wie in der Systemauseinandersetzung mit dem Sozialismus ihre Klassenziele durch verdeckte gesellschaftliche Konzeptionen, besonders in Gestalt des Sozialdemokratismus und modernen Revisionismus, zu tarnen und sie durch verdeckte gesellschaftliche Konzeptionen zur Organisierung der PID zu nutzen. Auch Bestrebungen, die den Sozialismus, ja sogar den Marxismus und vielleicht sogar den Leninismus bejahten, wurden als gegnerisch deklariert, auch wenn sie das bürokra-

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tisch-totalitäre System nur reformieren wollten. Es ist geradezu grotesk, wie das MfS als ein Geheimdienst, wie er stringenter gar nicht gedacht werden kaim, den angeblich offenen Klassenkampf unter Führung einer kommunistischen Partei der "verdeckten und getarnten" PID gegenüberstellte. Schließlich führte das MfS doch nichts anderes als Klassenkampf gegen alles das, was es als "Imperialismus" bezeichnete. Weiter ab von jeder Realität konnte man wohl kaum sein. Angesichts des Zusammenbruchs der kommunistischen Welt in Osteuropa und den Wandlungen kommunistischer Staaten in der übrigen Welt offenbart die Diss. 1 eine, wie die Entwicklung lehrte, schwerwiegende Verblendung, wenn darin zu lesen ist: "Während die Arbeiterklasse ihre Klassenziele im Interesse der Vorwärtsentwicklung der menschlichen Gesellschaft im ideologischen Klassenkampf offen und wissenschaftlich begründet als Alternative zur Ausbeuterordnung darlegen muß, ist die imperialistische Bourgeoisie im Interesse ihrer Ausbeuterordnung gezwungen, ihr ganzes staatsmonopolistisches Instrumentarium dazu einzusetzen, den wachsenden Widerspruch zwischen den Volksmassen und der herrschenden Klasse durch geistige Manipulierung zu verdecken und die Möglichkeiten der geistigen Fehlsteuerung der psychologischen Kriegführung und der politisch-ideologischen Diversion im wachsenden Maße dienstbar zu machen."

Mit Wissenschaft haben derartige Aussagen nichts zu tun. Die Geschichte hat sie falsifiziert, weil die Verf. der Diss. 1 Thesen, die allenfalls Prämissen hätten sein können, als Axiome nahmen. Entsprechend der speziellen ThemensteIlung der Diss. 2 und Diss. 3 werden darin die besonderen Funktionen der Ost- und DDR-Forschung und das Wesen der angeblichen Einmischungspolitik und -tätigkeit im Rahmen der PID behandelt. Darauf wird später bei deren Analyse eingegangen werden. Die Diss. 4 und damit auch das Lehrbuch nimmt die Vorstellungen der Diss. 1,2 und 3 auf und entwickelt sie weiter. Man meint, fünf Merkmale der PID feststellen zu können (S. 10ff.): 1. Die PID sollte wie die subversive Tätigkeit insgesamt durch die jeweilige imperialistische Strategievariante geprägt sein. Dabei wären ihre jeweili~en Inhalte, Formen und Vorgehensweisen modifiziert worden. Mit dem "offensichtlichen" Scheitern der imperialistischen Nachkriegsstrategie, womit der Übergang zur Entspannungspolitik gemeint ist, wäre "der subversiven Komponente der imperialistischen Strategie" eine größere Bedeutung beigemessen worden. Diese habe fortan auf die "Erosion des Sozialismus von innen heraus" gezielt. Es wird nunmehr schärfer als zuvor unterschieden zwischen dem "militant-grobschlächtigen" Antikommunismus der PID, während der Zeit des "Kalten Krieges" vorherrschend, und seiner "flexibel-verschleierten" Form. 2. Die PID sei ein immanenter Bestandteil der subversiven Tätigkeit des Imperialismus gegen den Sozialismus gewesen. Ihre Spezifik sei vor allem durch die Zielstellung charakterisiert gewesen, in den sozialistischen Staaten die ideologischen Voraussetzungen für konterrevolutionäre Veränderungen zu schaffen, indem 4*

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die PID "die Herausbildung sozialistischen Bewußtseins verhindern, sozialistische Bewußtseinsinhalte zersetzen, feindlich-negative Tätigkeit aktivieren" sollte. Hinzugefügt wird: "Diese spezifische Zielstellung bestimmt auch die Funktion der PID in der subversiven Tätigkeit, die dadurch charakterisiert ist, daß die PID einerseits Voraussetzung und andererseits Bestandteil anderer Formen der Feindtätigkeit ist." Das erste nahm die Behauptung auf, die PID habe zur PUT geführt. An anderer Stelle der Diss. 4 (S. 64 ff.) heißt es, durch Unterstreichung hervorgehoben: "Die PID gehört zum Ursachenkomplex von Staatsverbrechen". Aber es wurde nunmehr weiter behauptet, feindliche Einstellungen brauchten nicht stets zu solchen führen. Auch zahlreiche Handlungen der einfachen Kriminalität, etwa das "ungesetzliche Verlassen der DDR" hätten die PID zur Ursache gehabt. Jedoch nicht nur das. Die PID hätte auch zu Verhaltensweisen geführt, die "unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Relevanz" gelegen hätten. Da das MfS alles bekämpfte, was es als PiD bezeichnete, rechtfertigte die Diss. 4 so den Zugriff der Staatssicherheitsorgane auch dann, wenn das Verhalten von Menschen nicht den Vorstellungen der Parteiführung entsprach, ohne daß diese sich strafbar gemacht hätten - das MfS als Ideologiepolizei. Allerdings wurde im Gutachten der Hauptverwaltung Azur Diss. 4 (Lehrbuch) auf S. 4 empfohlen, im Zusammenhang der Zuordnung der PID zum Imperialismus nicht schlechthin als das politisch-ideologische Einwirken "des Imperialismus ...", sondern "bestimmter imperialistischer Kräfte, Organisationen und Einrichtungen" zu charakterisieren. Überhaupt tritt das Gutachten für ein differenzierteres Herangehen an die PID und deren Bekämpfung ein. Mit anderen Worten: Das Gutachten hält die Diss. 4 (Lehrbuch) für zu "grobschlächtig". Obwohl die für die Spionage, besonders gegen die Bundesrepublik, zuständige Hauptverwaltung des MfS wohl die besseren Einblicke in die Verhältnisse dort hatte, wurde im Lehrbuch diesem Ratschlag nicht gefolgt. Eine vereinfachende Darstellung hielt die JHS für die Belehrung ihrer Zöglinge wohl für besser. Neu war auch, daß von durch PID ausgelöste feindliche Verhaltensweisen insofern eine Rückwirkung gehabt haben sollten, als sie für neue Akte der PID ausgenutzt worden wären. So wären z. B. Widerstandshandlungen jugendlicher Rowdies gegen staatliche Maßnahmen dazu mißbraucht worden, den "undemokratischen Charakter" sozialistischer Staaten "nachzuweisen". Die Diss. 4 empfiehlt dazu das geeignete Mittel. Solche Vorgänge seien unbedingt geheim zu halten - selbstverständlich wieder eine Aufgabe des MfS. Neu war ferner die Behauptung, die PID sei Bestandteil aller jener Tätigkeiten gewesen, "die von Einrichtungen, Organen, Organisationen und Kräften in imperialistischen Staaten gegen den Sozialismus", d. h. durch den von "außen" angreifenden Gegner realisiert worden sei. Denn immer sei das Tätigwerden solcher Einrichtungen und Organe zur Realisierung anderer subversiver Ziele mit subversiver ideologischer Einwirkung verbunden gewesen.

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3. Die PID sei vom ,,imperialistischen Herrschaftssystem" konzipiert, durch spezielle Einrichtungen und Organe geleitet und wissenschaftlich-theoretisch vorbereitet und durchgeführt worden. Im MfS seien diese als ,,zentren der PID" bezeichnet worden. Sie seien immer mit dem imperialistischen Herrschaftssystem verbunden gewesen und hätten, obwohl sie eine unterschiedliche Aufgabenstellung gehabt sowie differenziert politisch-ideologische Positionen vertreten hätten, zu den wichtigsten Instrumenten des imperialistischen Herrschaftssystems zur Durchsetzung der Strategie des Imperialismus gegenüber dem Sozialismus gehört. Aus diesen Worten spricht eine große Hochachtung vor der Ost- und DDR-Wissenschaft sowie auch Furcht vor ihrem Einfluß. 4. Die PID sei ihrem Inhalt nach durch den Antikommunismus geprägt. Dies sei der reaktionärste und aggressivste Grundzug der bürgerlichen Ideologie gewesen. Diese habe daher nicht in ihrer Gesamtheit die PID bestimmt. Es wurde festgestellt, daß der "militant-grobschlächtige" Inhalt, in dem sich die Feindschaft gegen die Sozialismus offen und brutal ausgedrückt hätte, nicht nur gegen die sozialistische Gesellschaft gerichtet sei, sondern zugleich auch den Frieden auf das äußerste gefährdet habe. Der "flexibel-verschleierte" Inhalt der PID habe sich dagegen auf eine langfristige, schrittweise, möglichst "unmerkliche" Aufweichung und Zersetzung des Sozialismus orientiert. Die damit verfolgten subversiven Zielstellungen seien in der Regel schwerer zu erkennen gewesen. Darin habe deren besondere Gefährlichkeit gelegen. Hinzugefügt wurde, die "beiden Grundformen" des Antikommunismus seien kaum in ihrer ,,reinen" Form aufgetreten, sondern in Abstufungen und miteinander verflochten. Dieser Unterscheidung lag die Dichothomie zugrunde, die in der DDR-Forschung der Bonner Republik Ende der sechziger, besonders aber während der siebziger Jahre, vor allem in der politologischen Disziplin, am wenigsten in der Rechtswissenschaft entstanden war. Die Diss. 4 (Lehrbuch) schloß hier weitgehend an die Diss. 2 an. Welche Irrtümer dabei unterliefen, ist Gegenstand des Abschnittes, der sich mit der Ost- und DDR-Forschung aus der Sicht der JHS und damit des MfS beschäftigt. 5. Die PID sei unvereinbar mit den Prinzipien der Koexistenz gewesen. Sie habe der politischen und völkerrechtlichen Verantwortung der Staaten widersprochen, Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten zu unterlassen und mit ihrer Informationstätigkeit einen Beitrag für Frieden und Völkerverständigung zu leisten. Indessen meinen die Verf. der Diss. 4, nicht jedes ideologische Einwirken auf sozialistische Staaten, auch wenn es beispielsweise die Staatenbeziehungen belastet hätte, sei als völkerrechtswidrige Handlung zu kennzeichnen gewesen. Voraussetzung für die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines imperialistischen Staates sei insbesondere der Nachweis des Vorliegens völkerrechtlicher Verbotsinhalte in Verbindung mit dem Nachweis gewesen, daß die betreffenden Handlungen dem Staat im Sinne des Völkerrechts auch habe zugerechnet werden können. Im Mittel-

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III. Die Funktionen der PID

punkt der Beweisführung zu Völkerrechtsdelikten im Rahmen der PID habe dementsprechend die Suche und Sicherung von Beweismitteln für völkerrechtswidriges, insbesondere das Einmischungsverbot verletzendes staatliches Handeln stehen müssen. Hierauf wird im besonderen Abschnitt über die angeblich völkerrechtswidrige Einmischungspolitik der imperialistischen in die inneren Angelegenheiten der sozialistischen Staaten anhand der Diss. 3 näher eingegangen.

IV. Entstehen und Entwicklung der politisch-ideologischen Diversion Nach Behauptung der Diss. 4 (Lehrbuch), S. 24 ff., habe es die PID schon gegeben, bevor das MfS diesen Begriff gebildet habe. Das ist nicht verwunderlich. Denn die Kommunisten haben seit jeher schon dem Bewußtsein für die Revolution, die zu ihrer Machtergreifung führen sollte, große Bedeutung zugemessen. Nach Karl Marx war, wie schon erwähnt, das Bewußtsein eine Widerspiegelung der sozial-ökonomischen, insbesondere der Eigentumsverhältnisse. Die von Eigentum an den Produktionsmitteln Ausgeschlossenen, das Proletariat, hätten ein anderes Bewußtsein als die Klasse der Kapitalisten. Nach Lenin habe das Proletariat, wie ebenfalls schon erwähnt, aber nur "annähernd" das richtige Bewußtsein. Dieses hätte nur dessen "Avantgarde", also nur ein kleiner Teil von ihm, die Kommunisten. Deren Aufgabe sei es deshalb, der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit und in einem bestimmten Stadium nach der Machtergreifung der Kommunisten dem ganzen Volke das ,,richtige" Bewußtsein beizubringen. Dieses müsse letztlich darauf hinauslaufen, daß zunächst das Proletariat, dann das ganze Volk in allen Schichten, anerkenne, die Politik der Kommunisten sei stets richtig. Die ideologische Indoktrination mit dem Marxismus-Leninismus wurde und wird vom kleinen Haufen der Ewiggestrigen als unerläßlich für die Machtergreifung und die Machtbehauptung angesehen. Freilich sind vor der Machtergreifung die Mittel für eine ideologische Indoktrination von Massen zu gering, als daß sie Aussicht auf Erfolg hätten. Deshalb wird physische Gewalt eingesetzt, um die Macht zu erringen, im Falle der DDR sogar die der UdSSR. Aber dann setzt zur Machtbehauptung die ideologische Indoktrination ein, denn auch die Kommunisten wissen, daß mit Gewalt allein Macht allenfalls kurzfristig behauptet werden kann, und versuchen das Denken der Menschen auf ihre Weise zu gewinnen. Jede Heilslehre stößt auf "Ungläubige". Wenn diese in ihr eine Gefahr sehen, so werden sie versuchen, ihr zu begegnen. Niemand weiß das besser als die Kommunisten. Das, was sie Klassenkampf nennen, ist für sie keineswegs nur ein Kampf zur Verbesserung der sozialen Lage der Arbeitnehmer. Denen, die darin ihr vorrangiges Ziel sehen, werfen sie ein rein gewerkschaftliches Denken, "Trade-Unionismus" vor. Sie sind der Meinung, erst die Machtergreifung durch sie könne die Situation des Proletariats über Einzelerfolge hinaus grundsätzlich und nachhaltig verbessern. Wegen dieser Rigorosität fällt die Gegenwehr der "Ungläubigen" entsprechend entschieden aus, unter der Voraussetzung freilich, daß sie wissen, was die orthodoxen Kommunisten wollen. Daran hat es sicher in der Vergangenheit oft gefehlt. Trotzdem gab es Einsichtige, die wußten, daß schon den Anfängen zu wehren war.

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IV. Entstehen und Entwicklung der PID

So verwundert es nicht, daß die Diss. 4 (Lehrbuch, darin der Diss. 1 (S. 16ff.) folgend) der Sache nach die PID schon auf die Entstehung des ersten sozialistischen Staates mit der "Großen Sozialistischen Oktoberrevolution" datiert. Bereits damals sei der militärische Kampf gegen die junge Sowjetrnacht durch "subversive ideologische Beeinflussung des Bewußtseins der Bürger in Sowjetrußland" versucht worden. Aber diese habe zur damaligen Zeit noch keine Hauptform der Subversion dargestellt. Sie sei nur eine "Begleiterscheinung" solcher Angriffe wie des Interventionskriegs oder der Wirtschaftsblockade gewesen. Für eine wirksame PID hätten noch die objektiven Bedingungen gefehlt. Indessen sei auch damals die Gefährlichkeit der Versuche einer PID nicht zu unterschätzen gewesen. Denn die junge Sowjetrnacht habe im "Verhältnis zur Gegenwart" noch keine Gegenmittel gehabt. Trotzdem nennt die Diss. 4 (Lehrbuch) Organisationen, die schon ab 1918 PID betrieben hätten. So das "Generalsekretariat zum Studium und zur Bekämpfung des Bolschewismus" (1918) und die "Internationale Liga für den Kampf gegen die III. Internationale" (1924). Die Diss. 4 (Lehrbuch) sieht also das MfS bei dem Kampf gegen die PID in einer langen Tradition. Offenbar hält sie den Hinweis auf die Überlieferung für notwendig, um die Tätigkeit des MfS als Ideologiepolizei zusätzlich zu legitimieren. Indessen ist die Argumentation nur schwach. Zunächst fällt auf, daß nicht behauptet wurde, daß der erste sowjetische Geheimdienst, die Tscheka, sich auch mit der Abwehr feindlicher ideologischer Einflüsse beschäftigt hätte. Das MfS beruft sich sonst gern auf diese Organisation, besonders auf deren Geist, den "tschekistischen". Hier stände das MfS wirklich in einer Tradition, wenn es zu den Aufgaben der Tscheka gehört hätte, geistige Einflüsse von außen abzuwehren. Deren Aufgabe war aber allein, wie aus ihren Namen hervorgeht (ins Deutsche übersetzt), "der Kampf gegen Konterrevolution und Sabotage". Ihr Mittel war vor allem die physische Vernichtung wirklicher, aber auch nur vermeintlicher Gegner. Das Problem der Bewußtseinsbildung, des Denkens von Menschen spielte nur insoweit eine Rolle, als es sich in den revolutionären Kräften feindlicher Handlungen ausdrückte oder befürchtet wurde, daß es dazu kommen könnte. Es war der Tscheka zwar sicher nicht gleichgültig, wie es zu einem solchen Denken gekommen war, aber es wurde ebenso sicher nicht danach gefragt. Für die junge Sowjetrnacht waren Bemühungen zur Abwehr geistiger Einflüsse von außen im wesentlichen noch fremd. Denn sie sah sich zunächst genötigt, sich vor allem militärisch mit ihren .inneren und äußeren Gegnern auseinanderzusetzen und die Folgen der Wirtschaftsblockade abzuwenden. Dazu kommt, daß die äußeren Gegner der jungen Sowjetrnacht keineswegs mehr die mitteleuropäischen Mächte Deutschland und Österreich-Ungarn waren, sondern die früheren Verbündeten des zaristischen Rußlands. Lenin war mit Hilfe der deutschen Obersten Heeresleitung zurück in seine Heimat gekommen und konnte so 1917 die Revolution machen. Am 22. 12. 1917 schloß er dann in Brest-Litowsk

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Frieden mit Deutschland. Sicher war den Westmächten die Machtergreifung durch die Sowjets deswegen unsympathisch, weil damit in Rußland politische Kräfte ans Ruder kamen, denen nicht nur der Sturz der zaristischen Herrschaft und die spätere Ermordung des Zaren und seiner Familie sowie die Beseitigung der sozialdemokratisch eingestellten Kerenski-Regierung zur Last zu legen war. Aber was sie vor allem fürchteten, war das Ausscheren eines wichtigen Bundesgenossen aus dem Krieg, der die Deutschen zu einem Zweifrontenkrieg gezwungen hatte. Denn auch die Kerenski-Regierung wollte an der Seite der Westmächte den Krieg fortsetzen. Das war der eigentliche Anlaß für die militärische Intervention, die Unterstützung der, wie sie die Bolschewisten bezeichneten, "konterrevolutionären" Truppen und die Wirtschaftsblockade. Aber die kommunistische Heilslehre wurde damals trotz ihres internationalen Geltungsanspruches noch nicht für so gefährlich gehalten, daß eine ideologische Gegenpropaganda in bedeutendem Umfang erforderlich erschien. Diesem Sachverhalt trägt die Diss. 4 (Lehrbuch) auch insofern Rechnung, als sie die politisch-ideologische Arbeit des Gegners nicht als Hauptform der subversiven Tatigkeit, sondern nur als "Begleiterscheinung" von Intervention und Blockade bezeichnet. Aber die Warnung davor, sie schon damals für ungefährlich zu halten, zeigt doch die Tendenz an, der PID durch Berufung auf eine lange Geschichte große Bedeutung zuzumessen und so auch der Tatigkeit des MfS zu deren Bekämpfung. Diese Linie wird von der Diss. 4 (Lehrbuch) fortgesetzt. In den dreißiger Jahren wäre dann die zentrale Rolle zur Bekämpfung des Kommunismus auf das "faschistische", gemeint ist das nationalsozialistische Deutschland 1, übergegangen, nachdem sich die erwähnte, tatsächlich weithin unbekannte Liga als konzeptionslos erwiesen hätte. Die Diss. 4 (Lehrbuch) nennt eine Organisation "Antikomintern", die unter Leitung des Propagandaministers Dr. Goebbels weltweit agiert hätte und auch als "Vereinigung deutscher antikommunistischer Bünde" aufgetreten wäre. Ob es eine derartige Organisation überhaupt gegeben hat, ist nicht feststellbar, aber fraglich. Wahrscheinlich liegt eine Verwechslung mit dem völkerrechtlichen Vertrag vor, der zwischen Deutschland und Japan zur gegenseitigen Unterrichtung über die Tätigkeit der Komintern sowie zur Bekämpfung von Kominternagenten abgeschlossen war - in Kurzform "Antikominternpakt" genannt, dem später auch andere Staaten beigetreten waren, als erster Italien. Dieser stammt aber erst vom 25. 11. 1936. Für eine Verwechslung, vielleicht auch eine beabsichtigte Ungenauigkeit, spricht, daß die Diss. 4 (Lehrbuch) auf diesen Vertrag überhaupt nicht ein-

1 Das Wort "Nationalsozialismus" wurde in der ehemaligen DDR nach Möglichkeit vermieden und statt dessen von "Faschismus" gesprochen, obwohl so nur die italienische Spielart eines totalitären Systems bezeichnet wurde, die sich in variablen Merkmalen vom Nationalsozialismus, z. B. bei der totalen Gleichschaltung der Gesellschaft, abhob. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, der Nationalsozialismus sei eine Form von Sozialismus. Nur das Kürzel "Nazi" war, auch in Wortverbindungen, gebräuchlich.

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geht, obwohl er zum Thema gepaßt hätte. Der Grund mag darin liegen, daß er als ein Abwehrpakt gegen die international betriebene kommunistische Propaganda gerichtet war und in einer Abhandlung, die sich mit PID beschäftigte, möglichst unerwähnt bleiben sollte, weil damit die Gefahr bestand, daß die Zöglinge des JHS unliebsame Parallelen gezogen hätten. Die Frage muß und kann auch unbeantwortet bleiben. Während des Zweiten Weltkrieges hätten dann die "faschistischen" Eroberer auf dem Territorium der Sowjetunion getarnte Sender errichtet. Diese seien subversiv ideologisch "wirksam" geworden - also nach Meinung der Verf. der Diss. 4 (Lehrbuch) mit Erfolg -, sonst hätten sie sicher geschrieben: "tätig" geworden. Sie hätten versucht, die Sowjetunion zu diffamieren, Differenzen zwischen den verschiedenen Nationalitäten zu provozieren und vor allem "den Glauben an den Erfolg des Kampfes gegen den Hitlerfaschismus zu untergraben". Zur selben Zeit seien "auch in den anderen imperialistischen Hauptländern", also in denen, die seit dem Überfall Nazi- Deutschlands auf die Sowjetunion am 22.6. 1941 auf deren Seite standen, spezielle Einrichtungen zur subversiven ideologischen Beeinflussung des Bewußtseins der Sowjetbürger entstanden. So ganz nebenbei wird erwähnt, daß diese Einrichtungen während des Zweiten Weltkrieges auch "zur ideologischen und psychologischen Beeinflussung der faschistischen deutschen Armee genutzt" worden waren. Die Wahrheit sah anders aus. Denn die vor allem über Rundfunk betriebene Propaganda war eindeutig gegen Deutschland und seine Verbündeten gerichtet und wendete sich keineswegs nur an die Wehrmacht, sondern ebenso an die Zivilbevölkerung. Die Nazis gingen äußerst streng gegen die Hörer solcher Sender vor. Die Todesstrafe war nicht nur angedroht, sondern wurde auch verhängt und vollzogen. Jeder, der diese Zeit noch miterlebt hat, kann das bestätigen. Aber die JHS wollte mit dem Lehrbuch ihren Hörern weismachen, daß die "imperialistischen" Mächte, mochten sie auch gegeneinander in einem fürchterlichen Krieg stehen, in gleicher Weise versucht hätten, das "sozialistische Bewußtsein" der Sowjetbürger zu beeinflussen, ja zu zerstören. Die Tendenz ist eindeutig. Die Gefahr muß so groß wie nur irgendmöglich an die Wand gemalt werden mit dem Ziele, die Tätigkeit des MfS als Ideologiepolizei zu rechtfertigen. Nach Kriegsende hätte die Situation sich außerordentlich verschärft. Denn dessen wichtigstes Ergebnis sei die "Herausbildung des sozialistischen Weltsystems mit der Sowjetunion als dessen Hauptkraft" gewesen. Durch die zunehmende Einschränkung des imperialistischen Macht- und Herrschaftsbereichs hätte sich aber die strategische Lage zuungunsten des Imperialismus weiter grundlegend verändert. Vor allem die USA hätten ihre relative Position innerhalb des imperialistischen Systems dazu genutzt, ihren Anspruch auf Weltherrschaft durchzusetzen mit dem Ziele, "den Kapitalismus als einziges und geschlossenes Weltsystem" wieder herzustellen. Sie hätten die "Antihitlerkoalition" gesprengt, das "Potsdamer Abkommen" - gemeint ist das Potsdamer Protokoll - gebrochen und seien zu einer Politik der "Stärke" und des "Kalten Krieges" übergegangen. Charakteristisch für

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den letzteren sei die militärische Aufrüstung, die Drohung mit dem Atombombenmonopol sowie die Schaffung imperialistischer Militärblöcke gewesen. Diese kommunistische Argumentation, einschließlich der Wortwahl dazu, ist natürlich ein alter Hut. Wenn sie hier trotzdem wiedergegeben wird, so hat das seinen Grund. Denn in der weiteren Argumentation der Diss. 4 (Lehrbuch) wird zwar von einer "Dominanz der militärischen Komponente" gesprochen, aber die militärische Bedrohung wird eben doch nur als "Komponente", also nur als Teil eines Ganzen, bezeichnet. Das subversive ideologische Einwirken auf das Bewußtsein der Bürger der sozialistischen Staaten erscheint als der andere Teil. Es sei zu "einer Hauptform der Subversion" entwickelt worden (a. a. 0., S. 28). Sie habe dann im Laufe der weiteren Entwicklung eine Qualität erreicht, die berechtigt habe, dafür den Begriff "politisch-ideologische Diversion" zu verwenden (siehe oben Abschnitt 11). Mit der Gründung der DDR, die "als eine schwere Niederlage für den Imperialismus" bezeichnet wurde, hätten die Wunschvorstellungen des Imperialismus, die auf ein ,,roll back" des Sozialismus gegangen wären, auch die "subversive ideologische Beeinflussung der Bürger der DDR" geprägt (a. a. 0., S. 29). Die entscheidenden Impulse dafür seien von den USA ausgegangen. Sie seien in die Pläne eingeordnet gewesen, die für die PID gegen alle sozialistischen Staaten ausgearbeitet worden seien. Dabei seien von den USA die Erfahrungen, die während des Zweiten Weltkrieges von deutscher Seite gemacht worden seien, ausgenutzt worden. So habe insbesondere der ehemalige Chef der Abteilung ,,Fremde Heere Ost" im Oberkommando der Wehrmacht, Reinhard Gehlen, seine Erfahrungen zur Verfügung gestellt. Patrick A. McCarran hätte am 6. 8. 1951 vor dem Senat Vorstellungen entwikkelt, wobei er in der Ausdrucksweise der Diss. 4 (Lehrbuch) ,,intensive konterrevolutionäre Propaganda" gefordert hätte, für die "das Radiosystem" als ideologischer Wirkungsfaktor gegen die sozialistischen Länder hätte eingesetzt werden sollen, wie schon zuvor James Burnham in einer Artikelserie vorgeschlagen hätte. Daraufhin seien systematisch die Einrichtungen geschaffen worden, für die später der Begriff ,,zentren der PID" geprägt worden sei (siehe unten Abschnitt Y.). Als ein Beispiel nennt die Diss. 4 (Lehrbuch) den Sender RIAS Berlin. Zu Beginn der 50er Jahre wären die Versuche verstärkt worden, von der Bundesrepublik und Berlin (West) aus "den konterrevolutionären Tag ,X, in der DDR auch subversiv ideologisch vorzubereiten". Berlin (West) sei zu einem Zentrum der Subversion gegen die DDR ausgebaut worden. Alles hätte darauf abgezielt, eine Situation herbeizuführen, in der es unter "Ausnutzung der offenen Grenze" möglich geworden wäre, die politischen Machtverhältnisse in der DDR zu verändern. Besonders sei dabei der Sender RIAS tätig geworden. Nachdem der Chef des USA-Geheimdienstes Allan Dulles am 13. 6. 1953 nach Berlin (West) gekommen sei, hätte RIAS ab 16. 6. 1953 versucht, auf die ,,konterrevolutionäre Attacke gegen die DDR" Einfluß zu nehmen. Vor allem sei es dem Sender darum gegangen, die ,,konterrevolutionären Ausschreitungen in Berlin auf die gesamte DDR auszu-

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breiten". Er habe aufgerufen, "überall faschistische Progrome mit Mord, Brandstiftung und Plünderung zu organisieren". Mord und Vandalismus seien als Erfolg gefeiert worden. Zur Verifikation dieser unglaublichen Entstellungen beruft sich die Diss. 4 (Lehrbuch), S. 30, auf erst 1979 (!) erschienenes, internes Material eines polnischen "Instituts für die Erforschung gegenwärtiger Probleme des Kapitalismus" und des Ostberliner "Instituts für Internationale Politik und Wirtschaft der DDR", das als Propagandaeinrichtung der DDR unter dem Kürzel "IPW" traurige Berühmtheit erlangt hatte. Nicht einen Beitrag des Senders kann die Abhandlung anführen, obwohl doch das MfS fleißig mitzuschneiden pflegte, es also den Verfassern kaum Mühe gemacht hätte, aufgezeichnete Beiträge zu zitieren. Das war freilich nicht möglich, weil es solche nicht gab. Ein weiteres Zeugnis für den unwissenschaftlichen Charakter der Diss. 4 (Lehrbuch). Nach der Niederschlagung des Volksaufstandes vom 17. 6.1953 durch die Truppen der Besatzungsmacht, die schlicht "Scheitern des Versuchs eines konterrevolutionären Umsturzes" genannt wird, hätten die grenzüberschreitenden Medien eine noch größere Bedeutung erhalten. So sei z. B. der "Sender Freies Berlin" gegründet worden. Indessen hätten die konterrevolutionären Versuche des Gegners in der 2. Hälfte der 50er Jahre auf eine beginnende Umorientierung zur "Langfristigkeit" angedeutet, die aus der zunehmenden Erkenntnis resultiert hätten, daß der Sozialismus nicht kurzfristig zu liquidieren sei. Vor allem die Ereignisse am 17.6. 1953 und im Herbst 1956, womit der ebenfalls von der Sowjetunion niedergeschlagene Volksaufstand in Ungarn gemeint war, hätten deutlich gemacht, "daß sich die wesentlichen Merkmale der PID systematisch und schrittweise herausbildeten". Die PID sei zunehmend "zu einer Hauptform der Subversion und gleichzeitig zunehmend zu einer Voraussetzung und zum Bestandteil anderer Formen der Feindtätigkeit" geworden. Damit war die Diss. 4 (Lehrbuch) in der historischen Darstellung dahin gekommen, wohin sie sollte: Zur Feststellung der ungemeinen Gefährlichkeit der PID, die unweigerlich zur PUT geführt hätte. Dabei beruft sie sich auf den Diskussionsbeitrag des "Genossen Ministers" auf dem V. Parteitag der SED (10. - 16. 7. 1958). Das Zitat schließt mit der Feststellung, die Ereignisse in Ungarn seien für die Partei eine große Lehre gewesen, was den großen Plan der Aufweichung und ideologischen Diversion gegen die Länder des Sozialismus betraf. Sodann führt die Diss. 4 (Lehrbuch) aus, durch die "Grenzsicherungsmaßnahmen" - gemeint ist der Bau der Mauer quer durch Berlin am 13. 8. 1961 - sei den aggressivsten Kräften des Monopolkapitalismus ein Riegel vorgeschoben worden. Daraufbin hätten sich die Akzente des gegnerischen Vorgehens vom "offenen, militärischen, wirtschaftlichen und politischen Druck" auf die sozialistischen Staaten zu den Versuchen, zunächst mittels der PID die ideologischen Voraussetzungen für die innere Erosion der DDR und den anderen sozialistischen Staaten zu schaffen, verschoben. Es sei dem Gegner darum gegangen, den Sozialismus von innen her-

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aus langfristig und stufenweise zu zersetzen und konterrevolutionär zu verändern. Dem Gegner wird unterstellt, er messe der PID große Bedeutung zu; denn durch die nunmehr "gesicherte" Grenze sei die "Kontakttätigkeit" - gemeint ist die "Kontaktmöglichkeit" - stark eingeschränkt worden. Das hätte dazu geführt, daß den grenzüberschreitenden Medien ein noch größerer Stellenwert eingeräumt worden sei. Mit alten und auch neuen Argumenten sei versucht worden, weiter subversiv ideologisch einzuwirken. Als ein neues Instrument der PID wird der Deutschlandfunk erwähnt, der am 2. 1. 1962 seine Sendungen aufgenommen hatte. Es folgt nunmehr die Darstellung der angeblichen Gefahr, die durch die Änderung der westlichen Politik durch "sozialreforrnistische" Kräfte entstanden sei. Die vom damaligen Präsidenten Kennedy proklamierte "Politik der Zusammenarbeit und des Konflikts" sei bereits Anfang der 60er Jahre in der Bundesrepublik von ihnen aufgegriffen worden, und sie hätten versucht, diese allmählich, vor allem in Richtung DDR umzusetzen. So sollte eine Opposition in den sozialistischen Ländern geschaffen und diese ideologisch "ausgerichtet" werden. Die Diss. 4 (Lehrbuch) bezieht sich dabei besonders auf Egon Bahr, der 1963 in Tutzing die Wendung vom "Wandel durch Annäherung" erstmals benutzte. Sie wurde bald zu einer viel verwendeten Redensart. Die MfS-Mitarbeiter verstanden den westdeutschen Politiker auf ihre Weise. Zwar hatte Egon Bahr von einer Veränderung der kommunistischen Herrschaft gesprochen und damit sicher auch eine gewisse Lockerung der SED-Diktatur gemeint. Dabei ging er von der vagen Möglichkeit einer Reformfähigkeit der DDR-Kommunisten aus. Die Entwicklung hat zwar gezeigt, daß kommunistische Regime unter dem Zwang innerer Verhältnisse oder aufgrund eigener Erkenntnisse zu Reformen fähig waren. Allerdings bedeuteten diese noch in jedem Fall das Ende der kommunistischen Zwangsherrschaft und damit auch das Ende der Existenz, zumindest aber des Einflusses von Einrichtungen wie des MfS. Beispiele dafür waren Rußland, die Ukraine, Ungarn, um nur einige zu nennen. Für die eigene Existenzsicherung waren die Befürchtungen des MfS, wie sie sich auch in der Diss. 4 (Lehrbuch) ausdrückten, sicher nicht falsch. Das MfS mußte Reformen fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Die historische Darstellung wird weitergeführt mit einer Analyse der bundesrepublikanischen Deutschlandpolitik unter der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD (1966 - 1969). Sie hätte das Konzept des Brückenschlages und die Variante der "Neuen Ostpolitik" entwickelt. Der geplante Modellfall sei gewesen, die C;SSR aus der sozialistischen Staatengemeinschaft ,,herauszubrechen". Dieser Zielstellung hätte auch die PID entsprochen. Die rechten "sozialreforrnistischen" Führer in der Bundesrepublik hätten mit ihren "Ratschlägen" zur Verbesserung des Sozialismus und ihren "Sozialismusmodellen" die inhaltliche Ausrichtung der PID unterstützt. Auch dieses Vorhaben sei gescheitert, wird in der Diss. 4 (Lehrbuch) mit sichtlicher Befriedigung festgestellt, wobei die "brüderliche Hilfe" durch die Sowjetunion und die Beteiligung der ehemaligen DDR daran, wohl als selbstverständlich, mit keiner Silbe erwähnt wird.

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Als Folge dieses Scheiterns erfolgte nach Ansicht der Verfasser der Diss. 4 (Lehrbuch) ein "Ausbau der materiellen, technischen, institutionellen, organisatorischen und personellen Voraussetzungen zur Realisierung der PID". So seien damals die grenzüberschreitenden Medien erweitert bzw. die Programme im Interesse eines verstärkten subversiven Einwirkens profiliert worden. Erwähnt wird in diesem Zusammenhang die Aufnahme des Magazins "Kontraste" in das ARD-Programm Anfang 1968. Wörtlich heißt es dann weiter: "Um die Wirksamkeit der PID gegen die DDR weiter zu erhöhen, entstand Mitte der 60er Jahre neben der ,Qsteuropaforschung, eine spezielle ,DDR-Forschung', zunächst auch ,DDR-ologie, genannt."

Es sei dann die internationale Entspannungspolitik gefolgt, in deren Verlauf ein internationales Vertragswerk entstanden sei, "das im KSZE-Prozeß von Helsinki seinen vorläufigen Höhepunkt" gefunden hätte. Als fast selbstverständlich erscheint es, daß die Diss. 4 (Lehrbuch), der Auffassung des MfS folgend, diese Entwicklung keineswegs begrüßte. Im Gegenteil, es wird behauptet, der Gegner hätte danach gestrebt, die Entspannungspolitik zur Durchsetzung seiner subversiven Ziele zu mißbrauchen. Das hätte sich am Fall Polen gezeigt. Kennzeichnend dafür seien Forderungen nach "Sozialismusverbesserung", nach einem "angeblich" freien Informationsfluß, nach mehr Freizügigkeit, die Menschenrechtsdemagogie. Verstärkt sei sichtbar geworden, daß die "von NATO-Interesse inspirierten imperialistischen Geheimdienste" aktiver geworden seien. Ignoriert wird, wie in der Polenkrise Bundeskanzler Schmidt eine auch im Westen kritisierte Zurückhaltung gezeigt hatte. Hinzugefügt wurde (S. 43): "Durch die sich objektiv erweiternden Kontaktmöglichkeiten zwischen Bürgern unterschiedlicher Gesellschaftssysteme versuchte der Gegner, die Wirksamkeit der PID zu erhöhen."

Als neue Methode sei zu verzeichnen gewesen, daß Korrespondenten imperialistischer Publikationsorgane, die im Ergebnis des Entspannungsprozesses in der ehemaligen DDR zunehmend akkreditiert wurden, ihre Tatigkeit verstärkt zur subversiven ideologischen Einwirkung und anderer Formen der Feindtätigkeit mißbraucht hätten. Korrekturen seien auch in der Programmgestaltung der grenzüberschreitenden Medien vorgenommen worden. Ohne auf plumpe Formen des Antikommunismus zu verzichten, sei ihr subversives ideologisches Einwirken durch ein flexibles und differenzierteres Vorgehen gekennzeichnet gewesen. Erich Mielke 2 selbst betonte in seiner Rede anläßlich des 25. Jahrestages des MfS das große Gewicht, das der Kampf gegen die PID bekommen hätte, aus der in der Diss. 4 (Lehrbuch) zitiert wird:

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"Wichtiger Bestandteil und eine wesentliche Grundlage für alle Formen des subversiven Kampfes gegen den Sozialismus ist die politisch-ideologische Diversion. Mit ihr verfolgt der Gegner das irreale Ziel, durch allmähliches schrittweises ,Aufweichen' und ,Zersetzen, der Grundlagen der sozialistischen Gesellschaftsordnung langfristig auf eine ,Veränderung' der politischen Verhältnisse in der DDR und den anderen sozialistischen Bruderstaaten hinzuwirken. Sein Vorgehen wird von der Absicht bestimmt, das Vertrauen der Werktätigen in die Richtigkeit der Politik der Partei- und Staatsführung zu untergraben, der Entwicklung und Festigung des sozialistischen Bewußtseins entgegenzuwirken, seine aggressiven Pläne und Machenschaften zu verschleiern, das Feindbild zu verwischen und die Wachsamkeit einzuschläfern."

Deutlicher konnte es aus dem Munde des Chefs nicht gesagt werden, daß das MfS die PID nunmehr als die höchste Gefahr für die DDR ansah und daß alle übrigen ..Feindtätigkeiten" in ihr die Grundlage hätten. Deshalb wurde die Eigenschaft des MfS als Ideologiepolizei fast für die wichtigste gehalten. Die Mitarbeiter der MfS, die mit der Bekämpfung der PID betraut waren, mögen sich sogar als die angesehen haben, von denen letztlich das Schicksal der SED und der DDR abhing. Wie die Ereignisse in der DDR, die 1989 zur Wende führten, zeigten, hatten die Deutschen dort tatsächlich nicht das gewünschte Vertrauen zur SED-Führung, auch nicht, wie sich bald herausstellte, zur DDR als eigenständigem Gebilde, in der Sprache der Kommunisten also nicht das angeblich richtige, das "sozialistische" Bewußtsein. Aber über die Gründe dafür unterlagen sie einem gewaltigen und für sie folgenschweren Irrtum. Nicht das, was sie unter PID verstanden, war die Ursache für das Ende der DDR und schon kurz zuvor des MfS, sondern sie lag ganz woanders und war vielgestaltig. Dazu gehörten ebenso die katastrophale wirtschaftliche und finanzielle Situation wie auch die sozialen Mißstände, z. B. sehr geringe Renten - vor allem für Witwen -, in der Hauptsache aber das diktatorische Regiment mit seiner Mißachtung der sogar in der Verfassung, wenn auch nur unter großen Vorbehalten, verbürgten Grund- und Freiheitsrechte, besonders der Reisefreiheit über die ..Staatsgrenzen" hinweg, und nicht zuletzt die Tatigkeit des MfS als Repressionsorgan, das nicht nur observierte, verfolgte und physische Gewalt bis zum Mord ausübte, sondern glaubte, sich auch zum Herrn über das Denken der Menschen als Ideologiepolizei machen zu müssen. Sicher war ein wichtiger Faktor für die Einstellung der Mehrheit der Deutschen in der ehemaligen DDR die Existenz der Bundesrepublik als eines freiheitlichen, demokratischen Rechts- und Sozialstaates mit einer pluralistischen Gesellschaftsordnung und einer sozialen Marktwirtschaft. Es herrschte auch in der DDR weithin die Auffassung, daß Deutschland zwar nicht mehr eine staatliche Einheit war, daß aber auf seinem Boden nur ein Volk lebte, das dieselbe Sprache hatte und unter dem viele verwandtschaftliche und trotz der Trennung auch noch freundschaftliche Beziehungen bestanden. So sahen viele Deutsche, welche trotz allem auf eine 2 Erich Mielke, Mit hoher Verantwortung für den zuverlässigen Schutz des Sozialismus, Einheit, 1/1975, S. 49/50.

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staatliche Wiedervereinigung hofften, in der Bundesrepublik ein Modell für ein späteres Gesamtdeutschland. Auch die, welche an sozialistischen Utopien festhielten und lediglich eine bessere eigenständige DDR ohne Totalitarismus wollten, sehnten sich nach Freiheit und einem gesicherten sozialen Status und lehnten deshalb alles ab, was die "realsozialistische" DDR verkörperte. Gewiß ist auch, daß es nicht wenige gibt, die vom wiedervereinigten Deutschland aus mannigfachen Grünen enttäuscht sind, weil sie von der Bundesrepublik nur die guten Seiten wahrnahmen, aber nicht sahen, daß es dort vieles gab (und noch gibt), was verbesserungswürdig ist. Aber nur eine ganz kleine Minderheit, vor allem vormals Privilegierte, sehnten sich nach der ehemaligen DDR zurück. So hat es gar nicht einer gezielten PID bedurft, um die DDR zu einer "ehemaligen" zu machen. Die Tätigkeit des MfS war trotz vieler, auch mancher geistiger Anstrengungen nicht nur vergebens, sondern auch aus systemimmanenten Gründen von vornherein aussichtslos. Besonders der so gefürchtete Vergleich der unterschiedlichen Systeme mußte zuungunsten des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden ausfallen. Harte Tatsachen sorgten dafür. Sie darzustellen genügte. Wenn die Einstellung der "Bürger" der ehemaligen DDR dadurch beeinflußt wurde, so ist das nicht darauf zurückzuführen, daß damit grundsätzlich die Absicht bestanden hätte, destabilisierend zu wirken. Dafür waren allein die politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnisse verantwortlich zu machen, die von der SED- Diktatur geschaffen und erhalten worden waren. Pflicht der Massenmedien allgemein und der Forschung im speziellen in der freien Welt war es, die Wirklichkeit auch in der DDR und in den anderen realsozialistischen Ländern so darzustellen, wie sie war und nicht, wie sie nach den Vorstellungen der SED-Führung hätte sein sollen. Das bedurfte außer eigener Recherchen auch einer gründlichen, nach wissenschaftlichen Prinzipien arbeitenden Forschung. Die Geheimhaltungspolitik der SED-Führung, ja ihre falsche Darstellung von Fakten, erschwerten diese Arbeit. Trotzdem mußte sie getan werden, auch auf die Gefahr hin, daß gelegentlich Unrichtiges, Halbwahres oder auch Falsches berichtet wurde. Wenn sich derartiges ereignete, so war dafür das Nachrichtenmonopol der SED-Führung in der totalitären DDR ursächlich, aber nicht das, was das MfS mit PID bezeichnete. Es soll nicht verheimlicht werden, daß es in der Bundesrepublik auch Stimmen gab, die dafür eintraten, die ehemalige DDR zu destabilisieren 3 . Aber sie waren nur vereinzelt und in den 50er Jahren eine Reaktion auf den Terror in der ehemaligen DDR. Niemals war das aber offizielle Politik. Auch viele in der alten Bundesrepublik, die die SED-Diktatur aufs schärfste kritisierten, wandten sich gegen eine Politik der Destabilisierung der DDR, weil sie der richtigen Ansicht waren, da3 Die Diss. 4 (Lehrbuch) zitiert Alard von Schack, Der geistige Kampf in der Koexistenz, Außenpolitik (Stuttgart), 11/1962, S. 773 ff., als ob dessen private Meinung allgemeine Ansichten widergespiegelt hätte. Die Verfasser übertrugen auch hier Verhältnisse in der ehemaligen DDR, wo andere als offizielle Meinungen nicht veröffentlicht werden durften, auf die freie Welt.

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durch würde der Bevölkerung dort mehr geschadet als den Machthabern. Mit einer zentral gelenkten PID hatte das nichts zu tun. In diesem Zusammenhang ist indessen nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß der Mangel an sozialistischem Bewußtsein, wie er sich im Fehlen des Vertrauens zur Partei- und Staatsführung äußerte, nitfmals bedeuten kann, daß die ideologische Indoktrination ohne Nachwirkungen bis 'in die Gegenwart geblieben wäre. Die leider immer noch bestehende "Mauer in den Köpfen" hat darin, wie schon oben in der Einleitung ausgeführt wurde, eine nicht zu unterschätzende Ursache, selbst bei Gegnern der SED-Diktatur, besonders wenn sie erst spät dazu geworden waren, ganz zu schweigen von denen, die sich lange Zeit hindurch "anpaßten" und erst 1989 - dann allerdings in Massen -, die Gunst der Stunde nutzend, sich den Mutigen anschlossen, die zu friedlichen Demonstrationen aufgerufen hatten. Aber auch diese Mutigen zeigen nicht selten Zeichen eines Denkens, das letztlich nur durch die ideologische Indoktrination zu erklären ist, der sie von Jugend an ausgesetzt waren, selbst wenn sie das nicht wahrnehmen oder wahrhaben wollen. Daran sollte kein Zweifel bestehen.

5 Mampel

V. Die Organisation der politisch-ideologischen Diversion aus der Sicht des MfS im Jahre 1972 a) Die zentrale Planung und Leitung

Da in den sozialistischen Staaten, besonders in der ehemaligen DDR, das staatliche und gesellschaftliche Leben zentral geplant und geleitet war, überstieg es offensichtlich die Vorstellungskraft kommunistischer Funktionäre, daß außerhalb ihres Machtbereichs etwas anders hätte sein können. Sie konnten daher nicht begreifen, daß in einer freien, pluralistischen Gesellschaft die Menschen im Rahmen der Verfassung und von Gesetzen sich frei entfalten können und vom Staate unabhängig selbst als einzelne oder in freiwilliger Gemeinschaft ihre Aufgaben und ihre Tätigkeit zu deren Erfüllung frei bestimmen. Auch demokratisch- rechts staatlich geordnete Staaten setzen politische Ziele, stellen ihren Organen und Behörden Aufgaben und unterstützen ideell und finanziell einzelne Menschen und private Organisationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben, wenn diese im öffentlichen Interesse tätig werden, selbst dann, wenn deren Ziele nicht unbedingt der Regierungspolitik entsprechen, solange nur im Grundsätzlichen Konsens besteht. Mit dem Wesen eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens ist jede zentralistische Befehlsgebung unvereinbar. Nun sah das MfS, wie schon oben (Abschnitt IV) dargestellt, die PID als eine große Gefahr für die DDR unter der SED- Diktatur an. Deshalb ging es davon aus, die PID sei so organisiert gewesen, wie sie allein nach der Vorstellung kommunistischer Funktionäre durchschlagenden Erfolg versprach. Eine derartige Organisation sahen sie allein in den zentralen Planung und Leitung, von welchem Organisationsprinzip sie als selbstverständlich annahmen, nach ihm würde auch in einem "imperialistischen" Staat verfahren. Deshalb gingen die Mitarbeiter des MfS an der JHS 1972 davon aus, daß das, was sie mit PID bezeichneten, zentral geplant und geleitet sein müßte. So ist in der Diss. 1 zu lesen (S. 69): "Die Entwicklung der imperialistischen Strategie des Eindringens in die sozialistischen Staaten ist untrennbar mit dem Ausbau der zentralen straffen generalstabsmäßigen Planung und Leitung der politisch-ideologischen Diversion (Hervorhebung durch den Verf.) verbunden."

Im Auftrage des damaligen Präsidenten Eisenhower sei in den USA 1953 die "United States Infonnation Agency" (USIA) geschaffen worden, die ihre Tätigkeit mit dem nationalen Sicherheitsrat der USA und dem State Department zu koordinieren gehabt habe.

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Deutsche Generäle, wie Speidei und Foertsch, hätten in den folgenden Jahren für die Bundesrepublik ebenfalls die Forderung nach einer psychologischen Kriegführung erhoben, deren Methoden und Mittel nach einheitlichen Plänen gelenkt werden müsse. Die Forderung "nach der zentralen generalstabsmäßigen Führung und Leitung der psychologischen Kriegführung und der politisch-ideologischen Diversion" sei in den "imperialistischen Hauptländern" auch weitestgehend realisiert worden. An Beweisen für diese kühne Behauptung mangelt es dann freilich. So wird für "Westdeutschland" dem Bundeskanzleramt die Aufgabe zugeschrieben, "im Auftrage der einflußreichsten Kräfte der Monopole und der reaktionären Parteien die Funktion der zentralen Planung und Leitung der politisch-ideologischen Diversion" auszuüben. Nicht ausgeschlossen werden kann, daß bei dieser Behauptung den Autoren der Diss. I die Kompetenz des Bundeskanzlers zur Bestimmung der politische Richtlinien (Art. Q.S GG) in Verkennung deren Inhalts und Grenzen vorschwebte. Dabei mögen sie, wiederum Verhältnisse in der DDR auf die in der Bundesrepublik übertragend, die beherrschende Stellung des Generalsekretärs der SED und Vorsitzenden des Staatsrates gedanklich assoziiert haben. Das wurde 1972, also zur Amtszeit von Willy Brandt als Bundeskanzler, geschrieben. Diesem wird damit unterstellt, er habe insbesondere die ehemalige DDR trotz der von ihm betriebenen Entspannungspolitik ideologisch beeinflussen, "aufweichen" wollen. Das klassenkämpferische Feindbild galt also unverändert weiter trotz der von der damaligen Bundesregierung betriebenen Politik des "Wandels durch Annäherung". Weiter wurde behauptet, im Zusammenhang mit der Schaffung zentraler Exekutivorgane zur Planung und Leitung der PID hätte sich die Tendenz verstärkt, staatliche bzw. die im staatlichen Auftrage arbeitenden wissenschaftlichen Institutionen ,,in die Entwicklung der strategischen politisch-ideologischen Konzeption des Eindringens in die sozialistischen Länder" einzubeziehen. Genannt werden die RAND-Corporation, das Hudson-Institut und andere Forschungszentren an führenden Universitäten der USA sowie für die Bundesrepublik "das westdeutsche Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien" (interessant ist, daß das Institut mit dem Namen genannt wird, den es erst unter der Brandt-Scheel-Regierung erhalten hatte) sowie der gesamte Forschungsapparat der imperialistischen Ost- und DDR-Forschung (a. a. 0., S. 71). Fünfzehn Jahre später wurde die Auffassung von einer zentralen Planung und Leitung der PID allerdings korrigiert (siehe unten). Die Diss. 1 unterscheidet "unter dem Gesichtspunkt der Stellung des Platzes der Zentren der PID im staatsmonopolistischen Herrschaftssystem" folgende (S. 73): - staatliche nationale Zentren - nichtstaatliche nationale Zentren - nichtstaatliche nichtnationale Zentren 5*

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- staatliche internationale Zentren - nichtstaatliche internationale Zentren. Die staatlichen nationalen Zentren seien auf einen Beschluß staatlicher Organe zurückgegangen, ihre Tatigkeit sei auf gesetzgeberischem Wege geregelt und ihre Funktion und ihre Struktur sowie ihr Personalbestand von den Regierungen bestimmt worden. Diese hätten sie finanziert und die Kontrolle über sie ausgeübt. Sie hätten deshalb die völkerrechtliche Verantwortung für die Tatigkeit dieser Zentren getragen. Das hätte die Regierungen der "kapitalistischen" Länder in bestimmtem Maße gezwungen, "die Prinzipien und Nonnen der zwischenstaatlichen Beziehungen" zu respektieren und den subversiven Charakter solcher politisch-ideologischen Zentren sorgfältig zu ,,konspirieren", was wohl heißen soll, sie sollten geheim und auf jeden Fall unauffällig arbeiten, damit die "Organe der Staatsrnacht" der sozialistischen Länder nicht die Möglichkeit erhalten hätten, die subversive Tatigkeit dieser Zentren einzuschränken. Als legale Mittel dazu werden aufgeführt: diplomatische Kanäle, die Hilfe internationaler Organisationen. Aber es wird hinzugefügt: "auch auf anderen Wegen". Dem Leser bleibt überlassen herauszufinden, was unter diesen zu verstehen ist. Die Annahme geht wohl nicht fehl, damit seien illegale Wege, das heißt der Gebrauch von geheimdienstlichen Methoden, das Eindringen von Spitzeln (IM) des MfS in diese ,,zentren", gemeint gewesen. Nichtstaatliche nationale Zentren seien von gesellschaftlichen und privaten nationalen Institutionen eines ,,kapitalistischen" Staates gebildet worden. Diese Zentren hätten in enger Verbindung mit ihren Regierungen gestanden und entsprechend "ihren ideologischen Doktrinen und im Interesse der Verwirklichung ihres politischen Kurses" gearbeitet. Diese Zentren hätten in vielen Aspekten ihrer Tatigkeit eine "bestimmte Autonomie" gehabt. Hier scheinen die Autoren der Diss. 1 ausnahmsweise gewisses Verständnis für eine offene Gesellschaft zu zeigen. Wie diese "bestimmte Autonomie" allerdings mit der zentralen Planung und Leitung der PID in Einklang hätte stehen sollen, muß ihr Geheimnis bleiben. Diese kann auch aus Sicht der Autoren nicht allzu groß gewesen sein. Denn sie gehen davon aus, daß die Regierungen in "großem Maße" die Dienste derartiger Zentren genutzt hätten. Sie hätten ihnen Forschungsaufträge zur Vorbereitung von ,,zersetzungsmaterialien" und zur "Durchführung" von politisch-ideologischen Diversionsoperationen erteilt sowie die Tatigkeit von staatlichen und nichtstaatlichen Zentren und der Geheimdienste koordiniert. Sie wären von den Regierungen finanziell teilweise oder voll unterstützt worden. Viel blieb also tatsächlich nicht von der "bestimmten Autonomie" übrig. Indessen hätte ein wichtiger Unterschied zu den staatlichen Zentren bestanden. Die Regierungen hätten "fonnell", das soll wohl heißen ,,real", keine Verantwortung für deren Tatigkeit getragen. Deshalb seien sie an der "Schaffung eines breiten Netzes von politisch-ideologischen Zentren" interessiert gewesen, die der Fonn nach "nichtstaatlich" gewesen seien. Dazu hätten z. B. zahlreiche Institute für Sowjetideologie, private Stiftungen und Vereinigungen, Rundfunk- und Fernsehstationen gehört. Auch hier ist die Tendenz festzustellen, die Ge-

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fahr der PID möglichst groß erscheinen zu lassen, um die Wichtigkeit der Tatigkeit des MfS als Ideologiepolizei herauszustreichen. Unter den nichtstaatlichen nichtnationalen Zentren werden "antisozialistische und antisowjetische Emigrantenorganisationen" verstanden, die sich auf dem Territorium dieses oder jenes kapitalistischen Staates niedergelassen hätten. Es folgen Ausführungen darüber, wie schwer es gewesen sei, derartige Organisationen zu bekämpfen, weil sie keine ständige Residenz gehabt hätten und über viele kapitalistische Länder verstreut gewesen seien. Es sei deshalb schwer gewesen, durch diplomatische Kanäle auf die entsprechenden Regierungen in der Absicht einzuwirken, deren Tatigkeit einschränken zu lassen. In diesem Zusammenhang wird offen zugegeben, daß bei der Bekämpfung dieser Zentren hauptsächlich ,,zersetzungsmethoden" angewandt worden seien. Staatliche internationale Zentren seien von einer Gruppe imperialistischer Staaten gegründet worden. Als Beispiele werden der "Informationsdienst der NATO" sowie die speziellen Dienste für psychologische Kriegführung bei den regionalen Stäben dieses Paktes genannt. Zu den Methoden der Bekämpfung derartiger Zentren werden Aussagen nicht gemacht. Unter nichtstaatlichen internationalen Zentren werden antikommunistische Organisationen verstanden, die entweder von nationalen gesellschaftlichen Organisationen oder von Privatpersonen verschiedener kapitalistischer Länder geschaffen worden seien. Sie hätten Spezialaufgaben gehabt, so im Bereich der Religion, auf dem "Gebiet der Verwirklichung von Aktionen der politisch-ideologischen Diversion gegen die Jugend", Tatigkeiten unter dem "Deckmantel von Missionärtum, Philanthropie, Philatelie, Bücheraustausch usw.". Die Aufzählung gibt ein anschauliches Beispiel, wo überall das MfS die große Gefahr der PID zu wittern glaubte und meinte, mit seinen Mitteln tätig werden zu müssen. Um der von allen Zentren ausgehenden Gefahr begegnen zu können, sei aber ihre Zugehörigkeit nicht nach der (äußeren) Form festzustellen gewesen, sondern dem Wesen nach. So seien die staatlichen Zentren zwar der Form nach selbständige staatliche Institutionen gewesen, die mit den Geheimdiensten offiziell nicht in Verbindung gestanden hätten. In Wirklichkeit seien sie indessen entweder "vollgültige Vertreter von Geheimdiensten oder in deren Struktur als relativ selbständige Einheiten eingegliedert" gewesen bzw. hätten eng mit diesem zusammengearbeitet. Auf jeden Fall seien sie von den Geheimdiensten gelenkt worden. Die Argumentation ist durchsichtig: Die eigene Tatigkeit als Geheimdienst, wie er geheimer gar nicht gedacht werden kann, wird mit der angeblichen geheimdienstlichen Tatigkeit von Einrichtungen gerechtfertigt, die als wirkliche oder auch nur vermeintliche Gegner kommunistischer Regime angesehen worden waren. 2. Staatliche nationale und staatliche nichtnationale Zentren seien von den imperialistischen Staaten "unter dem Schild nichtstaatlicher gesellschaftlicher Organisationen und privater Institutionen oder als nichtstaatliche internationale Organisa-

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tionen" gebildet worden. Dadurch seien Bedingungen geschaffen worden, die den Regierungen gestattet hätten, sich der "Verantwortung für ideologische und politische Aktionen sowie für die Einmischung dieser Zentren in die inneren Angelegenheiten der sozialistischen Länder zu entziehen. Die Zugehörigkeit nicht nur zu den Geheimdiensten, sondern auch zu den Regierungen sei nicht zugegeben worden. Warum die ,,zugehörigkeit" staatlicher Einrichtungen zu Regierungen geheimgehalten werden sollte und wie das hätte geschehen können, bleibt schleierhaft. Diese Behauptung gibt aber Aufschluß über das Denken von Geheimdienstleuten, die überall Verschwörungen aufzudecken vermeinen, weil sie selbst konspirativ tätig sind. Als Beispiele nennt die Diss. 1 internationale Studentenorganisationen. Um solche Einrichtungen wirksam bekämpfen zu können, sei es besonders darauf angekommen, Beweise darüber zu beschaffen, zu wem ein Zentrum gehört und welcher Geheimdienst seine Tätigkeit gelenkt hätte. Daran hatte es offenbar gehapert. Das ist begreiflich. Denn für Hirngespinste - und darum handelte es sich im wesentlichen - ist es schwer, Nachweise zu schaffen, es sei denn, das MfS fabriziere selbst welche, wovor es sich nicht zu scheuen pflegte l . Die Diss. 1 versucht dann eine Klassifizierung der Zentren nach "ihrer politischideologischen Ausrichtung". Das Ergebnis ist eine Einteilung in neun Sparten (a. a. 0., S. 79/80): 1. Zentren, die sich auf die "Ausarbeitung der strategischen Ziele" der PID und der taktischen Mittel und Methoden ihrer "Organisierung" spezialisiert hätten; 2. Zentren, die sich in der PID besonders auf die Bekämpfung der marxistischleninistischen Ideologie und die kommunistischen und Arbeiterparteien spezialisiert hätten; 3. Zentren, die sich besonders auf antisowjetische nationalistische Aspekte der Organisierung der PID konzentriert hätten; 4. Zentren, die die PID gegen religiös eingestellte Bevölkerungsgruppen organisiert hätten; 5. Zentren, die die PID gegen Jugendliche, besonders gegen Studenten gerichtet hätten; 6. Zentren, die die PID gegen Angehörige der technischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Intelligenz organisiert hätten; 1 So schickte das MfS z. B. IM (inoffizielle Mitarbeiter, zuvor GM = geheime Mitarbeiter) zum Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen (UFJ) in Berlin (West) mit dem Auftrage, sich bei ihm um eine Zusammenarbeit zu bemühen. So sollte Beweismaterial für die angebliche Spionage des UFJ gesammelt werden. (Siegfried Mampel, Organisierte Kriminalität der Stasi in Berlin (West). Die Machenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit gegen den Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen, Deutschland Archiv, 9/1994, S. 907 ff.; ders., Der Untergrundkampf des Ministeriums für Staatssicherheit gegen den Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen in Berlin (West), Schriftenreihe des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Band I, S. 44ff.)

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7. Zentren, die die PID gegen die Streitkräfte der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages betrieben hätten; 8. Zentren, die die PID "schwerpunktmäßig" unmittelbar gegen die Staatsgrenze und gegen die Einrichtungen des grenzüberschreitenden Verkehrs gerichtet hätten; 9. Zentren, die die PID gegen verschiedene Bereiche, Objekte und Personengruppen organisiert hätten, die ,,keine abgegrenzte Spezialisierung" besessen hätten, also "sonstige", damit die PID in ihrer Gesamtheit erfaßt wurde. Nach Meinung der Autoren der Diss. 1 hätte die Einteilung noch verfeinert werden können. Warum davon abgesehen ist, wird nicht mitgeteilt. Die Klassifizierung sollte dazu dienen, den "Lenkungsapparat zur Organisierung der PID" exakt einzuschätzen und eine größere "Präzisierung" ihrer Bekämpfung erreichen zu können. Der gesamte "Führungs- und Lenkungsapparat" zur Organisierung der PID sei nach Meinung der Autoren der Diss. 1 einheitlich darauf ausgerichtet gewesen, zu gewährleisten, daß "erstens auf der Grundlage der Strategie und Taktik der Auseinandersetzung der imperialistischen Kräfte mit den sozialistischen Staaten die verschiedenen Gedanken, Auffassungen und Theorien, besonders solcher Theorien, die die neuen Ausgangspunkte für die politisch-ideologische Diversion enthalten und deshalb für die Organisierung der politisch-ideologischen Diversion hervorragend geeignet erscheinen, fest in die globale Strategie des Imperialismus integriert zu werden; zweitens unter Einsatz der imperialistischen Geheimdienste und anderen Einrichtungen sowie über ein System von Befragungs- und Auswertungsstellen der politisch- ideologischen Diversion besonders das Denken und Verhalten bestimmter Personenkreise in den sozialistischen Ländern ständig nach neuen ideologischen Ansatzpunkten analysiert wird; drittens entsprechende revisionistisch und nationalistisch verpackte Leitlinien für die politisch-ideologische Diversion gegen bestimmte Zielbereiche in der sozialistischen Gesellschaft entwickelt und wirkungsvoll zur Zersetzung und Aufweichung von Personen und Gruppen eingesetzt werden."

Im Jahre 1972 glaubte man entdeckt zu haben, die Parteiführung der SPD und die "Bonner" Regierung hätten sich verstärkt darauf konzentriert, sowohl über die Führungsgremien als auch über die staatlichen Einrichtungen "einheitliche Führungsprinzipien der Planung, Vorbereitung und Organisierung" der PID durchzusetzen (a. a. 0., S. 82). Dementsprechend seien die westdeutschen Geheimdienste stärker auf die Bonner "Ost- und Deutschlandpolitik" ausgerichtet und weitgehend in den Prozeß der Planung und Vorbereitung erfolgversprechender Varianten für die Organisierung der PID gegen die sozialistischen Länder einbezogen worden. Weiter wird behauptet, die finanziellen Aufwendungen für die Geheimdienste seien von 1969 bis 1971 erheblich gesteigert worden. Die dazu mitgeteilten Zahlen

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zeigen freilich eine nicht allzu große Steigerung um etwa 19 Millionen DM, was nicht viel über die allgemeine Steigerungsrate der Haushaltsausgaben des Bundes hinausgeht, wie sie zur damaligen Zeit üblich war. Die Spionagetätigkeit der Geheimdienste wäre, so wird in der Diss. I behauptet, für die PID zur Grundaufklärung der gesellschaftlichen Verhältnisse (in den sozialistischen Ländern, insbesondere in der DDR) und für den Bedarf an inhaltlicher Gestaltung der PID für erforderlich gehalten worden. Die Beweise, die in der Diss. I für die Zusammenarbeit zwischen den "Führungszentren" der PID und Geheimdiensten angeführt werden, sind nicht stichhaltig. Sie betreffen die Tätigkeit von Agenten des "amerikanischen Geheimdienstes", aber nicht die behauptete Zusammenarbeit. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß derartige Leute vereinzelt auch für deutsche, der Wiedervereinigung Deutschlands verpflichtete Organisationen gearbeitet haben, in einem angeführten Fall des Ostbüros der CDU. Indessen kann nicht von den vom MfS behaupteten generellen Zusammenhängen gesprochen werden. Der Verfasser dieser Analyse, der seinerzeit an leitender Stelle im Gesamtdeutschen Institut tätig war, einer Einrichtung, die vom MfS als Führungszentrum der PID bezeichnet wurde (siehe unten), hat allerdings von einer solchen Tätigkeit weder des Bundesnachrichtendienstes (BND) noch des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), geschweige denn des Militärischen Abwehrdienstes (MAD) etwas gemerkt. Für seine Arbeit, und er kann das auch für die seiner Kollegen bezeugen, hatte er eine irgendwie geartete Zusammenarbeit mit Geheimdiensten nicht nötig; denn es wurde mit "offenem" Material, d. h. allgemein zugänglichem, veröffentlichtem Material und auf der Grul!dlage von freiwillig gegebenen Berichten von Flüchtlingen und gelegentlich gemachten Angaben von Besuchern des kommunistischen Machtbereichs gearbeitet. Auch wurde kein Geheimdienst systematisch unterstützt, obwohl Verwaltungshilfe zwischen staatlichen und auch staatlich subventionierten Einrichtungen überall in der Welt üblich und sogar Pflicht ist. Wenn Geheimdienste Erkenntnisse aus Publikationen solcher Einrichtungen gewannen, so geschah nicht mehr, als mit solchen bezweckt war: Wissen an Interessierte zu verbreiten. Die Auswertung von Publikationen aus dem kommunistischen Machtbereich, dazu gehörten auch Statistiken amtlicher Stellen, Gesetzblätter und ähnliches, durch die westdeutschen "Ost- und DDR-Forschungsorgane" sowie die "wissenschaftlichen Beraterstäbe der Führungszentren im System" der PID findet in der Diss. I auch Erwähnung. Es heißt darin (S. 89): "Zu diesem Zwecke werden die Publikationsorgane der sozialistischen Länder systematisch ausgewertet und die Rundfunk- und Fernsehstationen abgehört. Darüber hinaus werden über zahlreiche Institutionen Aufklärungsangaben von Personen aus den sozialistischen Ländern sowie von westlichen Touristen abgeschöpft."

Es handelt sich hier um ein Verfahren der Erkenntnisgewinnung, ohne die wissenschaftlich tätige Institutionen nicht arbeiten können. Nur im kommunistischen

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Machtbereich wurde es für verabscheuungswürdig gehalten, wenn der "Gegner" so verfährt. Freilich wurde eine Ausnahme dann gemacht, falls die Behandlung der Veröffentlichungen mit einer Lobpreisung der Verhältnisse in den sozialistischen Ländern verbunden war, wenn sie also auf eine Schönfärberei hinauslief. Das, was die realsozialistischen Funktionäre störte, war die Wertung, die nicht in derem Sinne ausfallen konnte, weil die Maßstäbe zu unterschiedlich waren. Wie sich nach der staatlichen Wiedervereinigung herausgestellt hatte, war sie, mag sie auch noch so streng gewesen sein, immer noch zu positiv im Sinne der Machthaber in der ehemaligen DDR, vor allem im wirtschaftlichen und finanziellen Bereich, ausgefallen. In diesem Zusammenhang läßt sich die Diss. 1 zu der Äußerung hinreißen, es habe sich "ein wissenschaftliches Rangertum" herausgebildet, "das skrupellos" seine Aufgaben darin sehe, die sozialistische Gesellschaft rücksichtslos anzugreifen, Einzelpersonen und Gruppen zu verwirren, sie zu desorientieren, Unruhe zu erzeugen, Spannungszustände herbeizuführen und staatsverbrecherische Handlungen zu aktivieren. Noch niemals hatte es Erfolg, einen Mangel an Überzeugungskraft mit Kraftausdrücken auszugleichen. Für eine Abhandlung, die Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, sollten sie sich verbieten. Als Hauptfunktionen der Zentren der PID werden zusammengefaßt folgende Tatigkeiten bezeichnet (a. a. 0., S. 90 - 93a): 1. Die Sammlung und Beschaffung von Informationen aus den sozialistischen Ländern. Dazu seien sowohl legale wie illegale Methoden benutzt worden. Die Behauptung von einer wechselseitigen Zusammenarbeit wird nochmals hervorgehoben, ohne dadurch wahr zu werden.

2. Die Entwicklung und Organisierung von Forschungstätigkeit. Zweck dieser Tätigkeit sei gewesen, "die Einrichtungen der imperialistischen Staaten" mit Informationen über verschiedene Fragen der Entwicklung der sozialistischen Länder und ihrer Beziehungen zu versorgen. Die Forschungsorgane hätten aufgrund der Ergebnisse ihrer Tätigkeit den Regierungsorganen "Konsultationen" erteilt, "politisch-ideologische Doktrinen und Konzeptionen ausgearbeitet und so Einfluß auf die Durchführung der Politik gegenüber den sozialistischen Ländern" genommen. Hier scheint der Einfluß der Wissenschaft auf die Politik überschätzt worden zu sein.

3. Die inhaltliche Vorbereitung des politisch-ideologischen Zersetzungsmaterials. Die Hauptmethoden der Verwirklichung dieser Funktion seien Verleumdung, Falsifizierung und Desinformation gewesen. Entlarvung von Publikationen aus dem kommunistischen Lager als Fälschungen war freilich oft nötig. Die anderen Behauptungen sind schlicht unsachlich.

4. Die Infiltration der antikommunistischen Konzeption in das Bewußtsein der Bevölkerung der sozialistischen Länder.

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V. Die Organisation der PID aus der Sicht des MfS 1972 Hier wird der hohe Stellenwert des sozialistischen Bewußtseins für die Machtbehauptung reflektiert und zugleich das große Gewicht der Bekämpfung der PID durch das MfS, seine Tätigkeit als Ideologiepolizei, hervorgehoben.

5. Einbeziehung der Bevölkerungskreise der imperialistischen Länder in die Organisierungen der PID durch Maßnahmen der Immunisierung vor der kommunistischen Ideologie und dem wachsenden Einfluß des Sozialismus. Eine derartige Immunisierung war, wie jeder politisch Bewanderte in der alten Bundesrepublik weiß, in Anbetracht der Verhältnisse in den totalitären Staaten des Realsozialismus nicht notwendig. Das zeigte das Abschneiden zunächst der KPD, alsdann der DKP bei Wahlen.

6. Koordinierte Hilfserweisung für die imperialistischen Geheimdienste bei der Durchführung verdeckter Aktionen gegen das kapitalistische Ausland und ihre Ausnutzung für die Lösung der feindlichen Tätigkeit gegen die ce SR. Die Diss. I offenbart eine erstaunliche Erkenntnis. Es werden genau die Ursachen beschrieben, die zum Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa bis weit nach Zentralasien hinein führten, angefangen von der ehemaligen DDR bis zur aufgelösten UdSSR. Nur dazu haben Einflüsse des Westens insoweit etwas beigetragen, als hier freiheitlich-demokratische und rechts- und sozialstaatliche Verhältnisse herrschten und vor allem die Grund- und Freiheitsrechte der Menschen geachtet wurden. Auch wenn es sich um Binsenwahrheiten handelt, muß festgestellt werden, daß es zur Ausübung der Informationsfreiheit und der Freiheit von Wissenschaft und Forschung auch gehört, die Verhältnisse in den ehemals realsozialistischen Ländern, insbesondere in der DDR als einem Teil Deutschlands, nicht auszuklammern und darüber in allen Massenmedien zu publizieren. Wenn die kommunistischen Länder dabei schlecht abschnitten, so lag das an den Verhältnissen dort und ist nicht auf die sogenannte PID zurückzuführen. Außerdem ist besonders in der Bundesrepublik angeblich im Interesse der Entspannungspolitik nicht selten so wohlwollend berichtet worden, daß die Bezeichnung "Schönfärberei" nicht verfehlt ist. 2 Weiter: Zum Wesen der freien Welt gehört der Wettbewerb der Ideen. Wenn das MfS das PID nennt, was in Wirklichkeit die Widerlegung marxistisch-leninistischer Argumente ist, so stellte es sich ein Armutszeugnis aus. Denn es zeigte, daß sich die Verfechter des Marxismus-Leninismus selbst als zu schwach empfanden, als daß sie ihren Machtunterworfenen eine argumentative Auseinandersetzung zumuten wollten. Schließlich spielte im Verhältnis der alten Bundesrepublik zur ehemaligen DDR das Streben nach der Wiedervereinigung Deutschlands eine besondere Rolle, auch 2 Jens Hacker, Deutsche Irrtümer, Schönfärber und Helfershelfer der SED-Diktatur im Westen, um ein Nachwort erweiterte, durchgesehene Taschenbuchausgabe (auf der Grundlage der 3. Auflage), Frankfurt am Main, Berlin 1994, S. 290ff. für die Publizistik, S. 324ff. für die Literatur.

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nachdem die offizielle Politik und die Öffentlichkeit im Westen des Landes, wie schon oben beklagt, ab 1989 davon kaum noch etwas wissen wollten. Trotzdem gab es dort Publizisten, Wissenschaftler und andere, für die der Gedanke an die Einheit Deutschlands lebendig geblieben war, wenn auch der Zeitpunkt dafür in weiter Ferne liegen mochte. Sie haben diesen Gedanken auch gegenüber den Deutschen in der damaligen DDR, wo sie es nur konnten, vertreten. Es waren dieselben, die von den Funktionären in Partei und Staat dort als "grobschlächtige Antikommunisten" bezeichnet worden waren. Wie sich dann 1989/1990 zeigte, hat diese Haltung dazu beigetragen, daß auch in der ehemaligen DDR die Wiedervereinigung letztlich für wünschenswert gehalten wurde. Aus dem Ruf nach Demokratie: "Wir sind das Volk" wurde bald der Ruf nach Einheit: "Wir sind ein Volk". Indessen muß auch an dieser Stelle mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß die Völker in den Osteuropäischen und in den vordem zur UdSSR gehörenden zentralasiatischen Ländern aus eigener Kraft das Joch des Totalitarismus abgeschüttelt haben. Dabei kam den Deutschen in der ehemalige DDR zugute, daß die UdSSR ihre schützende Hand über diese im Zuge der eigenen Liberalisierung und, weil sie auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiete Hilfe aus dem Westen zum Überleben brauchte, zurückgezogen hatte. Die Bundesrepublik hat dazu in Verpflichtung aus der Präambel des Bonner Grundgesetzes sicher etwas beigetragen freilich manchmal mehr, manchmal weniger -, aber bestimmt nicht planmäßig das betrieben, was das MfS PID nannte. Annehmbar unterlag der Staatssicherheitsdienst einem Selbstbetrug als Auswirkung der Heilslehre, der er sich verschrieben hatte, dem Marxismus-Leninismus mit seiner trügerischen Gewißheit, dem Kommunismus gehöre die Zukunft. Das ist aber gleichgültig. Denn seine Tätigkeit kann damit nicht entschuldigt werden. Nicht einmal Verständnis ist dafür aufzubringen. Als Ideologiepolizei hat das MfS sich für äußerst wichtig gehalten und dementsprechend alle seine Mittel zur Bekämpfung der PID eingesetzt. Wenn das letztlich keinen Erfolg gebracht hat, denn nicht, weil es sich darum nicht sehr bemüht hätte. So wurden die Aufführungen über die Hauptfunktionen der PID in der Diss. 1 mit markigen Worten über die Aufgaben des MfS zu ihrer Bekämpfung abgeschlossen (S. 94): "Die Gewährleistung des Schutzes bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft verlangten nachdrücklich eine aktive Bekämpfung dieser subversiven Angriffe. Den Organen der Staatssicherheit ist dabei die Aufgabe gestellt, durch eine offensive Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion im Operationsgebiet (darunter war vor allem die Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West) gemeint der Verf.) die feindlichen Pläne und Absichten bereits im Planungsstadium aufzuklären und durch politisch-operative Maßnahmen rechtzeitig und wirksam zu durchkreuzen."

Dazu müsse, so heißt es unter Berufung auf Ausführungen des Ministers für Staatssicherheit auf einem Führungsseminar, die Aufklärung und die äußere Abwehr durch die Beschaffung von "zuverlässigen, geheimen und möglichst Origi-

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nal- bzw. Primärinfonnationen aus den Zentren des Feindes" Grundlagen für die offensive Bekämpfung der PID schaffen. Diese Aufgaben könnten jedoch von der Aufklärung und äußeren Abwehr nur durch das Eindringen in die Zentren und Institutionen der PID realisiert werden, deren Tätigkeit für die Organisierung einer zielgerichteten Abwehrarbeit von besonderer Bedeutung sei. Die Darstellung dieser Zentren und Institutionen mußte die JHS, wie schon oben berichtet, den Unterlagen entnehmen, die ihr von der HV A zur Verfügung gestellt wurde. Da die Akten der HV A größtenteils vernichtet wurden, bieten die hier analysierten Abhandlungen die einzigartige Möglichkeit, sich mit dem von der HV A gesammelten und ausgewerteten Material wenigstens summarisch bekanntzumachen. Wenn auch die Existenz und die Tätigkeit der aufgeführten Staatsorgane, Einrichtungen und Institutionen kein Geheimnis waren und jeder Interessierte von ihnen wußte, so ist doch die Sicht des MfS auf sie und dessen Meinung über ihre Bedeutung für die Aufarbeitung der Vergangenheit der ehemaligen DDR wichtig. Ihr wird daher hier weiter Raum gegeben. b) Die Führungszentren der PlD

Bei der Behandlung der ,,zentren der PID" werden Wahrheit und Dichtung fleißig gemischt. Die kühne Behauptung, in der Politik der sozial-liberalen Bundesregierung sei mit der Entspannungspolitik der psychologischen Kriegführung der PID ein erhöhter Stellenwert eingeräumt worden, führte zu der fragwürdigen weiteren, dafür sei die unmittelbar mit der Regierungsbildung eingeleitete Umstrukturierung des Bundeskanzleramtes (BKA) Ausdruck gewesen. Die Verfasser der Diss. I ließen sich dazu hinreißen zu schreiben, dieses sei zu einer neuen Art "Führerhauptquartier" entwickelt worden. Die Verdreifachung der Zahl der Bediensteten im BKA habe dessen "Führungs"funktion gegenüber dem gesamten "westdeutsehen Staatsapparat" weiter verstärkt (a. a. 0., S. 94). Dieser unglaubliche Vergleich, der ausgerechnet einen solchen entschiedenen Nazigegner wie Willy Brandt in Gedankenassoziation zu Hitler bringen sollte, zeigt abennals an, wie es um die Wissenschaftlichkeit von Erzeugnissen der JHS bestellt war. In die allgemeinen Führungsfunktionen des BKA sei "zugleich die spezifische Funktion der operativen Planung und Leitung der psychologischen Kriegführung" und der politisch- ideologischen Diversion integriert gewesen. Es folgen dann in der Darstellung eines Teils des organisatorischen Aufbaus des BKA die Nennung der angeblich daran beteiligten Abteilungen und Referate, die wohl nicht zuletzt aufgrund des vom berüchtigten Spion Guilleaume gelieferten Materials nicht falsch sind, nur daß sie nicht die ihnen hinsichtlich der PID unterstellten Funktionen hatten. Eine besondere Bedeutung wurde dabei dem Staatssekretärausschuß für Sicherheit unter dem Vorsitz des Leiters des Bundeskanzleramtes (damals Egon Bahr) zugemessen. Wichtige Grundsatzfragen seinen besonders von zwei Forschungsorganen vorbereitet worden, der "Stiftung Wissenschaft und Politik" und

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dem "Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien". Nicht falsch ist, daß diese Einrichtungen auch dem BKA wissenschaftlich zugearbeitet haben und das auch weiter tun. Dazu sind sie u. a. gegründet worden. Unzutreffend ist jedoch eine Zuarbeitung zur PID. Als ein "zentrales Exekutivorgan der Planung und Leitung der psychologischen Kriegführung" und der PID nennt die Diss. 1 das "Presse- und Informationsamt der Bundesregierung" (BPA). Von dieser Behörde seien "praktisch alle publizistisch wirksam werdenden Bereiche und Institutionen Westdeutschlands gesteuert" worden. Auch hier wurden die Verhältnisse in einem totalitären System, wie es die ehemalige DDR hatte, auf eine freiheitlichdemokratische Ordnung mit einer offenen Gesellschaft übertragen. Man konnte und wollte vor allem im Umkreis des MfS den Klassenfeind nicht anders sich verhalten sehen, wie das im eigenen Machtbereich geschah, wo es nur gelenkte und zensierte Publikationen gab, damit Leser, Hörer und Seher das richtige, das sozialistische Bewußtsein erhielten und behielten. Die Aufgaben des BPA wurden aus dessen Bulletin vom 14. 5. 1961 zwar richtig zitiert, es muß jedoch das Geheimnis der Verfasser der Diss. 1 bleiben, daraus die von ihnen behaupteten Kompetenzen zu lesen, mit ihnen sei das BPA in die Lage versetzt worden, u. a. "die psychologische Kriegführung gegen die eigene Bevölkerung zu organisieren" und "eine regierungskonforme politisch-ideologische Beeinflussung des Auslandes zu gewährleisten." Schon die Erforschung der öffentlichen Meinung in der Bundesrepublik und die Information des In- und Auslandes über ihre Politik mittels der von BPA und seinem großen Stab von Mitarbeitern und unter Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel herausgegebenen Periodika wurden als PID angesehen, die vom MfS zu bekämpfen sei. Die Angst trug seltsame Früchte. Eine maßgebliche Rolle im System der psychologischen Kriegführung und der PID habe das Bonner Auswärtige Amt gespielt. Als Tambezeichnung hätte der Begriff "Entwicklung der auswärtigen Kulturpolitik" gedient. Die sozialliberale Bundesregierung hätte im Auswärtigen Amt regionale Referate gebildet, darunter auch das Referat IV1218 "Kulturelle Beziehungen zu osteuropäischen Staaten". Diese hätten die "Generalstabsarbeit für die schwerpunktmäßige und gezie1te psychologische Kriegführung und politisch-ideologische Zersetzungstätigkeit leisten" sollen. Darüber hinaus sei von Brandt schon als Außenminister der Großen Koalition am 31. 10. 1967 "Der kulturpolitische Beirat des Auswärtigen Amtes" berufen worden. Es zeigt schon ein hohes Maß an Böswilligkeit, wenn Maßnahmen zur Pflege von kulturellen Beziehungen, die der Völkerverständigung und dem Frieden dienen sollen und auch dienen, als unzulässige Einwirkung auf das Bewußtsein der Menschen aus sozialistischen Staaten verunglimpft werden. Besonders verdächtigt wurde die seinerzeit vom BPA und dem Auswärtigen Amt gemeinsam organisierte und finanzierte "Institution zur Förderung der zwischenstaatlichen Beziehungen Internationes e. V." Für selbstverständlich ist zu halten, daß als das unmittelbare Führungszentrum zur Organisierung der PID speziell gegen die ehemalige DDR das damalige "Bun-

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desministerium für innerdeutsche Beziehungen", das seit seiner Gründung 1950 als "Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen" das "System der Hetze, Wühl- und Diversionstätigkeit gegen die DDR in wachsendem Maße beeinflußt" hätte. Dieses Ministerium sei unter dem Bundesminister Franke und seinem Staatssekretär Herold noch stärker als zuvor "zum Aktionszentrum ausgebaut" worden, das gemeinsam mit dem BKA und "anderen staatlichen Stellen" die gesamte politisch-ideologische Zersetzungs tätigkeit gegen die ehemalige DDR geplant, koordiniert und geleitet hätte. Die Mittel für dieses Ministerium seien erheblich erhöht worden, mit denen die "Deutschlandpolitische Forschung" und "antikommunistische" Einrichtungen wie die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Europäische Akademie und andere finanziert worden seien. "Eine wichtige Rolle bei der Organisation" der PID gegen die DDR wurde dem am 1. 7. 1969 gegründeten, dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen unterstehenden "Gesamtdeutschen Institut - Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben" zugemessen (a. a. 0., S. 108 ff.). Die darin vereinigten Einrichtungen, nämlich 1. "Verein zur Förderung der Wiedervereinigung Deutschlands e. v." mit dem "Archiv für gesamtdeutsche Fragen", dem Büro "Bonner Berichte", der "Film-, Bild- und TonbandsteIle" und dem "Büro für gesamtdeutsche Hilfe", 2. ,,zentralstelle für gesamtdeutsche Hochschulfragen", 3. "Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen" 4. "Archiv Berlin" - früher "Informationsbüro West" hätten bereits den Charakter des "Gesamtdeutschen Instituts" gekennzeichnet. Denn "diese Einrichtungen sind", so ist zu lesen (a. a. 0., S. 108), "in den vorangegangenen Jahren fast ausnahmslos in Prozessen von Gerichten der DDR der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Spionage, der Sabotage und des Menschenraubs überführt worden." Richtig ist an dieser Behauptung nur, daß Bewohner der ehemaligen DDR wegen Verbindung zu solchen Einrichtungen verurteilt worden waren. Diese Urteile sind nach der Wiedervereinigung Deutschlands kassiert worden. Die Verurteilten wurden rehabilitiert und erhielten Haftentschädigung. Für die genannten Einrichtungen und Organisationen war die Übernahme in das "Gesamtdeutsche Institut" eine hohe Anerkennung für die bisher geleistete Arbeit und die Qualität ihrer Mitarbeiter? Die engen Kontakte des "Gesamtdeutschen Instituts" zum BKA sowie zu den Institutionen der westdeutschen "DDR-Forschung", dem "Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands" und dem "Kuratorium unteilbares Deutschland" hätten der Erfüllung seiner Aufgaben gedient. Hier war das MfS richtig unterrichtet. Daß in diesem Zusammenhang die Lüge von der Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten Westdeutschlands und anderer imperialistischer Staaten wiederholt wird, ist nicht verwunderlich. 3

Siegfried Mampel, a. a. 0., wie Anm. 1.

c) Die Forschungsorgane

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Abschließend meinen die Verfasser der Diss. I zu den Führungszentren der PID, die "Entwicklung der zentralen Planung und Leitung der psychologischen Kriegführung und der politisch-ideologischen Diversion habe einen relativ hohen Stand erreicht", sei aber noch nicht abgeschlossen. Die Wichtigkeit des MfS in seiner Eigenschaft als Ideologiepolizei wurde also nochmals betont, indem der PID eine wachsende Gefährlichkeit zugeschrieben wurde. Die Folgerung wird sofort gezogen, wenn die Gesichtspunkte aufgezählt werden, nach denen in der äußeren Abwehr und der Aufklärung folgendes "konkret einzuschätzen" sei: ,,- Welche Rolle spielen die einzelnen Feindzentralen im System der politisch-ideologischen Diversion gegen die DDR? - Nach welchen Gesichtspunkten erfolgt die Leitung und Steuerung, die Koordinierung der Zusammenarbeit, z. B. zwischen dem Bundeskanzleramt, dem Bonner Auswärtigen Amt, dem Ministerium für innerdeutsche Beziehungen, dem Bonner Kriegsministerium, der SPD-Führung und den Geheimdiensten? - Wie arbeiten die zentralen Führungsorgane wie das Bundeskanzleramt und das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen mit den ihnen unmittelbar unterstellten operativ-taktischen Organen der politisch-ideologischen Diversion zusammen?"

Im Vorgriff auf die ins einzelne gehenden beiden letzten Abschnitte der Abhandlung werden hier also bereits Ratschläge für die Spione des MfS, vor allem aber an deren Führungsoffiziere gegeben. Auch Empfehlungen für höhere Anforderungen an alle "operativen Linien und Diensteinheiten" fehlten nicht. Sie betrafen - die straffe Organisation der politisch-operativen Tätigkeit bei der Bekämpfung der Zentren und Ausgangsbasen, - die perspektivische Gestaltung der äußeren Abwehr und der Aufklärung mit dem Ziel des Eindringens in die Zentren, - das zielgerichtete, koordinierte Vorgehen der operativen Linien und Diensteinheiten bei der offensiven Bekämpfung der Ausgangsbasen der PID.

Das ist deutlich genug, läßt aber auf gewisse, bis dato bestehende Mängel schließen, die es unbedingt auszumerzen galt. c) Die Forschungsorgane

Eine die Zentren der PID unterstützende Rolle hatten nach Ansicht der Verfasser der Diss. I die Forschungsorgane. Ihrer Tätigkeit wurde von der JHS eine so hohe Bedeutung zugemessen, daß ihr eine eigene Abhandlung im Rahmen des oben dargestellten Forschungsvorhabens zur PID, die Diss. 2, gewidmet war. Deshalb wird auf sie auch in dieser Analyse im einzelnen im Abschnitt über die Ost- und DDRForschung eingegangen. An dieser Stelle ist lediglich ihre Einordnung in die angeblich zentrale Planung und Leitung der PID aus der Sicht des MfS im Jahre

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1972 zu behandeln sowie anzugeben, welche Institute und Institutionen zu dieser Zeit vom MfS als Forschungsorgane für die PID angesehen wurden. So ist in der Diss. I zu lesen (S. 112), im Zusammenhang mit den verstärkten Anstrengungen der imperialistischen Staaten zur Vervollkommnung der zentralen operativen Planung und Leitung der psychologischen Kriegführung und PID hätte sich zugleich die immer stärkere Einbeziehung solcher "bürgerlicher Wissenschaftsdisziplinen" in den Lenkungsapparat der psychologischen Kriegsführung und der PID vollzogen, "die sich vorrangig mit der geistigen Manipulierung der Volksrnassen in den imperialistischen Staaten beschäftigen" und der Disziplinen, "die sich besonders mit der ,Kommunismusforschung, beschäftigen". Interessant ist, daß auch hier eine doppelte Zielrichtung der PID verzeichnet wurde, zum einen in Richtung der imperialistischen Staaten und zum andern in Richtung der realsozialistischen Staaten. Dabei seien die neuesten Erkenntnisse der Psychologie, der Verhaltensforschung und der Soziologie für beide Richtungen genutzt worden. An Forschungseinrichtungen führt die Diss. I auf: - Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, zuvor bis 1966 "Bundesinstitut für Sowjetologie", Köln; - Arbeitskreis für Ost-West-Fragen; - Institut für politische Wissenschaften, Berlin (West); - Institut für Gesellschaft und Wissenschaft in Mitteldeutschland, Erlangen;

außerdem die - Tagungen der DDR-Forscher bei der Akademie für politische Bildung in Tutzing.

Ferner wurde auch der Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands noch aufgeführt, der "gegenwärtig", das heißt neben den genannten Einrichtungen, eine "führende Position in der DDR-Forschung" eingenommen hätte. 4 Als "unterstützende" Einrichtungen wurden genannt: - Deutscher Akademischer Austauschdienst; - Alexander-von-Humboldt-Stiftung; 4 Der Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands wurde 1975 aufgelöst. Seine Tätigkeit war aber schon seit 1969 stark eingeschränkt worden (Jens Hacker, a. a. 0., wie Anm. 2, S. 415). Die Verfasser der Diss. 1 hatten das wohl registriert, wußten offenbar aber schon 1972 von der bevorstehenden Auflösung. Nach Auskunft des für d.en Forschungsbeirat seiner Zeit zuständigen Referatleiter im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, Anton Furch, war sie von der UdSSR verlangt worden (Bernd Adolph, Die Anfange des Forschungsbeirates für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands, Deutsches Archiv, 10/1995, S. 1048 ff., hier Fußnote 3). Dann glauben diese offensichtlich, die Interessen der DDR wahrzunehmen, wenn sie mit diesem Verlangen nicht sogar gern deren Wunsch erfüllte. Der SED- und DDR-Führung war der Forschungsbeirat besonders verhaßt. Sie machte ihn u.a. für den Volksaufstand am 17. Juni 1953 verantwortlich. Die Zusammenhänge bedürfen noch der Aufklärung.

d) Die "operativ-taktischen" Organe der PID

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- Carl-Duisberg-Gesellschaft für Nachwuchsförderung; - Friedrich-Ebert-Stiftung; - Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde; - Südosteuropagesellschaft; - Göttinger Arbeitskreis.

d) Die "operativ-taktischen" Organe der PlD Unter "operativ-taktischen Organen" wurden solche verstanden, die das "staatsmonopolistische" Herrschaftssystem zur Organisierung der PID "gegen bestimmte Bereiche, Objekte und Personenkreise in der sozialistischen Gesellschaft hervorgebracht" und finanziert hätte. Diese Kategorie hätte das "ganze Instrumentarium der vielfältigen staatlichen, halbstaatlichen, gesellschaftlichen und privatrechtlichen Institutionen, Vereine, Organisationen und Einrichtungen oft übelster Prägung" umfaßt, die arbeitsteilig spezialisiert die Aufweichungs- und Zersetzungstätigkeit gegen Teilbereiche der sozialistischen Gesellschaft organisiert hätten. Für diese gibt die Diss. I nur eine "Grobgliederung" (S. 122): - Einrichtungen des Rundfunks, Fernsehens, Films und Presse des "staatsmonopolistischen" Herrschaftssystems, die einheitlich in den Prozeß der Organisierung der PID integriert gewesen seien. Als Beispiele werden genannt: RFE (Radio Free Europe), Radio Liberty, Deutsche Welle, Deutschlandfunk, BBC London. Es fehlen in der Aufzählung die Sender der ARD wie etwa der SFB und des RIAS Berlin, obwohl man meinen könnte, daß gerade diese genannt worden wären. Der Grund dafür ist nicht einsichtig; - Einrichtungen der westdeutschen "imperialistischen" Parteien wie das Ostbüro der CDU oder das Referat "Wiedervereinigung" beim Parteivorstand der SPD u. a.; - Einrichtungen der Landsmannschaften, Heimatkreise, Gebietsvereinigungen, wie die Vereinigung Böhmerwald-Tatra in der Sudetendeutschen Landsmannschaft; - Emigranten- und "Terror"organisationen wie die NTS, die StschOUN, Tigid, Rat der freien Tschechoslowakei, Vereinigung tschechischer und slowakische Flüchtlinge, Bund der Vertriebenen, Vereinigung 17. Juni 1953 und andere ungarische, rumänische, polnische nationalistische und besonders auch zionistische Auslandszentralen ; - Einrichtungen, die die PID speziell gerichtet hätten gegen - Objekte und Personen im Bereich der Staatsgrenze; - Objekte und Personen im Bereich der Volkswirtschaft; - Objekte und Personen im Bereich der Wissenschaft, Kultur der Massenkommunikationsmittel; - Objekte und Personen im Bereich des Verkehrswesens und in anderen Bereichen; - Studenten- und Jugendorganisationen, die im Dienste der Organisierung der PID gestanden hätten, wie der Arbeitskreis Collegia Politica an deutschen Hochschulen, Evangelische Studentengemeinde, Katholische Studentengemeinde, Verband slowakischer Studenten u. a.; 6 Mampel

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V. Die Organisation der PID aus der Sicht des MfS 1972 - Zentren der PID, die sogenannte ,,Hilfsaktionen" für Bürger der sozialistischen Länder organisiert hätten, wie die Hilfsgemeinschaft Mitteldeutschland, Ärztegemeinschaft für Medikamentenhilfe, Hilfsaktion Märtyrer-Kirche; - Zentren der PID, die ihre Tatigkeit gegen die bewaffneten Organe der Warschauer Vertragsstaaten gerichtet hätten, wie die Studiengesellschaft für Zeitprobleme, Deutsche Gesellschaft für Sozialbeziehungen, NTS u. a.; - Vereinigungen, die "ehemalige, in den sozialistischen Ländern inhaftierte Personen" (gemeint sind nicht ehemalige Personen, sondern ehemals in den sozialistischen Ländern inhaftierte Personen) erfaßt und für die PID ausgenutzt hätten, wie die Politische Aktionsgemeinschaft, die Vereinigung politischer Häftlinge des Sowjetsystems, die Arbeitsgemeinschaft 13. 8.1961 u. a.; - Zentren der PID mit spezifisch "faschistisch- militaristischem" Charakter, wie die Gesamtdeutsche Arbeitsgemeinschaft.

Sehr systematisch ist diese Aufzählung wahrlich nicht. Darauf kam es offensichtlich den Verfassern der Diss. 1 nicht an, wenn sie bedeutende Einrichtungen mit weniger wichtigen mischten. Auch hier wird die Tendenz offenbar, die Gefährlichkeit der PID möglichst hoch anzusetzen und die Wichtigkeit des MfS als Ideologiepolizei möglichst zu betonen, weil in der Aufzählung der Quantität der Qualität der Vorzug gegeben wurde. Festzuhalten ist folgendes: Wenn die operativ-taktischen Organe als zum Teil übelster Prägung bezeichnet werden, ohne dafür auch nur den Schatten eines Beweises zu liefern, so tritt damit Beschimpfung anstelle von Sachlichkeit, was auch den MfS-Zöglingen an der JHS aufgefallen sein dürfte. Wenn auch zionistische Auslandszentren der PID geziehen wurden, so zeigt sich, daß Antisemitismus dem MfS keineswegs fremd gewesen ist. Wenn schließlich auch die kirchlichen Studentengemeinschaften beschuldigt wurden, an der PID teilgenommen zu haben, so wird eine kirchenfeindliche Haltung offenbar. Den operativ-taktischen Organen war im Gedankengebäude der Diss. 1 die Aufgabe zugeschrieben worden, die PID praktisch durchzuführen. Sie hätten entsprechend ihrer Stellung im Lenkungsapparat der PID und "in Übereinstimmung mit den für sie festgelegten Angriffsbereichen" ihre Tatigkeit auf das Ziel zu konzentrieren gehabt, "mit differenzierten, zunehmend geheimdienstlichen Mitteln personelle konterrevolutionäre Stützpunkte auf dem Territorium der sozialistischen Länder, insbesondere der DDR, zu schaffen". Die Erfahrung hätte bestätigt, daß "diese Organe über die Organisierung aktiver Erkundungsmaßnahmen, die Anwendung der verschiedensten Varianten der Kontakttätigkeit und die Ausnutzung aller sich bietender Kanäle der Infiltration eine zielgerichtete" PID-Tatigkeit gegen bestimmte Bereiche, Objekte und Personen in der sozialistischen Gesellschaft zu organisieren gehabt hätten (S. 124/125). So glaubte man, als Mittel dieser Organe die Tatigkeit von Journalisten in den sozialistischen Ländern, besonders der in der DDR, mit ihren Kontakten, vor allem aber in den persönlichen Kontakten von

e) Die Hauptangriffsrichtungen der PID

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Menschen, auch im Post- und Femmeldeverkehr ("alle sich bietende Kanäle") aus den unterschiedlichen Gesellschaftssystemen erkannt zu haben. e) Die Hauptangriffsrichtungen der PID

1972 stellte die Diss. 1 fest, die Hauptangriffsrichtung der PID hätte sich stärker gegen die marxistisch- leninistische Partei und ihre führende Rolle im Leben der sozialistischen Gesellschaft gerichtet. Nach den Lehren der "Ereignisse in der ~SSR" hätte sich indessen die Taktik des Gegners insofern geändert, als er zwar die kommunistische Partei hätte weiterbestehen lassen, aber ihres klassenkämpferischen Charakters berauben und praktisch in eine sozialdemokratische Partei "transformieren" wollen. Dazu hätte er Fraktionsbildungen innerhalb der kommunistischen Parteien initiieren und "bewährte- Führungskollektive" diskriminieren wollen. Die Angriffe gegen die führende Rolle der Arbeiterklasse und der marxistischleninistischen Partei seien zugleich mit Angriffen gegen den Marxismus-Leninismus und sein Kernstück, die Lehre von der Diktatur des Proletariats, verbunden gewesen. Unfähig, den Marxismus-Leninismus zu widerlegen und den Völkern eine deren Interessen entsprechende Alternative anzubieten, hätte sich die PID auf die Verfälschung, Zersetzung und Zerstückelung der Lehren von Marx, Engels und Lenin konzentriert. Durch revisionistische und trotzkistische Gruppen hätte die Arbeiterbewegung gespalten und geschwächt werden sollen. Eine wichtige Rolle dabei hätte die Konstruktion eines Gegensatz!'!s zwischen Marx und Lenin gespielt. Solche Theorien hätten als zweckmäßigste Waffe zur Zerstörung der brüderlichen Bande der sozialistischen Länder mit der Sowjetunion gedient, wobei auch an die alten Bindungen der kleineren sozialistischen Länder an Europa erinnert worden sei. Im Zentrum des Angriffs gegen die sozialistische Staatengemeinschaft hätten besonders die Angriffe gegen die sozialistische Staatsmacht, gegen die Diktatur des Proletariats gestanden. Rechtssozialistische, revisionistische und imperialistische Auffassungen über "modeme Demokratie" hätten anstelle der Theorie und Praxis der Diktatur des Proletariats, solche über "Pluralismus" anstelle des demokratischen Zentralismus treten sollen. Ökonomische Reformen und Strukturveränderungen seien gefordert worden. Die unter dem Schlagwort "Entideologisierung" zusammengefaßte Zersetzungstätigkeit hätte darauf gezielt, daß die von der technisch-wissenschaftlichen Revolution bestimmte "moderne Industriegesellschaft durch die ihr immanenten Sachzwänge" die marxistisch-leninistische Ideologie genau wie jede andere Ideologie entwertet hätte. Der Marxismus-Leninismus sei nicht in der Lage gewesen, die neuen wissenschaftlich-technischen und sozialen Erscheinungen theoretisch und praktisch zu bewältigen, die die wissenschaftlichtechnische Revolution hervorgebracht hätte. 6*

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Sodann befaßte sich die Diss. I mit der Kritik an der Rechtfertigung des realsozialistischen Herrschaftssystems : "Die Lehre von der führenden Rolle der Arbeiterklasse und der marxistisch-leninistischen Partei, von der Diktatur des Proletariats und von der Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins seien Dogmen gewesen, die einer modemen Entwicklung der Gesellschaft im Wege stehen."

Mit dieser Kritik bestätigte die Diss. I eindrucksvoll die Anwendung des Totalitarismusmodells auf das Herrschaftssystem der ehemaligen DDR. Das eine konstante Element war die ungehemmte, unkontrollierte und auf Dauer gedachte Machtausübung in Gestalt der "Diktatur des Proletariats", ausgeübt durch die Suprematie der SED als der marxistisch-leninistischen Partei der ehemaligen DDR, und das andere, von manchen nicht erkannte Element, war der Griff nach dem Denken der Menschen, um durch ideologische Indoktrination bei ihnen die Überzeugung zu schaffen, die Partei habe immer recht, von den Machthabern "sozialistisches Bewußtsein" genannt. f) Allgemeines zur Bekämpfung der Zentren der PID

In Erfüllung des Zwecks der Abhandlung erging im Anschluß daran ein Appell zur Abwehr dieser angeblichen Gefahren. "Diese Zentren der politisch-ideologischen Diversion sind mit von allen den Organen der Staatssicherheit zur Verfügung stehenden Mitteln und Methoden, vom Eindringen in ihre Konspiration bis zur Desinformation, Zersetzung und Zerschlagung offensiv zu bekämpfen. Neben der Aufklärung der Pläne und Maßnahmen sind besonders ihre Verbindungen zu feindlich eingestellten bzw. tätigen Personen in der DDR aufzudecken und diese feindlichen Stützpunkte durch geeignete Maßnahmen zu liquidieren."

Angeblich hätte die ,,zentralisierung und Koordinierung der gegnerischen Ausweichungs- und Zersetzungstätigkeit, die organisierte Einflußnahme der Führungsorgane auf den gesamten Lenkungsapparat der PID und das wechselseitige Zusammenwirken zwischen Führungs-, Forschungs- und operativ-taktischen Organen" eine neue Erscheinung in die Organisierung der PID mit sich gebracht. Diese sei von allen Diensteinheiten in der operativen Arbeit zu berücksichtigen gewesen. Sie habe darin bestanden, daß sich das Verhältnis zu den verschiedenen Formen der massenhaften Ausstrahlung der PID über die imperialistischen Massenkommunikationsmittel und der planmäßigen Organisierung von PID-Operationen gegen bestimmte Zielbereich in der Gesellschaft, besonders gegen sogenannte Elitegruppen, mehr und mehr verändert hätte. In der Rangordnung der Methoden der PID hätten die verschiedenen Einwirkungsformen auf bestimmte Zielbereiche in der sozialistischen Gesellschaft immer stärker den Vorrang erhalten, ohne daß die Massenkommunikationsmittel an Bedeutung verloren hätten. Bei gleichzeitiger Erhöhung deren Effektivität hätte sich

g) Untauglicher Versuch des Nachweises von PID

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der Gegner vorrangig darauf konzentriert, die PID gegen ausgewählte gesellschaftliche Bereiche, Objekte und Personenkreise zu organisieren. Im Zusammenhang damit hätte die Tätigkeit der in diesen Bereichen tätigen Zentren des Feindes in zunehmendem Maße die Priorität gegenüber den imperialistischen Massenkommunikationsmitteln erhalten. Die Raffinesse des Gegners wurde also hoch eingeschätzt, sicher schon deswegen zu hoch, weil die Vorstellung von einer zentralen Planung und Lenkung der PID ein Phantasieprodukt des MfS war. Aber die Tendenz der Abhandlung wird deutlich: Nicht so sehr die elektronischen Medien - nur diese hätten eine Gefahr darstellen können, weil das Lesen von Printmedien für die Menschen in der ehemaligen DDR wegen des Einfuhrverbots nahezu unmöglich gewesen war - seien gefährlich gewesen und deren Hören und Sehen hätten verfolgt werden müssen, sondern die subtilen Einflüsse durch persönliche Kontakte hätten die größere Gefahr dargestellt. Sie hätten durch das MfS als Ideologiepolizei in erster Linie kontrolliert und gegebenenfalls verhindert werden müssen. g) Untauglicher Versuch des Nachweises von PlD

In der Diss. 1 wird unter Berufung auf einen Aufsatz in der Zeitschrift "Kommunist", Heft 11/1969, der freilich in ihrem Literaturverzeichnis nicht zu finden ist, behauptet, charakteristisches Merkmal von PID-Operationen sei das Anknüpfen an "wichtige Ereignisse und Tatsachen des internationalen Lebens und das planmäßige und komplexe Einsetzen der den imperialistischen Führungszentren zur Verfügung stehenden Kräfte, Mittel und Methoden gegen bestimmte Zielbereiche in der sozialistischen Gesellschaft". Beispiele solcher Operationen seien die Vorbereitung und Durchführung der Moskauer Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien vom Juni 1969, der 20. Jahrestag der Gründung der DDR sowie die Treffen des Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, Stoph, mit dem Bundeskanzler Brandt in Erfurt und Kassel gewesen. Anhand der Moskauer Beratung 1969 wurde der Versuch unternommen, nachzuweisen, wie der Gegner anläßlich dieses Ereignisses die PID geplant und durchgeführt habe. Dazu seien drei Phasen vorgesehen gewesen. Die erste Phase hätte die Periode der Vorbereitung der Beratung betroffen und sei bis zum 5. Juni berechnet gewesen. Dieser Teil der Operation sei darauf gerichtet gewesen, das Zentrum der kommunistischen Weltbewegung, die KPdSU, zu diskreditieren und ihr deshalb Hegemoniebestrebungen und Unterwerfung der mit ihr verbündeten Parteien zu unterstellen. Vor allem hätte man auf Meinungsversclüedenheiten zwischen den Parteien und der KPdSU und den zu erwartenden Zerfall der kommunistischen Weltbewegung spekuliert. Nun bestand nirgends in der Welt Zweifel daran, daß die KPdSU das Zentrum der kommunistischen Weltbewegung war und daß die unter ihrer Suprematie ste-

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hende UdSSR wegen ihrer geographischen Lage, ihrer Bevölkerungszahl und vor allem ihrer militärischen Überlegenheit über die anderen Länder des realsozialistischen Lagers dominierte. Auch war allgemein bekannt, daß es Meinungsverschiedenheiten gab zwischen der KPdSU und den kommunistischen Parteien dieses Lagers und vor allem auch denen in der freien Welt, so einerseits mit der Rumänischen Kommunistischen Partei und andererseits mit den entsprechenden Parteien in Frankreich und Italien. Selbstverständlich wurde das in Politik und Wissenschaft der freien Welt analysiert und darüber in allen Massenmedien berichtet. Sicher standen die KPdSU und die von ihr beherrschten UdSSR auch deshalb nicht gerade im besten Lichte da. Auf die Bevölkerung im kommunistischen Machtbereich mag die westliche Beurteilung nicht ohne Eindruck geblieben sein, soweit sie noch nicht aus eigenem, oft bitterem Erleben schon selbst die richtigen Schlüsse gezogen hatte. Mit PID hatte das indessen nichts zu tun. Die zweite Phase habe die Periode vom 5. 6. - 17. 6. 1969 erfaßt. Für sie sei als "Basisargument" für die PID die These von der begrenzten Souveränität der sozialistischen Staaten ("Breschnew-Doktrin") genommen und für einen großen Angriff auf die sowjetische Außenpolitik und den proletarischen Internationalismus benutzt worden. Mit gezielten Aktionen hätte der Gegner versucht, Druck auf die teilnehmenden Delegationen auszuüben und sie zur Kritik an der "brüderlichen Hilfsaktion der Warschauer Vertragsstaaten für die CSSR" zu veranlassen. Es fragt sich freilich, wie ein solcher Druck hätte ausgeübt werden können. Außerdem waren die "Bruderparteien" durchaus in der Lage, sich ihre Meinung selbst zu bilden. Während der Konferenz hätte der "Gegner" auch versucht, die "angespannten Beziehungen" zwischen der KPdSU und anderen kommunistischen Parteien zur Volksrepublik China in den Mittelpunkt zu rücken und seine These vom ,,zerfall des Weltkommunismus" zu begründen. Wenigstens die Existenz dieses Konflikts wurde nicht bestritten. Ebenso sei die Nichtteilnahme des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens an der Konferenz für die "politisch-ideologische" Wühltätigkeit planmäßig ausgenutzt worden. Für das MfS waren offenbar schon die Erwähnung und Kommentierung solcher Tatsachen so unangenehm, daß sie als herabwürdigend empfunden und damit zur PID gerechnet wurden. Die dritte Phase hätte die Zeit nach der Konferenz bis etwa Mitte Juli urnfaßt und dazu gedient, in zahlreichen Varianten die kommunistische Weltbewegung, insbesondere die KPdSU und die SED zu deskreditieren und den "Mißerfolg der Moskauer Beratung", die unüberwindlichen "ideologischen Gegensätze usw. darzustellen". Die Verfasser der Diss. 1 waren sich offenbar dieser Gegensätze bewußt, denn sie schrieben nicht etwa, diese zu "behaupten". Schon die Meldung von Tatsachen wurde als PID ausgegeben. Im übrigen mußten die Verfasser der Diss. 1 dem "Gegner" geradezu hellseherische Fähigkeiten zuschreiben, wenn er schon die dritte Phase der Planung auf ein schlechtes Ergebnis der Beratung hätte ausrichten können, oder vielleicht wurde anerkannt, daß er aufgrund richtiger Analysen eine zutreffende Prognose getroffen hatte.

g) Untauglicher Versuch des Nachweises von PID

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Bezeichnend für die Dominanz der KPdSU und der UdSSR ist, daß sehr wahrscheinlich auf Veranlassung des Verfassers aus dem KGB als Beispiel nicht eines anhand eines Ereignisses in der ehemalige DDR oder eines sie stark betreffenden, etwa des 20. Gründungstages, oder die Treffen der beiden deutschen Regierungschefs, gewählt wurde, sondern eines, an dem die KPdSU führend beteiligt war. Die Erkenntnisse der Diss. 1 über die zentrale Planung und Leitung der PID anläßlich bestimmter Ereignisse wurden in sieben Punkten zusarnmengefaßt, offenbar um den Lesern der Abhandlung die Tücke und Gefährlichkeit des Klassenfeindes und damit die Notwendigkeit ihrer Bekämpfung mit letzter Klarheit vor Augen zu führen (a. a. 0., S. 130 - 134): 1. Die Auswahl der Ereignisse für die Organisierung der PID-Operation sei in der Regel von der Stellung und politischen Bedeutung dieses Ereignisses im internationalen Maßstab bzw. in der Entwicklung eines sozialistischen Landes bestimmt gewesen, und zwar unabhängig von Perioden politischer Spannungen und der unter Umständen nur territorialen Bedeutung des Ereignisses. Damit im Zusammenhang sei die Festlegung des Zielbereichs der PID- Operation erfolgt. Wesentlich sei gewesen, in den entsprechenden Zie1bereichen vom "Gegner" beabsichtigte Reaktionen hervorzurufen. 2. Als nächstes sei dann der Zielbereich der PID-Operation bestimmt worden. Er hätte die Gesellschaft als Ganzes oder auch gewisse gesellschaftliche Bereiche oder Territorien umfaßt. 3. Dann sei die Institution festgelegt worden, in deren Verantwortungs bereich die Operation vorgenommen werden sollte. Genannt wurden nur deutsche Einrichtungen, wie das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, das Bundespresseamt, der Deutschlandfunk. Eine davon sei dann das ,,Realisierungszentrum" für die Operation geworden, dem es oblegen hätte, Direktiven an anderen beteiligten Institutionen und Organisationen zu erlassen und deren Ausführung zu kontrollieren. 4. Kennzeichen der ,,Realisierungsmethodik" sei "die Konzentration verschiedener Kräfte, Mittel und Methoden und ihren kombinierten Einsatz, berechnet auf eine systematische Steigerung des ideologischen Drucks". Es hätte ständig gewährleistet sein müssen, daß - die Unterlagen und Quellen, die der Operation zugrunde gelegen hätten, geheim gehalten worden wären, damit u. a. das MfS von ihnen nichts hätte erfahren können, - die Operation in ihrem Inhalt und Ton so gestaltet würde, "daß die in den angegriffenen Bereichen der sozialistischen Gesellschaft tätigen Personen zu Schlußfolgerungen" gelangen würden, die vom "Gegner" angestrebt worden seien. 5. Der "Gegner" sei bestrebt gewesen, die Operation unter sorgfaltiger Beachtung des Zeitfaktors durchzuführen, was wichtig gewesen sei, damit

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v. Die Organisation der PID aus der Sicht des MfS 1972 - die Operation im günstigsten Zeitpunkt hätte beginnen können, - die gezielten Informationen, Auslegungen und Argumente den Zielbereich hätten erreichen können, bevor Gegenmaßnahmen hätten ergriffen werden können, - ein Zeitvorsprung hätte erzielt werden können, der dazu ausgenutzt hätte werden können, "die sozialistische Gesellschaft ständig neu zu provozieren und die Basisargumente des Gegners in ständig neuen Varianten zu wiederholen".

6. Für jede PID-Operation hätte der "Gegner" versucht, eine einheitliche Basisargumentation zu entwickeln, die in verschiedenen Varianten hätte dargestellt werden können. Diese Argumentation habe jede Person in die Lage versetzen können, sich die Argumentation leicht einzuprägen. Typisch ist auch hier die Reaktion auf die Entspannungs- und Kontaktpolitik der sozialliberalen Bundesregierung Anfang der siebziger Jahre gewesen. Vorrangig seien sozialdemokratische, revisionistische und nationalistische Argumente (hier ausnahmsweise einmal eine verschlüsselte Anspielung auf die Wiedervereinigungsforderung) eingesetzt worden, mit deren. Hilfe "bestimmte Kräfte in der sozialistischen Gesellschaft angesprochen und zu feindlichen Handlungen und Aktionen" hätten mißbraucht werden sollen. (Also wiederum: "PID führt zu PUT".) In diesem Zusammenhang wurde mit besonderer Niederträchtigkeit behauptet, zur Erhöhung der Wirksamkeit der "gegnerischen" Argumentation hätten die für die "Realisierungsmethodik" verantwortlichen Einrichtungen auch darüber zu entscheiden gehabt, "wie mit Wahrheit, Halbwahrheiten, Lügen, Gerüchten und Betrug zu arbeiten" gewesen sei. 7. Jede PID-Operation hätte zugleich die Maßnahmen zur Einschätzung deren Wirksamkeit im betreffenden Zielbereich zum Inhalt gehabt, die vom "Gegner" zur Grundlage für neue Angriffe und Operationen gemacht worden wäre. Die Verfasser der Diss. I machten sich nicht die Mühe, auch nur den Schatten eines Beweises für ihre Behauptungen für die Planung und Leitung von PID-Operationen zu führen. Das gilt sowohl für das angeführte Beispiel als auch das angebliche Verfahren. Es konnten auch keine angegeben werden, weil es keine gegeben hat. Drastisch ausgedrückt: die Verfasser der Diss. 1 haben ihrer sicherlich sehr ausgeprägten Phantasie freien Lauf gelassen und Hirngespinste produziert. Trotzdem war es nützlich, sie hier relativ breit wiederzugeben. Denn daraus können wichtige Schlüsse gezogen werden: 1. Obwohl die Diss. 1 zuversichtlich eingeleitet wird, daß die erfolgreiche Entwicklung der sozialistischen Staatengemeinschaft und die damit verbundene unaufhaltsame Verlagerung des weltpolitischen Kräfteverhältnisses zugunsten des Friedens und des Sozialismus (d. h. des damaligen Ostblocks) immer stärker den Gang der politischen Entwicklung in der Welt bestimmt hätte, erweckt sie den Eindruck einer großen Furcht vor künftigen Ereignissen, die zu einer anderen Entwicklung führen könnte: die Furcht vor dem Zerfall des kommunistischen Lagers

g) Untauglicher Versuch des Nachweises von PID

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und dem Ende kommunistischer Macht. Es kann davon ausgegangen werden, daß das MfS nicht nur um seiner selbst willen die Gefahr der PID an die Wand gemalt hatte und als Ideologiepolizei tätig geworden war. Die Diss. I macht den Eindruck, daß zumindest hintergründig die Angst bestand, daß trotz der gezeigten Siegeszuversicht doch alles anders hätte kommen können. Deshalb ist es plausibel, wenn das MfS dem in Erfüllung seiner Aufgaben hat vorbeugen wollen. Aber Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre ist das kommunistische Weltsystem tatsächlich zusammengebrochen. Wenn die Mitarbeiter der JHS, verstärkt durch einen im KGB tätigen Wissenschaftler, die wirklich drohenden Gefahren geahnt haben, haben sie sich insoweit nicht geirrt. 2. Um so größer war indessen ihr Fehlurteil über die Ursachen des Zusammenbruchs des Weltkommunismus und damit auch über das Schicksal der ehemaligen DDR. Denn die Ursache für den Zusammenbruch war nicht ein angeblich planmäßiges Einwirken auf das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen im kommunistischen Machtbereich von außen. Sie lagen vielmehr in den. von Kommunisten selbst geschaffenen Verhältnissen in den von ihnen beherrschten Ländern. Sie sind seit der Wende in Mittel- und Osteuropa allgemein bekannt. Insbesondere die politische und sozial-ökonomische Lage in der ehemaligen DDR und der den Menschen angeborene Freiheitsdrang sowie sicher auch - wer will das leugnen? - der Wunsch nach einem besseren materiellen Leben waren es, die schließlich unter günstigen außenpolitischen Umständen zur Wende führten. In dieser Analyse ist bei gegebener Gelegenheit kurz darauf eingegangen worden. Weiterer Ausführungen bedarf es dazu nicht. Jedoch das zu sehen, war den SED-Funktionären verwehrt. Nach deren Menschenbild war der Mensch ein außengeleitetes Wesen, dessen Bewußtsein entweder von seinen materiellen Umständen abhängen würde, oder, wenn diese bei Lohnabhängigen nicht zum ,,richtigen", dem sozialistischen Bewußtsein geführt hätten, zu diesem hingeführt werden müßten, und war von denen, die in Gestalt des Marxismus-Leninismus über die zutreffenden und zukunftsträchtigen Erkenntnisse verfügten. Das Mittel dazu war die ideologische Indoktrination. Alles was sie hinderte, wurde als störend empfunden und bekämpft. Da die kommunistischen Machthaber wußten, daß sehr viele, die ihrer Macht unterworfen waren, nicht so dachten, fühlten und handelten, wie sie es nach deren Ansicht hätten müssen, konnten dafür nur äußere Einflüsse verantwortlich sein. Die PID wurde erfunden und, während die Kritik der Gewaltunterworfenen von den Machthabern als immer gefährlicher eingeschätzt wurde, kam das MfS darauf, das hätte an einer zentralen Planung und Leitung der PID gelegen. So wurden die Kommunisten in den von ihnen beherrschten Ländern zu Opfern der eigenen Ideologie. Die Lehren des sogenannten wissenschaftlichen Sozialismus führten zur Blindheit gegenüber der Wirklichkeit. 3. Der Mangel an Beweisen für eine planmäßig zentral geleitete PID sowie auch aus der Diss. I zu lesende Befürchtungen, die Entwicklung würde doch nicht in

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der mit äußerer Siegeszuversicht vorausgesagten Richtung verlaufen, legen den Schluß nahe, daß selbst bei den Mitarbeitern des MfS Zweifel aufkamen. Auch mag die Liberalisierung in der damaligen UdSSR unter Gorbatschow mit der Forderung nach "Glasnost" und "Perestroika" dazu geführt haben, daß manche, vielleicht sogar viele von ihnen, in ihrer ideologischen Haltung schwankend geworden waren. Dazu kam, daß sich bei der Führung der SED und gerade beim Chef des MfS zunehmend Alterserscheinungen zeigten. So ist es wohl zu erklären, daß auch die Führung des MfS nicht mehr die Kraft hatte, sich den unter Führung der Bürgerrechtler demonstrierenden Volksrnassen mit Energie entgegenzustellen, und das auch nicht mehr wollten. Der bereits mehrfach zitierte Dietrich Schmidt ist dafür ein Beispiel. Schon in den letzten Jahren vor der Wende hatte der Staatssicherheitsdienst, verglichen mit seinem Verhalten in früheren Jahren, an Biß verloren, ohne freilich prinzipiell weniger gefährlich geworden zu sein. Zur Zeit der Wende war er gleichsam ein fast zahnloser Tiger geworden, der aber noch seine Pranken einsetzen konnte. Ganz offensichtlich fehlte es zuletzt selbst im Staatssicherheitsdienst am ausreichenden sozialistischen Bewußtsein. Harte Tatsachen hatten es so erschüttert, daß es dem MfS nicht mehr möglich war, die kommunistische Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung der damaligen DDR zu verteidigen. Letztlich hatte sich die ideologische Indoktrination selbst bei denen, die Schild und Schwert der SED und der unter deren Suprematie stehenden Gesellschafts- und Staatsordnung hätten sein sollen, als vergeblich erwiesen. Niemand hat das bedauert. Indessen bedeutete diese Entwicklung nicht, daß die unablässigen Versuche der ideologischen Indoktrination ohne Wirkung auf die Menschen in der ehemaligen DDR geblieben wären, wie schon in der Einleitung festgestellt werden mußte. 4. Es wäre nun freilich ein schlimmer Fehler, daraus den Schluß zu ziehen, die Tatigkeit des MfS als Ideologiepolizei zu bagatellisieren. Ist auch PID die Mißdeutung alles dessen gewesen, was unter freiheitlich-demokratischen Verhältnissen die Ausübung von verfassungsrechtlich garantierten Grund- und Freiheitsrechten wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Informationsfreiheit, Freiheit von Forschung und Wissenschaft war, und deren zentrale Leitung und Planung die Ausgeburt blühender Phantasie, so war doch die Bekämpfung der PID durch das MfS eine schlimme Realität. Die ehemalige DDR zeigte ihr totalitäres System mit aller Schärfe. Ungehemmte Machtausübung paarte sich mit ideologischer Indoktrination. Beides zu sichern, war die Aufgabe des MfS. Dazu standen ihm alle polizeilichen Mittel zur Verfügung, die es terroristisch und mit geheimdienstlichen Methoden einsetzte. Das haben viele Menschen in der ehemaligen DDR erlitten. Die letztliche Erfolglosigkeit des MfS auch als Ideologiepolizei darf das niemals vergessen lassen.

VI. Die Organisation der politisch-ideologischen Diversion aus der Sicht des MfS in den Jahren 1987/1988 Fünfzehn Jahre später wurde 1987 die Diss. 4 als Entwurf für ein Lehrbuch und ein Jahr darauf (1988) erschien dieses, wie schon oben (Abschnitt 11) erwähnt, ohne Änderung, aber mit einer nicht unwichtigen Auslassung. Beide Abhandlungen können daher im wesentlichen als identisch behandelt werden. Die Diss. 4 basierte hinsichtlich der angeblichen Zentren der PID auf der Diss. 1, schrieb diese aber fort. Ferner wurden diesbezügliche Erkenntnisse aus der Diss. 2 übernommen und ebenfalls fortgeschrieben. Soweit der Gegenstand dieser Abhandlung die Ostund DDR-Forschung in der alten Bundesrepublik betraf, wird er hier im Abschnitt zu diesem Thema behandelt. a) Allgemeines zu den Zentren der PID Als eine Grundaussage zu den Zentren der PID glaubte die Diss. 4 (Lehrbuch) feststellen zu können, in die PID seien sowohl Einrichtungen einbezogen worden, die "vorrangig für die Realisierung von subversiven Aufgaben gegründet und seitdem für das subversive ideologische Einwirken in die sozialistischen Länder eingesetzt", als auch solche, die erst in den letzten Jahren "neu geschaffen" worden seien, bzw. "deren Tätigkeit dafür umfunktioniert" worden sei. Die Entwicklung sei noch nicht abgeschlossen gewesen, da neue Zentren geplant gewesen seien. Die Diss. 4 (Lehrbuch) unterschied ebenfalls zwischen staatlichen und privatrechtlichen Einrichtungen ("Vereinigungen, Institute" usw.) - der Rechtsform nach nicht falsch. Die Diss. 4 (Lehrbuch) hielt auch daran fest, daß sich die PID nicht nur gegen die sozialistischen Staaten gerichtet habe, sondern am subversiven ideologischen Einwirken seien auch "staatliche, gesellschaftliche, politische und ,privatrechtliche' Einrichtungen" beteiligt gewesen, "die vor allem innere Funktionen im imperialistischen Herrschafts system zur "Systemerhaltung bzw. -stabilisierung" zu erfüllen gehabt hätten. Die Diss. 4 (Lehrbuch) gab eine Definition des Begriffs ,,zentren der PID", aus didaktischen Gründen in einer Umrahmung: ,,zentren der PID sind staatliche und nichtstaatliche Einrichtungen und Organe, Gremien systemtragender Parteien und gesellschaftlicher Organisationen, wissenschaftlicher Einrichtungen und Institute sowie andere Einrichtungen bzw. spezielle Struktureinheiten in diesen genannten Stellen in imperialistischen Ländern (bzw. bei der NATO), die einen maßgeblichen Anteil an der Leitung, wissenschaftlich-theoretischen Vorbereitung und direkten Durchführung des subversiven ideologischen Einwirkens haben."

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VI. Die Organisation der PID aus der Sicht des MfS 1987/1988

Erkennbar ist, daß die Diss. 4 (Lehrbuch) um Präzision bemüht war. Nur ein "maßgeblicher" Anteil am Einwirken hatte nach der Definition eine Einrichtung oder ein Organ zu einem Zentrum der PID gemacht. Ferner fällt auf, daß nicht mehr von einer zentralen Leitung und Planung der PID die Rede ist. Es hieß nur noch (im Plural), Zentren seien an der "Leitung, Koordinierung, Organisierung, wissenschaftlich-theoretischen Vorbereitung und direkten Durchführung der PID differenziert beteiligt" gewesen. In den fünfzehn Jahren, die zwischen der Diss. 1 und der Diss. 4 (Lehrbuch) liegen, war an der JHS die Ansicht von einer zentralen Planung und Leitung der PID aufgegeben worden. Jedenfalls hieß es in einer Stellungnahme der Forschungsgruppe "Lehrbuch PID" vom 5.6. 1986, in der offenbar die Konzeption dazu entwickelt worden war (S. 5), zu beachten sei, daß es in der Bundesrepublik kein einheitliches Zentrum der PID als solches gegeben habe, von dem aus diese gegen die ehemalige DDR zentral geplant, geleitet und durchgeführt worden sei. Freilich war in der Diss. 4 (Lehrbuch) davon ausdrücklich nichts zu lesen. Offensichtlich war man an der JHS nicht fähig, Irrtümer offen zuzugeben, weil das als Zeichen der Schwäche hätte ausgelegt werden können. Das schließt nicht aus, die einzelnen Zentren hätten ihre Arbeit nicht geplant, was aber nur die Binsenwahrheit bedeutet, daß menschliches Tun nicht planlos verläuft, wenn es sinnvoll sein soll. Sowohl Respekt vor den Zentren der PID als auch die Tendenz, deren Gefährlichkeit so groß wie irgendmöglich zu machen, sprach aus den Sätzen (a. a. 0., S. 85): "In den Zentren der PID ist eine große Zahl von hochqualifizierten, wissenschaftlich und technisch sehr gut ausgebildeten Personen tätig. Es handelt sich dabei um im subversiven Kampf gegen den Sozialismus erfahrene Experten, die teilweise dem Geheimdienstapparat angehören bzw. Verbindungen zu den Geheimdiensten unterhalten." Außerdem seien Zentren der PID mit den neuesten Ergebnissen der wissenschaftlich-technischen Revolution auf dem Gebiet der Informationsverarbeitung und Nachrichtentechnik ausgerüstet gewesen. Die Diss. 4 (Lehrbuch) unterschied wie die Diss. 1: - Führungsorgane der PID, - Forschungsorgane der PID, - durchführende Organe der PID. Aber es wurde eingeräumt, damit sei nur eine schematische Einteilung vorgenommen worden, die der Wirklichkeit nicht ganz entsprochen hätte. Denn, so ist zu lesen (a. a. 0., S. 87), mit ihr seien (nur - Ergänzung des Verf.) die "charakteristischen und überwiegenden Aufgaben sowie entsprechende Tatigkeiten beschrieben" worden. Zu berücksichtigen sei nämlich gewesen, daß das einzelne beteiligte Organ in differenzierter Weise sowohl Führungs- als auch Forschungs- und durchführende Aufgaben erfüllt hätte. Der Wert dieser gegenüber der Diss. 1 neuen Erkenntnis für die Arbeit des MfS wurde sofort damit deutlich gemacht. Sie sei "für die Realisierung der Aufklärung von Zentren von praktischer Bedeutung" gewesen

b) Die Führungsorgane der PID

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und hätte zugleich "theoretisch-methodische Aspekte" berücksichtigt. Die Zentren seien eng miteinander verknüpft gewesen. Es hätten sich unter den damaligen Bedingungen (d. h. 1987/1988) "stärkere Tendenzen einer zunehmenden Zentralisation, Koordinierung und Verflechtung untereinander, insbesondere personeller und weniger institutioneller Art" gezeigt, und zwar sowohl im nationalen, aber "auch vorwiegend" im internationalen Rahmen. Die USA hätten "als imperialistische Hauptrnacht" ihre PID vorwiegend gegen die UdSSR, die Volksrepublik Polen, gegen Ungarn und andere sozialistische Staaten gerichtet und die Bundesrepublik vor allem "subversiv auf die DDR" eingewirkt. Neu ist auch die Erkenntnis - sie macht den oben vennuteten Grund für die Abkehr von der Vorstellung einer zentralen Planung der PID plausibel -, in der politisch-operativen Arbeit zu beachten, "daß die in Zentren der PID tätigen Personen unterschiedliche ideologische Grundpositionen (von militant-konservativen bis zu sozialrefonnerischen Positionen) vertreten hätten. Diese Personen wären auf eine unterschiedliche Art und Weise am ideologischen Einwirken gegen die DDR beteiligt gewesen. Damit wurden in der Ausdrucksweise des MfS richtig der damaligen Spaltung in Politik, Publizistik und vor allem auch in der DDR- und vergleichenden Deutschlandforschung Rechnung getragen, wenn auch die Positionen im wesentlichen verkannt wurden. Dann folgt ein aufschlußreicher Satz, dessen Auswirkungen noch der gründlichen Erforschung bedarf, und zwar ohne Rücksicht auf Stand und Ansehen Beteiligter oder persönlicher Beziehungen. Er lautet (a. a. 0., S. 87): ,Jnsbesondere in Forschungsorganen der BRD ermöglicht diese Differenzierung, partielle Verbündete in der Herstellung einer Koalition der Vernunft und des Realismus im Kampf um die Erhaltung des Friedens zu erkennen."

Zumindest macht diese Äußerung deutlich, weIche Motive das MfS bei der Werbung von Spitzeln im westdeutschen Forschungsbereich auszunutzen trachtete. Über den Erfolg ist damit nichts gesagt.

b) Die Führungsorgane der PlD

Die Diss. 4 (Lehrbuch) traf eine sehr wesentliche Feststellung, die der Wirklichkeit näher kam und die Diss. 1 in einem wichtigen Aspekt fortschrieb (a. a. 0., S.92): "In der BRD und in Westberlin gibt es kein ,Leitzentrum' für die PID. Die Monopolbourgeoisie setzt eine Vielzahl von staatlichen, gesellschaftlichen und auch ,privatrechtlichen ' Einrichtungen und Organen zur Führung der PID ein, die im Sprachgebrauch der MfS als Führungsorgane bezeichnet werden."

Die ebenfalls aus didaktischen Gründen umrahmte Definition für die Organe lautete:

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VI. Die Organisation der PID aus der Sicht des MfS 1987/1988 "Führungsorgane der PID in der BRD und in Westberlin sind richtlinienkompetente und weisungsberechtigte Einrichtungen der Exekutive und Legislative, Führungsgremien, Bundestagsparteien, der Monopolverbände und der Kirchen bzw. spezielle Struktureinheiten in diesen Einrichtungen und Organen. Ihre primäre Aufgabe besteht in der Führung der PID. Sie üben ihre Leitfunktionen vorrangig über die Planung, Organisierung, Koordinierung, Finanzierung, Auftragserteilung und Kontrolle aus."

Anstelle der in der Diss. 1 behaupteten zentralen Planung und Leitung der PID wurde in der Diss. 4 (Lehrbuch) die Stellung von Aufgaben allgemeinerer Art genannt: die Bestimmung der Angriffsrichtungen, d. h. der "inhaltlichen Schwerpunkte" und, auf welche Art und Weise die "Verwirklichung" der PID gelenkt werden sollte. Staatliche Führungsorgane hätten "wesentliche Aufgaben zur Durchsetzung der imperialistischen Herrschaftsinteressen insgesamt" zu erfüllen gehabt. Damit wurde im Jargon des MfS richtig beschrieben, was Aufgabe von obersten Staatsorganen ist. Aber sodann wurde zugleich hervorgehoben, welchen Stellenwert das MfS dem zugeschrieben hatte, was es als PID bezeichnete. Denn gleichzeitig (mit den allgemeinen staatspolitischen Aufgaben - Ergänzung durch den Verf.) hätte es auch Aufgaben zur Führung bzw. Leitung der PID wahrgenommen. Führungsfunktionen wären auf zwei Wegen realisiert worden: einerseits über "spezielle Struktureinheiten in wichtigen Exekutivorganen der Bundesregierung" und andererseits mittels der Unterstellung spezieller Institutionen unter staatliche Exekutivorgane, die in ihrem Auftrag vorrangig als "Koordinierungsorgane" tätig gewesen wären und wesentliche Aufgaben im Rahmen der PID zu erfüllen gehabt hätten. Als die wichtigsten Führungsorgane in der Bundesrepublik einschließlich von Berlin (West) nennt die Diss. 4 (Lehrbuch): - Das Bundeskanzleramt (BKA) Als das "zentrale Führungs-, Leitungs- und Koordinierungsorgan" der staatlichen Exekutive hätte es "wesentliche Leitfunktionen" bei der PID zu erfüllen gehabt. Besonders die Abt. 11 (Auswärtige und innerdeutsche Beziehungen sowie äußere Sicherheit) hätte dazu einen besonderen Beitrag geleistet. Sie hätte den Auftrag gehabt, direkten Einfluß auf andere Zentren der PID zu nehmen. Die hier getroffenen Entscheidungen wären sowohl über die "allgemeine Führungsfunktion" des BKA realisiert als auch mittels spezieller Organe wie dem ,,interministeriellen Kontaktausschuß" realisiert worden. Unmittelbaren Einfluß hätte die Abt. 11 auf staatliche Forschungsorgane gehabt. Von besonderer Bedeutung für die "Führung" der PID sei das Bundespresse- und Informationsamt (BPA) gewesen. Immerhin räumte die Diss. 4 (Lehrbuch) im Gegensatz zur Diss. 1 ein, daß es in der Bundesrepublik auch für die PID keine Presselenkung gegeben hat. Denn die "Empfehlungen, Richtlinien, Orientierungen, Sprachregelungen usw. des BPA" seien nur für staatliche Organe der Bundesrepublik verbindlich gewesen. Trotzdem hätte es durch die Art und Weise der Informationsgebung einen großen Einfluß auf die Tätigkeit und die Berichterstattung der Massenmedien dort gehabt. Die Vorstellung

b) Die Führungsorgane der PID

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von einer staatlichen Beeinflussung der Presse ging letztlich Mitarbeitern des MfS trotz neuer Erkenntnisse nicht aus dem Kopf. Zugegeben wird nunmehr auch, daß das BKA auf die "nichtstaatlichen Führungsorgane" nur mittelbaren Einfluß hätte nehmen können. - Das Auswärtige Amt (AA) Im AA hätte die Abt. 11 ("Politische Abteilung") über Einschätzungen zur Innenund Außenpolitik sozialistischer Staaten "Grundorientierungen für die Ausgestaltung der PID" gegeben. Daß es ureigenste Aufgabe des AA ist, die Politik aller Staaten, ohne Rücksicht auf ihr politisches oder sozio-ökonomisches System zu analysieren - auch der ehemals ,,realsozialistischen" Staaten -, ist so selbstverständlich, daß es nicht notwendig war, es zu erwähnen. Dem AA in diesem Zusammenhang zu unterstellen, es habe führend bei der PID mitgewirkt, ist ein Phantasieprodukt des MfS. Immerhin verzichtete die Diss. 4 (Lehrbuch) im Gegensatz zur Diss. I auf die Behauptung, die vom AA betriebene Kulturpolitik sei PID gewesen. Das AA hätte aber über die "Intenninisterielle Arbeitsgemeinschaft Osteuropaforschung (IMAG)" aktiven Einfluß auf die "Osteuropaforschungseinrichtungen" der Bundesrepublik genommen. Auch hier spiegelte sich das Wissenschaftsverständnis der ehemaligen DDR wider, das auch für die Bundesrepublik angenommen wurde. - Das Bundesministerium des Innern (BMI) Von ihm wurde behauptet, es hätte arbeitsteilig mit dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen "BRD-Bürger" auf den Mißbrauch von Kontakten vorbereitet. Dafür seien ihm die Evangelische Akademie für politische Bildung und die Bundeszentrale für politische Bildung mit den "nachgeordneten" Landeszentralen und dem Ostkolleg unterstellt gewesen. Diese Behauptung zeugte von der für die ehemalige DDR und speziell für das MfS typischen Verkennung des Staat-Kirchen-Verhältnisses und des Föderalismus in der Bundesrepublik. Weiter sei das BMI "Organisator und Koordinator" der Osteuropaforschung gewesen. Als Forschungsinstitut mit "bestimmten Leitfunktionen" hätte ihm das Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (BIOST) zur Verfügung gestanden. Über das ständige Sekretariat für die Koordinierung der bundesgeförderten Osteuropaforschung als "Abstimmungs- bzw. Auskunftsorgan" hätte es jährlich den "Gesamtplan Osteuropaforschung" aller bundesgeförderten Osteuropa- Institute herausgegeben. In DDR-typischer Weise wurde also Koordinierung einer Unterstellung gleichgesetzt, so, wie man es im eigenen Lande kannte. Ferner wurde behauptet, daß dem BMI staatliche Rundfunksender unterstellt gewesen seien, die offiziell als "Auslandspropagandasender" der Bundesrepublik fungiert hätten, um vor allem in die DDR und andere sozialistische Länder einzuwirken. Damit gemeint waren offenbar die "Deutsche Welle" und der "Deutschlandfunk". Auch da-

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VI. Die Organisation der PID aus der Sicht des MfS 1987/1988

bei offenbarten die Verfasser der Diss. 4 (Lehrbuch) eine typische DDR-Ansicht, diesmal von der Medienfreiheit. Sie kannten ja nur ihren eigenen Staatsrundfunk. - Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (BMB) Das BMB wurde '-- das ist kaum anders zu erwarten - als das wichtigste Organ der PID hingestellt; freilich blieb ihm die Ehre versagt, als das wichtigste bezeichnet zu werden. Es hätte seit seiner Gründung als "Gesamtdeutsches Ministerium" sogar die Bezeichnung wurde nicht richtig angegeben - im Jahre 1949 wesentliche Aufgaben zur Verwirklichung für "Deutschlandpolitik" der jeweiligen Bundesregierung gehabt. Es fällt auch hier auf, daß der Inhalt dieser Politik, nach der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit durch Erfüllung des Verfassungsgebots in der Präambel des Bonner Grundgesetzes zu streben, nicht genannt wurde. Das in der Propaganda der ehemaligen DDR häufig anzutreffende Wort "Revanchismus" als Bezeichnung für die Forderung nach der Wiedervereinigung Deutschlands findet in der Diss. 4 (Lehrbuch) keine Verwendung. Auf die Enthaltsamkeit in dieser Frage und die vermutlichen Gründe dafür wurde schon oben hingewiesen. Dafür wurden ihm insbesondere "Inspirierung, Organisierung vielfältiger subversiver Handlungen" vorgeworfen, also keineswegs nur PID. Aber die Wahrnehmung einer Führungsrolle (nicht etwa "der") für die PID gegen die DDR hätte in der Tätigkeit des BMB stets einen zentralen Platz eingenommen. Diese Rolle sei insbesondere nach der Regierungsübernahme durch die CDU/CSU/ FDP-Koalition (gemeint ist die erneute Regierungsübernahme bei Ablösung der sozial-liberalen Koalition 1982) verstärkt worden. Hervorgehoben wurde der Ausbau seiner Tätigkeit als "Förderungs- und Lenkungsorgan" für die "DDR-Forschung"; ein Zeichen dafür, welch hoher Stellenwert dieser durch das MfS zugemessen wurde. Als Beweis wurde angeführt, daß dem BMB im Bundeshaushalt "ständig steigende Mittel" zur Verfügung gestellt worden seien. Die Struktur des BMB hätte insgesamt seinen Aufgaben zur Durchsetzung der "Deutschlandpolitik" der Bundesregierung entsprochen - eine banale Aussage; denn die Struktur einer Behörde sollte wohl ihren Aufgaben entsprechen - oder war für Mitarbeiter des MfS nach eigenen Erfahrungen in der ehemaligen DDR das etwa nicht selbstverständlich? Indessen widerspricht die weitere Aussage der Wirklichkeit, alle Abteilungen des BMB seien auch an der "Durchsetzung von Leitfunktionen und der Realisierung des subversiven ideologischen Einwirkens in die DDR" beteiligt gewesen. Denn das, was das BMB betrieb und förderte, war eine geistige Auseinandersetzung mit dem real existierenden Sozialismus sowie eine objektive Darstellung der Verhältnisse in der ehemaligen DDR. Wenn das auf das Bewußtsein der Menschen im Machtbereich der DDR-Kommunisten Wirkungen zeitigte, so lag das nicht an der Tätigkeit des BMB in Erfüllung seines Auftrages, sondern an den von den DDR-Machthabern geschaffenen Verhältnissen. Auch in diesem Zusammenhang ist das nochmals zu betonen.

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Zur Realisierung seiner subversiven "Aufgabenstellung" sei dem BMB - das Gesamtdeutsche Institut - Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben (BfGA unterstellt gewesen. Mit dessen Bildung hatte sich schon die Diss. 1 befaßt. Die Diss. 4 (Lehrbuch) wiederholt, daß die BfGA bereits 1969 durch den Zusammenschluß von Feindorganisationen, wie z. B. "Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen" 1 und "Verein zur Förderung der Wiedervereinigung Deutschlands", gegründet worden wäre, "um subversive Handlungen gegen die DDR rationeller, gestraffter und schlagkräftiger" durchzuführen. Die BfGA sei vom BMB als Leitund Koordinierungsorgan für die "DDR-Forschung" eingesetzt worden, "um zunehmend eine CDU/CSU-orientierte Forschung durchzusetzen", hätte selbst DDRForschung betrieben und wäre aktiv an der Durchführung der PID beteiligt gewesen. Als Koordinierungsorgan im Auftrage des BMB sei ihr die 1978 gegründete "Informations stelle für DDR- Forschung" zugeordnet gewesen, die die Erfassung der DDR- Forschungsthemen und ihrer Ergebnisse zur Aufgabe gehabt hätte - die richtige Beobachtung einer keineswegs geheimgehaltenen Tatigkeit. Mit einer weiteren Aussage wurde den Mitarbeitern der BfGA hohe Anerkennung und tiefer Respekt gezollt. Das verdient besonders hervorgehoben zu werden, weil sie auf der Grundlage von Erkenntnissen der HV A in einer Abhandlung der JHS zu finden ist, die damit vom MfS gedeckt wurde, das mit "Feindorganisationen" nicht zimperlich umzugehen pflegte. Die Diss. 4 (Lehrbuch) ist zu entnehmen (a. a. 0., S. 95): "Die Mehrzahl der Mitarbeiter der BfGA besteht aus erfahrenen, wissenschaftlich tätigen Kräften und ,DDR-Forschern', die neben ihrer analytischen Arbeit und Forschungstätigkeit oftmals als ,Berater und Experten' der Bundesregierung für die Gestaltung und Beziehung zur DDR fungieren".

Da nicht anzunehmen ist, daß diese Aussage aus Sympathie für die Mitarbeiter der BfGA geschrieben wurde, ist davon auszugehen, daß auch ihr die Tendenz zugrundelag, die von der BfGA ausgehende PID möglichst gefährlich darzustellen, um die Wichtigkeit deren Bekämpfung durch das MfS darzutun. Trotzdem dürfen die ehemaligen Mitarbeiter der BfGA, die wegen Aufgabenerfüllung ebenso wie das BMB Ende 1991 aufgelöst wurde, stolz auf die Anerkennung sein. Zur Tatigkeit der BfGA wurde weiter ausgeführt, sie hätte eng mit anderen "Kommunismus- und DDR-Forschungsorganen" der Bundesrepublik und anderen "imperialistischen" Staaten zusammengearbeitet, ferner Kontakt zu akkreditierten 1 Siegfried Marnpel, Organisierte Kriminalität der Stasi in Berlin West - Die Machenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit gegen den Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen, Deutschland Archiv, 9/1994, S. 907 ff.; ders., Der Untergrundkampf des Ministeriums für Staatssicherheit gegen den Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen in Berlin (West), Schriftenreihe des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Band I, Berlin 1994. 7 Mampel

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Journalisten und Korrespondenten in der ehemaligen DDR und der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei dieser gehalten. Das gehörte zu ihrer Aufgabe und war niemals ein Geheimnis. Als fast selbstverständlich ist zu nehmen, daß behauptet wurde, es sei auch Kontakt zu Geheimdiensten gepflegt worden, obwohl dieser nicht über das Maß einer zwischen Behörden üblichen Verwaltungshilfe hinausgegangen war. Andererseits hätten auch die Geheimdienste "von den durch die BfGA gewonnenen Informationen und Einschätzungen für ihre subversive Tätigkeit" profitiert. Da von der BfGA sehr viel veröffentlicht wurde, was ja zu ihren Aufgaben gehörte, mögen auch Geheimdienste aus diesen Publikationen Nutzen gezogen haben. Nur die von wirklicher oder vermeintlicher Furcht vor der PID besessenen Mitarbeiter der MfS konnten dabei etwas Besonderes gefunden haben. Außer den staatlichen Führungsorganen führte die Diss. 4 (Lehrbuch) eine Reihe von nichtstaatlichen auf. Sie nennt: - Führungsgremien von Bundestagsparteien mit ihren Stiftungen. Diese Parteien hätten spezielle Gremien geschaffen, "die sich vorrangig mit der ,Deutschlandpolitik, bzw. mit ,der inneren Situation in der DDR, beschäftigen. Damit hätten sie auch "Grundorientierungen für das subversive ideologische Einwirken" bestimmt. Führende Vertreter der Parteien hätten zunehmend Einfluß auf die PID genommen und seien auch gleichzeitig aktiv anderen Durchführung beteiligt gewesen. Dabei wurde kein Unterschied zwischen den Regierungsparteien und der Opposition gemacht, obwohl allgemein und damit auch in der ehemaligen DDR bekannt war, daß sie nicht selten unterschiedliche Positionen im Verhalten gegen die ehemalige DDR vertraten, besonders in der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands. Natürlich lag auch in dieser Vereinfachung Methode. Die maßgebenden Politiker der Bundesrepublik sollten als gleich gefahriich hingestellt werden. Von besonderer Bedeutung für die "Erarbeitung von Entscheidungsgrundlagen, für die Realisierung von Forschungen und für durchzuführende Aufgaben" seien die den Parteien angeschlossenen Stiftungen gewesen. Genannt wurden: die Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU, die Hanns-Seidel-Stiftung der CSU, die Friedrich-Naumann-Stiftung der FDP sowie die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD. - Führungsgremien von "Monopolverbänden". Diese hätten als "Schaltstellen der Ökonomie, Politik und Ideologie zwischen den Konzernen und dem imperialistischen Staatsapparat" zunehmenden Einfluß auf die PID gehabt. In einer von in marxistisch-leninistischer Politökonomie geschulten Mitarbeitern des MfS verfaßten Abhandlung durfte selbstverständlich der Hinweis auf den unheilvollen Einfluß des Monopolkapitals auf die Politik nicht fehlen. Hier fiel sie relativ bescheiden aus. Nur die Stiftung Volkswagenwerk wurde genannt. Diese wäre vor allem als "Auftraggeber, Finanzier und Förderer von

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Forschungsorganen" in Erscheinung getreten. Das war sicher nicht falsch, hat aber mit PID nichts zu tun. - Gremien der "BRD-Amtskirchen". Damit wurde auch den in der Bundesrepublik als öffentlich- rechtliche Körperschaften anerkannten Kirchen Beteiligung an der PID unterstellt. Ihre Leitungsgremien hätten ebenfalls Leitfunktionen im ,,Rahmen der PID" verwirklicht. Dabei sei durch die "Organisierung sogenannter Partnerschaftsbeziehungen u. a." versucht worden, subversiv ideologisch in die DDR einzuwirken. Damit wurde auch die rein karitative Tatigkeit der Kirchen zur PID gestempelt. Soweit war die Diss. I noch nicht gegangen. Den Kirchen wurde zur Last gelegt, "Ostforschungsinstitute", "Ostmissionen" u. a. Einrichtungen unterhalten zu haben. Die Diss. 4 (Lehrbuch) unterstrich in Ergänzung der bisher genannten Führungsgremien, daß demensprechende Gremien der USA und der NATO zunehmend Einfluß auf die Führung der PID gegen die DDR genommen hätten. Zu anderen hätten internationale Vereinigungen von "Kommunismus- und Osteuropaforschern" mit "Leitfunktionen" eine immer größere Rolle gespielt. An diesen Vereinigungen seien auch die Angehörigen von Zentren der PID der Bundesrepublik maßgeblich beteiligt gewesen. Tatsächlich war es niemals ein Geheimnis, daß es eine internationale Zusammenarbeit bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Kommunismus und mit Osteuropa gab und noch immer gibt. Nur hat diese niemals dem gedient, was das MfS als PID bezeichnete. Zur Arbeitsweise der Führungszentren der PID bemerkte die Diss. 4 (Lehrbuch) in Fortschreibung der Diss. 1, unter der CDU/CSUIFDP-Koalition sei es kennzeichnend gewesen, daß es immer stärkere Bestrebungen gegeben habe, die "Leitung der PID noch straffer zu organisieren und noch direkter unter die Kontrolle der Bundesregierung zu stellen". Das Ziel hätte insbesondere darin bestanden, eine "für die praktische Durchführung der PID noch wirksamere Arbeitsweise der Forschungsorgane und durchführenden Organe zu erreichen." Dazu hätten die Führungsorgane differenziert auf die Forschungsorgane und durchführende Organe eingewirkt. Indessen waren die Mitarbeiter des MfS inzwischen zur Erkenntnis gelangt, daß die von staatlichen Führungsorganen gegebenen Weisungen, Orientierungen, Regelungen usw. nur verbindlich für nachgeordnete staatliche Organe gewesen seien. Für alle anderen Organe und Einrichtungen hätten sie nur "empfehlenden Charakter" gehabt. Damit wird vollends deutlich, daß die These von einer zentralen Planung und Leitung, wie sie in der Diss. I vertreten wurden, in der Diss. 4 (Lehrbuch) aufgegeben worden war. Indessen blieb es dabei: Jede Beschäftigung in der Freien Welt, insbesondere in der Bundesrepublik, habe zur PID geführt, ja sei PID gewesen, es sei denn, sie hätte nur darin bestanden, der trügerischen Propaganda der DDR zu folgen. Das 7*

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hat es ja auch gegeben. Wie trügerisch die DDR- Propaganda war, stellte sich erst nach der Wende in seiner Gänze heraus. Im allgemeinen wurden die Verhältnisse in der DDR besser dargestellt und beurteilt, als sie wirklich waren. Das gilt besonders für den wirtschaftlichen Bereich. Warnende Stimmen wurden in der Bundesrepublik und darüber hinaus nicht beachtet, weil sie in das offizielle Konzept nicht hineinpaßten, oder sogar als Schüren des kalten Krieges verunglimpft wurden. Auch dieses Verhalten weiter Kreise im Westen muß in diesem Zusammenhang erwähnt werden, weil die Aufarbeitung der Vergangenheit von 1945 bis 1989 sich nicht auf die ehemalige DDR beziehen darf, sondern auch das einzubeziehen hat, was in Bezug auf diese in der alten Bundesrepublik gedacht, getan, publiziert oder auch unterlassen wurde.

c) Realisierung der Leitfunktionen gegenüber Forschungsorganen

Nach der Diss. 4 (Lehrbuch) hätten Führungsorgane ihre Leitfunktionen gegenüber Forschungsorganen in unterschiedlicher Weise realisiert. Soweit sie selbst zum Staatsapparat gehört hätten bzw. staatlichen Führungsorganen direkt unterstellt gewesen seien, seien sie von den Bundesministerien und den Länderregierungen finanziert, "strukturiert" und kontrolliert worden. Eine Methode der Leitung gegenüber den Forschungsorganen sei die "Steuerung" gewesen, die als "Förderung" bezeichnet worden sei. Dazu hätten gedient: - die Finanzierung von Forschungsvorhaben, - die Auftragserteilung an Forschungsorgane, - die Steuerung der Personalpolitik. Die völlige Gleichsetzung der Förderung mit Steuerung entsprach den typischen Vorstellungen der Autoren, die entsprechend den Verhältnissen im eigenen Bereich nicht davon abgehen konnten, daß jede Tätigkeit bis in den privaten Bereich hinein von einer Machtzentrale beeinflußt werden müßte und auch sei. Daran war auch festgehalten worden, nachdem die These von der zentralen Planung und Leitung der PID aufgegeben war. Richtig war, daß die nichtstaatlichen Einrichtungen der DDR und vergleichenden Deutschlandforschung durch Haushaltsmittel finanziell gefördert wurden. Das war kein Geheimnis. Überall in der Welt trägt sich Forschung finanziell nicht selbst und wird vom Staate oder von Dritten gefördert. Nicht zu bestreiten ist, daß mit jeder solchen finanziellen Förderung ein Einfluß nicht ausgeschlossen werden kann. Da die DDR- und vergleichende Deutschlandforschung aber von einem demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik gefördert wurde, war die Gewähr dafür gegeben, daß die verfassungsrechtlich verankerte Freiheit der Forschung nicht tangiert wurde. Das ist auch etwas, was außerhalb der Vorstellungswelt realsozialistischer Funktionäre lag.

c) Realisierung der Leitfunktionen gegenüber Forschungsorganen

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Richtig ist auch, daß Forschungsaufträge vergeben wurden. Auf solche sind z. B. wiederholt die umfangreichen "Materialien zum Bericht zur Lage der Nation" hervorgegangen. 2 Bei ihnen war die Forschungsfreiheit stets gewahrt. Zutreffend ist ferner, daß die fördernden staatlichen Stellen (im Verwaltungsdeutsch "Zuwendungsgeber" genannt) insofern Einfluß auf Personalentscheidungen der Forschungseinrichtungen (im Verwaltungsdeutsch "Zuwendungsempfänger") nahmen, als sie sich die Genehmigung für Neueinstellungen und Ein- bzw. Umgruppierung bei der Höhe des Gehalts vorbehielten. Damit sollte kein Einfluß auf die Forschung ausgeübt, sondern lediglich verhindert werden, daß ungeeignete Personen eingestellt bzw. unrichtig besoldet wurden. So sollte die Verwendung von Haushaltsmitteln sachgerecht kontrolliert werden. Von einer generellen ,,steuerung" konnte keine Rede sein. Bei der Realisierung der Leitfunktionen hätten in zunehmendem Maße "Koordinierungsorgane" eine wichtige Rolle gespielt. Als solche seien sowohl bestimmte staatliche Forschungsorgane bzw. bei ihnen angesiedelte Arbeitsgruppen, Informationsstellen usw. als auch nichtstaatliche Vereinigungen, Gesellschaften eingesetzt worden. Eine derartige Koordinierungsstelle soll die Gesellschaft für Deutschlandforschung gewesen sein. Es hieß: "So wurde im Jahr 1978 die nichtstaatliche ,Gesellschaft für Deutschlandforschung' (GfD) als organisierte Basis von rechtsorientierten ,DDR-Forschern, geschaffen, die seit der Regierungsübernabme durch die derzeitige Koalition zunehmend als eine Art Leitinstitution für die ,DDR- und vergleichende Deutschlandforschung' ausgebaut wird. Dazu wird die GfD gezielt organisatorisch, finanziell und personell durch die Bundesregierung unterstützt. Sie hat im Auftrag des BMB 1984 ein ,Memorandum zur Intensivierung der DDR und vergleichenden Deutschlandforschung' erarbeitet, das der Bundesregierung als Grundsatzdokument für die Leitung und Steuerung der ,DDR-Forschung' dient. Es wird ergänzt durch das ebenfalls von der GfD erarbeitete ,Programm zur Forcierung der DDR- und Deutschlandforschung'. Zur Zeit wird versucht, dieses Programm durch das BMB und führende Regierungsvertreter durchzusetzen, z. B. durch die Gründung von neuen Lehrstühlen an Universitäten und Hochschulen und deren Finanzierung durch Bundesländerregierung und den Senat von Westberlin. "

Richtig daran war, daß die GfD 1978 nach einer schwierigen Vorbereitungsphase im Jahre 1977 gegen den Widerstand des damaligen Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen, Egon Franke 3 , gegründet worden war. Wenn die Diss. 4 2 Bericht der Bundesregierung und Materialien zur Lage der Nation 1971,416 Seiten; Bericht der Bundesregierung und Materialien zur Lage der Nation 1972, 361 Seiten; Materialien zum Bericht zur Lage der Nation, Systemvergleich 3, Nation, Staatliche und gesellschaftliche Ordnung, Wirtschaft, Sozialpolitik 1974,594 Seiten; Materialien zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland, 1987,819 Seiten; Materialien zur Lage der Nation, Bürger und Staat, 1990, 330 Seiten; herausgegeben jeweils vom Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen. 3 Protokoll des Deutschen Bundestages, Sitzung vom 24. 1. 1978 (Auszug, S. 2), Pressemitteilung des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen vom 25. 1. 1978.

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(Lehrbuch) meinte, die "Basis" hätten ,,rechtsorientierte" DDR-Forscher gebildet, so ist daran nur soviel richtig, als die Gründungsmitglieder DDR-Forscher waren, die im Gegensatz zu einer damals immer stärker werdenden Tendenz in Publizistik und Wissenschaft an dem Willen festhielten, sich für die Wiedervereinigung Deutschlands einzusetzen, mag auch die Hoffnung darauf damals als noch so utopisch erschienen sein. Schon die Absicht, die GfD zu gründen, wurde von nicht wenigen bekämpft, mit ironischen Kommentaren begleitet4 , sogar belächelt5 . Alles das wußte auch das MfS; denn die Auseinandersetzungen spielten sich in aller Öffentlichkeit ab und der Staatssicherheitsdienst war durch Spitzelberichte unterrichtet. Trotzdem wurde an der Gründung festgehalten und 1978 war es dann soweit. Nach ihrer Satzung hatte die GfD "im Bewußtsein der offenen deutschen Frage" die schlichte Aufgabe, "an der gegenwartsbezogenen Deutschlandforschung interessierte Personen zusammenzuführen, diese Forschung zu fördern, darüber wissenschafliehe Kenntnisse zu verbreiten sowie Beiträge zur vergleichenden Deutschlandforschung zu leisten". Die GfD war in ihrer Arbeit stets staatsunabhängig und ist es geblieben. Sie war in der Absicht gegründet worden, dem Erfahrungsaustausch unter den DDR-Forschern zu dienen, Anregungen für die Forschung zu geben sowie solide Kenntnisse über die ehemalige DDR dem In- und Ausland zu vermitteln. Sie hatte niemals die Absicht, "Koordinierungsorgan" für Forschungseinrichtungen zu sein, und auch keine Behörde wollte das tun. Eine solche Absicht wäre schon am Wissenschaftsverständnis der Bundesrepublik gescheitert, dem sich alle DDR-Forscher ohne Rücksicht auf ihre höchst unterschiedlichen Ansichten verpflichtet fühlten. Freilich entsprach die Vorstellung von einem Koordinierungsorgan für Forschung kommunistischen Vorstellungen von der Notwendigkeit staatlicher und damit marxistisch-leninistischer Beeinflussung der Wissenschaft. Nachdem schon die These von der zentralen Planung und Leitung der PID hatte aufgegeben werden müssen, erschien es den Mitarbeitern doch notwendig, so die große Gefährlichkeit der PID darzutun, um eine entsprechende Abwehr mit den spezifischen Mitteln des MfS zu empfehlen, und deren Anwendung zu rechtfertigen.

d) Steuerung der durchführenden Organe

Die Diss. 4 (Lehrbuch) mußte einräumen, daß der Einfluß auf durchführende Organe und deren Steuerung nur differenziert hätte dargestellt werden können. Denn Der rechte Pfosten, Der Spiegel, 10/1978, S. 8. Schriftlicher Bericht des Dr. Götz Schlicht (IM Dr. Lutter) an das MfS über den Verfasser dieser Analyse vom 16. 12. 1977: "Seine beabsichtigte Gründung der Gesellschaft für Deutschlandforschung, wie er sie versteht, war vorübergehend Hauptgespräch beim BMB und im Bundeshaus. Alles lachte Mampel aus ... Bekanntlich sind angeschlagene Boxer am gefährlichsten. (Diese Geschichte wird weiter beobachtet werden. Eine etwaige Mitarbeit ist im Interesse anderer Unternehmungen nicht ungefährlich, weil die Abhängigkeit vom BMB nicht zu übersehen ist und dieser diese Gesellschaftsgründung gar nicht gern sieht, die Gründe sind hinlänglich bekannt.)" 4

5

d) Steuerung der durchführenden Organe

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diese seien sehr zahlreich und unterschiedlich unterstellt gewesen, hätten teilweise auch den Charakter privatrechtlicher Einrichtungen getragen. Wenn man sieht, was alles zu den durchführenden Organen gerechnet wurde, ist das erklärlich. Denn die meisten von ihnen waren und sind verfassungsrechtlich verbürgt staatsfrei. Als die wichtigsten durchführenden Organe wurden die elektronischen Medien bezeichnet. In völliger Verkennung von Aufgaben, die unter freiheitlich-demokratischen Verhältnissen Pressestellen staatlicher Organe, Unternehmen, Verbände und sonstige privatrechtliche Vereinigungen und sogar Kirchen haben, nämlich der Selbstdarstellung zu dienen und Verbindung zu den Massenmedien zu pflegen, wurde behauptet, über sie hätten die Führungsorgane der PID zwingenden Einfluß auf sie ausgeübt. So ist zu lesen (a. a. 0., S. 101): "Sowohl die Parteien als auch die Monopolverbände haben eigene Struktureinheiten, die Einfluß auf die Massenmedien ausüben. So hat z. B. sowohl der ,Bundesverband Deutscher Industrie', die Abteilung 12 der Hauptgeschäftsführung ,Presse und Information' als auch der selbständige Arbeitskreis ,Presse und Information' (Public relations) Einfluß auf medienpolitische Fragen."

Von der Bundesregierung wurde behauptet, sie hätte versucht, elektronische Medien "unter strenger Kontrolle" zu halten und auf sie einen mehr oder weniger direkten Einfluß auszuüben. Immerhin wurde zugegeben, daß solches nur "teilweise" möglich gewesen sei. Denn die meisten Sendeanstalten hätten als öffentlich-rechtliche Anstalten agiert. So rangen sich die Mitarbeiter des MfS nicht zur vollen Wahrheit von der vollen Weisungsfreiheit dieser Anstalten durch. Das hätte der Mär von der PID aufgrund einer gesteuerten Politik allzu sehr Abbruch getan, und damit wäre der Grund für den Mangel an sozialistischem Bewußtsein der Machtunterworfenen nicht in dem Maße auf äußere Einwirkungen zurückzuführen gewesen, wie es notwendig erschien, um die Tätigkeit des MfS als Ideologiepolizei als äußerst wichtig hinzustellen und entsprechende geheimpolizeiliche Maßnahmen zu rechtfertigen. Als Steuerungsorgan hätte das Bundespresseamt eine bedeutende Rolle gespielt. Diese sei insbesondere immer dann in Erscheinung getreten, "wenn es um die Interessen des Monopolkapitals der BRD" gegangen sei, "wenn Sprachregelungen, Orientierungen u. ä." hätten herausgegeben werden "müssen", die von gesamtstaatlichem Interesse gewesen seien. Wiederum wurde abschwächend hinzugefügt, für "nichtstaatliche Medien" hätten die angeblichen "Weisungen" des Bundespresseamtes nur empfehlende Wirkungen gehabt. Unklar blieb, ob mit diesen Sendern nur die zwar öffentlich-rechtlich konstruierten, aber nicht staatlichen Anstalten der ARD und des ZDF gemeint waren, oder auch die privaten Sender. Die letztgenannten paßten überhaupt nicht in die Vorstellungswelt kommunistischer Funktionäre und wurden auch von denen außer acht gelassen, welche die Pflicht hatten, sich über die Verhältnisse genau zu unterrichten, über die sie schrieben. Abermals tritt der Mangel an Wissenschaftlichkeit zu Tage.

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VI. Die Organisation der PID aus der Sicht des MfS 1987/1988

Die Tatsache, daß die Sender Deutsche Welle und Deutschlandfunk Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt erhielten, wurde zum Vorwand genommen, sie als "Diversionssender" zu bezeichnen, die dem BMI unterstellt gewesen seien. Die Bundesregierung hätte große Anstrengungen unternommen, die subversive Tätigkeit dieser Sender zu aktivieren und zu "effektieren". Ihnen wären erhöhte finanzielle Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt zuteil geworden und sie hätten die modernste Nachrichten- und Computertechnik zur Verfügung gestellt bekommen. Auch die Programmstruktur wäre "staatlicherseits" gesteuert worden, wofür nicht der geringste Beweis geführt wurde. Auch das BMB hätte zunehmenden Einfluß auf elektronische Medien ausgeübt. Dies wäre vor allem "durch die Einflußnahme auf die inhaltliche Ausgestaltung von "förderungswürdigen Beiträgen" geschehen. Eine besondere Rolle hätte der Einfluß des BMB auf den Sender RIAS Berlin ausgeübt. Das hätte sich besonders an einer Strukturveränderung ab Mitte 1985 gezeigt. Der Sender RIAS 2 wäre darauf ausgerichtet worden, besonders auf die Jugend in der ehemaligen DDR subversiv einzuwirken. Hingewiesen wurde ferner auf den damals bevorstehenden Sendebetrieb des RIAS-TV Besonders betont wurde, die Steuerung und Lenkung von elektronischen Medien wäre nicht administrativ erfolgt. Einschränkend wurde auch hier ausgeführt, es sei den Sendern, ihren Redakteuren und den einzelnen Journalisten zwar nicht bis ins Detail vorgeschrieben worden, wie sie ideologisch hätten einwirken sollen, obwohl auch das teilweise bzw. zunehmend geschehen wäre. Durch die "überwiegend" antikommunistische Grundhaltung der Journalisten und anderer Mitarbeiter der Medien sei gesichert gewesen, daß die von den Führungsorganen vorgegebenen Grundorientierungen umgesetzt worden seien. Diese Medien seien immer die Interessenvertreter des Monopolkapitals gewesen, das ein "sehr elastisches und effektives System von Lenkungs-, Kontrollorganen und Methoden" geschaffen hätte, das sie an die systemtragenden Parteien und an die Monopolverbände gebunden hätte. Spezielle Aufgaben bei der einheitlichen Ausrichtung der Medien hätten die Leitungskräfte dieser Einrichtungen ausgeübt. Ohne jeden Nachweis wurde behauptet, "um den Einfluß der CDU/CSU-FDP-Koaliation auf die Medien zu erhöhen", seien relativ realistisch denkende, teilweise der SPD angehörende bzw. ihr nahestehende Leitungskräfte" abgelöst und durch solche ersetzt worden, "die die Politik der CDU/CSU voll unterstützt" hätten. Dieses Horrorbild wurde weiter ausgemalt, indem den gesetzlichen und satzungsgemäßen Selbstverwaltungsorganen ein großer Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung der PID zugeschrieben wurde (a. a. 0., S. 103). In ihnen seien nicht nur die unterschiedlichen Repräsentanten der Führungsorgane vertreten, sondern sie seien auch darüber hinaus noch mit Vertretern von Revanchistenverbänden und mit Verrätern durchsetzt gewesen, die ehemalige Bürger sozialistischer Staaten gewesen seien und sich an konterrevolutionären Ereignissen beteiligt hätten. Ohne nähere Ausführungen zu machen, wurde schließlich behauptet, die Lenkung der elektronischen Medien sei durch direkte

f) Die Forschungsorgane der PID

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Beeinflussung von Journalisten, durch Vertreter der Bundesregierung und systemtragende Parteien ergänzt worden. Bestenfalls kann dazu nur angenommen werdne, daß die Mitarbeiter des MfS und besonders der JHS nicht die geringste Ahnung vom Wesen und Funktionieren einer freien Presse hatten oder aber, was schlimmer, jedoch den Funktionären der Sicherheitsorgane durchaus zuzutrauen gewesen wäre, in Kenntnis der wirklichen Verhältnisse die Zöglinge der JHS absichtlich zu täuschen, um sie möglichst wirkungsvoll auf ihre Aufgaben vorzubereiten.

e) Durchführung der PID durch die Führungsorgane selbst

Die Führungsorgane hätten sich indessen auch selbst an der PID beteiligt. Dazu hätten gehört: eigene Veröffentlichungen, das Auftreten von führenden Vertretern der Bundesregierung in Sendungen elektronischer Medien u. a. Ihre Veröffentlichungen bzw. die im Auftrage von Führungsorganen geschaffenen Projekte seien "Orientierung", "Sprachregelungen" usw. für weitere an der PID beteiligte Einrichtungen gewesen. So wäre z. B. das BMB Herausgeber bzw. Finanzier einer Vielzahl von Büchern, Publikationen, Nachschlagewerken usw. gewesen, die sich mit der inneren Situation der ehemaligen DDR, den Beziehungen zwischen ihr und der Bundesrepublik und anderen entsprechenden Themen beschäftigt hätten. Dazu hätte es den Verlag Wissenschaft und Politik, Köln, genutzt. So wären z. B. in großer Auflage das "DDR-Handbuch" oder die "Auskünfte zur Deutschlandpolitik A - Z" erschienen. Das ist alles richtig. Nur dienten diese Werke bzw. Schriften der Unterrichtung der bundesdeutschen Öffentlichkeit über die Verhältnisse in der ehemaligen DDR als einem Teil Deutschlands und zur Erläuterung der Deutschlandpolitik der Bundesregierung, aber nicht zu dem, was das MfS PID nannte. Nicht die Berichterstattung über die Zustände dort bestimmten das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen, sondern die Zustände selbst hatten zur Folge, daß die Deutschen in der ehemaligen DDR zumeist deren Machthabern zutiefst mißtrauten. f) Die Forschungsorgane der PID

Da in dieser Analyse sich ein eigener Abschnitt mit der "DDR- und vergleichenden Deutschlandforschung" im Lichte des MfS beschäftigt, wird an dieser Stelle, wie schon oben bei der Auswertung der Diss. 1, nur kurz auf die Forschungseinrichtungen eingegangen, die aus der Sicht des MfS in den Jahren 1987/1988 an der PID beteiligt waren. Allgemein wurde ausgeführt (a. a. 0., S. 106), in der Bundesrepublik und in Berlin (West) seien zahlreiche Einrichtungen, Organe, Institutionen, Stiftungen, Gesellschaften, Vereine sowie Lehrstühle bzw. Arbeitsgruppen an Hochschulen und Universitäten vorhanden gewesen, die sich mit der ,,Erforschung" der sozialisti-

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VI. Die Organisation der PID aus der Sicht des MfS 1987/1988

sehen Länder und der sozialistischen Gesellschaft in ihrer ganzen Breite und Vielfalt befaßt hätten. Diese seien im MfS als "Forschungsorgane" bezeichnet worden. Dem MfS waren damals über 140 derartige Einrichtungen in der Bundesrepublik und in Berlin (West) bekannt. Die Diss. 4 (Lehrbuch) definierte den Begriff, wie üblich, aus didaktischen Gründen in einer Umrahmung folgendermaßen: "Forschungsorgane in der BRD und in Westberlin sind Einrichtungen der Kommunismus-, Osteuropa- und DDR-Forschung, die unter Anwendung wissenschaftlicher und teil weiser geheimdienstlicher Mittel und Methoden spezifische analytische und konzeptionelle Arbeiten für die Entscheidungsfindung von Führungsorganen, für die inhaltliche und methodische Ausgestaltung der PID und für die Erhöhung ihrer Wirksamkeit leisten sowie die Wirksamkeit erkunden." Anschließend wurde nochmals ihre angebliche enge Verflechtung mit den "imperialistischen Geheimdiensten", den Bundesministerien und anderen staatlichen Organen durch Finanzierung und "teilweise" durch Auftragserteilung und durch Personalpolitik betont und darauf hingewiesen, daß eine Vielzahl von ihnen zwar juristisch selbständig, aber trotzdem von staatlichen Organen abhängig gewesen seien. Da die Verfasser der Diss. 4 (Lehrbuch) sich eine geisteswissenschaftliche und ökonomische Forschung nur in Staatsabhängigkeit vorstellen konnten, es sei denn, sie hätten ihre Thesen wider besseres Wissen zur schärferen Einstimmung der Zöglinge der MfS für ihre Aufgaben bei der Bekämpfung der PID aufgestellt, verwundert es nicht, daß sie den genannten Forschungszweigen samt und sonders böse Absichten unterstellten. Deshalb, so ist zu lesen (a. a. 0., S. 107), hätten die Forschungsorgane "sehr vielfältige Aufgaben im Interesse der Monopolbourgeosie zu erfüllen" gehabt, "die weit über den Rahmen der wissenschaftlich- theoretischen Vorarbeiten für das subversive ideologische Einwirken" hinausgegangen wären. So seien sie z. B. auch an der "Inspirierung, Organisierung und Durchführung anderer subversiver Aktivitäten" beteiligt gewesen. Es wurde unterstellt, zur ,Jnhaltlichen und methodischen Ausgestaltung der PID" hätten sie vielfältige Aufgaben zu lösen gehabt. Diese Sicht der Verfasser wird im Abschnitt über die DDR- und vergleichende Deutschlandforschung im einzelnen (siehe unten IX. e) dargestellt. Als wesentliche Einrichtungen wurden, teilweise in Abweichung von der Diss. I und die aus dem Jahre 1974 stammende Diss. 2, folgende aufgeführt: - Gesamtdeutsches Institut - Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben (BfGA). Die BfGA wurde in der Diss. 1 als Führungsorgan, in der Diss. 2 als Leitinstitution, freilich erst an fünfter und letzter Stelle genannt, sowie in der Diss. 4 (Lehrbuch), wie oben geschrieben, auch als Koordinierungsorgan aufgeführt.

t) Die Forschungsorgane der PID

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- Gesellschaft für Deutschlandforschung (GfD)6 Die GfD wurde, da erst 1978 gegründet, in den Diss. 1 und 2 noch nicht genannt und in der Diss. 4 (Lehrbuch) ebenfalls als Koordinierungsorgan bezeichnet. - Forschungsinstitute von Stiftungen der politischen Parteien In der Diss. 1 wird nur die Friedrich-Ebert-Stiftung genannt. Die Diss. 2 übergeht sie. - Institut für Gesellschaft und Wissenschaft (IGW) an der Universität ErlangenNürnberg Das IWG wurde schon in der Diss. 1 beiläufig und in der Diss. 2 als Forschungsorgan bezeichnet. - Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik Dieses fehlte in der Diss. 1. - Forschungsstelle für unabhängige Literatur und gesellschaftliche Bewegungen Osteuropas an der Universität BremenlBremer Archiv Da diese erst 1982 gegründet wurde, fehlte sie in den Diss. 1 und 2. Weiter wurde ausgeführt, daß an zahlreichen Universitäten der Bundesrepublik einschließlich Berlin (West) Einrichtungen der DDR-Forschung bestanden hätten, die spezifische Aufgaben zu erfüllen gehabt hätten. Eine solche Einrichtung sei z.B. - das Zentralinstitut VI an der Freien Universität Berlin gewesen. Die Diss. 4 (Lehrbuch) führte gesondert wesentliche Einrichtungen der Osteuropaforschung auf, die "wesentlichen Einfluß auf die DDR-Forschung" gehabt hätten. Von besonderer Bedeutung sei der Koordinationsausschuß für Osteuropaforschung gewesen, ein Zusammenschluß der von der Bundesrepublik geförderten Ost~uropainstitute. (Dieser besteht noch heute). Als solche wurden genannt: - Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und interntionale Studien (BIOST), - Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Zum Potential der Osteuropaforschung rechnete die Diss. 4 (Lehrbuch) Lehrstühle und Institute an den Universitäten und Hochschulen der Bundesländer und in Berlin (West). Genannt wurden

6 Die Aufgaben der Gesellschaft für Deutschlandforschung im geeinten Deutschland, beschlossen in der Mitgliederversammlung vom 28. 2. 1991, Deutschland Archiv, 6/1991, s. 667.

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VI. Die Organisation der PID aus der Sicht des MfS 1987/1988

Osteuropainstitut der Freien Universität Berlin, Institut für Ostrecht der Universität Köln. Es fehlte in der Diss. 4 (Lehrbuch) eine Reihe von Einrichtungen, die für die DDR- und vergleichende Deutschlandforschung von Bedeutung waren. g) Die durchführenden Organe

Für die PID in der ehemaligen DDR hätte, so führt die Diss. 4 (Lehrbuch) aus (S. 119), die "Monopolbourgeoisie der BRD" eine Vielzahl von Einrichtungen, Organisationen, Vereinen, Institutionen usw. geschaffen, "die im Sprachgebrauch des MfS als durchführende Organe bezeichnet" wurden. Wie üblich in einer Umrahmung lautete die Begriffsbestimmung: "Durchführende Organe der PID in der BRD und in Westberlin sind eine Vielzahl von Einrichtungen und Organen, die unter gezielter Einflußnahme der Führungsorgane primär die Aufgabe haben, die von den Forschungsorganen erarbeiteten Leitlinien, Leitbilder, Argumentationen, Konzeptionen, Gesellschaftsmodelle, Sprachregelungen u.a. zielgerichtet zu verbreiten, weiter inhaltlich auszugestalten und direkt in den sozialistischen Staaten entsprechende Auswirkungen hervorzurufen."

Zu den "wesentlichsten" durchführenden Organen hätten gehört: "imperialistische Massenmedien, die subversiv ideologisch in die DDR und die anderen sozialistischen Staaten" eingewirkt hätten, Organe und Einrichtungen des Staatsapparates, der Bundestagsparteien, von Kirchen und Religionsgemeinschaften u. a., die insbesondere zur Manipulation der Bevölkerung beigetragen hätten, und zwar in beide Richtungen, d. h. sowohl in die Bundesrepublik zur Festigung des dortigen antikommunistischen Feindbildes als auch subversiv ideologisch in die ehemalige DDR und andere damals sozialistische Staaten. Feindorganisationen, die sich aktiv an der PID beteiligen. Hier wurde das angeblich enge Zusammenspiel der verschiedenen Organe, denen PID angelastet wurde, verdeutlicht. Denn die durchführenden Organe seien in vielfältiger Weise mit dem "monopolistischen Herrschaftssystem" verbunden gewesen, hätten teilweise dem Staatsapparat angehört bzw. seien von ihm wesentlich unterstützt und finanziert worden. Respekt wurde den in diesen Organen tätigen Personen zuteil. Sie seien "im Geiste des Antikommunismus" geschulte und erzogene Experten gewesen. Auch diese Anerkennung sollte die Gefährlichkeit der PID hervorheben und die Bedeutung, die zu ihrer Bekämpfung dem MfS als Ideologiepolizei zugekommen wäre. Besonders nach der Regierungsübernahme durch die CDU/CSU-FDP-Koalition seien die Potenzen und Möglichkeiten der durchführenden Organe ständig erwei-

g) Die durchführenden Organe

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tert worden. Verstärkt seien neue Feindorganisationen in die Durchführung der PID einbezogen worden. Auch hätte ihnen die "Erkundung" der Wirksamkeit der PID im Innem der sozialistischen Staaten oblegen. Eine Vielzahl von durchführenden Organen sei auch an der Intensivierung, Organisierung und Durchführung anderer subversiver Aktivitäten gegen die DDR und andere sozialistische Staaten beteiligt gewesen. Dazu wurde gezählt: die Intensivierung und Organisierung - der politischen Untergrundtätigkeit, also wiederum: Von der PID zur PUT - des Verlassens der DDR. Eine Schlüsselrolle hätten die elektronischen Medien gehabt, und zwar in der, wie schon oben dargestellt, behaupteten Zweiteilung zur "Manipulation der Bevölkerung der BRD und Westberlins" sowie zur "ideologischen Einwirkung auf die Bevölkerung der DDR". Der Anteil der Sendeanstalten an der Durchführung der PID wurde als unterschiedlich eingeschätzt. So hätten Sendeanstalten existiert, - die vorrangig für die PID geschaffen bzw. ausgenutzt wurden (diese wurden vom MfS als "Diversionssender" bezeichnet), - in denen sich spezielle Abteilungen, Redaktionen und andere Struktureinheiten vorrangig oder spezifisch mit der Durchführung der PID in Form von politischen Magazinen, Jugendsendungen u. a. beschäftigt hätten, - die allgemein bei der Realisierung der PID mitgewirkt hätten, wie z. B. einige Landesrundfunkanstalten, die keinen spezifischen Sendeauftrag und keine speziellen Struktureinheiten dafür gehabt hätten. Die besondere Gefährlichkeit der elektronischen Medien wurde wie folgt gekennzeichnet (a. a. 0., S. 122/123): - "grenzüberschreitende" Möglichkeit durch die Wahl des Standortes, - relativ unkontrollierbare Empfangbarkeit (womit die Notwendigkeit der Kontrolle durch das MfS vorausgesetzt wurde), - Schnelligkeit der Informationsübermittlung, - Möglichkeit der Direktübertragung, wodurch Gleichzeitigkeit von Ereignis, Übermittlung und Empfang gegeben sei, - Möglichkeit der Wiederholbarkeit, - Aktualisierbarkeit der Ausstrahlung, - Möglichkeit der Anreicherung und Vertiefung gesendeter Informationen durch Ergänzungen und Hintergrundrecherchen, - Flexibilität und thematische Vielseitigkeit der Programmgestaltung, - Möglichkeit des differenzierten Ansprechens von Personenkreisen.

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VI. Die Organisation der PID aus der Sicht des MfS 1987/1988

Damit wurden nicht ungeschickt die Eigenheiten, ja Vorzüge von elektronischen Medien zusammengefaßt. Allerdings sind diese allgemeiner Natur und haben nicht nur für solche wachsenden Stellenwert zur "Durchführung der PID", die sich verpflichtet fühlen, die Bedeutung deren Bekämpfung durch das MfS herauszustreichen. In einer niederträchtigen Unterstellung wurde behauptet, der Gegner hätte versucht, das "steigende Informationsbedürfnis vieler Menschen" (womit eingeräumt wurde, das ein solches als Folge des Nachrichtenmonopols in der ehemaligen DDR bestanden hatte) für seine Zwecke zu nutzen und dabei immer mit ,,Erstinformationen vor der objektiven und wahrheitsgemäßen Berichterstattung durch die sozialistischen Medien" anzukommen. Offenbar hatte die schnelle Information durch die Medien im freien Teil Deutschlands das MfS erheblich gestört, die nicht selten der Sprachregelung in der ehemaligen DDR zuvorkam. Die Hauptverantwortlichen dafür wurden sofort ausgemacht. Denn die bei der ehemaligen DDR akkreditierten Journalisten hätten dabei eine erhebliche Rolle gespielt. Auch die an die Sender gerichtete Hörerpost sei nutzbar gemacht worden. Dann spendeten die Diss. 4 (Lehrbuch), auch den elektronischen Medien Lob und Respekt, wenn auch aus durchsichtigen Gründen, (a. a. 0., S. 123): ,,zum Potential der elektronischen Medien in der BRD und in Westberlin gehört ein mit hohen Sendeleistungen und modernster Technik ausgerüstetes, mit erfahrenen Spezialisten besetztes und umfangreichen Mitteln versehenes Arsenal von Hörfunk- und Fernsehanstalten. Es gibt in der BRD und in Westberlin 16 Hörfunksender mit über 30 Programmen, 2 zentrale Fernsehanstalten (ARD mit dem ersten und dritten Programm sowie ZDF) mit 2 überregionalen und 9 regionalen Programmen, die täglich in deutscher Sprache auf die Hörer und Zuschauer in der DDR einwirken können. Diese Sender verfügen in Grenznähe zur DDR über 300 Sendeanlagen für Hörfunkprogramme im UKW-, Mittel- und Kurzwellenbereich sowie über 40 Sendeanlagen für die Ausstrahlung von Fernsehprogrammen. Um das subversive ideologische Einwirken noch mehr zu verstärken, werden sowohl neue Fernsehanstalten gegründet (ab 1988 soll ein Fernsehprogramm des RIAS in die DDR einstrahlen) als auch verstärkt neue Sender in Betrieb genommen (so wird eine Sendekette des DLF mit 16 Sendern auf UKW schrittweise aufgebaut). Dazu werden aus dem Staatshaushalt erhöhte Zuwendungen zutei1."

Nicht erwähnt wird, daß es Teile der DDR (östliches Sachsen) gab, wo westdeutsches Fernsehen nicht zu empfangen war, wohin also nach Lesart des MfS die PID mittels dieses elektronischen Mediums nicht wirken konnte. Trotzdem kam es auch dort zur Zeit der Wende, also nur ein Jahr nach Erscheinen des Lehrbuches, zu Demonstrationen aufgebrachter Volksmassen. Diese konnten also kaum "Opfer" der PID geworden sein. Es folgte dann eine Aufstellung von Sendeanstalten von "besonderer" Bedeutung. Ihre Darstellung und Charakterisierung war ausführlicher und wesentlich präziser als in der Diss. 1. Es handelte sich um:

g) Die durchführenden Organe

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Das Deutsche Fernsehen (Deutsches Fernsehen der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands - DF-ARD). Es wurde zutreffend als ein Gemeinschaftsprogramm der in der ARD zusammengeschlossenen Sender bezeichnet, wobei der Sender Freies Berlin, dem Sprachgebrauch der ehemaligen DDR folgend, gesondert aufgeführt wurde. Um nicht unglaubwürdig zu wirken, wurde nicht behauptet, die Programme der ARD hätten insgesamt der PID gedient, sondern unterschiedlich zur PID beigetragen. Der PID hätten gedient: - Nachrichtensendungen (z. B. "Tagesschau"), - politische Magazine (z. B. "Kontraste"), - Fernsehspiele und Fernsehdokumentationen mit politischem oder historischem Hintergrund, - Unterhaltungssendungen, vor allem zunehmend Musiksendungen, mit denen besonders Jugendliche hätten beeinflußt werden sollen. Viel blieb wahrlich nicht übrig, das nicht der PID hätte dienen sollen. Grund genug, um dem Fernsehen in der früheren Bundesrepublik insgesamt als "durchführendem Organ" der PID den Kampf anzusagen.

Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF). - Richtig wurde es als Gemeinschaftseinrichtung der Bundesländer bezeichnet, wobei auch hier Berlin (West) besonders aufgeführt wurde. Völlig falsch war dann aber die Darstellung, die Verantwortung für das ZDF obliege im Wechsel einer "BRD-Landesregierung" bzw. dem Senat von "Westberlin". Mitarbeitern des MfS kennen entsprechend den Verhältnissen in der ehemaligen DDR keinen staatsfreien Rundfunk. Die Vorstellung, daß Rundfunkanstalten ihr Programm in eigener Verantwortung gestalten und der Staat nur darüber wacht, daß gewisse Rechtsgrundsätze beachtet werden, besonders die Forderung nach Ausgewogenheit des Programms, ist ihnen völlig fremd. Weiter wird behauptet, das ZDF sei ,,rechtskonservativer" als das Deutsche Fernsehen. Besonders hervorgehoben wurden folgende, angeblich der PID dienende Sendungen: - Nachrichtensendungen (z. B. "Heute" und "Heutejoumal"), - politische Magazine (besonders im Magen gelegen hatte dem MfS das ,,zDF-Magazin", das als "militant-antikommunistisch" bezeichnet wurde, aber auch das "objektivere", das heißt mehr im Sinne der ehemaligen DDR berichtende Magazin "Kennzeichen D"), - Unterhaltungssendungen. Auch hierfür gilt das für die Charakterisierung der ARD Gesagte.

Der Deutschlandfunk (DLF). Es wurde als ,,Auslandssender" der Bundesrepublik bezeichnet, der arbeitsteilig mit der "Deutschen Welle" bei der PID insofern gearbeitet hätte, als er auch in polnischer, tschechischer, slowakischer Sprache gesendet hätte. Aber sein Sendeauftrag hätte "im wesentlichen in der Durchführung der PID gegen die DDR" bestanden, um der "Wiederver-

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VI. Die Organisation der PID aus der Sicht des MfS 1987/1988 einigung" Deutschlands im imperialistischen Sinne zu dienen. Der DLF hätte nach wie vor die DDR als Bestandteil der Bundesrepublik betrachtet und sich "fortgesetzt" - gemeint war sichtlich "auch weiter", d. h. auch nach dem Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der ehemaligen DDR - in ihre inneren Angelegenheiten eingemischt. Hier wurde einmal ausnahmsweise auch die Forderung nach Wiedervereinigung genannt, offenbar weil im DLF diese im Gegensatz zum allgemeinen Trend noch ernst genommen worden war. Dem DLF wurde vorgeworfen, er sei an der Vorbereitung und Durchführung "konterrevolutionärer Ereignisse" in sozialistischen Ländern, wie z. B. 1981 in Polen, maßgeblich beteiligt gewesen. Von besonderer Bedeutung seien die "Ost-West-Redaktion" des DLF und sein Leiter Fricke gewesen. Besonders angekreidet wurde ihm seine objektive Berichterstattung über den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR. Über ihn ist zu lesen (a. a. 0., S. 125): "Er ist ein fanatischer Kommunistenhasser und militanter ,DDRForscher'. In dieser Eigenschaft veröffentlichte er u. a. Machwerke über das MfS, die Ereignisse des 17. Juni 1953 und den ,Widerstand' in der DDR".

Deutsche Welle (DW). Als "Hauptrundfunksender" der Bundesrepublik für die "Auslandspropaganda", der in Deutsch und etwa 30 Sprachen auf Kurzwelle sendet, hätte die DW versucht, subversiv ideologisch in die UdSSR, Bulgarien, Rumänien, Jugoslawien und Cuba einzuwirken. Von ihr wurde behauptet, daß sie wie der DLF dem Bundesinnenminister unterstanden hätte. Er hätte eng mit RFEJRL zusammen gearbeitet.

Der Sender Freies Berlin (SFB). Ihm wurde nachgesagt, er hätte als ehemaliger "Frontstadtsender" in Berlin (West) nach wie vor aufgrund seiner exponierten geographischen Lage und seiner für die PID geschaffenen umfangreichen sendetechnischen Basis sowohl als Hörfunk als auch als Fernsehanstalt eine Schlüsselstellung in der PID gegen die ehemalige DDR innegehabt. Gleichzeitig sollte er aus der Sicht "Westberlins" eine "Brückenfunktion" gegenüber der Bundesrepublik "zur Untermauerung des widerrechtlichen Anspruchs, ,Westberlin' als Bundesland zu betrachten", erfüllen. Zwischen SFB und RIAS (siehe unten) hätte es eine Arbeitsteilung gegeben, um mittels Programmabstimmung differenziert auf vorrangig zu beeinflussende Personenkreise einwirken zu können. Auch eine Abstimmung mit BBC London (siehe unten) und dem Berliner Büro des DLF hätte es gegeben. Die Phantasie des MfS war unbegrenzt.

Der Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS). Der RIAS hätte schon ab 1946 als Diversionssender gegen die Bevölkerung der Sowjetischen Besatzungszone gewirkt. Er hätte der staatlichen US-amerikanischen Behörde für Auslandspropaganda unterstanden. "Derzeit" (d. h. 1987) sei er jedoch zu ca. 93 % aus dem Bundeshaushalt finanziert worden. Sein Sendeauftrag sei darauf gerichtet gewesen, subversiv in die DDR hineinzuwirken. Aber er hätte auch den Auftrag gehabt, "aktiv am Hervorrufen von konterrevolutionären Situationen und bei der Steuerung von feindlichnegativen Kräften im Innern sozialistischer Staaten mitzuwirken". Er wäre ständig den "veränderten Bedingungen" angepaßt worden. Selbstverständlich wurde ihm eine seit seiner Gründung bestehende enge Beziehung zu imperialistischen Geheimdiensten nachgesagt. Auch hätte er sich selbst mit Hilfe eines eigenen "Agentennetzes" geheimdienst-

g) Die durchführenden Organe

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licher Mittel und Methoden bedient. Auch mit Feindorganisationen, wie der "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" und dem "Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen" (UFJ), hätte er zusammengearbeitet, was zutraf. Grundfalsch war jedoch, daß die Diss. 4 (Lehrbuch) in diesem Zusammenhang das MfS rühmte, diese "zerschlagen" zu haben (a. a. 0., S. 127). Hinsichtlich des UFJ widersprach sich die Diss. 4 (Lehrbuch) selbst. Denn, wie erinnerlich, hatte sie einige Seiten zuvor berichtet, der UFJ sei 1969 mit anderen "Feindorganisationen" zum Gesamtdeutschen Institut - Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben - zusammengeschlossen worden (a. a. 0., S. 95). Ferner machte es der Diss. 4 (Lehrbuch) nicht das geringste aus, sich auf rechtswidrige kriminelle Tätigkeiten des MfS zu beziehen, denn die genannten Organisationen arbeiteten auf dem Boden von Berlin (West), in das hinein der Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR seine üblichen Machenschaften erstreckte, die bis zum Menschenraub mit tödlichem Ausgang reichten. Andere Sender. Die Diss. 4 (Lehrbuch) führte ferner einige "leistungsstarke Diversionssender anderer imperialistischer Staaten" an, die vor allem gegen die UdSSR und andere sozialistische Staaten subversiv gewirkt hätten. Dazu wurden gerechnet: Radio Free EuropelRadio Libery, die deutschsprachigen Dienste der British Broadcasting Corporation (BBC) und Radio Canada International. Diese hätten von Berlin (West) ausgesendet und in die ehemalige DDR "eingestrahlt". Hinsichtlich des letzteren ist das freilich zu bezweifeln. Für die damalige Zukunft wurde eine Ausweitung der subversiven Tätigkeit von Sendeanstalten angekündigt. Noch stärker hätten die "Ergebnisse der wissenschaftlich-technischen Revolution" in den Bereichen der Inforrnations- und Kommunikationstechnologie genutzt werden sollen. Genannt wird das Satellitenfernsehen. Erwähnt wurde nunmehr auch die zunehmende Gründung von privaten Hörfunk- und Fernsehanstalten nach US-amerikanischem Vorbild "durch internationale Medienkonzerne" und ihre Nutzung für die PID. 1987 war allerdings privates Radio und Fernsehen schon ziemlich verbreitet. Die HV A hatte der JHS wohl veraltetes Material zur Verfügung gestellt. Auch die Presse und das Verlagswesen in der Bundesrepublik einschließlich von Berlin (West) hätten umfangreiche Aufgaben bei der Durchführung der PID gehabt, obwohl ihr Haupttätigkeitsfeld in der Manipulation der eigenen Bevölkerung gelegen hätte. Vor allem die von der "Monopolbourgeoisie" beherrschten Tagesund Wochenzeitungen, die Magazine und Illustrierten sowie Fachzeitschriften seien daran beteiligt gewesen. Neben den vorn Axel-Cäsar-Springer-Konzern beherrschten Presseerzeugnissen und vorn Multi-Media-Konzern BertelsmanniGruner und Jahr herausgegebenen Illustrierten sei vor allem das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" von wesentlicher Bedeutung gewesen. Dieses sei eng mit verschiedenen Geheimdiensten liiert gewesen. In ihm seien in der Vergangenheit mehrmals durch den BND erfundene bzw. gefälschte Berichte veröffentlicht worden, die die SED und ihre führenden Repräsentanten diffamiert hätten und gegen die DDR und andere sozialistische Länder gerichtet gewesen seien. Nun ist bekannt, daß "Der Spiegel" sich bemüht, sorgfältig zu recherchieren. Meist brachten diese auch über die ehemalige DDR zutreffende Berichte. Wenn das einmal nicht der Fall war, so lag das vor allem an der strengen Geheimhaltung aller Vorgänge in der ehemaligen DDR. 8 Mampel

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Auf was die Diss. 4 (Lehrbuch) zielte, ging daraus hervor, daß schlankweg verkündet wurde (a. a. 0., S. 129), mit der Herausgabe der Druckerzeugnisse sei gleichzeitig die Erwartung verknüpft gewesen, daß sie unter Ausnutzung des grenzüberschreitenden Reise- und Touristenverkehrs bzw. auf dem Postweg in die ehemalige DDR und andere vormals sozialistische Staaten gelangten. Die Schlußfolgerung liegt nahe: So etwas hätte das MfS als Ideologiepolizei zu unterbinden gehabt, wobei es sich der Grenzpolizei und der DDR-Post bediente. Die Bedeutung dieser Aufgabe wurde sogar noch betont, wenn es hieß, die "illegale" Einfuhr von Presseerzeugnissen, Tonbändern, Schallplatten und anderen Tonträgern sowie von gesellschaftspolitischer Literatur mit antisozialistischem Inhalt hätte zugenommen. Der Argwohn des MfS richtete sich sogar gegen die Belletristik. Bestimmte Verlage hätten sich auf schöngeistige Werke und Lyrik spezialisiert, die von Schriftstellern aus der ehemaligen DDR und anderen sozialistischen Ländern, die dort wegen ihres antisozialistischen Inhalts nicht hätten gedruckt werden ,,können", d. h. der Zensur zum Opfer gefallen waren. Bücher von Stefan Heym sind dafür ein anschauliches Beispiel. Als besonders gefährlich wurden die westlichen Nachrichtenagenturen eingestuft. Als "Machtinstrumente der Monopolbourgeoisie mit informationslenkender Funktion" hätten sie einen nicht unwesentlichen Platz bei der direkten Durchführung der PID eingenommen. Oft hätten sie eine "Auslöserfunktion von Diversionsoperationen" ausgeübt. Bezeichnend für die Funktion der Presse im allgemeinen und von Nachrichtenagenturen in der Vorstellung marxistisch- leninistischer Funktionäre war die Auslassung, sie wären "Hauptproduzenten" von Nachrichten gewesen, als ob ihre Tätigkeit nicht in der Berichterstattung von Ereignissen, sondern im Fabrizieren von Nachrichten bestände. Als solche und als wesentliche Lieferanten von journalistischen Informationen für Regierungsorgane, Monopolverbände, systemtragende Parteien und für Massenmedien wären sie zu den bekannten beiden Zwecken tätig geworden, einmal zur Manipulation der Bevölkerung der ,,imperialistischen Länder", zum anderen, und das besonders zu der inhaltlichen Ausgestaltung, Vorbereitung und Durchführung der PID. Als die wichtigsten Nachrichtenagenturen, die subversiv gegen die ehemalige DDR tätig geworden seien, wurden genannt: - die Deutsche Presseagentur (DPA), - Associated Press (AP), - Reuters LTD, - Agence France-Presse, - die der evangelischen und der katholischen Kirche unterstehenden Presse- und Informationsdienste, was einigermaßen erstaunlich ist. Außer den Massenmedien hätte sich eine weitere Vielzahl staatlicher und nichtstaatlicher Organe und Einrichtungen an der Durchführung der PID beteiligt. Diese

g) Die durchführenden Organe

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seien entweder "Manipulationseinrichtungen" oder "Feindorganisationen" gewesen. Zu den "Manipulationseinrichtungen" zählte die Diss. 4 (Lehrbuch): - Die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) mit ihrem Ostkolleg. Dieser sei u. a. die Aufgabe übertragen gewesen, bei der "staatspolitischen Erziehungsarbeit" - typisch ist die Gleichsetzung von Bildung mit Erziehung - die Bürger zu befähigen, sich mit kommunistischen Theorien und Propaganda auseinanderzusetzen. (Diese Aufgabe hat sie auch jetzt zu erfüllen.) Weiter wurde aber unzutreffend behauptet, die BpB sei auch an der Steuerung und "geistigideologischen" Vorbereitung von Bürgern der Bundesrepublik einschließlich von Berlin (West) am Mißbrauch von Kontakten mit Deutschen aus der ehemaligen DDR beteiligt gewesen - schon einfach deshalb, weil es einen derartigen Mißbrauch niemals gegeben hat. Von der BpB und den Länderregierungen unterstehenden Landeszentralen für politische Bildung würden vor allem Personen erfaßt, die einen relativ großen Einfluß auf die Bevölkerung der Bundesrepublik hätten, wie Journalisten, Lehrer, Funktionäre von Parteien und anderen gesellschaftlichen Organisationen, Wissenschaftlern, Kunst- und Kulturschaffenden. Diese sehr umfangreichen Personenkreise seien so in die Manipulation der eigenen Bevölkerung und in die Durchführung der PID einbezogen worden. - Einrichtungen der deutschlandpolitischen Bildungs- und Infonnationsarbeit und ausgewählte Einrichtungen, die den organisierten Tourismus betrieben hätten. Diese hätten beispielsweise ihre Arbeit unter Jugendlichen aktiviert, um sie vor organisierten Gruppenfahrten in die ehemalige DDR ideologisch und thematisch vorzubereiten und zu schulen u. a., um die Teilnehmer zu befähigen, massenhaft Kontakte zu dortigen Jugendlichen herzustellen. Richtig ist, daß in der Bonner Republik staatliche Organe sowie kirchliche und private Einrichtungen danach strebten, in möglichst großem Umfang Jugendliche aus beiden Teilen Deutschlands zusammenzubringen. Deren Reisen wurden finanziell gefördert. Das war der Sinn der politisch gewollten Kontaktpflege der Jugend. Es traf auch zu, daß Jugendgruppen aus dem Westen Deutschlands, insbesondere Schulklassen, dazu vorbereitet wurden, in Diskussionen mit kommunistisch geschulten Jugendlichen zu bestehen. Etwas derartiges als Vorbereitung für die PID zu verunglimpfen, zeigte abennals die Angst des MfS vor solchen Kontakten und das Bemühen der Verfasser der Diss. 4 (Lehrbuch), die Tätigkeit des MfS als Abwehrorgan angeblicher PID zu rechtfertigen und dessen Mitarbeiter zu hoher Wachsamkeit und großer Aktivität auf diesem Gebiet anzuhalten. - Einrichtungen und Organisationen der katholischen und evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik sowie von Religionsgemeinschaften und Sekten. Ihnen wurde vorgeworfen, sie hätten speziell in Fonn der Partnerschaftsarbeit einen großen politisch-ideologischen Einfluß auf die in kirchlichen Bereichen in 8*

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der ehemaligen DDR tätigen Personen bzw. Gläubige dort genommen. Genannt wurden: - die Ostmissionen, - die Königsteiner Anstalten, - kirchliche Studentenorganisationen, wie z. B. die evangelische und die katholische Studentengemeinde. Die Feindorganisationen, die mit vielfältigen Aktivitäten gegen die ehemalige DDR in Erscheinung getreten seien, hätten sich auch in zunehmendem Maße an der Durchführung der PID beteiligt. Vor allem durch die Organisierung und Durchführung von öffentlichkeits wirksamen Ausstellungen und Großveranstaltungen, durch eigene Publikationen, spektakuläre und öffentlichkeitswirksame Aktionen und "Provokationen", bei denen die ehemalige DDR insgesamt und in einzelnen Bereichen diffamiert und diskreditiert worden sei, hätten sich solche Organisationen an der Durchführung der PID beteiligt. Sie hätten großen Einfluß auf die Medien gehabt. Andererseits hätten die elektronischen Medien unterschiedliche feindliche Aktivitäten dieser Organisationen über die Berichterstattung in die ehemalige DDR verbreitet und sich damit zum Sprachrohr dieser Feindorganisationen gemacht. Ihr Potential sei im ständigen Wandel gewesen. Als wichtigste derartige Organisationen werden genannt: - Die Revanchistenverbände, z. B.: - Bund der Vertriebenen - Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände e. v., - Bund der Mitteldeutschen e. V. Merkwürdigerweise wurde nicht einmal hier das wichtigste Ziel dieser Verbände genannt: die Wiedervereinigung Deutschlands sogar innerhalb der Grenzen von 1937. Es wurde lediglich gesagt, mittels revanchistischer Veranstaltungen, Seminaren, Publikationen u. ä. seien sie an der Durchführung der PID beteiligt gewesen. - Feindorganisationen, die dem politischen Extremismus zuzuordnen gewesen seien, z. B.: - Arbeitsgemeinschaft 13. August e.

v.,

- Gemeinschaft ehemaliger politischer Häftlinge - Vereinigung der Opfer des Stalinismus e. v., - und weitere rechts- und "links"-extremistische Organisationen. Die beiden erstgenannten Vereinigungen ,,rechtsextremistisch" zu nennen, stellte eine groteske Infamie dar. Mit "links"-extremistischen Organisationen waren offensichtlich maoistische und anarchistische Gruppierungen gemeint, indessen selbstverständlich nicht die von der ehemaligen DDR finanziell und ideell unter-

h) Ausländische Einrichtungen zur PID

117

stützten kommunistischen, die nach dem Verständnis der Bundesrepublik auch linksextremistisch waren und weiter sind. - Feindorganisationen, die vielfältige subversive Handlungen gegen die ehemalige DDR durchgeführt hätten, "insbesondere mit der Inspirierung und Organisierung politischer Untergrundtätigkeit und des Verlassens der ehemaligen DDR", z. B.: - Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, - Hilferuf von drüben e.

v.,

- ,,kriminelle Menschenhändlerbanden". Den beiden erstgenannten Vereinigungen politische Untergrundarbeit zu unterstellen, ist eine haltlose Verleumdung, hinter der natürlich System steckt. Denn die eine war und ist noch für die Wahrung der Menschenrechte tätig und die andere humanitären Zwecken verpflichtet. Mit "Menschenhändlerbanden" waren Fluchthelfer gemeint, die ebenfalls verleumderisch ,,kriminell" genannt wurden, wenn auch richtig ist, daß sich unter ihnen auch zweifelhafte Gestalten mit rein kommerziellen Interessen befanden. Indessen hatte die Mehrzahl bei der Unterstützung von Menschen, die ihren Wohnsitz aus der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik einschließlich Berlin (West) verlegen wollten, lautere Absichten.

h) Ausländische Einrichtungen zur PID Schon im Zusammenhang mit der Entstehung und der Entwicklung der PID war sowohl in der Diss. 1 als auch in der Diss. 4 (Lehrbuch) der bedeutende Einfluß der USA auf diese hingewiesen worden (siehe oben Abschnitt IV.). Darüber hinaus widmete die Diss. 4 (Lehrbuch) dem eine ausführliche Darstellung und erweiterte sie auf die Tätigkeit der NATO. Das wurde wie folgt begründet (a. a. 0., S. 124): Zwar hätte zwischen der Bundesrepublik und den USA insofern eine Arbeitsteilung bestanden, als die USA der Bundesrepublik die PID gegen die ehemalige DDR überlassen und sich auf die PID auf die damalige Sowjetunion, Polen und Ungarn konzentriert hätte. Indessen sei seit einigen Jahren der Einfluß der USA auf die PID, vor allem über die NATO, immer stärker geworden. Die Zentren in den USA und der NATO wären zunehmend als internationale Leitzentren aufgetreten. So sei 1983 beim Nationalen Sicherheitsrat der USA eine "Spezialplanungsgruppe gebildet worden, die "die entsprechenden Aktivitäten zur Durchsetzung der Konfrontationspolitik der militantesten und aggressivsten Kreise des USA-Imperialismus" hätte koordinieren sollen. Ihr hätten z. B. der Sicherungsberater des USPräsidenten, Vertreter des Außenministeriums, des Geheimdienstes und der staatlichen Informationsagentur angehört. Diese Behauptung wurde aufgestellt, obwohl

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der Westen damals bei Wahrung der Sicherheitsinteressen versuchte, die Beziehungen zum Ostblock zu entspannen. Die Diss. 4 (Lehrbuch) ging davon aus, daß in den USA die Zentren für die Leitung und Durchführung der PID "zum Teil" der Regierung unterstanden hätten. Forschungsorgane hätten dagegen oft privaten Charakter getragen. Vom Präsidenten, Außen- und Verteidigungsminister an hätten führende Vertreter der US-Administration einen maßgeblichen Einfluß auf das subversive ideologische Einwirken gegen die sozialistischen Länder genommen. Eine Schlüsselrolle hätte der Nationale Sicherheitsrat gespielt. Er sei unter Teilnahme der Central Intelligence Agency (CIA) Urheber des "National Security Decision Document (NSDD)" gewesen, das der Präsident gebilligt hätte. Es sei u. a. auf eine Forcierung der PID hinausgelaufen. Dem State Department und dem Pentagon seien weitere umfangreiche Einrichtungen mit tausenden Spezialisten "als steuernde, koordinierende, wissenschaftlich-theoretisch vorbereitende, aber auch als durchführende Organe der PID" zugeordnet gewesen. Als eine besonders bedeutende Einrichtung für die Leitung, aber auch für die Durchführung der PID wurde nochmals die United States Information Agency (USIA) bezeichnet, die in vielen Ländern der "kapitalistischen Welt" Außenstellen in enger Zusammenarbeit mit den Informationsabteilungen der US- Botschaften unterhalten hätte, in der Bundesrepublik einschließlich Berlin (West) sogar mehrere Filialen. Selbstverständlich wurde eine enge Zusammenarbeit mit der CIA und geheimdienstliche Unterwanderung behauptet. Der USIA sei der Auslandsradio-Dienst Voice of America (VOA - Stimme Amerikas) als größte Rundfunkanstalt der Welt mit über 40 Hörfunkstationen und ca. 80 Relaisstationen sowie Sendungen in 62 Sprachen in über 2 000 Programmstunden täglich, davon etwa die Hälfte in die sozialistischen Staaten, gewesen. Große Geldsummen hätte die US-Regierung dafür aus Haushaltsmitteln zur Verfügung gestellt. In diesem Zusammenhang wurde auch der RIAS nochmals genannt, der als einziger amerikanischer Rundfunksender versucht hätte, die PID gegen die DDR im "amerikanischen Sinne" zu beeinflussen. Worin diese Spezialistät der PID hätte bestehen sollen, wurde freilich nicht erklärt. Vergessen war auch, daß, wie schon vorher berichtet worden war (siehe oben VI. h), der Sender aus dem Bundeshaushalt zu 93 % finanziert worden sei, was gerade nach dem Verständnis von Marxisten-Leninisten großen Einfluß des deutschen Geldgebers hätte mit sich bringen müssen. Auch der "Diversionssenderkombination" Radio Free Europe/Radio Liberty (RFEIRL), die in der Diss. 4 (Lehrbuch) ebenfalls als durchführendes Organ aufgeführt war, wurde nachgesagt, sie hätte zunehmende Bedeutung für die PID gewonnen - bei ihr wurde hinzugefügt, auch für andere subversive Handlungen gegen die sozialistischen Länder. Zur Abdeckung ihrer angeblich geheimdienstlichen Bindung sei sie offiziell dem staatlichen Board of International Broadcasting (BIß - Internationaler Rundfunkrat) "unterstellt" gewesen - in Wirklichkeit hat sie

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diesem angehört - und "damit" dem Außenministerium der USA, was völlig unsinnig war. Hohen Anteil hätten die Sender RFE und RL an den "konterrevolutionären Ereignissen" 1956 in Ungarn, 1968 in der ehemaligen CSSR und 1980 in Polen gehabt. Offensichtlich in der Absicht, erneut die Gefährlichkeit der PID und die Bedeutung des MfS als Ideologiepolizei den Zöglingen der JHS bewußt zu machen, wurde ihnen eingehämmert : ,Jm Zusammenhang mit der verstärkten Einflußnahme der USA auf die PID gegen die DDR ist zu verzeichnen, daß seit Anfang 1984 zuständige Bereiche der USIA für die DDR ihre Arbeit aktiviert haben, um stärker in die DDR, besonders über gezielte Kontakte zu ausgewählten Personen aus der Intelligenz, aus Kreisen von Kunst- und Kulturschaffenden einwirken zu können."

Auch das stellte einen Beitrag zur Diffamierung der Verstärkung von kulturellen Beziehungen zwischen den USA und der Bundesrepublik dar, bei denen die Berichterstattung und Analyse der Lage in der ehemaligen DDR als einem Teil Deutschlands selbstverständlich nicht ausgeklammert werden durfte. Diese Tendenz war auch bei der Charakterisierung des International Research and Exchanges Board (IREX) zu verzeichnen, die als private Organisation die Aufgabe hat, den akademischen Austausch zwischen den Universitäten der USA und anderen Staaten, darunter auch den mit den damals sozialistischen, zu organisieren. Ihm wurde eine Aktivierung des "subversiven ideologischen Einwirkens in die DDR" mit geheimdienstlicher Unterwanderung vorgeworfen, nur weil er sich um den Studienaufenthalt von Wissenschaftlern aus den USA auch in der ehemaligen DDR bemüht hatte. Von der in den USA existierenden Kommunismusforschung wurde behauptet, sie sei von der CIA geheimdienstlich unterwandert gewesen und wäre von ihr mit ,,Forschungen" über die damals sozialistischen Länder beauftragt und teilweise auch finanziert worden. Die Auswertungseinrichtungen der amerikanischen Geheimdienste hätten die Ergebnisse der Forschungsorgane für ihre subversive Tätigkeit genutzt - also dieselbe Behauptung wie über die entsprechenden Einrichtungen in der Bundesrepublik mit demselben Wahrheitsgehalt. "Derzeit", d. h. 1987 seien sie von der US-Administration sogar gefördert und angehalten worden, ihren Beitrag für die PID wesentlich zu erhöhen. "Denkfabriken" hätten den Übergang zur Politik der Hochrüstung und Konfrontation durch die aggressivsten Kreise der Monopolbourgeoisie der USA vorbereitet. Genannt wurden: - Hoover Institute on War, - American Enterprise Institute, - Heritage Foundation, - "Komitee zur gegenwärtigen Gefahr".

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Zum Potential der Kommunismusforschung hätte eine große Anzahl von Forschungsinstituten gehört, die der US-Administration direkt unterstanden hätten und an diese weisungsgebunden gewesen wären, z. B. Einrichtungen der CIA, des Pentagon, von RTL/RL, die den Legislativorganen unterstanden hätten, z. B. der Forschungsdienst des US-Kongresses, - die im Auftrag der Regierung Analysen über vormals sozialistische Länder angefertigt hätten, z. B. Rand Corporation, die von "Monopolen, Monopolstiftungen sowie systemtragenden Parteien" gefördert bzw. finanziert worden seien, - die von antisozialistischen Emigrantenorganisationen finanziert und gesteuert gewesen seien. Die Kommunismusforschung der USA sei von der US- Administration beauftragt gewesen, auch im internationalen Rahmen dafür zu sorgen, daß die "gleichgelagerten Einrichtungen der anderen imperialistischen Staaten auf den Konfrontationskurs" einschwenkten. Dazu hätten vor allem periodisch stattfindende "Weltkonferenzen" gedient. Was aber das MfS besonders gestört hatte, war, daß in den USA begonnen worden war, auch speziell DDR-Forschung zu betreiben. Zuvor seien entsprechende Aufgaben im Rahmen einer (allgemeinen) Deutschlandforschung (German Studies) erfüllt worden. Die DDR-Forscher der USA hätten versucht, verstärkt Einfluß auf ihre Kollegen in der Bundesrepublik im Sinne der USA-Politik zu nehmen, ferner auch, direkte Kontakte zu profilierten Wissenschaftlern, Kunst- und Kulturschaffenden in der DDR herzustellen, natürlich, "um sie ideologisch in ihrem Sinne zu beeinflussen" und für die Informationsgewinnung über die ehemalige DDR zu nutzen. So sah das MfS den beginnenden Kultur- und Wissenschaftsaustausch zwischen den USA und der ehemaligen DDR, den auch manche Funktionäre dort, schon wegen des damit verbundenen Prestigegewinns für sie, fördern wollten. Jede Begegnung von Menschen aus den beiden Weltlagern barg nach Ansicht des MfS die Gefahr der PID in sich, der es als Ideologiepolizei mit allen Mitteln zu verhindern trachtete. Als derartig gefährliche Forschungseinrichtungen wurden angesehen: GDR Studies Association of the United States. - Nun war die GDRSA alles andere, als antikommunistisch oder gegen die ehemalige DDR eingestellt. Auf deren Tagungen kamen auch Referenten zu Wort, die sich Schönfarberei nachsagen lassen mußten. Sie ist nicht zu verwechseln mit der German Studies Association, zu deren institutionellen Mitgliedern auch die Stiftungen der politischen Parteien und die Gesellschaft für Deutschlandforschung gehören. Diese wichtige Vereinigung, die sich mit dem gesamten deutschsprachigem Raum, also auch mit Österreich

h) Ausländische Einrichtungen zur PID

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und der Schweiz, vor allem im historischen, literaturwissenschaftlichen und politischen Bereich, beschäftigt, war der Aufmerksamkeit des MfS entgangen.

- American Institute of Contemporary German Studies. - Dieses Institut versuchte, möglichst neutral zu sein. Auf seinen Veranstaltungen kamen sowohl Vertreter der DDR- und vergleichenden Deutschlandforschung aus der Bundesrepublik, ohne Rücksicht auf ihre Einstellung gegenüber dem Totalitarismusbegriff und damit zum Herrschaftssystem in der ehemaligen DDR (siehe unter Abschilitt IX.), als auch linientreue Wissenschaftler ("Reisekader") und hohe Funktionäre aus der ehemaligen DDR zu Wort. So erlebte seinerzeit Hermann Axen, damals Mitglied des Politbüros des ZK der SED und Sekretär für internationale Verbindungen, bei einer Veranstaltung dieses Instituts sein Debut in den USA. Auch ein Akt der PID?

- Aspen-Institut - Institut für humanistische Studien e. V. - Es hat seinen Sitz in Berlin (damals West). Es sei die einzige Filiale des Aspen Institute for Humanistic Studies nlit Sitz außerhalb der USA. Ihm wurde vorgeworfen, es hätte von Berlin (West) aus ideologischen Einfluß im amerikanischen Sinne über Schulungen, Vorträge, Tagungen u. a. nicht nur auf Mitarbeiter von Zentren der PID in der Bundesrepublik genommen, sondern auch auf Wissenschaftler sozialistischer Staaten, einschließlich der der ehemaligen DDR. Wiederum eine MfS-typische Auslegung der Tätigkeit einer für die Völkerverständigung eintretenden Einrichtung.

Die NATO hätte als "Hauptinstrument aggressiver Außen- und Militärpolitik des US-Imperialismus und seiner imperialistischen Hauptverbündeten seit Mitte der siebziger Jahre mit dem Übergang zum Hochrüstungs- und Konfrontationskurs durch die aggressiven Teile des Monopolkapitals, insbesondere des Militär-Industrie-Komplexes, unter massiven Druck der US-Administration immer stärkeren Einfluß auch auf die Konzipierung, Führung, Steuerung und Organisierung der PID" genommen. Die NATO hätte sich deshalb auch zu einem Führungszentrum der PID entwickelt. Es wurde der Versuch unternommen, die Tätigkeit des MfS und seine Bedeutung als Ideologiepolizei dadurch hervorzuheben, daß die PID in große internationale Zusammenhänge gestellt wurde. In der Tätigkeit der Führungsgremien, genannt wurden der NATO-Rat, die nordatlantische Versammlung, das Generalsekretariat, wäre der PID zunehmend größere Beachtung geschenkt worden. In ihnen seien nicht nur die Hauptrichtlinien der "imperialistischen" Außen- und Militärpolitik, neue Konzepte atomarer und konventioneller Kriegführung und aktuelle und langfristige Programme und Richtlinien der Hochrüstungspolitik beraten, koordiniert und beschlossen, sondern auch "in steigendem Maße Einfluß auf die Bestimmungen der Leitlinien und Schwerpunkte des subversiven Vorgehens des Imperialismus gegen die sozialistischen Länder, vorrangig auf dem Gebiet der PID" genommen worden. Auf jeder NATO-Tagung hätten sich die Außenminister mit Fragen des verstärkten subversiven ideologischen Einwirkens in die sozialistischen Länder, einschließlich der ehemaligen DDR, beschäftigt.

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Für die Leitung und Durchführung der PID sei innerhalb des NATO-Hauptquartiers die politische Abteilung mit ihrem Direktorat für Infonnation die wichtigste institutionelle Einrichtung gewesen. Dieses hätte vor allem wesentliche Aufgaben bei der Koordinierung durch die NATO-Staaten gehabt, insbesondere auch bei großangelegten ideologischen Diversionsoperationen, die den Rahmen einzelner NATO-Staaten überschritten hätten. Dessen Aufgaben seien gewesen: - Verschleierung des aggressiven Wesens der NATO und Diskriminierung des Warschauer Vertrages in der Weltöffentlichkeit, - Zusammenarbeit mit den westlichen Medien und den bei der NATO akkreditierten Journalisten zur Durchsetzung der NATO- Ziele, - Zusammenarbeit mit den Einrichtungen der "Kommunismus- und DDR-Forschung" in den Mitgliedstaaten der NATO, um diese noch stärker auf den aggressiven Kurs der NATO einzuschwören, - Vergabe von Stipendien und Aufträgen für die Auftragsforschung, - Herausgabe und Vertrieb eines breiten Spektrums antikommunistischer und antisowjetischer Literur (z. B. NATO-Brief) in großen Auflagen. Dazu hätte die NATO ein eigenes Verlagssystem geschaffen ("Mönchs"-Verlagsgruppe in der Bundesrepublik mit Filialen in den USA und Großbritannien). Zur Realisierung der Aufgaben hätten dem Direktorat - der Pressedienst - die Referate Fernsehen, Film und Rundfunk, Publikation, Foto und Dokumentation zur Verfügung gestanden. Von Bedeutung für den Einfluß der NATO-Organe auf die PID der Mitgliedsländer sei gewesen, daß der Leiter des Infonnationsdirektorats, der gleichzeitig amtlicher Sprecher der NATO und Sekretär ist, auch dem NATO-Ausschuß für Verteidigungsplanung angehört und als Vorsitzender des Ausschusses für Infonnation und kulturelle Beziehungen fungiert. Ferner sei der internationale Militärstab (IMS) als ständiger Militärausschuß der NATO an der Führung der PID durch die NATO-Gremien beteiligt gewesen, obwohl im Vordergrund dessen Arbeit militärstrategische Probleme und Fragen der Streitkräfteplanung gestanden hätten und nach wie vor stehen. Zum Potential des Instrumentariums der NATO, das für die PID genutzt worden sei, hätten weiter gehört: - der Wissenschaftsausschuß (Science Commitee), - das Internationale Institut für strategische Studien, London, - das Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik, Bonn (schon bei den Forschungsorganen der Bundesrepublik genannt),

i) Inhaltliche Grundlagen und Angriffsrichtungen der PID

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- die Verteidigungsakademie der NATO, Bonn, - internationale militärischeh Organisationen, wie z. B. die Vereinigung Atlantischer Gesellschaften (ATA), die sich auf zahlreiche nationale Verbände gestützt hätten und auch noch stützen, wie die Deutsche Atlantische Gesellschaft e. v., Bonn. i) Inhaltliche Grundlagen und Angriffsrichtungen der PID

Wesentlich ausführlicher als die Diss. 1 ging die Diss. 4 (Lehrbuch) auf die "inhaltlichen Grundlagen" und die "Angriffsrichtungen" der PID ein. Der Grund dafür lag in der Meinung, die Kenntnis des Inhalts der PID sei eine wesentliche Voraussetzung für ihre effektive und wirksame Bekämpfung und deren Auswirkungen gewesen (a. a. 0., S. 155). Der spezifische Inhalt hätte in ihren wesentlichen Angriffsrichtungen differenziert seinen Ausdruck gefunden (a. a. 0., S. 161). Der Kernsatz lautete, der Inhalt der PID sei durch den Antikommunismus geprägt worden, der gleichzeitig einen wesentlichen Grundzug der bürgerlichen Ideologie und Politik dargestellt hätte; denn dieser sei sowohl von seiner politischen Funktion als auch von seinem theoretischen Gehalt her deren reaktionärste und aggressivste Grundzug. Der Gegner hätte zwar über ein ganzes Arsenal antikommunistischer Auffassungen, Konzeptionen, Anschauungen, Argumenten, Legenden und Lügen verfügt, aber bei der inhaltlichen Ausgestaltung der PID auf solche Positionen, Konzeptionen und Auffassungen zurückgegriffen, die sich gegen die entscheidenden theoretischen und praktischen Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft, insbesondere gegen die politische Macht der Arbeiterklasse und die Politik der marxistisch-leninistischen Partei, gerichtet hätten. Mit Nachdruck wurde erläutert, der Antikommunismus sei in zwei Formen aufgetreten, die auch für die PID gegen die ehemalige DDR genutzt worden seien: - die militant-grobschlächtige und - die flexibel-verschleierte. In der militant-grobschlächtigen Form hätte sich der Antikommunismus am "offensten und unverhülltesten" ausgedrückt. Diese Form sei Ausdruck des Konservatismus gewesen, einer der beiden Grundströmungen der bürgerlichen Ideologie. Aber, so wurde hinzugefügt, es hätte nicht verkannt werden dürfen, daß auch Kräfte aus anderen ideologisch-politischen Lagern, beispielsweise Sozialdemokraten, zu Argumenten gegriffen hätten, die eindeutig diesen Positionen zuzurechnen gewesen wären. Die besondere Gefährlichkeit dieser Grundlinie hätte darin bestanden, daß sie sich nicht nur in extrem antikommunistischer Weise gegen die "sozialistische Gesellschaftsordnung in den sozialistischen Ländern" gerichtet, sondern auch die dringend notwendige Entspannung in der Welt zu torpedieren versucht und damit die Gefahr eines atomaren Weltkonflikts verstärkt hätte. Andererseits

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seien auch im konservativen Lager Kräfte vorhanden gewesen, die dieser "harten" Linie aus unterschiedlichen Motiven und Überlegungen heraus nicht uneingeschränkt gefolgt wären. Die flexibel-verschleierte Form sei weniger offen und brutal in Erscheinung getreten. Sie hätte sich nicht unmittelbar frontal gegen den realen Sozialismus gewandt, sondern an einer "schrittweisen, möglichst unmerklichen Aufweichung, Schwächung und Zersetzung" orientiert. Unter Kritik an bestimmten Verhältnissen im Kapitalismus seien sie Befürworter einer "Verbesserung", "Vermenschlichung" bzw. "Demokratisierung" des Sozialismus gewesen. Viele Vertreter dieser Form des Antikommunismus seien aus dem Lager der "Reformisten" gekommen, der zweiten Grundströmung der bürgerlichen Ideologie. Die flexibel-verschleierte Form des Antikommunismus hätte ihre Gefährlichkeit daraus gewonnen, daß mit ihr bei "ungefestigten" Menschen Wirkungen erzielt worden seien. Außerdem hätten sie die internationale Lage ,,realistischer" eingeschätzt als die Vertreter der militant-grobschlächtigen Form und die Veränderungen im Sozialismus unter Vermeidung des atomaren Krieges herbeiführen wollen. Deshalb wäre auch die Möglichkeit der Zusammenarbeit der sozialistischen Staaten mit solchen Kräften vorhanden gewesen. Gleichzeitig hätten diese, die nach wie vor Gegner der sozialistischen Gesellschaft und des Marxismus-Leninismus geblieben seien, versucht, die im Interesse der Friedenssicherung geknüpften Beziehungen zu den sozialistischen Staaten und die dabei entstandenen Kontakte zu ihren Bürgern "zur Entwicklung und Förderung bestimmter oppositioneller, antisozialistischer Kräfte und Bewegungen in den sozialistischen Staaten" zu mißbrauchen und auf die Bürger der ehemaligen DDR subversiv ideologisch eingewirkt. Daraus hätte sich die Notwendigkeit ergeben, im Kampf gegen die PID und ihre Auswirkungen beide Formen des Antikommunismus in ihren verschiedenen Varianten und Abstufungen differenziert zu betrachten. Zu beachten wäre ferner gewesen, daß die beiden Grundformen des Antikommunismus in der Regel nicht ,,rein" aufgetreten seien. Es hätten sich "Abstufungen" und "Verflechtungen" ergeben. Außerdem hätte es auch "unwissenschaftliche" antikommunistische Auffassungen und Konzeptionen unterschiedlicher Art und Herkunft gegeben, die den beiden Hauptströmungen nicht hätten zugeordnet werden können, z. B. anarchistische und trotzkistische. Ferner verdient Beachtung, daß der Leiter der Hauptabteilung XX, der u. a. die Federführung bei der Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der PID oblegen hatte, in seinem Gutachten vom 21. 4. 1987 (S. 2) darauf hingewiesen hatte, in der "Erweiterten Kollegiumssitzung des MfS" vom 13.2. 1987 wäre "eingeschätzt" worden, in der letzten Zeit hätten Versuche des Gegners an Bedeutung gewonnen, "durch Verfälschung des Inhalts der innenpolitischen Umgestaltungsprozesse in der UdSSR und demagogische Berufung auf ein ,neues Denken, die Wirkung der politisch-ideologischen Diversion zu erhöhen". Es blieb dies im Zusammenhang mit der Diss. 4 (Lehrbuch) der einzige Hinweis auf die Entwicklung in der damaligen Sowjetunion, die letztlich wesentlich zum Untergang der DDR

i) Inhaltliche Grundlagen und Angriffsrichtungen der PID

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beigetragen hat. Offensichtlich wurde sie in Selbsttäuschung verkannt und so die Ansichten des "Gegners" als irreführende Argumente zur PID gewertet. In die endgültige Fassung des Lehrbuchs wurde der Hinweis nicht aufgenommen. Die Zentren der PID hätten ihre Argumente für die PID nicht entsprechend ihrer ideologisch-politischen Einstellung ausgewählt, sondern in erster Linie danach, wie sie geeignet erschienen seien, in den sozialistischen Ländern Auswirkungen zu erzielen. So hätten Zentren mit ausgesprochen konservativen Positionen in bezug auf die sozialistischen Länder Forderungen nach "Gewerkschaftsfreiheit", "Demokratisierung" und "Freiheit" für eine oppositionelle "Friedensbewegung" erhoben und sozialreformerische, revisionistische und linksextremistische Aufassungen verbreitet. In der Meinung, differenzieren zu müssen, hatten die Verfasser der Diss. 4 (Lehrbuch) infolge ihres marxistisch- leninistischen Weltbildes, das noch stark vom Stalinismus geprägt war, nicht erkennen können, daß allen den von ihnen dargestellten, unterschiedlichen politischen Hauptrichtungen die Forderung nach Freiheit, nach Selbstbestimmung des Menschen, nach Demokratie und rechtsstaatlichen Verhältnissen gemeinsam war. Die Diss. 4 (Lehrbuch) unterstellte dem "Gegner" auch Wechsel der Argumentation je nach der jeweiligen politischen Lage. Deshalb habe einmal die "militantgrobschlächtige" und ein andermal die "flexibel-verschleierte" im Vordergrund gestanden. Auch wären die "Argumentationslinien" nach den Bevölkerungsgruppen ausgerichtet gewesen, auf die hätte eingewirkt werden sollen. Das waren für jede umfassende, aktuelle und interessierte Gruppen ansprechende Informationsgebung banale Feststellungen. Nur: die Mitarbeiter des MfS setzten in gewohnter Weise auch hier Information mit dem gleich, was sie unter PID verstanden. Gutachter im Promotionsverfahren hatten bemängelt, daß in der Diss. 4 als Entwurf zum Lehrbuch nicht genügend inhaltlich differenziert worden sei. So hatte der stellvertretende Leiter des "Objekts S" in der HV A im Gutachten vom Mai 1987 vorgeschlagen (S. 4), eine Abgrenzung bzw. begriffliche Abstimmung zwischen der - psychologischen Kriegführung - politisch-ideologischen Diversion und - geistigen Manipulation vorzunehmen. Der Empfehlung wurde in der endgültigen Fassung des Lehrbuches nicht entsprochen. Ferner wurde bemängelt, zwischen der PID und der "zivilisierten Form" der Klassenauseinandersetzung wäre nicht genügend unterschieden worden. So hätte nach Meinung des ersten Stellvertreters des Leiters der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) (Gutachten vom 22.5. 1987, S. 5) stärker akzentuiert werden müssen, daß es zwischen der PID und der legitimen ideologischen Auseinandersetzung im Methodischen wesentliche Unterscheidungsmerkmale gegeben hätte, auf die Erich

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Honecker in seiner Rede vor dem internationalen Schriftstellergespräch im Mai 1987 hingewiesen hätte. 7 Dieser Mangel hätte auch teilweise dazu geführt, daß bei der Behandlung der "flexibel-verschleierten" Form der PID deren Unterschiede zur zivilisierten Form der Auseinandersetzung auf geistigem Gebiet nicht genügend deutlich gemacht worden sei. Eine ähnliche Kritik übte der stellvertretende Leiter des "Objekts S" in der HV A (Gutachten vom Mai 1986, S. 3 - 5). Es sei zwar überzeugend begründet worden, daß unterschiedliche Varianen und Stoßrichtungen in der Anwendung der PID sich aus der imperialistischen Strategievariante und den jeweiligen Klassenkampfbedingungen ergeben hätten. Indessen wurde angeregt, die Darlegungen über die inhaltlichen Grundlagen entsprechend anzugleichen und in diese "Dialektik" einzupassen. Zwei der vier Autoren der Diss. 4 (Lehrbuch) sahen sich veranlaßt, in ihrer Verteidigung vor der Promotionskommission der JHS am 10. 7. 197 auf diese Kritik einzugehen. Sie meinten darin (S. 4 - 5), "unser" Kampf um zivilisierte Formen in der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus sei gleichzeitig Kampf gegen die PID und deren Auswirkungen gewesen, und weiter, die zivilisierte Form der Auseinandersetzung hätte die gegenseitige ideologische Einflußnahme entsprechend der friedlichen Koexistenz eingeschlossen. Ein wesentlicher Bestandteil des umfassenden historischen Wettbewerbs der beiden Gesellschaftssysteme hätte die zivilisierte Form der ideologischen Auseinandersetzung sein müssen. Das hätte die Darlegung der eigenen Positionen, die Selbstdarstellung sowie die Kritik an den Standpunkten und dem Gesellschaftssystem der jeweils anderen Seite eingeschlossen. Das sieht so aus, als ob die beiden Mitarbeiter des MfS zu erstaunlichen Erkenntnissen gekommen wären. Aber sie setzten ihre Verteidigung mit einer Einschränkung fort. Das hätte nämlich nur gegolten, "sofern damit nicht versucht werde, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen, subversive Zielstellungen zu verfolgen". Sicher ist die Grenze zwischen Selbstdarstellung und bewußtem ideologischen Einwirken in einen anderen Machtbereich oft nicht genau zu bestimmen. In einem politisch-ideologischen Wettbewerb wird mit jeder Selbstdarstellung die Hoffnung mitschwingen, sie möge Eindruck auf die andere Seite machen, und diese zu einem bestimmten Verhalten bringen. Aber das MfS kannte überhaupt keine Grenze. Wie schon bei der Analyse der Tätigkeit der Massenmedien und der Ansichten des MfS über schöngeistige und sogar Fachliteratur als ausführende Organe der PID oben gezeigt, faßte das MfS publizistische Äußerungen jeder Art im Westen, mit Ausnahme der von Geistesverwandten produzierten, entweder als Manipulation der eigenen Bevölkerung oder als PID auf. 7 "Unser neues Leben braucht die schöpferischen Impulse von Kunst und Literatur". Abschließende Ausführungen von Erich Honecker auf dem Treffen mit Schriftstellern im Staatsrat, Neues Deutschland vom 8. 5. 1987, S. 4.

i) Inhaltliche Grundlagen und Angriffsrichtungen der PID

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Die beiden Verteidiger der Dis. 4 (Lehrbuch) versuchten in ihrer Stellungnahme den Eindruck zu erwecken, sie seien für eine objektive Berichterstattung und hätten nicht die Absicht, eine solche als PID anzusehen. Sie meinten dazu, daß dafür der "Versuch, auf bewußte Entstellungen, Lügen, Verdrehungen, aber auch der Verzicht auf Informationen, die so aus dem Zusammenhang herausgelöst seien, daß damit subversive Ziele verfolgt" würden, notwendig sei. Bestandteil der ideologischen Auseinandersetzung in zivilisierten Formen sei die wahrheitsgetreue und sachliche Berichterstattung sowie der gegenseitige Informationsaustausch auf der Grundlage der friedlichen Koexistenz und des Völkerrechts gewesen. Dabei wurde unterstellt, daß die ehemalige DDR und die damals sozialistischen Staaten sich einer solchen Informationsgebung befleißigt und umgekehrt, die "imperialistischen" Staaten sich der geschilderten verwerflichen Taktik zu subversiven Zwecken bedient hätten. Bestenfalls unterlagen die beiden Offiziere des MfS dabei einem Selbstbetrug. Sie verkannten das Nachrichtenmonopol, das überall in den realsozialistischen Staaten bestanden hatte, weil sie nicht verstehen konnten oder wollten, daß es auf ein Wahrheitsmonopol hinauslief. Was ein solcher Staat verlautbarte oder zur Veröffentlichung zuließ, konnte für Menschen mit "sozialistisehern" Bewußtsein nichts als die lautere Wahrheit sein. Andererseits wußten sie auch nichts von einer freien Presse, die es als ihre Aufgaben betrachtet, unabhängig von staatlichen Organen und nicht selten sogar zu deren Verdruß, Tatsachen zu erforschen und auch nicht davor zurückzuschrecken, wenn es gilt, Nebel, der über sie von diesen oder jenen gebreitet wird, zu durchstoßen und für Aufhellung zu sorgen. Es kann davon ausgegangen werden, daß die Mitarbeiter des MfS bei der Verteidigung ihrer Dissertation das Gefühl hatten, sich auf Glatteis begeben zu haben. Denn auch der endgültigen Fassung des Lehrbuches ist über eine Abgrenzung zwischen PID und "zivilisierten Formen" der Auseinandersetzung nichts zu entnehmen. Dafür gab es eine Erklärung. Im Verteidigungsreferat der Autoren hieß es nämlich, es sollten einige weitere Überlegungen darüber angestellt werden, welche Kriterien angelegt werden müßten, um eine solche Abgrenzung vornehmen zu können. Sie seien sich dessen bewußt gewesen, daß dieses Problem "forschungsmäßig" weiter durchdrungen werden müßte. Die Unterscheidung zwischen beiden Sachverhalten würde eine ,,konkrete und allseitige Analyse sowohl der jeweiligen konkreten Argumente als auch Umstände, Zusammenhänge usw., die mit den Argumenten in Verbindung ständen", voraussetzen. Exakte Einschätzungen und richtige politisch-operative Wertungen würden ein "komplexes Herangehen" erfordern. Einzelne Argumente dürften nicht aus dem Zusammenhang herausgelöst werden. Ein wichtiges Kriterium glaubten die Autoren gefunden zu haben. Für die PID sei die subversive Zielstellung nachzuweisen. Denn das Ziel der PID hätte darin bestanden, "in einem langfristigen Prozeß entscheidende ideologische Voraussetzungen für konterrevolutionäre Veränderungen zu schaffen. Entscheidend sei

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gleichzeitig darzutun, "welche objektiven Funktionen eine gegnerische Auffassung, Position usw. im Rahmen der jeweiligen imperialistischen Strategievariante gegenüber dem Sozialismus" besessen hätte. Es kann heute dahinstehen, ob die Theoretiker des MfS einen Ausweg aus dem Dilemma gefunden hätten. Denn die politische Entwicklung enthob sie weiteren Nachdenkens. Trotzdem ist die Behandlung dieser Frage charakteristisch für die Probleme, mit denen sie sich in der Endphase der DDR beschäftigt hatten. Letztlich ging es um die Frage, wie das auf dem Axiom des Klassenkampfes beruhende Freund-Feind-Denken mit einer Entspannung zu vereinbaren ist. Das weitere Axiom vom weltweiten endgültigen Sieg vom Sozialismus/Kommunismus im Klassenkampf erforderte und erfordert auch jetzt noch von übrig gebliebenen Dogmatikern die Konsequenz, Entspannung zwischen Klassenfeinden lediglich als einen vorübergehenden Zustand zu betrachten, als einen Waffenstillstand, wohl geeignet, um neue Kräfte für die Fortsetzung der Klassenauseinandersetzung zu sammeln. Die Hüter über die Sicherheit der sozialistischen Ordnung mußten es als ihre Pflicht ansehen, wachsam zu bleiben. Deshalb mußten die Sicherheitsorgane es für selbstverständlich halten, daß sie darüber zu urteilen hatten, ob Gefahr für die Sicherheit der sozialistischen Ordnung latent blieb oder drohte, wieder akut zu werden. "Zivilisierte Formen" der ideologischen Auseinandersetzung sollten Ausdruck einer politischen Entspannung sein, während der der Klassenkampf nur noch latent war, unbeschadet dessen, daß er aus angeblich objektiven Gründen zwangsläufig weiter existierte. PID sollte unmittelbarer Ausdruck des akuten Klassenkampfes sein. So mußte es also im Selbstverständnis des MfS stets in seiner Hand bleiben, darüber zu entscheiden, ob in der Systemauseinandersetzung noch Waffenstillstand bestand oder der Klassenkampf wieder entbrannt war. Das hatte auch für die Frage zu gelten, ob PID betrieben wurde oder eine "zivilisierte" Form der ideologischen Auseinandersetzung vorlag. Die Wachsamkeit verlangte vom MfS immer, das in seiner Sicht schlimmste anzunehmen. So konnte es gar nicht anders sein, als daß im Zweifel PID angenommen wurde. Wenn die Autoren bei der Verteidigung der Dissertation vom Selbstverständnis des MfS ausgegangen wären, so wäre die Suche nach Kriterien einer Abgrenzung bestenfalls überflüssig gewesen. Möglicherweise diente sie aber der Augenwischerei gegenüber denen, die nicht wollten, daß die von der SED-Führung nach außen proklamierte Entspannungspolitik wegen der Haltung des MfS auch bei den eigenen Leuten in Mißkredit geriet. Auf jeden Fall indessen spiegelte die Frage der Abgrenzung und die offensichtliche Unmöglichkeit für die Verfasser der Diss. 4 (Lehrbuch), eine klare Antwort zu geben, schon eine Unsicherheit wider, die nur etwa zwei Jahre später dazu führte, daß das MfS aufhörte, Schild und Schwert gegenüber den Freiheit und Demokratie begehrenden Volks massen zu sein. Bei den sich aus den inhaltlichen Grundlagen der PID angeblich ergebenden Angriffsrichtungen geht es um alles das, was über die Staats- und Gesellschaftsordnung der ehemaligen DDR, ihr sozio-ökonomisches System und ihre internationale

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Verflechtung unter der Protektion der damaligen Sowjetunion in der freien Welt bekannt und an ihr als einem Teil Deutschlands, besonders in der Bundesrepublik, in freier Meinungs- und Pressefreiheit, mit Ausnahme der Schönfärber, kritisiert worden war. Definiert wurde der Begriff, wie üblich in einer Umrahmung, so: "Angriffsrichtungen der PID sind grundlegende, relativ beständige und differenzierte Inhalte der PID, die sich gegen die Gesamtheit bzw. entscheidende Grundlagen der Theorie und Praxis des Sozialismus richten. Sie beinhalten spezielle antikommunistische Positionen, Plattformen, Konzeptionen, Theorien und Auffassungen und Argumente, mit denen spezifische subversive Zielstellungen verfolgt werden."

Bei der differenzierten Analyse und Bewertung der Angriffsrichtungen hätten folgende Gesichtspunkte beachtet werden müssen: große Kontinuität, aber auch je nach Veränderung in der Klassenkampfsituation ständige Modifizierung der Angriffsrichtung, Dialektik von defensivem Reagieren und offensivem Angriff des Imperialismus auf das Voranschreiten des Sozialismus und seiner Friedensoffensive als Verständnis für diesen Wechsel; (danach reagierte der Gegner auch defensiv, was einen Angriff des Sozialismus voraussetzt - ein unabsichtliches (?) Eingeständnis des eigenen Verhaltens), - Unterschiedlichkeiten im Stellenwert und Herausbildung neuer Angriffsrichtungen, - komplexer Charakter der Angriffsrichtungen mit enger Verflechtung, Durchdringung und Ergänzung, - Entwicklung spezifischer Angriffsrichtungen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen (Jugendliche, Angehörige der künstlerischen und wissenschaftlichen Intelligenz, religiös gebundene Menschen). Als Angriffsziele wurden genannt: Die friedliche Koexistenz und die Entspannung sowie die gegen die mit der UdSSR und den anderen Staaten des Warschauer Vertrages abgestimmte Friedens-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der ehemaligen DDR. Dazu wird behauptet, die angebliche "Bedrohungslüge", nach der der reale Sozialismus, insbesondere die Sowjetunion, expansionistisch und aggressiv gewesen sei, hätte bei den ideologischen Angriffen des Imperialismus einen erstrangigen Stellenwert und damit auch bei der PID gehabt. Auch hätte die Wehrbereitschaft der Bürger der ehemaligen DDR durch PID zersetzt werden sollen. Der Gegner hätte versucht, mittels Parolen wie ,,ziviler Friedensdienst statt Wehrdienst" oder "Frieden schaffen ohne Waffen" eine "blockübergreifende" bzw. "staatlich unabhängige Friedensbewegung" zu inspirieren. 9 Mampel

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So mußte die Friedensbewegung in der ehemaligen DDR, die, wie allgemein bekannt sein dürfte, dort entstanden war und die Politik des Westens genau so kritisiert hatte wie die des damaligen Ostblocks, dafür herhalten, den Zöglingen der JHS als Produkt der PID vorgeführt zu werden. - Die politische Organisation der sozialistischen Gesellschaft. Dabei hätte sich der Hauptstoß auf die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei konzentriert. Die politische Organisation und ihr - die Feder sträubt sich, so etwas wiederzugeben - "zutiefst demokratischer Charakter sei immer wieder als bürokratisches und diktatorisches Herrschaftssystem abgestempelt und als totalitäre Parteidiktatur" diffamiert worden. Zu Recht war das Herrschaftssystem in der ehemaligen DDR in der Bundesrepublik und weit darüber hinaus in der freien Welt so charakterisiert worden. Nur Schönfärber hatten das anders gesehen. Der Verfasser dieser Analyse ist ein wenig stolz darauf, zur zutreffenden Analyse des Herrschaftssystem in der ehemaligen DDR beigetragen zu haben. 8 Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" in dessen 12. Wahlperiode ist zum selben Ergebnis gelangt. 9 Hier liegt wohl der überzeugendste Beweis dafür vor, daß Darstellung und Analyse der Wirklichkeit für die Partei- und Staatsführung der ehemaligen DDR und mit ihr das MfS nichts anderes als PID waren. Weiter wird in der Diss. 4 (Lehrbuch) sehr vereinfachend behauptet, ein wichtiges Element hätte in der ungeheuerlichen Verleumdung bestanden, die Machtausübung im Sozialismus sei wie im ,,Faschismus" (durchgängige Bezeichnung in der ehemaligen DDR für den Nationalsozialismus) gleichermaßen totalitär. Nur "eine Reihe führender SPD-Politiker hätte sich in der Propagierung der Totalitarismusdoktrin im Interesse der Entwicklung friedlicher Beziehungen zur DDR" einige Zurückhaltung auferlegt, und auch das sei lediglich "zur Zeit", also in der Sicht des MfS vorübergehend, geschehen. Hinzugefügt wurde indessen sofort, es hätte nicht übersehen werden dürfen, "daß auch Vertreter der Sozialdemokratie nach wie vor die sozialistischen Staaten als kommunistische Diktaturen diffamiert hätten". Hier hatten die Autoren der Diss. 4 (Lehrbuch) es unterlassen, den Benutzern des Lehrbuches mitzuteilen, daß die Vertreter der von ihnen so bezeichneten flexibel- verschleierten Form der PID in der Bonner Republik das Totalitarismusmodell überhaupt ablehnten oder doch nicht auf die ehemalige DDR anwenden wollen. 8 Zuerst: Siegfried Mampel, Herrschaftssystem und Verfassungsstruktur in Mitteldeutschland. Abhandlungen zum Ostrecht, Band V, Köln 1968. 9 Bericht der Enquete-Kommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SEDDiktatur in Deutschland", Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode, Drucksache 12/7820 vom 31.5.1994.

i) Inhaltliche Grundlagen und Angriffsrichtungen der PID

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Darüber war dort in der DDR-Forschung heftig gestritten worden, und es hat eine Zeit gegeben, zu der die Anhänger der Totalitarismuskonzeption in der Minderheit waren. lO Offensichtlich um die These zu erhärten, auch in der "flexibel-verschleierten" Form sei PID betrieben worden, wurde die Ablehnung des Totalitarismuskonzepts heruntergespielt. Ein besonderes Ärgernis stellte die bürgerliche "Pluralismuskonzeption" dar, die einerseits verschleiert habe, daß in den kapitalistischen Ländern tatsächlich die Herrschaft von der Monopolbourgeoisie ausgeübt werde, und andererseits mit ihrer Hilfe die Verbesserung bzw. Vermenschlichung des politischen Systems des Sozialismus propagiert worden sei. Im Mittelpunkt der subversiven ideologischen Angriffe gegen die politische Organisation der sozialistischen Gesellschaft hätten solche gegen die marxistisch-leninistische Partei und gegen die Einheit von Partei und Volk gestanden. Eine zentrale Rolle hätte die antikommunistische These vom "Machtmonopol der Partei" gespielt. Die Spitzel der HV A, die den Verfassern der Diss. 4 (Lehrbuch) das Material lieferten, hatten die westlichen Analysen des Herrschaftssystems der ehemaligen DDR mit Erfolg studiert. Denn sie führten die Argumente an, mit denen die DDRForschung dessen undemokratisches, totalitäres Wesen nachgewiesen hatte. - Der Führungsanspruch der Partei sei nicht "objektiv gesetzmäßig", sondern subjektivistisch begründet; - die Partei sei nicht mehr gewillt und fähig, die Gesellschaft zu modernisieren und zu erneuern, was nur durch einen generellen "Wandel" der Partei überwunden werden könne; - die Partei sei "verbürokratisiert" gewesen; - die Einheit von Machtsicherung und Veränderung sei auf eine "ausschließliche Herrschaftssicherung" reduziert worden; - die Übereinstimmung von Partei und Volk und die Einheitlichkeit der politischen Organisation des Sozialismus sei geleugnet worden. Ziel der PID sei gewesen, tragende Prinzipien der politischen Organisation der sozialistischen Gesellschaft wie die führende Rolle der Partei und den demokratischen Zentralismus durch Elemente bürgerlicher Herrschaftsausübung zu ersetzen und dadurch die sozialistische Staatsrnacht zu diffamieren und zu zerstören. Besondere Schwierigkeiten sahen die Verfasser der Diss. 4 (Lehrbuch) durch die Argumentation entstanden, die Einheit von Partei und Volk sei eine unhaltbare Fiktion. Sie schrieben (a.a.O, S. 170): "Der subversive Charakter der ideologischen 10 Jens Hacker, Deutsche Irrtümer, Schönfarber und Helfershelfer der SED-Diktatur im Westen, um ein Nachwort erweiterte, durchgesehene Taschenbuchausgabe (aufgrund der 3. Auflage), Frankfurt am MainlBerlin 1994, S. 423 f., S. 427 f., S. 440f.

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Angriffe gegen die marxistisch-leninistische Partei und die sozialistische Staatsmacht zeigt sich vor allem auch daran, daß auf der Grundlage der Totalitarismusdoktrin behauptet wird, daß ein tiefer antagonistischer Widerspruch zwischen der marxistisch- leninistischen Partei und den Werktätigen bestünde." Die Wende 1989 hat gezeigt, daß es sich hier nicht um eine Argumentation der PID zu subversiven Zwecken gehandelt hatte, sondern um eine Tatsache, die zum Ende der DDR führte. Nicht die Feststellung westlicher DDR-Forscher und westliche Propaganda hatten zum friedlichen Aufstand des Volkes gegen die führende Rolle der SED, gegen deren Suprematie in Staats- und Gesellschaftsorganisation, gegen die SED-Diktatur geführt, sondern der tiefe Gegensatz zwischen den Inhabern der Macht und den von ihnen beherrschten Menschen. Nur Selbstbetrug und vielleicht 1987 schon eine gewisse Ahnung von einer für die Herrscher und damit für die DDR unheilvollen Entwicklung, die man versuchte durch kraftvolle Worte zu überspielen, ließen offenbar die Mitarbeiter an der JHS an der Fiktion festhalten, zwischen der Führung der SED und der übergroßen Mehrheit des Volkes bestehe ein enges und unerschütterliches Vertrauensverhältnis. Anders läßt sich diese Auslassung (a. a. 0., S. 172) nicht erklären: "Wie die Reaktion des Gegners nach dem XI. Parteitag der SED (sc. dem letzten vor dem Ende der DDR) insgesamt zeigt, hat die gewachsene Einheit und Geschlossenheit der Partei sowie die Vertiefung des Vertrauensverhältnisses zwischen der Partei und den Werktätigen und die stabile und dynamische Entwicklung der DDR den Spielraum für seine subversiven Angriffe gegen die Einheit von Partei und Volk weiter eingeschränkt." Wenn dieser Satz in einem gewissen Gegensatz zu dem steht, was über die Gefährlichkeit der PID und die Wichtigkeit ihrer Bekämpfung durch das MfS als Ideologiepolizei steht, so läßt er an das Sprichwort vom Pfeifen eines ängstlichen Menschen im Walde denken. - Verletzung der Freiheit und der Menschenrechte im Sozialismus. Die besonders nach der Wende allgemein bekannte Verletzung der Grund- und Freiheitsrechte der Menschen wurden, wie allgemein von der kommunistischen Propaganda, als "Menschenrechtsdemagogie" bezeichnet. Dieser sei ein konkreter Ausdruck der "objektiv bedingten Defensivposition des Imperialismus" gewesen. Wie sich das mit der Behauptung vereinbaren ließ, daß sie gleichzeitig eine aggressive Reaktion auf die konsequente Durchsetzung der Menschenrechte im Sozialismus darstelle sowie auf die Rolle, die die Weiterentwicklung der "sozialistischen Demokratie" in den soziaiistischen Ländern eingenommen habe, muß das Geheimnis der JHS bleiben und kann es auch getrost, weil diese Argumentation zum - hier muß der Ausdruck erlaubt sein - Unsinnigsten gehört, was kommunistische Propaganda von sich gegeben hat. Weiter wurde behauptet, die Menschenrechtsdemagogie sei darauf ausgerichtet gewesen, Untergrundtätigkeit zu inspirieren. Bei ihr, die im engen Zusarnrnenhang mit der antikommunistischen Totalitarismusdoktrin und der Bedrohungslüge gestanden hätte, sei die konterrevolutionäre Konzeption eindeutig gewesen.

i) Inhaltliche Grundlagen und Angriffsrichtungen der PID

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So konnte nur von denen argumentiert werden, die Freiheit allenfalls als Einsicht in die von der Führung einer marxistisch-leninistischen Partei geschaffenen Notwendigkeit betrachtet hatten. Immerhin scheuten die Verfasser der Diss. 4 (Lehrbuch) nicht davor zurück, mit der Aufnahme von in der freien Welt gehegten Auffassungen in ihre Arbeit die Zöglinge mit diesen bekanntzumachen und Gefahr zu laufen, sich damit selbst gegenüber der PID bloßzustellen. Angeführt wird folgendes, wobei sich einiges überschneidet: - Ohne Privateigentum an Produktionsmitteln könne es keine Freiheit geben; - die Diktatur des Proletariats, die ihrem Wesen nach eine Diktatur der Partei bzw. der Parteibürokratie sei; - da im Sozialismus die Planwirtschaft bestimmend sei, könne es keine Freiheit geben; - das Recht auf freie Selbstverwirklichung würde durch die Gängelei von Partei, Arbeitskollektive, Leiter usw. ständig negiert; - außerdem hätte die Forderung nach Freizügigkeit eine wesentliche Rolle gespielt. Die generellen Ausgangspositionen der imperialistischen Freiheits- und Menschenrechtsdemagogie hätten sich eindeutig gegen die Grundlagen der sozialistischen Gesellschaftsordnung und der sozialistischen Verfassung gerichtet (siehe auch unten X.). Das entsprach im wesentlichen tatsächlich der Kritik, die in der Bonner Republik an Verfassung und den Rechtsnormen der ehemaligen DDR geübt werden mußte und die zum Lebenswerk des Verfassers dieser Analyse gehört. 11 Aber damit in die ehemalige DDR politisch-ideologisch einzuwirken, war gar nicht nötig. Denn das wußten die Menschen in der ehemaligen DDR aus eigener bitterer Erfahrung auch so und brauchte ihnen nicht erst von außen beigebracht zu werden. Auch in diesem Zusammenhang muß noch einmal festgestellt werden, daß sowohl der Aufstand vom 17. 6. 1953 als auch die Wende im Herbst 1989 darin ihren Ursprung hatten und nicht in subversiven Einflüssen von außen, insbesondere aus der Bonner Republik. - Verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik der SED Daß die ehemalige DDR sich vor allem in den letzten Jahren ihrer Existenz in größten ökonomischen Schwierigkeiten befand, an denen noch heute das wiedervereinigte Deutschland krankt, braucht hier nur in Erinnerung gerufen zu werden, um zu ermessen, welchen Täuschungen sich die Verfasser der Diss. 4 (Lehrbuch) hingaben. Es wurde darin behauptet, die Zentren der PID hätten in 11 Insbesondere: Siegfried Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik. Text und Kommentar. 2. Auflage. Frankfurt am Main 1982.

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den letzten Jahren ihre Angriffe gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik der SED "differenzierter und konkreter" gestaltet; denn die sozialistischen Länder hätten bedeutende Anstrengungen auf ökonomischem Gebiet, insbesondere hinsichtlich der Meisterung der "wissenschaftlich-technischen Revolution und der Intensivierung", unternommen. Als weiterer Grund wurden Defensivreaktionen - man höre und staune - speziell auf die Erfolge der ehemaligen DDR angegeben. Es folgte sodann eine Aufzählung von Thesen, die nach Ansicht der Verfasser der Diss. 4 (Lehrbuch) trügerische Argumente des Gegners erfunden oder hinsichtlich der PID übertrieben gewesen seien, in Wirklichkeit jedoch zutrafen: - Die DDR-Wirtschaft sei durch eine große Instabilität ausgezeichnet gewesen; - die DDR sei nicht in der Lage gewesen, Schlüsseltechnologien entsprechend dem erforderlichen Niveau zu entwickeln; - der Sozialismus sei weniger innovativ als der Kapitalismus gewesen; - der Sozialismus sei prinzipiell auf die Zusammenarbeit mit dem Kapitalismus angewiesen gewesen, da er sonst allenfalls nur unter einer Phasenverschiebung in der Lage gewesen sei, die wissenschaftlich-technische Revolution zu bewältigen; - die zentrale Planung und Leitung der Wirtschaft der führenden Rolle der Partei, unter ihrer Suprematie also, vom Gegner als "Befehlswirtschaft", als ,,zentralverwaltungswirtschaft" , als "totalitäres" Wirtschafts system abgestempelt, hätte mit der Erstickung jeder Konkurrenz die Modernisierungsfähigkeit verhindert und zur extensiven Entwicklung tendiert. - Ferner sei vom Gegner weiterhin die entscheidende Rolle der ökonomischen Integration und des RGW negiert worden. Im Mittelpunkt hätte die Behauptung gestanden, daß der Versuch der Integration nach 35 Jahren gescheitert sei und die Organisation sich seit Mitte der 70er Jahre in der Krise befunden habe. Es sei sogar ein grundlegender Interessengegensatz zwischen der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten konstruiert worden. Das Konzept sei allein an den Bedürfnissen der UdSSR ausgerichtet gewesen. Auf diese Weise sei versucht worden, "solche feindlich- negativen Einstellungen und adäquate Handlungen zu inspirieren", um die DDR schrittweise aus der sozialistischen Staatengemeinschaft herauszulösen. - Insbesondere von konservativen Kräften sei die Einheit von Wirtschaftsund Sozialpolitik heftig angegriffen worden. Eine solche sei überhaupt nicht möglich. Nur mit Effektivitätsverlust oder Einbuße der individuellen Freiheit sei sie zu bezahlen gewesen. Der soziale Fortschritt sei dem ökonomischen untergeordnet gewesen. Die Politik der Einheit von wissenschaftlich-technischem, ökonomischem und sozialem Fortschritt sei als Maßnahme zur Stabilisierung der politischen Macht abqualifiziert worden. Sie sei nur ein bloßes Instrument gewesen, um die "Massen zu höheren Leistungen zu stimulieren."

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- Einerseits hätte der Gegner argumentiert, Arbeitslosigkeit sei zwangsläufiges Produkt des wissenschaftlich-technischen Fortschritts sowohl im Kapitalismus als auch im Sozialismus. Andererseits sei behauptet worden, die Vollbeschäftigung im Sozialismus sei mit einem dramatischen Verlust an Produktivität und verfügbaren Produktivkräften erkauft worden und hätte zu einer "verdeckten" Arbeitslosigkeit" geführt. - Die Politik der SED sei durch die Behauptung diffamiert worden, trotz bestimmter Erfolge hätten sich die entsprechenden Anstrengungen der Werktätigen nicht gelohnt. Höhere Leistungen hätten die entsprechende Lebensqualität nicht zur Folge gehabt. Die Absicht des Gegners sei gewesen, die Werktätigen in der ehemalige DDR zu "desorientieren", um ihre Überzeugung von der Richtigkeit der Politik der SED zu untergraben und ihren Leistungswillen zu lähmen. - Es sei versucht worden, die "DDR als typische Mangelgesellschaft" hinzustellen. Der Gegner hätte "Alltagsprobleme" aufgeworfen, wie Fragen des Lohn- und Gehaltsgefüges, der Preispolitik, der Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern und Waren des täglichen Bedarfs, der Erweiterung des "De1ikat- und Exquisitprogramms", also der Möglichkeit des Einkaufs von Waren des gehobenen Bedarfs zu überhöhten Preisen in staatlichen Läden, der "Intershop"-Einrichtungen, in denen Waren nur mit ,,harter Währung" bezahlt werden konnten, sowie der Senkung des Rentenalters, der Erhöhung der Renten und der Einführung der 40-Stundenwoche. Auch im wirtschaftlichen und sozialen Bereich kannte jeder im Machtbereich der SED die wirklichen Verhältnisse. Es bedurfte dazu keiner PID. Was die Berichte darüber und die Analysen im freien Teil Deutschlands anbetraf, so stellte sich nach der Wende heraus, daß sogar Skeptiker die Lage günstiger beurteilt hatten, als sie war. 12 Selbst die Autoren der Diss. 4 (Lehrbuch) kritisierten an anderer Stelle ihrer Abhandlung (siehe unten VIII. c) 4.) schwere Mängel im wirtschaftlichen Bereich, die sie allerdings nicht auf das sozialistische Wirtschafts system zurückführten. 13 12 Dazu die eindrucksvolle Kritik an der Analyse der DDR- Statistik im unter der Verantwortung des DIW stehenden Teils B der Materialien zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland 1987 von Peter von der Lippe, Materialien zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland 1987 als statistische Grundlage für die Staatsverträge mit der ehemaligen DDR, in: Gemot GutmannlUlrich Wagner (Hrsg.), Ökonomische Erfolge und Mißerfolge der deutschen Vereinigung - Eine Zwischenbilanz, Schriften zum Vergleich von Wirtschaftsordnungen, Band 45, Stuttgart/Jena/New York 1994, S. 3 ff. 13 Daß die für die Volkswirtschaft zuständige Hauptabteilung XVIII mindestens seit 1980 deren desolaten Zustand gekannt und darüber dem Politbüro des ZK der SED berichtet hatte, zeigt Maria Haendcke-Hoppe-Amdt, Wer wußte was? - Der ökonomische Niedergang der DDR, Deutschland Archiv 1995, S. 588 f. In ihrer ideologischen Verblendung ignorierte der innere Zirkel der Parteiführung die Warnungen. Stattdessen wurde auf verstärkte Bekämpfung der PID gedrungen. (Jahresplan 1989 des Leiters der HA XVIII - ZA HA XVIII 55 19, zitiert nach Maria Haendtke-Hoppe-Amdt, a. a. 0., S. 602.) Der Leiter von HA XVIII han-

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- Mangelhafter Umweltschutz - Der Gegner hätte behauptet, der Sozialismus als totalitäres und uneffektives System hätte das angestrebte Wirtschaftswachstum nur durch rücksichtslose Zerstörung der natürlichen Umwelt erzielen können und sei weder bereit noch in der Lage gewesen, Umweltprobleme im humanen Sinne zu lösen. Die auf Effektivitätssteigerung ausgerichtete Wirtschaftsstrategie hätte im Widerspruch zu den ökologischen Erfordernissen gestanden und eine notwendige, langfristige Ökologieplanung verhindert. - Umweltbelastungen und -schäden seien oft maßlos übertrieben worden. - Es sei versucht worden, "im Bereich des Umweltschutzes zu Forderungen zu inspirieren", die zur damaligen Zeit nicht realisierbar gewesen seien bzw. "nur bei schwerwiegenden Abstrichen vom Wirtschafts- und Sozialprogramm zu erfüllen" gewesen wären. Dahinter hätten sich Bestrebungen verborgen, das Wirtschaftswachstum und die Verteidigungsfähigkeit der sozialistischen Länder zu schwächen. - Letztendlich sei das Ziel verfolgt worden, in der ehemaligen DDR eine gegen den Staat gerichtete Umweltbewegung ins Leben zu rufen. Das sei ein Bestandteil der Bestrebungen des Gegners gewesen, eine innere Opposition zu entwickeln. Wie es um den Umweltschutz in der ehemaligen DDR bestellt war, wußte ebenfalls jedennann dort. Auch in diesem Bereich wäre eine PID für die freie Welt reine Zeit- und Geldverschwendung gewesen. Interessant sind die Auslassungen der Diss. 4 (Lehrbuch) indessen in zwei Beziehungen. Zunächst zeigten sie den geringen Rang, den das MfS dem Umweltschutz gegeben hatte. Weiter stellten sie den auch für interne Zwecke untauglichen Versuch dar, die sich in der ehemaligen DDR entwickelnde autochthone Umweltbewegung als vom Westen angestiftet hinzustellen. Die Einheit und Geschlossenheit der sozialistischen Länder Die These lautete, seit der Herausbildung des sozialistischen Weltsystems und der sozialistischen Staatengemeinschaft hätten die imperialistischen Kräfte große Anstrengungen unternommen, auch mittels der PID die Einheit und Geschlossenheit der sozialistischen Staaten zu untergraben. Folgende Argumente hätten sie verifizieren sollen: - Die Sowjetunion hätte eine Hegemonialpolitik gegenüber den anderen sozialistischen Staaten betrieben. - Aufgrund der Doktrin der begrenzten Souveränität der sozialistischen Staaten (Breschnew-Doktrin) hätte die Sowjetunion für sich das Recht der Intervention gegenüber den anderen sozialistischen Staaten in Anspruch genommen. delte dabei im Rahmen der Gesamtverantwortlichkeit aller Linien und operativen Diensteinheiten des MfS für den Kampf gegen die angebliche PID (siehe unten XI. a).

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Überraschenderweise unterläßt die Diss. 4 (Lehrbuch) das Ziel einer Intervention anzugeben, nämlich den Schutz der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung in diesen Ländern. Offensichtlich sollte auch in einer internen Abhandlung des MfS deren möglicher Sturz als angeblich irreal totgeschwiegen werden. Das zeigt den Realitätsverlust des MfS mindestens für die damalige Zeit; denn nur nach einem Jahr war aus der negierten Möglichkeit eine von der Mehrheit der Deutschen von Herzen begrüßte, für das MfS aber bittere Realität geworden. - Im sozialistischen Lager hätte allgemein ein Desintegrationsprozeß eingesetzt. Die Geschichte hat die Richtigkeit dessen erwiesen, was als Argumentation des Klassenfeindes bezeichnet worden war, wieder ein Nachweis dafür, daß das MfS schon die Berichterstattung über Tatsachen und eine darauf beruhende Analyse als PID und damit als Gegenstand der Bekämpfung ansah. - Die Losung von der einheitlichen deutschen Nation Bezeichnend für die geringe Bedeutung, die das MfS der Forderung der PID nach Wiedervereinigung Deutschlands beimaß - sicher nicht zuletzt wegen des Eindrucks, den ihre Behandlung in der Bonner Republik, besonders während der Dauer der sozial-liberalen Bundesregierung ab 1969 erfahren hatte - war, daß sie in der Aufzählung der Argumente der PID an letzter Stelle rangierte, und auch dann nur in der abgeschwächten Form als "Losung von der einheitlichen deutschen Nation". In der Diss. 1 war 1972 das Beharren auf der Offenheit der deutschen Frage als Mittel oder Methode der PID angesehen und behandelt worden (siehe unten Abschnitt VII.). In den Jahren 1986/1987 hatte die Diss. 4 (Lehrbuch) die genannte Losung als eine Angriffsrichtung der PID betrachtet und dem "Gegner" vorgeworfen, verstärkt auf die angeblichen Sonderbeziehungen zwischen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik zu pochen. Deshalb seien von ihm folgende Argumente verbreitet worden: - Die sozialistischen Länder hätten versucht, einen größeren Spielraum gegenüber der UdSSR zu gewinnen, insbesondere auch die ehemalige DDR; - die DDR hätte versucht, gegenüber der Sowjetunion eine Art Vorbildrolle darzustellen bzw. herauszustellen; - an der Bündnistreue der Sowjetunion seien Zweifel aufgekommen; - die ehemalige DDR hätte wegen ihrer ökonomischen Schwierigkeiten in der Sowjetunion und der sozialistischen Staatengemeinschaft die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik benötigt; - die Bindungen zwischen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik seien enger gewesen, als die zur Sowjetunion. Die Versuche, die zwischenstaatlichen Beziehungen in innerdeutsche Sonderbeziehungen umzufälschen, hätten eine ernste Belastung der Beziehungen zwi-

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schen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik dargestellt. Die Position von der Überwindung der Teilung Deutschlands sei vor allem von rechtskonservativen Kräften, aber auch von führenden SPD- Politikern zu Zwecken der PID zielstrebig genutzt worden. Diese Sicht der zu jener Zeit sehr zurückhaltenden Bestrebungen auf eine Wiedervereinigung lediglich unter dem Aspekt der PID zu sehen und entsprechend einzuordnen, zeigte deren Stellenwert für die Aktivitäten des MfS an. Da die Bemühungen der Bundesregierung zu dieser Zeit in Anbetracht der damaligen internationalen Lage vor allem auf die Aufrechterhaltung und Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls unter den Deutschen gerichtet waren und ihr daher sehr an der Pflege von menschlichen Kontakten gelegen war, unterschob die Diss. 4 (Lehrbuch) ihr, den Reise-, Besucher- und Transitverkehr zu Zwecken der PID zu mißbrauchen (a. a. 0., S. 186). Auch kulturelle Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands waren PID-verdächtig (a. a. 0., S. 189) (siehe auch unten X.). j) Bestimmung des Feindbildes des MfS durch Darstellung

der Organe der PID

Die Diss. 4 (Lehrbuch) breitete im Jahre 1987 von den Führungsorganen über die Forschungseinrichtungen bis zu den durchführenden Organen und deren Zusammenwirken ein gewaltiges Spektrum aus, das weit über das hinausging, was das MfS 1972 beschrieben hatte. In der Verteidigung der Diss. 4 vor der Promotionskomrnission führten zwei der Verfasser am 10. 7. 1977 aus (S. 2), ,,Forschungsarbeit" sei vor allem deswegen notwendig gewesen, "weil die bisher verwendete Wesensbestimmung der PID nicht mehr vollständig der neuen Herangehensweise im nuklear-kosmischen Zeitalter" entsprochen hätte. Offenbar wurde nunmehr schon eine Selbstdarstellung des "Feindes" im internationalen Kräftefeld als ideologisches Einwirken in den eigenen Machtbereich mit subversiven Zielen angesehen. Das war freilich den in der Diss. 4 (Lehrbuch) zu verzeichnenden Änderungen in der Begriffsbestimmung der PID gegenüber früheren, auf die hier oben (Abschnitt 11.) eingegangen ist, unmittelbar nicht zu entnehmen. Mit der umfangreichen Darstellung der Einrichtungen der PID und der Argumentation dazu wurde ein Feindbild gezeichnet, das dazu bestimmt war, das ganze Ausmaß der angeblich drohenden Gefahren zu zeigen und dem MfS entsprechende Empfehlungen für seine Aktivitäten zu geben. Das Feindbild kennzeichnete in seiner Fülle die Organe und Einrichtungen, gegen welche sie sich richten sollten. Es sind diejenigen, die es als ihre Aufgabe ansahen, über die Verhältnisse in der ehemaligen DDR zu berichten und sie zu analysieren. Ihnen gereicht das gezeichnete Feindbild zur Ehre. Der damalige Inhaber des Lehrstuhls "Politisch-ideologische Diversion" an der JHS, Dietrich Fischer, lobte in seinem Gutachten zur Diss. 4 vom 29.6. 1987 (S. 2) zunächst, daß es den Autoren gelungen sei, übersichtlich, systematisch und über-

j) Bestimmung des Feindbildes des MfS durch Organe der PID

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zeugend das Wesen der politisch-ideologischen Diversion herauszuarbeiten und darzulegen, um dann fortzufahren (S. 3), daß sie als Entwurf des Lehrbuchs eine bedeutende Rolle bei der Ausbildung von Offiziershörern bzw. Offiziersschülern spielen könnte. Vor allem aber würde sie "zur Entwicklung und Festigung des Feindbildes beitragen". In seiner Unterhaltung mit dem Autor am 3. 1. 1995 hatte er indessen die Courage einzugestehen, daß er dabei einem Selbstbetrug zum Opfer gefallen sei, betonte aber andererseits, daß er sich von der SED-Führung hintergangen gefühlt habe, also ein betrogener Selbstbetrüger sei. Indessen wird auch Unsicherheit über das Feindbild erkennbar. So bemängelte der Leiter der Sektion Marxismus- Leninismus an der JHS in seinem Gutachten vom 11. 5. 1987 (S. 4), daß die "Notwendigkeit eines differenzierten Herangehens an die PID und ihre Bekämpfung" nicht genügend beachtet worden sei. So sei zu empfehlen, im Zusammenhang mit der Zuordnung der PID zum Imperialismus diese nicht schlechthin als das politisch-ideologische Einwirken "des Imperialismus ...", sondern "bestimmter imperialistischer Kräfte, Organisationen und Einrichtungen" zu charakterisieren. Auch die Feststellung, die PID sei vom ,~mperia­ listischen Herrschaftssystem" konzipiert, hätte nicht ausreichend den Erfordernissen der Differenzierung Rechnung getragen. In die gleiche Kerbe hieb das Gutachten des Leiters des Lehrstuhles "Probleme des Imperialismus" (ohne Datum, S. 4), wenn er meinte, es sei wünschenswert gewesen, wenn einige Fragen etwas differenzierter behandelt und bestimmte Vereinfachungen und Einseitigkeiten vermieden worden wären. Mangel an Differenzierung wurde auch von anderen Gutachtern an verschiedenen Aspekten der Diss. 4 gerügt. So bemängelte die Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) des MfS im Gutachten von Mai 1987 (S. 3), bei der Charakterisierung des Hauptziels der PID wäre hervorzuheben gewesen, daß auch die Herausbildung eine feindlich-negativen Einstellung, das negierende und ablehnende oder auch passive Verhalten gegenüber gesellschaftlichen Forderungen und Pflichten als eine vom Feind angestrebte Zielsetzung gewertet werden müßte. Im Rahmen dieser Analyse kann dahingestellt bleiben, ob diese Kritik berechtigt war, aber sie verdient deswegen einen Hinweis, weil aus ihr deutlich zu entnehmen ist, daß die ideologische Indoktrination in der ehemaligen DDR sich nicht auf Gehorsam der Gewaltunterworfenen, auf Hinnahme der Gewaltherrschaft durch sie, sondern auf ein Tatigwerden, auf eine Mitgestaltung der sozialistischen Gesellschaft, auf ein Mitwirken in ihr auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus in der jeweiligen Interpretation der Machthaber hinauslief und deshalb nicht nur in der Bekämpfung entgegengesetzten Handeins, sondern auch des Fühlens und vor allem Denkens der Menschen durch das MfS eine unabdingbare Notwendigkeit sah und anzeigte, in welchem Ausmaß es sich als Ideologiepolizei betrachtete und dementsprechend verhielt.

VII. Formen, Mittel und Methoden der politisch-ideologischen Diversion a) Unter der sozial-liberalen Koalition

1. Zur Deutschlandpolitik der sozial-liberalen Koalition Die Diss. 1 stellte sich 1972 die Aufgabe, die Frage zu untersuchen, wie der "Gegner" das von ihm geschaffene System der politisch-ideologischen Diversion gegen die sozialistische Gesellschaft zum Einsatz gebracht hätte und "nach welchen Gesichtspunkten und allgemeinen Führungsprinzipien dieses System unter der SPD/FDP-Regierung gegen die sozialistischen Länder zur Wirksamkeit gebracht werden" sollte. In Erinnerung sei gebracht, daß Bundeskanzler Brandt in seiner Regierungserklärung vom 28.10.1969 folgendes ausgeführt hatte:' "Aufgabe der praktischen Politik in den jetzt vor uns liegenden Jahren ist es, die Einheit der Nation dadurch zu wahren, daß das Verhältnis zwischen den Teilen Deutschlands aus der gegenwärtigen Verkrampfung gelöst wird. Die Deutschen sind nicht nur durch ihre Sprache und ihre Geschichte mit ihrem Glanz und Elend verbunden; wir sind alle in Deutschland zu Hause. Wir haben auch noch gemeinsame Aufgaben und gemeinsame Verantwortung für den Frieden unter uns und in Europa. 20 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik und der DDR müssen wir ein weiteres Auseinanderleben der deutschen Nation verhindern, also versuchen, über ein geregeltes Nebeneinander zu einem Miteinander zu kommen."

Diese Regierungserklärung war völlig auf Entspannung des Verhältnisses zwischen beiden Staaten ausgerichtet und verzichtete auf jeden Bezug auf die Forderung an das deutsche Volk in der Präambel des Bonner Grundgesetzes, die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Lediglich das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes, welches das Grundgesetz ebenfalls in seiner Präambel geltend machte, fand Erwähnung mit dem Satz, niemand könne uns ausreden, daß die Deutschen ein Recht auf Selbstbestimmung hätten, wie alle anderen Völker auch. Um so erschreckender, aber historisch von größtem Interesse ist das, was die Diss. 1 glaubte dazu feststellen zu müssen. Die einleitenden Sätze dazu, die den Kern der Ausführungen bilden, verdienen im Wortlaut wiedergegeben zu werden (a. a. 0., S. 147): 1 Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt vom 28. Oktober 1969, in: Ingo von Münch (Hrsg.), Dokumente des geteilten Deutschlands, Band 11, Stuttgart 1974, S. 167 f.

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"Die Untersuchung dieser Frage (sc. des Einsatzes der PID unter der Brandtl Scheel-Regierung) ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil auch unter der Regierung Brandtl Scheel die politisch-strategische Zielstellung gegenüber der DDR im wesentlichen unverändert ist, die SPD/FDP-Regierung jedoch große Anstrengungen unternimmt, um die Formen, Mittel und Methoden der politisch-ideologischen Diversion weiter zu entwickeln und die alten Ziele durch die Verwendung neuer taktischer Varianten zu erreichen. Zugleich muß eine solche Untersuchung Aufschlüsse darüber geben, wie die SPD, die für sich in Anspruch nimmt, die politisch-ideologische Aufweichungs- und Zersetzungstätigkeit gegen die sozialistische Gesellschaft weitaus effektiver führen zu können als jede andere Partei des westdeutschen Monopolkapitals, neue Maßnahmen zur Durchsetzung der konterrevolutionären Ziele des westdeutschen Imperialismus zu realisieren versucht. Die Untersuchung und Einschätzung dieser Tätigkeit der SPD-Führung geht nicht davon aus, daß die Partei- und Staatsführung der DDR die SPD als ihren Hauptfeind betrachtet, sondern von der Tatsache, daß umgekehrt die SPD-Führung die DDR als ihren Feind behandelt. "

Es handelte sich dabei keineswegs um Auslassungen von Privatleuten, die ihre eigenen Ansichten zu Papier brachten. Die Diss. 1 gab mit Sicherheit das wieder, was in den inneren Zirkeln der Partei führung, wozu ja auch der Chef des MfS gehörte, gedacht und besprochen wurde. Denn die JHS als eine Institution des Staatsorgans, das Schild und Schwert des Herrschaftssystems, also nur Exekutivorgan, aber nicht Staat im Staate war, befand sich in völliger Abhängigkeit von der SEDFührung und hätte nicht gewagt, eigene, vielleicht sogar ketzerische Gedanken, und das in einer Abhandlung der JHS, von sich zu geben. Nicht zu vergessen auch in diesem Zusammenhang ist, daß einer der Verfasser hoher KGB-Offizier war. Gegenüber der Öffentlichkeit schlug die Partei- und Staatsführung der ehemaligen DDR freilich andere Töne an. So schrieb der Partei- und Staatschef der ehemaligen DDR, damals Walter Ulbricht, am 17. 12. 1969 an den Bundespräsidenten Gustav Heinemann u. a.: 2 "Ein friedliches Nebeneinanderleben und die Gestaltung einer guten Nachbarschaft zwischen beiden deutschen Staaten erfordern, ihre Beziehungen auf die Grundlage der allgemein anerkannten Normen des geltenden Völkerrechts zu stellen."

Gewiß trennte die Bundesrepublik und die ehemalige DDR die Frage der völkerrechtlichen Anerkennung der letzteren, wenn auch beide Seiten übereinstimmend von einem Nebeneinander sprachen. Der Grundlagenvertrag vom 21. 12. 19723 2 Schreiben des Vorsitzenden des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, Ulbricht, an Bundespräsident Heinemann vom 17. Dezember 1969, in: Ingo von Münch, a. a. 0., wie Anm. 1, S. 169ff. 3 Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Dezember 1971 (BGBI. 197311, S. 423 ff.).

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VII. Formen, Mittel und Methoden der PID

versuchte die Differenz zu überbrücken. Aber aus der Diss. 1 ist zu ersehen, daß die inneren Zirkel der DDR-Führung von ihrem Freund-Feind-Denken nicht im geringsten abließen und sogar vor neuen Varianten der PID warnen zu müssen glaubten. Mit Nachdruck stellte die Diss. 1 fest (S. 147): "Für die Partei- und Staatsführung war, ist und bleibt der Imperialismus der Hauptfeind".

Dann hieß es unter Berufung auf den Rechenschaftsbericht Breschnews an den XXIV. Parteitag der KPdSU im Jahre 1971 (S. 147a): ,,zugleich müssen wir jedoch beachten, daß es die sozialdemokratisch geführte westdeutsche Regierung ist, die die DDR aktiv bekämpft, die alles unternimmt, um zu verhindern, daß andere Staaten ihre Beziehungen zur DDR normalisieren. Die praktisch-politischen Maßnahmen der sozialdemokratisch geführten westdeutschen Regierung bringen damit, trotz des demagogischen Wortgeprassels von der Sicherung des Friedens, eindeutig zum Ausdruck, daß sie die DDR als ihren Feind behandelt. Darüber läßt die SPDFührung im Rahmen ihrer gesamten Ostpolitik keinen Zweifel, daß sie durch eine selektive Auswahl und einen gezielten Einsatz ihres gesamten ökonomischen und politischen Potentials die sozialistische Staatengemeinschaft zu unterminieren und zu zerstören beabsichtigt, daß sie systematisch daran arbeitet, die Möglichkeiten der Infiltration der feindlichen antikommunistischen und anti sowjetischen Ideologie in alle sozialistischen Staaten zu erweitern und daß sie nichts unversucht läßt, im Innern der sozialistischen Gesellschaft noch vorhandene anti sozialistische Kräfte mittels der politisch-ideologischen Diversion zu aktivieren bzw. neue anti sozialistische Kräfte in Gestalt feindlicher Stützpunkte zu schaffen und durch diese Kräfte mit Unterstützung von außen die feindliche Tätigkeit zu verstärken und zu konterrevolutionären Aktionen überzugehen."

Deshalb sei es notwendig, so lautete die Schlußfolgerung, daß alle sozialistischen Staaten mit der Sowjetunion an der Spitze ihren Beitrag leisten müßten, um die Pläne und Absichten der SPD-Führung zur Schwächung und Zerstörung der sozialistischen Staatengemeinschaft und der inneren Stabilität der einzelnen sozialistischen Länder so exakt wie möglich aufzuklären und durch ihr gemeinsames koordiniertes und aufeinander abgestimmtes Vorgehen dem Gegner ein Eindringen in die sozialistischen Staaten unmöglich zu machen. Damit wurde ein Auftrag an die HV A klar bestimmt. Zugleich aber wurde mit der Betonung des gemeinsamen Handeins aller sozialistischen Staaten unter Führung der UdSSR die Handschrift des an der Abhandlung beteiligten KGB-Offiziers deutlich. Ferner glaubten die Verfasser der Diss. 1 feststellen zu können, daß sich in der internationalen sozialdemokratischen Bewegung Gegensätze in der Sache des Friedens abgezeichnet hätten. Dieser Differenzierungsprozeß sei sorgfältig zu beobachten und zielgerichtet bei der Organisierung von Gegenmaßnahmen im "Operationsgebiet", d. h. im Bundesgebiet, auszunutzen gewesen, entsprechend der Lehre Lenins von der Strategie und Praxis des Klassenkampfes (a. a. 0., S. 147c).

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Wie ein Übeltäter, der mit dem Ruf "Haltet den Dieb" vom eigenen Tun ablenken will, wurde nochmals hervorgehoben (S. 148), das Hauptziel des Gegners sei die Vernichtung des sozialistischen Weltsystems mit der Sowjetunion an der Spitze gewesen. Sodann aber wurde in der Diss. 1 die Ansicht vertreten, die Erscheinungsformen des Antikommunismus hätten sich in den letzten Jahren - unter Beibehaltung seines Wesens - bedeutend verändert. Das hätte seine Ursache darin gehabt, daß der Imperialismus sich dem neuen Kräfteverhältnis in der Welt anzupassen versucht hätte. Dieser Anpassungsprozeß, der nicht die Stabilisierung des kapitalistischen Systems, sondern die Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus zur Folge gehabt hätte, sei durch den vielschichtigen Differenzierungsprozeß innerhalb einflußreicher Kräfte des westdeutschen Monopolkapitals gekennzeichnet gewesen. Bestimmte Teile hätten die Politik des kalten Krieges, des offenen Antikommunismus und Antisowjetismus sowie der offenen militärischen Aggression betreiben und fortführen wollen, andere dagegen versucht, sich durch Taktieren und Lavieren dem neuen Kräfteverhältnis anzupassen mit dem Ziel, mittels neuer Methoden und dafür geeigneten ideologischen Konzeptionen die alten Ziele des Imperialismus doch noch durchzusetzen. Letztere hätten "gegenwärtig" (d. h. im Jahre 1972) den größeren Einfluß und seien durch die Politik der SPD/FDP-Regierung vertreten gewesen. Mit anderen Worten: Im Prinzip sei auch nach der Regierungsübernahme durch die SPD / FDP-Koalition alles geblieben, wie es vorher war. Alter Wein sei in neue Schläuche gegossen worden. Denn, so wurde unzweideutig erklärt, es sei auch weiter schwerpunktmäßig um das Bewußtsein der Menschen gegangen. Die "Schlacht" um dieses Bewußtsein wäre im internationalen Maßstab geführt worden, was keineswegs etwa neu war, und hätte sich nunmehr sogar verschärft. Unverkennbar sei das Bestreben der neuen Kräfte gewesen, eine größere ,,Elastizität und Flexibilität" zu erreichen, das tatsächliche Wesen des Antikommunismus, Antileninismus und Antisowjetismus zu verhüllen und die Aufweichungs- und Zersetzungstätigkeit "verfeinert" zu organisieren. Die Tendenz der Autoren der Diss. 1 ging eindeutig dahin, vor den Tücken des Gegners zu warnen und hervorzuheben, daß die Bedeutung des MfS als Ideologiepolizei gestiegen sei. Denn, so hieß es (a. a. 0., S. 151): "Der Gegner hofft darauf, die Wachsamkeit der Völker einzuschläfern und mittels der politisch-ideologischen Diversion bessere Erfolge zu erreichen. Der im Vergleich zum unverhüllten und plumpen Antikommunismus wesentlich gefahrlichere, weil besser getarnte, besser organisierte, stabsmäßig geführte und mit verfeinerten und heimtückischen Methoden arbeitende ,modernisierte' Antikommunismus zielt darauf ab, die ideologischen Grundlagen von innen heraus zu zersetzen und zu zerstören. Das Ziel solcher verfeinerten, raffinierten, verdeckteren antikommunistischen Konzeptionen besteht einmal darin, das aggressive Wesen des Imperialismus zu verhüllen, die Werktätigen irrezuführen und, ihre wachsende Sympathie für den Sozialismus ausnut-

VII. Formen, Mittel und Methoden der PID

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zend, die Sache so hinzustellen, als ob der Kapitalismus selbst in ein ,sozialisiertes' System übergeht und deshalb der Kampf gegen ihn entfällt."

Hinzugefügt wurde, ein weiteres Ziel hätte darin bestanden, die sozialistischen Länder, die "Kräfte der nationalen Befreiung und des Fortschritts", einander zu entfremden und die einzelnen Abteilungen der kommunistischen Weltbewegung zu entzweien und zu spalten. Ausdruck und Varianten dieses "raffinierten" Vorgehens des ,,heutigen" (d. h. im Jahre 1972) Antikommunismus seien gewesen: der Sozialdemokratismus, der Nationalismus, - die Anwendung und Ausnutzung solcher Theorien wie der Konvergenztheorie der "einheitlichen Industriegesellschaft" der "Entideologisierung." Diese Theorien und Vorstellungen hätte der Gegner versucht, durch die Schaffung neuer Möglichkeiten der Infiltration in die sozialistische Gesellschaft zu verbreiten. Skrupellos und raffiniert seien dazu die "Besonderheiten" zwischen beiden deutschen Staaten ausgenutzt worden. Interessant ist, daß zwar die offizielle Politik der ehemaligen DDR ein besonderes Verhältnis der beiden Staaten zueinander geleugnet und stets auf die völkerrechtliche Anerkennung durch die Bonner Republik bestanden hatte, in der geheimgehaltenen Diss. 1 indessen unumwunden und den Tatsachen entsprechend Besonderheiten genannt wurden, freilich nicht, um diese zu erhalten oder zu stärken, sondern um zu behaupten, diese wären für die PID ausgenutzt worden. Diese intellektuelle Unredlichkeit spricht Bände. Als solche Besonderheiten wurden genannt: Gemeinsamkeit der Sprache, Gemeinsamkeit der Geschichte, Gemeinsamkeit von Sitten und Gebräuchen, ferner die engen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Bürgern der "beiden deutschen Staaten und Westberlins", die besondere Lage "Westberlins". Ausdruck einer Haltung, die keine andere Bezeichnung verdient, als mit Infamie bezeichnet zu werden, war die Behauptung, diese Gemeinsamkeiten und Bindungen seien "unter dem Deckmantel menschlicher Erleichterungen für die Organisierung der politisch-ideologischen Diversion ausgenutzt" worden. Dabei konnten

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sich die Verfasser der Diss. 1 auf den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, berufen, der mit einer Diskussionsrede auf der 12. Tagung der ZK des SED (12./ 13. 12. 1969), die sich u. a. mit den Beziehungen zwischen den beiden deutschen Teilen beschäftig hatte, wie folgt zitiert wurde: "Mit Hilfe vielfältiger Kontakte und Beziehungen auf den verschiedensten Gebieten sollen ständig neue Möglichkeiten der politisch-ideologischen Einwirkung und Beeinflussung sowie aller anderen Fonnen der subversiven Tätigkeit erschlossen werden."

Nach der Diss. 1 (S. 156) hätte das bedeutet, daß die maßgeblichen offiziellen Stellen des westdeutschen Staates, die im Bonner Bundestag vertretenen politischen Parteien, die Wirtschaftsvereinigungen und Monopole, die Geheimdienste und Agentenzentralen, die verschiedenen Organisationen und Vereine, die Rundfunk- und Fernsehstationen, die monopolitische Presse sowie reaktionäre kirchliche und andere Einrichtungen weitgehend in das System der Organisierung zur politisch-ideologischen Diversion gegen die sozialistische Gesellschaft integriert worden wären. Das wären dieselben Kräfte gewesen, von denen auch der "zielgerichtete Einsatz der staats monopolistisch-manipulierten Bürger Westdeutschlands" erfolgt sei. Dieser Vorwurf wurde auch gegen die in der Bonner Republik existierenden Einrichtungen der "imperialistischen Ost- und DDR-Forschung" erhoben. Diese seien planmäßig in die Aktivierung der Kontakttätigkeit einbezogen worden. Ein besonderer Dom in den Augen des MfS waren die ostpolitischen Aktivitäten der sozial-liberalen Bundesregierung, weil Bundeskanzler Brandt am 7. 12. 1970 anläßlich der Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik erklärt hatte, daß es darauf ankomme, dem Komplex der menschlichen Beziehungen und Erleichterungen in der Praxis einen hohen Rang einzuräumen. Die in Folge des Vertragsabschlusses einsetzende Reisetätigkeit "einer Vielzahl von Persönlichkeiten aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens", Gemeinschaftsproduktionen von Rundfunkanstalten, die Eröffnung einer Luftlinie Frankfurt/Main - Warschau, der Jugendaustausch sowie die Übersiedlung von Volksdeutschen in die Bundesrepublik, so bescheiden das alles war, erregten das Mißfallen des MfS aus Furcht vor PID. Das galt auch für die Verbesserung der Beziehungen zu Rumänien. So sei der Besuch des Bundespräsidenten Gustav Heinemann dort im Mai 1971 darauf ausgerichtet gewesen, verstärkte Kontakt- und Einflußmöglichkeiten für die PID zu schaffen. Hinzugefügt wurde, "gleiche Beispiele" ließen sich auch für Ungarn, die ~SSR und andere sozialistische Länder anführen. Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen wurde beschuldigt, als ,,zentrale, die alle Maßnahmen zur Koordinierung der deutschen Politik, die sich in irgendeiner Weise aus der deutschen Spaltung ergeben, koordinierte", eine Reihe von Maßnahmen durchgesetzt zu haben, die auf ein noch stärkeres Zusammenwirken mit den Publikationsorganen, mit 10 Mampel

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VII. Formen, Mittel und Methoden der PID

den verschiedensten Organisationen, Verbänden und Bildungsstätten, auch den Jugend-, Studenten- und Schülerorganisationen und ihre stärkere Einbeziehung in den politischen Aufweichungs- und Zersetzungsprozeß gegen die ehemalige DDR, gerichtet gewesen seien (a. a. 0., S. 158). So sehr das MfS die Bemühungen der Bundesregierung um Verstärkung der Kontakte zwischen den Deutschen fürchtete, ist daraus zu entnehmen, daß es sich auf Äußerungen des damaligen Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen, Egon Franke (ohne Datum und Ort, aber dem Sinne nach zutreffend), beruft. Danach hätte dieser "einen entbürokratisierten Verkehr zwischen den Hochschulen und Forschungsinstituten sowie zwischen wissenschaftlichen Gesellschaften gefordert und versucht, den ungehinderten Bezug von westlichen Büchern, Zeitungen und Zeitschriften durchzusetzen (a. a. 0., S. 159), alles das, nicht etwa um das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Deutschen zu stärken, wie es das erklärte Ziel der Bundesregierung war, sondern um die PID zu organisieren. Unabhängig von der Vielzahl der Formen, Mittel und Methoden sei die Kontaktpolitik und Kontakttätigkeit unter dem Gesichtspunkt der PID in zwei Richtungen gelaufen: "Erstens in Richtung auf die Verstärkung der Kontakte der Zentren der politisch-ideologischen Diversion zu den Zielbereichen der sozialistischen Länder durch den Ausbau der wissenschaftlich-technischen Mittel und Methoden wie Rundfunk, Fernsehen usw. (zur Herstellung indirekter Kontakte); zweitens in Richtung auf die Kontakte von Person zu Person (direkte Kontakte)".

Beide Kontakte seien vom Gegner sowohl einzeln als auch kombiniert angewandt worden.

2. Indirekte Kontakte zur PID durch elektronische Medien Zur Herstellung indirekter Kontakte und als "ideologische Wegbereiter der Ziele der imperialistischen Globalstrategie" hätten die westdeutschen und "Westberliner" Rundfunk- und Fernsehstationen sowie die in Westdeutschland und "Westberlin" stationierten amerikanischen Rundfunkstationen, die vorwiegend gegen die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder tätig gewesen seien, "nach wie vor" (d. h. vor 1972) den entscheidenden Platz im System der PID gehabt. Nachdem die Diss. 1 sie unter den vielen "operativ-taktischen Organen" aufgeführt hatte, widmete sie deren Funktion bei der PID breiten Raum, wobei sie in zahlreichen Sendungen, insbesondere mit vielen Zahlen über Mitarbeiter und Korrespondenten sowie der Sendegebiete, die angeblich der PID dienten, ins einzelne ging. Die grundsätzlichen und wesentlichen Informationen fanden in die Diss. 4 (Lehrbuch) Aufnahme und wurden dort bei der Darstellung der "durchführenden Organe der PID" verwertet (siehe oben VI. g). Deshalb sind hier nur noch einige ergänzende Bemerkungen notwendig.

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Zunächst ging es um die Ausstrahlungen amerikanischer Sender von deutschem Boden aus, die für die Menschen in der Sowjetunion und Osteuropa bestimmt waren. Es wurde festgestellt, daß Radio Free Europe und Radio Liberty an Bedeutung zugenommen hätten. "Angesichts des neuen Nachdrucks auf ideologische Orthodoxie, angesichts der verstärkten Versuche, der osteuropäischen und sowjetischen Intelligenz den Kontakt mit dem Westen abzuschneiden, sind westliche Radiosendungen zum wichtigsten Kanal für den Zustrom unorthodoxer Ideen geworden".

Aufmerksamkeit verdient außer der Betonung der Bedeutung des Rundfunks in dieser Passage, daß Anfang der siebziger Jahre, also unter Breschnew, das Verharren auf alten Vorstellungen als Orthodoxie bezeichnet wurde, ferner, daß behauptet wurde, der Intelligenz aus der UdSSR und aus Osteuropa sei der Kontakt mit dem Westen abgeschnitten worden, womit offenbar Maßnahmen zur Abwehr klassenkämpferischer, gegen den Westen gerichtete Propaganda durch kommunistische Emrnissäre gemeint waren. Ein solches Selbstzeugnis dürfte nicht allzu oft zu finden sein. Als deutsche Sender wurden genannt (schon als "operativ-taktische Organe" aufgeführt): - Deutschlandfunk (DLF) - Deutsche Welle sowie nunmehr auch - die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ARD) und der ursprünglich amerikanische Sender - RIAS Berlin. Festgestellt wurde, daß man in der Diversionspolitik gegen die sozialistischen Länder die "Verbindung von Tendenzen liberal Auftretender in Kreisen der schöpferischen Intelligenz mit der Tätigkeit unter der technischen Intelligenz" für zweckmäßig gehalten hätte, in der Meinung, eine Verbindung beider Gruppen hätte eine "Ausdehnung und Vertiefung des allgemeinen Gärungsstoffes" bestärken müssen. Die "Hetze" durch die Rundfunksender sei in verschiedenen Varianten gegen folgende "politische Grundfragen" gerichtet gewesen: - Hetze gegen die Forderungen der ehemaligen DDR nach völkerrechtlicher Anerkennung, - Hetze gegen den proletarischen Internationalismus, insbesondere gegen das enge Bündnis zwischen der ehemaligen DDR und der damaligen UdSSR, - Hetze gegen die innerpolitische Entwicklung in der ehemaligen DDR, - Historisch von Interesse sind die Argumente, die in der Diss. 4 (Lehrbuch) als Hetze bezeichnet wurden. Vorgeworfen wurden im wesentlichen folgende objektiv richtige Feststellungen: 10*

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VII. Formen, Mittel und Methoden der PID

Die ehemalige DDR sei bestrebt gewesen, aus innenpolitischen Gründen das Feindbild von der Bundesrepublik weitestgehend aufrecht zu erhalten, um "Bemühungen der BRD, durch Kontakte zu menschlichen Erleichterungen zu kommen", als revanchistische Störpolitik zu verurteilen und den ,politischen Differenzraum' zwischen der DDR und der BRD beizubehalten". "Die Errichtung des antifaschistischen Schutzwalles" - gemeint war die Mauer quer durch Berlin - sei als Ausdruck der inneren Schwäche des SED-Regimes dargestellt worden, wobei allerdings eingeräumt worden sei, daß dadurch eine "Konsolidierung in der DDR" erreicht worden sei. Mit dem Aufgreifen von Mängeln in der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion sowie im Verkehrs- und Dienst1eistungswesen sei eine gezielte Kritik an der Planung der Volkswirtschaft geübt worden, die Wirtschaft der ehemaligen DDR sei als "permanent krisenhaft" verleumdet und die ökonomische Integration im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), besonders die enge Zusammenarbeit der ehemaligen DDR mit der damaligen UdSSR als "Abhängigkeitspolitik" und Verlust bzw. Preisgabe der "nationalen Souveränität der DDR", diffamiert worden. - Hetze gegen einen in der ehemaligen DDR "angeblich" immer noch vorhandenen Dogmatismus, der sich darin geäußert hätte, daß die prinzipiellen Forderungen der ehemaligen DDR an die Bundesrepublik auf völkerrechtliche Anerkennung und Beseitigung der politischen Präsenz der Bundesrepublik in Berlin (West) Zeichen der Entspannungsfeindlichkeit gewesen wären, daß in der ehemaligen DDR ein ideologisch "harter" Kurs beibehalten und weiterhin Begriffe aus der Zeit des Kalten Krieges strapaziert worden seien, die alle darauf hingedeutet hätten, daß diese das letzte Zentrum des Kalten Krieges in der Welt dargestellt hätte. - Hetze in der Richtung, daß es der SED trotz bestimmter Erfolge im Bildungswesen und im Sport nicht gelungen sei, die Westorientierung, insbesondere der Jugend, zu überwinden. Das hätte sich vor allem im kulturellen Bereich und auf den Gebieten der Mode und der Musik gezeigt. Diese als "Hetze" bezeichneten Argumente wurden in der Tat allgemein geltend gemacht und waren Bestandteile der politischen Auseinandersetzung. Sie waren nicht aus der Luft gegriffen, sondern gaben Sachverhalte treffend wieder. Deren Richtigkeit tritt besonders nach der Wende 1989 für jedermann klar zutage, selbst für die, welche vorher dazu neigten, in der ehemaligen DDR vor allem positive Seiten zu sehen. Erstaunlich bleibt das Maß an Selbsttäuschung, der sich Mitarbeiter des MfS selbst an der JHS hingaben, oder an Täuschung durch andere, vor allem durch die SED-Führung, worauf die Konsultationen mit den Genossen aus dem Parteiapparat vielleicht hinweisen. Nach Konsultation mit "Genossen" der Abteilung Agitation (sc. des ZK der SED) stellten die Verfasser der Diss. 1 folgende Ziele des Gegners fest:

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- In der Bevölkerung sollte eine ständige Diskussion im Sinne der Bonner Vorstellungen über die künftige Deutschlandpolitik entwickelt werden, damit die "Einsicht um sich greife", daß die Bundesregierung alles daran gesetzt hätte, die "Trennung zu mildern und die Lage der 17 Millionen Deutschen in der DDR zu erleichtern". Dazu hätten die Zentren der PID nach außen den Eindruck erwekken wollen, daß Bonn die Absicht gehabt hätte, "die Konfrontation" abzulösen und menschliche und kulturelle Beziehungen in Gang zu setzen. - Der nationale Gedanke hätte stärker ins Spiel kommen und der Wille der Bürger in beiden deutschen Teilen und zur Wiederherstellung der Einheit der Nation demonstriert werden sollen. Die Vorstellungen über die Selbstbestimmung des deutschen Volkes sowie nach Abbau der "Grenzen" nach "Wiedervereinigung" hätten stärker "Fuß fassen" sollen. In diesem Zusammenhang sei gleichzeitig versucht worden, die Politik der Nichtanerkennung der ehemaligen DDR sowie die Politik des modifizierten Alleinvertretungsanspruches "in abgewandelter Form" zu rechtfertigen. - Das von Brandt in Kassel vorgelegte 20-Punkte-Programm hätte stärker genutzt und breit propagiert werden sollen. - Es hätte der Eindruck erweckt werden sollen, daß "Westdeutschland" stärker an einer Politik der Entspannung interessiert sei und durch Kooperation auf wirtschaftlichem, wissenschaftlich-technischem und kulturellem Gebiet eine Bindung an die ehemalige DDR angestrebt hätte. Die ehemalige DDR hätte als Störfaktor bloßgestellt werden sollen. Immerhin wurde mit einiger Befriedigung festgestellt, daß das "antikommunistisehe DDR-Bild", wie es fast zwei Jahrzehnte lang von der Westpublizistik, von Rundfunk- und Fernsehstationen verbreitet worden sei, im ,,zusammenhang mit dem Übergang zu einer neuen ostpolitischen Taktik" unbrauchbar geworden sei. Die ehemalige DDR sei nunmehr zwar als Realität hingenommen worden, jedoch als "ungeliebte" Realität, deren innere Ordnung man, langfristig gesehen vor allem über die PID, hätte verändern müssen. Beachtenswert ist, daß die Offenheit der deutschen Frage, das Streben nach Wiedervereinigung Deutschlands, das nach der Präambel des Bonner Grundgesetzes dem deutschen Volke aufgegeben war, und die bescheidenen Möglichkeiten, die seinerzeit der Bundesrepublik eingeräumt waren, den Verfassungsauftrag zu erfüllen, nur eine relativ geringe Rolle spielten. Das Beharren auf der Offenheit der deutschen Frage wurde unter der Darstellung der Mittel und Methoden der PID nur als eines deren Ziele bezeichnet, das noch nach dem der Verhinderung der sozialistischen Bewußtseinsbildung rangierte und auch das nur durch elektronische Medien. Das Streben nach Wiedervereinigung wurde offensichtlich nicht ernst genommen. Denn der Wille dazu hätte nur zu Zwecken der PID "demonstriert" werden sollen, in Wirklichkeit sei er aber gar nicht vorhanden gewesen, wie unschwer aus der Diss. 1 entnommen werden kann.

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VII. Fonnen, Mittel und Methoden der PID

Die Gründe dafür können nur vermutet werden. Einer kann darin liegen, daß nach Abschluß des Grundlagenvertrages vom 21. 12. 1972 trotz des Briefes der Bundesregierung an die DDR-Regierung vom 21. 12. 1972, in dem diese darauf aufmerksam gemacht wurde, daß der Vertrag nicht in Widerspruch zu ihrer Politik der Wiedererlangung der Einheit Deutschlands stände4 , und des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 31. 7. 19735 , die Tendenz zur Aufgabe der Wiederveeinigung in der westdeutschen Öffentlichkeit gestiegen war. Zu Recht stellte, freilich erst nach der Wiedervereinigung, Stefan Brauburger 1991 fest 6 : "Der Begriff der Wiedervereinigung geriet in der regierungsoffiziellen Sprache zunehmend in den Hintergrund." Das MfS hatte offensichtlich Anlaß, das nur noch selten geäußerte Festhalten an der deutschen Einheit nicht mehr allzu ernst zu nehmen und schätzte es als weniger gefährlich ein als das, was es PID nannte. Spekulativ, aber nicht außerhalb des Möglichen liegend, ist folgende Vermutung: Vielleicht waren die Verfasser der Diss. 1 sich auch bewußt, daß die ehemalige DDR, sogar nach ihrer Verfassung von 1949 (Art. 1, Satz 1: "Deutschland ist eine unteilbare Republik") lange Zeit hindurch an der deutschen Einheit festgehalten und sich als "Kernland" eines wiedervereinigten Deutschland, freilich unter der Herrschaft der Kommunisten, betrachtet hatte. Zu bedenken ist auch, daß einer der Verfasser der Diss. 1 ein hoher Offizier des KGB war und die UdSSR als Besatzungsmacht aufgrund alliierter Abkommen gemeinsam mit den drei anderen Siegermächten Verantwortung für ganz Deutschland trug. So konnte es durchaus möglich sein, daß der KGB-Offizier dieser Verantwortung seines Landes Rechnung trug oder tragen mußte. Freilich konnte sich dieser in Übereinstimmung mit der Politik seines Landes ein wiedervereintes Deutschland nur unter kommunistischer Herrschaft vorstellen. Dem stand entgegen, daß die Deutschen in der Bonner Republik in ihrer übergroßen Mehrheit vom Kommunismus nichts wissen wollten. Ursache dafür war nach Meinung der Machthaber in der ehemaligen DDR die von der Bundesregierung betriebene Manipulation der eigenen Bevölkerung im Sinne des Antikommunismus, worauf schon oben unter III. hingewiesen wurde. Deshalb kann es als durchaus möglich erscheinen, daß der Kampf gegen die PID im Zeichen des Antikommunismus nicht grundsätzlich die Forderung gegen die Wiedervereinigung eingeschlossen hat. Wenn Aussicht bestanden hätte, daß sie sich unter kommunistischem Vorzeichen hätte vollziehen können, wäre sie sicher den Verfassern der Diss. 1 nicht allzu unsympathisch gewesen, zumindest nicht für den beteiligten KGB-Offizier. Denn ein kommunistisches Gesamtdeutschland hätte zwangsläufig 4 Brief der Regierung der Bundesrepublik Deutschland zur deutschen Einheit an die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Dezember 1971 (BGB!. 1973 II, S.425). 5 Urteil des Bundesverfassungsgerichts betreffend die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zum Vertrag über Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 31. Juli 1973 - 2 BvF 1/73 - (BVerfG 36, S. 1 ff.). 6 Stefan Brauburger, Deutsche Einheit, in: Werner Weidenfels / Karl-Rudolf Korte (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Einheit, Bonn 1991, S. 117 ff.

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unter dem Einfluß der Sowjetunion gestanden, was sicher deren Fernziel war. Deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, daß die Bekämpfung alles dessen, was einer Beeinflussung der ideologischen Indoktrination entgegenwirken konnte, für wichtiger gehalten wurde als das Streben nach Wiedervereinigung Deutschlands, die auch für die Ausbreitung des Kommunismus nach Meinung der SED-Führung - und damit auch des MfS - Chancen gehabt hätte. Der ehemalige Lehrstuhlinhaber an der JHS, Dietrich Fischer, bestätigte im Gespräch am 4. 1. 1995 die Richtigkeit dieser Schlußfolgerung. Die Wiedervereinigung Deutschlands sei bei der JHS nicht "Sache" gewesen, da man dort der Meinung gewesen wäre, in der Bonner Republik habe nur eine Minderheit, die für töricht gehalten worden sei, noch an die Wiedervereinigung Deutschlands geglaubt eine zweifellos richtige Ansicht. Indessen hätte Erich Honecker, so Dietrich Fischer, Anfang der siebziger Jahre vor den Mitarbeitern der JHS erklärt, sie müßte nach einem Sieg des Sozialismus in Westdeutschland bereit sein, dort Funktionen des Staatssicherheitsdienstes zu übernehmen. Das stimmt mit einer Äußerung Honeckers auf einer Bezirksdelegiertenkonferenz der SED in Berlin (Ost) im Februar 1981 überein, derzufolge sich die Frage der Vereinigung beider deutscher Staaten völlig neu stelle, wenn der Tag gekommen sei, an dem die Werktätigen an die "sozialistische Umgestaltung der Bundesrepublik" gingen 7, ohne daß diese in der Bonner Republik größere Beachtung gefunden hätte 8 • Fünfzehn Jahre später wurde berichtet (oben unter VI. d.), daß die Bundesregierung unter Kanzler Kohl, ohne Aufgabe der Entspannungspolitik die Offenheit der deutschen Frage stärker betonte als ihre Vorgängerinnen. Auch die PDS als Nachfolgerin der SED hat überraschend schnell ihre Chancen im wiedervereinigten Deutschland, besonders nach ihren Wahlerfolgen im Jahre 1994, wenn auch nur in Ostdeutschland, erkannt. Über das taktisch-methodische Vorgehen der Massenkommunikationsmittel "zur Erhöhung der Effektivität ihrer ideologischen Zersetzungstätigkeit" glaubte die Diss. 1 folgende Feststellungen treffen zu können: - Einsatz von Impulsen zur Erreichung der Aufmerksamkeit der Hörer. Dazu hätte am verbreitetsten der Einsatz von Musik und der musikalischen Untermalung zur "Erzeugung einer Hilfsreaktion zugunsten der politisch-ideologischen Absichten des Gegners" gehört. Dazu wurden Beispiele gegeben. - Förderung des Briefaustausches zwischen Partnern aus beiden Teilen Deutschlands. Dazu seien Adressen von Westdeutschen und "Westberlinern" in den Sendern angegeben worden, die in Briefverkehr mit Bewohnern des anderen Teils Deutschlands hätten treten wollen. Der Inhalt dieser Briefe hätte sich einerseits 7 Neues Deutschland, Zentralorgan des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, vom 16. Februar 1981. 8 Siegfried Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Text und Kommentar, 2. Auflage, Frankfurt am Main 1982, Rz. 58 zu Art. 1.

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auf die in bestimmten Sendungen behandelten Themen wie "Beat, Mode, Kunstbetrachtungen usw." beziehen sollen, sei also lediglich von sekundärer Bedeutung gewesen, andererseits aber den Gedankenaustausch zu politischen Fragen, Fragen der Wirtschaft, der Kultur, des Sports bis zu privaten Interessengebieten "propagieren" sollen. Der Briefaustausch sollte in der Regel so gestaltet sein, daß sie einen "objektiven" Gedankenaustausch über Vorzüge und Nachteile der Gesellschaftssysteme gestattet hätten. Diesem Brief- und Gedankenaustausch, mag er auch völlig harmlos gedacht gewesen sein und mag er, besonders zur Herstellung überseeischer Kontakte, über Kurzwellensender seit jeher gefördert werden, wurden böse Absichten unterstellt. Es wurde behauptet, diese Methode hätte dem Gegner gestattet, Briefpartner aus der ehemaligen DDR auf ihre Einstellung und ihre Brauchbarkeit für die Ziele des Gegners zu testen, interessante Kontakte zu festigen und sie zu persönlichen Kontakten zu entwickeln. Ergänzend wurde der Anprangerung des über den Rundfunk angeregten Briefaustauschs hinzugefügt, ein solcher sei auch aus der damaligen CSSR mittels hektographierter Briefe angeblicher Clubs angeregt worden. Es wurde in der Diss. 1 der Verdacht gehegt, es handele sich dabei um "Scheinorganisationen", die von "negativen C;SSR-Bürgern" gemeinsam mit solchen aus "kapitalistischen Staaten" betrieben worden seien. Die bisherigen Ermittlungsergebnisse über Jugendliche aus der DDR hätten ergeben, daß diese zwar noch nicht "operativ angefallen" gewesen seien, daß es sich aber bei diesen um "negative" Personen gehandelt hätte. - Ausnutzen von Informationslücken durch den Gegner Die Zunahme von Sendungen zu Problemen der Informationsfreiheit in der ehemaligen DDR und der Informationspolitik der SED hätten die Absicht des Gegners erkennen lassen, bei der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, die westdeutschen Massenkommunikationsmittel seien die aktuellsten, schnellsten, umfassendsten und "objektivsten" Informationsquellen gewesen. Damit hätte der Gegner die Absicht gehegt, - die westdeutschen Rundfunk- und Fernsehstationen für die "DDR-Bürger" durch Erstinformation, Informationsvorlauf und Informationsvielfalt attraktiv zu machen, - die "DDR-Bürger" dahingehend zu beeinflussen, daß sie die sozialistischen Massenkommunikationsmittel als langweilig, unbeweglich und nicht aktuell betrachteten und sich von diesen "zu entfernen", - die "Bürger der DDR" durch die Anwendung der Methode des "InfragestelIens" und des "Hinzufügens neuer Elemente" in dem Prozeß der Wahrnehmung negativ zu beeinflussen. (Unklar muß bleiben, was damit gemeint war.) - "seine" (d. h. des Gegners) Argumentation bei der Diskussion wichtiger weltpolitischer Ereignisse oder DDR-spezifischer Probleme durch die Erstinfor-

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mation zum Tragen und die sozialistischen Massenkommunikationsmittel in eine "Nachtrabsituation" zu bringen. Diese Passagen lassen erkennen, in welcher schlechten Situation sich die elektronischen Massenmedien, ja eigentlich die gesamte Publizistik der ehemaligen DDR infolge des Nachrichtenmonopols des dortigen totalitären Herrschaftssystems befunden hatten. Erstaunlich bleibt, wie diese tatsächlichen, jedermann in Ost und West bekannten Schwächen dem "Gegner" als Argumentation angekreidet wurden. - Der kombinierte Einsatz der "weißen" und der "schwarzen" Propaganda. Diese Methode hätte die "Anwendung von Wahrheiten und Halbwahrheiten ebenso wie die Anwendung der Taktik des Betruges, der Lüge, des Ausstreuens von Gerüchten" usw. zum Inhalt gehabt. Die politisch-ideologische Diversionstätigkeit des Gegners hätte zwischen Wahrheit und Lüge gestanden. Es mutet fast wie ein Treppenwitz an, wenn derartiges in einer Abhandlung behauptet wurde, die in einem Herrschaftssystem mit einem Nachrichtenmonopol und damit nicht nur mit der Möglichkeit, die Wahrheit zu manipulieren, sondern das sie auch ständig nutzte. Unter Berufung auf einen hierzulande wenig bekannten englischen Autor wurden in der Diss. 1 die Lehren dargelegt, nach denen der Klassenfeind mit der Lüge operiert hätte. Diese sind deshalb so interessant, weil nach ihnen ganz offensichtlich bei der Handhabung des Nachrichtenmonopols in der ehemaligen DDR im allgemeinen verfahren wurde und sich auch das MfS, selbst innerhalb seiner eigenen Gliederungen und Organe, ihrer bediente. So verdienen sie es, hier wiedergegeben zu werden: Man könne erfolgreich lügen, selbst wenn es Tatsachen betrifft, es müsse jedoch sicher sein, daß die "Objekte bzw. Ziele" der Propaganda dies nicht feststellen oder nachprüfen könne. Mit der Geheimhaltungspolitik der Partei- und Staatsführung, gesichert durch das MfS, waren also in der ehemaligen DDR die Voraussetzungen für erfolgreiches Lügen geschaffen.

- Es sei möglich, sogar Menschen, die zu anderen Informationsquellen Zugang haben, erfolgreich zu belügen, und zwar unter der Bedingung, daß man sich auf wirklich große Hoffnungen beruft. Das führe dazu, daß die Lüge unkritisch hingenommen würde. Mit ihrem Versprechen des unaufhaltsamen Sieges des Sozialismus in der Welt und damit der Lösung aller sozialen und wirtschaftlichen Probleme und der Schaffung eines Weltfriedens hatte sicher die SED-Führung bei manchen Menschen in der ehemaligen DDR Hoffnungen erweckt, so daß ihre Lügen bei diesen kritiklos hingenommen wurden.

Noch besser lasse sich lügen, wenn die Menschen es gelernt hätten, der Propaganda zu glauben, die sich in der Vergangenheit der Wahrheit befleißigt hätte,

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und die keine Mittel hätten, festzustellen, daß die Propaganda sich nunmehr der Lügen bediene. Wegen der Unmöglichkeit für die Menschen in der ehemaligen DDR, festzustellen, was in den Aussagen der SED-Führung Wahrheit und was Lüge war, dürfte diese Methode der Manipulierung nur geringe Bedeutung gehabt haben.

Man müsse berücksichtigen, daß ein unter schwierigen Voraussetzungen hergestelltes Vertrauen zur Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit der Propagandathesen sich schwer wieder herstellen lasse, wenn es einmal untergraben worden sei. Diese Lehre ist wohl kaum beherzigt worden. Denn auch bei denen, die zunächst dem SED-Regime vertraut hatten, war am Ende der DDR das Vertrauen größtenteils geschwunden.

Derjenige, der die Propaganda betreibe, müsse, wenn er im Begriff stehe, sich von der Wahrheit zu entfernen, einen solchen Entschluß fassen und die Wahl treffen zwischen der Bedeutung einer solchen Handlungsweise für eine kurze bzw. längere Zeit. Es mag dahinstehen, ob und wann die SED-Führung je einen solchen Entschluß gefaßt hat. Bei der Wahl zwischen Lüge und Wahrheit hatte aber sicher stets Opportunismus Pate gestanden.

- Lügen seien in der Propaganda dann wirkungsvoll, wenn das Objekt wehrlos, zu Tode erschreckt oder hoffnungslos sei und wenn es keine Mittel besitze, die ihm übermittelten Angaben nachzuprüfen, oder wenn es nicht wisse, was geschehe, und wenn demjenigen, der die Propaganda betreibt, zugleich daran gelegen sei, "die Ergebnisse der Propaganda unverzüglich zu erreichen" wenn er ein Nahziel anstrebe. Das MfS hatte es stets als seine Aufgabe bezeichnet, daß sich die Objekte - gemeint waren damit die ihm ausgelieferten Menschen - in einem derart beschriebenen Zustand befanden. So waren die Voraussetzungen für den Erfolg einer Lügenpropaganda von ihm geschaffen worden. Abschließend dazu wurde von der Diss. 1 festgestellt: "Das einzige Hemmnis für das Opererieren mit Lügen und Entstellungen ist die Gefahr des Vertrauensverlustes, des Verlustes der Glaubwürdigkeit".

Wurde in der ehemaligen DDR nicht gesehen, daß aus genau diesem Grunde die SED-Diktatur zuletzt jede Glaubwürdigkeit verloren hatte? 3. Indirekte Kontakte zur PID durch Printmedien Ein weiteres Mittel zum politisch-ideologischen Eindringen in die sozialistischen Länder sah die Diss. 1 in den Aktivitäten der "imperialistischen Presseorgane", die in der "letzten Zeit" (d. h. mit der Regierungsübernahme durch die sozi-

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al-liberale Koalition ab 1969) verstärkt worden seien. Dabei sei eine enge Zusammenarbeit mit den elektronischen Medien zu verzeichnen gewesen. Das hätte sich darin geäußert, . - daß die Themengestaltung in der Presse mit den Meldungen der Rundfunk- und Fernsehstationen abgestimmt und gegen bestimmte Personenkreise eingesetzt worden sei, daß westdeutsche Presseerzeugnisse gezielt an bestimmte Bürger bzw. Personenkreise wie Kulturschaffende u. a. versandt worden seien, - daß der Gegner berücksichtigt hätte, daß in den sozialistischen Ländern ein bestimmter Kreis der Bevölkerung über Möglichkeiten verfügt hätte, sich legal Zugang zum Lesen westlicher Presseerzeugnisse zu verschaffen, - daß der Gegner versucht hätte, Bürger aus sozialistischen Ländern zur illegalen Mitarbeit an "imperialistischen Presseorganen" zu gewinnen, die unter Pseudonym schreiben sollten. Auch hier zeigte sich wieder, wie die Autoren der Diss. 1 ihre Vorstellungen von der staatlichen Presselenkung, wie sie in der ehemaligen DDR und den anderen sozialistischen Ländern gehandhabt wurde, auf die Verhältnisse in der freien Welt mit offener Gesellschaft zu übertragen versuchten. Die große Gefahr für die sozialistische Bewußtseinsbildung beschwörend, also für den Erfolg der ideologischen Indoktrination im Sinne der SED-Führung, hieß es dann mahnend (a. a. 0., S. 185): ,,Betrachtet man den gewaltigen Wirkungsradius der imperialistischen Massenkommunikationsmittel, der dem Gegner zur Infiltration und Transformierung des antikommunistischen Gedankengutes in die sozialistische Gesellschaft zur Verfügung steht, so wird die Notwendigkeit deutlich, daß alle Bereiche der sozialistischen Gesellschaft ihre Möglichkeiten und Potenzen intensiv und bewußt nutzen, um die möglichen Auswirkungen der politisch-ideologischen Diversion auf den Prozeß der sozialistischen Bewußtseinsbildung auf ein Mindestmaß zu beschränken."

Die Bedeutung der Heilslehre für das totalitäte Herrschaftssystem in der ehemaligen DDR, die den Gewaltunterworfenen indoktriniert werden sollte, liegt klar zu Tage, ebenso die Angst, sie könne mißlingen. Immerhin zeigte sich hier ein Anflug von Bescheidenheit, wenn nur von einem Mindestmaß gesprochen wurde, auf das die Auswirkungen der PID beschränkt werden sollte. Große Aufmerksamkeit widmete die Diss. 1 dem Problem, wie die Einfuhr von Druckerzeugnissen aus dem westlichen Ausland einschließlich der alten Bundesrepublik verhindert werden könnte. Während versucht wurde, den Einfluß fremder elektronischer Medien mittels Störsender oder physischen bzw. psychischen Drucks auf potentielle oder wirkliche Empfänger von Sendungen zu verhindern oder abzuschwächen, stellte der Import von Printprodukten das MfS offenbar vor größere Probleme.

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Eine Methode sei das Einschmuggeln derartigen Materials gewesen. Dazu trug der KGB-Offizier aus seinem Erfahrungsschatz bei. So berichtete die Diss. 1 über Anstrengungen des Gegners, antisowjetische und antikommunistische Druckerzeugnisse illegal in die Sowjetunion einzuführen. Alleim im Abschnitt Brest der sowjetischen Staatsgrenze hätte sich die Menge der beschlagnahmten Literatur in den letzten fünf Jahren (d. h. vor 1972) auf das Achtfache erhöht gehabt. Eine weitere Methode, die sich gegen die ehemalige DDR gerichtet hätte, sei gewesen, "Schmierereien" (faschistische Symbole, Hetzlosungen) auf Fahrzeugen anzubringen, die in die ehemalige DDR einreisten. Das hätte sich ständig vermehrt. So hätten sich derartige Fälle im ersten Halbjahr 1970 gegenüber dem zweiten Halbjahr 1969 um 19 % erhöht. Auch der Handelsaustausch sei vom Gegner zunehmend für die Einschleusung antisowjetischer Druckerzeugnisse ausgenutzt worden. In die Verpackung von Waren und technischen Ausrüstungen, welche die Außenhandelsorgane der sozialistischen Staaten in ,,kapitalistischen" Ländern gekauft hätten, sei in vielen Fällen gegen die sozialistische Gesellschaft gerichtete Literatur hineingetan worden. In zunehmendem Maße seien auch im Reisezugverkehr Flugblätter und andere Druckerzeugnisse abgelegt worden. In die DDR Einreisende häten versucht, "Hetzschriften feindlicher Organisationen, pornographische Erzeugnisse sowie westdeutsche Zeitungen und Zeitschriften" einzuschleusen. In Konsultationen mit Genossen der Hauptabteilung XIX (Verkehr, Post, Nachrichtenwesen) des MfS wäre zu erfahren gewesen, daß die Grenzsicherungskräfte monatlich tonnenweise "feindliche" Druckerzeugnisse beschlagnahmt hätten, die über die Verkehrswege hätten eingeschleust werden sollen. Der Feind hätte auch den Postweg zielgerichtet und organisiert zum Versand von Literatur der verschiedensten Richtungen genutzt. In diesem Zusammenhang kritisierte die Diss. 1 auch den organisierten Versand von Lebens- und GenußmitteIn im Postweg. Zusammenfassend wurde aufgrund einer Analyse der Hauptabteilung VI (Paßkontrolle, Tourismus, Interhotel) des MfS festgestellt, der Organisationsversand sei "weitgehendst" individualisiert und ein großer Teil der westdeutschen Bevölkerung in den Versand einbezogen worden, "um so das Erkennen zu verschleiern". Die gegnerischen Methoden seien dadurch charakterisiert worden, daß - immer breitere Schichten der Bevölkerung in die "Durchführung des organisierten Paketversandes" einbezogen worden seien, wodurch der Charakter dieser Aktionen immer mehr verschleiert worden sei, - bestehende verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Bürgern beider deutschen Staaten erforscht und für den organisierten Paketversand ausgenutzt worden seien,

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zur Tarnung der ideologischen Beeinflussung der DDR-Bürger mittels des organisierten Paketversandes verwandtschaftliche Beziehungen vorgetäuscht worden seien, - in Westdeutschland weilende DDR-Bürger aufgefordert und veranIaßt worden seien, an ihre Verwandten in der ehemaligen DDR Pakete zu schicken. Darauf, daß die Westdeutschen spontan Lebensmittel und Genußmittelpakete zu Verwandten, Freunden oder Bekannten, vielleicht auch an zunächst Unbekannte aus karitativen Gründen geschickt hatten, um dort dem Mangel abzuhelfen, verschwendeten die Verfasser der Diss. I keinen Gedanken.

"Gegenwärtig" (d. h. im Jahr 1972) sei auch im Charakter der organisierten Literatureinfuhr eine Veränderung festzustellen gewesen. Die "Tendenz zur Entwicklung von postalischen Kontakten von seiten westdeutscher und westberliner Einrichtungen zu wissenschaftlichen Institutionen" in der ehemaligen DDR sei weiter ausgebaut worden. Mit Hilfe eines verstärkten Versandes von sogenannter Kontaktliteratur an Institutionen, wissenschaftliche Einrichtungen und Angehörige der Intelligenz hätten Kontakte im wissenschaftlich-technischen Bereich angeknüpft und verstärkt werden sollen. In einer Fußnote dazu wurde bemerkt, die Zusendung von Sonderdrucken wissenschaftlicher Veröffentlichungen von privat zu privat hätte eine besondere Rolle gespielt. Grotesk mutet die Feststellung einer ansteigenden Tendenz bei der Einfuhr "pornographischer Literatur und Druckerzeugnissen" auf dem Postweg an. Staatlich und zentral sei der Organisationsversand vor allem durch das "Gesamtdeutsche Institut - Bundesanstalt für gesamtdeutsche Angelegenheiten" (richtig hätte es heiße müssen: Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben) geleitet worden. Diesem seien "relativ selbständige Organisationen und Hilfsorganisationen, wie das Deutsche Rote Kreuz, die "Deutsche Bruderhilfe e. V"., die ,,Rheinische Hilfsgemeinschaft für den Osten" u. a. zugeordnet gewesen. Nach Konsultationen mit "Genossen der Hauptabteilung VI" (Paßkontrolle, Tourismus, Interhotel) sei festgestellt worden, daß beim Organisationsversand "personelle Schwerpunkte" folgende Empfängerkreise gebildet hätten: aktive Kirchgänger, politisch Vorbestrafte, - ehemalige Mitglieder der NSDAP, - ehemalige Angehörige und Mitarbeiter von Konzernen, Angehörige der Intelligenz, Jugendliche und Rentner. Eine besonders gefährliche Methode der feindlichen Diversionszentralen in Westdeutschland, Hetzschriften und der politisch-ideologischen Diversion dienende Druckerzeugnisse aller Art in die sozialistischen Länder einzuschleusen, seien "die mit hochexplosiven Gasen gefüllten Ballons gewesen, die an der ,Staatsgrenze der DDR' aufgelassen illegal in deren Gebiet eingedrungen seien. Diese Ballons

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hätten einen Durchmesser von 2 bis 10 m gehabt und mehrere Zentner Hetzmaterial transportiert. In den letzten fünf Jahren (vor 1972) seien jährlich zwischen 500000 und 1,5 Milionen Hetzflugblätter mit Ballons in die ehemalige DDR eingeflogen und so im Monat durchschnittlich 50 000 bis 60 000 Exemplare eingeschleust worden. 4. Direkte Kontakte zur PID Die Diss. 1 stellte die außerordentlich bedeutsame und für die Verbesserung der menschlichen Beziehungen zwischen den damals getrennten beiden Staaten gefährliche Behauptung auf, die feindliche Kontaktpolitik hätte sich besonders auf die Ausnutzung aller Möglichkeiten zur Entwicklung von persönlichen Kontakten konzentriert. Besonders die sozialdemokratische Parteiführung und der gesamte regierungsamtliche Apparat hätten rege politische Aktivitäten entfaltet, um über das "Herstellen von massenhaften persönlichen Kontakten zu Personenkreisen in die DDR einzudringen und eine zielgerichtete Aufweichungs- und Zersetzungstätigkeit zu leisten". Schwerpunkte seien dabei gewesen: - die Ausnutzung und der Mißbrauch der "selbständigen politischen Einheit Westberlin", Für die Einstellung des MfS muß es als bezeichnend angesehen werden, daß hier Berlin (West) trotz des Viermächteabkommens vom 3. 9. 1971 9 , der alten Sprachregelung der ehemaligen DDR folgend, als "selbständige Einheit Westberlin" bezeichnet wurde.

- die Entwicklung des westdeutschen Tourismus in die sozialistischen Länder, die zugleich Schwerpunkte des DDR-Tourismus dargestellt hätten, - der Reiseverkehr zwischen beiden deutschen Staaten, - die Ausnutzung des grenzüberschreitenden Verkehrs. Die in diesen "Schwerpunktbereichen" untersuchten Probleme hätten für alle Reiseströme im Touristen-, Aus- und Einreiseverkehr allgemeingültigen Charakter getragen. Nichts hatte offensichtlich das MfS mehr gefürchtet, als Kontakte unter den Deutschen aus beiden Teilen des Landes von Mensch zu Mensch. Es spricht für eine große Unsicherheit über die Festigkeit des eigenen Herrschaftssystems und vor allem des sozialistischen Bewußtseins der ihm Ausgelieferten, daß das MfS in persönlichen Kontakten eine große Gefahr sah, der es als auch als Ideologiepolizei zu begegnen als seine Ausgabe betrachtete. In Konsultationen mit "Genossen der Hauptabteilung XX des MfS", die u. a. auch für die Bekämpfung der Untergrundtätigkeit zuständig war, hätten die Autoren der Diss. 1 die Erkenntnis gewonnen, daß die Aufnahme von persönlichen 9 Viermächteabkommen 3. September 1971 (Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 174 vom 15. September 1972, S. 64ff.).

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Kontakten durch gezielte staatliche Maßnahmen wie etwa die gesetzlichen Regelungen über den Bildungsurlaub für Bechäftigte des öffentlichen Dienstes (ab 1. 1. 1972 auch in Privatunternehmen), aktiv unterstützt wurden. Weiter wird behauptet, von seiten der BrandtlScheel-Regierung seien die Versuche der Kontaktherstellung, vor allem auf der "unteren Ebene", vervielfacht worden. Das hätte darauf abgezielt, den Einfluß der SED - ein bescheidener Ausdruck für deren Suprematie - und der staatlichen Organe zu unterlaufen und eine gezie1te politisch-ideologische Aufweichung zu betreiben. Nicht nur der SPD wurden derartige böse Absichten unterstellt. Denn es habe sich abgezeichnet, daß "die im Rahmen der Kontakttätigkeit in Erscheinung tretenden Organisationen, Institutionen und Personen nicht nur Anhänger oder Sympathisanten der SPD" gewesen seien. Dem Beginn des Versuches der damaligen Bundesregierung, Partnerschaften auf kommunaler Ebene herzustellen, glaubte die Diss. 1 mit dem Hinweis begegnen zu können, dafür hätte der SPD-Führung ein relativ umfangreicher, unter ihrem Einfluß stehender Apparat von Kommunalpolitikern und Beamten zur Verfügung gestanden, der "die Erfahrungen und Stärken der Sozialdemokratie in bezug auf kommunale und strukturpolitische Fragen" hätte vermitteln sollen. Selbst wenn das der einzige Zweck kommunaler Kontakte gewesen sein sollte, hätte die ehemalige DDR davon Nutzen gehabt. Nach der Meinung des MfS fielen sie unter die Kategorie PID. Auch in anderen Bereichen der westdeutschen Öffentlichkeit, die besonders dem Einfluß der Sozialdemokratie unterlegen hätten - wie z. B. im Volkshochschulwesen - hätte eine "Anleitung durch zentrale bzw. sozialdemokratische Bundesorgane in bezug auf die Verstärkung der Kontakttätigkeit" gegen die ehemalige DDR bestanden. Sogar die Einladung von "DDR-Referenten" und die Organisierung von "Bildungsreisen" in den anderen Teil Deutschlands zu den nationalen Kultur-, Mahn- und Gedenkstätten hätten der PID dienen sollen. Ähnliche Versuche der Kontaktherstellung seien verstärkt von Sportorganisationen u. a. ausgegangen. Ein Ärgernis war für das MfS, daß in wissenschaftlichen Gesellschaften trotz der Spaltung des Landes immer noch Mitglieder aus beiden Teilen Deutschlands vereint waren. Diese hätten ihre "Angriffe" vor allem gegen die wissenschaftliche und künstlerische Intelligenz vorgetragen. Ein erstaunliches Eingeständnis folgte. "Durch eine Reihe von Maßnahmen", an denen mit Sicherheit besonders das MfS beteiligt gewesen war, hätte zwar ein großer Teil der diesen Gesellschaften angehörenden Mitglieder aus der ehemaligen DDR ihren Austritt erklärt, "ohne jedoch in jedem Fall von der Richtigkeit dieses Schrittes überzeugt zu sein" - ein seltenes Selbstzeugnis des MfS über den von ihm ausgeübten Terror. Indessen räumte die Diss. 1 ein, daß es Wissenschaftler und Künstler in der ehemaligen DDR gab, die es verstanden hatten, sich dem Terror zunächst zu entziehen. Dafür wurde dem "Gegner" die Schuld gegeben, denn dieser hätte ein sehr differenziertes taktisches

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Vorgehen entwickelt, um die Kontakte mit den ausgetretenen Mitgliedern weiterzuführen. So hätten Westdeutsche, die früher in ihrer Eigenschaft als Mitglieder solcher Gesellschaften aufgetreten seien, nunmehr als Privatpersonen Kontakt zu ehemaligen Mitgliedern unterhalten, was wohl nicht ohne Zutun letzterer hätte geschehen können. Ein Schwerpunkt der feindlichen Kontakttätigkeit sei die Herstellung von Beziehungen zu Angehörigen der "Nationalen Volksarmee" (NVA) gewesen, insbesondere zu den Kommandos der Grenztruppen. Gegenüber früheren Versuchen dazu sei eine Veränderung eingetreten gewesen. Es sei ein freundlicherer Ton angeschlagen worden, indessen seien nach wie vor Beschimpfungen zu registrieren gewesen, auf die die Soldaten nicht reagiert hätten. Auch seien "sexuell angelegte Kontaktversuche" festgestellt worden, um junge Grenzsoldaten anzusprechen. Dazu gab die Diss. 1 Beispiele an. Andere Methoden seien das Hinüberwerfen von Genußmitteln, Zeitungen und Zeitschriften mit Hinweisen auf politische Artikel oder "Sex-Bilder", Fragen (offenbar in Zurufen gestellt) zu aktuellen Ereignissen in Politik oder Sport u. a. sowie die Aufforderung gewesen, die Schußwaffen nicht zu gebrauchen. Im April 1970 hätten in einem Grenzabschnitt Angehörige des Bundesgrenzschutzes an Soldaten der ehemaligen DDR folgende Fragen gestellt: Warum grüßen unsere Grenzsoldaten nicht? Wieviel Tage sind noch zu dienen? - Aus welchen Orten kommen unsere Soldaten? Wie ist die Meinung zum Treffen der Regierungschefs beider deutscher Staaten? Sogar solche harmlosen Fragen sahen die Autoren der Diss. 1 als gefährlich für die Sicherheit der ehemaligen DDR an. Denn in ihnen hätte sich ebenso wie im Ansteigen der Kontaktversuche die von der Bonner Regierung verfolgte Konzeption widergespiegelt, "Illusionen über ihre Absichten zu wecken, bei den Grenzsoldaten das Feindbild zu verwischen, sie zu bewegen, in ihrer Wachsamkeit nachzulasen und Zweifel an der Richtigkeit der Einschätzung von Partei und Regierung und der Notwendigkeit der Befehle der Vorgesetzten hervorzurufen". Mit anderen Worten, es hätte mit Kontakten die Gefahr heraufbeschworen werden können, das "sozialistische Bewußtsein" der Grenzsoldaten zu mindern oder sogar zu zerstören, also die Erfolge der ideologischen Indoktrination infrage zu stellen. Das MfS fühlte sich als Ideologiepolizei gefordert. Denn, so lautete die Begründung: "Das würde die Einsatzbereitschaft unserer Grenzsoldaten und den zuverlässigen Schutz unserer Staatsgrenzen untergraben. Negative Auswirkungen zeigen sich in vielfältiger Weise, angefangen bei Mängeln in der Erfüllung des Kampfauftrages für den Streifendienst, in der Diskussion - [so etwas hatte es also gegeben] - über das ,Für und Wider' der Notwendigkeit eines straffen Grenzsicherungssystems, insbesondere auch über die pioniertechnische Absicherung (materieller Aufwand, der an anderer Stelle angebrachter wäre) - [d. h. z. B. das Legen von Selbstschußanlagen oder von Minen]-, in der Unlust

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zum Dienst, im Hören und Sehen von Westsendern u. a. mehr bis zu solchen, in denen Soldaten der Versuchung unterliegen und auf Kontaktangebote eingehen."

Die Darstellung der Kontaktversuche mit Soldaten abschließend meinte die Diss. 1, auf vage Zahlenangaben gestützt, feststellen zu können, diese hätten sich im Jahr 1970 nicht unbeträchtlich vermehrt. Verändert hätte sich seit Frühjahr 1970 die Kontakttätigkeit im Bereich der bildenden Kunst. Der PID verdächtig hätten die Diensteinheiten des MfS folgende Erscheinungen zu beachten: ,,- Westdeutsche Gesellschaften oder künstlerische Institutionen, deren revisionistische oder revanchistischte Position zu offenbar geworden sind, treten bei der Kontaktsuche zu Künstlern in der DDR nicht offiziell, sondern nur noch mittelbar - privat von deren Mitgliedern her - in Erscheinung. - Mehrere westdeutsche Künstlergruppen, Gesellschaften sowie Einrichtungen, die vorgeben, antifaschistisch oder sogar marxistische Positionen zu vertreten, sprachen offiziell kulturelle Einrichtungen und Organisationen in der DDR mit dem Vorschlag zur Zusammenarbeit an. - Auf dem Wege über offizielle Stellen der DDR, wie z. B. den Verband bildender Künstler, wurden verstärkt Einladungen an einzelne, bevorzugt jüngere Künstler der DDR zum ,Studienaufenthalt' im Ausland ausgesprochen, was im Falle einer ablehnenden Haltung unserer Organe zur Erzeugung und Verstärkung von Mißstimmung unter den Eingeladenen führen kann. - Gezielt die Kontaktkandidaten auswählend, bemühten sich einzelne künstlerische Organisationen um Kontakte insbesondere zu solchen Künstlern, von denen bekannt ist, daß sie erhebliche Vorbehalte gegen unsere sozialistische Kulturpolitik haben." Diese ausführliche Darstellung läßt erkennen, daß das MfS im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich einen besonders fruchtbaren Nährboden für die PID sah. Er bot deshalb offensichtlich ein breites Feld für seine Tätigkeit als Ideologiepolizei. Weiter wurde behauptet, auch westdeutsche und "Westberliner" Sportvereine hätten ihre Anstrengungen verstärkt, um Kontakte zu Sportlern in der ehemaligen DDR herzustellen. Typisch für derartige Kontaktversuche sei gewesen, nicht wie in vergangenen Jahren dieses mit Hilfe politischer Argumente, sondern mittels von Geschenken und "anderer" (nicht näher beschriebenen) Methoden zu tun. Besonders jugendliche Sportler seien so interessiert worden. Ziel solcher Aktionen sei gewesen, Voraussetzungen zu schaffen, um Sportler später mit anderen Methoden zu kompromittieren und abzuwerben. Ein weiteres Ziel sei gewesen, bei Aussicht auf spätere besondere Erfolge die DDR-Behörden zu veranlassen, sie aus dem Leistungssport abzuziehen, wenn deren Kontakte zu westdeutschen Sportlern Ver11 Mampel

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dacht erregten. Das setzte als selbstverständlich voraus, daß Sportler, die Kontakten zugänglich waren, im Leistungssport nichts zu suchen hatten und im Zuge der Sportplanung von einer weiteren Förderung ausgeschlossen wurden. Die sozialdemokratischen Führer seien, so wurde weiter behauptet, bei ihrer gegen den "Sozialismus" gerichteten Tätigkeit aktiv durch Einrichtungen des politischen Klerikalismus unterstützt worden. Dafür seien kennzeichnend gewesen: die Besuche evangelischer Bischöfe in Polen, die demagogische These von der "Aussöhnung mit dem Osten", die Bemühungen der Bundesregierung um Unterstützung ihrer Ostpolitik durch den Vatikan, z. B. anläßlich des Besuchs von Brandt beim Papst. In diesem Zusammenhang wurde sogar eine Tagung des "Politischen Clubs in der evangelischen Akademikerschaft", die im November 1970 mit Unterstützung der für ihren Verständigungswillen bekannten und kritisierten ,,Evangelischen Akademie" in Berlin (West) stattgefunden hatte, angeführt. Das Thema dieser Tagung hieß: "Sicherheit und Friedensordnung Deutschlands, von der Konfrontation zur Kooperation, europäische Sicherheit als Aufgabe aktueller Politik". Spitzel hatten dem MfS berichtet, die Teilnehmer der Tagung, prominente Mitglieder der SPD, Vertreter von Bundesministerien, der Presse sowie der westdeutschen Friedensbewegung sowie "Renegaten", d. h. ehemalige Kommunisten, die sich vom Marxismus-Leninismus abgewandt hatten und deshalb in die Bonner Republik geflüchtet waren, hätten sich verpflichten müssen, über die Ergebnisse der Tagung Stillschweigen zu bewahren. Die Ergebnisse der Tagung hätten nur an die weitergegeben werden sollen, die Eiltscheidungsfunktionen in den behandelten Fragen gehabt hätten. Daraus ist zu entnehmen, daß die Tagung der Politikberatung dienen sollte, der Meinungsbildung der Bundesregierung zur Vorbereitung deren Entscheidungen. Wenn sie nicht öffentlich war, war das daher sachlich begründet. Es wurden Themen behandelt, die in der Öffentlichkeit heftig umstritten waren, und wegen der Tragweite der zu treffenden Entscheidungen nicht vorzeitig zerredet werden sollten. Nach dem Veranstalter, dem Teilnehmerkreis und der unterstützenden Evangelischen Akademie sowie dem Thema der Tagung zu urteilen, lag die Tendenz der Beratungen bei der Fortsetzung und der Ausgestaltung der Entspannungspolitik in Deutschland und Europa. Es gehörte schon eine gehörige Portion von Ignoranz und Böswilligkeit dazu, sie der Vorbereitung der PID zu verdächtigen. Als kirchliche Einrichtungen, die sich mit einer "verstärkten Kontakttätigkeit im Sinne der politischen Aufweichung" betätigten, wurden namentlich genannt: - Evangelische Akademie Loccum, - Evangelische Akademie Berlin (West), - Comeniusklub für deutsch-europäische Verständigung in Berlin (West), - Aktion Sühnezeichen, - Gustav-Adolf-Werk, - Gosener Mission,

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- Kolping-Familie, - Evangelische Studentengemeinde (ESG), - Katholische Studentengemeinde (KSG). Diese kirchlichen Einrichtungen hätten im engen Zusammenwirken mit staatlichen Einrichtungen und revanchistischen Organisationen auch im Rentnerreiseverkehr eine bedeutende Rolle gespielt. Finanzielle Unterstützung sei den Rentnern zuteil geworden, die sich zu einer aktiven Mitarbeit im Rahmen der Kirche bereit erklärt hätten. Auch im internationalen Rahmen seien die Kirchen im Sinne der Kontaktaufnahme und -pflege tätig geworden. So hätte die "Konferenz europäischer Kirchen" in Genf schon im Jahre 1966 ihre Mitgliedskirchen "angewiesen", "die größeren Möglichkeiten für zwischenkirchliche Kontakte auf der Ebene der Begegnungen von Gemeindemitgliedern" stärker auszunutzen. In diesem Zusammenhang wurden Aktivitäten des "Bundes der deutschen katholischen Jugend Bayern", die bayrische Diözesen-Jugendführung und vor allem der "Ostausschuß der evangelischen Kirchen in Deutschland" mit dem "Berliner Konvent der Hilfskomittees der zerstreuten evangelischen Ostkirchen" sowie der "Schweizerischen religiösen Zentrale" zur Verstärkung von Kontakten in die sozialistischen Staaten genannt. Auch die Tätigkeit der in der ehemaligen DDR verbotenen ,,zeugen Jehovas" wurde nicht vergessen. Immerhin bleibt festzuhalten, daß diese kirchlichen Einrichtungen nicht in der ohnehin, wie oben festgestellt (V. d), unsystematischen Aufzählung der "operativtaktischen Organe" genannt waren, offenbar deswegen, weil die PID nicht ihre eigentliche Aufgabe war, ihnen auch nicht unterstellt wurde, sie seien absichtlich subversiv tätig gewesen, was aber das MfS an ihrer objektiven Gefährlichkeit nicht zweifeln ließ und ihre Tätigkeit zum Gegenstand der Bekämpfung als Ideologiepolizei machte. Für gefährlich wurde auch gehalten, daß in den osteuropäischen Ländern sowohl Ostdeutsche als auch Westdeutsche ihren Urlaub verbringen konnten. Dabei sollten von den westdeutschen Urlaubern - im Funktionärsjargon der ehemaligen DDR "Touristen" genannt - eine Vielzahl von Kontakten zu Ostdeutschen und damit gesamtdeutscher Gemeinsamkeiten hergestellt und so PID betrieben sowie zur "Schleusungsvorbereitung" dienende Familientreffen organisiert werden. Dabei seien zwei Methoden angewandt worden. Die eine hätte drin bestanden, gesamtdeutsche Treffen und Diskussionem sowie sportliche und kulturelle Veranstaltungen zu organisieren. Die Spitzel des MfS wollten jedoch festgestellt haben, daß Treffen und Veranstaltungen im großen Rahmen nur wenig Erfolge gebracht hätten. Deshalb hätte der Gegner seine Methode so geändert, daß gegnerische Kräfte Einzelgespräche mit DDR-Bürgern hätten führen sollen, wobei diese sich als Touristen aus der ehemaligen DDR hätten ausgeben sollen, damit die Kontakte leichter zustande kämen. 11*

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Weiter sei der Gegner "zur Erhöhung der Wirksamkeit der politisch-ideologischen Zersetzungstätigkeit" dazu übergegangen, neben dem gezielten Einsatz von Mitarbeitern und Reiseleitern westdeutscher Reisebüros auch gut vorbereitete Funktionäre aus SPD und CDU zur Führung von Gesprächen in die Touristenzentren zu schicken. Schwerpunktmäßig hätten sich die intensiven und zielgerichteten Aktivitäten des Gegners auf die Schaffung direkter Kontakte zu den an den Grenzübergangsstellen tätigen Kräfte sowie zu den Beschäftigten in den Einrichtungen des grenzüberschreitenden Verkehrs (z. B. Reisebüros, Intershop, Deutsches Rotes Kreuz) bezogen. Kontrolleure sollten zur oberflächlichen Kontrolle verleitet, kompromittiert oder politisch negativ beeinflußt werden, um sie zum ungesetzlichen Verlassen der DDR zu veranlassen. Im grenzüberschreitenden Verkehr der Deutschen Reichsbahn und der Mitropa sei die Kontakttätigkeit besonders von Angehörigen des westdeutschen Grenzschutzes, des Zolls, der Bahnhofsmission, der westdeutschen Bundesbahn u. a. öffentlichen Dienste, wie z. B. - wieder einmal die Verhältnisse im eigenen Bereich übertragend - von "Beschäftigten gastronomischer Einrichtungen", die in Ländern mit Marktwirtschaft und daher auch in der Bundesrepublik privat betrieben wurden und werden, aufgenommen worden. Diesen Personenkreisen wurde vorgeworfen, die Kontaktherstellung "zur politisch-ideolo-gisehen Zersetzungstätigkeit", zur gezielten Abschöpfung und Informationsgewinnung über Grenzsicherungsorgane und Einrichtungen der ehemaligen DDR, Grenzkontrollmethoden, leitende "Kader der NVA und der Deutschen Reichsbahn" und zu anderen Angaben sowie zur Beeinflussung von Personen zum ungesetzlichen Verlassen der ehemaligen DDR eingesetzt zu haben. Im Bereich der Hochseehandelsflotte hätte der Gegner versucht, über die westdeutsche Seemannsmission die feindliche Kontakttätigkeit zu aktivieren. Ein weiterer besonderer Schwerpunktsbereich sei die gezielte Ausnutzung aller sich aus den Wirtschaftsbeziehungen der ehemaligen DDR zur alten Bundesrepublik und anderen imperialistischen Ländern ergebenden Kontakte zur politischideologischen Aufweichungs- und Zersetzungstätigkeit gewesen. In diesem Zusammenhang einerseits und andererseits mit den Bemühungen um die Herstellung eines angeblichen Abhängigkeitsverhältnisses der Volkswirtschaft der sozialistischen Länder vom westdeutschen Imperialismus hätte der Gegner das "unpolitische Wesen" des Handels und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sowie die Notwendigkeit der Normalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen propagiert. Damit verbunden gewesen sei die Ausnutzung aller Außenwirtschaftsbeziehungen. Im Vordergrund hätte besonders die Aufnahme von Kontakten zu den "Reisekadern", d. h. zu besonders durch Organe des MfS ausgewählte, auf ihre Zuverlässigkeit überprüfte Personen gestanden. Versuche dazu seien auch auf internationalen Messen u. a. Veranstaltungen organisiert worden. Als Warnung vor Ausweitung der Reisetätigkeit zwischen beiden Staaten ist zu werten, wenn es in der Diss. I hieß, bei einer solchen sei zu erwarten gewesen, "daß die westdeutschen Konzerne künftig ihre Kontakttätigkeit gegen die DDR stärker über ihre Filialen

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in Berlin (West) betreiben" würden. Gleichzeitig seien die "Streufläche" und die Verbreitungsmöglichkeiten für "technisches Prospektmaterial" - gemeint sind Prospekte über neue Techniken - über neueste Entwicklungen in einzelnen Wirtschaftsbereichen im Westen zur Beeinflussung der technischen Intelligenz der ehemaligen DDR unter der "Losung Weltniveau = Westniveau" größer geworden. Gewarnt wurde auch davor, daß die Kontakte zu den früheren Grenzgängern im Ostsektor und in den Randgebieten von Berlin unter Einsatz der in den großen Konzernbetrieben dafür zur Verfügung stehenden Mittel erneuert und aktiviert würden. Eine gleiche Tendenz zur Organisierung der PID hätte von Vereinigungen wie dem Verband Deutscher Ingenieure u. a. sowie den Traditionsverbänden der Konzerne von Berlin (West) aus erwartet werden können. Überhaupt waren die engen Bindungen zwischen der alten Bundesrepublik und Berlin (West) für die ehemalige DDR ein steter Stein des Anstoßes. So verwundert es nicht, daß das besonders im deutschlandspolitischen Bereich der Fall war. Auch gemeinsames Handeln zur Kontaktaufnahme und -pflege trotz Mauer und Stacheldraht stellten für die SED-Führung, das MfS und damit auch für alle Mitarbeiter der JHS ein ständiges Ärgernis dar. So meinten die Autoren der Diss. 1, die Versuche zur verstärkten Kontaktherstellung hätten sich auch darin gezeigt, daß im Zusammenwirken zwischen dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen und dem Senat von Berlin (West) ein "zentrales System zur Organisierung der gegnerischen (d. h. zu Zwecken der PID) Kontakttätigkeit geschaffen" worden sei, "das im Rahmen der langfristig angelegten imperialistischen Ostpolitik weiter ausgebaut" werden solle. Der Senat von Berlin (West) sei vor allem über das ihm unterstellte und von ihm finanzierte "Informationszentrum Berlin" sehr aktiv tätig geworden, "um die sich von Westberlin aus bietenden Möglichkeiten zur Anknüpfung und zum Ausbau bestehender Kontakte zielgerichtet und vollständig zu nutzen". Im gleichen Sinne sei die Dienststelle des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen in Berlin (West) tätig geworden. Die positiven Ergebnisse seiner Bemühungen zur Kontaktpflege hätten es veraniaßt, die politische Wirksamkeit der gezielten KontakUätigkeit weiter zu stärken. Deshalb seien alle Teilnehmer an solchen Kontaktreisen verpflichtet worden, an den Schulungsprogrammen zur Vorbereitung solcher Reisen und während des Aufenthalts in Berlin (West) an Gesprächen mit dem Beauftragten dieses Bundesministeriums bzw. des Senats von Berlin (West) teilzunehmen sowie sich an einer Stadtrundfahrt in Berlin (West) und an einer Bustour in Ost-Berlin ("Hauptstadt der DDR") zu beteiligen. Das war keine falsche Beobachtung. Es muß das Geheimnis der Autoren der Diss. 1 bleiben, wie solches der PID hätte dienen sollen, es sei denn, man rechnete auch die Ausstattung der Besuchergruppen mit Argumenten, mit deren Hilfe Diskussionen mit kommunistischen Funktionären, besonders aus der Jugendorganisation der SED, der "Freien Deutschen Jugend" (FDJ), bestanden werden konnten, hinzu. Evident

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VII. Fonnen, Mittel und Methoden der PID

wurde indessen, daß schon der Versuch, kommunistischer Propaganda geeignet zu begegnen, als PID gewertet wurde. Auch worin ideologische Zersetzung hätte liegen sollen, wenn den Besuchergruppen gewisse Verhaltensregeln gegeben wurden, die zu einem wesentlichen Teil deren Sicherheit dienen sollten, bleibt schleierhaft. Denn, wie aus den hier wiedergegebenen Verdächtigungen des MfS zu ersehen ist, war bei einem Besuch in der ehemaligen DDR und in Ost-Berlin ein Teilnehmer stets gefährdet, wenn er sich auch nur etwas unvorsichtig verhielt. Aufgrund einer Darstellung einer "Arbeitsgruppe zur komplexen Aufklärung und Abwehr der gegnerischen Kontakttätigkeit der Verwaltung Groß-Berlin" des MfS, deren Existenz deutlich die Tatigkeit des Staatssicherheitsdienstes als Ideologiepolizei zeigt, zitierte die Diss. 1 freilich keine diese Gefährdung abwehrenden Hinweise, dafür aber solche angeblichen Regeln, aus denen sich die Absicht der PID ergeben hätten, wie: - "Treten Sie in der DDR-Hauptstadt nicht als Gruppe auf, der politische Erfolg ist im Einzelgespräch besser gewährleistet, - gehen Sie in Ihrer Argumentation von menschlichen Begegnungen und menschlichen Erleichterungen aus, - beweisen Sie vorwiegend das Gemeinsame zwischen den Menschen hüben wie drüben, - suchen Sie öffentliche Einrichtungen auf, um Kontakte anzuknüpfen. Wählen Sie dazu vorwiegend Einrichtungen wie Buchhandlungen, Museen, Kulturinstitutionen, da dort bessere Möglichkeiten bestehen, mit dem intellektuellenm Teil der Bevölkerung zu sprechen." Auch dem SPD-Landesvorstand in Berlin (West) wurde vorgeworfen, beträchtliche Aktivitäten zur "verstärkten Infiltration sozialdemokratischer und revisionistischer Gedanken" entwickelt zu haben. Vom "Büro für Ostarbeit" beim Landesvorstand der SPD in Berlin (West) seien DDR-Rentner zu kulturellen und anderen Veranstaltungen in Berlin (West) eingeladen worden, wo im Rahmen individueller Gespräche das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt und entwickelt werden sollte. Auch an eine Prophezeiung wagten sich die Autoren. Sie glaubten damit rechnen zu müssen, daß sich der Westberliner Landesverband der SPD wieder verstärkt auf die Belebung seiner ehemaligen Kreisverbände im Ostsektor, genannt ,,Hauptstadt der DDR", konzentrieren würde, "um Ausgangspunkte für eine individuelle politische Wirksamkeit sozialdemokratischen Gedankengutes, besonders in Kreisen der Intelligenz, der Kulturschaffenden und der Rentner, zu schaffen". Zu beachten sei gewesen, daß vor allem den sogenannten linken Kreisen und Gruppen der SPD bei der Kontaktaufnahme wieder größere Bedeutung zugemessen worden sei, "da sie mit ihren taktischen ,Abweichungen von den ideologischen Grundpositionen der SPD-Führung' sehr geeignet erschienen gewesen seien, "sozialdemokratisches Gedankengut in der Hauptstadt der DDR zu propagieren".

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Auch sei im Zusammenhang mit den erweiterten Einreisemöglichkeiten die außerparlamentarische Opposition und andere "links getamte Kräfte" mit Versuchen, anarchistisches, trotzkistisches und maoistisches Gedankengut im Ostsektor zu verbreiten, zu beachten gewesen. Das hätte auch für "pornographische Schriften" gegolten. Persönliche Kontakte seien auch dazu genutzt worden, Rauschgifte zu verbreiten und mit "diesen, für die Westberliner Verhältnisse typischen Zersetzungserscheinungen" auf Teile der Jugend in der ehemaligen DDR einzuwirken. Schwerpunkte für die Herstellung persönlicher Kontakte im Ostsektor von Berlin seien, wie Konsultationen mit "Genossen der Verwaltung Groß-Berlin" des MfS ergeben hätten, besondere Gaststätten und Clubs gewesen, wie der Saalbau Friedrichshain, der Kreisjugendc1ub "Walter Husemann" in Pankow und die Milch-Mokka-Eis-Bar in der Karl-Marx-Allee gewesen - offenbar Tummelplätze der Stasi-Spitzel. Die breite, umfangreiche Darstellung der Kontaktmöglichkeiten in der Diss. zeigt, daß das MfS in Kontakten zwischen Menschen aus dem kommunistischen Block einerseits und denen aus freien offenen Gesellschaften andererseits und damit auch zwischen den Deutschen in dem durch Mauer und Stacheldraht geteilten Lande eine potentielle Gefährdung der Sicherheit der ehemaligen DDR und sich dementsprechend als Ideologiepolizei auf den Plan gerufen sah. Es ist daran zu erinnern, daß die Bundesregierung im Zuge der von ihr 1969 eingeschlagenen neuen Ostpolitik die Herstellung solcher menschlichen Beziehungen als ein Kernstück ihrer Bemühungen betrachtete. Die Autoren der Diss. 1 und das hinter ihnen stehende MfS dagegen erkannten diese humanen Anstrengungen nicht an und wollten sie konterkarieren, indem sie jede Begegnung von Deutschen aus Ost und West beargwöhnten. Prinzipiell machten sie keine Unterschiede. Jedes Zusammentreffen war Anlaß für die Organe des MfS als Wächter des sozialistischen Bewußtseins, Maßnahmen zu treffen. Es gab wohl keinen öffentlichen und keinen privaten Bereich, in dem der Versuch, Verbindungen zwischen den damals getrennten beiden deutschen Teilen herzustellen, nicht der PID verdächtigt wurde. Um dies aufzuzeigen, war es notwendig, in dieser Analyse ebenfalls breit und umfangreich auf die angeblichen Gefahrenquellen einzugehen, dabei in Kauf nehmend, den Leser zu langweilen. Die Autoren der Diss. 1 betonten dann nochmals - dabei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die wirklichen Ansichten des inneren Zirkels der SEDFührung wiedergebend -, das Ziel der Kontaktversuche hätte darin bestanden, das feindliche Argument von der Zusammengehörigkeit der Deutschen auch auf lokaler Ebene zu verbreiten und den Bürgern der ehemaligen DDR zu suggerieren, daß die alte Bundesrepublik ein friedliebender Staat gewesen sei und die bestehenden schlechten Verhältnisse zwischen den beiden Teilen Deutschlands durch Schuld der SED und der DDR-Regierung entstanden seien.

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VII. Fonnen, Mittel und Methoden der PID

Das Resümee sah schließlich so aus: "Der Gegner setzt vielgestaltige Mittel und Methoden zur Verstärkung seiner Kontakttätigkeit ein. Sie umfassen das Führen von Sondierungsgesprächen, das Treffen von Absprachen, Zusammenkünfte im Freizeitbereich, die allgemeine und spezifische Abschöpfung, das Eindringen in die Familie, die Vorbereitung, Aufnahme und Unterhaltung von geschäftlichen und außergeschäftlichen Kontakten zu Reisekadern, ihre politisch-ideologische und politisch-psychologische Beeinflussung und Lenkung, die ideelle und materielle Korruption und andere Aktivitäten."

Den Zweck aller dieser unwahren oder allenfalls halbwahren Behauptungen enthüllte das kategorische Verlangen: "Die Abwehr dieser vielgestaltigen Infiltrationsversuche verlangt entsprechende politisch-operative Konsequenzen von jeder Diensteinheit bis hin zu den einzelnen Kreisdienststellen. "

5. Organisierung friedensgefährdender Vorkommnisse Innerhalb der umfangreichen Darstellung der Mittel und Methoden der PID wurden "Vorkommnisse" geschildert, die, folgt man der Definition der Diss. 1, nicht PID, sondern allenfalls deren Folgen waren. Sie wurden als "friedens gefährdende Vorkommnisse" bezeichnet und deshalb in diesem Zusammenhang genannt, weil sie zur "Verstärkung" der PID ausgenutzt worden seien. Es handelt sich dabei um Tatbestände, mit deren Hilfe die SED-Führung versucht hatte, die Fluchtbewegung aus der ehemaligen DDR auch nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 und den Schußwaffengebrauch an der innerdeutschen, befestigten Demarkationslinie zu erklären. Aufgezählt wurden: versuchte Grenzdurchbrüche, organisierter Menschenhandel, Anschläge gegen die zivile Luftfahrt. Diese seien - so wird der Zusammenhang hergestellt - zielgerichtet zur Verstärkung der PID propagandistisch verwertet worden. Hinsichtlich der Gefährdung des Luftverkehrs konnte die Diss. 1 freilich nur mit Beispielen aus der ehemaligen Sowjetunion aufwarten, wo Personen zu hohen Strafen verurteilt worden waren, weil sie mittels gekaperter Flugzeuge besonders nach Israel fliehen wollten. Derartige Versuche erregten jedesmal in der Weltöffentlichkeit großes Aufsehen, vor allem wegen der Gründe der Flucht. Diese - beruhend auf dem in der ehemaligen UdSSR bestehenden Antisemitismus und der Gegnerschaft zu Israel - waren den Machthabern sehr unangenehm. So ist erklärlich, daß sie diese für Argumente der PID ausgaben. Die von der Diss. 1 dazu erwähnten Beispiele hätten gezeigt, daß der Gegner einerseits mittels der PID Bürger sozialistischer Länder zur feindlichen Tätigkeit "verführt" hätten, andererseits diese zum Ausgangspunkt genommen, um die psychologische Kriegführung und die PID zielgerichtet zu verstärken. In Deutschland sei der staatsfeindliche Menschenhandel durch die Führungsorgane der PID, insbesondere durch die Geheimdienste und das Bundesministerium

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für innerdeutsche Beziehungen, gesteuert worden. Es hätten zur Organisierung von Provokationen enge Beziehungen zwischen den Menschenhändlerorganisationen und den Zentren der PID bestanden. In einer Analyse der Hauptabteilung IX (Untersuchungsorgan/Ennittlungsverfahren) des MfS waren den Autoren der Diss. I folgende "Feststellungen" mitgeteilt worden: ,,- Schleuserorganisationen schlossen in Vorbereitung von Aktionen mit westdeutschen Rundfunk- und Fernsehstationen Verträge über die Auswertung der Aktionen ab, wobei von den Massenmedien die Kosten der Aktionen übernommen wurden; - Schleusungsaktionen, die besonders zur Auswertung im Rahmen der politischideologischen Diversion geeignet waren, wurden zu politischen Höhepunkten organisiert und intensiv propagandistisch ausgewertet; - Schleusungsaktionen wurden zielstrebig ausgenutzt, um im Rahmen der politisch-ideologischen Diversion gezielt auf bestimmte Personenkreise in der DDR einzuwirken; - Kuriere und Schleuserorganisationen erhalten Aufträge zur Intensivierung der Untergrundtätigkeit sowie zur Einschleusung von technischen Geräten, die den Empfang der westdeutschen Massenmedien allseitiger ermöglichen; - durch den Einsatz von Ausländern sowie die Ausnutzung des sozialistischen Auslandes zum Menschenhandel wird versucht, Widersprüche zwischen der DDR und anderen Staaten zu erzeugen, um diese gezielt im Rahmen der politisch-ideologischen Diversion auszunutzen." Diese in einem typischen, nicht nur in der ehemaligen DDR beheimateten Polizistendeutsch verfaßte Passage ist wohl wörtlich dem von der HA IX verfaßten Papier entnommen. Besondere Beachtung hätte nach der Diss. 1 verdient, daß in diesem Zusammenhang auch die Beziehungen "weiblicher DDR-Bürger" zu in Berlin (West) ansässigen ausländischen Staatsbürgern immer wieder Ausgangspunkt dafür gewesen seien, "ungesetzliche Grenzübertritte zu organisieren und durchzuführen". Wieder einmal zeigt sich, daß ein von Partei- und Staatsführung der ehemaligen DDR geschaffener Sachverhalt, hier die hermetische Abriegelung des Landes gegen außen, besonders gegen die alte Bundesrepublik, und die berechtigte Gegenwehr der eigenen Bürger in vom "kapitalistischen" Westen veranlaßte und durchgeführte Aktionen umgefälscht wurden. Auch hier wurde nach der Methode "Haltet den Dieb" verfahren.

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VII. Fonnen, Mittel und Methoden der PID

b) Unter der christlich-liberalen Koalition bis 1988

1. Allgemeine Kriterien Grundsätzlich Neues an Erkenntnissen brachte die Diss. 4 (Lehrbuch) zu den Formen, Mitteln und Methoden der PID nicht. Sie schrieb auch hier die Diss. 1 fort und ergänzte diese - allerdings in manchen Punkten bemerkenswert. In ihrem Aufbau stellte sie einen engeren Zusammenhang zwischen den einzelnen Organen der PID und der von ihnen verwendeten Mittel und Methoden her, so daß auch hier manches dazu bei deren Behandlung schon ausgeführt wurde. Zur Arbeitsweise der Zentren meinte die Diss. 4 (Lehrbuch), sie sei im wesentlichen von den von ihnen zu lösenden Hauptaufgaben bestimmt gewesen. Alle geeigneten Methoden seien zum Einsatz gebracht und die jeweils wirksamste Methode ausgewählt worden. Stets seien neue Methoden geprüft worden. Dabei seien auch solche Methoden eingesetzt worden, "die für die Aufrechterhaltung der Macht der Monopolbourgeoisie im Innern entwickelt wurden, wie z. B. die Anwendung von Methoden, Techniken und Formen der Massenmanipulation". Die für die PID genutzten Methoden seien ausgewählt und angewendet worden in Abhängigkeit von - der jeweiligen Klassenkampfsituation, insbesondere von Erfolgen und der Stärke des Sozialismus; - der entsprechenden Strategievariante des Imperialismus in der Auseinandersetzung mit dem Sozialismus; - den konkreten subversiven Zielstellungen und erzielten Wirkungen; - der Wirksamkeit der bisher angewendeten Methoden; - den jeweils vorrangig zu beeinflussenden Personenkreisen in den sozialistischen Ländern (Zielgruppen); - den jeweils im Vordergrund stehenden Angriffsrichtungen. Mittel und Methoden seien komplex eingesetzt und die neuesten Erkenntnisse von Wissenschaft und Technik angewendet worden, z. B. auf den Gebieten der Informationstheorie, der Psychologie, der "Publizistik-Wissenschaft", der Kommunikationsforschung, der Verhaltens- und Motivforschung, der Informations- und Nachrichtentechnik, der Mikroelektronik sowie der Satelliten- und Computertechnik. Auch solche Methoden, die sich in der Werbung und der Öffentlichkeitsarbeit bewährt hätten, seien verwendet worden. Die Tendenz ist auch hier deutlich. Die Mittel und Methoden des Gegners wurden bis an die Grenzen der Glaubhaftigkeit so gefährlich wie nur möglich dargestellt, um zu zeigen, wie wichtig die Tcitigkeit des MfS als Ideologiepolizei gewesen sei.

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Auch in diesem Zusammenhang wurde die Behauptung wiederholt (siehe oben VI. b) und verallgemeinert, daß die Tätigkeit der "imperialistischen Geheimdienste" eine besondere Bedeutung für das subversive Eindringen in die sozialistischen Staaten gehabt hätte. Sie hätten aufgrund ihrer Schlüsselrolle Einfluß auf die Leitung, Koordinierung, wissenschaftlich-theoretische Vorbereitung und Durchführung der PID gehabt. Sie, insbesondere die Central Intelligence Agency (CIA), hätten auch eigene Struktureinheiten dafür gehabt. Sie hätten Massenmedien wie Verlage, "Diversionssender" (z. B. Radio Free Europe - RFE - und Radio Liberty RL -) und Zeitschriften unterhalten, betrieben oder finanziert, andere Massenmedien unterwandert und sie mit Falschmeldungen über sozialistische Länder versehen. Ziel der Geheimdienste sei es gewesen, durch solche Methoden - Kontakte zu Wissenschaftlern, Journalisten u. a. Persönlichkeiten der sozialistischen Länder, insbesondere der ehemaligen DDR, aufzubauen und zu mißbrauchen, - diese Kontakte zur Werbung von Agenten auszunutzen, - Ansatzpunkte für die Forcierung der PID zu erwerben. Die Zentren der PID in der alten Bundesrepublik seien von deren Geheimdiensten (Bundesnachrichtendienst - BND - und Bundesamt für Verfassungsschutz BfV -), insbesondere die Osteuropa- und DDR-Forschung, unterwandert worden. Auch seien durch die Geheimdienste für die PID legale "Basen und Positionen des Feindes mißbraucht" worden, insbesondere "in den sozialistischen Ländern vorhandene Büros von Massenmedien imperialistischer u. a. nichtsozialistischer Staaten sowie akkreditierte ständige und Reisekorrespondenten imperialistischer Publikationsorgane" . Nun haben überall in der Welt Geheimdienste spezifische Methoden, Mitarbeiter zu gewinnen. Über die Methoden westlicher Geheimdienste kann und soll hier nicht berichtet, geschweige denn geurteilt werden. Denn es ist ja gerade der Sinn von Geheimdiensten, daß sich ihre Tätigkeit im Verborgenen abspielt. Dazu gehören auch die Methoden der Mitarbeiterwerbung. Man mag das schön und zweckmäßig finden oder auch nicht, ändern läßt sich das nicht, weil dazu ein reziprokes Verhalten aller gehört, und das besteht auf sicher unabsehbare Zeit nicht. Niemand wußte das besser als das MfS. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß der BND und das BfV auch Mitarbeiter in den Organen und Einrichtungen hatte, die das MfS als Zentren der PID bezeichnete. Indessen von einern maßgebenden Einfluß von Geheimdiensten auf sie zu sprechen, besteht kein Anlaß. Offensichtlich schloß das MfS von seiner Methode, den Staatsapparat der ehemaligen DDR mit Mitarbeitern eigener Art, den "Offizieren im besonderen Einsatz" (OiBE) zu durchsetzen, auch um dort Einfluß zu gewinnen, auf die der gegnerischen Dienste.

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VII. Fonnen, Mittel und Methoden der PID

2. Zur Arbeitsweise "durchführender Organe" Den "durchführenden Organen", insbesondere die grenzüberschreitenden elektronischen Medien, hätten für das direkte subversive ideologische Einwirken alle dafür geeigneten Methoden einschließlich geheimdienstlicher Methoden genutzt. So hätten z. B. "Diversionssender" mit Deckadressen, abgedeckten Te1efonverbindungen u. ä. gearbeitet. Bei letzteren handelte es sich angesichts drohender Verfolgung für jeden mit Wohnsitz in der ehemaligen DDR durch das MfS, der Verbindung zu einem westlichen Sender aufnehmen wollte, um Maßnahmen des Selbstschutzes, die den geheimdienstlichen allenfalls äußerlich glichen. Stärker noch als in der Diss. 1 wurde in der Diss. 4 (Lehrbuch) hervorgehoben, daß bei der Durchführung der PID "Bewußtseinsinhalte" verändert und Verhaltensweisen und Handlungen von Bürgern sozialistischer Staaten entsprechend den Zielen der PID ausgelöst bzw. gesteuert werden sollten. Eine Kombination der Einflußnahme auf das Denken und des Ansprechens von Gefühlen sollte eine möglichst große Wirkung entfalten. Bei diesen vermeintlichen gleichzeitigen Angriffen auf "ratio" und "emotio" spielte der Mißbrauch der Sprache ("semantische Kriegführung") eine wesentliche Rolle. Über das Fernsehen seien auch alle Möglichkeiten der bildhaften Darstellungen bzw. deren Mißbrauch in Kombination von Sprache und Musik genutzt worden. Damit wurden freilich nur allgemeine Mittel der elektronischen Medien genannt, deren Ausgestaltung sich jeder, der Sendungen produziert, befleißigen muß, wenn er beim Hörer und Zuschauer ankommen will, ganz gleichgültig, was Gegenstand und Inhalt des jeweiligen Programms ist. Mit einer angeblichen PID hat das alles nichts zu tun. Die Diss. 4 (Lehrbuch) sah prinzipiell den Empfang von Fernseh- und Rundfunkprogrammen westlicher Herkunft als gefährlich für die Bildung und Bewahrung dessen an, was als "sozialistisches Bewußtsein" bei den der SED-Diktatur Ausgelieferten bezeichnet wurde, und - daran wird erinnert - darauf hinauslief, daß diese fest davon überzeugt waren: "Die Partei hat immer recht" und sich entsprechend in gläubigem Gehorsam ihr durch Dick und Dünn zu folgen bestrebt waren. Eine derartige innere Einstellung erschien der Partei- und Staatsführung gefährdet, wenn die Menschen in der ehemaligen DDR von der Möglichkeit, westliche Fernseh- und Rundfunkprogramme zu frequentieren, Gebrauch machten. Dabei wurden nicht mehr nur informative Programmteile wie Nachrichtensendungen, Reportagen oder Magazine der PID beschuldigt, wie es noch 1972 in der Diss. 1 der Fall gewesen war, sondern auch Unterhaltungssendungen. Zunehmend sei die ganze Breite der Unterhaltung für die PID genutzt worden. Immer mehr "feindliche Inhalte" seien in unterhaltsamer Form präsentiert worden. "Über die ,Verpackung' des subversiven ideologischen Einwirkens in die Unterhaltung (Shows, Fernsehserien, Krimis, Spielfilme, Musik u. a.) soll die PID eine höhere Wirksamkeit erhalten. Durch die ,Verpackung' von politischen Inhalten in der Unterhaltung

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werden gleichzeitig bestimmte ,Leitbilder' wie z. B. die angebliche Einheit der Nation, produziert und ein bestimmtes politisch-soziales Verhalten motiviert."

Derzeitig (d. h. in den Jahren 1987/1988) seien über 50 % aller Sendungen des Fernsehens in unterhaltsamer Form ausgestrahlt worden, mit denen zugleich subversive ideologische Inhalte verbreitet worden seien. Diese Funktion der Fernsehunterhaltung sollte angeblich als "Sandwichverfahren" bezeichnet worden sein. Die Unterhaltung sollte das Verpackungsmaterial für Politik darstellen, in die "wohl dosiert" - als "Sandwich der Schinken Politik zum Verzehr" eingeschoben worden sei. Ob dieser Begriff dem MfS durch seine Spitzel vermittelt worden war oder ob es sich dabei um seine eigene Erfindung gehandelt hat, ist heute nicht mehr feststellbar. Dem Autor dieser Analyse war er jedenfalls bisher unbekannt. Ferner sei das Auftreten von Politikern in Show-Sendungen und in Gruß- und Wunschsendungen zur PID genutzt worden, in denen Zuschauer bzw. Hörer aus der ehemaligen DDR direkt angesprochen worden seien. Insbesondere bei Versuchen, auf Jugendliche subversiv ideologisch einzuwirken, sei der Musik höchste Bedeutung zugekommen. Die Musik hätte als "Transportmittel für Politik" dienen sollen. Denn Musik sei vor allem darauf gerichtet, Gefühle zu erzeugen und zu stimulieren. Die "Droge" Musik hätte vor allem die Jugendlichen der ehemaligen DDR an westliche Medien binden und sie animieren sollen, die in Musiksendungen verbreiteten Informationen aufzunehmen. Mit entsprechenden Kommentaren, Interviews, Berichterstattungen u. ä. hätte die Wirkung noch erhöht werden sollen. Richtig daran ist nur, daß alle Hörfunksender sich bemüht haben und das auch weiter tun, ihre Programme möglichst attraktiv zu gestalten. Die Sender der einzelnen Anstalten wurden und werden dabei auch so programmiert, daß sie sich an durch Alter, Interessen sowie Bildungsgrad unterschiedliche Hörer, seltener Zuschauer, wenden. Das gilt auch für Programmabschnitte nur eines Senders. So gab und gibt es auch weiter Rundfunksender oder Programmteile, die in erster Linie oder ausschließlich für Jugendliche bestimmt waren und noch sind. Das traf nicht nur für die in der Diss. 4 (Lehrbuch) apostrophierten Sender RIAS und SFB zu, die freilich wegen ihres Standortes Berlin (West) besonders nach Ost-Berlin und in das DDR-Umland ausstrahlten und dort zum Ärger des MfS großen Zuspruch hatten. Das wurde von diesem als PID betrachtet. Den elektronischen Medien wurde ferner vorgeworfen, daß sie auch durch die Nutzung aller Erkenntnisse der wissenschaftlich-technischen Revolution für die Verbesserung der Einstrahlungsmöglichkeiten und Empfangbarkeit in den sozialistischen Ländern versucht hätten, die PID wirksamer zu machen. Es war und ist eine Selbstverständlichkeit, daß Fernseh- und Rundfunkanstalten bestrebt waren und sind, ihre Technik zu verbessern. In seinem kalkulierten Verfolgungswahn konstruierte es daraus einen Akt verstärkter PID. Zum "genutzten Methodenapparat" rechneten die Autoren der Diss. 4 (Lehrbuch) die "Nutzung der Methoden, Formen und Techniken der Massenmanipulati-

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VII. Fonnen, Mittel und Methoden der PID

on". Dazu gaben sie die Definition des Begriffs im "Philosophischen Wörterbuch" (Leipzig 1975), die diesen DDR-spezifisch erläuterte: "Herrschaftstechnik der imperialistischen Bourgeoisie zur Steuerung des Verhaltens großer Massen des Volkes, in der mit Hilfe moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Methoden die Bewußtseins- und Meinungsbildung soweit wie möglich von der Erkenntnis und dem Wissen getrennt und somit das Bewußtsein der Menschen deformiert wird."

Unter "Massenmanipulation" wurde also, freilich allein auf das "feindliche Herrschaftssystem" bezogen, eines der Mittel beschrieben, mit deren Hilfe in den früher sozialistischen Staaten - in der ehemaligen DDR mit besonderer Intensität die ideologische Indoktrination betrieben wurde - als konstantes Essentiale jedes totalitären Systems, dort mit dem Marxismus-Leninismus als variablem Element. Die dem "imperialistischen Herrschaftssystem" zugeschriebene Massenmanipulation sei sowohl gegen die eigene Bevölkerung als auch gegen die Bürger der sozialistischen Staaten für die PID eingesetzt worden. Eine Unterscheidung, wem gegenüber der Vorrang gegeben worden sei, wäre nicht möglich gewesen. Massenmanipulation sei prinzipiell nur durch die Anwendung psychologischer Erkenntnisse möglich. Speziell seien daher die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Sozial- und Massenpsychologie genutzt worden. Der gesamte psychische Bereich des Menschen sei unablässig und zielgerichtet angesprochen worden: seine Gefühle, Denkgewohnheiten, ästhetische und ethische Haltungen, seine gesamte Auffassung über das Leben, damit seine Lebensweise im ,,imperialistischen" Sinne beeinflußt würde. Es sei versucht worden, weniger über das Rationale als vielmehr über das "Unbewußte" den Menschen zu beeinflussen. Damit hatte die Diss. 4 (Lehrbuch) das zutreffend angegeben, um was es dem MfS in seiner Eigenschaft als Ideologiepolizei ging: um das Denken, Fühlen und letztlich um daraus resultierende Handeln der Menschen im kommunistischen Machtbereich zur Sicherung der Macht im totalitären System. Tatsächlich war es so, daß gerade die elektronischen Medien wie kein anderes Kommunikationsmittel den Menschen hinter Mauer und Stacheldraht ein Bild gaben von den Auffassungen und Meinungen, dem Denken und Fühlen, der Lebensweise und den Möglichkeiten, das Dasein in allen Bereichen zu gestalten, wie sie in einer freiheitlich-demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung und einer sozialen Marktwirtschaft bestanden, mit allen Stärken, aber auch mit deren Schwächen, die freilich die Hörer und Zuschauer im Osten des Landes wegen ihrer eigenen Misere nur allzu geneigt waren zu übersehen, was sich in den Jahren nach der Wende 1989 dann zeigte. Wenn die Darbietungen der im Westen stationierten elektronischen Medien dann noch ansprechend gestaltet waren, war es kein Wunder, daß die Menschen in der ehemaligen DDR ihre Empfangsgeräte vor allem auf sie eingestellt hatten. Solches störte die Machthaber in der ehemaligen DDR sehr, weil die natürliche Folge war,

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daß jene keineswegs in "sozialistischem" Bewußtsein glaubten, die Partei habe immer recht, und viele anfangs Gläubige anderen Sinnes wurden oder sich allenfalls anpaßten und nur so taten, als ob sie gläubig waren. Zur Erhaltung des Herrschaftssystems mußte das nach Möglichkeit verhindert werden. Das MfS mußte als Ideologiepolizei ans Werk. Welche Gefahren im einzelnen gesehen wurden, geht aus der Zusammenfassung der Diss. 4 (Lehrbuch) über die Methoden, Formen und Techniken für die PID hervor: - Die Emotionalisierung (wichtigste Formen: Appell an niedrige Gefühle, Gefühlsmißbrauch, ,,Reiseappelle"), - die Lüge (Entstellung von Tatsachen, Faktenlüge), - die Verschleierung von Quellenangaben (anonyme Quellen zur Stützung unbewiesener Behauptungen, manipulative Bewertung von Quellen, d. h. vor allem Diffamierung oder Glorifizierung), - die Konfliktvertuschung (Leugnung von Konflikten, "Heile-Welt-Illusionen", Transformierung gesellschaftlicher Konflikte in scheinbar untergeordnete und unpolitische Bereiche, wie Sport, Familie, Sexualität), - die Propagierung von Leitbildern, - die Vertrauenswerbung, - die Subjektivierung (lntimisierung, Personalisierung gesellschaftlicher Tatbestände und politischer Ereignisse), - die Trivialisierung (Dominanz des Unwesentlichen, Hochspielen von Nebensächlichkeiten, überproportionale Betonung von Sexualität, Verbrechen, Skandal und Klatsch), - die Vortäuschung von Scheinobjektivität (Pseudowissenschaftlichkeit, fiktive Unabhängigkeit und Überparteilichkeit), - die Anwendung von Stereotypen (aktuelle Schlagworte, Reduktion politischer Zusammenhänge auf Leerformeln, Schablonen), - die Diffamierung (unverhüllte Hetze, polemische Umdeutung, Vorwurf oder Einseitigkeit, Ähnlichkeitsbeschuldigungen, moralische Diskriminierung, Unterstellung niedriger Motive, Rufmorde), - die Sensationalisierung, - die Aufmachung (Programmgestaltung, Plazierung, Umfang), - die Informationsüberflutung (beabsichtigtes, undurchschaubares Chaos, Überschwemmung mit unwesentlichen Informationen), - die Mystifizierung der Politik als Glaube, Naturereignis, Unheimliches, Sensation, Vermischung von Politischem mit "Unpolitischem",

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die Anwendung undialektischer Darstellung (Ereignis in falsche Zusammenhänge stellen, falsche Prämissen, ahistorische Berichterstattung, Einzelnes ohne Zusammenhang), - das Verschweigen wesentlicher Informationen, Weglassen von Details. In der Praxis der "imperialistischen" elektronischen Medien seien diese Formen in der PID vor allem in der interpretierenden Berichterstattung und in der entstellenden Kommentierung deutlich geworden. Sie wären auf Subjektivierung und Personalisierung gesellschaftlicher Tatbestände sowie politischer Inhalte hinausgelaufen. Vor allem über Nachrichten, in denen das Wahre als Stütze der Lüge gedient hätte, sei versucht worden, ideologisch subversiv in die sozialistischen Staaten einzuwirken. Woher die Verfasser der Diss. 4 (Lehrbuch) diese ins einzelne gehenden Informationen hatten, gaben sie nicht preis. Kaum annehmbar ist, daß sie aus eigenen empirischen Untersuchungen stammen. Auch wenn das der Fall gewesen sein sollte, hätten sie damit eine der von ihnen angeprangerten Methoden angewandt, nämlich der Verschleierung von Quellen. Die gesamte unsystematische Aufzählung von Methoden des Gegners stellte vor allem nichts als ein Sammelsurium dar, dessen sich die Inhaber eines Nachrichtenmonopols gegenüber den von ihnen gelenkten Massenmedien bedienten, um die Gewaltunterworfenen in ihrem Sinne zu beeinflussen, ihnen dabei Unvorteilhaftes zu verheimlichen oder sie zu täuschen, ganz gleichgültig, ob es im eigenen Land geschah oder außerhalb. Dabei wurde das eigene Tun beschönigt oder sogar verherrlicht und eine Zuversicht über den kommenden Sieg des Sozialismus überall in der Welt ausgestrahlt. Ein hervorragendes Beispiel für entstellende Kommentierung war die DDR-Fernsehsendung "Der schwarze Kanal" des Eduard von Schnitzler. Die aus der Küche der Inhaber eines Nachrichtenmonopols stammenden Rezepte wurden vermehrt durch einige Folgen der in offenen Gesellschaften herrschenden Presse- und Rundfunkfreiheit, die um der Wahrung der Freiheit in Kauf genommen werden müssen, die zu mindern sich indessen Selbstverwaltungsorgane von Presse (Presserat) und elektronischen Massenmedien (Rundfunkräte) bemühen, etwa Auswüchse der Sensationsmache, verleumderische Behauptungen über Personen und Falschmeldungen über Ereignisse und Entwicklungen. Eine Analyse der Aufzählung von Methoden, Formen und Techniken im einzelnen, derer sich angeblich der Gegner bedient hätte, ist zumindest hier überflüssig. Ihre Wiedergabe lohnt sich dagegen, weil sie die Geisteshaltung des MfS, ihre Motivation für dessen Aktivität als Ideologiepolizei deutlich macht sowie die Unwissenschaftlichkeit der Abhandlungen der JHS kennzeichnet. Zum Methodenapparat der PID rechnete die Diss. 4 (Lehrbuch) ferner das "Einschleusen von antisozialistischem Schriftgut". Hierzu brachte sie gegenüber der Diss. 1 keine wesentlich neuen Gesichtspunkte. Sie wiederholte, vor allem über

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den "Mißbrauch des grenzüberschreitenden Reiseverkehrs" sei versucht worden, Schriftgut und andere Informationsträger mit antisozialistischem Inhalt" einzuschleusen und damit DDR-Bürger subversiv ideologisch zu beeinflussen. Zu erinnern ist, daß das MfS jedes Druckerzeugnis und nach deren fortschreitender Entwicklung auch jeden Tonträger aus dem Westen in Verdacht hatte, inhaltlich antisozialistisch zu sein. Reisende aus Westdeutschland seien aufgefordert worden, Schriftgut oder Tonträger mitzunehmen und ihren "Kontaktpartnern" in der ehemaligen DDR zu überlassen. Diesen hätte empfohlen werden sollen, das empfangene Material an Freunde und Bekannte weiterzugeben. Wer den Hunger der Ostdeutschen nach westlicher, vor allem schöngeistiger Literatur selbst erlebt hat, weiß, daß die Westdeutschen trotz der damit verbundenen Gefährdung nicht aufgefordert zu werden brauchten, dies zu tun. Auch den Ostdeutschen mußte nicht erst empfohlen werden, Gedrucktes und Tonträger von Hand zu Hand an vertrauenswürdige Menschen weiterzugeben. Nur wer jede Berührung mit westlichem Gedankengut für eine Störung der Bildung von "sozialistischem" Bewußtsein hielt und deshalb fürchtete, konnte das für subversive PID halten. Seit der Zeit vor fünfzehn Jahren, die seit der Abfassung der Diss. 1 vergangen waren, begann in der ehemaligen DDR etwas Neues, das schließlich unter veränderten außenpolitischen Verhältnissen ihr Ende brachte, nämlich die Bürgerbewegung, zunächst in kleineren örtlichen, nicht von einer Zentrale geleiteten Zusammenschlüssen oder auch nur regelmäßigen Zusammenkünften kritischer Bürger. Selbstverständlich war das dem MfS nicht entgangen. Es hatte dafür seine' seinem Verständnis entsprechende Deutung. So sprach es 1987/188, wie aus der Diss. 4 (Lehrbuch) zu ersehen ist, von der "Entwicklung und Nutzung von ideologischen Stützpunkten im Innern der DDR", die der Forcierung der PID dienen sollten. Ideologische Stützpunkte hätten für die PID zunehmend an Bedeutung gewonnen. Sie hätten oftmals "antisozialistische ideologische Konzeptionen", literarische Werke, offene Briefe an Partei- und Staatsorgane u. ä. verfaßt. Das sei teilweise im Auftrage von Zentren der PID geschehen. Immerhin bemerkenswert ist, daß keineswegs behauptet wird, daß deren Entstehen ausschließlich von außen beeinflußt worden sei. Die von ideologischen Stützpunkten "produzierten Machwerke" seine "ungesetzlich in das Operationsgebiet ausgeschleust und durch "imperialistische" Massenmedien veröffentlicht worden. Damit seien Zentren der PID die "äußeren Sprachrohre" von inneren Feinden geworden. Nach Veröffentlichung seien solche Machwerke wieder in die ehemalige DDR eingeschleust und illegal verbreitet bzw. von den "imperialistischen" Medien anderweitig für die PID genutzt worden. Dann folgte ein Satz, mit dem praktisch eingeräumt wurde, daß der Widerstand gegen die SED-Diktatur von der eigenen Bevölkerung getragen wurde und nicht künstlich mittels PID in die ehemalige DDR hineingetragen worden war, wenn auch die entscheidenden Worte von den Verfassern der Diss. 4 (Lehrbuch), um einen Anschein von Distanzierung zu wahren, in Anführungszeichen gesetzt waren. Er lautete: "Die ideologischen Stützpunkte ,beweisen' den ,Widerstandswillen der DDRBevölkerung' und die ,Existenz einer inneren Opposition'''. Die Annahme ist wohl 12 Mampel

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VII. Formen, Mittel und Methoden der PID

nicht verfehlt, daß es bei Mitarbeitern der JHS zu dämmern begann, was der DDR bevorstand. Das wird bestätigt durch Dietrich Fischer, dem ehemaligen Leiter des Lehrstuhles "Politisch-ideologische Diversion" an der JHS. Wie das, was in den Jahren vor der Wende in der ehemaligen DDR vor sich ging, dem MfS bekannt war, ist auch zu erkennen, wenn a. a. O. in der ihm eigenen Ausdrucksweise weiter ausgeführt wurde, "ideologische Stützpunkte" hätten oftmals Anlässe und auslösende Momente für "ideologische Diversionsoperationen" geliefert bzw. seien vom Gegner bei deren Durchführung genutzt worden. Sie hätten z. B. durch die Verbreitung von antisozialistischen Plattformen, Konzeptionen, durch die Produktion von "Schubladenliteratur" und deren Verbreitung in nichtgenehmigten Lesungen andere Personen "feindlich-negativ" beeinflußt. Dazu hätten sie auch ihre legale Tätigkeit, z. B. als Mitglied oder Kandidat eines Künstlerverbandes mißbraucht oder andere legale Tätigkeiten genutzt, z. B. im Rahmen des Kulturbundes, Klubs der FDJ oder der Kirchen und so zur Erhöhung der Wirksamkeit der PID direkt vor "Ort" beigetragen. Das MfS war durch seine in die Gruppen der Bürgerbewegung eingeschleusten Spitzel, deren Anzahl, wie erst nach Offenlegung der Akten des MfS bekannt wurde, erschreckend hoch war, ziemlich gut orientiert. Solche Äußerungen lassen erkennen, daß sich im Laufe der Jahre vor der Wende 1989 im MfS eine Veränderung vollzogen hatte. Bis in den Anfang der achtziger Jahre hinein wäre so etwas wie das Entstehen und Wirken von ,,ideologischen Stützpunkten", gleichgültig ob von Regimegegnern oder von Regimekritikern 10, als Untergrundtätigkeit (PUT) angesehen und strafrechtlich verfolgt worden. Die Grenze zwischen PID und PUT hatte sich offensichtlich verschoben. Es galt zwar sicher immer noch die Furcht, daß PID zur PUT führte, aber wo das eine endete und das andere anfing, wurde großzügiger beurteilt. Die Gründe dafür und die Folgen werden später behandelt. Zum ,,Methodenapparat" der PID hatte nach Meinung der Verfasser auch der Mißbrauch der in der ehemaligen DDR anwesenden und tätigen Korrespondenten und Journalisten ,,imperialistischer" Publikationsorgane zur Durchführung und Erhöhung der Wirksamkeit der PID beigetragen. Diese waren zwar schon vor Abschluß des Grundlagenvertrages vom 21. 12. 1972 11 im Vollzug eines Briefwechsels zwischen Staatssekretären der alten Bundesrepublik und der ehemaligen DDR 12 in vermehrtem Umfange in der ehemaligen DDR zugelassen worden, aber zur Zeit der Abfassung der Diss. 1 noch nicht so stark dort vertreten gewesen, daß Siegfried Mampel, a. a. 0 wie Anm. 8, Rz. 71 zur Präambel. A. a. 0 wie Anm. 3. 12 Briefwechsel zwischen Staatssekretär Bahr und Staatssekretär Kohl betreffend Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten nebst Erklärungen zu Protokoll und Erklärung beider Seiten über Ausdehnung der Vereinbarung über die Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten auf Berlin (West) bei der Paraphierung vom 8. November 1972 (Bulletin Nr. 155 vom 8. November 1972, S. 1851 ff.). 10 11

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es sich gelohnt hätte, sie der PID zu beschuldigen. 1987/1988 war das anders geworden. In der Diss. 4 (Lehrbuch) wurde daher die kühne Behauptung aufgestellt, "derartige" Kräfte (d. h. nicht nur einige, sondern wahrscheinlich alle, die nicht im Sinne der SED-Führung berichteten) seien als Vertreter "imperialistischer" Massenmedien ,,in Verletzung völkerrechtlicher Verträge und Vereinbarungen" im Interesse des Imperialismus subversiv tätig geworden. Sie seien von durchführenden Organen speziell beauftragt gewesen, das subversive ideologische Einwirken gegen den realen Sozialismus "vor Ort" zu führen und mitzuhelfen, die PID so effektiv wie möglich zu gestalten. Dabei seien sie auch an der Durchführung von "ideologischen Diversionsoperationen" (zu diesem Begriff siehe anschließend) beteiligt gewesen bzw. sie hätten Anlässe für derartige Operationen gesucht oder geschaffen. Weiterhin wurden sie beschuldigt, ihre Kontaktpartner im Innern subversiv ideologisch zu beeinflussen und zu inspirieren, aktivieren und diese zu vielfältigen feindlich-negativen Handlungen zu mobilisieren. Sie hätten auch maßgeblich an der Erforschung der Wirksamkeit der PID, der angewandten Methoden und Inhalte teilgenommen und ihren Auftraggebern Vorschläge zur "Verbesserung" des subversiv ideologischen Einwirkens unterbreitet. Das war schon eine seltsame Vorstellung vom Wesen und der Funktion einer freien Presse mit ihrem Bestreben, so objektiv wie möglich auch aus geschlossenen Gesellschaften unter totalitärer Herrschaft zu berichten, wie sie nur Leute haben konnten, die nichts anderes kannten als eine von politischen Machthabern gelenkte und kontrollierte Presse. Als letzte Methode der PID nannte die Diss. 4 (Lehrbuch) ,,ideologische Diversionsoperationen bzw. -kampagnen". Sie sollen ein ständiger Bestandteil der Arbeitsweise von durchführenden Organen gewesen sein. Aber auch Führungs- und Forschungsorgane hätten an solchen subversiven Aktivitäten teilgenommen. Der Argumentation der Autoren entsprechend hätten diese wohl konsequenterweise als Urheber und Wegbereiter solcher Operationen bzw. Kampagnen bezeichnet werden müssen. Immerhin glaubten sie feststellen zu können, daß bei deren Durchführung "alle Methoden der Steuerung, Koordinierung, Vorbereitung und Durchführung der PID besonders deutlich" geworden wären. So seien sie vor allem durch eine "einheitliche Basisargumentation", übereinstimmende Sprachregelungen sowie den schlagartigen Einsatz der verschiedensten journalistischen Massenmedien gekennzeichnet gewesen. Dazu sei ein Anlaß geschaffen, ein Vorwand konstruiert oder ein Vorkommnis o. ä. in einem sozialistischen Lande als Anlaß genutzt worden. Als Beispiel wurde das Kemkraftwerksunglück in Tschernobyl angeführt, das dafür genutzt worden sei, um eine großangelegte Diskriminierungskampagne gegen die damalige Sowjetunion zu starten. Wenn damals weltweit die Informationspolitik, die Umweltpolitik und die Wirtschaftspolitik der KPdSU kritisiert wurde, so bot das den Mitarbeitern der JHS Anlaß, davon zu sprechen, diese sei verleumdet worden. Gleichzeitig hätten innere "feindlich-negative" Kräfte der ehemaligen UdSSR ermuntert werden sollen, Druck auf ihre Partei- und Staatsführung auszuüben. Gerade an diesem Beispiel wird die Verkennung von Wesen und Funktion der Presse 12*

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VII. Fonnen, Mittel und Methoden der PID

in offenen Gesellschaften evident. Außerdem zeigte sich hier eine für das totalitäre Herrschaftssystem der ehemaligen DDR typische Folge der ideologischen Indoktrination mit dem Glaubenssatz "Die Partei hat immer recht". Jede Kritik an ihrer Führung konnte nichts anderes als PID sein. Offenbar um die Gefährlichkeit "ideologischer Diversionsoperationen" noch mehr darzutun, wurde anschließend behauptet, sie hätten sich durch Planmäßigkeit und "Abgestimmtheit" ausgezeichnet. An ihnen seien in der Regel zahlreiche internationale und nationale Zentren der PID sowie zunehmend führende Politiker, Militärs, insbesondere der NATO sowie Diplomaten beteiligt gewesen, um "eine hohe Wirksamkeit zu erreichen". Sie seien oft anläßlich bedeutender politischer Höhepunkte in der Systemauseinandersetzung zur Diskriminierung der sozialistischen Gesellschaft insgesamt bzw. einzelner Teilbereiche, zur Verleumdung führender Repräsentanten oder zur Realisierung anderer Ziele vom "Imperialismus" durchgeführt worden. Ihre Dauer sei unterschiedlich gewesen. Als fast selbstverständlich muß gelten, daß die Beteiligung von Geheimdiensten behauptet wurde. Sie hätten durch Spionageinformationen, durch die Erarbeitung von "Geheimdienststudien" u. ä. die Anlässe geliefert und einen "steuernden und koordinierenden Einfluß" während der Durchführungsphase genommen. "Ideologische Diversionsoperationen" hätten deshalb oft den Charakter von geheimdienstlichen Aktionen gehabt, bei denen "imperialistische Geheimdienste" den Anlaß geschaffen bzw. vorhandene Anlässe genutzt hätten. Sie seien aber auch Bestandteil geheimdienstlicher Operationen gewesen, "mit denen der Imperialismus weitergehende subversive Zielstellungen verfolgt hätte". Die Beispiele dazu wurden wohlweislich nicht aus dem Bereich der ehemaligen DDR genommen, sondern der damaligen UdSSR, wohl weil es an solchen aus dem eigenen Bereich fehlte. So wurde behauptet, der Start zur großangelegten "ideologischen Diversionsoperation" zur Diskriminierung des Komitees für Staatssicherheit in der Weltöffentlichkeit als "Hort des Terrorismus" aus Anlaß des Attentats auf Papst Johannes Paul 11. durch einen türkischen, angeblich "neofaschistischen", wohl eher fundamental-islamistischen Terroristen sei durch Veröffentlichungen in der angeblich vom CIA gesteuerten amerikanischen Zeitschrift "Atlantic Community" erfolgt. Das war eine Behauptung, die sicher nur Zöglingen der JHS glaubhaft erscheinen konnte. Das zweite Beispiel war der Abschuß eines südkoreanischen Verkehrsflugzeuges, das sich über sowjetisches Hoheitsgebiet verflogen hatte. Ihm waren von sowjetischer Seite Spionageabsichten unterstellt worden. Die weltweite Kritik an diesem Abschuß als übermäßige Reaktion wurde als "ideologische Diversionsoperation" hingestellt. 3. Direkte Kontakte zur PID In den fünfzehn Jahren, die zwischen der Diss. I und der Diss. 4 (Lehrbuch) lagen, war die Furcht vor menschlichen Begegnungen keineswegs geringer gewor-

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den, obwohl oder vielleicht weil die seit 1982 amtierende christlich-liberale Bundesregierung die Deutschlandpolitik mit nur geringen Akzentverlagerungen fortsetzte. Das zeigte der breite Raum, den die Diss. 4 (Lehrbuch) deren angeblichem ~ißbrauch zu Zwecken der PID einräumte. Dieser sei eine "Grundmethode des gegnerischen Vorgehens zur Realisierung vielfältiger Ziele" gewesen, hieß es dazu in einer Anmerkung (a. a. 0., S. 104). Eine davon sei das ideologische Einwirken gewesen. In persönlichen Kontakten sei das besonders erfolgreich gewesen, weil mit dieser Methode "individueller auf das Bewußtsein von Zielpersonen" hätte eingewirkt werden können als durch das indirekte Einwirken von Medien. Der "Mißbrauch von Kontakten" wurde deshalb nicht als bloße "Begleiterscheinung" menschlicher Begegnungen betrachtet, sondern als deren eigentliches Ziel, womit die oben (VII. a) 4.) behandelte diesbezügliche Behauptung der Diss. 1 bestätigt wurde. Es wurde den Führungsorganen der PID nämlich unterstellt, sie hätten die Forderung erhoben, "den Mißbrauch von Kontakten zur Realisierung der PID zu verstärken". Die Beschuldigung ging dahin, sie hätten den angeblichen Mißbrauch von Kontakten planmäßig betrieben und gefördert. Dieser sei eine "Leitmethode" für die PID gewesen .. Der Diss. 4 (Lehrbuch) zufolge wären die Führungsorgane darauf aus gewesen, ,,- dem Mißbrauch von Kontakten Massencharakter zu verleihen, - den Mißbrauch von Kontakten zur Realisierung subversiver Ziele zu ausgewählten Personenkreisen und Einzelpersonen zu intensivieren." Damit hätten sie erreichen wollen, daß diese Methoden von möglichst vielen Organen und Einrichtungen der Bonner Republik von einer möglichst großen Anzahl ihrer Bürger als Methode der subversiven ideologischen Einwirkung intensiv propagiert würden. Dazu habe insbesondere das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen eine ganze Reihe von Merkblättern und Broschüren herausgegeben. Das ist richtig, war aber weit davon entfernt, der PID zu dienen. Damit kam dieses Bundesministerium seiner Aufgabe nach, die sich aus seiner Bezeichnung ergibt, nämlich die innerdeutschen Beziehungen zu fördern. Dazu gehörte, persönliche Kontakte trotz Mauer und Stacheldraht zu ermöglichen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Es ging dabei auch darum, Schwierigkeiten mit den Behörden der ehemaligen DDR zu vermeiden. Bezeichnend für das Mißtrauen, mit dem das MfS diese Kontakte betrachtete, war die Auslassung: "In demagogischer Weise wird darin die scheinheilige Forderung nach Erweiterung der Kontaktmöglichkeiten zwischen Organen, Einrichtungen, Organisationen und Bürgern sozialistischer und imperialistischer Staaten erhoben. Zugleich wird eine weitere Verbesserung der Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem, wissenschaftlich-technischem, kulturellem u. a. Gebiet gefordert. Gegenüber den Bürgern wird die subversive Zielstellung vor allem durch die historisch überlebten Forderungen nach ,Erhaltung einer einheitlichen deutschen Nation', einer ,deutschen Kultur' u. ä. verschleiert."

Bemerkenswert ist, daß diese angeblich historisch überlebten Forderungen keineswegs auf eine staatliche Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Frei-

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VII. Fonnen, Mittel und Methoden der PID

heit bezogen hingestellt worden waren, sondern auf die weit schwächeren einer Einheit der Nation oder der Kultur, welche den Rückzug eines großen Teils der bundesdeutschen Öffentlichkeit auf solche Positionen zur damaligen Zeit kennzeichneten. Die Verleumdungen wurden ergänzt: "Dem Wesen nach geht es den Führungsorganen auch darum, daß die bestehenden und sich entwickelnden Kontakte zwischen sozialistischen und imperialistischen Staaten auch zur ideologischen Beeinflussung im weitesten Sinne mißbraucht werden. Darin eingebettet sollen ausgewählte Kontakte zur Realisierung von subversiven Zielstellungen der PID mißbraucht werden." Diese grundlegenden Zielstellungen seien durch Anleitungen zum taktischen Handeln ergänzt worden. Durch die Bereitstellung umfangreicher finanzieller Mittel, die Schaffung weiterer materieller Voraussetzungen, die Schulung, Instruktion und "Informationsvorgabe" - was auch immer darunter zu verstehen ist - seien die Führungsorgane am Mißbrauch der Kontakte unmittelbar beteiligt worden. Die These, die Aufrechterhaltung und Herstellung persönlicher Kontakte sei eine planmäßig betriebene Methode der PID und deshalb besonders gefährlich gewesen, weil sie "individuell auf das Bewußtsein von Zielpersonen" hätte einwirken sollen, hatte infernalischen Charakter. Nicht nur, daß dessen humanitäres Wesen mit dem Odium des Mißbrauchs belegt wurde, gab sie dem MfS auch den Vorwand, individuelle Maßnahmen gegen jeden zu ergreifen, der in den Verdacht geraten war, solche Kontakte zu haben oder solche zu suchen. Kontaktaufnahmen, gleichgültig, ob von West nach Ost oder in umgekehrter Richtung, wurden nach Möglichkeit von den Organen des MfS unterbunden oder, wenn das nicht möglich bzw. opportun war, wurden die Verbindungen mit allen Mitteln, die den Sicherungsorganen zur Verfügung standen, observiert. Leitmotiv war dabei die Vorstellung, aus der PID könne oder müsse sich eine PUT entwickeln. Die Repressionen des Staatssicherheitsdienstes als Ideologiepolizei wirkten sich unter diesem Aspekt für die Menschen in der ehemaligen DDR besonders belastend aus.

VIII. Bedingungen für die Auswirkungen der politischideologischen Diversion a) Geheime Forschungsergebnisse über die Einstellung von Menschen zur SED-Diktatur

Nach der Begriffsbestimmung und der Darstellung von Funktionen, der Organisation sowie der Fonnen, Mittel und Methoden der politisch-ideologischen Diversion ging die Forschung an der JHS daran, ein zentrales Problem zu behandeln, das die Frage nach dem Nährboden zum Inhalt hatte, auf dem die Saat des "Gegners" hätte aufgehen können. Es ging darum zu untersuchen, ob es in der ehemaligen DDR Menschen oder sogar Menschengruppen gab, die nicht der These folgten, die Partei habe immer recht, ja diese sogar bekämpften. Dabei mußte streng parteilich verfahren werden. Denn vom Ergebnis hing das Urteil ab, ob und wieweit die von der SED und den Staatsorganen betriebene ideologische Indoktrination erfolgreich gewesen war, mit dem Ziel, die Menschen möglichst restlos in jeder Phase der Entwicklung an die Richtigkeit der von der SED-Führung betriebenen Politik glauben zu machen. Wenn dem nicht so war, wäre die Arbeit des MfS als Ideologiepolizei nicht notwendig gewesen. In erster Linie war dafür nach Meinung des MfS und damit auch der JHS das feindliche Einwirken von außen verantwortlich. Aber daran allein konnte es nicht liegen. Daß der Mißerfolg nicht darauf zurückgeführt werden konnte, daß die ideologische Indoktrination mit der in der ehemaligen DDR propagierten Heilslehre der Natur des Menschen widersprach, stand außerhalb jeder Erörterung. Die für das aus der Sicht der SED richtigen, das "sozialistische" Bewußtsein erforderlichen materiellen Voraussetzungen, die "Basis" also, waren dort durch die SED mit Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht im wesentlichen geschaffen worden. Trotzdem mangelte es nach Meinung der Sicherungskräfte immer noch bei vielen an der richtigen Einstellung. Die Gründe dafür mußten im Inneren liegen, also bei den Menschen in der ehemaligen DDR. So ergab sich für die Mitarbeiter der JHS geradezu zwangsläufig das Bemühen, diese aufzudecken. Das geschah auch in den beiden Diss. 1 und Diss. 4 (Lehrbuch) mit ziemlichem fleiß, wenn auch unter etwas unterschiedlichen Aspekten. Dabei kamen beide Abhandlungen zu erstaunlichen Ergebnissen über die wirkliche Einstellung von Menschen gegenüber der SED-Diktatur, die in ihrem Ausmaß öffentlich niemals zugegeben wurde. Denn die offizielle Lehre ging davon aus,

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VIII. Bedingungen für die Auswirkungen der PID

daß die Bevölkerung zu fast 100 % der ,,führenden Rolle" der SED, in kritischer Sicht ihrer Suprematie, die nach der Wende zum vielgebrauchten und zutreffenden Begriff der "SED-Diktatur" führte, zugestimmt hatte. Dazu verwies sie auf die veröffentlichten Wahlergebnisse. Wie Kundige stets wußten, waren aber die Wahlen schon seit der Gründung der DDR .im Jahre 1949 nicht der Verfassung entsprechend zustandegekommen und außerdem gefälscht. 1 Damit stellen die beiden Abhandlungen wichtige Quellen zur Aufarbeitung der Geschichte der DDR dar, weil sie Zeugnisse dafür sind, über welche Erkenntnisse zumindest das MfS zur wirklichen Einstellung weiter Kreise der Bevölkerung verfügte. Nun hatte zwar die marxistisch-leninistische Lehre in der ehemaligen DDR betont, daß die Entwicklung in sozialistischen Ländern nicht "widerspruchsfrei" verläuft, daß sich also dem Erfolg Widerstände entgegenstellen würden. Auch solche, die im Inneren dieser Länder in einem gewissen Umfange bestanden hatten, wurden eingeräumt. 2 Aber die Verantwortlichen schreckten im allgemeinen davor zurück, empirische Untersuchungen dazu anstellen zu lassen, und wenn das vielleicht doch aus zwingenden Gründen getan werden mußte, so blieben die Ergebnisse streng geheim. In den an der JHS entstandenen und hier analysierten Abhandlungen ist das geschehen. Sie sind auch deshalb für die Aufarbeitung der Geschichte der ehemaligen DDR von hohem Wert.

b) Aus der Sicht des Ministeriums für Staatssicherheit im Jahre 1972 1. Objektive und subjektive Bedingungen für den Erfolg der PID Die Diss. 1 eröffnete die Untersuchung über die Bedingungen für den Erfolg der angeblichen PID, die für die Verantwortlichen in der ehemaligen DDR peinlich sein mußte, mit dem Ausdruck der unbeirrbaren Siegeszuversicht, die in Anbetracht der Ereignisse siebzehn Jahre später zeigten, wie künstlich sie war. Es heißt darin: "Ausgehend davon, daß der Gegner sein Endziel, die Liquidierung der sozialistischen Gesellschaft, niemals erreichen wird, müssen wir jedoch die Tatsache in Rechnung stellen, daß sich die sozialistische Gesellschaft in ständiger Auseinandersetzung mit dem Imperialismus entwickelt und deshalb die politisch-ideologische Zersetzungstätigkeit im Rahmen der Klassenauseinandersetzung zwischen den beiden gesellschaftlichen Systemen nicht unterschätzt werden darf."

I Siegfried Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Text und Kommentar, 2. Auflage, Frankfurt am Main 1982, Rz. 42, 43, 50 zur Präambel. 2 Stichwort "Widerspruch" in: Kleines politisches Wörterbuch, Ost-Berlin 1973.

b) Aus der Sicht des MfS 1972

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So hätte sich die Frage nach den möglichen Auswirkungen der feindlichen Zersetzungstätigkeit innerhalb der sozialistischen Gesellschaft ergeben. Die Untersuchung begann mit der parteilichen Behauptung, daß die PID, um überhaupt glaubwürdig zu erscheinen, an bestimmte Erscheinungen in der sozialistischen Gesellschaft angeknüpft und diese "in oft raffiniert konstruierte Zusammenhänge eingefügt hätte; daher sei es dem Gegner in bestimmtem Maße gelungen, ein völlig verzerrtes Bild von der sozialistischen Wirklichkeit vorzutäuschen." "Bestimmte" - gemeint sind sich negativ auswirkende - Erscheinungen hatte es danach zwar gegeben, aber der Gegner hätte bei ihrer Darstellung die sozialistische Wirklichkeit verfälscht, indem er sie, nicht geschminkt, wie es die SED-Führung gern wollte, also "parteilich" wiedergab. Daß oft die Wirklichkeit richtig und manchmal sogar zu wohlmeinend in einem positiven Sinne geschildert worden war, hat sich nach der Wende 1989 für viele, auch in der ehemaligen DDR, erschreckend herausgestellt. Jedoch war das nur die eine Seite; denn damit war die Wirkung auf die, welche der PID ausgesetzt waren, noch nicht erklärt. Deshalb wurde weiter behauptet, mit dem völlig verzerrten Bild hätte der Gegner bestimmte Personen in der sozialistischen Gesellschaft, vor allem politisch nicht gebildete Menschen - damit sind vor allem solche gemeint, die gegen die ideologische Indoktrination immun waren oder deren Segen nicht teilhaftig geworden waren -, "noch" beeindrucken können. Deshalb stellten sich die Autoren der Diss. 1 die Aufgabe: "Die Einschätzung der Auswirkungen der politisch-ideologischen Diversion in der sozialistischen Gesellschaft erfordert deshalb neben der Einschätzung des Systems der politisch-ideologischen Diversion zugleich auch die Untersuchung und Einschätzung der in den sozialistischen Ländern noch vorhandenen, der sozialistischen Gesellschaft jedoch wesensfremden objektiven und subjektiven Faktoren, an die der Feind anknüpft, die das Wirken der politisch-ideologischen Diversion des Feindes begünstigen."

Dazu führten sie eine an der JHS geschriebene Diplomarbeit aus dem Jahre 1971 an (Reg.-Nr. VVS MfS 160171), aus der sie ihre Weisheit geschöpft hatten. Diese hatte sich mit den "im System der PID begünstigenden Bedingungen und deren Auswirkungen zur Herausbildung negativer bzw. feindlicher GrundeinsteIlungen bei schwankenden negativen Personenkreisen im Reichsbahnamt Senftenberg" beschäftigt. Nach der Diss. 1 seien Auswirkungen der PID erst dann möglich gewesen, wenn in einem komplizierten, von vielen Faktoren beeinflußten Prozeß verschiedene Elemente, objektive und subjektive Bedingungen, die dem Sozialismus angeblich fremd gewesen seien bzw. ihm feindlich gegenüber gestanden hätten, aufeinander eingewirkt hätten. Selbstbereitete Schwierigkeiten spiegelten sich bei der Untersuchung wider, wenn dazu ausgeführt wurde, die Wirkung der begünstigenden Bedingungen wäre nirgends in reiner Form aufgetreten, sondern sei immer Ausdruck des Aufeinanderwirkens verschiedener gesellschaftlicher und politischer Erscheinungen auf die Denk- und Verhaltensweisen der jeweiligen Person gewesen und hätte insofern bereits Wirkungen der PID zum Inhalt gehabt.

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VIII. Bedingungen für die Auswirkungen der PID

Eine wichtige Herkunft von begünstigenden Bedingungen glaubten die Autoren aus "langjährigen Erfahrungen der operativen Praxis" darin festgemacht zu haben, daß diese in zahlreichen Fällen aus der Vielzahl der vom "Gegner" gezielt ausgehenden Informationsströme, die auf die unmittelbare Umwelt- und Lebensbedingungen der Menschen in den Arbeits- und Freizeitbereichen Einfluß nähmen, sowie aus dem Wirken der Niedergangs- und Zerfallserscheinungen des angeblich überlebten kapitalistischen Systems, besonders bestimmter Geschmacksrichtungen in Mode, Musik, aus Sexualität, Rauschgift u. ä., auf charakterlich und moralisch labile sowie ungefestigte Personenkreise resultierten. Das zweite mag vom Standpunkt der Autoren noch plausibel erscheinen: auf PID fallen nur Menschen mit Schwächen herein. Aber das erste bedeutete letztlich, daß die PID sich selbst die Möglichkeit zum eigenen Erfolg schaffte. Liegt darin nicht das Eingeständnis, die ,,Nachrichtenströme" bedeuteten gar nicht PID, sondern wirkten durch ihren Wahrheitsgehalt auf die Menschen, die im Arbeits- und Freizeitbereich Erfahrungen gemacht hatten, die nicht dem entsprachen, was ihnen die SED-Führung vermitteln wollte? 2. Die begünstigenden Faktoren Als die PID begünstigende Faktoren nannte die Diss. 1: Die noch vorhandenen Potenzen des Feindes. Unter diesem Begriff wurden "sowohl bereits feindlich tätige Einzele1emente oder Gruppen als auch Personen verstanden, die entsprechend ihrer negativen Einstellung oder Beziehung zum Kampf gegen den Sozialismus aktiviert oder in irgendeiner Weise mit diesem Ziel direkt oder indirekt angesprochen werden können". Die zu dieser Kategorie gehörenden Personen und Personengruppen wurden weiter unterteilt in: a) Personen und Personengruppen, die aus nationalistischen, sozialdemokratischen oder revisionistischen Bestrebungen heraus sozialismusfeindliche Auffassungen entwikkelten und verträten. Unter "nationalistischen" Bestrebungen war der Wunsch nach der Wiedervereinigung Deutschlands zu verstehen, den viele Menschen, wenn auch nur latent, hegten. Bei Personen, denen "sozialdemokratische Bestrebungen" angelastet wurden, handelte es sich um Sympathisanten der westdeutschen SPD. "Revisionistische" Bestrebungen zielten auf einen "verbesserten", einen Sozialismus mit "menschlichem Antlitz". Deren Existenz wurde also von den Mitarbeitern der JHS ohne Umschweife und dazu noch an erster Stelle zugegeben, ganz im Gegensatz zur offiziellen Behauptung von der Einheit von Gesellschaft und Staat. b) Künstler und Kulturschaffende mit ihren Forderungen nach größeren individuellen Freiheiten. c) Personen aus der wissenschaftlich-technischen Intelligenz und Techniker mit hohen fachlichen Erfahrungen und Kenntnissen, die in den "Umweltwirkungen der sozialistischen Gesellschaft" eine Tendenz zum ,,Nur-Fachmann" besessen hätten. Nach

b) Aus der Sicht des MfS 1972

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den Erfahrungen der operativen Praxis seien besonders bei diesen Tendenzen zur Überschätzung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung in den imperialistischen Staaten vorhanden gewesen, aus denen Vergleiche zwischen der DDR und Westdeutschland angestellt worden seien, ohne dabei die gesellschaftlichen und sozialen Probleme einer ,,klassenmäßigen Einschätzung" zu unterziehen. Diese Personen hätten leicht zum "Objektivismus" geneigt, d. h. die Meinung vertreten, sie hätten von beiden Seiten Informationen beziehen müssen, um sich ein "objektives Bild" von der gesellschaftlichen Entwicklung machen zu können. Darüber hinaus hätten sie oft nicht die erforderlichen Anstrengungen unternommen, um in die Zusammenhänge komplizierter gesellschaftlicher Prozesse einzudringen, und deshalb in verschiedenen Fragen Zweifel an der sozialistischen Entwicklung gehegt; sie wären geneigt gewesen, Informationen des Gegners überzubewerten und die Informationen der sozialistischen Massenkommunikationsmittel in Zweifel zu ziehen. Beide Gruppen umfaßten Personen von hoher Intelligenz oder Begabung, deren Förderung für die Partei- und Staatsführung sehr wichtig war. Bei besonders hervorragenden Persönlichkeiten wurde sogar mitunter an den Stand ihres "sozialistischen" Bewußtseins ein nicht allzu großer Maßstab angelegt. Meist handelte es sich bei ihnen um Menschen mit Weitblick, die auch über den Horizont hinweg zu sehen geneigt waren, den ihnen die Inhaber der politischen Gewalt setzen wollten. Darum verwundert es nicht, daß sie zu denen gerechnet wurden, die für die PID empfänglich erschienen. d) Personen und Personengruppen, deren geistig-kulturelles Niveau hinter den angeblich vorhandenen Möglichkeiten in der sozialistischen Gesellschaft zurückgeblieben wäre, sowie vor allem jüngere Menschen, die die angebliche Gefährlichkeit und Menschenfeindlichkeit des Imperialismus aus persönlicher Erfahrung nicht gekannt hätten und sich aus verschiedenen Gründen nur unzureichend in die sozialistische Gesellschaft eingeordnet hätten. Typisch für diese Personen und Personengruppen sei gewesen, daß unter ihnen "nichtsozialistische, negative zwischenmenschliche Gruppenbeziehungen", insbesondere Verletzungen der "sozialistischen Moral" existiert hätten. Sie hätten sich noch häufig aus "modemen westlichen Musik- und Sprechsendungen" orientiert, aus denen sie Anregungen erhalten hätten, wie sie das Leben in Freiheit gestalten sollten. Daß solchen Jugendlichen und Jugendgruppen in allen Gesellschaften verabscheute Verhaltensweisen nachgesagt wurden, verwundert nicht. So wurde behauptet, die westlichen Einflüsse hätten ihren Ausdruck in sexuellen Ausschweifungen und Rauschgiftmißbrauch gefunden. Diesen Erscheinungen wurden in unmittelbaren Zusammenhang mit "Denk- und Verhaltensweisen gestellt, die der sozialistischen Moral und Ethik völlig fremd" gewesen seien. Für die Einschätzung dieser Personenkreise hätte der Grundsatz gelten können: je stärker der Widerspruch zwischen den Wertund Moralnormen der sozialistischen Gesellschaft und den Verhaltensnormen der jeweiligen Person bzw. Gruppe, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit der Verhaltensänderung bzw. Verfestigung durch die PID gewesen. Immerhin wurde ihnen zugebilligt, daß sie Verhaltensnormen gehabt hätten. Wenn sie lieber westliche Darbietungen gehört und gesehen hatten, so entsprach das sicher ihrer Einstellung. Damit wurde ein Phänomen eingeräumt, das in der ehemaligen DDR, wenigstens zur Zeit der Abfassung der Diss. 1 (1972), absolut verschwiegen und auch in den acht-

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VIII. Bedingungen für die Auswirkungen der PID ziger Jahren nur vereinzelt und auch nur dann anhand von Prozeßberichten über Ausschreitung Jugendlicher gemeldet wurde: die Existenz von informellen, von Parteiund Staatsorganen nicht zugelassenen, geleiteten und kontrollierten Jugendgruppen. Was in offenen Gesellschaften selbstverständlich ist, mußte in einem totalitären System, das danach strebte, auch noch den letzten Menschen unter Kontrolle zu haben, streng geheim gehalten werden, weil sonst ein Mißerfolg der für die Zukunft der DDR für außerordentlich wichtig gehaltenen "sozialistischen" Erziehung der Jugend3 zugegeben worden wäre.

Die Ausführungen zu der Kategorie von Personen und Personengruppen, die als "Potenzen des Feindes" bezeichnet wurden, wurden mit Merkmalen abgeschlossen, anhand derer es den Mitarbeitern des MfS möglich sein sollte, diese aufzuspüren. Genannt wurden: Nichtreagieren auf Angriffe des Klassenfeindes, Zurückweichen vor objektiven Schwierigkeiten, geringe Einsatzfreudigkeit und Kampfbereitschaft, Verherrlichung westlicher Lebensweisen, Ablehnung gesellschaftlicher Funktionen, Untergrabung von Disziplin und Ordnung, Arbeitsbummelei, Passivität in politischen Fragen, provokatorisches Auftreten u. a. m. Das ist ein großes Arsenal von Merkmalen, an denen "Potenzen des Feindes" hätten erkannt werden können. Nicht einmal abgeschlossen wurde deren Aufzählung, was sich aus den drei Buchstaben: u. a. m. = und anderes mehr ergeben sollte. Nicht genannt wurden Äußerungen, aus denen unmittelbar eine "feindliche" Einstellung hätte entnommen werden können. Aus dem Verhalten der Menschen sollte auf ihre Einstellung, auf ihr Denken und Fühlen geschlossen werden. So erfüllten die Organe des MfS eine ihrer Aufgaben als Ideologiepolizei. Wenn aus einsichtigen Gründen die Untersuchung auch nicht zu statistischen Feststellungen über die Menge der "feindlichen" Personen führen konnte, so läßt sich aus der Fülle der Merkmale für "feindliche Potenzen" schließen, daß das MfS von einer Vielzahl gegnerisch eingestellter Menschen ausging, jedenfalls von einer weit höheren Zahl, als jemals offiziell, etwa als Neinstimmen bei den Wahlen, bekannt wurde. Außerdem mußte das MfS mit einer erheblichen Dunkelziffer rechnen, denn viele Andersdenkende hatten sich äußerlich angepaßt und es verstanden, sich trefflich zu tarnen. Schließlich wird in der Fülle von Merkmalen erkennbar, welchen Gefahren die Menschen in der ehemaligen DDR durch die Tätigkeit des MfS als Ideologiepolizei ausgesetzt waren. Schließlich sollte aus den Merkmalen auf ihr Bewußtsein, auf ihr Denken und Fühlen geschlossen werden. Die Fülle war so groß, daß nur auf die, welche fest an die These glaubten, die Partei habe immer recht, eines der Merkmale nicht zutreffen konnte. Von der Masse der anderen konnte jeder verdächtigt werden und in Gefahr geraten, von den Organen des MfS wegen seines Denkens und Fühlens zumindest observiert zu werden, wenn ihm nicht Schlimmeres widerfuhr.

3

Amold Freiburg, Hauptartikel ,,Jugend", in: DDR-Handbuch, Köln 1985.

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Eine weitere Kategorie bildeten die "aus Tradition, Sitten, Gebräuchen, religiösen Bindungen und kleinbürgerlichen sozialen Leitbildern und Moralnormen resultierenden Denk- und Verhaltensweisen", an die der Gegner mittels PID angeknüpft und die er für seine subversiven Absichten auszunutzen versucht hätte. Es handelte sich dabei um Menschen, die am Hergebrachten gehangen haben und sich an Veränderungen nicht oder kaum hätten gewöhnen können. Eine scharfe Trennungslinie zu den Personen der ersten Kategorie ist nicht erkennbar, sollte wohl auch nicht gezogen werden. Es kann wohl davon ausgegangen werden, daß die meisten der in der ersten Kategorie aufgeführten Personen die in der zweiten genannten Motive für ihre Einstellung hatten. Eine Kommentierung ist daher nicht erforderlich. Die dritte Kategorie wurde bei solchen Menschen gefunden, die vor dem "Druck des Feindes" zurückgewichen wären. Das hätte dazu führen können, daß "verantwortliche Kräfte in wichtigen Bereichen der sozialistischen Gesellschaft nicht mehr in der Lage" gewesen wären, "die in ihren Bereichen vorhandenen Entwicklungsprobleme zu lösen", und sich dann Kräfte hätten bilden und formieren können, "die die unvermeidlich auftretenden Schwierigkeiten nicht durch die schöpferische Anwendung und Entwicklung des Marxismus-Leninismus" überwinden konnten, sondern den Ausweg in einer Revision und anderen Praktiken gesucht hätten. Die Benennung dieser Kategorie kennzeichnet einen Aspekt der Lage, besonders im Bereich der Wirtschaft und der Technologie in der ehemaligen DDR, und das nicht nur zur Zeit der Entstehung der Diss. 1, sondern zu jeder Zeit. Es wurde zugegeben, daß es Schwierigkeiten in diesen Bereichen gab, ferner, daß es Fachleute gab, die wußten, daß es im Westen solche nicht gab oder doch mit den dort geübten Methoden zu überwinden waren, und deshalb wünschten, diese auch in der ehemaligen DDR anzuwenden. Das war aber in den Augen der Partei- und Staatsführung dort und damit auch des MfS eine Sünde wider den "Heiligen Geist", der gebot, daß nur die Lehren des Marxismus-Leninismus, im konkreten Falle dessen Politökonomie, helfen durften und nach deren gängiger, sehr überheblicher Meinung das auch konnten. Ein anderes Denken, ein anderes Verhalten war im totalitären System nicht möglich, war als ein ,,zurückweichen vor dem Feind" geächtet. Menschen mit derartigen Gedanken wurden verdächtigt, durch ihr falsches Denken anfällig für die PID zu sein. Damit wurden sie zu Fällen des MfS als Ideologiepolizei. Die vierte Kategorie führte die Empfänglichkeit auf Fehlentwicklungen zurück, für deren Entstehen Fehlverhalten von Funktionären auf mittlerer Ebene verantwortlich gemacht wurde, nämlich "das Vorhandensein von Unzulänglichkeiten, Mängeln und Schwächen sowie anderen der sozialistischen Entwicklung nicht entsprechenden Erscheinungen, die sich aus der Nicht- bzw. Mißachtung der objektiven Gesetzmäßigkeiten bzw. aus einer mangelhaften ideologischen Aufklärung und Überzeugungsarbeit ergeben". Diese hätten sich in falschen Methoden der Lei-

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tungstätigkeit und dem Umgang mit den Menschen, in der Mißachtung der Vorschläge und Hinweise der Werktätigen, in der fehlerhaften und engen Durchsetzung der Beschlüsse von Partei- und Staatsführung "objektiviert". Mit dem Zusatz "usw." wurde klar gemacht, daß die Aufzählung auch hier nicht abgeschlossen war, sondern daß es für möglich gehalten wurde, daß es noch andere, vor allem von den Organen des MfS aufzudeckende "Objektivierungen" geben würde. Mit dieser Kategorie wurden ,,hausgemachte" Mängel in einer Offenheit eingestanden, die nur mit dem Geheimnisschutz erklärt werden kann, unter der auch diese Abhandlung der JHS stand. Selbstverständlich werden solche Führungsmängel nicht bei den höchsten Funktionären festgestellt; denn die These "Die Partei hat immer recht" ist sankrosankt und bedeutet genauer, daß die Politik und das Verhalten der obersten Führung von Partei und Staat immer richtig seien. Auch war zuweilen an anderer Stelle Kritik an einzelnen mittleren Funktionären - nur in ganz seltenen Fällen an hohen - geübt worden, wenn sie gestürzt werden sollten. Daß jedoch auch bei der mittleren Führungsschicht Schwächen in einem solchen Umfange bestanden, daß sie Nährboden für einen Erfolg der PID hätten werden können, offenbart ein Wissen im MfS über Verhältnisse im Bereich von Wirtschaft und Verwaltung der ehemaligen DDR. Diese waren kundigen Beobachtern im Westen nichts Neues, aber daß die Verantwortlichen in der ehemaligen DDR unter der Oberfläche des eigenen Gehabes sich auch darüber im klaren waren, zeigt die Analyse der Diss. 1. In der fünften Kategorie wurde als Nährboden für einen Erfolg der PID eine Reihe von Gründen aufgeführt, die persönlichen Charakter haben. Individuelle Konfliktsituationen bei bestimmten Personen hätten sich in Erscheinungen geäußert wie - persönliche Unzufriedenheit mit bestimmten Erscheinungen und Auswirkungen im Arbeits- und Freizeitbereich; - pessimistische Einstellungen und Auffassungen zu bestimmten Entwicklungstendenzen in der sozialistischen Gesellschaft; - Zweifel an der Richtigkeit der Politik von Partei und Regierung in bestimmten Teilbereichen oder zu bestimmten Problemen. Hier wird deutlich, daß die These, die Partei habe immer recht, sich auf deren Politik insgesamt bezog und daß nicht nur Einstellungen, die eine grundsätzliche Gegnerschaft zum SED-Regime bedeuteten, also in die erste Kategorie fielen, sondern auch Zweifel, die sich auf einzelne Aspekte bezogen, verdächtig waren, die PID wirksam werden zu lassen; - Nichtverstehen der komplizierten Dialektik der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft; - Kritik an bestimmten Erscheinungen in der sozialistischen Gesellschaft, die in ihrem Wesen berechtigt sind, aber mit völlig ungeeigneten Mitteln und Methoden zum Ausdruck gebracht worden seien.

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Eingeräumt wurde damit, daß es in der sozialistischen Gesellschaft Erscheinungen gegeben hatte, die zu kritisieren waren, allerdings ohne zu sagen, wo die Grenze zwischen zulässiger und unerlaubter Kritik hätte liegen sollen. Eine Fest1egung erschien wohl überflüssig, da weiter auch eine berechtigte Kritik nur mit geeigneten Mitteln und Methoden hätte geübt werden dürfen, um nicht in Verdacht zu geraten. Eine Methode sollte durch die Möglichkeit gegeben sein, sich mit Eingaben (Vorschlägen, Hinweisen, Anliegen und Beschwerden) an Verantwortliche zu wenden. 4 Aber es war keinesfalls ausgeschlossen, daß auch eine Kritik, die in einer solchen Eingabe enthalten war, Sanktionen zur Folge hatte. 5 Die Entscheidung darüber lag in der Hand von Partei und Staat, d. h. letztlich bei den Organen des MfS;

- prinzipienloses Suchen von Widersprüchen in der sozialistischen Gesellschaft. Darunter kann wohl nur das verstanden werden, was in einer offenen Gesellschaft als Meckerei verstanden und als harmlos betrachtet wird;

Vertuschen von persönlichen Mängeln und Fehlern in der Arbeit, verbunden mit Versuchen, diese in der Politik der Partei und Regierung zu suchen. Auch diese Weisheiten beruhten auf Erkenntnissen in einer bei der JHS geschriebenen Diplomarbeit "Analyse der Erscheinungen und Auswirkungen der politisch-ideologischen Diversion im Verantwortungsbereich einer Diensteinheit und die Festlegung eines zielgerichteten Informationsbedarfs zur objektiven Einschätzung der Lage" (Reg.-Nr.: VVS MfS 160-201 /71). Insgesamt ergibt die Fülle der hier aufgezählten Gruppen von Menschen, die wegen ihrer Einstellung und ihres Verhaltens Nährboden eines Einwirkens von außen für einen Erfolg der angeblichen PID gebildet hätten, doch ein überraschendes Ergebnis. Zu bedenken ist, daß er von Personen, die grundsätzlich Gegner des SED-Regimes waren, bis zu solchen reicht, die aus persönlichen Gründen, vielleicht nur temporär, verärgert waren. Alle waren verdächtig, Opfer der sogenannten PID werden zu können. Auf alle hatte das MfS sein Auge zu werfen, sein Ohr zu richten. Dabei ging es bei weiten nicht um ein Tun, das gegen Strafgesetze verstoßen hätte oder vielleicht eine Ordnungswidrigkeit gewesen wäre. Es verdient nochmals in diesem Zusammenhang hervorgehoben zu werden, daß es um das Denken und Fühlen der Menschen ging, um ihr Bewußtsein. Das Tätigkeitsfeld des MfS in diesem gewaltigen Bereich war sehr umfangreich und sicher auch nicht leicht zu beackern. Denn es ging um Vorgänge im Innenleben von Menschen, die nicht unmittelbarer Beweisführung zugänglich waren. Beweise konnten nur mittelbar aufgrund äußeren Verhaltens geführt werden, zu denen Gesprochenes gehört, und sei es nur in spontanen Äußerungen am Rande aus belanglosem Anlaß und vielleicht auch nur in einer momentanen Verärgerung. Nichts war zu nichtig, um nicht unter die Observation der Organe des MfS gestellt werden zu müssen. Das war dessen Aufgabe als Ideologiepolizei. 4 Art. 103 DDR-Verfassung von 1968/1874; Gesetz über die Bearbeitung der Eingaben der Bürger - Eingabengesetz - vom 19. 6. 1979 (GBL DDR I S. 461). 5 Siegfried Mampel, a. a. O. wie Anm. 1, Rz. zu Art. 103.

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Sicher kann die Tendenz der Autoren der Diss. 1 nicht außer acht gelassen werden, eine Gefahr so groß wir nur ,irgend möglich darzustellen, um die Bedeutung und Wichtigkeit des MfS hervorzuheben. Aber bei den Bedingungen, unter denen die angebliche PID hätte wirksam werden können, hatten die Mitarbeiter der JHS in einer Offenheit, die nur selten war und zur Voraussetzung hatte, daß die Ergebnisse der Untersuchung geheim blieben, nicht übertrieben. Die Menge von Leuten, die in der ehemaligen DDR grundsätzlich oder auch nur in speziellen Fragen oder zeitweise anders dachten, als es der Partei- und Staatsführung genehm war, und die Gründe dafür trafen im wesentlichen zu. Sicher bildeten in gewissen Zeiten die Regimegegner und die Regimekritiker nicht die Mehrheit. Die Zahl der nur Angepaßten war sicher stets größer. Ohne Ausnahme waren alle der Gewalt eines totalitären Herrschaftssystems ausgesetzt, so daß sowohl Gegnerschaft als auch das wirkliches Denken der Angepaßten unter der Oberfläche bleiben mußten. Aber als die Gegner des kommunistischen Gewaltsystems wegen der Veränderung der äußeren und auch inneren Lage dessen Gewalt nicht mehr wie zuvor zu fürchten brauchten, konnte der Sturm losbrechen. Die Gegner des SED-Regimes waren die Hefe und die vordem Angepaßten der Teig. Sie konnten nun aus ihren Nischen heraustreten, ihr wirkliches Denken offenbaren und ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Das war die Wende 1989. Natürlich hatten die Verfasser auch eine Erklärung dafür, daß der angeblich objektive, in Wirklichkeit jedoch nach dem Willen der kommunistischen Führung vorangetriebene Verlauf der Geschichte zum Endsieg von Sozialismus I Kommunismus nicht nach deren Vorstellungen v,erlaufen war. Sie führten das Ausbleiben des Erfolges auf die marxistisch-leninistische Erkenntnis zurück, derzufolge die Herausbildung der "sozialistischen Persönlichkeiten", d. h. von Menschen, bei denen die ideologische Indoktrination voll im Sinne der Kommunisten gewirkt hatten, kein "mechanisch verlaufender gradliniger Prozeß" sei. Unter Berufung auf eine 1964 bei der "Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft" geschriebenen Dissertation (Willi Pösel6 /Manfred Naundorf, "Die Weiterentwicklung des Kampfes gegen die Spionageverbrechen der imperialistischen Geheimdienste unter den Bedingungen des umfassenden Aufbaus des Sozialismus in der DDR"), meinten sie, er müsse "in seiner ganzen Widersprüchlichkeit gesehen und eingeschätzt" werden. Es wäre falsch gewesen, die Schwierigkeiten der Entwicklungsprobleme "herabzumindern". Es sei gerade darauf angekommen, sowohl die objektiven als auch die subjektiven Ursachen und Bedingungen der widersprüchlichen Prozesse, die auch einen widersprüchlichen Einfluß auf die Bewußtseinsentwicklung gehabt hätten, aufzudecken und die die PID begünstigenden Bedingungen auszuschalten.

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Der erste Rektor der JHS.

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3. Der Kampf gegen "falsches" Bewußtsein So konnten nur Vertreter eines auf terroristische Gewalt ausgerichteten Systems argumentieren. Denn daß Hindernisse, die sich einer mit Hilfe öffentlicher Gewalt vorwärtsgetriebenen Entwicklung entgegenstemmten, nur mit adäquaten Mitteln beseitigt werden konnten, entsprach den Gesetzen, unter denen das System angetreten war. Über diese verfügte das MfS. Sie waren von ihm einzusetzen. Wenn "falsches" Bewußtsein Ursache für Hindernisse war, so gehörte auch zu seinen Aufgaben, diese zu beseitigen. Damit fand die Tätigkeit des MfS als Ideologiepolizei ihre Rechtfertigung. Das zu unterstreichen, sollten weitere Ausführungen dienen. Daraus sind folgende bemerkenswert: Es hätte beachtet werden müssen, daß im Prozeß des Kampfes zur Durchsetzung der "schöpferischen" Politik der Partei trotz kontinuierlicher marxistisch-leninistischer Erziehungsarbeit und insgesamt "richtiger" Lehre, also Indoktrination, irrige Ansichten und Fehler auf den verschiedensten Gebieten hätten auftreten können. Das entsprach dem bekannten angelsächsischen Satz: "Nobody is perfect" und damit einer Allerweltsweisheit.

Bei bestimmten Teilen der Bevölkerung eines sozialistischen Landes hätten bestimmte Hoffnungen und Erwartungen aus "Verhandlungen zwischen den Vertretern der ehemaligen DDR und Westdeutschlands" bzw. aus große internationalen Verhandlungen entstehen können, die der Gegner versucht hätte, zielgerichtet auszunutzen. Das bedeutete zwar nicht ausdrücklich, aber doch deutlich genug den Rat an die DDRFührung, äußerste Vorsicht bei solchen Verhandlungen walten zu lassen. Besonders mißtrauisch machte offenbar das Schlagwort vom "Wandel durch Annäherung".

Langjährige Erfahrungen der operativen Praxis hätten ergeben, daß die PID zwar ständig gewirkt hätte; aber in bestimmten Perioden, zu bestimmten Ereignissen, wie z. B. während der C;SSR-Ereignisse - gemeint war der "Prager Frühling" 1968 - hätte der "Feind alle Kräfte mobilisiert und die Hetze gegen unsere Partei und unseren sozialistischen Staat wie nie zuvor raffiniert und demagogisch in Szene gesetzt". Das ist die Lesart des MfS für die Erfahrungstatsache, daß Freiheitsstreben ansteckend ist. In vom MfS gewohnter Manier wurden die Meldungen in den westlichen Massenmedien über solche Ereignisse wie die während des "Prager Frühlings" als PID ausgegeben.

- Zu anderen Zeiten dagegen hätte der Gegner scheinbar weniger die Verhältnisse in den einzelnen sozialistischen Ländern angegriffen. Gerade in solchen Zeiten sei es erforderlich gewesen, ihn "unter ständiger Kontrolle zu halten, ihm keinen Fußbreit Boden zu überlassen, ihm nicht zu gestatten, sich allmählich mittels 13 Mampel

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der politisch-ideologischen Diversion Positionen in den sozialistischen Ländern zu schaffen". Das hätte besonders für örtliche und "territoriale" Gebiete gegolten, wie die "Ereignisse im Gdansker Raum" (d. h. in Danzig) gezeigt hätten. Der markige Aufruf zu stetiger Wachsamkeit offenbart schon im Jahre 1972 einmal wieder die ständige Furcht vor potentiellen kommenden Ereignissen in der damaligen DDR.

- Bei der Organisierung einer vorbeugenden (!) Bekämpfung der PID sei auf eine Spezifik zu achten gewesen. Diese hätte darin bestanden, daß die politisch-ideologische Zersetzungstätigkeit zwar die Zielstellung verfolgt hätte, die Voraussetzungen für die Vernichtung der sozialistischen Gesellschaft zu schaffen, dieses Ziel jedoch im Wirkungsprozeß der PID nicht immer sichtbar und nachweisbar gewesen sei. Die PID hätte darauf abgezielt, die ideologische Substanz zu zersetzen, d. h. primär ein ideologisches Fehlverhalten bei Personen herbeizuführen, das sich in einem mehrstufigen Prozeß bis zu staatsfeindlichen Tätigkeiten entwickeln sollte. Aus dem "Prozeßcharakter der Wirkungsweise" der PID hätte sich ergeben, daß ,,1. die begünstigenden Bedingungen für das Wirken der politisch-ideologischen Diversion aufgedeckt, ihre negativen Auswirkungen auf die Denk- und Verhaltensweisen und Werktätigen sichtbar gemacht und die verantwortlichen und beteiligten Personen veranlaßt werden, solche Wege und Methoden zu finden, eine schnelle und reibungslose Beseitigung der begünstigenden Bedingungen herbeizuführen und 2. den Gesamtkomplex der Auswirkungen der politisch-ideologischen Diversion in der sozialistischen Gesellschaft zu differenzieren, den mehrstufigen Entwicklungsprozeß bis zur Aktivierung der staatsfeindlichen Tatigkeit aufzudecken und Grundlagen für Maßnahmesysteme des Kampfes gegen die politisch-ideologische Diversion herauszuarbeiten."

Damit wurde die Theorie für ein Gesamtprograrnm zur Bekämpfung der PID entwickelt. Begonnen wurde mit der Forderung, die "begünstigenden Bedingungen" zu beseitigen, also den Nährboden für einen Erfolg der angeblichen PID unfruchtbar zu machen. Auffallend ist, daß hier erstmals der Begriff "Werktätige" verwendet wurde, womit nach dem Sprachgebrauch der ehemaligen DDR diejenigen gemeint waren, die durch gesellschaftlich "nützliche" eigene geistige oder körperliche Arbeit ihren Unterhalt verdienten, im Gegensatz zu denen, die ihr Einkommen aus "der Ausbeutung fremder Arbeitskraft" bezogen. 7 Die Unschärfe des Begriffs ermöglichte es, daß in der Verfassung der ehemaligen DDR von 1998/ 1974 (Art. 2) darunter ihre "Bürger" verstanden wurden. Er war nicht mit dem Begriff im arbeitsrechtlichen Sinne gleichzusetzen. Sein Gebrauch im verfassungsrechtlichen Sinne sollte verdeutlichen, daß die ehemalige DDR sich als ein Klassenstaat, als die "politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter 7

Stichwort "Werktätiger" in: Kleines politisches Wörterbuch, a. a. O. wie Anm. 2.

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Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei", betrachtete. 8 Wenn nunmehr ausnahmsweise die Diss. 1 ebenfalls den Begriff "Werktätige" verwendete, so wurde damit, wenn auch sicher nur unwillig, zugegeben, daß auch zu den durch PID in ihrem Bewußtsein Gefährdeten Menschen gehört hätten, die zur ,,herrschenden Klasse" zu rechnen waren. Wenn die anzuwendenden Methoden zu einer schellen und ,,reibungslosen" Beseitigung der begünstigenden Bedingungen führen sollten, so war vor allem wohl gemeint, diese sollte möglichst im Geheimen vor sich gehen, damit kein Aufsehen erregt und kein Material für weitere PID geliefert würde. Die Eigenschaften einer Geheimpolizei waren also gefragt. Die Forderung nach Differenzierung im Gesamtkomplex der PID zeigt, daß die Verfasser der PID die Bekämpfung der PID und vor allem die Beseitigung der sie begünstigenden Bedingungen als komplex und kompliziert ansahen. Deshalb wurden dazu noch weitere Hinweise für erforderlich gehalten. So wurde geschrieben, "ausgehend von der Komplexität sozialer Prozesse und unter Berücksichtigung der Einheit von objektiven und subjektiven, von psychologischen und sozialen Faktoren", seien bei der Differenzierung des Gesamtkomplexes der Auswirkungen der PID besonders zwei Gesichtspunkte zu beachten gewesen: ,,1. daß die Meinungen, Äußerungen, Ansichten, Denk- und Verhaltensweisen der von der politisch-ideologischen Diversion beeinflußten Personen als Reflexe der objektiven Umwelteinflüsse aus der Klassenauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus betrachtet werden und 2. daß die aus diesen Umwelteinflüssen resultierenden Denk- und Verhaltensweisen durch ihre Konfrontation mit den objektiv in der sozialistischen Gesellschaft vor sich gehende Prozessen und den daraus resultierenden Erfordernissen bewertet und differenziert werden." Um jedes Mißverständnis auszuschließen, sei vermerkt, daß mit dem Begriff von Umwelteinflüssen nicht solche Einwirkungen gemeint waren, die von der Natur ausgehen und wie er heute im Begriff des Umweltschutzes verwendet wird, sondern Einflüsse, die im menschlichen Zusammenleben ausgeübt werden.

Die Beachtung dieser Gesichtspunkte hätte in hinreichendem Maße gewährleistet, bei der Einschätzung der aus den Einflüssen der PID resultierenden Denkund Verhaltensweisen zu unterscheiden, in welchem Grade diese mit den gesellschaftlichen Prozessen in der sozialistischen Gesellschaft in Widerspruch gestanden und inwieweit sie bewußt mit den Zielstellungen der PID des Gegners übereingestimmt hätten. Die Auswirkungen der PID hätten im Gesamtkomplex wie folgt differenziert werden können:

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Siegfried Mampel, a. a. o. wie Anm. 1, Rz. zu Art. 103.

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1. Die durch deformierende, destruktive und auf die Illusionierung von Teilen der

Bevölkerung gerichteten Einflüsse der politisch-ideologischen Diversion verursachten politisch schwankende Denk- und Verhaltensweisen, die die Vorwärtsentwicklung des Sozialismus beeinträchtigt und gehemmt hätten, ohne bewußt mit der Zielstellung der politisch-ideologischen Diversion übereinzustimmen.

2. Die durch die Einflüsse der politisch-ideologischen Diversion verursachten asozialen und rowdyhaften Denk- und Verhaltensweisen, die eine ständig spontane Gefährlichkeit der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dargestellt hätten. Dazu hätten Handlungen, die nicht bewußt geplant, vorbereitet und durchgeführt worden, aber von hoher Gesellschaftsgefährlichkeit gewesen seien, beigetragen. 3. Die durch politisch-ideologische Diversion verursachten Denk- und Verhaltensweisen, die bewußt auf die konterrevolutionäre Veränderung und Beseitigung der sozialistischen Gesellschaft gerichtet gewesen seien. Die Verfasser der Diss. 1 gaben damit eine Ergebniszusammenfassung einer Sitzung des Sekretariats der SED-Kreisleitung im MfS vom 17. 11. 1970 wieder, die zum Thema hatte: "Einschätzung der gegenwärtigen Hauptmethoden der politischideologischen Diversion, der Rolle und des Inhalts des Sozialdemokratismus, Revisionismus und ihre Funktion in der imperialistischen Globalstrategie". Dieses Sekretariat setzte sich aus hohen MfS-Offizieren zusammen und war im Auftrage des ZK der SED für die Durchführung der Partei arbeit im MfS verantwortlich. 9 Der Verweis in der Diss. 1 auf die Sitzung dieses SED-Organs zeigt, welchen sachlichen Einfluß die Partei sogar auf die "wissenschaftliche" Arbeit an der JHS nahm. Die Einteilung in "Schwankende", Asoziale und Systemgegner bedeutet mit einigen Einschränkungen eine Bestätigung der hier vorgenommenen Unterscheidung. Die Kategorie der "Schwankenden" deckt sich nicht vollständig mit der Gruppe, die hier als die der "Angepaßten" bezeichnet ist. Von "Angepaßten" wollte und konnte das MfS nicht Notiz nehmen. Denn der Sinn ihrer Haltung mußte ja sein, den Partei- und Staatsorganen gegenüber als loyal oder sogar als gläubig zu erscheinen. Gelang das nicht oder doch nicht überzeugend genug, schienen sie dem MfS als "Schwankende". Da die meisten es jedoch verstanden hatten, ihre mehr oder weniger dem kommunistischen System gegenüber skeptische oder sogar ablehnende Haltung zu verbergen, war die Gruppe der Angepaßten größer, mit Wahrscheinlichkeit sogar wesentlich größer als die, die das MfS als die der "Schwankenden" ansah.

9 Die Organisationsstruktur des Ministeriums für Staatssicherheit 1998, Reihe A, Nr. 2/ 93, herausgegeben vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Abt. Bildung und Forschung, 2. Auflage.

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Asoziale und ,,rowdyhafte" Menschen gibt es in jeder Gesellschaftsordnung. Die Gründe für diese unerwünschte Erscheinung sind vielfältig. Ihnen braucht hier nicht nachgegangen zu werden. Es ist indessen nochmals zu vermerken, daß in der Diss. I deren Existenz auch in der ehemaligen DDR, die sich als ein sozialistischer Staat betrachtete, dem solches angeblich wesensfremd gewesen sein sollte, eingeräumt wurde. Als fast selbstverständlich kann angesehen werden, daß die Gründe für das Vorhandensein von ~sozialen und Rowdies in der ehemaligen DDR nicht in deren Verhältnissen gesucht wurden. Die angebliche PID wurde dafür verantwortlich gemacht. Innerhalb der dritten Kategorie wurde nicht zwischen Regimekritikern, also Leuten, welche die ehemalige DDR lediglich verbessern wollten, ohne das sozialistische System grundsätzlich infrage zu stellen, und Regimegegnern unterschieden, die für die Wiedervereinigung Deutschlands waren. Auch das entsprach dem Verständnis des MfS, das beiden Gruppen in gleicher Weise den Vorwurf machte, mit subversiven Mitteln eine Konterrevolution anzustreben.

4. Weitere Differenzierung im "falschen" Bewußtsein Innerhalb der drei genannten Kategorien wurde eine weitere Differenzierung vorgenommen. Wenn auch hinzugefügt wurde, daß diese für die Bestimmung der Schwerpunkte in der Bekämpfung der "Auswirkungen" der PID unerheblich gewesen sei, war sie doch kennzeichnend entweder für die Ängste, die das MfS plagten, oder lag auf der Linie, die Bedeutung des MfS als Ideologiepolizei nachdrücklich zu zeigen. Außerdem wurden trotzdem Hinweise zur Bekämpfung gegeben. Zunächst wurde zu den "politisch-schwankenden" Denk- und Verhaltensweisen, die durch angeblich deformierende, destruktive und auf die "Illusionierung" von Teilen der Bevölkerung gerichtete Einflüsse der PID verursacht worden seien, ausgeführt, sie seien "vielgestaltiger Natur" gewesen. Sie hätten sich vor allem in drei Hauptgruppen von Auswirkungen "objektiviert": 1. Durch die PID wären systematisch Zweifel an der Richtigkeit der Politik der Partei- und Staatsführung und an der Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung hervorgerufen und die Zweifler an den politischen Problemen der sozialistischen Gesellschaft desinteressiert worden. Das hätte sich gezeigt ,,- in der Herausbildung von Illusionen in bezug auf die Rolle, Ziele und Absichten des westdeutschen Imperialismus, der rechten SPD-Führung und auf die Einschätzung der tatsächlichen Machtverhältnisse in Westdeutschland; - in der Entstehung von Zweifeln hinsichtlich der klaren politischen Konzeption der KPdSU und der anderen Partei- und Staatsführungen in innen- und außenpolitischen Fragen;

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- im apolitischen Verhalten sowie in der Inaktivität in bezug auf die gesellschaftliche Arbeit und die maximale Erfüllung bestimmter gesellschaftlicher Verpflichtungen." 2. Die PID hätte bewirkt, daß die weltanschauliche und politische Einstellung von Personen ungefestigt bleibt bzw. zersetzt wird. Diese hätten - Auffasssungen konvergenztheoretischer Natur unterlegen - eine "objektivistische", abwartende Position bezogen und, wenn sie zur Stellungnahme aufgefordert worden wären, sich auf eine Schiedsrichterrolle zwischen Sozialismus und Imperialismus beschränkt sowie in politischen Spannungssituationen zu starken Schwankungen geneigt und sich zu feindlichen Aktivitäten mißbrauchen lassen. 3. Auswirkungen der PID hätten sich in der Richtung gezeigt, daß die "soziale Gesamtpersönlichkeit von Bürgern der sozialistischen Gesellschaft ergriffen" und ihr "subjektives und emotionales Erleben" so stark deformiert worden sei, "daß sie zu einer Auseinandersetzung mit den feindlichen ideologischen Einflüssen nicht mehr fähig gewesen seien und die "Niedergangs- und Zerfallserscheinungen des Kapitalismus" kritiklos auf sich hätten einwirken lassen. Sie hätten die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung als fragwürdig empfunden, Skeptizismus verbreitet und sozialistische Moral- und Wertvorstellungen mißachtet. Diese Personen und Personengruppen hätten sich vom Gegner leicht beeinflussen und der Situation entsprechend schnell gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung aktivieren lassen. Das MfS hielt sich demnach genau über das Denken und Fühlen der Menschen, über ihre Einstellung, ihr ungefestigtes Bewußtsein im Sinne seiner Vorstellungen unterrichtet. Es ist unschwer vorstellbar, welche Menge von Informationen seiner Spitzel notwendig waren, um zu derartigen detaillierten Erkenntnissen zu gelangen. Diese entsprachen tatsächlich einer weit verbreiteten Stimmung in nicht kleinen und unwichtigen Teilen der Bevölkerung, besonders in der Intelligenz. Ersichtlich ist auch, daß eine große Zahl von Spitzeln notwendig war, um zu einem derartigen Fundus von Informationen zu gelangen. Die Hinweise zur Bekämpfung der Auswirkungen der PID wurden mit der Forderung eingeleitet, "schwerpunktmäßig" müsse die Planung und Leitung der ideologischen Arbeit in allen Bereichen der sozialistischen Gesellschaft weiter verbessert werden. Die Organe der Staatssicherheit hätten in diesem Zusammenhang die Aufgabe, ihren Beitrag zu leisten. Dieser Beitrag war dadurch zu leisten, indem das MfS die ideologische Indoktrination sicherte und sie vor feindlichen Anschlägen bewahrte. Deshalb hätte es dafür zu sorgen gehabt, - daß die feindlichen Zentren, von denen die PID geplant und gesteuert worden wäre, entlarvt und durch aktive Maßnahmen der äußeren Abwehr und Aufklärung aktiv offensiv bekämpft bekämpft würden; Welche gewaltige Aufgabe sich daraus für das MfS ergab, ist aus der ausführlichen Darstellung der Zentren der PID (siehe oben Abschnitt V) zu entnehmen. Daß das MfS sich nicht nur auf deren "Entlarvung", d. h. auf Spionage gegen sie beschränken, sondern sie

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auch "aktiv" bekämpfen sollte, wirft ein bezeichnendes Bild auf dessen Tätigkeit. Diese nach außen gerichtete Aufgabe war hinsichtlich der Aufklärung Sache der zuständigen Hauptverwaltung (HVA). Worin die "aktive" Bekämpfung liegen sollte, blieb offen. Es könnten darunter tendenziöse Veröffentlichungen mit zweifelhaftem Wahrheitsgehalt ebenso verstanden werden wie die Anwendung von Gewalt gegen Sachen und Personen, vor der das MfS nie zurückgescheut hatte. 10

daß durch politisch-operative Analyse die Bereiche und Personenkreise, in denen der Gegner solche ideologischen Einbrüche erzielt hätte, erfaßt würden; daß die Bedingungen, die das Wirken der PID in diesen Bereichen begünstigten, aufgedeckt und unter Ausnutzung der vorhandenen Möglichkeiten beseitigt würden. Diese Aufgaben waren im Binnenbereich der ehemaligen DDR zu erfüllen. Erledigt wurden sie an Ort und Stelle durch die geheimen bzw. inoffiziellen Mitarbeiter des MfS (GM, IM) unter Leitung von hauptamtlichen Mitarbeitern (Führungsoffizieren).

Speziell zu den durch die angeblichen Einflüsse der PID verursachten asozialen und rowdyhaften Denk- und Verhaltensweisen, die eine ständige spontane Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dargestellt hätten, wurde ausgeführt, es hätte verallgemeinert werden können, daß bei Personen und Personengruppen, die sich nicht voll in die sozialistische Ordnung integriert hätten, eine Vermischung vor sich gegangen wäre. Zu einem Teil sei die "Nichtintegration" verursacht gewesen durch verschiedene Gründe wie Traditionen, Gebräuche, Erziehung, charakterliche und moralische Labilität, Geschmacksrichtungen, Neigungen und andere Wertorientierungen, die unauflöslich mit subjektiven Bezügen und Einstellungen verbunden gewesen seien, zum anderen durch die ideologischen Feindeinflüsse, besonders den "psychologischen Ausstrahlungen der Niedergangs- und Zerfallserscheinungen des imperialistischen Systems". Bemerkenswert ist, daß nicht nur die PID für asoziales und rowdyhaftes Denken und Verhalten verantwortlich gemacht wurde, sondern auch eine Reihe von anderen Ursachen. Ein gemeinsamer Nenner ist für sie insofern zu finden, als sie autochthon sind. Im übrigen sind zwei Gruppen zu unterscheiden. Einerseits soll es sich um "hergebrachtes", veraltetes, an nichtsozialistischen Werten orientiertes Denken gehandelt haben, andererseits aber um Labilität, also um eine Charaktereigenschaft. Die Vielfalt der genannten Gründe macht aber eines deutlich: Der Kreis der ,.Asozialen" war wesentlich größer als der, der allgemein so bezeichnet wird. Denn dazu wurden nicht nur solche gerechnet, die durch asoziales Verhalten in Erscheinung getreten, sondern auch die, welche des "asozialen" Denkens verdächtigt worden waren. Dazu wurden sogar Menschen gerechnet, die sich an Werten orientierten, welche den kommunistischen Funktionären nicht genehm waren.

10 Siegfried Mampel, Der Untergrundkampf des Ministeriums für Staatssicherheit gegen den Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen in Berlin (West), Band 1 der Schriftenreihe des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Berlin 1994, S. 19.

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Das Ergebnis eines aus den unterschiedlichsten Motiven gespeisten derartigen Denkens sei gewesen, daß die "Lebensauffassungen dieser Personen", vor allem ihre gesellschaftliche Verantwortung betreffend, zerstört worden seien, d. h. daß sie sich nicht so verhielten, wie es die Partei von ihnen verlangte. Statt dessen hätten sie "kleinbürgerliche, anarchistische, asoziale und rowdyhafte Verhaltensweisen" entwickelt. Diese hätten sich in Oppositionshaltungen, Zusammenrottungen bzw. dem Zusammenschluß "negativer" Gruppen und rowdyhafter Ausschreibungen "objektiviert". Die Gleichsetzung von "kleinbürgerlichem" Verhalten und Oppositionshaltungen einerseits mit Ausschreitungen von Rowdies andererseits entspricht der soeben charakterisierten Zusammenfassung von unterschiedlichen Gründen dafür.

Die Gefährlichkeit dieser Kategorie wurde noch weiter ausgemalt. Zunächst wurde festgestellt, die Denk- und Verhaltensweisen dieser Personen und Personengruppen, vor allem Jugendlicher, zum "Inhalt" der persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit, zur Arbeit, zum Lernen und zur "Qualifizierung" (= Weiterbildung), zu den Moralnormen und den sozialen Leitbildern hätten im krassen Widerspruch zu den sozialistischen Normen und Verhaltensweisen gestanden. Dann wurde kraß das Ausmaß der Gefährlichkeit dargestellt. Eine solche "dekadente" Lebensweise - alle Gruppen werden wiederum trotz unterschiedlicher Motivation in einen Topf geworfen - hätte diese Personengruppen "spontanen Handlungen und Ausschreitungen" geneigt gemacht, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit stark gefährdet hätte. Genannt wurde eine Reihe von Delikten: Zusammenrottungen, Widerstand gegen staatliche Maßnahmen, Staatsverleumdung, ungesetzlicher Grenzübertritt, staatsgefährdende Hetze; hinzugefügt wurde das offenbar unvermeidliche "usw." Sodann wurde das Augenmerk auf eine besonders raffinierte Spezies gerichtet: Es hätte nämlich Personen gegeben, insbesondere Jugendliche, die zwar ihren Pflichten in Schule und Betrieben nachgekommen wären, jedoch unter dem Einfluß einer "niveaulosen" Freizeitgestaltung dekadenten Einflüssen des Feindes erlegen wären, sich zusammengerottet und aus der Situation heraus Straftaten der allgemeinen Kriminalität begangen hätten. Als Hinweis zur Bekämpfung der Kategorie, die als die der "Asozialen" begriffen wurde, wurde ebenfalls gefordert, daß die staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen und Einrichtungen und die "organisierte gesellschaftliche Betreuung dieser gefährdeten Personenkreise mit dem Ziel komplex zusammenzuarbeiten" die Auswirkungen der PID zurückzudrängen und zu beseitigen hätten sowie "Maßnahmesysteme" zu entwickeln, die geeignet gewesen seien, "gesamtgesellschaftlich und persönlichkeitswirksam" die bewußt klassenmäßige Erziehung dieser Personen zu fördern. Mit anderen Worten: es sollte die ideologische Indoktrination verstärkt werden. Speziell die Organe der Staatssicherheit hätten in diesem Zusammenhang zunächst die gleichen Aufgaben gehabt wie bei der Bekämpfung der desinformieren-

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den und destruktiven Auswirkungen der PID. Darüber hinaus sei es jedoch notwendig gewesen, die "gezielte operative Kontrolle dieser Personen und Personengruppen und ihrer Verbindung in das ,nichtsozialistische Ausland' zu organisieren", um Überraschungsmomente auszuschließen, die von diesen Gruppierungen ständig ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit einzuengen und die in diesen Gruppierungen oft aus der Situation heraus entstehenden staatsfeindlichen Handlungen wirksam zu bekämpfen. Dieser Rat lief auf nichts anderes hinaus, als mittels eines eng geknüpften Kontrollnetzes die gesamte Bevölkerung unter Beobachtung zu stellen. Denn anders konnten diejenigen, die als "Asoziale" im Sinne der Diss. I dazu neigten - sogar Menschen, die ihre Pflichten in Beruf und Ausbildung treu erfüllten -, spontan etwas zu tun, was den DDR-Behörden mißfiel, nicht in den Griff bekommen werden. In großem Ausmaß sollte das MfS als Ideologiepolizei prophylaktisch tätig werden. Metternich wurde weit übertroffen. Zur dritten Kategorie, also der auf "Konterrevolution Bedachten", wurde die Einzelerläuterung mit dem Hinweis auf deren besondere Gefährlichkeit eingeleitet. Die zentrale Aufgabe der PID hätte darin bestanden, über vielfältige Kanäle in den sozialistischen Ländern Personen und Personengruppen ausfindig zu machen und diese zu beeinflussen, "die sich mit den geistigen und politischen Positionen des Imperialismus identifizieren und davon ausgehend staatsverbrecherisch tätig wurden". Bezeichnend war, daß zu einer Zeit, als die sozial-liberale Bundesregierung unter Bundeskanzler Brandt sich nach Kräften bemühte und nach Meinung der Opposition in einer die Bonner Republik gefährdenden Weise auf Entspannungskurs gegangen war, es nochmals für erforderlich gehalten wurde, mit Nachdruck auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die angeblich vom "Sozialdemokratismus" und "Revisionismus" ausgingen. "In diesem Prozeß haben der Sozialdemokratismus und modeme Revisionismus vor allem die Funktion, über das gezielte Einwirken auf die Bürger der sozialistischen Gesellschaft Potenzen für die Aktivierung der Feindtätigkeit zu schaffen."

Als Kategorien von Personen, auf die sich der Feind vorrangig konzentriert hätte, werden beispielhaft genannt: feindliche Elemente, die bereits aktiv tätig gewesen seien (mit oder ohne Verbindung zu imperialistischen Geheimdiensten und anderen Feindorganisationen), in der Vergangenheit entlarvte Staatsfeinde, die sich wieder auf freiem Fuß befinden, zum Teil umfangreiche undurchsichtige Verbindungen unterhalten und versucht hätten, sich in bestimmte Gruppen zusammenzufinden, opportunistische Kräfte, ehemalige Sozialdemokraten, trotzkistische, anarchistische und "promaoistische" Elemente, - Personen mit einer ungefestigten politischen Haltung und einem fehlenden Klassenstandpunkt, die revisionistischen Einflüssen unterliegen, illusionäre und uto-

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pisehe Vorstellungen vom Wege zum Sozialismus gehabt und deshalb der staatlichen und gesellschaftlichen Politik ablehnend gegenüber gestanden hätten, - Menschen mit einer feindlichen Einstellung zur Sache des Sozialismus, die noch nicht feindlich tätig geworden seien, aber bei Spannungssituationen vom Gegner hätten aktiviert werden könnten, - Personen, die aus verschiedenen Gründen mit dem Sozialismus unzufrieden gewesen seien, Träger kleinbürgerlicher Denk- und Verhaltensweisen, - reaktionär eingestellte Angehörige von Kirchen, Sekten und klerikalen Einrichtungen, - asoziale Elemente, Kriminelle, unverbesserliche Haftentlassene "usw." Diese Untergliederung bestätigt nochmals die Tätigkeit des MfS als Ideologiepolizei besonders deutlich. Nicht nur dem Handeln von Menschen, deren Einstellungen, deren Denken galt seine Aufmerksamkeit. Im übrigen war keine scharfe Grenze, weder zwischen den drei Kategorien noch zwischen den Untergliederungen, gezogen worden. Das Bestreben ging dahin, nach Möglichkeit alle die zu erfassen, die nicht davon überzeugt waren, daß die Parteiführung immer recht gehabt hätte. Erkennbar wird, daß es in der ehemaligen DDR nur wenige gab, die den Organen als unverdächtig galten. Sogar vor solchen Personen, denen wegen ihrer ,,Linientreue" wichtige Ämter oder Funktionen anvertraut waren, machte der Argwohn des MfS nicht halt. Denn in der Diss. I hieß es weiter, der Gegner sei bestrebt gewesen, seine Potenzen vor allem durch die Bearbeitung von Bürgern der sozialistischen Staaten zu erweitern, "die als Träger von Staatsgeheimnissen" oder als ,,Reisekader,,l1 infolge erheblicher Mängel und Schwächen dem Gegner entsprechende Anhaltspunkte geboten und sich bei offenen und versteckten Annäherungsversuchen nicht den Organen der Staatssicherheit anvertraut hätten. Dabei seien die Praktiken der imperialistischen Geheimdienste zu beachten gewesen, die durch ,,raffinierte Manipulationen" solche Ansatzpunkte künstlich geschaffen hätten. 5. "Feindliche Stützpunkte" Eine Gefahr wurde in diesem Zusammenhang besonders betont, die freilich wohl allein in der Phantasie des MfS existierte. Es handelte sich dabei um die Schaffung und den Ausbau von feindlichen Stützpunkten. So ist in der Diss. I zu lesen, eine zentrale Aufgabe hätten die Zentren der PID darin gesehen, feindliche ideologische Stützpunkte in der sozialistischen Gesellschaft zu schaffen und eine enge Verkettung zwischen den Zentren der PID und den inneren revisionistischen und anti sozialistischen Kräften herzustellen, um im Zusammenwirken dieser 11 Stichwort "Reisekader" in: Das Wörterbuch der Staatssicherheit, Reihe A Nr. 1/93, herausgegeben a. a. O. wie Anm. 9.

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Kräfte Druck auf die Partei- und Staatsführung auszuüben. Der Gegner hätte sich verstärkt darauf konzentriert, in bestimmten Zielbereichen der sozialistischen Gesellschaft systematisch Kräfte ausfindig zu machen, die er für seine Ziele hätte ausnutzen können. Die Zentren der PID seien dazu "übergegangen", Stimmungen, Vorstellungen und politische Forderungen dieser Kräfte zu erfassen, sich diesen Forderungen pragmatisch anzupassen bzw. aus diesen Vorstellungen unter Ausnutzung revisionistischen und nationalistischen Gedankengutes programmatische "Orientierungen" für diese Kräfte auszuarbeiten. Von derartigen Gruppierungen - solche sind wohl mit "Stützpunkten" gemeint ist dem Verfasser im Jahre 1972 in der ehemaligen DDR nichts bekannt. Die Entstehung der Gruppen, die gemeinhin als "Bürgerrechtsbewegung" verstanden wird, gehört einer späteren Zeit an. Diese hatten außerdem über eine zu geringe Unterstützung aus dem Westen zu klagen. Die Autoren der Diss. 1 glaubten, ,,Erfahrungen" aus dem "Prager Frühling" 1968 verallgemeinern zu können oder, vielleicht sogar von Furcht und Argwohn diktiert, zu müssen. Sie behaupteten nämlich, daß die feindlichen Kräfte dazu übergegangen seien, "in Auswertung des Modells der konterrevolutionären Entwicklung in der c;SSR bis zum 21. 8. 1968" eigene Modellvorstellungen zu entwickeln "entsprechend den konkreten Verhältnissen in den sozialistischen Ländern" und unter Anwendung "gewaltfreier Karnpftaktiken" Veränderungen der politischen Machtverhältnisse anzustreben. Die Vorstellung, die Menschen im kommunistischen Machtbereich könnten aus einem urwüchsigen Drang nach Freiheit streben, zunächst in Gedanken und bei günstiger Gelegenheit auch im Handeln wie am 17. Juni 1953 in der ehemaligen DDR, 1956 in Ungarn, 1968 in der damaligen Tschechoslowakei, sodann später 1980/1981 in Polen und schließlich 1989 im Osten Deutschlands, war den Mitarbeitern des MfS und allen linientreuen Kommunisten fremd. Der Gedanke, in der ehemaligen DDR könnte sich auch so etwas abspielen, war offenbar schon 1972 für die Autoren der Diss. 1 so bedrückend, daß sie die Gefahr noch weiter ausmalten: Ein Schwerpunkt im Rahmen der gegnerischen Angriffe sei die Schaffung von feindlichen Stützpunkten in den bewußtseinsbildenden Bereichen und Einrichtungen gewesen, über deren "Ausstrahlung auf alle anderen gesellschaftlichen Teilsysteme die konterrevolutionären Potenzen" hätten erweitert werden sollen. Dabei hätte der Gegner sich besonders auf Kreise der Intelligenz und hier wiederum speziell auf Künstler und "Kulturschaffende", auf Personenkreise unter der studentischen Jugend sowie auf reaktionäre ,,klerikale" Kräfte, besonders aus den kirchlichen studentischen Organisationen konzentriert. Angeblich sei das starke Bestreben dieser Personen nach überörtlichen Verbindungen, nach Vergrößerung ihrer Wirkungsmöglichkeiten und der Erhöhung der Wirksamkeit ihrer Tatigkeit sowie nach einer besseren Einbeziehung schwankender oder anderer negativer Kräfte kennzeichnend gewesen. Diesen Kreisen wurde vorgeworfen, insbesondere für sozialdemokratisches und revisionistisches Gedankengut empfäng-

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lich gewesen zu sein, das systematisch studiert und ausgewertet worden sei. Genannt wurden ,-;m allem die Arbeiten von Fischer, Marcuse und Garaudy, die als "Machwerke" bezeichnet wurden - ein weiteres Zeichen dafür, daß den Mitarbeitern der JHS eine geistige Auseinandersetzung so fern wie die Grenzen des Weltalls war. Für diese Entwicklung sei besonders die Schaffung von Stützpunkten wichtig gewesen. Ihnen hätte der Gegner wachsende Bedeutung zugemessen. Sie hätten wichtige politisch-ideologische und moralische Konzentrations- und Ausgangspunkte für die Aktivierung negativer und feindlicher Kräfte dargestellt, auf die er im Rahmen seiner politischen Strategie und Taktik nicht hätte verzichten können. Der Gegner hätte versucht, diese "von außen zu schützen, zu festigen und ihre Wirksamkeit zu erhöhen". Das sei aus den Maßnahmen hervorgegangen, die unter anderem gewesen seien: Die Popularisierung sogenannter wichtiger Personen bzw. feindlicher ideologischer Stützpunkte im kapitalistischen Ausland; die Ausnutzung von Maßnahmen der sozialistischen Gesellschaft gegen diese Kräfte zur Organisierung zügelloser antikommunistischer Hetzkampagnen. So seien in den letzten Jahren großange1egte Hetzkampagnen gegen die Sowjetunion gestartet worden, um "solche Personen wie die Literaten Amalrik, Daniel, Sinjawski, Lewitin, Tschukowska, Solschenizyn u. a. unter dem Einfluß der bürgerlichen Ideologie die sowjetische Wirklichkeit zu verleumden und antisowjetische Schmähschriften zu veröffentlichen, vor Maßnahmen der staatlichen und gesellschaftlichen Organe der Sowjetunion zu schützen und diese Personen als die sich entwickelnde Opposition zu popularisieren"; durch Verleihung von Literatur- und Kunstpreisen an solche Kräfte, im Falle von Solschenizyn sogar durch den politischen Mißbrauch des Nobelpreises sowie die Propagierung der politischen Oppositionshaltung dieser Kräfte durch Veröffentlichungen von Artikeln, Verbreitung von "Schubladenliteratur", Lesungen aus Werken dieser Personen, Abdruck von Interviews, Organisierung von literarisch-musikalischen Sendungen "usw." hätte die feindlichen ideologischen Stützpunkte im Innern der sozialistischen Gesellschaft gefestigt werden sollen. Dafür wurden als Beispiele kulturelle Veranstaltungen mit diesen Schriftstellern angeführt. Angesehene Schriftsteller, die aus der UdSSR geflüchtet oder ausgewiesen worden waren, wurden als Prügelknaben für PID benutzt, weil sie im Westen hochgeachtet und ihr Schicksal bedauert sowie die dafür Verantwortlichen gebrandmarkt worden waren. Was das MfS indessen besonders störte, war, daß Werke der genannten Schriftsteller mit Kommentaren bekannter Antikommunisten nicht nur Bestseller geworden waren, sondern auch versucht worden wäre, sie "illegal" in die Sowjetunion einzuführen und für die PID auszunutzen. Als Beweis dafür konnten die Autoren

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freilich nur anführen, daß ein Werk Solschenizyns in Frankreich auf russisch, also in seiner Muttersprache, herausgegeben worden wäre. Daraus schließen die Autoren der Diss. I, daß "über die verschiedensten Kanäle" in die Sowjetunion hätte eingeschmuggelt werden sollen - als ob es außerhalb dieses Landes nicht genug Emigranten oder andere mit russischen Sprachkenntnissen gegeben hätte, die gern den berühmten Schriftsteller in der Sprache gelesen hätte, in der er schrieb. Ziel dieser Maßnahmen sollte nach den Autoren der Diss. I gewesen sein, "diesen Personen eine Basis im kapitalistischen Ausland zu schaffen, die es den staatlichen Organen der sozialistischen Länder erschweren" sollte, gegen die feindlichen Stützpunkte vorzugehen. Zugleich sollten damit "Bedingungen geschaffen werden, um im Falle des strafrechtlichen Vorgehens gegen diese ideologischen Stützpunkte des Gegners diese Personen zu Märtyrern zu machen", die sie dann dazu benutzt hätten, "die auf Frieden und Völkerverständigung orientierte Politik der kommunistischen Partei- und Staatsführungen in den kapitalistischen Ländern Westeuropas zu stören und zu diffamieren". Auffällig ist, daß hier nur russische Schriftsteller genannt wurden. Das ist sicher dem Umstand zuzuschreiben, daß einer der Koautoren Mitarbeiter des sowjetischen Sicherheitsdienstes KGB war. Dabei hätte es nahegelegen, in einer Abhandlung der JHS entsprechendes auch hinsichtlich der ehemaligen DDR zu behaupten. Die Gründe dafür sind nicht zu erkennen. Vielleicht erschien es den Autoren nicht glaubhaft, von der Existenz feindlicher Stützpunkte in der ehemaligen DDR zu reden. - Die Behauptung, ohne handfeste einzelne Beweise anzuführen, es sei "konkret nachgewiesen, daß die gegnerischen Zentren unter Anwendung geheimdienstlicher Mittel und Methoden ihre Verbindungen zu solchen Personen" aufrechterhalten, "von diesen Personen verfaßtes Material illegal aus den sozialistischen Staaten" ausgeschleust und dieses Material zur Gestaltung von Rundfunk- und Fernsehsendungen, von Artikeln u. a. im kapitalistischen Ausland verwendet hätten. Die Behauptung, Werke von Emigranten seien der PID dienstbar gemacht worden, wird dadurch ergänzt, daß Material aus dem Inneren von sozialistischen Staaten dem Gegner im Ausland zugespielt worden war, um dieses für die PID auszunutzen. Die Anregung dazu konnte nach Meinung des MfS nur vom äußeren Klassenfeind kommen. Die Stimulierung der Handlungsfähigkeit der feindlichen ideologischen Stützpunkte: Der Gegner hätte sich auf diese Aufgabe konzentriert, um die antisozialistischen Kräfte innerhalb der sozialistischen Länder, die aufgrund der sozialistischen Entwicklung quantitativ schwach gewesen seien und die breite gesellschaftliche Basis entbehrt hätten, in bestimmten Lagen (Spannungssituationen) zu befähigen, eine wesentliche Rolle zu spielen und sich zum realen Gegner zu entwickeln. Dazu hätten die Zentren ihr gesamtes Potential eingesetzt, um die inneren Kräfte zu unterstützen, ihre Tätigkeitsmöglichkeiten zu vervielfältigen

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und ihre wichtigste Schwäche, die im politischen Klassenkampf eine große Rolle gespielt hätte, nämlich der Mangel an Propagandainstrumenten, auszugleichen. Die Zentren der PID hätten sich dabei in die äußeren Propagandaabteilungen der inneren antisozialistischen Kräfte verwandelt. In diesem Prozeß der Unterstützung der inneren konterrevolutionären Kräfte hätten sie zugleich die Integrierung ökonomischer, politischer und vor allem militärischer Handlungen organisiert. Zum Beweis wurde wieder auf den "Prager Frühling" Bezug genommen. Die westdeutschen und amerikanischen Rundfunkstationen seien ununterbrochen in enger Verkettung mit dem Provokationsmanöver "Schwarzer Löwe,,12 mit dem Ziele tätig gewesen, von außen auf die Entwicklung im Inneren der