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German Pages 447 Year 2008
Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Band 186
Das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz Zur Bedeutung der zeitlichen Bindungen für das Haushalts- und Staatsschuldenrecht
Von
Henning Tappe
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
HENNING TAPPE
Das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz
Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Heinrich Dörner Dr. Dirk Ehlers Dr. Ursula Nelles
Band 186
Das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz Zur Bedeutung der zeitlichen Bindungen für das Haushalts- und Staatsschuldenrecht
Von
Henning Tappe
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D6 Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 978-3-428-12807-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2007/2008 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde Anfang September 2007 abgeschlossen; nachfolgende Rechtsprechung und Literatur konnten darüber hinaus noch bis März 2008 Berücksichtigung finden. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Dieter Birk, der diese Arbeit betreut und das Erstgutachten erstellt hat. Während meiner Tätigkeit am Institut für Steuerrecht der Universität Münster hat er mich in vielerlei Hinsicht gefördert und mir stets den nötigen Freiraum für die Erstellung dieser Arbeit gelassen. Herzlichen Dank schulde ich daneben Herrn Professor Dr. Hans D. Jarass für die Erstellung des Zweitgutachtens. Für die Aufnahme der Arbeit in die „Münsterischen Beiträge“ danke ich den Herausgebern dieser Schriftenreihe, Frau Prof. Dr. Ursula Nelles, Herrn Prof. Dr. Heinrich Dörner und Herrn Prof. Dr. Dirk Ehlers. Danken möchte ich weiterhin meiner Frau Dr. Stefanie Tappe, die die Geduld mit mir nie verloren und vor allem die Mühe des Korrekturlesens auf sich genommen hat. Ihr, meinen Eltern und vor allem meinem Sohn Felix, der durch seine Geburt im August 2007 die Fertigstellung nicht unwesentlich beschleunigt hat, möchte ich diese Arbeit widmen. Münster, im März 2008
Henning Tappe
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Teil Die Zeit im Haushaltsrecht
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§ 1 Prolog: Zeit und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Zeit im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zeit als Rechtsfolge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Zeit als Tatbestandsmerkmal von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . B. Das Recht in der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Zeitlichkeit von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zeitloses Recht?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Haushaltsverfassungsrecht und Haushaltsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematisierung der Haushaltsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Versuche einer inhaltlichen Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Statische und dynamische Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Formale und materielle Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kombinierte Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Systematisierung nach Rechtsqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung einfach-rechtlicher Haushaltsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . III. Haushaltsgrundsätze mit Verfassungsrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG – Vollständigkeit und Einheit. . . . . . . . . a) Non-Affektationsprinzip (Gesamtdeckungsprinzip) . . . . . . . . . b) Prinzip der Einzel- bzw. Bruttoveranschlagung . . . . . . . . . . . . . c) Nettoveranschlagung der Einnahmen aus Krediten . . . . . . . . . 2. Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG – Wahrheit, Klarheit und Genauigkeit a) Haushaltswahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haushaltsklarheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Genauigkeit und Spezialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Globale Minderausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG – Ausgeglichenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Materielle Ausgeglichenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Formelle Ausgeglichenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 32 32 35 35 36 36 37 38 42 42 44 47 49 51 51 53 54 55 57 57 58
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Inhaltsverzeichnis aa) Kreditaufnahme als Finanzierungs- und Gestaltungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kein Verausgabungszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Finanzpsychologische Wirkung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG – Bepackungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG – Jährlichkeit und Vorherigkeit . . . . . . . 6. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG – Gesetzförmigkeit und Öffentlichkeit 7. Art. 114 Abs. 2 GG – Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit . . . . . . IV. Grundsatzgesetzgebung des Bundes (HGrG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhalte des HGrG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bindungswirkung des HGrG auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rangordnung der Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Universalität der Lex-posterior-Regel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Änderung des HGrG und Abweichung vom HGrG . . . . . . . . . . aa) Abweichende Gesetzgebung als Verstoß gegen Art. 109 Abs. 3 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verstoß gegen HGrG als Verstoß gegen höherrangiges Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Reichweite der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedeutung des HGrG auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. „Zeitliche“ Haushaltsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Haushaltsjahr: Jährlichkeit und Jährigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Jährlichkeit und Jährigkeit im geltenden Recht. . . . . . . . . . . . . . . . . a) Funktionen der Jährlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haushaltsjahr gleich Kalenderjahr? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zeitliche Bindung und Spezialität (Jährigkeit) . . . . . . . . . . . . . . d) Trennung nach Jahren und überjährige Betrachtung . . . . . . . . . aa) Wirkungen einer Trennung nach Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sinn und Zweck einer Trennung nach Jahren . . . . . . . . . . . II. Beschränkungen durch das sog. „Bepackungsverbot“ . . . . . . . . . . . . . . 1. Rationalisierungs- und Transparenzwirkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Bedingungsverbot“ auf Bundes- und Landesebene? . . . . . . . . . . . a) Beteiligung des Bundesrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Volksgesetzgebung auf Länderebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitliche Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Haushalts- und Haushaltsnebengesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Bepackung“ bei der Aufnahme von und den Einnahmen aus Krediten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58 59 61 62 64 66 68 70 71 72 73 74 75 77 79 80 82 83 84 84 86 88 90 94 94 95 101 104 105 107 112 113 116 116 117 119 119 123
Inhaltsverzeichnis 4. Folgen eines Verstoßes gegen das Bepackungsverbot . . . . . . . . . . a) Grundsätzlich: Teilnichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Automatische“ Befristung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Befristung als Tatbestand und Rechtsfolge? . . . . . . . . . . . . bb) Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung . . . . . cc) Keine geltungserhaltende Reduktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die „Vorherigkeit“ des Haushalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tatsächliche Entwicklung seit 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsregel, Ordnungsgrundsatz oder Sollvorschrift? . . . . . . . . . . a) Relativierung der Vorgabe durch Art. 111 GG? . . . . . . . . . . . . b) Differenzierung nach Verfassungsorganen? . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen der verspäteten Feststellung des Haushalts . . . . . . . a) Vollzug: Überbrückung der etatlosen Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Varianten der Überbrückung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorläufige Haushaltsführung, Art. 111 GG . . . . . . . . . . . . (1) Gesetzliche Ermächtigungen vor Feststellung des Haushaltsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit vorläufiger Nothaushaltsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Inhalt und Wirkung vorläufiger Nothaushaltsgesetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Alleiniges Initiativrecht der Regierung . . . . (bb) Grundsatz der Haushaltswahrheit . . . . . . . . . (2) Notbewilligungsrecht (Art. 112 GG) während der etatlosen Zeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Nothaushaltsführung als Haushaltsvorgriff . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzgebung: Rückwirkung des verspäteten Haushaltsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gültigkeit des verspäteten Haushaltsgesetzes . . . . . . . . . . . bb) Rückwirkung des verspäteten Haushaltsgesetzes . . . . . . . . (1) Rückwirkungsverbot im Haushaltsrecht? . . . . . . . . . . . (a) Sinn und Zweck eines Rückwirkungsverbots . . . (b) Normen des Haushaltsrechts als leges speciales (2) Pflicht zur Haushaltsgesetzgebung als solcher („ob“) cc) „Wirkung“ und inhaltliche Bedeutung des rückwirkenden Haushaltsgesetzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bedeutung von „Rückwirkungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) „Genehmigung“ des Haushaltsvollzugs? . . . . . . . . . . . (a) Notwendigkeit einer Genehmigung? . . . . . . . . . . . (b) Möglichkeit einer Genehmigung? . . . . . . . . . . . . . (aa) Keine Heilung der verfassungswidrigen Nothaushaltsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis (bb) Keine nachträgliche Verweigerung zulässiger Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bloße Erfassung des gesamten Haushaltsjahres . . . . . dd) Keine rückwirkende Kreditermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . (1) Aufnahme von und Einnahmen aus Krediten . . . . . . . (2) Rückwirkungsverbot in der Systematik des Staatsschuldenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die „Vorherigkeit“ des Nachtragshaushalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Relative Vorherigkeit des Nachtrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Absolute Vorherigkeit des Nachtrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bedeutung und Wirkung des § 33 S. 2 BHO . . . . . . . . . . . bb) Änderung eines außer Kraft getretenen Gesetzes? . . . . . . . c) Möglichkeit rückwirkender Nachtragshaushalte? . . . . . . . . . . . . aa) Nachtragshaushaltsgesetz als Änderungsgesetz . . . . . . . . . bb) Vorrang des bestehenden Haushaltsgesetzes . . . . . . . . . . . . (1) Bindung an die Ausgabenansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bindung an die Kreditermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . cc) Nichtigkeit des verspäteten Nachtragshaushalts . . . . . . . . . (1) Systematik der Art. 111 und 112 GG . . . . . . . . . . . . . . (2) Folgenabwägung im Fall des verspäteten Nachtrags IV. Haushaltsgrundsätze mit „indirektem“ Zeitbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Das Haushaltsgesetz als „Zeitgesetz“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Haushaltsgesetz als Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsnatur des Haushaltsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Nur-formelles“ Gesetz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetz wie jedes andere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) „Nur-historischer“ Streit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subordination des Haushaltsplans?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Subordination wegen Bindung der „Verwaltung“? . . . . . . . . . . . b) Haushaltsplan als „Nichtrechtssatz“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Äußere Vorgaben und Auslegung des Haushaltsgesetzes . . . . II. Zeitliche Wirkungen des Haushaltsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vor Beginn des Haushaltsjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Während des Haushaltsjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vor Verkündung des Haushaltsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nach Inkrafttreten des Haushaltsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nach Abschluss des Haushaltsjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Außerkrafttreten des Haushaltsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ableitung aus dem zeitlichen Bepackungsverbot . . . . . . . . bb) (Länder-)Verfassungen ohne zeitliches Bepackungsverbot. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtswirkungen nach Ende des Haushaltsjahres . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis c) Exkurs: Abstrakte Normenkontrolle nach Ende des Haushaltsjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auslegung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtswirkungen des Haushaltsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . cc) Maßgeblicher Zeitpunkt: Antragstellung oder Entscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Teil Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme § 3 Die „doppelte Zeitlichkeit“ des Staatskredits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Staatsverschuldung als Umverteilung in der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verteilung von Nutzen und Lasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kreditaufnahme in der Demokratie als „Herrschaft auf Zeit“ . . . . . . 1. Zulässigkeit des Vorgriffs auf die Entscheidungsgewalt zukünftiger Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen der Staatsverschuldung als Zukunftssicherung. . . . . . . . . B. Die „Zeitlichkeit“ der verfassungsrechtlichen Kreditgrenze . . . . . . . . . . . I. Normallage: Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einnahmen aus Krediten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Aufnahme von“ und „Einnahmen aus“ Krediten . . . . . . . . . . . b) Kreditbegriff des Art. 115 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kreditaufnahme bei Gebietskörperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgaben für Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Historischer“ Begriff der Bruttoinvestitionen . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik am geltenden Investitionsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nettoinvestitionen: Berücksichtigung von Abschreibungen und Desinvestitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Cashflow-Orientierung des geltenden Haushaltsrechts . . . (1) Ex-ante-Sicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Keine Erfassung der Veränderungen im Bestand . . . (3) Spezifischer staatsschuldenrechtlicher Investitionsbegriff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Berücksichtigung von Desinvestitionen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das „Junktim“ des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG. . . . . . . . . . . . . a) Realitätsgerechte Planung als Voraussetzung für die Kreditgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geltung der Kreditgrenze bei asymmetrischem Haushaltsvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wortlaut des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG: „Veranschlagte Ausgaben“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Teleologische und systematische Argumente für eine Bindung des Vollzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis cc) Praktische Schwierigkeiten einer Bindung an die IstAusgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Auswege: Haushaltswahrheit und Fehlbetragslösung . . . . c) Verbot der überjährigen Saldierung von Einnahmen aus Krediten und Ausgaben für Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bedeutung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts für die Kreditaufnahme in der „Normallage“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriff der „Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auswirkungen für die Kreditaufnahme in der Normallage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Störungslage: Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Materielle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Exkurs: Landeskompetenz zur Feststellung und Abwehr einer Störung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formelle Voraussetzungen: Darlegungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Diagnose der „Störung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Absicht der „Abwehr“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Prognose der Eignung von Abwehrmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . 3. Kritik an der Ausnahme des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG . . . . 4. Zeitliche Bedeutung: Konjunkturzyklus vs. Haushaltsjahr . . . . . . . a) Vorverlagerung der „Abwehr“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abwehr einer während des Haushaltsjahres auftretenden Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs A. Vor- und Rückgriff auf Kreditermächtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fortgeltende Kreditermächtigungen (Restkredite) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kreditermächtigungen im Haushaltsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sparen der Kreditermächtigung nach § 2 Abs. 1 HG . . . . . . . . b) Sparen der Kreditermächtigung nach § 2 Abs. 2 HG? . . . . . . . 2. Regelungsgehalt des § 18 Abs. 3 BHO (§ 13 Abs. 2 HGrG) . . . . a) Verstoß gegen Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG: „Haushaltsgesetz“? b) Kontinuierliche Kreditwirtschaft vs. Kreditermächtigungspolster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unzulässigkeit des Anhäufens von Kreditermächtigungen („Fifo-Methode“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nochmals: Geltung der Kreditgrenze im Haushaltsvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bedeutung des § 18 Abs. 3 BHO im staatsschuldenrechtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Nothaushaltsrecht: „sonstige Quellen“ i. S. d. Art. 111 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
289 292 294 295 296 297 300 300 301 301 304 306 306 307 308 309 309 311 313 314 314 315 316 317 319 319 321 323 324 325 327
Inhaltsverzeichnis
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(a) Kontinuierliche Haushalts- und Kreditwirtschaft (b) Anrechnung auf die Kreditermächtigung des neuen Haushaltsjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Kreditermächtigungen für Tilgungen in der etatlosen Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kreditfinanzierung von Ausgaberesten i. S. d. § 19 BHO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Erweiterung des zeitlichen Geltungsbereichs. . . . (b) Haushaltswirtschaftliche Kontinuität durch Bildung von Ausgaberesten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Umbuchung von Einnahmen aus Krediten . . . . . . (3) Finanzierung von Ausgaben späterer Haushaltsjahre? – § 2 Abs. 9 HG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Bedeutung und Regelungstechnik des § 2 Abs. 9 HG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Inanspruchnahme für beliebige Ausgaben des nächsten Haushaltsjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Überbrückung der Zeit bis zu einem Nachtragshaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgerungen für die Inanspruchnahme fortgeltender Kreditermächtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorgriffskreditermächtigungen (Vorratskredite) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sinn und Zweck der Vorgriffsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Finanzierung von Ausgaben zu Beginn des Folgejahres . . . . . b) Wirtschaftlichkeit einer verfrühten Kreditaufnahme? . . . . . . . . 2. Missbrauch von Vorgriffsermächtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kreditfinanzierte Überschüsse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kassenmäßige Überschüsse bei kreditfinanzierten Haushalten . . . . . 1. Bedeutung des Gesamtdeckungsprinzips, §§ 8 S. 1 BHO, 7 S. 1 HGrG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Kreditfinanzierter Überschuss“: Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesamtdeckungsprinzip bei Bildung eines Überschusses im Auslaufzeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einfach-rechtliche Fiktion der Kreditfinanzierung . . . . . . . . . . . . . a) Subsidiarität der Kreditaufnahme im Haushaltsvollzug . . . . . . b) Verwendung von Überschüssen, § 25 Abs. 2 BHO. . . . . . . . . . II. Spitze Abrechnung der Krediteinnahmen zum Jahreswechsel . . . . . . III. Zeitliche Streckung des Bedarfs durch Fehlbeträge . . . . . . . . . . . . . . . C. Kreditfinanzierte Rücklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zulässigkeit der Bildung von Rücklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zuführungen von Kreditmitteln an Rücklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesamtdeckungsgrundsatz und Funktion der „kreditfinanzierten Rücklage“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
327 329 330 331 331 332 334 335 336 338 340 342 344 344 345 346 347 349 350 352 352 353 357 357 359 362 364 365 366 367 367
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Inhaltsverzeichnis 2. Wirtschaftlichkeit der Rücklagenbildung bei teilweiser Kreditfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geltung der Wirtschaftlichkeit für Gesetzgebung und Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unwirtschaftlichkeit der Rücklage aufgrund Zinsschadens? . . III. Missbrauch durch bloße Umbuchung von Krediteinnahmen . . . . . . . . IV. Varianten der „Rücklagenwirtschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kommunalkreditierung in Länderhaushalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kreditierung und Stundung in der nordrhein-westfälischen Gemeindefinanzierung 2003–2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kreditierung zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere Varianten: Nebenhaushalte und Veräußerungen . . . . . . . .
370 371 373 375 379 379 380 382 386
§ 5 Epilog: (Zeitliche) Grenzen des Staatsschuldenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 3. Teil Abschließende Bewertung
391
§ 6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Personen- und Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
Was also ist die Zeit? Wenn mich niemand fragt, weiß ich es. Wenn ich es jemandem erklären will, der fragt, weiß ich es nicht. Augustinus, Confessiones, XI 17
Einleitung Das Haushaltsrecht wird, auch von Juristen, gemeinhin als technisch, formal und damit als spröde, trocken und langweilig empfunden. Es wird mit Eigenschaften assoziiert, die viele „Nicht-Juristen“ den Rechtswissenschaften an sich zuschreiben – was an dieser Stelle aber nicht weiter auszuführen ist. In der Tat ist der Haushaltsplan ein formales Gebilde, dessen Zahlenwerk sich nur Eingeweihten erschließt und das in seiner schieren Masse (die gedruckte Fassung des Bundeshaushaltsplans 2008 umfasst rd. 3000 Seiten1) kaum fassbar ist. Für den Rechtswissenschaftler indes hat der Haushalt einiges zu bieten, denn das Haushaltsgesetz unterscheidet sich von anderen Gesetzen durch manche Eigenart: Es ist nach herkömmlicher Auffassung ein rein formelles Gesetz2, das im Grundsatz (nur) einen Plan feststellt und insoweit – wie sich aus § 3 Abs. 2 HGrG ergibt – keine Ansprüche oder Verbindlichkeiten begründet oder aufhebt. Es ist das einzige Gesetz, das abweichend von Art. 76 Abs. 1 GG nur von der Bundesregierung eingebracht werden darf3, dessen Erlass dem Gesetzgeber von der Verfassung vorgeschrieben wird – und es ist ein Zeitgesetz, ein Gesetz, welches zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verabschieden ist und welches von vornherein auf einen bestimmten Zeitraum bezogen und auf diesen befristet ist. 1 Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2008 (Haushaltsgesetz 2008), BT-Ds. 16/6000 (http://dip21.bundes tag.de/dip21/btd/16/060/1606000.pdf). Vgl. zum „Anwachsen“ des Haushaltsplans auch Stern, StaatsR II, § 49 I 1, S. 1189. 2 Vgl. Laband, Das Budgetrecht (1871), S. 11 ff.; ähnlich Maunz, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 110, Rn. 10; Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 25; Birk/Barth, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO Rn. 54; zur Kritik vgl. Haenel, Das Gesetz im formellen und materiellen Sinne (1888), S. 291 ff.; Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 168 ff., 353 f.; Pünder, Haushaltsrecht im Umbruch, S. 90 ff.; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 53 f.; jeweils m. w. N. – Hierzu im Einzelnen aber noch unten § 2 C. I., S. 219 ff. 3 Arg. ex Art. 110 Abs. 3, Art. 113 Abs. 1 S. 1 GG; vgl. § 95 Abs. 1 S. 1 GOBT; BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [46] und die Nachweise unten Fn. 487 (S. 116). Teilweise wird daneben auch für Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen i. S. d. Art. 59 Abs. 2 GG ein Initiativmonopol der Bundesregierung angenommen, vgl. dazu Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 76, Rn 5; Masing, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 2, Art. 76, Rn. 45 ff. jeweils m. w. N.
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Neben dieser „Förmlichkeit“ steht die politische Bedeutung des Haushalts. Das Budget ist „seinem Wesen nach ein politischer Akt“ (Jèze). Es ist die Verwirklichung eines politischen Handlungsprogramms4, das „Regierungsprogramm in Zahlen“5 und „Schicksalsbuch der Nation“6. Nicht ohne Grund gerät die Haushaltsdebatte im Parlament häufig zur „Generaldebatte“: Haushaltsberatungen geben der Opposition Gelegenheit, die Regierungspolitik insgesamt, mangelnde Schwerpunktsetzung oder gebrochene Wahlversprechen zu kritisieren. Für die modernen Staaten lässt sich der Grundsatz aufstellen: Die Verwirklichung eines politischen Programms setzt sich notwendig in neue Ausgaben oder eine Herabsetzung von Ausgaben um7. Die Haushaltspolitik bildet damit die wirtschaftliche Grundlage staatlichen Handelns. Es ist kaum eine Maßnahme des Staates denkbar, die nicht Ausgaben irgendeiner Art und Größe mit sich bringt8. Der Haushaltsplan ist „Gesamtprogramm für die staatliche Wirtschaftsführung und damit zugleich für die Politik des Landes während der Etatperiode“9. Hieraus ergibt sich die praktische Bedeutung des Haushaltsrechts. Das Haushaltsrecht bildet den Rahmen für die Haushaltspolitik. Es eröffnet und begrenzt die politischen Spielräume, die bei der Aufstellung und Ausführung des jährlichen Haushaltsplans bestehen. Die haushalts- und staatsschuldenrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes10 wiederum beschränken den Spielraum des einfachen Haushaltsgesetzgebers. Schmölders hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Haushalts- und Finanzverfassung dabei auch stets „ein Spiegelbild der Staatsverfassung, der Staatsform und der Grundkonzeption der Staatszwecke“ ist11. Der „Nachtwächterstaat“, wie ihn Lassalle genannt hat12, ist dem modernen Wohlfahrtsstaat gewichen13. 4 Jèze, Théorie générale du Budget (1922), S. I (Préface): „Le budget est essentiellement un acte politique. […] le budget est, avant tout, la mise en œuvre d’un programme d’action politique“. Vgl. auch Stern, StaatsR II, § 49 I 3, S. 1191: „echt politische […] Materie“. 5 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [329]. 6 Vgl. Stern, StaatsR II, § 49 I 1, S. 1189. 7 Jèze, Théorie générale du Budget (1922), S. II: „La réalisation d’un programme politique se traduit nécessairement par de dépenses nouvelles ou de réduction de dépenses“. 8 Schmölders, Finanzpsychologie, S. 14. Vgl. auch bereits Justi, Ausführliche Abhandlung von denen Steuern und Abgaben (1762), S. 4: „Es ist […] gar nicht möglich, daß eine bürgerliche Gesellschaft statt finden kann, die nicht zu ihrer Erhaltung und Glückseligkeit vielen Aufwand zu machen hätte“. 9 Heckel, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts (1932), Bd. 2, § 374 ff. [388 ff, 392]. 10 Zunehmend auch europäisches Recht, vgl. etwa Art. 99, 104, 121 EG. 11 Schmölders, Finanzpolitik, S. 21.
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Die staatlichen Aufgaben und Ausgaben sind im Laufe der Zeit beständig gewachsen14 und mit ihnen die Bedeutung des staatlichen Haushalts und der staatlichen Finanzverfassung für das moderne Gemeinwesen. Die Vermehrung staatlicher Auf- und Ausgaben lässt zugleich ein finanzpolitisches Paradoxon deutlich werden: Je größer der Bereich wird, in dem der Staat Aufgaben übernimmt15, desto kleiner scheinen die Entfaltungsmöglichkeiten politischer Gestaltungskraft zu werden. Wachsende Staatsausgaben, insbesondere auch Zinsen für alte und neue Kredite16, engen die finanziellen Spielräume des Staates ein17. Der Staat droht damit auf die politische Handlungsunfähigkeit zuzusteuern. Es ist für die modernen, freiheitlichen Staaten kaum machbar, die Einnahmen in demselben Maße zu steigern, wie die teils (nur) erwünschten, teils (nur) notwendigen Ausgaben. Zugleich entwickelt sich das Wagner’sche Gesetz der wachsenden Staatsausgaben18 fort zu einem „Gesetz der wachsenden Staatsverschuldung“. Die Staatsverschuldung ist in der aktuellen politischen, wirtschaftlichen und juristischen Diskussion das zentrale Thema im Bereich der öffentlichen Finanzen. Ob die Staatsverschuldung eine der „schrecklichsten Geißeln [ist], die je zur Plage der Nation erfunden wurde“19, die „gefährlichste 12 Lassalle, Arbeiter-Programm (1862), in: Bernstein (Hrsg.), Gesammelte Werke und Schriften, 2. Band, Berlin 1919, S. 139 [195]. 13 Vgl. Schmölders, Finanzpolitik, S. 21. 14 Adolph Wagner formulierte 1863 das „Gesetz der wachsenden Staatsthätigkeiten“, die These, dass „der Staatsbedarf bei fortschreitenden Völkern in regelmäßiger Vermehrung begriffen“ sei (Wagner, Ordnung des österreichischen Staatshaushalts (1863), S. 4). Er übernahm damit einen Gedanken Karl Umpfenbachs, Finanzwissenschaft (1859), S. 25, der bereits vier Jahre zuvor das Phänomen wie folgt umschrieben hatte: „Das Gesetz der Größe des Staatsbedarfs ist ein regelmäßiges Fortschreiten mit dem Fortschreiten der menschlichen Gemeinwesen“. Vgl. auch Wagner, Grundlegung der politischen Oekonomie3 (1892), S. 888 und S. 895: „[Gesetz] welches für die Finanzwirthschaft als Gesetz des wachsenden öffentlichen Finanzbedarfs […] zu formuliren ist.“; Timm, FinArch 21 (1961), S. 201 ff. Zum Wachsen des Budgets auch Schanz, „Budget“, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 2 (1891), S. 773. 15 Dies umfasst sowohl Aufgaben, die der Staat dem Einzelnen „abnimmt“ als auch solche, die dem Staat – qualitativ oder quantitativ – aufgrund des technischen und gesellschaftlichen Fortschritts „zuwachsen“. 16 Der Anteil der Zinsausgaben im Bundeshaushalt 2005 (Schuldendienst, Kapitel 32 05: rd. 39 Mrd. e) beträgt bereits 15% der Gesamtausgaben (254 Mrd. e). Der Schuldenstand belief sich 2004 auf rd. 803 Mrd. e (Bund) bzw. 1 395 Mrd. e (öffentliche Haushalte insgesamt), vgl. Anhang 1. 17 Im Einzelnen vgl. den 2. Teil, § 3, S. 251 ff. 18 Zur Formulierung vgl. Timm, FinArch N.F. 21 (1961), S. 201 [202] und oben Fn. 14 (S. 17). 19 „One of the most terrible scourges which was ever invented to afflict a nation“, Ricardo, Pamphlets and papers 1815–1823, in: Sraffa, The works and corres-
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Form der Staatseinnahme“20 oder notwendige Zukunftsvorsorge21, die sich letztlich selbst finanziert22 – über den volkswirtschaftlichen Sinn und Unsinn der Staatsverschuldung lässt sich trefflich streiten23. Fest steht: Die zunehmende Staatsverschuldung ist eine der großen und aktuellen Herausforderungen der Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik. Damit ist sie aber zugleich eine Herausforderung an das Haushalts- und Finanzverfassungsrecht.24 Auch wenn ein gewisser Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers in diesen – für den Staat essenziellen – Fragen unverzichtbar und durchaus wünschenswert erscheint, bedarf der „politische Akt“ einer zunehmend kreditfinanzierten Ausgabenpolitik aufgrund seiner weit reichenden Folgen einer wirksamen rechtlichen Kontrolle an den Maßstäben der Haushalts- und Finanzverfassung. Das Staatsschuldenrecht des Grundgesetzes hat daher auch in erster Linie Begrenzungsfunktion.25 Während sich die Finanzverfassung bei der inhaltlichen Ausfüllung des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ in Art. 109 Abs. 2 GG bewusst nicht auf eine bestimmte wirtschaftspolitische Grundentscheidung festlegt26, ist Art. 115 Abs. 1 GG ersichtlich auf die Grenzen pondence of David Ricardo, Vol. IV, Cambridge 1966, S. 197. Vgl. auch David Hume: „Either the nation must destroy public credit or public credit will destroy the nation“, Hume, Of Public Credit, The Essays, Moral, Political and Literary, Part II, IX, Reprint, London 1904, S. 366 (Rn. 28). 20 Isensee, Damoklesschwert über der Finanzverfassung, in: FS Selmer, S. 687 [694]. 21 „Ein Staat ohne Staatsschuld thut entweder zu wenig für seine Zukunft, oder er fordert zu viel von seiner Gegenwart“, v. Stein, Lehrbuch der Finanzwissenschaft4, Bd. 2 (1878), S. 347. 22 „[…] the Budget deficit always finances itself“, Kalecki, Three Ways to Full Employment, in: Economics of Full Employment (1948), S. 39 [40]. Sog. „Fontänentheorie“, vgl. Duwendag, Staatsverschuldung, S. 88. 23 Vgl. Hickel, Notwendigkeit und Grenzen der Staatsverschuldung, in: Diehl/ Mombert, Das Staatsschuldenproblem, S. V: „Die Auseinandersetzung um den Stellenwert der Staatsverschuldung gleicht eher einem Glaubenskrieg […]“. 24 Vgl. hierzu Püttner, Staatsverschuldung als Rechtsproblem, passim; krit. Osterloh, Staatsverschuldung als Rechtsproblem?, NJW 1990, 145 ff. und Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 1 m. w. N. 25 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 30 spricht von einer „politischen Bremsfunktion“; vgl. auch Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 146 ff.; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 140 ff. 26 Vgl. BT-Ds. V/890, S. 11: „Angesichts des ständigen Wandels der wirtschaftlichen Verhältnisse empfiehlt es sich nicht, Instrumente oder Grundsätze einer solchen antizyklischen Haushaltspolitik im einzelnen verfassungsrechtlich zu normieren“. Vgl. auch BT-Ds. V/1686, S. 3 sowie BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [338]: „Demnach stellt der Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts einen unbestimmten Verfassungsbegriff dar, der einen in die Zeit hinein offenen Vorbehalt für die Aufnahme neuer, gesicherter Erkenntnisse der
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der Kreditfinanzierung ausgerichtet.27 Diese Begrenzungsfunktion ist zukunftsbezogen: Zukünftige Generationen, die heute kein Wahlrecht, keinen Einfluss auf die politische Willensbildung haben, sollen – jedenfalls nach den Wertentscheidungen des geltenden Verfassungsrechts – vor einem wachsenden Schuldensockel geschützt werden.28 Das Kreditbegrenzungsgebot dient dem Schutz künftiger Generationen vor unbeschränkter Vorwälzung staatlicher Lasten29. Die Verfassung hat sich selbst die Aufgabe zugewiesen, staatliche Handlungsfähigkeit für die Zukunft zu sichern, die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzwirtschaft zu garantieren.30 Die Haushaltsverfassung ist damit in besonderem Maße zeitbezogen. Der scheinbaren Zeitlosigkeit der Finanzkrise stehen formale Regelungen gegenüber, die den Haushalt zeitlich in bestimmte wiederkehrende Phasen einteilen („Budgetkreislauf“), und eine Durchbrechung der einzelnen Haushaltsperioden, ein „Hinübergreifen“ in andere Haushaltsjahre nur ausnahmsweise zulassen. Der Haushalt selbst ist zukunftsbezogen. Er ist ein politischer Plan, ein Regierungsprogramm für einen bestimmten Zeitraum, der zweckmäßigerweise vor Beginn dieses Zeitraums festgestellt wird.31 Der Vollzug des Haushaltsplans bedarf der nachträglichen Kontrolle, eines Vergleichs Wirtschaftswissenschaften als zuständiger Fachdisziplin enthält.“ Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 187 ff. erkennt auch in Art. 109 Abs. 2 GG eine „Schuldenbegrenzungsbestimmung“. 27 Ähnlich Art. 84 S. 2 BaWüVerf; Art. 87 Abs. 2 BerlVerf; Art. 103 Abs. 1 S. 2 BbgVerf; Art. 131a S. 2 BremVerf; Art. 65 Abs. 2 M-VVerf; Art. 71 S. 2 NdsVerf; Art. 83 S. 2 VerfNW; Art. 117 S. 2 RhPfVerf; Art. 108 Abs. 2 SaarlVerf; Art. 95 S. 2 SächsVerf; Art. 99 Abs. 3 VerfLSA; Art. 53 S. 2 SchlHVerf; Art. 98 Abs. 2 ThürVerf. Die „klassische“ Kreditbegrenzung („bei außerordentlichem Bedarf“) formulieren: Art. 82 BayVerf; Art. 72 Abs. 1 HmbVerf und Art. 141 S. 1 HessVerf. 28 Vgl. auch Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive in: FS Friauf, S. 705 [706]. Dabei ist indes zu beachten, dass letztlich jede gesetzgeberische Entscheidung irgendwelche, teilweise nicht oder nur schwer reversible Zukunftswirkungen hat, vgl. dazu etwa Henseler, AöR 108 (1983), 489 ff. Ob diese „Staatsschuldenthese“ des Grundgesetzes richtig ist, kann aber letztlich nicht allein durch die Rechtswissenschaft sondern nur mit Hilfe der Wirtschaftswissenschaften beurteilt werden. Eine klare Linie zur Staatsverschuldung ist in der Volkswirtschaftslehre oder den Finanzwissenschaften aber weder erkenn- noch absehbar. 29 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [334]; BVerfG, Beschluss v. 17.9.1998, 2 BvK 1/98, BVerfGE 99, 57 [67]; VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [284] = NVwZ 2004, 217 [218] = NWVBl. 2003, 419 [423]; BerlVerfGH, Urteil v. 31.10.2003, VerfGH 125/02, LVerfGE 14, 104 [117] = NVwZ 2004, 210 [211]. 30 Solche inhaltlichen „Zukunftssicherungen“ kennt das Grundgesetz im Übrigen nur vereinzelt (vgl. etwa Art. 20a GG: „in Verantwortung für die zukünftigen Generationen“). 31 Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 205.
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Einleitung
von Soll und Ist. Aus der Kontrollfunktion folgt notwendigerweise eine Begrenzung des beplanten Zeitraums. Das Verhältnis von Recht und Zeit, die Frage der zeitlich begrenzten Geltung und Wirkung von Rechtsnormen und die besondere Zeitlichkeit des Haushaltsrechts sollen in einem ersten Teil dieser Arbeit entwickelt werden (§§ 1, 2). Im Vordergrund stehen hier die zeitlichen Vorgaben für Haushaltsgesetzgebung und -vollzug (Jährlichkeit, Vorherigkeit, zeitliche Bindung) sowie die Rechtsfolgen der begrenzten Geltungszeit des Haushaltsgesetzes. Der zweite Teil schlägt die Brücke zum Staatsschuldenrecht. Besonders bei der Frage der (Ermächtigung zur) Kreditaufnahme gewinnen die zunächst scheinbar nur formalen zeitlichen Grenzen, die die Verfassung dem parlamentarischen Gesetzgeber bei der Haushaltsgesetzgebung aufzeigt, an materieller Bedeutung (§ 3). Die an die Investitionen gekoppelte Regelgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG32 verlangt ebenso eine klare zeitliche Zuordnung wie die auf die Beseitigung einer aktuellen oder drohenden Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gerichtete erhöhte Kreditaufnahme. Ein „überjähriger Ausgleich“ kann zwar im Sinne einer stetigen Finanzplanung sein, führt jedoch dazu, dass die von der Finanzverfassung beabsichtigte Begrenzung einer staatlichen Kreditaufnahme umgangen wird oder zumindest umgangen werden kann. Für diese Art „kreativer Haushaltsführung“ existieren verschiedene Beispiele (Überschüsse, Restkreditermächtigungen, Rücklagen und ihre Varianten), die im Einzelnen dargestellt und kritisch auf ihre Vereinbarkeit mit den haushalts(verfassungs-)rechtlichen Vorgaben überprüft werden (§ 4). Abschließend werden die Bedeutung der zeitlichen Grenzen des Haushaltsjahres für die Begrenzung der Staatsverschuldung im geltenden Recht und in einem Ausblick Möglichkeiten einer nichtperiodischen Kreditsteuerung erörtert, die nicht nur die jährliche Neuverschuldung sondern auch den über die Jahre hinweg aufgebauten Schuldenstand miteinbeziehen muss (§ 5).
32 Vgl. auch die entsprechenden Regelungen in den Landesverfassungen, o. Fn. 27 (S. 19).
1. Teil
Die Zeit im Haushaltsrecht § 1 Prolog: Zeit und Recht Zeit und Recht stehen nicht unverbunden nebeneinander. Die Zeitdimension ist ein wesentliches Element des Rechts.1 Recht ist eine rangmäßig geschichtete, zeitgebundene Hervorbringung menschlichen Verhaltens2. Es ist ein Produkt seiner Zeit und entwickelt sich in dieser fort. Jedes Rechtssystem repräsentiert eine bestimmte Phase in der Geschichte der Menschheit.3 Die Zeit wirkt – in geschichtlichen Dimensionen – auf das Recht ein; Rechtsordnungen haben eine Geschichte und sind selbst Geschichte.4 Keine Rechtsordnung gilt von jeher und für alle Zeiten, sie ist eine Ordnung der jeweiligen Rechtsgemeinschaft und endet mit deren Untergang5. Aber auch im kleineren Maßstab hat die Zeit Einfluss auf das Recht. Das Recht „geht mit der Zeit“. Neue Rechtsnormen werden gesetzt, bestehende geändert oder aufgehoben. Das Inkraft- und Außerkrafttreten von Normen ist auch innerhalb eines bestehenden Rechtssystems zeitbezogen, so dass das „Recht in der Zeit“ niemals still steht. Auf der anderen Seite steht die Frage nach der „Zeit im Recht“6. Bei kausaler Betrachtung setzt das Recht die Zeit voraus – nicht aber die Zeit das Recht: Die Zeit ist stets dem Recht vorgelagert. Für die Frage nach dem Verhältnis von Zeit und Recht muss daher – wie stets – zwischen Tatbestand und Rechtsfolge, zudem aber auch zwischen Rechtsetzung und Rechtsanwendung7 differenziert werden.
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Maurer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 60 Rn. 1. Winkler, Zeit und Recht, S. 188. 3 Husserl, Recht und Zeit, S. 10. 4 Husserl, Recht und Zeit, S. 10. 5 Husserl, Recht und Zeit, S. 11; vgl. auch H. L. A. Hart, The Concept of Law, S. 65; Kelsen, Reine Rechtslehre2, S. 292. 6 Vgl. den gleichnamigen Aufsatz von v. Münch, NJW 2000, 1; zur „dualistischen Fragestellung“ s. Kirste, Zeitlichkeit des positiven Rechts, S. 5. 7 Die zeitliche Spanne zwischen Rechtssetzung und Rechtsanwendung kann dabei durchaus beträchtliche Auswirkungen haben. Vgl. das Beispiel des Decretum Gratiani bei Rüthers, JZ 2006, 53 [59]; zum Verhältnis von objektiver und subjektiver Auslegung vgl. auch Wernsmann, NVwZ 2000, 1360 [1363] m. w. N. 2
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
A. Die Zeit im Recht I. Zeit als Rechtsfolge? Ein Einwirken des Rechts auf die Zeit ist denklogisch ausgeschlossen. Die Zeit selbst folgt nur den Naturgesetzen, ist nicht regulierbar und damit keine taugliche Rechtsfolge einer gesetzten Norm. Anderes gilt für die Maßeinheiten der Zeit, die – wie es in Art. 73 Nr. 4 GG heißt – Zeitbestimmung. Sowohl der Kalender als auch die Festlegung der „gesetzlichen Zeit“ sind Gegenstand einer Normierung8, die sich allerdings – wie andere Normen – an den natürlichen Gegebenheiten orientiert und, wenn sie akzeptiert werden will, auch orientieren muss. II. Die Zeit als Tatbestandsmerkmal von Rechtsnormen Im Gesetz über die Zeitbestimmung („Zeitgesetz“9) ist die Zeit selbst daher nicht Rechtsfolge sondern Tatbestandsmerkmal. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man den berühmten Satz Einsteins, „Zeit ist das, was man an der Uhr abliest“10 für die Gesetzesauslegung nicht akzeptiert. Für den Tatbestand von Normen spielt die „Zeit im Recht“ ohnehin eine größere Rolle: Die „Zeitbestimmung“ i. S. d. Art. 73 Nr. 4 GG knüpft tatbestandlich ebenso an die „reale“ Zeit an, wie Regelungen über Fristen, Verjährung und Veranlagungszeiträume, die wiederum an den in der Bundesrepublik gebräuchlichen gregorianischen Kalender11 und die im Zeitgesetz bestimmte „gesetzliche“ Zeit anknüpfen12. In diesen Fällen, etwa bei der Verjährung, ist „der Abfluss der Zeit für sich von rechtlicher Bedeutung, indem die Dauer eines gewissen Zustandes auf die Gestaltung des Rechtsver8
Vgl. v. Münch, NJW 2000, 1 [2 f.]. G. v. 25.7.1978, BGBl. I, 1110, zuletzt geändert durch G. v. 13.9.1994, BGBl. I, 2322. Zum begrifflichen Unterschied zwischen diesem „echten“ Zeitgesetz und der Verwendung der Bezeichnung „Zeitgesetz“ für befristete Normen vgl. v. Münch, NJW 2000, 1 [4]. 10 Zit. nach Schnabel, Relativitätstheorie mit Wurst und Käse, Die Zeit, Ausgabe 52/2004, S. 38. 11 Auch die Festlegung des Kalenders ist von der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes umfasst, vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 73, Rn. 8; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73, Rn. 86; Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 2, Art. 73 Rn. 40; Degenhart, in: Sachs, GG4, Art. 73 Rn. 20; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 73 Rn. 21; a. A. Pestalozza, in: v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, GG3, Bd. 8, Art. 73 Rn. 214 ff., 219 f.: „natürliche Kompetenz“. 12 Vgl. § 1 Abs. 1 ZeitG: „Im amtlichen und geschäftlichen Verkehr werden Datum und Uhrzeit nach der gesetzlichen Zeit verwendet“. 9
§ 1 Prolog: Zeit und Recht
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hältnisses einwirkt“.13 Die Zeit hat die Eigentümlichkeit, dass sie „schon für sich betrachtet, ohne anderen Inhalt, allein durch ihren Ablauf Rechtsfolgen nach sich zieht“14. Dies setzt freilich voraus, dass die entsprechende Norm tatbestandlich an die „Zeit“ anknüpft. Aber auch dann, wenn – anders als bei Regelungen über Fristen, Verjährung usw. – klare, explizit angeordnete Zeitbezüge fehlen, ist die Zeit Tatbestandsmerkmal von Rechtsnormen. Der zeitliche Geltungs- bzw. Anwendungsbereich einer Norm ist – wie auch der räumliche Geltungsbereich – stets Voraussetzung für die Anwendung der Norm und damit integraler, grundlegender Bestandteil des Tatbestandes. Solange eine Norm nicht „in Kraft“ getreten ist, kann sie keine Rechtsfolgen auslösen. Die Zeit wird damit zum universellen Tatbestandsmerkmal einer jeden Rechtsnorm.
B. Das Recht in der Zeit I. Die Zeitlichkeit von Rechtsnormen Maßgeblich für die Betrachtung von Zeit und Recht ist – jedenfalls insoweit gilt der Einsteinsche Grundsatz der Relativität auch im Recht – stets der vom Betrachter eingenommene Standpunkt, der jeweilige Blickwinkel. So ist die Forderung in Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG15, jedes Gesetz solle den Zeitpunkt seines Inkrafttretens selbst bestimmen, vom rein logischen Standpunkt aus selbstreferenziell und damit als „Zirkelschluss“ nicht nachvollziehbar. Vom rechtlichen Standpunkt aus ergeben sich – jedenfalls dem Grunde nach16 – aber keine wirklichen Probleme: Die Regelung erklärt sich dadurch, dass das Grundgesetz die Frage des Inkrafttretens als zeitlichen Anwendungsbereich auffasst, der den Inhalt einer Norm bestimmt.17 Das Inkrafttreten ist damit Teil der normativen Regelung, nicht des Gesetzgebungsverfahrens18, welches mit der Verkündung des Gesetzes abgeschlossen ist. 13
Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. I (1862), S. 529. W. Jellinek, Verwaltungsrecht3 (1931), S. 218. 15 s. auch § 31 Abs. 1 GGO II (online unter http://www.bmj.de/rechtsfoermlich keit/auszug_ggoii/ag2.htm). 16 Vgl. aber zu den Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Zeitpunkts Heinze, NJW 1961, 345; Maurer, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 82, Rn. 97 ff.; 123 ff. m. w. N. 17 Vgl. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Art. 82 Rn. 40 f.; BVerfGE 42, 264 [282 f.] Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 63, Rn. 64; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 82, Rn. 9. 18 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 82, Rn. 9; BVerfG, Urteil v. 26.7.1972, 2 BvF 1/71, BVerfGE 34, 9 [23]; BVerfG, Beschluss v. 23.3.1977, 2 BvL 9/75, BVerfGE 44, 227 [240]; BVerfG, Beschluss v. 7.7.1992, 2 BvR 1631, 1728/90, BVerfGE 87, 48 [60]. 14
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
In zeitlicher Hinsicht – das wird am Beispiel des zeitlichen Inkrafttretens i. S. d. Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG deutlich – ist damit zwischen der rechtlichen Existenz und der rechtlichen Wirksamkeit oder Verbindlichkeit einer Norm zu unterscheiden19. Dies entspricht der möglichen Unterscheidung in eine äußere und eine innere (zeitliche) Wirksamkeit, die sich danach bestimmt, ob die entsprechende Wirkung einem Gesetz von außen beigemessen wird (z. B. durch eine „Grundnorm“20 bzw. „rule of recognition“21, die die rechtliche Existenz einer Norm definiert22) oder ob das Gesetz diese Wirkung selbst („von innen heraus“) definiert, durch eine entsprechende inhaltliche Ausgestaltung. Die zeitliche Existenz einer Norm hat dabei äußere, natürliche Grenzen. Es ist die Zeit vor und die Zeit nach der Setzung der Norm zu unterscheiden23. Zeit entwickelt sich nur in Richtung Zukunft, die zeitliche Ausdehnung der rechtlichen Existenz einer Norm stößt damit an natürliche Grenzen, sie ist nur pro futuro denkbar. Für die „innere Wirkung“ des Rechts gelten diese äußeren, faktischen Grenzen indes nicht. Das „In-Kraft-Treten“ ist nichts anderes als die Bestimmung (des Beginns) des zeitlichen Anwendungsbereiches der Norm, wobei der Anwendungsbereich einer Norm stets durch diese selbst festgelegt wird24. Der (zeitliche) Anwendungsbereich ist grundlegendes, zumeist ungeschriebenes, Tatbestandsmerkmal einer jeden Norm. Ist eine Norm erst einmal gesetzt und damit äußerlich existent, entscheidet sich der zeitliche Geltungsbereich nach dem Inhalt der Norm. Aber es gibt noch weitere Unterschiede zwischen den zeitlichen Tatbestandsmerkmalen einer Norm. So kann differenziert werden zwischen 19 Die Festsetzung des Inkrafttretens gehört zur Normgebung. Mit dem festgesetzten Zeitpunkt beginnt grundsätzlich die Außenwirksamkeit oder auch Geltung der Rechtsregeln einschließlich der Ermächtigungen, die das Stammgesetz enthält. Davon zu unterscheiden sind die Existenz und die Anwendbarkeit des Gesetzes. Existent, damit aber noch nicht automatisch außenwirksam, ist das Gesetz schon mit seiner Verkündung. Zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Voraussetzungen ein Gesetz anwendbar ist, kann gesondert bestimmt werden, vgl. Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Handbuch der Rechtsförmlichkeit, NetVersion, http://www. bmj.de/rechtsfoermlichkeit/inhalt/tc9.htm, Rn. 447. 20 Kelsen, Reine Rechtslehre2, S. 196. 21 H. L. A. Hart, The Concept of Law, S. 100 ff. 22 Dies entspricht in der bundesdeutschen Rechtspraxis den Regeln des GG über das Gesetzgebungsverfahren, welches zwischen „Zustandekommen“ (Art. 78, Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG), „Verkündung“ (Art. 82 Abs. 1 GG) und „Inkrafttreten“ (Art. 82 Abs. 2 GG) unterscheidet. 23 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2, S. 13, der dies jedoch auf den zeitlichen Geltungsbereich der Norm bezieht. Speziell zu den Wirkungen vor Setzung der Norm vgl. auch Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, München 1974, passim. 24 Oder, wie Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG bestimmt, zumindest festgelegt werden soll.
§ 1 Prolog: Zeit und Recht
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dem primären Anwendungsbereich (= Geltungsbereich), der in zeitlicher Hinsicht durch das „Inkrafttreten“ – in räumlicher Hinsicht durch die Reichweite des Rechtsanwendungsbefehls (Geltungsbereich des Gesetzes) – bestimmt wird, und dem sekundären zeitlichen (bzw. räumlichen) Anwendungsbereich (= Anwendungsbereich i. e. S.) bei dem diejenigen Merkmale bestimmt werden, die die Anwendung des Gesetzes weiter tatbestandlich einschränken oder gegebenenfalls ausweiten. Beispielhaft deutlich wird diese – zunächst übertrieben abstrakt erscheinende – Differenzierung an § 30 Abs. 3 und § 50 StVO: Während die StVO gem. § 53 Abs. 1 StVO „am 1. März 1971 in Kraft“ tritt und unzweifelhaft im gesamten Bundesgebiet „gilt“, ist gem. § 30 Abs. 3 StVO „an Sonntagen und Feiertagen“ der Verkehr mit Lastkraftwagen und gem. § 50 StVO „auf der Insel Helgoland“ der Verkehr mit Kraftfahrzeugen verboten. Der zeitliche Anwendungsbereich i. e. S. (Anwendbarkeit) bestimmt sich also durch ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal („Sonntags ist der Verkehr mit Lastkraftwagen verboten“). Dieses Tatbestandsmerkmal ändert aber nichts an der zeitlichen Verbindlichkeit des Gesetzes, das Gesetz „gilt“ seit dem 1. März 1971 auch an Montagen. Indes ist an Montagen der Tatbestand des Gesetzes nicht erfüllt, so dass die für diesen Fall angeordnete Rechtsfolge (Verbot) nicht eintreten kann25.
Die Unterscheidung zwischen „Inkrafttreten“, d.h. dem primären zeitlichen Geltungsbereich einer Norm, und dem (sekundären) zeitlichen Anwendungsbereich i. e. S. wird damit zur (Auslegungs-)Frage nach dem materiellen Regelungsgehalt einer Norm. Bedeutung hat diese Unterscheidung aber auch auf der Rechtsfolgenseite: Durch das rückwirkende Inkrafttreten einer Norm kann eine „echte“ Rechtsfolge nicht mehr gesetzt werden26. Häufig wird daher Ziel eines rückwirkenden „Inkrafttretens“ eine gesetzliche Fiktion bzw. Sanktion sein. Ein Gesetz welches etwa den „finalen Rettungsschuss“ unter bestimmten Bedingungen „mit Wirkung vom 1. Januar 1970“ erlaubt, hat für die Vergangenheit nicht die Bedeutung einer Richtschnur für das Handeln in gefährlichen Situationen, diese Wirkung kann sich auch bei rückwirkendem Inkrafttreten nur ab dem Zeitpunkt der Verkündung ergeben, sondern die 25 Auch Rückwirkungen lassen sich in dieses System einordnen. Wo liegt der inhaltliche Unterschied zwischen einer am 1.1.02 verkündeten Regelung a) „Für jeden Hund ist Hundesteuer zu entrichten, diese Regelung tritt mit Wirkung vom 1.1.01 in Kraft“ und einer am 1.1.02 verkündeten Regelung b) „Jeder der im Jahr 01 einen Hund gehalten hat, muss Hundesteuer zahlen“? – Hierzu für das rückwirkende Haushaltsgesetz noch im Einzelnen sub § 2 B. III. 3. b) cc), S. 177 ff. 26 Anschaulich Weiss, Zeit, Zeitlichkeit und Recht, S. 123: „Keinesfalls können wir den Terminus ‚Rückwirkung‘ deshalb ohne Erläuterung sein lassen, da er gemessen am engsten Bedeutungskreis, den seine Teilwörter aufweisen, etwa so sinnlos ist wie eine Wortbildung ‚Katzenfeder‘. Katzen haben einfach keine Federn, und Wirkungen sind einfach vorwärts gerichtet“.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
Wirkung einer positiven Sanktion – möglicherweise einer Legitimierung und Rehabilitierung bisheriger „Totschläger“ – und damit einer wiederum nur für die Zukunft geltenden rechtlichen Umqualifizierung eines geschichtlichen Ereignisses. Damit ist die Wirkung einer solchen Rückverlegung eine inhaltliche Frage der Auslegung. Was ist materiell gewollt? Die Amnestie (Wirkung ex nunc) oder die Rehabilitierung (Wirkung ex tunc) eines ehemaligen Straftäters? Bedeutung gewinnt diese Differenzierung, wie noch im Einzelnen auszuführen sein wird, insbesondere für das Haushaltsgesetz als „Zeitgesetz“: Eine Ausweitung oder Begrenzung des zeitlichen Geltungsbereichs kann sich für den Haushalt aus äußeren (natürlichen und rechtlichen) Bedingungen, insbesondere aus den Vorgaben der Haushaltsverfassung, ergeben. Zugleich versucht das Haushaltsgesetz aber auch häufig „aus sich heraus“, seine zeitlichen Grenzen, das Haushaltsjahr, zu überschreiten.
Mit der Unterscheidung zwischen einer inneren und einer äußeren Betrachtungsweise des zeitlichen Geltungs- bzw. Anwendungsbereichs von Rechtsnormen korrespondiert die Unterscheidung zwischen Rechtssetzung und Rechtsanwendung. Die Rechtssetzung geht der Rechtsanwendung zeitlich voraus. Zwar kann durch ein entsprechendes Verhalten Rechtsanwendung antizipiert werden (Ankündigungseffekte, oder „vorauseilender Gehorsam“)27, nur handelt es sich dann eben nicht um die Anwendung von (gesetztem) Recht. Die Rechtssetzung i. S. einer Erzeugung von Recht kann nur pro futuro erfolgen28; Rechtsanwendung, die in der Gegenwart erfolgt, kann hingegen auch retrospektiv sein oder gar retroaktiv wirken. II. Zeitloses Recht? Beobachtet man Rechtssysteme im geschichtlichen Maßstab, also von „außen“29, wird man feststellen, dass diese trotz gewisser Kontinuitäten, etwa dem noch heute in vielen Rechtsordnungen erkennbaren Einfluss des 27 Vgl. aber Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 94 ff.; 120 ff. Kloepfer sieht die Problematik der Voranwendung letztlich als eine Frage der Rückwirkung (S. 100 ff.; für das Haushaltsrecht, S. 129 ff.). 28 Auch inhaltlich – im Hinblick auf den zeitlichen Anwendungsbereich – ist die Wirkung für die Zukunft zumindest der Regelfall (Ausnahme: Rückwirkung). Maurer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 60 Rn. 1 formuliert: „Der in der Gegenwart tätig werdende Gesetzgeber erlässt zwar Regelungen für die Zukunft, knüpft dabei aber zwangsläufig an seine in der Vergangenheit gewonnenen Erfahrungen und Kenntnisse an“. 29 Vgl. zum Begriff H. L. A. Hart, The Concept of Law, S. 88 f., der zwischen dem „external aspect of rules“, der äußeren Sicht eines neutralen Beobachters („without accepting the rules himself“) und einem „internal aspect“, der Sichtweise eines gegenwärtig dem jeweiligen Rechtssystem Unterworfenen, unterscheidet.
§ 1 Prolog: Zeit und Recht
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römischen Rechts, endlich sind30. Betrachtet man indes ein Rechtssystem aus sich heraus („von innen“), wird deutlich, dass alle Rechtsnormen und besonders das Gesetz den „Charakter der Dauer“31 für sich beanspruchen32. Dieser Anspruch ist zu einem gewissen Grade berechtigt. Das Recht kann seine Ordnungsaufgabe als Ordnungsfaktor des sozialen und des staatlichen Lebens nur erfüllen, wenn es auf Beständigkeit und Dauerhaftigkeit angelegt ist.33 Es ist darauf angelegt, der Zeit als Medium der Veränderung eine Konstante entgegenzustellen.34 Während die Anwendung des Rechts stets zeitbezogen ist35 scheint das Gesetz selbst vor allem aufgrund seines abstrakt-generellen Charakters zeitlos zu sein. Die Abstraktion von einem bestimmten Sachverhalt umfasst auch die Abstraktion von einer bestimmten Zeit. In seinem Anspruch noch weiter als das positive Recht geht das Naturrecht: Wenn Werturteile keine menschlichen Entscheidungen, sondern in ihrer Existenz vom menschlichen Willen unabhängig sind36, also a priori gegebene Gesetzmäßigkeiten existieren, die sich durch menschliche Beobachtung aufspüren lassen37 ist das auf diese Weise vorgefundene Recht „zeitlos“ (lex aeterna38). Die einzelne Norm muss aber – auch wenn ihre 30 In diesem Sinne auch bereits Husserl, Recht und Zeit, S. 11: „Das Recht der Römer, die Rechtsordnung des römischen Staates, konnte den Fall Roms nicht überleben. Da waren aber in dem Recht der Römer gewisse Rechtsgrundsätze, Denkformen, Methoden des juristischen Denkens enthalten, die eine Leuchtkraft weit hinaus über den Herrschaftsbereich des populus romanus besaßen“. 31 Legaz y Lacambra, Rechtsphilosophie, S. 387; Kirste, Zeitlichkeit des positiven Rechts, S. 352, spricht von einer „Entzeitlichung auf Zeit“. 32 Der Charakter der Dauer eines Gesetzes wird beispielhaft deutlich an einem Fall, den H. L. A. Hart, The Concept of Law, S. 61, schildert: Noch am 31. März 1944 wurden in England mehrere Angeklagte (wegen Hexerei) aufgrund eines Gesetzes aus dem Jahre 1735 verurteilt: R. v. Duncan [1944] 1 KB 713–718. Die angewandte Strafvorschrift war s. 4 Witchcraft Act 1735 (9 Geo. 2, c. 5): „[…] if any person shall … pretend to exercise or use any kind of witchcraft, sorcery, inchantment, or conjuration“. Im Studierzimmer des „Faust“ bemerkt Mephisto: „Es erben sich Gesetz’ und Rechte / Wie eine ew’ge Krankheit fort, / Sie schleppen von Geschlecht sich zu Geschlechte, / Und rücken sacht von Ort zu Ort. / Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage; / Weh dir, dass du ein Enkel bist! / Vom Rechte, das mit uns geboren ist, / Von dem ist leider! Nie die Frage“, Goethe, Faust I, Verse 1972–1979, S. 121. 33 Maurer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 60 Rn. 1. 34 P. Kirchhof, Verwalten und Zeit, 1975, S. 1. 35 Vgl. die besonders im Verwaltungs(prozess-)recht immer wieder problematische Frage des „maßgeblichen Zeitpunkts“. 36 Vgl. Röhl, Allgemeine Rechtslehre2, S. 286. 37 Vgl. statt vieler Hoeren/Stallberg, Grundzüge der Rechtsphilosophie, Rn. 176; Kirste, Zeitlichkeit des positiven Rechts, S. 117 ff., 389. 38 Der Begriff „lex aeterna“ geht wohl auf Cicero zurück, der die stoische Lehre der „Weltvernunft“ (lügoò) aufgriff. Übernommen wurde die Idee der lex aeterna
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
abstrakte Formulierung dies nahe legt – nicht „ewig“ sein. Das positive Recht erlaubt durchaus Normen von zeitlich begrenzter Gültigkeit. In der Regel verliert die Norm ihre Gültigkeit jedoch erst dann, wenn sie „aufgehoben“ wird, d.h. in aller Form für ungültig erklärt wird oder die Voraussetzung für ihr Gelten verliert39. Normen, die von vornherein nur auf einen bestimmten Zeitraum (oder Zeitpunkt) gedacht sind (Übergangsvorschriften, vorläufige Gesetze, Gesetze mit „Verfallsdatum“), bilden hingegen – immer noch40 – die Ausnahme. Anderes gilt wiederum für das Haushaltsgesetz. Gemäß Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG wird der Haushaltsplan „für ein oder mehrere Rechnungsjahre, nach Jahren getrennt, vor Beginn des ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festgestellt“. Zugleich dürfen gemäß Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG in das Haushaltsgesetz „nur Vorschriften aufgenommen werden, die sich […] auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird“. Das Haushaltsgesetz ist damit ein Zeitgesetz41. im Folgenden von Augustinus („lex vero aeterna est ratio divina vel voluntas dei ordinem naturalem“, Contra Faustum 22, 27) und Thomas von Aquin, vgl. Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie4, Rn. 281, 297, 272; Kirste, Zeitlichkeit des positiven Rechts, S. 117 ff. 39 Legaz y Lacambra, Rechtsphilosophie, S. 387; vgl. auch Merkl, Lehre von der Rechtskraft, S. 180: „Rechtliches gilt insolange, als nicht im Bereich bedingter Rechtserscheinungen aufscheinende Voraussetzungen für das Außergeltungtreten bedingter Rechtserscheinungen erfüllt sind“. Problematisch sind indes die Fälle, in denen es an einer ausdrücklichen Derogation fehlt und Interpretations- bzw. Kollisionsregeln zur Anwendung kommen, die lediglich die Anwendbarkeit einer Norm (ggf. auch nur für den Einzelfall) ausschließen, die Gültigkeit im Übrigen aber unberührt lassen. Hierzu zählen jedenfalls die Lex-specialis- oder die Cessante-Regel („cessante ratione legis cessat ipsa lex“) während bei einer lex posterior zumindest aus der „Aufhebungsabsicht des späteren Gesetzgebers“ eine materielle Derogation angenommen werden kann. Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 572; Löwer, Cessante ratione legis cessat ipsa lex, 1989, S. 2 m. w. N. Zur Alterung von Gesetzen vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 29.7.2004, 1 BvR 737/00, BVerfGK 3, 348 [351]; BVerfG, Beschluss v. 16.2.2006, 2 BvR 951/04, BVerfGK 7, 312 [317]: „Dabei haben die Gerichte bei der Auslegung auch zu berücksichtigen, dass dieses Gesetz – wie andere Gesetze auch – einem Alterungsprozess unterworfen ist. Das Rechtsberatungsgesetz steht in einem Umfeld sozialer Verhältnisse und gesellschaftspolitischer Anschauungen, mit deren Wandel sich auch der Norminhalt ändern kann“. 40 Vgl. Winkler, Zeit und Recht, S. 203; Kirste, Zeitlichkeit des positiven Rechts, S. 355. 41 Zur Bezeichnung eines befristeten Gesetzes als Zeitgesetz vgl. etwa v. Münch, NJW 2000, 1 [4]. Das Strafrecht unterscheidet Zeitgesetze i. e. S., d.h. Gesetze, deren Außerkrafttreten kalendermäßig oder durch ein bestimmtes künftiges Ereignis festgelegt ist, und Zeitgesetze i. w. S., d.h. solche, die erkennbar nur als vorüber-
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt Der öffentliche Haushalt dient der planvollen Beschaffung und Nutzung von Gütern zur Deckung des staatlichen Bedarfs.1 Die Finanzplanung muss sicherstellen, dass der Staat seine Aufgaben sowohl in naher als auch in ferner Zukunft wahrnehmen kann und seine Handlungsfähigkeit gewährleistet ist.2 Für die nahe Zukunft erforderlich ist die Berechnung bzw. Schätzung der in einer bevorstehenden Finanzperiode erforderlichen Ausgaben sowie der zur Deckung derselben zu erwartenden Einnahmen einer öffentlichen Wirtschaft.3 Die zeitliche Komponente des Haushalts zeigt sich damit zunächst in ihrer Zukunftsbezogenheit. Die Auf- und Feststellung des Haushaltsplans erfordert eine (regelmäßige) vorausschauende Planung, um die Verwirklichung eines politischen Handlungsprogramms4, des „in Zahlen gekleideten Regierungsprogramms“5, innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens zu erreichen6. Jèze hat die Erheblichkeit der Zeit für den Haushalt so formuliert: „Die Zweckmäßigkeit einer öffentlichen Ausgabe ist nur eine verhältnismäßige, keine unbedingte. Eine Ausgabe kann zu einer bestimmten Zeit, im Augenblick, wo sie beschlossen wird, zweckmäßig sein, wenige Monate oder Jahre später aber unzweckmäßig oder weniger nützlich. […] Die in bestimmten Zeiträumen sich gehende Regelung für sich ändernde wirtschaftliche oder sonstige zeitbedingte Verhältnisse gedacht sind. Vgl. statt vieler Tröndle/Fischer, § 2 StGB, Rn. 13 m. w. N. zu § 2 Abs. 4 StGB. 1 Birk, JA 1983, 563. 2 Birk, Haushaltsplanung und Haushaltsvollzug, in: FS Hoppe, S. 285 [286]. 3 Schanz, „Budget“, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 2 (1891), sub 2 [Hervorhebung nur hier, d. Verf.]. Insofern unterscheidet sich die Finanzplanung auch von der – gelegentlich als Reformmodell vorgeschlagenen – Bilanzierung: Während die Bilanzierung rückwärtsgewandt ist und nur eine Kontrolle des gegenwärtigen bzw. vergangenen wirtschaftlichen Zustands ermöglicht, soll der Haushaltsplan zunächst zukunftsgerichtet sein und nur ergänzend, durch den Vergleich von Soll und Ist, die Kontrolle der staatlichen Finanzwirtschaft ermöglichen. 4 Jèze, Théorie générale du Budget (1922), S. I (Préface): „Le budget est essentiellement un acte politique. […] le budget est, avant tout, la mise en œuvre d’un programme d’action politique“. 5 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [329]. 6 Stern, StaatsR II, § 40 I 3 a), S. 704; Birk, Haushaltsplanung und Haushaltsvollzug, in: FS Hoppe, S. 285 [286].
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
wiederholende Nachprüfung der verhältnismäßigen Nützlichkeit aller Ausgaben für öffentliche Zwecke ist eine Notwendigkeit.“7
Hierdurch sind die wesentlichen zeitlichen Komponenten des Haushalts umrissen: Zur Planung, die durch Zukunftsbezogenheit, Zielorientiertheit und Methodik des Vorgehens innerhalb eines bestimmten Zeithorizonts8 gekennzeichnet ist, tritt die nachschauende Kontrolle (Rechnungsprüfung), die die Zukunftsbezogenheit durch einen Vergangenheitsbezug ergänzt.9 Eingerahmt von Planung und Kontrolle wird der eigentliche – gegenwärtige – Vollzug des durch Gesetz festgestellten Budgets. Die staatliche Haushaltswirtschaft ist daher als „periodisch ablaufender Prozess“10 ausgestaltet, der als Haushalts- oder Budgetkreislauf bezeichnet wird.11 Bezugspunkt des Budgetkreislaufs ist die Haushaltsperiode. Nur durch die Festlegung eines bestimmten Zeitraumes, des mit dem Kalenderjahr identischen Haushaltsjahres, lässt sich die stetig fortschreitende Zeit überhaupt als wiederkehrender „Kreislauf“ denken. Nur durch die Festlegung eines Zeitraumes wird aber auch erst die Vergleichbarkeit in der Zeit ermöglicht, die wiederum Voraussetzung sowohl für vorausschauende Planung als auch für nachschauende Kontrolle ist. Die Jährlichkeit der Haushaltspläne bildet innerhalb des Kreislaufs das „rhythmische Leitmotiv“12. Das „Leben“13 des Haushaltsplans wird dabei gewöhnlich in vier verschiedene Phasen eingeteilt: (1) Vorbereitung, (2) Vollzug, (3) Abrechnung und (4) Entlastung14 bzw. alternativ (1) Entwurf, (2) Bewilligung, (3) Vollzug und (4) Kontrolle15. 7
Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 181. Stern, StaatsR II, § 40 I 3 a), S. 704 (Fn. 23) m. w. N. Der Haushaltsplan ist daher mehr als Voraussicht i. S. einer bloßen Schätzung, er ist zugleich „Ausdruck eines Willens“, vgl. Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 A § 2, S. 556. 9 Allerdings dient auch die vergangenheitsbezogene Kontrolle der Optimierung zukünftiger Planung. Die Nachprüfung bietet nämlich „Gelegenheit, Missbräuche abzustellen, überflüssige Verwaltungsthätigkeiten zu beseitigen und die Neuordnungen einzuführen, die durch die wirtschaftlichen politischen und gesellschaftlichen Wandlungen […] notwendig geworden sind“, Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 181. 10 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 4. 11 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 4; Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 116, Rn. 131. 12 Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 102. 13 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 B § 3, S. 560. 14 So Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 102 wohl im Anschluss an Heinig, Das Budget, Bd. 1, S. 6. 8
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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Trennt man diese Abschnitte nach den damit befassten Staatsgewalten, was sich wegen der besonderen verfassungsrechtlichen Stellung des Parlaments empfiehlt, so ergeben sich die folgenden fünf Stufen16: – Aufstellung des Haushaltsplanentwurfs (durch die Exekutive), – Beratung und Feststellung des Haushaltsplans (durch Bundestag und Bundesrat17), – Vollzug des Haushaltsplanes (durch die Exekutive), – Abrechnung des Haushaltsplanes (Rechnungslegung) und Prüfung seiner Einhaltung (durch Exekutive bzw. Rechnungshof), – Parlamentarische Rechnungsprüfung und Entlastung (durch Bundestag und Bundesrat18). Stellt man indes die zeitliche Komponente in den Vordergrund, so lässt sich der Haushaltskreislauf auch (nur) dreiphasig beschreiben: – Auf- und Feststellung des Haushaltsplans sind, der Charakteristik eines Planes entsprechend, vor Beginn der Haushaltsperiode (i. d. R. Haushaltsbzw. Rechnungsjahr) vorzunehmen. – Der Haushaltsvollzug findet während des Haushaltsjahres statt. – Abrechnung und Entlastung erfolgen nach Abschluss des Haushaltsjahres. Die Planung des folgenden Haushaltsjahres findet dabei üblicherweise ebenso im laufenden Jahr statt, wie die Abrechnung des vorangegangenen Haushaltsjahres19. Alle Phasen dieses Kreislaufes schließen aneinander an 15 So Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 B § 3 1, S. 560. Stern, StaatsR II, § 49 IV 1, S. 1210, und Birk, JA 1983, 563 [569]. Vgl. hierzu auch Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 102 (Fn. 5). 16 Die „klassische“ Vierteilung des Budgetkreislaufs (Vorbereitung, Vollzug, Abrechnung und Entlastung) hat gegenüber der hier vorgeschlagenen Fünfteilung den „didaktischen“ Vorzug, einen Vier-Jahres-Zeitraum abzubilden, der i. d. R. vom Haushaltsentwurf über Vollzug und Abrechnung bis zur Entlastung durch Bundestag und Bundesrat vergeht (Heinig, Das Budget, Bd. 1, S. 7: „Budgetkreuz“), dazu noch unten Fn. 19 (S. 31). 17 Einspruchsgesetz, Art. 77 Abs. 3, 4 GG. 18 Vgl. Art. 114 Abs. 1 GG: „dem Bundestage und dem Bundesrate […] zur Entlastung der Bundesregierung Rechnung zu legen“. 19 Der Abschluss der parlamentarischen Rechnungsprüfung (Entlastung) erfolgt üblicherweise (aus rein praktischen Gründen) aber erst im übernächsten Jahr. Für den Haushalt 2003: Entwurf v. 29.11.2002 (BT-Ds. 15/150), Gesetz v. 30.4.2003 (BGBl. I 574), Jahresrechnung gem. Art. 114 Abs. 1 GG v. 31.3.2004 (BT-Ds. 15/2884), Entlastung am 30.6.2005. Auch Heinig, Das Budget, Bd. 1, S. 6 f. geht von einem (im Grundsatz) vierjährigen Budgetkreislauf aus: „Hier ist angenommen, dass ein Budgetleben vier Jahre beansprucht. In der Praxis sind es selten weniger
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
und wirken ineinander.20 Der Budgetkreislauf wird damit geprägt durch den wiederholten Ablauf zeitlich aufeinander folgender Schritte, wobei jeder dieser Schritte eigenen Zuständigkeiten und Regeln unterliegt.
A. Haushaltsverfassungsrecht und Haushaltsgrundsätze Das Haushaltsrecht ist traditionell21 geprägt von so genannten „Haushaltsgrundsätzen“. Diese Prinzipien sind weder „begrifflich formulierte Erkenntnisse von Weltgeltung“22 noch „Tummelplatz meist pseudowissenschaftlicher Formalisten“23, sondern Ausdruck finanzwissenschaftlicher Erkenntnisse, praktischer Verwaltungserfahrung und rechtlicher Durchformung.24 Ihre Befolgung soll eine möglichst vollkommene Erfüllung der Budgetfunktionen gewährleisten25, so dass die Haushaltsgrundsätze – bei gleich bleibender Funktion des Staatshaushalts – weitgehend als „reformfest“ angesehen werden können. I. Systematisierung der Haushaltsgrundsätze Ausgehend von den vier Kernfunktionen, die nach Neumark „das Wesen des Budgets erschöpfend zum Ausdruck“26 bringen, nämlich der finanzpolitischen, politischen, kontrollierenden (auch: juristischen) und wirtschaftsals vier, oft dagegen mehr Jahre“. Wegen der geringen Bedeutung der Entlastung selbst (im Vergleich zur parlamentarischen Rechnungsprüfung insgesamt, vgl. statt vieler Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 114, Rn. 3 m. w. N.) lässt sich die „vierte Phase“ im vierten Jahr des „Budgetkreuzes“ jedoch mit der unmittelbar vorhergehenden Abrechnung als gemeinsames „Nachher“ der exekutiven und parlamentarischen Rechnungsprüfung („rückschauendes Spiegelbild“, Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 81 BHO, Anm. 2) zusammenfassen. 20 Stern, StaatsR II, § 49 IV 1, S. 1210. 21 Vgl. den Überblick über die historische Entwicklung bei Heinig, Das Budget, S. 3 f. und Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 7, S. 572 f. 22 Heinig, Das Budget, S. 15 mit Hinweis auf Bogolepoff, Das Budget Sowjetrusslands als Wirtschaftsplan, in: FS v. Schanz, S. 273: „fest gefügt und unumstritten“. 23 Recktenwald, in: Haller/Recktenwald, Finanz und Geldpolitik im Umbruch, S. 15 [23]. 24 Stern, StaatsR II, § 50 II 1, S. 1236. 25 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 7 1, S. 572; Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 57; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 91. Zur Entwicklung vgl. den geschichtlichen Überblick bei Heinig, Das Budget, Bd. 1, S. 2 ff. und Stern, StaatsR II, § 50 I, S. 1231 ff. 26 Neumark, Reichshaushaltsplan, S. 22; Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 A § 2, S. 559; vgl. auch Stern, StaatsR II, § 49 II 3, S. 1196.
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politischen Funktion27 des Haushalts, lassen sich die folgenden Haushaltsgrundsätze beschreiben28: – Vollständigkeit29 (Universalität) sowie Einheit30 des Haushalts, vgl. Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG: „Alle Einnahmen und Ausgaben […] sind in den Haushaltsplan einzustellen“, – Gesamtdeckung31 (Non-Affektation): Alle Einnahmen dienen als Deckungsmittel für alle Ausgaben, vgl. § 8 S. 1 BHO/LHO, § 7 S. 1 HGrG; es besteht grundsätzlich keine Zweckbindung bestimmter Einnahmen für bestimmte Ausgabeermächtigungen, – Wahrheit, Klarheit und Genauigkeit des Budgets32 (daneben auch: Einzel- und Bruttoveranschlagung): Der Haushalt darf nur realitätsgerechte Ansätze enthalten und muss diese in übersichtlicher Form so darstellen, dass alle zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben im Hinblick auf Herkunft, Zweckbestimmung und Höhe möglichst präzise aus dem Plan abgelesen werden können und eine Vergleichbarkeit ermöglicht wird, – Ausgeglichenheit33 (Proportionalität): denkbar als formelle und materielle Ausgeglichenheit, nach Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG nur i. S. e. forma27 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 A § 2, S. 558 f. Stern, StaatsR II, § 49 II 3, S. 1196, spricht von der finanzwirtschaftlichen Ordnungsfunktion, der Kontrollfunktion, der politischen Programmfunktion und der wirtschaftspolitischen Gestaltungsfunktion und fügt diesen die „rechtlichen“ Funktionen hinzu, wodurch sich jedoch insofern ein Perspektivenwechsel ergibt, als das Budgetrecht – wie die Budgetprinzipien – keine Funktion des Haushalts im finanzwissenschaftlichen Sinne sondern Mittel zur Erreichung der genannten Funktionen ist. 28 Vgl. statt vieler die Darstellungen bei Neumark, Reichshaushaltsplan, S. 122–378; Heinig, Das Budget, S. 15–18; Stern, StaatsR II, § 50, S. 1230–1254; Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 57–77; Heintzen, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR3 V, § 120, Rn. 24; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 91–101; ders., in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 77–157. 29 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 8, S. 574 ff.; Schanz, „Budget“, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 2 (1891), Tz. 6; Stern, StaatsR II, § 50 III 2, S. 1239 ff.; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 14 f.; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 9 f.; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 48 ff.; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 28. 30 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 9, S. 578 ff.; Stern, StaatsR II, § 50 III 3, S. 1241 ff.; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 14 f.; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 9 f.; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 53 ff.; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 39. 31 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 7, 2 b) a, S. 574; Stern, StaatsR II, § 50 III 7, S. 1244. 32 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 10, S. 580 ff.; Stern, StaatsR II, § 50 III 8, S. 1245 ff. 33 Stern, StaatsR II, § 50 III 10, S. 1248.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
len Haushaltsausgleichs geregelt (Gesamtbetrag der Einnahmen muss dem Gesamtbetrag der Ausgaben bzw. Ausgabeermächtigungen entsprechen), – Sachliche Spezialität34 (qualitativ: sachliche Bindung und quantitativ: Betragsbindung): Haushaltsmittel dürfen nur zu dem im Haushaltsplan bezeichneten Zweck in Anspruch genommen werden (§ 27 Abs. 1 S. 1 HGrG, § 45 Abs. 1 S. 1 BHO, Ausnahme: gegen- oder einseitige Deckungsfähigkeit, § 15 Abs. 2 HGrG, §§ 20, 46 BHO); dabei dürfen die veranschlagten Ansätze nicht überschritten werden (Ausnahme: Art. 112 S. 1 GG, § 37 BHO), – Zeitliche Spezialität35, zeitliche Bindung, Jährigkeit: Ausgaben oder Verpflichtungsermächtigungen dürfen nur innerhalb des Zeitraums, für den sie bewilligt sind, geleistet oder in Anspruch genommen werden (§ 27 Abs. 1 S. 1 HGrG, § 45 Abs. 1 S. 1 BHO, Ausnahme: Übertragbarkeit, § 15 Abs. 1 HGrG, § 19 Abs. 1 BHO), – Bepackungsverbot36 (sachlich und zeitlich, vgl. Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG): Das Haushaltsgesetz darf in sachlicher Hinsicht nur einnahmenund ausgabenbezogene sowie in zeitlicher Hinsicht nur Vorschriften enthalten, die sich auf das Haushaltsjahr beziehen und auf dieses begrenzt sind (insb. keine Dauerrechtsnormen), – Jährlichkeit37 und Vorherigkeit38: Der Haushaltsplan ist vor Beginn derjenigen Rechnungsperiode auf- und festzustellen, auf die er Anwendung finden soll, für jedes Kalenderjahr ist dabei – auch im Fall eines „Doppelhaushalts“ ein eigener Haushaltsplan aufzustellen (vgl. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG), – Gesetzförmigkeit39 (daneben: fehlende Drittwirkung [für den Haushaltsplan, § 3 Abs. 2 HGrG/BHO], Unverbindlichkeit der Erläuterung): Der Haushaltsplan wird durch ein förmliches (Parlaments-)Gesetz festgestellt (vgl. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG), ebenso bedarf die Aufnahme von Krediten einer Ermächtigung durch Gesetz (Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG), 34 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C §§ 13, 14, S. 587 ff.; Stern, StaatsR II, § 50 III 6, S. 1243 f. 35 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C §§ 15, S. 590 ff.; Stern, StaatsR II, § 50 III 6, S. 1243 f. 36 Stern, StaatsR II, § 50 III 12, S. 1252. 37 Stern, StaatsR II, § 50 III 5, S. 1242; Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 7, 2 b) b, S. 574. 38 Stern, StaatsR II, § 50 III 4, S. 1242; Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 12, S. 585. 39 Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 92.
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– Öffentlichkeit40 (Budgetpublizität): Sämtliche Stadien der Haushaltsführung (Entwurf, Verhandlungen im Parlament, Rechnungslegung) finden „im Lichte der Öffentlichkeit“41 statt, – Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit42 (daneben: Notwendigkeit43): Der Haushaltsplan ist ökonomisch effizient aufzustellen und zu vollziehen. Als finanzrechtliche Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips verlangt der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz, die günstigste Relation zwischen dem gesteckten Ziel und den eingesetzten Mitteln (Nutzenmaximierung oder Kostenminimierung) anzustreben (vgl. Art. 114 Abs. 2 GG, § 6 Abs. 1 HGrG, §§ 7 Abs. 1, 34 Abs. 2 BHO). 1. Versuche einer inhaltlichen Systematisierung
Zum besseren Verständnis der jeweiligen Haushaltsgrundsätze und vor allem zur Verdeutlichung der Entwicklung und des Zusammenspiels der verschiedenen Prinzipien sind immer wieder Versuche einer inhaltlichen Systematisierung unternommen worden44. a) Statische und dynamische Prinzipien Neumark hat eine Gliederung der Haushaltsgrundsätze in „statische“ und „dynamische“ Prinzipien vorgeschlagen.45 Erstere bezögen sich auf „Inhalt und Form“ des Haushaltsplans, letztere auf dessen „Vorbereitung und Durchführung“. Zur ersten Gruppe gehörten der Grundsatz der Vollständigkeit, der die inhaltliche Ausgestaltung, sowie die Grundsätze der Einheit und Klarheit, die die Form des Haushaltsplans beträfen. Unter die zweite Kategorie fielen Genauigkeits- und Vorherigkeitsgrundsatz, die die Vorbereitung und Annahme des Haushaltsentwurfs angingen, das Spezialitätsprinzip, das sich auf die Durchführung des Haushaltsplans beziehe sowie 40 Heinig, Das Budget, V 1 F, S. 367; Stern, StaatsR II, § 50 III 9, S. 1247; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 22; BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [358]; Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 16, S. 593. 41 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 16, S. 593. 42 Stern, StaatsR II, § 50 III 11, S. 1251 f.; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 94; VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [282 f.]. 43 Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 95. 44 Vgl. Stern, StaatsR II, § 50 I 1, S. 1231 ff.; Heinig, Das Budget, S. 3 f.; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 91 ff. 45 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 7, S. 573; zu weiteren Gliederungen vgl. Heinig, Das Budget, S. 3.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
der Öffentlichkeitsgrundsatz, der für „sämtliche Phasen des Budgetlebens“ Geltung beanspruche.46 b) Formale und materielle Grundsätze Die klassische Budgettheorie hat hingegen formale und materielle Prinzipien unterschieden.47 In neuerer Zeit ist diese Unterscheidung in Haushaltsgrundsätze „mit überwiegend organisations- und verfahrensrechtlichen Funktionen“ und solche „mit überwiegend materiell-rechtlichen Funktionen“ wieder von v. Mutius aufgegriffen worden.48 Zu den Haushaltsgrundsätzen, deren Regelungsfunktionen sich überwiegend im Formalen erschöpften, werden z. B. der Grundsatz der Vorherigkeit, der Vollständigkeit, der Einheit, der Wahrheit und Klarheit, der Öffentlichkeit und das Bruttoprinzip gezählt.49 Materielle Grundsätze seien etwa der Grundsatz der sachlichen und zeitlichen Spezialität, der Gesamtdeckung, der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, sowie das in Art. 110 Abs. 4 GG normierte zeitliche und sachliche Bepackungsverbot. c) Kombinierte Systematisierung Beide – aus diesem Grund auch hier aus der Vielzahl der Systematisierungsansätze50 herausgegriffenen – Systematisierungsvorschläge beziehen sich auf jeweils einen bestimmten Aspekt und lassen sich daher für die weitere Betrachtung gut kombinieren. In der Tat gibt es „formale Prinzipien“, die sich auf das Verfahren der Planaufstellung oder -durchführung beziehen, im Neumarkschen Sinne also „dynamisch“ sind, aber auch formale Grundsätze, die sich auf das Ergebnis, das Haushaltsgesetz und den durch dieses festgestellten Haushaltsplan als solches beziehen, also „statisch“ sind. Gleiches gilt für „materielle Prinzipien“, die ebenfalls „statisch“ oder „dynamisch“ sein können. Es ist jedoch anzumerken, dass auch die Einordnung in ein solches „Koordinatensystem“ statisch – dynamisch (denkbar als „X-Achse“) und for46
Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 7, S. 573. Vgl. Schanz, „Budget“, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 2 (1891), Tz. 4; Heinig, Das Budget, S. 3; vgl. auch Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 57. 48 Vgl. v. Mutius, VVDStRL 42 (1984), S. 147 [170, 172] der indes anmerkt, eine solche Differenzierung werde „gemeinhin nicht vorgenommen“ [Fn. 80]. 49 v. Mutius, VVDStRL 42 (1984), S. 147 [170]. 50 Zu den weiteren zahlreichen Systematisierungsvorschlägen vgl. etwa Heinig, Das Budget, S. 3 f.; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 91 ff. 47
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mal – materiell (als „Y-Achse“) insgesamt zwar eine Orientierungshilfe bieten, insbesondere die Funktionen der Grundsätze erklären kann, aber in rechtlicher Hinsicht doch wenig Erkenntnisgewinn bringt. Die vorgestellte Systematisierung bedarf zumindest in zwei Punkten einer Ergänzung bzw. Konkretisierung. Zum einen muss die Wechselwirkung der einzelnen Prinzipien in ihrem Funktionszusammenhang einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. So sind die „statischen“ Grundsätze der Vollständigkeit und Einheit im Zusammenhang mit der Haushaltswahrheit und -klarheit zu sehen, die mit Genauigkeit, Einzelveranschlagung, daraus folgender sachlicher und zeitlicher Bindung sowie dem Bruttoprinzip korrespondieren. Der Grundsatz der zeitlichen Bindung muss wiederum mit den „dynamischen“ Prinzipien der Jährlichkeit und Vorherigkeit des Haushalts in Bezug gesetzt werden. Manche Prinzipien sind überdies aus anderen fortentwickelt, so dass die Grundsätze nicht immer trennscharf abzugrenzen sind und sich teilweise Überschneidungen ergeben. Zum anderen bedingt die Fokussierung auf die rechtliche Dimension des Haushalts eine Systematisierung nach der Rechtsqualität der vorgefundenen „Budgetprinzipien“. 2. Systematisierung nach Rechtsqualität
Der Begriff der Haushaltsgrundsätze ist unter rechtsdogmatischen Gesichtspunkten wenig hilfreich. Zwar können Grundsätze oder Prinzipien als „ordnungsstiftende Grundwertungen“51 richtungsgebende Maßstäbe sein, die als „Optimierungsgebote“52 rechtliche Entscheidungen rechtfertigen oder stützen. Ein „rechtsethischer Konsens“, Voraussetzung für die Anerkennung einer ordnungsstiftenden Grundwertung, ist im Haushaltsrecht als eher formalem Rechtsgebiet aber nur schwerlich auszumachen. Die (neuere) Rechtstheorie ordnet den Begriff des „Prinzips“ denn auch anders zu. Sie teilt Rechtssätze auf in Prinzipien, die in unterschiedlichen Graden erfüllt werden können und in Regeln, die nur entweder ganz oder gar nicht erfüllt werden können53. Auch diese dogmatische Differenzierung passt nicht recht auf den herkömmlichen Begriff der „Haushaltsgrundsätze“: Die Haushaltsgrundsätze oder Budgetprinzipien sind zunächst Schöpfungen der Finanzwissenschaft und als solche ökonomische Postulate. Rechtliche Relevanz erhalten diese Haushaltsgrundsätze nur, insoweit ihnen rechtsnormative Quali51
Lang, in: Tipke/Lang, § 4 Rn. 11; Larenz, Methodenlehre, S. 474 ff. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 120. Vgl. auch den Überblick bei Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 461 ff. 53 Vgl. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 352 ff. 52
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
tät zukommt, also wenn zu finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischer Verwaltungserfahrung eine „rechtliche Durchformung“54 hinzutritt. Dieses „Hinzutreten“ ist keineswegs zwingend, vielfach bleibt es bei einem „Prinzip“, das seine Grundlage „nur“ in der Finanzwissenschaft, der Nationalökonomie oder letztendlich der „Vernunft“ hat. Im Verfassungsstaat ist aber maßgeblich, welchen Rang die Haushaltsgrundsätze in der Normenhierarchie haben. Inhaltlich können die als „Rechtssatz“ identifizierten „Haushaltsgrundsätze“ dann – je nach rechtlicher Ausgestaltung – sowohl den Charakter einer Regel (z. B. Gesetzförmigkeit, Vorherigkeit55, Bepackungsverbot56) oder eines Prinzips (z. B. Wirtschaftlichkeit, Klarheit) haben57. Rechtlich fixierte Haushaltsgrundsätze finden sich im Grundgesetz (bzw. in den Verfassungen der Länder) im HGrG sowie in den Haushaltsordnungen des Bundes und der Länder. II. Bedeutung einfach-rechtlicher Haushaltsgrundsätze Die Haushaltsordnungen des Bundes und der Länder – weitgehend harmonisiert durch § 1 HGrG i. V. m. Art. 109 Abs. 3 GG – normieren, sieht man vom Haushaltsgesetz als solchem ab58, die detailliertesten Vorgaben für die Aufstellung, Ausführung, Rechnungslegung und Überprüfung der staatlichen Haushalte. Die in den Haushaltsordnungen enthaltenen „einfach-rechtlichen Haushaltsgrundsätze“ sind damit von hoher praktischer Relevanz, gleichzeitig aber – im Kollisionsfall – wenig belastbar. Insbesondere gelten sie nicht für das Haushaltsgesetz, welches den Haushaltsplan feststellt, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG59. Zwar enthalten die Haushalts54 Stern, StaatsR II, § 50 II 1, S. 1236. Insgesamt kann aber eine erstaunliche Übereinstimmung zwischen finanzwissenschaftlicher Erkenntnis, praktischer Erfahrung und normativer Regelung, sei es in Verfassung oder Gesetz, festgehalten werden, vgl. Stern, StaatsR II, § 50 I 2, S. 1232. 55 s. hierzu aber noch unten § 2 B. III., S. 132 ff. 56 Das haushaltsrechtliche Bepackungsverbot soll nach Kube, Finanzgewalt in der Kompetenzordnung, S. 199, „immer stärker Prinzipiencharakter“ annehmen, vgl. hierzu Heun, JZ 2005, 615. 57 Vgl. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 98 ff. 58 Das Haushaltsgesetz selbst enthält stets die detailliertesten und damit auch die speziellsten Regelungen i. S. d. Lex-specialis-Grundsatzes für das entsprechende Haushaltsjahr. 59 Vgl. Art. 79 Abs. 2 S. 1 BaWüVerf; Art. 78 Abs. 3 BayVerf; Art. 85 Abs. 1 S. 1 BerlVerf; Art. 101 Abs. 3 S. 1 BbgVerf; Art. 131 Abs. 2 S. 1 BremVerf; Art. 66 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Art. 49 HmbVerf („Beschluss der Bürgerschaft“); Art. 139 Abs. 2 S. 2 HessVerf; Art. 61 Abs. 2 M-VVerf; Art. 65 Abs. 4 NdsVerf; Art. 81 Abs. 3 S. 1 VerfNW; Art. 116 Abs. 2 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 3
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ordnungen des Bundes und der Länder z. B. in den §§ 7, 11 ff. BHO/LHO Vorschriften, die sich auf die Aufstellung und damit den Inhalt des Haushaltsplans beziehen.60 Eine Bindung des Haushaltsgesetzgebers muss aber schon aus Gründen des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzips ausscheiden61. Beide Prinzipien sind im Grundgesetz verankert (Art. 20 Abs. 2, 3 GG), liegen – soweit sie nicht explizit normiert sind – den Landesverfassungen zugrunde62 und beanspruchen daneben über Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG auf Landesebene Geltung. Demokratie ist Herrschaft auf Zeit mit dem Gebot periodischer Neuwahl63. Der Gesetzgeber darf somit einen späteren neu gewählten Gesetzgeber nicht binden64. Auch garantiert das Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG die Normenhierarchie. Ein rangmäßig zwischen Verfassung und einfachem Recht stehendes Gesetz – mit Bindungswirkung auch für den Gesetzgeber – kann folglich nur dann angenommen werden, soweit dieses explizit verfassungsrechtlich angeordnet ist.65 So können etwa gem. Art. 109 Abs. 3 GG durch zustimmungspflichtiges Bundesgesetz für Bund und Länder gemeinsam geltende Haushaltsgrundsätze (vgl. § 1 HGrG) aufgestellt werden.66 Lediglich diese im HGrG normierten Haushaltsgrundsätze vermögen den Bundes- wie Landesgesetzgeber zu binden67. Eine Normenhierarchie besteht zwischen den SaarlVerf; Art. 93 Abs. 2 S. 1 SächsVerf; Art. 93 Abs. 2 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 2 SchlHVerf; Art. 99 Abs. 1 S. 1 ThürVerf. 60 Die Aufstellung des Haushaltsplans ist, wie auch dessen Durchführung, grundsätzlich Aufgabe der Exekutive, Karehnke, DÖV 1976, 361 [363]; da die Feststellung des Haushaltsplan jedoch durch formelles Parlamentsgesetz erfolgt, und mit diesem (Haushalts-)Gesetz eine Einheit bildet, ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass Vorschriften über Aufstellung und Inhalt des Haushaltsplans sich auch an den Gesetzgeber als Adressat wenden bzw. von diesem zu beachten sind. 61 Püttner, DÖV 1970, 322 [324]; vgl. auch Pieroth, NJW 2000, 1086 [1087] – zum sog. „Maßstäbegesetz“. 62 Vgl. Art. 23 Abs. 1, 25 BaWüVerf; Art. 2, 3, 5 BayVerf; Art. 2, 3 BerlVerf; Art. 2 BbgVerf; Art. 66, 67 BremVerf; Art. 3 Abs. 1 HmbVerf; Art. 65, 70 HessVerf; Art. 2–4 M-VVerf; Art. 1 Abs. 2, 2 NdsVerf; für Nordrhein-Westfalen vgl. Geller/Kleinrahm, Einführung, S. 10 ff.; Art. 75, 77 RhPfVerf; Art. 60, 61 SaarlVerf; Art. 3 SächsVerf; Art. 2 VerfLSA; Art. 2 SchlHVerf; Art. 45, 47 ThürVerf. 63 Vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 20, Rn. 15; ders., NJW 2000, 1086 [1087]. 64 s. aber noch unten Fn. 272 (S. 75). 65 Differenzierend Püttner, Unterschiedlicher Rang der Gesetze, DÖV 1970, 322; zum sog. „Maßstäbegesetz“ vgl. BVerfG, Urteil v. 11.11.1999, 2 BvF 2, 3/98, 1, 2/99, BVerfGE 101, 158 [214 ff. und Ls. 1] – Finanzausgleich III; hiergegen mit Recht Pieroth, NJW 2000, 1086 [1087]. 66 Eine weitere Bindung besteht aber nicht; insbesondere kann der Bundesgesetzgeber jederzeit das HGrG ändern, vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 109 Rn. 4. – Siehe dazu noch i. E. unten, § 2 A. IV. 2., S. 72 ff.
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Haushaltsordnungen von Bund (BHO) bzw. Ländern (LHO) und den jährlichen Haushaltsgesetzen nicht; sowohl die BHO/LHO’en als auch die jeweiligen Haushaltsgesetze i. V. m. dem Haushaltsplan stehen im Range einfachen Bundes- bzw. Landesrechts. Im einfachen Recht sind eventuelle Widersprüche entweder nach der Lexspecialis-Regel oder der Lex-posterior-Regel aufzulösen. Zwischen beiden vorgenannten Kollisionsnormen hat wiederum die lex specialis den Vorrang.68 Die Lex-posterior-Regel (lex posterior derogat legi priori) löst die Normenkonkurrenz nach der zeitlichen Reihenfolge. Die spätere Norm geht der früheren (gleichrangigen) Norm vor.69 Im Vergleich zu den Haushaltsordnungen des Bundes und der Länder haben nach dieser Regel die (jährlichen) Haushaltsgesetze bereits als spätere Gesetze (leges posteriores) Vorrang. Zudem geht die speziellere Norm der allgemeineren vor70 (lex specialis derogat legi priori). Die allgemeinere Norm ist auf Sachverhaltsgestaltungen nicht anwendbar, die durch eine spezielle Norm geregelt werden.71 Auch nach der Lex-specialis-Regel sind die Haushaltsgesetze, als speziellere Regelungen, die nur jeweils ein Haushaltsjahr betreffen und für dieses einen detaillierten Haushaltsplan aufstellen, den Haushaltsordnungen gegenüber vorrangig72. Obwohl Haushaltsgesetz und Haushaltsplan eine Einheit bilden73, wird überwiegend angenommen, dass der Lex-posterior-Grundsatz im Verhält67 Den Bundesgesetzgeber freilich nur solange wie dieser nicht (mit Zustimmung des Bundesrats) das Haushaltsgrundsätzegesetz seinen Bedürfnissen anpasst und explizit ändert. 68 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 61, Rn. 71. 69 Vgl. statt vieler Birk/Schollmeier, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 2 AO Rn. 167. 70 BVerfG v. 24.1.1962, 1 BvL 32/57, BVerfGE 13, 290 [296]; BVerfG v. 16.12.1981, 1 BvR 898/79 u. a., BVerfGE 59, 128 [156]. 71 Vgl. statt vieler Birk/Barth, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO Rn. 364. 72 Allenfalls kann sich eine mittelbare Bindung des Haushaltsgesetzgebers ergeben, wenn man berücksichtigt, dass allein die Regierung (Exekutive) im Haushaltsgesetzgebungsverfahren initiativberechtigt ist und diese bei der Planaufstellung an die Vorschriften der Haushaltsordnung über die Aufstellung des Haushaltsplans gebunden ist. Falls der Gesetzgeber jedoch eine Abweichung von den Vorschriften der Bundes- bzw. Landeshaushaltsordnung beabsichtigt, spricht – sofern diese nicht lediglich höherrangige (z. B. verfassungsrechtliche) Grundsätze konkretisieren – wenig dagegen, diese, auch ohne eine explizite Änderung des BHO/LHO, die ja ebenfalls möglich wäre, durch das spätere und speziellere Haushaltsgesetz zu derogieren. 73 Vgl. BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [91]; BVerfG, Beschluss v. 22.10.1974, 1 BvL 3/72, BVerfGE 38, 121 [126]; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 29; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 10.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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nis von Haushaltsplan und früherem Gesetz (z. B. Leistungsgesetz) nicht gelte74 (sog. Subordination des Haushaltsplans75). Indes ist der Geltungsumfang des Lex-posterior-Satzes auch im Bereich des Haushaltsplans nicht eingeschränkt. Ob eine Derogierung durch ein späteres Gesetz bzw. den späteren „Plan“ gewollt oder möglich ist, ist keine kollisionsrechtliche sondern eine inhaltliche Frage, eine Frage der Auslegung.76 Der Haushaltsplan ist (positiv-rechtlich) auf den organschaftlichen Rechtskreis beschränkt77. Adressat des Haushaltsplans sind nicht die Bürger, sondern die dem staatlichen Binnenraum zugehörigen Organe78. Inhalt des Plans sind die Schätzung der voraussichtlichen Einnahmen und die Ermächtigung zur Leistung der erforderlichen Ausgaben. Wegen des speziellen Inhalts des Haushaltsplans, der – da das Haushaltsgesetz gemäß § 3 Abs. 2 HGrG hiervon nicht abweichen kann – durch § 3 Abs. 2 BHO/LHO definiert und beschränkt wird, hat der Lex-posterior-Grundsatz somit keinen (sinnvollen) Anwendungsbereich; gültig indes bleibt er79. Der Haushaltsplan ist damit nicht dem Recht subordiniert80, er setzt – auf gleicher Rangstufe mit dem übrigen einfachen Recht – inhaltlich andersartige Rechtsfolgen und kann demgemäß auch nicht gegen einfaches Recht verstoßen. Wenn z. B. ungenügende finanzielle Mittel zur rechtmäßigen Ausführung eines Leistungsgesetzes bewilligt werden, liegt möglicherweise ein Verstoß des Haushaltsplans bzw. -gesetzes gegen den (verfassungsrechtlichen) Grundsatz der Haushaltswahrheit vor, weil nicht realistisch geplant worden ist. Das (dann ohnehin verfassungswidrige) Haushaltsgesetz ändert aber nichts an der gesetzlichen (Leistungs-)Verpflichtung, weil und soweit der durch das Haushaltsgesetz festgestellte Haushaltsplan keine solche Abweichung (auch nicht inzident) anordnet bzw. anordnen will. Das Haushaltsgesetz im Übrigen kann, soweit es verfassungsmäßig ist, insbesondere nicht gegen das Bepackungsverbot verstößt81, von den Haus74 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 10; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 29. In ähnlicher Weise müsste dann wohl auch der Lexspecialis-Grundsatz unanwendbar sein. 75 Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 307 ff. 76 Hoppe, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 71 Rn. 78. 77 BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [91, 93]; BVerfG, Beschluss v. 22.10.1974, 1 BvL 3/72, BVerfGE 38, 121 [125]; Stern, StaatsR II, § 49 III 4 b), S. 1203; Heun, Staatshaushalt, S. 167. 78 Heun, Staatshaushalt, S. 167. 79 Ähnlich Stern, StaatsR II, § 49 III 4, S. 1209; Heun, Staatshaushalt, S. 167 ff. 80 So aber Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 309. Ähnlich (nur im Ergebnis) bereits Laband, Das Budgetrecht (1871), S. 20: „Die Feststellung des Etats muss dem geltenden Recht gemäß geschehen“; vgl. hierzu noch unten, § 2 C. I., S. 219 ff. 81 Dazu unten, § 2 A. III. 4., S. 62.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
haltsordnungen (und anderen einfachen Gesetzen) abweichende Regelungen treffen, die diesen vorgehen. III. Haushaltsgrundsätze mit Verfassungsrang Ein Gesetzesverstoß kann gem. Art. 20 Abs. 3 GG nur der Exekutive nicht aber der Legislative vorgeworfen werden. Im Rahmen des Vollzugs ist das vorrangig anwendbare Recht im Wege der inhaltlichen Auslegung zu ermitteln. Für das Haushaltsgesetz hingegen maßgeblich sind – vorbehaltlich der gem. Art. 109 Abs. 3 GG zulässigen Grundsatzgesetzgebung (dazu noch unten IV.) – solche Grundsätze, denen Verfassungsrang zukommt. Diese Verfassungsqualität ist auf Bundes- und Länderebene grundsätzlich getrennt zu ermitteln, da Bund und Länder in ihrer Haushaltswirtschaft selbstständig und voneinander unabhängig sind, Art. 109 Abs. 1 GG. Eine gewisse Angleichung des Haushaltsverfassungsrechts ergibt sich – in Folge der Haushaltsrechtsreform des Jahres 1969 – durch die gemeinsame Verpflichtung auf die „Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“, Art. 109 Abs. 2 GG. Ein Großteil der oben aufgeführten „wichtigen“ Haushaltsgrundsätze hat Eingang in die Finanz- bzw. Haushaltsverfassung82 des Grundgesetzes, Art. 109–115 GG, gefunden. 1. Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG – Vollständigkeit und Einheit
Die Grundsätze der Vollständigkeit und Einheit des Haushalts sind in Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG normiert83: Alle (erwarteten) Einnahmen und (geplanten) Ausgaben sind in den Haushaltsplan einzustellen. Das gesamte staatliche Finanzvolumen soll der Budgetplanung und -entscheidung von 82
Der X. Abschnitt des GG („Finanzwesen“) wird üblicherweise in eine „Finanzverfassung i. e. S.“ (Art. 104a–108 GG) und eine „Haushaltsverfassung“ (Art. 109–115 GG) gegliedert, wobei die Zuordnung des Art. 109 teilweise nicht einheitlich vorgenommen wird, vgl. hierzu Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 11 f. und Stern, StaatsR II, § 45 I 2 a), S. 1051 f. Im Ergebnis handelt es sich hier um „Begrifflichkeiten“, an denen aber aus Gründen der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit festgehalten werden soll. 83 Die Bundesländer haben – teilweise wortgleich – entsprechende Regelungen in ihren Landesverfassungen: Art. 79 Abs. 1 S. 1 BaWüVerf; Art. 78 Abs. 1 BayVerf; Art. 85 Abs. 1 S. 1 BerlVerf; Art. 101 Abs. 2 S. 1 BbgVerf; Art. 131 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 i. V. m. Art. 132 S. 1 BremVerf; Art. 66 Abs. 1 S. 1 HmbVerf; Art. 139 Abs. 2 S. 1 HessVerf; Art. 61 Abs. 1 S. 1 M-VVerf; Art. 65 Abs. 1 S. 1 NdsVerf; Art. 81 Abs. 2 S. 1 VerfNW; Art. 116 Abs. 1 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 1 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 1 SächsVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 1 S. 1 SchlHVerf; Art. 98 Abs. 1 S. 1 ThürVerf.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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Regierung und Parlament unterstellt und damit gewährleistet werden, dass das Parlament in regelmäßigen Abständen den vollen Überblick über das dem Staat verfügbare Finanzvolumen und damit auch über die dem Bürger auferlegte Abgabenlast erhält84. Der Vollständigkeitsgrundsatz hat seinen Sinn nicht nur in der finanzwirtschaftlichen Funktion des Haushaltsplans selbst und in dem Umstand, dass das Haushaltsbewilligungsrecht eines der wesentlichsten Instrumente der parlamentarischen Regierungskontrolle ist. Er aktualisiert auch den fundamentalen Grundsatz der Gleichheit der Bürger bei der Auferlegung öffentlicher Lasten und ist damit eine wesentliche Ausprägung rechtsstaatlicher Demokratie85. Ohne ein umfassendes und einheitliches Budget lässt sich zudem die notwendige Koordination der verschiedenen Ausgaben und Einnahmen nicht verwirklichen86. Konkretisiert wird Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG durch § 8 Abs. 2 HGrG und (insoweit nur für die Planaufstellung durch die Exekutive von Bedeutung87) § 11 Abs. 2 BHO/LHO. Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG garantiert, dass der Haushaltsplan alle haushaltsmäßig zu Buche schlagenden staatlichen Aktivitäten umfasst88, und verbietet somit sowohl „schwarze Kassen“, d.h. nicht als solche ausgewiesene Einnahmen, als auch Ausgaben für nicht vom Haushaltsplan gedeckte Zwecke.89 Zudem ist grundsätzlich nur ein („der“) Haushaltsplan aufzustellen, um eine Fondswirtschaft bzw. eine Aufspaltung der öffentlichen Finanzwirtschaft in Neben- und Teilhaushalte zu verhindern90 (Ausnahmen gelten für Bundes- bzw. Landesbetriebe und Sondervermögen, vgl. Art. 110 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG und die entsprechenden Vorschriften der Landesverfassungen91). 84 BVerfG, Beschluss v. 31.5.1990, 2 BvL 12, 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159 [179]; BVerfG, Urteil v. 17.7.2003, 1 BvL 1, 4, 6, 16, 18/99, 1/01; BVerfGE 108, 186 [216]; BVerfG, Beschluss v. 18.5.2004, 2 BvR 2374/99, BVerfGE 110, 370 [388]; BVerfG, Urteil v. 6.7.2005, 2 BvR 2335, 2391/95, BVerfGE 113, 128 [147]. Vgl. auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 110, Rn. 3. 85 BVerfG, Urteil v. 10.12.1980, 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 274 [303]. 86 Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 14. 87 s. oben sub II., S. 38. 88 BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [357]. 89 Vgl. Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 14; Heintzen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 120, Rn. 26. 90 Vgl. Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 14. Zur Bedeutung der Nebenhaushalte auf Bundesebene vgl. Kilian, Nebenhaushalte, passim; Puhl, Budgetflucht, S. 482 ff. 91 Art. 79 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BaWüVerf; Art. 85 Abs. 1 S. 2 BerlVerf; Art. 101 Abs. 2 S. 2 BbgVerf; Art. 145 HessVerf; Art. 61 Abs. 1 S. 2 M-VVerf; Art. 65 Abs. 3 NdsVerf; Art. 81 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 VerfNW; Art. 116 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 RhPfVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SächsVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 VerfLSA; Art. 50 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SchlHVerf; Art. 98 Abs. 1 S. 2 ThürVerf.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
a) Non-Affektationsprinzip (Gesamtdeckungsprinzip) Eng verknüpft mit den in Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG garantierten Grundsätzen der Vollständigkeit und Einheit ist der „klassische Haushaltsgrundsatz“92 der Gesamtdeckung, § 8 S. 1 BHO/LHO, § 7 S. 1 HGrG, wonach alle Einnahmen als Deckungsmittel für alle Ausgaben dienen. Das Non-Affektationsprinzip hat indes keinen Verfassungsrang93. Aus dem Wortlaut des Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG lässt sich der Gesamtdeckungsgrundsatz nicht ableiten. Das Gebot, alle Einnahmen und Ausgaben in den Haushaltsplan einzustellen, stellt keinerlei inhaltlichen Zusammenhang zwischen Einnahmen und Ausgaben her. Die unterschiedslose Formulierung „alle“ lässt zwar den Schluss zu, dass die Haushaltstitel in ihrer Gesamtheit zu betrachten und damit „gleichwertig“ sind. Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG sieht keine spezifische Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben vor. Damit kommt jedenfalls eine Aufteilung des Haushalts in einen ordentlichen und einen außerordentlichen Haushalt nicht (mehr) in Betracht94. Zum anderen lässt sich aus dieser Nicht-Regelung aber auch nicht auf das Verbot einer solchen Zuordnung im Haushaltsgesetz (oder anderen Gesetzen) und damit nicht auf eine verfassungskräftige Normierung des Non-Affektationsprinzips schließen: Ein Haushaltsplan wäre auch dann vollständig und einheitlich, wenn – durch den Haushaltsgesetzgeber95 – jeder Einnahme eine bestimmte Ausgabe zugeordnet würde (z. B. Einnahmen aus der Kfz-Steuer dem Straßenbau)96. 92 Mießen, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 8 BHO, Anm. 1; zum Landesrecht vgl. Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 8 BHO, Anm. 4. 93 Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 77; Stern, StaatsR II, § 50 III 7, S. 1244; Vogel/Walter, Bonner Kommentar [1971], Art. 105, Rn. 44; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 14, m. w. N. (Fn. 66); a. A. Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 451; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 40 f. Offengelassen in BVerfG, Beschluss v. 7.11.1995, 2 BvR 413/88 und 1300/93, BVerfGE 93, 319 [348]. 94 Vgl. zur früheren Rechtslage Vialon, Haushaltsrecht2, S. 42 f. und S. 84 f. 95 Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 40, stellt zutreffend fest, dass „nicht die Exekutive, sondern der Haushaltsgesetzgeber […] die Einnahmen letztverbindlich im Hinblick auf ihre Verwendungszwecke [spezialisiere]“. Inwiefern hieraus der Verfassungsrang des Gesamtdeckungsprinzips abzuleiten ist, bleibt jedoch unklar, da es – etwa im Fall einer Zwecksteuer – stets der Gesetzgeber ist (oder zumindest sein kann), der die Zweckbindung festlegt. Über eine durch die Exekutive aufgestellte „Zweckbindung“ könnte sich der Gesetzgeber wg. Art. 20 Abs. 3 GG stets (auch ohne Verfassungsrang des Gesamtdeckungsprinzips) hinwegsetzen. 96 Wie hier Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 88, Rn. 20; vgl. auch Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 443: „Der Grundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans (Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG) ist also durch eine Bindung des Aufkommens nicht tangiert […]“. Vgl. zu den „Zwecksteuern“ BVerfG, Beschluss v. 4.2.1958, 2 BvL 31, 33/56, BVerfGE 7, 244 [254]; BVerfG, Beschluss v. 20.5.1959, 1 BvL 1, 7/58, BVerfGE 9, 291 [300] und Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 424 ff., 451.
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Eine solche Zuordnung würde auch nicht durch den Grundsatz des (formalen) Haushaltsausgleichs, Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG, untersagt. Zwar ergäben sich ohne Zweifel erhebliche praktische Schwierigkeiten, den Haushalt auszugleichen, wenn jede Einnahme dem Grunde und der Höhe nach zweckgebunden, d.h. einer bestimmten Ausgabe zugeordnet wäre, weil im Haushaltsvollzug immer erst der „Zufluss“ abgewartet werden müsste, bevor eine Ausgabe geleistet werden könnte. Wäre dies anders, läge keine „Zweckbindung der Mittel“ sondern nur eine betragsmäßige Übereinstimmung vor – ähnlich der „Investitionsgrenze“ in Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG. Einzelne sachlich begründbare Zuordnungen sind jedoch auch in der Praxis unproblematisch, so dass der „Verfassungsrang“ des Gesamtdeckungsprinzips aus dem Gebot des Haushaltsausgleichs (Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG) nicht, auch nicht im Sinne eines Optimierungsgebots, welches Ausnahmen zuließe97, abgeleitet werden kann. Speziell dem Haushaltsverfassungsrecht98 lässt sich der Grundsatz der Gesamtdeckung also nicht entnehmen. Vielfach wird aber angenommen, dass das Non-Affektationsprinzip sich jedenfalls aus dem verfassungsrechtlichen Steuerbegriff ableite: Der Grundsatz habe „als haushaltsrechtliche Prämisse zwar keinen Verfassungsrang“99, sei aber „letztlich durch den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff doch in seinen Grundzügen verfassungsrechtlich abgesichert“100. Diesem Ansatz kann nicht gefolgt werden. Selbst wenn man davon ausginge, dass Zwecksteuern dem verfassungsrechtlichen Steuerbegriff nicht entsprächen101 oder zumindest stets einer besonderen Rechtfertigung bedürften102, folgt hieraus nicht auch der Verfassungsrang des Gesamtdeckungsprinzips103. Jedenfalls die „im Haushaltsplan zugelassene“ Zweckbindung, § 7 S. 2 Alt. 2 HGrG, ist nämlich 97
Vgl. zur Differenzierung Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 352. Zum Begriff s. oben Fn. 82 (S. 42). 99 Vogel/Waldhoff, in: Bonner Kommentar, GG, Vorbem. z. Art. 104a–115, Rn. 37 m. Hinw. auf Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 77; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 43; Stern, StaatsR II, § 50 III 7, S. 1244; Puhl, Budgetflucht, S. 72. 100 Vogel/Waldhoff, in: Bonner Kommentar, GG, Vorbem. z. Art. 104a–115 GG, Rn. 37, 383 m. w. N.; Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 116, Rn. 143. 101 In diese Richtung gehen etwa Tipke/Lang, Steuerrecht18, § 3 Rn. 14. Das BVerfG hat Zwecksteuern, sofern diese nicht (quantitativ) zu einer „unvertretbaren Häufung“ von Zweckbindungen führen, grds. für zulässig gehalten, BVerfG, Beschluss v. 2.10.1973, 1 BvR 345/73, BVerfGE 36, 66 [70 f.] – Stabilitätszuschlag; BVerfG, Beschluss v. 12.10.1978, 2 BvR 154/74, BVerfGE 49, 343 [353 f.]; BVerfG, Beschluss v. 6.12.1983, 2 BvR 1275/79, BVerfGE 65, 325 [344] – Zweitwohnungssteuer. 102 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 451. 103 So aber Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 451. 98
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
nicht mit der „Zwecksteuer“, die durch § 7 S. 2 Alt. 1 HGrG erfasst würde, identisch. Auch wenn es derselbe Gesetzgeber ist, der über die Steuer- und Haushaltsgesetze zu entscheiden und diese zu verantworten hat, ergibt sich ein entscheidender Unterschied aus dem Charakter des (den Haushaltsplan feststellenden) Haushaltsgesetzes als Zeitgesetz. Das (Zweck-)Steuergesetz (oder ein anderes „Finanzierungsgesetz“104) ist als Dauergesetz konzipiert. Normiert dieses eine Zweckbindung des Steueraufkommens, bindet es als solches zwar nicht den späteren (Haushalts-)Gesetzgeber, der sich von Verfassungs wegen – denkt man, was methodisch zwingend ist, § 7 HGrG hinweg105 – durch Erlass eines späteren und spezielleren Haushaltsgesetzes über die Zweckbindung des Steuergesetzes hinwegsetzen könnte106. Es bindet aber, soweit das Haushaltsgesetz keine (abweichende) Zweckbindung festlegt, also – wie es der Regelfall ist – auf eine Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben schon aus Praktikabilitätsgründen verzichtet107, weiterhin die Exekutive im Haushaltsvollzug. 104 Vgl. Art. 1 StrFinG (Straßenbaufinanzierungsgesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 912-3, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 241 der Verordnung vom 29.10.2001, BGBl. I S. 2785): „Das Aufkommen an Mineralölsteuer […] ist […] in Höhe von 50 vom Hundert für Zwecke des Straßenwesens zu verwenden“. 105 Für die Frage, ob das Non-Affektationsprinzip ein Verfassungsprinzip ist, kann es nicht auf die inhaltliche Ausgestaltung der Grundsatzgesetzgebung (§ 7 S. 2 HGrG) ankommen. A. A. Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 447 ff. 106 Wie hier Siekmann, in: Sachs, GG4, vor Art. 104a, Rn. 59; a. A. Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 447; inzident wohl auch BVerfG, Urteil v. 7.11.1995, 2 BvR 413/88 und 1300/93, BVerfGE 93, 319 [348]: „Eine – möglicherweise verfassungswidrige – Einengung der Dispositionsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn Zweckbindungen in unvertretbarem Ausmaß stattfänden.“ [Hervorhebung nur hier, d. Verf.]. – Auch unter Berücksichtigung des § 7 S. 2 HGrG ergibt sich keine Bindung des späteren Gesetzgebers an die vorherigen Zweckfestlegungen. Zwar steht § 7 HGrG gem. Art. 109 Abs. 3 GG i. V. m. § 1 HGrG im Rang über den einfachen Gesetzen, so dass dieser eine Bindung normieren könnte. Inhaltlich lässt sich eine solche Bindung dem § 7 S. 2 HGrG jedoch nicht entnehmen (a. A. Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 447). Nur weil eine Ausnahme „durch Gesetz“ oder „im Haushaltsplan“ zugelassen wird, nimmt dieses Gesetz oder der Haushaltsplan nicht am Rang des HGrG (oder gar des Art. 109 Abs. 3 GG) teil. Erkennt man an, dass der wahrscheinlichste Fall (dem Grundgedanken des § 7 S. 1 HGrG entsprechend) die Nichtregelung einer Zweckbindung von Einnahmen im Haushaltsgesetz bzw. Haushaltsplan ist, so macht die Ausnahmeregelung des § 7 S. 2 HGrG auch dann Sinn, wenn der Haushaltsgesetzgeber nicht auf die vorherige Zweckbindung festgelegt ist. Jedenfalls der Haushaltsvollzug bliebe trotz §§ 7 S. 1 HGrG, 8 S. 1 BHO/LHO gebunden. Allenfalls mittelbar kann sich wg. des Initiativrechts der Regierung eine Bindung des parlamentarischen Gesetzgebers ergeben, da die „Aufstellung“ des Haushaltsplans durch die Exekutive erfolgt und diese – solange (noch) kein abweichendes Recht gesetzt ist – an die Zweckfestlegungen des einfachen Rechts gem. Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist, s. hierzu auch Fn. 300 (S. 82). Ähnlich Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 64.
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Die Festlegung eines bestimmten Zwecks führte also jedenfalls im Haushaltsvollzug zu einer Zweckbindung der Steuer auf Dauer, was – dies soll hier nicht vertieft werden – dem verfassungsrechtlichen Steuerbegriff und dem Charakter der Steuer als Finanzierungsmittel möglicherweise widerspricht108. Die jährlich neu festzulegende Zweckbindung von Einnahmen im Haushaltsplan (§ 7 S. 2 Alt. 2 HGrG) hätte demgegenüber keinerlei Rückwirkung auf die Steuer selbst, auf die im Haushaltsgesetz (Haushaltsplan) ja nur tatbestandlich Bezug genommen wird. Auch ergibt sich keine Aushöhlung des parlamentarischen Budgetrechts, wenn der Gesetzgeber jedes Jahr – im und damit zugleich mit dem Haushaltsgesetz – über die Zweckbindung der Einnahmen entscheidet. Aus dem „verfassungsrechtlichen Steuerbegriff“ ließe sich methodisch höchstens ein Verbot der Zwecksteuer oder – mit guten Gründen – ein (Optimierungs-)Gebot ableiten, von Zwecksteuern nur „im notwendigen Rahmen“109 Gebrauch zu machen. Eine Rückbindung des haushaltsrechtlichen Non-Affektationsprinzips an die Verfassung kann – so sinnvoll der Grundsatz der Gesamtdeckung auch ist – durch den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff aber nicht erreicht werden. Eine Bindung an den Grundsatz der Gesamtdeckung ergibt sich allerdings über § 7 S. 1 HGrG, wobei §§ 7 S. 2 und 13 Abs. 3 HGrG Ausnahmen zulassen (zur Bindungswirkung des HGrG noch unten IV.). b) Prinzip der Einzel- bzw. Bruttoveranschlagung Zumindest teilweise in Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG verankert ist der Grundsatz der Einzel- bzw. Bruttoveranschlagung, nach dem weder Ausgaben vorweg abgezogen noch Einnahmen auf Ausgaben vorweg angerechnet werden dürfen110. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat zwar davon abgesehen, 107 Weitergehend Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 68, der davon ausgeht, dass es „Ausdruck einer autonomen haushaltsgesetzgeberischen Entscheidung“ sei, wenn der Haushaltsgesetzgeber der gesetzlichen Zweckbestimmung [sc. einer Zwecksteuer] folge. Indes scheint dies, wie Jahndorf, ebd. fortfährt, dem Haushaltsgesetzgeber „nicht immer bewusst zu sein“. Daher kommt es auch nur dann „entscheidend“ (so Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 446) darauf an, ob ein früheres Steuergesetz das spätere Haushaltsgesetz determinieren kann, also über § 7 S. 2 HGrG i. V. m. Art. 109 Abs. 3 GG eine Bindung des Haushaltsgesetzgebers bewirkt, wenn das (spätere) Haushaltsgesetz versucht, eine (frühere) Zweckbindung abzuändern oder aufzuheben. Sofern die Auslegung ergibt, dass eine „Nichtregelung“ gewollt ist, bleibt es bei der dargestellten Bindung (nur) der Exekutive. 108 Vgl. hierzu statt vieler Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 424 ff.; Waldhoff, StuW 2002, 285 ff.; ders., in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 116, Rn. 140 ff. jeweils m. w. N. 109 In diesem Sinne Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 451.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
das Bruttoprinzip ausdrücklich in der Verfassung zu nennen111; systematisch kann jedoch aus Art. 110 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG („bei Bundesbetrieben und bei Sondervermögen brauchen nur die Zuführungen oder die Ablieferungen eingestellt zu werden“)112 geschlossen werden, dass die – auch historisch vorgefundene – Bruttoveranschlagung der Verfassung zugrunde liegt113. Der Wortlaut („alle“) ist indes – entgegen den Auffassungen von Vogel114 und Stern115 – nicht eindeutig. Grundsätzlich kann das Gebot der Vollständigkeit i. S. d. Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG in zwei Richtungen verstanden werden. Es stellt sich nämlich die Frage, ob Einnahmen und Ausgaben insgesamt vollständig sein müssen, also (nur) in dem Sinne, dass erwartete Einnahmen oder geplante Ausgaben nicht verschwiegen werden dürfen und daher in die Summe eingehen müssen, oder ob Einnahmen und Ausgaben jeweils vollständig zu erfassen sind, so dass die dem Grunde nach trennbaren Mittel im Haushaltsplan auch zu trennen sind und eben nicht saldiert werden dürfen. Sinn und Zweck der vollständigen Erfassung aller Einnahmen und Ausgaben in einem Haushaltsplan sprechen eher für eine möglichst getrennte Veranschlagung, d.h. eine Aufschlüsselung der einzelnen Posten soweit(!) die Klarheit des Budgets gewährleistet werden kann und keine „Zerfaserung“ eintritt. Eine von den übrigen sächlichen Verwaltungsausgaben gesonderte Darstellung der Mittel für Dienstreisen oder Gebäudemieten kann für die Planung hilfreich sein; ebenso ist eine Unterscheidung etwa nach Steuerarten (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer etc.) sinnvoll. Hingegen wäre eine Differenzierung der Steuereinnahmen nach einzelnen Steuerpflichtigen sinnlos und für die Zwecke der Planung ebenso kontraproduktiv wie eine Saldierung von Steuereinnahmen und Steuererhebungskosten. Vom Bruttoprinzip kann daher auch nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden, wenn und insoweit dadurch die Aufgabe des Par110 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 34; Stern, StaatsR II, § 50 III 2, S. 1240; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 110, Rn. 4; a. A. Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 42; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 177. 111 Schriftlicher Bericht des Abgeordneten Arndt zu BT-Ds. V/3605, S. 10. 112 Vgl. Art. 79 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BaWüVerf; Art. 85 Abs. 1 S. 2 BerlVerf; Art. 101 Abs. 2 S. 2 BbgVerf; Art. 145 HessVerf; Art. 61 Abs. 1 S. 2 M-VVerf; Art. 65 Abs. 3 NdsVerf; Art. 81 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 VerfNW; Art. 116 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 RhPfVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SächsVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 VerfLSA; Art. 50 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SchlHVerf; Art. 98 Abs. 1 S. 2 ThürVerf. 113 Vgl. Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 50; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 88, Rn. 22; Heintzen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 120, Rn. 31; a. A. Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 42, der Art. 110 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 nicht als Ausnahme vom Brutto- sondern v. a. als Ausnahme vom Vollständigkeits- und Einheitsprinzip versteht. 114 Vogel, DÖV 1977, 837 [842]. 115 Stern, StaatsR II, § 50 III 2, S. 1241.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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laments, einzelne Haushaltsabschnitte (Kapitel und Titel) zu beraten und festzustellen, nicht erschwert oder unmöglich gemacht wird116. Ohne die Konkretisierung durch das Bruttoprinzip bliebe das Gebot der Vollständigkeit in Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG weitgehend wirkungslos117. c) Nettoveranschlagung der Einnahmen aus Krediten Ein Sonderproblem bildet die Brutto- bzw. Nettoveranschlagung bei den Einnahmen aus Krediten. Seit 1969 werden gem. § 15 Abs. 1 S. 2 BHO im Bundeshaushaltsplan die Krediteinnahmen nicht mehr gesondert von den zur Schuldentilgung vorgesehenen Ausgaben ausgewiesen, sondern die zur Tilgung (Umschuldung) vorgesehenen Ausgaben von den Krediteinnahmen abgezogen und nur der Nettobetrag als „Einnahmen“ in den Haushaltsplan eingestellt118. Konsequenterweise umfasst dann die Kreditermächtigung gem. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG, § 18 Abs. 1 S. 1 BHO, die regelmäßig in § 2 Abs. 1 des jährlichen (Bundes-)Haushaltsgesetzes enthalten ist, nur diesen Nettokreditaufnahmebetrag, dem dann gem. § 2 Abs. 2 HG „die Beträge zur Tilgung von im Haushaltsjahr […] fällig werdenden Krediten“ zuwachsen, „deren Höhe sich aus […] der Finanzierungsübersicht (Teil II des Gesamtplans) ergibt.“119 Teilweise wird kritisiert, dass die Nettoveranschlagung bei den Krediteinnahmen die „Warnfunktion“ der für das atypische Finanzierungsmittel Kredit120 angesetzten Belastungssummen gefährde121 und nur vor dem Hintergrund „politisch-taktischer“122 Erwägungen zu erklären sei. Hier handelt es sich m. E. jedoch um ein Scheinproblem, da – anders als im Fall „sachlicher“ Einnahmen bzw. Ausgaben im Fall der Einnahmen aus Krediten stets klar ist, mit welchem Posten saldiert wird, nämlich mit den Tilgungsausgaben. Die Saldierung ist mithin in diesem Fall „wertfrei“ und nimmt dem Budgetgeber nicht die Möglichkeit, sich umfassend über die einzelnen Posten des Haushalts zu informieren und somit ebenso umfassend über die Finanzierung von Maßnahmen und die Belastung der Bürger zu entscheiden. 116
Vgl. Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 110, Rn. 50. Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 429; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 50. 118 Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 88, Rn. 22; zum Gesetzgebungsverfahren vgl. Patzig, Haushaltsrecht, C/15/3 ff. 119 Vgl. beispielhaft § 2 HG 2005, G. v. 3.5.2005, BGBl. I, 467, und den Kreditfinanzierungsplan 2005, BGBl. I, 484. 120 Vgl. zur Subsidiarität der Kreditaufnahme statt vieler Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 87 ff. m. w. N. 121 Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 88, Rn. 22. 122 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 51. 117
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Entschärft wird das „Problem“ auch dadurch, dass die Information sowohl des Parlaments als auch der Öffentlichkeit bei der Ermächtigung zur Kreditaufnahme durch Anlagen zum Haushaltsplan (Finanzierungsübersicht und Kreditfinanzierungsplan) gewährleistet wird123. Vor dem Hintergrund des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG ist schließlich v. a. die Höhe der neuen Kredite interessant, was die Anwendung des Nettoprinzips in diesem Fall sogar als vorzugswürdig erscheinen lässt. Nach Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG bedarf die „Aufnahme von Krediten“ einer Ermächtigung durch Gesetz, hingegen bezieht sich das Junktim nach S. 2 auf die „Einnahmen aus Krediten“. Beide Begriffe sind nicht identisch. Während es bei der Kreditermächtigung nach Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG um den Brutto- oder Nominalbetrag geht, da die gesetzliche Ermächtigung die gesamte Rückzahlungsverpflichtung aus der jeweiligen Kreditaufnahme erfassen muss124, ist hinsichtlich der Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG der Gedanke der „Lastenverschiebung in die Zukunft“ maßgeblich. In diesem Zusammenhang können diejenigen Kreditaufnahmen, die zur Tilgung früherer Kredite, also zur Umschuldung, verwendet werden, außer Betracht bleiben.125 Die Höhe der erlaubten Kreditaufnahme kann einerseits nicht von der Zufälligkeit des jeweiligen Tilgungsbedarfs abhängen126. Andererseits vergrößern kreditfinanzierte Tilgungsmittel nicht den Schuldenstand; die Aufnahme solcher Kredite verschafft dem Staat keine (endgültigen) Einnahmen.127 Solange die Zinsausgaben, die ja die Verschuldungshöhe insgesamt erkennbar machen und zugleich deren „Gefahrenpotenzial“ aufzeigen, gesondert ausgewiesen sind – § 15 Abs. 1 S. 2 BHO erlaubt nur die Saldierung von Kreditaufnahmen und -tilgung – dient die Nettoveranschlagung der Übersichtlichkeit des Haushaltsplans. Die für das Haushaltsjahr vorgesehene Veränderung des Schuldenstandes kommt durch die Nettoveranschlagung der Krediteinnahmen im Haushaltsplan unmittelbarer zum Ausdruck und 123
Vgl. hierzu Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 110, Rn. 51: Das Bruttoprinzip werde aus diesem Grund nicht „angetastet“. 124 Maßgeblich ist insoweit, wie die Haushaltswirtschaft künftiger Jahre insgesamt belastet ist, vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 17. – S. zur Bruttoermächtigung in Art. 111 Abs. 2 GG („im Wege des Kredits flüssig machen“) noch unten, Fn. 800 (S. 188). 125 Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 173; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 41; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Art. 115, Rn. 35; Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 115, Rn. 32; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 115, Rn. 20. 126 Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 115, Rn. 32; Friauf, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 92, Rn. 41. 127 Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 173; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 115, Rn. 20; Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 115, Rn. 32.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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kann so dazu beitragen, die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Haushaltsvolumens (vgl. Art. 109 Abs. 2 GG) besser beurteilen zu können. Im Fall der Bruttoveranschlagung würde das Haushaltsvolumen hingegen aufgebläht und bei der mehrjährigen Finanzplanung in Jahren mit verstärktem Umschuldungsbedarf Steigerungsraten aufweisen, die der gesamtwirtschaftlichen Realität und ggf. der gesamtwirtschaftlichen Zielprojektion nicht entsprechen würden128. 2. Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG – Wahrheit, Klarheit und Genauigkeit
Die Grundsätze der Wahrheit, Klarheit und Genauigkeit ergeben sich nicht ausdrücklich aus Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG129, können aber aus dem Grundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans abgeleitet werden und nehmen an dessen verfassungsrechtlichen Rang teil.130 a) Haushaltswahrheit Nach dem Grundsatz der Haushaltswahrheit dürfen in den Haushaltsplan keine Ansätze eingestellt werden, die der Verschleierung des wahren Sachverhalts dienen oder Beträge vortäuschen131. Es dürfen ferner keine ungerechtfertigten Ober- oder Unterschätzungen (keine nach vernünftigen Gesichtspunkten zu hohen oder zu niedrigen Schätzungen) vorgenommen werden.132 Um diesem Gebot gerecht zu werden, müssen den Schätzungen gewissenhafte Ermittlungen vorausgehen. Dabei hat die Regierung (bzw. das Finanzministerium) kein Schätzungsmonopol, sondern auch das Parlament kann und muss in Zweifelsfällen selbstständig Schätzungen vorneh128
Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 15 BHO, Anm. 5. Vgl. Art. 79 Abs. 1 S. 1 BaWüVerf; Art. 78 Abs. 1 BayVerf; Art. 85 Abs. 1 S. 1 BerlVerf; Art. 101 Abs. 2 S. 1 BbgVerf; Art. 131 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 i. V. m. Art. 132 S. 1 BremVerf; Art. 66 Abs. 1 S. 1 HmbVerf; Art. 139 Abs. 2 S. 1 HessVerf; Art. 61 Abs. 1 S. 1 M-VVerf; Art. 65 Abs. 1 S. 1 NdsVerf; Art. 81 Abs. 2 S. 1 VerfNW; Art. 116 Abs. 1 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 1 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 1 SächsVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 1 S. 1 SchlHVerf; Art. 98 Abs. 1 S. 1 ThürVerf. 130 Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 36; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 93; Stern, StaatsR II, § 50 III 2, S. 1240 f.; VerfGH NW, Urteil v. 28.1.1992, VerfGH 1/91, NWVBl. 1992, 129 [130]. 131 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 25; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 37. 132 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 37; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 9; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 25. Vialon, Haushaltsrecht2, S. 79, ordnet diesen Aspekt der Vollständigkeit des Haushaltsplans zu. 129
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
men.133 Ein Verstoß gegen diese Pflichten bedeutet einen Verfassungsverstoß.134 Praktische Relevanz erhält der Grundsatz der Haushaltswahrheit im Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlichen Ausgleichs- (Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG) und dem Kreditbegrenzungsgebot (Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG). Werden (Steuer-)Einnahmen, obwohl vorhersehbar ist, dass diese voraussichtlich nicht erzielt werden können, dennoch in den Haushalt eingestellt, führt dies dazu, dass der Kreditbedarf (bei gleichen Ausgaben) zu niedrig angesetzt wird. Ist eine Erhöhung der Krediteinnahmen aufgrund der verfassungsrechtlichen Beschränkung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG nicht mehr möglich, so entsteht beim Haushaltsvollzug eine Deckungslücke135. Um den Haushalt gemäß Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG auszugleichen, sind insbesondere die regulären (Steuer-)Einnahmen so realistisch wie möglich einzuschätzen. Faktisch ist der Ansatz evident zu hoher Einnahmen ein starkes Indiz dafür, dass insbesondere Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG umgangen werden soll.
Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 25; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 9; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 37. 134 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 37; Hillgruber, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 36. 135 Wobei (unverständlicherweise) umstritten ist, ob auch eine Überschreitung der Kreditgrenze im Haushaltsvollzug zu einem Verstoß gegen Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG führt. Zum Streitstand s. Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 304; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 449 ff.; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 182 ff. sowie Birk, Haushaltsplanung und Haushaltsvollzug, in: FS Hoppe, S. 285 [294 ff.] jeweils m. w. N. Insbesondere die teleologische Auslegung der Norm führt dazu, dass auch die Exekutive im Haushaltsvollzug an die Kreditgrenze gebunden ist. Die Staatsverschuldung ist nicht durch bloße Planung zu begrenzen. Die tatsächlichen wirtschaftlichen Auswirkungen von Kreditaufnahmen entstehen nicht bei der Aufstellung des Haushalts, sondern während dessen Vollzugs (Wolffgang, DVBl. 1984, 1049). Der Haushaltsgesetzgeber könnte durch nicht ernst gemeinte Veranschlagungen für Investitionen ein Kreditvolumen von beliebiger Größe schaffen, und damit die Funktion der Neuverschuldungsgrenze leer laufen lassen, wenn der Vollzug an diese Grenze nicht gebunden wäre (vgl. Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: FS Friauf, S. 705 [723]: „Je unseriöser die Veranschlagung für Investitionen, desto freier die Regierung.“). Zudem bindet Art. 109 Abs. 2 GG Bund und Länder umfassend an die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, wobei das Bundesverfassungsgericht klar gestellt hat, dass sich diese Bindung auch auf die Kreditaufnahme erstreckt (BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [334], vgl. auch Stern, StaatsR II, § 51 III 4, S. 1277) und unten, § 3 B. I. 3. b), S. 285 ff. 133
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b) Haushaltsklarheit In Zusammenhang mit dem Grundsatz der Haushaltswahrheit steht der Grundsatz der Haushaltsklarheit. Er besagt, dass der Haushaltsplan möglichst durchsichtig sein muss und erkennbar machen soll, wo und in welcher Höhe die veranschlagten Einnahmen ihren Entstehungsgrund haben und wie hoch die einzelnen Ausgaben für welchen Zweck veranschlagt sind.136 Im Interesse der Transparenz ist ferner eine systematische Gliederung der Einnahmen und Ausgaben zu fordern.137 Die Forderung nach Übersichtlichkeit des Haushaltsplans verfolgt damit zwei Ziele. Zum einen soll sie die wirtschaftliche und politische Kontrolle des Voranschlages erleichtern, die Vergleichbarkeit verbessern, zum anderen der Verwaltung ein brauchbares finanzwirtschaftliches und organisatorisches Hilfsmittel an die Hand geben138. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen dürfen allerdings nicht zu hoch angesetzt werden. Aus Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG (dem Grundsatz der Vollständigkeit) lässt sich nicht herleiten, wie speziell die Zweckbestimmungen und Erläuterungen des Bundeshaushaltsplans im Einzelnen sein müssen und wie genau die Einnahmen und Ausgaben zu gliedern sind.139 Eine theoretische Leitlinie, wie weit im Einzelfall etwa die Bezeichnung der Zweckbestimmungen oder die Erläuterungen gehen müssen, lässt sich nicht aufzeigen; die Haushaltsfeststellungspraxis hat hier die tatsächlich, sich aus Sinn und Zweck des Haushaltsplans ergebende, notwendige Reichweite des Grundsatzes der Haushaltsklarheit herausgearbeitet140. Der Haushaltsplan muss, um seine Funktionen erfüllen zu können, einen möglichst lückenlosen Überblick über die finanzielle Entwicklung geben.141 Er darf also nicht so undurchsichtig oder bei den Zweckbestimmungen so ungenau sein, dass er diesem Ziel nicht mehr gerecht wird.142 Unvereinbar mit dem Grundsatz der Haushaltsklarheit sind damit insbesondere alle 136 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 22; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 12; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 38. 137 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 26; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 22. 138 Vialon, Haushaltsrecht2, S. 92. 139 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 38. Die Bindung aus Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG m. E. zu sehr einschränkend Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 22, der davon ausgeht, Klarheit und Wahrheit ließen sich rechtlich nicht erzwingen. 140 Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 110, Rn. 53. 141 BVerfG, Beschluss v. 31.5.1990, 2 BvL 12, 13/88, u. a., BVerfGE 82, 159 [179]; Patzig, Haushaltsrecht, Bd. 1, Rn. 87; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 110, Rn. 9. 142 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 38.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
„Haushaltstricks“, mit denen Haushaltsexperten in der Verwaltung versuchen könnten, ihrer Kontrolle durch das Parlament und den Rechnungshof, aber auch der Öffentlichkeit zu entkommen.143 c) Genauigkeit und Spezialität Eng mit den Grundsätzen der Haushaltswahrheit und -klarheit, aber auch mit dem Grundsatz der Vollständigkeit verknüpft sind der Grundsatz der Budgetgenauigkeit, nach dem eine möglichst präzise und eindeutige Abfassung des Haushaltsplans, v. a. bezogen auf die Zweckbestimmungen bei den einzelnen Titeln, erforderlich ist144, und der Grundsatz der Spezialität, nach dem der Haushaltsplan so genau sein muss, dass er die Exekutive sachlich und zeitlich binden kann145. Der Grundsatz der Spezialität hat eine das parlamentarische Budgetrecht sichernde Funktion; ihm kommt damit im Hinblick auf die Entscheidungs- und Kontrollfunktion des Parlaments Verfassungsrang zu146. Häufig wird zwischen einer sachlichen und einer zeitlichen Komponente unterschieden: Der sog. sachliche Spezialitätsgrundsatz besage, dass die veranschlagten Mittel nur zu einem bestimmten Zweck (qualitativ) und nur in einer bestimmten Höhe (quantitativ) verausgabt werden dürfen.147 Der Grundsatz der zeitlichen Spezialität begrenze die Geltungsdauer der Bewilligungen auf das Haushaltsjahr und ergänze die Periodizität der Bewilligungen aufgrund des Jährlichkeitsprinzips148. Indes muss differenziert werden149: Neben den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Spezialität tritt – eng verwandt150 – der Grundsatz der Bin143
Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 116. Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 117. 145 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 62; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 23. 146 Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 23; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 93; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 62; VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [315] – Grundstock; VerfGH NW, Urteil v. 3.5.1994, VerfGH 10/92, OVGE 44, 278 [280 u. Ls. 1] – Neue Mitte Oberhausen; VerfGH NW, Urteil v. 28.1.1992, VerfGH 1/91, NWVBl. 1992, 129 [130] – Öffentlichkeitsarbeit MURL. 147 Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 24; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 20. 148 Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 24. 149 Vgl. bereits Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 154: „Um gründlich und wirksam zu sein, muss das Kontrollrecht hinsichtlich der öffentlichen Ausgaben sich auf die Einzelheiten erstrecken. Und diese Kontrolle hat nur insoweit Wert, als die Minister verpflichtet sind, sich streng an die Anordnungen der Kammern zu halten.“ – sog. Spezialitäts- oder Appropriationssystem. Vgl. auch Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 93 einerseits und S. 95 f. andererseits. 144
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dung i. S. einer sachlichen, einer zeitlichen und einer Betragsbindung151. Diese Bindung, verstanden als eine Bindung der Exekutive an die Vorgaben des Haushaltsgesetzes bzw. des Haushaltsplans152, ergibt sich aus dem Vorrang des Gesetzes, da die vollziehende Gewalt gem. Art. 20 Abs. 3 GG an das (Haushalts-)Gesetz gebunden ist. Als solches bildet der Grundsatz der Bindung (vgl. §§ 27 Abs. 1 S. 1 HGrG, 45 Abs. 1 S. 1 BHO) insofern zwar einen Verfassungsgrundsatz ab, als er den im Rechtsstaat selbstverständlichen Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes für das Haushaltsrecht aufgreift. Im Wesentlichen ist der Grundsatz der Bindung aber (nur) als eine Auslegungsregel für das jeweilige Haushaltsgesetz anzusehen. Auch wenn das Haushaltsgesetz nicht explizit anordnet, dass die Ausgabenansätze nur in dem Rahmen (qualitativ und quantitativ) auszuschöpfen sind, wie sie bewilligt sind, und nur in dem Haushaltsjahr vollzogen werden können, für das sie bewilligt sind (zeitlich), sind über- und außerplanmäßige Ausgaben nur zulässig, wenn sie durch Gesetz (z. B. § 45 Abs. 2 BHO) oder unmittelbar durch die Verfassung (Art. 112 GG)153 zugelassen werden. Hingegen richtet sich der Grundsatz der Spezialität primär an den Gesetzgeber (und mittelbar an die Exekutive im Rahmen der Budgetaufstellung) und kann als Vorgabe verstanden werden, Posten im Haushaltsplan nach Entstehungsgrund und Zwecken getrennt zu veranschlagen (Einzel- und Bruttoveranschlagung154) und hierbei ein Maß an Spezialisierung zu erreichen, das der Exekutive im Haushaltsvollzug zwar gewisse Spielräume lässt, diese mit Blick auf das Budgetrecht des Parlaments und den Vorbehalt des Gesetzes aber auf das Notwendige (vgl. den Rechtsgedanken des Art. 112 S. 2 GG) begrenzt. d) Globale Minderausgaben Ein „in Zeiten knapper Kassen“155 zunehmendes Problem, welches die Grundsätze der Haushaltswahrheit und der Haushaltsklarheit in besonderer Weise berührt, stellt die Veranschlagung sog. „globaler Minderausgaben“ 150 Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 20, sieht beide Grundsätze als Synonyme an; ähnlich Stern, StaatsR II, § 50 III 6, S. 1243. Nach Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 38, Fn. 5 handelt es sich bei der Spezialität um einen Unterfall der Haushaltsklarheit. 151 Vgl. etwa Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 95 f. 152 Zum Gesetzescharakter des Haushaltsplans s. noch unten § 2 C. I., S. 219 ff. 153 BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [90] – Parteienfinanzierung. 154 s. oben sub III. 1. b), S. 47. 155 Vgl. zu diesem Schlagwort http://www.bundestag.de/blickpunkt/103_Parla ment/0404x42.html.
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(GMA) dar156. Für die globale Minderausgabe gibt es keine rechtliche Grundlage, sie ist eine „instrumentalisierte Erfahrung“, die aus dem Haushaltsvollzug gewonnen wird157. Die „globalen Minderausgaben“ entstammen ursprünglich der Überlegung, dass im Rahmen des Haushaltsvollzugs regelmäßig nicht alle veranschlagten Mittel verausgabt werden, sich andererseits bei der Aufstellung des Haushaltsplans aber noch nicht immer genau absehen lässt, bei welchen Ausgabetiteln ein solcher Minderbedarf auftritt. Aus diesem Grund wird in Höhe der jeweils am Ende des Haushaltsjahres erfahrungsgemäß verbleibenden Minderausgaben (dem sog. „Bodensatz“)158 eine globale Minderausgabe veranschlagt. Haushaltstechnisch ist die globale Minderausgabe im Haushaltsplan zumeist im Einzelplan „Allgemeine Finanzverwaltung“ angesiedelt, und zwar als Gesamtbetrag, der noch nicht auf die einzelnen Titel verteilt ist.159 Das durch das Haushaltsgesetz festgestellte Ausgabenvolumen ist damit niedriger als die Summe der veranschlagten Einzelansätze, die einzelnen Ausgabenansätze werden verfälscht, so dass aus dem Haushaltsplan nicht ersichtlich ist, ob ein Abschlag vorgenommen wird und auf welchen Betrag sich der tatsächlich verfügbare Ansatz des jeweiligen Titels beläuft.160 Wenn die globale Minderausgabe tatsächlich nur in Höhe des erfahrungsgemäß verbleibenden Bodensatzes veranschlagt wird, lässt sich dies aus praktischen Erfordernissen heraus rechtfertigen161; wird die globale Minderausgabe indes höher veranschlagt, handelt es sich um eine „Verlegenheitslösung“162, einen bloß rechnerischen Ausgleich des Haushalts, der zwar nicht gegen das Gebot des formalen Haushaltsausgleichs, Art. 110 Abs. 1 156
Zur Zulässigkeit der Veranschlagung globaler Minderausgaben vgl. insb. Karehnke, DVBl. 1980, 542 ff.; Bajohr, DÖV 2004, 949 ff.; sowie Gröpl, Zur verfassungsrechtlichen Problematik globaler Minderausgaben, Karl-Bräuer-Institut, Heft 98, Berlin 2005. 157 Marcus, DÖV 2000, 675; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 118. 158 Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 21; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 58; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 118. 159 Die Erwirtschaftung der globalen Minderausgabe erfolgt i. d. R. dadurch, dass die Ansätze aller oder bestimmter Gruppen von Haushaltstiteln um einen bestimmten Prozentsatz gekürzt und damit von den mittelbewirtschaftenden Stellen nicht in Anspruch genommen werden dürfen. Diese prozentuale Verteilung des Gesamtbetrags der globalen Minderausgabe wird üblicherweise durch das Finanzministerium im Haushaltsvollzug besorgt, das dazu durch das Haushaltsgesetz ermächtigt. In der Haushaltsrechnung sind die (Teil-)Beträge als Minderausgabe nachzuweisen, vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 118. 160 Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 118. 161 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 58. 162 Neumark, FAZ v. 20.10.1978 zit. nach Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 11 BHO, Anm. 7.
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S. 2 GG163, verstößt, aber die Prinzipien der Haushaltswahrheit und -klarheit verletzt164, um eine „optische Sparsamkeit“165 vorzuführen, die sich tatsächlich jedoch nicht in gezielten Kürzungen niederschlägt.166 3. Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG – Ausgeglichenheit
Gemäß Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG ist der Haushaltsplan „in Einnahme und Ausgabe auszugleichen“167. Das Gebot des Haushaltsausgleichs richtet sich sowohl an die Regierung, die den Plan aufstellt, als auch an Bundestag und Bundesrat, die den Plan feststellen168. Das Erfordernis des „Haushaltsausgleichs“ ist dann erfüllt, wenn die Summe der veranschlagten Einnahmen gleich der Summe der veranschlagten Ausgaben ist169. a) Materielle Ausgeglichenheit Die klassisch-orthodoxe Finanzpolitik des 19. Jahrhunderts verstand unter dem Grundsatz des Haushaltsausgleichs, dass das Budget so aufzustellen war, dass grundsätzlich alle Staatsausgaben aus Steuereinnahmen, Vermögenserträgen und sonstigen laufenden Einnahmen gedeckt waren.170 Ein Fehlbetrag war ebenso wenig zu rechtfertigen wie ein Überschuss, der aufgezeigt hätte, dass die Steuerzahler über Gebühr belastet wurden; die Aufnahme von Krediten wurde nur für rentable Investitionen erlaubt (sog. „materieller Haushaltsausgleich“).171 163 So aber Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 58; Stern, StaatsR II, § 50 III 10 d, S. 1250; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 11 BHO, Anm. 7. 164 Wie hier: Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 21; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 55; krit. Heintzen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 120, Rn. 40; für eine gesetzliche Regelung, die diese Probleme abschwächt Bajohr, DÖV 2004, 949 [955]. 165 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 11 BHO, Anm. 7. 166 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 11 BHO, Anm. 7; Karehnke, DVBl. 1980, 542 [544]. Vialon, Haushaltsrecht2, S. 83, spricht bereits 1959 von einem „guten, aber bei der Veranschlagungspolitik der Ressorts allmählich gefährlichem Experiment“. Bajohr, DÖV 2004, 949 [956] sieht indes auch Vorteile, die sich in das System der Haushaltsflexibilisierung einfügen können. 167 Auf Länderebene: Art. 79 Abs. 1 S. 2 BaWüVerf; Art. 101 Abs. 2 S. 4 BbgVerf; Art. 66 Abs. 1 S. 2 HmbVerf; Art. 61 Abs. 1 S. 3 M-VVerf; Art. 65 Abs. 1 S. 2 NdsVerf; Art. 81 Abs. 2 S. 3 VerfNW; Art. 116 Abs. 1 S. 2 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 2 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 2 SächsVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 2 VerfLSA; Art. 50 Abs. 1 S. 2 SchlHVerf; Art. 98 Abs. 1 S. 3 ThürVerf. 168 BVerfG, Urteil v. 6.3.1952, 2 BvE 1/51, BVerfGE 1, 144 [161]. 169 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 42; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 21. 170 Krüger-Spitta/Bronk, Einführung in das Haushaltsrecht, S. 112.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
b) Formelle Ausgeglichenheit Indes ist heute ganz überwiegend anerkannt, dass ein solches Gebot des „materiellen Haushaltsausgleichs“ nicht mit dem aus Art. 109 Abs. 2 GG sowie Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG zu folgernden Auftrag zur konjunkturgerechten Haushaltswirtschaft, die den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen hat, in Einklang zu bringen ist.172 aa) Kreditaufnahme als Finanzierungs- und Gestaltungsinstrument Die Möglichkeit zur Kreditaufnahme ist verfassungsrechtlich in den Art. 109 Abs. 2, 115 GG sowie den entsprechenden Vorschriften der Landesverfassungen173 vorausgesetzt. Die Verfassung geht davon aus, dass Kredite neben den Steuern ein zulässiges Finanzierungsinstrument sind, um die Staatsaufgaben zu erfüllen und die anfallenden Staatsausgaben zu decken (Finanzierungsfunktion). Die Kreditaufnahme ist daneben ein Gestaltungsinstrument, um das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht anzustreben oder zu erhalten (Gestaltungsfunktion)174. Der in § 2 S. 1 HGrG, Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG geforderte Ausgleich ist daher formaler Art; er besagt, dass in den Plan Ausgaben nicht eingestellt werden dürfen, für die nicht irgendeine Deckung vorhanden ist175 und „erweist sich als eine formale Buchhaltungsregel, die mit der trivialen Aussage, dass die Leistung von Ausgaben die Verfügbarkeit entsprechender Einnahmen voraussetzt, kaum Verfassungsrang verdient“.176 Der Grundsatz des Haushaltsausgleichs fordert somit nur, dass den im Haushaltsplan eingestellten Ausgaben eine Deckung 171 Krüger-Spitta/Bronk, Einführung in das Haushaltsrecht, S. 112. Vgl. zum Begriff des „materiellen Haushaltsausgleichs auch: Wissenschaftlicher Beirat BMF, Stellungnahme zur Haushaltsrechtsreform 1969 (Heft 11), S. 16; Albers, Wirtschaftsdienst 1972, 43 [48]. 172 Vgl. statt vieler Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 310 f. m. w. N.; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 88. 173 Art. 84 S. 1 BaWüVerf; Art. 82 S. 1 BayVerf; Art. 87 Abs. 2 S. 1 BerlVerf; Art. 103 Abs. 1 S. 1 BbgVerf; Art. 131a S. 1 BremVerf; Art. 72 Abs. 1 HmbVerf; Art. 141 S. 1 HessVerf; Art. 65 Abs. 1 M-VVerf; Art. 71 S. 1 NdsVerf; Art. 83 S. 1 Verf NW; Art. 117 S. 1 RhPfVerf; Art. 108 Abs. 1 SaarlVerf; Art. 95 S. 1 SächsVerf; Art. 99 Abs. 1 VerfLSA; Art. 53 S. 1, Abs. 2 SchlHVerf; Art. 98 Abs. 2 S. 1 ThürVerf. 174 Birk, DVBl. 1984, 745; Hickel, Notwendigkeit und Grenzen der Staatsverschuldung, in: Diehl/Mombert, Das Staatsschuldenproblem, S. XIV. 175 Wissenschaftlicher Beirat BMF, Stellungnahme zur Haushaltsrechtsreform 1969 (Heft 11), S. 16. 176 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 26.
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gegenüberstehen muss, auch wenn die Deckung nur durch die Aufnahme von Krediten herbeigeführt werden kann177. bb) Kein Verausgabungszwang Auf der anderen Seite besteht aber auch kein „Verausgabungszwang“. Der Grundsatz des Haushaltsausgleichs verpflichtet die (Bundes- oder Landes-)Verwaltungen nicht, auch tatsächlich Ausgaben oder Einnahmen in Höhe der haushaltsplanmäßigen Ansätze zu leisten oder zu erzielen. Die Ansätze sind lediglich Ermächtigungen oder, soweit Verpflichtungen zur Leistung der Ausgaben oder zur Erhebung der Einnahmen außerhalb des Haushaltsplans bestehen, Schätzungen178. Während die Verwaltung gemäß § 34 Abs. 1 BHO/LHO verpflichtet ist, Einnahmen – insbesondere auch Steuereinnahmen – rechtzeitig und vollständig zu erheben, kann aus der Bindung der Exekutive an die Budgetansätze nicht grundsätzlich gefolgert werden, dass die Exekutive auch verpflichtet ist, die veranschlagten Beträge auszugeben179. Aus dem Haushaltsgesetz ist insoweit nur das Verbot für die Exekutive abzuleiten, höhere oder andere als im Haushaltsplan ausgewiesene Ausgaben zu tätigen180, nicht aber das durch einen zu hohen Ansatz von Ausgaben im Haushaltsplan vermittelte Gebot, die geplanten Ausgaben auch zu realisieren.181 Die Möglichkeit der Erwirtschaftung von Überschüssen durch Steuermehreinnahmen oder Einsparungen (Minderausgaben) ist in diesen Fällen zulässig und i. d. R. auch als wünschenswert einzustufen182. Ein Problem kann sich aus dieser nur teilweisen Bindung allerdings für die Einhaltung der Kreditgrenze (Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG, „Investitions177 Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 75; ähnlich BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 77; teilweise a. A. Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 88. 178 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 42. 179 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 61. 180 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 10; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 13; Ausnahmen gelten im Fall der Art. 111 oder Art. 112 GG, vgl. hierzu Karehnke, DÖV 1976, 361 ff. Für Nordrhein-Westfalen s. Geller/Kleinrahm, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Kommentar, Art. 81, Anm. 6. 181 Schaefer, Das Haushaltsgesetz jenseits der Kreditfinanzierungsgrenzen, S. 23; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 14, jeweils m. w. N. 182 Freiwerdende Mittel sind bei einer zumindest teilweisen Kreditfinanzierung der öffentlichen Haushalte zur Verminderung des Kreditbedarfs oder zur Tilgung von Schulden zu verwenden, vgl. die ersten beiden Alternativen des § 25 Abs. 1 BHO. Die dritte Variante steht in diesem Fall, da es sich um Deckungskredite handelt, nicht zur Verfügung. Weitergehend Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 87 f., der (auch) aus dem Verbot kreditfinanzierter Überschüsse die Subsidiarität der Kreditaufnahme ableitet.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
grenze“183) im Haushaltsvollzug ergeben184. Soweit die Exekutive nicht durch Normen außerhalb des Haushaltsgesetzes, etwa durch Leistungsgesetze, gehalten ist, ihre Etatansätze auszuschöpfen, besteht die Möglichkeit, dass sie sich mit Ausgaben – z. B. für Investitionen – zurückhält, nicht aber entsprechend auch mit den Einnahmen – z. B. solchen aus Krediten.185 Da die verfassungsrechtliche Kreditgrenze, nach der die Einnahmen aus Krediten die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen aber nicht überschreiten dürfen (Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG), auch für den Haushaltsvollzug gilt186, wäre eine die tatsächlichen Investitionsausgaben übersteigende Kreditfinanzierung des Haushalts verfassungswidrig. Ein verfassungskonformer Haushaltsvollzug kann in diesen Konstellationen – bei wirtschaftlichem Handeln, d.h. bei unterstellter Unnötigkeit der investiven Ausgaben – nur durch eine entsprechende Verminderung der tatsächlichen Einnahmen aus Krediten erreicht werden. Nicht nur im Haushaltsvollzug, auch bei der Planung besteht die – freilich zumeist unrealistische – Möglichkeit eines Überschusses. Die geplanten Einnahmen müssen zumindest die Ausgaben erreichen, dürfen sie aber auch überschreiten187. Es besteht keine Verpflichtung, auch wirklich Ausgaben in Höhe der Einnahmen anzusetzen. So ist in Jahren hoher Steuereinnahmen die Neuverschuldung entsprechend zu senken, der Ansatz für Tilgungen zu erhöhen oder ggf. eine Konjunkturausgleichsrücklage zu bilden (vgl. Art. 109 Abs. 4 GG und §§ 5, 15 StabG, § 25 Abs. 2 BHO). Da die Zuführung an die Konjunkturausgleichsrücklage ebenfalls ein Haushaltsansatz ist, 183 Für die Länder s. Art. 84 S. 2 BaWüVerf; Art. 87 Abs. 2 S. 2 BerlVerf; Art. 103 Abs. 1 S. 2 BbgVerf; Art. 131a S. 2 BremVerf; Art. 65 Abs. 2 S. 1 M-VVerf; Art. 71 S. 2 NdsVerf; Art. 83 S. 2 Verf NW; Art. 117 S. 2 RhPfVerf; Art. 108 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf; Art. 95 S. 2 SächsVerf; Art. 99 Abs. 2 VerfLSA; Art. 53 S. 2 SchlHVerf; Art. 98 Abs. 2 S. 2 ThürVerf. 184 Ob die verfassungsrechtliche Kreditgrenze auch im Haushaltsvollzug Anwendung findet, wird z. T. im Hinblick auf den Wortlaut des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG (und der in Fn. 183 (S. 60) genannten Vorschriften der Landesverfassungen) bestritten. Zum Streitstand vgl. Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 304; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 449 ff.; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 182 ff. sowie Birk, Haushaltsplanung und Haushaltsvollzug, in: FS Hoppe, S. 285 [294 ff.] jeweils m. w. N. – Vgl. hierzu noch unten, § 3 B. I. 3. b), S. 285 ff. 185 Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: FS Friauf, S. 705 [721 f.]. 186 Dies ergibt die teleologische Auslegung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG. Der verfassungsrechtliche Zweck des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG, die Staatsverschuldung zu begrenzen, kann nur erreicht werden, wenn der Haushaltsvollzug in den Regelungsbereich der Vorschrift einbezogen wird (Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: FS Friauf, S. 705 [723]). s. auch bereits oben Fn. 135 (S. 52) und ausführlich unten § 3 B. I. 3. b), S. 285 ff. 187 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 42.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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wird auf diese Weise die (formelle) Ausgeglichenheit des Haushaltsplans hergestellt.188 cc) Finanzpsychologische Wirkung? Darüber hinaus soll das Gebot des Haushaltsausgleichs in Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG Regierung und Parlament auch zwingen, sich ernsthaft und gewissenhaft mit der Deckung ihrer ausgabenwirksamen Beschlüsse (vgl. auch Art. 113 GG) auseinander zu setzen und solche Ausgaben zu vermeiden, für die bei realistischer Betrachtungsweise voraussichtlich keine [sc. regulären] Einnahmen zur Verfügung stehen werden.189 Der Ausgleich des Haushalts sei über eine sparsame Ausgabengestaltung zu erstreben, da das Grundgesetz allen Verfassungsorganen die Pflicht auferlege, den Grundsatz der Sparsamkeit zu beachten.190 Einnahmen und Ausgaben seien dementsprechend nicht nur rechnerisch, sondern wertend einander gegenüberzustellen.191 Rechtspolitisch ist dieser Ansatz zu begrüßen, im Hinblick auf den Wortlaut des Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG erscheint diese Auslegung – wieder hin zu einer Art materiellem Haushaltsausgleich – jedoch nach der Haushaltsrechtsreform des Jahres 1969 fragwürdig192. Grenzen zulässiger Kreditfinanzierung ergeben sich allein durch Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG, normativ verstärkt durch die Verpflichtung auf die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, Art. 109 Abs. 2 GG, sowie – auf europäischer 188
Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 42. BVerfG, Urteil v. 6.3.1952, 2 BvE 1/51, BVerfGE 1, 144 [161] „ernste Mahnung zur Sparsamkeit“; krit. hierzu Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 55: Das rechnerische Ausgleichsgebot könne die ihm zugedachte Disziplinierungs- und politische Ordnungsfunktion im Hinblick auf eine notwendige Begrenzung der öffentlichen Ausgaben nicht erfüllen und verbürge weder eine strukturelle Ausgeglichenheit des Haushalts noch eine Berücksichtigung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Vgl. für das nordrhein-westfälische Landesrecht auch Giesen/Fricke, Haushaltsrecht Nordrhein-Westfalen, Art. 81 Verf NW, Rn. 26. 190 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 59 mit Hinweis auf BVerfG, Urteil v. 6.3.1952, 2 BvE 1/51, BVerfGE 1, 144 [161]. 191 Stern, StaatsR II, § 50 III 10 b, S. 1249. Ähnlich auch Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 89 f., der im bloß formellen Ausgleich eine Gefahr des Verrückens verfassungsrechtlicher Prioritäten sieht und aus dem Steuerstaatsprinzip generell die Subsidiarität der Kreditfinanzierung („Ausnahmefinanzierung“) ableitet. Aus der Subsidiarität der Kreditaufnahme folge, dass der Haushaltsausgleich grundsätzlich materiell zu verstehen, mithin durch endgültige Einnahmen sicherzustellen sei. 192 In diesem Sinne auch die Gesetzesbegründung, BT-Ds. V/3040, Tz. 65: „Es gilt zu verhindern, dass das Ausgleichsgebot bei Wegfall des außerordentlichen Haushalts zu einer bloßen Formalität herabsinkt. […] Dementsprechend wird in der neuen Haushaltsordnung die Aufstellung einer Finanzierungsübersicht zur Pflicht gemacht“. Vgl. auch Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 88 f. 189
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
Ebene – durch den „Stabilitäts- und Wachstumspakt“193. Sofern die Kreditgrenze dieser Normen nicht erreicht wird und somit ein Ausgleich des Haushalts im Wege der Kreditaufnahme möglich ist, kann Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG die ihm zugedachte Disziplinierungs- und politische Ordnungsfunktion im Hinblick auf eine notwendige Begrenzung der öffentlichen Ausgaben nicht erfüllen194. Nur in Verbindung mit den Grundsätzen des Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG (Haushaltswahrheit und -klarheit) erhält Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG eine über die „triviale Aussage“195, dass nicht mehr Ausgaben getätigt werden können als Einnahmen vorhanden sind, hinausgehende Bedeutung. Der rechnerische Ausgleich darf jedenfalls nicht das Ergebnis von Verstößen gegen das Vollständigkeitsprinzip und den in ihm enthaltenen Grundsatz der Haushaltswahrheit sein, indem etwa bewusst, d.h. entgegen den wirklichen Erwartungen, Einnahmen überhöht und/oder voraussehbare Ausgaben zu niedrig angesetzt werden.196 4. Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG – Bepackungsverbot
Gemäß Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG dürfen in das Haushaltsgesetz „nur Vorschriften aufgenommen werden, die sich auf die Einnahmen und Ausgaben des Bundes und auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird“. Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG beschränkt damit den Inhalt des Haushaltsgesetzes in sachlich-gegenständlicher (Einnahmen und Ausgaben des Bundes) und in zeitlicher Hinsicht (Zeitraum, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird), um dessen besonderen Charakter als Finanz- und Zeitgesetz zu wahren.197 Auf Ebene der Bundesländer ist das sog. „Bepackungsverbot“ nicht einheitlich geregelt; eine dem Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG ähnliche Regelung enthalten nur die Verfassungen von zehn Ländern198. 193 Entschließung des Europäischen Rates über den Stabilitäts- und Wachstumspakt, Amsterdam, 17.6.1997, ABl. C-236 v. 2.8.1997 i. V. m. VO 1466/1997, VO 1467/1997. Vgl. hierzu auch Art. 109 Abs. 5 S. 1 GG. 194 BT-Ds. V/3040, Tz. 65; vgl. auch Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 55. 195 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 26. 196 Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 54. 197 Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 105; vgl. umfassend zum haushaltsrechtlichen Bepackungsverbot v. Portatius, Bepackungsverbot, passim. 198 Art. 79 Abs. 3 S. 1 BaWüVerf; Art. 139 Abs. 3 S. 2 HessVerf; Art. 61 Abs. 4 S. 1 M-VVerf; Art. 65 Abs. 5 S. 1 NdsVerf; Art. 116 Abs. 3 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 3 S. 1 SächsVerf; Art. 93 Abs. 4 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 4 S. 1 SchlHVerf; Art. 99 Abs. 2 S. 1 ThürVerf. Die Verfassung des Freistaates Bayern enthält kein Bepackungsverbot, vgl. BayVerfGH, Entscheidung v. 7.11.1984, Vf. 20 VII/83, NVwZ 1985, 481 [Ls. 5]; s. auch Frenzel, DÖV 2006, 158 [161 ff.]. Ob dem Bepackungsverbot als ungeschriebenem Grund-
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Das sachliche Bepackungsverbot („nur Vorschriften […], die sich auf die Einnahmen und Ausgaben des Bundes […] beziehen“) wird überwiegend großzügig ausgelegt199. Erlaubt seien alle Bestimmungen, die mit den im Haushaltsplan veranschlagten Einnahmen und Ausgaben des Bundes im Zusammenhang stehen200. Da es einfach ist, einen Zusammenhang zwischen nahezu beliebigen Regelungsbedürfnissen und den staatlichen Einnahmen und/oder Ausgaben zu finden201, wirkt vor allem das zeitliche Bepackungsverbot als echtes „Hindernis“202. Dieses verbietet Vorschriften, die über den Zeitraum hinauswirken, sich also nicht „auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird“, Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG203. Unzulässig sind daher grundsätzlich204 Vorschriften, die länger als die vom satz des Haushaltsrechts in Nordrhein-Westfalen Verfassungsrang zukommt (So Giesen/Fricke, Haushaltsrecht Nordrhein-Westfalen, Art. 81 Verf NW, Rn. 38; a. A. Geller/Kleinrahm, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Art. 81, Anm. 5; v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 52 f.), hat der Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen bislang offen gelassen, VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [Ls. 1] m. Anm. Selmer, JuS 1997, 571 [572]. 199 Grundlegend BSG, Urteil v. 28.2.1974, 7 RKg 4/71, BSGE 37, 144 [145 ff.]; dagegen Stern, StaatsR II, § 50 III 12, S. 1253, Fn. 123: „selbst bei großzügigster Auslegung unvertretbar“. Vgl. auch SaarlVerfGH, Urteil v. 16.6.1969, LV 1/68, DÖH 11 (1970/71), 36 [38 f.]. Das BVerfG hatte bislang keine Gelegenheit sich zu Bedeutung und Reichweite des verfassungsrechtlichen Bepackungsverbots zu äußern. 200 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 44; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 25; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 110, Rn. 9; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 138; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 44. 201 Vgl. BayVerfGH, Entscheidung v. 15.12.1976, Vf. 56-IX-76, BayVerfGHE 29, 244 [269]; BayVerfGH, Entscheidung v. 17.11.1994, Vf. 96-IX-94, Vf. 97-IX-94, BayVerfGHE 47, 246 [304]; BremStGH, Urteil v. 17.6.1997, St 7/96, LVerfGE 6, 123 [149] (= NVwZ 1998, 388 [390]). 202 Vialon, Haushaltsrecht2, S. 203; s. auch Petersen, NordÖR 2002, 190. Zumeist lässt die Rechtsprechung die Frage nach einem Verstoß gegen das sachliche Bepackungsverbot aus diesem Grunde offen und prüft lediglich eine zeitliche Bepackung, die um vieles einfacher zu subsumieren ist, vgl. etwa VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [312 f.]; SaarlVerfGH, Urteil v. 13.3.2006, Lv 5/05, AS RP-SL 34, 23 [37] = http://www.verfassungsgerichtshof-saarland.de/ verfghsaar/dboutput.php?id=136, Rn. 75. 203 Vgl. Art. 79 Abs. 3 S. 1 BaWüVerf; Art. 139 Abs. 3 S. 2 HessVerf; Art. 61 Abs. 4 S. 1 M-VVerf; Art. 65 Abs. 5 S. 1 NdsVerf; Art. 116 Abs. 3 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 3 S. 1 SächsVerf; Art. 93 Abs. 4 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 4 S. 1 SchlHVerf; Art. 99 Abs. 2 S. 1 ThürVerf und die Hinweise oben Fn. 198 (S. 62). 204 Ausnahmen gelten nach Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG u. a. für Kreditermächtigungen und für solche rückwirkenden Bestimmungen, die sich in Übereinstimmung mit Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
Haushaltsgesetz erfasste Zeit gelten sollen, sowie Vorschriften mit rückwirkender Kraft.205 5. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG – Jährlichkeit und Vorherigkeit
Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG bestimmt, dass „der Haushaltsplan […] für ein oder mehrere Rechnungsjahre, nach Jahren getrennt, vor Beginn des ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festgestellt“ wird. Vergleichbare Regelungen finden sich in allen Landesverfassungen206. Das Gebot der „Jährlichkeit“ bedeutet dabei nicht, dass jedes Jahr wiederkehrend ein Haushaltsgesetz zu verabschieden ist. Auch Mehrjahreshaushalte sind von Verfassungs wegen zulässig, der Haushaltsgrundsatz der Jährlichkeit wandelt sich in diesen (Ausnahme-)Fällen207 zum Grundsatz der „Periodizität“. § 9 Abs. 1 HGrG, der sowohl auf Bundesebene wie auf Länderebene zu beachten ist, § 1 HGrG i. V. m. Art. 109 Abs. 3 GG, begrenzt die Mehrjahreshaushalte jedoch zeitlich auf zwei Haushaltsjahre (sog. Doppelhaushalte)208. Bei längeren Haushaltsperioden würde die Planung zwangsläufig ungenauer, so dass der Grundsatz der Haushaltswahrheit und, da das Parlament von sich aus keine Nachtragshaushalte initiieren könnte209, auch das Budgetrecht des Parlaments beschlossen wird. Dies betrifft z. B. den Fall, dass das Haushaltsgesetz oder ein Nachtragshaushalt als solches rückwirkend verabschiedet wird, s. dazu noch unten § 2 B. II. 3. b), S. 123 ff. und § 2 B. III. 3. b) bb), S. 171 ff. 205 VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [314]; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 45. Zum (zeitlichen) Bepackungsverbot vgl. im Einzelnen noch unten § 2 B. II., S. 112 ff. 206 Art. 79 Abs. 2 S. 1 BaWüVerf; Art. 78 Abs. 1, Abs. 3 BayVerf; Art. 85 Abs. 1 S. 1, arg. Art. 86 Abs. 1, 89 Abs. 1 S. 1 BerlVerf; Art. 101 Abs. 3 S. 1 BbgVerf; Art. 131 Abs. 2 S. 1 BremVerf; Art. 66 Abs. 1 S. 1, arg. Art. 67 Abs. 1 HmbVerf; Art. 139 Abs. 2 HessVerf; Art. 61 Abs. 1, 2 M-VVerf; Art. 65 Abs. 1, 4 NdsVerf; Art. 81 Abs. 3 S. 1 Verf NW; Art. 116 Abs. 2 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 2 SächsVerf; Art. 93 Abs. 2 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SchlHVerf; Art. 99 Abs. 1 S. 1 ThürVerf. 207 Explizit als „Ausnahme“ bezeichnet wird der Doppelhaushalt in § 12 SchlHLHO. 208 s. auch § 12 Abs. 1 BHO, § 12 LHO BaWü; Art. 12 BayHO; § 12 Abs. 1 LHO Bln; § 12 Abs. 1 LHO BBg; § 12 BremLHO; § 12 Abs. 1 HmbLHO; § 12 Abs. 1 HessLHO; § 12 Abs. 1 LHO M-V; § 12 Abs. 1 NdsLHO; § 12 Abs. 1 LHO NW; § 12 Abs. 1 LHO RhPf; § 12 LHO Saarl.; § 12 SächsHO; § 12 Abs. 1 LHO LSA; § 12 SchlHLHO („in Ausnahmefällen für zwei Haushaltsjahre“); § 12 Abs. 1 ThürLHO. 209 Für Haushaltsgesetze hat die Regierung das alleinige Initiativrecht, BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [29, 46]; BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [357]; Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 355 ff.; Stern, StaatsR II, § 49 IV 3, S. 1212; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 14; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig,
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beeinträchtigt würden210. Aus der Zulässigkeit von Doppelhaushalten folgt indes nur eine Vereinfachung für die Haushaltsaufstellung und das Gesetzgebungsverfahren. Zwei Haushaltspläne können gemeinsam festgestellt und ggf. inhaltlich aufeinander abgestimmt werden. Da die Haushaltspläne aber in jedem Fall „nach Jahren getrennt“ aufzustellen sind, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG, § 9 Abs. 1 HGrG211, muss der Haushaltsausgleich für jedes Rechnungsjahr gesondert erfolgen212. Auch der Doppelhaushalt ermöglicht daher keine „Saldierung“ über die Grenzen des Haushaltsjahres hinweg213. Das Haushaltsgesetz muss zudem vor Beginn des betreffenden Rechnungsjahres – im Fall des Doppelhaushalts vor Beginn des ersten Rechnungsjahres – ergehen214, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG. Der Grundsatz der Vorherigkeit ergibt sich aus der Natur des Haushalts, der als Plan, als „staatsleitender Hoheitsakt in Gesetzesform“215, allen mittelbewirtschaftenden Stellen einen verbindlichen Rahmen setzen soll216. Aus dem Grundsatz der Vorherigkeit ergibt sich eine Pflicht für alle am Haushaltsgesetzgebungsverfahren Beteiligten217. Insbesondere entspricht dem ausschließlichen Recht GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 20; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 75; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 34; Isensee, JZ 2005, 971 [975]; Fricke, DVBl. 1975, 604 [605]; a. A. v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 62. Einige Landesverfassungen regeln das Initiativrecht explizit, s. Art. 50 Abs. 3 SchlHVerf; Art. 66 Abs. 2 S. 1 HmbVerf; Art. 61 Abs. 3 M-VVerf; Art. 93 Abs. 3 VerfLSA; Art. 99 Abs. 3 S. 1 ThürVerf. Das Initiativmonopol gilt auch für Nachtragshaushalte, d.h. Änderungen bereits verabschiedeter Haushaltsgesetze für dasselbe Haushaltsjahr. 210 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 61; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 28. 211 Art. 79 Abs. 2 S. 1 BaWüVerf; Art. 78 Abs. 1 BayVerf („für jedes Jahr veranschlagt“), Art. 85 Abs. 1 S. 1 BerlVerf („für jedes Rechnungsjahr“); Art. 101 Abs. 3 S. 1 BbgVerf; Art. 131 Abs. 2 S. 1 BremVerf; Art. 66 Abs. 1 S. 1 HmbVerf („für jedes Rechnungsjahr“); Art. 139 Abs. 2 HessVerf („für jedes Rechnungsjahr“); Art. 61 Abs. 1 M-VVerf („für jedes Haushaltsjahr“); Art. 65 Abs. 1 NdsVerf („für jedes Haushaltsjahr“); Art. 81 Abs. 3 S. 1 Verf NW; Art. 116 Abs. 2 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 2 S. 1 SächsVerf; Art. 93 Abs. 2 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 1 S. 1 SchlHVerf („für jedes Rechnungsjahr“); Art. 99 Abs. 1 S. 1 ThürVerf. 212 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 64; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 49. 213 s. im Einzelnen noch unten im 2. Teil, § 3, S. 251 ff. 214 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 110, Rn. 12. 215 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [32]; BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [355]; BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [328]. 216 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 27. Zu Bedeutung der Planung für die öffentliche Finanzwirtschaft vgl. Birk, Haushaltsplanung und Haushaltsvollzug, in: FS Hoppe, S. 285 [289 ff.]. 217 Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 18.
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der Regierung zur Budgetinitiative eine Pflicht, den Haushaltsentwurf so rechtzeitig im Parlament einzubringen, dass er vor Beginn des Rechnungsjahres verabschiedet werden kann218. Wird das Haushaltsgesetz verspätet verabschiedet, verstößt dieses Vorgehen zwar gegen Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG219, das Haushaltsgesetz ist aber dennoch gültig und wirkt, wie sich aus Art. 111 Abs. 1 i. V. m. Art. 110 Abs. 2 GG (für ein Rechnungsjahr) ergibt, auf den Beginn des Rechnungsjahres zurück220. 6. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG – Gesetzförmigkeit und Öffentlichkeit
Der Haushaltsplan ist durch Gesetz, genauer: durch das Haushaltsgesetz festzustellen, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG. Auch die staatliche Kreditaufnahme bedarf gem. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch (Bundes-)Gesetz. Entsprechender (formeller221) Gesetze bedarf es – mit Ausnahme Hamburgs222 – auch auf Landesebene223. 218 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [32 f.]; BVerfG, Beschluss v. 15.12.1983, 2 BvE 14/83, BVerfGE 66, 26 [38]; Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG9, Art. 110, Rn. 12; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 22. 219 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [33]; Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 41 f.; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 27. 220 s. hierzu im Einzelnen noch unten, § 2 B. III. 3. b) bb), S. 171 ff. 221 Friauf, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 91, Rn. 24 f. 222 Art. 66 Abs. 2 S. 1 und Art. 72 Abs. 1 HmbVerf fordern sprachlich und inhaltlich abweichend von den übrigen Landesverfassungen einen „Beschluss der Bürgerschaft“. Die Feststellung des Haushaltsplans wird danach im hamburgischen Verfassungsrecht als ein „Verwaltungsakt des Parlaments“ (Drexelius/Weber, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Art. 66, Rn. 2) bzw. als ein Rechtsakt sui generis betrachtet, dessen Verbindlichkeit unmittelbar aus der Verfassung folge (David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg2, Art. 66, Rn. 11, 26 ff.). Die Kreditermächtigung erfolgt ebenfalls durch einfachen Beschluss der Bürgerschaft, Art. 72 Abs. 1 Hs. 2 HmbVerf. Diese Vorschrift steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu § 13 Abs. 1 HGrG, wonach – gem. § 1 HGrG bindend – das Haushaltsgesetz die Höhe der Kreditermächtigung bestimmt. Ob es daher ausreicht, § 18 Abs. 1 HmbLHO als Kreditermächtigung heranzuziehen und nur bei einer Abweichung von § 18 LHO eine lex posterior und specialis zu fordern (so David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg2, Art. 72, Rn. 37; HmbVerfG, Urteil v. 30.5.1984, HVerfG 1/84, HmbJVBl. 1984, 169 [178]) muss bezweifelt werden. Inhaltliche Unterschiede ergeben sich hierdurch zwar nicht (vgl. Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 350 f.), insbesondere wird das Budgetrecht des Parlaments nicht eingeschränkt, da es sich auch hier um ein „Legislativbudget“ handelt, HmbOVG, Urteil v. 12.7.1985, Bf I 79/83, DÖV 1986, 439 [440]; Ipsen, Hamburgs Verfassung und Verwaltung, S. 281, 462. Anders als im Fall der Feststellung des Haushaltsplans, für die das HGrG nicht ausdrücklich die Form des „Gesetzes“ vorsieht, muss § 13 Abs. 1 HGrG indes auch vor dem Hintergrund des Art. 109 Abs. 1
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Der Grundsatz der Budgetöffentlichkeit folgt ebenfalls aus Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG – das Gesetzgebungsverfahren ist öffentlich, Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG – und damit mittelbar aus dem allgemeinen Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie224. Das Budgetrecht ist eines der wesentlichen Instrumente der parlamentarischen Regierungskontrolle, die die rechtsstaatliche Demokratie entscheidend prägt225. Gleichzeitig sind öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus. Das im parlamentarischen Verfahren gewährleistete Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche eröffnet Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen, die bei einem weniger transparenten Vorgehen sich nicht so ergäben226. Daneben schafft die Beteiligung der Öffentlichkeit im Gesetzgebungsverfahren ein natürliches Interesse an wirtGG („Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbstständig und voneinander unabhängig“) als gem. Art. 109 Abs. 3 GG, § 1 HGrG verbindlich statuierter Gesetzesvorbehalt angesehen werden, vgl. aus teleologischer Sicht auch Friauf, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 91, Rn. 24 f.; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 14. 223 Haushaltsplan: Art. 79 Abs. 2 S. 1 BaWüVerf; Art. 78 Abs. 3 BayVerf; Art. 85 Abs. 1 S. 1 BerlVerf; Art. 101 Abs. 3 S. 1 BbgVerf; Art. 131 Abs. 2 S. 1 BremVerf; Art. 139 Abs. 2 S. 2 HessVerf; Art. 61 Abs. 2 M-VVerf; Art. 65 Abs. 4 NdsVerf; Art. 81 Abs. 3 S. 1 Verf NW; Art. 116 Abs. 2 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 2 S. 1 SächsVerf; Art. 93 Abs. 2 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 2 SchlHVerf; Art. 99 Abs. 1 S. 1 ThürVerf. Kreditermächtigung: Art. 84 S. 1 BaWüVerf; Art. 82 S. 2 BayVerf; Art. 103 Abs. 1 S. 1 BbgVerf; Art. 131a S. 1 BremVerf; Art. 141 S. 2 HessVerf; Art. 65 Abs. 1 M-VVerf; Art. 71 S. 1 NdsVerf; Art. 83 S. 1 Verf NW; Art. 117 S. 1 RhPfVerf; Art. 108 Abs. 1 SaarlVerf; Art. 95 S. 1 SächsVerf; Art. 99 Abs. 1 Verf LSA; Art. 53 S. 1 SchlHVerf; Art. 98 Abs. 2 S. 1 ThürVerf. Art. 87 Abs. 1 der Verfassung von Berlin (VvB) spricht davon, dass der Senat „ohne gesetzliche Grundlage“ keine „Anleihen aufnehmen“ dürfe. Mit dem Begriff der „Anleihe“ sind aber auch hier alle Formen, mit denen im Wege des Kredits Geldmittel beschafft werden können, gemeint, vgl. BerlVerfGH, Beschluss v. 8.4.1997, 78/96, LVerfGE 6, 66 [77] = NVwZ-RR 1997, 506 [507]; Driehaus, VvB, Art. 87, Rn. 7; Pfennig/Neumann, VvB, Art. 75, Rn. 4. 224 BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [358]; BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [344]; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 26; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 78; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 131. 225 BVerfG, Beschluss v. 8.8.1978, 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89 [125]; BVerfG, Urteil v. 10.12.1980, 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 274 [303]. s. auch bereits Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 6: „Mündliche Verhandlungen und Öffentlichkeit sind der – unschätzbare und durch nichts zu ersetzende – Vorteil der Mitwirkung der Volksvertretungen in Budgetangelegenheiten“. 226 BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [355]; BVerfG, Beschluss v. 28.10.1975, 2 BvR 883/73 und 379, 497, 526/74, BVerfGE 40, 237 [249].
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schaftlicher Betrachtungsweise.227 Im (Bundes-)Gesetzblatt veröffentlicht werden allerdings nur das Haushaltsgesetz und der Gesamtplan (Haushaltsübersicht, Finanzierungsübersicht und Kreditfinanzierungsplan). Die Einzelpläne werden, obwohl sie am Gesetzesrang teilhaben228, nicht veröffentlicht229. Das BVerfG hat dieses Vorgehen gebilligt: Angesichts der sonst zu befürchtenden übermäßigen Belastung des Verkündungsblattes und unter Berücksichtigung der stark traditionellen Prägung des Haushaltsrechts bestünden keine Bedenken dagegen, Art. 82 Abs. 1 GG dahin auszulegen, dass von einer Publizierung der gesetzlich festgestellten Einzelpläne im Bundesgesetzblatt abgesehen werden kann.230 7. Art. 114 Abs. 2 GG – Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit
Das Gebot der Wirtschaftlichkeit wird vom GG in Art. 114 Abs. 2 GG nur als Prüfungsmaßstab für die Finanzkontrolle durch den Bundesrechnungshof genannt231. Hieraus könnte zu folgern sein, dass der Haushaltsplan nicht Gegenstand, sondern nur Maßstab der Prüfung ist, da nach dem Wortlaut des Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG die Kontrolle nur die Haushalts- und Wirtschaftsführung, also den Vollzug des Haushaltsplans, nicht aber die Aufstellung des Haushaltsplans zum Gegenstand hat232. 227 Forschungsgesellschaft für Staats- und Kommunalwirtschaft e. V., Welche Erfahrungen der Betriebswirtschaft können Staat und Kommunen für die wirtschaftliche Gestaltung ihrer Verwaltung und ihrer Ausgaben übernehmen?“, Gutachten Frankfurt 1957, zit. nach Vialon, Haushaltsrecht2, S. 99. 228 BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [93] – Parteienfinanzierung; vgl. Heckel, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts (1932), Bd. 2, S. 392 [404]. 229 Sämtliche Einzelpläne und weitere Materialien können aber zumeist online abgerufen werden (s. etwa http://www.bundesfinanzministerium.de/bundeshaus halt2006/index.html), so dass auch ohne Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt eine öffentliche Verfügbarkeit gewährleistet wird. 230 BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [93]. 231 Art. 95 Abs. 3 S. 1 BerlVerf; Art. 106 Abs. 2 S. 1 BbgVerf; Art. 113a Abs. 1 BremVerf; Art. 67 Abs. 2 S. 1, 68 Abs. 3 M-VVerf; Art. 70 Abs. 1 S. 1 NdsVerf; Art. 86 Abs. 2 S. 1 Verf NW; Art. 120 Abs. 2 S. 1 RhPfVerf; Art. 106 Abs. 2 S. 3 SaarlVerf; Art. 97 Abs. 2 S. 1 VerfLSA; Art. 56 Abs. 1 S. 2 SchlHVerf; Art. 103 Abs. 3 S. 1 ThürVerf. Nur eine Kontrolle durch den LRH, ohne expliziten Bezug auf Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, sehen vor: Art. 83 Abs. 2 S. 1 BaWüVerf; Art. 80 Abs. 1 S. 1 BayVerf; Art. 71 Abs. 1 HmbVerf, Art. 144 S. 1 HessVerf; Art. 100 Abs. 1 SächsVerf; die sächsische Verfassung fordert indes zusätzlich, „bei Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplanes […] den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Rechnung zu tragen“, Art. 94 Abs. 2 SächsVerf. 232 So Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 67 und Art. 114, Rn. 4.
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In der Tat sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit aus der Sicht der Rechnungsprüfung entwickelt233 und in erster Linie Prüfungsmaßstäbe der Finanzkontrolle durch die Rechnungshöfe. Sie beanspruchen aber dennoch Geltung für Aufstellung und Ausführung der Haushaltspläne, § 6 Abs. 1 HGrG, Art. 114 Abs. 2 GG. Während das in § 7 BHO/ LHO normierte Gebot der Wirtschaftlichkeit für den Haushaltsgesetzgeber keine Bindung entfalten kann234, gilt der in § 6 Abs. 1 HGrG aufgestellte Wirtschaftlichkeitsgrundsatz auch für den Gesetzgeber, Art. 109 Abs. 3 GG, und bezieht sich ausdrücklich auch auf die „Aufstellung“ des Haushaltsplans235. Zudem soll der Ausgleich des Haushalts über eine sparsame Ausgabengestaltung zu erstreben sein; das Grundgesetz lege in Art. 110 Abs. 1 S. 2 allen Verfassungsorganen die Pflicht auf, den Grundsatz der Sparsamkeit in den Ausgaben zu beachten236. Ob sich aus dem Gebot des formalen Haushaltsausgleichs eine Pflicht zum wirtschaftlichen Handeln ableiten lässt, erscheint fraglich237. Immerhin stellt sich aber das Wirtschaftlichkeitsgebot als finanzrechtliche Ausprägung des rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips dar, das alle Staatsgewalt bindet und auch den Inhalt des Wirtschaftlichkeitsgebots prägt238. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip verlangt somit, in jedem Haushaltsjahr bei allen Maßnahmen die günstigste Relation zwischen dem gesteckten Ziel und den eingesetzten Mitteln anzustreben239 (Optimierung des Verhältnisses von Aufwand und Ertrag240). Ein Handeln ist wirtschaftlich, wenn entweder das erstrebte Ziel mit geringstmöglichem Mitteleinsatz (Kostenminimierung) oder mit den vorgegebenen Mitteln eine größtmögliche Zielverwirklichung (Nutzenmaximierung) erreicht wird.241 Das Wirtschaftlichkeitsgebot wirkt indes rein formal und ist kein Selbstzweck242. Wirtschaftlichkeit „an sich“ ist nicht denkbar243. Im Vordergrund 233
Stern, StaatsR II, § 50 III 11, S. 1251. Vgl. zur Bindungsmöglichkeit einfachen Landesrechts bereits oben, A. II. 235 In Sachsen auch explizit in der Landesverfassung, Art. 94 Abs. 2 SächsVerf. 236 BVerfG, Urteil v. 6.3.1952, 2 BvE 1/51, BVerfGE 1, 144 [161]: „Die Bestimmung ist darüber hinaus eine ernste Mahnung zur Sparsamkeit an alle am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe“; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 59. 237 s. zur „finanzpsychologischen Wirkung“ bereits oben, 3. b) cc), S. 61 f. 238 Vgl. VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [282 f.]. 239 VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [282 f.]. 240 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 114, Rn. 18, S. 1195 f.; Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 7 BHO Anm. 3. 241 Stern, StaatsR II, § 50 III 11, S. 1251; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/^ Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 114, Rn. 18. 242 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 114, Rn. 14. 243 Vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 141; ders., in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR3 V, § 121, Rn. 12; Luhmann, VerwArch 51 (1960), S. 97 [98 ff.]. 234
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stehen Sachziele, wobei aber – als Randbedingung – der Mitteleinsatz wirtschaftlich zu erfolgen hat.244 Erstreckt man die Geltung des verfassungsrechtlichen Wirtschaftlichkeitsprinzips auf den Gesetzgeber, so ist zudem zu beachten, dass es die Legislative, der demokratisch gewählte Gesetzgeber selbst ist, der entweder im Rahmen seines Budgetrechts oder z. B. bei der Verabschiedung von Leistungsgesetzen die Ziele des staatlichen Handelns bestimmt.245 IV. Grundsatzgesetzgebung des Bundes (HGrG) Eine Ergänzung und Konkretisierung erfahren die verfassungsrechtlichen Haushaltsgrundsätze auf Bundes- und Länderebene durch das auf Art. 109 Abs. 3 GG gestützte Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG)246, welches wiederum durch die vom Bund und von den Ländern zu erlassenden Haushaltsordnungen (BHO247 /LHO) weiterzuentwickeln und zu konkretisieren ist248. Die Ermächtigungen des Art. 109 Abs. 3 GG beschränken sich auf Normen von grundsätzlicher Natur, die auf eine weitere Ausfüllung durch die Landes- und auch die Bundesgesetzgebung angelegt sind249. Art. 109 Abs. 3 GG wurde 1967 in das GG eingefügt250 und ermächtigte den Bundesgesetzgeber zunächst nur zur Aufstellung von Grundsätzen „für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung“. Im Zuge der Haushaltsrechtsreform 1969 wurde die Grundsatzgesetzgebungskompetenz auf das gesamte „Haushaltsrecht“ erstreckt; zugleich wurden die Grundsätze – auf Anregung des Bundesrats251 – als „gemeinsam geltende“ gekennzeichnet, um eine Bindung auch des (einfachen) Bundesgesetzgebers zu erreichen bzw. klarzustellen252.253 Vgl. Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 114, Rn. 14. Vgl. Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 25. 246 Haushaltsgrundsätzegesetz vom 19.8.1969 (BGBl. I S. 1273), zuletzt geändert durch Art. 123 der Verordnung vom 31.10.2006 (BGBl. I S. 2407). Ebenfalls auf Art. 109 Abs. 3 GG gestützt ist das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG) vom 8.6.1967 (BGBl. I S. 582), zuletzt geändert durch Artikel 135 der Verordnung vom 31.10.2006 (BGBl. I S. 2407). 247 Bundeshaushaltsordnung vom 19.8.1969 (BGBl. I S. 1284), geändert durch Art. 15 des Gesetzes v. 14.8.2006 (BGBl. I S. 1911). 248 Birk, JA 1983, 563 [564]; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 109, Rn. 19. 249 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 109, Rn. 52; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 109, Rn. 31. Differenzierend nach der Zweistufigkeit des HGrG Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 109, Rn. 20. 250 15. GG-ÄndG v. 8.6.1967 (BGBl. I S. 581). 251 BT-Ds. V/3040, S. 73. 252 Stellungnahme des Bundesrats, BT-Ds. V/3040, S. 73 (Die Bundesregierung hielt eine solche Klarstellung für überflüssig, BT-Ds. V/3040, S. 80); vgl. auch BT244 245
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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Das HGrG enthält in seinem ersten Teil „Grundsätze für die Gesetzgebung des Bundes und der Länder“, § 1 S. 1 HGrG. Die Vorschriften dieses Teils (§§ 1–48 HGrG) verpflichten Bund und Länder, „ihr Haushaltsrecht nach diesen Grundsätzen zu regeln“, § 1 S. 2 HGrG. Im zweiten Teil (§§ 49–57 HGrG) enthält das HGrG Vorschriften, die „einheitlich und unmittelbar für den Bund und die Länder“ gelten, § 49 HGrG. Vielfach ist die Bindungswirkung der Grundsatzgesetzgebung dadurch relativiert, dass das HGrG Ausnahmen durch das jeweilige (Haushalts-)Gesetz oder durch den Haushaltsplan zulässt bzw. alternative Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet (vgl. z. B. §§ 12 Abs. 1 S. 2, 13 Abs. 3, 20 Abs. 2 S. 1, 27 Abs. 1 S. 2 HGrG). 1. Inhalte des HGrG
Weitgehend wiederholen und konkretisieren die Grundsätze des HGrG bereits auf Bundes- bzw. Länderebene verfassungsrechtlich verankerte Budgetprinzipien. So finden sich die Grundsätze der Vollständigkeit und Einheit des Haushalts254 in § 8 HGrG wieder, wobei § 8 Abs. 2 HGrG die Formulierung des Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG („alle Einnahmen und Ausgaben“) zu „alle[n] im Haushaltsjahr zu erwartenden Einnahmen, voraussichtlich zu leistenden Ausgaben und voraussichtlich benötigten Verpflichtungsermächtigungen“ präzisiert. Die jedenfalls teilweise in Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG verankerten Grundsätze der Einzel- bzw. Bruttoveranschlagung sind in § 10 Abs. 2 und 3, § 12 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 und § 20 Abs. 1 HGrG näher bestimmt. Das Wirtschaftlichkeitsgebot wird in § 6 Abs. 1 HGrG – über den in Art. 114 GG255 genannten Bereich der Rechnungsprüfung hinaus – explizit auf Haushaltsaufstellung und -durchführung erstreckt. § 9 Abs. 1 HGrG beschränkt die Dauer von Mehrjahreshaushalten auf zwei Jahre und konkretisiert damit den Grundsatz der Periodizität256. Zum Teil stellt das HGrG aber auch „neue“ Haushaltsgrundsätze auf, die keine, oder jedenfalls keine eindeutige Entsprechung in den Verfassungen des Bundes und der Länder haben. So ist der Grundsatz der Gesamtdeckung (Non-Affektationsprinzip) in § 7 S. 1 HGrG normiert, die fehlende DrittDs. V/3605, S. 12 und den schriftlichen Bericht des Abgeordneten Arndt zu BT-Ds. V/3605, S. 10; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 109, Rn. 78 f. 253 20. GG-ÄndG v. 15.5.1969 (BGBl. I S. 357). 254 Vgl. Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG und (für die Länderverfassungen) die Nachweise in Fn. 83 (S. 42). 255 s. oben Fn. 231 (S. 68). 256 Art. 110 Abs. 2 GG und die in Fn. 206 (S. 64) genannten Artikel der Länderverfassungen; für die Landeshaushaltsordnungen vgl. Fn. 208 (S. 64).
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
wirkung des Haushaltsplans ergibt sich aus § 3 Abs. 2 HGrG, § 27 HGrG regelt die sachliche und zeitliche Bindung. Zum anderen ist teilweise, wie etwa im Fall des Bepackungsverbots, das sich nur auf Bundesebene und in einzelnen Länderverfassungen findet257, auf eine Vereinheitlichung verzichtet worden. Die Gesetzförmigkeit bestimmt § 13 HGrG nur für die Kreditermächtigung; eine Pflicht, den Haushaltsplan durch formelles Gesetz festzustellen, findet sich im HGrG – anders als in Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG und den meisten Landesverfassungen (sowie programmatisch, ohne eine Bindungswirkung für den Gesetzgeber258 in den Haushaltsordnungen) – nicht259. 2. Bindungswirkung des HGrG auf Bundesebene
Nach §§ 1, 49 HGrG gelten die Vorschriften des Haushaltsgrundsätzegesetzes sowohl für den Bund als auch für die Länder. Dies entspricht dem Wortlaut des Art. 109 Abs. 3 GG, der „für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze“ ermöglicht. Trotz dieses klaren Wortlauts wird teilweise bezweifelt, ob sich auch der Bundesgesetzgeber an die Grundsätze halten muss, die er selbst aufgestellt hat260. Das HGrG sei wie die BHO und das jährliche Haushaltsgesetz ein einfaches (Bundes-)Gesetz, welches durch eine lex posterior jederzeit derogiert werden könne; eine Selbstbindung des Gesetzgebers passe nicht in die Normenhierarchie des GG261. Sie liefe darauf hinaus, dass der Gesetzgeber bestimmte als höherrangig qualifizierte Gesetze nur ausdrücklich ändern oder beseitigen könne; im Gegensatz zu dem in Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG explizit normierten Verbot der Verfassungsdurchbrechung gebe es ein solches Verbot der Gesetzesdurchbrechung aber nicht.262 257 Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG; Art. 79 Abs. 3 S. 1 BaWüVerf; Art. 139 Abs. 3 S. 2 HessVerf; Art. 61 Abs. 4 S. 1 M-VVerf; Art. 65 Abs. 5 S. 1 NdsVerf; Art. 116 Abs. 3 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 3 S. 1 SächsVerf; Art. 93 Abs. 4 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 4 S. 1 SchlHVerf; Art. 99 Abs. 2 S. 1 ThürVerf. 258 Vgl. bereits oben sub II., S. 38. 259 So aber Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 92, der § 1 HGrG, wohl wegen der scheinbar nahe liegenden Parallelität zu § 1 BHO (und § 1 der meisten LHO’en), den Grundsatz der Gesetzförmigkeit entnimmt. Vgl. hierzu auch bereits oben das Beispiel Hamburgs (Beschluss der Bürgerschaft), Fn. 222 (S. 66). Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist im HGrG ebenfalls nicht explizit erwähnt. 260 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 109, Rn. 38; ähnlich Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 11 mit Hinweis auf Tiemann, DÖV 1974, 229 [234 f.]. Vgl. auch Püttner, DÖV 1970, 322 [323]. 261 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 109, Rn. 38; Püttner, DÖV 1970, 322 [324]. 262 Püttner, DÖV 1970, 322 [323].
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a) Rangordnung der Rechtsquellen In der Tat erscheint es auf den ersten Blick als ein „staatsrechtliches Kuriosum“263, dass sich der Gesetzgeber selbst Bindungen auferlegen kann264. Normative Bindungen ergeben sich regelmäßig (nur) durch die Rangordnung der Rechtsquellen. Diese Rangordnung orientiert sich an den Normgebern und damit am Entstehungsgrund der Rechtsnormen.265 Zwischen Rechtsnormen des gleichen Normgebers besteht dabei grundsätzlich kein Rangverhältnis. Dies scheint auch für das Haushaltsgrundsätzegesetz zu gelten. Das HGrG kommt, da Art. 109 Abs. 3 GG die Zustimmungsbedürftigkeit anordnet, wie jedes andere Zustimmungsgesetz nach dem Verfahren der Art. 76, 77 GG zustande. Es ist nach Normgeber und Entstehungsgrund einfaches Bundesrecht und hat als solches zunächst auch keinen Vorrang vor anderen Bundesgesetzen. Insbesondere hat es nur wegen seiner Zustimmungsbedürftigkeit auch keinen Vorrang vor Einspruchsgesetzen, weil die Zustimmung des Bundesrates formelle Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes ist, als solches aber noch kein Rangverhältnis zwischen den Bundesgesetzen schafft266. Aus politischer Sicht kann das Zustimmungserfordernis zwar, insbesondere bei abweichenden Mehrheitsverhältnissen, zu 263
Klein, DVBl. 1970, 877 [878]. Auch die frühere Rahmengesetzgebung (Art. 75 GG a. F.) statuierte eine solche Bindung des Bundes nicht, sondern richtete sich ausschließlich an die Länder. Somit liegen die Zweifel an der Selbstbindung durchaus nahe, wenn man sich vor Augen führt, dass die „Grundsatzgesetzgebung“ gewisse Parallelen zur (alten) Rahmengesetzgebung aufweist (vgl. Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 109, Rn. 82; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 109, Rn. 31). Teilweise scheint hier aber auch eine gewisse begriffliche Verwirrung vorzuliegen, da die Verfassung des Deutschen Reiches von 1919 (Weimarer Reichsverfassung, G. v. 11.8.1919, RGBl. S. 1383) in den Art. 10, 11 WRV die im Grundgesetz als „Rahmengesetzgebung“ bezeichneten Fälle unter den Begriff der „Grundsatzgesetzgebung“ fasste, vgl. Anschütz, Verfassung des Deutschen Reiches14 (1933), Art. 10, 11, Anm. 1, S. 88. – Zum Problem der Bindung des Gesetzgebers vgl. auch den englischen Verfassungsgrundsatz „Parliament cannot bind its successors“, der als Einschränkung und zugleich als Beweis für den fundamentalen Grundsatz der sovereignty oder supremacy of Parliament angeführt wird, Bradley/Ewing, Constitutional and administrative law12, S. 66; hierzu auch H. L. A. Hart, The Concept of Law, S. 149 f., der im Zusammenhang mit der „Selbstbindung“ des Gesetzgebers das vergleichbare(?) Problem aufwirft, ob die Allmächtigkeit einer Gottheit sich auch auf die Abschaffung dieser Allmacht erstrecken kann. 265 Maurer, StaatsR I5, § 17, Rn. 17. 266 Die Zustimmungsbedürftigkeit verschafft einem Gesetz keine höhere „Wertigkeit“, zumal der Bundesrat auch bei Einspruchsgesetzen mitwirkt. Sie dient nicht dazu, die Legitimität des Gesetzes zu erhöhen, sondern nur dazu, die Länderinteressen – in vom Grundgesetz enumerativ aufgeführten Fällen – prozedural zu sichern. 264
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
einer „Erschwerung“ der Gesetzgebung, auch der Änderungsgesetzgebung führen267. Hierbei handelt es sich indes nur um eine praktische Konsequenz, die keine Rangordnung und damit auch keine Bindung des Bundes durch das HGrG systematisch begründen kann268. b) Universalität der Lex-posterior-Regel? Grundsätzlich müssten kollidierende Normen eines späteren Haushaltsgesetzes bzw. eine spätere Änderung der Bundeshaushaltsordnung dem früheren HGrG nach der Lex-posterior-Regel vorgehen. Die Anerkennung eines Vorrangs (Anwendungsvorrang) der lex posterior folgt aus der Überlegung, dass die Rechtsgewinnung grundsätzlich zeitbezogen ist; das Recht muss sich anpassen und fortentwickeln. Hieraus folgt die Notwendigkeit der Derogation, die formell, durch die explizite Aufhebung oder Änderung eines Gesetzes, aber auch materiell erfolgen kann, durch die Setzung einer neuen Norm, die mit der älteren unvereinbar ist, weil sie an denselben Sachverhalt Rechtsfolgen knüpft, die mit den bisher geltenden im Widerspruch stehen269. Die Lex-posterior-Regel stellt danach zwar keine rechtslogische, mit Denknotwendigkeit geltende Norm dar270, sie ist aber – zumindest in einer Rechtsordnung, die das Recht nicht „vorfindet“271, sondern die davon ausSiekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 40 sieht in der Zustimmungsbedürftigkeit immerhin einen „praktisch relevanten und dogmatisch greifbaren Anknüpfungspunkt“, aus dem sich aber nur eine Bindung des Bundestags, nicht jedoch des Bundes oder der Länder ergeben könne. 268 In diesem Sinne aber tendenziell Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 109, GG, Anm. 35. Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 109, Rn. 39; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 109, Rn. 33. 269 Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 572. – Zu beachten ist indes, worauf schon W. Jellinek, Verwaltungsrecht3, S. 141 f., zu Recht hingewiesen hat, dass der Vorrang der lex posterior nur ein Grundsatz ist, der eine Auslegung der (vermeintlich) kollidierenden Gesetze im Einzelfall nicht erübrigt. So sind, wenn der Gesetzgeber mit einem jüngeren Gesetz den Rahmen eines älteren Gesetzes ausfüllen und nicht durchbrechen will, ihm aber ein Widerspruch zu dem älteren Gesetz unterläuft, beide Gesetze als ein zusammenhängendes Ganzes zu interpretieren (vgl. Püttner, DÖV 1970, 322). 270 Merkl, AöR 37 (1918), 56 [81]; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 573; a. A. Kelsen, AöR 32 (1914), 202 [206]: „rechtslogisches Prinzip“. 271 Ist das Rechtssystem von der Vorstellung geprägt, dass Recht nicht gemacht, sondern aufgefunden wird, so muss der Versuch, neues Recht zu produzieren, scheitern. Vielmehr setzt sich das „gute alte Recht“ durch. Vgl. den entsprechenden Hinweis auf die „alten Rechtsordnungen“ bei Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 573, sub 2. 267
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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geht, dass Recht von Menschen „gemacht“, also von einem Souverän gesetzt wird – „unbestritten und ganz unentbehrlich“272. Jedenfalls hat sie Verfassungsrang. Das Grundgesetz statuiert mit der Ermächtigung zur Verabschiedung neuer Gesetze (Art. 70 ff. GG) stets auch eine Ermächtigung zur Aufhebung und Abänderung bereits erlassener Gesetze. Die universelle Gültigkeit der Lex-posterior-Regel ergibt sich somit implizit aus der Regelung über die Normsetzung, auch wenn dies in der Verfassung nicht eigens und ausdrücklich vorgesehen ist273. c) Änderung des HGrG und Abweichung vom HGrG Für das Haushaltsgrundsätzegesetz ergibt sich damit die folgende Ausgangslage: Während die formelle Derogation ohne weiteres zulässig ist, weil der Bundesgesetzgeber gem. Art. 109 Abs. 3 GG mit Zustimmung des Bundesrats das HGrG jederzeit ändern kann, ist die materielle Derogation durch eine beliebige lex posterior, die von den zuvor aufgestellten Grundsätzen abweicht, etwa eine Änderung der BHO oder eine Abweichung im Haushaltsgesetz nicht möglich. Beides folgt zwingend aus Wortlaut und Teleologie des Art. 109 Abs. 3 GG. Art. 109 Abs. 3 GG erlaubt dem Bundesgesetzgeber mit Zustimmung des Bundesrates „für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze“ zu erlassen. Damit gestattet Art. 109 Abs. 3 GG dem Bund zugleich, die „gemeinsam geltenden Grundsätze“ aufzuheben („können“) oder innerhalb der inhaltlichen Grenzen des Art. 109 Abs. 3 GG („Grundsätze für das Haushaltsrecht“) beliebig zu ändern274. Zuständig für eine solche formelle 272 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 573. Aus diesem Grunde wäre es auch nicht zutreffend, die Lex-posterior-Regel nur aus dem Demokratieprinzip abzuleiten. Zwar ist Demokratie „Herrschaft auf Zeit mit dem Gebot periodischer Neuwahl“ (Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 20, Rn. 15), so dass der Gesetzgeber einen späteren neu gewählten Gesetzgeber nicht binden darf. Dieses Bindungsverbot würde aber in gleicher Weise für eine absolutistische Monarchie (oder jede andere Staatsform) gelten. Auch ein absoluter Herrscher kann sich prinzipiell nicht selbst binden, ohne zugleich seinen absoluten Herrschaftsanspruch für sich (oder seine Nachfolger) aufzugeben. Der Vorrang einer lex posterior ergibt sich damit letztlich aus dem Prinzip der staatlichen Souveränität als solcher. 273 Vgl. (am Beispiel des österreichischen Rechts) Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 574. Ähnlich Püttner, DÖV 1970, 322: „gleichsam im Gesetzesbegriff angelegt“; Kelsen, Reine Rechtslehre2, S. 210: „in der Ermächtigung mitinbegriffen“. 274 So im Ergebnis auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 109, Rn. 4; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 109, Rn. 53; Vogel/Wiebel, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 162; Rodi, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 354 („actus contrarius“); Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 109, Rn. 17; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 109, Rn. 21; Siekmann, in:
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Derogation der „Grundsätze“ ist der Bund. Auch der Bundesrat, dessen Zustimmung erforderlich ist, ist ein Verfassungsorgan des Bundes. Der Hinweis auf einen „quasivertraglichen Charakter mit gegenseitiger Bindung“275, aus dem die Selbstbindung des Bundes folgen soll, geht daher fehl276. Auf der anderen Seite kann der Bund aber nicht – auch nicht mit Zustimmung des Bundesrats277 – von den „gemeinsam geltenden Grundsätzen“ abweichen278. Art. 109 Abs. 3 GG enthält insoweit ein Rechtsformgebot.279 Die Bindung folgt indes nicht (mittelbar) aus der in Art. 109 Abs. 3 angeordneten Zustimmungsbedürftigkeit des HGrG, sondern unmittelbar aus Art. 109 Abs. 3 GG. Der Wortlaut des Art. 109 Abs. 3 GG geht explizit von einer gemeinsamen Bindung aus, eine solche Bindung war vom verfasSachs, GG4, Art. 109, Rn. 40; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 109, Rn. 84; Hauser, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 109 GG, Anm. 31; Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 11; Tiemann, DÖV 1974, 229 [235]. 275 Püttner, DÖV 1970, 322 [324]; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 109 GG, Anm. 35. Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 109, Rn. 39; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 109, Rn. 33; teilweise noch mit anderer Schwerpunktsetzung Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 166: vertragsähnlicher Charakter als ergänzender Gesichtspunkt. Ähnlich auch Stern, StaatsR II, § 50 III 1, S. 1238, Fn. 41: Rücksprachegebot aus Verfassungsorgantreuepflicht. 276 Es ist allerdings davon auszugehen, dass die (informellen) vertragsähnlichen Absprachen zwischen Bund und Ländern (Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 109, Rn. 39) Motiv für den verfassungsändernden Gesetzgeber waren, das Zustimmungserfordernis in Art. 109 Abs. 3 GG aufzunehmen. Mit der erfolgten Normierung der Zustimmungsbedürftigkeit wäre dieser „Vertrag“ dann allerdings „erfüllt“. 277 Eine (nur) materielle Derogation ist gem. Art. 109 Abs. 3 GG auch durch Zustimmungsgesetz nicht möglich. Wäre dies anders, könnte der Bundesgesetzgeber durch ein beliebiges Gesetz, zu dem (aus welchem Grund auch immer die Zustimmungspflicht ausgelöst wird) die Zustimmung des Bundesrates gem. Art. 77 Abs. 2a, 78 GG erfolgt ist, von den „gemeinsam geltenden Grundsätzen“ abweichen, vgl. Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 166; a. A. Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 109 GG, Anm. 19. 278 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 109, Rn. 4; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 109, Rn. 52; Vogel/Wiebel, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 162; Rodi, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 352; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 109 Rn. 17; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 109 Rn. 21; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 109 Rn. 33; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 109, Rn. 84; Schneider, in: AK-GG3, Art. 109, Rn. 14; Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 109, Rn. 66; Hauser, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 109 GG, Anm. 31; Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 11; Tiemann, DÖV 1974, 229 [235]; implizit auch Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 341, Fn. 1. Für nur eingeschränkte Bindung Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 19. A. A. Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 109, Rn. 38. 279 Pieroth, NJW 2000, 1086 [1087].
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sungsändernden Gesetzgeber beabsichtigt280 und ist auch objektiv für den verfolgten Zweck der Vereinheitlichung des Haushaltsrechts von Bund und Ländern notwendig281. Angesichts der eindeutigen Regelung des Art. 109 Abs. 3 GG ist das „Ob“ der (Selbst-)Bindung auch des Bundesgesetzgebers ganz überwiegend anerkannt282. Unklar ist jedoch, woraus diese Bindung folgt und wie sich diese auswirkt. Zum Teil wird angenommen, dass von den Grundsätzen des HGrG abweichendes Recht gegen Art. 109 Abs. 3 GG verstoße283. Teilweise sieht man im HGrG ein Gesetz im Rang zwischen sonstigen einfachen Bundesgesetzen und dem Grundgesetz284. Überwiegend geht man davon aus, dass Art. 109 Abs. 3 GG jedenfalls eine Ausnahme von der Lex-posterior-Regel normiere285. aa) Abweichende Gesetzgebung als Verstoß gegen Art. 109 Abs. 3 GG? Ein Verstoß des vom HGrG abweichenden Gesetzes gegen Art. 109 Abs. 3 GG liegt nur mittelbar vor. Art. 109 Abs. 3 GG stellt keine inhaltlichen Regeln auf, sondern verschafft dem Bund nur eine (wenn auch eigenartige) Gesetzgebungskompetenz. Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht, Art. 109 Abs. 3 GG, wäre damit abhängig von Existenz und Inhalt einer 280
Stellungnahme des Bundesrats, BT-Ds. V/3040, S. 73; BT-Ds. V/3605, S. 12 und Bericht des Abgeordneten Arndt zu BT-Ds. V/3605, S. 10. 281 Wie hier Tiemann, DÖV 1974, 229 [235]. 282 So im Ergebnis auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 109, Rn. 4; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 109, Rn. 52; Vogel/Wiebel, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 162; Rodi, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 352; FischerMenshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 109 Rn. 17; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 109 Rn. 21; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 109 Rn. 33; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 109, Rn. 84; Schneider, in: AK-GG3, Art. 109, Rn. 14; Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 109, Rn. 66; Hauser, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 109 GG, Anm. 31; Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 11; Tiemann, DÖV 1974, 229 [235]; implizit auch Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 341, Fn. 1. Für nur eingeschränkte Bindung Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 19. A. A. Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 109, Rn. 38. 283 Rodi, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 353; Maurer, StaatsR I5, § 17, Rn. 41; Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 11; Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 447. 284 Vogel/Wiebel, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 162; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 109 Rn. 21; Maurer, StaatsR I5, § 17, Rn. 41; ähnlich wohl auch Reich, GG, Art. 109, Rn. 3: „wie das Grundgesetz“. 285 Püttner, DÖV 1970, 322 [324]; Tiemann, DÖV 1974, 229 [235]; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 109, Rn. 85; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 109 Rn. 33; Schneider, in: AK-GG3, Art. 109, Rn. 14; Rodi, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 352.
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nichtverfassungsrechtlichen, einfach-gesetzlichen Norm286. Die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 109 Abs. 3 GG kann folglich die Bindungswirkung einer solchen Norm nicht erklären. Der „Verstoß“ gegen Art. 109 Abs. 3 GG stellt sich vielmehr als bloßer Reflex eines (vorrangig zu prüfenden) Verstoßes gegen das HGrG selbst dar (Anwendungsvorrang des einfachen Rechts). Dieses ist inhaltlich auszulegen, nur aus den Vorschriften des HGrG kann sich eine Kollision ergeben, die dann aufzulösen ist. Nur wenn es der Bund beabsichtigt, Haushaltsgrundsätze zu schaffen, mit denen er ausschließlich die Länder binden, sich selbst aber dispensieren will, stellt dies einen Verstoß gegen Art. 109 Abs. 3 GG dar, der eine „gemeinsame Geltung“ vorsieht. Eine entsprechende Vorschrift wäre materiell verfassungswidrig. Mit einer bloßen Abweichung von den aufgestellten Grundsätzen durch eine lex posterior, die nicht in einer Änderung dieser Grundsätze besteht (was im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln wäre), verstößt der Bund aber nicht gegen die Verfassung – insbesondere handelt er nicht kompetenzwidrig, weil eine Kompetenz zur Regelung des eigenen Haushaltsrechts aus Art. 109 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 110 GG bzw. der Natur der Sache folgt287 – sondern er verstößt gegen die von ihm selbst im HGrG aufgestellten Grundsätze288. Aus der Ranganordnungsregel des Art. 109 Abs. 3 GG lässt sich damit auch nicht die grundsätzliche Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit solcher Vorschriften herleiten, die mit dem HGrG kollidieren289. Ein Verstoß gegen die im HGrG normierten Haushaltsgrundsätze bedeutet nur insoweit einen (unspezifischen) Verfassungsverstoß, als ein Verstoß gegen „normales“ einfaches Recht einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG impliziert. Aus diesem mittelbaren Verfassungsverstoß kann 286 Insofern ergäbe sich eine Parallele zu den sog. „normgeprägten Grundrechten“ (vgl. statt vieler Pieroth/Schlink, Grundrechte23, Rn. 900 m. w. N.), bei denen der Schutzbereich ebenfalls einfach-rechtlich definiert wird. Während bei diesen jedoch die Definitionsmacht durch die Wesensgehaltsgarantie und das Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzt wird, so dass der Inhalt jedenfalls dem Grunde nach vorgezeichnet ist, enthält Art. 109 Abs. 3 GG nur eine Gesetzgebungskompetenz, die als solche vollständig inhaltsleer ist. 287 Vgl. zu den ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen statt vieler Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 70, Rn. 5 ff.; Maurer, StaatsR I5, § 10, Rn. 27 ff. 288 Wie hier Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 166. Vergleichbar ist dies mit der inhaltlichen „Kollision“ einer Rechtsverordnung (oder Satzung) mit der ermächtigenden Vorschrift. Eine Rechtsverordnung, die sich nicht im Rahmen der Verordnungsermächtigung hält, verstößt gegen das höherrangige formelle (Parlaments-)Gesetz. Nur mittelbar ergibt sich hieraus ein Verstoß gegen Verfassungsgrundsätze, etwa Art. 80 GG oder das Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG. 289 So aber Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 447; ähnlich Maurer, StaatsR I5, § 17, Rn. 41; Rodi, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 353; Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 11.
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aber nicht geschlossen werden, dass die im HGrG festgesetzten „Prinzipien“ zu Verfassungsprinzipien werden290. Aus der Verfassung lässt sich nur der „Grundsatz“ ableiten: „Grundsatzgesetzgebung geht vor“. Das Haushaltsgrundsätzegesetz steht im Rang zwischen Verfassung und einfachem Recht, wird aber nicht zum Verfassungsrecht. bb) Verstoß gegen HGrG als Verstoß gegen höherrangiges Recht Erkennt man an, dass eine Abweichung von den selbst aufgestellten Grundsätzen für den Bundesgesetzgeber primär einen Verstoß gegen das HGrG bedeutet, so muss hieraus gefolgert werden, dass das HGrG im Rang zwischen Verfassung und dem übrigen einfachen Gesetzesrecht, jedenfalls den übrigen einfach-rechtlichen Regelungen im Bereich des Haushaltsrechts (Haushaltsordnungen, Haushaltsgesetz und -plan) steht. Eine solche von den „normalen“ Rangstufen (Verfassung, Gesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen)291 abweichende Rangordnung ist zwar ungewöhnlich. Sie fügt sich nicht ohne weiteres in die rechtsstaatliche Systematik des Grundgesetzes ein. Sie ist aber vor dem Hintergrund der eindeutigen Regelung des Art. 109 Abs. 3 GG, der insoweit lex specialis ist, anzuerkennen. Im Übrigen schafft die Verfassung auch an anderer Stelle Rangstufen sui generis, die für bestimmte Bereiche Abweichungen von der gängigen Normenpyramide konstituieren. So entzieht Art. 79 Abs. 3 GG gewisse Regelungen dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers und schafft damit einen letztlich über der „Restverfassung“ stehenden Rang des änderungsfesten Verfassungsrechts. Art. 25 S. 2 GG bestimmt den Vorrang der „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ vor den förmlichen Gesetzen, obwohl jene zugleich Bestandteil des Bundesrechtes sind (Art. 25 S. 1 GG)292. Anders als im Fall etwa des „Maßstäbegesetzes“293 handelt es sich im Fall des HGrG 290 So aber für das Non-Affektationsprinzip i. E. Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 443 ff. [451]. 291 Vgl. Maurer, StaatsR I5, § 17, Rn. 17 ff. 292 BVerfG, Urteil v. 26.3.1957, 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 [363]: „Diese Bestimmung bewirkt, dass diese Regeln […] dem deutschen innerstaatlichen Recht – nicht dem Verfassungsrecht – im Range vorgehen. Diese Rechtssätze brechen insoweit jede Norm aus deutscher Rechtsquelle, die hinter ihnen zurückbleibt oder ihnen widerspricht“. Für Anwendungsvorrang im Sinne einer Kollisionsregel Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 110, Rn. 5, 13; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25, Rn. 43. Unscharf insoweit Vogel, Maßstäbegesetze, Rückwirkungsverbote und völkerrechtliche Verträge, in: FS Schiedermair, S. 113. 293 Maßstäbegesetz vom 9.9.2001 (BGBl. I S. 2302), geändert durch Art. 16 d. G. v. 5.9.2006 (BGBl. I S. 2098); vgl. hierzu BVerfG, Urteil v. 11.11.1999, 2 BvF 2, 3/98, 1, 2/99, BVerfGE 101, 158 [226] – Finanzausgleich III. Gegen eine Bindungswirkung des MaßstG mit Recht Pieroth, NJW 2000, 1086 f.; a. A. Vogel, Maßstä-
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also um einen im Grundgesetz ausdrücklich so vorgesehenen Fall eines „einfachen“ Gesetzes, welches im Rang über dem sonstigen einfachen Recht steht. Damit erweist sich auch die Formel von der Grundsatzgesetzgebung, die eine „Ausnahme von Lex-posterior-Regel“ normiere294, als zumindest missverständlich. Sie beschreibt letztlich nur ein Symptom des Art. 109 Abs. 3 GG aber nicht die eigentliche Wirkungsweise und den Regelungsgehalt von Art. 109 Abs. 3 GG und HGrG. Richtig ist, dass die Lex-posterior-Regel im Verhältnis von HGrG und Haushaltsordnung bzw. -gesetz nicht gilt295. Dies ist aber eine Selbstverständlichkeit. Die Anwendung der Lex-posteriorRegel setzt voraus, dass Normen des gleichen Normgebers auf gleicher Stufe stehen. Eine „Ausnahme“ von dieser Regel kann es damit nur dann geben, wenn man HGrG, BHO und Haushaltsgesetz für prinzipiell gleichrangig hält. Das Rangverhältnis zwischen der früheren und späteren Norm ist aber logisch vorrangig zu klären. Im Verhältnis von höherrangigen zu niederrangigen Normen ist die Lex-posterior-Regel von vornherein unanwendbar. Die Grundsätze des HGrG sind von Verfassungs wegen echte „leges superiores“. Anderenfalls ließe sich auch mit dem „Hilfsargument“ der Zustimmungspflicht nicht schlüssig erklären, warum eine Bindung des Gesetzgebers bei Erlass und Änderung der Haushaltsordnung und des Haushaltsgesetzes nicht aber bei der Änderung des HGrG selbst besteht. Auch das Änderungsgesetz zum HGrG wäre eine lex posterior, für die dann eine „Ausnahme von der Ausnahme“ gemacht werden müsste. d) Reichweite der Bindungswirkung Das Haushaltsgrundsätzegesetz richtet sich mit seinem ersten Teil an den Gesetzgeber, § 1 HGrG. Bund und Länder müssen ihre Gesetzgebung an den Haushaltsgrundsätzen des HGrG ausrichten. Indes enthalten die §§ 2 ff. HGrG nicht nur Vorgaben, die vom Gesetzgeber zu erfüllen sind, sondern scheinen normativ (auch) die Exekutive zu verpflichten (z. B. § 6 Abs. 1 begesetze, Rückwirkungsverbote und völkerrechtliche Verträge, in: FS Schiedermair, S. 113 [124]. 294 Püttner, DÖV 1970, 322 [324]; Tiemann, DÖV 1974, 229 [235]; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 109, Rn. 85; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 109, Rn. 33; Schneider, in: AK-GG3, Art. 109, Rn. 14; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 109, Rn. 85; Rodi, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 352; wohl auch Vogel, Maßstäbegesetze, Rückwirkungsverbote und völkerrechtliche Verträge, in: FS Schiedermair, S. 113 [118 f.] und Hauser, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 109 GG, Anm. 31. 295 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 109, Rn. 17; Vogel/Wiebel, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 172: „gilt nur begrenzt“.
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HGrG: „Bei Aufstellung [sc. Aufgabe der Exekutive] und Ausführung [sc. ebenfalls Aufgabe der Exekutive] des Haushaltsplans sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten.“). Überwiegend wird hieraus – auch mit Blick auf die amtliche Überschrift des § 1 HGrG – gefolgert, dass auf diese Weise ein Gesetzgebungsauftrag an Bund und Länder formuliert wird, der jedoch prinzipiell mit dem Erlass einer dem HGrG entsprechenden Haushaltsordnung erschöpft sei296. In der Tat sind sowohl die Bundeshaushaltsordnung als auch die Haushaltsordnungen der Länder den Vorschriften des HGrG nachgebildet und formulieren teilweise wortgleich (so z. B. § 7 HGrG und § 8 BHO)297. Dem Sinn und Zweck sowohl des HGrG als auch des dahinter stehenden Art. 109 Abs. 3 GG würde eine solche Sichtweise aber nicht gerecht. Das HGrG könnte nämlich seine Funktion, ein einheitliches Haushalts(verfahrens-)recht zu schaffen und dauerhaft zu erhalten, nicht erfüllen, wenn durch die Schaffung einer inhaltlich dem HGrG entsprechenden Haushaltsordnung der Gesetzgebungsauftrag des § 1 HGrG erfüllt und damit der Regelungsinhalt des § 1 HGrG erschöpft wäre. Die aufgrund des HGrG erlassene BHO steht im Range einfachen Bundesrechts, die Haushaltsordnungen der Länder im Range einfachen Landesrechts. Dass sich ein Haushaltsgesetzgeber an diese Gesetze halten müsste, ergibt sich aus der Verfassung nicht, da eine dem Art. 109 Abs. 3 GG vergleichbare Vorschrift für die Haushaltsordnungen sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene fehlt298. Vielmehr können Bundes- und Landesgesetzgeber durch das jährliche Haushaltsgesetz von ihrer eigenen Haushaltsordnung jederzeit abweichen, solange sie sich im Rahmen der Grundsatzgesetzgebung des HGrG halten299. Im Übrigen gilt hier der Lex-posterior-Grundsatz uneingeschränkt. Die Bindungswirkung erstreckt sich gem. Art. 109 Abs. 3 GG nur auf die grundsätzliche Regelung im HGrG, nicht zugleich auf eine etwaige konkretisierende, speziellere Regelung in den Haushaltsordnungen. Hieraus folgt dann aber auch, dass sich das HGrG – 296 So etwa Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 109, Rn. 52; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 109 GG, Anm. 19; Vogel/Wiebel, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 168; ähnlich Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 109, Rn. 37; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 38 („bedürfen der Umsetzung“). 297 Vgl. auch die Aufstellung bei Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 38 f. 298 Zutreffend Püttner, DÖV 1970, 322 [324]. Anderenfalls müsste man, um die Einheitlichkeit des Haushaltsrechts zu gewährleisten, von einem Vorrang der Haushaltsordnungen gegenüber Haushaltsgesetz und Haushaltsplan ausgehen. So wohl implizit Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 38, 47; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 109, Rn. 52; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 109 GG, Anm. 19; Vogel/Wiebel, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 168. 299 s. bereits oben, S. 38 ff.
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soweit es die Grundsätze betrifft – unmittelbar an die Haushaltsgesetzgeber wendet und direkte Vorgaben für die jährlichen Haushaltsgesetze macht. Dem steht der Wortlaut des § 1 HGrG nur scheinbar entgegen. § 1 HGrG verpflichtet Bund und Länder, „ihr Haushaltsrecht nach diesen Grundsätzen zu regeln“. Der Begriff „Haushaltsrecht“ umfasst aber nicht nur die Dauergesetze BHO und LHO, sondern kann (und teleologisch muss) auch das jährliche Haushaltsgesetz mit einbeziehen. Nur soweit die Exekutive normativ betroffen ist, sieht das HGrG damit keine direkte Bindung vor, sondern fordert eine entsprechende Ausgestaltung der Haushaltsordnungen (oder übrigen haushaltsrechtlichen Normen), die dann ihrerseits die Exekutive im Rahmen der Haushaltsaufstellung300 und -durchführung binden können und sollen. 3. Bedeutung des HGrG auf Landesebene
Soweit sich die gemeinsam geltenden Grundsätze auch auf die Länder beziehen, kann man eine gewisse Parallele zur (alten) Rahmengesetzgebung des Art. 75 GG a. F. sehen. Das Problem der Selbstbindung stellt sich nicht. Die Bindung der Länder durch das HGrG wird so auch nicht ernsthaft bezweifelt. Auch im Bereich der Länder ergibt sich die Bindung unmittelbar aus Art. 109 Abs. 3 GG. Aus der gemeinsamen Geltung für Bund und Länder folgt, dass Art. 109 Abs. 3 GG als lex specialis zu Art. 31 GG anzusehen ist301. Anderenfalls ergäbe sich eine unterschiedliche Struktur der Bindungswirkung auf Bundes- und Landesebene, die mit der ersichtlich kon300
Die Aufstellung des Haushaltsplans (Exekutive) kann bei der Feststellung des Haushalts zu einer mittelbaren Bindung des Haushaltsgesetzgebers an die BHO/LHO führen, da die Regierung im Haushaltsverfahren über das Initiativrecht verfügt, und die Aufstellung des Haushalts zunächst den Regelungen des einfachen Haushaltsrechts unterliegt. Der Initiativberechtigte (die Regierung) muss das Recht haben, „gesetzwidrige Entwürfe“ einzubringen; mit Beginn des Gesetzgebungsverfahrens endet die Bindung an das einfache Recht. Sofern sich Änderungen im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens ergeben oder der Gesetzgeber bis dahin „gesetzwidrige“ Haushaltsentwürfe in seinen Willen aufnimmt und als lex posterior in Kraft setzt, sind somit die Bindungen an die jeweiligen Haushaltsordnungen aufgelöst. 301 So auch Heun, in: Dreier, GG III, Art. 109, Rn. 34. Für eine Anwendung des Art. 31 GG sprechen sich hingegen aus Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 109 Rn. 18; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 21; Schneider, in: AK-GG3, Art. 109, Rn. 14; Rodi, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 348; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 109, Rn. 37 („jedenfalls“) – Die Bundeshaushaltsordnung als Bundesrecht hat für die Länder keine Bedeutung. Hier könnte man zwar auf die lex generalis in Art. 31 GG zurückgreifen. Art. 31 GG („Bundesrecht bricht Landesrecht“) wirkt sich bezogen auf die BHO aber nicht aus, da die BHO die Länderhaushalte nicht zum Gegenstand hat (und wegen
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gruenten Regelung des Vorrangs in Art. 109 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren wäre. Wie der Bund haben die Länder gem. Art. 109 Abs. 1 GG die Kompetenz, „ihr“ Haushaltsrecht zu setzen. Der Bund darf gem. Art. 109 Abs. 3 GG nicht den Inhalt der Haushaltspläne festlegen, d.h. die Haushaltsgestaltung der nach Art. 109 Abs. 1 GG prinzipiell unabhängigen Länder materiell präjudizieren oder determinieren.302 Aus Art. 109 Abs. 3 GG ergibt sich keine Gesetzgebungssperre, sondern ein Vorrangverhältnis des HGrG303. Die Bindung des HGrG erstreckt sich aber auch hier auf den Gesetzgeber und zwar nicht nur bezogen auf die LHO, sondern zudem auf die jährlichen Haushaltsgesetze und die haushaltsrechtlichen Vorschriften der Landesverfassungen.
B. „Zeitliche“ Haushaltsgrundsätze Die Haushaltsgrundsätze beziehen sich teils auf Inhalt und Form, teils auf Vorbereitung und Durchführung des Haushaltsplans.304 Es können „statische“ und „dynamische“ Prinzipien unterschieden werden305. Für die Betrachtung des Haushaltsrechts unter dem Aspekt „Zeit“ scheinen die dynamischen Prinzipien von besonderem Interesse zu sein. Sie beziehen sich auf Vorgänge und haben damit einen direkten Zeitbezug. So beeinflusst der in Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG enthaltene Grundsatz der Vorherigkeit maßgeblich den Ablauf der Haushaltsaufstellung und des GesetzArt. 109 Abs. 1 GG auch nicht haben kann), so dass hier auch keine Kollision auftreten kann. 302 Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 109, Rn. 90. 303 Dieses im Bereich der Länder mangels Identität des Normgebers leichter zu akzeptierende Vorrangverhältnis ist zugleich ein Argument und Beleg des Vorrangs auf Bundesebene. Wenn im Verhältnis HGrG/Landesrecht ein Vorrangverhältnis besteht, muss im Verhältnis HGrG/Bundesrecht das identische Vorrangverhältnis bestehen. Art. 109 Abs. 3 GG schreibt „gemeinsam geltende“ Grundsätze vor, erlaubt also – anders als Art. 31 GG – gerade keine Differenzierung zwischen Bund und Ländern. 304 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 7 1, S. 573. Daneben sind auch andere Systematisierungen denkbar, vgl. etwa v. Mutius, Steuerung des Verwaltungshandelns, VVDStRL 42, 147 [170 ff.], der Haushaltsgrundsätze mit überwiegend organisations- und verfahrensrechtlichen (Vorherigkeit, Vollständigkeit, Einheit, Wahrheit und Klarheit und Ausgeglichenheit) und solche mit überwiegend materiell-rechtlichen Funktionen (z. B. sachliche und zeitliche Spezialität, Gesamtdeckung, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, Bepackungsverbot) unterscheidet. 305 s. oben, S. 35; Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 7 2, S. 573. Vgl. auch bereits Heinig, Das Budget, Bd. 1, S. 3.
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gebungsverfahrens, der nach dem Grundsatz der Jährlichkeit (Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG: „für ein Rechnungsjahr“) bzw. Periodizität (Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG: „für mehrere Rechnungsjahre“ im Fall der Mehrjahreshaushalte) wiederkehrend ausgestaltet ist. Aber auch die von Neumark als „statisch“ bezeichneten Prinzipien, also diejenigen, die sich auf Form und Inhalt des Haushaltsplans beziehen, können – wie etwa das in Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG verankerte zeitliche Bepackungsverbot – einen solchen Zeitbezug aufweisen. I. Das Haushaltsjahr: Jährlichkeit und Jährigkeit Vor dem Hintergrund des bereits oben beschriebenen Haushaltskreislaufs, der das Haushaltsrecht prägt, fällt zunächst der Grundsatz der Jährlichkeit bzw. der Periodizität auf. Haushaltsplan und Haushaltsgesetz werden zumeist jährlich neu erarbeitet und verabschiedet. Zwar kann die Jährlichkeit im Sinne einer strikten Annuität (für jedes Jahr ist ein Haushaltsplan aufzustellen und durch Gesetz festzustellen) nicht in ähnlicher Weise wie die Vollständigkeit oder Einheit des Haushalts aus dem Wesen und der Funktion des Budgets als notwendig abgeleitet werden306. Die Periodizität, die auch im Fall von Doppelhaushalten bzw. Mehrjahreshaushalten Gültigkeit beansprucht, entspricht jedoch dem Wesen einer Planung, die einen überschaubaren Zeitraum zugrunde legen muss, die wiederkehrend den sich ändernden tatsächlichen und rechtlichen Umständen anzupassen ist, und die regelmäßig einer nachschauenden Kontrolle bedarf. 1. Historische Entwicklung
Der Grundsatz der Jährlichkeit hat im System der öffentlichen Finanzwirtschaft denn auch eine lange Tradition307. In den Hochkulturen des Altertums erzwang der Kreislauf der Natur das finanzwirtschaftliche Denken in Jahren, da die „öffentlichen“ Abgaben meist in Form von Agrarerzeugnissen eingetrieben wurden308. Diese wurden jährlich geerntet. Zur Zeit Alexanders des Großen, im vierten Jahrhundert vor Christus, gab es in 306 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 7 2 b) b), S. 574. a. A. etwa Say, Revue des Deux Mondes, 1885, 278 [289], der die Einjährigkeit der Budgetperiode zu den Haushaltsgrundsätzen zählt. 307 Vgl. Krause, Das Jährlichkeitsprinzip, in: FS Meusel, S. 125 [131 f.] und Hoppe, Prinzipien der Jährlichkeit und Vorherigkeit, S. 40 mit Hinweis auf SchmidtJortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, Rn. 389, die diese Tradition auf kommunaler Ebene indes nur bis zu § 66 Abs. 1 S. 1 der preußischen Städteordnung v. 30.5.1853 (PrGS S. 261, 285) zurückverfolgen. 308 Vgl. Krause, Das Jährlichkeitsprinzip, in: FS Meusel, S. 125 [132].
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Ägypten bereits Abrechnungen über die erhaltenen Einnahmen und geleisteten Ausgaben, die einmal jährlich dem „Finanzministerium“ in Alexandria einzureichen waren.309 Auf der Grundlage dieser Zahlen wurde der Etat für das nächste „Haushaltsjahr“ aufgestellt, wobei das Rechnungsjahr mit dem Kalenderjahr identisch war.310 Etwa zur gleichen Zeit kannte man in Athen eine vierjährige Finanzperiode, wobei aber auch hier jährlich Rechnung zu legen war311. Im kaiserlichen Rom lässt sich ebenfalls ein jährlicher Haushalt nachweisen.312 Erkennbar ist: Die „Jährlichkeit“ hat ihren historischen Ursprung vor allem im Bereich der jährlichen Rechnung, also der regelmäßigen nachschauenden Kontrolle sowohl der (Steuer-)Einnahmen als auch der vom Staat zu leistenden Ausgaben. Eine jährliche zukunftsgerichtete Haushaltsplanung hat in der Antike wohl nur in Ausnahmefällen313 stattgefunden. Zumeist wurde unregelmäßig bzw. in größeren Zeitabständen geplant314. Der Gedanke des regelmäßigen Vergleichs von öffentlichen Einnahmen und Ausgaben im Sinne einer periodischen Gegenüberstellung findet sich auch in den absolutistischen Staaten des Mittelalters. Jèze berichtet, dass zur Zeit des Ancien Régime „schon frühzeitig gewisse Könige ihre Finanzlage kennen lernen“ wollten und deswegen die Aufstellung von Finanzplänen angeordnet haben.315 In mehr oder weniger regelmäßigen und großen Zeitabständen stellten die Oberaufseher der königlichen Finanzen ab dem 14. Jahrhundert Voranschläge („états de prévisions“) auf. In diesen Voranschlägen waren aber weder die Einnahmen noch die Ausgaben in ihrer 309
Müllenbach, Untersuchung zur Geschichte der öffentlichen Finanzkontrolle,
S. 7. 310 Müllenbach, Untersuchung zur Geschichte der öffentlichen Finanzkontrolle, S. 7; Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, Rn. 391; Hoppe, Prinzipien der Jährlichkeit und Vorherigkeit, S. 40. 311 Müllenbach, Untersuchung zur Geschichte der öffentlichen Finanzkontrolle, S. 13; Böckh, Staatshaushaltung der Athener, S. 112 ff.; vgl. auch Hoppe, Prinzipien der Jährlichkeit und Vorherigkeit, S. 40. 312 Müthling, SKV 1974, 334 [335] mit Hinweis auf Grant, Das Römische Reich am Wendepunkt, 1972; Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, Rn. 301; Hoppe, Prinzipien der Jährlichkeit und Vorherigkeit, S. 40. 313 Vgl. für Athen Böckh, Staatshaushaltung der Athener, S. 253 mit Hinweis auf Plato, Gesetze, XII, S. 955: „[…] indem man Jahr für Jahr sich über die Wahl der zwei möglichen Arten der Besteuerung [sc. Einkommen- oder Vermögensteuer] schlüssig macht“. 314 Müllenbach, Untersuchung zur Geschichte der öffentlichen Finanzkontrolle, S. 11 ff.; Böckh, Staatshaushaltung der Athener, S. 253; Müthling, SKV 1974, 334 [335]. 315 Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 19 f.
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Gesamtheit enthalten. Erstmals 1589 legte man in Frankreich zu Beginn eines jeden Jahres im Staatsrat eine Aufzeichnung der Einnahmen und Ausgaben („état du roi“) vor.316 Die Veranschlagung der Einnahmen und Ausgaben wurde jedoch zu dieser Zeit noch aufgrund der Feststellungen der Haushaltsrechnung („état au vrai“) vorgenommen. Dies führte dazu, dass diese Aufstellungen keinen Voranschlag für einen bestimmten zukünftigen Zeitraum darstellten, sondern nur „eine systematisch günstig gefärbte Durchschnittsschätzung der gewöhnlichen Einnahmen und Ausgabeverpflichtungen“.317 Die jährliche oder zumindest periodische Haushaltsplanung im Sinne einer verbindlichen Festlegung der Finanz- und Wirtschaftspolitik eines Staates ist letztlich eine „demokratische“ Entwicklung, wie vor allem die Beispiele Englands und Frankreichs, aber auch die deutschen Verfassungen des Frühkonstitutionalismus zeigen318. Das „moderne“ Jährlichkeitsprinzip ist das Ergebnis langer Auseinandersetzungen zwischen Parlament und Regierung319 und hat sich historisch entwickelt aus der „Anerkennung der Tatsache, dass eine Steuer nur mit Zustimmung der Steuerpflichtigen erhoben werden kann“320. a) England In den mittelalterlichen Lehensstaaten galt es als allgemeiner Rechtsgrundsatz, dass die Besteuerung nur im Ausnahmefall und auch nur dann zulässig war, wenn die Stände ihre Zustimmung erteilten321. Bereits die 316
Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 19. Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 20. Beispielhaft nennt Jèze hier das sog. „Compte-rendu“ des Finanzministers Ludwigs XVI., Jacques Necker. Dessen 1781 veröffentlichtes „Compte rendu au Roi, au mois de janvier 1781“ wurde von Jean-Frédéric Phélypeaux (Maurepas) als „Ammenmärchen“ bezeichnet. 318 Vgl. Vialon, Haushaltsrecht2, S. 201, Teil C Art. 110 GG, Erl. 5: „Die jährliche Veranschlagung ist eine demokratische und freiheitliche Errungenschaft“. Eine umfassende verfassungsgeschichtliche Untersuchung über den Haushaltsplan im deutschen Frühkonstitutionalismus gibt Friauf, Staatshaushaltsplan im Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung, Bad Homburg 1968. 319 Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 9. Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 28; Stern, StaatsR II, § 50 III 5, S. 1242 f.; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 60. 320 Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 11. 321 Bodin, Sechs Bücher über den Staat (1576), Buch VI. Kap. 2, S. 343: „Auf die siebte Methode, nämlich die Heranziehung der Untertanen, sollte man niemals zurückgreifen, solange nicht alle anderen Methoden versagt haben und die Not drängt, dem Staat beizuspringen“ und S. 346 f.: „keine Dauereinrichtung“, darauf habe man „in Spanien, England und Deutschland seit jeher sorgfältig geachtet“; ähnlich Tocqueville, Der alte Staat und die Revolution (1856), Kap. 10, S. 126: „Im 317
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Magna Charta Libertatum aus dem Jahre 1215 geht in diese Richtung und bindet die Erhebung von „Schild- und Hilfsgeld“ an die „gemeinsame Beratung Unseres Königreiches“322. Unter der Regierung Karls I. „bittet“ im Jahre 1628 die Petition of Right, „dass in Zukunft niemand mehr gezwungen werden möge, irgendeine ‚freiwillige‘ Gabe, […] Steuer oder ähnliche Abgabe zu leisten oder zuzugestehen, es sei denn aufgrund allgemeiner Zustimmung in einem Parlamentsgesetz“.323 Die zeitliche Komponente tritt ausdrücklich hinzu in der Bill of Rights (1688/89), die Jakob II. den Vorwurf machte, die Gesetze gebrochen zu haben, „indem er […] für und zum Nutzen der Krone Geld erhob, und zwar zu anderer Zeit und in anderer Form als dies vom Parlament bewilligt war“324. Die Bill of Rights erklärte, „dass die Erhebung von Geldern für und zum Nutzen der Krone unter dem Vorwand der Prärogative und ohne Zustimmung des Parlaments insoweit ungesetzlich ist, als sie nur für kürzere Zeit oder in anderer Form bewilligt wurde oder bewilligt werden wird“325. Die jährliche Beratung der öffentlichen Ausgaben und Einnahmen ist in England demnach eine Errungenschaft der Glorious Revolution von 1688/89. Neben den fortdauernden Einnahmen der Krone und denjenigen 14. Jahrhundert scheint der Grundsatz: ‚Besteuere den nicht, der nicht will (n’impose qui ne veut)‘ in Frankreich ebenso festzustehen wie in England. Vgl. auch Seidler, Budget und Budgetrecht (1885), S. 150. 322 „Nullum scutagium vel auxilium ponatur in regno nostro, nisi per commune consilium regni nostri, nisi ad corpus nostrum redimendum, et primogenitum filium nostrum militem faciendum, et ad filiam nostram primogenitam semel maritandam, et ad hec non fiat nisi racionabile auxilium“; http://www.bl.uk/treasures/magna carta. Vgl. auch das sog. „Statutum de Tallagio non concedendo“ von 1297, auf das in der Petition of Rights Bezug genommen wird, und das die Steuererhebung an die „Einwilligung und Zustimmung der Erzbischöfe, Bischöfe, Grafen, Barone, Ritter, Bürger und anderen freien Männer des Volkes“ band. Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung auch Seidler, Budget und Budgetrecht (1885), S. 157 ff. 323 „They do therefore humbly pray your most excellent Majesty, that no man hereafter be compelled to make or yield any gift, loan, benevolence, tax, or such like charge, without common consent by act of parliament“, http://en.wikisource .org/wiki/Petition_of_Right, deutsche Fassung zit. nach: Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten6, München 2005, S. 897. 324 „[…] by levying money for and to the use of the Crown by pretence of prerogative for other time and in other manner than the same was granted by Parliament“, http://www.yale.edu/lawweb/avalon/england.htm; deutsche Fassung zit. nach: Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten6, München 2005, S. 901 [Hervorhebung nur hier, d. Verf.]. 325 „That levying money for or to the use of the Crown by pretence of prerogative, without grant of Parliament, for longer time, or in other manner than the same is or shall be granted, is illegal“, http://www.yale.edu/lawweb/avalon/england.htm; deutsche Fassung zit. nach: Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten6, München 2005, S. 902.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
Einnahmequellen, die den Königen jeweils auf Lebenszeit bewilligt wurden326, zog das Parlament bestimmte Steuerarten an sich und bewilligte diese nur noch zeitweilig, genauer gesagt jährlich327. Auch auf der Ausgabenseite suchte das Parlament seine Befugnisse wie im Bereich der Steuererhebung zu sichern und auszuweiten. Im Hinblick auf eine Bestimmung der Bill of Rights, nach der die „Aushebung oder Unterhaltung eines stehenden Heeres in Friedenszeiten“328 von der Zustimmung des Parlaments abhängig gemacht wurde, beschloss es, diese Ermächtigung im „Annual Mutiny Act“ jeweils nur für ein Jahr zu erteilen.329 b) Frankreich In Frankreich zeigte sich – mit einer gewissen Verzögerung – eine ähnliche Entwicklung wie zuvor in England330. Im Jahre 1338 – so schildert es Jean Bodin in seinem 1576 erschienenen Sechsten Buch über den Staat – wurde in Anwesenheit Philipps V. auf einer Ständeversammlung der ausdrückliche Beschluss gefasst, dem Volk ohne dessen Zustimmung keinerlei Steuern aufzuerlegen331. Unter König Johann II. erklärten die Stände anläss326 „[…] it imposed a perpetual tax, and this was a new thing. The indirect taxes, the customs, tonnage and poundage had indeed been granted to the king for life from the time of Henry VII to that of James I, but only for life; and, as you will remember, parliament had refused to grant them to Charles I for more than a year“, Maitland, The Constitutional History of England (1926), S. 434 f.; v. Heckel, Das Budget (1898), S. 64. 327 Vgl. Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 14; Maitland, The Constitutional History of England (1926), S. 430 ff.; v. Heckel, Das Budget (1898), S. 64. 328 „That the raising or keeping a standing army within the kingdom in time of peace, unless it be with consent of Parliament, is against law“, http://www.yale.edu/ lawweb/avalonengland.htm; deutsche Fassung zit. nach: Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten6, München 2005, S. 902. 329 Diese Praxis des „Annual Mutiny Act“ wurde bis 1879 gepflegt, seitdem wird das „Army Act“ bzw. „Armed Forces Act“ jährlich verlängert, vgl. beispielhaft das Armed Forces Act 2001, Part 1, Continuance of services Acts, s. 1, http://www. opsi.gov.uk/acts/acts2001/10019--b.htm. Durch das Armed Forces Act 2006 soll eine fünfjährige Periode eingeführt werden, s. 371, http://www.publications.parlia ment.uk/pa/cm200506/cmbills/094/2006094.pdf. Zur älteren Geschichte vgl. Maitland, The Constitutional History of England (1926), S. 430 ff.; Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 14. 330 Nach v. Heckel, Das Budget (1898), S. 63 hat die „parlamentarische Behandlung des Staatshaushaltsetats […] ihren staatsrechtlichen Ursprung und ihre geschichtlichen Wurzeln in den englischen Verfassungszuständen“; demgegenüber dürfe die französische Rechtsentwicklung „das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, für die finanztechnische Gestaltung und die konstitutionelle Form den meisten Staaten […] als Vorbild gedient zu haben“.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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lich der Bewilligung von Subsidien, dass sie solche nur freiwillig und temporär bewilligten. In seiner Ordonnance vom 28. Dezember 1355 erkennt Johann II. an, dass nach Ablauf der bestimmten Zeit die Abgaben nur mittelst neuen Beschlusses der versammelten Stände verlängert werden dürfen332. Im Gegensatz zur englischen Entwicklung seit 1215 hielt sich dieses Recht der Stände jedoch nur bis zur Zeit Karls VII. (1461), der es „durchsetzte nach eigenem Belieben, ohne Bewilligung der Stände, die Taille333 zu erheben.“334 In der Folge gab es dann – anders als in England – nur noch vereinzelt Einberufungen der Stände, so z. B. 1596 unter Heinrich IV.335 Dies ändert sich – auch hier zeigt sich ein deutlicher Gleichlauf mit dem allgemeinen Demokratisierungsprozess – mit der Französischen Revolution 1789336: Die Verfassungsgebende Nationalversammlung (Constituante) schrieb bereits mit Dekret vom 7. Oktober 1789 die Periodizität der Steuerbewilligung vor.337 Die Verfassung vom 3./4. September 1791 erklärte in Art. 1, Titel V, dass „die öffentlichen Abgaben […] jährlich von der gesetzgebenden Körperschaft beraten und festgesetzt [werden] und […] nur bis zum letzten Tag der folgenden Tagung Gültigkeit [haben], wenn sie nicht ausdrücklich erneuert sind“338. Art. 162 der Verfassung vom 22. August 1795 bezog auch die Ausgabenseite mit ein und bestimmte, dass „das Di331
Bodin, Sechs Bücher über den Staat (1576), Buch VI. Kap. 2, S. 345. Vgl. Seidler, Budget und Budgetrecht (1885), S. 151. 333 Die Taille ist bezeichnenderweise ursprünglich ein „Kerbholz“. In Frankreich wurde auf dem Kerbholz insbesondere von den Steuereintreibern durch Kerben vermerkt, was der Steuerpflichtige zu zahlen hatte. So wurde der Ausdruck „taille“ zum Inbegriff der (direkten) Steuer. Vgl. Wimmer, Anm. 596 zu Bodin, Sechs Bücher über den Staat (1576), Buch VI. Kap. 2, S. 595. 334 Philippe de Commines (1447–1511) zit. nach Tocqueville, Der alte Staat und die Revolution (1856), Kap. 10, S. 127. 335 Vgl. Seidler, Budget und Budgetrecht (1885), S. 152 mit Hinw. auf Sully, Oeconomies royales, Ch. CLXXXVI, t. 2, p. 265 und Desmousseaux de Givré, Législation du budget (1869), I, S. 9. 336 Tocqueville, Der alte Staat und die Revolution (1856), Kap. 10, S. 127 führt die Revolution gerade auch auf diese Entwicklungen zurück: „Ich wage zu behaupten, dass an dem Tage, da die Nation […] es den Königen gestattete, eine allgemeine Steuer ohne ihre Einwilligung einzuführen […], an diesem Tage die Saat fast aller Gebrechen und fast aller Missbräuche gestreut wurde, die dem alten Staat während seines weiteren Lebens zu schaffen gemacht und am Ende seinen plötzlichen Tod verursacht haben“. 337 Dekret v. 7. Oktober 1789, zit. nach Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 20. 338 Titel V – Des contributions publiques, Art. 1: „Les contributions publiques seront délibérées et fixées chaque année par le Corps législatif, et ne pourront subsister au-delà du dernier jour de la session suivante, si elles n’ont pas été expressément renouvelées“, http://www.conseil-constitutionnel.fr/textes/constitution/c1791. htm. s. auch Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 20 f. 332
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
rektorium […] jedem der Räte jährlich in schriftlicher Form eine Übersicht über die Ausgaben sowie eine Darstellung der Finanzlage […] zu unterbreiten [habe].“339 Mit Art. 45 der Verfassung vom 13. Dezember 1799 (22. Frimaire VIII) vollzog sich dann endgültig der Schritt von der Jährlichkeit der Steuerbewilligung zur Jährlichkeit des Haushaltsgesetzes: „Die Regierung bewirkt die Einnahmen und Ausgaben des Staates gemäß dem jährlichen Gesetz, das deren Höhe festsetzt“.340
c) Deutschland In Deutschland findet man Finanzpläne relativ spät, etwa seit dem 15. Jahrhundert341. Erhalten ist z. B. der in Preußen zu Beginn der Regierung des Kurfürsten Friedrich III. im Jahre 1688 aufgestellte „General-Etat aller Domäneneinkünfte und -ausgaben“342. Auch in Deutschland war die Steuer zunächst ein außerordentliches Mittel der Staatsfinanzierung343, Haupteinnahmequellen waren Domänen und Regalien.344 Die Steuern mussten regelmäßig von den Landständen bewil339 „Le Directoire est tenu, chaque année, de présenter, par écrit, à l’un et à l’autre Conseil, l’aperçu des dépenses, la situation des finances, l’état des pensions existantes, ainsi que le projet de celles qu’il croit convenable d’établir. – Il doit indiquer les abus qui sont à sa connaissance“, http://www.conseil-constitutionnel.fr/ textes/constitution/c1795.htm. 340 „Le gouvernement dirige les recettes et les dépenses de l’État, conformément à la loi annuelle qui détermine le montant des unes et des autres“, http://www.con seil-constitutionnel.fr/textes/constitution/c1799.htm. Diese jährlichen Finanzgesetze finden sich bis heute im französischen Haushaltsrecht, vgl. zum „loi de finances de l’année“ Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 353. 341 Vgl. Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 22. 342 Riedel, Der Brandenburgisch-Preußische Staatshaushalt in den beiden letzten Jahrhunderten, S. 26 f.; Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 22. Zwar gab es für den Brandenburgischen Kurstaat schon im Jahre 1373 ein Verzeichnis der landesherrlichen Einkünfte in dem von Kaiser Karl IV. in Auftrag gegebenen sog. „Landbuche“, dieses gab jedoch keine vollständige Auskunft über Einnahmen und Ausgaben, vgl. die Textausgabe bei Fidicin, Kaiser Karls IV. Landbuch der Mark Brandenburg (1856) und Riedel, Der Brandenburgisch-Preußische Staatshaushalt in den beiden letzten Jahrhunderten (1866), S. 1. 343 Justi, Ausführliche Abhandlung von denen Steuern und Abgaben (1762), S. 9: „Denn der Beytrag aus dem Privatvermögen der Unterthanen muß […] das letztere Hülfsmittel seyn“; Bodin, Sechs Bücher über den Staat (1576), Buch VI. Kap. 2, S. 347. 344 Justi, Ausführliche Abhandlung von denen Steuern und Abgaben (1762), S. 8–14: „Der Aufwand des Staates muß zuvörderst aus seinem unmittelbaren Vermögen bestritten werden. […] Dieses sind 1) die Domainen, […] 2) die Regalien.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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ligt werden345. Im 19. Jahrhundert bildete sich das Steuerbewilligungsrecht der alten Landstände zu den finanziellen Befugnissen der Landtage um. Die frühkonstitutionellen Verfassungen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den deutschen Ländern eingeführt wurden, entwickelten in der Folge – nach dem Vorbild der französischen Verfassungen – das Steuerbewilligungsrecht weiter und gestanden den Landtagen auch das Recht zur Beratung der Ausgaben, für die diese Steuern verlangt wurden, zu.346 Da diese Beratung in regelmäßigen Zeitabständen wiederkehrte, besaßen die Landstände ab diesem Zeitpunkt tatsächlich das Budgetrecht.347 Die so genannten „Finanz-“ oder „Auflagengesetze“ des frühen 19. Jahrhunderts wiesen insoweit schon durchaus Ähnlichkeiten mit den modernen Haushaltsgesetzen auf348. Ihnen gingen Haushaltsberatungen voraus, und sie mussten, wie die Haushaltsgesetze der Gegenwart, periodisch erneuert werden.349 Zwar hatten schon im 17. und 18. Jahrhundert Seckendorf und Justi die Forderung aufgestellt, dass alljährlich ein neuer Etat errichtet werde, da „sowohl die Angelegenheiten des Staates und der dazu erforderliche Aufwand, als die Einkünfte desselben beständigen Veränderungen unterworfen“ seien350. Den Anfang machten hier aber vor allem die größeren Staaten, in denen und für die man die Vorteile der Jährlichkeit als erstes [Es wäre gut], wenn sich die Staaten mit diesen zwey Quellen zu ihrem Aufwand begnügten“. 345 Z. B. in Mecklenburg ab 1755 jährlich, vgl. § 70 des Mecklenburgischen Landes-Grund-Gesetzlichen Erb-Vergleichs v. 18. April 1755: „Diese jährliche Landes-Contribution […] wird jährlich auf einem öffentlichem allgemeinem Landtag verkündiget, und mittelst Landes-Fürstlichen Edicts darauf ausgeschrieben“, zit. nach Boldt, Reich und Länder, S. 31. 346 Vgl. Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 23; Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 94 ff. 347 Vgl. Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 23. 348 Nach Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 94, „jedenfalls bei oberflächlicher Betrachtung“: Die früheren „Haushaltsgesetze“ enthielten häufig auch Bestimmungen über die Steuerbewilligung, die in den modernen Haushaltsgesetzen fehlen. 349 Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 94. 350 Justi, Staatswirthschaft, 2. Theil (1758), § 413, S. 514; Seckendorf, Teutscher Fürstenstaat (1720), 3. Theil, Cap. IV, § 16, S. 560 f.: „Demnach aber die meisten derselben [sc. Einkünfte] nicht in einer beständigen Summe sondern nach unterscheid der jahre sich erweisen: So gebühret sich, nebenst der Generaltafel, alle Jahr und alle Quartal derselben, einen Überschlag zu haben und zu verfertigen […], damit aus solchem Überschlag der Landesfürst und die cammerräthe bericht haben können, […] wie sie danach die ausgaben einzurichten haben […] also sind derer [sc. Ausgaben] noch viel mehr, welche nach Gelegenheit der Zeiten sich ändern, bald höher, bald geringer fürfallen“ – die älteste überlieferte Ausgabe des „Fürstenstaats“ stammt aus dem Jahre 1656; vgl. auch Seidler, Budget und Budgetrecht (1885), S. 32 f., 118 f.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
erkannte351. Eine einjährige Haushaltsperiode gab es zunächst in den Verfassungen Preußens352 (1848) und Österreichs353 (1849). Von den Mittelstaaten, in denen die Landtage häufig noch nicht jedes Jahr tagten, sahen nur wenige, etwa Nassau354, Schaumburg-Lippe355, Sachsen-Meiningen356 und Sachsen-Weimar357 einjährige Finanzgesetze vor358, andere verabschiedeten den Haushalt alle zwei Jahre (Baden359 und Hannover360), alle drei 351 Vgl. Czoernig, Budget, Staatsrechnung und Controle (1866), S. 147: „In allen größeren constitutionellen Staaten ist die einjährige Finanzperiode, trotz ihrer unbestreitbaren Unbequemlichkeiten, Praxis geworden, da die Repräsentation in der Bewilligung des Budgets die sicherste Handhabe findet, auf die Regierungsgewalt einen bestimmenden Einfluss zu gewinnen“. 352 Art. 98 PrVerfU v. 5.12.1848, PrGS 1848, 374 und wortgleich Art. 99 PrVerfU v. 31.1.1850, PrGS 1850, 17: „Alle Einnahmen und Ausgaben des Staats müssen für jedes Jahr im Voraus veranschlagt und auf den Staatshaushalts-Etat gebracht werden. Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz festgestellt.“ zit. nach Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 484 [492] und S. 501 [512]. 353 § 109 der Reichsverfassung v. 4.3.1849: „Alle Einnahmen und Ausgaben des Reiches müssen jährlich in einem Voranschlage ersichtlich gemacht werden, welcher durch ein Gesetz festgestellt wird“, RGBl. 1849, S. 148. Vgl. Czoernig, Budget, Staatsrechnung und Controle (1866), S. 2: „Die Finanzperiode umfasst in Österreich ein Jahr, wie es bei einem so umfangreichen Gebiete und einem so ausgedehnten Verwaltungskörper die Natur der Dinge erfordert“, und S. 20. Seit 1772 kannte z. B. auch Schweden eine einjährige Finanzperiode, vgl. § 24 Fundamentalgesetz des Königreichs Schweden vom 21. August 1772, zit. nach von Nordenflycht, Die Schwedische Staats-Verfassung (1861). 354 § 2 Abs. 3 des Patents v. 1./2. September 1814: „Alle, […] directe und indirecte Abgaben sollen […] im Voraus bewilligt werden; alle directen Abgaben für den Zeitraum eines Jahres, die indirecten, nach Gutfinden, auf sechs Jahre hinaus“, zit. nach Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789, 1. Band, Leipzig 1832, S. 1012. 355 §§ 2 Abs. 1, 11 Verordnung über die ständische Verfassung des Fürstentums Schaumburg-Lippe v. 15. Januar 1816, zit. nach Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit, Bd. 1, Abt. 2, Leipzig 1832. 356 Art. 81 des Grundgesetzes für die vereinigte landschaftliche Verfassung v. 23. August 1829, zit. nach Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789, 1. Bd., Leipzig 1832, S. 847 f. 357 § 42 der Constitution v. 20. September 1809: „Einige Zeit vor jeder jährlichen Versammlung der landschaftlichen Deputation, entwirft das Landschaftscollegium die Etats aller ihm […] untergeordneten Kassen für das nächste Rechnungsjahr […]“, zit. nach Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789, 1. Band, Leipzig 1832, S. 746. 358 Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 94. 359 § 54 VerfU vom 22. August 1818: „Das Auflagengesetz wird in der Regel für zwey Jahre gegeben.“, StRegBl. 1818, S. 101, zit. nach Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 172 [179]. 360 § 154 VerfU vom 6. August 1840, PrGS 1840, S. 141, zit. nach Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 305 [319].
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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Jahre (Württemberg361, Hessen362, Sachsen363) oder sogar nur alle sechs Jahre (Bayern364, Sachsen-Coburg-Saalfeld365). Bei den mehrjährigen Etatperioden gab es zudem Unterschiede: Entweder es wurde für jedes einzelne Jahr der mehrjährigen Finanzperiode ein besonderer Etat aufgestellt, wie z. B. in Baden und Württemberg, oder ein und derselbe Etat galt gleichmäßig für jedes Jahr, wie in Bayern und Sachsen.366 Die Entwicklung ging jedoch überall in die Richtung kürzerer Finanzperioden. So verkürzten ab 1865 Bayern367 und ab 1868 Sachsen368 die Etatperiode auf zwei Jahre, Hessen ab 1900 auf ein Jahr369. Ab 1919 kannten fast alle Verfassungen der Länder – nach dem Vorbild der Reichsverfassung370 – einjährige Haushaltsperioden. Auf Ebene des Reichs galt das Prinzip der Jährlichkeit von Beginn an. So regelte die Reichsverfassung von 1871 in Art. 69 Abs. 1: 361
§ 112 VerfU vom 25. September 1819: „Der von den Ständen anerkannte und angenommene Haupt-Etat ist in der Regel auf drei Jahre gültig“, StRegBl. 1819, S. 634, zit. nach Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 187 [200]. 362 Art. 67 VerfU vom 17. Dezember 1820: „Ohne Zustimmung der Stände kann keine directe oder indirecte Auflage ausgeschrieben oder erhoben werden. Das Finanzgesetz, welches immer auf drey Jahre gegeben wird, […].“, HessRegBl. 1820, S. 535, zit. nach Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 221 [229]. Vgl. auch § 144 VerfU Kurhessen vom 5. Januar 1831, GVSlg. 1831, 1: „Die Verwilligung des ordentlichen Staatsbedarfes erfolgt in der Regel für die nächsten drei Jahre.“, zit. nach Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 238 [260]. 363 §§ 96–98 i. V. m. § 115 VerfU vom 4. September 1831, SächsGSlg. 1831, S. 241, zit. nach Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 263 [279, 283]. Vgl. Czoernig, Budget, Staatsrechnung und Controle (1866), S. 33. 364 Titel VII, § 5 VerfU Bayern v. 26. Mai 1818: „Die zur Deckung der ordentlichen beständigen und bestimmt vorherzusehenden Staats-Ausgaben […] erforderlichen directen Steuern werden jedesmal auf sechs Jahre bewilligt.“, BayGBl. 1818, S. 101, zit. nach Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 155 [166]. 365 § 68 Abs. 2 i. V. m. § 80 VerfU Sachsen-Coburg-Saalfeld v. 8. August 1821, zit. nach Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789, 1. Band, Leipzig 1832, S. 814, 816. 366 Seidler, Budget und Budgetrecht (1885), S. 120. 367 Titel VII, § 5 VerfU, i. d. F. d. G. v. 10. Juli 1865 (GBl. S. 137), vgl. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 155 [166, Fn. 32]. 368 G. v. 3. Dezember 1868, GVBl. S. 365, zit. nach Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 263 [283, Fn. 40]. 369 Art. 67 VerfU vom 17. Dezember 1820 i. d. F. des G. v. 27. Juni 1900, vgl. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 221 [229]. 370 Art. 69 RV v. 16.4.1871 (RGBl. S. 64) und Art. 85 WRV v. 11.8.1919 (RGBl. S. 1383).
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
„Alle Einnahmen und Ausgaben des Reichs müssen für jedes Jahr veranschlagt und auf den Reichshaushaltsetat gebracht werden.“
Nahezu unverändert bestimmte die Weimarer Verfassung in Art. 85 Abs. 1: „Alle Einnahmen und Ausgaben des Reichs müssen für jedes Rechnungsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingestellt werden.“ 2. Jährlichkeit und Jährigkeit im geltenden Recht
Aus historischer Perspektive hat die Jährlichkeit des Haushalts zwei Wurzeln: Zum einen die reine Periodizität, die sich vor allem auf die Kontrolle der staatlichen Wirtschaft und die Rechnungsprüfung bezog (wiederkehrende, häufig bereits jährliche371 Überprüfung der finanziellen Situation), und zum anderen die – auf den Demokratisierungsprozess zurückgehende – regelmäßige Bewilligung der Steuereinnahmen durch das Parlament, der in einem zweiten Schritt die periodische Bewilligung auch der Ausgaben folgte. Typisch für diesen zeitlichen Ablauf ist die Beobachtung Jèzes für die Verfassungsentwicklung in Frankreich: „Hinsichtlich der öffentlichen Ausgaben ordneten die Revolutionäre erst nach einem gewissen Zögern an, dass sie ebenfalls sämtlich jährlich festgesetzt werden sollten“372. a) Funktionen der Jährlichkeit Den historischen Ursprüngen entsprechen im Wesentlichen die modernen Funktionen der Jährlichkeit. Zum einen geht es darum, das Budgetrecht des Parlaments zu sichern. Das Parlament hat im Verhältnis zu den anderen an der Feststellung des Haushaltsplans beteiligten Verfassungsorganen eine überragende verfassungsrechtliche Stellung.373 Es trifft mit der Entscheidung über den Haushaltsplan, der Wirtschaftsplan und zugleich staatsleitender Hoheitsakt in Gesetzesform ist, eine wirtschaftliche Grundsatzentscheidung für zentrale Bereiche der Politik374. Erreicht wird die Sicherung des parlamentarischen Budgetrechts durch die Erteilung nur befristeter Ermäch371 Czoernig, Budget, Staatsrechnung und Controle (1866), S. 147 unterscheidet insoweit die „Finanzperiode“ vom „Verwaltungsjahr“ und stellt fest: „Das Verwaltungsjahr ist allenthalben auf eine zwölfmonatliche Dauer beschränkt, die aber an einem verschiedenen Zeitpuncte beginnt; in Oesterreich, Preussen, Frankreich, Belgien, Sachsen und Baden am 1. Jänner, in Württemberg am 1. Juli, in Baiern am 1. October“. 372 Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 20. 373 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [32]; BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [355]. 374 BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [355] mit Hinweis auf BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [32].
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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tigungen an die Exekutive und die verfassungsrechtliche Verpflichtung zur regelmäßig wiederkehrenden Planung der öffentlichen Finanzen. Zum anderen, im Rahmen der parlamentarischen Kontrolle und der Rechnungsprüfung, ermöglicht die Untergliederung der Haushaltswirtschaft in zeitliche Abschnitte (Haushaltsjahre) eine Vergleichbarkeit von Soll und Ist einer Periode, aber auch einen Vergleich verschiedener Abschnitte über einen längeren Zeitraum hinweg. Beide Funktionen finden sich in den Begriffen „Haushaltsjahr“ und „Rechnungsjahr“, die aber synonym gebraucht werden375, wieder. Das Grundgesetz376 zeichnet diese Zweiteilung in Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG nach: Der Haushalt ist „für ein oder mehrere Rechnungsjahre“ festzustellen, stets ist hierbei aber „nach Jahren getrennt“ zu veranschlagen und zu wirtschaften. Insbesondere ist daher der Haushalt auf das einzelne Jahr bezogen auszugleichen377. Die Pflicht (und das Recht) zur jährlichen Planung, § 1 BHO, wird hierbei als „Jährlichkeit“ bezeichnet, während die Verpflichtung, auch im Fall von Mehrjahreshaushalten nach Jahren zu trennen, § 4 BHO, zur besseren Unterscheidung mit dem Begriff „Jährigkeit“ (oder: „zeitliche Bindung“, § 45 Abs. 1 S. 1 BHO) belegt wird378. Auch hier wird aber häufig der Ausdruck „Jährlichkeit“ gewissermaßen als Oberbegriff gebraucht379. b) Haushaltsjahr gleich Kalenderjahr? In beiden Fällen entspricht das „Jahr“ im geltenden Recht dem Kalenderjahr380. Dies ergibt sich für Bund und Länder verbindlich aus § 4 S. 1 375 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 8; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 122. 376 Ähnlich die Verfassungen der Länder: Art. 79 Abs. 2 S. 1 BaWüVerf; Art. 78 Abs. 1, Abs. 3 BayVerf; Art. 85 Abs. 1 S. 1, arg. Art. 86 Abs. 1, 89 Abs. 1 S. 1 BerlVerf; Art. 101 Abs. 3 S. 1 BbgVerf; Art. 131 Abs. 2 S. 1 BremVerf; Art. 66 Abs. 1 S. 1, arg. Art. 67 Abs. 1 HmbVerf; Art. 139 Abs. 2 HessVerf; Art. 61 Abs. 1, 2 M-VVerf; Art. 65 Abs. 1, 4 NdsVerf; Art. 81 Abs. 3 S. 1 Verf NW; Art. 116 Abs. 2 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 2 SächsVerf; Art. 93 Abs. 2 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SchlHVerf; Art. 99 Abs. 1 S. 1 ThürVerf. 377 Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 110, Rn. 66; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 84; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 9; Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 12. 378 Vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 124. 379 Vgl. etwa Morell, Bundeshaushalt, § 4, S. 156: „Das Jährlichkeitsprinzip des § 4 BHO ist unabhängig von der Feststellung des Haushaltsplans nach § 1 BHO“; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 61. Vgl. auch Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 45 BHO, Anm. 1. 380 Für die BHO vgl. G. v. 29.12.1959, BGBl. I, S. 832.
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HGrG. Dass Rechnungs- und Kalenderjahr identisch sind, schreiben Grundgesetz und Länderverfassungen indes nicht ausdrücklich vor. So lief das Rechnungsjahr zwischen 1877 und 1960 vom 1. April bis zum 31. März381, nachdem der Beginn des Rechnungsjahres auf Ebene des Deutschen Reichs zuvor auf den 1. Januar datiert war382. Beide Anpassungen des Rechnungsjahres hatten ihre Ursachen in praktischen bzw. technischen Gründen der Haushaltsplanaufstellung und -beratung. Die ursprüngliche Identität von Rechnungs- und Kalenderjahr war durch das „Gesetz, betreffend das Etatsjahr für den Reichshaushalt“ v. 29. Februar 1876 beseitigt worden383, um dem Parlament nach Ende der Sommerpause einen längeren Zeitraum für die Haushaltsberatungen einzuräumen (ohne zugleich den Weihnachtsurlaub stören zu müssen)384. Rückgängig gemacht wurde diese Abweichung nach anfänglichem Widerstand der Länder385 mit dem „Gesetz zur Anpassung des Rechnungsjahres an das Kalenderjahr“ vom 29. Dezember 1959386, um einen „natürlichen Rhythmus“387 herzustellen, die „Bausaison rechtzeitig 381
§ 2 RHO: „Das Rechnungsjahr beginnt mit dem 1. April und schließt mit dem 31. März. Es wird benannt nach dem Kalenderjahr, in dem es anfängt.“, G. v. 31.12.1922, RGBl. 1923 II, S. 17; für den Bundesbereich in Kraft gesetzt durch die Vorläufige Haushaltsordnung vom 7.6.1950, BGBl. S. 199. Das Haushaltsgesetz 1961 v. 10.4.1961 (BGBl. II 357) trat dann mit Wirkung vom 1.1.1961 in Kraft. 382 Bei den Ländern war der Beginn des Rechnungsjahres bis 1920 nicht einheitlich. So wurde etwa in Bayern der Beginn des Rechnungsjahres durch G. v. 10.7.1865 (GVBl. S. 137) auf den 1. Januar festgesetzt, vgl. BT-Ds. II/1100, S. 210 f. 383 G. v. 29.2.1876, RGBl. S. 121. 384 Deutscher Reichstag, Aktenstück Nr. 179, Stenogr. Berichte, III. Session 1875/76, S. 630, http://mdz1.bib-bvb.de/cocoon/reichstag/Blatt_rtb044,0647.html: „[…] soll dem Umstande Rechnung getragen werden, daß für zahlreiche Mitglieder des Reichstags die Entfernung von ihrer Heimath, in einer Zeit, in welcher private und Amtsgeschäfte sich zu häufen pflegen, eine empfindliche Erschwerung bei der Ausführung ihres Mandats ist. […] Es wird sich empfehlen, den Beginn des Etatsjahres auf den 1. April zu verlegen, denn einerseits gewährt dieser Termin der Berathung des Etats durch den Reichstag in seiner in die ersten Monate des Jahres zu verlegenden regelmäßigen Session einen hinreichenden Zeitraum, andererseits würde ein späterer Beginn des Etatsjahres zur Folge haben, daß für die durch den Etat zu bewilligenden Bauten nicht mehr die volle Bauperiode des betreffenden Jahres ausgenutzt werden könnte“; vgl. auch Schulze/Wagner, RHO3 (1934), § 2 Anm. 2. Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 4 BHO, Anm. 1; vgl. auch BT-Ds. II/1100, S. 209. 385 Vgl. die ausführlichen Darlegungen in den Allgemeinen Vorbemerkungen zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1955, Denkschrift, BT-Ds. II/1100, S. 210 ff. Ein Grund für den Widerstand vor allem der Länder kann möglicherweise darin erblickt werden, dass ein Zusammenhang von Rechnungsjahr und dem Schuljahr hergestellt werden sollte. In den Länderhaushalten ist der Kulturhaushalt i. d. R. der umfangreichste Einzelplan, vgl. etwa die Haushaltsübersicht zum Landeshaushalt NRW, GVBl. 2006, S. 208. 386 G. v. 29.12.1959, BGBl. I, S. 832.
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vom beginnenden Frühjahr an auszunutzen“388, die Vergleichbarkeit mit den übrigen öffentlichen Körperschaften (z. B. Sozialversicherung), der privaten Wirtschaft und auf internationaler Ebene zu verbessern389 sowie das Rechnungsjahr dem Steuerjahr anzugleichen390. Auch heute gelten für Teilbereiche des Haushalts aber noch abweichende Wirtschaftsjahre. § 4 S. 2 HGrG lässt dies zu. So bestimmen die Verwaltungsvorschriften zu § 4 BHO für die Bewirtschaftung der bundeseigenen Forsten ein „Forstwirtschaftsjahr“ vom 1. Oktober bis zum 30. September391. Verfassungsrechtlich ist das unbedenklich392, da das Grundgesetz keine Festlegung auf das Kalenderjahr enthält393. Auch die Dauer des „Jahres“ (= zwölf Monate) soll verfassungsrechtlich nicht zwingend sein. So wurde zu Art. 110 Abs. 1 GG a. F. („Alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes müssen für jedes Rechnungsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingesetzt werden“)394 noch vertreten, dass hiermit keine unmittelbare Aussage über die Dauer des „Rechnungsjahres“ verbunden sei. Dieses könne auch einmal aus vierundzwanzig oder weniger als zwölf Monaten bestehen395. Aus Art. 110 Abs. 2 S. 3 GG a. F. 387
BT-Ds. II/1100, S. 216 sub III. 2. Rundschreiben des BMF v. 5.10.1950, II A h 1010 – 106/1950, zit. in der „Denkschrift betreffend Vorverlegung des Rechnungsjahres der öffentlichen Hand“, BT-Ds. II/1100, S. 207. Ähnlich äußert sich der Bundesrechnungshof im Schreiben v. 15.3.1951 (1700 Allg. 471/50): „Wegen der Schlüsselstellung der Bauwirtschaft […] hat die Frage auch volkswirtschaftliche Bedeutung. Eine Inangriffnahme der Bauarbeiten der öffentlichen Hand im zeitigen Frühjahr würde sich für Auftraggeber und Auftragnehmer vorteilhaft auswirken. […] Hieraus ergibt sich für die Bekanntgabe der für das Rechnungsjahr bereitstehenden Mittel (Verabschiedung des Haushalts) als zweckmäßiger und notwendiger Zeitpunkt der 1. Januar“, zit. nach BT-Ds. II/1100, S. 212 f. 389 BT-Ds. II/1100, S. 210, 214. In den übrigen europäischen Ländern (z. B. Frankreich, Belgien, Niederlande) und den internationalen Organisationen (NATO, OECD) entsprach das Rechnungsjahr weitgehend bereits dem Kalenderjahr. Im angloamerikanischen Raum ist das „fiscal year“ traditionell nicht mit dem Kalenderjahr identisch. So läuft das Rechnungsjahr in den USA vom 1. Oktober bis zum 30. September (bis 1977 vom 1. 7.–30. 6., s. http://www.whitehouse.gov/omb/budget/ fy2008/pdf/hist.pdf, S. 2), in Großbritannien und Kanada vom 1. April bis zum 31. März sowie in Australien vom 1. Juli bis zum 30. Juni. 390 BT-Ds. II/1100, S. 214 f. und BT-Ds. V/3040, S. 42 (Tz. 85); Morell, Bundeshaushalt, Bg-HR, S. 42. 391 Abgedruckt bei Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 4 BHO. Siehe auch § 74 Abs. 3 S. 2 BHO für Bundesbetriebe. 392 A. A. Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 4 BHO, Anm. 2. 393 Wie hier Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 64; Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 12. 394 Grundgesetz i. d. F. v. 23.5.1949, BGBl. S. 1. 395 Vialon, Haushaltsrecht2, S. 307 f., Teil D I. § 2. 388
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(„Die Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr bewilligt; sie können in besonderen Fällen auch für einen längeren Zeitraum bewilligt werden“) ergebe sich jedoch systematisch, dass sich das Bonner Grundgesetz im Grundsatz für das zwölfmonatige Rechnungsjahr entschieden habe396. Folgte man diesem Ansatz, so dürfte nach der Neufassung des Art. 110 GG im Jahr 1969397, mit der eine „Aufgabe“ des Jährlichkeitsgrundsatzes „in der bisherigen Form“398 angestrebt wurde, und dem Wegfall des systematischen Arguments aus Art. 110 Abs. 2 S. 3 GG a. F., umso weniger die Festlegung auf ein zwölfmonatiges Rechnungsjahr aus der Verfassung abzuleiten sein. Mit dem Wortlaut „Jahr“ ist eine solche Auslegung indes – unabhängig von systematischen, historischen399 und teleologischen Erwägungen, die gleichfalls für eine Zwölfmonatsperiode sprechen – kaum vereinbar. Während Beginn und Ende des „Jahres“ abweichend vom Kalenderjahr parallel verschoben werden können, ist eine abweichende Regelung der Dauer eines Jahres von Verfassungs wegen kaum möglich. Anderenfalls hätte das Grundgesetz statt „Rechnungsjahr“ wohl auch den neutraleren Begriff „Rechnungsperiode“ verwendet; 24monatige Rechnungsperioden werden von der Formulierung „mehrere Rechnungsjahre“ erfasst. Wenn Art. 110 Abs. 2 S. 2 GG die Möglichkeit eröffnet, „für Teile des Haushaltsplanes“ eine Geltung „für unterschiedliche Zeiträume, nach Rechnungsjahren getrennt“ anzuordnen400, sind diese „Zeiträume“ systematisch und teleologisch ebenfalls als ganze Jahre auszulegen401. Vialon, Haushaltsrecht2, S. 308, Teil D I. § 2. G. v. 12.5.1969, BGBl. I S. 357. 398 BT-Ds. V/3040, S. 45 (Tz. 108). Gemeint ist die Zulassung von Mehrjahres(Doppel-)haushalten in Art. 110 Abs. 2 GG n. F. 399 s. auch oben Fn. 370 (S. 93). 400 Die nach Rechnungsjahren getrennte Feststellung ist auch vorgeschrieben, wenn nach Art. 110 Abs. 2 Satz 2 nur Teile des Haushaltsplans für zwei oder mehrere Jahre gelten sollen. Es wäre daher möglich, einen Teil des Haushaltsplans für ein Jahr, einen anderen für zwei Jahre, einen weiteren für drei Jahre usw. festzustellen (s. aber § 9 HGrG). Hinsichtlich der Geltungsdauer der Teile gibt es verfassungsrechtlich wieder verschiedene Möglichkeiten. Die Zeiträume können jeweils unterschiedlich sein, es kann aber auch eine Überlappung in der Weise vorgesehen werden, dass die Teile zwar für die gleichen Zeiträume gelten, die Bewilligungszeiträume für die Teile aber in aufeinander folgenden Rechnungsjahren beginnen, vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 65. 401 Anderenfalls wäre der zusammenfassende Vergleich nicht möglich, vgl. Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 11; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 49. Das Ausgleichsgebot ist dann für die einzelnen Teile des Haushaltsplans anzuwenden, soweit diese zeitlich parallel liegen, d.h. in das selbe Jahr fallen. Bei einer Feststellung des Haushaltsplans, oder Teilen davon, für mehrere (i. E. zwei, § 9 HGrG) Jahre, ist der Ausgleich für das einzelne, 396 397
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Der Sinn und Zweck der Jährlichkeit besteht darin, der Volksvertretung periodisch aufs Neue eine Einsichtnahme in die konkrete Haushaltspolitik zu ermöglichen und ihr in regelmäßigen, kurzen Zeitabständen das Recht zur Mitsprache und vor allem zur Kontrolle über die Staatsausgaben zu geben402. Diesem Zweck muss die Dauer des „Jahres“ entsprechen. Eine zu lange Zeitdauer ist einer genauen Direktion und scharfen Kontrolle abträglich: Je kürzer die Periode, desto intensiver die Kontrolle, umso öfter die Möglichkeit zu Protest, Verweigerung und Verhandlungsprozessen403. Das Jährlichkeitsprinzip gilt daher auch als notwendige Voraussetzung für die Wahrung des Budgetrechts404. Der Verlust der Budgetjährlichkeit ist seit jeher politisches Warnzeichen: Verschwindet die jährliche Zäsur der Finanzen, so sind das Umwälzungsfolgen, tritt sie wieder schärfer hervor, so sind es staatliche Gesundungszeichen405. Mit zunehmender Länge des Veranschlagungszeitraumes wachsen zudem die Schwierigkeiten, einigermaßen verlässliche Vorausschätzungen vorzunehmen, so dass auch der Grundsatz der Haushaltswahrheit betroffen ist406. Häufig muss im Fall der Doppelhaushalte während der laufenden Haushaltsperiode versucht werden, eine Anpassung im Wege der Verabschiedung von Nachtragshaushalten zu erreichen407. Gleichzeitig darf der „Aufwand“ für die regelmäßige Haushaltsauf- und -feststellung aber auch nicht außer Verhältnis zu dem erstrebten Gewinn an Kontrolle stehen. Bereits die Aufstellung des Haushaltsentwurfs im sog. ganze Jahr herzustellen, Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 11; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 49. Den einzig in Betracht kommenden Fall umschreibt § 9 Abs. 2 S. 1 HGrG: „Der Haushaltsplan kann in einen Verwaltungshaushalt und in einen Finanzhaushalt gegliedert werden; beide können jeweils für zwei Haushaltsjahre, nach Jahren getrennt, aufgestellt werden.“ Auf Bundesebene ist von dieser Möglichkeit nur für den Verwaltungshaushalt 1971 Gebrauch gemacht worden, vgl. Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 23. 402 Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 122; Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 94, 136; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 60. 403 Dreier, Kampf um das Budgetrecht, S. 81. 404 v. Köckritz/Ermisch/Lamm, BHO, Erl. zu. § 1, Rn. 1; Krause, Das Jährlichkeitsprinzip, in: FS Meusel, S. 125 [133]. 405 Heinig, Das Budget II, S. 1 f.; Krause, Das Jährlichkeitsprinzip, in: FS Meusel, S. 125 [133]. 406 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 61. 407 Vgl. hierzu das Beispiel des nordrhein-westfälischen Doppelhaushalts 2004/05 (G. v. 3.2.2004, GVBl. NW 2004, S. 64–78): Bereits im Juli 2004 wurde ein erster Nachtragshaushalt für 2004 verabschiedet (G. v. 21.7.2004, GVBl. NW 2004, S. 399), im März 2005 ein zweiter Nachtragshaushalt für 2004 (G. v. 1.3.2005, GVBl. NW 2005. S. 62) und zugleich ein erster Nachtragshaushalt für 2005 (G. v. 1.3.2005, GVBl. NW 2005, S. 69). Ein zweiter Nachtragshaushalt für 2005 ist dann noch kurz vor Ablauf des Haushaltsjahres am 15.12.2005 festgestellt worden (G. v. 15.12.2005, GVBl. NW 2005, S. 936 – alle online unter http://sgv.im.nrw.de/).
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„vorletzten“ Jahr408 erstreckt sich für den Bundeshaushalt regelmäßig über acht Monate409. Das parlamentarische Verfahren dauert, trotz der gleichzeitigen Zuleitung an Bundesrat und Bundestag gem. Art. 110 Abs. 3 GG410, von Anfang September bis zum Ende des jeweiligen Vorjahres411. Die Zeiträume auf Länderebene sind vergleichbar. Die Periode darf daher auch nicht zu kurz sein. Zwar ist die Zeitplanung in der Praxis auf den jährlichen Rhythmus abgestimmt, so dass nicht sicher zwischen Ursache und Wirkung unterschieden werden kann. Der zeitliche Aufwand für die Bedarfsermittlung und für die parlamentarischen Beratungen ist aber weitgehend unabhängig von dem zu beplanenden Zeitraum und lässt sich auch nicht beliebig vermindern. Die verfassungsrechtliche Entscheidung für ein Haushaltsjahr ist damit zwar nicht zwingend, aber auch nicht willkürlich. Es sprechen, abgesehen von der haushaltsrechtlichen Tradition, durchaus sachliche Gründe für die Festlegung auf zwölf Monate, vom 1. 1. bis zum 31. 12. eines jeden Jahres412. Ein Verstoß gegen das Jährlichkeitsprinzip, das nicht von den Ausnahmen in Art. 110 Abs. 2 Satz 2 gerechtfertigt ist, macht den Haushaltsplan und das ihm zugrunde liegende Haushaltsgesetz verfassungswidrig und nichtig. Vergegenwärtigt man sich, dass das Parlament im Rahmen der Haushaltsgesetzgebung kein Initiativrecht hat413, wäre eine „Selbstentmündigung des 408
Zum Begriff vgl. Nr. 1.1.2 der HRB (= haushaltstechnische Richtlinien des Bundes); Morell, Bundeshaushalt, S. 377; Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 291. 409 Vgl. die Übersicht zur Haushaltsaufstellung 2006, in: Bundesministerium der Finanzen, Das System der Öffentlichen Haushalte, Berlin 2006, S. 13–17. (Online abrufbar unter http://www.bundesfinanzministerium.de/lang_de/DE/Service/Down loads/Abt__II/001,templateId=raw,property=publicationFile.pdf). 410 Zur beabsichtigten Beschleunigung vgl. den schriftlichen Bericht des Abgeordneten Arndt zu BT-Ds. V/3605, S. 11, Nr. 3; s. auch Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 93. 411 Nr. 1.1.2 der HRB, s. o. Fn. 408 (S. 100); Morell, Bundeshaushalt, S. 377. 412 s. bereits die Nachweise oben Fn. 384 ff. (S. 96). 413 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [29, 46]; BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [357]; Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 355 ff.; Stern, StaatsR II, § 49 IV 3, S. 1212; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 14; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 20; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 75; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 34; Fricke, DVBl. 1975, 604 [605]; krit. hingegen Fricke, DÖV 1978, 486 [Fn. 5]; a. A. v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 62. Einige Landesverfassungen regeln das Initiativrecht explizit, s. Art. 50 Abs. 3 SchlHVerf; Art. 66 Abs. 2 S. 1 HmbVerf; Art. 61 Abs. 3 M-VVerf; Art. 93 Abs. 3 VerfLSA. Auch Änderungen bereits verabschiedeter Haushaltsgesetze können nur von der Regierung initiiert werden, s. auch bereits oben S. 64 (Fn. 209).
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Parlaments“414 durch längere Haushaltsperioden mit der Steuerungs- und Kontrollfunktion des parlamentarischen Budgetrechts nicht vereinbar.415 c) Zeitliche Bindung und Spezialität (Jährigkeit) Das Jährlichkeitsprinzip verlangt, dass alljährlich für jedes Rechnungsjahr (Haushaltsjahr) gesondert ein Haushaltsplan auf- und festgestellt wird.416 Es bezieht sich auf den Haushaltskreislauf, also auf das Verfahren, an dessen Ende der verabschiedete und in Kraft gesetzte Haushalt steht. Demgegenüber zielt der Haushaltsgrundsatz der Jährigkeit auf den Inhalt des Haushaltsplans und mittelbar auf den Inhalt auch des (übrigen) Haushaltsgesetzes. Die Haushalte sind nach Jahren zu trennen, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG417. 414
Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 122. Ein gelegentlich diskutiertes Sonderproblem ist die Frage, ob die Haushaltsperiode zugleich durch die Länge der Legislaturperiode zu begrenzen ist. So geht Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 61 davon aus, dass die Haushaltsperiode keinesfalls die Dauer einer Wahlperiode überschreiten dürfe, da ansonsten das Budgetrecht des Bundestages weitgehend entwertet würde (krit. Heintzen, in: v. Münch/ Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 9). – Hier wird zu differenzieren sein: Wenn etwa direkt zu Beginn einer Wahlperiode (Dauer: vier Jahre, Art. 39 Abs. 1 GG) versucht würde, einen Fünfjahreshaushalt zu verabschieden, wäre dies (ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 HGrG und) sicherlich nicht vereinbar mit dem Budgetrecht des Parlaments. Zwar lässt Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG, der dieses Budgetrecht zu sichern bestimmt ist, Mehrjahreshaushalte zu. Anders als im Fall „normaler“ Gesetze führte das fehlende Initiativrecht des Parlaments hier aber zu einer Selbstbindung des Gesetzgebers, die mit dem Prinzip der Demokratie als Herrschaft auf Zeit (Pieroth, in: Jarass/Pieroth9, Art. 20, Rn. 15) wohl nicht zu vereinbaren wäre. Anders liegt der Fall aber, wenn ein an sich zulässiger Zweijahreshaushalt, oder ein Einjahreshaushalt, der ja den Normalfall darstellt, über die Wahlperiode hinausreicht: Da jeder Haushalt von Verfassungs wegen das gesamte Jahr beplant und beplanen muss („nach Jahren getrennt“, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG), findet eine solche Überschreitung der Wahlperiode regelmäßig alle vier Jahre statt. Sie kann daher schwerlich unzulässig sein. – In der Praxis wird versucht, diese fehlende zeitliche Synchronisierung von Haushaltsund Wahlperiode „abzufedern“, indem etwa ein neuer Haushaltsentwurf erst nach den Wahlen eingebracht wird. Soweit die Wahlen einen Regierungswechsel zur Folge haben, bleibt es der „neuen“ Regierung im Übrigen unbenommen, einen Nachtragshaushalt für den Rest des laufenden Haushaltsjahres einzubringen. Insgesamt ist das Problem aufgrund der „Harmonie der politischen Richtung“ (C. Schmitt, Verfassungslehre (1928), S. 338) von Regierung und Parlament auch unter Berücksichtigung des beschränkten Initiativrechts kein schwerwiegendes. 416 Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 122. 417 Vgl. Art. 79 Abs. 2 S. 1 BaWüVerf; Art. 78 Abs. 1 BayVerf; Art. 85 Abs. 1 S. 1 BerlVerf; Art. 101 Abs. 3 S. 1 BbgVerf; Art. 131 Abs. 2 S. 1 BremVerf; Art. 66 Abs. 1 S. 1 HmbVerf; Art. 139 Abs. 2 HessVerf; Art. 61 Abs. 1 S. 1 M-VVerf; Art. 65 Abs. 1 S. 1 NdsVerf; Art. 81 Abs. 3 S. 1 Verf NW; Art. 116 Abs. 2 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 2 S. 1 Sächs415
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
Im Hinblick auf den Adressaten der Jährigkeit lassen sich zeitliche Bindung und zeitliche Spezialität unterscheiden. Das Prinzip der zeitlichen Bindung bezieht sich auf die Phase des Haushaltsvollzugs, auf den Geltungszeitraum des jeweiligen Haushalts. Ausgabe- und Verpflichtungsermächtigungen dürfen nur bis zum Ende des Haushaltsjahres in Anspruch genommen werden, für das sie veranschlagt sind; anschließend verfallen sie grundsätzlich, d.h. soweit nichts anderes bestimmt ist, ersatzlos.418 Wie im Fall der sachlichen und der Betragsbindung419 ist die zeitliche Bindung daher zunächst nur eine Bindung der Exekutive an die Vorgaben des Haushaltsgesetzes bzw. des Haushaltsplans (Vorrang des Gesetzes). Einfach-gesetzlich ist die zeitliche Bindung im dritten Teil der BHO („Ausführung des Haushaltsplans“) geregelt: Gem. § 45 Abs. 1 S. 1 BHO dürfen Ausgaben „nur bis zum Ende des Haushaltsjahres geleistet“ werden. Da die BHO den Gesetzgeber aber nicht bindet, steht § 45 Abs. 1 S. 1 BHO einer abweichenden gesetzlichen Regelung im Haushaltsgesetz nicht entgegen (§ 45 Abs. 2 S. 1 BHO hat insoweit nur deklaratorischen Charakter). § 15 Abs. 1 S. 2 HGrG lässt es zu, Ausgaben im Haushaltsplan für übertragbar zu erklären, wenn dies ihre wirtschaftliche und sparsame Verwendung fördert420. Dauergesetzlich ermöglicht § 19 Abs. 1 S. 1 BHO eine Übertragung von „Ausgaben für Investitionen und Ausgaben aus zweckgebundenen Einnahmen“421, vgl. § 15 Abs. 1 S. 1 HGrG. Die „Jährigkeit“ Verf; Art. 93 Abs. 2 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 1 S. 1 SchlHVerf; Art. 99 Abs. 1 S. 1 ThürVerf. 418 Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 126. 419 s. bereits oben, S. 54 f. 420 Eine Übertragbarkeit kann, obwohl § 15 Abs. 1 S. 2 HGrG vom Haushaltsplan spricht, erst recht im Haushaltsgesetz vorgesehen werden. Der Bund hat die von der Neufassung des § 15 Abs. 1 S. 2 HGrG (§ 19 Abs. 1 S. 2 BHO) angestrebte Flexibilisierung erstmals im Bundeshaushalt 1998 umgesetzt und in § 5 Abs. 4 HG 1998 allgemein die Übertragbarkeit eines Teils der Ausgaben der Hauptgruppen 4 (Personalausgaben) und 5 (Sächliche Verwaltungsausgaben) zugelassen, vgl. Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 19 BHO, Anm. 3. Im Bundeshaushalt 2006 ist gem. § 5 HG 2006 (G. v. 24.7.2006, BGBl. I S. 1634) in 108 Kapiteln ein Volumen von 14,8 Mrd. e (rd. 5,7% der Gesamtausgaben) flexibilisiert (vgl. die Haushaltsübersicht http://www.bundesfinanzministerium.de/bundeshaushalt2006/html/vsp2i-i.html). Die Flexibilisierungsinstrumente beziehen sich dabei in der Regel auf den Bereich der Verwaltungsausgaben im engeren Sinne, d.h. auf die Personal- und Sachausgaben der Behörden. Für Programmausgaben (z. B. soziale Sicherung, Subventionen. Zu den Programmausgaben gehören auch Investitionen, hier greift jedoch § 19 Abs. 1 S. 1 BHO), die den Schwerpunkt des Bundeshaushaltes ausmachen, werden ggf. im Einzelfall Übertragungsvermerke angebracht. 421 Im Bereich der Investitionen (Hauptgruppen 7 und 8) wird eine Übertragbarkeit der Ausgaben für eine kontinuierliche Haushaltswirtschaft in besonderem Maße
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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im Sinne der zeitlichen Bindung kann als Auslegungsregel für das jeweilige Haushaltsgesetz angesehen werden: Eine zeitliche Bindung an die Ansätze des Haushaltsplans besteht auch dann, wenn das Haushaltsgesetz sie nicht explizit anordnet. Die verfassungsrechtliche Festlegung auf ein Haushaltsjahr begrenzt jedoch auch den Spielraum des Gesetzgebers. Entsprechend der Terminologie im Bereich der sachlichen „Bindung“ und „Spezialität“422 fordert die zeitliche Spezialität vom Gesetzgeber eine „Trennung nach Jahren“, Art. 110 Abs. 2 GG423. Dies bedeutet zugleich, dass für jedes Jahr ein Haushalt aufzustellen ist. Soweit das Gesetz etwa in den §§ 15, 27 HGrG und §§ 19, 45 BHO bzw. in den Haushaltsplänen Ausnahmen vorsieht, sind diese verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, z. B. durch das Ziel einer wirtschaftlichen und sparsamen Mittelverwendung, vgl. § 15 HGrG. Auch besteht ein Einschätzungs- und Prognosespielraum des Gesetzgebers, solange die Möglichkeiten der Übertragbarkeit auf Ausnahmen reduziert bleiben. Stern hat in diesem Zusammenhang treffend formuliert: für notwendig gehalten. Welche Investitionen aus Zeitgründen nicht abgewickelt werden konnten, ist i. d. R. erst nach Ablauf des Haushaltsjahres erkennbar. Zu dieser Zeit muss indes das Aufstellungsverfahren für das folgende Haushaltsjahr bereits abgeschlossen sein. Wenn die Mittel nicht im Wege des Nachtragshaushalts oder als über- und außerplanmäßige Ausgaben bereitgestellt werden, ließen sich die Investitionsvorhaben ohne die Regelung des § 19 Abs. 1 S. 1 BHO erst im übernächsten Haushaltsjahr fortsetzen, vgl. Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 19 BHO, Anm. 2. 422 s. oben S. 54 f. und Fn. 149 (S. 54). Vgl. auch Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 105 einerseits und Rn. 108 andererseits. Ähnlich VerfGH NW, Urteil v. 3.5.1994, VerfGH 10/92, OVGE 44, 278 [280]: Spezialisierung als „Befugnis und die Pflicht des Haushaltsgesetzgebers“. Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 15, S. 590 f. fasst indes auch die zeitliche Bindung der Exekutive an die Vorgaben des Haushaltsgesetzes und Haushaltsplans unter den Begriff der zeitlichen Budgetspezialität. Unter finanzwissenschaftlichen Aspekten ist eine begriffliche Unterscheidung des Gebots an den Haushaltsgesetzgeber, nach Jahren zu trennen, und vom Gesetzgeber an die Exekutive, Ausgaben nur innerhalb des Zeitraums zu leisten, für den sie budgetmäßig bewilligt sind, wenig sinnvoll. Die Wirkungen beider Prinzipien auf die öffentliche Haushaltswirtschaft sind gleich. Aus der vom Haushaltsgesetzgeber vorgenommenen zeitlichen Spezialisierung der Ansätze folgt für den Haushaltsvollzug die zeitliche Bindung. Für die juristische Betrachtung indes erscheint die auch terminologische Unterscheidung beider Konstellationen notwendig. 423 Art. 79 Abs. 2 S. 1 BaWüVerf („nach Jahren getrennt“ †); Art. 78 Abs. 1 BayVerf („für jedes Jahr“ ‡); Art. 85 Abs. 1 S. 1 BerlVerf ‡; Art. 101 Abs. 3 S. 1 BbgVerf †; Art. 131 Abs. 2 S. 1 BremVerf †; Art. 66 Abs. 1 S. 1 HmbVerf ‡; Art. 139 Abs. 2 HessVerf ‡; Art. 61 Abs. 1 S. 1 M-VVerf ‡; Art. 65 Abs. 1 S. 1 NdsVerf ‡; Art. 81 Abs. 3 S. 1 Verf NW †; Art. 116 Abs. 2 S. 1 RhPfVerf †; Art. 105 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf †; Art. 93 Abs. 2 S. 1 SächsVerf †; Art. 93 Abs. 2 S. 1 VerfLSA †; Art. 50 Abs. 1 S. 1 SchlHVerf ‡; Art. 99 Abs. 1 S. 1 ThürVerf †.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
„Die Frage ist nur, in welchen Grenzen die Bindung zu Gunsten der Flexibilität aufgegeben werden darf, ohne dass dadurch die parlamentarische Budgetbewilligung denaturiert wird.“424
Die Prinzipien der Jährlichkeit und Jährigkeit haben eine gewisse Ähnlichkeit, sind aber nicht identisch425. Beide bestehen nebeneinander und ergänzen sich. Aus der zeitlichen Begrenzung des beplanten Zeitraums ergibt sich die Notwendigkeit einer wiederkehrenden Planung, die wiederkehrende Planung wird abgesichert durch eine zeitlich begrenzte Ausgaben- und Kreditermächtigung. Abhängig vom jeweiligen Blickwinkel tritt das eine oder andere Prinzip in den Vordergrund. Für die historische Entwicklung des Haushaltsrechts ist die Jährlichkeit der bestimmende Faktor. In der konstitutionellen Monarchie, die durch den Dualismus von Krone und Volksvertretung geprägt war, sicherte sie den Einfluss des Parlaments. Unter finanzund verwaltungswissenschaftlichen Aspekten ist hingegen die Jährigkeit als inhaltliche Vorgabe für den Haushalt vorrangig. Neumark hält unter diesem Aspekt426 die Jährlichkeit als Budgetprinzip sogar für verzichtbar: „Damit wird selbstverständlich nicht die Notwendigkeit geleugnet, die haushaltsmäßigen Voranschläge in ihrer zeitlichen Geltung stets genau zu begrenzen. Aber dieses Merkmal, das ja explicite schon im Budgetbegriff enthalten ist, bedarf nicht einer besonderen Formulierung in Gestalt eines Grundsatzes des Budgetwesens, der von dem der zeitlichen Spezialität verschieden wäre.“427
d) Trennung nach Jahren und überjährige Betrachtung Für die Haushaltspraxis sind die Grundsätze der zeitlichen Spezialität (bezogen auf die Haushaltsgesetzgebung) und der zeitlichen Bindung (bezogen auf den Haushaltsvollzug) ebenfalls von größerer Tragweite. Während die Jährlichkeit im Rahmen der Haushaltsaufstellung nur einen Zwang zur 424
Stern, StaatsR II, § 50 III 6, S. 1244. Vgl. bereits Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 15, S. 590 f. 426 Schief daher v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 87, Fn. 7. Das sog. „Dezemberfieber“, also das Phänomen der ineffizienten Mittelbewirtschaftung durch Ausschöpfen der zugewiesenen Haushaltsmittel vor Ende des Haushaltsjahres, ist ein Problem der „Jährigkeit“, der zeitlichen Bindung der Haushaltsmittel. Parallel dazu ist auch das „Jährlichkeitsdenken“ (v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 87) nicht auf die jährliche Beratung zurückzuführen. Das Problem einer „kurzfristigen Denkweise“, die darauf abstellt, ob im laufenden Rechnungsjahr Deckungsmöglichkeit besteht, kann demnach auch nicht durch die Ermöglichung von Doppelhaushalten gelöst werden. Auch hier besteht die Trennung nach Jahren fort (zeitliche Spezialität). Vgl. hierzu Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 172 f. 427 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 7 2 b) b), S. 574. 425
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regelmäßigen Planung schafft und damit eine ohnehin nötige Aufgabe zeitlich strukturiert, haben die starren Grenzen zwischen den Haushaltsjahren erhebliche Auswirkungen auf die finanziellen Spielräume des Haushaltsgesetzgebers und die Art und Weise der exekutiven Mittelbewirtschaftung. aa) Wirkungen einer Trennung nach Jahren Im Haushaltsvollzug gelingt es nicht immer, alle Ausgabeermächtigungen während des laufenden Haushaltsjahres auszuschöpfen. Zeitprobleme können sich z. B. daraus ergeben, dass bereits bei der Veranschlagung der voraussichtliche Fälligkeitstermin von Ausgaben falsch eingeschätzt wird und in der Phase des Haushaltsvollzugs revidiert werden muss428. Zudem führt die in der zeitlichen Bindung angelegte „Gefahr“, zugewiesene Mittel nach Ablauf des Haushaltsjahres zu „verlieren“ und ggf. im folgenden Haushaltsjahr Kürzungen hinnehmen zu müssen, häufig zu einer ineffizienten Mittelbewirtschaftung, wenn etwa die Verwaltung im Haushaltsvollzug unnötige Ausgaben vorzieht (sog. „Dezemberfieber“)429. Auf Ebene der Gesetzgebung steht die Trennung nach Jahren in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Forderung nach Kontinuität und Stetigkeit der öffentlichen Finanzwirtschaft, vgl. Art. 109 Abs. 3 GG, § 9 StabG, §§ 49 ff. HGrG („mittelfristige Finanzplanung“). Die starre Trennung nach Jahren kann kurzfristiges, auf das einzelne Jahr bezogenes Denken fördern, eine die größeren Problem- und Lösungszusammenhänge reflektierende Sicht auf den Haushalt behindern („Scheuklappen“) und die Umsetzung längerfristiger finanz- und wirtschaftspolitischer Zielvorstellungen verkomplizieren. Erst eine überjährige Finanzplanung versetzt Regierung und Par428 Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 19 BHO, Anm. 1; Mießen, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 19 BHO, Anm. 1. 429 Zur Ineffizienz der Mittelbewirtschaftung vgl. Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 15, S. 591; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 173. – Insbesondere zur Linderung dieses „Dezemberfiebers“ dienen die „flexiblen Budgetierungsinstrumente“, die Ausnahmen von der Bindung an den haushaltsjährlichen Verfügungszeitraum in §§ 15, 27 HGrG und §§ 19, 45 BHO. Die in der Regel starre Bindung an die auf das Jahr befristete Ausgabenermächtigung im Haushaltsplan wird hier teilweise durchbrochen. So können Ausgaben im Haushaltsplan für übertragbar erklärt werden, § 15 Abs. 1 S. 2 HGrG (sog. gekorene Übertragbarkeit). Für Ausgaben für Investitionen und Ausgaben aus zweckgebundenen Einnahmen hat der Gesetzgeber eine Übertragung mit einer entsprechenden Regelung in der jeweiligen Haushaltsordnung (z. B. § 19 Abs. 1 S. 1 BHO) allgemein zugelassen (sog. geborene Übertragbarkeit). Zudem können im Haushaltsvollzug mit Zustimmung des Bundesministeriums der Finanzen gem. § 45 Abs. 2, 3 BHO Ausgabereste gebildet werden, die für die jeweilige Zweckbestimmung über das Haushaltsjahr hinaus verfügbar bleiben, vgl. Gatzer, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 45 BHO, Anm. 4; Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 45 BHO, Anm. 3.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
lament in die Lage, ihre haushaltspolitischen Entscheidungen, insbesondere über größere haushaltswirtschaftliche Maßnahmen wie umfangreiche Investitionsvorhaben, mit Rücksicht auf die daraus folgenden Konsequenzen für das Haushaltsvolumen und den Haushaltsausgleich über einen längeren Zeitraum zu treffen.430 Die Trennung nach Haushaltsjahren scheint zudem die Tatsache zu ignorieren, dass sowohl Einnahmen als auch Ausgaben laufend anfallen und sich nicht an den Jahresrhythmus halten. So sind viele Steuern431, etwa die Einkommensteuer (§§ 36 Abs. 1, 25 Abs. 1 EStG), zwar konzeptionell Jahressteuern, die Steuergesetze aber sind – anders als noch zur Zeit der „Erfindung“ der Jährlichkeit, im Frühkonstitutionalismus des 19. Jahrhunderts432 – Dauergesetze. Die Steuereinnahmen sind teilweise verstetigt (§§ 37 Abs. 1, 38 Abs. 2 S. 1 EStG), teilweise ist es aber auch zufällig oder jedenfalls nicht vorhersehbar, ob Steuereinnahmen noch im Dezember eines Jahres oder erst im Januar des folgenden Haushaltsjahres kassenwirksam werden (z. B. bei der Kapitalertragsteuer, § 44 Abs. 1 S. 2 EStG433). Die Jahresgrenzen spielen bei den staatlichen Einnahmen nur selten eine Rolle. Auch die Ausgaben passen häufig nicht in das Jahresraster. Zum einen gibt es eine Vielzahl von Ausgabeprojekten, etwa größere Investitionsvorhaben, die sich über einen längeren Zeitraum (mehrere Haushaltsjahre) hinziehen. Zum anderen führen hohe Bindungsgrade (‡ 90% )434 im Haushalt dazu, dass der Gesetzgeber kaum Spielräume hat, das jeweilige Haushaltsjahr als solches gestalterisch zu beplanen435. 430 Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 99; Stern, StaatsR II, § 45 IV 4 a), S. 1082 ff. 431 Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 151; ders., in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 174. 432 Vgl. Vogel/Waldhoff, in: Bonner Kommentar, GG, Vorbem. zu Art. 104a–115, Rn. 38; zur Entwicklung in Preußen s. Thier, Steuergesetzgebung und Verfassung in der konstitutionellen Monarchie, S. 72 ff. und passim. 433 Die Kapitalertragsteuer entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen, § 44 Abs. 1 S. 2 EStG. Als weiteres Beispiel können die Körperschaftsteuererstattungen in der Phase des Übergangs vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren angeführt werden (§§ 36 ff. EStG), vgl. hierzu Birk, Steuerrecht10, Rn. 1042, 1104; Birk/Desens, StuW 2004, 97 [102 ff.]. 434 Auf Bundesebene werden die Bindungsgrade aufgrund bestehender rechtlicher Verpflichtungen zu Beginn eines jeden Haushaltsjahres auf rd. 90% der Gesamtausgaben des Haushalts geschätzt. Diese Bindung erhöht sich im Haushaltsvollzug regelmäßig noch weiter, vgl. BT-Ds. 13/8310, S. 11. Für die Haushalte der Länder dürften ähnliche, aufgrund des großen Anteils der Personalkosten möglicherweise noch höhere Werte gelten. In seiner Rede zur Einbringung des Doppelhaushalts 2002/03 geht der Finanzsenator Sarrazin von einem „Erfahrungswert“ von 95% aus, http://www.berlin.de/landespressestelle/archiv/200204/18/04836/index.html.
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bb) Sinn und Zweck einer Trennung nach Jahren Trotz dieser aus der Periodizität des Haushalts folgenden Schwierigkeiten macht es Sinn, die Trennung nach Jahren grundsätzlich beizubehalten und nicht etwa zu Gunsten eines nur in unregelmäßigen Abständen anzupassenden „Dauerhaushaltsgesetzes“ aufzugeben436. Die im geltenden Haushaltsrecht zugelassenen flexiblen Budgetierungsinstrumente, insbesondere die Möglichkeit, Ausgaben im Haushaltsplan für übertragbar zu erklären437, können in den vorrangig betroffenen Teilbereichen des Haushalts (Investitionen, sächliche Verwaltungsausgaben) wirksam gegensteuern438. Kontinuität in der öffentlichen Finanzwirtschaft kann im Übrigen bereits durch die unverbindlichen439 mehrjährigen Finanzpläne (§§ 49 ff. HGrG) erreicht 435 Nach Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 175, gleichen die fachgesetzlich, also in Dauergesetzen festgelegten Ausgabeverpflichtungen haushaltsrechtlich „trojanischen Pferden“: Nach § 3 Abs. 2 BHO [eine Bindung des Haushaltsgesetzgebers ergibt sich indes nur durch den gleichlautenden § 3 Abs. 2 HGrG, vgl. oben S. 38, d. Verf.] dürften solche fachgesetzlichen Verpflichtungen durch den Haushaltsplan nicht abgeändert oder aufgehoben werden, sondern würden nur prognostizierend übernommen. Ähnlich bereits Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 4; v. Stein, Lehrbuch der Finanzwissenschaft5, Bd. 1 (1885), S. 199 f. 436 Ähnlich bereits Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 B § 3, S. 561: „Das grundsätzliche Festhalten an der Budgetjährlichkeit im Sinne einer einjährigen Haushalts- und Rechnungsperiode dürfte allgemein zu empfehlen sein“. 437 Eine weitere Flexibilisierung ist durch das Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz vom 21.12.1997 (BGBl. I S. 3251) ermöglicht worden. Während zuvor die Übertragbarkeit von Ausgaben kraft Haushaltsvermerks nur in solchen Fällen zulässig war, in denen sich die Maßnahme auf mehrere Jahre erstreckte, § 19 Abs. 1 S. 2 BHO i. d. F. d. G. v. 19.8.1969 (BGBl. I S. 1284; vgl. bereits § 30 Abs. 1 RHO), reicht es nunmehr aus, dass eine wirtschaftliche und sparsame Verwendung gefördert wird. Die Gesetzesbegründung wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich in Modellvorhaben gezeigt habe, dass die Übertragbarkeit von Haushaltsmitteln in das nächste Haushaltsjahr zu wirtschaftlicherem Verwaltungshandeln beitragen kann, BR-Ds. 366/97, S. 25. In den Haushaltsordnungen der Länder ist, nach der Änderung des § 15 Abs. 1 S. 2 HGrG, ebenfalls die einschränkende Voraussetzung einer „sich auf mehrere Jahre erstreckenden Maßnahme“ aus § 19 Abs. 1 S. 2 beseitigt worden. 438 Dies gilt jedenfalls in der Theorie aufgrund der rechtlichen Ausgangslage. In der Praxis laufen die Flexibilisierungsinstrumente, insbesondere im Rahmen des § 45 Abs. 3 BHO, indes häufig ins Leere, vgl. Lüder, DÖV 1998, 285 [286]; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 216. 439 Die fünfjährige Finanzplanung ist zwar gem. § 9 Abs. 1 S. 1 StabG der Haushaltswirtschaft zugrunde zu legen. Eine Verbindlichkeit kann der Finanzplan (§ 9 Abs. 2 StabG, § 50 Abs. 3 S. 1 HGrG) – worauf Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 253 f. zutreffend hinweist – aber schon deshalb nicht erlangen, weil der Finanzplan gem. § 9 Abs. 3 jährlich der Entwicklung anzupassen und fortzuführen ist. Seine Geltungsdauer, die aufgrund der erforderlichen jährlichen Anpassung ein
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
werden und wird innerhalb einer Legislaturperiode ohnehin faktisch gegeben sein. Die Funktion des einjährigen Haushaltsplans als Kontroll- und Bewirtschaftungsinstrument können die mehrjährigen Finanzpläne nicht ersetzen440. Eine Aufgabe der Jährigkeit führte zu einer deutlichen Erschwerung bei der nachschauenden Rechnungsprüfung und der Kontrolle der staatlichen Wirtschaftsführung insbesondere durch Parlament und Öffentlichkeit. Diese könnte nur laufend erfolgen; ohne eine Trennung nach Jahren fehlte jeglicher Vergleichsmaßstab. Eine Vergleichbarkeit in der Zeit kann aber nur durch einen Vergleich einzelner Zeitabschnitte erreicht werden. Erst die Trennung nach Jahren ermöglicht einen „Jahresabschluss“ als Voraussetzung für die Finanzkontrolle441. Auch für die Zwecke der Planung wäre es kontraproduktiv, die Trennung nach Jahren aufzugeben. Zwar wäre es theoretisch denkbar, das jährliche Haushaltsgesetz auf seine variablen Bestandteile zu reduzieren, und die fixen Einnahme- und Ausgabeposten (z. B. die zwangsläufigen Ausgaben442) in einem „Dauerhaushalt“ (nach dem Vorbild der unbefristeten Steuergesetze443) zu belassen. Eine unbegrenzte Ausgabenermächtigung im Bereich der „fixen“ Kosten ermöglichte auf diese Weise mehr Kontinuität. Dieses Mehr an „Kontinuität“ führte aber letztlich zu einer Versteinerung der öffentlichen Finanzwirtschaft: In weiten Bereichen könnten vermeintlich zwangsläufige Ausgaben, die aus fachgesetzlichen Ausgabeverpflichtungen resultieren und daher im „Dauerhaushalt“ verbleiben würden, nicht mehr auf parlamentarischer Ebene in ihren Auswirkungen auf den Gesamthaushalt hinterfragt werden. Für eine Revision der Ausgaben, für ein Suchen nach möglichen Einsparpotenzialen bestünde weder ein Ansatzpunkt noch ein Anlass444. Jahr gar nicht übersteigen kann, ist mit der Geltungsdauer des parallel erarbeiteten Haushaltsplans (§ 9 Abs. 2 S. 2 StabG, § 50 Abs. 3 S. 1 HGrG) daher identisch. 440 Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 23. 441 Die Probleme, die sich aus dem kameralistischen Fälligkeitsprinzip (§§ 2 Abs. 1, 8 Abs. 2 HGrG „Cashflow-Rechnung“) ergeben, vgl. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 166 f., können nicht als Argument gegen die Trennung nach Jahren herangezogen werden. Das Fälligkeitsprinzip betrifft das „Wie“ einer periodengerechten Zuordnung. Die Forderung nach einer periodengerechten Zuordnung („Ob“) unterstreicht gerade den Sinn einer Trennung nach Jahren und Periodisierung unter dem Gesichtspunkt der Vergleichbarkeit in der Zeit. 442 Zu den „zwangsläufigen“ oder notwendigen Ausgaben vgl. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 152 ff. 443 s. bereits oben, S. 86 ff. Vgl. auch Vogel/Waldhoff, in: Bonner Kommentar, GG, Vorbem. zu Art. 104a–115, Rn. 38 f.; Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung, S. 132. 444 Dieser „Zwang zur Rechtsrevision“ wird auch in anderen Rechtsgebieten als Argument für „Gesetze mit Verfallsdatum“ (sog. „sunset legislation“) herangezogen.
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Zudem könnte nie sicher zwischen variablen und fixen Ausgabe- bzw. Einnahmeposten unterschieden werden. Während „normale“ Dauergesetze, etwa die Steuer-, Sozial oder Strafgesetze, als Konditionalnormen ein „Sollen“ anordnen und daher – zumindest in der Theorie – nur in besonders gelagerten Fällen einer Änderung bedürfen, dann nämlich, wenn eine Umgestaltung gewollt ist, muss das Haushaltsgesetz, welches den Haushaltsplan feststellt, in besonderem Maße auf tatsächliche Veränderungen reagieren und „flexibel“ sein. Auch gleich bleibende Steuergesetze führen nicht zu gleichen Einnahmen, gleich bleibende fachgesetzliche Ausgabeverpflichtungen (z. B. Sozialgesetze) nicht zu gleichen Ausgaben. Das Haushaltsgesetz ordnet daher nur für wenige Bereiche, in denen es nicht fachgesetzlich „präjudiziert“445 ist, ein echtes „Sollen“ an und trifft eine bewusste „Ausgabeentscheidung“. In der überwiegenden Zahl der Fälle (alle Einnahmen und rd. Auf diese Weise soll das Parlament verpflichtet werden, sich in einer bestimmten Frist erneut mit einem Gesetz zu befassen um festzustellen, ob dieses seinen Zweck noch erfüllt oder inzwischen überflüssig ist. Mit Entschließungsanträgen v. 30.11.2005 und v. 25.6.2003 hat in jüngerer Zeit etwa die FDP versucht, das Konzept eines „Gesetzes mit Verfallsdatum“ auf Bundesebene zu etablieren, vgl. BT-Ds. 15/1233, BT-Ds. 16/119. Der Ursprung der „sunset legislation“ liegt in den USA der späten 70er Jahre, vgl. Chanos, Möglichkeiten und Grenzen der Befristung parlamentarischer Gesetzgebung, S. 98 ff. In Deutschland waren z. B. die Vorläufernormen des heutigen Telekommunikationsgesetzes (TKG v. 25.7.1996, BGBl. I S. 1120) bis zum 31.12.1997 befristet, vgl. Art. 5–9 Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation v. 14.9.1994, BGBl. I, S. 2325. Ob eine flächendeckende Einführung der „sunset legislation“, also die Etablierung eines formalen Zwangs zur stetigen Gesetzesrevision die Qualität der Gesetzgebung fördert, erscheint indes zweifelhaft. Benda, NJW 1996, 2282 [2284], hat zu Recht angemerkt, dass „kurzatmige, nach fünf Jahren außer Kraft tretende Regelungen […] zu einem Verlust an Rechtssicherheit, zu noch gesteigerter gesetzgeberischer Aktivität oder zur Erweiterung des Richterrechts“ führen. Im grundrechtsrelevanten Bereich ist der Staat ohnehin verpflichtet, ein (belastendes) Gesetz nicht länger bestehen zu lassen, als es zur Zweckerreichung erforderlich (verhältnismäßig) ist. Vgl. zur Befristung von Gesetzen auch Heitmann, NJW 1997, 1488: „[D]er rechtspolitische Schaden [dürfte], würde man die grundsätzliche Befristung zu einem allgemeinen Prinzip der Rechtsetzung machen, beträchtlich sein“. Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) empfiehlt den Fachressorts im „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“ einen „sparsamen Umgang“ mit befristeter Gesetzgebung: Zum einen widerspreche eine Befristung von Gesetzen häufig den Erwartungen der Anwender an die Beständigkeit und Verlässlichkeit der Gesetzgebung. Zum anderen bestehe die Gefahr, dass die Befristung einfach verlängert werde, wenn das Fristende heranrücke. Denn auch dann sei häufig nicht genügend Zeit vorhanden, sorgfältig zu prüfen, ob der Regelungsbedarf fortbestehe oder ob die ergriffenen Maßnahmen geeignet seien. Umgekehrt könne die Zeit knapp werden, um die Befristung aufzuheben und die Vorschriften in Dauerregelungen zu überführen“, http://www.bmj.de/rechtsfoermlich keit/inhalt/tc9.htm, Rn. 498. Siehe zur „Dauer“ von Gesetzen auch bereits oben Fn. 32 (S. 33). 445 Vgl. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 152.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
90% der Ausgaben) besteht die gesetzte Rechtsfolge primär in einer Schätzung der voraussichtlich zu erwartenden Einnahmen446 und voraussichtlich notwendigen Ausgaben. Das Haushaltsgesetz stellt den Haushaltsplan fest. Die Verwaltung ist aufgrund der jeweiligen Fachgesetze und gem. § 34 Abs. 1 BHO/LHO gesetzlich verpflichtet, Einnahmen – insbesondere auch Steuereinnahmen – unabhängig von den Ansätzen im Haushaltsplan rechtzeitig und vollständig zu erheben. Für die Ausgaben gilt das nicht. Eine Verpflichtung, die Etatansätze auszuschöpfen, kann sich nur durch Normen außerhalb des Haushaltsgesetzes, etwa durch Leistungsgesetze ergeben. Aus dem Haushaltsgesetz selbst ist nur das Verbot für die Exekutive abzuleiten, höhere oder andere als im Haushaltsplan ausgewiesene Ausgaben zu tätigen447. Will oder muss die Verwaltung von diesen gesetzlichen Bindungen abweichen, müssen die Ausgaben als überplanmäßige oder außerplanmäßige zugelassen werden (Art. 112 S. 1 GG)448. Durch einen zu hohen Ansatz von Ausgaben im Haushaltsplan wird die Exekutive aber nicht verpflichtet, die Ausgabe auch zu realisieren.449 Einfach-gesetzlich folgt dies aus den Grundsätzen der Notwendigkeit (§§ 6 BHO/LHO, 5 HGrG) sowie der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§§ 7 Abs. 1 S. 1 BHO/LHO, 6 Abs. 1 HGrG). Für die Zwecke der Schätzung ist, anders als für die Zwecke einer Sollensanordnung (z. B. eines an den Bürger gerichteten Ge- oder Verbots), auch rechtliche Kontinuität nicht im Sinne der Rechtssicherheit geboten, sondern letztlich kontraproduktiv: Kontinuität führt hier zu Ungenauigkeit und häufig auch zu Ineffizienz. Die Trennung nach Jahren ermöglicht hingegen eine präzise, weil zeitlich begrenzte Schätzung. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass gerade der durch die Trennung nach Haushaltsjahren vermittelte Zwang zum jährlichen Haushaltsausgleich auch eine mäßigende Wirkung haben kann. Staatsaufgaben stellen sich im Haushaltsplan als Ausgaben dar, die durch Einnahmen gedeckt werden müssen; die erzielbaren Einnahmen begrenzen den Spielraum für die Erfüllung ausgabenwirksamer Staatsaufgaben450. Das Ausgleichsgebot zwingt den Haushaltsgesetzgeber, Ausgaben und Einnahmen zur Deckung zu bringen451; 446
Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 B § 6, S. 570; VerfGH NW, Urteil v. 3.5.1994, VerfGH 10/92, OVGE 44, 278 [283]. 447 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 10; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110, Rn. 13; Karehnke, DÖV 1976, 361 ff. 448 Ausnahmsweise sind auch Ausgaben vor Etatgenehmigung möglich, Art. 111 GG. Allerdings weicht der Haushaltsvollzug hier nicht von der gesetzlichen Schätzung ab, da eine solche im Fall des verspäteten Haushaltsgesetzes (Art. 110 Abs. 2 S. 1, 111 Abs. 1 GG) noch nicht besteht. Zur Vorherigkeit s. noch unten, § 2 B. III., S. 132 ff. 449 Schaefer, Das Haushaltsgesetz jenseits der Kreditfinanzierungsgrenzen, S. 23; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 14, jeweils m. w. N. 450 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [329].
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dieser Ausgleich muss für jedes Haushaltsjahr erfolgen. Die Jährigkeit schließt es damit prinzipiell aus, Ausgaben, die in einem Haushaltsjahr fällig werden, durch zukünftige Einnahmen zu finanzieren, die erst in nachfolgenden Haushaltsjahren erzielt werden können; eine überjährige „Verrechnung“ ist nicht möglich. Das Prinzip der Trennung nach Jahren, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG, verhindert damit eine Lastenverschiebung in die Zukunft. Jede Verlängerung der Haushaltsperiode (überspitzt: die Konstituierung eines „Dauerhaushalts“) birgt – ebenso wie Flexibilisierungen und Durchbrechungen der Jahresgrenzen im Einzelfall – die Gefahr einer unangemessenen Nivellierung von Unterschieden in der Höhe von Einnahmen und Ausgaben. Eine periodengerechte Aufschlüsselung und Zuteilung staatlicher Lasten und staatlicher Leistungen kann nur erreicht werden, wenn zugleich ein zeitlicher Bezug zwischen Einnahmen und Ausgaben hergestellt werden kann. Eine Schwächung dieses zeitlichen Bezugs führt immer auch zu einem finanzwirtschaftlichen Ungleichgewicht. Deutlich wird dies bei der Staatsverschuldung. Auch im Wege des Staatskredits werden zeitliche Grenzen durchbrochen, indem Lasten (für Zinsen und Tilgung) in die Zukunft verlagert werden. Konzeptionell geschieht die „überjährige Verrechnung“ von Einnahmen und Ausgaben im Fall der Kreditfinanzierung jedoch sichtbar und nach Regeln, die eine entsprechende Zukunftsbegünstigung sichern sollen452. Auch für Mehrjahreshaushalte gilt die Trennung nach Jahren. § 8 Abs. 1 HGrG, der in Anlehnung an Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG bestimmt, dass für jedes Haushaltsjahr ein Haushaltsplan aufzustellen ist, trifft keine Verfahrens-, sondern eine inhaltliche Regelung. Die Haushaltsjahre sind stets zeitlich zu trennen; auch bei Doppelhaushalten ist der Plan nach Jahren getrennt aufzustellen, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG, § 9 Abs. 1 HGrG. Auch im Fall eines Haushaltsgesetzes für mehrere Haushaltsjahre (Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG) darf keine „Vermischung“ der einzelnen Haushaltsjahre stattfinden. Ein Doppelhaushalt vereinfacht das Verfahren und ermöglicht eine inhaltliche Abstimmung zweier aufeinander folgender Haushalte. Er erlaubt aber keine Saldierung der Posten. Insbesondere muss der Haushaltsausgleich für jedes einzelne Jahr erfolgen453. Das Prinzip der zeitlichen Spezialität hat damit auf den ersten Blick bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem sog. zeitlichen Bepackungsverbot. Jenes 451
BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [329]. BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [334]: „Der haushaltswirtschaftliche Vorgriff auf zukünftige Einnahmen soll jedenfalls dadurch begrenzt werden, dass der Kredit nur im Umfang der Ausgaben mit zukunftsbegünstigendem Charakter in Anspruch genommen werden darf“. Vgl. hierzu noch ausführlich unten im 2. Teil § 3. 453 Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 110, Rn. 66. 452
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
fordert die Trennung nach Haushaltsjahren, dieses verbietet Vorschriften, die sich nicht „auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird“, Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG454. II. Beschränkungen durch das sog. „Bepackungsverbot“ Grundgesetz und Länderverfassungen trennen zwischen der allgemeinen Gesetzgebung und der Haushaltsgesetzgebung. Zwar ist der Haushaltsgesetzgeber mit dem „normalen“ Gesetzgeber identisch455 und auch das Haushaltsgesetz grundsätzlich „ein Gesetz wie jedes andere“456. Indes verläuft die Haushaltsgesetzgebung teilweise nach speziellen Verfahrensnormen (z. B. Art. 110 Abs. 3 GG) und in der parlamentarischen Praxis üblicherweise unter Zeitdruck (Vorherigkeit, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG). Aus diesem Grund verbieten das Grundgesetz und einige Landesverfassungen457 dem Gesetzgeber, die Haushaltsgesetzgebung zu nutzen, um materiell-rechtliche Regelungen zu treffen, die in keinem unmittelbaren Bezug zur Etatgestaltung stehen458. Das Bepackungsverbot ist Ausdruck der Formgebundenheit des Gesetzgebers459. In das Haushaltsgesetz dürfen nur Vorschriften aufgenommen werden, die sich auf die Einnahmen und Ausgaben des Bundes und auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird. Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG beschränkt den Inhalt des Haushalts454 Vgl. Art. 79 Abs. 3 S. 1 BaWüVerf; Art. 139 Abs. 3 S. 2 HessVerf; Art. 61 Abs. 4 S. 1 M-VVerf; Art. 65 Abs. 5 S. 1 NdsVerf; Art. 116 Abs. 3 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 3 S. 1 SächsVerf; Art. 93 Abs. 4 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 4 S. 1 SchlHVerf; Art. 99 Abs. 2 S. 1 ThürVerf und die Hinweise oben Fn. 198 (S. 62). 455 Trotz der Bezeichnung als „Haushaltsgesetzgeber“ handelt es sich um das selbe Subjekt der Gesetzgebung, vgl. hierzu Heun, JZ 2005, 615. 456 Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 355 im Anschluss an Haenel, Das Gesetz im formellen und materiellen Sinne (1888), S. 297. 457 Art. 79 Abs. 3 S. 1 BaWüVerf; Art. 139 Abs. 3 S. 2 HessVerf; Art. 61 Abs. 4 S. 1 M-VVerf; Art. 65 Abs. 5 S. 1 NdsVerf; Art. 116 Abs. 3 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 3 S. 1 SächsVerf; Art. 93 Abs. 4 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 4 S. 1 SchlHVerf; Art. 99 Abs. 2 S. 1 ThürVerf. Die Verfassung des Freistaates Bayern enthält kein Bepackungsverbot, vgl. BayVerfGH, Entscheidung v. 7.11.1984, Vf. 20 VII/83, NVwZ 1985, 481 [Ls. 5]. Ob dem Bepackungsverbot in Nordrhein-Westfalen Verfassungsrang zukommt, hat der Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen bislang offen gelassen, VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [Ls. 1], s. auch bereits oben Fn. 198 (S. 62) und Frenzel, DÖV 2006, 158 [159 ff.]. 458 NdsStGH, Beschluss v. 31.10.1996, StGH 4/96, Abschrift, S. 11 = NVwZ-RR 1997, 201 [202] – Bepackungsverbot. 459 Abw. Meinung des Richters Starck zu NdsStGH, Beschluss v. 31.10.1996, StGH 4/96, Abschrift, S. 15 [Anh., S. 2]; ähnlich bereits v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 90.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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gesetzes in sachlich-gegenständlicher (Einnahmen und Ausgaben des Bundes) und in zeitlicher Hinsicht (Zeitraum, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird), um dessen besonderen Charakter als Finanz- und Zeitgesetz zu wahren.460 1. Rationalisierungs- und Transparenzwirkung
Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG lässt materiell-rechtliche Vorschriften nur dann zu, wenn diese zu den im Haushaltsplan veranschlagten Einnahmen oder Ausgaben oder zum Vollzug des Haushalts einen Bezug haben461. Diesen Bezug weisen indes alle Gesetzesbestimmungen auf, die „finanzwirksam“ sind462. Vergegenwärtigt man sich, dass nahezu jedes (insbesondere jedes „wichtige“) Gesetz finanzwirksam ist463, ist der Anwendungsbereich des sachlichen Bepackungsverbots damit äußerst begrenzt464. Die enge Auslegung des Verbots bzw. weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals „sich auf Einnahmen und Ausgaben des Bundes beziehen“ führt dazu, dass etwa Änderungen im Steuer- und Sozialrecht, die dazu dienen, im Verhältnis zwischen Staat und Bürger eine Steigerung der Einnahmen oder eine Drosselung der Ausgaben zu bewirken, stets als zulässig angesehen werden können465. Vielfach wird daher für eine restriktivere Handhabung des sachHillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 105; vgl. umfassend zum haushaltsrechtlichen Bepackungsverbot v. Portatius, Bepackungsverbot, passim. 461 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 25 m. Hinw. auf BSG, Urteil v. 28.2.1974, 7 RKg 4/71, BSGE 37, 144 [146]. 462 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 110, Rn. 9; Hillgruber, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 106; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 44; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 25; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 44. 463 Vgl. bereits Jèze, Théorie générale du Budget (1922), S. II: „La réalisation d’un programme politique se traduit nécessairement par de dépenses nouvelles ou de réduction de dépenses“. 464 Wie hier Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 25; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 44; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 84; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 44; Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 267. Strenger hingegen Stern, StaatsR II, § 49 III 4 b) d, S. 1205 f.; Grawert, DVBl. 1981, 1029 [1031]; Stober, DÖV 1984, 265 [266 f.]. Vgl. auch NdsStGH, Beschluss v. 31.10.1996, StGH 4/96, Abschrift, S. 11 f. (= NVwZ-RR 1997, 201 [202]) – Bepackungsverbot. Der Funktionsverlust des Bepackungsverbots begann bereits in der Weimarer Zeit, vgl. Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 190. 465 Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 84; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 106; Heintzen, in: v. Münch/ Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 44; vgl. auch bereits Heckel, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts (1932), Bd. 2, § 88, S. 385 f. 460
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
lichen Bepackungsverbots plädiert466 und insbesondere angenommen, das Bepackungsverbot enthalte ein „grundsätzliches Verbot allgemeinverbindlicher Regelungen“467. Das Haushaltsgesetz müsse sich auf Bestimmungen beschränken, die „in unmittelbarem Zusammenhang entweder mit der Prognose der monetären Zuflüsse oder mit der Ermächtigung zu Verausgabung von Geldmitteln oder zur Verpflichtung hierzu stehen“468. Dies ergibt sich indes aus Art. 110 Abs. 4 GG nicht469. Während der Haushaltsplan keine Außenwirkung haben kann (vgl. § 3 HGrG), sind materiell-rechtliche Regelungen im Haushaltsgesetz, sofern sie einen „unmittelbaren Bezug“470, einen „direkten Zusammenhang“471 mit den Einnahmen und Ausgaben aufweisen, grundsätzlich zulässig472. Der sachlichen Inhaltsbeschränkung des Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG kommt daher trotz ihres Verfassungsrangs nur eine geringe praktische Bedeutung zu473. 466
Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 135; Stern, StaatsR II, § 49 III 4 b) d, S. 1205; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 88; Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 18; v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 63 ff. (Zustimmung des Bundesrats, s. hierzu Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 362 und unten sub. 2. a), S. 116). Teilweise wird auch in der Rechtsprechung versucht, gegenzusteuern und dem (sachlichen) Bepackungsverbot mehr Gewicht zu geben. So ist etwa der Beschluss des NdsStGH v. 31.10.1996, StGH 4/96, zum Bepackungsverbot mit 7:2 Stimmen ergangen. Starck hat in seiner „abweichenden Meinung“ die Exklusivität von Haushalts- und Fachgesetzgebung hervorgehoben. Im Hinblick auf bestehende (fach-)gesetzliche Regelungen sei das Haushaltsgesetz Vollzugsgesetz. Das Haushaltsgesetzgebungsverfahren dürfe nicht beschritten werden, um das normale Gesetzgebungsverfahren zu umgehen, vgl. auch Grawert, DVBl. 1981, 1029 [1031] und Starck, NdsVBl 1997, 39. 467 Stern, StaatsR II, § 49 III 4 b) d, S. 1204 f. 468 Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 135, S. 130. 469 Zutreffend Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 267. 470 Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 268. 471 BSG, Urteil v. 28.2.1974, 7 RKg 4/71, BSGE 37, 144 [146]. 472 Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 268, spricht insoweit von einer „funktionellen Arbeitsteilung“ zwischen Haushaltsplan und -gesetz. 473 Aus Gründen der Rechtsklarheit ist eine „Stärkung“ des sachlichen Bepackungsverbots aus rechtspolitischer Sicht sicher wünschenswert. Es erscheint jedoch fraglich, ob die Unterschiede im Gesetzgebungsverfahren systematisch eine solche scharfe Trennung („Exklusivität“, s. oben Fn. 466 [S. 114]) zwischen Haushaltsund Fachgesetzgebung rechtfertigen können. Besonderheiten der Haushaltsgesetzgebung sind das Initiativmonopol der Regierung und die Vorherigkeit des Haushalts. Da die Regierung stets ein Initiativrecht hat und den bepackten Teil immer auch gesondert vorschlagen könnte, reduziert sich das Problem auf den aus der Vorherigkeit folgenden Zeitdruck und die entsprechende Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens; auf Bundesebene besteht sie in der gleichzeitigen Zuleitung an Bundestag und Bundesrat und einer Verkürzung der Stellungnahmefrist, Art. 110 Abs. 3, Art. 76 Abs. 2 GG. Ähnliche Verkürzungen können ggf. durch eine Initiative „aus der Mitte des Bundestages“ oder im Fall „besonders eilbedürftiger“ Vorlagen erreicht werden, vgl. hierzu Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 76, Rn. 3.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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Das „Leerlaufen“ des Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG wird indes auch im Allgemeinen für nicht sonderlich problematisch erachtet. Der verfassungsrechtliche Sinn insbesondere des sachlichen Bepackungsverbotes wird zunehmend bezweifelt474. Hintergrund ist der Verfassungswandel: Das Bepackungsverbot ist in seiner Entstehung zurückzuführen auf die im Frühkonstitutionalismus für notwendig gehaltene Machtbalance zwischen dem regierenden Monarchen und den nach Einfluss strebenden Volksvertretungen, denen (nur) das Steuerbewilligungs- und Budgetrecht zustand475. Der historische Zweck, der monarchischen Regierung keine „Bedingungen“ aufzuerlegen, die mit der Bewilligung von Ausgaben (durch das Parlament) verbunden waren, ist jedoch in der parlamentarischen Demokratie überholt.476 Das Bepackungsverbot hat daher einen Bedeutungsverlust477, zumindest aber einen Bedeutungswandel – im Sinne einer Umkehrung der Schutzrichtung – erfahren478. Der „moderne“ Zweck des Bepackungsverbots wird aus diesem Grunde auch zumeist darin gesehen, dass das Haushaltsgesetzgebungsverfahren von allen Bestimmungen freigehalten werden soll, die nicht unmittelbar die zur Entscheidung anstehende Haushaltswirtschaft betreffen, um auf diese Weise dem Parlament zu ermöglichen, sich allein auf den Haushaltsplan zu konzentrieren.479 Neben dieser Rationalisierungswirkung480 leistet die verfassungsrechtlich gebotene Trennung von Haushalts- und Sachgesetzgebung zudem einen Beitrag zur Sicherung von Transparenz und Offenheit des parlamentarischen Prozesses481. 474
Vgl. v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 54 ff. s. bereits oben S. 84 ff. Vgl. zur historischen Entwicklung des Bepackungsverbots auch Bauer, Bepackte Haushaltsgesetze, passim und v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 17 ff. 476 VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [313]; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 110; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 43; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 41; Stern, StaatsR II, § 50 III 12, S. 1253. Vgl. auch SaarlVerfGH, Urteil v. 13.3.2006, Lv 5/05, AS RP-SL 34, 23 [35 f.]. 477 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 24; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 44. 478 VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [313]; v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 57; Birk, Budgetrecht des Parlaments, in: FS VerfGH NW, S. 339 [348 f.]; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 110; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 87. 479 SaarlVerfGH, Urteil v. 13.3.2006, Lv 5/05, AS RP-SL 34, 23 [34 f.]; Stern, StaatsR II, § 50 III 12, S. 1253; v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 79 f. 480 v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 84; Karehnke, DVBl. 1975, 636; Birk, Budgetrecht des Parlaments, in: FS VerfGH NW, S. 339 [349]. 481 Vgl. SaarlVerfGH, Urteil v. 13.3.2006, Lv 5/05, AS RP-SL 34, 23 [35]; v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 88 ff.; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 111. 475
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht 2. „Bedingungsverbot“ auf Bundes- und Landesebene?
Über eine solche Rationalisierungs- und Transparenzwirkung hinaus macht ein (sachliches) Bepackungsverbot im Sinne eines „Bedingungsverbots“ nur dort Sinn, wo zwei verschiedene an der Gesetzgebung beteiligte Staatsorgane miteinander „konkurrieren“. Dies ist im deutschen Verfassungsrecht482 sowohl auf Bundes- wie auf Länderebene nur noch vereinzelt der Fall. Beispiele sind die Beteiligung des Bundesrates bei der Gesetzgebung des Bundes und die Volksgesetzgebung auf Länderebene483. a) Beteiligung des Bundesrates An sich bedarf das Haushaltsgesetz keiner Zustimmung durch den Bundesrat und ist bloßes Einspruchsgesetz484. Auf Bundesebene ist daher das Problem denkbar, dass das Haushaltsgesetz durch eine Bepackung, d.h. eine hineingepackte Bestimmung, die aufgrund der Einheitsthese485 die Zustimmungspflicht für die gesamte rechtsetzungstechnische Einheit auslöst, zum Zustimmungsgesetz wird486. Es ist indes kaum anzunehmen, dass die Regierung, die das alleinige Initiativrecht im Bereich der Haushaltsgesetzgebung hat, Art. 110 Abs. 3, 113 Abs. 1 S. 1 GG487, hieran ein Interesse 482
Anders ist die Ausgangslage für sog. „riders“ etwa in der US-amerikanischen Präsidialdemokratie. Im US-amerikanischen System der „checks and balances“ steht dem Parlament ein „starker“ (vom Volk gewählter) Präsident gegenüber, der über ein Vetorecht verfügt, vgl. Art. 1, Sec. 7 US-Verfassung. 483 Einen Überblick über die verschiedenen Rechtsquellen und Verfahren gibt Hartmann, Volksgesetzgebung und Grundrechte, S. 26 ff. 484 BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [361]; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 84; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 38. 485 BVerfG, Beschluss v. 12.11.1958, 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57, BVerfGE 8, 274 [294 ff.]; BVerfG, Beschluss v. 9.10.1968, 2 BvE 2/66, BVerfGE 24, 184 [195]; BVerfG, Beschluss v. 25.6.1974, 2 BvF 3/73, BVerfGE 37, 363 [380 ff.]; BVerfG, Urteil v. 13.4.1978, 2 BvF 1, 2, 4, 5/77, BVerfGE 48, 127 [177 f.]; BVerfG, Urteil v. 10.12.1980, 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 274 [319]; BVerfG, Urteil v. 18.12.2002, 2 BvF 1/02, BVerfGE 106, 310 [329 f.]; statt vieler Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 77 Rn. 4; Wernsmann, NVwZ 2005, 1352 [1353 f.]; speziell für das bepackte Haushaltsgesetz v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 63 ff.; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 26; a. A. Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 362, der sich aufgrund der Unaufschiebbarkeit des Haushaltsgesetzes für die Möglichkeit einer isolierten Zustimmungsverweigerung ausspricht. 486 Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 25, 362; Stern, StaatsR II, § 50 III 12, S. 1253; vgl. auch v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 70 f. 487 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [29, 46]; BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [357]; Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 355 ff.; Stern, StaatsR II, § 49 IV 3, S. 1212; Maunz,
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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haben kann. Der Versuch einer Bundesregierung, eine an sich zustimmungspflichtige Regelung, etwa eine Änderung des Einkommen- oder Umsatzsteuergesetzes, Art. 106 Abs. 3 S. 1, 105 Abs. 3 GG, in das Haushaltsgesetz hineinzupacken, um eine schnelle Zustimmung des Bundesrates herbeizuführen, würde in der Praxis bereits daran scheitern, dass der Bundesrat, als Verfassungsorgan des Bundes aber (Interessen-)Vertretung der Länder – anders als der frühkonstitutionelle Monarch, der auf die Ausgabenbewilligung angewiesen war – kein eigenes Interesse an der zügigen Verabschiedung des (Bundes-)Haushaltes hat. Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbstständig und voneinander unabhängig, Art. 109 Abs. 1 GG. Die Länder können auch ohne Verabschiedung eines Bundeshaushaltes wirtschaften. Das Bepackungsverbot hat damit nicht den Zweck, die Rechte des Bundesrates zu wahren488. b) Volksgesetzgebung auf Länderebene Auf Landesebene wäre auch ohne Zweikammersystem immerhin der Fall vorstellbar, dass eine sachliche Regelung in ein Haushaltsgesetz aufgenommen wird, um die in den Landesverfassungen vorgesehene Volksgesetzgebung489, die i. d. R. für Haushaltsgesetze nicht zugelassen ist490, für bein: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 14; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 20; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 75; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 34; Heintzen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 120, Rn. 61; Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 116, Rn. 131; Fricke, DVBl. 1975, 604 [605]; a. A. v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 62. Auch für Nachtragshaushalte, d.h. Änderungen bereits verabschiedeter Haushaltsgesetze für dasselbe Haushaltsjahr, gilt dieses Initiativmonopol, während das Parlament aufgrund seiner umfassenden Beratungskompetenz (Art. 42 Abs. 1 GG, BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [355]) Ergänzungsvorlagen, d.h. Änderungsvorschläge im laufenden Gesetzgebungsverfahren, einbringen kann. Wie hier Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 34; a. A. Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 75 (Fn. 171). 488 Wie hier Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 41; a. A. v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 63 ff. 489 Art. 59 f. BaWüVerf; Art. 5, 72–75 BayVerf; Art. 3 Abs. 1, 62 f. BerlVerf; Art. 2 Abs. 4 S. 1, 75–79 BbgVerf; Art. 67 Abs. 1, 69–74 BremVerf; Art. 48, 50 HmbVerf; Art. 71, 116 f., 124 HessVerf; Art. 55, 59 f. M-VVerf; Art. 42, 48–50 NdsVerf; Art. 3 Abs. 1, Art. 68 f. Verf NW; Art. 107–109 RhPfVerf; Art. 99 f. SaarlVerf; Art. 70–74 SächsVerf; Art. 77, 81 VerfLSA; Art. 37, 42 SchlHVerf; Art. 81–83 ThürVerf. 490 Art. 60 Abs. 6 BaWüVerf (Staatshaushaltsgesetz); Art. 73 BayVerf (Staatshaushalt); Art. 62 Abs. 5 BerlVerf (Landeshaushalt); Art. 76 Abs. 2 BbgVerf (Landeshaushalt); Art. 70 Abs. 2 BremVerf (Haushaltsplan); Art. 50 Abs. 1 S. 2 HmbVerf (Haushaltsangelegenheiten); Art. 124 Abs. 1 S. 3 HessVerf (Haushaltsplan); Art. 60 Abs. 2 S. 1 M-VVerf (Haushaltsgesetze); Art. 48 Abs. 1 S. 3 NdsVerf
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
stimmte (andere) Regelungsbereiche auszuschließen491. Funktionieren kann ein solcher „Trick“ nur, wenn die Volksgesetzgebung – wie etwa in Art. 60 Abs. 2 S. 1 BaWüVerf492 oder Art. 114 S. 1 RhPfVerf493 – als Referendum über ein bereits vom Landtag mehrheitlich beschlossenes Gesetz ausgestaltet ist, also im Fall seiner Initiierung durch die Landtagsminderheit494 das Gesetzgebungsverfahren abschließt. Hier hat nämlich das Gesetz durch den Beschluss der Landtagsmehrheit seine endgültige Form erhalten, über die das Volk dann nur noch „im Paket“ – mit Ja oder Nein – abstimmen kann. Das in den Landesverfassungen Baden-Württembergs (Art. 79 Abs. 3 S. 1 BaWüVerf) und Rheinland-Pfalz‘ (Art. 116 Abs. 3 S. 1 RhPfVerf) enthaltene Bepackungsverbot erlangt in diesen Fällen besondere Bedeutung. Bei einem „echten“ Volksbegehren, in der Konstellation also, in der die Gesetzesinitiative vom Volk selber ausgeht und dieses den Umfang und Inhalt des Gesetzentwurfs bestimmt, kann sich ein vergleichbares Problem indes nicht ergeben. Dies gilt auch für solche Fälle, in denen eine Vorschrift, die ursprünglich in einem Haushaltsgesetz enthalten, also „hineingepackt“ war, durch Volksbegehren/-entscheid geändert oder abgeschafft werden soll. Die ohnehin eng auszulegenden Finanzausschlussklauseln495 in den Landesverfassungen greifen hier nicht, da die (ggf. unzulässigerweise) hineingepackte Vorschrift ja gerade den Tatbestand des „finanzwirksamen“ Gesetzes nicht erfüllt und eine rechtsetzungstechnische Einheit nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens als solche nicht mehr besteht496. (Gesetze über den Landeshaushalt); Art. 68 Abs. 1 S. 4 Verf NW (Finanzfragen); Art. 108a Abs. 1 S. 2, 109 Abs. 3 S. 3 RhPfVerf (Finanzfragen); Art. 99 Abs. 1 S. 2 SaarlVerf (Staatshaushalt); Art. 73 Abs. 1 SächsVerf (Haushaltsgesetze); Art. 81 Abs. 1 S. 3 VerfLSA; Art. 41 Abs. 2 SchlHVerf (Haushalt); Art. 82 Abs. 2 ThürVerf (Landeshaushalt). 491 Vgl. zu dieser Möglichkeit Bauer, Bepackte Haushaltsgesetze, S. 130. 492 Art. 60 Abs. 2 S. 1 BaWüVerf lautet: „Die Regierung kann ein vom Landtag beschlossenes Gesetz vor seiner Verkündung zur Volksabstimmung bringen, wenn ein Drittel der Mitglieder des Landtags es beantragt“. 493 Art. 114 S. 1 RhPfVerf lautet: „Die Verkündung eines Landesgesetzes ist zum Zwecke der Durchführung eines Volksentscheids auszusetzen, wenn es ein Drittel des Landtags verlangt“. Nach Art. 114 S. 3 RhPfVerf sind auch hier Haushaltsgesetze ausgenommen: „Die Aussetzung von Gesetzen über Finanzfragen, von Abgabengesetzen und Besoldungsordnungen ist unzulässig“. 494 Ein Drittel (der Mitglieder) des Landtags, Art. 60 Abs. 2 S. 1 BaWüVerf, Art. 114 S. 1 RhPfVerf. 495 Vgl. zur Reichweite der Finanzausschlussklauseln in den Landesverfassungen Birk/Wernsmann, DVBl. 2000, 669 [670 f.]. Zu weiteren Einschränkungen der Volksgesetzgebung vgl. Hartmann, Volksgesetzgebung und Grundrechte, S. 29 f. 496 Vgl. zur gesetzgebungstechnischen Einheit im Entstehensprozess und zur „Einheitsthese“ nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens (Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht) Wernsmann, NVwZ 2005, 1352 [1355].
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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Auch unter Berücksichtigung dieser Sonderfälle bleiben Stellenwert und Reichweite speziell des sachlichen Bepackungsverbots begrenzt. 3. Zeitliche Beschränkungen
Größere Bedeutung hat das Bepackungsverbot im Hinblick auf seine zeitliche Komponente. Das zeitliche Bepackungsverbot untersagt die Aufnahme von Vorschriften in das Haushaltsgesetz, die über den Zeitraum hinauswirken, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird. Zeitlich müssen sich die Vorschriften des Haushaltsgesetzes in dem Rahmen halten, der seinem Geltungsbereich – genauer: dem Geltungsbereich des durch das jeweilige Haushaltsgesetz festgestellten Haushaltsplans, im Fall des Doppelhaushalts der festgestellten Haushaltspläne – entspricht.497 Daher können weder Dauerregelungen noch solche Bestimmungen, die sich auf einen Zeitraum vor oder nach der Haushaltsperiode beziehen, vorgesehen werden.498 Unzulässig sind Vorschriften, die länger als die vom Haushaltsgesetz erfasste Zeit gelten sollen, sowie Vorschriften mit rückwirkender Kraft.499 Auch die Bedeutung des zeitlichen Bepackungsverbots hat sich historisch gewandelt500. Seine moderne Funktion besteht darin, der Gefahr einer Überfrachtung zu begegnen, die Unübersichtlichkeit des Haushaltsgesetzes zu reduzieren und die Haushaltsberatungen zu strukturieren. Es dient somit in erster Linie der Normenklarheit und der Verfahrensbeschleunigung501. a) Haushalts- und Haushaltsnebengesetze Für die Schaffung echter Dauerregelungen, die als gesetzliche Bestimmungen dem Bepackungsverbot des Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG unterfallen würden – auch solche Regelungen, die materiell-rechtlich den Haushaltsausgleich sichern sollen, sich also „auf die Einnahmen und die Ausgaben Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 25. Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 25. Vgl. auch die Formulierung in Art. 63 Abs. 3 S. 2 PrVerf 1920 (G. v. 30.11.1920, PrGS S. 543 [554]): „Im übrigen sind im Haushaltsgesetze Vorschriften unzulässig, die über das Rechnungsjahr hinausreichen […]“. 499 VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [314]; OVG Lüneburg, Urteil v. 19.5.1988, 9 A 167/86, NVwZ-RR 1989, 542; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 45. – Zur Frage der Rückwirkung s. noch unten, § 2 B. III. 3. b) bb), S. 171 ff. 500 LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, LKV 2006, 26 [29]; ähnlich VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [314]. 501 LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, LKV 2006, 26 [29]; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 41. 497 498
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
des Bundes […] beziehen“ und vom sachlichen Bepackungsverbot damit nicht betroffen sind –, ist man in der Praxis mehrheitlich502 dazu übergegangen, gesondert (aber gleichzeitig) sog. Haushaltsbegleit-, Haushaltssanierungs-, Haushaltsstruktur- oder Haushaltssicherungsgesetze zu verabschieden503. Den Zielen der Normenklarheit und Transparenz dient dieses Vorgehen. Die Verabschiedung solcher „Haushaltsnebengesetze“ kann daher auch nicht als Umgehung des Bepackungsverbotes qualifiziert werden504. Das zeitlich auf die Haushaltsperiode begrenzte Haushaltsgesetz wird nicht „befrachtet“ und ist nach Ablauf des Haushaltsjahres für die weitere Rechtsanwendung irrelevant. Die in den Haushaltsnebengesetzen enthaltenen Änderungen bestehender Dauergesetze oder sonstige Neuregelungen können, wie jedes andere (Artikel-)Gesetz auch, unabhängig von den Besonderheiten des Haushaltsgesetzgebungsverfahrens betrachtet und angewandt werden. Aus dem gleichen Grunde führen auch Regelungen, die stets erneut zeitabschnittsweise in das jeweilige Haushaltsgesetz aufgenommen und faktisch als Dauerregelung geschaffen werden, zu keinem Verstoß gegen das zeitliche Bepackungsverbot505. Sie gelten jeweils innerhalb des Zeitraums, für 502
Dies gilt vor allem für den Bund und diejenigen Länder, die ein Bepackungsverbot kennen, s. oben Fn. 198 (S. 62); in Bayern besteht die Tradition des „Bepackens“ hingegen fort, vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 134; BayVerfGH, Entscheidung v. 7.11.1984, Vf. 20 VII/83, NVwZ 1985, 481 [Ls. 5]. 503 Z. B. auf Bundesebene Haushaltsbegleitgesetz 2006 v. 29.6.2006, BGBl. I S. 1402; Haushaltssanierungsgesetz v. 22.12.1999, BGBl I S. 2534; Haushaltsstrukturgesetz v. 18.12.1975, BGBI. I S. 3091; Haushaltssicherungsgesetz v. 20.12.1965, BGBl. I S. 2176. Häufig werden die Begriffe auch als Sammelbezeichnung für zusammengefasste Haushalts- und Haushaltsbegleitgesetze gebraucht (soweit eine solche Bündelung nicht durch ein verfassungsrechtliches Bepackungsverbot untersagt wird), z. B. in Nordrhein-Westfalen, Haushaltsstrukturgesetz v. 23.5.2006, GVBl. NW S. 197 oder Haushaltssicherungsgesetz v. 17.12.1998, GVBl. NW S. 750. 504 So aber wohl Heintzen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 120, Rn. 57. 505 VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [314]; NdsStGH, Beschluss v. 31.10.1996, StGH 4/96, Abschrift, S. 12 (= NVwZ-RR 1997, 201 [202]; vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil v. 19.5.1988, 9 A 167/86, DÖV 1989, 316 [317] = NVwZ-RR 1989, 542: „Der Aneinanderkettung der Widerrufsvorschriften in den jährlichen Haushaltsgesetzen zu einer Dauerregelung steht der Schutzzweck des zeitlichen Bepackungsverbotes nicht durchgreifend entgegen, wenngleich die Widerrufsregelung in den Haushaltsgesetzen einen im Interesse der Normenklarheit unerwünschten Regelungsstandort findet.“ – Für den Bereich der dem § 44a BHO a. F. entsprechenden Widerrufsregelungen der (Landes-)Haushaltsgesetze (vgl. etwa VGH BW, Urteil v. 1.2.1982, 10 S 1346/82, VBlBW 1983, 169; OVG Lüneburg, Urteil v. 19.5.1988, 9 A 167/86, NVwZ-RR 1989, 542; OVG Lüneburg, Urteil v. 26.11.1988, 9 A 178/84, NVwZ 1988, 450–452; NdsStGH, Beschluss v. 31.10.1996, StGH 4/96, OVGE MüLü 46, 498–504) geht insbesondere Stober, DÖV 1984, 265 [267] davon aus, dass der Widerruf von Zuwendungen i. d. R. Haushaltsausgaben früherer Jahre und Einnahmen späterer Jahre betreffe und
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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den das Haushaltsgesetz beschlossen wird, Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG. Nach Ende dieses Zeitraums (i. d. R. des Haushaltsjahres) steht der Gesetzgeber jeweils erneut vor der Entscheidung, eine entsprechende Regelung in das folgende Haushaltsgesetz aufzunehmen. Das „alte“ Haushaltsgesetz kann in seiner Gesamtheit nach Ablauf der Haushaltsperiode für die Rechtsanwendung außer Betracht bleiben und wird daher nicht mit Dauerregelungen „bepackt“. Letztlich ist es damit eine Frage der Gesetzgebungstechnik (nicht der Gesetzestechnik506), ob Regelungen in das Haushaltsgesetz selbst eingefügt, oder in einem formell selbstständigen Gesetz verabschiedet werden507. Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass der im bzw. für das Gesetzgebungsverfahren „abgetrennte“ Teil nicht mehr als „Haushaltsgesetz“ qualifiziert werden kann. Dies setzt voraus, dass er keine Vorschriften enthält, die den zwingenden oder typischen Inhalt des Haushaltsgesetzes ausmachen (z. B. Feststellung des Haushaltsplans, Kreditermächtigungen für Deckungskredite). Regelungen, für die die spezifischen Vorgaben der Haushaltsverfassung gelten (Haushaltsgesetz im eigentlichen Sinne), können nämlich sich daher zeitlich nicht auf Einnahmen und Ausgaben des Haushaltsjahres beziehe. Dies ist indes nach dem Wortlaut des Bepackungsverbots in Art. 110 Abs. 4 GG (und den entsprechenden Regelungen der Landesverfassungen, s. Fn. 457 [S. 112]) nicht erforderlich. Dort heißt es: „Vorschriften […], die sich auf die Einnahmen und Ausgaben […] und auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird“. Die jährlich wiederholte und jeweils auf das Jahr befristete Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf von Zuwendungsbescheiden muss sich nicht auf Einnahmen und Ausgaben des Zeitraums beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird. Sie gilt im entsprechenden Haushaltsjahr und bezieht sich damit (jeweils) auf den Zeitraum, für den das Haushaltsgesetz beschlossen ist, so i. E. auch Ehlers, VerwArch. 74 (1983), 112 [123, Fn. 67]. Die Zulässigkeit von Doppelhaushalten (§ 9 Abs. 1 HGrG, nach dem Grundgesetz wären auch Mehrjahreshaushalte möglich, vgl. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG) zeigt, dass beide Zeiträume unterschiedlich lang sein können. Die „Einnahmen und Ausgaben“ sind nach Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG nach Jahren zu trennen, beziehen sich demnach, wie der Haushaltsplan, stets auf ein Jahr. Das Haushaltsgesetz kann indes auch für mehrere Haushaltsjahre Gültigkeit beanspruchen, so dass sich – jedenfalls nach der Verfassungssystematik – auch mehrjährige Regelungen „auf den Zeitraum beziehen“ können, „für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird“. A. A. insoweit Stober, DÖV 1984, 265 [267]. 506 Ebenso SaarlVerfGH, Urteil v. 13.3.2006, Lv 5/05, AS RP-SL 34, 23 [34]; LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, LKV 2006, 26 [29]. 507 Vgl. auch BayVerfGH, Entscheidung v. 7.11.1984, Vf. 20 VII/83, NVwZ 1985, 481 [484]. Aufgrund der weitgehenden „Harmonie der politischen Richtung“ (C. Schmitt, Verfassungslehre (1928), S. 338) von Regierung und Parlament – die Mehrheit des Parlaments wird sich in der Regel regierungstreu verhalten (Birk, Budgetrecht des Parlaments, in: FS VerfGH NW, S. 339 [349]) ergeben sich hier auch keine praktischen Schwierigkeiten bei der Gesetzesinitiative (Regierung) und im Gesetzgebungsverfahren (Parlament).
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
nicht in diesem Sinne „abgespalten“ und in einem „normalen“ Gesetz verabschiedet werden, sondern sind stets und unabhängig von ihrer Bezeichnung als „Haushaltsgesetz“ anzusehen508. Hieraus folgt für die Auslegung des zeitlichen Bepackungsverbots zweierlei: Zum einen ist Gegenstand des Bepackungsverbots der Rechtsetzungsakt „Haushaltsgesetz“, also die rechtsetzungstechnische Einheit509, die Gegenstand der parlamentarischen Beschlussfassung über den Haushalt des Landes ist510. Zum anderen unterscheidet sich das zeitliche Bepackungsverbot insoweit qualitativ von den übrigen „zeitlichen Haushaltsgrundsätzen“, als es sich nicht auf die Überschreitung der zeitlichen Grenzen durch das Haushaltsgesetz im engeren Sinne bezieht, also nicht auf denjenigen Teil des Haushaltsgesetzes, durch den der Haushaltsplan festgestellt wird (i. d. R. § 1 des jährlichen Haushaltsgesetzes). Hier findet bereits keine „Bepackung“ statt, da es sich bei dem Haushaltsplan um den integralen Bestandteil des Budgets handelt, dessen zeitliche Begrenzungen bereits durch Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG („nach Jahren getrennt“) festgelegt sind.
508 Vgl. SaarlVerfGH, Urteil v. 13.3.2006, Lv 5/05, AS RP-SL 34, 23 [34]: „Allerdings bezeichnet das angegriffene Gesetz nur seinen Art. 1 als ‚Haushaltsgesetz‘. Art. 105 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf [sc. das Bepackungsverbot, d. Verf.] darf allerdings nicht in einem derart engen Sinn verstanden werden, dass nur das Gesetz, das allein den Haushaltsplan eines Landes feststellt, von Regelungen freizuhalten ist, die nicht die Einnahmen und Ausgaben des Landes und den Haushaltszeitraum betreffen. […] Nach seinem Sinn und Zweck versteht Art. 105 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf jedoch unter dem ‚Haushaltsgesetz‘ die gesetzgebungstechnische Einheit, die Gegenstand der parlamentarischen Beschlussfassung über den Haushalt des Landes ist; erfolgt sie im Rahmen eines ‚Artikelgesetzes‘, so ist dieses Gesetz in seiner Gesamtheit als Haushaltsgesetz im Sinne der Verfassung zu betrachten“. 509 Zum Begriff s. Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Handbuch der Rechtsförmlichkeit, NetVersion, http://www.bmj.de/rechtsfoermlichkeit/inhalt/ta_index. htm, Rn. 14. 510 SaarlVerfGH, Urteil v. 13.3.2006, Lv 5/05, AS RP-SL 34, 23 [35]: „Das macht es erforderlich, als ‚Haushaltsgesetz‘ […] nicht nur die Geltungsanordnung zu verstehen, die den Haushaltsplan feststellt, sondern alle mit dieser Feststellung gesetzgebungstechnisch und im Gesetzgebungsverfahren – durch die gemeinsame Beratung und der Verabschiedung – mit ihr verbundenen gesetzlichen Regelungen“. Ähnlich bereits LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, LKV 2006, 26 [29]: „Die Geltung des zeitlichen Bepackungsverbots [ist] nicht dadurch eingeschränkt, dass es sich vorliegend um ein Artikelgesetz handelt, in dem das Haushaltsgesetz 2004/2005 als Art. 1 mit anderen Artikeln zum Haushaltsrechtsgesetz 2004/2005 verknüpft worden ist. Diese Gesetzestechnik kann den Geltungsanspruch des Art. 61 Abs. 4 M-VVerf. nicht mindern“.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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b) „Bepackung“ bei der Aufnahme von und den Einnahmen aus Krediten Zu den anderen, zusätzlichen Vorschriften, mit denen das Haushaltsgesetz regelmäßig „bepackt“ wird, gehören die gem. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG erforderlichen511 gesetzlichen Ermächtigungen zur Aufnahme von Krediten sowie zur Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können.512 Systematisch ergibt sich die grundsätzliche Anwendbarkeit des zeitlichen Bepackungsverbots auf diese Kreditermächtigungen aus Art. 110 Abs. 4 S. 2 Var. 2 GG513. Nach Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG kann das Haushaltsgesetz „vorschreiben, dass die Vorschriften erst mit der Verkündung des nächsten Haushaltsgesetzes oder bei Ermächtigung nach Artikel 115 zu einem späteren Zeitpunkt außer Kraft treten“. Offenbar sieht das Grundgesetz die gesetzliche Ermächtigung zur Aufnahme von Krediten bereits als (zulässige) „Bepackung“ des Haushaltsgesetzes an, für die nicht die Trennung nach Jahren gilt, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG. Gleichzeitig ergibt sich aus § 13 Abs. 1 HGrG (insoweit deklaratorisch: § 18 Abs. 2 BHO/LHO514), dass die Kreditermächtigung für Deckungs- und Kassenverstärkungskredite im Haushaltsgesetz ausgesprochen werden muss515. Aus Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG 511 Für die Landesverfassungen s. Art. 84 S. 1 BaWüVerf; Art. 82 S. 2 BayVerf; Art. 103 Abs. 1 S. 1 BbgVerf; Art. 131a S. 1 BremVerf; Art. 141 S. 2 HessVerf; Art. 65 Abs. 1 M-VVerf; Art. 71 S. 1 NdsVerf; Art. 83 S. 1 Verf NW; Art. 117 S. 1 RhPfVerf; Art. 108 Abs. 1 SaarlVerf; Art. 95 S. 1 SächsVerf; Art. 99 Abs. 1 Verf LSA; Art. 53 S. 1 SchlHVerf; Art. 98 Abs. 2 S. 1 ThürVerf. Zu den Besonderheiten der Verfassungen Hamburgs und Berlins siehe oben S. 66 (Fn. 222 u. 223 a. E.). 512 Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 104. 513 Art. 79 Abs. 3 S. 2 BaWüVerf; Art. 61 Abs. 4 S. 2 M-VVerf; Art. 65 Abs. 5 S. 2 NdsVerf; Art. 116 Abs. 3 S. 2 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 2 S. 2 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 3 S. 2 SächsVerf; Art. 93 Abs. 4 S. 2 VerfLSA; Art. 50 Abs. 4 S. 2 SchlHVerf; Art. 99 Abs. 2 S. 2 ThürVerf. Die hessische Landesverfassung scheint in Art. 139 Abs. 3 S. 2 HessVerf eine überjährige Kreditaufnahme indes zu verbieten, da zwar Ausgaben in besonderen Fällen auch für längere Dauer bewilligt werden können (S. 1), im Übrigen aber im Haushaltsgesetz Vorschriften unzulässig sind, die über das Rechnungsjahr hinausreichen (S. 2). § 18 Abs. 3 HessLHO, der inhaltlich § 18 Abs. 3 BHO entspricht, kann eine Fortgeltung der Kreditermächtigungen des Haushaltsgesetzes gleichwohl zulässigerweise anordnen, da § 13 Abs. 2 HGrG wg. Art. 109 Abs. 3 GG Vorrang auch vor der hessischen Landesverfassung hat, vgl. v. Zezschwitz, in: Zinn/Stein, HessVerf, Art. 139, Erl. VI a). 514 Die BHO kann als einfaches Bundesrecht den (Haushalts-)Gesetzgeber nicht binden, s. bereits oben, S. 38 f. 515 § 13 Abs. 1 HGrG lautet: „Das Haushaltsgesetz bestimmt, bis zu welcher Höhe das für die Finanzen zuständige Ministerium Kredite aufnehmen darf (1.) zur Deckung von Ausgaben, (2.) zur Aufrechterhaltung einer ordnungsmäßigen Kassenwirtschaft (Kassenverstärkungskredite)“.
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lässt sich zudem folgern, dass solche Vorschriften, für die es nicht explizit vorgeschrieben ist, grundsätzlich mit Ende des Haushaltsjahres außer Kraft treten (sollen)516. Der Wortlaut des Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG lässt es zu, im Haushaltsgesetz frei darüber zu bestimmen, wann die Kreditermächtigungen außer Kraft treten sollen517. Dies ermöglicht die Inanspruchnahme der Kredite oder Gewährleistungen in späteren Rechnungsjahren, insbesondere in der Zeit vor Etatgenehmigung, also in „Interimsphasen“518, in denen „bis zum Schluss eines Rechnungsjahres der Haushaltsplan für das folgende Jahr nicht durch Gesetz festgestellt“519 ist. Unabhängig von Art. 110 Abs. 4 GG können Kreditermächtigungen aber gem. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG auch in Dauergesetzen enthalten sein (z. B. § 18 Abs. 3 BHO520, § 6 Abs. 3 S. 1 StabG). Die dauergesetzliche Ermächtigung bedeutet nicht zwangsläufig, dass auch eine zeitlich unbefristete Ermächtigung erteilt wird. Während § 6 Abs. 3 S. 1 StabG die Kreditermächtigung tatbestandlich nur an bestimmte Zwecke (Konjunktursteuerung i. S. d. § 6 Abs. 2 StabG) bindet, diese aber im Übrigen zeitlich unbegrenzt lässt, enthält § 18 Abs. 3 S. 1 BHO, der auf unbestimmte Dauer „gilt“, eine inhaltliche Befristung: „Die Ermächtigungen nach Absatz 2 Nr. 1 [sc. zur Aufnahme von Deckungskrediten] gelten bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres und, wenn das Haushaltsgesetz für das zweitnächste Haushaltsjahr nicht rechtzeitig verkündet wird, bis zur Verkündung dieses Haushaltsgesetzes.“521 516
Dazu noch unten, S. 127 ff. Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 45. 518 Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 113. 519 Vgl. den Wortlaut des Art. 111 Abs. 1 GG. Streng genommen kommt es für die Aufnahme von Krediten nicht darauf an, ob „der Haushaltsplan für das folgende Jahr […] festgestellt“ ist, sondern darauf, dass die im selben Haushaltsgesetz zu erteilende Kreditermächtigung bereits in Kraft gesetzt ist, Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG i. V. m. § 13 Abs. 1 HGrG. Treffender ist daher § 13 Abs. 2 HGrG, der darauf abstellt, dass „das Haushaltsgesetz […] nicht rechtzeitig verkündet wird“. Siehe zur Vorherigkeit noch unten § 2 B. III., S. 132 ff. 520 § 13 Abs. 2 HGrG enthält – entgegen der Formulierung – keine direkte Kreditermächtigung, sondern richtet sich normativ nur an die Gesetzgebung des Bundes und der Länder; dies ergibt sich aus § 1 HGrG. An den Wortlaut des § 13 Abs. 2 HGrG lehnen sich die Haushaltsordnungen von Bund und Ländern indes an und ermächtigen in § 18 Abs. 3 das (jeweilige) für die Finanzen zuständige Ministerium. 521 § 18 Abs. 3 S. 2 BHO enthält eine entsprechende (um ein Jahr engere) Regelung für Kassenverstärkungskredite: „Die Ermächtigungen nach Absatz 2 Nr. 2 [sc. zur Aufnahme von Kassenverstärkungskrediten] gelten bis zum Ende des laufenden Haushaltsjahres und, wenn das Haushaltsgesetz für das nächste Haushaltsjahr nicht rechtzeitig verkündet wird, bis zur Verkündung dieses Haushaltsgesetzes.“ – Vgl. zu den staatsschuldenrechtlichen Vorgaben im Einzelnen noch unten Teil 2, S. 251 ff. 517
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Aus der Trennung nach Jahren (Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG) auf der einen und der Möglichkeit einer zeitlich unbefristeten Kreditermächtigung (Art. 110 Abs. 4 S. 2, Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG) im Haushaltsgesetz (oder sonstigen Gesetzen) auf der anderen Seite ergibt sich immer dann ein Problem, wenn die Kredite der Deckung von Ausgaben dienen und damit zum Ausgleich des Haushalts erforderlich sind: Während die Aufnahme von Krediten normativ durch die jeweilige gesetzliche Kreditermächtigung und damit mittelbar durch Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG sowie, wenn die Ermächtigung im Haushaltsgesetz erfolgt (s. § 13 Abs. 1 HGrG), durch Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG geregelt ist, können Einnahmen aus Krediten nur im Rahmen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG in den Haushaltsplan (Art. 110 Abs. 1 GG) eingestellt werden (sog. Investitionsgrenze). Nun führt nicht jede Kreditaufnahme auch zu Einnahmen aus Krediten i. S. d. Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG. Kassenverstärkungskredite, die nur dazu dienen, für ausreichende Liquidität zu sorgen und täglich auszugleichen sind522, verschaffen dem Staat ebenso wenig Einnahmen wie (Deckungs-)Kredite, die zur Tilgung von Krediten (Umschuldung) vorgesehen sind und daher netto veranschlagt werden523. Der wichtigste Fall aber, die Aufnahme von solchen (Deckungs-)Krediten, die zum Ausgleich des Haushalts dienen, führt zu Einnahmen aus Krediten, die als solche in den Haushaltsplan einzustellen sind, und für die Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG zudem eine summenmäßige Begrenzung vorsieht. Die Einnahmen aus Krediten unterfallen somit der „Trennung nach Jahren“, die Ermächtigungen zur Aufnahme von Krediten im Haushaltsgesetz grundsätzlich dem zeitlichen Bepackungsverbot. Hierbei ist indes zu beachten, dass die zeitliche Einschränkung in Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG sogleich wieder zurückgenommen wird und das zeitliche Bepackungsverbot damit im Ergebnis keinerlei Wirkung entfalten kann. Die überjährige Staatsverschuldung als solche ist dementsprechend nur mittelbar eine Frage des Bepackungsverbots. Die Kreditermächtigung ist inhaltlich an den jährlichen Haushalt gekoppelt (Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG) und damit, wie sich auch aus § 13 Abs. 1 HGrG ergibt, elementarer Bestandteil des jährlichen Haushaltsgesetzes. Die zeitliche Ausdehnung der Kreditermächtigung ist, wenn sie zur Deckung von Ausgaben in verschiedenen Jahren, also für die Zwecke eines überjährigen Haushaltsausgleichs erfolgt, primär ein Problem der Trennung nach Jahren i. S. d. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG524. 522
Graf, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 5. s. oben, § 2 A. III. 1. c), S. 49 f. Vgl. auch Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 173; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 115, Rn. 20; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 32. 524 Dieser Unterschied zwischen „Aufnahme von“ und „Einnahmen aus“ Krediten wird verwischt, wenn man davon ausgeht, die Befristung der Kreditermächtigung im Haushaltsgesetz folge zwar grundsätzlich aus dem „Charakter des Haushalts523
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
Aus dem zeitlichen Bepackungsverbot folgt keine zeitliche Begrenzung der Kreditaufnahme auf das einzelne Haushaltsjahr, diese kann nur aus der Jährigkeit des Haushalts abgeleitet werden. Es ist damit stets zu differenzieren zwischen der bloßen Ermächtigung, Kredite aufzunehmen, und der Ermächtigung zur Aufnahme von Deckungskrediten (§ 13 Abs. 1 HGrG, § 18 Abs. 2 BHO), die im jeweiligen Haushaltsjahr zu Einnahmen führen. Bestätigt wird dies durch einen Vergleich mit den Bundesländern, in deren Verfassungen kein Bepackungsverbot normiert ist. Auch dort, wo ein zeitliches Bepackungsverbot nicht besteht, gelten Kreditbegrenzung und Trennung nach Jahren: Wenn die Einnahmen aus Krediten in den „jährigen“ Haushaltsplan einzustellen sind, und auch die Ausgaben, für deren Deckung die Kreditaufnahme bestimmt ist525, nach Jahren getrennt ausgewiesen werden müssen, so sind auch „die Kredite“ nach Jahren zu trennen und damit auf die einzelnen Haushaltspläne zu allozieren. 4. Folgen eines Verstoßes gegen das Bepackungsverbot
Das Bepackungsverbot bezieht sich in erster Linie auf das Verfahren der Haushaltsgesetzgebung, es erleichtert das rechtzeitige Zustandekommen des Haushaltsgesetzes vor Beginn des Rechnungsjahres526. Daneben schärft es die Kontur des Haushaltsgesetzes; dieses soll aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nur die in einem „Haushaltsgesetz“ zu erwartenden Regelungen einschließen. Inhaltliche Beschränkungen für das Haushaltsgesetz enthält das zeitliche Bepackungsverbot also nur insoweit, als bestimmte Regelungen nicht in der Form eines Haushaltsgesetzes getroffen werden können. Das Bepackungsverbot verhindert aber nicht die Verabschiedung einer gesetzlichen Regelung an sich.
gesetzes als Zeitgesetz“, sei aber gem. Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG nicht zwingend mit der Haushaltsperiode identisch (so etwa Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 8). Soweit das Haushaltsgesetz ein Zeitgesetz ist, ist die „Zeit“, für die das Haushaltsgesetz gilt, mit der Haushaltsperiode (im Fall des Doppelhaushalts: den Haushaltsperioden) identisch. 525 Wegen des Non-Affektationsprinzips (Alle Einnahmen dienen als Deckungsmittel für alle Ausgaben, § 8 S. 1 BHO/LHO, § 7 S. 1 HGrG) ist eine Zuordnung von Kreditmitteln zu einzelnen Ausgaben oder Ausgabearten nicht möglich. Auch bei den „Ausgaben für Investitionen“ gilt nichts anderes, Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG statuiert hier nur ein summenmäßiges Junktim. Eine Affektation ist aber auch nicht erforderlich: Da alle Ausgaben einem bestimmten Jahr zuzuordnen sind, kommt es für die Zuordnung der Kredite nicht auf die einzelne – bestimmte oder bestimmbare – Ausgabe an. 526 v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 88.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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a) Grundsätzlich: Teilnichtigkeit Verstöße gegen das Bepackungsverbot führen zur Nichtigkeit des betreffenden Teils des Haushaltsgesetzes, also zur Teilnichtigkeit (nur) der jeweils „hineingepackten“ Bestimmungen527. Im Hinblick auf das sachliche Bepackungsverbot ist dies ohne weiteres nachvollziehbar: Die Nichtigkeit rechtswidriger Rechtsakte ist der Normalfall528. Verstößt ein Gesetz gegen die Verfassung, so ist es von Anfang an nichtig und unwirksam, da der Verfassung (Normenhierarchie, Art. 20 Abs. 3 GG) Geltungsvorrang zukommt.529 Auch die Teilnichtigkeit leuchtet ein. Das Haushaltsgesetz soll nicht bepackt werden. Es liefe dem Schutzzweck des Bepackungsverbots zuwider, eine Nichtigkeit des Haushaltsgesetzes insgesamt anzunehmen. b) „Automatische“ Befristung? Auch bei einem Verstoß gegen das zeitliche Bepackungsverbot spricht zunächst alles für eine Teilnichtigkeit. Der Wortlaut des Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG trennt hinsichtlich der Rechtsfolge nicht zwischen sachlichem und zeitlichem Bepackungsverbot („dürfen nur Vorschriften aufgenommen werden“). Systematische Zweifel nähren sich indes aus Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG. Danach kann das Haushaltsgesetz „vorschreiben, dass die Vorschriften erst mit der Verkündung des nächsten Haushaltsgesetzes […] außer Kraft treten“. Die Verfassung geht grundsätzlich davon aus, dass die Regelungen des Haushaltsgesetzes mit Ablauf des Haushaltsjahres außer Kraft treten. Es erscheint daher ebenso denkbar, dass statt der Nichtigkeit nur eine Befristung der hineingepackten Bestimmungen, eine „automatische Erstreckung des Jährlichkeitsprinzips“530 anzunehmen ist531. In Rechtsprechung und LiFischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 25; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 45; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein10, Art. 110, Rn. 21; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 43; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 110, Rn. 9; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 134; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 115; Stober, DÖV 1984, 265 [267]. 528 Maurer, AllgVerwR16, § 10 Rn. 20. 529 Vgl. statt vieler Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 20, Rn. 33. Dies spiegelt sich auch in den Vorschriften über die abstrakte Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 78 S. 1 BVerfGG) wider. 530 Vgl. zum Begriff LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, Abschrift, S. 25 (= Schl.-Holst.-LT Umdruck 16/149, LKV 2006, 26 [29]). Das LVerfG lehnt diesen Ansatz indes ab. – Die „Jährlichkeit“ ist hier als Oberbegriff gebraucht, treffender wäre der Begriff „Jährigkeit“, s. o. S. 101 oder auch „Zeitigkeit“, vgl. Grawert, DVBl. 1981, 1029 [1033]. 531 Vgl. Grawert, DVBl. 1981, 1029 [1032, Fn. 23]; Stober, DÖV 1984, 265 [267]. Der vom LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, Abschrift, S. 25, als 527
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teratur werde dies gelegentlich vertreten532: Materiell-rechtliche Regelungen seien im Haushaltsgesetz zwar ein Fremdkörper, sie seien jedoch nicht per se unzulässig, sondern lediglich auf die Geltungsdauer des Haushaltsgesetzes beschränkt533. Teleologische Erwägungen, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sollen indes gegen „die Annahme einer ‚automatischen‘ Erstreckung des Jährlichkeitsprinzips“534 sprechen. Das zeitliche Bepackungsverbot schließe bereits dem Wortlaut nach die Aufnahme von Vorschriften aus, die über den Geltungszeitraum des Haushaltsgesetzes hinaus gehen. Nur so könne das zeitliche Bepackungsverbot den Charakter des Haushaltsgesetzes wahren, das ein Zeitgesetz ist und Dauerregelungen nicht verträgt535. Mit der Feststellung Beleg für diese Auffassung zitierte NdsStGH, Beschluss v. 31.10.1996, StGH 4/96, Abschrift, S. 11 f., sieht indes bereits den Tatbestand des zeitlichen Bepackungsverbots nicht erfüllt. Dort heißt es: „Die genannten Vorschriften […] beziehen sich ‚auf den Zeitraum […], für den das Haushaltsgesetz beschlossen‘ worden war“, S. 12 d. UA. Ähnlich OVG Lüneburg, Urteil v. 19.5.1988, 9 A 167/86, NVwZ-RR 1989, 542 (zu § 19 Abs. 1 NdsHaushG 1985: „wirksame Rechtsgrundlage“) einerseits und OVG Lüneburg, Urteil v. 26.11.1986, 9 A 178/84, NVwZ-RR 1988, 450 andererseits (zu § 19 Abs. 3 S. 4 NdsHaushG 1982: „Als [sc. Dauerregelung] widerspricht sie dem Bepackungsverbot“). Ob Elles, Die Grundrechtsbindung des Haushaltsgesetzgebers, 1996, S. 172 und Fn. 76 die zeitliche Begrenzung auf Tatbestandsebene oder auf der Rechtsfolgenseite verortet ist unklar: „Zwar sind die Ausgabengesetze […] grundsätzlich Normierungen mit Dauerrechtscharakter […], doch ist dieses Gebot praktischer, nicht rechtlicher Natur“. 532 So das LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, Abschrift, S. 25 (= Schl.-Holst.-LT Umdruck 16/149, LKV 2006, 26 [29]). Grawert, DVBl. 1981, 1029 [1032], spricht von einer (scheinbaren?) Selbstverständlichkeit: „Mit gleicher Selbstverständlichkeit [sc. wie für das Inkrafttreten] wird angenommen, dass auch für das Außerkrafttreten [Hervorhebung im Original, d. Verf.] die Befristung des Haushaltsgesetzes den Maßstab setzt“, mit Hinweis auf Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 45; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 10. – Die vom LVerfG angegebenen Fundstellen können, müssen aber nicht im Sinne einer „automatischen Erstreckung“ (auf Rechtsfolgenseite) verstanden werden. 533 Vgl. LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, Abschrift, S. 25 (= Schl.Holst.-LT Umdruck 16/149, LKV 2006, 26 [29]) m. Hinw. auf NdsStGH, Beschluss v. 31.10.1996, StGH 4/96, DVBl 1997, 119; Elles, Die Grundrechtsbindung des Haushaltsgesetzgebers, 1996, S. 172; Grawert, DVBl. 1981, 1029 ff.; Stober, DÖV 1984, 265 [267]. Der vom LVerfG ebd. zitierte Beitrag von Dommach, DÖV 1981, 122 ff. beschäftigt sich indes ausschließlich mit § 44a BHO [S. 124, Fn. 15]. Da die BHO ein Dauergesetz ist, kann hieraus für das zeitliche Bepackungsverbot nichts abgeleitet werden. 534 LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, Abschrift, S. 25 (= Schl.Holst.-LT Umdruck 16/149, LKV 2006, 26 [29]). – Gleiches soll in systematischer Hinsicht aus Art. 61 Abs. 4 S. 2 M-VVerf (entspricht Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG) folgen. Dieser sehe nur enge Ausnahmen vor, die inhaltlich auf die Besonderheiten des Haushaltsrechts beschränkt seien, LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, Abschrift, S. 26 (LKV 2006, 26 [29]).
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des Haushaltsplans könnten – soweit ein Bepackungsverbot besteht – nur auf das Haushaltsjahr befristete Änderungen von finanzwirksamen Gesetzen oder deren Suspension im Haushaltsgesetz verbunden werden536. aa) Befristung als Tatbestand und Rechtsfolge? Der Wortlaut des Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG ist, versucht man eine Entscheidung zwischen beiden denkbaren Rechtsfolgen einer unzulässigen Bepackung, bemerkenswert offen. Die Formulierung („In das Haushaltsgesetz dürfen nur Vorschriften aufgenommen werden, die […] sich auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird“537) ermöglicht sowohl die Annahme einer Befristung als auch der Nichtigkeit. Überdies verführt sie, wie sich an der Formulierung, materiell-rechtliche Regelungen seien „nicht per se unzulässig, sondern lediglich auf die Geltungsdauer des Haushaltsgesetzes beschränkt“538, zeigt, zu einer Vermischung von Tatbestand und Rechtsfolge bzw. zu logischen Zirkelschlüssen: Eine Regelung im Haushaltsgesetz, die für ein Haushaltsjahr die Aufhebung von Zuwendungsbescheiden ermöglichte, wäre im Hinblick auf das zeitliche Bepackungsverbot ohne weiteres zulässig und vom 1. 1. bis zum 31. 12. des entsprechenden Jahres wirksam539. Eine Regelung im Haushaltsgesetz, die für mehrere Haushaltsjahre (auf Dauer)540 eine Aufhebung von Zuwendungsbescheiden zuließe, wäre mit dem zeitlichen 535
LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, Abschrift, S. 25 f. (= Schl.Holst.-LT Umdruck 16/149, LKV 2006, 26 [29]) m. Hinw. auf v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 88; Stober, DÖV 1984, 265 [267]. 536 LVerfG, M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, Abschrift, S. 25 f. (= Schl.Holst.-LT Umdruck 16/149, LKV 2006, 26 [29]) m. Hinw. auf Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 139. 537 Vgl. auch Art. 79 Abs. 3 S. 1 BaWüVerf; Art. 139 Abs. 3 S. 2 HessVerf; Art. 61 Abs. 4 S. 1 M-VVerf; Art. 65 Abs. 5 S. 1 NdsVerf; Art. 116 Abs. 3 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 3 S. 1 SächsVerf; Art. 93 Abs. 4 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 4 S. 1 SchlHVerf; Art. 99 Abs. 2 S. 1 ThürVerf. 538 LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, LKV 2006, 26 [29]) m. Hinw. auf NdsStGH, Beschluss v. 31.10.1996, StGH 4/96, DVBl 1997, 119; Elles, Die Grundrechtsbindung des Haushaltsgesetzgebers, S. 172; Grawert, DVBl. 1981, 1029 ff.; Stober, DÖV 1984, 265 [267]. 539 Zweifel können sich allenfalls aus dem sachlichen Bepackungsverbot ergeben. Indes schließt das Bepackungsverbot materiell-rechtliche Normen, die für die Einnahmen und Ausgaben von Bedeutung sind, nicht schlechthin aus, Ehlers, VerwArch. 74 (1983), 112 [123, Fn. 67]. § 3 Abs. 2 HGrG („Durch den Haushaltsplan werden Ansprüche oder Verbindlichkeiten weder begründet noch aufgehoben.“) gilt nur für den Haushaltsplan, nicht für das Haushaltsgesetz im Übrigen. 540 Der Sonderfall eines Doppelhaushaltsgesetzes (§ 9 Abs. 1 HGrG), in dem ohne weiteres Regelungen für mehrere (= zwei) Haushaltsjahre zulässig sind, soll hier außer Betracht bleiben.
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Bepackungsverbot indes unvereinbar. Zwei Rechtsfolgen sind denkbar: Wäre sie nichtig, so könnte auch im betreffenden Haushaltsjahr keine Aufhebung auf diese Regelung gestützt werden; wäre sie nur befristet, wäre eine auf sie gestützte Aufhebung immerhin vom 1. 1. bis zum 31. 12. des entsprechenden Jahres zulässig.
Die „Befristung“ der hineingepackten Bestimmungen ist zunächst Tatbestandsmerkmal des zeitlichen Bepackungsverbots, nicht Rechtsfolge. Auf Tatbestandsebene kommt es darauf an, ob sich die Regelung auf ein oder auf mehrere Haushaltsjahre „bezieht“. Sofern die hineingepackten Bestimmungen nicht ausdrücklich auf das Haushaltsjahr (oder einen Teil des Haushaltsjahres541) befristet werden, und der Gesetzgeber – wie stets in den Haushaltsgesetzen – auf eine Außerkrafttretensklausel verzichtet542, ist die zeitliche Geltung der hineingepackten Bestimmungen nicht eindeutig vorgezeichnet. Enthält das Haushaltsgesetz etwa eine dem § 44a BHO a. F.543 entsprechende Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung von Zuwendungsbescheiden, so muss durch Auslegung ermittelt werden, ob sich die Regelung auf den Zeitraum bezieht, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird, ob sie also für ein oder aber für mehrere Haushaltsjahre gelten soll. Der Wortlaut einer solchen abstrakt-generellen Regelung spricht – soweit eine ausdrückliche Befristung fehlt – für eine Dauerregelung. Die systematische Stellung im Haushaltsgesetz legt eine zeitlich befristete Regelung nahe; aus Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG („Das Haushaltsgesetz kann vorschreiben, dass die Vorschriften [sc. später] außer Kraft treten“) lässt sich immerhin der Grundgedanke entnehmen, dass Regelungen im Haushaltsgesetz ohne eine abweichende Geltungsanordnung „automatisch“ mit dem Ende des Haushaltsjahres außer Kraft treten sollen. Beide Auslegungsmethoden führen indes häufig zu keinem eindeutigen Ergebnis. Der „historische“ Gesetzgeber ging in den bisherigen Fällen einer Bepackung des Haushaltsgesetzes wohl zumeist von einer Befristung aus544. Dies zeigt sich – insofern lassen sich die Motive objektivieren – 541 Vgl. den vom BSG, Urteil v. 28.2.1974, 7 RKg 4/71, BSGE 37, 144–148 entschiedenen Fall (zu § 32 BHaushG 1967, G. v. 4.7.1967, BGBl. II 1967 – Aussetzung der Ausbildungszulage nach § 14a BKGG i. d. F. v. 5.4.1965, BGBl. I S. 222 für die Zeit v. 1.7.1967 bis 31.12.1967). 542 Vgl. Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Handbuch der Rechtsförmlichkeit, NetVersion, http://www.bmj.de/rechtsfoermlichkeit/inhalt/tc9.htm, Rn. 490; LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, Abschrift, S. 24 f. 543 „Werden Zuwendungen entgegen dem im Zuwendungsbescheid bestimmten Zweck verwendet […], kann der Zuwendungsbescheid ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit widerrufen werden“, § 44a Abs. 1 S. 1 BHO (Art. 1 G v. 14.7.1980 BGBl. I, S. 955, aufgeh. durch Art. 2 G v. 2.5.1996, BGBl. I, S. 656 m. W. v. 21.5.1996). Vgl. z. B. § 19 Abs. 1 NdsHaushG 1985 (G. v. 11.3.1985, GVBl. S. 43 [46]).
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bereits daran, dass die entsprechenden Regelungen „Haushaltsjahr für Haushaltsjahr verlängert“545 wurden und die „wiederholte jährliche Aufnahme“546 in das Haushaltsgesetz nur „faktisch“ eine Dauerregelung schaffen sollte547. bb) Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung Vergegenwärtigt man sich die Ausgangslage, dass nämlich das zeitliche Bepackungsverbot Dauerregelungen verhindern will, die sich nicht auf die jeweilige Haushaltsperiode beziehen, so werden sich viele Fälle, in denen die Auslegung der hineingepackten Vorschrift zunächst kein eindeutiges Ergebnis liefert, mit Hilfe einer verfassungskonformen Auslegung „entschärfen“ lassen. Bei mehreren möglichen Auslegungen verdient diejenige den Vorzug, die der Verfassung besser entspricht. Dies ist in den Fällen der Bepackung die auf das Haushaltsjahr befristete Regelung. Indes darf die Auslegung den normativen Gehalt der Vorschrift nicht grundlegend neu bestimmen548. Die verfassungskonforme Auslegung findet dort ihre Grenze, „wo sie zu dem Wortlaut und dem klaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde“549. Hier „muss dem Gesetzgeber die Entscheidung vorbehalten bleiben, ob er die verfassungswidrige Regelung durch eine verfassungsmäßige ersetzen will“550. Im Fall der in das Haushaltsgesetz hineingepackten Bestimmungen wird in aller Regel davon auszugehen sein, dass eine befristete Regelung dem Willen des Gesetzgebers eher entspricht als keine (d.h. eine nichtige und unwirksame) Regelung. Insbesondere bei jährlicher Wiederholung spricht vieles für eine befristete und damit zulässige Bepackung. 544
Vgl. Grawert, DVBl. 1981, 1029 [1032]; VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [314]; NdsStGH, Beschluss v. 31.10.1996, StGH 4/96, Abschrift, S. 12; OVG Lüneburg, Urteil v. 19.5.1988, 9 A 167/86, NVwZ-RR 1989, 542. 545 Grawert, DVBl. 1981, 1029 [1032]. 546 VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [314] – Grundstock. 547 NdsStGH, Beschluss v. 31.10.1996, StGH 4/96, Abschrift, S. 12; OVG Lüneburg, Urteil v. 19.5.1988, 9 A 167/86, NVwZ-RR 1989, 542; Grawert, DVBl. 1981, 1029 [1032, Fn. 23, 24] 548 Pieroth/Schlink, Grundrechte23, Rn. 86. 549 BVerfG, Beschluss v. 26.4.1994, 1 BvR 1299/89, 1 BvL 6/90, BVerfGE 90, 263 [275]; Lüdemann, JuS 2004, 27 [29]. 550 BVerfG, Beschluss v. 10.7.1958, 1 BvF 1/58, BVerfGE 8, 71 [79]; BVerfG, Beschluss v. 11.6.1980, 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277 [299 f.]; Lüdemann, JuS 2004, 27 [29].
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cc) Keine geltungserhaltende Reduktion Im Anwendungsbereich des zeitlichen Bepackungsverbots verbleiben daher nur „echte“ Dauerregelungen, bei denen sich aus dem „Wortlaut und dem klaren Willen des Gesetzgebers“551 eine Überschreitung der zeitlichen Grenzen des Haushaltsjahres ergibt552. Tatbestandlich liegt hier keine Befristung vor. Nähme man nun – mit dem Argument, dass die Aufnahme in das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz automatisch zu einer Befristung führen würde553 – als Rechtsfolge die automatische Befristung an, wäre wiederum der Tatbestand des zeitlichen Bepackungsverbots nicht mehr erfüllt (Zirkelschluss): Die „Befristung“ (zeitliche Eingrenzung) kann keine taugliche Rechtsfolge eines Verbots sein, das gerade nur auf zeitlich nicht eingrenzte, das Haushaltsjahr überschreitende Regelungen Anwendung findet. Widerspricht die Befristung dem Wortlaut und Sinn einer Vorschrift, ist also eine Befristung vom Gesetzgeber nicht gewollt und damit keine verfassungskonforme Auslegung möglich, gibt es auch keinen Grund, dem Gesetzgeber im Wege der Befristung auf Rechtsfolgenseite eine „geltungserhaltende Reduktion“ aufzuzwingen, die zudem noch von der regelmäßigen Rechtsfolge eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht (Nichtigkeit) abweicht. Auch ein Verstoß gegen das zeitliche Bepackungsverbot führt damit, wenn er im Wege der Auslegung nicht „behoben“ werden kann, zur (Teil-)Nichtigkeit der entsprechenden hineingepackten Vorschriften. III. Die „Vorherigkeit“ des Haushalts Der Haushaltsplan wird gem. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG vor Beginn des Rechnungsjahres554 durch das Haushaltsgesetz festgestellt. Ähnliche Rege551 BVerfG, Beschluss v. 26.4.1994, 1 BvR 1299/89, 1 BvL 6/90, BVerfGE 90, 263 [275]. 552 Das LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, Abschrift, S. 24 f., hat für die materiell-rechtlichen Regelungen der Art. 3 (Altersteilzeit für Richter) und 4 (Änderung von Gebührenregelungen für Kommunen) MVHRG 2004/2005 (G. v. 4.3.2004, GVOBl. M-V S. 74) einen Dauerrechtscharakter angenommen: Die Normen seien in ihrer Geltungsdauer weder nach ihrem Wortlaut noch durch eine ausdrückliche Regelung über das Außerkrafttreten beschränkt. Dem Gesetz lasse sich nicht entnehmen, dass die Regelungen von vornherein nur für eine Übergangszeit bis zu einer entsprechenden Regelung im eigentlichen Sachgesetz gelten sollen. 553 Dieses Argument entnimmt das LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 8/04, Abschrift, S. 24 f., den ebd. angegebenen Fundstellen: NdsStGH, Beschluss v. 31.10.1996, StGH 4/96, DVBl 1997, 119; Elles, Die Grundrechtsbindung des Haushaltsgesetzgebers, 1996, S. 172; Grawert, DVBl. 1981, 1029 ff.; Stober, DÖV 1984, 265 [267]; Dommach, DÖV 1981, 122 ff. 554 Im Fall des Mehrjahreshaushalts vor Beginn des ersten Rechnungsjahres, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG.
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lungen enthalten die Verfassungen der Länder555. Das Budget ist ein Voranschlag, ein zukunftsbezogener Plan556, und soll daher vor Beginn des betreffenden Haushaltsjahres feststehen.557 Grundgesetz und Länderverfassungen gehen davon aus, dass das Haushaltsgesetz spätestens am letzten Tag des vorhergehenden Rechnungsjahres verkündet wird, so dass der Haushaltsplan am ersten Tag des Rechnungsjahres in Kraft treten kann558. Wie die Jährlichkeit hat sich auch die Budgetvorherigkeit zeitgleich mit der Demokratisierung entwickelt und war ursprünglich nicht so sehr mit der 555 Art. 79 Abs. 2 S. 2 BaWüVerf („Feststellung soll vor Beginn des Rechnungsjahres […] erfolgen“); Art. 78 Abs. 3 BayVerf („wird vor Beginn […] festgestellt“); Art. 101 Abs. 3 S. 1 BbgVerf („wird“); Art. 131 Abs. 2 S. 1 BremVerf („wird“); Art. 139 Abs. 2 S. 2 HessVerf („wird“); Art. 61 Abs. 2 M-VVerf („wird“); Art. 65 Abs. 4 NdsVerf („wird“); Art. 81 Abs. 3 S. 1 Verf NW („wird“); Art. 116 Abs. 2 S. 1 RhPfVerf („wird“); Art. 105 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf („wird“); Art. 93 Abs. 2 S. 2 SächsVerf („soll“); Art. 93 Abs. 2 S. 1 VerfLSA („wird“); Art. 50 Abs. 2 SchlHVerf („ist vor Beginn […] festzustellen“); Art. 99 Abs. 1 S. 1 ThürVerf („wird“). In den Ländern, in denen die Vorherigkeit nicht explizit angeordnet ist (Berlin, Hamburg), kann systematisch aus Regelungen für den Fall, dass „der Haushaltsplan zu Beginn der neuen Rechnungsjahres noch nicht festgestellt“ (vgl. Art. 89 Abs. 1 S. 1 BerlVerf) ist, geschlossen werden, dass auch hier der Haushaltsplan „bis zum Schluss eines Rechnungsjahres“ (vgl. Art. 67 Abs. 1 HmbVerf) festzustellen ist. Im HGrG ist die Vorherigkeit ebenfalls nur vorausgesetzt (z. B. § 8 Abs. 2 HGrG: „Der Haushaltsplan enthält alle im Haushaltsjahr zu erwartenden Einnahmen, voraussichtlich zu leistenden Ausgaben und voraussichtlich benötigten Verpflichtungsermächtigungen“ [Hervorhebungen nur hier, d. Verf.]. 556 Vgl. Birk, Haushaltsplanung und Haushaltsvollzug, in: FS Hoppe, S. 285 [286]; Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 205; Anschütz, Verfassung des Deutschen Reiches14 (1933), Art. 85, Anm. 4, S. 434; Neumark, in: Gerloff/ Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 12, S. 585. Für das kommunale Haushaltsrecht s. Hoppe, Prinzipien der Jährlichkeit und Vorherigkeit, S. 19, 38 f.; Pünder, Haushaltsrecht im Umbruch, S. 87 f. 557 Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 80. Vgl. auch bereits v. Heckel, Das Budget (1898), S. 113: „Ein gesunder, ordnungsmäßiger Lebenslauf der Staatsverwaltung ist durchaus durch eine so zeitige Beschließung des Budgets bedingt, dass mit Beginn des Finanzjahres die normale Wirksamkeit der verabschiedeten Finanzthatsachen einsetzen kann. […] Noch ungünstiger [sc. als im Fall einer zu frühen Verabschiedung, die zu Ungenauigkeiten führt, d. Verf.] ist die Sachlage zu beurteilen, wenn das Budget nicht rechtzeitig, d.h. vor Beginn des Finanzjahres verabschiedet wird. Da die Staatsmaschine nicht stillstehen kann, so muss hier thatsächlich der Vollzug der Bewilligung vorangehen, ein naturwidriger Zustand, der Ausnahmemaßregeln erheischt“. 558 v. Portatius, Bepackungsverbot, S. 85. Tag der Verkündung ist gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 GGO II der Tag der Ausgabe des Bundesgesetzblatts, Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Handbuch der Rechtsförmlichkeit, NetVersion, http:// www.bmj.de/rechtsfoermlichkeit/inhalt/tc9.htm, Rn. 479. Im Regelfall gelten Gesetze nur für die Zeit nach ihrer Verkündung. Frühester Tag des Inkrafttretens ist daher i. d. R. der Tag nach der Verkündung; ansonsten liegt ein Fall der (zulässigen oder unzulässigen) Rückwirkung vor.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
Jährlichkeit der Ausgaben als vielmehr mit der einzelnen Bewilligung von Einnahmen verbunden559: Steuern konnten in der konstitutionellen Monarchie nur nach einer entsprechenden Ermächtigung durch die Volksvertretung erhoben werden. Die Vorherigkeit sichert – wie die Jährlichkeit – das Budgetrecht des Parlaments. Wenn der Haushaltsplan seine Aufgabe, die Exekutive in ihrem Finanzgebaren zu steuern und damit das parlamentarische Budgetrecht zu sichern, erfüllen soll, muss er vor Beginn des Haushaltsjahres vorliegen560, nur so kann – aus rechtlicher Sicht – der Vorrang des Haushaltsgesetzgebers gegenüber der Exekutive gewahrt werden561. Aus finanzpolitischer Sicht ist eine rationale Ordnung des Haushalts nur möglich, wenn neben dem Bedarf auch die verfügbaren Deckungsmittel im Voraus bekannt sind; die Vorherigkeit sichert daher auch den Haushaltsausgleich, das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben562. Der Grundsatz der Vorherigkeit „leitet sich unmittelbar aus der Erkenntnis der essentiellen Elemente des Budgetbegriffs ab“ (Neumark)563, versteht sich von selbst (Anschütz)564 und ist „eines der wichtigsten Prinzipien des Haushaltswesens überhaupt“ (Vialon): „[…] ohne Rechtzeitigkeit keine ausreichende Kontrolle, keine umfassende Verantwortung des Parlaments, keine genügend übersichtliche Präsentation, keine Einheitlichkeit der Vergleiche, keine ausführliche Diskussion in der Öffentlichkeit, keine Ordnung im Finanzwesen von oben nach unten. Stattdessen zeitliche Hetze, Unlust und mangelnde Befriedigung bei allen Teilnehmern, Unsicherheit in der Verwaltung, unzureichendes Auspendeln des Gleichgewichts, ungenügende Erfahrungen bis zur Aufstellung des ersten Plans, Einströmen unseriöser Tendenzen und improvisierter Hilfsmittel.“565
559
Heinig, Das Budget, Bd. 2, S. 263. Siehe zur historischen Entwicklung der Jährlichkeit aus dem Steuerbewilligungsrecht bereits oben, S. 84 ff. 560 Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 128; BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [33]; BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 79. 561 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [33]; BVerfG, Beschluss v. 15.12.1983, 2 BvE 14/83, BVerfGE 66, 26 [38]; BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 79; Hillgruber, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 80. 562 Neumark, Grundsatz der Vorherigkeit, VJStFinR 1 (1927), S. 425. 563 Neumark, Reichshaushaltsplan, S. 284. Vgl. zur Rezeption auch Heinig, Das Budget, Bd. 2, S. 264. 564 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reiches14 (1933), Art. 85, Anm. 4, S. 434. 565 Vialon, Haushaltsrecht2, S. 96, Teil B I. 6; zustimmend Patzig, Haushaltsrecht, Bd. 1, S. 123, Rn. 101.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
135
1. Tatsächliche Entwicklung seit 1871
Die Betonung des Grundsatzes der Vorherigkeit im Theoretischen steht in einem erstaunlichen Kontrast zu bzw. erfolgt anscheinend gerade wegen der fast schon traditionellen Vernachlässigung der Vorherigkeit im Praktischen. Während der Etat des Deutschen Reichs seit 1871 noch bis einschließlich 1903 (mit Ausnahme der Haushalte 1877566 und 1878567)568 stets vor Beginn des Rechnungsjahres festgestellt werden konnte569, begann 1904 „jener Abschnitt der Reichshaushaltswirtschaft, der dadurch gekennzeichnet ist, dass eine rechtzeitige Verabschiedung zur Ausnahme wird“570. Von 1949 bis 1979 wurde auf Bundesebene kein Haushalt rechtzeitig vor Beginn des Haushaltsjahres verabschiedet571 (durchschnittlich um 152 Tage verspätet572), die Haushalte 1949 und 1950 wurden sogar erst nach Ablauf des zu beplanenden Haushaltsjahres im Bundesgesetzblatt verkündet573. Nach der 566 G. v. 28.4.1877, RGBl. S. 425. Die Verkündung erfolgte am 30.4.1877, also genau einen Monat zu spät. Für die Zwischenzeit galt das „Gesetz, betr. die vorläufige Erstreckung des Haushalts-Etats des Deutschen Reichs für das Vierteljahr vom 1. Januar 1877 bis 31. März 1877 auf den Monat April 1877“ vom 26.3.1877, RGBl. S. 407. 567 G. v. 29.4.1878, RGBl. S. 17 (Verkündung am 30.4.1878); zuvor „vorläufiges“ G. v. 30.3.1878, RGBl. S. 9. 568 Es handelte sich um die ersten beiden (Stamm-)Haushalte nach Änderung der Rechnungsperiode durch das „Gesetz, betreffend das Etatsjahr für den Reichshaushalt“ v. 29. Februar 1876 (G. v. 29.2.1876, RGBl. S. 121). Von 1877 bis 1960 lief das Rechnungsjahr vom 1. April bis 31. März. Vgl. zu den Gründen für die Umstellung bereits oben, S. 95 f. 569 Vgl. die Darstellung bei Neumark, Grundsatz der Vorherigkeit, VJStFinR 1 (1927), S. 423 [430 f.]; Neumark, Reichshaushaltsplan, S. 287. 570 Neumark, Grundsatz der Vorherigkeit, VJStFinR 1 (1927), S. 423 [430]; Patzig, Haushaltsrecht, Bd. 1, S. 123, Rn. 101. Vgl. Art. 69 S. 2 RV (G. v. 16.4.1871, RGBl. S. 64): „Letzterer [sc. der Reichshaushaltsetat, d. Verf.] wird vor Beginn des Etatjahres […] durch ein Gesetz festgestellt“ und Art. 85 S. 2 WRV (G. v. 11.8.1919, RGBl. S. 1383): „Der Haushaltsplan wird vor Beginn des Rechnungsjahrs durch ein Gesetz festgestellt“. S. auch bereits Art. 63 Abs. 2 S. 2 PrVerf („vor Beginn des Rechnungsjahres“, G. v. 30.11.1920, PrGS S. 543, zit. nach Boldt, Reich und Länder, S. 530 [542]); Art. 99 Abs. 1 PrVerfU („im Voraus“ G. v. 31.1.1850, PrGS S. 17; zit. nach Boldt, Reich und Länder, S. 428 [442]). 571 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 57 spricht von „beharrlichen Verfassungsverstößen“; s. auch Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG2, Bd. 3, Art. 111, Rn. 1; Gatzer, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 111 GG, Anm. 7. 572 Beginn des Haushaltsjahres bis zur Ausgabe des Bundesgesetzblatts, s. die Übersicht, Anhang 2, S. 403. Vgl. auch bereits BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [33]: „Die Haushaltsgesetze sind seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland im Durchschnitt der Jahre mit einer annähernd halbjährigen Verspätung verabschiedet worden“. 573 HG 1949 (G. v. 7.6.1950, BGBl. II, S. 199 – Rechnungsjahr vom 1.4.1949–31.3.1950); HG 1950 (G. v. 30.6.1951, BGBl. II, S. 125 – Rechnungsjahr
136
1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
Angleichung des Rechnungsjahres an das Kalenderjahr (seit 1961)574 wurde das Zeitproblem für die Aufstellung des Haushaltsplans und die parlamentarischen Beratungen als noch schwieriger empfunden575. Dies scheint sich objektiv zu bestätigen: Während von 1951 bis 1960 die Haushalte im Mittel 109 Tage zu spät festgestellt wurden, waren die Haushaltsgesetze von 1962 bis 1979 durchschnittlich um 140 Tage verspätet576. Die rechtzeitige Feststellung des Haushaltsplans war daher auch ein „zentrales Anliegen der Haushaltsrechtsreform“577 im Jahre 1969. Zur Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens wurde Art. 110 Abs. 3 GG eingeführt578. Auch dies brachte jedoch zunächst keine Verbesserungen (durchschnittliche Verspätung der Haushalte von 1970 bis 1977: 176 Tage)579. Erst nach einem mahnenden Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf die „verfassungsrechtliche Verpflichtung aller beteiligten Verfassungsorgane, daran mitzuwirken, dass der Haushaltsplan regelmäßig vor Ablauf des vorherigen Rechnungsjahres verabschiedet werden kann“580, wurden im Zeitraum von 1978 bis 2007 immerhin 19 von 30 Haushalten rechtzeitig vor Beginn des Haushaltsjahres festgestellt581. vom 1.4.1950–31.3.1951). Zu den Hintergründen (Überrollungshaushalt 1951, Wiederholungshaushalt 1952) vgl. v. Mangoldt, GG (1953), Art. 110, Anm. 3 (S. 585) und Art. 111, Anm. 2 m. w. N. 574 G. v. 29.12.1959, BGBl. I, S. 832, s. bereits oben, I. 2. b), S. 95 f. 575 BT-Ds. V/3040, S. 42 (Tz. 83 ff.) = BR-Ds. 284/68: „Bisher konnte noch kein Bundeshaushaltsgesetz rechtzeitig verkündet werden. Seit der Angleichung des Haushaltsjahres an das Kalenderjahr ist die Lösung dieses Problems noch schwieriger geworden“. 576 s. die Übersicht, Anhang 2, S. 403. 577 BT-Ds. V/3040, S. 42 (Tz. 83 ff.) = BR-Ds. 284/68. 578 „Die Gesetzesvorlage nach Absatz 2 Satz 1 [sc. Haushaltsgesetz, d. Verf.] sowie Vorlagen zur Änderung des Haushaltsgesetzes und des Haushaltsplanes werden gleichzeitig mit der Zuleitung an den Bundesrat beim Bundestage eingebracht; der Bundesrat ist berechtigt, innerhalb von sechs Wochen, bei Änderungsvorlagen innerhalb von drei Wochen, zu den Vorlagen Stellung zu nehmen“, Art. I Nr. 2 G v. 12.5.1969, BGBl. I S. 357. 579 Ein Grund hierfür kann darin gesehen werden, dass der Haushaltsausschuss des Bundestags bestrebt war, seine Beschlussempfehlung erst auf Grundlage der IstAusgaben des vergangenen Jahres abzugeben, vgl. hierzu Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 58. 580 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [33]: „Art. 111 GG soll nicht das Haushaltsbewilligungsrecht des Gesetzgebers vorübergehend ersetzen, sondern lediglich für den – vom Grundgesetz als kurzfristige Ausnahmesituation gedachten – etatlosen Zustand eine vorläufige Haushaltsführung ermöglichen. Mit dieser verfassungsrechtlichen Lage steht die bisherige langjährige Praxis schwerlich in Einklang“. 581 In der Zeit von 1980 bis 2007 betrug die durchschnittliche Verspätung 37 Tage (berücksichtigt man nur die verspäteten Haushalte: 123 Tage), vgl. die Über-
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Abbildung 1
Haushalte nach Bundestagswahlen
Vorherigkeit: Tage zwischen Beginn des Haushaltsjahres und Verkündung des Haushaltsgesetzes
1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
137
138
1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
Schwierigkeiten für eine rechtzeitige Verabschiedung des Haushalts ergeben sich auch in neuerer Zeit zumeist in Wahljahren582. Da die Bundestagswahlen regelmäßig im Herbst stattfinden, kann der Haushaltsentwurf zwar häufig noch in erster Lesung beraten werden, verfällt dann aber der Diskontinuität583. Echte „Etatkonflikte“, also die Ablehnung eines von der Regierung eingebrachten Haushaltsentwurfs (Etatverweigerung), sind demgegenüber selten, aber nicht ausgeschlossen584. sicht, Anhang 2, S. 403; vgl. auch die Übersichten bei Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 57, Fn. 135 und Gatzer, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 111 GG, Anm. 7. 582 Beispiele sind die Haushalte 1991, 1995, 1999, 2003 und 2006 (Bundestagswahlen fanden am 2.12.1990, 16.10.1994, 27.9.1998, 22.9.2002 und 18.9.2005 statt). Hingegen konnten die Haushalte 1984 und 1988 rechtzeitig festgestellt werden. Die Wahlen fanden hier bereits im Frühjahr des Vorjahres statt (6.3.1983, 25.1.1987). Vgl. auch Fricke, DVBl. 1975, 604. 583 Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 60 (S. 50). – Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 129 (S. 123) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ein Wechsel der parlamentarischen Mehrheit nach einer Wahl gegen Ende des alten Haushaltsjahres eine Durchbrechung des Vorherigkeitsgrundsatzes rechtfertigen könne: „Hier würde es dem parlamentarischen Budgetrecht widersprechen, wenn die alte Mehrheit im Bundestag der neuen Regierung durch eine frühzeitige Feststellung des Haushaltsplans ihren Stempel aufdrücken könnte“. Eine Verzögerung sei „nur dann legitim, wenn Bundestagswahlen zu anderen politischen Verhältnissen geführt haben und die neue Mehrheit tatsächlich an eine finanzpolitische ‚Wende‘ denkt“ (S. 124). Ähnlich auch bereits Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 22 und Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 60. Überzeugen kann dies indes nicht. Es erscheint kaum praktikabel für die Anwendung des Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG auf Wahlprognosen abzustellen. Anderenfalls müsste, denkt man diesen Ansatz konsequent weiter, jede Gesetzgebungstätigkeit vor Wahlen, die möglicherweise einen Mehrheitswechsel bringen, eingestellt werden. Es mag der politischen Praxis entsprechen, wichtige Entscheidungen vor Wahlen zurückzustellen. Von Verfassungs wegen ist dies jedoch weder nötig, noch angebracht. Zwar ist Demokratie Herrschaft auf Zeit. Dies bedeutet aber nicht, dass der nachfolgende Gesetzgeber „unbelastet“ in die Legislaturperiode gehen muss. Faktische Bindungen des späteren Gesetzgebers sind (nicht nur im Haushaltsrecht) die Regel; lediglich rechtlich darf der spätere Gesetzgeber nicht gebunden werden. Zudem ist die „Bindung“ durch das Haushaltsgesetz noch gelockert; andere Gesetze gelten grundsätzlich unbefristet. Sofern die Wahl einen Regierungswechsel mit sich bringt, was erst nach der Wahl festgestellt werden kann, und wenn die neue Mehrheit „an eine finanzpolitische ‚Wende‘ denkt“ (Gröpl, ebd.), was ebenfalls erst nach der Wahl festgestellt werden kann, bleibt es dieser „neuen“ Regierung unbenommen, einen Nachtragshaushalt vorzulegen (vgl. aus neuerer Zeit etwa das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz NRW, G. v. 15.12.2005, GVBl. 2005, S. 936; hierzu VerfGH NW, Urteil v. 24.4.2007, VerfGH 9/06, DÖV 2007, 698 ff. (online unter http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vgh_nrw/j2007/VerfGH_9_06ur teil20070424.html). 584 Ein Beispiel bildet der Haushalt 1972, der erst nach der Neuwahl (zuvor Vertrauensfrage) im Dezember des Jahres 1972 verkündet werden konnte. (vgl. die Dar-
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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2. Rechtsregel, Ordnungsgrundsatz oder Sollvorschrift?
Als Verfassungsgrundsatz führte die Vorherigkeit lange Zeit ein „Schattendasein“. Der Verfassungsverstoß durch eine verspätete Feststellung des Haushaltsplans schien fast immer folgenlos zu bleiben. Bereits während des sog. „preußischen Budgetkonflikts“ konnte die Staatsregierung unter Bismarck auch ohne einen gesetzlich festgestellten Haushaltsplan de facto auf der Grundlage der zwischen 1862 und 1866 immer wieder vom Abgeordnetenhaus abgelehnten Haushaltsgesetzentwürfe weiterregieren585. In der Folge entwickelte sich das Problem einer Überbrückung der etatlosen Zeit (Art. 69 S. 2 RV586) zwar zu einer der umstrittensten Fragen der Staatsrechtslehre in Preußen und im Kaiserreich587. In der Praxis behalf man sich indes, auch ohne eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Regelung, mit einer „Erstreckung“ des Vorjahreshaushalts auf die unbeplanten Monate des Folgejahres588. stellungen bei Theiß, Nothaushaltsrecht, S. 6 f.; Fricke, DVBl. 1975, 604 [604 f.] und Patzig, Haushaltsrecht, Bd. 1, S. 256–265). Zur Unterscheidung von Haushaltskonflikt und Haushaltsverzögerung Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 41; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 17. 585 Aufgrund der damals vorherrschenden sog. „Lückentheorie“ (vgl. Bismarck, in: Stenogr. Ber. PrAbgH, 7. LP, 1862, Bd. 8, S. 1609 und 7. LP, 1863, Bd. 1, S. 53–55) war, insoweit sich die Verfassung einer ausdrücklichen Regelung dieses Konflikts enthielt, auf der Grundlage des monarchischen Prinzips der König bzw. die Regierung, nicht die Volksvertretung, zu verbindlichem Handeln berufen, wenn das Haushaltsgesetz entgegen Art. 99 PrVerfU nicht (oder nicht rechtzeitig) zustande kam, vgl. Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 70 [86]; Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 110, Rn. 26a; Schwarz, Formelle Finanzverwaltung (1907), S. 51–55. – Zum preußischen Budgetkonflikt vgl. die Darstellungen von Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 235–238; Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte6, Rn. 356 ff.; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 11; Thier, Steuergesetzgebung und Verfassung in der konstitutionellen Monarchie, S. 643–657; Theiß, Nothaushaltsrecht, S. 11–25. Ältere Darstellungen finden sich bei Hahndorff, Das Budgetrecht in den Verhandlungen des Preußischen Landtags (1931) und Bischofswerder, Die Staatsverwaltung bei Nichtzustandekommen des Etatsgesetzes (1913). 586 G. v. 16.4.1871, RGBl. S. 64. 587 Eine Darstellung dieses „Klassikers“ der deutschen Verfassungsgeschichte könnte hier – schon aus Raumgründen – nur kursorisch erfolgen und soll daher unterbleiben. Stattdessen sei der Verweis gestattet auf die ausführlichen Darstellungen (aus finanzverfassungsrechtlicher Sicht) bei Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 199–287; Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 149–187; Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 68–82; Theiß, Nothaushaltsrecht, S. 9–54; Thier, Steuergesetzgebung und Verfassung in der konstitutionellen Monarchie, S. 643–657; Dreier, Kampf um das Budgetrecht, S. 60–84 und Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 15–24. 588 Vgl. das „Gesetz, betr. die vorläufige Erstreckung des Haushalts-Etats des Deutschen Reichs für das Vierteljahr vom 1. Januar 1877 bis 31. März 1877 auf
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
a) Relativierung der Vorgabe durch Art. 111 GG? Während die frühen deutschen Verfassungen im Hinblick auf verspätete oder verweigerte Haushaltsgesetze vielfach „lückenhaft“ waren589, hat das Grundgesetz für die etatlose Zeit in Art. 111 GG590 Vorsorge getroffen. Damit wurde zwar die „Nothaushaltsführung“ durch die Exekutive verfassungsrechtlich abgesichert, die Verzögerung des Haushalts jedoch zugleich verfassungsrechtlich sanktioniert. Teilweise wird der Grundsatz der Vorherigkeit aus diesem Grund als dispositiv angesehen. Die Vorgabe werde dadurch relativiert, dass der Fall ihrer Nichterfüllung in Art. 111 GG ausdrücklich geregelt sei591. Der Vorherigkeitsgrundsatz könne als Ordnungsgrundsatz verstanden werden592. Es handele sich um eine „Sollvorschrift, die häufig verletzt wird“593. Ein Verstoß gegen den Grundsatz sei „implicite legitimiert“ und werde „konkludent gebilligt“594. den Monat April 1877“ vom 26.3.1877, RGBl. S. 407 und das „Gesetz betr. die vorläufige Erstreckung des Haushalts-Etats des Deutschen Reichs für das Etatsjahr 1877/78 auf den Monat April 1877“ v. 30.3.1878, RGBl. S. 9. – Zur Kritik an den „Monatsetats“ s. statt vieler Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches5 IV (1914), S. 509 einerseits und Neumark, Grundsatz der Vorherigkeit, VJStFinR 1 (1927), S. 436 f. andererseits. 589 Ausnahmen bestanden in Baden (Art. 13, G. v. 24.7.1888, GVBl. S. 399), Sachsen-Weimar (§ 103 Landständische Verfassung v. 5.5.1816, zit. nach Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit, Bd. 1, Abt. 2, Leipzig 1832. s. auch § 37 Revidiertes Grundgesetz über die Verfassung v. 15.10.1850) und Sachsen-Coburg-Gotha (§§ 125, 126 Staatsgrundgesetz, v. 3.3.1852), vgl. hierzu Birkholz, Die rechtlichen Folgen des Nichtzustandekommens des Budgets (1908), S. 20 f. In Preußen ist erst durch die demokratische Verfassung von 1920 in Art. 64 eine Regelung geschaffen worden (G v. 30.11.1920, PrGS 1920, S. 543), die nicht auf den vorangegangen Haushalt (oder den Haushaltsentwurf) abstellte, sondern ähnlich dem heutigen Art. 111 GG, für den sie auch als Vorbild diente, eigene Voraussetzungen für „nötige“ Ausnahmen normierte, vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 2. – Als letztes Bundesland hat Bremen 1998 Regelungen über die vorläufige Haushaltsführung in seine Verfassung übernommen (Art. 132a BremVerf i. d. F. des G. v. 3.3.1998, BremGBl. S. 83). Zuvor durften ohne haushaltsgesetzliche Grundlage keine Ausgaben geleistet werden; die Grundlage aller Einnahmen und Ausgaben bildete allein das Haushaltsgesetz, vgl. BremStGH, Urteil v. 10.10.1997, St 6/96, LVerfGE 7, 167 [180]. 590 Für die Länder s. Art. 80 BaWüVerf; Art. 78 Abs. 4 BayVerf; Art. 89 BerlVerf; Art. 102 BbgVerf; Art. 132a BremVerf; Art. 67 HmbVerf; Art. 140 HessVerf; Art. 62 M-VVerf; Art. 66 NdsVerf; Art. 82 Verf NW; Art. 116 Abs. 4 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 3 SaarlVerf; Art. 98 SächsVerf; Art. 94 VerfLSA; Art. 51 SchlHVerf; Art. 100 ThürVerf. 591 Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 7. 592 Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 7; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 110, Rn. 16 spricht daher von einer Sollvorschrift; dazu krit. Stern, StaatsR II, § 50 III 4, S. 1242.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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Demgegenüber betont das BVerfG die Bedeutung der Vorherigkeit für das parlamentarische Budgetrecht: Die enge Begrenzung des Spielraums der Bundesregierung während des etatlosen Zustandes korrespondiere mit der verfassungsrechtlichen Verpflichtung aller beteiligten Verfassungsorgane, daran mitzuwirken, dass der Haushaltsplan regelmäßig vor Ablauf des vorherigen Rechnungsjahres verabschiedet werden könne. Art. 111 GG solle nicht das Haushaltsbewilligungsrecht des Gesetzgebers vorübergehend ersetzen, sondern lediglich für den – vom Grundgesetz als kurzfristige Ausnahmesituation gedachten – etatlosen Zustand eine vorläufige Haushaltsführung ermöglichen.595 b) Differenzierung nach Verfassungsorganen? Betrachtet man die vom BVerfG angesprochenen „beteiligten Verfassungsorgane“, so leuchtet die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Exekutive, das Haushaltsaufstellungsverfahren so rechtzeitig zu beginnen und den Entwurf des Haushaltsgesetzes so rechtzeitig einzubringen, dass dem Parlament die Möglichkeit bleibt, den Haushalt vor Beginn des neuen Haushaltsjahres zu beraten und zu beschließen, ohne weiteres ein596. Die Pflicht zur rechtzeitigen Budgetinitiative korrespondiert mit dem Initiativmonopol und hat insoweit eine das Budgetrecht des Parlaments absichernde und damit dienende Funktion: Recht und Pflicht der Regierung, das Haushaltsverfahren einzuleiten, ergänzen sich zu einer „staatspolitischen Notwendigkeit, die ein höheres Ziel, eine ordnungsmäßige Staatsleitung, gebietet“597. Indes ist der verfassungsrechtliche Zwang der Legisla593 Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 110, Rn. 16; Geller-Kleinrahm, Verf NW, Art. 81, Anm. 6: „Es handelt sich um eine Sollvorschrift, deren Verletzung ohne Folgen bleibt. Gegen sie wird ständig verstoßen“; ähnlich bereits Kühnemann, Haushaltsrecht und Reichsetat (1930), S. 78. – Explizit als „Sollvorschrift“ ausgestaltet ist der Grundsatz der Vorherigkeit in der Landesverfassung BadenWürttembergs. Art. 79 Abs. 2 S. 2 BaWüVerf lautet: „Die Feststellung soll vor Beginn des Rechnungsjahres, bei mehreren Rechnungsjahren vor Beginn des ersten Rechnungsjahres erfolgen“. 594 Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 99. 595 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [33]; in der Folge auch BVerfG, Beschluss v. 15.12.1983, 2 BvE 14/83, BVerfGE 66, 26 [38]; BVerfG, Beschluss v. 9.2.1995, 2 BvQ 6/95, BVerfGE 92, 130 [137]; BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 79 f. 596 Bleibt die Regierung im Fall eines „Etatkonflikts“ trotz der Ablehnung der Gesetzesvorlage im Amt und versucht sie grundlos, über das ganze Haushaltsjahr ohne Haushaltsgesetz und Haushaltsplan auszukommen, kann in dem Verhalten eine Verletzung der Pflicht zur Budgetinitiative gesehen werden, die zugleich eine verfassungswidrige Durchbrechung des Vorherigkeitsprinzips beinhaltet, s. Fricke, DVBl. 1975, 604 [605].
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
tive, einen von der Regierung vorgelegten Gesetzesentwurf innerhalb einer bestimmten Frist zu beschließen, zumindest ungewöhnlich598. Die „verfassungsrechtliche Verpflichtung aller beteiligten Verfassungsorgane“599 scheint für das Parlament eher eine „Obliegenheit“ zu sein, deren Vernachlässigung einzig die Einflussmöglichkeiten auf den Haushaltsvollzug während der Nothaushaltsführung (Art. 111 GG) schmälert. Andererseits richtet sich Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG dem Wortlaut nach nur an den Gesetzgeber: „Der Haushaltsplan wird […] vor Beginn des ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festgestellt“; die Formulierung „wird“ (nicht „soll“ oder „kann“) spricht zudem stark für eine zwingende Norm, die (auch) für den Gesetzgeber nicht dispositiv ist. Ob auch das Parlament vor dem Hintergrund des Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG eine verfassungsrechtliche Pflicht zur (rechtzeitigen) Haushaltsgesetzgebung trifft, lässt sich letztlich nur mit Blick auf die Rechtsfolgen einer verspäteten (oder gar unterlassenen) Feststellung des Haushaltsplans beurteilen. 3. Rechtsfolgen der verspäteten Feststellung des Haushalts
Betrachtet man die Bedeutung und Folgen der verspäteten Haushaltsgesetzgebung, des Verstoßes gegen die in Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG angeordnete Vorherigkeit, so ist der Fokus nicht so sehr auf die „Verfassungswidrigkeit“ dieses Vorgangs zu richten oder gar die Frage des „Verschuldens“ dieses Verfassungsverstoßes zu erörtern600. Vielmehr kommt es – auch für die Frage der „Rechtsnatur“, die, wenn die Rechtsfolgen geklärt sind, zweitrangig ist – darauf an, die unmittelbaren Auswirkungen auf den Haushaltsvollzug in der „etatlosen Zeit“ in den Blick zu nehmen und die Rechtswirkungen des verspätet zustande gekommenen Haushaltsgesetzes zu analysieren. a) Vollzug: Überbrückung der etatlosen Zeit Unabhängig von den Gründen eines Verstoßes gegen das Vorherigkeitsprinzip ist davon auszugehen, „dass eine budgetlose Finanzwirtschaft aus finanziellen und politischen Gründen für heutige Begriffe unerträglich ist 597 Fricke, DVBl. 1975, 604 [605]. – Den Aspekt der Einbringung des Nachtragshaushalts betont auch das BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www. bverfg.de, Rn. 81 ff. 598 Vgl. auch Kloepfer, in: Kunst/Herzog, Evangelisches Staatslexikon3, „Staatshaushalt“, Sp. 3409 [3421]. 599 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [33]; BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 79. 600 So auch Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 323.
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und daher für eine Notlösung gesorgt werden muss“601. Diese „Notlösung“ soll eine Überbrückung602 der etatlosen Zeit ermöglichen, darf aber andererseits den Haushaltsplan nicht vorwegnehmen oder ersetzen und auf diese Weise das Budgetrecht des Parlaments entwerten. aa) Varianten der Überbrückung Einfachster Fall einer solchen Überbrückung ist die „Prorogation“603 des Haushalts (auch: „Überrollung“), d.h. die Erstreckung des Vorjahreshaushalts auf das laufende Haushaltsjahr. Entsprechende Regelungen enthalten die Verfassungen Bayerns (Art. 78 Abs. 4 BayVerf: „Wird der Staatshaushalt im Landtag nicht rechtzeitig verabschiedet, so führt die Staatsregierung den Haushalt zunächst nach dem Haushaltsplan weiter“) und Rheinland-Pfalz’ (Art. 116 Abs. 4 RhPfVerf), aber z. B. auch die spanische Verfassung (Art. 134 Abs. 4: „Wenn das Haushaltsgesetz nicht vor dem ersten Tag des entsprechenden Rechnungsjahres verabschiedet ist, so gilt der vorherige Staatshaushalt bis zum Inkrafttreten des neuen als automatisch verlängert“604). Vor dem Hintergrund des parlamentarischen Budgetrechts sind solche Regelungen durchaus problematisch, da die (vorläufige) Wirtschaftsführung zwar nach einem vom Parlament beschlossenen Haushaltsplan erfolgt, aber eben nur nach einem Plan, der für ein anderes Rechnungsjahr beschlossen worden ist. Der „Prorogation“ liegt die Vorstellung zu Grunde, dass sich der Ausgabenbedarf im unmittelbar folgenden Jahr nicht maßgeblich ändert605. Jedoch darf bezweifelt werden, ob diese Annahme – trotz der hohen Bindungsgrade durch Personal- und laufende Verwaltungskosten gerade auf Landesebene – uneingeschränkt zutrifft. Im Bereich der nicht gebundenen (Programm-)Ausgaben besteht immerhin die „Gefahr, dass öffentliche Mittel unzweckmäßig verausgabt werden, da ja die Verhältnisse im neuen Jahr niemals völlig dieselben wie im vergangenen sein werden“606. Zudem enthält 601 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 12, S. 585 [Hervorhebung im Original, d. Verf.]. 602 Vgl. Sundelson, Budgetary Methods (1938), S. 507: „Bridging delays growing out of tardily adopted budgets“. 603 Neumark, in: Gerloff/Neumark, HdbFinW I, 2. Aufl., IV 3 C § 12, S. 586. 604 Art. 134 Abs. 4 der Verfassung des Königreiches Spanien v. 29.12.1978, deutsche Fassung zit. nach: Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten6, München 2005, S. 789 [816]. 605 s. für Rheinland-Pfalz Trzaskalik, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 116, Rn. 21. 606 Neumark, Grundsatz der Vorherigkeit, VJStFinR 1 (1927), S. 432. Vgl. auch Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 181: „Die Zweckmäßigkeit einer öffentlichen Ausgabe ist nur eine verhältnismäßige, keine unbedingte. Eine Ausgabe kann zu einer bestimmten Zeit, im Augenblick, wo sie beschlossen wird, zweck-
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die durch die Verfassung angeordnete Erstreckung des Vorjahreshaushalts keine zeitliche Begrenzung, weder im Hinblick auf das laufende Haushaltsjahr noch in Bezug auf die Bewilligungen des zunächst fortgeltenden Plans. Für die etatlose Zeit stehen sämtliche Ermächtigungen des Vorjahreshaushalts in voller Höhe zur Verfügung; die Bewilligungen sind nicht auf die besondere Situation der etatlosen Zeit bezogen. Die Fortgeltung des alten Haushaltsplans endet zwar mit der Verkündung des neuen Haushaltsgesetzes („zunächst“), es fehlt jedoch an einem „Druckmittel“, den Haushalt für das laufende Jahr möglichst schnell in Kraft zu setzen und die Phase der „Überbrückung“ zeitlich und betragsmäßig auf das Notwendige zu reduzieren. Soweit keine verfassungsunmittelbare Ermächtigung besteht, ist die Regierung auf vorläufige gesetzliche Regelungen angewiesen607. Während die preußische Staatsregierung in den Fällen der Etatverzögerung und während des Budgetkonflikts 1862–1866 noch auf Grundlage der (nicht verabschiedeten) Haushaltsentwürfe wirtschaftete, behalf man sich auf Reichsebene unter Geltung der Reichsverfassung von 1871 und der Weimarer Reichsverfassung von 1919 mit sog. „Nothaushaltsgesetzen“608. Diese mussten ebenso wie die „endgültigen“ (Stamm-)Haushaltsgesetze von den gesetzgebenden Körperschaften beschlossen werden und ermächtigten die Regierung, die zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben und der rechtlichen Verpflichtungen des Reiches notwendigen Ausgaben zu leisten609. Grundlage der Nothaushaltsgesetze war häufig – wie im Fall der Prorogation – der Haushaltsplan des Vorjahres, jedoch wurden bis 1912 die Ansätze zeitlich auf einzelne Monate und betragsmäßig auf jeweils ein Zwölftel der Ansätze des Vorjahres beschränkt (sog. „douzièmes provisoires“610). Seit 1912 enthielten die Notetatgesetze in der Regel weitergehende und allgemeinere Ermächtigungen, die jedoch ebenfalls zeitlich und inhaltlich beschränkt waren. So lautete § 1 des mäßig sein, wenige Monate oder Jahre später aber unzweckmäßig oder weniger nützlich“. 607 So die Rechtslage in Bremen bis zur Einfügung des Art. 132a BremVerf (G. v. 3.3.1998, GBl. S. 83), vgl. BremStGH, Urteil v. 10.10.1997, St 6/96, LVerfGE 7, 167 [180 ff.]. 608 Vgl. z. B. das „Gesetz, betr. die vorläufige Erstreckung des Haushalts-Etats des Deutschen Reichs für das Vierteljahr vom 1. Januar 1877 bis 31. März 1877 auf den Monat April 1877“ vom 26.3.1877, RGBl. S. 407 und das „Nothaushaltsgesetz für Rechnungsjahr 1930“ v. 29.3.1930, RGBl. II, S. 670. – Solche „vorläufigen Bewilligungsgesetze“ kennt man z. B. auch in Dänemark, vgl. § 45 Abs. 2 der Verfassung des Königreiches Dänemark v. 5.6.1953, deutsche Fassung zit. nach: Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten6, München 2005, S. 41 [48]. 609 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 5. 610 Vgl. das „Zwölftelgesetz“ vom 25.3.1907, RGBl. S. 75. Zu dem System der „vorläufigen Zwölftel“ s. im Einzelnen Neumark, Grundsatz der Vorherigkeit, VJStFinR 1 (1927), S. 433–441 und Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 209–213.
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Gesetzes, betreffend die vorläufige Regelung des Reichshaushalts für das Rechnungsjahr 1912: „Bis zur gesetzlichen Feststellung des Reichshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1912 wird der Reichskanzler ermächtigt, für die Monate April, Mai und Juni 1912 alle Ausgaben zu leisten, die zur Erhaltung gesetzlich bestehender Einrichtungen und zur Durchführung gesetzlich beschlossener Maßnahmen erforderlich sind, ferner die rechtlich begründeten Verpflichtungen des Reichs zu erfüllen und endlich Bauten, für die durch den Etat eines Vorjahres bereits Bewilligungen stattgefunden haben, fortzusetzen“611. War der Erlass eines solchen Nothaushaltsgesetzes nicht möglich, so musste die Regierung – praeter constitutionem und auf eigenes Risiko einer späteren Genehmigung durch den Gesetzgeber – „vermöge ihrer Pflicht zur Staatsleitung und Verwaltung den öffentlichen Haushalts während des etatlosen Zustands nach einem festen, möglichst auf die künftige Genehmigung durch das Parlament zugeschnittenen Plan führen“612. bb) Vorläufige Haushaltsführung, Art. 111 GG Im Spannungsfeld zwischen der Budgethoheit des Parlaments und der Notwendigkeit einer kontinuierlichen Haushaltsführung hat sich das Grundgesetz – nach dem Vorbild der (demokratischen) Preußischen Verfassung von 1920613 – dafür entschieden, die Regierung in Art. 111 Abs. 1 GG614 611
G. v. 31.3.1912, RGBl. S. 219. Heckel, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts (1932), Bd. 2, § 90, S. 411; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 5; zur geschichtlichen Entwicklung s. auch Theiß, Nothaushaltsrecht, S. 16 ff. 613 Art. 64 PrV: „Ist bis zum Schlusse eines Rechnungsjahrs der Haushaltsplan für das folgende Jahr nicht durch Gesetz festgestellt, so ist bis zu seinem Inkrafttreten das Staatsministerium ermächtigt: 1. alle Ausgaben zu leisten, die nötig sind, a) um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen, b) um die rechtlich begründeten Verpflichtungen des Staates zu erfüllen, c) um Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen, für die durch den Haushaltsplan eines Vorjahrs bereits Beträge bewilligt worden sind, sowie um unter der gleichen Voraussetzung Beihilfen zu Bauten und Beschaffungen oder sonstigen Leistungen weiterzugewähren; 2. Schatzanweisungen bis zur Höhe eines Viertels der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplans für je drei Monate auszugeben, soweit nicht auf besonderem Gesetze beruhende Einnahmen aus Steuern, Abgaben und sonstigen Quellen die Ausgaben unter 1 decken“, G v. 30.11.1920, PrGS 1920, S. 543; vgl. Jèze-Neumark, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 208; v. Mangoldt, GG (1953), Art. 111 Anm. 1. Zur Rezeption Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 6; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 2. 614 Vgl. Art. 80 BaWüVerf; Art. 89 BerlVerf; Art. 102 BbgVerf; Art. 132a BremVerf; Art. 67 HmbVerf; Art. 140 HessVerf; Art. 62 M-VVerf; Art. 66 NdsVerf; Art. 82 Verf NW; Art. 105 Abs. 3 SaarlVerf; Art. 98 SächsVerf; Art. 94 VerfLSA; Art. 51 SchlHVerf; Art. 100 ThürVerf. Ein abweichendes Modell der Nothaushalts612
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von Verfassungs wegen zu ermächtigen, „alle Ausgaben zu leisten, die nötig sind, a) um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen, b) um die rechtlich begründeten Verpflichtungen des Bundes zu erfüllen, c) um Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen oder Beihilfen für diese Zwecke weiter zu gewähren, sofern durch den Haushaltsplan eines Vorjahres bereits Beträge bewilligt worden sind“. Gem. Art. 111 Abs. 2 GG kann die Bundesregierung zudem „die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftsführung erforderlichen Mittel bis zur Höhe eines Viertels der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplanes im Wege des Kredits flüssig machen“, wenn „Einnahmen aus Steuern, Abgaben und sonstigen Quellen oder die Betriebsmittelrücklage“ die nach Abs. 1 zulässigen Ausgaben nicht decken615. Sinn und Zweck des Nothaushaltsrechts ist es in erster Linie, die Funktionsfähigkeit des Staates zu sichern: Da das Staatsleben mit seinen vielfältigen Leistungsansprüchen an den Haushalt (Personal-, Verwaltungsausgaben, zunehmend auch Sozial- und andere Transferleistungen) nicht „still stehen“ kann616, soll die Bundesregierung auch ohne gültigen Haushaltsplan eine Reihe besonders wichtiger Ausgaben leisten dürfen617. Zugleich soll mit Rücksicht auf den Ausnahmecharakter des Art. 111 GG durch die führung findet sich in Bayern und Rheinland-Pfalz. Gem. Art. 78 Abs. 4 BayVerf und Art. 116 Abs. 4 RhPfVerf führt die Staats- bzw. Landesregierung den Haushalt zunächst nach dem Haushaltsplan des Vorjahres weiter. Die Vorschrift basiert auf der Vorstellung, dass sich der Ausgabenbedarf im unmittelbar folgenden Jahr nicht maßgeblich ändert, vgl. Trzaskalik, in: Grimm/Caesar, RhPfVerf, Art. 116, Rn. 21; Schweiger, in: Nawiasky, BayVerf2, Art. 78, Rn. 6. 615 Nach Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 37 (m. Hinw. auf Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 16, der dies allerdings nicht vertritt) soll Art. 111 Abs. 2 GG „dem generellen Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigung zur Kreditaufnahme nach Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG entsprechen“. Indes enthält Art. 111 Abs. 2 GG eine verfassungsunmittelbare Ermächtigung für die Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG nicht anwendbar ist, vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 111, Rn. 4; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 111, Rn. 12. Die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG (Investitionsgrenze) findet aber auch auf die Krediteinnahmen im Rahmen der Nothaushaltsführung entsprechend Anwendung, s. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 32; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 111, Rn. 4; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 111, Rn. 12; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 111, Rn. 16; Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 42; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 10. 616 Die Formulierung geht zurück auf eine Rede Bismarcks im Preußischen Abgeordnetenhaus v. 27.1.1863: „[…] an ihre Stelle [sc. des Kompromisses, d. Verf.] treten Conflicte, und Conflicte, da das Staatsleben nicht stillzustehen vermag, werden zu Machtfragen; Wer die Macht in Händen hält, geht dann in seinem Sinne vor, weil das Staatsleben auch nicht einen Augenblick stillstehen kann“, Stenogr. Berichte, Haus der Abgeordneten, 5. Sitzung v. 27.1.1863, Bd. 7/2,1, S. 54. 617 Sasse, JZ 1973, 189.
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„enge Begrenzung des Spielraums der Bundesregierung während des etatlosen Zustands“618 Druck auf die am Haushaltsaufstellungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane ausgeübt werden, ihrer Verfassungspflicht nachzukommen, den Haushaltsplan rechtzeitig, jedenfalls schnellstmöglich619 durch das Haushaltsgesetz festzustellen.620 Das Nothaushaltsrecht muss (und darf) daher nur so viel Raum freigeben, dass der status quo verwaltet werden kann621. Dennoch lässt es sich mit dem Nothaushaltsrecht offenbar gut leben. Während des Etatkonflikts 1972 stellte der damalige Bundeskanzler Brandt fest, „dass die Bundesregierung nach dem Art. 111 und 112 GG622 ohnehin haushaltsmäßig genügend Spielraum [habe], aus eigener Verantwortung ihre Pflichten zu erfüllen“623. Die Vorschriften für die vorläufige Haushalts- und Wirtschaftsführung sind recht praktikabel, und – wie Fricke formuliert – „aus der Sicht des Finanzministers, dem die Knappheit der Mittel stets vor Augen steht, stellt sich die Frage, ob die strenge Finanzwirtschaft ohne formellen Haushaltsplan nicht sogar am besten geeignet ist, den Grundsätzen der Stabilität, der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit zu entsprechen“624. Die Ermächtigung zur Ausgabenleistung nach Art. 111 GG ist zeitlich begrenzt bis zum Erlass des Haushaltsgesetzes, sonst aber unbefristet625. Insofern hat es das Parlament in der Hand, die Notkompetenz der Regierung zu beenden. 618
BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [33]. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Position Gröpls, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 153 (= Haushaltsrecht und Reform, S. 99), der dem Prinzip der Vorherigkeit Regelcharakter beimisst, kritisch zu hinterfragen: Ohne Zweifel richtig ist, dass das Gebot, den Haushalt vor Beginn des Rechnungsjahres festzustellen, nur entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden kann. Vor Beginn des Rechnungsjahres ist eine „Optimierung“ nicht möglich, da es im Übrigen auch keinen Vorteil bringt, das Haushaltsgesetz lange vor Beginn des Haushaltsjahres zu verabschieden. Im Fall der Verspätung des Haushalts wird das Gebot der Vorherigkeit jedoch nicht gegenstandslos. Vielmehr ist ab diesem Zeitpunkt eine „Optimierung“ denkbar (und nach Sinn und Zweck der Vorschrift auch geboten), weil sich auch im Zusammenhang mit Art. 111 Abs. 1 GG („bis zu seinem Inkrafttreten“) eine weiter bestehende Pflicht zur Verkürzung der etatlosen Zeit ergibt, vgl. auch BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 80. 620 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [33]; BVerfG, Beschluss v. 15.12.1983, 2 BvE 14/83, BVerfGE 66, 26 [38]; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 6; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 111, Rn. 4; Theiß, Nothaushaltsrecht, S. 45 f. 621 Fricke, DVBl. 1975, 604; Stern, StaatsR II, § 49 IV 5, S. 1219; Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 311; Kroll, DÖV 2004, 986. 622 Zur Anwendbarkeit des Art. 112 GG s. noch unten bb) (2), S. 160. 623 Erklärung v. 28.4.1972, zit. nach Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung Nr. 63 v. 29.4.1972, S. 873 [875]. 624 Fricke, DVBl. 1975, 604. 625 Stern, StaatsR II, § 49 IV 5, S. 1218. 619
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(1) Gesetzliche Ermächtigungen vor Feststellung des Haushaltsplans Daneben besteht für die Exekutive in der etatlosen Zeit gem. §§ 18 Abs. 3, 45 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BHO die Möglichkeit, auf die – im Rahmen der nach Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG zulässigen zeitlichen „Bepackung“626 – weitergeltenden gesetzlichen Ermächtigungen des Vorjahres (auf Rechnung des laufenden Haushaltsjahres) zurückzugreifen. Die Einnahmen aus fortgeltenden (Rest-)Kreditermächtigungen sollen zu den Einnahmen aus „sonstigen Quellen“ im Sinne des Art. 111 Abs. 2 GG gehören. Gesetzliche Kreditermächtigungen der Vorjahre und solche aus Dauergesetzen müssen vorrangig in Anspruch genommen werden, bevor auf die verfassungsunmittelbare Kreditermächtigung des Art. 111 Abs. 2 GG zurückgegriffen wird.627 Die verfassungsunmittelbare Ermächtigung nach Art. 111 GG schließt somit einen Rückgriff auf gesetzliche Regelungen nicht aus. Auch vorläufige „Nothaushaltsgesetze“ sind denkbar. In den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Grundgesetzes wurde auf Bundesebene nicht Art. 111 GG angewandt, sondern es wurden „vorläufige Haushaltsführungsgesetze“628 verabschiedet, die bis zum Wirksamwerden des eigentlichen Haushaltsgesetzes die Grundlage der Finanzwirtschaft während der etatlosen Zeit bildeten629. In neuerer Zeit sind auf Landesebene Haushaltsvorschalt626
s. dazu bereits oben, S. 123 ff. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 28; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 111, Rn. 7; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 111 GG, Anm. 18. – Zur Problematik fortgeltender Kreditermächtigungen s. im Einzelnen noch unten, § 4 A. I., S. 314 ff. 628 s. das Gesetz über die vorläufige Haushaltsführung der Bundesverwaltung im Rechnungsjahr 1950 v. 23.6.1950, BGBl. S. 219 und das Gesetz über die vorläufige Haushaltsführung der Bundesverwaltung im Rechnungsjahr 1951 v. 24.4.1951, BGBl. II S. 67. In § 1 beider Gesetze war bestimmt, dass „bis zur Feststellung des Bundeshaushaltsplans […] a) die dem Bund zustehenden Einnahmen aus Steuern, Abgaben und sonstigen Quellen erhoben und b) nach Maßgabe der folgenden Vorschriften die Ausgaben geleistet werden [dürfen], die zur Aufrechterhaltung der Verwaltung und zur Erfüllung der rechtlichen Verpflichtungen oder der sonstigen Aufgaben des Bundes bei Beobachtung größter Sparsamkeit unbedingt notwendig sind“. – Bemerkenswert ist die im Gesetz ausgesprochene Ermächtigung auch zur Erhebung von Einnahmen, die in Art. 111 GG nicht genannt ist. Allgemein wird heute angenommen, dass für die Erhebung von z. B. Steuereinnahmen, die dauergesetzlich geregelt sind, keine explizite Ermächtigung erforderlich ist bzw. in § 34 Abs. 1, arg. § 3 Abs. 1 BHO/LHO, § 19 Abs. 1 HGrG gegeben wird. Die Einnahmen werden nicht förmlich bewilligt, sondern im Haushaltsplan geschätzt (s. bereits oben, S. 110). Schon wegen § 3 Abs. 2 HGrG können Einnahmetitel im Haushaltsplan keine Zahlungsverpflichtungen Dritter begründen. 629 Vialon, Haushaltsrecht2, GG, Art. 111, Erl. 1, S. 210. – Auch unter Geltung des Art. 64 der PreußVerf v. 30.11.1920 (PrGS S. 543; s. o. Fn. 613 [S. 145]) gab es 627
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gesetze ergangen, so z. B. in Berlin630, Bremen631, Hessen632, Mecklenburg-Vorpommern633 und Sachsen634. Solche vorläufigen Haushaltsgesetze sind für die Überbrückung der etatlosen Zeit wegen Art. 111 bzw. der entsprechenden Vorschriften der Landesverfassungen635 zwar in der Regel nicht erforderlich636 aber grundsätzlich zulässig637 und können – soweit auch ein Rückgriff auf Art. 112 GG ausscheidet – die Ermächtigung für solche Ausgaben erteilen, die von den verfassungsunmittelbaren Ermächtigungen nicht gedeckt sind. (a) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit vorläufiger Nothaushaltsgesetze Im Vergleich zur Verfassung des Deutschen Reichs (1871) und zur Weimarer Reichsverfassung (1919), die eine dem Art. 111 GG vergleichbare Vorschrift nicht enthielten, spricht die Existenz einer verfassungsunmittelbaren Ermächtigung der Regierung systematisch zunächst gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit vorläufiger Nothaushaltsgesetze. Art. 111 GG könnte abschließend sein; das Grundgesetz „die Sitte des vorläufigen Haushaltsführungsgesetzes“ durch eine erschöpfende Regelung des NothaushaltsGesetze „über die vorläufige Regelung des Haushalts“, so das G. v. 5.6.1926 (PrGS. S. 173), vgl. hierzu Neumark, Grundsatz der Vorherigkeit, VJStFinR 1 (1927), S. 439. 630 Vorschaltgesetz zum Haushaltsgesetz 2002/2003 v. 29.4.2002, GVBl. S. 129. 631 Gesetz zur vorläufigen Haushaltsführung der Freien Hansestadt Bremen im Jahre 2000 v. 21.12.1999, GBl. S. 301. 632 G. v. 27.1.1983, GVBl. I, S. 13; G. v. 28.6.1983, GVBl. I, S. 98; G. v. 21.12.1983, GVBl. I, S. 161; G. v. 1.2.1985, GVBl. I, S. 30; vgl. hierzu Totz, DÖV 1985, 706 [709]. 633 Gesetz zur Erweiterung der vorläufigen Haushaltsführung im Haushaltsjahr 1999 (Vorschaltgesetz 1999), v. 28.1.1999, GVOBl. M-V, S. 173. 634 Vorschaltgesetz zum Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Freistaats Sachsen (Vorschaltgesetz zum Haushaltsgesetz 1991) v. 19.12.1990, SächsGVOBl. S. 37. 635 s. oben Fn. 614 (S. 145). 636 Karehnke, DÖV 1976, 361 [363]. Anders noch bis 1998 in Bremen, vgl. oben Fn. 607 (S. 144) und Kroll, DÖV 2004, 986 [987]. 637 So auch BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [34]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 111, Rn. 1; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 50; Kube, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 12; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 111, Rn. 7; Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 111 GG, Anm. 3; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 111 GG, Anm. 5; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 111, Rn. 2; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 5; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 111, Rn. 10; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 111, Rn. 3; Theiß, Nothaushaltsrecht, S. 120 ff.; Kroll, DÖV 2004, 986 [987]; a. A. Schmidt, Rechtsfolgen einer verspäteten Feststellung des Haushaltsplans, S. 95, 99; Rossi, DÖV 2003, 313 [318].
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regimes „missbilligen“638. Bereits vor Inkrafttreten des Grundgesetzes wurde aber die Verfassungsmäßigkeit der „Nothaushaltsgesetze“, die Vereinbarkeit mit den Art. 69 ff. RV 1871 und Art. 85 ff. WRV 1919, bezweifelt. So vertrat etwa Laband die Auffassung, die „Gesetze über die vorläufige Regelung des Reichshaushalts“ stünden nicht „im Einklang mit der Vorschrift des Art. 69 der Reichsverfassung, dass ‚alle Einnahmen und Ausgaben für jedes Jahr veranschlagt werden‘ “639. Verfassungsmäßig seien allein Jahresetats640. Aufgrund der in Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG angeordneten Jährlichkeit des Haushalts hat das Argument auch heute noch Gültigkeit. Überzeugen kann es indes nicht. Das „Nothaushaltsgesetz“ ist kein Haushaltsgesetz im Sinne der Art. 110, 111 GG, für das die Jährlichkeit gilt. Es ersetzt dieses auch nicht641. Es handelt sich um eine vorläufige Überbrückungsmaßnahme, die als Ausnahme konzipiert ist und (heute) in Konkurrenz zu Art. 111 GG tritt, dessen Anwendung aber auch nicht ausschließt. Ähnlich den votes on account im englischen Verfassungsrecht642 wird der Regierung lediglich ein Vorgriff auf die Mittel des späteren Haushaltsplans gestattet. Diese sind, wie die aufgrund des Art. 111 GG geleisteten Ausgaben, mit den endgültigen Ansätzen des Haushaltsplans zu verrechnen643. Die Ermächtigungen nach Art. 111 GG enden erst mit dem „Inkrafttreten“ des „Haushaltsplan[s] für das folgende Jahr“, also mit der Verkündung644 des „normalen“ Haushaltsgesetzes, welches das gesamte Haushaltsjahr („für“) beplant. Hingegen handelt es sich bei den vorläufigen Ermächtigungen um „Teilhaushaltspläne“, für die weder die Jährlichkeit noch die Gebote der Vollständigkeit und des Haushaltsausgleichs gelten645. Für die Grundsätze der 638
Vialon, AöR 77 (1951), S. 19 [28]; ähnlich auch LRH Hamburg, LT-Ds. 10/554, Anlage 1, S. 4; Rossi, DÖV 2003, 313 [318]. 639 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches5 IV (1914), S. 551. 640 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches5 IV (1914), S. 551, Fn. 3; ähnlich auch Giese, Grundriss des Reichsstaatsrechts, S. 148; Giese, Kommentar zur WRV, Art. 85, Anm. 4; Stier-Somlo, JW 1931, 1677 [1678]; von Calker, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 98; von Freytag-Loringhoven, Die Weimarer Verfassung, S. 263. 641 So für die Weimarer Zeit bereits Neumark, Grundsatz der Vorherigkeit, VJStFinR 1 (1927), S. 293; Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 2. Band (1923), S. 327; Kühnemann, Haushaltsrecht und Reichsetat (1930), S. 79. 642 s. hierzu die Darstellungen bei Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 208 f.; Neumark, Grundsatz der Vorherigkeit, VJStFinR 1 (1927), S. 289. Vgl. auch http://www.government-accounting.gov.uk/current/content/ga_11_5.htm. 643 Heun, in: Dreier, GG III, Art. 111, Rn. 8; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 9; s. bereits Kühnemann, Haushaltsrecht und Reichsetat (1930), S. 80. 644 Der in Art. 111 Abs. 1 GG gebrauchte Begriff „Inkrafttreten“ ist wegen der (notwendigen) Rückwirkung des Haushaltsgesetzes auf den Beginn des Haushaltsjahres ungenau, s. statt aller Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 111, Rn. 1; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 15.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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Vollständigkeit und Jährlichkeit leuchtet das ohne weiteres ein. Es ist nicht Sinn des vorläufigen Teilhaushalts, das gesamte Haushaltsjahr zu beplanen und sämtliche Einnahmen und Ausgaben des Haushaltsjahres (oder auch nur der etatlosen Zeit) aufzunehmen. Der Erlass eines Nothaushaltsgesetzes dispensiert nicht von der gesetzlichen Feststellung des in Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG geforderten Haushaltsplans. Auch mehrere „aneinandergeknüpfte“ Teilhaushaltspläne ergeben keinen Gesamthaushaltsplan. Der endgültige Haushaltsplan ist stets für das gesamte Rechnungsjahr festzustellen. Aus diesem Grund muss sich auch der Haushaltsausgleich (nur) auf das gesamte Haushaltsjahr beziehen. Die (Steuer-)Einnahmen sind dauergesetzlich normiert und auch ohne einen Haushaltsplan „rechtzeitig und vollständig zu erheben“, § 34 Abs. 1 BHO. Auf der Einnahmenseite enthält der Haushaltsplan Schätzungen, keine Ermächtigungen646. Im Fall des vorläufigen Nothaushaltsgesetzes geht es aber im Kern um Ermächtigungen, nämlich um eine Konkretisierung, Erweiterung oder Einschränkung der Befugnisse aus Art. 111 GG. Eine Angabe der auf die etatlose Zeit anteilig entfallenden Einnahmen im Teilhaushaltsgesetz kann erfolgen und dient dann lediglich der Information. Sie muss aber nicht erfolgen, weil es nicht darauf ankommt, dass sich Einnahmen und Ausgaben bezogen auf einen Teil des Haushaltsjahres decken. Dies gilt auch dann, wenn die etatlose Zeit punktuell durch einen Teilhaushalt beplant wird. Gem. Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG ist nur maßgeblich, dass der Haushaltsplan, also der Haushaltsplan für das Rechnungsjahr, in Einnahme und Ausgabe ausgeglichen werden kann647. Dem Haushaltsverfassungsrecht sind Teilhaushalte – mit Ausnahme der in Art. 110 Abs. 2 S. 2 GG zugelassenen Teilung des Haushaltsplans in ei645 Wie hier BremStGH, Urteil v. 10.10.1997, St 6/96, LVerfGE 7, 167 [186]; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 66; Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 7; a. A. Kroll, DÖV 2004, 986 [993] und Rossi, DÖV 2003, 313 [320]. 646 VerfGH NW, Urteil v. 3.5.1994, VerfGH 10/92, OVGE 44, 278 [283]. – Die Ermächtigung in § 1 lit. a) der vorläufigen Haushaltsgesetze vom 23.6.1950 (BGBl. S. 219) und vom 25.6.1952 (BGBl. II, S. 605), nach der „bis zur Feststellung des Haushaltsplans […] die dem Bund zustehenden Einnahmen aus Steuern, Abgaben und sonstigen Quellen erhoben“ werden dürfen, kann insoweit als deklaratorisch angesehen werden. 647 Demgegenüber ist der Nachtragshaushalt in Einnahme und Ausgabe auszugleichen. Auch der Nachtragshaushalt ist zwar in diesem Sinne ein „Teil“Haushalt, da durch ein Nachtragsgesetz nur einzelne Teile des ursprünglichen (Stamm-)Haushalts abgeändert werden. Der Nachtrag ist aber im Gegensatz zum vorläufigen Teilhaushalt – man könnte insoweit auch vom „Vortragshaushalt“ sprechen – ein Änderungsgesetz. Da der Stammhaushalt gem. Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG in Einnahmen und Ausgaben ausgeglichen sein muss, muss auch der (endgültige) Haushalt in der durch den Nachtrag geänderten Fassung ausgeglichen sein. Letzteres ist rechnerisch nur dann möglich, wenn auch der Nachtrag in sich ausgeglichen ist.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
nen Finanz- und einen Verwaltungshaushalt648, § 12 Abs. 2, 3 BHO – grundsätzlich fremd. Für den Normalfall sieht das GG einen einheitlichen, vollständigen und auf das Jahr bezogenen Haushaltsplan vor (Stamm- bzw. Voll- oder Gesamthaushalt649). Auch die in Art. 110 Abs. 2 S. 2 GG zugelassene „Teilung“ des Haushaltsplans bezieht sich auf den „endgültigen“ Haushalt eines Jahres. Die nach Art. 110 Abs. 2 S. 2 GG gebildeten Teile können für unterschiedliche Zeiträume gelten, sind aber jeweils nach Rechnungsjahren getrennt, enthalten insgesamt alle Einnahmen und Ausgaben und sind in der Summe auszugleichen, Art. 110 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 GG. Indes ist die etatlose Zeit nicht der „Normalfall“. Die vom BVerfG auch „Ergänzungshaushaltspläne“ genannten650 „Teilhaushaltspläne“ sind kein Ersatz für den Haushaltsplan, sondern – vor der Feststellung des „Haushaltsplan[s] für das folgende Jahr“, Art. 111 Abs. 1 GG – eine Ergänzung zum Nothaushaltsrecht des Art. 111 GG und insoweit ein aliud zu den in Art. 110 Abs. 2 S. 2 GG zugelassenen Teilplänen. Die Existenz des Art. 111 GG spricht nicht gegen die Zulässigkeit einer Nothaushaltsführung unter Beteiligung des Parlaments. Sinn und Zweck des Art. 111 GG ist es vielmehr, der Regierung auch in den Fällen, in denen eine parlamentarische Beteiligung (noch) nicht möglich ist, die gesetzliche Bewilligung also zu spät kommen würde, eine Fortführung der elementaren Verwaltungsfunktionen651 zu ermöglichen, da „das Staatsleben auch nicht einen Augenblick stillstehen kann“652. Insoweit ergibt sich eine Parallele zu den im GG ebenfalls nicht ausdrücklich genannten Nachtragshaushalten653. Diese können im Fall eines bei der ursprünglichen Haushaltsaufstellung nicht vorhergesehenen Änderungsbedarfs an die Stelle der im Grundgesetz in Art. 112 GG vorgesehenen Bewilligung überplanmäßiger und außerplanmäßiger Ausgaben treten. Vor dem Hintergrund des parlamentarischen Budgetrechts müssen sie, soweit es möglich ist, an die Stelle der exekutivischen 648 s. dazu Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 11; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 62 ff. 649 Kroll, DÖV 2004, 986 [988]. 650 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [34]; zum Begriff s. Fricke, DÖV 1978, 486 [488] und Kroll, DÖV 2004, 986 [987]. 651 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 111, Rn. 5. 652 Bismarck, Stenogr. Berichte, Haus der Abgeordneten, 5. Sitzung v. 27.1.1863, Bd. 7/2,1, S. 54. 653 Anders z. B. Art. 81 Abs. 2 S. 2 Verf NW: „Ein Nachtragshaushaltsplan kann sich auf einzelne Einnahmen und Ausgaben beschränken“. – Die in Art. 110 Abs. 3 GG genannten „Änderungsvorlagen“ erfassen begrifflich aber sowohl die Ergänzungsvorlagen zum Haushaltsentwurf (§ 32 BHO) sowie die Nachtragsvorlagen zum (bereits erlassenen) Haushaltsgesetz bzw. Haushaltsplan (§ 33 BHO), s. Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 75. – s. zu der zeitlichen Planung von Nachtragshaushalten noch unten, § 2 B. III. 4., S. 195 ff.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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Bewilligung treten. Ein Rückgriff auf die Ermächtigung des Art. 112 GG ist unzulässig, wenn „zeitgerecht durch einen Ergänzungshaushalt oder Nachtragshaushalt […] die Rechtsgrundlage für die Ausgabe […] beschafft werden“654 kann. Die grundsätzliche Zulässigkeit vorläufiger Nothaushaltsgesetze wird daher auch zu Recht nur noch vereinzelt in Frage gestellt655. Außerhalb des regulären Haushaltsgesetzgebungsverfahrens kann „ein Ergänzungshaushaltsplan (Teilhaushaltsplan) wegen Dringlichkeit durch Gesetz vorab festgestellt werden“656. Hierdurch wird der Haushaltsvollzug reparlamentarisiert, das Budgetrecht des Parlaments mithin gestärkt657. Ausdrücklich zugelassen ist eine „vorläufige Vorsorge durch Bundesgesetz“ in Art. 51 Abs. 5 der österreichischen Bundesverfassung, obwohl auch dort (subsidiär) verfassungsunmittelbare Ermächtigungen erteilt werden658. Zwar besteht durchaus die Gefahr, dass durch vorläufige gesetzliche Regelungen der Druck von Regierung und Parlament genommen wird, 654
s. BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [49]. Soweit ersichtlich, halten nur Schmidt, Rechtsfolgen einer verspäteten Feststellung des Haushaltsplans, S. 95 ff., Totz, DÖV 1985, 706 [712] und neuerdings Rossi, DÖV 2003, 313 [318, 321] die vorläufigen Bewilligungen per se für verfassungswidrig. Während das Argument Schmidts, es handele sich bei den Gesetzen über die vorläufige Haushaltsführung um (verfassungswidrige) Einzelfallgesetze schon wegen Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss v. 17.7.1996, 2 BvF 2/93, BVerfGE 95, 1 [17] – Südumfahrung Stendal) nicht verfängt, ist die Auslegung des Art. 111 GG als Ausprägung einer funktionellen Gewaltenteilung, nach der im „Notfall“ die Regierung zum Handeln berufen ist, nachvollziehbar. Überzeugen kann aber auch dieser Ansatz nicht, da Art. 111 Abs. 1 GG tatbestandlich auf Willensäußerungen des Parlaments (z. B. „gesetzlich beschlossene Maßnahmen“) Bezug nimmt, und damit der grundsätzliche Vorrang des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) auch im Rahmen des Art. 111 GG Anerkennung findet, a. A. Rossi, DÖV 2003, 313 [321]. Die Einheit des Haushaltsplans, auf die Totz, DÖV 1985, 706 [711 ff.] hinweist, ist im Zusammenhang mit einer Maßnahme der Nothaushaltsführung nicht Prüfungsmaßstab, s. bereits Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 2. Band (1923), S. 327; Neumark, Grundsatz der Vorherigkeit, VJStFinR 1 (1927), S. 293 und oben S. 150. 656 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [34]. Nach Fricke, DÖV 1978, 486 [488] handelt es sich bei diesem Teilhaushaltsplan um einen (je nach Standpunkt im Wege der Klarstellung bzw. der Rechtsfortbildung entwickelten) „gezielten“ Haushaltsplan, der einen „Zuschlag“ zum Nothaushalt während der vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung darstellt und nicht den sonst geltenden Grundsätzen der Vollständigkeit und Einheit unterliegt. 657 Kroll, DÖV 2004, 986 [989]; Fricke, DÖV 1978, 486 [488]; Totz, DÖV 1985, 706 [710]. 658 Bundesverfassungs-Gesetz der Republik Österreich v. 10.11.1920 i. d. F. vom 7.12.1929, zit. nach: Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten6, München 2005, S. 459 [490]. 655
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schnellstmöglich einen vollständigen Haushaltsplan einzubringen und zu verabschieden659. Dies ist jedoch im Kern eine Frage der inhaltlichen Ausgestaltung der vorläufigen Nothaushaltsgesetze: Ermöglichen diese Programmausgaben über den Rahmen des Art. 111 Abs. 1 GG hinaus, wird das Regieren ohne Haushaltsplan erleichtert und der zeitliche Druck aus den Haushaltsberatungen genommen. Unterstellt man aber ein vorläufiges Gesetz, welches die Ermächtigungen des Art. 111 Abs. 1 GG nur konkretisiert, ändert sich hinsichtlich des „Drucks“ nichts. Geht man davon aus, dass ein Gesetz die Befugnisse des Art. 111 Abs. 1 GG einschränkte660, würde der Druck auf die beteiligten Verfassungsorgane, das „endgültige“ Haushaltsgesetz zu verabschieden, sogar noch erhöht. Vergegenwärtigt man sich, dass die verfassungsunmittelbare Ermächtigung des Art. 111 Abs. 1 GG mit der Bezugnahme auf „gesetzlich bestehende Einrichtungen“, „rechtlich begründete Verpflichtungen“ und „Haushaltspl[äne] eines Vorjahres“ inhaltlich stets auf parlamentarische Willensäußerungen rekurriert, kann man nicht davon ausgehen, dass Art. 111 GG die Aufgabe der Nothaushaltsführung im Sinne einer funktionalen Gewaltenteilung allein der Regierung zuordnen will661 und das parlamentarische Budgetrecht, wenn und soweit dieses ausgeübt wird, in diesem Teilbereich des Haushaltsverfassungsrechts negiert662. (b) Inhalt und Wirkung vorläufiger Nothaushaltsgesetze Eine praktische Notwendigkeit für vorläufige Nothaushaltsgesetze ergibt sich zumeist dann, wenn die Ermächtigungen des Art. 111 GG erweitert, der Regierung im Vorgriff auf den noch nicht verabschiedeten Haushalts659 In diese Richtung geht auch die Kritik von Vialon, AöR 77 (1951), S. 19 [28 f.]; Totz, DÖV 1985, 706 [711] und Rossi, DÖV 2003, 313 [319]; hiergegen mit Recht Kroll, DÖV 2004, 986 [991]. 660 Zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit solcher Einschränkungen s. im Folgenden b). 661 So aber Schmidt, Rechtsfolgen einer verspäteten Feststellung des Haushaltsplans, S. 98 f.; vgl. aber Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 7: Annäherung an den „verfassungsrechtlich gewollten Zustand“. 662 So i. Erg. auch BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [34]; BremStGH, Urteil v. 10.10.1997, St 6/96, LVerfGE 7, 167 [183]; Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG9, Art. 111, Rn. 1; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 50; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 7; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 111, Rn. 7; Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 111 GG, Anm. 3; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 111 GG, Anm. 5; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 111, Rn. 2; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 5; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 111, Rn. 10; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 111, Rn. 3; Theiß, Nothaushaltsrecht, S. 120 ff.; Kroll, DÖV 2004, 986 [996]; a. A. Rossi, DÖV 2003, 313 [321].
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plan zusätzliche Ausgaben ermöglicht werden sollen. Denkbar ist es aber auch, dass das Parlament sein Budgetrecht durch eine Einschränkung der verfassungsunmittelbaren Ermächtigung stärken will oder mit der gesetzlichen Regelung nur eine Konkretisierung der Tatbestände des Art. 111 GG anstrebt. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass das Nothaushaltsgesetz den Ermächtigungsrahmen des Art. 111 GG zwar weiter spannen, diese Grundgesetzbestimmungen aber nicht einschränken könne663. Bei den in Art. 111 GG genannten Ermächtigungen handele es sich um ein „auch vom Parlament nicht unterschreitbares haushaltswirtschaftliches Minimalprogramm“664. Der Wortlaut des Art. 111 Abs. 1 GG scheint diese Auffassung zu stützen. Bis zu dem Inkrafttreten des Haushaltsplans für das folgende Jahr ist die Bundesregierung ermächtigt, alle Ausgaben zu leisten, die nötig sind, um den in den Buchstaben a) bis c) des Art. 111 Abs. 1 GG genannten Aufgaben und Leistungsverpflichtungen nachzukommen. Eine Einschränkung dieser Ermächtigung sieht Art. 111 Abs. 1 GG nicht vor; die Ermächtigung erlischt erst mit der Feststellung des eigentlichen Haushaltsplans („für“), nicht des für die etatlose Zeit festgestellten vorläufigen Teilhaushaltsplans665. Auch der Sinn und Zweck des Art. 111 GG, der eine Fortführung der Haushaltswirtschaft, des „Staatslebens“ auch im Fall der Budgetverzögerung oder eines Budgetkonflikts ermöglichen will, spricht zunächst gegen die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung der Ausgaben unter den Mindestbedarf, der für die Erhaltung des status quo und für die Erfüllung der rechtlich bereits begründeten Verbindlichkeiten benötigt wird. 663 So Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 7; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 111, Anm. 5; Theiß, Nothaushaltsrecht, S. 126 f.; v. Mangoldt, Art. 111, Anm. 2; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 111, Rn. 1; a. A. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 111, Rn. 1; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 50; Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 111 GG, Anm. 3; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 111, Rn. 7; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 111, Rn. 10. 664 Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 5. 665 A. A. Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 50, der annimmt, in diesem Fall trete „das Nothaushaltsrecht ebenso zurück wie bei regulären Haushaltsgesetzen“, da auch Nothaushaltsgesetze und -pläne die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 111 GG zerstörten. Ähnlich Heun, in: Dreier, GG III, Art. 111, Rn. 8. M. E. gewichtet diese Auffassung sowohl den Wortlaut als auch Sinn und Zweck des Art. 111 GG zu einseitig: Art. 111 Abs. 1 GG spricht vom Inkrafttreten des Haushaltsplans für das folgende Jahr und meint damit den „Vollhaushalt“. Dies entspricht auch der Teleologie, da nicht nur die Nothaushaltsführung ermöglicht werden, sondern auch der Druck auf die am Haushaltsgesetzgebungsverfahren Beteiligten, einen Gesamtplan festzustellen, erhalten bleiben soll, vgl. hierzu BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [33].
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Legt man indes das Konzept des „Teilhaushaltsgesetzes“ zu Grunde, so könnte eine gesetzliche Grundlage, auch wenn diese nur einen Teil der Haushaltsführung regelt, insoweit vorrangig und für den Gesetzgeber bindend sein: Art. 111 GG greife nur hilfsweise ein; sobald eine gesetzliche Grundlage für die Haushaltswirtschaft vorhanden sei, gehe diese vor, selbst wenn es sich nur um eine Notmaßnahme des Parlaments handele.666 Der Teilhaushaltsplan sei Ausübung des Budgetrechts des Gesetzgebers und müsse sich nicht an den Grenzen und Kriterien des Art. 111 GG orientieren. Er könne den Ermächtigungsspielraum nach Art. 111 GG erweitern, aber auch einengen.667 Die Argumentation über den Vorrang des Gesetzes liegt im Hinblick auf das für das Haushaltsverfassungsrecht zentrale Prinzip der „Budgethoheit“ des Parlaments nahe, ist aber nicht zwingend: Der Vorrang des Gesetzes greift nur, wenn das Gesetz nicht verfassungswidrig und damit nichtig (oder zumindest im Wege der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle „vernichtbar“) ist. Das ist aber im Hinblick auf eine Beschränkung der Regierungsbefugnisse aus Art. 111 GG gerade die Frage. So wird denn auch häufig einschränkend formuliert, dass jedenfalls die Ermächtigung nach Art. 111 Abs. 1 lit. b) GG nicht bewusst ersatzlos außer Kraft gesetzt werden könne668, und gesetzlich vorgeschriebene oder sonst rechtsverbindlich geschuldete Ausgaben durch ein solches Nothaushaltsgesetz als Organgesetz nicht verhindert werden könnten669. Andererseits ist aber festzustellen, dass die Notermächtigungen des Art. 111 Abs. 1 lit. a)–c) GG immer auf parlamentarische Bewilligungen zurückgehen. Sie beziehen sich auf die Erhaltung gesetzlich bestehender Einrichtungen, die Durchführung gesetzlich beschlossener Maßnahmen, die Erfüllung rechtlich begründeter Verpflichtungen und die Weiterführung von bestimmten Projekten, für die durch den Haushaltsplan des Vorjahres bereits Beträge bewilligt worden sind. Die Ermächtigungen enthalten Fälle mutmaßlicher Zustimmung des Bundestags670. Art. 111 GG bezieht sich auf eine Situation, in der eine Willensäußerung des Parlaments nicht vorliegt. Hat das Parlament im Rahmen seines Budgetrechts deutlich gemacht, dass Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 111, Rn. 10. Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 111 GG, Anm. 2; ähnlich Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 50; Kube, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 16; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 111, Rn. 8. Kroll, DÖV 2004, 986 [995 f.] nimmt eine „Sperrwirkung“ an, soweit der Etatgeber mit dem Teilhaushaltsgesetz eine „abschließende haushaltsrechtliche Grundlage“ konzipiert habe. 668 Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 2. 669 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 111, Rn. 10. 670 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 111, Rn. 1; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 111, Rn. 3. 666 667
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es bestimmte Ausgaben nicht akzeptieren will, können diese nicht am Parlament vorbei, unter Inanspruchnahme der Ermächtigungen des Art. 111 Abs. 1 GG, verausgabt werden. Dies spricht für einen Vorrang des Teilhaushaltsgesetzes. Letztlich wird man bei der Frage nach dem zulässigen Inhalt der vorläufigen Haushaltsgesetze differenzieren müssen. Sinn und Zweck des Art. 111 GG ist es, ein Stillstehen der Staatsverwaltung zu verhindern. Ziel ist aber zugleich der rechtzeitig, oder zumindest baldmöglichst, festgestellte vollständige und einheitliche Haushaltsplan „für“ das jeweilige Haushaltsjahr. Art. 111 GG soll nicht das Haushaltsbewilligungsrecht des Gesetzgebers vorübergehend ersetzen, sondern lediglich für den – vom Grundgesetz als kurzfristige Ausnahmesituation gedachten – etatlosen Zustand eine vorläufige Haushaltsführung ermöglichen671. (aa) Alleiniges Initiativrecht der Regierung Der Anstoß zu einer Ausweitung der Befugnisse aus Art. 111 GG wird in der Regel von Seiten der Regierung kommen. Stellt diese fest, dass für notwendig gehaltene Ausgaben nicht auf die verfassungsunmittelbaren Ermächtigungen gestützt werden können, muss sie das Parlament um die vorläufige Bewilligung dieser Ausgaben im Rahmen eines „Teilhaushaltsplans“ bitten. Diesem praktischen Bedürfnis entspricht auch die verfassungsrechtliche Ausgangslage. Aus Art. 110 Abs. 2, 3 GG i. V. m. Art. 76 Abs. 2 GG ergibt sich, dass der Entwurf eines Haushaltsgesetzes grundsätzlich von der Bundesregierung einzubringen ist.672 Im Fall des Gesamthaushalts folgt dies auch daraus, dass die Regierung allein über den administrativen Apparat zur Aufstellung des Haushaltsentwurfs verfügt673. Zwar lässt sich aus der Komplexität der Aufstellung eines ausgeglichenen Gesamthaushalts nicht ohne weiteres ein Initiativmonopol der Regierung auch für weniger komplexe Teilhaushalte ableiten674. Soweit man im Hinblick auf das parlamentarische Budgetrecht die Teilhaushalte aber den Nachtragshaushalten 671 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [33]. Vgl. auch BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [90]: „Die Ermächtigungen der Art. 111 und 112 GG ersetzen die Ermächtigung des Haushaltsgesetzes zur Ausgabe von Mitteln“. 672 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [46]; BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [357]. Ausführlich auch Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 302 ff. 673 Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 34. 674 Im Fall des Gesetzes über die vorläufige Haushaltsführung v. 24.4.1951 (BGBl. II, S. 67) ging die Initiative von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP aus (aus der Mitte des Bundestages), BT-Ds. I/2044.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
(Änderungsvorlagen i. S. d. Art. 110 Abs. 3 GG) gleichstellt675, wird man auch die systematischen Erwägungen zum Initiativrecht auf die Einbringung vorläufiger (Teil-)Haushaltsgesetze übertragen müssen. Das Initiativmonopol wird zudem aus Art. 113 Abs. 1 S. 1 GG gefolgert676. Gem. Art. 113 Abs. 1 S. 1 GG bedürfen Gesetze, die die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen, der Zustimmung der Bundesregierung. Hieraus ist aber zu schließen, dass auch dann, wenn das Initiativmonopol der Bundesregierung für vorläufige Haushaltsgesetze nicht schon aus Art. 110 Abs. 3 GG bzw. der Zuständigkeit (und Fähigkeit) zur Haushaltsaufstellung abgeleitet werden kann, jedenfalls bei einer Erhöhung der Ausgaben677 nur die Bundesregierung zur Initiative berechtigt ist bzw. sich eine Ausweitung der Befugnisse des Art. 111 Abs. 1 GG an den Haushaltsentwürfen der Regierung orientieren muss678. Hingegen wird die Beschränkung der Befugnisse aus Art. 111 GG kaum jemals von der Regierung vorgeschlagen werden. Die Frage nach der Vereinbarkeit eines entsprechenden vorläufigen Haushaltsgesetzes mit Art. 111 GG stellt sich somit in der Praxis nur dann, wenn man in diesem Fall ein Initiativmonopol der Regierung nicht annimmt und auch das Parlament als zur Initiative berechtigt ansieht. Hierfür spricht zwar, dass der Rechtsgedanke des Art. 113 Abs. 1 S. 1 GG nicht in gleicher Weise eingreift, wenn keine Erhöhung der Ausgaben sondern eine Verminderung beabsichtigt ist679. Indes erscheint es bereits zweifelhaft, die Frage des Initiativrechts danach zu bestimmen, welchen Inhalt ein Gesetz hat, das noch nicht abschließend beraten (Art. 42 Abs. 1 GG) und beschlossen ist (vgl. die abweichende Ausgangssituation bei der Anwendung der Befugnisse der Bundesregierung aus Art. 113 GG680). 675 So i. E. wohl BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [34]. Zum Einbringungsmonopol bei Nachtragshaushalten BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [357]; Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 304. 676 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 110, Rn. 11; Hillgruber, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 89. 677 Vgl. Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 357, der im Übrigen das Verbot von Haushaltsinitiativen des Parlaments kritisch sieht und wohl nur für den Fall des „Vollhaushalts“ akzeptiert. 678 Vgl. auch Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 113, Rn. 37; Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 113, Rn. 11; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 113, Rn. 5. 679 Das systematische Argument aus der Formulierung „von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben“ (hierzu Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 89) bleibt indes bestehen. Krit. Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 357. 680 Hierzu Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 113, Rn. 3 f.
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Die systematischen und historischen Argumente für ein Initiativmonopol der Regierung gelten auch im Fall einer Verminderung der Ausgaben. Das Nothaushaltsgesetz darf von den an das regelmäßige Haushaltsgesetz gestellten Anforderungen nur soweit abweichen, wie dies durch seinen Charakter als Ausnahme- und Übergangsgesetz gefordert ist681. Aus diesem Grund muss das vorläufige (Teil-)Haushaltsgesetz weder jährlich noch vollständig sein. Auch das Teilhaushaltsgesetz beruht aber auf dem Prinzip des Budgetrechts, welches historisch und systematisch als Feststellung des Haushaltsplans durch das Haushaltsgesetz (Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG) gekennzeichnet ist. Das Initiativmonopol der Regierung besteht somit auch im Fall der vorläufigen (Teil-)Haushaltsgesetze682. (bb) Grundsatz der Haushaltswahrheit Das formelle Argument der alleinigen Budgetinitiative löst das Problem des zulässigen Inhalts eines Teilhaushaltsgesetzes indes (auch für die Praxis) nur scheinbar: Ein von der Regierung vorgeschlagenes vorläufiges Haushaltsgesetz wird, wie jedes Gesetz, vom Parlament „verhandelt“, Art. 42 Abs. 1 GG. Dem Recht zur Beratung entspricht aber auch das Recht zur abweichenden Beurteilung und zur Änderung eingebrachter Gesetzesentwürfe. Führen diese von der parlamentarischen Mehrheit gegen die Regierung durchgesetzten Änderungen zu einem Abweichen von dem „Minimalprogramm“ des Art. 111 Abs. 1 GG, ist man wieder auf der Ebene des materiellen Verfassungsrechts. Die Einschränkung der nach Art. 111 Abs. 1 GG an sich in der etatlosen Zeit zulässigen Ausgaben ist aber nicht per se verfassungswidrig. Die Frage der Zulässigkeit eines solchen Vorgehens muss vielmehr differenziert und im Kontext der Ermächtigungen des Art. 111 GG betrachtet werden. Art. 111 Abs. 1 GG lässt bestimmte Ausgaben zu, die nötig sind, um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten, gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen [lit. a)] oder rechtlich begründete Verpflichtungen zu erfüllen [lit. b)]. In diesen Fällen handelt es sich aber um Ausgaben, die ohnehin im folgenden Haushaltsplan zu veranschlagen wären, ohne dass das Parlament insoweit einen haushaltswirtschaftlichen Spielraum hätte (gebundene Ausgaben). Eine Einschränkung im Bereich dieser Ausgaben wäre folglich bereits als Verstoß gegen den Grundsatz der Haushaltswahrheit (Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG) verfassungswidrig. Soweit sich ein solcher Verstoß gegen die Haushaltswahrheit nicht feststellen lässt, weil die im vorläu681
BremStGH, Urteil v. 10.10.1997, St 6/96, LVerfGE 7, 167 [Ls. 4]. So wohl auch BremStGH, Urteil v. 10.10.1997, St 6/96, LVerfGE 7, 167 [187 f.]. 682
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
figen Haushaltsgesetz vorgenommene Einschränkung der Regierung genug Spielraum lässt, rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen, und die Vorgaben des Art. 111 Abs. 1 GG nur konkretisiert, gibt es andererseits keinen Grund, diesen „Spielraum“, abweichend von der übrigen „Machtverteilung“ in der parlamentarischen Demokratie, der Regierung und nicht dem Parlament einzuräumen. Die Einschränkungen dürfen dem Sinn und Zweck des Art. 111 GG nicht zuwiderlaufen, was der Fall wäre, wenn etwa im Rahmen einer „Kraftprobe“ das Staatsleben zum Stillstand gebracht werden soll. Dies ist aber eine staatsrechtliche Selbstverständlichkeit und ergibt sich bereits aus der allgemeinen Verantwortung (auch) des Parlaments, bestehende rechtliche Verpflichtungen zu achten oder aber durch entsprechende (Sach-) Gesetzgebung, auf dem von der Verfassung vorgesehenen Weg, zu ändern. Gesetzgeberische Unvernunft sollte im demokratischen Rechtsstaat auch nicht für die Auslegung der Finanzverfassung unterstellt werden. Es ist aber durchaus möglich, parlamentarische Ausgabebewilligungen der Vorjahre (etwa im Fall des Art. 111 Abs. 1 lit. c) GG) vorläufig zu beenden, wenn dies nicht zu einem Stillstand des Staatslebens oder einer Verletzung der Rechte Dritter führt. Die in Art. 111 GG genannten Ausgaben lassen sich jeweils auf parlamentarische Willensäußerungen zurückführen. Bereits die verfassungsunmittelbare Ermächtigung ist an die parlamentarische Willensäußerung rückgekoppelt. Wenn das Parlament – auch ohne ein vorläufiges (Teil-)Haushaltsgesetz formell zu verabschieden – auf geeignete Weise deutlich macht, dass die von der Regierung geplanten Ausgaben nicht seinem Willen entsprechen, ergibt sich bereits daraus eine tatbestandsimmanente Einschränkung der Ausgabeermächtigungen des Art. 111 Abs. 1 GG683. Die Formalisierung dieser parlamentarischen Willensäußerung in einem vorläufigen Haushaltsführungsgesetz muss daher erst recht eine Einschränkung (oder Ausweitung) der Kompetenzen des Art. 111 GG ermöglichen können. (2) Notbewilligungsrecht (Art. 112 GG) während der etatlosen Zeit? Gemäß Art. 112 S. 1 GG können mit Zustimmung des Bundesministers der Finanzen überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben geleistet werden. Diese Zustimmung darf aber „nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden“, Art. 112 S. 2 GG. Der Wortlaut des Art. 112 GG684 spricht damit zunächst gegen die Möglichkeit eines Rückgriffs auf das sog. Notbewilligungsrecht des FinanzSo auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 111, Rn. 3; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 111, Rn. 3; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 111, Rn. 14. 683
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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ministers während der Zeit der vorläufigen Haushaltsführung. „Überplanmäßige“ und „außerplanmäßige“ Ausgaben setzen – ebenso wie die „Unvorhersehbarkeit“, die auf die Planung bei der Aufstellung des Haushalts und dessen parlamentarischer Beratung Bezug nimmt – begrifflich einen Haushaltsplan voraus, der während der etatlosen Zeit aber noch nicht besteht. Das Grundgesetz geht davon aus, dass Ausgaben vor Feststellung eines Haushaltsplans auf die Ermächtigung in Art. 111 Abs. 1 GG zu stützen sind, während „unvorhergesehene und unabweisbare Bedürfnisse“, die nach der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes auftreten, auf der Grundlage des Art. 112 GG finanziert werden können. In beiden Fällen kann bzw. soll eine gesetzliche Bewilligung (Stammhaushalt, vorläufiger Teilhaushalt oder Nachtragshaushalt685) an die Stelle der verfassungsunmittelbaren Ermächtigungen treten, die insoweit als Ausnahmen konstruiert sind und nur im „Notfall“ eingreifen. Sowohl mit dem Nothaushaltsrecht des Art. 111 GG als auch mit dem Notbewilligungsrecht des Art. 112 GG will die Verfassung gewährleisten, dass „stets staatliche Mittel in einem rechtlich geordneten Verfahren zur Verfügung gestellt werden können, um ein nicht weiter aufschiebbares staatliches Bedürfnis zu erfüllen“686. Inhaltlich weisen die Ermächtigungen in Art. 111 Abs. 1 und Art. 112 GG denn auch gewisse Ähnlichkeiten auf: Die in Art. 111 Abs. 1 lit. a) und b) genannten Fälle (Erhaltung gesetzlich bestehender Einrichtungen, Durchführung gesetzlich beschlossener Maßnahmen und Erfüllung rechtlich begründeter Verpflichtungen) werden sich häufig unter das „unabweisbare Bedürfnis“ i. S. d. Art. 112 S. 2 GG subsumieren lassen; hiervon geht jedenfalls § 37 Abs. 1 S. 4 Hs. 2 BHO aus, der im Fall der „Rechtsverpflichtungen“ die Unabweisbarkeit unterstellt687. 684 Vgl. Art. 81 BaWüVerf; Art. 37 BayHO; Art. 88 BerlVerf; Art. 105 BbgVerf; § 37 BremLHO; Art. 68 Abs. 2 HmbVerf; Art. 143 HessVerf; Art. 63 M-VVerf; Art. 67 NdsVerf; Art. 85 Verf NW; Art. 119 RhPfVerf; Art. 107 SaarlVerf; Art. 96 SächsVerf; Art. 95 VerfLSA; Art. 52 SchlHVerf; Art. 101 ThürVerf. 685 Das Nachtragshaushaltsgesetz unterscheidet sich dabei von dem vorläufigen Teilhaushaltsgesetz in wesentlichen Punkten: Das Teilhaushaltsgesetz ist ein Provisorium, welches die Regierung punktuell und befristet zu bestimmten Ausgaben ermächtigt. Hingegen ändert das Nachtragshaushaltsgesetz das bereits für das Haushaltsjahr in Kraft getretene (Stamm-)Haushaltsgesetz ab und ist damit „endgültig“. Aus diesem Grund tritt der Nachtragshaushalt stets rückwirkend zum Beginn des Haushaltsjahres in Kraft und ist somit in der rechtlichen Wirkung jährlich, im Zusammenhang mit dem Stammhaushalt vollständig und muss zudem, weil das Haushaltsgesetz auch in der durch den Nachtrag geänderten Fassung noch dem Gebot des Haushaltsausgleichs (Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG) unterliegt, in Einnahme und Ausgabe ausgeglichen sein. 686 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [34]. 687 § 37 Abs. 1 S. 4 BHO lautet: „Eines Nachtragshaushaltsgesetzes bedarf es nicht, wenn die Mehrausgabe im Einzelfall einen im Haushaltsgesetz festzulegenden
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Ein „unabweisbares Bedürfnis“ i. S. d. Art. 112 S. 2 GG besteht aber nur dann, wenn die vorgesehene Ausgabe nicht nur sachlich unbedingt notwendig, sondern zugleich zeitlich unaufschiebbar ist688. Unabweisbarkeit ist nach der Rechtsprechung des BVerfG mehr als die ohnehin aus dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit folgende, sachlich zu verstehende Notwendigkeit; hinzukommen muss, um die Inanspruchnahme einer im Gesamtsystem der Verfassung nur subsidiären „Notkompetenz“ rechtfertigen zu können, das Moment des Zeitdrucks689. Nur wenn eine Ausgabe ohne Beeinträchtigung schwerwiegender politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Staatsinteressen nicht mehr zeitlich aufgeschoben werden kann, besteht für sie ein unabweisbares Bedürfnis690. Die Voraussetzungen des Art. 111 Abs. 1 GG sind – auch im Hinblick auf die zeitliche Komponente – ähnlich. Die Ausgaben müssen sachlich notwendig und zeitlich unaufschiebbar sein691. Die in der etatlosen Zeit zu leistenden Ausgaben sind nur dann „nötig“ i. S. d. Art. 111 Abs. 1 GG, wenn sie nicht bis zur Verabschiedung des regulären Haushalts zurückgestellt werden können692. An die Stelle des Stammhaushalts, der den etatlosen Zustand beendet, tritt im Zusammenhang mit den über- und außerplanmäßigen Ausgaben des Art. 112 GG der Nachtragshaushalt, der den ursprünglichen Haushalt um die notwendig gewordenen Ausgaben erweitert. Art. 111 GG gewährt der Regierung für die Nothaushaltsführung indes einen größeren finanziellen Spielraum als der insoweit „strengere“ Art. 112 GG für die Notbewilligung. Die Ermächtigung in Art. 111 Abs. 1 lit. c) GG, nach der bestimmte Projekte fortgesetzt werden können, sofern „durch den Haushaltsplan eines Vorjahres bereits Beträge bewilligt worden sind“, stellt die Kontinuität der Haushaltswirtschaft in den Vordergrund, fordert Betrag nicht überschreitet oder wenn Rechtsverpflichtungen zu erfüllen sind“. – Im Hinblick auf die sachliche Unabweisbarkeit der Ausgaben erscheint dies vertretbar. Solange die Erfüllung der Rechtsverpflichtung aber bis zur Verabschiedung eines Nachtragshaushalts aufgeschoben werden kann, ist das Bedürfnis jedenfalls nicht zeitlich unabweisbar. Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Bedenken ausführlich Jahndorf, DVBl. 1998, 75 [80]; Kube, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 88; krit. auch bereits v. Zezschwitz, DÖV 1979, 489 [494]. 688 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [36], [Hervorhebung nur hier, d. Verf.]. 689 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [36]; Kube, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 47. 690 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [36 f.]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 112, Rn. 6. 691 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 111, Rn. 2; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 9; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 111, Rn. 9; Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 19; zu den Unterschieden vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 21. 692 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 22.
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aber keine Unabweisbarkeit; Art. 111 Abs. 2 GG ermöglicht – anders als Art. 112 GG – auch die Aufnahme von Krediten. Grund für die unterschiedliche Weite der Ermächtigungen ist die jeweilige Ausgangssituation, die sich das Grundgesetz für die Anwendung des Art. 111 GG einerseits und des Art. 112 GG andererseits vorstellt. In den Fällen des Art. 112 GG liegt bereits eine gesetzliche Planung vor, in der zumindest versucht worden ist, alle im Haushaltsjahr „voraussichtlich zu leistenden Ausgaben“ (vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 2 BHO) zu erfassen. Über- oder außerplanmäßige Mehrausgaben bedeuten hier das Abweichen von einer bestehenden gesetzlichen Regelung. Art. 112 S. 2 GG lässt daher auch „unabweisbare“ Ausgaben dann nicht zu, wenn das Schweigen des Haushaltsgesetzes nicht Ausdruck der fehlenden Vorhersehbarkeit, sondern ein „beredtes“ ist, etwa weil eine bestimmte Ausgabe in den parlamentarischen Beratungen für unnötig gehalten und gestrichen wird693. Einen wesentlichen Unterschied zwischen beiden Normen markiert das Tatbestandsmerkmal „unvorhergesehen“ in Art. 112 S. 2 GG. Unvorhergesehen ist jedes Bedürfnis, das von der Exekutive bei der Aufstellung des Haushaltsplans oder vom Gesetzgeber bei dessen Beratung und Feststellung nicht vorhergesehen wurde oder dessen gesteigerte Dringlichkeit, die es durch Veränderung der Sachlage inzwischen gewonnen hat, nicht vorhergesehen worden ist694. Auf die Frage der Vorhersehbarkeit kommt es im Rahmen des Art. 111 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht an695. Ohne den Haushaltsplan gibt es keine vom Gesetzgeber „vorhergesehenen“ Ausgaben. Ein Haushaltsgesetz, das die Grundlage der Haushaltswirtschaft bildet und insoweit grundsätzlich eine „Sperrwirkung“ für über- und außerplanmäßige Ausgaben entfaltet, fehlt in der etatlosen Zeit. Auch im Rahmen der Nothaushaltsführung nach Art. 111 GG kann es jedoch „Unvorhergesehenes“ geben. Die Buchstaben a) bis c) des Art. 111 Abs. 1 GG enthalten von der Verfassung als notwendig „vorausgesehene“ Ausgaben, die sich an den gesetzlichen Vorgaben früherer Jahre orientieren und in der etatlosen Zeit typischerweise zu leisten sind. An die Stelle des Haushaltsplans, der im Regel-Anwendungsfall des Art. 112 GG den Maß693
Vgl. RhPfVerfGH, Urteil v. 26.5.1997, VGH O 11/96, NVwZ-RR 1998, 1 [2]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 112, Rn. 5; Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 23; Voigt, BayVBl. 1978, 101 [104]. – In solchen Fällen der ausdrücklichen Verweigerung von Ausgaben für „unabweisbare Bedürfnisse“ stellt sich indes die Frage, ob hierin ein Verstoß gegen den Grundsatz der Haushaltswahrheit i. S. d. Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG gesehen werden muss, der insoweit zur Verfassungswidrigkeit des Haushaltsgesetzes führt (s. o., S. 159). 694 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [35]. 695 Ähnlich Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 478; Moeser, Beteiligung des Bundestags an der staatlichen Haushaltsgewalt, S. 190.
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stab bildet, tritt die in Art. 111 Abs. 1 GG selbst (ergänzt durch einen ggf. vorhandenen vorläufigen Teilhaushaltsplan) ausgesprochene Ermächtigung696. Es sind durchaus Fälle denkbar, etwa Naturkatastrophen697, in denen unabweisbare Bedürfnisse i. S. d. Art. 112 S. 2 GG entstehen, die aber weder bis zum Zustandekommen des Haushaltsgesetzes oder eines (ggf. weiteren) vorläufigen Teilhaushalts warten können698 noch eine rechtliche Verpflichtung begründen und damit unter Art. 111 Abs. 1 lit. b) GG zu subsumieren wären699. Bevor man in solchen Fällen Ausnahmen konstruiert, die sich „aus der Werteordnung des Grundgesetzes ableiten, und zwar dann, wenn Leben oder Gesundheit von Menschen oder der Bestand des Bundes oder eines Landes auf dem Spiel stehen“700, oder aus grundrechtlichen Schutz- oder Leistungspflichten eine konkrete „rechtlich begründete Verpflichtung“ i. S. d. Art. 111 Abs. 1 lit. b) GG konstruieren muss701, erscheint es vorzugswürdig, die Anwendung des Art. 112 GG für diese Ausnahmefälle auch in der etatlosen Zeit zuzulassen702. Die Ausnahmen lassen 696 Heun, in: Dreier, GG III, Art. 112, Rn. 10; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 112, Rn. 1; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 15. Ähnlich auch Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 36; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 4. – Auf die Ansätze des Vorjahresplans kommt es hingegen nicht an (so aber Noll, Haushalt und Verfassung, S. 83), da diese für das laufende Haushaltsjahr grundsätzlich keine Bedeutung mehr haben. Ausnahmen gelten nur dann, wenn ausdrücklich eine entsprechende Fortgeltung angeordnet ist, weil etwa Ausgaben für übertragbar erklärt worden sind, vgl. § 45 BHO/LHO. 697 Vgl. hierzu auch Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 478, Fn. 390; Fricke, DVBl. 1975, 604 [606]. 698 Sasse, JZ 1973, 189 [192] schlägt für den Fall, dass ein Gesetz nicht abgewartet werden kann, vor, die vorläufige Ermächtigung durch den Haushaltsausschuss des Parlaments einzuholen. 699 Dies konstatiert auch Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 112, Rn. 24. 700 Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 36. 701 Hier kann sich zudem die Frage stellen, ob diese „Verpflichtungen“, ähnlich wie „gesetzlich beschlossene Maßnahmen“, nicht schon vor Beginn des Haushaltsjahres begründet sein müssen (in diesem Sinne wohl Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 26 f.). Indes kann der Gesetzgeber auch ohne sich „auf einen Haushaltsplan zu einigen“ (Gröpl, ebd.), im Rahmen des nach Art. 113 GG Zulässigen (Maßstab ist insoweit der Haushaltsplanentwurf) ausgabenwirksame Fachgesetze beschließen und rechtliche Verpflichtungen i. S. d. Art. 111 Abs. 1 lit. b) GG begründen. Gleiches muss gelten, wenn die entsprechende Anspruchsgrundlage bereits besteht, und nur der die Verpflichtung auslösende Tatbestand nach Beginn des Haushaltsjahres erfüllt wird. 702 Die Tatsache, dass Art. 111 Abs. 1 und Art. 112 S. 1 GG unterschiedliche Adressaten haben (Bundesregierung bzw. Bundesminister der Finanzen), spricht nicht gegen eine Kombination beider Vorschriften, so aber wohl Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 35. „Bundesregierung“ in Art. 111 GG meint „Exekutive“, also „diejenige Behörde oder sonstige Stelle in der Bundesverwaltung […],
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sich auf diese Weise in die Finanzverfassung integrieren und gewinnen zudem an tatbestandlicher Kontur. Trotz des Wortlauts (über- und außerplanmäßig) und der Systematik (Art. 111 GG vor Feststellung des Haushaltsplans, Art. 112 GG danach) spricht die Teleologie für eine Anwendung des Art. 112 GG in der etatlosen Zeit: Zum einen muss es immer möglich sein, Ausgaben zu leisten, die tatsächlich im eigentlichen Sinne des Wortes „unabweisbar“ sind. Dies ist Sinn und Zweck sowohl der vorläufigen Haushaltsführung nach Art. 111 GG als auch der Notbewilligung nach Art. 112 GG. Zum anderen spricht für die Anwendbarkeit des Art. 112 GG ein logischer Erst-Recht-Schluss: Wenn Art. 112 GG Abweichungen von einer gesetzlichen Regelung, die die nötigen Ausgaben immerhin für ein Jahr konkretisiert, in speziell umrissenen Sonderfällen zulässt, müssen entsprechende Ausnahmen (die Ausgaben) erst recht möglich sein, wenn es keine gesetzliche Regelung gibt und sich die Haushaltsführung nur auf den mutmaßlichen Willen des Parlaments stützt, den Art. 111 Abs. 1 GG zum Maßstab der verfassungsunmittelbaren Ermächtigung macht. Auch in der etatlosen Zeit ist ein Rückgriff auf die Ermächtigungen des Art. 112 GG daher zulässig703. Soweit dem entgegengehalten wird, dass die kombinierte Anwendung von Art. 111 und Art. 112 GG das parlamentarische Budgetbewilligungsrecht im Krisenfall beseitige, gegen Art. 110 GG verstoße und Art. 111 GG aus den Angeln hebe704, ist darauf hinzuweisen, dass eine Koppelung der beiden Vorschriften keineswegs die Aushöhlung des parlamentarischen Budgetrechts bedeuten muss. Die „eindeutigen Ziele des Art. 111“ würden zwar in der Tat dann „total durchkreuzt“, wenn die Regierung mit Hilfe des „Sesam öffne dich des Art. 112“ beliebige Ausgaben leisten könnte705. die für die in Frage stehende Mittelbewirtschaftung zuständig ist, Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 18. Diese Stelle ist es aber, die in den Fällen des Art. 112 S. 1 GG um die Zustimmung des Bundesministers der Finanzen ersucht. Auch bei Anwendung des Art. 112 GG in der etatlosen Zeit ergibt sich somit die „Stufung“, die das Zustimmungserfordernis in Art. 112 S. 1 GG bezweckt. 703 Wie hier BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [37]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 111, Rn. 1; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 112, Rn. 15; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 112, Rn. 10; Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 111, Rn. 8; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 3; Kube, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 111, Rn. 6; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 112, Rn. 5; Stern, StaatsR II, § 49 IV 5 c) g), S. 1219; Theiß, Nothaushaltsrecht, S. 157; Heintzen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 120, Rn. 67; a. A. Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 47; Sasse, JZ 1973, 189 [191 f.]; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 112, Rn. 104; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 112, Rn. 4; Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 33 und Art. 112, Rn. 24. 704 Sasse, JZ 1973, 189 [192]; hiergegen Fricke, DVBl. 1975, 604 [606]. 705 Vgl. Sasse, JZ 1973, 189 [192].
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Dies ist aber kein Problem der kombinierten Anwendung, sondern eine Frage der Auslegung des Art. 112 S. 2 GG. Nicht jede Ausgabe, die eine Regierung für nötig hält, ist unvorhergesehen und unabweisbar706. Insbesondere darf das „bloße“ Fehlen eines Haushaltsplans, für das Art. 111 GG bereits Vorsorge trifft, nicht zu der Annahme verleiten, dass alle Ausgaben in der etatlosen Zeit „unvorhergesehen“ wären und es daher nur noch auf die Unabweisbarkeit ankäme, die wiederum für jede gebundene Ausgabe (i. d. R. > 90% aller Ausgaben) zu unterstellen sei. Ausgaben, an die im Rahmen des Art. 111 GG „gedacht“ worden ist, sind ebenso wenig unvorhergesehen wie Ausgaben, die bereits im Haushaltsplanentwurf enthalten und vom Parlament im Falle eines „Budgetkonflikts“ bereits in concreto abgelehnt worden sind707. Unabweisbar sind sie nur dann, wenn ein Abwarten des Haushaltsplans, ggf. eines vorläufigen Teilhaushalts, nicht möglich ist. Ein „Griff ins Volle“, der „gegen den erklärten Willen des Parlaments“708 erfolgt, erscheint bei entsprechend restriktiver Auslegung des Art. 112 S. 2 GG kaum möglich. cc) Nothaushaltsführung als Haushaltsvorgriff Jede Form der vorläufigen Haushaltsführung, sei es aufgrund der Ermächtigungen in Art. 111 GG709, sei es aufgrund vorläufiger Teilhaushaltsgesetze oder in Ausnahmefällen aufgrund des Notbewilligungsrechts in Art. 112 GG710, erfolgt „auf Rechnung“ des laufenden Haushaltsjahres. Die Ausgaben werden zu Lasten der Ansätze des laufenden Haushaltsjahres geleistet, aufgenommene Kredite auf die Kreditgrenze des laufenden Jahres angerechnet. Bei der (Not-)Haushaltsführung handelt es sich immer711 um 706 Zudem ist es eine verfassungsgerichtlich voll überprüfbare Rechtsfrage, ob ein angenommenes Bedürfnis unvorhergesehen oder unabweisbar ist, vgl. BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [39]; VerfGH NW, Urteil v. 3.5.1994, VerfGH 19/92, OVGE 44, 289 [294]. 707 Puhl, Minderheitsregierung, S. 223 f. 708 Sasse, JZ 1973, 189 [192]. 709 Art. 80 BaWüVerf; Art. 89 BerlVerf; Art. 102 BbgVerf; Art. 132a BremVerf; Art. 67 HmbVerf; Art. 140 HessVerf; Art. 62 M-VVerf; Art. 66 NdsVerf; Art. 82 Verf NW; Art. 105 Abs. 3 SaarlVerf; Art. 98 SächsVerf; Art. 94 VerfLSA; Art. 51 SchlHVerf; Art. 100 ThürVerf. Prorogation in Art. 78 Abs. 4 BayVerf und Art. 116 Abs. 4 RhPfVerf. 710 Art. 81 BaWüVerf; Art. 37 BayHO; Art. 88 BerlVerf; Art. 105 BbgVerf; § 37 BremLHO; Art. 68 Abs. 2 HmbVerf; Art. 143 HessVerf; Art. 63 M-VVerf; Art. 67 NdsVerf; Art. 85 Verf NW; Art. 119 RhPfVerf; Art. 107 SaarlVerf; Art. 96 SächsVerf; Art. 95 VerfLSA; Art. 52 SchlHVerf; Art. 101 ThürVerf. 711 Dies gilt auch in den Fällen, in denen (wie z. B. in Bayern, Art. 78 Abs. 4 BayVerf, und Rheinland-Pfalz, Art. 116 Abs. 4 RhPfVerf) der Haushalt bis zur Ver-
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einen Haushaltsvorgriff712, ein „Vorgreifen“ auf die Ermächtigungen des noch festzustellenden Haushaltsplans für das laufende Rechnungsjahr. Da für jedes Rechnungsjahr ein Haushaltsplan durch das Haushaltsgesetz festzustellen ist, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG, muss das Haushaltsgesetz die finanzwirksamen Vorgänge der etatlosen Zeit aufnehmen. Der Haushaltsplan gilt stets für das gesamte Jahr. Es entspricht dem Grundsatz der Haushaltswahrheit, dass „alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes […] in den Haushaltsplan einzustellen“ sind, Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG. Die von der Exekutive aufgrund der verfassungsunmittelbaren Ermächtigungen geleisteten Ausgaben müssen also, soweit bekannt, in den (verspäteten) Haushaltsplan des entsprechenden Jahres eingestellt werden. Notfalls sind sie wie die Einnahmen bei einem „regulären“ Haushalt zu schätzen. b) Gesetzgebung: Rückwirkung des verspäteten Haushaltsgesetzes Mit dem Inkrafttreten des Haushaltsgesetzes endet die Ermächtigung zur Nothaushaltsführung, Art. 111 Abs. 1 GG. Die Feststellung des Haushaltsplans beschließt die etatlose Zeit und schafft die gesetzliche Grundlage für die (weitere) staatliche Haushaltswirtschaft. Die auf den ersten Blick klare Regelung („bis zu seinem Inkrafttreten“713) wirft indes bei näherer Betrachtung Fragen auf: Kann ein „verspätetes“ Haushaltsgesetz, das gegen den Verfassungsgrundsatz der Vorherigkeit (Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG) verstößt, überhaupt in Kraft treten, d.h. gültig bzw. wirksam sein? Ab wann „gilt“ das Haushaltsgesetz? Nach Art. 111 GG endet die etatlose Zeit mit dem „Inkrafttreten“, was nahe legt, dass das Haushaltsgesetz erst nach dem Beginn des Haushaltsjahres in Kraft tritt (am Tag nach der Verkündung714). Dennoch sollen die Haushaltsgesetze nach dem Willen des Gesetzgebers rekündung des Haushaltsgesetzes vorläufig „nach dem Haushaltsplan des Vorjahres“ weitergeführt wird. 712 Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 1. 713 Art. 111 Abs. 1 GG; vgl. Art. 80 Abs. 1 BaWüVerf („bis zur gesetzlichen Regelung“); Art. 78 Abs. 4 BayVerf („zunächst“); Art. 89 Abs. 1 S. 1 BerlVerf („vorläufige Regelungen“); Art. 102 BbgVerf („bis zu seinem Inkrafttreten“); Art. 132a Abs. 1 BremVerf („bis zu seinem Inkrafttreten“); Art. 66 Abs. 1 HmbVerf („bis zum Inkrafttreten des Haushaltsplanes“); Art. 140 HessVerf („bis zu seinem Inkrafttreten“); Art. 62 Abs. 1 M-VVerf („bis zum Inkrafttreten des Gesetzes“); Art. 66 Abs. 1 NdsVerf („bis zur Verkündung des Haushaltsgesetzes“); Art. 82 Verf NW („bis zu seinem Inkrafttreten“); Art. 116 Abs. 4 RhPfVerf („zunächst“); Art. 105 Abs. 3 SaarlVerf („bis zu seinem Inkrafttreten“); Art. 98 Abs. 1 SächsVerf („bis zur gesetzlichen Regelung“); Art. 94 Abs. 1 VerfLSA („bis zu dessen Inkrafttreten“); Art. 51 Abs. 1 SchlHVerf („bis zum Inkrafttreten des Gesetzes“); Art. 100 Abs. 1 ThürVerf („bis zum Inkrafttreten des Gesetzes“). 714 Weniger missverständlich ist insoweit die niedersächsische Regelung, die die vorläufige Haushaltsführung „bis zur Verkündung des Haushaltsgesetzes“ befristet,
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
gelmäßig „rückwirkend“, d.h. mit Wirkung vom 1. Januar des jeweiligen Jahres in Kraft treten. Daran anschließend stellt sich die Frage nach der inhaltlichen Bedeutung der „Rückwirkung“ eines Haushaltsgesetzes. Die Ausgaben der etatlosen Zeit beruhen auf einer verfassungsunmittelbaren Ermächtigung und sind vollzogen. Soll das verspätete Haushaltsgesetz den Haushaltsvollzug in seinem gegenwärtigen Stadium aufnehmen, muss es ihn genehmigen? Kann es ihn rückwirkend ändern? aa) Gültigkeit des verspäteten Haushaltsgesetzes Für den verspäteten Stammhaushalt, d.h. den Haushalt, der die etatlose Zeit i. S. d. Art. 111 GG beendet und für das Haushaltsjahr erstmalig eine Planungsgrundlage schafft, wird – soweit ersichtlich – einhellig die Auffassung vertreten, dass dieser ungeachtet eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Vorherigkeit wirksam sei.715 Zum Teil wird Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG gerade aus diesem Grund als bloße „Sollvorschrift“ gesehen.716 Stern wendet sich zwar mit Hinweis auf den Wortlaut, der eine solche Deutung verbiete, gegen diese Einordnung, formuliert aber dennoch: „Andererseits ist jedoch die Verletzung der Vorschrift sanktionslos: Ein nicht rechtzeitig verabschiedetes Haushaltsgesetz ist nicht verfassungswidrig; denn Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG will Exekutive und Legislative nur dazu verpflichten, alles zu tun, um die Vorherigkeit einzuhalten.“717
Als Begründung für diese Rechtsfolge wird zum einen der Wortlaut des Art. 111 GG („bis zu seinem Inkrafttreten“)718, zum anderen aber auch die Art. 66 Abs. 1 NdsVerf (G. v. 19.5.1993, GVBl. S. 107), [Hervorhebung nur hier, d. Verf.]. 715 BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 80; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 8; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 110, Rn. 12; Gröpl, in: Bonner Kommentar, Art. 110, Rn. 129; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 108; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 7, 45; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 27; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 59; Kube, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 80; Stern, StaatsR II, § 50 III 4, S. 1242. 716 Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 110, Rn. 16; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 8; für Art. 81 Abs. 3 S. 1 Verf NW s. Geller-Kleinrahm, Verf NW, Art. 81, Anm. 6; vgl. auch bereits oben S. 140. 717 Stern, StaatsR II, § 50 III 4, S. 1242. Ähnlich Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 7: „Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG formuliert den Vorherigkeitsgrundsatz als zwingende Vorgabe […] Diese Vorgabe wird dadurch relativiert, dass ein verspätet festgestellter Haushalt nicht verfassungswidrig und gar nichtig ist und dass Nachtragshaushalte zulässig sind“. 718 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 110, Rn. 12; Gröpl, in: Bonner Kommentar, Art. 110, Rn. 129; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 59: „Auch das nicht rechtzeitig verabschiedete Haushaltsgesetz ist indes wirksam. Der Verstoß gegen
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Verantwortung des Parlaments für die verspätete Verabschiedung genannt.719 Teilweise wird ein Verfassungsverstoß gesehen, der aber die rechtliche Gültigkeit des Haushaltsplans unberührt lasse720. Teilweise wird wegen der Unmöglichkeit der Rückabwicklung bei allen Verstößen gegen die Grundsätze des Art. 110 GG ein Auseinanderfallen von Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit angenommen.721 Für den Stammhaushalt wird man in der Tat davon ausgehen müssen, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der Vorherigkeit aus Art. 110 Abs. 2 GG nicht zur Nichtigkeit des Haushaltsgesetzes führt. Dies folgt zum einen aus Art. 111 GG, der ein Inkrafttreten des verspäteten Haushalts voraussetzt. Die unmittelbar aus der Verfassung abzuleitende Übergangsermächtigung gilt nur „bis zu seinem Inkrafttreten“ und wird ab diesem Zeitpunkt durch den Haushaltsplan ersetzt. Zum anderen spricht Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG davon, dass für jedes Haushaltsjahr ein Haushaltsplan aufzustellen ist. Nach der Systematik der Haushaltsverfassung darf es keine dauerhaft unbeplante Zeit geben. Dennoch ist das verspätete Haushaltsgesetz verfassungswidrig722. Es verstößt gegen Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG723. Auch widerspricht die Verspätung dem Sinn und Zweck eines Haushaltsplans, wie ihn die Verfassung konzipiert hat. Der Haushaltsplan enthält die Ermächtigung, die in den Titeln ausgebrachten Beträge für die festgelegten Zwecke auszugeben. Insoweit erzeugt er Rechtswirkungen zwischen Legislative und Exekutive. Die Ermächtigungen sind rechtskonstitutiv, d.h. die Exekutive darf ohne den HaushaltsArt. 110 Abs. 2 führt nicht zur Nichtigkeit, sondern zum Nothaushaltsrecht des Art. 111 GG“. 719 Heun, in: Dreier, GG III, Art. 110, Rn. 27: „Außerdem liegt die Kompetenz zur Feststellung des Etats allein beim Parlament, mit der Folge, dass Verletzungen der Pflicht [sc. Vorherigkeit] im Ergebnis letztlich sanktionslos bleiben. Das nicht rechtzeitig verabschiedete Haushaltsgesetz ist deshalb selbstverständlich auch wirksam“. 720 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 22. In diese Richtung tendiert wohl auch das BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 80. 721 Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 45. 722 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 22; wohl auch BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 80; krit. Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 36; a. A. wohl Kube, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 80: „gleichwohl rechtmäßig“ und Heintzen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 120, Rn. 42: „nicht verfassungswidrig und nichtig“, die indes nicht zwischen Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit differenzieren. 723 Vgl. Art. 80 BaWüVerf; Art. 78 Abs. 4 BayVerf; Art. 89 BerlVerf; Art. 102 BbgVerf; Art. 132a BremVerf; Art. 67 HmbVerf; Art. 140 HessVerf; Art. 62 M-VVerf; Art. 66 NdsVerf; Art. 82 Verf NW; Art. 116 Abs. 4 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 3 SaarlVerf; Art. 98 SächsVerf; Art. 94 VerfLSA; Art. 51 SchlHVerf; Art. 100 ThürVerf.
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plan grundsätzlich keine Ausgaben leisten724. Gleiches gilt für die regelmäßig im Haushaltsgesetz ausgesprochene Kreditermächtigung. Die Aufnahme von Krediten bedarf gem. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Gesetz725. Stets ist hierbei die „Ermächtigung“ – wie die Einwilligung im Zivilrecht726 – als vorherige Zustimmung zukunftsgerichtet. Die haushaltsrechtlichen Zustimmungserfordernisse verfolgen allgemein den Zweck, dem Parlament substanzielle Mitwirkungsrechte einzuräumen und es nicht bloß vollendete Tatsachen absegnen zu lassen.727 Eine erst nachträgliche Feststellung des Haushalts widerspricht dem Grundgedanken des Haushaltsverfassungsrechts, nach dem die Legislative das Recht und die Pflicht hat, eine „wirtschaftliche Grundsatzentscheidung für zentrale Bereiche der Politik während des Planungszeitraumes“728 zu treffen. Die „Verspätung“ ist damit jedenfalls tatbestandlich ein Verfassungsverstoß. Auch der Gesetzgeber hat die „verfassungsrechtliche Verpflichtung“, „daran mitzuwirken, dass der Haushaltsplan regelmäßig vor Ablauf des vorherigen Rechnungsjahres verabschiedet werden kann“729. Lediglich die Rechtsfolge dieses Verfassungsverstoßes ist mit Blick auf die Besonderheiten des Haushaltsverfassungsrechts abweichend geregelt730. 724 BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [90]; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 15. 725 Art. 84 S. 1 BaWüVerf; Art. 82 S. 2 BayVerf; Art. 103 Abs. 1 S. 1 BbgVerf; Art. 131a S. 1 BremVerf; Art. 141 S. 2 HessVerf; Art. 65 Abs. 1 M-VVerf; Art. 71 S. 1 NdsVerf; Art. 83 S. 1 Verf NW; Art. 117 S. 1 RhPfVerf; Art. 108 Abs. 1 SaarlVerf; Art. 95 S. 1 SächsVerf; Art. 99 Abs. 1 Verf LSA; Art. 53 S. 1 SchlHVerf; Art. 98 Abs. 2 S. 1 ThürVerf. Zu den Besonderheiten der Verfassungen Hamburgs und Berlins siehe oben S. 66 (Fn. 222 u. 223 a. E.). 726 Vgl. nur Heinrichs, in: Palandt, BGB, vor § 182, Rn. 1; vgl. auch BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [32 f.]; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 129. 727 Birk/Wernsmann, DVBl. 2005, 1 [6]; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 128. 728 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [32]. 729 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [33]. – Es kommt daher auch nicht darauf an, ob der Verstoß in bestimmten (Zwangs-)Situationen gerechtfertigt sein kann, etwa wenn Wahlen stattfinden, a. A. insoweit Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 22. Der Zeitpunkt von Wahlen (Frühjahr oder Herbst) mag ebenso zu praktischen Schwierigkeiten führen wie die parlamentarische Sommerpause. Die Gründe für eine Verspätung des Haushaltsgesetzes sind jedoch für die Einordnung als Verfassungsverstoß irrelevant (krit. Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 36). Mit dieser Einordnung ist weder ein Schuldvorwurf verbunden noch hat sie Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Haushaltsgesetzes und die Rechtmäßigkeit der Nothaushaltsführung in der etatlosen Zeit. 730 Es ist indes die Ausnahme, wenn eine Rechtsnorm trotz Verstoßes gegen höherrangiges Recht nicht nichtig sondern gültig ist. Während ein Verwaltungsakt i. d. R. fehlerunabhängig wirksam ist, sind rechtswidrige Rechtsnormen und rechtswidrige Willenserklärungen oder Verträge regelmäßig nichtig. Verstößt ein Gesetz
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Die „Sanktionslosigkeit“ des Verstoßes gegen das Vorherigkeitsgebot folgt aus einer dem Haushaltsverfassungsrecht zugrunde liegenden, im Ergebnis eindeutigen Abwägung: Zwar wäre die „härtere“ Rechtsfolge der Nichtigkeit eines verspäteten Haushaltsgesetzes möglicherweise geeignet, den „heilsamen Druck“731 auf die beteiligten Verfassungsorgane zu erhöhen, daran mitzuwirken, dass der Haushaltsplan vor Ablauf des vorherigen Rechnungsjahres verabschiedet werden kann. Andererseits bietet die Nothaushaltsführung des Art. 111 GG der Regierung einen „im Ergebnis bequemen, kaum als Notinstrument empfundenen“ Ausweg.732 Die Rechtsfolge der Nichtigkeit würde daher den verfassungswidrigen Zustand der etatlosen Zeit noch perpetuieren und damit verschlimmern. Die Nothaushaltsführung soll nicht das Haushaltsbewilligungsrecht des Gesetzgebers ersetzen, sondern lediglich eine vorläufige Haushaltsführung ermöglichen.733 Wäre das verspätete Haushaltsgesetz nichtig, würde der Vorrang des Parlaments, die „überragende verfassungsrechtliche Stellung des Gesetzgebers“734, aber letztlich völlig negiert. Durch die verspätete Einbringung einer etatreifen Vorlage hätte es die Regierung in der Hand, das Parlament von der Ausübung seines Budgetrechts für die Dauer des gesamten Haushaltsjahres auszuschließen. Trotz seiner Verspätung ist das Haushaltsgesetz daher wirksam. bb) Rückwirkung des verspäteten Haushaltsgesetzes Das Haushaltsgesetz enthält stets eine Regelung, nach der es am 1. Januar des jeweiligen Haushaltsjahres in Kraft tritt735. Sofern das Haushaltsgesetz gegen die Verfassung, so ist es von Anfang an nichtig und unwirksam, da der Verfassung Geltungsvorrang zukommt (Normenhierarchie, Art. 20 Abs. 3 GG). Die Sanktionslosigkeit eines Verfassungsverstoßes bedarf einer besonderen Rechtfertigung. Das BVerfG stellt etwa statt der Nichtigkeit die bloße Unvereinbarkeit einer Norm mit der Verfassung fest, wenn durch die Nichtigerklärung in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eingegriffen würde oder die Unwirksamkeit zu einer Situation führen würde, die der verfassungsrechtlichen Ordnung noch ferner steht, als die angegriffene Regelung (BVerfG, Urteil v. 3.11.1982, 1 BvR 620/78, u. a., BVerfGE 61, 319 [356 f.]; BVerfG, Beschluss v. 5.3.1991, 1 BvL 83/86 und 24/88, BVerfGE 84, 9 [29]; BVerfG, Beschluss v. 11.1.1995, 1 BvR 892/88, BVerfGE 92, 53 [73]; BVerfG, Beschluss v. 10.11.1998, 2 BvR 1057, 1226, 980/91, BVerfGE 99, 216 [244]; Wernsmann, Das gleichheitswidrige Steuergesetz, S. 62 ff.). 731 Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 43. 732 Fricke, DVBl. 1975, 604; Tettinger, in: Löwer/Tettinger, Verf NW, Art. 82, Rn. 6. s. auch bereits oben S. 147. 733 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [33]. 734 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [32]. 735 Z. B. § 25 HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346): „Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2007 in Kraft“ (verkündet am 28.12.2006) bzw. § 39 HG 1999 (G. v.
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erst im Laufe des Jahres verabschiedet und verkündet wird, wirkt es also auf den Beginn des Haushaltsjahres zurück und soll auf das gesamte Haushaltsjahr Anwendung finden. Vor dem Hintergrund der Regelung in Art. 111 Abs. 1 GG, nach der die etatlose Zeit mit dem Inkrafttreten des Haushalts endet, muss die Anordnung einer Rückwirkung im Haushaltsgesetz überraschen. Normen entfalten ihre Rechtswirkungen, wenn sie – in der Regel nach ihrer Verkündung – in Kraft getreten sind. Mit dem Inkrafttreten finden sie Anwendung auf die Tatsachen, Vorgänge und Verhältnisse, die zu diesem Zeitpunkt vorliegen oder danach eintreten. Gesetze gelten also grundsätzlich für die Zukunft; „Wirkungen“, insbesondere von einem Plan ausgehende Wirkungen, sind vorwärts gerichtet736. Nur ausnahmsweise – wenn es der Gesetzgeber ausdrücklich anordnet – erfassen Normen „rück“wirkend vergangene Vorgänge oder Sachverhalte und unterwerfen diese einer neuen rechtlichen Beurteilung.737 Rückwirkungen liegen insbesondere dann vor, wenn Gesetze den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens zurückdatieren oder bestimmen, dass ihre Wirkungen (Rechtsfolgen) bereits für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt eintreten sollen738. Daneben kann es aber auch eine Rückwirkung im rechtlichen Sinne darstellen, wenn Gesetze Rechtsfolgen lediglich für die Zukunft anordnen, ihr Tatbestand aber teilweise schon durch Sachverhalte aus der Vergangenheit verwirklicht worden ist.739 (1) Rückwirkungsverbot im Haushaltsrecht? Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit rückwirkender Gesetze ist trotz umfangreicher Rechtsprechung des BVerfG bis heute nicht vollständig geklärt. In seinen frühen Entscheidungen ging das BVerfG noch davon aus, dass die Rückwirkung an sich zulässig sei, aber dort an Grenzen stoße, wo ein Gesetz rückwirkende Eingriffe in Rechte oder Rechtslagen des Staatsbürgers vornehme.740 Seit einiger Zeit differenziert die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung für die Frage der Zulässigkeit nach echter bzw. un21.6.1999, BGBl. I, S. 1387): „Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1999 in Kraft“ (verkündet am 23.6.1999). Die neueren Haushaltsgesetze formulieren die Rückwirkung abweichend von § 31 Abs. 2 GGO II, z. B. § 26 HG 2006 (G. v. 18.7.2006, BGBl. I, S. 1634): „Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2006 in Kraft“ (verkündet am 24.7.2006). Zu den Formulierungen vgl. http://www.bmj.de/rechtsfoerm lichkeit/auszug_ggoii/ag2.htm, http://www.bmj.de/rechtsfoermlichkeit/inhalt/tc9.htm. 736 s. bereits oben Fn. 26 (S. 32). 737 Maurer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 60, Rn. 11; Birk/Barth, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO, Rn. 206. 738 Birk/Barth, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO, Rn. 712. 739 Birk/Barth, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO, Rn. 712. 740 BVerfG, Urteil v. 30.4.1952, 1 BvR 14, 25, 167/52, BVerfGE 1, 264 [280]; BVerfG, Beschluss v. 24.4.1953, 1 BvR 102/51, BVerfGE 2, 237 [265].
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echter Rückwirkung: Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn der Gesetzgeber nachträglich in Tatbestände eingreift, die in der Vergangenheit begonnen haben und abgeschlossen wurden, und wenn er nunmehr an diese bereits vollständig abgewickelten Tatbestände andere Rechtsfolgen knüpft als die bisherige Regelung741 (auch: „Rückbewirkung von Rechtsfolgen“742). Die echte Rückwirkung sei grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig und nur ausnahmsweise zulässig, sofern kein Vertrauen vorliege, das Vertrauen nicht schutzwürdig sei oder zwingende Gründe des Allgemeinwohls eine Rückwirkung erforderten.743 Unechte Rückwirkung kennzeichnet sich im Gegensatz dazu dadurch, dass der Gesetzgeber (für die Zukunft) auf Sachverhalte einwirkt, die in der Vergangenheit begonnen haben, aber noch nicht abgeschlossen sind744 („tatbestandliche Rückanknüpfung“745). Die unechte Rückwirkung soll nach der Rechtsprechung des BVerfG, im Gegensatz zur echten Rückwirkung, regelmäßig zulässig sein746. (a) Sinn und Zweck eines Rückwirkungsverbots Die allgemeine Rückwirkungsdogmatik kann indes nicht ohne weiteres auf das Haushaltsgesetz übertragen werden. Während die Phänomenologie der Rückwirkung (echte/unechte Rückwirkung) noch auf das Haushaltsgesetz zu passen scheint, ergeben sich im Hinblick auf die sachliche Rechtfertigung für ein Rückwirkungsverbot, welches immerhin die Freiheit des demokratisch legitimierten Gesetzgebers beschränkt, Zweifel: Der Haushaltsplan ist Wirtschaftsplan und staatsleitender Hoheitsakt in Gesetzesform zugleich.747 Als solcher bindet er Parlament und Regierung.748 Unabhängig davon, ob er ein Gesetz im nur formellen Sinne749, ein Gesetz wie jedes 741 BVerfG, Beschluss v. 31.5.1960, 2 BvL 4/59, BVerfGE 11, 139 [145 f.]; BVerfG, Beschluss v. 15.10.1996, 1 BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64 [86] st. Rspr. 742 BVerfG, Beschluss v. 14.5.1986, 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200 [241]; BVerfG, Beschluss v. 3.12.1997, 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67 [78]. 743 Birk/Barth, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO, Rn. 743 ff. 744 BVerfG, Beschluss v. 15.10.1996, 1 BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64 [86]. 745 BVerfG, Beschluss v. 24.4.1953, 1 BvR 102/51, BVerfGE 2, 237 [265]; BVerfG, Beschluss v. 14.5.1986, 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200 [241 f.], vgl. aber jetzt BVerfG, Beschluss v. 3.12.1997, 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67 [78 f.]. 746 Vgl. zu der Gefahr einer schematischen Anwendung des „Rasters“ echte Rückwirkung/unzulässig, unechte Rückwirkung/zulässig bereits Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 84 ff. 747 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [32]; BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [328 f.]. 748 BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [92]. 749 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [32]; Stern, StaatsR II, § 49 III 4, S. 1206; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 10.
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andere750 oder einen staatsleitenden Hoheitsakt sui generis751 darstellt, ist jedenfalls anerkannt, dass er nur Rechtswirkungen zwischen Parlament und Regierung, nicht zwischen Staat und Bürger erzeugt (§§ 3 Abs. 2 HGrG/ BHO/LHO).752 In diesem Punkt unterscheidet sich das rückwirkende InKraft-Setzen eines Haushalts grundlegend von dem eines „normalen“ Gesetzes (im materiellen Sinne), das Rechtswirkungen zwischen Bürger und Staat erzeugt bzw. in (Grund-)Rechte des Bürgers eingreift753. Insbesondere die normative Anknüpfung eines Rückwirkungsverbots an das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte zeigt, dass Kern der Rückwirkungsdogmatik eine Abwägung ist. Der Normadressat muss sich auf das Gesetz „verlassen“ können. Stets ist daher zwischen dem Vertrauensschutz des betroffenen Bürgers und dem staatlichen Interesse an der Behebung von Missständen ein angemessener Ausgleich zu finden. Als Grundrechtseingriff muss auch die Rückwirkung an sich verhältnismäßig sein. Eine vergleichbare Problemstellung ergibt sich für das Haushaltsgesetz als Innenrecht (sog. Organgesetz) jedoch nicht. Im Verhältnis Parlament – Regierung, sind die Grundrechte schlechthin nicht anwendbar. Beide staatlichen Organe sind gem. Art. 1 Abs. 3 GG grundrechtsgebunden, nicht Grundrechtsträger. (b) Normen des Haushaltsrechts als leges speciales Letztlich kann es für die Frage der Rückwirkung jedoch dahinstehen, ob die Aspekte Rechtssicherheit und Vertrauensschutz im Kontext des Haushaltsrechts überhaupt zu beachten sind. Die Anwendung der allgemeinen Rückwirkungsdogmatik greift für das Haushaltsrecht jedenfalls zu kurz. Ein Abstellen allein auf Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip übersieht, dass das Haushaltsrecht kaum von den allgemeinen Vorgaben der Verfassung determiniert wird. Haushaltsrechtliche Besonderheiten (sprich: die Vorgaben der Finanzverfassung als leges speciales) dürfen hier nicht nur nicht außer Betracht bleiben; vielmehr sind sie vorrangig anzuwenden. Art. 110 Abs. 2 750
Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 355. Patzig, Haushaltsrecht, Bd. 1, Rn. 198; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 11. 752 Insoweit unstreitig: Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 10 f.; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 13. Vgl. zum Ganzen Birk, Haushaltsplanung und Haushaltsvollzug, in: FS Hoppe, S. 285 [289 f.]. 753 Soweit das Haushaltsgesetz – etwa im Rahmen zulässiger sachlicher Bepackung – grundrechtsrelevante Vorschriften mit materiellem Charakter enthält, müssen diese von dem eigentlichen Haushaltsgesetz, welches den Haushaltsplan feststellt, unterschieden werden. Vorherigkeit und Jährlichkeit gelten nur für den Teil des Haushaltsgesetzes, der den Haushaltsplan feststellt. Siehe hierzu bereits oben S. 119 ff. Zur Bedeutung und Reichweite der Grundrechte im Bereich des Haushaltsrechts s. Elles, Grundrechtsbindung des Haushaltsgesetzgebers, S. 155 ff. 751
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S. 1 GG zeigt, dass die Verfassung zwar auf der einen Seite von der Vorherigkeit des Haushaltsgesetzes ausgeht („vor Beginn des ersten Rechnungsjahres“), was eine Rückwirkung auszuschließen scheint754. Das zeitliche Bepackungsverbot verhindert jedenfalls eine Rückwirkung, die noch über den Beginn des Haushaltsjahres hinausreichen soll755. Auf der anderen Seite gebietet die Verfassung aber auch eine „Rückdatierung“ des Stammhaushalts. Bei einer verspäteten Feststellung des Haushaltsplans, für die Art. 111 Abs. 1 GG Vorsorge trifft, muss stets eine Feststellung „für ein oder mehrere Haushaltsjahre“ erfolgen, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG. Wenn der Haushaltsplan nicht „vor Beginn des ersten Rechnungsjahres“ verabschiedet wird, ist daher von Verfassungs wegen eine Rückwirkung auf den 1. 1. des jeweiligen Haushaltsjahres nicht nur nicht verboten, sondern vielmehr zwingend.756 Der Haushaltsplan muss rückwirkend an den abgelaufenen Haushaltsplan anschließen.757 (2) Pflicht zur Haushaltsgesetzgebung als solcher („ob“) Die Pflicht zur rückwirkenden Inkraftsetzung des Haushalts korrespondiert mit der Pflicht zur jährlichen Haushaltsgesetzgebung als solcher. Bis zum Ablauf des Rechnungsjahres muss die Regierung notfalls wiederholt initiativ werden; das Parlament muss ggf. wiederholt entscheiden und darf den Beschluss über die Vorlage nicht unangemessen verzögern758. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG fordert die Feststellung des Haushalts für jedes Rechnungsjahr; jeder Haushaltsplan muss für die gesamte Haushaltsperiode (= 1 Jahr) gelten759. 754 s. auch Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 129; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 279; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 112. 755 s. oben § 2 B. II. 3., S. 119; wohl weitergehend Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 45: „Verboten ist im Haushaltsgesetz auch die so genannte unechte Rückwirkung, die zwar auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte einwirkt, damit aber zugleich die betreffende Rechtsposition nachträglich im Ganzen entwertet“. Vgl. auch Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 136. 756 So auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 110, Rn. 12; Maunz, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 110, Rn. 22; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 80; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 59; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 7; Stern, StaatsR II, § 50 III 4, S. 1242; Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 110, Rn. 60. 757 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 9; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 59. 758 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 2; Fricke, DVBl. 1975, 604 [605].
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Auch nach Ablauf des Haushaltsjahres, für das der Haushaltsplan gelten soll, bleibt die Pflicht zur Haushaltsgesetzgebung bestehen760. Dies lässt sich systematisch zwar nicht ohne weiteres aus Art. 111 Abs. 1 GG („bis zu seinem Inkrafttreten“) ableiten, da die Ermächtigung zur Nothaushaltsführung jedenfalls mit dem Ende des jeweiligen Haushaltsjahres erlischt und, wenn für das folgende Haushaltsjahr noch kein Haushaltsgesetz verabschiedet und verkündet ist, ggf. zu Beginn des neuen Haushaltsjahres wieder neu entsteht761. Dennoch kann es nach dem Wortlaut des Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG („für“) und der Systematik der Haushaltsverfassung, die nahtlos ineinander übergehende jährliche Haushaltspläne voraussetzt („Haushaltskreislauf“), keine unbeplanten Zeiträume geben. Der ursprüngliche Sinn und Zweck eines „Plans“, der ein zukünftiges Geschehen beeinflussen oder gestalten will, um ein vorgefasstes Ziel mit bestimmten Mitteln innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens zu erreichen762, tritt indes hierbei naturgemäß in den Hintergrund. Es handelt sich bei dem Plan a posteriori um einen „amputierten“763 Haushaltsplan, der seine ursprüngliche Bedarfsdeckungs- und Ordnungsfunktion nur noch sehr eingeschränkt erfüllen kann. Ein Haushaltsgesetz, das nach Ende des Rechnungsjahres verabschiedet wird, bildet nicht den Maßstab für den Haushaltsvollzug, sondern kann die Ist-Ausgaben nur noch nachträglich zur Kenntnis nehmen. Der nach Abschluss des Haushaltsjahres verabschiedete Haushaltsplan mag zwar die parlamentarische Kontrolle verbessern und die Vergleichbarkeit der Finanzwirtschaft in verschiedenen Haushaltsperioden erleichtern. Als Maßstab für den Haushaltsvollzug während der etatlosen Zeit kann er jedoch nicht dienen: Ein Haushaltsgesetz, das erst nach Ablauf des Haushaltsjahres verabschiedet und verkündet wird, kann nicht „Handlungsmaxime für die Verwaltung“764 sein. Maßstab für den Haushaltsvollzug während der etatlosen Zeit ist Art. 111 GG765. Der Haushaltsvollzug muss sich an den Grenzen der verfassungsunmittelbaren Ermächtigung orientieren, auf dessen Grundlage er erfolgt ist, und muss sich auch (nur) an dieser messen lassen. Die Prüfung und parlamentarische Bewertung der – ohnehin nicht mehr rückgängig zu machenden – vorläufigen Haushaltsführung sind 759
Stern, StaatsR II, § 50 III 4, S. 1242. A. A. Fricke, DVBl. 1975, 604 [605]. 761 Karehnke, DÖV 1976, 361 [363]; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 111, Rn. 2; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 111, Rn. 8. 762 Stern, StaatsR II, § 40 I 3 a), S. 704 m. w. N.; vgl. auch Birk, Haushaltsplanung und Haushaltsvollzug, in: FS Hoppe, S. 285 [286]. 763 Fricke, DVBl. 1975, 604 [605]. 764 Fricke, DVBl. 1975, 604 [605]. 765 Ggf. ergänzt durch vorläufige Teilhaushaltspläne bzw. durch das Recht zur Notbewilligung gem. Art. 112 GG, s. oben sub a) bb) S. 145 ff. 760
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Funktion des Entlastungsverfahrens nach Art. 114 GG, nicht Aufgabe des verspäteten Haushaltsplans. Dies alles gilt jedoch gleichermaßen für den rückwirkenden Teil des Haushaltsplans, der zwar verspätet, aber noch im laufenden Haushaltsjahr verabschiedet wird. Der am 29. Dezember des laufenden Jahres rückwirkend in Kraft gesetzte Haushaltsplan766 kann den Haushaltsvollzug ebenso wenig als „Plan“ steuern wie der wenige Tage später am 2. Januar festgestellte Plan. Dennoch gilt er für das gesamte Rechnungsjahr. Die gedachte „Aufteilung“ des verspäteten Haushalts in einen Teil, der auf die etatlose Zeit (vor der Verkündung des Haushaltsgesetzes) entfällt, und einen Teil, der zumindest für den Rest des Jahres „vorherig“ ist und insoweit den Haushaltsvollzug zu steuern vermag, macht deutlich, dass es für die Frage, ob ein Haushaltsplan festzustellen ist, nicht darauf ankommen kann, wie groß die Verspätung des Haushaltsgesetzes bereits ist. Der Haushaltsplan kann nicht aufgeteilt werden. Das Haushaltsgesetz differenziert nicht nach Zeitabschnitten innerhalb des Haushaltsjahres, sondern beplant die Etatperiode vollständig und einheitlich (Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG). Die Ausgeglichenheit des Haushalts ist für die gesamte Rechnungsperiode herzustellen (Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG). Eine Vorgabe, wann die Ausgaben im Laufe des Haushaltsjahres zu leisten sind, ergibt sich aus den Ermächtigungen des Haushaltsplans nicht. Nach Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG bedeutet Jährlichkeit die Feststellung des Haushaltsplans für jedes Jahr, nicht in jedem Jahr. Wenn die Verfassung einerseits für den Fall, dass das Haushaltsgesetz im Laufe des Jahres verkündet wird, die Rückwirkung auf den Beginn des Haushaltsjahres fordert, ist es andererseits konsequent, die Pflicht zur rückwirkenden Haushaltsgesetzgebung auch dann anzunehmen, wenn eine Verkündung des Haushaltsgesetzes erst nach Ende des Haushaltsjahres möglich wird767. cc) „Wirkung“ und inhaltliche Bedeutung des rückwirkenden Haushaltsgesetzes Ein rückwirkend für das gesamte Haushaltsjahr in Kraft gesetzter Haushaltsplan lässt seinen rückwirkenden Charakter nicht ohne weiteres erkennen. Soweit die Rückdatierung des Haushalts nicht durch die Inkrafttretensklausel begrifflich gekennzeichnet wird („mit Wirkung vom“ statt 766
Vgl. HG v. 21.12.1972, verkündet am 29.12.1972 (BGBl. I, S. 2537). So auch Karehnke, DÖV 1976, 361 [364] m. Hinweis auf die über den Planinhalt hinausgehende Bedeutung des Haushaltsgesetzes. Zu denken ist hier etwa an fortgeltende Kreditermächtigungen i. S. d. § 18 Abs. 3 BHO/LHO, s. hierzu noch unten, § 4 A. I., S. 314 ff. 767
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„am“)768, zeigen einzig das Ausfertigungs- und Verkündungsdatum, dass der Haushaltsplan nicht gem. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG rechtzeitig „vor Beginn des ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festgestellt“ werden konnte. Inhaltlich bezieht sich auch der rückdatierte Haushaltsplan immer einheitlich auf das gesamte Haushaltsjahr. Der Haushalt ist auf das Jahr gesehen auszugleichen, Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG. Unabhängig vom Zuflusszeitpunkt dienen innerhalb der Haushaltsperiode alle Einnahmen als Deckungsmittel für alle Ausgaben, § 7 S. 1 HGrG. Die Ansätze unterscheiden nicht zwischen zukunftsgerichteter und vergangenheitsbezogener Planung. Nur hypothetisch lässt sich der Haushaltsplan aufteilen in einen vorherigen und einen nachträglichen Teil769. Für die Analyse der Rechtsfolgen einer Rückdatierung des Haushaltsplans kann diese gedankliche „Aufteilung“ jedoch hilfreich sein: Das während des Haushaltsjahres verabschiedete Haushaltsgesetz wirkt insoweit teilweise zurück. (1) Bedeutung von „Rückwirkungen“ Die Bedeutung einer „Rück“-Wirkung erschließt sich – auch für das Haushaltsrecht – nicht unmittelbar. Nimmt man den Ausdruck wörtlich, so müsste man annehmen, dass im Recht entweder Vorgänge in der Zeit oder die Zeit selbst revertiert gedacht werden oder gar revertiert sein können770. Gemessen an der Bedeutung seiner Teilwörter – so eine Formulierung Weiss’ –, ist der Begriff Rückwirkung „so sinnlos wie eine Wortbildung 768 Die Formulierung ist leider nicht einheitlich. Während z. B. das vor Beginn des Rechnungsjahres (am 28.12.2006) verkündete HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346) rechtsförmlich korrekt formuliert: „Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2007 in Kraft“ (§ 25 HG 2007), lautet die Inkrafttretensklausel des verspäteten HG 2006 gleichfalls: „Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2006 in Kraft“, § 26 HG 2006 v. 18.7.2006, verkündet am 24.7.2006 (BGBl. I, S. 1634 [1641]). Ebenso unsauber formulieren § 24 HG 2004 v. 18.2.2004 (BGBl. I, S. 230 [237]), § 27 HG 2003 v. 30.4.2003 (BGBl. I, S. 574 [582]) und § 34 HG 1995 v. 22.6.1995 (BGBl. I, S. 819 [826]). Die Rückwirkung auf den Beginn des Haushaltsjahres verdeutlichen hingegen die Inkrafttretensklauseln der verspäteten Haushaltsgesetze für 1991 und 1999: „Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. Januar […] in Kraft“, s. § 32 HG 1991 v. 27.6.1991, verkündet am 29.6.1991 (BGBl. I, S. 1354 [1360]); § 39 HG 1999 v. 21.6.1999, verkündet am 23.6.1999 (BGBl. I, S. 1387 [1396]). 769 Vgl. aber Seidler, Budget und Budgetrecht (1885), S. 120 f.: „Es gibt keine Etatisierung hinsichtlich eines verflossenen Zeitraums, man hat vielmehr ohne Etat verwaltet. [Wenn] erst nach Verlauf einiger Monate des Etatsjahres der Etat zustande kommt, so liegt in Wahrheit nur in Bezug auf den restlichen Teil des Jahres ein Voranschlag vor, bezüglich der abgelaufenen Zeit hat im Widerspruche mit dem Gesetze ein Etat nicht bestanden“. 770 Weiss, Zeit, Zeitlichkeit und Recht, S. 122.
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‚Katzenfeder‘: Katzen haben einfach keine Federn, und Wirkungen sind einfach vorwärts gerichtet“.771 Man müsse daher davon ausgehen, dass „überall, wo der Terminus Rückwirkung vorgefunden werden kann, entweder eine Fiktion oder ein Denkfehler oder eine äußerst missverständliche Ausdrucksweise vorliegt“772. Soll ein verspätetes, also erst im Laufe des Haushaltsjahres verabschiedetes Haushaltsgesetz auf den Beginn des Haushaltsjahres zurückwirken, so sind verschiedene Konstellationen denkbar: Das Haushaltsgesetz kann zu einer Ausgabe ermächtigen, die in der etatlosen Zeit noch nicht getätigt worden ist. Hier spielt die Rückwirkung keine Rolle, es handelt sich um den „Normalfall“ der Haushaltsplanung. Ein Fall der Rückwirkung liegt hingegen vor, wenn der Haushaltsplan eine Ausgabe, die bereits nach Art. 111 Abs. 1 GG zulässig war, übernimmt. Dies könnte insoweit eine „Genehmigung“ des Haushaltsvollzugs darstellen; eine Ermächtigungswirkung käme dem Ansatz aber nicht (mehr) zu. Es ist aber auch vorstellbar, dass die Regierung während der vorläufigen Haushaltsführung eine Ausgabe tätigt, die im (anschließenden) Haushaltsplan für das entsprechende Jahr keine Berücksichtigung findet. Hier könnte man eine Verweigerung der Genehmigung aber auch eine bloße Nichtregelung annehmen. In allen Fällen muss zudem die Pflicht zum Haushaltsausgleich, Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG, Beachtung finden. Die Aufnahme oder Nicht-Aufnahme einer bereits geleisteten Ausgabe hat Auswirkungen auf das Gesamtgefüge des Haushalts und damit auch für zukünftige Ausgaben während der „Restlaufzeit“ des Haushalts. Wenn ein Haushaltsplan während des Haushaltsjahres verabschiedet wird, können die Ansätze – aufgrund der Einheitlichkeit der Haushaltsplanung – zeitlich nicht immer trennscharf zugeordnet werden. Ein am 30. 6. des Rechnungsjahres verkündeter Haushaltsplan, der einen bestimmten Betrag für die im Jahr anfallenden monatlichen Miet- und Pachtzahlungen vorsieht, kann, wenn die entsprechenden Ansätze zu diesem Zeitpunkt aufgrund des Art. 111 Abs. 1 lit. b) GG bereits zu 80% ausgeschöpft sind, entweder eine rückwirkende Regelung für die Vergangenheit treffen (Missbilligung der Ausgaben, soweit sie 50% der Ansätze überschreiten773) oder eine Planung für die Zukunft bezwecken (Kürzung der Ausgaben für die zweite Hälfte des Jahres).
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Weiss, Zeit, Zeitlichkeit und Recht, S. 123. Weiss, Zeit, Zeitlichkeit und Recht, S. 122. 773 Zur Rückforderung der aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung gezahlten Mieten oder Pachten berechtigt auch der rückwirkend in Kraft gesetzte Haushaltsplan nicht, § 3 Abs. 2 HGrG. 772
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(2) „Genehmigung“ des Haushaltsvollzugs? Da die Nothaushaltsführung auf der „mutmaßlichen Zustimmung“774 des Parlaments beruht, liegt es nahe, dem im Laufe (oder nach Abschluss) des Haushaltsjahres verabschiedeten Haushaltsgesetz mit seinem rückwirkenden Teil Genehmigungswirkung zuzusprechen, soweit es die Ausgaben (und ggf. Kreditaufnahmen) während der etatlosen Zeit deckt. Das verspätete Haushaltsgesetz soll die Ermächtigungen nach dem Nothaushaltsrecht absorbieren775 und das nur vorübergehend im etatlosen Zustand bestehende, als Platzhalter dienende Recht der Regierung zur vorläufigen Haushaltsführung rückwirkend verdrängen776. Die während der Zeit der vorläufigen Haushaltsführung gem. Art. 111 Abs. 1 GG oder Art. 112 GG geleisteten Ausgaben würden damit nachträglich zu „planmäßigen“ Ausgaben777. Bedeutung hat diese Genehmigungsfiktion insbesondere dann, wenn eine Maßnahme zunächst nicht vom Nothaushaltsrecht gedeckt war. So geht Maunz davon aus, dass ein entsprechender Verfassungsverstoß geheilt werde, wenn später im Haushaltsplan eine Ermächtigung geschaffen würde. Rückwirkend sei dann eine einwandfreie Ermächtigungsgrundlage vorhanden778. Eine fehlende „Genehmigung“ wird andererseits für unschädlich gehalten. Soweit der Haushaltsplan die Maßnahmen der vorläufigen Haushaltsführung nicht decke, enthalte Art. 111 GG eine abschließende Ermächtigung, deren Inanspruchnahme wie die sonstige reguläre Haushaltsführung im Entlastungsverfahren zur Beurteilung anstehe779.
Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 111, Rn. 1. Stern, StaatsR II, § 49 IV 5 c) a), S. 1218; Karehnke, DÖV 1976, 361 [365]; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 111, Rn. 11; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 111, Rn. 2; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 111, Rn. 8. 776 Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 80 m. Hinw. auf Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 59; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 22; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 7; Stern, StaatsR II, § 50 III 4, S. 1242. 777 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 111 GG, Anm. 8; Kube, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 80. 778 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 33; ähnlich Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 111 GG, Anm. 8 und Kube, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 77. 779 Stern, StaatsR II, § 49 IV 5 c) a), S. 1218; Karehnke, DÖV 1976, 361 [365]; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 111, Rn. 11; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 111, Rn. 2; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 111, Rn. 8; Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 14; Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 111, Rn. 4. 774 775
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(a) Notwendigkeit einer Genehmigung? Historisch geht der Gedanke der „Genehmigung“ zurück auf die staatsrechtliche Rezeption des preußischen Budgetkonflikts. Da eine dem Art. 111 GG entsprechende Regelung in der preußischen Verfassung von 1850780 fehlte, wurde das Regieren ohne gültigen Haushaltsplan vielfach als Verfassungsverstoß angesehen781, der einer „Heilung“ bedurfte: „Da [der verfassungswidrige Zustand] auf die Dauer nicht fortbestehen kann, so muss und wird schließlich, wenn die bestehende Regierungsform und Verfassung unangetastet bleibt, eine Wiederherstellung des verfassungsmäßigen Zustandes eintreten. Pro futuro geschieht dies durch ordnungsmäßiges Zustandekommen eines Etatsgesetzes im Sinne des Art. 99 Pr. V. U. bzw. 69 D. R. V. Ex post kann der verfassungswidrige Zustand nur durch ein Gesetz mit rückwirkender Kraft geheilt werden, durch welches der von der Regierung ohne gesetzliche Feststellung durchgeführte Wirtschaftsplan nachträglich genehmigt wird.“782
Vor diesem historischen Hintergrund scheint einiges dafür zu sprechen, der Rückwirkung des Haushaltsgesetzes die Bedeutung einer Genehmigung der vorläufigen Haushaltsführung beizumessen. Das Parlament hätte auf diese Weise Gelegenheit, die Maßnahmen des bisherigen Haushaltsvollzugs mit Hilfe der Haushaltsgesetzgebung in seinen Willen aufzunehmen oder abzulehnen und damit zu missbilligen.
780 G. v. 31.1.1850, PrGS S. 17; zit. nach Boldt, Reich und Länder, S. 428 [442]; eine entsprechende Regelung enthielt erst Art. 64 der demokratischen preußischen Verfassung (G. v. 30.11.1920, PrGS 1920, S. 543). 781 Anders die sog. „Lückentheorie“, vgl. hierzu Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 110, Rn. 26a. „Der Verfassung, die von einem Stillstand des Staatslebens nicht ausgeht, ist vielmehr ein Recht und gegebenenfalls eine Pflicht der Regierung inhärent, in den engen Grenzen des Notwendigen über Staatsmittel zu verfügen. Das Grundgesetz hat in Art. 111 der Bundesregierung im Falle des budgetlosen Zustandes begrenzte Rechte gewährt, damit allerdings auch die „Lückentheorie“ Bismarcks bestätigt“. S. hierzu bereits oben § 2 B. III. 2., S. 139. 782 Schwarz, Formelle Finanzverwaltung (1907), S. 54. Vgl. hierzu das sog. „Indemnitätsgesetz“ v. 14.9.1866 (PrGS S. 563): „Die dem gegenwärtigen Gesetz als Anlagen beigefügten Übersichten der Staats-Einnahmen und Ausgaben sollen für die Jahre 1862, 1863, 1864, und 1865 statt des verfassungsmäßigen und alljährlich vor Beginn des Etatjahres zu vereinbahrenden Staatshaushalts-Gesetzes als Grundlagen für die Rechnungslegung und die Entlastung der Staatsregierung dienen. Der Staatsregierung wird in Bezug auf die seit dem Beginn des Jahres 1862 ohne gesetzlich festgestellten Staatshaushalts-Etat geführte Verwaltung, vorbehaltlich der Beschlussfassung des Landtages über die Entlastung der Staatsregierung nach Vorlegung der Jahresrechnung Indemnität ertheilt, dergestalt, daß es rücksichtlich der Verantwortlichkeit der Staatsregierung so gehalten werden soll, wie wenn die Verwaltung in der erwähnten Zeit aufgrund gesetzlich festgestellter und rechtzeitig publizirter Staatshaushalts-Etats geführt worden wäre“.
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Der verfassungsrechtliche Ausgangspunkt ist heute jedoch ein anderer. Im Hinblick auf Art. 111 GG783, der eine nachträgliche parlamentarische Genehmigung nicht fordert784, weil er von Verfassungs wegen das mutmaßliche Einverständnis des Parlaments für die dort genannten Ausgaben unterstellt, gibt es jedenfalls keinen Raum für die Annahme, dass die vorläufige Haushaltsführung durch ein rückwirkendes (Haushalts-)Gesetz genehmigt werden muss. Art. 111 GG enthält eine verfassungsunmittelbare Ermächtigung, die, weil auch für die Krisensituation gedacht, nicht vom Willen des Parlaments abhängen soll. Das Grundgesetz sieht eine nachträgliche Legitimationsbedürftigkeit des Nothaushaltsregimes nicht vor785. Im Gegensatz zur preußischen Situation der Jahre 1862–1866 wirtschaftet die Regierung auch nicht auf der Grundlage des Haushaltsplanentwurfs, der Gegenstand der parlamentarischen Beratungen und einer ggf. verzögerten Abstimmung ist. Dem vorläufigen Haushaltsvollzug darf nach geltendem Verfassungsrecht nicht der Planentwurf zugrunde liegen. Vielmehr handelt die Regierung in der etatlosen Zeit auf der Grundlage einer bestehenden, bereits in Kraft befindlichen Regelung, die sich entweder unmittelbar aus dem Verfassungsrecht (Art. 111, 112 GG) oder aus einem früheren Haushaltsgesetz (Übertragbarkeit einzelner Ausgaben, Fortgeltung der Ermächtigungen) bzw. einem bereits für das laufende Haushaltsjahr verabschiedeten Teilhaushaltsplan entnehmen lässt786. Sie orientiert sich an zum Vollzugszeitpunkt gültigen, verabschiedeten und verkündeten Normen. Ob sich der vorläufige Haushaltsvollzug im Rahmen der bestehenden Notermächtigungen gehalten hat, ist nicht Gegenstand der Haushaltsgesetzgebung sondern eine Frage des Entlastungsverfahrens gem. Art. 114 Abs. 1 GG.
783 Vgl. Art. 80 BaWüVerf; Art. 78 Abs. 4 BayVerf; Art. 89 BerlVerf; Art. 102 BbgVerf; Art. 132a BremVerf; Art. 67 HmbVerf; Art. 140 HessVerf; Art. 62 M-VVerf; Art. 66 NdsVerf; Art. 82 Verf NW; Art. 116 Abs. 4 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 3 SaarlVerf; Art. 98 SächsVerf; Art. 94 VerfLSA; Art. 51 SchlHVerf; Art. 100 ThürVerf. 784 Anders teilweise die Länderverfassungen (nur) für das dem Art. 112 GG entsprechende Notbewilligungsrecht (für über- und außerplanmäßige Ausgaben), vgl. Art. 81 S. 3 BaWüVerf; Art. 88 Abs. 2 BerlVerf; Art. 143 Abs. 2 HessVerf; Art. 85 Abs. 2 Verf NW; Art. 96 S. 3 SächsVerf; ähnlich Art. 67 Abs. 2 S. 2 NdsVerf. 785 Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 52; vgl. auch Kube, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 80 ff. 786 s. hierzu oben § 2 B. III. 3. a), S. 142 ff. In „Reinform“ findet sich dieses Modell auch in den Verfassungen Bayerns und Rheinland-Pfalz’, die für die etatlose Zeit eine Weiterführung des Haushalts nach dem Plan des Vorjahres vorsehen, s. oben Fn. 614 (S. 145).
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(b) Möglichkeit einer Genehmigung? Der Haushaltsvollzug muss nicht durch das rückwirkende Haushaltsgesetz genehmigt werden, weil die Verfassung mit der Regelung in Art. 114 Abs. 1 GG ein eigenständiges Verfahren für die Kontrolle und Beurteilung des Haushaltsvollzuges bereitstellt. Im Übrigen kann der Haushaltsvollzug während der etatlosen Zeit aber auch nicht durch das rückwirkende Haushaltsgesetz genehmigt werden. Weder ist eine rückwirkende Heilung des zunächst verfassungswidrigen Haushaltsvollzugs möglich, noch darf das Parlament eine bereits getätigte Ausgabe, die nach dem Nothaushaltsregime zunächst zulässig war, nachträglich „verweigern“. (aa) Keine Heilung der verfassungswidrigen Nothaushaltsführung Heuer hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Annahme einer rückwirkenden Heilung des zunächst verfassungswidrigen Haushaltsvollzugs dem eigenständigen Rang des Art. 111 GG nicht gerecht wird und einen leichtfertigen Umgang mit dieser vorläufigen Regelung fördert.787 Ließe man eine rückwirkende Genehmigung von Ausgaben zu, die weder durch die Ermächtigungen in Art. 111 Abs. 1 lit. a)–c) oder in Art. 112 S. 2 GG noch durch die Bewilligungen eines ggf. vorab verabschiedeten Teilhaushaltsplans gedeckt sind, so bedeutete dies geradezu eine „Einladung“ an die Regierung, sich während der etatlosen Zeit nicht an den Grenzen des Nothaushaltsrechts zu orientieren, sondern – nach dem Vorbild der preußischen Staatsregierung – auf Grundlage des Planentwurfs, des werdenden Haushalts zu wirtschaften. In der Hoffnung auf eine rückwirkende Genehmigung der Ausgaben, würde ein künftiges Gesetz angewandt, dessen materieller Inhalt noch nicht feststeht, das formal noch nicht verbindlich und vielleicht noch nicht einmal beim Parlament eingebracht worden ist788. Die Nothaushaltsführung würde sich von der „normalen“ Haushaltsführung nicht unterscheiden. Der Sinn und Zweck des Gebots, den Haushaltsplan vor Beginn des Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festzustellen (Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG), und der detaillierten Regelung der Nothaushaltsführung (Art. 111 GG) ist es aber, genau dieses Vorgehen zu verhindern. Vor dem Hintergrund des parlamentarischen Budgetrechts, dem zentralen Leitmotiv des Haushaltsverfassungsrechts, ist es keineswegs gleichgültig, ob die Zustimmung des Parlaments zum Haushaltsvollzug als vorherige 787 Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 111 GG, Anm. 4; a. A. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 33. 788 Vgl. zur Voranwendung von Gesetzen auch Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 94 ff.
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Einwilligung oder als nachträgliche Genehmigung erfolgt. Rückblickend liegt zwar in beiden Fällen ein Haushaltsvollzug vor, der mit dem Haushaltsgesetz und daher mit dem Willen des Parlaments übereinstimmt. Dieses Ergebnis würde aber im Fall der „Heilung“ nicht dadurch erreicht, dass die Regierung sich dem Willen des Parlaments unterordnet, wie er z. B. „durch den Haushaltsplan eines Vorjahres“ (Art. 111 Abs. 1 lit. c) GG) oder durch einen vorläufigen Teilhaushaltsplan zum Ausdruck gebracht worden ist. Vielmehr würde das Parlament vor vollendete Tatsachen gestellt. Zumindest die Parlamentsmehrheit sähe sich einem erheblichen faktischen Druck ausgesetzt, den Haushaltsvollzug der von ihr getragenen Regierung nachträglich zu legalisieren. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Budgethoheit des Parlaments und der Anerkennung vorläufiger Teilhaushaltspläne. Zwar können diese die Spielräume der Nothaushaltsführung während der etatlosen Zeit im Einzelfall erweitern oder begrenzen, so dass dem Parlament grundsätzlich auch die Befugnis zuzugestehen ist, von den Vorgaben des Art. 111 Abs. 1 GG abzuweichen. Dies kann aber nur im Voraus geschehen. Während der vorherige Teilhaushaltsplan die Entscheidungsfreiheit des Parlaments schützt, indem er Vorwegfestlegungen durch Ausgaben, die nicht mehr oder nur noch unter erheblichen Schwierigkeiten rückgängig gemacht werden können, verhindert, würde die Möglichkeit einer nachträglichen Genehmigung das parlamentarische Budgetrecht entscheidend schwächen. Im Fall einer nachträglichen „Genehmigung“ kann das Parlament bei weitem nicht mehr in dem Maße frei entscheiden wie bei einer vorherigen Beteiligung.789 (bb) Keine nachträgliche Verweigerung zulässiger Ausgaben Umgekehrt ist aber auch eine „Nichtgenehmigung“, die rückwirkende Verweigerung zunächst zulässiger Ausgaben nicht möglich. Die während der vorläufigen Haushaltsführung geleisteten Ausgaben stellen einen Vorgriff790 dar und sind in jedem Fall in den Haushaltsplan einzustellen und auf dessen Ermächtigungen anzurechnen791 – unabhängig davon, ob das Parlament den Ausgaben ablehnend gegenübersteht oder gar einen Verstoß gegen Art. 111 Abs. 1 GG annimmt. Soweit das Parlament keine abweichenden Vorgaben macht, hat die Regierung während der etatlosen Zeit gem. Art. 111 Abs. 1 GG das Recht 789
Birk/Wernsmann, DVBl. 2005, 1 [6]. Zum Begriff vgl. oben, S. 166 f. [Fn. 712]. 791 Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 14; Patzig, Haushaltsrecht, A/111/7; Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 111, Rn. 4. 790
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(und die Pflicht), in eigener Verantwortung die dort aufgeführten Ausgaben zu leisten. Dieses verfassungsmäßige Recht zur vorläufigen Haushaltsführung kann der Regierung zwar für die Zukunft, durch die Feststellung des (Gesamt-)Haushaltsplans oder auch durch die Verabschiedung vorläufiger Teilhaushaltsgesetze, nicht aber rückwirkend für die Vergangenheit genommen werden792. Insoweit unterliegt auch das Parlament verfassungsrechtlichen Bindungen, über die es sich nicht hinwegsetzen darf. Das Haushaltsgesetz, das verspätet im Laufe des Haushaltsjahres festgestellt wird, wirkt nur teilweise „zurück“. Ein Teil bezieht sich auf die etatlose Zeit, ein anderer Teil beplant den Rest des Haushaltsjahres. Der Haushaltsplan unterscheidet aber nicht zwischen den beiden „Teilen“, sondern enthält „alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes“, Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG, und ist „in Einnahme und Ausgabe auszugleichen“, Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG. Das Haushaltsgesetz trennt nicht zwischen bereits vollzogenen und noch zu vollziehenden Ansätzen, sondern muss – ohne Rücksicht darauf, wann es „in Kraft tritt“ (= verkündet wird) – „alle im Haushaltsjahr zu erwartenden Einnahmen“ (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 HGrG) und alle „voraussichtlich zu leistenden Ausgaben“ (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 HGrG) umfassen793. Soweit Ausgaben bereits geleistet, Einnahmen bereits zugeflossen sind, sind diese daher zwingend im Haushaltsplan zu berücksichtigen. Dies folgt aus den Grundsätzen der Haushaltswahrheit und der Vollständigkeit des Haushalts: Wenn der Haushaltsplan sich auf das ganze Haushaltsjahr beziehen soll, muss er alle finanzwirtschaftlichen Vorgänge des Haushaltsjahres erfassen, unabhängig davon, ob diese am Beginn oder am Ende des Rechnungsjahres fällig werden. Rückwirkung des Haushaltsgesetzes bedeutet insoweit nur, dass es, sobald das Haushaltsgesetz in Kraft getreten ist, nicht darauf ankommt, ob der Beginn des Rechnungsjahres ursprünglich eine „etatlose Zeit“ war. Das Parlament ist daher nicht frei bei der Entscheidung, ob bereits geleistete Ausgaben in den Haushaltsplan übernommen werden sollen. Der Grundsatz der Haushaltswahrheit gebietet für den Normalfall des im Voraus festgestellten Haushaltsplans, die Einnahmen und Ausgaben in der Höhe zu veranschlagen, in der sie aller Voraussicht nach in der kommenden Haus792 So i. E. auch Karehnke, DÖV 1976, 361 [364]; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 111, Rn. 2; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 111, Rn. 11; Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 14; Stern, StaatsR II, § 49 IV 5 c) a), S. 1218; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 111, Rn. 8; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 55. 793 BVerfG, Urteil v. 10.12.1980, 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 274 [302 f.]; BVerfG, Beschluss v. 31.5.1990, 2 BvL 12, 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159 [179]; BVerfG, Beschluss v. 11.10.1994, 2 BvR 633/86, BVerfGE 91, 186 [202]; BVerfG, Beschluss v. 7.11.1995, 2 BvR 413/88 und 1300/93, BVerfGE 93, 319 [343].
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haltsperiode anfallen bzw. zu leisten sind794. Der Forderung nach Haushaltswahrheit sind nur insoweit Grenzen gesetzt, als die Haushaltsplanung in der Regel mit Prognosen arbeitet. Für die Planung zukünftiger Sachverhalte besteht daher ein Schätzungs- und Prognosespielraum des Haushaltsgebers. Soweit sich die „Prognose“ aber auf Vorgänge in der Vergangenheit bezieht, ist dieser Spielraum, wenn und soweit die finanzwirtschaftlichen Vorgänge bereits bekannt sind, auf Null reduziert. (3) Bloße Erfassung des gesamten Haushaltsjahres Weil der Grundsatz der Haushaltswahrheit einerseits eine Verweigerung der Genehmigung ausschließt, kann andererseits aus der Tatsache, dass die während der etatlosen Zeit geleisteten Ausgaben in den Haushaltsplan übernommen werden, mangels Alternative auch nicht auf eine Genehmigung der vorläufigen Haushaltsführung geschlossen werden. Die Übernahme der „Geschäftsvorfälle“ der etatlosen Zeit in den Haushaltsplan geschieht wertungsfrei. Das rückwirkende Inkraftsetzen des Haushaltsplans dient nicht vergangenheitsbezogen der Finanzkontrolle sondern zukunftsbezogen dem Haushaltsausgleich. Während der etatlosen Zeit wird der Haushalt regelmäßig – im Wesentlichen ohne Rücksicht auf die zu erwartenden Einnahmen – aufgrund verfassungsunmittelbarer oder anderer vorläufiger Ausgabeermächtigungen geführt. Das Gebot des Haushaltsausgleichs, das sich immer (und nur) auf das gesamte Jahr bezieht, kann damit während der etatlosen Zeit noch keine Geltung beanspruchen und ausgabenbegrenzende Wirkung entfalten, sondern allenfalls indiziell wirken. Indes ist der endgültige Haushaltsplan für das entsprechende Rechnungsjahr in Einnahme und Ausgabe auszugleichen, Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG. Dies kann aber nur erreicht werden, wenn alle Einnahmen und Ausgaben wahrheitsgemäß und vollständig in den Haushaltsplan eingestellt werden. Es würde nicht ausreichen, einen Haushaltsplan nur für den Rest des Jahres festzustellen und die bisherige Haushaltsführung auszuklammern. Zwar scheint ein solches Vorgehen dem Charakter des auf die Zukunft bezogenen „Plans“ eher zu entsprechen, das Zahlenwerk wäre jedoch auf das Jahr bezogen notwendigerweise unvollständig und würde ein falsches Bild der finanzwirtschaftlichen Realitäten zeichnen. Im Rahmen der Planaufstellung ist die Verwaltung bzw. Regierung verpflichtet, die „voraussichtlich zu leistenden Ausgaben“ (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 HGrG, § 11 Abs. 2 BHO/LHO) zu berücksichtigen. Für den „Normalfall“ der vorläufigen Haushaltsführung muss man also davon ausgehen, dass der noch nicht verabschiedete Haushaltsplanentwurf alle Ausgaben enthält, die 794
VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [289].
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„nötig sind, um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen“ sowie die „rechtlich begründeten Verpflichtungen des Bundes zu erfüllen“, vgl. Art. 111 Abs. 1 lit. a) und b) GG. Zwar dürfen nicht alle im Planentwurf enthaltenen Ausgaben aufgrund der Ermächtigung des Art. 111 Abs. 1 GG geleistet werden, die nach Art. 111 Abs. 1 GG zulässigen, weil notwendigen, Ausgaben müssen und werden aber regelmäßig im Planentwurf enthalten sein. In dieser Erfassung des gesamten Haushaltsjahres erschöpft sich die Bedeutung der „Rückwirkung“. Insoweit ist die gängige Formulierung, dass die Ermächtigungen des Nothaushaltsrechts „absorbiert“795 und durch das Haushaltsgesetz rückwirkend „ersetzt“796 werden, missverständlich. Ermächtigungen sind zukunftsgerichtet und können nicht zurückwirken. Rückwirkende Normen sind keine Richtschnur für tatsächliches Handeln, sie können vergangenes Handeln allenfalls einer neuen rechtlichen Bewertung unterziehen und haben damit den Charakter einer Fiktion. Diese Fiktion kann im Fall des „rückwirkenden“ Haushaltsgesetzes nur in einer rechtlichen Neubewertung der vorläufigen Haushaltsführung (Umqualifizierung ex tunc), also im Ergebnis einer Billigung oder Missbilligung der von der Regierung im Rahmen der Nothaushaltsführung geleisteten Ausgaben liegen. Beides, Billigung wie Missbilligung, kann das Haushaltsgesetz nicht bewirken. Entsprechende Wirkungen werden dem auf den Beginn des Haushaltsjahres zurückzudatierenden Haushaltsgesetz seitens der Verfassung aber auch nicht zugedacht oder von ihm erwartet. Das Grundgesetz geht vielmehr davon aus, dass die Ausgaben der vorläufigen Haushaltsführung (im Sinne der Vollständigkeit und Wahrheit des Haushalts) im Haushaltsplan enthalten sind. Das Haushaltsgesetz soll die gesamte Zeit „beplanen“ und zwar auf realistische und ehrliche Weise. Dazu gehört es, die bereits geleisteten Ausgaben zu übernehmen, auf dieser Grundlage das (Rest-)jahr zu planen und insgesamt in Einnahme und Ausgabe auszugleichen. Weder werden die ursprünglichen Ermächtigungen verdrängt, noch „erlöschen“ sie oder werden durch den Haushaltsplan „bestätigt“. Die ursprünglichen Ermächtigungen behalten, soweit von ihnen Gebrauch gemacht wurde, ihren Charakter als „Rechtsgrund“ für die Leistung. Die aufgrund dieser Ermächtigungen geleisteten Ausgaben werden, ohne dass dies aus den einzelnen Ansätzen erkennbar wird, in den Plan aufgenommen, um diesen vollständig 795 BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 80; Stern, StaatsR II, § 49 IV 5 c) a), S. 1218; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 111, Rn. 8; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 111, Rn. 11; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 111, Rn. 2; Karehnke, DÖV 1976, 361 [365] („verzehrt“). 796 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 111 GG, Anm. 8; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 9; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 80.
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zu machen. Wie im Fall der „im Haushaltsjahr zu erwartenden Einnahmen“ (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 HGrG) ist die Rechtsfolge eine Feststellung bzw. „Schätzung“797, nicht aber eine Ermächtigung798, Genehmigung oder neue Rechtsgrundlage. dd) Keine rückwirkende Kreditermächtigung Nicht nur im Bereich der Ausgaben, auch bei der Aufnahme von Krediten, die – wie das Leisten von Ausgaben – einer Ermächtigung bedarf, gibt es in der etatlosen Zeit eine verfassungsunmittelbare Ermächtigung. Gem. Art. 111 Abs. 2 GG799 darf die Bundesregierung, „soweit nicht auf besonderem Gesetze beruhende Einnahmen aus Steuern, Abgaben und sonstigen Quellen oder die Betriebsmittelrücklage die Ausgaben unter Absatz 1 decken, […] die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftsführung erforderlichen Mittel bis zur Höhe eines Viertels der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplanes im Wege des Kredits flüssig machen“800. Wie im Fall der Ausgaben sind während der etatlosen Zeit aber auch gesetzliche Ermächtigungen für die Aufnahme von Krediten denkbar, die etwa in einem vorläufigen Teilhaushaltsgesetz erteilt, häufiger allerdings aus sog. „fortgeltenden Kreditermächtigungen“ i. S. d. § 18 Abs. 3 BHO, § 13 Abs. 2 HGrG, also aus Haushaltsgesetzen der Vorjahre entnommen werden können, soweit die Kreditermächtigung in diesen Jahren nicht ausgeschöpft wurde801. 797
s. hierzu bereits oben, S. 107 ff. Insoweit anders Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 55, der „unabhängig voneinander zwei Ermächtigungsgrundlagen“ annimmt: Bis zu seiner Verkündung sei das Haushaltsgesetz gegenüber dem Nothaushaltsrecht subsidiär, danach verdränge es Art. 111. 799 Für die Länder s. Art. 80 Abs. 2 BaWüVerf; Art. 78 Abs. 4 BayVerf; Art. 89 Abs. 2 BerlVerf; Art. 102 Nr. 2 BbgVerf; Art. 132a Abs. 2 BremVerf; Art. 67 Abs. 1 Nr. 3 HmbVerf; Art. 140 Nr. 2 HessVerf; Art. 62 Abs. 2 M-VVerf; Art. 66 Abs. 2 NdsVerf; Art. 82 Nr. 2 Verf NW; Art. 116 Abs. 4 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 4 SaarlVerf; Art. 98 Abs. 2 SächsVerf; Art. 94 Abs. 2 VerfLSA; Art. 51 Abs. 2 SchlHVerf; Art. 100 Abs. 2 ThürVerf. 800 Vialon, Haushaltsrecht2, Art. 111, Anm. 15 [S. 215] spricht von einer „erstaunlichen“ und „märchenhaften“, Sasse, JZ 1973, 189 von einer „geradezu beängstigend hohen“ Kreditermächtigung. So stand in dem von Sasse als Beispiel genannten Jahr 1972 der nach Art. 111 Abs. 2 anzusetzenden Kreditermächtigung i. H. v. (¼ des Haushaltsvolumens von 1971 =) rd. 25 Mrd. DM eine Nettoneuverschuldung von rd. 7,3 Mrd. DM gegenüber. Indes wird die Kreditermächtigung in Art. 111 Abs. 2 GG („im Wege des Kredits flüssig machen“) überwiegend im Sinne einer Bruttokreditermächtigung verstanden (zum Begriff s. o. § 2 A. III. 1. c), S. 49), so dass der Vergleich mit der Nettoneuverschuldung des Gesamtjahres hinkt, vgl. Feuchte, AöR 97 (1972), S. 538 [566]; Puhl, Minderheitsregierung, S. 214 f.; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 62; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 111, Rn. 7. 798
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Grundsätzlich gilt für die „rückwirkende“ Kreditermächtigung daher dasselbe wie für die rückwirkende Genehmigung einer Ausgabe: Sofern die Kreditaufnahme während der etatlosen Zeit zulässig war, kann das Haushaltsgesetz diese nicht rückwirkend verweigern; soweit die Kreditaufnahme die für die etatlose Zeit bestehenden Ermächtigungen überschritten hat, kann dieser Verfassungsverstoß nicht mit Wirkung für die Vergangenheit geheilt werden. (1) Aufnahme von und Einnahmen aus Krediten Für die Kreditaufnahme wird die Ermächtigung nicht im Haushaltsplan ausgesprochen, sondern im Haushaltsgesetz, Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG, § 13 Abs. 1 HGrG. Zwar bilden Haushaltsgesetz und Haushaltsplan eine Einheit802, indes muss die Kreditermächtigung i. S. d. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG ausdrücklich erfolgen803. Die bloße Veranschlagung der „Einnahmen aus Krediten“ im Haushaltsplan ist daher keine ausreichende Ermächtigung zur „Aufnahme von Krediten“804. Während die „Erfassung aller im Planungszeitraum vorhersehbaren Einnahmen […] die Bedeutung eines Rechenfaktors [hat], ohne den der vorgeschriebene Haushaltsausgleich nicht erreicht werden kann“805, also die „Einnahmen“ aus Krediten in den Haushaltsplan ein- und auf diese Weise den Ausgaben gegenüberzustellen sind, kann die Aufnahme von Krediten, die Kreditermächtigung als solche, grundsätzlich vom Haushaltsplan isoliert betrachtet werden. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG steht weder einer dauergesetzlichen Regelung außerhalb des jährlichen Haushaltsgesetzes entgegen, noch 801
s. bereits oben, § 2 B. II. 3. b), S. 123 ff. und unten § 4 A. I., S. 314 ff. BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [90]; BVerfG, Beschluss v. 22.10.1974, 1 BvL 3/72, BVerfGE 38, 121 [126]. 803 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 115, Rn. 3; Vogel/Wiebel, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 68; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 8; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 14. 804 Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 115 GG, Anm. 5; Vogel/Wiebel, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 68; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 115 GG, Anm. 9. Ob eine ausdrückliche Ermächtigung im Haushaltsplan erteilt werden kann (so Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 8), erscheint zwar nicht aufgrund der Rechtsqualität des Haushaltsplans problematisch, da der Haushaltsplan den Rang des Haushaltsgesetzes teilt. Jedoch werden Gesamtplan und Einzelpläne regelmäßig nicht im Gesetzblatt veröffentlicht, so dass es an der nötigen Publizität fehlt. Auch hat der Plan eine nicht auf die Kreditermächtigung zugeschnittene Struktur, die nur Einnahmen und Ausgaben enthält, wobei den „Einnahmen“ keine Ermächtigungswirkung zukommt, vgl. Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 11. 805 VerfGH NW, Urteil v. 3.5.1994, VerfGH 10/92, OVGE 44, 278 [283]. 802
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müssen sich die Kreditermächtigungen wegen Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG zwingend an die zeitlichen Grenzen des Haushaltsjahres halten, denn: „Das Haushaltsgesetz kann vorschreiben, dass die Vorschriften erst mit der Verkündung des nächsten Haushaltsgesetzes oder bei Ermächtigung nach Artikel 115 zu einem späteren Zeitpunkt außer Kraft treten“. Für die Kreditermächtigungen scheinen die zeitlichen Vorgaben des Haushaltsverfassungsrechts daher nur eingeschränkt zu gelten. Gem. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG wird der Haushaltsplan „für“ das gesamte Rechnungsjahr, d.h. im Fall der Verspätung, rückwirkend in Kraft gesetzt. Dass die im Haushaltsgesetz ausgesprochene Kreditermächtigung wie der Haushaltsplan stets auf den Beginn des Haushaltsjahres (zurück) zu datieren ist, ergibt sich aus Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG nicht. Auch enthält Art. 111 Abs. 2 GG auf den ersten Blick keine dem Art. 111 Abs. 1 GG („bis zu seinem Inkrafttreten“) vergleichbare Befristung. Gleichwohl ist der Grundsatz der Vorherigkeit des Haushalts, der einerseits die Rückwirkung verbietet806, andererseits für den Fall der Verspätung eine Rückdatierung fordert807, auch für die Kreditermächtigung von Bedeutung: Die Aufnahme von Krediten bedarf einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz, Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG. Diese Ermächtigung muss im Voraus erfolgen808 (relative Vorherigkeit, bezogen auf den Akt der Kreditaufnahme). Zudem ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang mit Art. 111 Abs. 1 GG sowie aus Sinn und Zweck der „Notkreditermächtigung“, dass auch die Ermächtigung nach Art. 111 Abs. 2 GG mit dem „Inkrafttreten“ (=Verabschiedung) des Haushaltsgesetzes nicht weiter anzuwenden ist und durch die Ermächtigungen des verspäteten Haushaltsgesetzes abgelöst wird (absolute Vorherigkeit, bezogen auf den Beginn des Haushaltsjahres). Auch die Kreditaufnahme bezieht sich auf das Haushaltsjahr. Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 HGrG (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 BHO/LHO) bestimmt das Haushaltsgesetz, bis zu welcher Höhe das Finanzministerium Kredite „zur Deckung von Ausgaben“ aufnehmen darf809. Der Deckungskredit dient der Finanzierung von Ausgaben und vermeidet eine Unterdeckung der Einnahmen, die gegenüber den Ausgaben abzüglich des Kredits voraussichtlich eintreten 806 Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 129; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 279; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 147. 807 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 110, Rn. 12; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 22; Stern, StaatsR II, § 50 III 4, S. 1242; Mahrenholz, in: AKGG, Art. 110, Rn. 60. 808 BerlVerfGH, Beschluss v. 8.4.1997, VerfGH 78/96, LVerfGE 6, 66 [77]. 809 Vgl. § 18 Abs. 2 BHO/LHO und oben S. 38 f., 124.
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würde810. Über diese Brücke („zur Deckung von Ausgaben“) ergibt sich die Verbindung zwischen der „Aufnahme von“ und den „Einnahmen aus Krediten“, die auch die Kreditermächtigung in den jährlichen Turnus der Rechnungsperioden einbezieht. Die Grundsätze der Jährigkeit und Vorherigkeit gelten insoweit auch bei der Kreditaufnahme: Kredite sind kein Selbstzweck, sondern dienen der Deckung des Finanzierungssaldos. Sie finanzieren die Deckungslücke zwischen den Ausgaben und Einnahmen eines Rechnungsjahres, dienen dem jährlichen Haushaltsausgleich und stehen daher der Höhe nach erst dann fest, wenn die Einnahmen und Ausgaben durch den Haushaltsplan „für“ das jeweilige Jahr rückwirkend festgestellt sind. Soweit es um Deckungskredite geht, führt die „Aufnahme von Krediten“ (Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG) notwendigerweise zu „Einnahmen aus Krediten“ (S. 2). Für diese sieht Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG vor, dass sie „die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten“ dürfen. Sowohl „die Einnahmen aus Krediten“ als auch die „Ausgaben für Investitionen“ beziehen sich stets auf das gesamte Haushaltsjahr. (2) Rückwirkungsverbot in der Systematik des Staatsschuldenrechts Die mögliche Rückwirkung speziell der Kreditermächtigung wird in der Literatur nur vereinzelt behandelt. So gehen etwa Höfling/Rixen davon aus, dass eine Rückwirkung ohne weiteres zulässig sei: „Ermächtigungen gem. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG können auch rückwirkend erteilt werden. […] Probleme unter dem Aspekt der sog. echten oder unechten Rückwirkung stellen sich hier nicht, denn die Ermächtigungen nach Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG betreffen nur das Verhältnis zwischen Parlament und Exekutive. Die unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes relevanten Überlegungen zur Zulässigkeit rückwirkender Gesetze gelten hier nicht.“811
Dem ist zuzustimmen, soweit einzig die Grundrechte als Maßstab für die Rückwirkungsfrage herangezogen werden. Vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsprinzips ist jedoch bereits fraglich, ob der Gedanke der Rechtssicherheit – im objektiven Sinne – nicht auch Anwendung für die Kreditermächtigung finden sollte. 810 Graf, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 5; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 10; Giesen/Fricke, Haushaltsrecht NRW, § 18 LHO, Rn. 6. – Hingegen betreffen die in § 13 Abs. 1 Nr. 2 HGrG (§ 18 Abs. 2 Nr. 2 BHO/LHO) genannten Ermächtigungen solche Kassenverstärkungskredite, die zur Aufrechterhaltung einer ordnungsmäßigen Kassenwirtschaft benötigt werden. Diese dienen nur der kurzfristigen Überbrückung von Liquiditätsengpässen aufgrund einer asynchronen Entwicklung von Ausgaben und Einnahmen und stellen keine Deckungskredite zur Finanzierung des Haushalts dar, vgl. Diller, FinArch (44) 1986, S. 55 [61]. 811 Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 107.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
Erneut ist aber im Kern auf die haushaltsverfassungsrechtlichen leges speciales zurückzugreifen, die – wie im Fall der Ermächtigung zur Leistung von Ausgaben – eine begründetere Aussage über die Frage der Zulässigkeit einer rückwirkenden Ermächtigung zur Aufnahme von Krediten ermöglichen. Auch bei der Aufnahme von Krediten ist eine nachträgliche Genehmigung dann nicht notwendig, wenn sie aufgrund der bestehenden Vorschriften (Art. 111 Abs. 2 GG, fortgeltende Kreditermächtigungen) zulässig war. Die Kreditaufnahme im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung orientiert sich dann an gültigen, verabschiedeten und verkündeten Normen. Eventuelle Verstöße gegen einfaches oder Verfassungsrecht sind nicht im Rahmen der Haushaltsgesetzgebung, sondern im Entlastungsverfahren zu prüfen. Aus den gleichen Gründen ist – wie bei der Ermächtigung zum Leisten von Ausgaben – eine rückwirkende Verweigerung der Kreditaufnahme nicht möglich. Art. 111 Abs. 2 GG gibt eine verfassungsunmittelbare Ermächtigung, die nur mit Wirkung ex nunc, aber nicht rückwirkend erlöschen kann. Durch den Vollzug der Kreditaufnahme sind zudem Tatsachen und rechtliche Bindungen (Darlehensvertrag) geschaffen worden, die über den staatlichen Binnenbereich hinaus Bedeutung haben. Da die Aufnahme von Krediten jedoch anders als die Leistung von Ausgaben nicht für einen bestimmten Zweck erfolgt, und die Einnahmen aus Krediten im Rahmen der Gesamtdeckung des Haushalts austauschbar sind, besteht für das Parlament mit der Verabschiedung des Haushalts immerhin die Möglichkeit, die Regierung pro futuro zur Tilgung der aufgenommenen Kredite (bzw. anderer Kredite in entsprechender Höhe) zu verpflichten. Da eine natürliche Rückwirkung ohnehin ausscheidet, besteht auch kein echtes Bedürfnis für die rückwirkende Verweigerung der Kreditermächtigung. Bedeutsamer ist indes die Konstellation, dass eine Aufnahme von Krediten, die zunächst ohne eine entsprechende Ermächtigung bzw. über die bestehenden Ermächtigungen hinaus erfolgt ist812, rückwirkend genehmigt werden soll. Das rückwirkende Inkraftsetzen des Haushaltsgesetzes könnte 812 Wegen der dauergesetzlich normierten Steuereinnahmen, die auch während der etatlosen Zeit eingehen, der Höhe des Polsters aus fortgeltenden Kreditermächtigungen (dazu etwa Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2006, S. 11 (= BT-Ds. 16/3200) und bereits Wolffgang, DVBl. 1984, 1049 [1050]) und der großen Spielräume, die sich aus Art. 111 Abs. 2 GG ergeben, handelt es sich im Fall der rückwirkenden Genehmigung von Krediten durch das verspätete Stammhaushaltsgesetz um einen eher seltenen Fall (vgl. Theiß, Nothaushaltsrecht, S. 90). In der Praxis deutlich häufiger dürfte die rückwirkende Erhöhung der Kreditermächtigung im Rahmen eines Nachtragshaushalts sein, vgl. Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 108 und sogleich § 2 B. III. 4., S. 195 ff.
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dazu führen, dass vor dem Zeitpunkt der Verkündung des Haushaltsgesetzes erfolgte Überschreitungen der Kreditermächtigungen im Rahmen der neuen Ermächtigungen saniert, also rechtmäßig werden813. Wie bei den Ausgaben kann das auf den Beginn des Haushaltsjahres datierte Haushaltsgesetz eine „Heilung“ der zunächst verfassungswidrigen Kreditaufnahme aber nicht erreichen. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG fordert für die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, eine der Höhe nach bestimmte oder bestimmbare Ermächtigung durch Bundesgesetz. Hieraus ergibt sich der Vorherigkeitsgrundsatz für die Kreditaufnahme814. Die Ermächtigung durch Gesetz soll Publizität schaffen, Aufmerksamkeit sichern, ein Warnsignal setzen und Kontrolle ermöglichen815. Hierbei ist die „Ermächtigung“ als vorherige Zustimmung zukunftsgerichtet816. Die Regierung soll auch nicht durch Verschuldung die Rechte des Parlaments aushöhlen oder umgehen können817. Die periodische Entscheidungskompetenz des Parlaments darf durch Vorwegfestlegungen nicht geschmälert werden.818 Solche Vorwegfestlegungen verursacht jedoch der Haushaltsvollzug, wenn er Kredite aufnimmt, die durch das Parlament erst nachträglich genehmigt werden. Wegen der daraus entstehenden Belastung auch folgender Haushaltsjahre (Zins und Tilgung) würde hierdurch ein erheblicher Druck auf das Parlament ausgeübt, der mit dem parlamentarischen Budgetrecht als Bewilligungsrecht nach Sinn und Zweck nicht vereinbar ist. Wie Art. 112 GG zeigt, kann von der vorherigen parlamentarischen Zustimmung bei unvorhergesehenen und unabweisbaren Ausgaben abgesehen werden; für die Aufnahme von Krediten besteht eine solche verfassungsunmittelbare Ermächtigung nicht819. Zudem soll das Parlament durch das Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigung in Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG an der Aufgabe beteiligt werden, 813
So Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 108. So explizit für die dem Art. 115 Abs. 1 GG inhaltlich entsprechende Vorschrift der Verfassung von Berlin (Art. 75 Abs. 1 VvB 1950, jetzt Art. 87 Abs. 1 VvB 1995) BerlVerfGH, Beschluss v. 8.4.1997, VerfGH 78/96, LVerfGE 6, 66 [77]: „[…] dürfen ohne gesetzliche Grundlage, also ohne vorheriges Gesetz […]“. 815 Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: FS Friauf, S. 705 [712]; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 14. 816 s. bereits oben S. 170. 817 BVerfG, Urteil v. 6.11.1984, 2 BvL 19, 20/83, 2 BvR 363, 491/83, BVerfGE 67, 256 [281] m. Hinw. auf Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 1; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 16. 818 Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 126; ähnlich Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 115 GG, Anm. 8. 819 So auch Heintzen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 120, Rn. 71. 814
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
die Verschuldungspolitik an den gesamtwirtschaftlichen Stabilitätserfordernissen zu orientieren (Art. 109 Abs. 2 GG)820. Insbesondere die Kreditaufnahme soll, wie Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG zum Ausdruck bringt, auch für die Zwecke der Konjunktursteuerung eingesetzt werden. Eine Ausrichtung an den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, eine Beeinflussung der volkswirtschaftlichen Entwicklung ist aber ex post, auch im Wege der Rückwirkung, nicht möglich. Eine Kreditaufnahme, die in der Hoffnung auf eine rückwirkende Genehmigung erfolgt, verstößt gegen Art. 109 Abs. 2 GG, da diese – auch für die Länder geltende – Grundregel staatlicher Haushaltspolitik, dem Haushaltsgesetzgeber die Verantwortung für die Auswirkungen des Haushalts auf die Gesamtwirtschaft auferlegt; dieser hat in und bei seinen Bedarfsdeckungsentscheidungen den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen.821 Für die Kreditermächtigung („Aufnahme“) gibt es anders als für den Haushaltsplan, der für das Haushaltsjahr festzustellen ist, keinen Zwang zur Rückdatierung, es bleibt somit beim Verbot der Rückwirkung, das aus dem Grundsatz der Vorherigkeit folgt (Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG). Anders als der Haushaltsplan muss die gesetzliche Kreditermächtigung weder das gesamte Haushaltsjahr umfassen noch gilt für sie die Trennung nach Jahren. Nur der Haushaltsplan ist „für“ das Rechnungsjahr festzustellen; die Ermächtigung zur Aufnahme von Krediten ist davon unabhängig: Die Begrenzung auf das Haushaltsjahr ergibt sich nicht aus den Vorschriften über die Kreditaufnahme, da diese auch zeitlich unbefristet sein können, arg. Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG. Sie ergibt sich für den wichtigsten Fall der Deckungskredite mittelbar aus den Vorschriften über die Einnahmen aus Krediten, die gem. Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG der Höhe nach zu begrenzen sind auf die „Summe der im [sc. jährlichen] Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen“. Da die Kreditgrenze in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG an die Ansätze des Haushaltsplans anknüpft (Junktim), sind Einnahmen aus solchen Krediten, die in der etatlosen Zeit aufgenommen werden, demjenigen Haushaltsjahr zuzurechnen, für das der Haushaltsplan verspätet festgestellt wird822. Soweit Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 115, Rn. 2. BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [342]: „Diese Abwägung vorzunehmen, ist eine politische Aufgabe des Haushaltsgesetzgebers, die er auch politisch zu verantworten hat. Bei der Änderung des Art. 115 GG im Zuge der Haushalts- und Finanzreform wurde es als entscheidend angesehen, ‚dass es dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben muss, über die Höhe der Kreditaufnahme zu befinden und damit die Kreditaufnahme des Bundes zu steuern‘ (Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses, zu BTDrucks. V/3605, S. 13). Auch die Befugnis zur ausnahmsweisen Überschreitung der Kreditobergrenze des ersten Halbsatzes von Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht der Exekutive übertragen worden“. 822 So im Ergebnis auch Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 62 m. w. N. 820 821
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die „Einnahmen“ aus Krediten betroffen sind, handelt es sich auch hier, wie bei den Ausgaben823, um einen Vorgriff auf das laufende Haushaltsjahr. Wegen dieses „Vorgriffs“ sind die Kredite, die in der etatlosen Zeit eingenommen (nicht: aufgenommen824) werden, auf die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG anzurechnen und mindern insoweit den Spielraum des Haushaltsgesetzgebers für den Rest des Jahres. Auch hier bedeutet die „Rückwirkung“ des Haushaltsgesetzes eine bloße Erfassung aller kreditwirtschaftlichen Vorgänge des jeweiligen Haushaltsjahres. Die Rückdatierung der Kreditermächtigung als solcher ist regelmäßig deklaratorisch, gewinnt aber ihre Bedeutung dadurch, dass die Gesamthöhe der zulässigen Kredite (Investitionsgrenze) und die Höhe der notwendigen Kredite (Finanzierungssaldo) erst mit Verabschiedung des gesamten Haushaltsplans feststehen. Im Haushaltsgesetz wird insoweit die Gesamtkreditermächtigung „für“ das Haushaltsjahr festgeschrieben. Dies ändert aber nichts daran, dass die Ermächtigung für die Aufnahme einzelner Kredite (auch höhenmäßig) vor der Aufnahme erfolgt sein muss. 4. Die „Vorherigkeit“ des Nachtragshaushalts
Einer besonderen Betrachtung bedürfen sog. Nachtragshaushaltsgesetze, also solche Haushaltsgesetze, die den bereits für das Haushaltsjahr festgestellten ursprünglichen Haushalt (Stammhaushalt) abändern825. Ein Nachtragshaushaltsplan ist immer dann festzustellen, wenn sich im Verlauf des Haushaltsjahres Änderungen ergeben, die nicht durch den bestehenden Haushaltsplan abgedeckt werden können oder sollen. So ist für über- oder außerplanmäßige Ausgaben ein Nachtragshaushalt erforderlich, wenn diese zusätzlichen Ausgaben nicht über Art. 112 GG (i. V. m. § 37 Abs. 1 S. 4 BHO826) 823
s. oben § 2 B. III. 3. a) cc), S. 166. Um eine Aufnahme von Krediten i. S. d. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG handelt es sich nämlich auch dann, wenn die aufgenommenen Kredite unmittelbar zur Schuldentilgung verwendet werden („Umschuldung“). Einnahmen aus Krediten liegen indes nur dann vor, wenn die Kreditmittel „zur Deckung von Ausgaben“ (§ 13 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 HGrG) verwendet werden und somit dem Haushaltsjahr endgültig zufließen (Nettoneuverschuldung), s. bereits oben, § 2 A. III. 1. c), S. 49 und § 2 B. II. 3. b), S. 123. 825 Art. 110 Abs. 3 Hs. 1 GG spricht von „Vorlagen zur Änderung des Haushaltsgesetzes und des Haushaltsplanes“. § 2 Abs. 1 Nr. 5 RWB v. 11.2.1929, RMBl. 1929, S. 49 definierte den Nachtrag zum Haushaltsplan als „eine den Haushaltsplan ändernde Gesetzesvorlage der Reichsregierung, über die der Reichsrat und der Reichstag erst beschließen und die erst gesetzlich festgestellt wird, nachdem der Haushaltsplan gesetzlich festgestellt ist“; vgl. auch Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 79; Patzig, Haushaltsrecht, C/33/4. 826 Dazu näher Jahndorf, DVBl. 1998, 75 [80]; s. auch bereits oben, S. 162. 824
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finanziert werden können827. Auch muss ein Nachtragshaushalt dann beschlossen werden, wenn Haushaltsverschlechterungen (etwa sinkende Steuereinnahmen) nicht mehr durch Kürzungen im laufenden Haushaltsvollzug aufgefangen werden können und daher eine Erhöhung der Kreditermächtigung erforderlich wird. Aufgrund der Schwierigkeiten, die aus einer langfristigen Planung resultieren, gibt es vor allem in den Ländern, in denen traditionell Doppelhaushalte verabschiedet werden (z. B. in Bayern828, Baden-Württemberg829 und Rheinland-Pfalz830) häufig ein Bedürfnis für die Feststellung von Nachtragshaushalten831. a) Relative Vorherigkeit des Nachtrags Für den Nachtragshaushalt ordnet § 33 S. 1 BHO/LHO die entsprechende bzw. sinngemäße832 Anwendung der Vorschriften über den Stammhaushalt an. Für den Gesetzgeber ist diese Vorschrift deklaratorischer Natur, eine entsprechende Regelung ist im HGrG nicht enthalten. Die fehlende Bindung des Gesetzgebers ist aber auch unproblematisch, denn § 33 S. 1 BHO regelt 827
Den Vorrang des Nachtragshaushalts vor dem Notbewilligungsrecht des Finanzministers regelt explizit Art. 67 Abs. 1 S. 2 NdsVerf: „Dieses gilt nicht, wenn der Landtag noch rechtzeitig durch ein Nachtragshaushaltsgesetz über die Ausgabe entscheiden kann, es sei denn, dass die Ausgabe einen im Haushaltsgesetz festzusetzenden Betrag nicht überschreitet, die Mittel von anderer Seite zweckgebunden zur Verfügung gestellt werden oder eine fällige Rechtsverpflichtung des Landes zu erfüllen ist“. Zu den Voraussetzungen des Art. 112 GG s. oben, 3. a) bb) (2), S. 160. 828 http://www.stmf.bayern.de/default.asp?url=haushalt/haushaltsplaene. 829 http://www.fm.baden-wuerttemberg.de/de/So_entsteht_der_Staatshaushalt/ 110295.html. 830 http://www.fm.rlp.de/Finanzen/fr_Finanzen.htm. 831 s. bereits oben, S. 99; vgl. auch Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 124 (Fn. 520); Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 56. 832 Die Landeshaushaltsordnungen variieren im Wortlaut, treffen aber inhaltlich übereinstimmende Regelungen. Teilweise tritt an die Stelle des Wortes „entsprechend“ (§ 33 S. 1 BHO, § 33 S. 1 LHO BaWü, § 33 S. 1 SächsHO) die Formulierung „sinngemäß“ (Art. 33 S. 1 BayHO, § 33 S. 1 der Haushaltsordnungen Bremens, Hamburgs, Hessens, Mecklenburg-Vorpommerns, Niedersachsens, RheinlandPfalz’, des Saarlandes, Sachsen-Anhalts, Schleswig-Holsteins und Thüringens), die verdeutlichen soll, dass die für den Haushaltsplan geltenden Vorschriften nur insoweit anzuwenden sind, als sich dies mit dem Wesen des Nachtrags vereinbaren lässt, vgl. die Gesetzesbegründung NWLT-Ds. 7/618, S. 163 f. Zum Teil enthalten die Vorschriften weitere Klarstellungen, so § 33 LHO Bln („[…] mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass sich Nachträge auf einzelne Einnahmen, Ausgaben, Verpflichtungsermächtigungen und Stellen beschränken können“) bzw. § 33 LHO Bbg/NW („[…] mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass sich der Nachtrag auf einzelne Einnahmen, Ausgaben, Verpflichtungsermächtigungen und Planstellen beschränken kann“). Vgl. auch z. B. § 81 Abs. 1 S. 2 GO NW: „Für die Nachtragssatzung gelten die Vorschriften für die Haushaltssatzung entsprechend“.
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eine Selbstverständlichkeit: Für den Nachtragshaushalt gelten alle Haushaltsgrundsätze833, sofern nicht die Eigenart des Nachtrags eine Anwendung der Vorschriften für den normalen Stammhaushalt ausschließt. Das Nachtragshaushaltsgesetz ist ein Änderungsgesetz, es ändert einzelne Ansätze des ursprünglichen Haushaltsplans834. Aus diesem Grunde muss ein Nachtragshaushalt nicht vollständig sein. Der Nachtrag kann sich „auf einzelne Einnahmen, Ausgaben, Verpflichtungsermächtigungen und Planstellen beschränken“835. Auch hat ein Nachtragshaushalt nicht die Funktion, den Haushaltsplan insgesamt auf den neuesten Stand der Haushaltsentwicklung zu bringen836. Er muss nicht alle bis zu seiner Verabschiedung aufgelaufenen Vorgänge des Haushaltsjahres übernehmen, sondern enthält nur wesentliche837 Veränderungen, die die im Haushaltsgesetz gem. § 37 Abs. 1 S. 4 BHO festgelegte „Bagatellgrenze“ überschreiten838. Gleichwohl muss der Haushaltsplan in der durch den Nachtrag geänderten Fassung vollständig und ausgeglichen sein. Die Änderung erfolgt punktuell, das Resultat der Änderung muss alle Vorgaben, die auch für den ursprünglichen Haushalt gelten, erfüllen839. Zweifel an der „entsprechenden Anwendbarkeit“ ergeben sich im Hinblick auf den aus Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG folgenden Grundsatz der Vorherigkeit. Der Grundsatz bezieht sich nach seinem Wortlaut naturgemäß nicht unmittelbar auf Nachtragshaushalte, die praktisch zwangsläufig erst während des laufenden Haushaltsjahres eingebracht werden.840 Ein Nachtragshaushalt kann zwar vor Beginn des Haushaltsjahres verabschiedet werden, wenn zu diesem Zeitpunkt das Stammhaushaltsgesetz bereits verkündet ist841. Dies ist aber 833
Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 68; Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 33 Anm. 3. 834 Vgl. Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 36, 75 f.: „Nachtragsvorlagen sind Änderungsvorlagen i. S. d. Art. 110 Abs. 3 GG zum Haushaltsplan, mit dem sie zu einer Einheit verschmelzen“. Ähnlich Noll, Haushalt und Verfassung, S. 27. 835 So z. B. § 33 S. 1 Hs. 2 LHO NW (Konkretisierung des Art. 81 Abs. 2 S. 2 Verf NW). 836 Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 76; Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 33, Anm. 3 (S. 4); Patzig, Haushaltsrecht, C/33/8. 837 Vgl. auch Morell, Bundeshaushalt, § 33, Rn. 2: „Bei den über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben […] muss dem Bundesfinanzminister ein gewisser Entscheidungs- und Handlungsfreiraum bleiben, um im Stadium des Haushaltsvollzugs sich ändernden Bedingungen gerecht werden zu können“. 838 Vgl. z. B. § 4 Abs. 1 HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346 [3348]). 839 Zur Ausgeglichenheit des Nachtrags s. bereits oben, Fn. 647 (S. 151). 840 BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 83. 841 In diesem Fall ist das Haushaltsgesetz schon zu Beginn des Haushaltsjahres in seiner geänderten Fassung anwendbar, vgl. Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar,
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im Fall der Einjahreshaushalte wenig wahrscheinlich und auch kaum praktikabel. Es gibt keinen Grund, das Haushaltsgesetz so früh (sprich: voreilig) zu verabschieden, dass noch vor Beginn des Haushaltsjahres ein Nachtrag erforderlich wird. Im Fall der nach Jahren getrennten Doppelhaushalte kann es jedoch durchaus vorkommen, dass ein Nachtragshaushalt für das zweite der erfassten Haushaltsjahre notwendig wird, und der Nachtrag noch vor Beginn des (zweiten) Jahres festgestellt werden kann. In der Regel wird ein Nachtragshaushaltsplan im laufenden Haushaltsjahr verabschiedet, so dass eine „echte“ Vorherigkeit nicht erreicht werden kann. Dennoch spricht, da über § 33 S. 1 BHO/LHO auch § 1 BHO/LHO („Der Haushaltsplan wird […] vor Beginn des ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festgestellt“) für den Nachtragshaushaltsplan entsprechende Anwendung findet, einiges dafür, dass der Grundsatz der Vorherigkeit auch für den Nachtragshaushalt maßgeblich sein soll. Bereits zu § 25 S. 2 RHO („Dem Haushaltsplane sind in diesem Sinne die Gesetze gleichzuachten, die ihn ändern oder ergänzen […]“) vertraten etwa Schulze/Wagner die Auffassung, auch der Nachtragshaushalt müsse vorherig sein: „§ 25 geht davon aus, dass der Haushaltsplan, wie in Art. 85 RV vorgesehen, vor Beginn des neuen Rechnungsjahres oder wenigstens im Laufe dieses Rechnungsjahres verabschiedet wird. Das gleiche gilt für etwaige Nachtragshaushaltspläne“842.
Auch für einen Nachtrag macht die Vorherigkeit Sinn. Neben dem eher formalen Aspekt der Steuerung des Haushaltskreislaufs lässt sich dem Verfassungsgebot, den Haushaltsplan vor Beginn des Rechnungsjahres festzustellen (Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG), die materielle Aussage entnehmen, dass die Ermächtigungen des Plans vom Parlament verabschiedet sein müssen, bevor sie von der Exekutive in Anspruch genommen werden können (vgl. § 3 Abs. 1 HGrG). Die Vorherigkeit dient dazu, den Vorrang des Haushaltsgesetzgebers gegenüber der Exekutive zu sichern843. Diese FunkGG, Art. 115, Rn. 108. Auch der Entwurf des Nachtragshaushaltsplans kann erst vorgelegt werden, wenn der Gesetzgeber den Haushaltsplan durch das Haushaltsgesetz festgestellt hat (s. Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 33 BHO, Anm. 3, S. 2; vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 5 RWB v. 11.2.1929, RMBl. 1929, S. 49). Ist das Verfahren noch nicht abgeschlossen, so kommen Ergänzungsvorlagen (§ 32 BHO) in Betracht. 842 Schulze/Wagner, RHO3 (1934), § 25, Anm. 6, S. 402. 843 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [33]; BVerfG, Beschluss v. 15.12.1983, 2 BvE 14/83, BVerfGE 66, 26 [38]; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 80. Diesen materiellen Aspekt der relativen Vorherigkeit würdigt das BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 86 f. nicht hinreichend. Aus dem Vorrang des Gesetzes, der Bindung an die Ansätze des Haushaltsplans, von denen nur unter den Voraussetzungen des Art. 112 GG abgewichen werden kann, ergibt sich eine über die „zeit-
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tion kann der Vorherigkeitsgrundsatz auch im Rahmen der Feststellung eines Nachtragshaushalts erfüllen. Im Vergleich zur nicht rechtzeitigen Verabschiedung des regulären Haushaltsplans (Stammhaushalts) besteht bei der Feststellung des Nachtragshaushalts sogar noch ein gesteigertes Bedürfnis für eine relative Vorherigkeit, d.h. eine vorherige parlamentarische Bewilligung der jeweiligen Mittel. Hier besteht immerhin mit dem Stammhaushaltsplan bereits eine parlamentarische Willensäußerung, von der abgewichen wird, während in der etatlosen Zeit diese Äußerung des Parlaments regelmäßig844 noch aussteht. Auch für Änderungen des bestehenden Haushaltsplans sind die allgemeinen Grundsätze der Planung zu beachten: Planen kann man nur für die Zukunft.845 Die durch das Nachtragshaushaltsgesetz vorgenommenen Änderungen können – dem Vorherigkeitsgrundsatz des Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG sinngemäß folgend – Ermächtigungswirkung nur für die Zukunft entfalten. Erst nach seiner Verkündung kann der Nachtragshaushalt den Haushaltsvollzug bestimmen und steuern846. b) Absolute Vorherigkeit des Nachtrags Vorgaben für die zeitliche Planung speziell des Nachtragshaushaltsgesetzes trifft einfach-gesetzlich § 33 S. 2 BHO. Danach ist der Entwurf des Nachtragshaushalts „bis zum Ende des Haushaltsjahres einzubringen“847. lich bestimmte formale Verfahrensanforderung“ (BVerfG, ebd.) hinausgehende Funktion der Vorherigkeit (für den Haushaltsvollzug). Sofern zusätzliche Ausgaben oder Kredite notwendig werden, sind diese vorher zu bewilligen, arg. ex Art. 112 S. 2, 115 Abs. 1 S. 1 GG. Ob und wann die Regierung einen Nachtragshaushalt einbringen muss, ist primär eine Frage des parlamentarischen Budgetrechts in Abgrenzung zur Verantwortlichkeit der Regierung (arg. ex Art. 112 S. 2 GG; vgl. BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [34 ff.]). Für geringe Abweichungen, wie sie bei einer prognostischen Schätzung der „zu erwartenden Einnahmen“ (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 BHO) und „voraussichtlich zu leistenden Ausgaben“ (§ 11 Abs. 2 Nr. 2 BHO) zwangsläufig auftreten, trifft § 25 BHO bzw. das Haushaltsgesetz selbst Vorsorge. 844 Das Beispiel eines verweigerten Haushalts zeigt, dass dies nicht immer so sein muss. Auch vor der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes ist es möglich, dass einzelne Ausgaben durch das Parlament verweigert werden, etwa weil sich der „Budgetkonflikt“ an eben diesen Ansätzen entzündet. Für den Fall einer bloßen Verspätung gibt es aber keinen geäußerten, sondern nur einen mutmaßlichen Willen des Parlaments, an den sich Regierung und Verwaltung gem. Art. 111 Abs. 1 GG halten müssen. s. dazu bereits oben, § 2 B. III. 3. a) bb), S. 145 ff. 845 Karehnke, DÖV 1976, 361 [364]. 846 So auch Morell, Bundeshaushalt, § 33, Rn. 4. 847 Wortgleich die Haushaltsordnungen der Länder. Abweichend formuliert lediglich § 33 S. 2 LHO Berlin, der die Einbringung vorverlegt und – nach dem Vorbild
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§ 33 S. 2 BHO normiert dem Wortlaut nach nur eine Verpflichtung für die initiativberechtigte (bzw. nach § 37 Abs. 1 S. 4 BHO zur Initiative verpflichtete) Regierung848. Ob darüber hinaus auch eine Pflicht des Parlaments besteht, den Nachtragshaushalt bis zum 31. 12. des jeweiligen Haushaltsjahres festzustellen, ergibt sich aus § 33 S. 2 BHO nicht unmittelbar.849 aa) Bedeutung und Wirkung des § 33 S. 2 BHO Insbesondere aus dem Wortlaut des § 33 S. 2 LHO NW (= BHO) folgern etwa Giesen/Fricke, dass das Nachtragshaushaltsgesetz auch noch nach Ablauf des Haushaltsjahres, auf das sich der Nachtrag bezieht, verabschiedet werden könne850. Zwar beruhe die Vorschrift auf der Erwägung, dass ein Nachtragshaushaltsgesetz, durch welches das ursprüngliche Haushaltsgesetz und der Haushaltsplan geändert würden, gemäß § 45 Abs. 1 BHO Wirkungen nur für das Haushaltsjahr hervorbringen könne, für das der Haushaltsplan festgestellt sei.851 Hieraus ergebe sich aber keine Veranlassung, den Wortlaut der Vorschrift dahin umzudeuten, dass eine Nachtragshaushaltsvorlage bis zum Ende des Haushaltsjahres nicht nur eingebracht, sondern auch gesetzlich festgestellt sein müsse.852 des kommunalen Haushaltsrechts (dazu Patzig, Haushaltsrecht, C/33/5) – auch die Verabschiedung innerhalb des Haushaltsjahres verlangt: „Entwürfe sind rechtzeitig, spätestens zur Beschlussfassung vor Ende des Haushaltsjahres einzubringen“. Vgl. § 81 Abs. 1 GO NW: „Die Haushaltssatzung kann nur durch Nachtragssatzung geändert werden, die spätestens bis zum Ablauf des Haushaltsjahres zu beschließen ist“. Eine noch stärkere Einschränkung enthält § 95 GO LSA, wonach eine Änderung der Haushaltssatzung „nur bis zum 30. November des Haushaltsjahres durch Nachtragshaushaltssatzung beschlossen werden“ kann. 848 Unter diesem Aspekt, einer entsprechenden Verpflichtung der Regierung, deren Verletzung ggf. im Organstreitverfahren zu rügen wäre, betrachtet auch das BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 83 ff. die „Vorherigkeit des Nachtragshaushalts“. s. hierzu noch unten, Fn. 910 (S. 214). 849 Für eine solche „Verabschiedungsfrist“ etwa Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 33 BHO, Anm. 4; Morell, Der Bundeshaushalt, § 33 BHO, Rn. 4; wohl auch Dommach, in: Heuer, § 33 BHO, Anm. 3. Zum Teil wird das Problem nicht differenziert gesehen, vgl. etwa v. Köckritz/Ermisch/Lamm, BHO, § 33, Anm. 2: „Der Entwurf ist bis zum Ende des Haushaltsjahres einzubringen. Dieser Hinweis ist wegen des Grundsatzes der zeitlichen Bindung des Haushaltsgesetzes erforderlich.“ – vgl. auch die Begründung zu § 33 BHO, BT-Ds. V/3040 = BR-Ds. 284/68, S. 62. 850 Giesen/Fricke, Haushaltsrecht NRW, § 33 LHO, Rn. 9; im Ergebnis ähnlich Vialon, Haushaltsrecht2, § 25 RHO, Anm. 8, S. 502; Schulze-Wagner, RHO (1924), § 25, S. 402. 851 Giesen/Fricke, Haushaltsrecht NRW, § 33 LHO, Rn. 9; vgl. die Begründung zu § 33 BHO, BT-Ds. V/3040 = BR-Ds. 284/68, S. 62. 852 Giesen/Fricke, Haushaltsrecht NRW, § 33 LHO, Rn. 9.
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Dem kann nicht gefolgt werden. Zwar bildet der Wortsinn einer Norm in der Regel853 die Grenze der Auslegung. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass § 33 S. 2 BHO den Haushaltsgesetzgeber ohnehin nicht binden kann. Sowohl das Haushaltsgesetz als auch die Haushaltsordnung (BHO oder LHO) stehen im Range einfachen Bundes- bzw. Landesrechts854. Aus der fehlenden Bindungswirkung für den Gesetzgeber ist nun aber zu schließen, dass der Wortlaut der Annahme einer „Verabschiedungsfrist“ nicht entgegen steht: Die BHO könnte (als einfaches Gesetz) den Verfassungsgrundsatz der Vorherigkeit gar nicht für den Gesetzgeber vorschreiben. Demgemäß beziehen sich die Vorschriften des zweiten Teils der BHO auf die Aufstellung des Haushaltsplans, nicht auf die parlamentarische Behandlung bzw. die Feststellung des Haushaltsplans durch das Haushaltsgesetz. Eine dem Vorherigkeitsgrundsatz und der zeitlichen Bindung entsprechende klarstellende Formulierung („Der Nachtragshaushalt ist bis zum Ende des Haushaltsjahres zu verabschieden“) in der BHO wäre weder mit dem Demokratie- noch mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar855. Vielmehr spricht die Verpflichtung der Regierung auf eine rechtzeitige Einbringung856 dafür, dass durch die entsprechende Terminierung der Gesetzesinitiative in § 33 S. 2 BHO mittelbar auch eine Verabschiedung innerhalb des Haushaltsjahres angestrebt ist. Zu berücksichtigen ist hier auch der Wortlaut des verfassungsrechtlichen Vorherigkeitsgebots in Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG, auf den § 33 S. 1 BHO mit dem Verweis auf die in den Teilen I und II der BHO einfach-gesetzlich konkretisierten Haushaltsgrundsätze mittelbar Bezug nimmt (und nehmen muss). Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG for853
Vgl. BVerfG, Beschluss v. 19.6.1973, 1 BvL 36/89 und 14/72, BVerfGE 35, 263 [278 f.]. 854 Dazu bereits oben, § 2 A. II., S. 38 ff. 855 Eine andere verfassungsrechtliche Ausgangssituation besteht insoweit im kommunalen Haushaltsrecht. Da der Rat kein Parlament ist, kann das Satzungsrecht der Gemeinden durch einfaches (Landes-)Gesetz geregelt werden. Dementsprechend verlangen die Gemeindeordnungen der Länder regelmäßig eine Verabschiedung der Nachtragshaushaltssatzung „bis zum Ablauf des Haushaltsjahres“, vgl. § 82 Abs. 1 S. 1 GemO BaWü; Art. 68 Abs. 1 S. 1 BayGO; § 79 Abs. 1 S. 1 GO Bbg; § 98 Abs. 1 HessGO; § 50 Abs. 1 S. 1 KV M-V; § 87 Abs. 1 S. 1 NdsGO; § 81 Abs. 1 S. 1 GO NW; § 98 Abs. 1 S. 1 GemO RhPf; § 87 Abs. 1 S. 1 SaarlKSVG; § 77 Abs. 1 S. 1 SächsGemO; § 80 Abs. 1 S. 1 GO SchlH; § 60 Abs. 1 S. 1 ThürKO. Strenger § 95 Abs. 1 S. 1 GO LSA: „Eine Änderung der Haushaltssatzung kann nur bis zum 30. November des Haushaltsjahres durch Nachtragshaushaltssatzung beschlossen werden“. 856 Vgl. § 33 S. 2 LHO Berlin: „Entwürfe sind rechtzeitig, spätestens zur Beschlussfassung vor Ende des Haushaltsjahres einzubringen“. § 33 S. 2 LHO Berlin nähert sich insoweit der Rechtslage im kommunalen Haushaltsrecht an, bindet aber als staatliches Haushaltsrecht nur die Regierung (Senat), nicht das Parlament (Abgeordnetenhaus).
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dert die gesetzliche Feststellung vor Beginn des Haushaltsjahres. Die Pflicht zur rechtzeitigen Aufstellung und Einbringung des Haushaltsentwurfs durch die Regierung ergibt sich erst mittelbar aus dieser Vorschrift. Es gibt keinen Grund, diese verfassungsrechtliche Wertung im Fall des Nachtragshaushalts umzukehren oder auf die Frage der rechtzeitigen Einbringung zu beschränken857. bb) Änderung eines außer Kraft getretenen Gesetzes? Überwiegend wird – über den Wortlaut des § 33 S. 2 BHO hinaus – die Notwendigkeit auch einer Verabschiedung durch das Parlament bis zum 31. Dezember des jeweiligen Haushaltsjahres gesehen858. Piduch etwa betont den Charakter des Haushaltsgesetzes als Zeitgesetz. Bei der Auslegung des § 33 S. 2 BHO sei zu berücksichtigen, dass der Haushaltsplan grundsätzlich nur innerhalb des Zeitraums einer Änderung fähig sei, für den er durch das Haushaltsgesetz festgestellt sei, d.h. bis zum Ende des Haushaltsjahres.859 Wegen des Grundsatzes der zeitlichen Bindung (§ 45 Abs. 1 BHO) könne ein Nachtragshaushaltsgesetz nämlich Wirkungen nur für das Haushaltsjahr erzeugen, für welches der jährliche Haushaltsplan gesetzlich festgestellt sei. Würde ein Nachtragshaushaltsgesetz erst zu Beginn des 857 In diesem Sinne aber BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www. bverfg.de, Rn. 84: „Zwar ist an der Möglichkeit entsprechender Pflichten [sc. zur rechtzeitigen Einbringung des Nachtrags], deren Verletzung im Organstreit geltend gemacht werden könnte, insbesondere auch unter dem Aspekt der Organtreue, kaum zu zweifeln. Der Senat hat jedoch Bedenken dagegen, diese als verfassungsrechtliche Anforderungen an das Haushaltsgesetz selbst zu qualifizieren. Wie bemerkt, ergeben sich schon für den unmittelbaren Anwendungsbereich des Vorherigkeitsgebots Zweifel, ob dessen Verletzung, die ja die Wirksamkeit des Haushaltsgesetzes unberührt lässt, überhaupt zu dessen – folgenloser – Verfassungswidrigkeit führt, die im Normenkontrollverfahren feststellbar wäre.“ – Die Rechtsfolge „Wirksamkeit“ erlaubt indes keinen Rückschluss auf den Tatbestand „verfassungswidriges Gesetz“. Da die Feststellung des Haushaltsplans durch das Haushaltsgesetz erfolgt, führt die verspätete Verabschiedung dieses Gesetzes, selbst wenn man die Verspätung vorrangig als Frage der „Organtreue“ und nur als eine „formale Verfahrensanforderung zum Schutz des parlamentarischen Budgetrechts“ sieht (so BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 87), zu einem (formalen) Verfassungsverstoß des Gesetzes, der – wie andere Verfassungsverstöße auch – im Normenkontrollverfahren rügefähig ist: Prüfungsgegenstand ist gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG die „förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht […] mit diesem Grundgesetze“; auf die Vernichtbarkeit der Norm kommt es nicht an (vgl. auch § 31 Abs. 2 S. 3 BVerfGG). 858 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 33 BHO, Anm. 2, 4 lit. d); Patzig, Haushaltsrecht, C/33/9; Morell, Bundeshaushalt, § 33, Rn. 4; ähnlich Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 33, Anm. 3 (S. 3). 859 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 33 BHO, Anm. 4 lit. d).
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neuen Haushaltsjahres verkündet, könnten die dadurch geschaffenen Ermächtigungen nur zu Lasten des abgelaufenen Haushaltsjahres in Anspruch genommen werden.860 Der Nachtragshaushalt müsse somit nicht nur bis Jahresende eingebracht, sondern bis dahin auch vom Gesetzgeber verabschiedet sein.861 Auch die Regierungsbegründung zu § 33 S. 2 BHO geht davon aus, dass § 33 S. 2 BHO „aus dem Grundsatz der zeitlichen Bindung des Haushaltsgesetzes“ folge.862 Akzeptiert man die Prämisse, dass das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz grundsätzlich mit Ablauf des Haushaltsjahres außer Kraft tritt863, könnte man in der Tat annehmen, dass eine Änderung des Haushaltsgesetzes nach Ablauf des Haushaltsjahres schon aus formalen Gründen nicht mehr in Betracht kommt. Auch die Verabschiedung des Nachtrags, nicht nur die in § 33 S. 2 BHO genannte Einbringung, müsste dann innerhalb des Haushaltsjahres erfolgen864. Diese formale Überlegung entspricht der gängigen Argumentation zum zeitlichen Bepackungsverbot, nach der sich die Vorschriften des Haushaltsgesetzes zeitlich in dem Rahmen halten müssen, der seinem Geltungsbereich entspricht865. In der Tat macht es wenig Sinn, ein außer Kraft getretenes und damit ungültiges Gesetz noch zu ändern; ein entsprechendes Änderungsgesetz ginge ins Leere und wäre von Anfang an gegenstandslos. 860
Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 33 BHO, Anm. 4 lit. d); i. E. auch Patzig, Haushaltsrecht, C/33/9. Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 33, Anm. 3, impliziert die Notwendigkeit einer Verabschiedung des Nachtragshaushalts noch im Haushaltsjahr (jedenfalls bis zum Abschluss der Bücher, sog. Auslaufzeitraum), wenn er eine entsprechende Pflicht zur rechtzeitigen Einbringung formuliert: „Nach den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts [sc. BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 ff.] wird die Bundesregierung davon ausgehen müssen, dass die Durchführung des Nachtragshaushaltsverfahrens zeitlich unmöglich ist, wenn der Entwurf des Nachtragshaushalts erst kurz vor Ende des Haushaltsjahres vorgelegt werden kann“. 861 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 33 BHO, Anm. 4 lit. d). Falls eine rechtzeitige Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens nicht mehr möglich ist, müssen etwaige Mehrausgaben bis zum nächsten Haushaltsjahr aufgeschoben werden oder über Art. 112 GG bewilligt werden, vgl. Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 33, Anm. 3. 862 BT-Ds. V/3040, S. 62 [Tz. 338] = BR-Ds. 284/68, S. 62. 863 In diese Richtung argumentiert etwa Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 33 BHO, Anm. 4 lit. d), der jedoch vornehmlich auf den Haushaltsplan abstellt. Vgl. auch Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 136. 864 So wohl auch Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 18, Anm. 3 (S. 3), der auf den Abschluss der Bücher (§ 76 BHO) abstellt und den sog. Auslaufzeitraum (= Zeitraum zwischen Ende des Haushaltsjahres und Abschluss der Bücher i. S. d. § 76 Abs. 1 S. 2 BHO) miteinbeziehen möchte. 865 Vgl. Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 25; Gröpl, in: Bonner Kommentar, Art. 110, Rn. 136 und oben § 2 B. II. 3., S. 119 ff.
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Jedoch führt die Jährigkeit des Haushalts nicht zwingend dazu, dass das Haushaltsgesetz mit Ablauf des Haushaltsjahres außer Kraft tritt und unwirksam wird. Der Ablauf des Haushaltsjahres führt zunächst nur zu einem Wegfall der inneren Wirksamkeit, d.h. der zeitlichen Anwendbarkeit des Haushaltsgesetzes, soweit dieses den jährlichen Haushaltsplan feststellt (§ 1 S. 1 BHO) und soweit nicht explizit Übertragungen zugelassen werden (s. § 45 BHO). Zwischen dem Haushaltsplan und dem Haushaltsgesetz ist aber zu unterscheiden: Während Art. 110 Abs. 2 GG für den Haushaltsplan zwingend eine Trennung nach Jahren vorschreibt, kann das Haushaltsgesetz seine Gültigkeit über mehrere (d.h. zwei, § 9 Abs. 1 HGrG) Jahre behalten. Im Fall eines Doppelhaushalts866, der immer durch ein Haushaltsgesetz festgestellt wird, wäre ein Nachtragshaushalt zum ersten der beiden Haushalte damit noch während der Laufzeit des zweiten möglich; das Gesetz könnte trotz Ablauf des Haushaltsjahres geändert werden, da es formal noch in Kraft ist. Die Annahme, ein Haushaltsgesetz trete mit Ablauf des Haushaltsjahres außer Kraft, lässt sich zudem nur insoweit aufrecht erhalten, als das zeitliche Bepackungsverbot die Aufnahme überjähriger Vorschriften untersagt. Soweit es kein verfassungsrechtliches Verbot der zeitlichen Bepackung gibt (z. B. in Bayern867) oder gesetzliche Regelungen betroffen sind, die durch das Bepackungsverbot nicht erfasst werden (z. B. Kredite, Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG), bleiben die Regelungen des Haushaltsgesetzes gültig und können geändert werden. Regelmäßig gelten etwa Kreditermächtigungen eines Haushalts gem. § 18 Abs. 3 BHO/LHO fort, so dass – unter Rückgriff auf diese Konstruktion – abstrakte Normenkontrollen gegen ein Haushaltsgesetz noch nach Ablauf des Haushaltsjahres zulässig sind868. Das formale Argument, ein außer Kraft getretenes Gesetz könne nicht geändert werden, verfängt schließlich dann nicht, wenn man die Möglichkeit der Rückwirkung mit einbezieht869. Während das zeitliche Bepackungsver866 s. etwa § 1 des Gesetzes über die Feststellung der Haushaltspläne des Landes Nordrhein-Westfalen für die Haushaltsjahre 2004/2005 (G. v. 3.2.2004, GVBl. NRW 2004, S. 64). 867 Vgl. bereits oben, § 2 A. III. 4., S. 62 und Fn. 457 (S. 112). 868 BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [93 f.]; BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [327]; BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 68; VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [310]; VerfGH NW, Urteil vom 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [281]; VerfGH NW, Urteil v. 24.4.2007, VerfGH 9/06, UA, S. 14 (insoweit nicht in DÖV 2007, 698 ff. abgedruckt). Dazu noch i. E. unten, § 2 C. II. 3. c), S. 244 ff. 869 In diesem Sinne Giesen/Fricke, Haushaltsrecht NRW, § 33 LHO, Rn. 9: „Der Haushaltsgesetzgeber wird eine Vorlage, die ihm erst nach Ablauf des Haushaltsjahres zugeht, rückwirkend beschließen. Damit treten aber die Ermächtigungen […]
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bot solche Regelungen verhindern will, die über das Haushaltsjahr hinausreichen870, also die zeitlichen Grenzen des Haushaltsjahres („von innen heraus“) überschreiten (z. B. Bepackung des Haushaltsgesetzes mit Dauernormen), findet der Grundsatz der Vorherigkeit Anwendung auf Normen, die zwar „für“ das Haushaltsjahr gelten aber verspätet (Stammhaushalt: nach dem 1. 1.; Nachtrag: nach dem 31. 12. des jeweiligen Haushaltsjahres) verabschiedet werden. Das rückwirkend in Kraft gesetzte verspätete Nachtragshaushaltsgesetz bezieht sich i. S. d. Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG auf den Zeitraum, „für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird“. Eine etwaige „Genehmigung“ der Ausgaben und Kreditaufnahmen des (vergangenen) Haushaltsjahres durch einen rückwirkenden Nachtragshaushalt berührt nicht das zeitliche Bepackungsverbot. Ein solches „Genehmigungsgesetz“ bezieht sich auf den Zeitraum, für den das Nachtragshaushaltsgesetz beschlossen werden soll, und reicht insoweit nicht über das Rechnungsjahr hinaus. Das verspätete Nachtragshaushaltsgesetz knüpft nicht tatbestandlich an ein früheres Rechnungsjahr an, sondern verlagert seinen Geltungsbeginn in ein früheres Rechnungsjahr hinein, ändert also ein (fiktiv) gültiges Gesetz. c) Möglichkeit rückwirkender Nachtragshaushalte? Dennoch besteht in materieller Hinsicht die verfassungsrechtliche Verpflichtung, den Nachtragshaushalt im laufenden Haushaltsjahr871 zu verabschieden. Für den Nachtragshaushalt finden alle Haushaltsgrundsätze, auch der Vorherigkeitsgrundsatz, sinngemäß Anwendung. Der Nachtragshaushalt will die ursprüngliche Planung den neuen oder geänderten Bedürfnissen anpassen872, hat aber auch selbst – wie § 33 S. 1 BHO zeigt – planenden Charakter; dies jedenfalls für den Rest des laufenden Haushaltsjahres873. ex tunc in Kraft. Ein vorgezogenes Regierungs- und Verwaltungshandeln wird sanktioniert“. 870 So die Formulierung des Art. 63 Abs. 3 S. 2 PrVerf 1920 (PrGS. S. 543), vgl. oben Fn. 498 (S. 119). 871 Ausnahmen können allenfalls insoweit zugelassen werden als der Auslaufzeitraum des abzuschließenden Haushaltsjahres betroffen ist. Solange Einnahmen und Ausgaben noch rechtmäßig für das vergangene Haushaltsjahr gebucht werden können (bis zum Abschluss der Bücher, § 36 Abs. 2 HGrG, § 76 Abs. 2 BHO), ist eine relativ vorherige Planung denkbar. Hier liegt dann kein Fall der rückwirkenden Genehmigung vor. Freilich wäre ein solches Vorgehen auf Ausnahmefälle zu beschränken, da der Auslaufzeitraum nur dazu dient, das Haushaltsjahr zu beenden, und nicht dazu genutzt werden darf, haushaltswirtschaftliche Vorgänge, die schon auf das neue Haushaltsjahr zu beziehen sind, auf Rechnung des vergangenen Jahres abzuwickeln. 872 Vgl. BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [34]. 873 So auch Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 33, Anm. 3: „Nach § 33 Satz 2 BHO kann der Entwurf eines Nachtragshaushalts nur innerhalb des Haus-
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Wie im Fall des verspäteten Stammhaushalts874 kann bei einem Nachtragshaushalt nicht immer trennscharf zwischen Vergangenheits- und Zukunftsbezug unterschieden werden. Das obige Beispiel (S. 179) einer 80%igen Ausschöpfung der Ansätze für Miet- und Pachtausgaben zum 30. 6. des Rechnungsjahres lässt sich auch auf das Verhältnis von Stammund Nachtragshaushalt übertragen: Die Erhöhung dieser Ansätze im zur Mitte des Jahres verabschiedeten Nachtragshaushalt um 60% bedeutet zunächst einmal nicht die „Genehmigung“ des bisherigen Haushaltsvollzuges, sondern stellt schlicht die notwendigen Mittel bereit, um die Mieten auch noch bis zum Jahresende zahlen zu können. Wird der Nachtragshaushalt indes erst nach Ablauf des Haushaltsjahres verabschiedet, entfällt dieser Planungscharakter vollständig875. Der Haushaltsvollzug ist abgeschlossen und kann nicht mehr beeinflusst werden. Eine solche Verabschiedung von „verspäteten Nachtragshaushaltsgesetzen“ nach Abschluss des Haushaltsjahres ist daher nur denkbar und sinnvoll, wenn der Nachtrag den Haushalt rückwirkend ändern, insbesondere Überschreitungen im Haushaltsvollzug (über- und außerplanmäßige Ausgaben und überhöhte Kreditaufnahmen) rückwirkend genehmigen kann. aa) Nachtragshaushaltsgesetz als Änderungsgesetz In der Tat werden Nachtragshaushalte regelmäßig „mit Wirkung vom“ Beginn des jeweiligen Rechnungsjahres (1. 1.), also rückwirkend in Kraft gesetzt876. Vergegenwärtigt man sich den Charakter des Nachtragshaushaltshaltsjahres für den Rest des Jahres eingebracht werden, für das der zu ändernde Haushaltsplan aufgestellt ist.“ [Hervorhebung nur hier, d. Verf.]. 874 s. oben, § 2 B. III. 3. b) cc), S. 177 ff. – An die Stelle der etatlosen Zeit (im Fall des verspäteten Haushaltsgesetzes) tritt bei der Verabschiedung eines Nachtrags das Haushaltsgesetz in seiner ursprünglichen Fassung. 875 Vgl. auch die Stellungnahme des Bundesrats v. 5.11.2004 (805. Sitzung): „Durch die späte Einbringung des Nachtrags verliert der Haushalt weitgehend seine Funktion als Planungs- und Kontrollinstrument. Er wird vielmehr zu einem reinen Vollzugsinstrument degradiert“, mit Gegenäußerung der Bundesregierung, abgedruckt in BT-Ds. 15/4137, S. 1. Mangels Vorwerfbarkeit offen gelassen in BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 88. 876 s. z. B. Art. 4 des Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2004 (Nachtragshaushaltsgesetz 2004) v. 21.12.2004, BGBl. I, S. 3662 und Art. 3 des Nachtragshaushaltsgesetzes 2003, das nach Ablauf des Haushaltsjahres verabschiedet und verkündet wurde (G. v. 18.2.2004, BGBl. I, S. 222). Auf Landesebene ist die Praxis nicht einheitlich, siehe z. B. § 2 des sachsen-anhaltinischen Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2005/2006 (G. v. 19.12.2006, GVBl. LSA S. 545, ausgeben am 22.12.2006): „am Tage nach seiner Verkündung“, § 7 des Gesetzes über die Feststellung eines Nach-
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gesetzes als Änderungsgesetz, ist diese Rückdatierung auf den Beginn des Haushaltsjahres folgerichtig. Durch das Nachtragsgesetz (i. d. R. in Art. 1 NHG) wird das Gesamtvolumen des Haushalts (i. d. R. in § 1 HG) auf den aktuellen Stand gebracht, d.h. regelmäßig erhöht, um die punktuellen Änderungen in den Einzelplänen nachzuvollziehen. Das Volumen des Haushalts bezieht sich aber auf das ganze Haushaltsjahr, so dass grundsätzlich auch die Änderung für das gesamte Haushaltsjahr vorzunehmen ist. Die Rückdatierung des Nachtrags ist aus diesem Grunde im Sinne einer Erfassung des gesamten Haushaltsjahres durch den (geänderten) Haushaltsplan zu verstehen. Diese „Erfassung“ kann, muss aber nicht erfolgen877, weil der Nachtrag als Änderungsgesetz nicht dem Gebot der Vollständigkeit aus Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG unterliegt878 und etwa die nach Art. 112 GG zulässigerweise geleisteten über- und außerplanmäßigen Ausgaben unter der im Haushaltsgesetz bereits zugelassenen Bagatellgrenze (§ 37 Abs. 1 S. 4 BHO i. V. m. dem HG) nicht erfassen muss879. Die bloße Rückdatierung des Nachtragshaushalts führt aber nicht dazu, dass die von der Exekutive ohne eine entsprechende Ermächtigung geleisteten Ausgaben im Rahmen des nunmehr festgestellten Haushaltsplans nachträglich legalisiert werden880. Auch kann die durch ein Nachtragshaushaltsgesetz rückwirkend erhöhte Kreditermächtigung nicht dazu führen, dass vor dem Zeitpunkt der Verkündung des Nachtragshaushaltsgesetzes erfolgte Überschreitungen der im ursprünglichen (Haushalts-)Gesetz erteilten Ermächtigungen im Rahmen der nunmehr geänderten Ermächtigungen saniert, also rechtmäßig werden.881 trags zum Staatshaushaltsplan von Baden-Württemberg für das Haushaltsjahr 2003 (G. v. 8.4.2003, GBl. S. 155): gespaltenes Inkrafttreten sowie die Nachweise in Fn. 877. 877 So sind etwa die brandenburgischen Nachtragshaushaltsgesetze für 2002 (G. v. 19.12.2002, GVBl. I, S. 182, ausgegeben am 23.12.2002), 2003 (G. v. 22.4.2003, GVBl. I, S. 110, ausgegeben am 23.4.2003), 2004 (G. v. 5.4.2004, GVBl. I, S. 70, ausgegeben am 6.4.2004) und 2006 (G. v. 27.10.2006, GVBl. I, S. 119, ausgegeben am 1.11.2006) erst „am Tage nach der Verkündung in Kraft“ getreten; vgl. auch die Nachweise bei Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 108 (Fn. 480). 878 Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 76; Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 33, Anm. 3 (S. 4); Patzig, Haushaltsrecht, C/33/8; Morell, Bundeshaushalt, § 33, Rn. 2. 879 Patzig, Haushaltsrecht, C/33/8. 880 So aber Schulze/Wagner, RHO3 (1934), § 25, Anm. 6 zu § 25 RHO; ähnlich Giesen/Fricke, Haushaltsrecht NRW, § 33 LHO, Rn. 9; krit. Patzig, Haushaltsrecht, C/33/9: „nicht frei von Bedenken“; Morell, Bundeshaushalt, § 33, Rn. 4, m. Hinw. auf BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 ff. 881 So aber Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 108.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
bb) Vorrang des bestehenden Haushaltsgesetzes Wie im Fall eines rückwirkenden Stammhaushalts, für dessen Verspätung die Verfassung in Art. 111 GG Vorsorge trifft882, ist auch eine Genehmigung des bisherigen Haushaltsvollzugs (oder auch die rückwirkende Verweigerung bereits geleisteter Ausgaben) durch einen verspäteten Nachtrag nicht möglich883. Das „gefächerte haushaltsrechtliche Instrumentarium“884 schafft hier eine Parallelität zwischen verspätetem Stamm- und Nachtragshaushalt: Während Art. 111 GG für die etatlose Zeit (= verspäteter Stammhaushalt) Nothaushaltskompetenzen eröffnet, die verhindern sollen, dass die staatliche Haushalts- und Wirtschaftsführung zum Erliegen kommt, regelt Art. 112 GG im Ergebnis die Situation eines fehlenden Nachtragshaushalts885, der innerhalb des laufenden Haushaltsjahres aufgrund der Budgethoheit des Parlaments stets die vorrangige Handlungsform ist, um dem Haushaltsvollzug für den Rest des Haushaltsjahres eine neue gesetzliche Grundlage zu geben886. Grundlage der öffentlichen Finanzwirtschaft ist zunächst und vorrangig der Haushaltsplan, der durch das Haushaltsgesetz festgestellt wird. Bei Auftreten eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses ermöglicht Art. 112 S. 2 GG die Leistung über- und außerplanmäßiger Ausgaben. Unabweisbar sind unvorhergesehene Mehrausgaben nur dann, wenn sie auch in zeitlicher Hinsicht unabweisbar sind.887 Das BVerfG führt zum Verhältnis von Nachtragshaushalt und ministeriellem Notbewilligungsrecht aus: „Erst wenn eine Mehrausgabe so eilbedürftig ist, dass die Einbringung eines Nachtragshaushaltsplans oder eines Ergänzungshaushaltsplans oder schließlich ihre Verschiebung bis zum nächsten regelmäßigen Haushalt bei vernünftiger Beur882
Dazu bereits ausführlich oben, § 2 B. III. 3. a) bb), S. 145 ff. s. für den verspäteten Stammhaushalt bereits oben, § 2 B. III. 3. b) cc) (2) (b), S. 183 ff. 884 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [34]. 885 Ähnlich Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 112, Rn. 1: „Während Art. 111 den Fall des vollständigen Fehlens eines Haushaltsplans regelt, geht es in Art. 112 um dessen Unvollständigkeit“. 886 Nach BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [31 ff.] ist das Notbewilligungsrecht im Verhältnis zum Bewilligungsrecht des Parlaments subsidiär. Dies entspricht nunmehr auch der Rechtsprechung des VerfGH NW, Urteil v. 28.1.1992, VerfGH 1/91, DÖV 1992, 576 [579] und VerfGH NW, Urteil v. 3.5.1994, VerfGH 19/92, OVGE 44, 289 [294]. Anders noch VerfGH NW, Urteil v. 3.10.1968, VGH 9/67; OVGE 24, 296 [Ls. 1 u. 308]: „Notbewilligungsrecht des FM [steht] selbständig neben dem Budgetrecht des LT“. Vgl. hierzu Jahndorf, DVBl. 1998, 75 [77]. 887 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [Ls. 6]; Jahndorf, DVBl. 1998, 75 [80]; Karehnke, DÖV 1976, 361 [366] und oben, § 2 B. III. 3. a) bb) (2), S. 160 f. 883
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
209
teilung der jeweiligen Lage als nicht mehr vertretbar anerkannt werden kann, liegt ein Fall der Unabweisbarkeit [sc. i. S. d. Art. 112 S. 2 GG] vor. Fehlt indessen das Moment des Zeitdrucks, dann bleibt der Gesetzgeber für die Mittelbewilligung allein zuständig.“888
Fehlt die zeitliche Unabweisbarkeit i. S. d. Art. 112 S. 2 GG, so muss der Haushaltsvollzug das Nachtragshaushaltsgesetz und damit die Entscheidung des Gesetzgebers abwarten. Sinn macht die Regelung des Art. 112 GG nur vor dem Hintergrund, dass die Möglichkeit einer rückwirkenden Genehmigung durch das Parlament nicht besteht, und die durch einen Nachtragshaushalt vorgenommenen Änderungen nur pro futuro wirken. Könnte ein Nachtragshaushalt auch noch nach Ablauf des Haushaltsjahres Mehrausgaben (= „überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben“ i. S. d. Art. 112 S. 1 GG) rückwirkend rechtfertigen und genehmigen, wäre ein „Zeitdruck“, den das Notbewilligungsrecht gem. Art. 112 GG voraussetzt, nicht denkbar889. Die Möglichkeit einer Rückwirkung nähme diesen Zeitdruck. Auch die in Art. 112 S. 1 GG geforderte „Zustimmung des Bundesministers der Finanzen“ muss vor der Leistung über- und außerplanmäßiger Ausgaben erfolgen890, s. § 37 Abs. 1 S. 1 BHO: „Einwilligung“ (= „vorherige Zustimmung“, § 36 S. 1 BHO). Eine nachträgliche Zustimmung, im Sinne einer Genehmigung, entspräche nicht dem Sinn und Zweck der in Art. 112 GG geregelten Prüfkompetenz des Bundesfinanzministers891, dessen Entscheidung grundsätzlich nicht durch vollendete Tatsachen präjudiziert werden darf892. Eine Vorwegfestlegung des Gesetzgebers im Fall vorab geleisteter Ausgaben, die weder unvorhergesehen noch unabweisbar waren, erscheint vor diesem Hintergrund noch weniger hinnehmbar. 888
BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [37]. Vgl. auch BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [Ls. 3]: „Es besteht eine besondere Kommunikations- und Konsultationspflicht zum Zwecke der Prüfung, ob eine im Hinblick auf die zeitliche Dringlichkeit des Bedürfnisses rechtzeitige Bewilligung durch den Gesetzgeber möglich ist.“ [Hervorhebung nur hier, d. Verf.]. 890 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 112, Rn. 26; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 112, Rn. 46; Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 112, Rn. 11; Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG9, Art. 112, Rn. 2; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 112 GG, Anm. 10. Dieser Einwilligung bedarf es gem. § 116 Abs. 2 BHO nur dann nicht, wenn ausnahmsweise sofortiges Handeln zur Abwendung einer dem Bund drohenden unmittelbar bevorstehenden Gefahr erforderlich ist (weitergehend Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 112, Rn. 8). In diesem Fall ist die Genehmigung unverzüglich einzuholen (§ 116 Abs. 2 BHO), vgl. hierzu Heun, in: Dreier, GG III, Art. 112, Rn. 14; Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 112 GG, Anm. 9. 891 Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 112, Rn. 46; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 112, Rn. 15. 892 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 112 GG, Anm. 10. 889
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
(1) Bindung an die Ausgabenansätze Die Haushalts- und Finanzverfassung enthält ein ausdifferenziertes Regelungsgefüge und macht klare Vorgaben für plötzlich auftretende Bedürfnisse, die als solche abschließend sind und nicht durch andere rückwirkende, d.h. nachträgliche „Genehmigungen“ unterlaufen werden dürfen. Die Rückwirkung führt nur scheinbar zu einer parlamentarischen Profuturo-Bewilligung ex tunc893. Eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen im wörtlichen Sinne ist nicht möglich; Verhalten, auch der Haushaltsvollzug kann nur für die Zukunft geändert werden. Tatsächlich kann für bereits geleistete Ausgaben nur eine rechtliche Umqualifizierung, eine „Genehmigung“ angestrebt werden. Diese kann aber aufgrund der auch für den Nachtrag zu beachtenden Grundsätze der Haushaltswahrheit und des Haushaltsausgleichs (Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG) – wie oben für den Stammhaushalt dargelegt894 – nicht durch den geänderten Haushaltsplan erfolgen. Berücksichtigung findet die parlamentarische „Genehmigung des Haushaltsvollzugs“ einzig im Rahmen des Entlastungsverfahrens gem. Art. 114 Abs. 1 GG. Während des Haushaltsjahres besteht grundsätzlich – außerhalb des eng umgrenzten Anwendungsbereiches des Art. 112 GG – eine strenge Bindung des Haushaltsvollzuges an den jeweils gültigen Haushaltsplan bzw. an das Haushaltsgesetz (Vorrang des Gesetzes)895. Es ist gerade Sinn und Zweck eines Nachtragshaushalts, diese Bindungen der Exekutive an den bestehenden Haushaltsplan für die Zukunft durch neue, entsprechend erweiterte Bindungen zu ersetzen. Vor einer solchen gesetzlichen Änderung des Haushalts darf die Regierung bei der Ausgabe von Haushaltsmitteln die Haushaltsansätze nicht überschreiten896. Erweisen sich die ursprünglichen Ansätze als zu gering oder ergeben sich sachliche Bedürfnisse, die das Haushaltsgesetz überhaupt nicht berücksichtigt hat, dann besteht für die Bundesregierung die verfassungsrechtliche Pflicht, eine Änderungsvorlage zum Haushaltsplan nach Maßgabe des Art. 110 Abs. 3 GG einzubringen897. Aus den neuen Be893 Anders Giesen/Fricke, Haushaltsrecht NRW, § 33 LHO, Rn. 9, die ein rückwirkendes Inkraftsetzen mit Genehmigungswirkung als mit § 3 Abs. 1 LHO konform ansehen. 894 s. hierzu bereits § 2 B. III. 3. b) cc), S. 177 ff. 895 Die gesetzlich zugelassenen Ausnahmen (z. B. § 37 Abs. 1 S. 4 BHO) können unter dem Gesichtspunkt der sachlichen und zeitlichen Spezialität (dazu oben, S. 54 f.) problematisch sein (vgl. Jahndorf, DVBl. 1998, 75 ff.). Unter dem Blickwinkel der Vorherigkeit gesetzlicher Ermächtigungen sind dauergesetzliche Einschränkungen des parlamentarischen Budgetrechts, die der Flexibilisierung des Haushaltsvollzugs dienen, nicht zu beanstanden. 896 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [34]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 112, Rn. 1.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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dürfnissen für zusätzliche Ausgaben oder eine weitere Kreditaufnahme (z. B. um Steuermindereinnahmen auszugleichen) ergibt sich dann auch der „Zeitplan“ für die Einbringung eines Nachtrags. Die Einbringung muss so rechtzeitig erfolgen, dass die Mittel bzw. die Kreditaufnahme rechtzeitig, d.h. vor dem Vollzug, bewilligt werden können. Insoweit besteht auch keine Gefahr, dass sich das Gebot der Vorherigkeit wandelt in „eine inhaltlich unbestimmte Generalklausel mit materiellen Anforderungen an die Sorgfalt der Beteiligten bei Einleitung und Durchführung eines Gesetzgebungsverfahrens“898. Vielmehr ergeben sich recht klare Tatbestandsvoraussetzungen für die Einbringung eines Nachtrags: Der Nachtragshaushalt muss so rechtzeitig eingebracht werden, dass seine Verabschiedung wiederum so rechtzeitig erfolgen kann, dass der Nachtragshaushalt vorliegt, wenn von den neuen Ansätzen Gebrauch gemacht werden muss. Dies wiederum ist immer dann notwendig, wenn die gesetzlichen oder verfassungsunmittelbaren Ermächtigungen den Haushaltsvollzug nicht (mehr) decken. Die nachträgliche Genehmigung eines Verstoßes gegen die Ermächtigungen des Haushaltsgesetzes sieht das GG nicht vor. Während die demokratische preußische Verfassung von 1920 in Art. 67 Abs. 1 für Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben die nachträgliche Genehmigung des Landtags vorsah, die im Laufe des nächsten Rechnungsjahres eingeholt werden musste899, hat das Grundgesetz auf ein solches Genehmigungserfordernis (im Gegensatz zu einigen Landesverfassungen900) bewusst verzichtet: Eine durch den Finanzminister außerplanmäßig verfügte Ausgabe könne durch eine spätere Versagung der Genehmigung nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die parlamentarische Kontrolle des Finanzministers sei bei der Rechnungslegung auch über außerplanmäßige Ausgaben ausreichend gesichert901. Einzig in den Ländern, in denen die Verfas897
BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [34]: „So wie der Nachtragshaushaltsplan selbständig und getrennt vom Haushaltsplan verabschiedet wird, kann auch ein Ergänzungshaushaltsplan (Teilhaushaltsplan) wegen Dringlichkeit durch Gesetz vorab festgestellt werden“ [Hervorhebung nur hier, d. Verf.]. 898 BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 87. 899 Art. 67 Abs. 1 PrVerf (G. v. 30.11.1920, PrGS S. 543 [555]); abgedruckt bei BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [4]; vgl. auch § 83 Abs. 1 RHO (RGBl. 1923/II, S. 21); eine entsprechende Vorschrift enthielten weder die Reichsverfassung v. 18.4.1871 (RGBl. S. 64) noch die Weimarer Reichsverfassung v. 11.8.1919 (RGBl. S. 1383). 900 Art. 81 S. 3 BaWüVerf; Art. 88 Abs. 2 BerlVerf; Art. 68 Abs. 2 S. 2 HmbVerf; Art. 143 Abs. 2 HessVerf; Art. 67 Abs. 2 S. 2 NdsVerf (fakultativ); Art. 85 Abs. 2 Verf NW; Art. 96 S. 3 SächsVerf. 901 Vgl. den Beitrag des Abg. Dr. Höpker-Aschoff in der 15. Sitzung des Hauptausschusses v. 2.12.1948: „Meiner Meinung nach liegt hier ein Denkfehler vor. Was der Finanzminister außerplanmäßig zur Verfügung gestellt hat und was ausgegeben ist, das bleibt ausgegeben, gleichgültig, ob es nachher genehmigt wird oder nicht.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
sung eine Genehmigung durch das Parlament vorsieht (z. B. Art. 85 Abs. 2 Verf NW), ist es denkbar, das rückwirkende Nachtragshaushaltsgesetz in eine solche Genehmigung umzudeuten. Dies aber nur, soweit der Nachtrag als Genehmigung ausgelegt werden kann, also die Verweigerung der Genehmigung nicht durch den Grundsatz der Haushaltswahrheit verhindert wird902, und soweit die Genehmigung zulässig ist, also nicht im (praktisch wichtigen) Fall der Kreditaufnahme, für die schon kein (Not-)Bewilligungsrecht des Finanzministers besteht. (2) Bindung an die Kreditermächtigung Auch eine „überplanmäßige“ Kreditaufnahme, die die bestehenden gesetzlichen Ermächtigungen übersteigt, kann nicht mit Hilfe eines Nachtragshaushalts gerechtfertigt und nachträglich genehmigt werden903. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG fordert für die Aufnahme von Krediten eine der Höhe nach bestimmte oder bestimmbare Ermächtigung durch Gesetz, die im Voraus erfolgen muss904. Während Art. 111 Abs. 2 GG noch eine gewisse Kreditaufnahme gestattet, nämlich erlaubt, „die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftsführung erforderlichen Mittel bis zur Höhe eines Viertels der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplanes im Wege des Kredits flüssig“ zu machen, ermöglicht Art. 112 GG keine über- oder außerplanmäßige Kreditaufnahme, was eine Begründung in der noch stärkeren Vorwegfestlegung des Parlaments und daneben eine normative Anknüpfung in Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG (Gesetzesvorbehalt) findet. Der Vergleich mit den Landesverfassungen, die für außer- und überplanmäßige Ausgaben eine Genehmigung durch den Landtag vorsehen905, zeigt hier die Möglichkeit Eines bleibt richtig – und das ist durch die weiteren Bestimmungen gedeckt –, dass der Finanzminister auch über solche außerplanmäßigen Ausgaben Rechnung legen muss und dass er zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn man bei dieser Rechnungslegung zu dem Ergebnis kommt, dass er die Genehmigung nicht hätte erteilen dürfen. Aber die nachträgliche Genehmigung der außerplanmäßigen Ausgaben nützt und schadet nichts. Das Geld ist ausgegeben und kommt nicht wieder“, StenProt HA, 15. Sitzung, S. 181. Vgl. auch JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. 815 und BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [6]. 902 s. oben, § 2 B. III. 3. b) cc) (2), S. 180 ff. 903 A. A. Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 108. Die Frage bleibt unentschieden bei LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 7/04, Abschrift, S. 15 (= Schl.-Holst.-LT Umdruck 16/149): „In-Kraft-Treten in Art. 3 [wird] inhaltlich nicht angegriffen“. M. E. ist diese Form des judicial self restraint durchaus problematisch, da das Inkrafttreten als inhaltliche Regelung vom übrigen Inhalt der im abstrakten Normenkontrollverfahren angegriffenen Kreditermächtigung nicht zu trennen ist und damit keine unterschiedlichen Antragsgegenstände vorliegen. 904 s. hierzu bereits ausführlich oben, § 2 B. III. 3. b) dd), S. 188 ff.; vgl. auch BerlVerfGH, Beschluss v. 8.4.1997, VerfGH 78/96, LVerfGE 6, 66 [77].
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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eines Erst-Recht-Schlusses auf: Wenn etwa Art. 85 Abs. 2 Verf NW für über- und außerplanmäßige Ausgaben, die durch die Verfassung in engen Grenzen explizit zugelassen werden (unvorhergesehenes und unabweisbares Bedürfnis, Art. 85 Abs. 1 S. 2 Verf NW), eine nachträgliche Genehmigung verlangt, so ist aus dieser Bestimmung zu folgern, dass eine Genehmigung der über- oder außerplanmäßigen Kreditaufnahme weder vorgesehen ist, noch von Verfassungs wegen zugelassen werden soll. Insofern trifft der dem Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG entsprechende Art. 83 S. 1 Verf NW eine abschließende Regelung – im Sinne der Notwendigkeit einer vorherigen gesetzlichen Ermächtigung. Es wäre nicht erklärlich, wenn die Landesverfassung sogar für den Fall der tatbestandlich eng umgrenzten über- und außerplanmäßigen Ausgaben („unvorhergesehenes und unabweisbares Bedürfnis“) – abweichend von der grundgesetzlichen Regelung – ein Genehmigungserfordernis ausdrücklich festschreibt, auf ein solches aber im Bereich der über- und außerplanmäßigen Kreditaufnahme verzichtet, obwohl diese nicht nur den gegenwärtigen sondern zudem auch zukünftige Haushalte belastet. Dieser Befund lässt sich auf das Grundgesetz und die übrigen Landesverfassungen übertragen: Auch dort, wo eine nachträgliche Genehmigung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben durch das Parlament keinen Eingang in den Verfassungstext gefunden hat, weil man die parlamentarische Rechnungskontrolle für ausreichend hielt906, gibt es immerhin die Möglichkeit einer Abweichung vom vorhandenen Haushaltsgesetz, wenn ein Bedürfnis für über und außerplanmäßige Ausgaben besteht. Für die Kreditaufnahme erkennen die Verfassungen ein solches Bedürfnis aber nicht an907, so dass es beim Grundsatz einer vorherigen gesetzlichen Bewilligung verbleibt. Die erhöhte Kreditaufnahme im Haushaltsvollzug verstößt daher sowohl gegen das zu diesem Zeitpunkt bestehende und damit anwendbare Haushaltsgesetz als auch gegen Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG908. 905 Art. 81 S. 3 BaWüVerf; Art. 88 Abs. 2 BerlVerf; Art. 68 Abs. 2 S. 2 HmbVerf; Art. 143 Abs. 2 HessVerf; Art. 67 Abs. 2 S. 2 NdsVerf (fakultativ); Art. 85 Abs. 2 Verf NW; Art. 96 S. 3 SächsVerf. 906 s. oben Fn. 901 (S. 211). 907 Weitergehende dauergesetzliche Kreditermächtigungen (z. B. § 6 Abs. 3 StabG, hierzu noch unten, § 3 B. II. 4. b), S. 311), die der Exekutive im Einzelfall einen höheren Kreditspielraum einräumen, stehen dem nicht entgegen. Sie stellen keine echte Ausnahme von dem Grundsatz der vorherigen Bewilligung dar, sondern entsprechen diesem in Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG aufgestellten Vorherigkeitsgrundsatz. 908 Vgl. aber BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 159. Zu dem Problem einer Erfassung der Krediteinnahmen aus fortgeltenden Kreditermächtigungen (§§ 18 Abs. 3 BHO, 13 Abs. 2 HGrG) im rückwirkenden (Nachtrags-)Haushalt s. unten, § 4 A. I. 2. b) cc) (3) (c), S. 340 ff.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
cc) Nichtigkeit des verspäteten Nachtragshaushalts Während die relative Verspätung die Verfassungsmäßigkeit des Nachtragshaushaltsgesetzes unberührt lässt909, stellt die Verabschiedung des Nachtragshaushalts nach Ende des Haushaltsjahres – wie die Verabschiedung des regulären Haushaltsplans nach Beginn des Haushaltsjahres – einen Verfassungsverstoß dar. Sowohl die Verspätung des Stammhaushalts als auch die (absolute) Verspätung des Nachtragshaushalts bedeuten eine Verletzung des Vorherigkeitsgrundsatzes aus Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG910. Gleichwohl ist der verspätete Stammhaushalt nicht nichtig sondern wirksam911. Es erscheint aber zweifelhaft, diese Rechtsfolge – Wirksamkeit statt Nichtigkeit – auch für den verspäteten Nachtragshaushalt anzunehmen, zumal die Sanktionslosigkeit eines Verfassungsverstoßes als Ausnahme grundsätzlich rechtfertigungsbedürftig ist912. (1) Systematik der Art. 111 und 112 GG Die Sanktionslosigkeit eines Verfassungsverstoßes kann durch die Verfassung selbst, ausdrücklich oder im Wege der systematischen oder teleologischen Auslegung, angeordnet werden. Für den Stammhaushalt lässt sich eine solche Rechtsfolgenanordnung dem Art. 111 Abs. 1 GG („bis zu seinem Inkrafttreten“) entnehmen. Vergegenwärtigt man sich die Ausgangslage der etatlosen Zeit, so können die Überlegungen zur Sanktionslosigkeit des verspäteten Stammhaushalts aber nicht ohne weiteres auf den verspäteten 909
Die relative Verspätung des Nachtragshaushalts führt (nur) zu einem gesetzeswidrigen Haushaltsvollzug, der wegen Art. 112 und Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG mangels vorheriger Bewilligung zugleich verfassungswidrig ist; zutreffend insoweit BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 81 ff. 910 Insofern ist die „entsprechende Anwendung“ des Vorherigkeitsgebots auf den Nachtragshaushalt mehr als das vom BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 83 postulierte „Verfassungsgebot rechtzeitiger, nicht willkürlich verzögerter Korrektur oder Anpassung ursprünglich oder nachträglich realitätsfremder Haushaltsansätze“. Neben den Aspekt der verspäteten Einbringung des Nachtrags (zu rügen im Wege des Organstreits Parlament-Regierung) treten für den Fall der Verabschiedung nach Ablauf des Haushaltsjahres die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Haushaltsgesetz selbst (zu rügen im Wege der abstrakten Normenkontrolle). Eine entsprechende Anwendung des Vorherigkeitsgrundsatzes auf den Nachtragshaushalt bedeutet auch die Übertragung der doppelten Zielrichtung dieses Verfassungsgebots. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG verlangt nach seinem Wortlaut die gesetzliche Feststellung des Haushaltsplans vor Beginn des Rechnungsjahres. Nur mittelbar folgt hieraus die Verpflichtung der Regierung zur rechtzeitigen Initiative, siehe bereits oben, Fn. 857 (S. 202). 911 s. oben § 2 B. III. 3. b) aa), S. 168 ff. 912 Vgl. hierzu bereits oben Fn. 730 (S. 170).
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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Nachtragshaushalt übertragen werden. Die Situation bei einem Nachtragshaushalt, der erst nach Ablauf des Haushaltsjahres verabschiedet wird, ist eine grundlegend andere. Während Art. 111 GG für die etatlose Zeit der Landesregierung gewisse Nothaushaltskompetenzen eröffnet, um eine vorläufige Haushalts- und Wirtschaftsführung zu ermöglichen, kann über Art. 112 GG – im Fall eines nicht rechtzeitig zu erlangenden Nachtragshaushalts – von den Vorgaben des existierenden Plans abgewichen werden. Vergleicht man die beiden verfassungsunmittelbaren Ermächtigungen in Art. 111 und 112 GG, so ergibt sich, dass es für das Nachtragshaushaltsals Änderungsgesetz an einer dem Art. 111 GG entsprechenden Vorschrift, aus der die Notwendigkeit einer Wirksamkeit des Gesetzes entnommen werden kann, fehlt. Art. 112 GG setzt das rückwirkende Inkrafttreten eines Nachtrags nicht voraus. Für den verspäteten Stammhaushalt ist eine Rückwirkung verfassungsrechtlich zwingend, um mit dem Haushaltsplan überhaupt eine rechtliche Grundlage für die Haushaltswirtschaft zu schaffen. Für jedes Haushaltsjahr ist ein Haushaltsplan aufzustellen. Das Nachtragshaushaltsgesetz ist jedoch ein Änderungsgesetz. Es knüpft an eine bereits erfolgte parlamentarische Willensäußerung an, die so lange verbindlich ist, bis sie durch eine neue parlamentarische Vorgabe, das Haushaltsgesetz in der geänderten Fassung, ersetzt wird. Erfolgt diese Änderung erst nach Ablauf der Haushaltsperiode, schafft das neue Gesetz keine Planungsgrundlage, sondern kann nur mehr den Sinn haben, den bis dahin rechtswidrigen Haushaltsvollzug zu genehmigen. Eine solche Genehmigung ist jedoch weder notwendig noch möglich. Während ein Stammhaushaltsplan nach der Verfassungssystematik stets erforderlich ist und – notfalls im Wege der Rückwirkung – an das alte Rechnungsjahr anschließen muss913, ist ein nach Abschluss des Haushaltsjahres verabschiedeter Nachtrag von der Verfassung nicht vorgesehen. Es verbleibt also bei dem Grundsatz, dass das Gebot der Vorherigkeit rückwirkende Bestimmungen ausschließt914. Im Fall des Nachtrags besteht gerade kein etatloser Zustand, den das Parlament zu beenden hätte; vielmehr existiert bereits eine parlamentarische Willensäußerung für die gesamte Haushaltsperiode, auch wenn diese durch die Haushaltswirklichkeit im Einzelfall überholt sein mag. Solange eine neue parlamentarische Vorgabe in Form eines Nachtragshaushalts aber (noch) nicht wirksam vorliegt, besteht eine vom Haushaltsvollzug zu beachtende, verbindliche Handlungsanweisung. 913 Dazu bereits oben, § 2 B. III. 3. b) bb) (2), S. 175 ff. und § 2 B. III. 3. b) cc) (3), S. 186 ff. 914 Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 129; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 279; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 147.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
Dies entspricht der Systematik der Art. 111 und 112 GG sowie letztlich auch der Differenzierung zwischen Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes. (2) Folgenabwägung im Fall des verspäteten Nachtrags Eine Verfassungsnorm, die die Wirksamkeit des verspäteten Nachtragshaushalts zwingend vorschreibt, existiert nicht. Auch im Fall des verspäteten Nachtrags ist es aber möglich, im Rahmen einer Abwägung die – aus Sicht der Verfassung – richtige Rechtsfolge des Verstoßes gegen den Grundsatz der Vorherigkeit zu ermitteln. Anders als im Fall des Stammhaushalts führt die Nichtigkeit des Nachtragshaushalts hier nicht zu einer Situation, die „von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt“915 ist. Maßstab und Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche Einordnung ist auch hier das Budgetrecht des Parlaments. Zwar wird scheinbar das Budgetrecht des Parlaments gerade dadurch beschädigt, dass man im Gegensatz zur Gültigkeit des Gesetzes die Nichtigkeit des verspäteten Nachtragshaushalts annimmt und damit immerhin die Entscheidung einer Parlamentsmehrheit in Frage stellt. Das Budgetrecht des Parlaments wird im Fall der Rechtsfolge „Nichtigkeit“ jedoch nicht dauerhaft (für das gesamte Haushaltsjahr) negiert, sondern – im Gegenteil – durch die Wahl der einschneidenderen Rechtsfolge stärker geschützt. Aufrechterhalten wird durch die Annahme der Nichtigkeit des Änderungsgesetzes der ursprüngliche parlamentarische Wille bei der Feststellung des ursprünglichen Haushalts. Für diesen gilt gem. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG die Vorherigkeit, gerade um eine Vorwegfestlegung des Gesetzgebers durch vollendete Tatsachen zu verhindern. Während ein Nachtragshaushalt, der noch innerhalb des Haushaltsjahres verabschiedet wird, dem Parlament die Möglichkeit gibt, ggf. korrigierend auf den Haushaltsvollzug einzuwirken und die Planung des (Rest-)Haushaltsjahres an neuere Entwicklungen der Haushaltspraxis anzupassen, kann ein verspäteter Nachtragshaushalt diese Funktion nicht mehr erfüllen. Das Budgetrecht ist mithin nicht mehr in seiner Planungs- sondern nur noch in seiner Entlastungsfunktion betroffen. Auf der anderen Seite steht aber die Gefahr einer Reduzierung des parlamentarischen Budgetrechts auf die bloße Möglichkeit, vollendete Tatsachen, nicht rückgängig zu machende Maßnahmen des Haushaltsvollzuges, abzusegnen. 915
BVerfG, Beschluss v. 21.5.1974, 1 BvL 22/71 und 21/72, BVerfGE 37, 217 [261]; BVerfG, Urteil v. 3.11.1982, 1 BvR 620/78, 1335/78, 1104/79 und 363/80, BVerfGE 61, 319 [356].
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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Die Möglichkeit einer wirksamen nachträglichen Genehmigung von überoder außerplanmäßigen Ausgaben bzw. einer im Vollzug erhöhten Kreditaufnahme würde aber dem von der Verfassung vorgesehenen ausbalancierten System916 von vorheriger Bewilligung und nachträglicher Entlastung, mit differenzierten Regelungen für notwendige Abweichungen in außergewöhnlichen Haushaltssituationen durch die Art. 111 und 112 GG, ein – außerhalb dieses Systems liegendes – Parallelverfahren zur Staatsfinanzierung hinzufügen, welches das Budgetrecht des Parlaments nachhaltig auszuhöhlen vermag. Die Annahme der Nichtigkeit des Nachtragshaushaltsgesetzes ist somit geeignet, eine Vorwegfestlegung, die das Budgetrecht im Ergebnis beschneidet, besser zu verhindern als eine vollständige Sanktionslosigkeit dieses Vorgehens917. Gründe, die gegen eine Nichtigkeit des Nachtragshaushalts sprechen, gibt es somit nicht. Damit bleibt es aber bei der regelmäßigen Rechtsfolge der Nichtigkeit für eine mit dem höherrangigem Recht nicht zu vereinbarende Rechtsnorm. IV. Haushaltsgrundsätze mit „indirektem“ Zeitbezug Neben denjenigen Haushaltsgrundsätzen, deren Zeitbezug offenkundig ist (Vorherigkeit, Jährlichkeit etc.), müssen auch andere Grundsätze „in der Zeit gedacht“ werden. Auf die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Haushaltsgrundsätzen ist bereits einleitend hingewiesen worden918. Nahezu alle Haushaltsgrundsätze weisen eine „versteckte Zeitlichkeit“ auf. So kann beispielsweise das ansonsten statische919 Gebot der Vollständigkeit des Haushalts (Art. 110 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG) nur erfüllt werden, wenn der Haushalt auf bestimmte Zeitabschnitte bezogen und beschränkt wird. Ein Haushalt, der „für die Ewigkeit“, d.h. ohne klare zeitliche Grenzen gilt, kann niemals vollständig sein. Gleiches gilt für den Haushaltsausgleich (Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG), der immer auf das Haushaltsjahr bezogen ist. Weder kann ein Ausgleich in Einnahme und Ausgabe tagesgenau her916 Das BVerfG spricht von einem „gefächerten haushaltsrechtlichen Instrumentarium“, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [34]. 917 Ausnahmen können in den Ländern gelten, in denen die Verfassung eine Genehmigung vorsieht (s. oben, S. 212). Hier kann ein Nachtragshaushalt, der nach Abschluss des Haushaltsjahres verabschiedet wird, ggf. für über- und außerplanmäßige Ausgaben (nicht Kreditaufnahmen) in eine Genehmigung umgedeutet werden. Wenn der Verabschiedung des Nachtragshaushalts eine entsprechende Willensäußerung des Parlamentes im Wege der Auslegung entnommen werden kann, werden die durch den verspäteten Nachtragshaushalt abgedeckten Ausgaben des Haushaltsvollzugs genehmigt. 918 s. oben, § 2 A. I. 1. c), S. 36. 919 Zu dieser Systematisierung s. bereits oben, S. 35 und S. 83.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
gestellt werden – dies wäre auch wenig sinnvoll –, noch wäre es zulässig, die Deckung der Ausgaben zeitlich aufzuschieben oder Einnahmen und Ausgaben über beliebige Zeiträume hinweg zu saldieren. Die Beurteilung, ob eine Ausgabe wirtschaftlich ist (arg. Art. 114 Abs. 2 GG), kann nur für einen bestimmten, überschaubaren Zeitraum getroffen werden; die Herstellung der Öffentlichkeit hat keinen Wert, wenn sie erst Jahre später erfolgt. Selbst das Gebot, den Haushaltsplan durch Gesetz festzustellen (Gesetzförmigkeit, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG), hat im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Vorherigkeit zeitliche Bedeutung, da die Dauer des parlamentarischen Verfahrens bei der Haushaltsplanung mit einzubeziehen ist. Zu den Haushaltsgrundsätzen mit „indirektem“ Zeitbezug gehören insbesondere auch die Normen über die Kreditaufnahme (dazu noch ausführlich im 2. Teil). Die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG („Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten“) kann ihre Wirksamkeit nur entfalten und damit ihre verfassungsmäßige Funktion nur erfüllen, wenn keine zeitlichen Verschiebungen die Zuordnung von Einnahmen aus Krediten und Ausgaben für Investitionen aufheben oder verschleiern. Daneben führt die Rückbindung an die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 109 Abs. 2 GG) zu einer Dynamisierung der Kreditaufnahme, da die Anforderungen an die öffentliche Kreditwirtschaft zugleich mit der konjunkturellen Entwicklung schwanken.
C. Das Haushaltsgesetz als „Zeitgesetz“ Unter einem „Zeitgesetz“ versteht man in der allgemeinen Rechtslehre ein Gesetz, das entweder kraft ausdrücklicher Bestimmung oder seinem Inhalt nach nur für eine vorübergehende Zeit Gültigkeit beansprucht920. Die Besonderheit des „Zeitgesetzes“ ist damit seine Befristung, die in der ReCreifelds, Rechtswörterbuch19, „Zeitgesetz“, S. 1399; für das Strafrecht s. BGH, Beschluss v. 9.3.1954, 3 StR 12/54, BGHSt 6, 30 [36 f.]: „In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass als Zeitgesetz auch ein Gesetz gilt, das ohne kalendermäßige Befristung seiner Natur nach zeitbedingt ist. Fast jedes Gesetz ist in gewissem Sinne zeitbedingt. Deshalb kann sich diese Ausdehnung nur auf solche besonderen Fälle beziehen, die das Gesetz als vorübergehende Regelung erkennen lässt. Daher ist der Rechtsprechung des Reichsgerichts zuzustimmen, dass ein Zeitgesetz (im weiteren Sinne) auch ein solches ist, das von vornherein mit Rücksicht auf außergewöhnliche Verhältnisse oder für deren Dauer gelten will (RGSt 74, 300). Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone bezeichnet als Zeitgesetz nur ein solches Gesetz, bei dem schon während seiner Geltungsdauer, wenn auch nur aus den Umständen erkennbar ist, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt außer Kraft tritt (OGHSt 2, 259 [268])“; s. auch Tröndle/Fischer, StGB, § 2, Rn. 13. 920
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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gel durch ein ausdrücklich angegebenes „Verfallsdatum“ erfolgt921. Eine Befristung kann sich aber auch aus dem (übrigen) Inhalt des Gesetzes ergeben, etwa dann, wenn die gesetzliche Bestimmung an das Erreichen eines Regelungszwecks gebunden ist und somit automatisch außer Kraft tritt, sobald der Zweck verwirklicht ist922. Um einen solchen zeitlich gebundenen „Zweck“ geht es bei dem jährlichen Haushaltsgesetz. Zudem ergeben sich aus den dargestellten Haushaltsgrundsätzen – den verfassungsrechtlichen (und aus dem HGrG i. V. m. Art. 109 Abs. 3 GG abzuleitenden) Sonderbestimmungen für das Haushaltsgesetz – weitere zeitliche Einschränkungen. I. Das Haushaltsgesetz als Gesetz Gem. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG wird der Haushaltsplan durch das Haushaltsgesetz festgestellt923. Aus dieser Bestimmung folgert das BVerfG, dass es allein Sinn und Inhalt des Haushaltsgesetzes sei, den Haushaltsplan festzustellen924. Haushaltsgesetz und Haushaltsplan bildeten eine Einheit.925 Aus der Perspektive des Haushaltsplans ist diese Einordnung zutreffend. Der regelmäßig durch § 1 des jährlichen Haushaltsgesetzes festgestellte Haushaltsplan teilt den Rang des Haushaltsgesetzes als förmliches (Parlaments-)Gesetz und ist integraler Bestandteil des Haushaltsgesetzes. Daneben enthält das Haushaltsgesetz aber üblicherweise auch andere Vorschriften, etwa die nach § 13 Abs. 1 HGrG im Haushaltsgesetz zu erteilende Kreditermächtigung i. S. d. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG926, und kann als Rechtsetzungsakt, soweit ein Bepackungsverbot nicht entgegensteht927, be921
Vgl. z. B. § 7 Arbeitnehmer-Entsendegesetz v. 26.2.1996 (BGBl. I, S. 227); die Befristung bis zum 31.8.1999 ist durch Art. 10 Nr. 9 des G. v. 19.12.1998 (BGBl. I S. 3843) gestrichen worden. Aus neuerer Zeit vgl. § 5 Abs. 3 Bürokratieabbaugesetz I NW (G. v. 13.3.2007, GVBl. S. 133) und NWLT-Ds. 14/4199, S. 7 und die Nachweise in Fn. 444 (S. 108). 922 Vgl. z. B. das Volkszählungsgesetz 1987 v. 8.11.1985 (BGBl. I S. 2078); hierzu Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Handbuch der Rechtsförmlichkeit, NetVersion, http://www.bmj.de/rechtsfoermlichkeit/inhalt/tc9.htm, Rn. 489. 923 Vgl. BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [90]. 924 BVerfG, Beschluss v. 22.10.1974, 1 BvL 3/72, BVerfGE 38, 121 [125]. 925 BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [91]; BVerfG, Beschluss v. 22.10.1974, 1 BvL 3/72, BVerfGE 38, 121 [126]. 926 Regelmäßig in § 2 des Haushaltsgesetzes. – § 13 Abs. 1 HGrG lautet: „(1) Das Haushaltsgesetz bestimmt, bis zu welcher Höhe das für die Finanzen zuständige Ministerium Kredite aufnehmen darf (1.) zur Deckung von Ausgaben, (2.) zur Aufrechterhaltung einer ordnungsmäßigen Kassenwirtschaft (Kassenverstärkungskredite). […]“. 927 Dazu bereits oben, § 2 B. II., S. 112 ff.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
liebige andere Regelungen – auch solche mit Rechtswirkungen gegenüber dem Bürger928 – enthalten. Haushaltsgesetz und Haushaltsplan sind daher nicht identisch, sondern stehen im Verhältnis von Obermenge zu Teilmenge (Haushaltsgesetz als „Budgetmantel“)929. Deutlich wird dies im Fall des Doppelhaushalts. Zwar wird nach dem Wortlaut der Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG, § 9 Abs. 1 HGrG ein Haushaltsplan für zwei Haushaltsjahre aufgestellt. Dieser Plan ist jedoch nach Jahren zu trennen, so dass im Ergebnis zwei Haushaltspläne, die jeweils für sich auszugleichen sind, und damit zwei voneinander getrennte und unabhängige Teilmengen zur Obermenge bestehen930. Trotz fehlender Identität bilden Haushaltsplan und Haushaltsgesetz jedenfalls insoweit eine Einheit, als sie untrennbar sind. Ohne den Haushaltsplan ist das Haushaltsgesetz gegenstandslos, da sich nicht nur der den Haushaltsplan feststellende § 1 des jährlichen Haushaltsgesetzes, sondern auch dessen weitere Vorschriften auf die Ansätze des Haushaltsplans beziehen931. Ohne die begleitenden Vorschriften im Haushaltsgesetz wird aber auch in aller Regel der Ausgleich des Haushaltsplans nicht gelingen, da im Haushaltsgesetz jedenfalls die Kreditermächtigung gem. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG, § 13 Abs. 1 HGrG zu erteilen ist932.
928 § 3 Abs. 2 HGrG („Durch den Haushaltsplan werden Ansprüche oder Verbindlichkeiten weder begründet noch aufgehoben“) gilt nur für den Haushaltsplan, nicht für das Haushaltsgesetz, was häufig übersehen oder mit Hinweis auf die „Einheit von Haushaltsgesetz und Haushaltsplan“ überspielt wird. Nur soweit ein Bepackungsverbot besteht (also nicht in allen Landesverfassungen) und soweit das Bepackungsverbot greift (also nicht für jährige Vorschriften, die sich auf die Einnahmen und die Ausgaben beziehen, Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG) ist das Haushaltsgesetz aus verfassungsrechtlichen Gründen von haushaltsfremden Bestimmungen freizuhalten. 929 Heinig, Das Budget, Bd. I, S. 300; Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 29. 930 So auch die „Sprachregelung“ in einigen Landeshaushaltsgesetzen, vgl. das „Gesetz über die Feststellung der Haushaltspläne des Landes Nordrhein-Westfalen für die Haushaltsjahre 2004/2005“ v. 3. Februar 2004 (GV. NRW 2004, S. 64); anders hingegen z. B. das „Gesetz über die Feststellung des Staatshaushaltsplans von Baden-Württemberg für die Haushaltsjahre 2002 und 2003“ v. 6. Februar 2002 (GBl. S. 77) und das „Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans von Berlin für die Haushaltsjahre 2006 und 2007“ v. 19. Dezember 2005 (GVBl. S. 774) [Hervorhebung nur hier, d. Verf.]. 931 Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 163. 932 Hierzu bereits oben, S. 66 ff., Fn. 222; vgl. auch Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 163.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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1. Die Rechtsnatur des Haushaltsplans
a) „Nur-formelles“ Gesetz? Traditionell wird das Haushaltsgesetz, teilweise auch nur der Haushaltsplan, als rein formelles oder nur-formelles Gesetz bezeichnet933. Diese Einordnung geht zurück auf den im 19. Jahrhundert u. a. von Stein934, E. A. Chr. (v. Stockmar)935 und vor allem Laband936 formulierten sog. dualistischen Gesetzesbegriff, der zwischen der materiellen und formellen Bedeutung des „Gesetzes“ unterscheidet937. Die damals „herrschende Lehre“ beschreibt Anschütz im Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts (1913) so: „Es gibt zwei Begriffe des Gesetzes, einen materiellen und einen formellen; beide sind praktisch und wissenschaftlich unentbehrlich und gleichberechtigt. […] Ein Gesetz im materiellen Sinne ist jede Norm des objektiven Rechts, jeder Rechtssatz. […] Neben den materiellen Gesetzesbegriff hat die moderne Staatsentwicklung einen formellen Gesetzesbegriff gestellt: Gesetz gleich Akt der Legislative. […] Es gibt formelle Gesetze, welche nicht einen Rechtssatz sondern etwas anderes zum Inhalt haben. Solche Gesetze sind nicht Gesetze im formellen und materiellen sondern im rein formellen Sinne“938.
Bereits zu Beginn der Diskussion über den dualistischen Gesetzesbegriff war das Haushaltsgesetz – der „Staatshaushalts-Etat“ war gem. Art. 98 933
So z. B. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 10, der den formellen Charakter ausdrücklich auch auf das Haushaltsgesetz bezieht, mit dem der Haushaltsplan eine Einheit bilde; vgl. auch Maurer, StaatsR I5, § 17, Rn. 11; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 110, Rn. 4; Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 25; Vialon, Haushaltsrecht2, S. 496, Teil D, § 24 RHO; StGH Hessen, Urteil v. 12.12.2005, P. St. 1899, juris, Rn. 78 (insoweit nicht in NVwZ-RR 2006, 657 ff. abgedruckt). 934 Stein, Verwaltungslehre, Bd. 1 (1865), S. 52 ff. 935 E. A. Chr. (von Stockmar), Studien über das preußische Staatsrecht, in: Aegidi’s Zeitschrift für deutsches Staatsrecht (1867), S. 196 [201]; s. auch Seligmann, Der Begriff des Gesetzes (1886), S. 9; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 226. 936 Laband, Das Budgetrecht (1871), S. 3 ff.; vgl. auch Heller, VVDStRL 4 (1928), S. 98 [99]; Birk/Barth, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO, Rn. 53; Stern, StaatsR I2, § 20 IV 4, S. 825 f.; Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 22 ff.; Heintzen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 120, Rn. 52. 937 Zur historischen Entwicklung, die hier nur in den Grundzügen skizziert werden soll, s. Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 251 ff., der auf weitere Vorläufer Labands hinweist (Fn. 10); Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 7 ff.; Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 79 ff.; Patzig, Haushaltsrecht, Bd. 1, Rn. 186 ff. (S. 230 ff.). 938 Anschütz, in: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts, 2. Band (1913), „Gesetz“, S. 212 f.; 215.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
Abs. 2 PrVerfU 1848939 „durch ein Gesetz“ festzustellen – das Musterbeispiel für ein Gesetz im nur formellen Sinne940. Bekannt geworden941 ist die Deutung Labands, der Haushaltsplan enthalte keine Rechtssätze und sei daher kein Gesetz im materiellen Sinne; er sei vielmehr ein Verwaltungsakt in Gesetzesform: „Weder die Aufstellung des Etats für einen zukünftigen, noch die Kontrolle der Rechnungen über einen vergangenen Zeitraum hat daher etwas zu schaffen mit der Gesetzgebung, sondern gehört lediglich zur Verwaltung, und das Recht, welches die Volksversammlung in beiden Beziehungen verfassungsmäßig hat, indem ihr der Etat zur Genehmigung, die Staatsrechnungen zur Decharge vorgelegt werden müssen, charakterisirt sich nicht als ein Antheil an der sog. gesetzgebenden Gewalt, sondern als Antheil an der sog. exekutiven Gewalt, oder, wenn man diese verwirrende und sinnlose Theorie, die auf der falschen Doktrin von der Theilung der Gewalten beruht, vermeiden will: die Vorschriften, daß der König das Budget im Einverständniß mit dem Landtag feststellen soll, und daß die Rechnung über den Staatshaushalt dem Landtag zur Decharge vorgelegt werden müssen, stellen die Staatsverwaltung unter die stetige Kontrolle der Volksvertretung.“942
b) Gesetz wie jedes andere Die Lehre vom „nur formellen Gesetz“ ist aber nie ohne Kritik geblieben. So trat insbesondere Haenel der Position Labands entgegen und stellte fest, das Budgetgesetz sei „ein Gesetz wie jedes andere“943. Der Rechtssatzcharakter des Haushaltsplans sei „selbst in der absoluten Zeit“944 anerkannt gewesen, das Budgetgesetz bilde eine „Richtschnur, welche die Finanzverwaltung, soviel an ihr liegt, befolgen muss“945. Für die Weimarer Reichs939 G. v. 5.12.1848, PrGS 1848, 374; s. auch Art. 99 Abs. 2 PrVerfU 1850 (G. v. 31.1.1850, PrGS 1850, 17) und Art. 63 Abs. 2 S. 2 PrVerf 1920 (G. v. 30.11.1920, PrGS S. 543). 940 Vgl. Haenel, Das Gesetz im formellen und materiellen Sinne (1888), S. 291: „Das Budgetgesetz“ als „Der Ausgangspunkt“. Vgl. auch die Darstellungen bei Maurer, StaatsR I5, § 17, Rn. 11; Birk/Barth, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO, Rn. 54; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts20, Rn. 502: „Schulbeispiel“. 941 Bereits zuvor war die Ansicht, die Aufstellung des Haushaltsplans sei nicht dem Bereich der Gesetzgebung sondern dem der Verwaltung zuzuordnen, verbreitet, vgl. die Nachweise bei Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 252. 942 Laband, Das Budgetrecht (1871), S. 13; vgl. auch die weiteren Nachweise bei Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 252 (Fn. 9 ff.). 943 Haenel, Das Gesetz im formellen und materiellen Sinne (1888), S. 297. Ähnlich (für die Weimarer Zeit) Heller, VVDStRL 4 (1928), S. 98 ff. Wieder anders Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 2. Band (1923), S. 213, der den Haushaltsplan als „in die Form des Gesetzes gekleidetes Rechtsgeschäft“ bezeichnet. 944 Haenel, Das Gesetz im formellen und materiellen Sinne (1888), S. 312. 945 Haenel, Das Gesetz im formellen und materiellen Sinne (1888), S. 314.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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verfassung ging Heller davon aus, der Haushaltsplan begründe „so gut wie jedes Gesetz Rechte und Pflichten“ und habe mit dem „Gegensatz materiell und formell nichts zu tun“946. Die herrschende Lehre von der Zweiteilung des Gesetzesbegriffs sei „theoretisch unhaltbar, praktisch teils bedeutungslos, teils gefährlich“947. Ebenfalls in Abgrenzung zur „herrschenden Lehre“ versuchte die Auffassung Hatscheks vom Staatshaushaltsgesetz als „parlamentarischem Rechtsgeschäft in Form des Gesetzes“948, die bindende Wirkung im Verhältnis von Parlament und Regierung (inter partes) zu erklären, gleichzeitig aber die dem „materiellen Gesetz“ immanente Wirkung auch für die Bürger (inter omnes) zu vermeiden. Sie lässt sich insoweit als „vermittelnde Ansicht“ begreifen, stellt aber letztlich doch auf eine fehlende Rechtssatzqualität des Haushaltsplans ab949. Deutlich wird in den gegensätzlichen Positionen vor allem die unterschiedliche Auffassung vom Inhalt eines „Rechtssatzes“950. Während auf der einen Seite, der „herrschenden Lehre“951, nur das als Gesetz angesehen wurde, was „die Untertanen bindet“952, bezogen die Gegner der Labandschen Lehre das, was man heute als „Organgesetz“953 bezeichnen würde, in den (materiellen) Gesetzesbegriff mit ein954 und durchbrachen so die Vorstellung von der Impermeabilität des Staates. 946
Heller, VVDStRL 4 (1928), S. 98 [129]. Heller, VVDStRL 4 (1928), S. 98 [106]. 948 Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 2. Band (1923), § 46, S. 205. 949 Der Unterschied zur herrschenden Lehre vom „nur formellen“ Gesetz ist daher eher begrifflicher Natur, vgl. bereits Anschütz, Verfassung des Deutschen Reiches14 (1933), Art. 85, Anm. 5, S. 435 und Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 278 f. m. w. N. 950 Hierauf weist bereits Thoma, Der Vorbehalt des Gesetzes, in: FS Otto Mayer (1916), S. 165 [176] hin: Die vermeintliche Eindeutigkeit des Rechtssatzbegriffs sei „ein Irrtum, der unsere bedeutenden Staatsrechtslehrer in unfruchtbare Streitigkeiten verwickelt hat“; s. auch Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 233. 951 Neben Laband, Das Budgetrecht (1871), S. 13 sind hier vor allem zu nennen Jellinek, Gesetz und Verordnung (1919), S. 235; Anschütz, Kritische Studien zur Lehre vom Rechtssatz (1891), S. 36; vgl. im Übrigen die Nachweise bei Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches5 IV (1914), S. 577 ff. (Liste: S. 579); Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 226 ff.; Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 251 ff. und Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 7 ff. 952 Vgl. Heller, VVDStRL 4 (1928), S. 98 [111]. 953 Stern, StaatsR I2, § 20 IV 4, S. 825; Heintzen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 120, Rn. 53. Vgl. Menger, VVDStRL 15 (1957), S. 3 [16 f.]: „Die Fähigkeit, Subjekt eines Rechtssatzes zu sein, kommt jedoch, wie in jedem Organisationsrecht nicht nur dem Staate als solchem zu, sondern auch seinen Organen, ohne dass diese Rechtspersönlichkeit zu besitzen brauchen. […] Auch solche Vorschriften, die nur Rechte und Pflichten zwischen Staatsorganen erzeugen, sind materielles Recht“. 954 s. Haenel, Das Gesetz im formellen und materiellen Sinne (1888), S. 195 ff.; v. Martitz, ZgStW 36 (1880), S. 207 [259 ff.]; Zorn, Staatsrecht I2 (1895), S. 436 ff. 947
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
c) „Nur-historischer“ Streit? Der dualistische Gesetzesbegriff, aber auch der Streit um die Rechtsnatur des Haushaltsplans, muss vor dem historischen Hintergrund der Demokratisierung und Konstitutionalisierung gesehen werden: Verständlich wird der (teilweise erbittert geführte955) Streit, wenn man sich vor Augen führt, dass der Begriff des Gesetzes als „Angelpunkt des konstitutionellen Staatsrechts“956 die Kompetenz der Volksvertretung begründete. Während die vollziehende Gewalt allein in den Händen der Krone lag, begründete ein Akt der „Gesetzgebung“ – vor allem dann, wenn er in die Rechte des Bürgers eingriff – auch eine Zuständigkeit der Stände bzw. des Parlaments, deren Zustimmung erforderlich war957. Was nicht „Gesetz“ war, blieb gemäß dem monarchischen Prinzip in der unbeschränkten Gewalt des Staatsoberhauptes958 und war damit als „Hausgut“ dem parlamentarischen Zugriff entzogen. Der Gesetzesbegriff war in den deutschen konstitutionellen Verfassungen des 19. Jahrhunderts zugleich ein Kompetenzbegriff959. Speziell der Streit um die Rechtsnatur des Haushaltsplans, dessen Qualität als formelles Gesetz verfassungsrechtlich abgesichert war, erklärt sich wiederum durch die staatsrechtliche Rezeption des preußischen Budgetkonflikts960: Sah man im Haushaltsplan ein nur formelles Gesetz, das nicht in „Freiheit und Eigentum der Bürger“961 eingriff und keine rechtlichen Ver955 v. Martitz, Betrachtungen über die Verfassung des Norddeutschen Bundes (1868), S. 99 bezeichnet die Feststellung des Haushalts durch Gesetz als „Absurdität“, „baaren Unsinn“ und „unerhörte Frivolität“. Es sei eine „juristische Monstrosität, [den Staatshaushaltsplan] Gesetz zu nennen“ (ebd., S. 101); anders aber später ders., ZgStW 36 (1880), S. 207 [269]: „im juristischen Sinne Gesetz“. Vgl. auch die Angriffe gegen die Thesen Haenels bei Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches5 IV (1914), S. 591 ff. – Für weitere Beispiele s. die Darstellungen der historischen Entwicklung bei Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 251 ff.; Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 7 ff.; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 226 ff. und Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 77 ff. 956 Maurer, StaatsR I5, § 17, Rn. 7; s. auch Jellinek, Gesetz und Verordnung (1919), S. 254. 957 So wurde z. B. gem. Art. 62 Abs. 1 PrVerfU 1850 die gesetzgebende Gewalt gemeinschaftlich durch den König und durch die Kammern ausgeübt, G. v. 31.1.1850, PrGS 1850, 17 [25]. 958 s. hierzu den Vergleich zwischen den demokratisch legitimierten Verfassungen der Vereinigten Staaten, Frankreichs und Belgiens mit den Verfassungen des „deutschen konstitutionellen Obrigkeitsstaats“ bei Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 77 ff. 959 Maurer, StaatsR I5, § 17, Rn. 7; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 220 ff. 960 Dazu bereits oben, § 2 B. III. 2., S. 139 f. 961 Anschütz, Begriff der gesetzgebenden Gewalt (1901), S. 72 f.; vgl. auch Jellinek, Gesetz und Verordnung (1919), S. 240: „soziale Schrankenziehung“.
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pflichtungen begründete, sondern als Akt der Verwaltung962 nur kraft ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Anordnung (Art. 99 Abs. 2 PrVerfU 1850) in die Form eines Gesetzes gekleidet wurde, so war die gesetzliche Feststellung die staatsrechtliche Ausnahme von der Regel der Kompetenz und Souveränität des Monarchen. Wenn die Verfassung also im Zusammenhang mit dem Budgetrecht eine „Lücke“ aufwies, etwa weil sie keine Bestimmung für den Fall vorsah, dass der Haushalt nicht rechtzeitig verabschiedet wurde, war nicht das Parlament, sondern die Regierung (des Königs) zum Handeln berufen963. Das Ergebnis der Lehre vom „nur formellen Gesetz“ ist, wie Heller zutreffend formuliert hat, insoweit tatsächlich ein „halbabsolutistisches“964. Die Budgetlehre Labands wendet sich „eindeutig und einseitig gegen die Volksvertretungen“965; sie war deswegen aber noch nicht unbedingt verfassungsrechtlich falsch. Laband selbst hat – als „der typische Vertreter des staatsrechtlichen Positivismus“966 – darauf hingewiesen, dass politische Ideale mit dem positiven Recht nicht übereinstimmen müssen: Es sei für die Erreichung politischer Ziele überaus gefährlich, wenn man sich in den Wahn einwiege, dasjenige schon positiv als Macht zu besitzen, was man als Forderung für eine gedeihliche Organisation des Staates aufstellen zu müssen glaube967. Vermutlich ist – wie Hesse festgestellt hat – die Budgettheorie Labands „weniger unpolitisch als sie sich gibt“968; dennoch wird man die demokratischen Elemente (und damit auch den Gesetzesbegriff) der preußischen Verfassungen von 1848 und 1850 nicht mit den entsprechenden Bestimmungen 962 Laband, Das Budgetrecht (1871), S. 13; zuvor bereits v. Rotteck, Lehrbuch des Vernunftrechts, Bd. 4 (1835), S. 444: „Akt der Administration“; Pfizer, Recht der Steuerverwilligung (1836), S. 24. – Der Begriff Verwaltungsakt bezeichnete nach damaligem Verständnis allgemein organisatorische Vorschriften (vgl. Heller, VVDStRL 4 (1928), S. 98 [123]) und darf daher nicht mit dem modernen Begriff des „Verwaltungsakts“, der Außenwirkung hat (§ 35 S. 1 VwVfG), verwechselt werden, s. Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 273 (Fn. 14a); Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 80 [Fn. 254]. 963 s. bereits oben § 2 B. III. 2., S. 139 f. (Fn. 585) und Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 70 [86]; Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 110, Rn. 26a; Schwarz, Formelle Finanzverwaltung (1907), S. 51–55. 964 Heller, VVDStRL 4 (1928), S. 98 [111]; s. auch bereits v. Stein, Lehrbuch der Finanzwissenschaft5, Bd. 1 (1885), S. 191: „nur absolutistisch verständlich“. 965 Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 258. 966 Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 240. 967 Laband, Das Budgetrecht (1871), S. 1. – Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 260 weist zu Recht darauf hin, dass Laband mit seiner Theorie „im Grunde […] auf der Stufe des Frühkonstitutionalismus stehen“ blieb. 968 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts20, Rn. 502 [Fn. 4]; Arndt, JuS 1990, 343 [344]: „Beispiel für die Staatsrechtswissenschaft als ‚Rechtfertigungswissenschaft‘ “.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
der Weimarer Verfassung und vor allem nicht mit denjenigen des Grundgesetzes gleichsetzen können969: Der „Halbabsolutismus“ entsprach positivrechtlich der damaligen preußischen Verfassungslage970. Da sowohl der Gesetzesbegriff als auch die Auffassungen von der Aufgabe der Gesetzgebung zeitbestimmt sind, können die Ansichten der deutschen spätkonstitutionellen Staatslehre nicht ohne weiteres in andere Zeiten „hineinprojiziert“ werden.971 2. Subordination des Haushaltsplans?
Auch wenn Hellers historisch-politische Analyse („Ist der konstitutionelle Gesetzesbegriff im Ganzen ein Ergebnis der bürgerlichen Revolution, so ist Labands Budgetrecht und Gesetzesbegriff das Produkt des von Bismarck siegreich für die preußische Krone ausgekämpften Budgetkonflikts“972) zutreffend erscheint, so ist in rechtlich-dogmatischer Hinsicht weniger das Ergebnis der Labandschen Theorie kritikwürdig, sondern vielmehr die fehlende Schlüssigkeit seiner Herleitung973. Die Theorie vom „nur formellen Gesetz“ zielt wohl nicht in erster Linie auf eine politische Schwächung der Volksvertretung. Sie führt letztlich nur im Zusammenhang mit einer „lückenhaften“ Regelung des Budgetkonflikts zu einer Parteinahme für die Regierung und ist daher auch unter der Gel969 Vgl. im Hinblick auf den Budgetkonflikt Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 70. – Vor allem unter diesem Gesichtspunkt ist es durchaus problematisch, dass gerade im Haushaltsrecht eine gewisse Kontinuität des Rechtsdenkens vorherrschte. Wie Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 270 ff., nachgewiesen hat, übernahm die Staatsrechtslehre der Weimarer Epoche „in ungebrochener Tradition die Theorien, die sich unter der Reichsverfassung von 1871 herausgebildet hatten“. Auch die frühen Grundgesetzkommentare übernahmen die „preußischen“ Ansichten zum Rechtssatzbegriff wenig kritisch, s. etwa Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 10; v. Mangoldt, GG (1953), Art. 110, Anm. 4 (S. 586) aber auch Menger, VVDStRL 15 (1957), S. 13, der davon ausgeht, das Kreditermächtigungsgesetz sei „Öffnung einer verfassungsrechtlichen Schranke für den Einzelfall und damit rechtsanwendender Staatsakt, der lediglich in der Form eines Gesetzes erlassen wird“. Zu Recht kritisiert Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 151 ff., diese Prägung des Gesetzesverständnisses durch das „dualistische Denken des Konstitutionalismus“. Vgl. auch Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 281 („unkritischer Schluss“); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts20, Rn. 502: „keine Grundlage im geltenden Verfassungsrecht“ und Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 23 („Nachwirkung monarchistischer Thesen“). 970 So auch Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 78: „Kompromiss zwischen monarchischem Absolutismus und parlamentarischer Demokratie“. 971 Menger, VVDStRL 15 (1957), S. 3; ähnlich Stern, StaatsR I2, § 20 IV 4, S. 825; Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 151 ff.; Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 281 (zu Heckel). 972 Heller, VVDStRL 4 (1928), S. 98 [106]. 973 Ähnlich bereits Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 240 f.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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tung des Grundgesetzes vom Bundesverfassungsgericht jedenfalls nicht ausdrücklich verworfen worden974. Die Bedeutung der Feststellung des Haushaltsplans durch ein (zumindest formelles) Gesetz sah auch Laband primär darin, dass die „Verwaltung“ insoweit unter die Kontrolle der Volksvertretung gestellt wurde975. Die Beschränkung des Rechtssatzcharakters bezog sich zudem nur auf den Haushaltsplan, nicht auf das (übrige) Haushaltsgesetz976. Da bei der Feststellung des Budgets die Form der Gesetzgebung eingehalten werde, sei – so schon Laband – staatsrechtlich kein Hindernis vorhanden, auch materiell gesetzliche Bestimmungen in das Etatsgesetz aufzunehmen977. Rechtlicher Kern der Budgettheorie Labands ist vielmehr die (versuchte) Erklärung desjenigen Phänomens, das Mußgnug später die „Subordination des Haushaltsplans“978 genannt hat, und das in § 3 Abs. 2 HGrG auf die Formel gebracht wird: „Durch den Haushaltsplan werden Ansprüche oder Verbindlichkeiten weder begründet noch aufgehoben.“ a) Subordination wegen Bindung der „Verwaltung“? Die Aussage, dass der Haushaltsplan nur ein Akt aus dem Bereich der Verwaltung in der Gestalt eines Gesetzes sei, führt Laband zu der Folgerung, dass die „Feststellung des Etats […] dem geltenden Recht gemäß geschehen“979 müsse, weil „die Staatsverwaltung den Gesetzen gemäß geführt werden soll und muss“980, was Volksvertretung und Regierung gleicherma974
BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [92]. Sie findet allerdings auch keine (positive) Grundlage im geltenden Verfassungsrecht, wie Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts20, Rn. 502, zu Recht feststellt. 975 Laband, Das Budgetrecht (1871), S. 13; ähnlich auch die neueren Auffassungen, die im Anschluss an Heckel, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts (1932), Bd. 2, § 88, S. 390 von einem „staatsleitenden Akt“ in Gesetzesform sprechen, s. z. B. BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [32]; BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [355]; BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [328]. 976 Vgl. aber die Darstellung bei Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 10. 977 Laband, Das Budgetrecht (1871), S. 14 (sub III). Dieser Ansicht folgt auch das Grundgesetz (so auch Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 162), wenn es für das Haushaltsgesetz ein Bepackungsverbot normiert: Grundsätzlich wäre, denkt man das explizite verfassungsrechtliche Verbot einer Bepackung hinweg, also eine Aufnahme beliebiger Normen möglich, vgl. das Verfassungsrecht einiger Länder (dazu bereits oben § 2 B. II., S. 112 ff.) und Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 55. 978 Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 309. 979 Laband, Das Budgetrecht (1871), S. 20. 980 Laband, Das Budgetrecht (1871), S. 19.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
ßen binde. Bereits Heckel hat darauf hingewiesen, dass diesem Schluss methodisch eine Begriffsvertauschung (quaternio terminorum) zugrunde liegt, weil die materielle Zuordnung zum Bereich der Verwaltung (i. S. d. staatlichen Innenbereichs) nicht dazu führt, dass ein formelles Gesetz zum formellen Verwaltungsakt wird981, der als solcher dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung unterliegt982. b) Haushaltsplan als „Nichtrechtssatz“? Das gleiche Ergebnis einer Bindung des Haushaltsplans an die (materiellen) Gesetze ergibt sich jedoch auch dann, wenn man nicht auf den – in der konstitutionellen Staatsrechtslehre ebenso doppeldeutigen – Begriff des „Verwaltungsakts“983 abstellt, sondern bei dem Dualismus von „formellem“ und „materiellem“ Gesetz bleibt. Reduziert man den Rechtscharakter des Haushaltsplans auf eine „Rechnung über künftig zu erwartende Einnahmen und Ausgaben“, die „keine Regeln, am wenigsten Rechtsregeln, sondern Thatsachen“984 enthält, so ermöglicht das ohne weiteres die Folgerung, dass (materielle) Gesetze durch den Haushaltsplan als „Nichtrechtssatz“985 nicht derogiert werden können986. Zwar ergibt sich hier eine gewisse Nähe zum verfassungsrechtlichen Grundsatz der Haushaltswahrheit, demzufolge sich die Bewilligung von Ausgaben auch an den tatsächlichen Verhältnissen während des Planungszeitraums zu orientieren hat987. So läge z. B. ein Verstoß gegen Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG vor, wenn der Ansatz etwa für Sozialleistungen deutlich unter dem bliebe, was zur Aufgabenerfüllung, d.h. dem Vollzug der geltenden Sozialgesetze erkennbar(!) erforderlich ist, und eine Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen wider besseres Wissen unterbleibt. 981 Heckel, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts (1932), Bd. 2, § 88, S. 387. 982 So auch Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 253 f. 983 Vgl. Heller, VVDStRL 4 (1928), S. 98 [123]; Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 273 (Fn. 14a); Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 80 [Fn. 254] und oben Fn. 962. 984 Laband, Das Budgetrecht (1871), S. 13; ähnlich ders, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches5 IV (1914), S. 537: „Der Etat enthält keine Rechtsregel, keinen Befehl und kein Verbot, sondern nur Zahlen von höchst verschiedenartiger Bedeutung“. 985 Heller, VVDStRL 4 (1928), S. 98 [111]. 986 Vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 53 („bequeme Konsequenz“). 987 s. dazu bereits oben § 2 A. III. 2. a), S. 51 und § 2 B. III. 3. b) cc) (3), S. 186.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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Jedoch lässt sich der Etat niemals vollständig auf antizipierte „Tatsachen“ reduzieren. Neben den gebundenen Ausgaben, bei denen zudem häufig ein gewisser Spielraum besteht, enthält der Haushalt immer auch Bereiche politischer Schwerpunktsetzung und damit echte Ermächtigungen – nicht nur „im Voraus erteilte Entlastungen“988. Labands Auffassung, die die Ermächtigungs- und damit eine bindende Wirkung des Haushaltsplans verneint, missversteht die Bedeutung der parlamentarischen Beteiligung an der Haushaltsplanung989 und beruht zudem auf einem Zirkelschluss: Die fehlenden Rechtswirkungen werden aus dem „Charakter“ des Haushaltsplanes abgeleitet, der wiederum darin besteht, dass nur „Thatsachen“ festgestellt, aber keine Rechtsregeln aufgestellt werden. Letztlich hat Laband in seine „Beschreibung“ der Rechtsnatur des Budgets hineingelegt, was er an Rechtswirkungen herauszudeduzieren beabsichtigte990. Diesem oder vergleichbaren logischen Fehlschlüssen unterliegen letztlich alle „Budgettheorien“, die (fehlende) materielle Rechtswirkungen des Haushaltsplans aus dessen „Rechtsnatur“ abzuleiten versuchen. Auch Heckels Lehre vom „Haushaltsplan als staatsleitendem Akt“991, die vom Bundesverfassungsgericht zumindest begrifflich übernommen worden ist992, beruht auf dem Vorverständnis, dass die Regierungs- und Verwaltungsbefugnisse der Exekutive durch das Budget beschränkt würden993, und folgert aus dieser petitio principii auf den rechtlichen Charakter des Haushaltsplans zurück994. c) Äußere Vorgaben und Auslegung des Haushaltsgesetzes Wird der Haushaltsplan durch ein Gesetz festgestellt, das im Rang den übrigen Gesetzen gleichsteht, so ergeben sich dessen Rechtswirkungen – wie bei jedem anderen Gesetz – aus dem Inhalt des Haushaltsplan-GesetLaband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches5 IV (1914), S. 540. Krit. auch Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 2. Band (1923), S. 206 f., der auf die Widersprüche hinweist, wenn zugleich eine „bindende Kraft“ der parlamentarischen Beschlüsse angenommen werden soll. 990 Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 89, Rn. 24. 991 Heckel, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts (1932), Bd. 2, § 88, S. 390; vgl. auch Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 280 ff. 992 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [32]; BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [355]; BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [328 f.]; BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 96. 993 Heckel, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts (1932), Bd. 2, § 88, S. 406. 994 Zu Recht krit. auch bereits Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 280 ff. 988 989
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
zes995. Zwar kann nach wie vor zwischen Form und Inhalt eines Gesetzes, also auch zwischen formellen und materiellen Gesetzen, unterschieden werden996. Diese Unterscheidung wird jedoch insoweit hinfällig, als sie im Wesentlichen beschreibend ist, und aus ihr keine Rechtsfolgen abgeleitet werden können997. Für die Bestimmung der materiellen Rechtswirkungen einer gesetzlichen Norm, also auch derjenigen des Haushaltsplans, lassen sich zwei Kriterien formulieren: Zum einen ergeben sich die Rechtswirkungen eines förmlichen Parlamentsgesetzes aus dem Inhalt der Norm, der durch Auslegung zu ermitteln ist („von innen“); zum anderen kann durch höherrangige Normen (insb. Verfassungsrecht) der zulässige Inhalt eines Gesetzes festgelegt und beschränkt werden („von außen“)998. Will der Gesetzgeber mit dem Haushaltsplan von bestehenden gesetzlichen Bestimmungen abweichen, d.h. diese (für die Geltungszeit des Haushaltsgesetzes, Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG) abändern, so setzt das voraus, dass er dieses hinreichend deutlich macht („hineinschreibt“), und dass eine solche Rechtsfolge zulässig, d.h. mit höherrangigem Recht (v. a. dem Bepackungsverbot des Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG) vereinbar ist. Die (Un-)Möglichkeit einer solchen Änderung folgt aber nicht aus dem „Charakter“ des Haushaltsplans, der sich aus dem Inhalt ergibt, sondern kann sich nur aus 995 Auf die Unterscheidung zwischen Haushaltsplan und Haushaltsgesetz (im Übrigen) kommt es insoweit nicht an. Zwar sind Haushaltsplan und -gesetz nicht identisch, der Haushaltsplan ist jedoch Teil des Gesetzes (§ 1), so dass er – bei anderem Inhalt – dessen rechtliche „Natur“ teilt. 996 Maurer, StaatsR I5, § 17, Rn. 11. – Bedeutung hat die Unterscheidung insbesondere zur Kennzeichnung von Gesetzen im (nur) materiellen Sinne (z. B. Rechtsverordnungen, Satzungen) in Abgrenzung zum förmlichen (und materiellen) Parlamentsgesetz. 997 Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 164 f.; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 11; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 110, Rn. 14 („überholt bzw. ohne Bedeutung“); Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 23 („obsolet“); Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 53 („überholt“); Friauf, Staatshaushaltsplan, S. 263 („Scheinproblem“); Birk, JA 1983, 563 [566] („Bedeutung verloren“). A. A. Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG10, Art. 110, Rn. 4 („kein Gesetz im materiellen Sinne“). 998 Eine Mischform dieser beiden „Kriterien“, die auch das Zusammenspiel verdeutlicht, ergibt sich im Fall der sog. verfassungskonformen Auslegung. Hier ist von mehreren möglichen Auslegungsvarianten diejenige zu wählen, die zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, vgl. BVerfG, Beschluss v. 3.6.1992, 2 BvR 1041/88, 78/89, BVerfGE 86, 288 [320]; BVerfG, Beschluss v. 30.3.1993, 1 BvR 1045/89, 1381/90 und 1 BvL 11/90, BVerfGE 88, 145 [166]; BVerfG, Beschluss v. 15.10.1996, 1 BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64 [81]; BVerfG, Urteil v. 30.3.2004, 2 BvR 1520, 1521/01, BVerfGE 110, 226 [267]; BVerfG, Urteil v. 11.1.2005, 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164 [182 f.]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 20, Rn. 34 und oben, § 2 B. II. 4. b) bb), S. 131 f.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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sonstigen Normen ergeben, die im Rang über dem Haushaltsgesetz stehen, also der Verfassung und dem HGrG. Neben dem Bepackungsverbot (Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG)999, das nur solche Vorschriften im Haushaltsgesetz (und damit auch im Haushaltsplan) zulässt, „die sich auf die Einnahmen und die Ausgaben des Bundes und auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird“, resultieren Einschränkungen für den Haushaltsplan vor allem aus § 3 Abs. 1 HGrG, der dessen Wirkungen umschreibt als die Ermächtigung der Verwaltung „Ausgaben zu leisten und Verpflichtungen einzugehen“, sowie aus § 3 Abs. 2 HGrG, der verhindert, dass durch den Haushaltsplan Ansprüche oder Verbindlichkeiten begründet oder aufgehoben werden. Für das geltende Recht durchbricht daher § 3 Abs. 2 HGrG den circulus vitiosus, indem nicht aus der Rechtsnatur des Haushaltsplans heraus, sondern „von außen“ eine materielle Wirkung des Haushaltsplans, die auf die Begründung oder Aufhebung von Ansprüchen oder Verbindlichkeiten Dritter zielt, ausgeschlossen wird. Setzt man den Begriff „materielles Gesetz“ gleich mit einer abstrakt-generellen Regelung gegenüber dem Bürger1000, so führt erst § 3 HGrG dazu, dass der Haushaltsplan ein „nur-formelles“ Gesetz ist, weil er eine unmittelbare Rechtsfolge gegenüber dem Bürger (in Form eines Anspruchs oder einer Verpflichtung) nicht setzen kann (anders das Haushaltsgesetz, für das § 3 HGrG nicht gilt). Sobald man aber solche Fallkonstellationen in die Betrachtung mit einbezieht, in der eine Ermächtigung der Verwaltung (§ 3 Abs. 1 HGrG) zur Gewährung von Zuschüssen – ohne dass ein unmittelbarer Anspruch des Bürgers begründet wird (§ 3 Abs. 2 HGrG) – in Grundrechte Dritter eingreift1001, so entstehen Unschärfen, die sich weder mit der Kennzeichnung als „Organgesetz“ noch mit der Terminologie „formell“ « „materiell“ sinnvoll erfassen lassen1002. Einer Umschreibung der rechtlichen Folgen bedarf es hier nicht: Die Rechtswir999
Dazu i. E. bereits oben, § 2 B. II., S. 112 ff. Stern, StaatsR2 I, § 20 IV 4, S. 826; Birk/Barth, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO, Rn. 54; Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 4; vgl. hierzu auch Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 54: „klassisch konstitutionelle Auffassung“. 1001 Vgl. z. B. den BVerwG, Urteil v. 30.8.1968, VII C 122/66, BVerwGE 30, 191 ff. zugrunde liegenden Fall einer Wettbewerbsverzerrung durch Subventionierung einer Winzergenossenschaft. 1002 Ähnlich bereits Jarass, NVwZ 1984, 473 [476]; vgl. auch Elles, Grundrechtsbindung des Haushaltsgesetzgebers, S. 167, die jedoch auch eine Durchbrechung des § 3 Abs. 2 HGrG durch entsprechende Ansätze im Haushaltsplan für möglich hält. Hier muss indes differenziert werden: Während § 3 Abs. 2 BHO als „einfaches Recht“ durch Ansätze im Plan „durchbrochen“ werden kann, besteht eine Bindung auch des Gesetzgebers an § 3 Abs. 2 HGrG, aufgrund derer eine Begründung von Ansprüchen im Haushaltsplan ausgeschlossen ist, s. oben § 2 A. IV. 2., S. 72 ff. 1000
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
kungen des Haushaltsplans werden durch § 3 Abs. 1 und Abs. 2 HGrG präziser und vor allem rechtlich bindend normiert. Hieraus folgt, dass auch der Haushaltsplan materielle Rechtsänderungen bewirken kann, soweit die Verwaltung ermächtigt wird, Ausgaben zu leisten oder Verpflichtungen einzugehen (§ 3 Abs. 1 HGrG), und nicht Ansprüche oder Verbindlichkeiten begründet oder aufgehoben werden (§ 3 Abs. 2 HGrG). Vorgaben einfach-rechtlicher Normen können somit durch das Haushaltsgesetz und den Haushaltsplan derogiert werden. Eine dauergesetzliche Norm, die bestimmte Ausgaben nach Zweck und Höhe begrenzt, könnte durch eine entsprechende Bereitstellung von Mitteln im Haushaltsplan zeitweise (für das jeweilige Haushaltsjahr, Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG) außer Kraft gesetzt werden; der einfache grundrechtliche Gesetzesvorbehalt würde durch den Haushaltsplan ausgefüllt, wenn dessen Ermächtigungen zur Leistung von Subventionen nach Zweck und Adressat hinreichend bestimmt sind1003. Solche „materiellen“ Rechtswirkungen des Haushaltsplans setzen aber stets voraus, dass eine entsprechende Rechtswirkung – z. B. die Derogation abweichenden Rechts – beabsichtigt ist, mit anderen Worten dass dem Haushaltsplan im Wege der Auslegung eine entsprechende Rechtswirkung entnommen werden kann. Wird im Haushaltsplan etwa für den Vollzug eines Leistungsgesetzes (z. B. Kindergeld gem. §§ 1, 6 BKGG1004) ein nicht ausreichender Betrag veranschlagt, wird sich dem im Wege der Auslegung regelmäßig nicht entnehmen lassen, dass der Haushaltsplan eine Änderung der gesetzlichen Leistungen bezweckt. Vielmehr wird man den zu geringen Ansätzen die Bedeutung beimessen müssen, dass der Gesetzgeber die Erwartung hat: „Es wird schon reichen“. Insoweit handelt es sich um eine immanente (Selbst-)Beschränkung der Rechtswirkungen des Haushaltsplans, die aber ebenfalls nicht aus der „Rechtsnatur“ des Plans folgt. In diesem Zusammenhang kann § 3 Abs. 2 BHO1005 als eine Art „Auslegungsregel“ verstanden werden1006. Die Norm bindet den Haushaltsgesetzgeber zwar nicht, stellt aber immerhin klar, dass „durch den Haushaltsplan Ansprüche oder Verbindlichkeiten weder begründet noch aufgehoben“ werden sollen. Sie verhindert, dass materielles Recht durch den Haushaltsplan versehentlich geändert wird und dass Dritte aus Haushalts1003 Hieran wird es in der Praxis häufig fehlen, vgl. Jarass, NVwZ 1984, 473 [475 f., 478 f.]. 1004 Bundeskindergeldgesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 22.2.2005 (BGBl. I S. 458), geändert durch Art. 1 d. G. v. 13.12.2006 (BGBl. I S. 2915). 1005 In diesem Fall kann vorrangig auf die BHO zurückgegriffen werden, weil es auf die gesteigerte Bindungswirkung des § 3 Abs. 2 HGrG nicht ankommt. 1006 So auch Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 169.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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titeln Rechte abzuleiten versuchen, die weder vorgesehen noch aus den Summen heraus individualisierbar sind. II. Zeitliche Wirkungen des Haushaltsgesetzes Auch die „Zeitlichkeit“ des Haushaltsgesetzes ergibt sich nicht aus seiner „Rechtsnatur“ als Zeitgesetz1007, sondern daraus, dass einerseits die Finanzverfassung gewisse zeitliche Vorgaben für die Haushaltsgesetzgebung macht (Jährlichkeit1008, Vorherigkeit1009, zeitliches Bepackungsverbot1010), und andererseits das Haushaltsgesetz selbst durch seinen Inhalt zeitliche Beschränkungen für seine Anwendung konstituiert (In-Kraft-Treten1011, Feststellung des Haushaltsplans „für“ ein Haushaltsjahr1012). 1. Vor Beginn des Haushaltsjahres
Das Haushaltsgesetz tritt stets zu Beginn des Haushaltsjahres, d.h. am 1. Januar des entsprechenden Kalenderjahres (§ 4 S. 1 HGrG)1013, in Kraft. Mit dem Inkrafttreten erlangt das Haushaltsgesetz seine Geltung, so dass es vor Beginn des Haushaltsjahres keine Rechtswirkungen erzeugt. Dennoch kann (und soll) das Haushaltsgesetz vor Beginn des Haushaltsjahres rechtlich existent, d.h. ausgefertigt und im (Bundes-)Gesetzblatt verkündet sein1014. 1007 Auch hier bedarf es – wie im Fall der „fehlenden Rechtswirkungen“ (s. oben I., S. 228 ff.) – einer normativen Anknüpfung, die bei der Argumentation über den „Charakter“ des Haushaltsgesetzes häufig zu kurz kommt. Vgl. etwa Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 33 BHO, Anm. 4: „wegen des Charakters des HG als Zeitgesetz angreifbar“ und VerfGH NW, Urteil v. 24.4.2007, VerfGH 9/06, juris: „Als Zeitgesetz galt das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2005 zwar grundsätzlich nicht über den 31. Dezember 2005 hinaus.“ (Rn. 34, m. Hinw. auf VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [310]). 1008 Zum Grundsatz der Jährlichkeit s. ausführlich oben § 2 B. I. 2., S. 94 ff. 1009 Zum Grundsatz der Vorherigkeit s. ausführlich oben § 2 B. III., S. 132 ff. 1010 Zum zeitlichen Bepackungsverbot s. ausführlich oben § 2 B. II. 3., S. 119 ff. 1011 Vgl. z. B. § 25 HG 2007 v. 21.12.2006 (BGBl. I S. 3346): „Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2007 in Kraft“. 1012 Vgl. z. B. § 1 HG 2007 v. 21.12.2006 (BGBl. I S. 3346): „Der diesem Gesetz als Anlage beigefügte Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2007 wird in Einnahmen und Ausgaben auf 270 500 000 000 Euro festgestellt.“; § 2: „Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, zur Deckung von Ausgaben für das Haushaltsjahr 2007 Kredite bis zur Höhe von 19 580 000 000 Euro aufzunehmen.“ [Hervorhebungen nur hier, d. Verf.]. 1013 Im Fall des Doppelhaushalts am 1. Januar des ersten der beiden beplanten Haushaltsjahre. 1014 Zu den Begriffen s. Maurer, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 82, Rn. 2, 117 und aus Sicht der Praxis Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Handbuch
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
Der Haushaltsplan wird gem. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG vor Beginn des ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festgestellt (Vorherigkeit). Aus dem Grundsatz der Vorherigkeit folgt einerseits eine gewisse Vorwirkung1015 des Haushaltsgesetzes. Da die verfassungsrechtliche Verpflichtung besteht, „daran mitzuwirken, dass der Haushaltsplan regelmäßig vor Ablauf des vorherigen Rechnungsjahres verabschiedet werden kann“1016, muss die initiativberechtigte Regierung den Haushaltsplan rechtzeitig aufstellen und einbringen, das Parlament wiederum muss für eine rechtzeitige Beratung und Verabschiedung des Haushalts Sorge tragen1017. Andererseits ergibt sich aus der Vorherigkeit im Zusammenspiel mit der Regel, dass der Haushalt immer nur für das entsprechende Haushaltsjahr gilt (Art. 110 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 1 GG), ein „Voranwendungsverbot“1018: Die Ermächtigungen des neuen Haushaltsplans können – unabhängig davon, ob das Haushaltsgesetz verfrüht oder verspätet verabschiedet wird1019 – erst mit dem Beginn des Haushaltsjahres in Anspruch genommen werden; eine Rückwirkung endet jedenfalls an den Grenzen des Haushaltsjahres1020. Nur scheinbare Ausnahmen sind die so genannten Vorgriffe (§ 37 Abs. 6 BHO1021) oder Vorgriffskreditermächtigungen (z. B. § 2 Abs. 3 HG 20071022), die auf die nächstjährige Bewilligung bzw. die Kreditermächtigung des nächsten Haushaltsjahres Bezug nehmen. Da hier die Ermächtider Rechtsförmlichkeit, NetVersion, http://www.bmj.de/rechtsfoermlichkeit/inhalt/ tc9.htm, Rn. 447. 1015 Hierzu grundlegend Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 36 und 129 ff. 1016 BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [33]; BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 79 f. 1017 Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 81; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 37; Mahrenholz, in: AKGG, Art. 110, Rn. 60a; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 78. 1018 Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 129. 1019 Zur Rückwirkung des verspäteten Haushaltsgesetzes s. bereits oben, § 2 B. III. 3. b) bb), S. 171 ff. 1020 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 45; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 136. – Möglich ist es hingegen, noch nach Ende des Haushaltsjahres (bis zum Abschluss der Bücher, § 76 Abs. 1 BHO) Buchungen für dieses Haushaltsjahr vorzunehmen, § 76 Abs. 2 BHO, sog. „Auslaufzeitraum“; hierzu noch sogleich sub § 2 C. II. 3. b), S. 243. 1021 § 37 Abs. 6 S. 1 BHO lautet: „Mehrausgaben bei übertragbaren Ausgaben (Vorgriffe) sind unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 und 2 auf die nächstjährige Bewilligung für den gleichen Zweck anzurechnen“. 1022 § 2 Abs. 3 HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I S. 3346): „Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, ab Oktober des Haushaltsjahres im Vorgriff auf die Kreditermächtigung des nächsten Haushaltsjahres Kredite bis zur Höhe von 4 Prozent des in § 1 festgestellten Betrages aufzunehmen. Diese Kredite sind auf die Kreditermächtigung des nächsten Haushaltsjahres anzurechnen“.
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gung dauergesetzlich bzw. schon im alten Haushaltsgesetz erfolgt, handelt es sich um Nachwirkungen. Die Vorgriffe sind zwar auf die Ermächtigungen des folgenden Haushaltsjahres anzurechnen, haben aber ihre rechtliche Grundlage in bestehenden Gesetzen und werden im laufenden Haushaltsjahr vollzogen. Sie wirken sich im folgenden Haushaltsjahr aus, beruhen aber nicht auf den Rechtswirkungen des folgenden Haushaltsgesetzes, sondern werden wie im Fall des verspäteten Haushalts, der „rückwirkend“ das Nothaushaltsrecht beendet, von diesem lediglich „absorbiert“ bzw. erfasst1023. 2. Während des Haushaltsjahres
a) Vor Verkündung des Haushaltsgesetzes Anders liegt der Fall, wenn das Haushaltsjahr bereits begonnen hat, ein Haushaltsplan entgegen Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG aber noch nicht verabschiedet, ausgefertigt und verkündet ist, rechtlich also noch nicht existiert. Hier führt die „Rückwirkung“1024 des zukünftigen Haushaltsplans, der auch bei einer verspäteten Verkündung am (bzw. mit Wirkung vom) 1. Januar des Haushaltsjahres in Kraft tritt, dazu, dass während der etatlosen Zeit bereits Vorwirkungen entstehen. Diese resultieren im Wesentlichen aus der Nichtverabschiedung des Haushalts und sind damit streng genommen keine Rechtswirkungen des späteren Haushaltsgesetzes. Vielmehr handelt es sich um Rechtsfolgen des Art. 111 GG, der tatbestandlich die nicht rechtzeitige Verabschiedung des Haushalts voraussetzt1025. Andererseits ist es aber möglich, dass schon der Entwurf des Haushaltsgesetzes während der Aufstellungsphase und während der parlamentarischen Beratungen faktische Wirkungen auf den Haushaltsvollzug hat. Zwar stellt das Nothaushaltsrecht gemäß Art. 111 Abs. 1 GG nicht auf den zukünftigen, möglicherweise schon verabschiedungsreifen Haushaltsplan ab1026 sondern rekurriert inhaltlich auf frühere Haushaltspläne und bereits bestehende Verpflichtungen1027. Dennoch wird sich der Haushaltsvollzug bei Anwen1023
s. zur Wirkung des rückwirkenden Haushalts („bloße Erfassung“) oben, § 2 B. III. 3. b) cc), S. 177 ff. 1024 Dazu ausführlich oben, § 2 B. III. 3. b) cc), S. 177 ff. 1025 Die Rechtslage während der etatlosen Zeit ist bereits oben im Zusammenhang mit dem Vorherigkeitsgrundsatz behandelt worden, s. § 2 B. III. 3. a), S. 142 ff. 1026 So aber die Praxis während des preußischen Budgetkonflikts, s. oben § 2 B. III. 2., S. 139 f. 1027 Vgl. Art. 111 Abs. 1 lit. c): „sofern durch den Haushaltsplan eines Vorjahres bereits Beträge bewilligt worden sind“ und oben, § 2 B. III. 3. a) bb) (1) (a), S. 149 ff.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
dung der verfassungsunmittelbaren Ermächtigungen aus Art. 111 GG häufig auch am Haushaltsentwurf – also dem zukünftigen Haushaltsplan – orientieren, sofern sich die dort enthaltenen Ansätze unter die lit. a)–c) des Art. 111 Abs. 1 GG subsumieren lassen1028. Es erscheint kaum vorstellbar, dass die Regierung die Rechte der Nothaushaltsführung entgegen einem von ihr selbst vorbereiteten Haushaltsplan ausübt1029. Um Rechtswirkungen handelt es sich hierbei jedoch nicht. Auch dann, wenn das Haushaltsgesetz rückwirkend in Kraft tritt, beruht die Ermächtigung auf dem Nothaushaltsrecht und muss, da der Haushaltsplan stets das gesamte Haushaltsjahr erfasst, vom Haushaltsgesetz nachvollzogen werden1030. b) Nach Inkrafttreten des Haushaltsgesetzes Mit dem Inkrafttreten des Haushaltsgesetzes für das jeweilige Haushaltsjahr erlangen die Ermächtigungen des Haushaltsplans (§ 3 Abs. 1 BHO/ HGrG) und die im Haushaltsgesetz erteilte Kreditermächtigung (§ 18 Abs. 1 BHO, § 13 Abs. 1 HGrG) Gültigkeit, so dass sich der Haushaltsvollzug an den entsprechenden Ansätzen und Vorgaben orientieren kann und muss. Der Vorrang des Haushaltsgesetzes ergibt sich allgemein aus Art. 20 Abs. 3 GG1031, die Bindung an die Ansätze des Haushaltsplans zusätzlich und vorrangig aus Art. 112 GG1032, dessen Vorgaben für das Leisten überund außerplanmäßiger Ausgaben nur bei Annahme einer entsprechenden sachlichen und zeitlichen Bindung verständlich sind1033. Umfang und Reichweite des Vorrangs, den Haushaltsgesetz und -plan für den Haushaltsvollzug haben, richten sich nach dem Inhalt des Haushaltsgesetzes und den ergänzenden Vorschriften der BHO (bzw. auf Landesebene LHO). So lässt sich etwa den §§ 3 Abs. 2, 11 Abs. 2 Nr. 1, 34 Abs. 1 BHO1034 entnehmen, dass die Ansätze auf der Einnahmenseite nicht im Sinne einer Ermächtigungsgrundlage z. B. für die Steuererhebung gemeint sind. Aus 1028 Vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 132 (Fn. 593): „inner- und interorganschaftliche Konsequenz“. 1029 Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 131 (Fn. 588). 1030 Hierzu bereits ausführlich oben, § 2 B. III. 3. b) cc), S. 177 ff. 1031 Statt aller Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 20, Rn. 37 ff. 1032 Hierzu i. E. bereits oben, § 2 B. III. 3. a) bb) (2), S. 160 ff. 1033 s. bereits oben § 2 A. III. 2. c), S. 54 und § 2 B. III. 4. c) bb), S. 208 ff. 1034 § 3 Abs. 2 BHO: „Durch den Haushaltsplan werden Ansprüche oder Verbindlichkeiten weder begründet noch aufgehoben“; § 11 Abs. 2 Nr. 1 BHO: „Der Haushaltsplan enthält alle im Haushaltsjahr zu erwartenden Einnahmen“; § 34 Abs. 1 BHO: „Einnahmen sind rechtzeitig und vollständig zu erheben“.
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§§ 3 Abs. 1, 7 Abs. 1 S. 1, 11 Abs. 2 Nr. 2, 34 Abs. 2 S. 1, 45 Abs. 1 BHO1035 folgt wiederum, dass keine Verpflichtung für den Haushaltsvollzug besteht, die Planansätze für die Ausgaben vollständig auszuschöpfen. Ebenso wenig muss im Haushaltsvollzug die regelmäßig in § 2 des jährlichen Haushaltsgesetzes ausgesprochene Kreditermächtigung ausgereizt werden, wie sich aus dem Wortlaut der „Ermächtigung“1036 und der Möglichkeit einer Fortgeltung dieser Ermächtigungen (§ 18 Abs. 3 BHO1037) ergibt. 3. Nach Abschluss des Haushaltsjahres
a) Außerkrafttreten des Haushaltsgesetzes Deutlich schwieriger als die Frage, wann das Haushaltsgesetz in Kraft tritt, ist die Frage zu beantworten, wann das Haushaltsgesetz außer Kraft tritt, d.h. seine Rechtsverbindlichkeit verliert. Das liegt zum einen daran, dass eine Außerkrafttretensklausel in den Haushaltsgesetzen regelmäßig fehlt1038, zum anderen liegt es an den Regelungen, die eine „Fort-“ bzw. „Weitergeltung“ von Vorschriften des Haushaltsgesetzes anordnen (z. B. §§ 18 Abs. 3, 45 Abs. 1 S. 2 BHO), eine Übertragung von Mitteln in spätere Haushaltsjahre ermöglichen (§§ 19 Abs. 1, 45 Abs. 2 BHO) oder eine Buchung für das entsprechende Jahr noch nach Ende des Haushaltsjahres zulassen (§§ 72 Abs. 3, 76 Abs. 2 BHO). 1035
§ 3 Abs. 1 BHO: „Der Haushaltsplan ermächtigt die Verwaltung, Ausgaben zu leisten […]“; § 7 Abs. 1 S. 1 BHO: „Bei Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten“; § 11 Abs. 2 Nr. 2 BHO: „Der Haushaltsplan enthält alle im Haushaltsjahr […] voraussichtlich zu leistenden Ausgaben“; § 34 Abs. 2 S. 1 BHO: „Ausgaben dürfen nur soweit und nicht eher geleistet werden, als sie zur wirtschaftlichen und sparsamen Verwaltung erforderlich sind“; § 45 Abs. 1 S. 1 BHO: „Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen dürfen nur zu dem im Haushaltsplan bezeichneten Zweck, soweit und solange er fortdauert, und nur bis zum Ende des Haushaltsjahres geleistet oder in Anspruch genommen werden“; vgl. auch § 45 Abs. 2 BHO: „Ausgabereste“. 1036 § 2 Abs. 1 HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346): „wird ermächtigt […] aufzunehmen“. 1037 § 18 Abs. 3 S. 1 BHO: „Die Ermächtigungen nach Absatz 2 Nr. 1 [sc. für Deckungskredite] gelten bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres und, wenn das Haushaltsgesetz für das zweitnächste Haushaltsjahr nicht rechtzeitig verkündet wird, bis zur Verkündung dieses Haushaltsgesetzes“. Vgl. auch § 25 Abs. 3 S. 2: „[…] soweit die Möglichkeiten einer Kreditaufnahme nicht ausgeschöpft sind“. 1038 Anders z. B. in Bayern, s. Art. 20 Abs. 3 BayHG 2007/2008 (G. v. 22.12.2006, GVBl. S. 1056): „Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten, soweit in Satz 2 nichts anderes bestimmt ist, bis zum Tag der Verkündung des Haushaltsgesetzes des folgenden Haushaltsjahres weiter. Art. 9 bis 17 gelten unbefristet“.
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aa) Ableitung aus dem zeitlichen Bepackungsverbot Ausgangspunkt ist für das (Bundes-)Verfassungsrecht das zeitliche Bepackungsverbot in Art. 110 Abs. 4 GG1039: Danach kann das Haushaltsgesetz „vorschreiben, dass die Vorschriften erst mit der Verkündung des nächsten Haushaltsgesetzes oder bei Ermächtigung nach Artikel 115 zu einem späteren Zeitpunkt außer Kraft treten“, Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG. Offenbar sieht es das Grundgesetz als Ausnahme an, wenn Vorschriften des Haushaltsgesetzes erst mit der Verkündung des folgenden Haushaltsgesetzes oder – wie im Fall der Kreditermächtigungen – zu einem noch späteren Zeitpunkt außer Kraft treten. Ähnlich der Regelung in Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG, nach der das Gesetz selbst „den Tag des Inkrafttretens bestimmen“ soll1040, normiert Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG, dass das Haushaltsgesetz selbst seine Weitergeltung anordnen kann. Dies impliziert, dass das Haushaltsgesetz im Übrigen, soweit es von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch macht, ohne eine förmliche Aufhebung oder ein ausdrücklich angegebenes „Verfallsdatum“ mit Ablauf des Haushaltsjahres „außer Kraft“1041 tritt. Aus dem systematischen Zusammenspiel der Sätze 1 und 2 folgt zudem, dass Art. 110 Abs. 4 GG die „Beziehung“ einer Vorschrift auf den Zeitraum, „für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird“ (S. 1), grundsätzlich gleichsetzt mit der zeitlichen Geltung (S. 2: „außer Kraft treten“) innerhalb des Haushaltsjahres, für das der Haushaltsplan festgestellt wird (Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG)1042.
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Gleiches gilt für diejenigen Länderverfassungen, die ein zeitliches Bepackungsverbot kennen, s. die Nachweise oben, Fn. 457 (S. 112). 1040 Zur hieraus folgenden „Selbstreferenz“ s. oben, S. 23. 1041 Vgl. den Wortlaut des Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG a. E. – a. A. Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 26, der davon ausgeht, dass sich die „Regelungen des Haushaltsgesetzes […] zwar auf einen abgegrenzten Zeitraum [beziehen], aber „mit deren Ablauf nicht außer Kraft“ treten. – Wie hier: BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 68; BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [327 f.]; BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [94]; VerfGH NW, Urteil v. 24.4.2007, VerfGH 9/06, juris, Rn. 34 f.; VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [281];VerfGH NRW, OVGE 45, 308 [310]; StGH Hessen, Urteil v. 12.12.2005, P. St. 1899, juris, Rn. 79; BerlVerfGH, Urteil v. 31.10.2003, VerfGH 125/02, LVerfGE 14, 104 [116]; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 136; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/ Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 110, Rn. 25; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 45; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 33, Anm. 4 lit. d); Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Handbuch der Rechtsförmlichkeit, NetVersion, http://www.bmj.de/ rechtsfoermlichkeit/inhalt/tc9.htm, Rn. 490. 1042 Ähnlich Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 136, der die folgende Formulierung des Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG vorschlägt: „In das Haushaltsgesetz dürfen nur Vorschriften aufgenommen werden, die sich […] auf den Geltungszeitraum des Haushaltsplans beziehen“.
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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Auch das Außerkrafttreten ist eine inhaltliche Regelung. Das Haushaltsgesetz regelt das und gilt daher im Haushaltsjahr. Obwohl das Außerkrafttreten des Haushaltsgesetzes im Grundgesetz nicht explizit geregelt ist, geht die Verfassung davon aus, dass die Regelungen des Haushaltsgesetzes mit Ablauf des Haushaltsjahres außer Kraft treten – es sei denn, das Haushaltsgesetz bestimmt etwas anderes („kann vorschreiben“)1043. Über diese „weitergeltenden“ Normen hinaus, deren Fortgeltung dauergesetzlich durch §§ 18 Abs. 3, 45 Abs. 1 S. 2 BHO und §§ 19 Abs. 1, 45 Abs. 2 BHO abgesichert wird1044, lässt sich für den Rest des Haushaltsgesetzes keine „Dauerwirkung“ annehmen. Eine Dauerwirkung resultiert auch nicht aus den „Nebenfunktionen“1045 des Haushalts, also insoweit, als die Regelungen des Haushaltsgesetzes „im Verhältnis der Staatsorgane zueinander rechtfertigender Grund und Kontrollmaßstab für die geleisteten Zahlungen bleiben“1046. Das Außerkrafttreten berührt nicht die geschichtliche Existenz einer Norm. Selbst die förmliche Aufhebung, das „Außer-Kraft-Setzen“ eines Gesetzes wirkt regelmäßig nicht ex tunc1047. Begreift man das „In-Kraft-Sein“, wie Art. 82 Abs. 2 S. 1 und Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG nahe legen, als zeitlichen Geltungs- bzw. Anwendungsbereich der Norm1048, so kann es nicht darauf ankommen, dass Regelungen „rechtfertigender Grund“ und „Kontrollmaßstab“ für vergangenes Handeln während ihrer Geltungszeit, also für den Haushaltsvollzug während des Haushaltsjahres sind. Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass vergangenes Handeln nach außer Kraft getretenen Maßstäben zu beurteilen ist und beurteilt wird. Dies zeigt 1043 Hierzu bereits oben, § 2 B. II. 4. b), S. 127 und § 2 B. III. 4. b) bb), S. 202 ff. 1044 Die Haushaltspraxis des Bundes, nach der nicht im Haushaltsgesetz, sondern (nur) in § 18 Abs. 3 BHO von der Ausnahmemöglichkeit des Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG Gebrauch gemacht wird (vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 138), ist wegen des klaren Wortlauts des Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG („Das Haushaltsgesetz kann vorschreiben“) nicht unproblematisch, s. hierzu noch unten, § 4 A. I. 2. a), S. 319. 1045 Vgl. Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 26, der davon ausgeht, dass sich nur die „Hauptfunktion“ der Regelungen des Haushaltsgesetzes erledigt habe. 1046 So aber Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 26. – Zur Bedeutung der „Rechtswirkungen“ im Rahmen der Zulässigkeit einer abstrakten Normenkontrolle s. § 2 C. II. 3. c), S. 244 ff. 1047 Denkbar jedoch wäre die rückwirkende Aufhebung eines Gesetzes, die inhaltlich dem rückwirkenden Inkraftsetzen einer Regelung mit anderer bzw. gegenteiliger Rechtsfolge gleichkommt und daher mit dem bloßen Außerkraftsetzen nicht vergleichbar ist. 1048 s. hierzu bereits in den Grundzügen oben, S. 23 ff.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
ein Vergleich mit anderen „Zeitgesetzen“. So war etwa das Volkszählungsgesetz 19831049 innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes (vom 18. April 1983 bis Anfang Mai 1983) zu vollziehen1050. Mit Abschluss der Zählung war der Regelungszweck erreicht. Nach seiner Durchführung hatte das Volkszählungsgesetz keinen (weiteren) Anwendungsbereich, so dass es automatisch außer Kraft trat1051. Ausdrücklich bestätigt wurde das Außerkrafttreten des Volkszählungsgesetzes 1983 nochmals durch § 21 des Volkszählungsgesetzes 19871052. Dennoch bleibt das Volkszählungsgesetz 1983 auch heute1053 „Kontrollmaßstab“ für die Volkszählung 1983, weil es für diese Zählung galt – ebenso wie das Haushaltsgesetz 1983 für das Haushaltsjahr 1983 galt, in diesem Jahr zu vollziehen war und damit Maßstab für die Rechnungslegung und -kontrolle des Jahres 1983 ist. Eine ausdrückliche Regelung besteht im Strafrecht. Gemäß § 2 Abs. 1 StGB bestimmen sich „die Strafe und ihre Nebenfolgen […] nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt“. § 2 Abs. 4 S. 1 StGB stellt klar: „Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist“1054. Der Anwendung eines Gesetzes steht es also nicht entgegen, dass es außer Kraft getreten ist. Während seiner Geltungszeit ermächtigt der Haushaltsplan die Verwaltung, Ausgaben zu leisten und Verpflichtungen einzugehen (§ 3 Abs. 1 BHO/LHO/HGrG), der Plan ist Ermächtigungsgrundlage für den Haushaltsvollzug im Bewilligungszeitraum. Mit Abschluss des Haushaltsjahres erlöschen diese Ermächtigungen (§ 45 Abs. 1 S. 1 BHO), sie treten außer Kraft, weil sie nur für das abgelaufene Haushaltsjahr gelten. Der Annahme einer „Dauerwirkung“, die das Außerkrafttreten verhindert, bedarf es nicht. Keinesfalls ist der Haushaltsplan „Rechtsgrund“ für die Leistung i. S. einer condictio ob causam finitam (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB), der mit Außerkrafttreten des Haushalts1049
G. v. 25.3.1982 (BGBl. I S. 369). Vgl. BVerfG, Urteil v. 15.12.1983, 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83, BVerfGE 65, 1 [37]. 1051 Vgl. zu diesem Beispiel Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Handbuch der Rechtsförmlichkeit, NetVersion, http://www.bmj.de/rechtsfoermlichkeit/inhalt/ tc9.htm, Rn. 489. 1052 G. v. 8.11.1985 (BGBl. I S. 2078), § 21: „Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt das Volkszählungsgesetz 1983 vom 25. März 1982 (BGBl. I S. 369) außer Kraft“. 1053 Unabhängig davon ist die prozessuale Frage der Verfristung entsprechender Rechtsbehelfe gegen die Volkszählung 1983. 1054 Eine Ausnahme kann sich wiederum nur aus dem Gesetz selbst ergeben, § 2 Abs. 4 S. 2 StGB: „Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt“. Auch insofern gibt es eine Parallele zum Haushaltsrecht, vgl. Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG. 1050
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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gesetzes am Ende des Haushaltsjahres wegfällt und einen Herausgabeanspruch für die „geleisteten Zahlungen“ begründet1055. bb) (Länder-)Verfassungen ohne zeitliches Bepackungsverbot Soweit ein zeitliches Bepackungsverbot nicht besteht, ist die normative Begründung dafür, dass das Haushaltsgesetz mit Ablauf des Haushaltsjahres außer Kraft tritt, schwieriger. So enthalten etwa die Verfassungen Nordrhein-Westfalens und Bayerns keine Regelung für das „Außerkrafttreten“ des Haushaltsgesetzes oder -plans1056. Der Hinweis auf die Rechtsnatur des Haushaltsgesetzes als „Zeitgesetz“ hilft ohne eine Rückbindung an den Verfassungstext nicht weiter. In einem ersten Schritt ist daher zwischen Haushaltsplan und (Rest-)Haushaltsgesetz zu unterscheiden. Für den Haushaltsplan kann sich die zeitliche Bindung an das Haushaltsjahr (und damit sein Außerkrafttreten) ohnehin nicht unmittelbar aus dem zeitlichen Bepackungsverbot ergeben. Auch dort, wo die Verfassung ein Bepackungsverbot enthält1057, findet dieses keine Anwendung auf den Haushaltsplan, weil die Ansätze des Haushaltsplans niemals „hineingepackte Bestimmungen“ sein können1058. Das Gesetz, das den Haushaltsplan feststellt, ist immer „Haushaltsgesetz“, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG. Die Ansätze des Haushaltsplans wären auch dann, wenn sie über das Haushaltsjahr hinausreichten, keine Fremdkörper im Haushaltsgesetz, die es unnötig belasten würden und als solche eigentlich in einem anderen Gesetz als dem Haushaltsgesetz geregelt werden müssten1059. Dass der Haushaltsplan an das Haushaltsjahr gebunden ist, ergibt sich vielmehr – unabhängig vom zeitlichen Bepackungsverbot – daraus, dass er nach den jährlichen Haushaltsgesetzen „für“ das Haushaltsjahr festgestellt In diesem Sinne aber wohl implizit Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 26. 1056 Für den Haushaltsplan s. Art. 78 Abs. 6 BayVerf: „Die Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr, in besonderen Fällen auch für eine längere Dauer bewilligt“. 1057 Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG; Art. 79 Abs. 3 S. 1 BaWüVerf; Art. 139 Abs. 3 S. 2 HessVerf; Art. 61 Abs. 4 S. 1 M-VVerf; Art. 65 Abs. 5 S. 1 NdsVerf; Art. 116 Abs. 3 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 3 S. 1 SächsVerf; Art. 93 Abs. 4 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 4 S. 1 SchlHVerf; Art. 99 Abs. 2 S. 1 ThürVerf. 1058 Dies verdeutlicht z. B. Art. 139 Abs. 3 S. 1 HessVerf: „Die Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr bewilligt; sie können in besonderen Fällen auch für längere Dauer bewilligt werden. Im übrigen sind im Haushaltsgesetz Vorschriften unzulässig, die über das Rechnungsjahr hinausreichen oder sich nicht auf die Einnahmen und Ausgaben des Staates oder ihrer Verwaltung beziehen“ [Hervorhebung nur hier, d. Verf.]. 1059 s. hierzu bereits oben, § 2 B. II. 3. a), S. 119 ff. 1055
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
wird1060. Nach seinem normativen Inhalt will der Haushaltsplan nicht über die Grenzen des Haushaltsjahres hinweg Geltung beanspruchen. Dies stellt § 45 Abs. 1 S. 1 BHO/LHO („Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen dürfen […] nur bis zum Ende des Haushaltsjahres geleistet oder in Anspruch genommen werden“) klar1061. Zudem besteht die verfassungsrechtliche Verpflichtung, den Haushalt „für“ das Haushaltsjahr festzustellen, und zwar nach Jahren getrennt, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG1062. Dies schließt nicht aus, dass in Einzelfällen, um einen wirtschaftlichen Haushaltsvollzug zu gewährleisten, Ausgaben für einen längeren Zeitraum bewilligt und Ausgabereste gebildet werden können1063. Es bedeutet aber, dass die Ermächtigungen des Haushaltsplans mit Ende des Haushaltsjahres automatisch außer Kraft treten – soweit nichts anderes explizit bestimmt ist. Das Haushaltsgesetz ist hingegen nicht für das Haushaltsjahr zu verabschieden und auch nicht nach Jahren zu trennen. Soweit ein zeitliches Bepackungsverbot, das die Geltungszeit des Haushaltsgesetzes auf diejenige des Haushaltsplans beschränkt, nicht besteht, ist es ohne weiteres zulässig, im Haushaltsgesetz Dauerregelungen zu treffen, die über die Grenzen des Haushaltsjahres hinaus gültig sind und nicht mit Ende des Jahres außer Kraft treten1064. Ob eine Bestimmung im Haushaltsgesetz als Dauerregelung beabsichtigt ist, muss dem Gesetz im Wege der Auslegung entnommen werden. Da das Außerkrafttreten bzw. die zeitliche Bindung an das einzelne Haushaltsjahr nicht zwingend, aber doch immerhin die Regel ist, muss der 1060 s. statt aller § 1 HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346): „Der diesem Gesetz als Anlage beigefügte Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2007 wird in Einnahmen und Ausgaben auf 270 500 000 000 Euro festgestellt“ [Hervorhebung nur hier, d. Verf.]. 1061 § 45 Abs. 1 S. 1 BHO/LHO ist zwar für den Haushaltsvollzug bindend, das jährliche Haushaltsgesetz kann jedoch in Ausnahmefällen als lex specialis und lex posterior vom Grundsatz der zeitlichen Spezialität abweichen. § 27 HGrG lässt solche Ausnahmen zu (s. auch § 45 Abs. 2 und 4 BHO/LHO sowie § 27 Abs. 2 und 3 HGrG zur Übertragbarkeit von Ausgaben). 1062 Art. 79 Abs. 2 S. 1 BaWüVerf; Art. 78 Abs. 1, Abs. 6 BayVerf; Art. 85 Abs. 1 BerlVerf; Art. 101 Abs. 3 S. 1 BbgVerf; Art. 131 Abs. 2 S. 1 BremVerf; Art. 66 Abs. 1 S. 1 HmbVerf; Art. 139 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 HessVerf; Art. 61 Abs. 1 M-VVerf; Art. 65 Abs. 1 NdsVerf; Art. 81 Abs. 3 S. 1 Verf NW; Art. 116 Abs. 2 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 2 SächsVerf; Art. 93 Abs. 2 S. 1 VerfLSA; Art. 50 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SchlHVerf; Art. 99 Abs. 1 S. 1 ThürVerf. 1063 So ausdrücklich die Verfassungen Bayerns (Art. 78 Abs. 6 BayVerf), Berlins (Art. 85 Abs. 1 S. 2 VvB) und Hessens (Art. 139 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 HessVerf). 1064 Vgl. BayVerfGH, Entscheidung v. 7.11.1984, Vf. 20 VII/83, NVwZ 1985, 481 [484]: „Es ist nach bayerischem Verfassungsrecht letztlich bloß eine Frage der Gesetzgebungstechnik, ob der Gesetzgeber solche Regelungen [sc. Dauerregelungen] in das Haushaltsgesetz selbst einfügt […] oder ob er sie in ein formell selbständiges Gesetz einstellt“.
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Haushaltsgesetzgeber eine Geltung über das Haushaltsjahr hinaus aber hinreichend deutlich machen. Im Zweifel wird eine Fortgeltung nicht beabsichtigt sein. Dort, wo ein Bepackungsverbot nicht besteht, ist es daher üblich und zweckmäßig, die Geltungsdauer der einzelnen Vorschriften des Haushaltsgesetzes ausdrücklich zu bestimmen (z. B. Art. 20 Abs. 3 BayHG 2007/20081065; § 13 BerlHG 2006/20071066). b) Rechtswirkungen nach Ende des Haushaltsjahres Welche Rechtswirkungen ein Haushalt nach Ende des Haushaltsjahres hat, hängt vom Inhalt des Haushaltsgesetzes ab. Regelmäßig gelten Haushaltsgesetz und -plan nur für das entsprechende Haushaltsjahr. Dennoch hat das Haushaltsgesetz Nachwirkungen: Jedenfalls bis zum Abschluss des Entlastungsverfahrens (Art. 114 Abs. 1 GG) muss es herangezogen werden, um die Rechtsanwendung, d.h. die Rechtmäßigkeit des Haushaltsvollzuges, zu überprüfen1067. Das Nothaushaltsrecht (Art. 111 Abs. 1 GG) knüpft an frühere Bewilligungen an, die Schaffung oder Streichung von Planstellen hat eine auch über das Haushaltsjahr hinausgehende Bedeutung. Schließlich führt die Aufnahme von Krediten zwangsläufig zu einer wirtschaftlichen Belastung der Folgejahre mit Zins- und Tilgungsaufwendungen. Von diesen bloßen Folgewirkungen zu unterscheiden ist die echte Weitergeltung von Vorschriften, die in Kraft bleiben und auch für das folgende Haushaltsjahr (oder sogar unbefristet) gelten. Hierzu gehören – neben den in das Haushaltsgesetz hineingepackten „Dauernormen“, die nur dort möglich sind, wo es an einem zeitlichen Bepackungsverbot fehlt – Ermächtigungen für übertragbare Ausgaben (sofern „Ausgabereste“ gebildet werden, §§ 19 Abs. 1, 45 Abs. 2, 3 BHO1068) und fortgeltende Kreditermächtigungen (§ 18 Abs. 3 BHO1069). 1065
Art. 20 Abs. 3 BayHG 2007/2008 (G. v. 22.12.2006, GVBl. S. 1056): „Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten, soweit in Satz 2 nichts anderes bestimmt ist, bis zum Tag der Verkündung des Haushaltsgesetzes des folgenden Haushaltsjahres weiter. Art. 9 bis 17 gelten unbefristet“. 1066 § 13 BerlHG 2006/07 (G. v. 19.12.2005, GVBl. S. 774) lautet: „Die §§ 2, 3 Abs. 2 und 6 sowie die §§ 4, 5, 7 und 11 gelten bis zur Verkündung des Haushaltsgesetzes 2008 weiter“. 1067 Siehe BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [93 f.]: „Bedeutung“ und andererseits BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [327 f.]: keine „Rechtswirkungen“. 1068 Hierzu Mießen, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 19 BHO, Anm. 4; Gatzer, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 45 BHO, Anm. 6. Zur Flexibilisierung durch überjährige Weiterverwendung von „Ersparnissen“ s. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 203 ff. 1069 Hierzu noch ausführlich unten, § 4 A. I., S. 314 ff.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
c) Exkurs: Abstrakte Normenkontrolle nach Ende des Haushaltsjahres Das Problem der Rechtswirkungen des Haushalts nach Abschluss des Haushaltsjahres beschäftigt die Rechtsprechung vor allem im Zusammenhang mit der Frage der Zulässigkeit einer abstrakten Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG1070) gegen das Haushaltsgesetz. Da das Haushaltsgesetz Rechtswirkungen gewöhnlich nur im organschaftlichen Rechtskreis äußert1071, ist die abstrakte Normenkontrolle das einzige Mittel, eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Haushaltsgesetzes herbeizuführen1072. Gleichzeitig beanspruchen sowohl die Vorbereitung eines Antrags auf abstrakte Normenkontrolle als auch das verfassungsgerichtliche Verfahren regelmäßig einige Zeit, so dass häufig bereits die Antragstellung, fast immer aber die verfassungsgerichtliche Entscheidung erst nach Abschluss des Haushaltsjahres erfolgen bzw. ergehen kann, also zu einem Zeitpunkt, in dem das Haushaltsgesetz bereits außer Kraft getreten ist1073.
1070
Art. 68 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BaWüVerf; Art. 75 Abs. 2 BayVerf (i. V. m. Art. 2 Nr. 8, 49 Abs. 1 Alt. 2 BayVGHG; Art. 84 Abs. 2 Nr. 2 BerlVerf; Art. 113 Nr. 2 BbgVerf; Art. 140 Abs. 1 Nr. 1 BremVerf; Art. 65 Abs. 3 Nr. 3 HmbVerf; Art. 131 Abs. 1 HessVerf; Art. 53 Abs. 1 Nr. 2 M-VVerf; Art. 54 Nr. 3 NdsVerf; Art. 75 Nr. 3 Verf NW; Art. 130 Abs. 1 S. 1 RhPfVerf; Art. 97 Nr. 2 SaarlVerf; Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf; Art. 75 Nr. 3 VerfLSA; Art. 44 Nr. 2 SchlHVerf; Art. 80 Abs. 1 Nr. 4 ThürVerf. 1071 BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [91]; BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [327]; Heintzen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 120, Rn. 55. – Zu den Überlegungen, ob das Haushaltsgesetz im Zusammenhang mit der Gewährung von Subventionen an einen Mitbewerber auch von einem „Konkurrenten“ im Wege der Verfassungsbeschwerde bzw. im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens angegriffen werden kann, s. Handelsblatt Nr. 232 v. 30.11.2005, S. 18. 1072 Die Rechungslegung und das parlamentarische Entlastungsverfahren gem. Art. 114 Abs. 1 GG beziehen sich nur auf den Haushaltsvollzug, so dass hier keine Überprüfung des Haushaltsgesetzes am Maßstab der Verfassung erfolgen kann, vgl. BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [327 f.]. 1073 Siehe BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [93 f.]; BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [327 f.]; BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 68; BerlVerfGH, Urteil vom 31.10.2003 – VerfGH 125/02, LVerfGE 14, 104 [116]; LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 7/04, Abschrift, S. 14 (= Schl.-Holst.-LT Umdruck 16/149); VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [310]; VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [281]; VerfGH NW, Urteil v. 24.4.2007, VerfGH 9/06, juris (Rn. 34–36).
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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aa) Auslegung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG Gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG entscheidet das BVerfG „bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht […] mit diesem Grundgesetze“1074. Ob das zur Überprüfung gestellte Bundesrecht zum Zeitpunkt der Antragstellung oder zum Zeitpunkt der verfassungsgerichtlichen Entscheidung noch in Kraft sein muss, ergibt sich aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG nicht unmittelbar. Auch außer Kraft getretenes Recht kann mit dem Grundgesetz unvereinbar (gewesen) sein; die Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel können die Geltungszeit des Gesetzes überdauern. §§ 76 Abs. 1 Nr. 2, 77 Nr. 1 und 78 S. 1 BVerfGG scheinen in systematischer Hinsicht dafür zu sprechen, dass es auf die „Gültigkeit“ ankommt (§§ 76 Abs. 1 Nr. 2, 77 Nr. 1 BVerfGG), zumal die Nichtigerklärung (§ 78 S. 1 BVerfGG) eines bereits ungültigen Gesetzes auf den ersten Blick überflüssig erscheint. Andererseits ist der Antrag auf abstrakte Normenkontrolle an keine Frist gebunden. Der kleine („erlesene“) Kreis der Antragsberechtigten (Bundesregierung, Landesregierung, ein Drittel der Mitglieder des Bundestages) spricht schließlich dafür, dass die übrigen Zulässigkeitsanforderungen für das Normenkontrollverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG nicht eng ausgelegt werden müssen. Da weder der Wortlaut noch die Systematik der Vorschriften über die abstrakte Normenkontrolle eine klare Aussage darüber zulassen, ob auch ein außer Kraft getretenes Gesetz noch Gegenstand einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung sein kann, ist maßgeblich auf den Sinn und Zweck der Normenkontrolle abzustellen: Sie soll durch Klärung der verfassungsrechtlichen Lage dem Rechtsfrieden dienen1075. Der gerichtlichen Normenkontrolle liegt ein Verständnis der Rechtsordnung als gestuftem System von Normen zugrunde1076: Normen einer höheren Stufe enthalten Vorgaben für die Entstehung und für den Inhalt von Normen einer unteren Stufe, so dass rangniedere Normen, die diesen Vorgaben nicht entsprechen, keine Rechtswirkungen erzeugen sollen1077. Ein Bedürfnis für die Überprüfung eines Gesetzes besteht also zumindest dann, wenn den angegriffenen Regelungen eine Rechtswirkung zukommt. Auch außer Kraft getretene Normen sind daher ein tauglicher Antragsgegenstand, soweit sie noch Rechtswirkungen haben1078. So genügt es bei 1074 Die Regelungen über die abstrakte Normenkontrolle sind in den Ländern ähnlich, vgl. die Nachweise oben, Fn. 1070 (S. 244). 1075 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [326]. 1076 Graßhof, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG2, § 76, Rn. 1. 1077 Graßhof, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG2, § 76, Rn. 1. 1078 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 93, Rn. 21; Ulsamer, in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76, Rn. 18; Stuth, in: Umbach/Clemens, BVerfGG,
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
außer Kraft getretenen Normen, die Rechtssätze im traditionellen Sinne enthalten, dass sie z. B. noch in schwebenden Verwaltungsstreitverfahren maßgeblich sind1079. Auch das Beispiel eines strafrechtlichen Zeitgesetzes i. S. d. § 2 Abs. 4 StGB1080 zeigt, dass es notwendig sein kann, die Verfassungsmäßigkeit einer Norm auch nach ihrem Außerkrafttreten zu überprüfen, solange die Möglichkeit einer Anwendung des Gesetzes (hier: Bestrafung innerhalb der Verjährungsfrist) noch besteht. bb) Rechtswirkungen des Haushaltsgesetzes Blickt man auf die Rechtswirkungen des Haushaltsgesetzes, so wird deutlich, dass es nicht auf das Haushaltsgesetz oder den Haushaltsplan ankommen kann, sondern dass immer auf die einzelne zur Überprüfung anstehende Regelung abzustellen ist. So liegt im Fall einer in das Haushaltsgesetz hineingepackten Dauerregelung ohne weiteres ein tauglicher Antragsgegenstand vor1081, auch wenn man annimmt, das Haushaltsgesetz sei „als solches“ außer Kraft getreten, weil es „als Zeitgesetz grundsätzlich nicht über den 31. Dezember […] hinaus“ gelte1082. Auch in den Fällen, in denen – wie zuletzt häufig – die (Deckungs-)Kreditermächtigung eines Haushaltsgesetzes im Wege der abstrakten Normenkontrolle angegriffen wird1083, führt die Anordnung der § 76, Rn. 22, 24; Graßhof, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG2, § 76, Rn. 18. Aus der Rspr. s. BVerfG, Urteil v. 30.5.1956, 1 BvF 3/53, BVerfGE 5, 25 [28]; BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [93 f.]; BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [327]; StGH BW, Urteil v. 10.5.1999, 2/97, ESVGH 49, 242 [Ls. 2]; LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 7/04, Abschrift S. 14 (= Schl.-Holst.-LT Umdruck 16/149). 1079 Ulsamer, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76, Rn. 18, m. Hinw. auf BVerfG, Urteil v. 30.5.1956, 1 BvF 3/53, BVerfGE 5, 25 [28]; BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [94]. 1080 s. bereits oben, S. 240. 1081 Vgl. SaarlVerfGH, Urteil v. 13.3.2006, Lv 5/05, http://www.verfassungs gerichtshof-saarland.de/verfghsaar/dboutput.php?id=136, Rn. 60 (insoweit nicht in der AS RP-SL 34, 23 ff. abgedruckt); BayVerfGH, Entscheidung v. 7.11.1984, Vf. 20-VII-83, VerfGHE 37, 148 ff. 1082 Siehe die Formulierung bei VerfGH NW, Urteil v. 24.4.2007, VerfGH 9/06, juris, Rn. 34 f. 1083 BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 68; BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [327 f.]; BerlVerfGH, Urteil vom 31.10.2003, VerfGH 125/02, LVerfGE 14, 104 [116]; VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [281]; VerfGH NW, Urteil v. 24.4.2007, VerfGH 9/06, juris, Rn. 34 f.; StGH Hessen, Urteil v. 12.12.2005, P. St. 1899, juris, Rn. 79; LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 7/04, Abschrift, S. 14 (= Schl.-Holst.-LT Umdruck 16/149).
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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Fortgeltung (§ 18 Abs. 3 S. 1 BHO/LHO, § 13 Abs. 2 S. 1 HGrG) bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres bzw. bis zur Verkündung des Haushaltsgesetzes für das zweitnächste Haushaltsjahr dazu, dass insoweit Rechtswirkungen (fort-)bestehen und daher keine „Nebenfunktionen“ des Haushalts „im Verhältnis der Staatsorgane“1084 herangezogen werden müssen, um einen tauglichen Antragsgegenstand zu begründen1085. Ähnliches gilt für übertragbare Ausgaben, die „in die folgenden Rechnungsjahre hineinwirken“1086 und schließlich für solche Vorschriften des Haushaltsgesetzes, die mit fortgeltenden Bestimmungen in einem „untrennbaren Zusammenhang“ stehen1087. Nur soweit das Haushaltsgesetz im Übrigen tatsächlich nicht über das Haushaltsjahr hinaus gilt und nicht auf diese Weise in folgende Rechnungsjahre hinein wirkt, stellt sich die Frage, ob es für die „Rechtswirkungen“ auch darauf ankommen kann, dass das Haushaltsgesetz im Rahmen der parlamentarischen Rechnungsprüfung und Entlastung (Art. 114 Abs. 1 GG) von Bedeutung ist. Auf diese „Bedeutung“ hat das BVerfG in seinem ersten Urteil zur Parteienfinanzierung abgestellt: „Schließlich kommt dem Haushaltsgesetz so lange Bedeutung zu, bis das in Art. 114 GG näher geregelte Verfahren der Rechnungslegung, der Rechnungsprüfung und der Entlastung der Bundesregierung durch Bundestag und Bundesrat abgeschlossen ist. Kommt es bei Gesetzen, die Rechtssätze im traditionellen Sinne enthalten, für die Zulässigkeit eines Normenkontrollverfahrens nach ihrem Außerkrafttreten darauf an, ob sie noch Rechtswirkungen nach außen zu äußern vermögen1088, so sind Normen, die wie das Haushaltsgesetz Regelungen für den Bereich der staatlichen Organe treffen, so lange einer Entscheidung über ihre Verfassungsmäßigkeit zugänglich, als diese Regelungen im Bereich der staatlichen Organisation noch von Bedeutung sind. Das ist beim Haushaltsgesetz bis zur Entlastung der Bundesregierung durch Bundestag und Bundesrat der Fall.“1089 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 26. Vgl. VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [281]; VerfGH NW, Urteil v. 24.4.2007, VerfGH 9/06, juris, Rn. 34 f.; StGH Hessen, Urteil v. 12.12.2005, P. St. 1899, juris, Rn. 79, die ausdrücklich auf § 18 Abs. 3 LHO abstellen. Auch das BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [327] prüft vorrangig die Fortgeltung der Kreditermächtigung i. S. d. § 18 Abs. 3 BHO („§ 2 Abs. 1 Haushaltsgesetz 1981 hat spätestens mit der Verkündung des Haushaltsgesetzes 1983 ihre Geltung eingebüßt“) und formuliert erst in einem zweiten Schritt das „Entscheidungsinteresse über den Zeitraum von deren eigener rechtlicher Wirkung hinaus“ (S. 328). 1086 BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [93]. 1087 VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [281]; VerfGH NW, Urteil v. 24.4.2007, VerfGH 9/06, juris, Rn. 34 f. 1088 Vgl. BVerfG, Urteil v. 30.5.1956, 1 BvF 3/53, BVerfGE 5, 25 [28]. 1089 BVerfG, Urteil v. 19.7.1966, 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56 [93 f.]. Ähnlich auch Ulsamer, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 76, Rn. 18; Rozek, in: 1084 1085
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
Diesem Ansatz ist das BVerfG in einer späteren Entscheidung (zur Staatsverschuldung) ausdrücklich entgegengetreten: „Die angegriffene Vorschrift […] hat spätestens mit der Verkündung des Haushaltsgesetzes 1983 ihre Geltung eingebüßt und vermag – als nur organschaftliche Ermächtigungsnorm – auch nicht darüber hinaus Rechtswirkungen zu äußern. Auf die in Art. 114 Abs. 1 GG vorgeschriebene Rechnungslegung mit nachfolgenden Beschlüssen über die Entlastung kommt es hier nicht an. Rechnungslegung und Entlastung beziehen sich auf den Haushaltsvollzug; sie bezwecken die Kontrolle der Exekutive, nicht des Haushaltsgesetzgebers“1090.
Richtig ist, dass die Rechnungsprüfung und das Entlastungsverfahren nicht der Kontrolle des Haushaltsgesetzgebers dienen. Die Entlastung wird der Regierung erteilt, Art. 114 Abs. 1 GG. Daneben ist aber auch zu berücksichtigen, dass der Haushaltsvollzug am Maßstab des Haushaltsgesetzes zu überprüfen ist. Gem. § 90 Nr. 1 BHO erstreckt sich die Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung durch den Bundesrechnungshof „insbesondere darauf, ob das Haushaltsgesetz und der Haushaltsplan eingehalten worden sind“. Auch für die parlamentarische Rechnungsprüfung kann die Gesetzmäßigkeit des Haushaltsvollzuges nicht irrelevant sein. Insoweit ist es dann auch im Entlastungsverfahren von Bedeutung, ob der Haushaltsvollzug sich an einem verfassungswidrigen Haushaltsgesetz orientiert hat. Die Entlastung der Bundesregierung gem. Art. 114 Abs. 1 GG führt zwar nicht dazu, dass sich die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Haushaltsgesetzes schon deshalb erübrigt, weil der Haushalt an sich von einer parlamentarischen Mehrheit – häufig der gleichen Mehrheit, die das Haushaltsgesetz verabschiedet hat – für ordnungsgemäß gehalten wird. Das Verfahren nach Art. 114 GG ist aber insofern von Bedeutung, als jedenfalls bis zur Entlastung, also bis zum Abschluss der parlamentarischen Rechungsprüfung, das Haushaltsgesetz als Maßstab für den Haushaltsvollzug noch benötigt wird1091. Nicht als Gegenstand, sondern als Maßstab der Prüfung nach Art. 114 Abs. 1 GG, „wirkt“ das außer Kraft getretene Haushaltsgesetz fort, so dass für die Frage, ob der Maßstab für die Rechnungsprüfung seinerseits mit höherrangigem Recht vereinbar ist, ein schützenswertes objektives Klarstellungsinteresse besteht.
Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 76, Rn. 18; sowie Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 26, der jedoch aus diesen „Dauerwirkungen“ auch das In-Kraft-Bleiben des Haushaltsgesetzes folgert, dazu bereits oben, § 2 C. II. 3. a), S. 239 f. 1090 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [327 f.]. 1091 A. A. BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [327 f.].
§ 2 Die Bedeutung der Zeit für den Haushalt
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cc) Maßgeblicher Zeitpunkt: Antragstellung oder Entscheidung? Aus Sinn und Zweck der abstrakten Normenkontrolle folgt mithin, dass der das Verfahren einleitende Antrag zu einem Zeitpunkt gestellt sein muss, zu dem von den angegriffenen Vorschriften noch Rechtswirkungen ausgehen. Anderenfalls wäre die Überprüfung alter Haushaltsgesetze zeitlich unbegrenzt möglich, was dem Zweck der abstrakten Normenkontrolle, der Sicherung des Rechtsfriedens1092, ebenso wenig entsprechen würde wie der generelle Ausschluss einer Überprüfbarkeit nach Ende des Haushaltsjahres1093. Häufig wird es aber – aufgrund der Komplexität und der daraus folgenden Dauer verfassungsgerichtlicher Verfahren – vorkommen, dass eine Entscheidung des Verfassungsgerichts erst zu einem Zeitpunkt erfolgt bzw. erfolgen kann, an dem das Haushaltsgesetz keinerlei Rechtswirkungen mehr entfaltet, das Haushaltsgesetz für das zweitnächste Haushaltsjahr also bereits verkündet (§ 18 Abs. 3 S. 1 BHO/LHO, § 13 Abs. 2 S. 1 HGrG) und auch das Entlastungsverfahren (Art. 114 GG) bereits abgeschlossen ist. Würde man hier, was eigentlich konsequent wäre, eine Erledigung der abstrakten Normenkontrolle annehmen1094, so führte dies im Ergebnis dazu, dass die Regelungen des Haushaltsgesetzes „kaum je überprüft“ werden könnten, weil „mit dem Ende der rechtlichen Wirkung der Regelungen des Haushaltsgesetzes auch die Entscheidungsmöglichkeit des Bundesverfassungsgerichts [oder der Verfassungsgerichte der Länder, d. Verf.] entfallen“1095 würde. Im Vergleich zu anderen außer Kraft getretenen Rechtsnormen, die sich dauerhaft „erledigt“ haben, besteht jedoch im Fall des Haushaltsgesetzes eine gewisse Wiederholungsgefahr: Der begrenzten zeitlichen Geltung des Haushaltsgesetzes entspricht die jährliche Wiederkehr eines Gesetzes gleicher Art, die aus der Budgetpflicht des Parlaments folgt1096. 1092
BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [326 f.]; BVerfG, Urteil v. 30.7.1952, 1 BvF 1/52, BVerfGE 1, 396 [413]. 1093 Eine solche Einschränkung wäre vor allem bei Nachtragshaushaltsgesetzen, die erst am Ende (oder sogar nach Abschluss, dazu oben § 2 B. III. 4. b), S. 199 ff.) des Haushaltsjahres verabschiedet werden, nicht haltbar, vgl. LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 7/04, Abschrift, S. 14. 1094 So z. B. die Auffassung des Landtags im Verfahren LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 7/04, Abschrift, S. 9. 1095 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [328]; VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [310]; LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 7/04, Abschrift, S. 14 (= Schl.-Holst.-LT Umdruck 16/149). 1096 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [328]; VerfGH NW, Urteil v. 14.5.1996, VerfGH 5/95, OVGE 45, 308 [310]; BerlVerfGH, Urteil vom 31.10.2003, VerfGH 125/02, LVerfGE 14, 104 [116]; Heintzen, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR3 V, § 120, Rn. 60.
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1. Teil: Die Zeit im Haushaltsrecht
Daher besteht in der Regel1097 – aufgrund des objektiven Charakters des Verfahrens nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG1098 – für einen zulässig erhobenen Normenkontrollantrag, der sich auf Bestimmungen eines Haushaltsgesetzes bezieht, ein Entscheidungsinteresse über den Zeitraum der eigentlichen rechtlichen Wirkungen hinaus1099.
1097 Siehe aber BVerfG, Beschluss v. 13.2.2001, 2 BvF 2/97, juris (Einstellung des Normenkontrollverfahrens nach Rücknahme des Antrags); vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 6.7.2005, 2 BvK 1/04, http://www.sh-landtag.de/infothek/wahl16/um drucke/0100/umdruck-16-0113.pdf. 1098 Für die Landesverfassungen s. oben Fn. 1070 (S. 244). 1099 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [328]; BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 68; Rozek, in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 76, Rn. 18; ähnlich StGH Bremen, Urteil v. 10.10.1997, St 6/96, LVerfGE 7, 167 [179]; a. A. StGH Hessen, Urteil v. 6.7.1984, P.St. 1014, ESVGH 35, 73 f. [Ls. 3]: „Allein der Umstand, dass künftige Gesetze […] identischen Inhalts erlassen werden könnten, vermag das öffentliche Interesse an der Überprüfung der außer Kraft getretenen und rechtlich wirkungslosen Bestimmungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit nicht zu begründen“.
2. Teil
Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme § 3 Die „doppelte Zeitlichkeit“ des Staatskredits Die Staatsverschuldung ist der „natürliche Feind“ des zeitlich gebundenen, jährlichen Haushalts. Während der eigentliche Haushalt aus streng voneinander abgegrenzten Abschnitten (den Haushaltsjahren) besteht und nur aufgrund seiner jährlichen Wiederholung eine gewisse Kontinuität entwickelt, führt der Staatskredit, der die einzelnen Finanzierungssalden der jährlichen Haushalte ausgleichen muss, unvermeidlich zu einer Durchbrechung dieser Jahresgrenzen. Er ist – aus Sicht des Haushalts – ein Vorgriff auf die (Steuer-)Einnahmen künftiger Haushaltsjahre.
A. Staatsverschuldung als Umverteilung in der Zeit Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Staatsverschuldung sind vielfältig1. Teils vorausgesehene, teils unvorhersehbare Folgewirkungen auf Zinsniveau, Staatsquote und Wachstum machen sie zu einem komplexen Instrument für die finanz- und wirtschaftspolitische Steuerung, die regelmäßig nicht auf die Volkswirtschaften einzelner Staaten beschränkt bleibt. Diese „Nebenwirkungen“ der Staatsverschuldung, aus wirtschaftswissenschaftlicher und -politischer Sicht zentral, sind für die haushaltsrechtliche Betrachtung allerdings von eher untergeordneter Bedeutung2. Hier ist zu1 Vgl. dazu aus neuerer Zeit Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen (online unter: http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/download/ press/fipo07.pdf), S. 31 ff. 2 Die Bedeutung des Art. 109 Abs. 2 GG, der – ebenso wie Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG – finanzwissenschaftliche Erkenntnisse in den verfassungsrechtlichen Raum transportiert, und gleichzeitig „einen in die Zeit hinein offenen Vorbehalt für die Aufnahme neuer, gesicherter Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften als zuständiger Fachdisziplin enthält“ (BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [338]), soll hier weitgehend ausgeblendet werden. Es ist zwar zutreffend, dass für die Bearbeitung des Themas „Staatsverschuldung“ ein fächerübergreifender Ansatz notwendig ist, und die Berufung auf eine „rein juristische Methode“ durchaus problematisch sein kann (vgl. v. Arnim, BayVBl. 1981, 514). Im Hinblick auf die inzwischen bereits recht umfassende Aufarbeitung der allgemeinen Probleme der
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
nächst die primäre Wirkung des Kredits auf den staatlichen Haushalt in den Blick zu nehmen. Sie besteht darin, dass gegenwärtige Ausgaben durch zukünftige Einnahmen gedeckt werden3. Diese „Zeitmaschinen-Eigenschaft“4 der Kreditaufnahme macht sie zu einem beliebten Mittel einer häufig kurzfristig orientierten Haushalts- und Finanzpolitik5. Die Aufnahme von Krediten erleichtert bzw. ermöglicht den jährlichen Haushaltsausgleich, der ansonsten nur über Steuererhöhungen oder Kürzungen von Ausgaben erreicht werden könnte6. Gleichzeitig kann der Haushaltsausgleich in späteren Jahren aber erschwert werden, wenn Ausgaben für Zinsen und Tilgung in den Haushaltsplan eingestellt werden müssen. Hinter der Staatsverschuldung steht also der Gedanke einer Umverteilung der finanziellen Mittel von späteren in frühere Haushalte oder – in größerem Maßstab – der Gedanke einer „intergenerativen Umverteilung zu Lasten zukünftiger Generationen“7. Staatsverschuldung aus juristischer Sicht (z. B. Höfling, Staatsschuldenrecht, 1993; Bröcker, Grenzen staatlicher Verschuldung, 1997; Jahndorf, Grundlagen der Staatsfinanzierung durch Kredite und alternative Finanzierungsformen, 2003) sei den folgenden Ausführungen, in deren Zentrum nicht die Staatsverschuldung an sich, sondern nur das Problem der Umgehung vorhandener staatsschuldenrechtlicher Regelungen steht, eine gewisse „Finanzblindheit“ (vgl. Isensee, Der Steuerstaat als Rechtsform, in: FS Ipsen, S. 409 [412]) für den Aspekt der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Staatsverschuldung gestattet. 3 Diese Aussage ist zunächst wertfrei: Ob der Staat „spendabel auf Kosten der Zukunft“ ist (so P. Kirchhof, in: FAZ, Nr. 77 v. 2.4.1983, S. 13) oder aber „mit Schulden die Zukunft sichert“ (H. Matthöfer, in: Welt am Sonntag v. 17.8.1981, zit. nach Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln Nr. 73/6), hängt nicht zuletzt auch von der Art der kreditfinanzierten Ausgaben ab. 4 Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 11; s. auch bereits Thormählen, Konjunkturpolitik 26 (1980), S. 77 [78] und Lerner, The Burden of Debt, S. 91 [93]: „The borrowing and the repayment do not make a Time Machine“. 5 Hierzu näher Buchanan/Wagner, Democracy in Deficit, S. 137 ff.; krit. zu der impliziten Annahme einer „Schuldenillusion“, Duwendag, Staatsverschuldung, S. 151 und Barro, Journal of Monetary Economics, 4 (1978), S. 569 [572], der annimmt, das risikoscheue Wirtschaftssubjekt werde die Staatsschuld nicht untersondern eher überbewerten und durch erhöhte Ersparnisse reagieren, die in die nächste Generation vererbt werden könnten. Die zeitliche Verschiebung der Steuerlast werde durch die Bürger auf diese Weise antizipiert. Krit. zu dieser „ricardianischen“ Sichtweise wiederum Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 36. 6 Vgl. Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: FS Friauf, S. 705 [708]: „Die Staatsverschuldung ist das Opium des Staatshaushalts“. 7 Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 31. – Hierbei ist die Lastenverschiebung zwischen den Haushalten offensichtlicher als die volkswirtschaftliche Zukunftsbelastung der Allgemeinheit, die von verschiedenen weiteren Faktoren beeinflusst wird. Nicht abschließend geklärt ist bereits der Begriff der „Last“, der sich als Nutzen- (utility approach) oder Wachstumseinbuße (aggre-
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Aus dieser Grundüberlegung ergibt sich das Kriterium für die Zulässigkeit bzw. Verantwortbarkeit der Finanzierung staatlicher Ausgaben durch Kredite: Ebenso wie ein privates Wirtschaftssubjekt, das Kredite aufnimmt, um hieraus – auf welche Weise auch immer – einen Gewinn zu erwirtschaften, der jedenfalls die Kapitalkosten deckt, muss der Staat durch die Verschuldung einen volkswirtschaftlichen „Mehrwert“ schaffen oder zumindest entstehen lassen, um auf diese Weise in folgenden Haushaltsjahren seine (Steuer-)Einnahmen zu steigern oder aber die Ausgaben senken zu können. I. Verteilung von Nutzen und Lasten Ursache des öffentlichen Kreditbedarfs war, dies zeigt die Geschichte vom Altertum bis in die Neuzeit, regelmäßig die Finanzierung des Krieges8. Ein plötzlich auftretender, akuter Finanzbedarf für die Kriegsführung wurde bereits in der Antike, soweit eine Finanzierung durch freiwillige Beiträge der Bürger, Zwangsabgaben oder außerordentliche Steuern nicht (mehr) ausreichte, durch Anleihen gedeckt. Diese entstammten häufig dem eigenen Staats- bzw. Tempelschatz und waren als Anleihe bei den Göttern des eigenen Landes „Scheindarlehen“9. Teilweise erfolgte die Darlehensaufnahme aber auch bei fremden Staaten oder staatsfremden Privaten10 oder wurde mittelbar durch Währungsmanipulationen (d.h. absichtliche Geldverschlechterung) erreicht11. Man wird unterstellen können, dass die Krieg führenden Staaten regelmäßig davon ausgingen, ihren Krieg zu gewinnen. In diesem Fall stellte sich die kurzfristige Erhöhung der Ausgaben ohne weiteres als lohnende Investition in die Zukunft dar12. Die Rückzahlung der „Staatsgate investment approach) definieren lässt. Auch kann die Last ohne weiteres positiv sein, wenn man einen (wohl unrealistisch niedrigen) Zinssatz unterstellt, der die Wachstumsrate dauerhaft unterschreitet, vgl. auch die Darstellungen bei Heun, Die Verwaltung 18 (1985), 1 [7 ff., 14]; Thormählen, Konjunkturpolitik 26 (1980), S. 77 [81]; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 3. 8 Gerloff, Öffentliche Finanzwirtschaft, Bd. II, S. 128; vgl. auch Hume, Of Public Credit, The Essays, Moral, Political and Literary, Part II, IX, Reprint, London 1904, S. 355: „to hoard up treasures beforehand as the instruments either of conquest or defence“; Smith, Wealth Of Nations (1776), Book V, Chapter III, S. 580 f. 9 Vgl. Gerloff, Öffentliche Finanzwirtschaft, Bd. II, S. 120 f.; Mombert, Einleitung, in: Diehl/Mombert, Das Staatsschuldenproblem, S. 1, m. w. N. 10 Gerloff, Öffentliche Finanzwirtschaft, Bd. II, S. 121, 123. 11 Vgl. das Beispiel bei Gerloff, Öffentliche Finanzwirtschaft, Bd. II, S. 123: Während der punischen Kriege wurde in Rom das Gewicht des As um ein Drittel herabgesetzt. Zu gleicher Zeit musste der Jupitertempelschatz zu Notprägungen seine Goldbarren hergeben, die dem Gott in vergoldetem Blei ersetzt wurden. 12 Vgl. auch Püttner, Staatsverschuldung als Rechtsproblem, S. 14: „So hat man im Ersten Weltkrieg die Kriegsanleihen mit der […] erleichterten Abzahlbarkeit der Schulden nach dem sicheren Sieg einigermaßen verständlich begründen können“.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
schuld“ – die dann durch Aufwertung der zuvor „plattierten“ Währung bzw. durch das bloße Auffüllen des Tempelschatzes erfolgte – konnte aus den Tributen der eroberten Provinzen bestritten werden. Schon früh war in der ökonomischen Theorie die Staatsverschuldung mit dem Gedanken verknüpft, dass sich der öffentliche Kredit in irgendeiner Form „auszahlen“ müsse13. Dies ist bis heute so geblieben. Immer wieder geändert haben sich allerdings die Vorstellungen davon, ob bzw. wie die staatliche Kreditaufnahme als „Lastenverschiebung in die Zukunft“ durch einen entsprechenden Zukunftsnutzen ausgeglichen oder sogar in einen volkswirtschaftlichen Gewinn (wachsender Kapitalstock, technischer Fortschritt) verwandelt werden kann14. Während etwa Adam Smith davon ausging, dass die Kreditfinanzierung der Staatsausgaben, speziell der Kriegskosten, zu immer höheren Schuldenund damit Steuerlasten führen müsse15, und David Hume das Schreckensszenario einer Schulden- und Steuerspirale entwarf, die den Staat auf Dauer zerstören würde16, findet man bereits bei den englischen Merkantilisten17 13 Anders nur dort, wo der „Kredit“ nicht zurückgezahlt werden musste, also die Götter auf den Tempelschatz verzichteten, oder der Monarch schlicht die Rückzahlung verweigerte, sei es durch Tod (Singularsukzession bei der Thronfolge in den deutschen Fürstentümern, vgl. Gerloff, Öffentliche Finanzwirtschaft, Bd. II, S. 126) oder durch gewillkürten Akt, vgl. Maitland, The Constitutional History of England (1926), S. 438: „Under Henry VIII parliament does a scandalous thing: it declares that the king need not pay his debts. At all times it is difficult enough to get money from the king – one cannot sue him“. – Sieht man „Staat“ und „Volkswirtschaft“ getrennt, so ist auch eine „Entschuldung“ durch Inflation denkbar (vgl. Gerloff, Öffentliche Finanzwirtschaft, Bd. II, S. 124), soweit nicht inflationsindexierte Anleihen emittiert werden (so auf Bundesebene erstmals im Jahr 2006, s. den Bericht des Bundesministeriums der Finanzen über die Kreditaufnahme des Bundes im Jahr 2006, S. 18. 14 Siehe zu der Entwicklung der hierzu formulierten finanzwissenschaftlichen Theorien etwa Heun, Die Verwaltung 18 (1985), 1 ff.; v. Arnim, BayVBl. 1981, 514 ff.; Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 31 ff.; Hickel, Notwendigkeit und Grenzen der Staatsverschuldung, in: Diehl/Mombert, Das Staatsschuldenproblem, S. I ff. 15 Smith, Wealth Of Nations (1776), Book V, Chapter III, S. 581: „The return of peace, indeed, seldom relieves them [sc. the people] from the greater part of the taxes imposed during the war. These are mortgaged for the interest of the debt contracted in order to carry it on. […] The new taxes were imposed for the sole purpose of paying the interest of the money borrowed upon them“. 16 Hume, Of Public Credit, The Essays, Moral, Political and Literary (1742), Part II, IX, Reprint, London 1904, S. 361: „But if all our present taxes be mortgaged, must we not invent new ones? And may not this matter be carried to length that is ruinous and destructive?“, vgl. auch bereits oben, Fn. 19 (S. 17). 17 Vgl. hierzu Stern, StaatsR II, § 51 II 1, S. 1265 [Fn. 59] und Heun, Die Verwaltung 18 (1985), 1 [7], jeweils m. w. N.
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und auch in der Finanzwissenschaft des frühen 19. Jahrhunderts gegenläufige Positionen. So fasste Lorenz v. Stein die intergenerative Lastenverteilung als durchaus positiv auf und formulierte den Satz, dass ein Staat ohne Staatsschuld entweder zu wenig für seine Zukunft tue, oder zu viel von seiner Gegenwart fordere18. Man sah es als ungerecht an, Maßnahmen zum Ausbau der Infrastruktur (Brücken, Straßen, Kanäle) mit Steuergeldern der jetzigen Generation zu finanzieren, obwohl künftige Generationen davon ebenfalls profitieren konnten19. Richard Musgrave hat hierfür später das Prinzip „pay as you use“ formuliert20, nach dem die Bereitstellungskosten langfristiger Investitionen auf deren Nutzungsdauer verteilt werden können. Obgleich durchaus fraglich ist, ob diese Annahme so zutrifft, und die Lastenverschiebung tatsächlich durch eine Nutzenerstreckung kompensiert wird (immerhin werden künftige Generationen ja auch ihrerseits in die Zukunft investieren und bestehende Investitionen erhalten müssen, so dass man eher von einem „Generationenvertrag“21 sprechen könnte)22, knüpft das Grundgesetz in Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG an entsprechende Überlegungen an und greift insoweit die „Goldene Regel der Finanzpolitik“23 auf, nach der eine investitionsorientierte Verschuldung, die gleichmäßige Be- und Entlastung über die verschiedenen Generationen hinweg prinzipiell gewährleistet: Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten. Die Investitionen werden dabei als zukunftsbegünstigende24 Maßnahv. Stein, Lehrbuch der Finanzwissenschaft4, Bd. 2 (1878), S. 347. Vgl. v. Arnim, BayVBl. 1981, 514 [517]. 20 Musgrave, Finanztheorie2, S. 523. 21 Zum Begriff vgl. Schreiber, Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft, S. 28. 22 Diskutiert wird auch eine Verdrängung privater Investitionen durch den staatlichen Kreditbedarf, der zu Zinssteigerungen führt (crowding-out) und dadurch das Produktionspotenzial mindert, hierzu Heun, Die Verwaltung 18 (1985), 1 [10]; Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 37 ff. Wiederum andere Lehrmeinungen (die sog. „neue Orthodoxie“) gehen davon aus, dass die Staatsverschuldung als interne Verschuldung (we owe it to ourselves) makroökonomisch keine intertemporale sondern nur eine interpersonelle Verteilung bewirke (s. Thormählen, Konjunkturpolitik 26 (1980), S. 77 [85] und Lerner, The Burden of Debt, S. 91 [93]; s. auch Duwendag, Staatsverschuldung, S. 38 ff.; Heun, Die Verwaltung 18 (1985), 1 [8]; Wendt/Elicker, DVBl. 2001, 497 [498]. Eine grafische Übersicht der verschiedenen „Lastverschiebungsthesen“ findet sich bei Shoup, in: Recktenwald, Finanztheorie, S. 459 [470 f.]. 23 Vgl. Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 50; Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 2005, S. 27; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 3 f. 24 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [334]. 18 19
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men verstanden, „die bei makro-ökonomischer Betrachtung die Produktionsmittel der Volkswirtschaft erhalten, vermehren oder verbessern“25. Daneben erkennt das Grundgesetz in Art. 109 Abs. 2, Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG aber auch an, dass die Staatsverschuldung konjunkturelle Auswirkungen hat26, und bindet die staatliche Kreditaufnahme situationsbezogen an die „Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“. II. Kreditaufnahme in der Demokratie als „Herrschaft auf Zeit“ Wegen der Dauerhaftigkeit der Kreditaufnahme wird die Staatsverschuldung aus verfassungstheoretischer Sicht häufig auch als „Demokratieproblem“ gesehen27. Der durch die Kreditverbindlichkeit betroffene zukünftige Steuerzahler, der für Zins und Tilgung hafte, könne bei Eingehung der staatlichen Kreditverbindlichkeit noch nicht die Einflussmöglichkeiten des demokratischen Wählers wahrnehmen28. Aus dem Grundprinzip „Macht auf Zeit“ folge allgemein, dass der gewählte Gesetzgeber nur über die endgültigen Einnahmen seiner Amtsperiode befinden und nicht auf die Einnahmen künftiger Amtsträger vorgreifen dürfe29. Die Befürchtung, der demokratisch gewählte Gesetzgeber missbrauche durch die Belastung nachfolgender Generationen seine „Macht auf Zeit“, ist maßgeblich geprägt durch eine Untersuchung der amerikanischen Ökonomen James Buchanan und Richard Wagner, die die „Demokratie im Defizit“30 sahen, weil der kurzfristig orientierte, auf Wiederwahl bedachte Politiker die „Zeitmaschinen-Eigenschaft“31 der Staatsverschuldung ausnutzen würde, um sich „spendabel auf Kosten der Zukunft“32 zu zeigen. Der Wähler unterliege 25
BT-Ds. V/3040 = BR-Ds. 284/68, S. 47 [Tz. 134]. BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [335]. 27 Püttner, Staatsverschuldung als Rechtsproblem, S. 11; Buchanan/Wagner, Democracy in Deficit, passim; Brenner/Haury/Lipp, FinArch 35 (1980), 236 [245]; Birk, DVBl. 1984, 745 [749]; v. Arnim, BayVBl. 1981, 514 [519]; Puhl, Budgetflucht, S. 473; Wolff, Änderungsbedürftigkeit des Art. 115 GG, in: FS v. Arnim, S. 313 [316]; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 58 ff. und die in der folgenden Fn. 28 Genannten. 28 P. Kirchhof, Verfassungsrechtliche Grenzen der Steuerlast und Staatsverschuldung, S. 51 [75]; Püttner, Staatsverschuldung als Rechtsproblem, S. 10 f.; Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: FS Friauf, S. 705 [706]. – Krit. bereits Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 94–104; Donner, ZParl. 1987, 436 [445]; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 115, Rn. 1; differenzierend auch Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 109 ff. 29 Püttner, Staatsverschuldung als Rechtsproblem, S. 11. 30 So der doppelsinnige Titel: Buchanan/Wagner, Democracy in Deficit, The Political Legacy of Lord Keynes, New York 1977. 31 s. die Nachweise o. Fn. 4 (S. 252). 26
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Schuldenstand 1950–2006 Milliarden 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0 1950 1953 1956 1959 1962 1965 1968 1971 1974 1977 1980 1983 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 Jahr Schulden des Bundes
Schulden der Gesamthaushalte
Abbildung 2
einer Schuldenillusion und vernachlässige die zukünftigen Lasten33. Die Entwicklung der Staatsverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland scheint das eindrucksvoll zu bestätigen; der Schuldenstand der öffentlichen Haushalte ist in nahezu jedem Haushaltsjahr gestiegen34 (s. Abb. 2). Hat der demokratische Gesetzgeber in den letzten 60 Jahren also das Demokratieprinzip verletzt und seine Herrschaft auf Zeit missbraucht? Der Zyniker kann das mit Blick auf die ansteigende „Kurve“ der Staatsverschuldung ohne weiteres verneinen: Offenbar hielten alle bisherigen Gesetzgeber eine intertemporale Lastenverschiebung durch die Aufnahme von (neuen) Krediten für notwendig, so dass der „zukünftige Steuerzah32
So der Titel eines Beitrags von P. Kirchhof, in: FAZ, Nr. 77 v. 2.4.1983, S. 13. Buchanan/Wagner, Democracy in Deficit, S. 131; s. auch Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 54 f. m. Hinw. auf entsprechende empirische Untersuchungen. Aus rechtswissenschaftlicher Sicht s. Wolff, Änderungsbedürftigkeit des Art. 115 GG, in: FS v. Arnim, S. 313 [316 f.]; v. Arnim, BayVBl. 1981, 514 [519]; Bröcker, Grenzen staatlicher Verschuldung, S. 198 ff.; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 1. 34 Zahlen nach BMF, Schulden der öffentlichen Haushalte, http://www.bundes finanzministerium.de ! Wirtschaft und Verwaltung ! Finanz- und Wirtschaftspolitik ! Öffentlicher Gesamthaushalt. – Ein Sondereffekt ergibt sich im Haushaltsjahr 1999 durch die Übernahme der Kredite von Sondervermögen (Art. 115 Abs. 2 GG) in den Bundeshaushalt. 33
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
ler“, als er dann die demokratische Entscheidungsgewalt hatte, die Staatsverschuldung jedenfalls bislang nicht „abgewählt“ hat. Warum sollte sich das ändern? 1. Zulässigkeit des Vorgriffs auf die Entscheidungsgewalt zukünftiger Gesetzgeber
Versucht man eine weniger zynische Antwort, so muss man konstatieren, dass ein Missbrauch der gegenwärtigen „Macht auf Zeit“ nur in Betracht kommt, wenn man andererseits den Gebrauch dieser Macht für unbedenklich hält. Anderenfalls wäre jede über die einzelne Legislaturperiode hinausgreifende Maßnahme (z. B. die Förderung der Kernenergie35, die Wiedervereinigung Deutschlands oder, um im Haushaltsrecht zu bleiben, die Bildung einer Rücklage als Gegenstück zur staatlichen Kreditaufnahme) demokratisch nicht legitimiert. Dem gewählten Gesetzgeber der Gegenwart müsste es unbenommen sein, „Nutzen“ in die Zukunft zu verlagern, da hierdurch keine Bindung späterer Generationen, sondern eine „Erweiterung der Freiheit“ künftiger Steuerzahler bewirkt wird. Auch hier findet aber ein Vorgriff auf die Entscheidungsgewalt zukünftiger Gesetzgeber statt. Ob der zukünftige Wähler die gut gemeinte Vorsorge ebenfalls als „nützlich“ ansieht, kann nie sicher vorhergesagt werden. An dieser Kontrollüberlegung zeigt sich, dass das eingängige Demokratieargument durchaus seine Tücken hat. Die Frage nach der Befugnis des gegenwärtig demokratisch legitimierten Gesetzgebers, „Lasten“ für die Zukunft zu konstituieren, ist jedenfalls eng verzahnt mit der (ökonomischen) Auffassung, dass überhaupt eine Lastenverschiebung stattfindet. Unterstellt man die Richtigkeit dieser Auffassung und geht davon aus, dass die Kreditaufnahme auch in makroökonomischer Sicht zu einer Verschiebung von Lasten in die Zukunft führt und damit jedenfalls die Gefahr einer Ausbeutung zukünftiger Generationen in sich birgt36, so folgt daraus noch nicht, dass die Staatsverschuldung dem Demokratieprinzip widerspricht. Demokratie ist „Herrschaft auf Zeit mit dem Gebot periodischer Neuwahl“37. Die hierdurch bewirkte personelle Diskontinuität verhindert aber nicht, dass Regierungen und Parlamente sich in ihren Taten perpetuieren, indem sie mit ihren Entscheidungen der gesellschaftlichen und staatlichen Realität über die Grenzen der Amtsperiode hinaus ihren Stempel aufdrücken38. 35 36 37 38
Zu diesem Beispiel s. Henseler, AöR 108 (1983), S. 489 [539 f.]. Vgl. nur Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 55. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 20, Rn. 15. Henseler, AöR 108 (1983), S. 489 [490].
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Der Gesetzgeber darf einen späteren neu gewählten Gesetzgeber nicht rechtlich binden39; faktische Bindungen infolge gesetzgeberischer Maßnahmen (oder auch infolge des Unterlassens gesetzgeberischer Maßnahmen) werden von diesem Grundsatz aber nicht umfasst. Vielmehr gehört es zu den Aufgaben des demokratischen Gesetzgebers, über die Amtsperioden hinauszusehen, Vorsorge für die dauerhafte Befriedigung von Gemeinschaftsinteressen zu treffen und damit auch die Entscheidungsgrundlagen nachfolgender Amtsträger inhaltlich vorauszubestimmen40. Die Staatsverschuldung wäre schließlich auch kein singuläres Beispiel für die Belastung zukünftiger Generationen, wie der damalige Bundesfinanzminister Matthöfer bereits 1979 in einer Bundesratsrede veranschaulicht hat: „In einem gewissen Sinne […] beuten wir zukünftige Generationen aus: indem wir in zwei Generationen das Öl verbrennen, das sich in Millionen von Jahren gebildet hat, ohne dass wir uns darum kümmern, wie viel davon übrig bleibt; indem wir Luft und Wasser verschmutzen; indem wir die mineralischen Rohstoffe geradezu in einem Verschwendungsrausch verbrauchen, alles ohne Rücksicht auf die zukünftigen Generationen.“41
So berechtigt und überzeugend die Forderung nach einer „Nachhaltigkeit“42 der öffentlichen Finanzpolitik und dementsprechend nach einer Begrenzung der Staatsverschuldung ist, aus dem Grundsatz der „Herrschaft auf Zeit“ lassen sich solche Begrenzungen nicht ohne weiteres ableiten. Politische und ökonomische Fehler, die ein demokratisch gewählter Gesetzgeber macht, bedeuten noch keine Verletzung des Demokratieprinzips. Es ist aber auch nicht notwendig, die allgemeine Aufgabe der Zukunftssicherung aus dem Demokratieprinzip abzuleiten. Nicht die zeitliche Begrenzung staatlicher Entscheidungen ist zukunftssichernd, sondern der auf nachhaltige Entwicklung angelegte Inhalt dieser Entscheidungen, die ein demokratischer Gesetzgeber ebenso treffen kann, wie der „kluge Fürst“. Das Grundgesetz geht keineswegs davon aus, dass die Verfassung ein „Gesellschaftsvertrag“ ist, der mit dem Tod der vertragsschließenden Personen aufgelöst wird, und spaltet die Volkssouveränität auch nicht auf Ge39 Hierzu im Zusammenhang mit der Bindungswirkung des HGrG bereits oben, § 2 A. IV. 2., Fn. 272 (S. 75). 40 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [343]. 41 Protokoll der 469. Sitzung des Bundesrats, 16.2.1979, S. 5 (D). 42 Hierzu Wissenschaftlicher Beirat BMF, Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik (Heft 71), S. 5 ff.; UN-Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, „Our Common Future“, UN A/42/427 v. 4.8.1987 (sog. Brundtland-Bericht), online unter http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N87/184/67/IMG/N8718467.pdf), Kap. 2, Tz. 1 (S. 54): „Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“; vgl. auch Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 4.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
nerationen oder Wahlperioden auf43. Die demokratische Neuwahl gibt die Möglichkeit zur Politikkorrektur, bedeutet aber keine allgemeine Diskontinuität des staatlichen Lebens. Die Annahme, der Gesetzgeber dürfe nicht in den Verantwortungsbereich zukünftiger Gesetzgeber übergreifen, kann nicht überzeugen. Ansonsten folgte aus dem Demokratieprinzip ein allgemeines Gebot des Nichtstuns, weil auf diese Weise die Entscheidungsfreiheit zukünftiger Generationen am besten gewährleistet würde. Das Gegenteil ist richtig: Der Gesetzgeber muss schon jetzt das Handeln an den Bedürfnissen auch der folgenden Generationen ausrichten. Auf welche Weise dies geschieht, ist eine politische Entscheidung, deren „Richtigkeit“ in der Demokratie durch regelmäßige Wahlen prozedural abgesichert wird. 2. Grenzen der Staatsverschuldung als Zukunftssicherung
Bezogen auf die Staatsverschuldung ist die politische Entscheidung, wie die Bedürfnisse der nachfolgenden Generationen berücksichtigt werden können, eine Abwägung zwischen dem gegenwärtigen und zukünftigen Nutzen der kreditfinanzierten Ausgaben (ggf. auch der Auswirkungen der Kreditaufnahme selbst, z. B. durch Zinseffekte) und dem zukünftigen Schaden durch eingegangene Kreditverpflichtungen (Ausgaben für Zinsen und Tilgung, die Handlungsspielräume einengen). Die Steuerung dieser Abwägung ist Aufgabe der Verfassung, die eine bewusst auf Bestand und Dauer angelegte normative Ordnung44 ist. Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG ist insoweit eine verfassungskräftige und systemkonforme Konkretisierung des Demokratieprinzips45. Die staatliche Kreditaufnahme zeichnet sich dadurch aus, dass der zukünftige Nutzen mit prognostischen Unsicherheiten behaftet ist, während die Belastung mit Schuldendiensten vorhersehbar in der Natur des Kreditschuldverhältnisses liegt46. Die Finanzierung staatlicher Ausgaben durch Kredite ist daher immer ein „Risiko“, das schon bei der Kreditaufnahme einzuplanen ist47. Der Minimierung dieses Risikos dienen die verfassungs43
Vgl. bereits Henseler, AöR 108 (1983), S. 489 [540 f.]. Scheuner, in: Regierbarkeit, Bd. 2 (1979), S. 113. 45 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [343]; BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 134; Heun, Die Verwaltung 18 (1985), 1 [26]; Wendt/Elicker, DVBl. 2001, 497 [498], [Hervorhebung nur hier, d. Verf.]. 46 Halstenberg, DVBl. 2001, 1405 [1406]. – Das „Heilmittel“ der Inflation (Püttner, Staatsverschuldung als Rechtsproblem, S. 26), welches die Schuldenbelastung verringern würde, soll hier außer Betracht bleiben, und wird auch teilweise ausgeschlossen, s. oben Fn. 13 (S. 254). 47 Halstenberg, DVBl. 2001, 1405 [1406]; Osterloh, NJW 1990, 145 [150]: „Jeder einzelne Haushaltsanschlag ist in Wirklichkeit zusätzlich mit einem anteiligen Zinsaufschlag belastet“. 44
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rechtlichen Verschuldungsgrenzen48. (Auch) die demokratische Verfassung ist gerade nicht der jeweilige Wille der jeweiligen Mehrheit, sondern „der Ausdruck des gegründeten und dauernden Volkswillens, zu dem man nach umfassender Überlegung gelangt ist“49. Sie stellt damit als „ruhender Pol des Ganzen“50 langfristige Wertentscheidungen den häufig kurzfristigen Überlegungen der „Tagespolitik“ entgegen. Wie die Grenzen der Staatsverschuldung im Einzelnen ausgestaltet sind, ist eine Frage der finanz- und verteilungspolitischen Grundentscheidungen, die die Verfassung zu treffen hat51. Eine Verschuldungsgrenze, die sich an der „Goldenen Regel der Finanzpolitik“ orientiert, ist dabei vor dem Hintergrund der intergenerativen Umverteilung politisch und ökonomisch gut begründbar52 und plausibel53. Die Grundentscheidung des Verfassungsrechts, Staatverschuldung zu begrenzen, ist rechtspolitisch für neue Überlegungen offen54. Alte wie neue staatsschuldenrechtliche Regelungen setzen aber voraus, dass die Grundentscheidung, wenn sie einmal getroffen ist, auch in den einzelnen Haushaltsgesetzen umgesetzt und verfassungsrechtlich vor Umgehungs- und Vermeidungsstrategien geschützt wird55. Rechtlich bedingt die Begrenzung der Staatsverschuldung als „verfassungskräftige Konkretisierung des Demokratieprinzips“, dass die durch die Verfassung gezogene Grenze – nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem „Geist“ nach – eingehalten wird und nicht aufgrund aktueller „Bedürfnisse“ umgangen wird. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass Haushaltsgesetzgeber und Finanzverwaltung ein ähnliches Hase-und-Igel-Spiel56 mit 48
Vgl. Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: FS Friauf, S. 705 [707]: „Die verfassungsrechtliche Verschuldungsbarriere schützt die Demokratie vor sich selbst“. 49 So bereits James Bryce, zit. nach Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung (1945), S. 52; ähnlich Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 18; Stern, StaatsR I2, § 3 III 4, S. 86; Scheuner, in: Regierbarkeit, Bd. 2 (1979), S. 113 f. 50 Stern, StaatsR I2, Vorwort zur 1. Auflage, S. VIII. 51 Ähnlich BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 132: „Auch heute bleiben grundlegende Revisionen des Regelungskonzepts der Art. 115 Abs. 1 Satz 2 und Art. 109 Abs. 2 GG dem verfassungsändernden Gesetzgeber vorbehalten“ m. Hinw. auf BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [338]; vgl. auch aus ökonomischer Sicht Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 55. 52 Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 55. 53 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 2005, S. 27. 54 Vgl. hierzu die Kritik des BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 133, nach der „an der Revisionsbedürftigkeit der geltenden verfassungsrechtlichen Regelungen gegenwärtig kaum noch zu zweifeln“ sei. 55 Dies betont auch Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: FS Friauf, S. 705 [707]: Der Finanzstaat lasse sich nur schwer rechtlich bändigen. 56 Vgl. Handelsblatt, Nr. 144 v. 30.7.2007, S. 3.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
den Schuldengrenzen der Verfassung treiben, wie der Steuerzahler seinerseits mit den Steuergesetzen.
B. Die „Zeitlichkeit“ der verfassungsrechtlichen Kreditgrenze Das geltende57 Staatsschuldenrecht des Grundgesetzes58 nimmt die Vorstellung von der Zukunftsbegünstigung auf, die einerseits durch Investitionen (Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG), andererseits durch konjunkturelle59 bzw. stabilisierungspolitische Wirkungen der Kreditaufnahme (Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG) erreicht werden soll. Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG bestimmt, dass die Einnahmen aus Krediten die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten dürfen. Ausnahmen sind nach dem Hs. 2 des Satz 2 nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Für die Bestimmung der verfassungsrechtlichen Grenzen für die Kreditaufnahme ist damit zu klären: 57 Zu den Bestrebungen einer Reform des Staatsschuldenrechts im Rahmen der sog. „Föderalismusreform II“ vgl. BT-Ds. 16/3885, S. 3: „Entwicklung materieller Kriterien zulässiger Verschuldung (Einführung von Verschuldungsgrenzen und „Schuldenbremsen“), Änderung von Artikel 115 und Artikel 109 GG zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen“ (= BR-Ds. 913/06, S. 4). Auch das BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 133 f. hat jüngst „verbesserte Grundlagen für wirksame Instrumente zum Schutz gegen eine Erosion gegenwärtiger und künftiger Leistungsfähigkeit des demokratischen Rechts- und Sozialstaats“ angemahnt. 58 Für die Verfassungen der Bundesländer s. Art. 84 S. 2 BaWüVerf; Art. 87 Abs. 2 S. 2 BerlVerf; Art. 103 Abs. 1 S. 2 BbgVerf; Art. 131a S. 2 BremVerf; Art. 65 Abs. 2 S. 1 M-VVerf; Art. 71 S. 2 u. 3 NdsVerf; Art. 83 S. 2 Verf NW; Art. 117 S. 2 RhPfVerf; Art. 95 S. 2 SächsVerf; Art. 99 Abs. 2 u. 3 VerfLSA; Art. 53 S. 2 SchlHVerf, Art. 98 Abs. 2 S. 2 u. 3 ThürVerf. Eine „klassische“ Schuldenbegrenzungsregel, die jedoch teilweise durch Art. 109 Abs. 2 GG überlagert wird, findet sich in Art. 82 S. 1 BayVerf („nur bei außerordentlichem Bedarf“) sowie Art. 72 Abs. 1 HmbVerf und Art. 141 S. 1 HessVerf („nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken“). Kombiniert sind beide Ansätze in Art. 108 Abs. 2 SaarlVerf: „zur Abwehr einer Störung […] oder bei Vorliegen eines außerordentlichen Bedarfs“. Vgl. auch die Übersicht Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 65. 59 Bei der Neufassung des Art. 109 Abs. 2 und 115 Abs. 1 S. 2 GG sollte das Gebot einer antizyklischen Haushalts- und Finanzpolitik in der Verfassung verankert werden, vgl. Brenner/Haury/Lipp, FinArch 35 (1980), 236 [238 ff.]; BT-Ds. V/890, S. 11: „Art. 109 Abs. 2 GG legt deshalb allen öffentlichen Haushalten eine verfassungsrechtliche Pflicht zur antizyklischen Haushaltsgestaltung auf“. Zu Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG vgl. BT-Ds. V/3605, S. 14 und den schriftlichen Bericht des Abgeordneten Arndt zu BT-Ds. V/3605, S. 13.
§ 3 Die „doppelte Zeitlichkeit“ des Staatskredits
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– was unter „Einnahmen aus Krediten“ zu verstehen ist (Kreditbegriff), – was berücksichtigungsfähige „Ausgaben für Investitionen“ sind (Investitionsbegriff), – wann eine „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ vorliegt (sog. „Störungslage“), – wie die Kreditaufnahme „zur Abwehr“ dieser Störung eingesetzt werden muss und schließlich – wie die durch Art. 109 Abs. 2 GG geforderte Orientierung an den „Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ bei der Kreditaufnahme (auch in der „Normallage“) zu erfolgen hat. I. Normallage: Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG Für den Normalfall60 bindet Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG die Einnahmen aus Krediten der Höhe nach an die im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen. Dies entspricht konzeptionell der „Goldenen Regel der Finanzpolitik“61, nach der öffentliche Investitionen die Produktivität erhöhen62 und damit grundsätzlich auch auf Kosten folgender Generationen finanziert werden können (Obergrenze). 1. Einnahmen aus Krediten
Gegenstand der staatsschuldenrechtlichen Begrenzungsregel in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG sind die „Einnahmen aus Krediten“. 60 Der Normalfall ergibt sich systematisch aus dem Hs. 2: „Ausnahmen sind nur zulässig […]“. Vgl. hierzu auch Art. 83 S. 2 Verf NW: „in der Regel“. Inhaltlich sollte für die nordrhein-westfälische Verfassung trotz dieser sprachlichen Abweichung eine dem Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG entsprechende Regelung geschaffen werden, s. NWLT-Ds. 7/617, S. 11. Art. 83 S. 2 Verf NW orientiert sich damit an der ersten Entwurfsfassung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG n. F. Dieser sollte ursprünglich lauten: „Die Einnahmen aus Krediten dürfen in der Regel die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten“, vgl. BTDs. V/3040, S. 2; BT-Ds. V/3605, S. 14. 61 s. hierzu bereits oben, § 3 A. I., S. 253 ff. und Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 49 ff. 62 Die geschätzte Ertragsrate öffentlicher Investitionen in Deutschland liegt bei 10,3%, vgl. Pereira/de Fátima Pinho, Public Investment, Economic Performance and Budgetary Consolidation: VAR Evidence for the 12 Euro Countries, College of William and Mary, Working Paper Nr. 40, S. 16 (http://www.wm.edu/economics/ wp/cwm_wp40.pdf); Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 53 f.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
a) „Aufnahme von“ und „Einnahmen aus“ Krediten Nach Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG bedarf die „Aufnahme von Krediten“ einer Ermächtigung durch Gesetz, hingegen bezieht sich das Junktim nach S. 2 auf die „Einnahmen aus Krediten“. Beide Begriffe sind nicht identisch.63 Während es bei der Kreditermächtigung des S. 1 um den Brutto- oder Nominalbetrag geht, da die gesetzliche Ermächtigung die gesamte Rückzahlungsverpflichtung aus der jeweiligen Kreditaufnahme erfassen muss64, ist hinsichtlich der Kreditgrenze des S. 2 das Nettoprinzip zugrunde zu legen65. Dies ergibt sich aus dem Gedanken der „Lastenverschiebung in die Zukunft“ für den diejenigen Kreditaufnahmen, die zur Tilgung früherer Kredite, also zur Umschuldung, verwendet werden, außer Betracht bleiben können.66 Zudem soll die Höhe der erlaubten Kreditaufnahme nicht von der Zufälligkeit des jeweiligen Tilgungsbedarfs abhängen67. Während die „Kreditaufnahme“ die Begründung von Finanzschulden meint, umfasst der Begriff „Einnahmen aus Krediten“ die aufgrund einer Verschuldung entstandenen Haushaltseinnahmen68. Kreditfinanzierte Tilgungsmittel vergrößern aber nicht den Schuldenstand; die Aufnahme solcher Kredite verschafft dem Staat keine Einnahmen.69 Somit ist auch im Hinblick auf die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 109 Abs. 2 GG) unter den „Einnahmen aus Krediten“ i. S. d. Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG nicht der Betrag der gesetzlichen Ermächtigung oder der insgesamt veranschlagten Krediteinnahmen zu verstehen, sondern die Nettoneuverschuldung, d.h. der Nettobetrag, der sich als Differenz zwischen den aufgenommenen Krediten einerseits und den damit zusammenhängenden Tilgungsausgaben andererseits ergibt.70 63 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 17; Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 268; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 32. 64 Maßgeblich ist insoweit, wie die Haushaltswirtschaft künftiger Jahre insgesamt belastet ist, vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 17. 65 Hierzu bereits oben, § 2. A. III. 1. c), S. 49. 66 Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 173; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 41; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 115, Rn. 35; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 32; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 115, Rn. 20. 67 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 32; Friauf, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 92 Rn. 41. 68 BT-Ds. V/3040, S. 47 [Tz. 129, 133]. Vgl. auch die Begründung zur Neufassung des Art. 83 Verf NW: „Die Krediteinnahmen – und damit die Verschuldungen – haben den jeweiligen Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu entsprechen.“, NWLT-Ds. 7/617, S. 11. 69 Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 173; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 115, Rn. 20; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 32. 70 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 32; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 115, Rn. 20; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 41; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 30. s. auch Giesen/Fricke, Haushaltsrecht
§ 3 Die „doppelte Zeitlichkeit“ des Staatskredits
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b) Kreditbegriff des Art. 115 Abs. 1 GG Während der Gesetzesvorbehalt in Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG für die Aufnahme von Krediten sowohl die Kredite „zur Deckung von Ausgaben“ (Deckungskredite, § 13 Abs. 1 Nr. 1 HGrG) als auch die Kredite „zur Aufrechterhaltung einer ordnungsmäßigen Kassenwirtschaft“ (Kassenverstärkungskredite, § 13 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 HGrG) umfasst, beziehen sich die Kreditgrenzen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG nur auf die Deckungskredite, die für die Finanzierung von Ausgaben des jeweiligen Haushalts bestimmt sind71. Auch in der Haushaltsrechnung werden die Kassenverstärkungskredite nicht erfasst, weil sie ausschließlich zur Überbrückung unvorhersehbarer, vorübergehender Liquiditätsschwankungen dienen, die sich aus einer im Haushaltsjahr nicht synchron verlaufenden Entwicklung von Ausgaben und Einnahmen ergeben.72 Eine wesentliche Schwäche des geltenden Staatschuldenrechts liegt darin, dass sog. alternative Finanzierungsformen, bei denen es sich häufig um verdeckte Kreditaufnahmen handelt, von Art. 115 Abs. 1 GG nur unzureichend erfasst werden73. Der Kreditbegriff des Art. 115 Abs. 1 GG ist grundsätzlich eng zu verstehen. Zwar ist nach Sinn und Zweck des parlamentarischen Budgetrechts immer dann eine parlamentarische Ermächtigung erforderlich, wenn finanzielle Risiken eingegangen werden, die zusätzliche Belastungen künftiger Haushaltsjahre nach sich ziehen können74. So bedarf gem. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG „die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können“ wegen der daraus folgenden Vorbelastung zukünftiger Haushalte der gesetzlichen Ermächtigung. Es handelt sich bei diesen in Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG genannten Gewährleistungen, wie sich aus Wortlaut und Systematik der Vorschrift („soNRW, Art. 83 Verf NW, Rn. 8. Krit. Weinzen, RuP 2006, 43: Der Deckungskredit werde durch die Nettooption „optisch tiefergelegt“. 71 Vgl. § 2 Abs. 1 HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346): „Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, zur Deckung von Ausgaben für das Haushaltsjahr 2007 Kredite bis zur Höhe von 19 580 000 000 Euro aufzunehmen“ und § 2 Abs. 10 S. 1 HG 2007: „Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, Kassenverstärkungskredite bis zur Höhe von 10 Prozent des in § 1 festgestellten Betrages aufzunehmen“. 72 Diller, FinArch 44 (1986), 55 [61]. 73 Zur Kritik an der hierdurch entstehenden Gefahr der Aushöhlung des Steuerstaatsprinzips vgl. ausführlich Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 261 ff. 74 VerfGH NW, Urteil v. 3.5.1994, VerfGH 10/92, OVGE 44, 278 [285]; RhPfVerfGH, Urteil v. 20.11.1996, VGH N 3/96, NVwZ-RR 1998, 145 [147]; BerlVerfGH, Beschluss v. 21.3.2003, VerfGH 6/01, NVwZ-RR 2003, 537 [541]. Vgl. auch Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 20 ff.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
wie“) ergibt, aber nicht um „Kredite“. Erst recht handelt es sich nicht um Kredite im Sinne des Satzes 2, da durch sie – trotz ansonsten schuldengleicher Wirkung75 – regelmäßig auch keine „Einnahmen“ für den Haushalt erzielt werden können. Ähnliches gilt für sonstige alternative Finanzierungsformen, die teilweise nur gegenwärtige Ausgaben ersparen (z. B. private Vorfinanzierungen76), teilweise zwar Einnahmen ermöglichen, die aber als solche nicht aus der Kreditverbindlichkeit resultieren77 (z. B. Forderungsverkäufe oder Sale-and-lease-back-Transaktionen78). Allein die Vorbelastung künftiger Haushalte führt noch nicht zum Vorliegen einer Kreditaufnahme i. S. d. Haushaltsverfassungsrechts79. Verdeckte Kreditgeschäfte, die dem Staat mittelbar Einnahmen verschaffen, unterfallen zwar als „Aufnahme von Krediten“ dem Gesetzesvorbehalt des Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG80. Indes ergäbe sich bei dem Versuch, die alternativen Finanzierungsformen unter die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG („Einnahmen aus Krediten“) zu subsumieren, regelmäßig ein Problem: Während sich Kreditaufnahme- und späterer Tilgungsbetrag beim „normalen“ Staatskredit zahlenmäßig entsprechen, so dass die „Ausgaben“ für Investitionen und die (Netto-)„Einnahmen“ aus Krediten im Rahmen des „Junktims“ zahlenmäßig gegenübergestellt werden können, lässt sich der an der Nettoneuverschuldung ausgerichtete Funktionsmechanismus des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG nicht auf die „mittelbaren Krediteinnahmen“ anwenden81. Zins- und Tilgungsanteile sind hier zumeist nicht trennbar 75
RhPfVerfGH, Urteil v. 20.11.1996, VGH N 3/96, NVwZ-RR 1998, 145 [147] (= DVBl. 1997, 491 [493]) – Mogendorfer Modell, hierzu Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 285 ff. 76 Hierzu Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 261 ff. 77 Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG spricht von „Einnahmen aus Krediten“. Die Einnahmen entstehen (z. B. im Fall des sale-and-lease-back) aber im Wege der Aufgabe einer bestehenden Rechtsposition, nicht durch die Eingehung eines neuen (Kredit-)Vertrages. Die entstehende Verbindlichkeit ist nur die Konsequenz daraus, dass die aufgegebene Rechtsposition ggf. wiederbeschafft werden muss (z. B. im Wege des lease-back), a. A. F. Kirchhof, DÖV 1999, S. 242 [247]; Gröpl, DStZ 1999, 113 [121]; differenzierend Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 328. 78 Vgl. Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 318 ff. 79 RhPfVerfGH, Urteil v. 20.11.1996, VGH N 3/96, NVwZ-RR 1998, 145 [147]; BerlVerfGH, Beschluss v. 21.3.2003, VerfGH 6/01, NVwZ-RR 2003, 537 [541]. 80 BerlVerfGH, Beschluss v. 8.4.1997, VerfGH 78/96, NVwZ-RR 1997, 506; RhPfVerfGH, Urteil v. 20.11.1996, VGH N 3/96; NVwZ-RR 1998, 145 [147]; weitergehend BVerfG, Beschluss v. 17.11.1998, 2 BvK 1/98, BVerfGE 99, 57 [67 f.]. – Der Gesetzesvorbehalt bezieht sich, soweit explizite verfassungsrechtliche Regelungen fehlen (anders z. B. in Art. 81 S. 1 BayVerf), nicht auf die Veräußerung des staatlichen Vermögens (vgl. aber die Beteiligungsrechte des Parlaments gem. §§ 64 Abs. 2, 65 Abs. 7, 112 Abs. 2 BHO, dazu Birk/Wernsmann, DVBl. 2005, 1 [3 ff.]), sondern auf die Begründung der Verbindlichkeiten (vgl. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG: „sonstige Gewährleistungen“).
§ 3 Die „doppelte Zeitlichkeit“ des Staatskredits
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oder werden zumindest nicht offen gelegt82. Eine Berücksichtigung von z. B. Veräußerungserlösen als „Einnahmen aus Krediten“, mit der Konsequenz einer Anrechnung auf die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG, entspricht daher nicht der finanzverfassungsrechtlichen Systematik83. Ein Weg, die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG auch auf solche alternativen Finanzierungsformen anzuwenden, könnte hingegen über den Investitionsbegriff beschritten werden. Bei der Veräußerung von Investitionsgütern, also solchen Wirtschaftsgütern, die bei der Anschaffung als Investitionen behandelt wurden, kommt eine Anwendung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG in Betracht, wenn man die Veräußerung als „Desinvestition“ ansieht, die im Rahmen der Nettoinvestitionen84 zu berücksichtigen wäre. Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG enthält insoweit – auch wenn man das bedauern mag – keine allgemeine Schuldengrenze, die auch Verwaltungsschulden im weiteren Sinne umfasst, sondern nur eine Kreditgrenze, die sich auf Finanzschulden (d.h. Deckungskredite) bezieht. c) Kreditaufnahme bei Gebietskörperschaften Für die Haushalte der Länder, weniger auf Bundesebene, stellt sich zudem die Frage, ob neben der Nettokreditaufnahme am Kreditmarkt (in den Gruppierungsübersichten: Obergruppe 32) auch solche Deckungskredite einzubeziehen sind, die bei anderen Gebietskörperschaften (v. a. beim Bund) aufgenommen werden (Obergruppe 31). Der gängigen Haushaltspraxis soll es entsprechen, nur die Nettokreditaufnahme am Kapitalmarkt in die verfassungsrechtliche Kreditgrenze mit einzubeziehen.85 Nur diese wird regelmäßig in der „Finanzierungsübersicht“86 81
Ähnlich Jahndorf, NVwZ 2001, 620 [626]; a. A. Gröpl, DStZ 1999, 113 [121]: Berücksichtigung erst auf Ebene der Altschuldenverrechnung. 82 Vgl. zur „Kreditaufnahme ohne Krediteinnahmen“ Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 30; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 288 ff. 83 Anders aber BVerfG, Beschluss v. 17.11.1998, 2 BvK 1/98, BVerfGE 99, 57 [67 f.]. Im Wege der einstweiligen Anordnung wurde hier dem Land Schleswig-Holstein aufgegeben, „bis zur Entscheidung in der Hauptsache […] etwaige Einnahmen aus dem ‚Liegenschaftsmodell‘ (Art. 1 § 17 Abs. 6 des Haushaltsbegleitgesetzes 1998 v. 23.1.1998, GVOBl. Schl.-H., S. 37) nur so [zu] behandeln, als seien sie Einnahmen aus Kredit“. 84 Dazu noch unten § 3 B. I. 2. b), S. 273 ff. [S. 282 f.]; vgl. auch bereits Andel, Wirtschaftsdienst 1998, 457 [459]. 85 So Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 174; Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 270; Fricke, Kreditbegrenzung im Staatshaushalt, FinArch 48 (1990), 222 [235].
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
und dem „Kreditfinanzierungsplan“87 ausgewiesen. In der Tat könnte man im Hinblick auf das „zugrunde liegende Lastverteilungskonzept“88 davon ausgehen, dass der Krediteinnahmebegriff auf die – ohnehin zahlenmäßig bedeutsamere89 – Nettoneuverschuldung am Kreditmarkt zu beschränken sei90. Begründen ließe sich dies durch den so genannten „Wachstumsansatz“91, der die in die Zukunft verschobene „Last“ als Reduktion des Kapitalstocks definiert.92 Versteht man das crowding out privater Kreditnachfrager als alleinige intertemporale Verteilungswirkung, die durch die verfassungsrechtlichen Kreditgrenzen gesteuert und begrenzt werden soll, so wäre in der Tat eine Kreditaufnahme bei öffentlich-rechtlichen Rechtssubjekten nach Sinn und Zweck nicht als „Einnahmen aus Krediten“ zu erfassen.93 Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die staatsschuldenrechtlichen Regelungen nicht nur die Belastung des privaten Kreditmarkts durch öffentliche Darlehen begrenzen, sondern vor allem auch die Belastungen der zukünftigen Haushalte, die gem. Art. 109 Abs. 1 GG getrennt zu betrachten sind, in Schranken halten sollen94. Daher lässt sich die begriffliche Einengung auf Kreditmarktschulden nicht halten. Sie findet zudem weder im Wortlaut noch in der Systematik der Finanzverfassung eine Stütze. So geht auch die jetzige Haushaltspraxis z. B. in Nordrhein-Westfalen davon aus, dass die Schulden bei öffentlichen Haushalten einzubeziehen sind.95 Unabhängig davon, ob die Kredite am Kredit86 Vgl. z. B. den Gesamtplan Teil II des HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346 – http://www.bundesfinanzministerium.de/bundeshaushalt2007/pdf/vorsp/ vsp_g.pdf). 87 Gesamtplan Teil III des HG 2007 (http://www.bundesfinanzministerium.de/ bundeshaushalt2007/pdf/vorsp/vsp_h.pdf). 88 Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 175; Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 270. 89 Zum Vergleich: Am 30.6.2005 betrugen die Schulden bei öffentlichen Haushalten 3.281,1 Mrd. e während die Kreditmarktschulden sich auf 103.524,2 Mrd. e beliefen. Vgl. Schreiben des Finanzministeriums des Landes NRW v. 19.8.2005 – SV 1000.32 – III B 4 –, Anlage 1 (http://www.fm.nrw.de/cgi-bin/fm/custom/pub/ content.cgi?lang=1&ticket=guest&oid =7948). 90 So Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 175; Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 270; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 115, Rn. 20; Patzig, DÖV 1985, 293 [302]. 91 s. oben, Fn. 7 (S. 252). 92 Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 175; Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 270. 93 So Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 175; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 115, Rn. 20; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 8; wohl auch Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Art. 115, Rn. 35 (bei Fn. 76); Giesen/ Fricke, Haushaltsrecht NRW, Art. 83 Verf NW, Rn. 8. 94 Vgl. Graf, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 2; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 115, Rn. 9 f.
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markt oder bei öffentlichen Kreditgebern aufgenommen werden, stellen sie eine Vorbelastung künftiger Haushalte dar, die den Spielraum nachfolgender Haushaltsgesetzgeber einengen.96 Demgegenüber können der Rückgriff auf §§ 12 Abs. 1 S. 1 und 2 HGrG, 15 Abs. 1 S. 1 und 2 BHO/LHO sowie das historische Argument97, welches sich zunächst nur auf die Bruttoveranschlagung im Sinne der genannten Vorschriften bezieht, nicht überzeugen: Die Art der (förmlichen) Darstellung im Haushaltsplan kann, selbst wenn der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Neufassung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG auch insoweit von der damaligen Haushaltspraxis ausgegangen sein sollte98, für die Auslegung des Verfassungsrechts allenfalls indiziell wirken. Die Frage, was „Einnahmen aus Krediten“ im Sinne des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG sind, hat sich am Zweck des Staatsschuldenrechts zu orientieren. Daher ist eine materielle Betrachtung geboten99, die sämtliche Belastungen künftiger Haushalte durch Zins- und Tilgungszahlungen, ob diese an den Kapitalmarkt oder an andere öffentlich-rechtliche Körperschaften geleistet werden müssen, angemessen berücksichtigt. Die „Einnahmen aus Krediten“ sind somit unter Einbeziehung der Schuldenaufnahmen bei öffentlichen Kreditgebern sowie Tilgungsausgaben an diese im Sinne der effektiven Nettoneuverschuldung zu verstehen.100 95 Vgl. etwa NWLT-Ds. 13/6200, S. 7; NWLT-Ds. 13/5490, S. 5; NWLT-Ds. 14/300, S. 5/6, 5/9. In diesen Fällen ergab sich allerdings durch die Einbeziehung – aufgrund entsprechender Tilgungsausgaben an Gebietskörperschaften, Sondervermögen und gebietskörperschaftliche Zusammenschlüsse (Obergruppe 58) – auch eine Minderung der (Gesamt-)Nettoneuverschuldung. Dies soll nach Graf, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 2 nicht zulässig sein, da sich aus § 15 Abs. 1 S. 2 BHO ergebe, dass die Kredite bei öffentlichen Körperschaften auch im Hinblick auf die Kreditgrenze brutto zu veranschlagen seien. Dies kann im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Erfordernisse nicht überzeugen, da zur Tilgung verwandte Mittel auch in diesem Fall bei den Einnahmen aus Krediten abzuziehen sind, vgl. insoweit auch Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 5. 96 Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 13, S. 13; Fricke, FinArch 48 (1990), 222 [235]; anders noch Fricke, DVBl. 1977, 26 [27]. 97 Patzig, DÖV 1985, 293 [303] mit Verweis auf BT-Ds. V/3040, S. 49 (Tz. 161): „In der Finanzierungsübersicht wird der Finanzierungssaldo dargestellt. Hierdurch wird insbesondere [Hervorhebung nur hier, d. Verf.] der Kreditbedarf sichtbar gemacht“. 98 Vgl. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 175 f. 99 So im Ergebnis auch Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 33; vgl. auch Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 195. 100 Wie hier Landesrechnungshof NRW, Jahresbericht 2005, S. 61, Fn. 64: „Nettoneuverschuldung = Obergruppen (31 + 32) ./. (58 + 59)“; inzident auch VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [279]; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 33. Aus § 10 Abs. 4 Nr. 3 HGrG lässt sich ableiten, dass die „Einnahmen aus Krediten“ diejenigen sind, die ohne weitere Differenzierung im „Kreditfinanzierungsplan“ auszuweisen sind.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme 2. Ausgaben für Investitionen
Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG knüpft die Nettoneuverschuldung der Höhe nach an die „Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen“. Bei dem Begriff der Investition handelt es sich zunächst um einen wirtschaftswissenschaftlichen Begriff, der Gegenstand unterschiedlicher Einschätzungen ist und divergierende Definitionen und Abgrenzungen seitens der Ökonomen gefunden hat.101 Ein allgemein gültiger Begriff der Investition besteht nicht. Abhängig davon, welchen wirtschaftlichen Vorgang man beschreiben will, wird in den Wirtschaftswissenschaften mit verschiedenen Begriffen gearbeitet.102 So versteht man unter Investitionen z. B. die Verwendung von Geldmitteln zur Beschaffung von Sach-, Finanz- oder immateriellem Vermögen103 oder unterscheidet mit Hilfe des „Periodisierungskriteriums“104 zwischen Konsum- und Investitionsgütern: Im Fall der Investition entstehe eine zeitliche Phasenverschiebung zwischen Verausgabung und den hierdurch veranlassten Zahlungsströmen, so dass ein Kapitalbindungseffekt auftrete und man von der „Hingabe gegenwärtigen Nutzens zur Erreichung späteren höheren Nutzens“ sprechen könne.105 Es handele sich letztlich um Aufwendungen für dauerhafte Werte, im Gegensatz zu Verbrauchsaufwendungen106. a) „Historischer“ Begriff der Bruttoinvestitionen Der verfassungsrechtliche Begriff der „Investition“ ist ebenfalls nicht klar umrissen. Das Periodisierungskriterium liegt im Hinblick auf den Lastverschiebungsgedanken nahe, die Verfassung selbst definiert den Begriff aber nicht. Die historische Begründung zu Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG versteht den Begriff der „Ausgaben für Investitionen“ als öffentliche Ausgaben für Maßnahmen, die bei makro-ökonomischer Betrachtung die Produktionsmittel der Volkswirtschaft erhalten, vermehren oder verbessern.107 Als Beispiele 101 Tettinger, DVBl. 1980, 632 [632 f.] m. w. N.; Patzig, DÖV 1985, 293 [303]; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 33. 102 Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 13, S. 15; Birk, DVBl. 1984, 745 [747]; Wissenschaftlicher Beirat BMF, Gutachten zum Begriff der öffentlichen Investitionen (Heft 29), S. 29 ff. 103 Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 13, S. 14. 104 Wissenschaftlicher Beirat BMF, Gutachten zum Begriff der öffentlichen Investitionen (Heft 29), S. 29. 105 Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 13, S. 14; Wissenschaftlicher Beirat BMF, Gutachten zum Begriff der öffentlichen Investitionen (Heft 29), S. 29. 106 Wiebel, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 107. 107 BT-Ds. V/3040, S. 47 [Tz. 134] = BR-Ds. 284/68.
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für Investitionen nennt die Begründung Baumaßnahmen, den Erwerb von unbeweglichen und wertmäßig erheblichen beweglichen Sachen, den Erwerb von Beteiligungen sowie Darlehen und Investitionshilfen.108 Das Bundesverfassungsgericht hat den „historischen“ Investitionsbegriff der bisherigen Staatspraxis zunächst grundsätzlich109 anerkannt und ausgeführt, der Investitionsbegriff des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG könne nicht weiter verstanden werden als in der bisherigen Staatspraxis. Insbesondere ergebe sich für seine Ausweitung – etwa im Hinblick auf Ausgaben für Ausbildung („human capital“) oder investive Verteidigungsausgaben – weder aus der Entstehungsgeschichte noch aus Sinn und Zweck der Vorschrift ein Anhaltspunkt; sie würde der normativen Intention dieser Bestimmung, die Staatsverschuldung zu begrenzen, geradewegs zuwiderlaufen110. Die vom BVerfG in Bezug genommene „bisherige Staatspraxis“ sieht „die ‚Baumaßnahmen‘ und ‚Sonstige Ausgaben für Investitionen und Investitionsmaßnahmen‘ gemäß den Nummern 7 und 8 des Gruppierungsplans nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 Bundeshaushaltsordnung als Investitionen“111 an. Eine an den Zielen des historischen Gesetzgebers orientierte Auslegung kann deshalb die in den Gruppen 7 und 8 des jeweiligen Gruppierungsplans zusammengefassten Investitionen im Grundsatz akzeptieren112. Auf dieser Grundlage ist der Investitionsbegriff jedoch eng auszulegen113. Der Gesetzgeber hat – nach Aufforderung durch das BVerfG114 – in § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 HGrG115 von der Ermächtigung des Art. 115 Abs. 1 S. 3 108
BT-Ds. V/3040, S. 47 [Tz. 134] = BR-Ds. 284/68. Im Urteil des BVerfG v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [337 f.] bedurfte es, ebenso wie in der Entscheidung des BVerfG v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 140, „keiner Entscheidung der Frage, ob der Investitionsbegriff enger als in der Staatspraxis zu fassen ist“. Das BVerfG erlaubte sich indes die – mit der Aufforderung an den Gesetzgeber, den Investitionsbegriff zu präzisieren, verbundene – Anmerkung, der überkommene Investitionsbegriff bedeute „eine sehr weite Ausdehnung zulässiger Kreditaufnahmen“, BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [354]. 110 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [337]. 111 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [Ls. 2]; vgl. auch BT-Ds. V/3040, S. 47, Tz. 134 i. V. m. S. 36, Tz. 30; BMF, Finanzbericht 1983, S. 131, Tz. 11. – Zu den unterschiedlichen Auslegungen des Investitionsbegriffs auf Ebene der Länder s. Müller, DÖV 1992, 1005 ff. 112 Vgl. Birk, DVBl. 1984, 745 [747]. 113 Vgl. den schriftlichen Bericht des Haushaltsausschusses, zu BT-Ds. V/4378, 4379, S. 11 zu § 18 BHO; Wiebel, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 110; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 38; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 162. 114 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [354]. 115 Erstes Gesetz zur Änderung des HGrG v. 18.7.1990, BGBl. I 1990, 1446. 109
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
GG Gebrauch gemacht116 und die „Ausgaben für Investitionen“ wie folgt legaldefiniert: „Ausgaben für Investitionen sind die Ausgaben für a) Baumaßnahmen, soweit sie nicht militärische Anlagen betreffen, b) den Erwerb von beweglichen Sachen, soweit sie nicht als sächliche Verwaltungsausgaben veranschlagt werden oder soweit es sich nicht um Ausgaben für militärische Beschaffungen handelt, c) den Erwerb von unbeweglichen Sachen, d) den Erwerb von Beteiligungen und sonstigem Kapitalvermögen, von Forderungen und Anteilsrechten an Unternehmen, von Wertpapieren sowie für die Heraufsetzung des Kapitals von Unternehmen, e) Darlehen, f) die Inanspruchnahme aus Gewährleistungen, g) Zuweisungen und Zuschüsse zur Finanzierung von Ausgaben für die in den Buchstaben a bis f genannten Zwecke.“
Durch diese Neufassung des § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 HGrG ist eine – vor allem auch für die Länder117 – verbindliche Regelung getroffen worden. Dem Gesetzgeber ist es daher jedenfalls verwehrt, im Rahmen der jährlichen Haushaltsgesetzgebung einen weitergehenden Investitionsbegriff zugrunde zu legen. Eine materielle Änderung oder Präzisierung des herkömmlichen Investitionsbegriffes ist damit – entgegen den Hoffnungen des BVerfG118 – jedoch nicht erfolgt119, § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 HGrG zeichnet die ursprüngliche Einordnung der Gruppierungsübersicht nach. 116 Vgl. aber BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 136: „nur formelle Erfüllung des verfassungsrechtlichen Regelungsauftrags“; ähnlich bereits Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 115, Rn. 39. 117 Art. 109 Abs. 3 GG i. V. m. § 1 HGrG, s. NdsStGH, Urteil v. 10.7.1997, StGH 10/95, NVwZ 1998, 1288 [1289]. Insoweit greift die insbesondere von Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 37 geäußerte Kritik an der Rechtsprechung des BVerfG jedenfalls für das Landesrecht nicht durch. Während auf Bundesebene „demjenigen die entscheidende materielle Ausgestaltung einer Begrenzungsvorschrift [übertragen wird], der durch sie in Schranken gewiesen werden soll“ (Siekmann, ebd.), liegt auf Ebene des Landes eine echte Bindung – auch hinsichtlich der Landesverfassung – vor. Vgl. zur von Siekmann konstatierten „Widersinnigkeit“ aber auch BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [356 f.]. 118 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [354]; s. nunmehr auch BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 136 ff. und die abw. Meinungen der Richter Di Fabio und Mellinghoff (Rn. 172) sowie des Richters Landau (Rn. 209). 119 Hugo, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 13 BHO, Anm. 7. Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 289 sprechen von einem „Affront“ gegenüber der in BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [354 f.] geforderten „dringlichen“ Konkretisierung durch den Gesetzgeber. Vgl. auch Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 37; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 115,
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b) Kritik am geltenden Investitionsbegriff Die bereits vor der Neufassung des § 10 Abs. 3 HGrG vielfach geäußerte sachliche Kritik an dem der Haushaltspraxis zugrunde liegenden Investitionsbegriff120 hat sich mit der Legaldefinition daher nicht erledigt. Indes ist zwischen rechtspolitischer und verfassungsrechtlicher Kritik zu unterscheiden. Allein die Tatsache, dass der in § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 HGrG normierte Investitionsbegriff die Verschuldung nicht wirksam zu begrenzen vermag121 und daher möglicherweise „unvernünftig“ ist, führt nicht ohne weiteres zu einer Verfassungswidrigkeit des § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 HGrG. Nur soweit aus der Verfassung folgt, dass der Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG ein anderer, engerer Investitionsbegriff zugrunde gelegt werden muss, und daher der in § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 HGrG normierte Investitionsbegriff nicht von der Konkretisierungsbefugnis des Art. 115 Abs. 1 S. 3 GG (i. V. m. Art. 109 Abs. 3 GG) gedeckt ist, erstarken die rechtspolitischen zu verfassungsrechtlichen Zweifeln. aa) Nettoinvestitionen: Berücksichtigung von Abschreibungen und Desinvestitionen Die Kritik am Investitionsbegriff richtet sich vor allem gegen die Berücksichtigung der Bruttoinvestitionen und fordert stattdessen ein Abstellen auf die Nettoinvestitionen122. Der Investitionsbegriff müsse als lastadäquate Kompensationsgröße konkretisiert werden123. Nur der Teil der „Ausgaben Rn. 39: Erfüllung des Konkretisierungsauftrages „pro forma“; so auch BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 136. 120 Hierzu Wissenschaftlicher Beirat BMF, Gutachten zum Begriff der öffentlichen Investitionen (Heft 29), passim. 121 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG schon früh als „untauglich“ bezeichnet wurde, allerdings nicht deshalb, weil der Investitionsbegriff zu weit sei. Vielmehr war vom damaligen Standpunkt nicht absehbar, dass diese Grenze jemals erreicht würde: „Selbst in den beiden Rezessionsjahren 1966 und 1967, als zur Erhöhung der Gesamtnachfrage große Kredite aufgenommen wurden, war die Nettoneuverschuldung kleiner als die Investitionen. Daraus ergibt sich, dass in ‚Normaljahren‘ das Investitionsvolumen die Kreditaufnahme nicht auf den erwünschten Umfang begrenzen kann“, Albers, Wirtschaftsdienst 1972, 43 [48]. 122 Wissenschaftlicher Beirat BMF, Gutachten zum Begriff der öffentlichen Investitionen (Heft 29), S. 48; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 192 ff.; Friauf, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 91, Rn. 51; Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 62; Puhl, Budgetflucht, S. 489 f.; ähnlich Engels/ Hugo, DÖV 2007, 445 [448]; Wendt/Elicker, DVBl. 2001, 497 [501]; Halstenberg, DVBl. 2001, 1405 [1406]; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 36. 123 Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 187 ff.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
für Investitionen“ sei zukunftsbegünstigend, der über die Haushaltsperiode hinaus einen werthaltigen Nutzen erbringe und positive Auswirkungen auf den Kapitalstock habe124. Die ursprüngliche Brutto-Investitionssumme sei daher um Abschreibungen bzw. die Erhaltungsinvestitionen zu kürzen125. Nur die entsprechend geminderten Wertansätze könnten für die Regelgrenze zulässiger Neuverschuldung berücksichtigt werden126. Die Investitionssumme sei zu berechnen als Saldo der Ausgaben, mit denen ein Ertrag bringender Vermögenszuwachs oder ein positiver Wachstumseffekt verbunden ist, abzüglich der Einnahmen aus Veräußerungen und Rückflüssen, welche diese Wirkung vermindern127. Zudem sei die Summe um die Abschreibungen als Ausdruck der in der gegenwärtigen Periode stattgefundenen Wertminderung des öffentlichen Kapitalstocks zu kürzen128. Im Hinblick auf die „Goldene Regel der Finanzwirtschaft“ scheinen solche Abschreibungen auf die Investitionen sinnvoll zu sein. Das Junktim des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG verknüpft Zukunftslast mit Zukunftsnutzen. Der Verschuldungsgrenze liegt das Prinzip des intertemporalen Ausgleichs zugrunde129. „Investitionsruinen“ können die generationsübergreifende Verteilungsgerechtigkeit aber nicht fördern130. Ebenso spricht einiges dafür, dass nach dem Zweck der Norm bloße Ersatzinvestitionen nicht berücksichtigt werden sollten und auch vermögensneutrale Vorgänge wie die Veräußerung staatlicher Vermögensgegenstände, etwa Forderungs- oder Unternehmensverkäufe, nicht als Einnahmen zum Ausgleich mit laufenden Ausgaben herangezogen werden dürften131. 124 Wissenschaftlicher Beirat BMF, Gutachten zum Begriff der öffentlichen Investitionen (Heft 29), S. 48; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 192; Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 267 ff. 125 Friauf, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 91, Rn. 51; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 448 f.; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 45; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 36. – Eine kumulative Kürzung um Abschreibungen und Erhaltungsinvestitionen kommt hingegen nicht in Betracht, da der Wertverzehr ansonsten doppelt berücksichtigt würde. 126 Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 189; vgl. auch BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 137. 127 Abw. Meinung des Richters Landau zu BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 210. 128 Abw. Meinung des Richters Landau zu BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 213; Friauf, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 91, Rn. 51; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 449; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 192; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 48. 129 Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive in: FS Friauf, S. 705 [706 f.]; abw. Meinung des Richters Landau zu BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 211. 130 Vgl. auch Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive in: FS Friauf, S. 705 [712].
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bb) Cashflow-Orientierung des geltenden Haushaltsrechts Es ist jedoch bereits fraglich, welcher Wert – etwa im Rahmen der Abschreibungen – zugrunde zu legen ist132. Kommt es auf eine „gleichsam staatsinterne Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ohne maßgeblichen Blick auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht“133 an, oder muss auch die „volkswirtschaftliche Bedeutung der Investitionen“ im Hinblick auf ihren „entscheidenden Einfluss auf den technischen Fortschritt und den gesamtwirtschaftlichen Wachstumsprozess“134 berücksichtigt werden, was im Hinblick auf Art. 109 Abs. 2 GG nahe liegt? Wären „Zuschreibungen“ oder Wertaufholungen erlaubt, wenn sich staatliche Beteiligungen (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 lit. d) HGrG) als hochrentabel erweisen oder Verwaltungsgebäude (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 lit. a) u. c) HGrG) in bester Innenstadtlage an Wert gewinnen? Die Prüfung, ob eine Investition „den elementaren Postulaten der staatsschuldenrechtlichen Spezifität, der Lastadäquanz und der materiellen Symmetrie gerecht wird“135, erweist sich im gegenwärtigen kameralistischen System, das zudem dem Grundsatz der Gesamtdeckung folgt und die objektbezogene Deckungsregel zu Gunsten einer situationsbezogenen Betrachtung weitgehend aufgegeben hat136, als durchaus schwierig137. Erforderlich wäre zunächst eine detaillierte staatliche Vermögensrechnung i. S. e. Bilanzierung, die weit über die zur Lösung dieses Problems vorgeschlagenen „Hilfsberechnungen“138 hinausginge, aber nach geltendem Verfassungsrecht – jedenfalls neben der klassischen Einnahmen- und Ausgabenveranschlagung des Haushaltsplans gem. Art. 110 Abs. 1 GG – eingeführt werden könnte139. 131
BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 138 m. Hinw. auf Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 74 ff. 132 Vgl. bereits Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 170 f. 133 So die abw. Meinungen der Richter Di Fabio und Mellinghoff zu BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 172; anders Fricke, DVBl. 1977, 26; Stern, StaatsR II, § 51 III 4 c) a), S. 1279: „gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweise“. 134 Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 198. 135 Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 201 f.; Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 286. 136 Vgl. hierzu das Beispiel bei Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 171. 137 So auch Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 12; Aprill/ Hugo, Finanzwirtschaft 2000, 115 [116]; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 14; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 115 GG, Anm. 27; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 115, Rn. 22. 138 Abw. Meinung des Richters Landau zu BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 213. 139 Weitergehend Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 42, der das Fehlen einer solchen Vermögensrechnung als Verstoß gegen Art. 114 Abs. 1 GG ansieht.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
Das geltende Staatsschuldenrecht (Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG) ließe aber die Berücksichtigung dieser – im Wege der Vermögensrechnung ermittelten – Werte für die „Höhe der Investitionen“ gar nicht zu. Zwar ist eine Auslegung des Begriffs „Investition“ als „Netto-Investition“ dabei durchaus denkbar und entspräche – wenn auch nicht den historischen Motiven des verfassungsändernden Gesetzgebers140 – zumindest dem objektiven Zweck des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG, die Staatsverschuldung zu begrenzen141. Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Ausgaben für Investitionen“ im Sinne etwa einer Formulierung „Ausgaben für Investitionen abzüglich Abschreibungen, Aufwendungen für Erhaltungsmaßnahmen und Ersatzinvestitionen, etc.“142 wäre aber sowohl vom Wortlaut als auch durch die gegenwärtige Systematik der verfassungsrechtlichen Regelungen nicht gedeckt143. Vergegenwärtigt man sich den Kerngedanken der „Nettoinvestitionen“, nach dem „nur solche staatlichen Ausgaben unter den Investitionsbegriff des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG subsumiert werden [können], von denen – allgemein formuliert – positive Wirkungen auf den zukünftigen Kapitalstock und das zukünftige Wachstum des Produktionspotentials ausgehen“144, so ist die Bezugnahme auf „Nettobeträge“ zwar im Hinblick auf die Begrenzungsfunktion der Vorschrift nach Sinn und Zweck zutreffend. Wegen der in Art. 110 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 S. 2 GG getroffenen Grundentscheidung des Haushaltsverfassungsrechts, nach der die Haushalte in Ein140 BT-Ds. V/3040, S. 47 [Tz. 134]; BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 139; für das nordrhein-westfälische Verfassungsrecht vgl. NWLT-Ds. 7/617, S. 11; VerfGH NW, Urteil v. 24.4.2007, VerfGH 9/06, DÖV 2007, 698 [699]. 141 Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 191 ff. m. w. N.; Puhl, Budgetflucht, S. 489; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 45; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 136; Schemmel, Staatsverschuldung und öffentliche Investitionen, S. 200; Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive in: FS Friauf, S. 705 [713]; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 37 f. 142 In diesem Sinne aber Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 191 ff. m. w. N.; Puhl, Budgetflucht, S. 489; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 45; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 136; Schemmel, Staatsverschuldung und öffentliche Investitionen, S. 200; Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive in: FS Friauf, S. 705 [713]. Wie hier BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 139 f. und bereits BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [354 ff.]. Ähnlich auch Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 169 ff. 143 Ähnlich Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 42; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 43. Vgl. auch Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 169, der zu Recht darauf hinweist, dass es bei den „Nettoinvestitionen“ nicht um die Auslegung des Investitionsbegriffs gehe, sondern um eine teleologisch begründete Kürzung der „Summe“ der Investitionsausgaben. 144 Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 190; ähnlich BT-Ds. V/3040 = BR-Ds. 284/68, S. 47.
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nahme und Ausgabe jährlich auszugleichen sind, bedarf diese These jedoch einer Modifikation. (1) Ex-ante-Sicht Nach geltendem Verfassungsrecht müssen nämlich bereits solche Ausgaben als Investitionen angesehen und im Rahmen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG berücksichtigt werden, von denen voraussichtlich positive Wirkungen auf Kapitalstock und Produktionspotential ausgehen. Maßgeblich ist für den Haushaltsplan eine Ex-ante-Sicht. Es ist durchaus denkbar, dass sich eine Investition, die dem Gesetzgeber (auf dessen Prognose es ankommt) zunächst wirtschaftlich erscheinen musste, nachträglich als „Investitionsruine“ herausstellt. Es ist geradezu typisch für staatliche Investitionen (etwa in Schulen, Straßen und Gerichtsgebäude), dass sich diese nicht unmittelbar finanziell rentieren, sondern einen – in den seltensten Fällen eindeutig quantifizierbaren – Zukunftsnutzen für das Gemeinwesen haben. Auch sind gerade im Bereich der staatlichen Daseinsvorsorge Investitionen denkbar, für die kein Markt besteht, die also von vorneherein keinen wirtschaftlichen Wert haben und daher sofort abgeschrieben werden müssten (z. B. Investitionen im Bereich des Umweltschutzes). Dieser Befund kann aber nichts daran ändern, dass in dem Jahr, in dem die Ausgabe erfolgt, die Investition in Höhe dieser Ausgabe auf die Kreditgrenze anzurechnen ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG, der die „Ausgaben für Investitionen“ den „Einnahmen aus Krediten“ gegenüberstellt. Die staatliche Haushaltswirtschaft ist tatsächlich und normativ auf Zahlungsströme ausgerichtet (Einnahmen und Ausgaben, vgl. Art. 110 Abs. 1 GG). (2) Keine Erfassung der Veränderungen im Bestand Aus dieser Cashflow-Betrachtung folgt, dass Wertveränderungen (z. B. Abschreibungen) in späteren Jahren nur noch in den Haushalten dieser Jahre berücksichtigt werden könnten; sie hätten keinen Einfluss auf die Kreditgrenze im Jahr der Investition selbst. Dies ist zwar im Sinne einer periodengerechten Abgrenzung von Wertzuwächsen und -verlusten und entspricht insoweit auch der intertemporalen Verteilungswirkung der Kredite. Jedoch sind, denkt man diesen Ansatz konsequent zu Ende, die Ausgaben für Investitionen im Anschaffungsjahr mangels Vermögensminderung dann auch keine „Aufwendungen“, sondern lediglich Vermögensumschichtungen145. Eine „Ausgabe“ i. S. e. Aufwendung entstünde erst mit den Abschreibungen 145 Vgl. für den Bereich der steuerlichen Gewinnermittlung Knobbe-Keuk, DB 1985, 144 [147]; Birk, Steuerrecht10, Rn. 923.
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und dürfte vorher nicht berücksichtigt werden. Beabsichtigt ist bei der Forderung nach einer Maßgeblichkeit der „Nettoinvestitionen“ aber die Absenkung der Investitionsgrenze im Sinne einer negativen Ausgabe für Investitionen, die dann nur im Rahmen des Art 115 Abs. 1 S. 2 GG nicht aber im Rahmen des Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG berücksichtigt werden dürfte. Da das Haushaltsverfassungsrecht aber die „im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen“ zugrunde legt, und diese Größe sowohl im Rahmen des jährlichen Haushaltsausgleichs (Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG) als auch für die Höhe der Kreditgrenze (Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG) benötigt, lässt sich eine „Wertänderung im Bestand“ nach geltendem Recht nicht erfassen. (3) Spezifischer staatsschuldenrechtlicher Investitionsbegriff? Die Probleme einer fehlenden Kongruenz von „Ausgaben“ i. S. d. Art. 110 Abs. 1 GG und „Ausgaben für Investitionen“ i. S. d. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG werden teilweise vermieden, wenn man auf einen „spezifisch staatsschuldenrechtlichen Investitionsbegriff“146 rekurriert. Im Rahmen dieser auf den Bereich des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG beschränkten Auslegung sollen dann die Ausgaben für Investitionen um Abschreibungen gekürzt werden, um die der Nettokreditaufnahme entsprechende Nettoinvestitionssumme zu erhalten. Auf den ersten Blick ist die „materielle Symmetrie“147 von „Netto“ und „Netto“ höchst plausibel. Die begriffliche Zuordnung von Nettoeinnahmen und Nettoausgaben führt jedoch nicht weiter: Aus der Gleichsetzung ergibt sich nämlich, wenn man die „Ausgaben für Investitionen“ als Bruttoausgaben verstehen will, dass auch die Einnahmen aus Krediten „brutto“ zu verstehen wären. Tilgungen müssten dann konsequenterweise als „Ausgaben für Investitionen“ verstanden werden, um die fehlende Zukunftsbelastung durch eine bloße Umschuldung zutreffend abbilden zu können148. Da echte Investitionen aber nur durch Nettokreditaufnahmen (Einnahmen) finanziert werden können, steht bereits der Bruttoinvestition die Nettoneuverschuldung gegenüber. Das Abstellen auf die Nettoinvestitionen führt also letztlich zu einer rechnerischen Tilgungspflicht, die wiederum im Rahmen der Nettoneuverschuldung berücksichtigt werden soll. Das Postulat, der Schuldenzuwachs müsse dem Vermögenszuwachs entsprechen149, lässt sich „kürzen“ auf die 146
Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 195 [Fn. 233]. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 191 ff. 148 Anders F. Kirchhof, DVBl. 2002, 1569 [1575], der auch Umschuldungskredite als „Einnahmen aus Krediten“ i. S. d. Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG werten will, da hierdurch Anleihen verlängert und verteuert würden. 149 Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 449. 147
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Aussage, dass die Schulden des Staates durch sein Vermögen begrenzt sind. Wertverzehr im Vermögen muss dann durch Tilgungen ausgeglichen werden. Wird etwa ein abnutzbares Investitionsgut im Wert von 1 000 000 e angeschafft und gleichzeitig ein neuer Kredit in Höhe von 1 000 000 e aufgenommen (Nettoneuverschuldung = 1 000 000 e), lässt sich – wegen des Gesamtdeckungsgrundsatzes nur fiktiv – von einer 100%igen Kreditfinanzierung dieser Investition ausgehen. Dies führt dazu, dass bei einer angenommenen „Lebensdauer“ des Investitionsgutes von 10 Jahren in jedem Jahr 100 000 e von der Investitionssumme (= Kreditgrenze) dieses Jahres abgezogen werden müssten. Blendet man die übrigen haushaltswirtschaftlichen Vorgänge aus, so führt das dazu, dass der im ersten Jahr aufgenommene Kredit in jedem folgenden Jahr zu 10% (= 100 000 e, also in Höhe der Abschreibung) getilgt würde und der Kredit nach den 10 Jahren – also gleichzeitig mit der vollständigen Abschreibung des Investitionsobjekts, die eine Ersatzinvestition nötig machen würde – zur Gänze abgelöst ist. Dieses Ergebnis leuchtet ein. Zu dem Zeitpunkt, in dem der Kapitalstock den status quo erreicht hat (im Beispiel: Null) ist auch die Verschuldung auf den Stand vor der Kreditaufnahme (Null) gesunken.
Hieraus folgt aber, dass die Investitionsgrenze im Modell der „Netto-Investitionen“ auch negativ werden kann, wenn nämlich das Produktionspotential schrumpft. Unabhängig von der Frage, welchen Einfluss in diesen Fällen die Verpflichtung auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2 GG) hätte, würde die Kreditobergrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG in diesem Fall de facto zu einer Tilgungsuntergrenze. Die früher aufgenommenen Schulden müssten jedenfalls in dem Maße abgebaut werden, wie die daraus finanzierten Investitionen an Wert verlören. Nimmt man an, dass der Staat in einem solchen Fall bestrebt ist, einer Absenkung des Kapitalstocks durch entsprechende Ersatzinvestitionen entgegenzuwirken und damit das Produktionspotential zu erhalten, müssten diese Reinvestitionen steuerfinanziert sein, eine Nettotilgung könnte aber unterbleiben, der Schuldenstand bliebe unverändert. Auch dies wäre grundsätzlich im Sinne einer „Lastadäquanz“ und „materiellen Symmetrie“150. Problematisch wird dieses Modell jedoch dann, wenn – bei gleich bleibender Nettoneuverschuldung im ersten Jahr – mehrere Investitionsgüter mit unterschiedlicher Lebensdauer und nur anteiliger Kreditfinanzierung angeschafft werden, die Kreditgrenze im Jahr der Anschaffung also z. B. unterschritten wird151, wie es Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG verlangt. Sind die Investitionen teilweise steuerfinanziert, müsste man die Tilgung nicht nach den Abschreibungen, sondern nur aufgrund des kreditfinanzierten Anteils der Abschreibungen vornehmen. Dieser Anteil ist aber wegen des Grundsat150 151
Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 195. Vgl. auch das Beispiel bei Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 171 f.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
zes der Gesamtdeckung (§ 7 HGrG) gar nicht feststellbar. Folglich müsste man den gesamten Kapitalstock einheitlich abschreiben, unabhängig von einzelnen Investitionsgütern, da ein unterschiedlicher (fiktiver) Anteil von Kredit- und Steuerfinanzierung im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Anschaffungskosten und Nutzungsdauern – bei gleicher Nettokreditaufnahme – durchaus zu Unterschieden hinsichtlich der „Tilgungspflicht“ führen kann. Dem Zweck der Kreditbegrenzung würde ein solches Vorgehen entsprechen. Im Übrigen hat eine solche „Kürzung“ im Verfassungsrecht aber keine Grundlage, so dass die Grenzlinie einer teleologischen Interpretation des Investitionsbegriffs überschritten sein dürfte152. Der beabsichtigte Effekt, eine Koppelung von Schuldenstand und Anlagevermögen, passt auch nicht zu dem Gedanken „Netto = Netto“. Anders als die Regelung im europäischen Gemeinschaftsrecht (Art. 104 Abs. 2 EG153), die nicht nur eine Begrenzung der jährlichen Nettoneuverschuldung (Defizitgrenze154) fordert, sondern auch auf den Schuldenstand Bezug nimmt155, bezieht sich die Schuldengrenze des Grundgesetzes nur auf die „Einnahmen aus Krediten“. Dieser klare (und unbestrittene) tatbestandliche Bezug des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG auf die jährliche Nettoneuverschuldung, kann durch die teleologische Auslegung des Investitionsbegriffs nicht überspielt werden. Die Gefahr eines „potentiell unbegrenzten Schuldenbergs“156 ist zwar nicht von der Hand zu weisen, aber zwingende Konsequenz der Konzentration auf die jährlichen Einnahmen und Ausgaben, die den Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG für die absolute Höhe des Schuldensockels blind macht157. So auch Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 5, 14. 153 I. V. m. dem Protokoll (Nr. 20) über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (http://europa.eu/eur-lex/en/treaties/selected/livre335.html, ABl. Nr. C 191, S. 84), vgl. hierzu auch VO des Rates Nr. 3605/93 v. 22.11.1993, ABl. Nr. L 332/7 i. d. F. der VO Nr. 475/2000 v. 28.2.2000, ABl. Nr. L 58/1. 154 Art. 104 Abs. 2 S. 2 lit. a) EG stellt auf das „Verhältnis des geplanten oder tatsächlichen öffentlichen Defizits zum Bruttoinlandsprodukt“ ab. Das „Defizit“ ist in Art. 2 DefizitVfProt (oben Fn. 153) definiert als „Nettoneuverschuldung“ („net borrowing“; „le besoin net de financement“). 155 Art. 104 Abs. 2 S. 2 lit. b) EG bezieht sich auf das „Verhältnis des öffentlichen Schuldenstands zum Bruttoinlandsprodukt“. Für dieses gibt Art. 1 DefizitVfProt (oben Fn. 153) einen Referenzwert von „60% für das Verhältnis zwischen dem öffentlichen Schuldenstand und dem Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen“ vor. Zum Verfahren vgl. Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 102 ff. 156 Friauf, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 91, Rn. 51; ähnlich auch Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 36. 157 Dies gilt auch in umgekehrter Richtung: Wird die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG unterschritten, so wächst der Schuldenstand nicht in gleichem Maße wie die Bruttoinvestitionen. Würde in einem Jahr ein Teil der Staatsverschuldung getilgt (Haushaltsüberschuss), aber dennoch aus Steuermitteln investiert, so könnte 152
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Sieht man das stetige Anwachsen des Schuldensockels als eine Gefahr für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht an158, so ließe sich unter Rückgriff auf Art. 109 Abs. 2 GG, der auch in der Normallage verfassungsrechtliche Vorgaben für die Staatsverschuldung macht159, ein Zwang zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ableiten160. Eine teleologische Auslegung des Begriffs der „Investition“ in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG kann ein solches Ergebnis aber nicht erreichen. Die Unschärfen am Rande des herkömmlichen Investitionsbegriffs bleiben daher erhalten161; auch ist eine enge Auslegung der „Investition“ von Verfassungs wegen weiterhin geboten. Die im Haushaltsplan ausgewiesene Bruttoinvestitionssumme ist zudem um diejenigen Beträge zu kürzen, die aus Haushalten anderer Gebietskörperschaften, Sondervermögen usw. stammen und in den dortigen Haushaltsplänen als Investitionen ausgewiesen werden.162 Insoweit handelt es sich bei den maßgeblichen eigenfinanzierten Investitionen (so ausdrücklich Art. 71 S. 2 NdsVerf) um „Netto“-Investitiodiese Nettotilgung nicht auf die Kreditgrenze des nächsten Jahres angerechnet (vorgetragen) werden. 158 Vgl. hierzu BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [340]; Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2005/06, S. 322 (Rn. 430): „Die Bundesregierung [könnte] verloren gegangenes Vertrauen bei Verbrauchern und Investoren zurück gewinnen, wenn sie ein klares und glaubwürdiges Signal in Richtung Haushaltskonsolidierung setzen würde“; vgl. auch Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2002/03, S. 326 (Rn. 606): „Die Erhöhung der Schuldenstandsquote um einen Prozentpunkt ist mit einem um 0,12% niedrigeren langfristigen Produktionsniveau verbunden“. 159 BT-Ds. V/3040 = BR-Ds. 284/68, S. 39 (Tz. 60): „Das Gebot des Artikels 109 Abs. 2 GG […] gilt als Grundsatz für die gesamte Haushaltswirtschaft und somit auch für Kreditaufnahmen nach Artikel 115 GG“; vgl. auch Maunz, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 115, Rn. 31; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 192; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 26; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 6; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 109, Rn. 5. A. A. Püttner, Staatsverschuldung, S. 12 und Dickersbach, in: Geller/Kleinrahm, Verf NW, Art. 83, Anm. 3a (trotz noch klarerer Fassung des Art. 83 S. 2 Verf NW, vgl. hierzu NWLTDs. 7/617, S. 11 und VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [283 f.]). – Hierzu näher sogleich, sub § 3 B. I. 3. d), S. 295 ff. 160 Ähnlich Friauf, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 91, Rn. 52; Wendt/ Elicker, DVBl. 2001, 497 [500 f.]; krit. Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 5: „unbrauchbar, solange keine Bezifferung erfolgt“; anders ders., in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 12. 161 Vgl. Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 39 ff.; Wendt, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 115, Rn. 43 ff; Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 287 ff. 162 NdsStGH, Urteil v. 10.7.1997, StGH 10/95, NVwZ 1998, 1288 [1289]; Patzig, DÖV 1985, 293 [306]; Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 13, S. 34; Henneke, NdsVBl. 1997, 217 [219]; Schwarz, DÖV 1998, 721 [723]. Auch diese Einschränkung ist vor allem auf Ebene der Länder relevant, die einen erheblichen Anteil der
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
nen“163, deren Summe sich aus dem jährlichen Haushaltsplan ablesen lässt. Berücksichtigt man die Schuldenaufnahme bei den Gebietskörperschaften im Rahmen der „Einnahmen aus Krediten“164, so sind dies die Zuweisungen, Beiträge und sonstige Zuschüsse für Investitionen aus dem öffentlichen Bereich (Obergruppen 33 und 34). Die Summe der anrechenbaren (Eigen-)Investitionen ergibt sich damit – jedenfalls nach geltendem Recht – aus den Investitionsausgaben (Hauptgruppen 7 und 8), wie sie in § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 lit. a–g HGrG näher definiert werden, vermindert um Zuweisungen, Zuschüsse und Beiträge für Investitionen (Obergruppen 33 und 34); als solche bilden die „Ausgaben für Investitionen“ die Grenze für die jährliche Nettoneuverschuldung. cc) Berücksichtigung von Desinvestitionen Soweit es nicht um Wertänderungen geht, sondern sich Veränderungen des staatlichen Kapitalstocks in „Einnahmen“ und „Ausgaben“ erfassen lassen, kann indes eine Annäherung an die nach Sinn und Zweck des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG maßgebliche „Kompensationsgröße“ bereits im geltenden Haushaltsverfassungsrecht durch teleologische Auslegung erreicht werden. Dies betrifft den Fall der Veräußerung von Vermögensgegenständen, die als Investition in früheren Haushaltsjahren die Kreditgrenze erhöht haben und in späteren Haushaltsjahren veräußert werden sollen. Wird etwa im ersten Jahr eine Investition im Wert von 1 000 000 e „kreditfinanziert“, steht diesem Betrag eine Nettoneuverschuldung i. H. v. 1 000 000 e gegenüber. Die „Zukunftsbilanz“ ist ausgeglichen. Wird diese Investition aber im nächsten Haushaltsjahr für 1 000 000 e veräußert, so ist der Veräußerungserlös zunächst eine normale Einnahme, die weder „aus Krediten“ stammt, noch die „Ausgaben für Investitionen“ beeinflusst, die unabhängig von der Veräußerung des Staatsvermögens anfallen.
Keine Probleme ergeben sich, wenn mit dem bzw. in Höhe des Veräußerungserlöses neu investiert wird oder bestehende Schulden getilgt werden. Wird der Veräußerungserlös jedoch konsumiert, ist offensichtlich, dass die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG insoweit leer läuft und damit ein, speziell bei liquiden Investitionen z. B. in Wertpapiere (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 lit. d) HGrG), erhebliches Missbrauchspotential entsteht. Investitionen aus Zuweisungen Dritter (v. a. des Bundes) finanzieren. Zur vergleichbaren Situation der Länder bei der Kreditaufnahme s. § 3 B. I. 1. c), S. 267. 163 Z. T. wird der Begriff „Nettoinvestitionen“ in diesem Sinne gebraucht, s. LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 7/04, Abschrift, S. 22, 29 (= Schl.Holst.-LT Umdruck 16/149). 164 Auch eine Berücksichtigung bei den Investitionen ist denkbar, vgl. Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 33; Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 13, S. 35.
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Auch im Fall der Desinvestition besteht zwar – wie im Fall der Nettobetrachtung aufgrund von Abschreibungen – die Schwierigkeit, dass der Grad der Kreditfinanzierung wegen § 7 HGrG (Gesamtdeckung) für das einzelne Investitionsgut nicht bestimmt werden kann und im gegenwärtigen System auch nicht bestimmt werden soll; die Veräußerung eines „steuerfinanzierten“ Investitionsgutes wäre für die Investitionsgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG aber ohne Belang. Jedoch ist der Grad der Kreditfinanzierung bei der Veräußerung einzelner Vermögensgegenstände weniger bedeutsam als im Fall der Abschreibung nahezu des gesamten öffentlichen Kapitalstocks. Die entgeltliche Desinvestition, die zu „Investitionseinnahmen“ führt, bezieht sich immer nur auf einzelne, bestimmte Investitionsgüter, bei denen Anschaffungszeitpunkt und Anschaffungskosten feststehen. Für das Anschaffungsjahr könnte somit das Verhältnis von Nettoneuverschuldung und Investitionsgrenze errechnet werden (z. B. für den Bundeshaushalt 2007, der bei einer Nettoneuverschuldung von 19,6 Mrd. e anrechenbare165 Investitionen i. H. v. 23,9 Mrd. e vorsieht: 82%166), und der Veräußerungserlös entsprechend seinem Anteil an der ursprünglichen Kreditfinanzierungsquote (bezogen auf die Investitionen) berücksichtigt werden167. Es erscheint aber auch durchaus sachgerecht, typisiert eine vollständige Kreditfinanzierung zu unterstellen, und die gesamten Investitionseinnahmen168 auf die Investitionsgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG anzurechnen. Da die Einnahmen aus Krediten (= Nettoneuverschuldung) im Haushaltsjahr der Anschaffung regelmäßig deutlich über den Anschaffungskosten für das einzelne zu veräußernde Wirtschaftsgut (= Teil der Bruttoinvestitionen) liegen werden, erwächst die „Gefahr“ einer Tilgungspflicht, die aus Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG („Einnahmen aus Krediten“) nicht begründet werden könnte, hieraus nicht. 165 Die Summe der anrechenbaren (Eigen-)Investitionen ergibt sich aus den Investitionsausgaben (Hauptgruppen 7 und 8) vermindert um Zuweisungen, Zuschüsse und Beiträge für Investitionen (Obergruppen 33 und 34), s. oben, S. 282. 166 HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346). 167 Sachgerecht ist es, auf die Quote im Anschaffungsjahr abzustellen. Würde ein Investitionsobjekt veräußert, das in einem Jahr ohne Nettoneuverschuldung angeschafft worden ist, so wäre eine Umgehung der Kreditgrenze auch dann nicht anzunehmen, wenn im Jahr der Veräußerung die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG bereits vollständig ausgenutzt wäre. – Auf die Abschreibungen lässt sich dieses Modell nicht übertragen: Im Fall des Wertverzehrs (dazu oben S. 278) wäre eine solche Berechnung der Kredit-Investitionsquote ungleich schwieriger. Hier müsste die Höhe der (Gesamt-)Abschreibung abhängig von den Nutzungsdauern jährlich an das Verhältnis von Nettoneuverschuldung und Investitionsausgaben angepasst und fortgeschrieben werden. Zudem findet im Fall des Wertverzehrs (Abschreibung) kein tatsächlicher Zu- oder Abfluss von Mitteln statt. 168 Vgl. Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 76.
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Ein ganz wesentlicher Unterschied zu den nur im Rahmen der Vermögensrechnung berücksichtigungsfähigen Abschreibungen besteht schließlich darin, dass im Fall der entgeltlichen Desinvestition eine Einnahme (= negative Investitionsausgabe) vorliegt, die im Rahmen der auf Zahlungsströme ausgerichteten Haushaltswirtschaft berücksichtigt werden kann. Bewertungsschwierigkeiten fallen weg, weil sich der Wert des Investitionsgutes im Veräußerungspreis realisiert. Der Veräußerung, die den Kapitalstock verkleinert, stehen – anders als im Fall der Abschreibungen – echte Einnahmen gegenüber, so dass der Staat in Höhe des Veräußerungserlöses auf die entsprechenden Krediteinnahmen verzichten kann. Eine teleologische Auslegung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG, nach der die Erlöse aus Veräußerungen von Investitionsgütern als „negative Investitionsausgaben“ gegenzurechnen sind, erscheint daher bereits de constitutione lata und ohne eine Umstellung des auf Einnahmen und Ausgaben bezogenen Rechnungssystems möglich169. Zwar spricht die historische Auslegung eher gegen die Berücksichtigung170, jedoch ließe sich eine Orientierung an objektiven Zwecken beim gegenwärtigen Stand der Staatsverschuldung sachlich rechtfertigen. Der Wortlaut des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG („Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen“) ließe eine solche Interpretation noch zu – Summanden können auch negativ sein. 3. Das „Junktim“ des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG
Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten, Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG. Mit der Bezugnahme auf die „Einnahmen“ und die „im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben“ stellt das Junktim des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG nicht nur eine wirtschaftliche Verknüpfung zwischen Krediten und Investitionen, sondern zugleich eine normative Beziehung zu den Veranschlagungsgrundsätzen des Art. 110 Abs. 1 GG her.
169 Zur Berücksichtigung der Desinvestitionen s. bereits Andel, Wirtschaftsdienst 1998, 457 [459]; F. Kirchhof, DVBl. 2002, 1569 [1577]; Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 76; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 195 sowie die in Fn. 125 Genannten (S. 274). 170 Vgl. hierzu BT-Ds. V/3040 = BR-Ds. 284/68, S. 47; BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 139; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 33 f.; implizit auch Bröcker, Grenzen staatlicher Verschuldung, S. 73; Stern, StaatsR II, § 51 III 4, S. 1279; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 206 f.
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a) Realitätsgerechte Planung als Voraussetzung für die Kreditgrenze Dies gilt zunächst für die Grundsätze der Haushaltswahrheit und der Vollständigkeit des Haushalts. Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG verlangt, dass alle Einnahmen und Ausgaben in den Haushaltsplan einzustellen sind. Eine wahrheitswidrige oder unvollständige Planung der voraussichtlich benötigten Einnahmen aus Krediten, die sich wiederum aus der Schätzung der zu erwartenden (regulären) Einnahmen und der voraussichtlich zu leistenden Ausgaben (§ 8 Abs. 2 HGrG) ergibt, würde die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG im Ergebnis ebenso wirkungslos machen wie eine fehlerhafte Veranschlagung der Ausgaben für Investitionen. Konsumtive Ausgaben müssen getrennt von Investitionen, Krediteinnahmen getrennt von anderen Einnahmen veranschlagt werden. Die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG setzt eine wahrheitsgemäße und realitätsgerechte Haushaltsplanung voraus. Die Klarheit und Sicherheit der Berechnung ist notwendiges Element des verfassungsrechtlichen Kreditbegrenzungsgebots171. Andererseits dürfen die Anforderungen an die Genauigkeit der Schätzungen nicht überspannt werden. Da die Haushaltsplanung zwangsläufig mit Prognosen arbeitet, sind der Forderung nach Haushaltswahrheit Grenzen gesetzt. Schwierigkeiten bereitet vor allem die Prognose der Steuereinnahmen, deren Höhe von der nicht präzise voraussehbaren gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abhängt172. Vom Haushaltsgeber kann aber nicht mehr verlangt werden als eine auf vernünftigen Erwägungen beruhende Schätzung, für die er über einen Prognosespielraum verfügt. Daher ist der Grundsatz der Haushaltswahrheit erst bei vorsätzlicher Verschleierung oder fahrlässiger Fehleinschätzung verletzt173. b) Geltung der Kreditgrenze bei asymmetrischem Haushaltsvollzug Nicht nur in Konstellationen, in denen von Anfang an „fehlerhaft“ geplant worden ist, sondern auch dann, wenn sich im Verlauf des Haushaltsjahres unvorhergesehene Änderungen ergeben, besteht die Gefahr eines sog. „asymmetrischen Haushaltsvollzugs“174. Soweit die Exekutive nicht durch 171 So im Hinblick auf den Investitionsbegriff VerfGH NW, Urteil v. 24.4.2007, VerfGH 9/06, DÖV 2007, 698 [699]; Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 13 f.; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 33. 172 Vgl. VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [289 f.]. 173 VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [289 f.], m. w. N.; s. auch bereits oben, § 2 A. III. 2., S. 51 ff. 174 Isensee, DVBl. 1996, 173 [174 f.]; ders., Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive in: FS Friauf, S. 705 [721 ff.]; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 183; Birk/ Wolffgang, BdSt NW Nr. 14, S. 44 f.; Kriszeleit/Meuthen, DÖV 1995, 461 ff.; Tie-
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Normen außerhalb des Haushaltsgesetzes, etwa durch Leistungsgesetze, gehalten ist, ihre Etatansätze auszuschöpfen, ist es ihr nicht nur gestattet, sondern grundsätzlich auch vorgeschrieben, Ausgaben nur soweit und nicht eher zu leisten, als sie zur wirtschaftlichen und sparsamen Verwaltung erforderlich sind (§§ 34 Abs. 2 S. 1 BHO, 19 Abs. 2 S. 1 HGrG). Es kann daher vorkommen, dass im Haushaltsvollzug Investitionsausgaben nicht getätigt werden, gleichzeitig aber Einnahmen aus Krediten zufließen, die zwar von der gesetzlichen Kreditermächtigung umfasst, nicht aber durch Investitionsausgaben in gleicher Höhe „gedeckt“ sind. Die Investitionsgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG würde auf diese Weise im Vollzug überschritten. aa) Wortlaut des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG: „Veranschlagte Ausgaben“ Die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG bezieht sich in erster Linie auf die Aufstellung und Feststellung des Haushaltsplans und richtet sich damit an den Gesetzgeber175. Im Hinblick auf den Wortlaut des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG scheint eine Überschreitung der Investitionsgrenze im Vollzug, jedenfalls dann, wenn sie durch eine Einsparung bei den Ausgaben für Investitionen erfolgt, unbeachtlich zu sein176: Die Grenze für die Einnahmen aus Krediten bilden die „im Haushaltsplan veranschlagten“ Ausgaben für Investitionen, nicht die tatsächlichen Ausgaben für Investitionen im Haushaltsvollzug. Die Konzentration des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG auf die Ansätze des Haushaltsplans muss aber nicht bedeuten, dass der Vollzug von den Bindungen an die Investitionsgrenze freigestellt wäre177. Gemäß Art. 20 Abs. 3 GG könnte es ausreichend sein, dass die Verfassung Vorgaben an den Gemann, DÖV 1995, 632 ff.; Müller, DÖV 1996, 490 ff.; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 42. 175 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 43; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 115, Rn. 7; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 52; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 46; Heintzen, in: v. Münch/ Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 13. 176 So Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 43; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 28; Patzig, Haushaltsrecht, A/115/25; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 115, Rn. 23; vgl. auch die Auffassung der Bundesregierung, BT-Ds. 12/8490, S. 21; ähnlich noch BRH, BT-Ds. 11/7810, S. 15 und BT-Ds. 12/3250, S. 18; a. A. Wolffgang, DVBl. 1984, 1049 [1054]; BRH, BT-Ds. 12/8490, S. 21 f. 177 Vgl. Isensee, DVBl. 1996, 173 [175]: Notwendige aber nicht hinreichende Bedingung der regulären Kreditaufnahme; ähnlich Tiemann, DÖV 1995, 632 [634]; Müller, DÖV 1996, 490 [493]; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 340 f.
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setzgeber macht (Normenhierarchie), der dann wiederum mit dem einfachen Recht die Exekutive bindet (Vorrang des Gesetzes)178. Ein Gesetz ist für den (Haushalts-)Vollzug zwingend vorgeschrieben, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG. Der zulässige Inhalt der Gesetzes ergäbe sich aus der Verfassung (Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG), die zulässigen Maßnahmen der Verwaltung wiederum aus dem Gesetz (Haushaltsgesetz). Die Bindung der Exekutive an verfassungsrechtliche Vorgaben müsste – folgt man diesem Ansatz – nicht ausdrücklich geregelt sein, sondern würde durch das Gesetz „vermittelt“. Ein Gesetz, das die Vorgaben der Verfassung nicht vollständig umsetzte und an den Vollzug weitergäbe, wäre entweder verfassungswidrig oder im Wege der verfassungskonformen Auslegung an die verfassungsrechtlichen Vorgaben anzupassen. Indes hat diese Konstruktion eine konzeptionelle Schwäche: Eine Verfassungsnorm, die die Exekutive nicht binden will, verlangt eine solche inhaltliche Bindung auch nicht mittelbar. Auch sonst beschreitet die Verfassung einen „klareren“ Weg; die Grundrechte etwa binden alle drei Gewalten, Art. 1 Abs. 3 GG. Eine verfassungskonforme Interpretation der §§ 34 Abs. 2 S. 1 BHO, 19 Abs. 2 S. 1 HGrG mit dem Ergebnis, dass der Haushaltsvollzug die Ansätze für die im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen entgegen der Grundregel („Ermächtigung“, § 3 Abs. 1 BHO/HGrG) ausgeben muss, lässt sich also nur dann vertreten, wenn man eine Bindung auch des Vollzugs annimmt. Näher liegt jedoch – schon aus Sparsamkeitsund Wirtschaftlichkeitsgründen, § 7 Abs. 1 HGrG – eine verfassungskonforme Auslegung bzw. teleologische Reduktion der jeweiligen Kreditermächtigung des jährlichen Haushaltsgesetzes, in die die Investitionsgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG hineinzulesen wäre. Dies setzte aber gleichfalls eine Bindung (auch) des Vollzugs an die dann dynamische Investitionsgrenze voraus179.
178 In diesem Sinne wohl Tiemann, DÖV 1995, 632 [634]: Bindung der Exekutive an den „Gewichtungsrahmen“ des Haushaltsgesetzes; diesem Ansatz entgegentretend Isensee, DVBl. 1996, 173 [174]; ders., Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive in: FS Friauf, S. 705 [720 f.]; allgemein zu den möglichen Steuerungs- und Lenkungswirkungen der Bewilligungen, Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 412; Schuppert, in: VVDStRL 42 (1984), S. 216 [230 f.]; im Hinblick auf die Regelung in Art. 113 Abs. 1 GG krit. Birk, DVBl. 1983, 865 [872]. 179 Vgl. aber Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 185 f., der die Streitfrage der Verfassungsbindung des Haushaltsvollzugs „auf der falschen normativen Ebene“ diskutiert sieht und (nur) eine teleologische Auslegung der jeweiligen Kreditermächtigung vorschlägt. Der Zweck der Kreditermächtigung an sich dürfte sich aber darin erschöpfen, die Verwaltung zur Aufnahme der betragsmäßig festgelegten Kreditsumme zu ermächtigen.
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bb) Teleologische und systematische Argumente für eine Bindung des Vollzugs Für eine Geltung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG auch im Haushaltsvollzug sprechen neben den historischen Motiven180 vor allem teleologische Erwägungen181. Eine nur am Wortlaut orientierte Interpretation des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG würde zur „offenen Flanke“182 der Finanzverfassung, die mit dem Sinn und Zweck des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG, die Staatsverschuldung zu begrenzen, nur schwer in Einklang zu bringen wäre. Die Legitimationsidee eines Ausgleichs zukunftsbelastender Einnahmen durch zukunftsbegünstigende Ausgaben würde in der Praxis zunichte183. Nominale Investitionen („Potemkinsche Dörfer“184) stünden realer Staatsverschuldung gegenüber185. In der Tat darf die „Gefahr“ einer Einsparung gerade und vor allem bei den Ausgaben für Investitionen nicht unterschätzt werden. Als Programmausgaben beruhen sie häufig – im Gegensatz zu den gebundenen Ausgaben – nicht auf einer gesetzlichen Leistungsverpflichtung, sondern sind gewissermaßen freiwillig. Im Extremfall könnten Investitionen überhaupt unterbleiben (etwa aufgrund einer Haushaltssperre, § 41 BHO), während die Neuverschuldung sich in voller Höhe gemäß der Ermächtigung aktualisierte186. Der Sinn und Zweck spricht daher für eine Anwendung der Investitionsgrenze. Nur eine Erstreckung des Geltungsbereichs des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG auch auf die Vollzugsphase des Haushalts kann gewährleisten, dass die Verfassungsvorschrift nicht zu einer weitgehend formalen Ord180
Vgl. den schriftlichen Bericht des Abgeordneten Arndt zu BT-Ds. V/3605, S. 13; dazu Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 342. 181 Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: FS Friauf, S. 705 [719 ff.]; ders., DVBl. 1996, 173 ff.; ders., JZ 2005, 971 [974]; Müller, DÖV 1996, 490 [493 f.]; Bajohr, DÖV 1999, 397 [398 f.]; Vogel/Wiebel, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 121; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 451; Heuer, in: Heuer, Haushaltsrecht, Art. 115 GG, Anm. 10; Wendt/Elicker, DVBl. 2001, 497 [502]; Engels/Hugo, DÖV 2007, 445 [452]; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 42 f. 182 Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive in: FS Friauf, S. 705 [721]. 183 Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive in: FS Friauf, S. 705 [723]. 184 Isensee, JZ 2005, 971 [974]. 185 Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive in: FS Friauf, S. 705 [722]. 186 Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive in: FS Friauf, S. 705 [722].
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nungsvorschrift ohne materielle Bindungswirkung denaturiert187. Die Forderung, der Kreditrahmen dürfe daher auch und gerade im Haushaltsvollzug nur bis zur aktuellen Höhe der getätigten, nicht aber der veranschlagten Investitionsausgaben in Anspruch genommen werden188, erscheint plausibel. Die Bindung der Exekutive an das Junktim muss dabei nicht bedeuten, dass sie verpflichtet wäre, die Einnahmen- und Ausgabenansätze auszuschöpfen. Sie bliebe frei in der Entscheidung, ob sie die Kreditermächtigung ausübt. Wenn sie jedoch Kredite aufnimmt, muss sie investive Ausgaben in entsprechender Höhe leisten. Die rechtliche Grenze wäre in diesem Fall beweglich, aber sie bliebe eine Grenze.189 Systematische Erwägungen stützen dieses Ergebnis. Art. 109 Abs. 2 GG verpflichtet nicht nur die Gesetzgebung sondern die gesamte Haushaltswirtschaft auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht190. Wie Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG zeigt, ist die Kreditaufnahme ein wichtiges Element der Konjunktursteuerung. Schulden entstehen aber nicht mit der Planung, sondern erst im Haushaltsvollzug, mit der tatsächlichen Inanspruchnahme der Kreditermächtigung durch die Verwaltung191. Wäre die Verwaltung nicht an die Investitionsgrenze gebunden, so wäre die Kreditaufnahmebeschränkung gerade dann wirkungslos, wenn sie aufgrund der Bindung an die gesamtwirtschaftlichen Erfordernisse gem. Art. 109 Abs. 2 GG greifen muss, nämlich bei der tatsächlichen Inanspruchnahme des Kapitalmarkts und der tatsächlichen Begründung einer Rückzahlungsverpflichtung192. cc) Praktische Schwierigkeiten einer Bindung an die Ist-Ausgaben Die systematischen und teleologischen Argumente für eine Einbeziehung auch des Haushaltsvollzuges in den Anwendungsbereich des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG sind überzeugend. Wenn schon der Gesetzgeber an die In187 Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 342; Friauf, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 91, Rn. 43; Wolffgang, DVBl. 1984, 1049 [1054]. 188 Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 451. 189 Isensee, DVBl. 1996, 173 [176]. 190 Stern, StaatsR II, § 51 III 4, S. 1277; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 115, Rn. 14 f.; Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: FS Friauf, S. 705 [719]; Birk, Sparen auf Pump, in: FS Selmer, S. 589 [597]. 191 Birk, Haushaltsplanung und Haushaltsvollzug, in: FS Hoppe, S. 285 [295]. 192 Wolffgang, DVBl. 1984, 1049 [1054]; Birk, Haushaltsplanung und Haushaltsvollzug, in: FS Hoppe, S. 285 [295 f.]; Müller, DÖV 1996, 490 [494]. – Die systematische Stellung des § 18 im Teil II der BHO („Aufstellung des Haushaltsplans“) kann indes nicht für die Auslegung der Verfassung herangezogen werden, vgl. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 341.
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vestitionsgrenze gebunden ist, muss dies erst recht für den Vollzug gelten. Das Grundgesetz gewährt der Exekutive nur in Ausnahmefällen eigene haushaltswirtschaftliche Spielräume (Art. 111, 112 GG), die für die Kreditaufnahme noch eingeschränkt sind (nur Art. 111 Abs. 2 GG). Im Übrigen weist es die Verantwortung für den Staatshaushalt dem Gesetzgeber zu (Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG, Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG). Dem Haushaltsgesetzgeber ist auch die Verantwortung für die Auswirkungen des Haushalts auf die Gesamtwirtschaft auferlegt worden193; er hat eine „überragende verfassungsrechtliche Stellung […] im Verhältnis zu den anderen an der Aufstellung des Haushaltsplans beteiligten Verfassungsorganen“194. Das eigentliche Problem liegt hier, für die Frage des asymmetrischen Haushaltsvollzugs, der bei den Investitionen spart195, auch weniger in der Geltung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG für den Bereich der Exekutive, sondern in der praktischen Umsetzung der Forderung, dass sich der Haushaltsvollzug bei der Kreditaufnahme nicht an den veranschlagten, sondern an den tatsächlichen (getätigten, angeordneten oder jedenfalls festgelegten196) Investitionsausgaben orientieren soll. Sprechen Sinn und Zweck einerseits für eine Einbeziehung des Vollzugs, um die Kreditbegrenzung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG in der Praxis nicht leer laufen zu lassen, so legen die gleichen teleologischen Erwägungen andererseits eine Auslegung der Vorschrift im Sinne der Praktikabilität nahe197. Das Abstellen auf den Haushaltsvollzug bedeutet nicht nur eine Stärkung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG sondern birgt als Unsicherheitsfaktor zugleich die Gefahr einer Schwächung198. Dies ergibt sich zunächst aus der Charakteristik der Haushaltsplanung. Sie arbeitet mit Ex-ante-Schätzungen (Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG) und kann, was die Verfassung in Art. 112 GG anerkennt, nicht alle während des Haushaltsjahres auftretenden Veränderungen vorhersehen. So sind nicht nur die Entwicklungen bei den Steuereinnahmen unsicher, die durch konjunkturelle 193
BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [331 f.]. BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [32]. 195 Anders hingegen bei der Frage der Ausschöpfung fortgeltender Kreditermächtigungen (§§ 18 Abs. 3 BHO, 13 Abs. 2 HGrG), bei der nicht die „veranschlagten Ausgaben für Investitionen“ sondern die „Einnahmen aus Krediten“ die im Vollzug abweichende Größe sind, dazu näher unten, § 4 A. I., S. 314 ff. 196 So Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 451. 197 Ähnlich Heun, in: Dreier, GG III, Art. 115, Rn. 23. 198 Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 13; i. E. auch Heun, in: Dreier, GG III, Art. 115, Rn. 23; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 3, 43; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG10, Art. 115, Rn. 7a. – A. A. Isensee, DVBl. 1996, 173; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 48; Wendt/Elicker, DVBl. 2001, 497 [502]; Friauf, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 91, Rn. 43. 194
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Einflüsse und die Verteilung im Rahmen des Finanzausgleichs bzw. Zerlegungen erhebliche Schwankungsbreiten aufweisen199. Auch die Ausgaben für Investitionen können von den Planansätzen abweichen, wenn z. B. in der Obergruppe 89 veranschlagte Investitionszuschüsse mangels entsprechender Anträge nicht abgerufen werden, Ausgaben der Hauptgruppe 7 nicht abfließen, weil sich bei staatlichen Baumaßnahmen Verzögerungen ergeben, oder bei Beschaffungstiteln Aufträge verspätet vergeben werden, etwa weil der Haushaltsplan erst nach Beginn des Haushaltsjahres verabschiedet worden ist200. Häufig stellt sich im Haushaltsvollzug heraus, dass die im Zeitpunkt der Veranschlagung eingeschätzte voraussichtliche Fälligkeit von Ausgaben revidiert werden muss, weil aus rechtlichen Gründen die Ausgabe nicht geleistet werden kann oder ein Festhalten am Fälligkeitstermin unwirtschaftlich wäre201. Aus diesem Grunde sind speziell Ausgaben für Investitionen kraft Gesetzes übertragbar, §§ 19 Abs. 1 S. 1 BHO, 15 Abs. 1 S. 2 HGrG (sog. geborene Übertragbarkeit). Eine entsprechende Regelung sah der Gesetzgeber für eine kontinuierliche Haushaltswirtschaft als erforderlich an, da häufig erst nach Ablauf des Haushaltsjahres erkennbar ist, welche Investitionen aus Zeitgründen nicht abgewickelt werden konnten, gleichzeitig aber die Aufstellung des Haushaltsplans für das folgende Jahr zu diesem Zeitpunkt schon abgeschlossen ist202. Auf der anderen Seite werden die Deckungskredite, die dem Staat „Einnahmen aus Krediten“ verschaffen sollen (§§ 18 Abs. 2 Nr. 1 BHO, 13 Abs. 1 Nr. 1 HGrG), im Haushaltsvollzug nicht nach dem aktuellen Ausgabenbedarf aufgenommen – zum Ausgleich kurzfristiger Bedarfe dienen die Kassenverstärkungskredite (§§ 18 Abs. 2 Nr. 1 BHO, 13 Abs. 1 Nr. 1 HGrG). Die Aufnahme langfristiger Deckungskredite erfolgt vielmehr im Rahmen des von der Ausgabewirtschaft prinzipiell unabhängigen Kreditmanagements, das auf Bundesebene an eine „Finanzagentur“ ausgelagert ist und neben der Kassenentwicklung vor allem auch die Zinsentwicklung und die übrigen Kapitalmarktgegebenheiten berücksichtigt203. 199
Kriszeleit/Meuthen, DÖV 1995, 461 [464]. Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 19 BHO, Anm. 1; zur Verspätung des Haushalts vgl. ausführlich oben, § 2 B. III., S. 132 ff. 201 Mießen, in Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 19 BHO, Anm. 1. 202 Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 19 BHO, Anm. 2; BT-Ds. V/3040, S. 51 [Tz. 184]; krit. Patzig, Haushaltsrecht, C/19/3 f.; Vialon, Haushaltsrecht2, § 30 RHO, Anm. 18 ff., S. 562 ff. 203 Ziel des Schuldenmanagements ist es, die Ausgaben für Zinsen im Bundeshaushalt langfristig bei begrenztem Zinsrisiko zu minimieren. Die Struktur des Schuldenportfolios wird entsprechend gestaltet; s. hierzu etwa den Bericht des Bundesministeriums der Finanzen über die Kreditaufnahme des Bundes im Jahr 2006, S. 14 ff. und unter http://www.deutsche-finanzagentur.de; vgl. auch Dorn, VR 2004, 119 [120 f.] und allgemein Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 24 ff. 200
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Hieraus folgt ein Dilemma: Ob die Kreditgrenze im Vollzug eingehalten ist, kann sicher erst mit Abschluss der Haushaltsrechnung feststehen, zu diesem Zeitpunkt sind die Kredite jedoch schon, wie im Haushaltsplan und der Kreditermächtigung vorgesehen, auf Rechnung des entsprechenden Haushaltsjahres vereinnahmt worden. Sowohl das Nichtleisten von veranschlagten Ausgaben als auch die Aufnahme von Krediten nach Marktgesichtspunkten lassen sich aber einfach-rechtlich (§§ 7 Abs. 1 S. 1 BHO, 6 Abs. 1 HGrG) wie verfassungsrechtlich (Art. 114 Abs. 2 GG) mit dem Gebot einer wirtschaftlichen Haushaltsführung204 rechtfertigen. dd) Auswege: Haushaltswahrheit und Fehlbetragslösung Während sich die Extremfälle einer unseriösen „Pro-forma“-Veranschlagung der Investitionsausgaben, durch die die Spielräume der Kreditaufnahme erweitert werden sollen205, bereits mit dem Grundsatz der Haushaltswahrheit in den Griff bekommen lassen206, sind die systemimmanenten oder „zufälligen“ Asymmetrien des Haushaltsvollzugs während des laufenden Haushaltsjahres kaum zu verhindern. Wie der Haushaltsausgleich (Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG) bezieht sich auch das Junktim der Investitionsgrenze stets auf das gesamte Haushaltsjahr, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG, nicht auf einzelne Abschnitte des Haushaltsjahres. Es ist daher nicht nur wenig praktikabel und möglicherweise unwirtschaftlich, sondern auch von Verfassungs wegen nicht geboten, im Haushaltsvollzug mit der Aufnahme der Kredite zu warten, bis die entsprechenden Investitionsausgaben festgelegt sind oder tatsächlich verausgabt werden. Wegen der Jährlichkeit des Haushaltsplans ist es auch bei der Anwendung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG unerheblich, ob die Kreditgrenze während des Haushaltsjahres zeitweise überschritten wird, solange die Investitionsgrenze nicht für das Haushaltsjahr, d.h. am Ende des Haushaltsjahres überschritten ist207. Weder sieht das Grundgesetz eine laufende Kontrolle des Haushaltsvollzuges vor208 noch wäre es verfassungsrechtlich bedenklich, wenn die zum „Ausgleich“ der Krediteinnahmen eines Haushaltsjahres erforderlichen 204
Zum Wirtschaftlichkeitsprinzip s. bereits oben, § 2 A. III. 7., S. 68 f. Birk, Haushaltsplanung und Haushaltsvollzug, in: FS Hoppe, S. 285 [296]; vgl. in Bezug auf den „Hoffnungsposten“ Bundesbankgewinn Osterloh, NJW 1990, 145 [146]; plastisch Isensee, JZ 2005, 971 [974]: Potemkin’sches Dorf. 206 So explizit Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 13; ähnlich Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 48; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 115, Rn. 23; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 3, 43; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG10, Art. 115, Rn. 7a. 207 So auch für die Frage der Unterscheidung von Kreditauf- und -einnahmen Vogel/Wiebel, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 86. 205
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Ausgaben für Investitionen erst am 31. 12. des Haushaltsjahres geleistet werden. Auch die Option, globale Minderausgaben von vornherein in Abzug zu bringen, weil sie auch durch Ausgaben für Investitionen erwirtschaftet werden können, oder aber die globalen Minderausgaben bei den Investitionsausgaben durch einen entsprechenden Haushaltsvermerk auf den Differenzbetrag zur Kreditobergrenze zu beschränken209, kann unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten nicht überzeugen. Wenn sich eine geplante Investitionsausgabe im Haushaltsvollzug als unnötig erweist, gäbe es – ohne die Geltung der Kreditgrenze im Vollzug – keinen Grund, entsprechende Einsparmöglichkeiten nicht auszuschöpfen und Mittel für sinnlose Investitionsprojekte zu verausgaben. Aus dem „Zwang zur Investition“ ergäben sich Fehlsteuerungen („Dezemberfieber“), die durch eine gesetzliche Zulassung der Übertragbarkeit von Investitionsausgaben (§§ 19 Abs. 1 S. 1 BHO, 15 Abs. 1 S. 1 HGrG) gerade vermieden werden sollten. Dennoch können die genannten praktischen und verfassungsrechtlichen Argumente gegen eine laufende Anpassung der Krediteinnahmen an die tatsächlichen Investitionsausgaben (dynamische Kreditgrenze im Vollzug) kein Ergebnis rechtfertigen, bei dem der Kreditspielraum der Exekutive über den des Gesetzgebers hinausgeht. Die Kreditaufnahme kann nur aufgrund eines Gesetzes erfolgen, Art. 115 Abs. 1 S. 1, arg. ex Art. 112 GG. Es wäre mit dem Grundgedanken des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG nicht vereinbar, wenn in der gesamtwirtschaftlichen Normallage Einnahmen aus Krediten erzielt werden, denen keine eigenfinanzierten Investitionen gegenüberstehen. Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG begründet nicht nur für die Aufstellung des Haushaltsplans, sondern auch für dessen Ausführung eine Konnexität zwischen den Haushaltsansätzen für Krediteinnahmen und für Investitionen, die für die Exekutive kein Final-, sondern ein Konditionalprogramm statuiert210. Zwei Auswege erscheinen möglich: Wenn bei Großinvestitionen mit einem gewissen Ausgabevolumen bereits während des Haushaltsjahres mit einiger Sicherheit – etwa unter Rückgriff auf die gem. §§ 24 BHO, 16 HGrG zu erstellenden Planunterlagen – festgestellt werden kann, dass das entsprechende Projekt verschoben werden muss oder scheitern wird, könnte auf 208
Vgl. für das niedersächsische Landesverfassungsrecht NdsStGH, Beschluss v. 17.2.1997, StGH 11/95, NdsStGHE 3, 270–275 (= NVwZ-RR 1997, 393–394): keine vorlaufende parlamentarische Kontrolle des Regierungshandelns bei der Kreditaufnahme. 209 In diesem Sinne Landesrechnungshof NRW, Jahresbericht 2004, S. 67 f.; Gröpl, Zur verfassungsrechtlichen Problematik globaler Minderausgaben, S. 50. 210 Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: FS Friauf, S. 705 [725].
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diese auffälligen Entwicklungen bereits im Rahmen des Kreditmanagements Rücksicht genommen werden. Die Aufnahme neuer Kredite könnte unterbleiben; es wäre aber auch möglich, andere Kredite in entsprechender Höhe bis zum Ende des Haushaltsjahres zu tilgen, da Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG auf die Einnahmen aus Krediten während des gesamten Haushaltsjahres abstellt. Wenn – wie häufig – eine Überschreitung der Investitionsgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG bezogen auf die Ist-Einnahmen aus Krediten und die Ist-Ausgaben für Investitionen erst nach Abschluss des Haushaltsjahres im Rahmen der Haushaltsrechnung festgestellt werden kann (§§ 80 Abs. 1 S. 1 BHO, 37 Abs. 1 S. 1 HGrG), sind die Einnahmen aus Krediten, die im laufenden Jahr nicht mehr getilgt werden können, in Höhe des Überschreitungsbetrages in einen Fehlbetrag umzubuchen211. Dieser Fehlbetrag ist in den Haushaltsplan für das nächste oder gem. § 25 Abs. 3 S. 1 BHO (§ 17 S. 1 HGrG) spätestens in den Haushaltsplan für das zweitnächste Haushaltsjahr einzustellen. Ein entsprechendes Vorgehen wäre sachgerecht, weil auch die gem. §§ 19 Abs. 1 S. 1 BHO, 15 Abs. 1 S. 1 HGrG übertragbaren Investitionsausgaben voraussichtlich in diesem Jahr abfließen werden und gleichzeitig eine Anrechnung auf die Kreditgrenze dieses Jahres erfolgen kann. Gem. § 25 Abs. 3 S. 2 BHO (§ 17 S. 2 HGrG) darf ein Fehlbetrag durch Einnahmen aus Krediten nur gedeckt werden, soweit die Möglichkeiten einer Kreditaufnahme nicht ausgeschöpft sind. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass der Haushaltsvollzug weder in dem Jahr, in dem die Investitionsausgabe unterbleibt, noch in dem Jahr, in dem der Fehlbetrag (wie eine Einnahme aus Krediten, §§ 25 Abs. 3 S. 2 BHO, 17 S. 2 HGrG) zu berücksichtigen ist, die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG überschreitet; gleichzeitig wird ein unwirtschaftlicher Zwang zur Verausgabung von Mitteln, auch wenn es sich dabei um Investitionen handelt, vermieden. c) Verbot der überjährigen Saldierung von Einnahmen aus Krediten und Ausgaben für Investitionen Das Junktim in Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG fordert nicht nur eine realitätsgerechte, sondern auch eine zeitgerechte Veranschlagung der „Einnahmen aus Krediten“ und der „Ausgaben für Investitionen“. Indem die Zulässigkeit der Kreditaufnahme der Höhe nach an die im jährlichen Haushaltsplan veranschlagten Investitionen gekoppelt wird, knüpft die 211 Zu unterscheiden ist hiervon die Haushaltspraxis des Bundes, nach der kassenmäßige Überschüsse oder Fehlbeträge aufgrund eines Haushaltsvermerks zu Kap. 32 01 durch eine Umbuchung der Krediteinnahmen vermieden werden, s. hierzu noch unten, § 4 A. I., S. 314 ff.
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Kreditobergrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG systematisch – wie der Haushaltsplan – an das Haushaltsjahr an. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG fordert eine „nach Jahren getrennt[e]“ Veranschlagung, eine Saldierung über die Grenzen der Haushaltsjahre hinweg ist daher nicht zulässig212. Die Relation zwischen Krediteinnahmen und Investitionsausgaben gilt für das einzelne Haushaltsjahr213 und gestattet keine überjährige Betrachtung. Unterschreiten die Krediteinnahmen die Ausgaben für Investitionen in einem Jahr, so rechtfertigt dies nicht die Überschreitung der Investitionssumme in einem anderen Haushaltsjahr214. Weder ein Vor- noch ein Rücktrag ist mit dem Gedanken der Investitionsgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG vereinbar215. Die nachträgliche Kreditfinanzierung längst investierter Mittel kann ebenso wenig zusätzliche Produktivität schaffen wie eine „rückwirkende“ Investition. Dem steht nicht entgegen, dass die Kreditermächtigung auch dauergesetzlich erteilt oder revolvierend in Anspruch genommen werden kann. Die Bindung an das Haushaltsjahr besteht für die „Einnahmen“ aus Krediten, Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG. Zudem folgt die zeitliche Bindung der Kreditaufnahme daraus, dass der Haushaltsgesetzgeber bei seiner Entscheidung über die Höhe der jährlichen Nettoneuverschuldung gem. Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 109 Abs. 2 GG den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen hat. Die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts können aber nur im Rahmen einer zeitnahen Planung beurteilt werden. d) Bedeutung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts für die Kreditaufnahme in der „Normallage“ Gemäß Art. 109 Abs. 2 GG haben Bund und Länder „bei ihrer Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichge212 Aufgrund der Trennung nach Jahren ist eine Saldierung auch nicht im Rahmen eines Doppelhaushalts möglich, obwohl hier dem Wortlaut nach nur ein Haushaltsplan für zwei Haushaltsjahre festgestellt wird, s. hierzu oben § 2 C. I., S. 219 f. Vgl. auch VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [284]; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 124. 213 VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [284]; Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: FS Friauf, S. 705 [714]; Vogel/ Wiebel, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 115, Rn. 86. 214 VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [284]. 215 Ein intertemporärer Ausgleich von Krediteinnahmen und Investitionsausgaben zwischen den einzelnen Haushaltsjahren kann auch nicht mit dem Argument der Gesamtdeckung begründet werden. Gem. §§ 8 S. 1 BHO, 7 S. 1 HGrG findet nur innerhalb desselben Haushaltsplans eine direkte Zuordnung von (Kredit-)Einnahmen zu entsprechenden (Investitions-)Ausgaben nicht statt.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
wichts Rechnung zu tragen“. Den staatlichen Haushalten und vor allem der Kreditaufnahme216 ist durch die Neufassung der Art. 109 ff. GG im Zuge der Finanz- und Haushaltsreform der Jahre 1967 und 1969217 über die Bedarfsdeckungsfunktion hinaus eine wirtschaftspolitische Lenkungsfunktion zugewiesen worden.218 Ziel dieser Reform war es, die staatliche Haushaltswirtschaft und Haushaltspolitik sowie das Haushaltsrecht angesichts der erkannten gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Staatshaushalts zugleich in den Dienst einer konjunktursteuernden Wirtschafts- und Finanzpolitik zu stellen.219 aa) Begriff der „Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ Mit dem Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nimmt die Verfassung auf die insbesondere durch John Maynard Keynes geprägte ökonomische Theorie Bezug, nach der sich der Ablauf der (seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu beobachtenden) kontinuierlichen Konjunkturzyklen durch fiskalpolitische Maßnahmen des Staates (Globalsteuerung) beeinflussen lässt.220 Nach dieser Auffassung, die für den Bereich der Staatsverschuldung von Abba P. Lerner221 weiterentwickelt wurde, ist es ökonomisch angezeigt und politisch geboten, die staatliche Haushalts- und Finanzpolitik im Interesse der Konjunkturstabilisierung auf eine antizyklische Steuerung des Konjunkturablaufs auszurichten und ihr die dazu notwendigen rechtlichen Instrumentarien zu verschaffen.222 216 Art. 109 Abs. 2 GG muss stets im Zusammenhang mit der Regelung der staatlichen Kreditaufnahme betrachtet werden, vgl. Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 109, Rn. 14. 217 BT-Ds. V/890 bzw. G. v. 8.6.1967 (BGBl. I, S. 581); BT-Ds. V/3040 bzw. G. v. 12.5.1969 (BGBl. I, S. 357). 218 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [331 f.]; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 109, Rn. 59. 219 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [331]; Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland (sog. Troeger-Gutachten), 1966, S. 17 [Tz. 58]. 220 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [331]; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 109, Rn. 13; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 109, Rn. 69 ff.; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 8. 221 Lerner, The Economics Of Control (1947), S. 302 ff. 222 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [331]; Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 1966, S. 17 [Tz. 59]; BT-Ds. V/890, S. 8 ff. Vgl. auch bereits Wissenschaftlicher Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium, Gutachten v. 3.6.1956 und 8.7.1956, in: Gutachten, Bd. 4, S. 34 [45 ff.].
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Das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht“ als zentrales Tatbestandsmerkmal des Haushaltsverfassungsrechts wird dabei durch die Verfassung selbst nicht näher definiert.223 Aus der Entstehungsgeschichte des Art. 109 Abs. 2 GG geht indes hervor, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber in der zur gleichen Zeit entstandenen Vorschrift des § 1 S. 2 StabG eine zutreffende Umschreibung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sah, die dortigen vier wirtschaftspolitischen Teilziele (Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum) aber nicht im Grundgesetz festschreiben wollte, um dieses für künftige Fortentwicklungen der wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnis offen zu halten.224 Das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht“ ist daher ein unbestimmter Verfassungsbegriff, der einen in die Zeit hinein offenen Vorbehalt für die Aufnahme neuer, gesicherter Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften als zuständiger Fachdisziplin enthält.225 Da indes nach deren gegenwärtigem Stand gesicherte abweichende Erkenntnisse nicht vorliegen226, kann zur Konkretisierung dieses Begriffs weiterhin auf die Teilziele des § 1 S. 2 StabG zurückgegriffen werden.227 Die vollständige, gleichzeitige und nachhaltige Realisierung dieser vier Ziele (sog. „magisches Viereck“) kennzeichnet den angestrebten Idealzustand. Der Zielkatalog des § 1 S. 2 StabG ist daher eine praktikable einfach-gesetzliche Umschreibung, wenn auch keine authentische Interpretation des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ i. S. d. Art. 109 Abs. 2 GG228. bb) Auswirkungen für die Kreditaufnahme in der Normallage Aus dem in Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG formulierten Junktim zwischen Investitionsausgaben und Krediteinnahmen könnte im Hinblick auf Art. 109 Abs. 2 GG abzuleiten sein, dass die höhenmäßige Beschränkung der Nettoneuverschuldung auf die Summe der eigenfinanzierten Investitio223
Rodi, in: Bonner Kommentar, Art. 109, Rn. 172 f. Zu BT-Ds. V/1686, S. 3; BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [338]. 225 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [338]. 226 Zum Stand der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion vgl. Rodi, in: Bonner Kommentar, Art. 109, Rn. 188; Kerber, DÖV 2004, 691 [692] sowie Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 63 f., 82 ff. jeweils m. w. N. 227 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [338 f.]; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 109, Rn. 72 f.; Vogel/Waldhoff, in: Bonner Kommentar, vor Art. 104a–115 GG, Rn. 304; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 109, Rn. 10. 228 Vgl. Birk, JA 1983, 563 [564]; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 109, Rn. 10 (S. 1074); krit. Rodi, in: Bonner Kommentar, Art. 109, Rn. 523 ff. 224
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
nen – quasi typisiert – in der Normallage stets den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts entspricht.229 So könnte man vertreten, dass eine Kreditaufnahme, die in gleicher Höhe durch entsprechende Investitionen „abgesichert“ ist, gesamtwirtschaftlich gewissermaßen „neutral“ bleibt. Wenn man annimmt, dass das Junktim auf der Erwägung beruht, dass „in einer gesamtwirtschaftlichen Normallage nur Investitionen, nicht nicht-investiver Bedarf aus Krediten finanziert werden dürfen, weil nur bei Investitionen der Zukunftsbelastung durch die Verschuldung ein zukünftiger Vorteil gegenüber steht“230, so scheint die Verfassung davon auszugehen, dass die Verknüpfung von Krediten und Investitionen eine „Unbedenklichkeitserklärung zugunsten der Kreditfinanzierung staatlicher Vorhaben [darstellt], die zukunftsorientiert sind und eine Steigerung der volkswirtschaftlichen Produktivität bewirken sollen“.231 Die Formulierung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG verleitet dazu, Kreditaufnahmen zur Finanzierung von Investitionen in jedem Fall als gerechtfertigt anzusehen.232 Dieser Schluss wäre indes unzulässig. Der Gedanke der „Zukunftsbegünstigung“ kann nach Sinn und Zweck der staatsschuldenrechtlichen Regeln nicht als „erfolgsneutraler Aktiv-/Passivtausch“ von Schulden und Investitionsgütern betrachtet werden. Eine solche Auslegung ist schon wegen der mit Investitionen häufig verbundenen Folgekosten fragwürdig233 und würde nicht die von ihr angestrebte Begrenzung der Kreditinanspruchnahme erreichen, sondern unter Umständen eine mit den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen nicht zu vereinbarende Ausweitung des öffentlichen Kreditvolumens ermöglichen.234 Zweck der Investitionsgrenze ist vor allem auch der Schutz künftiger Generationen vor unbeschränkter Vorwälzung staatlicher Lasten. Bürger und Parlamente der Zukunft sollen davor bewahrt 229 In diesem Sinne etwa Birk, DVBl. 1984, 745 [748]: „Ein Haushaltsgesetz, welches die Regelgrenze beachtet, trägt die Vermutung in sich, dass die Krediteinnahmen dem finanzwirtschaftlichen Übermaßverbot [sc. aus Art. 109 Abs. 2 GG, d. Verf.] entsprechen“ sowie Tettinger, in: Löwer/Tettinger, Verf NW, Art. 83, Rn. 7: Die Kreditaufnahme und damit die Verschuldung des Landes hat den jeweiligen aktuellen Anforderungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu entsprechen. Der Kreditrahmen ist danach [Hervorhebung nur hier, d. Verf.] in der Regel nach oben durch die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Investitionen begrenzt“. 230 Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 13; BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [334]. 231 So Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 115, Rn. 4. 232 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat BMF, Stellungnahme zur Haushaltsrechtsreform 1969 (Heft 11), S. 26. 233 Vgl. Wendt/Elicker, DVBl. 2001, 497 [501]; Halstenberg, DVBl. 2001, 1405 [1406]. 234 So die Befürchtung des Wissenschaftlichen Beirats BMF, Stellungnahme zur Haushaltsrechtsreform 1969 (Heft 11), S. 26 f.
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werden, den zur Bewältigung dann anstehender Probleme nach ihren Maßstäben benötigten finanziellen Handlungsspielraum zu verlieren.235 Insoweit hat sich trotz des prinzipiellen Systemwechsels ein „Grundelement der traditionellen Deckungsregel“236 auch in den neu gefassten staatsschuldenrechtlichen Regelungen erhalten. Die Investitionssumme bildet jedoch in der Normallage eine Obergrenze, die nicht die Kreditaufnahme bis zur Höhe der Investitionen als unbedenklich erscheinen lässt oder gar fordert. Das in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG formulierte Junktim bedeutet, dass die Kredite nur bis zur Höhe der Investitionen aufgenommen werden dürfen, nicht dass sie bis zur Höhe der Investitionen aufgenommen werden müssen bzw. umgekehrt, dass Investitionen nur bis zur Höhe der jeweils aufgenommenen Kredite getätigt werden dürften. In der Normallage bewirkt Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG damit eine doppelte Einschränkung der Nettoneuverschuldung237: Zum einen dürfen nicht mehr an Krediteinnahmen in den Haushalt eingestellt werden, als Ausgaben für Investitionen veranschlagt werden. Zum anderen ist die Kreditaufnahme begrenzt auf das Maß dessen, was in Wahrung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geboten erscheint238. Das BVerfG formuliert dementsprechend: „Für die Normallage wird die Kreditaufnahme nicht ausgeschlossen. Sie wird vielmehr grundsätzlich zugelassen, aber nach Maßgabe dessen eingeschränkt, was in Wahrung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geboten erscheint; diesen Erfordernissen ist Rechnung zu tragen. Hiernach kann beispielsweise die Kreditaufnahme gering zu halten oder eine im gesamtwirtschaftlichen Interesse eingegangene erhebliche Verschuldung zurückzuführen sein, falls ein solches Haushaltsgebaren im Hinblick auf eine an der Erhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ausgerichtete mittelfristige Wirtschaftspolitik vonnöten erscheint.“239
Während in der Störungslage (ausnahmsweise) eine Überschreitung der Investitionsgrenze verfassungsrechtlich zulässig und ggf. auch verfassungsrechtlich geboten sein kann, ist in der Normallage also auch derjenige Fall denkbar, dass die Investitionsgrenze zwar eingehalten wird, die für das Haushaltsjahr geplante Nettoneuverschuldung aber dennoch nicht verfas235
VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [284] m. w. N. Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 115, Rn. 4. 237 VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [284]; Wendt/ Elicker, DVBl. 2001, 497 [499] sprechen von einer „zusätzlichen Grenze“. 238 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [334]; VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [284]; Pünder, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 27. 239 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [334]. 236
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sungskonform ist, da die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eine weitere Absenkung der Neuverschuldung bzw. des Schuldenstands als zwingend erscheinen lassen. Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG normiert damit für die Normallage eine äußerste Grenze, bescheinigt aber – unter Berücksichtigung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, Art. 109 Abs. 2 GG – keine Unbedenklichkeit der staatlichen Kreditaufnahme in Höhe der Investitionssumme. II. Störungslage: Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG Eine Überschreitung der Investitionsgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG ist, sieht man von außergewöhnlichen Notsituationen ab240, nur zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zulässig241. Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG konkretisiert insoweit die allgemeinen Vorgaben des Art. 109 Abs. 2 GG für die „Störungslage“. 1. Materielle Voraussetzungen
Art. 115 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 GG setzt nach seinem Wortlaut nicht die Beseitigung, sondern die Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts voraus.242 Es genügt daher, wenn die Störung unmittelbar bevorsteht243, sie muss noch nicht eingetreten sein, um die Überschreitung der Kreditgrenze zu rechtfertigen.244 Eine bloße abstrakte Gefahr reicht hingegen nicht aus.245 Entsprechend formuliert das BVerfG, der Haushaltsgesetzgeber dürfe von der Ausnahmevorschrift des Art. 115 Abs. 1 Satz 2 240 VerfGH NW, Urteil v. 24.4.2007, VerfGH 9/06, DÖV 2007, 698 [700]: „im Falle einer schweren Naturkatastrophe oder eines sonstigen Unglücksfalles mit sehr weitreichenden und kurzfristig regelungsbedürftigen Schadensfolgen“; weitergehend BerlVerfGH, Urteil vom 31.10.2003, VerfGH 125/02, LVerfGE 14, 104 [132 ff.]; ähnlich HessStGH, Urteil v. 12.12.2005, P. St. 1899, NVwZ-RR 2006, 657 [663 f.], Art. 141 S. 1 HessVerf stellt allerdings, wie die historischen Vorläufer, vgl. Art. 87 S. 1 WRV, Art. 115 S. 1 a. F. auf einen „außergewöhnlichen Bedarf“ ab; vgl. für die übrigen Länder auch die Nachweise oben Fn. 58 (S. 262). 241 Vgl. Osterloh, NJW 1990, 145 [146]: „Rettungsring gegenüber dem Bleigewicht des Hs. 1“. 242 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 48; Vogel/Wiebel, in: Bonner Kommentar, Art. 109, Rn. 187 f. 243 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 115 GG, Rn. 31; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 48; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 61. 244 Vogel/Wiebel, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 109, Rn. 186; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 48. 245 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 48.
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Hs. 2 GG nur Gebrauch machen, wenn eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliege oder unmittelbar drohe.246 a) Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum Bei der Frage, ob eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Störungslage) im Sinne des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG vorliegt oder unmittelbar droht, hat der Haushaltsgesetzgeber, ebenso wie bei der Einschätzung, ob eine erhöhte Kreditaufnahme zu ihrer Abwehr geeignet ist, einen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum247. Nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, die von den Verfassungsgerichten der Länder geteilt wird248, folgt dieser gesetzgeberische Spielraum aus der Unbestimmtheit bzw. Offenheit249 des Begriffs der „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ und den möglichen Ungewissheiten über die tatsächlichen Voraussetzungen für die Eignung einer erhöhten Kreditaufnahme zur Störungsabwehr250. Weil der Haushaltsplan ein „konkretes Regierungsprogramm in Gesetzesform“ sei, komme es maßgeblich auf die eigene Beurteilung und Einschätzung des Haushaltsgesetzgebers an251. Hieraus folgt auch, dass sich der Gesetzgeber nicht an fremde Prognosen halten muss. Er ist vielmehr verpflichtet, eine eigene Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Lage vorzunehmen und die Eignung einer erhöhten Kreditaufnahme zur Störungsabwehr selbst einzuschätzen. Maßstab der (gerichtlichen) Überprüfung des Beurteilungsspielraums ist nicht die wissenschaftliche „Richtigkeit“ sondern allein die „Vertretbarkeit“ der Einschätzung. b) Exkurs: Landeskompetenz zur Feststellung und Abwehr einer Störung? Nicht abschließend geklärt ist, inwiefern ein entsprechender Spielraum nur dem Bundesgesetzgeber zukommt oder auch von den Parlamenten der 246 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [339 und Ls. 3]; vgl. auch Heun, in: Dreier, GG, Art. 115, Rn. 25; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/ Kunig, GG3, Art. 115, Rn. 14b; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 44. 247 Vgl. BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [343]; vgl. auch Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 204. 248 Vgl. BerlVerfGH, Urteil vom 31.10.2003, VerfGH 125/02, LVerfGE 14, 104 [120] (= NVwZ 2004, 210 [212]); NdsStGH, Urteil v. 10.7.1997, StGH 10/95, NVwZ 1998, 1288 [1290]; VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [285]. 249 Rodi, in: Bonner Kommentar, Art. 109, Rn. 183 mit Hinweis auf Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität, S. 140 ff. 250 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [343]. 251 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [343 f.].
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Länder genutzt werden kann252. Grundgesetz und die Rahmengesetzgebung des Bundes regeln diese Frage nicht ausdrücklich. Einige Länderverfassungen erlauben aber eine Überschreitung zur „Überwindung einer schwerwiegenden Störung oder unmittelbaren Bedrohung der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung des Landes“253. Soweit ein solcher expliziter Bezug auf die wirtschaftlichen Entwicklungen innerhalb eines Bundeslandes fehlt, könnte es aufgrund der gesamtstaatlichen Ausrichtung254 des Art. 109 Abs. 2 GG den Ländern verwehrt sein, sich auf die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu berufen, solange eine solche Störung nicht für das gesamte Bundesgebiet festgestellt ist.255 Die Überschreitung der Investitionsgrenze unter Hinweis auf besondere strukturelle oder finanzielle Probleme eines Bundeslandes wäre danach ausgeschlossen. Im Hinblick auf Art. 109 Abs. 4 GG, nach dem zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts durch Bundesgesetz (mit Zustimmung des Bundesrates) Vorschriften über Höchstbeträge, Bedingungen und Zeitfolge der Aufnahme von Krediten durch Gebietskörperschaften und Zweckverbände erlassen werden können (vgl. auch §§ 19, 20 StabG), scheint ein solches Verständnis der „Gesamtwirtschaftlichkeit“ durchaus angemessen256. Art. 109 Abs. 2 GG würde damit den Ländern untersagen, „eigenständig und unkoordiniert auf vermeintliche Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu reagieren.“257 Indes sind Bund und Länder in ihrer Haushaltswirtschaft, wozu auch die Kreditaufnahme gehört, selbstständig und voneinander unabhängig (Art. 109 252 Vgl. Henneke, Öffentliches Finanzwesen2, Rn. 608 ff.; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 411 [Fn. 42]; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 195; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 115 GG Anm. 31; Bericht des Sonderausschusses „Niedersächsische Verfassung“, NdsLT-Ds. 12/5840, S. 42; Abghs-Ds. (Berlin), 12/5603, S. 7. 253 Art. 65 Abs. 2 S. 2 M-VVerf (G. v. 23.5.1993, GVOBl. S. 372); ähnlich auch Art. 98 Abs. 2 S. 3 ThürVerf (G. v. 25.10.1993, GVBl. S. 625) und bereits Art. 53 S. 2 SchlHVerf (G. v. 13.6.1990, GVOBl. S. 391). 254 Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 187; aus ökonomischer Sicht Jochimsen, DÖV 2004, 511 [513]. 255 Henneke, Öffentliches Finanzwesen2, Rn. 608 ff.; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 411 [Fn. 42]; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 195; Kloepfer/Rossi, VerwArch 49 (2003), 319 [330]; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 44; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 115 GG, Anm. 31. Der Bericht des Sonderausschusses „Niedersächsische Verfassung“, NdsLT-Ds. 12/5840, S. 42 spricht von einer „bundesrechtlich vorgesehenen Stabilitätsgemeinschaft von Bund und Ländern“. 256 Ähnlich Kloepfer/Rossi, VerwArch 94 (2003), 319 [329 f.]; Noll, ThürVBl. 2000, 145 [148 ff.]; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 109 GG, Anm. 20. 257 So die Stellungnahme der Antragsteller im Verfahren BerlVerfGH, Urteil vom 31.10.2003, VerfGH 125/02, LVerfGE 14, 104 [110 f.]: Insbesondere betreffe das „magische Viereck“ nicht die wirtschaftliche Lage eines Landes, wie das Teilziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts zeige [S. 111].
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Abs. 1 GG). Daher stehen ihnen grundsätzlich auch materiell jeweils eigenständige Entscheidungsspielräume zu258. Ein Eingriff in die grundsätzliche Haushalts- und Finanzautonomie der Länder durch die Feststellung (oder fehlende Feststellung) einer gesamtwirtschaftlichen Störungslage, für die keine bestimmte Form vorgeschrieben ist und die „durch jegliche Stellungnahmen und Erklärungen der an der Haushaltsgesetzgebung beteiligten Organe im Gesetzgebungsverfahren, auch in den Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages und des Bundesrates erfolgen“259 können, erscheint daher zweifelhaft. Der Landesgesetzgeber wäre, billigte man diesem keinen eigenen Einschätzungsspielraum zu, stets an eine Feststellung auf Bundesebene gebunden260. Die Verpflichtung des Art. 109 Abs. 2 GG trifft jedoch Bund und Länder selbstständig.261 Der Bund hat außer seiner Grundsatzgesetzgebungskompetenz für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft aus Art. 109 Abs. 3 GG und den Eingriffsrechten nach Art. 109 Abs. 4 GG keine besonderen hoheitlichen Rechte gegenüber den Ländern.262 Jede Ebene hat daher unter Beachtung der Grundsatzgesetzgebung in eigener Verantwortung darüber zu entscheiden, wie sie ihre Verpflichtung aus Art. 109 Abs. 2 GG erfüllt.263 Lediglich in Missbrauchsfällen oder bei entgegengesetzten, sich widersprechenden Einschätzungen der wirtschaftlichen Lage ist über den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens, der hier normativ durch Art. 109 Abs. 2 GG konkretisiert und verstärkt wird, eine Korrektur vorzunehmen.264 258 BerlVerfGH, Urteil v. 31.10.2003, VerfGH 125/02, LVerfGE 14, 104 [124]; Dästner, Verf NW, Art. 83, Rn. 4; Bajohr, DÖV 1999, 397 [399]; Schwarz, DÖV 1998, 721 [723]; Heun, in: Dreier, GG, Art. 109, Rn. 17; Heintzen, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 109, Rn. 9. Hiervon gehen auch einige Landesverfassungen explizit aus, vgl. Art. 53 S. 2 SchlHVerf, Art. 65 Abs. 2 S. 2 M-VVerf, Art. 98 Abs. 2 S. 3 ThürVerf. Vgl. für die NdsVerf auch NdsStGH, Urteil v. 10.7.1997, StGH 10/95, NVwZ 1998, 1288 [1289 f.]; NdsLT-Ds. 12/5840, S. 42. 259 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [345]. 260 In diesem Sinne etwa LT-Ausschussprotokoll (NRW) 12/986, S. 24: Die Feststellung einer Störungslage durch den Bund stelle die Ermächtigungsgrundlage dar für eine Überschreitung der Grenzen des Kreditlimits auch im Land (http://www. landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMA12-986.pdf). Vgl. hierzu Bajohr, DÖV 1999, 397 [399], der auf das „absurde Ergebnis“ hinweist, dass alle Länder bei denen – trotz Feststellung einer Störungslage auf Bundesebene – keine Überschreitung der Kreditgrenze eintrat, ihre Verpflichtungen verletzt hätten [Fn. 24]. 261 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 109, Rn. 40; BVerfG, Urteil v. 27.5.1992, 2 BvF 1, 2/88, 1/89 und 1/90, BVerfGE 86, 148 [267] spricht in Bezug auf die Länder von der „Erhaltung oder Wiedergewinnung der Handlungsfähigkeit nach Art. 109 Abs. 2 GG“. 262 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 109, Rn. 40. 263 Vogel/Wiebel, in: Bonner Kommentar, Art. 109, Rn. 103; Heintzen, in: v. Münch/ Kunig, GG5, Art. 109, Rn. 17; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 50. 264 Ähnlich Rossi, DVBl. 2005, 269 [272], der aus dem Prinzip der Bundestreue Kooperations- jedenfalls aber Konsultationspflichten ableitet.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme 2. Formelle Voraussetzungen: Darlegungslast
Dem materiellen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum entspricht für den Haushaltsgesetzgeber in formeller Hinsicht die Darlegungslast im Gesetzgebungsverfahren. Sie verpflichtet den Gesetzgeber offen zu legen, aus welchen Gründen und in welcher Weise er von der Befugnis des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG Gebrauch macht. Aus dem Inhalt des Haushaltsplans und den Materialien der Haushaltsberatungen müssen sich die Gründe dafür ergeben, dass gerade das Mittel der überhöhten Kreditaufnahme geeignet ist, eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. Die vom BVerfG geforderte Darlegung im Gesetzgebungsverfahren soll dazu beitragen, die Inanspruchnahme der „Ausnahmebefugnis“ – trotz des Fehlens eindeutiger materiell-rechtlicher Vorgaben – zu beschränken und so ihren Ausnahmecharakter zu sichern. Die Unbestimmtheit des materiellen Maßstabs soll auf diese Weise einen teilweisen Ausgleich in formell-verfahrensmäßigen Anforderungen finden.265 Die Darlegungslast verfolgt damit nicht dasselbe Ziel wie die Begründung eines Gesetzentwurfes; sie hat – nach der Konzeption des BVerfG – darüber hinaus die Funktion und Qualität eines „Ersatztatbestandes“266. Eine Gesetzesbegründung erlangt Bedeutung im Rahmen der (genetischen) Auslegung einer Norm und gibt – mit gewissen Einschränkungen – den subjektiven Willen des Gesetzgebers wieder. Die im Rahmen der erhöhten Kreditaufnahme i. S. d. Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG darzulegenden Gründe, Absichten und Prognosen dienen aber nicht der Auslegung des Haushaltsgesetzes sondern übernehmen die Funktion der Normkonkretisierung, weil sie im Hinblick auf Bedarf und Verwendung von Krediten die einzigen Anhaltspunkte sind, die zur (gerichtlichen) Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Haushaltsgesetzes zur Verfügung stehen.267 Daher hat nicht nur die Regierung, die die Gesetzesinitiative wahrnimmt268, ihre Auffassung in der Begründung zum Entwurf des Haushaltsgesetzes darzulegen, sondern es muss zudem im Haushaltsgesetzgebungsverfahren deutlich werden, dass die parlamentarische Mehrheit zusammen mit der Verabschiedung des jeweiligen Haushaltsgesetzes auch den Gründen zustimmt, die Anlass zu einer Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung in Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG geben269. 265 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [344 f.]; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 53, 63; vgl. auch bereits Birk, DVBl. 1984, 745 [748]. 266 Grundlegend Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 210 und 222 ff. 267 Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 210. 268 Hierzu bereits oben, § 2 B. III. 3. a) bb) (1) (b) (aa), S. 157 f.
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Ob die Annahme einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, bzw. die Annahme, eine erhöhte Kreditaufnahme sei geeignet, die Störung abzuwehren, vertretbar ist, entscheidet sich wesentlich danach, ob der Gesetzgeber seine Darlegungspflicht erfüllt. Ohne eine entsprechende formelle Darlegung ist der materiellen Überprüfung die Grundlage entzogen. Hieraus folgt aber auch, dass eine unzureichende Darlegung – unabhängig von den materiellen Voraussetzungen für die Annahme einer Störungslage – die Verfassungswidrigkeit der erhöhten Kreditaufnahme begründet. Ausgangspunkt für die Frage, welche konkreten Anforderungen an die Darlegung zu stellen sind, ist Sinn und Zweck des Darlegungserfordernisses. Nach der Rechtsprechung des BVerfG hat das Darlegungserfordernis seine normative Grundlage in der Publizität des Haushaltsverfahrens, die verfassungsrechtlich gewährleistet ist270 und die Kontroll- und Legitimationsfunktion von Haushaltsberatung und -verabschiedung erst erfüllbar macht.271 Die Darlegung trage dazu bei, die Inanspruchnahme der Ausnahmebefugnis auf Ausnahmefälle zu beschränken272. Ziel der Darlegungen ist es, erkennbar zu machen, dass die parlamentarische Mehrheit mit der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes die Verantwortung auch für die Begründung der erhöhten Kreditaufnahme übernimmt.273 Zu unterscheiden ist nach der Rechtsprechung des BVerfG in doppelter Hinsicht. Zum einen ist – wie § 18 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BHO in seinen Nrn. 1 und 2 nachzeichnet – zwischen der „Diagnose“ und der „Therapie“ (Absicht und Prognose274) der Störungslage zu unterscheiden; zum anderen ist zwischen den materiellen Voraussetzungen (Störungslage sowie Bestimmung und Geeignetheit zur Abwehr einer Störung, § 18 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BHO) und den formellen Voraussetzungen (Darlegung beider Voraussetzun269 Weitergehend Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 223, der wegen der Bindungswirkung eine gesetzesförmige Darlegung, etwa im Rahmen eines Erläuterungsvermerks oder eines Anhangs im Haushaltsplan fordert. 270 Vgl. BVerfG, Urteil v. 14.1.1986, 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 [359]. 271 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [344]. 272 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [344 f.]. 273 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [345]. Anschaulich VerfGH Berlin: „dem Darlegungserfordernis ist nicht genügt, wenn die hohe Arbeitslosigkeit sowie die schlechte wirtschaftliche Situation des Landes Berlin vereinzelt Gegenstand von Redebeiträgen im Rahmen des Haushaltsgesetzgebungsverfahrens geworden sind“. 274 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [345]: „[…] die Absicht, durch die erhöhte Kreditaufnahme diese Störung abzuwehren, und die begründete Prognose, dass und wie durch die erhöhte Kreditaufnahme dieses Ziel erreicht werden kann“.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
gen im Gesetzgebungsverfahren, § 18 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BHO) zu differenzieren. Für die erforderlichen Darlegungen ist nach der Rechtsprechung des BVerfG von Verfassungs wegen keine bestimmte Form vorgeschrieben275. Sie können – solange keine gesetzliche Regelung erfolgt – durch jegliche Stellungnahmen und Erklärungen der an der Haushaltsgesetzgebung beteiligten Organe im Gesetzgebungsverfahren erfolgen. Darzulegen sind daher die Diagnose, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ernsthaft und nachhaltig gestört ist, die Absicht, durch die erhöhte Kreditaufnahme diese Störung abzuwehren, und die begründete Prognose, dass und wie durch die erhöhte Kreditaufnahme dieses Ziel erreicht werden kann, sie also zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geeignet erscheint276. a) Diagnose der „Störung“ Die Darlegung der Diagnose erfordert – auch wenn eine Bindung an fremde, etwa von Wirtschaftsforschungsinstituten vertretene, Ansichten nicht besteht – eine nachvollziehbare, widerspruchsfreie Dokumentation der konjunkturellen Lage, die das während des Gesetzgebungsverfahrens vorhandene volkswirtschaftliche Datenmaterial nachweist, inhaltlich ausschöpft und umfassend analysiert. Zu fordern ist hier mindestens eine Bezugnahme auf und eine Auseinandersetzung mit den Beurteilungen der gesetzlich verankerten Organe der finanz- und wirtschaftspolitischen Meinungs- und Willensbildung (z. B. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung oder Bundesbank277). Der Haushaltsgesetzgeber muss darlegen, ob er mit der Beurteilung dieser Institutionen übereinstimmt oder aus welchen Gründen er abweicht. Für die Annahme einer solchen Störungslage kommt es weniger auf die zu einzelnen Komponenten gegebenen Daten als auf die darin erkennbare Entwicklungstendenz an.278 Erforderlich ist daher eine klare Aussage bezüglich der aus den vorhandenen Daten gezogenen Schlussfolgerungen für die „Entwicklungstendenz“. b) Absicht der „Abwehr“ Je nach den im Rahmen der Diagnose festgestellten Ursachen der Störungslage kann auch der Umstand, dass bei Ausgleich eines vorhandenen 275
BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [345]. BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [345]; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 65 ff. 277 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [345]. 278 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [339]. 276
§ 3 Die „doppelte Zeitlichkeit“ des Staatskredits
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Haushaltsdefizits im Wege der Ausgabenkürzung oder Steuererhöhung ein weiterer Abschwung droht, eine erhöhte Kreditaufnahme allein nicht rechtfertigen. Ohne das Hinzutreten anderer haushalts- und finanzpolitischer Maßnahmen besteht die Gefahr, dass sich die Situation in den folgenden Jahren wiederholt und gegebenenfalls – etwa durch Anwachsen des Schuldensockels – noch verschärft.279 Hieraus folgt für die Darlegungslast, dass Ausführungen erforderlich sind, welche die Absicht, mit der erhöhten Kreditaufnahme die Störung abzuwehren, im Einzelnen zum Ausdruck bringen.280 Es muss dargelegt werden, welche Maßnahmen durch die erhöhte Kreditaufnahme ermöglicht werden sollen, um der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Hinblick auf die jeweils gestörten Teilziele entgegenzuwirken. Es sind somit konkret diejenigen Ausgaben zu bezeichnen, die im Fall des Nichtvorliegens einer ernsthaften und nachhaltigen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts hätten vermindert werden können und müssen, nunmehr aber zur Abwehr der Störung des Gleichgewichts nicht vermindert werden.281 Hierbei ist gegebenenfalls auch die Koordination der Haushaltsplanung mit flankierenden gesetzgeberischen Maßnahmen und der längerfristigen Politik darzulegen282. c) Prognose der Eignung von Abwehrmaßnahmen Mit der begründeten Prognose in Bezug auf die störungsabwehrende Wirkung bestimmter Konjunkturmaßnahmen ist im Einzelnen darzulegen, welchen Inhalt und Umfang die jeweiligen Programme haben sollen, wie sie zeitlich geplant sind, wer sie durchführt und welcher Ausgleichseffekt erwartet wird.283 Übertragen etwa auf die Vermeidung weiterer Einsparungen als Mittel der Störungsabwehr bei überhöhter Arbeitslosigkeit, ergibt sich daraus die Pflicht des Gesetzgebers, mindestens darzulegen, welche Bereiche von den sonst notwendigen Einsparungen betroffen wären, wie negativ sich diese Einsparungen auf die Beschäftigung auswirken würden, welche wirtschafts- und beschäftigungsfördernden Maßnahmen unterbleiben müssten, wo im Einzelnen die rechtlichen Grenzen möglicher Einsparungen lägen und welche positiven konjunkturellen Wirkungen in quantitativer wie qualitativer Hinsicht durch den Verzicht auf Haushaltskürzungen erwartet werden. Dabei ist vom Gesetzgeber auch darzutun, dass es sich um „echte“ 279 280 281 282 283
BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [339 f.]. BerlVerfGH, Urteil v. 31.10.2003, VerfGH 125/02, LVerfGE 14, 104 [129]. BerlVerfGH, Urteil v. 31.10.2003, VerfGH 125/02, LVerfGE 14, 104 [129]. BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [345]. NdsStGH, Urteil v. 10.7.1997, StGH 10/95, NVwZ 1998, 1288 [1291].
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
Einsparungen – etwa im Vergleich zum Vorjahr – handeln würde und nicht nur um eine Streichung überhöhter Ausgaben.284 3. Kritik an der Ausnahme des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG
Vor allem wegen der Unbestimmtheit der materiellen Kriterien einer „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“285, die durch die korrespondierende Darlegungslast nicht vollständig ausgeglichen werden kann, und der ökonomischen Zweifel am Konzept des „deficit spending“ (Keynes/Lerner286), ist die Ausnahmeklausel des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG wachsender Kritik ausgesetzt.287 Häufig geht es in der Haushaltspraxis bei der Inanspruchnahme der Ausnahme nicht um Zwecke der Konjunktursteuerung sondern schlicht um die Bedarfsdeckung, das „Stopfen von Haushaltslöchern“. Zum Ausgleich (und zum Verschleiern) struktureller Defizite kann Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG aber nicht dienen. Konjunktursteuerung durch Kreditaufnahme setzt Steuerungsfähigkeit und somit finanzpolitische Spielräume voraus, kann diese aber nicht erweitern. Eine Ausnahme zur „bloßen“ Deckung eines Finanzierungssaldos sieht die Verfassung nicht vor. In den letzten Jahren ist die Ausnahme für eine Überschreitung der Investitionsgrenze dennoch fast zur Regel geworden, da sich neue Schulden angesichts der hohen Zahl der Arbeitslosen und des geringen Wirtschaftswachstums praktisch stets mit dem Argument rechtfertigen ließen, dass zumindest eine prozyklische Finanzpolitik vermieden werden müsse, damit die Arbeitslosigkeit sich nicht weiter verschärfe und eine Konjunkturerholung nicht behindert werde288. So ist seit 1990 auf Bundesebene sieben mal eine Überschreitung der Kreditgrenze mit einer „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ gerechtfertigt worden289. Andererseits ist Art. 115 284 NdsStGH, Urteil v. 10.7.1997, StGH 10/95, NVwZ 1998, 1288 [1291]; vgl. auch BerlVerfGH, Urteil v. 31.10.2003, VerfGH 125/02, LVerfGE 14, 104 [130 f.]. 285 Vgl. Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 63, 71. 286 Lerner, The Economics Of Control (1947), S. 302 ff.; s. auch oben, § 3 B. I. 3. d), S. 295. 287 Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 453 f.; Höfling, in: Wirtschaft und Recht, S. 9 [33]; Göke, ZG 2006, 1 [14 ff.]; F. Kirchhof, DVBl. 2002, 1569 [1576]; Noll, ThürVBl. 2002, 25 ff., 53 ff.; Wolff, Änderungsbedürftigkeit des Art. 115 GG, in: FS v. Arnim, S. 313 [320 f.]; vgl. auch Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 8 f. 288 Wieland, JZ 2006, 751 [753]. Vgl. hierzu beispielhaft die Diskussion um den Bundeshaushalt 2006, Handelsblatt Nr. 223 v. 17.11.2005, S. 3; Handelsblatt Nr. 221 v. 15.11.2005, S. 3; Der Spiegel, 47/2005 v. 21.11.2005, S. 32 und FAZ v. 15.11.2005, S. 11.
§ 3 Die „doppelte Zeitlichkeit“ des Staatskredits
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Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG „asymmetrisch“290. Er sieht zwar eine Erhöhung der Kreditgrenze im Fall konjunktureller Schwächephasen vor, fordert aber keine Rückführung dieser Kredite in konjunkturell guten Zeiten. Zwar schreibt letztlich Art. 109 Abs. 2 GG einen Ausgleich der Kreditaufnahme über den gesamten Konjunkturzyklus vor, hier fehlt es aber an einer dem Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG entsprechenden Konkretisierung, so dass die Verpflichtung auf die Ziele des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Bereich der Staatsverschuldung Gefahr läuft, zu einer Einbahnstraße zu werden. 4. Zeitliche Bedeutung: Konjunkturzyklus vs. Haushaltsjahr
Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG durchbricht das Junktim der jährlichen Krediteinnahmen an die für das selbe Jahr veranschlagten Ausgaben für Investitionen. Die Anknüpfung an eine „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ führt damit zu einer weiteren Einschränkung des Jährlichkeitsprinzips. Die Kreditaufnahme ist bezogen auf die Konjunktursteuerung, nicht auf die Deckung der investiven Ausgaben. Bis zu einem gewissen Grad scheint das gerechtfertigt zu sein: Konjunkturzyklen verlaufen nicht im Rhythmus von Haushalts- oder Kalenderjahren, sondern sind davon unabhängig und erstrecken sich zumeist über mehrere Jahre291. Dennoch kann die zeitliche Bindung der Nettoneuverschuldung an das einzelne Haushaltsjahr nicht völlig aufgegeben werden. Wegen der Regel-Ausnahme-Struktur des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG muss stets, d.h. in jedem Jahr eindeutig sein, ob für das entsprechende Haushaltsjahr die „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ angenommen wird. a) Vorverlagerung der „Abwehr“? Gemäß § 18 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BHO reicht es für die Darlegung der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG aus, dass eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts „unmittelbar bevorsteht“. Dies könnte dafür sprechen, dass es zulässig ist, durch eine Überschreitung der Kreditgrenze im laufenden Haushaltsjahr auch Störungen abzuwehren, die in folgenden Haushaltsjahren erwartet werden. 289
Die Überschreitung im Haushaltsjahr 2004 hat das BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 145 für „noch“ mit Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG vereinbar gehalten. 290 Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 64. 291 Vgl. etwa Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, Schaubild 21: Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland, S. 154.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
Aus § 18 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BHO folgt dies jedoch nicht. Die scheinbare zeitliche Vorverlagerung der Möglichkeiten zur Störungsabwehr ist zunächst nur eine Folge der Vorherigkeit292. Jeder Haushalt beruht auf Schätzungen und Prognosen. Wie im Polizeirecht ist daher unter der „konkreten Gefahr“ eine Sachlage zu verstehen, die im Einzelfall tatsächlich oder jedenfalls aus Ex-ante-Sicht bei verständiger Würdigung der Sachlage in naher Zukunft die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines nicht unerheblichen Schadens in sich birgt293. Wird ein Haushalt für das folgende Jahr geplant und verabschiedet, so ist die Prognose der hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Störungslage im Verlauf dieses Haushaltsjahres (Ex-ante-Sicht) verfassungsrechtlich nicht nur zulässig sondern auch geboten. Es wäre in einem solchen Fall ersichtlich unrichtig, eine bestehende Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts während der Haushaltsaufstellung zur Grundlage einer Feststellung der Störung für das folgende Haushaltsjahr zu machen. Aus § 18 Abs. 1 S. 2 BHO ergibt sich aber nicht ohne weiteres, dass auch die Abwehr einer zukünftigen Störung zulässig ist; d.h. schon für das zu beplanende Haushaltsjahr (01) eine Überschreitung der Kreditgrenze gem. Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG gerechtfertigt wäre, weil eine solche Störung (zwar nicht für 01 wohl aber für das darauf folgende Jahr 02) „unmittelbar“ bevorsteht. Ob eine Abwehr zukünftiger Störungen möglich ist, lässt sich nur nach den allgemeinen Maßstäben für die Inanspruchnahme der Ausnahme beantworten. Hierbei ist wiederum zwischen der „Diagnose“ und der beabsichtigten „Therapie“ zu unterscheiden: Prinzipiell spräche nichts dagegen, auch schon vorbeugend (d.h. für das Folgejahr) zu „therapieren“, sofern eine derart langfristige Diagnose hinreichend sicher und konkret gestellt werden kann. Dies setzt aber voraus, dass das Mittel einer erhöhten Kreditaufnahme im Vorjahr (01) nach Umfang und Verwendung geeignet wäre, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts präventiv (für das Folgejahr 02) abzuwehren und final auf die Abwehr dieser zukünftigen Störung bezogen ist. Dies wird aber in der Regel nicht der Fall sein, da eine Ausweitung der Nachfrage bzw. die Verhinderung eines Nachfrageabfalls zu einem Zeitpunkt, in dem noch keine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts besteht, wohl zumeist als ungeeignet angesehen werden muss; einer „Gefahr“ ist anders zu begegnen als einer schon eingetretenen „Störung“. 292
Dazu oben § 2 B. III., S. 132 ff. PrOVG, Urteil v. 20.4.1922, I A 27/21, PrOVGE 77, 333; BVerwG, Urteil v. 26.2.1974, I C 31.72, BVerwGE 45, 51 [57]; VGH Mannheim, Urteil v. 10.5.1990, 5 S 1842/89, NVwZ-RR 1991, 24 [26]; OVG Münster, Urteil v. 6.11.1989, 12 A 2684/87, NWVBI. 1990, 159. 293
§ 3 Die „doppelte Zeitlichkeit“ des Staatskredits
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Auch ein Vortrag der Kreditmittel ist wegen des Prinzips der Jährlichkeit nicht möglich.294 Die zeitliche Trennung der Haushaltsjahre verhindert die erhöhte Kreditaufnahme in einem Haushaltsjahr, für das nicht selbst die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts festgestellt werden kann. Eine Übertragung der Kreditmittel unter Berufung auf die zukünftige „Störungslage“ wäre aber auch nicht nötig. Da Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG keine betragsmäßige Obergrenze enthält, können die Kreditaufnahmen im Jahr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auf das zur Abwehr der Störung erforderliche Maß ausgeweitet werden. b) Abwehr einer während des Haushaltsjahres auftretenden Störung Es sind aber auch Konstellationen denkbar, in denen die „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ erst während des laufenden Haushaltsjahres eintritt oder als solche erkannt wird. Vorrangig wäre hier – aufgrund der „überragenden verfassungsrechtlichen Stellung des Gesetzgebers“295 – die Verabschiedung eines Nachtragshaushaltsgesetzes, bei dessen Beratung die Störung festgestellt und die erforderlichen Darlegungen vorgenommen werden. Soweit ein Nachtrag nicht rechtzeitig festgestellt werden kann, aber dennoch schnelle Reaktionen der Regierung erforderlich sind, wird eine für diese Zwecke erforderliche zusätzliche Kreditaufnahme durch § 6 Abs. 3 S. 1 StabG ermöglicht. § 6 Abs. 3 S. 1 StabG ermächtigt das Bundesministerium der Finanzen dauergesetzlich, Kredite über die im Haushaltsgesetz erteilten Kreditermächtigungen hinaus bis zur Höhe von fünf Milliarden Deutsche Mark aufzunehmen, um bei einer die Ziele des „magischen Vierecks“ (§ 1 StabG) gefährdenden Abschwächung der allgemeinen Wirtschaftstätigkeit zusätzliche Ausgaben leisten zu können. Wie sich aus § 6 Abs. 3 S. 2 StabG ergibt, ist es möglich, diese Kredite nachträglich durch eine haushaltsgesetzliche Kreditermächtigung zu übernehmen. In diesem Fall kann das Recht zur Kreditaufnahme erneut in Anspruch genommen werden, und zwar in der Höhe, in der die Anrechnung im Haushaltsgesetz erfolgt („soweit“), § 6 Abs. 3 S. 2 StabG. Werden die Kredite in die Kreditermächtigung eines Nachtragshaushaltsgesetzes aufgenommen, so handelt es sich um eine bloße „Erfassung“, nicht um eine rückwirkende „Genehmigung“ der Kreditaufnahme296. § 2 Abs. 2 StabG bindet die Inanspruchnahme der Kreditermächtigung aus § 6 Abs. 3 StabG an ein bestimmtes Verfahren: „Maßnahmen nach § 6 Abs. 2 und 3 […] dürfen nur getroffen werden, wenn die Bundesregierung 294 295 296
Vgl. VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [284]. BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [32]. Hierzu bereits oben § 2 B. III. 4. c) bb) (2), S. 212 ff.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
gleichzeitig gegenüber dem Bundestag und dem Bundesrat begründet, dass diese Maßnahmen erforderlich sind, um eine Gefährdung der Ziele des § 1 StabG zu verhindern“. Hierdurch wird sichergestellt, dass die Budgetrechte des Parlaments, insbesondere bei der Aufnahme von Krediten (Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG) nicht – auch nicht im Fall einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts – umgangen werden können. Überplanmäßige Kredite, die die Exekutive eigenverantwortlich auf- und einnehmen kann, sieht die Verfassung nicht vor; die Kreditaufnahme ist eine Vorbehaltsangelegenheit des Parlaments. Aus § 6 Abs. 3 S. 1 i. V. m. § 2 Abs. 2 StabG ergibt sich überdies, dass eine Aufnahme von Krediten zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auch nicht auf fortgeltende Kreditermächtigungen i. S. d. §§ 18 Abs. 3 BHO, 13 Abs. 2 HGrG gestützt werden kann297. Ein Rückgriff auf anderweitige Kreditermächtigungen, deren Zweck nicht die Konjunkturpolitik, sondern die „kontinuierliche Haushaltswirtschaft“ ist298, umginge die Konsultationspflichten des § 2 Abs. 2 StabG.
297 So aber wohl BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 159. 298 BT-Ds. V/3040, S. 45 [Tz. 110] u. S. 50 [Tz. 177]; zu den „fortgeltenden Kreditermächtigungen“ s. noch ausführlich unten, § 4 A. I., S. 314 ff.
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs Obwohl bereits die Kreditfinanzierung staatlicher Ausgaben an sich die Grenzen des zeitlich gebundenen, jährlichen Haushalts überschreitet und zu einer Verschiebung von Lasten in die Zukunft führt – wenn auch nicht zwingend im Rahmen einer volkswirtschaftlichen Gesamtbetrachtung1, so doch immerhin in Bezug auf den Staatshaushalt –, existieren verschiedene „modellhafte Gestaltungen“2, mit denen zumindest versucht werden kann, die auf das einzelne Haushaltsjahr bezogene Kreditgrenze zu umgehen. Regelmäßig steht hinter diesen Gestaltungen keine „böse Absicht“, sondern der – aus Sicht des Haushaltsgebers, der im Rahmen seiner Planungen verschiedenste finanzielle Interessen und Ausgabenbedürfnisse zum Ausgleich bringen muss, verständliche – Wunsch, die zum Teil erheblichen Schwankungen der Einnahmen und Ausgaben vom einen zum anderen Haushaltsjahr abzufedern und trotz dieser Hindernisse eine kontinuierliche Haushaltswirtschaft betreiben zu können3. Für die „kontinuierliche Haushaltswirtschaft“ ist die von der Verfassung vorgegebene Trennung nach Jahren hinderlich. Gibt es einen Grund dafür, die nicht voll ausgeschöpfte Kreditermächtigung oder die nur zum Teil ausgenutzte Investitionsgrenze eines Vorjahres „verfallen“ zu lassen und bei sinkenden Steuereinnahmen im folgenden Jahr für den sparsamen Haushaltsvollzug „bestraft“ zu werden? Wäre es nicht sinnvoller, die Kreditgrenze gleichmäßig auf einen längeren Zeitraum zu verteilen, wo doch die Summe der Nettoneuverschuldung im gesamten Zeitraum gleich bleibt, und die Investitionsgrenze bei einer Gesamtbetrachtung der Haushaltsjahre eingehalten wird? Abgesehen von den allgemeinen Bedenken, die aus praktischer und rechtspolitischer Sicht einer längerfristigen Planung und einem Haushaltsausgleich über mehrere Jahre hinweg entgegenstehen4, gilt: Dem geltenden 1
Hierzu bereits oben, § 3 A., S. 251 ff. Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 sprechen von „als ungewöhnlich empfundenen finanzwirtschaftlichen Handlungsmustern“ und „Finanzinnovationen“. 3 Vgl. etwa Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [475]. 4 Z. B. fehlende Vergleichbarkeit und erschwerte Kontrolle, s. bereits oben, § 2 B. I. 2., S. 94 ff. 2
314
2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
Haushaltsverfassungsrecht entspricht eine solche „überjährige“ Betrachtung nicht. Eine Umgehung des jährlichen Kreditrahmens des Art. 115 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG, d.h. eine Überschreitung der sich aus dem jährlichen Haushaltsplan ergebenden Investitionsgrenze, kommt von Verfassungs wegen nur ganz ausnahmsweise in Betracht, nämlich dann, wenn eine „Umgehung“ den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 109 Abs. 2 GG) entspricht und durch sie gerechtfertigt wird. Für diesen Fall gibt es aber bereits die Ausnahme nach Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG, die eine Umgehung kanalisiert und damit unnötig macht.
A. Vor- und Rückgriff auf Kreditermächtigungen Sowohl im Haushaltsvollzug als auch im Haushaltsgesetz können verschiedene „Umgehungsstrategien“ zum Einsatz kommen. Ziel dieser „Gestaltungen“ ist es stets, haushaltsmäßige Spielräume, die sich bei der Anwendung der Kreditermächtigung des Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG oder der Kreditgrenzen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG in einzelnen Haushaltsjahren ergeben, auf nachfolgende Haushaltsjahre, in denen die Einhaltung der Kreditermächtigung oder -grenze voraussichtlich schwieriger wird, zu übertragen. Dabei werden gesetzliche Regelungen (aus-)genutzt, die einen Übergang zwischen den Haushaltsjahren erleichtern sollen, deren Zweck es aber regelmäßig nicht ist – oder zumindest von Verfassungs wegen nicht sein darf –, die Grenzen zwischen den Haushaltsjahren zu überschreiten oder auf andere Art und Weise einzuebnen. I. Fortgeltende Kreditermächtigungen (Restkredite) Grundlegend sind zwei Varianten einer „zeitlichen Streckung“ der Kreditfinanzierung zu unterscheiden: Die Kreditmittel („Einnahmen aus Krediten“) können durch das Haushaltsgesetz oder im Haushaltsvollzug von einem in ein anderes Haushaltsjahr verschoben werden. Der Haushaltsvollzug kann aber auch von den Kreditermächtigungen, obwohl ihm diese für ein bestimmtes Haushaltsjahr erteilt werden, in einem anderen Jahr Gebrauch machen. Der einfachste und durch Art. 110 Abs. 4 S. 2 Alt. 2 GG („Das Haushaltsgesetz kann vorschreiben, dass die Vorschriften […] bei Ermächtigung nach Artikel 115 zu einem späteren Zeitpunkt außer Kraft treten“) prinzipiell erlaubte Fall sind die gem. § 18 Abs. 3 S. 1 BHO/LHO, § 13 Abs. 2 S. 1 HGrG fortgeltenden Kreditermächtigungen5: Auf im vorigen Haushalt nicht vollständig ausgeschöpfte (Rest-)Kreditermächtigungen wird in einem 5 Zum gegenläufigen Fall der Vorgriffskreditermächtigungen s. sogleich § 4 A. II., S. 344.
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
315
laufenden Haushaltsjahr zurückgegriffen – zum Teil neben der aktuellen Ermächtigung, häufig aber schon vor dieser6. 1. Kreditermächtigungen im Haushaltsgesetz
Gemäß § 13 Abs. 1 HGrG (§ 18 Abs. 2 BHO) bestimmt das Haushaltsgesetz, bis zu welcher Höhe das für die Finanzen zuständige Ministerium Kredite aufnehmen darf. Eine typische Kreditermächtigung im Haushaltsgesetz lautet: „§ 2 Kreditermächtigungen (1) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, zur Deckung von Ausgaben für das Haushaltsjahr 2007 Kredite bis zur Höhe von 19 580 000 000 Euro aufzunehmen. (2) Dem Kreditrahmen nach Absatz 1 wachsen die Beträge zur Tilgung von im Haushaltsjahr 2007 fällig werdenden Krediten zu, deren Höhe sich aus Nummer 2.1.2.1 der Finanzierungsübersicht (Teil II des Gesamtplans) ergibt […]“.7
Hierbei zeichnet § 2 Abs. 1 HG8 die für den entsprechenden Haushaltsplan vorgesehene Nettoneuverschuldung nach. § 2 Abs. 2 HG ergänzt diese Ermächtigung (für die Nettokreditaufnahme) um solche Beträge, die zur Tilgung bestehender Kredite verwendet werden, so dass sich in der Summe der Abs. 1 und 2 die Ermächtigung zur Bruttokreditaufnahme insgesamt ergibt. Diese muss gemäß Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG nicht betragsmäßig bestimmt sein, es reicht vielmehr aus, dass die gesetzliche Ermächtigung der Höhe nach bestimmbar ist. Eine Bestimmbarkeit erreicht man durch die Bezugnahme auf die Ansätze für Tilgungen im Haushaltsplan9. 6 Vgl. bereits Wolffgang, DVBl. 1984, 1049; Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 14, passim. 7 § 2 Abs. 1 u. Abs. 2 S. 1 HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346). Daneben enthält das Haushaltsgesetz noch weitere Kreditermächtigungen, so z. B. für weitere unvorhergesehene Tilgungen (§ 2 Abs. 2 S. 2), für Vorgriffskredite (§ 2 Abs. 3), für Marktpflege (§ 2 Abs. 5), für Tilgungskredite im Rahmen der Nothaushaltsführung (§ 2 Abs. 8) und für Kassenverstärkungskredite (§ 2 Abs. 10). Vgl. für eine Übersicht der Kreditermächtigungen und ihrer Inanspruchnahme im Jahr 2005 Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2006, S. 53 (Tabelle 2). Zum Vergleich: Für das Haushaltsjahr 2005 stand einer Kreditermächtigung nach § 2 Abs. 1 HG 2005 (G. v. 3.3.2005, BGBl. I, S. 467) von 22 Mrd. e (entspricht der planmäßigen Nettoneuverschuldung) ein Gesamtermächtigungsbetrag i. H. v. 244,1 Mrd. e gegenüber. 8 Im Folgenden wird, soweit nicht anders gekennzeichnet, auf das „typische“ Haushaltsgesetz (HG) Bezug genommen. Alle Haushaltsgesetze haben einen vergleichbaren Aufbau: So enthält regelmäßig § 1 die Feststellung des Plans, § 2 ermächtigt zur Aufnahme von Krediten. Die Nummerierung der Absätze des „§ 2 HG“ bezieht sich dabei auf § 2 HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346). 9 Genauer: Durch die Bezugnahme auf die in der Finanzierungsübersicht (Gesamtplan, Teil II, § 10 Abs. 4 Nr. 2 HGrG) bzw. auf die im Kreditfinanzierungsplan
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
a) Sparen der Kreditermächtigung nach § 2 Abs. 1 HG Eine Nichtinanspruchnahme der Kreditermächtigung zur „Deckung von Ausgaben“ für das entsprechende Haushaltsjahr nach § 2 Abs. 1 HG ist z. B. denkbar, wenn durch unvorhergesehene (Steuer-)Mehreinnahmen und/ oder Minderausgaben der Ist-Finanzierungssaldo des Haushalts verkleinert werden kann. Die auf den geplanten Finanzierungssaldo – also auf die aus Ex-anteSicht erforderliche Nettoneuverschuldung – bezogene Kreditermächtigung des § 2 Abs. 1 HG muss in diesem Fall nicht mehr in voller Höhe ausgeschöpft werden, wie sich am Beispiel etwa des Bundeshaushalts 2006 zeigt: Soll10: Für den Bundeshaushalt 2006 rechnete der Gesetzgeber bei einem Gesamtvolumen von 261,6 Mrd. e (= Ausgabenbedarf) mit regulären (insb. Steuer-)Einnahmen i. H. v. 223,2 Mrd. e. Der sich ergebende Finanzierungssaldo i. H. v. 38,4 Mrd. e (= 261,6 ./. 223,2 Mrd. e) sollte zu einem Teil durch Münzeinnahmen (200 Mio. e) und im Übrigen durch Einnahmen aus Krediten (38,2 Mrd. e) gedeckt werden. Die Kreditermächtigung betrug dementsprechend 38,2 Mrd. e, die im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen beliefen sich auf 23,2 Mrd. e. Die Überschreitung der Investitionsgrenze um 15 Mrd. e wurde mit einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG, begründet. Ist11: Die tatsächlichen Ausgaben des Bundes beliefen sich im Haushaltsjahr 2006 auf 261,0 Mrd. e (davon Investitionen: 22,7 Mrd. e); wegen erheblicher Steuermehreinnahmen konnten die Ist-Einnahmen auf insgesamt 232,8 Mrd. e gesteigert werden, so dass im Vollzug nur noch ein Finanzierungssaldo i. H. v. 28,2 Mrd. e verblieb. Dieser Saldo wurde zu 27,9 Mrd. e aus Krediten finanziert (Rest: Münzeinnahmen i. H. v. 300 Mio. e). Im Haushaltsvollzug wurde die Investitionsgrenze um 5,2 Mrd. e überschritten („Störung“). Im Beispiel wurde die ursprüngliche Kreditermächtigung i. H. v. 38,2 Mrd. e also nur zu etwas mehr als zwei Dritteln (i. H. v. 27,9 Mrd. e) ausgeschöpft. Es verblieb ein „Rest“ aus 2006 für 2007 i. H. v. 10,3 Mrd. e (= 38,2 Mrd. e ./. 27,9 Mrd. e).
(Teil III, § 10 Abs. 4 Nr. 3 HGrG) ausgewiesenen Beträge zur Schuldentilgung. Im eigentlichen Haushaltsplan (Einnahmen und Ausgaben) sind die Ausgaben für Tilgung zwar in die „Einnahmen aus Krediten“ (= Nettoneuverschuldung) eingerechnet, lassen sich aber nicht daraus einzeln ablesen (Nettoprinzip, hierzu oben, § 2 A. III. 1. c), S. 49). 10 Vgl. HG 2006 (G. v. 24.7.2006, BGBl. I, S. 1634). 11 Jahresrechnung 2006 v. 2.4.2007 (II A 6 – H 3045/07/0004), BT-Ds. 16/4995, S. 16.
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
317
Soll 2006
Ist 2006
Veränderung
Gesamtvolumen, § 1 HG 2006 (= Ausgaben)
261,6 Mrd. e
261,0 Mrd. e
–0,6 Mrd. e
Einnahmen
223,2 Mrd. e
232,8 Mrd. e
9,6 Mrd. e
Kreditermächtigung § 2 Abs. 1 HG 2006 (= Nettoneuverschuldung)
38,2 Mrd. e
27,9 Mrd. e
–10,3 Mrd. e
Ausgaben für Investitionen
23,2 Mrd. e
22,7 Mrd. e
–0,5 Mrd. e
somit Überschreitung der Investitionsgrenze i. H. v.
15,0 Mrd. e
5,2 Mrd. e
–9,8 Mrd. e
b) Sparen der Kreditermächtigung nach § 2 Abs. 2 HG? Ob auch Kreditermächtigungen des § 2 Abs. 2 HG angespart werden können, scheint sich auf den ersten Blick danach zu entscheiden, ob die Bezugnahme auf die Ausgaben „zur Tilgung von im Haushaltsjahr fällig werdenden Krediten […], deren Höhe sich aus Nummer 2.1.2.1 der Finanzierungsübersicht (Teil II des Gesamtplans) ergibt“, statisch oder dynamisch zu verstehen ist. Die Finanzierungsübersicht z. B. des Haushalts 2006 führt unter der Ziffer 2.1.2.1 zu tilgende Schulden i. H. v. rd. 195 Mrd. e auf; die Kreditermächtigung des § 2 Abs. 2 HG 2006 umfasst somit den gleichen Betrag. Wird nun im Haushaltsvollzug 2006 nicht in voller Höhe sondern nur z. B. i. H. v. 190 Mrd. e brutto getilgt (d.h. umgeschuldet bzw. anschlussfinanziert), könnte man annehmen, dass aus § 2 Abs. 2 HG 2006 ein „Rest“ i. H. v. 5 Mrd. e verbleibt, der gem. § 18 Abs. 3 S. 1 BHO fortgilt. Geht man hingegen davon aus, dass die Kreditermächtigung des § 2 Abs. 2 HG immer nur in Höhe der tatsächlichen Tilgung (hier: 190 Mrd. e) besteht, verbliebe kein Rest.
Nach Sinn und Zweck des § 2 Abs. 2 HG spricht einiges dafür, die Bezugnahme als dynamische aufzufassen. Die Kreditermächtigung des § 2 Abs. 2 HG soll dem Staat keine Einnahmen verschaffen, sondern nur Anschlussfinanzierungen (Umschuldungen) ermöglichen. Erweisen sich solche Umschuldungsmaßnahmen im Haushaltsvollzug als nicht notwendig, so können sie unterbleiben; der bestehende Kredit (die ursprüngliche Kreditaufnahme) bleibt weiterhin von der ursprünglichen Kreditermächtigung gedeckt. Vergegenwärtigt man sich indes, dass die Ermächtigung zur Kreditaufnahme gem. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG vor einer Umschuldungsmaßnahme bestehen muss, weil die Kredite zur Anschlussfinanzierung (Umschuldungskredite) vor Fälligkeit der Tilgung aufgenommen werden müssen, damit die
318
2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
Kassenmittel bei Fälligkeit vorhanden sind12, ist ein Bezug auf das tatsächliche Umschuldungsvolumen nicht denkbar. Es ist daher davon auszugehen, dass § 2 Abs. 2 HG statisch auf die planmäßigen Brutto-Tilgungsausgaben („Nummer 2.1.2.1 der Finanzierungsübersicht“) verweist. Die Differenzierung zwischen den Abs. 1 und 2 des jeweiligen Haushaltsgesetzes erweist sich damit als „optische Täuschung“, die jedoch insofern hilfreich ist, als die geplante Nettoneuverschuldung direkt aus der Kreditermächtigung (des Abs. 1) abzulesen ist. Beide Kreditermächtigungen ergeben aber stets eine Gesamtermächtigung; Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG bezieht sich auf die Aufnahme von Krediten, die brutto anzugeben ist13. Wegen der unterschiedlichen Betrachtungsweisen (brutto bei der Aufnahme, netto bei den Einnahmen), ist theoretisch der Fall denkbar, dass die Kreditermächtigungen ausgeschöpft sind, obwohl die geplante Nettoneuverschuldung nicht erreicht wird, weil in der Zwischenzeit eine Tilgung (brutto) erfolgt, ausgeschöpfte Kreditermächtigungen aber nicht wiederholt (revolvierend) in Anspruch genommen werden können. Eine wiederholte Inanspruchnahme ist zwar bei den (kurzfristigen14) Kassenverstärkungskrediten zugelassen, § 18 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 BHO. Im Fall der wiederholten Inanspruchnahme von Deckungskreditermächtigungen nähme man aber letztlich eine Nettobetrachtung auch im Rahmen der Kreditaufnahme vor, was bei den langfristigen Deckungskrediten, die Rückzahlungsverpflichtungen in späteren Haushaltsjahren begründen, aber weder praktisch möglich15 noch für die Zwecke der Publizität und Transparenz sinnvoll ist. Letztlich erweist sich aber das Problem, ob auch Kreditermächtigungen gem. § 2 Abs. 2 HG „aufgespart“ werden können, als Scheinproblem16. Zum Zeitpunkt der Ermächtigung stehen die Laufzeiten und Fälligkeitstermine der bereits aufgenommenen Kredite fest. Variable Größen im Haushalt sind nicht die erforderlichen Umschuldungsbeträge, sondern die (Steuer-)Einnahmen und Ausgaben. Hier bestehen Unsicherheiten bei der Planung, so dass sich Ist- und Sollbeträge unterscheiden können. Führt aber eine (Steuer-)Mehreinnahme oder Minderausgabe im Haushaltsvollzug dazu, dass Mittel freiwerden, um Kredite brutto zu tilgen, ohne hierfür einen neuen Kredit aufnehmen zu müssen, wirkt sich dies nicht auf die Kreditaufnahme zur Umschuldung (§ 2 Abs. 2 HG) sondern auf die „Einnah12
Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 12. Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 17 m. w. N. 14 Vgl. § 18 Abs. 2 Nr. 2 S. 3 BHO: „Kassenverstärkungskredite dürfen nicht später als sechs Monate nach Ablauf des Haushaltsjahres, für das sie aufgenommen worden sind, fällig werden“. 15 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 12. 16 Vgl. auch z. B. die Jahresrechnungen 2006, S. 1391 (sub 5.2.6) und 2005, S. 1403 (sub 5.2.5), online unter http://www.bundesfinanzministerium.de. 13
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
319
men aus Krediten“ aus, die wiederum netto zu berechnen sind. Die Nettoneuverschuldung würde sinken, „Reste“ könnten der Kreditermächtigung nach § 2 Abs. 1 HG zugeordnet werden. Darüber hinaus geht die Haushaltspraxis davon aus, dass die Kreditermächtigungen für Anschlussfinanzierungen nach § 2 Abs. 2 HG nicht von § 18 Abs. 3 S. 1 BHO umfasst sind, weil sie nicht zur Erhöhung der Nettoneuverschuldung in Anspruch genommen werden dürfen und damit nicht der Deckung von Ausgaben (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 BHO) dienen17. Im Ergebnis ist dies sicherlich richtig; die Begründung führt aber zu einer bedenklichen Vermischung von Netto und Bruttobetrachtung. 2. Regelungsgehalt des § 18 Abs. 3 BHO (§ 13 Abs. 2 HGrG)
Gem. § 18 Abs. 3 S. 1 BHO gelten die Kreditermächtigungen nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 BHO (Deckungskredite) bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres weiter. Wird das Haushaltsgesetz für das zweitnächste Haushaltsjahr nicht rechtzeitig verkündet, so gelten die Kreditermächtigungen bis zur Verkündung dieses Haushaltsgesetzes fort, § 18 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 BHO. Aus dieser doppelten Befristung ergeben sich zwei Varianten der möglichen Verwendung: Einerseits ist es nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 3 S. 1 BHO möglich, die fortgeltende Kreditermächtigung, soweit sie im laufenden Jahr geschont wird, für die Finanzierung solcher Ausgaben zu verwenden, zu denen die Exekutive erst im folgenden Haushaltsjahr ermächtigt wird.18 Andererseits dient § 18 Abs. 3 S. 1 BHO als Instrument der Nothaushaltsführung: Während der beiden folgenden Jahre können die nicht ausgeschöpften Kreditermächtigungen eines Haushaltsjahres als sonstige Quellen i. S. d. Art. 111 Abs. 2 GG zur Überbrückung der etatlosen Zeiten19 herangezogen werden. Die Haushaltspraxis nimmt an, dass die Weitergeltung unausgenutzter Kreditermächtigungen des vorjährigen Haushaltsgesetzes nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift keinen einschränkenden Voraussetzungen oder Bedingungen unterworfen sei20. a) Verstoß gegen Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG: „Haushaltsgesetz“? Vergleicht man die Regelung des § 18 Abs. 3 BHO mit der verfassungsrechtlichen Ausgangslage, so stellt man zunächst eine Merkwürdigkeit fest: 17
Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 11. Vgl. Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 14, S. 9; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 72 ff. 19 Hierzu bereits oben, § 2 B. III. 3. a), S. 142 ff. 20 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 15. 18
320
2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
Gem. Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG kann das Haushaltsgesetz vorschreiben, dass die Vorschriften […] bei Ermächtigung nach Artikel 115 zu einem späteren Zeitpunkt außer Kraft treten. Die Verfassung scheint die Anordnung einer Fortgeltung der Kreditermächtigung durch das Haushaltsgesetz zu fordern. Dies passt wiederum zu § 13 Abs. 1 HGrG (§ 18 Abs. 2 BHO), wonach das Haushaltsgesetz bestimmt, bis zu welcher Höhe das für die Finanzen zuständige Ministerium Kredite aufnehmen darf. Die Fortgeltung der Kreditermächtigung wird aber in der Praxis nicht durch das Haushaltsgesetz selbst, sondern dauergesetzlich in § 18 Abs. 3 BHO angeordnet21. Mit dem Gebot der Jährlichkeit22 scheint eine solche dauergesetzliche Ermächtigung schwerlich vereinbar zu sein, wenn man davon ausgeht, dass der Gesetzgeber in regelmäßigen Abständen über die Frage der Kreditaufnahme und damit letztlich auch über die Frage der Fortgeltung entscheiden muss, um sein Budgetrecht zu wahren. Indes lässt Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG dauergesetzliche Kreditermächtigungen zu. Die Aufnahme von Krediten bedarf einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch (man könnte ergänzen: ein „normales“) Bundesgesetz. Der Aspekt einer auf das einzelne Haushaltsjahr bezogenen jährlichen Kreditaufnahme tritt erst hinzu in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG. Die Höhe der Einnahmen aus Krediten ist beschränkt auf die Investitionsausgaben im jährlichen Haushaltsplan. Aus Wortlaut und Systematik des Art. 115 Abs. 1 GG lässt sich also schließen, dass zu einer Kreditaufnahme nicht jährlich neu ermächtigt werden muss23. Sinn und Zweck des Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG kann es daher nicht sein, eine Aufnahme der Kreditermächtigung in das jährliche Haushaltsgesetz zu erzwingen. Dies ergibt sich schon daraus, dass Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG ausdrücklich eine Fortgeltung der Kreditermächtigungen zulässt. Vielmehr muss die Regelung des Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG im systematischen Zusammenhang mit dem zeitlichen Bepackungsverbot des S. 1 gesehen werden24: Danach dürfen in das Haushaltsgesetz nur Vorschriften aufgenommen werden, die sich auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird. Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG will also nicht die Möglichkeit längerfristiger Kredit21 Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 138: „Von der Ausnahmemöglichkeit des Art. 110 Abs. 4 Satz 2 Fall 2 wird nach der Haushaltspraxis des Bundes nicht im Haushaltsgesetz selbst, sondern in § 18 Abs. 3 BHO Gebrauch gemacht“. 22 Hierzu bereits ausführlich oben, § 2 B. I. 2., S. 94 ff. 23 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 115, Rn. 7; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 115, Rn. 24; Heun, in: Dreier, GG III, Art. 115, Rn. 16; Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, Art. 115, Rn. 215; vgl. auch NWLT-Vorlage 9/2155, S. 2 f. 24 So auch Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 78; a. A. Wolffgang, DVBl. 1984, 1049 [1052].
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
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ermächtigungen gem. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG einschränken, sondern diese auch im Haushaltsgesetz zulassen. Es ist zwar richtig, dass sich § 13 Abs. 2 HGrG nicht auf Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG stützen kann25. Da das Bepackungsverbot aber nur verhindern soll, dass Vorschriften in das Haushaltsgesetz aufgenommen werden, die dort ein Fremdkörper wären, weil sie der grundsätzlichen Jährlichkeit des Haushaltsgesetzes nicht entsprechen, lässt sich ein Verstoß gegen Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG nicht feststellen; das zeitliche Bepackungsverbot fordert nicht die zeitliche Befristung aller haushaltsbezogenen Regelungen26. Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG bestätigt daher mittelbar die bereits aus Art. 115 Abs. 1 GG folgende Unterscheidung zwischen der Aufnahme von und den Einnahmen aus Krediten. Die Einnahmen aus Krediten sind im jährlichen Haushaltsplan (netto) ausgewiesen und unterliegen in zeitlicher Hinsicht nur dem Grundsatz der Jährigkeit27, da die Ansätze des Haushaltsplans, auch wenn sie in Einzelfällen zeitlich übertragbar sind, das Haushaltsgesetz nicht „bepacken“ (arg. ex Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG). Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG relativiert damit einerseits nicht das Junktim von jährlichen Krediteinnahmen und jährlichen Investitionsausgaben (Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG), führt aber andererseits auch nicht zur Verfassungswidrigkeit des § 18 Abs. 3 BHO. b) Kontinuierliche Kreditwirtschaft vs. Kreditermächtigungspolster Während die Inanspruchnahme fortgeltender Kreditermächtigungen im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung allgemein als unproblematisch akzeptiert wird28, sieht sich die Inanspruchnahme der Restermächtigungen zur Finanzierung der Ausgaben eines folgenden Haushaltsjahres erheblicher verfassungsrechtlicher Kritik ausgesetzt29. Die Haushaltsperiode, in der die 25
Wolffgang, DVBl. 1984, 1049 [1052]. Hierzu bereits oben, § 2 B. II. 3. b), S. 123 ff. 27 Zu den Begriffen „Jährigkeit“ und „Jährlichkeit“ s. oben, § 2 B. I. 2., S. 94 ff. 28 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 28; Schwarz, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 40; Mahrenholz, in: AK-GG, Art. 111, Rn. 18; Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, Art. 115, Rn. 224; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 40; Gatzer, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 111 GG, Anm. 19; Graf, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 6; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 75; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 179; krit. aber bereits Diller, Jonglieren mit Kreditermächtigungen, S. 26: „Je höher nämlich die freien Restermächtigungen sind, desto geringer ist […] die Notwendigkeit, einen Haushaltsplan fristgerecht vorlegen und den Vollzug eines Nothaushalts vermeiden zu müssen“. 29 Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 14, passim; Wolffgang, DVBl. 1984, 1049 ff.; Bajohr, DÖV 1999, 397 ff.; Diller, FinArch 44 (1986), S. 55 [76 ff.]; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 77 ff.; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, 26
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
Kreditermächtigung erteilt worden sei, stimme in diesem Fall nicht mit der Haushaltsperiode überein, in der der Exekutive die Ausgabeermächtigung eingeräumt und in der die Kreditermächtigung genutzt werde.30 Dies führe zu einem Verstoß gegen das zeitliche Bepackungsverbot sowie die Grundsätze der zeitlichen Spezialität, der Haushaltswahrheit und der Vollständigkeit des Haushalts31. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Ausschöpfung der gem. § 18 Abs. 3 S. 1 BHO i. V. m. § 2 Abs. 1 HG fortgeltenden Kreditermächtigungen werden aber vor allem an der Beobachtung festgemacht, dass diese Ermächtigungen, trotz der grundsätzlichen zeitlichen Beschränkung auf das folgende Haushaltsjahr32, in der Haushaltspraxis des Bundes und der Länder dazu genutzt werden, um „Kreditermächtigungspolster“33 aufzubauen, indem zunächst auf die Restkreditermächtigungen des Vorjahres zurückgegriffen und gleichzeitig die Kreditermächtigung des laufenden Haushaltsjahres geschont wird (Fifo-Methode34). Auf diese Weise werden die in § 18 Abs. 3 S. 1 BHO vorgesehenen Befristungen der Weitergeltung umgangen, da der Bestand an fortgeltenden Kreditermächtigungen immer wieder „verjüngt“ wird, wie die folgende Grafik35 (s. S. 323) zeigt. Das Ansparen der Kreditermächtigungen ist in der Tat höchst zweifelhaft. Zum einen leidet die Transparenz der von Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG geforderten gesetzlichen Ermächtigung zur Aufnahme von Krediten, deren Höhe nicht mehr aus dem Haushaltsgesetz oder -plan selbst abgelesen werden kann sondern nur noch auf der Grundlage der Haushaltsrechnung des Vorjahres „bestimmbar“ ist. Zum anderen birgt die Inanspruchnahme fortgeltender Rn. 138; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 181; Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2004, S. 43 ff. (= BT-Ds. 15/4200); Patzig, Haushaltsrecht, C/18/11 [Rn. 14]; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 18; s. auch bereits Vialon, Haushaltsrecht2, S. 203, Teil C IV. Art. 110 GG, Anm. 10. 30 Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 14, S. 9. 31 Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 14, S. 24 ff., 36 ff.; Wolffgang, DVBl. 1984, 1049 [1051]; vgl. auch Bajohr, DÖV 1999, 397 [402]; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 71 ff.; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 181. 32 Die Weitergeltung im Rahmen der Nothaushaltsführung bis zur Verkündung des Haushaltsgesetzes für das zweitnächste Haushaltsjahr (§ 18 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 BHO) soll hier aus Vereinfachungsgründen zunächst außer Betracht bleiben. 33 Wolffgang, DVBl. 1984, 1049 [1050]; Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 14, S. 8; Diller, FinArch (44) 1986, S. 55 [69]; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 72. 34 „First in – first out“; vgl. Diller, FinArch (44) 1986, S. 55 [69]; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 18 spricht insoweit vom „Kühlschrankprinzip“. Zu weiteren sog. „Verbrauchsfolgeverfahren“ s. Hennrichs, in: Münchener Kommentar AktG2, § 256 HGB, Rn. 6 ff. 35 Grafik nach Diller, Jonglieren mit Kreditermächtigungen, S. 18.
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs Ermächtigungen Inanspruchnahme Kreditaufnahme Ermächtigungen
Ermächtigungen Inanspruchnahme Kreditaufnahme Ermächtigungen
Restermächtigung
Ermächtigung nach § 2 Abs. 1 HG des lfd. Haushaltsjahres
Nettokreditaufnahme (Ist)
Restermächtigung
Ermächtigungen Inanspruchnahme Kreditaufnahme Ermächtigungen
Restermächtigung Ermächtigung nach § 2 Abs. 1 HG des lfd. Haushaltsjahres
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Restermächtigung Ermächtigung nach § 2 Abs. 1 HG des lfd. Haushaltsjahres
Nettokreditaufnahme (Ist)
Restermächtigung
Nettokreditaufnahme (Ist)
Restermächtigung
Jahr: t – 1 Jahr: t Jahr: t + 1
Abbildung 3
Kreditermächtigungen die Gefahr, dass unter Rückgriff auf Restermächtigungen die verfassungsrechtliche Kreditobergrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG im Haushaltsvollzug umgangen wird36. Die Kreditermächtigung ist aufgrund der Addition der Reste nicht mehr auf die aktuellen Finanzierungsbedürfnisse und die Kreditgrenze des entsprechenden Jahres abgestimmt; eine Nettokreditaufnahme kann auf diese Weise über die Kreditermächtigung des laufenden Jahres hinaus erfolgen (asymmetrischer Haushaltsvollzug37). aa) Unzulässigkeit des Anhäufens von Kreditermächtigungen („Fifo-Methode“) Ohne dass an dieser Stelle schon im Einzelnen auf Sinn und Zweck und die Bedeutung des § 18 Abs. 3 BHO im System des staatlichen Haushaltsrechts einzugehen ist, lässt sich doch feststellen, dass das oben skizzierte Fifo-Verfahren bei der Inanspruchnahme der Kreditermächtigungen zwar vom Wortlaut nicht eindeutig untersagt wird, diese formale Betrachtung aber doch recht klar dem Geist und der Systematik des § 18 Abs. 3 S. 1 BHO (§ 13 Abs. 2 S. 1 HGrG) widerspricht38. 36
Vgl. Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 14, S. 24 ff.; Bajohr, DÖV 1999, 399 [400 ff.]; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 138. 37 Hierzu bereits oben, § 3 B. I. 3. b), S. 285 ff. 38 So auch Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 14, S. 14; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 76; Bajohr, DÖV 1999, 397 [401]; Diller, FinArch 44 (1986), S. 55 [76]; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 180 f.; Graf, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 18 BHO,
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
Gem. § 18 Abs. 3 S. 1 BHO gelten die Ermächtigungen bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres und, wenn das Haushaltsgesetz für das zweitnächste Haushaltsjahr nicht rechtzeitig verkündet wird, bis zur Verkündung dieses Haushaltsgesetzes. Die Vorschrift enthält eine doppelte Befristung, die aber im Ergebnis leer läuft, wenn vor Inanspruchnahme der Kreditermächtigung des laufenden Jahres, die dann noch ein Jahr weitergilt, zunächst die Kreditermächtigung des Vorjahres aufgebraucht wird, die bereits im laufenden Jahr verfällt. Würde § 18 Abs. 3 S. 1 BHO ein solches Verfahren zulassen oder gar bezwecken, wäre die durch § 18 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 BHO bestimmte Verlängerung der Befristung auf das Ende der etatlosen Zeit im zweitnächsten Haushaltsjahr überflüssig39. Das Vortragen bzw. das fortschreitende Anhäufen der Kreditermächtigungen führt schließlich dazu, dass sich die Höhe der möglichen Inanspruchnahme immer weiter von dem entfernt, was der Gesetzgeber für das entsprechende Haushaltsjahr, bezogen auf den jeweiligen Finanzierungssaldo des aktuellen Haushalts, für nötig aber eben auch für ausreichend gehalten hat. Dies lässt sich mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Kreditaufnahme nur schwer vereinbaren. Art. 115 Abs. 1 S. 1 und Art. 109 Abs. 2 GG fordern, dass bei der für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht besonders bedeutsamen Frage der Kreditaufnahme, einzig der Gesetzgeber die Leitentscheidung über die Höhe der staatlichen Verschuldung und der Belastungen des Kapitalmarkts trifft. Da das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ständigen Schwankungen unterliegt40, ist es vor dem Hintergrund der Zeitlichkeit der Kreditermächtigung, die ja nicht allgemein, sondern bezogen auf eine bestimmte finanzwirtschaftliche Ausgangslage erteilt wird, nicht vertretbar, eine von den jährlichen gesetzgeberischen Entscheidungen weitgehend entkoppelte „Schattenkreditwirtschaft“ zu betreiben, die nur noch im Nachhinein zur Kenntnis genommen, aber nicht mehr beeinflussend gesteuert werden kann41. bb) Nochmals: Geltung der Kreditgrenze im Haushaltsvollzug Dies gilt umso mehr, wenn man davon ausgeht, dass die im Haushaltsjahr zusätzlich zur Verfügung stehenden Kreditermächtigungen die Gefahr einer Anm. 6; vgl. auch Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2004 (= BT-Ds. 15/4200), S. 41 ff. und Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 63, 102. 39 Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 14, S. 14; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 76 f.; Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2004 (= BT-Ds. 15/4200), S. 43; Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2001 (= BT-Ds. 14/7018), S. 52 f. 40 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [339]. 41 Ähnlich Wolffgang, DVBl. 1984, 1049 [1054]; Bajohr, DÖV 1999, 397 [402]; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 18.
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
325
Überschreitung der Kreditgrenzen im Haushaltsvollzug deutlich ansteigen lassen. Eine parlamentarische Kontrolle fehlt hier nicht nur – wie im Fall des bereits oben dargestellten asymmetrischen Haushaltsvollzugs42 – im Hinblick auf die Ausgaben für Investitionen, die unter den entsprechenden Planansätzen bleiben, was immerhin noch die Sparsamkeit fördert. Sie fehlt auch hinsichtlich der Einnahmen aus Krediten, die über die geplante Nettoneuverschuldung hinausgehen. Auch die Fortgeltung der nicht ausgeschöpften Kreditermächtigungen aus Vorjahren kann keine Überschreitung der Kreditgrenzen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG rechtfertigen. Grenzen, die bereits für den Haushaltsgesetzgeber gelten, kann der Haushaltsvollzug erst Recht nicht eigenmächtig überschreiten43 – auch dann nicht, wenn einzelne gesetzgeberische Entscheidungen über die Kreditaufnahme addiert werden. Der denkbare Einwand, dass die Kreditgrenze ja insgesamt eingehalten werde, wenn die einzelnen aufsummierten Kreditermächtigungen verfassungskonform waren, verfängt nicht. Die Kreditgrenzen sind, wie bereits dargelegt, stets auf das jeweilige Haushaltsjahr bezogen44. Zudem wäre es möglich, Kreditermächtigungen, die im Zusammenhang mit einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts für bestimmte Haushaltsjahre erteilt wurden und gestützt auf Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG die Investitionsgrenze überschreiten, in Folgejahren, für die eine Störungslage nicht mehr besteht, weiter auszunutzen und damit die Ausnahmeregelung zu „strecken“. In bestehenden Störungslagen erzeugt die fehlende Obergrenze bei Inanspruchnahme der Ausnahmeklausel sogar Anreize, den vorgesehenen Umfang der zusätzlichen Kreditaufnahme zu übertreiben, weil sich entstandene Restkreditermächtigungen in das nächste Haushaltsjahr übertragen lassen45. Die durch Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG eröffneten Spielräume zur Erhöhung der Neuverschuldung dürfen aber nicht oder allenfalls in begrenztem Umfang zur Finanzierung regulärer laufender Ausgaben genutzt werden46. cc) Bedeutung des § 18 Abs. 3 BHO im staatsschuldenrechtlichen Kontext Bereits die Möglichkeit einer Überschreitung der für das entsprechende Haushaltsjahr gesetzlich vorgesehenen Kreditermächtigung, die sich aus der im Haushaltsplan mittelbar veranschlagten Nettoneuverschuldung ergibt, 42
s. oben, § 3 B. I. 3. b), S. 285 ff. Hierzu bereits oben, § 3 B. I. 3. b), S. 285 ff. 44 Hierzu bereits oben, § 3 B. I. 3. c), S. 294 ff. 45 Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 63. 46 s. bereits oben, § 3 B. II., S. 308 ff.; vgl. auch Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 102. 43
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
führt zu einer durch den Gesetzgeber (und die Öffentlichkeit) nicht mehr hinreichend kontrollierbaren Kreditaufnahme. Diese stimmt, weil sie die Erzielung von Einnahmen aus Krediten zum Zweck hat47, auch nicht mit den Vorgaben des Haushaltsplans überein, der auf das einzelne Haushaltsjahr beschränkt (Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG, „nach Jahren getrennt“) in Obergruppe 32 bzw. Kap. 32 01 die Einnahmen aus Krediten in Höhe der für das Jahr vorgesehenen Kreditermächtigung ausweist. Zwar hat der Haushaltsplan hinsichtlich der in ihm veranschlagten Einnahmen grundsätzlich keine rechtsbegründenden Wirkungen48, so dass etwa zu niedrig geplante Steuereinnahmen keinen Einfluss auf die Steuererhebung haben (s. § 34 Abs. 1 BHO: „Einnahmen sind rechtzeitig und vollständig zu erheben“). § 34 Abs. 1 BHO gilt aber nicht für die Einnahmen aus Krediten. Krediteinnahmen werden nicht zusammen mit den übrigen Einnahmen veranschlagt (§§ 13, 82 Nr. 2 lit. a) BHO) sondern im „Finanzierungssaldo“ ausgewiesen. Vor allem aber besteht der Zweck einer rechtzeitigen und vollständigen Erhebung der Einnahmen in der Verminderung des Kreditbedarfs; Ziel ist die Förderung eines wirtschaftlichen Haushaltsvollzuges, der Krediteinnahmen möglichst vermeidet49. Hinsichtlich der Einnahmen aus Krediten spricht also einiges dafür, dass der planmäßige Ansatz dieser Einnahmen als Höchstgrenze ebenso bindend ist, wie die Ermächtigung zum Leisten von Ausgaben, §§ 3 Abs. 1, 34 Abs. 2, 45 Abs. 1 BHO. Systematisch lässt sich sogar eine noch stärkere Bindung begründen: Während die Verfassung der Exekutive im Rahmen des Art. 112 GG noch gewisse Befugnisse einräumt, um in bestimmten Ausnahmefällen über- und außerplanmäßige Ausgaben zu leisten, lässt der Gesetzesvorbehalt des Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG keinen Spielraum für eigene Kompetenzen des Haushaltsvollzugs bei der Kreditwirtschaft50.
47 Die fortgeltenden Kreditermächtigungen werden regelmäßig zur Deckung von Ausgaben herangezogen und dienen nicht etwa der Tilgung. Für etwaige in der etatlosen Zeit anfallende Tilgungen sieht § 2 Abs. 8 HG (i. V. m. Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG) eine eigene Kreditermächtigung vor. („Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, auch im folgenden Haushaltsjahr bis zum Tage der Verkündung des Haushaltsgesetzes im Rahmen der Kreditaufnahme folgende Verträge abzuschließen: 1. Kredite bis zur Höhe der Ermächtigung nach Absatz 2 Satz 1 dürfen zur Tilgung fällig werdender Kredite aufgenommen werden“). Kreditaufnahmen für „außerplanmäßige“ Tilgungen werden durch § 2 Abs. 2 S. 2 HG zugelassen. 48 Helm, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 34 BHO, Anm. 2. 49 Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 34 BHO, Anm. 2; Helm, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 34 BHO, Anm. 2. 50 Hierzu bereits oben, § 2 B. III. 4. c) bb) (2), S. 212 ff.
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
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(1) Nothaushaltsrecht: „sonstige Quellen“ i. S. d. Art. 111 Abs. 2 GG Ist somit der Rückgriff auf gem. § 18 Abs. 3 BHO fortgeltende Kreditermächtigungen nach der haushaltsrechtlichen Systematik und von Verfassungs wegen erheblichen Einschränkungen unterworfen, so stellt sich die Frage, warum die BHO in § 18 Abs. 3 überhaupt eine Fortgeltung der Kreditermächtigungen des jährlichen Haushaltsgesetzes anordnet. (a) Kontinuierliche Haushalts- und Kreditwirtschaft Die Begründung zum Entwurf der §§ 18 Abs. 3 BHO, 13 Abs. 2 HGrG ist recht knapp und formuliert lediglich, die Regelung diene einer „kontinuierlichen Kreditwirtschaft“51. Sie knüpft damit an die Begründung zu Art. 110 Abs. 4 GG an, nach der die in S. 2 enthaltene Ausnahme „von dem zeitlichen Bepackungsverbot […] für eine kontinuierliche Haushaltsund Kreditwirtschaft unerlässlich“ sei. Die historischen Vorläufer, Art. 110 Abs. 2 S. 3 GG a. F. und Art. 85 Abs. 2 S. 1 WRV52, erlaubten demgegenüber nur die Fortdauer der Ausgabebewilligungen und bezogen die Kreditermächtigung noch nicht mit ein. Sowohl der historische Befund als auch die Systematik des Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG legen es also nahe, eine Verknüpfung der kontinuierlichen Kreditwirtschaft mit dem Gedanken der kontinuierlichen Haushaltswirtschaft anzunehmen. „Kontinuität“ meint hierbei nach dem historischen Verständnis53 in erster Linie die Möglichkeit, den Staatshaushalt fortzuführen, auch wenn ein Haushaltsgesetz unter Verstoß gegen den Grundsatz der Vorherigkeit bis zum Beginn des Haushaltsjahres noch nicht verabschiedet ist. So legt auch Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG einen deutlichen Schwerpunkt auf die etatlose Zeit („mit der Verkündung des nächsten Haushaltsgesetzes“), was den Schluss zulässt, dass auch § 18 Abs. 3 BHO vorrangig im Kontext der vorläufigen Haushaltsführung („Interimsphasen“54) gesehen werden muss. Die gem. § 18 Abs. 3 BHO fortgeltenden Kreditermächtigungen dienen, wie insbesondere auch aus der Befristung des § 18 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 BHO 51
BT-Ds. V/3040, S. 50 [Tz. 177] u. S. 60 [Tz. 310]. Art. 110 Abs. 2 S. 3 GG a. F.: „Die Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr bewilligt; sie können in besonderen Fällen auch für einen längeren Zeitraum [Art. 85 Abs. 2 S. 1 WRV: für eine längere Dauer] bewilligt werden“. Ähnlich noch Art. 78 Abs. 6 BayVerf; Art. 85 Abs. 1 S. 2 BerlVerf; Art. 139 Abs. 3 S. 1 HessVerf. 53 Bis zur Haushaltsrechtsreform 1968/69 (und auch darüber hinaus, s. oben Abbildung 1, S. 137) ist kein Haushalt rechtzeitig verabschiedet worden. Die etatlose Zeit zu Beginn des jeweiligen Haushaltsjahres war daher die Regel (vgl. BT-Ds. V/3040, S. 42 [Tz. 83]). 54 Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 110, Rn. 113. 52
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
(„bis zur Verkündung dieses Haushaltsgesetzes“) folgt, der Kreditfinanzierung von Ausgaben im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung55. § 18 Abs. 3 BHO lässt sich insoweit als Konkretisierung und Ergänzung des Art. 111 Abs. 2 GG verstehen. Da Art. 111 GG in beiden Absätzen für die Bestimmung der zulässigen Maßnahmen während der vorläufigen Haushaltsführung tatbestandlich auf die Ermächtigungen aus früheren Haushalten Bezug nimmt56, ist auch eine Anknüpfung an die nicht ausgeschöpften Kreditermächtigungen der Vorjahre stimmig. Zweifel an einer Interpretation des § 18 Abs. 3 BHO, die nur die Inanspruchnahme der Restkreditermächtigungen im Rahmen der Nothaushaltsführung zuließe, ergeben sich indes daraus, dass Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG für Kreditermächtigungen ausdrücklich eine längere Geltung („zu einem späteren Zeitpunkt“) zulässt57, und auch § 18 Abs. 3 S. 1 BHO für das unmittelbar folgende Jahr keinen Bezug zur vorläufigen Haushaltsführung herstellt: „Bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres“ kann der nicht ausgeschöpfte Ermächtigungsrest scheinbar für beliebige Finanzierungszwecke herangezogen werden. Es ließe sich zwar argumentieren, dass diese Formulierung nur eine sprachliche und gesetzestechnische Vereinfachung bezweckt, um bei zwei aufeinander folgenden Nothaushaltsführungen, die bis 1979 – also auch zum Zeitpunkt der Neufassung der Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG, §§ 18 Abs. 3 BHO, 13 Abs. 2 HGrG – die Regel waren58, kein Erlöschen und ein erneutes „Wiederaufleben“ der Kreditermächtigung anordnen zu müssen59. Zwingend ist dieses Argument jedoch nicht. Zum einen stellt § 18 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BHO auf das Ende des nächsten Haushaltsjahres ab, was nicht so recht zur Beschränkung auf die etatlose Zeit passt, die nur zu 55 So auch Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 14, S. 18 f.; Wolffgang, DVBl. 1984, 1049 [1051]; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 111, Rn. 28; Mahrenholz, in: AKGG, Art. 111, Rn. 18; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 111, Rn. 29 ff.; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 80; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 181; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 111, Rn. 7; Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 111, Rn. 39; Graf, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 6 (S. 13), Gatzer, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 111 GG, Anm. 18. 56 s. hierzu bereits oben, § 2 B. III. 3. a) bb) (1), S. 148 ff. Vgl. auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG9, Art. 111, Rn. 1, 3: „Fälle mutmaßlicher Zustimmung“. 57 Vgl. NWLT-Vorlage 9/2155, S. 5 zum Gutachten Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 14, S. 18. 58 Hierzu oben Abbildung 1, S. 137. 59 In diesem Fall hätte § 18 Abs. 3 S. 1 BHO z. B. so gefasst werden können: „Liegt bis zum Beginn des Haushaltsjahres keine gültige Ermächtigung für die Aufnahme von Krediten zur Deckung von Ausgaben des Haushaltsplanes dieses Jahres vor, so ist das für die Finanzen zuständige Ministerium ermächtigt, auf nicht ausgeschöpfte Kreditermächtigungen (Restermächtigungen) der beiden unmittelbar vorausgegangenen Haushaltsjahre zurückzugreifen“.
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
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Beginn eines Haushaltsjahres vorliegen kann. Zum anderen ist eine kontinuierliche Haushaltswirtschaft auch in Bezug auf übertragbare Ausgaben60 denkbar (dazu sogleich). Zwar hat schon der Wissenschaftliche Beirat beim BMF in seiner Stellungnahme zur Haushaltsrechtsreform 1969 darauf hingewiesen, dass nur bei einem Zweijahreshaushalt die Bestimmung gerechtfertigt werden könne, dass die Kreditermächtigungen des ersten Jahres für das ganze zweite Jahr weiter gelten. Ansonsten genüge es, wenn analog zu der für die Kassenkredite getroffenen Regelung (§ 18 Abs. 3 S. 2 BHO) die Ermächtigungen des Vorjahres bis zur Verkündung des neuen Haushaltsgesetzes in Kraft blieben.61 Dem Vorschlag des Beirats, zwischen Einjahresund Doppelhaushalten zu trennen, ist der Gesetzgeber jedoch nicht gefolgt. Dem geltenden § 18 Abs. 3 S. 1 BHO liegt offenbar ein abweichendes Verständnis von „kontinuierlicher Haushalts- und Kreditwirtschaft“ zugrunde. (b) Anrechnung auf die Kreditermächtigung des neuen Haushaltsjahres Fortgeltende Kreditermächtigungen dienen primär dem Nothaushaltsrecht, d.h. der Kreditfinanzierung von Ausgaben, die aufgrund des Art. 111 Abs. 1 GG in der etatlosen Zeit geleistet werden können. Soweit sie als „sonstige Quellen“ i. S. d. Art. 111 Abs. 2 GG herangezogen werden, sind sie allerdings auf die Kreditermächtigungen und die Kreditgrenze des neuen (rückwirkenden) Haushaltsgesetzes anzurechnen62. Alle Geschäftsvorfälle der etatlosen Zeit sind in den zu verabschiedenden Haushaltsplan zu übernehmen; der endgültige Haushaltsplan muss vollständig sein und ist für das entsprechende Rechnungsjahr in Einnahme und Ausgabe auszugleichen, Art. 110 Abs. 1 S. 1 und 2 GG63. Zwar kann die Kreditermächtigung i. S. d. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG grundsätzlich vom jährlichen Haushaltsplan isoliert betrachtet werden, dennoch bezieht sie sich auf ein Haushaltsjahr. Die Ermächtigung zur Nettokreditaufnahme in § 2 Abs. 1 HG, die gem. § 18 Abs. 3 S. 1 BHO fortgelten soll, dient zur Deckung von Ausgaben eines bestimmten Haushaltsjahres, §§ 18 Abs. 2 Nr. 1 BHO, 13 Abs. 1 Nr. 1 HGrG. Die Inanspruchnahme der Restkreditermächtigungen während der etatlosen Zeit führt zu Einnahmen aus Krediten in diesem Haushaltsjahr, die der verspätete Haushaltsplan berücksichtigen muss. Obwohl die Kredit60 Hierzu bereits oben § 3 B. I. 3. b) dd), S. 292 ff. und sogleich sub (2), S. 331 ff. 61 Wissenschaftlicher Beirat BMF, Stellungnahme zur Haushaltsrechtsreform 1969 (Heft 11), S. 27 f. 62 So bereits Vialon, Haushaltsrecht2, Art. 110 GG, Anm. 10 (S. 203); ähnlich Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 182. Vgl. zur Notwendigkeit der Erfassung des gesamten Haushaltsjahres oben, § 2 B. III. 3. b) cc) (3), S. 186 ff. 63 Zu diesen Haushaltsgrundsätzen s. bereits oben, § 2 A. III., S. 42 ff.
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aufnahme auf frühere noch nicht ausgeschöpfte Kreditermächtigungen gestützt werden kann, sind die Krediteinnahmen ein Vorgriff auf das neue Haushaltsjahr. Die Kredite, die in der etatlosen Zeit eingenommen werden, sind damit im Finanzierungssaldo zu berücksichtigen und auch auf die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG anzurechnen. Sie mindern insoweit den Spielraum des Haushaltsgesetzgebers für den Rest des Jahres und führen in der Folge (mittelbar) zu einer entsprechenden Absenkung der Kreditermächtigung, da sich die Höhe der Ermächtigung in § 2 Abs. 1 HG nach der voraussichtlich zum Ausgleich des Haushalts (noch) erforderlichen Nettoneuverschuldung bemisst. (c) Kreditermächtigungen für Tilgungen in der etatlosen Zeit Dass die während der etatlosen Zeit auf- und eingenommenen Kredite auf die Kreditgrenze des dann verspätet verabschiedeten Haushaltsgesetzes anzurechnen sind, entspricht dabei nicht nur dem Gebot eines auf das gesamte Haushaltsjahr bezogenen Haushaltsausgleichs, Art. 110 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 GG, sondern wird – im Fall der Umschuldungskredite i. S. d. § 2 Abs. 2 HG – auch durch den Haushaltsgesetzgeber ausdrücklich so vorgeschrieben. Gemäß § 2 Abs. 8 S. 2 HG werden die während der etatlosen Zeit in Anspruch genommenen Ermächtigungen des § 2 Abs. 8 S. 1 HG64 auf die jeweiligen Ermächtigungen des folgenden Haushaltsjahres angerechnet. Das ist nur konsequent, weil eine im laufenden Haushaltsjahr erfolgte Anschlussfinanzierung, auch wenn sie bereits in der Zeit vor Verabschiedung des Haushaltsgesetzes durchgeführt wird, nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben darf. Sie muss vielmehr im neuen Haushaltsplan und -gesetz erfasst werden, da sich die „Beträge zur Tilgung von im Haushaltsjahr … fällig werdenden Krediten […], deren Höhe sich aus Nummer 2.1.2.1 der Finanzierungsübersicht (Teil II des Gesamtplans) ergibt“, (§ 2 Abs. 2 HG) auf das gesamte Haushaltsjahr beziehen – nicht nur auf die Zeit nach der Verkündung des Haushaltsgesetzes. Bezeichnenderweise fehlt aber eine solche Anrechnungsklausel bei den Krediten zur Deckung von Ausgaben, die die Nettoneuverschuldung erhöhen, obwohl sie hier aus den gleichen Gründen konsequent und verfassungsrechtlich geboten wäre. Erklären lässt sich dies wohl nur dadurch, dass die Anrechnung bei den Tilgungskrediten für den Haushaltsgeber keine 64 Vgl. § 2 Abs. 8 S. 1 HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346): „Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, auch im folgenden Haushaltsjahr bis zum Tage der Verkündung des Haushaltsgesetzes im Rahmen der Kreditaufnahme folgende Verträge abzuschließen: 1. Kredite bis zur Höhe der Ermächtigung nach Absatz 2 Satz 1 dürfen zur Tilgung fällig werdender Kredite aufgenommen werden; […]“.
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Einschränkung bedeutet, da die Höhe der zulässigen Nettoneuverschuldung unangetastet bleibt. Würde man hingegen auch bei den Deckungskrediten i. S. d. § 2 Abs. 1 HG (§§ 18 Abs. 2 Nr. 1 BHO, 13 Abs. 1 Nr. 1 HGrG) ausdrücklich eine Anrechnung vorsehen, minderte dies letztlich den Spielraum bei der Kreditfinanzierung. Zudem würde nicht nur die Restermächtigung des Vorjahres sondern auch die Ermächtigung des laufenden Haushaltsjahres entsprechend aufgezehrt, was der Sache nach richtig und verfassungsrechtlich aufgrund der auf das Jahr bezogenen Nettoneuverschuldung (Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG i. V. m. Art. 110 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 GG) geboten, nicht jedoch im Sinne der gängigen Haushaltspraxis wäre, die zur Aufrechterhaltung der (verfassungs- und gesetzeswidrigen) Fifo-Methode bei der Inanspruchnahme der fortgeltenden Kreditermächtigungen neue Ermächtigungsreste erwirtschaften muss. (2) Kreditfinanzierung von Ausgaberesten i. S. d. § 19 BHO Gemäß § 18 Abs. 3 S. 1 BHO gelten „die Ermächtigungen“, die im jeweiligen Haushaltsgesetz „zur Deckung von Ausgaben“ (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 BHO) in Anspruch genommen werden sollen, jedenfalls bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres. Dies spricht einerseits dafür, dass die Fortgeltung nicht nur für die etatlose Zeit, sondern auch zu anderen Zwecken angeordnet werden soll, andererseits muss man davon ausgehen, dass auch im Fall der „Fortgeltung“ ein Bezug zu demjenigen Haushaltsjahr bestehen muss, aus dem die Kreditermächtigung stammt65. (a) Erweiterung des zeitlichen Geltungsbereichs Betrachtet man die Regelung in § 18 Abs. 3 S. 1 BHO (und § 13 Abs. 2 S. 1 HGrG) genauer, so fällt auf, dass diese nicht etwa zur Aufnahme von Krediten (in bestimmter Höhe, für bestimmte Zwecke) ermächtigt. Vielmehr ordnet sie – entsprechend der Vorgabe in §§ 18 Abs. 2 Nr. 1 BHO, 13 Abs. 1 Nr. 1 HGrG, nach der die Kreditermächtigung im Haushaltsgesetz zu erteilen ist – nur eine Fortgeltung der Ermächtigungen an, erweitert also den zeitlichen Geltungsbereich über das jeweilige Haushaltsjahr hinaus, was Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG zulässt. Aus dieser speziellen Regelungstechnik folgt zweierlei: Zunächst ergibt sich, was auch allgemein anerkannt ist, dass die jeweilige Kreditermächtigung nur noch in der Höhe in Anspruch genommen werden kann, in der sie 65
Ein solcher Bezug lässt sich auch im Fall der vorläufigen Haushaltsführung herstellen, da Art. 111 GG tatbestandlich auf die Ermächtigungen aus früheren Haushaltsjahren abstellt, vgl. oben bei Fn. 56 (S. 328).
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noch nicht „verbraucht“ ist66. Die bloße Ausdehnung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Kreditermächtigung aus den jeweiligen Haushaltsgesetzen hat aber noch einen anderen Effekt: Sie lässt den Inhalt der Ermächtigung unberührt67. Würde das Haushaltsgesetz z. B. nur zur Aufnahme von Krediten „zur Deckung von Ausgaben für den Straßenbau“ ermächtigen, so wäre es offensichtlich, dass § 18 Abs. 3 S. 1 BHO an dieser Zweckbindung nichts änderte. Das jeweilige Haushaltsgesetz ermächtigt indes zur Deckung von Ausgaben für das jeweilige Haushaltsjahr68. Nimmt man die gesetzliche Regelung beim Wort, müssten auch im Fall der Fortgeltung die im folgenden Jahr aufgenommenen Kredite also der Finanzierung von Ausgaben des vergangenen Haushaltsjahres dienen. Dieser Argumentation könnte man entgegenhalten, dass § 18 Abs. 3 S. 1 BHO mit der Anordnung einer Ausdehnung des zeitlichen Geltungsbereichs der Kreditermächtigung dann natürlich auch die zeitliche Zweckbestimmung entsprechend erweitern will. Jedoch lässt sich das zunächst etwas spitzfindig wirkende Wortlautargument durch systematische und teleologische Erwägungen durchaus stützen; insbesondere gibt es Fälle, in denen Ausgaben für ein Haushaltsjahr erst in späteren Haushaltsjahren abfließen. (b) Haushaltswirtschaftliche Kontinuität durch Bildung von Ausgaberesten Gem. § 19 Abs. 1 BHO ist es – gleichfalls im Sinne einer kontinuierlichen Haushaltswirtschaft69 – möglich, die Ausgaben für Investitionen in das nächste Haushaltsjahr zu übertragen70. Die unmittelbare Nachbarschaft der beiden Normen in der BHO mag ein Zufall sein, im HGrG finden sich die entsprechenden Regelungen in den §§ 13 Abs. 2 S. 1 und 15 Abs. 1 S. 1. Vgl. Vialon, Haushaltsrecht2, Art. 110 GG, Anm. 10 (S. 203). Da auch der zeitliche Geltungsbereich letztlich „Inhalt“ einer Norm ist (arg. ex Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG, vgl. oben § 1 B. I., S. 23 ff.), könnte man auch genauer formulieren „den Inhalt im Übrigen unberührt“. 68 Vgl. § 2 Abs. 1 HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346): „Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, zur Deckung von Ausgaben für das Haushaltsjahr 2007 Kredite bis zur Höhe von 19 580 000 000 Euro aufzunehmen“ [Hervorhebung nur hier, d. Verf.]. 69 Vgl. etwa Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 19 BHO Anm. 2: „Ohne die Übertragbarkeit von Investitionsausgaben wäre eine kontinuierliche Haushaltswirtschaft in Frage gestellt“; s. auch bereits oben § 3 B. I. 3. b) cc), S. 291. 70 § 19 Abs. 1 BHO lautet: „Ausgaben für Investitionen und Ausgaben aus zweckgebundenen Einnahmen sind übertragbar. Andere Ausgaben können im Haushaltsplan für übertragbar erklärt werden, wenn dies ihre wirtschaftliche und sparsame Verwendung fördert“. 66 67
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Ein systematischer Zusammenhang zwischen den gem. § 19 Abs. 1 S. 1 BHO übertragbaren „Ausgaben für Investitionen“ und den gem. § 18 Abs. 3 S. 1 BHO fortgeltenden Kreditermächtigungen wird jedoch – unabhängig von der Stellung der beiden Vorschriften im Gesetz – über Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG hergestellt, der die „Einnahmen aus Krediten“ der Höhe nach an die „im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen“ knüpft. Vergegenwärtigt man sich den bereits oben dargestellten „Normalfall“ des asymmetrischen Haushaltsvollzugs71, bei dem Ausgaben für Investitionen nicht mehr während des Haushaltsjahres geleistet werden können oder aus Gründen der Wirtschaftlichkeit („Dezemberfieber“) nicht mehr im laufenden Haushaltsjahr geleistet werden sollen, so erscheint es nur folgerichtig, wenn durch die Anordnung des Fortgeltens der Kreditermächtigungen in § 18 Abs. 3 BHO die Möglichkeit zur Kreditfinanzierung der gem. § 19 Abs. 1 S. 1 BHO übertragbaren Ausgaben gleichfalls in das folgende Jahr übertragen wird72. Der Finanzminister soll – parallel zu der dem § 19 Abs. 1 BHO zugrunde liegenden Überlegung – nicht veranlasst werden, am Ende des Haushaltsjahres seine Kreditermächtigung à tout prix auszuschöpfen (weil sie ohne die Bestimmung des § 18 Abs. 3 BHO verfallen würde), obwohl er die Mittel entweder überhaupt nicht (wegen Mehreinnahmen) oder noch nicht (wegen Verzögerungen bei Investitionsausgaben) benötigt73. Die vollständige Inanspruchnahme der Kreditermächtigung noch im alten Jahr wäre, geht man davon aus, dass die Investitionsgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG ausgereizt wird, auch gar nicht mehr zulässig, soweit nicht Ausgaben für Investitionen in gleicher Höhe abfließen74. 71
Vgl. § 3 B. I. 3. b), S. 285 ff. So auch Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 138: „die Durchbrechungen, die Art. 110 Abs. 4 S. 2 für Kreditermächtigungen zulässt, beschränken sich mit Blick auf Art. 115 Abs. 1 S. 2 auf die Ausnahme, dass Ausgabereste von nicht abgeflossenen Investitionsausgaben im folgenden Haushaltsjahr abgedeckt werden sollen“; ähnlich Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 181; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 78 f.; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 18. – Eine entsprechende gesetzliche Regelung findet sich in § 19 Abs. 2 SaarlLHO v. 5.11.1999 (ABl. 2000, S. 194): „Zur Deckung der Ausgaben, die übertragen werden sollen (Ausgabereste), sind Ausgabemittel zu veranschlagen. Die Ausgabemittel sollen so bemessen werden, dass sie zur Deckung der Ausgabereste ausreichen, deren Verausgabung im nächsten Haushaltsjahr erforderlich ist; nicht zu berücksichtigen sind Ausgabereste, für die Mittel aus kassenmäßigen Minderausgaben im nächsten Haushaltsjahr voraussichtlich bereitgestellt werden können oder für die weitergeltende Kreditermächtigungen bestehen“ [Hervorhebung nur hier, d. Verf.]. Vgl. auch die Rechtslage in Schleswig-Holstein, i. E. dargestellt bei Patzig, Haushaltsrecht, C/18/12 und Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 79 f. 73 Patzig, Haushaltsrecht, C/18/12. 74 s. zur Geltung der Kreditgrenze im Haushaltsvollzug oben, § 3 B. I. 3. b), S. 285 ff. 72
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Da aber auch für die Einnahmen aus Krediten der Gesamtdeckungsgrundsatz (§§ 8 BHO, 7 HGrG) Geltung beansprucht und die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG nur der Höhe nach an die Ausgaben für Investitionen anknüpft, lässt sich die Inanspruchnahme nicht auf die Finanzierung von Ausgaberesten bei Investitionen beschränken75. Solange die Investitionsgrenze im Vollzug für beide(!) Haushaltsjahre eingehalten wird, ist es jedenfalls vor dem Hintergrund des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG unbedenklich, fortgeltende Kreditermächtigungen auch für die Finanzierung konsumtiver Ausgaben in Anspruch zu nehmen, sofern diese gem. §§ 19 Abs. 1 S. 2 BHO, 15 Abs. 1 S. 1 HGrG aus dem Vorjahr übertragen worden sind (sog. gekorene Übertragbarkeit). Auch in diesem (Ausnahme-)Fall kann es sachgerecht sein, zur Finanzierung dieser Ausgabereste noch diejenigen Kreditermächtigungen auszuschöpfen, die für das abgelaufene Haushaltsjahr erteilt wurden. (c) Umbuchung von Einnahmen aus Krediten Eine ähnliche Situation ergibt sich auch für den Fall, dass im Haushaltsvollzug kassenmäßige Überschüsse entstehen, weil Kreditermächtigungen ausgeschöpft werden, ohne dass die entsprechenden Ausgaben z. B. für Investitionen, zu deren Deckung die Kreditaufnahme dienen sollte, abfließen. Werden die aus der Inanspruchnahme der Ermächtigung entstehenden Einnahmen aus Krediten zur Finanzierung anderer Ausgaben verwandt, kann ein Verstoß gegen die Investitionsgrenze im Haushaltsvollzug vorliegen76. Stehen den Einnahmen aus Krediten keine Ausgaben gegenüber, so verbleibt grundsätzlich ein kassenmäßiger Überschuss i. S. d. § 25 Abs. 1 BHO. Dieser wird jedoch auf Bundesebene regelmäßig vermieden, da aufgrund eines auf § 72 Abs. 6 BHO gestützten Haushaltsvermerks bei Kap. 32 01 die Umbuchung von Einnahmen aus Krediten zwischen den Haushaltsjahren zugelassen wird77. Während also im Fall des „Überschusses“ die Einnahmen aus Krediten in das folgende Haushaltsjahr übertragen bzw. umgebucht werden, gelten hier, bei Anwendung des § 18 Abs. 3 S. 1 BHO, nur die Ermächtigungen zur Aufnahme von Krediten im folgenden Haushaltsjahr weiter und können in diesem Jahr ausgenutzt werden. Gemeinsam ist aber beiden Fällen, dass nicht benötigte Kredite vorgetragen werden. Durch die Möglichkeit der Umbuchung werden sie letztlich gleichgestellt: Im Ergebnis gilt die Kreditaufnahme, die nicht zur Deckung von Ausgaben im Vorjahr benötigt wird, immer als im nächsten Jahr durchgeführt – auch wenn sie bereits im Vorjahr erfolgt ist. 75 76 77
So aber Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 138. s. oben § 3 B. I. 3. b), S. 285 ff. Dazu noch im Einzelnen unten § 4 B., S. 349 ff.
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Diese Parallele bei der Ermächtigung zur Aufnahme von Krediten, die durch § 18 Abs. 3 S. 1 BHO vorgetragen wird, und bei den Einnahmen aus Krediten, die als solche im Wege der Umbuchung vorgetragen werden können (§ 25 Abs. 1 BHO i. V. m. Haushaltsvermerk zu Kap. 32 01), bestätigt wiederum die Notwendigkeit einer Anrechnung der in ein Folgejahr übertragenen Kreditmittel auf die Kreditermächtigung i. S. d. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG und auf die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG. Soweit die Reste aus Zeitgründen nicht bereits bei der Haushaltsplanung berücksichtigt werden können78, muss jedenfalls der Haushaltsvollzug bei der Aufnahme von Krediten diese „Vorbelastung“ des Haushaltes beachten79 und die Kreditaufnahme entsprechend reduzieren. (3) Finanzierung von Ausgaben späterer Haushaltsjahre? – § 2 Abs. 9 HG Die Haushaltspraxis nimmt die gem. § 18 Abs. 3 S. 1 BHO fortgeltenden Kreditermächtigungen – trotz der erheblichen haushalts- und verfassungsrechtlichen Bedenken – weiterhin auch zur Finanzierung von Ausgaben späterer Haushaltsjahre in Anspruch und schont auf diese Weise die Kreditermächtigung des laufenden Jahres (Fifo-Methode). Für ein solches Vorgehen hat lange Zeit nur der Wortlaut des § 18 Abs. 3 S. 1 BHO gesprochen, der – mit Ausnahme der Befristung – keine Einschränkung für 78
Die Forderung, eine gem. § 18 Abs. 3 BHO fortgeltende Kreditermächtigung im neuen Haushaltsgesetz bzw. -plan zu übernehmen, ist zumindest dann nicht zu realisieren, wenn das Haushaltsgesetz des neuen Jahres termingerecht verabschiedet wird; vgl. Patzig, Haushaltsrecht, C/18/12 [Rn. 14]; Bajohr, DÖV 1999, 397 [403]. Vgl. aber §§ 19 Abs. 2 S. 1, 25 Abs. 2 BHO, die für Ausgabemittel zur Deckung von Ausgaberesten und für Überschüsse grundsätzlich eine solche Aufnahme in den nächsten Haushaltsplan fordern (anders § 25 Abs. 3 BHO für kassenmäßige Fehlbeträge, die spätestens in den Haushaltsplan für das zweitnächste Haushaltsjahr einzustellen sind). 79 Zu weitgehend daher Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 181 f., der aus dem Periodizitätsprinzip folgert, dass Krediteinnahmen aus der Inanspruchnahme von Restkreditermächtigungen als vorhersehbare Einnahmen im Haushaltsplan zu veranschlagen sind (ähnlich bereits Wolffgang, DVBl. 1984, 1049 [1053]). Dies kann, solange die Haushaltspraxis weiter Kreditermächtigungspolster ansammelt, eine Möglichkeit der Anrechnung sein, da hier die Ermächtigungsreste nahezu konstant anwachsen, zumeist in beträchtlicher Höhe vorhanden und damit abschätzbar sind (vgl. Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2004, S. 43 (= BT-Ds. 15/4200). Beschränkt man die Inanspruchnahme der Restermächtigungen aber auf die Finanzierung von Ausgaberesten bzw. auf die vorläufige Wirtschaftsführung, so lassen sich die fortgeltenden Kreditermächtigungen i. S. d. § 18 Abs. 3 BHO der Höhe nach ebenso wenig im Voraus (Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG) bestimmen wie die gem. § 19 Abs. 1 BHO übertragbaren Ausgabereste, s. Patzig, Haushaltsrecht, C/18/12 [Rn. 14]; Bajohr, DÖV 1999, 397 [403].
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die Inanspruchnahme vorsieht80. Seit dem Haushaltsjahr 1999 schreiben die jährlichen Haushaltsgesetze auf Bundesebene81 jedoch in § 2 Abs. 9 HG vor, dass die neue Kreditermächtigung in Höhe des Betrags gesperrt ist, in der die Restkreditermächtigungen des Vorjahres 0,5% der festgestellten Gesamtausgaben übersteigen82. Die Aufhebung dieser Sperre bedarf der Einwilligung des Haushaltsausschusses83. (a) Bedeutung und Regelungstechnik des § 2 Abs. 9 HG Nach der Gesetzesbegründung sollen durch § 2 Abs. 9 HG „künftig die Rechte des Haushaltsgesetzgebers stärker abgesichert werden“84. In der Haushaltspraxis werde in der Regel jeweils zuerst die weitergeltende Kreditermächtigung des Vorjahres verbraucht. Die entsprechenden Anschreibungen fänden ihren Niederschlag in der Rechnungslegung. Mit der Regelung werde die notwendige Flexibilität für die Haushaltsführung unter Berücksichtigung des Bewilligungsrechts des Parlaments in einem beschränkten Umfang erhalten85. § 2 Abs. 9 HG geht zurück auf die Erörterungen der Bemerkungen des Bundesrechnungshofs 199986, der „seit Jahren die Auffassung [vertritt], dass eine nach § 18 Abs. 3 Bundeshaushaltsordnung grundsätzlich bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres fortgeltende Kreditermächtigung aus 80 Vgl. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 15; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 76. 81 Zur Deckelung der Inanspruchnahme in Nordrhein-Westfalen (§ 18 Abs. 3 S. 3 LHO NW, GVBl. 1987, S. 490) s. Fricke, NWVBl. 1988, 301 [304]; Bajohr, DÖV 1999, 397 [400]. 82 Der Entwurf des Haushaltsgesetzes 1999 (BT-Ds. 14/300, S. 3) setzte in § 2 Abs. 9 noch einen Sperrbetrag i. H. v. 5 Mrd. DM fest, enthielt also keine variable Anknüpfung. Der endgültige § 2 Abs. 9 S. 1 HG 1999 (G. v. 21.6.1999, BGBl. I, S. 1387) normierte dann die Sperre „in Höhe der über ½ vom Hundert des in § 1 festgelegten Betrages liegenden Kreditermächtigungen“. 83 § 2 Abs. 9 HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346) lautet: „Der Ermächtigungsrahmen nach Absatz 1 ist in Höhe der über 0,5 Prozent des in § 1 festgelegten Betrages liegenden Kreditermächtigungen nach § 18 Abs. 3 Satz 1 der Bundeshaushaltsordnung im Haushaltsjahr 2007 gesperrt. Die Aufhebung der Sperre bedarf der Einwilligung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages“. 84 BT-Ds. 14/300, S. 14. 85 BT-Ds. 14/300, S. 14. Vgl. auch die gleichlautenden Begründungen der Haushaltsgesetze 2000 bis 2007: BT-Ds. 14/1400, S. 16; BT-Ds. 14/4000, S. 15 f.; BTDs. 14/6800, S. 16; BT-Ds. 15/150, S. 14; BT-Ds. 15/1500, S. 15; BT-Ds. 15/3660, S. 14; BT-Ds. 16/750, S. 16; BT-Ds. 16/2300, S. 14. 86 Bundesrechnungshof, Bemerkungen 1999, S. 44 ff. (= BT-Ds. 14/1667); vgl. auch Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2000, S. 49 f. (= BT-Ds. 14/4226); Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 88.
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dem Vorjahr nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn die für das laufende Haushaltsjahr veranschlagte Ermächtigung zur Nettokreditaufnahme verbraucht ist“87 und eine klare zeitliche Begrenzung der Kreditermächtigungen sowie eine stärkere Einbindung der gesetzgebenden Körperschaften in das Verfahren der Nutzung von Restkreditermächtigungen fordert88. Es erscheint zwar durchaus zweifelhaft, ob die Entscheidung des Haushaltsausschusses über die Freigabe zusätzlicher Kreditermächtigungen bei Überschreitung der geplanten Nettokreditaufnahme die Befassung der gesetzgebenden Körperschaften Bundestag und Bundesrat im Rahmen eines Nachtragshaushalts ersetzen kann89. Jedoch erreicht § 2 Abs. 9 HG immerhin eine im Vergleich zum früheren Rechtszustand stärkere Beteiligung des Parlaments. Die Vorschrift gibt zumindest einem Ausschuss des Parlaments ein Beteiligungsrecht und wird wiederkehrend in das jährliche Haushaltsgesetz aufgenommen, was die Transparenz erhöhen und im parlamentarischen Verfahren ein gewisses Problembewusstsein schaffen kann90. Allerdings ist die durch § 2 Abs. 9 HG geregelte Beteiligung des Haushaltsausschusses, was leicht zu übersehen ist91, durchaus zwiespältig: Zwar führt die in § 2 Abs. 9 HG angeordnete Sperre in Höhe der Restermächtigung abzüglich 0,5% des Haushaltsvolumens rechnerisch zu einer Beschränkung der (Gesamt-)Ermächtigung. Da aber die neue Kreditermächtigung (des laufenden Jahres) gesperrt wird – nicht die Restkreditermächtigung des Vorjahres, auf die nur wegen der Höhe Bezug genommen wird –, 87
BT-Ds. 14/4226, S. 49. BT-Ds. 14/1667, S. 49; BT-Ds. 14/4226, S. 50; zuletzt Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2006, S. 53 ff. (= BT-Ds. 16/3200). 89 Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2000, S. 49 f. (= BT-Ds. 14/4226). 90 Vgl. auch Bundesrechnungshof, Bemerkungen 1999, S. 46 (= BT-Ds. 14/1667): „Aus Sicht des Bundesrechnungshofes ist die stärkere Einbindung des Haushaltsausschusses in das Verfahren der Nutzung von Restkreditermächtigungen zu begrüßen“. 91 Vgl. etwa Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2006/07, S. 302 (Rn. 393) und Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2004, S. 43 (= BT-Ds. 15/4200): „Somit stand […] ein Betrag von insgesamt rund 44,7 Mrd. Euro zur Haushaltsfinanzierung ohne Einschaltung des Parlaments zur Verfügung. Er setzt sich zusammen aus der bewilligten Nettokreditaufnahme von 43,4 Mrd. Euro sowie der Restkreditermächtigung in Höhe von rund 1,3 Mrd. Euro (0,5% von 260,2 Mrd. Euro)“. – Diese Berechnung steht im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung in § 2 Abs. 9 HG, die z. B. für den Haushalt 2003 (Nettokreditermächtigung des laufenden Jahres: 43,4 Mrd. e; Restermächtigungen: 10,3 Mrd. e, freigegebener Betrag: 1,3 Mrd. e [= 0,5% von 260,2 Mrd. e]) zwar den gleichen Endbetrag – (43,4 Mrd. e ./. [10,3 Mrd. e ./. 1,3 Mrd. e =] 9 Mrd. e =) 34,4 Mrd. e + 10,3 Mrd. e = 44,7 Mrd. e – ergibt, aber eine vorrangige Ausschöpfung der aktuellen Ermächtigung impliziert, welche bei wortlautgetreuer Anwendung des § 2 Abs. 9 HG der Sperre unterliegt (Fifo-Methode). 88
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bleibt ein Vortrag der Kreditermächtigungen und insbesondere die Anwendung der Fifo-Methode weiterhin möglich. Durch § 2 Abs. 9 HG werden die Ermächtigungen des neuen Jahres eingeschränkt, obwohl es sachgerecht wäre, die Inanspruchnahme der Ermächtigungen des alten Jahres (der Restermächtigungen) einzuschränken. Letztlich wird die Fifo-Methode bei der Inanspruchnahme der Kreditermächtigungen, die aufgrund der Systematik des § 18 Abs. 3 S. 1 BHO (doppelte Befristung) als rechtsmissbräuchlich angesehen werden muss92, auf diese Weise durch § 2 Abs. 9 HG sogar gesetzlich bestätigt – angesichts der Tatsache, dass nach der Begründung zu § 2 Abs. 9 HG das Budgetrecht des Parlaments gestärkt werden sollte, könnte man insoweit mit einer gewissen Berechtigung von einem „trojanischen Pferd“ sprechen. Dies gilt vor allem, weil man wohl davon ausgehen muss, dass die Sperre der Kreditermächtigung durch § 2 Abs. 9 HG („im Haushaltsjahr […] gesperrt“93) mit Ende des Haushaltsjahres wegfällt – für die Sperre ist keine Fortgeltung über das Ende des Haushaltsjahres hinaus normiert –, so dass auch der gesperrte Betrag gem. § 18 Abs. 3 S. 1 BHO wiederum in das dann folgende Haushaltsjahr vorgetragen und dort vorrangig in Anspruch genommen werden kann94. (b) Inanspruchnahme für beliebige Ausgaben des nächsten Haushaltsjahres Durch § 2 Abs. 9 HG wird seit 1999 aber nicht nur die Fifo-Methode sanktioniert. Auch die Inanspruchnahme der gem. § 18 Abs. 3 S. 1 BHO fortgeltenden Kreditermächtigungen für beliebige Ausgaben hat auf diese Weise in § 2 Abs. 9 HG seine gesetzliche Absicherung erhalten. Aufgrund der Sperre der aktuellen Kreditermächtigung muss im neuen Haushaltsjahr zwangsläufig zur Deckung von Ausgaben auf die Restermächtigungen zurückgegriffen werden. Die jeweilige Ermächtigung für die Aufnahme von Krediten zur Deckung von Ausgaben des laufenden Haushaltsjahres (§§ 2 Abs. 1 HG, 18 Abs. 2 92
s. bereits oben, § 4 A. I. 2. b) aa), S. 323 ff. s. § 2 Abs. 9 HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346), abgedruckt o. Fn. 83 (S. 336) [Hervorhebung nur hier, d. Verf.]. 94 Vgl. Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2004, S. 43 (= BT-Ds. 15/4200): „Das Bundesministerium hat hierzu ausgeführt, auch künftig die fortgeltende Kreditermächtigung des Vorjahres vorrangig nutzen zu wollen. Ein Verstoß gegen Haushaltsrecht liege nicht vor. § 2 Abs. 1 [gemeint ist wohl Abs. 9, d. Verf.] des Haushaltsgesetzes 2003 beschränke die qualifizierte Sperre des Ermächtigungsrahmens ausdrücklich auf das Haushaltsjahr 2003. Dass ein Verbrauch der ungesperrten Restkreditermächtigungen erst nach Entsperrung des qualifiziert gesperrten Betrages möglich wäre, sei dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen“. 93
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Nr. 1 BHO, 13 Abs. 1 Nr. 1 HGrG) ist bezogen auf den Finanzierungssaldo des Haushalts. Sie wird erteilt, weil die daraus zu erzielenden Einnahmen aus Krediten voraussichtlich zum Ausgleich des Haushalts erforderlich sind. Wird nun aber ein Teil dieser Ermächtigung gesperrt, muss die Kreditaufnahme, die im Fall eines gleich bleibenden Finanzierungssaldos ja weiterhin erforderlich ist (die in den Haushaltsplan bei Kap. 32 01 eingestellten „Einnahmen aus Krediten“ bleiben unverändert), auf eine andere, nämlich die Restermächtigung (§ 18 Abs. 3 S. 1 BHO) gestützt werden. Nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 3 BHO ist es – bei formaler Betrachtung – zulässig, Kreditermächtigungen in einem Umfang anzuhäufen, dass die Vorjahresermächtigung zur Finanzierung der Ausgaben des laufenden Haushaltsjahres herangezogen wird.95 Der bisher überzeugende systematische Einwand gegen dieses Vorgehen96 wird aber durch § 2 Abs. 9 HG überspielt, der nunmehr für das jeweilige Haushaltsjahr eine andere Systematik begründet. Geht man davon aus, dass die Fifo-Methode in § 18 Abs. 3 S. 1 BHO zwar keine gesetzliche Grundlage hat, aber durch § 13 Abs. 2 HGrG auch nicht ausdrücklich – mit Wirkung für den Haushaltsgesetzgeber – verboten wird97, so ist § 2 Abs. 9 des jährlichen Haushaltsgesetzes zu § 18 Abs. 3 S. 1 BHO lex specialis und lex posterior. § 2 Abs. 9 HG kann in diesem Fall aber nur so verstanden werden, dass die nicht gesperrte Restermächtigung vorrangig in Anspruch zu nehmen ist. Erst dann, wenn die Restermächtigung und der nicht gesperrte Teil der aktuellen Kreditermächtigung erschöpft sind, soll gem. § 2 Abs. 9 HG auf den gesperrten Teil der Ermächtigung des laufenden Jahres zurückgegriffen werden. Vor dem Hintergrund der Zeitbezogenheit des Haushalts ist dieses Ergebnis zwar höchst zweifelhaft und hat auch mit „kontinuierlicher Haushaltswirtschaft“ nur noch wenig zu tun; verfassungswidrig ist es jedoch nicht. Gem. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG bedarf die Aufnahme von Krediten einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bun95
Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 14, S. 12; vgl. auch die Begründung zu § 2 Abs. 9 HG 1999, BT-Ds. 14/300, S. 14 und die Nachweise oben, Fn. 85 (S. 336). 96 s. bereits oben, § 4 A. I. 2. b) aa), S. 323 ff.; vgl. auch Birk/Wolffgang, BdSt NW Nr. 14, S. 14; Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 76; Bajohr, DÖV 1999, 397 [401]; Diller, FinArch 44 (1986), S. 55 [76]; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 180 f.; Graf, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 6; a. A. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 15. 97 § 13 Abs. 2 HGrG regelt eine bestimmte Form der Fortgeltung, die der jeweilige Gesetzgeber (Bund oder Länder) in sein Haushaltsrecht übernehmen soll, verbietet aber keine andere weitergehende Fortgeltung von Kreditermächtigungen, die gem. Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG im jährlichen Haushaltsgesetz zugelassen werden könnte.
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desgesetz. Diese Ermächtigung zur Kreditaufnahme darf gem. Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG das einzelne Haushaltsjahr überdauern und ist an keine bestimmte Frist gebunden. Der Gesetzgeber ist – in den Grenzen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG – frei, in welchem Ausmaß er der Exekutive Ermächtigungen zur Aufnahme von Krediten erteilt. (c) Überbrückung der Zeit bis zu einem Nachtragshaushalt Die §§ 18 Abs. 3 S. 1 BHO, 2 Abs. 9 HG geben dem Haushaltsvollzug, teilweise nur mit Einwilligung des Haushaltsausschusses, damit die Möglichkeit, auch solche Ausgaben durch Einnahmen aus Krediten zu finanzieren, für die eine Kreditfinanzierung im ursprünglichen Haushaltsplan nicht vorgesehen war. Dies gilt im Fall von (Steuer-)Mindereinnahmen, die den Finanzierungssaldo und somit die erforderliche Nettoneuverschuldung erhöhen, ebenso wie im Fall von über- und außerplanmäßigen Ausgaben i. S. d. Art. 112 GG. Zwar wäre grundsätzlich immer dann ein Nachtragshaushalt zu verabschieden, wenn Haushaltsverschlechterungen nicht mehr durch Kürzungen im laufenden Haushaltsvollzug aufgefangen werden können, und daher eine Erhöhung der Kreditermächtigung erforderlich wird98. Im Wege der Inanspruchnahme fortgeltender Kreditermächtigungen versucht der Haushaltsvollzug jedoch einen Nachtragshaushalt entweder ganz zu vermeiden oder zumindest hinauszuzögern, wenn eine im Voraus erteilte Kreditermächtigung für die zusätzliche Kreditaufnahme schon besteht99. Auf die Parallele zwischen dem verspäteten Stammhaushalt (Art. 111 GG) und dem verspäteten Nachtragshaushalt (Art. 112 GG), die eine Inanspruchnahme fortgeltender Kreditermächtigungen auch hier – wie bei der vorläufigen Haushaltsführung100 – rechtfertigen könnte, ist bereits oben hingewiesen worden101. Zwar besteht im Fall des (verspäteten) Nachtragshaushalts kein etatloser Zustand, innerhalb dessen auf die parlamentarische Ermächtigung eines Vorjahres zurückgegriffen werden müsste, da die Ermächtigung des aktuellen Haushaltsgesetzes die Höhe der zulässigen Kreditaufnahme innerhalb dieser Periode regelt, vgl. § 18 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BHO. Mit § 2 Abs. 1 HG existiert eine Kreditermächtigung, die auf den 98
Hierzu bereits oben § 2 B. III. 4., S. 195 ff. Vgl. das Beispiel des Bundeshaushalts 2005, Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2006/07, S. 302 (Rn. 393): „Der Verzicht auf einen Nachtragshaushalt wurde möglich, weil im Jahr 2005 in erheblichem Umfang Kreditermächtigungen zur Verfügung standen, die in den vorangegangenen Haushaltsjahren erteilt, aber nicht genutzt worden waren“. Vgl. zur grundsätzlichen Bindung an die Kreditermächtigung des Haushaltsgesetzes bereits oben, § 2 B. III. 4. c) bb) (2), S. 212. 100 s. oben § 4 A. I. 2. b) cc) (1), S. 327 ff. 101 § 2 B. III. 4. c) cc) (1), S. 214 ff. 99
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laufenden Haushalt abgestimmt ist und den Finanzierungssaldo dieses Haushaltsplans ausgleicht. Durch § 2 Abs. 9 HG hat der Gesetzgeber jedoch positiv-rechtlich die Möglichkeit einer Inanspruchnahme der fortgeltenden Kreditermächtigungen im laufenden Jahr geschaffen, diese an keine bestimmten Zwecke geknüpft und damit offenbar auch die Kreditfinanzierung außerplanmäßiger Ausgaben (bzw. das Auffangen von Steuermindereinnahmen) – in Höhe von 0,5% des Haushaltsvolumens auch ohne Einwilligung des Haushaltsausschusses – akzeptiert. Der Gesetzgeber stellt dem Haushaltsvollzug durch §§ 18 Abs. 3 S. 1 BHO, 2 Abs. 9 HG gewissermaßen im Vorfeld einen über die nach dem Haushaltsplan erforderliche Nettoneuverschuldung hinausgehenden Kreditrahmen zur Verfügung, auf den im „Notfall“ zurückgegriffen werden kann102. Es ist sogar denkbar, dass Ausgaben mit Hilfe fortgeltender Kreditermächtigungen bis zum Inkrafttreten des Nachtragshaushalts, der dann rückwirkend103 die Kreditermächtigung des ursprünglichen Haushaltsgesetzes erhöht und im Haushaltsplan eine entsprechende Ausweitung der Nettoneuverschuldung vorsieht, „zwischenfinanziert“ werden104. Während der Nachtragshaushalt in diesem Fall, solange er im laufenden Haushaltsjahr verabschiedet wird105, die erhöhte Nettoneuverschuldung – zusammen mit weiteren Änderungen im Haushaltsplan, die den Grund für die erhöhte Kreditaufnahme bilden – erfassen (nicht genehmigen) kann, erscheint eine rückwirkende Erhöhung der Kreditermächtigung zweifelhaft. Wenn zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Nachtragshaushaltsgesetzes die entsprechenden Kredite bereits de facto (aufgrund der fortgeltenden Kreditermächtigungen der Vorjahre) aufgenommen worden sind, kann die Erhöhung der Ermächtigung für das entsprechende Haushaltsjahr nur mehr den Sinn haben, die Restermächtigung zu erhöhen, die dann gem. § 18 Abs. 3 S. 1 BHO i. V. m. § 2 Abs. 9 HG im nächsten Haushaltsjahr in Anspruch genommen werden soll. Zwar können Kreditermächtigungen gem. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG grundsätzlich durch beliebige „Bundesgesetze“ erteilt werden, doch bezweckt der von der Verfassung vorgesehene Gesetzesvorbehalt 102 Vgl. auch die entsprechende Regelung für über- und außerplanmäßige Ausgaben in § 37 Abs. 1 S. 4 Hs. 1 BHO, nach der es eines Nachtragshaushaltsgesetzes nicht bedarf, wenn die Mehrausgabe im Einzelfall einen im Haushaltsgesetz festzulegenden Betrag nicht überschreitet. Hierzu Jahndorf, DVBl. 1998, 75 [78 f.]. 103 s. hierzu oben, § 2 B. III. 4. c), S. 205 ff. 104 Vgl. auch das Vorgehen im Vollzug des Bundeshaushalts 2003, als zunächst Vorgriffsermächtigungen (§ 2 Abs. 3 HG) in Anspruch genommen wurden, die nachträglich mit der erhöhten Ermächtigung zur Nettokreditaufnahme im Nachtragshaushalt 2003 verrechnet wurden; s. hierzu Graf, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 6 [S. 13] und Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2004, S. 44 f. (= BTDs. 15/4200) und unten § 4 A. II., S. 344 ff. 105 s. oben, § 2 B. III. 4. b), S. 199 ff.
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für Kreditaufnahmen auch ein Mindestmaß an Transparenz und Öffentlichkeit. Eine Ermächtigungspraxis, die unter Berufung auf die Erfordernisse einer „kontinuierlichen Haushaltswirtschaft“ zur bloßen Formalität erstarrt, wird der hohen Bedeutung der Kreditaufnahme für die Haushalts- aber auch für die Gesamtwirtschaft (Art. 109 Abs. 2 GG) nicht gerecht. Der Gesetzgeber beraubt sich auf diese Weise seiner Budgethoheit in einem wesentlichen Bereich der staatlichen Haushaltsführung. In keinem Fall kann die exekutive „Schattenkreditwirtschaft“ aber, auch wenn sie durch § 2 Abs. 9 HG dem Grunde nach akzeptiert wird, dazu führen, dass solche Grenzen im Haushaltsvollzug überschritten werden, die der Gesetzgeber nicht einmal selbst überschreiten könnte. 3. Folgerungen für die Inanspruchnahme fortgeltender Kreditermächtigungen
Unabhängig von der Höhe der verschiedenen Kreditermächtigungen, die im Haushaltsjahr insgesamt zur Verfügung stehen, ist die Exekutive im Haushaltsvollzug an die Kreditgrenzen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG gebunden. Für die „Normallage“ bedeutet das, dass die Einnahmen aus Krediten die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten dürfen, Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG. Die Kreditgrenze knüpft zwar an die im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen an, so dass man sich streiten kann, ob ein asymmetrischer Haushaltsvollzug, der Ausgaben für Investitionen einspart, gegen Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG verstößt106. Im Hinblick auf die „Einnahmen aus Krediten“ enthält der Wortlaut des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG jedoch kein Indiz für eine solche Beschränkung auf die Phase der Haushaltsplanauf- und -feststellung. Es bestehen auch nicht die gleichen Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Einnahmen aus Krediten. Im Gegensatz zu den Ausgaben, die von den verschiedenen Ressorts dezentral bewirtschaftet werden107, ist es auch im Haushaltsvollzug möglich, die Ist-Einnahmen aus Krediten nachzuhalten und sowohl auf die Kreditermächtigung(en) i. S. d. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG als auch auf die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG anzuschreiben. Der Gesetzgeber kann – freilich nur unter teilweiser Aufgabe seines Einflusses auf wesentliche Bereiche der Haushaltswirtschaft – nahezu beliebig zur Kreditaufnahme ermächtigen; Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG bewirkt hier keine 106 Im Ergebnis ist auch hier eine Bindung zu bejahen, weil der Spielraum des Haushaltsvollzugs nicht weiter sein kann als der, den der Haushaltsgesetzgeber zur Verfügung hat, hierzu bereits oben, § 3 B. I. 3. b), S. 285 ff. 107 Vgl. zu den Schwierigkeiten einer Bindung an die Ist-Ausgaben oben § 3 B. I. 3. b) cc), S. 289 ff.
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echte Einschränkung, da er eine der Höhe nach bestimmbare Ermächtigung durch Bundesgesetz ausreichen lässt. Der Gesetzgeber kann es aber nicht zulassen oder gar fordern, dass Einnahmen aus Krediten über die Grenze der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen hinaus zum Ausgleich des Haushalts herangezogen werden, Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG. Während zur Zeit der Haushaltsrechtsreform 1968/69 die auf die Nettoneuverschuldung bezogenen Kreditermächtigungen weit unter der (geplanten) Investitionsgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG lagen108, so dass das Problem einer etwaigen Überschreitung der Kreditgrenze bei der Neufassung des Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG und der §§ 13 Abs. 2 HGrG, 18 Abs. 3 BHO nur theoretisch bestand und ignoriert werden konnte, sind die Haushalte der letzten Jahre zunehmend an diese Grenze vorgedrungen oder haben diese überschritten. Eine Ausweitung der Ermächtigung, die der kontinuierlichen Kreditwirtschaft dienen soll109, kann aber keinesfalls die auf das einzelne Haushaltsjahr bezogene Kreditgrenze aushebeln. Die Kreditermächtigung, die im jeweiligen Haushaltsjahr zur Verfügung steht, ist – wie sie sich auch immer zusammensetzt – verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass eine Kreditaufnahme immer nur zu einer Nettoneuverschuldung führen darf, die die Grenzen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG einhält. Ist eine solche verfassungskonforme Auslegung nicht möglich, weil die Gesamtermächtigung aus aktueller Kreditermächtigung (§ 2 Abs. 1 HG) und Restermächtigung (§§ 18 Abs. 3 S. 1 BHO, 2 Abs. 9 HG) zum Ausgleich des Haushalts nötig ist (bei einem entsprechend hohen Finanzierungssaldo), sind der die Kreditgrenze überschreitende Haushaltsvollzug, aber auch die gesetzliche Regelung wegen Verstoßes gegen Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG verfassungswidrig. Die Verfassungswidrigkeit bezieht sich dabei auf die Kreditermächtigung des laufenden Jahres (§ 2 Abs. 1 HG) und den entsprechenden Ansatz im Haushaltsplan für „Einnahmen aus Krediten“ (Kap. 32 01). Nach geltendem Recht ist es daher möglich, ein Kreditermächtigungspolster anzulegen (arg. e § 2 Abs. 9 HG), es ist aber nicht möglich, dieses Polster in Anspruch zu nehmen, wenn die Inanspruchnahme zu einer Überschreitung der Kreditgrenze führt oder den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nicht entspricht, Art. 115 Abs. 1 S. 2, Art. 109 Abs. 2 GG. Während der vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung lassen sich die Restermächtigungen als „sonstige Quellen“ i. S. d. Art. 111 Abs. 2 GG heranziehen, wenn die in dieser Zeit zugeflossenen Einnahmen aus Krediten in den verspäteten Haushalt eingestellt und auf die Kreditermächtigung, die sich nach den voraussichtlich (noch) erforderlichen Krediteinnahmen richtet, angerechnet werden. 108 109
Vgl. die Übersicht bei Albers, Wirtschaftsdienst 1972, 43 [48]. BT-Ds. V/3040 = BR-Ds. 284/68, S. 50 (Tz. 177).
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II. Vorgriffskreditermächtigungen (Vorratskredite) Das Gegenstück zu fortgeltenden Kreditermächtigungen stellen die sog. Vorgriffskreditermächtigungen110 dar. Eine Vorgriffsermächtigung war erstmals im Bundeshaushaltsgesetz 1983 enthalten111 und findet sich seitdem regelmäßig in § 2 Abs. 3 HG. Sie lautet typischerweise: „Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, ab Oktober des Haushaltsjahres im Vorgriff auf die Kreditermächtigung des nächsten Haushaltsjahres Kredite bis zur Höhe von 4 Prozent des in § 1 festgestellten Betrages aufzunehmen. Diese Kredite sind auf die Kreditermächtigung des nächsten Haushaltsjahres anzurechnen.“112 1. Sinn und Zweck der Vorgriffsermächtigung
Auch die Ermächtigung zur Aufnahme von Krediten im laufenden Jahr auf Rechnung des folgenden Haushaltsjahres soll einer kontinuierlichen Kreditwirtschaft dienen. Die Begründung zu § 2 Abs. 3 HG hebt hervor, dass zum Ende eines jeden Jahres kassenmäßig beträchtliche Zahlungen geleistet werden müssten, die jedoch haushaltsmäßig als Ausgaben des neuen Haushaltsjahres zu behandeln seien. Aus kreditpolitischen Erwägungen und aus Gründen der Wirtschaftlichkeit werde dem Haushaltsvollzug mit der Ermächtigung die Möglichkeit gegeben, günstige Situationen am Kreditmarkt flexibel zu nutzen.113 110
Zu weiteren Bezeichnungen dieser Haushaltspraxis s. Diller, FinArch 44 (1986), S. 55 [55 f.]: „Kreditmehreinnahme“, „Vorratskredit“, „Finanzierungsvorlauf“, „Vorratsfinanzierung“, „Finanzierungsüberhang“, „Kreditübertrag“, „Überdeckung“. 111 Erstmals im Gesetzgebungsverfahren aufgrund der Ergänzungsvorlage zum Entwurf des Haushaltsgesetzes 1983 (BT-Ds. 9/1920) v. 5.11.1982 (BT-Ds. 9/2050, S. 3); § 2 Abs. 3 HG 1983 v. 20.12.1982 (BGBl. I, S. 1811). – Zuvor wurden Vorratskredite, ohne eine spezielle Vorgriffskreditermächtigung aufgrund von Restkreditermächtigungen(!) aufgenommen, vgl. Diller, FinArch 44 (1986), S. 55 [68]. Kredite für Ausgaben des Haushaltsjahres 1979 wurden also aufgrund fortgeltender Ermächtigungen des Jahres 1977 (oder früherer Jahre) im Jahr 1978 aufgenommen. Im Jahr 1982 bestand eine solche Möglichkeit erstmals nicht mehr, da das entsprechende „Ermächtigungspolster“ aufgebraucht war, vgl. Diller, FinArch 44 (1986), S. 55 [73]. 112 § 2 Abs. 3 HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346). 113 BT-Ds. 9/2050, S. 8; zuletzt BT-Ds. 15/150, S. 13. In den Begründungen zu den Haushaltsgesetzen seit 2004 fehlt der Bezug zu den „Ausgaben des neuen Haushaltsjahres“. So lautet die Begründung zu § 2 Abs. 3 HG 2004 nur noch: „Aus kreditpolitischen Erwägungen und aus Gründen der Wirtschaftlichkeit eröffnet die Ermächtigung die Möglichkeit, ab Oktober des Haushaltsjahres den Kreditmarkt flexibel zu nutzen“, BT-Ds. 15/1500, S. 15; BT-Ds. 15/3660, S. 13; BT-Ds. 16/750, S. 15; BT-Ds. 16/2300, S. 13. Zum Hintergrund s. Bundesrechnungshof, Bemerkun-
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Die Kreditaufnahme aufgrund des § 2 Abs. 3 HG trägt der Notwendigkeit von Vorausfinanzierungen Rechnung und ist dementsprechend auf die Kreditermächtigung des kommenden Jahres anzurechnen114. Auch die Einnahmen aus Krediten, die tatsächlich bereits im laufenden Haushaltsjahr eingehen, aber wirtschaftlich dem kommenden Jahr zuzurechnen und in diesem zu buchen sind, müssen daher auf die Kreditgrenze (Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG) desjenigen Jahres angerechnet werden, für das die Kreditaufnahme erfolgt. Sie können den Spielraum für die Nettoneuverschuldung nicht erweitern115. a) Finanzierung von Ausgaben zu Beginn des Folgejahres Eine durch § 2 Abs. 3 HG ermöglichte Vorausfinanzierung kann bei solchen Ausgaben erforderlich sein, die am Anfang des nächsten Jahres fällig sind, die aber wegen der Laufzeit der Überweisungen schon am Ende des Vorjahres angewiesen werden müssen, um einen fristgerechten Eingang beim Empfänger sicherzustellen116, § 72 Abs. 4 Nr. 2 BHO117. Ein typisches Beispiel hierfür bilden die im Dezember des alten Haushaltsjahres zu leistenden Gehaltszahlungen für den Januar des Folgejahres118, § 72 Abs. 4 gen 2004, S. 44 ff. (= BT-Ds. 15/4200); Graf, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 6. 114 Diller, Jonglieren mit Kreditermächtigungen, S. 6. 115 Missverständlich ist insoweit der Begriff „Vorratskredite“. Die auf § 2 Abs. 3 HG gestützte Kreditaufnahme wird nicht haushaltsüberschüssig verwendet (so aber wohl Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 89) sondern ist wirtschaftlich dem folgenden Haushaltsjahr zuzurechnen. 116 Diller, Jonglieren mit Kreditermächtigungen, S. 7; vgl. auch BT-Ds. 9/2050, S. 8. 117 § 72 Abs. 4 BHO lautet: „Für das neue Haushaltsjahr sind zu buchen: 1. Einnahmen, die im neuen Haushaltsjahr fällig werden, jedoch vorher eingehen; 2. Ausgaben, die im neuen Haushaltsjahr fällig werden, jedoch wegen des fristgerechten Eingangs beim Empfänger vorher gezahlt werden müssen; 3. im voraus zu zahlende Dienst-, Versorgungs- und entsprechende Bezüge sowie Renten für den ersten Monat des neuen Haushaltsjahres“. 118 Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2004, S. 44 (= BT-Ds. 15/4200); vgl. auch die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage v. 19.2.1982, BT-Ds. 9/1374, S. 3: „Nach § 72 Abs. 4 BHO sind Ausgaben. die im Januar 1982 fällig werden, jedoch wegen des fristgerechten Eingangs beim Empfänger schon Ende Dezember gezahlt werden müssen, als Ausgaben des neuen Haushaltsjahres zu buchen. Dieses Verfahren umfasst regelmäßig Auszahlungen von etwa 7 bis 8 Mrd. DM, insbesondere Gehälter und Pensionen, Zuschüsse an die Rentenversicherungsträger, Tilgungen. Diese Zahlungsvorgänge betreffen also nicht den Abschluss des jeweiligen Haushaltsjahres. Sie sind für dessen Analyse und Bewertung auch schon deshalb ohne Bedeutung, weil die entsprechenden Ausgabemittel im nachfolgenden Haushaltsplan veranschlagt sind und sich in seinem Abschluss niederschlagen“.
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Nr. 3 BHO. Für die Kreditfinanzierung von Auszahlungen am Jahresende für zu Beginn des nächsten Jahres fällige Ausgaben ist aber der laufende Haushaltsplan nicht mehr und der nachfolgende Haushaltsplan noch nicht maßgebend119. Falls die im Januar (§ 72 Abs. 4 Nr. 3 BHO) zu leistenden Ausgaben zumindest teilweise aus Kreditmitteln gedeckt werden sollen, kann es daher durchaus sachgerecht sein, für die Finanzierung nicht auf kurzfristige Kassenverstärkungskredite zurückzugreifen, nur um die Aufnahme der nötigen Deckungskredite bis zum Inkrafttreten der eigentlichen Kreditermächtigung für das entsprechende Haushaltsjahr hinauszuzögern. Der Gesetzgeber hat das Recht, zur Kreditaufnahme gemäß Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG auch im Voraus zu ermächtigen, solange die Trennung nach Haushaltsjahren nicht durchbrochen, und die auf das einzelne Jahr bezogene Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG nicht umgangen wird, weil die Einnahmen aus Krediten für das neue Haushaltsjahr gebucht werden und in diesem zur Deckung von Ausgaben dienen. Allerdings ist es erstaunlich, dass § 2 Abs. 3 HG die Aufnahme von Krediten, die der Deckung von Ausgaben im Januar des nächsten Jahres dienen sollen, schon ab Oktober, d.h. drei Monate vor dem Fälligkeitstermin, zulässt120 – Inlandsüberweisungen sind gem. § 676a Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BGB „binnen drei Bankgeschäftstagen“ zu bewirken. b) Wirtschaftlichkeit einer verfrühten Kreditaufnahme? Ebenso verwunderlich ist auf den ersten Blick die Annahme, dass – so die Begründung zu § 2 Abs. 3 HG121 – eine verfrühte Aufnahme von Krediten dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entspricht. Grundsätzlich müssen Ausgaben, die erst in späteren Haushaltsjahren anfallen, durch eine Kreditaufnahme in jenem Haushaltsjahr finanziert werden. Sie können keine vorsorgliche Kreditaufnahme in früheren Jahren rechtfertigen, für die bereits ab diesem (früheren) Zeitpunkt Zinsen anfallen. Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen ausgeführt, dass eine Kreditaufnahme im Regelfall dem Wirtschaftlichkeitsgebot widerspricht, wenn ihr in dem Haushaltsjahr, auf das sie sich bezieht, kein entsprechender Ausgabenbedarf gegenübersteht122. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass – etwa aufgrund voraussichtlich steigender Zinssätze – eine Aufnahme langfristiger Kredite gegen Ende des 119
Diller, FinArch 44 (1986), S. 55 [77]. Krit. auch bereits Diller, FinArch 44 (1986), S. 55 [65]. 121 Vgl. z. B. BT-Ds. 9/2050, S. 8; BT-Ds. 16/2300, S. 13: „aus Gründen der Wirtschaftlichkeit“. 122 VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [283]. 120
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alten Jahres tatsächlich zu wirtschaftlicheren Konditionen erfolgen kann als eine Kreditaufnahme zu Beginn des neuen Jahres. Möglich ist es auch, dass die Aufnahme langfristiger Deckungskredite, mit denen Ausgaben des neuen Jahres finanziert werden sollen, wirtschaftlicher ist als eine Zwischenfinanzierung durch kurzfristige Kassenverstärkungskredite123. Es ist nicht der Sinn und Zweck von Kassenverstärkungskrediten, den Zeitraum zwischen der an sich gebotenen Finanzierung von Ausgaben durch Deckungskredite einerseits und der Verfügbarkeit der entsprechenden Kreditermächtigung andererseits zu überbrücken, wenn dieser Finanzierungsbedarf – wie im Fall der Ausgaben i. S. d. § 72 Abs. 4 Nr. 2 und 3 BHO – weder kurzfristig noch unvorhersehbar ist.124 Für den Fall, dass tatsächlich schon im laufenden Jahr Zahlungen geleistet werden müssen, um einen rechtzeitigen Zufluss beim Empfänger sicherzustellen, scheint eine „Durchbrechung“ der zeitlichen Grenzen des Haushaltsjahres durch § 2 Abs. 3 HG daher vertretbar zu sein, wenn (und weil) sie letztlich zu einer periodengerechten Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben führt. Geht man davon aus, dass – bis auf weiteres – alle Haushalte zu einem gewissen Grad durch Deckungskredite finanziert sind, ist es, solange durch die frühere Kreditaufnahme kein Zinsschaden eintritt, auch zulässig Krediteinnahmen umzubuchen125. Einerseits sind Krediteinnahmen anders als andere Einnahmen berechenbar; andererseits kommt es wegen des Grundsatzes der Gesamtdeckung (§§ 8 S. 1 BHO, 7 S. 1 HGrG) zwischen den Haushaltsjahren nicht darauf an, ob Steuereinnahmen oder Krediteinnahmen zur Finanzierung verwandt werden. 2. Missbrauch von Vorgriffsermächtigungen
Wird die Vorgriffsermächtigung des § 2 Abs. 3 HG auf „normale“ Art und Weise in Anspruch genommen, also zur Finanzierung von Ausgaben i. S. d. § 72 Abs. 4 Nr. 2 und 3 BHO, so führt sie nicht zu einem „finanziellen Fettpölsterchen“126 sondern, weil die Kreditaufnahme auf die Kreditermächtigung des nächsten Haushaltsjahres angerechnet wird, § 2 Abs. 3 S. 2 HG, und auch die Ausgaben für das neue Jahr zu buchen sind, § 72 123
Vgl. aber LT-Ausschussprotokoll (NRW) 13/951, S. 7. Diller, FinArch 44 (1986), S. 55 [73]. 125 Vgl. aber den (anders zu bewertenden) Fall einer kreditfinanzierten Rücklage (unten § 4 C., S. 365 ff.), bei der die Kredite nicht auf Rechnung des Folgejahres aufgenommen und auf die Kreditermächtigung dieses Jahres angerechnet sondern noch im alten Jahr als „Einnahmen aus Krediten“ gebucht werden, was die Kreditgrenze im Folgejahr schont. 126 Diller, FinArch 44 (1986), S. 55 [65] m. Hinw. auf FR Nr. 285 v. 9.12.1981, S. 7. 124
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Abs. 4 Nr. 2 und 3 BHO, nur zu einer periodengerechten Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben. Auch § 2 Abs. 3 HG scheint dem Haushaltsvollzug jedoch Umgehungsmöglichkeiten zu bieten: Nach den Feststellungen des Bundesrechnungshofs hat das Bundesministerium der Finanzen im Haushaltsjahr 2003 Vorgriffskreditermächtigungen i. H. v. 8 Mrd. e in Anspruch genommen, da die ursprünglich veranschlagten Kreditermächtigungen im Haushaltsvollzug nicht ausreichten und der Nachtragshaushalt mit den höheren Ermächtigungen zur Nettokreditaufnahme erst im Februar 2004 verabschiedet wurde. Ein Großteil der in Anspruch genommenen Vorgriffskreditermächtigung wurde zur Deckung von Ausgaben eingesetzt, die dem Haushaltsjahr 2003 zuzurechnen waren. Die in Anspruch genommene Vorgriffskreditermächtigung wurde dann nachträglich mit der durch den Nachtragshaushalt 2003 erhöhten Ermächtigung zur Nettokreditaufnahme „verrechnet“.127 Hierzu hat das Bundesministerium der Finanzen die Auffassung vertreten, die Vorgriffskreditermächtigung sei, auch wenn sie zur Deckung von Ausgaben bei der Haushaltsführung 2003 gedient habe, rechtmäßig in Anspruch genommen worden. Nach dem Gesetzeswortlaut könnten Vorgriffskreditermächtigungen ab Oktober eines laufenden Haushaltsjahres ohne Einschränkungen genutzt werden128. Dem kann schon dann nicht gefolgt werden, wenn man (nur) das einfache Recht zugrunde legt. Die Vorgriffskreditermächtigung in § 2 Abs. 3 HG ist keine ab Oktober des jeweiligen Haushaltsjahres ohne Einschränkungen zusätzlich nutzbare Kreditermächtigung, die zu dem Kreditermächtigungsrahmen des § 2 Abs. 1 HG, der die Nettokreditaufnahme des Haushaltsjahres festlegt, hinzutritt129. Bereits nach dem Wortlaut stellt die Kreditermächtigung in § 2 Abs. 3 HG einen „Vorgriff auf die Kreditermächtigung des nächsten Haushaltsjahres“ dar. Aus diesem Grund sind die Kredite gem. § 2 Abs. 3 S. 2 HG „auf die Kreditermächtigung des nächsten Haushaltsjahres anzurechnen“. Die Kreditermächtigung des nächsten Haushaltsjahres ist aber keineswegs identisch mit der im nächsten Haushaltsjahr durch einen verspäteten Nachtragshaushalt130 erhöhten Kreditermächtigung für das abgelaufene Haushaltsjahr. Die Ermächtigung des § 2 Abs. 3 HG dient – auch wenn die Gesetzesbegründung seit 2004 (!) diesen Passus nicht 127 Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2004, S. 44 [sub 1.4.2.2.1] (= BT-Ds. 15/4200). 128 Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2004, S. 44 f. [sub 1.4.2.2.3] (= BT-Ds. 15/4200). 129 So zu Recht Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2004, S. 45 [sub 1.4.2.2.4] (= BT-Ds. 15/4200). 130 Art. 1 Nr. 2 NHG 2003 (G. v. 18.2.2004, BGBl. I, S. 222).
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mehr enthält131 – nur der Finanzierung solcher Ausgaben, die zum Ende eines jeden Jahres anfallen, aber haushaltsmäßig als Ausgaben des neuen Haushaltsjahres zu behandeln sind132. Anderenfalls läge kein „Vorgriff“ vor, und auch die Anrechnung der aufgenommenen Kredite auf die Kreditermächtigung des nächsten Haushaltsjahres wäre durch nichts zu rechtfertigen. Die Höhe dieser Ermächtigung ist nämlich (nur) auf den Finanzierungssaldo des Haushaltsplans für das neue Jahr abgestimmt und darf demzufolge nicht durch die Kreditfinanzierung von solchen Ausgaben vermindert werden, die haushaltsmäßig einem früheren Jahr zuzuordnen sind. Da eine gesetzliche Grundlage für die Aufnahme der Kredite somit nicht bestand, und erst durch einen rückwirkenden Nachtragshaushalt geschaffen wurde, liegt zudem ein Verstoß gegen Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG vor133.
B. Kreditfinanzierte Überschüsse Sollen keine Ermächtigungen zur Aufnahme von Krediten, sondern direkt die Einnahmen aus Krediten in das folgende Haushaltsjahr vorgetragen werden, besteht die Möglichkeit der Bildung eines kreditfinanzierten kassenmäßigen Überschusses im Haushaltsvollzug. Auf diese Weise können bestehende Spielräume in Haushalten genutzt werden, um für folgende Haushaltsjahre „vorzusorgen“ und mit Hilfe von Krediteinnahmen aus früheren Jahren solche Haushalte auszugleichen, in denen eine Erhöhung der Kreditaufnahme wegen der verfassungsrechtlichen Grenzen in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG voraussichtlich nicht mehr möglich ist. Durchgeführt wurde ein solches Verfahren in den nordrhein-westfälischen Haushalten 1999 und 2000134. Der Landeshaushalt 1999 schloss (erstmals135) 131
BT-Ds. 15/1500, S. 15, s. bereits oben, Fn. 113 (S. 344). So auch Graf, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 18 BHO, Anm. 6 [S. 13]. 133 Hierzu bereits ausführlich oben, § 2 B. III. 4. c), S. 205 ff. 134 VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278–290 (= NWVBl. 2003, 419–425 = NVwZ 2004, 217–220); Birk, Sparen auf Pump, in: FS Selmer, S. 589 ff.; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 32. Zum weiteren Problem der „kreditfinanzierten Rücklage“ siehe noch unten, § 4 C., S. 365 ff. – Vgl. für eine schematische Darstellung der kombinierten Überschussund Rücklagenwirtschaft in den nordrhein-westfälischen Haushalten 1999–2002 Anhang 3, S. 407. 135 In der Regel wird ein Überschuss durch Umbuchung von Einnahmen aus Krediten in das folgende Haushaltsjahr vermieden, s. hierzu noch unten, § 4 B. II., S. 362 ff. Vgl. auch Landesrechnungshof NRW, Jahresbericht 2001, S. 242 f.: „bisherige Praxis zum Ausgleich des Haushalts“; NWLT-Vorl. 13/79, S. 3; Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 25 BHO, Anm. 1; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 25 BHO, Anm. 5; Morell, Bundeshaushalt, § 25 BHO, Rn. 2. 132
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
mit einem Überschuss von 792,0 Mio. DM ab136, im Rechnungsjahr 2000 wies der Landeshaushalt sogar einen kassenmäßigen Überschuss i. H. v. 1636,0 Mio. DM aus137. I. Kassenmäßige Überschüsse bei kreditfinanzierten Haushalten Der vor Beginn des Rechnungsjahres gesetzlich festzustellende Haushaltsplan, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG, ist in Einnahme und Ausgabe auszugleichen, Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG. Er enthält aber seinem Wesen nach nur Schätzungen. Veränderungen der wirtschaftlichen und rechtlichen Lage im Laufe des Haushaltsjahres führen deshalb zu gewissen Widersprüchen zwischen den im Haushaltsplan veranschlagten Beträgen und der tatsächlichen kassenmäßigen Entwicklung. Die Verwaltung ist zwar gem. § 34 Abs. 1 BHO verpflichtet, (Steuer-)Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben. Sie ist aber nicht gezwungen, die veranschlagten Beträge auch auszugeben. Vielmehr ist der Haushaltsvollzug grundsätzlich gehalten, Ausgaben nur soweit und nicht eher zu leisten, als sie zur wirtschaftlichen und sparsamen Verwaltung erforderlich sind, § 34 Abs. 2 BHO. Es kann138 daher im Haushaltsvollzug – trotz eines in Einnahme und Ausgabe ausgeglichenen Haushaltsplans, Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG – zu kassenmäßigen Überschüssen kommen, wenn die tatsächlich eingegangenen Einnahmen (Ist-Einnahmen) die tatsächlich geleisteten Ausgaben (Ist-Ausgaben) übersteigen, § 25 Abs. 1 BHO. Zu unterscheiden ist dieser kassenmäßige Überschuss, der sich allein aufgrund einer Abweichung der Ist-Zahlen von den formal ausgeglichenen (Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG) Soll-Beträgen des Haushaltsplans ergibt, von dem echten „Haushaltsüberschuss“. Von 136 Kassen- und Haushaltsabschluss 1999 v. 24.10.2000, I 2-1709-1, NWLT-Vorlage 13/210 (A6), S. 1. Dabei wurden – nach den Feststellungen des Landesrechnungshofs – Kredite in Höhe von 2970,4 Mio. DM im so genannten Auslaufzeitraum aufgenommen, also dem Zeitraum zwischen Jahresende und Abschluss der Bücher nach § 76 LHO. In derselben Zeit wurden Ausgaben in Höhe von rd. 257 Mio. DM zu Lasten des Haushaltsjahres 1999 geleistet. Außer zur Deckung dieser Ausgaben und zum Ausweis des Überschusses wurden die aufgenommenen Kreditmarktmittel zur haushaltsmäßigen Abdeckung von bis dahin kassenmäßig auf andere Weise (z. B. durch Kassenverstärkungskredite) finanzierten Ausgaben verwendet. Der Überschuss des Haushaltsjahres 1999 wurde im Jahr 2000 der allgemeinen Rücklage zugeführt. Der Finanzminister hat dies damit begründet, dass Vorsorge für im Haushaltsjahr 2001 erwartete Steuermindereinnahmen getroffen werden sollte, Landesrechnungshof NRW, Jahresbericht 2001, S. 241 f. 137 Kassen- und Haushaltsabschluss 2000 v. 28.9.2001, I 2-1709-1, LT-Vorlage 13/960 (A6), S. 1. 138 s. aber unten § 4 B. II., S. 362 zur „Spitzabrechnung“ der Krediteinnahmen im Bundeshaushalt.
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
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diesem kann man nur dann sprechen, wenn der Haushalt ohne Nettoneuverschuldung auskommt, und bereits die regulären Einnahmen die Ausgaben übersteigen. Bei einem solchen Haushaltsüberschuss stellt sich die Frage einer Umgehung der verfassungsrechtlichen Kreditgrenzen, die auf die Nettoneuverschuldung bezogen sind, naturgemäß nicht. Im Fall einer zumindest anteiligen Kreditfinanzierung des Haushalts (Nettoneuverschuldung > 0) lässt sich ein Überschuss für den zeitlichen Transfer von Krediteinnahmen nutzen. Es sind zwei Varianten denkbar: Zum einen können investive Ausgaben teilweise steuerfinanziert sein und/ oder Einsparungen bei konsumtiven Ausgaben erfolgen, so dass die Investitionsgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG im Vollzug eingehalten wird. Zum anderen lässt sich ein kreditfinanzierter Überschuss aber auch im Rahmen des bereits oben139 dargestellten asymmetrischen Haushaltsvollzugs erwirtschaften, indem Investitionsausgaben nicht geleistet, die im Haushaltsplan veranschlagten und von der Kreditermächtigung umfassten Kredite aber dennoch aufgenommen werden, ohne dass diesen Einnahmen aus Krediten überhaupt Ausgaben gegenüberstehen140. Wenn es in diesem Fall zu einer Überschreitung der Kreditgrenze kommt, ist die Bildung des Überschusses im Haushaltsvollzug bereits aus den oben genannten Gründen verfassungswidrig und verstößt (im Jahr der Bildung) gegen Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG. Folgt man der oben vertretenen Auffassung, dass eine Überschreitung der Kreditgrenze durch den Haushaltsvollzug im Folgejahr als Fehlbetrag zu behandeln ist141, so heben sich Überschuss und Fehlbetrag gegenseitig rechnerisch auf. Da der Fehlbetrag aber gem. § 25 Abs. 3 S. 2 BHO durch Einnahmen aus Krediten nur gedeckt werden darf, soweit die Möglichkeiten einer Kreditaufnahme nicht ausgeschöpft sind (d.h. die Investitionsgrenze noch nicht erreicht ist), kann die „Gestaltung“ hier nicht funktionieren. Einerseits würde ein Verfassungsverstoß im Folgejahr nur durch einen Verfassungsverstoß im laufenden Haushaltsjahr ermöglicht, andererseits verbliebe aufgrund der Verrechnung kein Überschuss, der zur Finanzierung der Ausgaben des Haushalts, für den die „Vorsorge“ geplant war, dienen kann. Auch im nordrhein-westfälischen Beispiel der Bildung eines kassenmäßigen Überschusses in den Haushaltsjahren 1999 und 2000 wurde die Investitionsgrenze im Vollzug eingehalten und nicht überschritten142. Im Beispiels139
Vgl. § 3 B. I. 3. b), S. 285 ff. Im Beispiel oben [§ 3 B. I. 3. b), S. 285 ff.] muss hingegen kein Überschuss entstehen, wenn man unterstellt, dass die Einnahmen aus Krediten kassenmäßig durch konsumtive Ausgaben verbraucht werden oder entsprechende Steuermindereinnahmen ersetzen. 141 s. oben, § 3 B. I. 3. b) dd), S. 292 ff. 140
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
fall erschien daher eine echte Vorsorge „für die Steuerreform 2001“ möglich, in deren Folge erhebliche Steuermindereinnahmen erwartet wurden, die nicht mehr durch eine im Rahmen der Investitionsgrenze liegende Nettoneuverschuldung hätten aufgefangen werden können143. 1. Bedeutung des Gesamtdeckungsprinzips, §§ 8 S. 1 BHO, 7 S. 1 HGrG?
Wenn für spätere Haushaltsjahre „vorgesorgt“ werden soll, ist letztlich nur derjenige Fall verfassungsrechtlich bedenklich, in dem Kreditmittel für den Ausweis eines Überschusses genutzt werden und auf diese Weise „Einnahmen aus Krediten“ in das folgende Jahr übertragen werden. Die Bildung eines Überschusses aus Steuer(mehr-)einnahmen müsste demgegenüber ohne weiteres zulässig sein. Sie kann vor allem nicht gegen Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG verstoßen, da die Investitionsgrenze nur „Einnahmen aus Krediten“, nicht aber die übrigen Einnahmen zum Gegenstand hat. a) „Kreditfinanzierter Überschuss“: Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben? Für die Frage, ob eine Umgehung der Kreditgrenzen durch die Bildung von Überschüssen überhaupt vorstellbar ist, scheint es also darauf anzukommen, ob sich der kassenmäßige Überschuss aus Krediteinnahmen oder aber anderen (regulären) Einnahmen zusammensetzt. Vor diesem Hintergrund erklärt es sich, dass das nordrhein-westfälische Finanzministerium im Fall der Jahresabschlüsse für 1999 und 2000 die kassenmäßigen Überschüsse mit „Steuermehreinnahmen“ (1999)144 bzw. mit „Minderausgaben im Länderfinanzausgleich“, „Minderausgaben im Personalbereich“, „Steuermehreinnahmen“ und „weiteren Minderausgaben“ (2000)145 begründet hat. Demgegenüber hat der Landesrechnungshof ver142 Vgl. für den Haushalt 1999 Landesrechnungshof NRW, Jahresbericht 2001, S. 52 (Ist-Investitionen: 7,4 Mrd. DM; Ist-Nettoneuverschuldung: rd. 5 Mrd. DM); für den Haushalt 2000 Landesrechnungshof NRW, Jahresbericht 2002, S. 54 (Ist-Investitionen: 7,5 Mrd. DM; Ist-Nettoneuverschuldung: rd. 6,9 Mrd. DM). 143 Vgl. die Pressemitteilungen des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen v. 18.2.2000 und v. 23.8.2000; hierzu Birk, BdSt NW Nr. 20, S. 1 f. und Dorn, VR 2004, 119 [120]. 144 Siehe die Begründung zum Entwurf des nordrhein-westfälischen Nachtragshaushaltsgesetzes 2000 v. 30.8.2000 (zu Kap. 20 020, Titel 361 00), NWLT-Ds. 13/150, S. 123: „Der Überschuss stammt aus den Steuermehreinnahmen des Jahres 1999“. 145 Jahresabschluss 2000 v. 15.2.2001, 2300/00-I A 5, NWLT-Vorlage 13/483 (A6), S. 2 f.: „Um für zukünftige Haushaltsrisiken, die sich nach wie vor aus der
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
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sucht, an Hand der Buchungen bzw. Zahlungen im sog. Auslaufzeitraum146 des Jahres 1999 den Nachweis zu erbringen, dass „ein Haushaltsüberschuss durch die Aufnahme von Krediten gebildet wurde.“147 Beide Ansätze sind indes nicht unproblematisch. Gemäß § 8 S. 1 BHO (§ 7 S. 1 HGrG) dienen alle Einnahmen als Deckungsmittel für alle Ausgaben. Es ist daher nicht nur in tatsächlicher Hinsicht schwierig festzustellen, aus welchen Mitteln sich ein Überschuss zusammensetzt, der am Ende eines Haushaltsjahres verbleibt148. Es ist zudem rechtlich unmöglich, eine Aussage darüber zu treffen, ob ein Überschuss aus Minderausgaben, Steuermehreinnahmen oder zusätzlichen Einnahmen aus Krediten entstanden ist, weil gar nicht feststeht (bzw. feststehen darf), aus welchen Einnahmen die Ausgaben des Haushalts im Einzelnen bestritten wurden. Vor dem Hintergrund des Gesamtdeckungsprinzips gibt es grundsätzlich weder „steuerfinanzierte Investitionen“ noch „kreditfinanzierte Überschüsse“. Aus diesem Grund knüpft auch Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG die zulässige Höhe der Einnahmen aus Krediten nur an die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen. Eine Zuordnung von einzelnen Krediteinnahmen und Investitionsausgaben findet – schon aus praktischen Gründen149 – nicht statt. b) Gesamtdeckungsprinzip bei Bildung eines Überschusses im Auslaufzeitraum Man würde es sich aber zu leicht machen, wenn man unter Hinweis auf den Grundsatz der Gesamtdeckung (§§ 8 S. 1 BHO, 7 S. 1 HGrG) die ExisSteuerreform und/oder den eventuellen Belastungen durch die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs ergeben, Vorsorge zu treffen, ist vorgesehen, in Höhe der im Jahr 2000 angefallenen Haushaltsverbesserung von 1636 Mrd. DM einen Haushaltsüberschuss zu bilden“. 146 Unter dem „Auslaufzeitraum“ versteht man die Zeitspanne zwischen dem Ende des Haushaltsjahres (31.12.) und dem jährlichen Abschluss der Bücher (§ 76 Abs. 1 BHO), nach dem Einnahmen oder Ausgaben nicht mehr für das abgelaufene Haushaltsjahr gebucht werden dürfen (§ 76 Abs. 2 BHO). Für das Haushaltsjahr 1999 wurden die Bücher (in NRW) am 3.3.2000 abgeschlossen, vgl. Landesrechnungshof NRW, Jahresbericht 2001, S. 241. 147 Landesrechnungshof NRW, Jahresbericht 2001, S. 241 f.: „Gegen Ende des Auslaufzeitraums stand fest, dass die aufgenommenen Kredite nicht in voller Höhe zur Deckung der Ausgaben des Landes im Haushaltsjahr 1999 benötigt wurden. Das FM wäre daher gehalten gewesen, entweder die Kreditaufnahme zu drosseln oder – wie es seiner bisherigen Praxis zum Ausgleich des Haushalts entsprach –, den überschießenden Kreditanteil in Höhe von 792 Mio. DM auf das Haushaltsjahr 2000 zu buchen“. 148 Vgl. Birk, Sparen auf Pump, in: FS Selmer, S. 589 [589, 591 f.]. 149 s. hierzu bereits oben, § 2 A. III. 1. a), S. 44 f.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
tenz „kreditfinanzierter Überschüsse“ gänzlich leugnete. Aus dem Gesamtdeckungsprinzip folgt zwar, dass ein bestehender Überschuss, der „versehentlich“ aus der fehlenden Synchronisierung der Ist-Zahlen eines Haushalts mit den Soll-Ansätzen entsteht, nicht ohne weiteres als kreditfinanziert oder auch als teilweise kreditfinanziert (etwa anteilig im Verhältnis der Krediteinnahmen zu den übrigen Einnahmen150) anzusehen ist. Betrachtet man jedoch nicht nur das statische Ergebnis der Haushaltsrechnung sondern auch die haushaltswirtschaftlichen Vorgänge, die zur Entstehung bzw. Bildung eines Überschusses geführt haben, so lässt sich nicht nur die Existenz kreditfinanzierter Überschüsse belegen sondern gerade aus dem Non-Affektationsprinzip auch die Unzulässigkeit einer Kreditaufnahme zum Zwecke der Überschussbildung ableiten. Das Gesamtdeckungsprinzip („Alle Einnahmen dienen als Deckungsmittel für alle Ausgaben“) setzt nämlich voraus, dass Ausgaben gedeckt werden, was gerade nicht der Fall ist, soweit ein Überschuss gebildet wird. Gemäß § 18 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BHO bestimmt das Haushaltsgesetz, bis zu welcher Höhe das Finanzministerium Kredite zur Deckung von Ausgaben aufnehmen darf. Durch § 2 Abs. 1 des jährlichen Haushaltsgesetzes wird diese Kreditermächtigung „zur Deckung von Ausgaben für das Haushaltsjahr“151 erteilt. Im Fall der Bildung eines Überschusses stehen den Einnahmen aus Krediten jedoch keine Ausgaben gegenüber, die einer Deckung bedürfen. § 25 Abs. 1 BHO definiert den kassenmäßigen Überschuss als Unterschied zwischen den tatsächlich eingegangenen Einnahmen und den tatsächlich geleisteten Ausgaben. Bei einem Überschuss handelt es sich daher nicht um „Ausgaben“, sondern um das Ergebnis der die Ausgaben übersteigenden Einnahmen. Die Kreditermächtigung des Haushaltsgesetzes darf aber nur in Anspruch genommen werden, um Ausgaben für das entsprechende Haushaltsjahr zu decken. Im Laufe und vor allem zu Beginn des Haushaltsjahres ist zwar regelmäßig noch nicht abzusehen, in welcher Höhe auf im Haushaltsplan veranschlagte Krediteinnahmen möglicherweise verzichtet werden kann. Am Ende des Haushaltsjahres stehen diese Beträge jedoch fest. Gemäß § 72 Abs. 2 BHO sind grundsätzlich alle Zahlungen für das Haushaltsjahr zu buchen, in dem sie eingegangen oder geleistet worden sind. Nur ausnahmsweise werden Zahlungen, die im abgelaufenen Haushaltsjahr fällig waren, jedoch erst später eingehen oder geleistet werden, für das abgelaufene Haushaltsjahr gebucht, solange die Bücher noch nicht abgeschlossen sind, 150 Zur Berücksichtigung der „Kreditfinanzierungsquote“ im Zusammenhang mit der Veräußerung von Investitionsgütern vgl. bereits oben, § 3 B. I. 2. b) cc), S. 282 f. 151 Hierzu oben, § 4 A. I. 1., S. 315.
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§§ 72 Abs. 3, 76 Abs. 2 BHO. Für die in besonderem Maße Schwankungen unterworfenen Steuereinnahmen verbleibt es gem. § 72 Abs. 5 BHO bei der Grundregel der Buchung im Haushaltsjahr des Eingangs, § 72 Abs. 2 BHO. Werden Kredite also nach Abschluss des Haushaltsjahres aufgenommen aber vor dem Abschluss der Bücher für dieses Haushaltsjahr gebucht (im sog. Auslaufzeitraum), so müssen diesen Krediten im selben Zeitraum noch entsprechende Ausgaben gegenüber stehen. Der Auslaufzeitraum eines Haushaltsjahres dient vor allem der Buchung fälliger Beträge, die erst nach Ende des Haushaltsjahres eingehen oder geleistet werden; er dient der Abwicklung noch offener haushaltwirtschaftlicher Vorgänge. Wenn der Haushaltsvollzug in Nordrhein-Westfalen also – wie der Landesrechnungshof in seinem Jahresbericht für das Haushaltsjahr 1999 festgestellt hat, in der Zeit vom 1. 1. 2000–3. 3. 2000 (Auslaufzeitraum 1999) Kredite i. H. v. 2 970,4 Mio. DM aufgenommen aber in derselben Zeit nur Ausgaben in Höhe von rd. 257 Mio. DM zu Lasten des Haushaltsjahres 1999 geleistet hat152, wird augenfällig, dass ein Überschuss bis zum 31. 12. 1999 noch nicht bestanden haben kann sondern erst nach Ende des Haushaltsjahres, also zu einem Zeitpunkt in dem jedenfalls die Höhe der Steuereinnahmen bereits feststand, bewusst „gebildet“ worden ist. Den Einnahmen aus Krediten standen im nordrhein-westfälischen Haushalt 1999 weder einzelne, noch bei einer Gesamtbetrachtung des Haushalts (vgl. die Definition in § 25 Abs. 1 BHO) überhaupt Ausgaben gegenüber. Die §§ 2 Abs. 1 HG, 18 Abs. 2 Nr. 1 BHO, 13 Abs. 1 Nr. 1 HGrG, die eine Kreditaufnahme „zur Deckung von Ausgaben“ vorsehen, lassen sich daher auch unter Berücksichtigung des Gesamtdeckungsgrundsatzes in § 8 S. 1 BHO (= § 7 S. 1 HGrG) nicht für die gezielte Bildung eines Überschusses nutzen. Das Verbot der Zweckbindung von Einnahmen des § 8 S. 1 BHO soll eine bevorzugte Deckung von Ausgaben durch zweckgebundene Einnahmen ausschließen, um zu verhindern, dass Ausgaben nur deshalb geleistet werden, um Einnahmen ihrer beschränkten Zweckbestimmung zuzuführen, oder ggf. nicht geleistet werden können, solange und soweit die zweckgebundenen Einnahmen nicht eingehen153. § 8 S. 1 BHO unterbindet die sog. „Fondswirtschaft“ (Prinzip der Einzeldeckung) und trägt dadurch in besonderem Maße der Verantwortung des Parlaments bei der Ausübung seines Budgetbewilligungsrechts für den Gesamthaushalt Rechnung. Das Non-Affektationsprinzip hat aber nicht die Zulässigkeit der Mittelvereinnahmung zum Gegenstand. Es setzt seiner Konzeption nach bestehende, also bereits zugeflossene bzw. gem. § 34 Abs. 1 BHO noch zu erhe152 153
Landesrechnungshof NRW, Jahresbericht 2001, S. 241 f. Mießen, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 8 BHO, Anm. 1.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
bende Einnahmen voraus. Das Argument der Austauschbarkeit verschiedener prinzipiell gleichwertiger Einnahmequellen kann daher nur im Falle eines sich zufällig ergebenden, unvorhersehbaren kassenmäßigen Überschusses überzeugen. Der Grundsatz der Gesamtdeckung in § 8 S. 1 BHO lässt sich aber niemals als Begründung für eine zusätzliche Vereinnahmung nicht benötigter Kreditmittel heranziehen154. Auf der Einnahmenseite sind – das gilt jedenfalls für den Haushaltsvollzug155 – in erster Linie die regulären Einnahmen zum Haushaltsausgleich heranzuziehen156. § 34 Abs. 1 BHO normiert die Verpflichtung, diese Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben, unabhängig davon, ob sie im Haushaltsplan überhaupt oder in entsprechender Höhe veranschlagt sind. Aus der Kreditermächtigung in § 2 Abs. 1 HG (vgl. §§ 18 Abs. 2 Nr. 1 BHO, 13 Abs. 1 Nr. 1 HGrG) und der Kreditbegrenzung in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG folgt wiederum, dass Kredite nur dann in Anspruch genommen werden sollen, wenn die regulären Einnahmen nicht mehr zur Deckung der Ausgaben des laufenden Haushaltes ausreichen157. Dieses Verständnis liegt auch dem einfachen Haushaltsrecht zugrunde, wenn z. B. in § 13 Abs. 4 Nr. 2 BHO (§ 10 Abs. 4 Nr. 2 HGrG) die Verpflichtung ausgesprochen wird, Einnahmen aus Krediten im Finanzierungssaldo auszuweisen. Die Kreditaufnahme ist bei der Einnahmeerzielung im Haushaltsvollzug lediglich subsidiär158.
154
So auch VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [286]. Der Haushaltsgesetzgeber hat in den Grenzen der Art. 115 Abs. 1 S. 2, 109 Abs. 2 GG letztlich ein Wahlrecht, ob er seine regulären Einnahmen steigern will (z. B. durch Steuererhöhungen) oder Ausgaben durch Krediteinnahmen vorfinanzieren will. Der Haushaltsvollzug ist insoweit durch § 34 Abs. 1 und 2 BHO gebunden. Zweck des § 34 BHO ist die Förderung eines wirtschaftlichen Haushaltsvollzuges, der Krediteinnahmen möglichst vermeidet, Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 34 BHO, Anm. 2; Helm, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 34 BHO, Anm. 2; siehe auch bereits oben § 4 A. I. 2. b) cc), S. 325. 156 Vgl. zur Subsidiarität der Kreditaufnahme Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 61; Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: FS Friauf, S. 705 [796]; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 87 ff.; Pünder, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 55 ff. 157 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 61. 158 Vgl. auch Stern, StaatsR II, § 50 III 10 b g, S. 1250, der allerdings wohl auch die Haushaltsgesetzgebung einbeziehen und letztlich dem Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG ein Gebot zum materiellen Haushaltsausgleich entnehmen will; hierzu bereits oben, § 2 A. III. 3., S. 57 ff. Vgl. im Hinblick auf die Vorratskreditaufnahme auch Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 90. Die staatliche Kreditaufnahme dürfe aber nicht unter den Vorbehalt der Ausschöpfung sämtlicher Steuerressourcen gestellt werden, ebd., S. 91. 155
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
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2. Einfach-rechtliche Fiktion der Kreditfinanzierung
Nicht immer lässt sich die Entstehung bzw. Bildung eines Überschusses so einfach nachvollziehen. Es ist gerade vor dem Hintergrund bestehender Unsicherheiten bei der Steuereinnahmeentwicklung gegen Ende eines jeden Jahres (z. B. Schwankungen bei der Umsatzsteuerabrechnung, bilanzpolitische Maßnahmen der Unternehmen zum Jahresende) möglich, dass für erforderlich gehaltene Kreditaufnahmen wegen günstiger Marktlagen bereits erfolgt sind, mit diesen Mitteln auch schon Ausgaben gedeckt wurden aber noch „überschießende“ Steuereinnahmen eingehen, so dass am Ende des Haushaltsjahres ein (unbeabsichtigter) Überschuss verbleibt. Will man diesen Überschuss bewerten, so sind – in dem durchaus realistischen Fall, dass die Nettoneuverschuldung die Höhe des Überschusses übersteigt – grundsätzlich drei Varianten denkbar: Es kann ein aus „regulären“ Einnahmen finanzierter Überschuss angenommen werden, der im Folgejahr auch als reguläre „Einnahme aus Überschüssen“ (Obergruppe 36) zur Verfügung stünde. Es kann ein vollständig „kreditfinanzierter“ Überschuss fingiert werden, der im folgenden Haushaltsjahr als „Einnahme aus Krediten“ auf die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG und die Kreditermächtigung des Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG anzurechnen wäre. Schließlich ließe sich auch eine „Mischfinanzierung“ annehmen, bei der die Zusammensetzung des Überschusses nach dem Anteil der Kreditfinanzierung des gesamten Haushaltsvolumens bemessen werden könnte. In allen diesen Fällen würde es sich jedoch um eine Fiktion handeln, die in Abgrenzung zum Gesamtdeckungsgrundsatz haushaltsrechtlich zu begründen wäre; die tatsächliche Zusammensetzung des Überschusses kann ohnehin nur in Ausnahmefällen (z. B. bei einer Kreditaufnahme im Auslaufzeitraum) ermittelt werden. a) Subsidiarität der Kreditaufnahme im Haushaltsvollzug Teilweise wird angenommen, dass sich eine solche Fiktion der Kreditfinanzierung bereits aus den Vorgaben der Finanzverfassung ergebe. Die Zuordnung des Überschusses zu den Krediteinnahmen folge aus der verfassungsrechtlichen Wertung, dass Steuern und Kredite nicht gleichrangig nebeneinander stünden und Überschüsse deshalb nicht proportional gewichtet werden dürften. Ein Überschuss müsse immer als auf Krediteinnahmen beruhend angesehen werden, da auch der Haushalt immer teilweise kreditfinanziert sei.159 159 Birk, Sparen auf Pump, in: FS Selmer, S. 589 [592]; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 92. Ähnlich auch Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 57.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
Ob dem Verfassungsrecht die Wertung entnommen werden kann, dass Kredite immer nachrangig sind160, erscheint in dieser Allgemeinheit fraglich. Zwar zielt Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG grundsätzlich auf eine Beschränkung der Staatsverschuldung, jedoch ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehindert, Krediteinnahmen und Steuereinnahmen gleichrangig zur Staatsfinanzierung heranzuziehen. Mit der Unterscheidung zwischen einem ordentlichen und einem außerordentlichen Haushalt ist für den Bereich der Haushaltsplanung auch die „Subsidiarität“ der Kreditaufnahme, die nur für außerordentliche Bedarfe erfolgen durfte161, weggefallen. Kredite sind nach der Konzeption des Grundgesetzes, allerdings nur soweit die Grenzen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG und die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts i. S. d. Art. 109 Abs. 2 GG beachtet werden, normale „Einnahmen“ zur Finanzierung staatlicher Aufgaben. Die Entscheidung, ob eine Finanzierung zu Lasten der Gegenwart (Steuern) oder zu Lasten der Zukunft (Kredit) erfolgen soll, obliegt – in den durch Art. 115 Abs. 1 S. 2 und Art. 109 Abs. 2 GG gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen – dem demokratisch gewählten Gesetzgeber162. Dennoch lässt sich auch verfassungsrechtlich begründen, dass ein kassenmäßiger Überschuss stets in vollem Umfange als kreditfinanziert zu gelten hat. Der Gesetzgeber ist gem. Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet, den Haushalt in Einnahme und Ausgabe auszugleichen; er darf also keinen Überschuss planen. Bei der Haushaltsplanung müssen nach den Grundsätzen der Haushaltswahrheit und der Vollständigkeit des Haushalts, Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG, die im Haushaltsjahr zu erwartenden Einnahmen und voraussichtlich zu leistenden Ausgaben sorgfältig und realitätsgerecht geschätzt werden. Bei der Ermächtigung zur Aufnahme von Krediten muss sich der Gesetzgeber wiederum daran orientieren, in welcher Höhe die Einnahmen aus Krediten voraussichtlich erforderlich sind, um den Haushaltsausgleich (formell) herzustellen und sämtliche Ausgaben des Haushaltsplans zu decken. Die Krediteinnahmen ergeben sich als „Finanzierungssaldo“ der (übrigen) Einnahmen und Ausgaben des Haushaltsplans, § 13 160
Vgl. Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 87 ff.; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 55 ff. 161 Vgl. Art. 115 S. 1 GG a. F.: „Im Wege des Kredites dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken und nur aufgrund eines Bundesgesetzes beschafft werden“; s. auch Wendt/ Elicker, VerwArch 2004, 471 [476 f.]. 162 Vgl. bereits Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rn. 63: „Zwischen beiden Möglichkeiten gibt es keine Subsidiaritätsgesichtspunkte. Es sind allein politische Entscheidungen, ob und wie weit ein Finanzierungsdefizit über Steuererhöhungen oder über Kreditaufnahme ausgeglichen werden soll“; s. aber auch ebd., Rn. 61: „Kredite [sollen] nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die regulären Einnahmen nicht mehr ausreichen“.
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Abs. 4 Nr. 2 BHO (= § 10 Abs. 4 Nr. 2 HGrG). Wäre der kassenmäßige Überschuss also für den Gesetzgeber vorhersehbar, müsste dieser, um seinen Verpflichtungen aus Art. 110 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG im Rahmen der Haushaltsplanung nachzukommen, die Einnahmen aus Krediten entsprechend reduzieren. Da Kredite nur zur Deckung von Ausgaben aufgenommen werden dürfen, die übrigen Einnahmen gem. § 34 Abs. 1 BHO aber auch ohne einen Bedarf rechtzeitig und vollständig zu erheben sind, spricht auch einfach-rechtlich einiges dafür, unabhängig von den tatsächlichen Buchungsvorgängen immer eine Kreditfinanzierung des Überschusses anzunehmen. Sieht man von Sonderfällen ab, in denen bereits die staatliche Kreditaufnahme als solche bestimmte volkswirtschaftliche Effekte bewirken soll, dienen Kredite immer der Deckung von Ausgaben des laufenden Haushaltsplans. Der Sinn der Kreditaufnahme ergibt sich aus dem Finanzierungssaldo des Haushalts. Werden Kredite nicht benötigt, muss die Kreditaufnahme unterbleiben. Ist sie bereits erfolgt, weil die Aufnahme von Krediten, die sich erst nachträglich als unnötig herausstellt, zunächst (aus Ex-ante-Sicht) als zweckmäßig erscheinen musste, wandelt sich aber nicht die rechtliche Wertung. Sie überträgt sich vielmehr auf das folgende Haushaltsjahr: Im folgenden Jahr kann eine Kreditaufnahme in Höhe des Überschusses unterbleiben, weil bereits Mittel aus Krediten zur Verfügung stehen. b) Verwendung von Überschüssen, § 25 Abs. 2 BHO Der kassenmäßige Überschuss eines Jahres wird regelmäßig erst nach dem jährlichen Abschluss der Bücher, § 76 BHO, im Verlauf des nächsten Haushaltsjahres festgestellt163. Wegen der Vorherigkeit der Haushaltsplanung kann der Überschuss also nicht mehr in die Planung dieses (Folge-)Jahres einfließen. Dennoch muss das Parlament als Inhaber des Budgetrechts über die Verwendung des Überschusses entscheiden164. Aus diesem Grunde ist die Verwendung eines kassenmäßigen Überschusses in § 25 Abs. 2 BHO dauergesetzlich geregelt. Nach § 25 Abs. 2 S. 1 BHO ist ein Überschuss insbesondere zur Verminderung des Kreditbedarfs oder zur Tilgung von Schulden zu verwenden oder der Konjunkturausgleichsrücklage zuzuführen. Wird der Überschuss zur Schuldentilgung verwendet oder der Konjunkturausgleichsrücklage zugeführt, ist er in den nächsten festzustellenden Haushaltsplan einzustellen, § 25 Abs. 2 S. 2 BHO. Die in § 25 Abs. 2 S. 1 BHO erwähnte Möglichkeit einer Verminderung des Kreditbe163
Vgl. Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 25 BHO, Anm. 2. BVerfG v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [38]; Birk, Haushaltsplanung und Haushaltsvollzug, in: FS Hoppe, S. 285 [293]. 164
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
darfs wird in § 25 Abs. 2 S. 2 BHO ausgeklammert, dafür aber in § 81 Abs. 4 BHO aufgegriffen. Gem. § 81 Abs. 4 BHO ist in den Fällen des § 25 Abs. 2 BHO die Verminderung des Kreditbedarfs zugleich mit dem Nachweis des Überschusses darzustellen, also bereits in der Haushaltsrechnung mit anzugeben. § 81 Abs. 4 BHO stellt somit auf den Fall ab, dass ein voraussichtlich entstehender Überschuss bereits im abgelaufenen Haushaltsjahr zu einer Verringerung der Kreditaufnahmen geführt hat.165 Die Bezugnahme auf die „Fälle des § 25 Abs. 2“ in § 81 Abs. 4 BHO bedeutet, dass der Überschuss als kassenmäßiges Jahresergebnis für das Haushaltsjahr, in dem er entstanden ist, sogleich zur Verminderung des Kreditbedarfs dieses Jahres verwendet worden ist, also keiner Einstellung in den nächsten festzustellenden Haushaltsplan bedarf.166 Zeichnet sich bereits während des Haushaltsjahres ein Überschuss ab, so ergibt sich daher aus § 25 Abs. 2 S. 1 BHO für den Haushaltsvollzug die Pflicht, die Kreditaufnahme zu drosseln, um ein kassenmäßig ausgeglichenes Jahresergebnis zu erzielen167 – sie korrespondiert mit der verfassungsrechtlichen Pflicht im Rahmen der Haushaltsauf- und -feststellung, den Haushaltsplan in Einnahme und Ausgabe auszugleichen, Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG, und ist gegenüber der Alternative einer Übertragung der Mittel in folgende Haushaltsjahre aufgrund des Prinzips der Trennung nach Haushaltsjahren, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG168, vorzuziehen. Wird ein Überschuss erst im Jahresabschluss also nach Abschluss der Haushaltsrechnung ermittelt, so lässt sich dem § 25 Abs. 2 BHO weiterhin die Grundwertung entnehmen, dass Überschüsse (wie Fehlbeträge) der „Sphäre“ der Kreditfinanzierung zuzurechnen sind. Gem. § 25 Abs. 3 S. 2 BHO darf ein Fehlbetrag durch Einnahmen aus Krediten nur gedeckt werden, soweit die Möglichkeiten einer Kreditaufnahme nicht ausgeschöpft sind. Diese Regelung ist im Zusammenhang mit Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG und der Nettoveranschlagung der Krediteinnahmen zu sehen. Aus § 25 Abs. 3 S. 1 BHO folgt nicht, dass der Fehlbetrag in Form eines gesonderten Ausgabetitels in den Haushaltsplan einzustellen ist. Vielmehr ist die Fehlbetragsdeckung der Schuldentilgung gleichzusetzen und gem. § 15 Abs. 1 S. 2 BHO „in der Weise in den Haushaltsplan einzustellen, dass die Ausgabe zur Deckung des Fehlbetrags als Tilgungsausgabe von den Krediteinnahmen vorweg abgezogen wird“169. Hieraus lässt sich ableiten, dass auch ein Überschuss bei einem zumindest teilweise kreditfinanzierten Haushalt 165
Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 25 BHO, Anm. 3 a. E. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 81 BHO, Anm. 5. 167 Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 25 BHO, Anm. 3; Patzig, Haushaltsrecht, C/25/11. 168 s. hierzu bereits ausführlich oben, § 2 B. I. 2. d), S. 104 und § 3 B. I. 3. c), S. 294 ff. 166
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im Hinblick auf die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG den Einnahmen aus Krediten gleichzustellen ist. Bestätigt wird dieser Befund systematisch durch die Verwendungsalternativen des § 25 Abs. 2 BHO für Überschüsse. Zwar sind die dort genannten Verwendungen (Verminderung des Kreditbedarfs, Schuldentilgung, Rücklagenzuführung) grundsätzlich gleichrangig und, wie sich aus der Formulierung „insbesondere“ ergibt, nicht abschließend zu verstehen170. Der Überschuss kann also auch zur Deckung von Ausgaben des Haushalts verwendet werden171. Da in den Haushalten aber regelmäßig alte Schulden getilgt, d.h. zumindest umgeschuldet werden müssen, ermöglicht der Überschuss auf diese Weise wiederum eine Tilgung, die einer Verminderung der Nettoneuverschuldung in gleicher Höhe entspricht, so dass wegen der freiwerdenden Mittel – aufgrund des Gesamtdeckungsprinzips – im Folgejahr eine „Verminderung des Kreditbedarfs“ erreicht wird172. Die Verwendungsmöglichkeiten des § 25 Abs. 2 BHO sind damit nicht nur gleichrangig173 sondern letztlich wegen § 8 S. 1 BHO identisch. Durch den Überschuss werden Mittel frei, die sonst anderweitig gebunden wären; die Verwendung des Überschusses lässt sich regelmäßig ebenso wenig nachhalten wie seine Entstehung. Wenn aber § 25 Abs. 2 BHO dennoch nach seinem Wortlaut eine Verwendung fordert, die die Nettoneuverschuldung im laufenden oder folgenden Jahr vermindert, so folgt hieraus systematisch, dass der Überschuss als „Einnahme aus Krediten“ zu werten und als solcher auf die Kreditgrenze anzurechnen ist. § 25 BHO dient dem Zweck, Schulden zu vermeiden, Schulden zu tilgen oder Mittel anzusammeln, die im Falle eines konjunkturpolitischen Bedürfnisses an Stelle einer erhöhten Kreditaufnahme eingesetzt werden können (§ 6 Abs. 2 S. 3 StabG); gleichzeitig soll eine Verschleierung des Haushaltsergebnisses und Schuldenstandes verhindert werden174. Dieser Zweck kann aber nur erreicht werden, wenn die 169 Schriftlicher Bericht des Abgeordneten Dr. Althammer zu BT-Ds. V/4378 und V/4379, S. 11; teilweise abgedruckt bei Morell, Bundeshaushalt, § 25, Rn. 1. 170 Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 25 BHO, Anm. 3; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 25 BHO, Anm. 3; Patzig, Haushaltsrecht, C/25/11. 171 Explizit in diesem Sinne etwa § 25 Abs. 2 LHO NW: „Ein Überschuss ist zur Verminderung des Kreditbedarfs oder zur Tilgung von Schulden zu verwenden oder einer Rücklage nach § 62 zuzuführen. Ein danach noch verbleibender Überschuss ist in den nächsten festzustellenden Haushaltsplan als Einnahme einzustellen“. 172 Vgl. Patzig, Haushaltsrecht, C/25/11. Vgl. auch bereits § 75 S. 2 RHO (G. v. 31.12.1922, RGBl. 1923 II, S. 17): „Ein Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben des ordentlichen Haushalts ist zur Verminderung des Anleihebedarfs oder zur Schuldentilgung zu verwenden“. 173 Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 25 BHO, Anm. 3; Patzig, Haushaltsrecht, C/25/11; Birk, Sparen auf Pump, in: FS Selmer, S. 589 [593]. 174 Morell, Bundeshaushalt, § 25, Rn. 2.
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„Einnahmen aus Überschüssen“ auch im Folgejahr ihren Charakter als „Einnahmen aus Krediten“ nicht verlieren und nicht durch die Übertragung „reingewaschen“ werden. Anderenfalls würden Krediteinnahmen eines Jahres im folgenden Jahr in reguläre Einnahmen verwandelt, obwohl der Kreditermächtigung im ersten Jahr keine Ausgaben gegenüberstehen und im zweiten Jahr möglicherweise die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG bereits ausgereizt ist, so dass eine weitere Kreditfinanzierung dieses Haushalts eigentlich nicht möglich wäre. II. Spitze Abrechnung der Krediteinnahmen zum Jahreswechsel Auf Bundesebene wird seit 1968 ein kassenmäßiger Fehlbetrag oder Überschuss dadurch vermieden, dass aufgrund eines Haushaltsvermerks bei Kap. 32 01 (Einzelplan 32) die Umbuchung von Einnahmen aus Krediten zwischen den Haushaltsjahren zugelassen wird175. Der Vermerk lautet: „Einnahmen aus Kreditaufnahmen dürfen in das folgende Haushaltsjahr umgebucht werden. Desgleichen dürfen am Anfang des folgenden Haushaltsjahres eingehende Einnahmen aus Kreditaufnahmen noch zugunsten des abzuschließenden Haushaltsjahres gebucht oder umgebucht werden.“176
Dieses Vorgehen entspricht zwar nicht der in § 25 Abs. 2 BHO vorgesehenen – recht komplizierten – Verfahrensweise, es verstößt aber auch nicht gegen die Vorgaben der BHO, da das jährliche Haushaltsgesetz insoweit lex specialis und lex posterior ist177 und die Anwendung des § 25 Abs. 2 175 Ähnliche Regelungen finden sich auch auf Länderebene, siehe z. B. den Vermerk zu Kap. 20 650 (Einzelplan 20) des nordrhein-westfälischen Haushalts 2007, http://fm.fin-nrw.de/info/fachinformationen/haushalt/havinfo/hh2007.ges/doku/e20/ kap650.pdf, S. 76. Auch in den Landeshaushalten 1999 und 2000 war dieser Vermerk enthalten, wurde aber im Haushaltsvollzug nicht genutzt. 176 Vgl. z. B. HG 2007 (G. v. 21.12.2006, BGBl. I, S. 3346), Einzelplan 32, Kap. 32 01, online unter: http://www.bundesfinanzministerium.de/bundeshaushalt 2007/pdf/epl32/s320100000.pdf. Dieses Vorgehen zur Herstellung eines kassenmäßigen Ausgleichs ist von dem oben (§ 3 B. I. 3. b) dd), S. 292) vorgeschlagenen Weg zur Abwicklung einer Überschreitung der Investitionsgrenze in Folge eines asymmetrischen Haushaltsvollzugs zu unterscheiden. Die Überschreitung der Grenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG im Vollzug ist auch bei einem kassenmäßig ausgeglichenen Haushalt möglich, wenn Krediteinnahmen für konsumtive Ausgaben verwendet werden. Es sind daher Fälle denkbar, in denen beide Buchungen zu kombinieren sind. 177 s. hierzu bereits oben, § 2 A. II., S. 38 ff. Eine dem § 25 Abs. 2 BHO entsprechende Vorschrift enthält das auch den Gesetzgeber bindende (o. § 2 A. IV. 2., S. 72 ff.) HGrG nicht. Nähme man – entgegen der hier vertretenen Auffassung – eine Bindung des Haushaltsgesetzgebers an die BHO an, ließe sich der Haushaltsvermerk zu Kap. 32 01 aber auch auf die Ausnahmeklausel in § 72 Abs. 6 BHO stützen. Danach können Ausnahmen von der in den Absätzen 2 bis 4 des § 72 BHO
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BHO vorwegnimmt. Vor allem aber führt die Umbuchung, soweit sie auf die Vermeidung kassenmäßiger Überschüsse oder Fehlbeträge beschränkt wird, zu einer durchaus eleganten Lösung des Problems kreditfinanzierter Überschüsse. Durch die im Haushaltsplan vorgesehene Spitzabrechnung der Einnahmen aus Krediten wird nämlich zum einen das soeben gefundene Ergebnis bestätigt, nach dem kassenmäßige Überschüsse rechtlich immer als kreditfinanziert angesehen werden müssen178. Zum anderen erreicht die Umbuchung von Krediteinnahmen in das folgende Haushaltsjahr auch eine korrekte Zuordnung dieser Einnahmen, die dann als „Einnahmen aus Krediten“ – nicht als „Einnahmen aus Überschüssen“ – auf die Kreditermächtigung des § 2 Abs. 1 HG (i. V. m. Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG) anzuschreiben sind und auch im Rahmen der Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG erfasst werden können. Auf diese Weise lässt sich sicherstellen, dass in beiden Haushaltsjahren die auf das einzelne Jahr bezogene Investitionsgrenze eingehalten wird und den Einnahmen aus Krediten entsprechende Ausgaben für Investitionen gegenüberstehen. Da die Umbuchung bereits zu Beginn des neuen Haushaltsjahres erfolgt (im Auslaufzeitraum des vorigen Jahres), ist es ohne weiteres möglich, die Aufnahme von Krediten entsprechend anzupassen, um einen Verstoß gegen die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG im Haushaltsvollzug des neuen Jahres zu vermeiden. Führte die Umbuchung der Krediteinnahmen allerdings zu einem Verstoß gegen Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG – diese Gefahr besteht bei einer Buchung zugunsten des abzuschließenden Haushaltsjahres (Rücktrag) –, so muss sie (insoweit) unterbleiben. Einnahmen aus Krediten haben dann in diesem Haushaltsjahr keinen „Platz“ mehr, so dass ein echter Fehlbetrag übrig bleibt. War die Investitionsgrenze in diesem Jahr schon aufgrund asymmetrischen Haushaltsvollzugs überschritten, so erhöht sich der auf das folgende Jahr zu übertragende fiktive Fehlbetrag179 um den hinzutretenden echten kassenmäßigen Fehlbetrag. Führt die Umbuchung der Krediteinnahmen eines Jahres zu einer Überschreitung der Investitionsgrenze im Folgejahr, ist § 25 Abs. 3 S. 2 BHO zu beachten, wonach ein Fehlbetrag durch Einnahmen aus Krediten nur gedeckt werden darf, soweit die Möglichkeiten einer Kreditaufnahme nicht ausgeschöpft sind. vorgenommenen zeitlichen Zuordnung der Einnahmen und Ausgaben im Haushaltsplan zugelassen werden. 178 Es werden nur Einnahmen aus Krediten umgebucht. Würde der Gesetzgeber davon ausgehen, dass auch „steuerfinanzierte Überschüsse“ möglich sind, müssten zur Vermeidung eines kassenmäßigen Überschusses konsequenterweise auch (ggf. anteilig) Steuereinnahmen umgebucht werden. 179 s. oben § 3 B. I. 3. b) dd), S. 292 ff.
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III. Zeitliche Streckung des Bedarfs durch Fehlbeträge Durch die Bildung kassenmäßiger Überschüsse können die Grenzen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG nicht umgangen werden. Der Überschuss gälte stets als kreditfinanziert, wird aber in der Haushaltspraxis bereits dadurch vermieden, dass Krediteinnahmen in das Folgejahr umgebucht werden. Da die Einnahmen aus Krediten aber dort auf die Kreditermächtigung und -grenze (Art. 115 Abs. 1 S. 1 u. 2 GG) angerechnet werden (müssen), kann eine Saldierung von Krediteinnahmen und Investitionsausgaben über die Haushaltsjahre hinweg nicht erfolgen. Zwar werden tatsächlich Krediteinnahmen zwischen den Haushaltsjahren umgebucht, jedoch werden diese Einnahmen rechtlich den „richtigen“ Jahren zugeordnet, so dass aufgrund der Anrechnung die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die staatliche Kreditaufnahme nicht umgangen werden. Im umgekehrten Fall jedoch, in dem die Einhaltung der Kreditgrenze im aktuellen Jahr nicht möglich erscheint, man aber davon ausgeht, dass im folgenden Jahr haushaltswirtschaftliche Spielräume für die Kreditfinanzierung bestehen werden, wäre eine „Gestaltung“ denkbar. Bereits oben ist darauf hingewiesen worden, dass eine Überschreitung der Investitionsgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG im Haushaltsvollzug, die teilweise aus haushaltspraktischen Gründen nicht verhindert werden kann, durch die Buchung eines (fiktiven) Fehlbetrages auszugleichen ist180. Vermeidet man die Überschreitung der Kreditgrenze im Haushaltsvollzug, indem die entsprechenden (Deckungs-)Kredite nicht aufgenommen werden, so führt dies bei ansonsten gleich bleibenden Beträgen zu einem echten kassenmäßigen Fehlbetrag i. S. d. § 25 Abs. 1, 3 BHO (§ 17 HGrG). Eine Umbuchung von Krediteinnahmen gemäß dem Haushaltsvermerk zu Kap. 32 01 („[A]m Anfang des folgenden Haushaltsjahres eingehende Einnahmen aus Kreditaufnahmen [dürfen] noch zugunsten des abzuschließenden Haushaltsjahres gebucht oder umgebucht werden“) kommt hier insoweit nicht in Betracht, als eine Umbuchung zur Überschreitung der Investitionsgrenze (im Vollzug) führte. Somit ist der Fehlbetrag nach § 25 Abs. 3 BHO (§ 17 HGrG) zu behandeln: Er „ist spätestens in den Haushaltsplan für das zweitnächste Haushaltsjahr einzustellen [und] darf durch Einnahmen aus Krediten nur gedeckt werden, soweit die Möglichkeiten einer Kreditaufnahme nicht ausgeschöpft sind“. Das bewusste Entstehenlassen eines Fehlbetrages könnte folglich zum gewünschten Ergebnis einer Verteilung des Kreditbedarfs über mehrere Jahre hinweg führen. Wenn im nächsten oder (spätestens) zweitnächsten 180
s. § 3 B. I. 3. b) dd), S. 292 ff.
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Haushaltsjahr die Investitionsgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG nicht erreicht wird, können die erforderlichen Deckungskredite in diesem Jahr aufgenommen werden, um den kassenmäßigen Fehlbetrag des Vorjahres zu decken. Ausgaben des letzten oder zweitletzten Haushaltsjahres können mit Krediten des laufenden Haushaltsjahres finanziert werden. Dies entspricht aber seinerseits einer Kreditfinanzierung bzw. kommt einer Kreditaufnahme gleich: Der Haushaltsvollzug nimmt letztlich einen „Kredit“ bei dem folgenden (oder zweitnächsten) Haushaltsjahr auf – er „leiht“ in der Zukunft. Abhilfe ist hier nur schwer denkbar; das Potenzial dieser „Umgehung“ ist allerdings dadurch begrenzt, dass die tatsächlich abfließenden Ausgaben durch Kassenverstärkungsmittel vorfinanziert werden müssen. Zudem lässt das Bestehen eines kassenmäßigen Fehlbetrags – auch öffentlich – die kritische Haushaltslage offenbar werden. Es wird nicht, wie im Fall des Überschusses, „vorausschauend für die Zukunft vorgesorgt“; vielmehr muss ein durch den fehlerhaften Haushaltsvollzug entstandenes „Haushaltsloch nachträglich gestopft“ werden. Als sinnvolles „Gestaltungsmittel“ kommt das „Erwirtschaften“ eines kassenmäßigen Fehlbetrags daher kaum jemals ernsthaft in Betracht.
C. Kreditfinanzierte Rücklagen Der Haushaltsplan ist gem. Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG in Einnahme und Ausgabe auszugleichen181. Die Bildung von (kassenmäßigen) Überschüssen oder Fehlbeträgen ist daher nur im Haushaltsvollzug möglich, der, wenn die Abweichungen planvoll vor- oder zumindest bewusst in Kauf genommen werden, gegen die Vorgaben von Haushaltsgesetz und -plan verstößt. Sollen Mittel auf sichererer Grundlage oder über einen längeren Zeitraum gespeichert und in folgende Haushaltsjahre vorgetragen werden, so hält das Haushaltsrecht hierfür die Möglichkeit der Bildung einer Rücklage bereit. Auch Einnahmen aus Krediten ließen sich auf diese Weise in zukünftigen Haushaltsjahren nutzen. Erachtet man ein solches Vorgehen auch bei teilweise kreditfinanzierten Haushalten für zulässig, so stünden die Kreditmittel in folgenden Haushaltsjahren als „Einnahmen aus Rücklagen“ zur Verfügung, wären als solche weder auf die Kreditermächtigung des Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG noch auf die Kreditgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG an181
Vgl. Art. 79 Abs. 1 S. 2 BaWüVerf; Art. 101 Abs. 2 S. 4 BbgVerf; Art. 66 Abs. 1 S. 2 HmbVerf; Art. 61 Abs. 1 S. 3 M-VVerf; Art. 65 Abs. 1 S. 2 NdsVerf; Art. 81 Abs. 2 S. 3 VerfNW; Art. 116 Abs. 1 S. 2 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 2 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 2 SächsVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 2 VerfLSA; Art. 50 Abs. 1 S. 2 SchlHVerf; Art. 98 Abs. 1 S. 3 ThürVerf.
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zuschreiben und könnten so die haushaltswirtschaftlichen Spielräume in diesen Jahren erweitern. I. Zulässigkeit der Bildung von Rücklagen Unter Rücklagen versteht man im öffentlichen Haushaltsrecht Geldbestände, die aus der jährlichen Haushaltswirtschaft ausgeschieden wurden, um der Aufgabenerfüllung in näherer oder fernerer Zukunft zu dienen.182 Während Rücklagen im kommunalen Haushaltsrecht eine relativ große Bedeutung haben183, führen sie auf staatlicher Ebene eher ein „Schattendasein“. Auf Bundesebene existieren neben der sog. Konjunkturausgleichsrücklage gem. § 7 Abs. 1 StabG184 und der Kassenverstärkungsrücklage i. S. d. § 62 BHO (in Art. 111 Abs. 2 GG: „Betriebsmittelrücklage“), die beide im Haushaltsplan bewirtschaftet (Obergruppen 91 und 35) aber in der Haushaltspraxis kaum genutzt werden185, vor allem Rücklagen in Form von Sondervermögen, so z. B. seit 1999 die als nicht rechtsfähiges Sondervermögen errichtete Versorgungsrücklage186 zur Sicherung der Versorgungsaufwendungen i. S. d. § 14a BBesG187. 182 Faiß, in: Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis2, Band 6, S. 607; Birk, Sparen auf Pump, in: FS Selmer, S. 589 [593]. 183 Vgl. statt vieler Pünder, Haushaltsrecht im Umbruch, S. 80 ff., 231 f., 280. 184 § 7 Abs. 1 StabG (G. v. 8.6.1967, BGBl. I S. 582) lautet: „Die Konjunkturausgleichsrücklage ist bei der Deutschen Bundesbank anzusammeln. Mittel der Konjunkturausgleichsrücklage dürfen nur zur Deckung zusätzlicher Ausgaben gemäß § 5 Abs. 3 und § 6 Abs. 2 verwendet werden“. Gem. § 5 Abs. 2 StabG sollen bei einer die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit übersteigenden Nachfrageausweitung entweder Schulden getilgt oder zur Zuführung an eine Konjunkturausgleichsrücklage veranschlagt werden. Im Fall einer die Ziele des § 1 [„magisches Viereck“] gefährdenden Abschwächung der allgemeinen Wirtschaftstätigkeit sollen dann zusätzlich erforderliche Deckungsmittel zunächst der Konjunkturausgleichsrücklage entnommen werden, § 5 Abs. 3 StabG, um zusätzliche Ausgaben leisten zu können, § 6 Abs. 2 S. 1 u. 3 StabG. 185 Vgl. für die Kassenverstärkungsrücklage Güntzel, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 62 BHO; Patzig, Haushaltsrecht, C/62/4; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 62 BHO, Anm. 2. 186 Siehe das Gesetz über eine Versorgungsrücklage des Bundes (VersRücklG) v. 9.7.1998, in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.3.2007 (BGBl. I S. 482). 187 § 14a Abs. 1 S. 1 BBesG lautet: „Um die Versorgungsleistungen angesichts der demographischen Veränderungen und des Anstiegs der Zahl der Versorgungsempfänger sicherzustellen, werden beim Bund und bei den Ländern Versorgungsrücklagen als Sondervermögen aus der Verminderung der Besoldungs- und Versorgungsanpassungen nach Absatz 2 gebildet.“ – Zur Problematik der Verschuldung in Sondervermögen, Art. 115 Abs. 2 GG vgl. Höfling/Rixen, in: Bonner Kommentar, Art. 115, Rn. 377 ff.; Puhl, Budgetflucht, S. 482 ff.; Weinzen, DÖV 2007, 509 ff.
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Hingegen gibt es auf Länderebene zum Teil noch weitere z. B. „allgemeine“ Rücklagen, die innerhalb des Haushalts bewirtschaftet werden und auch zur Finanzierung des allgemeinen Bedarfs herangezogen werden können188 Auf sie wird zurückgegriffen, wenn der Haushalt weder durch eine weitere Einschränkung der Ausgaben, noch durch zusätzliche Einnahmeverbesserungen ausgeglichen werden kann189. Gegen solche allgemeinen Rücklagen, die dem Haushaltsausgleich in späteren Haushaltsjahren dienen sollen, ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Im Fall eines schuldenfreien Haushalts, ist es durchaus sinnvoll, Überschüsse zu erwirtschaften und Rücklagen zu bilden, um nicht durch das Gebot zum Haushaltsausgleich zu unnötigen Ausgaben „gezwungen“ zu sein. Nimmt man aber realistischerweise einen staatlichen Haushalt an, der auf jährliche Nettoneuverschuldung angewiesen ist, so kann berechtigterweise gefragt werden, warum der Staat Mittel im Wege des Kredits aufnimmt, die er aber im aktuellen Haushaltsjahr nicht zur Deckung von Ausgaben benötigt sondern in einer Rücklage „parkt“190. Selbst wenn im Konjunkturboom (echte) Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet werden aber noch (alte) Schulden bestehen, die getilgt werden müssen, stellte sich die Frage, warum der Staat Mittel als „Guthaben“ anlegt, obwohl er alte Kredite ablösen könnte, deren Zinskosten regelmäßig nicht aus den „Guthabenzinsen“ gedeckt werden können191. II. Zuführungen von Kreditmitteln an Rücklagen Wie bei der Bildung kreditfinanzierter kassenmäßiger Überschüsse im Haushaltsvollzug besteht auch im Rahmen der im Haushaltsgesetz bzw. -plan vorgesehenen Zuführung an eine Rücklage die Schwierigkeit, die „Herkunft“ der Mittel, die in der Rücklage gespeichert werden sollen, nachzuvollziehen. 1. Gesamtdeckungsgrundsatz und Funktion der „kreditfinanzierten Rücklage“
Vor dem Hintergrund des Gesamtdeckungsgrundsatzes (§ 7 HGrG) ist eine Zuordnung der Mittel hier – soweit die Haushaltsplanung betroffen ist – 188 s. z. B. § 62 Abs. 2 LHO Bbg/NRW/Schl.-H.; § 62 S. 5 LHO Nds.; § 62 S. 1, 4 LHO LSA. 189 Giesen/Fricke, Haushaltsrecht Nordrhein-Westfalen, § 62 LHO, Rn. 3. 190 s. hierzu VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 ff. 191 Vgl. etwa Plenarprotokoll der Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen v. 8.11.2000, Prot. 13/12, S. 870 (A): „Differenz zwischen 1,5 und 2 Prozent[punkten]“; Birk, Sparen auf Pump, in: FS Selmer, S. 589 [595].
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
sogar noch schwieriger als bei der Erwirtschaftung eines Überschusses im Haushaltsvollzug192. Das gilt zum einen in tatsächlicher Hinsicht: Der Haushaltsplan findet gleichmäßig für das gesamte Haushaltsjahr Anwendung, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG. Es ist also nicht möglich, anhand von Zahlungsströmen oder Buchungen, die z. B. während des Auslaufzeitraums nach Ende des Haushaltsjahres getätigt werden, die Zusammensetzung der Mittel, die einer Rücklage zugeführt werden, nachzuhalten. Letztlich finden bei der Dotierung einer Rücklage, die im Haushalt ausgewiesen wird, gar keine „Zahlungen“ statt193. Die „Umbuchung“ ist self-executing und erfolgt praktisch schon mit der Feststellung bzw. dem Inkrafttreten des Haushaltsplans. Zum anderen lässt sich die „Kreditfinanzierung“ der Rücklage nicht ohne weiteres einfach-rechtlich begründen. Weder ist § 25 Abs. 2 BHO auf den Haushaltsplan oder auf Rücklagen anwendbar – gleiches gilt für den Haushaltsvermerk zu Kap. 32 01 – noch wäre der Haushaltsgesetzgeber überhaupt an entsprechende gesetzliche Festlegungen gebunden. Aus § 7 S. 2 HGrG, der es zulässt, Einnahmen durch Gesetz oder den Haushaltsplan auf die Verwendung für bestimmte Zwecke zu beschränken, ließe sich möglicherweise sogar ein Recht des Gesetzgebers ableiten, die Bildung der Rücklage von z. B. bestimmten Steuereinnahmen abhängig zu machen und auf diese Weise die Mittel, aus denen die Rücklage dotiert werden soll, genau zu bestimmen. Auch die Regelung in § 34 Abs. 1 BHO, nach der Einnahmen – nicht aber Krediteinnahmen – rechtzeitig und vollständig zu erheben sind194, bindet den Gesetzgeber nicht. Dieser kann grundsätzlich zwischen Steuererhöhungen oder Kreditaufnahmen wählen und die in den Haushaltsplan einzustellenden Einnahmen aus Krediten bis zur Grenze des nach Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 109 Abs. 2 GG Zulässigen erhöhen. Da die Zuführung von Mitteln an eine Rücklage – anders als ein kassenmäßiger Überschuss – im Haushaltsplan formal auch als Ausgabe zu behandeln ist (§§ 13 Abs. 3 Nr. 2 BHO, 10 Abs. 3 Nr. 2 HGrG), lässt sie sich im Rahmen eines (formell) ausgeglichenen Haushalts einplanen, so dass auch Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG keinen Rückschluss darauf zulässt, ob die Rücklage als „kreditfinanziert“ zu gelten hat. Dennoch lassen sich den haushaltsverfassungs- und staatsschuldenrechtlichen Regelungen in Art. 110 Abs. 2 S. 1 (Trennung nach Haushaltsjahren) 192
s. hierzu oben, § 4 B. I., S. 350 ff. Vgl. Dorn, VR 2004, 119 [120]; Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [479]; jeweils im Zusammenhang mit der Frage der Wirtschaftlichkeit, dazu unten § 4 C. II. 2., S. 370 ff. 194 s. hierzu oben, § 4 A. I. 2. b) cc), S. 325 f. 193
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und Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG (Kreditgrenze) Anhaltspunkte für eine Charakterisierung der Rücklagenmittel entnehmen195. Für die Annahme, dass auch eine Rücklage bei Kreditfinanzierung des Haushalts in entsprechender Höhe (d.h. Krediteinnahmen ‡ Zuführungen an Rücklagen) als durch Einnahmen aus Krediten dotiert zu gelten hat, spricht zunächst die Kausalität. Ohne entsprechende Kreditaufnahme stehen die Mittel nicht für die Dotierung der Rücklage zur Verfügung196. Vor allem aber ergibt sich die „Kreditfinanzierung“ der Rücklage aus ihrem haushaltswirtschaftlichen Zweck: Eine Rücklage ist – ähnlich wie ein kassenmäßiger Überschuss, der wegen des in Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG geforderten Haushaltsausgleichs niemals „notwendig“ sein kann – die am ehesten verzichtbare Ausgabe des laufenden Haushaltsjahres, da sie nur der Deckung von Ausgaben späterer Haushaltsjahre dienen soll. Geht man – was realistisch ist197 – davon aus, dass sowohl der Haushalt, in dem die Rücklagenzuführungen geplant sind, als auch der Haushalt, in dem die Mittel aus der Rücklage wieder entnommen werden sollen, in einer Höhe auf Einnahmen aus Krediten angewiesen sind, die die Höhe der Rücklage übersteigt, so ergibt sich, dass zur Deckung der Ausgaben eines folgenden Haushaltsjahres ohne die Ausschöpfung der Rücklage – bei gleichem Mittelbedarf im Übrigen – auf zusätzliche Kreditmittel zurückgegriffen werden müsste. Die Einnahmen aus Rücklagen ersetzen damit Krediteinnahmen, sie treten funktional an deren Stelle. Für die Bildung der Rücklage müssen bei anteilig kreditfinanzierten Haushalten Kredite in entsprechender Höhe aufgenommen werden. Sinn der Rücklage ist es, in späteren Haushaltsjahren Mittel für die Finanzierung von Ausgaben zur Verfügung zu haben. In diesen Haushalten kann daher in 195 Ähnlich auch VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [286]: „Schutzzwecke des Wirtschaftlichkeitsgebots und der Art. 81 Abs. 3, 83 S. 2 Verf NW“; a. A. Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 67a. 196 VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [286]: „[Es] ist nicht entscheidend, ob sächliche Identität zwischen den eingenommenen und den der Rücklage zugeführten Mitteln besteht. Maßgeblich ist vielmehr, dass Kredite im Umfang der Rücklagendotierungen zur Haushaltsfinanzierung beigetragen haben“. 197 So sind in dem der Entscheidung VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 ff. zugrunde liegenden Fall der allgemeinen Rücklage durch den nordrhein-westfälischen Nachtragshaushalt 2000 rd. 2,3 Mrd. DM zugeführt worden, gleichzeitig sah der Nachtrag eine Nettoneuverschuldung i. H. v. rd. 7 Mrd. DM vor (G. v. 14.11.2000, GV. NRW 2000, 692). Im Haushalt 2001 (G. v. 3.4.2001, GV. NRW 2001, 162) wurden der Rücklage rd. 2,3 Mrd. DM entnommen, gleichzeitig sah der Haushaltsplan Einnahmen aus Krediten i. H. v. rd. 6,2 Mrd. DM vor; die Summe der Ausgaben für (anrechenbare) Investitionen betrug in 2001 6,7 Mrd. DM. Zu den Motiven für die Rücklage vgl. das Plenarprotokoll der Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen v. 7.9.2000, Prot. 13/8, S. 462 (A) und v. 29.11.2000, Prot. 13/15, S. 1158 (C).
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
Höhe der Rücklagenentnahmen auf Einnahmen aus Krediten verzichtet werden. Anders gewendet: Würden in früheren Jahren keine Mittel an die Rücklage zugeführt, müsste im späteren Jahr die Kreditaufnahme ausgeweitet werden, um den Finanzierungssaldo dieses Haushalts zu decken198. Die Funktion der Rücklage besteht daher – unterstellt man in allen betroffenen Haushalten einen bestimmten Grad an Kreditfinanzierung – in einer Vorverlagerung der Kreditaufnahme199. Dies macht aber nur Sinn, wenn eine Kreditaufnahme im späteren Jahr, in dem sie zur Deckung von (echten) Ausgaben erforderlich ist, entweder aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht mehr möglich ist oder nur zu deutlich schlechteren Konditionen erfolgen kann, die entsprechend frühere Zinszahlungen rechtfertigen. Ansonsten spräche vieles dafür, den Kredit erst dann aufzunehmen, wenn er tatsächlich benötigt wird. 2. Wirtschaftlichkeit der Rücklagenbildung bei teilweiser Kreditfinanzierung
Hauptargument gegen die Bildung von Rücklagen bei teilweise kreditfinanzierten Haushalten ist die vermeintliche Unwirtschaftlichkeit dieser Maßnahme200. Es erscheint auf den ersten Blick wirtschaftlich wenig zweckmäßig, Mittel am Kreditmarkt zu leihen, die dann als „Guthaben“ angelegt werden201. Ob aber eine im Haushaltsplan vorgesehene Zuführung 198 Der Einwand, Rücklagen würden nicht zwingend eine höhere Neuverschuldung ersetzen sondern könnten auch zur Finanzierung zusätzlicher Ausgaben genutzt werden (so Gumboldt, NVwZ 2005, 36 [39]), verfängt nicht. Das Argument, nicht die Neuverschuldung sondern die Ausgaben könnten die variable Größe sein, zielt darauf, dass die Nettoneuverschuldung – unabhängig von der Rücklage – gleich bliebe; die Haushaltsplanung, insbesondere die Planung der erforderlichen Kreditaufnahme, muss aber von den geplanten Ausgaben ausgehen. Bei zusätzlichen Ausgaben würde also – gerade wegen des Gesamtdeckungsprinzips – wiederum eine (relativ) höhere Neuverschuldung nötig, um die vorgesehenen Ausgaben insgesamt zu decken. 199 Birk, Sparen auf Pump, in: FS Selmer, S. 589 [593]; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 92; implizit wohl auch Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 67b; a. A. Gumboldt, NVwZ 2005, 36 [39]. 200 Vgl. VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [Ls. 4]; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 94; Birk, Sparen auf Pump, in: FS Selmer, S. 589 [595]; Pünder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 123, Rn. 32; krit. Gumboldt, NVwZ 2005, 36 [41]; Dorn, VR 2004, 119 [120]; Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [479]; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 67c f. 201 In diesem Sinne für die Betriebsmittelrücklage etwa Güntzel, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 62 BHO: „Die Vorschrift dürfte jedoch wirtschaftlich gesehen kaum jemals sinnvoll werden, da das Volumen der vom Bund benötigten Kassenverstärkungskredite zu groß ist, als dass eine entsprechende Rücklage gebildet und gleichzeitig Kredite mit hohen Zinsbelastungen aufgenommen werden sollten“. Ebenfalls
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
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an Rücklagen, die nur durch eine gleichzeitige Aufnahme von Krediten ermöglicht wird, aus diesem Grund auch verfassungswidrig ist, hängt davon ab, ob der (Haushalts-)Gesetzgeber überhaupt von Verfassungs wegen zu wirtschaftlichem Handeln gezwungen ist, oder ob er auch andere Aspekte in seinen Entscheidungen für oder gegen bestimmte Maßnahmen der Haushaltsführung berücksichtigen darf. Der Staat ist kein gewinnorientiertes Unternehmen sondern dem Gemeinwohl verpflichtet; bestimmte Aufgaben der Daseinsvorsorge müssen auch dann wahrgenommen werden, wenn diese für sich betrachtet „unwirtschaftlich“ sind. Vor allem aber bedarf die auf den ersten Blick plausible Annahme, dass durch die Bildung einer Rücklage bei kreditfinanzierten Haushalten Zinsnachteile entstehen, einer kritischen Überprüfung. a) Geltung der Wirtschaftlichkeit für Gesetzgebung und Vollzug Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sind nach Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG in erster Linie Prüfungsmaßstäbe der Finanzkontrolle durch den Rechnungshof202. Sie gelten über §§ 6 Abs. 1 HGrG, 7 Abs. 1 BHO/LHO für die Aufstellung und Ausführung der Haushaltspläne durch die Exekutive. Ob der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit auch den Gesetzgeber bindet, ergibt sich aus Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG nicht unmittelbar; in Art. 114 Abs. 2 GG ist der Haushaltsplan nicht Gegenstand sondern in erster Linie Maßstab der Prüfung203. § 6 Abs. 1 HGrG kann den Gesetzgeber zwar binden204, bezieht aber ausdrücklich nur die Aufstellung, die durch die Exekutive erfolgt, nicht auch die Feststellung des Haushaltsplans durch das Haushaltsgesetz mit ein205, so dass man bei formaler Wortlautauslegung an der Einbeziehung auch des Gesetzgebers in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift zweifeln kann206. mit dem Argument der Unwirtschaftlichkeit wurde im Jahre 1975 eine Betriebsmittelrücklage des Bundes aufgelöst, vgl. hierzu Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 62 BHO, Anm. 2. Zur allgemeinen Rücklage vgl. die Nachweise in Fn. 200. 202 Für die Verfassungen der Länder vgl. oben Fn. 231 (S. 68). 203 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 67; ders., in: Sachs, GG4, Art. 114, Rn. 14; Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [472 f.]; Gumboldt, NVwZ 2005, 36 [41]. – Andererseits ist die Verpflichtung der Exekutive auf wirtschaftliches Handeln wirkungslos, wenn der Haushaltsplan der Verwaltung ein unwirtschaftliches Verhalten vorschreibt, vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 140. 204 Hierzu bereits ausführlich oben, § 2 A. IV. 2., S. 72 ff. 205 Vgl. Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 67; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 140 (S. 137); s. zum Verhältnis von Auf- und Feststellung des Haushaltsplans bereits oben, Fn. 60, 72 (S. 39 f.) und Fn. 300 (S. 82). 206 So Gumboldt, NVwZ 2005, 36 [41]; ähnlich Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [472 f.]; Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 67; s. aber bereits oben, § 2 A. III. 7., S. 68 f.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
Auch der Gesetzgeber soll jedoch von Verfassungs wegen an das Wirtschaftlichkeitsgebot gebunden sein; dieses folge aus der allgemeinen Bindung des Staates an Gemeinwohl und Rationalität. Wirtschaftlichkeit sei die „finanzrechtliche Ausprägung des rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips“ und verpflichte daher auch den Gesetzgeber, der die Anstrengungen der Verwaltung nicht durch seine Haushaltsplanung konterkarieren dürfe.207 Zwar erscheint die Anknüpfung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu weitgehend208. Die Verfassung räumt dem Gesetzgeber, soweit er nicht in Grundrechte des Bürgers eingreift, einen Gestaltungsfreiraum für politisches Handeln ein, dem sie nur, aber auch einen Rahmen setzt209. Innerhalb dieses Rahmens ist der Gesetzgeber befugt, politische Entscheidungen zu treffen, die er politisch zu verantworten hat210. Dennoch wird man davon ausgehen können, dass das Grundgesetz auch den Haushaltsgesetzgeber im Sinne der Zukunftssicherung zu wirtschaftlichem d.h. rationalem Handeln anhalten will. Da es aber insoweit an ausdrücklichen und tatbestandlich klar umrissenen Regelungen fehlt, muss man dem Gesetzgeber einen weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum bei der Frage zubilligen, was er im Einzelfall unter „wirtschaftlichem Handeln“ verstehen möchte. Inhaltlich verlangt das Wirtschaftlichkeitsprinzip die Optimierung des Verhältnisses von Aufwand und Ertrag211. Wirtschaftlich ist ein Handeln, wenn entweder das erstrebte Ziel mit geringstmöglichem Mitteleinsatz (Kostenminimierung) oder mit den vorgegebenen Mitteln eine größtmögliche Zielverwirklichung (Nutzenmaximierung) erreicht wird.212 Der Gesetzgeber hat es aber – anders als die Verwaltung – grundsätzlich selbst in der Hand, die Ziele zu definieren, die er verwirklichen möchte. Diese Sachziele, die der demokratisch legitimierte Gesetzgeber im Rahmen seines 207 VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [282 f.]; RhPfVerfGH, Urteil v. 20.11.1996, VGH N 3/96, NVwZ-RR 1998, 145 [149]; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 114 Rn. 17; Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 140; ders., in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 121, Rn. 18, 30; P. Kirchhof, NVwZ 1983, 505 [514]; v. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 82 ff. Krit. Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 110, Rn. 67 ff.; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 115, Rn. 67a ff. 208 Krit. auch Gumboldt, NVwZ 2005, 36 [40 f.]. 209 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [342]; BVerfG, Urteil v. 24.6.1986, 2 BvF 1, 5, 6/83, 1/84 und 1, 2/85, BVerfGE 72, 330 [388 ff.]. 210 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [342]. 211 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 114, Rn. 18, S. 1195 f.; Dommach, in: Heuer, Haushaltsrecht, § 7 BHO, Anm. 3; vgl. auch Gröpl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR3 V, § 121, Rn. 9. 212 Stern, StaatsR II, § 50 III 11, S. 1251; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/ Kunig, GG3, Bd. 3, Art. 114, Rn. 18.
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Budgetrechts oder bei der Verabschiedung von Leistungsgesetzen bestimmen kann, stehen im Vordergrund213. Das Wirtschaftlichkeitsgebot wirkt rein formal und ist Randbedingung staatlichen Handelns, kein Selbstzweck214. Dennoch entspricht es dem politisch zu respektierenden Wunsch des Steuerzahlers nach einem zweckmäßigen und effektiven Einsatz der von ihm gezahlten Abgaben an den Staat215. b) Unwirtschaftlichkeit der Rücklage aufgrund Zinsschadens? In seiner Entscheidung vom 2. September 2003 hat der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen die „Bildung kreditfinanzierter Rücklagen zur Deckung eines Finanzbedarfs in künftigen Haushaltsjahren“ als „im Regelfall dem Wirtschaftlichkeitsgebot in Verbindung mit Art. 81 Abs. 3, Art. 83 S. 2 LV NW“216 widersprechend angesehen217. Das Gebot der Wirtschaftlichkeit bilde eine Grenze für die Verschuldung des Landes und stehe einer Kreditaufnahme entgegen, wenn ihr in dem Haushaltsjahr, auf das sie sich beziehe, kein entsprechender Ausgabenbedarf gegenüberstehe. Die zur Rücklagenbildung vorgesehenen Mittel könnten alternativ dazu eingesetzt werden, den aktuellen Kreditbedarf zu drosseln218. Diese Auffassung, nach der die Einstellung von Krediteinnahmen in die allgemeine Rücklage gegen den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit verstößt219, hat in der Folge zum Teil heftigen Widerspruch hervorgerufen220. Das Urteil des VerfGH „verkenn[e] in Teilen die Sachlage“ und ziehe „schlichtweg unzutreffend[e]“ Schlussfolgerungen221. Entgegen der Auffassung des Landesverfassungsgerichts seien aufgrund der Rücklage „über213 Vgl. bereits oben, § 2 A. III. 7., S. 68 f.; s. auch Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG, Anm. 25. 214 Siekmann, in: Sachs, GG4, Art. 114, Rn. 14. 215 Giesen/Fricke, Haushaltsrecht Nordrhein-Westfalen, § 7 LHO, Rn. 2; ähnlich Gröpl, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 110, Rn. 140. 216 Die Art. 81 Abs. 3, 83 S. 2 Verf NW entsprechen den Art. 110 Abs. 2, 115 Abs. 1 S. 2 GG. 217 VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [Ls. 4, 287]; vgl. hierzu die Anmerkungen von Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 ff.; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 67a ff.; Dorn, VR 2004, 119 ff. und Gumboldt, NVwZ 2005, 36 ff. 218 VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [283]. 219 So auch bereits Birk, Sparen auf Pump, in: FS Selmer, S. 589 [595]; Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 94. 220 s. Dorn, VR 2004, 119 ff.; Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 ff.; Wendt, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG5, Bd. 3, Art. 115, Rn. 67a ff.; Gumboldt, NVwZ 2005, 36 ff. 221 Dorn, VR 2004, 119 [120].
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
haupt keine zusätzlichen Zinsausgaben angefallen, die man als unnötig oder unwirtschaftlich bezeichnen könnte“. Die Behauptung des Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsprinzip wegen verspäteter Tilgung oder verfrühter Kreditaufnahme sei „auch insofern völlig verfehlt“222. Bei der Buchung von Zuführungen an die allgemeine Rücklage würden keine Geldmittel bewegt, es werde lediglich die für den Haushaltsausgleich erforderliche Buchungsstelle für die Nettokreditaufnahme erhöht223. Das Land nehme immer nur tagesaktuell am Finanzmarkt so viel Schulden auf, wie es zur Erhaltung seiner Liquidität tatsächlich benötige; Haushaltsermächtigungen wie die Bildung oder Entnahme aus einer Rücklage seien insoweit nur Buchungsgrößen224. Das Land habe kein Geld aufgenommen, um es als Kapital einer Rücklage anzulegen, sondern das Geld erst dann aufgenommen, als die Auflösung der Rücklage akut wurde, um sich Liquidität zu verschaffen225. Die gegensätzlichen Positionen beruhen auf verschiedenen Auffassungen von den der Rücklagenwirtschaft zugrunde liegenden tatsächlichen haushaltswirtschaftlichen Vorgängen. Während der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen implizit davon ausging, dass die Dotierung der Rücklage mit „realen“ Mitteln erfolgte, und dass in den zur Überprüfung gestellten Landeshaushalten tatsächlich Kredite für die Zuführung an die allgemeine Rücklage aufgenommen wurden226, betonen die Kritiker – wie bereits Landesregierung und Landtag in ihren Äußerungen gem. § 48 VGHG NW zum damaligen Normenkontrollverfahren227 –, dass tatsächlich keine Kredite zu einem Zeitpunkt am Kreditmarkt aufgenommen wurden, zu dem die Geldmittel noch nicht benötigt wurden228. Beide Sachverhaltsalternativen sind denkbar. Den Kritikern ist zuzugeben, dass die Bildung einer Rücklage im Wege der bloßen Umbuchung möglich ist. Eine Dotierung kann erfolgen, ohne dass tatsächlich Kreditmittel aufgenommen werden müssen; in diesem Fall wäre ein Zinsschaden in der Tat ausgeschlossen229. Ob der Verfassungsgerichtshof für das Land 222 223 224 225
Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [479]. Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [479]. Dorn, VR 2004, 119 [120]. Dorn, VR 2004, 119 [120]; ähnlich Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471
[479]. 226
VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [283, 286 f.]. Vgl. VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, Abschrift, S. 13 ff., insoweit in OVGE 49, 278 ff. nicht abgedruckt; vgl. auch LT-Ausschussprotokoll (NRW) 13/951, S. 4. 228 Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [479]; Dorn, VR 2004, 119 [120]. 229 Vgl. LT-Ausschussprotokoll (NRW) 13/951, S. 4 ff.; Dorn, VR 2004, 119 [121]. 227
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
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Nordrhein-Westfalen aber tatsächlich einen Sachverhalt angenommen hat, der „schlichtweg unzutreffend“ ist, erscheint – nicht nur vor dem Hintergrund der Verlautbarungen des Finanzministeriums in der Öffentlichkeit230 – fraglich. Immerhin wurden die Rücklagen in den Jahren 2000 und 2001 gem. §§ 25 Abs. 2 S. 1, 62 Abs. 2 LHO NW231 mit Mitteln dotiert, die zumindest teilweise aus (kreditfinanzierten) kassenmäßigen Überschüssen der Jahre 1999 und 2000 entstammten232. Es waren in Höhe der Überschüsse tatsächlich Kredite (kassenmäßig) aufgenommen worden, die über das Instrument der Rücklage vorgetragen werden sollten. Vor diesem Hintergrund lässt sich aus der Unwirtschaftlichkeit der Überschussbildung (Haushaltsvollzug) die Unwirtschaftlichkeit der Rücklagenbildung (Haushaltsplanung) ableiten233 und ein möglicher Zinsnachteil aufzeigen234. III. Missbrauch durch bloße Umbuchung von Krediteinnahmen Letztlich kommt es jedoch – vor allem dann, wenn man die Verfassungsmäßigkeit der im Haushaltsgesetz bzw. im durch dieses festgestellten Haus230 s. hierzu Plenarprotokoll der Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen v. 7.9.2000, Prot. 13/8, S. 462 (A) und v. 29.11.2000, Prot. 13/15, S. 1158 (C) und Dorn, VR 2004, 119 [120, Fn. 27]. 231 § 25 Abs. 2 S. 1 LHO NW lautet: „Ein Überschuss ist zur Verminderung des Kreditbedarfs oder zur Tilgung von Schulden zu verwenden oder einer Rücklage nach § 62 zuzuführen“. Der naheliegende Einwand, das Gesamtdeckungsprinzip, § 8 S. 1 LHO, stehe einer Zuordnung entgegen (dazu bereits oben, § 4 B. I. 2., 357 ff.), lässt sich also – wiederum nicht in tatsächlicher sondern in rechtlicher Hinsicht – entkräften. Aus § 25 Abs. 2 S. 1 LHO folgt, dass die Rücklage als „überschussfinanziert“ anzusehen ist. 232 s. hierzu bereits oben, § 4 B., S. 349 ff. 233 Dies gilt umso mehr, als bereits bei der Bildung der kassenmäßigen Überschüsse die Zuführung an eine Rücklage beabsichtigt war, s. etwa Dorn, VR 2004, 119 [120, Fn. 27]; NWLT-Vorlage 13/483 (A6), S. 2 f. und die Nachweise oben Fn. 143 (S. 352); Fn. 230 (S. 375). Vgl. auch Birk, Sparen auf Pump, in: FS Selmer, S. 589 ff. 234 A. A. Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [479]; Dorn, VR 2004, 119 [120], die jedoch auf den „Normalfall“ der kreditfinanzierten Rücklage abstellen, in dem die Rücklage nur „virtuell“ gebildet wird. Nachvollziehbar ist, dass die Dotierung der Rücklage an sich, nach dem bereits der kassenmäßige Überschuss aus Krediten gebildet war, aufgrund des Gesamtdeckungsprinzips, § 8 S. 1 LHO, keinen weiteren Zinsnachteil nach sich zieht, weil die Überschüsse kassenmäßig zur Deckung der Ausgaben des laufenden Haushaltsjahres verwendet werden konnten (vgl. auch LTAusschussprotokoll (NRW) 13/951, S. 6). Festhalten lässt sich aber auch, dass die Haushaltswirtschaft jedenfalls dann unwirtschaftlich ist, wenn im Rahmen der Liquiditätssteuerung zu viele Mittel aufgenommen und auf diese Weise aus Krediten Rücklagen gebildet werden (so auch die Auffassung des StS Dr. Noack in LT-Ausschussprotokoll (NRW) 13/951, S. 6).
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
haltsplan vorgesehenen Rücklagenbildung und -ausschöpfung überprüft – weniger darauf an, durch welche tatsächlichen kassenwirksamen Vorgänge auf Ebene des Haushaltsvollzugs die Planungen umgesetzt werden. Jedenfalls verstellt die Betonung der Unwirtschaftlichkeit der Rücklagenbildung bei zumindest teilweise kreditfinanzierten Haushalten den Blick auf das eigentliche (verfassungs-)rechtliche Problem. Man kann sich in der Tat streiten, ob es unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit nicht im Einzelfall vorzugswürdig sein kann, oder zumindest im Rahmen des dem Gesetzgeber zustehenden Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum liegt, im Sinne eines „sachlich ausgewogenen Ausgabengerüsts“235 des Haushalts „unausgeglichene Haushaltsschwankungen zu verhindern“236 und möglicherweise auch Zinsnachteile in Kauf zu nehmen237, um nicht „von der Hand in den Mund“ leben zu müssen238. Nimmt man die These von der „Buchungsgröße“239 auf, unterstellt somit, dass die Kredite tatsächlich nicht bereits mit der Dotierung der Rücklage240 sondern erst in dem Moment aufgenommen werden, in dem Ausgaben an Dritte finanziert werden müssen241, und eliminiert auf diese Weise das Problem der „Unwirtschaftlichkeit“, so wird offenbar, dass es im Kern um eine zeitliche Streckung des Bedarfs geht, die mit dem Ziel erfolgt, die Kreditgrenzen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG zu umgehen. Deutlich wird der Missbrauchscharakter der Rücklagenwirtschaft, wenn man sich die Argumentation vor Augen führt, mit der gerade die Wirt235
BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [347]. Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [475]. 237 Die Möglichkeit höherer Zinsausgaben sieht im Fall des als Sondervermögen ausgestalteten „Sanierungsfonds für die Haushaltsjahre ab 2005“ im Saarland auch Wendt, Sanierungsfonds, Gutachten, Anl. NWLT-Vorlage 13/1230, S. 20. s. zu den Sanierungsfonds auch Jahndorf, Staatsfinanzierung, S. 94. 238 Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [477]; auch der VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 ff. hält sich diese Option offen und formuliert, dass die Bildung kreditfinanzierter Rücklagen zur Deckung des Finanzbedarfs in künftigen Haushaltsjahren nur im Regelfall [Hervorhebung nur hier, d. Verf.] dem Wirtschaftlichkeitsgebot widerspreche [Ls. 4]. 239 Dorn, VR 2004, 119 [120]. 240 Problematisch sind insoweit die Fälle, in denen die Rücklage als Sondervermögen außerhalb des Haushalts strukturiert ist. Je nach rechtlicher Ausgestaltung müssten hier tatsächliche Zu- und Abflüsse stattfinden, Art. 110 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG. Auch bei Sondervermögen (z. B. „Rücklage-Fonds“, hierzu Wendt, Sanierungsfonds, Gutachten, Anl. NWLT-Vorlage 13/1230, S. 10) stellt sich jedoch die Frage, ob das bloße „Parken“ von Mitteln die Voraussetzung einer vor dem Wirtschaftlichkeitsgebot verantwortbaren Kreditaufnahme erfüllt: Die Schuldendienste müssen zumindest voraussichtlich aus dem Einsatz der geliehenen Mittel finanziert werden können, vgl. Halstenberg, DVBl. 2001, 1405 [1406]. 241 Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [479]; Dorn, VR 2004, 119 [120]. 236
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
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schaftlichkeit der Rücklagenbildung bzw. die „Grenzen des Möglichen im Sinne der Wirtschaftlichkeitsprüfung“242 dargelegt werden sollen: Es müsse dem Staat möglich sein, absehbaren Ausgabenotwendigkeiten kommender Jahre durch eine rechtzeitige Bildung ausreichender Rücklagen Rechnung zu tragen243. Die sichere Verfügbarkeit über Finanzmittel gerade zu dem Zeitpunkt, in dem sie benötigt werden, wiege gerade aus ökonomischer Sicht schwer244. – Indes ist die Verfügbarkeit von Kreditmitteln für den Staat, der ein sicherer Schuldner und jederzeit kreditwürdig ist245, regelmäßig kein ökonomisches sondern ein verfassungsrechtliches Problem, das sich aus den Vorschriften über die Kreditbegrenzung246 ergibt. Dementsprechend wird als Begründung für die Rücklage angeführt, die „zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Rücklagemittel voraussichtlich relevant werdende verfassungsrechtliche Schranke der haushaltsjährlichen Neuverschuldung, die auf der Erwägung des Zukunftsschutzes beruhe, [sei] eine Grenze des Möglichen im Sinne der Wirtschaftlichkeitsprüfung“247. Der Aufbau der Rücklage führe dazu, dass die betreffenden Mittel sicher zur Verfügung stehen, um vorhergesehene Haushaltslücken zu schließen. Das Ziel des Haushaltsgesetzgebers, diese sichere Verfügbarkeit im späteren, durch eine besondere finanzielle Enge gekennzeichneten Haushaltsjahr durch die Rücklage zu erreichen und sich nicht nach einer Verringerung der momentanen Nettokreditaufnahme auf die unsichere, voraussichtlich wegen verfassungsrechtlicher Schranken versperrte Möglichkeit einer späteren Kreditaufnahme verweisen zu lassen, sei daher legitim248. 242
Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [475]. Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [477]. 244 Wendt, Sanierungsfonds, Gutachten, Anl. NWLT-Vorlage 13/1230, S. 20. 245 Vgl. die Hinweise auf die Bonitätsbewertungen Nordrhein-Westfalens bei Dorn, VR 2004, 119 [122, Fn. 37]. Auch das „Haushaltsnotlagenland“ Berlin wird – wenn auch teilweise wohl nur im Hinblick auf das bundesstaatliche Finanzausgleichssystem – mit hervorragenden Ratingstufen bewertet, vgl. Weinzen, Berlin und seine Schulden, S. 41. 246 Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG; Art. 84 S. 2 BaWüVerf; Art. 87 Abs. 2 S. 2 BerlVerf; Art. 103 Abs. 1 S. 2 BbgVerf; Art. 131a S. 2 BremVerf; Art. 65 Abs. 2 S. 1 M-VVerf; Art. 71 S. 2 u. 3 NdsVerf; Art. 83 S. 2 Verf NW; Art. 117 S. 2 RhPfVerf; Art. 95 S. 2 SächsVerf; Art. 99 Abs. 2 u. 3 VerfLSA; Art. 53 S. 2 SchlHVerf, Art. 98 Abs. 2 S. 2 u. 3 ThürVerf; vgl. auch die weiteren Nachweise oben Fn. 58 (S. 262). 247 Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [475]. 248 Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [475]; ähnlich bereits Wendt, Sanierungsfonds, Gutachten, Anl. NWLT-Vorlage 13/1230, S. 19 f., der zudem davon ausgeht, dass sich das Land auch unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit auf den „weniger sicheren und weniger geeigneten Weg einer jetzigen Reduzierung der Nettokreditaufnahme […] verweisen zu lassen [braucht], auch wenn bei Einschlagen dieses Wegs zunächst einmal Zinsausgaben erspart werden könnten“. 243
378
2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
Klarer lässt sich der Versuch einer „Umgehung“ der Kreditgrenzen nicht umschreiben. Die kreditfinanzierte Rücklage dient einzig dem Zweck, zu einem späteren Zeitpunkt Haushaltsmittel aus Einnahmen aus Krediten zur Verfügung zu haben, die im Augenblick nicht – jedenfalls nicht in Höhe der Kreditermächtigung des laufenden Jahres, die ja auch die Dotierung der Rücklage abdeckt – benötigt werden. Finden diese Vorgänge nicht real sondern nur buchungstechnisch statt249, so trägt im Übrigen auch die mögliche Begründung einer flexiblen Ausnutzung der jeweiligen Situationen am Kreditmarkt nicht250. Nimmt man nur Buchungsgrößen an, die im Jahr der Rücklagenbildung – also im Jahr der Kreditermächtigung – keine tatsächliche Kreditaufnahme zur Folge haben, entspricht die „Entnahme“ aus der kreditfinanzierten allgemeinen Rücklage, in deren Rahmen dann die Kreditaufnahme erfolgt251, im Ergebnis vollständig der Ausnutzung fortgeltender Kreditermächtigungen i. S. d. § 18 Abs. 3 BHO/LHO252. Auch hier besteht aber – wie bereits dargelegt – eine Bindung an die Kreditgrenzen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG (bzw. an die entsprechenden in den Länderverfassungen geregelten Grenzen253), so dass in beiden Fällen ein Verstoß gegen Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG anzunehmen ist, wenn durch eine Addition der Kreditermächtigungen bzw. im Fall der Rücklage durch eine Hinzurechnung der Entnahmen die Investitionsgrenze überschritten wird. Die Bildung einer Rücklage führt dazu, dass ein Parallelpolster zur Verschuldung geschaffen wird mit der Folge, dass die wahre Höhe der Kreditaufnahme (bezogen auf das einzelne Haushaltsjahr) verschleiert wird. Entnahmen aus kreditfinanzierten Rücklagen sind in diesem Fall aber als Aufnahmen von Krediten anzusehen und wie diese zu behandeln. Die verfassungsrechtlichen Kreditgrenzen knüpfen tatbestandlich an den nach Jahren getrennt auf- und festzustellenden Haushaltsplan an, und lassen daher einen intertemporären Ausgleich von Krediteinnahmen und Investitionsausgaben zwischen den einzelnen Haushaltsjahren nicht zu254. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass eine solche Saldierung im Interesse 249
Dorn, VR 2004, 119 [120]; Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [479]. So aber Wendt/Elicker, VerwArch 2004, 471 [478 f.]. 251 Vgl. Dorn, VR 2004, 119 [120 f.]. 252 s. hierzu bereits ausführlich oben, § 4 A. I., S. 314 ff.; so auch Clouth, in: LTAusschussprotokoll (NRW) 13/951, S. 5 f.: „Es ist nicht so, als ob den Rücklagen ein Guthaben zugrunde gelegen hätte. Wenn man es richtig gemacht hätte, dann hätte man fortgeltende Kreditermächtigungen gehabt, die man so nicht hatte, und man hätte unter Umständen höhere Kassenverstärkungskredite gehabt. Das Ganze hätte sich bei der Aufstellung des Haushalts des Jahres 2001 ausgewirkt, weil es schwierig ist, fortgeltende Kreditermächtigungen in den Haushalt einzuplanen“. 253 Vgl. die Nachweise oben, Fn. 58 (S. 262). 254 s. bereits oben, § 3 B. I. 3. c), S. 294 ff. 250
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
379
einer „nachhaltigen Haushaltswirtschaft“ ökonomisch wünschenswert sei. Folgte man diesem Argument, wäre es für das Ziel der Nachhaltigkeit der Haushaltswirtschaft am sinnvollsten, die Trennung zwischen den Jahren vollständig aufzuheben, was in technischer Hinsicht vielleicht möglich wäre, dem Wortlaut des Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG und dem Zweck des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG, die Staatsverschuldung zu begrenzen255, jedoch ersichtlich zuwider liefe. Durch Bildung von Rücklagen wird stets die durch Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG geforderte zeitliche Begrenzung (Trennung nach Haushaltsjahren) verwischt. Dies ist indes von Verfassungs wegen solange unproblematisch, wie es der Schutzzweck der Finanzverfassung (Budgethoheit des Parlaments; aber auch Transparenz des Haushalts und Begrenzung der staatlichen Schuldenaufnahme) nicht erfordert, das Trennungsprinzip – über dessen formalen Gehalt hinaus – für die Anwendung weiterer Haushaltsgrundsätze fruchtbar zu machen. IV. Varianten der „Rücklagenwirtschaft“ Stellt die Bildung kreditfinanzierter Rücklagen, wenn sie nur als Buchung erfolgt und damit die tatsächliche Kreditaufnahme bis zum Zeitpunkt der Finanzierung echter Ausgaben hinausschiebt, bereits eine Weiterentwicklung der Praxis dar, fortgeltende Kreditermächtigungen für den Haushaltsausgleich zu nutzen (indem die Einnahmen bereits vom Gesetzgeber bei der Haushaltsplanung berücksichtigt werden), so lässt sich, wenn tatsächlich Kredite aufgenommen und damit Ausgaben getätigt werden, die aber in späteren Haushaltsjahren wieder rückgängig gemacht werden sollen und damit zu Einnahmen führen, von Varianten der Rücklagenwirtschaft sprechen. Die „Rücklage“ erfolgt in diesen Fällen nicht in Form einer virtuellen Zahlung (Umbuchung im Haushaltsplan) sondern in Form einer echten Ausgabe, die aber rückgängig gemacht oder mit späteren gleichartigen Ausgaben verrechnet werden kann und auf diese Weise zu Einnahmen oder Minderausgaben führt. 1. Kommunalkreditierung in Länderhaushalten
Eine solche Variante ist auf Länderebene im Zusammenhang mit der Gemeindefinanzierung möglich. Die Länder sind verfassungsrechtlich verpflichtet, eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen und der kommunalen Verbände sicherzustellen. Neben den Mitteln aus eigenen Steuerquellen werden die Gemeinden durch Zuweisungen aus dem Landeshaushalt an den Steuereinnahmen der Länder beteiligt. Im Rahmen dieser Zuweisun255
BVerfG v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [352].
380
2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
gen, die in der Regel jährlich festgesetzt werden, kann – als Variante zur Bildung einer allgemeinen Rücklage im Landeshaushalt – eine „verdeckte multiple Rücklage“ gebildet werden. a) Kreditierung und Stundung in der nordrhein-westfälischen Gemeindefinanzierung 2003–2006 Auch hier lässt sich ein Beispiel aus der nordrhein-westfälischen Haushaltspraxis anführen: Nach dem jeweiligen Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände (Gemeindefinanzierungsgesetz) stellt das Land zur Gewährung von allgemeinen Finanzzuweisungen und zweckgebundenen Zuweisungen an die Kommunen innerhalb des Steuerverbundes regelmäßig in § 2 Abs. 1 GFG NW256 23% des Landesanteils an den Gemeinschaftssteuern (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer) zur Verfügung und beteiligt die Gemeinden und Gemeindeverbände mit 23% an 4/7 der Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer. Dieser Betrag, der ohnehin wegen der variablen Steuereinnahmen veränderlich ist, lässt sich durch weitere Zu- oder Abschläge modifizieren. So sah § 2 Abs. 1a GFG 2003 (in der Fassung des Nachtragshaushalts) vor, dass dem Verbundbetrag einmalig 484,15 Mio. e hinzuzurechnen waren.257 Dieser Betrag sollte zunächst im folgenden Jahr verrechnet werden258, wurde jedoch gem. § 2 Abs. 2 S. 1 GFG 2004/05 erst im Haushaltsjahr 2005 von den regulären Verbundmitteln abgezogen.259 Zudem wurde gem. § 2 Abs. 2 S. 2 GFG 2004/05 für das Haushaltsjahr 2004 einmalig ein Betrag von 206 Mio. e hinzugerechnet, der ebenfalls im Haushaltsjahr 2005 verrechnet wurde.260 Im Rahmen des ersten Nachtragshaushalts 2004 vom 21.7.2004 wurde durch Art. II Nr. 2 dem § 2 Abs. 2 GFG 256 Vgl. § 2 Abs. 1 GFG 2003 v. 18.12.2002, GVBl. 2002, S. 672 und § 2 Abs. 1 GFG 2004/05 v. 3.2.2004, GVBl. 2004, S. 41. [Die im folgenden zitierten Parlamentsdokumente, Gesetze und Verkündungsblätter sind stets solche des Landes Nordrhein-Westfalen, d. Verf.]. 257 Art. II Nr. 1 G. v. 8.7.2003, GVBl. 2003, 372: „Den Mitteln nach Absatz 1 [sc. Verbundmitteln] wird für das Haushaltsjahr 2003 einmalig ein Betrag von 484.150.000 EUR hinzugerechnet, der mit dem Steuerverbund 2004 zu verrechnen ist“; vgl. den Haushaltsplan 2003 in der Fassung des Nachtragshaushalts, Erläuterungen zu Kap. 20 030, S. 41. 258 LT-Ds. 13/4502, S. 7 f. und Begründung S. 90. 259 § 2 Abs. 2 GFG 2004/05, GVBl. 2004, S. 41 [43]. Vgl. auch LT-Ds. 13/4660, Anlage 3, S. 1 und LT-Ds. 13/4860, Anlage 2, S. 6. 260 § 2 Abs. 2 GFG 2004/05, GVBl. 2004, S. 41 [43]; vgl. auch LT-Ds. 13/4860, Anlage 2, S. 6 und Anlage 3, S. 5.
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs Kommunalkreditierung (mit allen Nachträgen)
2003
§ 2 Abs. 1a GFG 2003
+ 484,15
2004
2006
s
(– 484,15) s
+ 353,25
§ 2 Abs. 2 S. 4 GFG 2004/05
+ 321,13 + 484,15
+ 559,25
– 369,02
– 353,25
s
§ 2 Abs. 2 S. 3 GFG 2004/05
– 484,15 – 206,00 s
+ 206,00
s
§ 2 Abs. 2 S. 1 und 2 GFG 2004/05
Summe:
2005
381
– 321,13 – 674,38
Anm.: positive Beträge = Hinzurechnung (Zuweisung an Gemeinden) negative Beträge = Verrechnungen Beträge in Klammern = ursprüngliche Ansätze Abbildung 4
2004/05 ein neuer Satz 3 angefügt, nach dem für das Haushaltsjahr 2004 einmalig ein weiterer Betrag von 225,86 Mio. e hinzugerechnet wurde, der wiederum im Haushaltsjahr 2006 zu verrechnen war.261 Durch das zweite Nachtragshaushaltsgesetz für 2004 wurde dieser Kreditierungsbetrag auf 353,25 Mio. e erhöht262. Daneben wurde aufgrund des ersten Nachtragshaushaltsgesetzes 2005 für das Haushaltsjahr 2005 ein weiterer Betrag von 321,13 Mio. e hinzugerechnet, der im Haushaltsjahr 2006 verrechnet werden sollte.263 Im Ergebnis ist den Gemeinden also, wie die Übersicht (s. Abb. 4) zeigt, in den Jahren 2003/04 ein Gesamtbetrag i. H. v. rd. 1 Mrd. e – über den regulären Verbundbetrag hinaus – zugewiesen worden, der in den Jahren 2005/06 wieder von der Verbundmasse in Abzug gebracht wurde264.
261
Art. II Nr. 2 des 1. NHG 2004 v. 21.7.2004, GVBl. 2004, S. 400. Art. II Nr. 2 des 2. NHG 2004 v. 1.3.2005, GVBl. 2005, S. 62. 263 Art. II Nr. 9 des 1. NHG 2005 v. 1.3.2005, GVBl. 2005, S. 69. 264 Bei den Zu- und Verrechnungen handelt es sich nicht um eine bloße „Spitzabrechnung“ im sonst üblichen Zwei-Jahres-Rhythmus, da die reguläre Abrechnung stets aufgrund des Ist-Ergebnisses erfolgt. Im Rahmen der Haushaltsplanung ist eine „Abrechnung“ nicht erforderlich, da ein Rückgang bei den für den Steuerverbund relevanten Steuern in der Phase der Haushaltsaufstellung bzw. der Änderung durch einen Nachtrag eine entsprechende Verminderung der Verbundmasse bei gleich bleibender Verbundquote (23%) zur Folge hat. 262
382
2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
b) Kreditierung zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts? Einer „zeitlichen Streckung des Bedarfs“ verdächtig erscheint dieses Vorgehen vor dem Hintergrund, dass für den betreffenden Zeitraum erstmalig im Nachtragshaushalt 2003, also gleichzeitig mit dem Beginn der „Kreditierung“, für Nordrhein-Westfalen eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts angenommen wurde265. Nach den Planungen im Doppelhaushalt 2004/05 sollte diese Störung im Jahr 2004 noch andauern266, so dass auch hier die Kreditgrenze des Art. 83 S. 2 Verf NW (= Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG) überschritten wurde. Erst für das Haushaltsjahr 2005 nahm man an, dass die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts überwunden sein würde, so dass nach den Planungen in diesem Jahr die Investitionsgrenze – bei entsprechenden Minderausgaben aus der Verrechnung i. H. v. rd. 369 Mio. e267 – um rd. 60 Mio. e wieder unterschritten werden konnte268. Dabei sind die einzelnen Hinzu- und Verrechnungen innerhalb des gemeindlichen Steuerverbundes keine echten „Kredite“. Es bestehen keine 265
G. v. 8.7.2003, GVBl. 2003, S. 372; vgl. die Begründung LT-Ds. 13/4000, S. 11. – Vgl. hierzu auch Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 63 [Tz. 97], der zutreffend darauf hinweist, dass die fehlende Obergrenze bei Inanspruchnahme der Ausnahmeklausel Anreize erzeugt, den Umfang der zusätzlichen Kreditaufnahme zu übertreiben. 266 G. v. 3.2.2004, GVBl. 2004, S. 63; G. v. 21.7.2004, GVBl. 2004, S. 400 und G. v. 1.3.2005, GVBl. 2005, S. 62; vgl. die Begründungen LT-Ds. 13/4860, Anlage 3, S. 3 f.; LT-Ds. 13/4793, LT-Prot. 13/111, S. 11041; LT-Ds. 13/5490, Anlage, S. 5, LT-Ds. 13/5660, Anlage 2, S. 1 und LT-Ds. 13/6200, Anlage, S. 6. 267 So ausdrücklich die Begründung LT-Ds. 13/4660, Anlage, S. 3: „Für das Jahr 2004 wird damit die Verfassungsgrenze weiter überschritten. Dies ist möglich und hinnehmbar, da […] die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts festgestellt wurde. […] Für das Jahr 2005 können die Steuermindereinnahmen durch eine Abrechnung von den Kommunen in 2004 gestundeten Beträgen […] aufgefangen werden“. 268 In den Einnahmen des nordrhein-westfälischen Haushaltsplans 2005 waren Schuldenaufnahmen i. H. v. 18192,2 Mio. e enthalten, woraus sich bei Anrechnung der Tilgungsausgaben i. H. v. 14430,0 Mio. e eine effektive Nettoneuverschuldung von 3762,2 Mio. e ergab. Die anrechenbaren Investitionen erreichten ein Volumen von 3822,3 Mio. e, so dass die Kreditaufnahme um 60,1 Mio. e unter der Investitionsgrenze des Art. 83 S. 2 Verf NW verblieb, vgl. den Kreditfinanzierungsplan 2005, GVBl. 2004, S. 64 [77]. Geringfügige Änderungen ergaben sich durch den ersten Nachtragshaushalt 2005 (Unterschreitung: 66,9 Mio. e); durch einen zweiten Nachtragshaushalt 2005 ist jedoch – nach einem Regierungswechsel – die Nettoneuverschuldung auf 7388,7 Mio. e erhöht worden, was bei einer Investitionssumme von 5963,6 Mio. e im Ergebnis zu einer Überschreitung der Kreditgrenze i. H. v. 1425,1 Mio. e führte, vgl. hierzu VerfGH NW, Urteil v. 24.4.2007, VerfGH 9/06, juris (insoweit nicht in DÖV 2007, 698 ff. abgedruckt).
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
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konkreten Forderungen der Gemeinden, vielmehr werden diese erst durch das jeweilige Gemeindefinanzierungsgesetz begründet, also einseitig durch das Land festgesetzt. Die zusätzlich „kreditierten“ Mittel sind zudem nur fiktive Verbundmittel, da die zusätzlichen Zuweisungen nicht aus (Verbund-)Steuermitteln sondern aus zusätzlich aufgenommenen Krediten, im Rahmen der – über die Kreditgrenze des Art. 83 S. 2 Verf NW hinaus erhöhten – Kreditaufnahme in den Jahren 2003 und 2004 finanziert wurden. Bereits im Nachtragshaushalt 2003 erfolgte die zusätzliche Zuweisung an die Kommunen – bei gleichzeitiger Überschreitung der Kreditobergrenze – nach der Begründung des Regierungsentwurfs zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts269. Auch die weiteren Hinzurechnungen führten zu einer entsprechenden Erhöhung der (Netto-)Kreditaufnahme über die Grenze des Art. 83 S. 2 Verf NW hinaus, weshalb in den jeweiligen Begründungen stets darauf hingewiesen wurde, dass die Stundung (Kommunalkreditierung) „dazu bestimmt und geeignet [sei], die Fortsetzung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Jahre 2004 abzuwehren“270. Aufgrund des bestehenden Einschätzungs- und Beurteilungsspielraums271 ist davon auszugehen, dass der Haushaltsgesetzgeber prinzipiell – eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorausgesetzt – auch berechtigt ist, bestimmte zusätzliche Konjunkturprogramme über die Kommunen abzuwickeln oder prozyklische Ausgabenkürzungen auf Ebene der Kommunen zu verhindern. Wenn es grundsätzlich zulässig ist, in einer Störungslage durch eine erhöhte Kreditaufnahme Mindereinnahmen auszugleichen272, so muss dies in gleicher Weise für die Zuweisung von Mitteln an die Kommunen gelten. Dies setzt aber – wie auch bei eigenen Ausgaben des Landes – voraus, dass die dann von den Kommunen zu leistenden Aus269 LT-Ds. 13/4000, S. 12: „Eine zeitgleiche Weitergabe der steuerinduzierten Einnahmeausfälle an die Kommunen im Rahmen des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2003 hätte zur Folge, dass diese im Jahr 2003 vom Land 484 Mio. e weniger an Zuweisungen erhalten würden und dementsprechend weniger verausgaben könnten“. 270 LT-Ds. 13/5490, Anlage, S. 9; LT-Ds. 13/5660, Anlage 2, S. 4. „Zur Stärkung der öffentlichen Nachfrage werden den Kommunen als Hauptträger der öffentlichen Nachfrage vor Ort die mit dem Nachtragshaushalt 2003 und dem Doppelhaushalt 2004/2005 kreditierten Zuweisungen aus dem Steuerverbund […] gestundet“, LT-Ds. 13/5490, Anlage, S. 7 = LT-Ds. 13/5660, Anlage 2, S. 4; vgl. auch die ähnliche Begründung LT-Ds. 13/6200, Anlage, S. 6 und LT-Ds. 13/6201, Anlage, S. 3 und Begründung zu Art. II, S. 23. 271 Hierzu bereits oben, § 3 B. II. 1., S. 300 ff.; speziell zu der Frage der Landeskompetenz für die Feststellung einer „Störungslage“ oben, § 3 B. II. 1. b); vgl. auch den Entschließungsantrag, LT-Ds. 13/4793, LT-Prot. 13/111, S. 11041. 272 BVerfG, Urteil v. 18. April 1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [347].
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
gaben dazu bestimmt und voraussichtlich geeignet sind, die Störung abzuwehren, da ansonsten in der Störungslage wiederum jegliche konsumtive Mehrausgabe gerechtfertigt wäre.273 Gegen ein solche „Kreditierung“ im Rahmen einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts spricht nicht die befristete Mittelüberlassung. Es ist vielmehr Kennzeichen der von der Ausnahmeregel zugelassenen Globalsteuerung, dass für einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum – antizyklisch – die Ausgaben ausgeweitet werden, dann aber, sobald die Störung abgewehrt ist, – wiederum antizyklisch – die Ausgaben und damit die Kreditaufnahme wieder vermindert werden. Bei den Maßnahmen zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts handelt es sich insofern stets um verhältnismäßig kurzfristige und nicht um längerfristige Maßnahmen274. Die Eignung zur Störungsabwehr kann aber nur angenommen werden, wenn die zusätzlichen Kreditmittel – nach der begründeten Prognose des Gesetzgebers – tatsächlich auf kommunaler Ebene dazu verwendet werden, entsprechende wirtschafts- und beschäftigungsfördernde Maßnahmen zu finanzieren. Anderenfalls bewirkt die Zuweisung zusätzlicher Kreditmittel nur ein vorübergehendes „Parken“ der Mittel bei den Kommunen, da diese in den Folgejahren an den Landeshaushalt „zurückfließen“ bzw. verrechnet werden (Saldierung). Als problematisch erweist sich hier, dass die gestundeten Mittel den Kommunen im Rahmen des allgemeinen Finanzverbundes zugewiesen werden. Die Verwendung der im Rahmen der Störungslage zusätzlichen Kreditmittel liegt aufgrund der Finanzhoheit275 der Gemeinden zunächst allein in deren Hand. Art. 78 Verf NW (Art. 28 Abs. 2 GG) gewährleistet den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung. Dieses Recht umfasst die Befugnis, das kommunale Finanzwesen, d.h. die Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft einschließlich der Haushaltsführung, im Rahmen der Gesetze eigenverantwortlich zu regeln.276 Die Finanzhoheit gehört zum essentiellen Kern der Selbstverwaltung277 und setzt das Recht voraus, über die Einkünfte im Rahmen einer geordneten 273
Vgl. NdsStGH, Urteil v. 10.7.1997, StGH 10/95, NVwZ 1998, 1288 [1291]; vgl. auch BerlVerfGH, Urteil v. 31.10.2003, VerfGH 125/02, LVerfGE 14, 104 [130 f.]; hierzu auch bereits oben § 3 B. II. 2. c), S. 307. 274 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115, Rn. 47. 275 Tettinger, in: Löwer/Tettinger, Verf NW, Art. 78, Rn. 30. 276 VerfGH NW, Urteil v. 4.3.1983, VerfGH 22/81, OVGE 36, 314 [316]; VerfGH NW, Urteil v. 26.6.2001, VerfGH 28, 30/00, NWVBl. 2001, 340 [347]; BVerfG, Beschluss v. 21.5.1968, 2 BvL 2/61, BVerfGE 23, 353 [365–372]; BVerfG, Beschluss v. 24.6.1969, 2 BvR 446/64, BVerfGE 26, 228 [244]; BVerfG, Urteil v. 24.7.1979, 2 BvK 1/78, BVerfGE 52, 95 [117]. 277 VerfGH NW, Urteil v. 7.7.1956, VerfGH 5/55, OVGE 11, 149 [150].
§ 4 Umgehung der Kreditgrenzen: Zeitliche Streckung des Kreditbedarfs
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Haushaltswirtschaft eigenverantwortlich zu verfügen.278 Soweit eine vom Land durchsetzbare Zweckbindung der den Gemeinden zugewiesenen Mittel aber nicht vorliegt, kommt es nicht darauf an, ob auf Ebene der Kommunen tatsächlich konjunkturwirksame Maßnahmen zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts getroffen werden bzw. angesichts der Rückzahlbarkeit überhaupt getroffen werden können. Selbst wenn man solche finalen und voraussichtlich wirksamen Maßnahmen unterstellt, können diese nicht dem Land zugerechnet werden, welches aber die Darlegungslast für Absicht und Eignung seiner erhöhten Kreditaufnahme trägt.279 Eine hinreichend konkrete Darlegung der Absicht und der Eignung einer erhöhten Kreditaufnahme, die dann von den Gemeinden konjunkturwirksam zu verausgaben ist, ist aufgrund der getrennten Haushaltswirtschaft von Land und Kommunen aber nicht möglich. Aus Sicht des Landes findet keine Globalsteuerung statt; die Hinzu- und Abrechnungen führen nur zu einer Verschiebung staatlicher Mittel zwischen den verschiedenen Gebietskörperschaften. Aus diesem Grund lässt sich die Kommunalkreditierung als „verdeckte Rücklage“ einordnen. Sie eröffnet die Möglichkeit, die Kreditgrenze im Jahr der Verrechnung formal einzuhalten aber materiell zu überschreiten280. Aufgrund der Kreditierung entsteht ein Bedarf, der einzig durch die erhöhte Kreditaufnahme jenseits der Regelgrenze gedeckt werden kann. Die Verrechnung führt haushaltstechnisch zu einer Minderausgabe in gleicher Höhe, da ohne den Abschlag die originäre Steuerverbundmasse zu veranschlagen wäre. Haushaltsrechtlich ist diese „Ersparnis“ jedoch als Krediteinnahme zu werten. Bei einer übergreifenden wirtschaftlichen Betrachtung handelt es sich um eine Kreditaufnahme zugunsten des Landes, da die Mittel im Abrechnungsjahr zwar von den Kommunen „zurückgezahlt“ werden müssen, aber nicht zur Tilgung des Kreditanteils sondern für die Finanzierung von Ausgaben des Landes genutzt werden. Die Kreditierung führt letztlich dazu, dass der durch die Ausgabenansätze in „erzeugte Kreditbedarf jeweils auf mehrere Haushaltsjahre verteilt befriedigt“281 wird und entspricht damit in der Funktion einer kreditfinanzierten Rücklage282.
278
VerfGH NW, Urteil v. 13.8.1996, VerfGH 23/94, NVwZ-RR 1997, 249 [249]. s. hierzu bereits oben, § 3 B. II. 2., S. 304 ff. 280 Vgl. BdSt NRW, Stellungnahme zum 1. Nachtragshaushalt 2004, LT-Zuschrift, 13/4107, S. 9. 281 VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [288]. 282 Vgl. BdSt NRW, LT-Zuschrift 13/4680, S. 5. 279
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme 2. Weitere Varianten: Nebenhaushalte und Veräußerungen
Neben dieser nur beispielhaft herausgegriffenen „verdeckten Rücklage“ sind verschiedene weitere Varianten denkbar, bei der – wie auch bereits im Fall der Kommunalkreditierung283 – die Grenze zwischen Missbrauch und sinnvoller (oder jedenfalls zulässiger) haushaltswirtschaftlicher Gestaltung fließend ist. So wäre es denkbar, Schulden zunächst in Nebenhaushalte auszulagern (z. B. Betriebe oder Sondervermögen), die gem. Art. 110 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, 115 Abs. 2 GG vom Haushalt getrennt zu betrachten sind284, und diese in späteren Haushaltsjahren – etwa im Rahmen einer Zuführung von Eigenkapital, die wegen § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 lit. d) HGrG zugleich die Investitionsgrenze erhöht – mit (Kredit-)Mitteln aus dem Haushalt zu tilgen: Bei einer anschließenden Veräußerung (Privatisierung) ließen sich reguläre (einmalige) Einnahmen erzielen. Auch durch andere investive Ausgaben, die im Jahr der Anschaffung die Investitionsgrenze erhöhen, aber gleichzeitig leicht veräußerbar sind (z. B. Wertpapiere), können die auf das einzelne Haushaltsjahr bezogenen Kreditgrenzen flexibel genutzt werden, solange Desinvestitionen in der Haushaltspraxis keine Berücksichtigung finden. Immer dann, wenn echte Ausgaben getätigt werden, wird sich ein Missbrauch, selbst wenn er beabsichtigt wäre, aber nicht oder nur schwer nachweisen lassen. Für die Veranschlagung echter Ausgaben können immer auch andere sachliche Gründe angeführt werden.
283 Bereits bei der „Kommunalkreditierung“ lässt sich durchaus vertreten, dass ein Zurverfügungstellen von zusätzlichen Mitteln zwar nicht unter Berufung auf die Ausnahmeklausel der „Störung“ möglich ist, weil hier eine Ausweitung der Kreditaufnahme erfolgt, ohne dass die konjunkturelle Wirksamkeit gesichert werden kann, aber durchaus in Haushalten erfolgen könnte, bei denen die Investitionsgrenze eingehalten ist. 284 Vgl. hierzu ausführlich Puhl, Budgetflucht, S. 482 ff.; Weinzen, DÖV 2007, 509.
§ 5 Epilog: (Zeitliche) Grenzen des Staatsschuldenrechts Die Trennung nach Haushaltsjahren und die strikte Bindung an die zeitlichen Grenzen des Haushalts scheint – vor dem Hintergrund starker Bestrebungen hin zu einer weiteren Flexibilisierung des Haushaltsrechts – ein überflüssiger Formalismus und Anachronismus zu sein. Der „Mythos des unantastbaren Etatgleichgewichts“ wird zunehmend als Ärgernis gesehen, wobei Kern der Kritik weniger das Gleichgewicht selbst, sondern die Verknüpfung des Gedankens vom Haushaltsausgleich mit der Jährlichkeit des Haushaltsplans ist1. In der Tat gäbe es gute Gründe, die Grenzen zwischen den Haushaltsjahren niederzureißen. Sie fördern kurzfristiges Denken. Das sprichwörtliche „Dezemberfieber“, das Phänomen einer ineffizienten Mittelbewirtschaftung durch Ausschöpfen der zugewiesenen Haushaltsmittel vor Ende des Haushaltsjahres, ist eine fast schon natürliche Folge der zeitlichen Bindungen des Haushaltsplans. Jedoch sind diese Nachteile der Zeitlichkeit des Haushalts, so hat Jèze schon 1922 formuliert, „mehr scheinbare als wirkliche“. Was die Tatsachen schlechter Finanzgebarung und Verschwendung seitens der Verwaltung anlange, so gebe es kein System, das sie verhindern könnte. Soweit reiche die Wirksamkeit keiner Budgetvorschriften.2 Dem muss man wohl zustimmen. Der Finanzstaat lässt sich nur schwer rechtlich bändigen3. Auch die Vorschriften des Haushaltsverfassungsrechts, hier vor allem die Regeln über die Kreditbegrenzung, werden teilweise durch kreative Haushaltsplanungen an die Grenzen ihrer Wirksamkeit gebracht. Dabei ist ein Verstoß gegen Haushaltsverfassungsrecht, auch wenn er durch ein Verfassungsgericht festgestellt wird, in aller Regel folgenlos. Ein verfassungsgerichtliches Urteil, durch das ein Haushaltsgesetz für nichtig erklärt wird, ergeht stets zu spät und hat nach Ablauf des Haushaltsjahres, zu einem Zeitpunkt in dem der Haushalt bereits vollzogen und das Haushaltsgesetz außer Kraft getreten ist4, keine praktischen Auswirkungen mehr. Anders als im kommunalen Haushaltsrecht und auf europäischer 1
Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 200 f. Jèze, Allgemeine Theorie des Budgets (1927), S. 181 f. 3 Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: FS Friauf, S. 705 [707]. 4 s. hierzu oben, § 2 C. II. 3., S. 237 ff. 2
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
Ebene5 besteht auf staatlicher Ebene kaum eine effektive Möglichkeit der Sanktionierung. Es ist daher schon ein Schritt in die richtige Richtung, wenn ein Verfassungsgericht nicht nur die Unvereinbarkeit oder Nichtigkeit einer die verfassungsrechtliche Kreditgrenze übersteigenden Kreditermächtigung feststellt sondern zugleich darauf hinweist, dass in Höhe der Überschreitung ein Fehlbetrag in den nächsten festzustellenden Haushaltsplan einzustellen ist6. Die Zeitlichkeit des Haushalts und die Trennung nach Haushaltsjahren ermöglichen es immerhin, Verstöße festzustellen. Die Wiederkehr jährlicher Haushaltsgesetze kann nicht nur zur Sicherung des parlamentarischen Budgetrechts beitragen, die Untergliederung der Haushaltswirtschaft in zeitliche Abschnitte gestattet auch eine Vergleichbarkeit von Soll und Ist und einen Vergleich verschiedener Abschnitte über einen längeren Zeitraum. Im Bereich der Staatsverschuldung ist die Trennung nach Haushaltsjahren von besonderer Bedeutung. Die formalen zeitlichen Grenzen bekommen hier eine materielle Funktion, da sowohl Einnahmen aus Krediten als auch Ausgaben für Investitionen i. S. d. Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG auf das einzelne Haushaltsjahr bezogen sind, und eine Saldierung in der Zeit unzulässig ist7. Das geltende Staatsschuldenrecht ist auf die durch Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG gesetzten zeitlichen Grenzen angewiesen. Zugleich ist die Fokussierung der Kreditgrenze auf das einzelne Haushaltsjahr aber eine der größten Schwächen des geltenden Rechts – nicht nur, weil sie durch eine zeitliche Streckung des Bedarfs leicht umgangen werden kann8. Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG versucht den Schutz künftiger Generationen vor unbeschränkter Vorwälzung staatlicher Lasten9 dadurch zu erreichen, dass er die jährliche Nettoneuverschuldung begrenzt. Für den absoluten Schuldenstand ist die Verfassung weitgehend blind; ist die Investitionsgrenze in einem Haushaltsjahr eingehalten, scheint die Kreditaufnahme 5
Art. 104 Abs. 2 EG; Protokoll (Nr. 20) über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (http://europa.eu/eur-lex/en/treaties/selected/livre335.html, ABl. Nr. C 191, S. 84), vgl. hierzu auch VO des Rates Nr. 3605/93 v. 22.11.1993, ABl. Nr. L 332/7 i. d. F. der VO Nr. 475/2000 v. 28.2.2000, ABl. Nr. L 58/1. 6 LVerfG M-V, Urteil v. 7.7.2005, LVerfG 7/04, Abschrift, S. 28 f. (= Schl.Holst.-LT Umdruck 16/149). 7 s. hierzu oben, § 3 B., S. 262 ff. 8 s. oben, § 4, S. 313 ff. 9 BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [334]; BVerfG, Beschluss v. 17.9.1998, 2 BvK 1/98, BVerfGE 99, 57 [67]; VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 [284] = NVwZ 2004, 217 [218] = NWVBl. 2003, 419 [423]; BerlVerfGH, Urteil v. 31.10.2003, VerfGH 125/02, LVerfGE 14, 104 [117] = NVwZ 2004, 210 [211].
§ 5 Epilog: (Zeitliche) Grenzen des Staatsschuldenrechts
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unbedenklich und in jedem Fall gerechtfertigt zu sein10. Nach dem Ende des Haushaltsjahres ist sie rechtlich irrelevant. Nettoneuverschuldung bedeutet aber in jedem Jahr ein Ansteigen der Gesamtverschuldung. Das Fehlen konkreter und verbindlicher Regeln für die Tilgung von Schulden („Tilgungsplanung“11) ist besonders misslich im Rahmen der Ausnahmeregelung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG, der die Überschreitung der Investitionsgrenze zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erlaubt12. Die Vorschrift ist insoweit „asymmetrisch“13, weil sie zwar eine Ausweitung der Kreditaufnahme erlaubt, aber keine Rückführung dieser Kredite in konjunkturell guten Zeiten fordert. Selbst wenn man die Möglichkeit der Globalsteuerung und das ökonomische Konzept des „deficit spending“14 akzeptiert, würde eine konsequente Umsetzung antizyklischer Finanzpolitik bedeuten, die Kreditaufnahme über den gesamten Konjunkturzyklus auszugleichen15 – wobei Anfang und Ende dieses Zyklus’ kaum jemals klar zu fixieren sein werden. Aber auch soweit die „Goldene Regel der Finanzpolitik“16 eingehalten wird, nach der der Aufnahme von Krediten als Zukunftsbelastung eine Zukunftsbegünstigung (durch Investitionen) gegenüber stehen muss, fehlt es an einer spiegelbildlichen Tilgungspflicht. Vorbild kann hier – neben dem europäischen Recht, das im Rahmen des Europäischen Systems volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen Veräußerungserlöse ausnimmt17 – etwa die Bayerische Verfassung sein, die vorschreibt, dass der Erlös aus der Veräußerung von Bestandteilen des Grundstockvermögens zu Neuerwerbungen für dieses Vermögen verwendet werden muss, Art. 81 S. 2 BayVerf. Reformen de constitutione ferenda sind – nachdem sie erneut vom Bundesverfassungsgericht angemahnt wurden18 – ohne Zweifel nötig und wohl zur Zeit (Stichwort: Föderalismusreform II) auf einem guten Weg. Von zentraler Bedeutung wird es aber sein, auch neue Regeln umgehungsfest auszugestalten. Jede verfassungsrechtliche Regelung, die auf eine Begrenzung 10 Wissenschaftlicher Beirat BMF, Stellungnahme zur Haushaltsrechtsreform (Heft 11), S. 26. 11 Vgl. Halstenberg, DVBl. 2001, 1405 ff. 12 Hierzu oben, § 3 B. II., S. 300 ff. 13 Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 64. 14 Lerner, The Economics Of Control (1947), S. 302 ff. 15 Vgl. BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de, Rn. 135. 16 Vgl. Sachverständigenrat, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, S. 50; Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 2005, S. 27. 17 Handbuch zum ESVG 1995, http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_OFF PUB/KS-42-02-585/DE/KS-42-02-585-DE.PDF, S. 38 ff. 18 BVerfG, Urteil v. 9.7.2007, 2 BvF 1/04, http://www.bverfg.de; vgl. bereits BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 ff.
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2. Teil: Zeitlichkeit der staatlichen Kreditaufnahme
der Staatsverschuldung abzielt und die die Entscheidung über die Belastung der Zukunft nicht uneingeschränkt dem immerhin demokratisch gewählten Gesetzgeber überlassen will, setzt voraus, dass die durch die Verfassung gezogene Grenze nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem „Geist“ nach eingehalten – und nicht aufgrund aktueller echter oder vermeintlicher Bedürfnisse umgangen wird. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle staatlicher Haushalte kann, auch wenn sie zur Zeit „in Mode“ zu sein scheint, nur wenig bewirken. Alte für verfassungswidrig erklärte „Haushaltstricks“ werden stetig durch neue ersetzt – diese haben aber gegenüber jenen nur den „Vorteil“, nicht mehr durchschaubar zu sein.
3. Teil
Abschließende Bewertung § 6 Zusammenfassung Die Zeit ist universelles Tatbestandsmerkmal einer jeden Rechtsnorm. Gesetze, die als abstrakt-generelle Regelungen zeitlos sind, beanspruchen den Charakter der Dauer. Jedoch muss und kann die einzelne Regelung nicht ewig sein. Für jede vom Menschen gesetzte Norm gelten innere und äußere zeitliche Grenzen. Zu unterscheiden ist die zeitliche Existenz einer Norm von ihrem Anwendungsbereich. Ist eine Norm erst einmal gesetzt und damit pro futuro äußerlich existent, ergibt sich der zeitliche Geltungsoder Anwendungsbereich allein aus dem Inhalt der Norm (§ 1). Das Haushaltsgesetz ist ein Zeitgesetz. Es ist zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verabschieden, es ist auf einen bestimmten Zeitraum bezogen und auf diesen befristet. Der Haushaltsplan wird für ein oder mehrere Rechnungsjahre, nach Jahren getrennt, vor Beginn des ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festgestellt (Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG). In das Haushaltsgesetz dürfen nur Vorschriften aufgenommen werden, die sich auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird (Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG). Der staatliche Haushalt ist zukunftsbezogen. Die Auf- und Feststellung des Haushaltsplans erfordert eine regelmäßige und vorausschauende Planung. Die staatliche Haushaltswirtschaft ist als periodisch ablaufender Prozess ausgestaltet. Bezugspunkt dieses Budgetkreislaufs ist die Haushaltsperiode. Nur durch die Festlegung eines bestimmten Zeitraumes lässt sich die stetig fortschreitende Zeit überhaupt als wiederkehrender Kreislauf denken. Nur durch die Festlegung eines Zeitraumes wird die Vergleichbarkeit in der Zeit ermöglicht, die Voraussetzung sowohl für vorausschauende Planung als auch für nachschauende Kontrolle ist (§ 2). Der Budgetkreislauf wird traditionell durch die so genannten „Haushaltsgrundsätze“ gesteuert (§ 2 A., S. 32 ff.). Diese finden sich im Grundgesetz, in den Verfassungen der Länder, im Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) sowie in den Haushaltsordnungen des Bundes und der Länder. Eine Bindung des Haushaltsgesetzgebers kann nicht durch die Haushaltsordnungen (hier ist das jährliche Haushaltsgesetz lex specialis und lex posterior), sondern
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3. Teil: Abschließende Bewertung
nur durch das HGrG und die Verfassung begründet werden. Auch der Haushaltsplan ist dem einfachen Recht nicht subordiniert, er setzt lediglich inhaltlich andersartige Rechtsfolgen (S. 38 ff.). Das Haushaltsgrundsätzegesetz bindet den Bundes- und die Landesgesetzgeber (Art. 109 Abs. 3 GG). Es zeigt, dass ein Normgeber Rechtsnormen mit unterschiedlichem Rang erlassen und sich auch selbst binden kann – wenn die Verfassung dies ausdrücklich so anordnet. Zu unterscheiden ist die Änderung des und die Abweichung vom Haushaltsgrundsätzegesetz. Art. 109 Abs. 3 GG enthält ein Rechtsformgebot und normiert explizit die gemeinsame Bindung von Bund und Ländern. Das Haushaltsgrundsätzegesetz steht daher im Rang zwischen Verfassung und einfachem Recht (lex superior). Seine Bindungswirkung erstreckt sich nur auf die grundsätzliche Regelung, nicht auf konkretisierende, speziellere Regelungen in den Haushaltsordnungen. Soweit es diese Grundsätze betrifft, wendet es sich daher unmittelbar an die Haushaltsgesetzgeber und macht direkte Vorgaben für die jährlichen Haushaltsgesetze. Der Begriff „Haushaltsrecht“ in § 1 HGrG umfasst nicht nur die Haushaltsordnungen sondern bezieht auch das jährliche Haushaltsgesetz mit ein (S. 70 ff.). Haushaltsplan und Haushaltsgesetz werden zumeist jährlich neu erarbeitet und verabschiedet (§ 2 B., S. 83 ff.). Die Periodizität entspricht dem Wesen einer Planung, die einen überschaubaren Zeitraum zugrunde legen muss, die wiederkehrend den sich ändernden tatsächlichen und rechtlichen Umständen anzupassen ist, und die regelmäßig einer nachschauenden Kontrolle bedarf. Aus historischer Perspektive hat die Jährlichkeit des Haushalts zwei Wurzeln: Die reine Periodizität, die sich vor allem auf die Kontrolle der staatlichen Wirtschaft und die Rechnungsprüfung bezog und die – auf den Demokratisierungsprozess zurückgehende – regelmäßige Bewilligung der Steuereinnahmen durch das Parlament. Eine Synchronisierung der Haushaltsjahre mit dem Kalenderjahr ist nicht zwingend, hat sich aber als praktikabel erwiesen (S. 95). Das Jährlichkeitsprinzip verlangt, dass alljährlich für jedes Rechnungsjahr (Haushaltsjahr) gesondert ein Haushaltsplan auf- und festgestellt wird. Es bezieht sich auf den Haushaltskreislauf, also auf das Verfahren, an dessen Ende der verabschiedete und in Kraft gesetzte Haushalt steht. Demgegenüber zielt der Haushaltsgrundsatz der Jährigkeit auf den Inhalt des Haushaltsplans und mittelbar auf den Inhalt auch des (übrigen) Haushaltsgesetzes. Die Haushalte sind nach Jahren zu trennen, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG (S. 101). Die starre Trennung nach Jahren kann kurzfristiges Denken fördern und eine die größeren Problem- und Lösungszusammenhänge reflektierende Sicht auf den Haushalt behindern. Sie wird von den Befürwortern einer Fle-
§ 6 Zusammenfassung
393
xibilisierung des Haushaltsrechts als Hauptgrund für eine ineffiziente Mittelbewirtschaftung genannt. Eine Aufgabe der Jährigkeit wäre aber sowohl für die Zwecke der Planung als auch für die Kontrolle der staatlichen Haushalts- und Wirtschaftsführung kontraproduktiv. Der durch eine Trennung nach Haushaltsjahren vermittelte Zwang zum jährlichen Haushaltsausgleich hat eine mäßigende Wirkung. Das Ausgleichsgebot zwingt den Haushaltsgesetzgeber, Ausgaben und Einnahmen zur Deckung zu bringen; dieser Ausgleich muss für jedes Haushaltsjahr erfolgen. Die Jährigkeit schließt es aus, Ausgaben, die in einem Haushaltsjahr fällig werden, durch zukünftige Einnahmen zu finanzieren, die erst in nachfolgenden Haushaltsjahren erzielt werden können; eine überjährige „Verrechnung“ ist nicht möglich. Das Prinzip der Trennung nach Jahren, Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG, verhindert eine Lastenverschiebung in die Zukunft und rundet auf diese Weise die Regeln zur Kreditbegrenzung ab (§ 2 B. I., S. 107 ff.). Das Bepackungsverbot (§ 2 B. II.) hat – soweit es gilt – zunächst Rationalisierungs- und Transparenzfunktion. Vor allem das sachliche Bepackungsverbot läuft aber häufig leer. Eine weitergehende praktische Bedeutung hat es nur dort, wo verschiedene Staatsorgane bei der Gesetzgebung miteinander konkurrieren, z. B. im Rahmen der Volksgesetzgebung (S. 117 f.). Nur wenig bedeutsamer ist das zeitliche Bepackungsverbot. Die Praxis behilft sich mit Haushaltsnebengesetzen (S. 119), was den Zielen der Normenklarheit und Transparenz entspricht. Die Kreditermächtigung, die regelmäßig im Haushaltsgesetz auszusprechen ist (§ 13 Abs. 1 HGrG), ist ein typischer und erlaubter Fall der Bepackung (Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG). Die Ermächtigung zur Aufnahme von Krediten kann überjährig erteilt werden (Art. 110 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 GG). Die Einnahmen aus Krediten können als Deckungsmittel aber nur nach Jahren getrennt in den Haushaltsplan eingestellt werden (S. 123). Ein Verstoß gegen das zeitliche Bepackungsverbot führt zur Nichtigkeit der hineingepackten Vorschriften; eine geltungserhaltende Reduktion im Sinne einer automatischen Befristung ist nicht möglich (S. 132). Der Grundsatz der Vorherigkeit des Haushalts (§ 2 B. III.) sichert – wie die Jährlichkeit – das Budgetrecht des Parlaments (S. 132 ff.). Auch wenn das Grundgesetz für die etatlose Zeit in Art. 111 GG Vorsorge trifft, bedeutet dies nicht, dass der Vorherigkeitsgrundsatz des Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG als bloße Ordnungsvorschrift dispositiv wäre oder dass ein verspäteter Haushalt konkludent von der Verfassung gebilligt würde. Die Verspätung des Haushalts ist verfassungswidrig. Für die Überbrückung der etatlosen Zeit gibt es verschiedene Varianten. Neben verfassungsunmittelbare Ermächtigungen (Art. 111, 112 GG) können fortgeltende oder vorläufige gesetzliche Regelungen treten. Gesetze zur vor-
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3. Teil: Abschließende Bewertung
läufigen Haushaltsführung sind keine Haushaltsgesetze im Sinne der Art. 110, 111 GG. Sie müssen weder vollständig noch ausgeglichen sein. Sie gelten nur für einen Teil des Haushaltsjahres und ersetzen nicht das reguläre Haushaltsgesetz, das stets für ein Haushaltsjahr gilt (S. 149 ff.). Das verspätete Haushaltsgesetz ist zwar – wegen des Verstoßes gegen Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG – verfassungswidrig. Es ist aber gültig (S. 167 ff.) und wirkt auf den Beginn des Haushaltsjahres zurück (S. 171 ff.). Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG enthält insoweit kein Rückwirkungsverbot sondern ein Rückdatierungsgebot („für“). Nach Beginn und auch noch nach Ablauf des Haushaltsjahres bleibt die Pflicht zur Haushaltsgesetzgebung erhalten (S. 175 ff.). Die Nothaushaltsführung ist ein Haushaltsvorgriff, sie erfolgt – unabhängig davon auf welche rechtliche Grundlage sie im Einzelfall gestützt wird – auf Rechnung des laufenden noch nicht beplanten Haushaltsjahres. Das Haushaltsgesetz muss die finanzwirksamen Vorgänge der etatlosen Zeit aufnehmen. Das rückwirkende In-Kraft-Setzen des Haushaltsgesetzes führt daher nicht zu einer Genehmigung der vorläufigen Haushaltsführung (S. 183). Es dient nicht vergangenheitsbezogen der Finanzkontrolle sondern zukunftsbezogen dem Haushaltsausgleich. Der endgültige Haushaltsplan für das entsprechende Rechnungsjahr ist in Einnahme und Ausgabe auszugleichen, Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG. Dies setzt voraus, dass alle Einnahmen und Ausgaben wahrheitsgemäß und vollständig in den Haushaltsplan eingestellt werden. Die Bedeutung der „Rückwirkung“ erschöpft sich in der Erfassung des gesamten Haushaltsjahres (S. 186). Die Grundsätze der Jährigkeit und Vorherigkeit gelten auch bei der Kreditaufnahme: Kredite sind kein Selbstzweck, sie dienen der Deckung des Finanzierungssaldos. Kredite finanzieren die Deckungslücke zwischen den Ausgaben und Einnahmen eines Rechnungsjahres, dienen dem jährlichen Haushaltsausgleich. Die Ermächtigung zur Aufnahme von Krediten muss im Voraus erfolgen; rückwirkende Kreditermächtigungen sind unzulässig (S. 188 ff.). Auch hier bedeutet die „Rückwirkung“ eine bloße Erfassung aller kreditwirtschaftlichen Vorgänge des jeweiligen Haushaltsjahres. Die Rückdatierung der Kreditermächtigung ist regelmäßig deklaratorisch, gewinnt aber ihre Bedeutung dadurch, dass die Gesamthöhe der zulässigen und notwendigen Kredite erst mit Verabschiedung des Haushaltsplans feststeht. Im Haushaltsgesetz wird die Gesamtkreditermächtigung für das Haushaltsjahr festgeschrieben. Dennoch muss die Ermächtigung für die Aufnahme einzelner Kredite (auch der Höhe nach) vor der Aufnahme erfolgt sein. Für Nachtragshaushalte gelten alle Haushaltsgrundsätze, soweit nicht die Eigenart des Nachtrags eine Anwendung ausschließt. Mutatis mutandis be-
§ 6 Zusammenfassung
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ansprucht daher auch der Vorherigkeitsgrundsatz Geltung (S. 195 ff.). Ein Nachtragshaushalt kann vor Beginn des Haushaltsjahres festgestellt werden (z. B. bei Doppelhaushalten). In jedem Fall müssen die Ermächtigungen des Plans vom Parlament verabschiedet sein, bevor die Exekutive sie in Anspruch nimmt (relative Vorherigkeit). Ein Nachtragshaushalt ist zudem bis zum Ende des laufenden Haushaltsjahres festzustellen (S. 199 ff.). Er ist als zwar Änderungsgesetz auf den Beginn des Haushaltsjahres zurückzudatieren, weil auch das Haushaltsgesetz in seiner geänderten Fassung für das gesamte Haushaltsjahr gelten muss. Diese Form der Rückwirkung führt aber nicht dazu, dass die von der Exekutive ohne eine entsprechende Ermächtigung geleisteten Ausgaben oder aufgenommenen Kredite im Rahmen des nachträglich festgestellten Haushaltsplans nachträglich legalisiert werden (S. 208). Die Möglichkeit einer wirksamen nachträglichen Genehmigung von über- oder außerplanmäßigen Ausgaben bzw. einer im Vollzug erhöhten Kreditaufnahme würde dem von der Verfassung vorgesehenen ausbalancierten System von vorheriger Bewilligung und nachträglicher Entlastung, mit differenzierten Regelungen für notwendige Abweichungen in außergewöhnlichen Haushaltssituationen durch die Art. 111 und 112 GG, ein – außerhalb dieses Systems liegendes – Parallelverfahren zur Staatsfinanzierung hinzufügen. Das nach Ende des Haushaltsjahres verabschiedete Nachtragshaushaltsgesetz ist nichtig (S. 214 ff.). Der Haushaltsplan teilt den Rang des Haushaltsgesetzes als förmliches Gesetz, es ist dessen integraler Bestandteil (§ 2 C.). Seine Rechtswirkungen ergeben sich aus dem Inhalt des Haushaltsplan-Gesetzes. Die Unterscheidung zwischen (nur) formellem und (auch) materiellem Gesetz ist insoweit hinfällig, als sie im Wesentlichen beschreibend ist, und aus ihr keine Rechtsfolgen abgeleitet werden können. Die Rechtswirkungen eines Parlamentsgesetzes ergeben sich aus dem Inhalt der Norm, der durch Auslegung zu ermitteln ist. Materielle Rechtswirkungen des Haushaltsplans setzen voraus, dass eine entsprechende Rechtswirkung beabsichtigt ist. Der Ansatz unzureichender Haushaltsmittel bezweckt indes regelmäßig keine Derogation abweichenden Rechts. Durch höherrangige Normen (etwa § 3 Abs. 2 HGrG) kann der zulässige Inhalt eines Gesetzes festgelegt und beschränkt werden, Beschränkungen ergeben sich aber nicht aus dem „Charakter“ des Gesetzes (S. 219 ff.). Das Haushaltsgesetz kann vorschreiben, dass einzelne Vorschriften mit der Verkündung des nächsten Haushaltsgesetzes oder zu einem späteren Zeitpunkt außer Kraft treten. Das Haushaltsgesetz soll selbst seine Weitergeltung anordnen. Es tritt also im Übrigen ohne eine förmliche Aufhebung oder ein ausdrücklich angegebenes „Verfallsdatum“ mit Ablauf des Haushaltsjahres außer Kraft (S. 237 ff.). Im Rahmen der abstrakten Normenkon-
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3. Teil: Abschließende Bewertung
trolle kann das Haushaltsgesetz auch nach Ende des Haushaltsjahres verfassungsgerichtlich überprüft werden, solange es Rechtswirkungen äußert (S. 244 ff.). Die Staatsverschuldung ist der „natürliche Feind“ des zeitlich gebundenen, jährlichen Haushalts (§ 3). Während der eigentliche Haushalt aus streng voneinander abgegrenzten Abschnitten besteht, führt der Staatskredit zu einer Durchbrechung der Grenzen des Haushaltsjahres. Er ist ein Vorgriff auf die (Steuer-)Einnahmen künftiger Haushaltsjahre („Zeitmaschine“). Hieraus ergibt sich das Kriterium für die Verantwortbarkeit der Finanzierung staatlicher Ausgaben durch Kredite. Der Staat muss durch die Verschuldung einen volkswirtschaftlichen „Mehrwert“ schaffen oder zumindest entstehen lassen, um auf diese Weise in folgenden Haushaltsjahren seine (Steuer-)Einnahmen zu steigern oder die Ausgaben senken zu können (§ 3 A.). Die Staatsverschuldung ist kein Demokratieproblem. Zwar ist Demokratie Macht auf Zeit. Die Vorbelastung zukünftiger Generationen ist aber kein Spezifikum der Staatsverschuldung oder der Finanzpolitik sondern allen wichtigen Politikbereichen immanent (S. 256 ff.). Der Gesetzgeber darf einen späteren neu gewählten Gesetzgeber nicht rechtlich binden; faktische Bindungen infolge gesetzgeberischer Maßnahmen werden von diesem Grundsatz nicht umfasst. Die demokratische Neuwahl gibt die Möglichkeit zur Politikkorrektur, sie bedeutet aber keine allgemeine Diskontinuität des staatlichen Lebens. Es gehört zu den Aufgaben des demokratischen Gesetzgebers, über die Amtsperioden hinauszusehen, Vorsorge für die dauerhafte Befriedigung von Gemeinschaftsinteressen zu treffen und damit auch die Entscheidungsgrundlagen nachfolgender Amtsträger inhaltlich vorauszubestimmen1. Politische und ökonomische Fehler, die ein demokratisch gewählter Gesetzgeber macht, stellen das Demokratieprinzip nicht in Frage. Das geltende Staatsschuldenrecht des Grundgesetzes nimmt die Vorstellung von der Zukunftsbegünstigung auf, die einerseits durch Investitionen (Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG), andererseits durch konjunkturelle bzw. stabilisierungspolitische Wirkungen der Kreditaufnahme (Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG) erreicht werden soll (§ 3 B.). In der Normallage sind die Einnahmen aus Krediten der Höhe nach durch die Ausgaben für Investitionen begrenzt. Hieraus ergibt sich die zeitliche Komponente der Kreditbegrenzung, sie knüpft an das jährliche Haushaltsgesetz an. Die „Einnahmen aus Krediten“ sind unter Einbeziehung der Schulden bei öffentlichen Kreditgebern im Sinne der effektiven Nettoneuverschuldung zu verstehen. „Ausgaben für Investitionen“ sind de lege lata die in 1
BVerfG, Urteil v. 18.4.1989, 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311 [343].
§ 6 Zusammenfassung
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§ 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 HGrG genannten Ausgaben. Die Kritik am Investitionsbegriff des GG ist teilweise berechtigt. Rechtspolitisch spricht vieles dafür, auf Nettoinvestitionen abzustellen, also Abschreibungen und Desinvestitionen zu berücksichtigen, oder aber die „Ausgaben für Investitionen“ als Maßstab für die zulässige Kreditaufnahme zugunsten anderer volkswirtschaftlicher Größen vollständig aufzugeben. Das gegenwärtige System lässt eine Erfassung von Wertänderungen (durch Abschreibungen) jedoch nicht zu. Die staatliche Haushaltswirtschaft ist tatsächlich und normativ auf Zahlungsströme („Cashflow“) ausgerichtet (S. 275 ff.). Anders als die Regelung im europäischen Gemeinschaftsrecht (Art. 104 Abs. 2 EG), die nicht nur eine Begrenzung der jährlichen Nettoneuverschuldung fordert, sondern auch auf den Schuldenstand Bezug nimmt, bezieht sich die Schuldengrenze des Grundgesetzes nur auf die „Einnahmen aus Krediten“. Die Gefahr eines „potentiell unbegrenzten Schuldenbergs“2 ist nicht von der Hand zu weisen, aber zwingende Konsequenz der Konzentration auf die jährlichen Einnahmen und Ausgaben, die den Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GG für die absolute Höhe des Schuldensockels blind macht. Erfasst werden können hingegen Desinvestitionen im Fall der Veräußerung von Staatsvermögen (S. 282 ff.). Die Investitionsgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG gilt auch für den Haushaltsvollzug, dies folgt aus einem Erst-Recht-Schluss und wird durch Art. 109 Abs. 2 GG bestätigt (S. 285 ff.). Der Kreditspielraum der Exekutive kann nicht weiter gefasst sein als der des Gesetzgebers. Die praktischen Schwierigkeiten einer Bindung an die Ist-Ausgaben lassen sich mit Hilfe einer „Fehlbetragslösung“ ausräumen. Weil eine Überschreitung der Investitionsgrenze bezogen auf die Ist-Einnahmen aus Krediten und die IstAusgaben für Investitionen in der Regel erst nach Abschluss des Haushaltsjahres im Rahmen der Haushaltsrechnung festgestellt werden kann, sind die Einnahmen aus Krediten in Höhe des Überschreitungsbetrages in einen Fehlbetrag umzubuchen. Dieser Fehlbetrag ist in den Haushaltsplan für das nächste oder das zweitnächste Haushaltsjahr einzustellen (S. 292). Die Relation zwischen Krediteinnahmen und Investitionsausgaben gilt für das einzelne Haushaltsjahr und gestattet keine überjährige Betrachtung. Unterschreiten die Krediteinnahmen die Ausgaben für Investitionen in einem Jahr, so rechtfertigt dies nicht die Überschreitung der Investitionssumme in einem anderen Haushaltsjahr. Der zweite Halbsatz des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG durchbricht das Junktim der jährlichen Krediteinnahmen an die für dasselbe Jahr veranschlagten Ausgaben für Investitionen. Die Anknüpfung an eine „Störung des gesamt2
Friauf, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 91, Rn. 51.
398
3. Teil: Abschließende Bewertung
wirtschaftlichen Gleichgewichts“, die auch von einzelnen Ländern festgestellt werden kann (S. 301), führt zu einer weiteren Einschränkung des Jährlichkeitsprinzips. Konjunkturzyklen verlaufen nicht im Rhythmus von Haushaltsjahren. Aufgrund der Regel-Ausnahme-Struktur des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG muss dennoch stets eindeutig sein, ob für das entsprechende Haushaltsjahr die „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ angenommen wird (S. 309 ff.). Für eine kontinuierliche Haushaltswirtschaft ist die von der Verfassung vorgegebene Trennung nach Jahren hinderlich. Der Haushaltsgeber, der im Rahmen seiner Planungen verschiedenste finanzielle Interessen und Ausgabenbedürfnisse zum Ausgleich bringen muss, versucht daher häufig die zum Teil erheblichen Schwankungen der Einnahmen und Ausgaben vom einen zum anderen Haushaltsjahr abzufedern (§ 4). Dem geltenden Haushaltsverfassungsrecht entspricht eine solche „überjährige“ Betrachtung nicht. Es droht die Gefahr einer Umgehung der verfassungsrechtlichen Kreditgrenzen. Eine Überschreitung der sich aus dem jährlichen Haushaltsplan ergebenden Investitionsgrenze, kommt nur dann in Betracht, wenn eine „Umgehung“ den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 109 Abs. 2 GG) entspricht und durch sie gerechtfertigt wird. Für diesen Fall gibt es aber bereits die Ausnahme nach Art. 115 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GG, die eine Umgehung kanalisiert und damit unnötig macht. Typische Umgehungsstrategien sind der Vor- und Rückgriff auf Kreditermächtigungen (§ 4 A., S. 314 ff.), die Bildung kreditfinanzierter Überschüsse (§ 4 B., S. 349 ff.) und die Verschiebung von Kreditmitteln mit Hilfe kreditfinanzierter Rücklagen (§ 4 C., S. 365 ff.). Das Ansparen fortgeltender Kreditermächtigungen zur weiteren Kreditfinanzierung des Haushalts ist mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren (§ 4 A.). Die entsprechende Haushaltspraxis des Bundes und der Länder ist intransparent und birgt die Gefahr, dass unter Rückgriff auf Restermächtigungen die verfassungsrechtliche Kreditobergrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG im Haushaltsvollzug umgangen wird. Auch die Fortgeltung nicht ausgeschöpfter Kreditermächtigungen aus Vorjahren kann der Exekutive aber keine Überschreitung der Kreditgrenzen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG ermöglichen (S. 325). Zulässig ist der Rückgriff auf Restkreditermächtigungen grundsätzlich nur im Rahmen des Nothaushaltsrechts (S. 327 ff.) und für Ausgabereste (S. 331 ff.). In beiden Fällen sind die Einnahmen aus Krediten dann aber auf die Kreditgrenze des entsprechenden Jahres anzurechnen. Der seit 1999 in den Haushaltsgesetzen des Bundes enthaltene § 2 Abs. 9 kann vor diesem Hintergrund als „trojanisches Pferd“ bezeichnet werden. Er sperrt die Ermächtigungen des neuen Haushaltjahres, obwohl es sachge-
§ 6 Zusammenfassung
399
recht wäre, die Inanspruchnahme der Restermächtigungen von der parlamentarischen Zustimmung abhängig zu machen (S. 335 ff.). § 2 Abs. 9 HG perpetuiert aber die „Fifo-Methode“ bei der Ausschöpfung von Kreditermächtigungen und schafft die gesetzliche Grundlage für eine höchst fragwürdige Haushaltspraxis. Die Kreditermächtigung, die im jeweiligen Haushaltsjahr zur Verfügung steht, ist – wie sie sich auch immer zusammensetzt – verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass eine Kreditaufnahme immer nur zu einer Nettoneuverschuldung führen darf, die die Grenzen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG einhält. Nach geltendem Recht ist es daher möglich, ein Kreditermächtigungspolster anzulegen (arg. e § 2 Abs. 9 HG), es ist aber nicht möglich, dieses Polster in Anspruch zu nehmen, wenn die Inanspruchnahme zu einer Überschreitung der Kreditgrenze führt oder den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nicht entspricht, Art. 115 Abs. 1 S. 2, Art. 109 Abs. 2 GG. Auch Vorgriffskreditermächtigungen durchbrechen die zeitlichen Grenzen des Haushaltsjahres und bergen ein gewisses Missbrauchspotential. Die Einnahmen aus Krediten, die auf Grund solcher Ermächtigungen im laufenden Haushaltsjahr eingehen, aber wirtschaftlich dem kommenden Jahr zuzurechnen sind, müssen aber auf die Kreditgrenze desjenigen Jahres angerechnet werden, für das die Kreditaufnahme erfolgt. Sie können den Spielraum für die Nettoneuverschuldung nicht erweitern (S. 344 ff.). Kassenmäßige Überschüsse bei zumindest teilweise kreditfinanzierten Haushalten zeigen, dass zur Finanzierung des Haushalts unnötige Kredite aufgenommen worden sind (§ 4 B.). Es ist zwar wegen des Gesamtdeckungsgrundsatzes tatsächlich nicht möglich eine Aussage darüber zu treffen, ob die überschüssigen Mittel mit Kreditmitteln „identisch“ sind. Jedoch sind Kredite zur Deckung von Ausgaben zu verwenden und dürfen daher nicht der Bildung eines Überschusses dienen – auch dies folgt aus dem Gesamtdeckungsgrundsatz. Die Kreditaufnahme ist zwar nicht im Rahmen der Haushaltsgesetzgebung wohl aber im Rahmen des Haushaltsvollzuges subsidiär (S. 357 ff.). Das einfache Recht fingiert eine Kreditfinanzierung des Überschusses; auf Bundesebene werden die Krediteinnahmen aus diesem Grunde spitz abgerechnet (S. 362 f.). Kreditfinanzierte Rücklagen (§ 4 C.) verstoßen in der Regel nicht gegen den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, der allerdings auch – bis zu einem gewissen Grad – den Gesetzgeber bindet (S. 370 ff.). Sie sind aber – gerade weil keine tatsächlichen Kreditmittel in der Rücklage geparkt werden, sondern nur „Umbuchungen“ stattfinden – stets als Umgehung der verfassungsrechtlichen Kreditgrenzen rechtsmissbräuchlich (S. 375 ff.).
400
3. Teil: Abschließende Bewertung
Verschiedene Varianten der Rücklagenwirtschaft (S. 379 ff.) zeigen, dass die verfassungsrechtlichen Grenzen für die Kreditfinanzierung staatlicher Haushalte in hohem Maße missbrauchsanfällig sind. Der Finanzstaat lässt sich nur schwer rechtlich bändigen3. Klare zeitliche Grenzen des Haushaltsgesetzes können hier jedoch helfen (S. 387 ff.).
3 Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: FS Friauf, S. 705 [707].
Anhang Anhang 1
Schuldenstand und Anteil der Zinsausgaben (ohne Nachträge) Schuldenstand 1950–2006 Milliarden 1.600 € 1.400 € 1.200 € 1.000 € 800 € 600 € 400 € 200 € 0€ 1950 1953 1956 1959 1962 1965 1968 1971 1974 1977 1980 1983 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 Jahr Schulden des Bundes
Schulden der Gesamthaushalte
402
Anhang
Zinsausgaben des Bundes (Kap. 32 05 – Schuldendienst) Milliarden 45 € 40 € 35 € 30 € 25 € 20 € 15 € 10 € 5€
0€ 1981
1983
1985
1987
1989
1991
1993
1995
1997
1999
2001
2003
2005
2007
Jahr Zinsausgaben (32 05 – Schuldendienst)
Anteil der Zins- an den Gesamtausgaben (Bund) 18 % 16 % 14 % 12 % 10 % 8% 6% 4% 2%
2008
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
1990
1989
1988
1987
1986
1985
0%
Anhang
403
Anhang 2
Verkündung der Bundeshaushaltsgesetze 1949–2008 HG für
Gesetz vom
verkündet am
2008
22.12.2007
31.12.2007
2007 I, S. 3227
2007 (NH)
22.12.2007
31.12.2007
2007 I, S. 3216
2007
21.12.2006
28.12.2006
2006 I, S. 3346
2006
18.7.2006
24.7.2006
2006 I, S. 1634
2005
3.3.2005
8.3.2005
2005 I, S. 467
21.12.2004
28.12.2004
2004 I, S. 3662
2004
18.2.2004
25.2.2004
2004 I, S. 230
2003 (NH)
18.2.2004
25.2.2004
2004 I, S. 222
2003
30.4.2003
5.5.2003
2003 I, S. 574
2002 (NH)
23.12.2002
30.12.2002
2002 I, S. 4594
2002
20.12.2001
27.12.2001
2001 I, S. 3964
2001
21.12.2000
28.12.2000
2000 I, S. 1920
2000
22.12.1999
28.12.1999
1999 I, S. 2561
1999
21.6.1999
23.6.1999
1999 I, S. 1387
1998
22.12.1997
30.12.1997
1997 I, S. 3256
1997 (NH)
22.12.1997
30.12.1997
1997 I, S. 3242
1997
20.12.1996
27.12.1996
1996 I, S. 2033
1996
15.12.1995
22.12.1995
1995 I, S. 1793
1995
22.6.1995
27.6.1995
1995 I, S. 819
1994
20.12.1993
23.12.1993
1993 I, S. 2153
18.6.1993
26.6.1993
1993 I, S. 934
21.12.1992
29.12.1992
1992 I, S. 2229
15.7.1992
21.7.1992
1992 I, S. 1290
1992
20.12.1991
31.12.1991
1991 I, S. 2360
1991 (NH)
20.12.1991
31.12.1991
1991 I, S. 2350
27.6.1991
29.6.1991
1991 I, S. 1354
2004 (NH)
1993 (NH) 1993 1992 (NH)
1991
BGBl.
404 HG für
Anhang Gesetz vom
verkündet am
1990 (3. NH)
2.11.1990
7.11.1990
1990 I, S. 2402
1990 (2. NH)
26.6.1990
28.6.1990
1990 I, S. 1146
1990 (NH)
23.5.1990
29.5.1990
1990 I, S. 944
22.12.1989
29.12.1989
1989 I, S. 2421
11.7.1989
18.7.1989
1989 I, S. 1402
1989
20.12.1988
22.12.1988
1988 I, S. 2246
1988 (NH)
26.10.1988
28.10.1988
1988 I, S. 2082
1988
18.12.1987
24.12.1987
1987 I, S. 2747
1987
19.12.1986
30.12.1987
1986 I, S. 2568
1986
19.12.1985
24.12.1985
1985 I, S. 2338
1985
20.12.1984
28.12.1984
1984 I, S. 1658
1984 (NH)
23.11.1984
27.11.1984
1984 I, S. 1417
1984
22.12.1983
24.12.1983
1983 I, S. 1516
1983
20.12.1982
22.12.1982
1982 I, S. 1811
1982 (2. NH)
20.12.1982
22.12.1982
1982 I, S. 1802
1982 (NH)
11.10.1982
16.10.1982
1982, S. 1389
1982
17.2.1982
25.2.1982
1982 I, S. 161
1981
13.7.1981
14.7.1981
1981 I, S. 630
8.7.1980
12.7.1980
1980 I 868
21.12.1979
28.12.1979
1979 I, S. 2308
1979 (2. NH)
6.11.1979
9.11.1979
1979 I, S. 1781
1979 (NH)
12.7.1979
18.7.1979
1979 I, S. 997
1979
23.2.1979
1.3.1979
1979 I, S. 205
1978 (NH)
11.8.1978
12.8.1978
1978 I 1241
1978
21.2.1978
24.2.1978
1978 I, S. 285
1977
25.7.1977
28.7.1977
1977 I, S. 1401
1976
8.6.1976
11.6.1976
1976 I, S. 1381
22.10.1975
24.10.1975
1975 I, S. 2627
1990 1989 (NH)
1980 (NH) 1980
1975 (NH)
BGBl.
Anhang HG für
405
Gesetz vom
verkündet am
1975
16.4.1975
18.4.1975
1975 I, S. 917
1974
31.5.1974
5.6.1974
1974 I, S. 1229
1973
6.7.1973
12.7.1973
1973 I, S. 733
1972
21.12.1972
29.12.1972
1972 I, S. 2537
1971
3.3.1971
5.3.1971
1971 I, S. 129
1970
27.6.1970
29.6.1970
1970 I, S. 877
1969
18.4.1969
19.4.1969
1969 II, S. 793
1968
3.5.1968
8.5.1968
1968 II, S. 345
1967
4.7.1967
7.7.1967
1967 II, S. 1961
23.12.1966
30.12.1966
1966 II, S. 1579
1966
22.6.1966
25.6.1966
1966 II, S. 437
1965
18.3.1965
23.3.1965
1965 II, S. 193
22.12.1964
31.12.1964
1964 II, S. 1961
1964
13.5.1964
13.5.1964
1964 II, S. 477
1963 (NH)
25.5.1964
4.6.1964
1964 II, S. 641
1963
24.6.1963
28.6.1963
1963 II, S. 747
27.12.1962
31.12.1962
1962 II, S. 2386
1962
23.5.1962
29.5.1962
1962 II, S. 469
1961
10.4.1961
17.4.1961
1961 II, S. 357
1960
2.6.1960
9.6.1960
1960 II, S. 1545
1959
6.7.1959
11.7.1959
1959 II, S. 793
1958
24.7.1958
30.7.1958
1958 II, S. 234
1957 (NH)
24.7.1958
30.7.1958
1958 II, S. 230
1957
26.6.1957
28.6.1957
1957 II, S. 509
1956 (6. NH)
27.7.1957
10.8.1957
1957 II, S. 745
1956 (5. NH)
11.6.1957
13.6.1957
1957 II, S. 484
1956 (4. NH)
15.4.1957
29.4.1957
1957 II, S. 166
1956 (3. NH)
30.3.1957
2.4.1957
1957 II, S. 33
1966 (NH)
1964 (NH)
1962 (NH)
BGBl.
406
Anhang
HG für
Gesetz vom
verkündet am
1956 (2. NH)
24.12.1956
29.12.1956
1956 II, S. 2098
1956 (NH)
24.12.1956
29.12.1956
1956 II, S. 2095
1956
24.7.1956
26.7.1956
1956 II, S. 830
1955 (4. NH)
24.7.1956
26.7.1956
1956 II, S. 826
1955 (3. NH)
11.5.1956
15.5.1956
1956 II, S. 554
1955 (2. NH)
11.5.1956
15.5.1956
1956 II, S. 551
29.12.1956
1.3.1956
1956 II, S. 321
1955
12.7.1955
13.7.1955
1955 II, S. 714
1954
26.5.1954
28.5.1954
1954 II, S. 541
1953
24.7.1953
28.7.1953
1953 II, S. 159
9.4.1953
11.4.1953
1953 II, S. 99
1952
25.6.1952
28.6.1952
1952 II, S. 605
1951 (NH)
20.8.1952
22.8.1952
1952 II, S. 711
1951
7.12.1951
10.12.1951
1951 II, S. 201
1950
29.6.1951
30.6.1951
1951 II, S. 125
1949 (NH)
29.6.1950
30.6.1950
1950, S. 259
7.6.1950
14.6.1950
1950, S. 199
1955 (NH)
1952 (NH)
1949
BGBl.
257 Mio. DM (1.1.–3.3.2000)
Ist-Ausgaben: ./. 89,376 Mrd. (ges.)
1999
Erwirtschaftung des Überschusses Auslaufzeitraum, 1.1.–3.3.2000
Im Zeitraum 1.1.–3.3.2000 wurden für das Haushaltsjahr noch 2,9 Mrd. DM an Krediten aufgenommen. – Diesen standen im gleichen Zeitraum Ausgaben i.H.v. 257 Mio. DM gegenüber.
(kreditfinanzierter) Überschuss = 792 Mio. DM
2,9 Mrd. DM (1.1.–3.3.2000)
Ist-Einnahmen: 90,168 Mrd. (ges.)
z.T.
z.T.
2000
Bildung der allgemeinen Rücklage
kassenmäßiger Überschuss 1,636 Mrd. DM (Ist)
Rücklage zur Vorsorge für die Steuermindereinnahmen des Jahres 2001
6,2 Mrd.
792 Mio.
2,3 Mrd.
Investitionsgrenze
2001
Ausschöpfung der allgemeinen Rücklage
6,7 Mrd.
Kreditobergrenze (Art. 83 S. 2 Landesverfassung)
(Netto-)Neuverschuldung 6,2 Mrd. DM
Haushaltsplanung (= Gesetzgebung)
Haushalt 2001
Nettoneuverschuldung des Jahres 2001
Ausschöpfung d. Rücklage
Kreditmittel 1,552 Mrd. DM
Allgemeine Rücklage 2,343 Mrd. DM
andere Ausgaben 2000
z.T.
(Netto-)Neuverschuldung 6,9 Mrd. DM
(Netto-)Neuverschuldung 5,1 Mrd. DM
z.T.
Haushaltsplanung (= Gesetzgebung)
Haushaltsvollzug (= Exekutive)
z.T.
Haushalt 2000
Haushalt 1999
Schematische Darstellung der nordrhein-westfälischen Überschuss- und Rücklagenwirtschaft in den Haushaltsjahren 1999–2002
Anhang 3
Anhang 407
152 Mio. DM (1.1.-6.4.2001)
Ist-Ausgaben: ./. 92,958 Mrd. (ges.)
z.T.
kassenmäßiges Defizit 2,8 Mrd. DM (Ist)
Allgemeine Rücklage 1,2 Mrd. DM
2001
6,6 Mrd. DM
1,2 Mrd.
6,7 Mrd. DM Investitionsgrenze (= 3,4 Mrd. €)
Kreditobergrenze (Art. 83 S. 2 Landesverfassung)
2002
Ausschöpfung der allgemeinen Rücklage
Nettoneuverschuldung des Jahres 2002 (= 3,352 Mrd. €)
z.T. Ausschöpfung d. Rücklage
Bildung der allgemeinen Rücklage
z.T.
z.T.
andere Ausgaben 2001
(Netto-)Neuverschuldung 3,4 Mrd. € (= 6,6 Mrd. DM)
Haushaltsplanung (= Gesetzgebung)
Haushalt 2002
(vgl. zum Sachverhalt VerfGH NW, Urteil v. 2.9.2003, VerfGH 6/02, OVGE 49, 278 ff. und Birk, BdSt NW Nr. 20; http://www.steuerzahler-nrw.de/download/birk_birk20011.pdf)
2000
Auslaufzeitraum, 1.1. -6.4.2001
Erwirtschaftung des Überschusses
Im Zeitraum 1.1.–6.4.2001 wurden für das Haushaltsjahr noch 6,7 Mrd. DM an Krediten aufgenommen. – Diesen standen im gleichen Zeitraum Ausgaben i.H.v. 152 Mio. DM gegenüber.
(kreditfinanzierter) Überschuss = 1,636 Mrd. DM
6,7 Mrd. DM (1.1.-6.4.2001)
z.T.
Ist-Einnahmen: 94,594 Mrd. (ges.)
z.T.
(Netto-)Neuverschuldung 6,2 Mrd. DM
Haushaltsplanung (= Gesetzgebung)
Haushaltsvollzug (=Exekutive)
(Netto-)Neuverschuldung 6,9 Mrd. DM (Ist)
Haushalt 2001
Haushalt 2000
408 Anhang
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Personen- und Sachwortregister Abgeordnetenhaus, preußisches 139 Abrechnung, spitze siehe Spitzabrechnung Abschreibungen siehe Investition Absolutismus 85 Absorption siehe Haushaltsgesetz, Rückwirkung Aggregate investment approach 253 Alexander der Große 84 Altertum 84 Ancien Régime 85 Änderungsgesetz siehe Nachtragshaushalt, als Änderungsgesetz Ankündigungseffekt 26 Annual Mutiny Act 88 Annuität 84 Anrechnung siehe Haushaltsvorgriff Anschütz, Gerhard 134, 221 Anwendbarkeit, entsprechende siehe Nachtragshaushalt, Haushaltsgrundsätze Anwendungsbereich – räumlicher 25 – zeitlicher 24 Anwendungsvorrang 74, 78 Armed Forces Act siehe Annual Mutiny Act Asymmetrischer Haushaltsvollzug siehe Haushaltsvollzug, asymmetrischer Athen 85 Aufhebung, förmliche 238–239 Aufnahme (von Krediten) siehe Kredite, Aufnahme von Aufstellung, des Haushalts siehe Haushaltsaufstellung
Ausgaben – außerplanmäßige siehe Notbewilligungsrecht – für Investitionen siehe Investitionen, Ausgaben für – steigende siehe Gesetz, Wagner’sches – überplanmäßige siehe Notbewilligungsrecht Ausgabereste 243 – Finanzierung durch fortgeltende Kreditermächtigungen 331 Ausgeglichenheit (des Haushalts) 33, 57, 186 – finanzpsychologische Wirkung 61 – formelle 58 – materielle 57 Auslaufzeitraum 203, 205, 234, 350, 353 ff., 363 Auslegung, verfassungskonforme, Verstoß gegen zeitliches Bepackungsverbot 131 Auslegungsregel, § 3 Abs 2 BHO als 232 Außerkrafttreten (des Haushaltsgesetzes) 237 Australien 97 Baden 92 Bagatellgrenze siehe Nachtragshaushalt, Bagatellgrenze Bayern 93, 143, 389 Bedürfnis, unvorhergesehenes und unabweisbares siehe Notbewilligungsrecht Befristung 218 – automatische 127 – hineingepackter Bestimmungen 130
Personen- und Sachwortregister Begriffsvertauschung siehe Laband, Paul (Budgettheorie) Bepackungsverbot 34, 62, 112 – als Bedingungsverbot 116 – bei der Kreditermächtigung 123, 126 – Folgen eines Verstoßes 126 – sachliches 63, 113, 115 – zeitliches 63, 119, 122, 241 – zeitliches und Trennung nach Jahren 126 Beratung, Recht zur 159 Betriebsmittelrücklage 146 Bilanzierung 275 Bill of Rights 87 Bindung – an die Ausgabenansätze 210 – an die Planansätze 236 – an Kreditgrenze im Haushaltsvollzug siehe Haushaltsvollzug, asymmetrischer Bindung, Grundsatz der – als Auslegungsregel 55 – betragliche 55 – sachliche 34, 54 – zeitliche 34, 55, 102, 104 Bindungsgrad 106, 143, 166 Bismarck, Otto v. 139, 146, 226 Bodensatz siehe Minderausgaben, globale Bodin, Jean 88 Brandt, Willy 147 Bremen 140 Brundtland-Bericht 259 Bruttoveranschlagung, Grundsatz der 33, 47–48, 264 Buchanan, James 256 Budgetfunktionen 32 Budgetierungsinstrumente 105, 107 Budgetinitiative siehe Initiativrecht Budgetkonflikt 138, 147, 155 – preußischer 139, 144, 181, 224, 226 Budgetkreislauf 19, 30, 84, 176
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Budgetkreuz 31 Budgetmantel 220 Budgetöffentlichkeit 35, 67 Budgetrecht, parlamentarisches 91, 94, 99, 134, 141, 183 – Gesamtdeckungsprinzip 47 Budgetverzögerung siehe Budgetkonflikt Bundesgesetzblatt 68 Bundesminister der Finanzen siehe Notbewilligungsrecht Bundesrat 73, 116–117 Bundesrechnungshof 68 Bürgerschaft, Beschluss der siehe Hamburg Bürgschaft 123, 265 Cashflow-Orientierung (des Haushaltsrechts) 275 Circulus vitiosus 231 Compte-rendu 86 Constituante siehe Revolution, Französische Crowding out 268 Darlegungslast siehe Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Dauer, Charakter der 27 Dauerhaushalt siehe Trennung nach Jahren Dauerregelung, faktische 120 Dauerwirkung 240 Deckungskredit 123, 190, 265, 291 Deckungslücke 52 Deckungsregel – objektbezogene 275 – situationsbezogene 275 Deficit spending 308, 389 Demokratie – Demokratieprinzip 258 – Herrschaft auf Zeit 256
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Personen- und Sachwortregister
– Normenhierarchie 39 – Öffentlichkeitsprinzip 67 Demokratieproblem siehe Staatsverschuldung als D. Derogation – formelle 75–76 – materielle 75 Desinvestition 273, 282, 284 Deutsches Reich, Vorherigkeit 135 Dezemberfieber 104–105, 293, 333, 387 Diskontinuität 138 – allgemeine 260 – personelle 258 Domäneneinkünfte 90 Doppelhaushalt 64, 84, 111, 204 Dörfer, potemkinsche 288 Douzièmes provisoires 144 Drittwirkung 34, 231
Erfassung des Haushaltsjahres, bloße 186 Ergänzungshaushaltsplan siehe Teilhaushaltsplan Ermächtigung – verfassungsunmittelbare 182 – zur Aufnahme von Krediten siehe Kreditermächtigung Ermächtigungswirkung, des Haushaltsplans 180 Ersatztatbestand siehe Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, Darlegungslast Etat au vrai 86 Etat du roi 86 Etatkonflikt siehe Budgetkonflikt Etats de prévisions 85 Etatsjahr siehe Haushaltsjahr Etatverweigerung siehe Budgetkonflikt
Einheit – des Haushalts siehe Haushaltseinheit – rechtsetzungstechnische 116 – von Haushaltsgesetz und Haushaltsplan 40, 219 Einnahmen (aus Krediten) siehe Kredite, Einnahmen aus Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum siehe Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, Einschätzungsspielraum Einspruchsgesetz 73, 116 Einstein, Albert 22–23 Einzelpläne 68 Einzelveranschlagung, Grundsatz der 33, 47 England 86 Entlastungsverfahren 182, 192, 210, 243, 248 – Budgetkreislauf siehe dort – Genehmigung durch Rückwirkung siehe dort
Fehlbetrag 57, 294, 351, 360, 363–365, 388, 397 – Vermeidung durch Spitzabrechnung 362 Fehlbetragslösung 292, 397 Fifo-Methode 322–323 Finanzagentur 291 Finanzhaushalt 152 Finanzierungsformen, alternative 265, 267 Finanzierungsgesetz siehe Gesamtdeckungsprinzip Finanzierungsüberhang siehe Vorgriffskreditermächtigung Finanzierungsübersicht 50, 68, 267 Finanzierungsvorlauf siehe Vorgriffskreditermächtigung Finanzkontrolle 68 Finanzplanung – mehrjährige 70 – mittelfristige 105 – überjährige 105 – Zukunftsbezogenheit 29
Personen- und Sachwortregister Finanzpolitik, prozyklische 308 Finanzpsychologische Wirkung siehe Wirkung, finanzpsychologische Finanzverfassung 42 Finanzwirksamkeit 113 Fiscal year siehe Haushaltsjahr Folgewirkung 243 Fontänentheorie 18 Forderungsverkäufe 266 Formgebundenheit siehe Bepackungsverbot Forstwirtschaftsjahr 97 Fortgeltung des Haushalt siehe Außerkrafttreten (des Haushaltsgesetzes) Frankreich 86, 88, 94 Fricke, Eberhard 147 Friedrich III. (Kurfürst) 90 Frühkonstitutionalismus 86 Garantie 123, 265 Gebietskörperschaften, Kreditaufnahme bei 267 Geldverschlechterung siehe Währungsmanipulation Geltung, gemeinsame siehe Haushaltsgrundsätzegesetz Geltungsbereich siehe Anwendungsbereich Gemeindefinanzierungsgesetz siehe Kommunalkreditierung Gemeinschaftsrecht, europäisches 280 Genauigkeit, Grundsatz der 33, 54 Genehmigung – der vorläufigen Haushaltsführung 181 – des Haushaltsvollzugs 180 – Fiktion 180 – Möglichkeit 183 – nachträgliche 211 – Notwendigkeit der (Rückwirkung) 181 – rückwirkende 183 Generaldebatte 16 Generation, nachfolgende 260
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Gesamtdeckungsprinzip 33, 44, 71, 355 – Rücklage 367 – Überschüsse 352 Gesamthaushalt siehe Stammhaushalt Gesetz – formelles 15, 226 – förmliches 219 – künftiges 183 – mit Verfallsdatum siehe Verfallsdatum – nur formelles 221, 231 – Wagner’sches 17 Gesetzblatt, Verkündung im 68 Gesetzesbegriff, dualistischer 221, 224 Gesetzförmigkeit 34, 66, 72 Gestaltungen, modellhafte 313 Gewährleistung, sonstige 123–124, 193, 265 Gewaltenteilung, funktionale 154 Gleichgewicht siehe auch Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Gleichgewicht, gesamtwirtschaftliches 296–297 – Auswirkungen auf die Kreditaufnahme 298 Globalsteuerung 296, 389 Glorious Revolution 87 GMA siehe Minderausgaben, globale Goldene Regel der Finanzpolitik 255, 261, 263, 274, 389 Grundnorm 24 Grundrechte 174 Grundsätze siehe Haushaltsgrundsätze Grundsatzgesetzgebung siehe Haushaltsgrundsätzegesetz Grundstockvermögen 389 Gruppierungsplan 271 Haenel, Albert 222 Hamburg 66
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Personen- und Sachwortregister
Handlungsprogramm, politisches 16 Hannover 92 Harmonie der politischen Richtung siehe Schmitt, Carl Hase-und-Igel-Spiel 261 Haushaltsaufstellung 31, 99 Haushaltsausgleich siehe Ausgeglichenheit Haushaltsbegleitgesetz siehe Haushaltsnebengesetz Haushaltsberatungen 96 Haushaltseinheit 33, 42 Haushaltsführung, vorläufige 145, 328 – Genehmigung der 181 Haushaltsführungsgesetz, vorläufiges siehe Haushaltsgesetz, vorläufiges Haushaltsgesetz 218 – formelles Gesetz siehe Gesetz, formelles – im eigentlichen Sinne 121 – Inkrafttreten am 1. Januar 171 – Rechtsfolgen bei Rückwirkung 177 – Rückwirkung 167, 171 – verspätetes 66, 136, 142, 167 – verspätetes (Gültigkeit) 168 – verspätetes (Verfassungswidrigkeit) 169 – vorläufiges 148 – Vorrang 236 Haushaltsgesetzgebung – Besonderheiten siehe Bepackungsverbot – nach Ablauf des Haushaltsjahres 176 – Pflicht zur 175 Haushaltsgrundsätze 32 – dynamische 35 – einfach-rechtliche 38 – formale 36 – materielle 36 – statische 35 – Systematisierung 32 – verfassungsrechtliche 42
– Wechselwirkung 37 – zeitliche 83 Haushaltsgrundsätzegesetz 39, 70, 73, 80 – Bedeutung auf Bundesebene 72 – Bedeutung auf Landesebene 82 – Bindungswirkung 72 – Inhalte 71 Haushaltsjahr 84, 95 – als Kalenderjahr siehe Kalenderjahr – Fiscal year 97 – Trennung nach 104 Haushaltsklarheit 33, 53 Haushaltskreislauf siehe Budgetkreislauf Haushaltsnebengesetz 119 Haushaltsordnung siehe Haushaltsgrundsätze, einfach-rechtliche Haushaltsperiode 92 Haushaltsplan – als staatsleitender Akt 229 – amputierter 176 – Charakter 230 – Geltung für das gesamte Haushaltsjahr 177 – Rechtsnatur 221 – Verwaltungsakt in Gesetzesform 222 – Zahlenwerk 15 Haushaltspolitik 16 Haushaltssicherungsgesetz siehe Haushaltsnebengesetz Haushaltssperre 288 Haushaltsstrukturgesetz siehe Haushaltsnebengesetz Haushaltsüberschreitung, Genehmigung 211 Haushaltsübersicht 68 Haushaltsverfassung, Begriff 42 Haushaltsvermerk (zu Kap. 32 01) 335 Haushaltsvollzug 31
Personen- und Sachwortregister
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– Kritik 273 – Reinvestition 279 – staatsschuldenrechtlicher 278 – Unschärfen 281 – verfassungsrechtlicher 270 Investitionen, Ausgaben für 263, 270 – Ex-ante-Sicht 277 – negative siehe Desinvestition – Übertragbarkeit 102 Investitionsgrenze 60, 263
– asymmetrischer 60, 285, 325 – Geltung der Kreditgrenze 285 Haushaltsvorgriff, Nothaushaltsführung 166 Haushaltsvorschaltgesetz siehe Haushaltsgesetz, vorläufiges Haushaltswahrheit 33, 51, 186 – Bedeutung für Investitionsgrenze 285 – bei vorläufigen Teilhaushalten 159 Haushaltswirtschaft – kontinuierliche 291, 313 Heckel, Max v. 228–229 Heilung – bei Nothaushaltsführung 181, 184 Heinrich IV. 89 Heller, Hermann 223, 225–226 Hesse, Konrad 225 Hessen 93 Heuer, Ernst 183 Hexerei 27 HGrG siehe Haushaltsgrundsätzegesetz Höfling, Wolfram 191 Hoheitsakt, staatsleitender 94 HRB siehe Richtlinien, haushaltstechnische Human capital 271 Hume, David 18, 254
Jahr siehe Kalenderjahr Jahre, Trennung nach siehe Trennung nach Jahren Jährigkeit 34, 84, 101, 104 – Begriff 95 Jährlichkeit 34, 64, 84, 90, 94, 104, 177 – Begriff 95 – Funktionen der 94 – historische Entwicklung 84 – Sinn und Zweck der 99 – und Bepackungsverbot 128 Jakob II. 87 Januar siehe Kalenderjahr Jèze, Gaston 16, 29, 85, 94, 387 Johann II. 89 Junktim 50, 284 Justi, Johann Heinrich Gottlob 91
Impermeabilität 223 Infrastruktur – Finanzierung der 255 Initiativmonopol 141, 157–159 Initiativrecht 66, 141, 157 Inkrafttreten 233 – Inkrafttretensklausel 177 – rückwirkendes 25 – Teil der normativen Regelung 23 Investition, Begriff 270 – Abschreibungen 273 – Desinvestition siehe Desinvestition – historischer 270
Kalender 22 – gregorianischer 22 Kalenderjahr 95 Kanada 97 Kapitalkosten 253 Kapitalmarkt siehe Kreditmarkt, Kreditaufnahme am Kapitalstock 274 Karl I. 87 Karl VII. 89 Kassen, schwarze 43 Kassenverstärkungskredit 123, 265, 291
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Personen- und Sachwortregister
Katzenfeder 25, 179 Kerbholz siehe Taille Kernenergie 258 Keynes, John Maynard 296 Klarheit siehe Haushaltsklarheit Kollisionsnorm 40 Kommunalkreditierung 379 – als verdeckte Rücklage 385 Kompensationsgröße, lastadäquate 273 Konjunkturausgleichsrücklage 60 Kontinuität 108 Kontrolle 30 Kontrollmaßstab, Haushaltsgesetz als 239 Kostenminimierung siehe Wirtschaftlichkeit Kreditaufnahme, Subsidiarität der siehe Subsidiarität Kreditaufnahme, verfrühte (Wirtschaftlichkeit) 346 Kreditbedarf, Drosselung des 373 Kredite – Aufnahme von 50, 264 – Begriff 265 – Einnahmen aus 50, 263 Kreditermächtigung 123 – als vorherige Zustimmung 170 – Bindung an 212 – Bruttoveranschlagung 50 – dauerhafte 124 – fortgeltende 148, 314, 319–320 – Anrechnung 329 – Bepackungsverbot 320 – Finanzierung von Ausgaberesten 331 – rückwirkende 188 – typische 315 – unbefristete 125 – verfassungsunmittelbare 148 Kreditfinanzierung des Haushalts – anteilige 351 – Fiktion der 357
Kreditfinanzierungsplan 50, 68, 268 Kreditgrenze 267 – dynamische 293 – Nettoveranschlagung 50 Kreditgrenze siehe auch Junktim Kreditierung siehe Kommunalkreditierung Kreditmarkt, Kreditaufnahme am 267 Kreditmehreinnahme siehe Vorgriffskreditermächtigung Kreditübertrag siehe Vorgriffskreditermächtigung Krieg, Finanzierung des 253 Kühlschrankprinzip 322 Kuriosum, staatsrechtliches 73 Laband, Paul 150, 221, 225, 227, 229 – Budgettheorie 226 Landstände 90–91 Lassalle, Ferdinand 16 Lastenverschiebung, intertemporale 257 Legalisierungswirkung, rückwirkendes Haushaltsgesetz 184 Legislaturperiode 258 – Begrenzung der Haushaltsperiode 101 Lehensstaat 86 Leitmotiv, rhythmisches siehe Budgetkreislauf Lerner, Abba P. 296 Lex aeterna 28 Lex-posterior-Regel 40, 74–75, 77, 80 Lex-specialis-Regel 40 Liquidität 374 Lückentheorie 139, 225 Ludwig XVI. 86 Macht auf Zeit 256 Magisches Viereck siehe Viereck, magisches Magna Charta 87 Maßstäbegesetz 79
Personen- und Sachwortregister Matthöfer, Hans 259 Maunz, Theodor 180 Mehrjahreshaushalt siehe Doppelhaushalt Minderausgaben, globale 55, 293 Mittelalter 86 Mittelstaaten 92 Musgrave, Richard 255 Mußgnug, Reinhard 227 Mutius, Albert v. 36 Nachhaltigkeit 19, 259 Nachtragshaushalt 99, 152 – als Änderungsgesetz 197, 206 – Bagatellgrenze 197 – Haushaltsgrundsätze, entsprechende Anwendbarkeit 196 – Pro-futuro-Bewilligung 210 – Rückdatierung 207 – Rückwirkung 205 – und Notbewilligungsrecht 208 – verspäteter 214 – Vorherigkeit 195 Nachtwächterstaat 16 Nassau 92 Nationalversammlung siehe Revolution, Französische Nebenhaushalte 386 Necker, Jacques 86 Nettoinvestition siehe Investition Nettoneuverschuldung 264, 389 Nettoveranschlagung, Grundsatz der 49–50, 264 Neumark, Fritz 32, 35, 134 Nichtgenehmigung 184 Nichtrechtssatz 228 Nominalprinzip siehe Bruttoveranschlagung, Grundsatz der Non-Affektationsprinzip siehe Gesamtdeckungsprinzip Normallage 263 Normenhierarchie 39, 72, 79, 127 Normenklarheit 119
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Normenkontrolle, abstrakte 204, 244, 249 Notbewilligungsrecht 160 Notetatgesetz 144 Nothaushaltsführung 140 – als Haushaltsvorgriff 166 – Billigung/Missbilligung 187 – keine Genehmigung der 180 Nothaushaltsgesetz 144, 150, 154 Nothaushaltsrecht 147, 161, 327 Notwendigkeit 35 Nutzenmaximierung siehe Wirtschaftlichkeit Obergruppe 31 siehe Gebietskörperschaften, Kreditaufnahme bei Obergruppe 32 siehe Kreditmarkt, Kreditaufnahme am Öffentlichkeit siehe Budgetöffentlichkeit Optimierungsgebot 37 Organgesetz 223, 231, 244 Organtreue 202 Österreich 92 Paradoxon, finanzpolitisches 17 Parlamentsgesetz siehe Gesetz, förmliches Pay as you use 255 Periodizität 64, 84, 94, 107 Petitio principii 229 Petition of Right 87 Pferd, trojanisches 338 Philipp V. 88 Planung 30 Positivismus – staatsrechtlicher 225 Preußen 90, 92 Prinzip – Begriff 37 – monarchisches 224 Prinzipien siehe Haushaltsgrundsätze
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Personen- und Sachwortregister
Proportionalität siehe Ausgeglichenheit (des Haushalts) Prorogation 143–144, 166 Rangordnung siehe Rechtsquellen, Rangordnung der Rationalisierungswirkung 115 Rechnungsjahr siehe Haushaltsjahr Rechnungsprüfung 31, 248 – Wirtschaftlichkeit 68 Recht – positives 28 – römisches 27 – Zeitdimension des Rechts 21 Rechtsquellen, Rangordnung der 73, 79 Rechtssatzcharakter (des Haushaltsplans) 222 Rechtsstaatsprinzip 174 – Normenhierarchie 39 Rechtswirkungen (des Haushaltsplans) – immanente Selbstbeschränkung 232 – materielle 230, 232 Reduktion, geltungserhaltende 132 Referendum 118 Regalien 90 Regel 37 Regierungskontrolle, parlamentarische 67 Regierungsprogramm 19 – in Zahlen 16, 29 Reichsverfassung, Kaiserreich (1871) 93, 144, 149 Reichsverfassung, Weimarer (1919) 94, 144, 149 Reinvestition siehe Investition Relativitätstheorie 23 Restkredite siehe Kreditermächtigung, fortgeltende Rettungsschuss, finaler 25 Revolution – Französische 89
– Glorious (England) siehe Glorious Revolution Rheinland-Pfalz 143 Ricardo, David 17 Richtlinien, haushaltstechnische 100 Rohstoffe 259 Rom 85 Rückanknüpfung, tatbestandliche siehe Rückwirkung, unechte Rückbewirkung von Rechtsfolgen siehe Rückwirkung, echte Rückdatierung – Inkrafttretensklausel 177 – Nachtragshaushalt 207 – Stammhaushalt 175 Rücklage 366 – Betriebsmittel siehe Betriebsmittelrücklage – Dotierung 374, 376 – kreditfinanzierte 365, 367 – Missbrauch 376 – Umbuchung 375 – Varianten 379 – Wirtschaftlichkeit 370 – zum Konjunkturausgleich siehe Konjunkturausgleichsrücklage Rückwirkung 234–235 – als Denkfehler 179 – als Erfassung 187 – als Fiktion 25 – Bedeutung der 178 – der Kreditermächtigung 188, 191 – echte 173 – Haushaltsgesetz 167, 171 – Nachtragshaushalt 205 – Pflicht zur Haushaltsgesetzgebung 175 – unechte 173 Rückwirkungsverbot 172 – Bepackungsverbot 175 – haushaltsrechtliches 174 – Sinn und Zweck 173 Rule of recognition 24
Personen- und Sachwortregister Sachsen 93 Sachsen-Coburg-Saalfeld 93 Sachsen-Meiningen 92 Sachsen-Weimar 92 Saldierung 111 – überjährige 294 – von Einnahmen und Ausgaben siehe Bruttoveranschlagung, Grundsatz der – wertfreie siehe Nettoveranschlagung, Grundsatz der Sale-and-lease-back 266 Schätzung siehe Haushaltswahrheit Schaumburg-Lippe 92 Scheindarlehen 253 Schicksalsbuch der Nation 16 Schmitt, Carl 101, 121 Schmölders, Günter 16 Schuldenberg, potentiell unbegrenzter 280 Schuldenillusion 257 Schuldensockel 281 Schuldenstand 401 Schweden 92 Schweigen, beredtes 163 Seckendorf, Veit Ludwig v. 91 Smith, Adam 254 Sollvorschrift, Vorherigkeitsgrundsatz als 140 Sommerpause, parlamentarische 96 Spanien 143 Sparsamkeit 35, 110 – optische siehe Minderausgaben, globale Sparsamkeit, Grundsatz der 68 – formaler Haushaltsausgleich 69 Spezialität 54 – sachliche 34, 54 – zeitliche 34, 54, 102, 104 Spezialität siehe auch Bindung
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Spitzabrechnung (der Krediteinnahmen) 362 Staatskredit – als Vorgriff auf zukünftige Einnahmen 251 Staatsleben, Stillstand des 146 Staatsquote 251 Staatsverschuldung 251 – als Demokratieproblem 256 – als Umverteilung in der Zeit 251 – als Zeitmaschine 252 – Bepackungsverbot 125 – Nebenwirkungen 251 Stabilitäts- und Wachstumspakt 62 Stammhaushalt 152 Stände 86 Statutum de Tallagio non concedendo 87 Stein, Lorenz v. 221, 255 Steuerbegriff siehe Gesamtdeckungsprinzip Steuerbewilligungsrecht 91 Steuereinnahmen, rechtzeitige Erhebung 59 Steuergesetz, als Dauergesetz 106 Steuerjahr 97 Steuerverbund, kommunaler siehe Kommunalkreditierung Steuerzahler, zukünftiger 256 Stockmar, E. A. Chr. 221 Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts 300 – Darlegungslast 304 – Einschätzungsspielraum 301 – Kritik 308 – Landeskompetenz zur Feststellung 301 – Vorverlagerung der Abwehr 309 Störungslage siehe Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Straßenverkehrsordnung 25 Stundung siehe Kommunalkreditierung
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Personen- und Sachwortregister
Subordination des Haushaltsplans 41, 226–227 Subsidiarität der Kreditaufnahme 357 Sunset legislation siehe Verfallsdatum, Gesetze mit Symmetrie, materielle 278 Taille 89 Tatsachen, antizipierte 229 Teilhaushaltsplan 151, 153, 156 – Begriff 152 Tempelschatz 253 Tilgung 125 – Nettoveranschlagung 50 Transparenz siehe Haushaltsklarheit Trennung nach Jahren 108, 125 – Sinn und Zweck 107 – Wirkung 105 Überbrückung (der etatlosen Zeit) 143 Überdeckung siehe Vorgriffskreditermächtigung Überrollung siehe Prorogation Überrollungshaushalt (1951) 136 Überschuss – Ausgeglichenheit 60 – Bildung im Auslaufzeitraum 352 – Gesamtdeckungsprinzip 352 – kassenmäßiger 350 – kreditfinanzierter 349 – Verwendung 359 Übertragbarkeit 102, 237, 293 – geborene 105, 291 – gekorene 105, 334 Umbuchung (von Einnahmen aus Krediten) 334 Umschuldung 125, 264 Umschuldung siehe auch Nettoveranschlagung, Grundsatz der Umschuldungskredite 317 Umverteilung siehe auch Staatsverschuldung
– intergenerative 252 Universalität siehe Vollständigkeit USA 97 Utility approach 252 Verabschiedungsfrist 201 Verausgabungszwang 59 Veräußerungserlös 282, 386, 389 Verfahrensbeschleunigung 119 Verfallsdatum 219 – Gesetze mit 28, 109 Verfassung – Kaiserreich siehe Reichsverfassung – preußische (1920) 145 – Weimarer siehe Reichsverfassung Verfassungen, frühkonstitutionelle 91 Verfassungsdurchbrechung 72 Verhältnismäßigkeitsprinzip, finanzrechtliche Ausprägung 69 Verkündungsdatum 178 Vermögensrechnung, staatliche 275 Veröffentlichung des Haushaltsplans 68 Verschwendung 387 Verwaltungsakt in Gesetzesform 222, 225, 228 Verwaltungshaushalt 152 Vialon, Friedrich Karl 134 Viereck, magisches 297 Volksgesetzgebung 117 Volkssouveränität 259 Volkszählungsgesetz 240 Vollhaushalt siehe Stammhaushalt Vollständigkeit des Haushalts 33, 42 – Bedeutung für Investitionsgrenze 285 – Nachtragshaushalt 197 Voranwendungsverbot 234 Vorfinanzierung, private 266 Vorgriff 154, 234 Vorgriffskreditermächtigung 234, 344 – Missbrauch 347 Vorherigkeit 34, 64–65, 134, 234
Personen- und Sachwortregister – – – –
absolute 199 als Ordnungsgrundsatz 139 der Kreditermächtigung 190 Differenzierung nach Verfassungsorganen 141 – Dispositivität 140 – Grafik 137 – Grundsatz der 132 – historische Entwicklung 135 – Nachtragshaushalt 195 – Rechtsfolgen der verspäteten Feststellung des Haushalts 142 – relative 190, 196 – Relativierung durch Art. 111 GG 140 – Sanktionslosigkeit des Verstoßes 171 – Überbrückung der etatlosen Zeit 142 – vorläufige Haushaltsführung siehe Haushaltsführung, vorläufige Vorratsfinanzierung siehe Vorgriffskreditermächtigung Vorratskredit siehe Vorgriffskreditermächtigung Vorwegfestlegung 193 Vorwirkung 234 – faktische 235 Votes on account siehe Haushaltsgesetz, vorläufiges Wachstum 251 Wagner, Adolf 17 Wagner, Richard 256 Wahljahr, Verspätung des Haushalts im 138 Wahrheit siehe Haushaltswahrheit Währungsmanipulation 253 Warnzeichen, politisches 99 Weimarer Verfassung 94, 144, 149 Weiss, Leo 178 Weitergeltung siehe Außerkrafttreten (des Haushaltsgesetzes)
Wiederholungshaushalt (1952) Wirksamkeit, innere 204 Wirkung, finanzpsychologische Wirtschaftlichkeit 35, 68, 110 – Geltung für den Gesetzgeber – während etatloser Zeit 147 Wirtschaftsführung, vorläufige Witchcraft Act siehe Hexerei Wohlfahrtsstaat 16 Württemberg 93
445 136 61 371 143
Zahlungsströme, Ausrichtung auf siehe Cash-Flow-Orientierung Zeit – als universelles Tatbestandsmerkmal 23 – etatlose 142, 149 – gesetzliche 22 – und Recht 21 Zeitbestimmung 22 Zeitbezug, indirekter 217 Zeitgesetz 15, 28 – Außerkrafttreten 203 – Begriff 218 – Bepackungsverbot 113 – Bezeichnung für befristetes Gesetz 29 – Gesetz über die Zeitbestimmung 22 – Jährigkeit 101 – Jährlichkeit 94 – Strafrecht (§ 2 Abs. 4 StGB) 240 – Volkszählungsgesetz 240 – Vorherigkeit 132 Zeitlichkeit – Haushaltsgesetz 233 – versteckte 217 Zeitmaschine 252, 256 Zinsniveau 251 Zinsschaden 373 Zuschüsse 282
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Personen- und Sachwortregister
Zustimmung des Parlaments – mutmaßliche (bei Art. 111 GG) 156, 180 Zustimmungsbedürftigkeit 73, 76 Zustimmungsgesetz 73, 116
Zweckbindung siehe Gesamtdeckungsprinzip Zwecksteuer siehe Gesamtdeckungsprinzip Zwölfmonatsperiode 98 Zwölftelgesetz 144