Der demografische Wandel als Herausforderung für das Raumordnungsrecht und das Baurecht [1 ed.] 9783428542949, 9783428142941

Andrea Edenharter beschäftigt sich mit der Frage, welche Lösungen das Raumordnungsrecht, das Städtebaurecht und das Bauo

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German Pages 559 Year 2014

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Der demografische Wandel als Herausforderung für das Raumordnungsrecht und das Baurecht [1 ed.]
 9783428542949, 9783428142941

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1263

Der demografische Wandel als Herausforderung für das Raumordnungsrecht und das Baurecht Von

Andrea Edenharter

Duncker & Humblot · Berlin

ANDREA EDENHARTER

Der demografische Wandel als Herausforderung für das Raumordnungsrecht und das Baurecht

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1263

Der demografische Wandel als Herausforderung für das Raumordnungsrecht und das Baurecht

Von Andrea Edenharter

Duncker & Humblot · Berlin

Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Regensburg hat diese Arbeit im Wintersemester 2013/2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-14294-1 (Print) ISBN 978-3-428-54294-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-84294-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2013  /  2014 von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum konnten bis November 2013 berücksichtigt werden. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Robert Uerpmann-Wittzack, für die Betreuung dieser Arbeit und ihre nachhaltige Förderung. Er hatte stets ein offenes Ohr für meine Fragen und gewährte mir einen großzügigen Freiraum bei der Auswahl und Bearbeitung des Themas. Ich danke ihm auch für die wertvollen Erfahrungen, die ich als Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl sammeln durfte und noch immer sammeln darf. Besonderen Dank schulde ich auch Herrn Professor Dr. Udo Steiner, Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D., für die Bereitschaft zur Übernahme des Zweitgutachtens und dessen zügige Erstellung sowie für seine stets wertvollen Anregungen und aufmunternden Worte während der Promotionsphase. Herrn Leitenden Regierungsdirektor Axel Koch, Sachgebietsleiter für den Bereich Landes- und Regionalplanung bei der Regierung der Oberpfalz, und Frau Christine Stiglbauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Regierung der Oberpfalz für den Bereich Einzelhandel, gebührt Dank für die Bereitschaft, mir Einblicke in die planerische Praxis zu gewähren. Danken möchte ich zudem meinen Kollegen am Lehrstuhl für die überaus angenehme und freundschaftliche Arbeitsatmosphäre. Mein herzlicher Dank gilt dabei insbesondere Herrn Rechtsreferendar Benjamin Manthey, der mir bei sämtlichen Fragen bezüglich des Layouts mit Rat und Tat zur Seite stand und mit dem ich viele inspirierende Diskussionen führen durfte. Meinen Eltern schließlich danke ich von ganzem Herzen, dass sie mich auf meinem bisherigen Lebensweg vorbehaltlos unterstützt und gefördert haben. Durch ihren steten Rückhalt, ihren Zuspruch und ihre Liebe haben sie im wesentlichen Maße zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Ihnen widme ich diese Arbeit. Regensburg, im November 2013

Andrea Edenharter

Inhalt Einführung31 I. Gegenstand und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Kapitel

Soziologischer Hintergrund  

39

I. Begriff des demografischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 II. Prognose der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland  . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Unterschiede nach Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Region München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Oberfranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 c) Sachsen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 d) Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 e) Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 III. Begriff des Alters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. Definition und Erscheinungsformen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Alter und Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 IV. Tatsächliche Gegebenheiten in zentralen Lebensbereichen und Folgen der demografischen Entwicklung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Technische und soziale Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Versorgung und Entsorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Verkehrsinfrastruktur und ÖPNV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 c) Schulen, medizinische Versorgung und Altenpflege . . . . . . . . . . . . . 66 2. Einzelhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3. Städtebau und Siedlungsstrukturen   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 V. Spezifische Bedürfnisse von Senioren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Seniorengerechtes Wohnen und Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2. Pflege- und Betreuungseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

10 Inhalt 2. Kapitel

Verfassungsrechtliche und europarechtliche Grundlagen

75

I. Schutz älterer Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 a) Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 b) Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 c) Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 aa) Behinderung i. S. d. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 bb) Entstehungsgeschichte und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 cc) Benachteiligung auf Grund der Behinderung . . . . . . . . . . . . . . . 82 dd) Unterlassen von Leistung und Förderung Behinderter . . . . . . . . 83 d) Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 aa) Grundlagen und Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 bb) Grundrechtsfunktionen und Inhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 cc) Anwendung auf den Schutz älterer Menschen . . . . . . . . . . . . . . 91 e) Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 aa) Funktionen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 cc) Ansprüche älterer Menschen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 f) Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 aa) Funktionen und Inhalte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 bb) Ansprüche älterer Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 aa) Art. 21 Abs. 1 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 bb) Art. 25 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 cc) Art. 26 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Raumordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 bb) Städtebaurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 cc) Bauordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 c) Auswirkungen der Grundrechte-Charta auf die Auslegung des Grund­ gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 II. Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung . . . . . . . 106 1. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Art. 11 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Art. 2 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 d) Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 aa) Schutzbereich und Grundrechtsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 bb) Mögliche Eingriffe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

Inhalt11 e) Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 aa) Funktion und Inhalt des allgemeinen Gleichheitssatzes . . . . . . . 113 bb) Anwendung auf die Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 f) Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Funktion und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 bb) Anwendung auf die Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 g) Art. 20 a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 h) Art. 72 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 i) Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Europarecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Art. 17 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 c) Art. 36 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 d) Art. 20 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 e) Art. 14 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 III. Schutz gegen Rückbaumaßnahmen, Änderungen der planungsrechtlichen Einordnung sowie bauordnungsrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Art. 11 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Sozialbindung des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 c) Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 aa) Inhalts- und Schrankenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 bb) Enteignungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3. Kapitel

Berücksichtigung des demografischen Wandels im Raumordnungsrecht 

131

I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Struktur und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Gesetzgebungskompetenzen und Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Instrumente der Raumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 aa) Raumordnungspläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 bb) Raumordnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 cc) Raumordnerische Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) Kategorien der Raumordnung und ihre Bindungswirkung . . . . . . . . 139 aa) Ziele der Raumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Grundsätze der Raumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 cc) Sonstige Erfordernisse der Raumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

12 Inhalt d) Gegenstromprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 e) Ausnahmen und Zielabweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Anknüpfungspunkte für den Umgang mit dem demografischen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Die Leitvorstellung der nachhaltigen Raumentwicklung, § 1 Abs. 2 ROG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 aa) Inhalt und rechtsdogmatische Einordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 bb) Kritik am Leitprinzip und Ansätze für eine Neuinterpretation . 150 (1) Forderung nach Aufgabe des Leitprinzips . . . . . . . . . . . . . . . 150 (2) Neuinterpretation nach Kersten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (3) Weitere Ansätze für eine Neuinterpretation . . . . . . . . . . . . . . 152 (4) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 cc) Bewertung vor dem Hintergrund des Verfassungs- und Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 dd) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . 157 b) Allgemeiner Grundsatz, § 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 aa) Inhalt und rechtsdogmatische Einordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) Bewertung vor dem Hintergrund des Verfassungs- und Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 cc) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . 159 c) Raum- und Siedlungsstrukturen, § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG . . . . . . . . . . 161 aa) Inhalt und rechtsdogmatische Einordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 bb) Das Zentrale-Orte-Prinzip als wichtiges Prinzip der Raumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (1) Funktion und Inhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (2) Wirksamkeit in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (3) Wirksamkeit unter den Bedingungen des demografischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (a) Bestandsaufnahme und Lösungsvorschläge . . . . . . . . . . 170 (b) Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 cc) Bewertung vor dem Hintergrund des Verfassungs- und Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 dd) Bewertung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 d) Infrastruktur und Verkehr, § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG . . . . . . . . . . . . . . . 176 aa) Inhalt und rechtsdogmatische Einordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 bb) Bewertung vor dem Hintergrund des Verfassungs- und Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 cc) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . 181 3. Bewertung des Gesamtkonzepts des ROG 2008 vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Abweichungskompetenz der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 aa) Bedenken und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 bb) Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

Inhalt13 cc) Bewertung am Beispiel des neuen bayerischen Landesplanungsgesetzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (1) Durchführung von Raumordnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . 187 (2) Leitbild der Landesplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (3) Mögliche Festlegungen des Landesentwicklungsprogramms . 190 (4) Grundsätze der Raumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (5) Raumordnerische Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (6) Zielabweichungsmöglichkeiten und Zielabweichungsver­ fahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 b) Festlegung wichtiger Anliegen im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel als gesetzliche Grundsätze der Raumordnung . . 193 c) Bindungswirkung von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung, § 4 ROG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 d) Ausnahmen und Zielabweichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 e) Ausgestaltung des Abwägungsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 f) Bindungswirkung eines Raumordnungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . 200 4. Landesrechtliche Regelungen zum Raumordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . 200 II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis am Beispiel der Ansiedelung großflächiger Einzelhandelsbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Begriffsdefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 a) Einzelhandelsbetriebe und großflächige Einzelhandelsbetriebe . . . . . 202 b) Verkaufsfläche und Sortiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Steuerung der Ansiedelung großflächiger Einzelhandelsbetriebe  . . . . . 204 a) Unverbindliche Steuerungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 aa) Planungs- und wirtschaftspolitische Aussagen . . . . . . . . . . . . . . 204 bb) Einzelhandelserlasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Ziele der Raumordnung und Zielausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 c) Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung gegenüber Privaten . 209 d) Zentrale-Orte-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 aa) Konzentrationsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (1) Inhalt und Steuerungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (2) Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht und mit Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (a) Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (b) Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (c) Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 (d) Art. 49 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 (e) Art. 10 Abs. 2 lit. d) und e), Art. 14 Nr. 5 und Art. 15 Abs. 2 lit. a) Dienstleistungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . 225 (3) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 bb) Kongruenzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 (1) Inhalt und Steuerungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

14 Inhalt (2) Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht und mit Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 (a) Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 (b) Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (c) Art. 49 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (d) Art. 10 Abs. 2 lit. d) und e), Art. 14 Nr. 5 und Art. 15 Abs. 2 lit. a) Dienstleistungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . 238 (3) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 cc) Beeinträchtigungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 (1) Inhalt und Steuerungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 (2) Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot für Ziele der Raumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 (3) Operationalisierung des Beeinträchtigungsverbots . . . . . . . . 244 (4) Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht und mit Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (a) Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (b) Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (c) Art. 49 AEUV und Dienstleistungsrichtlinie . . . . . . . . . 246 (5) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 dd) Integrationsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (1) Inhalt und Steuerungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (2) Vereinbarkeit mit dem deutschen Verfassungsrecht . . . . . . . 249 (a) Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (b) Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (c) Art. 49 AEUV und Dienstleistungsrichtlinie . . . . . . . . . 252 (3) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 e) Positive Standortfestlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 f) Raumordnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 g) Instrumente raumordnerischer Zusammenarbeit  . . . . . . . . . . . . . . . . 256 aa) Vertragliche Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 bb) Entwicklungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 cc) Regionalmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 dd) Raumbeobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 3. Abschließende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 III. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts am Beispiel des Straßenbaus . . . . 261 1. Bau von Bundesfernstraßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Begriff der Bundesfernstraße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 b) Vorgaben des Bundesfernstraßengesetzes zum Bau von Straßen . . . 262 aa) Linienbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 bb) Planfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Inhalt15 c) Aussagen zum Bau von Fernstraßen in ausgewählten Landesentwicklungsplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 d) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . . . . 264 2. Bau von Straßen nach dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz . . . 265 a) Anwendungsbereich des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes . . 265 b) Vorgaben des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes  . . . . . . . . . . 265 aa) Straßenplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 bb) Planfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 c) Aussagen des bayerischen Landesentwicklungsprogramms . . . . . . . . 268 d) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . . . . 269 IV. Vorschläge für eine Anpassung an die Herausforderungen des demografischen Wandels de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 1. Einführung eines Monitoring-Systems über den Umweltbereich hinaus . 270 a) Begriff des Monitoring und Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 b) Monitoring in ausgewählten Rechtsgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 aa) Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 bb) Energiewirtschaftsrecht und Recht der erneuerbaren Energien . 272 cc) Menschenrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 c) Monitoring im Raumordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 aa) § 9 Abs. 4 ROG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 bb) Landesplanungsgesetze der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 cc) Übertragbarkeit auf andere Lebensbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (1) Umsetzung eines Monitoring-Systems mit Hilfe geeigneter Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (2) Vom Monitoring zum Planungscontrolling . . . . . . . . . . . . . . 281 (3) Kompetenzrechtliche Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (4) Rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . 283 (5) Praktische Hürden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 d) Zusammenfassende Würdigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 2. Ergänzung des Zentrale-Orte-Konzepts durch ein Konzept der verbesserten ÖPNV-Anbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 V. Gesamtbewertung der Steuerungswirkung des Raumordnungsrechts . . . . . . 289 4. Kapitel

Berücksichtigung des demografischen Wandels im Bauplanungsrecht 

291

I. Einzelhandelssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 1. Städtebauliche Planung als Instrument der Einzelhandelssteuerung . . . 291 2. Berücksichtigung des demografischen Wandels bei der Aufstellung von Flächennutzungsplänen und Bebauungsplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 a) Planrechtfertigung, § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 b) Anpassung an die Ziele der Raumordnung, § 1 Abs. 4 BauGB . . . . 295

16 Inhalt c) Leitvorstellung einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung, § 1 Abs. 5 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 d) Bei der Abwägung zu berücksichtigende Belange, §  1 Abs.  6 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 aa) Erhaltung und Umbau, § 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB . . . . . . . . . . . . 299 bb) Versorgung der Bevölkerung, §  1 Abs.  6 Nr.  8 a) und e) BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 cc) Personen- und Güterverkehr einschließlich ÖPNV, § 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 dd) Städtebauliche Entwicklungskonzepte, § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB . 301 e) Abwägungsgebot, § 1 Abs. 7 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 f) Interkommunale Abstimmung und Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche, § 2 Abs. 2 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 aa) § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 bb) § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 g) Darstellung zentraler Versorgungsbereiche im Flächennutzungsplan, § 5 Abs. 2 Nr. 2 d) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 h) Schutz zentraler Versorgungsbereiche durch Ausschlussplanung, § 9 Abs. 2 a BauGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 aa) Inhalt und Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 bb) Ungeklärte Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 cc) Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht und mit Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 (1) Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 (2) Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 (3) Art. 49 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 (4) Art. 14 Nr. 5 und Art. 15 Abs. 2 lit. a) Dienstleistungsricht­ linie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 dd) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . 317 3. Zulässigkeit von Einzelhandelsvorhaben auf Grund eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans, § 12 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 a) Inhalt und Regelungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 b) Bewertung der Steuerungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 4. Ausschluss von Einzelhandelsvorhaben im unbeplanten Innenbereich, § 34 Abs. 3 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 a) Inhalt und rechtsdogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 aa) Allgemeines  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 bb) Zentrale Versorgungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 cc) Schädliche Auswirkungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 (1) Begriff  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 (2) Nachweis schädlicher Auswirkungen und Darlegungslast . . 326 (3) Probleme bei der Erstellung von Marktgutachten . . . . . . . . . 329 b) Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht und Europarecht . . . 331 aa) Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

Inhalt17 bb) Art. 49 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 cc) Art. 10 Abs. 2 lit. d und e), Art. 14 Nr. 5 und Art. 15 Abs. lit. 2 a) Dienstleistungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 c) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . . . . 335 5. Einschränkung der Abweichungsmöglichkeit nach § 34 Abs. 3a S. 2 BauGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 a) Inhalt und Regelungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 b) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels  . . . 338 6. Sondergebietsfestsetzungen nach § 11 Abs. 2 und 3 BauNVO . . . . . . . 338 a) Festsetzung sonstiger Sondergebiete nach § 11 Abs. 2 BauNVO . . . 338 b) Zulässigkeit großflächiger Einzelhandelsbetriebe, § 11 Abs. 3 Bau­ NVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 aa) Inhalt und Regelungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 bb) Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht und Europarecht . 343 (1) Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 (2) Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 (3) Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 (4) Europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 c) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . . . . 348 7. Anpassung von Einzelhandelsnutzungen, § 1 Abs. 5 BauNVO . . . . . . . 350 8. Ausschluss bestimmter Sortimente, § 1 Abs. 9 BauNVO . . . . . . . . . . . . 352 9. Zulässigkeit von Einzelhandelsvorhaben in den verschiedenen Gebietskategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 a) Geltungsplan eines qualifizierten Bebauungsplans  . . . . . . . . . . . . . . 354 b) Geltungsbereich eines einfachen Bebauungsplans . . . . . . . . . . . . . . . 356 c) Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans . . . . . . . 356 d) Unbeplanter Innenbereich, § 34 Abs. 1 und 2 BauGB . . . . . . . . . . . 356 e) Außenbereich, § 35 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 10. Entschädigungspflichten der Gemeinde bei Änderung der zulässigen Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 a) Systematik der planungsrechtlichen Entschädigungsregelungen . . . . 358 b) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . . . . 361 11. Informelle Einzelhandelssteuerung durch Business Improvement Districts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 a) Begriff, Wirkungsweise und Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 b) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . . . . 364 12. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 13. Lösungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 a) Unbeplanter Innenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 aa) Aufrechterhaltung von § 34 Abs. 3 BauGB  . . . . . . . . . . . . . . . . 366 bb) Einzelhandelssteuerung durch verpflichtende ÖPNV-Anbindung . 367 (1) De lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 (2) De lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

18 Inhalt cc) Einzelhandelssteuerung durch Bindung an die Ziele der Raumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 (1) De lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 (2) De lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 dd) Planungserfordernis als Ausschlusskriterium im Rahmen des § 34 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 (1) De lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 (2) De lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 b) Lösungsmöglichkeiten mit Hilfe von Planungsinstrumenten . . . . . . . 383 aa) Qualifizierte Bebauungspläne  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 bb) § 9 Abs. 2 a BauGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 cc) Bereitschaft zur Planung und mögliche Ursachen fehlender Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 dd) Lösungsmöglichkeiten bei einem Mangel an finanziellen Mitteln und Know-How . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 ee) Lösungsmöglichkeiten bei fehlendem Planungswillen . . . . . . . . 386 ff) Art und Weise der Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 c) Stärkung der Transparenz bei der Aufstellung von Einzelhandelskonzepten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 d) Alternativen zur Zentrenorientierung des Einzelhandels . . . . . . . . . . 393 e) Planfeststellungsverfahren bei großflächigen Einzelhandelsbetrieben? . 394 f) Subventionierung kleiner Nahversorgungsläden? . . . . . . . . . . . . . . . . 397 g) Gesetzliche Abschaffung oder Anpassung der Großflächigkeitsschwelle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 h) Monitoring-Verfahren über den Umweltbereich hinaus . . . . . . . . . . . 400 aa) Monitoring im Bauplanungsrecht de lege lata . . . . . . . . . . . . . . 400 bb) Umsetzung eines umfassenden Monitoring- und Controllingverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 cc) Praktische Hürden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 II. Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse älterer Menschen  . . . . . . . . . . . . . . 403 1. Spezifische Vorgaben für die Abwägung, § 1 Abs. 6 BauGB . . . . . . . . 403 a) Wohnbedürfnisse und Bevölkerungsentwicklung, § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 b) Soziale und kulturelle Bedürfnisse, § 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB . . . . . . 404 2. Festsetzung von Flächen für Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 a) § 5 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 b) § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 c) Bewertung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 3. Planungsrechtliche Zulässigkeit von Pflegeeinrichtungen . . . . . . . . . . . 407 a) Pflegeheime als Wohngebäude, § 3 Abs. 4 BauNVO . . . . . . . . . . . . 407 b) Zulässigkeit von Pflegeheimen in sonstigen Gebietsarten . . . . . . . . . 408

Inhalt19 c) Unzulässigkeit im Einzelfall, § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO . . . . . . . . . 409 d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 1. Demografischer Wandel als Anlass für den Stadtum- und -rückbau . . . 410 2. „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 3. Instrumente des Besonderen Städtebaurechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 a) Sanierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 aa) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 bb) Anwendbarkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 (1) Begriff der Sanierungsmaßnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 (2) Sanierung als Gesamtmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 (3) Gebäudeleerstand als städtebaulicher Missstand . . . . . . . . . . 416 (a) Substanzmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 (b) Funktionsmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 (4) Sinn und Zweck von Sanierungsmaßnahmen  . . . . . . . . . . . 418 (5) Sanierungsrechtliches Abwägungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . 419 (6) Anwendungspflicht des Sanierungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 420 (7) Finanzierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 cc) Vorbereitende Maßnahmen und Sanierungskonzept . . . . . . . . . . 421 (1) Vorbereitende Maßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 (2) Sanierungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 dd) Festsetzung des Sanierungsgebiets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 (1) Erlass der Sanierungssatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 (2) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 (a) Veränderungs- und Verfügungssperre. . . . . . . . . . . . . . . 425 (b) Gemeindliches Vorkaufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 ee) Bauleitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 ff) Durchführungsmaßnahmen des Sanierungsrechts . . . . . . . . . . . . 428 (1) Baumaßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 (2) Ordnungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 (a) Anwendungsbereich und Durchführung. . . . . . . . . . . . . 429 (b) Ordnungsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Rück­ bau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 (α) Umzug von Bewohnern und Betrieben, § 147 S. 1 2. HS Nr. 2 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 (β) Freilegung von Grundstücken, § 147 S. 1 2. HS Nr. 3 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 (γ) Herstellung und Änderung von Erschließungsanlagen, § 147 S. 1 2. HS Nr. 4 BauGB . . . . . . . . . . . . . 432 (δ) Kostenerstattung für den Rückbau öffentlicher Versorgungseinrichtungen, § 150 Abs. 1 S. 1 BauGB . . 433 gg) Verfassungsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433

20 Inhalt hh) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . 434 ii) Regelungsmöglichkeit de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 b) Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 aa) Begriff und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 bb) Relevanz im Zusammenhang mit dem Rückbau . . . . . . . . . . . . . 436 c) Stadtumbauregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 aa) Entstehungsgeschichte und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 437 bb) Stadtumbaumaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 (1) Stadtumbau als Gesamtmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 (2) Begriff der Stadtumbaumaßnahme und Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 (3) Sinn und Zweck von Stadtumbaumaßnahmen . . . . . . . . . . . 439 cc) Städtebauliches Entwicklungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 dd) Stadtumbaugebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 ee) Beteiligung von Betroffenen und Trägern öffentlicher Belange . 443 ff) Stadtumbauvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 gg) Stadtumbausatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 (1) Allgemeines   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 (2) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 (a) Genehmigungsvorbehalt und Zurückstellung von Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 (b) Vorkaufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 (c) Enteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 hh) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . 449 ii) Einführung eines Monitoring-Systems de lege ferenda . . . . . . . 450 d) Städtebauliche Gebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 aa) Allgemeines  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 bb) Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 cc) Gebote im Zusammenhang mit dem Rückbau . . . . . . . . . . . . . . 453 (1) Bau- und Anpassungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 (2) Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot . . . . . . . . . . . . . 456 (a) Inhalt und Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 (b) Regelungsmöglichkeiten de lege ferenda . . . . . . . . . . . . 457 (3) Rückbaugebot, § 179 BauGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 (a) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 (b) Rechtslage vor Inkrafttreten der BauGB-Novelle 2013  . 460 (α) Inhalt der gesetzlichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . 460 (β) Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 (γ) Lösungsvorschläge in der Literatur . . . . . . . . . . . . . 461 (c) Änderungen durch die BauGB-Novelle 2013 . . . . . . . . 465 (d) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 (e) Änderungsvorschlag de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . 467

Inhalt21 4. Rückbau von Einzelhandelsimmobilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 a) Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 b) Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 aa) § 9 Abs. 2 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 bb) Städtebaulicher Vertrag zur Sicherung des Rückbaus . . . . . . . . . 470 c) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . . . . 471 5. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 IV. Aufrechterhaltung von Baurechten in vom Bevölkerungsrückgang besonders betroffenen Gegenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 1. Abriss baulicher Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 a) Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 b) Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 aa) Nachwirkender Bestandsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 bb) Perforierender Rückbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 cc) Aufstellung eines Bebauungsplans  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 dd) Erlass von Innen- oder Außenbereichssatzungen . . . . . . . . . . . . 475 (1) Innenbereichssatzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 (2) Außenbereichssatzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 ee) Abschluss eines städtebaulichen Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 c) Rechtsstellung betroffener Grundstückseigentümer . . . . . . . . . . . . . . 478 2. Nichtnutzung und Verfall umliegender baulicher Anlagen . . . . . . . . . . . 481 5. Kapitel

Berücksichtigung des demografischen Wandels im Bauordnungsrecht 

485

I. Verfall und Nichtnutzung baulicher Anlagen und deren Beseitigung . . . . . . 485 1. Vorgehen gegen verfallene bauliche Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 a) Erlass einer Beseitigungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 aa) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 (1) Formelle Illegalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 (2) Materielle Illegalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 (3) Bestandsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 (4) Ermessen der Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 bb) Durchsetzung und Verhältnis zu § 179 BauGB  . . . . . . . . . . . . . 488 cc) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . 489 b) Bauordnungsrechtliche Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 c) Anforderungen an bestandsgeschützte bauliche Anlagen . . . . . . . . . 491 2. Vorgehen gegen verfallende bauliche Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 a) Spezielle Befugnisnormen zur Beseitigung verfallender baulicher Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 aa) Inhalt und Motive spezialgesetzlicher Befugnisnormen . . . . . . . 492 bb) Voraussetzungen und Rechtsfolgen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493

22 Inhalt cc) Durchsetzung und Rechtsstellung des Betroffenen . . . . . . . . . . . 495 dd) Verhältnis zu § 179 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 ee) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . 496 b) Bauordnungsrechtliche Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 c) Anforderungen an bestandsgeschützte bauliche Anlagen . . . . . . . . . 497 d) Nutzungsuntersagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 3. Beseitigung nicht mehr genutzter, aber intakter baulicher Anlagen . . . 498 a) Erlass einer Beseitigungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 b) Bauordnungsrechtliche Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 c) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels . . . . 499 II. Bauordnungsrechtliche Anforderungen an seniorengerechtes Bauen  . . . . . . 500 1. Zugang zu Gebäuden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 a) Der Allgemeinheit zugängliche bauliche Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . 500 b) Private Wohnhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 c) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 d) Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 2. Anforderungen an den Brandschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 Verzeichnis der verwendeten amtlichen Statistiken  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555

Abkürzungsverzeichnis a. A. anderer Ansicht ABl.EG Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ABl.EU Amtsblatt der Europäischen Union ADS Antidiskriminierungsstelle des Bundes a. E. am Ende AEG Allgemeines Eisenbahngesetz AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alte Fassung AfK Archiv für Kommunalwissenschaften AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Anm. Anmerkung AöR Archiv des öffentlichen Rechts APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte ARL Akademie für Raumforschung und Landesplanung Art.  Artikel Aufl. Auflage Az. Aktenzeichen BAGE Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts BauGB Baugesetzbuch BauNVO Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke (Baunutzungsverordnung) BauO Bauordnung BauO LSA Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt BauO S-H Bauordnung des Landes Schleswig-Holstein BauR Baurecht BaWüBauO Baden-Württembergische Bauordnung BayBGG Bayerisches Behindertengleichstellungsgesetz BayBO Bayerische Bauordnung BayLPlG Bayerisches Landesplanungsgesetz v. 25.06.2012, GVBl. 2012, S. 254 BayÖPNVG Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr in Bayern BayStrWG Bayerisches Straßen- und Wegegesetz BayVBl. Bayerische Verwaltungsblätter BayVGH

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

24 Abkürzungsverzeichnis BBauBl. Bundesbaublatt BBauG Bundesbaugesetz in der Fassung vom 18.08.1976, BGBl. I, S. 2256, zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.02.1986, BGBl. I, S. 265 BbgBauO Brandenburgische Bauordnung BbgVerf Brandenburgische Verfassung BbgVerfG Brandenburgisches Verfassungsgericht BBodSchG Bundes-Bodenschutzgesetz BBR Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung BBSR Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung Bd. Band BeckRS Beck-Rechtsprechung BerlBO Berliner Bauordnung Beschl. Beschluss BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BID Business Improvement District BMVBS Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung BMVBW Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen BNatSchG Bundesnaturschutzgesetz BR-Drs. Bundesratsdrucksache BremLBO Bremische Bauordnung BRS Baurechtssammlung, Rechsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der Oberverwaltungsgerichte der Länder und anderer Gerichte zum Bau- und Bodenrecht BSGE Entscheidungen des Bundessozialgerichts BSVI Bundesvereinigung der Straßenbau- und Verkehrsingenieure BT-Drs. Bundestagsdrucksache Buchholz Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bzw. beziehungsweise CPT Europäisches Übereinkommen zur Verhinderung von Folter ders. derselbe d. h. das heißt

Abkürzungsverzeichnis25 dies. dieselben DIFU Deutsches Institut für Urbanistik DIN Deutsches Institut für Normung DÖV Die Öffentliche Verwaltung DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt EAG Bau Europarechtsanpassungsgesetz Bau vom 24.06.2004, BGBl. I, S. 1359 ECRI Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz EEG Erneuerbare-Energien-Gesetz EG Europäische Gemeinschaft EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einl. Einleitung ELRev European Law Review endg. endgültig EnWG Energiewirtschaftsgesetz ERPL European Review of Private Law EU Europäische Union EuGH Gerichtshof der Europäischen Union EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift EuR Europarecht EUREK Europäisches Raumentwicklungskonzept EurUP Zeitschrift für Europäisches Umwelt- und Planungsrecht EUV Vertrag über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon f. folgende F.A.Z. Frankfurter Allgemeine Zeitung ff. fortfolgende FFH Flora-Fauna-Habitat Fn. Fußnote FOC Factory Outlet Center FS Festschrift FStrAbG Fernstraßenausbaugesetz FStrG Bundesfernstraßengesetz G Grundsatz der Raumordnung gem. gemäß GemO Gemeindeordnung GemO BW Gemeindeordnung des Landes Baden-Württemberg GeROG Gesetz zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften vom 22.12.2008, BGBl. I, S. 2986 GewArch Gewerbearchiv

26 Abkürzungsverzeichnis GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GRC Europäische Grundrechte-Charta GuG Grundstücksmarkt und Grundstückswert GVBl. Gesetz- und Verordnungsblatt GVFG Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen HBauO Hamburgische Bauordnung HdStR Handbuch des Staatsrechts HessBauO Hessische Bauordnung Hrsg. Herausgeber HS Halbsatz IBR Immobilien- und Baurecht IBRRS Immobilien- und Baurecht, Rechtsprechung ICIDH International Classification of Functioning, Disability and Health i. d. F. in der Fassung ILS Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen InfAuslR Informationsbrief Ausländerrecht i. S. d. im Sinne des ISEK Integriertes Stadtentwicklungskonzept i. S. v. im Sinne von i. V. m. in Verbindung mit JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung Kap. Kapitel KommJur Kommunaljurist KommPrax KommunalPraxis LBauO M-V Bauordnung des Landes Mecklenburg-Vorpommern LBO Landesbauordnung LEP Landesentwicklungsplan LEP-Bayern Landesentwicklungsprogramm des Freistaats Bayern LEPro Landesentwicklungsprogramm lit. littera LKV Landes- und Kommunalverwaltung LPlG Landesplanungsgesetz LT-Drs. Landtagsdrucksache

Abkürzungsverzeichnis27 MBl. Ministerialblatt MKRO Ministerkonferenz für Raumordnung m. w. N. mit weiteren Nachweisen NdsBauO Niedersächsische Bauordnung NdsVBl. Niedersächsische Verwaltungsblätter NJOZ Neue Juristische Online-Zeitschrift NJW Neue Juristische Wochenschrift NordÖR Zeitschrift für das öffentliche Recht in Norddeutschland Nr. Nummer NRW Nordrhein-Westfalen NuR Natur und Recht NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-RR NVwZ-Rechtsprechungsreport NWBauO Nordrhein-Westfälische Bauordnung NWVBl. Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter NZBau Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht ÖPNV Öffentlicher Personennahverkehr OLG Oberlandesgericht OVG Oberverwaltungsgericht PBfG Personenbeförderungsgesetz RdJB Recht der Jugend und des Bildungswesens RhPfBauO Rheinland-Pfälzische Bauordnung RL Richtlinie der Europäischen Union Rn. Randnummer ROG 1998 Raumordnungsgesetz in der zum 01.01.1998 in Kraft getretenen Fassung, BGBl. I, S. 2102 ROG 2008 Raumordnungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.12.2008, BGBl. I,  S. 2986 RoV Raumordnungsverordnung Rs. Rechtssache Rspr. Rechtsprechung RuR Raumforschung und Raumordnung S. Seite, Satz, siehe SaarlBauO Saarländische Bauordnung SächsABl. Sächsisches Amtsblatt SächsBauO Sächsische Bauordnung SächsLPlG

Sächsisches Landesplanungsgesetz

SächsVBl.

Sächsische Verwaltungsblätter

28 Abkürzungsverzeichnis SchwbG Schwerbehindertengesetz SGB Sozialgesetzbuch SKZ Saarländische Kommunalzeitschrift Slg. Amtliche Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sog. so genannte StBauFG Gesetz über städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen in den Gemeinden (Städtebauförderungsgesetz) vom 27.07.1971, BGBl. I, S. 1125 st. Rspr. ständige Rechtsprechung SUP Strategische Umweltprüfung TAEU Territoriale Agenda der Europäischen Union ThürBauO Thüringische Bauordnung ThürVBl. Thüringische Verwaltungsblätter TKG Telekommunikationsgesetz u. a. unter anderem UFZ Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UPR Umwelt- und Planungsrecht Urt. Urteil UVP Umweltverträglichkeitsprüfung v. vom Var. Variante VBlBW Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg verb. verbunden(e) VergabeR Zeitschrift für das gesamte Vergaberecht VerwArch Verwaltungsarchiv VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof vgl. vergleiche vhw Volksheimstättenwerk VO Verordnung der Europäischen Union Vorb. Vorbemerkung VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer VwGO Verwaltungsgerichtsordnung VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz WHG Wasserhaushaltsgesetz WHO Weltgesundheitsorganisation WiVerw Wirtschaft und Verwaltung Z

Ziel der Raumordnung

Abkürzungsverzeichnis29 ZaöRV Zeitschrift für z. B. zum Beispiel ZfBR Zeitschrift für ZG Zeitschrift für Ziff. Ziffer zit. zitiert ZUR Zeitschrift für ZWE Zeitschrift für

ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht Gesetzgebung

Umweltrecht Wohnungseigentumsrecht

Einführung I. Gegenstand und Ziel der Untersuchung Deutschland ist „das Altenheim Europas“1. Dies geht aus dem am 1. April 2011 vorgestellten Demografie-Bericht2 der EU-Kommission und des Europäischen Statistikamtes Eurostat hervor. Danach betrug am 1. Januar 2010 das Durchschnittsalter der in Deutschland lebenden Menschen 44,2 Jahre und war damit das höchste in der gesamten EU.3 Weiter geht der Bericht davon aus, dass die Bevölkerung in Deutschland bis zum Jahr 2050 um 10 % schrumpfen wird.4 Gleichzeitig soll der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung bis zum Jahr 2050 auf 33 % steigen.5 Es ist zu erwarten, dass diese Entwicklung hin zu einer immer älter werdenden Gesellschaft erhebliche Auswirkungen auf das Leben der in Deutschland wohnenden Menschen haben wird. Bereits heute sind die Folgen der Alterung der Bevölkerung zu spüren, wohl am deutlichsten auf dem Gebiet der sozialen Sicherungssysteme. So findet gegenwärtig eine heftige Diskussion darüber statt, wie Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung künftig finanziert werden sollen, wenn die Zahl der Leistungsempfänger im Vergleich zu derjenigen der Beitragszahler überproportional ansteigt.6 Die Bundesregierung berief im Oktober 2012 einen so genannten „Demografiegipfel“ ein, in dessen Rahmen mit Hilfe von Experten Strategien zur Bewältigung der Folgen dieser Entwicklung erarbeitet werden sollen.7 Die Einführung der Rente mit 1  Süddeutsche

Zeitung vom 2. / 3. April 2011, S. 25. Kommission, Demography Report 2010. 3  Europäische Kommission, Demography Report 2010, S. 63. 4  Europäische Kommission, Demography Report 2010, S. 120. 5  Europäische Kommission, Demography Report 2010, S. 120. 6  Näher dazu etwa Löbbert, Die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die sozialen Sicherungssysteme; „Wir haben zu wenig Kinder, und wir werden immer älter“, F.A.Z. vom 23.07.2005, S. 14; Fasshauer, Die Folgen des demographischen Wandels für die gesetzliche Rentenversicherung, in: Kerschbaumer / Schroeder, Herausforderungen für Arbeitsmarkt und Sozialversicherung, S. 67, 67 ff.; Kingreen, Familie als Kategorie des Sozialrechts, JZ 2004, 938 ff.  7  In diesem Zusammenhang setzte die Bundesregierung neun Arbeitsgruppen ein, die sich mit den Folgen des demografischen Wandels auf verschiedene Lebensbereiche auseinander setzen sollen, vgl. Bundesministerium des Innern, Demografiegipfel der Bundesregierung, abrufbar unter http: /  / www.bmi.bund.de / DE / Themen / Gesell 2  Europäische

32 Einführung

67 sowie die stetige Erhöhung der Beiträge zu Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung in den vergangenen Jahren sind lediglich ein Vorgeschmack auf die Anstrengungen, die in Zukunft unternommen werden müssen, um der demografischen Entwicklung gerecht zu werden. In der vorliegenden Untersuchung geht es um einen Lebensbereich, der vom demografischen Wandel in erheblichem Maße betroffen ist, wenngleich dies in den Medien – soweit ersichtlich – selten intensiv diskutiert wird. Gemeint sind das Raumordnungsrecht und Städtebaurecht sowie das Bauordnungsrecht. Unter Raumordnung versteht man die überörtliche Planung im Bereich eines Landes.8 Das Raumordnungsrecht beschäftigt sich mit der zusammenfassenden, übergeordneten Planung des Raumes.9 Dabei geht es in erster Linie um die Steuerung von Vorhaben, die auf Grund ihrer Größe und Bedeutung gewöhnlich nicht nur örtlich, auf eine Gemeinde begrenzte Auswirkungen zeigen, sondern darüber hinaus auf ein größeres Gebiet einwirken können. Dazu zählen zum Beispiel der Abbau von Bodenschätzen, der Bau von Fernstraßen und Flughäfen oder die Errichtung großflächiger Einzelhandelsbetriebe. Der Bund besitzt nach Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Raumordnung. Nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 4 GG wird den Bundesländern jedoch eine Abweichungsbefugnis zugestanden. Der Bund hat mit dem Gesetz zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften (GeROG) von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. Kernstück des GeROG ist das in Art. 1 enthaltene, neu gefasste Raumordnungsgesetz (ROG), das am 22.12.2008 verkündet wurde10 und am 30.06.2009 in Kraft getreten ist. Die Länder haben bislang von ihrer Abweichungsbefugnis nur zurückhaltend Gebrauch gemacht.11 Das Städtebaurecht, für das der Bund gemäß Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz besitzt, da es sich insoweit um Bodenrecht handelt,12 ist im Baugesetzbuch (BauGB) geregelt. Das Baugesetzbuch befasst sich gemäß § 1 Abs. 1 BauGB im ersten Teil, dem allgemeinen Städtebaurecht oder Bauplanungsrecht, mit der baulichen und sonstigen Nutzung der Grundstücke. Es gibt die planerischen Voraussetzungen für deren Bebauung und Nutzung vor, indem es die Grundschaft-Verfassung / Demografie / Demografiegipfel / demografiegipfel_node.html (zuletzt abgerufen am 21.02.2013). 8  BbgVerfG, LVerfGE 8, 97, 118 f. 9  BVerfGE 3, 407, 425. 10  BGBl. 2008 I S. 2986. 11  Anders etwa Bayern mit seinem neuen bayerischen Landesplanungsgesetz (BayLplG) v. 25.06.2012 (GVBl. 2012, S. 254), welches ein Vollgesetz darstellt. 12  BVerfGE 3, 407, 427; 65, 283, 288; 77, 288, 299.



I. Gegenstand und Ziel der Untersuchung33

stücke in bestimmte Kategorien einteilt, etwa in Innenbereich und Außenbereich. Ferner regelt das Bauplanungsrecht die Aufstellung von Bauleitplänen. Das besondere Städtebaurecht regelt demgegenüber u. a. die Sanierung sowie den Umbau bestehender Bebauung. Anders als das überörtlich ausgerichtete Raumordnungsrecht ist beim Städtebaurecht die Gemeinde der Bezugspunkt, d. h. es macht Vorgaben für die Zulässigkeit von Vorhaben, die nach Größe und Bedeutung in erster Linie innerhalb einer Gemeinde Auswirkungen zeigen. Auf Grundlage des Baugesetzbuchs ergingen mehrere Verordnungen, von denen die Baunutzungsverordnung (BauNVO) die wichtigste ist. Sie regelt u. a. die Art und Weise der baulichen Nutzung in den einzelnen Gebietstypen, etwa im allgemeinen Wohngebiet. Vom Bauplanungsrecht zu unterscheiden ist das Bauordnungsrecht, welches sich mit den baulich-technischen Anforderungen an die einzelnen Bauvorhaben beschäftigt und in erster Linie die Abwehr von Gefahren, die von Errichtung, Bestand und Nutzung baulicher Anlagen ausgehen, regelt.13 So schreibt es zum Beispiel vor, welche Abstandsflächen ein Gebäude zu den angrenzenden Gebäuden einhalten muss, welche Bauprodukte verwendet werden dürfen und welche Brandschutzvorkehrungen zu treffen sind. Für das Bauordnungsrecht zuständig sind die Länder, nachdem der Bereich nicht vom Kompetenztitel des Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG umfasst wird.14 Alle Bundesländer haben eigene Bauordnungen15 erlassen. Die eingangs skizzierte demografische Entwicklung und die damit einhergehende Alterung der Gesellschaft stellen Raumordnungsrecht, Städtebaurecht und Bauordnungsrecht vor erhebliche Herausforderungen. So ist ungewiss, wie die flächendeckende Versorgung mit alltäglichen Waren und Dienstleistungen aufrecht erhalten werden kann, insbesondere in Gebieten, in denen auf Grund der demografischen Entwicklung nur noch wenige, zumeist alte Menschen leben. Hier sind die Steuerungsmechanismen des Raumordnungs- und Bauplanungsrechts gefragt. Es ist zu überlegen, wie beispielsweise die wohnortnahe Versorgung mit Lebensmitteln gewährleistet werden kann, wenn gerade Discounter eine Ansiedelung auf der „grünen Wiese“ bevorzugen und so für die nicht mobile Bevölkerung nur schwer erreichbar sind. Ebenso stellt sich die Frage, welche Rolle eine gute Verkehrsanbindung in Zeiten schrumpfender Bevölkerungszahlen spielen kann und inwiefern Steuerungsmechanismen aus dem Raumordnungsrecht und dem Bauplanungsrecht darauf Einfluss nehmen können. Nicht zuletzt sind mittlerweile viele ältere Menschen auf eine Unterbringung in Pflegeheimen 13  Koch / Hendler,

Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, § 23 Rn. 1. 3, 407, 433 f.; 40, 261, 266 f. 15  Der Begriff ist irreführend, es handelt sich dabei nicht um Rechtsverordnungen, sondern um formelle Landesgesetze, z. B. die Bayerische Bauordnung. 14  BVerfGE

34 Einführung

angewiesen, deren Zulässigkeit ebenfalls von bauplanungsrechtlichen Vorgaben abhängt. Eine weitere Herausforderung zeigt sich auf dem Gebiet des besonderen Städtebaurechts, wo es darum geht, bestehende Siedlungen zu sanieren oder sogar vollständig zurückzubauen, wenn ganze Ortsteile auf Grund des Bevölkerungsrückgangs dauerhaft leer zu stehen drohen. Auch hierauf muss das Baurecht eine Antwort finden. Schwierigkeiten bereitet ferner die Tatsache, dass sich die Bevölkerungsentwicklung nicht in allen Teilen Deutschlands auf gleiche Weise vollziehen wird. So wird es Gebiete geben, in denen die Bevölkerung nach wie vor wächst, insbesondere in den Ballungszentren und deren Vororten, während andererseits in ländlichen Gebieten die Bevölkerung weiter schrumpfen wird. Das Städtebaurecht muss Lösungen für beide Entwicklungstendenzen bereit halten. Das Bauordnungsrecht sieht sich ebenfalls mit neuen Herausforderungen konfrontiert. So sind in manchen Gegenden überdurchschnittlich viele bauliche Anlagen vom Verfall bedroht. Hier stellt sich die Frage nach geeigneten bauordnungsrechtlichen Instrumenten zur Beseitigung solcher Anlagen. Des Weiteren haben ältere Menschen besondere Bedürfnisse bei der Gestaltung von Gebäuden. Zu nennen ist hierbei etwa das barrierefreie Bauen, denn Senioren sind häufiger auf Rollstühle oder Gehhilfen angewiesen. Der Gesetzgeber hat auf die Vorhersagen hinsichtlich der künftigen Bevölkerungsentwicklung bereits reagiert und bei der Neufassung des Raumordnungsgesetzes im Jahr 2009 erstmals den Begriff der demografischen Herausforderungen durch § 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG in den Katalog der Grundsätze der Raumordnung aufgenommen. Das Baugesetzbuch ist gegenwärtig noch weniger konkret und verwendet stattdessen Begriffe wie nachhaltige städtebauliche Entwicklung (§ 1 Abs. 5 S. 1) und Bevölkerungsentwicklung (§§ 1 Abs. 6 Nr. 2, 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 3), um anzudeuten, dass demografische Anliegen als öffentliche Belange bei Abwägungsentscheidungen berücksichtigt werden müssen. Im auf Gefahrenabwehr ausgerichteten Bauordnungsrecht spielt die demografische Entwicklung als übergeordneter Rechtsbegriff bislang keine Rolle. Die einzelnen Landesgesetze sehen meist nur vor, wie öffentlich zugängliche bauliche Anlagen ausgestaltet werden müssen, damit sie auch für Behinderte zugänglich bleiben, etwa indem Vorgaben hinsichtlich Höhe und Breite von Rampen und Treppen gemacht werden.16 Überdies gewähren manche Landesbauordnungen Befugnisse für behörd­ liches Einschreiten gegen im Verfall begriffene bauliche Anlagen, ohne 16  Vgl. § 39 BaWüBauO, Art. 48 BayBO, § 51 BerlBauO, § 45 BbgBauO, § 50 BremLBO, § 52 HBauO, § 46 HessBauO, § 50 LBauO M-V, § 49 NdsBauO, § 55 NWBauO, § 51 RhPfBauO, § 50 SaarlBauO, § 50 SächsBauO, § 49 BauO LSA, § 52 BauO S-H, § 52 ThürBauO.



II. Forschungsstand35

freilich den demografischen Wandel als mögliche Ursache des Problems explizit zu benennen. Auch im Grundgesetz fehlt bislang ein ausdrücklicher Hinweis auf die demografische Entwicklung und die zunehmende Alterung der Bevölkerung, so dass Antworten allenfalls durch die Auslegung bestehender Verfassungsnormen gewonnen werden können. Das Europarecht dagegen nennt in Art. 21 der Grundrechte-Charta (GRC) das Alter ausdrücklich als verbotenes Diskriminierungskriterium. Art. 25 GRC geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er die Rechte älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben ausdrücklich anerkennt. Bei der nachfolgenden Untersuchung geht es um die Frage, wie das Raumordnungsrecht, das Städtebaurecht und das Bauordnungsrecht mit den Herausforderungen des demografischen Wandels umgehen. Ausgangspunkt der Analyse sind die bestehenden gesetzlichen und planerischen Regelungen. Es soll untersucht werden, inwieweit die bestehenden Vorschriften ausreichen, um Fehlentwicklungen im Zuge der erwarteten demografischen Entwicklung zu begegnen und bei Bedarf steuernd einzugreifen. In methodischer Hinsicht werden die betreffenden Vorschriften zunächst mit Hilfe der klassischen Auslegungsmethoden dahin gehend untersucht, ob und inwiefern sie einen Anknüpfungspunkt für den Umgang mit den Folgen des demografischen Wandels bieten können. Daran anschließend soll die Wirkungsweise der Normkomplexe an Hand ausgewählter Herausforderungen im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel, insbesondere der Einzelhandelssteuerung, herausgearbeitet werden. Dabei wird vergleichend auf die Regelungen ausgewählter Bundesländer eingegangen. Zugleich muss die Europarechtskonformität einzelner Vorschriften geprüft werden. Wo die bestehenden Vorschriften an ihre Grenzen geraten, sollen schließlich mögliche Weiterentwicklungen der gesetzlichen Vorgaben angedacht werden, auch und gerade unter Einbeziehung der Erfahrungen aus benachbarten Rechtsgebieten.

II. Forschungsstand Die Frage, wie Raumordnungsrecht, Städtebaurecht und Bauordnungsrecht den Herausforderungen des demografischen Wandels begegnen, ist bislang in der juristischen Fachliteratur wenig untersucht worden. Es existieren zwar umfangreiche Studien zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland17 sowie 17  So etwa Birg, Bevölkerungsvorausberechnungen für Deutschland, in: Bauer  /  Büchner / Gründel, Demografie im Wandel, S. 23–32; Schinkel, Demografischer Wandel in Deutschland; Schimany, Die Alterung der Gesellschaft; Bomsdorf / Babel,

36 Einführung

in den einzelnen Regionen18 bis zum Jahr 2050 und darüber hinaus, doch handelt es sich hierbei überwiegend um sozialwissenschaftliche Abhandlungen ohne konkreten Bezug zum Planungsrecht. Zahlreiche Publikationen zur demografischen Entwicklung gibt es in der Geografie und Raumforschung, die sich mit den tatsächlichen Auswirkungen der demografischen Entwicklung und der zunehmenden Alterung der Gesellschaft beschäftigen.19 Meist werden darin künftige Probleme aufgezeigt und Handlungsempfehlungen für die Politik gegeben. Daneben existiert eine Vielzahl an Veröffentlichungen so genannter Enquete-Kommissionen, die im Auftrag der Politik die Folgen der demografischen Entwicklung untersuchen und Handlungsoptionen für die Politik aufzeigen.20 Juristische Analysen dazu zeigen sich allenfalls andeutungsweise.21 Verfassungsrechtliche Implikationen des demografischen Wandels und der alternden Gesellschaft werden bislang so gut wie gar nicht untersucht.22 Im Schrifttum zum Raumordnungsrecht werden Einzelfragen wie die Steuerung der Ansiedelung großflächiger Einzelhandelsprojekte zwar intensiv behandelt, selten jedoch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels.23 Ähnliches gilt für das Bauplanungsrecht, wo bislang nur vereinDeutschlands Millionenstädte im demografischen Wandel, S. 11 ff.; Walla / Eggen / Lipinski, Der demographische Wandel; Mai / Swiaczny, Demographische Entwicklung, S.  12 ff.  18  So etwa Heigl, Determinanten regionaler Altersstrukturdifferenzen in Bayern, 1998; Kröhnert / Medicus / Klingholz, Die demographische Lage der Nation; Milbradt, Demografische Entwicklung in Sachsen als politische Herausforderung, in: Heilemann, Demografischer Wandel in Deutschland, S. 129–145. 19  So etwa die Schriften der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, z.  B. ARL, Folgen des demographischen Wandels für Städte und Regionen in Deutschland – Handlungsempfehlungen; Klee, Räumliche Konsequenzen des demographischen Wandels, in: Breu, Demographischer Wandel und Raumentwicklung in Bayern, S. 4–21. 20  So etwa der Bericht der Enquete-Kommission des Sächsischen Landtags, Demografische Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensbereiche der Menschen im Freistaat Sachsen, LT-Drs. 4 / 13000; vgl. ferner den Schlussbericht der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages, „Demographischer Wandel – Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik, BT-Drs. 14 / 8800. 21  So etwa bei Kluth, VVDStRL 68 (2009), 246, 275 ff.; Appel, LKV 2005, 377, 382 ff., der freilich eher auf die Probleme hinweist, als er juristische Lösungen aufzeigt. 22  Eine Ausnahme bildet die umfassende Analyse von Brosius-Gersdorf, die den verfassungsrechtlichen Rahmen für die Bewältigung des demografischen Wandels durch Familienförderung untersucht, vgl. Brosius-Gersdorf, Demografischer Wandel und Familienförderung. 23  So etwa Rojahn, Landesplanerische Steuerung des großflächigen Einzelhandels, in: Spannowsky / Krämer, Großflächiger Einzelhandel und Windkraftanlagen, S. 13, 17.



III. Gang der Untersuchung37

zelt auf mögliche Folgen der künftigen Bevölkerungsentwicklung eingegangen wird.24 Bei den zahlreichen Abhandlungen zu Fragen der Standortsteuerung des großflächigen Einzelhandels spielen explizit demografische Aspekte allenfalls eine untergeordnete Rolle. Im Schrifttum zum Bauordnungsrecht werden demografische Fragen bisher ebenfalls kaum thematisiert.

III. Gang der Untersuchung Im 1. Kapitel der Arbeit wird zunächst auf die soziologischen Hintergründe des demografischen Wandels eingegangen. Dabei soll als erstes der Begriff des demografischen Wandels näher definiert werden. Ferner gilt es herauszuarbeiten, wie der Begriff des Alters bestimmt werden kann. Außerdem soll die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und in ausgewählten Regionen bis zum Jahr 2050 dargestellt werden. Im Anschluss daran wird auf die Folgen eingegangen, die der demografische Wandel auf zentrale Lebensbereiche wie etwa die Nahversorgung haben wird. Das 2. Kapitel behandelt die verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Grundlagen für den Umgang mit dem demografischen Wandel und der zunehmenden Alterung der Bevölkerung. Dabei soll insbesondere herausgearbeitet werden, ob und inwiefern das Grundgesetz die vom demografischen Wandel besonders betroffenen Bevölkerungsgruppen schützt und inwiefern sich aus der Verfassung eine Pflicht des Staates zum Schutz älterer Menschen sowie zur Aufrechterhaltung der Versorgungsinfrastruktur ergibt. Gleichzeitig ist zu untersuchen, welche Abwehrrechte betroffene Bürger geltend machen können, wenn der Staat in Reaktion auf den Bevölkerungsrückgang tätig wird und Stadtumbau- oder Abbruchmaßnahmen ergreift. Das 3. Kapitel widmet sich sodann dem einfachen Gesetzesrecht und befasst sich mit der Frage, wie das Raumordnungsrecht den Herausforderungen des demografischen Wandels begegnet. Dabei sollen zunächst die Vorschriften des Raumordnungsrechts analysiert werden, die für den Umgang mit dem demografischen Wandel von Bedeutung sein können. Außerdem ist zu untersuchen, ob das Zentrale-Orte-Prinzip in Zeiten rückläufiger Bevölkerungszahlen noch zeitgemäß ist. Anschließend soll anhand der Beispiele der Ansiedelung großflächiger Einzelhandelsprojekte und des Straßenbaus analysiert werden, ob das Raumordnungsrecht taugliche Steue24  So etwa bei Graupeter, ZfBR 2010, 742, 742 ff., bei Steinebach, Die Bedeutung des großflächigen Einzelhandels für die Stadtentwicklung, in: Spannowsky /  Krämer, Großflächiger Einzelhandel und Windkraftanlagen in Raumordnung und Städtebau, S. 19, 25 sowie bei Manssen, Das Recht der Älteren im Planungs- und Baurecht, in: Becker / Roth, Recht der Älteren, S. 495 ff. 

38 Einführung

rungsmechanismen besitzt, um den Herausforderungen des demografischen Wandels gerecht zu werden. Im 4. Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, wie das Städtebaurecht auf die demografischen Entwicklungen reagiert. Hierbei wird zunächst schwerpunktmäßig die Einzelhandelssteuerung durch das Bauplanungsrecht im Hinblick auf den demografischen Wandel analysiert. Im Anschluss daran soll herausgearbeitet werden, welche Zulässigkeitsvoraussetzungen das Bauplanungsrecht für die Errichtung von Senioren- und Pflegeeinrichtungen vorsieht. In einem dritten Punkt sollen die Vorschriften des besonderen Städtebaurechts dahin gehend untersucht werden, ob sie wirkungsvolle Instrumente für den Umgang mit dem demografischen Wandel und den damit verbundenen Gebäudeleerständen bereit halten, bevor in einem vierten Abschnitt herausgearbeitet wird, welche Folgen der Rückbau von Gebäuden auf die bauplanungsrechtliche Einordnung eines Gebiets haben kann. Das 5. Kapitel beschäftigt sich mit den bauordnungsrechtlichen Vorgaben, die im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel relevant werden können, wobei der Fokus auf den Vorschriften zum Abriss verfallener Gebäude sowie zur Barrierefreiheit von Gebäuden und zum Brandschutz liegen soll. Am Ende der Untersuchung stehen eine Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse sowie ein Ausblick.

1. Kapitel

Soziologischer Hintergrund I. Begriff des demografischen Wandels Der Begriff des demografischen Wandels ist gegenwärtig in aller Munde. Kaum ein Tag vergeht, an dem in Politik und Medien nicht über die Folgen dieses scheinbar unaufhaltsamen Trends diskutiert wird. Dabei wird der Begriff nicht einheitlich verwendet. Während im alltäglichen Sprachverständnis unter „demografischer Wandel“ meist ausschließlich die Schrumpfung und die zunehmende Alterung der Bevölkerung verstanden wird, sog. „demografischer Wandel im engeren Sinn“,1 geht ein großer Teil der Wissenschaft von einem weiteren Verständnis des Begriffs aus. So soll neben dem Bevölkerungsrückgang und der Alterung auch die zunehmende Heterogenisierung der Bevölkerung in ethnischer Hinsicht ein Aspekt des demografischen Wandels sein,2 sog. „demografische[r] Wandel im weiteren Sinn“.3 Eine dritte Gruppe von Autoren4 geht noch einen Schritt darüber hinaus und möchte auch den sozialen Wandel, der sich durch eine Veränderung der Familien- und Haushaltsstrukturen sowie der gesellschaftlichen Werte auszeichnet, unter den Begriff des demografischen Wandels fassen, sog. „demografische[r] Wandel im weitesten Sinn“5. 1  Klee,

Demographischer Wandel, S. 4, 13. Die Bevölkerungsentwicklung in den Kreisen der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1990 und 2020, in: BBR, Informationen zur Raumentwicklung, S. 107, 108 f.; BBR, Raumordnungsbericht 2005, S. 29; so wohl auch das Begriffsverständnis der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem „Demografiegipfel 2012, bei dem Fragen der Integration einbezogen wurden, vgl. die Rede von Bundeskanzlerin Merkel anlässlich des „Demografiegipfels“ vom 4.10.2012, abrufbar unter http: /  / www.bundesregierung.de / Content / DE / Rede / 2012 /  10 / 2012-10-04-bkin-demografiegipfel.html;jsessionid=66C1D32C56D76103639C88 235C1FB7A2.s3t2 (zuletzt abgerufen am 25.10.2012). 3  Klee, Demographischer Wandel, S. 4, 13; Deutscher Bundestag, Schlussbericht der Enquête-Kommission, BTDrs. 14 / 8800, S. 15. 4  Tivig / Hetzer, Deutschland im Demografischen Wandel, S. 4; Küpper / Küttner, Erkennen – Steuern – Handeln: Antworten auf den demographischen Wandel, in: Küpper / Küttner / Luther / Strauß, Erkennen – Steuern – Handeln, Antworten auf den demographischen Wandel, S. 1, 1. 5  Klee, Demographischer Wandel, S. 4, 14. 2  Bucher / Schlömer / Lackmann,

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1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung soll der Begriff des demografischen Wandels bewusst eng verstanden werden und nur die Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung erfassen,6 da es für die Analyse des Raumordnungsrechts, Städtebaurechts und Bauordnungsrechts in erster Linie auf die absoluten Bevölkerungszahlen sowie auf das Alter der Bevölkerung ankommt. Fragen des Wertewandels und der Veränderung von Familienstrukturen spielen in diesem Zusammenhang allenfalls insofern eine Rolle, als sie sich auf Bevölkerungswachstum und Siedlungsverhalten der Menschen auswirken. Dies ist jedoch eine vorgelagerte Frage, der in der vorliegenden Arbeit nicht weiter nachgegangen werden soll, weil davon für sie kein großer Erkenntnisgewinn zu erwarten ist. Auch die zunehmende Heterogenisierung der Bevölkerung in ethnischer Hinsicht soll weitest gehend ausgeblendet bleiben, da die Integration zugewanderter Menschen in die Gesellschaft in erster Linie Aufgabe der Politik ist und Raumordnungs-, Städtebau- und Bauordnungsrecht hierauf nur sehr begrenzte Einflussmöglichkeiten besitzen. Ethnische Faktoren wirken sich zudem auf das Raumordnungsrecht und das Baurecht höchstens insoweit aus, als bestimmte Gruppen von Zuwanderern andere Siedlungsstrukturen bevorzugen als Einheimische. Dazu gehört, dass bei diesen Bevölkerungsgruppen die Betreuung alter Menschen meist zu Hause stattfindet und Seniorenheime seltener in Anspruch genommen werden.7 Zu diesem Zweck müssten Zuwanderer nach ihren Herkunftsländern und ihrer Zugehörigkeit zu Bevölkerungsgruppen eingeteilt werden, was einen Untersuchungsaufwand bedingen würde, der von der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden kann. Außerdem müssten bei einer derartigen Untersuchung sinnvollerweise Faktoren wie das Bildungssystem und der Arbeitsmarkt mit einbezogen werden, was den Umfang der vorliegenden Arbeit sprengen und von der ursprünglichen Fragestellung ein großes Stück weit weg führen würde. Was jedoch vom hier vertretenen Begriff des demografischen Wandels mit erfasst werden soll, ist die Zuwanderung nach Deutschland, soweit sie sich auf die Bevölkerungszahlen und den Altersdurchschnitt der in Deutschland lebenden Menschen auswirkt. Entsprechendes gilt für Wanderungsbewegungen innerhalb Deutschlands.

6  Ähnlich auch Siedhoff, Demographischer Wandel – Zum Begriff und Wesen eines Megatrends, in: Killisch / Siedhoff, Dresdner Gespräche zum demographischen Wandel, S. 3, 5. 7  Vgl. Baykara-Krumme, Ältere Familienmitglieder, in: Fischer  / Springer, Handbuch Migration und Familie, S. 282, 289 f., die in diesem Zusammenhang besonders die stark familienorientierten Herkunftskontexte nennt; Behret, Konzeption und Durchführung eines häuslichen Kranken- und Altenpflegekurses für türkisch-muslimische Frauen, in: Schaefer, Alter und Migration, S. 120, 121.



II. Prognose der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland 41

II. Prognose der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland 1. Allgemein Niemand kann gegenwärtig mathematisch exakt berechnen, wie sich die Bevölkerung Deutschlands in Zukunft entwickeln wird. Allerdings lässt sich mit Hilfe von Prognosen eine ziemlich genaue Vorhersage darüber treffen, was in Zukunft zu erwarten ist.8 So sehr sich die einzelnen Prognosen in den Details voneinander unterscheiden mögen, so klar sind die Übereinstimmungen bei den wesentlichen Aussagen.9 Übereinstimmend vorhergesagt wird eine konstant niedrige Geburtenzahl verbunden mit einer steigenden Lebenserwartung und moderaten Zuwanderung, was letztlich zum Rückgang und zur Alterung der Bevölkerung führen wird.10 Der demografische Wandel lässt sich am besten in Zahlen darstellen. Die Bevölkerungsentwicklung eines Landes, einer Region oder einer Stadt setzt sich aus der Zahl der Geburten, der Sterbefälle sowie der Zu- und Abwanderungen innerhalb einer zeitlichen Einheit zusammen. Dabei handelt es sich um die primären Stellgrößen der demografischen Entwicklung einer Raumeinheit.11 Für die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich dabei folgendes Bild:12 Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten am 31.12.2008 in Deutschland rund 82,0 Menschen. Da die Zahl der Todesfälle diejenigen der Geburten und die Zahl der Abwanderungen die der Zuwanderungen im Jahr 2009 jeweils überstieg, ergab sich für den 31.12.2009 eine Bevölkerungszahl von rund 81,8 Millionen, so dass im Vergleich zum Jahr 2008 von einem Bevölkerungsrückgang von 0,24 % auszugehen ist. Im Vergleich dazu hatte sich im Jahr 1999 noch ein leichter Bevölkerungsanstieg von 1,5 % gegenüber dem Jahr 1998 ergeben. In den sechziger Jahren 8  Näher zur Verlässlichkeit von Bevölkerungsprognosen, vgl. Birg, Die ausgefallene Generation, S. 66 ff.; BVerfGE 103, 242, 267; Mackensen, Wie sicher sind die demographischen Prognosen?, in: v. Ferber / Radebold / Graf v. d. Schulenburg, Die demographische Herausforderung, S. 17, 55 f.; vgl. auch Brosius-Gersdorf, Demografischer Wandel und Familienförderung, S. 22. 9  Vgl. Brosius-Gersdorf, Demografischer Wandel und Familienförderung, S. 23. 10  Vgl. etwa Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, S. 5  f.; Schlussbericht der EnquêteKommission „Demographischer Wandel – Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik“, BT-Drs. 14  /  8800, S. 27 ff.; Brosius-Gersdorf, Demografischer Wandel und Familienförderung, S. 23. 11  Klee, Demographischer Wandel, S. 4, 7. 12  Für sämtliche Daten, siehe Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Bevölkerungsfortschreibung, Fachserie 1, Reihe 1.3, 2011, S. 6.

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1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

des vergangenen Jahrhunderts wuchs die Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland jährlich sogar um bis zu 12 %. Grund für diese Entwicklung ist ein Rückgang der Geburtenzahlen seit den 1960er Jahren, der auf einem veränderten generativen Verhalten beruht.13 Im Jahr 2009 betrug die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau 1,36 Kinder.14 Diese durchschnittliche Kinderzahl je Frau, die auch als zusammengefasste Geburtenziffer bezeichnet wird, dient der Beschreibung des aktuellen Geburtenverhaltens. Sie gibt an, wie viele Kinder eine Frau im Laufe ihres Lebens bekommen würde, wenn ihr Geburtenverhalten so wäre wie das aller Frauen zwischen 15 und 49 Jahren im jeweils betrachteten Jahr.15 Zur Erhaltung des Bevölkerungsstandes wären 2,1 Kinder erforderlich.16 Folge der sinkenden zusammengefassten Geburtenziffer ist ein stetiger Rückgang der Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter, was langfristig zu einer negativen Entwicklung der Bevölkerungszahlen führt.17 Dieser Trend kann auch durch Zuwanderung nicht vollständig ausgeglichen werden, da erstens der Wanderungssaldo, d. h. die Differenz aus Zu- und Abwanderung, in den letzten Jahren auf ein niedriges Niveau gesunken ist18 und zweitens langfristig deutlich höhere Zuwanderungsraten erforderlich wären, um das Bevölkerungsniveau konstant zu halten. Selbst wenn man von einem künftigen Wanderungssaldo von 100.000 bis 200.000 Personen pro Jahr ausgeht,19 reicht dies nicht, um die negative Bevölkerungsentwicklung auszugleichen.20 Es wäre allenfalls eine Abschwächung der demografischen Entwicklung möglich. Vorhersagen gehen daher davon aus, dass im Jahr 2030 zwischen 77 und 70 Millionen und im Jahr 2060 nur noch zwischen 65 und 70 Millionen Menschen in Deutschland leben werden.21 13  Klee,

Demographischer Wandel, S. 4, 8. Bundesamt, Durchschnittliche Kinderzahl je Frau sinkt 2009 leicht auf 1, 36, Pressemitteilung Nr. 414 vom 12.11.2010, abrufbar unter https: /  / www. destatis.de / DE / PresseService / Presse / Pressemitteilungen / 2010 / 11 / PD10_414_12641. html (zuletzt abgerufen am 25.10.2012) sowie Statistisches Bundesamt, Geburten in Deutschland, Ausgabe 2012, S. 41. 15  Näher dazu siehe Statistisches Bundesamt, Durchschnittliche Kinderzahl je Frau sinkt 2009 leicht auf 1, 36, Pressemitteilung Nr. 414 vom 12.11.2010, abrufbar unter https: /  / www.destatis.de / DE / PresseService / Presse / Pressemitteilungen / 2010 / 11 /  PD10_414_12641.html (zuletzt abgerufen am 25.10.2012). 16  Klee, Demographischer Wandel, S. 4, 8. 17  Klee, Demographischer Wandel, S. 4, 8. 18  Vgl. die Statistik des Statistischen Bundesamtes, Bevölkerung Deutschlands bis 2060, S.  32 f. 19  So etwa eine Berechnung des Statistischen Bundesamtes, Bevölkerung Deutschlands bis 2060, S. 34. 20  In diese Richtung auch Brosius-Gersdorf, Demografischer Wandel und Fami­ lienförderung, S. 23. 21  Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2060, S. 12 u. 38 f. 14  Statistisches



II. Prognose der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland 43

Ein weiterer Faktor im Rahmen der Bevölkerungsentwicklung ist die stetig steigende Lebenserwartung, die in den Jahren 2006–2008 für neu geborene Jungen 77,2 und für neu geborene Mädchen 82,4 Jahre betrug.22 Im Vergleich dazu lag in den Jahren 1996–1998 die Lebenserwartung für neu geborene Jungen noch bei 74,0 und für neu geborene Mädchen bei 80,3 Jahren. In den Jahren 1960–1962 war die Lebenserwartung mit 66,9 (Jungen) bzw. 72,4 Jahren (Mädchen) für Neugeborene noch erheblich niedriger.23 Die steigende Lebenserwartung in Kombination mit zurückgehenden Geburtenzahlen und gleichzeitiger Abnahme der Zahl potentieller Mütter führt zu einer zunehmenden Alterung der Bevölkerung.24 Es ist zu erwarten, dass sich der Altersaufbau der Bevölkerung in Zukunft deswegen deutlich verändern wird. Im Jahr 2009 lag das Durchschnittsalter der deutschen Bevölkerung bei 43,4 Jahren, was gegenüber 2008 einen Anstieg um 0,2 Jahre darstellt. Zehn Jahre zuvor, im Jahr 1999 betrug es noch 40,8 Jahre.25 Für das Jahr 2030 rechnen Experten mit einem Durchschnittsalter zwischen 47,2 und 47,7 Jahren.26 Prognosen gehen davon aus, dass im Jahr 2030 in Deutschland etwa 22,3 Millionen über 65 Jahre oder älter sein werden, was rund 29 % der Gesamtbevölkerung entspricht.27 Im Jahr 2060 soll dies bereits jeder Dritte (34 %) sein. Die Zahl der über 70-Jährigen in Deutschland wird dann doppelt so hoch sein wie die der neugeborenen Kinder.28 Es ist zu erwarten, dass es im Jahr 2060 allein etwa 13–14 Millionen 80-Jährige und Ältere geben wird.29 Im Jahr 2005 stellte sich der Altersaufbau der Bevölkerung als „zerzauste Wettertanne“30 dar, bei der der mittlere Altersbereich stark vertreten ist, während die Gruppen der Jüngeren und Älteren dünner besetzt sind. 22  Statistisches

Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2060, S. 31. die gesamten Daten, vgl. Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2050, 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung 2006, S. 38. 24  Klee, Demographischer Wandel, S. 4, 9. 25  Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, S. 11. 26  Statistisches Bundesamt, Entwicklung der Bevölkerung in Deutschland von 2009 bis 2060, Durchschnittliches Alter der Bevölkerung in den Jahren 2008–2060. 27  Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Demografischer Wandel in Deutschland, S. 6. 28  Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2060, S. 14 u. 17; ähnlich auch die Prognose der EU-Kommission für das Jahr 2050, vgl. Europäische Kommission, Demography Report, S. 120. 29  Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2060, S. 17. 30  Brosius-Gersdorf, Demografischer Wandel und Familienförderung, S. 21; Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2050, 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, S. 17. 23  Für

44

1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

Demgegenüber spricht Klee im Zusammenhang mit dem Altersaufbau der Bevölkerung im Jahr 2060 nicht mehr von einer typischen „Bevölkerungspyramide“, sondern vielmehr von einem „Bevölkerungsdöner“.31 Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland

am 31.12.1910 Alter in Jahren 100

Männer

am 31.12.1950

Frauen

Alter in Jahren 100

Männer

90

90

80

80

70

70

60

60

50

50

40

40

30

30

20

20

10

10 0

0 1 000 750 500 Tausend Personen

250

0

0

250

500 750 1 000 Tausend Personen

1 000 750 500 Tausend Personen

am 31.12.2008

Männer

Alter in Jahren 100

250

0

250

500 750 1 000 Tausend Personen

Frauen

Männer

Untergrenze der „mittleren” Bevölkerung Obergrenze der „mittleren” Bevölkerung Alter in Jahren 100

Frauen

90

90

80

80

70

70

60

60 31.12. 2008

31.12. 2008

50

40

40

30

30

20

20

10

10

0 250

0

0

am 31.12.2008 und am 31.12.2060

50

1 000 750 500 Tausend Personen

Frauen

0 0

250

500 750 1 000 Tausend Personen

1 000 750 500 Tausend Personen

250

0

0

250

500 750 1 000 Tausend Personen 2009 - 15 - 0831

Quelle: © Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2060, Wiesbaden 2009

Abb. 1: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland 31  Klee,

Demographischer Wandel, S. 4, 11.



II. Prognose der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland 45

2. Unterschiede nach Regionen Die Bevölkerungsentwicklung wird jedoch nicht in allen Regionen Deutschlands auf gleiche Art und Weise verlaufen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass prosperierende, von Bevölkerungswachstum geprägte Regionen und Regionen mit schrumpfenden Bevölkerungszahlen nebeneinander existieren werden. Grund dafür ist, dass sowohl Geburtenhäufigkeit als auch Lebenserwartung regionale Unterschiede aufweisen und auch die Zuwanderung nicht einheitlich erfolgt, sondern vor allem auf wirtschaftlich aufstrebende Regionen beschränkt bleibt.32 Eine Bevölkerungszunahme wird vor allem in größeren, von Suburbanisierungsprozessen33 geprägten Stadtregionen sowie in Regionen mit stabilem Wirtschaftswachstum zu verzeichnen sein.34 a) Region München Die Region München ist für ihre prosperierende Wirtschaft bekannt, doch auch vor ihr macht der demografische Wandel nicht Halt. Unter der Region München werden für die Zwecke dieser Untersuchung die Landeshauptstadt München, die Landkreise Dachau, Ebersberg, Erding, Freising, Fürstenfeldbruck, Landsberg am Lech, München und Starnberg zusammengefasst,35 da angesichts des großen Einzugsgebietes der Landeshauptstadt umliegende Gegenden von den jeweiligen demografischen Trends mit erfasst werden. Im Jahr 2009 lebten in der Region rund 2,65 Millionen Menschen,36 wobei auf die Landeshauptstadt selbst 1.330.440 Menschen entfielen.37 Verglichen mit dem Jahr 2008 bedeutet das für die Stadt München einen leichten Zuwachs, nachdem die Bevölkerungszahl im Jahr 2008 noch bei 1.326.807 gelegen hatte.38 Für die gesamte Region München ergab sich ebenfalls ein 32  Klee,

Demographischer Wandel, S. 4, 10. „Suburbanisierung“ versteht man die Nahwanderung aus den Städten in das Umland, vgl. Müller / Rohr-Zänker, Perspektiven Ländlicher Räume und die Rolle der Raumordnung, S. 8. 34  Klee, Demographischer Wandel, S. 4, 12. 35  Breu, Die demographische Entwicklung in der Region München, in: ders., Demographischer Wandel und Raumentwicklung in Bayern, S. 141, 141. 36  Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern bis 2029 – Demografisches Profil für die Region München, S. 5. 37  Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Altersstruktur der Bevölkerung Bayerns, Kennziffer A I 3 j 2009, S. 6. 38  Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Bevölkerungsstand und -bewegung in den Gemeinden Bayerns, Kennziffer A I 1–1 j 2008. 33  Unter

46

1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

leichtes Plus im Vergleich zum Jahr 2008.39 Insgesamt hat die Region München zwischen 1970 und 2008 etwa 570.000 Einwohner hinzugewonnen.40 Einer der Gründe dafür ist, dass die Region seit 1987 einen konstanten Überschuss der Geburten über die Sterbefälle von jährlich etwa 5000 aufweisen kann.41 Dies lässt sich in erster Linie mit dem konstanten Zuzug junger Familien in die Region erklären.42 Ein weiterer Grund dafür ist, dass die Region in den letzten Jahren durch einen positiven Wanderungssaldo rund 22.000 Menschen jährlich hinzu gewonnen hat.43 Vorausberechnungen gehen davon aus, dass im Jahr 2029 bereits rund 2,88 Millionen Menschen in der Region München leben werden, wovon auf die Landeshauptstadt selbst 1,44 Millionen entfallen.44 Damit nimmt in der Region München die Bevölkerung entgegen dem deutschlandweiten Trend zu. Auch die Bevölkerungsdichte ist im Vergleich mit anderen Regionen sehr hoch. Für die Landeshauptstadt betrug sie im Jahr 2009 4286 Personen pro Quadratkilometer und es ist zu erwarten, dass sie bis zum Jahr 2029 auf 4639 Menschen pro Quadratkilometer anwachsen wird.45 Für die gesamte Region München wird sich 2029 eine Bevölkerungsdichte von 523 Menschen pro Quadratkilometer ergeben, was im Vergleich zu anderen Regionen überdurchschnittlich hoch ist.46 Das Durchschnittsalter, das 2009 noch 41, 9 Jahre betrug, wird bis zum Jahr 2029 auf 44,1 Jahre ansteigen,47 wobei das Durchschnittsalter in der Landeshauptstadt mit 42,9 Jahren noch einmal niedriger ausfallen wird als das des Umlandes.48 Insgesamt wird damit das Durchschnittsalter

39  Vgl. Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern bis 2029, S. 5. 40  Breu, Die demographische Entwicklung in der Region München, S. 141, 143. 41  Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie, Natürliche Bevölkerungsentwicklung 2000–2010 in Bayern; Breu, Die demographische Entwicklung in der Region München, S. 141, 145. 42  Breu, Die demographische Entwicklung in der Region München, S. 141, 145. 43  Regionaler Planungsverband München, Zur demografischen Entwicklung in der Region München und in Bayern, S. 9. 44  Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern bis 2029, S. 5 u. 9. 45  Es ist dabei von einer Fläche Münchens von 310,43 km2 auszugehen. 46  Es ist dabei von einer Fläche der Region München von 5503,78 km2 auszugehen; für ausgewählte andere Regionen, vgl. unten, 1. Kapitel, II. 2. b)–II. 2. d). 47  Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern bis 2029, S. 8. 48  Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern bis 2029, S. 9.



II. Prognose der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland 47

Quelle: © Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, München, 2010

Abb. 2: Bevölkerungsskizze im Jahre 2009 bzw. 2029

der gesamten Region deutlich unterhalb des bundesweiten Durchschnitts liegen.49 Dennoch wird auch in der Region München die Zahl der Menschen, die 65 Jahre oder älter sind im Vergleich zum Jahr 2009 bis zum Jahr 2029 um 27,5 % zunehmen.50 Dies betrifft in erster Linie das Umland, da die Landeshauptstadt selbst insbesondere vom Zuzug junger Studenten profitieren wird.51 Die Zahl der 75-Jährigen und Älteren wird im Jahr 2029 um rund 58 % höher sein als noch im Jahr 2009 und bei etwa 310.000 liegen.52 Wie die obenstehende Grafik zeigt, kann bei der Bevölkerungsentwicklung in der Region München nicht von einem „Bevölkerungsdöner“ gesprochen werden, sondern der Altersaufbau gleicht eher einem Tannenbaum, was daran liegt, dass die Bevölkerung in der Region nach wie vor wächst und die Lebenserwartung weiter ansteigen wird. 49  Siehe oben, 1. Kapitel, II. 1.; vgl. auch Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, S. 45. 50  Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern bis 2029, S. 8. 51  Breu, Die demographische Entwicklung in der Region München, S. 141, 148. 52  Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern bis 2029, S. 7 f.

48

1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

b) Oberfranken Im Vergleich zur Region München zeigt sich für Oberfranken53 ein völlig anderes Bild. Im Jahr 2009 lebten in der Region rund 1.076.400 Menschen. Ein Jahr zuvor, im Jahr 2008, hatte die Bevölkerungszahl noch rund 1.082.500 Menschen betragen. Seit 1999 hat die Region etwa 37.800 Menschen verloren.54 Grund dafür sind ein negativer Geburtensaldo sowie die Abwanderung insbesondere junger Menschen. So lag die Zahl der Sterbefälle im Jahr 2009 um 5422 höher als die Zahl der Geburten. Außerdem war der Wanderungssaldo für Oberfranken im Jahr 2009 negativ, so dass alleine dadurch der Region rund 1600 Menschen verloren gingen.55 Insgesamt hatte die Region daher mehr als 7000 weniger Bewohner als noch im Jahr zuvor. Dies wirkte sich auf die Bevölkerungsdichte dahin gehend aus, dass im Jahr 2009 nur noch rund 149 Menschen pro Quadratkilometer lebten, während es 1999 noch rund 154 waren.56 Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung gehen davon aus, dass im Jahr 2029 in Oberfranken nur noch rund 977.000 Menschen leben werden, was einem Bevölkerungsrückgang um rund 10 % im Vergleich zum Jahr 2009 entspräche. Besonders dramatisch dürfte sich die Lage in den Landkreisen Hof und Wunsiedel darstellen, für die ein Bevölkerungsrückgang von bis zu 20 % bis zum Jahr 2029 prognostiziert wird.57 Für die Bevölkerungsdichte hat dies zur Folge, dass dann nur noch etwa 135 Personen pro Quadrat­ kilometer leben werden. Hauptursache für die demografische Entwicklung in dieser Region ist ihre Lage an der Außengrenze Bayerns sowie ihre ländliche Prägung, mit der ein mangelndes Angebot an Arbeitsplätzen und Bildungseinrichtungen einher geht.58 Das Durchschnittsalter der Bevölkerung Oberfrankens, das im Jahr 2009 bei 43,9 Jahren und damit bereits einen halben Prozentpunkt über dem 53  Unter „Oberfranken“ wird für die vorliegende Untersuchung der gleichnamige bayerische Regierungsbezirk verstanden. 54  Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern bis 2029, S. 56. 55  Näher dazu, vgl. Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Bevölkerungsstand und bewegung in den Gemeinden Bayerns, S. 22–27. 56  Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern bis 2029, S. 56; es ist dabei von einer Fläche Oberfrankens von 7.231,00 km2 auszugehen. 57  Für sämtliche Zahlen, siehe Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern bis 2029, S. 5, 65 u. 69. 58  Vgl. auch Koch, Der demographische Wandel in Bayern, in: Breu, Demographischer Wandel und Raumentwicklung in Bayern, S. 22, 40 ff.



II. Prognose der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland 49

Quelle: © Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, München, 2010

Abb. 3: Bevölkerungsskizze im Jahre 2009 bzw. 2029

bundesdeutschen Durchschnitt lag, wird bis zum Jahr 2029 auf 48,3 Jahre ansteigen.59 Für die Landkreise Hof und Wunsiedel ist bis zum Jahr 2029 sogar von einem Durchschnittsalter von über 50 Jahren auszugehen. Die Zahl der Menschen, die 65 Jahre oder älter sind, wird in der gesamten Region gegenüber dem Jahr 2009 um 24,5 % anwachsen.60 Allein bei den 75-Jährigen und Älteren ist von einem Anstieg um 28,6 % gegenüber dem Jahr 2009 auszugehen, was bedeutet, dass im Jahr 2029 rund 134.000 Personen dieser Altersgruppe angehören werden.61 Die vorstehende Grafik zur Bevölkerungsentwicklung in Oberfranken zeigt eine Altersstruktur, bei der einer vergleichsweise geringen Zahl an jungen Menschen eine überdurchschnittlich große Zahl an Alten und Hochbetagten gegenüber steht. 59  Für sämtliche Zahlen, vgl. Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern bis 2029, S. 129. 60  Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern bis 2029, Demografisches Profil für den Regierungsbezirk Oberfranken, S. 8. 61  Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern bis 2029, S. 56; Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern bis 2029, Demografisches Profil für den Regierungsbezirk Oberfranken, S. 8.

50

1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

c) Sachsen Für das Bundesland Sachsen ergibt sich hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung ebenfalls eine wenig positive Prognose. Im Jahr 2009 lebten in dem Bundesland rund 4.168.700 Menschen.62 Im Vergleich zum Jahr 2008 stellt dies einen Bevölkerungsrückgang um rund 24.100 Menschen dar.63 Verglichen mit 1999 bedeutet dies sogar ein Rückgang um rund 281.000 Menschen.64 Im Zeitraum von 1990 bis 2008 hat das Bundesland insgesamt ca. 720.000 Menschen verloren, was etwa 15 % der Gesamtbevölkerung entspricht.65 Grund für den enormen Bevölkerungsrückgang sind rückläufige Geburtenzahlen sowie große Wanderungsverluste seit der deutschen Wiedervereinigung.66 So überstieg die Zahl der Sterbefälle die der Geburten allein im Jahr 2009 um etwa 16.300.67 Die Zahl der Abgewanderten überstieg im Jahr 2009 die der Zugewanderten um knapp 7900.68 Seit der Wiedervereinigung ergibt sich für Sachsen mit Ausnahme des Zeitraums von 1993–1997 ein durchweg negativer Wanderungssaldo.69 Dies wirkt sich auch stark auf die Einwohnerdichte des Bundeslandes aus. So lebten im Jahr 2009 nur noch durchschnittlich 226 Menschen auf einem Quadratkilometer Fläche, während es im Jahr 1990 noch etwa 267 waren.70 Prognosen gehen davon aus, dass der beschriebene Trend anhält und im Jahr 2025 die Bevölkerungszahl in Sachsen nur noch zwischen 3,6 und 3,8 Millionen betragen wird.71 Jedoch wird die Bevölkerungsentwicklung nicht im gesamten Freistaat gleich verlaufen. Während die Städte Dresden und Leipzig bis zum Jahr 2025 mit einem leichten Bevölkerungsplus von 3–7 % 62  Statistisches

Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, S. 29. Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, S. 19. 64  Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Bevölkerung 1990 bis 2020 in Sachsen. 65  Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Bevölkerungsentwicklung im Freistaat Sachsen und im Bundesgebiet 1990 bis 2008. 66  Zu dieser Problematik, vgl. auch Milbradt, Demografische Entwicklung in Sachsen als politische Herausforderung, in: Heilemann, Demografischer Wandel in Deutschland, S. 129, 129 ff.  67  Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, S. 19. 68  Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, S. 19. 69  Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Zu- und Fortzüge über die Grenze des Freistaates Sachsen seit 1980; vgl. auch die ausführliche Darstellung bei Lowe / Nagl, Bevölkerungsentwicklung und Wanderungsströme von 1991 bis 2008 für Ostdeutschland und Sachsen, ifo Dresden 2011, Heft 2, 27, 27 ff. 70  Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Bevölkerung 1990 bis 2020 in Sachsen; es ist dabei von einer Fläche Sachsens von 18.415 km2 auszugehen. 71  Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Bevölkerungsprognose in Sachsen bis 2025. 63  Statistisches



II. Prognose der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland 51

im Vergleich zum Jahr 2009 rechnen können, ergibt sich insbesondere für die Gebiete Erzgebirgskreis, Görlitz, Vogtlandkreis, Mittelsachsen, Zwickau und Bautzen ein düsteres Bild. In diesen Regionen ist im selben Zeitraum ein Bevölkerungsrückgang von bis zu 25 % im Vergleich zum Jahr 2009 zu erwarten.72 Ein Grund für die unterschiedliche Entwicklung besteht darin, dass die schrumpfenden Gebiete an der Außengrenze der Bundesrepublik liegen und deshalb als Wirtschaftsstandorte weniger attraktiv sind, so dass in den betroffenen Gegenden die Arbeitslosigkeit auf einem vergleichsweise hohem Niveau stagniert73 und viele Menschen die fraglichen Gebiete verlassen. Die Städte Dresden und Leipzig dagegen profitieren von der Zuwanderung junger Singles und Paare, die häufig über eine höhere berufliche Qualifikation verfügen.74 Im Hinblick auf die Bevölkerungsdichte ergibt sich, dass im Jahr 2025 in Sachsen im Durchschnitt nur noch 205 Personen pro Quadratkilometer leben werden, während es im Jahr 2009 noch 226 Menschen waren.75 Allerdings wird in einigen Landkreisen die Besiedlungsdichte weit geringer sein. So ist für den Landkreis Nordsachsen davon auszugehen, dass dort im Jahr 2025 nicht mehr als 87–90 Menschen pro Quadratkilometer leben werden.76 Die räumlich ungleiche Verteilung der Besiedelungsdichte sowie deren rasche Abnahme in bestimmten Gegenden sind charakteristisch für die Entwicklung in Sachsen.77 Das durchschnittliche Alter der Bewohner Sachsen lag im Jahr 2009 bei 45,9 Jahre und damit 2,5 Jahre über dem deutschen Durchschnitt.78 Bis zum Jahr 2025 steigt das Durchschnittsalter in Sachsen auf 49,3–50,1 Jahre an.79 Die Zahl der Menschen, die 65 Jahre und älter sind, wird bis zum Jahr 72  Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Bevölkerungsprognose in Sachsen bis 2025. 73  Bundesagentur für Arbeit, Arbeitslosenquoten im Jahresdurchschnitt 2010, Länder und Kreise; zum Ganzen vgl. auch Maretzke, Die Bevölkerungsentwicklung in den Regionen Deutschlands, in: Cassens / Luy / Scholz, Die Bevölkerung in Ostund Westdeutschland, S. 223–260. 74  Dieser Trend wird auch Reurbanisierung genannt; näher dazu siehe Leibniz Institut für Länderkunde, Reurbanes Wohnen – Zuwanderungstrends in ostdeutschen Städten. 75  Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Bevölkerungsprognose in Sachsen bis 2025; die Fläche Sachsens beträgt 18.415 km2. 76  Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Landkreisinformation – Landkreis Nordsachsen; die Fläche des Landkreises beträgt 2.020 km2. 77  Näher dazu vgl. auch Schenk / Augsburg, Demographischer Wandel als Herausforderung für die Politik in Sachsen, in: Killisch / Siedhoff, Dresdner Gespräche zum demographischen Wandel, S. 125–137, insbesondere S. 128. 78  Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, S. 21. 79  Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Statistik in Sachsen, Jahrgang 17 – 1 / 2011.

52

Bevölkerung am 31. Dezember 2009 und 2025 1. Kap.: Soziologischer Hintergrund nach Alter und Geschlecht

Das D kerun bzw. Diese Bedeu zwisc und Ä die Z bzw. fähig 20 bis Der f auch geln. weite zu erw

Alter in Jahren 100 95 90 85

Variante 1 80

Variante 2

75

Fortschreibung

65

70

60

n Prozess des m Jahr 2000 n, verringerte nen Einwoh,8 Prozent.

55 50 45 40 35

Verän gege

30

s 2025

25 20

riante 1 15 2025 - V1 10 2025 - V2 5 2009 40 30 männlich

20

10

0 0 0 10 Tausend Personen

Schwe 20

30 40 weiblich

Quelle: © Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Kamenz, 2013

2025

ariante 2

2025

Nach den Ergebnissen der 5.Sachsen Regionalisierten Bevölkerungsprognose Abb. 4: Bevölkerung des Freistaates am 31. Dezember 2009 und 2025 wird sich dieser nach TrendAlter fortsetzen. Im Jahr 2025 wird die Einwohnerund Geschlecht zahl voraussichtlich 3,6 bis 3,8 Millionen Einwohner betragen. Das bedeutet einen Rückgang von 391 000 (9,4 Prozent) bzw. 522 000 2025 auf zwischen 34,4  % Prozent) und 35,6  % Gesamtbevölkerung wachsen, was Einwohnern (12,5 gegenüber 2009. 80 einem Anstieg von fast 13  % gegenüber dem Jahr 2009 entspricht. Der Bevölkerungsrückgang in Sachsen wird hauptsächlich durch das Der Anteil der 65-Jährigen und Älteren Von nimmt stark zuin als beispielsGeburtendefizit verursacht. 2000weniger bis 2009 wurden Sachsen weise in deretwa Region München oder in Oberfranken, da die Bevölkerung 329 000 Kinder geboren, das waren rund 165 000 weniger, als Sachsens bereits im Jahr 2009 älter wargestorben als die der Menschen im gleichen Zeitraum sind.Vergleichsregionen. Diese Tendenz sichden auch im Prognosezeitraum fortsetzen, Die vorstehende Grafikwird zeigt Bevölkerungsaufbau in Sachsenda-im Jahr nach mit werden im gesamten Prognosezeitraum 000 bzw. dass 481 000 2009 verglichen dem des Jahres 2025. Es wird448deutlich, die Zahl geboren und 851 000 die sterben. beträgt der JüngerenPersonen stetig abnimmt, während ZahlDas derGeburtendefizit Alten und Hochbetagten demnach bzw. 370 zeichnet 000 Personen. wird sich die vergleichsweise groß403 ist. 000 Insgesamt sichGleichzeitig eine Entwicklung in RichEinwohnerzahl von Sachsen tung eines „Bevölkerungsdöners“ ab. um 114 000 bzw. 18 000 Personen in Folge von Wanderungsverlusten vermindern. 80  Statistisches

Landesamt des Freistaates Sachsen, Statistik in Sachsen, S. 12 ff.



II. Prognose der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland 53

d) Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt ist eines der Bundesländer, die den demografischen Wandel am deutlichsten zu spüren bekommen. Für das Bundesland ergibt sich eine ähnlich negative Prognose wie für Sachsen, wobei es in Sachsen-Anhalt zudem an Ballungszentren fehlt, die sich durch ein zumindest leichtes Bevölkerungswachstum auszeichnen. Im Jahr 2009 lebten in Sachsen-Anhalt rund 2.356.200 Menschen. Im Vergleich zum Jahr 2008 entspricht dies einem Bevölkerungsrückgang um etwa 25.650 Menschen.81 Verglichen mit 1999 bedeutet dies sogar ein Rückgang um rund 292.500 Menschen.82 Seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 hat das Bundesland bis zum Jahr 2009 etwa 517.700 Einwohner verloren.83 Grund dafür sind ein Überschuss der Sterbefälle über die Geburten sowie ein negativer Wanderungssaldo. So überstieg die Zahl der Sterbefälle die der Geburten im Jahr 2009 um 13.336.84 Die Zahl der Abgewanderten überstieg im selben Jahr die der Zugewanderten um 12.360.85 Der Wanderungssaldo war seit der Wiedervereinigung mit Ausnahme der Jahre 1993, 1994 und 1996 stets negativ.86 Prognosen gehen davon aus, dass der Negativtrend anhalten und die Bevölkerung in Sachsen-Anhalt im Jahr 2025 nur noch rund 1.939.300 Menschen betragen wird,87 was einem Rückgang von etwa 18 % im Vergleich zum Jahr 2009 entspricht. Anders als in Sachsen ist davon auszugehen, dass die Bevölkerung im gesamten Bundesland schrumpfen wird, wenngleich das Ausmaß des Rückgangs nicht überall gleich sein wird. So wird für die Städte Halle (Saale) und Magdeburg bis zum Jahr 2025 ein Bevölkerungsrückgang von unter 17 % im Vergleich zum Jahr 2008 vorausgesagt, während in den Regionen Wittenberg, Salzlandkreis und Mansfeld-Südharz jeweils mit einem Rückgang von mehr als 23 % zu rechnen ist.88 Der Hauptgrund für den 81  Statistisches 82  Statistisches

Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, S. 19. Landesamt Sachsen-Anhalt, Bevölkerungsentwicklung Sachsen-

Anhalts seit 1966. 83  Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, Bevölkerungsentwicklung SachsenAnhalts seit 1966. 84  Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, Bevölkerungsentwicklung SachsenAnhalts seit 1966. 85  Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, Bevölkerungsentwicklung SachsenAnhalts seit 1966. 86  Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, Bevölkerungsentwicklung und Wanderungssaldo nach Geschlecht in Sachsen-Anhalt, zit. nach Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr Sachsen-Anhalt. 87  Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, 5. Regionalisierte Bevölkerungsprognose 2008 bis 2025. 88  Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, 5. Regionalisierte Bevölkerungsprognose 2008 bis 2025.

54

1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

besonders ausgeprägten Bevölkerungsschwund in Sachsen-Anhalt liegt darin, dass das Bundesland mit großen Schwierigkeiten bei der Umstrukturierung der Wirtschaft nach der Wiedervereinigung zu kämpfen hatte und infolgedessen der Anteil insbesondere der Langzeitarbeitslosen im Vergleich zu anderen Bundesländern überdurchschnittlich hoch ist.89 Diese Entwicklung hat viele Bewohner dazu bewogen, dem Land den Rücken zu kehren.90 Folge der massiven Abwanderung ist, dass die Einwohnerdichte im Jahr 2008 um mehr als 17 % niedriger war als 1990 und in Sachsen-Anhalt im Jahr 2008 durchschnittlich nur noch 116 Menschen pro Quadratkilometer lebten.91 Für das Jahr 2025 ist sogar ein weiterer Rückgang auf durchschnittlich 95 Einwohner pro Quadratkilometer zu erwarten.92 Das Durchschnittsalter der Bevölkerung Sachsen-Anhalts lag im Jahr 2008 lag bei 45,8 Jahren und damit 3,2 Jahre über dem deutschen Durchschnitt.93 Für das Jahr 2025 wird mit einem Durchschnittsalter von 50,3 Jahren gerechnet,94 was rund 3,8 Jahre über dem Bundesdurchschnitt für das Jahr 2025 liegt.95 Die Zahl der Menschen, die 65 Jahre und älter sind, wird bis zum Jahr 2025 auf rund 604.600 ansteigen, was gegenüber dem Jahr 2008 eine Zunahme um 6,9 % darstellt. Dies bedeutet, dass in SachsenAnhalt bereits im Jahr 2025 gut 31 % der Bevölkerung 65 Jahre oder älter sein werden. Besonders betroffen von der Zunahme der älteren Bevölkerung sind solche Gebiete, die in den 1990er Jahren eine eher geringe Abnahme der Bevölkerung zu verzeichnen hatten, sowie Gegenden, die sich durch eine dünne Besiedelung auszeichnen, etwa die Kreise Salzwedel und Stendal.96 Auffällig ist ferner, dass die Altersgruppe der 75-Jährigen und Älteren 89  Bundesagentur für Arbeit, Arbeitslosenquoten im Jahresdurchschnitt 2010, Länder und Kreise; näher dazu auch Maretzke, Die Bevölkerungsentwicklung in den Regionen Deutschlands, S. 223, 234; Institut für Wirtschaftsforschung Halle, Strukturanalyse der Wirtschaft des Landes Sachsen-Anhalt, S. 66. 90  Näher dazu, Schultz, Brain drain aus Ostdeutschland?, S. 80 ff.; Gerloff, Abwanderung und Heimatbindung junger Menschen aus Sachsen-Anhalt, in: Dienel, Abwanderung, Geburtenrückgang und regionale Entwicklung, S. 33, 33–51. 91  Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, Bevölkerungsentwicklung SachsenAnhalts seit 1966; es wird dabei von einer Fläche Sachsen-Anhalts von 20.443 km2 ausgegangen. 92  Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, 5. Regionalisierte Bevölkerungsprognose 2008 bis 2025. 93  Statistisches Bundesamt, Entwicklung der Bevölkerung in Deutschland von 2009 bis 2060. 94  Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr Sachsen-Anhalt, Auswertungen zur 5. Regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung Sachsen-Anhalt, S. 12. 95  Statistisches Bundesamt, Entwicklung der Bevölkerung in Deutschland von 2009 bis 2060. 96  Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr Sachsen-Anhalt, Auswertungen zur 5. Regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung Sachsen-Anhalt, S. 8.



II. Prognose der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland 55

Quelle: © Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, Halle (Saale), 2013

Abb. 5: Bevölkerung Sachsen-Anhalt Prognosejahr 2025

bis zum Jahr 2018 auf 298.000 Personen ansteigen wird.97 Im Jahr 2025 werden 19 % der Gesamtbevölkerung des Bundeslandes zu dieser Altersgruppe gehören, so dass von einem großen Anteil an Betagten und Hochbetagten gesprochen werden kann.98 Die vorstehende Grafik zeigt den Altersaufbau der Bevölkerung SachsenAnhalts im Jahr 2025. Deutlich erkennbar ist, dass die Zahl der Jüngeren vergleichsweise gering sein wird, während die Altersgruppen ab 55 Jahren besonders stark vertreten sind. Darüber hinaus ist auffällig, dass es einen klaren Einschnitt bei der Zahl der etwa 35-Jährigen gibt, was mit den gesunkenen Geburtenzahlen und der starken Wanderungsbewegung unmittelbar nach der Wiedervereinigung zusammen hängt.

97  Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr Sachsen-Anhalt, Auswertungen zur 5. Regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung Sachsen-Anhalt, S. 9. 98  Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr Sachsen-Anhalt, Auswertungen zur 5. Regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung Sachsen-Anhalt, S. 9.

56

1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

e) Nordrhein-Westfalen Der demografische Wandel verläuft in Nordrhein-Westfalen langsamer und weniger offensichtlich als beispielsweise in Sachsen oder Sachsen-Anhalt. Im Jahr 2009 betrug die Bevölkerungszahl Nordrhein-Westfalens 17.872.763 Millionen.99 Das Bundesland ist damit das bevölkerungsreichste Deutschlands. Im Vergleich zum Jahr 2008 sank die Bevölkerungszahl um rund 60.300 Menschen,100 d. h. um etwa 0,33 %. Im Vergleich zum Jahr 1999 ergibt sich für 2009 ein Rückgang um rund 127.000101 Menschen, was etwa 0,7 % entspricht. Anders als die ostdeutschen Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt hat Nordrhein-Westfalen seit der Wiedervereinigung 1990 keinen Bevölkerungsrückgang zu spüren bekommen, sondern die Bevölkerung hat seitdem bis zum Jahr 2009 sogar um 523.100 zugenommen.102 Grund für den vergleichsweise moderaten Rückgang ist in erster Linie ein überwiegend positiver Wanderungssaldo in den letzten beiden Jahrzehnten. Zwar war der Wanderungssaldo für die Jahre 2008 und 2009 jeweils negativ mit einem Überschuss der Abgewanderten im Vergleich zu den Zugewanderten von –23.910 bzw. –14.403 Menschen, doch sind seit 1990 bis zum Jahr 2009 rund 962.800 mehr Menschen nach Nordrhein-Westfalen zugewandert als abgewandert.103 Der Geburtensaldo dagegen gestaltet sich weniger positiv. So lag im Jahr 2009 die Zahl der Verstorbenen um etwa 45.800 höher als die der Neugeborenen,104 ein Trend, der bereits seit etwa einem Jahrzehnt andauert. Vorhersagen gehen davon aus, dass in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2030 etwa 17.190.300 Menschen leben werden,105 was im Vergleich mit 2009 einen Rückgang um 682.460 Menschen bedeuten würde. Dies entspricht einem Rückgang von knapp 4 % gegenüber 2009 und ist im Vergleich zu den ostdeutschen Bundesländern eine moderate Schrumpfung. In einigen Gegenden Nordrhein-Westfalens ist sogar mit einem Anstieg der Bevölke99  Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Bevölkerungsstand und -bewegung ab 1962. 100  Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Bevölkerungsstand und -bewegung ab 1962. 101  Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Bevölkerungsstand und -bewegung ab 1962. 102  Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Bevölkerungsstand und -bewegung ab 1962. 103  Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Bevölkerungsstand und -bewegung ab 1962. 104  Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Bevölkerungsstand und -bewegung ab 1962. 105  Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Bevölkerungsvorausberechnung 2011 bis 2030 nach Geschlecht – kreisfreie Städte und Kreise.



II. Prognose der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland 57

rungszahlen zu rechnen, was insbesondere für die Städte Düsseldorf, Köln und Münster sowie den Rhein-Erft-Kreis und den Rhein-Sieg-Kreis gilt.106 Auch hinsichtlich der Bevölkerungsdichte schneidet das Bundesland vergleichsweise gut ab. Zwar ist bis 2030 ein leichter Rückgang der durchschnittlichen Einwohnerzahl pro Quadratkilometer zu erwarten, doch werden im Jahr 2030 in Nordrhein-Westfalen immer noch rund 504 Menschen pro Quadratkilometer leben,107 was rund fünf Mal so viel ist wie in weiten Teilen Sachsens oder Sachsen-Anhalts. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens weicht von dem Sachsens oder Sachsen-Anhalts ebenfalls vergleichsweise stark ab. Im Jahr 2008 betrug das Durchschnittsalter der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens bei 42,6 Jahren,108 was rund 0,6 Jahre unter dem Bundesdurchschnitt liegt.109 Einige Kreise und Städte, etwa der Kreis Borken hat eine ähnlich junge oder sogar jüngere Bevölkerung als die Region München.110 Für das Jahr 2030 wird mit einem Durchschnittsalter von 48,1 Jahren (Frauen) und 45,8 Jahren (Männer) gerechnet,111 was etwa 0,5 Jahre unter dem zu erwartenden Durchschnittsalter für Deutschland liegt.112 Prognosen gehen davon aus, dass im Jahr 2030 die Zahl der 65-Jährigen und Älteren auf ca. 4.618.150 steigen wird,113 was rund 27 % der Gesamtbevölkerung entspricht. Gegenüber dem Jahr 2008 bedeutet dies einen Anstieg um rund 1.003.000 Menschen.114 In Prozent ausgedrückt, ergibt sich damit eine Steigerung von 20 % der Gesamtbevölkerung im Jahr 2008 auf 27 % im Jahr 2030. Für das Jahr 2050 wird prognostiziert, dass im gesamten Bundesland etwa 4.891.700 106  Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Bevölkerungsvorausberechnung 2011 bis 2030 nach Geschlecht – kreisfreie Städte und Kreise. 107  Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Bevölkerungsvorausberechnung 2011 bis 2030 nach Geschlecht – kreisfreie Städte und Kreise; dabei ist von einer Fläche Nordrhein-Westfalens von 34.080 km2 auszugehen. 108  Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Vorausberechnung der Bevölkerung in den kreisfreien Städten und Kreisen Nordrhein-Westfalens 2008 bis 2030 / 2050, S.  12. 109  Siehe oben, 1. Kapitel, III. 1. 110  Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Vorausberechnung der Bevölkerung in den kreisfreien Städten und Kreisen Nordrhein-Westfalens 2008 bis 2030 / 2050, S.  12. 111  Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Vorausberechnung der Bevölkerung in den kreisfreien Städten und Kreisen Nordrhein-Westfalens 2008–2030 / 2050, S. 12. 112  Siehe oben, 1. Kapitel, III. 1. 113  Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Bevölkerungsvorausberechnungen 2011 bis 2030 nach 5-er Altersgruppen (19) und Geschlecht – kreisfreie Städte und Kreise. 114  Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Kommunales Bildungsmonitoring: Tab. A1.2 Bevölkerung nach Altersgruppen und Geschlecht.

58 h der Annahmenfestsetzung twicklung der zukünftigen ungsbewegungen mit dem ist unterstellt worden, dass 1 steigende Wanderungsgegegenüber dem Ausland zu n sind. Ein Anstieg der Zuzüdem Ausland wird einerseits mmen, da spätestens ab 2011 ndigung der Übergangsreger Arbeitnehmerfreizügigkeit Länder der EU-Osterweitentritt. Andererseits kann der ng der Erwerbspersonen in in-Westfalen, der ungefähr 5 zu erwarten ist, eine ZunahArbeitsmigranten aus dem erzeugen.

enfassend ergibt sich eine me zu den Wanderungen e Grenze Nordrhein-Westauf Landesebene wie folgt:

raum

2010

Abb. 6

1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

Bevölkerung am 01.01.2008 und am 01.01.2050 in Nordrhein-Westfalen nach Alter und Geschlecht

männlich

weiblich

85

2050

2050

80

75

70

65

60

55

50

45

40

35

2008

2008

30

Jährlicher Wanderungssaldo

25

20

+6 000 Personen +10 000 Personen

15

+12 000 Personen

10

+15 000 Personen +18 000 Personen

5

+20 000 Personen 0 000 000 051 150

nisse orausberechnung

000 000 001 100

0 00000 05 50

0

0

50 000

100 000

Quelle: © Information und Technik NRW, Düsseldorf, 2009

150 000

Grafik: IT.NRW

aufgrund von Wanderungsgewinlen damit um mehr als zwei Millionen, die höher Geburtendefizinen Personen und erreicht 2050 Abb. 6: Bevölkerung ameine 01.01.2008 und als amdie01.01.2050 te lagen, ein Bevölkerungswachstum Bevölkerungszahl von 15 928 000. Nordrhein-Westfalen in Nordrhein-Westfalen nach Alter und Geschlecht erzielt werden. Für die Zukunft zeigen die VorausberechnungsergebnisGegenüber dem Ausgangsjahr findet gebnisse der Vorausberechse, dass die angenommenen Wandebis 2050 somit ein Bevölkerungsrückerdeutlichen, dass der seit rungsgewinne ausschließlich in der gang von 11,5 Prozent statt. Bezügngesetzte Rückgang der EinLage sind, den entstehenden Bevölkelich einer geschlechtsspezifischen Bezahl in Nordrhein-Westfalen 115 rungsrückgang zu vermindern, aber trachtung ist festzustellen, dass sich ür die Zukunft weiter fortnicht zu kompensieren. Dieses liegt in die Bevölkerung im Land Nordrheint. Zunächst zeichnet sich bis erster Linie darin begründet, dass der Westfalen bis 2050 um mehr männlin langsamer Bevölkerungsnegative Saldo aus Geburten und Sterche (ca. 1 046 000 Personen) als weibg ab, der sich jedoch bis 2050 befällen bis 2020 bei mehr als 40 000 liche Einwohner (ca. 1 021 000 Persounigt. So wird die Einwohnernen) vermindert. Nordrhein-Westfalen von 116 Personen liegt und danach bis 2050 auf über 100 000 Personen ansteigt. 21 am 01.01.2008 bis Die Abnahme der Bevölkerung in 30 auf etwa 17 332 000 PerFür Nordrhein-Westfalen sind jährliNordrhein-Westfalen ist im Wesentliurückgehen, was eine Abnahche Wanderungsgewinne in solchen chen eine Folge des Geburtendefizits, 664 000 Einwohnern bzw. 3,7 Größenordnungen für die Zukunft d. h., es gibt weniger Geburten als darstellt. Danach verstärkt nicht absehbar, sodass die Abnahme Sterbefälle. Diese Entwicklung lässt Abnahme im Zeitraum von der Bevölkerung die Folge sein wird. sich für Nordrhein-Westfalen bereits 2050 und Nordrhein-WestfaAllerdings ist festzuhalten, dass ohne seit 1972 beobachten, nur die Jahre iert mehr als 1,4 Millionen 115  Information Wanderungsgewinne – die Nord1990 bis und 1992 Technik und das Jahr 1998 bilner. Über den gesamten BeNordrhein-Westfalen, Bevölkerungsvorausberechnunrhein-Westfalen seit 1985 ununter- – kreisfreie hier/  Allerdings gshorizont verringert sich bisden gen 2011 2030  2eine 050Ausnahme. nach 5-er Altersgruppen (19) und Geschlecht brochen aufweist – die Einwohkonnte im Zeitraum von 1988 bis 2003 ölkerung Nordrhein-Westfa-

Menschen zu der fraglichen Altersgruppe gehören werden, was rund 31 % der dann vorhandenen Bevölkerung entspricht. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Anteil der 65-Jährigen und Älteren an der Gesamtbevölkerung in Nordrhein-Westfalen von 2030–2050 relativ konstant bleiben wird. Bei den 80-Jährigen und Älteren ist ein Anstieg um rund 1,3 Millionen vom Jahr 2011 bis zum Jahr 2050 zu erwarten, so dass auch in Nordrhein-Westfalen eine vergleichsweise große Gruppe an Hochbetagten vorhanden sein wird. Die vorstehende Grafik zeigt den Altersaufbau der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens im Jahr 2050. Obwohl das Bundesland über eine ver-

Städte und Kreise. 116  Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Bevölkerungsvorausberechnunhe Analysen und Studien NRW, Band 60 7 gen 2011 bis 2030 / 2050 nach 5-er Altersgruppen (19) und Geschlecht – kreisfreie Städte und Kreise.



III. Begriff des Alters59

gleichsweise junge Bevölkerung verfügen wird, zeichnet sich auch hier deutlich ein „Bevölkerungsdöner“ ab, da sich die Verluste durch den negativen Geburtensaldo in Zukunft mangels ausreichender Zuwanderung nicht mehr werden kompensieren lassen.

III. Begriff des Alters 1. Definition und Erscheinungsformen Die Definition des Begriffes „Alter“ ist in der Wissenschaft nicht einheitlich. Überwiegend wird eine Reduzierung auf die reine Anzahl der Lebensjahre abgelehnt, da das Alter kein „statisches Faktum“ sei, sondern das Ergebnis eines längeren Prozesses, der als „Altern“ bezeichnet wird.117 Es haben sich verschiedene Alterskategorien herausgebildet, zu denen etwa das kalendarische Alter oder das biologische Alter gehören.118 Das kalendarische Alter bestimmt sich nach dem Geburtsdatum eines Menschen und bezeichnet das zahlenmäßige Lebensalter.119 Das biologische Alter wird durch die genetischen Anlagen eines Menschen sowie durch äußere Faktoren beeinflusst.120 Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung kann das kalendarische Alter als Anknüpfungspunkt dienen, da – wie bereits gezeigt – Vorhersagen zur Bevölkerungsentwicklung meist auf ein bestimmtes Lebensalter Bezug nehmen. In der Gerontologie haben sich vier verschiedene Altersdifferenzierungen herausgebildet, wobei die Übergänge sich nicht mathematisch exakt festmachen lassen: das frühe Erwachsenenalter von 18 bis 30 / 35 Jahre, das mittlere Erwachsenenalter von 30 / 35 bis 60 / 65 Jahre, das höheres Erwachsenenalter von 60  /  65 bis 80  /  85 Jahre, auch „drittes Alter“121 genannt, sowie das hohe Alter ab 80 / 85 Jahren.122

117  Vgl. Martin / Kliegel, Psychologische Grundlagen der Gerontologie, S. 31 ff.; Senne, Auswirkungen des europäischen Verbots der Altersdiskriminierung auf das deutsche Arbeitsrecht, S. 35. 118  Näher dazu, Reimann / Reimann, Einleitung: Gerontologie – Objektbereich und Trends, in: dies., Das Alter, S. 1, 4. 119  Martin / Kliegel, Psychologische Grundlagen der Gerontologie, S. 31 f.; Viidik, Was ist Altern?, in: Böhmer, Was ist Altern?, S. 17, 21 f.; Senne, Auswirkungen des europäischen Verbots der Alterdiskriminierung, S. 36. 120  Näher dazu vgl. Viidik, Was ist Altern?, S. 17, 25 ff.  121  Wahl, Lebensumwelten im Alter, in: Schlag  /  Megel, Mobilität und gesellschaftliche Partizipation im Alter, S. 48, 51. 122  Nach Lindenberger / Schaefer, Erwachsenenalter und Alter, in: Oerter / Montada, Entwicklungspsychologie, S. 366, 366.

60

1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

2. Alter und Gesundheit Jeder der einzelnen Altersabschnitte zeichnet sich durch spezifische Eigenschaften und Entwicklungen aus. Von besonderem Interesse für die vorliegende Untersuchung sind das so genannte dritte Alter sowie das hohe Alter. Das dritte Alter zwischen 60 und etwa 85 Jahren wird heute mit einer vergleichsweise großen geistigen und körperlichen Fitness und einer geringen Morbidität in Verbindung gebracht.123 Dennoch sind bereits viele Personen aus dieser Altersgruppe von chronischen Krankheiten betroffen. Fast 40 % leiden an Arthrose, rund 20 % an Rheuma, mehr als 15 % an Diabetes und über 10 % an Durchblutungsstörungen der Beine.124 Diesen Erkrankungen ist gemeinsam, dass sie langfristig zu einer Einschränkung der Bewegungsfähigkeit und damit der Mobilität führen können. Entsprechendes gilt für die vor allem ab dem 70. Lebensjahr auftretenden Augenkrankheiten Glaukom und Makuladegeneration,125 welche die Sehfähigkeit beeinträchtigen und so etwa das Autofahren unmöglich machen können. Auch die Zahl der Mehrfacherkrankungen ist bei Personen zwischen 60 und 85 Jahren nicht zu vernachlässigen. Mehr als 50 % der Personen dieser Altersgruppe leiden an Mehrfacherkrankungen, d. h. zwischen zwei und vier Erkrankungen, was insoweit relevant ist, als oft erst die Kumulation verschiedener Erkrankungen dazu führt, dass krankheitsbedingte Einbußen nicht mehr kompensiert werden können.126 Dementsprechend klagen rund 44 % dieser Altersgruppe über zumindest leichte Einschränkungen beim Heben und Tragen von Einkaufstaschen. Etwa ein Drittel hat Probleme, zu Fuß mehrere Straßenkreuzungen hintereinander zu überqueren.127 Dies alles führt dazu, dass Menschen dieser Altersgruppe trotz allen medizinischen Fortschritts ein gewisses Maß an Unabhängigkeit verlieren. Noch schwieriger stellt sich die Situation bei den Senioren ab 80  /  85 Jahren, den so genannten Hochbetagten, dar, bei denen Verhaltenskompetenzen zunehmend verloren gehen und die entsprechend häufiger unter Bewegungseinschränkungen und chronischen Krankheiten wie Diabetes, Arthrose, Parkinson oder Demenz leiden.128 Besonders auffällig ist die Zahl der Mehrfacherkrankungen in dieser Altersgruppe. Schätzungen zufolge leidet 123  Wahl,

Lebensumwelten im Alter, S. 48, 51. Wurm / Schöllgen / Tesch-Römer, Gesundheit, in: Motel-Klingebiel / Wurm /  Tesch-Römer, Altern im Wandel, S. 90, 96 f. 125  Wurm / Schöllgen / Tesch-Römer, Gesundheit, S. 90, 96 f. 126  Wurm / Schöllgen / Tesch-Römer, Gesundheit, S. 90, 98 ff.  127  Wurm / Schöllgen / Tesch-Römer, Gesundheit, S. 90, 102. 128  Wahl, Lebensumwelten im Alter, S. 48, 51; Staudinger / Schindler, Produktivität und gesellschaftliche Partizipation im Alter, in: Schlag  /  Megel, Mobilität und gesellschaftliche Partizipation im Alter, S. 64, 69; speziell zur Demenz, Häfner, 124  Vgl.



IV. Tatsächliche Gegebenheiten 61

jede vierte Person dieser Altersgruppe unter fünf und mehr Erkrankungen.129 Auch der Pflegebedarf nimmt in dieser Altersgruppe drastisch zu.130 So betrug die Zahl derer, die Leistungen der Pflegeversicherung nach SGB XI in Anspruch nahmen, im Jahr 2009 bei den 80- bis 85-Jährigen 19,9 %, in der Altersklasse der 85- bis 90-Jährigen 38,0 % und bei den über 90-Jährigen 59,1 %.131 Daran zeigt sich, dass gerade Hochbetagte in ihrer Mobilität oft sehr stark eingeschränkt sind.

IV. Tatsächliche Gegebenheiten in zentralen Lebensbereichen und Folgen der demografischen Entwicklung Die eingangs dargestellte demografische Entwicklung wird erhebliche Auswirkungen auf zentrale Lebensbereiche der Menschen haben, von denen einige schon jetzt spürbar sind. Neben den sozialen Sicherungssystemen ist der Arbeitsmarkt bereits heute stark betroffen, was sich insbesondere in Gestalt des Fachkräftemangels zeigt. Weitere Bereiche, auf die sich der demografische Wandel in der Zukunft erheblich auswirken wird, sind u. a. die technische und soziale Infrastruktur, die Versorgung mit Wirtschaftsgütern sowie der Städtebau und die Siedlungsstruktur. In nicht allen dieser Bereiche sind die tatsächlichen Gegebenheiten bereits an den demografischen Wandel angepasst, so dass Mittel und Wege gefunden werden müssen, um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Im Übrigen ist zu erwarten, dass es zu komplexen Wechselwirkungen zwischen dem demografischen Wandel und den einzelnen Lebensbereichen kommen wird.

1. Technische und soziale Infrastruktur Als wesentlicher Bestandteil der Daseinsvorsorge besonders betroffen von der demografischen Entwicklung ist die technische und soziale Infrastruktur. Der Begriff der öffentlichen Daseinsvorsorge wurde bereits vor dem Zweiten Weltkrieg durch Ernst Forsthoff begründet und umfasste diejenigen Veranstaltungen, die zur Befriedigung des Appropriationsbedürfnisses gePsychiatrie des höheren Lebensalters, in: Baltes / Mittelstraß, Zukunft des Alterns und gesellschaftliche Entwicklung, S. 151, 162 ff.  129  Görres / Hasseler, Gesundheit und Krankheit vulnerabler älterer Bevölkerungsgruppen, in: Kuhlmey / Schaeffer, Alter, Gesundheit und Krankheit, S. 175, 176. 130  Tews, Alter und Altern in unserer Gesellschaft, in: Reimann  / Reimann, Das Alter, S. 30, 65; Schimany, Die Alterung der Gesellschaft, S. 432 ff.  131  Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2009, Deutschlandergebnisse, S. 8.

62

1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

troffen werden.132 Heute ist die Definition der Daseinsvorsorge in der Literatur weniger einheitlich.133 Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung versteht darunter all jene Güter und Dienstleistungen, an deren Angebot ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Dazu gehören u. a. die Versorgung mit Energie, Wasser, Telekommunikation, öffentlichem Nah- und Fernverkehr, Post, sowie die Abfall- und Abwasserentsorgung sowie Kulturangebote und die Altenpflege.134 Wenn die Bevölkerungszahl in Zukunft spürbar abnimmt und die Bevölkerung überdies immer älter wird, ändert sich der Bedarf an entsprechender Infrastruktur in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht.135 a) Versorgung und Entsorgung Bestandteile der technischen Infrastruktur sind die Versorgung sowie die Entsorgung. Zur Versorgung zählen vor allem die Versorgung mit Trinkwasser, Wärme und Energie. Die Entsorgung erfasst in erster Linie die Abwasser- und Müllentsorgung. Durch den demografischen Wandel und der damit einhergehenden Abnahme der Bevölkerungszahlen wird es vor allem in ländlichen Gegenden mit geringer Bevölkerungsdichte zu einem Rückgang der Nachfrage kommen, was Auswirkungen sowohl auf die Versorgung als auch auf die Entsorgung haben wird. Wenn die Bevölkerungszahl zurückgeht, sinkt automatisch auch der Wasser- und Energieverbrauch, zumal in Zeiten des sparsamen und verantwortungsbewussten Umgangs mit Ressourcen nicht davon auszugehen ist, dass der Pro-Kopf-Verbrauch langfristig steigen wird.136 Entsprechendes gilt für das Müll- und Abwasseraufkommen. Aus wirtschaftlicher Sicht müsste grundsätzlich das Angebot an die rückläufige Nachfrage angepasst werden, was jedoch bei technischen Infrastruktureinrichtungen nicht ohne Weiteres möglich ist, da sich einmal verlegte Leitungen nicht beliebig verkleinern oder zurückbauen lassen.137 Zudem sind entsprechende Rückbaumaßnahmen mit erheblichen Kosten verbunden. 132  Forsthoff,

Die Verwaltung als Leistungsträger, S. 6. dazu siehe Proske, Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Daseinsvorsorge, in: Breu, Demographischer Wandel und Raumentwicklung in Bayern, S. 45, 46. 134  BBR, Regionalplanerische Handlungsansätze zur Gewährleistung der öffent­ lichen Daseinsvorsorge, Bonn 2007, S. 2. 135  So auch Siedhoff, Demografischer Wandel, S. 3, 8. 136  Proske, Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Daseinsvorsorge, S. 45, 61. 137  Siehe auch Kloß / Bieber, Demografischer Wandel und Infrastruktur – Zentrale Herausforderungen in einer alternden Gesellschaft, in: Bieber, Sorgenkind demografischer Wandel?, S. 299, 325. 133  Näher



IV. Tatsächliche Gegebenheiten 63

Als besonders demografieanfällig hat sich dabei die netzgebundene technische Infrastruktur erwiesen, die wegen bereits getätigter Investitionen und langer Abschreibungszeiten meist auch dann noch aufrecht erhalten wird, wenn die Tragfähigkeitsgrenzen deutlich unterschritten werden.138 Dies bleibt nicht ohne Folgen für die Versorgungsqualität und die damit verbundenen Betriebskosten.139 Besonders betroffen ist die Trinkwasserversorgung, da überdimensionierte Anlagen und die längere Verweildauer des Wassers in den Leitungen die Verkeimungsgefahr des Trinkwassers erhöhen.140 Ähn­ liches gilt für die Abwasserentsorgung. Dieser Gefahr für die menschliche Gesundheit muss mit technischen Mitteln entgegen gewirkt werden, was wiederum die Pro-Kopf-Belastung der Nutzer erhöht, die sich in Regionen mit geringer Besiedlungsdichte bereits ohnehin auf einem sehr hohen Niveau bewegt. Grund dafür ist, dass die von der Nutzerzahl unabhängigen Fixkosten für derartige Versorgungsanlagen bis zu 90 % der Gesamtkosten betragen und sich diese Kosten nunmehr im Vergleich zu früher auf weniger zahlende Nutzer verteilen.141 Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, stehen den öffentlichen Entscheidungsträgern nach Auffassung des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung grundsätzlich zwei Alternativen zur Verfügung: einerseits die Subventionierung der Peripherie zur Erhaltung eines für die Nutzer bezahlbaren Angebots und andererseits die Konzentration der Nutzer in den Zentren, verbunden mit einer Ausdünnung der Infrastruktur in der Peripherie, wobei Letzteres nach Ansicht des Bundesamts vorzugswürdig erscheint.142 Sollte diesen Vorschlägen gefolgt werden, würde dies zu einem erheblichen Abbau der technischen Infrastruktur in dünn besiedelten Gegenden führen. b) Verkehrsinfrastruktur und ÖPNV Ein ähnliches Bild wie bei der Ver- und Entsorgung ergibt sich bei der Verkehrsinfrastruktur sowie beim Öffentlichen Personennahverkehr (­ ÖPNV). Der Rückgang der Bevölkerungszahlen führt nach den Prognosen von Verkehrsplanern insgesamt zu einem Rückgang der Verkehrsleistung im motorisierten Individualverkehr, wobei die Entwicklung nicht in allen Gegenden 138  Näher dazu auch Brosius-Gersdorf, Demografischer Wandel und Familienförderung, S. 85; Brosius-Gersdorf, VerwArch 98 (2007), 317, 323. 139  Proske, Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Daseinsvorsorge, S. 45, 62. 140  Kloß / Bieber, Demografischer Wandel und Infrastruktur, S. 299, 325. 141  Vgl. BBR, Siedlungsentwicklung und Infrastrukturfolgekosten, S. 40; vgl. zum Ganzen auch den Bericht der Enquete-Kommission des Sächsischen Landtags, LTDrs. 4 / 13000, S.  266. 142  BBR, Daseinsvorsorge und Zentrale-Orte-Konzepte, S. 20.

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1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

gleich verlaufen wird.143 Es ist zu erwarten, dass angesichts der Bevölkerungsschrumpfung in der Peripherie eine Ausdünnung bei den erschließenden Straßen und im Nebennetz erforderlich sein wird. Dagegen dürfte der Verkehr auf den überregionalen Verbindungsstrecken weiter zunehmen, was nicht zuletzt am Anstieg des Güterverkehrs liegt.144 Prognosen gehen davon aus, dass die Mobilität der künftigen Senioren eher zunehmen wird, was insbesondere bezüglich der PKW-Nutzung der Fall sein soll.145 Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass dies allenfalls für jüngere und gesunde Senioren gelten dürfte, da mit zunehmendem Alter und bei bestimmten Krankheiten das Autofahren schwerer fällt und letztlich zu einem Sicherheitsrisiko wird,146 so dass nicht wenige ältere Menschen das Auto freiwillig stehen lassen werden. Überdies erlaubt eine EU-Richtlinie den Mitgliedstaaten, in bestimmten Abständen verpflichtende ärztliche Untersuchungen vorzuschreiben, mit deren Hilfe die Fahrtüchtigkeit der Autofahrer überprüft werden kann.147 Wenngleich sich Deutschland bislang gegen die Einführung derartiger Test ausgesprochen hat, bedeutet das nicht, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird. Außerdem können sich Faktoren wie eine zu­ nehmende Altersarmut durch Verschärfung der Probleme bei den sozialen Sicherungssystemen nachteilig auf die PKW-Nutzung durch Senioren auswirken.148 143  Für Sachsen, vgl. Enquete-Kommission des Sächsischen Landtags, LT-Drs. 4 / 13000, S.  267; Ahrens / Pitrone et al., Demographie und Verkehr, BSVI-Aktuell 3 / 2009 v. 31.07.2009; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Zeitschrift für Verkehrswissenschaft 2004, 1, 10; Beckmann, Demografische Veränderungen – Konsequenzen für Verkehrsinfrastruktur und Angebote, Vortrag im Rahmen des 1. Workshops zum Forschungsprojekt 73.321 / 2004, abrufbar unter http: /  / www.ivas-ingenieure.de / material / 1_Vortr_Beckmann_RWTH_n. pdf (zuletzt abgerufen am 11.10.2012). 144  Für Sachsen, vgl. Enquete-Kommission des Sächsischen Landtags, LT-Drs. 4 / 13000, S.  267. 145  Für eine Untersuchung zu Baden-Württemberg, vgl. Walla / Eggen / Lipinski, Der demographische Wandel, S. 246 ff.  146  Vgl. oben, 1. Kapitel, III. 2.; nach einer Statistik des Statistischen Bundesamtes sind Autofahrer über 65 Jahre prozentual besonders häufig als Hauptverursacher bei Unfällen mit Personenschäden zu finden. Dies gilt insbesondere für die Altersgruppe ab 75 Jahren; näher dazu, siehe Statistisches Bundesamt, Verkehrsunfälle – Unfälle von Frauen und Männern im Straßenverkehr 2009, S. 34; skeptisch auch Sedlacek, Demografischer Wandel in Thüringen, S. 25, der darauf hinweist, dass es älteren Menschen schwer falle, sich an den Individualverkehr mit seinen hohen Geschwindigkeiten anzupassen. 147  Art. 7 Nr. 3 der Richtlinie 2006 / 126 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über den Führerschein (Neufassung), ABl. EU Nr. L 403, S. 18. 148  So auch Scheiner, Auswirkungen des demographischen Wandels auf den Verkehr, in: Gans / Schmitz-Veltin, Demographische Trends in Deutschland, S. 131, 136;



IV. Tatsächliche Gegebenheiten 65

Die zweite wichtige Säule bei der Mobilität von Menschen ist der ÖPNV. Die Prognosen hinsichtlich der Entwicklung des ÖPNV sind nicht für alle Gegenden einheitlich. Insbesondere für ländliche Gebiete wird davon ausgegangen, dass Senioren, zumindest so lange sie dazu in der Lage sind, künftig häufiger als bisher den PKW und weniger den ÖPNV benutzen werden, weil sie an ein hohes Maß an Mobilität gewohnt seien.149 Außerdem wird die Stellung des ÖPNV in dünner besiedelten Gegenden durch zurückgehende Schülerzahlen geschwächt, da der ÖPNV gerade in diesen Gegenden vielfach auf den Ausbildungsverkehr zugeschnitten ist.150 Die Auslastung des ÖPNV würde unter diesen Bedingungen drastisch sinken, was langfristig eine Einschränkung des Angebots, insbesondere in ländlichen Schrumpfungsgegenden, mit sich brächte.151 Dies wiederum hätte gravierende Folgen für diejenigen Bewohner, die auf Grund ihres Alters oder von Krankheiten nicht mehr selbst Auto fahren können.152 Andere Prognosen gehen davon aus, dass sich die Situation zumindest in den Städten zu Gunsten des ÖPNV entwickeln wird. Es wird erwartet, dass hier gerade ältere Menschen vom eigenen PKW oder vom Fahrrad auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen.153 Umfragen haben ergeben, dass sich ältere Menschen vor allem öffentliche Verkehrsangebote nahe den Wohnbereichen und eine gute Anbindung der für sie relevanten Ziele, z. B. Einkaufszentren und Ärzte wünschen.154 Daher kann man sagen, dass vor dem Hintergrund einer zunehmenden Alterung der Gesellschaft ein gut funktionierender, barrierefreier ÖPNV immer wichtiger wird, um zu verhindern, dass ganze Bevölkerungsgruppen, insbesondere die Hochbetagten, von der alltäglichen Versorgung abgeschnitten werden. Spiegelbildlich dazu müssen wichtige Versorgungseinrichtungen ihrerseits an den ÖPNV angebunden sein. Allerdings gestaltet sich die Umsetzung dieses Anliegens in der zur Problematik der autolosen Gruppen, vgl. auch Knauff, Der Gewährleistungsstaat, S. 304, insbesondere Fn. 83. 149  Für Sachsen, vgl. Enquete-Kommission des Sächsischen Landtags, LT-Drs. 4 / 13000, S. 268; vgl. auch Proske, Demographischer Wandel und Daseinsvorsorge, S. 172. 150  Zum Ganzen, siehe Kloß / Bieber, Demografischer Wandel und Infrastruktur, S.  299, 320 ff. 151  Für Sachsen, vgl. Enquete-Kommission des Sächsischen Landtags, LT-Drs. 4 / 13000, S. 268; so auch Canzler / Knie, APuZ 2007, 9, 12 f. 152  So auch Scheiner, Auswirkungen des demographischen Wandels auf den Verkehr, S. 131, 138 u. 147. 153  Kloß / Bieber, Demografischer Wandel und Infrastruktur, S. 299, 320; Kroj, Mobilität älterer Menschen in einem zukünftigen Verkehrssystem, in: Schlag / Megel, Mobilität und gesellschaftliche Partizipation, S. 31, 37; Roloff, Demographischer Faktor, S. 47. 154  Für Sachsen, vgl. Enquete-Kommission des Sächsischen Landtags, LT-Drs. 4 / 13000, S.  268.

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1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

Praxis schwierig, was besonders für die Erschließung in der Fläche und an den Wochenenden gilt.155 So bewerten in ländlichen Regionen nur rund 30 % die Anbindung an den ÖPNV als gut, während die Zufriedenheit in den Städten bei etwa 80 % liegt.156 Im Gegensatz zu den vom Bevölkerungsrückgang geprägten Gegenden gibt es nur wenige Regionen in Deutschland, in denen der Bedarf an Verkehrsinfrastruktur langfristig steigt und die daher sowohl über ein gut ausgebautes Straßennetz als auch über einen leistungsfähigen, nutzerfreundlichen ÖPNV verfügen werden. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang etwa die Region München,157 wo die Problematik der Erreichbarkeit von Versorgungszentren weniger akut sein wird als in ländlichen Gebieten. c) Schulen, medizinische Versorgung und Altenpflege Ein weiterer Bereich, der die Folgen des demografischen Wandels sehr stark zu spüren bekommt, ist die soziale Infrastruktur, zu der u. a. Schulen, Ärzte und Krankenhäuser sowie Einrichtungen der Altenpflege zählen. Während angesichts rückläufiger Geburtenzahlen insbesondere in dünner besiedelten Regionen der Bedarf an Schulen zurückgeht, nimmt die Nachfrage nach medizinischer Versorgung und Altenpflege weiter zu. Jedoch wird es allein wegen des demografischen Wandels nicht zu einem gravierenden Mangel bei der medizinischen Versorgung kommen, da mit steigendem Alter die Krankheitshäufigkeit und -intensität zwar steigt, wegen des Bevölkerungsrückgangs gleichzeitig jedoch weniger Menschen dieser Leistungen bedürfen. Problematisch könnten jedoch die Einsparungszwänge bei der Gesundheitsversorgung sein, die zu einer Verringerung der Zahl der ambulanten und stationären Einrichtungen führen werden, was wiederum Defizite bei der flächendeckenden Versorgung hervorruft.158 155  BMVBW / BBR, Öffentliche Daseinsvorsorge und demographischer Wandel, Erprobung- und Entwicklungsstrategien in Modellvorhaben der Raumordnung, S. 54; nach einer anderen Untersuchung empfindet nur etwa die Hälfte der älteren Menschen die Anbindung an den ÖPNV als gut, vgl. Menning, Haushalte, familiale Lebensformen und Wohnsituation älterer Menschen, Wohnsituation älterer Menschen, GeroStat Report Altersdaten, Heft 2 / 2007, 24, 28; vgl. auch Sternberg, Alter(n) in ländlichen Räumen, S.  186 ff.  156  Mahne / Naumann / Block, Das Wohnumfeld Älterer, in: Motel-Klingebiel / Wurm / Tesch-Römer, Altern im Wandel, S. 142, 150; vgl. auch Neu, Daseinsvorsorge und territoriale Ungleichheit, in: Neu, Daseinsvorsorge, S. 80, 86 für den ländlichen Ort Galenbeck in Mecklenburg-Vorpommern. 157  Scheiner, Auswirkungen des demographischen Wandels auf den Verkehr, S.  131, 142 f. 158  Winkel, Die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die soziale Infrastruktur, in: Gans / Schmitz-Veltin, Demographische Trends in Deutschland, S. 172, 180.



IV. Tatsächliche Gegebenheiten 67

Größere Engpässe sind im Bereich der Altenpflege zu erwarten, was vor allem am zahlenmäßigen Anstieg der hochbetagten und daher häufig hilfsund pflegebedürftigen Menschen liegt.159 Prognosen zufolge wird mit der quantitativen Zunahme dieser Bevölkerungsgruppe auch die Zahl der Demenzerkrankungsfälle in erheblichem Umfang steigen. Dies wiederum wird zu einem massiven Anstieg der Nachfrage nach stationären Pflegeeinrichtungen führen,160 da solche Patienten häufig nicht mehr von Familienangehörigen oder ambulant zu Hause betreut werden können. Deshalb ist davon auszugehen, dass in Zukunft weitere Alten- und Pflegeheime errichtet und bereits bestehende Einrichtungen erweitert werden müssen, um dem Bedarf gerecht zu werden. Entsprechendes gilt für Einrichtungen der Tagespflege, in denen die Senioren tagsüber betreut werden, etwa in der Abwesenheit berufstätiger Familienangehöriger.161

2. Einzelhandel Auf lange Sicht wird der Einzelhandel, ebenso wie andere Bereiche des täglichen Lebens, durch die Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung beeinflusst werden. Ältere Menschen bevorzugen seniorengerechte Produkte und eine Serviceorientierung des Verkaufspersonals, sind jedoch gleichzeitig oft weniger mobil, v. a. was die Hochbetagten betrifft.162 Daher ist es für diese Altersgruppe besonders wichtig, dass ein entsprechendes Angebot an Einzelhandelsgeschäften in der Nähe ihres Wohnortes vorhanden ist oder zumindest mit dem ÖPNV problemlos erreicht werden kann.163 Die Realität sieht jedoch häufig anders aus. Strukturveränderungen im Einzelhandel seit den 1960er Jahren haben dazu geführt, dass kleine „Tante-Emma-Läden“ in Wohnortnähe zunehmend durch großflächige oder nichtgroßflächige Discounter,164 großflächige Einzelhandelsbetriebe und sogenannte Factory Outlet Center (FOCs) verdrängt wurden.165 Bei einem FOC ist eine Vielzahl 159  Winkel, Die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die soziale Infrastruktur, S. 177; Tews, Alter und Altern in unserer Gesellschaft, S. 30, 65 f. 160  Proske, Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Daseinsvorsorge, S. 45, 64. 161  Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Stadtumbau West, Stadtumbau in 16 Pilotstädten, S. 18 f. 162  Vgl. oben, 1. Kapitel, IV. 1. b). 163  Näher dazu Rauh / Wettemann, Die Auswirkungen des demographischen Wandels auf Konsumentenverhalten und Einzelhandel – Beispiele aus Unterfranken, in: Breu, Demographischer Wandel und Raumentwicklung in Bayern, S. 85, 86. 164  Vgl. dazu Bunzel, KommJur 2009, 449, 449 f. 165  Zur aktuellen Entwicklung auf dem Einzelhandelssektor vgl. das Neunzehnte Hauptgutachten der Monopolkommission gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 GWB, Stärkung

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1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

von Ladengeschäften in einem einheitlichen Gebäudekomplex untergebracht, wobei die Ladengeschäfte keinen räumlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Produktionsstandort aufweisen. Darin unterscheiden sie sich vom Fabrikverkauf.166 Kennzeichen eines FOC ist ferner, dass es sich bei der angebotenen Ware nicht um reguläre Ware des klassischen Einzelhandels handelt, sondern um Fabrikware, die zu ermäßigten Preisen angeboten wird.167 Derartige FOC-Betriebe benötigen, ebenso wie die übrigen großen Einzelhandelsbetriebe, ausreichend Fläche für ihr umfangreiches Angebot sowie eine verkehrsgünstige Lage, so dass sie sich vor allem an den Stadträndern oder auf der „grünen Wiese“ ansiedeln. Bereits seit den 1960er war es in Westdeutschland zu solchen Suburbanisierungsprozessen im Einzelhandel gekommen, welche sich durch eine Abwanderung von Betrieben aus der Stadt an die Stadtränder sowie ins Umland auszeichnen.168 In den östlichen Bundesländern setzte dieser Trend zur Verlagerung der Standorte an die Peripherie erst nach der Wende ein.169 Vom Konzept her sind großflächige Einzelhandelsbetriebe primär auf motorisierte Kunden ausgerichtet, weshalb sie meist gut mit dem Auto erreichbar sind,170 wohingegen die Anbindung an den ÖPNV in vielen Fällen zu wünschen übrig lässt.171 Die mobile Bevölkerung hat grundsätzlich die Wahl, wo sie die entsprechenden Waren kauft – in einem in der Innenstadt gelegenen Betrieb oder in einem großen Shopping-Center oder Discounter am Stadtrand. Wegen niedrigerer Grundstücks- und Baukosten an den Stadträndern können dort angesiedelte Einzelhandelsbetriebe ihre Waren meist billiger anbieten als die Konkurrenz in der Innenstadt, was dazu führt, dass innerstädtische Betriebe und kleinere Betriebe in den Ortszentren dem Konkurrenzdruck nicht mehr standhalten können und schließlich zur Geschäftsaufgabe gezwungen werden.172 Dies wiederum trägt zur Verödung der Indes Wettbewerbs bei Handel und Dienstleistungen, BT-Drs. 17  /  10365, Kap. V, Ziff. 1013 u. 1241. 166  Vgl. Mayer, Factory Outlet Center in Deutschland, S. 11; Ernst, Standortsteuerung, S. 27; Schneider, Factory Outlet Center, S. 5. 167  Ernst, Standortsteuerung, S. 29; Schneider, Factory Outlet Center, S. 5. 168  Ernst, Standortsteuerung, S. 24. 169  Zu den Auswirkungen auf Thüringen, vgl. Sedlacek, Demografischer Wandel in Thüringen, S. 25. 170  El Bureiasi, Großflächiger Einzelhandel, S. 11; zum Ganzen auch Ernst, Standortsteuerung, S.  34 f. 171  El Bureiasi, Großflächiger Einzelhandel, S. 21 u. 23; Heuwinkel, Niedersachsen, in: Blotevogel, Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, S. 151, 159 für das Land Niedersachsen. 172  El Bureiasi, Großflächiger Einzelhandel, S. 17; Janning, Stadt und Gemeinde 1996, 303, 307; ARL, Großflächiger Einzelhandel als Herausforderung, S. 1 f.; abweichend dagegen Vogels / Holl / Birk, Auswirkungen großflächiger Einzelhandelsbe-



IV. Tatsächliche Gegebenheiten 69

nenstädte bei. Die meist großflächigen Betriebe in der Peripherie verfügen zudem über ein weites Einzugsgebiet, was dazu führt, dass Verbraucherströme, die sich vor der Errichtung eines solchen Betriebes auf mehrere kleinere Einzelhandelsbetriebe verteilt haben, nun auf einen einzigen großen Betrieb konzentriert werden und es zu einem massiven Kaufkraftabzug aus den Innenstädten und Quartierszentren kommt. Dies ist besonders dann der Fall, wenn die entsprechenden Großbetriebe über ein nahversorgungsrelevantes Sortiment verfügen, d. h. Waren verkaufen, die vor allem zum täglichen Gebrauch gedacht sind.173 Überdies sind die Auswirkungen der Ansiedlung eines Großbetriebes auf bestehende Betriebe dann besonders spürbar, wenn die Kaufkraftentwicklung in einer Region ohnehin stagniert oder rückläufig ist.174 Etwas anderes gilt bei der Ansiedlung von FOCs in innenstadtfernen Lagen, da solche Betriebe zwar manchmal, aber nicht zwingend Artikel des täglichen Bedarfs vertreiben und daher nur punktuell in Konkurrenz zu innerstädtischen Betrieben treten. Hier ist eine Ansiedlung in der Peripherie dann problematisch, wenn dies dazu führt, dass andere kleinere Betriebe dem Beispiel des FOCs folgen und sich ebenfalls auf der grünen Wiese niederlassen, weil sie durch die Nähe des Großbetriebes auf einen größeren Verbraucherzulauf hoffen.175 Ferner haben Untersuchungen ergeben, dass Mittelzentren in Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte bei Ansiedlung eines FOCs innerhalb einer halbstündigen PKW-Fahrdistanz unter besonderem Kaufkraftabzug leiden.176 Große Probleme bereitet darüber hinaus die so genannte Agglomeration von Einzelhandelsbetrieben. Darunter versteht man räumlich nahe beieinander liegende Einzelhandelsbetriebe, die für sich jeweils zwar nicht großflächig sind, jedoch über ein gemeinsames Nutzungskonzept verfügen und nicht als Konkurrenten, sondern als gemeinschaftlich verbundene Teilnehmer im Wettbewerb auftreten.177 Auch sie haben das Potential, einen Kauftriebe, S. 273, die die Neuansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe nicht als entscheidenden Faktor für eine Gefährdung kleinerer und mittlerer Unternehmen in Innenstadtlagen sehen. 173  El Bureiasi, Großflächiger Einzelhandel, S. 19. 174  Vogels / Holl / Birk, Auswirkungen grossflächiger Einzelhandelsbetriebe, S. 271. 175  Vgl. zu diesen Bedenken auch Thies, Einzelhandelsgroßbetriebe im Städtebaurecht, Rn. 63. 176  Vogels / Will, Raumordnerische und städtebauliche Auswirkungen von FactoryOutlet-Centern, S. 98. 177  Uechtritz, Agglomerationsregelungen in der Regionalplanung zur Steuerung des Einzelhandels, in: Hager, Regionalplanerische Steuerung des großflächigen Einzelhandels, S. 17, 20; teilweise treten auch FOCs als Agglomeration mehrerer verschiedener Einzelbetriebe auf, vgl. Miosga, Entwicklungstendenzen im Einzelhandel

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1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

kraftabfluss zu Lasten kleinerer, für die Nahversorgung essentieller Einzelbetriebe herbeizuführen. Zwar eröffnen Discounter mittlerweile auch in ländlichen Gebieten und Orten mit einem Einzugsgebiet von nur 4000 Einwohner Filialen,178 doch darf hierbei nicht übersehen werden, dass der demografische Wandel in vielen Gegenden zu einer Ausdünnung der Bevölkerung führt und sich das Einzugsgebiet daher über eine große Fläche verteilt. Für den einzelnen Verbraucher kann dies bedeuten, dass er, auch wenn er in der Peripherie lebt, weiterhin erhebliche Wegstrecken bis zum nächsten Supermarkt zurücklegen muss. Als besonders schwierig gestaltet sich die Situation in Ostdeutschland, wo unmittelbar nach der Wende an den Stadträndern oder auf der grünen Wiese riesige Einzelhandelszentren entstanden, während eine Belebung der Innenstädte vernachlässigt wurde. Dies führte letztlich dazu, dass in vielen Innenstädten und Stadtteilen heute entsprechende Einkaufsmöglichkeiten fehlen.179 Diese Problematik ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zu sehen. Wie oben dargestellt,180 stehen gerade Bundesländer wie Sachsen und Sachsen-Anhalt vor einer massiven Überalterung der Gesellschaft. Für ältere Menschen, die zwar noch kurze Wegstrecken zu Fuß zurücklegen, jedoch nicht mehr Auto fahren können, ist es unter diesen Bedingungen sehr schwierig, sich mit Gütern des täglichen Bedarfs zu versorgen. Dies zeigt sich besonders dann, wenn sie, wie in ostdeutschen Bundesländern häufig der Fall, trotz der Suburbanisierungsprozesse früherer Jahre heute zu einem Großteil in den Innenstädten leben.181 Ähnliche Schwierigkeiten treten auf, wenn immobile Senioren in dünn besiedelten Gegenden auf dem Land wohnen. Rund ein Drittel der in ländlichen Regionen lebenden Senioren gibt an, dass es in ihrem Wohnumfeld nicht genügend Einkaufsmöglichkeiten gebe.182 Alternative Versorgungsmöglichkeiten, etwa das Internet, der Versandhandel oder mobile Verkaufsfahrzeuge sind gegenwärtig noch nicht in der Lage, die Versorgungsfunktion der Einzelhandelsbetriebe zu übernehmen, was nicht nur für Ostdeutschland gilt.183 Allerdings und deren Auswirkungen auf das Konzept der Zentralen Orte, in: Blotevogel, Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, S. 78, 80. 178  Vgl. Miosga, Entwicklungstendenzen im Einzelhandel, S. 78, 86. 179  Ernst, Standortsteuerung, S. 24. 180  Siehe oben, 1. Kapitel, II. 2. c) und II. 2. d). 181  Vgl. auch Friedrich, Migrationen im Alter, in: Schlag  / Megel, Mobilität und gesellschaftliche Partizipation im Alter, S. 87, 91 f. 182  Mahne / Naumann / Block, Das Wohnumfeld Älterer, S. 142, 148; vgl. auch Sternberg, Alter(n) in ländlichen Räumen, S. 210 ff.  183  Für periphere Schrumpfungsräume in Unterfranken, vgl. Rauh / Wettemann, Die Auswirkungen des demographischen Wandels, S. 85, 104 f.; für die neuen Bundesländer vgl. Graupeter, ZfBR 2010, 742, 742; etwas optimistischer für Sachsen,



IV. Tatsächliche Gegebenheiten 71

können derartige Dienste in Zukunft weiter ausgebaut werden und so die Versorgung zumindest ergänzen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die tatsächlichen Gegebenheiten im Bereich des Einzelhandels noch weit von dem entfernt sind, was in Zeiten des demografischen Wandels für eine adäquate Versorgung insbesondere der älteren Bevölkerung erforderlich wäre, wobei sich die Situation für hochbetagte, immobile Menschen als besonders prekär erweist.

3. Städtebau und Siedlungsstrukturen Ein weiterer Lebensbereich, der durch den demografischen Wandel beeinflusst wird, sind der Städtebau und die damit verbundenen Siedlungsstrukturen. Die demografischen Entwicklungen vollziehen sich räumlich differenziert,184 so dass einerseits Bedarf nach neuem Wohnraum entsteht, wie etwa in der Region um München,185 während in anderen Gegenden, v. a. in ostdeutschen Bundesländern, Gebäude leer stehen und zu verfallen drohen. Dies gilt besonders für die in den 1950er bis 1980er Jahren in der ehemaligen DDR meist am Stadtrand errichteten Plattenbauten sowie für die vor dem 1. Weltkrieg fertig gestellten Altbaubestände.186 Verwaiste Gebäude finden sich zudem in Siedlungen mit Geschossbauweise, die nach westdeutschem Vorbild errichtet worden waren, heute jedoch zunehmend unattraktiv erscheinen.187 Grund für derartige Leerstände sind neben einer schrumpfenden Bevölkerung in erster Linie Suburbanisierungsprozesse, die sich durch eine Abwanderung insbesondere junger Familie ins Umland auszeichnen.188 Besonders betroffen sind u. a. das gesamte Bundesland Sachsen-Anhalt sowie die Region Oberlausitz-Niederschlesien in Sachsen.189 In diesen Gegenden wird die Wohnflächennachfrage bis 2025 verglichen mit dem Jahr 2010 um bis zu 10 % sinken.190 Sachsen-Anhalt und Thüringen ist Rosenfeld, Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die räumliche Verteilung von unternehmerischen Aktivitäten, in: Müller / Siedentop, Schrumpfung, S. 68, 73. 184  Vgl. auch Siedhoff, Demographischer Wandel, S. 9. 185  Vgl. BMVBS / BBSR, Wohnungsmärkte im Wandel, S. 5 f. 186  Näher dazu, siehe Möller, Siedlungsrückbau in den neuen Ländern nach Stadtumbau und Sanierungsrecht, S. 37 ff.; BMVBS / BBSR, Strategien für Wohnstandorte an der Peripherie der Städte und in Umlandgemeinden, S. 14. 187  Möller, Siedlungsrückbau, S. 32. 188  Möller, Siedlungsrückbau, S. 32; BMVBS / BBSR, Strategien für Wohnstand­ orte, S. 16. 189  BBR, Raumordnungsprognose 2020 / 2050, Kurzfassung von Berichte, Bd. 23, S. 12. 190  BMVBS / BBSR, Wohnungsmärkte im Wandel, S. 6.

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1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

Allerdings stellt sich die Leerstandsproblematik keineswegs nur in Ostdeutschland. Angesichts des Bevölkerungsrückgangs auch in vielen westdeutschen Gebieten in Folge des demografischen Wandels191 lassen sich deutliche Parallelen zwischen der Entwicklung in Ost- und Westdeutschland ziehen. Untersuchungen sprechen sogar von einer „vorlaufenden Entwicklung“ in den neuen Bundesländern im Vergleich zu den westdeutschen Bundesländern.192 Leerstände werden in Westdeutschland danach vor allem bei den homogenen Wohnquartieren aus den 1960er und 1970er Jahren an der Peripherie der Städte sowie in den Umlandgemeinden erwartet.193 Ähnliches gilt für Einfamilienhäuser an den Stadträndern sowie in ländlichen, dünn besiedelten Regionen.194 Solche Gebäude besitzen grundsätzlich nur eine Wohneinheit und stehen daher nach dem Auszug oder Tod der Bewohner sofort leer. Besonders betroffen davon ist u. a. das östliche Oberfranken.195 Allerdings sind in Folge des demografischen Wandels nicht alle Gegenden gleichermaßen von Bevölkerungsrückgang und Wohnungsleerständen betroffen. So ist in der Region München im Jahr 2025 von einem Mehrbedarf an Wohnfläche in Höhe von 14 % gegenüber dem Jahr 2010 auszugehen.196 Es wird dabei sowohl im Bereich der Ein- und Zweifamilienhäuser als auch bei den Mehrfamilienhäusern ein Anstieg der Zahl der Neubauten erwartet.197 Daher werden in dieser Region auch in Zukunft Bauflächen in nicht geringer Zahl benötigt, während Rückbaumaßnahmen auf Grund der sehr geringen Leerstände kaum eine Rolle spielen dürften.

V. Spezifische Bedürfnisse von Senioren 1. Seniorengerechtes Wohnen und Leben Ältere Menschen haben spezifische Bedürfnisse in Bezug auf die Beschaffenheit ihrer eigenen vier Wände. Besonders wichtig ist dabei eine barrierefreie und rollstuhlgerechte Ausgestaltung der Wohnung. Dazu gehören das Fehlen von Türschwellen, ausreichende Bewegungsflächen, breite 191  Vgl.

oben, 1. Kapitel, II. 2. b) u. II. 2. e). Strategien für Wohnstandorte, S. 14. 193  BMVBS / BBSR, Strategien für Wohnstandorte, S. 14. 194  BBR, Wohnungs- und Immobilienmärkte in Deutschland 2006, S. 7. 195  BBR, Raumordnungsprognose 2020 / 2050, S. 12. 196  BMVBS / BBSR, Wohnungsmärkte im Wandel, BBSR-Berichte kompakt, 1 / 2010, S.  6. 197  BMVBS / BBSR, Wohnungsmärkte im Wandel, BBSR-Berichte kompakt, 1 / 2010, S.  10. 192  BMVBS / BBSR,



V. Spezifische Bedürfnisse von Senioren73

Türen und breite, nicht gewendelte Treppen sowie der Einbau eines Aufzugs.198 Derartige Fragen sind in den vergangenen Jahren zunehmend in den Fokus der Politik getreten. Im Jahr 2011 trat die neue Leitlinie DIN 18040 Teil 2 zum Barrierefreien Bauen in Kraft, die Vorgaben u. a. zur Ausgestaltung von Türen, Treppen, Rampen und Bad / WC macht. Ältere Menschen haben jedoch nicht nur hinsichtlich der Ausstattung ihrer eigenen Wohnung spezifische Ansprüche, sondern auch das Wohnumfeld als solches spielt eine wichtige Rolle. So legen Senioren großen Wert auf gute Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe, eine gute Anbindung an den ­ÖPNV, eine ausreichende Versorgung mit Ärzten und Apotheken sowie eine geringe Lärmbelastung.199 Um nicht vom öffentlichen Leben abgeschnitten zu sein, sind ältere Menschen des Weiteren auf eine barrierefreie Zugänglichkeit öffentlicher Gebäude angewiesen, insbesondere dann, wenn bereits erste körperliche Gebrechen aufgetreten sind.

2. Pflege- und Betreuungseinrichtungen Wenn sie sich nicht mehr alleine zu Hause versorgen können, steht für viele ältere Menschen der Umzug in ein Senioren- oder Pflegeheim an. Im Jahr 2009 lebten rund 717.500 pflegebedürftige, meist ältere Menschen in derartigen Einrichtungen.200 Die faktischen Anforderungen an die bauliche Ausgestaltung solcher stationärer Betreuungseinrichtungen entsprechen zum Teil denen von Wohnungen anderer älterer Menschen, gehen jedoch noch darüber hinaus. So müssen Seniorenheime selbstverständlich altengerecht und barrierrefrei eingerichtet sein.201 Darüber hinaus ergeben sich Probleme auf Grund der Tatsache, dass in Seniorenheimen viele pflegebedürftige Personen auf engem Raum zusammen leben. Dies gilt gerade für den Brandschutz. Jedes Jahr sterben in Deutschland rund 20 Menschen bei Bränden in Alten- und Pflegeheimen, Dutzende werden verletzt.202 Brände in solchen Einrichtungen enden oftmals tödlich, weil sich viele der in der Bewegungsfähigkeit eingeschränkten Bewohner nicht mehr selbst retten können. Abhilfe schaffen könnte der verpflichtende Einbau von Brandmeldeanlagen sowie Giessler, Planen und Bauen für das Wohnen im Alter, S. 25 f. dazu, Mahne / Naumann / Block, Das Wohnumfeld Älterer, S. 142, 146 ff.; Giessler, Planen und Bauen für das Wohnen im Alter, S. 26 ff.; Steffen / Weeber / Baumann / Turan, Wohnen 50 plus, S. 139. 200  Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2009, S. 8. 201  Vgl. oben, 1. Kapitel, V. 1. sowie Giessler, Planen und Bauen für das Wohnen im Alter, S. 31. 202  Vgl. Hoffmann / Mueller, Brandschutzmängel in Alten- und Pflegeheimen, ARD, Fakt vom 06.12.2010, Manuskript, S. 1. 198  Vgl.

199  Näher

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1. Kap.: Soziologischer Hintergrund

von Rauchwarnmeldern in den einzelnen Zimmern. Bislang sind jedoch viele Heime diesbezüglich nur unzureichend ausgestattet.203 Schließlich sind die Bedürfnisse von Senioren hinsichtlich der Lage von Alten- und Pflegeheimen nicht zu vernachlässigen. So ist für viele der noch mobilen Heimbewohner entscheidend, dass ihr neues Zuhause nicht isoliert außerhalb der Stadt liegt, sondern eine gute Anbindung an das Alltagsleben außerhalb des Heims existiert.

VI. Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der demografische Wandel in Deutschland nicht bloß ein Modewort, sondern bereits Realität ist. Die wichtigsten Folgen dieser Entwicklung sind eine spürbar sinkende Bevölkerungszahl sowie eine zunehmende Alterung der Gesellschaft. Beides bleibt nicht ohne Auswirkungen auf zentrale Lebensbereiche, etwa die Daseinsvorsorge, den Einzelhandel oder den Städtebau. Die fraglichen Bereiche sind gegenwärtig in unterschiedlichem Maße bereit, sich auf die Bedürfnisse einer sich wandelnden Gesellschaft einzustellen. Eine Anpassung ist jedoch von Nöten, da eine schrumpfende Bevölkerung sowie Menschen mit zunehmendem Alter andere Bedürfnisse an den Tag legen, als dies bei einer jüngeren, auf Wachstum ausgerichteten Bevölkerung in der Vergangenheit der Fall war.

203  Hoffmann / Mueller,

Brandschutzmängel in Alten- und Pflegeheimen, S. 1 ff. 

2. Kapitel

Verfassungsrechtliche und europarechtliche Grundlagen Nachdem die Auswirkungen des demografischen Wandels bereits heute sichtbar werden, stellt sich die Frage, welche Vorgaben deutsches Verfassungsrecht und Europarecht für ein etwaiges Handeln der Politik bereit halten. Dabei ist zu untersuchen, ob und in welchem Umfang der Staat auf Grundlage des Grundgesetzes und / oder der Europäischen Grundrechte-Charta verpflichtet ist, solchen Entwicklungen entgegen zu wirken und ältere Menschen besonders zu schützen. Daran anknüpfend bedarf es der Überprüfung, ob und inwiefern Menschen, die in ländlichen, von rückläufigen Bevölkerungszahlen gekennzeichneten Gegenden wohnen und von der Grundversorgung abgeschnitten zu werden drohen, aus dem Grundgesetz und / oder dem Europarecht entsprechende Rechte ableiten können. Ferner wird es in Zukunft auf Grund des Bevölkerungsrückgangs vermehrt zu Rückbaumaßnahmen kommen, um flächendeckende Leerstände zu vermeiden. Auch in diesem Zusammenhang sind verfassungsrechtliche Vorgaben zu beachten, wenngleich sich die Situation von den beiden erst genannten Problemkreisen insoweit unterscheidet, als hier der Staat aktiv eingreift, um den Folgen des demografischen Wandels Herr zu werden. In dieser Konstellation muss überlegt werden, welche Rechte die betroffenen Eigentümer, Mieter und Pächter auf Grundlage des Grundgesetzes geltend machen können. Dort, wo von Seiten des Staates keine flächendeckenden Rückbaumaßnahmen ergriffen werden, drohen verfallene Gebäude und Leerstände. Dies wiederum kann Auswirkungen auf die bauplanungsrechtliche Einordnung des betroffenen Gebietes haben, was Fragen hinsichtlich des Bestandsschutzes aufwirft.

I. Schutz älterer Menschen 1. Verfassungsrecht a) Art. 6 Abs. 1 GG Art. 6 Abs. 1 GG schützt Ehe und Familie. Ehe im Sinne des Grundgesetzes meint das „auf Dauer angelegte Zusammenleben von Mann und Frau in einer umfassenden grundsätzlich unauflösbaren Lebensgemeinschaft mit ei-

76

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

ner formalisierten, auf gegenseitigem Konsens beruhenden Eheschließung“.1 Das geschützte Verhalten erstreckt sich von der Eheschließung über das eheliche Zusammenleben bis hin zur Ehescheidung.2 Der Begriff der Familie wird vom Bundesverfassungsgericht weit ausgelegt. Familie ist danach die umfassende Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern.3 Das geschützte Verhalten reicht von der Familiengründung bis in alle Bereiche des familiären Zusammenlebens.4 Als Institutsgarantie schützt Art. 6 Abs. 1 GG den Kern der Vorschriften des Ehe- und Familienrechts gegen Aufhebung oder wesentliche Umgestaltung sowie gegen eine Beeinträchtigung des der Verfassung zu Grunde liegenden Bildes von Ehe und Familie.5 Der Staat hat die Pflicht, Ehe und Familie vor Beeinträchtigungen durch Dritte zu schützen und durch geeignete Maßnahmen zu fördern.6 Daraus ergibt sich, dass sich auch ältere Menschen auf Art. 6 Abs. 1 GG berufen können, wenn das Zusammenleben mit dem Ehepartner oder der Familie tangiert wird. Ein besonderer Schutz älterer Menschen ergibt sich daraus allerdings nicht. b) Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG Als verbotene Differenzierungskriterien ausdrücklich genannt werden in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG das Geschlecht, die Abstammung, die Rasse, die Sprache, die Heimat und Herkunft, der Glaube sowie die religiösen und politischen Anschauungen. Das Alter als solches hingegen wird von der Vorschrift nicht ausdrücklich erwähnt. Fraglich ist daher, ob die Aufzählung in Art. 3 Abs. 3 S. 1 als abschließend anzusehen ist oder ob die aufgelisteten Merkmale nur Beispiele verbotener Diskriminierungskriterien enthalten. Für einen abschließenden Charakter spricht vor allem die Tatsache, dass es sich um eine Aufzählung handelt.7 Die Auffassung, wonach die in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG genannten Kriterien nur Beispiele darstellen 1  BVerfGE 36, 146, 165; 105, 313, 345; 121, 175, 198; Coester-Waltjen, in: v. Münch / Kunig, GGK, Art. 6 Rn. 5; Badura, in MD, GG, Art. 6 Rn. 42. 2  BVerfGE 29, 166, 175; 36, 146, 162; 53, 224, 250; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 6. 3  BVerfGE 10, 59, 66; 80, 81, 90; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 8. 4  Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 11. 5  BVerfGE 6, 55, 71 ff.; 24, 119, 135; 62, 323, 329 f.; Badura, in: MD, Art. 6 Rn. 69; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, Art. 6 Rn. 76. 6  BVerfGE 6, 55, 76; 87, 1, 35; 105, 313, 346; näher zu Art. 6 GG und der Frage der Generationengerechtigkeit vgl. Steiner, NZS 2004, 505–509. 7  So im Ergebnis auch v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd.  I, S. 208; Dürig, in: MD, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 27.



I. Schutz älterer Menschen77

sollen,8 überzeugt schon im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Norm nicht. In den Beratungen des Parlamentarischen Rates zur Ausarbeitung des Grundgesetzes wurden die einzelnen ausdrücklich erwähnten Differenzierungsmerkmale intensiv diskutiert, wobei die Aufnahme dieser Kriterien ins Grundgesetz eindeutig vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen erfolgte.9 Mögliche weitere Merkmale wurden dagegen nicht in Erwägung gezogen. Auch eine analoge Anwendung von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG auf das Alter ist nicht möglich. Eine Analogie kommt in Betracht, wenn eine planwidrige Regelungslücke besteht10 und eine vergleichbare Interessenslage vorliegt, d. h. der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt.11 Schon das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke erscheint zweifelhaft. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Kriterium des Alters bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat übersehen wurde. Zwar spielte im Jahr 1949 eine mögliche Alterung der Gesellschaft u. a. dank steigender Geburtenzahlen keine Rolle, doch ist davon auszugehen, dass die Verfasser des Grundgesetzes gerade solche Kriterien herausgreifen wollten, die in der Vergangenheit häufig zum Anknüpfungspunkt von Diskriminierungen geworden waren,12 und dazu zählte das Alter eben nicht. Ferner spricht gegen die Planwidrigkeit der Regelungslücke, dass der Gesetzgeber im Jahr 1994 mit Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ein striktes Benachteiligungsverbot für Behinderte ins Grundgesetz aufgenommen hat.13 Bei dieser Gelegenheit hätte er den Katalog des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG überarbeiten können, auch wenn zu Beginn der 1990er Jahre der demografische Wandel noch nicht in dem Maße absehbar war, wie dies heute der Fall ist.14 Überdies enthalten einige nach der Wiedervereinigung überarbeitete ostdeutsche Landesverfassungen Staatszielbestimmungen, die den Schutz älterer Menschen erwähnen,15 so dass die Untätigkeit des Grundgesetzgebers in diesem Bereich als eine bewusste Entscheidung zu werten ist. Daneben gab es gerade in jüngster Zeit vor dem Hintergrund des Europarechts immer wieder Diskussionen über die Verfasetwa Hamann / Lenz, Grundgesetz, Art. 3 Anm. B 13. Matz, JöR 1 (1951), 66, 67–72 zu den Beratungen des Parlamentarischen Rates zu Art. 3 GG. 10  Siehe dazu BVerfGE 67, 256, 271; 82, 6, 11 ff.; 116, 69, 83. 11  BAGE 112, 100, 107; Larenz, Methodenlehre, S. 381. 12  Vgl. Matz, JöR 1 (1951), 66, 67 über die Beratungen des Parlamentarischen Rates zu Art. 3 GG. 13  Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994, BGBl. I, S. 3146. 14  Vgl. dennoch Simitis, NJW 1994, 1453, 1453 f. 15  So etwa Art. 17a der Landesverfassung Mecklenburg-Vorpommerns, Art. 38 der Verfassung von Sachsen-Anhalt sowie Art. 7 Abs. 2 der Sächsischen Verfassung. 8  So

9  Vgl.

78

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

sungsmäßigkeit von Altersgrenzen,16 so dass eine Aufnahme in den Katalog des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG folgerichtig wäre, wenn der Gesetzgeber das Alter tatsächlich als verbotenes Differenzierungskriterium im Sinne von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG begreifen würde. Daher wird das Alter de lege lata nicht von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG erfasst. c) Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG aa) Behinderung i. S. d. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG Der Begriff der Behinderung ist nicht eindeutig, zumal er im Verfassungsrecht nirgends definiert wird. Das Bundesverfassungsgericht versteht unter Behinderung i. S. d. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG „die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht“.17 Dies entspricht der Definition von Behinderung in § 3 Abs. 1 des im Jahr 2001 in das SGB IX übergegangenen Schwerbehindertengesetzes, an den sich der verfassungsändernde Gesetzgeber angelehnt hat und der daher für die Auslegung von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG richtungsweisend ist.18 Damit ist zunächst zu prüfen, ob eine sog. Regelwidrigkeit vorliegt, d. h. ein gesundheitlicher Defekt, der eine medizinische Anomalie darstellt und der vom für das jeweilige Lebensalter typischen Zustand abweicht.19 In einem zweiten Schritt ist zu fragen, ob die sich daraus ergebende Funktionsbeeinträchtigung nicht nur vorübergehender Natur ist, wodurch sie von der bloßen Krankheit abgegrenzt werden soll.20 In einem dritten und letzten Schritt sind schließlich die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung auf sämtliche Lebensbereiche des Betroffenen zu untersuchen.21 Dieser dreigliedrige Behinderten16  Siehe etwa Trebeck, Die Verfassungsmäßigkeit von Altersgrenzen, S. 45  ff. sowie 124 ff.; Nussberger, JZ 2002, 524, 524 ff.  17  BVerfGE 96, 288, 301; 99, 341, 356  f.; so auch Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 309; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 136; Buch, Das Grundrecht der Behinderten, S.  37 ff.  18  Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 309; Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 169; Sachs, RdJB 1996, 154, 163. 19  Winkler, in: Tilch  / Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, Stichwort: Behinderte, S. 601; Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 168. 20  Als Anhaltspunkt kann dabei § 3 Abs. 1 S. 3 SchwbG dienen, der davon ausging, dass ab einer Dauer von über sechs Monaten keine vorübergehenden Beeinträchtigung mehr vorliegt; vgl. Cramer, SchwbG, § 3 Rn. 4; Winkler, in: Tilch /  Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, Stichwort: Behinderte, S. 601; Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 168 f. 21  BT-Drs. 10 / 3138, S.  14; Cramer, SchwbG, § 3 Rn. 5; Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 169.



I. Schutz älterer Menschen79

begriff folgt im Wesentlichen der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1980 vorgeschlagenen Definition des Begriffs der Behinderung, wonach eine Behinderung einen Schaden, eine funktionelle Einschränkung sowie eine soziale Behinderung voraussetzt.22 Problematisch ist, inwieweit nach dieser Definition altersbedingte Einschränkungen unter den Begriff der Behinderung subsumiert werden können. Einen ersten Anhaltspunkt dabei bietet die Einschätzung des Gesetzgebers zu § 3 Abs. 1 SchwbG. Danach sollen normale Alterserscheinungen keine Behinderungen im Sinne des Schwerbehindertengesetzes darstellen.23 Gegen die Annahme einer Behinderung in diesem Fall spricht zunächst, dass ein gesundheitlicher Defekt vorliegen muss, der für das jeweilige Lebensalter untypisch ist. Da jedoch gerade ältere Menschen häufiger unter gesundheitlichen Beschwerden leiden,24 liegt allein darin keine Regelwidrigkeit, so dass es bereits an der ersten Voraussetzung für das Vorliegen einer Behinderung fehlen würde. Allerdings werden als alterstypische Beeinträchtigungen im Sinne des Schwerbehindertengesetzes nur solche Einschränkungen angesehen, die bei allen alten Menschen auftreten.25 Keine alterstypischen Beeinträchtigungen sollen dagegen Schädigungen sein, die nicht nur im Alter auftreten.26 Gleiches gilt für Einschränkungen, die zwar ausschließlich im Alter auftreten, aber nicht bei allen alten Menschen nachgewiesen werden können.27 Daher ist angesichts der engen Anlehnung des grundgesetzändernden Gesetzgebers an § 3 Abs. 1 SchwbG und dessen Auslegung eine differenzierte Betrachtungsweise von Nöten. Als Behinderte i. S. v. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG können demnach auch solche älteren Menschen angesehen werden, die nicht mehr in der Lage sind, grundlegende Aufgaben des täglichen Lebens selbständig zu übernehmen,28 die man auch Senioren typischerweise noch zumuten kann. Dazu zählt etwa das Zurücklegen kürzerer Wegstrecken zu Fuß. Daneben werden solche älteren Menschen erfasst, die beispielsweise an Parkinson, Rheuma oder Arthrose leiden und 22  Vgl. WHO, International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps (ICIDH), abgedruckt bei Jochheim / Matthesius, Zum Konzept der ICIDH und zum Stand ihrer internationalen Diskussion, in: Matthesius / Jochheim / Barolin / Heinz, Die ICIDH – Bedeutung und Perspektiven, S. 5, 5 ff.; näher dazu Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, Rehabilitation Behinderter, S. 24 f. 23  BT-Drs. 10 / 3138, S.  14. 24  Vgl. oben, 1. Kap., III. 2. 25  Neumann, in: Neumann  / Pahlen, § 3 SchwbG, Rn. 16; Cramer, SchwbG, § 3 Rn. 8; Buch, Das Grundrecht der Behinderten, S. 67. 26  Neumann, in: Neumann  / Pahlen, § 3 SchwbG, Rn. 17; Cramer, SchwbG, § 3 Rn. 8. 27  Neumann, in: Neumann / Pahlen, § 3 SchwbG, Rn. 16 f.; Cramer, SchwbG, § 3 Rn. 8. 28  Buch, Das Grundrecht der Behinderten, S. 67.

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

dadurch erheblich in ihrer körperlichen Funktionsfähigkeit eingeschränkt sind, da diese Leiden zwar im Alter gehäuft auftreten und daher als typische Krankheiten älterer Menschen wahrgenommen werden, genauso gut aber auch jüngere Personen betreffen können.29 Davon abzugrenzen sind die übrigen „normalen“ Alterserscheinungen, die bei allen älteren Menschen zu beobachten sind. Dazu zählen etwa nicht auf einer spezifischen Krankheit beruhende leichtere Bewegungseinschränkungen sowie ein nachlassendes Seh- und Hörvermögen. Für deren Einbeziehung in den Behindertenbegriff des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG spricht auf den ersten Blick, dass der Wortlaut der Verfassungsnorm, anders als § 3 Abs. 1 i.  V.  m. § 1 SchwbG, keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung auf Schwerbehinderte bietet.30 Zudem könnten sich bei einer Nichteinbeziehung altersbedingter Beeinträchtigungen Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben zwischen Einschränkungen, die unter Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG fallen sollen, und solchen, die alterstypisch sind und daher nicht erfasst werden.31 Neumann weist darauf hin, dass eine Verminderung der körperlichen Leistungsfähigkeit oder ein nachlassendes Seh- und Hörvermögens keineswegs bei der ganz überwiegenden Mehrheit der älteren Menschen zu beobachten sei. Vielmehr gebe es 80-Jährige, die Hochgebirgstouren unternähmen.32 Dies mag zwar richtig sein, doch ist wissenschaftlich erwiesen, dass bestimmte Prozesse im Körper wie die Zellteilung mit zunehmendem Alter langsamer ablaufen, so dass der körperliche Abbau durch entsprechendes Training teilweise, jedoch nicht vollständig kompensiert werden kann. Daher spricht die Tatsache, dass ältere Menschen noch einen hohen Grad an körperlicher und geistiger Fitness aufweisen können, nicht für eine grundsätzliche Einbeziehung alterstypischer Beschwerden in den verfassungsrechtlichen Behindertenbegriff. Entscheidend gegen die Einbeziehung von Beeinträchtigungen, die bei allen alten Menschen nachweisbar sind, spricht jedoch die Entstehungsgeschichte von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG. So war die Einbeziehung des Schutzes alter Menschen neben der Förderung Behinderter vom Kuratorium für eine neue deut29  Zwar steigt das Risiko, an Arthrose zu erkranken, mit zunehmendem Alter, doch kann die Krankheit auch schon in jungen Jahren auftreten, beispielsweise nach Unfällen oder Sportverletzungen, und zu erheblichen Bewegungseinschränkungen führen, näher dazu Imhoff / Baumgartner / Linke, Checkliste Orthopädie, S. 128 zur rheumatoiden Arthritis sowie Rössler / Rüther, Orthopädie, S. 155 f. 30  Boysen, in: v. Münch  / Kunig, GGK, Art. 3 Rn. 194; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 310; Scholz, in: MD, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 176; Straßmair, Der besondere Gleichheitsatz, S. 172; Neumann, NVwZ 2003, 897, 898. 31  Auf diese Problematik weist Spranger, DVBl. 1998, 1058, 1060 hin; ähnlich auch Neumann, NVwZ 2003, 897, 898. 32  Neumann, NVwZ 2003, 897, 898.



I. Schutz älterer Menschen81

sche Verfassung im Jahr 1991 angedacht worden.33 Diese Idee wurde jedoch in den nachfolgenden Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission sowie im Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Grundgesetzes nicht wieder aufgegriffen,34 was ein Indiz dafür ist, dass ältere Menschen nicht allein um ihres Alters willen besonders geschützt werden sollten. Gegen eine Erstreckung auf alle älteren Menschen spricht ferner, dass die Europäische Grundrechte-Charta ausdrücklich zwischen Alter und Behinderung unterscheidet.35 Dies bedeutet zwar noch nicht, dass das nationale Verfassungsrecht dem automatisch folgen müsste, doch ist es ein Indiz dafür, dass nach der Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten zwischen Alter und Behinderung ein Unterschied bestehen muss.36 Nicht zuletzt unterschieden bereits im Jahr 1994 einige Landesverfassungen37 ausdrücklich zwischen älteren Menschen und Behinderten, so dass dem verfassungsändernden Grundgesetzgeber zumindest klar sein musste, dass die Erwähnung nur der Behinderten dazu führen würde, dass ältere Menschen nicht als besonders geschützt angesehen werden könnten. Dies hat er jedoch offenbar in Kauf genommen. Daher sprechen die besseren Gründe dafür, gesundheitliche Beeinträchtigungen wie leichte Einschränkungen bei der Bewegungsfähigkeit, die ausnahmslos alle älteren Menschen betreffen, nicht unter Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG zu fassen.38 bb) Entstehungsgeschichte und Inhalt Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG wurde im Rahmen der Verfassungsreform von 1994 ins Grundgesetz eingefügt.39 Ziel der Vorschrift ist die Stärkung der Stellung behinderter Menschen in Recht und Gesellschaft.40 Es handelt sich Guggenberger / Preuß / Ullmann, Eine Verfassung für Deutschland, S. 121. zur Verfassungsänderung hinsichtlich Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, vgl. Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 106 ff.  35  Vgl. Art. 21, Art. 25 und Art. 26 GRC; anders im Ergebnis für das Europarecht Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 310, die auf die Unterscheidung zwischen Alter und Behinderung in der Richtlinie 2000 / 78 / EG vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf abstellt. 36  In der Tat unterscheiden die Verfassungen einiger Mitgliedstaaten zwischen Alter und Behinderung, vgl. etwa die Verfassungen Polens, Finnlands und Portugals; näher dazu auch Hölscheidt, in: Meyer, Grundrechte-Charta, Art. 25 Rn. 3 und Art. 26 Rn. 2 ff.  37  Vgl. Art. 7 Abs. 2 der Sächsischen Verfassung aus dem Jahr 1992 sowie Art. 38 der Verfassung Sachsen-Anhalts aus dem Jahr 1992. 38  So auch Caspar, EuGRZ 2000, 135, 136. 39  Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994, BGBl. I, S. 3146. 40  BT-Drs. 12  / 8165, S. 29; näher dazu auch Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S.  112 ff.  33  Vgl.

34  Näher

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

um ein striktes Benachteiligungsverbot41, das die Bevorzugung behinderter Personen nicht verbietet.42 Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG enthält daher ein Gleichheitsrecht zu Gunsten Behinderter, das den allgemeinen Gleichheitssatz verstärkt,43 zudem aber auch einen Auftrag an den Staat, auf die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen hinzuwirken.44 cc) Benachteiligung auf Grund der Behinderung Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG stellt zunächst ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Benachteiligungen dar.45 Eine Benachteiligung auf Grund einer Behinderung liegt vor, wenn Regelungen oder andere Maßnahmen der öffentlichen Gewalt Behinderte im Vergleich zu Nichtbehinderten schlechter stellen.46 Von einer unmittelbaren Ungleichbehandlung ist auszugehen, wenn das Merkmal der Behinderung ausdrücklich im Tatbestand einer Norm erscheint. Dies dürfte vergleichsweise selten der Fall sein. Eher denkbar sind mittelbare Benachteiligungen. Eine solche ist dann gegeben, wenn eine staatliche Regelung nicht an die Behinderteneigenschaft, sondern an ein anderes Differenzierungskriterium anknüpft, es aber im Ergebnis im Wesentlichen zu einer Benachteiligung Behinderter kommt.47 Entsprechendes gilt, wenn auf Grund faktischer Umstände Nachteile für Menschen mit gewissen Einschränkungen entstehen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der Zugang zu öffentlichen Gebäuden, in Bezug auf den für alle Menschen die gleichen rechtlichen Voraussetzungen gelten, nur über Treppen möglich ist.48 Dadurch werden in erster Linie Körperbehinderte am Zugang gehindert, jedoch nicht ausschließlich, da die Treppe auch für Eltern mit einem Kinderwagen ein Hindernis darstellt.

41  Heun,

in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 135; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 305. in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 3 Rn. 417; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 135. 43  Scholz, in: MD, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 174. 44  Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 142. 45  Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 872; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 305; Boysen, in: v. Münch / Kunig, GGK, Art. 3 Rn. 196; Beaucamp, DVBl. 2002, 997, 999. 46  Gubelt, in: v. Münch / Kunig, GGK, Art. 3 Rn. 195. 47  Jarass, in: Jarass  / Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 145; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 138. 48  Ähnliches Beispiel bei Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 182. 42  Starck,



I. Schutz älterer Menschen83

dd) Unterlassen von Leistung und Förderung Behinderter Problematisch ist, ob die Norm darüber hinaus originäre, d. h. durch den Einzelnen direkt einklagbare Leistungsansprüche begründet. Dies soll nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht der Fall sein.49 Begründet wird dies damit, dass es den Gleichheitsrechten nach ihrem Sinn und Zweck nur um formale Gleichheit vor dem Gesetz und gerade nicht um die Herstellung tatsächlicher Gleichheit gehe.50 Zudem leite sich das Gebot, eine gerechte Sozialordnung anzustreben, nicht aus Art. 3 GG, sondern aus dem Sozialstaatsprinzip ab.51 Dagegen lässt sich anführen, dass das Bundesverfassungsgericht, das die Frage ausdrücklich offen gelassen hat,52 immerhin die besondere Verantwortung des Staates für behinderte Menschen betont.53 Zudem kann es Konstellationen geben, in denen faktische Gleichheit hergestellt werden muss, um dem Diskriminierungsschutz des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG gerecht zu werden.54 Sonst besteht die Gefahr, dass der Zweck von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, die Integration Behinderter, verfehlt wird.55 Dagegen wiederum lässt sich vorbringen, dass der Gesetzgeber in Art. 3 Abs. 2 GG ein spezielles Förderungsgebot im Sinne eines Nachteilsausgleiches verankert hat, während er dies bei Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG unterließ.56 Beaucamp meint unter Bezugnahme auf Alexy57, dass Art. 3 GG neben dem Prinzip der rechtlichen Gleichheit auch das Prinzip der faktischen Gleichheit, worunter überwiegend die Gleichstellung in so­ zialer Hinsicht verstanden wird,58 enthalte und das Prinzip der faktischen 49  BVerwG, Beschl. v. 30.06.1997 – 6 B 36  / 97 –, BeckRS 2009, 41444; ausdrücklich offen gelassen von BVerfGE 96, 288, 304; ablehnend auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.11.1996 – 13 M 4539 / 96 –, NJW 1997, 1087, 1089 m. w. N.; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 305; Scholz, in: MD, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 174; Buch, Das Grundrecht der Behinderten, S. 196. 50  Beaucamp, DVBl. 2002, 997, 1000; Gusy, NJW 1988, 2505, 2509. 51  Starck, in: v. Mangoldt  /  Klein  /  Starck, GG, Art. 3 Rn. 4; Beaucamp, DVBl. 2002, 997, 1001. 52  BVerfGE 96, 288, 304. 53  BVerfGE 96, 288, 304; BVerfG, Beschl. v. 28.03.2000 – 1 BvR 1460  / 99 –, NJW 2000, 2658, 2659. 54  Beaucamp, DVBl. 2002, 997, 1001; Herdegen, Der Diskriminierungsschutz für Behinderte im Grundgesetz, S. 35; Berlit, RdJB 1996, 145, 145 f.; Frowein, FS Zacher, S. 157, 165; Reichenbach, Der Anspruch behinderter Schülerinnen und Schüler auf Unterricht in der Regelschule, S. 216 f. 55  BT-Drs. 12 / 8165, S.  28; Herdegen, Diskriminierungsschutz für Behinderte, S. 23; Beaucamp, DVBl. 997, 2002, 1001 m. w. N. 56  Vgl. Herdegen, Diskriminierungsschutz für Behinderte, S. 33. 57  Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 377 ff.  58  Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 55; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 67; Zacher, AöR 93 (1968), 341, 360 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 377 ff. 

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Gleichheit unter bestimmten Bedingungen zu konkreten subjektiven Rechten auf kompensatorische Ungleichbehandlung führe.59 Dies sei dann der Fall, wenn gegenläufige Prinzipien wie etwa das der rechtlichen Gleichheit, der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers oder konkurrierender Freiheitsgrundrechte in der Abwägung zurücktreten müssten.60 Diese Überlegung ist bereits im Ansatz verfehlt, denn weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte der Norm enthält einen Hinweis darauf, dass eine Gleichstellung auch in faktischer Hinsicht angestrebt wird. Daher erscheint es überzeugend, originäre Leistungsansprüche aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG grundsätzlich zu verneinen. Von den originären Leistungsrechten zu unterscheiden sind derivative subjektive Leistungs- und Teilhaberechte. Derivative Teilhabeansprüche, die sich als Reaktion auf voran gegangenes staatliches Handeln ergeben,61 stehen in engem Zusammenhang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz.62 Sie sichern ursprünglich lediglich das Recht auf gleiche Teilnahme an bestehenden staatlichen Einrichtungen.63 Fraglich ist indes, ob ein Teilhabeanspruch ausnahmsweise auch weiter gehen kann. Dies wird insbesondere im Zusammenhang mit dem Zugang Behinderter zu öffentlichen Einrichtungen relevant. In der Praxis gestaltet sich die Situation häufig so, dass Behinderte selbstverständlich in rechtlicher Hinsicht einen Anspruch auf gleichberechtigten Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung haben, davon jedoch keinen Gebrauch machen können, weil die Einrichtung nicht behindertengerecht ausgestaltet ist. In diesem Fall zielen etwaige Ansprüche auf mehr als auf bloß derivative Teilhabe. Es steht vielmehr ein möglicher Anspruch auf behindertengerechte Ausgestaltung, gegenbenenfalls unter Einbeziehung von Umbaumaßnahmen, im Raum, was einem originären Leistungsanspruch zumindest nahe kommt. Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, dass Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG für sich genommen keinen Anspruch auf Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten für Behinderte begründet. Jedoch kann Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG als objektive Wertentscheidung64 im Zusammenwirken mit dem Sozialstaatsprinzip und anderen Grundrechten in Einzelfällen durchaus Leistungsverpflichtungen des Staates begründen.65 Dem entspricht es, wenn das Bundesverfas59  Beaucamp,

DVBl. 2002, 997, 1002. DVBl. 2002, 997, 1002. 61  Martens, VVDStRL 30 (1972), 7, 21. 62  Ossenbühl, NJW 1976, 2100, 2104, allerdings kritisch in Bezug auf die Figur des Teilhaberechts; Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, § 67 II 1, S. 700. 63  BVerfGE 33, 303, 338; 43, 291, 316 f.; Jarass, AöR 120 (1995), 345, 350; Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, § 67 II 1, S. 700 ff.  64  Herdegen, Diskriminierungsschutz für Behinderte, S. 35. 65  Herdegen, Diskriminierungsschutz für Behinderte, S. 31 f. 60  Beaucamp,



I. Schutz älterer Menschen85

sungsgericht betont, dass eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten gegeben sein könne, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme kompensiert werde.66 Entscheidend dürfte dabei eine Abwägung zwischen dem Aufwand für eine behindertengerechte Ausgestaltung sowie Bestandsschutzgesichtspunkten einerseits und der Schwere der faktischen Zugangsbeeinträchtigung andererseits sein.67 Daher ist es überzeugend, im Fall des Zugangs zu öffentlichen Einrichtungen aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG einen Anspruch Behinderter auf einen behindertengerechten Zugang abzuleiten.68 Dieser steht jedoch unter dem Vorbehalt des technisch und finanziell Machbaren, da der Einzelne von der Gemeinschaft nichts Unmögliches verlangen kann.69 Allerdings wird der öffentliche Betreiber im Falle der Weigerung genau darlegen müssen, warum die Herstellung eines behindertengerechten Zugangs im konkreten Fall technisch oder finanziell unmöglich sein soll.70 Letzlich begründet die Vorschrift deshalb ein Recht auf gleichberechtigten Zugang behinderter Menschen zu öffentlichen Einrichtungen,71 so dass die Verweigerung des „tatsächlich möglichen“ Zugangs zu öffentlichen Einrichtungen wegen einer Behinderung eine unzulässige Benachteiligung darstellt.72 Adressat der Rechtswirkungen des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG kann dabei sowohl der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Bauordnungsrechts als auch die Verwaltung bei der Anwendung des einfachen Gesetzesrechts sein. Problematisch ist überdies, ob aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG Schutzpflichten des Staates zu Gunsten behinderter Menschen abgeleitet werden können. Dafür spricht, dass Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG eine große Nähe zum Schutz der Menschenwürde aufweist73 und sich daraus ein entsprechender staatlicher Handlungsauftrag ergibt.74 Dies scheint der Rechtsprechung des Bundes66  BVerfGE

96, 288, 303. Diskriminierungsschutz für Behinderte, S. 32; Beaucamp, DVBl. 2002, 997, 1003 f.; Grams, BauR 1995, 195, 206. 68  Bejahend im Ergebnis auch Beaucamp, DVBl. 2002, 997, 1003  f.; Berlit, RdJB 1996, 145, 150 f. 69  BVerfGE 33, 303, 333; 43, 291, 314; 97, 332, 349; Beaucamp, DVBl. 2002, 997, 1004; Caspar, EuGRZ 2000, 135, 138. 70  Grams, BauR 1995, 195, 206. 71  Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 306; Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 261. 72  BVerfGE 96, 288, 303. 73  Näher dazu Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 113 ff.  74  So Frowein, FS Zacher, S. 157, 159 bezüglich Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG; bejahend im Ergebnis auch Buch, Das Grundrecht der Behinderten, S. 201 f.; Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 252 ff.; Jürgens, Barriere- und diskriminierungsfreier Zugang zu öffentlichen Gaststätten, S. 39 f.; a.  A. Spranger, DVBl. 1998, 67  Herdegen,

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

verfassungsgerichts jedenfalls nicht zu widersprechen, welches hervorhebt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die besondere Situation behinderter Menschen weder zu gesellschaftlichen noch zu rechtlichen Ausgrenzungen führen sollte, sondern diese vielmehr mit Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verhindert oder überwunden werden könnten.75 Hinzu kommt, dass Angriffe Dritter auf grundrechtlich geschützte Rechtsgüter Behinderter häufig allein deshalb erfolgen, weil eine Behinderung vorliegt. Deshalb folgt die staatliche Schutzpflicht gerade aus der Behinderung, welche einen hinreichend fassbaren Gegenstand einer Schutzpflicht darstellen kann.76 Dagegen wird eingewandt, dass die vom Gesetzgeber bezweckte Förderung der Integration Behinderter insoweit lediglich Gegenstand einer Staatszielbestimmung sei.77 Dies überzeugt jedoch nicht, da eine Vorschrift, die einerseits als Gleichheitsrecht ausgestaltet ist, andererseits nicht zugleich nur Staatszielbestimmung sein kann.78 Allerdings ist zu beachten, dass dem Gesetzgeber bei der Realisierung von Schutzpflichten ein eigener Gestaltungsspielraum zukommt, so dass der Einzelne keine konkrete Maßnahme, sondern nur ein Tätigwerden des Gesetzgebers überhaupt verlangen kann.79 Relevant werden kann die Schutzpflichtenproblematik bei der Frage, ob der Gesetzgeber in seinen Bauordnungsgesetzen privaten Bauherren eine behindertengerechte Bauweise vorschreiben kann, was nach zutreffender Auffassung jedenfalls grundsätzlich zu bejahen ist.80 Der Förderungsauftrag zu Gunsten Behinderter an den Staat ist als objektive Wertentscheidung darüber hinaus bei der Gesetzgebung zu berücksichtigen, gerade auch bei der bauplanungsrechtlichen Gesetzgebung. Dies gilt insbesondere für die Frage der planungsrechtlichen Zulässigkeit von behindertenbezogenen Einrichtungen. Außerdem hat der Gesetzgeber mit Hilfe entsprechender gesetzlicher Vorgaben dafür zu sorgen, dass behindertenbezogene Belange im Rahmen von planungsrechtlichen Abwägungsentscheidungen berücksichtigt werden müssen. Dementsprechend sind die Wertungen des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG im Rahmen von Abwägungsentscheidungen 1058, 1061; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 139; Davy, Das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung im deutschen Verfassungsrecht und im Gemeinschaftsrecht, in: Deutscher Sozialrechtsverband, Die Behinderten in der sozialen Sicherung, S. 7, 39 ff.  75  BVerfGE 96, 288, 302. 76  Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 259. 77  Vgl. Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 307; in diese Richtung auch Scholz, in: MD, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 173 f. 78  Ähnlich argumentiert auch Caspar, EuGRZ 2000, 135, 140. 79  Stern, DÖV 2010, 241, 248 f.; so auch Sachs, in: HdStR VIII, § 182 Rn. 124. 80  Dazu vgl. auch Grams, BauR 1995, 195, 207, der jedoch offenbar nicht davon ausgeht, dass sich aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG eine Schutzpflicht ableiten lässt.



I. Schutz älterer Menschen87

der Planungsträger zu beachten.81 Da Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG gemäß Art. 1 Abs. 3 GG auch die Verwaltung bindet, müssen die Belange der Behinderten bei deren Ermessensentscheidungen besonders berücksichtigt werden, etwa im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen, wenn bestimmte planungsrechtliche oder bauordnungsrechtliche Anforderungen nicht eingehalten werden. d) Art. 3 Abs. 1 GG aa) Grundlagen und Struktur Art. 3 Abs. 1 GG besagt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Eine Einschränkung auf die Rechtsanwendung besteht dabei nicht, so dass auch der Gesetzgeber daran gebunden ist.82 Gleichheit bezeichnet eine Relation zwischen verschiedenen Personen oder Sachen,83 was nachhaltige Auswirkungen auf die formale Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes zeitigt. Das Bundesverfassungsgericht hat aus Art. 3 Abs. 1 GG die so genannte Willkür-Formel abgeleitet, wonach, „weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich, noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich“84, behandelt werden darf. Willkürlich ist eine Maßnahme danach dann, wenn sie „im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist“85. Seit 1980 ist das Bundesverfassungsgericht zur Anwendung der so genannten „neuen“ Formel übergegangen. Danach ist der allgemeine Gleichheitssatz verletzt, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“86. Während nach der Willkür-Formel irgendein sachlicher Grund zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung ausreicht,87 muss nach der neuen Formel der rechtfertigende Grund in einem angemessenen Verhältnis zur Ungleich81  Ähnlich im Ergebnis auch Herdegen, Diskriminierungsschutz für Behinderte, S. 51, der allerdings auf die Auswirkungen des Sozialstaatsprinzips abstellt. 82  Näher dazu Starck, in: v. Mangoldt  /  Klein  /  Starck, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 2; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 1a; Zippelius, VVDStRL 47 (1988), 7, 11. 83  Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 19. 84  BVerfGE 1, 14, 52; 4, 144, 155; ähnlich 27, 364, 371 f.; 67, 186, 195. 85  BVerfGE 80, 48, 51; 83, 82, 84; 2, 266, 281. 86  BVerfGE 55, 72, 88; 60, 123, 133 f.; 81, 1, 8; 81, 108, 118; 93, 386, 397; 100, 195, 205; 103, 271, 289. 87  Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 22; Hesse, AöR 109 (1984), 174, 189; Rüfner verlangt dagegen einen zureichenden Grund vgl. Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 27.

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

behandlung stehen.88 Die Kontrolldichte muss nach der Intensität der Ungleichbehandlung und der Intensität des Eingriffs in die Rechtssphäre des Bürgers abgestuft werden.89 Das Bundesverfassungsgericht führt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch, wenn sich die Ungleichbehandlung auf Personen, nicht bloß auf Sachverhalte bezieht.90 Dabei soll eine besonders strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen sein, wenn die Benachteiligten den begünstigten Sachverhalt in ihrer Person nicht oder nur schwer erfüllen können,91 wenn sich das Differenzierungskriterium einem in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmal annähert92 oder sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann.93 In den übrigen Fällen verbleibt es dagegen bei der bloßen Willkürprüfung. bb) Grundrechtsfunktionen und Inhalt Der allgemeine Gleichheitssatz steht selbständig neben den Freiheitsrechten und muss daher so ausgelegt werden, dass er mit diesen im Einklang steht.94 Essentiell in diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung von rechtlicher und faktischer Gleichheit. Die rechtliche Gleichheit zielt auf die Abschaffung der künstlichen Unterscheidungen, die sich aus einer diskriminierenden Gesetzgebung ergeben.95 Insoweit ist anerkannt, dass der Gleichheitssatz dem Einzelnen ein subjektiv-öffentliches Recht auf Gleichbehandlung verschafft96 und daneben auch als Abwehrrecht wirkt.97 Als problematisch hingegen erweist sich die Frage, ob Art. 3 Abs. 1 GG im Sinne eines originären Leistungsrechts auch auf die Herstellung faktischer Gleichheit98 abzielt, welche letztlich die Nivellierung vorhandener Unterschiede tatsächlicher Art, etwa in wirtschaftlicher oder sozialer Hinsicht, impliziert. Das 88  BVerfGE 89  BVerfGE

81, 208, 224; 82, 126, 146; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 22. 88, 87, 96 f.; 89, 15, 22 f.; 91, 389, 401; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3

Rn. 22. 90  BVerfGE 78, 104, 121; 83, 1, 23; 89, 15, 22; 89, 365, 375; 91, 389, 401. 91  BVerfGE 55, 72, 89; 60, 329, 346; 88, 5, 12. 92  BVerfGE 99, 367, 388; 101, 275, 291; 103, 310, 319; 124, 199, 220. 93  BVerfGE 105, 73, 110 f.; 111, 176, 184; 112, 164, 174; 118, 79, 100; 122, 39, 52. 94  Dürig, in: MD, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 120 ff.; Starck, in: v. Mangoldt / Klein /  Starck, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 3. 95  Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 3. 96  BVerfGE 6, 84, 91; 40, 296, 318; Dürig, in: MD, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 285; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 18. 97  Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 18; Sachs, DÖV 1984, 411, 411 ff.; so bereits Böckenförde, Der allgemeine Gleichheitssatz und die Aufgabe des Richters, S. 27 f. 98  Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 55; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 67; Zacher, AöR 93 (1968), 341, 360 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 377 ff. 



I. Schutz älterer Menschen89

Bundesverfassungsgericht hat bislang aus Art. 3 Abs. 1 GG allein nie die Forderung nach Herstellung faktischer Gleichheit abgeleitet.99 Nach seiner Ansicht würde aus der Förderung einzelner Gruppen notwendigerweise die Ungleichbehandlung anderer Gruppen folgen.100 Die Schaffung absoluter faktischer Gleichheit würde damit letztlich sowohl zu rechtlicher Ungleichheit101 als auch zu einer unverhältnismäßigen Beschneidung der Freiheitsrechte führen.102 Dies erscheint überzeugend. Zuzugeben ist, dass der allgemeine Gleichheitssatz in engem Zusammenhang mit der Menschenwürde steht.103 Entsprechendes gilt für das Verhältnis von allgemeinem Gleichheitssatz und Sozialstaatsprinzip. Diese in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Garantie enthält die allgemeine Verpflichtung, „für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen“104. Sowohl die Menschenwürdegarantie als auch das Sozial­staatsprinzip beeinflussen den Inhalt des allgemeinen Gleichheitssatzes. Jedoch folgt daraus nicht, anders als von Dürig105 vorgeschlagen, das Gebot zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums, da andernfalls Art. 3 Abs. 1 GG überfrachtet würde.106 Gegen die Annahme eines originären Leistungsanspruchs aus Art. 3 Abs. 1 lässt sich weiterhin entscheidend einwenden, dass schon die Verteilungsmaßstäbe fraglich wären.107 Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem numerus clausus-Urteil das Bestehen eines Anspruchs auf Schaffung von Studienplätzen aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot ausdrücklich offen gelassen.108 Es betont, dass ein solcher Anspruch allenfalls „bei evidenter Verletzung“ des Verfassungsauftrags zur Bereitstellung ausreichender Ausbildungskapazitäten für die verschiedenen Studienrichtungen in Betracht käme.109 Ferner stünden derartige Teilhaberechte stets „unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann“110. Zudem sei zu bedenken, dass ein „unbegrenztes subjektives 85, 191, 205 ff.; Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 53. 12, 354, 367. 101  Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 54; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 378. 102  Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 55; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 5; Gusy, JuS 1982, 30, 35 f. 103  Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 16; Hofmann, AöR 118 (1993), 353, 363; Bleckmann, Die Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes, S. 44 ff.  104  BVerfGE 94, 241, 263; 97, 169, 185; 110, 412, 445. 105  Dürig, in: MD, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 69. 106  Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 76; vgl. aber unten, 2. Kapitel, I. 1. e) bb). 107  So auch Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 55. 108  BVerfGE 33, 303, 333. 109  BVerfGE 33, 303, 333. 110  BVerfGE 33, 303, 333. 99  BVerfGE

100  BVerfGE

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Anspruchsdenken auf Kosten der Allgemeinheit unvereinbar mit dem So­ zialstaatsgedanken“ ist.111 Etwas anderes gilt lediglich in Bezug auf derivative Teilhabe- und Leistungsrechte. Sie ergeben sich unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 GG.112 Wenn der Staat Güter und Leistungen, etwa Bildungseinrichtungen, sonstige öffentlichen Einrichtungen oder soziale Leistungen im engeren Sinn zur Verfügung stellt, besteht ein Anspruch des Einzelnen auf gleichheitsgerechte Entscheidung über Zugang oder sonstige Leistungsgewährung.113 Gleichheit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG ist als reale Chancengleichheit114 zu verstehen, die sich als Startgleichheit unter Konkurrenten darstellt.115 Dies bedeutet, dass in Wettbewerbssituationen für sämtliche Konkurrenten durch Rechtsgleichheit gleiche Bedingungen geschaffen werden müssen, was vor allem für das Prüfungswesen oder den Zugang zum öffentlichen Dienst von Bedeutung ist.116 Auch unter diesem Gesichtspunkt nicht gefordert ist dagegen die Herstellung faktisch gleicher Ausgangsbedingungen.117 Der Ablehnung einer Pflicht auf Gewährung eines Existenzminimums aus Art. 3 Abs. 1 GG entspricht es, dass sich aus der Norm nach überzeugender Ansicht keine Schutzpflichten ableiten lassen.118 Grund dafür ist, dass Art. 3 Abs. 1 GG, anders als Art. 3 Abs. 3 GG, der materielle Schutzgüter benennt, rein formaler Natur ist.119 Dem allgemeinen Gleichheitssatz fehlt mithin der Schutzgehalt, auf den sich staatliche Pflichten beziehen könnten. Im Privatrechtsverkehr kommt Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Dimension als allgemeines Verfassungsprinzip bei der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts zur Geltung.120 Angesichts des grundsätzlichen Vorrangs der 111  BVerfGE

33, 303, 334. in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 53. 113  Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 53; Zippelius, VVDStRL 47 (1988), 7, 15; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 11 u. 33; dazu auch Breuer, FS 25 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 89, 114 ff.  114  So Zippelius, Der Gleichheitssatz, VVDStRL 47 (1988), 7, 15. 115  Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 58; dazu auch Scholler, Die Interpretation des Gleichheitssatzes als Willkürverbot, S. 28 f. 116  Starck, in: v. Mangoldt  / Klein / Starck, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 34; Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 59. 117  Starck, in: v. Mangoldt  / Klein / Starck, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 33; Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 58. 118  So auch Jarass, in: Jarass  / Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 12; Englisch, in: Stern /  Becker, GG, Art. 3 Rn. 127; a. A. Paehlke-Gärtner, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 3 Rn. 161. 119  Vgl. Uerpmann-Wittzack, ZaöRV 68 (2008), 359, 369. 120  BVerfGE 1, 208, 233; 38, 225, 228; Jarass, in: Jarass  / Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 13; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 293. 112  Osterloh,



I. Schutz älterer Menschen91

Vertragsfreiheit121 kommt eine Verpflichtung Privater zum Vertragsschluss jedoch allein dann in Betracht, wenn diese beim Angebot von lebenswichtigen Gütern oder Dienstleistungen, z. B. Strom oder Wasser, über eine Monopolstellung verfügen.122 cc) Anwendung auf den Schutz älterer Menschen In Bezug auf den Schutz älterer Menschen ergibt sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz zunächst, dass im Falle der Anknüpfung an das Differenzierungskriterium „Alter“ zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt werden muss, da es sich insoweit um ein personenbezogenes Merkmal handelt, das der Betroffene nicht beeinflussen kann.123 Jedoch dürfte es weder im Raumordnungsrecht, noch im Städtebau- oder Bauordnungsrecht Regelungen geben, die unmittelbar an das Kriterium „Alter“ anknüpfen. Insoweit sind allenfalls mittelbare Ungleichbehandlungen denkbar, etwa, wenn ein Gebiet zurückgebaut werden soll, in dem überwiegend alte Menschen leben, während benachbarte Gegenden erhalten bleiben sollen. Hierbei wird nicht an das Merkmal „Alter“ angeknüpft, sondern an das Kriterium der räumlichen Lage, ein nicht-personenbezogenes Merkmal, bei dem die Anforderungen an die Rechtfertigung im Vergleich dazu herabgestuft sind. Nachdem sich aus Art. 3 Abs. 1 GG keine originären Leistungsrechte ableiten lassen, können ältere Menschen, auch wenn sie weniger mobil sind als Jüngere, nicht vor Gericht einklagen, dass der Staat für die Ansiedlung von Lebensmittelmärkten in ihrer Nähe Sorge trägt. Vor dem Hintergrund des numerus clausus-Urteils lässt sich dies damit begründen, dass eine evidente Verletzung eines etwaigen Verfassungsauftrags zur Bereitstellung einer ausreichenden Lebensmittelversorgung nicht gegeben ist, da die Lebensmittelversorgung in Deutschland grundsätzlich flächendeckend existiert. Lücken in einzelnen Gegenden müssen vor dem Hintergrund des tatsächlich Möglichen in Kauf genommen werden. Etwas anderes gilt in Bezug auf Teilhabe- und Leistungsrechte. Diese können aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleitet werden, so dass ältere Menschen im Rahmen der Kapazitätsgrenzen grundsätzlich einen Anspruch auf gleich berechtigten Zugang zu öffentlichen Einrichtungen geltend machen können. Hierbei dürften freilich selten Probleme entstehen. Schwierig121  BAGE

13, 103, 105 ff.  § 36 EnWG, § 22 PBefG, § 10 AEG; vgl. Starck, in: v. Mangoldt / Klein /  Starck, GG; Art. 3 Abs. 1 Rn. 294. 123  Zum parallelen Fall der sexuellen Orientierung, vgl. BVerfGE 124, 199, 220 ff.  122  Vgl.

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keiten bereitet hingegen die Frage, ob ältere Personen auf Grundlage von Art. 3 Abs. 1 GG auch verlangen können, dass zunächst Voraussetzungen geschaffen werden, unter denen ein gleichberechtigter Zugang für sie überhaupt möglich ist, etwa ein hindernisfreier Zugang zu öffentlichen Einrichtungen. Hierbei kann es zu Überschneidungen mit den Gewährleistungen des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG kommen. Insoweit gilt, dass Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG als lex specialis vorrangig gegenüber Art. 3 Abs. 1 GG ist,124 jedoch nur, soweit es sich um ältere Menschen handelt, bei denen zugleich eine Behinderung im Sinn von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG vorliegt. Für alle übrigen Senioren, die unter Einschränkungen leiden, welche ausnahmslos alle älteren Menschen betreffen, greift Art. 3 Abs. 1 GG ein. Die Vorschrift gewährt jedoch gerade kein Recht auf Schaffung gleicher faktischer Ausgangsbedin­gungen,125 so dass sich beim Zugang zu öffentlichen Einrichtungen kein einklagbarer Leistungsanspruch, etwa auf den Einbau von Rampen oder Handläufen, ergibt. Nachdem sich aus Art. 3 Abs. 1 GG nach richtiger Ansicht keine Schutzpflichten gewinnen lassen,126 können alte Menschen nicht erfolgreich einklagen, dass der Staat private Dritte, etwa private Bauherren, auf dieser Grundlage zu seniorengerechten Maßnahmen verpflichtet. Das Fehlen von Schutz- und Förderpflichten zu Gunsten Älterer auf Grundlage von Art. 3 Abs. 1 GG ist ferner relevant bei der Frage der Behandlung der Belange Älterer bei der Ausgestaltung von raumordnungs- und bauplanungsrecht­ lichen Vorschriften. Entsprechendes gilt für planerische Abwägungsentscheidungen der Verwaltung. Hier sind die Anliegen von Senioren von Verfassungs wegen nicht vorrangig zu berücksichtigen, es sei denn, es soll auf solche ältere Personen abgestellt werden, die zugleich die Merkmale des Behindertenbegriffs erfüllen. e) Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG aa) Funktionen Die verfassungsrechtliche Verankerung des Sozialstaatsprinzips spiegelt sich in dem Adjektiv „sozial“ in Art. 20 Abs. 1 GG wider. Darüber hinaus wird das Sozialstaatsprinzip in Art. 28 Abs. 1 GG erwähnt. Es handelt sich dabei um ein Grundprinzip des Grundgesetzes127 in Form einer 124  Vgl. BVerfGE 59, 128, 156; Heun, in: Dreier, GG; Art. 3 Rn. 142; Gubelt, in: v. Münch / Kunig, GGK, Art. 3 Rn. 202. 125  Vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. d) bb). 126  Vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. d) bb). 127  Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 111; Herzog, in: MD, GG, Art. 20 VIII Rn. 1.



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Staatszielbestimmung,128 zu dessen Verwirklichung sämtliche Staatsorgane verpflichtet sind.129 Zwar stellt das Sozialstaatsprinzip unmittelbar geltendes Verfassungsrecht dar,130 doch ist es in hohem Maße unbestimmt, so dass es der Konkretisierung, vor allem durch den Gesetzgeber, bedarf.131 Subjektive Rechte des Einzelnen ergeben sich daher aus dem Sozialstaatsprinzip allein grundsätzlich nicht,132 weshalb regelmäßig kein Anspruch auf den Erlass bestimmter sozialer Regelungen besteht.133 Subjektive Rechtspositionen können indes aus einer Verknüpfung des Sozialstaatsprinzips mit Grundrechten und dem allgemeinen Gleichheitssatz oder nur mit Grundrechten erwachsen.134 So hat das Bundesverfassungsgericht die Reichweite des allgemeinen Gleichheitssatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 GG mit Hilfe des Sozialstaatsprinzips verstärkt.135 Umgekehrt kann das Sozialstaatsprinzip als kollidierendes Verfassungsrecht gegenüber Grundrechten wirken, wofür allerdings eine gesetzgeberische Entscheidung erforderlich ist.136 Dabei ist in materieller Hinsicht ein Ausgleich zwischen dem betreffenden Grundrecht und dem Sozialstaatsprinzip zu finden,137 wobei der Gesetzgebung ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt.138 Das Sozialstaatsprinzip bindet als Verfassungsnorm grundsätzlich auch die Verwaltung, doch können wegen seiner Konkretisierungsbedürftigkeit durch den Gesetzgeber aus ihm keine unmittelbaren Handlungsbefugnisse der Verwaltung abgeleitet werden.139 Eingriffe der Verwaltung in die Rech128  Ipsen, Über das Grundgesetz, S. 14 f.; näher dazu auch Isensee, FS Broermann, S. 365, 371 f.; Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GGK, Art. 20 Rn. 51, der insoweit vom „Gestaltungsauftrag“ spricht. 129  Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Rn. 103. 130  BVerfGE 6, 32, 41; Herzog, in: MD, GG, Art. 20 VIII Rn. 6; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art.  20 Rn.  111. 131  BVerfGE 65, 182, 193; 71, 66, 80; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 112. 132  BVerfGE 27, 253, 283; 82, 60, 80; Herzog, in: MD; GG, Art. 20 VIII Rn.  49 ff.; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 112; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  20 Rn.  130. 133  BSGE 55, 115, 120; Robbers, in: BK, GG, Art. 20 Rn. 1456. 134  Sommermann, in: Mangoldt / Klein / Starck / GG, Art.  20 Rn.  130 f.; vgl. oben 2. Kapitel, I. 1. c) aa). 135  BVerfGE 42, 176, 186; 45, 376, 385; Badura, DÖV 1989, 491, 495. 136  BVerfGE 52, 283, 298; 59, 231, 262 f.; Robbers, in: BK, GG; Art. 20 Rn. 1504; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art 20 Rn. 122; ähnlich auch Badura, DÖV 1989, 491, 494, der meint, dass das Sozialstaatsprinzip nicht geeignet sei, Grundrechte ohne nähere Konkretisierung, also unmittelbar, zu beschränken. 137  BVerwGE 62, 55, 61 f.; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 122. 138  BVerfGE 39, 302, 314 f.; 52, 264, 274; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 122. 139  Maurer, Staatsrecht I, S. 234.

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

te des Einzelnen können auf das Sozialstaatsprinzip allein ebenso wenig gestützt werden wie konkrete Leistungsansprüche. Lediglich bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe oder bei der Ermessensausübung kann es ergänzend herangezogen werden,140 allerdings nur, wenn und soweit dies nach der Nähe zum jeweiligen fachgesetzlichen Regelungszweck geeignet ist und dadurch keine Nivellierung gesetzlicher Regelungen bewirkt wird.141 bb) Inhalte Grundelemente des Sozialstaatsprinzips sind die Forderungen nach sozialer Sicherheit und nach sozialem Ausgleich.142 Trotz seiner Unbestimmtheit lassen sich dem Sozialstaatsprinzip einige Kernziele entnehmen, die von Hans F. Zacher folgendermaßen definiert wurden: „Hilfe gegen Not und Armut und ein menschenwürdiges Existenzminimum für jedermann; mehr Gleichheit durch den Abbau von Wohlstandsdifferenzen und die Kontrolle von Abhängigkeitsverhältnissen; mehr Sicherheit gegenüber ‚Wechselfällen des Lebens‘; und schließlich Hebung und Ausbreitung des Wohlstandes“.143 Dem Sozialstaatsprinzip wohnt insofern ein dynamisches Element inne, als auch die Lebenswirklichkeit steten Änderungen unterworfen ist.144 Es darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist stets im Zusammenhang mit den anderen in Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG genannten Staatszielbestimmungen, insbesondere mit dem Rechtsstaatsprinzip zu sehen.145 Insbesondere darf die Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips nicht zu einer Lähmung der Freiheitsbetätigung des Einzelnen führen.146 Sommermann geht davon aus, dass der soziale Rechtsstaat aktiv gestaltend die Voraussetzungen für die Freiheitsbetätigung seiner Bürger verbessern müsse, wozu die Befreiung aus wirtschaftlichen Notlagen, die Daseinsvorsorge, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowie die Förderung der Chancengleichheit gehörten.147 Aus dieser Aufzählung wird deutlich, dass sich dem Sozialstaatsprinzip verschiedene Einzelgehalte zuordnen lassen, die ihrerseits der Konkretisierung, vor allem seitens des Gesetzgebers, bedürfen. 140  Maurer,

Staatsrecht I, S. 234 f. FS Mußgnug, S. 33, 38. 142  Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck / GG, Art.  20 Rn.  104. 143  Zacher, in: HdStR II, § 28, Rn. 25. 144  Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Rn. 103. 145  Herzog, in: MD, GG, Art 20 VIII Rn. 31. 146  Sommermann, in: v. Mangoldt  / Klein / Starck, GG, Art. 20 Rn. 108; in diese Richtung auch Herzog, in: MD, GG, Art. 20 VIII Rn. 41. 147  Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Rn. 112. 141  Schmidt-Aßmann,



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Eines dieser Einzelelemente ist die Fürsorge für Hilfsbedürftige, d. h. für Personen, die „auf Grund ihrer persönlichen Lebensumstände oder gesellschaftlichen Benachteiligungen an ihrer persönlichen oder sozialen Entfaltung gehindert sind“.148 Der Grund für die Einschränkung kann u. a. in körperlichen und geistigen Gebrechen,149 in einer Krankheit150 oder in einer Schwerbehinderung151 liegen. Die Hilfe muss die „Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein“ gewährleisten.152 Insbesondere sollen Behinderte in die Gesellschaft eingegliedert werden.153 Bei der Frage, wie diese Ziele erreicht werden sollen, kommt dem Gesetzgeber grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu.154 Eine justiziable Handlungsverpflichtung des Gesetzgebers entsteht erst, wenn die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein der Bürger nicht mehr gewährleistet sind.155 Aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG folgt ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.156 Insoweit handelt es sich um ein echtes subjektives Recht, nicht nur um eine bloße objektiv-rechtliche Verpflichtung.157 Das Existenzminimum umfasst „sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit […], als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben“158. Ein „Rückschritts- und Verschlechterungsverbot“159 lässt sich indes aus Art. 20 Abs. 1 GG nicht ableiten,160 zumal das Bundesverfassungsgericht betont hat, dass der Gesetzgeber etwa bei der Ausgestaltung der Sozialversicherung die wirtschaftliche Entwicklung in Rechnung stellen dürfe und deshalb befugt sei, Leistungen der Sozialversicherung auch einzuschränken.161 148  BVerfGE

45, 376, 387; 100, 271, 284. 44, 353, 375. 150  BVerfGE 115, 25, 43. 151  BSGE 84, 253, 256 f. 152  BVerfGE 40, 121, 133; 82, 60, 80; Jarass, in: Jarass  / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 114. 153  BVerfGE 40, 121, 133. 154  BVerfGE 59, 231, 263; 82, 60, 81; 103, 271, 288; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 32. 155  BVerfGE 82, 60, 80; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  20 Rn. 120. 156  BVerfGE 45, 187, 228; 82, 60, 85; 113, 88, 108 f.; 125, 175, 222. 157  Insoweit klar stellend BVerfGE 125, 175, 222 f. 158  BVerfGE 125, 175, 223. 159  Robbers, in: BK, GG, Art. 20 Rn. 1471. 160  So auch Badura, DÖV 1989, 491, 496. 161  BVerfGE 36, 73, 84. 149  BVerfGE

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Der Auftrag an den Staat aus Art. 20 Abs. 1 GG erschöpft sich jedoch nicht in der Fürsorge für Bedürftige, sondern verlangt vom Staat allgemein die Herstellung sozialer Existenzbedingungen. Deshalb gehört auch die allgemeine Daseinsvorsorge zu den zentralen staatlichen Aufgaben nach dem Grundgesetz. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau einzelner Grundrechte und sonstiger Verfassungsbestimmungen162, der Menschenwürdegarantie und des Sozialstaatsprinzips.163 Inhaltlich folgt daraus, dass die grundrechtlich abgesicherten Lebensbedürfnisse überhaupt und zu erschwinglichen Preisen befriedigt werden können müssen.164 Daher ist der Staat verpflichtet, zur Sicherung der Existenz seiner Bürger rechtliche und tatsächliche Infrastrukturmaßnahmen vorzunehmen.165 Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Sicherstellung der Energieversorgung durch geeignete Maßnahmen eine öffentliche Aufgabe von größter Bedeutung sei. Sie gehöre zur Daseinsvorsorge und stelle eine Leistung dar, deren der Bürger zur Sicherung seiner menschenwürdigen Existenz unumgänglich bedürfe.166 Badura spricht in diesem Kontext von einem „sozialstaatlichen Verfassungsauftrag der Wachstumsvor­ sorge“167. Teilweise wird die Auffassung vertreten, Daseinsvorsorge und Sozialstaatsprinzip seien zwei unterschiedliche Konzepte, die sich nur in bestimmten Teilen deckten. Bei der Daseinsvorsorge gehe es um die allgemeine Teilhabe, während beim Sozialstaat die Sorge um die Sicherung gleicher Teilhabe sozial Schwächerer im Vordergrund stehe.168 Diese Unterscheidung ändert jedoch nichts daran, dass die Daseinsvorsorge dem Grundsatz nach eng mit dem Sozialstaatsprinzip verknüpft ist. Ein weiteres Element des Sozialstaatsprinzips, das sich aus einem Zusammenwirken mit den Freiheitsgrundrechten ergibt, ist das Ziel der Chancengleichheit.169 Das Sozialstaatsprinzip zielt darauf ab, für jedermann die 162  Dazu zählen etwa Art. 87 f GG, der dem Bund aufgibt, für Post und Telekommunikation ausreichende Leistungen flächendeckend zu gewährleisten. Ähnliches gilt nach Art. 87 e GG für die Eisenbahnen und nach Art. 90 GG für Autobahnen und Bundesstraßen, vgl. auch Rüfner, in: HdStR IV, § 96 Rn. 18 f. 163  Robbers, in: BK, GG, Art. 20 Rn. 1495. 164  Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel / Doehring / Klein, Ernst Forsthoff, S. 53, 73 ff.; Robbers, in: BK, GG, Art. 20 Rn. 1095. 165  Maurer, Staatsrecht I, S. 236 f.; Robbers, in: BK, GG; Art. 20 Rn. 1495. 166  BVerfGE 66, 248, 258. 167  Badura, DÖV 1989, 491, 494. 168  So etwa Zacher, in: HdStR II, § 28 Rn. 64  ff.; Rüfner, HdStR IV, § 96 Rn.  12 ff.  169  Jarass, in: Jarass  / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 118; Herzog / Grzeszick, in: MD, GG, Art. 20 VIII Rn. 40, die allerdings von „faktischer Gleichheit der Entwicklungschancen“ sprechen.



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tatsächlichen Voraussetzungen der Freiheit zu schaffen und auszubauen, indem entgegenstehende tatsächliche Hindernisse, etwa Zugangshindernisse zu Bildungseinrichtungen auf Grund finanzieller Barrieren beseitigt werden.170 Auch insoweit steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu. Aus dem Sozialstaatsprinzip alleine ergeben sich infolgedessen keine originären subjektiven Leistungsrechte.171 Nicht zuletzt enthält das Sozialstaatsprinzip den Auftrag an den Gesetzgeber, für eine „gerechte Sozialordnung“ zu sorgen,172 was Auswirkungen etwa auf das Arbeitsrecht und das Mietrecht hat. Deswegen beinhaltet das Sozialstaatsprinzip in begrenztem Umfang auch die Ermächtigung zu einer Umverteilung von Gütern,173 wobei, wie bei allen Ausprägungen des So­ zialstaatsprinzips, zu beachten ist, dass Letzteres stets unter dem Vorbehalt des Möglichen steht, so dass sich jegliche Rechtspflicht des Staates nach den tatsächlichen und finanziellen Möglichkeiten richten muss.174 cc) Ansprüche älterer Menschen Das Sozialstaatsprinzip zeichnet sich durch eine hochgradige Unbestimmtheit aus und bedarf der Konkretisierung durch den Gesetzgeber. Daher scheiden subjektive Ansprüche älterer Menschen allein aus dem Sozialstaatsprinzip aus. In Bezug auf das Raumordnungs-, Städtebau- und Bauordnungsrecht wird die Tatsache relevant, dass das Sozialstaatsprinzip Freiheitsrechte und besondere Gleichheitsrechte verstärken kann, so dass sich beispielsweise aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG im Zusammenwirken mit dem Sozialstaatsprinzip eine staatliche Förderpflicht zu Gunsten älterer Menschen, die zugleich dem Behindertenbegriff unterfallen, ergeben kann, etwa bei der Ausgestaltung öffentlicher Gebäude.175 Bei der Auslegung des allgemeinen Gleichheitssatzes kann das Sozialstaatsprinzip als rechtfertigendes Kriterium für die Berücksichtigung der Belange älterer Menschen dienen,176 beispielsweise, wenn der Staat beabsichtigt, eine altengerechte Ausgestaltung öffentlicher Gebäude vorzuschreiben oder Festsetzungen in Bebauungsplänen unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse älterer Menschen vorsieht, obwohl er nicht dazu verpflichtet ist.177 170  Gröschner,

in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 40. oben 2. Kapitel, I. 1. d) bb). 172  BVerfGE 69, 272, 314; 94, 241, 263; 110, 412, 445. 173  Robbers, in: BK, GG, Art. 20 Rn. 1503. 174  Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Rn. 122. 175  Vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. c) dd). 176  Vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. d) bb). 177  Vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. d) cc). 171  Vgl.

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Daneben muss das Sozialstaatsprinzip vom Gesetzgeber bei der Ausgestaltung planungsrechtlicher Abwägungsentscheidungen, etwa zur Aufstellung von Bebauungsplänen, berücksichtigt werden. Entsprechendes gilt für die Anwendung der legislativen Vorgaben bei der konkreten Abwägungsentscheidung des Planungsträgers sowie bei Ermessensentscheidungen der Verwaltung.178 Dies gilt insbesondere, wenn das Sozialstaatsprinzip zur Verstärkung der Wirkung anderer Grundrechte mit herangezogen wird.179 Eine besondere Berücksichtigungspflicht in Bezug auf die Belange älterer Menschen ergibt sich aus dem Sozialstaatsprinzip hingegen nicht, so dass es dem Gesetzgeber unbenommen bleibt, im Rahmen von Abwägungsentscheidungen die Anliegen von Senioren als nur einen von vielen Belangen vorzusehen. f) Art. 1 Abs. 1 GG aa) Funktionen und Inhalte Die in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Menschenwürde ist der oberste Verfassungswert des Grundgesetzes.180 Unter Menschenwürde versteht das Bundesverfassungsgericht den sozialen Wert- und Achtungsanspruch, der dem Menschen wegen seines Menschseins zukommt.181 Geschützt ist die menschliche Identität und Personalstruktur.182 Daneben schließt die Menschenwürde die prinzipielle Gleichheit aller Menschen trotz der tatsächlichen Unterschiede ein.183 Die Norm enthält sowohl eine Abwehr- als auch eine Schutzpflichtkomponente.184 In Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip leitet sich aus Art. 1 Abs. 1 GG die Verpflichtung des Staates ab, allen Bürgern die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu gewähren.185 bb) Ansprüche älterer Menschen In Bezug auf den Schutz älterer Menschen enthält Art. 1 Abs. 1 GG keine spezifischen Verpflichtungen des Staates. Insbesondere lassen sich aus auch Schmidt-Aßmann, FS Mußgnug, S. 33, 38. oben, 2. Kapitel, I. 1. c) und I. 1. d). 180  BVerfGE 6, 32, 40; 96, 375, 398; 109, 279, 311; 117, 71, 89; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art.  1 Rn.  2; Herdegen, in: MD, GG, Art. 1 Rn. 4. 181  BVerfGE 87, 209, 228. 182  Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 6. 183  Kirchhof, in: HbStR V, § 181 Rn. 51; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 33. 184  Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 11 ff.  185  Vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. e) bb). 178  Vgl.

179  Vgl.



I. Schutz älterer Menschen99

der Menschenwürdegarantie alleine keine konkreten Ansprüche zu Gunsten von Senioren ableiten. Sie kann allenfalls die Wirkung anderer Grundrechte verstärken.186

2. Europarecht a) Regelungsgehalt aa) Art. 21 Abs. 1 GRC Anders als im deutschen Verfassungsrecht werden im Europarecht die Belange älterer Menschen explizit aufgegriffen. So sind nach Art. 21 Abs. 1 GRC Diskriminierungen wegen des Alters verboten. Die Vorschrift steht in engem Zusammenhang mit dem Schutz der Menschenwürde und enthält trotz ihrer objektiven Formulierung ein einklagbares subjektives Recht.187 Die Parallele zu Art. 19 AEUV spricht nicht gegen diese Annahme, zumal nach dem 5. Präambelabsatz der Grundrechte-Charta die Erläuterungen, die unter der Leitung des Präsidiums des Konvents zur Ausarbeitung der Grundrechte-Charta formuliert und unter der Verantwortung des Präsidiums des Europäischen Konvents aktualisiert wurden, bei der Auslegung der Charta gebührend zu berücksichtigen sind. Darin wird deutlich auf den Unterschied von Art. 21 GRC zur bloßen Ermächtigungsnorm des Art. 19 AEUV hingewiesen.188 Ferner ist Art. 21 GRC dem in Art. 14 EMRK verankerten Diskriminierungsverbot nachgebildet, welches unstreitig ein subjektives Recht beinhaltet.189 bb) Art. 25 GRC Daneben enthält die Grundrechte-Charta mit Art. 25 GRC eine Norm, nach der die EU das Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben achtet. Es handelt sich dabei um einen bloßen Grundsatz, nicht um ein 186  Vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. b) dd) und c) aa), wonach die Nähe zur Menschenwürde Schutzpflichten auslösen kann. 187  Jarass, EU-Grundrechte, §  25 Rn. 2; Koukoulis-Spiliotopoulos, ERPL 14 (2002), Heft 1, 57, 84; Kingreen, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 17 Rn. 22; a. A. Hilson, ELRev 2004, 636, 644 f. 188  Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl.EU 2007 Nr. C 303  /  24 v. 14.12.2007; Jarass, EU-Grundrechte, § 25 Rn. 2. 189  Jarass, EU-Grundrechte, § 25 Rn. 5; Uerpmann-Wittzack, in: Ehlers, Europäi­ sche Grundrechte, § 3 Rn. 71, der sogar die Ableitung von Schutzpflichten aus Art. 14 EMRK diskutiert.

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

echtes subjektives Recht des Einzelnen.190 Dies ergibt sich bereits aus den Erläuterungen, die unter der Leitung des Präsidiums des Konvents zur Ausarbeitung der Grundrechte-Charta formuliert und unter der Verantwortung des Präsidiums des Europäischen Konvents aktualisiert wurden. Darin wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „Grundsätze“ von subjektiven Rechten zu unterscheiden seien.191 Der Funktion nach enthält Art. 25 GRC sowohl Abwehr- als auch Leistungsgehalte.192 Als Abwehrrecht verpflichtet er die Union dazu, Beeinträchtigungen älterer Personen zu unterlassen.193 Als derivatives Leistungsrecht194 oder Teilhaberecht195 verspricht er, dass Hürden, die den Zutritt älterer Menschen zu einem normalen Leben in der Gesellschaft erschweren oder verhindern, abgebaut werden.196 Originäre Teilhabe- und Leistungsrechte ergeben sich aus Art. 25 GRC dagegen nicht, da der Wortlaut der Norm von „Teilnahme“ und nicht von „Teilhabe“ spricht, worunter die Integration älterer Menschen in das gesellschaftliche Leben zu verstehen ist.197 Die Annahme eines derivativen Leistungs- und Teilhaberechts ist dagegen mit dem Wortlaut ohne Weiteres zu vereinbaren, da diese letztlich auf die Gleichbehandlung und Gleichstellung besonders schutzbedürftiger Gruppen abzielen198 und daher der Integration dienen. Allerdings ist Art. 25 GRC viel zu unbestimmt, als dass sich daraus ergeben würde, welche konkreten Maßnahmen der Unionsgesetzgeber zum Schutze älterer Menschen treffen muss. Einklagbare subjektive Rechte werden deshalb über Art. 25 GRC nur nach Maßgabe des Sekundärrechts begründet.199 190  Jarass,

EU-Grundrechte, § 28 Rn. 3. zur Charta der Grundrechte, ABl.EU 2007 Nr. C 303  /  24 v. 14.12.2007; Folz, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, Europäischer Verfassungsvertrag, Art. II-85 Rn. 3. 192  Jarass, EU-Grundrechte, § 28 Rn. 2. 193  Hölscheidt, in: Meyer, Grundrechte-Charta, Art. 26 Rn. 9; Winner, Die Europäische Grundrechtecharta, S. 203; Mann, in: Tettinger / Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 25 Rn. 19. 194  So Sagmeister, Die Grundsatznormen in der Europäischen Grundrechte-Charta, S.  368 f. 195  So etwa Kingreen, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 17 Rn. 58; zur Unterscheidung von Leistungs- und Teilhaberechten, vgl. Murswiek, in: HbStR IX, § 192 Rn. 2 u. 6 ff.  196  So Sagmeister, Die Grundsatznormen in der Europäischen Grundrechte-Charta, S. 368. 197  Marauhn, in: Heselhaus / Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 42 Rn. 23 f.; so im Ergebnis auch Dorfmann, Der Schutz der sozialen Grundrechte, S. 281. 198  Marauhn, in: Heselhaus  /  Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 42 Rn. 24. 199  Folz, in: Vedder  / Heintschel von Heinegg, Europäischer Verfassungsvertrag, Art. II-85 Rn. 3; Sagmeister, Die Grundsatznormen in der Europäischen Grundrechte-Charta, S. 369. 191  Erläuterungen



I. Schutz älterer Menschen101

cc) Art. 26 GRC Art. 26 GRC dient dem Schutz behinderter Menschen. Unter „Behinderung“ ist, wie im nationalen Recht, eine nicht nur vorübergehende und nicht nur geringfügige Funktionsbeeinträchtigung eines Menschen zu verstehen, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht.200 Regelwidrig ist ein Zustand dann, wenn er von dem Zustand, der für das Lebensalter typisch ist, nicht nur geringfügig abweicht.201 Insoweit gilt nichts anderes als im nationalen Verfassungsrecht,202 so dass ältere Menschen, die lediglich unter Beeinträchtigungen leiden, welche ausnahmslos alle älteren Menschen betreffen, nicht vom Schutzbereich erfasst werden. b) Anwendbarkeit Der Anwendungsbereich der Grundrechte-Charta ist gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC nur dann eröffnet, wenn entweder Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der EU handeln oder die Mitgliedstaaten Unionsrecht durchführen,203 wobei als Unionsrecht in diesem Sinne nicht die Grundrechte selbst anzusehen sind. Es muss sich dabei vielmehr um die Durchführung anderweitigen Unionsrechts handeln.204 Ferner muss der Bereich tatsächlich durch Unionsrecht geregelt sein, d. h. die Union muss über entsprechende Rechtssetzungskompetenzen verfügen.205 Ein solches Handeln der Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Unionsrechts ist für die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung interessierenden Bereiche des Raumordnungsrechts, Städtebaurechts und Bauordnungsrechts sehr problematisch, da es insoweit weitgehend an den notwendigen Rechtssetzungskompetenzen der Union fehlt. Nach dem in Art. 5 200  EuGH, Urt. v. 11.07.2006, Rs. C-13 / 05, Chacón Navas / Eurest Colectividades SA, Slg. 2006, I-6467 Rn. 43 ff.; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 06.12.2012, verb. Rs. C-335 / 11 und C-337 / 11, HK Danmark / Dansk Almennyttigt Boligselskab DAB und HK Danmark / Pro Display A / S in Konkurs, Rn. 24 zum Behindertenbegriff im Sekundärrecht; Hölscheidt, in: Meyer, Grundrechte-Charta, Art. 26 Rn. 15; Marauhn, in: Heselhaus / Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 42 Rn. 21. 201  Hölscheidt, in: Meyer, Grundrechte-Charta, Art. 26 Rn. 15; Jarass, EU-Grundrechte, § 28 Rn. 12. 202  Siehe dazu oben, 2. Kapitel, I. 1. c) aa). 203  EuGH, Urt. v. 21.12.2011, verb. Rs. C-411 / 10 und C-493 / 10, N.S. / Secretary of State for the Home Department und M.E. u. a. / Refugee Applications Commis­ sioner, Rn. 64 ff.; EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C617 / 10, Åklagare / Hans Åkerberg Fransson, Rn.  17 ff.  204  Jarass, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 11. 205  Jarass, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 14.

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Abs. 2 EUV verankerten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung wird die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die ihr von den Mitgliedstaaten in den Verträgen übertragen wurden. Zwar kann die EU auf Grundlage von Art. 19 AEUV Antidiskriminierungsmaßnahmen ergreifen206 und so auf eine Gleichbehandlung älterer Menschen hinwirken, wodurch grundsätzlich der unionsrechtliche Bezug hergestellt207 und der Anwendungsbereich der EU-Grundrechte eröffnet wird. Jedoch bezieht sich das bislang erlassene Unionsrecht ausschließlich auf die Bereiche „Beschäftigung“ und „Beruf“, so dass für eine Heranziehung europäischer Grundrechte nach Anknüpfungspunkten im Raumordnungs-, Bauplanungs- und Bauordnungsrecht selbst gesucht werden muss. aa) Raumordnungsrecht Eine umfassende, dem Wortlaut nach so bezeichnete Zuständigkeit der Union für die Raumordnung findet sich in den Unionsverträgen nicht.208 Der Begriff der Raumordnung wird in Art. 192 Abs. 2 lit. b) 1. Spiegelstrich AEUV zumindest erwähnt. Danach kann die Union Maßnahmen, die die Raumordnung berühren, erlassen. Erfasst sind Regelungen der überfach­ lichen Raumplanung, d. h. des Raumordnungsrechts und des Städtebaurechts.209 Allerdings beschränkt sich die Kompetenzgrundlage des Art. 192 Abs. 2 lit. b) 1. Spiegelstrich AEUV auf Regelungen zur Raumordnung und Bauleitplanung, die als Umweltrechtsregelungen im Sinne von Art. 192 Abs. 1 i. V. m. Art. 191 AEUV eingestuft werden können. Dies ergibt sich aus der systematischen Stellung von Art. 192 Abs. 2 AEUV direkt hinter Art. 192 Abs. 1 AEUV, der explizit auf Art. 191 AEUV verweist.210 In der letztgenannten Norm geht es ausschließlich um Umweltschutz. Überdies befindet sich die Vorschrift in Titel XX des AEUV, der die Überschrift „Umwelt“ trägt.211 Daher lässt sich aus der Norm keine umfassende Kompetenzgrundlage für den Bereich der Raumordnung ableiten. Auch aus den Regelungen zur Regional- und Strukturförderung nach Art. 174 ff. AEUV ergibt sich keine umfassende Regelungskompetenz der 206  Vgl. Richtlinie 2000  / 78 / EG des Rates v. 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. EG Nr. L 303 v. 02.12.2000, S. 16. 207  EuGH, Urt. v. 19.01.2010, Rs. C 555  /  07, Kücükdeveci, Slg. 2010, I-365 Rn. 53. 208  Vgl. auch Knippenberg, Kompetenzgrundlagen, S. 208. 209  So für die inhaltlich identische Vorgängerregelung des Art. 175 Abs. 2 EGV, Jarass, DÖV 1999, 661, 661. 210  Jarass, DÖV 1999, 661, 661. 211  Vgl. auch Gatawis, DÖV 2002, 858, 863; Jarass, DÖV 1999, 661, 661 f.



I. Schutz älterer Menschen103

Union für den Bereich des Raumordnungsrechts. Die genannten Vorschriften beinhalten Regelungen zum wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt innerhalb der Union, was den Schwerpunkt der Konkretisierung des Ziels der Europäischen Kohäsionspolitik212 darstellt.213 Zwar besagt Art. 175 Abs. 3 AEUV, dass Europäisches Parlament und Ministerrat spezifische Maßnahmen beschließen können, falls dies außerhalb der Sozial- und Strukturfonds und unbeschadet der im Rahmen der anderen Politiken der Union erforderlich wird, bereits aus dem Wortlaut aber wird deutlich, dass es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt, von der nur im Einklang mit dem Subsidiaritätsgrundsatz Gebrauch gemacht werden darf.214 Die Rechtssetzungskompetenz wird durch die nationalen Planungssysteme der Mitgliedstaaten begrenzt und erlaubt lediglich Regelungen zur räumlichen Koordination der Fachpolitiken sowie zur grenzüberschreitenden, transna­ tionalen und interregionalen Planung. Eine umfassende Kompetenz zur Regelung der Raumordnung erhält die Union dagegen nicht,215 so dass Art. 21 und 25 GRC insoweit keine Wirkung entfalten können. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Vorschriften des Unionsrechts über Transeuropäische Netze. Nach Art. 170 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 174 AEUV soll im Rahmen der Transeuropäischen Netzpolitik für die Bereiche Verkehr, Telekommunikation und Energie die soziale, wirtschaft­ liche und territoriale Kohäsion gestärkt werden. Allerdings geht es dabei allein um die tatsächliche Herstellung einer Interoperabilität im Sinne eines Zusammenwirkens der Netze der Mitgliedstaaten, nicht aber um die Ableitung einer umfassenden Raumordnungskompetenz.216 Problematisch ist, ob die Kompetenz zur Rechtsangleichung im Binnenmarkt nach Art. 114 AEUV auf den Bereich der Raumordnung anwendbar ist. Die Vorschrift erlaubt eine Realisierung einer europäischen Politik in Bezug auf Einzelaspekte einer Rechtsmaterie,217 sofern diese Politik nur 212  Bei der Kohärenz ist zwischen innerer und äußerer Kohärenz zu unterscheiden. Die innere Kohärenz zielt auf den Zusammenhalt in der Union im Innenverhältnis. Dieses Anliegen wird von Art. 174 ff. AEUV aufgegriffen. Der AEUV spricht in diesem Zusammenhang von Kohäsion. Davon zu unterscheiden ist die äußere Kohärenz, die ein einheitliches Auftreten der Union gegenüber Drittstaaten gewährleisten soll und vorliegend außer Betracht bleiben soll; zum Ganzen vgl. auch ­Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, Rn. 63 f. 213  Kersten, UPR 2006, 245, 250. 214  Vgl. Knippenberg, Kompetenzgrundlagen, S. 215 f. 215  Ausführlich zum Ganzen, Knippenberg, Kompetenzgrundlagen, S. 215 ff.  216  Vgl. auch Knippenberg, Kompetenzgrundlagen, S. 221 ff.  217  EuGH, Urt. v. 09.07.1987, Rs. 281  / 85, Deutschland u. a. / Kommission, Slg. 1987, 3203 / 3255 Rn.  34 f.; Titje, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, EUV / AEUV, Art.  114 Rn. 36.

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

binnenmarktfördernd und nicht binnenmarktneutral oder binnenmarktbehindernd wirkt. Der EuGH legt die Vorschrift traditionell sehr weit aus,218 so dass auf ihrer Grundlage grundsätzlich auch raumordnungsrechtliche Regelungen ergehen können, sofern sie auf Teilbereiche, die für den Binnenmarkt relevant sind, beschränkt bleiben.219 Der Erlass von Raumordnungsplänen dürfte allerdings nicht mehr von der Reichweite der Vorschrift erfasst sein.220 Sollte die Union tatsächlich auf Grundlage von Art. 114 AEUV Vorschriften mit Bezug zur Raumordnung erfassen, wären die Vorschriften der Art. 21 und 25 GRC zum Schutze älterer Menschen direkt anwendbar. Dagegen kann die Kompetenzergänzungsklausel nach Art. 352 AEUV nicht zur Begründung einer umfassenden Raumordnungskompetenz herangezogen werden, weil diese Vorschrift keine Durchbrechung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung bewirken darf.221 Nachdem die EU nach alledem keine umfassende Rechtssetzungskompetenz für den Bereich der Raumordnung besitzt, kann sie lediglich so genanntes soft law erlassen,222 welches freilich keine zwingenden Vorgaben für die Mitgliedstaaten enthalten darf, so dass die Wertungen der Art. 21 und Art. 25 GRC zum Schutze älterer Menschen lediglich beim Erlass von derartigem soft law durch die EU-Organe, nicht aber bei der Anwendung durch nationale Stellen, relevant werden können. bb) Städtebaurecht Ebenso wie auf dem Gebiet des Raumordnungsrechts fehlt es auch beim Städtebaurecht an einer umfassenden Rechtssetzungskompetenz der EU.223 Art. 192 Abs. 2 lit. b) 1. Spiegelstrich AEUV ermächtigt die EU auf dem Gebiet des Städtebaurechts nur dann zum Tätigwerden, wenn es sich bei dem geplanten Rechtsakt um eine umweltbezogene Regelung handelt.224 218  So etwa EuGH, Urt. v. 12.12.2006, Rs. C-380 / 03, Deutschland / Parlament, Slg. 2006, I-11573 Rn. 39; EuGH, Urt. v. 10.02.2009, Rs. C-301 / 06, Irland / Parlament und Rat, Slg. 2009, I-593 Rn. 63 ff.; anders freilich noch EuGH, Urt. v. 30.05.2006, verb. Rs. C-317 / 04 und C-318 / 04, Parlament / Rat, Slg. 2006, I-4721 Rn. 67 ff.  219  So auch Jarass, DÖV 1999, 661, 662. 220  Jarass, DÖV 1999, 661, 662. 221  EuGH, Gutachten 1 / 94 v. 15.111994, WTO, Slg. 1994, I-5267 Rn. 89; EuGH, Gutachten 2 / 94 v. 28.03.1996, Beitritt EMRK, Slg. 1996, I-1759 Rn. 25 ff.; EuG, Urt. v. 21.09.2005, Rs. T-306 / 01, Yusuf, Slg. 2005, II-3533 Rn. 151. 222  Die EU hat entsprechendes soft law u. a. in den Strategiepapieren „Europa 2000“, „Europa 2000 +“ und „EUREK“ erlassen; näher dazu, vgl. Knippenberg, Kompetenzgrundlagen, S.  161 ff.  223  So auch Krautzberger, DVBl. 2005, 197, 197. 224  Vgl. auch oben, 2. Kapitel, I. 2. b) aa).



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Kompetenzen der Union bestehen im Bereich des Vergaberechts, was etwa für den Abschluss städtebaulicher Verträge relevant werden kann.225 Gleichfalls problematisch ist die Heranziehung von Art. 114 AEUV zur Begründung einer entsprechenden Kompetenz der EU. Da ein auf Art. 114 AEUV gestützter Rechtsakt die Rechtsangleichung im Binnenmarkt bezwecken muss, sind europarechtliche Vorgaben beispielsweise für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit baulicher Anlagen kaum denkbar. Aus Art. 352 ­AEUV schließlich kann unstreitig keine Rechtssetzungsbefugnis der EU für das gesamte Städtebaurecht abgeleitet werden, zumal die Vorschrift restriktiv anzuwenden ist.226 Daher fehlt es auf dem Gebiet des Städtebaurechts außerhalb des Umweltbereichs an den notwendigen Anknüpfungspunkten für eine direkte Anwendung europäischer Grundrechte. cc) Bauordnungsrecht Der Begriff des Bauordnungsrechts wird von den Unionsverträgen nicht erwähnt. Allerdings kann die Union auf Grundlage von Art. 114 AEUV umfassende Vorgaben etwa zur Beschaffenheit von Bauprodukten erlassen, da durch solche Maßnahmen technische Handelshemmnisse abgebaut werden können.227 Auf Art. 194 Abs. 2 AEUV können Regelungen zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden gestützt werden, die von den Mitgliedstaaten bei der Ausarbeitung der Anforderungen an den Wärmeschutz berücksichtigt werden müssen.228 Bei der in der Praxis für ältere Personen relevanten baulichen Ausgestaltung des Zugangs zu öffentlichen Gebäuden kann die Union hingegen mangels Kompetenz nicht rechtssetzend tätig werden, so dass Art. 21, 25 und 26 GRC insoweit nicht anwendbar sind. c) Auswirkungen der Grundrechte-Charta auf die Auslegung des Grundgesetzes Wenngleich eine Anwendung der Gewährleistungen der GrundrechteCharta im Bereich des Raumordnungsrechts, des Städtebaurechts und des 225  Näher dazu, vgl. Hoffmann, LKV 2008, 487 ff.; Pietzcker, VergabeR 2010, 735, 739 ff.  226  Vgl. oben, 2. Kapitel, I. 2. b) aa). 227  Von dieser Kompetenz hat die EU bereits Gebrauch gemacht, vgl. Richtlinie 89 / 106 / EWG des Rates v. 21.12.1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte (89 / 106 / EWG), ABl. EG Nr. L 40 v. 11.2.1989, S. 12, ersetzt durch Verordnung (EU) Nr. 305 / 2011 ab Juli 2013. 228  Vgl. Richtlinie 2010  / 31 / EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.05.2010, ABl.EU Nr. L 153 v. 18.06.2010, S. 13 ff. 

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Bauordnungsrechts kaum in Betracht kommt, bleibt eine indirekte Beeinflussung der Auslegung des nationalen Verfassungsrechts durch die europäi­ sche Grundrechte-Charta grundsätzlich möglich. Art. 1 Abs. 2 GG legt fest, dass sich das deutsche Volk zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft bekennt. Dies bedeutet zwar nicht, dass die völkerrechtlichen Menschenrechtskataloge automatisch Verfassungsrang erlangen, doch sind sie bei der Auslegung der Grundrechte zu berücksichtigen.229 Ganz besonders gilt dies für die Vorgaben der EU-Grundrechte-Charta, die auch dann zu beachten sind, wenn die deutsche Stelle nicht an Unionsgrundrechte gebunden ist.230 Allerdings ist eine Übernahme von Unionsgrundrechten ins Grundgesetz oder gar in einen konkreten Artikel allein deswegen nicht zwingend geboten, zumal das Grundgesetz das Alter zwar nicht als verbotenes Kriterium im Sinne von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG versteht, eine Ungleichbehandlung auf Grund des Alters aber an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen ist, so dass keine unzumutbaren Rechtsschutzlücken entstehen.231 Darüber hinaus bleiben die Unionsgrundrechte unmittelbar anwendbar, wenn und soweit nationale Stellen Unionsrecht durchführen, weshalb es auf eine Überlagerung des deutschen Verfassungsrechts durch Unionsrecht insoweit nicht ankommt. Zumindest in Bezug auf Art. 25 GRC stellt sich die Problematik ohnehin nicht, da es sich insoweit um eine soziale Gewährleistung handelt, die über die menschenrechtliche Tradition weit hinaus weist und daher nicht mehr von Art. 1 Abs. 2 GG erfasst wird.232

II. Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung 1. Verfassungsrecht a) Art. 6 Abs. 1 GG Art. 6 Abs. 1 GG schützt auch Menschen in peripheren Gegenden und in durch Verödung gekennzeichneten Innenstädten, wenn ihnen Beeinträchtigungen hinsichtlich Ehe oder Familie drohen. Allerdings sind derartige durch den demografischen Wandel verursachte Konstellationen schwer vor229  Näher dazu Dreier, in: ders., GG, Art. 1 Abs. 2 Rn. 20 f.; Sommermann, AöR 114 (1989), 391, 417 f. 230  Jarass, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 17; grundsätzlich auch Herdegen, in: MD, GG, Art. 1 Abs. 2 Rn. 49. 231  Vgl. dazu oben, 2. Kapitel, I. 1. d) cc). 232  So auch Herdegen, in: MD, GG, Art. 1 Abs. 2 Rn. 49.



II. Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung 107

stellbar, da eine mangelnde Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern in der Regel nicht dazu führt, dass ein Ehegatte zum Wegzug gezwungen wird oder Eltern nicht mehr mit ihren Kindern zusammen leben können. Solange mehrere Familienmitglieder vorhanden sind, wirkt sich der demografische Wandel meist weniger stark aus, weil in solchen Fällen die Versorgung durch den Ehegatten, der noch über ein Auto verfügt, oder durch die Kinder übernommen werden kann. Hinzu kommt, dass konkrete Ansprüche aus dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG ohnehin nicht hergeleitet werden können.233 Folglich ergibt sich aus dem Grundrecht auch kein Anspruch auf Gewährleistung einer funktionierenden Daseins- und Nahversorgung. b) Art. 11 Abs. 1 GG Art. 11 Abs. 1 GG schützt die Freizügigkeit, d. h. die Möglichkeit, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen.234 Vom Schutzbereich erfasst sind demnach sowohl der Wegzug als auch der Zuzug sowie der Vorgang der Ortsveränderung als solcher.235 Das Recht, Aufenthalt oder Wohnsitz nehmen zu dürfen, enthält zugleich das Recht, sich an jenem Ort aufzuhalten und dort zu bleiben, mithin einen Wohnsitz beibehalten zu dürfen,236 was als negative Freizügigkeit bezeichnet wird.237 Beeinträchtigungen der Freizügigkeit im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel kämen insbesondere in Betracht, wenn Bewohner bestimmter Gebiete angesichts des Fehlens einer funktionsfähigen Daseinsvorsorge oder hinreichender Einkaufsmöglichkeiten faktisch gezwungen würden, ihren bisherigen Wohnsitz zu verlassen. Solche faktischen Beeinträchtigungen kommen einem Grundrechtseingriff nach Zielsetzung und Wirkung allerdings nur dann gleich, wenn sie einen gewichtigen Einfluss auf die Willensbildung ausüben und die selbstbestimmte Entscheidung des Betroffenen nachhaltig beeinträchtigen.238 Dies dürfte nur dann der Fall 233  BVerfGE 82, 60, 81; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, Art. 6 Rn. 89 u. 131; Badura, in: MD, Art. 6 Rn. 77. 234  BVerfGE 2, 266, 273; 43, 203, 211; 80, 137, 150; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 11 Rn. 2. 235  Gusy, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 11 Rn. 24; Wollenschläger, in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 26. 236  Gusy, in: v. Mangoldt  /  Klein  /  Starck, GG, Art. 11 Rn. 34; Hailbronner, in: HbStR VII, § 152, Rn. 46; Kunig, in v. Münch / Kunig, GGK, Art. 11 Rn. 18; Wollenschläger, in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 37. 237  Gusy, in: v. Mangoldt  / Klein / Starck, GG, Art. 11 Rn. 34; Durner, in: MD, Art. 11 Rn. 88. 238  BVerfGE 110, 177, 191; Kunig, in: v. Münch  / Kunig, GGK, Art. 11 Rn. 19; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 11 Rn. 8.

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

sein, wenn die Nahversorgungsmöglichkeiten in einem Gebiet derart eingeschränkt sind, dass auch unter Inkaufnahme weiter Wege eine Versorgung nicht mehr möglich ist und daher als ultima ratio nur noch der Wegzug in Betracht kommt. Solche Szenarien sind allerdings selbst vor dem Hintergrund der Einschränkung der Daseinsvorsorge kaum vorstellbar. Problematisch ist ferner, ob und inwieweit derartige faktische Beeinträchtigungen dem Staat überhaupt zugerechnet werden können. Zwar schaffen die Gemeinden mit ihren planerischen Vorgaben die Voraussetzungen für die Ansiedlung privater Einzelhandelsbetriebe, die Entscheidung für oder gegen die Ansiedlung an einem bestimmten Ort wird aber ausschließlich von den privaten Unternehmern selbst getroffen, so dass es in der Regel an der notwendigen Unmittelbarkeit des Eingriffs fehlt und damit schon kein staatlicher Eingriff vorliegt. Ebenso wenig ergeben sich aus Art. 11 Abs. 1 GG Ansprüche des Einzelnen auf Gewährleistung einer ausreichenden Nahversorgung gegen den Staat, da Art. 11 Abs. 1 GG generell keine Leistungsansprüche gewährt.239 Der Kern des Grundrechts liegt in dessen Abwehrfunktion.240 Überdies lassen sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte der Norm Hinweise auf eine leistungsrechtliche Dimension entnehmen.241 Infolgedessen ergeben sich aus Art. 11 Abs. 1 GG richtigerweise weder Ansprüche auf Bereitstellung von Verbindungswegen zum Zwecke der Ausübung der Freizügigkeit242 noch auf Aufrechterhaltung einer gewissen Infrastruktur der täglichen Versorgung, welche der Beibehaltung des bisherigen Wohnsitzes dient.243 c) Art. 2 Abs. 2 GG Art. 2 Abs. 2 GG schützt das Leben und die körperliche Unversehrtheit. Unter „Leben“ versteht das Bundesverfassungsgericht das körperliche Dasein, d. h. die biologisch-physische Existenz vom Zeitpunkt ihres Entstehens bis zum Eintritt des Todes.244 Die körperliche Unversehrtheit meint die 239  Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 11 Rn. 9; Wollenschläger, in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 62; Pagenkopf, in: Sachs, GG, Art. 11 Rn. 22; Kunig, in: v. Münch /  Kunig, GGK, Art. 11 Rn. 5. 240  Durner, in: MD, GG, Art. 11 Rn. 94. 241  Durner, in: MD, Art. 11 Rn. 94. 242  BVerfGE 80, 137, 150; so auch Pagenkopf, in: Sachs, GG, Art. 11 Rn. 22; Murswiek, in: HbStR IX, § 192 Rn. 100; anders insoweit nur Ziekow, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 11 Rn. 123. 243  Für die positive Dimension des Grundrechts Leistungsrechte ablehnend, vgl. Gusy, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 11 Rn. 33. 244  BVerfGE 39, 1, 36 f.; 115, 118, 139; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 192.



II. Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung 109

menschliche Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinn.245 Das psychische Wohlbefinden wird geschützt, soweit es um körperliche Schmerzen vergleichbare Wirkungen geht.246 Die Vorschrift enthält sowohl ein Abwehrrecht gegen Beeinträchtigungen durch staatliche Stellen als auch eine Schutzpflicht gegenüber dem Staat. Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergibt sich für den Staat die Pflicht, „das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen zu schützen, d. h. vor allem auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren“247. Bei der Erfüllung dieser Schutzpflicht hat der Staat einen weiten Gestaltungsspielraum.248 Deshalb wird die Schutzpflicht nur selten derart konkret sein, dass allein das Ergreifen einer bestimmten Maßnahme verfassungsmäßig ist.249 Für die Aufrechterhaltung von Einrichtungen der Daseinsvorsorge bedeutet dies, dass der Staat durch den Erlass entsprechender Vorschriften für eine hinreichende Wasserver- und entsorgung Sorge tragen muss, da andernfalls die menschliche Gesundheit gefährdet werden kann. Haben Private die entsprechende Versorgung übernommen, ergeben sich für den Staat aus Art. 2 Abs. 2 GG entsprechende Schutzpflichten, um eine adäquate Versorgung sicher zu stellen.250 Für die Regional- und Stadtplanung folgt daraus, dass durch entsprechende Vorschriften die Berücksichtigung von Fragen der Wasserver- und Entsorgung garantiert werden muss. In Bezug auf die Nahversorgung mit Einzelhandelsprodukten ist zu bedenken, dass diese ausschließlich durch Private erfolgt. Eine entsprechende Schutzpflicht des Staates dahin gehend, dass dieser dafür sorgen müsste, dass die Produkte besonders wohnortnah angeboten werden müssten, existiert nicht. Ausreichend im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist, wenn das unverzichtbare Existenzminimum gewährleistet ist, d. h. auch Personen in entlegenen Gebieten mit wenig Einkaufsmöglichkeiten noch eine hinreichende Grundversorgung zukommt.251 Dies dürfte gegenwärtig noch überall der Fall sein, da Einzelhandelsgeschäfte notfalls zumindest mit dem Taxi erreicht werden können oder sich Bekannte finden, die sich zum Mitbringen von Lebensmitteln bereit erklären. Dies mag für 56, 54, 74 ff.; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 83. 56, 54, 75; Di Fabio, in: MD, GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1 Rn. 55; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 149. 247  BVerfGE 46, 160, 164; 115, 320, 346. 248  BVerfGE 56, 54, 80 ff.; 77, 170, 214; 79, 174, 202; 85, 191, 212; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art.  2 Rn.  92. 249  BVerfGE 77, 170, 215; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 90; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 92. 250  Siehe auch Schmidt, LKV 2008, 193, 197. 251  Ähnlich auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 96; Di Fabio, in: MD, GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1 Rn. 35 u. 45. 245  BVerfGE 246  BVerfGE

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

die Betroffenen zwar wenig befriedigend sein, doch bezweckt Art. 2 Abs. 2 GG nur den Schutz der physischen Gesundheit, nicht aber die Bewahrung vor Unannehmlichkeiten. Ob das absolute Existenzminimum in Zukunft auch vor dem Hintergrund der zu erwartenden demografischen Entwicklung noch überall gesichert ist, bleibt indes abzuwarten, da vor allem in länd­ lichen Gebieten die Abwanderung jüngerer Menschen zunimmt und sich deshalb im Bekanntenkreis älterer Menschen nur mehr wenige Personen finden werden, welche bei der Lebensmittelversorgung behilflich sein können. Hinzu kommt, dass auch der Einkauf mit dem Taxi angesichts steigender Altersarmut für viele Betroffene keine realistische Option mehr sein wird. d) Art. 14 Abs. 1 GG aa) Schutzbereich und Grundrechtsfunktionen Der verfassungsrechtliche Begriff des Eigentums ist weder im Grundgesetz noch in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts definiert.252 Daher obliegt es dem Gesetzgeber, den Inhalt des Eigentums durch einfachgesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmungen gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG näher auszugestalten.253 Art. 14 Abs. GG schützt das Privateigentum in zweierlei Hinsicht: als Abwehrrecht des Einzelnen, d. h. als sog. Bestandsgarantie254 und als Institutsgarantie255. Die Bestandsgarantie verhindert eine unverhältnismäßige Belastung des Eigentümers und stellt sicher, dass die Privatnützigkeit des Eigentums so weit wie möglich erhalten bleibt.256 Die Institutsgarantie verbietet es, dass Sachbereiche, die zum elementaren Bestand grundrechtlicher geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich gehören, der Privatrechtsordnung entzogen werden.257 Insoweit sind dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des wandlungsfähigen Eigentumsbegriffs Grenzen gesetzt.258 Darüber hinaus enthält die Eigentumsgarantie leistungsrechtliche Elemente dahin gehend, dass der Staat die notwendigen 252  Depenheuer,

in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 14 Rn. 51. 14, 263, 277 ff.; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 48 u. 90. 254  BVerfGE 50, 290, 340; 100, 226, 245; Depenheuer, in: Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 14 Rn. 11. 255  BVerfGE, 24, 367, 389; 58, 300, 339. 256  BVerfGE 100, 226, 245 f.; BVerfG, Beschl. v. 15.09.2011 – 1 BvR 2232 / 10 –, NVwZ 2012, 429, 431. 257  BVerfGE 24, 367, 389; 58, 300, 339; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 4. 258  BVerfGE 2, 380, 401; 20, 351, 355  f.; Bryde, in: v. Münch / Kunig, GGK, Art. 14 Rn. 12 u. 32. 253  BVerfGE



II. Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung 111

Bedingungen zur Inanspruchnahme der grundrechtlichen Garantie bereit stellen muss.259 Konkrete Ansprüche des Einzelnen freilich ergeben sich auf Grund des weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums daraus regelmäßig nicht. Schutzpflichten hat die Rechtsprechung im Zusammenhang mit Art. 14 Abs. 1 GG bislang wenig thematisiert, was daran liegt, dass die Institutsgarantie des Eigentums die Funktionen erfüllt, die bei anderen Grundrechten aus Schutzpflichten abgeleitet werden.260 In der Sache ändert dies jedoch nichts daran, dass Art. 14 Abs. 1 GG den Staat zum Handeln, insbesondere zum Erlass geeigneter gesetzlicher Normen verpflichten kann. So obliegt es dem Staat, eine geeignete Privatrechtsordnung bereit zu stellen, strafrechtlichen Schutz des Eigentums zu gewährleisten sowie Verfahren der Rechtsdurchsetzung und Abwehransprüche gegen Einwirkungen Dritter zu schaffen.261 Daneben setzt Eigentum intakte ökologische Grundlagen voraus und wirkt so auf einen aktiven staatlichen Umweltschutz hin.262 Inhaltlich schützt Art. 14 Abs. 1 GG grundsätzlich jedes vom Gesetzgeber gewährte konkrete vermögenswerte Recht.263 Dazu zählen insbesondere das Grund- und Sacheigentum sowie sonstige vermögenswerte Rechte des Privatrechts.264 Zum Eigentum gehört auch das sog. Anliegerrecht, das den Anliegern einer Straße, d. h. den Eigentümern oder Besitzern von Grundstücken oder Gebäuden den „Kontakt nach außen“ ermöglicht.265 Art. 14 Abs. 1 GG garantiert daher dem Anlieger eine Zugänglichkeit seines Grundstücks zum öffentlichen Straßennetz.266 Nicht geschützt dagegen sind bloße Lagevorteile, die dem Anlieger aus der bisherigen Verkehrsbedeutung der öffentlichen Straße erwachsen sind.267

259  BVerwGE 94, 136, 138  f.; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 14 Rn. 98; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 33. 260  Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 195; Berkemann, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 14 Rn. 223. 261  Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 14 Rn. 96. 262  Isensee, Die Ambivalenz des Eigentumsgrundrechts, in: Ossenbühl, Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 3, 8. 263  BVerfGE 24, 367, 396; 53, 257, 290; 58, 300, 336; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 7. 264  Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 49 ff.; Bryde, in: v. Münch / Kunig, GGK, Art. 14 Rn. 14. 265  BVerwGE 30, 235, 238 f.; 32, 222, 225 f.; Papier, in: MD, Art. 14 Rn. 114; Bryde; in: v. Münch / Kunig, GGK, Art. 14 Rn. 16. 266  Papier, in: MD, GG, Art. 14 Rn. 114. 267  BGHZ 48, 58, 60; 55, 261, 264  f.; 66, 177, 177 f.; Papier, in: MD, GG, Art. 14 Rn. 116.

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

bb) Mögliche Eingriffe Eingriffe in den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG können im Zusammenhang mit der Gewährleistung der Daseins- und Nahversorgung sowohl durch Tun als auch durch Unterlassen erfolgen. So liegt ein Eingriff in das Anliegerrecht vor, wenn dem Straßenanlieger durch Einziehungen oder tatsächliche Maßnahmen die Zufahrt oder der Zugang zur öffentlichen Straße, soweit diese Erschließungsfunktion besitzt, auf Dauer unmöglich gemacht oder derart erschwert wird, dass der Wert des Grundstücks oder eines Besitzoder Nutzungsrechts erheblich gemindert wird.268 Im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel ist dies beispielsweise denkbar, wenn bestehende Straßen, die zugleich Erschließungsstraßen sind, in dünn besiedelten Gebieten entweder förmlich eingezogen oder nicht mehr erhalten werden, sondern nach einiger Zeit so verfallen, dass sie von den betroffenen Bewohnern nicht mehr genutzt werden können. In solchen Konstellationen ergibt sich auf Grund der objektiv-rechtlichen Dimension von Art. 14 GG ein Anspruch der betroffenen Grundstückseigentümer gegen den Staat auf Erhaltung der Straße.269 Ein Anspruch auf Aufrechterhaltung oder sogar Schaffung einer besonders vorteilhaften Verkehrsverbindung besteht dagegen nicht.270 Des Weiteren ist fraglich, ob sich aus der Leistungsdimension des Art. 14 GG ein Anspruch gegen den Staat auf eine funktionsfähige Trinkwasserverund -entsorgung ableiten lässt. Dies ist zu bejahen, da die Nutzbarkeit des Grundeigentums grundsätzlich vom Anschluss an die kommunale Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung abhängig ist. Daher können betroffene Eigentümer, deren Grundstücke bislang an funktionierende Versorgungssysteme angeschlossen waren, unter Berufung auf Art. 14 Abs. 1 GG verlangen, dass auch in Zukunft eine funktionsfähige Wasserversorgung und -entsorgung zur Verfügung gestellt wird.271 Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn eine Wasserversorgung mittels eigener Brunnen oder eine Abwasserentsorgung mit Hilfe so genannter Insellösungen möglich ist. Hier wird man einen Anspruch der Bewohner auf Aufrechterhaltung der vorhandenen Infrastruktur verneinen müssen. Ein weiteres Problem stellt die Nahversorgung der Bewohner ländlicher, dünn besiedelter Gebiete oder von Verödung bedrohter Innenstädte mit Gü268  Papier, in: MD, GG, Art. 14 Rn. 115; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 33. 269  BVerwGE 32, 222, 225 f.; Murswiek, in: HbStR V, § 112 Rn. 99 u. 103. 270  BVerwG, Urt. v. 08.10.1976 – VII C 24 / 73 –, NJW 1977, 2367, 2369; BVerwG, Beschl. v. 15.05.1996 – 11 VR 3 / 96 –, NVwZ-RR 1996, 557, 558; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 46. 271  So auch Schmidt, LKV 2008, 193, 197.



II. Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung 113

tern des täglichen Bedarfs dar. Ein Leistungsanspruch kommt in diesem Zusammenhang nicht in Betracht, da die Nahversorgung in den Händen privater Dritter liegt. Auch eine entsprechende Schutzpflicht des Staates besteht richtigerweise nicht. Die Situation bei der Daseins- und Nahversorgung ist mit der Problematik des Umweltschutzes nicht vergleichbar, da Grundeigentum auch dann noch nutzbar ist, wenn Nahversorgungseinrichtungen nur durch Zurücklegen größerer Entfernungen erreichbar sind, während ökologisch belastetes Grundeigentum nicht mehr ohne Weiteres genutzt werden kann. Überdies bedürfte eine etwaige staatliche Schutzpflicht der näheren Konkretisierung durch den Staat,272 so dass klagbare Ansprüche der Eigentümer auf eine möglichst gut erreichbare Nahversorgung ausscheiden. e) Art. 3 Abs. 1 GG aa) Funktion und Inhalt des allgemeinen Gleichheitssatzes Art. 3 Abs. 1 GG beinhaltet nach richtiger Ansicht ein subjektives Abwehrrecht des Einzelnen zum Schutz vor Ungleichbehandlungen durch staatliche Stellen, nicht aber ein Recht auf die Herstellung faktischer Gleichheit.273 Ebenso wenig lassen sich aus Art. 3 Abs. 1 GG Schutzpflichten oder originäre Leistungsrechte ableiten.274 Etwas anderes gilt lediglich in Bezug auf derivative Leistungs- und Teilhaberechte. Wenn der Staat öffentliche Einrichtungen bereit stellt, ergibt sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ein Recht des Einzelnen auf gleichberechtigten Zugang im Rahmen der Kapazitätsgrenzen.275 Ein Anspruch auf Erweiterung der Kapazität besteht dagegen nicht.276 bb) Anwendung auf die Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung Die von einem Mangel an Infrastruktur Betroffenen, zum Beispiel in dünn besiedelten, ländlichen Gegenden, können demzufolge keine originären Leistungsansprüche auf Errichtung oder Aufrechterhaltung bestimmter Infrastruktureinrichtungen geltend machen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer Übertragung der Grundsätze aus dem numerus clausus-Urteil 272  Depenheuer,

in: Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  14 Rn.  97. dazu oben, 2. Kapitel, I. 1. d) bb). 274  Näher zum Ganzen, vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. d) bb). 275  Näher zum Ganzen, vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. d) bb). 276  Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art.  3 Rn.  33; Murswiek, in: HdStR IX, § 192 Rn.  78 f. 273  Vgl.

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

des Bundesverfassungsgerichts,277 da eine evidente Verletzung eines etwaigen Verfassungsauftrags zur Bereitstellung ausreichender Infrastruktureinrichtungen kaum gegeben sein dürfte, solange solche Einrichtungen auf dem Gebiet eines Hoheitsträgers insgesamt in ausreichender Zahl vorhanden sind. Versorgungsengpässe in einzelnen Gegenden ändern daran nichts, solange Infrastruktureinrichtungen für die Bewohner solcher Gebiete überhaupt noch erreichbar sind, wobei gegebenenfalls längere Wegstrecken oder Wartezeiten in Kauf zu nehmen sind. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergibt sich zudem keine Pflicht des Staates, tatsächliche Gleichheit herzustellen.278 Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber nicht gezwungen ist, Regelungen zu erlassen, welche garantieren, dass überall in gleicher Weise Infrastruktureinrichtungen gebaut oder aufrecht erhalten werden. Für die Ausgestaltung des Planungsrechts folgt daraus, dass lediglich Kriterien vorhanden sein müssen, die eine willkürliche Planung und Aufrechterhaltung von Infrastruktureinrichtungen verhindern. Ähnliches gilt für die Verwaltung. Der Planungsträger darf und muss bei der Entscheidung, wo eine Infrastruktureinrichtung gebaut oder aufrecht erhalten werden soll, von Verfassungs wegen nahe liegende, nicht willkürliche Erwägungen wie den Grad der Auslastung, Umweltschutzaspekte oder die Bevölkerungsdichte berücksichtigen. Im Hinblick auf die Versorgung mit Leistungen des Einzelhandels ist zu bedenken, dass Art. 3 Abs. 1 GG gemäß Art. 1 Abs. 3 GG nur staatliche Stellen, nicht aber Private bindet. Nachdem sich aus der Norm zudem keine Schutzpflichten des Staates ableiten lassen,279 ist dieser vor dem Hintergrund von Art. 3 Abs. 1 GG nicht gezwungen, durch den Erlass planungsrechtlicher Normen für eine ausgewogene Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben zu sorgen. f) Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG aa) Funktion und Inhalt Das Sozialstaatsprinzip stellt eine Staatszielbestimmung dar und verpflichtet in erster Linie den Gesetzgeber, für soziale Sicherheit und sozialen Ausgleich zu sorgen, wobei diesem ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt. Subjektive Rechte des Einzelnen lassen sich aus dem Sozialstaatsprinzip allein daher nicht ableiten, sondern können sich allenfalls aus einer 277  BVerfGE

33, 303, 333; ausführlich dazu oben, 2. Kapitel, I. 1. d) bb). dazu oben, 2. Kapitel, I. 1. d) bb). 279  Näher dazu, vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. d) bb). 278  Eingehend



II. Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung 115

Verknüpfung des Sozialstaatsprinzips mit Grundrechten und dem allgemeinen Gleichheitssatz oder nur mit Grundrechten ergeben.280 Aus dem Sozialstaatsprinzip folgt überdies ein Auftrag an den Staat, im Bereich der Daseinsvorsorge tätig zu werden, um die Existenz der Bürger zu sichern. Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber durch entsprechende gesetzliche Regelungen eine funktionsfähige Daseinsvorsorge gewährleisten muss, wobei angesichts der Unbestimmtheit des Sozialstaatsprinzips keine Pflicht zum Erlass bestimmter Vorschriften besteht. Auch die Einschaltung Privater bei der Aufgabenerfüllung ist möglich.281 bb) Anwendung auf die Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung Für die Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung folgt aus dem Sozialstaatsprinzip, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, hinreichende Regelungen zu erlassen, die eine funktionsfähige Daseinsvorsorge gewährleisten. Er muss beispielsweise sicher stellen, dass ein funk­ tionierender ÖPNV existiert, zumal der ÖPNV zur Verwirklichung grundrechtlich gewährleisteter Freiheiten erforderlich sein kann.282 Überdies folgt aus dem Sozialstaatsprinzip, dass der Staat u. a. für eine funktionierende Wasserver- und -entsorgung sowie die Instandhaltung des Straßennetzes sorgen muss. Allerdings steht das Sozialstaatsprinzip unter dem Vorbehalt des Möglichen, so dass die tatsächlichen und finanziellen Möglichkeiten des Staates über das erforderliche Ausmaß der zu erbringenden Versorgungsleistungen entscheiden. Außerdem folgt aus dem Sozialstaatsprinzip kein Anspruch des Einzelnen auf Errichtung oder Aufrechterhaltung bestimmter öffentlicher Einrichtungen,283 d. h. betroffene Bürger in peripheren Gebieten, in denen eine Ausdünnung der Infrastruktureinrichtungen droht, können nicht mit Erfolg die Aufrechterhaltung oder den Ausbau derartiger Einrichtungen vor Gericht geltend machen. Etwas anderes ist nur dann denkbar, wenn das Versorgungsniveau in einem bestimmten Gebiet so weit gesunken wäre, dass ein menschenwürdiges Leben nicht mehr möglich ist,284 was allenfalls dann vorstellbar wäre, wenn etwa in einem bestimmten Gebiet die 280  Zum

Ganzen vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. e). in: HdStR IV, § 96 Rn. 22; vgl. auch Linke, Die Gewährleistung des Daseinsvorsorgeauftrags im öffentlichen Personennahverkehr, S. 29. 282  Vgl. Linke, Die Gewährleistung des Daseinsvorsorgeauftrags im öffentlichen Personennahverkehr, S. 28. 283  Vgl. auch Rüfner, in: HdStR IV, § 96 Rn. 36. 284  BVerfGE 40, 121, 133; 82, 60, 80; vgl. oben 2. Kapitel, I. 1. e) bb); Reichel etwa spricht von einer „Mindestausstattung an Einrichtungen der Daseinsvorsorge“, die erforderlich sei, vgl. Reichel, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, S. 214. 281  Rüfner,

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Wasserversorgung völlig eingestellt werden soll und auch eine Versorgung mittels eigener Brunnen nicht in Betracht kommt oder wenn eine Anbindung an das Straßennetz überhaupt nicht mehr vorhanden ist. Diese Überlegungen werden gestützt von Art. 87 f Abs. 1 GG, wonach der Bund im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen gewährleistet. Der Bund wird durch die Vorschrift verpflichtet, für ein Mindestangebot an Dienstleistungen für die Öffentlichkeit zu sorgen, auch wenn dieses nicht kostendeckend ist,285 wobei das Angebot selbst von Privaten bereit gehalten wird. Ein subjektives Recht der Nutzer wird weder durch die Verfassungsnorm noch durch die auf deren Grundlage erlassenen Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes (TKG) begründet,286 da Art. 87 f Abs. 1 GG eine bloße Staatszielbestimmung darstellt.287 Entsprechendes gilt für die Vorschrift des Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG, wonach der Bund beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahn des Bundes dem Wohl der Allgemeinheit Rechnung tragen muss. Auch hier geht es nur um die Bereitstellung einer „Art Grundversorgung“288, d.  h. ein flächendeckendes Eisenbahnangebot wird nicht vorausgesetzt.289 Für die Ausgestaltung der Planungsgesetze bedeutet eine solche Interpretation des Sozialstaatsprinzips, dass sozialstaatliche Belange zwar einfließen müssen, etwa in Form geeigneter Abwägungskriterien, der Gesetzgeber hierbei jedoch einen sehr weiten Gestaltungsspielraum hat. Bei Ermessensentscheidungen der Verwaltung ist das Sozialstaatsprinzip allenfalls ergänzend zu berücksichtigen, ohne dass dadurch klagbare Ansprüche des Einzelnen entstünden. g) Art. 20 a GG Art. 20 a wurde im Rahmen der Verfassungsreform im Jahr 1994 in das Grundgesetz eingefügt. Die Norm besagt, dass der Staat auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzge285  Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 87 f Rn. 5; Badura, in: BK, GG, Art. 87 f Rn.  28 f. 286  BVerwGE 117, 93, 100 f.; Badura, in: BK, GG, Art. 87 f Rn. 28 f. 287  So auch Freund, NVwZ 2003, 408, 410, der zudem davon ausgeht, dass sich der Auftrag zu einer flächendeckenden Versorgung bereits aus dem Sozialstaatsprinzip ergibt; ähnlich auch Hebeler, ZG 2006, 301, 314 ff.  288  Lerche, FS Friauf, S. 251, 257; Windthorst, in: Sachs, GG, Art. 87 e Rn. 58; Kersten, Die Verwaltung (40) 2007, 309, 339. 289  Kersten, Die Verwaltung (40) 2007, 309, 339; Windthorst, in: Sachs, GG, Art. 87 e Rn. 64; ähnlich auch Hebeler, ZG 2006, 301, 316 f.



II. Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung 117

bung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung schützt. Der Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen ist bedeutungsgleich mit dem der Umwelt, wie er im Zusammenhang mit dem Umweltschutz verstanden wird.290 Erfasst werden die Umweltmedien Luft, Wasser und Boden sowie das Landschaftsbild.291 Gleiches gilt für Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen in ihren Lebensräumen.292 Art. 20 a GG bezieht sich hingegen nicht auf die soziale Umwelt des Menschen, etwa gesellschaftliche oder kulturelle Einrichtungen.293 Dies bedeutet, dass Infrastruktureinrichtungen als Bestandteile der Daseinsvorsorge nicht in den Anwendungsbereich von Art. 20 a GG fallen. Daher verpflichtet die Norm den Staat auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels nicht zu einem nachhaltigen Umgang mit derartigen Einrichtungen. Dem entspricht es, dass im Rahmen von Reformbestrebungen die Einführung eines Art. 20 b GG angedacht wurde, wonach der Staat in seinem Handeln das Prinzip der Nachhaltigkeit zu beachten und die Interessen künftiger Generationen zu schützen hat.294 Dadurch würde der Sozialstaat zu einer ressourcenschonenden, langfristigen und zukunftsfähigen Politik verpflichtet,295 was sich auch auf die Gewährleistung der Daseinsvorsorge bezöge. Aus der Tatsache, dass eine solche Norm bislang nicht in das Grundgesetz eingefügt wurde, kann man schließen, dass der Gesetzgeber das Prinzip der Nachhaltigkeit nicht über den Bereich der Umwelt ausdehnen wollte. h) Art. 72 Abs. 2 GG Nach Art. 72 Abs. 2 GG hat der Bund auf bestimmten, abschließend genannten Gebieten des Art. 74 Abs. 1 GG das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Es erscheint zumindest nicht fernliegend, dass sich aus dem Postulat der gleichwertigen 290  Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20 a Rn. 27; Jarass, in: Jarass  / Pieroth, GG, Art. 20 a Rn. 3; siehe auch den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission BT-Drs. 12 / 6000, S.  65 ff.  291  BVerwGE 104, 68, 76; BVerwG, Beschl. v. 13.04.1995 – 4 B 70 / 95 –, NJW 1995, 2648, 2649; Scholz, in: MD, GG, Art. 20 a Rn. 36. 292  Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20 a Rn. 30; Jarass, in: Jarass  / Pieroth, GG, Art. 20  a Rn. 3. 293  Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 a Rn. 4; Kloepfer, in: BK, GG, Art. 20 a Rn. 65. 294  Vgl. BT-Drs. 16 / 3399, S. 3. 295  Vgl. Kersten, Die Verwaltung (40) 2007, 309, 315.

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Lebensverhältnisse ein Auftrag an den Gesetzgeber, überall im Bundesgebiet für eine Angleichung der Lebensbedingungen zu sorgen, ergeben könnte, wozu die Aufrechterhaltung von Einrichtungen der Daseinsvorsorge im gesamten Bundesgebiet gehören würde. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu bedenken, dass Art. 72 Abs. 2 GG nicht die Angleichung der Lebensverhältnisse verlangt, da die Norm lediglich von der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ spricht, jedoch schon vom Wortlaut her keine Einheitlichkeit fordert.296 Dies wird durch die Umformulierung der Vorschrift im Rahmen der Verfassungsreform im Jahr 1994 unterstrichen, denn in Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG a. F. war noch von der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ die Rede gewesen.297 Dementsprechend betont das Bundesverfassungsgericht, dass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse nur dann gefährdet sei, wenn, „sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet.“298 Gegen eine Pflicht des Gesetzgebers, für eine Angleichung der Lebensbedingungen zu sorgen, spricht ferner, dass es sich bei Art. 72 Abs. 2 GG um eine Kompetenzvorschrift handelt, die nur eine Zuständigkeit des Bundes, aber keine Rechtsverpflichtung zur Erreichung des Ziels der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse beinhaltet.299 Deshalb ergibt sich für den Staat aus der Vorschrift keine Pflicht zur Aufrechterhaltung von Einrichtungen der Daseinsvorsorge, um eine gleichmäßige Versorgung sicher zu stellen. Entsprechende subjektive Rechte für Betroffene können daher erst recht nicht abgeleitet werden i) Art. 1 Abs. 1 GG Die in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Menschenwürde stellt den obersten Verfassungswert des Grundgesetzes dar.300 In Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ergibt sich daraus die Verpflichtung des Staates, allen Bürgern die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu gewähren.301 Für die Aufrechterhaltung der Daseinsvorsorge bedeutet dies, dass 296  Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 Rn. 15; Uhle, in: Kluth, Föderalismusreform, Art. 72 Rn. 33. 297  Uhle, in: Kluth, Föderalismusreform, Art. 72 Rn. 33; Oeter, in v. Mangoldt  /  Klein / Starck, GG, Art.  72 Rn.  98. 298  BVerfGE 106, 62, 144; 112, 226, 244. 299  So auch Oeter, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 72 Rn. 105. 300  BVerfGE 6, 32, 36; 45, 187, 227; 96, 375, 398; 109, 279, 311; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art.  1 Rn.  2; Herdegen, in: MD, GG, Art. 1 Rn. 4; vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. f) aa). 301  Vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. e) bb).



II. Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung 119

zumindest die absolut notwendigen Dienste, d. h. etwa die Wasserver- und -entsorgung und die Energieversorgung sicher gestellt werden müssen, auch wenn derartige Dienste auf Grund von Bevölkerungsrückgängen in manchen Gegenden nicht mehr kostendeckend betrieben werden können. Das Raumordnungs- und das Städtebaurecht müssen dafür sorgen, dass diese Belange ausreichend berücksichtigt werden, etwa im Rahmen von Abwägungsentscheidungen. Im Hinblick auf die Nahversorgung mit Lebensmitteln dürfte Art. 1 Abs. 1 GG wenig relevant werden, da die Versorgung durch private Einzelhandelsunternehmen flächendeckend sicher gestellt ist. Wenn sich die Betriebe im Einzelfall an für bestimmte Verbrauchergruppen ungünstigen Standorten, etwa an der Peripherie ansiedeln, ändert dies nichts daran, denn die Menschenwürdegarantie würde erst dann eingreifen würde, wenn es keinerlei Lebensmittelversorgung mehr gäbe.

2. Europarecht a) Anwendbarkeit Während die EU keine umfassende Rechtssetzungskompetenz für das Raumordnungs- und Städtebaurecht besitzt,302 fällt die Vorgabe von Rahmenbedingungen für die Daseinsvorsorge gemäß Art. 14 S. 2 AEUV in den Kompetenzbereich der Union,303 so dass eine zumindest punktuelle Anwendbarkeit europäischer Grundrechte auf diesem Gebiet nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Konsequenzen für etwaige Ansprüche auf Aufrechterhaltung von Einrichtungen der Daseinsvorsorge ergeben sich jedoch nur insoweit, als die europäischen Garantien über die Gewährleistungen des nationalen Verfassungsrechts hinausgehen. b) Art. 17 GRC Art. 17 Abs. 1 S. 1 GRC garantiert jeder Person das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben. Wie im deutschen Verfassungsrecht304 werden die aus dem Immobiliareigentum fließenden Nutzungsbefugnisse wie etwa die Bebauung geschützt.305 Entsprechendes muss für das so genannte Anliegerrecht gelten, 302  Ausführlich

dazu oben, 2. Kapitel, I. 2. b). dazu, Knauff, EuR 2010, 725, 731 ff.  304  Vgl. oben, 2. Kapitel, II. 1. e) aa). 305  So auch Depenheuer, in: Tettinger  /  Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 17 Rn. 25; v. Danwitz, Eigentumsschutz in Europa und im Wirtschaftsvölkerrecht, in: v. Danwitz / Depenheuer / Engel, Bericht zur Lage des Eigentums, S. 226 303  Ausführlich

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

das dem Grundstückseigentümer den „Kontakt nach außen“ ermöglicht.306 Nach Art. 17 Abs. 1 S. 2 GRC darf das Eigentum nur aus Gründen des öffentlichen Interesses entzogen werden, wobei die Voraussetzungen gesetzlich festgelegt sein müssen und eine angemessene Entschädigung vorzusehen ist. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sind vor allem der Verfall wichtiger Zugangsstraßen sowie allmähliche Abbau von Infrastruktureinrichtungen denkbar. Unabhängig davon, dass eine Eigentumsverletzung nur dann möglich ist, wenn auch die letzte Zufahrtsstraße zu einem Grundstück nicht mehr nutzbar ist, stellen nach Auffassung des EuGH mittelbare Eingriffe307 sowie bloß mittelbare Folgen hoheitlichen Handelns308 keinen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht dar, es sei denn, die Maßnahmen wirken im Einzelfall existenzgefährdend.309 Dies dürfte beim Abbau von Infrastruktureinrichtungen allenfalls in krassen Ausnahmesituationen der Fall sein, so dass Art. 17 GRC bei der Aufrechterhaltung der Daseinsvorsorge kaum Relevanz zukommt. c) Art. 36 GRC Nach Art. 36 GRC anerkennt und achtet die Union den Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, wie er durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten im Einklang mit der Verfassung geregelt ist, um den sozialen und territorialen Zusammenhalt in der Union zu fördern. Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse zeichnen sich dadurch aus, dass sie in den Augen des Staates auch dann erbracht werden müssen, wenn der Markt möglicherweise nicht genügend Anreize dafür gibt.310 In diesen Fällen kann der Staat konkrete Leistungsanforderungen vorgeben, damit der Bedarf durch eine Dienstleistung mit Gemeinwohlverpflichtungen befriedigt wird.311 Mögliche und 260 f., der die Gewährleistungsgehalte von Art. 1 1. Zusatzprotokoll zur EMRK, an den Art. 17 GRC angelehnt ist, darlegt. 306  Näher dazu, vgl. oben, 2. Kapitel, II. 1. e) aa). 307  EuGH, Urt. v. 14.01.1987, Rs. 281 / 84, Zuckerfabrik Bedburg, Slg. 1987, 49 Rn. 26. 308  EuGH, Urt. v. 06.12.1984, Rs. 59  /  83, Biovilac, Slg. 1984, 4057 Rn. 22; EuGH, Urt. v. 18.09.1986, Rs. 116 / 82, Kommission / Deutschland, Slg. 1986, 2519 Rn. 27 zu mittelbaren Folgen eines Grundrechtseingriffs bei der Berufsfreiheit, was sich auf Art. 17 GRC übertragen lässt. 309  EuGH, Urt. v. 06.12.1984, Rs. 59 / 83, Biovilac, Slg. 1984, 4057 Rn. 27 f. 310  Europäische Kommission, Mitteilung, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. EG Nr. C 17 v. 19.01.2001, S. 7. 311  Europäische Kommission, Mitteilung, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. EG Nr. C 17 v. 19.01.2001, S. 7.



II. Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung 121

Anwendungsbereiche sind die Versorgung mit Strom und Gas, das Verkehrswesen sowie der Zugang zu Telekommunikationsdiensten.312 Daher fällt auch der Zugang zum ÖPNV in den Anwendungsbereich der Vorschrift. Wohl nicht erfasst ist dagegen der Straßen- und Infrastrukturbau als solcher, da diese Bereiche grundsätzlich dem Staat vorbehalten sind und es insoweit an der Wirtschaftlichkeit fehlt.313 Die Vorschrift bringt die erhöhte Verantwortung des Staates für die Erbringung von Dienstleistungen von besonderem Gemeinwohlbezug zum Ausdruck,314 ohne jedoch ein subjektives Recht des Einzelnen zu begründen.315 Letzteres ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Norm, der kein aktives Tätigwerden der Union verlangt, sondern nur von einem eher passiven „Anerkennen“ und „Achten“ ausgeht.316 Die von Mann vertretene Gegenauffassung, wonach Art. 36 GRC im Vergleich zu Art. 14 AEUV ein „Mehr“ darstellen soll,317 ist abzulehnen, da allein aus der Tatsache, dass Art. 36 GRC, anders als Art. 14 AEUV, vom „Zugang“ zu Dienstleistungen spricht, kein subjektives Teilhaberecht abgeleitet werden kann. Daher erschöpft sich die Rechtswirkung von Art. 36 GRC für die Mitgliedstaaten in der Praxis darin, dass sie, soweit sie Unionsrecht durchführen, im Falle der Privatisierung bestimmter Dienstleistungen zur Kontrolle verpflichtet bleiben und dafür Sorge tragen müssen, dass Qualitätsstandards und Grundversorgung aufrecht erhalten bleiben,318 weil sie nur auf diese Weise dem von Art. 36 GRC vorgesehenen Anerkennungs- und Achtungserfordernis nachkommen können.

312  Europäische Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., S. 8, das für die Auslegung der GrundrechteCharta insoweit indizielle Bedeutung hat, als darin zum Ausdruck kommt, was die EU-Kommission unter dem Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse versteht; Riedel, in: Meyer, Grundrechte-Charta, Art. 36 Rn. 11; Mann, in: Heselhaus / Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 34 Rn. 22. 313  Europäische Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., S. 17 f. 314  Jarass, EU-Grundrechte, § 33 Rn. 10. 315  Vgl. die Erläuterungen des Präsidiums des Europäischen Konvents, ABl. EU Nr. C 310 v. 16.12.2004, S. 445; Mann, in: Heselhaus / Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 34 Rn. 26; Streinz, in: Streinz, EUV / AEUV, Art. 36 Grundrechte-Charta. 316  So auch Pielow, in: Tettinger / Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 36 Rn. 30. 317  Mann, in: Heselhaus / Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 34 Rn. 26 u. 28. 318  Riedel, in: Meyer, Grundrechte-Charta, Art. 36 Rn. 12.

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

d) Art. 20 GRC Nachdem Differenzierungen bei der Ausgestaltung der Daseinsvorsorge regelmäßig keinen personellen Bezug aufweisen und das Diskriminierungsverbot des Art. 21 GRC deswegen nicht einschlägig ist,319 kommt ein Rückgriff auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 20 GRC in Betracht. Danach sind alle Personen vor dem Gesetz gleich. Allerdings besteht bei Art. 20 GRC, ebenso wie im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG, die Möglichkeit der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen durch sachliche Gründe.320 Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels kommen hier insbesondere die Bevölkerungsdichte in einem bestimmten Gebiet sowie die Nachfrage in Betracht. Daher schützt Art. 20 GRC letztlich nicht vor einem Abbau von Infrastruktureinrichtungen in einer dünn besiedelten Gegend. Ebenso wenig ergeben sich aus der Norm subjektive Leistungsrechte des Einzelnen, zumal es den Grundrechtsverpflichteten, d. h. den EU-Organen und Mitgliedstaaten obliegt, wie sie einen etwaigen Gleichheitsverstoß beseitigen.321 e) Art. 14 AEUV Nach Art. 14 S. 1 AEUV tragen die Union und die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse so ausgestaltet sind, dass sie funktionieren. Art. 14 S. 2 AEUV enthält eine Gesetzgebungskompetenz zu Gunsten der Europäischen Union, damit diese Bedingungen zur Funktionsfähigkeit der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse festlegen kann. Der Begriff der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ist analog zu Art. 36 GRC zu verstehen. Die Vorschrift ist nicht bestimmt genug, um zu Gunsten des Einzelnen un319  Art. 21 GRC verbietet die Diskriminierung auf Grund verschiedener, nicht abschließend genannter personenbezogener Kriterien, vgl. Sachs, in: Tettinger / Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 21 Rn. 23. 320  Die Anforderungen des EuGH sind in diesem Punkt nicht einheitlich, vgl. EuGH, Urt. v. 06.07.1983, Rs. 117 / 81, Geist, Slg. 1983, 2191 Rn. 14 ff.; EuGH, Urt. v. 13.12.1984, verb. Rs. 129 u. 274  /  82, Lux, Slg. 1984, 4127; EuGH, Urt. v. 22.05.2003, Rs. C-462 / 99, Slg. 2003, I-5197 Rn. 115; Hölscheidt, in: Meyer, Grundrechte-Charta, Art. 20 Rn. 16; Rossi, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV, Art.  20 Grundrechte-Charta Rn. 25. 321  Vgl. EuGH, Urt. v. 19.10.1977, verb. Rs. 117 / 76 u. 16 / 77, Ruckdeschel / Hauptzollamt Hamburg-St. Annen, Slg. 1977, 1753 Rn. 13; EuGH, Rs. 300 / 86, Slg. 1988, 3443 Rn. 22 ff.; vgl. auch Odendahl, in: Heselhaus / Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 43 Rn. 35; Kingreen, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 17 Rn. 18.



III. Schutz gegen Rückbaumaßnahmen123

mittelbar anwendbar zu sein.322 Überdies sind weder die EU noch die Mitgliedstaaten zur Erbringung der entsprechenden Dienste verpflichtet, da Art. 14 S. 1 AEUV lediglich eine Absichtserklärung und Handlungsaufforderung mit geringer rechtlicher Durchschlagskraft enthält.323 Für die Aufrechterhaltung der Daseinsvorsorge vor dem Hintergrund des demografischen Wandels bedeutet dies, dass der Staat nicht verpflichtet ist, bestimmte Einrichtungen bereit zu stellen. Erst recht ergeben sich daraus keine subjektiven Rechte des Einzelnen.

III. Schutz gegen Rückbaumaßnahmen, Änderungen der planungsrechtlichen Einordnung sowie bauordnungsrechtliche Anforderungen Vor dem Hintergrund rückläufiger Bevölkerungszahlen sind nicht nur Leistungsansprüche Betroffener gegen den Staat zu untersuchen, sondern vielmehr auch Abwehrrechte der Bewohner von Gebieten, in denen der Staat präventiv oder als Reaktion auf bereits eingetretene Entwicklungen tätig wird. Europäische Grundrechte werden insoweit nicht relevant, als die Union für den Stadtum- bzw. ‑rückbau sowie für ordnungsrechtliche Vorschriften im Zusammenhang mit Gebäuden keine Rechtssetzungskompetenz besitzt.

1. Art. 11 Abs. 1 GG Art. 11 Abs. 1 GG gewährt den Bewohnern das Recht, an einem einmal gewählten Wohnsitz zu verbleiben.324 In der Praxis treten dann Probleme auf, wenn im Zuge von Stadtumbau- oder Sanierungsmaßnahmen eine Umsiedelung verbliebener Bewohner erforderlich wird. Sollte es hierbei zu faktisch erzwungenen Umquartierungen kommen, ist umstritten, ob die entsprechenden bauplanungsrechtlichen Vorgaben bzw. ihre Durchsetzung einen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 11 Abs. 1 GG darstellen. Im Zusammenhang mit Umsiedelungen zum Zwecke des Braunkohleabbaus wird ein Eingriff teilweise bejaht mit der Begründung, die positive Planungsentscheidung hindere die Betroffenen daran, ihren Wohnsitz beizubehalten.325 Das Branden322  Kotzur, in: Geiger / Khan / Kotzur, EUV / AEUV, Art.  14 Rn.  7; gegen unmittelbare Anwendbarkeit auch Müller-Graff, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, Europäi­ sches Unionsrecht, Art. 14 AEUV Rn. 3. 323  Europäisches Parlament, Erste Analyse des Vertrags von Amsterdam, Kapitel 4. Sozialpolitik; Jung, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV, Art.  14 Rn.  29. 324  Vgl. oben, 2. Kapitel, II. 1. b). 325  So etwa Erguth, VerwArch 86 (1995), 327, 344 f.; bejahend auch Baer, NVwZ 1997, 27, 32.

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

burgische Verfassungsgericht geht indes davon aus, dass der Schutzbereich des entsprechenden Grundrechts aus der Landesverfassung326 nur durch direkte staatliche Eingriffe, nicht aber bei Eingriffen berührt werde, die für bestimmte Bereiche eine bestimmte Nutzung erzwingen und verneint dementsprechend einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Freizügigkeit.327 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Flughafenbau Berlin-Brandenburg International ausdrücklich offen gelassen, ob der durch eine Umsiedelung bewirkte Verlust der Wohnmöglichkeit an einem bestimmten Ort am Maßstab des Art. 11 Abs. 1 GG zu messen ist, da die Betroffenen im konkreten Fall nicht hinreichend dargelegt hätten, dass sie von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses erfasst worden seien und so zum Wegzug gezwungen würden.328 In der Literatur wird teilweise argumentiert, baurechtliche Einzugsbeschränkungen seien generell nicht an Art. 11 GG zu messen,329 da es an einem finalen Eingriff mit freiheitsregelnder Tendenz fehle.330 Übertragen auf Stadtumbau- und Sanierungsmaßnahmen folgt aus der Rechtsprechung des Brandenburgischen Verfassungsgerichts und der Auffassung der Literatur, dass derartige Maßnahmen keine Eingriffe in Art. 11 GG darstellten, da hier, anders als bei Umsiedlungen im Zusammenhang mit dem Braunkohleabbau, keine bestimmte Nutzung erzwungen, sondern vielmehr die weitere Nutzung als Wohnraum ausgeschlossen würde und der Wegzug der Bewohner bloße Folge einer planerischen Entscheidung wäre. Dies erscheint überzeugend. Zwar können nach dem modernen Eingriffsbegriff faktische oder mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigungen durchaus als Eingriff zu werten sein, wenn sie hinsichtlich Zielsetzungen und Wirkungen mit einem Eingriff vergleichbar sind,331 doch müssen faktische Beeinträchtigungen richtigerweise zumindest „mittelbar […] zielgerichtet […]“332 auf die Freizügigkeit einwirken. Andernfalls könnte jegliches staatliches Handeln als Eingriff in Art. 11 Abs. 1 GG verstanden werden. Es hängt daher von der konkreten Ausgestaltung einer Regelung im Einzelfall ab, ob damit zumindest objektiv die Einschränkung der Freizügigkeit bezweckt wird. 326  Art. 17

Abs. 1 BbgVerf. Urt. v. 18.06.1998 – VfGBbg 27 / 97 –, LKV 1998, 395, 406; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 29.09.2008 – 7 B 20 / 08 –, NVwZ 2009, 331, 331; so auch Durner für Art. 11 GG, in: MD, GG, Art. 11 Rn. 123. 328  BVerfG, Beschl. v. 20.02.2008 – 1 BvR 2722 / 06 –, NVwZ 2008, 780, 785 f.; zustimmend Hailbronner, in: HbStR VII, § 152 Rn. 63. 329  So Pieroth, JuS 1985, 81, 83. 330  Durner, in: MD, GG, Art. 11 Rn. 121 ff.  331  BVerfGE 105, 279, 300 f.; 110, 177, 191; 113, 63, 76; Pagenkopf, in: Sachs, GG, Art. 11 Rn. 21. 332  Kunig, in: v. Münch / Kunig, GGK, Art. 11 Rn. 19. 327  BbgVerfG,



III. Schutz gegen Rückbaumaßnahmen125

2. Art. 14 Abs. 1 GG a) Schutzbereich Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG garantiert das Eigentum sowohl als subjektiv-öffentliches Recht des Einzelnen gegenüber dem Staat als auch in Form eines Rechtsinstituts.333 In seiner erstgenannten Ausprägung enthält die Eigentumsgarantie ein klassisches Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe. Geschützt ist das Grundeigentum sowie die Grundstücksnutzungen, die rechtmäßig verwirklicht wurden und werden.334 Die Gewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG erfasst nach überzeugender Auffassung der Rechtsprechung335 und des überwiegenden Teils der Literatur336 auch die Baufreiheit, denn die bauliche Nutzbarkeit eines Grundstücks ist essentieller Bestandteil des Eigentums. Sämtliche einschlägigen Normen des Bauplanungs- und ordnungsrechts stellen Ausgestaltungen bzw. Einschränkungen der im Eigentum wurzelnden Nutzbarkeit dar.337 Nach der Gegenauffassung338 fällt die Bau­ freiheit nicht unter den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff, da die bauliche Nutzbarkeit von Grundstücken erst durch öffentlich-rechtliche Gewährung entsprechender Nutzungsrechte begründet werde. Dies überzeugt jedoch nicht, zumal aus historischer Perspektive das Grundeigentum immer mit einer umfassenden Baufreiheit verbunden war.339 Umstritten ist ferner, ob Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG bauliche Anlagen schützt, die sich als sozialwidrig erweisen. Auf einfach-gesetzlicher Ebene sind sozialwidrige Nutzungen, die zu einem städtebaulichen Missstand im sanierungsrechtlichen Sinn wesentlich beitragen, nach § 43 Abs. 4 BauGB dem Schutzbereich des Grundrechts entzogen.340 Eine generelle Herausnahme sozialwidriger Nutzungen aus dem Schutzbereich von Art. 14 GG ist jedoch abzulehnen, da die Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 333  BVerfGE

24, 367, 389; 26, 215, 222; 50, 290, 339 f.; 58, 300, 339. 50, 49, 55 ff.; 84, 322, 334; Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211, 229 ff.; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 45. 335  BVerfGE 35, 263, 276; 104, 1, 11; BVerwGE 42, 115, 116; 48, 271, 273; 50, 282, 285 f.; 106, 228, 234; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 24. 336  Papier, in: MD, GG, Art. 14 Rn. 57; Leisner, HdStR VIII, § 173 Rn. 194; Oldiges, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Teil III Rn. 166 ff.; Battis, Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, S. 62 f. 337  Papier, in: MD, GG, Art. 14 Rn. 58. 338  Breuer, in: Schrödter, BauGB, § 42 Rn. 8–10; Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 89 ff.; Eschenbach, Der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums, S.  565 ff.; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 50. 339  Näher dazu Papier, in: MD, GG, Art. 14 Rn. 57. 340  Näher dazu, vgl. Möller, Siedlungsrückbau, S. 62 f. 334  BVerwGE

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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

GG an das Vorhandensein von Eigentum anknüpft und eine sozialbezogene Differenzierung daher zu einer verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Relativierung des Grundrechts führen würde.341 b) Sozialbindung des Eigentums Der Regelungsvorbehalt des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG ermöglicht es dem Gesetzgeber, den Inhalt des Eigentums für die Zukunft generell und abstrakt festzulegen.342 Dadurch kann er die in Art. 14 Abs. 2 GG verankerte Sozial­ bindung des Eigentums zum Wohl der Allgemeinheit konkretisieren.343 Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die Privatnützigkeit des Eigentums und die Belange des Allgemeinwohls in einen gerechten Ausgleich zu bringen344 sowie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz345 zu wahren. Ein besonderer sozialer Bezug des Eigentums besteht beispielsweise dann, wenn ein Dritter der Nutzung des Eigentumsobjekts zu seiner Freiheitssicherung bedarf.346 Im Baurecht erlaubt die Sozialbindung des Eigentums dem Gesetzgeber, dem Eigentümer nicht nur Unterlassungs- sondern auch Handlungspflichten aufzuerlegen.347 c) Eingriffe aa) Inhalts- und Schrankenbestimmungen Eingriffe in das Eigentumsgrundrecht kommen im Zusammenhang mit dem Rückbau einzelner baulicher Anlagen oder ganzer Stadtbezirke primär als Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG in Betracht. Inhalts- und Schrankenbestimmungen sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts generell-abstrakte Festlegungen von Rechten und Pflichten hinsichtlich solcher Rechtsgüter, die als Eigentum im Sinne der Verfassung zu verstehen sind.348 Sie sind auf die Normierung objektivrechtlicher Vorschriften gerichtet, die den Inhalt des Eigentumsrechts vom Inkrafttreten des Gesetzes an für die Zukunft in allgemeiner Form bestim341  Leisner,

Sozialbindung des Eigentums, S. 47; Möller, Siedlungsrückbau, S. 63. 56, 249, 260; 58, 300, 330. 343  BVerfGE 56, 249, 260. 344  BVerfGE 102, 1, 18. 345  BVerfGE 74, 203, 214 f.; 75, 78, 97 f.; 76, 220, 239. 346  BVerfGE 68, 361, 368; 71, 230, 247; 84, 382, 385. 347  BVerwGE 7, 297, 299 f.; Papier, in: MD, Art. 14 Rn. 477; Bryde, in: v. Münch /  Kunig, GGK, Art. 14 Rn. 65. 348  BVerfGE 52, 1, 27; 58, 137, 144 f.; 58, 300, 330; 72, 66, 76. 342  BVerfGE



III. Schutz gegen Rückbaumaßnahmen127

men.349 Der Gesetzgeber bestimmt mit Hilfe der Inhalts- und Schrankenbestimmungen gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG abschließend, welche Rechte von der Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG erfasst sein sollen.350 Für den baurechtlichen Bestandsschutz, welcher einem rechtmäßig begründeten Bestand und seiner Nutzung, innerhalb gewisser Grenzen, Durchsetzungskraft auch gegenüber neuen entgegen stehenden gesetzlichen Anforderungen verleiht,351 bedeutet dies, dass sich der Berechtigte insoweit einzig and allein auf das einfache Recht berufen kann und ein Rückgriff auf die verfassungsunmittelbare Eigentumsgarantie nicht mehr in Betracht kommt.352 Das einfache Recht bleibt jedoch weiterhin am verfassungsrechtlichen Maßstab des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zu messen.353 Zum Zwecke des Stadtumbaus können Baugebote erlassen werden, welche Inhalt und Schranken des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG bestimmen.354 Ebenso konkretisieren die in einfachen und qualifizierten Bebauungsplänen enthaltenen Festsetzungen das Grundeigentum des Einzelnen nach Art, Maß und Umfang der Grundstücksnutzung.355 Daneben stellen Vorschriften zur Baugestaltung, die etwa eine seniorengerechte Bauweise verlangen, Inhalts- und Schrankenbestimmungen dar.356 Derartige Inhaltsund Schrankenbestimmungen müssen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.357 Die Intensität der Beeinträchtigung von Grundstücken wird durch deren Situationsgebundenheit mitbestimmt,358 so dass ein und dieselbe Maßnahme bei verschiedenen Grundstückseigentümern eine unterschied349  BVerfGE

52, 1, 27; 58, 300, 330. 58, 300, 336; 81, 29, 32 f.; 83, 182, 195; 95, 143, 161. 351  BVerwGE 42, 8, 13; 72, 362, 363 f.; näher dazu auch Decker, BayVBl. 2011, 517, 518. 352  BVerwGE 106, 228, 235 f.; Urt. v. 27.08.1998 – 4 C 5  / 98 –, NVwZ 1999, 523, 525; Beschl. v. 22.05.2007 – 4 B 14 / 07 –, ZfBR 2007, 582, 583; vgl. dazu auch Decker, BayVBl. 2011, 517, 518 ff.; Dreier, Die Verwaltung 36 (2003), 105, 126; Brenner, Verfassungsrechtliche Vorgaben zum Bestandsschutz, in: Jarass, Bestandsschutz bei Gewerbebetrieben, S. 11, 22 f.; Brenndörfer, Reichweite und Grenzen des baurechtlichen Bestandsschutzes, S. 87 ff.  353  BVerwGE 106, 228, 236. 354  Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, Vorb. §§ 175–179 Rn. 4 mit Verweis auf BVerwGE 7, 297, 299. 355  BVerfGE 79, 174, 191 f.; BVerfG, Beschl. v. 22.02.1999 – 1 BvR 565 / 91 –, NVwZ 1999, 979, 980; BVerfG, Beschl. v. 08.12.2004 – 1 BvR 1238 / 04 –, NVwZRR 2005, 228, 228; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 37. 356  Papier, in: MD, GG, Art. 14 Rn. 428. 357  BVerfGE 75, 78, 97 f.; 76, 220, 238; 92, 262, 273; 110, 1, 28; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art.  14 Rn.  38. 358  BVerwGE 94, 1, 4; BVerfGE 100, 226, 242; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 41. 350  BVerfGE

128

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

liche Belastung begründen kann. Eine unverhältnismäßige Belastung kann gegebenenfalls durch Ausgleichsregelungen sachlicher oder finanzieller Art vermieden werden.359 bb) Enteignungen Unter Enteignung i. S. d. Art. 14 Abs. 3 GG versteht das Bundesverfassungsgericht die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver Eigentumspositionen i. S. d. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben.360 Dabei muss die Entziehung des Eigentums richtigerweise der hoheitlichen Güterbeschaffung dienen.361 Daran fehlt es beim bloßen Abbruch baulicher Anlagen, da der Staat durch eine Abbruchsanordnung weder Eigentum an den Resten des Gebäudes erlangt, noch die Nutzungsrechte an dem Grundstück auf ihn übertragen werden.362 Die Gegenauffassung, die auf das Erfordernis eines Güterbeschaffungsvorgangs verzichtet, nimmt in solchen Fällen eine Enteignung an.363 Dies ist jedoch abzulehnen, da beim Verzicht auf das Erfordernis eines Güterbeschaffungsvorgangs erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten drohen.364 Es wäre zudem verfehlt, allein auf die Perspektive des Eigentümers abzustellen,365 denn ansonsten müsste konsequenterweise auch bei der Zwangsversteigerung eines Grundstücks oder der Tötung eines seuchenkranken Tieres eine entschädigungspflichtige Enteignung angenommen werden.366 Deshalb stellen Abbruchs- und Beseitigungs­ anordnungen keine Enteignung i. S. v. Art. 14 Abs. 3 GG dar. Dies schließt es jedoch nicht aus, dass der Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem Stadtumbau- und -rückbau Enteignungen i. S. v. Art. 14 Abs. 3 GG ermöglichen möchte, um die Durchführung zu erleichtern. In solchen Fällen ist nach Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG das Erfordernis des Wohls der Allgemeinheit zu beachten. Dies verlangt ein qualifiziertes öffentliches Interesse, wobei das Interesse des Eigentümers im Rahmen einer Abwägung berücksichtigt werden muss.367 Beim Abbruch einzelner Gebäude kann sich 359  BVerfGE

58, 137, 149 ff.; 79, 174, 192. 70, 191, 199 f.; 72, 66, 76; 102, 1, 15. 361  BVerfGE 38, 175, 179 f.; 104, 1, 10; Depenheuer, in v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 14 Rn. 414; Papier, in: MD, GG, Art. 14 Rn. 361 u. 481; Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S. 272 f. 362  Vgl. Möller, Siedlungsrückbau, S. 66 f. 363  So Möller, Siedlungsrückbau, S. 66 f. 364  Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S. 273. 365  So aber Möller, Siedlungsrückbau, S. 66 f. 366  BVerfGE 20, 351, 359 f.; Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211, 239. 367  BVerfGE 74, 264, 289; BVerwGE 125, 116, 298 f. Rn. 510; Bryde, in: v. Münch /  Kunig, GGK, Art. 14 Rn. 79 ff.; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 82a. 360  BVerfGE



IV. Zwischenergebnis129

das besondere öffentliche Gemeinwohlinteresse an der Aufhebung des Bestandsschutzes für bestimmte bauliche Anlagen nur dann ergeben, wenn sich über das allgemeine Bedürfnis, Gebäude zur Behebung von Leerständen abzureißen, gerade für ein bestimmtes Gebäude eine Notwendigkeit zum Abbruch ergibt.368 In jedem Fall muss aber nach Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG die Frage der Entschädigung einer hinreichend klaren Regelung zugeführt werden. Des Weiteren ist nach Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG die Gewährung einer angemessenen Entschädigung erforderlich. Kein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG in Form einer Enteignung liegt vor, wenn sich lediglich die planungsrechtlich relevanten Tatsachen ändern, nicht aber der Bebauungsplan oder das Gesetz als solches.369 Diese Konstellation ist gegeben, wenn sich auf Grund von Leerständen und des Verfalls von Bauwerken in einem bestimmten Gebiet dessen planungsrechtliche Einordnung ändert, etwa wenn die Eigenschaft eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils i. S. d. § 34 BauGB verloren zu gehen droht370 und verbliebene Grundstückseigentümer bauliche Anlagen errichten wollen. Eine Enteignung ist in erster Linie deshalb zu verneinen, weil keine konstitutive positive Handlung des Staates gegeben ist.371 Ferner würde es am erforderlichen Güterbeschaffungsvorgang durch den Staat fehlen. Der Eingriff in den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit besteht in solchen Fällen in den gesetzlichen Vorgaben des Bauplanungsrechts zur Abgrenzung der einzelnen Gebietskategorien, bei denen es sich um Inhalts- und Schrankenbestimmungen handelt und die ihrerseits dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen müssen.

IV. Zwischenergebnis Aus dem Verfassungsrecht ergeben sich vergleichsweise wenige Vorgaben, die der Gesetzgeber vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der damit einhergehenden Alterung der Gesellschaft sowie dem zu erwartenden Bevölkerungsrückgang zu beachten hat. Am stärksten ausgeprägt ist der verfassungsrechtliche Schutz behinderter Personen, der sich auf ältere Menschen dann erstreckt, wenn sie die Voraussetzungen des Behindertenbegriffs erfüllen. Ältere Menschen, die nicht zugleich Behinderte i. S. v. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG sind, werden nur über den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG geschützt und können insbesondere auf Grund 368  Möller,

Siedlungsrückbau, S. 67. in: MD, GG, Art. 14 Rn. 421; Papier, BauR 1976, 295, 304 f. 370  Zu den Voraussetzungen, unter denen dies der Fall ist, vgl. unten, 4. Kapitel, IV. 1. a) sowie Graupeter, ZfBR 2010, 742, 749. 371  Papier, in: MD, GG, Art. 14 Rn. 421. 369  Papier,

130

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlagen

ihres Alters keine Leistungsansprüche gegenüber dem Staat geltend machen. Insoweit unterscheidet sich das deutsche Verfassungsrecht von der europäischen Grundrechte-Charta, die lt. Art. 21 Abs. 1 GRC ein ausdrückliches Verbot der Altersdiskriminierung kennt und darüber hinaus die Rechte älterer Menschen in Art. 25 eigens betont. Praktische Konsequenzen für den Grundrechtsschutz in Deutschland hat dies freilich kaum, da die Union auf dem Gebiet des Raumordnungsrechts und des Baurechts nur punktuelle Rechtssetzungskompetenzen besitzt und europäische Grundrechte deswegen weitestgehend unanwendbar bleiben. Auch in Bezug auf die Aufrechterhaltung von Infrastruktur, Daseins- und Nahversorgung ergeben sich nur wenige Vorgaben für Gesetzgeber und Verwaltung. So muss lediglich gewährleistet sein, dass ein Grundstück durch eine nutzbare öffentliche Straße erreichbar ist, wobei die Ausgestaltung dieser Straße im Ermessen des Straßenbaulastträgers liegt. In Bezug auf die übrige Infrastruktur und Daseinsvorsorge ist zu bedenken, dass der Staat lediglich einen Mindeststandard gewährleisten muss, was Raum lässt für Kürzungen, insbesondere in dünner besiedelten Gegenden. Auch bei der Nahversorgung mit Einzelhandelsprodukten verlangt das Verfassungsrecht nur einen absoluten Mindeststandard, der durch die private Wirtschaft gegenwärtig gewährleistet wird. Das Europarecht bietet keinen weiter gehenden Schutz vor Kürzungen auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge. Hinsichtlich des Schutzes gegen Rückbaumaßnahmen, die in Folge des demografischen Wandels von staatlicher Seite möglicherweise ergriffen werden, ergeben sich verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen für die Betroffenen vor allem aus dem Eigentumsgrundrecht. Rückbaumaßnahmen stellen Inhalts- und Schrankenbestimmungen dar, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen müssen. Ähnliches gilt für die gesetzliche Festlegung von Gebietskategorien und die Voraussetzungen, die diese für eine etwaige Bebauung aufstellen. Bauordnungsrechtliche Vorgaben, etwa in Bezug auf eine seniorengerechte Bauweise oder den Abriss von Gebäuden, sind ebenfalls an der Eigentumsfreiheit zu messen. Daran wird deutlich, dass der Einzelne durch das Verfassungsrecht vergleichsweise gut geschützt ist, wenn es um die Abwehr von Maßnahmen geht, die der Staat in einzelnen Bereichen als Antwort auf den demografischen Wandel ergreift, während andererseits kaum Rechte des Einzelnen bestehen, wenn der Staat trotz des demografischen Wandels untätig bleibt. Dieses Ergebnis entspricht der liberalen Tradition des Grundgesetzes, die eine allzu weitreichende staat­ liche Einmischung sowie soziale Grundrechte größtenteils ablehnt.

3. Kapitel

Berücksichtigung des demografischen Wandels im Raumordnungsrecht Das Raumordnungsrecht beschäftigt sich mit der zusammenfassenden, übergeordneten Planung des Raumes.1 Diese findet auf Bundes- oder Landesebene statt und ist grundsätzlich umfassend angelegt, wobei sämtliche Belange berücksichtigt und vielfältige Fachplanungen aufeinander abgestimmt werden sollen.2 Daher kommt ihr die Aufgabe zu, oftmals konkurrierende Raumnutzungsansprüche, etwa bei der Planung von Infrastrukturvorhaben, miteinander in Einklang zu bringen. Im folgenden Kapitel soll zunächst der Frage nachgegangen werden, ob das im Jahr 2008 überarbeitete und am 30.06.2009 in Kraft getretene Raumordnungsgesetz den künftigen Herausforderungen wie etwa einer alternden Bevölkerung und einem zunehmenden Bevölkerungsrückgang gerecht wird. Dies kann einerseits daran festgemacht werden, wie das Raumordnungsgesetz in seinem Gesamtkonzept den demografischen Wandel als Rechtsproblem einbezieht. Andererseits können exemplarische Anwendungsfelder wie die Planung großflächiger Einzelhandelsvorhaben sowie die Straßenplanung als wichtige Indikatoren für die Auswirkungen herangezogen werden, welche das überarbeitete Raumordnungsgesetz vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in der Praxis haben wird. Unterhalb der gesetzlichen Ebene existieren im Raumordnungsrecht in erster Linie Raumordnungspläne, bei denen es sich freilich häufig um politisch motivierte Kompromisslösungen handelt. Sie geben allenfalls einen allgemeinen Rahmen vor, verfügen jedoch nicht über die rechtliche Bindungswirkung und Durchsetzbarkeit eines Bebauungsplans.

1  BVerfGE 2  BVerfGE

3, 407, 425. 3, 407, 425; Jarass / Schnittker / Milstein, JuS 2011, 215, 216.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 1. Struktur und Aufbau a) Gesetzgebungskompetenzen und Rechtsquellen Seit der Föderalismusreform I aus dem Jahr 2006 besitzt der Bund nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Raumordnung. Zuvor war die Raumordnung Gegenstand der Rahmengesetzgebung nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 GG a. F. gewesen. Die Ausübung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz unterliegt nicht der Erforderlichkeitsprüfung nach Art. 72 Abs. 2 GG, da Art. 72 Abs. 2 GG die Vorschrift des Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG nicht nennt.3 Die Bundesländer verfügen nach dem Grundsatz des Art. 72 Abs. 1 GG dort über Gesetzgebungskompetenzen auf dem Gebiet des Raumordnungsrechts, wo der Bund keine abschließende Regelung getroffen hat. Darüber hinaus erlaubt Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GG den Ländern, durch Gesetz abweichende Regelungen zu erlassen, wenn der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat. Umstritten ist, ob ein so genannter abweichungsfester Kern besteht, der von Gesetzgebungsvorhaben der Länder nicht tangiert werden darf. Im Schrifttum wird teilweise unter Verweis auf den Wortlaut und einen Umkehrschluss zu Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 2 und 5 GG, die bestimmte Bereiche ausdrücklich von der Abweichungskompetenz der Länder ausnehmen, ein abweichungsfester Kern verneint.4 Die wohl überwiegende Auffassung in der Literatur5 hingegen befürwortet einen solchen abweichungsfesten Kern. Ritter, Kment, Meyer, Voigt und Spannowsky verweisen auf die Kompetenz des Bundes kraft Natur der Sache für die Raumplanung in ihren über die Länder hinaus gehenden Zusammenhängen, wo eine bundeseinheitliche Regelung zwingend erforderlich sei.6 Battis / Kersten lehnen den BT-Drs. 16 / 813, S. 11; siehe auch Battis / Kersten, DVBl. 2007, 152, 155. etwa Erbguth, NVwZ 2007, 985, 990 f.; Degenhart, NVwZ 2006, 1209, 1213; Schmitz / Müller, RuR 2007, 456, 461 ff.  5  So etwa Battis / Kersten, DVBl. 2007, 152, 158  f.; Kment, NuR 2006, 217, 217 ff.; Spannowsky, UPR 2007, 41, 42; Schreiber, BayVBl. 2012, 741, 741; Ritter, RuR 2006, 418, 419 f., der allerdings nicht überzeugend einen Zwischenbereich annimmt, in dem sich die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Gesamtstaat mit Abweichungsrechten der Länder mit einem abweichungsfesten Kern befinde. 6  Ritter, RuR 2006, 418, 419  f.; Kment, NuR 2006, 217, 220 f.; Spannowsky, UPR 2007, 41, 41 f.; Meyer, Die Föderalismusreform, S. 177; ähnlich auch Jarass / Schnittker / Milstein, JuS 2011, 215, 217; Voigt, Raumordnungsgesetz 2009, S. 62 ff., die jedoch darauf abstellt, dass die Bundesraumordnung kraft Natur der 3  Vgl. 4  So



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 133

Rückgriff auf eine Kompetenz kraft Natur der Sache ab und verfolgen stattdessen den Ansatz einer funktionalen Zuordnung der Aufgabenabgrenzung.7 Sie betonen, dass es sich bei der überörtlichen Planung um ein Mehrebenensystem handele und eine arbeitsteilige Raumverantwortung von Bund und Ländern bestehe, die den Ländern eine Abweichung dort verwehre, wo notwendigerweise eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich sei.8 Nicht ganz klar ist jedoch, was genau zu dem abweichungsfesten Kern gehören soll. Ritter geht davon aus, dass die Grundlagen der Raumordnung sowie die Grundzüge ihrer Instrumente und Verfahren im Bundesstaat abweichungsfest seien, so dass den Ländern nur ein relativ schmaler Raum für Abweichungen verbleibe.9 Kment dagegen meint, dass nur sehr wenige Bereiche der Raumordnung abweichungsfest seien. Selbst die zentralen Vorschriften der §§ 1 Abs. 2, 2, 3 (soweit auf die Landesplanung bezogen), 4 und 5 ROG sollen nicht dazu gehören, da eine bundeseinheitliche Regelung dieser Bereiche zwar zweckmäßig, jedoch keinesfalls zwingend sei.10 Lediglich die Raumordnung des Bundes sei daher Gegenstand des abweichungsfesten Kerns.11 Meyer geht davon aus, dass der abweichungsfeste Kern nicht weiter gehen dürfe als notwendig ist, um eine Bundesraumordnung, die ihren Namen verdient, zu realisieren.12 Spannowsky vertritt die Auffassung, dass zum abweichungsfesten Kern nicht nur die Regelungen gehören sollten, die Gegenstand der Raumordnungsplanung des Bundes sind, sondern auch diejenigen Normen, ohne die die Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Gesamtraums nicht sach- und funktionsgerecht gewährleistet werden könnte.13 Konkret bedeutet dies, dass jedenfalls die Regelungen der §§ 1 Abs. 1, 2, 3, 4, 5, 7 Abs. 1 und 2, 8, 14, und 15 ROG abweichungsfest sein sollen, während dies insbesondere für die allgemeine Leitvorstellung des § 1 Abs. 2 ROG und die Regelungen der Ausnahmen und der Zielabweichung nach § 6 ROG nicht gelten solle.14 Nach Battis / Kersten soll der abweichungsfeste Kern die Grundsätze der Raumordnung, die Abstimmung der über die einzelnen Länder hinausgehenden überörtlichen Planungen sowie die Koordination der europäischen Raumentwicklung beSache als ungeschriebene, ausschließliche Kompetenzmaterie außerhalb der Abweichungsbefugnis der Länder stehe und damit dem Zugriff der Länder von vornherein entzogen sei. 7  Battis / Kersten, DVBl. 2007, 152, 158. 8  Battis / Kersten, DVBl. 2007, 152, 159. 9  Ritter, RuR 2006, 418, 420. 10  Kment, NuR 2006, 217, 221. 11  Kment, NuR 2006, 217, 220. 12  Meyer, Die Föderalismusreform, S. 180. 13  Spannowsky, UPR 2007, 41, 45; ders., ZfBR 2007, 221, 223. 14  Spannowsky, UPR 2007, 41, 49 f.

134

3. Kap.: Raumordnungsrecht

treffen. Bei den übrigen Materien der Raumordnung dagegen, etwa die Instrumente und das Verfahren, könne der Bund zwar Musterregelungen erlassen, doch könnten die Länder von diesen abweichen, um ihren regionalen Besonderheiten Rechnung zu tragen.15 Am überzeugendsten ist der Ansatz von Spannowsky, da auf diese Weise sicher gestellt werden kann, dass die Raumordnung einerseits möglichst einheitlich geregelt wird, insbesondere was Grundsätze der Raumordnung und Bindungswirkungen raumordnerischer Festlegungen anbelangt, andererseits die Länder aber auch eigene Handlungsspielräume haben, etwa bei der Ausgestaltung der Ziele der Raumordnung oder des Zielabweichungsverfahrens. Problematisch ist lediglich, dass die Leitvorstellung des § 1 Abs. 2 ROG nach Spannowsky nicht zum abweichungsfesten Kern gehören soll,16 obwohl hierin die Grundidee des Bundesgesetzgebers hinsichtlich des Raumordnungsrechts zum Ausdruck kommt. Gegen die Annahme einer unbeschränkten Abweichungsbefugnis der Länder spricht entscheidend, dass der Wortlaut zwar Ausgangspunkt jeder Auslegung sein muss,17 jedoch auch zu fragen ist, ob der Verfassungsgeber eine derart weite Abweichungsmöglichkeit der Länder tatsächlich gewollt hat. Der Rechtsausschuss des Bundestages hatte im Gesetzgebungsprozess eine Formulierung vorgeschlagen,18 die den Bereich zulässiger Abweichungen ausdrücklich benannte und damit eingrenzte, jedoch ist dieser Vorschlag nicht Gesetz geworden.19 Trotzdem darf die Absicht des Gesetzgebers, den Ländern völlig freie Hand zu lassen, schon angesichts des „Kompetenz-Debakels“20, das in diesem Fall nicht auszuschließen wäre, stark bezweifelt werden.21 Aus diesem Grund ist von der Existenz eines abweichungsfesten Kerns auszugehen, der den Ländern freilich eigene Handlungsspielräume erlauben muss. Die Bundesländer selbst scheinen die Reichweite der Abweichungsbefugnis unterschiedlich einzuschätzen. So vertritt die bayerische Staatsregierung in ihrer Begründung zum neuen Landesplanungsgesetz die Auffassung, dass lediglich der Abschnitt über die Raumordnung im Bund (§§ 17–25 ROG) sowie § 5 ROG und § 4 Abs. 3 ROG abweichungsfest sei.22 Der nordrheinwestfälische Landesgesetzgeber geht zwar auch davon aus, dass § 1 ROG 15  Battis / Kersten,

DVBl. 2007, 152, 159. UPR 2007, 41, 49. 17  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 320. 18  BT-Drs. 16 / 2069, S.  18. 19  Vgl. auch Schmitz / Müller, RuR 2007, 456, 462. 20  So Hoppe, DVBl. 2007, 144, 144 ff.  21  Vgl. Knippenberg, Kompetenzgrundlagen, S. 65 ff.  22  Vgl. die Begründung zum Entwurf des neuen Bayerischen Landesplanungsgesetzes, LT-Drs. 16 / 10945, S. 16. 16  Spannowsky,



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 135

nicht abweichungsfest sei,23 doch hält er sich hinsichtlich anderer Normen des Raumordnungsgesetzes mit einer Beurteilung zurück und unternimmt etwa hinsichtlich § 15 ROG unter Verweis auf das unmittelbar geltende Bundesrecht nur Ergänzungen.24 Im Gegensatz dazu scheint der sächsische Landesgesetzgeber in § 1 Abs. 1 SächsLPlG davon auszugehen, dass nur Ergänzungen zum Raumordnungsgesetz des Bundes möglich seien. In Bezug auf die Rechtsquellen ist auf Bundesebene das Raumordnungsgesetz die wesentliche Rechtsquelle des Raumordnungsrechts. Die Bundesländer haben mit Ausnahme der Stadtstaaten Landesplanungsgesetze erlassen, die im Zuge der Änderung des Raumordnungsgesetzes nunmehr ebenfalls überarbeitet werden mussten. Auf untergesetzlicher Ebene existieren mit den Raumordnungsplänen auf Landes- bzw. Regionalebene weitere Rechtsquellen. b) Instrumente der Raumordnung aa) Raumordnungspläne Das wichtigste Instrument im Rahmen des Raumordnungsrechts ist der Erlass von Raumordnungsplänen, welche sowohl auf Bundes- als auch auf Landes- und Regionalebene aufgestellt werden können. § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ROG verpflichtet die Länder dazu, für das jeweilige Landesgebiet einen landesweiten Raumordnungsplan aufzustellen.25 Nach § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ROG erstreckt sich diese Pflicht der Länder auch auf die Aufstellung von Raumordnungsplänen für die Teilräume der Länder, den so genannten Regionalplänen.26 Regionalpläne müssen nach § 8 Abs. 2 S. 1 ROG aus den Landesplänen entwickelt werden und sind an die Ziele des Landesplanes gebunden. Sie stellen das Verbindungsglied zwischen Landesplanung und kommunaler Bauleitplanung dar. Bei der Aufstellung von Raumordnungsplänen sind nach § 7 Abs. 2 S. 1 ROG die öffentlichen und privaten Belange, soweit sie auf der jeweiligen Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind, gegeneinander und untereinander abzuwägen, wobei bei der Festlegung von Zielen der Raumordnung eine abschließende Abwägung stattzufinden hat. Eine Abwägungsentscheidung im Raumordnungsrecht unterteilt sich, ebenso wie eine Abwä23  LT-Drs.

Nordrhein-Westfalen, 14 / 10088, S. 80. Nordrhein-Westfalen, 14 / 10088, S. 93. 25  Nach § 8 Abs. 1 S. 2 ROG kann in den Stadtstaaten ein Flächennutzungsplan die Funktion des landesweiten Raumordnungsplans übernehmen. 26  Die Vorschrift gilt nach § 8 Abs. 1 S. 3 ROG nicht in den Ländern Berlin, Bremen, Hamburg und Saarland. 24  LT-Drs.

136

3. Kap.: Raumordnungsrecht

gungsentscheidung nach § 1 Abs. 7 BauGB in vier verschiedene Phasen: die Ermittlung, die Einstellung, die Gewichtung der abwägungsrelevanten Belange sowie der Ausgleich der gegenläufigen Belange bei der eigentlichen planerischen Entschließung.27 Die Vorschrift des § 7 ROG wurde durch das ROG 2008 neu gefasst. Nach § 8 Abs. 2 S. 2 ROG sind bei der Aufstellung von Raumordnungsplänen darüber hinaus die Flächennutzungspläne sowie die die gemeindliche Bauleitplanung zu beachten. Nach § 8 Abs. 5 ROG sollen Raumordnungspläne Festlegungen zur Raumstruktur, u. a. zur Siedlungsstruktur enthalten, wozu etwa Raumkategorien oder Zentrale Orte gehören. Nach § 8 Abs. 6 ROG sollen planerische Vorgaben des Fachplanungsrechts übernommen werden, etwa solche des Verkehrsrechts. Nach § 8 Abs. 7 S. 1 ROG können in Raumordnungsplänen außerdem Vorranggebiete (Nr. 1), Vorbehaltsgebiete (Nr. 2) sowie Eignungsgebiete (Nr. 3) festgesetzt werden. In Vorranggebieten, wobei es sich um Ziele der Raumordnung handelt,28 sind andere Nutzungen, die der Vorrangnutzung zuwider laufen, ausgeschlossen. Anders verhält es sich mit den Vorbehaltsgebieten, welche lediglich als Grundsätze der Raumordnung zu werten sind.29 In ihnen kommt der Vorrangnutzung bei der Abwägung zwar besonderes Gewicht zu, doch sind konkurrierende Nutzungen nicht völlig ausgeschlossen. Mit Hilfe von Eignungsgebieten werden Flächen im Außenbereich i. S. d. § 35 BauGB ausgewiesen, die sich für eine bestimmte Nutzung besonders eignen. Diese Nutzung ist infolgedessen in anderen Bereichen des Plangebietes ausgeschlossen. In der Praxis erweist sich der Inhalt von Landesentwicklungs- und Regio­ nalplänen häufig als Kompromissergebnis politischer Auseinandersetzungen der an der Planung beteiligten Städte, Gemeinden und Landkreise. bb) Raumordnungsverfahren Das Raumordnungsverfahren nach § 15 ROG ist ein besonderes Verfahren zur Prüfung der Raumverträglichkeit von raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 6 ROG. Es soll klären, ob raumbe27  Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 – IV C 105 / 66 –, BeckRS 1969, 30426362; BVerwG, Urt. v. 05.07.1974 – IV C 50 / 72 –, NJW 1975, 70, 72 f. = BVerwGE 34, 301, 308 ff.; BVerwGE 45, 309, 317 ff.; Hoppe, DVBl. 2003, 697, 701 f. 28  Vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.08.1992 – 4 NB 20  / 91 –, DVBl. 1992, 1438, 1439 f.; Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn. 47; Lehners, Raumordnungsgebiete, S. 26 ff.; Erbguth, DVBl. 1998, 209, 212–214; näher dazu unten, 3. Kapitel, I. 1. c) aa). 29  Hoppe, in: Hoppe  /  Bönker  /  Grotefels, Öffentliches Baurecht, §  4 Rn.  50; Schink, Raumordnungsgebiete und kommunale Planungshoheit, in: Jarass, Raumordnungsgebiete, S. 46, 58.



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 137

deutsame Planungen und Maßnahmen mit den Erfordernissen der Raumordnung30 übereinstimmen und wie sie unter den Gesichtspunkten der Raumordnung aufeinander abgestimmt oder durchgeführt werden können.31 Raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen sind nach § 3 Abs. 1 Nr. 6 ROG Planungen einschließlich der Raumordnungspläne, Vorhaben und sonstige Maßnahmen, durch die Raum in Anspruch genommen oder die räumliche Entwicklung oder Funktion eines Gebiets beeinflusst wird, einschließlich des Einsatzes der hierfür vorgesehenen öffentlichen Finanzmittel. Insbesondere für große und raumbedeutsame Einzelprojekte sichert das Raumordnungsverfahren daher die Berücksichtigung der Vorgaben des Raumordnungsrechts, da die Raumordnungspläne hierfür in der Praxis oft unklare Vorgaben und wenig greifbare Formulierungen enthalten.32 § 15 ROG enthält zwar einige Vorgaben zur Ausgestaltung eines Raumordnungsverfahrens, doch bedarf es der konkreten Umsetzung durch die Landesgesetzgebung.33 Die Bundesregierung hat durch Verordnung festgelegt, in welchen Fällen einem Vorhaben ein Raumordnungsverfahren voraus gehen muss.34 Das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens ist ein Gutachten35 über die Raumverträglichkeit des Vorhabens, welches jedoch keine unmittelbare Rechtswirkung gegenüber dem Träger des Vorhabens oder Dritten herbeiführt. Es ist vielmehr gemäß § 4 ROG als sonstiges Erfordernis der Raumordnung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ROG bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen in der Abwägung sowie bei Ermessensentscheidungen zu berücksichtigen. Von Relevanz ist das Ergebnis eines Raumordnungsverfahrens insoweit, als viele der nach fachgesetzlichen Regelungen erforderlichen Genehmigungen, Erlaubnisse und Bewilligungen mittlerweile die Vereinbarkeit mit den Erfordernissen der Raumordnung voraussetzen.36 Auch im 30  Näher

dazu unten, 3. Kapitel, I. 1. c). in: Hoppe  /  Bönker  /  Grotefels, Öffentliches Baurecht, §  4 Rn.  68; Bäumler in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 15 Rn. 35. 32  Jarass, BayVBl. 1979, 65, 65. 33  Steiner, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Teil V Rn. 78. 34  Raumordnungsverordnung – RoV v. 13.12.1990, BGBl. I, S. 2766; zu den entsprechenden Vorhaben gehören nunmehr auch Einkaufszentren, großflächige Einzelhandelsbetriebe sowie sonstige großflächige Handelsbetriebe, § 1 Nr. 19 RoV; ggf. kann durch Landesrecht bestimmt werden, dass weitere Vorhaben eines solchen Verfahrens bedürfen, vgl. Jarass / Schnittker / Milstein, JuS 2011, 215, 218. 35  Vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 30.08.1995 – 4 B 86  / 95 –, NVwZ-RR 1996, 67 f.; Bäumler, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, §  15 Rn.  25; a. A. Lautner, Funktionen raumordnerischer Verfahren, S. 290, der die Vereinbarkeitsbeurteilung als Verwaltungsakt ansieht. 36  Bäumler, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, §  15 Rn. 24. Nach § 16 Abs. 2 FStrG ist das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens beispielsweise im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. 31  Hoppe,

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Bauplanungsrecht kann das Ergebnis eines Raumordnungsverfahrens bei der Aufstellung eines Bebauungsplanes im Rahmen der Abwägung als Belang nach § 1 Abs. 6 BauGB i. V. m. § 3 Nr. 4 ROG i. V. m. § 4 Abs. 2 ROG berücksichtigt werden.37 Wenngleich es an der unmittelbaren Bindungswirkung fehlt, hat ein ordnungsgemäß durchgeführtes Raumordnungsverfahren in der Praxis entscheidenden Einfluss auf das weitere Verfahren.38 Nach § 15 Abs. 1 S. 4 ROG können die Länder festlegen, dass in bestimmten Fällen von der Durchführung eines Raumordnungsverfahrens abgesehen wird, wenn die Prüfung der Raumverträglichkeit einer Planung oder Maßnahme in einem anderen Verfahren gewährleistet ist. cc) Raumordnerische Zusammenarbeit Nach § 13 Abs. 1 ROG sollen zur Vorbereitung oder Verwirklichung von Raumordnungsplänen oder sonstigen raumbedeutsamen Planungen die Träger der Landes- und Regionalplanung mit den hierfür maßgeblichen öffentlichen Stellen und Personen des Privatrechts einschließlich Nichtregierungsorganisationen und der Wirtschaft zusammenarbeiten. Die Zusammenarbeit kann sowohl zur Entwicklung einer Region als auch im Hinblick auf grenzüberschreitende Belange erfolgen. § 13 Abs. 2 S. 1 ROG nennt mögliche Formen der Zusammenarbeit, zu denen etwa vertragliche Vereinbarungen (Nr. 1 ROG) sowie regionale Entwicklungskonzepte, Foren und Aktionsprogramme (Nr. 2 ROG) zählen. Maßnahmen im Bereich des Monitoring und der Beratung können auf § 13 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ROG basieren.39 Ziel der Vorschrift ist es, der Raumordnung gegenüber den Fachplanungen stärkeres Gewicht zu verschaffen40 sowie die informelle und verbindliche Kooperation zu stärken.41

37  Vgl. Moench, FS Hoppe, S. 459, 465 Fn. 31; Runkel, UPR 1998, 241, 244; Kopf, Einzelhandelsgroßprojekte, S. 195. 38  Vgl. dazu Steiner, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Teil V Rn. 81; Bäumler, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 15 Rn. 24. 39  Vgl. Wilke, NordÖR 2009, 236, 237. 40  BT-Drs. 16 / 10292, S.  26; Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn. 65. 41  Spannowsky, in: Bielenberg  /  Runkel  /  Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, K § 13 Rn. 2 f.



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 139

c) Kategorien der Raumordnung und ihre Bindungswirkung aa) Ziele der Raumordnung Die so genannten Ziele der Raumordnung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG gehören neben den Grundsätzen der Raumordnung und den sonstigen Erfordernissen der Raumordnung zu den Erfordernissen der Raumordnung i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ROG. Bei den Zielen der Raumordnung handelt es sich nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG um verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums. Die Ziele können Aussagen zur angestrebten Bevölkerungsentwicklung machen, zentrale Orte ausweisen oder Entwicklungsschwerpunkte von regionaler Bedeutung benennen.42 Formell muss ein Ziel der Raumordnung demnach sachlich und räumlich hinreichend konkretisiert sein.43 Materiell muss dem Gebot der planungsrechtlichen Erforderlichkeit sowie dem Abwägungsgebot Genüge getan werden.44 Charakteristisches Merkmal eines Ziels der Raumordnung ist daher seine abschließende Abwägung durch den Träger Raumordnungs­ planung,45 so dass man insoweit von einer „landesplanerischen Letztentscheidung“ sprechen kann.46 Problematisch im Hinblick auf eine hinreichende Bestimmtheit sind so genannte Soll-Ziele, denen Teile der Rechtsprechung und Literatur die Qualität einer planerischen Letztentscheidung absprechen.47 Die Gegenauffassung betont, dass die Verbindlichkeitanspruch einer Zielaussage durch die Formulierung als Soll-Ziel nicht in Frage gestellt werde.48 Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass eine Soll-Vorschrift dann die Merk­ 42  Battis, Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, S. 41; Koch / Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, § 3 Rn. 21. 43  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 3 Rn. 28 ff.  44  Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn. 21. 45  Koch / Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, § 3 Rn. 14; Jarass / Schnittker / Milstein, JuS 2011, 215, 219. 46  Goppel, BayVBl. 1998, 289, 289; Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn. 12. 47  So etwa Hoppe, DVBl. 2004, 478, 478; Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 3 Rn. 26. 48  VGH München, Urt. v. 25.11.1991 – 14 B 89.3207 –, BayVBl. 1992, 529, 529; Urt. v. 22.05.2002 – 26 B 01.2234 –, BayVBl. 2002, 600, 600; VGH München,

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

male eines Ziels der Raumordnung erfüllt, wenn die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Soll-Vorschrift auch ohne förmliches Zielabweichungsverfahren eine Ausnahme von der Zielbindung zulässt, im Wege der Auslegung auf der Grundlage des Plans hinreichend bestimmt oder doch wenigstens bestimmbar sind.49 Es müsse durch den Plangeber selbst festgelegt werden, unter welchen Voraussetzungen ein atypischer Fall vorliegt, welcher eine Zielabweichung zulässt.50 Ziele der Raumordnung verfügen als verbindliche Festlegungen in der Form abstrakt-genereller Rechtsnormen über Außenwirkung.51 Nach § 4 Abs. 1 S. 1 ROG sind Ziele der Raumordnung bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen öffentlicher Stellen (Nr. 1), Entscheidungen öffentlicher Stellen über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen anderer öffentlicher Stellen (Nr. 2) sowie bei Entscheidungen öffentlicher Stellen über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen von Personen des Privatrechts, die der Planfeststellung oder der Genehmigung mit Rechtswirkung der Planfeststellung bedürfen (Nr. 3), zu beachten. Im letztgenannten Fall gilt die Beachtenspflicht deshalb, weil im Rahmen von Planfeststellungsverfahren und Plangenehmigungen grundsätzlich auch Belange der öffentlichen Hand betroffen werden.52 Ziele der Raumordnung können dabei sowohl Unterlassungs- als auch Handlungspflichten begründen. Eine Unterlassungspflicht äußert sich darin, dass die für die Planfeststellung zuständige Stelle zu prüfen hat, ob die beabsichtigte Planung im Widerspruch zu Zielen der Raumordnung steht und im Falle eines Widerspruchs von dem entsprechenden Vorhaben Abstand genommen werden muss.53 Eine Handlungspflicht führt dazu, dass das Ziel der Raumordnung mit den Instrumenten der Bauleitplanung oder der Fachplanung positiv umgesetzt werden muss.54 Privatpersonen sind bei ihren Vorhaben nach einem Umkehrschluss aus § 4 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 ROG grundsätzlich nicht unmittelbar an die Urt. v. 26.06.2008 – 1 B 05.1104 –, UPR 2009, 110, 111; Hendler, DVBl. 2001, 1233, 1239 Fn. 46; Goppel, BayVBl. 1998, 289, 292. 49  BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8  / 10 –, ZfBR 2011, 255, 256; BVerwG, Urt. v. 22.06.2011 – 4 CN 4 / 10 –, ZfBR 2011, 674, 675. 50  BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255, 256; näher dazu Uechtritz, ZfBR 2011, 648, 649 ff.  51  Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn. 11. 52  Dyong, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 4 Rn. 8. 53  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 4 Rn. 158. 54  BVerwG, Urt. v. 12.07.1985 – 4 C 40 / 83 –, NVwZ 1985, 736, 737; Runkel, in: Bielenberg  /  Runkel  /  Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 4 Rn. 164.



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 141

Ziele der Raumordnung gebunden.55 Nach § 4 Abs. 1 S. 2 ROG sind Personen des Privatrechts an Ziele der Raumordnung nur gebunden, wenn sie in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben handeln, wenn öffentliche Stellen an den Personen mehrheitlich beteiligt sind oder die Planungen und Maßnahmen überwiegend mit öffentlichen Mitteln finanziert werden. Gemäß § 4 Abs. 2 ROG schließlich sind bei sonstigen Entscheidungen bei Privatpersonen die Erfordernisse der Raumordnung nach den für diese Entscheidungen geltenden Erfordernisse zwar zu berücksichtigen, nicht aber strikt zu beachten. Dieser Befund wird dadurch bekräftigt, dass es der Raumordnung an der bodenrechtlichen Durchgriffskompetenz fehlt, welche dem Bodenrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG vorbehalten bleibt.56 Aus diesem Grund dürfen Ziele der Raumordnung keine Aussagen enthalten, die sich unmittelbar auf raumbedeutsame Vorhaben Privater, etwa Einzelhandelsgroßprojekte, beziehen.57 Die Pflicht zur Berücksichtigung von Zielen der Raumordnung bei der Entscheidung über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen von Personen des Privatrechts gilt nur, soweit das jeweilige Fachrecht Raum dafür lässt. Voraussetzung ist eine Abwägungs- oder Ermessensentscheidung oder eine besondere Raumordnungsklausel,58 so dass bei gebundenen Entscheidungen keine Berücksichtigung in Betracht kommt.59 § 4 Abs. 2 ROG findet nur dann Anwendung, wenn nicht bereits § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 oder § 4 Abs. 1 S. 2 ROG erfüllt ist.60 Während die Beachtenspflicht des § 4 Abs. 1 S. 1 ROG zur Folge hat, dass das fragliche Ziel nicht durch Abwägung oder Ermessenausübung in einer späteren Entscheidung überwunden werden kann,61 bleiben Ziele der Raumordnung bei der 55  BVerwG, Urt. v. 20.01.1984 – 4 C 43 / 81 –, NVwZ 1984, 367, 367; BVerwG, Urt. v. 11.02.1993, – 4 C 15 / 92 –, NVwZ 1994, 285, 287; Jarass / Schnittker / Milstein, JuS 2011, 215, 219 weisen darauf hin, dass noch nicht geklärt sei, ob nach dem ROG 2008 die Bindungswirkung der Ziele nicht auch Private treffen könne. 56  BVerfGE 3, 407, 424 f.; VGH München, Urt. v. 26.04.1990 – 22 B 88.3351 –, NVwZ 1990, 983, 984; Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsund Landesplanungsrecht, L § 4 Rn. 30; Ernst, Standortsteuerung, S. 73; Christ, Raumordnungsziele und Zulässigkeit privater Vorhaben, S. 82 f. 57  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 4 Rn. 264; Schulte, NVwZ 1999, 942, 942 f.; Ernst, Standortsteuerung, S. 73. 58  Dyong, in: Cholewa  / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 4 Rn. 3; Spiecker, Raumordnung und Private, S. 41 f.; Runkel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 4 Rn. 167. 59  Goppel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 4 Rn. 71. 60  Koch / Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, § 3 Rn. 12. 61  Steiner, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Teil V Rn. 46; Spiecker, Raumordnung und Private, S. 117.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Berücksichtigungspflicht des § 4 Abs. 2 ROG einer Abwägung zugänglich und können durch hinreichende Gegengründe überwunden werden.62 Freilich bleibt es dem Fachrecht unbenommen, Zielen der Raumordnung im Vergleich zu Grundsätzen und sonstigen Erfordernissen eine stärkere Bindungswirkung einzuräumen.63 Bleiben die Bindungswirkungen einer Raumordnungsklausel hinter denen des § 4 Abs. 2 ROG zurück, verbleibt es bei der schwächeren Raumordnungsklausel, da der Wortlaut von § 4 Abs. 2 ROG die „für diese Entscheidung geltenden Vorschriften“ als maßgeblich erachtet.64 § 4 Abs. 1 S. 3 ROG eröffnet schließlich dem Fachrecht die Möglichkeit, die Bindungwirkung der Erfordernisse der Raumordnung und damit auch der Ziele der Raumordnung bei raumbedeutsamen Planungen und Maß­ nahmen öffentlicher Stellen zu erweitern. Dies geschieht im Wege mate­ rieller Raumordnungs- und Gemeinwohlklauseln in den jeweiligen Fach­gesetzen.65 Auf Grundlage solcher Raumordnungsklauseln kann sich die Beachtenspflicht eines Ziels der Raumordnung zu einer Handlungspflicht verdichten, wie dies etwa im Rahmen von § 1 Abs. 4 BauGB der Fall ist.66 bb) Grundsätze der Raumordnung Anders als die Ziele der Raumordnung stellen die Grundsätze der Raumordnung keine planerischen Letztentscheidungen dar, sondern enthalten gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 1. HS ROG allgemeine Aussagen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums als Vorgaben für nachfolgende Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen.67 Sie sind als Belange in die Abwägung des Planungsträgers einzustellen und dabei zu berücksichtigen, wobei sie durch Abwägung mit anderen Belangen überwunden werden können.68 Möglich ist jedoch, einen raumordnerischen Belang zusätzlich mit einer Gewichtungsvorgabe zu versehen, wonach bestimmten, raumbedeutsamen 62  Jarass / Schnittker / Milstein, JuS 2011, 215, 219; Goppel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 4 Rn. 73. 63  Dyong, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 4 Rn. 15. 64  Dyong, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 4 Rn. 24. 65  Goppel, in: Spannowsky  / Runkel / Goppel, ROG, § 4 Rn. 75; Dyong, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, §  4 Rn.  3. 66  Goppel, in: Spannowsky  /  Runkel  /  Goppel, ROG, § 4 Rn. 75; Jarass / Schnittker / Milstein, JuS 2011, 215, 219. 67  Runkel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 3 Rn. 65; Hendler, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, §  3 Rn.  51. 68  Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn. 25.



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 143

Funktionen oder Nutzungen bei der Abwägung mit konkurrierenden raumbedeutsamen Nutzungen besonderes Gewicht zukommen soll.69 Bei den Grundsätzen der Raumordnung nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG ist zwischen gesetzlichen und planerischen Grundsätzen zu unterscheiden. Gesetzliche Grundsätze der Raumordnung finden sich in § 2 Abs. 2 ROG, während planerische Grundsätze in den Raumordnungsplänen aufgestellt werden. Die Aufzählung in § 2 Abs. 2 ROG enthält die bundesweit geltenden Grundsätze der Raumordnung70 und ist nicht abschließend, was sich aus der Formulierung „insbesondere“ ergibt.71 Die Länder können ergänzend eigene gesetzliche Grundsätze festlegen.72 Auch abweichende landesgesetzliche Grundsätze sind auf Grund der Abweichungsbefugnis des Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GG möglich,73 wobei nach der hier vertretenen Ansicht der abweichungsfeste Kern der bundesrechtlichen Regelung zu beachten ist.74 Die gesetzlichen Grundsätze der Raumordnung sind im Sinne der Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung nach § 1 Abs. 2 ROG anzuwenden.75 Planerische Grundsätze werden dagegen von der Exekutive aufgestellt und sind dem Abwägungsgebot des § 7 Abs. 2 ROG unterworfen. Anders als die gesetzlichen Grundsätze sind sie das Ergebnis einer Abwägung, bei der die gesetzlichen Grundsätze bewertet, mit anderen gesetzlichen Grundsätzen zum Ausgleich gebracht und verbleibende Konflikte entschieden werden müssen.76 § 4 ROG spricht beiden Arten von Grundsätzen die gleichen Rechtsfolgen gegenüber raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen zu.77 Unterschie69  Runkel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 3 Rn. 67; die Gewichtungsvorgabe ist dabei, anders als bei einem Vorranggebiet, nicht absolut, sondern vielmehr relativ zu verstehen, wie dies auch bei einem Vorbehaltsgebiet der Fall ist. 70  Heemeyer, Flexibilisierung der Erfordernisse der Raumordnung, S. 228. 71  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 16; Runkel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 3 Rn. 61. 72  Dies folgt aus der „Insbesondere“-Formulierung in § 2 Abs. 2 ROG sowie aus Art. 72 Abs. 1 GG, vgl. Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsund Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 17. 73  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 21. 74  S. oben, 3. Kapitel, I. 1. a). 75  Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn. 26; Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, J 630 Tz. 2.3. 76  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 35; Runkel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 3 Rn. 63. 77  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 10; Runkel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 3 Rn. 56.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

de bestehen jedoch hinsichtlich der Rechtsvoraussetzungen, der Aussagenschärfe sowie deren sonstiger Bedeutung.78 § 2 Abs. 1 ROG bestimmt, dass die gesetzlichen Grundsätze des § 2 Abs. 2 ROG, soweit erforderlich, durch Festlegungen im Raumordnungsplan zu konkretisieren sind, wobei die planerische Konkretisierung in Form eines Ziels oder Grundsatzes erfolgen kann.79 Im Rahmen des § 4 Abs. 1 ROG ist die jeweils konkreteste Form des Grundsatzes vorrangig zu berücksichtigen, so dass der gesetzliche Grundsatz zurücktritt, wenn er im Raumordnungsplan durch ein Ziel der Raumordnung konkretisiert wurde.80 Gesetzliche Grundsätze entfalten daher in der Regel nur bei der Aufstellung der landesweiten Raumordnungspläne nach § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ROG die volle Berücksichtigungspflicht des § 4 Abs. 1 ROG, da zu diesem Zeitpunkt noch keine konkreteren planerischen Grundsätze vorhanden sind.81 In Bezug auf die Bindungswirkung von Grundsätzen der Raumordnung gilt, dass im Rahmen von § 4 Abs. 1 S. 1 u. 2 ROG jedwede Grundsätze der Raumordnung, anders als die Ziele, lediglich zu berücksichtigen sind. Entsprechendes gilt bei Entscheidungen öffentlicher Stellen über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen von Personen des Privatrechts, wobei sich insoweit keine Unterschiede zur Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung ergeben. cc) Sonstige Erfordernisse der Raumordnung Sonstige Erfordernisse der Raumordnung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ROG sind in Aufstellung befindliche Ziele der Raumordnung, Ergebnisse förmlicher landesplanerischer Verfahren wie des Raumordnungsverfahrens und landesplanerische Stellungnahmen. In Bezug auf die Bindungswirkung stehen die sonstigen Erfordernisse der Raumordnung nach § 4 ROG den Grundsätzen der Raumordnung gleich, d. h. sie entfalten keine strikte Bindungswirkung, sondern sind lediglich zu berücksichtigen und können daher durch Abwägung überwunden werden.

78  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 10. 79  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 13; Hendler, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 3 Rn. 55. 80  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 13. 81  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 14.



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 145

d) Gegenstromprinzip § 1 Abs. 3 ROG enthält das so genannte Gegenstromprinzip, wonach sich die Entwicklung, Ordnung und Sicherung der Teilräume in die Gegebenheiten und Erfordernisse des Gesamtraums einfügen soll. Andererseits soll die Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Gesamtraums die Gegebenheiten und Erfordernisse seiner Teilräume berücksichtigen. Hoppe bezeichnet das Gegenstromprinzip als „föderales raumordnungsrechtliches Berücksichtigungsgebot“, da Bund und Länder dadurch bei ihren Planungen wechselseitig zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtet werden.82 Entsprechendes gilt für das Verhältnis von Landesplanung und Regionalplanung.83 e) Ausnahmen und Zielabweichungen Nach § 6 Abs. 1 ROG können im Raumordnungsplan Ausnahmen von den Zielen der Raumordnung festgelegt werden. Inhaltlich entspricht die Regelung dem § 31 Abs. 1 BauGB.84 Die Vorschrift ist in engem Zusammenhang mit dem Streit über die Rechtsnatur so genannter Soll-Ziele zu sehen,85 zu dem mit § 6 Abs. 1 ROG nunmehr eine ausdrückliche Regelung getroffen werden sollte. Die Norm soll die Zulässigkeit von Regel-Ausnahme-Formulierungen bei Zielen der Raumordnung klar stellen und so dem Anliegen einiger Bundesländer Rechnung tragen, Ziele der Raumordnung mit ihren starren Bindungswirkungen in den Raumordnungsplänen flexibler gestalten zu können.86 Eine Zielausnahme ist gegeben, wenn und soweit eine Festlegung im Raumordnungsplan für bestimmte Planungen und Maßnahmen vorschreibt, dass diese nicht an die Zielfestlegung gebunden sein sollen.87 Materiell-rechtliche Voraussetzungen für die Festlegung von Ausnahmen benennt das Gesetz nicht. Insbesondere sind mit dem Begriff „Ausnahme“ allein die erforderlichen materiellen Voraussetzungen nicht mitgeregelt.88 Das Bundesverwaltungsgericht geht in gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass landesplanerische Aussagen, die eine Regel-Ausnahme82  Hoppe, in: Hoppe  /  Bönker  /  Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn. 8; vgl. auch Runkel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 1 Rn. 109. 83  Runkel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 1 Rn. 110 f. 84  Dyong, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 6 Rn. 3. 85  S. oben, 3. Kapitel, I. 1. c) aa). 86  BT-Drs. 16 / 10292, S. 23; kritisch dazu Ritter, DÖV 2009, 425, 425, der nicht davon ausgeht, dass sich durch die Einführung des § 6 Abs. 1 ROG die alte Streitfrage über die Zulässigkeit von Soll-Zielen erledigt. 87  Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 6 Rn. 83. 88  Hoppe, DVBl. 2008, 966, 967.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Struktur aufweisen, die Merkmale eines Ziels der Raumordnung erfüllen können, wenn sowohl die Regel- als auch die Ausnahmevoraussetzungen mit tatbestandlicher Bestimmtheit oder wenigstens mit Bestimmbarkeit durch den Planungsträger festgelegt werden.89 Entsprechendes soll für so genannte Soll-Vorschriften gelten, wenn die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Vorschrift auch ohne förmliches Zielabweichungsverfahren eine Ausnahme von der Zielbindung zulässt, im Wege der Auslegung auf der Grundlage des Plans hinreichend bestimmt oder doch bestimmbar sind.90 Zudem muss nach der Rechtsprechung die Festlegung einer Ausnahme abschließend abgewogen sein.91 Ins Gesetz aufgenommen wurden diese Kriterien freilich nicht. Nach § 6 Abs. 2 ROG kann von Zielen der Raumordnung abgewichen werden, wenn die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist und die Grundzüge der Planung dadurch nicht berührt werden. Inhaltlich ist § 6 Abs. 2 ROG dem § 31 Abs. 2 BauGB nachgebildet. Antragsberechtigt sind die öffentlichen Stellen und die Personen des Privatrechts, denen gegenüber das Ziel, von dem abgewichen werden soll, Bindungwirkung entfaltet. Dabei ist ein spezielles Zielabweichungsverfahren einzuhalten, zu dem in allen Bundesländern eigene Vorschriften bestehen.92 Zielabweichungen können auch in anderen, nicht raumordnerischen Verfahren, namentlich in fachplanerischen Zulassungsverfahren erfolgen.93

89  BVerwG, Urt. v. 18.9.2003 – 4 CN 20 / 02 –, ZfBR 2004, 177, 179 = BVerwGE 119, 54, 59 f.; BVerwG, Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, ZfBR 2004, 171, 175 = BVerwGE 119, 25, 41. 90  BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255 f.; BVerwG, Urt. v. 22.06.2011 – 4 CN 4  /  10 –, ZfBR 2011, 674, 675; VGH München, Urt. v. 19.04.2004 – 15 B 99.2605, BayVBl. 2005, 63, 64 f.; VGH München, Urt. v. 20.04.2011 – 15 N 10.1320 –, BeckRS 2011, 52829; vgl. oben, 3. Kapitel, I. 1. c) aa). 91  BVerwG, Urt. v. 18.09.2003 – 4 CN 20 / 02 –, ZfBR 2004, 177, 179. 92  Näher dazu Koch / Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, § 3 Rn. 43. 93  Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 6 Rn. 40; sehr kritisch dazu auch Ritter, DÖV 2009, 425, 428; näher dazu, vgl. unten, 3. Kapitel, I. 3. d).



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 147

2. Anknüpfungspunkte für den Umgang mit dem demografischen Wandel a) Die Leitvorstellung der nachhaltigen Raumentwicklung, § 1 Abs. 2 ROG aa) Inhalt und rechtsdogmatische Einordnung Die erste Vorschrift, die einen Anhaltspunkt für den Umgang des Raumordnungrechts mit dem demografischen Wandel und seinen Folgen bietet, ist § 1 Abs. 2 ROG. Danach besteht die Leitvorstellung der Raumordnung in einer nachhaltige Raumentwicklung94, die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt und zu einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung mit gleichwertigen Lebensverhältnissen in den Teilräumen führt. Während § 1 Abs. 1 ROG bestimmt, was Aufgabe der Raumordnung ist, nämlich unterschiedliche Anforderungen an den Raum aufeinander abzustimmen und die auf der jeweiligen Planungsebene auftretenden Konflikte auszugleichen sowie Vorsorge für einzelne Nutzungen und Funktionen des Raums zu treffen, beeinflusst die Leitvorstellung des § 1 Abs. 2 ROG die Art und Weise der Aufgabenerfüllung.95 Sie fungiert gleichsam als Steuerungsziel der Raumordnung, auf das sich die Steuerungswirkung des Raumordnungsrechts konzentrieren soll. Teilweise wird sie daher als Oberziel der Planung96 bezeichnet, das durch die Grundsätze nach § 2 Abs. 2 ROG konkretisiert wird und seinerseits als Auslegungshilfe für die Grundsätze nach § 2 Abs. 2 ROG dient.97 Die Leitvorstellung entfaltet, anders als die Erfordernisse der Raumordnung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ROG, keine Bindungswirkung nach § 4 ROG.98 Auch bei der Abwägung im Rahmen des § 7 Abs. 2 ROG ist sie mangels hinreichender Operationalität nicht als unmittelbarer Maßstab heranzuziehen,99 was jedoch nichts daran ändert, dass sie als Abwägungsdirektive berücksichtigt werden muss.100 Nach Hoppe soll der Mehrwert der 94  Näher zum Begriff der nachhaltigen Raumentwicklung auch Krautzberger / Stemmler, FS Hoppe, S. 317, 317 ff.  95  Vgl. Bode, Der Planungsgrundsatz der nachhaltigen Raumentwicklung, S. 111. 96  Schink, BauR 1998, 1163, 1164; Dreier, Die normative Steuerung der planerischen Abwägung, S. 168; Bode, Der Planungsgrundsatz der nachhaltigen Raumentwicklung, S. 117. 97  Bode, Der Planungsgrundsatz der nachhaltigen Raumentwicklung, S. 117 f. 98  Vgl. von der Heide, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, Kommentar ROG 1998, Vorbem. vor. §§ 1–5 Rn. 43a. 99  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 1 Rn. 73. 100  Vgl. Hoppe, FS Krautzberger, S. 263, 265.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Nachhaltigkeitsprüfung ausschließlich in der Phase der Ermittlung der abwägungsrelevanten Belange liegen und die prognostische Komponente der Belangermittlung verstärken.101 Die Stadien der Einstellung, Gewichtung und Planungsentscheidung sollen hingegen von der Leitvorstellung strukturell unbeeinflusst bleiben,102 so dass insoweit nicht von einem Optimierungsgebot gesprochen werden kann.103 Dies erscheint überzeugend, da der Gesetzgeber, hätte er die Struktur der Abwägung durch die Aufnahme der Leitvorstellung ins Gesetz beeinflussen wollen, einen wertenden Aspekt, ähnlich dem in § 1a Abs. 2 S. 1 BauGB verankerten Erfordernis nach einer Begrenzung der Bodenversiegelung auf das notwendige Maß, hätte einfügen können und müssen.104 Die Bedeutung der Leitvorstellung liegt deshalb weniger im rechtlichen Bereich, sondern vielmehr im „Ethos“ der Raumplaner.105 Alle drei in § 1 Abs. 2 ROG aufgeführten Ansprüche an den Raum sind als gleichwertig anzusehen.106 Die in der Leitvorstellung genannten sozialen und wirtschaftlichen Anforderungen an den Raum umfassen die Standorte für die sozialen Aktivitäten der Menschen, z. B. die Bereiche Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Sport und Erholung sowie die Standorte für soziale, technische und kulturelle Infrastruktur sowie die Standortvoraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklungen.107 Die ökologische Funktion des Raumes betrifft in erster Linie den Schutz von Umwelt und Natur.108 Ein weiteres Schlagwort in der Leitvorstellung sind die gleichwertigen Lebensverhältnisse in den Teilräumen. Unter „Teilräumen“ versteht man dabei die Länder sowie die Verflechtungsbereiche von Zentralen Orten oberster Stufe, für die nach § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ROG Regionalpläne aufzustellen sind. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse bezieht sich auf 101  Hoppe,

NVwZ 2008, 936, 938; Hoppe, FS Krautzberger, S. 263, 274. FS Krautzberger, S. 263, 274. 103  Bode, Der Planungsgrundsatz der nachhaltigen Raumentwicklung, S.  113; Hoppe, NVwZ 2008, 936, 937 f. 104  Dies ist unterblieben und auch die Begründung zum ROG 2008 gibt keine Anhaltspunkte für eine weiter gehende Berücksichtigung, vgl. BT-Drs. 16 / 10292, S. 23. 105  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 1 Rn. 73; ähnlich auch Kuschnerus, zit. nach Stüer / Hönig, DVBl. 1999, 1717, 1721. 106  Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn. 7. 107  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 1 Rn. 80; Bode, Der Planungsgrundsatz der nachhaltigen Raumentwicklung, S.  136 f. 108  Runkel, NuR 1998, 449, 450; Steiner, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Teil V Rn. 10. 102  Hoppe,



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 149

den Teilraum als solchen, d. h. gleichwertige Lebensverhältnisse müssen nicht an jeder einzelnen Stelle des Teilraums gegeben sein.109 Der Begriff der Lebensverhältnisse ist umfassend zu verstehen und beinhaltet sämtliche Lebensbereiche wie Wohnen, Arbeiten, Bildung, Freizeit, Einkaufen und soziale Leistungen sowie die Infrastruktur.110 Problematisch ist jedoch, was mit „gleichwertigen Lebensverhältnissen“ gemeint ist. Der Gesetzgeber hat sich dazu bei der Neufassung des ROG 2008 nicht geäußert. Eine inhalt­ liche Neuinterpretation des Begriffs der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse war daher augenscheinlich nicht beabsichtigt, zumal § 1 Abs. 2 S. 1 und S. 2 Nr. 6 ROG a. F. in § 1 Abs. 2 ROG fast wortgetreu übernommen wurden.111 Nach der Intention des ROG 1998 sollte der Begriff der gleichwertigen Lebensverhältnisse im Sinne von Art. 72 Abs. 2 GG verstanden werden.112 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG geht davon aus, dass das Bestehen gleichwertiger Lebensverhältnisse dann bedroht ist, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet.113 Eine Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse setzt Art. 72 Abs. 2 GG mithin nicht voraus.114 Daraus folgt, dass die Gleichwertigkeit im Sinne von § 1 Abs. 2 ROG keine gleichartigen Lebensverhältnisse verlangt, sondern von deren Verschiedenheit ausgeht.115 Wie diese Gleichwertigkeit konkret aussehen soll, ist letztlich eine Wertungsfrage und als rechtlich nicht voll determinierbar anzusehen.116 Sicher ist lediglich, dass keine Beliebigkeit der Lebensverhältnisse ohne jegliche Wertmaßstäbe gemeint sein kann. Bei der Bestimmung der Gleichwertigkeit darf zudem nicht auf die Wertvorstellungen des Einzelnen abgestellt werden, sondern es sind vielmehr akzeptierte gesellschaftliche Standards heranzuziehen, aus denen sich Standard- und Mindestwerte für die Versorgung der 109  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 1 Rn. 85; Reichel, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, S. 214, die darauf abstellt, dass es keine großräumigen räumlichen Unterschiede geben darf. 110  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 1 Rn. 85; Kersten, UPR 2006, 245, 246. 111  Vgl. Ritter, DÖV 2009, 425, 427. 112  BT-Drs. 13 / 6392, S.  79. 113  BVerfGE 106, 62, 153; 112, 226, 244. 114  Vgl. näher, oben, 2. Kapitel, II. 1. h). 115  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 1 Rn. 86; ausführlich dazu, vgl. Reichel, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, S.  84 ff.; Hahne, RuR 2005, 257, 259; ARL, Gleichwertige Lebensverhältnisse: eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe neu interpretieren, S. 1. 116  Vgl. Oeter, in: v. Mangoldt  / Klein / Starck, GG, Art. 72 Rn. 103; Maunz, in: MD, GG, Art. 72 Rn. 25.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Bevölkerung ergeben.117 Regionale Unterschiede sind danach sehr wohl möglich. Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 S. 4 ROG die Berücksichtigung demografischer und anderer struktureller Besonderheiten zulässt. Eine Einebnung und Zementierung einmal vorhandener Lebensverhältnisse durch pauschale Subventionierung wird durch das Postulat der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse deshalb nicht bezweckt.118 Fraglich ist, ob der Aspekt der Gewährleistung gleichwertiger Lebensverhältnisse bei der Auslegung speziell zu berücksichtigen ist. Dafür spricht, dass die Gesetzesbegründung davon ausgeht, dass die Gewährleistung gleichwertiger Lebensverhältnisse als zentraler Leitgedanke besonders gewichtet werden müsse.119 Dagegen wendet insbesondere Hoppe ein, es sei nichts dafür ersichtlich, dass durch eine spezifische Gewichtung eine Änderung des Gleichgewichts im „Dreiklang“ zwischen den ökonomischen, ökologischen und sozialen Belangen zu Gunsten dieses zentralen Leitgedankens erreicht werden sollte.120 Dies erscheint auf den ersten Blick überzeugend, da der Wortlaut des Gesetzes alle drei Belange auf gleicher Stufe nebeneinander stellt, doch darf nicht übersehen werden, dass in der Neufassung des Raumordnungsgesetzes aus dem Jahr 2008 die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse als zusätzliches Anliegen an die Seite der ökomischen, ökologischen und sozialen Belange gestellt wird, während in § 1 Abs. 2 ROG a. F. die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse nur einer von acht Aspekten war, die es zu berücksichtigen galt.121 Deshalb ist zumindest von einer formellen Aufwertung des Gleichwertigkeitsgedankens auszugehen, wobei noch nichts über dessen Inhalt ausgesagt wird. bb) Kritik am Leitprinzip und Ansätze für eine Neuinterpretation (1) Forderung nach Aufgabe des Leitprinzips Kontrovers diskutiert wird, ob der Leitvorstellung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse angesichts knapper öffentlicher Mittel in der Praxis 117  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 1 Rn. 86; Runkel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 1 Rn. 105. 118  Vgl. zur Diskussion um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse auch Hahne, RuR 2005, 257, 259. 119  BT-Drs. 16 / 10292, S.  20. 120  Hoppe, NVwZ 2008, 936, 937. 121  Die übrigen bisher in § 1 Abs. 2 ROG a. F. genannten Aspekte wurden in die Grundsätze des § 2 Abs. 2 ROG überführt, da es sich dabei nicht um zentrale Leitgedanken des Raumordnungsrechts handelt, vgl. Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn. 7 (Fn. 2).



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 151

hinreichend Rechnung getragen werden kann oder ob nicht vielmehr eine andere Regelung gefunden werden müsste. In der Literatur wird teilweise sogar die Aufgabe des Gleichwertigkeitspostulates gefordert mit dem Hinweis auf bestehende Disparitäten, die nicht mehr ausgeglichen werden könnten.122 Zur Einsparung von Finanzmitteln sei daher eine passive Sanierung hinzunehmen.123 Derart radikale Ansätze werden in der Literatur jedoch nur von einer Minderheit vertreten.124 (2) Neuinterpretation nach Kersten Kersten plädiert dafür, das europäische Leitbild des „wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts“ als Leitprinzip für die Raumentwicklung in Deutschland zu übernehmen.125 Nach diesem, auf Art. 174 AEUV basierenden Leitbild ist eine differenzierte Entwicklung in unterschiedlichen Teilräumen möglich, doch müssten sich die Teilräume funktional ergänzen, d. h. sich in die wirtschaftliche, soziale und territoriale Entwicklung des Gesamtraums integrieren.126 Das Europäische Raumentwicklungskonzept (EUREK)127 sowie die darauf aufbauende Territoriale Agenda der Europäischen Union (TAEU)128, beides rechtlich nicht bindende Doku122  So etwa Rommelsbacher, Die „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ ist nicht mehr zeitgemäß. Eine Diskussion über den Mindeststandard ist notwendig, Fachkommission Stadtentwicklung der Heinrich-Böll-Stiftung vom 26.08.2004, abrufbar unter http: /  / www.kommunale-info.de / index.html?infothek / 2320.asp (zuletzt abgerufen am 06.11.2012). 123  Herfert, RuR 2007, 435, 453. 124  So insbesondere von Herfert, RuR 2007, 435, 452 f. und Rommelsbacher, Die „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ ist nicht mehr zeitgemäß. Eine Diskus­ sion über den Mindeststandard ist notwendig, Fachkommission Stadtentwicklung der Heinrich-Böll-Stiftung vom 26.08.2004, abrufbar unter http: /  / www.kommunale-info. de / index.html?infothek / 2320.asp (zuletzt abgerufen am 06.11.2012); zum Diskus­ sionsstand siehe auch Hahne, RuR 2005, 257, 259 und Reichel, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, S. 182. 125  So etwa Kersten, UPR 2006, 245, 251 f.; ders., Wandel der Daseinsvorsorge, in: Neu, Daseinsvorsorge, S. 22, 27 ff.  126  Vgl. dazu auch Kersten, Wandel der Daseinsvorsorge, S. 22, 29. 127  Europäische Kommission, EUREK – Europäisches Raumentwicklungskonzept. Auf dem Wege zu einer räumlich ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung der Europäischen Union, angenommen beim Informellen Rat der für Raumordnung zuständigen Minister in Potsdam im Mai 1998, 1999. 128  Territoriale Agenda der Europäischen Union, Für ein wettbewerbsfähigeres, nachhaltiges Europa der vielfältigen Regionen, angenommen anlässlich des Informellen Ministertreffens zur Stadtentwicklung und zum territorialen Zusammenhalt in Leipzig am 24. / 25.  Mai 2007, abrufbar unter http: /  / www.bmvbs.de / cae / servlet / con tentblob / 29700 / publicationFile / 308 / territoriale-agenda-der-europaeischen-union-an genommen-am-25-mai-2007.pdf (zuletzt abgerufen am 07.11.2012).

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

mente, betonten die regionale Vielfalt Europas und favorisierten eine polyzentrische Raumentwicklung.129 Zwar sprächen beide Konzepte von der Gewährleistung gleichwertiger Lebensbedingungen, doch würden gleichwohl unterschiedliche regionale Potentiale anerkannt.130 Eine flächendeckende Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse solle daher nicht mehr zwingend erreicht werden, sondern es reiche aus, wenn nur eine im Einzelfall angemessene Daseinsvorsorge gewährleistet werde.131 Diese Auslegung werde unterstützt durch eine Zusammenschau der primärrechtlichen Normen, die sich mit der Raumentwicklung beschäftigten.132 Art 36 GRC konzentriere sich auf die netzgebundenen Daseinsvorsorgebereiche, ohne eine Gleichwertigkeit in allen Lebensbereichen zu gewährleisten.133 Hinzu komme, dass die Vorschrift unter dem Vorbehalt der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten stehe, welche innerhalb der EU durchaus unterschiedlich sein können.134 Überdies gehe Art. 174 Abs. 2 AEUV zwar davon aus, dass die Entwicklungsunterschiede der verschiedenen Regionen und der Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete verringert werden müssten, von einem Postulat der Angleichung der Lebensverhältnisse könne aber keine Rede sein.135 Nach Auffassung von Kersten ist es deshalb ausreichend, wenn auch der am abgelegensten wohnende Bürger in angemessener Zeit auf die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zugreifen kann.136 Dies entspreche der neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG,137 welche ebenfalls die untere Grenze des sozialpolitischen Zusammenhalts des Gesamtstaates im Blick habe.138 (3) Weitere Ansätze für eine Neuinterpretation Auch andere Autoren schlagen eine Neuinterpretierung des Postulats der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse vor.139 So spricht sich Oel dafür aus, ein Mindestniveau an Versorgung in möglichst vielen Lebensbereichen auf129  Battis / Kersten,

EuR 2009, 2, 14 f. u. 19 f. EuR 2009, 2, 20. 131  Vgl. Kersten, Wandel der Daseinsvorsorge, S. 22, 29 f.; Kersten, UPR 2006, 245, 249. 132  Battis / Kersten, EuR 2009, 2, 8 ff.  133  Vgl. oben, 2. Kapitel, II. 2. c). 134  Kersten, UPR 2006, 245, 249. 135  Battis / Kersten, EuR 2009, 2, 9 f.; Kersten, UPR 2006, 245, 251. 136  Kersten, UPR 2006, 245, 249 u. 252. 137  Ausführlich dazu oben, 2. Kapitel, II. 1. h). 138  Kersten, UPR 2006, 245, 251. 139  So etwa Hahne, RuR 2005, 257, 259 ff.  130  Battis / Kersten,



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 153

recht zu erhalten.140 Hahne tritt dafür ein, zumindest bei der Standortqualität ausgeglichene Rahmenbedingungen herzustellen, zumal der Staat eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ohnehin nur in bestimmten Bereichen wie der Rechtsordnung oder der öffentlichen Daseinsvorsorge und In­ frastruktur unmittelbar sichern könne.141 Sämtlichen Ansätzen für eine Neuinterpretation ist gemeinsam, dass es eine umfassende, durch den Staat gewährleistete Versorgung mit allen Elementen der Lebensführung so nicht mehr geben könne. Vielmehr sei zur Erfüllung der Mindeststandards, wie auch immer diese aussehen mögen, die Einbindung Privater sowie die Zuhilfenahme flexibler Instrumente, etwa in Form von Sammeltaxis erforderlich.142 (4) Stellungnahme Eine Interpretation des Begriffs der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Sinne des europäischen Leitbildes in der von Kersten vorgeschlagenen Form ist aus mehreren Gründen abzulehnen. Erstens besteht für einen derart einschneidenden Paradigmenwechsel trotz den Herausforderungen des demografischen Wandels gegenwärtig keine Notwendigkeit. Kersten geht davon aus, das Postulat der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Planungsrecht impliziere stets eine Angleichung „nach oben“, d. h. an ein hohes wohlfahrtsstaatliches Niveau.143 Hierbei verkennt er jedoch, dass dies nicht unbedingt der Fall sein muss, zumal viele Autoren betonen, dass das Leitprinzip der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse bereits jetzt lediglich die Einhaltung von Mindeststandards gewährleiste144 bzw. flexibel dahin gehend interpretiert werden könne,145 da es auf Grund des demografischen Wandels der Raumordnung nicht mehr gelingen werde, großflächig höhere Standards zu garantieren.146 Auch der Gesetzgeber scheint nicht von 140  Oel,

Die Bevölkerungsentwicklung und ihre Auswirkungen, S. 113, 118. RuR 2005, 257, 263. 142  Vgl. dazu Hahne, RuR 2005, 257, 261 ff.; Reichel, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, S. 184 ff.; vgl. auch Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 1 Rn. 87. 143  Kersten, UPR 2006, 245, 246 bezieht sich dabei u. a. auf Weyl, DÖV 1980, 813, 818 f., der sich auf die Aspekte der Schaffung und Entwicklung gleichwertiger Lebensbedingungen konzentriert und überdies räumlich nicht gebundene Entwicklungschancen einbeziehen möchte. 144  So etwa Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 1 Rn. 86; Reichel, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, S. 184; Oel, Die Bevölkerungsentwicklung und ihre Auswirkungen, S. 113, 118. 145  So etwa auch ARL, Gleichwertige Lebensverhältnisse: eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe neu interpretieren, S. 9. 146  Beirat für Raumordnung, Empfehlung zur „Räumlichen Ausgleichspolitik“, 20.09.2007, S. 8; Hahne, RuR 2005, 257, 258. 141  Hahne,

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

einem gleichmäßigen, möglichst hohen Lebensstandard auszugehen, wenn er in § 2 Abs. 2 S. 4 ROG die Berücksichtigung demografischer, wirtschaftlicher, sozialer und anderer strukturverändernder Gesichtspunkte zulässt und diese als Rechtfertigungsgründe für mögliche Ungleichheiten anerkennt. Nicht zuletzt nimmt bereits die Gesetzesbegründung zum ROG 1998 für die Auslegung des Gleichwertigkeitserfordernisses die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG in Bezug,147 also genau den Maßstab, den Kersten mit seiner Neuinterpretation unter Zugrundelegung des Europäischen Leitbildes erreichen möchte. Zweitens geht das europäische Leitbild davon aus, dass die Bereiche der Daseinsvorsorge, die für die moderne Gesellschaft besonders wichtig erscheinen und die von Art. 36 GRC erfasst werden, auch für den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt einer Gesellschaft wesentlich sind. Dies mag auf den ersten Blick überzeugend erscheinen, doch besteht die Gefahr, dass auf diese Weise Randbereiche der Daseinsvorsorge vernachlässigt werden, etwa die Versorgung mit Einrichtungen der Kindererziehung oder Seniorenheime, da solche Institutionen typischerweise nur von bestimmten Bevölkerungsgruppen benötigt werden und beim Abstellen auf den Zusammenhalt innerhalb eines Landes leicht außer Acht gelassen werden können. Entsprechendes dürfte für die Nahversorgung mit Lebensmitteln gelten, da auch sie nicht der netzgebundenen Infrastruktur unterfällt. Drittens kann eine pauschale Übernahme des europäischen Konzepts zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen. Kersten selbst geht von der Abgrenzbarkeit der verschiedenen Daseinsvorsorgesektoren aus. Bei einzelnen Sektoren, etwa dem Verkehrssektor, bestünde eine Vielzahl von Möglichkeiten, ein flächendeckendes Mindestangebot zu sichern, während dies in anderen Bereichen wie der Telekommunikation nicht der Fall sei.148 Dies setzt jedoch voraus, dass man die einzelnen Daseinsvorsorgesektoren tatsächlich klar zuordnen kann. Letzteres erscheint jedoch fraglich, da man schon bezweifeln kann, ob – wie von Kersten angedacht149 – eine staatliche Förderung des Individualverkehrs sowie des Taxiverkehrs allein den herkömm­ lichen ÖPNV in Schrumpfungsregionen wird ersetzen können. Schließlich ist zu bedenken, dass die europarechtliche Leitvorstellung keineswegs ausgereift ist, sondern nach wie vor viele Fragen offen sind.150 Dazu gehört etwa die Frage nach der Definition des territorialen Zusam147  BT-Drs.

13 / 6392, S.  79. Wandel der Daseinsvorsorge, S. 22, 30. 149  Kersten, Wandel der Daseinsvorsorge, S. 22, 31 f. 150  So auch Ritter, DÖV 2009, 425, 427. 148  Kersten,



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 155

menhalts und möglichen neuen Elementen, um die das gegenwärtige Konzept des territorialen Zusammenhalts ergänzt werden soll.151 Es ist daher im Ausgsangspunkt am Postulat der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in seiner oben dargelegten Interpretation fest zu halten,152 wonach in allen Teilräumen ein Mindeststandard bei der Daseinsvorsorge gewährleistet werden muss. Im Mittelpunkt der Betrachtung muss auch in Zukunft der Raum als solcher stehen, denn eine allzu kasuistisch orientierte Herangehensweise bringt das Folgeproblem mit sich, dass sie den Begriff der Erreichbarkeit für den Einzelnen wird definieren müssen. Diese Problematik tritt zwar auch dann auf, wenn der Mindeststandard der Versorgung bestimmt werden soll, doch kann hier beispielsweise mit Schwellenwerte gearbeitet werden, bei deren Unterschreitung eine Gleichwertigkeit nicht mehr gegeben ist, wobei allzu starre Vorgaben freilich vermieden werden sollten.153 Darüber hinaus können bei der Definition des Mindeststandards ergänzend Fragen der Erreichbarkeit, der Wirtschaftlichkeit sowie der Qualität der Leistung einbezogen werden.154 Ähnlich wie bei der Grundrechtsdogmatik, wo eine weite Auslegung des Schutzbereichs auf der Ebene der Rechtfertigung ausgeglichen werden kann, während eine von vornherein zu eng angelegte Bestimmung des Schutzbereichs leicht zu Grundrechtsdefiziten führen kann, ist auch bei der Auswahl des Leitbildes darauf zu achten, nicht a priori eine allzu enge Festlegung zu wählen, wenn in einem weiteren Schritt durch Ausnahmeregelungen angemessene Einzelfallergebnisse erreicht werden können. Der Strategie der Europäischen Raumentwicklung ist indes zuzugeben, dass es nicht um eine Angleichung „nach oben“ gehen kann. Ebenso kann die Forderung nach einer angemessenen Infrastrukturausstattung im Einzelfall fruchtbar gemacht werden, da insoweit flexible Versorgungsmodelle angesprochen werden. So kann in Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte auf innovative Konzepte zurückgegriffen werden, etwa den Einsatz von Sam­ meltaxis im Rahmen des ÖPNV oder mobiler Versorgungsdienste.155 Dies 151  Vgl. dazu Europäische Kommission, Grünbuch zum territorialen Zusammenhalt – Territoriale Vielfalt als Stärke, KOM(2008), 616 endg. 152  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 2. a) aa). 153  BMVBS, Sicherung der Daseinsvorsorge und Zentrale-Orte-Konzepte, BMVBS-Online-Publikation 12 / 2010, S. 31 f.; zur Problematik der Definition von Indikatoren beim Konzept des territorialen Zusammenhalts, s. Beirat für Raumordnung, Empfehlung zur „Räumlichen Ausgleichspolitik“, 20.09.2007, S. 19. 154  Ministerkonferenz für Raumordnung, Beschluss vom 29.04.2008, Demographischer Wandel und Daseinsvorsorge, abgedruckt bei Bielenberg  /  Runkel  /  Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, Bd. 1, B 320. 155  Vgl. Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 1 Rn. 87.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

sollte jedoch immer nur als ultima ratio in Erwägung gezogen und nicht von vornherein als Leitbild angenommen werden, da andernfalls schon vom Konzept her nicht mehr der Anreiz besteht, eine hinreichende Mindestversorgung auch in peripheren Gegenden überhaupt noch anzustreben und die Politik somit weniger stark in der Pflicht ist. Gegen die Beibehaltung des Leitbildes spricht schließlich nicht, dass dieses dem Vorwurf der Unglaubwürdigkeit ausgesetzt wäre, denn trotz angespannter Haushaltslage des Staates ist es nicht illusorisch, in allen Teilräumen, gegebenenfalls unter Einbeziehung Privater, ein absolutes Minimum an Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Schwierig gestaltet sich freilich die Situation bei der netzgebundenen Infrastruktur, die trotz geringer Auslastung erhebliche Kosten verursacht. Allerdings ist auch insoweit am Gleichwertigkeitspostulat festzuhalten, da andernfalls Menschen faktisch zur Aufgabe ihres Grundeigentums gezwungen werden könnten, was vor dem Hintergrund der Eigentumsfreiheit nicht zu rechtfertigen wäre.156 Auf eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung alleine kann es hier nicht ankommen, wenngleich selbstverständlich der finanzielle Aufwand für die Aufrechterhaltung der Netze und Leitungen möglichst gering zu halten ist. In diesem Zusammenhang wird häufig auf so genannte Insellösungen verwiesen, mit deren Hilfe die Ver- und Entsorgung kostengünstiger gewährleistet werden könne, weil die entsprechenden Netze nicht mehr flächendeckend vorhanden sein müssten,157 sondern kleinere, autonome Einheiten die Versorgung übernehmen. Damit lässt sich die Leitvorstellung von der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse unter Gewährleistung eines gewissen Mindeststandards auch in entlegenen Gegenden realisieren. Ein Widerspruch zu den Zielen der Strategie der Europäischen Raumentwicklung besteht darin nicht, denn die beiden Konzepte unterscheiden sich in erster Linie darin, von welcher Idealvorstellung auszugehen ist. cc) Bewertung vor dem Hintergrund des Verfassungs- und Europarechts Vor dem Hintergrund des deutschen Verfassungsrechts ist die Leitvorstellung des § 1 Abs. 2 ROG mit ihrem Postulat der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in den Teilräumen inhaltlich nicht zu beanstanden, solange das Gleichwertigkeitspostulat dahin gehend interpretiert wird, dass auch die Menschen in entlegenen Regionen auf eine Mindestversorgung zurückgreifen können. Weder das Sozialstaatsprinzip noch die Menschenwürdegarantie 156  Vgl.

oben, 2. Kapitel, II. 1. d). Beirat für Raumordnung, Stellungnahme zur Raumordnerischen Diskussion der Ausgestaltung des Leitprinzips „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“, 21.09.2005, S. 10. 157  Vgl.



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 157

verlangen, dass für alle Einwohner eine gleichartige Versorgung aufrecht erhalten wird,158 sondern es müssen vielmehr gewisse Disparitäten zwischen den einzelnen Regionen in Kauf genommen werden.159 Auch den Vorgaben des Europarechts wird die Vorschrift des § 1 Abs. 2 ROG gerecht, da diese insoweit nicht über die des deutschen Verfassungsrechts hinaus gehen.160 Die dogmatische Ausgestaltung der Leitvorstellung entspricht ebenfalls den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Eine Berücksichtigungspflicht des Nachhaltigkeitsgedankens bei der planerischen Abwägung außerhalb des Stadiums der Belangermittlung ergibt sich weder aus dem Sozialstaatsprinzip noch aus Art. 20 a GG, denn beide Verfassungsgrundsätze bedürfen der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber, wobei diesem ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt wird.161 dd) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Der Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung verbunden mit gleichwertigen Lebensverhältnissen kommt im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel besondere Bedeutung zu. Gerade das Postulat der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse muss vor dem Hintergrund massiver Bevölkerungsverluste in einzelnen Regionen und zunehmender Probleme bei der Aufrechterhaltung der Daseinsvorsorge interpretiert werden. Dass eine flexible Auslegung auch unter Zugrundelegung des Willens des Gesetzgebers möglich ist, ergibt sich nicht zuletzt aus § 1 Abs. 2 i. V. m. § 2 Abs. 2 S. 4 ROG. Auf diese Weise ermöglicht gerade die auslegungsbedürftige Formulierung des Gleichwertigkeitspostulats eine Berücksichtigung der Folgen des demografischen Wandels, zumal auch die zur Zielerreichung eingesetzten Instrumente grundsätzlich verändert werden können.162 Hervorzuheben ist ferner, dass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im ROG 2008 im Vergleich zum Raumordnungsgesetz aus dem Jahr 1998 besonders betont wird, was darauf hindeutet, dass der Gesetzgeber auch und gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandel, dessen er sich bei der Ausarbeitung des Gesetzes bewusst war,163 ein deutliches 158  Vgl.

dazu oben, 2. Kapitel, II. 1. f) und II. 1. i). dazu auch Reichel, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, S. 184 ff.  160  Vgl. dazu oben, 2. Kapitel, II. 2. 161  Näher dazu oben, 2. Kapitel, II. 1. f) bb) und II. 1. g). 162  Vgl. dazu Hahne, RuR 2005, 257, 260 f. 163  Dies wird z. B. daran deutlich, dass sowohl die Gesetzesbegründung als auch das ROG 2008 selbst den demografischen Wandel als Herausforderung benennt, vgl. BT-Drs. 16 / 10292, S. 21 sowie § 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG. 159  Näher

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Zeichen setzen wollte. Angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber dabei keine unfinanzierbare Anhebung des Mindeststandards im Blick hatte, erscheint dieses Signal durchaus nachvollziehbar. Was die Gewichtung der einzelnen Anliegen im Rahmen des Nachhaltigkeitspostulats angeht, ist zu bedenken, dass die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum, welche im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel relevant werden, nicht die einzigen Belange sind, sondern mit dem Umweltschutz ein weiterer Belang auf gleicher Ebene steht, so dass eine einseitige Orientierung an den wirtschaftlichen und sozialen Folgen des demografischen Wandels sowie deren Vermeidung nicht in Betracht kommt. Für die Umsetzung der Leitvorstellung bedeutet dies, dass eine Ausrichtung einzig und allein an den Herausforderungen des demografischen Wandels ausscheidet. b) Allgemeiner Grundsatz, § 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG aa) Inhalt und rechtsdogmatische Einordnung Nach § 2 Ab. 2 Nr. 1 ROG sind im Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland und in seinen Teilräumen ausgeglichene soziale, infrastrukturelle, wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Verhältnisse anzustreben. Dabei ist die nachhaltige Daseinsvorsorge zu sichern, nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Innovation sind zu unterstützen, Entwicklungspoten­ tiale sind zu sichern und Ressourcen nachhaltig zu schützen. Diese Aufgaben sind gleichermaßen in Ballungsräumen wie in ländlichen Räumen, in strukturschwachen wie in strukturstarken Regionen zu erfüllen. Die Vorschrift betont weiterhin ausdrücklich, dass den demografischen, wirtschaftlichen, sozialen sowie anderen strukturverändernden Herausforderungen Rechnung zu tragen ist, auch im Hinblick auf den Rückgang und den Zuwachs von Bevölkerung und Arbeitsplätzen. Regionale Entwicklungskonzepte und Bedarfsprognosen der Landes- und Regionalplanung sind mit einzubeziehen. Die Norm wurde durch das ROG 2008 neu gefasst und enthält nunmehr erstmals einen Verweis auf den demografischen Wandel. Inhaltlich bedeutet der Verweis auf den demografischen Wandel, dass von dem Konzept ausgeglichener Funktionsräume abgewichen werden darf, wenn der demografische Wandel oder die übrigen genannten Herausforderungen dies erfordern.164 Bei der Vorschrift handelt es sich um einen Grundsatz der Raumordnung, der nach § 2 Abs. 1 ROG im Sinne der Leitvorstellung einer nachhaltigen 164  Spannowsky, in: Spannowsky  / Runkel / Goppel, ROG, § 2 Rn. 60; Runkel, in: Bielenberg  /  Runkel  /  Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 71.



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 159

Raumentwicklung nach § 1 Abs. 2 ROG anzuwenden und, soweit erforderlich, durch Festlegungen in den Raumordnungsplänen zu konkretisieren ist. Die Besonderheit des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG liegt darin, dass dieser Grundsatz ausschließlich übergeordnete Erwägungen enthält und so eine Art Leitfunktion ausüben soll,165 die für alle nachfolgenden Grundsätze gilt.166 bb) Bewertung vor dem Hintergrund des Verfassungs- und Europarechts Vor dem Hintergrund des Verfassungsrechts ist die Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG als ausreichend zu werten. Insbesondere der Menschenwürdegarantie und dem Sozialstaatsprinzip wird dadurch Rechnung getragen, dass die Sicherung der Daseinsvorsorge auch in ländlichen und strukturschwachen Gegenden einen übergeordneten Grundsatz der Raumordnung darstellt. Eine weiter gehende Berücksichtigung, etwa in Form einer strikten Förderungspflicht ländlicher Regionen mit rückläufigen Bevölkerungszahlen, ist nicht angezeigt, da das Grundgesetz diesbezüglich sehr zurückhaltend ist.167 Die Berücksichtigung des demografischen Wandels als solches wird vom Grundgesetz nicht ausdrücklich vorgeschrieben. Insoweit geht das Raumordnungsgesetz dem Wortlaut nach über die Vorgaben des Verfassungsrechts hinaus. Inhaltlich freilich stellen insbesondere der allgemeine Gleichheitssatz, die Menschenwürdegarantie sowie das Sozialstaatsprinzip die vom Raumordnungsgesetz im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel zu beachtenden Eckpunkte dar. Indem der demografische Wandel explizit erwähnt wird, wird auch der Rechte älterer Menschen hinreichend Rechnung getragen, zumal konkrete Schutzpflichten durch das Grundgesetz ohnehin nicht bezweckt werden.168 cc) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Mit der Neuformulierung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG hat der Gesetzgeber gezeigt, dass für ihn der demografische Wandel einen wesentlichen Gesichtspunkt bei der künftigen räumlichen Entwicklung Deutschlands bildet. Allerdings ist die demografische Entwicklung nur einer der zu beachtenden 165  BT-Drs.

16 / 10292, S.  21. in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 54. 167  Vgl. dazu oben, 2. Kapitel, II. 1. f), II. 1. g), II. 1. i). 168  Vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. d). 166  Runkel,

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Aspekte. Auf gleicher Ebene werden wirtschaftliche, soziale und andere strukturverändernde Herausforderungen, zu denen etwa der Klimawandel zu zählen ist,169 genannt, wodurch klar wird, dass nach Ansicht des Gesetzgebers der demografische Wandel eine Herausforderung, aber nicht die Herausforderung des Raumordnungsrechts schlechthin in der Zukunft darstellen wird. Daher kommt dem Umgang mit den Folgen des demografischen Wandels nur eingeschränkte Bedeutung zu, zumal die erwähnten Herausforderungen in der Praxis Lösungen verlangen, die sich zwangsläufig widersprechen.170 Positiv zu bewerten ist, dass der demografische Wandel in § 2 Abs. 2 Nr. 1 S. 4 ROG Eingang gefunden hat, der für die übrigen Grundsätze der Raumordnung Leitfunktion besitzt und daher bei der Auslegung besonders zu berücksichtigen ist. Allerdings kann der demografische Wandel nach der Vorschrift auch als Grund für eine Abweichung vom Konzept ausgeglichener Funktionsräume herangezogen werden,171 was unter raumordnerischen Gesichtspunkten begrüßenswert erscheint, für den Einzelnen aber bedeuten kann, dass die Region, in der er lebt, versorgungsmäßig an rückläufige Bevölkerungszahlen und nachlassendes Wachstum angepasst wird. Jedoch ist hervorzuheben, dass die Erhaltung der Daseinsvorsorge auch in ländlichen und strukturschwachen Regionen angestrebt wird, was vor dem Hintergrund des demografischen Wandels besonders für jene Menschen von Bedeutung ist, die in dünner besiedelten Gegenden leben, wo derartige Leistungen nicht immer kostendeckend angeboten werden können. Auch in diesem Zusammenhang stellt sich, ebenso wie bei der Leitvorstellung des § 1 Abs. 2 ROG, die Frage nach der Umsetzbarkeit des Grundsatzes in der Praxis, für deren Beantwortung auch hier auf die notwendige Mindestversorgung sowie auf innovative Konzepte bei der Daseinsvorsorge verwiesen werden kann.172 Zustimmung verdient schließlich die Tatsache, dass nach dem Grundsatz des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG in Zukunft verstärkt Kooperationsmodelle wie etwa regionale Entwicklungskonzepte eingesetzt werden sollen, was der Raumordnung gegenüber der Fachplanung größeres Gewicht verschaffen soll.173 Dies ist im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel deshalb von Bedeutung, weil das Raumordnungsrecht den demografischen Wandel als Herausforderung anerkannt hat, während dies bei den verschie169  BT-Drs.

16 / 10292, S.  21. auch Runkel, in: ARL, Handwörterbuch der Raumordnung, Stichwort Ziele, Grundsätze und Erfordernisse der Raumordnung, S. 1320 für die verschiedenen Grundsätze der Raumordnung. 171  Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 2 Rn. 60. 172  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 2. a) bb) (4). 173  So Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn. 65 für die raumordnerische Zusammenarbeit im Rahmen des § 13 ROG. 170  Ähnlich



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 161

denen Fachplanungen nicht immer der Fall ist.174 Mit Hilfe von Raumordnungsplänen alleine kann eine umfassende Koordination nicht erreicht werden, zumal viele Abstimmungsprobleme vermieden werden können, wenn im Vorfeld unverbindliche Kooperationsformen eingesetzt werden. Außerdem können regionale Besonderheiten, etwa bei der Bevölkerungsentwicklung besser berücksichtigt werden, wenn auf Bedarfsprognosen der Landes- und Regionalplanung zurückgegriffen wird. c) Raum- und Siedlungsstrukturen, § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG aa) Inhalt und rechtsdogmatische Einordnung § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG enthält, ebenso wie § 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG, einen Grundsatz der Raumordnung. Im Unterschied zu § 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG ist § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG jedoch nutzungsspezifisch strukturiert ist175 und übt deswegen keine Leitbildfunktion aus. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG ist die prägende Vielfalt des Gesamtraums und seiner Teilräume zu sichern. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass Städte und ländliche Räume auch künftig ihre vielfältigen Aufgaben für die Gesellschaft erfüllen können. Mit dem Ziel der Stärkung und Entwicklung des Gesamtraums und seiner Teilräume ist auf Kooperationen innerhalb von Regionen und von Regionen miteinander hinzuwirken. Die Siedlungstätigkeit ist räumlich zu konzentrieren, sie ist vorrangig auf vorhandene Siedlungen mit ausreichender Infrastruktur und auf Zentrale Orte auszurichten. Der Freiraum ist durch übergreifende Freiraum-, Siedlungs- und weitere Fachplanungen zu schützen. Es ist ein großräumig übergreifendes, ökologisch wirksames Freiraumverbundsystem zu schaffen. Außerdem ist die weitere Zerschneidung der freien Landschaft und von Waldflächen möglichst zu vermeiden sowie die Flächeninanspruchnahme im Freiraum zu begrenzen. Durch die Vorschrift werden Städte und ländliche Räume als wichtige Aufgabenträger in der Gesellschaft ausgewiesen.176 Mit Hilfe des Gegensatzpaares „Städte“ und „ländliche Räume“ soll eine raumstrukturell diffe174  Das Wasserrecht beispielsweise erwähnt u. a. nur die nachhaltige Gewässer­ bewirtschaftung und den Klimawandel als Herausforderungen, nicht aber den demografischen Wandel, vgl. §§ 1, 6 WHG; Ähnliches gilt für das Bundesfernstraßengesetz, das zwar die Belange Behinderter und anderer Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigung erwähnt (§ 3 Abs. 1 FStrG), nicht jedoch den demografischen Wandel als solchen. 175  Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn. 29. 176  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 90 f.; Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, §  2 Rn. 63.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

renzierte Steuerung erfolgen, da Städte auf Grund ihrer faktischen Voraussetzungen andere Aufgaben zu erfüllen haben als ländliche Räume.177 ­Außerdem lässt sich aus der Vorschrift herauslesen, dass der Gesetzgeber offensichtlich von einer Gefährdung der Aufgabenwahrnehmung ausgeht, wenn er betont, es sei dafür Sorge zu tragen, dass Städte und ländliche Räume auch künftig ihre Aufgaben erfüllen könnten. Grund für diese Sorge sind vor allem die in Nr. 1 genannten demografischen, sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen, die sich negativ auf die Gewährleistung der Daseinsvorsorge auswirken können.178 Weiterhin hebt die Vorschrift hervor, dass eine verstärkte Kooperation der Regionen anzustreben sei, was sich besonders bei der interkommunalen Einzelhandelssteuerung, dem ÖPNV sowie der Ver- und Entsorgung im Wasser- und Abwasserbereich auswirken soll.179 Dabei handelt es sich nicht um eine materiell-rechtliche Aussage, sondern vielmehr um eine Verfahrensanweisung aus dem Bereich der „Good Governance“.180 Kernbestandteil von § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG ist seine Aussage zur Siedlungstätigkeit. Diese unterteilt sich wiederum in zwei Unteraussagen, nämlich die räumliche Konzentration sowie die vorrangige Ausrichtung auf vorhandene Siedlungen mit ausreichender Infrastruktur und auf Zentrale Orte.181 Das Konzept der räumlichen Konzentration soll dazu führen, dass Siedlungserweiterungen in konzentrierter Form erfolgen und nicht verschiedene Ortsteile einer Gemeinde gleichzeitig erweitert werden.182 Hintergrund ist, dass jegliche Siedlungstätigkeit einen Bedarf an Einrichtungen der Daseinsvorsorge und Einkaufsmöglichkeiten auslöst und solche Einrichtungen nur rentabel sind, wenn sie hinreichend ausgelastet werden, was wiederum nur durch eine konzentrierte Siedlungstätigkeit zu erreichen ist.183 Dieser Überlegung entsprechend soll die Siedlungstätigkeit auf Orte ausgerichtet werden, die bereits über eine ausreichende Infrastruktur verfügen, 177  Spannowsky,

in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 2 Rn. 66. in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 92; vgl. auch Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 2 Rn. 75. 179  BT-Drs. 16 / 10292, S.  21. 180  Vgl. Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 95; instruktiv zum Konzept der „Good Governance“, vgl. Goerlich, DÖV 2006, 313 ff.  181  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 102. 182  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 106. 183  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 106. 178  Runkel,



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 163

welche durch die neue Siedlungstätigkeit besser ausgelastet wird.184 Das Erfordernis der ausreichenden Infrastruktur soll indes nicht für Zentrale Orte, welche das siedlungsstrukturelle Grundgerüst der Raumordnung bilden und Versorgungsfunktionen für den örtlichen Bedarf und den jeweiligen zentralörtlichen Verflechtungsbereich wahrnehmen,185 gelten, was sich daraus ergibt, dass der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 4 ROG dieses Erfordernis nur im Zusammenhang mit den vorhandenen Siedlungen, nicht aber in Verbindung mit den Zentralen Orten erwähnt.186 In ihnen ist demzufolge eine neue Siedlungstätigkeit auch dann zulässig, wenn die vorhandene Infrastruktur dazu nicht ausreicht, sondern ein Ausbau notwendig wird. Die Formulierung, wonach die Siedlungstätigkeit „vorrangig auf vorhandene Siedlungen mit ausreichender Infrastruktur und auf Zentrale Orte“ auszurichten sei, ist indes nicht unproblematisch, denn es wird dadurch nicht ganz klar, worauf sich das Wort „vorrangig“ bezieht: nur auf die bereits vorhandenen Siedlungen oder auch auf die Zentralen Orte. Ritter geht davon aus, dass sich der Vorrang nur auf die vorhandenen Siedlungen bezieht und kritisiert deshalb, dass dadurch die Ergebnisse der neueren entwicklungspolitischen Diskussionen um die Rolle des Zentrale-Orte-Konzepts auf den Kopf gestellt und eine verfehlte Siedlungspolitik verfestigt würde.187 Allerdings ist eine solche Auslegung nicht zwingend. Der Wortlaut lässt durchaus eine Auslegung zu, die das Wort „vorrangig“ auch auf die Zentralen Orte bezieht und in deren Konsequenz vorhandene Siedlungen und Zentrale Orte bei der künftigen Siedlungstätigkeit gleichermaßen vorrangig berücksichtigt werden müssten. Dagegen könnte man zwar einwenden, dass auch vor die Zentralen Orte das Wort „vorrangig“ hätte gesetzt werden müssen, dies ist aber wenig überzeugend, da die Formulierung dadurch sperrig würde. Die Gesetzessystematik spricht nicht gegen einen Bezug des Wortes „vorrangig“ auch auf die Zentralen Orte, zumal die Bedeutung und der Vorrang der Zentralen Orte in § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG nochmals aufgegriffen und herausgestellt wird.188 Überdies sind die Grundsätze der Raumordnung nach 184  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 107. 185  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 109; Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn. 30. 186  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 107. 187  Ritter, DÖV 2009, 425, 427. 188  Nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 ROG ist die soziale Infrastruktur vorrangig in Zentralen Orten zu bündeln.

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§ 2 Abs. 2 ROG nach § 2 Abs. 1 ROG stets im Lichte des § 1 Abs. 2 ROG auszulegen, der das Prinzip der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in den Teilräumen beinhaltet, woraus folgt, dass das Zentrale-Orte-Prinzip als Mittel zur Gewährleistung einer gleichmäßigen Versorgung besonders berücksichtigt werden muss. Die Gesetzgebungsmaterialien tragen nicht zur Klärung bei, denn in ihnen wird auf das Problem der Siedlungsstrukturen nicht eingegangen.189 Ein Indiz dafür, dass der Gesetzgeber die bestehenden Siedlungen den Zentralen Orten zumindest gleich stellen wollte, ist jedoch, dass in § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 ROG a. F. die vorhandenen Siedlungen gar nicht erwähnt wurden, sondern die Norm allein auf die räumliche Konzentration der Siedlungstätigkeit und das Zentrale-Orte-Prinzip abstellte. Ob sich daraus im Geltungsbereich des ROG 2008 allerdings ein Vorrang der bestehenden Siedlungen ergibt, darf bezweifelt werden. Auch der Sinn und Zweck der Norm spricht nicht gegen eine vorrangige Ausrichtung der Siedlungstätigkeit auch an den Zentralen Orten, da dadurch immerhin das Ziel des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 4 ROG, nämlich der Schutz des Freiraums sowie insgesamt eine räumlich konzentrierte Siedlungsentwicklung gefördert wird. Es ist daher davon auszugehen, dass sich die „vorrangig[e]“ Ausrichtung der Siedlungstätigkeit sowohl auf die vorhandenen Siedlungen als auch auf die Zentralen Orte bezieht. Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG wurde durch das ROG 2008 darüber hinaus neu akzentuiert. Während im Rahmen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG a. F. alleine die räumliche Konzentration der Siedlungstätigkeit und das Zentrale-Orte-Prinzip im Vordergrund standen, wird nunmehr ausdrücklich die Bedeutung des Freiraums und die Vermeidung der weiteren Zersiedelung der freien Landschaft hervorgehoben.190 Nach der Neukonzeption genießt daher die Innenentwicklung Vorrang vor jedweder Inanspruchnahme von Freiflächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke.191

189  BT-Drs.

16 / 292, S.  21. in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 2 Rn. 73; Söfker, UPR 2009, 161, 162. 191  Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 2 Rn. 73. 190  Spannowsky,



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bb) Das Zentrale-Orte-Prinzip als wichtiges Prinzip der Raumordnung (1) Funktion und Inhalt Das in § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG verankerte Zentrale-Orte-Prinzip dient in erster Linie der Steuerung der Siedlungsentwicklung.192 Dabei werden regelmäßig drei, bzw. in manchen Bundesländern, vier Stufen Zentraler Orte unterschieden: Oberzentren, Mittelzentren, Unterzentren und / oder Kleinzentren.193 Jeder dieser Stufen ordnet die Raumordnung spezielle Versorgungsaufgaben zu, die zum Zwecke ihrer Wahrnehmung eines Netzes an zentralen Einrichtungen bedürfen.194 Das Zentrale-Orte-Prinzip geht zurück auf Christaller, der im Jahr 1933 in seiner geografischen Dissertation die Theorie der Zentralen Orte erstmals erwähnte, um bestehende Gegebenheiten zu beschreiben.195 Sie wurde in das Raumordnungsrecht übernommen und auf normativer Ebene weiter ausdifferenziert.196 Unter „Zentralen Orten“ versteht das Raumordnungsrecht heute Gemeinden mit zentralörtlicher Bedeutung, die als Versorgungskerne soziale, kulturelle und wirtschaftliche Einrichtungen besitzen, welche über die eigenen Einwohner hinaus die Bevölkerung des Verflechtungsbereichs versorgen.197 Verflechtungsbereiche sind dabei Bereiche, in denen Gemeinden unterschiedlicher Größe und Bedeutung in wechselseitiger Abhängigkeit stehen.198 Als Oberzentren werden vom Zentrale-Orte-Prinzip jene Städte eingestuft, deren Versorgungsbereich eine ganze Region umfasst. Oberzentren sollen danach eine möglichst vielfältige Ausstattung mit hochwertigen Einrichtun192  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 109. 193  Ministerkonferenz für Raumordnung, Beschluss vom 08.02.1968, abgedruckt bei Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, Bd. 2 unter Bund V.3.1.1. 194  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 109. 195  Christaller, Die Zentralen Orte in Süddeutschland. 196  Näher dazu, vgl. Blotevogel, Stichwort Zentrale Orte, in: ARL, Handwörterbuch der Raumordnung, S. 1307, 1310 ff.; von der Heide, in: Cholewa / Dyong / von der Heide  /  Arenz, Raumordnung, Kommentar ROG 1998, § 2 Grundsatz Nr. 2 Rn.  9 ff.; Gawron, Zentrale Orte und Schrumpfung, S. 7 ff.; Hoppe, NVwZ 2004, 282, 285 f. 197  Ministerkonferenz für Raumordnung, Beschluss vom 08.02.1968, abgedruckt bei Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, Bd. 2 unter Bund V.3.1.1; von der Heide, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, Kommentar ROG 1998,§ 2 Grundsatz Nr. 2 Rn. 11. 198  Ministerkonferenz für Raumordnung, Beschluss vom 08.02.1968, abgedruckt bei Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, Bd. 2 unter Bund V.3.1.1.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

gen zur Deckung des spezialisierten höheren Bedarfs bereit stellen.199 Mittelzentren versorgen einen mittelzentralen Bereich und gewährleisten die Deckung des gehobenen Bedarfs, während Unterzentren- und Kleinzentren, die sich in der Praxis nicht immer unterscheiden lassen,200 auf die Versorgung der Bevölkerung mit dem täglichen Bedarf, also eine Art „Grundversorgung“ ausgerichtet sind.201 Jedes höhere Zentrum nimmt zugleich auch Aufgaben des Zentralen Orts niedriger Stufe wahr.202 Mit Hilfe des Zentrale-Orte-Systems sollen die kostenaufwändigen Einrichtungen der Infrastruktur so gesteuert werden, dass eine möglichst gleichmäßige Versorgung im Raum dadurch hergestellt wird, dass sie gebündelt und zentral vorgehalten werden.203 Zentrale Orte sind nach § 8 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 lit. b) ROG in Raumordnungsplänen festzusetzen. Die Einstufung einer Gemeinde in die Hierarchie des Zentrale-Orte-Systems erfolgt in der Regel in Form der Festsetzung als Ziel der Raumordnung204 mit der Bindungswirkung des § 4 Abs. 1 ROG. Die Vorgaben und Kataloge, mit deren Hilfe die Ausstattungsstandards der verschiedenen Ebenen bestimmt werden, sind dagegen meist nur als in der Abwägung überwindbare Grundsätze der Raumordnung ausgestaltet.205 Auf der Basis des Zentrale-Orte-Systems wurden verschiedene Planungsgrundsätze entwickelt, die insbesondere bei der Ansiedlung von Einzelhandelsprojekten von Bedeutung sind: das Konzentrationsgebot, das Kongruenz199  Ministerkonferenz für Raumordnung, Beschluss vom 08.02.1968, abgedruckt bei Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, Bd. 2 unter Bund V.3.1.1; Ministerkonferenz für Raumordnung, Entschließung vom 16.06.1983, abgedruckt bei Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, Bd.  2 unter Bund V.3.1.4. 200  Ministerkonferenz für Raumordnung, Beschluss vom 08.02.1968, abgedruckt bei Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, Bd. 2 unter Bund V.3.1.1. 201  Ministerkonferenz für Raumordnung, Beschluss vom 08.02.1968, abgedruckt bei Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, Bd. 2 unter Bund V.3.1.1; von der Heide, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 2 Rn. 10; Gawron, Zentrale Orte und Schrumpfung, S. 11. 202  von der Heide, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, Kommentar ROG 1998, § 2 Grundsatz Nr. 2 Rn. 11. 203  Runkel: in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 109. 204  Gawron, Zentrale Orte und Schrumpfung, S. 74; Martić, Zentrale Orte und Einzelhandelsgroßprojekte, S. 86 f.; so wohl auch das Verständnis des Landesentwicklungsplans (LEP) Sachsen-Anhalts, Z 36 ff. und des Entwurfs für ein neues bayerisches Landesentwicklungsprogramm, Ziff. 2.1.5; a. A. Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn. 30 Fn. 1. 205  Vgl. Gawron, Zentrale Orte und Schrumpfung, S. 74; vgl. etwa die vagen Angaben für Mittel- und Oberzentren im neuen bayerischen Landesentwicklungsprogramm, Ziff. 2.1.2.



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 167

gebot, das Beeinträchtigungsverbot sowie das Integrationsgebot.206 Die genaue Terminologie und Abgrenzung dieser Planungsgrundsätze ist in der Literatur umstritten.207 Teilweise ist nur von drei aus dem Zentrale-Orte-Konzept abzuleitenden Planungsgrundsätzen die Rede, wobei das Konzentrationsgebot häufig mit dem Kongruenzgebot vermengt wird.208 Die Rechtsprechung unterscheidet meist zwischen Konzentrationsgebot, Kongruenzgebot, Beeinträchtigungsverbot und Integrationsgebot.209 Dieser Differenzierung ist zu folgen, da andernfalls die Gefahr besteht, dass wesentliche Aspekte von Konzentrationsgebot und Kongruenzgebot nicht hinreichend gewürdigt werden. Nach dem Konzentrationsgebot wird die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe auf Orte einer bestimmten Zentralitätsstufe, in der Regel auf Ober- und Mittelzentren begrenzt.210 Nach dem Kongruenzgebot soll der Einzugsbereich einer typischen zentralen Einrichtung eines Ortes den zentralörtlichen Verflechtungsbereich der Ansiedlungsgemeinde nicht wesentlich überschreiten.211 Höchst umstritten ist allerdings, ob das Kongruenzgebot auch auf privatwirtschaftliche Versorgungseinrichtungen anwendbar ist und ob aus dem Kongruenzgebot eine strikte Bindung an einen Verflechtungsbereich erfolgt, was besonders im Zusammenhang mit der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsprojekte relevant wird.212 Nach dem Beeinträchtigungsverbot darf die verbrauchernahe Versorgung, inbesondere 206  BVerwG, Beschl. v. 08.06.2006 – 4 BN 8.06 –, ZfBR 2006, 783, 783 f. für das Kongruenzgebot; für sämtliche Prinzipien, vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.2011 – 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255, 257; Konzentrationsgebot und Kongruenzgebot folgen nach wohl h. M. nicht unmittelbar aus dem Zentrale-Orte-Konzept, sondern müssen explizit in den Raumordnungsplänen verankert werden. Sie dienen jedoch der praktischen Umsetzung des Zentrale-Orte-Systems. Näher dazu, vgl. unten, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (1). Etwas anderes gilt jedoch für das Beeinträchtigungsverbot, welches dem Zentrale-Orte-Prinzip immanent ist und daher keiner Umsetzung in den Raumordnungsplänen bedarf, vgl. Ernst, Standortsteuerung, S. 132; Hoppe, DVBl. 2000, 293, 299. 207  Vgl. Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1339; Bienek etwa spricht nicht vom „Konzentrationsgebot“, sondern verwendet für den gleichen Sachverhalt den Begriff „Zentralitätsgebot“, vgl. Bienek, UPR 2008, 370, 372. 208  Ernst etwa verwendet den Begriff „Kongruenzgebot“ für den in dieser Arbeit als „Konzentrationsgebot“ bezeichneten Planungsgrundsatz, vgl. Ernst, Standortsteuerung. 209  Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 17.12.2009 – 3 S 2110  / 08 –, VBlBW 2010, 357, 358 ff. sowie BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8.10 –, ZfBR 2011, 255, 257. 210  Spannowsky, UPR 2003, 248, 250; Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1339; ähnlich auch Bienek, UPR 2008, 370, 372, der insoweit allerdings vom „Zentralitätsgebot“ spricht. 211  Vgl. dazu Spannowsky, UPR 2003, 248, 250; Uechtritz, NVwZ 2004, 1025, 1027; Bienek, UPR 2008, 370, 372. 212  Kritisch dazu Hoppe, NVwZ 2006, 1345, 1345 ff.; näher dazu unten, 3. Kapitel, II. 2. d) bb) (1).

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

der nicht mobilen Bevölkerung, durch ein Vorhaben nicht gefährdet werden.213 Das Integrationsgebot schließlich besagt, dass eine Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsprojekts nur an städtebaulich integrierten Standorten bzw. in Siedlungsbereichen oder vorhandenen zentralen Einkaufsbereichen zulässig ist.214 Städtebaulich integriert ist ein Standort dann, wenn er eine auch für nicht mobile Bevölkerungsgruppen günstige Lage zum Stadtkern oder zu Stadtteilzentren mit Anbindung an den ÖPNV aufweist.215 (2) Wirksamkeit in der Vergangenheit Nicht einheitlich beantwortet wird die Frage, ob das Zentrale-Orte-Prinzip in der Vergangenheit zur Steuerung der Siedlungsentwicklung wirksam war. Teile der Literatur gehen davon aus, dass das Zentrale-Orte-Prinzip gerade zur Vermeidung dispersen Siedlungswachstums weitgehend unwirksam gewesen sei,216 zumal es in Zentralen Orten häufig zu wenig Bauland gebe217 und so die Abwanderung in das Umland begünstigt werde. Zudem stelle die Suburbanisierung die überkommene Gliederung in Zentrale Orte in Frage.218 Am größten sei der Einfluss des Zentrale-Orte-Prinzips in solchen Bereichen gewesen, die unmittelbar dem raumwirksamen Handeln des Staates zuzurechnen seien, etwa bei der öffentlichen Infrastrukturplanung, während im privatwirtschaftlichen Bereich, etwa bei der Steuerung des Einzelhandels allenfalls ein indirekter Einfluss messbar gewesen sei.219 Zugleich wird in der Literatur auf die Wirksamkeit des Zentrale-Orte-Prinzips in ländlich geprägten Räumen wie Oberfranken, Schleswig-Holstein oder Sachsen hingewiesen, wo in der Vergangenheit gerade die Zentralen Orte „Kristallisations213  Vgl. dazu Spannowsky, UPR 2003, 248, 250; Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1339; Bienek, UPR 2008, 370, 372. 214  Vgl. BVerwG, Urt. vom 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, NVwZ 2004, 220, 225; Spannowsky, UPR 2003, 248, 250; Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1339; Bienek, UPR 2008, 370, 372. 215  Vgl. Bienek, UPR 2008, 370, 372 unter Bezugnahme auf II. 1. b) der Handlungsanleitung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über die Zulässigkeit von großflächigen Einzelhandelseinrichtungen im Freistaat Sachsen vom 4.4.2008, abgedruckt im SächsABl. 2008, S. 602 ff.  216  Vgl. den Hinweis bei von der Heide, in: Cholewa / Dyong / von der Heide /  Arenz, Raumordnung, Kommentar ROG 1998, § 2 Grundsatz Nr. 2, Rn. 18; Blotevogel, Stichwort Zentrale Orte, in: ARL, Handwörterbuch der Raumordnung, S.  1307, 1312 f.; Hübler, RuR 1999, 241, 243 ff.  217  Gawron, Zentrale Orte und Schrumpfung, S. 17. 218  Gawron, Zentrale Orte und Schrumpfung, S. 17; Fürst / Ritter, Landesentwicklungsplanung und Regionalplanung, S. 43. 219  Blotevogel, Stichwort Zentrale Orte, in: ARL, Handwörterbuch der Raumordnung, S. 1307, 1312.



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punkte der Siedlungs- und wirtschaftlichen Entwicklung“ gewesen seien.220 Dem entspricht die Beobachtung, dass sich das Zentrale-Orte-Prinzip als besonders wirksam in der Fläche bei einer dezentralen Siedlungsstruktur erwiesen hat, während es in Ballungszentren mit fließenden Übergängen zwischen den einzelnen Städten an natürliche Grenzen stößt.221 Von der Frage der allgemeinen Wirksamkeit des Zentrale-Orte-Prinzips zu unterscheiden ist das Problem seiner Ausrichtung auf eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung. Hierzu wird angeführt, dass das Zentrale-OrteSystem gerade in ländlichen Regionen zu einer ökonomisch sinnvollen Bündelung von Einrichtungen in zumutbarer Entfernung zu den Bewohnern beigetragen habe.222 Es habe so zu einer gerechten Verteilung von Ressourcen geführt und großräumige Verödungsprozesse in ländlichen Regionen verhindert.223 Insgesamt hat sich das Zentrale-Orte-Prinzip auch nach Einschätzung der Ministerkonferenz für Raumordnung bewährt.224 Es spiele eine wichtige Rolle bei der räumlichen Steuerung von Investitionen in die Infrastruktur, für Finanzzuweisungen und für die Zulässigkeit von Vorhaben.225 Dabei darf jedoch nicht verkannt werden, dass sich die Fachplanung mehrheitlich nicht am Zentral-Orte-Prinzip orientiert, sondern sich vielmehr auf die Raumeinheit „Kreis“226 bezieht,227 was in bestimmten Fällen zu Diskrepanzen mit dem Zentrale-Orte-Prinzip führen kann.228 Andere Zweige 220  Benedict, Das Zentrale-Orte-Konzept, in: ARL / Kommunalverband Großraum Hannover, Zentrale Orte in der Raumordnung, S. 38, 40; Gawron, Zentrale Orte und Schrumpfung, S. 17. 221  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 109. 222  Gawron, Zentrale Orte und Schrumpfung, S. 27; Hahne, RuR 2005, 257, 260. 223  Blotevogel, Empfehlungen zur Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, in: Blotevogel, Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, S. 217, 220. 224  Ministerkonferenz für Raumordnung, Entschließung vom 03.12.2001, Leitli­ nien zur Anwendung des Zentrale-Orte-Konzepts als Instrument einer nachhaltigen Raumentwicklung, abgedruckt bei Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsund Landesplanungsrecht, Bd. 1, B 320. 225  Einschätzung der Ministerkonferenz für Raumordnung, Entschließung vom 03.12.2001, Leitlinien zur Anwendung des Zentrale-Orte-Konzepts als Instrument einer nachhaltigen Raumentwicklung, abgedruckt bei Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, Bd. 1, B 320. 226  Darunter werden in erster Linie Landkreise und kreisfreie Städte verstanden. 227  Gawron, Zentrale Orte und Schrumpfung, S. 80; BMVBS, Daseinsvorsorge und Zentrale-Orte-Konzepte, S. 22; als Beispiel lässt sich das Abfallrecht heranziehen, für dessen Durchführung die Länder verantwortlich sind. In Bayern obliegt der Vollzug den Landkreisen und kreisfreien Städten, vgl. Art. 3 Abs. 1 BayAbfG. 228  Freilich werden gerade kreisfreie Städte häufig als Oberzentrum ausgewiesen sein, so dass in solchen Fällen eine Übereinstimmung zwischen Fachplanung und Zentrale-Orte-Prinzip bestehen wird.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

der Fachplanung wiederum enthalten lediglich die Verpflichtung zur Bereitstellung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung, was ebenfalls nicht mit dem Zentrale-Orte-System kongruent ist.229 (3) Wirksamkeit unter den Bedingungen des demografischen Wandels (a) Bestandsaufnahme und Lösungsvorschläge Aus der Tatsache, dass in der Vergangenheit positive Erfahrungen mit dem Zentrale-Orte-Prinzip gemacht wurden, folgt nicht automatisch, dass das Konzept auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sinnvoll bleibt. Vielmehr bedarf es der Analyse, ob und inwiefern das System Zentraler Orte auch mit rückläufigen Bevölkerungszahlen und einer alternden Gesellschaft kompatibel ist und wo gegebenenfalls eine Anpassung an die veränderte Situation erforderlich wird. Der Forschungsbericht eines Ad-hoc-Arbeitskreises der ARL geht davon aus, dass das Zentrale-Orte-Konzept als raumordnungspolitisches Instrument mit einem umfassenden Steuerungsanspruch nicht mehr haltbar sei und nur noch als rahmensetzendes Ordnungsmodell mit „Leitplanken“-Funktion fungieren könne.230 Ein weniger düsteres Bild zeichnet die Ministerkonferenz für Raumordnung, wenn sie betont, dass das System der Zentralen Orte gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels geeignete Orientierungs- und Stützpunkte zur Gewährleistung der Daseinsvorsorge bereit halte.231 Allerdings müsse bedacht werden, dass es angesichts des zu erwartenden Bevölkerungsrückgangs in manchen Regionen und der damit verbundenen sinkenden Bevölkerungsdichte nicht mehr möglich sein werde, das hierarchisch gegliederte Netz von Zentralen Orten flächendeckend aufrecht zu 229  Gawron, Zentrale Orte und Schrumpfung, S. 80; vgl. etwa § 8 Abs. 3 PBefG sowie die einschlägigen Gesetze der Länder, etwa Art. 8 Abs. 1 BayÖPNVG; ähnlich auch Art. 87 e Abs. 4 GG für den Schienenverkehr. 230  Blotevogel, Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, in: Blotevogel, Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, S. XIII, XIII ff.; vgl. auch Hoppe, NVwZ 2004, 282, 285 f. 231  Ministerkonferenz für Raumordnung, Entschließung vom 03.12.2001, Leitli­ nien zur Anwendung des Zentrale-Orte-Konzepts als Instrument einer nachhaltigen Raumentwicklung, abgedruckt bei Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsund Landesplanungsrecht, Bd. 1, B 320; Ministerkonferenz für Raumordnung, Beschluss v. 10.06.2009, Demografischer Wandel und Daseinsvorsorge, abgedruckt bei Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, Bd. 2 unter Bund V.3.5.8; in diese Richtung auch Ingold, Erstplanungspflichten, S. 277.



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 171

erhalten.232 Als Lösung wird vorgeschlagen, die Zahl der Zentren und ihre Klassifizierung in ein angemessenes Verhältnis zum Bevölkerungsrückgang zu bringen, d. h. Orte in ihrer Zentralität zurückzustufen,233 was insbesondere für Oberzentren gelte. Dagegen sollten die Mittelzentren gestärkt werden,234 da sie einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung der ländlichen Räume leisten könnten. Die Klein- und Unterzentren sollten ebenfalls beibehalten und gestärkt werden, zumal sie eine wohnortnahe Grundversorgung der Bevölkerung gewährleisteten.235 Daneben müssten die Ausstattungsmerkmale zentraler Orte an die regionalen Einwohnerpotentiale angepasst und bei Bedarf oberzentrale Funktionen auch in Mittelzentren und mittelzentrale Funktionen auch in Grundzentren angeboten werden, wenn eine zumutbare Erreichbarkeit Zentraler Orte höherer Stufe nicht gegeben sei.236 Ferner wird darauf hingewiesen, dass bei der Definition der zentralörtlichen Einzugsbereiche die Veränderung der Erreichbarkeitsverhältnisse stärker berücksichtigt werden müssten, wobei von einer Zunahme des PKW-Verkehrs auszugehen sei.237 Zugleich müssten die Angebote des ­ÖPNV flexibler gestaltet werden.238

232  Ministerkonferenz für Raumordnung, Entschließung vom 13.10.2003, Sicherung und Weiterentwicklung der öffentlichen Daseinsvorsorge vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, abgedruckt bei Cholewa  /  Dyong  /  von der Heide  /  Arenz, Raumordnung, Bd. 2 unter Bund V.3.5.5; ähnlich auch Hahne, RuR 2005, 257, 260; Gawron, Zentrale Orte und Schrumpfung, S. 27. 233  Ministerkonferenz für Raumordnung, Entschließung vom 13.10.2003, Sicherung und Weiterentwicklung der öffentlichen Daseinsvorsorge vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, abgedruckt bei Cholewa  /  Dyong  /  von der Heide  /  Arenz, Raumordnung, Bd. 2 unter Bund V.3.5.5. 234  So auch die Empfehlung des Beirats für Raumordnung, Stellungnahme zur Raumordnerischen Diskussion der Ausgestaltung des Leitprinzips „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“, 21.09.2005, S. 8. 235  Vgl. Gawron, Zentrale Orte und Schrumpfung, S. 28; Ministerkonferenz für Raumordnung, Beschluss v. 10.06.2009, Demografischer Wandel und Daseinsvorsorge, abgedruckt bei Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, Bd. 2 unter Bund V.3.5.8. 236  Ministerkonferenz für Raumordnung, Entschließung vom 13.10.2003, abgedruckt bei Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, Bd. 2 unter Bund V.3.5.5. 237  Ministerkonferenz für Raumordnung, Entschließung vom 13.10.2003, abgedruckt bei Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, Bd. 2 unter Bund V.3.5.5. 238  Ministerkonferenz für Raumordnung, Entschließung vom 13.10.2003, abgedruckt bei Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, Bd. 2 unter Bund V.3.5.5.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

(b) Eigene Stellungnahme Die vorgeschlagenen Modifikationen des Zentrale-Orte-Prinzips erscheinen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels überwiegend angemessen. Insbesondere die Stärkung von Klein- und Unterzentren kann in entlegenen Gegenden sicher stellen, dass wichtige Einrichtungen der Daseinsvorsorge für die dort lebende Bevölkerung noch vergleichsweise gut erreichbar bleiben. Entsprechendes gilt für die vorgeschlagene Aufwertung der Mittelzentren, die Leistungen des gehobenen Bedarfs anbieten und gegebenenfalls auch Funktionen eines Oberzentrums übernehmen sollen. Dadurch wird gewährleistet, dass in ländlichen Gegenden wichtige Dienstleistungen, die zwar nicht zum täglichen Grundbedarf gehören, jedoch trotzdem regelmäßig benötigt werden, weiterhin erreichbar bleiben. Zu diesem Zwecke ist insbesondere die Anpassung des ÖPNV von zentraler Bedeutung, zumal ein Teil der Bevölkerung in Zukunft auf Grund seines hohen Alters nicht mehr in der Lage sein wird, selbst Auto zu fahren239 und daher auf eine gute Erreichbarkeit wichtiger Einrichtungen, auch und gerade in ländlichen Gegenden angewiesen sein wird. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die Möglichkeiten der Anpassung des Zentrale-Orte-Systems an die Herausforderungen des demografischen Wandels dort ihre Grenzen finden, wo politische Widerstände auftreten, etwa dann, wenn es um die Frage der Rückstufung von Gemeinden in ihrer Zentralitätsstufe geht, die sich bei der Wahlbevölkerung als unpopulär erweisen. Es ist jedoch trotz der vorgeschlagenen und auch notwendigen Anpassungen an die veränderte demografische Situation richtig, dass der Gesetzgeber im ROG 2008 am Zentrale-Orte-System festgehalten hat, denn die Alternativen erscheinen gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wenig zielführend. Bei einer ersatzlosen Abschaffung des Zentrale-Orte-Systems bestünde die Gefahr einer weitgehend unkoordinierten und wenig nachhaltigen Verteilung räumlicher Funktionen.240 Dies bedeutet, dass wichtige Dienstleistungen von vorneherein nicht mehr an Zentrale Orte gebunden wären, sondern verstreut in der Peripherie angeboten werden könnten, was ihrer Erreichbarkeit abträglich wäre. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Problematik der Ansiedelung großflächiger Einzelhandelsprojekte zu nennen,241 da im Falle einer Ansiedelung 239  Vgl.

oben, 1. Kapitel, IV. 1. b). auch Bednarz, Demographischer Wandel und kommunale Selbstverwaltung, S. 242. 241  Blotevogel, Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, in: Blotevogel, Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, S. 217, 227; vgl. auch Spannowsky, NdSVBl. 2001, 32, 41. 240  So



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nahversorgungsrelevanter Betriebe auf der grünen Wiese möglicherweise die Versorgung älterer, nicht mehr mobiler Menschen gefährdet wäre. Entsprechendes gilt für die Steuerung von ÖPNV-Konzepten, für die das System der Zentralen Orte als wichtiger Anknüpfungspunkt dienen kann, sowie für die Daseinsvorsorge.242 Unabhängig von den gesetzlichen Vorgaben freilich ist zu bedenken, dass, wie die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen,243 die Vorgaben des Zentrale-Orte-Konzepts selten durchgängig eingehalten werden. Dennoch sollte das Zentrale-Orte-System nicht von vornherein abgeschrieben werden. Ein weiterer Grund, warum der Gesetzgeber zu Recht trotz der nötigen Anpassungen grundsätzlich am Prinzip der Zentralen Orte festgehalten hat, besteht darin, dass die Zentralen Orte wichtige Bezugspunkte für jegliche Steuerung der Siedlungsentwicklung darstellen können.244 So kann das System der Zentralen Orte als Anknüpfungspunkt bei der Ausweisung neuer Siedlungsgebiete dienen.245 Überdies ermöglicht das Zentrale-Orte-Konzept ein gewisses Maß an Flexibilität, was insofern wichtig ist, als der demografische Wandel nicht in allen Landesteilen gleich verlaufen wird.246 So können etwa die Kataloge der Leistungen, die auf einer Zentralitätsstufe angeboten werden müssen, durch die Raumordnungspläne der Länder festgelegt werden.247 Auch die Anzahl der Zentralitätsstufen sowie die Einstufung der einzelnen Gemeinden können von den Ländern als Ziele der Raumordnung vorgegeben werden. Außerdem erscheinen die von Kritikern des ZentraleOrte-Konzepts vorgebrachten Alternativen bislang wenig ausgereift. Diese verlangen, dass an die Stelle siedlungsstruktureller Vorgaben künftig vor allem die Fähigkeit des Moderierens und Managens treten solle,248 doch wie genau die normative Umsetzung dieser Anliegen in einem Flächenstaat von statten gehen soll, ist wenig geklärt. Bei aller Offenheit gegenüber derartigen Innovationen sollte zumindest so lange am Zentrale-Orte-Konzept festgehalten werden, bis eine konzeptionell ausgereifte Alternative vorliegt. 242  Blotevogel, Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, in: Blotevogel, Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, S. 217, 241 ff.  243  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 2. c) bb) (2). 244  Ministerkonferenz für Raumordnung, Entschließung vom 03.12.2001, Leitli­ nien zur Anwendung des Zentrale-Orte-Konzepts als Instrument einer nachhaltigen Raumentwicklung, abgedruckt bei Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsund Landesplanungsrecht, Bd. 1, B 320. 245  Vgl auch Blotevogel, Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Zentrale-OrteKonzepts, in: Blotevogel, Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, S. 217, 239 f. 246  Vgl. dazu oben, 1. Kapitel, II. 2. 247  Vgl. etwa den Landesentwicklungsplan Thüringens v. 06.10.2004, Ziff. 2.2.5, 2.2.7 und 2.2.11. 248  So etwa Hübler, RuR 1999, 241, 247.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Kritisch bezüglich des Zentrale-Orte-Konzepts ist indes anzumerken, dass es mit seinen voll ausgestatteten Oberzentren in Teilräumen mit extremer Verdichtung nicht mehr sinnvoll ist und auch die Abgrenzung von oberzentralen Verflechtungsbereichen dort nicht mehr gelingen kann,249 da in einem ohnehin schon konzentrierten Bereich keine weitere Konzentration von Angeboten mehr möglich ist. Dies ist deshalb bedeutsam, weil der demografische Wandel nicht überall zu Bevölkerungsrückgängen führt, sondern es vielmehr auch Gegenden geben wird, die ein konstantes Bevölkerungswachstum verzeichnen.250 Insoweit bedarf das Zentrale-Orte-Prinzip einer entsprechenden Modifikation. Eine vollständige Abkehr von der landesweiten zentralörtlichen Gliederung alleine deswegen erscheint jedoch angesichts der vergleichsweise geringen Zahl an Ballungsräumen nicht angezeigt. cc) Bewertung vor dem Hintergrund des Verfassungs- und Europarechts Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG genügt den Anforderungen des Verfassungsrechts. Insbesondere der allgemeine Gleichheitssatz und das Sozialstaatsprinzip sind gewahrt, da die Norm Städte und ländliche Räume gleichermaßen stärken will und das Zentrale-Orte-Prinzip, welches durch die Vorschrift besonders betont wird, bei einer Anpassung an die Herausforderungen des demografischen Wandels geeignet ist, eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung sicher zu stellen. dd) Bewertung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG hat die Herausforderungen, die der demografische Wandel hinsichtlich der Raum- und Siedlungsstrukturen mit sich bringt, hinreichend aufgegriffen. Positiv zu bewerten ist zunächst, dass der Gesetzgeber die Rolle von Städten und ländlichen Räumen gleichermaßen betont und ihm offensichtlich bewusst war, dass der demografische Wandel die Aufgabenwahrnehmung durch Städte und ländliche Räume gefährden kann. Die angestrebte Kooperation der einzelnen Regionen kann zur Einsparung finanzieller Mittel beitragen, etwa wenn benachbarte Gemeinden ihre Abwasserver- und -entsorgung koordinieren. Auf diese Weise kann die Versorgung auch in ländlichen Regionen kostengünstiger gestaltet werden, was angesichts geringer Auslastungszahlen des Netzes durch eine schrumpfende Bevölkerung besonders wichtig erscheint. 249  So

auch Hahne, RuR 2005, 257, 260. etwa oben, 1. Kapitel, II. 2. a).

250  Vgl.



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 175

Allerdings erscheint die Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 3 ROG selbst dann problematisch, wenn man der Auslegung von Ritter zur vorrangigen Ausrichtung der Siedlungstätigkeit251 nicht folgt und die Zentralen Orte mit den vorhandenen Siedlungen auf eine Ebene stellt. Grund dafür ist, dass die vorhandenen Siedlungen dadurch eine Aufwertung erfahren und, soweit sie über eine ausreichende Infrastruktur verfügen, erweitert werden können. Dies wiederum kann, wie Ritter treffend bemerkt, zu einer Verfestigung und Ausweitung von Siedlungen auf der grünen Wiese fernab der Zentralen Orte führen, was vor dem Hintergrund des Bevölkerungsrückgangs infolge des demografischen Wandels bedenklich erscheint. Erstens sind die Wege von der Peripherie bis zum nächsten Zentrum häufig weit, was besonders für ältere Menschen eine große Hürde darstellen kann. Selbst wenn in den fraglichen Siedlungen eine gewisse Grundversorgung gegeben ist, kann nicht gewährleistet werden, dass dies auf Dauer so bleibt, insbesondere wenn die Wirtschaftlichkeit der Leistungen nicht mehr gegeben ist. Zweitens besteht die Gefahr, dass, obwohl das Gesetz bei solchen Siedlungen eine ausreichende Infrastruktur voraussetzt, weitere Infrastrukturen über die unmittelbare Erschließungsinfrastruktur hinaus hinzu gebaut werden, welche aber auf längere Sicht nicht mehr gebraucht werden, wenn die Bevölkerungszahlen zurückgehen. Ritter betont weiterhin zu Recht, dass unter Berufung auf diese Vorschrift großflächige Einzelhandelsbetriebe in Zukunft verstärkt in bereits bestehenden Gewerbegebieten in der Peripherie angesiedelt werden könnten,252 was im Hinblick auf eine alternde, Bevölkerung wenig erstrebenswert erscheint, denn bei einer zunehmenden Verlagerung wichtiger Dienstleistungen in Randgebiete besteht die Gefahr, dass die Versorgung der in den Zentralen Orten lebenden Menschen langfristig leidet. Außerdem stellt die Aufwertung peripherer Siedlungen das diametrale Gegenteil dessen dar, was der Gesetzgeber mit § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG erreichen möchte, nämlich die Erhaltung der Innenstädte und örtlichen Zentren als zentrale Versorgungsbereiche. Zwar ist es nicht ungewöhnlich, dass einzelne der in § 2 Abs. 2 Nr. 1–8 ROG genannten Grundsätze einander zuwider laufen, doch ist an dieser Stelle nicht von einem bloßen Interessengegensatz auszugehen, sondern vielmehr von einem echten Widerspruch des § 2 Abs. 2 S. 3 2. HS 1. Var. ROG zum Gesamtkonzept. Angesichts dessen wäre es überzeugender gewesen, wenn sich der Gesetzgeber bei der Neuformulierung der Vorschrift näher an § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 ROG a. F. orientiert und alleine das Zentrale-OrteKonzept im Mittelpunkt der anzustrebenden Siedlungstätigkeit belassen hätte. 251  Vgl.

oben, 3. Kapitel, I. 1. c) aa). DÖV 2009, 425, 427.

252  Ritter,

176

3. Kap.: Raumordnungsrecht

Die Betonung des Zentrale-Orte-Prinzips selbst ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zu begrüßen, da mit Hilfe dieses Konzepts auch in der Zukunft eine gleichwertige und flexible Versorgung der Bevölkerung, auch in ländlichen Regionen, erreicht werden kann.253 Der Gesetzgeber darf davon ausgehen, dass die bisherigen Überlegungen der Raumforschung bezüglich einer Neuakzentuierung des Zentrale-Orte-Systems254 dazu führen werden, dass das Prinzip auch in Zukunft zum Wohle der Bevölkerung eingesetzt werden kann. Ebenfalls positiv zu werten ist die Betonung des Vorrangs der Innenentwicklung sowie der Aufwertung des Schutzes des Freiraums in § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 4 ROG. Vor dem Hintergrund rückläufiger Bevölkerungszahlen erscheint es wenig sinnvoll, bestehende Natur und Ökosysteme zu zerstören, wenn absehbar ist, dass die entsprechenden Flächen schon mangels einer ausreichenden Anzahl an Menschen in Zukunft nicht dauerhaft genutzt werden können. d) Infrastruktur und Verkehr, § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG aa) Inhalt und rechtsdogmatische Einordnung Nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG ist die Versorgung mit Dienstleistungen und Infrastrukturen der Daseinsvorsorge, insbesondere die Erreichbarkeit von Einrichtungen und Angeboten der Grundversorgung für alle Bevölkerungsgruppen zur Sicherung von Chancengerechtigkeit in den Teilräumen in angemessener Weise zu gewährleisten, was auch in dünn besiedelten Regionen gelten soll. Die soziale Infrastruktur ist vorrangig in Zentralen Orten zu bündeln. Überdies sind die Erreichbarkeits- und Tragfähigkeitskriterien des Zentrale-Orte-Konzepts flexibel an regionalen Erfordernissen auszurichten und die räumlichen Voraussetzungen für die Erhaltung der Innenstädte und örtlichen Zentren als zentrale Versorgungsbereiche zu schaffen. Weiterhin ist dem Schutz kritischer Infrastrukturen Rechnung zu tragen. Zudem sind die räumlichen Voraussetzungen für nachhaltige Mobilität und ein integriertes Verkehrssystem zu schaffen. Ferner ist auf eine gute und verkehrssichere Erreichbarkeit der Teilräume untereinander durch schnellen und reibungslosen Personen- und Güterverkehr hinzuwirken. Vor allem in verkehrlich hoch belasteten Räumen sind die Voraussetzungen zur Verlagerung des Verkehrs auf umweltbewusste Verkehrsträger zu schaffen. Die Raumstrukturen sind 253  Vgl.

oben, 3. Kapitel, I. 2. c) bb) (3) (b). dazu etwa Blotevogel, Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, in: Blotevogel, Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, S.  217, 218 ff.  254  Vgl.



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 177

schließlich so zu gestalten, dass die Verkehrsbelastung verringert und zusätzlicher Verkehr vermieden wird. In Satz 1 der Vorschrift wird die bereits in § 2 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 ROG angesprochene Daseinsvorsorge erneut aufgegriffen, wobei der Gesetzgeber hier zwischen den Dienstleistungen der Daseinsvorsorge und den dafür notwendigen Infrastrukturen unterscheidet.255 Das Gesetz fordert, dass Mindeststandards der Daseinsvorsorge für alle Bevölkerungsgruppen erreichbar sein müssen, wobei nicht definiert wird, was zur Grundversorgung zählen soll und wann noch von einer Erreichbarkeit ausgegangen werden kann. Der Schwerpunkt dürfte jedoch bei der sozialen Daseinsvorsorge liegen, die überwiegend von der öffentlichen Hand erbracht oder mitfinanziert wird und zu der etwa Schulen und Altenheime gehören.256 Zugleich fallen aber auch die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs und die medizinische Versorgung, die überwiegend privatwirtschaftlich erbracht werden, unter die Grundversorgung.257 Betont wird in § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 1 2. HS ROG, dass die Gewährleistung der Mindeststandards auch für dünn besiedelte Regionen gelten soll, wobei sich die Mindestgewährleistung auf sämtliche Teilbereiche der zur Grundversorgung zu zählenden Dienstleistungen und Infrastrukturen erstreckt.258 Nicht verlangt wird allerdings, dass die Art der Infrastrukturen und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge in dünn besiedelten Regionen in der gleichen Art ausgestaltet sind wie in verdichteten Räumen.259 Durch die Formulierung „in angemessener Weise“ soll nach Aussage der Gesetzgebungsmaterialien vielmehr klargestellt werden, dass hinsichtlich der Sicherung von Mindeststandards auch angesichts der demografischen Entwicklung regionale Differenzierungen sowie die Berücksichtigung einer wirtschaftlichkeitsorientierten Zumutbarkeitsschwelle notwendig sind.260 Daher muss die Grundversorgung nicht in jedem kleinen Dorf oder jeder kleinen Gemeinde erbracht werden, sondern kann sich auf die unterste Ebene Zentraler Orte beschränken, solange die Erreichbarkeit für alle Bevölkerungsgruppen gewährleistet ist.261 255  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 129. 256  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 130. 257  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 130. 258  Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 2 Rn. 78. 259  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 131; Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, §  2 Rn. 78. 260  BT-Drs. 16 / 10292, S.  21. 261  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 131; Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, §  2 Rn. 78.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

In § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 ROG wird zwar hinsichtlich der sozialen Infrastruktur auf das Zentrale-Orte-Konzept Bezug genommen, zugleich aber eine flexible, an regionalen Erfordernissen ausgerichtete Ausgestaltung ermöglicht,262 was im Zusammenhang mit der Gewährleistungsgarantie für dünn besiedelte Regionen zu sehen ist.263 Diese Vorgabe entspricht den Überlegungen der Raumforschung sowie der Ministerkonferenz für Raumordnung hinsichtlich einer Anpassung des Zentrale-Orte-Prinzips an die Anforderungen des demografischen Wandels.264 In eine ähnliche Richtung wie die Betonung des Zentrale-Orte-Prinzips zielt das Postulat der Erhaltung der Innenstädte und örtlichen Zentren als zentrale Versorgungsbereiche, welche im ROG 2008 erstmals als Grundsatz der Raumordnung erwähnt wird und sich an alle Aufgabenträger richtet.265 Zentrale Versorgungsbereiche sind nach der ursprünglich zu §§ 9 Abs. 2 a, 34 Abs. 3 BauGB entwickelten, aber auf das Raumordnungsrecht übertragbaren Definition „räumlich abgrenzbare Bereiche einer Gemeinde, denen auf Grund vorhandener Einzelhandelsnutzungen – häufig ergänzt durch diverse Dienstleistungen und gastronomische Angebote – eine Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus zukommt“266. Erfasst werden Versorgungsbereiche unterschiedlicher Stufen, d. h. sowohl Innenstadt- und Nebenzentren als auch Grund- und Nahversorgungszentren.267 Der Versorgungsbereich muss nach Lage, Art und Zweckbestimmung eine zentrale Funktion für die Versorgung der Bevölkerung in einem bestimmten Einzugsbereich haben,268 wobei ein übergemeindlicher Einzugsbereich nicht vorausgesetzt wird.269 Der Begriff ist nicht geografisch im Sinne einer Innenstadtlage oder Ortsmitte, sondern vielmehr funktional zu verstehen.270 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann auch ein Bereich, der auf die Grund- und Nahversorgung eines bestimmten örtlich begrenzten Einzugsbe262  Spannowsky,

in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 2 Rn. 79. in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 137. 264  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 2. c) bb) (3). 265  Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 2 Rn. 91. 266  So BVerwG, Urt. v. 11.10.2007 – 4 C 7 / 07 –, NVwZ 2008, 308, 309; BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 267 für den Begriff der zentralen Versorgungsbereiche in § 34 Abs. 3 BauGB, dessen Inhalt mit dem raumordnungsrechtlichen Begriff deckungsgleich ist. 267  Vgl. BT-Drs. 16  /  2496, S. 11 zu § 9 Abs. 2a BauGB; BVerwG, Beschl. v. 20.112006 – 4 B 50 / 06 –, BeckRS 2007, 20074; BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 1 / 08 –, NVwZ 2010, 587, 587 f. 268  BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 267. 269  BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 267; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  85. 270  BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 268. 263  Runkel,



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 179

reichs zugeschnitten ist, eine zentrale Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus wahrnehmen.271 Der Zweck des Versorgungsbereichs soll in einem solchen Fall in der Sicherstellung der wohnortnahen Grundversorgung der im Einzugsbereich lebenden Bevölkerung liegen.272 Allerdings muss nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ein zentraler Versorgungsbereich einen gewissen, über seine eigenen Grenzen hinaus reichenden räumlichen Einzugsbereich mit städtebaulichem Gewicht besitzen und damit über den unmittelbaren Nahbereich hinaus wirken.273 Zentrale Versorgungsbereiche ergeben sich nach der Rechtsprechung ausschließlich aus den tatsächlichen Verhältnissen, wobei planerische Festsetzungen freilich unterstützend herangezogen werden können.274 Sonstige, planungsrechtlich nicht verbindliche Konzepte hingegen vermögen damit erst recht keinen zentralen Versorgungsbereich zu begründen.275 Wenngleich es sich bei der Erhaltung der Innenstädte primär um eine kommunale Aufgabe handelt, kann das Raumordnungsrecht die notwendigen räumlichen Voraussetzungen dafür schaffen, etwa dergestalt, dass außerhalb der Innenstädte und örtlichen Zentren grundsätzlich keine großflächigen Einzelhandelsbetriebe entstehen dürfen.276 Allerdings ergeben sich für eine raumordnerische Steuerung der Ansiedlung von Einzelhandelsprojekten dadurch Grenzen, dass der Anwendungsbereich des Raumordnungsrechts auf raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen nach § 1 Abs. 1 S. 1 ROG beschränkt ist. Neben der Gewährleistung der Daseinsvorsorge und der Erhaltung der Innenstädte stehen die nachhaltige Mobilität und das integrierte Verkehrssystem sowie die Erreichbarkeit der Teilräume im Mittelpunkt des § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG. Der Nachhaltigkeitsbegriff ist dabei im Sinne von § 1 Abs. 2 ROG auszulegen und weist der Raumordnung die Aufgabe zu, die räumlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, etwa durch eine Ausrichtung der Siedlungsentwicklung auf vorhandene ÖPNV-Haltestellen oder durch die Konzentration der Siedlungstätigkeit auf Orte mit ausreichender Infrastruktur, in denen der Großteil der Strecken zu Fuß zurückgelegt werden 271  BVerwG,

Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 268. Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 268. 273  BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 268. 274  BVerwG, Beschl. v. 12.07.2012 – 4 B 13 / 12 –, ZfBR 2012, 671, 671; a. A. noch BT-Drs. 15 / 2250, S. 54, wonach auch planerische Festsetzungen allein einen zentralen Versorgungsbereich begründen könnten. 275  Spannowsky, in: Spannowsky  / Uechtritz, BauGB, § 34 Rn. 53; Kassow / Lee, NVwZ 2013, 969, 971 ff.; a. A. BT-Drs. 15 / 2250, S. 54; Krumb / Stapelfeldt, BauR 2011, 64, 64 f.; Janning, BauR 2005, 1723, 1725. 276  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 139. 272  BVerwG,

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

kann.277 Anders als in § 2 Abs. 2 Nr. 5 ROG a. F. wird die Stärkung des ÖPNV jedoch nicht mehr direkt vom Gesetzeswortlaut erwähnt. Die Erreichbarkeit der Teilräume durch Personen- und Güterverkehr bezieht sich vorwiegend auf die Zentralen Orte oberster Stufe, wobei eine hinreichende Anbindung von Mittel- und Kleinzentren, etwa im Wege geeigneter Autobahnausfahrten angestrebt wird.278 Im Vergleich zur sozialen Infrastruktur wird bei der Verkehrsinfrastruktur ein höherer Mindeststandard erwartet, was sich aus der Forderung nach einer „gute[n] und ver­ kehrs­ sichere[n] Erreichbarkeit der Teilräume untereinander durch schnellen und reibungslosen Personen- und Güterverkehr“ ergibt.279 Keinerlei Mindestvorgaben existieren hingegen für den Schutz kritischer Infrastrukturen, worunter Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen verstanden werden, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung erhebliche Versorgungsengpässe bis hin zu Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten können.280 Dazu zählen vor allem die Kommunikations- und Informationstechnologie, die nunmehr vom Raumordnungsrecht erstmals aufgegriffen werden.281 In dogmatischer Hinsicht enthält § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG enthält ebenso wie § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG einen nutzungsspezifisch strukturierten Grundsatz der Raumordnung,282 der, anders als § 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG, keine Leitbildfunktion besitzt. bb) Bewertung vor dem Hintergrund des Verfassungs- und Europarechts Die Neufassung des § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG genügt den Anforderungen des Verfassungsrechts, insbesondere denen des allgemeinen Gleichheitssatzes und des Sozialstaatsprinzips. Die Norm verlangt die Sicherung von Chancengerechtigkeit in den Teilräumen, was ein wichtiges Anliegen des Art. 3 Abs. 1 GG darstellt.283 Entsprechendes gilt für den Zugang aller Bevölke277  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 148. 278  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 151. 279  Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 2 Rn. 79. 280  Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Schutz kritischer Infrastrukturen, abrufbar unter https: /  / www.bsi.bund.de / DE / Themen / KritischeInfrastruk turen / kritischeinfrastrukturen_node.html (zuletzt abgerufen am 12.11.2012). 281  Näher dazu Krautzberger / Stüer, BauR 2009, 180, 183. 282  Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn. 29. 283  Vgl. insbesondere die Ausführungen unter 2. Kapitel, II. 1. e) bb).



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 181

rungsgruppen zu einer gewissen Grundversorgung. Hierdurch wird, ebenso wie durch das Bekenntnis zum Zentrale-Orte-Prinzip, die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs bezweckt, was den Vorgaben des Sozialstaatsprinzips im Zusammenwirken mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung trägt.284 Die Vorschrift wird auch den Vorgaben des Europarechts, insbesondere der Forderung nach einer Stärkung des sozialen und territorialen Zusammenhalts gerecht,285 da das Ziel der Chancengerechtigkeit in allen Teilräumen über das europarechtliche Anliegen der Stärkung des sozialen und territorialen Zusammenhalts sogar hinausgeht. cc) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Die Neufassung des § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels überwiegend positiv zu bewerten. In diesem Zusammenhang ist besonders die Gewährleistung der Grundversorgung auch in ländlichen Gegenden zu nennen. Die Tatsache, dass der Gesetzeswortlaut insoweit eine flexible Gestaltung zulässt, so dass das Versorgungsniveau nicht an allen Orten gleich sein muss, kann eine Chance darstellen, um künftigen demografischen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Besondere Probleme bei der Aufrechterhaltung der Grundversorgung bereiten allerdings ältere, nicht mehr mobile Menschen, die nicht ohne Weiteres den nächstgelegenen Zentralen Ort erreichen können, insbesondere, wenn es an Fami­ lienangehörigen oder einer funktionierenden Nachbarschaftshilfe fehlt.286 Hier könnte die Umsetzbarkeit und der Umsetzungswille in der Praxis auf gewisse Grenzen stoßen, zumal der Gesetzgeber keinerlei Anhaltspunkte vorgibt, wie das Ziel der Grundversorgung aller Bevölkerungsgruppen und damit auch der alten und nicht mehr mobilen Menschen erreicht werden soll. Ein Hinweis auf flexible Formen der Dienstleistungserbringung287 wäre an dieser Stelle hilfreich gewesen, zumal etwa in § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG unter Durchbrechung des bisherigen Verständnisses der Grundsätze der Raumordnung mit Hilfe von Verfahrensanweisungen angegeben wird, wie ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll.288 284  Vgl.

oben, 2. Kapitel, II. 1. f) und II. 1. i). oben, 2. Kapitel, II. 2. b). 286  Zu diesem Problem siehe auch Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 131. 287  Dazu gehören beispielsweise mobile Angebote, Dienste auf konkrete Anforderung und telefonische Bestellungen mit Lieferservice. 288  Vgl. dazu oben, 3. Kapitel, I. 2. c) aa). 285  Vgl.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Zu begrüßen ist das Bekenntnis zum Zentrale-Orte-Prinzip sowie der Hinweis des Gesetzgebers, dass eine Anpassung des Konzepts an die veränderten Rahmenbedingungen und eine flexible Ausrichtung erforderlich sind. Auf diese Weise können die Vorteile des Zentrale-Orte-Prinzips, etwa die Möglichkeit der flächendeckenden Versorgung,289 genutzt werden, ohne dass ein starres, nicht mehr brauchbares Prinzip zementiert würde. Konsequent ist in diesem Zusammenhang das Bekenntnis des Gesetzgebers zur Stärkung der zentralen Versorgungsbereiche, insbesondere der Innenstädte. Freilich handelt es sich insoweit um einen bloßen gesetzlichen Grundsatz der Raumordnung, welcher der Umsetzung in den Raumordnungsplänen sowie auf bauplanungsrechtlicher Ebene bedarf, doch kann die Regelung immerhin einen gewissen Rahmen vorgeben, innerhalb dessen sich die nachgeordneten Planungsträger bewegen müssen. Die Forderung nach einer guten Erreichbarkeit der Teilräume durch Personen- und Güterverkehr ist ebenfalls positiv zu bewerten, wenngleich ein Zusammenhang mit der täglichen Grundversorgung hier nur mittelbar besteht. Dennoch können gerade ältere Menschen von einer guten Erreichbarkeit im Personenverkehr auf der Schiene profitieren, wenn sie längere Wegstrecken zurücklegen wollen, die sie selbst nicht mehr mit dem Auto bewältigen können. An der Neuregelung zu bemängeln ist, dass sie, anders als § 2 Abs. 2 Nr. 5 ROG a. F., die Verbindung der Siedlungstätigkeit mit einem leistungsfähigen ÖPNV nicht mehr explizit erwähnt.290 Zwar wird auch in der Neufassung eine nachhaltige Mobilität sowie ein integriertes Verkehrssystem verlangt, wozu eine Ausrichtung der Siedlungsentwicklung auf vorhandene ÖPNV-Haltepunkte zweifellos gehört,291 doch wäre die Appellwirkung einer direkten Erwähnung des ÖPNV größer als der bloße Verweis auf das Nachhaltigkeitsprinzip.

3. Bewertung des Gesamtkonzepts des ROG 2008 vor dem Hintergrund des demografischen Wandels a) Abweichungskompetenz der Länder Das Gesamtkonzept des ROG 2008 basiert auf den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG i. V. m. Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GG. Damit unterfällt die Raumordnung der neu eingeführten Abweichungskom289  Näher

dazu, vgl. 3. Kapitel, I. 2. c) bb). auch Ritter, DÖV 2009, 425, 427 f. 291  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 2. d) aa). 290  So



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 183

petenz der Länder. Je nachdem, welchen der oben genannten Ansätze292 man verfolgt, ergibt sich eine unterschiedliche Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Raumordnungsrechts vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Gleichzeitig aber kann die Abweichungsbefugnis der Länder insoweit eine Chance darstellen, als Vorgaben des Raumordnungsgesetzes, welche vor dem Hintergrund des demografischen Wandels kritisch zu beurteilen sind, durch wirkungsvollere Regelungen überlagert werden können. aa) Bedenken und Risiken Unabhängig von den einzelnen Literaturansichten zur Reichweite der Abweichungskompetenz ist zu kritisieren, dass die Föderalismusreform in diesem Punkt zu erheblicher Rechtsunsicherheit geführt hat, was sich bereits an der Vielzahl von unterschiedlichen Meinungen ablesen lässt, die zu dem Problem der Abweichungsbefugnis der Länder im Bereich des Raumordnungsrechts vertreten werden. Daher besteht die Gefahr, dass die Länder abweichende Vorschriften erlassen293 und das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis kommt, dass die fraglichen Regelungen so nicht hätten erlassen werden dürfen, was gemäß § 78 S. 1 BVerfGG zu deren Nichtigkeit führt. Dies wiederum würde zumindest so lange, wie eine gefestigte Rechtsprechung zur Reichweite der Abweichungskompetenz nicht existiert, eine von Kontinuität geprägte Raumordnungspolitik unmöglich machen. Nachdem im Rahmen des Art. 72 Abs. 3 GG beim Wegfall des späteren Rechts das frühere wieder auflebt,294 müssten im Falle der Überschreitung der Abweichungskompetenz durch ein Land sämtliche Raumordnungspläne an die Vorgaben des Raumordnungsgesetzes des Bundes angepasst werden. Gerade wenn eine auf Dauer angelegte Strategie verfolgt werden soll, wie das angesichts des demografischen Wandels etwa bei der Ansiedelung von Einzelhandelsgeschäften oder bei der Steuerung der Siedlungstätigkeit nötig ist, kann die gegenwärtige Regelung daher nicht überzeugen. Ein weiteres Problem kann im Zusammenhang mit § 2 ROG auftreten. Hier darf die Frage der Abweichungsmöglichkeiten der Länder nicht mit deren Befugnis zur Ergänzung der Vorschrift verwechselt werden, die vom Wortlaut der Norm ausdrücklich zugelassen wird.295 Bei Letzterer können die Länder einzelne bundesrechtliche Grundsätze inhaltlich oder räumlich kon292  Vgl.

oben, 3. Kapitel, I. 1. a). größere und leistungsstarke Länder dürften von ihrer Abweichungskompetenz Gebrauch machen, vgl. Kment, NuR 2006, 217, 220; Knippenberg, Kompetenzgrundlagen, S. 106. 294  BT-Drs. 16 / 813, S.  11; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 72 Rn. 32. 295  Vgl. das Wort „insbesondere“ vor der Aufzählung der Planungsgrundsätze. 293  Besonders

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

kretisieren oder um bestimmte Aspekte erweitern.296 Allerdings ist die Unterscheidung zwischen bloßer Ergänzung und einer Abweichung zu bundesrechtlichen Grundsätzen problematisch, insbesondere, wenn der Landesgesetzgeber dies im Wortlaut nicht deutlich zum Ausdruck bringt.297 Deshalb kann es passieren, dass ein Land davon ausgeht, eine bloße Ergänzung vorzunehmen, während es sich in Wirklichkeit um eine Abweichung handelt. Hält man § 2 ROG richtigerweise für abweichungsfest,298 wäre der Grundsatz des Landes nichtig und es käme zu der oben geschilderten Problematik. Unabhängig von der Diskussion um einen abweichungsfesten Kern kann die neue kompetenzrechtliche Ausgangslage mit der Abweichungsbefugnis der Länder ein Ping-Pong-Spiel zwischen Bundesgesetz und Landesgesetz auslösen,299 da nach Art. 72 Abs. 3 S. 3 ROG das jeweils spätere Gesetz vorgeht. Schlimmstenfalls könnten Bund und Land abwechselnd Raumordnungsgesetze erlassen, was jegliche Kontinuität verhindern und langfristige Strategien zur Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels unmöglich machen würde. Darüber hinaus können einige der in der Literatur vorgeschlagenen Wege zur Interpretation der Abweichungskompetenz der Länder dazu führen, dass Regelungen des Raumordnungsgesetzes, die dem demografischen Wandel hinreichend Rechnung tragen, durch abweichende Landesgesetzgebung, welche dann Anwendungsvorrang genießen würde,300 überlagert werden. Wenngleich auch die Länder an die Grundrechte des Grundgesetzes und an das Sozialstaatsprinzip gebunden sind, könnten im Einzelfall Vorschriften erlassen werden, die zwar den Vorgaben des Grundgesetzes noch genügen, aber hinter dem Niveau des Raumordnungsgesetzes des Bundes zurück­ bleiben. Der Ansatz, wonach Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GG keinerlei abweichungsfesten Kern enthalten soll,301 gibt den Ländern die Möglichkeit, komplett eigene Raumordnungsgesetze zu erlassen, die nicht einmal die Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung mit gleichwertigen Lebensverhältnissen in den Landesteilen als oberstes Prinzip festlegen müssen. Die Tatsache, dass die bislang von den Ländern erlassenen Raumord296  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 17. 297  Auf dieses Problem weist auch Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 20 hin. 298  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 1. a). 299  Die Gefahr eines Ping-Pong-Spiels sehen auch Kment / Grüner, UPR 2009, 93, 94. 300  Vgl. Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG; BT-Drs. 16 / 813, S. 11; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 72 Rn. 32; Schulze Harling, Das materielle Abweichungsrecht der Länder, S.  186 ff.  301  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 1. a).



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nungsgesetze die Idee der nachhaltigen Raumentwicklung, das Prinzip der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sowie das Zentrale-Orte-Konzept weitestgehend übernehmen302 bzw. sich zu diesen Fragen gar nicht äußern303, bedeutet nicht, dass in Zukunft nicht andere Planungsmaximen in den Vordergrund treten könnten. Bedenken ruft die Abweichungskompetenz der Länder auch insoweit hervor, als Kment und Battis / Kersten danach sämtliche Verfahrensregelungen als nicht abweichungsfest einstufen. In diesem Fall könnte ein Land von §§ 15, 16 ROG dahin gehend abweichen, dass es Raumordnungsverfahren nur noch in ganz wenigen Einzelfällen verlangt oder gleich ganz abschafft. Dies wiederum würde die Steuerungswirkung des Raumordnungsrechts mit seinen den demografischen Wandel berücksichtigenden Grundsätzen weiter schwächen. Zwar entfaltet das Ergebnis eines Raumordnungsverfahrens ohnehin keine unmittelbare Bindungswirkung,304 doch kann ein negativer Ausgang das Schicksal eines Vorhabens bereits in der Frühphase in der Praxis entscheidend beeinflussen. bb) Chancen Gleichzeitig kann die Abweichungsmöglichkeit zu Gunsten der Länder auch eine Chance darstellen, nicht gelungene Regelungen des Raumordnungsgesetzes des Bundes zu suspendieren und durch eigene Rechtsnormen zu überlagern.305 Wenn man den Stimmen in der Literatur folgt und in Bezug auf § 6 Abs. 1 ROG eine uneingeschränkte Abweichungsmöglichkeit der Länder bejaht, können die Länder in ihren Landesplanungsgesetzen materielle Tatbestandsvoraussetzungen für die Annahme einer Zielausnahme auflisten, was wiederum die Rechtsanwendung erleichtern würde.306 Ein solcher Schritt ist von den Ländern zwar nicht unbedingt zu erwarten, da sie es in der Vergangenheit waren, die eine größtmögliche Flexibilisierung 302  So etwa das neue Bayerische Landesplanungsgesetz, das Landesplanungsgesetz Mecklenburg-Vorpommerns sowie das neue Landesplanungsgesetz Sachsens, das sich jedoch damit begnügt, auf § 1 Abs. 2 ROG zu verweisen. Letzteres gilt auch für das hessische Landesplanungsgesetz. 303  So etwa das neue Landesplanungsgesetz Nordrhein-Westfalens, das auf Leitvorstellungen und Grundsätze der Raumordnung nicht eingeht. 304  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 1. b) bb). 305  Nicht zu verwechseln ist dabei die Möglichkeit zur Abweichung mit der Befugnis der Länder zur Ergänzung einzelner Vorschriften des Raumordnungsgesetzes, insbesondere des § 2 ROG, vgl. oben, 3. Kapitel, I. 3. a) aa). 306  Vgl. Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 6 Rn. 37; zur Problematik des § 6 Abs. 1 ROG vgl. ausführlich unten, 3. Kapitel, I. 3. d).

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der Ziele der Raumordnung erreichen wollten,307 doch könnte im Einzelfall der Wunsch nach Rechtssicherheit überwiegen. Dies wiederum wäre vor dem Hintergrund des demografischen Wandels insoweit zu begrüßen, als umstrittene Großprojekte auf der grünen Wiese, welche die Versorgung in den Zentren potentiell gefährden könnten, in Abweichung vom ZentraleOrte-Konzept nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen möglich wären. Ähnliche Chancen können sich bei einer Abweichung von § 6 Abs. 2 ROG ergeben. Die Vorschrift erlaubt die Integration des Zielabweichungsverfahrens in Fachplanungsverfahren. Dies kann zu einer Schwächung der Steuerungskraft der Raumordnung führen, da die Fachbehörden sofort ein Zielabweichungsverfahren einleiten können, wenn ihnen die Vorgaben der Raumordnung im Wege zu stehen drohen.308 Problematisch ist ein solches Vorgehen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels deshalb, weil die Fachgesetze selbst in aller Regel keine Aussagen zu Siedlungsstrukturen oder Zentralen Orten treffen und daher eine Durchführung von Vorhaben erlauben, welche unter Raumordnungsgesichtspunkten nicht wünschenswert erscheinen. Hier können die Länder das Erfordernis eines gesonderten Abweichungsverlangens verankern, welches in den Händen der Raumordnungsbehörden verbleibt. Zwar muss auch die in einem integrierten Abweichungsverfahren zugelassene Abweichung nach § 6 Abs. 2 ROG unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar sein, doch stellt diese Vorgabe keine wirkliche Schranke für das Fachplanungsrecht dar, zumal die Fachbehörden meist nicht über ausreichende Kenntnisse dahin gehend verfügen dürften, was unter raumordnerischen Gesichtspunkten noch vertretbar ist.309 Der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber hat in seinem Landesplanungsgesetz von der Option der Trennung des Zielabweichungsverfahrens vom Fachplanungsverfahren Gebrauch gemacht und in § 16 Landesplanungsgesetz NRW festgelegt, dass ein Zielabweichungsverfahren in einem besonderen Verfahren durchgeführt werden kann.310 Unabhängig davon schützt gegenwärtig die Übergangsvorschrift des § 28 Abs. 3 ROG vor einer Integration des Zielabweichungsverfahrens in die jeweiligen Fachzulassungsverfahren gegen den Willen der Länder, da die vor Inkrafttreten des ROG 2008 geschaffenen Zuständigkeitsvorschriften zum Zielabweichungsverfahren als übergeleitetes Landesrecht weiterhin wirksam bleiben.311 BT-Drs. 16 / 10292, S. 23 und Kment / Grüner, UPR 2009, 93, 94. dieser Gefahr vgl. Ritter, DÖV 2009, 425, 428; ausführlich zu diesem Problem unten, 3. Kapitel, I. 3. d). 309  So auch Ritter, DÖV 2009, 425, 429. 310  Vgl. auch die Begründung zu § 16 Landesplanungsgesetz NRW in LT-Drs. NRW 14 / 10088, S.  88. 311  Vgl. Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 6 Rn. 42. 307  Vgl. 308  Zu



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cc) Bewertung am Beispiel des neuen bayerischen Landesplanungsgesetzes (1) Durchführung von Raumordnungsverfahren Das neue bayerische Landesplanungsgesetz (BayLplG)312 zeigt deutlich, dass die Länder mit Hilfe der Abweichungsgesetzgebung durchaus eigene Akzente zu setzen vermögen, welche vor dem Hintergrund des demografischen Wandels relevant werden können. So soll nach Art. 24 Abs. 1 Bay­ LplG ein Raumordnungsverfahren nur noch bei Vorhaben von „erheblicher überörtlicher Raumbedeutsamkeit“ durchzuführen sein. In allen übrigen Fällen werden nach Art. 27 BayLplG nur noch landesplanerische Stellungnahmen in der Regel von der höheren Landesplanungsbehörde abgegeben, deren faktische Bindungswirkung hinter der eines Raumordnungsverfahrens schon deswegen zwangsläufig zurückbleiben muss, weil es an einem fundierten, formalisierten Prüfungsverfahren fehlt. „Erheblich überörtlich raumbedeutsam“ sollen Vorhaben ausweislich der Begründung zum Gesetzesentwurf dann sein, wenn sie für die Nutzung des Raums, seine Funktion oder Entwicklung in besonderem Maße von Bedeutung sind.313 Die Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 BayLplG stellt eine Abweichung von § 15 Abs. 1 S. 1 ROG dar, der ein Raumordnungsverfahren bei allen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen im Sinne von § 1 der Raumordnungsverordnung vorsieht. Eine erhebliche überörtliche Raumbedeutsamkeit wird hier nicht verlangt. Konsequenzen dürfte der bayerische Sonderweg,314 dessen Zulässigkeit im Hinblick auf die Reichweite des abweichungsfesten Kerns des ROG 2008 fraglich bleibt, u. a. bei der Planung und Ansiedelung großflächiger Einzelhandelsvorhaben mit sich bringen.315 Hier wäre ein Raumordnungsverfahren dann nicht mehr erforderlich, zumal solche Vorhaben wohl selten eine erhebliche überörtliche Raumbedeutsamkeit haben dürften, wie dies etwa bei Fernstraßen der Fall ist. Zwar geht die bayerische Landesregierung in ihrer Begründung zum Gesetzesentwurf davon aus, dass große Freiflächen-Fotovoltaikanlagen erheblich überörtlich raumbedeutsam sein 312  Bayerisches

Landesplanungsgesetz v. 25.06.2012 (GVBl. 2012, S. 254). 16 / 10945, S.  24. 314  Andere Bundesländer haben das Modell bislang, soweit ersichtlich, nicht übernommen; kritisch zum bayerischen Sonderweg Strunz, BayVBl. 2012, 746, 747 f. 315  Kritisch gegenüber dem Gesetzesentwurf äußerte sich auch die Landesarbeitsgemeinschaft Bayern, Ad-hoc-Arbeitsgruppe LplG / LEP Bayern, Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Staatsregierung für ein neues Bayerisches Landesplanungsgesetz, S. 6 ff.; ähnlich auch der Berufsverband der praktizierenden Landes- und Regionalplaner e. V., Stellungnahme zum Entwurf des Bayerischen Landesplanungsgesetzes, S.  2 f. 313  LT-Drs.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

können,316 im Übrigen scheint die Vorschrift jedoch auf großräumige Projekte wie Straßen, Flughäfen oder Schienenwege zugeschnitten zu sein. Überdies dürfte regelmäßig Streit darüber entstehen, ob ein Einzelhandelsprojekt erheblich überörtlich raumbedeutsam ist oder nicht.317 Derartige Unsicherheiten werden nicht dazu beitragen, eine sinnvolle Strategie zur Ansiedelung großflächiger Einzelhandelsbetriebe zu verfolgen.318 Außerdem könnten die Planungsträger geneigt sein, die Erheblichkeit des Vorhabens zu verneinen, um Streitigkeiten mit privaten Investoren von vorneherein aus dem Weg zu gehen.319 Die in Art. 27 BayLplG vorgesehene landesplanerische Stellungnahme, die in solchen Fällen von der höheren Landesplanungsbehörde in Bauleitplan- oder Zulassungsverfahren abgegeben wird, kann ein Raumordnungsverfahren nicht ersetzen, da sie schon mangels Beteiligung anderer Stellen kein Abstimmungsinstrument darstellt.320 (2) Leitbild der Landesplanung Außerdem enthält das neue bayerische Landesplanungsgesetz in sich einen Widerspruch, der zur Einschränkung der Steuerungsmöglichkeit des Raumordnungsrechts führen kann. So ist es nach Art. 5 Abs. 1 BayLplG Leitziel der Landesplanung, gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Teilräumen zu schaffen und zu erhalten.321 Nach Art. 5 Abs. 2 BayLplG ist der Leitmaßstab der Landesplanung eine nachhaltige Raumentwicklung, die die wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Belange des Raums in Einklang bringt und zu einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung führt. Auf den ersten Blick mag die Vorschrift unproblematisch erscheinen, doch lässt sich bei genauerem Hinsehen eine Akzentverschiebung im Vergleich zu § 1 Abs. 2 ROG erkennen. Während nach dem ROG 2008 eindeutig die nachhaltige Raumentwicklung in Verbindung mit der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Vordergrund steht, rückt die bayerische Landesregierung die Schaffung gleichwertiger Lebens- und Arbeitsbedingungen an die erste Stelle. Der Bundesgesetzgeber betont zudem weniger den zumindest implizit vorhandenen staatlichen Förderauftrag zur 316  LT-Drs.

16 / 10945, S.  24. auch Voigt, Raumordnungsgesetz 2009, 187 ff.  318  Kritisch auch Diplom-Geografin Christine Stiglbauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Bereich Einzelhandel bei der Regierung der Oberpfalz, in einem Gespräch mit der Autorin am 13.12.2011. 319  In diese Richtung auch Goppel, BayVBl. 2012, 225, 229. 320  Vgl. Landesarbeitsgemeinschaft Bayern, Ad-hoc-Arbeitsgruppe LplG / LEP Bayern, Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Staatsregierung für ein neues Bayerisches Landesplanungsgesetz, S. 6. 321  Ausführlich dazu Voigt, Raumordnungsgesetz 2009, S. 102 ff.  317  Kritisch



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Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse, sondern vielmehr das Ergebnis, nämlich gleichwertige Lebensverhältnisse in den Teilräumen, indem er darauf abstellt, dass die Raumentwicklung zu gleichwertigen Lebensverhältnissen „führt“. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels macht diese abweichende Akzentsetzung insofern einen Unterschied, als sich die bayerische Regelung offensichtlich nicht mit der Aufrechterhaltung eines Mindeststandards in strukturschwachen Regionen und auch nicht mit dem status quo zufrieden geben, sondern alle Regionen darüber hinaus fördern möchte. Der Bundesgesetzgeber hat sich, wie an § 2 Abs. 2 S. 4 ROG deutlich wird, mit der Frage auseinander gesetzt, wie in Zukunft überall ein angemessenes Versorgungsniveau aufrecht erhalten werden kann, insbesondere in ländlichen Gebieten mit rückläufigen Bevölkerungszahlen. Der bayerische Gesetzgeber akzeptiert in Art. 6 Abs. 2 Nr. 1 S. 3 BayLplG zwar auch u. a. demografische und soziale Herausforderungen als Gründe für ein Abweichen vom Postulat ausgeglichener Lebensverhältnisse, doch steht in Art. 5 Abs. 1 BayLplG als Leitziel gerade auch die Schaffung bislang nicht vorhandener Standards im Vordergrund, was allein durch Art. 6 Abs. 2 Nr. 1 S. 3 BayLplG schwer relativiert werden kann, zumal die Verankerung als Leitziel sonst widersprüchlich wäre. Hierin liegt das entscheidende Problem. Auch in Bayern gibt es Regionen wie Oberfranken322 oder Teile der nördlichen Oberpfalz, die massiv unter den Folgen des Bevölkerungsrückgangs und der zunehmenden Alterung der Bevölkerung leiden. Deren Ausstattung mit Infrastruktur und Nahversorgung mag bereits jetzt unzureichend sein, doch dürften die absoluten Mindeststandards meist noch gewahrt sein. Wenn diese Regionen um jeden Preis auf ein gehobenes Versorgungsniveau im Vergleich zum gegenwärtigen Zustand gebracht werden sollen, kann dies dazu führen, dass die dafür notwendigen finanziellen Mittel fehlen oder an anderer Stelle abgezogen werden müssen. Diesen Punkt verkennt Goppel augenscheinlich, wenn er allein auf die Gleichwertigkeit der Lebens- und Arbeitsbedingungen abstellt und es vor dem Hintergrund des demografischen Wandels begrüßt, dass hierin das Leitziel der Landesplanung liegen soll.323 Er geht in seiner Analyse mit keinem Wort auf den Auftrag des „Schaffens“ solcher Lebensbedingungen ein, welcher eine leicht andere Akzentuierung als die bloße Zielformulierung des Raumordnungsgesetzes des Bundes beinhaltet.324 Es bleibt fraglich, ob das so formulierte Leitziel der bayerischen Landesplanung auf Dauer umgesetzt werden kann. Im Interesse der Glaubwürdigkeit wäre es wohl besser gewesen, der bayerische Gesetzgeber hätte sich stärker an die Kompromisslösung des ROG 2008 322  Vgl.

oben, 1. Kapitel, II. 2. b). BayVBl. 2012, 225, 226. 324  Goppel, BayVBl. 2012, 225, 226. 323  Goppel,

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

angelehnt und die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse nicht in den Vordergrund gerückt. (3) Mögliche Festlegungen des Landesentwicklungsprogramms Völlig paradox ist vor diesem Hintergrund, dass der bayerische Gesetzgeber in komplettem Widerspruch zu dem in Art. 5 Abs. 1 und 2 BayLplG festgeschriebenen Leitziel, mit Hilfe der Landes- und Regionalplanung gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Teilräumen zu schaffen, wichtige Bereiche, die zur Verwirklichung dieses Ziels erforderlich wären, aus dem möglichen Inhalt des Landesentwicklungsprogramms herausnimmt. So sollen nach Art. 19 Abs. 2 Nr. 4 und Art. 21 Abs. 2 Nr. 3 BayLplG landes- bzw. regionsweit raumbedeutsame Festlegungen u. a. zur Siedlungsstruktur, zum Verkehr und zur Energieversorgung nur erfolgen können, „sofern nicht die jeweiligen Belange fachrechtlich hinreichend gesichert sind“. Dieses so genannte Doppelsicherungsverbot325 stellt eine Abweichung zu § 8 Abs. 5 ROG dar, der derartige Festlegungen im Landesentwicklungsprogramm bzw. in den Regionalplänen unabhängig vom jeweiligen Fachrecht erlaubt. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist ein solches „partielles Planungsverbot“326 deswegen problematisch, weil dadurch etwa im Bildungs- und Gesundheitswesen die Steuerungsmöglichkeiten des Raumordnungsrechts gänzlich eliminiert werden, nachdem diese Belange durch die Schul- und Krankenhausplanung fachrechtlich abgesichert sind.327 In vielen Fällen mögen die Vorgaben des Fachrechts zwar genügen, um eine hinreichende Versorgung zu gewährleisten, doch sind Situationen denkbar, in denen Koordinierungsbedarf entsteht, und dieser kann letztlich nur von der den Fachplanungen übergeordneten Raumplanung erfüllt werden. Daher lässt sich konstatieren, dass die Möglichkeit der Abweichungsgesetzgebung und das darauf beruhende Doppelsicherungsverbot eine schnelle und flexible Reaktion auf die Herausforderungen des demografischen Wandels unmöglich machen können.328 325  LT-Drs.

16 / 10945, S.  23. die Stellungnahme der Landesarbeitsgemeinschaft Bayern, Ad-hoc-Arbeitsgruppe LplG / LEP Bayern, Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Staatsregierung für ein neues Bayerisches Landesplanungsgesetz, S. 2. 327  Vgl. die Stellungnahme der Landesarbeitsgemeinschaft Bayern, Ad-hoc-Arbeitsgruppe LplG / LEP Bayern, Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Staatsregierung für ein neues Bayerisches Landesplanungsgesetz, S. 2. 328  So auch die Einschätzung des Berufsverbandes der praktizierenden Lan­ des-  und Regionalplaner e.  V., Stellungnahme zum Entwurf des Bayerischen Landes­ planungsgesetzes, S. 3 f.; vgl. auch Goppel, BayVBl. 2012, 225, 229; ähnlich auch 326  Vgl.



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(4) Grundsätze der Raumordnung Ferner problematisch ist Art. 6 Abs. 2 Nr. 2 S. 7 BayLplG, wonach die Zentralen Orte so über das ganze Staatsgebiet verteilt werden sollen, dass für alle Bürger die Versorgung mit Gütern, Dienstleistungen und Infrastruktureinrichtungen des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedarfs in zumutbarer Erreichbarkeit gesichert ist, was auch in dünn besiedelten Gegenden gelten soll. Dies ist eine etwas andere Akzentsetzung als die des § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 ROG, der zwar auch die Erreichbarkeit der Zentralen Orte betont, jedoch ebenso auf Flexibilität und einer Ausrichtung an spezifischen regionalen Erfordernissen abstellt. Daher handelt es sich wohl nicht mehr um eine bloße Ergänzung, sondern um eine echte Abweichung, deren Zulässigkeit von der Rechtsprechung zu klären ist.329 Diese Akzentsetzung entspricht der Tendenz des bayerischen Gesetzgebers, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im gesamten Freistaat uneingeschränkt in den Mittelpunkt zu rücken und weniger auf flexible Lösungen zu vertrauen.330 Der Anspruch, eine gleichwertige Versorgung für alle Bürger gewährleisten zu wollen, ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, doch bleibt fraglich, ob sich das Konzept des bayerischen Gesetzgebers, Zentrale Orte gleichmäßig zu verteilen, angesichts dramatischer Bevölkerungsrückgänge in Gegenden wie Oberfranken überhaupt realisieren lässt. Hieran wird deutlich, dass das Selbstverständnis der Länder, von den Vorgaben des § 2 Abs. 2 ROG abweichen zu können, die Herausbildung einer eigenen Planungsphilosophie zu unterstützen vermag. Dies ist grundsätzlich nicht negativ zu bewerten, doch können infolgedessen Landesplanungsgesetze entstehen, deren Grundsätze sich in der Praxis kaum realisieren lassen und deren Glaubwürdigkeit deswegen in Frage steht. (5) Raumordnerische Zusammenarbeit Ein weiteres Versäumnis der bayerischen Neuregelung besteht darin, dass Art. 29 BayLplG die Möglichkeiten der raumordnerischen Zusammenarbeit nicht hinreichend würdigt. Die Vorschrift bleibt zum einen hinter den in § 13 ROG vorgesehenen Möglichkeiten zurück, indem sie beispielsweise die Durchführung einer Raumbeobachtung überhaupt nicht erwähnt. Zum anderen wäre es wünschenswert gewesen, wenn der Gesetzgeber die InstruHerr Axel Koch, Sachgebietsleiter Raumordnung, Landes- und Regionalplanung der Regierung der Oberpfalz, und Christine Stiglbauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Bereich Einzelhandel bei der Regierung der Oberpfalz, in einem Gespräch mit der Autorin am 13.12.2011. 329  Vgl. dazu oben, 3. Kapitel, I. 1. a). 330  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 3. a) cc).

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

mente des Regionalmanagements und Regionalmarketings konkret genannt hätte, um so das Ziel der Regelung stärker herauszustellen.331 Art. 29 Bay­ LplG wird in seiner jetzigen Form deshalb kaum zu einer stärkeren Verbreitung so genannter weicher Instrumente beitragen können. In Bezug auf den Streit um einen abweichungsfesten Kern der Bundeskompetenz für das Raumordnungsrecht spielt dies indes keine Rolle, da § 13 ROG richtigerweise ohnehin als nicht abweichungsfest anzusehen ist332 und eine bayerische Neuakzentuierung daher ohne Weiteres möglich war. (6) Zielabweichungsmöglichkeiten und Zielabweichungsverfahren Ein Beispiel, dass die Abweichungsbefugnis der Länder auch eine Chance darstellen kann, ist Art. 4 Abs. 1 S. 1 BayLplG. Dieser unterscheidet sich von § 6 Abs. 2 ROG insofern, als er „im Einzelfall“ in einem besonderen Verfahren eine Abweichung von Zielen der Raumordnung zulässt, wenn diese unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist und die Grundzüge der Planung nicht berührt werden.333 Im Vergleich zu § 6 Abs. 2 ROG wird die Zielabweichungsmöglichkeit ausdrücklich auf den Einzelfall beschränkt, was eine restriktive Handhabung impliziert.334 Dies erscheint vor dem Hintergrund des demografischen Wandels deswegen überzeugend, weil es so insbesondere für Großprojekte wie Einzelhandelsvorhaben, die zu einer Verödung der Innenstädte führen können, schwieriger werden dürfte, in einem entsprechenden Raumordnungsverfahren positiv beurteilt zu werden. Dies gilt freilich nur, wenn ein solches Verfahren bei derartigen Vorhaben überhaupt noch stattfindet.335 Zu begrüßen ist außerdem, dass Art. 4 Abs. 1 S. 1 BayLplG für das Zielabweichungsverfahren ein eigenes Verfahren losgelöst vom Fachplanungsverfahren vorsieht. Dadurch wird die Steuerungsmöglichkeit der Raumordnung gestärkt, so dass Anliegen der Siedlungsentwicklung und der Versorgung einer schrumpfenden Bevölkerung, die im Rahmen des Fachrechts meist außen vor bleiben, besser berücksichtigt werden können.336 331  Goppel, BayVBl. 2012, 225, 230; a. A. Voigt, die eine Normierung informeller Instrumente für überflüssig hält, s. Voigt, Raumordnungsgesetz 2009, S. 219 ff.  332  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 1. a). 333  Das Landesplanungsgesetz Nordrhein-Westfalens enthält mit § 16 Abs. 1 Landesplanungsgesetz NRW eine im Wesentlichen gleich lautende Vorschrift. 334  Dies begrüßt auch Schreiber, BayVBl. 2012, 741, 743; a.  A. Voigt, die die Tatbestandsvoraussetzung „im Einzelfall“ für überflüssig hält, s. Voigt, Raumordnungsgesetz 2009, S. 153 f. 335  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 3. a) cc) (1). 336  Zur Problematik bei einer Integration des Raumordnungsverfahrens ins Fachplanungsverfahren, vgl. unten, 3. Kapitel, I. 3. d).



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b) Festlegung wichtiger Anliegen im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel als gesetzliche Grundsätze der Raumordnung Grundsätzlich positiv zu bewerten ist die Festlegung wichtiger Anliegen im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel als gesetzliche Grundsätze der Raumordnung. Zwar kommt Grundsätzen der Raumordnung als solchen in der Praxis wenig Lenkungswirkung zu, da sie erst noch in den Raumordnungsplänen näher konkretisiert werden müssen und sie zudem im konkreten Abwägungsvorgang überwindbar sind,337 doch gibt die Verortung in § 2 Abs. 2 ROG zu erkennen, dass der Gesetzgeber die fraglichen Belange als wichtig ansieht. Überdies können die Forderung nach ausgeglichenen Lebensverhältnissen in allen Teilräumen oder das Zentrale-Orte-Prinzip in Folge ihres Status als gesetzliche Grundsätze der Raumordnung in landesweiten Raumordnungsplänen und Regionalplänen als Ziele konkretisiert werden und so Bindungswirkung erhalten. Weiterhin ist zu beobachten, dass der Gesetzgeber die in den Grundsätzen des § 2 Abs. 2 ROG enthaltenen Handlungsanweisungen durchweg möglichst konkret fassen wollte.338 Er gibt ein klares Ziel vor und nennt an einigen Stellen sogar die Mittel, deren sich die Länder bedienen sollen. Dadurch wird zwar für die Umsetzung in den Raumordnungsplänen eine gewisse Richtung vorgegeben, doch kann auf diese Weise eher erreicht werden, dass die fragliche Zielrichtung auch tatsächlich verfolgt wird. Gerade in Bezug auf auslegungsbedürftige Begriffe wie die nachhaltige Daseinsvorsorge oder die Sicherung der Grundversorgung aller Bevölkerungsgruppen mag dies von Vorteil sein. Ein weiteres Charakteristikum des § 2 Abs. 2 ROG ist sein nicht abschließender Charakter, der sich an der Formulierung „insbesondere“ ablesen lässt und der es erlaubt, weitere ungeschriebene Grundsätze heranzuziehen, was den Ländern die Möglichkeit gibt, eigene ergänzende Grundsätze der Raumordnung zu entwerfen.339 Dadurch erhalten die Länder die Chance, die in § 2 Abs. 2 ROG genannten Grundsätze zu präzisieren oder neue Grundsätze hinzuzufügen, mit denen insbesondere regionalen Besonderheiten oder Abweichungen von Bevölkerungsvorausberechnungen Rechnung getragen werden kann. Einige Bundesländer haben von dieser Option oben, 3. Kapitel, I. 1. c) bb) und Ritter, DÖV 2009, 425, 427. Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 8. 339  Vgl. Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 2 Rn. 17; Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 2 Rn. 44 und oben, 3. Kapitel, I. 1. c) bb). 337  Vgl. 338  Vgl.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Gebrauch gemacht.340 So enthält Art. 6 Abs. 2 Nr. 2 S. 8 BayLplG die Vorgabe, dass die Siedlungstätigkeit vorrangig auf vorhandene Siedlungen mit ausreichender Infrastruktur, insbesondere auf Zentrale Orte ausgerichtet werden soll. Dies stellt keine Abweichung zu § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 4 ROG dar, sondern ergänzt den im Bundesrecht fehlenden Zusatz, dass die Zentralen Orte eine besondere Rolle spielen sollen. Außerdem nutzt der bayerische Gesetzgeber die Ergänzungsmöglichkeit im Rahmen des § 2 Abs. 2 ROG, indem er in Art. 6 Abs. 2 Nr. 3 S. 9 BayLplG die Forderung nach einer möglichst guten Erreichbarkeit der Zentralen Orte, insbesondere mit öffentlichen Verkehrsmittel aufstellt. Nach Art. 6 Abs. 2 Nr. 3 S. 10 Bay­ LplG schließlich soll ein barrierefreier Zugang insbesondere zu Infrastruktureinrichtungen ermöglicht werden. Gerade für ältere Menschen sind öffentliche Verkehrsmittel sowie die Barrierefreiheit wichtiger Einrichtungen unverzichtbar, um eine gewisse Grundversorgung erreichen zu können, woran deutlich wird, dass die Ergänzungsmöglichkeit im Rahmen des § 2 Abs. 2 ROG ein sinnvolles Instrumentarium darstellt. c) Bindungswirkung von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung, § 4 ROG Die Vorschrift des § 4 ROG wurde durch das ROG 2008 inhaltlich zwar nicht verändert,341 doch ist die Norm für den Umgang des Raumordnungsrechts mit dem demografischen Wandel insofern zentral,342 als sie die Bindungswirkung von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung bei der Entscheidung öffentlicher Stellen anordnet. Die strikte Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen öffentlicher Stellen betrifft u. a. die Zentralen Orte, welche in den landesweiten Raumordnungsplänen in der Regel als Ziele der Raumordnung ausgestaltet sind. Folge der strikten Beachtenspflicht ist, dass das ZentraleOrte-Konzept nicht im Wege der Abwägung überwunden werden kann, sondern vielmehr einen Beitrag zu einer möglichst gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung leisten kann. Die Tatsache, dass private Vorhabensträger mit Ausnahme der in § 4 Abs. 1 S. 2 ROG genannten Personen des Privatrechts nicht den Bindungswirkungen des § 4 Abs. 1 ROG unterworfen sind, wird insbesondere im Zusammenhang mit der Ansiedelung großflächi340  So haben etwa Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen in ihren Raumordnungsgesetzen einen Katalog von Grundsätzen der Raumordnung, der zumindest teilweise nach § 28 Abs. 3 ROG von der Neufassung des ROG unberührt bleibt. 341  Lediglich der Wortlaut wurde zwecks Rechtsvereinfachung anders gefasst, vgl. BT-Drs. 16 / 10292, S. 22. 342  Runkel bezeichnet sie sogar als „Kernstück“ des Abschnitts 1, vgl. Runkel, WiVerw 1997, 267, 273 zur Vorgängervorschrift.



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ger Einzelhandelsbetriebe relevant. Hier greift nur die abgeschwächte Bindungswirkung des § 4 Abs. 2 ROG in Verbindung mit den Vorgaben des Fachrechts ein, was den Umfang der Berücksichtigungspflicht raumordnungsrechtlicher Ziele wie dem Zentrale-Orte-Prinzip weitestgehend in das Belieben des jeweiligen Fachrechts stellt. Etwas anderes gilt nach § 4 Abs. 1 S. 2 ROG bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen, die Personen des Privatrechts in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durchführen, wenn öffentliche Stellen an den Personen mehrheitlich beteiligt sind oder die Planungen oder Maßnahmen überwiegend mit öffentlichen Mitteln finanziert werden. In diesen Fällen treten die strikte Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung sowie die Berücksichtigungspflicht von Grundsätzen der Raumordnung ebenfalls ein. Dies wird insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge relevant,343 da hier öffentliche Aufgaben wie etwa die Energieversorgung oder der Schienenverkehr häufig von Personen des Privatrechts wahrgenommen werden. Problematisch ist allerdings, dass die öffentliche Hand nicht unbedingt mehrheitlich an solchen Unternehmen beteiligt sein muss oder dass die Maßnahmen überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Im Rahmen der Privatisierung im Bereich der Daseinsvorsorge ist es durchaus möglich, dass etwa bei Energieversorgungsunternehmen die mehrheitliche Beteiligung öffentlicher Stellen zweifelhaft ist.344 In diesen Fällen wäre die juristische Person des Privatrechts nicht der strikten Zielbindung nach § 4 Abs. 1 ROG unterworfen, sondern unterläge nur der abgeschwächten Bindungswirkung des § 4 Abs. 2 ROG. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels kann dies deswegen problematisch werden, weil gerade in dem wichtigen Bereich der Daseinsvorsorge die Steuerungswirkung des Raumordnungsrechts durch umfangreiche Privatisierungen untergraben werden kann. Insoweit kann nur § 4 Abs. 2 ROG Abhilfe schaffen, der eine Bindung von Privatpersonen an Ziele der Raumordnung anordnet, soweit die fragliche raumbedeutsame Planung oder Maßnahme einer behördlichen Genehmigung bedarf und soweit die anzuwendende Vorschrift des Fachrechts dies vorschreibt.345 Dies ist etwa dann der Fall, wenn die fragliche Vorschrift eine Raumordnungsklausel enthält, d. h. eine ausdrückliche Regelung, nach der die Ziele der Raumordnung zu beachten sind.346 Problematisch ist, dass 343  Vgl. Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 4 Rn. 142; Goppel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 4 Rn. 63. 344  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 4 Rn. 146. 345  Dyong, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 4 Rn. 24. 346  Dyong, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 4 Rn. 24.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

die in den jeweiligen Fachgesetzen enthaltenen Raumordnungsklauseln in ihrem Wortlaut nicht übereinstimmen, sondern oft nicht klar ist, ob Grundsätze oder Ziele der Raumordnung gemeint sind, da die Begriffe teilweise willkürlich verwendet werden.347 Für die Bindungswirkung gegenüber Privaten bedeutet dies, dass erhebliche Lücken entstehen können, wenn sich das Fachrecht unklar ausdrückt und etwa von „Grundsätzen“ spricht, obwohl „Ziele“ gemeint sind oder die Begriffe „beachten“ und „berücksichtigen“ willkürlich verwendet. Auf diese Weise kann sogar die Steuerungswirkung des Zentrale-Orte-Konzepts umgangen werden, wenn das Fachrecht hinsichtlich der als Ziele der Raumordnung festgesetzten Zentralen Orte lediglich eine Berücksichtigungspflicht wie bei Grundsätzen der Raumordnung anordnet. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die überwiegende Zahl der Fachplanungen ohnehin nicht am Zentrale-Orte-System orientiert,348 so dass bei Vorhaben, die dem Fachplanungsrecht unterliegen, das Zentrale-OrtePrinzip möglicherweise gar keine Berücksichtigung findet.349 Allerdings orientieren sich inzwischen viele wichtige Fachgesetze zumindest an der Terminologie des Raumordnungsrechts,350 wodurch die Koordinierung von Fachplanungsrecht und Raumordnungsrecht erleichtert und dem Raumordnungsrecht zu größerer Wirksamkeit verholfen wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Steuerungswirkung des Raumordnungsrechts dort ihre Grenzen findet, wo Private raumbedeutsame Maßnahmen durchführen wollen, die keines Planfeststellungsverfahrens 347  Zu diesem Problem vgl. auch Dyong, in: Cholewa / Dyong / von der Heide /  Arenz, Raumordnung, § 4 Rn. 25 sowie die Auflistung wichtiger Fachgesetze unter Rn. 31; ein besonders anschauliches Beispiel liefert die Formulierung in § 1 Abs. 3 des Gesetzes für die Beschränkung von Grundeigentum für militärische Verteidigung (Schutzbereichgesetz), wonach die Erfordernisse der Raumordnung angemessen zu berücksichtigen sind. Eine Unterscheidung zwischen Grundsätzen und Zielen der Raumordnung findet hier von vorneherein nicht statt. Nach § 4 des Fernstraßenausbaugesetzes (FStrAbG) sind die bei der Bedarfsplanung berührten Belange, insbesondere die der Raumordnung, des Umweltschutzes und des Städtebaus, einzubeziehen. Auch hier findet keine Unterscheidung zwischen Grundsätzen und Zielen der Raumordnung statt. Entsprechendes gilt für § 3 Nr. 1 lit. a) des Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (GVFG), wonach Voraussetzung für die Förderung ist, dass das Vorhaben nach Art und Umfang der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse dringend erforderlich ist und die Ziele der Raumordnung und Landesplanung „berücksichtigt“. Durch die Wahl des Wortes „berücksichtigen“ wird die Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung nicht klar herausgestellt. 348  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 2. c) bb) (2). 349  Zu diesem Problem, vgl. auch Gawron, Zentrale Orte und Schrumpfung, S.  74 ff.  350  Vgl. die Aufstellung bei Dyong, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 4 Rn. 31.



I. Auftrag und Regelungsinhalt des Raumordnungsrechts 197

oder diesem gleich gestellten Verfahrens bedürfen und auf die die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 2 ROG nicht zutreffen. Diese Schwäche des § 4 ROG kann im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel besonders deutlich zu Tage treten, wenn aus finanziellen Gründen weitere Aufgaben der Daseinsvorsorge privatisiert werden und die privaten Vorhabensträger an Ziele der Raumordnung, etwa an Zentrale Orte gebunden werden sollen.351 d) Ausnahmen und Zielabweichung Mit Einführung des § 6 Abs. 1 ROG, wonach von Zielen der Raumordnung im Raumordnungsplan Ausnahmen festgelegt werden können, sollte ausweislich der Gesetzesbegründung die Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung flexibler gestaltet werden.352 Materiell-rechtliche Voraussetzungen für die Festlegung von Ausnahmen benennt das Gesetz nicht. Insbesondere sind mit dem bloßen Begriff „Ausnahme“ die erforderlichen materiellen Voraussetzungen nicht mitgeregelt.353 Das Fehlen klarer Voraussetzungen für die Festlegung von Ausnahmen ist nicht nur vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots und des Gebots der Normenklarheit bedenklich,354 sondern eine solche Art von Regelung birgt auch die Gefahr in sich, dass der Planungsträger selbst – möglicherweise aus politischen Erwägungen heraus – die von ihm angestrebte Raumordnungskonzeption stark aufweicht.355 Andererseits erlaubt es die Vorschrift des § 6 Abs. 1 ROG dem Plangeber, geschriebene Ausnahmen von Zielen der Raumordnung festzulegen, was zumindest ein Stück weit mehr Rechtssicherheit gewährleistet als die häufig unklaren Soll-Ziele vor Inkrafttreten des ROG 2008,356 die teilweise von der Rechtsprechung als zu unbestimmt und daher unwirksam angesehen wurden.357 Allerdings ist eine schriftliche 351  Das Problem der Bindung Privater sieht auch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung; vgl. BMVBS, Sicherung der Daseinsvorsorge und Zentrale-Orte-Konzepte, S. 77. 352  BT-Drs. 16 / 10292, S.  23. 353  Hoppe, DVBl. 2008, 966, 967. 354  So etwa Ritter, DÖV 2009, 425, 428. 355  Ähnlich auch Wilke, NordÖR 2009, 236, 239. 356  Zwar hat das BVerwG auch in Bezug auf Soll-Ziele verlangt, dass die Ausnahmen zumindest bestimmbar sind, vgl. BVerwG, Urteil v. 18.09.2003 – 4 CN 20.02 –, ZfBR 2004, 177, 179, doch blieben die Ziele trotzdem häufig unklar, vgl. dazu näher unten, 3. Kapitel, II. 2. b). Näher zur Problematik der Soll-Ziele vgl. auch Goppel, BayVBl. 2002, 449, 449 ff. sowie Hoppe, BayVBl. 2002, 129, 130 ff.  357  Vgl. etwa OVG Münster, Urt. v. 06.06.2005 – 10 D 145 / 04 –, BeckRS 2005, 28722; vgl. dazu ausführlich Hoppe, NVwZ 2005, 1141, 1141 ff. 

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

und abschließende Aufzählung der Ausnahmen im Raumordnungsplan auch nach neuem Recht wohl nicht zwingend.358 Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels bedeutet die Regelung des § 6 Abs. 1 ROG, dass Zielen der Raumordnung auf Grund des erheb­ lichen Gestaltungsspielraums des Plangebers bei der Aufstellung der Raumordnungspläne keine allzu große Steuerungskraft zukommt, was insbesondere dann gilt, wenn sich der Plangeber selbst eine gewisse Flexibilität bewahren möchte und entsprechende Ausnahmen vorgibt. Daher eignen sich Ziele der Raumordnung mit immanenten Ausnahmen nur bedingt zur Verfolgung einer einheitlichen Strategie etwa in Bezug auf die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsprojekte oder anderer, für die Nahversorgung relevanter Vorhaben. Andererseits besteht die Hoffnung, dass durch die klare und schriftliche Kodifikation von Ausnahmen auf Grundlage des § 6 Abs. 1 ROG weniger Spielraum für Unklarheiten359 oder sogar Missbrauch verbleibt, als dies bei den Soll-Zielen der Fall war. Insoweit könnte die Neuregelung einen Beitrag dazu leisten, dass ein planerisches Gesamtkonzept, welches von dem entsprechenden Planungsträger auf die Erfordernisse des demografischen Wandels zugeschnitten wurde, von der anwendenden Behörde auch tatsächlich weitestgehend umgesetzt werden muss. Etwas anders gestaltet sich die Situation beim Zielabweichungsverfahren nach § 6 Abs. 2 ROG. Danach kann von Zielen der Raumordnung abgewichen werden, wenn die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist und die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Dieses Korrektiv verhindert drastische Abweichungen vom Grundkonzept der Landes- bzw. Regionalplanung. So berührt eine Abweichung von Regelungen, die sich auf das Zentrale-Orte-Konzept stützen, immer die Grundstruktur des Raumordnungsplans, so dass etwa Einzelhandelsgroßprojekte grundsätzlich nicht mit Hilfe des Zielabweichungsverfahrens auf der grünen Wiese angesiedelt werden können.360 Insbesondere dürften Grundrechte der Investoren aus Art. 12 und 14 GG die im Rahmen des § 6 Abs. 2 ROG erforderliche Ermessensentscheidung nicht stets dahingehend beeinflussen, dass die Verwaltung zur Zulassung der Vorhaben gezwungen wäre,361 wobei 358  Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 3 Rn. 27. 359  So auch die Einschätzung von Herrn Herrn Axel Koch, Sachgebietsleiter Raumordnung, Landes- und Regionalplanung der Regierung der Oberpfalz, und Frau Christine Stiglbauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Bereich Einzelhandel bei der Regierung der Oberpfalz, in einem Gespräch mit der Autorin am 13.12.2011. 360  Vgl. Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 6 Rn. 126. 361  Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 6 Rn. 131.



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Ausnahmen freilich denkbar sind. Daher geht von § 6 Abs. 2 ROG unter diesem Gesichtspunkt nur eine geringe Gefahr für die Steuerungswirkung der Raumordnung aus. Weitaus problematischer ist, dass Zielabweichungen nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 2 ROG, der kein besonderes Verfahren verlangt, auch in anderen, nicht raumordnerischen Verfahren, namentlich in fachplanerischen Zulassungsverfahren, gestattet werden können.362 Hier besteht die Gefahr, dass Fachbehörden geneigt sein könnten, die Vorgaben des Raumordnungsrechts sofort mit Hilfe eines Zielabweichungsverfahrens überwinden zu wollen,363 was die Steuerungsfunktion der Raumordnung untergraben364 und die Versorgungsfunktion des Zentrale-Orte-Systems schwächen könnte. Dass dies nicht im Sinne der Herausforderungen einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft ist, dürfte auf der Hand liegen. e) Ausgestaltung des Abwägungsgebots Nach § 7 Abs. 2 S. 1 ROG sind bei der Aufstellung der Raumordnungspläne die öffentlichen und privaten Belange, soweit erkennbar und von Bedeutung, gegeneinander und untereinander abzuwägen.365 Von einer besonderen Berücksichtigung der Belange des demografischen Wandels im Sinne eines Optimierungsgebots geht § 7 Abs. 2 S. 1 ROG nicht aus.366 Daher sind die Belange des demografischen Wandels bei der Abwägung als soziale Belange neben den weiteren von der Leitvorstellung des § 1 Abs. 2 ROG hervorgehoben wirtschaftlichen und ökologischen Zielen gleichwertig zu berücksichtigen. Nachdem aus dem Postulat der nachhaltigen Raumentwicklung nach § 1 Abs. 2 ROG nach überzeugender Auffassung von Hoppe367 folgt, dass das Nachhaltigkeitsprinzip368 lediglich bei der prognostischen Ermittlung der zukünftigen Belange berücksichtigt werden muss, während eine unmittelbare Auswirkung auf die Stadien der Einstellung, Gewichtung und des Abwägungsvorgangs nicht angezeigt ist, besteht lediglich auf der Stufe der Ermittlung sämtlicher Belange eine hervorgehobene Berücksichtigungspflicht des Plangebers, welche sich jedoch in gleicher 362  Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 6 Rn. 40; sehr kritisch dazu auch Ritter, DÖV 2009, 425, 428 f., der von einem „allmählichen Siechtum der Raumordnung“ spricht; s. oben, 3. Kapitel, I. 1. e). 363  Zu dieser Gefahr vgl. Ritter, DÖV 2009, 425, 428. 364  Näher dazu, vgl. oben, 3. Kapitel, I. 3. a) bb). 365  Näher dazu oben, 3. Kapitel, I. 1. b) aa). 366  Bode, Der Planungsgrundsatz der nachhaltigen Raumentwicklung, S. 113 u. 274. 367  Hoppe, FS Krautzberger, S. 263, 275. 368  Näher dazu, vgl. Krautzberger / Stemmler, FS Hoppe, S. 317, 317 ff. 

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Weise auf wirtschaftliche und ökologische Belange erstreckt. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Belange des demografischen Wandels auf der Abwägungsebene gerade keinen herausgehobenen Stellenwert einnehmen und die Konzeption des ROG 2008 insoweit hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben ist. f) Bindungswirkung eines Raumordnungsverfahrens Am Ende des Raumordnungsverfahrens steht eine so genannte raumordnerische Beurteilung, die als sonstiger Belang nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ROG zu berücksichtigen ist, jedoch keine unmittelbare Rechtswirkung entfaltet.369 Die raumordnerische Beurteilung kann daher bei fachgesetzlichen Entscheidungen im Rahmen der Abwägung durch andere Belange überwunden werden, doch ist die faktische Bindungswirkung des Ergebnisses eines Raumordnungsverfahrens auf Grund seiner fachlichen Qualität sehr hoch.370 Im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel wird das Raumordnungsverfahren nach § 15 Abs. 1 S. 1 ROG i. V. m. § 1 S. 3 Nr. 19 RoV vor allem bei der Errichtung von Einkaufszentren, großflächigen Einzelhandelsbetrieben und sonstigen großflächigen Handelsbetrieben relevant. Die hohe faktische Bindungswirkung des Raumordnungsverfahrens macht solche Vorhaben meist undurchführbar, wenn sie Zielen der Raumordnung widersprechen. Zwar fehlt es an der rechtlichen Bindungswirkung, so dass nicht völlig ausgeschlossen werden kann, dass einzelne Vorhaben trotzdem verwirklicht werden, wenn es den Entscheidungsträgern opportun ist, doch erscheint diese Lücke angesichts der geringen Zahl derartiger Fälle vor dem Hintergrund der Versorgung der Bevölkerung vertretbar. Eine Alternative wäre die Ausgestaltung des Ergebnisses des Raumordnungsverfahrens als Ziel der Raumordnung, was politisch so wohl nicht umsetzbar ist.

4. Landesrechtliche Regelungen zum Raumordnungsrecht Die landesrechtlichen Vorgaben auf dem Gebiet des Raumordnungsrechts unterscheiden sich teilweise sehr stark, was insbesondere für die Regionalplanung gilt.371 Außerdem haben bislang noch nicht alle Bundesländer ihre Landesplanungsgesetze an die Vorgaben des ROG 2008 angepasst.372 Auf 369  Näher

dazu oben, 3. Kapitel, I. 1. b) bb). in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, K § 15 Rn. 152. 371  Koch / Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, § 5 Rn. 1. 372  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 1. a). 370  Schmitz,



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Landesebene verfügen alle Bundesländer mit Ausnahme der Stadtstaaten373 über einen so genannten Landesentwicklungsplan,374 in dem u. a. Darstellungen zur Raum- und Siedlungsstruktur, insbesondere zu den Zentralen Orten enthalten sind. Überwiegend finden sich in den Plänen auch Vorschriften zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels. Das neue bayerische Landesentwicklungsprogramm (LEP-Bayern)375 widmet dem demografischen Wandel einen eigenen Untergliederungspunkt, in dem mehrere Grundsätze sowie ein Ziel der Raumordnung enthalten sind. Nach Ziff. 1.2.5 des LEP-Bayern ist der Gewährleistung einer dauerhaften Versorgung der Bevölkerung mit zentralörtlichen Einrichtungen in zumutbarer Erreichbarkeit, insbesondere in Teilräumen, die besonders vom demografischen Wandel betroffen sind, der Vorzug gegenüber Auslastungserfordernissen einzuräumen. Damit bekennt sich die bayerische Landesplanung zur Aufrechterhaltung der Daseinsvorsorge in allen Landesteilen. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass das neue bayerische Landesentwicklungsprogramm die Vorgaben des neuen bayerischen Landesplanungsgesetzes zwar konkretisiert, zusätzlich jedoch neu akzentuiert. So ist in der Begründung zu Ziff. 1.2.5 LEP-Bayern zu lesen, dass im Einzelfall zentralörtliche Einrichtungen, deren Auslastung nicht mehr gegeben ist, geschlossen werden können, sofern gleichwertige Einrichtungen an anderer Stelle in zumutbarer Erreichbarkeit vorhanden sind. Daran lässt sich ablesen, dass der bayerische Landesentwicklungsprogrammgeber die Vorgaben des Landesplanungsgesetzes nicht im Sinne einer Schaffung gleichwertiger Versorgungsstrukturen und einer Aufwertung des status quo interpretiert, sondern vielmehr realistisch davon ausgeht, dass an manchen Stellen Einschnitte notwendig werden könnten. Dementsprechend denkt der Plangeber in der Begründung zu Ziff. 1.2.4 LEP-Bayern über flexible Alternativen zu stationären Einrichtungen der Daseinsvorsorge nach. Insofern ist das neue bayerische Landesentwicklungsprogramm als wichtige Klarstellung einer nicht durchgängig geglückten gesetzlichen Regelung zu bewerten. Auch in anderen Bundesländern können durch die Landesentwicklungspläne Konkretisierungen der jeweiligen Landesplanungsgesetze erfolgen. 373  Berlin stellt insoweit eine Ausnahme dar, als es mit Brandenburg einen so genannten Landesplanungsvertrag geschlossen hat, näher dazu vgl. Wimmer, LKV 1998, 127, 127 ff.  374  Die Terminologie ist insoweit nicht einheitlich. Teilweise wird auch die Bezeichnung „Landesraumentwicklungsprogramm“ oder „Landesentwicklungsprogramm“ verwendet; vgl. die ausführliche Darstellung bei Koch / Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, § 5 Rn. 3 ff., teilweise jedoch noch zur alten Rechtslage. 375  Vgl. Verordnung über das Landesentwicklungsprogramm Bayern v. 22. August 2013.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Die Inhalte der Regionalpläne variieren zum Teil sehr stark. Sie enthalten beispielsweise Festlegungen zu Grundzentren, zur Siedlungsstruktur, zu Trassen und Standorten für die überörtliche Verkehrserschließung sowie zu Natur und Landschaft.376

II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis am Beispiel der Ansiedelung großflächiger Einzelhandelsbetriebe 1. Begriffsdefinitionen a) Einzelhandelsbetriebe und großflächige Einzelhandelsbetriebe Zu den Einzelhandelsbetrieben im planungsrechtlichen Sinn gehören Verbrauchermärkte, SB-Warenmärkte und sonstige Discount-orientierte Verbrauchermärkte, Supermärkte, Fachmärkte, Warenhäuser, aber auch Shopping-Malls, Urban-Entertainment-Center und Factory-Outlet-Center.377 Zu den großflächigen Einzelhandelsbetrieben, deren Steuerung durch das Raumordnungsrecht in der Folge untersucht werden soll, zählte das Bundesverwaltungsgericht für die Auslegung des § 11 Abs. 3 BauNVO ursprünglich Betriebe ab einer Größe von etwa 700 m2 Verkaufsfläche.378 Heute wird die Grenze zur Großflächigkeit bei einer Verkaufsfläche von 800 m2 angesetzt.379 Einkaufszentren als solche sind ebenfalls großflächige Einzelhandelsbetriebe, doch wird bei ihnen ohnehin vorausgesetzt, dass sie eine Geschossfläche von 1200 m2 überschreiten, so dass es auf die 800 m2-Schwelle bei ihnen nicht ankommt.380 Ein Raumordnungsverfahren muss nach § 15 Abs. 1 S. 1 ROG i. V. m. § 1 S. 3 Nr. 19 RoV jedoch erst dann durchgeführt werden, wenn das Vorhaben im Einzelfall raumbedeutsam ist und überörtliche Bedeutung aufweist. Der Verordnungsgeber hat zwar auf die Festlegung eines Schwellenwertes für die Verkaufsläche verzichtet, doch ist die Größe der Verkaufsfläche für die Prüfung der Raumbedeutsamkeit des großflächigen Einzelhandelsbetriebes 376  Näher dazu vgl. Koch / Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, § 5 Rn. 3 ff. 377  Klassifikation angelehnt an Moench, FS Hoppe, S. 459, 461; ähnlich auch Birk, VBlBW 2006, 289, 290. 378  Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 19 / 85 –, NVwZ 1987, 1076, 1078; Moench, FS Hoppe, S. 459, 462. 379  BVerwG, Urt. v. 24.11.2005 – 4 C 14 / 04 –, NVwZ 2006, 455, 455. 380  Näher dazu unten, 4. Kapitel, I. 6. a).



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 203

von wesentlicher Bedeutung.381 Eine Raumbedeutsamkeit ist in größeren Städten erst bei mehr als 1500 m2 anzunehmen, während in ländlichen Regionen bereits kleinere Vorhaben raumbedeutsam sein können.382 Ab einer Verkaufsfläche von 1200 m2 dürfte eine Raumbedeutsamkeit stets anzunehmen sein.383 Problematisch sind so genannte Einzelhandelsagglomerationen, d. h. Ansammlungen mehrerer, für sich genommen nicht großflächiger Einzelhandelsbetriebe, die in ihrer Gesamtheit auf die Kunden häufig wie Einkaufszentren oder Einzelhandelsgroßprojekte wirken und deren faktische Auswirkungen mit denen großflächiger Einzelbetriebe vergleichbar sind.384 Das Bundesverwaltungsgericht hat im Zusammenhang mit § 11 Abs. 3 BauNVO entschieden, dass räumlich nahe beeinander liegende Betriebe städtebaulich wie ein einzelner Betrieb zu beurteilen seien, wenn baulich- und betrieblichfunktionelle Gesichtspunkte für eine Einheit sprächen, was dann nicht der Fall sei, wenn eine Betriebsstätte selbständig genutzt werden könne, weil sie über die dazu baurechtlich erforderlichen Voraussetzungen verfüge.385 Diese Grundsätze sind auf das Verständnis einer Agglomeration im Raumordnungsrecht übertragbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können Einzelhandelsagglomerationen nicht nur auf städtebaulicher Ebene, sondern auch im Wege der Landesplanung geregelt werden.386 b) Verkaufsfläche und Sortiment Unter „Verkaufsfläche“ versteht man die Bereiche, in denen üblicherweise die Verkäufe abgewickelt werden und die für die Kunden zugänglich sind, insbesondere Gänge, Treppen in den Verkaufsräumen, Aufzüge, Standflächen für Einrichtungsgegenstände, Kassenzonen, Eingangsbereiche, Schaufenster und sonstige Flächen, soweit sie dem Kunden zugänglich sind.387 Als „Sortiment“ wird die Gesamtheit der von dem Handelsbetrieb angebotenen Warenarten verstanden.388 „Zentrenrelevant“ ist ein Sortiment 381  Schmitz, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, K § 15 Rn. 61; Bienek, UPR 2008, 370, 372. 382  Vgl. Bienek, UPR 2008, 370, 372. 383  Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrecht, Rn. 289. 384  Dazu vgl. auch Bienek, UPR 2008, 370, 372 f. 385  BVerwG, Urt. v. 24.11.2005 – 4 C 14 / 04 –, NVwZ 2006, 455, 456; vgl. auch Uechtritz, VBlBW 2010, 185, 187. 386  BVerwG, Urt. v. 10.11.2011 – 4 CN 9 / 10 –, ZfBR 2012, 154, 155. 387  BVerwG, Urt. v. 27.04.1990 – 4 C 36 / 87 –, NVwZ 1990, 1071, 1071 f.; Stock, in: König / Roeser / Stock, BauNVO, §  11 Rn.  55. 388  Vgl. etwa Ziff. 2.2.5 des Einzelhandelserlasses des Landes Baden-Württemberg.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

nach der im Einzelhandelserlass Baden-Württembergs verwendeten Definition dann, wenn es viele Innenstadtbesucher anzieht, wenig Fläche beansprucht, häufig im Zusammenhang mit anderen Innenstadtnutzungen nachgefragt wird und zum Transport ein PKW nicht erforderlich ist.389 In der Regel findet sich eine genaue Aufzählung in den Landesentwicklungsplänen oder Einzelhandelserlassen der Länder sowie in den Regionalplänen. Für das Baurecht sind die Sortimentslisten der jeweiligen Städte und Gemeinden heranzuziehen. Eine allgemein verbindliche Definition des Begriffs des „zentrenrelevanten Sortiments“ existiert nicht.390 „Nahversorgungsrelevante Sortimente“ sind solche, die der Deckung des täglichen Bedarfs dienen, insbesondere der Grundversorgung mit Lebensmitteln.391 Auch hierzu existieren Sortimentslisten mit detaillierten Angaben in den entsprechenden Einzelhandelserlassen bzw. den Anlagen dazu.

2. Steuerung der Ansiedelung großflächiger Einzelhandelsbetriebe a) Unverbindliche Steuerungsinstrumente aa) Planungs- und wirtschaftspolitische Aussagen Die Ansiedelung großflächiger Einzelhandelsbetriebe soll sowohl durch informelle, rechtlich nicht bindende, als auch durch formelle, rechtlich verbindliche Instrumente gesteuert werden. Zu den unverbindlichen Steuerungsinstrumenten gehören planungs- und wirtschaftspolitische Aussagen von Ministerkonferenzen und Arbeitsgruppen auf dem Gebiet des Raumordnungsrechts, insbesondere der Ministerkonferenz für Raumordnung.392 So enthält die Entschließung der Ministerkonferenz für Raumordnung vom 3.6.1997 die Vorgabe, dass die Ansiedelung von FOCs auf der „grünen Wiese“ und außerhalb der Großstädte bzw. Oberzentren nicht zulässig sein soll.393 Nach einem Positionspapier der Ministerkonferenz für Raumordnung zur Bedeutung des Einzelhandels für die Innenstädte vom 29.4.2008 ist die Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten mit zentrenrelevanten Sorti389  In Anlehnung an Ziff. 2.2.5 des Einzelhandelserlasses des Landes BadenWürttemberg. 390  OVG Münster, Urt. v. 30.01.2006 – 7 D 8  / 04 –, NVwZ 2007, 727, 727 f. m. w. N.; OVG Koblenz, Urt. v. 05.11.2007 – 1 C 10962 / 07 –, BeckRS 2007, 27916. 391  Vgl. Ziff. 2.2.5 des Einzelhandelserlasses des Landes Baden-Württemberg. 392  Näher zum Ganzen, vgl. Ernst, Standortsteuerung, S. 51 f. 393  Ministerkonferenz für Raumordnung, Entschließung „Factory-Outlet-Center“ vom 03.06.1997, abgedruckt bei Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsund Landesplanungsrecht, Bd. 1, B 320 Nr. 30.



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 205

menten auf die zentralen Versorgungsbereiche in den Städten und Gemeinden zu beschränken, wobei FOCs nur in Oberzentren an städtebaulich integrierten Standorten angesiedelt werden dürfen.394 Diese Entschließungen und Positionspapiere haben zwar keine rechtliche Bindungswirkung,395 sie können aber die Gesetzgebung396 sowie die Ausgestaltung von Landesentwicklungsplänen und Regionalplänen auf indirekte Weise erheblich beeinflussen.397 bb) Einzelhandelserlasse Ein weiteres Beispiel für die Wirkungsweise informeller Steuerungsinstrumente stellen die so genannten Einzelhandelserlasse der Bundesländer dar.398 Sie enthalten Empfehlungen und Handlungshinweise für die Planungspraxis bezüglich der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsprojekte und erläutern die Festlegungen in den Raumordnungsplänen.399 Der Ein­ zelhandelserlass von Nordrhein-Westfalen beispielsweise enthält u. a. Definitionen der Begriffe „Einkaufszentrum“ und „Großflächiger Einzelhandels­ betrieb“,400 mit deren Hilfe die Auslegung raumordnungsrechtlicher und städtebaulicher Vorschriften erleichtert werden soll. Einzelhandelserlasse sind als Verwaltungsvorschriften einzustufen,401 die grundsätzlich nur innerhalb eines Behördenträgers, d. h. innerhalb der Ministerien der Länder und 394  Ministerkonferenz für Raumordnung, Positionspapier: Bedeutung des Einzelhandels für die Innenstädte, abgedruckt bei Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, Bd. 1, B 320 Nr. 63. 395  Jahn, BayVBl. 2000, 267, 271; Moench, FS Hoppe, S. 459, 466 Fn. 39; Ernst, Standortsteuerung, S. 52. 396  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 2. c) bb) (2). 397  Vgl. Ernst, Standortsteuerung, S. 52. 398  Die meisten Bundesländer haben Einzelhandelserlasse erlassen, u. a. Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und BadenWürttemberg, vgl. Schröer / Kullick, NZBau 2011, 606, 607; teilweise wurde jedoch eine leicht abweichende Bezeichnung gewählt, u. a. von Bayern, wo die entsprechende Verwaltungsvorschrift „Beurteilung von Einzelhandelsgroßprojekten in der Landesplanung und Bauleitplanung – Gemeinsame Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien für Landesentwicklung und Umweltfragen, für Wirtschaft und Verkehr und des Inneren“ genannt wird. Zusätzlich zu dieser Vorschrift existiert in Bayern noch eine „Handlungsanleitung zur landesplanerischen Überprüfung von Einzelhandelsgroßprojekten in Bayern“ vom 01.08.2002, bei der es sich ebenfalls um eine mit einem Einzelhandelserlass vergleichbare Verwaltungsvorschrift handelt. 399  Ernst, Standortsteuerung, S. 53; Schröer / Kullick, NZBau 2011, 606, 607. 400  Vgl. den Einzelhandelserlass NRW, Gem. RdErl. d. Ministeriums für Bauen und Verkehr – V.4 / VI A 1 – 16.21 – u. d. Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Energie – 322 / 323-30.28.17 v. 22.09.2008. 401  Ernst, Standortsteuerung, S. 53; Schröer / Kullick, NZBau 2011, 606, 607.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

deren nachgeordneten Behörden, nicht aber darüber hinaus Bindungswirkung entfalten.402 Für die jeweiligen Landes- und Regionalplanungsbehörden sind die Einzelhandelserlasse daher als Verwaltungsinnenrecht bindend, während die Gemeinden als Träger der Bauleitplanung nicht daran gebunden sind, nachdem sie weder Teil der unmittelbaren Staatsverwaltung sind noch insoweit als verlängerter Arm der Staatsverwaltung im übertragenen Wirkungskreis agieren.403 Deshalb sind Einzelhandelserlasse alleine trotz ihrer großen Bedeutung in der Praxis nur bedingt geeignet, die Ansiedlung von Einzelhandelsvorhaben zu steuern, da sich die Gemeinden bei der Bauleitplanung darüber hinweg setzen können und allenfalls dann, wenn sie als Baugenehmigungsbehörde handeln, durch entsprechende Maßnahmen der Fachaufsicht an die Vorschriften gebunden werden können.404 b) Ziele der Raumordnung und Zielausnahmen Ein wichtiges Mittel zur Steuerung der Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelsprojekten sind Festsetzungen in den Raumordnungsplänen in Form von Zielen der Raumordnung. So folgt die Einstufung einer Gemeinde in die Hierarchie des Zentrale-Orte-Systems grundsätzlich in Form eines Ziels der Raumordnung.405 Vorgaben in den Raumordnungsplänen im Zusammenhang mit großflächigen Einzelhandelsprojekten erfolgten in der Vergangenheit häufig in Form so genannter Soll-Ziele.406 Nach Inkrafttreten des ROG 2008 hat sich die Problematik um die grundsätzliche Zulässigkeit von Ausnahmen in atypischen Fällen erledigt, da § 6 Abs. 1 ROG die Festsetzung von Ausnahmen von Zielen der Raumordnung explizit erlaubt. Dadurch wird die Steuerungskraft der Raumordnung zwar möglicherweise geschwächt,407 doch gerade im Zusammenhang mit der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten kann die Festlegung klarer Voraussetzungen für die Annahme einer Ausnahme dazu führen, dass der Entscheidungsspiel402  Näher dazu Ernst, Standortsteuerung, S. 54; Schneider, Factory Outlet Center, S. 108; Kopf, Einzelhandelsgroßprojekte, S. 258; zur Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften allgemein vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24 Rn.  16 ff. sowie Möstl, in: Erichsen  /  Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 20 Rn.  19 f. 403  Ernst, Standortsteuerung, S. 53 ff.  404  Vgl. Ernst, Standortsteuerung, S. 55. 405  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 2. c) bb) (1). 406  Vgl. etwa Ziff. 1.2.1.2 des bayerischen LEP aus dem Jahr 2006 „sollen“ durch die Ausweisung von Flächen für die Errichtung und Erweiterung von Einzelhandelsgroßprojekten die Funktionsfähigkeit der Zentralen Orte sowie die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich dieser Einrichtungen nicht wesentlich beeinträchtigt werden. 407  So etwa Kment / Grüner, UPR 2009, 93, 96; vgl. auch oben, 3. Kapitel, I. 3. d).



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 207

raum des Adressaten der Vorschrift erheblich eingeschränkt wird. So sind nach Ziffer 2.8.6 des neuen Landesentwicklungsplans Schleswig-Holsteins großflächige Einzelhandelseinrichtungen ausnahmsweise außerhalb der zentralen Versorgungsbereiche im baulich zusammenhängenden Siedlungsgebiet zulässig, soweit eine städtebaulich integrierte Lage nachweislich nicht möglich ist, die vorhandene Einzelhandelsstruktur weitere sortimentspezifische Verkaufsflächenentwicklungen zulässt, die zentralörtliche Bedeutung gestärkt wird und die Ansiedlung zu keiner wesentlichen Verschlechterung der gewachsenen Funktion der zentralen Versorgungsbereiche der Standortgemeinde oder benachbarter Zentraler Orte führt.408 Dieser Plansatz zeigt, dass Ausnahmen gerade nicht unbegrenzt zulässig sind, sondern vielmehr strenge Voraussetzungen dafür vorgegeben werden können, welche in der Praxis auch handhabbar sind. Demgegenüber hatte die Rechtsprechung in der Vergangenheit häufig Fälle zu entscheiden, bei denen die Anwendung von Soll-Zielen in Rede stand, welche keine normative Aufführung der atypischen Umstände enthalten mussten, sondern bei denen die Grenzen der Zulässigkeit von Ausnahmen durch Auslegung zu ermitteln war.409 Der VGH Mannheim410 musste entscheiden, ob die Ansiedlung eines Möbelgroßmarktes in einem Mittelzentrum, welcher rund 90 % seines zu erwartenden Umsatzes durch Kunden von außerhalb des Verflechtungsbereichs erwirtschaftet hätte, Zielen der Raumordnung zuwider läuft. Der fragliche Plansatz Ziff. 3.3.7.1 des Landesentwicklungsplans, der möglicherweise verletzt war, lautete: „Die Verkaufsfläche der Einzelhandelsgroßprojekte soll so bemessen sein, dass deren Einzugsbereich den zentralörtlichen Verflechtungsbereich nicht wesentlich überschreitet. Die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich und die Funktionsfähigkeit anderer zentraler Orte dürfen nicht wesentlich beeinträchtigt werden.“

Nähere Angaben zu etwaigen Ausnahmen enthielt die Vorschrift nicht. Der VGH Mannheim411 hat entschieden, dass das Kongruenzgebot in Ziff. 3.3.7.1 mit Plansatz Ziff. 3.3.7 und Plansatz Ziff. 3.3.7.1 S. 2 LEP 2002 in einem untrennbar miteinander verzahnten, von raumordnerischen Grundsätzen getragenen Regelungszusammenhang stehe. Das Beeinträchtigungsverbot des Ziff. 3.3.7.1 S. 2 LEP 2002 begründe keine Ausnahme vom Kongruenzgebot 408  Vgl. den Landesentwicklungsplan Schleswig-Holsteins, abrufbar unter http: /  / www.schleswig-holstein.de / cae / servlet / contentblob / 944150 / publicationFile /  Brosch_LEP.pdf (zuletzt abgerufen am 08.11.2011). 409  BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255, 256. 410  VGH Mannheim, Urt. v. 17.12.2009 – 3 S 2110  / 08 –, VBlBW 2010, 357, 357 ff.  411  VGH Mannheim, Urt. v. 17.12.2009 – 3 S 2110  / 08 –, VBlBW 2010, 357, 358 f.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

nach Ziff. 3.3.7.1. S. 1 LEP 2002. Ein atypischer Fall könne nur dann vorliegen, wenn das Beeinträchtigungsverbot eingehalten werde und zusätzlich weitere Umstände hinzuträten. Die Prüfung, ob atypische Umstände eine Abweichung vom Kongruenzgebot der. Ziff. 3.3.7.1 S. 1 LEP 2002 zuließen, habe nach dem vorliegenden Regelungszusammenhang zwei Voraussetzungen: Zum einen müsse die Verkaufsfläche eines Einzelhandelsgroßprojekts so bemessen sein, dass deren Einzugsbereich den zentralörtlichen Verflechtungsbereich zwar wesentlich überschreitet, doch dürfe gleichzeitig die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich und die Funktionsfähigkeit anderer Zentraler Orte nicht wesentlich beeinträchtigt werden.412 Am Auslegungsaufwand des VGH Mannheim wird deutlich, dass die Grenzen der Zulässigkeit von Ausnahmen im Rahmen der genannten Soll-Vorschrift keineswegs klar auf der Hand liegen. Dies erschwert die Rechtsanwendung und begünstigt die Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten entgegen der Intention des Plangebers, insbesondere dann, wenn kein Gericht zur Überprüfung der Entscheidung der Verwaltung eingeschaltet wird. Auch auf eine gefestigte Rechtsprechung zu einzelnen Soll-Zielen und deren Reichweite kann nicht verwiesen werden, denn es ist schon auf Grund der großen Anzahl an verschiedenen Soll-Zielen kaum möglich, eine gefestigte Rechtsprechung bezüglich der Ausnahmen für jedes einzelne Soll-Ziel zu entwickeln. Keine entscheidende Abhilfe bei der Umsetzung von Soll-Vorschriften bringt die Heranziehung der Einzelhandelserlasse der Länder. Erstens enthalten nicht alle Einzelhandelserlasse klare Vorgaben, sondern begnügen sich zum Teil mit bloßen Empfehlungen.413 Zweitens handelt es bei den Einzelhandelserlassen und den damit vergleichbaren Vorschriften um bloße Verwaltungsvorschriften, die gegenüber den als Baugenehmigungsbehörden agierenden Gemeinden nur im Wege der Fachaufsicht aktualisiert werden können. Es hängt daher von der zuständigen Aufsichtsbehörde ab, ob sie die Einhaltung der Vorgaben des Einzelhandelserlass auch tatsächlich durchsetzt. Deshalb ist zu erwarten, dass durch die Möglichkeit der schriftlichen Vorgabe von Ausnahmen im Plan selbst die Missbrauchsmöglichkeiten verringert werden. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist die Möglichkeit der exakteren Vorgabe von Ausnahmen auf Grund des § 6 Abs. 1 ROG zu begrüßen. Auf diese Weise kann verhindert werden, dass die Genehmigungsbehörde Einzelhandelsvorhaben auf der grünen Wiese unter Berufung auf einen nicht klar umschriebenen, atypischen Einzelfall genehmigt. Zwar wird es auch Kontroversen geben um die Auslegung der Voraussetzungen, 412  VGH

358 f.

Mannheim, Urt. v. 17.12.2009 – 3 S 2110 / 08 –, VBlBW 2010, 357,

413  Vgl. Schröer / Kullick, NZBau 2011, 606, 608; vgl. auch oben, 3. Kapitel, II. 2. a) bb).



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 209

unter denen der Plangeber eine Ausnahme zulassen möchte, aber diese lassen sich vermeiden, indem der Planungsträger die Voraussetzungen exakt genug fasst. Der Plangeber hat es daher in der Hand, eine gewisse Flexibilisierung zuzulassen, etwa im Hinblick auf Einzelhandelsvorhaben, die keine nahversorgungsrelevanten Sortimente enthalten und die das Kongruenzgebot nicht verletzen, zugleich aber ein Konzept zur gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung durchzusetzen. c) Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung gegenüber Privaten Soweit Einzelhandelsgroßprojekte von juristischen Personen des Privatrechts betrieben werden, unterliegen sie nicht den unmittelbaren Bindungswirkungen des § 4 Abs. 1 ROG.414 Insbesondere kommt keine Bindung an die Ziele der Raumordnung nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 ROG in Betracht, da bei Einzelhandelsgroßprojekten kein Planfeststellungsverfahren durchzuführen ist. Allerdings ist für private Investoren die Berücksichtigungspflicht von Zielen der Raumordnung nach§ 4 Abs. 2 ROG von Relevanz, die dann eingreift, wenn das Fachrecht die Beachtung öffentlicher Belange vorschreibt.415 In diesem Zusammenhang ist insbesondere § 1 Abs. 4 BauGB zu beachten, wonach Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen sind. Die Vorschrift richtet sich zwar an die kommunalen Planungsträger, doch können sich private Investoren, deren Vorhaben den Bauleitplänen entsprechen müssen, nicht über die Ziele der Raumordnung hinwegsetzen.416 Im Außenbereich dürfen raumbedeutsame Vorhaben nach § 35 Abs. 3 S. 2 BauGB nicht den Zielen der Raumordnung widersprechen, doch wird diese Vorgabe im Zusammenhang mit der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsprojekte wenig relevant werden, da diese i. d. R. schon als nicht-privilegierte Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB einzuordnen sind, denen öffentliche Belange wie das kommunale Abstimmungsgebot nach § 2 Abs. 2 BauGB entgegenstehen.417 Im Bereich des § 34 BauGB verbleibt für eine Berücksichtigung von Erfordernissen der Raumordnung kein Raum,418 da es sich hierbei um eine gebundene Entscheidung handelt. Dadurch entstehen für 414  Ausführlich

dazu, vgl. oben, 3. Kapitel, I. 1. c) aa). Dyong, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, §  4 Rn. 3 und oben, 3. Kapitel, I. 1. c) aa). 416  Zum Ganzen vgl. Ernst, Standortsteuerung, S. 74. 417  BVerwG, Urt. v. 01.08.2002 – 4 C 5  / 01 –, NVwZ 2003, 86, 87; vgl. auch Ernst, Standortsteuerung, S. 74 f. 418  BVerwG, Urteil v. 11.02.1993 – 4 C 15  / 92 –, NVwZ 1994, 285, 286 ff.; Hartwig, NVwZ 1985, 8, 11; Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 4 Rn. 264. 415  Vgl.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

den Bereich des großflächigen Einzelhandels in der Praxis gewisse Lücken.419 Zwar ordnet § 34 Abs. 3 BauGB an, dass von Innenbereichsvorhaben keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein dürfen, die Vorschrift kann aber nicht verhindern, dass sich Einzelhandelsvorhaben an Standorten ansiedeln, wo sie nicht unbedingt die Versorgung in zentralen Versorgungsbereichen gefährden, jedoch gegen das Kongruenzgebot verstoßen. Solche Situationen sind denkbar, wenn ein Einzelhandelsgroßprojekt in seinem Sortiment ausschließlich Waren wie etwa Möbeln führt, die nicht zu den Gütern des täglichen Bedarfs gehören.420 Hier können die Ziele der Raumordnung außer Acht bleiben, ohne dass gleichzeitig eine Steuerung durch das Bauplanungsrecht erfolgen würde. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sind die bestehenden Bindungswirkungen der Ziele der Raumordnung gegenüber privaten Einzelhandelsinvestoren grundsätzlich als ausreichend anzusehen. Über § 4 Abs. 1 S. 3 ROG i. V. m. § 1 Abs. 4 ROG wird gewährleistet, dass die Gemeinden keine Bauleitpläne aufstellen, die dem zentralörtlichen Gliederungssystem mit den daraus folgenden Planungsgrundsätzen zuwider laufen, welches einen wichtigen Beitrag zu einer gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung, gerade auch in Zeiten rückläufiger Bevölkerungszahlen leistet. d) Zentrale-Orte-Prinzip Das Zentrale-Orte-Prinzip wird in den Raumordnungsplänen der Länder i. d. R. durch vier Strukturprinzpien umgesetzt: durch das Konzentrationsgebot, das Kongruenzgebot, das Beeinträchtigungsverbot und das Integrationsgebot.421 Aus dem Zentrale-Orte-System alleine folgt noch nicht mit bindender Wirkung, dass sich bestimmte Vorhaben nur an Orten bestimmter Zentralitätsstufen ansiedeln dürfen,422 sondern dieses Anliegen muss vielmehr durch Ziele der Raumordnung explizit verankert werden. 419  Auf die fehlende Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung weisen in diesem Zusammenhang auch Goppel / Runkel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 4 Rn. 72 hin. 420  Vgl. auch Rieger, UPR 2007, 366, 371, der § 34 Abs. 3 BauGB grundsätzlich nur dann für anwendbar erklärt, wenn das Sortiment des fraglichen Einzelhandelsbetriebs „zentrenrelevant“ ist. 421  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 2. c) bb) (1). 422  OVG Lüneburg, Beschluss v. 23.04.1976 – I OVG D 22  / 76 – zitiert bei Hoppe / Otting, Der Landkreis 2000, 376, 376; Hoppe, DVBl. 2000, 293, 295; Spannowsky, UPR 2003, 248, 250; Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1339; Ernst, Standortsteuerung, S.  80 ff.; Moench, FS Hoppe, S. 459, 467; a. A. unter Verweis auf § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG etwa Schmitz, ZfBR 2001, 85, 87.



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 211

aa) Konzentrationsgebot (1) Inhalt und Steuerungswirkung Nach dem Konzentrationsgebot ist die Ansiedlung, Erweiterung und wesentliche Änderung großflächiger Einzelhandelsvorhaben nur in Zentralen Orten, meist in Ober- und Mittelzentren, zulässig.423 Das Konzentrationsgebot muss in den landesweiten Raumordnungsplänen ausdrücklich als Ziel der Raumordnung festgesetzt werden, was in den meisten Bundesländern der Fall ist.424 So sieht der neue Landesentwicklungsplan von Sachsen-Anhalt425 in Ziff. 2.3. (Z 46) vor, dass die Ausweisung von Sondergebieten für Einkaufszentren, großlächige Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächige Handelsbetriebe nach § 11 Abs. 3 BauNVO an Zentrale Orte der oberen oder mittleren Stufe zu binden ist. Darüber hinaus ist nach Z 52 die Ausweisung von Sondergebieten für großflächige Einzelhandelsbetriebe, die ausschließlich der Grundversorgung der Einwohner dienen und keine schädlichen Wirkungen, insbesondere auf die zentralen Versorgungsbereiche und die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung anderer Gemeinden oder deren Ortskerne erwarten lassen, auch in Grundzentren unter Berücksichtigung ihres Einzugsbereichs zulässig. Es handelt sich bei der genannten Regelung um ein Ziel der Raumordnung. Unschädlich dabei ist, dass der Plan eine Ausnahme für Grundzentren vorsieht, da nach § 6 Abs. 1 ROG in den Raumordnungsplänen Ausnahmen von Zielen der Raumordnung festgesetzt werden dürfen, ohne dass die Zielqualität leiden würde.426 Der Landesentwicklungsplan Baden-Württembergs aus dem Jahr 2002427 sieht in Ziff. 3.3.7 vor, dass Einkaufszentren, großflächige Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächgige Handelsbetriebe für Endverbraucher (Einzelhandelsgroßprojekte) in der Regel nur in Ober-, Mittel- und Unterzentren ausgewiesen, errichtet oder erweitert werden dürfen. Davon abweichend kommen nach der Vorschrift auch Standorte in Kleinzentren und Gemeinden ohne zentralörtliche Funktion in Betracht, wenn dies nach den raumstrukturellen Gegebenheiten zur Sicherung der Grundversorgung geboten ist oder diese in Verdichtungsräumen liegen und mit Siedlungsbereichen benachbarter Ober-, Mittel- oder Unterzentren zusammengewachsen sind. Da Bienek, UPR 2008, 370, 372. Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1339. 425  Ausführlich dazu, siehe Bunzel / Hanke, Grenzen der Regelungskompetenz der Raumordnungsplanung, S.  68 ff.  426  Vgl. dazu oben, 3. Kapitel, I. 1. e) und II. 2. b). 427  Gegenwärtig ist nach Auskunft des baden-württembergischen Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur noch nicht absehbar, wann der Landesentwicklungsplan fortgeschrieben wird, so dass der LEP aus dem Jahr 2002 dieser Arbeit zu Grunde gelegt wird (Stand: 12.12.2011). 423  Vgl. 424  Vgl.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

es sich um eine Regel-Ausnahme-Vorschrift handelt, die vor Einführung des § 6 Abs. 1 ROG entstanden ist, wird in der Begründung zu Ziff. 3.3.7 LEP Baden-Württemberg 2002 zusätzlich auf atypische Fälle Bezug genommen, in denen eine Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten außerhalb von Ober-, Mittel- und Unterzentren zulässig sein soll. FOCs sind nach Ziff. 3.3.7 des LEP Baden-Württemberg 2002 grundsätzlich nur in Oberzentren zulässig. Da landesweite Raumordnungspläne in der Regel das gesamte Gemeindegebiet als Zentralen Ort ausweisen, sind großflächige Einzelhandelsvorhaben nach dem Konzentrationsgebot im gesamten Gemeindegebiet zulässig.428 Eine darüber hinausgehende Steuerung kann allerdings durch das Integrationsgebot erfolgen.429 § 24a Abs. 1 S. 4 des Landesentwicklungsprogramms des Landes Nordrhein-Westfalen (LEPro NRW) i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 19.6.2007 sah vor, dass Hersteller-Direktverkaufszentren mit mehr als 5000 m2 nur ausgewiesen dürfen, wenn sich der Standort in einer Gemeinde mit mehr als 100.000 Einwohnern befindet. Es handelt sich dabei um ein Ziel der Raumordnung,430 in Bezug auf das das LEPro NRW keine Ausnahmen gewährte. Mit Hilfe derartiger Vorgaben in den landesweiten Raumordnungsplänen kann verhindert werden, dass sich großflächige Einzelhandelsbetriebe außerhalb von Zentralen Orten auf der grünen Wiese ansiedeln. Dadurch soll die gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung in zumutbarer Entfernung sicher gestellt werden. Zwar sind in den Raumordnungsplänen regelmäßig Ausnahmen vom Konzentrationsgebot vorgesehen, der Plangeber kann aber die Ausnahmetatbestände nicht zuletzt mit Hilfe des neu eingefügten § 6 Abs. 1 ROG entsprechend eng und klar fassen, so dass eine Ansiedlung außerhalb des zentralörtlichen Gliederungssystems wirklich nur dann in Betracht kommt, wenn eine Gefährdung der Versorgungsfunktion des Zentrale-Orte-Systems ausgeschlossen erscheint. (2) Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht und mit Europarecht (a) Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG Fraglich ist, ob das Konzentrationsgebot mit der durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG garantierten kommunalen Selbstverwaltungsgarantie vereinbar ist. Die 428  Uechtritz,

NVwZ 2007, 1337, 1339. dazu unten, 3. Kapitel, II. 2. d) dd) (1). 430  So auch VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26.08.2009 – VerfGH 18 / 08 –, ZfBR 2010, 161, 162. 429  Vgl.



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 213

Selbstverwaltungsgarantie umfasst alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, d. h. sämtliche „Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben“431. Durch die landesplanerische Festlegung von Zielen der Raumordnung werden die Gemeinden in ihrer kommunalen Planungshoheit tangiert,432 was sich nicht zuletzt daraus ergibt, dass gemäß § 1 Abs. 4 BauGB die Bauleitpläne an die Ziele der Raumordnung anzupassen sind. In Bezug auf die Qualität des Eingriffs ist zu untersuchen, ob das Konzentrationsgebot den grundsätzlich unentziehbaren Kernbereich433 des kommunalen Selbstverwaltungsrechts berührt. Dazu gehören diejenigen Aufgaben, die den Wesensgehalt des kommunalen Selbstverwaltungsrechts ausmachen.434 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss der Kernbereich institutionell, nicht aber für die einzelnen Gemeinden gewahrt bleiben.435 Ein Eingriff in den Kernbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts liegt im Falle des Konzentrationsgebots danach schon deshalb nicht vor, weil die landesweiten Raumordnungspläne nur einzelne Gemeinden in ihrer Planungshoheit einschränken, nicht aber die kommunale Planungshoheit als solche beseitigen.436 Die betroffenen Gemeinden können abgesehen von der Einzelhandelssteuerung den Inhalt ihrer Bauleitpläne nach wie vor selbst bestimmen. Außerhalb des Kernbereichs der Selbstverwaltungsgarantie genügt zur Rechtfertigung eines Eingriffs das Vorliegen schutzwürdiger überörtlicher Interessen.437 Die Anforderungen an die Gründe, die aus landesplanerischer Sicht den Eingriff rechtfertigen, steigen mit dem Grad der Konkretisierung, den die landesplanerische Festlegung aufweist.438 Das Konzentrationsgebot dient der Aufrechterhaltung der Versorgungsfunktion der Innenstädte und stellt daher ein schutzwürdiges überörtliches Interesse dar.439 Zweifelhaft ist 431  BVerfGE

79, 127, 151; 110, 370, 400. 76, 107, 117 ff.; Hoppe / Otting, Der Landkreis 2000, 376, 377. 433  BVerfGE 1, 167, 178; 38, 258, 278 f. 434  BVerfGE 1, 167, 178; 38, 258, 278 f.; 107, 1, 12 f. 435  BVerfGE 76, 107, 119. 436  VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 15.12.1989 – VerfGH 5  / 88 –, NVwZ 1990, 456, 457; El Bureiasi, Großflächiger Einzelhandel, S. 222 f.; näher dazu, vgl. auch Ernst, Standortsteuerung, S. 92 f. 437  BVerfGE 56, 298, 313 f.; BVerwG, Urt. v. 14.12.2000 – 4 C 13 / 99 –, NVwZ 2001, 1030, 1033; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 28 Rn. 23. 438  Hoppe / Otting, Der Landkreis 2000, 376, 378; Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, Rn. 149. 439  Vgl. El Bureiasi, Großflächiger Einzelhandel, S. 228; Spannowsky, NdsVBl. 2001, 1, 2. 432  BVerfGE

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

dies lediglich in Bezug auf FOCs, welche keine Waren zur Deckung des täglichen Bedarfs anbieten.440 Allerdings lässt sich nicht völlig ausschließen, dass FOCs auch ohne zentrenrelevante Sortimente langfristig zur Verödung der Innenstädte beitragen, wenn sie als Magnet für die Ansiedlung anderer, zentrenrelevanter Betriebe in der Peripherie dienen. Darüber hinaus müssen die landesplanerischen Vorgaben dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung tragen.441 Zunächst ist anzumerken, dass dem Erforderlichkeitsgebot grundsätzlich Genüge getan ist, da weder ein im Sinne einer Mindestausstattungsgarantie verstandenes Zentrale-Orte-Konzept noch das Beeinträchtigungsverbot gleichermaßen geeignet sind, die angestrebten Ziele zu erreichen.442 Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht erschöpft sich die Funktion des zentralörtlichen Gliederungssystems darin, eine Mindestausstattung zu gewährleisten und in allen Teilräumen gleichwertige Lebensverhältnisse zu sichern.443 Dies überzeugt jedoch nicht, weil § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG nicht nur auf die Grundversorgung der Bevölkerung eingeht, sondern vielmehr die Erreichbarkeit sowie die Erhaltung der Innenstädte anspricht.444 Kopf lehnt die Erforderlichkeit darüber hinaus mit dem Argument ab, dass die strikte Zielbindung der Planung das schärfste Mittel landesplanerischer Koordinierung darstelle und mit § 1 Abs. 7 und § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB weniger einschneidende, aber genauso wirksame Mittel zur Verfügung stünden.445 Allerdings verkennt er dabei, dass in vielen Fällen bereits eine Vorabsteuerung auf landesplanerischer Ebene notwendig ist, da andernfalls die bauplanungsrechtliche Abwägungsentscheidung überfrachtet würde. In ähnlicher Weise wie Kopf argumentiert Maier, die die Angemessenheit des Konzentrationsprinzips deswegen verneint, weil es als striktes Verbotssystem zu grobmaschig sei, um zu einer 440  Ernst,

Standortsteuerung, S. 94 ff.  56, 298, 313; 76, 107, 119 f.; 103, 332, 366 f.; das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist nach richtiger Ansicht bei Eingriffen außerhalb des Kernbereichs der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nach wie vor als Kontrollmaßstab heranzuziehen, vgl. Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 36; nicht ganz klar insoweit BVerfGE 79, 127, 150 ff.  442  So auch Schmitz / Federwisch, Einzelhandel und Planungsrecht, § 5 Rn. 105 unter Verwendung des Begriffs „Kongruenzgebot“ für die Zuordnung einzelner Vorhaben zu Orten bestimmter Zentralitätsstufen. 443  Vgl. Hoppe, DVBl. 2000, 293, 295; Moench / Sandner, NVwZ 1999, 337, 341; Schneider, Factory Outlet Center, S. 117. 444  Vgl. Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 6 Rn. 66; Schmitz, ZfBR 2001, 85, 87; eingehend dazu auch Schmitz / Feder­ wisch, Einzelhandel und Planungsrecht, § 5 Rn. 118 ff., wobei insoweit vom „Kongruenzgebot“ die Rede ist. 445  Vgl. Kopf, Einzelhandelsgroßprojekte, S. 274, der insoweit allerdings vom „Kongruenzgebot“ spricht; Ernst, Standortsteuerung, S. 98 f. 441  BVerfGE



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der konkreten Ansiedlung entsprechenden, einzelfallbezogenen und damit sachgerechten Lösung beizutragen.446 Allein problematisch unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit ist die Tatsache, dass das Konzentrationsgebot meist auch FOCs mit nicht innenstadtrelevanten Sortimenten erfasst, obwohl diese in der Regel keine Waren des täglichen Bedarfs anbieten und daher keine echte Versorgungsfunktion erfüllen.447 Hinsichtlich von FOCs besteht zwar die Gefahr, dass diese sich im Laufe der Zeit durch das Anbieten mittlerer und geringerer Qualitätsware einem gewöhnlichen Einkaufszentrum annähern und auf diese Weise die Versorgungsfunktion der Innenstädte gefährden können,448 doch kann diesem Problem, worauf Ernst zu Recht hinweist, auch mit bauplanungsrechtlichen Steuerungsmechanismen begegnet werden.449 Hinzu kommen die Erfahrungen aus den USA, wo FOCs den traditionellen Einzelhandel nicht zerstört haben.450 Dem könnte man entgegenhalten, dass Situation in Deutschland damit nicht vergleichbar ist. Während die amerikanische Innenstadt nie als Versorgungszentrum angesehen wurde, hat sich die europäische Stadt seit dem Mittelalter als Zentrum für den Einzelhandel entwickelt.451 Eine völlige Abkehr von diesem Verständnis dürfte daher nicht ohne Weiteres möglich sein. Hinzu kommt, dass amerikanische Verbraucher auf Grund der größeren Distanzen ohnehin an die ständige Benutzung des Autos gewohnt sind und zudem mit Ausnahme der Unterschicht fast jeder ein Auto besitzt, was nicht zuletzt an den im Vergleich zu Deutschland deutlich niedrigeren Benzinpreisen liegt.452 Dennoch wird man sagen müssen, dass eine pauschale Einbeziehung von FOCs in das Konzentrationsgebot nicht erforderlich ist. Daher sind für FOCs Ausnahmen in die Raumordnungspläne aufzunehmen, um dem Erforderlichkeitsgebot Rechnung zu tragen, da die Planungsnorm andernfalls die Selbstverwaltungsgarantie verletzt. Ob das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Einzelfall gewahrt ist, hängt darüber hinaus entscheidend von der Ausgestaltung des Konzentrationsgebots im konkreten Fall ab. So hat der Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen hinsichtlich § 24a Abs. 1 S. 4 LEPro NRW i. d. F. vom 446  Maier, Factory Outlet Center, S. 85, die in diesem Zusammenhang jedoch vom Kongruenzgebot spricht. 447  Vgl. Ernst, Standortsteuerung, S. 111; zweifelnd auch Uechtritz, ZfBR 2011, 648, 655, dessen Ausführungen sich zwar auf die Vereinbarkeit des Konzentrationsgebots mit Unionsrecht beziehen, doch auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach nationalem Verfassungsrecht im Wesentlichen übertragbar sind. 448  So etwa Ernst, Standortsteuerung, S. 111. 449  Vgl. Ernst, Standortsteuerung, S. 111. 450  Ausführlich dazu, vgl. Hahn / Pudemat, AfK 37 (1998), 336, 351 f. 451  Runkel, UPR 1998, 241, 241. 452  Vgl. Hahn / Pudemat, AfK 37 (1998), 336, 350.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

19.06.2007 einen Verstoß gegen die kommunale Planungshoheit bejaht.453 Der Gesetzgeber habe für die genannten Schwellenwerte keine hinreichenden Gründe dargelegt. Zwar entspreche es der geläufigen Praxis des Gesetzgebers, im Bereich der Raumordnung und Landesplanung über Schwellenwerte zu steuern, doch sei die Begründungslast des Gesetzgebers für den festgelegten Wert umso höher, je strikter die Schwellenwerte wirkten.454 Hinzu komme, dass die Regelung die Ansiedlung von FOCs landesweit generell untersage, ohne die jeweiligen regionalen Gegebenheiten in den Blick zu nehmen.455 In anderen Fällen, in denen das Konzentrationsgebot so ausgestaltet ist, dass Ausnahmen von der strikten Bindungswirkung möglich sind, wie etwa im Falle Sachsen-Anhalts und Baden-Württembergs456 ist die Beschränkung des Planungsspielraums der Gemeinden durch das Konzentrationsgebot nicht unverhältnismäßig. (b) Art. 12 Abs. 1 GG Ob die in den Raumordnungsplänen der Länder verankerten Konzentrationsgebote mit der Berufsfreiheit der Einzelhandelsunternehmer nach Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar sind, hängt ebenfalls von ihrer Ausgestaltung im konkreten Fall ab. Ein Konzentrationsgebot verbietet die Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes außerhalb bestimmter Zentren und beeinträchtigt daher die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Handlungs- und Entscheidungsfreiheit.457 Auch die berufsregelnde Tendenz der entsprechenden Planungsnormen ist zu bejahen.458 Zwar bindet das Konzentrationsgebot unmittelbar nur die planende Gemeinde, nicht jedoch den privaten Investor, doch kann es als Ziel der Raumord453  VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26.08.2009 – VerfGH 18  / 08 –, ZfBR 2010, 161, 163 f.; vgl. dazu auch Kaltenborn / Würtenberger, NVwZ 2010, 236, 236 ff.  454  VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26.08.2009 – VerfGH 18  / 08 –, ZfBR 2010, 161, 163. 455  VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26.08.2009 – VerfGH 18  / 08 –, ZfBR 2010, 161, 164. 456  Für Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg, vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (1). 457  BVerfGE 50, 290, 363; Manssen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  12 Rn. 69; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 10; Breuer, in: HdStR VIII, § 170 Rn. 45. 458  So etwa auch Ernst, Standortsteuerung, S. 105 m. w. N., die allerdings den Begriff „Kongruenzgebot“ verwendet; Moench, FS Hoppe, S. 459, 468; a. A. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.05.2006 – 12 A 28 / 05 –, LKV 2007, 32, 37; Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1341.



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 217

nung mit seiner strikten Bindungswirkung nicht im Wege der Abwägung überwunden werden459 und schlägt daher letztlich doch direkt auf den privaten Investor durch. Eingriffe in die Berufsfreiheit sind gerechtfertigt, wenn sie dem Verhältnismäßigkeitsprinzip gerecht werden, das im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG durch die so genannte Drei-Stufen-Theorie seine besondere Ausprägung gefunden hat. Nach der Drei-Stufen-Theorie des Bundesverfassungsgerichts beurteilt sich die Zulässigkeit eines Eingriffs danach, ob in die Berufsausübungsfreiheit oder Berufswahlfreiheit eingegriffen wurde, wobei bei Eingriffen in die Berufswahlfreiheit zusätzlich zwischen objektiven und subjektiven Berufswahlregelungen zu unterscheiden ist.460 Die Aussagen in den Raumordnungsplänen zur Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten stellen bloße Berufsausübungsregelungen dar,461 denn eine Durchführung der Vorhaben ist nicht schlechthin verboten, sondern jedenfalls in Mittel- und Oberzentren möglich. Dies gilt auch für FOCs, für die entgegen anders lautender Stimmen in der Literatur462 genügend Ansiedlungsmöglichkeiten bestehen, so dass von einem faktischen Ansiedlungsverbot keine Rede sein kann. Außerdem produzieren die Betreiber nicht nur für das FOC, sondern auch für den regulären Einzelhandel, so dass sie durch die Vorgaben der Raumordnungspläne nicht zur Aufgabe ihres gesamten Unternehmens gezwungen werden.463 Zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit genügen „vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls“.464 Eine solche Erwägung ist die Gewährleistung der gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung,465 was vom Bundesverfassungsgericht als ein Gemein459  Spiecker,

Raumordnung und Private, S. 117; vgl. oben, 3. Kapitel, I. 1. c) aa). 7, 377, 401. 461  Vgl. auch Ernst, Standortsteuerung, S. 109. 462  Vgl. etwa Jahn, Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 89; Hoppe /  Otting, Der Landkreis 2000, 376, 378 f. 463  So auch Ernst, Standortsteuerung, S. 108 f. 464  BVerfGE 7, 377, 405; 17, 232, 242; 22, 1, 20 f.; 46, 246, 256; 53, 135, 144; 121, 317, 349. 465  Vgl. etwa die Begründung zu Ziff. 2.3 des LEP Sachsen-Anhalts, wonach es zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse Aufgabe der Zentralen Orte ist, entsprechend ihrer jeweiligen Zentralitätsstufe ausreichend Flächen für den Einzelhandel bereitzustellen, damit sich der Einzelhandel so entwickeln kann, dass die Bevölkerung (auch die nicht motorisierte) mit einem differenzierten und bedarfsgerechten Warenangebot in zumutbarer Erreichbarkeit versorgt werden kann. Die Sicherung der verbrauchernahen Grundversorgung in ihrem Verflechtungsbereich wird als Aufgabe aller Zentralen Orte angesehen. Aufgrund des Einzugsbereichs von Einzelhandelsgroßprojekten sind diese an Ober- und Mittelzentren zu binden. Ähnlich Erwägungen enthält auch die Begründung zu 3.3.7 des LEP 2002 Baden-Württembergs. 460  BVerfGE

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

schaftsgut höchsten Ranges anerkannt ist, welches sogar Eingriffe in die Freiheit der Berufswahl rechtfertigen kann.466 Die Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten kann zu einem Kaufkraftabzug aus den Innenstädten führen, wodurch dort ansässige Läden möglicherweise zur Geschäftsaufgabe gezwungen werden. Dies wiederum gefährdet die Versorgungsfunktion der Innenstädte.467 Weitere legitime Ziele sind die Gewährleistung der Erreichbarkeit sowie einer nachhaltigen Raumentwicklung.468 Das Konzentrationsgebot als solches verstößt auch nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Übermaßverbot. Eine Steuerung allein durch die Kräfte des Marktes erscheint wenig sinnvoll, da sich private Investoren häufig an niedrigen Grundstückspreisen orientieren und diese in der Regel außerhalb der Zentralen Orte vorzufinden sein werden. Dies wirkt sich meist zu Lasten der Erreichbarkeit des Einzelhandelsmarktes aus. Einige Stimmen in der Literatur wenden zudem ein, dass ein starres Konzentrationsgebot die Versorgung der Bevölkerung nicht unbedingt verbessern würde, da bestimmte Versorgungseinrichtungen den Orten höherer Zentralität vorbehalten blieben und daher für Einwohner von Orten mit niedriger oder ohne Zentralität nur schwer erreichbar seien.469 Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass derartige Versorgungslücken allenfalls hinsichtlich von Produkten des nicht-alltäglichen Gebrauchs auftreten können, da nahversorgungsrelevante Sortimente auch in Orten ohne oder mit niedriger Zentralität angeboten werden dürfen. In eine ähnliche Richtung geht die Argumentation, Konzentrationsgebote verschlechterten die Versorgung der Bevölkerung sogar, indem sie die Neuansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe verhinderten, obwohl diese sehr wohl die Nahversorgung sichern könnten.470 Dagegen lässt sich einwenden, dass sich nicht-großflächige, die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung ebenfalls sichernde Betriebe sehr wohl ansiedeln können und von derartigen Betrieben weniger Auswirkungen auf benachbarte Zentrale Orte zu erwarten sind. Daneben sehen die Landesentwicklungspläne hier in der Regel Ausnahmen vor für großflächige Betriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung gewährleisten sollen.471 25, 1, 16 f.; Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 35 ff.  NdsVBl. 2001, 32, 35 ff.; ders., UPR 2003, 248, 251, der jedoch in diesem Zusammenhang den Begriff „Kongruenzgebot“ verwendet. 468  Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 6 Rn. 66, die allerdings vom „Kongruenzgebot“ sprechen. 469  Jahn, Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten, S. 92 f.; Schneider, Factory Outlet Center, S. 119, der in diesem Zusammenhang allerdings vom „Kongruenzgebot“ spricht; ebenso Maier, Factory Outlet Center, S. 82 f., die ebenfalls vom „Kongruenzgebot“ spricht. 470  In diese Richtung etwa Birk, VBlBW 2006, 289, 294. 471  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (1). 466  BVerfGE

467  Spannowsky,



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 219

Solche Ausnahmen sind allerdings auch erforderlich, um die Geeignetheit des Konzentrationsgebots nicht entfallen zu lassen. Andere Stimmen in der Literatur wie etwa Bunzel / Hanke meinen, die Verankerung eines Konzentrationsgebots nach dem Vorbild von Ziff. 2.3. (Z 46) des LEP Sachsen-Anhalts sei nicht geeignet, gut erschlossene Versorgungsstandorte zu erhalten, da zu diesem Zweck nicht nur auf Mittel- und Oberzentren, sondern vielmehr auf die zentralen Ortsteile der Mittel- und Oberzentren Bezug genommen werden müsste.472 Diese Überlegung mag in der Sache richtig sein, doch kommt dem Plangeber bei der Beurteilung der Geeignetheit, da es sich um eine Prognoseentscheidung handelt, eine Einschätzungsprärogative zu,473 so dass die Anknüpfung an Mittel- und Oberzentren unschädlich ist. Überdies wird teilweise auf das Beeinträchtigungsverbot als milderes Mittel im Vergleich zum Konzentrationsgebot rekurriert,474 obwohl schädliche Auswirkungen von Summationseffekten durch eine Ansiedlung einer Mehrzahl entsprechender großflächiger Einzelhandelsbetriebe im Verflechtungsbereich von Orten mit zentralörtlicher Funktion mit einem Beeinträchtigungsverbot alleine nur schwer erfassbar sind.475 Gleiches gilt für die Sicherstellung der Erreichbarkeit.476 Die Erforderlichkeit eines Konzentrationsgebots an sich wird von Uechtritz weiterhin mit dem Argument bezweifelt, dass ein solches auch für Verdichtungsräume gelte,477 bei denen die Steuerungswirkung des Zentrale-Orte-Systems an ihre Grenzen stößt478 und ein Ausbluten zentraler Versorgungsbereiche nicht droht. Dieser Einwand ist nicht von der Hand zu weisen. Dem kann jedoch dadurch entgegengewirkt werden, dass die Raumordnungspläne entsprechende Ausnahmevorschriften vorsehen, die eine Ansiedlung auch außerhalb des zentralörtlichen Systems zulassen, wenn die Versorgung der Bevölkerung nicht gefährdet wird. Die entsprechenden Plansätze enthalten meist solche Ausnahmen, was auch bei den Landesentwicklungsplänen von Sachsen-Anhalt 472  Bunzel / Hanke, Grenzen der Regelungskompetenz der Raumordnungsplanung, S. 60 u. 68. 473  Schneider, Standortsteuerung, S. 120, der in diesem Zusammenhang allerdings vom „Kongruenzgebot“ spricht. 474  So etwa Ernst, Standortsteuerung, S. 112 f.; Sparwasser, NVwZ 2006, 264, 267 f.; Schneider, Factory Outlet Center, S. 122 f. 475  Vgl. Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1341; explizit auf FOCs bezogen, vgl. BVerwG, Beschl. v. 08.03.2006 – 4 B 75 / 05 –, NVwZ 2006, 932, 932 ff.  476  Vgl. Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 6 Rn. 66. 477  Uechtritz, ZfBR 2011, 648, 655 in Bezug auf die Vereinbarkeit des Konzentrationsgebots mit Unionsrecht. 478  Vgl dazu oben, 3. Kapitel, I. 2. c) bb) (2).

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und Baden-Württemberg der Fall ist.479 Nicht zuletzt besteht die Möglichkeit eines Zielabweichungsverfahrens nach § 6 Abs. 2 ROG, bei dem nunmehr auch Personen des Privatrechts antragsberechtigt sind. Der Einwand von Ingold, nicht alle Bundesländer hätten ein Zielabweichungsverfahren umgesetzt, muss indes berücksichtigt werden, zumal die Länder nach richtiger Ansicht in diesem Bereich ein Abweichungsrecht besitzen.480 Weiterhin wird vertreten, dass Zielabweichungen von Vorgaben, die auf dem Zentrale-Orte-Konzept beruhen, stets die Grundstruktur der Planung berührten und daher niemals zulässig seien.481 Etwas anderes gelte nur dann, wenn die Verletzung des Zieles so geringfügig sei, dass bei Verweigerung der Abweichung gegen das Übermaßverbot verstoßen würde.482 Dem ist das Bundesverwaltungsgericht entgegengetreten mit dem Argument, dass es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankomme, ob die Grundzüge der Planung berührt würden.483 Damit wird gewährleistet, dass zumindest dann, wenn ein Vorhaben unter Versorgungsgesichtspunkten evident unbedenklich ist, auf die Beachtung des Konzentrationsgebots verzichtet werden kann. Ein solches Zielabweichungsverfahren mag in der Praxis aufwändig und möglicherweise erfolglos sein, doch wird in begründeten Ausnahmefällen eine Abweichung bei ordnungsgemäßer Rechtsanwendung gewährt werden. Weiterhin problematisch unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit ist die Tatsache, dass das Konzentrationsgebot oft auch FOCs mit nicht innenstadtrelevanten Sortimenten erfasst, obwohl diese in der Regel keine Waren des täglichen Bedarfs anbieten und daher keine echte Versorgungsfunktion erfüllen.484 Insoweit gilt das zur Vereinbarkeit mit Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG Gesagte,485 nämlich dass für derartige Vorhaben Ausnahmen vorgesehen werden müssen, um dem Verhältnismäßigkeitsprinzip gerecht zu werden.486 479  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (1); vgl. auch BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255, 258 zur Verhältnismäßigkeit des Kongruenzgebots durch die Gestattung von Ausnahmen. 480  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 1. a). 481  Vgl. Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 6 Rn. 126. 482  Vgl. Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 6 Rn. 126; Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 38. 483  BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255, 259. 484  Vgl. Ernst, Standortsteuerung, S. 111; zweifelnd auch Uechtritz, ZfBR 2011, 648, 655, dessen Ausführungen sich zwar auf die Vereinbarkeit des Konzentrationsgebots mit Unionsrecht beziehen, doch auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach nationalem Verfassungsrecht im Wesentlichen übertragbar sind. 485  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (a). 486  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (1).



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In Bezug auf § 24a Abs. 1 S. 4 LEPro NRW ist nach alledem ein Verstoß gegen die Berufsfreiheit anzunehmen, zumal der Gesetzgeber für die Festlegung der Schwellenwerte von 5000 m2 und 100.000 Einwohner keine hinreichenden sachlichen Gründe angegeben hat.487 Überdies sieht die Regelung keine Ausnahmen für besonders begründete Einzelfälle vor. Zusammenfassend kann man festhalten, dass ein striktes Konzentrationsgebot ohne jegliche Ausnahmemöglichkeiten mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Kein Verstoß gegen die Berufsfreiheit liegt dagegen vor, wenn FOCs vom Anwendungsbereich ausgenommen werden und auch für sonstige Fälle zumindest die Möglichkeit eines Zielabweichungsverfahrens besteht. (c) Art. 14 Abs. 1 GG Landesplanerische Konzentrationsgebote verletzen die Grundstückseigentümer nicht in ihrer von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Baufreiheit.488 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Schutzbereiche von Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 GG strikt zu trennen. Art 14 GG erfasst danach nur den bereits vorhandenen Bestand an vermögenswerten Gütern, also das Erworbene, während Art. 12 GG die mit der gewerblichen Tätigkeit verbundenen Erwerbsmöglichkeiten, mithin den Erwerb schützt.489 Das Konzentrationsgebot beschränkt die Standortauswahl für Einzelhandelsgroßprojekte, beeinträchtigt aber nicht eine bereits bestehende Rechtsposition. Es wird lediglich eine Ausweitung der unternehmerischen Tätigkeit unterbunden, was durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt ist. (d) Art. 49 AEUV Das Konzentrationsgebot, so wie es in den Raumordnungsplänen in der Regel umgesetzt ist,490 verstößt nach Ansicht der EU-Kommission gegen Unionsrecht, insbesondere gegen die in Art. 49 AEUV gewährleistete Nie487  Vgl. VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26.08.2009 – VerfGH 18  /  08 –, ZfBR 2010, 161, 163, allerdings im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen das Recht auf kommunale Selbstverwaltung. 488  BVerfGE 35, 263, 276; 104, 1, 11; BVerwGE 42, 115, 116; 48, 271, 273; 50, 282, 285 f.; 106, 228, 234; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 24; vgl. oben, 2. Kapitel, III. 2. a). 489  BVerfGE 30, 292, 334 f.; 38, 61, 102; 65, 237, 248; 77, 84, 117; 81, 70, 96; 84, 133, 157; 85, 360, 383; 88, 366, 377; 102, 26, 40; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 3. 490  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (1).

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derlassungsfreiheit sowie gegen die Dienstleistungsrichtlinie491. Die EUKommission äußerte ihre Bedenken bezüglich der Vereinbarkeit von nationalem Planungsrecht mit dem Unionsrecht in einem Aufforderungsschreiben vom 25.06.2009.492 Sie befürchtet darin, dass strengere Auflagen für großflächige Einzelhandelsbetriebe die Niederlassung kleinerer und mittlerer Einzelhandelsbetriebe begünstigen könnten.493 Soweit die Bundesrepublik zur Rechtfertigung Gründe des Allgemeinwohls geltend macht, bezweifelt die Kommission, dass diese zur Erreichung der Ziele erforderlich sind.494 Außerdem kritisiert sie die mangelnde Bestimmtheit einzelner Begriffe in den Raumordnungsplänen, u. a. des Begriffs des großflächigen Einzelhandels.495 Die Niederlassungsfreiheit kann als Prüfungsmaßstab für eine nationale Regelung herangezogen werden, soweit sie nicht durch Sekundärrecht konkretisiert wurde.496 Nachdem die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Dienstleistungsrichtlinie für den Bereich des Planungsrechts nach richtiger Ansicht zwar zu bejahen, jedoch keinesfalls unumstritten ist,497 soll an dieser Stelle auf die Vereinbarkeit des Konzentrationsgebots mit der Niederlassungsfreiheit eingegangen werden, zumal die EU-Kommission selbst von einer Verletzung der Niederlassungsfreiheit spricht und die Argumentation auf die Vorgaben der Dienstleistungsrichtlinie übertragen werden kann. Zuzugeben ist, dass sich die raumordnungsrechtlichen Planungsvorgaben ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit des Investors auf die Niederlassungsfreiheit auswirken, da sie im Einzelfall einem anvisierten Standort entgegenstehen können.498 Dies ist für das Vorliegen einer Beeinträchtigung hinreichend, denn nach der vom EuGH entwickelten Gebhard-Formel ist die 491  Richtlinie 2006  /  123  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. EU Nr. L 376, S. 36. 492  EU-Kommission, Vertragsverletzungsverfahren Nr.  2008  /  4946; näher zum Ganzen, Sparwasser / Edelbluth, Raumordnerische Steuerung des Einzelhandels, in: Mitschang, Aktuelle Fragestellungen des Städtebau- und Umweltrechts, S. 79, 81 f.; Dziallas, NZBau 2010, 618, 618; Krumb / Stapelfeldt, BauR 2011, 64, 71 f. 493  EU-Kommission, Vertragsverletzungsverfahren Nr.  2008 / 4946. 494  EU-Kommission, Vertragsverletzungsverfahren Nr.  2008 / 4946. 495  EU-Kommission, Vertragsverletzungsverfahren Nr.  2008 / 4946. 496  Zum Verhältnis von Primärrecht und Sekundärrecht, vgl. EuGH, Urt. v. 12.10.1993, Rs. C-37 / 92, Vanacker, und Lesage, Slg. 1993, I-4947 Rn. 9; Urt. v. 13.12.2001, Rs. C-324  /  99, DaimlerChrysler AG  /  Land Baden-Württemberg, Slg 2001, I-9919 Rn. 32; Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 7 Rn. 8; Streinz / Leible, in: Schlachter / Ohler, Europäische Dienstleistungsrichtlinie, Einl. Rn. 87. 497  Vgl dazu unten, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (e). 498  VGH Mannheim, Urt. v. 17.12.2009 – 3 S 2110  / 08 –, VBlBW 2010, 357, 364 für das Kongruenzgebot.



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 223

Niederlassungsfreiheit als Beschränkungsverbot ausgestaltet und erfasst deshalb alle Maßnahmen, welche die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit behindern oder weniger attraktiv machen.499 Der Annahme einer Beeinträchtigung kann ferner nicht entgegengehalten werden, dass die Regelung zu einer nicht hinreichenden, bloß mittelbaren Beeinträchtigung führe. Tatsächlich wird nämlich ausländischen Unternehmern durch ein Konzentrationsgebot der Zugang zum deutschen Markt erschwert.500 Allerdings darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, dass die EU-Kommission in ihrem Aufforderungsschreiben offensichtlich den Regelungsgehalt deutscher Vorschriften des Landesplanungsrechts verkennt, wenn sie davon ausgeht, dass die landesplanungsrechtlichen Vorschriften unmittelbar wirkende Voraussetzungen für die planungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit von Einzelhandelsvorhaben festlegten.501 Genau dies ist nicht der Fall, denn die raumordnerischen Vorgaben bilden lediglich einen Rahmen, der durch das Bauplanungsrecht, insbesondere die von den Gemeinden aufzustellenden Bauleitpläne konkretisiert wird. Erst daraus ergibt sich die Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass sich das von der Landesplanung vorgegebene System der Einzelhandelssteuerung auf der Ebene der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsprüfung bedingungslos fortsetze.502 Richtig ist, dass den Gemeinden gerade im Falle eines Konzentrationsgebots in der Regel allenfalls ein geringer Gestaltungsspielraum verbleibt, doch ändert dies nichts an der Tatsache, dass sich aus dem Raumordnungsrecht unmittelbar kein Anspruch auf Genehmigung eines Vorhabens herleiten lässt. Dies ist und bleibt eine Frage des Bauplanungsrechts. Fraglich ist jedoch, ob diese mittelbare Beeinträchtigung gerechtfertigt werden kann. Die einschlägigen Entscheidungen des VGH Mannheim und des Bundesverwaltungsgerichts,503 die von einer Rechtfertigung ausgehen, konzentrieren sich zwar auf das Kongruenzgebot, aber die vorgebrachten Erwägungen gelten gleichermaßen für das Konzentrationsgebot, zumal beide Planungsgrundsätze ähnlich Ziele verfolgen und auch die Intensität ihrer 499  EuGH, Urt. v. 07.05.1991, Rs. C-340  / 89, Vlassopoulou, Slg. 1991, I-2357, Rn. 15 ff.; Urt. v. 30.11.1995, Rs. C-55 / 94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Rn. 37; Urt. v. 03.10.2000, Rs. C-58 / 98, Corsten, Slg. 2000, I-7919 Rn. 33; Urt. v. 17.10.2002, Rs. C-79 / 01, Payroll, Slg. 2002, I-8923, Rn. 26; Urt. v. 15.06.2006, Rs. C-255 / 04, Kommission / Frankreich, Slg. 2006, I-5251 Rn. 37. 500  EuGH, Urt. v. 24.03.2011, Rs. C-400 / 08, Kommission / Spanien, Rn. 64; ausführlich dazu, Kment, EuR 2011, 269, 270 ff., insbesondere 274 f. 501  So auch Bischopink, BauR 2009, 1688, 1690. 502  So aber Krumb / Stapelfeldt, BauR 2011, 64, 71 f. 503  VGH Mannheim, Urt. v. 17.12.2009 – 3 S 2110 / 08 –, VBlBW 2010, 357 ff.; BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255 ff. 

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Wirkung vergleichbar ist, zumindest solange es sich beim Konzentrationsgebot nicht um ein ausnahmsloses Ansiedlungsverbot handelt. Das Zentrale-Orte-Konzept dient, wie die beiden Gerichte treffend herausarbeiten, der Erhaltung der Innenstädte als Versorgungsstandorte sowie der Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilräumen, was als hinreichender Belang des Allgemeinwohls zu qualifizieren ist.504 Überdies sehen Erwägungsgrund Nr. 40 der Dienstleistungsrichtlinie505 sowie Art. 4 Nr. 8 der Dienstleistungsrichtlinie den Schutz der städtischen Umwelt, einschließlich der Stadt- und Raumplanung als zwingenden Grund des Allgemeinwohls an.506 Auch die Eignung des Konzentrationsgebots ist zu bejahen, da großflächige Einzelhandelsprojekte in der Peripherie zu Kaufkraftabzügen aus benachbarten Gemeinden und letztlich zur Verödung der Innenstädte führen können. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsmärkte in Klein- und Mittelzentren, welche die Versorgung der dortigen Bevölkerung sogar verbessern könne, durch ein Konzentrationsgebot unterbunden würde, denn für solche Fälle sehen die entsprechenden Landesentwicklungspläne in der Regel ohnehin Ausnahmen vor.507 Lediglich dort, wo keine derartigen Ausnahmen verankert sind, mag dieser Einwand durchgreifen. Im Übrigen ergibt sich aus den Schlussanträgen der Generalanwältin Sharpston508 vom 07.10.2010 im Verfahren Kommission  /  Spanien sowie aus dem Urteil des EuGH in dem fraglichen Rechtsstreit,509 dass planungsrechtlich bewirkte Beschränkungen der Standorte großer Einzelhandelseinrichtungen auf städtische Bevölkerungszentren als geeignete Mittel anzusehen seien, da sie dem Ziel dienten, umweltbelastende Autofahrten zu vermeiden, dem innerstädtischen Verfall entgegenzuwirken und den Zugang mit öffentlichen Verkehrsmittel sicher zu stellen. Die Erforderlichkeit des Konzentrationsprinzips ist ebenfalls zu bejahen, zumal dem nationalen Gesetzgeber bei der Wahl des Schutzniveaus ein Einschätzungsspielraum zukommt510 und mildere Mittel, etwa die Verankerung eines 504  VGH Mannheim, Urt. v. 17.12.2009 – 3 S 2110  / 08 –, VBlBW 2010, 357, 364; BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255, 258 f. für das Kongruenzgebot; vgl. auch Kment, EuR 2011, 269, 279. 505  Richtlinie 2006  /  123  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl.EU Nr. L 376, S. 36. 506  Vgl. Dziallas, NZBau 2010, 618, 620. 507  Vgl. dazu auch oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (1) sowie aa) (2) (b). 508  Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston v. 07.10.2010, Rs. C-400  / 08, Kommission / Spanien, Rn. 79 u. 90 f. 509  EuGH, Urt. v. 24.03.2011, Rs. C-400 / 08, Kommission / Spanien, Rn. 80. 510  EuGH, Urt. v. 01.02.2001, Rs. C-108  / 96, Mac Quen u. a., Slg. 2001, I-837 Rn. 34; Urt. v. 16.12.2010, Rs. 89 / 09, Kommission / Frankreich, Slg. 2010, I-12941 Rn. 42.



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 225

Beeinträchtigungsverbots, alleine nicht gleich wirksam sind. Insoweit gilt das zum nationalen Recht Gesagte.511 Die in dem Verfahren Kommission / Spanien in Rede stehenden spanischen Vorschriften zur Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsvorhaben, die der EuGH letztlich als europarechtswidrig eingestuft hat, beschränken sich hingegen nicht darauf, große Einzelhandelseinrichtungen auf dicht bevölkerte Zentren zu konzentrieren, sondern sie ordneten darüber hinaus ein Ansiedlungsverbot an, sofern in den fraglichen Bezirken ein Überangebot an Einzelhandelseinrichtungen bestand.512 Deswegen sind sie mit den deutschen Vorgaben in den Raumordnungsplänen nicht vergleichbar.513 Hinzu kommt, dass Spanien selbst in dem Verfahren vor dem EuGH keine hinreichenden Gründe dafür vorgetragen hat, warum die spanischen Vorschriften zur Erreichung der angestrebten Ziele erforderlich sein sollen,514 so dass der EuGH ohne gesteigerten Begründungsaufwand einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit feststellen konnte. (e) A  rt. 10 Abs. 2 lit. d) und e), Art. 14 Nr. 5 und Art. 15 Abs. 2 lit. a) Dienstleistungsrichtlinie Nach Auffassung der EU-Kommission515 sollen raumordnungsrechtliche Vorgaben zur Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsprojekte, insbesondere das Konzentrationsgebot gegen Art. 10, 14 und 15 der Dienstleistungsrichtlinie verstoßen.516 Problematisch ist allerdings bereits die Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie. Zwar ist das Raumordnungsrecht nach Art. 1 und Art. 2 nicht ausdrücklich vom Anwendungsbereich ausgenommen, doch sieht Erwägungsgrund Nr. 9 der Richtlinie, welcher die Reichweite der Ermächtigungsgrundlage nach Art. 53 i. V. m. Art. 62 AEUV konkretisiert, vor, dass die Richtlinie keine Anwendung findet auf Anforderungen wie Stra­ ßenverkehrsvorschriften, Vorschriften bezüglich der Stadtentwicklung oder Bodennutzung, der Stadtplanung und der Raumordnung, die nicht die 511  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (a) und aa) (2) (b); im Wesentlichen kann die Diskussion über die Verhältnismäßigkeit nach nationalen Gesichtspunkten auf die europäische Ebene übertragen werden; so auch BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8.10 –, ZfBR 2011, 255, 258 f.; vgl. auch Kment, EuR 2011, 269, 280 f. 512  Vgl. EuGH, Urt. v. 24.03.2011, Rs. C-400 / 08, Kommission / Spanien, Rn. 95 ff.; ausführlich zu den spanischen Regelungen, vgl. Michallik, Instrumenta­rien zur Steuerung von Einzelhandel in Deutschland und Spanien, S. 197 ff.  513  So im Ergebnis Uechtritz, ZfBR 2011, 648, 654 f.; Hager, BauR 2011, 1093, 1100 ff.  514  EuGH, Urt. v. 24.03.2011, Rs. C-400 / 08, Kommission / Spanien, Rn. 84 f. 515  Vgl. EU-Kommission, Vertragsverletzungsverfahren Nr.  2008 / 4946. 516  Richtlinie 2006  /  123  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl.EU Nr. L 376, S. 36.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Dienstleistungstätigkeit als solche regeln oder betreffen, sondern von Dienstleistungserbringern im Zuge der Ausübung ihrer Wirtschaftstätigkeit genauso beachtet werden müssen wie von Privatpersonen. Dies spricht dafür, dass die Verankerung eines Konzentrationsgebotes dem Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie schon gar nicht unterfällt.517 Dagegen lässt sich jedoch anführen, dass diejenigen Gegenstände, die vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden sollen, in Art. 1 und 2 abschließend aufgelistet sind. Zweifelhaft ist weiterhin, ob das planungsrechtliche Konzentrationsgebot eine Dienstleistungstätigkeit als solche regelt oder betrifft. Eine „Regelung“ kann mangels Finalität ausgeschlossen werden.518 Ein „Betreffen“ der Dienstleistungstätigkeit als solcher wird von Otto mit der Argumentation abgelehnt, dass ein Dienstleistungsbezug nicht schon dann vorliege, wenn nur ein allgemeines, unspezifisches und gleichsam zufälliges Betroffensein der Dienstleistungstätigkeit gegeben sei.519 Die Vorschriften der §§ 29 ff. BauGB richteten sich gegen jeden Nutzer des jeweiligen Grundstücks und regelten daher gerade nicht die Dienstleistungstätigkeit als solche.520 Wenn ein „Betreffen“ danach von Otto schon für § 34 Abs. 3 BauGB abgelehnt wird, müsste dies erst recht für die für Private ohnehin nicht unmittelbar bindenden Vorgaben des Raumordnungsrechts gelten. Gegen die Argumentation von Otto spricht jedoch entscheidend, dass nach der Zielsetzung der Richtlinie und unter dem Gesichtspunkt des effet utile-Gedankens eine faktische Wirkung ausreichen muss, um ein „Betroffensein“ im Sinne der Richtlinie zu begründen.521 Entscheidend ist daher, ob eine Regelung faktisch nur bestimmte Dienstleistungserbringer betrifft. Dies ist bei einem Konzentrationsgebot zu bejahen, denn es tangiert in der Praxis nur Betreiber großflächiger Einzelhandelsbetriebe und gerade nicht Privatpersonen, welche keine entsprechenden Märkte errichten wollen. Erachtet man danach den Anwendungsbereich der Richtlinie für eröffnet, kommt zunächst ein Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 lit. d) und e) in Betracht, wonach Genehmigungsregelungen auf Kriterien beruhen müssen, die eine willkürliche Ausübung des Ermessens der zuständigen Behörden verhindern, wobei die Kriterien klar und unzweideutig sowie objektiv sein müssen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Genehmigungsvoraussetzungen auf einer möglichst hohen Konkretisierungsebene liegen und mithilfe einer umfangreichen Kasuistik umschrieben werden müss517  So im Ergebnis die Fachkommission Städtebau, 24. Sitzung, September 2008, zit. nach Krumb / Stapelfeldt, BauR 2011, 64, 68. 518  Für § 34 Abs. 3 BauGB so auch Krumb / Stapelfeldt, BauR 2011, 64, 69. 519  Otto, Anwendung der Richtinie 2006 / 123 / EG, S.  21 ff.  520  Otto, Anwendung der Richtlinie 2006 / 123 / EG, S.  37. 521  So für § 34 Abs. 3 BauGB auch Krumb / Stapelfeldt, BauR 2011, 64, 69.



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 227

ten.522 Entscheidend ist allein, dass die Ermessensspielräume der Genehmigungsbehörden weitestgehend beschränkt bleiben und die Gefahr willkür­ licher Entscheidungen gemindert wird. Im Fall von Konzentrationsgeboten dürfte ein Verstoß gegen die Richtlinie damit jedenfalls dann vorliegen, wenn die Ausnahmeregelungen so ausgestaltet sind, dass willkürliche Einzelfallentscheidungen der Verwaltung drohen,523 etwa, weil auch der fragliche Einzelhandelserlass keine hinreichenden Vorgaben enthält. Eine Verletzung von Art. 14 Nr. 5 der Dienstleistungsrichtlinie, wonach die Mitgliedstaaten die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet nicht von einer wirtschaftlichen Überprüfung im Einzelfall oder von der Beurteilung der tatsächlichen oder möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Tätigkeit abhängig machen dürfen, liegt hingegen nicht vor. Erstens verlangt ein Konzentrationsgebot grundsätzlich keine wirtschaftliche Bedarfsprüfung durch Marktgutachten, sondern die entsprechenden Vorschriften in den Raumordnungsplänen sind in der Regel so ausgestaltet, dass nur bei einer ausnahmsweisen Zulassung eines Einzelhandelsgroßprojekts in einem Klein- oder Unterzentrum die Tatsache der Nichtzentrenschädlichkeit nachgewiesen werden muss. Zweitens sieht Art. 14 Nr. 5 der Dienstleistungsrichtlinie vor, dass das Verbot nicht Planungserfordernisse betrifft, die keine wirtschaftlichen Ziele verfolgen, sondern zwingenden Gründen des Allgemeininteresses dienen. Das landesplanerische Konzentrationsgebot soll gerade nicht den Wettbewerb auf dem Einzelhandelsmarkt beeinflussen, sondern die Versorgung der Bevölkerung sichern und zur Vermeidung von unnötigem Verkehrsaufkommen beitragen, was beides zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses nach Erwägungsgrund Nr. 40 der Richtlinie, konkret zum Verbraucherschutz und zum Schutz der Stadt- und Raumplanung zählt. Auch hinsichtlich der Erforderlichkeit der Regelung bestehen keine durchgreifenden Bedenken, da ein Beeinträchtigungsverbot alleine die Versorgung der Bevölkerung nicht in gleicher Weise gewährleisten kann.524 Die Erforderlichkeit ist nur dann zu verneinen, wenn die entsprechende Ausgestaltung des Konzentrationsgebots auch Betriebe erfasst, von denen negative Auswirkungen auf Nahversorgungsbereiche unter gar keinen Umständen ausgehen können, etwa, weil sie keine nahversorgungsrelevanten Sortimente anbieten. Solche Planvorschriften verstoßen schon gegen deutsche Grundrechte, so dass das dort Gesagte entsprechend gilt.525 522  Cornils, in: Schlachter  /  Ohler, Europäische Dienstleistungsrichtlinie, Art. 10 Rn. 11. 523  Cornils, in: Schlachter  /  Ohler, Europäische Dienstleistungsrichtlinie, Art. 10 Rn. 11. 524  Näher dazu oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (a) und aa) (2) (b). 525  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (a) und aa) (2) (b).

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Nach Art. 15 Abs. 2 lit. a) sind nationale Anforderungen, wonach die Aufnahme oder Ausübung von Dienstleistungen mengenmäßigen oder territorialen Beschränkungen unterliegt, insbesondere in Form von Beschränkungen auf Grund der Bevölkerungszahl oder bestimmter Mindestentfernungen zwischen Dienstleistungsempfängern, abzuschaffen, es sei denn, sie können nach Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie gerechtfertigt werden. Dies ist dann der Fall, wenn ein zwingender Grund des Allgemeininteresses vorliegt und die Regelung überdies verhältnismäßig ist. Ein Konzentrationsgebot nennt zwar keine unmittelbaren zahlenmäßigen Beschränkungen, verhindert aber faktisch eine Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe und FOCs in Klein- und Unterzentren zumindest dann, wenn keine Ausnahme gegeben ist. Die Ansiedlungsmöglichkeiten werden daher in der Regel auf Mittel- und Oberzentren begrenzt. Eine Rechtfertigung ist möglich, zumal Belange der Raumordnung und Landesplanung zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellen. Hinsichtlich der Erforderlichkeit gilt das zu Art. 14 Nr. 5 Gesagte entsprechend. Die Angemessenheit des Konzentrationsgebots ergibt sich zudem daraus, dass die entsprechenden Ausgestaltungen selten absolut wirken, sondern Betriebe zumindest ausnahmsweise zugelassen werden können. Eine solche Ausnahmemöglichkeit ist hinreichend, aber zugleich erforderlich, um den Anforderungen der Dienstleistungsrichtlinie gerecht zu werden. (3) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Das Konzentrationsgebot ist ein wichtiger Baustein zur Sicherung der gleichwertigen Versorgung der Bevölkerung in sämtlichen Teilräumen. Letzteres ist besonders vor dem Hintergrund des demografischen Wandels entscheidend. Der Literaturansicht, die davon ausgeht, dass das zentralörtliche Gliederungssystem nur eine Mindestausstattung gewährleiste und der Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse diene, nicht aber der Steuerung von Vorhaben privater Investoren,526 ist zuzugeben, dass es gerade in Zukunft angesichts des demografischen Wandels in vielen Regionen nur noch um die Sicherstellung der Grundversorgung gehen kann, während eine bestmögliche Versorgung nicht mehr erreichbar sein wird. Allerdings erschöpft sich die Funktion des zentralörtlichen Gliederungssystems nicht darin, sondern es fördert zusätzlich die Erreichbarkeit von Versorgungseinrichtungen, insbesondere mit Hilfe des ÖPNV sowie die Steuerung der Raumstruktur insgesamt.527 Das Konzentrationsgebot unterstützt diese Anliegen, indem es die 526  Vgl. Hoppe, DVBl. 2000, 293, 295; Moench / Sandner, NVwZ 1999, 337, 341; Schneider, Factory Outlet Center, S. 117. 527  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 2. c) bb) (1) und bb) (3) (b).



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 229

Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe in kleinen, oft schlecht mit dem ÖPNV erreichbaren Orten verhindert. Gleichzeitig stärkt das Konzentrationsgebot die innenstädtischen Versorgungsbereiche. Dies ist besonders relevant, da in Zukunft viele Menschen schon auf Grund ihres Alters nicht mehr hinreichend mobil sein werden, um Einkaufszentren fernab ihrer Wohnung aufzusuchen. Sie sind darauf angewiesen, dass Waren und Dienstleistungen zentral an einem Ort angeboten werden und sie nur einmal eine Wegstrecke bewältigen müssen. Gerade bei einer schrumpfenden Bevölkerung ist es unverzichtbar, dass wichtige Versorgungseinrichtungen, zu denen auch der Einzelhandel gehört, sinnvoll über das ganze Landesgebiet verteilt sind. Dies wird durch die Kopplung an bestimmte Zentralitätsstufen erreicht, denn die Zentralen Orte der mittleren und obersten Stufe unterliegen ihrerseits einer gleichmäßigen Verteilung über das gesamte Staatsgebiet. Durch die Konzentration auf wenige, ausgewählte Standorte wird auch einer voranschreitenden Zersiedelung Einhalt geboten, für die es angesichts dramatisch rückläufiger Bevölkerungszahlen in manchen Landesteilen528 keine Rechtfertigung mehr gibt. Außerdem kann durch die Verankerung von Ausnahmen in den Plänen der Tatsache Rechnung getragen werden, dass der demografische Wandel nicht überall gleich verlaufen wird, sondern es Gegenden geben wird, die einen Bevölkerungszuwachs sowie ein vergleichsweise niedriges Durchschnittsalter zu erwarten haben.529 In solchen Regionen kommt es nicht so sehr auf eine möglichst gute Erreichbarkeit von Einzelhandelsbetrieben für ältere Menschen an, sondern es stehen andere Faktoren wie die Familienfreundlichkeit im Vordergrund. Überdies droht in Wachstumsregionen den Innenstädten allein durch die Ansiedlung eines Einzelhandelsgroßbetriebes in einem benachbarten Kleinzentrum in der Regel nicht die Verödung. Eine über die herkömmlichen Konzentrationsgebote hinaus gehende, von Bunzel / Hanke530 vorgeschlagene Bindung großflächiger Einzelhandelsbetriebe an die zentralen Ortsteile der Mittel- und Oberzentren erscheint vor dem Hintergrund des demografischen Wandels im Sinne einer größtmöglichen Erreichbarkeit zwar sinnvoll, keinesfalls aber zwingend, da innerhalb von Mittel- und Oberzentren zumindest der ÖPNV in der Regel so gut ausgebaut ist, dass Einzelhandelsmärkte auch außerhalb der zentralen Ortsteile selbst für ältere Menschen gut erreichbar sind. Außerdem ist die Vereinbarkeit einer derart detaillierten Vorgabe mit der kommunalen Planungshoheit sehr zweifelhaft. 528  Vgl.

oben, 1. Kapitel, II. 2. b), II. 2. c) und II. 2. d). oben, 1. Kapitel, II. 2. a). 530  Bunzel / Hanke, Grenzen der Regelungskompetenz der Raumordnungsplanung, S. 60 f. u. 69. 529  Vgl.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH die Festschreibung des Konzentra­ tionsgebots in den Raumordnungsplänen der Länder als europarechtswidrig einstufen wird. Diese Gefahr ist umso geringer, je sorgfältiger der Plansatz begründet531 und je präziser er im Einzelfall durch hinreichende Ausnahmetatbestände ergänzt wird.532 Zudem ist vor dem Hintergrund der Dienstleistungsrichtlinie auf eine möglichst klare Formulierung der Ausnahmen zu achten. Sollte der EuGH die fraglichen Planvorschriften dennoch als europarechtswidrig ansehen, dürften diese wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht mehr angewandt werden.533 Möglicherweise kommt jedoch eine unionsrechtskonforme Auslegung534 dahin gehend in Betracht, dass das Konzentrationsgebot der Ansiedlung eines Einzelhandelsbetriebs außerhalb von Mittel- und Oberzentren nicht entgegensteht, wenn eine Beeinträchtigung der Versorgung der Bevölkerung von vornherein ausgeschlossen werden kann. Eine Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht hätte vor dem Hintergrund des demografischen Wandels weitreichende Konsequenzen, gerade hinsichtlich der Erreichbarkeit von Einzelhandelsmärkten, da der entsprechende Plansatz letztlich aufgehoben werden müsste und das Konzept der Zentrenbindung großflächiger Betriebe auch bei nationalen Sachverhalten nicht mehr haltbar wäre. bb) Kongruenzgebot (1) Inhalt und Steuerungswirkung Das Kongruenzgebot besagt, dass sich großflächige Einzelhandelsbetriebe nach Standort, Größe und Einzugsbereich in das Zentrale-Orte-System einfügen müssen, mithin dem Versorgungsbereich des jeweiligen zentralen Ortes zu entsprechen haben.535 El Bureiasi536 interpretiert das Kongruenzgebot davon abweichend als „horizontales Beeinträchtigungsverbot“, das dem Schutz benachbarter Versorgungsbereiche dienen soll, welche durch auch Battis, DVBl. 2011, 196, 200. im Ergebnis auch Uechtritz, ZfBR 2011, 648, 654 f. 533  EuGH, Urt. v. 15.07.1964, Rs. 6  /  64, Costa  /  E.N.E.L., Slg. 1964, S. 1251, 1269 f.; Urt. v. 22.10.1998, verb. Rs. C-10 / 97 bis C-22 / 97, IN.CO.GE ’90 et al., Slg. 1998, I-6307, Rn. 18 ff.; Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, Rn. 178 f. 534  So auch Kment, EuR 2011, 269, 269; näher zur unionsrechtskonformen Auslegung Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, Rn. 188  ff.; Herresthal, EuZW 2007, 396 ff.  535  BVerwG, Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, ZfBR 2004, 171, 176; Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1341; Bienek, UPR 2003, 370, 372; vgl. auch oben, 3. Kapitel, I. 2. c) bb) (1). 536  El Bureiasi, Großflächiger Einzelhandel, S. 124 ff.  531  Ähnlich 532  So



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 231

einen Einzelhandelsgroßbetrieb Kaufkraft und damit siedlungsstrukturelle Ausrichtung in solchem Umfang verlieren, dass eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung nicht mehr möglich erscheint. Auf ein Überschreiten des zentralen Verflechtungsbereichs der Standortgemeinde durch den betriebswirtschaftlichen Einzugsbereich des Einzelhandelsvorhabens kommt es seinem Ansatz nach nicht an.537 Entscheidend soll vielmehr sein, dass die benachbarten Versorgungsbereiche nicht geschädigt werden.538 Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung soll dieser Ansatz, so nachvollziehbar er auch sein mag, außer Betracht bleiben, nachdem die Planungspraxis sowie die Rechtsprechung bislang am traditionellen Verständnis des Kongruenzgebots festhalten539 und gerade die Praxistauglichkeit eines Kongruenzgebotes vor dem Hintergrund des demografischen Wandels im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht. Das Kongruenzgebot ist – in unterschiedlicher Ausgestaltung – in allen Landesentwicklungs- und Regionalplänen verankert, auch dann, wenn diese kein Konzentrationsgebot enthalten.540 Der neue Landesentwicklungsplan Sachsen-Anhalts enthält in Ziff. 2.3. (Z 47) die Vorgabe, dass Verkaufsfläche und Warensortiment von Einkaufszentren, großflächigen Einzelhandelsbetrieben und sonstigen großflächigen Handelsbetrieben der zentralörtlichen Versorgungsfunktion und dem Verflechtungsbereich des jeweiligen Zentralen Ortes entsprechen müssen. Z 48 spricht in Nr. 1 davon, dass die in den fraglichen Sondergebieten entstehenden Einzelhandelsprojekte mit ihrem Einzugsbereich den Verflechtungsbereich des Zentralen Ortes nicht wesentlich überschreiten dürfen. Nach Z 51 gelten diese Vorgaben auch für Agglomerationen von nicht großflächigen Einzelhandelsbetrieben, die in ihrer Summationswirkung einem großflächigem Einzelhandelsbetrieb gleichkommen können, eine Regelungstechnik, die das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich zugelassen hat.541 Ausnahmen von diesem Ziel enthält Ziff. 2.3. nicht. Die Begründung zu dieser Vorschrift führt an, dass großflächige Einzelhandelsprojekte ausgeglichene Versorgungsstrukturen und deren Verwirklichung nicht beeinträchtigen dürften. Nach dem Kongruenzgebot sei daher zu prüfen, ob ein geplantes Einzelhandelsgroßprojekt dem zentralörtlichen Auftrag der planenden Gemeinde entspreche, wobei die Größe der Verkaufsflächen sowie die Differenzierung des Warensortiments wesentliche Kenngrößen für die Bewertung seien. 537  El

Bureiasi, Großflächiger Einzelhandel, S. 134 ff.  Bureiasi, Großflächiger Einzelhandel, S. 134 ff.  539  So etwa BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255, 257 f. 540  Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1341. 541  BVerwG, Urt. v. 11.11.2011 – 4 CN 9 / 10 –, ZfBR 2012, 154, 154 f. 538  El

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Auch der LEP Baden-Württembergs enthält in Ziff. 3.3.7.1 S. 1 ein Kongruenzgebot, wonach die Verkaufsfläche der Einzelhandelsgroßprojekte so bemessen sein soll, dass deren Einzugsbereich den zentralörtlichen Verflechtungsbereich nicht wesentlich überschreitet. Es handelt sich hierbei um eine Soll-Vorschrift, so dass Ausnahmen in besonders gelagerten Fällen möglich sind.542 Der VGH Mannheim hat entschieden, dass es sich bei dem fraglichen Plansatz trotz seines Verweises auf eine „wesentliche“ Überschreitung des zentralörtlichen Verflechtungsbereichs um ein Ziel der Raumordnung handelt, da es der Bestimmtheit nicht entgegenstehe, wenn einzelne Begriffe der Auslegung bzw. Konkretisierung bedürften.543 Der LEP 2002 verweise in seiner Begründung auf den Einzelhandelserlass Baden-Württembergs, wonach eine wesentliche Überschreitung gegeben sei, wenn mehr als 30 % des Umsatzes aus Räumen außerhalb des Verflechtungsbereichs erzielt werde.544 Auch die Ausgestaltung als Soll-Vorschrift steht nach Auffassung des VGH Mannheim einer solchen Klassifizierung nicht entgegen, da nach dem Regelungszusammenhang der Plangeber die Voraussetzungen für die Annahme eines atypischen Falles nicht gänzlich offen gelassen habe, sondern die Vorschrift im Zusammenhang mit Ziff. 3.3.7 und Ziff. 3.3.7.1 S. 2 LEP 2002 zu lesen sei.545 Die atypischen Umstände würden vom Plangeber insoweit eingegrenzt, als jedenfalls die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich und die Funktionsfähigkeit anderer Zentraler Orte nicht wesentlich beeinträchtigt werden dürften.546 Dagegen hat das OVG Münster dem Kongruenzgebot des § 24 Abs. 3 LEPro NRW a. F., wonach Kerngebiete sowie Sondergebiete für Einkaufszentren, großflächige Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächige Handelsbetriebe nur ausgewiesen werden sollen, soweit die in ihnen zulässigen Nutzungen nach Art, Lage und Umfang der angestrebten zentralörtlichen Gliederung sowie der in diesem Rahmen zu sichernden Versorgung der Bevölkerung entsprechen und wenn sie räumlich und funktional den Sied542  Vgl.

oben, 3. Kapitel, II. 2. b). Mannheim, Urt. v. 17.12.2009 – 3 S 2110 / 08 –, VBlBW 2010, 357, 361; bestätigt von BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255, 257. 544  VGH Mannheim, Urt. v. 17.12.2009 – 3 S 2110  / 08 –, VBlBW 2010, 357, 361; der Einzelhandelserlass Baden-Württembergs ist abgedruckt bei Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, Bd. 1, D 131, S.  35 ff.  545  VGH Mannheim, Urt. v. 17.12.2009 – 3 S 2110  / 08 –, VBlBW 2010, 357, 359. 546  VGH Mannheim, Urt. v. 17.12.2009 – 3 S 2110 / 08 –, VBlBW 2010, 357, 359; für eine Zielqualität im Ergebnis auch BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8.10 –, ZfBR 2011, 255, 256 f. 543  VGH



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 233

lungsschwerpunkten zugeordnet sind, zu Recht die Zielqualität abgesprochen.547 Das Gericht begründete dies damit, dass die Vorschrift hinsichtlich des Regelfalls nicht hinreichend konkretisiere, wann die Nutzungen der angestrebten zentralörtlichen Gliederung und der Sicherung der jeweiligen Versorgungsaufgabe entsprächen.548 Hinzu komme, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Ausnahme für die Gemeinden als Normadressaten weder aus sich heraus noch im Zusammenhang mit anderen Planauslagen im Landesentwicklungsprogramm, im Landesentwicklungsplan oder im Gebietsentwicklungsplan bestimmbar seien.549 An diesen Entscheidungen wird deutlich, dass es stets auf die genaue Formulierung des Kongruenzgebotes ankommt, so dass pauschale Aussagen zur Zielqualität von Kongruenzgeboten in anderen Landesentwicklungsplänen nicht möglich sind. Werden die Anforderungen an die Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit eingehalten, handelt es sich beim Kongruenzgebot um ein Ziel der Raumordnung. Mit Hilfe des Kongruenzgebots soll eine raumverträgliche Entwicklung des Einzelhandels erreicht werden.550 Ein von der konkreten Beeinträchtigung der Versorgungssituation abgekoppeltes Kongruenzgebot beruht nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts darauf, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe, die nach Lage, Umfang und Art nicht der jeweiligen zentralörtlichen Hierarchiestufe der Standortgemeinde entsprechen, selbst dann raumunverträglich seien, wenn sie keine Beeinträchtigungen hervorriefen. Grund dafür sei, dass sie wegen ihrer überörtlichen, über den Einzugsbereich der Standortgemeinde hinausgehenden Wirkung zur Zersiedelung und Erhöhung des Verkehrsaufkommens führten, was letztlich einer effektiven Nutzung der Infrastruktur entgegenstehe.551 Darüber hinaus soll das Kongruenzgebot im Zusammenwirken mit dem Beeinträchtigungsverbot eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs gewährleisten,552 was insbesondere dort von Bedeutung ist, wo in den Raumordnungsplänen Konzentrationsgebote fehlen.

547  OVG Münster, Urt. v. 28.12.2005 – 10 D 145  / 04.NE –, BauR 2005, 1580 ff.  548  OVG Münster, Urt. v. 28.12.2005 – 10 D 145  / 04.NE –, BauR 2005, 1580 f. 549  OVG Münster, Urt. v. 28.12.2005 – 10 D 145  / 04.NE –, BauR 2005, 1582. 550  BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255, 257. 551  BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255, 257 f. 552  Vgl. El Bureiasi, Großflächiger Einzelhandel, S. 135, allerdings in der pretation als „horizontales Beeinträchtigungsverbot“.

1577, 1577, 1577,

Inter-

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

(2) Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht und mit Europarecht (a) Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG Das Kongruenzgebot als solches verstößt nicht gegen nationales Verfassungsrecht, wobei es freilich auch hier auf seine Ausgestaltung im konkreten Einzelfall ankommt. Es greift nicht in den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie ein, so dass zu seiner Rechtfertigung der Nachweis schutzwürdiger überörtlicher Interessen genügt.553 Solche sind in erster Linie die Vermeidung von Zersiedelung und die Verringerung des Verkehrsaufkommens.554 Das Kongruenzgebot ist auch geeignet, diese Ziele zu erreichen. Wenn ein Einzelhandelsgroßmarkt eine große Zahl an Kunden aus benachbarten Gemeinden anlockt, entsteht ein erhöhtes Verkehrsaufkommen, zu dessen Bewältigung gegebenenfalls neue Straßen errichtet werden müssen, für die es an sich keinen Bedarf gibt. Kritiker bestreiten die Geeignetheit des Kongruenzgebots, da nicht klar sei, wie der Einzugsbereich des jeweiligen Betriebs ermittelt werden könne.555 Das Kongruenzgebot könne lediglich so verstanden werden, dass die auf der Verkaufsfläche beruhende Umsatzerwartung die Kaufkraft der Einwohner im Verflechtungsbereich nicht wesentlich überschreiten dürfe. Die Ermittlung der Verkaufsfläche wiederum scheitere daran, dass diese bei der Ausweisung eines Baugebietes in der Regel noch nicht feststehe.556 Daher sei das Kongruenzgebot ein bereits vom Ansatz her verfehltes Mittel, um die Zulässigkeit von Kern- und Sondergebietsausweisungen, welche im Zusammenhang mit großflächigen Einzelhandelsbetrieben wegen § 11 Abs. 3 BauNVO wesentlich sind, zu steuern, zumal im Fall einer Kerngebietsausweisung wie auch bei einer Sondergebietsausweisung keine bestimmten Betriebe zugelassen würden.557 Zudem würden sich die Verflechtungsbereiche von Ober-, Mittel- und Unterzentren regelmäßig überschneiden, so dass eine Bestimmung des Kaufkraftanteils, der von Kunden außerhalb der Standortgemeinde aufgebracht wird, schwer möglich sei.558 Diese Kritik ist nicht von der Hand zu weisen. Der Vorwurf, das Kongruenzgebot sei für die Gemeinden in der Phase der Gebietsausweisung schwer zu handhaben, lässt sich zumindest für den Be553  Vgl.

oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (a). Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8  /  10 –, ZfBR 2011, 255, 257  f.; Schmitz / Federwisch, Einzelhandel und Planungsrecht, § 5 Rn. 104. 555  Kuschnerus, ZfBR 2010, 324, 329. 556  Kuschnerus, ZfBR 2010, 324, 329. 557  Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, S.  219; Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1342. 558  Kuschnerus, ZfBR 2010, 324, 330. 554  BVerwG,



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 235

reich der Angebotsplanung nicht völlig widerlegen, da in diesem Stadium noch nicht absehbar ist, welche Betriebe sich später ansiedeln werden. Allerdings wird zumindest ein Teil der Gebietsausweisungen im Wege eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans getroffen, so dass von Anfang an klar ist, welcher Investor sich ansiedeln möchte und Unsicherheiten erst gar nicht entstehen können.559 Um das Kongruenzgebot im Wege der Bauleitplanung umzusetzen, hat die Gemeinde die Möglichkeit, durch §§ 1 Abs. 9 und 11 Abs. 2 BauNVO eine gewisse Feinsteuerung vorzunehmen und so Vorhaben, die dem Kongruenzgebot widersprechen, zumindest teilweise auszuschließen.560 Zu bedenken ist allerdings, dass eine gebietsbezogene, vorhabenunabhängige Festsetzung einer maximalen Verkaufsfläche mangels Rechtsgrundlage unzulässig ist,561 so dass beispielsweise auf Positiv- und Negativlisten zurückgegriffen werden muss.562 Die Abgrenzung der einzelnen Verflechtungsbereiche kann sich in der Praxis als schwierig erweisen, insbesondere dort, wo die Verflechtungsbereiche ohnehin eng verwoben sind und das Zentrale-Orte-System als solches an seine Grenzen stößt.563 So hat etwa das OVG Lüneburg entschieden, dass das in Nr. 2.3.3 S. 1 des niedersächsischen Landes-Raumordnungsprogramms aus dem Jahr 2008564 verankerte Kongruenzgebot kein Ziel der Raumordnung darstelle, da der Begriff des Verflechtungsbereichs mangels ausdrücklicher und flächendeckender Abgrenzung nicht bestimmbar sei.565 Grund für diese Entscheidung war die enge Verzahnung der Verflechtungsbereiche der einzelnen Gemeinden im Raum Hannover.566 In ländlichen Regionen mit einer geringeren Anzahl an Zentralen Orten dürfte hingegen 559  So die Einschätzung von Frau Christine Stiglbauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Bereich Einzelhandel bei der Regierung der Oberpfalz, in einem Gespräch mit der Autorin am 13.12.2011; vgl. auch Spannowsky, UPR 1999, 241, 242. 560  Hoffmann / Kassow, BauR 2010, 711, 713; ähnlich auch BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255, 258; näher dazu unten, 4. Kapitel, I. 6. a) und I. 8. 561  BVerwG, Urt. v. 03.04.2008 – 4 CN 3  / 07 –, NVwZ 2008, 902, 903; vgl. auch Bunzel / Hanke, Grenzen der Regelungskompetenz der Raumordnungsplanung, S. 69; zu einer möglichen Ausnahme, vgl. BVerwG, Urt. v. 24.03.2010 – 4 CN 3 / 09 –, NVwZ 2010, 782, 784; näher dazu unten, 4. Kapitel, I. 6. a). 562  Vgl. Kopf, IBR 2008, 685, 685. 563  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 2. c) bb) (2). 564  Landes-Raumordnungsprogramm Niedersachsen 2008 vom 08.05.2008, GVBl. S. 132 – LROP 2008. 565  OVG Lüneburg, Urt. v. 15.03.2012 – 1 KN 152 / 10 –, BeckRS 2012, 50939. 566  In diese Richtung Claus, Aktuelle Rechtsprechung zu Einzelhandelsimmobilien – Ein erweitertes Thesenpapier, in: Kühling, Die Einzelhandelsimmobilie, S. 45, 49.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

die Abgrenzung der Verflechtungsbereiche von Orten derselben Zentralitätsstufe einfacher gelingen, so dass dem Kongruenzgebot nicht pauschal seine Geeignetheit abgesprochen werden kann. An der Erforderlichkeit des Kongruenzgebots bestehen grundsätzlich keine Zweifel, da ein Beeinträchtigungsverbot alleine das drohende Verkehrsaufkommen sowie die fortschreitende Zersiedelung nicht zu verhindern mag.567 Das Kongruenzgebot ist zur Erreichung der angestrebten Ziele grundsätzlich auch angemessen, da andernfalls der Schutz vor landesplanerischen Fehlentwicklungen nicht mehr gewährleistet ist.568 Im Vergleich zu den Folgen, die ein erhöhtes Verkehrsaufkommen und der Bau zusätzlicher Straßen mit sich bringen, stellt die Vorgabe, die Größe eines Einzelhandelsprojekts an die Gegebenheiten seines Standorts zu koppeln, einen geringen Eingriff dar, zumal den Gemeinden dadurch nicht die Ansiedlung jeglicher Einzelhandelsvorhaben untersagt wird. Kritisiert wird indes zu Recht die Geltung des Kongruenzgebotes für FOCs mit nicht-zentrenrelevanten Sortimenten.569 Insoweit dürften sich die Befürchtungen eines erhöhten Verkehrsaufkommens als überzogen erweisen, denn gewöhnlich werden solche Einzelhandelsmärkte nur zu bestimmten Anlässen aufgesucht. Freilich darf nicht übersehen werden, dass bei einem FOC stets auch die Gefahr der Verwandlung in ein konventionelles Einkaufszentrum besteht, welches für die Nahversorgung und damit für das Verkehrsaufkommen wiederum relevant wäre.570 Für die Frage der Geeignetheit und Erforderlichkeit eines auch für FOCs geltenden Kongruenzgebots kommt es mithin entscheidend darauf an, wie dieses konkret ausgestaltet ist. Die Vorschrift des LEP Baden-Württemberg 2002 ist als Soll-Ziel formuliert, so dass grundsätzlich Ausnahmen möglich sind, beispielsweise für ein FOC, von dem absehbar ist, dass es die Zersiedelung nicht vorantreiben wird. Anders stellt sich dagegen die Situation im Falle des in Ziff. 2.3 (Z 47) des LEP Sachsen-Anhalts verankerten Kongruenzgebots dar. Dieses sieht für FOCs gerade keine Ausnahmen vor, so dass hinsichtlich der Erforderlichkeit Zweifel bestehen. Zwar besteht in solchen Fällen immerhin 567  BVerwG, Urteil v. 16.12.2010 – 4 C 8  /  10 –, ZfBR 2011, 255, 258; Schmitz / Federwisch, Einzelhandel und Planungsrecht, § 5 Rn. 105. 568  Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 38; Schmitz / Federwisch, Einzelhandel und Planungsrecht, § 5 Rn. 106. 569  Vgl. etwa Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1342; Ernst, Standortsteuerung, S. 111, allerdings unter Vermischung mit dem Konzentrationsgebot; Hoppe / Otting, Der Landkreis 2000, 376, 376. 570  Vgl. Ernst, Standortsteuerung, S. 111 und oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (a); a. A. Kopf, Einzelhandelsgroßprojekte, S. 190, der davon ausgeht, dass eine Umwandlung durch detaillierte Bauplanungsfestsetzungen sowie Nebenbestimmungen verhindert werden könne.



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 237

die Möglichkeit eines Zielabweichungsverfahrens nach § 6 Abs. 2 ROG, doch ist nicht ganz klar, ob diese Option ausreicht. Das Bundesverwaltungsgericht zieht in seiner Entscheidung über die Zulässigkeit eines MöbelEinrichtungshauses die Möglichkeit eines Zielabweichungsverfahrens als zusätzliches Argument dafür heran, warum das im LEP Baden-Württembergs 2002 verankerte Kongruenzgebot seiner Auffassung nach verhältnismäßig sei.571 Es stellt darauf ab, dass in Härtefällen, in denen kein atypischer Fall im Sinne der Soll-Vorschrift vorliegt, § 6 Abs. 2 ROG herangezogen werden könne.572 Dies spricht dafür, dass die Möglichkeit des Zielabweichungsverfahrens alleine, so wie in 2.3 (Z 47) des LEP Sachsen-Anhalts vorgesehen, zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips genügt. Allerdings ist zu bedenken, dass nicht alle Bundesländer über die Möglichkeit eines Zielabweichungsverfahrens verfügen müssen. Daher ist von einer Verletzung von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG jedenfalls dann auszugehen, wenn keine Ausnahmen für FOCs bestehen und auch die Möglichkeit eines Zielabweichungsverfahrens verwehrt ist. (b) Art. 12 Abs. 1 GG Das Kongruenzgebot verstößt nicht gegen die Berufsfreiheit der Einzelhandelsinvestoren. Zwar greift es mittelbar in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit ein, doch kann diese Berufsausübungsregelung durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden.573 Es gelten insoweit keine strengeren Maßstäbe als in Bezug auf die Vereinbarkeit mit Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG.574 (c) Art. 49 AEUV Auch die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 AEUV wird, sofern angesichts der Dienstleistungsrichtlinie überhaupt anwendbar, durch die Verankerung eines Kongruenzgebots in den Raumordnungsplänen grundsätzlich nicht verletzt. Eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit ist zwar gegeben, doch kann diese durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden. Das Kongruenzgebot zielt auf effektive Nutzung und Bündelung der öffentlichen Infrastruktur sowie die Vermeidung eines unnötigen Flächen- und Ressourcenverbrauchs durch Zersiedelung und den damit 571  BVerwG,

Urt. v. 16.12.2010 – Urt. v. 16.12.2010 – 573  BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 574  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) 572  BVerwG,

4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255, 258 f. 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255, 258. 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255, 258. bb) (2) (a).

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

einhergehenden Verkehr.575 Der EuGH sieht in derartigen Raumordnungszielen Gründe des Allgemeininteresses.576 In Bezug auf Eignung und Erforderlichkeit gilt das zum nationalen Recht Gesagte.577 (d) A  rt. 10 Abs. 2 lit. d) und e), Art. 14 Nr. 5 und Art. 15 Abs. 2 lit. a) Dienstleistungsrichtlinie Nach Art. 10 Abs. 2 lit. d) und e) der Dienstleistungsrichtlinie müssen Genehmigungsregelungen klar und unzweideutig sowie objektiv ausgestaltet sein. Kongruenzgebote enthalten in der Regel die Vorgabe, dass Einzelhandelsprojekte mit ihrem Einzugsbereich den Verflechtungsbereich des Zentralen Ortes nicht „wesentlich“ überschreiten dürfen. Wann eine wesentliche Überschreitung vorliegt, ergibt sich nicht aus dem Landesentwicklungsplan selbst, sondern wird erst durch den entsprechenden Einzelhandelserlass bzw. durch Schwellenwerte konkretisiert. Insoweit wird eine willkürliche Entscheidung der Verwaltung vermieden, so dass Art. 10 Abs. 2 lit. d) und e) der Richtlinie nicht verletzt sind. Auch ein Verstoß gegen Art 14 Nr. 5 der Richtlinie liegt nicht vor. Zwar wird in der Praxis der Investor ein Marktgutachten vorlegen müssen zum Nachweis, dass sein geplantes Vorhaben keinen Kaufkraftabzug über einen bestimmten Schwellenwert hinaus hervorrufen wird, was durch Art. 14 Nr. 5 der Dienstleistungsrichtlinie eigentlich verboten ist, da hiernach die Erteilung einer Genehmigung nicht von der Beurteilung der wirtschaftlichen Auswirkungen einer Tätigkeit abhängig gemacht werden darf. Die Vorgabe kann aber durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden. Das Kongruenzgebot dient der Vermeidung von Verkehrsaufkommen und Zersiedelung und ist überdies nicht unangemessen, zumal im Einzelfall immer noch die Möglichkeit eines Zielabweichungsverfahrens nach § 6 Abs. 2 ROG verbleibt. Insoweit gilt das zu Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG Gesagte.578 Entsprechendes gilt im Hinblick auf Art. 15 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie, der mengenmäßige und territoriale Beschränkungen, insbesondere in Form von Beschränkungen auf Grund der Bevölkerungszahl oder bestimmter Mindestentfernungen zwischen Dienstleistungserbringern untersagt. Freilich 575  BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8  / 10 –, ZfBR 2011, 255, 258; zustimmend OVG Lüneburg, Urt. v. 25.04.2012, 1 KN 215 / 10 –, BeckRS 2012, 51110. 576  EuGH, Urt. v. 01.10.2009 – Rs. C-567  / 07, Woningstichting Sint Servatius, Slg. 2009, I-9021 Rn.  29; Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston v. 07.10.2010, Rs. C-400 / 08, Kommission / Spanien, Rn.  79. 577  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) bb) (2) (a). 578  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) bb) (2) (a).



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 239

führt ein Kongruenzgebot faktisch dazu, dass sich ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb dort nicht ansiedeln kann, wo sein Einzugsbereich den Verflechtungsbereich der Ansiedlungsgemeinde wesentlich überschreitet, doch kann auch hier, ebenso wie bei Art. 14 Nr. 5 der Richtlinie, eine Rechtfertigung bejaht werden. (3) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Das Kongruenzgebot ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels insoweit sinnvoll, als es – ausgestaltet als Ziel der Raumordnung – verhindern kann, dass es durch die Ansiedlung eines Einzelhandelsgroßbetriebes in einer Gemeinde in großem Maße zu Kaufkraftabflüssen und Kundenzuströmen aus benachbarten Gemeinden kommt. Zwar ist ein erhöhtes Verkehrsaufkommen kein spezifisches Problem des demografischen Wandels, doch kann es zum Neubau von Straßen führen, die auf lange Sicht wegen rückläufiger Bevölkerungszahlen nicht mehr benötigt werden. Überdies kann das Kongruenzgebot zur Vermeidung einer fortschreitenden Zersiedelung beitragen, indem es überdimensionierten Einzelhandelsprojekten, für die es vor Ort keinen Bedarf gibt, entgegensteht. Solche Vorhaben werden meist an Randlagen ausgewiesen, auf denen sich zuvor Grünflächen befunden haben. Angesichts sinkender Bevölkerungszahlen sollte jede nicht notwendige Bodenversiegelung vermieden werden, da in Zukunft schon viele vorhandene Gebäude nicht mehr gebraucht werden. Diese Erwägungen mögen für manche Erscheinungsformen des großflächigen Einzelhandels wie den FOCs, die nicht der Nahversorgung dienen, sondern nur zu bestimmten Gelegenheiten aufgesucht werden, auf den ersten Blick wenig nachvollziehbar sein, doch können sich diese im Laufe der Zeit zu normalen Einzelhandelsmärkten verwandeln,579 so dass sich die Problematik des Verkehrsaufkommens auch hier stellen kann. Allerdings ist darauf zu achten, dass Kongruenzgebote in den Raumordnungsplänen Ausnahmen vorsehen für Fälle, in denen trotz Überschreitung des Verflechtungsbereichs weder ein erhöhtes Verkehrsaufkommen noch eine Zersiedelung droht, da sich andernfalls das Kongruenzgebot als unverhältnismäßig erweisen könnte. Folge einer Verletzung des Übermaßverbotes wäre die Gesamtnichtigkeit des entsprechenden Kongruenzgebots,580 es sei denn, es kommt im Einzelfall eine Umdeutung in einen Grundsatz der Raumordnung diese Gefahr weist insbesondere Ernst, Standortsteuerung, S. 111 hin. Beschl. v. 07.03.2002 – 4 BN 60 / 01 –, ZfBR 2002, 487, 491; § 12 ROG greift in solchen Fällen nicht ein, da es sich nicht um Verfahrens- oder Formfehler handelt. 579  Auf

580  BVerwG,

240

3. Kap.: Raumordnungsrecht

in Betracht.581 Die Gesamtnichtigkeit hätte zur Folge, dass der entsprechende Plansatz auch für Vorhaben, die mit ihm verhindert werden sollten, nicht gelten würde und er deren Ansiedlung nicht mehr steuern könnte. Selbst ein wirksames Kongruenzgebot darf jedoch nicht als Allheilmittel im Kampf gegen eine zunehmende Zersiedelung verstanden werden. Es versagt nämlich dort, wo sich die Verflechtungsräume der einzelnen Zentralen Orte nicht mehr klar abgrenzen lassen.582 Dies dürfte in Zukunft vor allem in Regionen ein Problem sein, die durch starkes Wachstum geprägt sind und in denen es auf engem Raum viele Zentralen Orte gibt. In ländlichen Re­ gionen dagegen, die sich durch eine rückläufige Zahl an Zentralen Orten auszeichnen, wird es einfacher sein, zumindest die Verflechtungsbereiche der Orte abzugrenzen, die der gleichen Zentralitätsstufe angehören, da zwischen diesen Zentralen Orten meist eine gewisse Entfernung liegen wird. Daher wird das Kongruenzgebot in solchen Landesteilen sogar leichter umzusetzen sein, als dies bisher der Fall war. Jedoch wird auch in Zukunft genau darauf zu achten sein, wie die Umsätze, die Kunden von außerhalb des Verflechtungsbereichs der Standortgemeinde zuzurechnen sind, bestimmt werden. Falsche Berechnungen in diesem Bereich können dazu führen, dass die Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsmarktes, der die Versorgung der Bevölkerung an seinem Standort gewährleisten kann, verhindert wird, obwohl von dem Vorhaben keine Gefahr für die Anliegen der Raumordnung ausgeht. Dies wäre auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels verfehlt. cc) Beeinträchtigungsverbot (1) Inhalt und Steuerungswirkung Raumordnungspläne auf Landesebene sowie sämtliche Regionalpläne enthalten Beeinträchtigungsverbote.583 Das Beeinträchtigungsverbot besagt in der Regel, dass durch die Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsvorhabens die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbe581  Ob eine Umdeutung unwirksamer Ziele der Raumordnung in Grundsätze der Raumordnung überhaupt möglich ist, ist umstritten. Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, L § 3 Rn. 19 macht dies davon abhängig, ob im Einzelfall die Festlegung die an Grundsätze der Raumordnung zu stellenden Anforderungen erfüllt. In eine ähnliche Richtung tendiert Hendler in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 3 Rn. 46. Heemeyer dagegen lehnt eine Umdeutung generell ab, vgl. Heemeyer, Flexibilisierung der Erfordernisse der Raumordnung, S. 239 ff.  582  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 2. c) bb) (2). 583  Bienek, UPR 2008, 370, 372; Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1342.



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 241

reich und die Funktionsfähigkeit anderer Zentraler Orte nicht wesentlich beeinträchtigt werden dürfen.584 Mit Hilfe des Beeinträchtigungsverbots soll insbesondere verhindert werden, dass durch die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe in niederrangigen Zentren die Erfüllung der Aufgaben der Mittel- und Oberzentren erschwert wird.585 Der LEP Sachsen-Anhalts enthält in Ziff. 2.3. (Z. 46) die Vorgabe, dass die Ausweisung von Sondergebieten für FOCs die Attraktivität der Innenstädte nicht gefährden darf. Z. 48 Nr. 3 spricht davon, dass die in den Sondergebieten für den großflächigen Einzelhandel entstehenden Projekte eine verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung nicht gefährden dürfen. In der Begründung zu Ziff. 2.3. heißt es, dass nach dem Beeinträchtungsverbot zu untersuchen sei, ob von einem Einzelhandelsgroßprojekt wesentliche Beeinträchtigungen auf die Komponenten einer ausgeglichenen Versorgungsstruktur und deren Verwirklichung ausgehen. Dabei sollen aus raumordnerischer Sicht Kennziffern zur Zentralitätsentwicklung und zur Nachfrageentwicklung im Einzugsbereich des Zentralen Ortes zu prüfen sein. Der LEP Baden-Württemberg aus dem Jahr 2002 enthält in Ziff. 3.3.7.1 ebenfalls ein Beeinträchtigungsverbot, wonach die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich und die Funktionsfähigkeit anderer Zentraler Orte nicht wesentlich beeinträchtigt werden darf. Ziff. 3.3.7.2 weist darauf hin, dass Einzelhandelsgroßprojekte weder durch ihre Lage und Größe noch durch ihre Folgewirkungen die Funktionsfähigkeit der Stadt- und Ortskerne der Standortgemeinde wesentlich beeinträchtigen dürfen. In der Begründung zu den genannten Vorschriften heißt es, dass die Funktionsfähigkeit der Stadt- und Ortskerne der Standortgemeinde oder anderer Zentraler Orte in der Regel wesentlich beeinträchtigt wird, wenn dort wegen des zu erwartenden Kaufkraftabflusses Geschäftsaufgaben drohen. Aus dem Einzelhandelserlass, auf den die Begründung verweist, ergibt sich darüber hinaus, dass bei zentren- oder nahversorgungsrelevanten Sortimenten ab einem Umsatzverlust von ca. 10 % und bei nicht zentrenrelevanten und nicht nahversorgungsrelevanten Sortimenten ab einem Umsatzverlust von ca. 20 % im vorhabenspezifischen Sortiment mit Geschäftsaufgaben zu rechnen ist.586

Bienek, UPR 2008, 370, 372; Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1342. München, Urt. v. 14.01.1991 – 2 B 89.785 – GewArch 1991, 314, 317; Hoppe / Otting, Der Landkreis, 376, 376; Schmitz, ZfBR 2001, 85, 88; Ernst, Standortsteuerung, S. 132; Kopf, Einzelhandelsgroßprojekte, S. 257. 586  Vgl. den Einzelhandelserlass Baden-Württembergs, abgedruckt bei Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, Bd. 1, D 131, S.  35 ff.  584  Vgl.

585  VGH

242

3. Kap.: Raumordnungsrecht

(2) Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot für Ziele der Raumordnung Das Beeinträchtigungsverbot genügt trotz der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „wesentlichen Beeinträchtigung“ den Anforderungen des für Ziele der Raumordnung geltenden Bestimmtheitsgebots, wenn der entsprechende Plansatz selbst Angaben dazu enthält, wann eine wesentliche Beeinträchtigung anzunehmen ist, etwa durch die Nennung nach Sortimenten differenzierender Kaufkraftabschöpfungsquoten.587 Allerdings erwähnen weder der LEP Sachsen-Anhalts noch der LEP BadenWürttembergs aus dem Jahr 2002 derartige Quoten für die einzelnen Sortimentskategorien. Teilweise wird vertreten, die fraglichen Festlegungen seien daher zu unbestimmt und als Ziele der Raumordnung unwirksam, weil eine wesentliche Beeinträchtigung nur unter Rückgriff auf außerhalb des Raumordnungsplans formulierte Maßstäbe und durch eine Abwägung der im Einzelfall betroffenen Belange erfolgen könne.588 Diese Auffassung überzeugt nicht,589 da es sich beim Planungsrecht um eine Art „Rahmenrecht“ handelt, das erst durch die städtebaulichen Festsetzungen der Gemeinden konkretisiert werden muss.590 Rechtsnormen können unter dogmatischen Gesichtspunkten offen und daher unvollständig gestaltet sein,591 solange sich mit Hilfe der gängigen Auslegungsmethoden ein bestimmbarer Inhalt ergibt. Reduzierte Anforderungen an die Bestimmtheit sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts gerade „bei vielgestaltigen Sachverhalten zu stellen oder wenn zu erwarten ist, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse rasch ändern werden“.592 Für die Bestimmbarkeit eines Ziels der Raumordnung muss es deshalb genügen, wenn die Festlegung im Zusammenhang mit anderen Plansätzen oder mit naturräumlichen Gegebenheiten so konkretisiert werden kann, dass sie einen bestimmten räumlichen und sachlichen Inhalt hat.593 Unschädlich ist dabei, wenn zur Bestimmung weitere Erhebungen oder Untersuchungen tatsächlicher Art er587  So etwa Ziff. 5.3.3 des neuen bayerischen Landesentwicklungsprogramms; vgl. auch Ernst, Standortsteuerung, S. 119. 588  Moench / Sandner, NVwZ 1999, 337, 342; näher dazu Ernst, Standortsteuerung, S. 119. 589  So im Ergebnis auch Erbguth, NVwZ 2000, 969, 973; Kopf, Einzelhandelsgroßprojekte, S.  265 f.; Ernst, Standortsteuerung, S. 119 f. 590  Vgl. Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 32. 591  Larenz, Methodenlehre, S. 78 ff.  592  BVerfGE 49, 89, 133. 593  Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, L § 3 Rn. 28; Ernst, Standortsteuerung, S. 120; a. A. OVG Frankfurt / Oder, Beschl. v. 26.03.2001 – 3 B 113 / 00.Z –, DVBl. 2001, 1298, 1301, das den Rückgriff auf Einzelhandelserlasse ablehnt.



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 243

forderlich werden.594 Genau davon kann bei Einzelhandelsgroßprojekten ausgegangen werden. Es ist anerkannt, dass hier das Vorliegen einer wesentlichen Beeinträchtigung anderer Versorgungsbereiche über das wirtschaftsgeografische Kriterium des Kaufkraftabzugs bestimmt werden kann.595 Insoweit ist unschädlich, dass der LEP Sachsen-Anhalts selbst keine entsprechenden Kriterien enthält. In Bezug auf den LEP BadenWürttemberg 2002 kommt hinzu, dass eine Konkretisierung durch den Einzelhandelserlass erfolgt, was in jedem Fall den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebotes genügt. Diese Auffassung wird unterstützt durch die neueste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach Ausnahmen von einem Ziel der Raumordnung von der Durchführung eines Verfahrens abhängig gemacht werden, wenn die Voraussetzungen und Bindungen eines solchen Verfahrens hinreichend bestimmt oder wenigstens bestimmbar sind.596 Entscheidend soll danach lediglich sein, dass der nachgeordnete Planungsträger als Adressat der Zielbindung die abschließenden landesplanerischen Abwägungen nicht in Frage stellen kann.597 Daher muss es für die Annahme eines Ziels der Raumordnung erst recht ausreichen, wenn der Plangeber sein Ziel der Raumordnung durch eine weitere eigene Vorschrift, nämlich den Einzelhandelserlass, konkretisiert. Entsprechendes gilt für die Heranziehung des Kriteriums des Kaufkraftabzugs, das der Einflussnahme der nachgeordneten Planungsbehörde ebenfalls entzogen ist. Für die Bejahung der Zielqualität des Beeinträchtigungsverbots spricht schließlich die Einführung von § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB durch das EAG Bau 2004, wonach sich die Gemeinden auf die ihnen durch die Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen berufen können.598 Die Begründung zu § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB besagt, dass ein Abwehrrecht gegenüber einer „störende[n]“599 raumordnungswidrigen Planung bestehe, woraus man schließen kann, dass der Gesetzgeber bei der Konzeption des § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB das Beeinträchtigungsverbot im Blick hatte und es als Ziel der Raumordnung anerkannt wissen möchte.600 594  Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, L § 3 Rn. 28; Schneider, Factory Outlet Center, S. 125; Erbguth, NVwZ 2000, 969, 973. 595  OVG Münster, Urt. v. 05.09.1997 – 7 A 2902 / 93 – BauR 1998, 309, 311; VGH München, Urt. v. 07.06.2000 – 26 N 99.2961 / 26 N 99.3207 und 26 N 99.3265 –, NVwZ-RR 2001, 88 (Leitsatz); OVG Koblenz, Urt. v. 15.11.2010 – 1 C 10320 / 09 –, ZfBR 2011, 260, 264; Kopf, Einzelhandelsgroßprojekte, S. 265; Moench, FS Hoppe, S. 459, 475; Ernst, Standortsteuerung, S. 121. 596  BVerwG, Urt. v. 22.06.2011 – 4 CN 4 / 10 –, ZfBR 2011, 674, 675 f. 597  BVerwG, Urt. v. 22.06.2011 – 4 CN 4 / 10 –, ZfBR 2011, 674, 676. 598  Vgl. auch Ingold, Erstplanungspflichten, S. 281. 599  BR-Drs. 756 / 03, S.  114. 600  Vgl. auch Ingold, Erstplanungspflichten, S. 281 f.

244

3. Kap.: Raumordnungsrecht

(3) Operationalisierung des Beeinträchtigungsverbots Die Mehrzahl der Stimmen in Rechtsprechung und Literatur geht davon aus, dass Schwellenwerte beim Kaufkraftabzug für die Frage des Vorliegens einer Beeinträchtigung eine Auslegungshilfe darstellen, die Entscheidung im Einzelfall aber nicht verbindlich gestalten können.601 Dem ist zuzustimmen. Das Kriterium des Kaufkraftabzugs ist grundsätzlich geeignet, da die Auswirkungen auf die Kaufkraft und Abschöpfungsquoten objektive Parameter darstellen, die erkennen lassen, wann mit gewichtigen, nach den Gesetzen der Marktlogik nachvollziehbaren Auswirkungen tatsächlich zu rechnen ist.602 Die Gegenauffassung, die zum Nachweis der Beeinträchtigung darauf abstellt, ob die Standortgemeinde durch die Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsprojekts eine Veränderung bei der Zentralitätskennziffer er­ fährt,603 überzeugt nicht, denn eine veränderte Zentralitätskennziffer allein sagt noch nichts über die Beeinträchtigung anderer Zentraler Orte aus.604 Bei der Planung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes ist deswegen zunächst mit Hilfe von Fachgutachten zu untersuchen, wie groß das Umsatzpotential des Vorhabens ist, woher die Kaufkraft kommt und zu Lasten welcher Gemeinden sie abgeschöpft wird.605 Ob im Einzelfall eine wesentliche Beeinträchtigung anzunehmen ist, richtet sich neben der Größe und Lage des Projektes vor allem nach dem angebotenen Sortiment.606 Hier können die bereits erwähnten Schwellenwerte zur Orientierung herangezogen werden, wobei in besonders gelagerten Fällen davon abgewichen werden kann und sollte. (4) Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht und mit Europarecht (a) Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG Das Beeinträchtigungsverbot ist mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie gemäß Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG vereinbar. Es ist geeignet, ausgeglichene 601  OVG Brandenburg, Beschl. v. 08.01.1999 – 8 B 12650 / 98, NVwZ 1999, 438, 435; VG Neustadt a. d. Weinstraße, Urt. v. 06.04.2000 – 2 K 3571 / 98 – GewArch. 2000, 261, 264; Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1343; Schmitz, BauR 1999, 1100, 1108 f.; Moench, FS Hoppe, 459, 470 ff.; Ernst, Standortsteuerung, S. 124 m. w. N.; Fickert / Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 23.3, die das Kriterium des Kaufkraftabzugs insgesamt kritisch sehen und darin lediglich eine Orientierungshilfe erblicken möchten. 602  Ernst, Standortsteuerung, S. 124; Moench, FS Hoppe, 459, 475 Fn. 87. 603  Schmitz / Federwisch, Einzelhandel und Planungsrecht, § 5 Rn. 136. 604  So auch Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1343. 605  Ernst, Standortsteuerung, S. 126. 606  Ernst, Standortsteuerung, S. 126 f.



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 245

Versorgungsstrukturen zu schaffen und die Funktion Zentraler Orte zu erhalten. Fraglich bleibt, ob mildere Mittel zur Verfügung stehen. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass der planenden Gemeinde eine Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsprojekte durch das Beeinträchtigungsverbot nicht generell verboten, sondern sie dadurch lediglich zur Rücksichtnahme auf die ­Belange benachbarter Gemeinden gezwungen wird.607 Anders als etwa Hoppe / Otting608 meinen, erweist sich eine Steuerung allein auf bauplanungsrechtlicher Ebene, namentlich mit dem Instrument der §§ 1 Abs. 7, 2 Abs. 2 S. 1 und S. 2 BauGB, nicht als milderes Mittel, da es insoweit ebenfalls zu einer Beeinträchtigung der kommunalen Planungshoheit kommt. Zweifeln kann man seit der Einfügung von § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB allenfalls daran, ob es neben den bauplanungsrechtlichen Vorschriften noch einer landesplanerischen Steuerung bedarf. Letztlich wird man dies bejahen können mit der Begründung, dass es andernfalls an der überörtlichen, die Koordination zwischen den einzelnen Gemeinden sicher stellenden Komponente fehlen würde. Nicht zuletzt hängt die Wirksamkeit des § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB vom Vorhandensein entsprechender raumordnungsrechtlicher Funktionszuweisungen ab, zumal das Kriterium der Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche selbst wenig greifbar ist und der Interpretation durch die Rechtsprechung unterliegt.609 Problematisch sind allein Beeinträchtigungsverbote, welche auf feste Kaufkraftabzugsobergrenzen abstellen, wie dies etwa bei Ziff. 5.3.3 des neuen bayerischen Landesentwicklungsprogramms der Fall ist. Hier kommt den Kaufkraftabzugsquoten ein Stellenwert über eine bloße Auslegungshilfe hinaus zu, ohne dass die Besonderheiten des Einzelfalls einbezogen würden. Etwas anderes soll nach Ziff. 5.3.4 des LEP-Bayern nur für zusammengewachsene Gemeinden gelten, wo für Sortimente des Innenstadtbedarfs eigene Kaufkraftabzugsobergrenzen heran zu ziehen sein sollen. Richtigerweise können diese aus der Praxis gewonnenen Erfahrungswerte als Orientierungswerte für das Vorliegen einer wesentlichen Beeinträchtigung dienen, ohne dass eine Korrektur im Einzelfall ausgeschlossen ist.610 Nach diesem Verständnis, welches eine Berücksichtigung des Einzelfalls zulässt, erweist sich Ziff. 5.3.3 des LEP-Bayern als verhältnismäßig.611 607  Ernst,

Standortsteuerung, S. 133. Der Landkreis 2000, 376, 378; so auch Hoppe, NWVBl. 1998, 461, 462. 609  Vgl. unten, 4. Kapitel, I. 2. f) bb). 610  So VGH München, Urt. v. 07.06.2000 – 26 N 99.2961 u. a. –, BayVBl. 2001, 175, 176 f. zu Ziel B IV 1.4.5 des LEP Bayerns aus dem Jahr 1994, welches einen vergleichbaren Inhalt hatte. 611  Für die Verhältnismäßigkeit des Beeinträchtigungsverbots auch Kopf, Einzelhandelsgroßprojekte, S. 266; Ernst, Standortsteuerung, S. 133; Schneider, Factory Outlet Center, S. 126. 608  Hoppe / Otting,

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

(b) Art. 12 Abs. 1 GG Das Beeinträchtigungsverbot verstößt auch nicht gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Als bloße Berufsausübungsregelung erweist es sich als verhältnismäßig zur Verwirklichung ausgeglichener Versorgungsstrukturen und zur Gewährleistung der Nahversorgung. Insoweit gilt das zu Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG Gesagte entsprechend.612 (c) Art. 49 AEUV und Dienstleistungsrichtlinie Nachdem das Beeinträchtigungsverbot als verhältnismäßig anzusehen ist, ist liegt kein Verstoß gegen die in Art. 49 AEUV verankerte Niederlassungsfreiheit vor. Die Anforderungen unterscheiden sich insoweit nicht von denen des nationalen Verfassungsrechts. Problematisch ist allein die Vereinbarkeit mit Art. 10 Abs. 2 lit. d) und e) der Dienstleistungsrichtlinie, der eine klare und objektive Formulierung von Genehmigungskriterien verlangt. Somit ist zumindest fraglich, ob den Vorgaben der Dienstleistungsrichtlinie noch Rechnung getragen wird, wenn von einer „wesentlichen“ Beeinträchtigung die Rede ist. Ein Verstoß gegen die Richtlinie liegt jedenfalls dann vor, wenn das Beeinträchtigungsverbot im Einzelfall so ausgestaltet ist, dass willkürliche Einzelfallentscheidungen der Verwaltung drohen,613 etwa weil auch der fragliche Einzelhandelserlass keine Angaben zu Schwellenwerten enthält. Sind dagegen Kaufkraftabzugsobergrenzen, welche als Orientierungswerte dienen sollen, vorgegeben, verstößt das Beeinträchtigungsverbot nicht gegen Art. 10 Abs. 2 lit. d) und e) der Dienstleistungsrichtlinie. (5) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist das Beeinträchtigungsverbot als geeignetes Instrument zur Steuerung der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten anzusehen. Es trägt dazu bei, dass es durch die Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsprojektes nicht zu wesent­ lichen Kaufkraftabflüssen aus benachbarten Gemeinden kommt, welche die zentralen Versorgungsbereiche dieser Gemeinden und damit die Nahversorgung der dort lebenden Bevölkerung gefährden können. Dies kommt gerade auch älteren, oft immobilen Menschen zu Gute. Auch in prosperierenden Gegenden mit nicht mehr klar abgrenzbaren Verflechtungsbereichen hat das 612  Vgl.

oben, 3. Kapitel, II. 2. d) cc) (4) (a). in: Schlachter  /  Ohler, Europäische Dienstleistungsrichtlinie, Art. 10 Rn. 11; näher dazu oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (d). 613  Cornils,



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 247

Beeinträchtigungsverbot seine Berechtigung. Zwar geht es in derartigen Regionen in der Regel nicht darum, dass Ortskerne oder Innenstädte zu veröden drohen, wenn auf Grund der Ansiedlung eines Einzelhandelsgroßmarktes in der näheren Umgebung viele Bewohner in Zukunft dort einkaufen, es besteht aber auch hier die Gefahr, dass Geschäfte mit nahversorgungsrelevanten Sortimenten schließen müssen und Einzelhandelsbetriebe fußläufig nicht mehr erreichbar sind. Freilich dürfte es in solchen Regionen meist ein gut ausgebautes Netz des ÖPNV geben, so dass die Problematik hier insgesamt weniger relevant wird als in ohnehin von Schrumpfung betroffenen Gebieten. Bei der Ausgestaltung des Beeinträchtigungsgebots im Einzelfall muss der Plangeber darauf achten, dass den Anforderungen an die Bestimmtheit eines Ziels der Raumordnung Rechnung getragen wird, da der Plansatz andernfalls als Ziel der Raumordnung unwirksam ist und allenfalls in einen Grundsatz der Raumordnung umgedeutet werden kann.614 Auswirkungen hätte dies insbesondere auf die Steuerungsfunktion der Raumordnung im Rahmen des § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB, wo infolgedessen allein das Kriterium der Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche maßgeblich wäre. Dadurch könnte zwar eine Feinsteuerung erreicht werden, eine Grobsteuerung wäre aber ausgeschlossen, was letztlich die Effektivität der Einzelhandelssteuerung insgesamt beeinträchtigen könnte. dd) Integrationsgebot (1) Inhalt und Steuerungswirkung Das Integrationsgebot bestimmt, dass großflächige Einzelhandelseinrichtungen mit überwiegend innenstadtrelevanten Sortimenten nur noch in städtebaulich integrierter Lage der Ober- und Mittelzentren angesiedelt werden dürfen.615 Das LEP Sachsen-Anhalts aus dem Jahr 2010 gibt in 2.3. (Z 48) unter Nr. 2 vor, dass die in den Sondergebieten für den großflächigen Einzelhandel entstehenden Projekte städtebaulich zu integrieren sind. Nach Z 49 sind Erweiterungen bestehender Sondergebiete für Einkaufszentren und großflächige Einzelhandelsbetriebe auf städtebaulich integrierte Standorte in Zentralen Orten zu beschränken. Beide Vorschriften sind als Ziele der Raumordnung ausgewiesen und sollen die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsvorhaben in peripheren Standorten auf der grünen Wiese verhindern helfen. 614  Näher

dazu oben, 3. Kapitel, II. 2. d) bb) (3). UPR 2008, 370, 372; Spannowsky, UPR 2003, 248, 250.

615  Bienek,

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Nach Ziff. 3.3.7.2 des LEP Baden-Württembergs aus dem Jahr 2002 sollen Einzelhandelsgroßprojekte vorrangig an städtebaulich integrierten Standorten ausgewiesen, errichtet oder erweitert werden. Für nicht zentrenrelevante Warensortimente kommen nach dem Plansatz auch städtebauliche Randlagen in Frage. In der Begründung zu der Vorschrift heißt es, dass Einzelhandelsgroßprojekte vorrangig in städtebaulich integrierten Lagen innerhalb des Bebauungszusammenhangs ihren Platz finden sollen. Bei Vorhaben, die auf Grund ihres Warenangebots nur geringe Auswirkungen auf die innerörtliche Einzelhandelsstruktur und damit auf die Funktions­ fähigkeit der Stadt- und Ortskerne erwarten lassen oder auf Grund der Beschaffenheit der Waren für Stadt- und Ortskerne nicht geeignet sind, soll auch eine Ansiedlung in städtebaulichen Randlagen möglich sein. Die Vorschrift ist als Soll-Ziel ausgestaltet. Problematisch ist allerdings, ob es sich bei der Vorgabe tatsächlich um ein Ziel der Raumordnung handelt, d. h. insbesondere ob die Vorschrift hinreichend bestimmt oder zumindest bestimmbar ist. Sie sieht eine Ausnahme für nicht zentrenrelevante Sortimente vor. Hierbei handelt es sich um einen konkretisierungsbedürftigen Rechtsbegriff, zu dessen Auslegung grundsätzlich der Einzelhandelserlass des Landes Baden-Württemberg herangezogen werden kann. Darin heißt es zu Ziff. 3.2.2.3, dass zum Beispiel Möbel-Einrichtungshäuser sowie Bauund Gartenmärkte zu den nicht zentrenrelevanten Sortimenten zählen. Im Zusammenhang mit der Beurteilung der Wesentlichkeit von Kaufkraftabflüssen im Rahmen des Beeinträchtigungsverbots ist es nach überzeugender Auffassung der Rechtsprechung und großer Teile der Literatur unschädlich, wenn zur Konkretisierung der Wesentlichkeit weitere Erhebungen und Untersuchungen erforderlich werden.616 Diese Erwägungen lassen sich jedoch nicht ohne Weiteres auf die Situation beim Integrationsgebot übertragen, da der baden-württembergische Einzelhandelserlass dort nur Beispiele für mögliche Ausnahmen enthält, ohne dass abschließend klar würde, welche Sortimente als nicht zentrenrelevant anzusehen sind. Daher besteht die Gefahr, dass es im Zweifelsfall im Ermessen der Landes- und Regionalplanungsbehörden liegt, über die Frage der Zentrenrelevanz einer Sortimentsgruppe und daher über die Zulässigkeit eines Vorhabens zu entscheiden.617 Allerdings muss die fragliche Vorschrift im Zusammenhang mit dem in Ziff. 3.3.7.1 verankerten Kongruenzgebot und Beeinträchtigungsverbot gelesen werden, bei denen es sich nach richtiger Ansicht um Ziele der Raumordnung handelt.618 Aus dieser Gesamtbetrachtung folgt, dass ein nicht 616  Vgl. 617  Vgl.

dazu oben, 3. Kapitel, II. 2. d) cc) (2). Ernst, Standortsteuerung, S.  137; Fickert / Fieseler, BauNVO, §  11

Rn. 23.1. 618  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) bb) (1) und cc) (1).



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 249

zentrenrelevantes Sortiment dann angenommen werden kann, wenn die Ansiedlung eines Einzelhandelsgroßmarktes mit dem entsprechenden Kernsortiment benachbarte Nahversorgungsbereiche grundsätzlich nicht beeinträchtigen kann. Daher sind die Anforderungen an die Bestimmbarkeit bei der fraglichen Regelung des baden-württembergischen LEP noch erfüllt. Den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots wird durch die Ausformulierung des Integrationsgebots im LEP Sachsen-Anhalts und im LEP BadenWürttembergs aus dem Jahr 2002 folglich Rechnung getragen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Mülheim-Kärlich-Entscheidung aus dem Jahr 2003 die Zielqualität des Integrationsgebots im Landesentwicklungsprogramm von Rheinland-Pfalz in der damals gültigen Fassung (LEP Rheinland-Pfalz 1995) bejaht.619 Nach Ziff. 3.4.1.3 des LEP Rheinland-Pfalz 1995 sollen großflächige Einzelhandelsbetriebe in der Regel in engem räumlichen und funktionalen Zusammenhang mit den zentralen Einkaufsbereichen der Standortgemeinde errichtet werden, wobei zwei Ausnahmen in Form von Grundsätzen der Raumordnung vorgesehen sind. Der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist zuzustimmen, denn für das Integrationsgebot können keine strengeren Anforderungen gelten als für sonstige Ziele der Raumordnung. (2) Vereinbarkeit mit dem deutschen Verfassungsrecht (a) Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG Allein daraus, dass das Integrationsgebot in den Raumordnungsplänen als Ziel der Raumordnung formuliert und auch hinreichend bestimmt ist, folgt noch nicht, dass es mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie gemäß Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG vereinbar ist. Ernst etwa bejaht eine Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie mit der Begründung, die Ausgestaltung des Integrationsgebots in Form zwingender Zielfestlegungen gehe zu weit.620 Grundsätzlich sei es Teil der gemeindlichen Bauplanungshoheit, durch Aufstellung von Bauleitplänen und Ausweisung von Bauflächen die baurechtliche Nutzung der im Gemeindegebiet belegenen Grundstücke 619  BVerwG, Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, ZfBR 2004, 171, 176 = BVerwGE 119, 25, 41; so auch OVG Koblenz, Urt. v. 06.05.2009 – 1 C 10970 / 08 –, NVwZ-RR 2009, 711, 713; OVG Koblenz, Urt. v. 15.10.2008 – 1 A 10388 / 08 –, DVBl. 2009, 386, 387 f.; a. A. Hoppe, DVBl. 2001, 81, 87 zum Integrationsgebot im Landesentwicklungsplan des Landes Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 1995, Ziff. 3.4.1.3. 620  Ernst, Standortsteuerung, S. 137; ähnlich auch Fickert / Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 23.1.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

selbst zu bestimmen.621 Das Integrationsgebot greife über § 1 Abs. 4 BauGB in das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht ein, so dass Flächen zur Ansiedlung des großflächigen Einzelhandels nur noch im Innenbereich ausgewiesen werden könnten.622 Andere Stimmen in der Literatur gehen noch weiter und wenden ein, dass gemeindegebietsscharfe Festlegungen nicht zum überörtlichen und zusammenfassenden Regelungsgegenstand der Raumordnung gehörten und daher von vornherein unzulässig seien.623 Richtig ist, dass das Integrationsgebot einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie darstellt, der in seiner Intensität über das hinaus geht, was bei Konzentrations- und Kongruenzgeboten sowie Beeinträchtigungsverboten zu erwarten ist.624 Allerdings können auch gebietsscharfe Plansätze in Raumordnungsplänen zulässig sein, wenn damit ein legitimes überörtliches Interesse verfolgt wird.625 Ein solches überörtliches Interesse ergibt sich daraus, dass es durch eine mangelnde städtebauliche Integration von großflächigen Einzelhandelsbetrieben zu Flächenverbrauch, Zersiedelung der Landschaft sowie zu erhöhtem Verkehrsaufkommen kommen kann.626 Die Überörtlichkeit dieser Belange folgt aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 5 ROG,627 wonach der Freiraum durch übergreifende Freiraum-, Siedlungsund weitere Fachplanungen zu schützen ist. Daher kann die örtliche Siedlungsstruktur einer Gemeinde, die den fraglichen Anforderungen gerecht werden muss. nicht völlig losgelöst von überörtlichen Belangen betrachtet werden. Überdies soll durch ein Integrationsgebot die Siedlungsstruktur erhalten und weiterentwickelt werden.628 Schließlich kann durch das Integrationsgebot die örtliche und überörtliche verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung sicher gestellt werden.629 Anders als Ernst630 meint, kommt es auf den konkreten Standort eines Einzelhandelsgroßprojekts in der Ansiedlungsgemeinde sehr wohl an, da die Erreichbarkeit für Kunden aus be621  Ernst, Standortsteuerung, S. 135 unter Verweis auf BVerwGE 34, 301, 304 und BVerwGE 74, 124, 132. 622  Ernst, Standortsteuerung, S. 135. 623  Hoppe, NWVBl. 1998, 461, 466; in diese Richtung auch Schneider, Factory Outlet Center, S. 127. 624  So auch Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1345. 625  BVerwG, NVwZ 2003, 1264; Uechtritz, NVwZ 2007, 1337, 1344. 626  Vgl. hierzu auch El Bureiasi, Großflächiger Einzelhandel, S. 232. 627  Vgl. El Bureiasi, Großflächiger Einzelhandel, S. 232 f.; Ernst, Standortsteuerung, S. 134 mit Verweis auf OVG Frankfurt / Oder, Beschl. v. 26.03.2001 – 3 B 113 / 00.Z –, DVBl. 2001, 1298, 1300. 628  OVG Koblenz, Beschl. v. 08.01.1999 – 8 B 12650 / 98 –, NVwZ 1999, 435, 437. 629  Vgl. die Begründung zu Ziff. 2.3. des LEP Sachsen-Anhalts. 630  Ernst, Standortsteuerung, S. 135.



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 251

nachbarten Gemeinden, die dort einkaufen möchten, aber über kein eigenes Auto verfügen, im Zentrum eher gewährleistet ist, da Letzteres in der Regel besser mit dem ÖPNV erreichbar ist als periphere Standorte. Auch Schneider verneint die Zielqualität des Integrationsgebots. Das Integrationsgebot könne nur in Verbindung mit einem verbindlichen Kongruenzgebot Wirkung entfalten,631 doch wenn schon die strikte Zuordnung von Einzelhandelsvorhaben zu Zentralen Orten rechtswidrig sei, gelte dies erst recht für die Zuordnung innerhalb des Zentralen Ortes.632 Diese Argumentation vermag jedoch nicht zu überzeugen, da nicht jede Festlegung eines Konzentrations- bzw. Kongruenzgebots rechtswidrig ist, sondern es vielmehr auf die konkrete Ausgestaltung im Einzelfall ankommt.633 Überdies ist das Integrationsgebot nach Ansicht von Schneider nicht erforderlich, weil auf der Ebene des Städtebaurechts hinreichende Instrumente zur Einzelhandelssteuerung zur Verfügung stünden.634 Letzteres ist richtig, doch kann damit alleine keine überörtliche Koordination erreicht werden, die insbesondere zur Vermeidung einer fortschreitenden Zersiedelung notwendig ist. Ernst vertritt die Auffassung, im Falle der Verankerung eines Integrationsgebots könnten allein die Landes- und Regionalplanungsbehörden über die Zulässigkeit eines Vorhabens im Einzelfall entscheiden, zumal die Auslegung etwaiger Ausnahmeregelungen in ihrem Ermessen stünde, was mit Art. 28 Abs. 2. S. 1 GG nicht mehr zu vereinbaren sei.635 Dieser Einwand ist ernst zu nehmen, da den Gemeinden auf diese Weise jeglicher Handlungsspielraum bezüglich ihrer innergemeindlichen Planungen genommen wird. Deswegen muss das Integrationsgebot besonders gewichtige Anliegen des Allgemeininteresses verfolgen, um angemessen zu sein.636 Dies ist jedoch zu bejahen, da gleichwertige Lebensverhältnisse nur dann aufrecht erhalten werden können, wenn eine entsprechende Siedlungsstruktur vorhanden ist.637 Daraus folgt freilich nicht, dass Integrationsgebote stets verhältnismäßig sind. Vielmehr ist auf den konkreten Einzelfall abzustellen. Die oben638 angeauch Hoppe, NWVBl. 1998, 461, 466. Factory Outlet Center, S. 127; ähnlich auch Ingold, Erstplanungspflichten, S. 301. 633  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (a) sowie bb) (2) (a). 634  Schneider, Factory Outlet Center, S. 127. 635  Ernst, Standortsteuerung, S. 137; kritisch auch Fickert / Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 23.1. 636  Ernst / Hoppe, Bau- und Bodenrecht, Rn. 110; El Bureiasi, Großflächiger Einzelhandel, S. 268. 637  So auch El Bureiasi, Großflächiger Einzelhandel, S. 270. 638  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) dd) (1). 631  So

632  Schneider,

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

sprochene Ausformulierung eines Integrationsgebots in Ziff. 2.3. (Z 48) des LEP Sachsen-Anhalts verlangt eine städtebauliche Integration von Sondergebieten für den großflächigen Einzelhandel. Ausnahmen für Projekte mit einem nicht nahversorgungsrelevanten Sortiment sieht die Vorschrift nicht vor. Allerdings ist ein Zielabweichungsverfahren nach § 6 Abs. 2 ROG möglich, solange Sachsen-Anhalt ein solches in seinem Landesplanungsgesetz nicht explizit ausschließt. Das Bundesverwaltungsgericht zieht in einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Möbel-Einrichtungshauses die Möglichkeit eines Zielabweichungsverfahrens als zusätzliches Argument dafür heran, warum das im LEP Baden-Württemberg 2002 verankerte Kongruenzgebot seiner Auffassung nach verhältnismäßig sei.639 Ob diese Argumentation auf das Integrationsgebot übertragbar ist und die Möglichkeit eines Zielabweichungsverfahrens alleine ausreichen würde, um dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu genügen, musste das Gericht hingegen nicht entscheiden. Angesichts der Intensität der Beeinträchtigung der kommunalen Planungshoheit dürfte sich die Formulierung im Landesentwicklungsplan Sachsen-Anhalts jedenfalls in Bezug auf FOCs als nicht mehr verhältnismäßig erweisen. Der baden-württembergische LEP enthält in Ziff. 3.3.7.2 die Vorgabe, dass großflächige Einzelhandelsvorhaben an integrierten Standorten verwirklicht werden sollen, wobei Ausnahmen denkbar sind, etwa für nicht zentrenrelevante Sortimente oder FOCs. Darüber hinaus ist bei entsprechender Ausgestaltung des Landesplanungsrechts ein Zielabweichungsverfahren möglich, so dass an der Verhältnismäßigkeit dieser Regelung keine Zweifel bestehen. Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass ein Integrationsgebot nicht gegen Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verstößt, solange es nicht absolut formuliert ist, sondern Ausnahmen für bestimmte Sonderfälle vorsieht. (b) Art. 12 Abs. 1 GG Auch die Berufsfreiheit der Investoren gemäß Art. 12 Abs. 1 GG wird durch die Bindungswirkung des Integrationsgebots tangiert. Allerdings kann dieser Eingriff in die unternehmerische Freiheit gerechtfertigt werden. Insoweit gilt nichts anderes als in Bezug auf Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG.640 (c) Art. 49 AEUV und Dienstleistungsrichtlinie Landesplanerische Integrationsgebote sind mit der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV sowie mit der Dienstleistungsrichtlinie vereinbar, so639  BVerwG, 640  Vgl.

Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8 / 10 –, ZfBR 2011, 255, 258 f. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) dd) (2) (a).



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 253

weit sie nach deutschem Verfassungsrecht als verhältnismäßig zu beurteilen sind, zumal das Europarecht Anliegen wie den Verbraucherschutz und die Vermeidung von Verkehrsaufkommen als Belange des Allgemeininteresses anerkennt.641 Den Anforderungen von Art. 10 Abs. 2 lit. d) und e) der Dienstleistungsrichtlinie ist so lange Rechnung getragen, wie sowohl die Regelung als auch ihre Ausnahmen hinreichend präzise formuliert sind. (3) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Die Verankerung eines Integrationsgebots in einem Raumordnungsplan ist in der Praxis ein wichtiges Mittel zur gezielten Steuerung der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsprojekte. Es verhindert in der Regel die Verwirklichung derartiger Großprojekte an Standorten auf der grünen Wiese, welche von Investoren auf Grund der geringen Grundstückspreise bevorzugt werden. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist das Integrationsgebot, so sehr es auch verfassungsrechtlich problematisch ist, in zweifacher Hinsicht als positiv zu bewerten. Erstens sind Einzelhandelsmärkte an nicht integrierten Standorten für eine ältere, oft immobile Bevölkerung nur schwer zu erreichen, was insbesondere dann gilt, wenn es an einer hinreichenden Anbindung an den ÖPNV fehlt. Zweitens wird durch die Ausweisung immer neuer Flächen für Einzelhandelsprojekte an den Ortsrändern in unnötiger Weise Freiraum beseitigt. Nachdem in Zukunft in vielen Regionen mit Bevölkerungsrückgängen zu rechnen ist, wird es ohnehin zu vermehrten Leerständen, auch bei gewerblich genutzten Gebäuden, kommen. Deshalb liegt es nahe, zunächst vorhandene Standorte zu nutzen. Trotz allem darf jedoch die kommunale Planungshoheit nicht völlig ausgehöhlt werden, sondern ihr ist durch die Einräumung von Ausnahmemöglichkeiten hinreichend Rechnung zu tragen. e) Positive Standortfestlegungen Neben der Ansiedlungssteuerung durch das Zentrale-Orte-Prinzip und den darauf basierenden Ge- und Verbote ist eine Reglementierung von Einzelhandelsgroßprojekten durch positive Standortausweisungen denkbar. Spannowsky642 schlägt vor, in den Raumordnungsplänen Vorranggebiete i. S. v. § 8 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 ROG für Einzelhandelsgroßprojekte festzulegen und mit einer außergebietlichen Ausschlusswirkung zu koppeln, wobei er keine Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts nach Art. 28 Abs. 2 641  Ausführlich

dazu oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (d) und aa) (2) (e). NdsVBl. 2001, 1, 3 f.

642  Spannowsky,

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

S. 1 GG und der Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 GG befürchtet, da durch eine unabgestimmte Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe die Aufgabenwahrnehmung der Raumordnung beeinträchtigt werden könne und derartige Beschränkungen deswegen gerechtfertigt seien. Hinzu komme, dass nach § 8 Abs. 7 S. 2 ROG Vorranggebiete für raumbedeutsame Nutzungen zugleich die Wirkung von Eignungsgebieten für raumbedeutsame Nutzungen zukommen könnten, was darauf hindeute, dass auch die Kombination von Vorranggebieten mit standortausschließenden Zielen der Raumordnung zulässig sei.643 Dahinter steht die Überlegung, mit Hilfe der Raumordnung Gebiete auszuweisen, in denen Einzelhandelsgroßvorhaben zulässig sein sollen, während sie an anderer Stelle ausgeschlossen sind. Dadurch könnte ihre Ansiedlung gezielt auf solche Gebiete konzentriert werden, die gut mit dem ÖPNV zu erreichen sind, was insbesondere für ältere Menschen ohne eigenes Auto von Vorteil wäre. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wäre eine solche Herangehensweise daher grundsätzlich zielführend. Allerdings dürfte sich die verfassungsmäßige Umsetzung als schwierig gestalten, da die positive Ausweisung von möglichen Standorten in Kombination mit einem Ausschluss außerhalb dieses Gebiets die kommunale Selbstverwaltung, die Berufsfreiheit der Investoren sowie die Eigentumsfreiheit der Grundstückseigentümer massiv beschneidet. Spannowskys Verweis auf die Verhältnismäßigkeit einer solchen Regelung erscheint mehr als fraglich, zumal die Rechtsprechung die Verfassungsmäßigkeit von Kongruenz- und Konzentrationsgeboten u. a. damit begründet, dass diese im konkreten Fall Ausnahmen vorsähen,644 was bei dem von Spannowsky vorgeschlagenen Ansatz erstens nicht beabsichtigt ist und zweitens nicht ohne Weiteres möglich sein dürfte. Entsprechendes gilt für seinen Vorschlag, Vorbehaltsgebiete mit einer außergebietlichen Ausschlusswirkung zu verbinden.645 Diese Kombination kann zu einer noch weiter gehenden Reglementierung von Einzelhandelsprojekten führen,646 da nach § 8 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 ROG in einem Vorbehaltsgebiet bestimmten raumbedeutsamen Funktionen oder Nutzungen, auf die sich das Vorbehaltsgebiet bezieht, bei der Abwägung mit konkurrierenden raumbedeutsamen Nutzungen lediglich besonderes Gewicht beigemessen werden muss und auf Grund des außergebietlichen Ausschlusses diese Nutzung andernorts ohnehin ausgeschlossen ist. Deshalb stellt sich die Problematik der Verhältnismäßigkeit in noch stärkerem Maße als bei der Festsetzung von Vorranggebieten in Kombination mit einer außergebietlichen Ausschlusswir643  Spannowsky,

NdsVBl. 2001, 1, 4. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) und bb) (2). 645  Vgl. Spannowsky, NdsVBl. 2001, 1, 4. 646  Spannowsky, NdsVBl. 2001, 1, 4. 644  Vgl.



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 255

kung. Letztlich erweisen sich positive Standortausweisungen deshalb nicht als geeignete Instrumente zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels.647 f) Raumordnungsverfahren Nach § 15 Abs. 1 S. 1 ROG i. V. m. § 1 S. 3 Nr. 19 RoV ist bei der Errichtung von Einkaufszentren, großflächigen Einzelhandelsbetrieben und sonstigen großflächigen Handelsbetrieben ein Raumordnungsverfahren durchzuführen. Das Ergebnis eines solchen Raumordnungsverfahrens hat trotz seiner fehlenden rechtlichen Bindungswirkung648 bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten eine sehr hohe faktische Bindungswirkung.649 So ergibt sich beispielsweise für die Planungsverbände OberpfalzNord und Regensburg eine Bindungswirkung von nahezu 100 Prozent.650 Ähnliches dürfte in anderen bayerischen Regionen gelten. Das bedeutet, dass ein Einzelhandelsgroßprojekt regelmäßig nicht realisiert wird, wenn das Raumordnungsverfahren negativ verlaufen ist. Grund für diese hohe Bindungswirkung ist zum einen, dass die Raumordnungspläne im Bereich der Einzelhandelsplanung vergleichsweise präzise Vorgaben enthalten, so dass klar ist, wann ein Vorhaben gegen die Erfordernisse der Raumordnung verstößt, was von den Investoren auch akzeptiert wird. Zum anderen kann das Ergebnis eines Raumordnungsverfahrens als öffentlicher Belang i. S. v. § 35 Abs. 2 BauGB der Realisierung von Einzelhandelsgroßmärkten im Außenbereich entgegenstehen. Allenfalls in Einzelfällen kommt nach einem negativen Raumordnungsverfahren eine Zulassung im Rahmen eines Zielabweichungsverfahrens nach § 6 Abs. 2 ROG in Betracht. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels bedeutet dies, dass das Instrument des Raumordnungsverfahrens ein wichtiges und auch effektives Mittel zur Steuerung der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe darstellt. Dies gilt freilich nur dann, wenn die Ziele der Raumordnung in den Raumordnungsplänen so präzise ausgestaltet sind, dass sie in einem Raumordnungsverfahren als Maßstab herangezogen werden können. 647  Spannowsky, NdsVBl. 2001, 1, 5, ist sich der Schwächen seines Konzepts durchaus bewusst und verweist darauf, dass es für die Einzelhandelssteuerung noch nicht ausgereift ist. 648  Näher dazu oben, 3. Kapitel, I. 1. b) bb). 649  Vgl. auch Spannowsky, Möglichkeiten zur Steuerung der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe, in: Spannowsky / Krämer, Großflächiger Einzelhandel und Windkraftanlagen, S. 35, 52. 650  Herr Axel Koch, Sachgebietsleiter Raumordnung, Landes- und Regionalplanung der Regierung der Oberpfalz, und Frau Christine Stiglbauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Bereich Einzelhandel bei der Regierung der Oberpfalz, in einem Gespräch mit der Autorin am 13.12.2011.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

g) Instrumente raumordnerischer Zusammenarbeit aa) Vertragliche Vereinbarungen Nach § 13 Abs. 1 S. 1 ROG sollen die Träger der Landes- und Regionalplanung zur Vorbereitung oder Verwirklichung von Raumordnungsplänen u. a. mit Personen des Privatrechts und der Wirtschaft zusammenarbeiten, was nach § 13 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ROG insbesondere in Form von vertrag­ lichen Vereinbarungen geschehen kann. Möglicher Inhalt solcher raumordnerischer Verträge auf dem Gebiet der Einzelhandelssteuerung ist die Festlegung von Standorten, die Abstimmung im Warensortiment651 sowie die Sicherung der Nahversorgung durch bereits existierenden Einzelhandel gegenüber in Nachbargemeinden geplanten großflächigen Einzelhandelsbetrieben652. Ferner können raumordnungsrechtliche Verträge auf dem Gebiet der Einzelhandelssteuerung zum Zwecke der Ausweisung zentraler Versorgungsbereiche Bedeutung erlangen.653 Häufig wird es daher ratsam sein, neben dem Träger der Regionalplanung, der Standortgemeinde und dem privaten Investor auch die Nachbargemeinden an einer entsprechenden Vereinbarung zu beteiligen.654 Bei den genannten Materien handelt es sich überwiegend um solche des öffentlichen Rechts, auf die die Regelungen über öffentlich-rechtliche Verträge nach §§ 54 ff. VwVfG Anwendung finden.655 Nach den Vorgaben des § 13 Abs. 1 ROG sind raumordnungsrechtliche Verträge nur insoweit zulässig, als sie sich auf den Bereich der Vorbereitung und Verwirklichung von Raumordnungsplänen beziehen.656 Zudem müssen sie dem rechtsstaatlichen Abwägungsgebot und dem Verbot der Vorwegbindung des Planungsträgers genügen.657 die Beispiele bei Ernst, Standortsteuerung, S. 140. in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, K § 13 Rn. 34. 653  Vgl. BR-Drs. 756 / 03, S. 151; Ernst, Standortsteuerung, S. 142. 654  Spannowsky, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, K § 13 Rn. 40 f.; Spannowsky, UPR 1999, 241, 245; Grotefels / Lorenz, UPR 2001, 328, 332. 655  Näher dazu Spannowsky, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, K §  13 Rn.  36  ff.; Dyong, in: Cholewa  /  Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 13 Rn. 6. 656  Moench, in: ILS, Kolloquium raumordnerischer Vertrag, S. 17, 19; Spannowsky, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, K § 13 Rn. 32. 657  Spannowsky, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, K § 13 Rn. 47; näher dazu auch Grotefels / Lorenz, UPR 2001, 328, 330. 651  Vgl.

652  Spannowsky,



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 257

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels bieten derartige vertragliche Vereinbarungen zahlreiche Vorteile, etwa, dass sich private Investoren, Gemeinden und Träger der Raumordnung im Wege von Verhandlungen auf eine Kompromisslösung verständigen können,658 beispielsweise darüber, welcher Standort für ein Einzelhandelsgroßprojekt ausgewählt werden soll. Auf diese Weise wird vermieden, dass in einem möglicherweise jahrelangen Rechtsstreit am Ende das Projekt doch an einem für die Nahversorgung ungünstigen Standort zugelassen werden muss, während man sich mit Hilfe eines raumordnerischen Vertrages auf einen weniger beeinträchtigenden Standort hätte einigen können. Außerdem ist wahrscheinlich, dass die betroffenen Investoren die Vorgaben der Raumordnung, wenn sie die Möglichkeit haben, selbst gestalterisch mitzuwirken, eher akzeptieren, als dies bei den oftmals als zu scharf empfundenen Festlegungen in den Raumordnungsplänen der Fall ist.659 Wird der raumordnerische Vertrag nur zwischen Gemeinden ohne Beteiligung eines Investors geschlossen, könnte beispielsweise einer Gemeinde der Standort des Großprojekts zugesprochen werden, während die anderen beteiligten Gemeinden auf eine Ansiedlung eines ähnlichen Objekts verzichten, gleichzeitig aber bei den Gewerbesteuereinnahmen der Standortgemeinde beteiligt werden.660 Mit einem solchen Vorgehen kann die zwischen den Gemeinden üblicherweise bestehende Konkurrenzsituation bei der Anwerbung von Einzelhandelsinvestoren etwas abgemildert und ein für alle Beteiligten akzeptabler Kompromiss gefunden werden, bei dem auch die Interessen der Bewohner der beteiligten Gemeinden nicht zu kurz kommen. Von Nachteil kann indes sein, dass mit Hilfe vertraglicher Vereinbarungen, insbesondere unter Einbeziehung von Investoren, Vorgaben der Landesund Regionalplanung umgangen werden und dadurch Einzelhandelsgroßprojekte leichter an für die gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung nicht idealen Standorten angesiedelt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn raumordnerische Verträge losgelöst von einem Einzelhandelskonzept abgeschlossen werden und deswegen die Gefahr einer in sich widersprüchlichen Politik der betroffenen Planungsträger und Gemeinden besteht.661 Außerdem hängt die Steuerungsmöglichkeit über raumordnerische Verträge stark von der Kooperationsbereitschaft der Vertragspartner ab. Deshalb kann es passieren, dass der Investor die vereinbarte Gegenleistung nicht erbringt, etwa Ernst, Standortsteuerung, S. 145. UPR 1999, 241, 245; Goppel, zit. nach Moench, in: ILS, Kolloquium landesplanerischer Vertrag, S. 17, 20; Grotefels / Lorenz, UPR 2001, 328, 332. 660  Grotefels / Lorenz, UPR 2001, 328, 333; Spannowsky, UPR 1999, 241, 245. 661  Auf die Gefahren eines fehlenden Einzelhandelskonzepts weist auch Spannowsky, NdsVBl. 2001, 1, 4 hin. 658  Vgl.

659  Spannowsky,

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

eine Geldzahlung, die von der Standortgemeinde vertragsgemäß in eine Verbesserung der Anbindung des Einzelhandelsgroßprojekts an das Zentrum investiert werden sollte. In solchen Fällen können langwierige Rechtsstreitigkeiten und am Ende eine Ansiedlung des Projekts in ungünstiger Lage drohen, insbesondere, wenn sich Planungsträger und Gemeinden bei Vertragsschluss nicht entsprechend abgesichert haben, etwa durch die Vereinbarung von Bedingungen oder Befristungen für die Vergünstigung.662 bb) Entwicklungskonzepte Einzelhandelskonzepte können nach § 13 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ROG als re­ gionale Entwicklungskonzepte sowohl formeller als auch informeller Natur sein.663 Dabei ist zu bedenken, dass informellen Absprachen in der Regel eine geringere Steuerungswirkung zukommt als verbindlichen raumordnerischen Verträgen, doch kann auch auf diese Weise versucht werden, die Interessen von Planungsträgern, Gemeinden und Investoren abzugleichen und dadurch Fehlansiedlungen auf der grünen Wiese verhindern. Auch Nachbargemeinden können mit Hilfe regionaler Einzelhandelskonzepte die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsvorhaben untereinander koordinieren. So können sie etwa vereinbaren, dass bei einem nach § 1 S. 3 Nr. 19 RoV erforderlichen Raumordnungsverfahren kein förmliches Abstimmungsverfahren durchgeführt wird, sondern die Fiktion der Zustimmung der betroffenen Nachbargemeinden gilt, wenn das Einzelhandelsprojekt den Vorgaben des regionalen Entwicklungskonzepts entspricht.664 Überdies können regionale Einzelhandelskonzepte die kommunale Bauleitplanung beeinflussen, wenn in einem solchen Konzept bestimmte Planungsentscheidungen in Bezug auf Einzelhandelsprojekte vorgezeichnet werden.665 Hierin liegt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts kein Verstoß gegen das Vorwegbindungsverbot im Rahmen der Abwägung, da vorgeschaltete Besprechungen nicht schlechthin unzulässig seien.666 Ein Abwägungsdefizit bestehe jedoch dann, wenn der Abwägung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen bindend wirkende Festlegungen voran gegangen seien.667 Dies ist bei regionalen Einzelhandelskonzepten nicht der Fall, da Grotefels, in: ILS, Kolloquium landesplanerischer Vertrag, S. 32, 33. dazu Stüer, ZfBR 2006, 747, 749; Dyong, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 13 Rn. 8. 664  Vgl. Paul / Pfeil, UPR 2006, 260, 265. 665  Paul / Pfeil, UPR 2006, 260, 266. 666  BVerwG, Urt. v. 05.07.1974 – IV C 50.72 –, NJW 1975, 70, 72 f.; so auch VGH München, Urt. v. 11.04.1990 – 1 B 85 A.1480 –, NVwZ 1990, 979, 981. 667  BVerwG, Urt. v. 05.07.1974 – IV C 50.72 –, NJW 1975, 70, 73. 662  Vgl.

663  Näher



II. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts in der Praxis 259

sich daraus keine rechtlichen Bindungswirkungen ergeben und auch in faktischer Hinsicht nur ein gewisser Druck, nicht aber eine Verpflichtung zur Umsetzung besteht.668 cc) Regionalmanagement Beim Regionalmanagement, welches seine rechtliche Legitimation ebenfalls in § 13 Abs. 1 und 2 ROG findet, handelt es sich um ein regionales Gestaltungs- und Handlungskonzept, das u. a. Leitbilder, Konfliktbewältigungsmechanismen wie die Moderation, Projektmanagement zur Durchführung konkreter Planungen sowie Maßnahmen der Erfolgskontrolle bei Projekten Dritter umfasst.669 Im Bereich der Einzelhandelssteuerung wird dieses Instrument bislang zumindest in Bayern eher wenig eingesetzt.670 Vielmehr kommt es ausschließlich als „weicher Faktor“, beispielsweise bei der Unterstützung in Servicefragen sowie im Rahmen von Projekten zu konkreten Themen wie „Einzelhandel in der Metropolregion“ zur Anwendung.671 Problematisch hierbei ist, dass sich die Maßnahmen des Regionalmanagements häufig wenig transparent gestalten und Defizite bei der demokratischen Legitimation aufweisen.672 Sollte das Regionalmanagement bei der Einzelhandelssteuerung künftig eine stärkere Rolle einnehmen, besteht die Gefahr, dass private Investoren, die an der Stärkung einer bestimmten Region ein wirtschaftliches Interesse haben, mit Planungsträgern oder Entwicklungsmanagern kooperieren, während Belange anderer Bevölkerungsgruppen, die in der Regionalmanagementinitiative nicht vertreten sind, außen vor bleiben. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels erscheint dies insoweit problematisch, als gegenwärtig nicht absehbar ist, ob es älteren Menschen gelingen wird, sich hinreichend zu organisieren, um Entscheidungen im Rahmen des Regionalmanagements in ihrem Interesse zu beeinflussen.

auch Paul / Pfeil, UPR 2006, 260, 266. in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, K § 13 Rn. 85; Kraus, UPR 2008, 46, 48 f. 670  So die Einschätzung von Frau Christine Stiglbauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Bereich Einzelhandel bei der Regierung der Oberpfalz, in einer Mail auf Anfrage der Autorin am 19.12.2011. 671  So die Einschätzung von Frau Christine Stiglbauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Bereich Einzelhandel bei der Regierung der Oberpfalz, in einer Mail auf Anfrage der Autorin am 19.12.2011. 672  Darauf weist auch Spannowsky, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, K § 13 Rn. 87 hin. 668  Vgl.

669  Spannowsky,

260

3. Kap.: Raumordnungsrecht

dd) Raumbeobachtung Nach § 13 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ROG kann Gegenstand der raumordnerischen Zusammenarbeit auch die Durchführung einer Raumbeobachtung durch Private und die Bereitstellung der Ergebnisse für regionale und kommunale Träger sowie für Träger der Fachplanung im Hinblick auf raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen sowie die Beratung dieser Träger sein. Im Gegenzug kann sich der Planungsträger zur Übernahme der entstehenden Kosten verpflichten.673 Es handelt sich dabei nicht um die Einführung eines Monitoring-Verfahrens, sondern um ein weiches Kooperationsinstrument, mit dessen Hilfe raumbedeutsame Auswirkungen eines Vorhabens frühzeitig aufgespürt werden sollen, damit gegebenenfalls rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Bei der Planung von Einzelhandelsgroßprojekten kann dies insoweit sinnvoll sein, als einerseits der potentielle Vorhabensträger selbst rechtzeitig informiert wird, wenn sein Projekt nach Lage und Größe mit den aus dem Zentrale-Orte-Prinzip abgeleiteten Prinzipien nicht übereinstimmt, andererseits aber auch Bedenken der Planungsträger entkräftet werden können, wenn die Raumbeobachtung ergeben hat, dass von seinem Vorhaben keine relevanten Auswirkungen auf benachbarte Zentrale Orte zu erwarten sind. Gerade in Verbindung mit einem MonitoringSystem674 erscheint dieser Ansatz zur Verwirklichung einer ausgeglichenen Versorgung der Bevölkerung bedenkenswert.

3. Abschließende Stellungnahme Bei der Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben verfügt das Raumordnungsrecht über eine vergleichsweise große Steuerungswirkung, was vor allem daran liegt, dass gerade in diesem Bereich viele konkret gefasste Ziele der Raumordnung zu finden sind.675 Zu diesen Zielen der Raumordnung gehören das Konzentrationsgebot, das Kongruenzgebot, das Beeinträchtigungsverbot sowie das Integrationsgebot. Den genannten Vorgaben ist gemeinsam, dass sie eine Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten auf der grünen Wiese verhindern, die zentralen Versorgungsbereiche stärken und auf diese Weise eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung gewährleisten sollen. Ohne eine solche Steuerung durch das Raumordnungs673  Goppel,

in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 13 Rn. 21. dazu unten, 3. Kapitel, IV. 1. c) cc). 675  Vgl. auch die Einschätzung von Herrn Axel Koch, Sachgebietsleiter Raumordnung, Landes- und Regionalplanung der Regierung der Oberpfalz, und Frau Christine Stiglbauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Bereich Einzelhandel bei der Regierung der Oberpfalz, in einem Gespräch mit der Autorin am 13.12.2011. 674  Vgl.



III. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts261

recht agierten ausschließlich die Kräfte des Marktes und es bestünde die Gefahr, dass sich „erheblicher Wildwuchs“676 entwickelt. Unterstützt werden diese planerischen Vorgaben durch kooperative Instrumente, mit deren Hilfe Investoren in die Standortfindung eingebunden werden, wodurch sich eine bessere Akzeptanz der Entscheidungen ergeben kann. Von großer Bedeutung sind die Vorgaben des Raumordnungsrechts zur Einzelhandelssteuerung darüber hinaus für das Bauplanungsrecht. Nur wenn die Landesplanung weiterhin am Zentrale-Orte-Konzept festhält, erweisen sich Regelungen im Baugesetzbuch zum Schutz zentraler Versorgungsbereiche überhaupt als sinnvoll. Geht man dagegen im Raumordnungsrecht von einem vorwiegend auf Erreichbarkeit angelegten System aus, würde spiegelbildlich dazu auch im Bauplanungsrecht ein Paradigmenwechsel erforderlich, von dem gegenwärtig nicht sicher ist, wie er verwirklicht werden könnte.677 Insgesamt lässt sich sagen, dass durch die vorhandenen Instrumente des Raumordnungsrechts die verbrauchernahe Versorgung gewährleistet werden kann, was vor dem Hintergrund des demografischen Wandels als Chance für das Raumordnungsrecht und seinen Stellenwert anzusehen ist.

III. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts am Beispiel des Straßenbaus Relevant in Bezug auf den demografischen Wandel sind der Neubau und die Änderung von Straßen insoweit, als auch die von Schrumpfung betroffenen Gegenden im Interesse der Versorgung der Bevölkerung über Fernstraßen bzw. Anschlüsse an Fernstraßen verfügen müssen. Derartige Verkehrsinfrastruktur existiert gegenwärtig noch nicht überall, was u. a. daran liegt, dass zwar neue Bundesautobahnen und Fernstraßen gebaut wurden und werden, Zubringerstraßen aber, die die Umlandgemeinden mit den Hauptverkehrsadern verbinden, eher zögerlich errichtet werden. Dies wird in Zukunft gerade für Gegenden gelten, in denen Bevölkerungsrückgänge zu verzeichnen sind. Hier wird sich vermehrt die Frage stellen, ob sich der Neubau einer Verbindungsstraße zu einer Hauptverkehrsader überhaupt noch lohnt. Das Raumordnungsrecht vermag angesichts seiner Stellung als überregionales Regelungsinstrument grundsätzlich Einfluss zu nehmen auf den orts- und länderübergreifenden Straßenbau.

676  So

677  Für

treffend Stüer / Buchsteiner, DVBl. 2011, 345, 347. einen möglichen Ansatz, vgl. unten, 4. Kapitel, I. 13. d).

262

3. Kap.: Raumordnungsrecht

1. Bau von Bundesfernstraßen a) Begriff der Bundesfernstraße Der Begriff der Bundesfernstraße ist in § 1 Abs. 1 FStrG definiert. Bundesfernstraßen sind danach öffentliche Straßen, die ein zusammenhängendes Verkehrsnetz bilden und einem weiträumigen Verkehr dienen. Sie gliedern sich nach § 1 Abs. 2 FStrG in Bundesautobahnen und Bundesstraßen mit Ortsdurchfahrten. b) Vorgaben des Bundesfernstraßengesetzes zum Bau von Straßen aa) Linienbestimmung Nach § 16 Abs. 2 FStrG sind bei der Bestimmung der Linienführung einer Bundesfernstraße die von dem Vorhaben berührten öffentlichen Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit und des Ergebnisses des Raumordnungsverfahrens im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Es handelt sich dabei um eine unvollständige Raumordnungsklausel, die durch §§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 5 ROG ergänzt werden muss.678 Zu den öffentlichen Belangen gehören insbesondere die Ziele und Grundsätze der Raumordnung. Allerdings gilt die Bindungswirkung nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ROG wegen § 5 Abs. 1 ROG nur, wenn die zuständige Stelle des Bundes bei der Aufstellung des Raumordnungsplan beteiligt wurde und sie innerhalb einer zweimonatigen Frist nicht widersprochen hat, da es sich bei Bundesfernstraßen um eine raumbedeutsame Planung des Bundes i. S. d. § 5 ROG handelt.679 Wurde der Bund bei der Aufstellung des Raumordnungsplans nicht beteiligt oder greift einer der Ausschlussgründe des § 5 Abs. 2 ROG ein, zu denen die Abwägungsfehlerhaftigkeit des Ziels der Raumordnung (Nr. 1) sowie die fehlende Trassenalternative gehört (Nr. 2), entfalten die Ziele der Raumordnung in den Raumordnungsplänen der Länder keine Bindungswirkung gegenüber dem Vorhaben des Bundes. Nach § 1 S. 3 Nr. 8 RoV ist beim Bau einer Bundesfernstraße, welcher der Entscheidung nach § 16 FStrG bedarf, ein Raumordnungsverfahren durchzuführen, dessen Ergebnis nach § 16 Abs. 2 FStrG bei der Abwägung zu berücksichtigen ist. Damit kann die Vereinbarkeit des Vorhabens mit 678  Runkel,

in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 4 Rn. 152. dazu auch Schmidt, in: Müller / Schulz, FStrG, § 16 Rn. 33; Dyong, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, §  5 Rn.  8 ff.; Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, §  5 Rn.  24. 679  Vgl.



III. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts263

den Erfordernissen der Raumordnung überprüft werden. Allerdings sind weder die Linienbestimmung noch das Raumordnungsverfahren Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der nachfolgenden Planfeststellung.680 Dennoch ergibt sich eine behördeninterne Bindungswirkung für das Planfeststellungsverfahren.681 bb) Planfeststellungsverfahren Auf Grundlage der Linienbestimmung findet das Planfeststellungsverfahren nach § 17 FStrG statt. Nach § 17 S. 2 FStrG sind dabei die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Auch wenn die Ziele der Raumordnung nicht explizit genannt werden, sind sie als öffentliche Belange gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 ROG im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens zu berücksichtigen.682 Zielen der Raumordnung kommt dabei die Stellung verbindlicher Rechtssätze zu. Sie können sowohl Unterlassungs- als auch Handlungspflichten begründen.683 Eine Handlungspflicht führt dazu, dass das Ziel der Raumordnung mit den Instrumenten des Fernstraßenrechts umgesetzt werden muss, etwa durch die Wahl einer konkreten Trasse.684 c) Aussagen zum Bau von Fernstraßen in ausgewählten Landesentwicklungsplänen In den Landesentwicklungsplänen finden sich vielfach Aussagen zum Bau von Fernstraßen. Nach Ziff. 3.3.2. (Z 78) des LEP Sachsen-Anhalts ist das vorhandene Straßennetz zu sichern und bedarfsgerecht auszubauen zur Raumerschließung und zur Einbindung der Zentralen Orte sowie der Wirtschafts- und Tourismusräume in das nationale und europäische Verkehrsnetz. In der Begründung dazu heißt es, dass die Belange des demografischen Wandels dabei berücksichtigt werden sollen. 680  BVerwG, Beschl. v. 15.05.1996 – 11 VR 3 / 96 –, NVwZ-RR 1996, 557, 557; Runkel, in: Bielenberg  /  Runkel  /  Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, K § 5 Rn. 30; Schmidt, in: Müller / Schulz, FStrG, § 16 Rn. 49. 681  Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, K § 5 Rn. 30; Schmidt, in: Müller / Schulz, FStrG, § 16 Rn. 49. 682  Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, K § 5 Rn. 33. 683  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 1. c) aa). 684  Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungsrecht und Landesplanungsrecht, L § 4 Rn. 164 u. 171.

264

3. Kap.: Raumordnungsrecht

Der LEP Sachsen-Anhalts enthält in Ziff. 3.3.2. (Z 81) darüber hinaus die Zielaussage, dass der Ausbau von Bundesfernstraßenverbindungen einschließlich von Ortsumgehungen für den großräumigen überregionalen Straßenverkehr zur Wirtschaftsförderung sowie zur Gewährleistung der Erreichbarkeit von Zentralen Orten und sonstigen Siedlungsbereichen vordringlich erforderlich sei, wobei zwei konkrete Vorhaben bezeichnet werden. In Z 82 werden zusätzliche Vorhaben, die verwirklicht werden sollen, genannt, u. a. die Anbindung des nördlichen Teils des Landkreises AnhaltBitterfeld an die Kreisstadt Köthen (Anhalt) im Wege des Baus einer Ortsumgehung. Daran lässt sich ablesen, dass eine verbesserte Anbindung ländlicher Gegenden an die Zentralen Orte angestrebt wird. Der LEP Baden-Württemberg aus dem Jahr 2002 hingegen konzentriert sich nach Ziff. 4.1.3 auf die bedarfsgerechte Einbindung des Landes in die nationalen und transeuropäischen Verkehrsnetze, wobei besonders die wirtschaftlich starken Metrolpolregionen berücksichtigt werden sollen. Auch in der Begründung zu den fraglichen Plansätzen wird das Problem des demografischen Wandels nicht thematisiert, sondern die Diskussion konzentriert sich ausschließlich auf Fragen der Verringerung der Umweltbelastung sowie der Sicherung des notwendigen Wirtschaftsverkehrs. Auffallend ist weiterhin, dass es sich bei sämtlichen landesplanerischen Aussagen zum Bereich des Fernverkehrs lediglich um Grundsätze der Raumordnung handelt, die keine strikte Bindungswirkung entfalten. Dies führt dazu, dass allenfalls eine geringe Steuerungswirkung des Raumordnungsrechts vorhanden ist. d) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Auf Grund der eingeschränkten Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung bei der Abwägung angesichts von § 5 Abs. 1 ROG kann es dazu kommen, dass regionalen Anliegen, insbesondere der Anbindung entlegener Teilräume, nicht mehr hinreichend Beachtung geschenkt wird. Zwar ist ein Raumordnungsverfahren durchzuführen und dessen Ergebnis zu berücksichtigen, doch dürfte sich ein Raumordnungsverfahren beim Fernstraßenbau meist auf die Vereinbarkeit mit umwelt- und naturschutzrechtlichen Belangen der Raumordnung konzentrieren, während die Belange der Versorgung der Bevölkerung eher zweitrangig sein werden, zumal es – wie im Fall Baden-Württembergs – teilweise schon an entsprechenden Zielen der Raumordnung in den Landesentwicklungsplänen fehlt. Hinzu kommt, dass sich der Zusammenhang zwischen demografischer Entwicklung und Fernstraßenbau nicht ohne Weiteres erschließt, da Fernstraßen unabhängig von der Bevölkerungssituation in einer Region als Transittrassen gebraucht werden. Ein Zusammenhang tritt jedoch dann zu Tage, wenn es um die Errichtung



III. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts265

von Zufahrten zu Bundesfernstraßen geht und eine solche Zufahrt beispielsweise nicht errichtet werden soll, weil die fragliche Gegend durch massiven Bevölkerungsschwund gekennzeichnet ist und eine Verkehrsanbindung daher wenig rentabel erscheint. Dies ist der Punkt, an dem Versorgungsgesichtspunkte ins Spiel kommen. Die gesetzliche Regelung im Bundesfernstraßengesetz erlaubt es, dass raumordnungsrechtliche Vorgaben diesbezüglich, so sie denn in den Landesentwicklungsplänen vorhanden sind, zumindest berücksichtigt werden, wenngleich nicht gewährleistet ist, dass sie sich tatsächlich durchsetzen. Immerhin existiert ein Mechanismus, mit dessen Hilfe Belange des Raumordnungsrechts im Fachplanungsrecht berücksichtigt werden können. Angesichts der Lockerung der Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung durch § 5 Abs. 1 ROG kann von einer optimalen Beachtung der Belange der Raumordnung im Bundesfernstraßenrecht jedoch nicht gesprochen werden, was vor allem der Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern geschuldet ist.685 Dadurch kann es passieren, dass Belange der alternden Gesellschaft im Einzelfall keine hinreichende Berücksichtigung finden.

2. Bau von Straßen nach dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz a) Anwendungsbereich des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes Nach Art. 3 Abs. 1 BayStrWG bezieht sich das Bayerische Straßen- und Wegegesetz auf Staatsstraßen, Kreisstraßen, Gemeindeverbindungsstraßen, Ortsstraßen sowie öffentliche Feld- und Waldwege, beschränkt-öffentliche Wege sowie Eigentümerwege. Im Gegensatz zum Bundesfernstraßengesetz regelt es daher die Rechtsverhältnisse von Straßen, für deren Errichtung und Unterhaltung nicht der Bund, sondern die Länder und Gemeinden zuständig sind. b) Vorgaben des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes aa) Straßenplanung Nach Art. 35 Abs. 2 BayStrWG sind bei Planungen, die den Bau neuer oder die wesentliche Änderung bestehender Straßen von übergeordneter Be685  Näher dazu Dyong, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 5 Rn. 1 ff.; ausführlich zum Verhältnis von Raumordnung und Fachplanung auch Erbguth, DVBl. 2013, 274 ff. 

266

3. Kap.: Raumordnungsrecht

deutung, d. h. Staatsstraßen und Kreisstraßen betreffen, die Erfordernisse der Raumordnung und Landesplanung zu beachten.686 Die Änderung bestehender Straßen muss von einigem Gewicht sein,687 wobei die bloße Sanierung nicht erfasst wird. Da es sich beim Bau und der Änderung von Staats- und Kreisstraßen nicht um eine Planung oder Maßnahme des Bundes handelt, kommt § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ROG i. V. m. Art. 35 Abs. 2 BayStrWG zur Anwendung, so dass die Ziele der Raumordnung zu beachten und die Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung zu berücksichtigen sind. Art. 35 Abs. 2 BayStrWG ist insofern missverständlich formuliert, als er eine Beachtenspflicht für sämtliche Erfordernisse der Raumordnung vorsieht. Die Beachtung der Ziele und Grundsätze der Raumordnung, die sich aus dem Landesentwicklungsprogramm sowie aus den Regionalplänen ergeben, kann im Bereich des Straßenbaus nicht mit Hilfe eines Raumordnungsverfahrens nach § 15 ROG überprüft werden. Grund dafür ist, dass der Katalog des § 1 RoV für die Planung von Staats- und Kreisstraßen kein Raumordnungsverfahren vorsieht. Hinzu kommt, dass nach Art. 24 Abs. 1 BayLplG als Gegenstand eines Raumordnungsverfahrens nur Vorhaben von erheblicher überörtlicher Raumbedeutsamkeit in Betracht kommen. Eine erhebliche überört­ liche Raumbedeutsamkeit dürfte bei Staats- und Kreisstraßen freilich selten gegeben sein. Bei Staatsstraßen handelt es sich nach der Definition in Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 BayStrWG um Straßen handelt, die innerhalb des Staatsgebiets zusammen mit den Bundesfernstraßen ein Verkehrsnetz bilden und dem Durchgangsverkehr zu dienen bestimmt sind. Kreisstraßen sind nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 BayStrWG Straßen, die dem überörtlichen Verkehr innerhalb eines Landkreises, dem Verkehr zwischen benachbarten Landkreisen und kreisfreien Gemeinden oder dem erforderlichen Anschluss von Gemeinden an das überörtliche Verkehrsnetz dienen oder zu dienen bestimmt sind. Von beiden Straßenklassen gehen meist keine Auswirkungen insbesondere auf weiter entfernte Gebiete aus, weshalb es an der Erheblichkeit der Raumbedeutsamkeit regelmäßig fehlen wird. Allenfalls einzelne Staatsstraßen mögen auf Grund des zu erwartenden Verkehrsaufkommens als wesentliche Beeinträchtigung688 und daher als „erheblich“ raumbedeutsam anzusehen sein. Die Raumbedeutsamkeit solcher Vorhaben an sich kann nicht deswegen verneint werden, weil § 1 RoV für sie kein Raumordnungsverfahren vorsieht, sondern ist jeweils für den Einzelfall zu untersuchen.689 686  Ausführlich dazu, vgl. Numberger, in: Zeitler  /  Wiget, BayStrWG, Art. 35 Rn.  20 ff.  687  Numberger, in: Zeitler / Wiget, BayStrWG, Art. 35 Rn. 14. 688  Zum Kriterium der Vorbelastung bei der Raumbedeutsamkeit einer Maßnahme, vgl. Runkel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 3 Rn. 107. 689  So auch Runkel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 3 Rn. 104.



III. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts267

Nach alledem kann das Ergebnis eines Raumordnungsverfahrens nicht als Erfordernis der Raumordnung in die Planungsentscheidung gemäß Art. 35 Abs. 2 BayStrWG eingebracht werden, so dass die Vorschrift faktisch leer zu laufen droht. bb) Planfeststellung Nach Art. 36 Abs. 1 BayStrWG ist beim Neubau sowie bei wesentlichen Änderungen von Staatstraßen ein Planfeststellungsverfahren durchzuführen, das nach Art. 38 Abs. 2 oder 3 BayStrWG und Art. 74 Abs. 7 BayVwVfG durch eine Plangenehmigung ersetzt werden bzw. ganz entfallen kann. Nach Art. 36 Abs. 2 BayStrWG ist bei Kreisstraßen und Gemeindeverbindungsstraßen eine Planfeststellung erforderlich, wenn es ich um Straßen von besonderer Bedeutung, insbesondere um Zubringerstraßen zu Bundesfernstraßen handelt. Nach Art. 36 Abs. 3 BayStrWG ist unbeschadet der Absätze 1 und 2 eine Planfeststellung durchzuführen, wenn Art.  37 BayStrWG eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorschreibt. Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens müssen Verfahrensschritte, die bereits in einem vorgelagerten Raumordnungsverfahren durchgeführt wurden, nicht noch einmal wiederholt werden.690 Allerdings wird nach dem neuen bayerischen Landesplanungsgesetz vor der Planfeststellung in der Regel kein Raumordnungsverfahren mehr durchgeführt. Daher sind die Ziele der Raumordnung im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens, soweit ein solches stattfindet, bzw. bei der Plangenehmigung zu beachten sowie die Grundsätze der Raumordnung zu berücksichtigen, was nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ROG ohnehin vorgesehen ist. Da Staats- und Kreisstraßen als überregionale und raumbeanspruchende691 Verbindungsstraßen raumbedeutsame Planungen im Sinne von § 4 Abs. 1 ROG darstellen, darf in diesen Fällen der Plan nicht festgestellt werden, wenn er Zielen der Raumordnung widerspricht. Entsprechendes gilt wegen § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ROG bei Durchführung einer Plangenehmigung nach Art. 38 Abs. 2 BayStrWG. Fälle, in denen sowohl Planfeststellungsverfahren als auch Plangenehmigung entbehrlich sind, finden mit Art. 38 Abs. 3 S. 1 und Art. 38 Abs. 3 S. 2 BayStrWG i. V. m. Art. 74 Abs. 7 BayVwVfG zwar eine gesetzliche Regelung, für den überörtlichen Straßenbau aber dürften diese Ausnahmen regelmäßig nicht eingreifen. 690  Edhofer, in: Edhofer  /  Willmitzer, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Art. 35 Ziff. 3. 691  Zum Kriterium der Raumbedeutsamkeit, vgl. Runkel, in: Spannowsky / Runkel /  Goppel, ROG, § 3 Rn. 100 ff.; Hendler, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, § 3 Rn. 95 ff. 

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Insgesamt lässt sich daher sagen, dass Ziele der Raumordnung im Wege des Planfeststellungsverfahrens sehr wohl strikte Bindungswirkung entfalten, so dass die Belange der Raumordnung keineswegs außen vor bleiben. Allerdings steht die Planfeststellung erst am Ende der Vorhabensplanung. Eine Vorabprüfung durch ein Raumordnungsverfahren bereits im Planungsstadium findet nicht mehr statt, so dass letztlich alles auf eine Gesamtbeurteilung im Planfeststellungsverfahren hinaus läuft, bei dem freilich das Gewicht der raumordnerischen Belange durch die Einbeziehung anderer öffentlicher und privater Belange relativiert werden kann.692 c) Aussagen des bayerischen Landesentwicklungsprogramms Das neue bayerische Landesentwicklungsprogramm enthält nur wenige Aussagen zur Straßenplanung. So sollen nach Grundsatz 4.1.2 das regionale Verkehrswegenetz und die regionale Vekehrsbedienung in allen Teilräumen als Grundlage für leistungsfähige, bedarfsgerechte und barrierefreie Verbindungen und Angebote ausgestaltet werden. Grundsatz 4.1.3 spricht davon, dass im ländlichen Raum die Verkehrserschließung weiterentwickelt und die Flächenbedienung durch den öffentlichen Personennahverkehr verbessert werden soll. Spezifische Aussagen zum Straßenverkehrsnetz fehlen weitgehend. Allein Grundsatz 4.2 gibt vor, dass das Netz der Bundesfernstraßen sowie der Staats- und Kommunalstraßen leistungsfähig erhalten und bedarfsgerecht ergänzt werden soll, wobei bei der Weiterentwicklung der Straßeninfrastruktur der Ausbau des vorhandenen Straßennetzes bevorzugt vor dem Neubau erfolgen soll. Ziele der Raumordnung finden sich im Zusammenhang mit dem Straßenbau nicht. Überdies fehlen konkrete Aussagen zur Anbindung Zentraler Orte an ihr Umland sowie zur Zubringerfunktion von Staats- und Kreisstraßen. Lediglich die Begründung zu Grundsatz 4.2 weist darauf hin, dass Staatsstraßen der Verkehrsanbindung Zentraler Orte dienen und Kreis- und Gemeindestraßen die Verbindung der Gemeinden untereinander sicher stellen sollen. Demgegenüber enthielt Teil B V 1.4 des bayerischen Landesentwicklungsprogramms aus dem Jahr 2006 noch die Zielaussage Z 1.4.3, wonach die Staatsstraßen Zentrale Orte und Siedlungsschwerpunkte, die nicht an Bundesfernstraßen liegen, an diese anbinden und damit auch die Voraussetzungen für die weitere Entwicklung dieser Orte schaffen sollten. Als Auslegungshilfe konnte Grundsatz G 1.4.1, der an der Spitze des Abschnitts zum Straßenbau stand, herangezogen werden, wonach der Schaffung einer leistungsfähigen Straßeninfrastruktur im Hinblick auf die prognostizierte 692  Vgl.

auch Numberger, in: Zeitler / Wiget, BayStrWG, Art. 35 Rn. 22.



III. Wirkungsweise des Raumordnungsrechts269

Verkehrszunahme, bedingt durch geänderte Mobilitätsansprüche der Gesellschaft, die zunehmende Arbeitsteilung in der Wirtschaft sowie die Osterweiterung der Europäischen Union besondere Bedeutung zukommen sollte. Außerdem ergibt sich aus der Begründung zu Z 1.4.3, dass Staatstraßen das tragende Gerüst für den Regionalverkehr in der Fläche sein sollten. Darüber hinaus sollten nach Z 1.4.4 die Kreisstraßen Zubringerfunktion zu den übergeordneten Straßen erfüllen und insbesondere die Unter- und Kleinzentren sowie die Siedlungsschwerpunkte untereinander und die Zentralen Orte mit ihren Nahbereichen verbinden. Aus den beiden genannten Planaussagen folgt, dass nach dem bayerischen LEP 2006 der Anbindung der Zentralen Orte an das Fernstraßennetz sowie der Verbindung der Zentralen Orte und Siedlungsschwerpunkte untereinander große Bedeutung zukam. Da die Planungsvorgaben nicht nach Regionen differenzierten, ist davon auszugehen, dass die Verbesserung des Straßennetzes für ganz Bayern, also auch für periphere Gebiete galt. Aus der Zusammenschau von LEP 2006 und dem neuen bayerischen Landesentwicklungsprogramm wird deutlich, dass der Plangeber die Aussagen zur Verkehrsanbindung im neuen Landesentwicklungsprogramm möglichst allgemein fassen wollte693 und diese Vorgaben im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens deswegen kaum Steuerungswirkung entfalten können. Bindende Vorgaben sind daher allein den Regionalplänen zu entnehmen. d) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Ziele der Raumordnung sind beim Neubau oder der wesentlichen Änderung bestehender Staats- und Kreisstraßen zwar grundsätzlich bindend zu beachten, eine wirkliche Überprüfung eines Vorhabens mit Zielen der Raumordnung findet aber angesichts der Vorgaben des neuen bayerischen Landesplanungsgesetzes und der damit verbundenen Einschränkung des Anwendungsbereichs des Raumordnungsverfahrens nur noch im Planfeststellungsverfahren, d. h. zu einem vergleichsweise späten Zeitpunkt statt. Dadurch wird die Möglichkeit, frühzeitig verschiedene Trassenalternativen zu prüfen, erschwert. Hinzu kommt, dass das neue bayerische Landesentwicklungsprogramm für den Bereich des Straßenbaus nur sehr allgemein gehaltene Aussagen enthält, so dass auch ein vorgelagertes Raumordnungsverfahren letztlich keine entscheidende Filterfunktion hätte. Näher definierte Ziele, etwa der Bau oder Ausbau bestimmter Staats- oder Kreisstraßen in 693  Vgl. dazu auch die Änderungsbegründung zur Gesamtfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms Bayerns (LEP), S. 6.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

einer bestimmten Gegend, bleiben den Regionalplänen vorbehalten. Angesichts der Zurückhaltung der Planungsträger bei der Formulierung konkreter Zielaussagen ist die Steuerungswirkung des Raumordnungsrechts beim Bau neuer Staats- und Kreisstraßen als gering anzusehen. Das Straßen- und Wegerecht selbst enthält keine Verpflichtung zur Ausrichtung auf eine nachhaltige Raumentwicklung oder zur Rücksichtnahme auf die Erfordernisse des demografischen Wandels, weshalb zu befürchten ist, dass diese Belange bei der Planung neuer Staats- und Kreisstraßen keine zentrale Rolle spielen.

IV. Vorschläge für eine Anpassung an die Herausforderungen des demografischen Wandels de lege ferenda 1. Einführung eines Monitoring-Systems über den Umweltbereich hinaus a) Begriff des Monitoring und Wirkungsweise Zu den Möglichkeiten, das Raumordnungsrecht besser an die Herausforderungen des demografischen Wandels anzupassen, gehört die Einführung eines Monitoring-Systems, welches über den Bereich der Umwelt hinaus geht. Unter dem Begriff „Monitoring“ versteht man im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch die „Dauerbeobachtung eines bestimmten Systems mittels technischer Hilfsmittel“694, die beispielsweise zur lokalen, regionalen oder globalen Beobachtung von qualitativen und quantitativen Veränderungen der Erdoberfläche oder zur analytischen Überwachung der Umwelt angewendet wird.695 In der Raumwissenschaft versteht man unter „Monitoring“ die laufende Beobachtung des Raums.696 Die Rechtswissenschaft kennt bislang keine allgemeingültige Definition des Monitoring-Begriffs. Teilweise wird Monitoring darin als „systematische, zumindest regelmäßige Beobachtung und Auswertung der Verhältnisse und der Entwicklungen komplexer, veränderlicher Systeme durch eine Behörde“ definiert.697 Aufgabe des Monitoring im Planungsrecht ist es demzufolge, „laufend die wesent­ 694  Brockhaus,

Online-Enzyklopädie, Stichwort Monitoring (abgerufen am 30.11.

695  Brockhaus,

Online-Enzyklopädie, Stichwort Monitoring (abgerufen am 30.11.

2012). 2012).

696  Vgl. Keiner, Planungsinstrumente, S. 88; allgemeiner auf die Umwelt bezogen, vgl. Sailer, Bauplanungsrecht und Monitoring, S. 133. 697  So etwa Herzmann, DVBl. 2007, 670, 674; in diese Richtung für das Grundrechtsmonitoring auch Gusy, Der Staat 47 (2008), 511, 534.

IV. Vorschläge für eine Anpassung de lege ferenda271



lichen qualitativen und quantitativen Veränderungen in einem Planungsgebiet zu verfolgen und so der Standortbestimmung zu dienen“698. Zu diesem Zweck wird im Rahmen eines Monitoring-Prozesses zunächst der Ist-Zustand der räumlichen Entwicklung in einem bestimmten Gebiet zu einem bestimmten Zeitpunkt abgebildet.699 Auf dieser Basis werden potentielle Einflussfaktoren systematisch verfolgt und ausgewertet, um so Veränderungen festzustellen und gegebenenfalls frühzeitig darauf reagieren zu können.700 Daher erweist sich das Monitoring als eine Art „Frühwarnsystem“ bei potentiellen Fehlentwicklungen.701 Um am Ende eines Monitoring-Prozesses raumrelevante Daten, Messwerte, Häufigkeitszahlen und qualitative Ergebnisse zu erhalten, bedarf es vorab der Entwicklung einer konkreten Fragestellung und aussagekräftiger Indikatoren.702 Manche Monitoring-Konzepte besitzen zudem Steuerungsintentionen und führen dementsprechend selbst Kontrollen durch.703 Hier bestehen bereits Ansatzpunkte für ein Controllingsystem.704 b) Monitoring in ausgewählten Rechtsgebieten aa) Umweltrecht Die Idee des Monitoring hat bereits in vielen Lebensbereichen Einzug gehalten.705 Bekanntestes Beispiel in rechtswissenschaftlicher Hinsicht dürfte das Umweltrecht sein. Hier ist in Folge des Einflusses des Europarechts an vielen Stellen der Aufbau eines Monitoring-Systems zwingend vorgesehen. So verlangt die EU-Richtlinie zur strategischen Umweltprüfung für Pläne und Programme (SUP-Richtlinie)706 in Art. 10 die Überwachung der erheblichen Auswirkungen der Durchführung der Pläne und Pro698  Keiner,

Planungsinstrumente, S. 88. Planungsinstrumente, S. 89. 700  Keiner, Planungsinstrumente, S.  89; vgl. auch Birkmann, Monitoring, in: ARL, Handwörterbuch der Raumordnung, S. 668, 669; Birkmann, Monitoring und Controlling einer nachhaltigen Raumentwicklung, S. 55. 701  Vgl. Keiner, Planungsinstrumente, S. 89; Sailer, Bauplanungsrecht und Monitoring, S. 130. 702  Keiner, Planungsinstrumente, S. 89. 703  Vgl. Ritter, DÖV 2005, 929, 932; Birkmann, Monitoring und Controlling, S. 55. 704  Näher dazu, vgl. Ritter, DÖV 2005, 929, 933. 705  Vgl. die Übersicht bei Birkmann, Monitoring, in: ARL, Handwörterbuch der Raumordnung, S. 668, 670 f. 706  Richtlinie 2001  /  42  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.06.2001 über die Prüfung der Umweltauswirkung bestimmter Pläne und Programme, ABl.EG Nr. L 197, S. 30 ff.  699  Keiner,

272

3. Kap.: Raumordnungsrecht

gramme auf die Umwelt, um frühzeitig unvorhergesehene negative Auswirkungen zu ermitteln und geeignete Abhilfemaßnahmen ergreifen zu können. Ins deutsche Recht wurde die Richtlinie u. a. durch § 4c BauGB707 sowie § 9 ROG708 umgesetzt. Das auf der SUP-Richtlinie beruhende Monitoring-Konzept zielt nicht nur auf schlichte Beobachtung, sondern auch auf Überwachung und ist ein Beispiel für ein Monitoring-Konzept mit eindeutiger Steuerungsintention.709 Ferner verlangt die FFH-Richtlinie710 nach Art. 11 ein Monitoring-Verfahren in Bezug auf den Erhaltungszustand der in Art. 2 der Richtlinie genannten Arten und Lebensräume, wobei die prioritären natürlichen Lebensraumtypen und die prioritären Arten besonders zu berücksichtigen sind. Im Raumordnungsrecht dient § 9 Abs. 3 S. 2 ROG der Umsetzung der FFH-Richtlinie ins deutsche Recht. Auch Art. 8 der Wasserrahmenrichtlinie711 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten für die Aufstellung von Programmen zur Überwachung des Zustands der Gewässer Sorge tragen, damit ein zusammenhängender und umfassender Überblick über den Zustand der Gewässer in jeder Flussgebietseinheit gewonnen werden kann. Ein weiteres Beispiel für eine Monitoring-Vorschrift im deutschen Umweltrecht ist schließlich § 6 Abs. 1 BNatSchG, wonach der Bund und die Länder im Rahmen ihrer Zuständigkeiten Natur und Landschaft beobachten. Die Vorschrift dient nach § 6 Abs. 2 BNatSchG der fortlaufenden Ermittlung des Zustands der Natur sowie der Aufdeckung etwaiger Veränderungen. bb) Energiewirtschaftsrecht und Recht der erneuerbaren Energien Ein weiteres Feld, in dem ein Monitoring-Verfahren verankert wurde, ist das Energiewirtschaftsrecht. Nach § 35 Abs. 1 EnWG führt die Bundesnetzagentur zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem Energiewirtschaftsgesetz, insbesondere zur Herstellung von Markttransparenz, ein Monitoring über verschiedene, im Einzelnen genau bezeichnete Untersuchungsgegenstände durch. Zu den genannten Überwachungsparametern zählen u. a. die 707  BT-Drs. 15 / 2250, S. 31 u. 46; näher dazu Sailer, Bauplanungsrecht und Monitoring, S.  152 ff.  708  BT-Drs. 16 / 10292, S.  24. 709  Vgl. Birkmann, Monitoring und Controlling, S. 55. 710  Richtlinie 92  / 43 / EWG des Rates vom 21.05.1992 zur Erhaltung der natür­ lichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. EG Nr. L 206, S.  7 ff.  711  Richtlinie 2000  /  60  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl. EG Nr. L 327, S. 1 ff. 



IV. Vorschläge für eine Anpassung de lege ferenda273

Mechanismen zur Behebung von Kapazitätsengpässen im nationalen Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetz und bei den Verbindungsleitungen (§ 35 Abs. 1 Nr. 2 EnWG) und die Zeit, die von Betreibern von Übertragungs-, Fernleitungs- und Verteilernetzen für die Herstellung von Anschlüssen und Reparaturen benötigt wird (§ 35 Abs. 1 Nr. 3 EnWG). Ergeben sich im Rahmen des Monitoring-Verfahrens entsprechende Erkenntnisse, kann die Bundesnetzagentur nach § 29 Abs. 2 EnWG ihre einmal getroffene Regulierungsentscheidung abändern. § 35 EnWG beruht auf Art. 23 Abs. 1 S. 2 der Elektrizitäts-712 und Art. 25 Abs. 1 S. 3 der Gasrichtlinie713. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien setzt der Gesetzgeber ebenfalls auf die Durchführung eines Monitoring-Verfahrens. § 65a S. 1 EEG sieht vor, dass das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit der Bundesregierung bis zum 31. Dezember 2012 und dann jährlich über den Ausbau der erneuerbaren Energien (Nr. 1), die Erreichung der Ziele nach § 1 Abs. 2 EEG (Nr. 2), d. h. die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromversorgung und die Integration in das Elektrizitätsversorgungsnetz, sowie über die Herausforderungen, die sich aus den Nummern 1 und 2 ergeben (Nr. 3), berichtet. Durch Europarecht indiziert ist die Einführung eines solchen Monitoring-Systems bei der Energiewende nicht. Daran zeigt sich, dass der deutsche Gesetzgeber inzwischen von sich aus in bestimmten Rechtsbereichen auf die Wirkungsweise von MonitoringVerfahren setzt. cc) Menschenrechtsschutz Monitoring-Verfahren sind inzwischen fester Bestandteil internationaler Abkommen zum Schutz der Menschenrechte, meist parallel zu gerichtlichen Verfahrensinstrumenten. Beim völkerrechtlichen Menschenrechtsmonitoring handelt es sich um ein „rechtsverbindlich institutionalisiertes und organisiertes Verfahren“714, das von internationalen Organisationen etabliert wird.715 Als Monitoren agieren meist Kommissionen oder einzelne Beauftragte, wobei sie nicht wie Richter einen Rechtsstreit entscheiden, sondern 712  Richtlinie 2003  /  54  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96 / 92 / EG, ABl.EU Nr. L 176, S. 37 ff.  713  Richtlinie 2003  /  55  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2003 über gemeinsame Vorschriften über den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98 / 30 / EG, ABl.EU Nr. L 176, S. 57 ff.  714  Gusy, Grundrechtsmonitoring: Wirksamkeitsbedingungen und -grenzen, S. 11, 12; ders., Der Staat 47 (2008), 511, 522 ff. und 534. 715  Vgl. Lober, Im Spannungsfeld von Beratung und Kontrolle, in: Gusy, Grundrechtsmonitoring: Wirksamkeitsbedingungen und -grenzen, S. 77, 78.

274

3. Kap.: Raumordnungsrecht

vielmehr als „Anwälte der Grundrechte“716 auftreten. Zu den wichtigsten Monitoring-Instrumenten zählen die Verfahrenseinleitung von Amts wegen, Berichtspflichten der Staaten, die Informationserhebung durch MonitoringInstanzen, Länderbesuche in den jeweiligen Staaten mit der Möglichkeit der Informationserhebung und der Erörterung mit Staatenvertretern und Experten, die Berichterstattung über die Menschenrechtssituation sowie die Veröffentlichung solcher Berichte und die Evaluation der Umsetzung von Empfehlungen.717 Ziel dieser Monitoring-Mechanismen ist es, Staaten dazu zu bewegen, die Einhaltung der Menschenrechte durch ihre Organe kritisch zu reflektieren und sich gegebenenfalls kritischen Nachfragen zu stellen – sowohl von Seiten der Monitoren und der internationalen Staatengemeinschaft als auch der eigenen Bevölkerung.718 Ein Beispiel für Monitoring-Einrichtungen sind die entsprechenden Instrumente des Europarates, insbesondere das Europäische Übereinkommen zur Verhinderung von Folter (CPT)719 und die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI)720. Art. 1 CPT sieht die Bildung eines Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmensch­ licher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vor, der durch Besuche vor Ort in Justizvollzugsanstalten die Einhaltung der im Europarat geltenden Standards überprüfen und den Schutz der Betroffenden gegebenenfalls verbessern soll.721 ECRI soll auf der Grundlage der EMRK, des 12. Zusatzprotokolls zur EMRK und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz in den Mitgliedstaaten des Europarats bekämpfen.722 716  Gusy,

13.

Grundrechtsmonitoring, Wirksamkeitsbedingungen und -grenzen, S. 11,

717  Vgl. die Zusammenstellung bei Gusy, Grundrechtsmonitoring, Wirksamkeitsbedingungen und -grenzen, S. 11, 15. 718  Vgl. Gusy, Grundrechtsmonitoring, Wirksamkeitsbedingungen und -grenzen, S. 11, 15. 719  Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26.11.1987, in Kraft getreten am 01.02.1989, Sammlung Europäischer Verträge Nr. 126, CPT / Inf / C (2002). 720  Zu den Statuten von ECRI, vgl. Council of Europe, Committee of Ministers, Resolution Res(2002)8 on the statute of the European Commission against Racism and Intolerance, angenommen am 13.06.2002. 721  Näher dazu, Kellberg, The European Convention for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, in: Alfredsson et al., International Human Rights Monitoring Mechanisms, S. 587, 591–593; Gusy, Der Staat 48 (2008), 511, 530 ff.  722  Vgl. dazu die Informationen des Instituts für Menschenrechte, Menschenrechtsinstrumente, Europarat, Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), abrufbar unter http: /  / www.institut-fuer-menschenrechte.de / de / men



IV. Vorschläge für eine Anpassung de lege ferenda275

ECRI erstellt dafür Länderberichte zur Situation in dem jeweiligen Signatarstaat, die auf Informationen von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen sowie auf Besuchen von ECRI-Vertretern in den jeweiligen Mitgliedstaaten beruhen. Diese Ergebnisse diskutiert ECRI anschließend mit Vertretern der nationalen Regierungen und gibt gegebenenfalls politische Empfehlungen zur Verbesserung der Situation in dem jeweiligen Land ab. Ein weiteres Beispiel für ein Monitoringinstrument auf internationaler Ebene ist der Menschenrechtskommissar des Europarates. Dabei handelt es sich um eine unabhängige und unparteiische Einrichtung, die die Menschenrechte in den Ländern des Europarates fördern und zu ihrem Schutz beitragen soll.723 Neben der Beratung und Kooperation mit nationalen Einrichtungen steht die Identifizierung etwaiger Mängel beim Menschenrechtsschutz in Gesetzgebung und Praxis des jeweiligen Staates im Vordergrund.724 Zu diesem Zweck führt der Menschenrechtskommissar Länderbesuche in den Mitgliedstaaten des Europarats durch und veröffentlicht in regelmäßigen Abständen Länderberichte, in denen die Menschenrechtssituation unter die Lupe genommen und auf Defizite hingewiesen wird.725 Zugleich werden die Ergebnisse der anderen Monitoring-Instrumente des Europarates, insbesondere von CPT und ECRI aufgegriffen und ausgewertet.726 Auch auf nationaler Ebene findet Grundrechtsmonitoring statt. In diesem Zusammenhang sind etwa die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) sowie das Deutsche Institut für Menschenrechte zu nennen.727 Die ADS berät Menschen, die von Diskriminierungen betroffen sind. Außerdem führt sie wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema „Diskriminierung“ durch und legt alle vier Jahre einen Bericht an den Deutschen Bundestag vor, der über festgestellte Benachteiligungen informiert und Empfehlungen zur deren schenrechtsinstrumente / europarat / europaeische-kommission-gegen-rassismus-und-in toleranz-ecri.html#c2495 (zuletzt abgerufen am 30.11.2012). 723  Näher zum Auftrag des Menschenrechtskommissars, vgl. Art. 1 und Art. 2 von Resolution (99) 50 on the Council of Europe Commissioner for Human Rights, adopted by the Committee of Ministers on 7 May 1999, at its 104th Session, Budapest, sowie die Aufgabenbeschreibung auf seiner Homepage, http: /  / www.coe.int / t /  commissioner / Activities / mandate_en.asp (zuletzt abgerufen am 30.11.2012). 724  Näher dazu Grundmann, Menschenrechtsmonitoring durch den Menschenrechtskommissar des Europarates, in: Gusy, Grundrechtsmonitoring, S. 49, 51. 725  Vgl. Art. 8 Abs. 1 von Resolution (99) 50 on the Council of Europe Commissioner for Human Rights. 726  So auch Grundmann, Menschenrechtsmonitoring durch den Menschenrechtskommissar des Europarates, in: Gusy, Grundrechtsmonitoring, S. 49, 51. 727  Weitere Beispiele sind der Wehrbeauftragte, der Datenschutzbeauftragte sowie die Bürgerbeauftragten der Bundesländer, vgl. Gusy, Der Staat 47 (2008), 511, 540 ff. 

276

3. Kap.: Raumordnungsrecht

Beseitigung gibt.728 Das Deutsche Institut für Menschenrechte führt ebenfalls Analysen zum Menschenrechtsschutz in Deutschland durch und veröffentlicht seine Ergebnisse in Berichten.729 Außerdem ist seit 2008 die Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention dort angesiedelt. Die Wirksamkeit von Monitoring-Instrumenten auf nationaler und internationaler wird unterschiedlich beurteilt. So weist Gusy darauf hin, dass Menschenrechtsmonitoring meist nicht unmittelbar zu einer Verbesserung der Lage führe, sondern vielmehr ein komplexer Wirkungsmechanismus in Gang gesetzt werden müsse, was besonders in demokratischen Gesellschaften mit einer kritischen Öffentlichkeit und einem stabilen grundrechtlichen Schutzniveau möglich sei.730 Im Zusammenhang mit neueren Regulierungsansätzen, etwa der regulierten Selbst- und Fremdkontrolle, könne das Monitoring-Prinzip im Bereich des Menschenrechtsschutzes künftig noch effizienter eingesetzt werden.731 Kritischer fällt die Einschätzung von Meyer-Ladewig aus. Seiner Erfahrung nach gebe es kaum Beispiele dafür, dass eine auf Grundlage eines Monitoring-Verfahrens abgegebene Empfehlung zur Änderung eines Gesetzes oder einer Praxis geführt hätte.732 Lediglich die Bilanz des CPT sei positiver zu bewerten, da das CPT zumindest zur Verbesserung der Haftbedingungen in Gefängnissen beigetragen habe.733 Positiv fällt die Bilanz von Lober hinsichtlich des Österreichischen Menschenrechtsbeirats aus, dessen Tätigkeit zu beachtlichen Verbesserungen im Bereich der Haftstandards geführt habe.734 Daher lässt sich sagen, dass das Instrument des Monitoring beim Menschenrechtsschutz durchaus seine Berechtigung hat. Es kann helfen, Missstände aufzudecken, vorausgesetzt freilich, es existiert ein Klima der Offenheit und des Dialogs, in dem missliebige Fakten nicht unterdrückt, sondern echte Verbesserungen angestrebt werden. 728  Vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Aufgaben, abrufbar unter http: /  / www.antidiskriminierungsstelle.de / DE / UeberUns / Aufgaben / aufgaben_node. html (zuletzt abgerufen am 30.11.2012). 729  Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte, Aufgaben, abrufbar unter http: /  / www.institut-fuer-menschenrechte.de / de / das-institut / aufgaben.html (zuletzt abgerufen am 30.11.2012). 730  Gusy, Grundrechtsmonitoring, Wirksamkeitsbedingungen und -grenzen, S. 11, 46 ff.  731  Gusy, Grundrechtsmonitoring, Wirksamkeitsbedingungen und -grenzen, S. 11, 48. 732  Vgl. Meyer-Ladewig, Selbstberichterstattung der Staaten, in: Gusy, Grundrechtsmonitoring, S. 105, 108 f. 733  Meyer-Ladewig, Selbstberichterstattung der Staaten, in: Gusy, Grundrechtsmonitoring, S. 105, 109. 734  Lober, Im Spannungsfeld von Beratung und Kontrolle, in: Gusy, Grundrechtsmonitoring: Wirksamkeitsbedingungen und -grenzen, S. 77, 103 f.



IV. Vorschläge für eine Anpassung de lege ferenda277

c) Monitoring im Raumordnungsrecht aa) § 9 Abs. 4 ROG Das Raumordnungsrecht selbst ist mit dem Instrument des Monitoring bereits vertraut. Nach § 9 Abs. 4 S. 1 ROG sind die erheblichen Auswirkungen der Durchführung der Raumordnungspläne auf die Umwelt auf Grundlage der in der zusammenfassenden Erklärung nach § 11 Abs. 3 ROG genannten Überwachungsmaßnahmen von der in den Landesplanungsgesetzen genannten Stelle zu überwachen, um insbesondere unvorhergesehene nachteilige Auswirkungen frühzeitig zu ermitteln und um in der Lage zu sein, geeignete Maßnahmen zur Abhilfe zu ergreifen. § 9 Abs. 4 S. 1 ROG ist wegen des systematischen Zusammenhangs mit § 11 Abs. 2 S. 1 ROG jedoch nur auf Raumordnungspläne anwendbar, bei denen eine Umweltprüfung stattfindet.735 Die Umweltprüfung dient der Vorbereitung des eigentlichen Monitoring-Verfahrens. Im Umweltbericht, welcher aus der Umweltprüfung resultiert, erfolgt eine Beschreibung sowohl des Ist-Zustands der Umwelt als auch der prognostizierten Auswirkungen eines Vorhabens auf die Umwelt.736 Auf dieser Basis findet dann das Monitoring-Verfahren statt, in dessen Rahmen untersucht wird, inwiefern die prognostizierten Umweltauswirkungen tatsächlich eingetreten sind.737 Dadurch können etwaige Abweichungen ermittelt und entsprechend bewertet werden.738 Insbesondere bei nicht erwarteten Umweltauswirkungen kann das MonitoringSystem daher als eine Art „Frühwarnsystem“ fungieren, das ein rechtzeitiges Gegensteuern ermöglicht. Außerdem werden die Planungsträger durch die Kopplung des Monitoring an den Umweltbericht bereits frühzeitig dazu gezwungen, sich mit dem Monitoring-Verfahren sowie den potentiellen Folgen eines Vorhabens auseinander zu setzen.739 Hinsichtlich der Methoden, mit deren Hilfe das Monitoring durchgeführt werden soll, enthält § 9 Abs. 4 ROG keine Vorgaben, so dass den Trägern der Raumplanung ein weiter Gestaltungsspielraum verbleibt.740 Sämtliche Monitoring-Maßnahmen sind nach Anlage 1 Nr. 3 b) zu § 9 Abs. 1 ROG im Umweltbericht zu dokumentieren. Da nach § 9 Abs. 4 S. 1 ROG nur „erheb735  Spannowsky,

in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 9 Rn. 85. in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 9 Rn. 78 u. 88; zum Monitoring im Raumordnungrecht, vgl. auch Schwan, NuR 2011, 545, 553 f.; Bovet /  Hanusch, DVBl. 2006, 1345, 1349 f. 737  Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 9 Rn. 78. 738  Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 9 Rn. 78; Hendler, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, §  9 Rn.  48. 739  Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 9 Rn. 88. 740  Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 9 Rn. 79. 736  Spannowsky,

278

3. Kap.: Raumordnungsrecht

liche Umweltauswirkungen“ beobachtet werden müssen, ist keine allumfassende Umweltbeobachtung durchzuführen, sondern die Analyse hat sich vielmehr auf solche Auswirkungen zu beschränken, welche auf die Realisierung eines Raumordnungsplans zurückzuführen sind.741 „Erheblich“ ist eine Umweltauswirkung in der Regel dann, wenn sie im Rahmen der raum­ ordnungsrechtlichen Abwägung als abwägungserheblich einzustufen wäre.742 Stellt sich im Zuge des Monitoring-Verfahrens heraus, dass tatsächlich ­unvorhergesehene, erhebliche Umweltauswirkungen eingetreten sind, kann der Planungsträger Abhilfemaßnahmen ergreifen, die aus Kompetenzgründen jedoch nur in der Änderung oder Ergänzung des Raumordnungsplans sowie in der Gestattung einer Zielabweichung nach § 6 Abs. 2 ROG be­ stehen.743 § 9 Abs. 4 ROG beruht auf den Vorgaben der SUP-Richtlinie der EU744 und beschränkt sich dementsprechend auf den Umweltbereich. Ein Monitoring-Verfahren für andere Bereiche sieht weder § 9 Abs. 4 ROG noch eine andere Vorschrift des Raumordnungsgesetzes vor. bb) Landesplanungsgesetze der Länder Auch in den Raumordnungsgesetzen der Länder ist die Idee eines Monitoring-Verfahrens vielfach verankert. So sieht § 4 Abs. 4 des Landesplanungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen vor, dass die Regionalplanungsbehörden das von § 9 Abs. 4 ROG vorgegebene Monitoring durchführen. Daneben soll insbesondere ein Siedlungsflächenmonitoring durchgeführt werden, mit dessen Hilfe das Verhältnis von Innenentwicklung und Außenentwicklung ermittelt wird, um auf dieser Grundlage Kenntnisse über den künftigen Flächenbedarf zu erhalten.745 Damit geht das Landesplanungsgesetz Nordrhein-Westfalens erheblich über die Vorgaben des ROG 2008 hinaus, indem es die Idee des Monitoring auf den Bereich der Siedlungstätigkeit überträgt. 741  Spannowsky,

in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 9 Rn. 84. in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 9 Rn. 87. 743  Hendler, in: Cholewa / Dyong / von der Heide / Arenz, Raumordnung, §  9 Rn. 48; Spannowsky, in: Spannowsky / Runkel / Goppel, ROG, § 9 Rn. 90. 744  Richtlinie 2001  /  42  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.06.2001 über die Prüfung der Umweltauswirkung bestimmter Pläne und Programme, ABl. EG Nr. L 197, S. 30 ff.  745  Vgl. etwa Bezirksregierung Düsseldorf, Bericht aus dem Siedlungsflächenmonitoring 2009, abrufbar unter http: /  / www.bezreg-duesseldorf.nrw.de / regional rat / sitzungen / 2009 / 42009 / pa / PA_Vortr_SiedlMon.pdf (zuletzt abgerufen am 03.12. 2012). 742  Spannowsky,

IV. Vorschläge für eine Anpassung de lege ferenda279



Andere Landesplanungsgesetze beschränken sich auf eine allgemeine Pflicht der Raumplanungsbehörden zur Raumbeobachtung. So schreibt Art. 31 BayLPlG lediglich vor, dass die Landesplanungsbehörden fortlaufend die raumbedeutsamen Tatbestände und Entwicklungen erfassen, verwerten und überwachen, wobei ausweislich der Begründung zu dem Gesetzentwurf analog zu § 9 Abs. 4 S. 1 ROG allein die Beobachtung erheblicher Umweltauswirkungen bezweckt wird.746 Ähnliches gilt für § 14 S. 1 des neuen Landesplanungsgesetzes von Niedersachsen aus dem Jahr 2012, der die Planungsträger unter Verweis auf § 9 Abs. 4 S. 1 ROG ebenfalls nur zur Überwachung der erheblichen Auswirkungen der Durchführung der Raumordnungspläne auf die Umwelt verpflichtet. Auch nach § 28 Abs. 4 des Landesplanungsgesetzes von Baden-Württemberg sollen nur die erheblichen Auswirkungen der Raumordnungspläne auf die Umwelt untersucht werden. Das neue Landesplanungsgesetz Sachsens enthält überhaupt keine spezifischen Monitoring-Vorschriften. In § 17 Abs. 1 wird lediglich darauf hingewiesen, dass zum Zwecke der Raumbeobachtung ein Bericht über den Stand der Landesentwicklung, über die Verwirklichung der Raumordnungspläne und über die Entwicklungstendenzen zu erstellen sei. Insgesamt lässt sich daher festhalten, dass in den Ländern vereinzelt Ansätze im Bereich des Monitoring existieren, die über das vom ROG 2008 Vorgegebene hinaus gehen, während sich die überwiegende Zahl der Bundesländer auf die Etablierung eines Monitoring-Systems im Umweltbereich beschränkt. cc) Übertragbarkeit auf andere Lebensbereiche Die Idee des Monitoring lässt sich nicht nur im Umweltbereich und im Energiewirtschaftsbereich verwirklichen, sondern kann auch auf andere Lebensbereiche übertragen werden. Monitoring wird überwiegend zur Beobachtung komplexer Systeme eingesetzt, welche ständigen Veränderungen auf Grund vielfältiger variabler Einflussfaktoren unterliegen.747 Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels bietet sich die gesetzliche Verankerung eines fachgebietsübergreifenden Monitoring-Systems an, das die Auswirkungen von Raumordnungsplänen auf die gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung, u. a. mit Einzelhandelsprodukten, beobachtet und auswertet, so dass bei Fehlentwicklungen ein frühzeitiges Eingreifen der Planungsbehörden möglich wird.748 In der Praxis existieren bereits Monitoring746  LT-Drs.

16 / 10945, S.  26. Herzmann, DVBl. 2007, 670, 671; Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, S. 260. 748  Vgl. auch Bauer / Brosius-Gersdorf, FS Siedentopf, 385, 404 ff., die sich für eine Wirkungskontrolle beim Umgang mit den demografischen Herausforderungen 747  Vgl.

280

3. Kap.: Raumordnungsrecht

Systeme, die sich auf die Bevölkerungsentwicklung beziehen,749 wobei es bislang freilich sowohl an der rechtlichen Verbindlichkeit als auch an der überörtlichen Verknüpfung fehlt. (1) Umsetzung eines Monitoring-Systems mit Hilfe geeigneter Indikatoren Zur Umsetzung eines Monitoring-Systems bedarf es geeigneter Indikatoren, mit deren Hilfe Veränderungen festgestellt werden können. Dies gilt umso mehr für Fragen der gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung, da Veränderungen in diesem Bereich auf Grund komplexer Wechselwirkungsmechanismen weniger leicht aufzudecken sind als etwa im Umweltbereich. Unter Indikatoren versteht man Anzeiger, die die Funktion haben, auf Sachverhalte hinzuweisen und Aussagen über den Sachverhalt zu treffen.750 Inhaltlich müssen Indikatoren einen Leitbild- und Zielbezug aufweisen,751 d. h. wenn untersucht werden soll, inwiefern die Raumordnungspläne die Versorgung der Bevölkerung beeinflussen, müssen Indikatoren gefunden werden, die genau an die Versorgungsproblematik anknüpfen. Als mögliche Indikatoren für den Bereich der Infrastrukturversorgung können etwa der Anteil der Siedlungsfläche mit Breitbandinternetverbindung sowie die Preisentwicklung bei der Energieversorgung in Randgebieten gegenüber städtischen Gebieten heran gezogen werden.752 Für die Frage der Flächeninanspruchnahme sowie der Umsetzung des Konzentrationsgebots kann die Entwicklung der Siedlungs- und Verkehrsfläche in den Kernstädten, dem engeren Umland und dem weiteren Umland als Indikator verwendet werden.753 Die Leistungsfähigkeit des ÖPNV kann mit Hilfe des Erschließungsgrades des ÖPNV, der durch den Anteil der Bevölkerung mit ÖPNV-Anaussprechen, ohne freilich einen konkreten Bezug zum Raumordnungsrecht herzustellen oder den Begriff des Monitoring zu verwenden. 749  Exemplarisch hierfür ist das Monitoring demographischer Wandel der Stadt Osnabrück, 2011, abrufbar unter http: /  / www.osnabrueck.de / images_design / Grafiken _Inhalt_Familiesoziales / 2011_Monitoring_demografischer_Wandel_Osnabrueck.pdf (zuletzt abgerufen am 03.12.2012); vgl. auch das Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2011 der Stadt Berlin, abrufbar unter http: /  / www.stadtentwicklung.berlin.de /  planen / basisdaten_stadtentwicklung / monitoring / download / 2011 / MonitoringSoziale Stadtentwicklung2011.pdf (zuletzt abgerufen am 03.12.2012). 750  Horváth / Reichmann, Vahlens großes Controllinglexikon, Stichwort: Indikator, S.  281 f.; Birkmann, Monitoring und Controlling, S. 62. 751  Birkmann, Monitoring und Controlling, S. 77. 752  Vgl. v. Stokar et al., Kantonale Richtplanung und Nachhaltige Entwicklung, S.  35 ff.; Birkmann, Monitoring und Controlling, S. 157. 753  Vgl. Birkmann, Monitoring und Controlling, S. 193, der für sein Fallbeispiel Ostthüringen diesen Indikator heranzieht.

IV. Vorschläge für eine Anpassung de lege ferenda281



schluss gemessen wird,754 untersucht werden.755 Für die konkrete Auswahl der Indikatoren muss in jedem Fall auf das Know-how von Fachleuten aus der Geographie bzw. Landschaftsplanung zurückgegriffen werden. Die Durchführung eines Monitoring mit Hilfe verschiedener Indikatoren verlangt außerdem die Erhebung einer Vielzahl von Daten, durch die etwaige Veränderungen transparent gemacht werden können. (2) Vom Monitoring zum Planungscontrolling Einen Schritt weiter als das Monitoring geht das Controlling. Der Begriff des Controlling stammt ursprünglich aus der Unternehmensführung und bezieht sich auf ein umfassendes Steuerungskonzept zur Verbesserung der Leistungs- und Führungsfähigkeit von Unternehmen.756 Im Zuge der Verwaltungsmodernisierung hat die Idee des Controlling auch in die staatliche Verwaltung Eingang gefunden.757 Das Controlling geht deutlich über die dem Monitoring inne wohnende Überwachung hinaus und zielt auf eine Verbindung von Beobachtung, Planung und Führung ab.758 Am Anfang eines Controlling-Prozesses im Bereich des Planungscontrolling steht eine Zielanalyse, d. h. es sind die Ziele herauszuarbeiten, die mit dem Plan verfolgt werden sollen, da andernfalls die Entwicklung geeigneter Indikatoren nicht möglich ist.759 Auf der zweiten Stufe erfolgt eine Vollzugsanalyse, mit deren Hilfe die Umsetzung eines Plans überprüft werden soll.760 Dazu sind Berichte anzufertigen, die über mögliche Veränderungen Auskunft geben.761 Am Ende eines Controllingprozesses steht ein „integriertes System von Zielsetzung, Wirkungskontrolle […] und daraus resultierender Fortschreibung der Zielsetzung“762. Ein solches Controlling-Modell ist beispielsweise in der Schweiz in der dortigen kantonalen Richtplanung bereits vielfach vorgesehen.763 Allerdings werden die Indikatoren dort bislang noch nicht im 754  Keiner,

Planungsinstrumente, S. 115. Birkmann, Monitoring und Controlling, S. 195 u. 285. 756  Vgl. Horváth / Reichmann, Vahlens großes Controllinglexikon, Stichwort: Controlling, S.  112 ff.  757  Vgl. Ritter, DÖV 2003, 93, 93 ff.  758  Ritter, DÖV 2009, 425, 431. 759  Ritter, DÖV 2005, 929, 934; Birkmann, Monitoring und Controlling, S. 319; Schultz / Keiner / Schmid, RuR 2002, 366, 368. 760  Ritter, DÖV 2005, 929, 933  f.; ähnlich auch Schultz / Keiner / Schmid, RuR 2002, 366, 368 f., die auf der zweiten Stufe allerdings noch näher unterscheiden zwischen Wirkungsanalyse und Vollzugskontrolle. 761  Ritter, DÖV 2005, 929, 934. 762  Ritter, DÖV 2009, 425, 432. 763  Vgl. Keiner, Planungsinstrumente, S.  142  ff.; Schultz / Keiner / Schmid, RuR 2002, 366, 369 ff.  755  Vgl.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Rahmen der planerischen Abwägung genutzt.764 Bei einer vollständigen Integration des Controllings in den Planungsprozess wäre dies jedoch wohl eine logische Konsequenz. (3) Kompetenzrechtliche Erwägungen In kompetenzrechtlicher Hinsicht ist problematisch, ob der Bund im Raumordnungsgesetz die Durchführung eines flächendeckenden Monitoring bzw. Planungscontrolling für die Bereiche der Umsetzung des Konzentra­ tionsgebots, der Infrastrukturversorgung oder der ÖPNV-Entwicklung verbindlich festschreiben kann. Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG i. V. m. Art. 72 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 4 GG besitzt der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Raumordnung. Eine umfassende Kompetenz für die Infrastrukturversorgung oder den ÖPNV hat der Bund dagegen nicht, so dass nach Art. 70 Abs. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz dafür grundsätzlich bei den Ländern liegt. Allerdings kann eine Annexkompetenz zur Raumordnung angenommen werden, da die Raumordnung nicht sinnvoll verwirklicht werden kann, wenn die vorbereitenden und begleitenden Maßnahmen des Monitoring nicht im Zusammenhang mit der Raumordnung durchgeführt werden können. In einem von der Problematik her ähnlich gelagerten Fall hat das Bundesverfassungsgericht eine Annexkompetenz angenommen. In dem fraglichen Fall ging es um die Kompetenz für Gesetze über Volksbefragungen und Statistik zu einem entsprechenden Gegenstand. Das Bundesverfassungsgericht hat diesbezüglich entschieden, dass die Kompetenz davon abhängt, ob der Gegenstand der Volksbefragung zur Zuständigkeit des Bundes oder des Landes gehört.765 Insoweit besteht eine Vergleichbarkeit mit dem vorliegenden Fall, in dem es im Kern um die Raumordnung geht, zu deren Durchführung das Monitoring und das Controlling in verschiedenen Lebensbereichen eingesetzt werden. Selbst wenn man diese Parallele nicht ziehen möchte, sind das Monitoring und das Controlling jedenfalls Teile des Verfahrens zur Durchsetzung der Raumordnung. Der Begriff des Verfahrens ist im weiteren Sinn zu verstehen,766 so dass nicht nur das eigentliche Verwaltungsverfahren, sondern auch dessen Vorbereitung und Begleitung darunter zu fassen ist. Das Monitoring wiederum dient der Vorbereitung und Begleitung eines Verwaltungsverfahrens, indem es die Grundlage für mögliche Änderungen bzw. Anpassungen der Raumordnungspläne bildet. Ähnliches gilt für das Planungscontrolling. In 764  Birkmann,

Monitoring und Controlling, S. 319. 8, 104, 118 f. 766  Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 19 Rn. 1; in diesem Sinn auch Windoffer, VerwArch 2011, 343, 356 f.; Schneider, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 2, § 28 Rn. 8. 765  BVerfGE



IV. Vorschläge für eine Anpassung de lege ferenda283

diese Richtung argumentiert auch die Bundesregierung in ihrer Begründung zum Gesetzesentwurf für das EAG Bau, in der sie davon ausgeht, dass die europarechtlich vorgeschriebene Einführung der Überwachungsvorschriften im Umweltbereich auf Grund des Sachzusammenhangs mit dem Aufstellungsverfahren der Bauleitpläne im Rahmen der bestehenden bundesrechtlichen Verfahrensvorschriften erforderlich sei.767 Daher ist eine entsprechende Kompetenz des Bundes für den Erlass einer Regelung über ein Monitoringund Planungscontrolling-Verfahren in Bereichen, welche das Raumordnungsrecht tangieren, zu bejahen. (4) Rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten Bei der rechtlichen Implementierung eines umfassenden MonitoringSystems im Raumordnungsgesetz ist der Gesetzgeber weitgehend frei, zumal auch § 9 Abs. 4 ROG zum Umweltmonitoring keine Detailvorgaben enthält, an die das Monitoring in anderen Lebensbereichen angepasst werden müsste.768 Ausgangsgangspunkt jedenfalls muss eine Norm sein, welche die Verpflichtung zum Monitoring verankert und die konkreten Lebensbereiche nennt, auf die sich das Monitoring beziehen soll. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels bieten sich dabei die Versorgung der Bevölkerung mit Infrastruktur, Leistungen des Einzelhandels sowie die Anbindung an den ÖPNV an. Es besteht die Möglichkeit, das Monitoring etwas umfassender zu gestalten und zusätzlich etwa auf die Arbeitsmarktsituation der Bevölkerung einzugehen.769 Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass es nicht zu einer Ausuferung der zu überwachenden Bereiche und damit zu einer lähmenden Bürokratie kommt. In einem nächsten Schritt muss der Gesetzgeber bestimmen, dass die erheblichen Auswirkungen des jeweiligen Raumordnungsplans auf die Menschen sowie deren Versorgung ermittelt und in einem Bericht, ähnlich dem Umweltbericht nach § 9 Abs. 1 ROG, aufgeführt werden. Daneben müssen die für das Monitoring zuständigen Stellen benannt werden, wobei grundsätzlich ein Rückgriff auf die nach den Landesplanungsgesetzen der Länder zuständigen Stellen in Betracht kommt. Falls solche für ein umfassendes Monitoring noch nicht existieren, könnten nach dem Vorbild von § 9 Abs. 4 ROG in den Raumordnungsplänen zuständige Stellen geschaffen werden. Alternativ wäre die Errichtung einer neuen Fachbehörde für Monitoring und Controlling möglich. Dieser Ansatz wurde im 767  BR-Drs. 756  / 03, S. 76; auch der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf diesbezüglich keine Bedenken geäußert, vgl. BR-Drs. 756 / 03 (Beschluss). 768  Vgl. Ritter, DÖV 2005, 929, 934. 769  Für ein umfassendes „Nachhaltigkeitsmonitoring“ auch Windoffer, VerwArch 2011, 343, 356.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

Rahmen der Konzeption von § 4 c BauGB von der Unabhängigen Expertenkommission zur Novellierung des Baugesetzbuches erwogen, letztlich vom Gesetzgeber aber nicht übernommen.770 Zudem ist eine Bekanntmachung der Unterlagen nach dem Vorbild von § 11 Abs. 2 und 3 ROG unerlässlich. Auf die Vorgabe der Art und Weise der Durchführung des Monitorings, etwa in Form von konkreten Indikatoren, sollte auf legislativer Ebene hingegen verzichtet werden, um den zuständigen Stellen hinreichenden Gestaltungsspielraum zu gewähren, damit diese örtlichen Besonderheiten Rechnung tragen können.771 Zu beachten sind nicht zuletzt die Anforderungen des Datenschutzes.772 Fraglich ist, ob eine Pflicht zur Ergreifung von Abhilfemaßnahmen gesetzlich vorgesehen werden sollte. § 9 Abs. 4 ROG sieht eine solche Verpflichtung nicht vor. Für die Verankerung einer Abhilfepflicht spricht, dass andernfalls das Monitoring leer laufen könnte. Dagegen spricht jedoch, dass die Abwägung bei einer etwaigen Änderung von Raumordnungsplänen nicht durch das Ergebnis eines Monitoring-Verfahrens determiniert werden darf. Allerdings könnte man einen Mittelweg dahingehend wählen, dass der Plangeber Abhilfemaßnahmen ergreifen muss, deren konkrete Ausgestaltung aber offen bleibt. Die Maßnahmen können daher theoretisch von der bloßen Überprüfung des Plans bis zur Planänderung oder Neuaufstellung reichen. Beim Controlling ist noch stärker als beim Monitoring darauf zu achten, dass die Planungsstellen die Steuerungsverantwortung inne behalten,773 weil andernfalls Inkohärenz droht. Zudem darf das Planungscontrolling nicht zu einer ständigen Veränderung der Raumordnungspläne führen, da dies erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge hätte. Es gilt vielmehr, angemessene Zyklen der Überwachung und Anpassung einzuhalten. Ritter schlägt überdies vor, zumindest in der Anfangsphase ein dezentrales Controllingsystem einzuführen und erst später Verknüpfungen zwischen den einzelnen Teilsystemen herzustellen.774 Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass eine sinnvolle Gesamtsteuerung nur dann möglich ist, wenn eine 770  Vgl. BMVBW, Novellierung des Bausgesetzbuchs, Bericht der unabhängigen Expertenkommission, Rn. 83 ff.; vgl. auch Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 4 c Rn. 6. 771  Vgl. auch BMVBW, Novellierung des Bausgesetzbuchs, Bereicht der unabhängigen Expertenkommission, Rn. 89, wo in Bezug auf § 4 c BauGB die Vorgabe der Indikatoren durch den Gesetzgeber ebenfalls abgelehnt wird. 772  Vgl. Goldschmidt / Taubenek, Stadtumbau, Rn. 837 für das Stadtumbaumonitoring, doch können vergleichbare Probleme auch beim Monitoring im Raumordnungsrecht auftreten. 773  Ritter, DÖV 2005, 929, 934. 774  Ritter, DÖV 2005, 929, 934.



IV. Vorschläge für eine Anpassung de lege ferenda285

systemweite Abstimmung stattfindet, so dass eine Steuerung auf zentraler Ebene von Anfang an vorzugswürdig erscheint.775 (5) Praktische Hürden Bei der Implementierung eines umfassenden Monitoring-Systems im Raumordnungsrecht können praktische Hürden auftreten. Zunächst müssen hinreichend aussagekräftige Indikatoren entwickelt werden, was nur dort möglich ist, wo konkrete Ziele der Raumordnung existieren.776 Sodann muss die Ausgangslage analysiert werden und in einem dem Umweltbericht nach § 9 Abs. 1 ROG vergleichbaren Bericht dargelegt werden, was bürokratischen Aufwand erfordert. Überdies ist die Erhebung statistischer Daten in großem Umfang mit erheblichen Kosten verbunden, so dass vorab geklärt werden muss, wer die anfallenden Kosten tragen soll. Außerdem können politische Widerstände gegen die Einführung eines umfassenden Monitoring-Systems bestehen, da mit Hilfe des Monitorings Fakten und Veränderungen aufgedeckt werden können, die ein Versagen politischer Entscheidungsträger implizieren. Dies gilt etwa dann, wenn durch das Monitoring ans Licht kommt, dass die Infrastrukturausstattung in einer bestimmten Region seit Jahren rückläufig ist oder sich die Anbindung an den ÖPNV konstant verschlechtert. Überdies führen die im Rahmen des Monitoring erhobenen Daten sowie deren Auswertung nicht unmittelbar zu einer Verbesserung der tatsächlichen Lage, da die grundlegenden Entscheidungen im Raumordnungsrecht auf komplexen Abwägungsvorgängen beruhen, die sich nicht auf wenige Indikatoren reduzieren lassen.777 Zudem verpflichtet das Ergebnis des Monitoring-Verfahrens die Planungsträger nicht dazu, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen,778 so dass effiziente Abhilfemaßnahmen nicht garantiert sind. Beim Planungscontrolling kommt noch hinzu, dass sich hier echte Steuerungsmöglichkeiten ergeben. Deswegen muss mit validen Indikatoren gearbeitet werden. Außerdem darf die Menge an gesammelten Daten nicht dazu führen, dass der Überblick verloren geht und letztlich das gesamte Planungssystem blockiert wird.779

775  Für ein umfassendes System zumindest beim Monitoring auch Windoffer, VerwArch 2011, 343, 356 ff.  776  Vgl. Birkmann, Monitoring und Controlling, S. 317. 777  Vgl. auch Birkmann, Monitoring und Controlling, S. 317. 778  Zu den Rechtsfolgen von § 9 Abs. 4 ROG, vgl. Spannowsky, in: Spannowsky /  Runkel / Goppel, ROG, § 9 Rn. 89. 779  Ritter, DÖV 2005, 929, 934.

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

d) Zusammenfassende Würdigung Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels erscheint die Einführung eines umfassenden Monitoring-Systems als Weg, Defizite bei der Versorgung der Bevölkerung frühzeitig aufzudecken, um so rechtzeitig gegensteuern zu können. Dies gilt umso mehr, als der demografischen Wandel ein Prozess ist, dessen genaue Auswirkungen oft nicht langfristig absehbar sein werden, so dass immer wieder Nachjustierungen bei der Planung erforderlich sind.780 Ein breit angelegtes Monitoring-System kann helfen, den verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere aus dem Sozialstaatsprinzip,781 besser gerecht zu werden. Freilich sind anfallende Kosten bei der Umsetzung sowie die fehlende unmittelbare Wirkung zu berücksichtigen, doch hat sich gerade im Bereich des Menschenrechtsmonitoring gezeigt, dass in demokratischen Gesellschaften Untersuchungen und Berichte im Einzelfall zu einer messbaren Verbesserung der Situation führen können. Diese Idee der Beobachtung und Offenlegung ist auf das Raumordnungsrecht übertragbar, zumal sie Ausdruck eines modernen Verständnisses der Verwaltungstätigkeit ist, die nicht bei der Verabschiedung eines Gesetzes oder Planes stehen bleibt,782 sondern vielmehr dessen Wirkung ständig beobachtet. Eine ähnliche Tendenz lässt sich in jüngerer Zeit auch bei Bundesgesetzen feststellen, bei denen das Bundesverfassungsgericht bei sich ändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine fortwährende Überprüfung und Weiterentwicklung der aktuellen Regelung durch den Gesetzgeber fordert.783 Ein umfassendes Planungscontrolling ist darüber hinaus in der Lage, steuernd in den Planungsprozess einzugreifen und so aktuelle Fehlentwicklungen zeitnah zu korrigieren. Langfristig können dadurch Planungsprozesse transparenter gestaltet784 und Kosten gesenkt werden. Ein umfassendes Monitoring und Planungscontrolling, das sich auf die Bereiche Infrastrukturversorgung und Einzelhandel erstreckt, hätte nicht zuletzt den Vorteil, dass dadurch eine einseitige Fokussierung auf den Umweltbereich, wie gegenwärtig von § 9 Abs. 4 ROG vorgesehen, vermieden würde und für sämtliche Belange 780  Zur Raumplanung auf unsicherer Faktenlage, mit Fokus allerdings auf ökologischen Herausforderungen, vgl. auch Kment, ZUR 2011, 127, 127 ff.  781  Näher dazu oben, 2. Kapitel, II. 1. f). 782  Vgl. Schneider, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 2, § 28 Rn. 8, 119 u. 147 ff.; Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, S. 259 ff.; Spiecker gen. Döhmann, DVBl. 2007, 1074, 1076; Windoffer, VerwArch 2011, 343, 343 ff.  783  BVerfGE 125, 175, 225 u. 257 zur Festlegung der Hartz-IV-Regelsätze. 784  Vgl. Ritter, DÖV 2005, 929, 934; Krautzberger, Europäisierung der Raumplanung, in: Jarass, Europäisierung der Raumplanung, S. 35, 38 f. in Bezug auf das Umweltmonitoring.

IV. Vorschläge für eine Anpassung de lege ferenda287



gleichermaßen fundiertes Datenmaterial zur Verfügung stünde, was wiederum Auswirkungen auf die Qualität der Abwägungsentscheidung hätte.785

2. Ergänzung des Zentrale-Orte-Konzepts durch ein Konzept der verbesserten ÖPNV-Anbindung Das ROG 2008 geht in § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 4 von der Beibehaltung des Zentrale-Ortes-Konzepts aus. Zugleich wird in § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 5 ROG die Schaffung eines integrierten Verkehrssystems angestrebt, was sowohl den PKW-Verkehr als auch den ÖPNV betrifft.786 Anders als in § 2 Abs. 2 Nr. 5 ROG a. F. wird die Stärkung des ÖPNV nicht mehr direkt im Gesetzeswortlaut erwähnt. Ebenso fehlt ein Hinweis auf einen barrierefreien Zugang zu Infrastruktureinrichtungen. Der bayerische Gesetzgeber hat in Art. 6 Abs. 2 Nr. 3 BayLPlG das Bestreben nach der Gewährleistung einer besseren Erreichbarkeit der Zentralen Orte mittels ÖPNV zum Ausdruck gebracht.787 Gleiches gilt für einen barrierefreien Zugang zu Infrastruktureinrichtungen. Diese Regelung könnte Vorbild für eine entsprechende Anpassung auf Bundesebene sein. Mit dem Abbau von Zugangsbarrieren würde den Vorgaben des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG besser Rechnung getragen.788 Eine gute Erreichbarkeit mittels ÖPNV wäre verfassungsrechtlich zumindest wünschenswert.789 Im Übrigen stünde ein Konzept, das auf eine Verbesserung der Erreichbarkeit setzt, im Einklang mit dem Europäischen Leitbild des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts, das gerade nicht auf ein hohes oder minimales Gewährleistungsniveau setzt, sondern vielmehr auf den Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse abstellt.790 Allerdings sollte sich der Gesetzgeber nicht mit einem gesetzlichen SollZiel begnügen, sondern beide Anliegen als verbindlich formulieren, um eine Gleichrangigkeit gegenüber den übrigen in § 2 Abs. 2 Nr. 3 genannten Anliegen herzustellen. Freilich wäre auch dadurch noch lange nicht gewährleistet, dass der gesetzliche Grundsatz der Raumordnung in der Praxis genau so umgesetzt wird, da die Konkretisierung erst in den nachfolgenden Raumordnungsplänen erfolgen muss und auch diese nur begrenzte Steuerungswirkung entfalten. Jedoch könnte durch eine entsprechende Gesetzesänderung 785  Ritter,

DÖV 2009, 425, 432. dazu, vgl. oben, 3. Kapitel, I. 2. d) aa). 787  Näher dazu, vgl. oben, 3. Kapitel, I. 3. a) cc) (4). 788  Vgl. dazu oben, 2. Kapitel, I. 1. c) dd). 789  Vgl. dazu oben, 2. Kapitel, II. 1. f) bb). 790  Vgl. oben, 3. Kapitel, 2. a) bb) (2). 786  Näher

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3. Kap.: Raumordnungsrecht

zumindest das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer hinreichenden ­ÖPNV-Anbindung und eines barrierefreien Zugangs erhöht werden. Die Landesentwicklungspläne der Bundesländer sehen zum Teil bereits jetzt entsprechende Ziele der Raumordnung vor. So ist nach Z 97 des LEP Sachsen-Anhalts der ÖPNV als Haltefaktor im ländlichen Raum flächendeckend zu sichern und schrittweise barrierefrei zu gestalten. Nach Z 99 ist die Sicherung der Mobilität durch Angebote des ÖPNV auch unter sich verändernden Rahmenbedingungen flächendeckend zu gewährleisten. Hierbei ist jedoch fraglich, ob die beiden genannten Plansätze hinreichend bestimmt sind, um den inhaltlichen Anforderungen eines Ziels der Raumordnung gerecht zu werden. Bestimmt genug dürfte hingegen Z 100 des Landesentwicklungsplans sein, wonach bedeutende Arbeitsplatzstandorte, allgemeinbildende und berufsbildende Schulen, große Einzelhandelseinrichtungen, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie touristische Ziele durch einen leistungsfähigen ÖPNV anzubinden sind. Im LEP Baden-Württemsbergs aus dem Jahr 2002 fehlt eine entsprechende Zielfestlegung völlig. Zwar geht Ziff. 4.1.1, 2. Grundsatz davon aus, dass durch raumordnerische Festlegungen die Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs gefördert werden soll, doch handelt es sich dabei lediglich um einen Grundsatz der Raumordnung, der im Rahmen der Abwägung leicht überwunden werden kann. Auch in Ziff. 4.1.16 plädiert der LEP BadenWürttembergs lediglich in Form von Grundsätzen für den weiteren Ausbau des ÖPNV in verdichteten Räumen bzw. für die Aufrechterhaltung eines Grundangebots in schwächer besiedelten Landesteilen. Darüber hinaus sieht Ziff. 3.3.7.3 in Form eines Grundsatzes vor, dass neue Einzelhandelsgroßprojekte nur an Standorten realisiert werden sollen wo sie zeitnah an den ÖPNV angeschlossen werden können. Der neue sächsische Landesentwicklungsplan791 schreibt in Grundsatz 3.1.1 vor, dass die Erreichbarkeit und Verknüpfung der Zentralen Orte, insbesondere auch durch den ÖPNV, bedarfsgerecht gewährleistet und die Erreichbarkeit auch peripherer ländlicher Räume durch flexible Bedienformen und innovative Mobilitätskonzepte im ÖPNV gesichert wird. Grundsatz 2.3.2.6 des Plans sieht vor, dass bei der Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelseinrichtungen eine ausreichende Anbindung an den ÖPNV gewährleistet werden soll. Eine konkrete Bindungswirkung für nachfolgende Stellen ergibt sich daraus allerdings nicht. Hier könnte eine entsprechende Regelung im Raumordnungsgesetz des Bundes ansetzen und zumindest das Problembewusstsein schärfen. Freilich 791  Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über den Landesentwicklungsplan Sachsen (Landesentwicklungsplan 2013 – LEP 2013) v. 14. August 2013.



V. Gesamtbewertung289

wäre es dann immer noch möglich, durch die Konzeption eines entsprechenden Landesplanungsgesetzes einen solchen gesetzlichen Grundsatz leer laufen zu lassen, doch ist dies als Folge eines weiten Verständnisses der Abweichungsmöglichkeit der Länder hinzunehmen.792

V. Gesamtbewertung der Steuerungswirkung des Raumordnungsrechts Die Steuerungswirkung des Raumordnungsrechts ist gegenwärtig als vergleichsweise gering einzuschätzen, was nicht zuletzt an dem hohen Stellenwert der Fachplanungen sowie an politischen Einflussmöglichkeiten liegt.793 Das Raumordnungsrecht verfügt auf Gesetzesebene, anders als beispielsweise das Bauplanungsrecht, nur über wenige bindende Vorgaben, sondern enthält stattdessen überwiegend ausfüllungsbedürftige Grundsätze der Raumordnung, die der Konkretisierung durch die Raumordnungspläne bedürfen. Auch diese planungsrechtlichen Konkretisierungen in Form von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung gewährleisten oft nur eine geringe Steuerungswirkung, insbesondere dann, wenn sie vage formuliert sind und sich eine eindeutige Interpretation nur schwer erschließt. Eine verhältnismäßig große Steuerungswirkung entfaltet die Raumordnung im Bereich der großflächigen Einzelhandelsvorhaben, da hier zumindest als Ziele formulierte Vorgaben wie das Konzentrationsgebot oder das Beeinträchtigungsverbot existieren. Anders sieht es im Bereich der überregionalen Straßenplanung aus, wo es in den Raumordnungsplänen vielfach schon an Zielen der Raumordnung fehlt und zusätzlich die Verzahnung zwischen Raumordnungsrecht und Fachplanungsrecht Probleme bereitet. Das neue Raumordnungsgesetz des Bundes enthält mit der Beibehaltung des Zentrale-Orte-Konzepts und der Gewährleistung einer Mindestversorgung in allen Teilräumen unter Einbeziehung flexibler Versorgungsstrategien zwar sinnvolle Ansätze zum Umgang mit dem demografischen Wandel, stärkt jedoch den Einfluss der Raumordnung als solches nicht,794 so dass es schwer werden wird, die Anliegen in der Praxis umzusetzen. Insbesondere die auf dem Grundgesetz basierende unklare Reichweite der Abweichungsmöglichkeit der Länder kann dazu führen, dass das Konzept des ROG 2008 bezüglich des demografischen Wandels untergraben wird und 792  Zur Abweichungsgesetzgebung, vgl. oben, 3. Kapitel, I. 3. a); a.  A. Füßer, SächsVBl. 2013, 1, 1, der von einer „Raumplanungseuphorie“ spricht. 793  Vgl. auch Scholich, RuR 2008, 475, 478, der sogar von einer „Talsohle“ der Raumordnung spricht. 794  So auch die Einschätzung von Ritter, DÖV 2009, 425, 434.

290

3. Kap.: Raumordnungsrecht

einzelne Bundesländer Sonderwege gehen, wie dies etwa das neue bayerische Landesplanungsgesetz in bestimmten Punkten vorsieht. Zudem fehlt es dem neuen Raumordnungsgesetz an Instrumenten, welche die Steuerungswirkung der Raumordnung erhöhen könnten. Als Beispiele lassen sich insbesondere die Konzepte des Monitoring und des Planungscontrolling nennen, denen durch das Raumordnungsrecht bislang kaum Beachtung geschenkt wird. Bezeichnenderweise kann jedoch in diesen – ursprünglich nicht-juristischen Mechanismen – eine Chance für die Raumordnung und das Raumordnungsrecht in der Zukunft liegen,795 zumal die Herausforderungen des demografischen Wandels im jetzigen Zeitpunkt noch nicht bis ins Detail absehbar sind und deswegen flexible Instrumente benötigt werden, um die Wirkungsweise des Raumordnungsrecht neu zu justieren. Falls sich das Raumordnungsrecht gegenüber diesen Instrumenten öffnet, könnte es gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels als integratives Rechtsgebiet wieder an Bedeutung gewinnen.

795  So

auch Scholich, RuR 2008, 475, 484.

4. Kapitel

Berücksichtigung des demografischen Wandels im Bauplanungsrecht Das Bauplanungsrecht bietet in vielerlei Hinsicht Anhaltspunkte für den Umgang mit dem demografischen Wandel und seinen Folgen. In diesem Zusammenhang ist zunächst das allgemeine Städtebaurecht mit seinen Vorgaben zur Ansiedlung von Einzelhandelsprojekten zu nennen. Darin erschöpft sich das Relegungsanliegen des Bauplanungsrechts jedoch nicht. Vielmehr hält es insbesondere in der Baunutzungsverordnung auch Vorschriften zur Berücksichtigung der spezifischen Wohnbedürfnisse älterer Menschen, allen voran zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Senioren- und Pflegeheimen bereit. Schließlich befasst sich das besondere Städtebaurecht mit der Bewältigung der bereits eingetretenen Folgen des demografischen Wandels, indem es Instrumente zur Sanierung, zum Stadtumbau sowie zum Rückbau zur Verfügung stellt.

I. Einzelhandelssteuerung 1. Städtebauliche Planung als Instrument der Einzelhandelssteuerung Der bereits auf der Ebene des Raumordnungsrechts skizzierte Konflikt zwischen den Interessen von Betreibern großflächiger Einzelhandelsvorhaben, den Ansiedlungsgemeinden sowie dem Versorgungsinteresse der Bevölkerung setzt sich auf der Ebene der städtebaulichen Planung der Gemeinden fort. Im Unterschied zum rahmenmäßig wirkenden Raumordnungsrecht beinhaltet das allgemeine Städtebaurecht differenzierte Mechanismen zur Steuerung der Ansiedlung konkreter Einzelhandelsvorhaben. Überdies beziehen sich die bauplanungsrechlichen, anders als die raumordnungsrechtlichen Steuerungsmechanismen, nicht ausschließlich auf großflächige Vorhaben, sondern regeln auch die Ansiedlung nichtgroßflächiger Vorhaben, etwa Lebensmitteldiscounter, welche die 800 m2-Schwelle nicht überschreiten. Während die Bauaufsichtsbehörden lediglich die Möglichkeit haben, durch Genehmigung oder Ablehnung eines Vorhabens steuernd einzugreifen,

292

4. Kap.: Bauplanungsrecht

besitzen die Gemeinden die Chance, durch ihr planerisches Tätigwerden die Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben aktiv mitzugestalten.1 Dadurch können die Gemeinden in ihren Flächennutzungs- und Bebauungsplänen bereits im Vorfeld die Voraussetzungen schaffen, unter denen später entsprechende Vorhaben genehmigt werden. Gleichzeitig besteht nach § 12 Abs. 1 BauGB die Möglichkeit des Erlasses eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans, der auf die Realisierung eines bestimmten Vorhabens ausgerichtet ist2 und bei dem Gemeinde und privater Bauträger in einem engen Kooperationsverhältnis stehen. Deshalb kann gerade in diesem Bereich die Ansiedlung großflächiger und nichtgroßflächiger Einzelhandelsprojekte durch die Gemeinde unter Berücksichtigung der Erfordernisse einer alternden Gesellschaft gesteuert werden.

2. Berücksichtigung des demografischen Wandels bei der Aufstellung von Flächennutzungsplänen und Bebauungsplänen In den allgemeinen Vorschriften über die Aufstellung von Bauleitplänen wird der demografische Wandel, anders im ROG 2008, nirgends erwähnt. Allerdings finden sich an verschiedenen Punkten indirekte Anknüpfungspunkte für den Umgang mit dieser Herausforderung. a) Planrechtfertigung, § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB enthält eine Planungspflicht. Danach haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Ordnung erforderlich ist. Ob und wann eine Planung erforderlich ist, liegt zunächst im planerischen Ermessen der Gemeinde, denn sie entscheidet selbst, welche städtebaulichen Ziele sie verfolgt.3 Insoweit entsteht eine aus diesen Zielen abgeleitete, derivative Planungspflicht,4 die objektiv lediglich die Gemeinde selbst bindet, Dritten jedoch keine Ansprü1  Vgl. dazu Ernst, Standortsteuerung, S.  155; Hoppe, FS v. Unruh, S. 555, 564 ff.  2  Funke, BauR 2004, 1882  ff.; Wirth, BauR 1999, 130 ff.; Bönker, in: Hoppe /  Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 13 Rn. 138. 3  St. Rspr., vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.01.1996 – 4 NB 1  /  96 –, NVwZ-RR 1997, 83, 84; BVerwG, Beschl. v. 11.05.1999 – 4 BN 15 / 99 –, NVwZ 1999, 1338, 1338; BVerwG, Urt. v. 07.06.2001 – 4 CN 1 / 01 –, DÖV 2002, 75, 75; Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 1 Rn. 35. 4  Vgl. dazu Moench, DVBl. 2005, 676, 677  f.; Söfker, in Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 1 Rn. 39 a.



I. Einzelhandelssteuerung293

che verleiht.5 Eine derivative Planungspflicht der Gemeinde kann sich auch daraus ergeben, dass ein Großvorhaben, welches erhebliche bodenrechtliche Spannungen hervorrufen kann, im Außenbereich nach § 35 BauGB zugelassen werden soll. Hier hat das Bundesverwaltungsgericht die Planungsbedürftigkeit des Vorhabens als entgegenstehenden öffentlichen Belang nach § 35 Abs. 2 BauGB eingeordnet.6 Allerdings setzt § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB der kommunalen Bauleitplanung auch gewisse Schranken, insbesondere in inhaltlicher Hinsicht, denn eine Planung ist dann nicht erforderlich, wenn sie nicht durch hinreichend gewichtige städtebauliche Belange gerechtfertigt ist.7 Ansatzpunkte für mögliche rechtfertigende Gründe ergeben sich aus § 1 Abs. 5 und 6 BauGB. Das OVG Weimar hat entschieden, dass die Abwehr der Schwächung des Stadtzentrums durch großflächige Einzelhandelseinrichtungen eine städtebaulich vertretbare Überlegung im Rahmen des § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB darstelle.8 Dadurch können großflächige Einzelhandelsbetriebe insbesondere aus Gewerbegebieten ferngehalten werden, die für den Verbraucher oft nur mit dem PKW erreichbar sind und darüber hinaus Gewerbebetrieben vorbehalten bleiben sollen. Das Bundesverwaltungsgericht hat für den Bereich des Einzelhandels entschieden, dass die Stärkung der Zentren durch Konzentration von Einzelhandelsnutzungen in den Zentren ein Anliegen sei, welches den Ausschluss von Einzelhandelsnutzungen in nicht zentralen Lagen auf Grundlage von § 1 Abs. 5 BauNVO rechtfertigen könne.9 Begründet wird dies mit dem Verweis auf die Planungsleitlinien des § 1 Abs. 6 Nr. 8 a und Nr. 4 BauGB.10 Das Gericht differenziert dabei zwischen dem Ziel des Schutzes eines konkreten, bereits bestehenden Zentrums vor zentrenschädlichen Kaufkraftabflüssen einerseits und der Stärkung der Stadtbezirks- und Ortsteilszentren durch ein kommunales Einzelhandelskonzept andererseits, wobei beide 5  BVerwG, Beschl. v. 03.08.1982 – 4 B 145  / 82 – NVwZ 1983, 92, 93; Dirnberger, in: Spannowsky  /  Uechtritz, BauGB, § 1 Rn. 33; Krautzberger, in: Battis  /  Krautzberger / Löhr, BauGB, § 1 Rn. 31. 6  BVerwG, Urt. v. 01.08.2002 – 4 C 5  / 01 –, NVwZ 2003, 86, 87; BVerwG, Beschl. v. 22.12.2009 – 4 B 25 / 09 –, ZfBR 2010, 269, 272. 7  St. Rspr., vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.05.1999 – 4 BN 15 / 99 –, NVwZ 1999, 1338, 1338; BVerwG, Beschl. v. 23.01.2003 – 4 B 79 / 02 –, NVwZ 2003, 749, 749 f.; Dirnberger, in: Spannowsky  /  Uechtritz, BauGB, § 1 Rn. 35; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  1 Rn.  32. 8  OVG Weimar, Urt. v. 22.06.2011 – 1 KO 238 / 10 –, DVBl. 2011, 1294, 1294. 9  BVerwG, Beschl. v. 10.11.2004 – 4 BN 33 / 04 – ZfBR 2005, 187, 188; BVerwG, Urt. v. 26.03.2009 – 4 C 21 / 07 –, ZfBR 2009, 463, 464. 10  BVerwG, Urt. v. 26.03.2009 – 4 C 21  / 07 –, ZfBR 2009, 463, 464; so auch OVG Münster, Urt. v. 30.11.2011 – 2 D 138 / 08.NE –, BeckRS 2011, 56764.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

Ansatzpunkte grundsätzlich legitime Ziele für einen Einzelhandelsausschluss darstellten.11 Unterschiede ergäben sich lediglich hinsichtlich der Beurteilung der Erforderlichkeit. Während es beim Schutz eines bestehenden Zentrums vor schädlichen Auswirkungen außerzentrischer Einzelhandelsvorhaben auf die Ermittlung der konkret zentrenschädlichen Sortimente ankomme, müsse dieser Aspekt bei der Stärkung eines kommunalen Einzelhandelskonzeptes nicht berücksichtigt werden.12 Die Anerkennung der Durchsetzung kommunaler Einzelhandelskonzepte als rechtfertigendes Planungsziel i. S. d. § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB erleichtert in der Praxis eine Ausschlussplanung, da der Zentrenschädlichkeitsnachweis regelmäßig schwer zu führen ist.13 Allerdings gibt es nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich des Ziels der Zentrenstärkung „sachliche Rechtfertigungsgrenzen“ dahin gehend, dass Festsetzungen, die nicht oder nicht vollständig den mit der Planung verfolgten städtebaulichen Zielsetzungen dienten, auch nicht erforderlich seien.14 Daher könne es im Einzelfall geboten sein, bestimmte Arten von Einzelhandelsbetrieben vom Einzelhandelsausschluss auszunehmen, nachdem ein Ausschluss des Einzelhandels mit nicht zentrenrelevanten Hauptsortimenten der Stärkung der Zentren in der Regel nicht diene und deswegen auch nicht erforderlich sei.15 Für eine ausgewogene Versorgung der Bevölkerung stellt diese Einschränkung keine Gefahr dar. Märkte mit nicht nahversorgungsrelevanten Sortimenten wie etwa Möbelhäuser oder Baumärkte fungieren, selbst wenn sie sich in nicht integrierten Lagen ansiedeln, nicht als Konkurrenz zu Lebensmittelläden. Insgesamt betrachtet erleichtert § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB den Gemeinden durch die Möglichkeit von Ausschlussfestsetzungen in den Bebauungsplänen die Steuerung der Einzelhandelsansiedlung in einem frühen Stadium, was bei entsprechender Handhabung den Bedürfnissen einer alternden Gesellschaft entgegenkommt. Eine Verdichtung des Planungsermessens der Gemeinde zu einer originären Planungspflicht nimmt das Bundesverwaltungsgericht in seiner „Mülheim-Kärlich-Entscheidung“ an, „wenn qualifizierte städtebauliche Gründe von besonderem Gewicht vorliegen“, was dann der Fall sein soll, wenn die Genehmigungspraxis auf Grundlage von § 34 BauGB „städtebauliche Konflikte auslöst oder auszulösen droht, die eine Gesamtkoordination der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange in einem förmlichen Planungs11  BVerwG, Urt. v. 26.03.2009 – 4 C 21  / 07 –, ZfBR 2009, 463, 464 f.; vgl. dazu auch Janning, ZfBR 2009, 437, 437; vgl. auch VGH München, Beschl. v. 11.10.2012 – 15 NE 12.1687 –, BeckRS 2012, 58267. 12  BVerwG, Urt. v. 26.03.2009 – 4 C 21 / 07 –, ZfBR 2009, 463, 464. 13  Vgl. Janning, ZfBR 2009, 437, 437; ähnlich auch Jaeger, BauR 2009, 1674, 1678 f. 14  BVerwG, Urt. v. 26.03.2009 – 4 C 21 / 07 –, ZfBR 2009, 463, 464. 15  BVerwG, Urt. v. 26.03.2009 – 4 C 21 / 07 –, ZfBR 2009, 463, 464.



I. Einzelhandelssteuerung295

verfahren dringend erfordern“.16 Die Pflicht zum planerischen Tätigwerden setze besonders gewichtige städtebauliche Gründe voraus und besitze „Ausnahmecharakter“.17 Die Tatsache, dass eine Planung vernünftigerweise geboten sei, alleine reiche nicht aus.18 Anhaltspunkte für das Vorliegen eines qualifizierten planerischen Handlungsbedarfs ließen sich beispielsweise aus der Definition der städtebaulichen Missstände nach § 136 Abs. 1–3 BauGB entnehmen.19 Daraus ergibt sich, dass eine Planungspflicht der Gemeinde nur in absoluten Extremfällen besteht. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels bedeutet dies, dass § 1 Abs. 3 BauGB in seiner Verdichtung zu einer Planungspflicht dann zu einer planungsrechtlichen Koordinierung, insbesondere der Einzelhandelsansiedlung, beitragen kann, wenn die Gemeinde sich weigert, einen Bebauungsplan aufzustellen, gleichzeitig aber auf Grundlage von § 34 BauGB Baugenehmigungen für Einzelhandelsmärkte erteilt. Die räumliche Perspektive samt Fernwirkungen nach § 11 Abs. 3 S. 2 BauNVO soll nämlich im Rahmen von § 1 Abs. 3 BauGB zu berücksichtigen sein.20 Auf Grund des Ausnahmecharakters der Planungspflicht nach § 1 Abs. 3 BauGB kann dieses Instrument zur Sicherung einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung aber nur dann herangezogen werden, wenn es um die Ansiedlung großflächiger Betriebe mit massiven Kaufkraftabzügen aus benachbarten Orten geht. Vor dem Hintergrund verfassungs- und europarechtlicher Vorgaben ist dies nicht zu beanstanden, nachdem einerseits das Sozialstaatsprinzip, welches hinter dem Gedanken der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung steht, der gesetzgeberischen Ausgestaltung bedarf,21 andererseits die kommunale Planungshoheit ihrerseits durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geschützt wird. b) Anpassung an die Ziele der Raumordnung, § 1 Abs. 4 BauGB § 1 Abs. 4 BauGB, wonach die Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen sind, kann als indirekter Anknüpfungspunkt für den Umgang 16  BVerwG, Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, ZfBR 2004, 171, 172 f. = BVerwGE 119, 25, 32. 17  BVerwG, Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, ZfBR 2004, 171, 173 = BVerwGE 119, 25, 32. 18  BVerwG, Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, ZfBR 2004, 171, 173 = BVerwGE 119, 25, 32. 19  BVerwG, Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, ZfBR 2004, 171, 173 = BVerwGE 119, 25, 32. 20  BVerwG, Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, ZfBR 2004, 171, 173 = BVerwGE 119, 25, 32 f. 21  Vgl. dazu oben, 2. Kapitel, II. 1. f) aa).

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

mit dem demografischen Wandel gesehen werden. § 1 Abs. 4 BauGB geht in seinem Anwendungsbereich als lex specialis gegenüber § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ROG vor, muss aber stets im Lichte der raumordnerischen Bindungswirkungen ausgelegt werden.22 Die Vorschrift stellt eine Raumordnungsklausel23 dar und verlangt, dass die Gemeinden bei der Aufstellung ihrer Flächennutzungs- und Bebauungspläne die in den Raumordnungsplänen verankerten Ziele der Raumordnung beachten. Andernfalls ist die entsprechende Festsetzung im Bauleitplan rechtswidrig und damit unwirksam,24 sofern nicht von der Möglichkeit der Zielabweichung nach § 6 Abs. 2 ROG Gebrauch gemacht oder der Fehler in einem ergänzenden Verfahren nach § 214 Abs. 4 behoben wird.25 Ein Bebauungsplan bleibt trotz Widerspruchs zu einem Ziel der Raumordnung, welches in einem zeitlich nachfolgenden Raumordnungsplan enthalten ist, wirksam,26 doch entsteht in diesem Fall eine Pflicht zur Anpassung an die raumordnungsrechtlichen Vorgaben. Aus § 1 Abs. 4 BauGB kann sich für die Gemeinde darüber hinaus eine Erstplanungspflicht ergeben, sobald und soweit dies zur Durchsetzung der Ziele der Raumordnung unerlässlich ist.27 Eine Planungspflicht nimmt das Bundesverwaltungsgericht allerdings nur an, „wenn die Verwirklichung von Zielen der Raumordnung bei Fortschreiten der ‚planlosen‘ städtebaulichen Entwicklung auf unüberwindbare tatsächliche oder rechtliche Hindernisse stoßen oder wesentlich erschwert würde“.28 So können etwa das Zentrale-Orte-Prinzip oder als Ziele der Raumordnung aus22  Runkel, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  1 Rn.  46; Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 1 Rn. 60; zum Verhältnis der beiden Normen auch BVerwG, Beschl. v. 20.08.1992 – 4 NB 20 / 91 –, NVwZ 1993, 167, 167 f. = BVerwGE 90, 329, 332 f. 23  Runkel, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  1 Rn.  46; Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 1 Rn. 60. 24  BVerwG, Beschl. v. 14.05.2007 – 4 BN 8 / 07 –, NVwZ 2007, 953, 953; OVG Münster, Urt. v. 11.01.1999 – 7 A 2377 / 96 –, BauR 2000, 62, 67; VGH Mannheim, Urt. v. 21.09.2010 – 3 S 324 / 08 –, BeckRS 2011, 56077; Krautzberger, in: Battis /  Krautzberger / Löhr, BauGB, § 1 Rn. 42. 25  Runkel, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  1 Rn.  62 u. 69. 26  BVerwG, Beschl. v. 14.05.2007 – 4 BN 8 / 07 –, ZfBR 2007, 576, 576; BVerwG, Beschl. v. 25.06.2007, 4 BN 17 / 07, ZfBR 2007, 683, 683 f.; OVG Lüneburg, Urt. v. 16.06.1982 – 1 A 194 / 80 –, NJW 1984, 1776, 1776; OVG Greifswald, Beschl. v. 05.11.2008 – 3 L 281 / 03 –, BeckRS 2009, 32503; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 1 Rn. 42; Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 1 Rn. 70. 27  BVerwG, Beschl. v. 08.03.2006 – 4 BN 56 / 05 –, BeckRS 2006, 22180; Runkel, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  1 Rn.  65 b. 28  BVerwG, Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, ZfBR 2004, 171, 175 = BVerwGE 119, 25, 38.



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gestaltete Konzentrations- und Kongruenzgebote in das Bauplanungsrecht hineinwirken und über die gemeindliche Bauleitplanung Außenwirkung entfalten.29 Eine Überwindung der Ziele der Raumordnung im Wege der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB ist nicht möglich.30 Nach der hier vertretenen Auffassung sind Konzentrations-, Kongruenz- und Integrationsgebote sowie Beeinträchtigungsverbote in den Raumordnungsplänen mit der kommunalen Planungshoheit aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich vereinbar,31 so dass sich insoweit die Problematik der Bindungswirkung rechtswidriger Ziele der Raumordnung nicht stellt. Sollte ein Ziel der Raumordnung im Einzelfall unwirksam sein, besitzt die Gemeinde kein Verwerfungsrecht, sondern muss eine gerichtliche Klärung anstrengen.32 Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist die Vorschrift deswegen bedeutsam, weil im Raumordnungsrecht das Leitprinzip einer nachhaltigen Raumentwicklung mit gleichwertigen Lebensverhältnissen in allen Teilräumen verankert ist und diese Vorgaben über § 1 Abs. 4 BauGB ins Bauplanungsrecht transferiert werden. Die Vorschrift stellt daher sicher, dass sich die Gemeinden in ihrer Bauleitplanung nicht über die Ziele der Raumordnung hinwegsetzen können. c) Leitvorstellung einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung, § 1 Abs. 5 BauGB § 1 Abs. 5 BauGB enthält Planungsleitlinien für die Bauleitplanung. Nach § 1 Abs. 5 S. 1 BauGB sollen die Bauleitpläne eine nachhaltige städtebau­ liche Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt, und eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten. Ähnlich wie in § 1 Abs. 2 ROG findet sich auch hier ein Dreiklang aus sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Zielen.33 Das Nachhaltigkeitsprinzip dient dabei als Vorgabe für die planerische Abwägung,34 wobei der Mehrwert der Nachhaltigkeitsprüfung ausschließlich in der Phase der Ermittlung der abwägungs29  Krautzberger,

in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 1 Rn. 40. Beschl. v. 20.08.1992 – 4 NB 20 / 91 –, NVwZ 1993, 167, 168 = BVerwGE 90, 329, 334 f. 31  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (a), bb) (2) (a), cc) (4) (a) und dd) (2) (a). 32  Zur Bindungswirkung rechtswidriger Ziele, BVerwG, Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, ZfBR 2004, 171, 175 = BVerwGE 119, 25, 40; zu den Handlungsmöglichkeiten der Gemeinde vgl. Ernst, Standortsteuerung, S. 174. 33  Näher dazu, siehe oben, 3. Kapitel, I. 2. a) aa). 34  Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 1 Rn. 45. 30  BVerwG,

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

relevanten Belange liegt und die prognostische Komponente der Belangermittlung verstärkt.35 Nicht übersehen werden darf, dass, ebenso wie im Raumordnungsrecht, die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum, die im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel relevant werden, nicht die einzigen zu berücksichtenden Belange sind, sondern mit dem Umweltschutz ein weiterer Belang auf gleicher Ebene steht. Deswegen kommt eine einseitige Orientierung an den wirtschaftlichen und sozialen Folgen des demografischen Wandels sowie deren Vermeidung von vornherein nicht in Betracht.36 Aus diesem Grund geht Mitschang davon aus, dass durch den Nachhaltigkeitsgrundsatz rein faktisch die Umwelt- und Naturschutzbelange gestärkt werden,37 so dass die Auswirkungen von § 1 Abs. 5 S. 1 BauGB auf die Probleme des demografischen Wandels sehr überschaubar sein dürften. Durch die BauGB-Novelle 201338 neu eingefügt wurde § 1 Abs. 5 S. 3 BauGB, wonach die städtebauliche Entwicklung vorrangig durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgen soll. Dadurch wird die Innenentwicklung zu einer allgemeinen Planungsleitlinie, nicht jedoch zu einem Optimierungsgebot im Rahmen der Abwägung, was sich schon an der einschränkenden Formulierung durch das Wort „soll“ ablesen lässt.39 Für die Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels hat die neu eingefügte Regelung daher lediglich „Appellcharakter“40. d) Bei der Abwägung zu berücksichtigende Belange, § 1 Abs. 6 BauGB Die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Belange sind wegen der Formulierung „insbesondere“ nicht abschließend, sondern es können weitere, ungeschriebene Belange herangezogen werden. Zwar ist die Steuerungswirkung dieser Vorgaben im Vergleich zum materiellen Abwägungsgebot als gering einzuschätzen,41 man kann an der Auflistung der Belange aber immerhin 35  Ausführlich

dazu oben, 3. Kapitel, I. 2. a) aa). oben, 3. Kapitel, I. 2. a) aa). 37  Mitschang, zit. nach Stüer / Hönig, DVBl. 1999, 1717, 1717; Mitschang, ZfBR 1999, 125, 133. 38  Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts v. 11.06.2013, BGBl. I, 2013, S.  1548 ff.  39  Näher dazu Battis / Mitschang / Reidt, NVwZ 2013, 961, 962; Mitschang, ZfBR 2013, 324, 326 f. 40  Uechtritz, BauR 2013, 1354, 1355. 41  Dirnberger, in: Jäde  / Dirnberger / Weiß, BauGB / BauNVO, § 1 Rn. 72; in diese Richtung auch Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 1 Rn. 50. 36  Vgl.



I. Einzelhandelssteuerung299

ablesen, welche Probleme der Gesetzgeber als wichtig angesehen hat und ob der demografische Wandel und seine Wechselwirkungen mit der Einzelhandelssteuerung dazu gehören. aa) Erhaltung und Umbau, § 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB § 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB verlangt die Berücksichtigung der Erhaltung, Erneuerung, Fortentwicklung, Anpassung und des Umbaus vorhandener Ortsteile sowie der Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche. Unter „Erhaltung“ wird dabei die Erhaltung vorhandener Ortsteile als selbständiger städtebaulicher Faktor42 verstanden, was in Zukunft vor allem deswegen von Bedeutung sein wird, weil in manchen Gegenden angesichts stark rückläufiger Bevölkerungszahlen ganze Ortsteile wegzubrechen drohen. „Anpassung“ und „Umbau“ beschreiben mögliche Reaktionen auf die künftige Bevölkerungsentwicklung. Die Aspekte der Anpassung und des Stadtumbaus wurden im Zuge des EAG Bau 200443 neu in § 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB aufgenommen, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Leerstandsproblematik nicht nur in Ostdeutschland auftritt, sondern eine Herausforderung für das gesamte Bundesgebiet darstellt.44 Die Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche wurde durch die BauGBNovelle im Jahr 2007 eingefügt. Dieser Belang ist von großer städtebau­ licher Bedeutung, da er die Stärkung der Innenentwicklung und die Sicherstellung der wohnortnahen Versorgung der Bevölkerung bezweckt, was gerade angesichts der steigenden Anzahl an älteren Menschen relevant wird.45 Der Begriff des zentralen Versorgungsbereichs ist im Raumordnungsrecht und im Bauplanungsrecht deckungsgleich und meint sowohl Innenstadtzentren als auch Nebenzentren in Stadtteilen und Grund- und Nahversorgungszentren in Stadt- und Ortsteilen und nichtstädtischen Gemeinden.46 Durch die Vorschrift soll eine Bauleitplanung ermöglicht werden, die einerseits die Voraussetzungen für die Ansiedlung von entsprechenden Betrieben in den zentralen Versorgungsbereichen schafft, zugleich aber verhindert, dass außerhalb der zentralen Versorgungsbereiche Vorhaben verwirklicht werden, die diese Versorgungsbereiche gefährden.47 42  Söfker,

in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  1 Rn.  130. zur Anpassung des Baugesetzbuches an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau – EAG Bau) vom 24.06.2004, BGBl I, S. 1359; Neufassung des Baugesetzbuches vom 23.09.2004, BGBl I, S. 2492. 44  BT-Drs. 15 / 2250, S.  37. 45  Vgl. dazu auch die Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 16 / 3308, S. 16. 46  BT-Drs. 16 / 2496, S. 11; vgl. auch oben, 3. Kapitel, I. 2. d) aa). 47  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  1 Rn.  130. 43  Gesetz

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

bb) Versorgung der Bevölkerung, § 1 Abs. 6 Nr. 8 a) und e) BauGB Nach § 1 Abs. 6 Nr. 8 lit. a) BauGB sind die Belange der Wirtschaft, auch ihrer mittelständischen Struktur im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass im Rahmen der Bauleitplanung den Interessen der Verbraucher an einer wohnortnahen Vorsorgung besondere Beachtung geschenkt werden muss, um eine Verödung der Innenstädte, bestimmter Stadtviertel oder ländlicher Gebiete zu verhindern.48 Dabei ist zu beachten, dass das Städtebaurecht wettbewerbsneutral bleiben muss, d. h. es darf nicht als Steuerungsinstrument zur Beeinflussung der Marktverhältnisse instrumentalisiert werden.49 Die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung setzt voraus, dass Einzelhandelsbetriebe an Standorten errichtet werden, die gut erreichbar sind50 und daher auch von älteren, oft immobilen Menschen ohne größere Schwierigkeiten aufgesucht werden können. Allerdings wird die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung nur im Zusammenhang mit der mittelständischen Wirtschaft angesprochen. Dies wirft die Frage auf, ob die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung als selbständiger Belang zu bewerten ist oder ob sie allein im Zusammenhang mit der Wirtschaftsförderung von Relevanz ist. Für Letzteres spricht, dass sich § 1 Abs. 6 Nr. 8 lit. a) BauGB ausschließlich mit dem Thema „Wirtschaft“ befasst, das durch den Nachsatz, der die verbrauchernahe Versorgung erwähnt, lediglich konkretisiert wird.51 Diese Auslegung wird gestützt durch einen Vergleich mit den anderen in § 1 Abs. 6 Nr. 8 BauGB erwähnten Themen, die jeweils mit einem eigenen Stichwort bezeichnet sind. Dies spricht dafür, dass in lit. a) das Thema „Wirtschaft“ als entscheidender Punkt anzusehen ist, nicht die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung an sich. Daher ist die verbrauchernahe Versorgung selbst kein eigenständiger Belang nach § 1 Abs. 6 BauGB, sondern muss über die Erhaltung zentraler Versorgungsbereiche § 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB berücksichtigt werden.52 Verfassungsrechtlich ist dies nicht zu beanstanden, da aus dem Sozialstaatsprinzip in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie nicht folgt, dass die Versorgung mit Einkaufsmöglich48  Vgl. BT-Drs. 16  /  3308, S. 16; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 1 Rn. 72. 49  BVerwG, Beschl. v. 26.02.1997 – 4 NB 5  /  97 –, NVwZ 1997, 683, 683; Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 1 Rn. 107. 50  Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 1 Rn. 72. 51  So im Ergebnis wohl auch Dirnberger, in: Spannowsky  /  Uechtritz, BauGB, § 1 Rn. 108, der auf den Zusammenhang mit den Belangen der Wirtschaft hinweist. 52  So im Ergebnis auch Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 1 Rn. 161.



I. Einzelhandelssteuerung301

keiten und Dienstleistungsangeboten unmittelbar vor Ort erfolgen müsste, sondern lediglich, dass eine entsprechende Versorgung mit dem zum Leben Notwendigen überhaupt gegeben sein muss. cc) Personen- und Güterverkehr einschließlich ÖPNV, § 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB § 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB spricht davon, dass die Belange des Personenund Güterverkehrs und der Mobilität der Bevölkerung, einschließlich des öffentlichen Personennahverkehrs und des nicht motorisierten Verkehrs, unter besonderer Berücksichtigung einer auf Vermeidung und Verringerung von Verkehr ausgerichteten städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden sollen. Das Städtebaurecht kann die Abstimmung der Siedlungsentwicklung mit dem ÖPNV steuern und Einrichtungen des ÖPNV schaffen, indem etwa Flächen für Bushaltestellen in den Bebauungsplänen vorgesehen werden.53 Zu den Belangen der Mobilität der Bevölkerung gehören sowohl die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen als auch jene Faktoren, die im städtebaulichen Bereich den Grad der Mobilität der Bevölkerung beeinflussen.54 Der Gesichtspunkt der Mobilität wurde durch das EAG Bau 2004 in § 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB neu aufgenommen, um dem Nachhaltigkeitsgedanken Rechnung zu tragen.55 Durch die Erwähnung des ÖPNV und der Verkehrsvermeidung setzt der Gesetzgeber einen Akzent dahin gehend, dass die Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen und Einkaufsmöglichkeiten zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln verbessert werden soll, was nicht nur dem Umweltschutz, sondern auch dem Umgang mit dem demografischen Wandel dient. dd) Städtebauliche Entwicklungskonzepte, § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB Nach § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB sind bei der Aufstellung eines Bauleitplans auch die Ergebnisse eines von der Gemeinde beschlossenen städtebaulichen Entwicklungskonzepts oder einer von ihr beschlossenen sonstigen städtebaulichen Planung zu berücksichtigen. Städtebauliche Entwicklungskonzepte waren in der Vergangenheit häufig im Zusammenhang mit Maßnahmen des Stadtumbaus relevant gewesen.56 Zu den städtebaulichen Ent53  Söfker,

in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  1 Rn.  168. in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  1 Rn.  168 a; Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 1 Rn. 118. 55  Vgl. BT-Drs. 15 / 2250, S. 40. 56  Vgl. Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 1 Rn. 77. 54  Söfker,

302

4. Kap.: Bauplanungsrecht

wicklungskonzepten zählen auch Einzelhandelskonzepte.57 Erforderlich ist lediglich, dass das in Rede stehende Entwicklungskonzept von dem nach Kommunalrecht zuständigen Organ der Gemeinde beschlossen wurde.58 Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist die Vorschrift insoweit bedeutsam, als Einzelhandelskonzepte, die zur Steuerung des kommunalen Einzelhandels ausgearbeitet wurden, in die förmliche Planung Eingang finden und auf diese Weise Fehlansiedlungen von Einzelhandelsgroßbetrieben unterbinden helfen können. Entsprechendes gilt für Entwicklungskonzepte im Bereich des Stadtumbaus, der angesichts rückläufiger Bevölkerungszahlen in vielen Landesteilen unumgänglich sein wird. Zu bedenken ist allerdings, dass das Gewicht des städtebaulichen Entwicklungskonzepts als abwägungsrelevanter Belang umso geringer ist, je häufiger und umfangreicher die Gemeinde in der Vergangenheit davon abgewichen ist.59 Daher sollte die Gemeinde auf eine möglichst konsistente Anwendung des von ihr aufgestellten Einzelhandelskonzepts bedacht sein. e) Abwägungsgebot, § 1 Abs. 7 BauGB Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Die Vorschrift nimmt damit Bezug auf das Herzstück der Ausarbeitung von Bauleitplänen, die Abwägung. Es versteht sich von selbst, dass die Ausgestaltung der Abwägung erhebliche Auswirkungen auf den Inhalt der Bauleitpläne hat, was wiederum für die Einzelhandelssteuerung von Bedeutung ist. Im Rahmen der Abwägung sind die abwägungserheblichen Belange von der Gemeinde zunächst zu ermitteln und in die Abwägung einzustellen. Anschließend sind sie zu gewichten, bevor im Rahmen der eigentlichen Abwägungsentscheidung die konfligierenden und konkurrierenden Belange in Ausgleich gebracht werden.60 Belange des demografischen Wandels und der Einzelhandelssteuerung nehmen bei der Abwägung keine Sonderstellung ein, da es insoweit an einem Optimierungsgebot vergleichbar dem des § 1a BauGB für die Belange des 57  Dirnberger,

in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 1 Rn. 126. in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  1 Rn.  174; Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 1 Rn. 128. 59  BVerwG, Urt. v. 29.01.2009 – 4 C 16.07 –, NVwZ 2009, 1103, 1107; OVG Lüneburg, Urt. v. 27.04.2011 – 1 KN 19 / 09 –, BeckRS 2011, 52225; VG Göttingen, Urt. v. 22.10.2009 – 2 A 247 / 07 –, BeckRS 2009, 41337. 60  Zu den Anforderungen an die Abwägung, vgl. BVerwGE 34, 301, 308 ff.; 45, 309, 312 ff.; 47, 144, 146; 59, 87, 98; BVerwG, Urt. v. 29.04.2010 – 4 CN 3 / 08 –, NVwZ 2010, 1430, 1431; vgl. auch Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffent­ liches Baurecht, § 7 Rn. 32 ff.  58  Söfker,



I. Einzelhandelssteuerung303

Umweltschutzes fehlt. Auch der in § 1 Abs. 5 BauGB verankerte Gedanke der Nachhaltigkeit beeinflusst die Abwägung nur insofern, als er die Phase der Ermittlung der abwägungsrelevanten Belange tangiert und die prognostische Komponente der Belangermittlung verstärkt.61 Die dogmatische Ausgestaltung des bauplanungsrechtlichen Abwägungsgebots verhält sich daher in Bezug auf die Herausforderungen des demografischen Wandels neutral. f) Interkommunale Abstimmung und Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche, § 2 Abs. 2 BauGB aa) § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB Nach § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB sind die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen. Durch die Vorschrift soll ein „Mindestbestand interkommunaler Zusammenarbeit“62 gewährleistet werden, zumal die planerische Zulassung bestimmter Vorhaben erhebliche Auswirkungen auf benachbarte Gemeinden haben kann. So kann etwa die Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes zu erheblichen Kaufkraftabflüssen aus den umliegenden Gemeinden führen. § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB ist auf städtebauliche Belange beschränkt, so dass raumordnerische Vorgaben, insbesondere Ziele der Raumordnung, insoweit nicht berücksichtigt werden müssen.63 Das interkommunale Abstimmungsgebot verleiht der Nachbargemeinde ein Recht i. S. d. § 47 Abs. 2 VwGO, so dass sie Rechtsschutz durch einen Normenkontrollantrag erhalten kann.64 Benachbart sind Gemeinden nicht nur dann, wenn sie räumlich unmittelbar aneinander angrenzen, sondern es kommt vielmehr auf die überörtlichen Auswirkungen einer Planung an, so dass die Abstimmungspflicht gegebenenfalls auch gegenüber weiter entfernt liegenden Gemeinden besteht.65 Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist die Vorschrift deswegen relevant, weil dadurch Planungen, insbesondere hinsichtlich großflächiger Einzelhandelsbetriebe, koordiniert wer­ den können. 61  Ausführlich

dazu oben, 3. Kapitel, I. 2. a) aa) sowie 4. Kapitel, I. 2. c). in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 2 Rn. 22. 63  Vgl. BT-Drs. 15  / 2250, S. 41; zu § 2 Abs. 2 a. F. vgl. auch Heilshorn / Seith, VBlBW 2004, 409, 412. 64  Uechtritz, BauR 1999, 572, 584; Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 2 Rn. 24. 65  BVerwG, Beschl. v. 09.01.1995 – 4 NB 42 / 94 –, NVwZ 1995, 694, 695; VGH München, Beschl. v. 25.06.1998 – 1 NE 98.1023 –, UPR 1998, 467, 467 f.; VGH München, Urt. v. 03.05.1999 – 1 N 98.1021 –, NVwZ 2000, 822, 823; BVerwG, Urt. v. 22.06.2011 – 4 CN 4 / 10 –, NVwZ 2011, 1468, 1470; Bönker, in: Hoppe / Bönker /  Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 5 Rn. 142. 62  Battis,

304

4. Kap.: Bauplanungsrecht

bb) § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB wurde durch das EAG Bau 2004 in das Baugesetzbuch eingefügt und sieht vor, dass sich die Gemeinden bei der interkommunalen Abstimmung auch auf die ihnen durch die Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie auf Auswirkungen auf ihre zentralen Versorgungsbereiche berufen können. Dies gilt insbesondere für die auf dem Zentrale-Orte-Prinzip basierenden Konzentrations- und Kongruenzgebote sowie für das Beeinträchtigungsverbot.66 Durch die Vorschrift kommt es zu einer Subjektivierung der Ziele der Raumordnung, da nach der Gesetzesbegründung eine begünstigende Funktion, die einer Gemeinde durch ein Ziel der Raumordnung zugewiesen wird, der gemeindlichen Planungshoheit zugerechnet und dadurch vor Gericht durchsetzbar werden soll.67 Während § 1 Abs. 4 BauGB die Gemeinden zur Anpassung ihrer Bauleitpläne an die Ziele der Raumordnung verpflichtet, folgt aus § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB ein Recht der planenden Gemeinde, ihre so ausgerichtete Planung gegen eine die zentralörtliche Funktion störende und damit raumordnungswidrige Planung einer benachbarten Gemeinde zu verteidigen.68 Dogmatisch gesehen stellt die Vorschrift eine Durchbrechung des Systems der Ziele der Raumordnung dar, da es sich bei Zielen der Raumordnung grundsätzlich um rein objektiv-rechtliche Vorschriften handelt,69 die durch § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB nunmehr zu einem Recht der planenden Gemeinde aufgeladen werden.70 Allerdings kann sich die Nachbargemeinde in Folge von § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB nicht auf jegliche Ziele der Raumordnung berufen, sondern entscheidend ist vielmehr, ob mit einem Ziel der Raumordnung auch eine Funktionszuweisung, etwa als Zentraler Ort, verbunden ist.71 Für den Bereich der Einzelhandelssteuerung ist diese Einschränkung nicht von Bedeutung, nachdem die darauf bezogenen Ziele der Raumordnung stets die der Gemeinde zuteil gewordene Funktionszuweisung tangieren. 66  Hoppe, NVwZ 2004, 282, 283; Heilshorn / Seith, VBlBW 2004, 409, 412; in diese Richtung auch Kment, UPR 2005, 95, 97. 67  BT-Drs. 15 / 2250, S.  41. 68  BT-Drs. 15 / 2250, S.  41. 69  OVG Weimar, Urt. v. 19.12.2002 – 1 N 501  / 01 –, BauR 2003, 1862, 1864; VGH Mannheim, Urt. v. 27.02.1987 – 5 S 2472 / 86 –, NVwZ 1987, 1088, 1089. 70  Kritisch dazu, vgl. Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 5 Rn. 143; Hoppe, NVwZ 2004, 282, 282 ff.  71  BVerwG, Beschl. v. 03.08.2011 – 4 BN 15 / 11 –, ZfBR 2011, 777, 778; Kment, UPR 2005, 95, 97; Berkemann, in: Berkemann / Halama, Erstkommentierungen zum BauGB 2004, § 2 Rn. 27  ff.; Uechtritz, in: Spannowsky  /  Uechtritz, BauGB, § 2 Rn. 38.



I. Einzelhandelssteuerung305

§ 2 Abs. 2 S. 2 BauGB sieht darüber hinaus vor, dass sich eine Gemeinde auf Auswirkungen auf ihre zentralen Versorgungsbereiche72 berufen kann. Der materielle Gehalt der Vorschrift geht nicht über den des § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB hinaus, sondern die Erwähnung der zentralen Versorgungsbereiche hat rein deklaratorischen Charakter,73 nachdem auch im Rahmen des § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB die zentralen Versorgungsbereiche benachbarter Gemeinden zu berücksichtigen sind. Die Vorschrift zielt auf eine Verbesserung der standortgerechten Steuerung des Einzelhandels ab74 und erfasst sämtliche Stufen der zentralen Versorgungsbereiche.75 Sie schützt nicht nur vor der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten i. S. d. § 11 Abs. 3 Bau­ NVO, sondern erfasst auch kleinere Betriebe, sofern diese einen zentralen Versorgungsbereich einer benachbarten Gemeinde gefährden.76 Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche von Nachbargemeinden werden von der Rechtsprechung dann angenommen, wenn beim Kriterium des Kaufkraftabflusses beim innenstadtrelevanten Einzelhandel ein Schwellenwert von 10 % überschritten wird,77 wobei dieser Prozentsatz lediglich bei der Abwägung von Bedeutung sein, jedoch keine absolute Obergrenze für noch zumutbare Auswirkungen markieren soll.78 Das Bundesverwaltungsgericht hat bislang keine numerisch-präzisen Schwellen- oder Rahmenwerte dahin gehend angegeben, ab wann eine unzumutbare bzw. rücksichtslose Auswirkung auf Nachbargemeinden vorliegt.79 In der Literatur wird kritisiert, dass die bloße Betrachtung der konkret prognostizierten Umsatzverteilungen als alleiniger Maßstab für eine Unverträglichkeit von Einzelhandels-

72  Zum

Begriff vgl. unten, 4. Kapitel, I. 2. h) aa) und 4. a) bb). VBlBW 2004, 409, 412; Uechtritz, NVwZ 2004, 1025,

73  Heilshorn / Seith,

1026. 74  Uechtritz, in: Spannowsky  / Uechtritz, BauGB, § 2 Rn. 34; vgl. auch BT-Drs. 15 / 2250, S.  41 f. 75  Vgl. dazu auch Battis, DVBl. 2011, 196, 198. 76  Battis, DVBl. 2011, 196, 198. 77  OVG Münster, Urt. v. 05.09.1998 – 10 A 6429  / 96 –, BauR 1998, 309, 312; OVG Koblenz, Beschl. v. 08.01.1999 – 8 B 12650-98 –, NVwZ 1999, 435, 438; VGH München, Urt. v. 07.06.2000 – 26 N 99.2961 u. a. –, BayVBl. 2001, 175, 178; OVG Münster, Urt.v. 06.06.2005 – 10 D 148 / 04.NE –, BauR 2005, 1587, 1593; kritisch dazu Schmitz / Federwisch, Einzelhandel und Planungsrecht, § 11 Rn. 362 ff., die das Kriterium des Kaufkraftabflusses grundsätzlich als ungeeignet erachten; kritisch hinsichtlich des Schwellenwertes, Otting, DVBl. 1999, 595, 595. 78  OVG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 16.12.1998 – 3 B 116-98 –, NVwZ 1999, 434, 434 f.; VGH München, Urt. v. 07.06.2000 – 26 N 99.2961 u. a. –, BayVBl. 2001, 175, 178. 79  Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14  / 01 –, ZfBR 2004, 171, 174 = BVerwGE 119, 25, 40 f.; Beschl. v. 03.08.2011 – 4 BN 15 / 11 –, ZfBR 2011, 777, 778.

306

4. Kap.: Bauplanungsrecht

projekten nicht geeignet sei.80 Dem ist insoweit zuzustimmen, als weitere Faktoren wie die Größe und Lage des Projekts sowie die Branche und das Sortiment mit in die Beurteilung einbezogen werden sollten, um einen aussagekräftigeren Wert zu erhalten. In Bezug auf die Versorgungssituation der Bevölkerung brachte die Einfügung der zentralen Versorgungsbereiche in § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB inhaltlich nichts Neues. Jedoch geht von der deklaratorischen Erwähnung ein Signal dahin gehend aus, dass die wohnortnahe Versorgung gerade auch älterer Menschen aufrecht erhalten bleiben soll.81 Das Abstellen auf den Kaufkraftabzug als alleiniges Kriterium für die Annahme einer Beeinträchtigung ist in Fällen problematisch, in denen der Schwellenwert zwar nicht erreicht wird, es jedoch auf Grund der Lage des Einzelhandelsbetriebs zu erheblichen Kaufkraftabzügen aus der Nachbargemeinde kommt.82 Bereits hier kann die Nahversorgung in der Nachbargemeinde empfindlich beeinträchtigt sein, was besonders für ältere und / oder nicht mobile Menschen zu einem Problem wird. g) Darstellung zentraler Versorgungsbereiche im Flächennutzungsplan, § 5 Abs. 2 Nr. 2 d) Der Begriff des zentralen Versorgungsbereichs83 hat sich durch die letzten Novellierungen des Baugesetzbuchs zu einem Schlüsselbegriff der Einzelhandelssteuerung entwickelt.84 Im Rahmen der BauGB-Novelle 201385 wurde mit § 5 Abs. 2 Nr. 2 d) BauGB eine Vorschrift eingefügt, die es explizit erlaubt, zentrale Versorgungsbereiche bereits auf der Ebene des Flächennutzungsplans auszuweisen. Dies gilt, anders als im Fall von § 34 Abs. 3 BauGB, auch für erst noch zu entwickelnde zentrale Versorgungsbereiche.86 Dadurch soll die wohnortnahe Versorgung der Verbraucher sicher gestellt werden, gerade auch angesichts der geringeren Mobilität älteetwa Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, S. 331 f. auch Battis, DVBl. 2011, 196, 198. 82  Vgl. das Beispiel bei Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, S. 333. 83  Zum Begriff siehe unten, 4. Kapitel, I. 2. h) aa) und 4. a) bb). 84  Vgl. auch BMVBS, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts, S.  17, abrufbar unter http: /  / www.bmvbs.de / cae / servlet / contentblob / 78756 /  publicationFile / 51404 / baugesetzbuch-referentenentwurf-14-02-2012.pdf (zuletzt abgerufen am 05.12.2012). 85  Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts v. 11.06.2013, BGBl. I, 2013 Nr. 29 v. 20.06.2013, S. 1548. 86  Krautzberger / Stüer, DVBl. 2013, 805, 810. 80  So

81  Vgl.



I. Einzelhandelssteuerung307

rer Menschen.87 Somit wird auf der Stufe der bauplanerischen Grobsteuerung die Ausweisung zentraler Versorgungsbereiche nunmehr ausdrücklich ermöglicht, nachdem derartige Festsetzungen auf Grund des nicht abschließenden Kataloges des § 5 Abs. 2 BauGB faktisch auch schon vor der BauGB-Novelle 2013 möglich waren,88 von den Gemeinden bislang jedoch selten getroffen wurden. Dies ist insofern relevant, als Flächennutzungspläne, anders als Bebauungspläne, für das gesamte Gemeindegebiet erstellt werden und dadurch kommunale Einzelhandelskonzepte frühzeitig für die gesamte Gemeinde planerisch umgesetzt werden können.89 Auf Grund einer entsprechenden Festsetzung im Flächennutzungsplan wird die Gemeinde für die nachfolgende Aufstellung von Bebauungsplänen gebunden, nachdem ein Bebauungsplan nach § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB grundsätzlich aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln ist, d. h. nicht ohne Flächennutzungsplan oder mit einem wesentlich davon abweichendem Inhalt beschlossen werden darf.90 Letztlich wird durch die normative Klarstellung eine Lücke geschlossen zwischen der Zentrenorientierung des Raumordnungsrechts und dem Schutz zentraler Versorgungsbereiche im Rahmen der Feinsteuerung durch die Bebauungspläne. Darüber hinaus erhalten die bislang wenig demokratisch legitimierten Einzelhandelskonzepte durch die Überführung in ein Planungsverfahren eine erhöhte demokratische Legitimation. Schröer / Kullick gehen davon aus, dass die Neuregelung auch Auswirkungen auf die Anwendung von § 34 Abs. 3 BauGB haben wird, ohne jedoch näher ins Detail zu gehen.91 Dies ist insoweit richtig, als Probleme bei der Bestimmung eines zentralen Versorgungsbereichs künftig leichter gelöst werden können, wenn bereits der Flächennutzungsplan entsprechende Vorgaben macht, wobei freilich zu bedenken ist, dass das Vorliegen eines zentralen Versorgungsbereichs im Rahmen von § 34 Abs. 3 BauGB nach der Rechtsprechung allein von den tatsächlichen Verhältnissen abhängt.92 Die größte Schwierigkeit bei der Anwendung von § 34 Abs. 3 BauGB, nämlich 87  So die Begründung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts, S. 18, abrufbar unter http: /  / www.bmvbs.de / cae / servlet / contentblob / 78756 / publicationFile / 51404 / bau gesetzbuch-referentenentwurf-14-02-2012.pdf (zuletzt abgerufen am 05.12.2012). 88  Battis / Mitschang / Reidt, NVwZ 2013, 961, 963. 89  Vgl. auch Schröer / Kullick, NZBau 2012, 98, 98; kritisch Uechtritz, BauR 2013, 1354, 1358, der die Flexibilität der informellen Einzelhandelskonzepte dadurch konterkariert sieht. 90  Bönker, in: Hoppe  /  Bönker  /  Grotefels, Öffentliches Baurecht, §  5 Rn.  83; Löhr, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 8 Rn. 2 ff.  91  Schröer / Kullick, NZBau 2012, 98, 98; ähnlich auch dies., NZBau 2013, 425, 426. 92  Näher dazu unten, 4. Kapitel, I. 4. a) bb); krit. insoweit auch Uechtritz, BauR 2013, 1354, 1358.

308

4. Kap.: Bauplanungsrecht

die Prüfung der schädlichen Auswirkungen, wird indes durch eine Verankerung der zentralen Versorgungsbereiche im Flächennutzungsplan nicht gelöst.93 Insgesamt ist die geplante Neuregelung jedoch zu begrüßen, nicht zuletzt weil sie eine gemeindeweite Koordinierung der zentralen Versorgungsbereiche sowie eine planerische Umsetzung von kommunalen Einzelhandelskonzepten ermöglicht. h) Schutz zentraler Versorgungsbereiche durch Ausschlussplanung, § 9 Abs. 2 a BauGB aa) Inhalt und Normzweck Nach § 9 Abs. 2 a S. 1 BauGB kann für im Zusammenhang bebaute Ortsteile (§ 34 BauGB) zur Erhaltung oder Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche, auch im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und der Innenentwicklung der Gemeinden, in einem Bebauungsplan festgesetzt werden, dass nur bestimmte Arten der nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB zulässigen baulichen Nutzungen zulässig oder nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können. Nach § 9 Abs. 2 a S. 2 BauGB ist dabei insbesondere ein entsprechendes städtebauliches Entwicklungskonzept i.  S.  d. § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB zu berücksichtigen. § 9 Abs. 2 a BauGB wurde im Jahr 2007 in das Baugesetzbuch aufgenommen94 und dient der Stärkung der Innenentwicklung. Die Norm soll die Verödung zentraler Versorgungsbereiche verhindern und die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung unterstützen.95 Daher ist sie im Zusammenhang mit § 34 Abs. 3 BauGB und § 1 Abs. 9 BauNVO, die dieselbe Thematik behandeln, zu interpretieren.96 Anders als bei § 1 Abs. 9 BauNVO bedarf es nunmehr wegen § 9 Abs. 2 a BauGB im unbeplanten Innenbereich nicht mehr der Festsetzung eines Baugebiets, sondern durch einfachen Bebauungsplan können baugebietsunabhängig Einzelhandelsbetriebe mit zentrenrelevanten Sortimenten ausgeschlossen werden,97 vorausgesetzt natürlich, es 93  Näher

dazu unten, 4. Kapitel, I. 4. a) cc). zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 21.12.2006, BGBl. I, S. 3316. 95  BT-Drs. 16 / 2496, S.  11; Löhr, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, §  9 Rn. 98i; Uechtritz, BauR 2007, 474, 487; Hildebrandt / Koch, NJOZ 2010, 2589, 2593; Spannowsky / Baumann, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 9 Rn. 131. 96  Löhr, in: Battis  /  Krautzberger  /  Löhr, BauGB, § 9 Rn. 98j; Spannowsky / Baumann, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 9 Rn. 133; ob der Begriff des zentralen Versorgungsbereichs in § 9 Abs. 2 a BauGB mit dem des § 34 Abs. 3 BauGB identisch ist, wurde von BVerwG, Beschl. v. 21.02.2011 – 4 BN 7 / 11 –, ZfBR 2011, 569, 569 offen gelassen. 97  Spannowsky / Baumann, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 9 Rn. 131 u. 133.1. 94  Gesetz



I. Einzelhandelssteuerung309

existiert hierfür eine hinreichende städtebauliche Begründung.98 Dahlke-Piel bezeichnet die Norm daher treffend als „eine von Gesetzes wegen ausnahmsweise zulässige Negativplanung“.99 Der Vorteil des § 9 Abs. 2 a BauGB liegt darin, dass bei Gemengenlagen mit unsicherer Gebietszuordnung die Ausweisung eines Baugebiets, die möglicherweise mit weiteren Streitigkeiten verbunden wäre, unterbleiben kann.100 Zudem erleichtert § 9 Abs. 2 a BauGB die Planaufstellung, da Fragen, die bei einem qualifizierten Bebauungsplan mitberücksichtigt werden müssten, ausgeklammert bleiben können, was der Gemeinde insbesondere eine schnelle Reaktionsmöglichkeit an die Hand gibt.101 Dies gilt umso mehr, als nach § 13 Abs. 1 BauGB bei einem Bebauungsplan, der aussschließlich Festsetzungen nach § 9 Abs. 2 a BauGB enthält, das vereinfachte Verfahren zur Anwendung kommen kann. Ebenso kann ein Bebauungsplan nach § 9 Abs. 2 a BauGB im beschleunigten Verfahren nach § 13 a BauGB aufgestellt werden. Überdies darf § 9 Abs. 2 a BauGB nach der Rechtsprechung des OVG Münster sogar innerhalb eines zentralen Versorgungsbereichs eingesetzt werden, um städtebauliche Missstände rasch beseitigen zu können, zumal weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Regelung entgegenstünden.102 Auf diese Weise kann über § 9 Abs. 2 a BauGB eine Einzelhandelssteuerung auch innerhalb eines Versorgungsbereichs erreicht werden, ohne dass ein Baugebiet nach der Baunutzungsverordnung festgesetzt und bestimmte Einzelhandelsarten nach § 1 Abs. 5 und 9 BauNVO ausgeschlossen werden müssten. Nach der Systematik von §§ 30 ff. BauGB kommt eine Festsetzung nach § 9 Abs. 2 a BauGB zudem dann in Betracht, wenn ein einfacher Bebauungsplan nach § 30 Abs. 3 BauGB vorliegt, der sich auf ein nach § 34 BauGB zu beurteilendes Gebiet bezieht.103 § 9 Abs. 2 a BauGB ermöglicht ein präventives Vorgehen der Gemeinde gegen potentiell auftretende städtebauliche Missstände, da die Norm nicht verlangt, dass derartige Missstände bereits eingetreten sind.104 Der Gesetzeswortlaut setzt ein Einzelhandelskonzept nicht zwingend voraus, jedoch ist ein 98  OVG

Münster, Urt. v. 15.02.2012 – 10 D 32 / 11.NE –, BeckRS 2012, 48250. SächsVBl. 2011, 7, 8. 100  Spannowsky / Baumann, in: Spannowsky  /  Uechtritz, BauGB, §  9 Rn.  131; Hildebrandt / Koch, NJOZ 2010, 2589, 2594. 101  In diese Richtung auch Löhr, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, §  9 Rn. 98l. 102  OVG Münster, Beschl. v. 16.03.2012 – 2 B 202  /  12 –, ZfBR 2012, 459, 460 f.; ähnlich auch VG Leipzig, Urt. v. 28.07.2010 – 4 K 94 / 09 –, juris, Rn. 28 ff.  103  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  9 Rn.  242a; Hildebrandt / Koch, NJOZ 2010, 2589, 2594; Bunzel, KommJur 2009, 449, 453; Schmitz, ZfBR 2007, 532, 534. 104  Spannowsky / Baumann, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 9 Rn. 133.2. 99  Dahlke-Piel,

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

solches Konzept in der Praxis faktisch unabdingbar, um eine fehlerfreie Abwägung bei der Aufstellung des Bebauungsplans zu gewährleisten.105 Inhaltlich können „bestimmte Arten baulicher Nutzung“ ausgewiesen werden, wobei diese Festsetzungen denen nach § 1 Abs. 5, 8 und 9 Bau­ NVO entsprechen sollen,106 so dasss neben den in der Baunutzungsverordnung vorgesehenen Nutzungsarten auch einzelne Nutzungsunterarten ausgeschlossen bzw. zugelassen werden können.107 Möglich sind danach beispielsweise Festsetzungen über Einzelhandelsbetriebe oder bestimmte Einzelhandelsbetriebstypen. Diese müssen dem Bestimmtheitsgebot genügen, wofür in der Regel eine Nennung von Sortimentsbestandteilen oder ein Verweis auf bestehende Sortimentslisten erforderlich ist.108 Die bloße Bezeichnung als „zentrenrelevant“ oder „nahversorgungsrelevant“ soll nach Hildebrandt / Koch dagegen nicht ausreichend sein,109 was zumindest zweifelhaft erscheint, nachdem in der Rechtsprechung der Begriff des „innenstadtrelevanten“ Sortiments akzeptiert ist.110 Zusätzlich ist eine detaillierte Begründung der Zentrenschädlichkeit des fraglichen Sortiments erforderlich.111 In der Praxis werden mit Hilfe von § 9 Abs. 2 a BauGB vor allem Einzelhandelsbetriebe, insbesondere Lebensmitteldiscounter, aber auch Dienstleistungsbetriebe ausgeschlossen.112 Die Norm beschränkt sich nicht auf 105  Löhr, in: Battis  /  Krautzberger  /  Löhr, BauGB, § 9 Rn. 98j; Spannowsky / Baumann, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 9 Rn. 98k; Klinge, BauR 2008, 770, 772; vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 22.11.2010 – 7 D 1 / 09.NE –, BeckRS 2010, 56999; etwas zurückhaltender Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 9 Rn. 242d, der ein Einzelhandelskonzept zwar als nützlich, jedoch nicht als unabdingbar ansieht; gegen das Erfordernis eines Entwicklungskonzepts wohl Spannowsky / Baumann, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 9 Rn. 134. 106  BT-Drs. 16 / 2496, S.  11; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 9 Rn. 242 f.; BVerwG, Beschl. v. 11.06.2010 – 4 B 75 / 09 –, ZfBR 2010, 580, 581. 107  OVG Koblenz, Urt. v. 02.09.2009 – 8 A 11057  / 08.OVG, 8 A 11057 / 08 –, BeckRS 2009, 39286; BVerwG, Beschl. v. 11.06.2010 – 4 B 75 / 09 –, ZfBR 2010, 580, 581; Hildebrandt / Koch, NJOZ 2010, 2589, 2595. 108  Hildebrandt / Koch, NJOZ 2010, 2589, 2595. 109  Hildebrandt / Koch, NJOZ 2010, 2589, 2595. 110  OVG Koblenz, Urt. v. 24.08.2000 – 1 C 11457 / 99 –, NVwZ-RR 2001, 221, 223; VGH Mannheim, Urt. v. 21.05.2001 – 5 S 901 / 99 –, NVwZ-RR 2002, 556, 558 f.; BVerwG, Urt. v. 26.03.2009 – 4 C 21 / 07 –, ZfBR 2009, 463, 476; Roeser, in: König / Roeser / Stock, BauNVO, §  1 Rn.  97. 111  OVG Münster, Urt. v. 15.02.2012 – 10 D 32 / 11.NE –, BeckRS 2012, 48250; vgl. auch Tünnesen-Harmes, NVwZ 2012, 1298, 1300. 112  Söfker, in: Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  9 Rn.  242 f.



I. Einzelhandelssteuerung311

den großflächigen Einzelhandel, sondern ermöglicht auch Vorgaben zu nichtgroßflächigen Betrieben. Anders als im Falle des § 34 Abs. 3 BauGB muss die Gemeinde bei § 9 Abs. 2 a BauGB keine zu erwartenden schädlichen Auswirkungen auf die zentralen Versorgungsbereiche darlegen, um Einzelhandelsbetriebe mit bestimmten Sortimenten auszuschließen.113 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 9 Abs. 2 a BauGB, der, anders als § 34 Abs. 3 BauGB, nicht von „schädlichen Auswirkungen“ auf zentrale Versorgungsbereiche spricht. § 9 Abs. 2 a S. 1 2. HS. BauGB ermöglicht unterschiedliche Festsetzungen für Teile des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauuungsplans, vor allem, um bereits bestehende Nutzungen abzusichern.114 Eine horizontale Differenzierung kann ferner etwa dann erfolgen, wenn im Umfeld eines zentralen Versorgungsbereichs der Einzelhandel grundsätzlich ausgeschlossen werden soll, in bestimmten räumlich begrenzten Bereichen aber kleine Nahversorgungseinrichtungen erlaubt werden sollen, um die ältere und / oder nicht mobile Bevölkerung hinreichend zu versorgen.115 Nicht zuletzt erfasst § 9 Abs. 2 a BauGB auch solche Bereiche, die erst zu zentralen Versorgungsbereichen entwickelt werden sollen.116 Dies ergibt sich daraus, dass nach § 9 Abs. 2 a S. 3 BauGB die planungsrechtlichen Voraussetzungen für Vorhaben, die dem Versorgungsbereich dienen, nach § 30 oder § 34 BauGB bereits vorhanden sein oder wenigstens förmliche planerische Schritte eingeleitet worden sein „sollen“, d. h. keine zwingende Vorbedingung darstellen.117 bb) Ungeklärte Probleme Im Rahmen des § 9 Abs. 2 a BauGB ist durch die Rechtsprechung bislang nicht geklärt, ob die Gemeinde nur durch Sachverständigengutachten nachweisen kann, dass die Festsetzungen zur Erhaltung oder Entwicklung eines zentralen Versorgungsbereichs erforderlich sind.118 Dagegen spricht,119 113  OVG Münster, Urt. v. 22.11.2010 – 7 D 1  / 09.NE –, BeckRS 2010, 56999; Butt, KommJur 2007, 369, 371; ähnlich auch Söfker, Kommunale Steuerung des Einzelhandels, in: Mitschang, Aktuelle Fragestellungen des Städtebau- und Umweltrechts, S. 95, 100. 114  Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, S. 281. 115  Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, S. 281 f. 116  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  9 Rn.  242b; Bischopink, BauR 2007, 825, 834; Hildebrandt / Koch, NJOZ 2010, 2589, 2594. 117  Uechtritz, BauR 2007, 476, 488; Hildebrandt / Koch, NJOZ 2010, 2589, 2594. 118  Vgl. auch Schmitz, ZfBR 2007, 532, 535. 119  So etwa auch Schmitz, ZfBR 2007, 532, 535.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

dass für die Anwendung der Norm in der Regel ein kommunales Einzelhandelskonzept vorhanden sein muss120 und das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen des § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB bei Vorliegen eines entsprechenden Einzelhandelskonzepts auf einen konkreten Zentrenschädlichkeitsnachweis verzichtet.121 Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB ergibt sich jedenfalls, dass einem kommunalen Einzelhandelskonzept für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Ausschlussfestsetzung eine hervorgehobene Bedeutung zukommt. Ferner ist bislang nicht geklärt, ob überhaupt und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen gegebenenfalls auf ein Einzelhandelskonzept verzichtet werden kann. Das OVG Münster spricht davon, dass ein städtebauliches Einzelhandelskonzept „in aller Regel“ erforderlich sei.122 Ausnahmen hiervon nennt es hingegen nicht. In der Praxis ist diese Frage dann von Bedeutung, wenn sich ein kommunales Einzelhandelskonzept, das der gerichtlichen Überprüfung insoweit unterliegt, als es nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei sein muss, auf Grund planerischer Unzulänglichkeiten der Gemeinde als unwirksam erweist.123 Bleibt es beim Grundsatz, dass ein wirksames Einzelhandelskonzept erforderlich ist, wäre die Festsetzung nach § 9 Abs. 2 a BauGB abwägungsfehlerhaft und damit nichtig. Erkennt die Rechtsprechung dagegen Ausnahmen vom Erfordernis eines wirksamen Einzelhandelskonzepts an, könnte in so einem Fall der Bebauungsplan trotzdem wirksam sein. cc) Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht und mit Europarecht (1) Art. 14 Abs. 1 GG Art. 14 Abs. 1 GG schützt das Eigentum und damit auch die Baufreiheit.124 § 9 Abs. 2 a BauGB beeinträchtigt die Baufreiheit, indem er den Gemeinden die Möglichkeit gibt, durch die Aufstellung eines Bebauungs120  Löhr, in: Battis  /  Krautzberger  /  Löhr, BauGB, § 9 Rn. 98j; Spannowsky / Baumann, in: Spannowsky  /  Uechtritz, BauGB, §  9 Rn.  98k; Söfker, in: Ernst  /  Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 9 Rn. 242d; vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 22.11.2010 – 7 D 1 / 09.NE –, BeckRS 2010, 56999. 121  Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.03.2009 – 4 C 21 / 07 –, ZfBR 2009, 463, 464. 122  OVG Münster, Urt. v. 22.11.2010 – 7 D 1 / 09.NE –, BeckRS 2010, 56999. 123  OVG Münster, Urt. v. 22.11.2010 – 7 D 1  / 09.NE –, BeckRS 2010, 56999; zur gerichtlichen Überprüfbarkeit eines Einezlhandelskonzepts, vgl. auch Schmitz, ZfBR 2007, 532, 536. 124  BVerfGE 35, 263, 276; 104, 1, 11; 106, 228, 234; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 24; vgl. oben, 2. Kapitel, III. 2. a).



I. Einzelhandelssteuerung313

plans die Errichtung von Einzelhandelsmärkten und FOCs in der Umgebung eines zentralen Versorgungsbereichs zu verhindern. Allerdings kann dieser Eingriff gerechtfertigt werden. Er dient einem legitimen, durch das Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG abgesicherten Zweck, nämlich der Erhaltung, Stärkung oder Verhinderung der Beeinträchtigung zentraler Versorgungsbereiche, auch im Interesse der verbrauchernahen Versorgung, und der Innenentwicklung der Gemeinden.125 Die Vorschrift ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet, da eine Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben, insbesondere von Großmärkten in Randlagen unterbunden wird, wenn eine Gemeinde einen entsprechenden Bebauungsplan aufstellt und darin bestimmte Typen von Einzelhandelsbetrieben ausschließt. Teilweise wird bestritten, dass durch ein solches Vorgehen der Gemeinden die Versorgung der Verbraucher nachhaltig verbessert würde, da sich auch ohne gesetzliche Vorgaben die entsprechenden Verbrauchermärkte gleichmäßig über die Gemeinde verteilten und eine Regulierung im Gegenteil sogar schade.126 Dem lässt sich entgegenhalten, dass die Realität insbesondere dort, wo Gemeinden nicht planerisch tätig wurden, häufig anders aussieht.127 Die Möglichkeit derartiger Festsetzungen ist zudem erforderlich, zumal § 34 Abs. 3 BauGB alleine den Schutz zentraler Versorgungsbereiche nicht zu bewerkstelligen vermag. Dies liegt vor allem daran, dass die Vorschrift wegen ihrer detaillierten Begründungsanforderungen im Einzelfall für die Gemeinden in der Praxis sehr schwierig zu handhaben ist.128 Das Argument von Vogels / Holl / Birk, die Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben, insbesondere von Großmärkten, in peripherer Lage allein würde zentrale Versorgungsbereiche nicht gefährden,129 überzeugt nicht, da es bereits ausreicht, wenn ihre Ansiedlung ein Faktor ist, welcher sich auf die Versorgungslage in den Innenstädten auswirkt. Es wäre zu eng gegriffen, eine Monokausalität zwischen der Ansiedlung von Betrieben in der Peripherie und dem Einzelhandelssterben in den Zentren zu verlangen. Auch die Angemessenheit von § 9 Abs. 2 a BauGB ist gegeben. Die Baufreiheit darf nach richtiger Auslegung von § 9 Abs. 2 a BauGB grundsätzlich nur dann eingeschränkt werden, wenn dem Bebauungsplan ein schlüssiges Einzelhandelskonzept zu Grunde liegt. Dadurch werden reine 125  BT-Drs.

f) aa).

16 / 2496, S. 11; zum Sozialstaatsprinzip, vgl. oben, 2. Kapitel, II. 1.

126  So etwa Manssen, Vortrag „Offene Rechtsfragen bei Einzelhandelsimmobi­ lien“ an der Universität Regensburg am 08.02.2012. 127  Vgl. oben, 1. Kapitel, IV. 2. 128  Vgl. auch Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  9 Rn. 4 c; Spannowsky / Baumann, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 9 Rn. 133. 129  So etwa Vogels / Holl / Birk, Auswirkungen grossflächiger Einzelhandelsbetriebe, S. 273.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

Negativplanungen verhindert. Überdies muss ein Bebauungplan i. S. d. § 9 Abs. 2 a BauGB nach § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich und nach § 1 Abs. 7 BauGB abgewogen sein, so dass schwerwiegende, nicht zu rechtfertigende Eingriffe in die Eigentumsfreiheit unterbunden werden.130 Nicht zuletzt können mit Hilfe von § 9 Abs. 2 a BauGB nur bestimmte Nutzungen ausgeschlossen werden, so dass der Eigentümer sein Grundstück anderweitig – auch gewerblich – nutzen kann. (2) Art. 12 Abs. 1 GG Ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht gegeben. Zwar wird in die Berufsausübungsfreiheit der Investoren dadurch eingegriffen, dass sie ihren Einzelhandelsbetrieb in einem bestimmten Gebiet nicht ansiedeln dürfen, ein solcher Eingriff kann aber gerechtfertigt werden. Nach der Drei-Stufen-Theorie des Bundesverfassungsgerichts sind reine Berufsausübungsregelungen wie Vorgaben zum Ansiedlungsort bereits dann gerechtfertigt, wenn vernünftige Gründe des Allgmeinwohls sie als zweckmäßig erscheinen lassen.131 Die verbrauchernahe, ausgeglichene Versorgung der Bevölkerung ist ein legitimes, von Verfassungs wegen durch das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG vorgegebenes Ziel, das im Bauplanungsrecht in § 1 Abs. 6 Nr. 8 a) BauGB seinen Niederschlag gefunden hat, freilich nur im Zusammenhang mit den Belangen der Wirtschaft.132 § 9 Abs. 2 a BauGB ist geeignet, das Erreichen dieses Ziels zumindest zu fördern, zumal dem Gesetzgeber hinsichtlich der Maßnahmen, welche die Versorgung der Bevölkerung sicher stellen sollen, eine weite Einschätzungsprärogative zusteht.133 Auch die Erforderlichkeit ist zu bejahen, da es sich bei der Möglichkeit zur Aufstellung eines Bebauungsplans mit Festsetzungen entsprechend § 1 Abs. 5, 8 und 9 BauNVO um ein vergleichsweise mildes Mittel handelt und weniger einschneidende Maßnahmen nicht ersichtlich sind. Die Investoren können trotz Vorliegens eines Bebauungsplans nach § 9 Abs. 2 a BauGB ihr Vorhaben in der Regel verwirklichen. Sie müssen lediglich zu Abstrichen hinsichtlich der Lage oder des Umfangs ihres Vorhabens bereit sein. Daher ist die Vorschrift auch angemessen. Dies gilt umso mehr, als es sich bei der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln um ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut handelt134 und auf auch Löhr, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 9 Rn. 98m. 7, 377, 405 f.; näher dazu oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (b). 132  Näher dazu, vgl. oben, 4. Kapitel, I. 2. d) bb); kritisch dazu Mikešić / Würsig, BauR 2009, 192, 198, die auf die Gefahr politisch motivierter Marktregulierung hinweisen. 133  BVerfGE 25, 1, 17; 99, 367, 392; 102, 197, 218; 121, 317, 356. 134  BVerfGE 25, 1, 16. 130  Vgl.

131  BVerfGE



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Seiten der Investoren die Berufsausübungsfreiheit nur vergleichsweise leicht beeinträchtigt wird. Hinzu kommt, dass § 9 Abs. 2 a BauGB, anders als § 34 Abs. 3 BauGB, die Aufstellung eines Bebauungsplans samt Abwägung voraussetzt. Dies führt dazu, dass nicht die Baugenehmigungsbehörde alleine in einem wenig transparenten Verfahren über Zulässigkeit des Vorhabens entscheidet, sondern vorab unabhängig vom konkreten Fall Festsetzungen getroffen werden, was einen weniger schwer wiegenden Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit darstellt.135 (3) Art. 49 AEUV § 9 Abs. 2 a BauGB verstößt nicht gegen die durch Art. 49 AEUV garantierte Niederlassungsfreiheit, sofern diese angesichts des möglichen Vorrangs der spezielleren Dienstleistungsrichtlinie überhaupt als Maßstab heran gezogen werden kann. Insofern ergibt sich dieselbe Problematik wie beim Raumordnungsrecht, nachdem sich Erwägungsgrund Nr. 9 der Richtlinie auch auf das Recht der Stadtplanung bezieht.136 § 9 Abs. 2 a BauGB stellt weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung von EU-Ausländern dar, weil ausländische Investoren nicht notwendigerweise häufiger solche Einzelhandelsleistungen anbieten, welche durch Festsetzungen auf Grundlage des § 9 Abs. 2 a BauGB von den Gemeinden ausgeschlossen werden.137 Allerdings tangiert die Vorschrift die Niederlassungsfreiheit von Inländern und EU-Ausländern gleichermaßen, was nach der Gebhard-Formel für eine Beeinträchtigung ausreicht.138 Diese Beeinträchtigung ist hinreichend konkret, denn ein Unternehmer, der vom Ausland aus agiert, kann bei der Standortwahl große Schwierigkeiten haben, wenn bestimmte Standorte von vornherein ausgeschlossen sind und er mit den Verhältnissen vor Ort wenig vertraut ist.139 § 9 Abs. 2 a BauGB kann jedoch gerechtfertigt werden, denn die Vorschrift dient der Stärkung der Innenentwicklung sowie der gleichmäßigen verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung. Der Verbraucherschutz wird 135  Zustimmend insoweit auch Manssen, Offene Rechtsfragen bei Einzelhandels­ immobilien, in: Kühling, Die Einzelhandelsimmobilie, S. 15, 26, der das Erfordernis einer Öffentlichkeitsbeteiligung sowie der Abwägung bei § 9 Abs. 2 a BauGB begrüßt. 136  Ausführlich dazu oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (d) und aa) (2) (e). 137  Für den parallelen Fall der raumordnerischen Vorschriften, vgl. Sparwasser /  Edelbluth, Raumordnerische Steuerung des Einzelhandels, S. 79, 84. 138  S. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (d). 139  Zur parallelen Situation bei raumordnungsrechtlichen Ansiedlungsverboten vgl. EuGH, Urt. v. 24.03.2011, Rs. C-400 / 08, Kommission / Spanien, Rn. 64; ausführlich dazu auch, Kment, EuR 2011, 269, 270 ff., insbesondere 274 f.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

vom EuGH als zwingender Grund des Allgemeininteresses anerkannt.140 Überdies sehen Erwägungsgrund Nr. 40 der Dienstleistungsrichtlinie141 sowie Art. 4 Nr. 8 der Dienstleistungsrichtlinie den Schutz der städtischen Umwelt, einschließlich der Stadt- und Raumplanung, sowie den Verbraucherschutz als zwingende Gründe des Allgemeinwohls an.142 Die genannten Ziele können mit Hilfe der Norm erreicht werden, da durch den Ausschluss bestimmter Einzelhandelstypen im Umfeld eines zentralen Versorgungsbereichs dieser vor Kaufkraftabzug geschützt werden kann. § 9 Abs. 2 a BauGB geht nicht über das hinaus, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, zumal die Aufstellung eines qualifizierten Bebauungsplans nach § 30 Abs. 1 BauGB erstens wohl kein milderes Mittel wäre und zweitens angesichts des komplizierteren Aufstellungsverfahrens für die Gemeinden nicht genauso praktikabel zu handhaben ist. § 34 Abs. 3 BauGB alleine kann die Ansiedlungsproblematik nicht lösen, da die Norm in ihrer Anwendung einer erheblichen Rechtsunsicherheit unterworfen ist.143 Nicht zuletzt ermöglicht § 9 Abs. 2 a BauGB durch den Ausschluss einzelner Betriebs­ typen eine Feinsteuerung der Einzelhandelsansiedlung, ohne gleichzeitig Einzelhandelsformen einbeziehen zu müssen, welche sich nicht auf zentrale Versorgungsbereiche auswirken. (4) Art. 14 Nr. 5 und Art. 15 Abs. 2 lit. a) Dienstleistungsrichtlinie Selbst wenn man den Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie entgegen der Ansicht von Otto, der auf Erwägungsgrund Nr. 9 der Richtlinie abstellt und ein „Betreffen“ der Dienstleistungstätigkeit als solcher verlangt, das nicht einmal im Fall des § 34 Abs. 3 BauGB gegeben sein soll,144 für eröffnet erachtet, verstößt § 9 Abs. 2 a BauGB nicht gegen die Vorgaben der Richtlinie. Insbesondere Art. 14 Nr. 5 der Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet nicht von einer wirtschaftlichen Überprüfung im Einzelfall abhängig machen dürfen, bei der die Erteilung der Genehmigung vom Nachweis eines wirtschaftlichen Bedarfs oder einer Marktnachfrage oder 140  EuGH, Urt. v. 13.09.2007, Rs. C-260  /  04, Kommission  /  Italien, Slg. 2007, I-7083 Rn. 27 m. w. N.; Urt. v. 24.03.2011, Rs. C-400  /  08, Kommission  /  Spanien, Rn. 74; Urt. v. 01.06.2010, Rs. C570 / 07 und C571 / 07, Blanco Pérez und Chao Gómez, Slg. 2010, I-4629 Rn. 64 für die Versorgung mit Arzneimitteln. 141  Richtlinie 2006  /  123  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl.EU Nr. L 376, S. 36. 142  Vgl. Dziallas, NZBau 2010, 618, 620. 143  So auch Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, S. 274. 144  Otto, Anwendung der Richtinie 2006  /  123  /  EG, S. 21 ff.; näher dazu oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (e).



I. Einzelhandelssteuerung317

der Beurteilung der tatsächlichen oder möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Tätigkeit abhängig gemacht wird, ist nicht verletzt. Es fehlt nach richtiger Auslegung von § 9 Abs. 2 a BauGB bereits am Erfordernis der Vorlage eines Marktgutachtens. Grund dafür ist, dass die Gemeinde in ihrem Bebauungsplan Festsetzungen zu bestimmten Arten von Einzelhandelsbetrieben trifft, die zulässig oder ausgeschlossen sein sollen, ohne dass es bei dessen Anwendung auf eine Einzelfallbetrachtung ankäme. Ebensowenig wird Art. 15 Abs. 2 lit. a) der Dienstleistungsrichtlinie verletzt, wonach die Mitgliedstaaten Vorschriften, welche die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit von mengenmäßigen oder territorialen Beschränkungen, insbesondere in Form von Beschränkungen auf Grund der Bevölkerungszahl oder bestimmter Mindestentfernungen zwischen Dienstleistungserbringern abhängig machen, abschaffen müssen, sofern diese nicht nach Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie gerechtfertigt werden können. Zunächst enthält § 9 Abs. 2 a BauGB keine konkreten zahlenmäßigen Beschränkungen. Wenn man darauf abstellt, dass § 9 Abs. 2 a BauGB im Ergebnis zu einer vergleichbaren Wirkung führt, indem er die Grundlage für Festsetzungen bildet, die die Ansiedlung von Dienstleistungserbringern in der Umgebung eines zentralen Versorgungsbereichs verhindern,145 liegt eine Beeinträchtigung von Art. 15 Abs. 2 lit. a) vor. Diese ist jedoch nach Art. 15 Abs. 3 lit. a)–c) gerechtfertigt, da § 9 Abs. 2 a BauGB nichtdiskriminierend wirkt, erforderlich und verhältnismäßig ist. Insbesondere sind mildere Mittel nicht ersichtlich. Die Vorschrift setzt zum Schutze eines wichtigen Allgemeininteresses eine Planungs- und Abwägungsentscheidung der Gemeinde voraus, bei der die Interessen der Unternehmer besser berücksichtigt werden können als dies bei einer Entscheidung der Genehmigungsbehörde der Fall wäre.146 dd) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Die Einführung des § 9 Abs. 2 a BauGB ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels als überwiegend positiv zu bewerten. Anders als bei § 34 Abs. 3 BauGB muss die Schädlichkeit der Ansiedlung bestimmter Einzelhandelsbetriebe und FOCs in näher bezeichneten Bereichen des Gemeindegebiets jedenfalls bei Vorliegen eines kommunalen Einzelhandelskonzepts nicht nachgewiesen werden, um einen Bebauungsplan mit entsprechenden Festsetzungen aufstellen zu können. Dies erleichtert der Gemeinde die Steuerung der Einzelhandelsansiedlung im Sinne der Verbraucher, da aufwändige Gutachten nicht erforderlich sind. § 9 Abs. 2 a BauGB verlangt 145  So

Krumb / Stapelfeldt, BauR 2011, 64, 76 f. zu § 34 Abs. 3 BauGB. dazu, vgl. oben, 4. Kapitel, I. 2. h) cc) (1) und cc) (2).

146  Näher

318

4. Kap.: Bauplanungsrecht

zudem keine Festsetzungen eines qualifizierten Bebauungsplans nach § 30 Abs. 1 BauGB. Dadurch werden komplizierte Baugebietsausweisungen entbehrlich, was Gemeinden die Handhabung deutlich erleichtert. Die Reak­ tionsmöglichkeiten der Gemeinde auf eine sich abzeichnende, möglicherweise nahversorgungsgefährdende Einzelhandelsansiedlung verbessern sich durch § 9 Abs. 2 a BauGB insofern, als § 9 Abs. 2 a BauGB Grundlage für den Erlass einer Veränderungssperre nach § 14 BauGB sein kann.147 Hinzu kommt die Anwendbarkeit des § 9 Abs. 2 a BauGB auch innerhalb eines zentralen Versorgungsbereichs, wobei hier vor dem Hintergrund des demografischen Wandels bedeutsam ist, dass gerade nicht der Einzelhandel ausgeschlossen werden soll, sondern vielmehr andere Betriebe, die keine Versorgungsfunktion inne haben, aus dem zentralen Versorgungsbereich ferngehalten werden sollen, um die vorhandenen Flächen für nahversorgungsrelevante Betriebe frei zu halten. Das Erfordernis eines Einzelhandelskonzepts gewährleistet zudem, dass sich die planenden Gemeinde vorab Gedanken macht, wie die Nahversorgung im Gemeindegebiet gesichert werden kann. Auf diese Weise kann eher eine kohärente Lösung gefunden werden, als dies bei einer Einzelfallentscheidung der Baugenehmigungsbehörde auf Grundlage von § 34 BauGB der Fall ist. Dies erscheint umso wichtiger, als gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und immer mehr älteren nicht mehr mobilen Personen eine Versorgung in Wohnortnähe unverzichtbar ist. Als problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang lediglich, dass nicht nicht hinreichend geklärt ist, ob die Unwirksamkeit eines Einzelhandelskonzepts zwingend auf die Wirksamkeit des Bebauungsplans nach § 9 Abs. 2 a BauGB durchschlägt. Sollte dies der Fall sein, wäre eine Ansiedlung insbesondere großflächiger Einzelhandelsbetriebe ohne jegliche planerische Vorabsteuerung möglich, zumindest solange die Gemeinde ihr fehlerhaftes Einzelhandelskonzept und die darauf basierende Planung nicht korrigiert. Ein weiterer Nachteil des Erfordernisses eines Einzelhandelskonzepts ist zumindest auf den ersten Blick, dass die Erstellung eines derartigen Konzepts finanzielle Mittel erfordert, über die kleinere Gemeinden, gerade in von Bevölkerungsrückgang geprägten Gegenden, häufig nicht verfügen werden. Allerdings wird man davon ausgehen können, dass konzeptunabhängige Ausschlussplanungen dazu neigen, wettbewerbsverzerrend zu wirken und ihr eigentliches Ziel daher selten erreichen werden. Überdies ist die Aufstellung eines Einzelhandelskonzepts, das im Übrigen nicht dieselbe Regelungsdichte haben muss wie die qualifizierte Planung,148 im Vergleich auch Uechtritz, BauR 2007, 474, 487. Münster, Beschl. v. 31.03.2008 – 10 B 286 / 08 –, BeckRS 2008, 37213; OVG Münster, Beschl. v. 16.03.2012 – 2 B 202 / 12 –, BeckRS 2012, 49008. 147  So

148  OVG



I. Einzelhandelssteuerung319

zur qualifizierten Bauleitplanung der einfachere Weg bei der Einzelhandelssteuerung. § 9 Abs. 2 a BauGB ermöglicht daneben unterschiedliche Festsetzungen in den räumlichen Teilbereichen, so dass kleinere Versorgungszentren „vor der Haustür“ trotz eines grundsätzlichen Ausschlusses von Einzelhandelsbetrieben realisiert werden können,149 etwa in der Nähe eines Seniorenheims. Nicht zuletzt kann § 9 Abs. 2 a BauGB zum Schutz künftiger Versorgungsbereiche eingesetzt werden, was in Zeiten rückläufiger Bevölkerungszahlen dann von Bedeutung ist, wenn in einer bereits weitgehend verwaisten Gegend zur Versorgung der verbliebenen Bevölkerung ein Nahversorgungsbereich neu angelegt werden soll. Problematisch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels kann dagegen sein, dass § 9 Abs. 2 a BauGB einen zentralen Versorgungsbereich voraussetzt. Im Zuge der Ausdünnung der Bevölkerung und des Ausblutens der Innenstädte und Stadtteilszentren findet man mancherorts bereits heute eine Situation vor, in der nur noch Rudimente eines Zentrums, etwa in Form eines einzelnen Lebensmittelgeschäftes, übrig geblieben sind.150 Hier ist die Vorschrift mangels zentralen Versorgungsbereichs schon tatbestandlich nicht anwendbar, so dass zum Schutz dieser „Versorgungsinseln“ über § 9 Abs. 2 a BauGB nichts unternommen werden kann. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht immer klar sein wird, wann die Schwelle zum Bestehen eines zentralen Versorgungsbereichs überschritten ist.151 Die Vorschrift erscheint daher nur so lange effektiv, wie die Ausdünnung und der Verfall noch nicht derart weit fortgeschritten sind, dass man von einem „zentralen Versorgungsbereich“ nicht mehr sprechen kann. Bei aller Kritik darf man freilich nicht vergessen, dass die Zentrenorientierung grundsätzlich zur Gewährleistung der Versorgung geeignet und überdies vom Raumordnungsrecht so vorgegeben ist. Wenn dabei nicht-zentrengebundenen Versorgungsstandorten kein vergleichbarer Stellenwert eingeräumt wird, liegt dies an der Unmöglichkeit, sämtlichen Ausnahmefällen gerecht zu werden, ohne dabei die unternehmerische Freiheit allzu sehr einzuschränken. Manssen wendet gegen den Schutz von Zentren ein, dass dies nicht zwingend zu einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung führe, da die meisten Bewohner einer Gemeinde nicht in deren Zentrum wohnten.152 Dies ist sicher richtig, doch kann man dagegen anführen, dass die meisten Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, S. 281 f. weisen auch Stüer / Buchsteiner, DVBl. 2011, 345, 346 hin. 151  Zu diesem Problem vgl. auch Erhard, NVwZ 2009, 944, 946. 152  Manssen, Offene Rechtsfragen bei Einzelhandelsimmobilien, in: Kühling, Die Einzelhandelsimmobilie, S. 15, 22 zur Zentrenorientierung des § 34 Abs. 3 BauGB, die jedoch in gleicher Weise für § 9 Abs. 2 a BauGB gilt. 149  Vgl.

150  Darauf

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

Verbraucher zumindest in der Umgebung eines Zentrums wohnen und daher die Wege dorthin durchschnittlich kürzer sind als in ein weiter entferntes Gewerbe- oder Mischgebiet. Hinzu kommt, dass gerade Zentren vergleichsweise gut mit dem ÖPNV erreichbar sind, was für andere Gebiete, die für bestimmte Verbrauchergruppen möglicherweise näher gelegen sein mögen, nicht unbedingt der Fall ist.

3. Zulässigkeit von Einzelhandelsvorhaben auf Grund eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans, § 12 BauGB a) Inhalt und Regelungswirkung Nach § 12 Abs. 1 S. 1 BauGB kann die Gemeinde durch einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan die Zulässigkeit von Vorhaben bestimmen, wenn der Vorhabenträger auf der Grundlage eines mit der Gemeinde abgestimmten Plans zur Durchführung der Vorhaben und der Erschließungsmaßnahmen bereit und in der Lage ist und sich zur Durchführung innerhalb einer bestimmten Frist und zur Tragung der Planungs- und Erschließungskosten ganz oder teilweise vor dem Beschluss des Bebauungsplans verpflichtet. Anders als bei der Angebotsplanung liegt die Initiative zur Schaffung von Baurechten beim vorhabenbezogenen Bebauungsplan grundsätzlich beim Investor.153 Die gemeindliche Verantwortung für die städtebauliche Planung bleibt jedoch bestehen; der vom Investor im Rahmen des Vorverfahrens ausgearbeitete und von der Gemeinde gebilligte Vorhaben- und Erschließungsplan wird Bestandteil des vorhabenbezogenen Bebauungsplans.154 Der Vorhaben- und Erschließungsplan unterliegt nach § 12 Abs. 3 S. 1 BauGB nicht den Beschränkungen des § 9 BauGB und den Gebietstypen der Baunutzungsverordnung,155 so dass eine punktgenaue Bestimmung der Zulässigkeit von Nutzungsarten möglich ist, etwa hinsichtlich der einzelnen Geschosse in einem mehrstöckigen Gebäude.156 Er muss sich stets auf ein konkretes Bauvorhaben nach § 29 BauGB beziehen, was sich bereits daraus ergibt, dass nach § 12 Abs. 6 S. 1 BauGB der entsprechende Bebauungsplan aufgehoben werden soll, wenn der Vorhaben- und Erschließungsplan nicht 153  Vgl. Krautzberger, in: Battis  / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 12 Rn. 3; Busse, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 12 Rn. 3. 154  Vgl. dazu Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 12 Rn. 3 u. 6 ff.; Busse, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 12 Rn. 21 ff.; Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  12 Rn.  18. 155  VGH Mannheim, Beschl. v. 25.11.1996 – 8 S 1151 / 96 –, NVwZ 1997, 699, 700; Bielenberg, ZfBR 1996, 6, 9; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 12 Rn. 2. 156  Vgl. Busse, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 12 Rn. 16.



I. Einzelhandelssteuerung321

fristgerecht durchgeführt wird. § 12 Abs. 3 a BauGB erlaubt davon abweichend auch die Festsetzung eines Baugebiets nach der Baunutzungsverordnung im Wege des vorhabenbezogenen Bebauungsplans, wobei nur solche Nutzungen zugelassen werden dürfen, zu deren Durchführung sich der Vorhabenträger im Durchführungsvertrag verpflichtet hat. Vor dem Beschluss zur Aufstellung eines Bebauungsplans nach § 10 Abs. 1 BauGB muss zwischen Vorhabenträger und Gemeinde ein öffentlichrechtlicher Durchführungsvertrag abgeschlossen werden, da andernfalls der vorhabenbezogene Bebauungsplan nichtig ist.157 Der Durchführungsvertrag muss eine Verpflichtung des Investors zur Verwirklichung der im Vorhabenund Erschließungsplan bezeichneten Vorhaben und ihrer Entschließung158 sowie zeitliche Vorhaben für die Fertigstellung, enthalten. Auf den vorhabenbezogenen Bebauungsplan sind die Vorschriften über das Planungsschadensrecht nach §§ 39–44 BauGB gemäß § 12 Abs. 3 S. 2 BauGB nicht anwendbar. Allerdings besteht, wenn die Gemeinde aus unsachgemäßen Gründen von der Planung Abstand nimmt, eine Schadensersatzpflicht gegenüber dem Investor aus dem Durchführungsvertrag nach den Voraussetzungen der culpa in contrahendo.159 b) Bewertung der Steuerungswirkung Der vorhabenbezogene Bebauungsplan nach § 12 BauGB, insbesondere der Vorhaben- und Erschließungsplan, setzt eine Kooperation von Investor und Gemeinde bei der Errichtung meist großflächiger Bauprojekte voraus. Im Bereich der Einzelhandelssteuerung wird der vorhabenbezogene Bebauungsplan vor allem zur Steuerung großflächiger Einzelhandelsbetriebe, oft im Außenbereich, genutzt.160 Die Gemeinde kann dieses Instrument gezielt einsetzen, um zusammen mit dem Investor eine einvernehmliche Lösung hinsichtlich des Standorts eines Einzelhandelsgroßprojekts zu suchen.161 Daher liegt es grundsätzlich in der Hand der Gemeinde, bereits in den Vor157  VGH München, Urt. v. 24.07.2001 – 1 N 00.1574 –, BayVBl. 2002, 113, 115; VGH Mannheim, Urt. v. 14.11.2002 – 5 S 1635 / 00 –, NVwZ-RR 2003, 407, 408. 158  Turiaux, NJW 1999, 391, 393; Busse, in: Spannowsky  /  Uechtritz, BauGB, § 12 Rn. 42. 159  BGH, Urt. v. 18.05.2006 – III ZR 396  /  04 –, NVwZ 2006, 1207, 1208.; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 12 Rn. 43; für FOCs, vgl. auch Ernst, Standortsteuerung, S. 219 f. 160  Vgl. Swierczyna, LKV 2009, 452, 452; Busse, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 12 Rn. 6. 161  Befürwortend auch Manssen, SächsVBl. 2008, 111, 114.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

verhandlungen mit dem Investor entsprechende Lagen in Betracht zu ziehen, welche für die Verbraucher vergleichsweise gut mit dem ÖPNV zu erreichen sind. Ist der Investor an ein bestimmtes Grundstück gebunden, kann die Gemeinde immerhin noch aushandeln, dass, wenn andernfalls in den umliegenden Bereichen die verbrauchernahe Versorgung gefährdet würde, bestimmte innenstadtrelevante Sortimente unzulässig sein sollen, da eine Bindung an die Vorgaben des § 9 BauGB nicht besteht. Überdies können sogar Ziele der Raumordnung in den vorhabenbezogenen Bebauungsplan aufgenommen werden, wodurch ihnen eine erhöhte Wirksamkeit verschafft wird.162 Im Innenbereich kann das Instrument des vorhabenbezogenen Bebauungsplans dazu genutzt werden, gezielt Einzelhandelsmärkte zur Nahversorgung der Bevölkerung anzusiedeln, wie das Beispiel eines vorhabenbezogenen Bebauungsplan der bayerischen Gemeinde Bad Endorf zeigt.163 Die Auswirkungen auf die Versorgung in den benachbarten Gemeinden sind freilich nach § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB zu berücksichtigen. Allerdings kann die Vorschrift von der Gemeinde auch dazu verwendet werden, um in den Grenzen der §§ 1, 2 BauGB Einzelhandelsansiedelungen in Randlagen voranzutreiben, wobei die kostspielige Aufstellung eines qualifizierten Bebauungsplans entfällt. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist die Vorschrift daher ambivalent zu bewerten. Einerseits kann sie von den Gemeinden als Instrument zur Einzelhandelssteuerung im Sinne einer möglichst wohnortnahen Versorgung der Verbraucher herangezogen werden, andererseits werden jedoch gerade Einzelhandelsvorhaben in ungünstigen Randlagen, insbesondere im Außenbereich, nicht selten erst im Wege des vorhabenbezogenen Bebauungsplans möglich gemacht.164

162  So Herr Axel Koch, Sachgebietsleiter Raumordnung, Landes- und Regionalplanung der Regierung der Oberpfalz, und Frau Christine Stiglbauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Bereich Einzelhandel bei der Regierung der Oberpfalz, in einem Gespräch mit der Autorin am 13.12.2011, erklärt am Beispiel des Baugebiets „Franzosenäcker“ in der Stadt Amberg. 163  Vgl. Markt Bad Endorf, Vorhaben- und Erschließungsplan „Furtnerhof“, Begründung, abrufbar unter http: /  / www.bad-endorf.de / uploads / media / Entwurf_Begruendung.pdf (zuletzt abgerufen am 06.12.2012). 164  Swierczyna, LKV 2009, 452, 452.



I. Einzelhandelssteuerung323

4. Ausschluss von Einzelhandelsvorhaben im unbeplanten Innenbereich, § 34 Abs. 3 BauGB a) Inhalt und rechtsdogmatische Einordnung aa) Allgemeines § 34 Abs. 3 BauGB wurde durch das EAG Bau 2004165 in das Baugesetzbuch eingefügt. Die Vorschrift besagt, dass von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein dürfen. Mangels Einschränkung im Wortlaut gilt § 34 Abs. 3 BauGB nicht nur für großflächige Einzelhandelsbetriebe oder Einkaufszentren, sondern auch für solche Einzelhandelsbetriebe, die die Schwelle von 800 m2 unterschreiten, sofern von ihnen im Einzelfall schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche ausgehen können.166 Gleichwohl zielt die Vorschrift in erster Linie auf die Steuerung der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe ab. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll § 34 Abs. 3 BauGB Lücken schließen, die bei der Anwendung von § 34 Abs. 1 und 2 BauGB entstehen können.167 bb) Zentrale Versorgungsbereiche Der Begriff des zentralen Versorgungsbereichs wird in § 34 Abs. 3 BauGB nicht definiert. Die Rechtsprechung versteht unter einem „zentralen Versorgungsbereich“ einen räumlich abgrenzbaren Bereich einer Gemeinde, dem auf Grund vorhandener Einzelhandelsnutzungen – häufig ergänzt durch diverse Dienstleistungen und gastronomische Angebote – eine Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus zukommt.168 Erfasst werden Versorgungsbereiche unterschiedlicher Stufen, d. h. sowohl Innenstadtzentren und Nebenzentren als auch Grund- und Nahversorgungszent165  Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien vom 24.06.2004, BGBl. I, S. 1359. 166  BT-Drs. 15 / 2250, S. 54; OVG Koblenz, Urt. v. 05.11.2007 – 1 A 10351 / 07 –, BeckRS 2007, 27933; OVG Münster, Urt. v. 01.07.2009 – 10 A 2350 / 07 –, DVBl. 2009, 1184, 1186; Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, S. 162. 167  BT-Drs. 15  / 2250, S. 54; zu den Lücken vgl. auch Heilshorn / Seith, VBlBW 2004, 411; Uechtritz, NVwZ 2004, 1025, 1029. 168  BVerwG, Urt. v. 11.10.2007 – 4 C 7  /  07 –, ZfBR 2008, 49, 49; Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 268.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

ren.169 Der Versorgungsbereich muss nach Lage, Art und Zweckbestimmung eine zentrale Funktion für die Versorgung der Bevölkerung in einem bestimmten Einzugsbereich haben,170 wobei ein übergemeindlicher Einzugsbereich nicht vorausgesetzt wird.171 Der Begriff des zentralen Versorgungsbereichs in § 34 Abs. 3 BauGB ist deckungsgleich mit dem in § 2 Abs. 2 S. 2 und § 9 Abs. 2 a BauGB verwendeten,172 so dass das zu diesen Normen Gesagte auch im Rahmen des § 34 Abs. 3 BauGB gilt.173 Entsprechendes ergibt sich für § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG und das dort Gesagte.174 Anders als bei § 9 Abs. 2 a BauGB wird für die Anwendung des § 34 Abs. 3 BauGB jedoch das Vorhandensein eines zentralen Versorgungsbereichs vorausgesetzt. Daher kann § 34 Abs. 3 BauGB nicht zur Anwendung kommen, wenn ein zentraler Versorgungsbereich erstmalig oder, nachdem er seine Funktion verloren hatte, wieder entwickelt werden soll.175 Ob ein zentraler Versorgungsbereich vorliegt, ergibt sich nach überzeugender Rechtsprechung wegen der Nähe des § 34 Abs. 3 BauGB zu § 34 Abs. 1 und 2 BauGB aus den tatsächlichen Verhältnissen, wobei planerische Festlegungen freilich ergänzend heran gezogen werden können.176 Letztere müssen dabei verbindlich sein, da sie sich unmittelbar an den Bauherrn richten und keiner weiteren Konkretisierung zugänglich sind, so dass städtebauliche Entwicklungskonzepte177 und regionalplanerische Zielvorgaben178 nicht als Maßstab herangezogen werden können. Allerdings werden in Zukunft Vorgaben in den Flächennutzungsplänen zur Bestimmung eines zentralen Ver169  Vgl.

BT-Drs. 16 / 2496, S. 11 zu § 9 Abs. 2 a BauGB. Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 267. 171  BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2  /  08 –, ZfBR 2010, 267; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  85. 172  Offen gelassen von BVerwG, Beschl. v. 21.02.2011 – 4 BN 7  / 11 –, ZfBR 2011, 569, 569. 173  Vgl. dazu oben, 4. Kapitel, I. 2. f) bb) und h) aa). 174  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa). 175  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  85b. 176  BVerwG, Beschl. v. 12.07.2012 – 4 B 13 / 12 –, ZfBR 2012, 671, 671; a. A. noch BT-Drs. 15 / 2250, S. 54, wonach auch planerische Festsetzungen allein einen zentralen Versorgungsbereich begründen könnten; inhaltlich offen gelassen von BVerwG, Urt. v. 11.10.2007 – 4 C 7 / 07 –, ZfBR 2008, 49, 49. 177  BVerwG, Beschl. v. 12.02.2009 – 4 B 5  / 09 –, NVwZ 2009, 781, 782; vgl. dazu auch Terwiesche, NVwZ 2010, 553, 553 ff.; vgl. auch Spannowsky, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 34 Rn. 53.1; Kassow / Lee, NVwZ 2013, 969, 971 ff.; für die Möglichkeit, zentrale Versorgungsbereiche anhand eines städtebaulichen Entwicklungskonzepts zu bestimmen noch OVG Koblenz, Urt. v. 05.11.2007 – 1 A 10351.07 –, BeckRS 2007, 27933. 178  VGH Mannheim, Urt. v. 20.12.2011 – 8 S 1438  / 09 –, NJOZ 2012, 632, 636 f. 170  BVerwG,



I. Einzelhandelssteuerung325

sorgungsbereichs verwendet werden können, nachdem § 5 Abs. 2 Nr. 2 d) BauGB solche Festsetzungen künftig erlauben soll.179 Damit dürfte sich die Abgrenzung eines zentralen Versorgungsbereichs zumindest dort erleichtern, wo die Flächennutzungspläne entsprechende Aussagen enthalten bzw. wo städtebauliche Entwicklungskonzepte in Flächennutzungspläne transferiert worden sind. Unabhängig von der Festsetzungsmöglichkeit im Flächennutzungsplan ist weiter fraglich, welche tatsächlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein zentraler Versorgungsbereich angenommen werden kann. Rieger etwa meint, unter Umständen könne bereits ein einziger Vollsortimenter ausreichen, wenn dieser als Magnet und Frequenzerzeuger für andere, kleinere Betriebe diene.180 Spannowsky hingegen fordert, dass zumindest in geringem Umfang eine Versorgung mit Waren und Dienstleistungen des kurz-, mittel- und langfristigen Bedarfs stattfindet.181 Die Rechtsprechung geht davon aus, dass ein zentraler Versorgungsbereich jedenfalls eine integrierte Lage voraussetzt, weshalb isolierte Standorte mit einzelnen Einzelhandelsbetrieben keinen zentralen Versorgungsbereich bilden.182 Nicht geklärt ist damit, ob ein einzelner Lebensmittelbetrieb in integrierter Lage einen zentralen Versorgungsbereich darstellen kann. Dies wird tendenziell zu verneinen sein,183 wenn die gesamte Grundversorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich gewährleistet werden soll, was jedoch eine abweichende Bewertung im Einzelfall nicht ausschließt. cc) Schädliche Auswirkungen (1) Begriff Schädliche Auswirkungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann gegeben, wenn die Funktionsfähigkeit des betroffenen zentralen Versorgungsbereichs in beachtlichem Ausmaß beeinträchtigt und damit gestört wird.184 Eine solche Funktionsstörung liegt vor, wenn der Versorgungsbereich seinen Versorgungsauftrag generell oder hinsichtlich einzel179  Näher

dazu, vgl. oben, 4. Kapitel, I. 2. g). UPR 2007, 366, 369. 181  Spannowsky, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 34 Rn. 53.3. 182  BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2  / 08 –, ZfBR 2010, 267, 268; OVG Münster, Urt. v. 01.02.2010 – 7 A 1635 / 07 –, BeckRS 2010, 46933. 183  In diese Richtung auch OVG Münster, Urt. v. 15.02.2012 – 10 A 1770 / 09 –, BeckRS 2012, 48249 für ein Nahversorgungszentrum, wo es jedoch an Dienstleistungsangeboten fehlte. 184  BVerwG, Urt. v. 11.10.2007 – 4 C 7 / 07 –, ZfBR 2008, 49, 50; BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 268. 180  Rieger,

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

ner Branchen nicht mehr in substantieller Weise wahrnehmen kann,185 insbesondere in Folge zu erwartender Kaufkraftabflüsse.186 Auswirkungen sollen damit, anders als im Rahmen des § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB, nicht erst dann schädlich sein, wenn sie die Schwelle zur Unzumutbarkeit überschreiten, d. h. ein Funktionsverlust bevorsteht.187 Dies ergibt sich bereits aus der Gesetzesbegründung, die die Vermeidung städtebaulich „nachhaltiger“ Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche als Ziel des § 34 Abs. 3 BauGB nennt.188 (2) Nachweis schädlicher Auswirkungen und Darlegungslast Ob schädliche Auswirkungen im Einzelfall vorliegen, beurteilt sich nach den konkreten Verhältnissen, wobei es insbesondere auf die Gesamtzusammenhänge in den betroffenen zentralen Versorgungsbereichen, den geplanten Standort des Vorhabens, etwaige negative Auswirkungen auf Magnetbetriebe im zentralen Versorgungsbereich sowie auf den zu erwartenden Kaufkraftabfluss ankommt.189 Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass der zu erwartende Kaufkraftabfluss als Maßstab zur Feststellung schädlicher Auswirkungen herangezogen werden kann.190 Marktgutachten sind danach zur Prognostizierung der voraussichtlichen Kaufkraftabflüsse nicht ausgeschlossen, aber auch nicht stets erforderlich.191 In der Praxis ist die Einholung eines Marktgutachtens sehr empfehlenswert.192 Allerdings wird die Baugenehmigungsbehörde in der Regel versuchen, das Vorhaben und seine Auswirkungen zunächst ohne gutachterliche Unterstützung allein unter Zuhilfe185  BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 268; VGH München, Urt. v. 13.12.2011 – 2 BV 07.377 –, BeckRS 48315. 186  BVerwG, Urt. v. 11.10.2007 – 4 C 7 / 07 –, ZfBR 2008, 49, 50. 187  BVerwG, Urt. v. 11.10.2007 – 4 C 7 / 07 –, ZfBR 2008, 49, 50; BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 268; BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 1 / 08 –, NVwZ 2010, 587, 588; BVerwG, Beschl. v. 12.01.2012 – 4 B 39 / 11 –, JurionRS 2012, 10184. 188  BT-Drs. 15 / 2250, S.  54. 189  BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 269; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  86b; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, §  1 Rn.  55; König, Aktuelle Rechtsprechung zu Einzelhandelsimmobilien, in: Kühling, Die Einzelhandelsimmobilie, S. 1, 12. 190  BVerwG, Urt. v. 11.10.2007 – 4 C 7 / 07 –, ZfBR 2008, 49, 50; BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 268. 191  BVerwG, Urt. v. 11.10.2007 – 4 C 7  /  07 –, ZfBR 2008, 49, 51; Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 268 f. verzichtet auf das Erfordernis der Einholung eines Marktgutachtens; kritisch dazu Manssen, Offene Rechtsfragen bei Einzelhandelsimmobilien, in: Kühling, Die Einzelhandelsimmobilie, S. 15, 22. 192  So auch Battis, DVBl. 2011, 196, 198; Schlarmann / Hamann, NVwZ 2008, 384, 387.



I. Einzelhandelssteuerung327

nahme der von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zu beurteilen,193 was unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht unproblematisch erscheint, zumal wenn sich die Situation nicht eindeutig darstellt. Die Prognoselast für das Vorliegen schädlicher Auswirkungen trägt nach Auffassung des OVG Münster zumindest bei nichtgroßflächigen Betrieben die Genehmigungsbehörde im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht nach § 24 Abs. 1 VwVfG NRW bzw. des jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetzes, so dass sie verpflichtet ist, sich in eigener Initiative das notwendige Tatsachenmaterial zu verschaffen194, und insbesondere im Zweifelsfall ein Marktgutachten einzuholen. In der Literatur wird teilweise vertreten, die Darlegungslast läge beim Bauherrn, da dieser sämtliche anspruchsbegründenden Voraussetzungen nachweisen müsse und er im Übrigen die Verantwortung für die Vollständigkeit der Antragsunterlagen trage.195 Letztlich führen die unterschiedlichen Ansätze in der Praxis nicht zu diametral verschiedenen Ergebnissen, denn auch wenn man der Baugenehmigungsbehörde die Prognoselast zuweist, wird der Bauherr gehalten sein, sämtliche Unterlagen beizusteuern, die zur Einordnung und Bewertung der Genehmigungsfähigkeit notwendig sind196 und insbesondere Bedenken gegen die Genehmigungsfähigkeit seines Vorhabens von sich aus durch die Vorlage eines eigenen Marktgutachtens auszuräumen.197 Die schädlichen Auswirkungen können nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weder mit absoluten Zahlen noch mit Prozentzahlen allgemein angegeben werden.198 Insbesondere können Zielvorgaben aus dem Landesplanungsrecht in Form von Kaufkraftabschöpfungsquoten, die sich an die Träger der Bauleitplanung richten, nicht als taugliches Kriterium zur Beurteilung der Schädlichkeit herangezogen werden.199 Dies ist überzeugend, denn ansonsten müsste eine bundesrechtliche Norm des Bauplanungsrechts 193  So für die Stadt München Mager, Nicht nur die Kirche muss im Dorf bleiben, in: Kühling, Die Einzelhandelsimmobilie, S. 29, 34. 194  OVG Münster, Urt. v. 13.06.2007 – 10 A 2439 / 06 –, BeckRS 2007, 26016; vgl. auch Berkemann / Halama, Erstkommentierungen zum BauGB 2004, § 34 Rn. 28; Uechtritz, NVwZ 2007, 660, 663; ähnlich auch Mager, Nicht nur die Kirche muss im Dorf bleiben, in: Kühling, Die Einzelhandelsimmobilie, S. 29, 36. 195  Gatawis, NVwZ 2006, 272, 276; Reidt, UPR 2005, 241, 246 f.; vgl. auch den Einführungserlass NRW zum EAG Bau vom 30.1.2005, MBl. NRW v. 15.3.2005, S. 342. 196  OVG Münster, Urt. v. 13.06.2007 – 10 A 2439 / 06 –, BeckRS 2007, 26016; vgl. auch Mager, Nicht nur die Kirche muss im Dorf bleiben, in: Kühling, Die Einzelhandelsimmobilie, S. 29, 36. 197  So auch die Einschätzung von Uechtritz, NVwZ 2007, 660, 663. 198  BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 269. 199  BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 1 / 08 –, NVwZ 2010, 587, 590.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

im Lichte landesrechtlicher Normen des Raumordnungsrechts ausgelegt werden, was mangels entsprechender Delegation aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ausscheidet.200 In der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte haben sich verschiedene Ansätze zur Bestimmung des Kaufkraftabzuges herausgebildet. Das OVG Münster etwa geht davon aus, dass zur Feststellung des Kaufkraftabzugs ein Verkaufsflächenvergleich, d. h. ein Vergleich der Verkaufsfläche des geplanten Einzelhandelsvorhabens mit der gesamten branchenspezifischen Verkaufsfläche im fraglichen Versorgungszentrum, dienen kann,201 wobei weitere Faktoren wie etwa der Abstand zwischen dem geplanten Vorhaben und dem betroffenen zentralen Versorgungsbereich, die Auswirkungen auf einen Magnetbetrieb, bereits bestehende Einzelhandelsbetriebe in der Nähe des zentralen Versorgungsbereichs202 oder die Kundenattraktivität des geplanten Vorhabens berücksichtigt werden können.203 Der VGH München dagegen zieht statt eines Verkaufsflächenvergleichs die Aussagen eines Sachverständigengutachtens neben den anderen genannten Faktoren zur Beurteilung der Kaufkraftabflüsse heran.204 Das Bundesverwaltungsgericht205 hat sich bislang nicht eindeutig für eine bestimmte Rechtsprechungslinie entschieden, doch hat es betont, dass ein Vergleich der branchenspezifischen Verkaufsflächen rechtlich nicht überzubewerten sei.206 Nach seiner Auffassung liegt die Entscheidung, an Hand welcher Methode ein voraussichtlicher Kaufkraftabfluss prognostisch ermittelt wird bzw. die Überprüfung, ob die von der Genehmigungsbehörde verwandte Methode zu beanstanden sei, grundsätzlich beim Tatsachengericht und ist nur bei völliger Ungeeignetheit zu beanstanden.207 auch Kraus / Feise, UPR 2010, 331, 334 f. Münster, Urt. v. 11.12.2006 – 7 A 964.05 –, NVwZ 2007, 727, 732 f.; Urt. v. 01.02.2010 – 7 A 1635.07 –, BauR 2010, 1188, 1189; Urt. v. 01.07.2009 – 10 A 2350.07 –, ZfBR 2009, 687, 690. 202  OVG Münster, Urt. v. 01.07.2009 – 10 A 2350.07 –, ZfBR 2009, 687, 690; zu diesem Kriterium auch BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 1 / 08 –, NVwZ 2010, 587, 588; BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 269. 203  OVG Münster, Urt. v. 11.12.2006 – 7 A 964.05 –, NVwZ 2007, 727, 732 f.; Urt. v. 01.02.2010 – 7 A 1635.07 –, BauR 2010, 1188, 1189; Urt. v. 01.07.2009 – 10 A 2350.07 –, ZfBR 2009, 687, 690. 204  VGH München, Urt. v. 10.08.2007 – 2 BV 07.3 –, BeckRS 2010, 46666; Urt. v. 14.04.2011 – 2 BV 10.397 –, BeckRS 2012, 48316; nicht primär auf Sachverständigengutachten abstellend allerdings VGH München, Urt. v. 13.12.2011 – 2 BV 07.377 –, BeckRS 2012, 48315. 205  BVerwG, Urt. v. 11.10.2007 – 4 C 7 / 07 –, ZfBR 2008, 49, 51; Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 268; vgl. auch Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 34 Rn. 86c. 206  BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 1 / 08 –, NVwZ 2010, 587, 589. 207  BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 268; BVerwG, Urt. v. 11.10.2007 – 4 C 7 / 07 –, ZfBR 2008, 49, 51. 200  Vgl.

201  OVG



I. Einzelhandelssteuerung329

In der Praxis hat sich eine umfangreiche, kaum mehr überschaubare Kasuistik herausgebildet.208 Auch die Wertungen des § 11 Abs. 3 BauNVO über die Unzulässigkeit großflächiger Einzelhandelsbetriebe können nach Ansicht der Rechtsprechung im Rahmen des § 34 Abs. 3 BauGB weder unmittelbar noch entsprechend heran gezogen werden, da § 34 Abs. 3 BauGB diesbezüglich keine Regelungslücke enthalte und im Rahmen des § 34 Abs. 3 BauGB stets auf den konkreten Einzelfall abzustellen sei.209 Schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche sind danach nicht erst dann anzunehmen, wenn das Vorhaben Zielen der Raumordnung widerspricht.210 Grund dafür ist, dass landesplanerische Festlegungen im Rahmen des § 34 BauGB schon nach dem Wortlaut nicht zu berücksichtigen sind. Bei der Erweiterung eines bereits vorhandenen Einzelhandelsbetriebs soll grundsätzlich die Zulässigkeit des Gesamtvorhabens zu Grunde zu legen sein.211 Deshalb ist bei der Beurteilung der gegenwärtige Betrieb in der vorhandenen Größe mit seinen möglicherweise bereits bestehenden Auswirkungen auf den zentralen Versorgungsbereich mit dem Zustand zu vergleichen, der den Prognosen zufolge nach Umsetzung der geplanten Erweiterung bestehen wird.212 (3) Probleme bei der Erstellung von Marktgutachten Wenngleich sich die Rechtsprechung einig darüber ist, dass Marktgutachten einen wichtigen Beitrag zur Beurteilung der Kaufkraftabflüsse und damit der Schädlichkeit eines Einzelhandelsvorhabens liefern können, erweist sich die Erstellung solcher Gutachten in der Praxis oft als problematisch. Insbesondere die Methodik ist uneinheitlich.213 Huerkamp / Kühling schlagen bei 208  Vgl. dazu näher Söfker in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 34 Rn. 86l. 209  BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2  / 08 –, ZfBR 2010, 267, 268; Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 1 / 08 –, NVwZ 2010, 587, 588; so bereits Beschl. v. 17.02.2009 – 4 B 4 / 09 –, BeckRS 2009, 32330; Beschl. v. 12.02.2009 – 4 B 3 / 09 –, NVwZ 2009, 779, 780; ähnlich OVG Münster, Urt. v. 06.11.2008 – 10 A 1417 / 07 –, BauR 2009, 220, 221; so im Ergebnis auch Schlarmann / Hamann, NVwZ 2008, 384, 386. 210  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  86i; so auch BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 1 / 08 –, NVwZ 2010, 587, 589. 211  OVG Münster, Urt. v. 06.11.2008 – 10 A 1417 / 07 –, BauR 2009, 220, 221 f. 212  OVG Münster, Urt. v. 06.11.2008 – 10 A 1417 / 07 –, BauR 2009, 220, 221. 213  Ausführlich dazu Kühling / Huerkamp, Auswirkungen von Einzelhandelsprojekten und bauplanungsrechtliche Genehmigung, in: Kühling, Die Einzelhandels­ immobilie, S. 53, 54 u. 59.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

der Erstellung von Einzelhandelsgutachten eine zweistufige Prüfung vor.214 Auf der ersten Stufe soll dabei eine Prognose der Marktanteilsverschiebungen stehen, wobei empirisch untersucht werden soll, wie sich die Ausgangslage gestaltet und inwiefern diese durch die Art des neuen Vorhabens, seine Anziehungskraft, die Flächenproduktivität sowie etwaige Summationseffekte verändert werden kann. Auf einer zweiten Stufe sollen die ermittelten Marktanteilsverschiebungen bewertet werden. Innerhalb dieser Untersuchung ist wiederum ein zweischrittiges Vorgehen erforderlich. Zunächst sollen die Wirkungen des Vorhabens auf direkte Konkurrenten im Versorgungsbereich untersucht werden, am besten unter Einbindung wirtschaftswissenschaft­ lichen Sachverstandes, da nicht alle Betriebe im Versorgungsbereich von etwaigen Kaufkraftabflüssen betroffen sein werden, insbesondere dann nicht, wenn sie keine direkten Konkurrenten des geplanten Vorhabens sind. In einem zweiten Schritt sollen schließlich die vermittelten Auswirkungen des geplanten Vorhabens auf den Versorgungsbereich untersucht werden. Hierbei ist insbesondere die Funktionsfähigkeit des Versorgungsbereichs von Bedeutung, die beispielsweise dann bedroht sein kann, wenn ein bestehender Magnetbetrieb durch das geplante Vorhaben in seiner Existenz gefährdet wird und eine adäquate Nachnutzung nicht ersichtlich ist. Gegen diese Methodik der Gutachtenerstellung lässt sich einwenden, dass sie in der Praxis nicht immer umsetzbar sein wird. Insbesondere wird es dem Gutachter nicht immer möglich sein, sämtliche der genannten Faktoren zu untersuchen, zumal er zu diesem Zweck Daten von Konkurrenzbetrieben einbeziehen müsste, die ihm oft nicht zugänglich sein werden. Hinzu kommt, dass ein derart umfangreiches Verfahren sehr kostenaufwändig und daher gerade für kleinere Betriebe nicht bezahlbar ist. Schließlich besteht die Gefahr, dass der Gutachter unter Heranziehung der dargestellten Methode zu keinem eindeutigen Ergebnis kommt und das Vorhaben konsequenterweise erlaubt werden muss. Andererseits darf freilich nicht übersehen werden, dass eine fundierte Untersuchung den Grundrechten der Betroffenen eher gerecht wird als eine bloße Plausibilitätskontrolle, wie sie von der Rechtsprechung auch ohne Vorliegen eines Beurteilungsspielraums der Genehmigungsbehörde häufig durchgeführt wird. Letztlich wird ein Mittelweg zu suchen sein zwischen einer bloßen Evidenzprüfung und einer wissenschaftlicher Untersuchung, welche die Einbeziehung kaum zugänglicher Daten impliziert.

214  Näher dazu Kühling / Huerkamp, Auswirkungen von Einzelhandelsprojekten und bauplanungsrechtliche Genehmigung, in: Kühling, Die Einzelhandelsimmobilie, S.  53, 59 ff.



I. Einzelhandelssteuerung331

b) Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht und Europarecht aa) Art. 12 Abs. 1 GG § 34 Abs. 3 BauGB greift in die Berufsfreiheit der Investoren ein, indem er die Ansiedlung eines Einzelhandelsbetrieb an einem bestimmten Ort ausschließt, wenn von dem fraglichen Betrieb schädliche Auswirkungen auf einen zentralen Versorgungsbereich zu erwarten sind. Es handelt sich dabei um eine Berufsausübungsregelung, die dann gerechtfertigt ist, wenn vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls vorgebracht werden können.215 Die Vorschrift verfolgt mit der Stärkung der Innenentwicklung und der Erhaltung der verbrauchernahen Versorgung zweifellos legitime Ziele. Fraglich ist allerdings ihre Geeignetheit. Sie enthält mit dem Begriff „schädliche Auswirkungen“ einen unbestimmten Rechtsbegriff, welcher der Konkretisierung durch die Gerichte bedarf. Allerdings ist es bislang nicht gelungen, konkrete Anhaltspunkte dafür zu finden, wann solche schäd­ lichen Auswirkungen im Einzelfall anzunehmen sind. Die Rechtsprechung ist äußerst uneinheitlich, zumal konkrete Schwellenwerte vom Bundesverwaltungsgericht bislang abgelehnt werden.216 So hat das OVG Münster schädliche Auswirkungen bei einem Lebensmittelmarkt mit einer Verkaufsfläche von weniger als 800 m2 in ca. 800 m Entfernung von einem Nachbarschaftszentrum bejaht,217 während das OVG Weimar schädliche Auswirkungen bei einem Lebensmitteldiscounter von etwas über 800 m2 Verkaufsfläche in einer Entfernung von ca. 500 m von einem Nahbereichszentrum verneint hat.218 Letztlich obliegt es dem Beamten in der Baugenehmigungsbehörde, über die Auslegung dieses Rechtsbegriffes zu entscheiden, da eine gerichtliche Prüfung auch ohne Anerkennung eines Beurteilungsspielraums der Verwaltung schon aus praktischen Gründen nicht in sämt­ lichen Einzelfällen wird stattfinden können. Dies wiederum führt zu einer sehr uneinheitlichen Handhabung, so dass von einer kohärenten Einzelhandelsstrategie im Hinblick auf die Versorgung der Bevölkerung nicht die Rede sein kann. Allerdings hat der Gesetzgeber bei der Beurteilung der Geeignetheit einer Maßnahme einen weiten Einschätzungsspielraum,219 so dass die Geeignetheit noch zu bejahen sein wird, weil die Vorschrift zu215  BVerfGE

7, 377, 405 f. Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2 / 08 –, ZfBR 2010, 267, 269. 217  OVG Münster, Urt. v. 01.07.2009 – 10 A 2359 / 07 –, ZfBR 2009, 687, 687 ff.  218  OVG Weimar, Beschl. v. 30.07.2009 – 1 EO 198 / 09 –, ThürVBl. 2010, 14, 18. 219  BVerfGE 25, 1, 17; 99, 367, 392; 102, 197, 218; 121, 317, 356. 216  BVerwG,

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

mindest einzelne, für die verbrauchernahe Versorgung schädliche Einzelhandelsbetriebe verhindern kann. Indes fehlt es an der Erforderlichkeit der Vorschrift. § 34 Abs. 3 BauGB bezieht sich auf jedwede Einzelhandelsvorhaben, nicht nur auf großflächige, so dass in der Praxis auch die Betreiber kleinflächiger Märkte mit Hilfe von Marktgutachten deren Unschädlichkeit darlegen müssen, obwohl diese für die Versorgung eines bestimmten Gebietes von Bedeutung sein können und von solchen Märkten nicht zwingend schädliche Auswirkungen auf benachbarte Versorgungszentren ausgehen.220 Dadurch wird das eigentliche Ziel der Vorschrift sogar unterlaufen, denn Betreiber kleinerer Lebensmittelläden werden sich nicht ohne Weiteres in Gebieten ansiedeln wollen, deren Nahversorgung bislang unzureichend ist, wenn kostenaufwändige Marktgutachten erforderlich werden und möglicherweise langwierige Rechtsstreitigkeiten drohen. Daneben können die Gemeinden mit Hilfe qualifizierter Bebauungspläne sowie nach § 9 Abs. 2 a BauGB bestimmte Einzelhandelsnutzungen ausschließen. Diese Möglichkeiten beinhalten für die Betroffenen geringere Beeinträchtigungen, da hier zumindest vorab absehbar ist, welche Nutzungen in einem bestimmten Gebiet zulässig bzw. ausgeschlossen sein sollen. § 9 Abs. 2 a BauGB ist zudem nicht weniger wirksam als die Regelung des § 34 Abs. 3 BauGB, da § 9 Abs 2 a BauGB den Gemeinden die Möglichkeit gibt, vergleichsweise rasch und unproblematisch einen einfachen Bebauungsplan aufzustellen.221 Deshalb greift auch der Hinweis auf die Kosten einer Planung nicht durch. Zwar erfordern auch Planungen nach § 9 Abs. 2 a BauGB gewisse fachliche Ressourcen und damit finanzielle Mittel, doch wird man kaum unterstellen können, Gemeinden seien generell nicht in der Lage, die Kosten für eine solche Ausschlussplanung aufzubringen. Sollte eine Gemeinde daher von § 9 Abs. 2 a BauGB nicht Gebrauch machen, ist dies keine Frage der Effizienz der Regelung an sich, sondern der Umsetzung durch die Gemeinden vor Ort. Daneben würde es auch an der Angemessenheit von § 34 Abs. 3 BauGB fehlen. Anders als bei § 9 Abs. 2 a BauGB oder entsprechenden Festsetzungen in Bebauungsplänen handelt es sich bei einer Entscheidung nach § 34 Abs. 3 BauGB um einen Eingriff, der allein auf dem Urteil eines Behördenmitarbeiters beruht, der sich im günstigsten Fall noch mit seinen Vorgesetzten oder der Rechtsaufsichtsbehörde bespricht. Dies stellt einen vergleichsweise intensiven Eingriff dar, da die Baugenehmigungsbehörde de facto eine Art „Beurteilungsspielraum“ hinsichtlich der Frage erhält, ob schädliche Auswirkungen vorliegen oder nicht, obwohl ihr rechtlich ein solcher Beurinsoweit auch Krumb / Stapelfeldt, BauR 2011, 64, 75 f. dazu oben, 4. Kapitel, I. 2. h) aa).

220  Kritisch 221  Vgl.



I. Einzelhandelssteuerung333

teilungsspielraum nicht zusteht.222 Demgegenüber stehen die grundrechtliche geschützte Berufsfreiheit sowie die fehlenden Alternativen des Unternehmers, der eine Genehmigungsentscheidung auf Basis des § 34 Abs. 3 BauGB nicht umgehen kann, wenn die Gemeinde weder einen qualifizierten Bebauungsplan aufstellt noch sich auf einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan einlässt. Den Grundrechten des Unternehmers wird nur dann Rechnung getragen, wenn sie verfahrensrechtlich abgesichert werden, was nur durch ein transparentes Verwaltungsverfahren,223 d. h. Planaufstellungsverfahren geschehen kann. bb) Art. 49 AEUV § 34 Abs. 3 BauGB ist überdies problematisch hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV, sofern man diese neben der Dienstleistungsrichtlinie für anwendbar hält.224 Es gilt hierbei im Wesentlichen das zu Art. 12 Abs. 1 GG Gesagte.225 Der unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bleibt weder inhaltlich noch hinsichtlich seiner Prüfungsdichte in entscheidender Weise hinter dem des nationalen Rechts zurück.226 Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass der EuGH dem deutschen Gesetzgeber bei der Beurteilung der Geeignetheit und Erforderlichkeit einen Einschätzungsspielraum einräumt, da der Gerichtshof bei Beeinträchtigungen der Niederlassungsfreiheit in der Regel die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme entweder selbst voll überprüft227 oder zumindest die nationalen Gerichte zur Überprüfung verpflichtet.228 Unabhängig davon ist die Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit durch § 34 Abs. 3 BauGB nicht angemessen.229 222  BVerwG,

Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 1 / 08 –, NVwZ 2010, 587, 588. Manssen, Offene Rechtsfragen bei Einzelhandelsimmobilien, in: Kühling, Die Einzelhandelsimmobilie, S. 15, 23. 224  Zur Frage des Vorrang des Sekundärrechts s. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (d); zur Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie im Bauplanungsrecht s. unten, 4. Kapitel, I. 4. b) cc). 225  Vgl. dazu oben, 4. Kapitel, I. 4. b) aa). 226  Näher dazu, vgl. Zuleeg, NJW 1997, 1201, 1204; Kischel, EuR 2000, 380, 390 ff.  227  EuGH, Urt. v. 09.03.1999, C-212  / 97, Centros, Slg. 1999, I-1459 Rn. 35 ff.; Urt. v. 26.10.2006, C-65 / 05, Kommission / Griechenland, Slg. 2006, I-10341 Rn. 55 i. V. m. 39 f.; Urt. v. 26.10.2006, C-345 / 05, Kommission / Portugal, Slg 2006, I-10633 Rn. 32 ff.; Urt. v. 06.03.2007, C338 / 04, Placanica, Slg. 2007, I-1891 Rn. 62. 228  EuGH, Urt. v. 06.03.2007, C-338 / 04, Placanica, Slg. 2007, I-1891 Rn. 58. 229  Zur Prüfung der Angemessenheit durch den EuGH, vgl. Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 7 Rn. 110; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2685; zweifelnd hinsichtlich der Vereinbarkeit von § 34 Abs. 3 BauGB mit der 223  Vgl.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

cc) Art. 10 Abs. 2 lit. d) und e), Art. 14 Nr. 5 und Art. 15 Abs. lit. 2 a) Dienstleistungsrichtlinie § 34 Abs. 3 BauGB ist an den Vorgaben der europäischen Dienstleistungsrichtlinie230 zu messen. Die Richtlinie ist auf bauplanungsrechtliche Vorschriften anwendbar. Insbesondere steht Erwägungsgrund Nr. 9 der Richtlinie nicht entgegen, wonach die Richtlinie keine Anwendung findet u. a. auf Vorschriften der Stadtentwicklung oder Bodennutzung, der Stadtplanung oder Raumordnung, die nicht die Dienstleistungstätigkeit als solche regeln oder betreffen, sondern von Dienstleistungserbringern im Zuge der Ausübung ihrer Wirtschaftstätigkeit genauso beachtet werden müssen wie von Privatpersonen.231 § 34 Abs. 3 BauGB richtet sich zwar nach seinem Wortlaut gleichermaßen an Dienstleistungserbringer und Privatpersonen, in der Praxis ist aber kaum eine Situation denkbar, in der die bauliche Nutzung einer Privatperson schädliche Auswirkungen auf einen zentralen Versorgungsbereich im Sinne der Vorschrift hervorrufen würde. Es wird vielmehr stets eine Niederlassung nach Art. 4 Nr. 5 der Dienstleistungsrichtlinie vorliegen, da § 34 Abs. 3 BauGB auf Einzelhandels-, Gastronomie- und andere Servicebetriebe abzielt, die in Konkurrenz zu entsprechenden Läden in den zentralen Versorgungsbereichen stehen.232 Gemäß Art. 10 Abs. 2 lit. d) und e) der Richtlinie müssen Genehmigungsvoraussetzungen klar, unzweideutig und objektiv sein. Bereits hieran fehlt es bei § 34 Abs. 3 BauGB, denn wann „schädliche Auswirkungen“ auf zentrale Versorgungsbereiche im Einzelfall vorliegen sollen, ergibt sich weder aus § 34 Abs. 3 BauGB selbst noch aus konkretisierenden Vorschriften oder einer gefestigten Rechtsprechung, sondern bleibt der Entscheidung des zuständigen Verwaltungsbeamten vorbehalten. Insbesondere hat die Rechtsprechung die Heranziehung von Schwellenwerten für einen Kaufkraftabzug abgelehnt, so dass es für einen Investor oft unmöglich sein wird, voraus zu sehen, ob sein Vorhaben die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 BauGB erfüllt. Nach Art. 14 Nr. 5 der Richtlinie darf die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit im Hoheitsbereich eines Mitgliedstaates zudem Niederlassungsfreiheit auch Wiggers, NJW-Spezial 2011, 556, 557, der zudem noch einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot und das Diskriminierungsverbot in Erwägung zieht. 230  Richtlinie 2006  /  123  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl.EU Nr. L 376, S. 36. 231  Näher zur Problematik der Anwendbarkeit der Richtlinie, vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (e). 232  So auch Krumb / Stapelfeldt, BauR 2011, 64, 70 f.



I. Einzelhandelssteuerung335

nicht von einer wirtschaftlichen Überprüfung im Einzelfall abhängig gemacht werden, bei der die Erteilung der Genehmigung vom Nachweis eines wirtschaftlichen Bedarfs oder einer Marktnachfrage abhängig gemacht wird oder von der Beurteilung der tatsächlichen oder möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Tätigkeit abhängt. Genau dies ist jedoch bei § 34 Abs. 3 BauGB der Fall. Im Anwendungsbereich der Vorschrift muss der Investor in der Praxis ein Marktgutachten vorlegen, um die Unschädlichkeit seines Vorhabens für zentrale Versorgungsbereiche nachzuweisen.233 Dagegen lässt sich nicht anführen, dass erstens die Prognoselast bei der Genehmigungsbehörde liegt und zweitens die Rechtsprechung nicht in allen Fällen Marktgutachten verlangt. Entscheidend ist vielmehr, dass der Unternehmer schon im eigenen Interesse ein entsprechendes Gutachten vorlegen muss und wird, um die Realisierungschancen für sein Vorhaben zu erhöhen. § 34 Abs. 3 kann nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses i. S. d. Art. 14 Nr. 5 der Dienstleistungsrichtlinie gerechtfertigt werden, nachdem die Vorschrift weder erforderlich noch angemessen ist. Insoweit gilt das zu Art. 12 Abs. 1 GG Gesagte entsprechend.234 Auch ein Verstoß gegen Art. 15 Abs. 2 lit. a) der Dienstleistungsrichtlinie liegt nahe. Danach sind Vorschriften, die die Aufnahme oder Ausübung von Dienstleistungen mengenmäßigen oder territorialen Beschränkungen unterwerfen, insbesondere in Form von Beschränkungen auf Grund der Bevölkerungszahl oder bestimmter Mindestanforderungen zwischen Dienstleistungserbringern, untersagt. Unmittelbare Beschränkungen enthält § 34 Abs. 3 BauGB nicht. Allerdings wird von den Einzelhandelsunternehmern de facto eine Ansiedlung in einem zentralen Versorgungsbereich oder entsprechend festgesetzten Baugebiet verlangt,235 da sich bei einer Ansiedlung außerhalb dieser Bereiche regelmäßig die Problematik der schädlichen Auswirkungen auf einen zentralen Versorgungsbereich stellt. Eine Rechtfertigung wird auch hier mangels Erforderlichkeit und Angemessenheit der Norm scheitern. c) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Die Bewertung des § 34 Abs. 3 BauGB vor dem Hintergrund des demografischen Wandels fällt ambivalent aus. Einerseits ist der Ansatz des Gesetzgebers, zentrale Versorgungsbereiche vor Beeinträchtigungen zu schüt233  Vgl auch Krumb / Stapelfeldt, BauR 2011, 64, 73; Wienhues, Die Gemeinde, Zeitschrift für die kommunale Selbstverwaltung in Schleswig-Holstein 2011, 229, 230. 234  Vgl. oben, 4. Kapitel, I. 4. b) aa). 235  Vgl. auch Krumb / Stapelfeldt, BauR 2011, 64, 77.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

zen, in der Sache richtig und daher auch zu begrüßen, zumal auf diese Weise die fußläufige Erreichbarkeit von Lebensmittelläden, insbesondere für ältere Menschen, erhalten werden kann. Dies gilt umso mehr, als das Bundesverwaltungsgericht die Schutzfunktion des § 34 Abs. 3 BauGB auch auf Stadtteilszentren erstreckt, die lediglich einen fußläufig errreichbaren Einzugsbereich aufweisen.236 Allerdings ist die Ausgestaltung der Vorschrift höchst problematisch. Insbesondere der unbestimmte Rechtsbegriff der „schädlichen Auswirkungen“ ist in der Praxis schwer zu handhaben. Bislang ist es der Rechtsprechung nicht gelungen, eindeutige Maßstäbe dafür zu finden, wann derartige schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche vorliegen sollen. Die Folge ist eine kaum mehr zu überblickende Kasuistik, bei der es für sämtliche Beteiligte vorab kaum absehbar ist, ob ein Vorhaben genehmigungsfähig ist oder nicht.237 Vieles hängt von den Marktgutachten ab, welche in der Praxis trotz grundsätzlicher Darlegungslast der Genehmigungsbehörde vom Vorhabensträger vorzulegen sind. Dies wiederum kann dazu führen, dass Betriebe, die, obwohl außerhalb eines zentralen Versorgungsbereichs gelegen, an sich die Versorgung der Bevölkerung verbessern würden, von einer Ansiedlung abgeschreckt werden, weil sie sie Kosten für umfangreiche Marktgutachten nicht aufbringen wollen oder können. Dies gilt umso mehr, als § 34 Abs. 3 BauGB auch auf nichtgroßflächige Betriebe Anwendung findet. Hinzu kommt, dass nicht immer klar sein wird, ob noch ein zentraler Versorgungsbereich besteht oder ob es sich beispielsweise nur um eine Ansammlung mehrerer Einzelhandelsbetriebe handelt.238 Ein noch gewichtigerer Einwand gegen § 34 Abs. 3 BauGB ist dessen Verfassungs- und Europarechtswidrigkeit. Insbesondere ein Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie liegt nahe, so dass die Norm nach einem entsprechenden Urteil des EuGH bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht mehr zur Anwendung kommen darf. In diesem Fall wird § 34 Abs. 3 BauGB auch für rein nationale Sachverhalte nicht mehr zu halten sein, so dass die Vorschrift früher oder später gestrichen wird. In diesem Fall richtet sich die Zulässigkeit von Einzelhandelsvorhaben im unbeplanten Innenbereich alleine nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB, mit den entsprechenden systemimmanenten Lücken. Dies ist insofern problematisch, als gegenwärtig auch Jahn, ThürVBl. 2010, 198, 199. auch Kraus / Feise, UPR 2010, 331, 335; Dahlke-Piel, SächsVBl. 2011, 7, 11; a. A. allerdings Mager, Nicht nur die Kirche muss im Dorf bleiben, in: Kühling, Die Einzelhandelsimmobilie, S. 29, 29, der davon ausgeht, dass die Vorschrift „mittlerweile durch die Rechtsprechung praxistaugliche Konturen erhalten hat“. 238  Erhard, NVwZ 2009, 944, 946; zur Abgrenzungsproblematik, vgl. auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.11.2007 – 1 ME 276 / 07, BeckRS 2007, 28005. 236  So

237  Kritisch



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ca. 30–40 % aller Bauanträge nach § 34 BauGB zu beurteilen sind239 und daher auch viele Einzelhandelsvorhaben nach dieser Vorschrift genehmigt werden. Anders als etwa Claus240 meint, ist die „demografisch täglich dringlichere ‚Altenversorgung‘ “ im unbeplanten Innenbereich damit keineswegs durch den Gesetzgeber garantiert. Der Versuch, mit § 34 Abs. 3 BauGB die wohnortnahe Versorgung der Verbraucher zu gewährleisten, kann eher als gut gemeint, letztlich aber unpraktikabel und schlecht umgesetzt angesehen werden.

5. Einschränkung der Abweichungsmöglichkeit nach § 34 Abs. 3a S. 2 BauGB a) Inhalt und Regelungswirkung Eine weitere Regelung, die den Schutz der verbrauchernahen Versorgung und der zentralen Versorgungsbereiche bezweckt, ist in § 34 Abs. 3 a S. 2 BauGB verankert. Nach § 34 Abs. 3 a S. 1 BauGB kann bei der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbebetriebes vom Erfordernis des sich Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 unter engen, näher genannten Voraussetzungen im Einzelfall abgewichen werden. § 34 Abs. 3 a S. 2 BauGB beinhaltet insoweit eine Einschränkung, als danach Satz 1 keine Anwendung findet auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. Die Norm soll sicher stellen, dass Einzelhandelsvorhaben, die nach § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich unzulässig sind, nicht im Wege des § 34 Abs. 3 a BauGB plötzlich doch genehmigt werden können, obwohl sie die verbrauchernahe Versorgung beeinträchtigen. Eine derartige Beeinträchtigung ist vor allem dann anzunehmen, wenn einem Betrieb, dessen Warensortiment auf die verbrauchernahe Versorgung ausgerichtet ist, die Verbrauchernähe fehlt, d. h. er fußläufig nicht oder nur schlecht zu erreicht werden kann.241 Die Vorgabe, dass von einem Vorhaben keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche ausgehen dürfen, dient lediglich der Klarstellung, da selbst bei einer Abweichung von § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB immer noch die Zulassungsschranke des § 34 Abs. 3 BauGB zu beachten ist. Die Klarstellung wird jedoch insoweit relevant, als die Verfassungs- und Europarechtskonformität 239  Battis,

Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, S. 145 m. w. N. NVwZ 2010, 753, 755. 241  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  89. 240  Claus,

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

des § 34 Abs. 3 BauGB zweifelhaft ist. Hieran anknüpfend ergibt sich die Frage, ob und inwieweit § 34 Abs. 3 a S. 2 BauGB seinerseits den Vorgaben des Grundgesetzes und des Europarechts entspricht. Dabei ist zu bedenken, dass die von § 34 Abs. 3 a BauGB erfassten Vorhaben grundsätzlich bereits nach § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB unzulässig sind. § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB seinerseits stellt eine verfassungs- und europarechtskonforme Beschränkung der Berufs- und Niederlassungsfreiheit dar. Wenn hiervon eine Abweichung gestattet werden soll, darf der Zweck des § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB, nämlich das Sich-Einfügen eines Vorhabens in die Eigenart der näheren Umgebung, nicht unterlaufen werden. Vor diesem Hintergrund ist die Bestimmung des § 34 Abs. 3 a S. 2 BauGB erforderlich und angemessen, so dass den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG sowie der Niederlassungsfreiheit und den einschlägigen Bestimmungen der Dienstleistungsrichtlinie hinreichend Rechnung getragen wird. b) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung ist die Vorschrift ein Mittel, um zu verhindern, dass im Rahmen von Abweichungen nach § 34 Abs. 3 a S. 1 BauGB die Anforderungen des § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB umgangen werden. Ihr Anwendungsbereich ist jedoch vergleichsweise eng, da die Norm ausschließlich auf die Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung von zulässigerweise errichteten Betrieben abstellt. Die problematischen Neuansiedlungen von Einzelhandelsbetrieben werden dagegen nicht erfasst, so dass die Steuerungswirkung der Norm in Bezug auf die Einzelhandelsansiedlung als gering anzusehen ist.

6. Sondergebietsfestsetzungen nach § 11 Abs. 2 und 3 BauNVO a) Festsetzung sonstiger Sondergebiete nach § 11 Abs. 2 BauNVO Nach § 11 Abs. 2 BauNVO können sonstige Sondergebiete, d. h. Gebiete, die sich von den Baugebieten nach den §§ 2 bis 10 BauNVO wesentlich unterscheiden (§ 11 Abs. 1 BauNVO), im Bebauungsplan festgesetzt werden, wobei sich die Darstellung und Festsetzung solcher Gebiete auf ihre Zweckbestimmung und die Art der Nutzung beziehen muss. Die Vorschrift nennt beispielhaft u. a. Gebiete für Einkaufszentren und großflächige Einzelhandelsbetriebe. Die Zweckbestimmung kann jedoch auch anders formuliert



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werden, z. B. „Factory Outlet Center“ oder „Großflächiger Einzelhandel“.242 Auch Kombinationen sind möglich. So können neben großflächigen Einzelhandelsbetrieben auch sonstige Nutzungen wie Dienstleistungen zugelassen werden.243 Da es sich bei Einkaufszentren und Einzelhandelsbetrieben um eine bauliche Nutzung handelt, ist gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO stets das Maß der baulichen Nutzung anzugeben, etwa in Form der Zahl oder Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen. Die Gemeinde darf in dem von ihr festgesetzten Sondergebiet den Anlagentyp selbst bestimmen, indem sie eine Begrenzung der Verkaufsflächen vorgibt.244 Überdies kann die Gemeinde die höchstzulässige Verkaufsfläche für das jeweilige Grundstück im Bebauungsplan dadurch bestimmen, dass sie die maximale Verkaufsflächengröße im Verhältnis zur Grundstücksgröße durch eine Verhältniszahl definiert, sofern dies der Regelung der Ansiedlung bestimmter Einzelhandelsbetriebs­ typen, d. h. der Art der baulichen Nutzung dienen soll.245 Grundsätzlich unzulässig zur Steuerung des Einzelhandels ist indes eine baugebietsbezogene, vorhabenunabhängige Verkaufsflächenobergrenze für alle im Sondergebiet ansässigen oder zulässigen Einzelhandelsbetriebe, da eine solche Regelung der Systematik der anlagen- und betriebsbezogenen Baunutzungsverordnung widerspräche.246 Überdies drohte andernfalls ein „Windhundrennen“ poten­ tieller Investoren um die verfügbaren Flächen.247 Umstritten vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist die Zulässigkeit einer Begrenzung der Verkaufsflächen, wenn in einem planfestgesetzten Sondergebiet nur ein einzelnes Vorhaben einer bestimmten Art, z. B. nur ein einziges Einkaufszentrum zulässig sein soll, denn auf diese Weise kann ebenfalls eine baugebietsbezogene Verkaufsflächenbeschränkung erreicht werden. Das OVG Koblenz verneint dies mit dem Verweis auf das Fehlen einer tauglichen Rechtsgrundlage 242  BVerwG, Urt. v. 18.02.1994 – 4 C 4 / 92 –, NVwZ 1995, 267, 267 f.; Fickert /  Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 10.1. 243  BVerwG, Urt. v. 28.05.2009 – 4 CN 2 / 08 –, ZfBR 2009, 682, 684; Beschl. v. 02.02.2010 – 4 BN 4 / 10 –, ZfBR 2010, 375, 376; VGH München, Beschl. v. 11.10.2012 – 15 NE 12.1687 –, BeckRS 2012, 58267. 244  BVerwG, Urt. v. 03.04.2008 – 4 CN 3 / 07 –, NVwZ 2008, 902, 903. 245  BVerwG, Urt. v. 03.04.2008 – 4 CN 3  / 07 –, NVwZ 2008, 902, 903; OVG Koblenz, Urt. v. 11.07.2002 – 1 C 10098 / 02 –, NVwZ-RR 2003, 93, 96. 246  OVG Münster, Urt. v. 15.10.1992 – OVG 7a D 80 / 91.NE –, UPR 1993, 152, 153 für Immissionsgrenzwerte in Sondergebieten; BVerwG, Urt. v. 03.04.2008 – 4 CN 3 / 07 –, NVwZ 2008, 902, 903; OVG Münster, Urt. v. 08.06.2009 – 7 D 113 / 07.NE, 7 D 113 / 07 –, BeckRS 2009, 41888; näher dazu, vgl. Bischopink, ZfBR 2010, 223, 225 f.; Uechtritz, BauR 2008, 1821, 1821–1827; vgl. auch SchmidtEichstaedt, BauR 2009, 755, 756 f.; mit Verweis auf die Vorgaben des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG vgl. auch Mampel, BauR 2009, 435, 440; zu einer möglichen Ausnahme s. BVerwG, Urt. v. 24.03.2010 – 4 CN 3 / 09 –, NVwZ 2010, 784, 784. 247  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauNVO, §  11 Rn.  30; instruktiv dazu auch Bischopink, ZfBR 2010, 223, 226 f.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

in der Baunutzungsverordnung,248 während das Bundesverwaltungsgericht249 wie auch das OVG Münster250 derartige Festsetzungen für zulässig erachten mit der Begründung, die Verkaufsflächenobergrenze stelle keine eigenständige baugebietsbezogene Verkaufsflächenbeschränkung dar, sondern wirke rein deklaratorisch. Überzeugend ist die Billigung einer derartigen Verkaufsflächenbeschränkung freilich nicht, da diese sich faktisch auf das gesamte Plangebiet bezieht und dadurch verhindert, dass jedes Baugrundstück grundsätzlich für jede nach dem Nutzungskatalog der jeweiligen Bauvorschrift zulässige Nutzung in Betracht kommt.251 Möglich ist dagegen die Festlegung der höchstzulässigen Verkaufsfläche für einzelne Branchen und Sortimente, wenn oberhalb einer bestimmten Größenordnung mit landesplanerischen oder städtebaulichen Auswirkungen zu rechnen ist.252 Entsprechendes gilt für Beschränkungen des Warensorti­ ments,253 wobei hierbei im Hinblick auf die Erforderlichkeit Zurückhaltung geboten ist.254 b) Zulässigkeit großflächiger Einzelhandelsbetriebe, § 11 Abs. 3 BauNVO aa) Inhalt und Regelungswirkung § 11 Abs. 3 BauNVO steuert die bauplanungsrechtliche Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe dahin gehend, dass diese in den Baugebieten, in denen Einzelhandelsbetriebe grundsätzlich oder ausnahmsweise zulässig sind, etwa in Mischgebieten nach § 6 BauNVO, nicht zulässig sind.255 Dadurch sollen einerseits die Innenstädte geschützt, gleichzeitig aber auch Einzelhandelsbetriebe in gewissem Umfang zugelassen werden. 248  OVG

Koblenz, Urt. v. 06.05.2009 – 1 C 10970 / 08 –, ZfBR 2009, 590, 593. Urt. v. 03.04.2008 – 4 CN 3 / 07 –, NVwZ 2008, 902, 903; Urt. v. 24.03.2010 – 4 CN 3 / 09 –, NVwZ 2010, 782, 784. 250  OVG Münster, Urt. v. 29.05.2009 – 7 D 51 / 08.NE –, BeckRS 2009, 35461. 251  Vgl. Bischopink, ZfBR 2010, 223, 227; ähnlich auch Mampel, BauR 2009, 435, 440 f. 252  Lindemann, Landesplanerische Beurteilung von neuen großflächigen Einzelhandelsprojekten, in: Deutscher Industrie- und Handelstag, Neues Baurecht für den Handel, S. 46, 58; Fickert / Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 11.11; so implizit auch BVerwG, Urt. v. 03.04.2008 – 4 CN 3 / 07 –, NVwZ 2008, 902, 904. 253  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauNVO, §  11 Rn.  30; Stock, in: König / Roeser / Stock, BauNVO, § 11 Rn. 25 a. 254  Fickert / Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 11.2. 255  Zur Steuerungsfunktion von § 11 Abs. 3 BauNVO vgl. auch Birk, VBlBW 2006, 289, 291. 249  BVerwG,



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Die bauplanungsrechtliche Steuerung großflächiger Einzelhandelsbetriebe erfolgt in erster Linie über § 11 Abs. 3 S. 1 BauNVO. Danach sind Einkaufszentren (Nr. 1), großflächige Einzelhandelsbetriebe, die sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken können (Nr. 2) sowie sonstige Handelsbetriebe, die hinsichtlich ihrer Auswirkungen mit großflächigen Einzelhandelsbetrieben vergleichbar sind (Nr. 3), grundsätzlich nur in Kerngebieten und in für sie ausgewiesenen Sondergebieten zulässig. „Einkaufszentrum“ im Sinne der Vorschrift ist ein „einheitlich geplanter, finanzierter, gebauter und verwalteter Gebäudekomplex“.256 Indizielle Bedeutung hat dabei die Sog- und Magnetwirkung, die das Vorhaben auf Kunden oder andere Betriebe, die sich gerade deshalb in der Nähe ansiedeln, ausübt.257 Darunter fallen u. a. auch Factory Outlet Center.258 Eine bloß beliebige Anhäufung von jeweils für sich planungsrechtlich zulässigen Läden auf mehr oder weniger engem Raum stellt dagegen mangels einheitlicher Organisation kein Einkaufszentrum dar i. S. v. § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BauNVO dar.259 Da der Verordnungsgeber voraussetzt, dass von Einkaufszentren gerade wegen ihrer Größe stets Auswirkungen nach § 11 Abs. 3 S. 2 BauNVO ausgehen und er sie deshalb nicht in die widerlegliche Vermutungsregel des § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO einbezogen hat,260 muss die erforderliche Größe eines Einkaufszentrums weit über einer Geschossfläche von 1200 m2 liegen.261 Es ist daher bei einem Einkaufszentrum mithin schon auf Grund des Anlagetyps selbst mit negativen städtebaulichen Auswirkungen zu rechnen.262 Unter großflächigen Einzelhandelsbetrieben i. S. d. § 11 Abs. 3 BauNVO versteht die Rechtsprechung Betriebe mit einer Verkaufsfläche von über 800 m2.263 Nach § 11 Abs. 3 S. 2 BauNVO sind Auswirkungen im Sinne 256  BVerwG, Urt. v. 27.04.1990 – 4 C 16 / 87 –, NVwZ 1990, 1074, 1075; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauNVO, §  11 Rn.  49. 257  BVerwG, Urt. v. 27.04.1990 – 4 C 16  /  87 –, NVwZ 1990, 1074, 1074; ­Fickert / Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 18.8; Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, ­Öffentliches Baurecht, § 6 Rn. 69. 258  Ernst, Standortsteuerung, S. 196; Fickert / Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 18.9. 259  BVerwG, Urt. v. 27.04.1990 – 4 C 16 / 87 –, NVwZ 1990, 1074, 1975. 260  BVerwG, Urt. v. 27.04.1990 – 4 C 16  / 87 –, NVwZ 1990, 1074, 1974 f.; Fickert / Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 18.4; Kopf, Einzelhandelsgroßprojekte, S. 100; Ernst, Standortsteuerung, S. 198; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauNVO, § 11 Rn. 50. 261  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauNVO, §  11 Rn.  50; Ernst, Standortsteuerung, S. 198 f.; Hoppe / Beckmann, DÖV 1989, 290, 297. 262  BVerwG, Urt. v. 27.04.1990 – 4 C 16 / 87 –, NVwZ 1990, 1074, 1075. 263  BVerwG, Urt. v. 24.11.2005 – 4 C 10  / 04 –, NVwZ 2006, 452, 452 f.; vgl. auch oben, 3. Kapitel, II. 1. a).

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

des Satzes 1 Nr. 2 und Nr. 3 u. a. Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich der in Satz 1 bezeichneten Betriebe sowie auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde selbst oder in anderen Gemeinden. Bei der Prüfung des Vorliegens negativer Auswirkungen müssen insbesondere die Gliederung und Größe der Gemeinde und ihrer Ortsteile, die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und das Warenangebot des Betriebs berücksichtigt werden.264 § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO enthält eine Regelvermutung dahin gehend, dass Auswirkungen bei Betrieben nach Satz 1 Nr. 2 und 3 in der Regel anzunehmen sind, wenn die Geschossfläche 1200 m2 überschreitet. Diese Vermutung ist allerdings nach § 11 Abs. 3 S. 4 BauNVO widerleglich. Sie gilt danach nicht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Auswirkungen bereits bei weniger als 1200 m2 Geschossfläche vorliegen oder bei mehr als 1200 m2 Geschossfläche nicht vorliegen. Unterhalb des genannten Werts ist die Genehmigungsbehörde darlegungspflichtig dafür, dass mit derartigen Auswirkungen zu rechnen ist, während bei Vorhaben mit einer Geschossfläche von mehr als 1200 m2 der Bauherr die Darlegungslast für das Fehlen solcher Auswirkungen trägt.265 Bei der Beurteilung sind nach § 11 Abs. 3 S. 4 2. HS. BauNVO insbesondere die Größe der Gemeide und ihre Ortsteile, die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung sowie das Warenangebot des Betriebs zu berücksichtigen, denn ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb wirkt sich in einer kleinen Gemeinde in der Regel anders aus als ein Betrieb mit vergleichbarer Größe in einer Großstadt.266 Die Verkaufsfläche kommt bei der Anwendung der Regelvermutung nicht zum Tragen, was einen Widerspruch in sich darstellt,267 nachdem die Summe der Grundfläche der Geschosse allein noch nichts darüber aussagt, welcher Teil der Fläche für den Verkauf und damit die Umsatzerzielung genutzt wird. In der Praxis sind nachteilige Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung in der Regel anzunehmen, wenn eine Umsatzumverteilung, bezogen auf das jeweilige Sortiment, von mehr als 20 % erfolgt, während bei einer Umsatzumverteilung von unter 10 % in der Regel keine negativen Auswirkungen vorliegen.268 Allerdings verbietet sich auch hier 264  BVerwG, Urt. v. 24.11.2005 – 4 C 10  / 04 –, NVwZ 2006, 452, 453; Stock, in: König  /  Roeser  /  Stock, BauNVO, § 11 Rn. 62  ff.; vgl. auch § 11 Abs. 3 S. 4 2.  HS. BauNVO. 265  BVerwG, Urt. v. 24.11.2005 – 4 C 10 / 04 –, NVwZ 2006, 452, 454. 266  OVG Koblenz, Urt. v. 03.11.2011 – 1 A 10270  / 11.OVG –, ZfBR 2012, 45, 48; vgl. auch Fickert / Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 27.1; BR-Drs. 541 / 86; vgl. auch Birk, VBlBW 2006, 289, 294; Boeddinghaus, BauNVO, § 11 Rn. 26. 267  So auch Manssen, Offene Rechtsfragen bei Einzelhandelsimmobilien, in: Kühling, Die Einzelhandelsimmobilie, S. 15, 17.



I. Einzelhandelssteuerung343

eine schematische Betrachtungsweise. Der Kaufkraftabzug wird grundsätzlich mit Hilfe von Marktgutachten prognostiziert.269 In Bezug auf die Agglomeration mehrerer, für sich allein jeweils nicht großflächiger Einzelhandelsbetriebe hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass insoweit nach baulichen und betrieblich-funktionellen Gesichtspunkten zu beurteilen sei, ob tatsächlich ein einziger Betrieb vorliege.270 268

bb) Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht und Europarecht (1) Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG § 11 Abs. 3 BauNVO verstößt nicht gegen die von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geschützte kommunale Planungshoheit. Zunächst gehört die Planungshoheit nicht zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung.271 Entscheidend ist darüber hinaus, dass § 11 Abs. 3 BauNVO den Gemeinden nicht die Möglichkeit der Planung nimmt, sondern lediglich eine bestimmte Art von Festsetzungen erlaubt. Die Baugenehmigungsbehörde besitzt kein Ermessen bei ihrer Genehmigungsentscheidung, sondern sie ist vielmehr an die planerischen Vorgaben der Gemeinde gebunden.272 (2) Art. 12 Abs. 1 GG Fraglich ist, ob § 11 Abs. 3 BauNVO gegen die Berufsfreiheit der Betreiber großflächiger Einzelhandelsbetriebe verstößt. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts betrifft die Vorschrift die Berufsausübung schon gar nicht, sondern sie wirke sich auf die Berufsfreiheit nur mittelbar aus, indem sie „die Standortwahl für Betriebe des großflächigen Einzelhandels einengt“, was bei jeder Planung der Fall sei.273 Dem ist nicht zu folgen, denn die Norm beeinflusst die Standortwahl großflächiger Einzelhandelsbetriebe, weist mithin zumindest eine objektiv-berufsregelnde Tendenz auf.274 268  Vgl. Birk, VBlBW 2006, 289, 295 unter Verweis auf Vogels / Holl / Birk, Auswirkungen grossflächiger Einzelhandelsbetriebe, S. 279. 269  Stock, in: König / Roeser / Stock, BauNVO, § 11 Rn. 70. 270  BVerwG, Urt. v. 24.11.2005 – 4 C 14 / 04 –, NVwZ 2006, 455, 456; ausführlich dazu oben, 3. Kapitel, II. 1. a). 271  Näher dazu oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (a). 272  BVerwG, Urt. v. 03.02.1984 – 4 C 54 / 80 –, BauR 1984, 380, 383. 273  BVerwG, Urt. v. 03.02.1984 – 4 C 54 / 80 –, BauR 1984, 380, 383; so auch Kopf, Einzelhandelsgroßprojekte, S. 117. 274  So auch Jahn, DVBl. 1988, 273, 275.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

Allerdings kann der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Betreiber großflächiger Einzelhandelsbetriebe durch vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls275 gerechtfertigt sein. Die Norm dient der Erhaltung und Stärkung der Innenstädte sowie der verbrauchernahen Versorgung. Letzteres ist ein unter sozialstaatlichen Gesichtspunkten gebotenes Anliegen.276 Sie ist zur Erreichung dieses Ziels auch geeignet, zumal sie großflächige Einzelhandelsbetriebe nicht schlechthin ausschließt, sondern nur aus bestimmten Gebietstypen, insbesondere aus Gewerbe- und Industriegebieten fern hält.277 Dadurch wird verhindert, dass sich großflächige Betriebe unkontrolliert ansiedeln und es zu einem Kaufkraftabzug aus umliegenden Gebieten kommt, welcher die dort vorhandene Einzelhandelsstruktur empfindlich stören kann. Das Abstellen auf die Geschossfläche im Rahmen der Regelvermutung und ihrer Ausnahme ist indes nur bedingt geeignet, die Ansiedlung großflächiger Betriebe zu steuern, weil die bloße Geschossfläche allein noch nichts über die Größe der Verkaufseinrichtungen und damit letztlich über die Attraktivität eines Betriebes für die Kunden aussagt. So setzen große Einzelhandelsketten heute vermehrt auf die Strategie, ihre Märkte in kurzen Zeitabständen zu beliefern, um auf diese Weise die Größe der Nebenflächen gering zu halten.278 Daher kann ein solcher Betrieb durchaus eine Geschossfläche unter 1200 m2 aufweisen, von den Auswirkungen her aber dem eines Marktes mit einer Geschossfläche von über 1200 m2 entsprechen, so dass die vom Verordnungsgeber vorgesehene pauschalierende Betrachtungsweise in solchen Fällen fehlgeht. Völlig ungeeignet ist die Relation Geschossfläche – Verkaufsfläche indes nicht, da Erfahrungswerte zumindest eine gewisse Rückwirkung nahe legen und dem Verordnungsgeber überdies eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Eignung zukommt.279 Die Regelung ist auch erforderlich, zumal ein Ausschluss großflächiger Einzelhandelsbetriebe aus bestimmten Gebietsarten, etwa über § 1 Abs. 5 oder § 1 Abs. 9 BauNVO nicht gleich wirksam wäre. Letzteres liegt vor allem daran, dass § 1 Abs. 5 und 9 BauNVO nur eine Feinsteuerung innerhalb bestimmter Gebietsarten erlauben, während § 11 Abs. 3 BauNVO die grundsätzliche Frage der Zulässigkeit des großflächigen Einzelhandels regelt. § 11 Abs. 3 BauNVO ist nicht zuletzt angemessen im Hinblick auf die Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit. Erstens lässt § 11 Abs. 3 S. 4 275  BVerfGE

7, 377, 405 f. dazu, vgl. oben, 2. Kapitel, II. 1. f) aa). 277  So auch BVerwG, Urt. v. 03.02.1984 – 4 C 54 / 80 –, BauR 1984, 380, 383. 278  Vgl. Birk, VBlBW 2006, 289, 292. 279  Vgl. BVerfGE 25, 1, 17; 99, 367, 392; 102, 197, 218; 121, 317, 356 für die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. 276  Näher



I. Einzelhandelssteuerung345

BauNVO Ausnahmen von der Regelvermutung zu, so dass großflächige Einzelhandelsbetriebe, deren Geschossfläche die 1200 m2 überschreitet, dennoch in anderen Gebietsarten außer Kern- und Sondergebieten zulässig sind, wenn im Einzelfall keine negativen Auswirkungen, etwa auf die Versorgung der Bevölkerung, zu erwarten sind. Zweitens gibt § 11 Abs. 3 BauNVO Raum für ein planerisches Verfahren, d. h. nicht die Baugenehmigungsbehörde alleine bestimmt über die Zulässigkeit der Ansiedlung, sondern die Gemeinde entscheidet im Wege eines transparenten Verfahrens, bei dem in der Regel die Öffentlichkeit beteiligt werden muss, ob und gegebenenfalls wo sie die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe zulassen möchte. Schließlich muss jegliche planerische Festsetzung den Anforderungen des § 1 Abs. 7 BauGB genügen, so dass eine reine Verhinderungsplanung ausscheidet. Anders als etwa Jahn meint, verstößt das Merkmal der Großflächigkeit auch nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.280 Zwar handelt es sich dabei um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dieser ist aber gerichtlich voll überprüfbar und durch die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte inzwischen hinreichend konkretisiert.281 Entscheidend dürfte sein, dass die pauschalierende Festsetzung der 1200 m2-Grenze zur Bestimmtheit der Regelung beiträgt.282 Danach ist für den betroffenen Einzelhandelsbetreiber klar, wann sein Vorhaben jedenfalls als „großflächig“ einzustufen ist. Etwas anders gestaltet sich die Situtation lediglich bei Einkaufszentren i. S. d. § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BauNVO, da das Gesetz hier keinerlei Angaben zur Mindestgröße macht und § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO mit seiner Regelvermutung darauf nicht anwendbar ist.283 Allerdings ergibt sich aus systematischen Überlegungen, dass Einkaufszentren jedenfalls eine Geschossfläche von weit über 1200 m2 aufweisen müssen,284 so dass insoweit zumindest ein unterer Schwellenwert feststeht, was für die Bestimmtheit ausreicht. Damit ist ist die Norm mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.

280  Jahn,

DVBl. 1988, 273, 274 f. BVerwG, Urt. v. 24.11.2005 – 4 C 10 / 04 –, NVwZ 2006, 452, 452 ff.; Dziallas, NZBau 2010, 618, 620. 282  So auch die Argumentation von BVerwG, Urt. v. 03.02.1984 – 4 C 54 / 80 –, BauR 1984, 380, 381 f. 283  Auf diese Problematik weist auch Stock, in: König / Roeser / Stock, BauNVO, § 11 Rn. 33 hin. 284  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauNVO, §  11 Rn.  50; Ernst, Standortsteuerung, S. 198 f.; Hoppe / Beckmann, DÖV 1989, 290, 297; vgl. auch oben, 4. Kapitel, I. 6. b) aa). 281  Vgl.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

(3) Art. 14 Abs. 1 GG Auch ein Verstoß gegen die grundrechtlich geschützte Baufreiheit liegt nicht vor. § 11 Abs. 3 BauNVO regelt Inhalt und Schranken des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit wird dabei gewahrt. Allein die Tatsache, dass die Gemeinde auf Grundlage von § 11 Abs. 3 BauNVO großflächige Einzelhandelsprojekte auf bestimmte Gebiete beschränken kann und bei Grundstücken in den übrigen Gemeindeteilen die Nutzung „großflächiger Einzelhandelsbetrieb“ nicht zulässig ist, führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Norm, da jegliche planerische Entscheidung die Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks in irgendeiner Weise tangiert.285 Überdies müssen sich die Planungen der Gemeinde an § 1 Abs. 7 BauGB orientieren, d. h. eine Baugebietsausweisung, die ausschließlich den Konkurrentenschutz bezweckt, ist abwägungsfehlerhaft und damit nichtig. In Bezug auf die Problematik der Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes gilt das zu Art. 12 Abs. 1 GG Gesagte entsprechend.286 (4) Europarechtliche Vorgaben Auch die Vorgaben des Europarechts stehen § 11 Abs. 3 BauNVO nicht entgegen. Die Vorschrift ist entgegen der Ansicht von Stock287 am Maßstab des Unionsrechts zu prüfen, da sie nicht nur für bundesinterne Sachverhalte gilt, sondern jedweden Einzelhandelsbetrieb betrifft. Betriebe aus dem EUAusland werden in der Praxis wohl sogar häufiger beeinträchtigt sein als deutsche, da gerade großflächige Betriebe oft grenzüberschreitend tätig sind. Hält man den Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie für nicht eröffnet,288 liegt grundsätzlich eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV vor.289 Diese kann jedoch gerechtfertigt werden, denn § 11 Abs. 3 BauNVO ist geeignet und erforderlich zum Schutz der Entwicklung der Innenstädte und der verbrauchernahen Versorgung. Im 285  So zutreffend auch BVerwG, Urt. v. 03.02.1984 – 4 C 54 / 80 –, BauR 1984, 380, 383. 286  Vgl. oben, 4. Kapitel, I. 6. b) bb) (2). 287  So Stock, in: König  / Roeser / Stock, BauNVO, § 11 Rn. 33 unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 20.04.1988, Rs. 204 / 87, Guy Bekaert, Slg. 1988, 2029, wobei er allerdings verkennt, dass § 11 Abs. 3 BauNVO auch grenzüberschreitende Sachverhalte betreffen kann, während der vom EuGH entschiedene Fall ausnahmsweise einen rein innerstaatlichen Sachverhalt zum Gegenstand hatte. 288  Zu dieser Diskussion, vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (e). 289  Näher zum Vorliegen einer Beeinträchtigung bei unterschiedslos geltenden Maßnahmen, vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (d).



I. Einzelhandelssteuerung347

Ergebnis nicht überzeugend sind die Bedenken von Dziallas, der das Vorliegen eines zwingenden Grundes für den von der Rechtsprechung entwickelten Schwellenwert von 800 m2 sowie die Erforderlichkeit des § 11 Abs. 3 BauNVO als solches anzweifelt.290 Zuzugeben ist, dass es wohl keinen zwingenden Grund dafür gibt, den Schwellenwert bei genau 800 m2 anzusetzen, doch wird man irgendwo die Grenze zur Großflächigkeit ziehen müssen. Zu diesem Zweck ist der Wert von 800 m2 geeignet, da Betriebe, deren Verkaufsfläche diese Grenze übersteigt, typischerweise mit Auswirkungen auf ihre Umwelt verbunden sind. Ein völliger Verzicht auf die Angabe eines Schwellenwertes würde dazu führen, dass dieser grundsätzlich in jedem Einzelfall gesondert festgestellt werden müsste, was mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden wäre. Es kann auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten nicht ernsthaft gewollt sein, den Schwellenwert ausschließlich von einer Einzelfallbetrachtung abhängig zu machen, in deren Verlauf wohl mit Gutachten gearbeitet werden müsste und deren Ergebnis von keinem der Beteiligten im Voraus absehbar wäre. Überdies hat das Bundesverwaltungsgericht betont, dass dem Gesichtspunkt der Auswirkungen in § 11 Abs. 3 BauNVO erhöhte Bedeutung zukommen solle und eine schematische Handhabung des Verhältnisses Großflächigkeit – Auswirkungen nicht mehr angezeigt sei,291 so dass die Bewertung im Einzelfall nicht völlig außen vor bleibt. Im Übrigen ist § 11 Abs. 3 BauNVO als solches nicht deswegen verzichtbar, weil eine Erforderlichkeitsprüfung im Einzelfall in Betracht kommt. § 11 Abs. 3 BauNVO gibt lediglich den Grundsatz vor, wonach großflächige Einzelhandelsbetriebe nur in bestimmten Gebietstypen angesiedelt werden können, ohne eine Einzelfallbetrachtung zu versperren. § 11 Abs. 3 BauNVO ist auch mit der Dienstleistungsrichtlinie vereinbar. Zunächst sind Art. 10 Abs. 2 lit. d) und e), die eine klare und unzweideutige sowie eine objektive Formulierung der Genehmigungsvoraussetzungen verlangen, nicht verletzt, weil der Begriff der Großflächigkeit durch die Rechtsprechung inzwischen hinreichend konkretisiert ist und somit die Gefahr einer willkürlichen Behördenentscheidung bei der Anwendung von § 11 Abs. 3 BauNVO gering ist. Entsprechendes gilt für die Problematik der Größenanforderungen bei Einkaufszentren nach § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BauNVO. Auch die Voraussetzungen von Art. 14 Nr. 5 und Art. 15 Abs. 2 lit. a) der Dienstleistungsrichtlinie werden trotz des Erfordernisses von Marktgutachten eingehalten. Im Rahmen des § 11 Abs. 3 S. 1 und 2 BauNVO sind derartige Gutachten von der Behörde vorzulegen, doch wird der Investor in 290  Dziallas,

NZBau 2010, 618, 620. Urt. v. 24.11.2005 – 4 C 10 / 04 –, NVwZ 2006, 452, 453 f.; vgl. dazu auch Birk, VBlBW 2006, 289, 292. 291  BVerwG,

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

der Regel gut beraten sein, mit eigenen Gutachten die Unschädlichkeit seines Vorhabens nachzuweisen. Im Rahmen der Regelvermutung nach § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO muss der Antragsteller von sich aus nachweisen, dass sein Vorhaben keine negativen städtebaulichen Auswirkungen hervorruft, was nur durch Vorlage eines Marktgutachtens gelingen wird. Diese Erfordernisse laufen zwar den Vorgaben des Art. 14 Nr. 5 der Dienstleistungsrichtlinie zuwider, der die Verankerung einer Pflicht zur Vorlagen von Marktgutachten verbietet, die deutsche Regelung kann aber durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil sie im Hinblick auf den Schutz der Innenstädte und der Gewährleistung der wohnortnahen Versorgung geeignet und erforderlich ist.292 Entsprechendes gilt für die Beurteilung der Vereinbarkeit mit Art. 15 Abs. 2 lit. a) der Dienstleistungsrichtlinie, der territoriale Beschränkungen grundsätzlich verbietet. Eine solche territoriale Ansiedlungsbeschränkung liegt vor, nachdem sich großflächige Einzelhandelsbetriebe gemäß § 11 Abs. 3 BauNVO grundsätzlich nur in Kerngebieten und in eigens für sie festgesetzten Sondergebieten ansiedeln dürfen. Allerdings kann auch diese Beeinträchtigung mit der oben dargelegten Begründung gerechtfertigt werden. c) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels § 11 Abs. 2 und 3 BauNVO hat sich in der Praxis als Mittel zur Steuerung der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe durchaus bewährt.293 Die Norm verhindert, dass sich großflächige Einzelhandelsbetriebe unkontrolliert, insbesondere in Misch-, Gewerbe- und Industriegebieten ansiedeln. Die Gemeinde kann mit Hilfe von § 11 Abs. 2 und 3 BauNVO den großflächigen Einzelhandel in Gebiete verlagern, die auf Grund ihrer Lage und Verkehrsanbindung die verbrauchernahe Versorgung nicht beeinträchtigen, was gerade für ältere Menschen, die auf eine gute Erreichbarkeit zu Fuß oder zumindest mit dem ÖPNV angewiesen sind, von Vorteil ist. Positiv ist zu bewerten, dass bei der Beurteilung, ob ein Vorhaben auch außerhalb von Kern- und Sondergebieten zulässig ist, nicht ausschließlich auf das Merkmal der Großflächigkeit abgestellt werden soll, sondern insbesondere auch Auswirkungen auf die Ziele der Raumordnung sowie auf die Versorgung der Bevölkerung einbezogen werden. Nicht immer nämlich ge292  Vgl.

oben, 4. Kapitel, I. 6. b) bb) (2). auch Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Bericht der Unabhängigen Expertenkommission zur Novellierung des Baugesetzbuchs, Rn. 207. 293  So



I. Einzelhandelssteuerung349

hen von großflächigen Vorhaben Beeinträchtigungen der genannten Belange aus, sondern derartige Betriebe können im Einzelfall wichtige Versorgungsfunktionen für eine bestimmte Region übernehmen, insbesondere dort, wo auf Grund rückläufiger Bevölkerungszahlen nur mehr ein ausgedünntes Angebot an Lebensmittelmärkten existiert. Wenn auf der Ebene der Landesplanung in solchen Fällen gegebenenfalls ein Zielabweichungsverfahren durchgeführt werden kann, müssen auch bei der städtebaulichen Feinsteuerung die Besonderheiten des Einzelfalls mit berücksichtigt werden können. Ebenfalls zu begrüßen ist, dass die Gemeinden in ihren Bebauungsplänen Obergrenzen für die Verkaufsflächen der jeweiligen Nutzungsarten festsetzen können. Damit können überdimensionierte Vorhaben auch in diesen Gebieten verhindert werden, was insbesondere von Bedeutung ist, wenn eine Gemeinde zwar grundsätzlich großflächige Einzelhandelsvorhaben zulassen möchte, gleichzeitig aber den Vorgaben des kommunalen Abstimmungsgebots nach § 2 Abs. 2 BauGB Rechnung tragen muss. Allerdings weist die Vorschrift auch einige Schwächen auf. So soll im Rahmen der Regelvermutung nach § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO auf die Geschossfläche abgestellt werden, was angesichts moderner Einzelhandelsstrukturen mit einer zunehmenden Verringerung der Geschossfläche bei gleichbleibender Verkaufsfläche nicht immer praktikabel sein wird.294 Dies gilt umso mehr, als das Bundesverwaltungsgericht den Schwellenwert für die Großflächigkeit weitgehend abgekoppelt von der Geschossflächengrenze der Regelvermutung bestimmt.295 Daher besteht die Gefahr, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe mit negativen Auswirkungen auf die Innenstadtentwicklung und die verbrauchernahe Versorgung auch außerhalb von Kern- und Sondergebieten zugelassen werden, wenn es der Genehmigungsbehörde auf Grund fehlender finanzieller Mittel oder Personals nicht gelingen sollte, das Vorliegen der negativen Auswirkungen tatsächlich nachzuweisen.296 Sollten sich die entsprechenden Betriebe in Industrie- oder Gewerbebetrieben ansiedeln, wäre ihre Erreichbarkeit mittels ÖPNV nicht mehr gewährleistet, denn gute Nahverkehrsverbindungen existieren in diese Gebiete in der Regel zu Arbeitsbeginn und Arbeitsende, aber nicht zwingend tagsüber. Zu bedenken ist weiterhin, dass die Vorschrift durch die Miteinbeziehung von Einzelfallkriterien wie die Intensität der städtebaulichen Auswirkungen im Einzelfall für die Gemeinden und die Baugenehmigungsbehörden 294  Zur

Problematik, vgl. ausführlich oben, 4. Kapitel, I. 6. b) aa). Urt. v. 24.11.2005 – 4 C 10 / 04 –, NVwZ 2006, 452, 453 ff.; vgl. auch Birk, VBlBW 2006, 289, 292. 296  Zur Verteilung der Darlegungslast, vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2005 – 4 C 10 / 04 –, NVwZ 2006, 452, 453 f. 295  BVerwG,

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

schwieriger zu handhaben geworden ist. Dies gilt insbesondere für die Aufstellung eines Bebauungsplans sowie für die Zurückstellung von Vorhaben und den Erlass einer Veränderungssperre.297 Daher besteht die Gefahr, dass Vorhaben, die die verbrauchernahe Versorgung eigentlich beeinträchtigen, trotzdem verwirklicht werden können, beispielsweise im Industriegebiet. Schließlich ist die Anwendung von § 11 Abs. 2 BauNVO für viele Gemeinden nach der Rechtsprechungsänderung des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der Zulässigkeit gebietsbezogener Verkaufsflächenobergrenzen schwierig geworden, nachdem derartige Festsetzungen jahrelang unbeanstandet geblieben waren und adäquater Ersatz nicht ohne Weiteres ersichtlich ist.298 Dies wiederum erschwert es der Gemeinde, die Zentrenverträglichkeit eines ausgewiesenen Sondergebiets zu gewährleisten, zumal sich Marktgutachten häufig auf gebietsbezogene Verkaufsflächenobergrenzen beziehen.299 Wenngleich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in der Sache richtig ist, kann die Nahversorgung der Bevölkerung dadurch nachteilig beeinflusst werden.

7. Anpassung von Einzelhandelsnutzungen, § 1 Abs. 5 BauNVO Nach § 1 Abs. 5 BauNVO können im Bebauungsplan bestimmte Arten von Nutzungen, die nach den §§ 2, 4 bis 9 und 13 BauNVO allgemein zulässig sind, ausgeschlossen oder nur teilweise zugelassen werden, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt. Nicht erforderlich ist, dass die jeweils unter einer Nummer zusammengefassten, allgemein zulässigen Nutzungsarten en bloc ausgeschlossen werden, sondern der Plangeber kann vielmehr einzelne Nutzungsarten, etwa Einzelhandelsbetriebe oder Vergnügungsstätten, herausgreifen.300 Im Mischgebiet können nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Einzelhandelsbetriebe auf Grundlage von § 1 Abs. 5 BauNVO ausgeschlossen werden, auch wenn der vollständige Ausschluss durch „Gegenausnahmen“ für bestimmte Arten von Einzelhandelsbetrieben wieder ein Stück weit zurückgenommen wird.301 auch Birk, VBlBW 2006, 289, 295. auch König, Aktuelle Rechtsprechung zu Einzelhandelsimmobilien, in: Kühling, Die Einzelhandelsimmobilie, S. 1, 7; zu möglichen Alternativen vgl. Uecht­ ritz, BauR 2008, 1821, 1827 ff.  299  Vgl. dazu Uechtritz, BauR 2008, 1821, 1827. 300  BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 77 / 84 –, NVwZ 1987, 1074, 1075; VGH Mannheim, Urt. v. 06.12.1989 – 3 S 1278 / 88 –, BRS 49 Nr. 73; Kopf, Einzelhandelsgroßprojekte, S. 147; Ernst, Standortsteuerung, S. 213. 301  BVerwG, Urt. v. 26.03.2009 – 4 C 21 / 07 –, ZfBR 2009, 463, 463. 297  Vgl. 298  So



I. Einzelhandelssteuerung351

Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, auch den nichtgroßflächigen Einzelhandel in Randlagen zu reglementieren, um die Innenstädte und Stadtteilszentren und deren Versorgungsfunktion zu schützen. Auf der Grundlage von § 1 Abs. 5 BauNVO können Einzelhandelsbetriebe insgesamt, nicht aber nur bestimmte Betriebsformen, ausgeschlossen werden.302 Problematisch ist, ob großflächige Einzelhandelsbetriebe eine eigene Nutzungsart darstellen. Dagegen spricht zunächst, dass der Begriff in den §§ 2, 4 bis 9 und 13 BauNVO nicht eigens erwähnt wird. Die Systematik hingegen deutet darauf hin, dass Einzelhandelsbetriebe eine eigene Art bilden, da andernfalls Einzelhandelsbetriebe in Kerngebieten nach § 7 BauNVO, bei denen sie ausdrücklich erwähnt werden, ohne Weiteres ausgeschlossen werden könnten, während ein solcher Ausschluss in Gewerbegebieten nur bei einem Ausschluss von Gewerbetrieben jeglicher Art möglich wäre.303 Eine solche Auslegung wäre evident sinnwidrig. Darüber hinaus hat der Verordnungsgeber großflächige Einzelhandelsbetriebe als eigenständige Nutzungsart i. S. v. § 11 Abs. 3 BauNVO ausdrücklich anerkannt, woraus sich nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts schließen lasse, dass es sich um eine besondere Nutzungsart handeln müsse.304 Daher ist der großflächige Einzelhandel als eigenständige Nutzungsart i. S. d. § 1 Abs. 5 BauNVO anzusehen.305 Allerdings sind Festsetzungen nach § 1 Abs. 5 BauNVO nur zulässig, wenn es dafür städtebauliche Gründe gibt306 und die Erforderlichkeit zu bejahen ist. Dies kann problematisch sein, wenn über § 1 Abs. 5 BauNVO der gesamte Einzelhandel aus einem Baugebiet verbannt wird, obwohl zur Erreichung des Ziels der Erhaltung zentraler Versorgungsbereiche in der Regel nur der zentrenrelevante Einzelhandel ausgeschlossen werden müsste.307 Daneben muss die Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets gewahrt bleiben, was bei einem Einzelhandelsausschluss in Bezug auf alle Gebiete mit Ausnahme der Kerngebiete der Fall ist.308 Schließlich kann mit Hilfe der Vorschrift eine Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben in Gewerbe- und Industriegebieten nur verhindert werden, sofern die Festsetzung zugleich dem Ziel dient, die Gewerbe- und Indust302  BVerwG, Beschl. v. 03.05.1993 – 4 NB 13 / 93 –, BeckRS 2009, 39872; a. A. Jahn, BayVBl. 1988, 40, 41. 303  Vgl. Ernst, Standortsteuerung, S. 214. 304  BVerwG, Urt. v. 11.02.1993 – 4 C 15 / 92 – NVwZ 1994, 285, 286. 305  So auch Kopf, Einzelhandelsgroßprojekte, S. 147; Ernst, Standortsteuerung, S. 214. 306  BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 – 4 N 4 / 86 –, NVwZ 1987, 1072, 1073. 307  Zu diesen Bedenken, vgl. auch Janning, ZfBR 2009, 437, 438. 308  OVG Schleswig, Urt. v. 24.09.1998 – 1 K 15  /  96 –, UPR 1999, 400 L; ­BVerwG, Beschl. v. 11.05.1999 – 4 BN 15 / 99 –, NVwZ 1999, 1338, 1338.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

riegebiete der Industrie vorzubehalten.309 Angesichts dieser Einschränkungen eignet sich § 1 Abs. 5 BauNVO nur begrenzt zur Sicherstellung der verbrauchernahen Versorgung, von der gerade auch ältere Menschen profitieren.

8. Ausschluss bestimmter Sortimente, § 1 Abs. 9 BauNVO § 1 Abs. 9 BauNVO dient der Ergänzung des § 1 Abs. 5 BauNVO und ermöglicht eine noch weiter gehende Feinsteuerung der zulässigen Nutzungen. Danach kann, sofern besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen, im Bebauungsplan bei der Anwendung von § 1 Abs. 5 bis 8 BauNVO festgesetzt werden, dass nur bestimmte Arten der in den Baugebieten allgemein oder ausnahmsweise zulässigen baulichen oder sonstigen Anlagen zulässig oder nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können. Für den Bereich des Einzelhandels erlaubt § 1 Abs. 9 BauNVO den Ausschluss bestimmter Unterarten des Einzelhandels, etwa von Lebensmittel- oder Bekleidungsmärkten, solange die Differenzierung marktüblichen Gegebenheiten entspricht.310 Eine solche Unterart kann auch der Einzelhandel mit innenstadtrelevanten Hauptsortimenten sein,311 wobei hier aus Gründen der Bestimmtheit ein abschließender Katalog mit zentrenrelevanten Sortimenten entweder in den Bebauungsplan selbst aufzunehmen ist oder darin zumindest auf einen entsprechenden Katalog im Einzelhandelserlass verwiesen werden muss.312 Nicht ausgeschlossen werden kann dagegen die Planung einzelner konkreter Projekte.313 Entsprechendes gilt für die Errichtung von Betrieben, deren Verkaufsfläche eine bestimmte Größe überschreitet, denn sie werden allein dadurch noch nicht zu einer Unterart des Einzelhandels i. S. d. § 1 Janning, ZfBR 2009, 437, 438. Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 77 / 84 –, NVwZ 1987, 1074, 1075; Beschl. v. 27.07.1998 – 4 BN 31 / 98 –, NVwZ-RR 1999, 9, 9; VGH Kassel, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 1272 /  / 10.N –, ZfBR 2011, 168, 169. 311  OVG Koblenz, Urt. v. 24.08.2000 – 1 C 11457 / 99 –, NVwZ-RR 2001, 221, 223; VGH Mannheim, Urt. v. 21.05.2001 – 5 S 901 / 99 –, NVwZ-RR 2002, 556, 558 f.; BVerwG, Urt. v. 29.01.2009 – 4 C 16 / 07 –, NVwZ 2009, 1103, 1105; ähnlich auch BVerwG, Urt. v. 26.03.2009 – 4 C 21.07 –, ZfBR 2009, 463, 464; Roeser, in: König / Roeser / Stock, BauNVO, §  1 Rn.  97. 312  OVG Münster, Urt. v. 09.10.2003 – 10 a D 76 / 01 –, NVwZ-RR 2004, 171, 171 f.; OVG Koblenz, Urt. v. 01.06.2011 – 8 A 10399 / 11 –, DVBl. 2011, 1032, 1032 f.; vgl. Janning, BauR 2005, 1093, 1096 f. 313  BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 77  / 84 –, NVwZ 1987, 1074, 1075; Beschl. v. 27.07.1998 – 4 BN 31 / 98 –, NVwZ-RR 1999, 9, 9. 309  Vgl.

310  BVerwG,



I. Einzelhandelssteuerung353

Abs. 9 BauNVO.314 Hinzu kommen muss vielmehr, dass Betriebe unter bzw. über dem festgesetzten Schwellenwert generell oder zumindest unter Berücksichtigung der besonderen örtlichen Verhältnisse einen bestimmten Anlagetyp bilden.315 Daher können mit Hilfe von § 1 Abs. 9 BauNVO nicht pauschal großflächige Einzelhandelsbetriebe in einem bestimmten Baugebiet ausgeschlossen werden, etwa um Vorgaben des Raumordnungsrechts Rechnung zu tragen, wenn diese keine eigenständige Anlagenart bilden.316 Diese Lücke kann jedoch dadurch kompensiert werden, dass zulässigerweise auf die einzelnen Nutzungsarten abgestellt wird, was überdies für die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung sinnvoller erscheint. Es kann nämlich Fälle geben, in denen ein Betrieb trotz seiner Großflächigkeit nicht in gleicher Weise Kaufkraftabzüge und Umsatzverteilungen verursacht wie ein kleinerer Betrieb, der innenstadtrelevante Hauptsortimente führt. Die Festsetzungen nach § 1 Abs. 9 BauNVO müssen durch besondere städtebauliche Gründe gerechtfertigt sein. Dies bedeutet nicht, dass die Gründe im Verhältnis zu § 1 Abs. 5 BauNVO von größerem Gewicht sein müssten, sondern es muss vielmehr spezielle Gründe gerade für die gegenüber § 1 Abs. 5 BauNVO noch feinere Ausdifferenzierung der zulässigen Nutzungen geben.317 Grundsätzlich beeinträchtigen Festsetzungen nach § 1 Abs. 9 BauNVO trotz ihrer spezielleren Natur den Eigentümer nicht stärker als solche nach § 1 Abs. 5 BauNVO, da über § 1 Abs. 5 BauNVO zwangsläufig sämtliche Einzelhandelsnutzungen ausgeschlossen werden, während § 1 Abs. 9 BauNVO eine größere Feindifferenzierung ermöglicht. In der Rechtsprechung anerkannt ist, dass der Schutz zentraler Versorgungsbereiche sowie der Schutz einer wohnortnahen Grundversorgung besondere städtebauliche Gründe gemäß § 1 Abs. 9 BauNVO darstellen können.318 Dennoch werden gegen die Ausweisung von Sortimentsbeschränkungen auf Grundlage von § 1 Abs. 9 BauNVO vereinzelt verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht. So verneint Manssen die Geeignetheit von Sortimentsbeschränkungen in Gewerbe- oder Mischgebieten zum Schutz innerstädtischer Betriebe, weil die Kunden nur dann in der Innenstadt kauften, wenn das Angebot dort gut sei, andernfalls jedoch in die nächste Stadt 314  BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 77  / 84 –, NVwZ 1987, 1074, 1076; Beschl. v. 26.07.2011 – 4 BN 9 / 11 –, ZfBR 2011, 683, 683. 315  BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 77  / 84 –, NVwZ 1987, 1074, 1076; Beschl. v. 26.07.2011 – 4 BN 9 / 11 –, ZfBR 2011, 683, 683. 316  BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 77 / 84 –, NVwZ 1987, 1074, 1075. 317  BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 77 / 84 –, NVwZ 1987, 1074, 1075; Beschl. v. 25.02.1997 – 4 NB 30  /  96 –, NVwZ 1997, 896, 898; Roeser, in: König  /  Roeser / Stock, BauNVO, § 1 Rn. 98. 318  BVerwG, Beschl. v. 26.07.2011 – 4 BN 9 / 11 –, ZfBR 2011, 683, 684.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

oder das nächste Einkaufszentrum fahren würden.319 Dies mag sicher in den Fällen richtig sein, in denen es keine attraktiven Angebote in der Innenstadt gibt, doch wird dabei übersehen, dass die Vorschrift auch Anreize bieten kann für Unternehmen mit entsprechenden Angeboten, sich in der Innenstadt und nicht im Gewerbegebiet in der Peripherie anzusiedeln. Richtig ist hingegen, dass nicht-nahversorgungsrelevante Sortimente nur nach gründlicher Prüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit zum Zweck des Zentrenschutzes ausgeschlossen werden dürfen. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist § 1 Abs. 9 Bau­ NVO als ein wesentlich geeigneteres Instrument zur Steuerung der Einzelhandelsansiedlung anzusehen als § 1 Abs. 5 BauNVO. Auf Grund der Möglichkeit, zentrenrelevante, nichtgroßflächige Einzelhandelsbetriebe insbesondere in Gewerbe- und Industriegebieten auszuschließen, können Vorhaben in Randlagen mit oft ungünstiger Verkehrsanbindung verhindert werden. Nachdem § 1 Abs. 9 BauNVO zudem baugebietsspezifisch eingesetzt werden kann, liegt es an den planenden Gemeinden, zu entscheiden, ob eine Gegend auch für immobile Menschen gut erreichbar und daher als Nahversorgungsstandort geeignet ist oder nicht.

9. Zulässigkeit von Einzelhandelsvorhaben in den verschiedenen Gebietskategorien a) Geltungsplan eines qualifizierten Bebauungsplans Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Einzelhandelsbetrieben hängt in erster Linie davon ab, ob für das fragliche Gebiet ein wirksamer, qualifizierter Bebauungsplan existiert. Bei der Aufstellung eines solchen Planes müssen insbesondere die Voraussetzungen der §§ 1 Abs. 3 und 4 BauGB, also u. a. die Ziele der Raumordnung beachtet worden sein. Im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans sind Einzelhandelsnutzungen unter den Voraussetzungen der Baunutzungsverordnung zulässig. In Kleinsiedlungsgebieten können gemäß § 2 BauNVO Läden, welche der Versorgung des Gebiets dienen, genehmigt werden. Dadurch soll die fußläufige Erreichbarkeit der Nahversorgung gesichert und gleichzeitig die Erhaltung der Wohnruhe gewährleistet werden.320 Ob ein Betrieb der Versorgung des Gebiets dient, hängt von verschiedenen objektiven Kriterien ab, zu de319  Manssen, Nicht nur die Kirche muss im Dorf bleiben, in: Kühling, Die Einzelhandelsimmobilie, S. 15, 19. 320  BVerwG, Beschl. v. 03.09.1998 – 4 B 85  /  98 –, ZfBR 1999, 168, 168 f.; Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauNVO, §  2 Rn.  66.



I. Einzelhandelssteuerung355

nen die Größe, der Umfang sowie die Ausstattung des Betriebs zählen.321 Ferner soll die Betriebskonzeption, zu der die Lage des Standorts sowie die Zahl der Stellplätze gehören, von Relevanz sein.322 Für die Größe der Verkaufsfläche gibt es keine feste Vorgabe,323 doch wird man davon ausgehen können, dass nur Läden mit höchstens etwa der Hälfte der in allgemeinen Wohngebieten höchstzulässigen Verkaufsfläche genehmigungsfähig sind,324 was faktisch vor allem auf kleinere Läden wie Bäckereien oder Metzgereien zutrifft. Nicht störende Gewerbebetriebe, zu denen auch Einzelhandelsbetriebe gehören können, sind nach § 2 Abs. 3 Nr. 4 BauNVO nur ausnahmsweise zulässig. In reinen Wohngebieten nach § 3 BauNVO dürfen Läden, die der Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets dienen nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ausnahmsweise genehmigt werden. Größere Einzelhandelsbetriebe sind in diesem Gebietstyp daher unzulässig. In allgemeinen Wohngebieten nach § 4 BauNVO sind Läden, die der Versorgung des Gebiets dienen, nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO grundsätzlich genehmigungsfähig. Im Vergleich zu den Kleinsiedlungsgebieten sind hier hinsichtlich der Gebietsversorgungsklausel weniger strenge Anforderungen zu stellen, so dass etwa die Verkaufsfläche der Betriebe größer ausfallen darf.325 In Dorfund Mischgebieten nach §§ 5, 6 BauNVO sind Einzelhandelsbetriebe zulässig, soweit sie nach § 11 Abs. 3 BauNVO nicht den Kern- bzw. Sondergebieten vorbehalten sind. Entsprechendes gilt für Gewerbe- und Industriegebiete nach §§ 8 und 9 BauNVO. In Kerngebieten nach § 7 BauNVO sind neben nichtgroßflächigen auch großflächige Einzelhandelsbetriebe i.  S.  v. § 11 Abs. 3 BauNVO zulässig, nachdem § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO keine entsprechende Einschränkung enthält. Für Einkaufszentren und andere großflächige Einzelhandelsbetriebe können daneben nach § 11 Abs. 2, 3 Bau­ NVO eigene Sondergebiete festgesetzt werden. Auch wenn ein Einzelhandelsbetrieb nach den Vorgaben der Baunutzungsverordnung in einem bestimmten Baugebiet grundsätzlich zulässig ist, muss stets ergänzend geprüft werden, ob § 15 BauNVO dem Vorhaben im Einzelfall entgegensteht. Nach § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO ist ein Vorhaben im Einzelfall unzulässig, wenn es nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweck321  BVerwG, Urt. v. 29.10.1998 – 4 C 9 / 97 –, NVwZ 1999, 417, 417 f.; Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauNVO, §  2 Rn.  66. 322  OVG Münster, Beschl. v. 28.11.2000 – 10 B 1428  / 00 –, BauR 2001, 906, 906 f.; ähnlich auch das OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.07.2004 – 1 ME 116 / 04 –, NVwZ-RR 2005, 231, 231. 323  Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauNVO, §  2 Rn.  67. 324  Stock, in: König / Roeser / Stock, BauNVO, § 2 Rn. 36. 325  Stock, in: König / Roeser / Stock, BauNVO, § 4 Rn. 17.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

bestimmung der Eigenart des Baugebiets widerspricht. Insbesondere die mit dem Einzelhandelsbetrieb verbundene Verkehrsbelastung kann zur Unvereinbarkeit mit der Eigenart des Gebiets führen.326 b) Geltungsbereich eines einfachen Bebauungsplans Im Geltungsbereich eines einfachen Bebauungsplans nach § 30 Abs. 3 BauGB hängt die Zulässigkeit von Einzelhandelsvorhaben davon ab, welche Vorgaben der Bebauungsplan enthält. Beinhaltet er Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung, richtet sich die Genehmigungsfähigkeit von Einzelhandelsvorhaben insoweit nach den für das festgesetzte Baugebiet geltenden Vorgaben der Baunutzungsverordnung.327 Fehlen hingegen Vorgaben zur Art der baulichen Nutzung, bestimmt sich die Genehmigungsfähigkeit insoweit nach §§ 34, 35 BauGB. c) Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans Im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans bemisst sich die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens nach dessen Vorgaben, d. h. es darf nach § 30 Abs. 2 BauGB dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan nicht widersprechen. Des Weiteren muss die Erschließung gesichert sein. Enthält der vorhabenbezogene Bebauungsplan Vorgaben jenseits des § 9 BauGB, müssen auch diese vom Vorhabenträger eingehalten werden. d) Unbeplanter Innenbereich, § 34 Abs. 1 und 2 BauGB Im unbeplanten Innenbereich nach § 34 Abs. 1 BauGB, d. h. wenn die nähere Umgebung sich keinem der von der Baunutzungsverordnung vorgesehenen Baugebiete zuordnen lässt, sind Einzelhandelsbetriebe dann zulässig, wenn sie sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen und die Erschließung gesichert ist. Ziele der Raumordnung sind dabei nicht zu berücksichtigen, da § 34 Abs. 1 BauGB diese nicht erwähnt. Deswegen können landesplanerische Steuerungsinstrumente wie das Kongruenzgebot oder das Beeinträchtigungsverbot einem großflächigen Einzelhandelsbetrieb im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 BauGB nicht entgegengehalten werden. Daher beurteilt sich die Zulässigkeit eines solchen Vorhabens in erster Linie am Merkmal des Sich-Einfügens. 326  OVG 327  Vgl.

Berlin, Urt. v. 16.05.2000 – 2 S 1 / 00 –, ZfBR 2001, 52, 52. oben, 4. Kapitel, I. 9. a).



I. Einzelhandelssteuerung357

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fügt sich ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb in seine nähere Umgebung ein, wenn in der näheren Umgebung bereits mindestens ein Betrieb i. S. v. § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und 3 vorhanden ist328 Bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung sind die städtebaulichen Auswirkungen nach § 34 Abs. 3 BauGB mit zu berücksichtigen.329 Besteht in der Umgebung kein großflächiger Einzelhandelsbetrieb, kommt es darauf an, ob durch das Vorhaben bodenrechtlich beachtliche Spannungen hervorgerufen oder verstärkt werden.330 Auch wenn sich ein Einzelhandelsvorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, kann es dennoch unzulässig sein, wenn es gegen das Rücksichtnahmegebot verstößt, was insbesondere bei verstärktem An- und Abfahrtsverkehr der Fall sein kann.331 Unbeachtlich im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB sind dagegen negative Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich der Einzelhandelsbetriebe sowie Beeinträchtigungen der Wettbewerbsfähigkeit bereits vorhandener Einzelhandelsbetriebe.332 Deshalb ist ein Einzelhandelsvorhaben nach § 34 Abs. 1 BauGB auch dann genehmigungsfähig, wenn seine Ansiedlung dazu führt, dass kleinere Betriebe in benachbarten Versorgungsbereichen auf Grund des Konkurrenzdrucks schließen müssen und die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung dort nicht mehr gewährleistet ist. Ebenfalls nicht berücksichtigt wird bei § 34 Abs. 1 BauGB ein mögliches Planungserfordernis, welches ein Einzelhandelsvorhaben, insbesondere ein großflächiges, auf Grund seiner Größe und der mit ihm verbundenen planungsrechtlichen Konflikte hervorrufen kann.333 Während das Bundesverwaltungsgericht dem Planungserfordernis im Rahmen des § 35 BauGB eine vorhabenhindernde Wirkung einräumt,334 darf dieser Aspekt nach der Rechtsprechung im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB nicht berücksichtigt werden.335 328  BVerwG,

Urt. v. 20.04.2000 – 4 B 25 / 00 –, ZfBR 2001, 142, 142. in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 34 Rn. 41. 330  Vgl. BVerwG, Urt. v. 03.02.1984 – 4 C 25  / 82 –, NJW 1984, 1771, 1773; Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 6 und 7  /  85 –, NVwZ 1987, 1078, 1079; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  56. 331  BVerwG, Urt. v. 03.02.1984 – 4 C 25 / 82 –, NJW 1984, 1771, 1773; Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 6 und 7 / 85 –, NVwZ 1987, 1078, 1079; VGH Mannheim, Urt. v. 10.07.2006 – 3 S 2309 / 05 –, NVwZ-RR 2007, 233, 235. 332  BVerwG, Urt. v. 03.02.1984 – 4 C 25 / 82 –, NJW 1984, 1771, 1773; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 34 Rn. 42. 333  BVerwG, Urt. v. 03.02.1984 – 4 C 25 / 82 –, NJW 1984, 1771, 1773. 334  BVerwG, Urt. v. 01.08.2002 – 4 C 5 / 01 –, NVwZ 2003, 86, 87. 335  BVerwG, Urt. v. 03.02.1984 – 4 C 25 / 82 –, NJW 1984, 1771, 1773; ähnlich auch Moench, DVBl. 2005, 676, 680 f.; Ingold, Erstplanungspflichten, S. 162 ff.; kritisch dazu Büchner, Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von großflächigen 329  Krautzberger,

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

Die Zulässigkeit eines Einzelhandelsvorhabens, dessen nähere Umgebung einem der in der Baunutzungsverordnung vorgesehenen Baugebiete entspricht, beurteilt sich nach den für das jeweilige Baugebiet geltenden Voraussetzungen. Insoweit gilt das zum qualifizierten Bebauungsplan Gesagte.336 e) Außenbereich, § 35 BauGB Im Außenbereich sind Einzelhandelsbetriebe sonstige Vorhaben i. S. v. § 35 Abs. 2 BauGB und daher mangels Privilegierung grundsätzlich unzulässig. Öffentliche Belange werden in der Regel bereits dann beeinträchtigt, wenn es auf Grund der Ansiedlung eines entsprechenden Betriebes zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen und damit zu schädlichen Umweltauswirkungen nach § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BauGB kommt. Ferner machen großflächige Einzelhandelsbetriebe eine Planung erforderlich, was einen ungeschriebenen, entgegenstehenden Belang darstellt.337 Auch nichtgroßflächige Einzelhandelsbetriebe können im Einzelfall ein Planungserfordernis auslösen, was jedoch im Einzelfall nach Lage der Dinge konkretisiert werden muss.338 Nicht zuletzt werden häufig auch Ziele der Raumordnung nach § 35 Abs. 3 S. 2 1. HS BauGB großflächigen Einzelhandelsvorhaben entgegenstehen, wobei Konzentrations- und Kongruenzgebote zum Tragen kommen.

10. Entschädigungspflichten der Gemeinde bei Änderung der zulässigen Nutzung a) Systematik der planungsrechtlichen Entschädigungsregelungen Die kommunale Bauleitplanung ist ein wichtiges Instrument bei der Steuerung der Ansiedlung von Einzelhandelsvorhaben. Allerdings kann sich die Gemeinde gegenüber den Eigentümern von Grundstücken entschädigungspflichtig machen, wenn sie einen bestehenden Bebauungsplan ändern oder vollständig aufheben möchte. Nach der Generalklausel des § 39 S. 1 BauGB Einzelhandelsbetrieben, in: Spannowsky  /  Krämer, Großflächiger Einzelhandel und Windkraftanlagen, S. 55, 58; Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, § 34 Rn. 74. 336  Vgl. oben, 4. Kapitel, I. 9. a). 337  BVerwG, Urt. v. 01.08.2002 – 4 C 5 / 01 –, NVwZ 2003, 86, 87; näher dazu, vgl. auch Rojahn, Einkaufszentren und Windenergieanlagen im Außenbereich, in: Spannowsky  /  Krämer, Großflächiger Einzelhandel und Windkraftanlagen, S. 147, 147 ff.  338  OVG Magdeburg, Beschl. v. 12.01.2010 – 2 L 54  / 09 –, NVwZ-RR 2010, 465, 467.



I. Einzelhandelssteuerung359

können Eigentümer oder sonstige Nutzungsberechtigte eine Entschädigung in Geld verlangen, wenn sie im berechtigten Vertrauen auf den Bestand eines rechtsverbindlichen Bebauungsplans Vorbereitungen für die Verwirk­ lichung von Nutzungsmöglichkeiten getroffen haben, soweit diese Aufwendungen durch die Änderung, Ergänzung oder Aufhebung des Bebauungsplans wertlos werden. Voraussetzung dafür ist, dass das entsprechende Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig war und durch die planerische Tätigkeit der Gemeinde unzulässig geworden ist. Zu den ersatzfähigen Aufwendungen zählen u. a. Kosten für die Grundstücksvermessung sowie Architektenhonorare und sonstige Bau- und Finanzierungskosten.339 Aufwendungen fallen jedoch nur dann unter § 39 S. 1 BauGB, wenn sie sich nicht im Bodenwert niedergeschlagen haben und überdies nicht durch den spe­ zielleren § 42 BauGB erfasst werden.340 Im Zusammenhang mit Einzelhandelsbetrieben wird eine Entschädigungspflicht der Gemeinde nach § 39 S. 1 BauGB vor allem dann in Betracht kommen, wenn nach dem ursprünglichen Bebauungsplan eine Ansiedlung zulässig wäre, die Gemeinde jedoch eine Planänderung, insbesondere einen Ausschluss bestimmter Betriebe nach § 1 Abs. 9 BauNVO, beschließt und der Grundstückseigentümer im Vertrauen auf den ursprünglichen Plan Aufwendungen getätigt hat. Eine analoge Anwendung auf Fälle, in denen im Vertrauen auf eine nach §§ 34, 35 BauGB zulässige Nutzung Aufwendungen getätigt worden sind, ist entgegen der Auffassung von Schenke341 abzulehnen, da es hierfür schon an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Der Gesetzgeber hat nämlich bewusst an der Beschränkung auf Bebauungspläne festgehalten.342 Im Übrigen würde es an der Vergleichbarkeit der Interessenlage fehlen, denn ein Bebauungsplan als planerische Gewährleistung ist weitaus besser geeignet, schutzwürdiges Vertrauen hervorzurufen als ein unbeplanter Bereich, für den die Gemeinde keine bestimmte Nutzung ausweisen wollte. Daraus ergibt sich, dass die Gemeinde sich nicht nach § 39 S. 1 BauGB entschädigungspflichtig macht, wenn sie mit einem Bebauungsplan nach § 9 Abs. 2 a BauGB Einzelhandelsbetriebe im unbeplanten Innenbereich ausschließt. 339  Battis, in: Battis  / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 39 Rn. 3; Bielenberg / Runkel, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  39 Rn.  9; Schieferdecker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, §  9 Rn.  7. 340  Bielenberg / Runkel, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  39 Rn. 5. 341  Schenke, DÖV 1987, 45, 46 ff.; in diese Richtung wohl auch Birk, NVwZ 1984, 1, 2 ff.  342  Vgl. Bielenberg / Runkel, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 39 Rn. 17; Schieferdecker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 9 Rn. 10; vgl. auch Tyczewski / Freund, BauR 2007, 491, 499; Enders / Bendermacher, ZfBR 2002, 29, 35 f.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

Nach § 42 Abs. 1 BauGB kann der Eigentümer eine Entschädigung verlangen, wenn die zulässige Nutzung eines Grundstücks aufgehoben oder geändert wird und dadurch eine nicht nur unwesentliche Wertminderung des Grundstücks eintritt. Geschützt wird jede zulässige bauliche Nutzung, wobei gleichgültig ist, ob das Grundstück in einem Gebiet nach § 30 Abs. 1, § 34 oder § 35 BauGB liegt.343 Die zulässige Nutzung kann insbesondere durch Festsetzungen eines Bebauungsplans aufgehoben oder geändert werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gewährt § 42 BauGB jedoch auch dann eine Entschädigung, wenn eine bisher nach § 34 Abs. 2 BauGB zulässige Nutzung durch eine Änderung der Baunutzungsverordnung aufgehoben wird.344 Entsprechendes gilt nach § 238 S. 2 i. V. m. S. 1 BauGB, wenn durch § 34 Abs. 3 BauGB die zulässige Nutzung eines Grundstücks wesentlich geändert wird. Der Anspruch richtet sich dabei nach § 238 S. 2 i. V. m. § 44 Abs. 1 S. 2 BauGB gegen die Gemeinde. Allerdings verjährte der Entschädigungsanspruch nach § 238 S. 2 BauGB i. V. m. § 44 Abs. 4 BauGB drei Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Regelung des § 34 Abs. 3 BauGB in Kraft getreten ist, also mit Ablauf des Jahres 2007. Nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt sich, wann eine Wertminderung wesentlich sein soll. Die Rechtsprechung hat eine Wertminderung von über 12 % als wesentlich angesehen,345 während eine Minderung um lediglich 3,6 % unwesentlich sein soll.346 Für den Bereich der Einzelhandelsnutzungen bedeutet die Vorschrift des § 42 BauGB, dass eine Entschädigungspflicht nur dann bestehen kann, wenn durch Planung oder Rechtsänderung ein Grundstück nicht mehr als Standort für einen Einzelhandelsbetrieb genutzt werden kann, diese Nutzungsart aber gleichzeitig zu einer erheblichen Wertsteigerung gegenüber anderen, noch zulässigen Nutzungsarten führen würde. Ein wesentlicher Wertunterschied dürfte vor allem dort auszumachen sein, wo in einem Gewerbe- oder Industriegebiet Einzelhandelsbetriebe mit Hilfe eines Bebauungsplans ausgeschlossen werden, nachdem die Nutzung „Einzelhandel“ in den meisten Fällen gewinnbringender sein dürfte als eine Nutzung als Lagerhalle oder Fläche für Bürogebäude.347

343  Schieferdecker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 9 Rn. 22; Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 42 Rn. 4. 344  BVerwG, Urt. v. 03.02.1989 – 4 C 54  / 80 –, NJW 1984, 1768, 1770; a. A. Breuer, in: Schrödter, BauGB, § 42 Rn. 28. 345  BGH, Urt. v. 30.05.1963 – III ZR 230 / 61 –, NJW 1963, 1916, 1917. 346  BGH, Urt. v. 04.06.1962 – III ZR 207  /  60 –, NJW 1962, 1441, 1441 ff.; Breuer, in: Schrödter, BauGB, § 42 Rn. 54. 347  Vgl. dazu auch Tyczewski / Freund, BauR 2007, 491, 495.



I. Einzelhandelssteuerung361

b) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Die Existenz des Planungsschadensrechts bedeutet für die planende Gemeinde, dass sie bei der Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans entschädigungspflichtig werden kann, falls es dadurch zu einer erheblichen Wertminderung eines Grundstücks oder zur Entstehung eines Vertrauensschadens kommt. Wertminderungen eines Grundstücks durch den Ausschluss der Nutzung „Einzelhandel“ liegen vergleichsweise nahe, da die Ansiedlung eines Einzelhandelsbetriebs in der Regel gewinnbringend ist. Dies muss insbesondere bei Einzelhandelsausschlüssen auf der Grundlage von § 9 Abs. 2 a BauGB bedacht werden. Für die Gemeinde bedeutet dies, dass Bemühungen zur Verbesserung der verbrauchernahen Versorgung gegebenenfalls mit finanziellen Risiken verbunden sind. Hinzu kommt, dass über § 238 BauGB auch bei einer Wertminderung von Grundstücken in Folge des § 34 Abs. 3 BauGB bis zum Ablauf des Jahres 2007 Entschädigung zu leisten war und gegebenenfalls noch immer zu leisten ist, soweit die Verjährung der entsprechenden Ansprüche gehemmt wurde. Einem Entschädigungsanspruch nach § 39 S. 1 BauGB kann die Gemeinde dadurch entgehen, dass sie rechtzeitig einen Planaufstellungsbeschluss fasst, wenn sich abzeichnet, dass ein Investor auf Grund des bisherigen Bebauungsplans ein Vorhaben durchführen möchte und er die entsprechenden Schritte eingeleitet hat. Die genannten planungsrechtlichen Entschädigungsregelungen sind jedenfalls nicht geeignet, Gemeinden von einer notwendigen Planung abzuhalten, da nur in Einzelfällen eine Entschädigung zu leisten ist, etwa wenn durch die Planung eine nicht unwesentliche Wertminderung bei den betroffenen Grundstücken eintritt. Die Vorschriften tragen vielmehr den von Art. 14 GG geschützten Eigentümerinteressen Rechnung. Im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel bedeutet dies, dass die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung mit planungsrechtlichen Instrumenten gesichert werden kann, ohne dass Entschädigungsregelungen zu einer übermäßigen finanziellen Belastung der Gemeinden führten.

11. Informelle Einzelhandelssteuerung durch Business Improvement Districts a) Begriff, Wirkungsweise und Probleme Die Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben kann nicht nur durch planungsrechtliche Instrumente, sondern auch auf informelle Art im Wege so genannter Business Improvement Districts (BIDs) koordiniert werden. Dabei handelt es sich nicht um Maßnahmen des Städtebaurechts, sondern um

362

4. Kap.: Bauplanungsrecht

ein Instrument der Wirtschaftsförderung,348 das wegen seiner Nähe zur Einzelhandelssteuerung in diesem Zusammenhang behandelt werden soll. In Nordamerika wird das Instrument der BIDs bereits seit etwa 30 Jahren erfolgreich gegen das Sterben der Innenstädte eingesetzt.349 Der Begriff des Business Improvement Districts bezeichnet einen räumlich begrenzten Bereich, in dem sich Grundeigentümer und  /  oder Gewerbetreibende „zusammen schließen, um Maßnahmen zur Verbesserung des geschäftlichen bzw. städtischen Umfelds durchzuführen“350. Diese Maßnahmen werden durch Abgaben finanziert, die von allen Grundstückseigentümern und Gewerbetreibenden zu entrichten sind.351 Dadurch soll vermieden werden, dass so genannte Trittbrettfahrer, die sich nicht finanziell an den Maßnahmen beteiligen, trotzdem davon profitieren. Kennzeichen sämtlicher BIDs ist, dass die Initiative für ein derartiges Vorhaben stets aus dem Kreis privater Personen hervorgeht und die staatliche Unterstützung bei der Durchführung sowie die Verpflichtung zur Entrichtung der Zwangsabgabe erst dann eintritt, wenn ein entsprechend großes Quorum der Gebietsansässigen sich dafür ausgesprochen hat.352 Gesetzliche Regelungen zu BIDs gibt es auf Länderebene bislang in Hamburg,353 Hessen,354 Bremen,355 Schleswig-Holstein,356 Nordrhein-Westfalen357 sowie dem Saarland358. Auf Bundesebene existiert bislang kein Geauch Schutz / Köller, ZfBR 2007, 649, 650. ZfBR 2007, 649, 649; Bloem / Bock, in: Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, Business Improvement Districts, S. 5; Hecker, Business Improvement Districts, S. 28 ff.; Wiezorek, Business Improvement Districts, S. 23 ff.  350  So die Definition bei Schutz / Köller, ZfBR 2007, 649, 649; ähnlich auch Hecker, Business Improvement Districts, S. 23. 351  Vgl. Schutz / Köller, ZfBR 2007, 649, 649; Hecker, Business Improvement Districts, S. 23; Bloem / Bock, in: Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, Business Improvement Districts, S. 32 f. 352  Vgl. Hecker, Business Improvement Districts, S. 26. 353  Gesetz zur Stärkung der Einzelhandels-Dienstleistungszentren vom 28.12. 2004 (GVBl. S. 525). 354  Gesetz zur Stärkung von innerstädtischen Geschäftsquartieren (INGE) vom 21.12.2005 (GVBl. I S. 867). 355  Gesetz zur Stärkung der Einzelhandels- und Dienstleistungszentren vom 18.07.2006 (GVBl. S. 350). 356  Gesetz über die Einrichtung von Partnerschaften zur Attraktivierung von City-, Dienstleistungs- und Tourismusbereichen (PACT-Gesetz) vom 13.07.2006 (GVOBl. S. 158). 357  Gesetz über Immobilien- und Standortgemeinschaften vom 10.06.2008 (GVBl. S. 467). 358  Gesetz zur Schaffung von Bündnissen für Investition und Dienstleistung (BIDG) vom 26.09.2007 (GVBl. 2242). 348  Vgl.

349  Schutz / Köller,



I. Einzelhandelssteuerung363

setz zur Regelung der BIDs. Allerdings wurde im Jahr 2007 die Vorschrift des § 171 f BauGB ins Baugesetzbuch aufgenommen.359 Danach können nach Maßgabe des Landesrechts nach dem Baugesetzbuch Gebiete festgelegt werden, in denen in privater Verantwortung standortbezogene Maßnahmen durchgeführt werden, die auf der Grundlage eines mit den städtebaulichen Zielen der Gemeinde abgestimmten Konzepts der Stärkung oder Entwicklung von Bereichen der Innenstädte, Stadtteilszentren, Wohnquartiere und Gewerbezentren sowie von sonstigen für die städtebauliche Entwicklung bedeutsamen Bereichen dienen.360 Die Norm bildet die bundesrechtliche Grundlage für entsprechende BID-Gesetze der Länder. Zugleich wird der Rahmen möglicher Landesgesetze klar abgesteckt. Grundlage jedes BIDs muss danach ein mit den städtebaulichen Zielen der Gemeinde abgestimmtes Konzept sein, wodurch eine bloße Verlagerung von Missständen verhindert werden soll.361 Daneben schließt die Vorschrift ein Nebeneinander von BIDs und sonstigen Maßnahmen nach dem Baugesetzbuch, etwa eine Ausweisung von Sondergebieten für den großflächigen Einzelhandel nach § 11 Abs. 2 BauGB, nicht aus. Probleme bei der Umsetzung des BID-Konzepts können sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht auftreten. In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist zunächst zu bedenken, dass es sich bei den Aufgaben eines BIDs weitestgehend um verfassungsrechtlich geschützte Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge handelt, die den Gemeinden nicht ohne Weiteres entzogen werden dürfen.362 Ferner ist die demokratische Legitimation des Modells problematisch. Die landesgesetzlichen Regelungen sehen vor, dass die Aufgaben des BIDs durch einen Aufgabenträger wahrgenommen werden, der selbständig über die Verwendung der mit Hilfe der Abgabenpflicht eingetriebenen Mittel entscheidet.363 Da die Verwaltung und die Verwendung öffentlicher Mittel durch den Aufgabenträger eine hoheitliche Tätigkeit darstellt, muss sie grundsätzlich nach Art. 20 Abs. 2 GG demokratisch legitimiert sein.364 Besonders problematisch ist insoweit die personell-organisatorische Legitimation,365 weil die Landesgesetze in der Regel zu § 171 f, vgl. Schmidt-Eichstaedt, LKV 2007, 439, 443 f. dazu auch Butt, KommJur 2007, 369, 371. 361  So auch Hecker, Business Improvement Districts, S. 39; Kersten, UPR 2007, 121, 122. 362  Speziell für Bayern, vgl. Schutz / Köller, ZfBR 2007, 649, 650. 363  So etwa § 4 Abs. 1 S. 1 und § 8 Abs. 3 S. 1 des hamburgischen Gesetzes und § 2 Abs. 1 S. 1 § 3 Abs. 6 und des schleswig-holsteinischen Gesetzes. 364  So auch zutreffend Schutz / Köller, ZfBR 2007, 649, 650; vgl. auch Hecker, Business Improvement Districts, S. 96 ff.  365  Vgl. auch Schutz / Köller, ZfBR 2007, 649, 651  f.; a.  A. Hecker, Business Improvement Districts, S. 115. 359  Näher 360  Vgl.

364

4. Kap.: Bauplanungsrecht

nicht vorsehen, auf welche Weise genau der Aufgabenträger bestimmt werden soll.366 Ist ein BID als öffentlich-rechtliche Organisation ausgestaltet, stellt sich ferner die Frage nach der Zulässigkeit einer Zwangsmitgliedschaft, wie sie etwa in § 2 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 3 Abs. 2 S. 1 des schleswig-holsteinischen Gesetzes offensichtlich vorgesehen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist diese zwar nicht am Maßstab des Art. 9 Abs. 1 GG zu messen, sie muss aber den Voraussetzungen der verfassungsmäßigen Ordnung nach Art. 2 Abs. 1 GG genügen.367 Problematisch ist insoweit die Erforderlichkeit einer Zwangsmitgliedschaft aller Grundstückseigentümer im Bereich eines BIDs, wenn das Ziel der Strukturförderung genauso gut durch Maßnahmen auf freiwilliger Basis erreicht werden kann.368 In tatsächlicher Hinsicht führt die Errichtung und Durchführung eines BIDs zu einem nicht unerheblichen Bürokratie- und Verwaltungsaufwand.369 Grund dafür ist, dass die kommunalen Stellen in den verschiedenen Verfahrensstadien mitwirken müssen, nicht zuletzt bei der Erhebung der Abgaben. b) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Mit der gesetzlichen Verankerung des BID-Modells in § 171 f BauGB und den entsprechenden Landesgesetzen sollten die strukturellen Probleme der Innenstädte und Stadtteilszentren bekämpft und den entsprechenden Gebieten zu neuer Attraktivität für Investoren verholfen werden, um eine Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe auf der grünen Wiese unattraktiv zu machen. Dies entspricht grundsätzlich den Anforderungen eines Städtebaurechts und einer Städtebauförderung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels mit den damit verbundenen Bevölkerungsrückgängen. Darauf weist Kersten völlig zu Recht hin, wenn er die BIDs als „äußerst innovatives Regulierungsinstrument“ bezeichnet.370 Mit Hilfe von BIDs können Innenstädte und andere Zentren neu belebt und damit auch die fußläufige Erreichbarkeit von Geschäften verbessert werden. Dies ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die Durchführung eines BIDs verlangt 366  § 4 Abs. 1 des hamburgischen Gesetzes etwa bestimmt nur, wer Aufgabenträger sein kann, nicht aber wie dieser ausgewählt werden soll. 367  BVerfGE 10, 89, 102; 38, 281, 297. 368  Ähnlich auch Schutz / Köller, ZfBR 2007, 649, 652; Hecker, Business Improve­ ment Districts, S. 144. 369  Darauf weisen auch Schutz / Köller, ZfBR 2007, 649, 654 hin. 370  Kersten, UPR 2007, 121, 128; zustimmend auch Butt, KommJur 2007, 369, 371.



I. Einzelhandelssteuerung365

nämlich eine engagierte und auch kostenintensive Mitwirkung der Gemeinde, was gerade in Zeiten knapper öffentlicher Kassen nicht immer möglich sein wird. Dies gilt erst recht in Gegenden, die von starken Bevölkerungsrückgängen geprägt sind. Insoweit stellt sich die Frage, wo die noch zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel besser aufgehoben sind – bei der Bauleitplanung oder bei der Errichtung und Durchführung eines BIDs. Überdies löst die Errichtung eines BIDs nicht die grundlegenden Probleme des demografischen Wandels, sondern kann zu einer Verschiebung der Wirtschaftskraft zwischen den einzelnen Zentren führen, insbesondere dann, wenn sich Geschäftsleute von der BID-Idee begeistern lassen und ihre außerhalb eines BIDs gelegenen Standorte sukzessive aufgeben.371 Daneben kann die nur schwach ausgeprägte demokratische Legitimation des BID-Modells dazu führen, dass es langfristig bei den Teilnehmern nur mehr eingeschränkte Akzeptanz findet und damit an Attraktivität verliert. Dies gilt umso mehr, wenn eine öffentlich-rechtliche Zwangsmitgliedschaft angeordnet wird. Daher erscheint es bei BID-Initiativen vorzugswürdig, auf Freiwilligkeit zu setzen, denn eine erhöhte Akzeptanz in der Bevölkerung sichert langfristig den Erfolg des Projekts.372 Unter diesen Voraussetzungen kann das BID-Modell in Zeiten einer älter werdenden und zahlenmäßig rückläufigen Bevölkerung bei der Einzelhandelssteuerung durchaus als Ergänzung zu den traditionellen Steuerungsmechanismen des Bauplanungsrechts verstanden werden.373

12. Zwischenergebnis Die bestehenden Vorschriften des Bauplanungsrechts eignen sich nur begrenzt für eine effektive Einzelhandelssteuerung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Die größten Probleme bereitet dabei der unbeplante Innenbereich im Sinne von § 34 BauGB. § 34 Abs. 1 BauGB berücksichtigt weder die Auswirkungen der Ansiedlung eines Einzelhandelsprojekts auf benachbarte Standorte noch beinhaltet er ein Planungserfordernis bei der Errichtung großflächiger Einzelhandelsbetriebe. Wenn man davon ausgeht, dass § 34 Abs. 3 BauGB vor dem Hintergrund der Dienstleistungsrichtlinie langfristig keinen Bestand haben kann, zeigt sich insoweit eine Regelungslücke. Diese kann nur bedingt durch die Möglichkeit des § 9 Abs. 2 a BauGB geschlossen werden, denn erstens besteht keine Verpflichtung der 371  Zu diesen Bedenken, vgl. auch Wiezorek, Business Improvement Districts, S. 178. 372  Ähnlich auch Schutz / Köller, ZfBR 2007, 649, 656. 373  Für eine Ergänzung der herkömmlichen planungsrechtlichen Instrumente vgl. auch Schink, UPR 2012, 132, 138.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

Gemeinde, tatsächlich planerisch tätig zu werden und zweitens wird es nicht selten am dafür notwendigen Geld und Sachverstand fehlen. Die planungsrechtlichen Vorschriften stellen demgegenüber ein geeignetes Instrument zur Einzelhandelssteuerung dar. Positiv zu bewerten ist zunächst, dass der Gesetzgeber das Problem des demografischen Wandels erkannt und in § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB aufgegriffen hat. Damit wird auch den Anforderungen des Grundgesetzes aus dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG Rechnung getragen. Entsprechendes gilt für die Konzeption von § 2 Abs. 2 S. 2 und § 9 Abs. 2 a BauGB, welche ebenfalls dem Schutz zentraler Versorgungsbereiche und der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung dienen. Die beiden letztgenannten Vorschriften helfen darüber hinweg, dass § 1 Abs. 6 Nr. 8 lit. a) BauGB die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung nicht als eigenständigen Belang aufgreift, sondern nur im Zusammenhang mit den Belangen der Wirtschaft sieht. Die Vorschriften der Baunutzungsverordnung erlauben darüber hinaus eine Feinsteuerung der Einzelhandelsansiedlung sowohl durch die Festsetzung bestimmter Baugebiete als auch mit Hilfe der Instrumente des § 1 Abs. 5 und 9 BauNVO. Ergänzend zur Stärkung der Innenstädte heran gezogen werden kann das Modell der BIDs.

13. Lösungsoptionen a) Unbeplanter Innenbereich aa) Aufrechterhaltung von § 34 Abs. 3 BauGB Nachdem die Einzelhandelsansiedlung im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB gegenwärtig die größten Schwierigkeiten bereitet und § 34 Abs. 3 BauGB in seiner jetzigen Form angesichts seiner Verfassungs- und Europarechtswidrigkeit nicht geeignet ist, die Problematik zu lösen, bestünde eine Option darin, § 34 Abs. 3 BauGB verfassungs- und europarechtskonform umzuformulieren. Dazu müsste die Vorschrift zunächst so gestaltet werden, dass die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „schädliche Auswirkungen“ erleichtert wird. Der Gesetzgeber könnte hierzu eine Definition ins Gesetz aufnehmen. Dies allein würde jedoch noch nicht die Anwendung im Einzelfall erleichtern. Um Letzteres zu erreichen, wäre daran zu denken, konkrete Schwellenwerte für den Kaufkraftabzug mit aufzunehmen, bei deren Überschreitung schädliche Auswirkungen indiziert sind. Nachteil einer solchen Regelung ist jedoch, dass sich die schädlichen Auswirkungen nicht allein auf den Kaufkraftabfluss reduzieren lassen, sondern vielmehr weitere Faktoren zu berücksichtigen sind. Überdies würde hiermit die Problematik der Vorlage von Marktgutachten nicht beseitigt, sondern



I. Einzelhandelssteuerung367

wohl sogar verschärft. Zudem hätte eine solche Regelung vor dem Hintergrund der Dienstleistungsrichtlinie wohl ebenfalls keinen Bestand, denn Art. 14 Nr. 5 der Richtlinie verbietet die Pflicht zur Vorlage von Gutachten über die tatsächlichen Auswirkungen eines Vorhabens. Unter diesen Umständen scheint eine Aufgabe des Kriteriums der schädlichen Auswirkungen am naheliegendsten, was gleichzeitig einen Verzicht auf eine Regelung nach dem Vorbild von § 34 Abs. 3 BauGB bedeuten würde. bb) Einzelhandelssteuerung durch verpflichtende ÖPNV-Anbindung (1) De lege lata Fraglich ist, welche anderen, nicht primär wirtschaftlichen Kriterien für eine Einzelhandelssteuerung im Sinne der verbrauchernahen Versorgung herangezogen werden können. Zu denken ist hierbei an einen Ansatz, der nicht so sehr auf die Auswirkungen eines Vorhabens auf benachbarte Versorgungsbereiche anknüpft, sondern vielmehr die Erreichbarkeit eines Einzelhandelsvorhabens mit innenstadtrelevanten Sortimenten für die Bevölkerung in den Mittelpunkt rückt. Ist nämlich ein solches Einzelhandelsvorhaben gut erreichbar, insbesondere auch mit dem ÖPNV, verliert die fußläufige Erreichbarkeit an Bedeutung, da auch nicht mehr mobile Menschen den ÖPNV nutzen können, soweit dieser hinreichend gut ausgebaut ist. Anknüpfungspunkt für derartige Überlegungen de lege lata könnte die Voraussetzung der gesicherten Erschließung in § 34 Abs. 1 BauGB sein, die bei Vorhaben nach § 34 Abs. 2 BauGB in gleicher Weise zu beachten ist.374 Welche Anforderungen an eine gesicherte Erschließung zu stellen sind, ergibt sich aus der jeweiligen Innenbereichssituation und der konkreten Ausgestaltung des jeweiligen Vorhabens und Baugrundstücks im Einzelfall.375 Zu den Mindestbestandteilen der Erschließung zählen die verkehrsmäßige Anbindung des Grundstücks durch Straßen, Wege oder Plätze, die Versorgung mit Elekrizität und Wasser sowie die Abwasserbeseitigung.376 Die Erschließung ist nach der Rechtsprechung durch eine vorhan374  Bönker, in: Hoppe  /  Bönker  /  Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 8 Rn. 157 f.; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  80. 375  BVerwG, Beschl. v. 02.09.1999 – 4 B 47 / 99 –, BauR 2000, 1173, 1173; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  65; Spannowsky, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 34 Rn. 44. 376  Söfker, in; Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  30 Rn.  42; Tophoven, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 30 Rn. 36; Gloria, NVwZ 1991, 720, 721 f.; die genannten Anforderungen wurden zu § 30 Abs. 1 BauGB entwickelt, doch ist der Erschließungsbegriff in § 34 Abs. 1 BauGB ebenso zu verstehen.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

dene Straße nur dann gesichert, wenn diese den durch das Vorhaben ausgelösten Verkehr im Regelfall bewältigen kann.377 Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb unzulässig sein kann, wenn das Vorhaben mit einer so starken Belastung für die das Baugrundstück erschließende Straße verbunden ist, dass sich die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nur durch zusätzliche Erschließungsmaßnahmen wie eine Straßenverbreiterung oder die Schaffung von Einfädelungsspuren gewährleisten lässt und diese bis zur Aufnahme der Nutzung nicht hergestellt werden können.378 Daran wird deutlich, dass die Rechtsprechung bei der Beurteilung des Kriteriums der gesicherten Erschließung ausschließlich auf das Vorhandensein hinreichender Straßen und Zufahrtswege abstellt. Dies liegt auch nahe, wenn man davon ausgeht, dass Grundstücke in erster Linie zu Fuß und für den PKW-Verkehr erreichbar sein müssen. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob man das Erschließungserfordernis im Falle von Einzelhandelsmärkten nicht auch dahin gehend verstehen kann, dass diese zumindest ab einer bestimmten Verkaufsflächengröße zusätzlich einer Anbindung an den ÖPNV bedürfen. Der Wortlaut stünde dem grundsätzlich nicht entgegen, nachdem „erschließen“ als „zugänglich machen“ verstanden werden kann.379 Zwar impliziert dies, dass überhaupt irgendein Zugang gewährleistet sein muss, dem lässt sich aber entgegenhalten, dass für bestimmte Arten von Vorhaben angesichts ihrer Frequentierung der Zugang bloß mit dem PKW nicht ausreicht. Im Übrigen zeigt ein Vergleich mit der Rechtsprechung zum Erschließungsmerkmal in § 30 Abs. 1 BauGB, dass die Anforderungen, die an eine gesicherte Erschließung zu stellen sind, dort von den Festsetzungen des Bebauungsplans abhängen,380 d. h. durchaus unterschiedlich sein können. Allerdings geht der planungsrechtliche Erschließungsbegriff, anders als der erschließungsrechliche Erschließungsbegriff der §§ 123 ff. BauGB, davon aus, dass die jeweilige Erschließungsanlage stets einen unmittelbaren Bezug zum Grundstück aufweisen muss. Ein solcher Grundstücksbezug existiert bei der ÖPNV-Anbindung jedoch nicht, so dass diese richtigerweise nicht zur Erschließung nach § 34 BauGB zählt.381 Daher wird man eine 377  BVerwG, Beschl. v. 03.04.1996 – 4 B 253  / 95 –, NVwZ 1997, 389, 389 f.; VGH Mannheim, Urt. v. 10.03.2010 – 3 S 2627 / 08 –, BeckRS 2010, 47792. 378  BVerwG, Beschl. v. 03.04.1996 – 4 B 253  / 95 –, NVwZ 1997, 389, 389 f.; Beschl. v. 20.04.2000 – 4 B 25 / 00 –, BauR 2001, 212, 213; OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.02.2010 – 1 LA 88 / 08 –, BauR 2010, 1066, 1067. 379  Vgl. Duden online, Stichwort „erschließen“. 380  Vgl. BVerwG, Urt. v. 08.05.2002 – 9 C 5 / 01 –, NVwZ-RR 2002, 770, 771; OVG Münster, Urt. v. 22.06.2006 – 3 A 2112 / 04 –, NVwZ-RR 2007, 125, 126. 381  Gloria, NVwZ 1991, 720, 721; Löhr, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, Vorb §§ 123–135 Rn. 2.



I. Einzelhandelssteuerung369

verpflichtende ÖPNV-Anbindung für Einzelhandelsbetriebe auf Basis des geltenden Rechts nicht konstruieren können. (2) De lege ferenda Das Fehlen einer Anknüpfungsmöglichkeit de lege lata schließt jedoch eine entsprechende Rechtsfortbildung de lege ferenda nicht aus. Einzufügen wäre lediglich der Hinweis, dass bei Einzelhandelsvorhaben mit überwiegend innenstadtrelevanten Sortimenten ab einer bestimmten, näher zu definierenden Verkaufsflächengröße zusätzlich eine hinreichende Anbindung an den ÖPNV gewährleistet sein muss. Der Begriff des innenstadtrelevanten Sortiments ist von der Rechtsprechung als Unterart des Einzelhandels mittlerweile hinreichend akzeptiert.382 Eine solche Gesetzesänderung wäre auch mit den Vorgaben des Raumordnungsrechts zu vereinbaren. § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG geht davon aus, dass die der Grundversorgung dienenden Einrichtungen für sämtliche Bevölkerungsgruppen erreichbar sein müssen und die Mobilität nachhaltig gesichert werden muss. Der Landesentwicklungsplan Sachsen-Anhalts etwa greift dies in Form eines Zieles der Raumordnung auf. Nach Z 100 sind bedeutende Arbeitsplatzstandorte, allgemeinbildende und berufsbildende Schulen, große Einzelhandelseinrichtungen, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie touristische Ziele durch einen leistungsfähigen ÖPNV anzubinden. Dabei geht es dem Plangeber nicht um den Umweltschutz, sondern vor allem um die Gewährleistung der Versorgung aller Bevölkerungsgruppen. Dies ergibt sich sowohl aus der Begründung zu Z 100 als auch aus G 71 des Plans, wonach der ÖPNV gerade für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen barrierefrei ausgestaltet werden muss und vor allem in ländlichen Gebieten eine gute Erreichbarkeit der Versorgungsschwerpunkte zu gewährleisten ist. Die Freizeiteinrichtungen und touristischen Sehenswürdigkeiten werden dagegen in diesem Zusammenhang nicht mehr eigens erwähnt, woran deutlich wird, dass der ÖPNV in erster Linie die Versorgung sicher stellen soll. Daher wäre eine entsprechende, bauplanungsrechtlich festgeschriebene ÖPNV-Pflicht für größere Einzelhandelsbetriebe durchaus mit dem Konzept der Raumordnung zu vereinbaren. Probleme in kompetenzrechtlicher Sicht entstehen ebenfalls nicht, da der Bund auf der Grundlage des Bodenrechts keine Verpflichtung zur Errichtung des ÖPNV statuiert, sondern lediglich an die vorhandenen, von der 382  BVerwG, Urt. v. 26.03.2009 – 4 C 21  / 07 –, ZfBR 2009, 463, 463 f.; OVG Koblenz, Urt. v. 24.08.2000 – 1 C 11457 / 99 –, NVwZ-RR 2001, 221, 223; VGH Mannheim, Urt. v. 21.05.2001 – 5 S 901 / 99 –, NVwZ-RR 2002, 556, 558 f.; Roeser, in: König / Roeser / Stock, BauNVO, §  1 Rn.  97.

370

4. Kap.: Bauplanungsrecht

Gemeinde zu regelnden Verhältnisse anknüpft und überdies nicht in Länderangelegenheiten eingreift. Zudem ist der Systematik des Baugesetzbuchs ein gebietsbezogener Erschließungsbegriff nicht völlig fremd, denn auch die §§ 123  ff. BauGB stellen auf eine gebietsbezogene Erschließung ab,383 wenngleich in diesem Zusammenhang die Anbindung an den ÖPNV nicht mit erfasst ist.384 Auch der Sinn und Zweck des Erschließungserfordernisses, die geordnete städtebauliche Entwicklung sicher zu stellen,385 spricht nicht dagegen. Zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung gehört die Erreichbarkeit eines Einzelhandelsbetriebes für potentielle Kunden. Zwar würde durch eine ÖPNV-Anbindungspflicht einem weiteren Ziel von § 34 Abs. 3 BauGB, nämlich der Stärkung der Innenentwicklung und der Urbanität der Städte,386 nicht mehr Rechnung getragen, doch träte mit dem Umweltschutz ein anderes Ziel an dessen Stelle, welches vom Baugesetzbuch etwa in § 1a BauGB ausdrücklich anerkannt wird. Die von § 34 Abs. 3 BauGB bezweckte verbrauchernahe Versorgung bliebe hingegen auch bei der möglichen Neuregelung erhalten, denn eine bessere Erreichbarkeit für Kunden, die über keinen eigenen PKW verfügen, käme gerade auch älteren Menschen zu Gute. Problematisch hierbei ist freilich, dass dann zwar der Einzelhandelsbetrieb an den ÖPNV angebunden ist, jedoch nicht gewährleistet wird, dass der ÖPNV auch von den Wohnungen der Menschen aus gut erreichbar ist. Dies gilt insbesondere für die Bewohner von Nachbarorten, in deren Nähe sich auf Grund von Kaufkraftabzügen möglicherweise keine Einkaufsgelegenheit mehr befindet. Allerdings wird man zugestehen müssen, dass bei einer verpflichtenden ÖPNV-Anbindung größerer Einzelhandelsvorhaben der ÖPNV – auch überörtlich – tendenziell gut ausgebaut sein wird, so dass zumindest Umsteigemöglichkeiten vorhanden wären. Ferner ist zu bedenken, dass die Nutzung des ÖPNV gewisse finanzielle Mittel erfordert und gerade ältere Menschen nicht selten über wenig Rente verfügen. Jedoch dürfte die ÖPNV-Nutzung im Vergleich zum eigenen PKW erheblich günstiger sein. Ein weitaus größeres Problem liegt in der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer solchen Maßnahme, welche einen Eingriff in die Eigentumsfreiheit der Grundstückseigentümer gemäß Art. 14 GG und die Berufsfreiheit der Investoren nach Art. 12 Abs. 1 GG darstellt. Dabei ist zu bedenken, dass der 383  Löhr,

in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, Vorb §§ 123–135 Rn. 3. NVwZ 1991, 720, 721; Löhr, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, Vorb §§ 123–135 Rn. 2. 385  BVerwG, Urt. v. 07.02.1986 – 4 C 30 / 84 –, NJW 1986, 2775, 2776; Urt. v. 17.06.1993 – 4 C 7 / 91 –, NVwZ 1994, 281, 281 f. 386  Vgl. BT-Drs. 16 / 2496, S. 10. 384  Gloria,



I. Einzelhandelssteuerung371

Eigentümer schon nach geltendem Recht gegenüber der Gemeinde grundsätzlich keinen Anspruch auf Bereitstellung bestimmter Erschließungsmaßnahmen hat. Ein solcher Anspruch ergibt sich allenfalls unter bestimmten, eng gezogenen Voraussetzungen,387 etwa, wenn eine Gemeinde auf der Grundlage eines qualifizierten Bebauungsplans Baugenehmigungen erteilt, sich jedoch weigert, für eine hinreichende Erschließung zu sorgen.388 Eine solche Situation ist jedoch im unbeplanten Innenbereich nicht gegeben. Hinzu kommt, dass die ÖPNV-Erschließung ein „Mehr“ darstellt im Vergleich zur bauplanungsrechtlichen Erschließung, so dass ein Anspruch darauf wohl nicht gegeben sein kann. Legitimer Zweck einer verpflichtenden ÖPNV-Anbindung von Einzelhandelsbetrieben mit einer bestimmten Verkaufsflächengröße ist zum einen der Schutz der Umwelt durch die Vermeidung von PKWVerkehr und zum anderen die Gewährleistung der verbrauchernahen Versorgung. Geeignet zur Erreichung dieser Ziele ist eine derartige Regelung durchaus, denn wenn eine attraktive ÖPNV-Anbindung besteht, würde zumindest ein Teil der Kunden darauf zurückgreifen und nicht den eigenen PKW benutzen. Für Menschen ohne PKW wäre die Einkaufsmöglichkeit immerhin besser erreichbar. Dies setzt freilich voraus, dass die Schwelle für die Verkaufsflächengröße, ab der eine hinreichende ÖPNV-Anbindung nachzuweisen ist, nicht zu weit unten angesetzt wird, da andernfalls kleinere Betriebe, die, anders als größere Investoren, mangels finanzieller Mittel sich ihr Grundstück nicht frei aussuchen können, von einer Ansiedlung abgehalten werden könnten. Die Grenze dürfte daher bei einer Verkaufsfläche von 700 oder 800 m2 zu ziehen sein. Daneben muss es Rechtssicherheit geben, was unter einer hinreichenden ÖPNV-Anbindung zu verstehen ist. Zu fordern wird sein, dass sich in fußläufiger Nähe des Vorhabens eine ÖPNV-Haltestelle befindet, die zumindest einmal pro Stunde angefahren wird und eine Verbindung zum Stadtzentrum gewährleistet. Wenn man diese Vorgaben nicht unnötig ausdehnt, dürfte die Erforderlichkeit einer entsprechenden Regelung gewahrt bleiben. Schwierigkeiten bereitet hingegen die Angemessenheit. Grund dafür ist, dass die Gemeinden jederzeit die Möglichkeit haben, über § 9 Abs. 2 a BauGB bestimmte Arten von Einzelhandelsbetrieben im Wege der Bauleitplanung auszuschließen, was grundsätzlich ein milderes und transparenteres Mittel darstellt.389 Dagegen lässt sich jedoch anführen, dass § 9 Abs. 2 a BauGB einen anderen Ansatz verfolgt als die hier angedachte Regelung. § 9 Abs. 2 a BauGB zielt auf den Schutz der zentralen Versorgungsbereiche, während die hier angedachte Regelung die Erreichbarkeit eines Vorhabens in den Mittelpunkt rückt. 387  BVerwG,

Urt. v. 11.11.1987 – 8 C 4 / 86 –, NVwZ 1988, 355, 355 f. BVerwG, Urt. v. 04.10.1974 – IV C 59 / 72 –, NJW 1975, 402, 402. 389  Vgl. dazu auch oben, 4. Kapitel, I. 2. h) aa). 388  So

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

Art. 14 Nr. 5 der Dienstleistungsrichtlinie wäre ebenfalls nicht tangiert. Nach dieser Vorschrift darf die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit im Hoheitsbereich eines Mitgliedstaates nicht von einer wirtschaftlichen Überprüfung im Einzelfall abhängig gemacht werden, bei der die Erteilung der Genehmigung vom Nachweis eines wirtschaftlichen Bedarfs oder einer Marktnachfrage abhängig gemacht wird oder von der Beurteilung der tatsächlichen oder möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Tätigkeit abhängt. Gerade dies ist bei der vorgeschlagenen Regelung unproblematisch, da diese nicht an wirtschaftliche Auswirkungen wie etwa Kaufkraftabflüsse anknüpft. Etwas anders gestaltet sich die Rechtslage bei Art. 15 Abs. 2 lit. a) der Dienstleistungsrichtlinie, welcher Vorschriften, die die Aufnahme oder Ausübung von Dienstleistungen mengenmäßigen oder territorialen Beschränkungen unterwerfen, insbesondere in Form von Beschränkungen auf Grund der Bevölkerungszahl oder bestimmter Mindestanforderungen zwischen Dienstleistungserbringern, untersagt. Eine verpflichtende ÖPNV-Anbindung stellt sehr wohl eine territoriale Beschränkung dar, doch kann diese eher gerechtfertigt werden als die Beschränkung des § 34 Abs. 3 BauGB, die allein die wirtschaftlichen Folgen, nämlich die schädlichen Auswirkungen, eines Vorhabens im Blick hat. Insoweit wäre die hier angedachte Regelung wirtschaftsneutraler. Sie verstößt schließlich nicht gegen Art. 15 Abs. 2 lit. h) der Richtlinie, wonach eine Verpflichtung des Dienstleistungserbringers, zusammen mit seiner Dienstleistung bestimmte andere Dienstleistungen zu erbringen, verboten ist. Der Betreiber des Einzelhandelsmarktes ist nicht verpflichtet, selbst ÖPNV-Leistungen anzubieten oder auf die Errichtung von solchen hinzuwirken, denn der ÖPNV liegt als Aufgabe der Daseinsvorsorge im Ermessen der jeweiligen Gemeinde. Ein solches Konzept wäre daher nicht europarechtswidrig, sondern würde dem Leitbild der EU zur Europäischen Raumentwicklung entgegenkommen. Das EUREK geht davon aus, dass nicht das Bestehen eines einzigen Kernraums, auf den sich die gesamte Wirtschaftstätigkeit konzentriert, erstrebenswert sei, sondern vielmehr die Vernetzung einzelner, kleinerer Zentren im Vordergrund stehen solle.390 Dies könnte mit einer Abkehr vom Schutz zentraler Versorgungsbereiche hin zu einer freien Ansiedlung unter dem Vorbehalt hinreichender Verkehrsanbindung erreicht werden. Damit würde die vorgeschlagene Regelung zwar nicht vor wirtschaftlichen Auswirkungen auf benachbarte zentrale Versorgungsbereiche und der Verdrängung kleine390  Europäische Kommission, EUREK – Europäisches Raumentwicklungskonzept. Auf dem Wege zu einer räumlich ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung der Europäischen Union, angenommen beim Informellen Rat der für Raumordnung zuständigen Minister in Potsdam im Mai 1998, 1999, S. 21 ff. 



I. Einzelhandelssteuerung373

rer Einzelhandelsbetriebe schützen, doch zumindest die Erreichbarkeit eines Einzelhandelsbetriebs für die Bevölkerung verbessern und die Folgen einer fehlenden Planung seitens der Gemeinde wenigstens teilweise abmildern. Angesichts der Zentrenorientierung des Raumordnungsrechts und der damit verbundenen Vorzüge391 sollte das Konzept einer obligatorischen ÖPNVAnbindung allerdings nur als Ergänzung für solche Fälle verstanden werden, in denen ein Schutz der Zentren durch aktive Planung nicht erreicht werden kann. cc) Einzelhandelssteuerung durch Bindung an die Ziele der Raumordnung (1) De lege lata Eine weitere Möglichkeit der Einzelhandelssteuerung ohne Bauleitplanung ist die Herbeiführung einer Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung im Rahmen des § 34 BauGB. Nach geltendem Recht sind die Ziele der Raumordnung bei einer Zulassungsentscheidung nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht zu prüfen,392 da der Wortlaut der Norm die Ziele der Raumordnung nicht erwähnt. Beachtlich sind die Ziele der Raumordnung daher nur, soweit sie durch einen Bebauungsplan umgesetzt worden sind.393 Gleiches gilt im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB, es sei denn, § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BauNVO findet entsprechende Anwendung.394 Probleme insbesondere bei der Steuerung der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe entstehen dann, wenn Ziele der Raumordnung für die Gemeinde im Einzelfall keine Erstplanungspflicht nach § 1 Abs. 4 BauGB begründen. Eine solche kann sich für die Gemeinden ergeben, sobald und soweit dies zur Durchsetzung der Ziele der Raumordnung unerlässlich ist.395 Eine strikte Planungspflicht nimmt das Bundesverwaltungsgericht allerdings nur an, „wenn die Verwirklichung von Zielen der Raumordnung bei Fortschrei391  Vgl.

dazu oben, 3. Kapitel, I. 2. c) bb) (3) (b). Urt. v. 11.02.1993 – 4 C 15 / 92 – NVwZ 1994, 285, 286; vgl. auch Spannowsky, Möglichkeiten zur Steuerung der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe, in: Spannowsky / Krämer, Großflächiger Einzelhandel und Windkraftanlagen, S. 35, 50. 393  BVerwG, Urt. v. 11.02.1993 – 4 C 15 /  92 –, NVwZ 1994, 285, 286 ff.; Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, ZfBR 2004, 171, 175 = BVerwGE 119, 25, 42 f.; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  74. 394  BVerwG, Urt. v. 11.02.1993 – 4 C 15 / 92 –, NVwZ 1994, 285, 286 f. 395  BVerwG, Beschl. v. 08.03.2006 – 4 BN 56 / 05 –, BeckRS 2006, 22180; Runkel, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 1 Rn. 65 b; ausführlich dazu oben, 4. Kapitel, I. 2. b). 392  BVerwG,

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

ten der ‚planlosen‘ städtebaulichen Entwicklung auf unüberwindbare tatsächliche oder rechtliche Hindernisse stoßen oder wesentlich erschwert würde“.396 Dies stellt eine vergleichsweise hohe Hürde dar, so dass sich eine Erstplanungspflicht nicht zwingend schon dann ergibt, wenn ein einziger Betrieb den Zielen der Raumordnung zuwider läuft. Missachtet eine Gemeinde ihre Pflicht zur Planung, können die Ziele der Raumordnung letztlich nur mit Hilfe der Kommunalaufsicht durchgesetzt werden.397 Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass das Einschreiten der Kommunalaufsicht in deren Ermessen liegt398 und eine Ermessensreduzierung auf Null wohl nur selten anzunehmen sein wird. (2) De lege ferenda Die Tatsache, dass Ziele der Raumordnung de lege lata im Rahmen von § 34 BauGB keine Berücksichtigung finden, schließt jedoch eine entsprechende Gesetzesänderung nicht aus. Im Referentenentwurf über ein Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien aus dem Jahr 2004 war angedacht, in § 34 Abs. 3 BauGB eine Pflicht zur Berücksichtigung der Ziele der Raumordnung einzufügen.399 Eine derartige Regelung wäre mit dem Sinn und Zweck sowie der Systematik von § 34 BauGB durchaus zu vereinbaren. § 34 BauGB hat eine planersetzende Funktion und muss daher eindeutig bestimmte Zulässigkeitsvoraussetzungen enthalten.400 Dies ist bei Zielen der Raumordnung jedenfalls dann der Fall, wenn und soweit diese tatsächlich als bindende Ziele ausgestaltet sind. Angesichts der Neufassung von § 6 ROG und der damit zu erwartenden Zurückdrängung so genannter Soll-Ziele401 dürfte dies jedenfalls bei neueren Raumordnungsplänen weitgehend unproblematisch sein. Gegen eine Berücksichtigung von Zielen der Raumordnung im Rahmen von § 34 BauGB spricht indes, dass die Norm auf tatsächliche Verhältnisse 396  BVerwG, Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, ZfBR 2004, 171, 175 = BVerwGE 119, 25, 34 ff. ausführlich dazu oben, 4. Kapitel, I. 2. b). 397  So auch Spannowsky, Möglichkeiten zur Steuerung der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe, in: Spannowsky / Krämer, Großflächiger Einzelhandel und Windkraftanlagen, S. 35, 51. 398  So etwa Art. 112, 113 BayGO; § 123 GO NRW. 399  Vgl. Referentenentwurf zum EAG Bau vom Juni 2003, zit. bei Spannowsky, Möglichkeiten zur Steuerung der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe, in: Spannowsky / Krämer, Großflächiger Einzelhandel und Windkraftanlagen, S. 35, 51. 400  Krautzberger, in: Battis  / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 34 Rn. 1; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  70. 401  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 3. d).



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wie die Umgebungsbebauung oder die gesicherte Erschließung abstellt, Ziele der Raumordnung hingegen eine rein rechtliche Kategorie darstellen. Hinzu kommt, dass sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zentrale Versorgungsbereiche gemäß § 34 Abs. 3 BauGB nur aus den tatsächlichen Verhältnissen, nicht auch aus planerischen Festsetzungen allein ergeben können.402 Daher spricht schon die Rechtsnatur von § 34 BauGB gegen eine Berücksichtigung von Zielen der Raumordnung. Fraglich ist darüber hinaus, ob eine solche Ergänzung mit der Dienstleistungsrichtlinie zu vereinbaren wäre und, falls dies der Fall sein sollte, ob eine solche Neuregelung in der Praxis zu einer Verbesserung der verbrauchernahen Versorgung führen würde. Problematisch in Bezug auf die Dienstleistungsrichtlinie ist vor allem, dass die raumordnungsrechtlichen Konzentrations- und Kongruenzgebote über eine solche Raumordnungsklausel Private unmittelbar binden würden. Dies könnte Schwierigkeiten im Hinblick auf Art. 14 Nr. 5 der Richtlinie mit sich bringen, zumal hier Kaufkraftabzüge und damit wirtschaftliche Kriterien eine entscheidende Rolle spielen.403 Im Unterschied zu § 34 Abs. 3 BauGB existieren jedoch bezüglich des Kongruenzgebots Schwellenwerte für einen schädlichen Kaufkraftabzug, so dass zumindest die Rechtssicherheit größer wäre und damit Art. 10 Abs. 2 lit. d) und e) der Dienstleistungsrichtlinie nicht verletzt würde. Im Übrigen besteht bei der Bindung an Ziele der Raumordnung immer noch die Möglichkeit eines Zielabweichungsverfahrens nach § 6 Abs. 2 ROG, wodurch den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung getragen werden kann. Konzentrationsgebote sind hinsichtlich Art. 14 Nr. 5 und Art. 15 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie problematisch, sofern sie keine Ausnahmen enthalten,404 wobei auch hier die Möglichkeit eines Zielabweichungsverfahrens in Betracht zu ziehen ist. Daher dürfte eine solche Ausgestaltung jedenfalls eher verfassungs- und europarechtlichen Anforderungen genügen als der geltende § 34 Abs. 3 BauGB. Bleibt die Frage, ob die Aufnahme einer Raumordnungsklausel in § 34 BauGB tatsächlich die verbrauchernahe Versorgung verbessern würde. Konzentrations-, Kongruenzgebote und Integrationsgebote sowie Beeinträchtigungsverbote beziehen sich ausschließlich auf den großflächigen Einzelhandel, da nur insoweit von raumbedeutsamen Maßnahmen gesprochen werden kann. Die Auswirkungen von Betrieben mit einer Verkaufsfläche unterhalb der 800 m2-Schwelle können daher überhaupt nicht gesteuert werden, was vielleicht kein großes Defizit darstellt, wenn man bedenkt, dass sich § 34 Abs. 3 BauGB auf jedwede Einzelhandelsbetriebe 402  Vgl.

oben, 4. Kapitel, I. 4. a) bb). oben, 3. Kapitel, II. 2. d) bb) (2) (d). 404  Vgl. oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (e). 403  Vgl.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

bezieht und gerade diese Tatsache zur Unverhältnismäßigkeit der Norm beiträgt.405 Praktische Probleme entstünden bei der Aufnahme einer Raumordnungsklausel jedoch dann, wenn im Einzelfall nicht klar ist, ob die landesplanerische Festsetzung tatsächlich den Erfordernissen eines Ziels der Raumordnung genügt. Dies gilt insbesondere für die so genannten Soll-Ziele, die nach wie vor in vielen älteren Raumordnungsplänen zu finden sind. Hier könnte es auch zu einem Verstoß gegen Art. 10 Abs. 2 lit. d) und e) der Dienstleistungsrichtlinie kommen, wenn für den betroffenen Investor nicht vorhersehbar ist, ob ein Ziel der Raumordnung vorliegt oder nicht. Daher ist die Aufnahme einer Raumordnungsklausel in § 34 BauGB keine optimale Lösung zum Schutz der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung. Dies gilt insbesondere, solange im Raumordnungsrecht noch mit Soll-Zielen operiert wird, deren rechtliche Einordnung unklar ist. dd) Planungserfordernis als Ausschlusskriterium im Rahmen des § 34 BauGB (1) De lege lata Nach wie vor umstritten ist, ob ein so genanntes Planungserfordernis einem nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB an sich zulässigen Vorhaben entgegengehalten werden kann. Unter Geltung des Bundesbaugesetzes bis zum Jahr 1987 durften nach § 34 Abs. 1 BBauG „sonstige öffentliche Belange“ einem Vorhaben im unbeplanten Innenbereich nicht entgegenstehen. Das OVG Münster etwa vertrat dazu die Auffassung, das Planungserfordernis sei ein solcher sonstiger öffentlicher Belang,406 doch wurde diese Rechtsprechung sowohl vom Bundesverwaltungsgericht als auch von der herrschenden Meinung in der Literatur abgelehnt mit der Begründung, dass neben dem Einfügens-Erfordernis keine weiteren Einschränkungen notwendig seien.407 Der Streit hat sich dadurch erledigt, dass im Jahr 1987 das Erfordernis der Berücksichtigung sonstiger öffentlicher Belange aus § 34 Abs. 1 BauGB gestrichen wurde, um Klarheit zu schaffen, dass öffentliche Belange nicht selbständig zu berücksichtigen sind.408 405  Vgl.

oben, 4. Kapitel, I. 4. b) aa). Münster, Urt. v. 07.11.1977 – X A 650 / 73 –, NJW 1978, 2314, 2314. 407  BVerwG, Urt. v. 24.10.1980 – 4 C 3 / 78 –, NJW 1981, 2426, 2427; SchmidtAßmann, Das baurechtliche Planungserfordernis, S. 22 f. u. 46; näher dazu auch Ingold, Erstplanungspflichten, S. 158 f. 408  Vgl. BT-Drs. 10  / 5027 zu § 34; Söfker in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 34 Rn. 70. 406  OVG



I. Einzelhandelssteuerung377

Manche Stimmen in der Literatur möchten jedoch nach wie vor an der Prüfung eines Planungserfordernisses im Rahmen von § 34 Abs. 1 BauGB festhalten, indem sie davon ausgehen, dass ein Vorhaben, welches ein Planungserfordernis begründe, sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge.409 Argumentiert wird dabei insbesondere mit der Sicherung gemeindlicher und nachbargemeindlicher Beteiligungs- und Abwehrrechte, die sich aus der kommunalen Planungshoheit gemäß Art. 28 Abs. 2 GG ergeben.410 Eine andere Auffassung möchte vor dem Hintergrund der kommunalen Planungshoheit § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB im Rahmen von § 34 Abs. 1 BauGB analog anwenden.411 § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB könne durch die Vorhabensgemeinde andernfalls umgangen werden, indem unter Missachtung der Anforderungen von § 36 BauGB rechtswidrig das gemeindliche Einvernehmen erteilt werde.412 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass in derartigen Fällen stets die Einleitung rechtsaufsichtlicher Schritte in Betracht kommt und es mangels Regelungslücke einer analogen Anwendung deswegen nicht bedarf. Im Übrigen ist die Vergleichbarkeit der Interessenlage zweifelhaft, nachdem sich § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB an die planende Gemeinde richtet, während § 34 Abs. 1 BauGB vom Vorhabensträger selbst zu beachten ist. Ingold geht davon aus, dass sich aus § 34 Abs. 3 BauGB im Einzelfall eine subjektiv determinierte, d. h. durch die subjektiven Vorstellungen des Plangebers bestimmte Erstplanungspflicht ergeben könne.413 Grund dafür sei, dass ein Vorhaben, welches nach § 34 Abs. 3 BauGB unzulässig ist, im Einzelfall im Rahmen einer rechtmäßigen Bauleitplanung dennoch genehmigungsfähig sein könne.414 Daher könne trotz oder gerade wegen § 34 Abs. 3 BauGB in bestimmten Fällen eine Erstplanungspflicht der Gemeinde bestehen.415 Diesen Erwägungen ist jedoch mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Mehrheit der Literatur entgegenzutreten. Danach ist de lege lata ein so genanntes Planungserfordernis kein Belang, der einem 409  Vgl. dazu etwa Stüer, NVwZ 2004, 814, 817; Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, § 34 Rn. 74; Büchner, ZfBR 2003, 538, 539; vgl. auch die Darstellung bei Ingold, Erstplanungspflichten, S. 159. 410  Vgl. Stüer, NVwZ 2004, 814, 817. 411  Vgl. VGH München, Beschl. v. 25.10.1999 – 26 CS 99.2222 –, BRS 62 Nr. 65, S. 338, 341, letztlich aber vom VGH München offen gelassen. 412  Zu dieser Argumentation vgl. Uechtritz, NVwZ 2003, 176, 179, der selbst eine analoge Anwendung von § 2 Abs. 2 BauGB jedoch strikt ablehnt. 413  Ingold, Erstplanungspflichten, S. 164 ff.; ähnlich auch Reidt, UPR 2005, 241, 241 u. 243. 414  Ingold, Erstplanungspflichten, S. 168 f. 415  Ingold, Erstplanungspflichten, S. 169.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB an sich zulässigen Vorhaben entgegengehalten werden könnte.416 Begründet wird dies damit, dass im faktischen Bebauungsbereich nur tatsächlich vorhandene, optisch wahrnehmbare Kriterien berücksichtigt werden könnten.417 Die Norm sei Planersatz und regle abschließend die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens.418 Im Rahmen des Einfügens-Erfordernis seien lediglich die Wirkungen des Vorhabens auf die nähere Umgebung zu berücksichtigen, während Fernwirkungen unbeachtlich blieben.419 Dem ist zuzustimmen, denn schon der Wortlaut von § 34 Abs. 1 BauGB bietet keinen Anhaltspunkt für ein Planungserfordernis. Zudem darf das Merkmal des Sich-Einfügens nicht überfrachtet werden. Gegen die Argumentation von Ingold spricht, dass § 34 Abs. 3 BauGB wohl selbst verfassungs- und europarechtswidrig ist420 und im Falle seiner Aufhebung daher nicht als Begründung für eine Planungspflicht im Rahmen von § 34 Abs. 1 BauGB herangezogen werden kann. Ebensowenig kann ein Erstplanungserfordernis nach § 1 Abs. 3 und 4 BauGB, welches das Bundesverwaltungsgericht in der Mühlheim-KärlichEntscheidung angenommen hat,421 im Rahmen des § 34 Abs. 1 und 2 BauGB geltend gemacht werden. Die Rechtsprechung weist dabei zu Recht auf die Gesetzessystematik hin, wonach sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens aus den §§ 29 ff. BauGB ergebe, d. h. aus dem 3. Teil des allgemeinen Städtebaurechts, während die Planungspflicht des § 1 Abs. 3 und 4 BauGB im 1. Teil des allgemeinen Städtebaurechts geregelt sei.422 Die genannten Erwägungen lassen sich ohne Weiteres auf § 34 Abs. 2 BauGB übertragen. Zum einen findet eine Modifikation gegenüber § 34 416  BVerwG, Urt. v. 24.10.1980 – 4 C 3  / 78 –, NJW 1981, 2426, 2427; Urt. v. 18.12.1983 – 4 C 18 / 81 –, NJW 1983, 2713, 2715; Urt. v. 03.02.1984 – 4 C 8 / 80 –, NJW 1984, 1773, 1774; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 34 Rn. 72; Krautzberger, in: Battis  /  Krautzberger  /  Löhr, BauGB, § 34 Rn. 20; Moench, DVBl. 2005, 676, 680  f.; Kopf, Einzelhandelsgroßprojekte, S.  304; Schmitz / Federwisch, Einzelhandel und Planungsrecht, § 15 Rn. 435. 417  In diese Richtung etwa BVerwG, Urt. v. 20.04.2000 – 4 B 25  / 00 –, ZfBR 2001, 142, 142; vgl. auch Büchner, Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von großflächigen Einzelhandelsbetrieben, in: Spannowsky / Krämer, Großflächiger Einzelhandel und Windkraftanlagen, S. 55, 58. 418  Moench, DVBl. 2005, 676, 680; Schmitz / Federwisch, Einzelhandel und Planungsrecht, § 15 Rn. 435. 419  BVerwG, Urt. v. 03.02.1984 – 4 C 8  / 80 –, NJW 1984, 1773, 1774; Urt. v. 11.02.1993 – 4 C 15 / 92 – NVwZ 1994, 285, 286. 420  Vgl. oben, 4. Kapitel, I. 4. b). 421  Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, ZfBR 2004, 171, 172 ff. = BVerwGE 119, 25, 34 ff.  422  BVerwG, Urt. v. 11.02.1993 – 4 C 15 / 92 –, NVwZ 1994, 285, 288.



I. Einzelhandelssteuerung379

Abs. 1 BauGB nur hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung statt, während sich die Zulässigkeit eines Vorhabens im Übrigen nach § 34 Abs. 1 BauGB und dem Einfügens-Erfordernis bemisst. Zum anderen ist, wenn ein Gebiet der Art der baulichen Nutzung nach einem Baugebiet der Baunutzungsverordnung gleicht, kein Platz für eine Berücksichtigung eines Planungserfordernisses, denn insoweit findet eine Gleichstellung mit einem qualifiziert beplanten Gebiet nach § 30 Abs. 1 BauGB statt, wo ebenfalls kein Einfallstor für eine Berücksichtigung des Planungserfordernisses besteht.423 (2) De lege ferenda Allein daraus, dass de lege lata im Rahmen von § 34 Abs. 1 und 2 BauGB kein Platz ist für die Berücksichtigung eines Planungserfordernisses, folgt noch nicht, dass auch eine entsprechende Gesetzesänderung ausgeschlossen ist.424 Dabei stellt sich zuerst die Frage, ob eine solche Regelung mit der Systematik von § 34 BauGB zu vereinbaren wäre. Das Argument, § 34 BauGB als Planersatzrecht regle abschließend die bodenrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens, stünde dem jedenfalls nicht entgegen, denn auch bei Einfügung einer weiteren konkreten Voraussetzung wäre eine abschließende Regelung gegeben. Voraussetzung hierfür ist freilich, dass nicht von „öffentlichen Belangen“ allgemein, sondern konkret von einem „Planungserfordernis“ geprochen wird. Gegen eine Einbeziehung des Planungserfordernisses lässt sich aber einwenden, dass diese Voraussetzung nicht optisch wahrnehmbar ist, sondern von weiteren, planungsrechtlichen Umständen abhängt. Allerdings geht das Bundesverwaltungsgericht425 davon aus, dass bei der Voraussetzung des Sich-Einfügens auch das Gebot der Rücksichtnahme zu beachten sei.426 Hierbei handelt es sich ebenfalls um ein planerisches Element, das sich der unmittelbaren optischen Wahrnehmung entzieht. Entsprechendes gilt hinsichtlich der planerischen Festsetzungen, die bei der Bestimmung eines zentralen Versorgungsbereichs nach § 34 Abs. 3 BauGB zum Tragen kommen. Überdies ist das Planungserfordernis im Rahmen des § 35 BauGB bei nicht-privilegierten Vorhaben als sonstiger entgegenstehender auch Ingold, Erstplanungspflichten, S. 169 f. etwa Schmitz, Die Sicherung zentraler Versorgungsbereiche und der verbrauchernahen Versorgung, in: Spannowsky  /  Hofmeister, BauGB 2007, S. 43, 56 f. 425  BVerwG, Urt. v. 26.05.1978 – 4 C 9  / 77 –, NJW 1978, 2564, 2566; Urt. v. 27.08.1998 – 4 C 5 / 98 –, NVwZ 1999, 523, 525; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 34 Rn. 48. 426  So zutreffend auch Büchner, Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von großflächigen Einzelhandelsbetrieben, in: Spannowsky / Krämer, Großflächiger Einzelhandel und Windkraftanlagen, S. 55, 58. 423  Ähnlich 424  Dafür

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

Belang nach § 35 Abs. 3 BauGB von der Rechtsprechung anerkannt.427 Daraus ließe sich ableiten, dass im unbeplanten Bereich ein Planungserfordernis, das zu bodenrechtlichen Spannungen führt, grundsätzlich als vorhabenhindernder Belang angesehen werden kann. Folgt man dem und erachtet man die Verankerung des Planungserfordernisses als im Rahmen von § 34 BauGB zu prüfender Belang, bleibt zu untersuchen, ob eine solche Gesetzesänderung tatsächlich die verbrauchernahe Versorgung verbessern würde. Hierbei ist zunächst zu überlegen, wann ein Vorhaben überhaupt ein Planungserfordernis auslösen kann. Im Rahmen des § 35 BauGB stellt das Bundesverwaltungsgericht in erster Linie auf die Einordnung des Vorhabens in seine Umgebung, auf seine Raumbedeutsamkeit, auf einen etwaigen Abstimmungsbedarf nach § 2 Abs. 2 BauGB sowie auf die Anwendbarkeit von § 11 Abs. 3 BauNVO auf das Vorhaben ab.428 Diese Kriterien können im Rahmen von § 34 BauGB nicht ohne Weiteres fruchtbar gemacht werden. Die Frage der Einordnung eines Vorhabens in seine Umgebung wird im Rahmen des § 34 BauGB bereits über das Einfügens-Erfordernis abgedeckt. Das Merkmal der Raumbedeutsamkeit ist ebenfalls problematisch. Raumbedeutsam ist ein Vorhaben nach § 3 Abs. 1 Nr. 6 ROG dann, wenn es Raum in Anspruch nimmt oder die räumliche Entwicklung oder Funktion eines Gebietes beeinflusst, einschließlich des Einsatzes der hierfür vorgesehenen öffentlichen Finanzmittel. Die Wertungen des Raumordnungsrechts sind insoweit auf das Städtebaurecht übertragbar. Bei Einzelhandelsbetrieben ist die Größe der Verkaufsfläche für die Prüfung der Raumbedeutsamkeit von wesentlicher Bedeutung.429 Eine Raumbedeutsamkeit ist in größeren Städten erst bei mehr als 1500 m2 anzunehmen, während in ländlichen Regionen bereits kleinere Vorhaben raumbedeutsam sein können.430 Allerdings kann ein Vorhaben im unbeplanten Innenbereich bereits auf Grund seines Sortiments oder seiner Lage erhebliche Spannungen hervorrufen, ohne zugleich raumbedeutsam zu sein, so dass eine Planungspflicht nicht von diesem Kriterium abhängig gemacht werden kann. Eher heranziehen könnte man den Rechtsgedanken des § 2 Abs. 2 BauGB. Zwar richtet sich die Vorschrift allein an die Gemeinde und darf im Rahmen von § 34 BauGB daher nicht berücksichtigt werden, doch kann, wenn im 427  BVerwG, Urt. v. 01.08.2002 – 4 C 5 / 01 –, NVwZ 2003, 86, 87; OVG Greifswald, Beschl. v. 05.11.2008 – 3 L 281 / 03 –, BauR 2009, 1399, 1405; OVG Magde­ burg, Beschl. v. 12.01.2010 – 2 L 54 / 09 –, NVwZ-RR 2010, 465, 467; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, §  35 Rn.  69. 428  BVerwG, Urt. v. 01.08.2002 – 4 C 5  / 01 –, NVwZ 2003, 86, 87; vgl. auch OVG Magdeburg, Beschl. v. 12.01.2010 – 2 L 54 / 09 –, NVwZ-RR 2010, 465, 467. 429  Schmitz, in: Bielenberg  /  Runkel  /  Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, K § 15 Rn. 61. 430  Vgl. Bienek, UPR 2008, 370, 372.



I. Einzelhandelssteuerung381

Fall der Planaufstellung ein Abstimmungserfordernis bestünde, ein solches auch im unbeplanten Bereich als Indiz dafür gewertet werden, dass die Möglichkeiten des § 34 BauGB für eine Steuerung nicht mehr ausreichen.431 Entsprechendes gilt, sofern ein Vorhaben seiner Art und Größe nach § 11 Abs. 3 BauNVO unterfallen würde. Wenn bei Vorliegen eines Bebauungsplans das Vorhaben nur in einem Kern- oder Sondergebiet verwirklicht werden könnte, muss diese Erwägung erst recht im unbeplanten Bereich nach § 34 Abs. 1 BauGB gelten.432 Daraus ergibt sich, dass der Verankerung eines Planungserfordernisses in § 34 BauGB keine grundsätzlichen, systematischen Bedenken entgegenstünden. Dieser Befund wird untermauert durch die Tatsache, dass bis zum Jahr 1987 eine Berücksichtigung „sonstiger öffentlicher Belange“ im Anwendungsbereich des § 34 BauGB möglich war. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass eine solche Gesetzesänderung mit den Vorgaben des Europarechts, insbesondere der Dienstleistungsrichtlinie, im Einklang stünde. Die Dienstleistungsrichtlinie wäre insoweit anwendbar, nachdem das Planungserfordernis zwar grundsätzlich für alle Normadressaten gelten würde, es faktisch aber nur für Einzelhandelsgroßbetriebe eine ausschließende Wirkung hätte, zumal andere Großvorhaben, etwa landwirtschaftliche Großbetriebe oder große Fabriken in solchen Fällen häufig bereits am Merkmal des Sich-Einfügens scheitern dürften.433 Sieht man den Anwendungsbereich der Richtlinie als eröffnet an, wäre eine solche Gesetzesänderung zunächst an Art. 10 Abs. 2 lit. d) und e) zu messen, wonach eine Regelung klar und unzweideutig sowie objektiv sein muss. Das Bundesverwaltungsgericht hat Kriterien dafür entworfen, wann ein Planungserfordernis im Rahmen von § 35 Abs. 3 BauGB anzunehmen ist.434 Wenngleich diese nicht eins zu eins auf § 34 BauGB anwendbar sind, könnte darin zumindest ein Anhaltspunkt gesehen werden. Freilich bestünde die Gefahr, dass sich bei einer solchen Regelung, ähnlich wie in Bezug auf § 34 Abs. 3 BauGB, eine kaum mehr zu überschauende Kasuistik entwickelt, was zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen würde. Außerdem könnte Art. 14 Nr. 5 der Dienstleistungsrichtlinie entgegenstehen, wenn das Merkmal des Planungserfordernisses in erster Linie auf der Grundlage von wirtschaftlichen Faktoren ausgelegt werden soll und dementsprechend die 431  So für § 35 BauGB, vgl. BVerwG, Urt. v. 01.08.2002 – 4 C 5 / 01 –, NVwZ 2003, 86, 87. 432  Für § 35 BauGB, vgl. BVerwG, Urt. v. 01.08.2002 – 4 C 5  / 01 –, NVwZ 2003, 86, 87 f. 433  Zur Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie, vgl. oben, 4. Kapitel, I. 4. b) cc). 434  BVerwG, Urt. v. 01.08.2002 – 4 C 5 / 01 –, NVwZ 2003, 86, 87 ff. 

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

Vorlage von Marktgutachten über Kaufkraftabzüge erforderlich würde. Ferner könnte das Planungserfordernis als territoriale Beschränkung nach Art. 15 Abs. 2 lit. a) der Dienstleistungsrichtlinie anzusehen sein. Großflächige Betriebe, die schon auf Grund des zu erwartenden Kaufkraftabzugs eine Planungspflicht auslösen, dürften sich faktisch nicht mehr im unbeplanten Innenbereich nach § 34 Abs. 1 oder 2 BauGB ansiedeln. Genehmigungsfähig wären sie allenfalls dann, wenn sich die Gemeinde zur Aufstellung eines qualifizierten Bebauungsplans nach § 30 Abs. 1 BauGB entschließt. Eine Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses dürfte jeweils an der Erforderlichkeit und Angemessenheit einer solchen Regelung scheitern, zumal eine förmliche Planung durch die Gemeinde ein milderes Mittel im Verhältnis zum Planersatzrecht des § 34 BauGB darstellt. Selbst wenn man eine entsprechende Gesetzesänderung als mit der Dienstleistungsrichtlinie vereinbar ansieht, würde die praktische Anwendung von § 34 Abs. 1 und 2 BauGB erheblich erschwert. Es obläge dem jeweiligen Sachbearbeiter in der Bauaufsichtsbehörde, zu entscheiden, ob im konkreten Fall eine Planung erforderlich ist oder nicht. Damit würde in Sachen Transparenz und Vorhersehbarkeit keine wesentliche Verbesserung im Vergleich zur gegenwärtigen Regelung erreicht. ee) Zwischenergebnis Eine an der verbrauchernahen Versorgung orientierte Einzelhandelssteuerung kann auch durch eine Änderung von § 34 BauGB nicht erreicht werden. Die Einführung einer Bindung an die Erfordernisse der Raumordnung hätte den Nachteil, dass nicht raumbedeutsame Vorhaben, die eine nicht unwesentliche Rolle für die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung spielen, gar nicht erst erfasst würden. Die Verankerung einer Planungspflicht wäre schließlich vor dem Hintergrund der Dienstleistungsrichtlinie problematisch. Lediglich eine völlige Abkehr vom bisherigen Konzept der Einzelhandelssteuerung hin zu einer obligatorischen ÖPNV-Anbindung für Einzelhandelsvorhaben ab einer bestimmten Verkaufsflächengröße könnte eine Option darstellen, wobei hier freilich noch weit reichender Klärungsbedarf besteht und dieser Ansatz nur als Ergänzung zum primär erforderlichen Schutz der Zentren in Erwägung gezogen werden sollte. Daher kann eine rechtmäßige, den Erfordernissen des demografischen Wandels gerecht werdende Lösung nur in der Bauleitplanung durch die Gemeinde liegen.



I. Einzelhandelssteuerung383

b) Lösungsmöglichkeiten mit Hilfe von Planungsinstrumenten aa) Qualifizierte Bebauungspläne Die Gemeinde kann zur Einzelhandelssteuerung zunächst einen qualifizierten Bebauungsplan gemäß § 30 Abs. 1 BauGB aufstellen. Am Beginn des Aufstellungsverfahrens steht der Aufstellungsbeschluss nach § 2 Abs. 1 S. 2 BauGB. Im Rahmen der formellen Komponente des Abwägungsgebots sind nach § 2 Abs. 3 BauGB sodann die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind, zu ermitteln und zu bewerten. Ferner ist nach § 2 Abs. 4 BauGB eine Umweltprüfung durchzuführen. § 3 BauGB sieht darüber hinaus ein zweistufiges Verfahren zur Beteiligung der Öffentlichkeit vor, nämlich in Form einer öffentlichen Unterrichtung und Erörterung nach § 3 Abs. 1 BauGB sowie einer öffentlichen Auslegung der Bauleitplanentwürfe nach § 3 Abs. 2 BauGB, in deren Rahmen jedermann Stellungnahmen zum Entwurf des Bebauungsplans abgeben kann. Daneben sind nach § 4 Abs. 1 BauGB auch die Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereich durch die Planung berührt werden kann, zu unterrichten und zu einer Stellungnahme aufzufordern. Nach § 10 Abs. 1 BauGB beschließt die Gemeinde den Bebauungsplan als Satzung. Unter den Voraussetzungen des § 13 BauGB kann ein qualifizierter Bebauungsplan auch im einfachen Verfahren aufgestellt werden, wobei nach § 13 Abs. 2 S. 1 BauGB die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung reduziert ist. In materieller Hinsicht muss der Bebauungsplan den Vorgaben der §§ 1 Abs. 3 und 4 BauGB, dem städtebaulichen Entwicklungsgebot nach § 8 Abs. 2 BauGB, den Vorgaben des § 9 BauGB sowie dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB gerecht werden. bb) § 9 Abs. 2 a BauGB Ein Bebauungsplan mit Ausschlussfestsetzungen nach § 9 Abs. 2 a BauGB unterliegt ebenso wie ein qualifizierter Bebauungsplan dem Aufstellungsverfahren für Bebauungspläne. Allerdings ist nach § 13 Abs. 1 BauGB bei Festsetzungen nach § 9 Abs. 2 a BauGB in größerem Umfang die Durchführung des vereinfachten Verfahrens möglich. cc) Bereitschaft zur Planung und mögliche Ursachen fehlender Planung Die Tatsache, dass die Verwaltungsgerichte in den vergangenen Jahren vergleichsweise viele Entscheidungen zu § 34 Abs. 3 BauGB zu treffen

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

hatten,435 darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutschen Städte und Gemeinden grundsätzlich zur Planung bereit sind, wenn es um die Gewährleistung der verbrauchernahen Versorgung geht. So sind nach einer vom Deutschen Städtetag veranlassten Umfrage des Deutschen Instituts für Urbanistik (DIFU) von 158 befragten Städten knapp 80 % davon überzeugt, dass zum Schutze zentraler Versorgungsbereiche Einzelhandelsbetriebe mit zentrenrelevanten Sortimenten außerhalb zentraler Versorgungsbereiche durch die Aufstellung von Bebauungsplänen ausgeschlossen werden müssten.436 Überdies haben viele Gemeinden inzwischen Einzelhandelskonzepte entwickelt, auf deren Grundlage entsprechende Planungen stattfinden. Es hat sich mithin eine Strategie der aktiven Einzelhandelssteuerung durch Planung mit dem Motto „Kommunales Einzelhandels- und Zentrumskonzept anstatt Verträglichkeitsanalysen“ herausgebildet.437 Dennoch gibt es Fälle, in denen eine planungsrechtliche Steuerung unterbleibt. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Einerseits können mangelnde finanzielle Mittel der Gemeinde den Ausschlag geben. Dies gilt umso mehr, als die Kosten der Bauleitplanung nicht auf die Grundstückseigentümer umgelegt werden können, was wegen § 1 Abs. 3 S. 2 BauGB sogar dann der Fall ist, wenn sich Gemeinde und Eigentümer zuvor vertraglich über die Aufstellung des Bebauungsplans verständigt hatten.438 Ein solches Szenario nicht stattfindender Planung ist gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels denkbar, wenn auf Grund des Bevölkerungsrückgangs die Steuereinnahmen sinken, die Gemeinde aber gleichzeitig schon aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Minimum an – gegebenenfalls kostspieliger – öffentlicher Daseinsvorsorge aufrechterhalten muss.439 Andererseits mag es insbesondere in kleineren Gemeinden am notwendigen fachlichen Know-How fehlen, das auch durch finanzielle Mittel nur schwer kompensiert werden kann. Schließlich mag es Fälle geben, in denen die Gemeinde kein Interesse an einer Einzelhandelssteuerung durch Bauleitplanung hat, sondern stattdessen auf Grundlage von § 34 BauGB Baugenehmigungen erteilt. Welche Lösungsmöglichkeiten hin zu mehr Planung sich anbieten, hängt dabei vom Grund für die fehlende Planung ab.

435  Vgl. allein die Kasuistik bei Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 34 Rn. 861. 436  So das Ergebnis der entsprechenden Umfrage des DIFU, zit. bei Battis, DVBl. 2011, 196, 199. 437  Vgl. Bunzel / Janning / Kruse / Kühn, Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche, S. 183. 438  Dazu auch VG Koblenz, Urt. v. 12.04.2011 – 7 K 910  / 10.KO –, BeckRS 2011, 53544. 439  S. dazu oben, 2. Kapitel, II. 1. f) bb).



I. Einzelhandelssteuerung385

dd) Lösungsmöglichkeiten bei einem Mangel an finanziellen Mitteln und Know-How Verfügt eine Gemeinde nicht über die notwendigen finanziellen Mittel und kann daher auch nicht bei externen Planungsbüros Gutachten zur Erstellung von Einzelhandelskonzepten und Bebauungsplänen in Auftrag geben, stellt sich die Frage, wie eine Einzelhandelssteuerung trotzdem verwirklicht werden kann. Bei der Durchführung des Aufstellungsverfahrens kann die Gemeinde bereits jetzt gemäß § 4b BauGB insbesondere zur Beschleunigung des Bauleitplanverfahrens die Vorbereitung und Durchführung von Verfahrensschritten nach den §§ 2a bis 4a BauGB einem Dritten übertragen.440 Dies soll insbesondere die Erstellung des Umweltberichts sowie die Durchführung der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligungen für die Gemeinde vereinfachen. Dabei wird der Dritte als Geschäftsbesorger für die Gemeinde tätig und kann dafür eine entsprechende Entlohnung verlangen.441 Deshalb hilft § 4b BauGB nur dann weiter, wenn die Gemeinde über hinreichende finanzielle Ressourcen verfügt, um externe Helfer zu bezahlen. Überdies kann mit Hilfe von § 4b BauGB nicht die komplette Ausarbeitung und Aufstellung eines Bebauungsplans auf Dritte übertragen werden. Sind die Dienste externer Planungsbüros für eine Gemeinde nicht erschwinglich, wäre es hilfreich, wenn sie auf behördeninternes Know-How zurückgreifen könnte. Da nicht jede einzelne Gemeinde eine eigene Planungsabteilung unterhalten kann, läge es nahe, gesetzlich vorzugeben, dass auf Länderebene zentrale Stellen einzurichten sind, die kleineren Gemeinden bei der Aufstellung von Einzelhandelskonzepten und Bebauungsplänen Hilfestellung leisten. Solche Einrichtungen müssten grundsätzlich allen Gemeinden offen stehen, wobei bei Kapazitätsengpässen nach der Bedürftigkeit einer Gemeinde zu entscheiden wäre, zumal sich finanzstarke Gemeinden externer Planungsbüros bedienen können. Fraglich ist allerdings, ob eine derartige Regelung auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG gestützt werden könnte. Danach ist der Bund für das Bodenrecht zuständig. Teil des Bodenrechts ist die Bauleitplanung, zu deren Vorbereitung und Durchführung solche zentralen Stellen mit Planungsexperten eingesetzt würden. Problematisch ist indes, dass die Einrichtung derartiger Stellen nicht so sehr das Bodenrecht, sondern vielmehr die Verwaltungsorganisation und das Verwaltungsverfahren betrifft, so dass letztlich die Länder für den Aufbau zentraler Planungsab440  Ausführlich dazu, Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 4 b Rn. 1 ff.; vgl. auch Paul, NVwZ 2004, 1033, 1039 für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan; krit. Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, § 4 b Rn. 1. 441  Kersten, in: Spannowsky  / Uechtritz, BauGB, § 4 b Rn. 10; Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, §  4b Rn.  6.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

teilungen verantwortlich sind und eine bundesgesetzliche Regelung deshalb nicht in Betracht kommt. ee) Lösungsmöglichkeiten bei fehlendem Planungswillen Trotz vorhandener gesetzlicher Planungsinstrumente zur Steuerung der Einzelhandelsansiedlung wird es immer Gemeinden geben, die keine aktive Bauleitplanung diesbezüglich betreiben, sondern auf Grundlage von § 34 BauGB Baugenehmigungen an entsprechende Investoren erteilen. In solchen Fällen ist an die Kriterien des Bundesverwaltungsgerichts aus der MülheimKärlich-Entscheidung zu erinnern, wonach eine Planungspflicht bei qualifizierten städtebaulichen Gründen von besonderem Gewicht anzunehmen ist.442 Allerdings wird nach dieser Rechtsprechung nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen eine originäre Planungspflicht nach § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB in Betracht kommen. Auch eine Pflicht zur Ausschlussplanung nach § 9 Abs. 2 a BauGB wird sich so kaum konstruieren lassen. Deshalb bleibt zu überlegen, ob eine Pflicht zur Ausschlussplanung in Bezug auf Einzelhandelsbetriebe mit innenstadtrelevanten Sortimenten außerhalb zentraler Versorgungsbereiche im Wege der Landesplanung festgelegt werden könnte.443 Dies setzt freilich voraus, dass auf Ebene der Landes- und / oder Regionalplanung die Bereitschaft besteht, ein solches Ziel in den Raumordnungsplänen tatsächlich zu verankern, wobei der politische Einfluss auf die Raumplanung nicht zu unterschätzen ist.444 Möglicher Ansatzpunkt für eine solche Regelung ist § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG, wonach die verbrauchernahe Versorgung und die Stärkung der zentralen Versorgungsbereiche zu gewährleisten sind. Die Einzelhandelsversorgung kann insoweit als eine von Privaten erbrachte Daseinsvorsorge verstanden werden, die neben die öffentliche Daseinsvorsorge tritt.445 Dieser gesetzliche Grundsatz der Raumordnung müsste in den Landesentwicklungs- und Regionalplänen konkretisiert werden. Um eine tatsächliche Bindung der Gemeinden zu erreichen, ist eine Festlegung in Form eines Ziels der Raumordnung von Nöten. Dies könnte sich im konkreten Fall schwierig gestalten, da insbesondere den Bestimmtheitsanforderungen für Ziele der Raumordnung Rechnung getragen werden muss.446 Problematisch ist dies vor allem für die Voraussetzungen, unter denen eine Pflicht zur Ausschluss442  Ausführlich

dazu, vgl. 4. Kapitel, I. 2. a). dazu Battis, DVBl. 2011, 196, 200. 444  Vgl. oben, 3. Kapitel, V. 445  Vgl. Battis, DVBl. 2011, 196, 200. 446  Dazu Runkel, in: Bielenberg  / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, L § 3 Rn. 28 ff.  443  Näher



I. Einzelhandelssteuerung387

planung angenommen werden soll. Eine grundsätzliche Pflicht zur Ausschlussplanung scheidet jedenfalls aus, denn Gemeinden können die Einzelhandelsansiedlung ebenso gut mit Hilfe qualifizierter Bebauungspläne steuern. Es könnte allenfalls dann eine Pflicht zur Ausschlussplanung angenommen werden, wenn und soweit eine Gemeinde nicht schon auf Basis qualifizierter Bebauungspläne Einzelhandelssteuerung betreibt. Auch hier müsste die Planungspflicht allerdings unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit einer Ausschlussplanung stehen, denn eine generelle Planungspflicht wäre unverhältnismäßig, wenn eine Einzelhandelssteuerung im Einzelfall gar nicht erforderlich ist, weil sich auf dem Gebiet einer Gemeinde keine Einzelhandelsbetriebe ansiedeln möchten. Es muss daher ein Maßstab gefunden werden, der zwischen der von der Rechtsprechung im Zusammenhang mit § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB vertretenen Linie zur Planungspflicht in Ausnahmefällen bei städtebaulichen Missständen447 und einer generellen Planungspflicht liegt. So könnte die Erforderlichkeit einer Ausschlussplanung etwa dann anzunehmen sein, wenn sich in der betreffenden Gemeinde oder in benachbarten Gemeinden zentrale Versorgungsbereiche befinden oder entwickelt werden sollen und auf Grund der Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben eine kohärente Einzelhandelsstrategie „vernünftigerweise geboten“ erscheint. Diese Formulierung wäre zwar unbestimmt, doch könnten insoweit die Grundsätze der Rechtsprechung zur Rechtfertigung von Planungen nach § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB herangezogen werden. Danach ist eine Planung „vernünftigerweise geboten“, wenn sich die Gemeinde ein städtebauliches Ziel gesetzt hat und dieses nunmehr mittels Planung erreichen möchte.448 Im Falle der unterbliebenen Planung hat sich die Gemeinde gerade kein städtebauliches Ziel gesetzt, sondern das städtebauliche Ziel kann allenfalls aus ihrem Handeln abgeleitet werden. Hieran kann bei der Bestimmung der Erforderlichkeit einer Ausschlussplanung angeknüpft werden. Wären nach dem Handeln der Gemeinde Ausschlussfestsetzungen, unterstellt, die Gemeinde verfolgte eine entsprechende Einzelhandelsstrategie, vernünftigerweise geboten, könnte die Erforderlichkeit zur Ausschlussplanung auch im Raumordnungsplan verankert werden. Mit der Formulierung, dass eine Pflicht zur Ausschlussplanung besteht, wenn und soweit dies auf Grund der Erhaltung oder Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche vernünftigerweise geboten ist, könnte eine Planungspflicht im Raumordnungsplan festgeschrieben werden. Fraglich ist jedoch, ob eine solche Zielbindung auch in verfassungsmäßiger Weise erfolgen könnte. Hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Fest447  S. oben,

4. Kapitel, I. 2. a). Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, ZfBR 2004, 171, 173 = BVerwGE

448  BVerwG,

119, 25, 32.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

legung ist insbesondere Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG zu beachten. Zwar greift eine Verpflichtung zur Ausschlussplanung nach § 9 Abs. 2 a BauGB nicht in den Kerngehalt der kommunalen Selbstverwaltung ein,449 doch wäre jedenfalls ein Eingriff in die kommunale Planungshoheit gegeben, der nur durch überörtliche Interessen von größerem Gewicht gerechtfertigt sein kann und überdies dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen muss.450 Ein solches überörtliches Interesse liegt mit der überörtlichen Einzelhandelssteuerung und der übergemeindlichen Gewährleistung der verbrauchernahen Versorgung vor. Auch die Verhältnismäßigkeit einer derartigen Regelung wäre gegeben. Eine raumordnerische Zielbindung ist geeignet, über § 1 Abs. 4 BauGB eine Anpassungspflicht und gegebenenfalls sogar eine Erstplanungspflicht auszulösen.451 Die Erforderlichkeit einer solchen Regelung ergibt sich daraus, dass über § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB nur in seltenen Ausnahmefällen eine Erstplanungspflicht angenommen und gegenbenenfalls durch die Rechtsaufsichtsbehörde durchgesetzt werden kann, während eine raumordnerische Planungspflicht über § 1 Abs. 4 BauGB schon dann besteht, soweit sie zur Durchsetzung der Ziele der Raumordnung unerlässlich ist.452 Eine Planungspflicht nimmt das Bundesverwaltungsgericht allerdings auch hier nur an, „wenn die Verwirklichung von Zielen der Raumordnung bei Fortschreiten der ‚planlosen‘ städtebaulichen Entwicklung auf unüberwindbare tatsächliche oder rechtliche Hindernisse stoßen oder wesentlich erschwert würde“.453 Immerhin besteht insoweit ein Zusammenhang mit der Einhaltung der Ziele der Raumordnung. Ist die Notwendigkeit einer Ausschlussplanung nach § 9 Abs. 2 a BauGB nicht als Ziel der Raumordnung ausgestaltet, könnte sich eine Planungspflicht der Gemeinde nur dann ergeben, wenn städtebauliche Missstände drohen, was nicht zwingend bereits dann der Fall ist, wenn lediglich Ausschlussplanungen zur Steuerung des Einzelhandels erforderlich sind. Freilich muss bei der Vorgabe einer Pflicht zur Ausschlussplanung bedacht werden, dass auch sie letztlich nur im Wege der Rechtsaufsicht durchgesetzt werden kann. Dennoch erscheint eine solche Regelung angemessen. Sie gewährt den Gemeinden hinreichend Spielraum für qualifizierte Planungen, denn nach § 9 Abs. 2 a BauGB wird nur 449  Näher zum Kerngehalt der kommunalen Selbstverwaltung oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (a). 450  BVerfGE 26, 228, 241; 76, 107, 119 f.; BVerwG, Beschl. v. 08.03.2006 – 4 B 75  /  05 –, UPR 2006, 236, 238; Pieroth, in: Jarass  /  Pieroth, GG, Art. 28 Rn. 22; Schneider, Factory Outlet Center, S. 118; Spannowsky, NdsVBl. 2001, 32, 37; Ernst, Standortsteuerung, S. 95; dazu auch oben, 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (2) (a). 451  Näher dazu, vgl. oben, 4. Kapitel, I. 2. b). 452  BVerwG, Beschl. v. 08.03.2006 – 4 BN 56 / 05 –, BeckRS 2006, 22180; Runkel, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  1 Rn.  65 b. 453  BVerwG, Urt. v. 17.09.2003 – 4 C 14 / 01 –, ZfBR 2004, 171, 175 = BVerwGE 119, 25, 32 ff. 



I. Einzelhandelssteuerung389

bestimmt, dass einzelne Nutzungsarten zulässig oder unzulässig oder nur ausnahmsweise zulässig sein sollen. Hinzu kommt, dass eine Pflicht zur Ausschlussplanung einen Eingriff geringerer Intensität darstellt als eine Verpflichtung zu qualifizierter Planung, die die Rechtsprechung im Zusammenhang mit §§ 34, 35 BauGB in bestimmten Ausnahmefällen angenommen hat.454 Daneben wäre eine Gemeinde nur dann zu Festsetzungen nach § 9 Abs. 2 a BauGB verpflichtet, wenn sie sich nicht schon anderweitig um eine kohärente Einzelhandelsstrategie bemüht. Indes ist zu bedenken, dass eine Ausschlussplanung nach § 9 Abs. 2 a BauGB zumindest im Regelfall auf einem städtebaulichen Entwicklungskonzept beruhen muss,455 weshalb die Gemeinde im Falle einer obligatorischen Ausschlussplanung faktisch gezwungen wäre, zunächst ein kommunales Einzelhandelskonzept aufzustellen. Dafür wiederum sind finanzielle Mittel von Nöten, so dass von einem vergleichsweise intensiven Eingriff in die kommunale Planungshoheit auszugehen ist. Von der Rechtsprechung bislang nicht geklärt ist, unter welchen Voraussetzungen eine Ausnahme vom Erfordernis eines kommunalen Einzelhandelskonzeps denkbar ist.456 Daher könnte man überlegen, vom Erfordernis eines kommunalen Einzelhandelskonzepts zumindest vorläufig abzusehen für den Fall, dass das Planungserfordernis erst im Raumordnungsplan verankert wurde und die Gemeinde zügig handeln möchte, um ein drohendes Einschreiten der Rechtsaufsicht abzuwenden. Die finanziellen Bedenken würden lediglich dann obsolet, wenn auf Länderebene eine zentrale Stelle eingerichtet wird, die den Gemeinden bei der Aufstellung ihrer Einzelhandelskonzepte und Bebauungspläne Hilfestellung bietet.457 Dem Eingriff in die kommunale Planungshoheit gegenüber steht das öffentliche Interesse an der Gewährleistung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung sowie der Stärkung der innerstädtischen Entwicklung, welches gegenüber den gemeindlichen Belangen unter den genannten Voraussetzungen überwiegt. Näherer Betrachtung bedarf die Frage, ob eine solche landesplanerische Festsetzung mit dem Europarecht, insbesondere der Dienstleistungsricht­ linie, zu vereinbaren wäre. In diesem Zusammenhang können die bereits gegen § 9 Abs. 2 a BauGB selbst vorgebrachten Bedenken erhoben wer454  Vgl.

oben, 4. Kapitel, I. 2. a). Löhr, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 9 Rn. 98j; Spannowsky / Baumann, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 9 Rn. 98k; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg  /  Krautzberger, BauGB, § 9 Rn. 242d; vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 22.11.2010 – 7 D 1 / 09.NE –, BeckRS 2010, 56999. 456  OVG Münster, Urt. v. 22.11.2010 – 7 D 1  / 09.NE –, BeckRS 2010, 56999, wonach ein Einzelhandelskonzept in „aller Regel“ erforderlich sein soll, ohne dass jedoch auf mögliche Ausnahmen eingegangen würde; näher dazu oben, 4. Kapitel, I. 2. h) bb). 457  Siehe oben, 4. Kapitel, I. 13. b) dd). 455  So

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

den.458 Gegen eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Investoren lässt sich einwenden, dass eine solche durch das Raumordnungsrecht begründete Planungspflicht zunächst nur die Gemeinde, nicht aber die Dienstleistungserbringer unmittelbar bindet. Wird eine Gemeinde auf Grundlage von § 9 Abs. 2 a BauGB planerisch tätig, geschieht dies immerhin in einem Planungsverfahren mit garantierter Öffentlichkeitsbeteiligung, so dass potentielle Investoren ihre Bedenken frühzeitig darlegen und gegebenenfalls eine Planänderung anregen können. Nach alledem ist davon auszugehen, dass eine Verankerung einer Pflicht zur Ausschlussplanung nach § 9 Abs. 2 a BauGB im Landesplanungsrecht möglich erscheint, freilich unter der Bedingung, dass der jeweilige Plangeber auch entgegen politischer Widerstände der Gemeinden dazu bereit ist. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels hätte eine derartige Planungspflicht jedenfalls den Vorteil, dass auf planungsunwillige Gemeinden zusätzlicher Druck ausgeübt werden könnte, wenn es um die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung, gerade auch der älteren Menschen, geht. ff) Art und Weise der Planung Selbst wenn sich eine Gemeinde dazu entschlossen hat, die verbrauchernahe Versorgung im Wege der Bauleitplanung zu sichern, bleibt die Frage nach dem konkreten „Wie“ der Planung. Battis geht zu Recht davon aus, dass in Zukunft schon vor dem Hintergrund des Europarechts von einer differenzierteren und strengeren gerichtlichen Kontrolle von Ausschlussplanungen zur Sicherung und Entwicklung von zentralen Versorgungsbereichen auszugehen ist.459 Dies gilt umso mehr, als die Dienstleistungsrichtlinie grundsätzlich auch auf §§ 29 ff. BauGB in Verbindung mit den Vorgaben in den Bebauungsplänen Anwendung findet.460 Vergleichsweise unproblematisch erscheint dabei eine auf den Gebietsarten der Baunutzungsverordnung basierende Einzelhandelssteuerung.461 Größere Schwierigkeiten bereitet die Ausschlussplanung, wobei unerheblich ist, ob diese auf § 9 Abs. 2 a BauGB oder § 1 Abs. 5 oder 9 BauNVO beruht.462 Bereits in der Vergangenheit 458  Vgl.

oben, 4. Kapitel, I. 2. h) cc) (3) und cc) (4). DVBl. 2011, 196, 199. 460  Ausführlich dazu oben, 4. Kapitel, I. 4. b) cc); a.  A. Otto, Anwendung der Richtinie 2006 / 123 / EG, S. 38, der jedoch lediglich die spezielle Dienstleistungsrelevanz der fraglichen Normen verneint, nicht aber die grundsätzliche Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie auf die Normart „Bebauungsplan“. 461  Vgl. auch Maidowski / Schulte, BauR 2009, 1380, 1384. 462  Vgl. Mikešić / Würsig, BauR 2009, 192, 201; Bischopink, BauR 2007, 825, 834. 459  Battis,



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haben einzelne Gerichte in Bezug auf die Erforderlichkeit entsprechender Festsetzungen eine wesentlich striktere Linie vertreten als das Bundesverwaltungsgericht.463 Das OVG Münster464 hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem ein bestehender Bebauungplan geändert und der nahversorgungsrelevante Einzelhandel in einem bestimmten Bereich nach § 1 Abs. 9 BauNVO ausgeschlossen werden sollte. Dabei ging das Gericht davon aus, dass die entsprechende Festsetzung abwägungsfehlerhaft sei und daher gegen § 1 Abs. 7 BauGB verstoße, da die Interessen des im Plangebiet vorhandenen Einzelhandels im Aufstellungsverfahren unzureichend berücksichtigt worden seien.465 Auch die Differenzierung nach Sortimenten ist in der Praxis häufig mit Fehlern verbunden,466 zumal die Bebauungspläne den Anlagentyp teilweise allein nach der Verkaufsflächengröße bestimmen wollen,467 was von der Rechtsprechung als unzulässig angesehen wird.468 Vor dem Hintergrund der Dienstleistungsrichtlinie wird in Zukunft zudem genau zu prüfen sein, ob ein Einzelhandelsausschluss in einem bestimmten Bereich als territoriale Beschränkung durch zwingende Allgemeininteressen gerechtfertigt werden kann. Wenn die EU-Kommission schon die Europarechtskonformität von Bestimmungen des Landesplanungsrechts anzweifelt und rein wirtschaftliche Motive hinter den entsprechenden Regelungen vermutet, dürfte dies erst recht für die Bestimmungen in den Bebauungsplänen gelten, da diese, anders als die landesplanerischen Vorschriften, unmittelbar auf die privaten Marktteilnehmer anwendbar sind. Deshalb ist es an den Gemeinden, im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB besonders sorgfältig vorzugehen und genau zu begründen, warum sich ein Einzelhandelsausschluss im konkreten Fall für die verbrauchernahe Versorgung als unerlässlich erweist.469 Insbesondere bei der Ermittlung und Gewichtung der Belange ist darauf zu achten, dass die Interessen des Einzelhandels ermittelt und in die Abwägung eingestellt werden. Unter dieser Voraussetzung dürfte eine an der verbrauchernahen Versorgung orientierte, nach dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG gebotene Einzelhandelssteuerung auch vor dem Hintergrund des Europarechts Bestand haben. 463  Battis,

DVBl. 2011, 196, 199. Münster, Urt. v. 18.05.2010 – 10 D 92 / 08. NE –, IBRRS 76230. 465  OVG Münster, Urt. v. 18.05.2010 – 10 D 92 / 08. NE –, IBRRS 76230. 466  Vgl.  Maidowski / Schulte, BauR 2009, 1380, 1385; vgl. jüngst erst wieder VGH Mannheim, Urt. v. 17.05.2011 – 8 S 2773 / 08 –, BeckRS 2011, 51707. 467  So ein Fall des OVG Münster, Urt. v. 09.10.2003 – 10a D 55  / 01.NE –, BeckRS 2003, 24945. 468  BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 77  / 84 –, NVwZ 1987, 1074, 1076; vgl. dazu oben, 4. Kapitel, I. 8. 469  Vgl. auch Battis, DVBl. 2011, 196, 200. 464  OVG

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

c) Stärkung der Transparenz bei der Aufstellung von Einzelhandelskonzepten Im Rahmen der Bauleitplanung spielen kommunale Einzelhandelskonzepte als Unterart der städtebaulichen Entwicklungskonzepte eine immer größere Rolle, was nicht zuletzt daran liegt, dass für eine Ausschlussplanung nach § 9 Abs. 2 a BauGB ein schlüssiges Einzelhandelskonzept in der Regel vorausgesetzt wird.470 Auch bei der Aufstellung qualifizierter Bebauungspläne kommt kommunalen Einzelhandelskonzepten eine große Bedeutung zu,471 denn § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB schreibt vor, dass die Inhalte eines solchen Einzelhandelskonzepts bei der Aufstellung eines Bebauungsplans im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind. Kommunale Einzelhandelskonzepte werden von der Gemeinde ohne förmliches Verfahren aufgestellt. Sie beruhen zudem häufig auf den Planungen externer Planungsbüros. Dies ist vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips bedenklich, zumal mangels gesetzlicher Regelung weder eine Öffentlichkeitsbeteiligung noch eine Abwägung der konfligierenden Interessen stattfindet und die von dem Konzept Betroffenen auch keinen Rechtsschutz im Wege von § 47 VwGO erlangen können.472 Kann eine effiziente Einzelhandelssteuerung nur über Planung erfolgen, die größtenteils auf informellen Einzelhandelskonzepten beruht, muss dem dadurch entstehenden Demokratiedefizit Rechnung getragen werden. Dies gilt umso mehr, als bereits ansässige Einzelhandelsbetreiber von der Gemeinde in die Aufstellung eines Einzelhandelskonzepts eingebunden werden können, während potentiellen Wettbewerbern eine derartige Einflussnahme verwehrt bleibt.473 Freilich ist zu berücksichtigen, dass es sich bei Einzelhandelskonzepten um informelle Planung handelt, deren Charakter nicht durch ein förmliches Verfahren völlig verändert werden darf, doch ist zumindest eine Beteiligung der Öffentlichkeit sowie der betroffenen und in ihrem Aufgabenbereich berührten Träger öffentlicher Belange angezeigt.474 Dies entspricht überdies den Grundsätzen der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie475 der EU. Stüer 470  Vgl.

oben, 4. Kapitel, I. 2. h) aa). Hoffmann / Kassow, BauR 2010, 711, 715 f.; Terwiesche, NVwZ 2010, 553, 553; Bunzel, KommJur, 2009, 449, 451 f.; Janning, ZfBR 2009, 437, 437 ff.; Uechtritz, ZfBR 2010, 646, 648 f. 472  Zu diesen Bedenken vgl. auch Terwiesche, NVwZ 2010, 553, 556. 473  Vgl. Monopolkommission, Neunzehntes Hauptgutachten, BT-Drs. 17  / 10365, Kap. VI, Ziff. 1254. 474  So hinsichtlich der Träger der öffentlichen Belange auch Uechtritz, ZfBR 2010, 646, 648 f.; Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, S. 243. 475  Richtlinie 2003  /  35  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimm471  Vgl.



I. Einzelhandelssteuerung393

weist zu Recht darauf hin, dass diese Richtlinie eine Beteiligung der Öffentlichkeit verlangt, wenn das Einzelhandelskonzept planungsrechtliche Steuerungsfunktionen übernehmen soll.476 Zwar erfasst die Richtlinie in erster Linie den Umweltbereich, doch sind auch bei Einzelhandelskonzepten und der darauf beruhenden Bauleitplanung schon angesichts der notwendigen Verkehrsanbindung von Einzelhandelsprojekten Umweltbelange in der Regel zu berücksichtigen. Diesen Vorgaben könnte dadurch Rechnung getragen werden, dass auf die entsprechenden Vorschriften des vereinfachten Verfahrens nach § 13 Abs. 2 S. 1 BauGB verwiesen wird. Im Falle einer Missachtung könnte das Einzelhandelskonzept nicht als tragfähige Grundlage für einen Bebauungsplan dienen. So bliebe ein Mindestmaß an Transparenz sicher gestellt, ohne dass die Aufstellung eines Zentrenkonzepts mit einer Vielzahl an bürokratischen Hürden verbunden wäre. d) Alternativen zur Zentrenorientierung des Einzelhandels Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist davon auszugehen, dass zumindest in ländlichen, von Bevölkerungsrückgang geprägten Gegenden die Zahl der Nahversorgungszentren abnehmen wird. Die bauplanungsrechtlichen Vorschriften zur Einzelhandelssteuerung dagegen, insbesondere §§ 9 Abs. 2 a und 34 Abs. 3 BauGB, konzentrieren sich auf den Schutz zentraler Versorgungsbereiche. Fraglich ist daher, ob diese ausgeprägte Zentrenorientierung mit dem Anliegen einer möglichst verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung zu vereinbaren ist. Birk weist darauf hin, dass eine übermäßig starke räumliche Konzentration von Einzelhandelseinrichtungen die Versorgung der Bevölkerung eher verschlechtere, weil auf diese Weise der Abstand zur nächsten Einzelhandelseinrichtung regelmäßig größer werde.477 Dem ist entgegenzuhalten, dass, solange in einer Gegend zumindest noch einzelne zentrale Versorgungsbereiche bestehen, der Schutz dieser Bereiche durchaus sinnvoll erscheint, zumal die Erreichbarkeit für die Bevölkerung im Umland dadurch sicher gestellt werden kann, dass eine gute Verkehrsanbindung, möglichst auch über den ÖPNV, existiert und rechtlich durch das Landesplanungsrecht zumindest angestrebt wird. Ergänzend dazu ter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85 / 337 / EWG und 96 / 61 / EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, ABl.EG L Nr. 156 v. 25.06.2003, S. 17 ff.  476  Stüer, ZfBR 2006, 747, 751. 477  Birk, VBlBW 2006, 289, 295.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

sollten in der Umgebung des zentralen Versorgungsbereichs kleinere Nahversorgungseinrichtungen vom Ausschluss des zentrenrelevanten Einzelhandels außerhalb der zentralen Versorgungsbereiche ausgenommen oder zumindest ausnahmsweise zugelassen werden.478 Dabei kann die Gemeinde nach der Rechtsprechung bei der Einzelhandelssteuerung außerhalb zentraler Versorgungsbereiche zwischen integrierten Nahversorgungsstandorten einerseits und nicht in einem Ort oder Ortsteil integrierten Standorten andererseits differenzieren.479 Jedenfalls darf ein Einzelhandelsausschluss nach § 9 Abs. 2 a BauGB in solchen Fällen nicht so weit gehen, dass jeglicher Einzelhandel außerhalb eines zentralen Versorgungsbereichs ausgeschlossen würde. Schwieriger gestaltet sich die Situation, wenn die Zahl der zentralen Versorgungsbereiche stark abnimmt und die Wege dementsprechend weit werden. Hier muss die Ansiedlung eines – möglicherweise großflächigen – Einzelhandelsbetriebes ausnahmsweise zulässig sein, auch wenn die Gemeinde nicht den Status eines Mittel- oder Oberzentrums inne hat. Diese Durchbrechung des Konzentrationsgebots wird von den Raumordnungsplänen der Länder teilweise ausdrücklich gebilligt480 und muss deshalb auch auf bauplanungsrechtlicher Ebene ihren Niederschlag finden. Darüber hinaus ist Abhilfe mit den herkömmlichen bauplanungsrecht­ lichen Instrumenten kaum möglich. Insbesondere sollte angesichts der grundsätzlichen Eignung der Zentrenorientierung zur Gewährleistung der Versorgung der Bevölkerung nicht vollständig davon abgerückt und stattdessen einzelne Kleinbetriebe geschützt werden. Eine derartige Ausrichtung der bauplanungsrechtlichen Vorschriften würde eine vor dem Verfassungs- und Europarecht nicht zu rechtfertigende Wettbewerbsverzerrung darstellen. Letztlich kann in Anbetracht der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung nur die Erreichbarkeit der weiter entfernten zentralen Versorgungsbereiche angestrebt werden, was zum einen über das Landesplanungsrecht, zum anderen über die entsprechenden ÖPNV-Plänen der Länder, nicht allein jedoch über das Bauplanungsrecht erreichbar ist. e) Planfeststellungsverfahren bei großflächigen Einzelhandelsbetrieben? Büchner schlägt vor, die Zulässigkeit großflächiger Einzelhandelsbetriebe von der Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens abhängig zu auch Janning, ZfBR 2012, 213, 216. Münster, Urt. v. 30.11.2010 – 2 D 138 / 08.NE –, BeckRS 2011, 56764; vgl. auch Janning, ZfBR 2012, 213, 216 u. Fn. 5. 480  Vgl. oben. 3. Kapitel, II. 2. d) aa) (1). 478  So

479  OVG



I. Einzelhandelssteuerung395

machen.481 Dazu müsste die Pflicht zur Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens in §§ 29 ff. BauGB verankert werden. Fraglich ist indes, welchen Mehrwert ein solches Verfahren gegenüber einem herkömmlichen Baugenehmigungsverfahren hätte. Nach § 73 Abs. 2 VwVfG bzw. den entsprechenden Vorschriften der Landesverwaltungsverfahrensgesetze werden die Behörden, deren Aufgabenbereich berührt wird, sowie die Gemeinden, die von dem Vorhaben betroffen sind, zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert. Gemäß § 73 Abs. 3 VwVfG ist der Plan einen Monat zur Einsichtnahme der Öffentlichkeit auszulegen. Nach § 73 Abs. 4 S. 1 Vw­ VfG kann jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden, bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist Einwendungen gegen den Plan erheben. § 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG enthält eine materielle Präklusion dahin gehend, dass mit Ablauf der Einwendungsfrist alle Einwendungen, die nicht auf einem besonderen privatrechtlichen Titel beruhen, ausgeschlossen sind. Einem Kläger, der sich im Prozess ausschließlich auf solche Einwendungen beruft, fehlt bereits die Klagebefugnis.482 Gemäß § 73 Abs. 6 VwVfG muss die Behörde einen Erörterungstermin mit dem Träger des Vorhabens, den Behörden, die Stellungnahmen abgegeben haben, den Betroffenen und den übrigen Personen, die Einwendungen erhoben haben, durchführen.483 Nach § 73 Abs. 3 a S. 2 VwVfG müssen nach dem Erörterungstermin eingehende Stellungnahmen von Behörden grundsätzlich nicht mehr berücksichtigt werden. Die zuständige Planfeststellungsbehörde entscheidet auf Grundlage der materiellrechtlichen Vorgaben. Verbleibt danach ein planerischer Gestaltungsspielraum, ist die Planungsentscheidung nur zulässig, wenn sie mit der entsprechenden Zulassungsnorm vereinbar ist und durch die Ziele dieser Norm gerechtfertigt werden kann, sie mit den Zielen der Raumordnung übereinstimmt, sie mit dem gesamten für die auf Grund der formellen Konzentrationswirkung ersetzten Genehmigungen beachtlichen strikten Recht und den für das Vorhaben geltenden gesetzlichen Planungsleitsätzen in Einklang steht und dem Abwägungsgebot hinreichend Rechnung trägt.484 Nach § 75 Abs. 1 S. 1 1. HS VwVfG wird durch die Planfeststellung die Zulässigkeit des Vorhabens im Hinblick auf alle von ihm berührten Belan481  Büchner, Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von großflächigen Einzelhandelsbetrieben, in: Spannowsky / Krämer, Großflächiger Einzelhandel und Windkraftanlagen, S. 55, 56. 482  BVerwG, Urt. v. 28.02.1996 – 4 A 28 / 95 –, NJW 1996, 2113, 2113; Beschl. v. 12.02.1996 – 4 A 38 / 95 –, NVwZ 1997, 171, 171 f.; Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 73 Rn. 92. 483  Näher dazu, Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 73 Rn. 100. 484  Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 74 Rn. 20 a; Bonk / Neumann, in: Stelkens / Bonk /  Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 26 ff. 

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

ge festgestellt, d. h. sämtliche privatrechtlichen Unterlassungs-, Änderungsund Beseitungsansprüche sind nach § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG ausgeschlossen.485 Sinn und Zweck eines Planfeststellungsverfahrens ist es, die Vielzahl der von einem Vorhaben berührten Interessen sowie die dadurch ausgelösten Spannungen und Probleme durch eine einheitliche Gesamtregelung zu klären.486 Daher finden Planfeststellungsverfahren vor allem bei Großprojekten statt, beispielsweise im Wasserrecht487 oder im Fernstraßenrecht488. Dabei soll einerseits dem Vorhabenträger durch den umfassenden Einwendungsausschluss und die Wirkungen des Planfeststellungsbeschlusses Rechtssicherheit für sein meist kostenintensives Vorhaben gegeben werden, andererseits sollen aber auch und gerade die Belange der Allgemeinheit sowie der besonders Betroffenen, etwa der Nachbarn, in einem transparenten Genehmigungsverfahren berücksichtigt werden. Fraglich ist, ob das Planfeststellungsverfahren nach seiner Art und seinem Sinn und Zweck auch auf großflächige Einzelhandelsbetriebe Anwendung finden könnte. Dafür spricht, dass auf diese Weise die gegenläufigen Interessen der Beteiligten besser in Einklang gebracht werden könnten, weil etwa ein Erörterungstermin stattfindet, den das Bauplanungsrecht nicht kennt. Des Weiteren sieht das Planfeststellungsverfahren eine umfassende planungsrechtliche Abwägung vor, bei der die Auswirkungen des großflächigen Einzelhandelsbetriebs ermittelt und mit den Interessen der anderen Beteiligten abgewogen werden könnten, was bei der gebundenen Genehmigungsentscheidung nicht möglich ist. Überdies hätte der Investor selbst größere Planungssicherheit, wenn gegen sein Vorhaben nach Ablauf der Frist zur Abgabe einer Stellungnahme keine Einwendungen mehr mit Erfolg vorgebracht werden können und auch die Nachbargemeinden, die um ihre zentralen Versorgungsbereiche fürchten, präkludiert wären.489 Gegen die Einführung eines Planfeststellungsverfahrens für großflächige Einzelhandelsbetriebe lässt sich einwenden, dass das Planfeststellungsverfahren bislang überwiegend im Umweltrecht eingesetzt wird, die Genehmigung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs aber nicht primär unter umweltrechtlichen Gesichtspunkten problematisch ist, es also an der Über485  BVerwG, Urt. v. 29.05.1981 – 4 C 97  / 77 –, DÖV 1981, 719, 720 f.; Kopp /  Ramsauer, VwVfG, § 75 Rn. 34. 486  Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 74 Rn. 9. 487  Vgl. § 68 Abs. 1 WHG, §§ 11 Abs. 2, 15 Abs. 2 WHG. 488  § 17 FStrG; s. oben, 3. Kapitel, III. 1. b) bb). 489  Nach BVerwG, Urt. v. 17.03.2005 – 4 A 18 / 04 –, NVwZ 2005, 811, 812 = BVerwGE 123, 152, 154 sind Nachbargemeinden nur als Betroffene, nicht als Behörden, zu beteiligen; kritisch dazu Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 73 Rn. 29 a.



I. Einzelhandelssteuerung397

tragbarkeit fehlt. Ferner spricht gegen eine Anwendung des Planfeststellungsverfahrens, dass dieses der Planfeststellungsbehörde ein Planungsermessen490 einräumt, während die bauplanungsrechtliche Zulassungsentscheidung eine gebundene Entscheidung darstellt. Hinzu kommt, dass die Prüfung zwingender Planungsleitsätze wie der §§ 29 ff. BauGB der Abwägung vorgeschaltet ist und diese in der Abwägung nicht überwunden werden können,491 so dass für eine Ermessensentscheidung der Baugenehmigungsbehörde kein Raum verbleibt. Anders ist dies etwa im Wasserrecht, wo nach § 12 Abs. 2 WHG die Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis und der Bewilligung im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde liegt, mithin kein Anspruch darauf besteht. Überdies geht das Planfeststellungsverfahren mit seiner formellen Konzentrationswirkung davon aus, dass für das entsprechende Vorhaben grundsätzlich mehrere verschiedene Einzelgenehmigungsverfahren nach dem jeweiligen Fachrecht durchzuführen sind. Auch diese Erwägung greift bei großflächigen Einzelhandelsbetrieben nur bedingt. So ist nach § 1 S. 3 Nr. 19 RoV i. V. m. § 15 ROG zwar ein Raumordnungsverfahren durchzuführen, doch können die Bundesländer abweichende Regelungen dahin gehend treffen, dass ein Raumordnungsverfahren nur noch in Ausnahmefällen erforderlich ist.492 Weitere Genehmigungen, etwa immissionsschutzrechtlicher Art, sind bei der Genehmigung von Einzelhandelsprojekten ebenfalls nicht nötig. Nicht zuletzt könnte die zwingende Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens mit seinen bürokratischen Hürden Investoren von der Ansiedlung abhalten, obwohl in einer bestimmten Gegend die Ansiedlung eines Einzelhandelsmarktes für die Versorgung der Bevölkerung durchaus wünschenswert wäre. Daher sprechen die besseren Gründe gegen die Einführung eines obligatorischen Planfeststellungsverfahrens für Einzelhandelsgroßprojekte. f) Subventionierung kleiner Nahversorgungsläden? An Stelle oder neben der Einzelhandelssteuerung durch Bauleitplanung wäre es grundsätzlich denkbar, kleine Nahversorgungsläden als Teil der Daseinsvorsorge zu subventionieren, gegebenenfalls in Kombination mit der Auferlegung einer entsprechenden Betriebspflicht.493 Näher zu untersuchen 490  Näher dazu, Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 74 Rn. 51 ff.; Bonk / Neumann, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, §  74 Rn.  26 ff.  491  BVerwG, Urt. v. 14.02.1975 – IV C 21  /  74 –, NJW 1975, 1373, 1374 = BVerwGE 48, 56; 59; Urt. v. 22.03.1985 – 4 C 73 / 82 –, NJW 1986, 82, 82 f. = 71, 163, 164 f.; Urt. v. 06.12.1985 – 4 C 59 / 82 –, NJW 1986, 1508, 1509; Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 74 Rn. 43. 492  Vgl. oben, 3. Kapitel, I. 3. a) aa). 493  Zu diesem Gedanken vgl. Füßer / Müller, DVBl. 2005, 1415, 1424.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

ist allerdings, ob ein solches Vorgehen unter Grundrechtsgesichtspunkten zulässig ist. Die Gewährung einer Subvention stellt für die Konkurrenten der kleinen Nahversorgungsläden eine Ungleichbehandlung i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG dar, welche der Rechtfertigung bedarf. Da die Rechtfertigungsanforderungen u. a. davon abhängen, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann,494 ist lediglich eine Willkürprüfung durchzuführen,495 denn die Subventionsgewährung betrifft die Freiheitsrechte der Konkurrenzbetriebe allenfalls am Rande. Die wohnortnahe Versorgung, gerade auch der immobilen Bevölkerung, stellt ein legitimes Anliegen dar, sodass die Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden kann. Weitaus problematischer erscheint die Vereinbarkeit einer solchen Regelung mit den Vorgaben des europäischen Beihilfe- und Vergaberechts. Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche Beihilfen, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Davon ausgenommen sind so genannte De-minimis-Beihilfen, welche einen Schwellenwert von 200.000 € pro Unternehmen innerhalb von drei Jahren nicht übersteigen.496 Derartige Förderungen sind unter Beihilfegesichtspunkten zulässig. Werden kleine Nahversorgungsläden dagegen vom Staat darüber hinaus besonders gefördert, begünstigt dies ihre Stellung gegenüber größeren Konkurrenzbetrieben, welche nicht subventioniert werden. Der Handel zwischen den Mitgliedstaaten kann insoweit beeinträchtigt werden, als kleine Nahversorgungsläden in der Regel von nationalen Unternehmern betrieben werden, während Einzelhandelsgroßbetriebe häufig grenzüberschreitend agieren. Derartige Subventionen erfüllen keinen der in Art. 107 Abs. 2 AEUV genannten Ausnahmetatbestände, so dass sie allenfalls nach Art. 107 Abs. 3 lit. a) oder c) AEUV von der EU-Kommission genehmigt werden könnten, wobei diese jedoch über einen weiten Ermessensspielraum verfügt.497 Ihre Ermessensausübung wird u. a. durch die so genannte Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung gelenkt, wonach Beihilfen zu Gunsten kleiner und mittlerer Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Binnenmarkt vereinbar sind und von der Notifizierungspflicht des Art. 108 Abs. 3 494  S. oben,

2. Kapitel, I. 1. d) aa). 78, 104, 121; 110, 274, 293; 122, 1, 23; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 21a. 496  Art.  2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1998  /  2006 der Kommission vom 15.12.2006 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf „Deminimis“-Beihilfen, ABl.EU Nr. L 379 v. 28.12.2006, S. 8; ausführlich dazu Cremer, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV, Art.  107 Rn.  33. 497  Cremer, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV, Art.  107 Rn.  48. 495  BVerfGE



I. Einzelhandelssteuerung399

AEUV ausgenommen bleiben.498 Wenngleich eine Subventionierung kleiner Nahversorgungsläden auf diese Weise in bestimmten Fällen vor dem Hintergrund des Europarechts zulässig sein kann, erscheint eine solche Strategie auf Dauer wenig praktikabel, zumal sich die unionsrechtlichen Voraussetzungen ändern und gewisse Ausnahmetatbestände wegfallen können. Nicht zuletzt wären derartige Förderungsmaßnahmen nicht im Rahmen des Bauplanungsrechts umsetzbar, sondern bedürften auf Grund nationaler verfassungsrechtlicher Vorgaben des Erlasses eines zusätzlichen Gesetzes.499 g) Gesetzliche Abschaffung oder Anpassung der Großflächigkeitsschwelle Die Monopolkommission schlägt zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen auf dem Einzelhandelsmarkt die völlige Abschaffung oder zumindest die Anpassung der Geschossflächengröße in § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO vor, ab der regelmäßig mit Auswirkungen eines Vorhabens zu rechnen ist.500 Außerdem kommt nach Ansicht der Kommission eine Abschaffung der Großflächigkeitsschwelle für Einzelhandelsvorhaben oder eine Absenkung auf 400 m2 in Betracht, wodurch die Nahversorgung verbessert werden könne.501 Eine völlige Abschaffung der Geschossflächengrenze in § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO hätte jedoch zur Konsequenz, dass die planerische Feinsteuerung noch mehr als bisher auf die Gemeinden übertragen würde. Dies ginge zu Lasten der verbrauchernahen Versorgung, wenn die Gemeinde nunmehr auch in schlecht erreichbaren Gewerbegebieten Einzelhandelsgroßbetriebe zulassen könnte.502 Eine vergleichbare Wirkung hätte eine deutliche Anhebung der 1200 m2-Schwelle. Eine Absenkung der gegenwärtig bei 800 m2 Verkaufsfläche liegenden Großflächigkeitsschwelle würde dazu führen, dass viele der heute existierenden Betriebe künftig nur noch in Kern- und Sondergebieten genehmigungsfähig wären. Stattdessen könnten sich in den übrigen Gebietsarten 498  Verordnung (EG) Nr. 800  / 2008 der Kommission vom 06.08.2008 zur Erklärung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt in Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag (allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung), ABl.EU 2008 Nr. L 214 v. 09.08.2008, S. 3; näher dazu ­Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, Rn. 1174 ff.  499  Zum Gesetzesvorbehalt bei der Subventionsvergabe, vgl. BVerwGE 90, 112, 126. 500  Monopolkommission, Neunzehntes Hauptgutachten, BT-Drs. 17 / 10365, Kap. VI, Ziff. 1263. 501  Monopolkommission, Neunzehntes Hauptgutachten, BT-Drs. 17 / 10365, Kap. VI, Ziff.  1263 f. 502  Dies sieht auch die Monopolkommission selbst, vgl. Monopolkommission, Neunzehntes Hauptgutachten, BT-Drs. 17 / 10365, Kap. VI, Ziff. 1265.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

Kleinbetriebe ansiedeln, was die fußläufige Erreichbarkeit für die Verbraucher verbessern würde. Profitieren würden davon vor allem die wenig flächenintensiven Discounter, während Vollsortimenter nur noch in Kern- und Sondergebieten angesiedelt werden könnten. Zweifelhaft erscheint indes, ob Discounter alleine die Grundversorgung übernehmen können. Weiterhin ist zu bedenken, dass bereits bestehende kleinflächige Läden gerade auch mit Discountern konkurrieren, deren Ansiedlung durch eine Herabsetzung der Großflächigkeitsschwelle nicht unterbunden wird. Schließlich würde eine signifikante Herabsetzung der Großflächigkeitsschwelle einen schwer wiegenden Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG darstellen, der im Hinblick auf die geringfügige Verbesserung der Versorgungssituation der Bevölkerung kaum zu rechtfertigen wäre. Deshalb erscheinen die Vorschläge zur Modifikation der gesetzlichen und richterlichen Flächengrenzen alleine wenig geeignet zur nachhaltigen Gewährleistung der verbrauchernahen Versorgung. h) Monitoring-Verfahren über den Umweltbereich hinaus aa) Monitoring im Bauplanungsrecht de lege lata Ebenso wie im Raumordnungsrecht bietet sich auch für das Bauplanungsrecht eine Ausweitung des Monitoring-Verfahrens über den Umweltbereich hinaus an. Nach § 4c S. 1 BauGB überwachen die Gemeinden die erheb­ lichen Umweltauswirkungen, die durch die Durchführung der Bauleitpläne auftreten, mit dem Ziel, unverhergesehene nachteilige Auswirkungen frühzeitig zu ermitteln und geeignete Abhilfemaßnahmen ergreifen zu können. Die Vorschrift ist vergleichbar mit § 9 Abs. 4 S. 1 ROG, der eine ähnliche Monitoring-Pflicht für das Raumordnungsrecht vorsieht.503 Nach § 4c S. 2 BauGB nutzen die Gemeinden zur Durchführung des Monitoring in erster Linie die Informationen der Fachbehörden, nachdem sich der Gesetzgeber gegen die Einführung einer eigenen Fachbehörde für Monitoring entschieden hat.504 Die Gemeinden haben bei der Durchführung des Monitoring einen erheblichen Entscheidungsspielraum, wodurch eine vollzugsfreundliche Handhabung gewährleistet werden soll.505 Eine generelle Vollzugskontrolle oder Nachsteuerung gültiger Pläne soll mit dem Instrument des Monitoring nach dem Willen des Gesetzgebers nicht erreicht werden, zumal dies de facto einer von der SUP-Richtlinie der EU nicht geforderten, zweiten Umweltprüfung gleich käme.506 503  Näher

dazu oben, 3. Kapitel, IV. 1. c) aa). dazu Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 4 c Rn. 2. 505  BT-Drs. 15 / 2250, S.  46. 506  BT-Drs. 15 / 2250, S.  47. 504  Vgl.



I. Einzelhandelssteuerung401

bb) Umsetzung eines umfassenden Monitoring- und Controllingverfahrens Bei der Umsetzung eines umfassenden Monitoring- und Controllingverfahrens im Bauplanungsrecht ist in gleicher Weise vorzugehen wie auf Ebene des Raumordnungsrechts,507 wobei spezifische Besonderheiten des Bauplanungsrechts zu berücksichtigen sind. Zunächst muss der Gesetzgeber die Lebensbereiche bestimmen, auf die sich das Monitoring über den Umweltbereich hinaus erstrecken soll. Nachdem das Hauptproblem des Bauplanungsrechts in der Sicherstellung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung liegt, muss sich das Monitoring darauf konzentrieren, diesbezügliche Auswirkungen der Bauleitpläne zu untersuchen. Eine Vorschrift, die ein solches Monitoring-Verfahren gesetzlich verankert, würde von ihrer Zielsetzung her mit den entsprechenden Vorschriften über die Aufstellung von Bebauungsplänen, insbesondere § 9 Abs. 2 a BauGB, sowie mit § 34 Abs. 3 BauGB in seiner jetzigen Form korrespondieren. Weitere Problemfelder wie die Anbindung der Bevölkerung an Infrastruktur sollten dagegen nicht zum Gegenstand des Monitorings im Bauplanungsrecht gemacht werden, da es dem Bauplanungsrecht insoweit an Steuerungsmöglichkeiten fehlt. Zu bedenken ist weiterhin, dass die verbrauchernahe Versorgung nicht unbedingt gefährdet ist, wenn die Gemeinde Bauleitpläne aufgestellt hat, sondern vielmehr vor allem dann, wenn für ein Gebiet kein Bebauungsplan besteht. Deswegen empfiehlt es sich, den Monitoring-Ansatz auf den unbeplanten Innenbereich zu erstrecken, da andernfalls das Monitoring-Verfahren weit gehend leer liefe. Dies käme zwar in gewisser Weise einem Systembruch gleich, da das Raumordnungsrecht wie auch das Baurecht MonitoringVerfahren bislang nur im Rahmen von Planung kennen. Allerdings ist sowohl beim Menschenrechtsschutz508 als auch im Energiewirtschaftsrecht509 Monitoring außerhalb von Planung oder Planungstätigkeit möglich. Freilich aber muss eine Anpassung des Monitoring-Systems an die Erfordernisse der unbeplanten Bereiche erfolgen. Wenn sich der Gesetzgeber grundsätzlich für die Einführung eines Monitoring-Systems entschieden hat, muss er in einem nächsten Schritt festlegen, dass die erheblichen Auswirkungen des jeweiligen Bauleitplans auf die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung zu ermitteln sind. Entsprechendes gilt für die erheblichen Auswirkungen der tatsächlichen Verhältnisse im unbeplanten Innenbereich. Daneben müssen die für das Monitoring 507  Vgl.

oben, 3. Kapitel, IV. 1. c) cc) (1). oben, 3. Kapitel, IV. 1. b) cc). 509  Vgl. oben, 3. Kapitel, IV. 1. b) bb). 508  Vgl.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

zuständigen Stellen benannt werden. Es liegt nahe, die Verantwortung den Gemeinden zu übertragen, zumal diese ohnehin schon die Monitoringaufgaben im Umweltbereich inne haben. Zudem müssen die Gemeinden dazu verpflichtet werden, die von ihr geplanten Maßnahmen zur Überwachung der erheblichen Maßnahmen zu beschreiben und zu veröffentlichen. Als Vorbild kann hierbei Nr. 3 lit. b) der Anlage 1 zu § 2 Abs. 4 und § 2 a S. 2 Nr. 2 BauGB dienen, die vorsieht, dass die Auswirkungen auf dem Umweltbereich im Umweltbericht beschrieben werden müssen.510 Auf die Vorgabe der Art und Weise der Durchführung des Monitorings, etwa durch die Benennung konkreter Indikatoren, sollte auf legislativer Ebene hingegen verzichtet werden, um den Gemeinden hinreichenden Gestaltungsspielraum zu gewähren, damit sie örtlichen Besonderheiten Rechnung tragen können.511 Bei der Konzeption des Monitoring-Systems sind überdies die Belange des Datenschutzes zu berücksichtigen, insbesondere die der betroffenen Unternehmer und Verbraucher. Fraglich ist, ob eine Pflicht zur Ergreifung von Abhilfemaßnahmen gesetzlich vorgesehen werden sollte. § 4c BauGB sieht eine solche nicht vor. Für eine gesetzliche Abhilfepflicht spricht, dass andernfalls das Monitoring leer laufen könnte. Dagegen lässt sich jedoch anführen, dass die Abwägung bei einer etwaigen Änderung von Bebauungsplänen nicht durch das Ergebnis eines Monitoring-Verfahrens determiniert werden darf. Vorzugswürdig erscheint es, einen Mittelweg dahingehend zu finden, dass die Gemeinde zur Ergreifung von Abhilfemaßnahmen verpflichtet wird, deren konkrete Ausgestaltung jedoch offen bleibt. Die Maßnahmen können daher theoretisch von der bloßen Überprüfung des Plans bis zur Planänderung oder Erstaufstellung im unbeplanten Bereich reichen.512 Die Einführung eines Controlling-Systems gestaltet sich im Bauplanungsrecht schwieriger als im Raumordnungsrecht. Dies liegt vor allem daran, dass Bebauungspläne unmittelbare Bindungswirkung dem Bürger gegenüber entfalten und daher der Aspekt der Rechtssicherheit eine noch größere Rolle spielt als im Raumordnungsrecht. Eine ständige Anpassung von Bebauungsplänen wäre deshalb problematisch. Aus diesem Grund ist bei der Rückkopplung von Planung und Vollzug513 darauf zu achten, dass Verän510  Näher dazu Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 4 c Rn. 3 und § 2 Rn.  13 ff.  511  Vgl. auch Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Novellierung des Baugesetzbuchs, Bericht der unabhängigen Expertenkommission, 2002, Rn. 89; BT-Drs. 15 / 2250, S. 46 für das Umweltmonitoring im Rahmen von § 4 c BauGB. 512  Vgl. oben, 3. Kapitel, IV. 1. c) cc) (1). 513  Näher dazu Ritter, DÖV 2005, 929, 933 f.



II. Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse älterer Menschen 403

derungen zwar aufgespürt werden, eine Entscheidung zur Planänderung aber nicht vorschnell getroffen wird. Entsprechendes gilt für die Frage der Erstplanung im unbeplanten Bereich. cc) Praktische Hürden Neben der Schwierigkeit, geeignete Indikatoren für ein Monitoring-System zu finden, und den anfallenden Kosten kommt im Bauplanungsrecht noch das Problem hinzu, dass Bebauungspläne vielfach auf kommunalen Entwicklungskonzepten beruhen und das Monitoring im Zusammenhang mit Plänen daher eigentlich schon in diesem Stadium ansetzen müsste, wenn es erfolgversprechend sein möchte. Dies ist jedoch kaum möglich, da für diese Konzepte kaum rechtliche Vorgaben existieren und sie aus diesem Grund auch keinem Monitoring-System unterworfen werden können. Zudem verpflichtet das Ergebnis des Monitoring die Gemeide nicht zur Ergreifung konkreter Schritte. Insbesondere wird keine Erstplanungspflicht für den unbeplanten Innenbereich ausgelöst. Allerdings kann immerhin die Sensibilität für eine notwendige Planung erhöht werden.

II. Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse älterer Menschen 1. Spezifische Vorgaben für die Abwägung, § 1 Abs. 6 BauGB a) Wohnbedürfnisse und Bevölkerungsentwicklung, § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB Nach § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB sind die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen, die Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung und die Anforderungen kostensparenden Bauens sowie die Bevölkerungsentwicklung zu berücksichtigen. Die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung werden in erster Linie beeinflusst durch den Bedarf an Wohnbauland, der auf der Grundlage von Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung zu ermitteln ist.514 Die Schaffung neuer Wohngebiete ist daher vor dem Hintergrund des demografischen Wandels vor allem in solchen Gegenden relevant, die sich entgegen dem bundeswei514  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  1 Rn.  121; Krautzberger, in: Battis  /  Krautzberger  /  Löhr, BauGB, § 1 Rn. 55; Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 1 Rn. 85 ff. 

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

ten Trend durch Bevölkerungszuwächse auszeichnen. Zu den Wohnbedürfnissen gehören auch die qualitativen Anforderungen an die Wohnumgebung, was gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Alterung der Bevölkerung an Bedeutung gewinnt. So können ein ausreichendes Angebot geeigneter Wohnungen und Wohnformen, die Schaffung einer barrierefreien Wohnumgebung sowie der altengerechte Umbau der Infrastruktur erforderlich werden.515 Erreicht werden kann dies mit Hilfe der Aufstellung und der Änderung von Bebauungsplänen. Der Auftrag, sozial stabile Bevölkerungsstrukturen zu schaffen und zu erhalten, umfasst nicht auch die Verpflichtung, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu regeln,516 zumal das Bauplanungsrecht mit seinen Instrumenten hierzu gar nicht in der Lage wäre. Es sollen stattdessen Segregationserscheinungen bekämpft werden, was etwa dadurch geschehen kann, dass Neubaugebiete nicht ausschließlich für bestimmte Altersgruppen, z. B. junge Familien, ausgewiesen werden, welche einer spezifischen Infrastruktur an Kindergärten und Schulen bedürfen, die auf lange Sicht jedoch nicht gebraucht wird.517 Derartige Vorgaben sind mit Blick auf die Zukunft wichtig, um der Entwicklung oder Verstärkung von Generationenkonflikten vorzubeugen, insbesondere dann, wenn die älteren Menschen in der Überzahl sein werden. § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB nennt darüber hinaus die Bevölkerungsentwicklung als zu berücksichtigenden Belang. Die Bevölkerungsentwicklung hat erhebliche Auswirkungen auf den Bedarf an Wohn- und Gewerbegebieten und beeinflusst daher sowohl die Flächennutzungs- als auch die Bauleitplanung.518 Durch die explitzite Erwähnung der Bevölkerungsentwicklung hat der Gesetzgeber zu verstehen gegeben, dass er sich den Herausforderungen des demografischen Wandels schon im Jahr 1986 bewusst war.519 b) Soziale und kulturelle Bedürfnisse, § 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB Nach § 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB sind die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere die Bedürfnisse der Familien, der jungen, alten und behinderten Menschen, unterschiedliche Auswirkungen auf Frauen und Männer sowie die Belange des Bildungswesens und von Sport, Freizeit und Erholung zu berücksichtigen. Vor dem Hintergrund des 515  Söfker,

in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  1 Rn.  121. in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 1 Rn. 55. 517  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  1 Rn.  123; dazu auch Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 1 Rn. 88. 518  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  1 Rn.  126; Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 1 Rn. 91. 519  Vgl. auch BT-Drs. 10 / 4630, S. 61. 516  Krautzberger,



II. Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse älterer Menschen 405

demografischen Wandels ist der Auftrag, den Bedürfnissen der einzelnen Bevölkerungsgruppen angemessen Rechnung zu tragen, insoweit von Bedeutung, als Familien, junge und alte Menschen sowie Behinderte häufig besonderer Einrichtungen wie Altenheime, Sanatorien oder Kinderheime bedürfen, die mit Hilfe der Bauleitplanung verwirklicht werden können.520 Mit dieser Vorschrift werden die Vorgaben des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG sowie des grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzips ins einfache Recht übertragen.

2. Festsetzung von Flächen für Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf a) § 5 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) BauGB Ältere Menschen haben nicht nur besondere Bedürfnisse in Bezug auf die Nahversorgung, sondern sie sind zum Teil auch auf besondere Wohnformen angewiesen. Dies gilt insbesondere für diejenigen älteren Menschen, die der Pflege bedürfen und nicht mehr zu Hause versorgt werden können. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) BauGB können im Flächennutzungsplan Flächen für bauliche Anlagen und Einrichtungen des Gemeinbedarfs wie Schulen, Kirchen und sonstigen kirchlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Zwecken dienenden Einrichtungen ausgewiesen werden. Dazu zählen auch Senioren- und Pflegeheime. b) § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB Nach § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB können im Bebauungsplan einzelne Flächen vorgesehen werden, auf denen ganz oder teilweise nur Wohngebäude errichtet werden dürfen, welche für Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf bestimmt sind. Zu den genannten Personengruppen gehören gerade auch alte Menschen.521 Allerdings müssen die entsprechenden Festsetzungen durch spezifische städtebauliche Gründe gedeckt sein, d. h. es muss einen besonderen Bedarf dafür geben. Dies dürfte angesichts der steigenden Zahlen älterer Menschen insbesondere für Seniorenheime in der Regel zu bejahen sein. Daneben muss die planerische Ausweisung wirtschaftlich realisierbar sein, wobei es insbesondere auf die Möglichkeiten des Eigentümers und gegebenenfalls vorhandene öffentliche Mittel an520  Krautzberger, in: Battis  / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 1 Rn. 58; Dirnberger, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 1 Rn. 93. 521  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  9 Rn.  81; Spannowsky / Baumann, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 9 Rn. 29.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

kommt.522 Sie kann sich sowohl auf die bauliche Gestaltung der Wohngebäude, d. h. etwa auf die Raumzahl und insbesondere die Innengestaltung, beispielsweise für ältere Menschen mit Gebrechen, als auch auf die Rechtsform beziehen.523 Besonders zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass DIN-Regelungen zur baulichen Gestaltung der Wohngebäude als verbindliche Festsetzungen in einen Bebauungsplan übernommen werden können, was insbesondere für ein seniorengerechtes Bauen von Bedeutung ist.524 Des Weiteren ist eine Ausweisung von besonderen Wohngebieten nach § 4 a BauNVO im innerstädtischen Bereich als „faktisches Alten­ wohn­gebiet“525 denkbar, um die Zentrenanbindung von Senioren zu gewährleisten. Die Rechtsfolge einer Festsetzung von Flächen speziell für den Wohnbedarf älterer Menschen besteht darin, dass nach § 30 Abs. 1 BauGB die Wohngebäude ganz oder teilweise für ältere Menschen zur Verfügung gestellt werden müssen. Dies kann zu Konflikten mit den Grundstückseigentümern bis hin zu Entschädigungsansprüchen nach § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB führen.526 c) Bewertung § 5 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) BauGB und § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB erlauben es der planenden Gemeinde, auf die spezifischen Wohnbedürfnisse älterer Menschen besondere Rücksicht zu nehmen. Damit sind grundsätzlich hinreichende rechtliche Vorgaben für die Unterbringung der steigenden Zahl älterer Menschen vorhanden. Dies entspricht den Vorgaben des Sozialstaatsprinzips, welches dem Gesetzgeber auferlegt, die Bedürfnisse älterer Menschen angemessen zu berücksichtigen.527 Schwieriger gestaltet sich jedoch die Umsetzung in der Praxis, wenn Grundstückseigentümer mit den entsprechenden bauplanungsrechtlichen Festsetzungen nicht einverstanden sind. Das Risiko, Entschädigungsansprüchen ausgesetzt zu sein, könnte Gemeinden dazu veranlassen, von derartigen Festsetzungen Abstand zu nehmen. Allerdings haben die Gemeinden auch 522  Söfker,

in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  9 Rn.  83. in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 9 Rn. 33. 524  Vgl. dazu Schröer / Kullick, NZBau 2011, 90, 90. 525  Schröer / Kullick, NZBau 2011, 90, 91. 526  Darauf weist zu Recht Löhr, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, §  9 Rn. 35 hin; vgl. auch Spannowsky / Baumann, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB § 9 Rn. 32. 527  Vgl. dazu oben, 2. Kapitel, I. 1. e) cc); vgl. auch 2. Kapitel, I. 1. c) dd) in Bezug auf ältere Menschen mit Behinderung. 523  Löhr,



II. Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse älterer Menschen 407

die Möglichkeit, die Nutzungsmodalitäten mit den Eigentümern in einem städtebaulichen Vertrag nach § 11 BauGB zu regeln,528 so dass letztlich hinreichend Wege für eine Lösung der Problematik zur Verfügung stehen.

3. Planungsrechtliche Zulässigkeit von Pflegeeinrichtungen a) Pflegeheime als Wohngebäude, § 3 Abs. 4 BauNVO Bis zur Novellierung der Baunutzungsverordnung im Jahr 1990529 waren nach § 3 Abs. 1 BauNVO in reinen Wohngebieten nur Wohngebäude zulässig. Dazu gehörten nach der Rechtsprechung zwar Altenwohnheime, nicht jedoch Pflegeheime, da bei diesen der Nutzungsschwerpunkt gerade nicht auf dem Wohnen, sondern auf der Betreuung und Pflege liege.530 Pflegeheime waren daher als Anlagen für gesundheitliche und / oder soziale Zwecke einzuordnen.531 Der Gesetzgeber hat im Jahr 1990 reagiert und § 3 Abs. 4 BauNVO eingefügt, wonach zu den in reinen Wohngebieten zulässigen Wohngebäuden auch solche gehören, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen. Damit sind Altenpflegeheime nach geltender Rechtslage in reinen Wohngebieten zulässig. Dies gilt nach der Rechtsprechung allerdings nur dann, wenn die angestrebte Nutzung noch wesentliche Elemente des Wohnens enthält und nicht von einer krankenhausähnlichen, auf die Behandlung von Krankheiten ausgerichtete Unterbringung auszugehen ist.532 Kennzeichnend für das „Wohnen“ sind dabei die auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit.533 Auf dieser Grundlage hat das OVG Hamburg entschieden, dass ein Wohnheim mit vollstationärer Dementenabteilung in einem reinen Wohngebiet zulässig ist, solange ein Mindestmaß an eigenständiger Lebensführung der Bewohner noch gewährleistet bleibt, insbesondere eine Einweisung in das Wohnheim 528  Vgl. auch Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  9 Rn. 85. 529  Ausführlich dazu Stock, NVwZ 1990, 518 ff.  530  VGH Mannheim, Urt. v. 17.05.1989 – 3 S 3650  / 88 –, NJW 1989, 2278, 2279. 531  VGH Mannheim, Urt. v. 17.05.1989 – 3 S 3650  / 88 –, NJW 1989, 2278, 2279. 532  OVG Lüneburg, Urt. v. 21.08.2002 – 1 LB 140 / 02 –, BeckRS 2002, 23677; OVG Saarlouis, Urt. v. 26.01.2006 – 2 R 9 / 05 –, NJOZ 2006, 1615, 1626. 533  BVerwG, Beschl. v. 25.03.1996 – 4 B 302 / 95, NVwZ 1996, 893, 894; Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB / BauNVO, §  3 BauNVO Rn.  13.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

nicht ohne deren eigene Mitwirkung erfolgt ist.534 Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts sollen sogar „Langzeitkrankenhäuser“, die der Unterbringung hochgradig pflegebedürftiger alter Menschen dienen, noch als Wohngebäude anzusehen sein, wenn keine dauerhafte ärztliche Leitung und Aufsicht vorhanden ist.535 Allerdings dürften sich in Zukunft insoweit Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben, als in manchen Heimen eine große Zahl an schwer- und schwerstpflegebedürftigen Menschen betreut wird, die der Pflege rund um die Uhr bedürfen und die sich in ihrer Lebensführung vollständig in den Organisationsbetrieb des Heimes einordnen.536 Solche Einrichtungen sind nicht mehr als Wohngebäude, sondern als Anlagen für soziale und / oder gesundheitliche Zwecke zu qualifizieren.537 Stammt der Bebauungsplan, auf dessen Grundlage das Vorhaben genehmigt werden soll, aus der Zeit vor der BauNVO-Novelle 1990, ist die bis dahin geltende Rechtslage zu Grunde zu legen, d. h. Pflegeheime können in reinen Wohngebieten in diesem Fall allenfalls im Wege einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB genehmigt werden.538 b) Zulässigkeit von Pflegeheimen in sonstigen Gebietsarten Die Klassifizierung von Pflegeheimen als Wohngebäude durch § 3 Abs. 4 BauNVO führt dazu, dass Pflegeheime auch in allgemeinen Wohngebieten, besonderen Wohngebieten, Dorfgebieten, Mischgebieten sowie, unter bestimmten Voraussetzungen, auch in Kerngebieten zulässig sind.539 Ausnahmsweise genehmigungsfähig sind Pflegeheime als soziale oder gesundheitliche Einrichtung darüber hinaus in Kleinsiedlungs-, Gewerbe- und In534  OVG Hamburg, Beschl. v. 27.04.2004 – 2 Bs 108  / 04 –, NVwZ-RR 2005, 396, 396; ähnlich auch OVG Lüneburg, Urt. v. 21.08.2002 – 1 LB 140  /  02 –, BeckRS 2002, 23677 in Bezug auf ein Wohnheim für verwirrte alte Menschen. 535  BVerwG, Beschl. v. 13.05.2002 – 4 B 86  / 01 –, NVwZ 2002, 1384, 1385; vgl. auch OVG Magdeburg, Urt. v. 23.03.2006 – 4 L 281 / 05 –, BeckRS 2008, 33055; a. A. Fickert / Fieseler, BauNVO, § 3 Rn. 20.2. 536  Zum Ganzen, vgl. von und zu Franckenstein, ZfBR 2008, 763, 766 f. 537  OVG Magdeburg, Urt. v. 23.03.2006 – 4 L 281 / 05 –, BeckRS 2008, 33055; OVG Münster, Beschl. v. 23.07.1998 – 10 B 1319 / 98 –, BauR 1999, 141, 143; Fickert / Fieseler, BauNVO, § 3 Nr. 20.2; differenzierter VGH München, Beschl. v. 25.08.2009 – 1 CS 09.287 –, IBRRS 72500; VG München, Urt. v. 12.03.2012 – M 8 K 11.4033, M 8 K 11.4035, M 8 K 12.359, M 8 K 12.653 –, BeckRS 2012, 55603, die zur Abgrenzung vorwiegend darauf abstellen, ob die Einrichtung eigene Ärzte beschäftigt. 538  OVG Münster, Beschl. v. 23.07.1998 – 10 B 1319  / 98 –, BauR 1999, 141, 143; Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB / BauNVO, §  3 BauNVO Rn.  14. 539  §§ 4 Abs. 2 Nr. 1; 4a Abs. 2 Nr. 1; 5 Abs. 2 Nr. 3; 6 Abs. 2 Nr. 1; 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO.



II. Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse älterer Menschen 409

dustriegebieten.540 Die Einordnung als Wohngebäude durch § 3 Abs. 4 BauNVO führt nicht dazu, dass Pflegeheime ihren Charakter als Anlage für soziale und / oder gesundheitliche Zwecke verlieren, da die Baunutzungsverordnung eine Kumulierung von Nutzungsarten erlaubt und darüber hinaus ein solcher Verlust nicht dem Willen des Gesetzgebers entspräche.541 Pflegeeinrichtungen für Schwerstpflegebedürftige, die nicht mehr der Wohnnutzung unterfallen, sind in den genannten Gebietsarten ebenfalls als Anlagen für soziale und / oder gesundheitliche Zwecke grundsätzlich oder zumindest ausnahmsweise zulässig. Nach § 11 Abs. 2 S. 2 BauNVO können sonstige Sondergebiete festgesetzt werden, zu denen Baugebiete gehören, in denen ausschließlich Pflegeheime, betreutes Wohnen, Gemeinschaftsräume und Sozialstationen zulässig sind.542 In derartigen Sondergebieten können Pflegeheime jeglicher Art zugelassen werden. c) Unzulässigkeit im Einzelfall, § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO Trotz grundsätzlicher Zulässigkeit in einer Gebietsart kann ein Vorhaben nach § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO im Einzelfall unzulässig sein, wenn von ihm Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. In Bezug auf Pflegeheime ließe sich dies etwa dann überlegen, wenn Demenzkranke ihr Verhalten nicht mehr kontrollieren können und dies in der näheren Umgebung des Pflegeheims wahrnehmbar wird. In diesem Zusammenhang hat die Rechtsprechung entschieden, dass das Verhalten Behinderter nicht als Belästigung i. S. v. § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO gewertet werden kann,543 so dass auch die Zulässigkeit von Pflege- und Betreuungseinrichtungen im Einzelfall nicht an dieser Norm scheitert. d) Bewertung Die Baunutzungsverordnung enthält hinreichend Möglichkeiten für die Zulassung von Pflegeheimen. Inbesondere die Einfügung von § 3 Abs. 4 BauNVO markierte einen entscheidenden Schritt, um den Vorgaben des 540  §§ 2 Abs. 3 Nr. 3; 8 Abs. 3 Nr. 2; 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO; vgl. auch § 7 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO für Kerngebiete. 541  Ausführlich dazu, vgl. Poppen, BauR 2002, 726, 728 f. 542  VGH München, Urt. v. 30.06.2009 – 9 N 07.541 –, BeckRS 2010, 46060. 543  VGH Mannheim, Beschl. v. 27.04.2004 – 8 S 2551 / 05 –, NJW 2006, 2344, 2345; so bereits OVG Münster, Beschl. v. 23.12.1985 – 11 B 1911 / 85 –, NJW 1986, 3157, 3157 f.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

Sozialstaatsprinzips in Bezug auf alte und pflegebedürftige Menschen gerecht zu werden.544 Allerdings werden sich durch die Etablierung neuer Formen von Pflegeeinrichtungen, etwa auch mit stationärer Betreuung durch eigene Ärzte oder eigenen Rehabilitationsabteilungen,545 vermehrt Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben, was im Einzelfall zur Unzulässigkeit derartiger Einrichtungen in reinen Wohngebieten führen kann. Hier ist der Gesetzgeber aufgerufen, rechtzeitig für Klarheit im Sinne einer Einbeziehung solcher neuer Formen von Pflegeeinrichtungen in § 3 Abs. 4 BauNVO zu sorgen, um die Baunutzungsverordung an die Herausforderungen des demografischen Wandels anzupassen. Eine Genehmigungsfähigkeit derartiger Einrichtungen in reinen Wohngebieten erscheint deshalb sinnvoll, weil gerade die Rehabilitationsmedizin für den Alltag älterer Menschen zunehmend an Bedeutung gewinnt, so dass die Bereiche für das Wohnen einerseits und für Rehabilitationsmaßnahmen andererseits nicht mehr strikt zu trennen sind, sondern durchaus unter einem Dach vorhanden sein können.

III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 1. Demografischer Wandel als Anlass für den Stadtum- und -rückbau Anders als bei der Einzelhandelssteuerung geht es im Rahmen des Stadtum- und -rückbaus nicht um die Prävention der Auswirkungen des demografischen Wandels, sondern vielmehr um die Bewältigung bereits eingetretener Folgen. Im Zuge von Schrumpfungsprozessen kommt es einerseits zu einer Verödung der Innenstädte, verbunden mit Wohnungsleerständen, während andererseits an den Stadträndern zumindest teilweise neue Bauflächen ausgewiesen werden, so dass langfristig perforierte Städte ohne urbanes Zentrum546 und schlimmstenfalls verödete Landstriche drohen. Goldschmidt bezeichnet den Stadtumbau daher mit Recht als „die große städtebauliche Herausforderung der Zeit“547. Angesichts massiver Bevölkerungsrückgänge in bestimmten Regionen548 ist zu überlegen, wie mit dem drohenden Verfall leer stehender Gebäude umgegangen werden soll. Ein wichtiges Mittel ist in diesem Zusammenhang der Rückbau von 544  Vgl.

dazu oben, 2. Kapitel, I. 1. e) cc). dazu von und zu Franckenstein, ZfBR 2008, 763, 765 ff.  546  Kersten, Veränderung von Verfassung und Verwaltung durch Wissen, in: Schuppert / Voßkuhle, Governance von und durch Wissen, 189, 196. 547  Goldschmidt, DVBl. 2005, 81, 81. 548  Ausführlich dazu, oben, 1. Kapitel, II. 2. b), III. 2. c) und III. 2. d). 545  Vgl.



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 411

Gebäuden. Der Rückbau wird in § 179 Abs. 1 S. 1 BauGB gesetzlich definiert als die vollständige oder teilweise Beseitigung einer baulichen Anlage.549 Das besondere Städtebaurecht enthält mit dem Sanierungsrecht, den städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen sowie den Vorschriften zum Stadtumbau verschiedene Instrumente, die zur Bekämpfung der Folgen des demografischen Wandels und zur Durchsetzung des Rückbaus von Gebäuden herangezogen werden können.

2. „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ Im Jahr 2001 wurde von der Bundesregierung mit dem Konzept „Stadtumbau Ost“ eine Initiative zur Verbesserung der Stadt- und Wohnungsmarktentwicklung in den neuen Bundesländern ins Leben gerufen. Damit sollte der Verfall sowie die soziale Erosion von Stadtteilen verhindert werden, welche durch massive Leerstände in ihrer Funktionsfähigkeit bedroht waren. Gleichzeitig sollten die Innenstädte und erhaltenswerten Stadtquartiere durch gezielte Aufwertungsmaßnahmen gestärkt werden. Zu diesen Maßnahmen gehörten die Sanierung des vorhandenen Gebäudebestandes, die Verbesserung des Wohnumfeldes und des öffentlichen Raums, die Anpassung der städtischen Infrastruktur an die veränderten Rahmenbedingungen sowie die Wieder- bzw. Zwischennutzung frei gelegter Flächen.550 Im Rahmen des aus sechs Teilprogrammen bestehenden Programms sollten notwendige Rückbaumaßnahmen, aber auch Instandsetzungs- und Modernisierungsinvestitionen gezielt gefördert werden.551 Als Teil des Programms wurde ein Bundeswettbewerb zur Aufstellung Integrierter Stadtentwicklungskonzepte (ISEKs) ausgerufen, an dem sich 260 ostdeutsche Städte sowie zehn Stadtteile Berlins beteiligten.552 ISEKs dienten als planerische Grundlagen für den Stadtumbau und wurden so zum wichtigsten Instrument bei der Bewältigung des Rückbaus leer stehender Gebäude.553 Einen recht549  Zur Definition des Rückbaus, vgl. auch Goldschmidt, DVBl. 2005, 81, 83 im Zusammenhang mit dem Stadtumbau. 550  BMVBS / BBSR, 5 Jahre Stadtumbau Ost – eine Zwischenbilanz, Zweiter Statusbericht der Bundestransferstelle, S. 11. 551  BMVBS, Evaluierung des Bund-Länder-Programms Stadtumbau Ost, Stellungnahme und Empfehlungen der Lenkungsgruppe, S. II; vgl. auch Goldschmidt /  Taubenek, LKV 2002, 257, 260. 552  Bundestransferstelle Stadtumbau Ost, Stadtumbau – Glossar, Stichwort Wettbewerb Stadtumbau Ost, abrufbar unter http: /  / www.stadtumbau-ost.info / index.php? request= / service / glossar / glossar.php (zuletzt abgerufen am 17.12.2012); näher dazu auch BMVBS, Evaluierung des Bund-Länder-Programms Stadtumbau Ost, Stellungnahme und Empfehlungen der Lenkungsgruppe, S. 88 ff.  553  Bernt, Risiken und Nebenwirkungen des „Stadtumbaus Ost“, S. 6.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

lichen Rahmen erhielten die ISEKs durch die Einführung von § 171 b Abs. 2 BauGB im Jahr 2004, der für den Stadtumbau ein städtebauliches Entwicklungskonzept verlangt.554 Maßnahmen im Rahmen des Programms Stadtumbau Ost werden zu je einem Drittel vom Bund, den Ländern sowie den Kommunen gefördert. Ebenfalls förderungsfähig ist die Aufstellung von ISEKs. Zur Förderung des Rückbaus erhalten Wohnungseigentümer für den Rückbau von Wohnungen einen Zuschuss in Höhe von durchschnittlich 60 € pro Quadratmeter rückgebauter Wohnfläche, wobei die Kosten hierfür je zur Hälfte von Bund und Ländern getragen werden.555 Im Jahr 2008 hat die Lenkungsgruppe zur Evaluierung des Bund-LänderProgramms „Stadtumbau Ost“ empfohlen, den Fokus künftiger Stadtentwicklung auf die Wiedernutzung brach gefallener Grundstücke, insbesondere in den Innenstädten, zu legen.556 Für Schrumpfungsgebiete wird im Rahmen des Stadtumbaus Ost eine Reduzierung der Wohnnutzung durch flächenhaften Abriss einschließlich einer entsprechenden Reduzierung von Infrastruktureinrichtungen vorgeschlagen.557 Nachdem sich auch im Westen Deutschlands der Strukturwandel und die demografische Entwicklung zunehmend bemerkbar gemacht hatte, begann die Bundesregierung im Jahr 2002 mit der Unterstützung der Kommunen in den alten Bundesländern und rief im Jahr 2004 das Städtebauförderungsprogramm „Stadtumbau West“ als Pendant zum Programm „Stadtumbau Ost“ ins Leben.558 Nach Aussage des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung unterstützt das Programm inzwischen 401 Kommunen bei der Bewältigung des demografischen und wirtschaftlichen Strukturwandels. Zu diesem Zweck wurden im Zeitraum von 2004 bis einschließlich 2011 ca. 490 Millionen Euro Bundesfinanzhilfen für Stadtumbaumaßnahmen eingesetzt.559 Auch beim Stadtumbau West steht die Erarbeitung und Fortschrei554  Näher

dazu unten, 4. Kapitel, III. 3. c) cc). Förderung, vgl. Bundestransferstelle Stadtumbau Ost, Stadtumbau – Glossar, Stichwort Programm Stadtumbau Ost, abrufbar unter http: /  / www.stadtum bau-ost.info / index.php?request= / service / glossar / glossar.php (zuletzt abgerufen am 17.12.2012); BMVBS, Evaluierung des Bund-Länder-Programms Stadtumbau Ost, Stellungnahme und Empfehlungen der Lenkungsgruppe, S. 131 ff.  556  BMVBS, Evaluierung des Bund-Länder-Programms Stadtumbau Ost, Stellungnahme und Empfehlungen der Lenkungsgruppe, S VIII. 557  Bundestransferstelle Stadtumbau Ost, Stadtumbau – Glossar, Stichwort Rückbau- / Schrumpfungsgebiete, abrufbar unter http: /  / www.stadtumbau-ost.info / in dex.php?request= / service / glossar / glossar.php (zuletzt abgerufen am 17.12.2012). 558  Für Details, s. BBSR / BBR, Stadtumbau West – Eine Zwischenbilanz, Statusbericht 2009 der Bundestransferstelle Stadtumbau West, S. 1 f. 559  BMVBS, Stadtumbau West, Programm, abrufbar unter http:  /   /  www.stadtum bauwest.info (zuletzt abgerufen am 17.12.2012). 555  Zur



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 413

bung von ISEKs im Mittelpunkt. Darüber hinaus sollen von wirtschaftlichem oder militärischem Strukturwandel betroffene Stadtgebiete gestärkt werden, etwa durch die Wieder- und Umnutzung von Brachflächen. Nicht zuletzt spielt die Vermeidung von Leerstand eine wichtige Rolle,560 wenngleich umfangreiche Rückbaumaßnahmen bei Wohnungen bislang nicht beabsichtigt sind. Viele ISEKs zielen darauf ab, die Innenstädte und Ortskerne als Wohn- und Wirtschaftsstandorte wieder attraktiv zu machen. Dabei geht es nicht nur um die Beseitigung nicht mehr genutzter baulicher Anlagen. Vielmehr sollen derartige Anlagen durch die Neubelebung der Innenstädte einer neuen Nutzung zugeführt werden.561 Der Fokus beim Programm zum Stadtumbau West ist damit ein anderer als beim ostdeutschen Pendant. Während beim Stadtumbau Ost massive Gebäudeleerstände, insbesondere in Plattenbausiedlungen, bewältigt werden müssen und der Rückbau das Mittel erster Wahl ist, geht es beim Stadtumbau West vorwiegend um eine qualitative Aufwertung der bestehenden Wohn- und Geschäftsräume. Wenn in Zukunft allerdings auch im Westen die Bevölkerung stärker schrumpft, wird eine Neuausrichtung des Programms zur Bekämpfung der Leerstände unumgänglich werden.

3. Instrumente des Besonderen Städtebaurechts a) Sanierungsrecht aa) Entstehungsgeschichte Das Sanierungsrecht wurde ursprünglich in den 1960er und 70er Jahren konzipiert. Ziel war es, die durch den Krieg entstandene Wohnungsnot zu bekämpfen und bestehende, überaltete Baugebiete zu modernisieren.562 Während vor 1970 die so genannte „Kahlschlagsanierung“,563 d. h. der vollständige Abbruch bestehender Gebäude mit anschließendem Neuaufbau, im Vordergrund stand, rückte in der Folgezeit die Modernisierung unter Erhaltung der Bausubstanz in den Mittelpunkt.564 Dies spiegelt sich im geltenden, aus dem Jahr 1987 stammenden Sanierungsrecht wider. Nach der Wiederverei­ 560  Zu den Zielen des Stadtumbaus West, vgl. BMVBS, Stadtumbau West, Ziele, abrufbar unter http: /  / www.stadtumbauwest.info (zuletzt abgerufen am 17.12.2012). 561  BMVBS, Stadtumbau West, Handlungsfelder, abrufbar unter http:  /   /  www. stadtumbauwest.info (zuletzt abgerufen am 21.06.2012). 562  Ausführlich dazu Möller, Siedlungsrückbau, S. 144 ff.; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, Vorbem. zu den §§ 136–164 b Rn. 1. 563  Möller, Siedlungsrückbau, S. 147; Waechter, DVBl. 2013, 613, 613. 564  Möller, Siedlungsrückbau, S. 147; Beschlussempfehlung des 16. Ausschusses v. 26.09.1984, BTDrs. 10 / 2039, S. 1.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

nigung kam das Sanierungsrecht im Zusammenhang mit der Modernisierung und Erneuerung von Wohnungen in Ostdeutschland zur Anwendung. Gemäß seiner gesetzlichen Konzeption bleibt das Sanierungsrecht als Sonderrecht besonders schwer wiegenden städtebaulichen Problemstellungen vorbehalten.565 Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs auf sämt­ liche städtebaulichen Planungen und Maßnahmen wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens ausdrücklich abgelehnt.566 bb) Anwendbarkeit (1) Begriff der Sanierungsmaßnahme Die Sanierungsmaßnahme muss nach § 136 Abs. 2 S. 1 BauGB zu einer wesentlichen Verbesserung oder Umgestaltung des fraglichen Gebiets führen. Zu diesem Zweck kommen alle Maßnahmen in Betracht, die der Beseitigung der Funktions- und Substanzmängel in dem Gebiet dienen, etwa die Beseitigung baulicher oder sonstiger Anlagen, Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen sowie die Herbeiführung einer den Sanierungszielen entsprechenden neuen Nutzung.567 Die städtebaulichen Missstände müssen dabei nicht vollständig beseitigt werden, sondern es genügt gegebenenfalls bereits die Minderung der Missstände durch eine nicht unerhebliche Verbesserung des aktuellen Zustands.568 Anders als bei den städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen nach § 165 BauGB, die grundsätzlich der Schaffung von etwas Neuem dienen müssen, steht bei der Sanierungsmaßnahme trotz der Möglichkeit des Abrisses von Gebäuden zur Beseitigung städtebaulicher Missstände die Erhaltung der vorhandenen Substanz sowie des Gebietscharakters im Vordergrund.569 Diese Zielrichtung des Sanierungsbegriffs wird im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel relevant. Wenn eine Sanierungsmaßnahme in der Umnutzung oder Umgestaltung von Flächen bestehen kann, impliziert dies, dass für die im Zuge der Sanierungsmaßnahme frei werdende Fläche eine andere, neue Bestimmung vor565  Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, Vorbem. zu den §§ 136– 164 b Rn. 1. 566  BT-Drs. 10 / 6166, S.  146; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, Vorbem. zu den §§ 136–164 b Rn. 1. 567  Schmitz, in: Spannowksy / Uechtritz, BauGB, § 136 Rn. 15 u. 15.1; Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  136 Rn.  63. 568  BT-Drs. 10 / 1013, S.  11; Bielenberg, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 136 Rn. 71. 569  OVG Berlin, Urt. v. 28.11.1997 – OVG 2 a 7  / 94 –, ZfBR 1998, 211, 212; Fieseler, Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen, Rn. 15; Gaentzsch, NVwZ 1991, 921, 927.



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 415

gesehen sein muss. Dieser Konzeption widerspricht es, wenn auf Grund massiver Bevölkerungsrückgänge zwar Gebäude abgerissen werden sollen, ein Bedarf für eine wie auch immer geartete Nachnutzung aber nicht besteht. Dies wird freilich nur in seltenen Fällen in Betracht kommen, da zumindest Grünflächen zur Auflockerung des Stadtbildes immer erwünscht sein werden. Etwas anderes gilt lediglich dort, wo der Bevölkerungsrückgang derart drastisch ist, dass für die wenigen verbleibenden Einwohner kein zusätz­ licher Bedarf an Grünflächen besteht. Hier ist der Anwendungsbereich des Sanierungsrechts nicht eröffnet. Im Übrigen jedoch sind Sanierungsmaßnahmen zur Bewältigung der Probleme im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung grundsätzlich anwendbar, zumal nach dem Willen des Gesetzgebers mit Hilfe städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen unterschied­ liche städtebauliche Problemlagen gelöst werden sollen.570 Der Kanon der möglichen Sanierungsmaßnahmen ist daher offen zu interpretieren.571 (2) Sanierung als Gesamtmaßnahme § 136 Abs. 1 BauGB geht davon aus, dass das Sanierungsrecht nur dann Anwendung findet, wenn Sanierungsmaßnahmen einheitlich vorbereitet und durchgeführt werden müssen. Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen erfolgen daher stets als Gesamtmaßnahme.572 Der städtebauliche Handlungsbedarf darf sich nicht auf einzelne Grundstücke beschränken, sondern muss für ein ganzes Gebiet aus Gründen des öffentlichen Interesses ein planmäßiges und aufeinander abgestimmtes Vorgehen für eine Koordinierung mehrerer städtebaulicher Einzelmaßnahmen erfordern.573 Im Falle des Siedlungsrückbaus ist davon auszugehen, dass dieser sowohl für das gesamte Gebiet relevant ist als auch eine koordinierte Gesamtmaßnahme verlangt.574 Rückbaumaßnahmen gehen grundsätzlich mit einer Vielzahl von Auswirkungen auf die Erschließungs- und Versorgungseinrichtungen wie die Wasserversorgung einher, so dass nicht nur einzelne Bewohner, sondern ein gesamtes Gebiet betroffen ist. Bei einer Einzelmaßnahme kommt Sanierungsrecht nur dann zur Anwendung, wenn dies für die Umgebung beson570  BT-Drs.

10 / 2039, S.  11 f. in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  136

571  Krautzberger,

Rn. 74. 572  Schmitz, in: Spannowksy / Uechtritz, BauGB, § 136 Rn. 4; Möller, Siedlungsrückbau, S. 150; Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 136 Rn. 48. 573  BVerwG, Urt. v. 23.05.1986 – 8C 42 / 84 –, NVwZ 1986, 917, 917 f. 574  Vgl. Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg, Rechts- und Verfahrensinstrumente beim Stadtumbau, S. 31; Möller, Siedlungsrückbau, S. 150.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

ders bedeutsam ist und daher eine einheitliche Vorbereitung und Durchführung im Interesse des umliegenden Gebiets notwendig erscheint.575 (3) Gebäudeleerstand als städtebaulicher Missstand Voraussetzung für die Anwendung des Sanierungsrechts ist nach § 136 Abs. 2 S. 1 BauGB das Vorliegen städtebaulicher Missstände. § 136 Abs. 2 S. 2 BauGB definiert, wann ein städtebaulicher Missstand gegeben ist, wobei das Gesetz zwischen Substanzmängeln (§ 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BauGB) und Funktionsmängeln (§ 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BauGB) differenziert. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich ein Misstand aus einem Vergleich von Ist-Zustand und Soll-Zustand, wobei die Sanierungsbedürftigkeit im Wege einer umfassenden Abwägung zu bestimmen sein soll.576 (a) Substanzmängel Substanzmängel zeichnen sich dadurch aus, dass das Gebiet nach seiner vorhandenen baulichen Ausstattung den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse oder an die Sicherheit der dort lebenden oder arbeitenden Menschen, auch unter Berücksichtigung des Klimaschutzes, nicht entspricht. Ein Verweis auf den Klimaschutz wurde durch die BauGB-Novelle 2013 eingefügt, so dass das Sanierungsrecht nunmehr auch aus Klimaschutzgründen zur Anwendung kommen kann.577 Bei der Beurteilung von Substanzmängeln sind insbesondere die in § 136 Abs. 3 Nr. 1 BauGB genannten Faktoren, etwa die Belichtung der Wohnungen und Arbeitsstätten, die bauliche Beschaffenheit der Gebäude sowie die vorhandene Erschließung zu berücksichtigen. Substanzmängel spielen im Zusammenhang mit dem Bevölkerungsrückgang und den damit verbundenen Gebäudeleerständen dann eine Rolle, wenn ausgeprägte Leerstände zu einer Verwahrlosung und zum Verfall baulicher Anlagen führen.578 Hinzu kommt, dass die Wohn- und Arbeitsverhältnisse in einem Gebiet nach § 136 Abs. 3 Nr. 1 lit. g) BauGB nicht zuletzt durch dessen Erschlie575  OVG Saarlouis, Beschl. v. 31.03.1993 – 2 N 1 / 91 –, zit. nach juris; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 136 Rn. 3; Möller, Siedlungsrückbau, S. 150. 576  BVerwG, Beschl. v. 24.03.2010 – 4 BN 60 / 09 –, NVwZ 2010, 1490, 1490; a. A. OVG Koblenz, Urt. v. 27.01.1998 – 6 A 12252 / 97 –, BauR 1998, 754, 754; ausführlich dazu Waechter, DVBl. 2013, 613, 616 f. 577  S. dazu den entsprechenden Gesetzgebungsentwurf, BT-Drs. 17 / 11468, S. 6. 578  So auch Möller, Siedlungsrückbau, S. 151.



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 417

ßung mit bestimmt werden. In erster Linie geht es dabei um die Bereitstellung ausreichender Wasser- oder Abwasseranlagen,579 bei deren Fehlen eine Substanzschwäche anzunehmen ist, doch spricht nichts dagegen, auch die infrastrukturelle Überversorgung als Indikator für eine Substanzschwäche anzusehen.580 Darüber hinaus führen Überkapazitäten bei den Erschließungseinrichtungen langfristig zu ungesunden Wohnverhältnissen, da auf Grund der mangelnden Auslastung u. a. eine Verkeimung des Trinkwassers droht.581 Substantielle Mängel müssen bereits vorliegen, wenn eine Sanierungsmaßnahme durchgeführt werden soll, d. h. eine Sanierung aus Gründen der Substanzschwäche kann nicht rein präventiv erfolgen, da andernfalls jedes Gemeindegebiet ein potentielles Sanierungsgebiet wäre.582 Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels bedeutet das, dass Sanierungsmaßnahmen bei einer Überkapazität von Wasser- oder Abwasseranlagen erst dann eingeleitet werden können, wenn diese offen zu Tage tritt und eine Gefahr für die menschliche Gesundheit droht, nicht hingegen bei bloßer finanzieller Unrentabilität. (b) Funktionsmängel Funktionsmängel liegen nach § 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BauGB vor, wenn das Gebiet in der Erfüllung der Aufgaben, die ihm nach seiner Lage und Funktion obliegen, erheblich beeinträchtigt ist. § 136 Abs. 3 Nr. 2 BauGB nennt als Indikatoren für die Feststellung einer Funktionsschwäche u. a. die Funktionsfähigkeit eines Gebiets in Bezug auf seine Versorgungsfunktion im Verflechtungsbereich (lit. b)) sowie in Bezug auf die infrastrukturelle Erschließung (lit. c)). Ein von Leerständen geprägtes Rückbaugebiet wird regelmäßig in seiner Versorgungsfunktion beeinträchtigt sein,583 was gerade dann gilt, wenn die Leerstände nicht nur Wohngebäude, sondern auch ­Geschäfts-, insbesondere Einzelhandelsimmobilien betreffen. Die städtebauliche Funktionszuweisung einer Gemeinde ergibt sich in erster Linie aus den raumordnungsrechtlichen Vorgaben, doch können städtebauliche Missstände auch ohne besondere Funktionszuweisung schon dann vorliegen, 579  Vgl. Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  136 Rn. 97. 580  So auch Möller, Siedlungsrückbau, S. 160, der die Wasserversorgung aber als Indikator für die Funktionsfähigkeit eines Gebietes nach § 136 Abs. 3 Nr. 2 BauGB einordnet. 581  Vgl. oben, 1. Kapitel, IV. 1. a). 582  Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 136 Rn. 25. 583  Vgl. Möller, Siedlungsrückbau, S. 153.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

wenn keine ausreichende Einkaufs- oder Versorgungsmöglichkeit mehr besteht.584 Eine Funktionsschwäche kann sich nicht zuletzt daraus ergeben, dass durch großflächige Einzelhandelsbetriebe in Nachbargemeinden die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung gefährdet wird.585 Auch die Sanierung aus Gründen der Funktionsschwäche ist nach ihrer eigentlichen Konzeption keine präventive Sanierung. Zwar muss der Missstand durch einen Soll-Ist-Vergleich hinsichtlich der dem Gebiet zugedachten Funktion festgestellt werden, die Funktionsschwäche aber muss bereits bei der Ausweisung des Sanierungsgebiets gegeben sein. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass eine Funktionsschwäche auch dann vorliegen kann, wenn das Gebiet nicht mehr in der Lage ist, eine bereits vorhandene Funktion zu erfüllen oder eine künftige, neue Funktion unter den gegebenen städtebaulichen Umständen zu übernehmen, wobei sich die künftige Funktion einer Gemeinde auch aus deren Sanierungskonzept selbst ergeben könne.586 Dies widerspricht nicht dem Charakter der Sanierung als kuratives Instrument, zumal auch § 136 Abs. 3 Nr. 2 lit. b) BauGB neben der wirtschaftlichen Situation auf die Entwicklungsfähigkeit eines Gebiets abstellt, was ebenfalls ein prognostisches Element enthält.587 Für die Bekämpfung der Folgen des demografischen Wandels bedeutet dies, dass Sanierungs-, insbesondere Rückbaumaßnahmen bereits dann möglich sind, wenn sich eine entsprechende Entwicklung abzeichnet. So kann etwa eine Umwidmung bisher baulich genutzter Flächen wegen eines rückläufigen Siedlungsflächenbedarfs erfolgen.588 (4) Sinn und Zweck von Sanierungsmaßnahmen Nach § 136 Abs. 4 S. 1 BauGB sollen Sanierungsmaßnahmen dem Allgemeinwohl dienen. § 136 Abs. 4 S. 2 nennt verschiedene Ziele, die nach dem Willen des Gesetzgebers mit Hilfe von Sanierungsmaßnahmen erreicht werden sollen. Dazu gehört nach § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 3 a. E. auch, dass die Siedlungsstruktur der Bevölkerungsentwicklung entspricht. Wie sich aus den Gesetzesmaterialen ergibt, bezieht sich dieses Ziel nicht nur auf die Bewältigung des Wirtschaftswachstums, sondern bereits auch auf mögliche Bevölkerungsrückgänge und die damit verbundene Rückbauproblema584  Schmitz, in: Spannowksy  /  Uechtritz, BauGB, § 136 Rn. 42 f.; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, §  136 Rn.  17. 585  Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 136 Rn. 17. 586  BVerwG, Urt. v. 06.06.1984 – 4 C 14 / 81 –, NVwZ 1985, 184, 185 f. 587  Vgl. auch Möller, Siedlungsrückbau, S. 156. 588  Vgl. das Beispiel bei Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 136 Rn. 89.



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tik.589 Allerdings deutet nichts darauf hin, dass der Gesetzgeber bereits im Jahr 1987 die demografische Entwicklung und deren Folgen voraus gesehen hat. Dies wird unterstrichen durch die Tatsache, dass für einen Rückbau im großen Stil keine Durchführungsmechanismen vorgesehen wurden.590 Allerdings sind neben den ausdrücklich hervorgehobenen Belangen gemäß § 136 Abs. 4 S. 2 BauGB auch die allgemeinen städtebaulichen Belange i. S. v. § 1 Abs. 6 BauGB zu berücksichtigen, doch ergibt sich dort zumindest für die Problematik der Bevölkerungsentwicklung nichts anderes.591 Lediglich die Anliegen der verbrauchernahen Versorgung sowie des ÖPNV werden in § 1 Abs. 6 BauGB stärker betont als dies im Zusammenhang mit den funktionellen Missständen der Fall ist. Allerdings ist den in § 136 Abs. 4 S. 2 BauGB aufgelisteten Belangen besonderes Gewicht bei der Abwägung beizumessen,592 so dass neben den im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel relevanten Belangen einer Vielzahl weiterer Anliegen Rechnung zu tragen ist. Insgesamt lässt festhalten, dass das Sanierungsrecht zwar grundsätzlich das Ziel des Rückbaus verfolgen kann,593 die Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels, wie er in den kommenden Jahren für Deutschland zu erwarten ist, jedoch nicht zu seinen eigentlichen Anliegen gehört. (5) Sanierungsrechtliches Abwägungsgebot § 136 Abs. 4 S. 3 BauGB beinhaltet das sanierungsrechtliche Abwägungsgebot, wonach die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind. Gegenstand der Abwägung ist die Sanierungsplanung als solche, nicht die einzelne Vorbereitungs- oder Durchführungsmaßnahme.594 Bei der Abwägung sind private und öffentliche Belange gleichwertig,595 so dass die Eigentumsfreiheit der von den Sanierungsmaßnahmen betroffenen Grundstückseigentümer und sonstiger Berechtigter nicht zwangsläufig hinter dem öffentlichen Interesse an einer Verhinderung der Verwahrlosung und Verödung zurücktritt. 589  Vgl. Deutscher Bundestag, Das neue Baugesetzbuch, S. 383; Möller, Siedlungsrückbau, S. 152. 590  Kritisch zu diesem Versäumnis Möller, Siedlungsrückbau, S. 152 f. 591  Vgl. oben, 4. Kapitel, I. 2. d). 592  Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 136 Rn. 29. 593  Vgl. Schmitz, in: Spannowksy  / Uechtritz, BauGB, § 136 Rn. 56; Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  136 Rn.  134. 594  Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 136 Rn. 34. 595  Schmitz, in: Spannowksy  / Uechtritz, BauGB, § 136 Rn. 67; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 1 Rn. 106, allerdings in Bezug für das parallele Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 7 BauGB bei der Bauleitplanung.

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(6) Anwendungspflicht des Sanierungsrechts Nach § 136 Abs. 1 BauGB werden städtebauliche Sanierungsmaßnahmen durchgeführt, wenn sie im öffentlichen Interesse liegen. Von einem Anwendungszwang kann jedoch trotz des missverständlichen Wortlauts keine Rede sein, da schon aus praktischen Gründen eine Durchführung von Sanierungsmaßnahmen überall dort, wo sie erforderlich wären, kaum möglich sein wird.596 Hinzu kommt, dass nach § 171 a Abs. 1 und § 171 e Abs. 1 BauGB Maßnahmen zum Stadtumbau sowie der Sozialen Stadt an Stelle oder ergänzend zu sonstigen Vorschriften des Baugesetzbuchs herangezogen werden können. Daran zeigt sich, dass der Gesetzgeber grundsätzlich von einem Nebeneinander von Sanierungsmaßnahmen und sonstigen Maßnahmen ausgeht.597 Für den Umgang mit den Folgen des demografischen Wandels folgt daraus, dass die Gemeinden keineswegs ausschließlich auf das Sanierungsrecht verwiesen werden, sondern vielmehr Rückbaumaßnahmen auch auf Grundlage der Vorschriften zum Stadtumbau durchführen können. (7) Finanzierung Die Durchführung einer Sanierungsmaßnahme muss von der Gemeinde finanziert werden, wobei die Sanierungskosten regelmäßig von Land und Bund mitgetragen werden.598 Die Finanzierung erfolgt in erster Linie dadurch, dass die durch die Sanierung entstehenden Bodenwertsteigerungen der Allgemeinheit zugeführt werden, was den Vorgaben von Art. 14 Abs. 2 GG entspricht.599 Nach § 153 Abs. 1 S. 1 BauGB werden Werterhöhungen von Grundstücken, die lediglich durch die Aussicht auf die Sanierung, durch ihre Vorbereitung oder Durchführung eingetreten sind, bei der Bemessung von Ausgleichsleistungen oder von Entschädigungen im Enteignungsverfahren nur insoweit berücksichtigt, als der Betroffene die Werterhöhungen durch eigene Aufwendungen zulässigerweise bewirkt hat. Daneben ist der Eigentümer nach § 154 Abs. 1 BauGB verpflichtet, einen Ausgleichsbetrag in Höhe der durch die Sanierung bedingten Steigerung des Grundstückswerts an die Gemeinde zu zahlen. Ermittelt wird der Ausgleichsbetrag gemäß § 154 Abs. 2 BauGB nach der Differenz zwischen dem Bodenwert, der sich für das Grundstück ergeben würde, wenn eine Sanierung weder beab596  Vgl. auch Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 136 Rn. 60; a. A. Köhler, in: Schrödter, BauGB, § 136 Rn. 18, der glaubt, dem Wortlaut eine solche Anwendungspflicht entnehmen zu können. 597  S. auch BT-Drs. 15 / 2250, S. 60; Stemmler, ZfBR 2004, 128, 129. 598  Ausführlich dazu Waechter, DVBl. 2013, 613, 613. 599  Bönker, in: Hoppe  / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 14 Rn. 48; zu Art. 14 Abs. 2 GG, vgl. oben, 2. Kapitel, III. 2. b).



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sichtigt noch durchgeführt worden wäre (Anfangswert), und dem Bodenwert, der sich für das Grundstück durch die rechtliche und tatsächliche Neuordnung des förmlich festgelegten Sanierungsgebiets ergibt (Endwert). Diese Grundsätze finden mangels gesetzlicher Ausnahmeregelung auch in Rückbaugebieten Anwendung. Allerdings werden sich dort in Folge der Sanierung selten Bodenwertsteigerungen ergeben, da schon kein Markt für neue Flächen besteht. Jedoch kann der Ausgleichsbetrag auch für solche Grundstücke erhoben werden, bei denen die Sanierungsmaßnahme zwar keine Wertsteigerung, zumindest aber eine nachweisbare Reduzierung des Wertverfalls verursacht hat.600 Möller weist in diesem Zusammenhang zu Recht auf mögliche Probleme bei der Feststellung der Kausalität der Sanierungsmaßnahme für etwaige Bodenwertsteigerungen hin, da die Stabilisierung des Wohnungsmarktes nicht zwingend im Sanierungsgebiet selbst eintritt.601 Darüber hinaus wird in von massiven Bevölkerungsrückgängen betroffenen Gebieten trotz des Rückbaus mit Bodenwertverlusten zu rechnen sein, so dass eine Abschöpfung von Wertsteigerungen durch die Gemeinde schon gar nicht in Betracht kommt. Selbst wo die Abschöpfung einer relativen Wertsteigerung grundsätzlich möglich ist, wird diese letztlich schwer durchsetzbar sein, insbesondere dann, wenn der Eigentümer selbst, wie in strukturschwachen Gegenden nicht unwahrscheinlich, unter finanziellen Schwierigkeiten leidet. In den Fällen, in denen die Sanierungsmaßnahme zum Zwecke des Rückbaus durchgeführt wird, obliegt die Kostentragung daher wohl meist der Gemeinde. cc) Vorbereitende Maßnahmen und Sanierungskonzept (1) Vorbereitende Maßnahmen Nach § 141 Abs. 1 S. 1 BauGB hat die Gemeinde vor der förmlichen Festlegung des Sanierungsgebiets vorbereitende Untersuchungen durchzuführen, um Beurteilungsgrundlagen zu gewinnen für die Notwendigkeit der Sanierung, die sozialen, strukturellen und städtebaulichen Verhältnisse sowie die anzustrebenden allgemeinen Ziele der Sanierung und die Durchführbarkeit der Sanierung im Allgemeinen. Dies ist nach § 140 Nr. 1 BauGB Teil der Vorbereitung der Sanierung. Nur ausnahmsweise kann nach § 141 Abs. 2 BauGB von der Durchführung vorbereitender Untersuchungen abgesehen werden, wenn hinreichende Beurteilungsgrundlagen bereits vorliegen. In 600  So etwa Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg, Rechts- und Verfahrensinstrumente beim Stadtumbau, S. 85 f.; Möller, Siedlungsrückbau, S. 164; Schmidt-Eichstaedt, DVBl. 2004, 265, 270 f. 601  Möller, Siedlungsrückbau, S. 164 f.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

Bezug auf den Rückbau dürfte dies selten der Fall sein. Möller weist zu Recht darauf hin, dass Wohnungsleerstände zwar meist evident sind, eine Fehlplanung beim Rückbau aber leicht zu erheblichen Funktionsstörungen bei der Infrastruktur führen kann.602 Nach § 141 Abs. 1 S. 2 BauGB muss sich die Untersuchung auch auf die negativen Auswirkungen in Bezug auf in Bezug auf die persönlichen Lebensumstände im wirtschaftlichen und sozialen Bereich erstrecken. Dem entspricht es, dass nach § 137 S. 1 BauGB die Sanierung mit den Eigentümern, Mietern, Pächtern und sonstigen Betroffenen frühzeitig erörtert werden soll. Dies kann besonders dann relevant werden, wenn ein Gebiet vom Verfall bedroht ist und daher umfangreiche Rückbaumaßnahmen stattfinden sollen, einzelne Eigentümer jedoch nicht damit einverstanden sind. Im Gegenzug sind die Betroffenen der Gemeinde gegenüber nach § 138 Abs. 1 S. 1 BauGB zur Auskunft über Tatsachen verpflichtet, auf deren Grundlage die Sanierungsbedürftigkeit eines Gebietes beurteilt werden kann. Die Vorbereitung der Sanierung wird von der Gemeinde durch Beschluss nach § 141 Abs. 3 S. 1 BauGB eingeleitet. (2) Sanierungskonzept Ein Sanierungskonzept wird vom Gesetz nicht ausdrücklich verlangt. Allerdings spricht § 140 Nr. 3 BauGB davon, dass die „Ziele und Zwecke der Sanierung“ festgelegt werden müssen, was letztlich das Sanierungskonzept der Gemeinde umschreibt.603 Das Erfordernis eines Sanierungskonzeptes ergibt sich darüber hinaus aus dem Charakter der Sanierungsmaßnahme als Gesamtmaßnahme.604 Im Sanierungskonzept werden die Ziele und Zweck der Sanierung konkretisiert, wobei im Einzelfall textliche oder zeichnerische Festsetzungen zur Veranschaulichung aufgenommen werden können.605 Die Sanierungsziele müssen so konkret sein, dass eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gebietsfestsetzung nach § 142 Abs. 1 BauGB ermöglicht wird.606 Das Sanierungskonzept selbst ist von seiner gesetz­lichen Konzeption her nicht statisch angelegt, sondern vielmehr auf eine fortschreitende Konkretisierung im Laufe der Sanierung ausgerichtet.607 Gerade 602  Möller,

Siedlungsrückbau, S. 189. Urt. v. 07.09.1984 – 4 C 20 / 81 –, NJW 1985, 278, 278 u. 280; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 140 Rn. 3. 604  Schmitz, in: Spannowksy / Uechtritz, BauGB, § 140 Rn. 4. 605  Schmitz, in: Spannowksy / Uechtritz, BauGB, § 140 Rn. 5. 606  Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  142 Rn.  23. 607  BVerwG, Urt. v. 04.03.1999 – 4 C 8 / 98 –, NVwZ 1999, 1336, 1337; Beschl. v. 27.05.1997 – 4 B 98 / 96 –, NVwZ-RR 1998, 216. 603  BVerwG,



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 423

im Zusammenhang mit dem Rückbau von Gebäuden kann diese Flexibilität hilfreich sein,608 insbesondere dann, wenn sich am Anfang noch nicht absehen lässt, wie schnell der Bevölkerungsrückgang in einer Gemeinde fortschreitet oder wenn sich entgegen aller Prognosen ein gegenläufiger Trend einstellen sollte. Bereits im Rahmen der Aufstellung des Sanierungskonzepts durch die Gemeinde ist das Abwägungsgebot nach § 136 Abs. 4 S. 3 BauGB zu beachten.609 Problematisch ist, welche Sanierungsziele im Rahmen des Rückbaus definiert werden können. Goldschmidt / Taubenek gehen davon aus, dass sich in vom Rückbau betroffenen Gebieten neue städtebauliche Entwicklungsziele schwer finden lassen.610 Sanierungsmaßnahmen kämen zum Zwecke des Stadtumbaus danach nur dort in Betracht, wo es nicht beim bloßen Rückbau bleibt, sondern neue Nutzungen angestrebt oder zumindest die vorhandenen Nutzungen beibehalten werden.611 Dem ist insofern zu widersprechen, als die Freilegung von Flächen durchaus ein taugliches Ziel darstellen kann. Die Tatsache, dass es sich dabei um ein bloßes Zwischenziel handelt, steht dem nicht entgegen,612 da auch Sanierungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Altlastenbeseitigung letztlich keine endgültigen Ziele verfolgen, sondern dort das eigentliche Ziel in der Umnutzung derartiger Flächen besteht. Im Übrigen gibt § 9 Abs. 2 S. 1 BauGB nunmehr ausdrücklich die Möglichkeit, zeitlich befristete Festsetzungen im Bebauungsplan zu treffen, wodurch eine etwaige Zwischennutzung städtebaulich abgesichert werden kann.613 Zweifelhaft ist lediglich, ob die hierfür notwendige Atypik im Falle des Stadtumbaus vorhanden ist.614 Jedoch dürften zumindest erhebliche städtebauliche Anpassungsmaßnahmen, wie sie im Rahmen einer Sanierung durchaus vorkommen können, das Erfordernis der besonderen städtebaulichen Begründung erfüllen.615 Daher spricht nichts dagegen, die bloße Freilegung als hinreichendes Ziel anzusehen, was freilich nur dann gelten kann, wenn nicht angesichts der demografischen Situation von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass eine Nachnutzung, und sei es als Grünfläche, angestrebt wird. Möller, Siedlungsrückbau, S. 186. Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 140 Rn. 3. 610  Goldschmidt / Taubenek, in: Hoppenberg  / de Witt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Bd. 3, Kapitel Z I Rn. 165. 611  Goldschmidt / Taubenek, in: Hoppenberg  / de Witt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Bd. 3, Kapitel Z I Rn. 166. 612  So auch Fieseler, Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen, Rn. 363. 613  Vgl. Kukk / von Heyl, VBlBW 2006, 302, 305 im Zusammenhang mit Stadtumbaumaßnahmen nach § 171 a BauGB. 614  Verneinend Löhr, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 9 Rn. 98h. 615  So auch Kukk / von Heyl, VBlBW 2006, 302, 305. 608  Vgl. 609  Vgl.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

dd) Festsetzung des Sanierungsgebiets (1) Erlass der Sanierungssatzung Nach § 142 Abs. 1 S. 1 BauGB kann die Gemeinde ein Gebiet, in dem eine städtebauliche Sanierungsmaßnahme durchgeführt werden soll, durch Beschluss förmlich als Sanierungsgebiet festlegen. Dies geschieht durch Erlass einer Sanierungssatzung nach § 142 Abs. 3 S. 1 BauGB. Die Ausweisung darf nur erfolgen, wenn die Durchführung einer Sanierungsmaßnahme erforderlich ist, wofür insbesondere städtebauliche Missstände vorliegen müssen.616 Die konkrete Gebietsfestlegung muss auf einer Abwägungsentscheidung beruhen, welche das sanierungsrechtliche Abwägungsgebot nach § 136 Abs. 4 S. 3 BauGB beachtet.617 Eine genaue Bezeichnung der planerischen Ziele der Sanierung ist in diesem Stadium noch nicht erforderlich.618 Dies erhöht die Flexibilität des Instruments der Sanierung, was insbesondere dann relevant wird, wenn trotz der Vorhersagen zur demografischen Entwicklung noch unsicher bleibt, ob tatsächlich ein vollständiger Rückbau angezeigt ist. In das Sanierungsgebiet können auch Grundstücke einbezogen werden, auf denen selbst keine Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden sollen, da die Sanierung keine Einzel-, sondern eine Gesamtmaßnahme darstellt.619 Von Bedeutung ist dies gerade bei Funktionsmängeln, welche große Teile einer Gemeinde betreffen können, ohne dass zwingend jedes einzelne Grundstück für sich durch einen städtebaulichen Missstand gekennzeichnet sein muss. Letztlich ergibt sich die Möglichkeit der Einbeziehung solcher Grundstücke auch aus einem Umkehrschluss aus § 142 Abs. 1 S. 3 BauGB, wonach einzelne Grundstücke, die von der Sanierung nicht betroffen werden, ganz oder teilweise aus dem Sanierungsgebiet ausgeschlossen werden können.620 Beim Zuschnitt des Sanierungsgebiets ist nach § 142 Abs. 1 S. 2 BauGB zudem darauf zu achten, dass die Sanierung zweckmäßig durchgeführt werden kann. Problematisch ist, ob das Sanierungsgebiet im Einzelfall das ganze Stadtgebiet umfassen kann, wenn sich der Leerstand entsprechend weit verteilt und eine Vielzahl von Einzelstandorten abzureißen ist.621 Dies ist abzulehnen, da 616  Krautzberger,

in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 142 Rn. 3. Beschl. v. 10.11.1998 – 4 BN 38 / 98 –, NVwZ 1999, 420, 420; Urt. v. 04.03.1999 – 4 C 8 / 98 –, NVwZ 1999, 1336, 1337; Beschl. v. 24.03.2010 – 4 BN 60 / 09 –, NVwZ 2010, 1490, 1490. 618  BVerwG, Urt. v. 07.09.1984 – 4 C 20 / 81 –, NJW 1985, 278, 279 f.; Beschl. v. 24.03.2010 – 4 BN 60 / 09 –, NVwZ 2010, 1490, 1491. 619  Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 142 Rn. 9; Möller, Siedlungsrückbau, S. 193; Schmitz, in: Spannowksy / Uechtritz, BauGB, § 142 Rn. 20. 620  Vgl. auch Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 142 Rn. 9. 621  Auf dieses Problem weisen Goldschmidt / Taubenek, LKV 2002, 257, 258 hin. 617  BVerwG,



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 425

eine derart umfassende Gebietsausweisung dem Rechtssystem des besonderen Städtebaurechts widerspräche und letztlich auch in der Bevölkerung wohl keine Akzeptanz fände.622 (2) Rechtsfolgen (a) Veränderungs- und Verfügungssperre Die umfassende Veränderungs- und Verfügungssperre nach § 144 BauGB stellt eine der wesentlichen Rechtsfolgen des Inkrafttretens einer Sanierungssatzung dar. Nach § 144 Abs. 1 und 2 BauGB bedürfen in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet Vorhaben und Rechtsvorgänge, welche die Sanierung behindern können, der Genehmigung. Zu den genehmigungsbedürftigen Maßnahmen gehören etwa Vorhaben gemäß § 29 BauGB, die Beseitigung baulicher Anlagen sowie die rechtsgeschäftliche Veräußerung oder Belastung eines Grundstücks. Dadurch soll der Gemeinde die Möglichkeit gegeben werden, frühzeitig gegen sanierungsunverträgliche Vorhaben einzuschreiten623 und die Sanierung zügig durchzuführen. Die Genehmigung muss schriftlich bei der zuständigen Gemeinde beantragt werden und wird, wenn eine baurechtliche Genehmigung oder Zustimmung erforderlich ist, gemäß § 145 Abs. 1 S. 2 BauGB von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde erteilt. Nach § 145 Abs. 2 BauGB darf die Genehmigung nur versagt werden, wenn Grund zur Annahme besteht, dass das Vorhaben oder der Rechtsvorgang die Durchführung der Sanierung unmöglich machen oder wesentlich erschweren. Wenn sich aus den Zielen und Zwecken der Sanierungssatzung kein gesetzlicher Versagungsgrund ergibt, besteht ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Genehmigung.624 Entscheidend für die Erteilung der Genehmigung ist die der Sanierungssatzung zu Grunde liegende Abwägungsentscheidung. Daher kann ein von der Veränderungssperre betroffener Eigentümer gegen eine Versagung der Genehmigung von Änderungen, die den Rückbau möglicherweise erschweren, nicht mit Erfolg einwenden, seine bauliche Anlage sei nicht vom Leerstand bedroht, wenn das Sanierungskonzept den Abriss der entsprechenden baulichen Anlage vorsieht.625 Dadurch wird sicher gestellt, 622  Vgl. auch Goldschmidt / Taubenek, LKV 2002, 257, 261; Möller, Siedlungsrückbau, S.  194 f. 623  Bönker, in: Hoppe  /  Bönker  /  Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 14 Rn. 26; Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  144 Rn.  1. 624  BVerwG, Urt. v. 20.10.1978 – 4 C 48 / 76 –, NJW 1979, 2577, 2578 zu § 15 Abs. 3 StBauFG; Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 145 Rn. 22. 625  Möller, Siedlungsrückbau, S. 228.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

dass flächendeckend saniert werden kann, was gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels von Bedeutung ist, da auch die nicht mehr benötigte Infrastruktur zurückgebaut werden muss und dies gerade nicht möglich wäre, wenn einzelne Grundstückseigentümer ihre baulichen Anlagen sogar erweitern könnten. Letztlich wird durch den Genehmigungsvorbehalt auch der betroffene Grundstückseigentümer vor sinnlosen Disposi­ tionen geschützt.626 Die sanierungsrechtliche Veränderungssperre ist grundsätzlich mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar,627 doch wird die Grenze der Sozialbindung des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 2 GG628 dann überschritten, wenn die Gemeinde die Sanierung nicht mehr zügig betreibt.629 Im Zusammenhang mit dem Rückbau dürfte sich diese Problematik vergleichsweise selten stellen, weil der Abriss von Gebäuden ohne Modernisierung oder Neuerrichtung in der Regel zeitnah zu bewerkstelligen ist. In bestimmten Fällen kann nach § 144 Abs. 3 BauGB die Gemeinde die Genehmigung für das förmlich festgelegte Sanierungsgebiet allgemein vorab erteilen. Dies kommt insbesondere bei Abbruchmaßnahmen nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 BauGB in Betracht, wenn der Rückbau nicht aus Gründen der Infrastruktur in einer bestimmten Reihenfolge von Statten gehen muss oder wenn das betreffende Gebiet ohnehin nicht mehr bewohnt ist.630 Möller spricht sich dafür aus, beim Stadtumbau von der Möglichkeit der Vorabgenehmigung eher sparsam Gebrauch zu machen und stattdessen die Erteilung der Genehmigung vom Abschluss eines städtebaulichen Vertrages nach § 145 Abs. 4 S. 3 BauGB abhängig zu machen.631 Dies erscheint überzeugend, da ein Rückbau von Gebäuden gegen den Willen des Eigentümers schwer möglich sein wird. (b) Gemeindliches Vorkaufsrecht In förmlich festgesetzten Sanierungsgebieten erhält die Gemeinde gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB ein Vorkaufsrecht an sämtliche bebauten und unbebauten Grundstücken. Dieses darf gemäß § 24 Abs. 3 S. 1 BauGB je626  Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 07.09.1984 – 4 C 20 / 81 –, NJW 1985, 278, 279 zu § 15 StBauFG. 627  BVerwG, Urt. v. 24.11.1978 – 4 C 56 / 76 –, NJW 1979, 2578, 2578 ff.; Urt. v. 07.09.1984 – 4 C 20 / 81 –, NJW 1985, 278, 279 zu § 15 StBauFG. 628  Näher dazu, vgl. oben, 2. Kapitel, III. 2. b). 629  BVerwG, Urt. v. 06.07.1984 – 4 C 14 / 81 –, NVwZ 1985, 184, 185 zu § 15 StBauFG; Beschl. v. 07.06.1996 – 4 C 91 / 96 –, NJW 1996, 2807, 2807. 630  Vgl. Möller, Siedlungsrückbau, S. 239 f. 631  Möller, Siedlungsrückbau, S. 240.



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 427

doch nur ausgeübt werden, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt, was in Sanierungsfällen regelmäßig der Fall sein wird.632 Damit kann die Gemeinde gezielt Bodenpolitik betreiben633 und Grundstücke zur Beschleunigung der Sanierung erwerben, sofern der Vorkaufsfall eingetreten, d. h. ein Kaufvertrag über das betreffende Grundstück geschlossen worden ist.634 Schmitz weist zutreffend auf die Problematik hin, dass das gemeindliche Vorkaufsrecht gemäß § 28 Abs. 2 S. 2 BauGB i. V. m. § 471 BGB in der Zwangsvollstreckung entfällt.635 Dies ist gerade im Zusammenhang mit so genannten Schrottimmobilien, d. h. stark verwahrlosten Gebäuden von Bedeutung, wenn das Grundstück im Wege der Zwangsvollstreckung veräußert werden soll. Die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen wird dadurch im Falle einer Zwangsvollstreckung verzögert, jedoch nicht unmöglich gemacht, da der Gemeinde auf Grund der Festsetzung als förmliches Sanierungsgebiet zahlreiche Handlungsoptionen zur Verfügung stehen.636 ee) Bauleitplanung Zur Vorbereitung der Sanierung gehört nach § 140 Nr. 4 BauGB auch die Bauleitplanung, soweit sie für die Sanierung erforderlich ist. Hinsichtlich der Abwägung hat das OVG Berlin entschieden, dass, auch wenn die Vorgaben des Bebauungsplans ein Rückbaugebot nach § 179 Abs. 1 BauGB zur Folge haben können, Fragen des Ersatzwohnraumes und der Entschädigung nicht berücksichtigt werden müssen.637 Im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel dürfte gerade die Festsetzung von Rückbaugebieten eine große Rolle spielen. Fraglich ist jedoch, wie ein Rückbaugebiet mit Mitteln der Bauleitplanung ausgewiesen werden kann. Der Katalog der zulässigen Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 BauGB enthält keine Möglichkeit, die für den Abriss vorgesehenen Gebäude im Bauleitplan zu kennzeichnen. Möller folgert daraus, dass die Gemeinde eine der aktuellen baulichen Situation widersprechende Festsetzung wählen müsse.638 Goldschmidt / Taubenek schlagen in diesem Zusammenhang vor, Grundstücke, die mit zum Abriss vorgesehenen Gebäuden bebaut sind, beispielsweise als Grünfläche auszuweisen und die Gebäude im Bebauungsplan als Abrissgebäude zu bezeich632  Grziwotz,

in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 24 Rn. 26. in: Schrödter, BauGB, § 24 Rn. 2; Möller, Siedlungsrückbau, S. 133. 634  Krautzberger, in: Battis  / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 24 Rn. 16; Grziwotz, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 24 Rn. 2. 635  Schmitz, ZfBR 2011, 641, 642. 636  Vgl. unten, 4. Kapitel, III. 3. a) ff). 637  OVG Berlin, Urt. v. 20.02.1987 – 2 a 4 / 83 –, BauR 1987, 419, 421. 638  Möller, Siedlungsrückbau, S. 198. 633  Schrödter,

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

nen. Mangels Verbindlichkeit könne der Grundstückseigentümer aus dieser Bezeichnung keine planungsschadensrechtlichen Ansprüche gegen die Stadt herleiten.639 Dies ist jedoch nur teilweise richtig, denn die Festsetzung als Grünfläche ist bereits verbindlich und kann daher Entschädigungsansprüche nach § 42 Abs. 2 und 3 oder § 40 Abs. 1 Nr. 8 BauGB auslösen.640 Andererseits kann auf die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht vollständig verzichtet werden, nachdem gemäß §§ 85 Abs. 1 Nr. 1, 88 S. 2 BauGB bei einer Enteignung im Geltungsbereich einer Sanierungssatzung zusätzlich ein Bebauungsplan erforderlich ist. Zwar wird zur Durchführung von Rückbaumaßnahmen nicht immer der vollständige Entzug des Eigentums erforderlich sein, unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten aber kann im Einzelfall die Enteignung im Vergleich zur Durchsetzung eines städtebaulichen Gebots das mildere Mittel darstellen.641 Alternativ zur Aufstellung eines Bebauungsplans ist in einem Sanierungsgebiet der nach § 171 a Abs. 1 BauGB zulässige, ergänzende Erlass einer Stadtumbausatzung möglich, welche nach § 85 Abs. 1 Nr. 7 BauGB eine taugliche Grundlage für Enteignungen bildet. ff) Durchführungsmaßnahmen des Sanierungsrechts (1) Baumaßnahmen Nach § 146 Abs. 1 BauGB umfasst die Durchführung der Sanierung die Ordnungsmaßnahmen und die Baumaßnahmen innerhalb des förmlich festgelegten Sanierungsgebiets, die nach den Zielen und Zwecken der Sanierung erforderlich sind. § 148 Abs. 2 BauGB enthält eine nicht abschließende642 Aufzählung möglicher Baumaßnahmen, zu denen etwa die Modernisierung und Instandsetzung (Nr. 1) sowie die Neubebauung und die Ersatzbauten (Nr. 2) gehören. Der Fokus der beispielhaft genannten Maßnahmen liegt auf der Erhaltung der Bebauung, so dass Baumaßnahmen im Rahmen des Rückbaus von Gebäuden eine nur untergeordnete Rolle spielen.643 In vom Bevölkerungsrückgang geprägten Gegenden kann jedoch die Vorschrift des § 148 Abs. 1 S. 2 BauGB relevant werden, wonach Ersatzbauten, die an Stelle von zu beseitigenden Anlagen errichtet werden sollen, ausnahmsweise außerhalb des förmlich festgelegten Sanierungsgebiets liegen dürfen. 639  Goldschmidt / Taubenek, in: Hoppenberg  / de Witt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Bd. 3, Kapitel Z I Rn. 238. 640  Möller, Siedlungsrückbau, S. 198. 641  Vgl. Möller, Siedlungsrückbau, S. 203. 642  So auch Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 148 Rn. 16; Schmitz, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 148 Rn. 12. 643  Vgl. Möller, Siedlungsrückbau, S. 208.



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 429

Dadurch kann eine städtebaulich unerwünschte Neuerrichtung von Gebäuden im Sanierungsgebiet vermieden werden,644 was insbesondere dann von Bedeutung ist, wenn angesichts fehlender Auslastung die komplette Infrastruktur zurückgebaut werden soll und die wenigen verbliebenen Bewohner anderweitig untergebracht werden müssen. Überdies hat die Vorschrift förderrechtliche Relevanz.645 Die Durchführung von Baumaßnahmen obliegt nach § 148 Abs. 1 S. 1 1. HS BauGB grundsätzlich den Grundstückseigentümern. Die Gemeinde muss gemäß § 148 Abs. 1 S. 1 2. HS Nr. 2 BauGB lediglich einschreiten, wenn sie selbst Grundstückseigentümerin ist oder nicht gewährleistet ist, dass die Baumaßnahmen von den einzelnen Eigentümern zügig und zweckmäßig durchgeführt werden. Die Gemeinde kann die Durchführung der Baumaßnahme durch den Eigentümer dadurch forcieren, dass sie ein Bauoder Modernisierungsgebot nach §§ 176, 177 BauGB erlässt, wenn die Voraussetzungen des § 175 Abs. 2 BauGB gegeben sind, d. h. die alsbaldige Durchführung der Maßnahme aus städtebaulichen Gründen erforderlich ist.646 Auch eine Enteignung durch die Gemeinde ist grundsätzlich denkbar.647 Die Durchsetzbarkeit von Sanierungsmaßnahmen in Form von Baumaßnahmen auch gegen den Willen der Grundstückseigentümer ist daher gewährleistet. (2) Ordnungsmaßnahmen (a) Anwendungsbereich und Durchführung § 147 S. 1 enthält eine abschließende Aufzählung der Ordnungsmaßnahmen, die nach dem Wortlaut der Vorschrift zum Aufgabenbereich der Gemeinde gehören und die nach § 146 Abs. 1 BauGB zur Erreichung der Ziele und Zwecke der Sanierung erforderlich sein müssen.648 Grundsätzlich dürfen Ordnungsmaßnahmen nach § 146 Abs. 1 BauGB nur innerhalb eines förmlich festgelegten Sanierungsgebiets zur Anwendung kommen. Von den Baumaßnahmen lassen sich Ordnungsmaßnahmen dadurch abgrenzen, dass Ordnungsmaßnahmen grundsätzlich der Gemeinde vorbehalten bleiben und ohne deren Durchführung bauliche und sonstige Maßnahmen zur Verwirkli644  Schmitz, in: Spannowsky  / Uechtritz, BauGB, § 148 Rn. 10; Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  148 Rn.  30. 645  Köhler, in: Schrödter, BauGB, § 148 Rn. 5. 646  Näher dazu unten, 4. Kapitel, III. 3. d) cc) (1) und cc) (2). 647  Vgl. Schmitz, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 148 Rn. 7. 648  BVerwG, Urt. v. 21.10.1983 – 8 C 40 / 83 –, NVwZ 1984, 513, 514 zu § 12 Abs. 1 S. 1 StBauFG, der Vorgängernorm von § 146 Abs. 1 BauGB.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

chung der Sanierungsziele nicht möglich sind.649 Dies schließt es nicht aus, dass die konkrete Durchführung einzelner Ordnungsmaßnahmen in Kooperation mit Privaten erfolgt.650 In der Praxis werden Maßnahmen, die unter den Umzug von Bewohnern nach § 147 S. 1 2. HS Nr. 2 BauGB oder die Freilegung von Grundstücken nach § 147 S. 1 2. HS Nr. 3 BauGB subsumiert werden können, ohnehin regelmäßig von privaten Grundstückseigentümern bzw. Wohnungsunternehmen sowie von privaten Versorgungsunternehmen durchgeführt.651 Rechtsgrundlage für dieses konsensuale Vorgehen ist § 146 Abs. 3 S. 1 BauGB, wonach die Gemeinde die Durchführung der Ordnungsmaßnahmen auf Grund eines städtebaulichen Vertrages ganz oder teilweise dem Eigentümer überlassen kann. (b) Ordnungsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Rückbau (α) Umzug von Bewohnern und Betrieben, § 147 S. 1 2. HS Nr. 2 BauGB Nach § 147 S. 1 2. HS Nr. 2 BauGB ist die Gemeinde für den Umzug von Bewohnern und Betrieben im Sanierungsgebiet verantwortlich, soweit dies gemäß § 146 Abs. 1 BauGB nach den Zielen und Zwecken der Sanierung erforderlich ist. Zum Umzug von Bewohnern und Betrieben zählen alle Maßnahmen, die notwendig sind, um die Bewohner und Betriebe aus ihren bisherigen Wohnungen und Gebäuden in die für sie bereit gestellten Räume umzusetzen.652 Im Zusammenhang mit dem Stadtumbau Ost war und ist insbesondere der Umzug von Bewohnern aus Wohnanlagen, die im Eigentum von Wohnungsunternehmen stehen, von Relevanz. Hier wird das Umzugsmanagement von den Unternehmen übernommen, die den Bewohnern an anderer Stelle neue Mieträume zur Verfügung stellen.653 Im Rahmen des Rückbaus in Folge des demografischen Wandels dürfte der Umzug von Bewohnern und Betrieben eine vergleichsweise geringe Rolle spielen, da es nicht vorwiegend darum geht, bestehende, noch bewohnte, aber modernisierungsbedürftige Gebäude zu sanieren. Vielmehr stellt sich das Problem, dass Gebäude auf Grund des Bevölkerungsrückgangs komplett leer stehen, so dass keine Umzugsmaßnahmen mehr erfor649  Möller,

Siedlungsrückbau, S. 211. in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  147 Rn. 15; Köhler, in: Schrödter, BauGB, § 147 Rn. 3. 651  Vgl. Möller, Siedlungsrückbau, S. 210 f. 652  Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  147 Rn. 25; Schmitz, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 147 Rn. 6. 653  Ausführlich dazu Möller, Siedlungsrückbau, S. 217. 650  Krautzberger,



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 431

derlich werden. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn einzelne Stockwerke oder Gebäude noch bewohnt sind und das fragliche Gebiet lediglich modernisiert werden soll, weil ein vollständiger Rückbau sämtlicher Gebäude unter Berücksichtigung der Interessen der verbliebenen Bewohner abwägungsfehlerhaft wäre. (β) Freilegung von Grundstücken, § 147 S. 1 2. HS Nr. 3 BauGB Nach § 147 S. 1 2. HS Nr. 3 BauGB zählt auch die Freilegung von Grundstücken zu den Ordnungsmaßnahmen. Zur Freilegung von Grundstücken gehört der teilweise oder vollständige Rückbau baulicher Anlagen,654 unabhängig davon, ob diese noch bewohnt sind oder schon leer stehen.655 Ebenso zählt der Rückbau von Straßen, Kanälen, Leitungen oder technischen Anlagen zur Freilegung.656 Problematisch ist die Einordnung des Rückbaus als Maßnahme zur Freilegung von Grundstücken insoweit, als der Gemeinde dadurch ein Kostenrisiko entstehen kann, wenn die Kosten des Eigentümers, der den Rückbau selbst durchführt, über den nach § 154 i. V. m. § 155 Abs. 1 BauGB zu ermittelnden sanierungsrechtlichen Ausgleichsbetrag hinausgehen und die Kostenerstattung nicht vertraglich ausgeschlossen wurde.657 § 155 Abs. 6 BauGB sieht eine entsprechende Erstattungspflicht zu Gunsten des Eigentümers vor. Gleichzeitig besteht nach der Vorschrift die Möglichkeit, die Erstattungspflicht mittels Vertrag auszuschließen, wodurch sich die Gemeinde entlasten kann. Durchsetzbar gegenüber dem Grundstückseigentümer ist eine derartige Ordnungsmaßnahme im Wege des Rückbaugebots gemäß § 179 BauGB, wenn dessen Voraussetzungen erfüllt sind. In besonders gelagerten Fällen kann auch eine Enteignung in Betracht kommen, wenn diese im Vergleich zum Rückbaugebot das mildere Mittel darstellt. Allerdings muss die Gemeinde nach § 179 Abs. 3 BauGB dem Eigentümer, Mieter, Pächter oder sonstigen Nutzungsberechtigten für etwaige Vermögensnachteile, die durch die Beseitigung entstanden sind, eine Entschädigung in Geld leisten, deren Höhe sich nach §§ 43, 44 BauGB bemisst. Eine Anrechnung solcher Ent654  Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  147 Rn. 26. 655  Möller, Siedlungsrückbau, S. 214. 656  Goldschmidt, BauR 2003, 1325, 1329; Schmitz, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 147 Rn. 14. 657  Ausführlich dazu Möller, Siedlungsrückbau, S. 214  ff.; Goldschmidt, BauR 2003, 1325, 1330 ff. 

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

schädigungen auf den Ausgleichsbetrag gemäß § 155 Abs. 1 BauGB ist nicht möglich, da sie nicht unmittelbar zu Bodenwerterhöhungen führen.658 Indes entfällt die Entschädigungspflicht gemäß § 43 Abs. 4 BauGB, soweit die Bodenwerte darauf beruhen, dass die zulässige Nutzung auf dem Grundstück den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse oder an die Sicherheit der auf dem Grundstück oder im umliegenden Gebiet wohnenden oder arbeitenden Menschen nicht entspricht (Nr. 1) oder dass in einem Gebiet städtebauliche Missstände nach § 136 Abs. 2 und 3 BauGB bestehen und die Nutzung des Grundstücks zu diesen Missständen wesentlich beiträgt (Nr. 2). Vor dem Hintergrund von Art. 14 Abs. 2 GG659 geht der Entschädigungsanspruch lediglich dann verloren, wenn das Grundstück in qualifizierter Weise zu dem Missstand beiträgt. Daran fehlt es jedoch bei der gebietsbezogenen strukturellen Schwäche nach § 136 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BauGB,660 so dass der Eigentümer dennoch eine Entschädigung verlangen kann, wenn eine Gemeinde ihre nach dem Landesplanungsrecht vorgesehenen Aufgaben nicht mehr erfüllen kann und infolgedessen Rückbaumaßnahmen eingeleitet werden. Beim häufiger anzutreffenden Verfall von Gebäuden ist der Entschädigungsanspruch des Eigentümers dagegen in der Regel ausgeschlossen, so dass die Gemeinde insoweit nicht finanziell belastet wird. (γ) Herstellung und Änderung von Erschließungsanlagen, § 147 S. 1 2. HS Nr. 4 BauGB Der Begriff der Änderung von Erschließungsanlagen nach § 147 S. 1 2. HS Nr. 4 BauGB umfasst neben der Erweiterung, Renovierung und Verbesserung der fraglichen Einrichtungen auch deren Rückbau.661 Gleichzeitig kann der vollständige Rückbau solcher Anlagen auch als Freilegung gemäß § 147 S. 1 2. HS Nr. 3 BauGB angesehen werden,662 was in Bezug auf die Rechtsfolgen jedoch keinen Unterschied macht. Unter die Erschließungsanlagen im Sinne dieser Vorschrift fallen insbesondere die Anlagen für die Wasser- und Energieversorgung, wenn sie im Eigentum der Gemeinde stehen.663 Der Rückbau derartiger Anlagen wird im Zusammenhang mit dem prognostizierten Bevölkerungsrückgang insoweit relevant, als es daGoldschmidt, BauR 2003, 1325, 1333. dazu, vgl. oben, 2. Kapitel, III. 2. b). 660  Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB / BauNVO, §  43 Rn.  9; Breuer, in: Schrödter, BauGB, § 43 Rn. 21. 661  Schmitz, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 147 Rn. 14. 662  So Goldschmidt, BauR 2003, 1325, 1329. 663  Goldschmidt, BauR 2003, 1325, 1334. 658  Vgl.

659  Näher



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 433

durch an der Auslastung der bestehenden Leitungssysteme fehlen kann und daher zumindest eine Verkleinerung der Rohre erforderlich wird.664 (δ) Kostenerstattung für den Rückbau öffentlicher Versorgungseinrichtungen, § 150 Abs. 1 S. 1 BauGB § 150 Abs. 1 S. 1 BauGB sieht einen Kostenerstattungsanspruch der Anbieter leitungsgebundener Infrastruktur gegen die Gemeinde vor, wenn in Folge der Sanierung Anlagen der öffentlichen Versorgung mit Strom, Gas, Wasser, Wärme, Telekommunikationsdienstleistungen oder Anlagen der Abwasserwirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehen oder geändert werden müssen. Zu beachten ist jedoch, dass der Wegfall der Versorgungsanlage gerade durch die Sanierungsmaßnahme verursacht werden muss.665 Daher besteht kein Kostenerstattungsanspruch, wenn schon vor der Sanierung Funktionsstörungen durch einen drastischen Rückgang des Verbrauchs aufgetreten sind und die Anlage schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden konnte.666 Gerade dies wird bei einer Sanierung in Folge von Bevölkerungsrückgängen meist der Fall sein. Der Rückbau wird erfahrungsgemäß erst dann begonnen, wenn bereits Auslastungsdefizite zu Tage getreten sind und eine Verkeimung des Trinkwassers droht.667 Aus diesem Grund sind die meisten Rückbaumaßnahmen in Bezug auf Leitungen nicht nach § 150 Abs. 1 S. 1 BauGB erstattungspflichtig, was der Gemeinde die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen erleichtert. gg) Verfassungsrechtliche Bewertung Die Vorschriften des Sanierungsrechts sind mit den verfassungsrecht­ lichen Vorgaben vereinbar. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 GG vor, auch wenn in Folge der Durchführung von Sanierungsmaßnahmen Bewohner im Einzelfall zum Umzug gezwungen werden können. Art. 11 Abs. 1 GG schützt zwar das Verbleiben an einem Ort, doch fehlt es am Eingriffscharakter der sanierungsrechtlichen Vorschriften. § 147 S. 1 BauGB sieht den Umzug von Bewohnern zum Zwecke der Durchführung der Sanierungsmaßnahmen vor, nicht aber ihre dauerhafte Umsiedlung, 664  Zur

Problematik, vgl. oben, 1. Kapitel, IV. 1. a). in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 150 Rn. 19 f. 666  Möller, Siedlungsrückbau, S. 226; Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg, Rechts- und Verfahrensinstrumente beim Stadtumbau, S. 89. 667  Vgl. oben, 1. Kapitel, IV. 1. a). 665  Bielenberg / Krautzberger,

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

weshalb es an der für einen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 11 Abs. 1 GG notwendigen Finalität fehlt.668 Ebensowenig verstoßen die Vorschriften des Sanierungsrechts gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Das sanierungsrechtliche Abwägungsgebot des § 136 Abs. 4 S. 3 BauGB verpflichtet die Gemeinde bei der Vorbereitung und Durchführung der Sanierung zur Berücksichtigung der Belange der betroffenen Eigentümer. Darüber hinaus sieht § 155 BauGB unter bestimmten Voraussetzungen ein Entfallen des vom Eigentümer grundsätzlich zu entrichtenden Ausgleichsbetrags vor, falls dieser andernfalls übermäßig belastet würde. hh) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Das Sanierungsrecht ist ein wirksames Instrument zur Durchführung von Rückbaumaßnahmen, die in Folge des demografischen Wandels und der damit verbundenen Bevölkerungsrückgänge erforderlich werden. Die Instrumente des Sanierungsrechts können insbesondere dann eingesetzt werden, wenn Teile einer Gemeinde zurückgebaut werden sollen, einzelne verbliebene Eigentümer oder Mieter sich den Maßnahmen jedoch widersetzen. Auch nicht mehr benötigte Infrastruktur kann auf Grundlage der Festsetzung eines Sanierungsgebiets beseitigt werden, im Regelfall ohne dass die Gemeinde dabei Kostenersatzansprüchen privater Dritter ausgesetzt wäre. Das Sanierungsrecht versagt mangels Vorliegen einer Sanierungsmaßnahme lediglich dann, wenn Gebäude abgerissen werden sollen, ohne dass irgendeine Zwischen- oder Nachnutzung geplant ist. Diese Problematik kann auftreten, falls der Bevölkerungsrückgang in einer Gemeinde derart drastisch ist, dass es nur noch darum geht, die verlassenen Ruinen abzureißen. Eine solche Situation, in der nicht einmal mehr eine Nachnutzung in Form von Grünanlagen oder eine zeitlich befristete Zwischennutzung nach § 9 Abs. 2 BauGB planungsrechtlich zu rechtfertigen ist, dürfte freilich sehr selten sein. Weitaus schwerer wiegt, dass Gemeinden aus Kostengründen von der Durchführung einer Sanierungsmaßnahme absehen können, da gerade beim Rückbau eine Finanzierung durch die Abschöpfung der Bodenwerterhöhung allenfalls in Einzelfällen möglich sein wird. ii) Regelungsmöglichkeit de lege ferenda Die Durchschlagskraft des Sanierungsrechts kann erhöht werden, indem die Durchführung von Enteignungen verfahrenstechnisch erleichtert wird. 668  Vgl.

oben, 2. Kapitel, III. 1.



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 435

Der Gesetzgeber hat es bislang versäumt, insoweit eine Harmonisierung mit den Vorschriften zum Stadtumbaurecht herbeizuführen.669 Während gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 7 BauGB im Geltungsbereich einer Stadtumbausatzung eine Enteignung zulässig ist, um Durchführungsmaßnahmen des Stadtumbaus zu sichern, fehlt in Bezug auf Sanierungsmaßnahmen eine solche Regelung. Daher verbleibt es insoweit bei § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, so dass bei Enteignungen in Sanierungsgebieten stets ein Bebauungsplan erforderlich ist, obwohl ein solcher vom Sanierungsrecht im Übrigen gemäß § 140 Nr. 4 BauGB nur verlangt wird, soweit dies zur Vorbereitung der Sanierung erforderlich ist. In dieser Situation hat die Gemeinde zwei Möglichkeiten. Entweder sie stellt einen Bebauungsplan auf, um die angestrebte Enteignung durchführen zu können, was mit zeitlichem Aufwand und zusätzlichen Kosten verbunden ist, oder sie erlässt im Sanierungsgebiet ergänzend eine Stadtumbausatzung nach § § 171 d BauGB, was ebenfalls zusätzlichen Verwaltungsaufwand verursacht, jedoch wesentlich schneller und kostengünstiger zu realisieren ist als die Aufstellung eines Bebauungsplans.670 Dieser zusätzliche Aufwand könnte dadurch vermieden werden, dass bereits der Erlass einer Sanierungssatzung als Grundlage für eine Enteignung nach § 85 Abs. 1 BauGB ausreicht. Eine vereinfachte Enteignungsmöglichkeit im Rahmen des Sanierungsrechts erscheint deshalb ratsam, weil auf diese Weise Sanierungsmaßnahmen auch gegen den Willen des Eigentümers durchgeführt werden können, ohne dass es auf die oft wenig erfolgversprechende Durchsetzung eines städtebaulichen Gebotes ankäme.671 b) Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen aa) Begriff und Anwendungsbereich Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen nach § 165 BauGB sind Gesamtmaßnahmen672, mit deren Hilfe die Gemeinde auf Grund eines besonderen öffentlichen Interesses eine „flächendeckende und zeitlich geschlossene Planungskonzeption für ein exakt umgrenztes Gebiet“673 verwirklichen kann. Gemäß § 165 Abs. 2 BauGB ist es Ziel der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme, Ortsteile und andere Teile des Gemeindegebiets entspredazu auch Möller, Siedlungsrückbau, S. 242 f. dazu auch oben, 4. Kapitel, III. 3. a) ee). 671  Vgl. dazu unten, 4. Kapitel, III. 3. d) cc) (3). 672  BVerwG, Urt. v. 03.07.1998 – 4 CN 2 / 97 –, NVwZ 1998, 1297, 1298; Urt. v. 03.07.1998 – 4 CN 5 / 97 –, NVwZ 1999, 407, 408; Bönker, in: Hoppe / Bönker /  Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 14 Rn. 66; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 165 Rn. 3. 673  BVerwG, Urt. v. 03.07.1998 – 4 CN 2 / 97 –, NVwZ 1998, 1297, 1298. 669  Kritisch 670  Vgl.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

chend ihrer besonderen Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung der Gemeinde oder entsprechend der angestrebten Entwicklung des Landesgebiets oder der Region erstmalig zu entwickeln oder im Rahmen einer städtebaulichen Neuordnung einer neuen Entwicklung zuzuführen. Nach § 165 Abs. 3 S. 1 BauGB kann die Gemeinde für einen Bereich, in dem eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme durchgeführt werden soll, durch Satzungsbeschluss förmlich einen städtebaulichen Entwicklungsbereich festlegen, wenn u. a. ein qualifiziertes Gemeinwohlinteresse dafür besteht (Nr. 2) und die Entwicklungsmaßnahme erforderlich ist (Nr. 3). Über § 169 Abs. 1 BauGB sind viele Vorschriften des Sanierungsrechts auf die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme anwendbar. bb) Relevanz im Zusammenhang mit dem Rückbau Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen stellen für den Umgang mit den Herausforderungen des demografischen Wandels ein ungeeignetes Instrumentarium dar.674 Dies liegt in erster Linie daran, dass städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen nach ihrem Sinn und Zweck auf die Entwicklung bzw. Neuentwicklung von Siedlungsbereichen zielen. Dafür besteht jedoch gerade in Gebieten mit massiven Bevölkerungsrückgängen kein Bedarf. Überdies enthält das Recht der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen keine Regelungen zur Steuerung des Rückbaus von Gebäuden. Es kann daher allenfalls in Gegenden zur Anwendung kommen, in denen eine steigende Bevölkerungszahl zu erwarten ist675 oder eine Konversion ehemals militärisch genutzter Areale erforderlich wird.676 Dieterich / Koch meinen, städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen seien zur Schaffung von Grünund Freiflächen und damit für den Stadtumbau geeignet.677 Dies trifft jedoch im Falle des Rückbaus nicht zu, da hier nicht die Herbeiführung einer neuen Nutzung, sondern der Abriss bestehender Gebäude beabsichtigt ist, während die Nachnutzung lediglich als Begleitvorteil in Kauf genommen wird.

674  Die Ungeeignetheit der Entwicklungsmaßnahme im Zusammenhang mit dem Stadtumbau als solchem betonen auch Goldschmidt / Taubenek, LKV 2002, 257, 258. 675  Vgl. dazu oben, 1. Kapitel, III. 2. a). 676  Krautzberger / Dürsch, Die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme – ein Instrument des Stadtumbaus?, BBauBl. 12 / 2003, 16, 17 ff.; Möller, Siedlungsrückbau, S. 244. 677  Dieterich / Koch, GuG 2002, 344, 345.



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 437

c) Stadtumbauregelungen aa) Entstehungsgeschichte und Anwendungsbereich Die Regelungen über den Stadtumbau in §§ 171 a–171 d BauGB wurden im Jahr 2004 ins Baugesetzbuch eingefügt. Der Gesetzgeber wollte damit vor allem auf die strukturellen und demografischen Veränderungen und den daraus resultierenden Folgen wie Wohnungsleerstand und Brachen reagieren.678 Zwar existiert insbesondere mit dem Sanierungsrecht bereits ein Instrumentarium, das zur Bewältigung des Rückbaus in der Regel gut eingesetzt werden kann,679 doch bedarf es oft gar nicht der Anwendung des manchmal langwierigen Sanierungsverfahrens.680 Diese Lücke sollte mit Einführung der Regelungen zum Stadtumbau geschlossen werden. Allerdings zielt der Stadtumbau nicht ausschließlich auf den Rückbau baulicher Anlagen, sondern gerade auch auf die Bekämpfung städtebaulicher Funk­ tionsverluste und den ressourcenschonenden Umgang mit vorhandenen baulichen Anlagen.681 Durch die BauGB-Novelle 2011 wurden die Vorschriften zum Stadtumbau folgerichtig dahin gehend ergänzt, dass Umbaumaßnahmen nunmehr auch durchgeführt werden können, wenn die Erfordernisse einer klimagerechten Stadtentwicklung nicht erfüllt werden.682 Damit bleiben Stadtumbaumaßnahmen nicht mehr ausschließlich demografischen und strukturellen Defiziten vorbehalten, was die Auslegung der betreffenden Vorschriften insgesamt beeinflussen kann. bb) Stadtumbaumaßnahmen (1) Stadtumbau als Gesamtmaßnahme Nach § 171 a Abs. 1 BauGB können Stadtumbaumaßnahmen an Stelle oder ergänzend zu sonstigen Maßnahmen des besonderen Städtebaurechts durchgeführt werden. Ebenso wie bei der Sanierungsmaßnahme handelt es sich auch bei der Stadtumbaumaßnahme um eine Gesamtmaßnah­ 678  BT-Drs. 15 / 2250, S. 60; vgl. dazu auch Goldschmidt / Taubenek, Stadtumbau, Rn. 206. 679  Vgl. oben, 4. Kapitel, III. 3. a) hh). 680  Krautzberger, in: Battis  /  Krautzberger  /  Löhr, BauGB, Vorbem. zu § 171 a Rn. 1; Goldschmidt, BauR 2004, 1402, 1403. 681  Vgl. Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 171 c Rn. 8, der davon spricht, dass der Stadtumbau nicht oder zumindest nicht in erster Linie auf den Rückbau zielt. 682  Vgl. Gesetz zur Förderung des Klimaschutzes bei der Entwicklung in den Städten und Gemeinden vom 22.07.2011, BGBl. I, S. 1509, 1510.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

me,683 was sich daran zeigt, dass sie in ihrer Formulierung der Sanierungsmaßnahme nach § 136 BauGB nachgebildet ist.684 Möller vertritt die Auffassung, eine Gesamtmaßnahme solle im Stadtumbau nur insoweit gefordert werden, als einzelne Maßnahmen und Planungen aus strukturellem Leerstand ableitbar sein und sich als Teil einer Gesamtmaßnahme darstellen müssten.685 Eine Rückbaumaßnahme, die allein dem Ziel des § 171 a Abs. 3 S. 2 Nr. 5 BauGB dient, nämlich dem Rückbau baulicher Anlagen, welche einer anderen Nutzung nicht zuführbar sind, könne daher als Gesamtmaßnahme gewertet werden, wenn sie sich in einer gebietsbezogenen Planung als erforderlich erweist.686 Krautzberger hingegen meint, dass keine Stadtumbaumaßnahmen nach § 171 a BauGB gegeben seien, wenn lediglich einzelne der in § 171 a Abs. 3 S. 2 BauGB genannten Maßnahmen, etwa der Rückbau, prägender Inhalt des städtebaulichen Vorhabens sind, sondern nur dann Stadtumbaumaßnahmen vorlägen, wenn die städtebau­ liche Umstrukturierung als Gesamtmaßnahme, d. h. als planmäßige Neuordnung des Stadtumbaugebiets beabsichtigt sei.687 Allerdings könne eine Stadtumbaumaßnahme auch in einer Einzelmaßnahme, etwa der Neugestaltung eines Leerstandsgebiets bestehen, sofern die Auswirkungen der Einzelmaßnahme für ein Gebiet besonders bedeutsam seien und eine einheitliche Vorbereitung und zügige Durchführung für das gesamte Gebiet, das gleichzeitig zum Sanierungsgebiet erklärt wird, erforderlich machten.688 Gegen die Auffassung von Krautzberger spricht, dass der Rückbau durchaus punktuell erfolgen kann und auch dann einer entsprechenden Koordination bedarf, ohne dass damit zugleich eine Neuordnung des Stadtumbaugebiets beabsichtigt werden muss, zumal Letztere gerade beim Rückbau häufig nicht final gewollt sein wird. Relevant wird die unterschiedliche Abgrenzung des Anwendungsbereichs dann, wenn punktuelle Rückbaumaßnahmen durchgeführt werden sollen, was vor allem in Gegenden relevant wird, in denen eine grundsätzliche Leerstandsproblematik existiert, der Rückbau aber erst einmal punktuell erfolgen soll.

683  BT-Drs. 15 / 2250, S.  60; Mitschang, in: Spannowsky  /  Uechtritz, BauGB, § 171 a Rn. 4; Köhler, in: Schrödter, BauGB, § 171 a Rn. 2. 684  Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  171  a Rn. 12. 685  Möller, Siedlungsrückbau, S. 91. 686  Möller, Siedlungsrückbau, S. 91. 687  Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 171 a Rn. 7. 688  Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  171  a Rn. 12.



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 439

(2) Begriff der Stadtumbaumaßnahme und Anwendungsvoraussetzungen Nach § 171 a Abs. 2 S. 1 BauGB sind Stadtumbaumaßnahmen Maßnahmen, durch die in von erheblichen städtebaulichen Funktionsverlusten betroffenen Gebieten Anpassungen zur Herstellung nachhaltiger städtebaulicher Strukturen vorgenommen werden. Es muss sich mithin um gebietsbezogene Maßnahmen handeln.689 Erhebliche städtebauliche Funktionsverluste sind nach § 171 a Abs. 2 S. 2 BauGB insbesondere anzunehmen, wenn ein dauerhaftes Überangebot an baulichen Anlagen für bestimmte Nutzungen, namentlich für Wohnzwecke besteht oder zu erwarten ist, oder wenn die allgemeinen Anforderungen an den Klimaschutz und die Klimaanpassung nicht erfüllt werden. Der Begriff des Funktionsverlusts ist im Vergleich zum Begriff der Funktionsschwäche im Sanierungsrecht nach § 136 Abs. 3 Nr. 2 BauGB enger,690 doch kann man davon ausgehen, dass beim Vorliegen eines Funktionsverlusts zugleich eine Funktionsschwäche gegeben sein ­ wird.691 Ein solcher Funktionsverlust ist bei massiven Wohnungsleerständen in Folge des Bevölkerungsrückgangs regelmäßig gegeben. (3) Sinn und Zweck von Stadtumbaumaßnahmen Nach § 171 a Abs. 3 S. 1 BauGB dienen Stadtumbaumaßnahmen dem Wohl der Allgemeinheit. § 171 a Abs. 3 S. 2 BauGB listet in einem nicht abschließenden Katalog Ziele auf, die mit dem Stadtumbau verfolgt werden sollen. Im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel sind vor allem folgende der genannten Anliegen von Bedeutung: Nach § 171 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BauGB sollen Stadtumbaumaßnahmen dazu beitragen, dass die Siedlungsstruktur den Erfordernissen der Entwicklung von Bevölkerung und Wirtschaft sowie den allgemeinen Anforderungen an den Klimaschutz und die Klimaanpassung angepasst wird. Die Vorschrift greift damit ein Ziel auf, das bereits in § 1 Abs. 6 BauGB sowie in § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 3 BauGB genannt wird, dort allerdings nicht allein auf Bevölkerungsrückgang und Rückbau bezogen.692 Nach § 171 a Abs. 3 S. 2 Nr. 2 BauGB sollen durch die Stadtumbaumaßnahmen die Wohn- und Arbeitsverhältnisse 689  Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 171 a Rn. 4; Mitschang, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 171 a Rn. 4. 690  Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 171 a Rn. 4. 691  Vgl. Möller, Siedlungsrückbau, S. 95; Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 171 a Rn. 20. 692  Vgl. oben, 4. Kapitel, III. 3. a) bb) (4) sowie Deutscher Bundestag, Das neue Baugesetzbuch, S. 383.

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sowie die Umwelt verbessert werden. Im Zusammenhang mit leer stehenden Gebäuden kann dies insoweit relevant sein, als Gebäuderuinen die Wohnqualität der umliegenden, noch genutzten Gebäude beeinträchtigen. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Bevölkerungsrückgang noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass die Mehrzahl der Gebäude leer steht. Möller weist darauf hin, dass durch den Abriss von Gebäuden ungepflegte Brachflächen sowie unerwünschte Nach- und Zwischennutzungen entstehen können, die ihrerseits das Wohnklima beeinträchtigen.693 Dem kann nur mit Einschränkungen zugestimmt werden. Solange noch eine gewisse Besiedlungsdichte vorhanden ist, muss der Problematik der Brachflächen sowie möglicher unerwünschter Zwischen- und Nachnutzungen im Rahmen der Stadtumbaumaßnahmen freilich Rechnung getragen werden. Wo allerdings der Bevölkerungsrückgang derart weit fortgeschritten ist, dass nur mehr wenige Bewohner verblieben sind und die Gegend auch für Nachnutzungen unattraktiv ist, dürfte sich die Problematik zumindest nicht mit der gleichen Schärfe stellen. § 171 a Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BauGB bezweckt darüber hinaus die Stärkung innerstädtischer Bereiche durch Stadtumbaumaßnahmen. Konkret bedeutet dies, dass der Rückbau grundsätzlich von „außen nach innen“ stattfinden soll,694 um städtebaulichen Funktionsverlusten in den innerstädtischen Bereichen entgegenzuwirken. Diese Funktionsverluste können sich beispielsweise aus Problemen des Einzelhandels oder der Infrastruktur ergeben.695 In der Praxis kann dieses Ziel dadurch erreicht werden, dass zuerst leer stehende Läden und Gebäude in der Peripherie abgerissen werden und eine Neuansiedlung dort nur in engen Grenzen möglich ist, während zugleich die Attraktivität der Zentren durch entsprechende Umbaumaßnahmen erhöht wird. Sinnvoll ist ein Rückbau „von außen nach innen“ vor allem in Bezug auf die Infrastruktur, da auf diese Weise wenig ausgelastete Einrichtungen wie etwa Wasserleitungen vermieden werden können. Das Ziel der Stärkung innerstädtischer Bereiche steht in unmittelbarem Zusammenhang mit § 171 a Abs. 3 S. 2 Nr. 7 BauGB, wonach innerstädtische Altbaubestände nachhaltig erhalten werden sollen.696 Letztlich soll damit dem Leitbild der europäischen Stadt Rechnung getragen werden, ein Anliegen, das sich inzwischen im gesamten Baugesetzbuch wiederfindet.697 693  Möller, Siedlungsrückbau, S.  98; ähnlich auch Krautzberger, in: Ernst  /  Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  171  a Rn.  34. 694  Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  171  a Rn. 35. 695  Mitschang, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 171 a Rn. 18. 696  Vgl. Goldschmidt, DVBl. 2005, 81, 83. 697  Vgl. oben, 4. Kapitel, I. 2. g).



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 441

§ 171 a Abs. 3 S. 2 Nr. 5 BauGB nennt als weiteres Ziel des Stadtumbaus den Rückbau von baulichen Anlagen, die einer anderen Nutzung nicht mehr zugeführt werden können. Der Wortlaut der Vorschrift sowie der sachliche Zusammenhang mit Nr. 4 impliziert, dass der Rückbau einer Anlage erst dann in Betracht kommt, wenn im konkreten Fall eine Umnutzung nicht möglich ist.698 Dieser Interpretation widerspricht zu Recht Goldschmidt, der eine Nachnutzung „um jeden Preis“ für kontraproduktiv hält und einen Vorrang des Rückbaus befürwortet, wenn etwa die Zentrenfunktion einer Stadt durch eine etwaige Nachnutzung geschwächt würde.699 Dieser Ansatz ist im Ergebnis richtig, von seiner dogmatischen Begründung her jedoch nicht überzeugend. Goldschmidt geht dabei von einer weiten Interpretation des Begriffs der baulichen Anlage in § 171 a Abs. 3 S. 2 Nr. 4 BauGB aus, was dazu führt, dass sehr viele Anlagen ihre bisherige Nutzung verlieren und eine Nachnutzung daher nicht immer sinnvoll sein wird, weshalb nicht von einem grundsätzlichen Vorrang der Nachnutzung ausgegangen werden kann.700 Dies ist jedoch aus systematischen Gründen wenig überzeugend, zumal sich keine Anhaltspunkte dafür finden lassen, dass der Gesetzgeber den Begriff der baulichen Anlage in § 171 a Abs. 3 S. 2 Nr. 4 und Nr. 5 BauGB anders versteht als etwa in § 29 BauGB. Der grundsätzliche Vorrang der Nachnutzung lässt sich indes dadurch relativieren, dass man an die von der Gemeinde und dem Eigentümer zu treffenden Prognose über die fehlende Nachnutzbarkeit keine allzu hohen Anforderungen stellt. Überdies wird man die Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck dahin gehend einschränkend auslegen können, dass eine Nachnutzungsmöglichkeit als solche nur zu berücksichtigen ist, wenn sie ihrerseits den Anliegen des Stadtumbaus nicht zuwider läuft. Dem Vorrang der Nachnutzung lässt sich ferner dadurch entgegenwirken, dass die Gemeinde unter Einbeziehung sämtlicher Belange eine Abwägung durchführt und die Entscheidung für den Rückbau detailliert begründet.701 Schließlich ist § 171 a Abs. 3 S. 2 Nr. 6 BauGB im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel von Bedeutung. Danach sollen brachliegende oder frei gelegte Flächen einer nachhaltigen, möglichst klimaschonenden Zwischennutzung zugeführt werden. Nach erfolgtem Rückbau stellt sich häufig die Frage, wie mit den freigelegten Flächen zu verfahren ist, insbesondere dann, wenn für eine Nachnutzung an sich kein Bedarf besteht. Hier bietet die Vorschrift die Möglichkeit einer Zwischennutzung, wodurch die 698  So etwa Mitschang, in: Spannowsky  /  Uechtritz, BauGB, § 171 a Rn. 19 f.; Fieseler, in: Krautzberger, Städtebauförderungsrecht, C § 171 a Rn. 17. 699  Goldschmidt, DVBl. 2005, 81, 83. 700  Goldschmidt, DVBl. 2005, 81, 83. 701  Möller, Siedlungsrückbau, S. 98.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

Gemeinde auf Unsicherheiten etwa in Bezug auf die künftige Bevölkerungsentwicklung und den Bedarf an Wohnungen oder sozialen Einrichtungen reagieren kann. cc) Städtebauliches Entwicklungskonzept Am Beginn einer Stadtumbaumaßnahme steht die Erarbeitung eines städtebaulichen Entwicklungskonzepts nach § 171 b Abs. 2 S. 1 BauGB durch die Gemeinde, in dem die Ziele und Maßnahmen des Stadtumbaus dargestellt werden. Das Konzept muss sich nicht auf das gesamte Gemeindegebiet beziehen,702 sondern kann sich auf örtliche Problemlagen beschränken.703 Beim städtebaulichen Entwicklungskonzept handelt es sich um ein Instrument der informellen Planung, welches der Vorbereitung und Durchführung einer Stadtumbaumaßnahme dient.704 Goldschmidt bezeichnet das städtebauliche Entwicklungskonzept daher zu Recht als „das Kernstück der Stadtumbauplanung“.705 Nach § 171 b Abs. 2 S. 2 BauGB müssen bei der Aufstellung eines städtebaulichen Entwicklungskonzepts die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abgewogen werden. Das Abwägungsgebot des § 171 b Abs. 2 S. 2 BauGB ist hierbei lex specialis zu § 1 Abs. 7 BauGB, was dazu führt, dass lediglich die stadtumbaurelevanten Belange berücksichtigt werden müssen.706 dd) Stadtumbaugebiet Das Gebiet, in dem Stadtumbaumaßnahmen durchgeführt werden sollen, legt die Gemeinde nach § 171 b Abs. 1 S. 1 BauGB durch Beschluss fest,707 der gemäß § 171 b Abs. 2 S. 1 BauGB auf dem städtebaulichen Entwicklungskonzept der Gemeinde beruhen muss. Das Gebiet ist nach § 171 b Abs. 1 S. 2 BauGB so zu bemessen, dass die Stadtumbaumaßnahmen zweckmäßig durchgeführt werden können. Problematisch ist, ob eine Stadtumbaumaßnahme trotz der Verwendung des Wortes „Gebiet“ auf ein einzel702  Goldschmidt,

BauR 2004, 1402, 1406; Stemmler, ZfBR 2004, 128, 131. und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (14. Ausschuss) v. 28.04.2004, BT-Drs. 15 / 2996, S. 69. 704  Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  171  b Rn. 3. 705  Goldschmidt, BauR 2004, 1402, 1406. 706  Möller, Siedlungsrückbau, S. 103; Fieseler, in: Krautzberger, Städtebauförderungsrecht, C § 171 b Rn. 8. 707  Mitschang, in: Spannowsky  / Uechtritz, BauGB, § 171 b Rn. 5; Fieseler, in: Krautzberger, Städtebauförderungsrecht, C § 171 b Rn. 1. 703  Beschlussempfehlung



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 443

nes Grundstück beschränkt werden kann. In der Literatur708 wird dies zu Recht bejaht. Zum einen setzt ein Gebiet keine bestimmte Flächengröße voraus und zum anderen kann Zweckmäßigkeit i. S. v. § 171 b Abs. 1 S. 2 BauGB auch dann vorliegen, wenn einzelne Eigentümer die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen behindern.709 Ebenso können in analoger Anwendung von § 142 Abs. 1 S. 3 BauGB einzelne Grundstücke, die vom Stadtumbau nicht betroffen sind, aus dem Stadtumbaugebiet ausgenommen werden.710 ee) Beteiligung von Betroffenen und Trägern öffentlicher Belange § 171 b Abs. 3 BauGB sieht vor, dass Betroffene (§ 137 BauGB) sowie die Träger öffentlicher Aufgaben (§ 139 BauGB) bei der Vorbereitung und Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen beteiligt werden sollen. Damit soll eine möglichst transparente Verfahrensgestaltung bewirkt und nach konsensualen Lösungen gesucht werden.711 Im Übrigen gilt das zum Sanierungsrecht Gesagte entsprechend.712 Untersuchungen zum Stadtumbau Ost zeigen, dass Rückbaumaßnahmen von der Bevölkerung weitestgehend akzeptiert werden, obwohl viele Bürger unmittelbar persönlich davon betroffen sind und zumindest vorübergehend zum Umzug gezwungen werden.713 Probleme ergeben sich lediglich dort, wo die Bürger nicht frühzeitig über die beabsichtigten Umbaumaßnahmen informiert worden sind.714 Rückbaumaßnahmen im Zuge des Bevölkerungsrückgangs können dort weitgehend unproblematisch durchgeführt werden, wo Gebäude ohnehin leer stehen und ein Umzug von Bewohnern im großen Stil nicht erforderlich ist. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass sich die Eigentümer solcher Grundstücke gegen die Stadtumbaumaßnahmen wehren, weshalb eine frühzeitige Einbeziehung der Betroffenen gerade hier unerlässlich ist.

708  Fieseler, in: Krautzberger, Städtebauförderungsrecht, C § 171 b Rn. 2; Möller, Siedlungsrückbau, S. 99. 709  Möller, Siedlungsrückbau, S. 99. 710  Mitschang, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 171 b Rn. 7. 711  Näher dazu, vgl. Mitschang, in: Spannowsky  /  Uechtritz, BauGB, § 171 b Rn.  16 ff.  712  Dazu oben, 4. Kapitel, III. 3. a) cc) (1). 713  Möller, Siedlungsrückbau, S. 108; Aehnelt, vhw Forum Wohneigentum 2002, 326, 326. 714  Möller, Siedlungsrückbau, S. 108.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

ff) Stadtumbauvertrag § 171 c S. 1 BauGB greift den Gedanken des konsensualen Vorgehens auf, indem er vorsieht, dass die Gemeinde zur Umsetzung ihres städtebaulichen Entwicklungskonzepts Stadtumbaumaßnahmen auf der Grundlage von städtebaulichen Verträgen nach § 11 BauGB, insbesondere mit den beteiligten Eigentümern, durchführen kann. Damit wird einvernehmlichen Lösungen gegenüber hoheitlichen Maßnahmen Vorrang eingeräumt.715 Die Rechtsnatur des Vertrags bestimmt sich nach seinem Regelungsgegenstand. § 171 c S. 2 BauGB listet beispielhaft mögliche Gegenstände solcher städtebaulichen Verträge auf. Dazu gehört die Durchführung des Rückbaus oder der Anpassung baulicher Anlagen innerhalb einer bestimmten Frist und die Kostentragung dafür (Nr. 1), der Verzicht auf die Ausübung von Ansprüchen aus dem Planungsschadensrecht nach §§ 39 bis 44 (Nr. 2) sowie der Ausgleich von Lasten zwischen den beteiligten Eigentümern (Nr. 3). Auf dieser Grundlage können städtebauliche Verträge zwischen Eigentümer und Gemeinde geschlossen werden, durch die sich der Eigentümer gegenüber der Gemeinde zum Rückbau innerhalb einer angemessenen Frist verpflichtet. Die Kosten des Rückbaus trägt dabei der Eigentümer.716 Allerdings ist eine städtebauliche Förderung möglich, wenn sie zur Durchführung eines vom Allgemeinwohl geforderten Rückbaus angezeigt ist, ohne dass freilich ein Rechtsanspruch darauf bestünde.717 Die Frage der städtebaulichen Förderung kann ebenso in einem Vertrag geregelt werden wie etwa die mögliche Nach- oder Zwischennutzung, der Umgang mit der technischen Infrastruktur sowie notwendige Mieterumzüge.718 Ein derartiger Vertrag ist als öffentlichrechtlicher Vertrag zu werten, zumal er der Vermeidung sonstiger öffentlichrechtlicher Maßnahmen seitens der Gemeinde dient.719 Im Zusammenhang mit einem Vertrag über Rückbauverpflichtungen oder auch isoliert kann ein Verzicht auf Entschädigung für eventuell eintretende Planungsschäden vereinbart werden. In von Bevölkerungsrückgängen dominierten Gebieten wird es sich dabei regelmäßig um einen Entschädigungsverzicht für den Verlust von Baurechten nach § 34 BauGB handeln,720 welcher sich ergibt, wenn ehemals dem Innenbereich zugehörige Grundstü715  Mitschang,

in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 171 c Rn. 2. in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  171  c Rn. 8; Mitschang, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 171 c Rn. 17. 717  Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  171  c Rn. 8. 718  Ausführlich dazu Goldschmidt, BauR 2006, 318, 321. 719  Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 171 c Rn. 3. 720  Möller, Siedlungsrückbau, S. 115. 716  Krautzberger,



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 445

cke im Zuge des Rückbaus nunmehr dem Außenbereich zufallen.721 Ein vertraglicher Verzicht auf Baurechte ist nicht möglich, so dass die Gemeinde eine Ausgestaltung analog § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BauGB, gegebenenfalls in Verbindung mit einer Änderung des Bebauungsplans, wählen muss, wenn sie eine erneute Bebauung des Grundstücks verhindern möchte.722 Verträge über den Lastenausgleich zwischen den beteiligten Eigentümern, falls erforderlich unter Einbeziehung der Gemeinde, kommen dann in Betracht, wenn sich durch den Rückbau leer stehender Wohnungen eine Verschiebung wohnungswirtschaftlicher Vor- und Nachteile ergibt.723 Diejenigen Eigentümer, die sich zum Rückbau von Wohnungen entschließen, sollen hierdurch im Vergleich zu Grundstückseigentümern in umliegenden Gebieten, die durch Zuwanderung von Mietern Vorteile erlangen, einen Nachteilsausgleich erhalten.724 Jedoch werden solche Vereinbarungen nur dann notwendig sein, wenn es zu einem Umzug von Mietern kommt, während in nicht mehr bewohnten Abrissgebieten kein Bedarf dafür besteht. Auch Bodenwertverluste in Folge des Abrisses sind hier kaum zu erwarten. Bei sämtlichen städtebaulichen Vereinbarungen ist darauf zu achten, dass Leistung und Gegenleistung in einem sachlichen Zusammenhang stehen.725 Gegen eine Verknüpfung der Abrissförderung für den Rückbau mit einer Vereinbarung nach § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. BauGB analog über die Nichtausübung von Baurechten bestehen unter diesem Gesichtspunkt keine rechtlichen Bedenken, da beide Mittel der geordneten Durchführung des Rückbaus dienen, an dem insbesondere die Gemeinden auf Grund der rückläufigen Bevölkerungszahlen und der damit verbundenen Probleme in Bezug auf die Auslastung der Infrastruktur ein erhebliches Interesse haben.726 Entsprechendes gilt für eine Verknüpfung von Abrissförderung und Verzicht auf die Ausübung von Ansprüchen aus dem Planungsschadensrecht.727

721  Näher dazu, vgl. unten, 4. Kapitel, IV. 1. a); vgl. auch Goldschmidt, BauR 2006, 318, 327. 722  Vgl. Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  171  c Rn. 12. 723  Fieseler, in: Krautzberger, Städtebauförderungsrecht, C § 171 c Rn. 6. 724  Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  171  c Rn. 13. 725  OVG Münster, Urt. v. 07.12.2000 – 7 a D 60  / 99.NE –, NVwZ-RR 2001, 635, 636; Möller, Siedlungsrückbau, S. 120; allgemein zum Kopplungsverbot bei Austauschverträgen vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 14 Rn. 17. 726  Vgl. Möller, Siedlungsrückbau, S. 120. 727  Goldschmidt, BauR 2006, 318, 327.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

gg) Stadtumbausatzung (1) Allgemeines Mit Hilfe der Stadtumbausatzung nach § 171 d BauGB kann die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen gesichert werden. Ziel der Vorschrift ist es zu verhindern, dass Bau-, Rückbau- oder Modernisierungsmaßnahmen im Widerspruch zum städtebaulichen Entwicklungskonzept stattfinden und dadurch der Stadtumbau behindert wird. Nach § 171 d Abs. 1 BauGB kann die Gemeinde nach der Beschlussfassung über das Stadtumbaugebiet durch Satzung ein Gebiet bezeichnen, welches das festgelegte Stadtumbaugebiet oder Teile davon erfasst und in dem zur Sicherung und sozialverträglichen Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen ein Genehmigungsvorbehalt für die in § 14 Abs. 1 BauGB bezeichneten Vorhaben und Maßnahmen eingeführt wird. Aktive Eingriffsbefugnisse für die Gemeinde können in der Stadtumbausatzung allerdings nicht verankert werden. Der Erlass einer Stadtumbausatzung ist vor allem dann eine Option, wenn eine konsensuale Lösung mit den Betroffenen auf Grundlage des städtebaulichen Entwicklungskonzepts nicht möglich ist.728 Der Geltungsbereich der Stadtumbausatzung kann sich auf einzelne Grundstücke beschränken, ohne dass dadurch der Charakter der Stadtumbaumaßnahme als Gesamtmaßnahme in Frage gestellt würde.729 (2) Rechtsfolgen (a) Genehmigungsvorbehalt und Zurückstellung von Vorhaben Die zentrale Rechtsfolge der Stadtumbausatzung ist die Möglichkeit der Verankerung eines Genehmigungsvorbehalts für Vorhaben i.  S.  d. §  14 Abs. 1 BauGB. Die Gemeinde darf die Genehmigung allerdings nach § 171 d Abs. 3 S. 1 BauGB nur versagen, um einen den städtebaulichen und sozialen Belangen Rechnung tragenden Ablauf der Stadtumbaumaßnahmen auf Grundlage des städtebaulichen Entwicklungskonzepts oder eines Sozialplans nach § 180 BauGB zu sichern. Nach § 171 d Abs. 3 S. 2 BauGB ist die Genehmigung jedoch zu erteilen, wenn auch unter Berück728  BT-Drs. 15 / 2250, S.  61; Fieseler, in: Krautzberger, Städtebauförderungsrecht, C § 171 d Rn. 3; Mitschang, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 171 d Rn. 4, der allerdings davon ausgeht, dass eine Stadtumbausatzung als ultima ratio nur möglich ist, wenn eine einvernehmliche Lösung nicht erreicht werden kann. 729  Möller, Siedlungsrückbau, S. 123; vgl. auch oben, 4. Kapitel, III. 3. c) bb) (1).



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 447

sichtigung des Allgemeinwohls ein Absehen von dem Vorhaben oder der Maßnahme wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit sind in erster Linie der Zustand der baulichen Anlage sowie die Nutzbarkeit des Grundstücks nach einem Abriss der Anlage von Bedeutung.730 Damit wird den Vorgaben des Art. 14 Abs. 1 GG Rechnung getragen.731 Wirtschaftliche Unzumutbarkeit wir sich regelmäßig dann ergeben, wenn vom Eigentümer der Rückbau eines leer stehenden Gebäudes beantragt wurde, was in von Bevölkerungsrückgängen geprägten Gebieten häufiger der Fall sein wird.732 In solchen Fällen ist eine Genehmigung für den Abriss regelmäßig zu erteilen. § 171 d Abs. 4 BauGB sieht die entsprechende Anwendung von §§ 138, 173 und 174 BauGB auf die Stadtumbausatzung vor. Umstritten ist, ob sich daraus ein Übernahmeanspruch des Eigentümers gegen die Gemeinde nach § 173 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 40 Abs. 2 Nr. 1 BauGB ergibt, wenn die Versagung der Genehmigung für den Eigentümer wirtschaftlich unzumutbar ist. Die herrschende Meinung in der Literatur lehnt dies ab mit der Begründung, dass bei wirtschaftlicher Unzumutbarkeit die Genehmigung nach § 171 d Abs. 3 S. 2 BauGB ohnehin zu erteilen sei.733 Möller hingegen geht vom Bestehen eines Übernahmeanspruchs aus, wenn die Genehmigungsversagung objektiv zumutbar, für den Eigentümer wegen bestimmter in seiner Person liegender Gründe subjektiv jedoch unzumutbar ist.734 Dies ist aus systematischen Gründen überzeugend, da im Rahmen von § 40 Abs. 2 Nr. 1 BauGB stets auf die subjektiven Voraussetzungen des Eigentümers abzustellen ist735 und objektive und subjektive Sichtweise durchaus divergieren können. Für die Durchführung des Rückbaus bedeutet dies, dass die Gemeinde gegebenenfalls ein Grundstück übernehmen muss, wenn der Eigentümer auf Grund der Stadtumbausatzung bestimmte bauliche Änderungen nicht durchführen darf und dies für ihn eine wirtschaftliche Härte bedeutet. Dieser Punkt wird vor allem in Gegenden relevant werden, in denen sowohl Wachstumspotential als auch Bevölkerungsrückgang zu finden ist. Geht es hingegen allein um den Abriss verfallender baulicher Anlagen, spielt die Problematik kaum eine Rolle, nachdem in solchen Situationen selten Neubau- oder Modernisierungsmaßnahmen beabsichtigt werden. 730  Krautzberger, in: Battis  /  Krautzberger  /  Löhr, BauGB, 171 d Rn. 7; Möller, Siedlungsrückbau, S. 129. 731  Vgl. oben, 2. Kapitel, III. 2. a) und III. 2. b). 732  Goldschmidt, BauR 2004, 1707, 1716. 733  Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  171  d Rn. 11; Mitschang, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 171 d Rn. 20; Goldschmidt, BauR 2004, 1707, 1411. 734  Möller, Siedlungsrückbau, S. 131. 735  Vgl. Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 40 Rn. 8.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

(b) Vorkaufsrecht Zum Zwecke der Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen kann die Gemeinde eine Vorkaufssatzung nach § 25 Abs. 1 Nr. 2 BauGB erlassen, auf deren Grundlage ihr dann ein Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB zusteht. Dieses darf jedoch nach § 24 Abs. 3 S. 1 BauGB nur dann ausgeübt werden, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt. Mit Hilfe der Vorkaufssatzung kann die Gemeinde Flächen bezeichnen, an denen ihr ein Vorkaufsrecht zustehen soll. Damit kann eine Veräußerung von Grundstücken an Investoren in Gebieten vermieden werden, in denen Rückbaumaßnahmen, auch in Bezug auf die Infrastruktur, durchgeführt werden und die infolgedessen nur noch als Grünflächen genutzt werden sollen. (c) Enteignung Daneben kommt nach § 85 Abs. 1 Nr. 7 BauGB eine Enteignung in Betracht, um im Geltungsbereich einer Satzung zur Sicherung von Durchführungsmaßnahmen des Stadtumbaus eine bauliche Anlage aus den in § 171 d Abs. 3 BauGB bezeichneten Gründen zu erhalten oder zu beseitigen. Eine Enteignung kann vor allem dann in Betracht gezogen werden, wenn die Genehmigung nach § 171 d Abs. 1 BauGB wegen wirtschaftlicher Unzumutbarkeit nicht versagt werden kann736 oder der Eigentümer sich weigert, mit der Gemeinde einen städtebaulichen Vertrag über die Durchführung von Rückbaumaßnahmen abzuschließen. Anders als bei der städtebaulichen Sanierung737 ist bei Stadtumbaumaßnahmen zur Durchführung der Enteignung kein Bebauungsplan erforderlich, was der Gemeinde die Vornahme einer Enteignung erleichtert. Die Voraussetzungen einer Enteignung werden in § 87 Abs. 1 und 2 BauGB geregelt. Nach § 87 Abs. 1 BauGB ist eine Enteignung nur zulässig, wenn das Wohl der Allgemeinheit738 sie erfordert und der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann. Ein solches Allgemeinwohlerfordernis kann darin liegen, leer stehende Gebäude, welche gravierende städtebauliche Missstände hervorrufen, abzureißen. Die Erforderlichkeit einer Enteignung kann sich daraus ergeben, dass der Eigentümer jegliche Kooperation mit der Gemeinde verweigert und es gerade darauf ankommt, dass die Stadtumbaumaßnahme das betreffende Grundstück erfasst. Hinzu kommt, dass eine Enteignung nach § 87 Abs. 2 S. 1 BauGB nur dann zulässig ist, wenn sich die Gemeinde zuvor ernsthaft, aber vergeblich um den freihändigen Erwerb des zu enteignenden GrundGoldschmidt, BauR 2004, 1707, 1716. oben, 4. Kapitel, III. 3. a) ee). 738  Vgl. oben, 2. Kapitel, III. 2. c) bb) zu Art. 14 GG. 736  Vgl. 737  Vgl.



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 449

stücks bemüht hat. Im Verhältnis zu den städtebaulichen Geboten ist nach § 87 Abs. 4 BauGB nicht von einem Vorrang der städtebaulichen Gebote739 gegenüber der Enteignung auszugehen.740 In der Praxis kann sich die Enteignung gegenüber einem städtebaulichen Gebot im Einzelfall sogar als das mildere Mittel erweisen.741 hh) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Die Regelungen des Stadtumbaurechts sind grundsätzlich dazu geeignet, den Herausforderungen des demografischen Wandels, insbesondere dem Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen, wirkungsvoll zu begegnen. Anders als das Sanierungsrecht geht das Stadtumbaurecht schon in seiner gesetzlichen Konzeption etwa in § 171 a Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB davon aus, dass der Rückbau von Gebäuden ein zulässiges Ziel ist, während das Sanierungsrecht in erster Linie auf die Modernisierung und Wiedernutzbarmachung von Gebäuden und Flächen abzielt.742 Hinzu kommt, dass das Stadtumbaurecht, anders als das Sanierungsrecht, tendenziell gesamtstädtisch ausgerichtet ist und einen Umbau „von außen nach innen“ vorsieht, wodurch Infrastruktur eingespart werden kann und zugleich die Innenstädte gestärkt werden. Letzteres führt dazu, dass gerade für ältere Menschen die Wege wieder kürzer werden. Gegenüber dem Sanierungsrecht hat das Stadtumbaurecht außerdem den Vorteil, dass Enteignungen auch ohne gleichzeitigen Erlass eines Bebauungsplans durchgeführt werden können, was für die Gemeinde zeitsparender und kostengünstiger ist, ohne dass die Eigentumsfreiheit der Betroffenen gemäß Art. 14 Abs. 1 GG außer Acht gelassen würde. Darüber hinaus setzt das Stadtumbaurecht auf konsensuale Lösungen, was seine Akzeptanz in der Bevölkerung erhöht.743 Hierin kann allerdings auch ein Nachteil in Bezug auf die Durchsetzbarkeit liegen.744 Wo die betroffenen Grundstückseigentümer zu einem Vertragsschluss nicht bereit sind, bleibt als ultima ratio nur die Enteignung, was für die Gemeinde ein 739  Ausführlich

dazu unten, 4. Kapitel, III. 3. d). auch BVerwG, Urt. v. 14.02.1990 – 4 C 45 / 87 –, NVwZ 1990, 663, 664; Wünschmann, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 87 Rn. 77. 741  Halama, in: Schlichter / Stich / Driehaus / Paetow, Berliner Kommentar zum BauGB, § 87 Rn. 102; Runkel, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 87 Rn. 127. 742  Vgl. oben, 4. Kapitel, III. 3. a) bb) (4). 743  Befürwortend auch Schmidt-Eichstaedt, FS Krautzberger, S. 345, 349. 744  Zu Erfahrungen aus der Praxis, vgl. BMVBS, Evaluierung des Bund-LänderProgramms Stadtumbau Ost, Stellungnahme und Empfehlungen der Lenkungsgruppe, S. 142. 740  So

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

langwieriges Verfahren und hohe Kosten bedeuten kann. Ein weiteres Defizit des Stadtumbaurechts sind seine eingeschränkten Steuerungsmechnismen. Der Genemigungsvorbehalt des § 171 d Abs. 1 BauGB ist lediglich auf faktische Maßnahmen, nicht aber auf rechtliche Veränderungen anwendbar. Daher kann eine Veräußerung von im Stadtumbaugebiet gelegenen Grundstücken nicht vermieden werden. Eine unerwünschte Neubebauung droht aber zumindest so lange nicht, wie die Stadtumbausatzung mit ihrem Genehmigungsvorbehalt in Kraft ist. Entschädigungsforderungen ist die Gemeinde im Rahmen des Stadtumbaus grundsätzlich nicht ausgesetzt, zumal auch im Rahmen der Enteignung eine Entschädigung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 95 Abs. 2 Nr. 7 i. V. m. § 43 Abs. 4 Nr. 1 oder Nr. 2 BauGB entfallen kann. Entschädigungskosten können lediglich dann entstehen, wenn durch den Rückbau ehemals dem unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB zuzuordnende Flächen zu Außenbereichsflächen i. S. v. § 35 BauGB werden und die betroffenen Eigentümer dafür Entschädigung verlangen.745 Dem kann die Gemeinde dadurch begegnen, dass sie entsprechende Ansprüche durch einen städtebau­ lichen Vertrag nach § 171 c S. 2 Nr. 2 BauGB ausschließt, was freilich Kooperationsbereitschaft von Seiten der Eigentümer voraussetzt. ii) Einführung eines Monitoring-Systems de lege ferenda Auch im Bereich des Stadtumbaus bietet sich die Einführung eines Monitoring-Systems an, insbesondere bei der Fortschreibung des präventiv angelegten städtebaulichen Entwicklungskonzeptes.746 Ziele eines Stadtumbaumonitorings sind die Erfassung und Darstellung städtebaulich relevanter Vorgänge, die Unterstützung der strategischen Planung, die Verlaufsbeobachtung und Frühwarnung, das Aufzeigen städtebaulicher Wechselwirkungen und Problemverschiebungen in Folge der eingetretenen Entwicklung bzw. durchgeführter Stadtumbaumaßnahmen sowie die Evaluierung der Ergebnisse von Stadtumbaumaßnahmen.747 Im Zusammenhang mit dem Programm „Stadtumbau Ost“ wurden solche Monitoring-Systeme auf Initiative der Länder bzw. einzelner Städte entwickelt,748 ohne dass es jedoch zu einer 745  Zum Bestehen solcher Ansprüche, vgl. unten, 4. Kapitel, IV. 1. c); zu diesem Problem, vgl. auch Möller, Siedlungsrückbau, S. 270. 746  Vgl. auch Goldschmidt / Taubenek, Stadtumbau, Rn. 819. 747  Goldschmidt / Taubenek, Stadtumbau, Rn. 821. 748  Siehe dazu Ringel / Korzer / Strauß, Frühwarnsystem: zukunftsweisendes Instrument aktiver Stadtentwicklung, RaumPlanung 2005, 143, 143; BMVBS, Evaluierung des Bund-Länder-Programms Stadtumbau Ost, Stellungnahme und Empfehlungen der Lenkungsgruppe, S. 153; exemplarisch für Halle, Weber, EurUP 2006, 79, 82; Werheit, Monitoring einer nachhaltigen Stadtentwicklung, S. 49 ff. 



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 451

Verankerung des Stadtumbaumonitorings im Baugesetzbuch gekommen ist. Daher liegt es im Belieben der einzelnen Gemeinden, ob sie ihr städtebauliches Entwicklungskonzept einem Monitoring-Verfahren unterwerfen oder nicht. Angesichts des Stellenwertes, den das städtebauliche Entwicklungskonzept im Rahmen des Stadtumbaus einnimmt, erscheint es jedoch geboten, eine entsprechende Überarbeitungs- und Anpassungspflicht im Baugesetzbuch zu verankern. Ein reines Monitoring-System führt allerdings nur zu einer Sammlung von Daten, die unvernetzt nebeneinander stehen. Daher erscheint es vorzugswürdig, nicht bloß ein isoliertes Monitoring-System zu entwickeln, sondern dieses vielmehr in ein weiter gehendes Frühwarnsystem zu integrieren.749 Im Gesetz sollte lediglich die Einsetzung eines Frühwarnund Kontrollsystems verankert werden, während die konkrete Ausgestaltung schon auf Grund der regionalen Besonderheiten den Gemeinden selbst überlassen bleiben muss. In der Praxis müssen Stadtentwicklungsprozesse messbar gemacht werden, was grundsätzlich mit Hilfe von Indikatoren geschieht.750 Als mögliche Indikatoren können hierbei die Bevölkerungsstruktur, der Wohnungs- und Immobilienmarkt sowie die Substanz und Funktion eines Stadtteils herangezogen werden.751 Bei der Umsetzung des Frühwarnund Kontrollsystems dürfen darüber hinaus die Belange des Datenschutzes nicht unberücksichtigt bleiben, was insbesondere bei der Weitergabe von Daten zwischen Behörden oder innerhalb einer Behörde zu beachten ist.752 d) Städtebauliche Gebote aa) Allgemeines Städtebauliche Gebote kommen dann zur Anwendung, wenn konsensuale Maßnahmen versagt haben. Gemeinsam ist sämtlichen städtebaulichen Geboten, dass nach § 175 Abs. 1 S. 1 und S. 2 BauGB vor dem eigentlichen Erlass des Gebotes eine Erörterung mit den Betroffenen und eine Beratung über die Durchführung und Finanzierung stattfinden soll, in deren Folge die Betroffenen sich möglichst selbst zur Durchführung der Maßnahme, jedenfalls aber zu deren Duldung, bereit erklären sollen.753 Lege bezeichnet dies 749  Ausführlich dazu, vgl. Ringel / Korzer / Strauß, Frühwarnsystem: zukunftsweisendes Instrument aktiver Stadtentwicklung, RaumPlanung 2005, 143, 144 ff.  750  Eingehend dazu, Goldschmidt / Taubenek, Stadtumbau, Rn. 830 ff. 751  Goldschmidt / Taubenek, Stadtumbau, Rn. 833. 752  Goldschmidt / Taubenek, Stadtumbau, Rn. 837. 753  BVerwG, Urt. v. 15.02.1990 – 4 C 41 / 87 –, NVwZ 1990, 658, 659; vgl. auch Oehmen, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 175 Rn. 1 ff.; Köhler, in: Schrödter, BauGB, § 175 Rn. 9.

452

4. Kap.: Bauplanungsrecht

zu Recht als eine „Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche“.754 Die eigentliche Durchsetzung des Gebots soll erst als letztes Mittel Betracht kommen. Wenngleich sich die verschiedenen städtebaulichen Gebote in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen erheblich unterscheiden, liegt ihnen allen ein einheitliches Konzept dahin gehend zu Grunde, dass sie nicht als Gesamtmaßnahmen zu verstehen sind, sondern sich gegen einzelne Eigentümer richten. In der Praxis spielen städtebauliche Gebote bislang eine untergeordnete Rolle, was vor allem an ihrer Komplexität liegt.755 Nach ihrer gesetzlichen Konzeption ist dagegen eine Anwendung im großen Stil nicht ausgeschlossen.756 bb) Anwendungsvoraussetzungen § 175 BauGB legt allgemeine Voraussetzungen für die Anwendung sämtlicher städtebaulicher Gebote fest. Während § 175 Abs. 1 BauGB eine Erörterung mit den Betroffenen sowie eine Beratung über Durchführung und Finanzierungsmöglichkeiten aus öffentlichen Kassen vorsieht, verlangt § 175 Abs. 2 BauGB, dass die alsbaldige Durchführung der Maßnahmen aus städtebaulichen Gründen erforderlich ist. Einigkeit besteht darüber, dass für die Annahme der Erforderlichkeit in § 175 Abs. 2 BauGB strengere Voraussetzungen gelten als bei § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB.757 Es müssen demnach auch bei Vorliegen eines Bebauungsplans städtebauliche Gründe gegeben sein, die in ihrem Gewicht über die für die Aufstellung eines Bebauungsplans sprechenden Gründe hinausgehen.758 Allein wohnungswirtschaftliche Gründe reichen daher nicht aus.759 Hierin liegt ein Problem bei der Anwendung jeglicher städtebaulicher Gebote, da sich städtebauliche und wohnungswirtschaftliche Gründe nicht immer strikt trennen lassen.760 Im Rahmen von Stadtumbaumaßnahmen, die sich auf ein städtebauliches Entwicklungskonzept stützen, werden städtebauliche Gründe in aller Regel 754  Lege,

NVwZ 2005, 880, 882. UPR 2012, 50, 50 zu § 179 BauGB; Lege, NVwZ 2005, 880,

755  Goldschmidt,

881.

756  Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg, Rechts- und Verfahrensinstrumente beim Stadtumbau, S. 49 f. 757  BVerwG, Urt. v. 15.02.1990 – 4 C 41  / 87 –, NVwZ 1990, 658, 661; Lege, NVwZ 2005, 880, 882; in diese Richtung auch Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 175 Rn. 5. 758  BVerwG, Urt. v. 15.02.1990 – 4 C 41 / 87 –, NVwZ 1990, 658, 661. 759  BT-Drs. 7 / 4793, S.  11; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 175 Rn. 5. 760  Goldschmidt, in: Hoppenberg / de Witt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Bd. 1, Kapitel C, Rn. 688.



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 453

gegeben sein.761 Darüber hinaus müssen die städtebaulichen Gründe die privaten Belange, die gegen die sofortige Planverwirklichung vorgetragen werden, bei der Abwägung im Einzelfall überwiegen.762 Im Zusammenhang mit dem Rückbau kann sich das öffentliche Interesse am Erlass eines städtebaulichen Gebots beispielsweise daraus ergeben, dass Leerstände vermieden werden sollen.763 cc) Gebote im Zusammenhang mit dem Rückbau (1) Bau- und Anpassungsgebot Das Bau- und Anpassungsgebot kommt nach § 176 Abs. 1 BauGB zur Anwendung, wenn der Eigentümer zur Bebauung seines Grundstücks entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans (Nr. 1) oder zur Anpassung eines vorhandenen Gebäudes oder einer sonstigen baulichen Anlage an die Festsetzungen des Bebauungsplans (Nr. 2) bewegt werden soll. Es handelt sich dabei um eine Verpflichtung des Eigentümers zum aktiven Tätigwerden, das gegebenenfalls mit vollstreckungsrechtlichen Mitteln und einer Anschlussenteignung nach § 176 Abs. 8 BauGB durchgesetzt werden kann. Das Baugebot setzt grundsätzlich einen Bebauungsplan voraus, kann jedoch im unbeplanten Innenbereich nach § 176 Abs. 2 BauGB auch zur Schließung von Baulücken genutzt werden. Im Zusammenhang mit dem Stadtumbau in Folge des demografischen Wandels kommt ein Baugebot dort in Betracht, wo eine Nachnutzung angestrebt wird, die sich von der ursprünglichen Nutzung unterscheidet. Auch der Teilrückbau eines Gebäudes kann mit Hilfe des Anpassungsgebots verwirklicht werden.764 Zweifelhaft ist, ob mit Hilfe eines Bau- und Anpassungsgebots der Rückbau von Gebäuden auf Kosten des Eigentümers bewirkt werden kann. Schmidt-Eichstaedt765 erwägt die Herleitung eines solchen faktischen Abrissgebots auf Kosten des Eigentümers auf Grundlage einer historischen Auslegung des § 176 Abs. 1 BauGB. Dabei verweist er auf § 19 StBauFG, der ein Abrissgebot enthielt, welches grundsätzlich vor dem Baugebot (§ 20 StBauFG) und dem Modernisierungsgebot (§ 21 StBauFG) zur Anwendung kam. Das Anpassungsgebot des § 176 Abs. 1 Nr. 2 BauGB könne nunmehr 761  Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg, Rechts- und Verfahrensinstrumente beim Stadtumbau, S. 49. 762  BT-Drs. 7  /  4793, S. 11; BVerwG, Beschl. v. 03.08.1989 – 4 B 70  /  89 –, NVwZ 1990, 60; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 175 Rn. 5. 763  Möller, Siedlungsrückbau, S. 256. 764  Möller, Siedlungsrückbau, S. 257. 765  Schmidt-Eichstaedt, DVBl. 2004, 265, 266.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

durch das Rückbaugebot des § 179 BauGB nicht verdrängt werden, da dieses in Wahrheit nur ein Rückbauduldungsgebot enthalte.766 Schmidt-Eich­ staedt selbst wendet gegen eine solche Auslegung jedoch zu Recht ein, dass eine Interpretation des Anpassungsgebots als Abrissgebot nicht möglich sei, nachdem § 176 Abs. 5 BauGB als lex specialis ausdrücklich regle, unter welchen Voraussetzungen ein Eigentümer auf Grund eines städtebaulichen Gebots zur Beseitigung einer baulichen Anlage auf seine eigenen Kosten verpflichtet sei, nämlich nur dann, wenn ohne die Beseitigung die Durchführung eines rechtmäßig ergangenen, d. h. nach § 176 Abs. 3 BauGB wirtschaftlich zumutbaren, Baugebots nicht möglich sei.767 Daher könne ein Eigentümer aus städtebaulichen Gründen nur dann zur Beseitigung einer baulichen Anlage auf seine Kosten verpflichtet werden, wenn die Maßnahme für ihn wirtschaftlich zumutbar sei und sie zugleich der Vorbereitung einer baulichen Maßnahme diene, welche aus städtebaulichen Gründen alsbald erforderlich ist.768 Objektiv wirtschaftlich unzumutbar ist die Durchführung einer Maßnahme dann, wenn sie schlechterdings keinem vernünftig handelnden Eigentümer zugemutet werden kann.769 Die Gemeinde kann die wirtschaftliche Zumutbarkeit beeinflussen, indem sie eine entsprechende Abbruchförderung sowie eine Förderung für etwaige Aufwertungsmaßnahmen gewährt.770 Der Abriss auf Kosten des Eigentümers scheitert in Rückbaugebieten jedoch letztlich daran, dass § 176 Abs. 5 S. 1 BauGB eine bauliche Nachnutzung verlangt,771 die Gemeinde im Zuge des Rückbaus im Bebauungsplan jedoch kaum eine solche festsetzen wird, wenn ohnehin klar ist, dass auf Grund des Bevölkerungsrückgangs eine Bebauung künftig nicht mehr angestrebt wird. Weiterhin ist im Zusammenhang mit § 176 Abs. 5 BauGB grundsätzlich zu bedenken, dass der selbst beseitigende Eigentümer für etwaige ausfallende Einnahmen nach § 176 Abs. 5 S. 2 i. V. m. § 179 Abs. 3 S. 1 BauGB zu entschädigen ist, was allerdings in Leerstandsgebieten kaum relevant werden wird, nachdem fiktive Einnahmen nicht berücksichtigungsfähig sind.772 Weitaus problematischer für die Gemeinde dürfte sein, dass ein Baugebot zumindest die Aufstellung eines einfachen773 Bebauungsplans erfordert und 766  Schmidt-Eichstaedt,

DVBl. 2004, 265, 266. DVBl. 2004, 265, 266. 768  Schmidt-Eichstaedt, DVBl. 2004, 265, 266. 769  Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 176 Rn. 8. 770  Möller, Siedlungsrückbau, S. 261; vgl. auch Runkel, ZfBR 1990, 163, 165. 771  Vgl. dazu auch Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 176 Rn. 91. 772  Schmidt-Eichstaedt, DVBl. 2004, 265, 268. 773  Krautzberger, in: Battis  / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 176 Rn. 3 u. 6; Köhler, in: Schrödter, BauGB, § 176 Rn. 5. 767  Schmidt-Eichstaedt,



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 455

deswegen Ansprüche des Eigentümers nach dem Planungsschadensrecht entstehen können. Hinzu kommt, dass die Gemeinde das Grundstück nach § 176 Abs. 4 S. 1 BauGB gegebenenfalls gegen Verkehrswertentschädigung übernehmen muss, wenn der Eigentümer glaubhaft macht, dass ihm die Durchführung des Vorhabens aus wirtschaftlichen Gründen subjektiv nicht zuzumuten ist, wobei fiktive Einnahmeausfälle wegen Leerstands auch hier nicht entschädigt werden müssen.774 Entsprechendes gilt nach § 176 Abs. 4 S. 2 BauGB i. V. m. § 43 Abs. 4 Nr. 2 BauGB dann, wenn städtebauliche Missstände im Sinne des Sanierungsrechts bestehen und die Nutzung des Grundstücks zu diesen Missständen wesentlich beiträgt. Wenngleich in Schrumpfungsregionen Gebäude, die abgerissen werden sollen, ohnehin häufig leer stehen und die zu leistende Entschädigung allenfalls gering ausfällt, macht allein das Risiko der Entschädigungsverpflichtung das Bau- und Anpassungsgebots für die Gemeinde zu einem unattraktiven Instrument. Dies gilt umso mehr angesichts der Finanznot vieler Gemeinden in den vom Bevölkerungsrückgang betroffenen Gebieten. Ein weitgehend ersatzfreier Rückbau auf Kosten des Eigentümers kommt allein über § 176 Abs. 6 BauGB in Betracht. Danach kann das Bau- oder Anpassungsgebot auch dann angeordnet werden, wenn der Bebauungsplan eine andere als bauliche Nutzung vorsieht, wobei § 176 Abs. 1 und 3–5 BauGB entsprechend gelten, d. h. der Abbruch der baulichen Anlage erforderlich sein kann, auch wenn laut Bebauungsplan keine bauliche Nachnutzung angestrebt wird. Zwar sollen dadurch in erster Linie Nebenanlagen wie Spiel-, Stell- oder Lagerplätze ermöglicht werden,775 doch kommt prinzipiell jede der in § 9 Abs. 1 BauGB genannten Nutzungen, die keine Bebauung voraussetzt und nicht öffentlichen Zwecken dienen soll, in Betracht.776 Damit kann der Abbruch eines Gebäudes auf Kosten des Eigentümers erreicht werden, wenn eine entsprechende Nachnutzung abwägungsfehlerfrei im Bebauungsplan ausgewiesen werden kann. In Rückbaugebieten wird angesichts der dortigen Bevölkerungssituation für eine Nachnutzung höchstens in Einzelfällen Bedarf bestehen, so dass ein Abbruch auf Kosten des Eigentümers selten möglich ist. Insgesamt lässt sich daher sagen, dass das Bau- und Anpassungsgebot zur Durchführung demografisch veranlasster Rückbaumaßnahmen kein wirksames Instrument darstellt, was zum einen daran liegt, dass es auf die Herbei774  Schmidt-Eichstaedt,

DVBl. 2004, 265, 268. in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 176 Rn. 11. 776  Möller, Siedlungsrückbau, S.  259; Lemmel, in: Schlichter / Stich / Driehaus /  Paetow, Berliner Kommentar zum BauGB, § 176 Rn. 22; etwas anderes gilt nur für Bepflanzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 25 BauGB, für die das in § 178 BauGB verankerte Pflanzgebot lex specialis ist. 775  Krautzberger,

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

führung einer Nachnutzung gerichtet ist, die in Zeiten rückläufiger Bevölkerungsentwicklung gerade nicht bezweckt wird, und zum anderen, dass seine Durchführung für die Gemeinde mit erheblichem Aufwand und zumindest latenten finanziellen Risiken verbunden ist. (2) Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot (a) Inhalt und Problematik Nach § 177 Abs. 1 S. 1 BauGB kann die Gemeinde ein Modernisierungsoder Instandsetzungsgebot anordnen, wenn eine bauliche Anlage nach ihrer inneren oder äußeren Beschaffenheit Missstände oder Mängel aufweist, deren Beseitigung oder Behebung durch Modernisierung oder Instandsetzung möglich ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fällt der Abbruch von Gebäuden oder ihre Neuerrichtung nicht mehr unter die Begriffe „Instandsetzung“ oder „Modernisierung“.777 Daher kann die Norm nur dort zur Anwendung kommen, wo es nicht um einen Rückbau, sondern um die Erhaltung778 und Aufwertung bestehender Bausubstanz geht. Dies wird im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel hauptsächlich in Gegenden der Fall sein, in denen der Bevölkerungsrückgang moderat ausfällt, einzelne Gebäude jedoch vom Verfall bedroht sind und auf Grund dessen einen städtebaulichen Missstand hervorrufen. Weigert sich der Eigentümer, die notwendige Modernisierung bzw. Instandsetzung durchzuführen oder ist er dazu nicht in der Lage, bleibt der Gemeinde nur der Weg über die Ersatzvornahme.779 Schließlich ist zu bedenken, dass nach § 177 Abs. 4 S. 2 BauGB die Gemeinde die entstehenden Kosten zu tragen hat, wenn der Eigentümer diese seinerseits nicht aufbringen kann. Die praktische Durchführung wird dadurch behindert, dass das Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot weder einen Übernahmeanspruch des Eigentümers noch ein Enteignungsrecht der Gemeinde vorsieht, so dass, wenn eine konsensuale Lösung nicht zustande kommt, die Gemeinde diejenigen Eigentümer subventionieren muss, die sich die Renovierung nicht leisten können.780 Daran wird die Durchsetzung eines Modernisierungsoder Instandsetzungsgebot in der Praxis oft scheitern.

777  BVerwG,

Beschl. v. 27.08.1996 – 8 B 165 / 96 –, BeckRS 1996, 31223. in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 177 Rn. 1. 779  Schmitz, ZfBR 2011, 641, 645. 780  Lege, NVwZ 2005, 880, 883. 778  Krautzberger,



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 457

(b) Regelungsmöglichkeiten de lege ferenda Wenngleich das Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot nur dort sinnvoll eingesetzt werden kann, wo ein vollständiger Rückbau (noch) nicht angestrebt wird, kann dieses Instrument im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel dann Bedeutung erlangen, wenn die Möglichkeiten seiner Durchsetzung neu geregelt werden. Schmitz schlägt in diesem Zusammenhang die Einführung einer Enteignungsmöglichkeit vor, um dem städtebaulichen Gebot zu größerer Durchschlagskraft zu verhelfen.781 Nach Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG ist eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.782 § 85 Abs. 1 BauGB schreibt auf einfach-gesetzlicher Ebene vor, dass Enteignungen städtebaulichen Zwecken dienen müssen, d. h. der dem Allgemeinwohl dienende Enteignungszweck muss sich aus städtebaulichen Erwägungen ergeben, wobei rein fiskalische Gründe nicht genügen.783 Daher müsste bei einer in § 177 BauGB einzuführenden Enteignungsregelung ein solches städtebaulichen Zwecken dienendes Allgemeinwohlinteresse definiert werden, welches im Einzelfall die Durchsetzung eines Modernisierungs- und Instandsetzungsgebotes rechtfertigt.784 Im Falle verwahrloster Immobilien können die Beseitigung städtebaulicher Mängel und Missstände sowie die Wiedernutzbarmachung brach liegender Gebäude gemäß § 177 Abs. 1–3 BauGB als Allgemeinwohlbelange heran gezogen werden.785 Darüber hinaus muss eine Enteignungsregelung dem Übermaßverbot genügen. Eine Enteignung ist nur dann zulässig, wenn konsensuale Methoden zuvor erfolglos geblieben sind und überdies das öffentliche Interesse an der Behebung der Missstände gegenüber dem privaten Interesse der Grundstücks­ eigentümer überwiegt, was bei verwahrlosten Immobilien typischerweise der Fall ist.786 Der Ansatz von Schmitz, in § 177 BauGB eine Enteignungsmöglichkeit aufzunehmen, ist ambivalent zu bewerten. Einerseits würde er der Gemeinde ein Instrument an die Hand geben, mit dessen Hilfe sie Modernisierungsmaßnahmen einleiten kann, sofern aus demografischen Gründen noch Bedarf dafür besteht. Hinzu kommt, dass eine Enteignung aus städtebaulichen Gründen zumindest in den Fällen so genannter Schrottimmobilien rechtmäßig durchgeführt werden könnte, falls diese in ihrer baulichen Substanz 781  Schmitz,

ZfBR 2011, 641, 646. dazu oben, 2. Kapitel, III. 2. c) bb). 783  Halama, in: Schlichter / Stich / Driehaus / Paetow, Berliner Kommentar zum BauGB, § 87 Rn. 27; Schmitz, ZfBR 2011, 641, 646. 784  Schmitz, ZfBR 2011, 641, 646. 785  Schmitz, ZfBR 2011, 641, 646. 786  Schmitz, ZfBR 2011, 641, 647. 782  Vgl.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

erhalten werden sollen. Andererseits ist jedoch zu bedenken, dass im Falle einer Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG sowie seiner einfach-gesetzlichen Umsetzung eine Entschädigung an den bisherigen Eigentümer zu leisten ist, was das Instrument des Modernisierungs- und Instandsetzungsgebots zumindest für finanzschwache Gemeinden unattraktiv macht, es sei denn, eine Gemeinde verspricht sich durch umfassende Modernisierungen den Zuzug neuer Bewohner und damit auch eine Zunahme von Steuereinnahmen. (3) Rückbaugebot, § 179 BauGB (a) Allgemeines Die Voraussetzungen des Rückbaugebots ergeben sich aus § 179 Abs. 1 S. 1 BauGB. Danach kann die Gemeinde den Eigentümer verpflichten zu dulden, dass eine bauliche Anlage ganz oder teilweise beseitigt wird, wenn sie den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht entspricht und ihnen nicht angepasst werden kann (Nr. 1) oder wenn sie Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 S. 1 BauGB aufweist, die auch durch eine Modernisierung oder Instandsetzung nicht behoben werden können (Nr. 2). Die erforderlichen Mängel oder Missstände dürfen noch nicht so gravierend sein, dass der Bestandsschutz bereits verloren gegangen ist.787 Im Zusammenhang mit dem Rückbau werden nicht behebbare Mängel i. S. v. § 179 Abs. 1 Nr. 2 BauGB regelmäßig nur dann anzunehmen sein, wenn die bauliche Anlage kurz vor dem Verfall steht und der Bestandsschutz in Kürze endet.788 Zusätzlich muss der alsbaldige Rückbau gemäß § 175 Abs. 2 BauGB aus städtebaulichen Gründen erforderlich sein. Solche städtebaulichen Voraussetzungen können dann gegeben sein, wenn der vorhandene Zustand die städtebauliche Entwicklung, etwa in Form des Stadtumbaus, hemmt und ein städtebauliches Entwicklungskonzept nach § 171 b Abs. 2 BauGB nicht plangemäß umgesetzt werden kann.789 Daneben muss nach § 179 Abs. 2 S. 1 BauGB beim Rückbau von Wohnraum angemessener Ersatzwohnraum für die Bewohner unter zumutbaren Bedingungen zur Verfügung stehen. Nach § 179 Abs. 1 S. 4 BauGB bleibt das Recht des Eigentümers, die Beseitigung der baulichen Anlage selbst vorzunehmen, unberührt. Die Ver787  Goldschmidt,

UPR 2012, 50, 52. UPR 2012, 50, 52; in diese Richtung auch Köhler, in: Schrödter, BauGB, § 179 Rn. 7. 789  Goldschmidt, BauR 2006, 318, 322; zur Frage der städtebaulichen Erforderlichkeit vgl. auch Köhler, in: Schrödter, BauGB, § 179 Rn. 8. 788  Goldschmidt,



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 459

pflichtung zur Selbstvornahme kann Inhalt eines städtebaulichen Vertrages nach § 171 c Nr. 1 BauGB sein, in dessen Rahmen auch die Kostenerstattung geregelt werden kann. Die Kosten des Rückbaus trägt nach der bisherigen gesetzlichen Konzeption grundsätzlich die Gemeinde. Dementsprechend kann im Falle der Selbstvornahme durch den Eigentümer die Kostenerstattung durch die Gemeinde bei Bedarf vertraglich vereinbart werden. § 179 Abs. 3 S. 1 BauGB gibt dem Eigentümer, Mieter, Pächter und sonstigen Nutzungsberechtigten einen Anspruch gegen die Gemeinde auf Entschädigung für Vermögensnachteile, die durch die Beseitigung entstehen. Im Falle von Missständen oder Mängeln der baulichen Anlage i. S. v. § 177 Abs. 2 und 3 BauGB kommt grundsätzlich ein Entschädigungsausschluss nach § 179 Abs. 3 S. 3 i. V. m. § 43 Abs. 4 Nr. 1 oder Nr. 2 BauGB in Betracht. Darüber hinaus wird der Entschädigungswert häufig auf Null reduziert sein, wenn die vorhandene bauliche Anlage den Wert des Grundstücks mindert,790 weil sie einer wirtschaftlich zweckmäßigen Verwendung des Grundstücks entgegensteht oder diese erschwert.791 Dies gilt insbesondere in Bezug auf Gebäude, welche ihre ursprüngliche Funktion verloren haben und vom Verfall bedroht sind. Auf Grundlage von § 179 Abs. 3 S. 1 BauGB erfolgt ein Ausgleich der von der Gemeinde zu tragenden Rückbaukosten mit einem aus dem Abbruch entstehenden Vorteil. Dabei mindert ein durch den Abbruch bewirkter Vermögensvorteil des Eigentümers seine Entschädigungsforderung oder lässt sie sogar ganz entfallen.792 Nach § 179 Abs. 3 S. 2 BauGB schließlich kann der Eigentümer an Stelle der Entschädigung von der Gemeinde die Übernahme des Grundstücks verlangen, wenn es ihm mit Rücksicht auf das Rückbau- oder Entsiegelungsgebot wirtschaftlich nicht mehr zuzumuten ist, das Grundstück zu behalten. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn jedwede bauliche Nutzung entfallen ist,793 eine häufige Konstellation in von Bevölkerungsrückgängen geprägten Gebieten. Der Entschädigungsanspruch bei der Übernahme richtet sich nach § 179 Abs. 3 S. 3 i. V. m. § 43 Abs. 1, 2, 4, und 5 sowie § 44 Abs. 3 und 4 BauGB. Dabei sind Vermögensvorteile in Folge der Übernahme nach § 43 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 S. 1 BauGB zu berücksichtigen. Solche Vermögensvorteile ergeben sich durch den Rückbau wiederum dadurch, dass der Eigentümer die bauliche Anlage nicht mehr auf eigene Kosten zurückbauen muss oder das Grundstück in Folge des Abris790  Vgl.

54.

auch Möller, Siedlungsrückbau, S. 266; Goldschmidt, UPR 2012, 50,

791  BGHZ

48, 193, 196 f. Bielenberg / Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 179 Rn. 50; Köhler, in: Schrödter, BauGB, § 179 Rn. 19. 793  Goldschmidt, BauR 2006, 318, 322. 792  Vgl.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

ses verwahrloster Gebäude an Wert gewinnt.794 Wurde durch den Bebauungsplan die zulässige Nutzung eines Grundstücks aufgehoben und durch eine andere privatnützige Nutzung ersetzt, besteht auch ein Übernahme­ anspruch gegen die Gemeinde nach § 42 Abs. 9 BauGB.795 (b) Rechtslage vor Inkrafttreten der BauGB-Novelle 2013 (α) Inhalt der gesetzlichen Regelung Das Rückbaugebot enthielt nach seiner bis zum Inkrafttreten der BauGBNovelle 2013 geltenden Fassung die Formulierung „im Geltungsbereich eines Bebauungsplans“ und war damit streng planakzessorisch796 ausgestaltet, weshalb es im unbeplanten Innenbereich nicht zur Anwendung kommen konnte. Bei der Aufstellung des Bebauungsplans war daher zu beachten, dass sich der Entzug der baulichen Nutzungsmöglichkeiten im Ergebnis ähnlich wie eine Enteignung auswirken kann und deshalb die Belange des Grundstückseigentümers vor dem Hintergrund von Art. 14 Abs. 1 GG bei der Abwägung in besonderer Weise zu berücksichtigen waren.797 Anders als die übrigen städtebaulichen Gebote enthielt und enthält das Rückbaugebot nach § 179 BauGB zudem keine Verpflichtung des Eigentümers zum aktiven Tun, sondern es begründet lediglich eine Duldungspflicht. Dem Eigentümer konnte damit auferlegt werden, den Abriss oder Teilabriss einer auf seinem Grundstück befindlichen baulichen Anlage auf Kosten der Gemeinde hinzunehmen.798 Die Durchführung des Abbruchs oblag der Gemeinde selbst bzw. einem von ihr beauftragten Dritten, wobei der unanfechtbare Verwaltungsakt, der das Rückbaugebot enthält, den dafür notwendigen öffentlich-rechtlichen Duldungstitel darstellte. Die durch den Abbruch entstehenden Kosten waren danach bislang ausschließlich von der Gemeinde zu tragen,799 da die bisherige Fassung des § 179 BauGB – anders als die im September 2013 in Kraft getretene Regelung – keine Kostenbeteiligung des Eigentümers vorsah. 794  Goldschmidt,

BauR 2006, 318, 322. in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  179 Rn. 53; Goldschmidt, BauR 2006, 318, 322. 796  Vgl. BMVBS, Berliner Gespräche zum Städtebaurecht, Bd. I: Bericht, November 2010, S. 64; Goldschmidt, UPR 2012, 50, 50; Groth / Münzing, LKV 2012, 213, 213. 797  Goldschmidt, UPR 2012, 50, 51. 798  Bielenberg / Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  179 Rn. 14; Lege, NVwZ 2005, 880, 884. 799  BT-Drs. 13 / 6392, S. 73; vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 27.05.2004 – 7 a D 55 / 03 –, BauR 2004, 1742, 1743. 795  Bielenberg / Stock,



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 461

(β) Probleme Die bisherige gesetzliche Regelung war vor allem aus zweierlei Gründen problematisch. Erstens führte die strenge Planakzessorietät des Rückbaugebots dazu, dass ein solches nicht erlassen werden konnte, wenn die bauliche Anlage im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB belegen war, was gerade bei so genannten Schrottimmobilien, d. h. verwahrlosten, gänzlich oder teilweise leer stehenden Immobilien, häufig der Fall ist.800 Das zweite Problem war die Kostentragung. Nach der bisherigen Konzeption musste der Eigentümer den Rückbau lediglich dulden, während die Gemeinde allein die Kosten dafür zu tragen hatte. Angesichts der prekären finanziellen Lage vieler Gemeinden gerade in vom Bevölkerungsrückgang besonders stark betroffenen Regionen liegt es auf der Hand, dass die Gemeinden von der Anwendung des § 179 BauGB größtenteils absahen.801 Zu bedenken ist dabei, dass es eigentlich Sache des Eigentümers wäre, die erforderliche Instandhaltung oder Modernisierung durchzuführen, der Eigentümer aber meist nicht willens und / oder nicht in der Lage ist, die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Hinzu kommt, dass die durch den Rückbau verursachte Wertsteigerung des Grundstücks nur dann berücksichtigt werden konnte, wenn der Eigentümer Entschädigungsansprüche nach § 179 Abs. 3 S. 1 BauGB geltend machte.802 In allen übrigen Fällen blieb die hoheitlich bewirkte Wertsteigerung unberücksichtigt. Der Eigentümer konnte, falls er an seinem Grundstück überhaupt noch Interesse zeigte, dieses nach dem Abriss etwaiger verfallender Gebäude zu einem wesentlich höheren Preis an Dritte veräußern, als dies bei Vorhandensein einer Schrottimmobilie möglich gewesen wäre. Dies gilt freilich nur dort, wo der Bevölkerungsrückgang noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass sich selbst für unbebaute Grundstücke keine Kaufinteressenten mehr finden. (γ) Lösungsvorschläge in der Literatur In der Literatur existierten schon vor der BauGB-Novelle 2013 zahlreiche Vorschläge für eine Änderung des § 179 BauGB. Angedacht wurde dabei eine Ausgestaltung von § 179 BauGB als aktives Rückbaugebot oder zumindest die Einführung einer Wertausgleichspflicht zu Lasten des Eigentümers. Schmidt-Eichstaedt sprach sich dafür aus, eine Pflicht zur Beseitigung durch den Eigentümer selbst oder auf seine Kosten bzw. unter Erstattung seiner 800  Groth / Münzing,

LKV 2012, 213, 214. LKV 2012, 213, 214. 802  Bielenberg / Stock, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  179 Rn. 50. 801  Groth / Münzing,

462

4. Kap.: Bauplanungsrecht

nicht rentierlichen Kosten in folgenden drei Konstellationen einzuführen, soweit der Abriss oder Rückbau für den Eigentümer wirtschaftlich zumutbar ist:803 Erstens, wenn die Abriss- oder Rückbaukosten geringer sind als die Kosten für die Unterhaltung der Anlage. Zweitens, wenn die Abriss- oder Rückbaukosten aus künftigen Erträgen desselben Grundstücks gedeckt werden können. Und schließlich drittens, wenn Rückbaumaßnahmen nicht ohne Managementleistungen des Eigentümers möglich sind und ihm alle nicht rentierlichen Kosten erstattet werden. Eine Kostentragung des Eigentümers lehnte Schmidt-Eichstaedt allerdings für den Fall ab, dass durch den Abriss maroder baulicher Anlagen der Bodenwert spiegelbildlich steigt.804 Er begründete dies damit, dass vor dem Hintergrund von Art. 14 Abs. 1 GG der Eigentümer nicht ohne besondere Rechtfertigung dazu gezwungen werden könne, bargeldwerte Aufwendungen, d. h. die Kosten der Beseitigung gegen eine in seinem Vermögen nur hypothetisch vorhandene Bodenwertsteigerung einzutauschen.805 Dies ist überzeugend, zumal gerade in strukturschwachen Gegenden eine Bodenwertsteigerung mangels Kaufinteressenten häufig nur schwer zu beziffern sein wird. Abhilfe leisten könnte allenfalls eine großzügige Härtefallregelung. Weiterhin sprach sich Schmidt-Eichstaedt dafür aus, die Eigentümer auf Grundlage eines gebietsbezogenen Konzepts anteilig an den Kosten der Abrissmaßnahmen zu beteiligen, da der Wohnungsleerstand einen gebietsbezogenen, nicht bloß einen grundstücksbezogenen, städtebaulichen Missstand begründe.806 Dagegen lässt sich allerdings einwenden, dass das Rückbaugebot, anders als die Sanierungsmaßnahme, gerade keine städtebauliche Gesamtmaßnahme darstellt und das Erfordernis eines gebietsbezogenen Konzeps daher systemfremd ist. Vielmehr erlauben bereits gebäudebezogene Missstände den Erlass eines Rückbaugebots nach § 179 BauGB, wenngleich einzugestehen ist, dass § 175 Abs. 2 BauGB städtebauliche, d. h. gebietsübergreifende Gründe erfordert, damit der Anwendungsbereich der städtebaulichen Gebote überhaupt eröffnet ist. Daraus ergibt sich, dass auf Grundlage der von Schmidt-Eichstaedt entwickelten Konzeption eine Beteiligung des Eigentümers insbesondere dann in Betracht kommen sollte, wenn die Abriss- oder Rückbaukosten geringer sind als die Kosten für die Unterhaltung der Anlage. Dies wäre auch mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar, da bei der Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen ist, dass es sich bei den Unterhal803  Schmidt-Eichstaedt,

DVBl. DVBl. 805  Schmidt-Eichstaedt, DVBl. 806  Schmidt-Eichstaedt, DVBl. 804  Schmidt-Eichstaedt,

2004, 2004, 2004, 2004,

265, 265, 265, 265,

269. 269 f. 270. 270.



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 463

tungskosten um unwirtschaftliche Aufwendungen handelt. So kann auch der Geschädigte im Zivilrecht die für die Reparatur seines KFZs anfallenden Reparaturkosten dann nicht mehr vom Schädiger ersetzt verlangen, wenn diese den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs um mehr als 30 % übersteigen.807 Freilich liegt im Fall des Rückbaugebots die Problematik etwas anders, da der Eigentümer dort nicht entschädigt wird, sondern selbst Kosten übernehmen soll. Doch auch hier wird man sagen müssen, dass durch den Abbruch, ebenso wie im Falle des Anspruchs auf Ersatz der Reparaturkosten, sein Vermögen letztlich gemehrt wird. Daneben ermöglicht es die Sozialbindung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG, dem Eigentümer Handlungspflichten aufzuerlegen.808 Daraus ergibt sich, dass nach dieser Konzeption zumindest in den Fällen, in denen die bauliche Anlage zwar noch bestandsgeschützt, aber bereits stark verwahrlost ist, der Eigentümer zur Kostentragung verpflichtet werden kann. Ein anderer, im Rahmen der Berliner Gespräche zum Städtebaurecht entwickelter Ansatz ging dahin, den Eigentümer der verwahrlosten Immobilie als Verhaltens- oder Zustandsstörer zu betrachten und dementsprechend zur Tragung der Abbruchkosten zu verpflichten.809 Problematisch daran ist jedoch, dass es sich dabei um eine Rechtsfigur aus dem Sicherheits- und Ordnungsrecht handelt, die sich auf das Bauplanungsrecht nicht ohne Weiteres übertragen lässt, nachdem das Bauplanungsrecht keine Störereigenschaft kennt. Lässt man diesen Einwand einmal außen vor, erschien eine Kostentragung nach den zur Sanierung von Altlasten entwickelten Maßstäben denkbar.810 Danach ist grundsätzlich Unverhältnismäßigkeit anzunehmen, wenn der finanzielle Aufwand für die Sanierung des Grundstücks den Verkehrswert desselben nach Abschluss der Sanierung übersteigt.811 Auf den Rückbau übertragen bedeutet dies, dass eine Kostentragung des Eigentümers nur insoweit in Betracht kommt, als die Abbruchkosten nicht den Verkehrswert des Grundstücks nach Abschluss des Abbruchs übersteigen. Daher wäre die Kostentragung durch den Eigentümer insbesondere dort unverhältnismäßig, wo die Grundstückspreise mangels Nachfrage sehr niedrig liegen. Gerade in strukturschwachen und von Bevölkerungsrückgängen geprägten Regionen ist dies in bestimmten Fällen denkbar. Zudem müsste eine Zumut807  Palandt / Grüneberg,

§ 249 Rn. 25. 7, 297, 299 f.; Bryde, in: v. Münch / Kunig, GGK, Art. 14 Rn. 65; vgl. dazu auch oben, 2. Kapitel, III. 2. b). 809  Vgl. BMVBS, Berliner Gespräche zum Städtebaurecht, Bd. I: Bericht, November 2010, S. 65. 810  Vgl. BMVBS, Berliner Gespräche zum Städtebaurecht, Bd. I: Bericht, November 2010, S. 65. 811  BVerfGE 102, 1, 19 ff.; Knopp, DÖV 2001, 441, 448 ff.  808  BVerwGE

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

barkeitsklausel eingefügt werden, um den Anforderungen von Art. 14 GG gerecht zu werden.812 Letztlich wird man jedoch sagen müssen, dass ein Abstellen auf die Zustandsstörerhaftung wegen der systematischen Bedenken und der Gefahr der Unverhältnismäßigkeit, insbesondere in Schrumpfungsregionen, kein überzeugender Weg ist. Groth / Münzing813 schlugen statt der Einführung eines aktiven Rückbaugebots eine Berücksichtigung der durch den Abriss bewirkten Wertsteigerung entsprechend § 25 BBodSchG vor. Nach § 25 Abs. 1 S. 1 BBodSchG hat der Eigentümer, soweit durch den Einsatz öffentlicher Mittel bei Maßnahmen zur Erfüllung der Pflichten nach § 4 der Verkehrswert eines Grundstücks nicht nur unwesentlich erhöht wird und der Eigentümer die Kosten hierfür nicht oder nicht vollständig getragen hat, einen von der zuständigen Behörde festzusetzenden Wertausgleich in Höhe der maßnahmebedingten Wertsteigerung an den öffentlichen Kostenträger zu leisten. Die Höhe des Wertausgleichs soll nach Groth / Münzing entsprechend § 25 Abs. 2 BBodSchG zu bemessen sein, nämlich nach dem Unterschied zwischen dem Grundstückswert ohne die Freilegung und dem Wert nach der Freilegung.814 § 25 BBodSchG seinerseits ist § 154 BauGB, dem sanierungsrechtlichen Ausgleichsbetrag, nachgebildet.815 Eine solche Wertersatzpflicht ist mit den Vorgaben von Art. 14 GG vereinbar, zumal der Eigentümer nicht vorab zum Abriss seiner baulichen Anlage auf eigene Kosten gezwungen wird, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen wertersatzpflichtig ist. Letztlich geht es bei der Wertersatzpflicht um die Abschöpfung der rückbaubedingten Bodenwertsteigerung, die überdies nicht bloß unerheblich sein darf. Die Verhältnismäßigkeit der Regelung könne nach Groth  /  Münzing mit Hilfe einer Härtefallklausel nach dem Vorbild von § 25 Abs. 5 S. 1 2. Var. BBodSchG gewahrt werden, wonach im Einzelfall von der Festsetzung eines Ausgleichsbetrages ganz oder teilweise abgesehen werden könne, wenn dies zur Vermeidung unbilliger Härten geboten sei.816

812  BMVBS, Berliner Gespräche zum Städtebaurecht, Bd. I: Bericht, November 2010, S. 65. 813  Groth / Münzing, LKV 2012, 213, 214. 814  Groth / Münzing, LKV 2012, 213, 214. 815  Versteyl, in: Versteyl / Sondermann, BBodSchG, § 25 Rn. 2. 816  Groth / Münzing, LKV 2012, 213, 215.



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 465

(c) Änderungen durch die BauGB-Novelle 2013 Der Gesetzgeber hat mit der BauGB-Novelle 2013817 auf die bezüglich § 179 BauGB geäußerte Kritik reagiert. Zunächst wurde in § 179 Abs. 1 S. 1 BauGB die Tatbestandsvoraussetzung „im Geltungsbereich eines Bebauungsplans“ gestrichen.818 Damit kann das Rückbaugebot künftig auch bei Schrottimmobilien im unbeplanten Innenbereich eingesetzt werden. Schutzwürdige Interessen des Eigentümers werden dadurch nicht verletzt, nachdem verfallende Immobilien meist ohnehin dauerhaft ungenutzt und einer anderweitigen Nutzung nicht mehr zugänglich sind.819 Darüber hinaus wurde mit § 179 Abs. 4 BauGB eine Regelung eingefügt, die es erlaubt, den Eigentümer zu einer Kostenbeteiligung heranzuziehen, was viele Experten820 und große Teile der Literatur821 schon lange gefordert hatten.822 So sind nach § 179 Abs. 4 S. 1 BauGB im Falle des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 2 die Beseitigungskosten vom Eigentümer bis zur Höhe der ihm durch die Beseitigung entstehenden Vermögensvorteile zu tragen. Nach § 179 Abs. 4 S. 2 BauGB kann der Kostenerstattungsbetrag durch Bescheid geltend gemacht werden, sobald die bauliche Anlage ganz oder teilweise beseitigt ist, wobei der Betrag nach § 179 Abs. 4 S. 3 BauGB als öffentliche Last auf dem Grundstück ruht. Die Vermögensvorteile sollen nach der Gesetzesbegründung gegebenenfalls durch ein Wertermittlungsgutachten objektiv bestimmt werden können,823 was freilich nicht weniger streitanfällig sein dürfte824 als der vom Bundesrat vorgeschlagene Maßstab, wonach die Eigentümerbeteiligung durch die Zumutbarkeit begrenzt werden sollte.825 In der Sache hat sich der Gesetzgeber damit im Wesentlichen dem von Groth / Münzing vorgeschlagenen Ansatz 817  Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts v. 11.06.2013, BGBl. I, 2013 Nr. 29 v. 20.06.2013, S. 1548, 1550. 818  Vgl. den entsprechenden Gesetzesentwurf, BT-Drs. 17  / 11468, S. 6; ausführlich dazu Battis / Mitschang / Reidt, NVwZ 2013, 961, 967 f.; Schröer / Kullick, NZBau 2013, 27, 28. 819  BMVBS, Berliner Gespräche zum Städtebaurecht, Bd. I: Bericht, November 2010, S. 65; Groth / Münzing, LKV 2012, 213, 214. 820  Vgl. BMVBS, Berliner Gespräche zum Städtebaurecht, Bd. I: Bericht, November 2010, S. 65. 821  So etwa Goldschmidt, BauR 2006, 318, 323; Lege, NVwZ 2005, 880, 885; Schmidt-Eichstaedt, DVBl. 2004, 265, 267 ff.  822  S. oben, 4. Kapitel, III. 3. d) cc) (3) (b) (γ). 823  BT-Drs. 17 / 13272, S.  17. 824  Kritisch insoweit auch Uechtritz, BauR 2013, 1354, 1365. 825  BR-Drs. 474 / 12 (Beschluss), S. 12 ff. 

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

angeschlossen.826 Offen bleibt allerdings, auf welchen konkreten Zeitpunkt sich das erforderliche Wertermittlungsgutachten beziehen soll.827 Entsprechendes gilt für die Frage des Verhältnisses von § 179 Abs. 3 und Abs. 4 BauGB, insbesondere ob und gegebenenfalls wie eine Verrechnung von zumindest theoretisch nebeneinander möglichen Entschädigungsansprüchen des Eigentümers und Kostenerstattungsanprüchen der Gemeinde in Betracht kommt. (d) B  ewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Das Rückbaugebot eignet sich, wie auch die übrigen städtebaulichen Gebote, nur sehr bedingt zur Bekämpfung der Folgen des demografischen Wandels. Dies gilt auch nach der BauGB-Novelle 2013. Zwar kann künftig auf die Aufstellung eines Bebauungsplans verzichtet werden, doch an der finanziellen Problematik bei der Durchsetzung eines Rückbaugebots dürfte dies wenig ändern, weil die Gemeinden die Kosten zunächst vorstrecken müssen und damit zu rechnen ist, dass sich die Eigentümer von Schrottimmobilien gegen die Kostenerstattung als solche und insbesondere gegen die Höhe des Kostenerstattungsbetrages zur Wehr setzen werden,828 zumal die Beweislast bezüglich der Vermögensvorteile des Eigentümers der Gemeinde obliegt.829 Für die Gemeinden bringt dies die Gefahr langwieriger Gerichtsverfahren mit sich. Darüber hinaus ist mehr als zweifelhaft, ob die entsprechenden Kostenerstattungsbeträge im konkreten Fall erfolgreich beigetrieben werden können. Nicht zuletzt erscheint gerade in vom demografischen Wandel stark betroffenen Gegenden fraglich, ob durch die Beseitigung eines maroden Gebäudes der Wert eines Grundstücks entscheidend steigt, wenn sich auf Grund des Bevölkerungsrückgangs kein Interessent für den Erwerb des Grundstücks findet. Die Beseitigungskosten müssten in solchen Fällen zumindest größtenteils allein von der Gemeinde getragen werden. Obwohl das Rückbaugebot grundsätzlich zur Durchführung des Abbruchs baulicher Anlagen vor Ende des Bestandsschutzes konzepiert wurde, ist daher ein umfassender Rückbau auf dieser Grundlage für die Gemeinden schlicht nicht finanzierbar, so dass das Rückbaugebot trotz massiver Bevölkerungsrückgänge und Leerstände wohl weiterhin ein Schattendasein führen wird.830 826  Groth / Münzing, LKV 2012, 213 ff.; ausführlich dazu oben, 4. Kapitel, II. 3. d) cc) (3) (b) (γ). 827  Battis / Mitschang / Reidt, NVwZ 2013, 961, 967. 828  Battis / Mitschang / Reidt, NVwZ 2013, 961, 967. 829  Krautzberger / Stüer, DVBl. 2013, 805, 813. 830  Ähnlich auch die Einschätzung von Battis / Mitschang / Reidt, NVwZ 2013, 961, 967.



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 467

(e) Änderungsvorschlag de lege ferenda Das Rückbaugebot war, wie auch die übrigen städtebaulichen Gebote, in der Vergangenheit für die Gemeinden nicht zuletzt deshalb unattraktiv, weil den betroffenen Eigentümern, Mietern und Pächtern unter Umständen Entschädigungen gezahlt werden müssen oder sogar ein Übernahmeanspruch des Eigentümers besteht. Dieses Defizit könnte mit einer Neuregelung behoben werden.831 Zu bedenken ist dabei, dass die städtebaulichen Gebote als Inhalts- und Schrankenbestimmungen i. S. v. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG unter  bestimmten Voraussetzungen ausgleichspflichtig sein können, um dem Gebot der Verhältnismäßigkeit gerecht zu werden.832 Deshalb muss es grundsätzlich Entschädigungs- und Übernahmeansprüche des Eigentümers bei wirtschaftlicher Unzumutbarkeit geben. Allerdings ist die Verweisungstechnik des § 179 Abs. 3 S. 3 BauGB unübersichtlich und teilweise auch unpassend. Danach sind Entschädigungsansprüche nach § 179 Abs. 3 S. 3 i. V. m. § 43 Abs. 4 Nr. 2 BauGB beispielsweise ausgeschlossen, wenn in einem Gebiet städtebauliche Missstände bestehen und die Nutzung des Grundstücks zu diesen Missständen wesentlich beiträgt. Dies stellt eine vergleichsweise hohe Hürde dar, da vorausgesetzt wird, dass das Grundstück, auf das sich das Rückbaugebot bezieht, wesentlich mitverantwortlich ist für bestehende städtebauliche Missstände. Deshalb wäre an eine autonome Entschädigungsausschlussregelung für das Rückbaugebot zu denken, bei der weniger strenge Maßstäbe gelten. In Betracht käme etwa eine Anknüpfung an den Zustand des Grundstücks und seiner vom Rückbau betroffenen baulichen Anlagen, wobei die Entschädigung dann ausgeschlossen sein könnte, wenn die Missstände so gravierend sind, dass der Bestandsschutz alsbald zu entfallen droht. Freilich darf dabei nicht übersehen werden, dass es nach § 175 Abs. 2 BauGB schon für den Erlass eines Rückbaugebots städtebaulicher Gründe bedarf und daher nicht jeder städtebauliche Grund automatisch zum Entfallen des Entschädigungsanspruchs führen darf. Vor diesem Hintergrund wäre es de lege ferenda allenfalls möglich, die Verknüpfung zwischen städtebaulichen Gründen, insbesondere städtebaulichen Missständen, und grundstücksbezogenen Missständen nach § 179 BauGB zu lockern oder ganz aufzugeben, wodurch zugleich der Erlass eines Rückbaugebots auch bei einzelnen Leerständen ermöglicht würde. Diese Überlegungen gelten entsprechend für die übrigen städtebaulichen Gebote, für die sich ebenfalls eigene Entschädigungsausschlussregelungen anbieten.

831  Für eine Neuregelung des Entschädigungsrechts auch Lege, NVwZ 2005, 880, 885. 832  Vgl. dazu oben, 2. Kapitel, III. 2. c) aa).

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

4. Rückbau von Einzelhandelsimmobilien a) Problematik Eine besondere Herausforderung für das Städtebaurecht stellt der Verfall von Einzelhandelsimmobilien dar. Dieser tritt vor allem auf, wenn Betreiber von Einzelhandelsmärkten ihre Filialen schließen und leere Gebäude zurückbleiben, was sowohl in peripheren Lagen, als auch in der Innenstadt geschehen kann. Jüngstes Beispiel ist die Insolvenz der Drogeriemarktkette „Schlecker“, die zu leer stehenden Immobilien in ganz Deutschland geführt hat. Weitere Gründe für Leerstände bei Einzelhandelsimmobilien sind ein intensiver Verdrängungswettbewerb, bei dem am Ende nur wenige Einzelhandelsmärkte übrig bleiben, sowie die Politik einzelner Einzelhandelsbetreiber, nach einer bestimmten Zeit die bisherige Einzelhandelsimmobilie zu verlassen und an anderer Stelle, teilweise sogar in unmittelbarer Nähe, ein neues Objekt zu errichten, das dem aktuellen Vermarktungskonzept besser entspricht.833 Zivilrechtlich kann die Eigentumsaufgabe nach § 928 BGB durch einseitige, notariell beglaubigte Erklärung gegenüber dem Grundbuchamt erfolgen, was von Einzelhandelsbetreibern insbesondere dann als Alternative gesehen wird, wenn sich die Insolvenz ohnehin abzeichnet.834 Gerade in Zeiten des demografischen Wandels mit rückläufigen Bevölkerungszahlen und einem infolgedessen abnehmenden Bedarf an Einzelhandelsprodukten kommt es häufig zu Geschäftsaufgaben mit anschließenden Leerständen, insbesondere dann, wenn eine Gegend für neue Investoren nicht mehr attraktiv erscheint. b) Lösungsmöglichkeiten aa) § 9 Abs. 2 BauGB Das Baugesetzbuch bietet für die Gemeinden hinreichend Möglichkeiten, Leerständen von Einzelhandelsimmobilien effektiv vorzubeugen. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang § 9 Abs. 2 BauGB, der in Ausnahme zur ursprünglichen Konzeption des Baugesetzbuchs, bauliche Nutzungsrechte grundsätzlich auf Dauer zu regeln, in besonderen Fällen die Festsetzung baulicher Nutzungen i. S. d. § 9 Abs. 1 BauGB für einen bestimmten Zeitraum (Nr. 1) oder in Abhängigkeit vom Eintritt bestimmter Umstände (Nr. 2) zulässt. Nach § 9 Abs. 2 S. 2 BauGB soll zugleich eine Folgenutzung festgesetzt werden. Ausweislich der Gesetzesmaterialien sind bedingte oder befristete Festsetzungen nur „in entsprechenden besonderen 833  Vgl.

Grziwotz, KommJur 2009, 175, 175. KommJur 2009, 175, 176.

834  Grziwotz,



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 469

städtebaulichen Situationen, in denen solche Festsetzungen erforderlich sind“835, möglich. Für eine zeitlich befristete oder bedingte Festsetzung muss damit eine besondere städtebauliche Rechtfertigung gegeben und überdies dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen werden.836 Problematisch ist, wann eine solche besondere städtebauliche Situation vorliegt. Die Gesetzesmaterialien sprechen von Fällen, in denen von vornherein und erklärtermaßen eine Nutzung vom Investor nur für eine bestimmte Zeit vorgesehen ist.837 Damit sind auch die Fälle erfasst, in denen von Seiten der Betreiber großflächiger Einzelhandelsbetriebe von vornherein nur eine bestimmte Nutzungsdauer angestrebt wird.838 Dies dürfte jedoch durch den Einzelhandelsbetreiber nur selten offen kommuniziert werden. Im Regelfall wird es so sein, dass der Investor sich zunächst nicht zur geplanten Nutzungsdauer äußert, aus der Erfahrung jedoch klar ist, dass eine Nutzungsaufgabe nach einer gewissen Zeit wahrscheinlich ist. Eine Festsetzung nach § 9 Abs. 2 BauGB darf jedoch nicht pauschal bei großflächigen Einzelhandelsvorhaben erfolgen, sondern es kommt vielmehr darauf an, ob im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan tatsächlich eine Nutzungsaufgabe zu erwarten ist und ob es im Fall der Nutzungsaufgabe mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu negativen städtebaulichen Auswirkungen, insbesondere Leerständen, kommt.839 Ist dies der Fall, kann § 9 Abs. 2 BauGB bei der Ausweisung von Flächen für den großflächigen Einzelhandel heran gezogen werden, insbesondere dann, wenn die Betriebe auf Grund einer Sondergebietsfestsetzung zugelassen werden und nach dem Ende dieser speziellen Nutzung ein Leerstand nicht zu vermeiden ist.840 Es ist jedoch darauf zu achten, dass eine exakte Bedingung für den Wegfall der zulässigen Nutzungunsart in den Bebauungsplan aufgenommen wird, etwa die endgültige Einstellung des Einzelhandelsbetriebes.841 Enthält der Bebauungsplan entgegen § 9 Abs. 2 S. 2 BauGB keine Regelung über die Folgenutzung, bestimmt sich deren Zulässigkeit nach § 34 oder § 35 BauGB. Der Zeitablauf bzw. der Eintritt der auflösenden Bedingung löst keine Entschädigungsansprüche nach Planungsschadensrecht gemäß § 42 BauGB aus, da die bauliche Nutzung von vornherein zeitlich 835  BT-Drs.

15 / 2250, S.  49. KommJur 2009, 175, 176; Löhr, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 9 Rn. 98h; Kukk / von Heyl. VBlBW 2006, 302, 303. 837  BT-Drs. 15 / 2250, S.  49. 838  Schieferdecker, BauR 2005, 320, 323. 839  Schieferdecker, BauR 2005, 320, 322. 840  Vgl. Kukk / von Heyl, VBlBW 2006, 302, 305; Schieferdecker, BauR 2005, 320, 323. 841  Vgl. Kukk / von Heyl, VBlBW 2006, 302, 304; Grziwotz, KommJur 2009, 175, 176; Kuschnerus, ZfBR 2005, 125, 131. 836  Grziwotz,

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

begrenzt war.842 Dies entlastet insbesondere finanzschwache Gemeinden in Schrumpfungsregionen. Nach Eintritt der Bedingung besteht überdies kein passiver Bestandsschutz, doch kann ein Abbruch erst nach Wegfall der Baugenehmigung angeordnet werden.843 Eine Rückbauverpflichtung kraft Gesetzes existiert nicht,844 so dass die Gemeinde eine solche vertraglich vereinbaren muss, wenn sie leer stehende Einzelhandelsimmobilien auf Kosten des Betreibers beseitigt haben möchte. bb) Städtebaulicher Vertrag zur Sicherung des Rückbaus Mit Hilfe eines städtebaulichen Vertrages lässt sich eine Rückbaupflicht zu Lasten des Investors vertraglich regeln. Nach § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BauGB kann die Förderung und Sicherung der mit der Bauleitplanung verfolgten Ziele, insbesondere die Grundstücksnutzung, auch hinsichtlich einer Befristung oder einer Bedingung, Gegenstand eines städtebaulichen Vertrages sein. Daher kann auch die Beseitigung einer baulichen Anlage nach Nutzungsaufgabe Gegenstand eines städtebaulichen Vertrages zwischen Betreiber und Gemeinde sein, sofern dies städtebaulich gerechtfertigt ist.845 Vorbild ist dabei die gesetzlich geregelte Rückbauverpflichtung gemäß § 35 Abs. 5 S. 2 BauGB bei nicht mehr genutzten Außenbereichsvorhaben.846 Im Rahmen der vertraglichen Vereinbarung kann zugleich ein Entschädigungsverzicht nach Nutzungsaufgabe vorgesehen werden.847 Die vertragliche Vereinbarung gilt allerdings nur zwischen den Parteien, so dass für den Fall der Rechtsnachfolge oder Insolvenz zusätzlich eine Festsetzung nach § 9 Abs. 2 BauGB in den Bebauungsplan aufzunehmen ist.848 Die Durchführung der Rückbaupflicht kann nicht durch eine Dienstbarkeit abgesichert werden, da diese nicht zu einem positiven Tun, sondern nur zu einem Dulden oder Unterlassen verpflichten darf.849 Stattdessen kommt eine Sicherung durch Bankbürgschaft oder Grundschuld in Betracht.850 842  Kukk / von Heyl, VBlBW 2006, 302, 305; Schieferdecker, BauR 2005, 320, 331 ff.; Kuschnerus, ZfBR 2005, 125, 128. 843  Schiefendecker, BauR 2005, 330 f.; Heemeyer, DVBl. 2006, 25, 27. 844  Vgl. dazu Jäde, BayVBl. 2007, 641, 647. 845  Grziwotz, KommJur 2009, 175, 177. 846  Vgl. zum Ganzen auch Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 11 Rn. 139 b. 847  Grziwotz, KommJur 2009, 175, 177. 848  Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  11 Rn. 139 a; Grziwotz, KommJur 2009, 175, 177 f. 849  Palandt / Bassenge, Überbl. v. § 1018, Rn. 1; Grziwotz, KommJur 2009, 175, 178. 850  Grziwotz, KommJur 2009, 175, 178.



III. Städtebauliche Steuerung des Stadtum- und -rückbaus 471

c) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Die vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten reichen aus, um leer stehende Einzelhandelsimmobilien zu verhindern, wenn in bestimmten Gegenden die Attraktivität von Einzelhandelsstandorten weiter sinkt. Dies setzt freilich voraus, dass die Gemeinde präventiv handelt und bereits vor Genehmigung eines Einzelhandelsvorhabens auf einen städtebaulichen Vertrag samt Rückbauverpflichtung besteht. Probleme können jedoch dann auftreten, wenn Einzelhandelsimmobilien, die auf der Grundlage einer dauerhaften Festsetzung im Bebauungsplan genehmigt wurden, vom Eigentümer plötzlich aufgegeben werden und in der Folge mangels Interessenten dauerhaft leer stehen. Hier kommt ein Abriss gegen den Willen des Eigentümers lediglich auf Grundlage eines in der Praxis mit Anwendungsschwierigkeiten verbundenen Rückbaugebots nach § 179 BauGB in Betracht.

5. Zusammenfassende Würdigung Das besondere Städtebaurecht mit seinen Vorschriften zur Sanierung und zum Stadtumbau sowie den städtebaulichen Geboten stellt Instrumente bereit, mit deren Hilfe den Herausforderungen des demografischen Wandels, insbesondere des Bevölkerungsrückgangs grundsätzlich wirksam begegnet werden kann und die sich in der Vergangenheit, etwa im Zusammenhang mit dem Stadtumbau Ost bereits bewährt haben. Problematisch ist jedoch, dass es nicht selten an den zur Umsetzung von Maßnahmen notwendigen finanziellen Mitteln fehlen wird, insbesondere dann, wenn Entschädigungsoder Übernahmeansprüche des Eigentümers drohen. Andererseits können solche Ansprüche nicht ohne Weiteres ausgeschlossen werden, da auf Seiten der Eigentümer die Eigentumsfreiheit gemäß Art. 14 Abs. 1 GG steht, welches durch entsprechende Sanierungs- und Rückbaumaßnahmen berührt wird. Dieses Spannungsverhältnis ist im Grundgesetz selbst angelegt und kann auch im Zusammenhang mit dem Rückbau nicht immer zu Gunsten eines möglichst problemlosen Gebäudeabbruchs aufgelöst werden, was es freilich nicht ausschließt, im Einzelfall eine stärkere Inanspruchnahme des Eigentümers in Erwägung zu ziehen. Dies gilt insbesondere für die städtebaulichen Gebote, die, anders als das Stadtumbau- und Sanierungsrecht, bislang kaum eine Rolle gespielt haben und mangels Durchsetzbarkeit wohl auch in Zukunft ein Schattendasein führen werden. Hier ist der Gesetzgeber gefragt, Regelungen zu schaffen, die es den Gemeinden erlauben, unter aktiver Beteiligung des Eigentümers Rückbaumaßnahmen durchzuführen. Die BauGB-Novelle 2013 ist ein lobenswerter Versuch, reicht jedoch noch lange nicht aus, um

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

insbesondere das Rückbaugebot des § 179 BauGB so zu gestalten, dass es in Zeiten zunehmender Gebäudeleerstände einen Beitrag zur Stadtentwicklung leisten kann.

IV. Aufrechterhaltung von Baurechten in vom Bevölkerungsrückgang besonders betroffenen Gegenden 1. Abriss baulicher Anlagen a) Problematik Durch einen großflächigen Rückbau bestehender Gebäude im Zuge des Bevölkerungsrückgangs kann sich die planungsrechtliche Situation von Grundstücken so verändern, dass Baurechte „verloren gehen“.851 Diese Problematik tritt insbesondere im Bereich der §§ 34, 35 BauGB zu Tage.852 Wo ursprünglich unbeplanter Innenbereich i. S. v. § 34 BauGB vorlag, kann durch Rückbaumaßnahmen ein Gebiet mit Außenbereichscharakter oder ein so genannter „Außenbereich im Innenbereich“ entstehen.853 Ein Innenbereichsgrundstück, welches sich in der Nähe zum Außenbereich befindet, kann mit dem Abriss umliegender Gebäude dem Außenbereich zufallen, nachdem der im Zusammenhang bebaute Ortsteil i.  S.  v. § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB grundsätzlich im Anschluss an das letzte noch zum Innenbereich gehörende Gebäude endet.854 Besonders beim Abriss größerer Wohnanlagen im Rahmen des Stadtumbaus Ost trat diese Problematik auf, da die Wohnanlagen dort regelmäßig nicht auf Grundlage eines Bebauungsplans errichtet worden waren.855 Von einem „Außenbereich im Innenbereich“ spricht man, wenn eine allseits von bebauten Gebieten umgebene Fläche so groß ist, dass ihre bauliche Nutzbarkeit nicht mehr durch die Umgebungsbebauung geprägt wird,856 sich ihre Bebauung mithin nicht mehr als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung aufGoldschmidt, BauR 2006, 318, 327. diesem Problem, vgl. auch Graupeter, ZfBR 2010, 742, 742. 853  Goldschmidt, BauR 2006, 318, 327. 854  BVerwG, Urt. v. 12.10.1973 – IV C 3  / 72 –, BauR 1974, 41, 41; Urt. v. 29.11.1974 – IV C 10 / 73 –, BauR 1975, 106, 107 f.; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 34 Rn. 25. 855  Möller, Siedlungsrückbau, S. 199. 856  BVerwG, Urt. v. 01.12.1972 – IV C 6  / 71 –, BauR 1973, 99, 100; Möller, Siedlungsrückbau, S. 200. 851  Vgl. 852  Zu



IV. Aufrechterhaltung von Baurechten473

drängt.857 Liegt ein Bebauungsplan vor und wird eine Siedlung oder ein Stadtteil ganz oder teilweise zurückgebaut, kann sich zu einem späteren Zeitpunkt die Frage stellen, ob der Bebauungsplan wegen dauerhafter Unvereinbarkeit mit dem ursprünglichen Planungszweck funk­tionslos geworden ist.858 Auch beim Rückbau von Gebäuden im Außenbereich, z. B. in Splittersiedlungen, kann der baurechtliche Bestandsschutz entfallen. b) Lösungsansätze aa) Nachwirkender Bestandsschutz Von der Rechtsprechung ist anerkannt, dass im Rahmen des § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB ein beseitigter Gebäudebestand für eine gewisse Zeit derart fortwirken kann, dass ein Grundstück seine Innenbereichsqualität auch nach Wegfall der Bebauung noch behält, solange mit einer Wiederbebauung oder Wiederaufnahme der Nutzung zu rechnen ist.859 Dies wird als „nachwirkender Bestandsschutz“ bezeichnet.860 Bestandsschutz allgemein bezeichnet das Recht, einen tatsächlichen oder rechtlichen Status quo trotz der Änderung der einfachgesetzlichen Rechtslage oder der tatsächlichen Situation unverändert behalten oder nutzen zu dürfen, ansonsten wenigstens entschädigt zu werden oder jedenfalls Übergangsfristen eingeräumt zu erhalten.861 Im öffentlichen Baurecht gewährleistet der Bestandsschutz, dass eine seinerzeit formell und / oder materiell rechtmäßig errichtete bauliche Anlage erhalten, weiterhin genutzt und gegebenenfalls sogar erweitert werden darf, auch wenn die Anlage nach aktueller Rechtslage nicht mehr genehmigungsfähig wäre.862 857  BVerwG, Urt. v. 17.02.1984 – 4 C 55 / 81 –, NJW 1984, 1576, 1576; Beschl. v. 15.09.2005 – 4 BN 37 / 05 –, ZfBR 2006, 54, 54; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 34 Rn. 2. 858  Krautzberger, Rückbau im Zuge des Stadtumbaus, Die Wohnungswirtschaft 10  /  2005, 86, 86; zur Funktionslosigkeit von Bebauungsplänen, vgl. Steiner, FS Schlichter, S. 313, 313 ff. sowie ders., FS Würtenberger, S. 911, 911 ff.  859  St. Rspr. vgl. BVerwG, Urt. v. 12.09.1980 – 4 C 75  / 77 –, VerwRspr 1981, 462, 464 ff.; Urt. v. 15.01.1982 – 4 C 58 / 79, BauR 1982, 242, 243; Urt. v. 03.02.1984 – 4 C 25 / 82 –, BauR 1984, 373, 376; Urt. v. 27.08.1998 – 4 C 5 / 98 –, BauR 1999, 152, 155; Beschl. v. 02.10.2007 – 4 B 39 / 07 –, ZfBR 2008, 52. 860  Decker, BayVBl. 2011, 517, 518. 861  Sendler, WiVerw 1993, 235, 237; Decker, BayVBl. 2011, 517, 518. 862  BVerwGE 25, 161, 162 f., Urt. v. 19.10.1966 – IV C 16 / 66 –, BRS 17 Nr. 49, 94, 94 f.; Urt. v. 18.10.1974 – IV C 75, 71 –, BeckRS 1974, 304335; Bahnsen, Der Bestandsschutz im öffentlichen Baurecht, S. 22 f.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

Entscheidend dafür, ob eine Wiederbebauung oder Nutzungswiederaufnahme erwartet werden kann, ist dabei in erster Linie die Verkehrsauffassung und die Frage, ob die fehlende Bebauung „geradezu vermisst“ wird.863 Überdies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts864 danach zu unterscheiden, ob sich das fragliche Grundstück in einer Randlage oder in einer Innenlage befindet. In einer Randlage verliert das Grundstück bei einem längeren Brachliegen nach einer gewissen Zeitspanne den Bezug zum bebauten Gebiet, weshalb es nach der Verkehrsauffassung alsbald dem Außenbereich zufällt. Bei einem Innenbereichsgrundstück hingegen soll ein viel längerer Zeitraum anzusetzen sein, bevor man von einem „Außenbereich im Innenbereich“ sprechen kann.865 Im Falle des Rückbaus baulicher Anlagen auf Grund des Bevölkerungsrückgangs liegt es auf der Hand, dass mit einer Wiederbebauung oder einem Wiederaufgreifen der bisherigen Nutzung in der Regel in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden kann. Dies gilt zumindest in Gegenden, in denen kaum Bedarf nach neuen Wohnflächen besteht. Daher kann der nachwirkende Bestandschutz in solchen Fällen nicht die Sicherung des bisherigen Gebietscharakters übernehmen. bb) Perforierender Rückbau Im Rahmen des Stadtumbaus Ost spielte zunächst der so genannte perforierende Rückbau eine große Rolle. Darunter versteht man den Abriss nur einzelner Gebäude aus dem Bestand,866 wodurch der planungsrechtliche Charakter des Gebiets erhalten werden soll. Allerdings führt dieses Vorgehen dazu, dass Baulücken entstehen, die leitungsgebundene Infrastruktur aber nach wie vor für das gesamte Gebiet aufrecht erhalten werden muss, auch wenn sie nicht mehr kostentragend betrieben werden kann. Gerade in Zeiten, in denen auf Grund des Bevölkerungsrückgangs und mangelnder Auslastung der Leitungen beispielsweise die Verkeimung des Trinkwassers droht, erscheint der perforierende Rückbau allein zum Zweck der Erhaltung des Gebietscharakters wenig zielführend.

863  Söfker,

in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  20. Urt. v. 19.09.1986 – 4 C 15 / 84 –, NVwZ 1987, 406, 407. 865  So implizit auch OVG Magdeburg, Beschl. v. 02.01.2006 – 2 L 912  /  03, BeckRS 2008, 32697; vgl. zum Ganzen auch Steiff, NZBau 2006, 363, 364. 866  Möller, Siedlungsrückbau, S. 201. 864  BVerwG,



IV. Aufrechterhaltung von Baurechten475

cc) Aufstellung eines Bebauungsplans Zur Sicherung bestehender Baurechte im Falle des Stadtumbaus kann grundsätzlich ein Bebauungsplan aufgestellt werden, wobei die Anwendung des vereinfachten Verfahrens nach § 13 BauGB in Betracht kommt, solange das Gebiet noch nach § 34 BauGB zu beurteilen ist.867 Bei der Bauleitplanung ist stets der Erforderlichkeitsgrundsatz nach § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB zu beachten. An der Erforderlichkeit fehlt es, wenn der Bebauungsplan ausschließlich der Erhaltung der Bodenwerte oder Bilanzwerte der Grundstückseigentümer dienen soll.868 Soll hingegen die Bebaubarkeit des Gebiets langfristig gesichert werden, weil hierfür Bedarf besteht, kommt die Aufstellung eines Bebauungsplans zur Verhinderung des Verlusts von Baurechten selbstverständlich in Betracht. Es muss sich freilich um einen qualifizierten Bebauungsplan handeln, da beim einfachen Bebauungsplan nach § 30 Abs. 3 BauGB der Maßstab der §§ 34, 35 BauGB ergänzend heranzuziehen ist. dd) Erlass von Innen- oder Außenbereichssatzungen (1) Innenbereichssatzungen Zu überlegen ist, ob der Erlass von Innenbereichssatzungen ein taugliches Mittel zur Aufrechterhaltung von Baurechten darstellt. Bei den Innenbereichssatzungen nach § 34 Abs. 4 S. 1 BauGB sind drei verschiedene Arten zu unterscheiden: Die Klarstellungssatzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB stellt kein Planungsinstrument dar,869 sondern entfaltet lediglich deklaratorische Wirkung. Sie ist hinsichtlich ihrer Grenzen an den tatsächlich vorhandenen Innenbereich gebunden.870 Dies soll sich nach Auffassung von Möller schon aus dem Wortlaut ergeben, wonach die Gemeinde die Grenzen des im Zusammenhang bebauten Ortsteils festlegen kann, während in den Vorschriften des Baugesetzbuchs, die bauplanungsrechtliche Letztentscheidungen erlauben, stets von „Festsetzungen“ die Rede ist, etwa im Rahmen von § 9 Abs. 1 BauGB.871 Diese Argumentation scheint auf den ersten Blick überzeugend, wird jedoch durch den Wortlaut von § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauGB etwas relativiert. Mit Hilfe der so genannten Entwick867  Krautzberger, Rückbau im Zuge des Stadtumbaus – was Wohnungsunternehmen beachten sollten, Die Wohnungswirtschaft 10 / 2005, 86, 87. 868  Goldschmidt, BauR 2006, 318, 327. 869  Spannowsky, in: Spannowsky / Uechtritz, BauGB, § 34 Rn. 69. 870  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  96. 871  Möller, Siedlungsrückbau, S. 201.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

lungssatzung gemäß § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauGB kann die Gemeinde bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile ausweisen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind. Durch die Entwicklungssatzung erfolgt sehr wohl eine konstitutive Zuordnung von Außenbereichsgrundstücken zum Innenbereich,872 obwohl auch hier nur von Festlegungen die Rede ist. Voraussetzung für den Erlass einer Entwicklungssatzung ist jedoch, dass die vorhandene Bebauung die Eigenart der näheren Umgebung hinreichend prägt.873 Dies ist der Fall in einem bebauten Bereich, d. h. einer aufeinanderfolgenden, zusammengehörigen und geschlossen erscheinenden Bebauung, die jedoch von ihrem Gewicht her noch keine Innenbereichsqualität aufweist.874 Fallen Grundstücke im Zuge des Rückbaus dem Außenbereich zu, wird diese Voraussetzung mangels geschlossen erscheinender Bebauung gerade nicht mehr erfüllt sein. Entsprechendes gilt beim Enstehen eines „Außenbereichs im Innenbereich“. Sollte ausnahmsweise noch eine hinreichend geschlossene Bebauung vorhanden sein, ist weiterhin erforderlich, dass die fragliche Fläche im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt wird. Dies dürfte trotz des Rückbaus in der Regel der Fall sein, da ursprünglich eine Bebauung existiert hat. Problematisch ist jedoch, ob der Flächennutzungsplan dann nicht funktionslos geworden ist, wenn mit einer Bebauung in Zukunft nicht mehr gerechnet werden kann. Hinzu kommt, dass nach § 34 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 BauGB die Entwicklungssatzung mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sein muss. Dies bedeutet, dass sie insbesondere den Vorgaben des § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB genügen muss.875 Fraglich ist, ob eine Einbeziehung zurückgebauter Bereiche in den Innenbereich städtebaulich erforderlich sein kann, wenn klar ist, dass es nicht um die Fortentwicklung des Innenbereichs geht, sondern lediglich verhindert werden soll, dass Grundstücke dem Außenbereich zufallen. Dies dürfte in den meisten Fällen zu verneinen sein. Als weitere Möglichkeit der Einbeziehung von Außenbereichsgrundstücken in den Innenbereich kommt grundsätzlich die so genannte Ergänzungssatzung gemäß § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB in Betracht. Damit können einzelne Außenbereichsflächen konstitutiv in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbezogen werden, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind. 872  Krautzberger,

in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 34 Rn. 65. in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  101. 874  VGH München, Urt. v. 22.08.2003 – 1 BV 02 / 1727 –, NVwZ-RR 2004, 13, 13. 875  Vgl. auch BT-Drs. 10  /  4630, S.  88; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 34 Rn. 106. 873  Söfker,



IV. Aufrechterhaltung von Baurechten477

Die städtebauliche Situation muss dabei so sein, dass sich aus der vorhandenen Bebauung des Innenbereichs die Prägung der bisherigen Außenbereichsflächen nach Art und Maß der Nutzung ergibt.876 Umstritten ist jedoch, welche Art von Prägung von dem angrenzenden Innenbereich ausgehen muss. Teilweise wird argumentiert, es genüge eine „Prägung minderer Art“,877 während die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur eine Prägung im Hinblick auf die Zulässigkeitsmerkmale des § 34 Abs. 1 und 2 BauGB verlangt.878 Letzteres erscheint überzeugend, da sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik Anhaltspunkte für einen weniger strengen Maßstab ergeben.879 Für Rückbaugebiete bedeutet dies, dass der umliegende Innenbereich als solcher hinreichend intakt sein muss, um seine prägende Funktion ausüben zu können. Dies ist nicht mehr der Fall, wenn auch dort bereits erhebliche Baulücken entstanden sind oder die dort vorhandenen Gebäude mehrheitlich von den im Außenbereich liegenden baulichen Anlagen abgewandt sind.880 Hinzu kommt, dass mit der Ergänzungssatzung nur einzelne Außenbereichsflächen in den Innenbereich einbezogen werden können. Eine vollständige Arrondierung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils durch alle angrenzenden Flächen ist somit nicht möglich.881 Daher können größere, durch Rückbau betroffene Gebiete nicht über den Umweg der Ergänzungssatzung wieder dem Innenbereich zugeordnet werden. Nicht zuletzt ist auch hier § 34 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 BauGB zu beachten, wonach die Satzung mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sein muss. Daran fehlt es, wenn lediglich der bisherige Status der fraglichen Grundstücke beibehalten werden soll. Insgesamt lässt sich daher sagen, dass Innenbereichssatzungen grundsätzlich kein taugliches Mittel darstellen, um die bisherige Zuordnung von Grundstücken aufrecht zu erhalten und so dem Verlust von Baurechten entgegenzuwirken. (2) Außenbereichssatzungen Durch Außenbereichssatzungen gemäß § 35 Abs. 6 BauGB können nichtprivilegierte Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB dadurch begünstigt werden, 876  OVG Münster, Urt. v. 02.12.2002 – 7 a D 39  / 02.NE –, BauR 2003, 665, 666; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 34 Rn. 69. 877  Rieger, in: Schrödter, BauGB, § 34 Rn. 91. 878  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  117; Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, § 34 Rn. 51; Schink, DVBl. 1999, 367, 371 f. 879  So auch Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, § 34 Rn. 51. 880  Zur Problematik der Abgewandtheit, vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 27.06.2007 – 3 S 128 / 06 –, BeckRS 2007, 25492. 881  Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  34 Rn.  116.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

dass ihnen bestimmte der in § 35 Abs. 3 BauGB genannten Belange nicht entgegengehalten werden können. Dies gilt namentlich für entgegenstehende Darstellungen im Flächennutzungsplan, welche Flächen für die Landwirtschaft oder den Wald vorsehen sowie die drohende Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung. Voraussetzung ist nach § 35 Abs. 6 S. 1 BauGB jedoch, dass ein bebauter Bereich im Außenbereich vorliegt, der nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt ist und den eine Wohnbebauung von einigem Gewicht kennzeichnet. Ersteres ist nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur anzunehmen, wenn die vorhandene Bebauung auf eine weitere Bebauung im Wege der städtebaulichen Verdichtung hindeutet.882 Dies wiederum setzt voraus, dass die Bebauung eine gewisse Zusammengehörigkeit und Geschlossenheit erkennen lässt, welche sie als Weiler, Splittersiedlung oder sonstigen Siedlungsansatz qualifiziert.883 Hieran dürfte die Erhaltung von Baurechten in Splittersiedlungen im Außenbereich häufig scheitern. Durch den Rückbau einzelner Gebäude wird meist die Geschlossenheit fehlen, so dass auch mit Hilfe der Satzung keine Baurechte für etwaige auf den frei gewordenen Flächen neu zu errichtende Gebäude gewährt werden kann. ee) Abschluss eines städtebaulichen Vertrages Der Abschluss eines städtebaulichen Vertrages reicht nicht aus zur Erhaltung bestehender Baurechte, falls sich der Gebietscharakter durch umfassende Rückbaumaßnahmen zu verändern droht. Grund dafür ist, dass städtebauliche Verträge schon wegen § 1 Abs. 3 S. 2 BauGB kein Baurecht begründen, sondern ein solches vielmehr voraussetzen. c) Rechtsstellung betroffener Grundstückseigentümer Durch den Verlust von Baurechten wird das Eigentumsgrundrecht der betroffenen Grundstückseigentümer tangiert. Fraglich ist, ob dies entschädigungslos hinzunehmen ist oder ob eine Entschädigung nach den Grundsätzen des Planungsschadensrechts geleistet werden muss. Nach §  42 Abs. 1 BauGB, der eine Ausgleichsregelung im Rahmen einer Inhalts- und Schrankenbestimmung884 darstellt, kann eine angemessene Entschädigung 882  BVerwG,

Urt. v. 13.07.2006 – 4 C 2 / 05 –, NVwZ 2006, 1288, 1289. Urt. v. 13.07.2006 – 4 C 2 / 05 –, NVwZ 2006, 1288, 1289. 884  So die heute h.  M., vgl. nur Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 42 Rn. 3; Bielenberg / Runkel, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 42 Rn. 6; Wahlhäuser, Die moderne städtebauliche Planung und das Planungsschadensrecht, S. 116. 883  BVerwG,



IV. Aufrechterhaltung von Baurechten479

in Geld verlangt werden, wenn die zulässige Nutzung eines Grundstücks aufgehoben oder geändert wird und dadurch eine nicht nur unwesentliche Wertminderung des Grundstücks eintritt. Das Gesetz gibt nicht vor, wodurch sich die Aufhebung oder Änderung der zulässigen Nutzung ergeben muss, doch ergibt sich aus der systematischen Stellung der Vorschrift, dass ein planungsrechtlicher Eingriff, meist in Form eines Bebauungsplans, oder zumindest eine planersetzende Maßnahme885 erforderlich ist.886 Danach würde eine Änderung des Gebietscharakters in Folge von Rückbaumaßnahmen keine Entschädigungsansprüche auslösen. Allerdings hat die Rechtsprechung entschieden, dass die Aufhebung oder Änderung der zulässigen Nutzung auch durch strukturverändernde Baugenehmigungen nach § 34 BauGB erfolgen kann, d. h. dadurch, dass Baugenehmigungen für Nachbargrundstücke erteilt werden, welche nach § 34 BauGB eine andere Nutzung ermöglichen, wodurch die vorhandenen Bestände aber planungsrechtlich unzulässig werden.887 Umstritten ist, ob diese Rechtsprechung vor dem Hintergrund des Nassauskiesungs-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts noch haltbar ist. Danach soll es keine Wahlmöglichkeit mehr geben zwischen der Abwehr eines rechtswidrigen Eingriffs und dem Verlangen einer Entschädigung.888 Dies ist zu verneinen, da es dem Eigentümer in den Fällen der Erteilung strukturverändernder Baugenehmigungen grundsätzlich zumutbar ist, gegen die dem Dritten erteilte Baugenehmigung im Wege des Primärrechtsschutzes vorzugehen.889 Zweifelhaft erscheint allerdings, ob der staatlich veranlasste Abriss umliegender Gebäude mit dieser Konstellation vergleichbar ist. Dagegen spricht, dass für den Eigentümer in Stadtumbau- und Rückbaugebieten mangels Klagebefugnis grundsätzlich keine Möglichkeit besteht, gegen Abrissmaßnahmen auf benachbarten Grundstücken vorzugehen, wenn diese etwa auf Stadtumbauverträgen oder einem Rückbaugebot beruhen. Das Rückbaugebot nach § 179 BauGB entfaltet nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine drittschützende Wirkung.890 Ebenso wenig kann gegen die Anwendung von § 42 BauGB auf faktische Rückbaumaßnahmen eingewandt werden, dass 885  BGHZ

99, 262, 267. in: Spannowsky  /  Uechtritz, BauGB, § 42 Rn. 7; ähnlich auch Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, § 42 Rn. 7. 887  BGHZ 64, 366, 371 ff.; 81, 374, 375 ff.; vgl. dazu auch Birk, NVwZ 1984, 1, 8. 888  BVerfGE 58, 300, 324. 889  So auch Hoffmann, in: Spannowsky  / Uechtritz, BauGB, § 42 Rn. 13.1; Jäde, in: Jäde / Dirnberger / Weiß, BauGB, § 42 Rn. 8; ablehnend auch Bielenberg / Runkel, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, §  42 Rn.  67–69; Breuer, in: Schrödter, BauGB, § 42 Rn. 44 ff.  890  BVerwG, Beschl. v. 10.11.1992 – 4 B 216 / 92 –, NVwZ-RR 1994, 9, 9. 886  Hoffmann,

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

es mangels Bebauungsplans an einer gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung fehle. §§ 34, 35 BauGB sind insoweit als ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmungen zu sehen, da sie die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben im unbeplanten Bereich regeln.891 Im Übrigen ist nicht einzusehen, warum Eigentümer in überplanten Gebieten beim Verlust von Baurechten besser gestellt werden sollten als Eigentümer im Geltungsbereich der §§ 34, 35 BauGB,892 zumal in beiden Fällen am Ende der Verlust von Baurechten steht. Freilich greift § 42 Abs. 1 BauGB nur ein, wenn das in seinem Wert geminderte Grundstück selbst von der Aufhebung oder Änderung der bisher zulässigen Nutzung betroffen ist, also nicht, wenn die Zulässigkeit von Nutzungen auf anderen Grundstücken verändert wird und sich daraus mittelbare Folgewirkungen für das jeweils gegenständliche Grundstück ergeben.893 Dies dürfte jedoch nur bei Wertminderungen im Zusammenhang mit der Aufhebung oder Änderung von Bebauungsplänen gelten, da andernfalls auch die von der Rechtsprechung anerkannten faktischen Umstrukturierungen durch die Erteilung von Baugenehmigungen für umliegende Grundstücke nicht ausreichen würden. Nicht zuletzt ist § 42 Abs. 1 BauGB nur anwendbar, wenn durch die Änderung oder Aufhebung der zulässigen Nutzung eine nicht nur unwesentliche Wertminderung des fraglichen Grundstücks eingetreten ist. Dies wird in der Regel der Fall sein, wenn es zu einer Verlagerung des Grundstücks in den Außenbereich gekommen ist. Die Tatsache, dass in Rückbaugebieten die Bodenwerte mangels Nachfrage ohnehin häufig verringert sind, steht dem nicht entgegen, da auch ein geringer Bodenwert durch den Verlust von Baurechten weiter verringert werden kann. Insgesamt sprechen die besseren Gründe für die Annahme eines Entschädigungsanspruchs nach § 42 BauGB im Falle der Änderung des Gebiets­ charakters, so dass betroffene Eigentümer in solchen Fällen nicht schutzlos bleiben. Gemeinden können sich gegen Entschädigungsansprüche durch den Abschluss städtebaulicher Verträge schützen.894

891  Schieferdecker, in: Hoppe  /  Bönker  /  Grotefels, Öffentliches Baurecht, §  9 Rn. 26. 892  Schieferdecker, in: Hoppe  /  Bönker  /  Grotefels, Öffentliches Baurecht, §  9 Rn. 26. 893  BGH, Urt. v. 18.12.1986 – III ZR 174 / 85 –, NJW 1987, 1320, 1320. 894  Vgl. auch Möller, Siedlungsrückbau, S. 270.



IV. Aufrechterhaltung von Baurechten481

2. Nichtnutzung und Verfall umliegender baulicher Anlagen Fraglich ist weiterhin, ob die Zuordnung eines Grundstücks zum unbeplanten Innenbereich entfällt, wenn die Mehrzahl der umliegenden Grundstücke zwar weiterhin bebaut, in Folge von Abwanderungsbewegungen und Bevölkerungsrückgängen jedoch ungenutzt sind.895 In dieser Situation kommt möglicherweise eine Zuordnung zum Außenbereich in Betracht, wenn ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil i.  S.  v. § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB durch die Nutzungsaufgabe nicht mehr vorliegt. Auch hier ist entscheidend, ob hinsichtlich der umliegenden, nicht mehr genutzten baulichen Anlagen noch Bestandsschutz gegeben ist. Dies hängt zunächst davon ab, ob die entsprechenden Gebäude zwar nicht mehr genutzt werden, im Übrigen aber in ihrer Substanz noch intakt sind oder ob sie schon verfallen sind. Im Fall der bloßen Nichtnutzung endet der Bestandsschutz, auch für die Bausubstanz,896 nur bei einer endgültigen Nutzungsaufgabe.897 Die Baugenehmigung erlischt in diesem Fall durch Erledigung auf andere Weise gemäß § 43 Abs. 2 5. Var. VwVfG.898 Wann eine solche endgültige Nutzungsaufgabe anzunehmen ist, muss nach den Umständen des Einzelfalls und der Verkehrsauffassung beurteilt werden.899 Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich, ohne freilich eine Erledigung der Baugenehmigung nach § 43 Abs. 2 5. Var. VwVfG zu thematisieren, auch bei baurechtlich genehmigten Nutzungen auf sein zu § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB entwickeltes Zeitmodell, wonach innerhalb des ersten Jahres nach Nutzungsaufgabe die Verkehrsauffassung stets mit deren Wiederaufnahme rechnet, während im Laufe des zweiten Jahres immerhin noch eine Vermutung für die Wiederaufnahme spricht, die sich jedoch nach Ablauf von zwei Jahren umkehrt.900 Dies bedeutet, dass der Betroffene dann seinerseits besondere Gründe vorbringen muss, die den langen Zeitablauf rechtfertigen.901 Zur Bestimmung diesem Problem, vgl. Graupeter, ZfBR 2010, 742, 746. Beschl. v. 15.12.1995 – 1 BvR 1713 / 92 –, NVwZ-RR 1996, 483. 897  BVerwG, Beschl. v. 09.09.2002 – 4 B 52  / 02 –, BauR 2003, 1021, 1021 f.; OVG Bautzen, Beschl. v. 29.06.2012 – 1 A 68 / 11 –, LKV 2012, 367, 369. 898  OVG Lüneburg, Urt. v. 21.01.2000 – 1 L 4202  /  99 –, ZfBR. 2000, 349, 351 f.; BVerwG, Beschl. v. 05.06.2007 – C 4 B 20 / 07 –, ZfBR 2007, 696, 696; Ruffert, BayVBl. 2003, 33, 33. 899  Goldschmidt, DVBl. 2011, 591, 592; Gehrke / Brehsan, NVwZ 1999, 932, 934. 900  BVerwG, Urt. v. 21.08.1981 – 4 C 65  / 80 –, NJW 1982, 400, 401; Urt. v. 18.05.1995 – 4 C 20 / 94 –, NVwZ 1996, 379, 379 f.; BVerwG, Beschl. v. 05.06.2007 – 4 B 20 / 07 –, BauR 2007, 1697, 1697. 901  BVerwG, Urt. v. 21.08.1981 – 4 C 65 / 80 –, NJW 1982, 400, 401. 895  Zu

896  BVerfG,

482

4. Kap.: Bauplanungsrecht

der Verkehrsauffassung sind neben dem als Orientierungshilfe heranzuziehenden Zeitmodell die Umstände des jeweiligen Einzelfalls maßgeblich.902 Verschiedene Oberverwaltungsgerichte lehnen eine Ausdehnung des Zeitmodells auf die baurechtlich genehmigte Nutzung ab.903 Bei längerem Leerstand, der für sich allein noch nicht als endgültige Nutzungsaufgabe zu qualifizieren sei, ist nach Rechtsprechung des OVG Münster ein Erlöschen des Bestandsschutzes erst dann anzunehmen, wenn das Gebäude selbst in einer Weise dem Verfall preisgegeben wird, der auch nach außen hin verdeutlicht, dass eine jederzeitige Wiederaufnahme der nur unterbrochenen Nutzung vom Berechtigten offensichtlich nicht mehr gewollt ist.904 Das Gericht geht davon aus, dass im Fall der bloßen Nichtnutzung eines nicht zerstörten Gebäudes der im Zeitmodell enthaltene Zeitrahmen nicht einmal als Orientierungshilfe herangezogen werden könne, zumal gerade bei einer Wohnnutzung die Gründe für eine länger andauernde Nichtnutzung vielfältig sein könnten.905 So seien bestimmte Marktsituationen, finanztechnische Gründe, aber auch persönliche Umstände als Ursachen länger anhaltender Leerstände denkbar.906 Daher könne das bloße Leerstehen eines Wohngebäudes nicht schon nach zwei oder auch mehr Jahren als endgültige Nutzungsaufgabe gewertet werden.907 In dogmatischer Hinsicht richte sich der Umfang des Bestandsschutzes bei Vorliegen einer Baugenehmigung allein nach den entsprechenden bundes- oder landesrechtlichen Normen, insbesondere nach § 43 Abs. 2 VwVfG, wobei nach Auffassung des VGH Mannheim eine Erledigung auf andere Weise anzunehmen sei, wenn die Baugenehmigung ihre regelnde Wirkung verliere, was durch den ausdrücklich erklärten, aber auch durch schlüssiges Verhalten bestätigten Verzicht auf die Ausübung der genehmigten Nutzung geschehen könne.908 Im letzteren Fall müsse ein entsprechender dauerhafter und endgültiger Verzichtswille unmissverständlich und unzweifelhaft zum Ausdruck kommen.909 Dieser ergebe sich nicht allein aus der bloßen Nichtnutzung, sondern es seien vielmehr weitere Indizien nötig, die auf einen 902  BVerwG;

Urt. v. 02.10.2007 – 4 B 39 / 07 –, BauR 2008, 482, 482. Mannheim, Urt. v. 04.03.2009 – 3 S 1467 / 07 –, NJOZ 2009, 2886, 2892 f.; VGH München, Urt. v. 01.02.2007 – 2 B 05 / 2470 –, BayVBl. 2008, 667, 667; vgl. dazu auch Schröer, NZBau 2009, 703, 703 f.; Grzechca, NZBau 2009, 641, 641 f. 904  OVG Münster, Urt. v. 14.03.1997 – 7 A 5179 / 95 –, BauR 1997, 811, 813. 905  OVG Münster, Urt. v. 14.03.1997 – 7 A 5179 / 95 –, BauR 1997, 811, 813. 906  OVG Münster, Urt. v. 14.03.1997 – 7 A 5179 / 95 –, BauR 1997, 811, 813. 907  OVG Münster, Urt. v. 14.03.1997 – 7 A 5179 / 95 –, BauR 1997, 811, 813. 908  VGH Mannheim, Urt. v. 04.03.2009 – 3 S 1467  / 07 –, NJOZ 2009, 2886, 2893. 909  VGH Mannheim, Urt. v. 04.03.2009 – 3 S 1467  / 07 –, NJOZ 2009, 2886, 2893. 903  VGH



IV. Aufrechterhaltung von Baurechten483

endgültigen Verzichtswillen schließen lassen.910 Daher sei für die übergesetzlichen Erwägungen des Zeitmodells kein Raum.911 Das Zeitmodell des Bundesverwaltungsgerichts wird auch in der Literatur heftig kritisiert. Uechtritz etwa geht von der uneingeschränkten Fortgeltung der Baugenehmigung bei verbleibender funktionsgerecht nutzbarer Bausubstanz aus, da der Gesetzgeber andernfalls ein Erlöschen der Baugenehmigung hätte vorsehen müssen.912 Graupeter lehnt das Zeitmodell darüber hinaus aus verfassungsrechtlichen Gründen ab, weil wegen Art. 14 Abs. 1 GG allein aus der Nichtnutzung der baulichen Anlage kein Wegfall des Bestandsschutzes erfolgen könne, wenn das einfache Bauplanungsrecht keine Nutzungspflicht vorsehe.913 Die gegen das Zeitmodell von Seiten der obergerichtlichen Rechtsprechung angebrachte Kritik überzeugt, da für richterrechtliche Vermutungen nur dort Raum verbleiben kann, wo keine gesetzliche Regelung besteht. Hier existieren jedoch hinreichende Vorschriften über die Wirksamkeit einer Baugenehmigung. Im Übrigen kann nicht eingewandt werden, die längerfristige Nichtnutzung führe zu einer Erledigung auf andere Weise nach § 43 Abs. 2 5. Var. VwVfG, da eine Rechtspflicht zur Nutzung baulicher Anlagen nicht besteht.914 Im Falle von Substanzschäden hingegen verliert die den Bestandsschutz vermittelnde Baugenehmigung ihre rechtliche Wirkung.915 Dabei ist von einer Erledigung nach § 43 Abs. 2 5. Var. VwVfG, d. h. einer Erledigung auf andere Weise auszugehen, nachdem mit der Veränderung oder Zerstörung der baulichen Anlage ihr Genehmigungstatbestand entfallen ist.916 Maßgebliches Kriterium ist der so genannte Identitätsverlust,917 welcher vorliegt, 910  VGH Mannheim, Urt. v. 04.03.2009 – 3 S 1467  / 07 –, NJOZ 2009, 2886, 2893 f. 911  VGH Mannheim, Urt. v. 04.03.2009 – 3 S 1467  / 07 –, NJOZ 2009, 2886, 2892 ff.; ähnlich bereits VGH München, Urt. v. 01.02.2007 – 2 B 05 / 2470 –, BayVBl. 2008, 667, 667. 912  Uechtritz, FS Gelzer, 259, 266 ff.; in diese Richtung auch Goldschmidt, BauR 2011, 1590, 1594 f. 913  Graupeter, ZfBR 2010, 742, 747 f. 914  So auch VGH Mannheim, Urt. v. 04.03.2009 – 3 S 1467 / 07 –, NJOZ 2009, 2886, 2894. 915  BVerwG, Urt. v. 21.01.1972 – 4 C 212  / 65 –, BauR 1972, 152, 152; OVG Lüneburg, Urt. v. 27.10.1072 – I A 155 / 70 –, BauR 1972, 154, 154 f. 916  VGH Mannheim, Beschl. v. 10.07.1989 – 8 S 1869  / 89 –, NVwZ-RR 1990, 171, 172; Goldschmidt, DVBl. 2011, 591, 595; Ruffert, BayVBl. 2003, 33, 37. 917  BVerwG, Urt. v. 18.10.1974 – 4 C 75 / 71 –, BauR 1975, 114, 115; BVerwG, Urt. v. 17.01.1986 – 4 C 80 / 82 –, NJW 1986, 2126, 2126; OVG Münster, Urt. v. 03.02.1994 – 10 A 1149 / 91 –, BauR 1994, 741, 743 f.

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4. Kap.: Bauplanungsrecht

wenn das veränderte Gebäude mit dem früheren nicht mehr identisch ist, etwa weil die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen oder gar übersteigen würden.918 Der Identitätsverlust kann durch identitätsvernichtende Maßnahmen, insbesondere Zerstörungen, aber auch durch unterlassene Instandhaltung erfolgen.919 Im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel ist vor allem ein Verlust des Bestandsschutzes durch Verfall denkbar, wenn Eigentümer die notwendigen Instandhaltungsmaßnahmen nicht mehr durchführen. Dabei entscheidet das Stadium des Verfalls über den Bestandsschutz.920 Ist der Verfall so weit fortgeschritten, dass von einem Identitätsverlust auszugehen ist, hat die bauliche Anlage ihren Bestandsschutz verloren. Die bloße endgültige Nutzungsaufgabe allein führt hingegen nach richtiger Auffassung nicht zum Verlust des Bestandsschutzes. Für die Bestimmung des Gebietscharakters bedeutet dies, dass ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil i. S. d. § 34 Abs. 1 BauGB so lange vorliegt, wie wesentliche Teile des in der näheren Umgebung vorhandenen Bestandes an baulichen Anlagen nicht vom Verfall betroffen sind. Ist dagegen die Mehrheit der umliegenden baulichen Anlagen bereits so verfallen, dass kein Bestandsschutz mehr besteht, kann die Eigenschaft des im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Einzelfall verloren gehen.921 Dies bedeutet, dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens in solchen Bereichen künftig nach § 35 BauGB beurteilt. Betroffene Grundstückseigentümer können allenfalls einen Anspruch aus Planungsschadensrecht geltend machen.922

918  BVerwG,

Beschl. v. 21.03.2011 – 4 B 18 / 01 –, NVwZ 2002, 92, 92. Goldschmidt, DVBl. 2011, 591, 595. 920  Goldschmidt, DVBl. 2011, 591, 596. 921  Vgl. Graupeter, ZfBR 2010, 742, 749. 922  Näher dazu, vgl. oben, 4. Kapitel, IV. 1. c). 919  Vgl.

5. Kapitel

Berücksichtigung des demografischen Wandels im Bauordnungsrecht Der demografische Wandel stellt auch das Bauordnungsrecht vor erheb­ liche Herausforderungen. Das Rechtsgebiet befasst sich dabei konkret mit den rechtlichen Folgen des Verfalls und der Nichtnutzung baulicher Anlagen, mit deren Beseitigung sowie mit den Anforderungen an ein seniorengerechtes Bauen.

I. Verfall und Nichtnutzung baulicher Anlagen und deren Beseitigung Bei der Frage des Umgangs mit ruinösen baulichen Anlagen ist danach zu unterscheiden, ob die entsprechende Anlage bereits verfallen ist, d. h. über beträchtliche Substanzschäden verfügt und ihren Bestandsschutz deshalb schon verloren hat oder ob sie erst im Verfall begriffen und noch bestandsgeschützt ist. Grund dafür sind die in beiden Konstellationen unterschiedlichen Eingriffsbefugnisse der Behörden.

1. Vorgehen gegen verfallene bauliche Anlagen a) Erlass einer Beseitigungsanordnung aa) Voraussetzungen (1) Formelle Illegalität Aufgrund rückläufiger Bevölkerungszahlen sowie der Überalterung der Bewohner und der damit verbundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten steht in manchen Gegenden eine Vielzahl an Immobilien leer und droht zu verfallen. Die Beseitigung solcher Gebäude entwickelt sich zunehmend zu einer Herausforderung für das Bauordnungsrecht. Die Bauordnungen der Länder sehen vor, dass bei Anlagen, die im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurden, die Bauaufsichtsbehörde eine Beseitigungsanordnung erlassen kann, wenn nicht auf andere

486

5. Kap.: Bauordnungsrecht

Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.1 Da es sich bei den im Mittelpunkt der Untersuchung stehenden baulichen Anlagen um Gebäude handelt, die regelmäßig einer Baugenehmigung bedürfen, ist formelle Illegalität dann anzunehmen, wenn es an der erforderlichen Baugenehmigung fehlt.2 Vergleichsweise unproblematisch ist die Bejahung der formellen Illegalität solcher baulicher Anlagen, die, obwohl genehmigungspflichtig, zu keinem Zeitpunkt von einer Baugenehmigung gedeckt waren und nun verfallen sind. Schwieriger gestaltet sich die Beurteilung baulicher Anlagen, für die ursprünglich eine Baugenehmigung erteilt worden war. Fraglich ist, ob in diesen Fällen eine Beseitigungsanordnung in Betracht kommt. Eine Errichtung im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften scheint auf den ersten Blick nicht gegeben zu sein, wenn für eine bauliche Anlage, wie im Regelfall, ursprünglich eine Baugenehmigung erteilt worden ist. Allerdings ist in einem zweiten Schritt zu bedenken, dass sich die Baugenehmigung durch den Verfall des Gebäudes möglicherweise nach § 43 Abs. 2 5. Var. VwVfG erledigt hat. Eine solche Erledigung auf andere Weise ist dann anzunehmen, wenn der Verfall der baulichen Anlage so weit fortgeschritten, dass von einem Identitätsverlust auszugehen ist, d. h. wenn die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen oder gar übersteigen würden.3 Allerdings wirkt die Erledigung auf andere Weise nach § 43 Abs. 2 5. Var. VwVfG lediglich mit Wirkung ex nunc,4 so dass die bauliche Anlage ursprünglich nicht im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet wurde.5 Darauf kommt es jedoch nicht an. Es ist vielmehr ausreichend, dass die den Bestandsschutz vermittelnde Baugenehmigung ihre bindende Wirkung verliert,6 da sich die Schutzwirkung der Baugenehmigung nur auf ein der Baugenehmigung entsprechend nutzbares und 1  Vgl. etwa die Formulierung in Art. 76 S. 1 BayBO; lediglich Nordrhein-Westfalen verfügt über keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Beseitigungsan­ordung, so dass hier auf die Generalklausel zurückzugreifen ist, vgl. auch BMVBS / BBSR / BBR, Leitfaden zum Einsatz von Rechtsinstrumenten beim Umgang mit verwahrlosten Immobilien („Schrottimmobilien“), S. 25. 2  Schmaltz, in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, §  89 Rn. 14; Decker, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 80. 3  Näher dazu oben, 4. Kapitel, IV. 2. 4  Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, §  43 Rn.  190. 5  Zum ähnlich gelagerten Fall des Widerrufs einer Baugenehmigung mit Wirkung ausschließlich ex nunc, vgl. OVG Münster, Urt. v. 02.12.1987 – 11 A 408 / 86 –, NVwZ 1988, 942, 943. 6  So auch Mampel, BauR 1996, 13, 20; Schmaltz, in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, §  89 Rn.  14; Decker, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 80.



I. Verfall und Nichtnutzung baulicher Anlagen487

damit nicht auch auf ein verfallenes Bauwerk bezieht.7 Ein verfallenes Gebäude erfüllt danach die Voraussetzungen der formellen Illegalität auch dann, wenn es im Zeitpunkt seiner Errichtung durch eine Baugenehmigung legalisiert war. (2) Materielle Illegalität Neben der formellen Illegalität muss die entsprechende bauliche Anlage auch materiell rechtswidrig sein, d. h. sie muss den materiellen Anforderungen des öffentlichen Baurechts widersprechen.8 Dies wird bei verfallenen Gebäuden regelmäßig der Fall sein. Die Erteilung einer Baugenehmigung wird schon deswegen nicht in Betracht kommen, weil die verfallene bau­ liche Anlage zumindest gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften, etwa über die Standsicherheit verstößt, welche bei der Beurteilung der materiellen Rechtmäßigkeit zu prüfen sind.9 (3) Bestandsschutz Trotz formeller und materieller Illegalität einer baulichen Anlage kommt der Erlass einer Beseitigungsanordnung nicht in Betracht, wenn die Anlage Bestandsschutz genießt. Bestandsschutz ist nur dann anzunehmen, wenn die bauliche Anlage für einen namhaften Zeitraum dem materiellen öffentlichen Recht entsprochen hat.10 Für welchen Zeitraum diese Übereinstimmung mit dem materiellen Recht vorgelegen haben muss, ist umstritten, doch ist vor dem Hintergrund der maximalen Bearbeitungsdauer für einen Bauantrag gemäß § 75 S. 2 VwGO ein Zeitraum von wenigstens drei Monaten zu fordern.11 Der Bestandsschutz erlischt jedoch, wenn eine bauliche Anlage so verfallen ist, dass der ursprünglich legale Bestand in seiner Substanz praktisch nicht mehr vorhanden ist und die zur Instandsetzung erforderlichen 7  Schmaltz, in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, §  89 Rn. 14. 8  Schmaltz, in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, §  89 Rn. 19; Decker, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 100. 9  Zum Prüfprogramm, vgl. Decker, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 101. 10  BVerwG, Urt. v. 23.02.1979 – 4 C 86 / 76 –, NJW 1980, 252, 252; BVerwG, Urt. v. 13.06.1980 – 4 C 98 / 77 –, NJW 1981, 473, 473; BVerwG, Urt. v. 26.05.1978 – 4 C 9 / 76 –, BRS 33 Nr. 37. 11  So auch BVerwG, Urt. v. 26.05.1978 – 4 C 9 / 76 –, BRS 33 Nr. 37, das einen „namhaften“ Zeitraum verlangt; a. A. allerdings OVG Lüneburg, Urt. v. 28.03.1966 – I A 198 / 63, 200 / 63 und 209 / 63 –, BRS 17 Nr. 150, das eine logische Sekunde ausreichen lässt.

488

5. Kap.: Bauordnungsrecht

Aufwendungen denen für einen Neubau nahezu gleich kommen.12 Aus diesem Grund genießen verfallene Gebäude regelmäßig keinen Bestandsschutz. (4) Ermessen der Behörde Selbst wenn die bauliche Anlage nicht bestandsgeschützt ist, liegt der Erlass einer Beseitigungsanordnung im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, doch wird es in der Regel pflichtgemäßer Ermessensausübung entsprechen, wenn die Bauaufsichtsbehörde gegen eine formell und materiell rechtswidrige bauliche Anlage einschreitet.13 Dies gilt umso mehr, wenn die bauliche Anlage eine Gefahr für Leib und Leben von Nachbarn oder Passanten darstellen kann oder das Ortsbild verunstaltet. bb) Durchsetzung und Verhältnis zu § 179 BauGB Für die Beseitigung und deren Kosten muss derjenige aufkommen, der für die verfallene bauliche Anlage verantwortlich ist. Dies wird nach sicherheitsrechtlichen Gesichtspunkten regelmäßig der Handlungsstörer sein, d. h. derjenige, der als Bauherr, etwa gemäß Art. 50 Abs. 1 S. 1 BayBO, für die Errichtung oder Änderung der formell und materiell rechtswidrigen Anlage unmittelbar verantwortlich ist.14 Wird die Beseitigungsanordnung nicht freiwillig befolgt, kommt eine zwangsweise Durchsetzung mit den Mitteln des Verwaltungsvollstreckungsrechts in Betracht.15 Die bauordnungsrechtliche Beseitigungsanordnung wird nicht durch das bauplanungsrechtliche Rückbaugebot gemäß § 179 BauGB16 verdrängt, da nach § 175 Abs. 5 BauGB die landesrechtlichen Vorschriften von den städtebaulichen Geboten unberührt bleiben.17 Darüber hinaus verfolgen beide Vorschriften unterschiedliche Zielsetzungen.18 Während die Beseitigungsanordnung der Be12  BVerwG, Beschl. v. 11.12.1997 – 4 B 231 / 96 –, NVwZ-RR 1997, 521, 521; Decker, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 129; Brenndörfer, Reichweite und Grenzen des baurechtlichen Bestandsschutzes, S. 242 f. 13  Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 06.11.1968 – IV C 31.66 –, BeckRS 1968, 30425780; VGH München, Urt. v. 16.12.1981 – 15 B 81 A. 896 –, BayVBl. 1982, 435, 436. 14  Decker, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 163. 15  Vgl. dazu auch BMVBS / BBSR / BBR, Leitfaden zum Einsatz von Rechtsinstrumenten beim Umgang mit verwahrlosten Immobilien („Schrottimmobilien“), S. 26. 16  Näher dazu, vgl. oben, 4. Kapitel, III. 3. d) cc) (3). 17  Vgl. dazu auch Guckelberger, NVwZ 2010, 743, 744. 18  Schmaltz, in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, §  89 Rn. 33.



I. Verfall und Nichtnutzung baulicher Anlagen489

seitigung baurechtswidriger Zustände dient, soll mit Hilfe des Rückbaugebots entweder ein Bebauungsplan verwirklicht (§ 179 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) oder nicht mehr modernisierungs- oder instandsetzungsfähige Bausubstanz beseitigt werden (§ 179 Abs. 1 Nr. 2 BauGB). Beim Rückbaugebot darf zudem der Bestandsschutz nicht entfallen sein,19 so dass im Vergleich zur bauaufsichtlichen Beseitigungsanordnung ein zeitlich früheres Einschreiten möglich ist.20 cc) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Die bauordnungsrechtliche Beseitigungsanordnung ist grundsätzlich zur Beseitigung von verfallenen Schrottimmobilien geeignet. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Adressat der Beseitigungsanordnung freiwillig nachkommt. Weigert sich dieser hingegen, der Beseitigungsanordnung Folge zu leisten, verbleibt der Bauaufsichtsbehörde zwar die Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung, was aber mit erheblichem finanziellem Aufwand verbunden sein kann. Ein Kostenrisiko für den Staat entsteht besonders dann, wenn der Verantwortliche zahlungsunfähig ist und die Kosten der Verwaltungsvollstreckung nicht beigetrieben werden können.21 Angesichts knapper öffentlicher Mittel ist fraglich, ob die Behörde das Kostenrisiko auf sich nimmt und eine Beseitigungsanordnung mit Zwangsmitteln durchsetzt, wenn die Zahlungsunfähigkeit des Adressaten absehbar ist. Abhilfe bringen könnte in solchen Fällen die Festsetzung und Beitreibung eines Vorschusses für die Beseitigungskosten. Hingegen wird die Verpflichtung gemäß § 95 Abs. 3 S. 1 BauGB, für bauliche Anlagen, deren Rückbau auf Grund bauordnungsrechtlicher Vorschriften jederzeit entschädigungslos verlangt werden kann, ausnahmsweise eine Entschädigung zu leisten, wenn dies der Billigkeit entspricht,22 dem Erlass einer Beseitigungsanordnung in der Praxis kaum entgegenstehen, da der Eigentümer einer verfallenen Ruine grundsätzlich nicht erwarten kann, eine Entschädigung zu erhalten, nachdem er zuvor jegliche Instandsetzungsleistungen unterlassen hat.

19  Goldschmidt,

DVBl. 2011, 591, 598. in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, §  89 Rn. 33; BMVBS / BBSR / BBR, Leitfaden zum Einsatz von Rechtsinstrumenten beim Umgang mit verwahrlosten Immobilien („Schrottimmobilien“), S. 26 f. 21  BMVBS / BBSR / BBR, Leitfaden zum Einsatz von Rechtsinstrumenten beim Umgang mit verwahrlosten Immobilien („Schrottimmobilien“), S. 25. 22  Die Anwendbarkeit der Vorschrift auf baufällige Anlagen bejahend, Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 95 Rn. 11 m. w. N. 20  Schmaltz,

490

5. Kap.: Bauordnungsrecht

b) Bauordnungsrechtliche Generalklausel Die Bauordnungen der Länder enthalten in der Regel eine so genannte bauordnungsrechtliche Generalermächtigung, wonach die Bauaufsichtsbehörden darüber zu wachen haben, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften bei der Errichtung, Änderung, dem Abbruch oder der Nutzungsänderung bzw. der Instandhaltung von baulichen Anlagen eingehalten werden.23 Hinzu kommt eine Befugnisgrundlage, wonach die Bauaufsichtsbehörden zur Wahrnehmung dieser Aufgaben die erforderlichen Maßnahmen treffen können,24 wozu beispielsweise die Anordnung von Maßnahmen zur Gewährleistung der Standsicherheit gehört.25 Allerdings ist die Generalklausel subsidiär gegenüber den spezielleren Befugnisnormen, insbesondere auch gegenüber der Beseitigungsanordnung,26 so dass ein Rückgriff auf die Generalklausel im Falle verfallener baulicher Anlagen nicht möglich ist. Hinzu kommt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Generalklausel ihrem Wortlaut nach eine aktive Tätigkeit wie die Errichtung oder die Änderung baulicher Anlagen verlangen. Ein solches aktives Tätigwerden wird regelmäßig nicht gegeben sein, wenn eine leer stehende bauliche Anlage langsam verfällt.27 Die bloße Nichtnutzung und der Verzicht auf erhaltende Maßnahmen können auch nicht als „Instandhaltung“ verstanden werden.28 Schon deshalb lassen sich Anordnungen in Bezug auf verfallene bauliche Anlagen bis hin zur Beseitigung nicht auf die Generalklausel stützen. Anders stellt sich die Situation lediglich in Nordrhein-Westfalen dar, denn die nordrhein-westfälische Landesbauordnung verfügt über keine spezielle Ermächtigungsgrundlage für die Beseitigung von baulichen Anlagen. Hier kann die Beseitigungsverfügung auf die bauordnungsrechtliche Generalklausel gestützt werden.29

23  So etwa Art. 54 Abs. 2 S. 1 BayBO; ähnlich auch § 47 Abs. 1 S. 1 BaWü­BauO; § 58 Abs. 1 S. 1 BerlBauO; § 52 Abs. 2 S. 1 BbgBauO; § 58 Abs. 2 S. 1 BremLBO; § 58 Abs. 1 S. 1 HBauO; § 61 Abs. 1 S. 1 NWBauO. 24  So Art. 54 Abs. 2 S. 2 BayBO; ähnlich auch § 47 Abs. 1 S. 2 BaWüBauO; § 58 Abs. 1 S. 2 BerlBauO; § 52 Abs. 2 S. 2 BbgBauO; § 58 Abs. 2 S. 2 BremLBO; § 58 Abs. 1 S. 2 HBauO; § 61 Abs. 1 S. 2 NWBauO; dagegen sieht die niedersächsische Bauordnung sieht keine derartige Generalklausel vor, vgl. Wiechert, in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, §  65 Rn.  2. 25  VGH Mannheim, Urt. v. 28.05.1968 – III 192  / 67 –, BRS 20 Nr. 194; Dirnberger, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 54 Rn. 52. 26  Vgl. Dirnberger, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 54 Rn. 37. 27  Vgl. Gröpl, BayVBl. 1995, 292, 295. 28  Gröpl, BayVBl. 1995, 292, 295. 29  Vgl. auch BMVBS / BBSR / BBR, Leitfaden zum Einsatz von Rechtsinstrumenten beim Umgang mit verwahrlosten Immobilien („Schrottimmobilien“), S. 25.



I. Verfall und Nichtnutzung baulicher Anlagen491

c) Anforderungen an bestandsgeschützte bauliche Anlagen Teilweise enthalten die Landesbauordnungen darüber hinaus Vorschriften, auf deren Grundlage Anforderungen an bestandsgeschützte bauliche Anlagen gestellt werden können. So können nach Art. 54 Abs. 4 BayBO bei bestandsgeschützten baulichen Anlagen Anforderungen gestellt werden, wenn das zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig ist.30 Im Verhältnis zur Befugnisnorm über den Erlass von Beseitigungsanordnungen ist die Vorschrift subsidiär, doch kann Art. 54 Abs. 4 BayBO heran gezogen werden, wenn wegen des Bestandsschutzes einer baulichen Anlage keine Beseitigungsanordnung ergehen kann.31 Wichtige Anwendungsfälle sind einsturzgefährdete Gebäude oder Teile davon,32 was bei verfallenen Gebäuden häufig anzutreffen sein wird. Befindet sich ein Anwesen in einem derart ruinösen Zustand, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung z. B. neugierige Jugendliche oder vorbeikommende Spaziergänger durch einstürzende oder herabstürzende Dach- oder Mauerteile verletzt werden können, ist die Möglichkeit einer Beeinträchtigung von Leben und Gesundheit gegeben.33 Hier kann die Vornahme baulicher oder sonstiger Erhaltungsmaßnahmen, der Ein- oder Anbau von Bauteilen sowie die Instandsetzung der baulichen Anlage angeordnet werden.34 Auch die ganze oder teilweise Beseitigung einer baulichen Anlage aus Sicherheitsgründen, z. B. wegen Baufälligkeit kann auf diese Rechtsgrundlage gestützt werden.35 Sollen nachträgliche Anforderungen an bestehende bauliche Anlagen, welche auf dem Erlass neuer bautechnischer Vorschriften beruhen, durchgesetzt werden, kann dies bei verfallenen, nicht mehr bestandsgeschützten baulichen Anlagen ebenfalls über Art. 54 Abs. 4 BayBO geschehen. Die Vorschrift bezieht sich ihrem Wortlaut nach zwar nur auf bestandsgeschützte bauliche Anlagen, ist aber auf verfallene, nicht mehr bestandsgeschützte Anlagen zumindest analog anwendbar, denn wenn sogar bestandsgeschützte Anlagen erfasst werden, muss dies erst recht für die weniger schutzwürdi30  Ähnlich auch § 57 Abs. 3 SaarlBauO; § 85 Abs. 1 S. 1 RhPfBauO; § 53 Abs. 3 HessBauO. 31  Dirnberger, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 54 Rn. 158. 32  VGH München, Beschl. v. 31.07.1995 – 1 CS 95  / 2359 –; VGH München, Beschl. v. 19.08.1997 – 2 ZS 97.2413 –; VGH München, Beschl. v. 11.02.1999 – 2 ZS 99 / 453 –; Fundstellen zit. bei Dirnberger, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 54 Rn. 171. 33  VGH München, Urt. v. 22.09.1986 – Nr. 14 B 85 A.707 –, BayVBl. 1987, 597, 597; Dirnberger, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 54 Rn. 171. 34  Dirnberger, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 54 Rn. 171. 35  Dirnberger, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 54 Rn. 173.

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5. Kap.: Bauordnungsrecht

gen nicht bestandsgeschützten Anlagen gelten.36 Die Vorschrift wird insoweit durch die Möglichkeit des Vorgehens auf Grundlage der zum Erlass einer Beseitigungsanordnung ermächtigenden Norm, in Bayern auf Grundlage des Art. 76 S. 1 BayBO, nicht verdrängt.37 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass durch die Möglichkeit, nachträgliche Anforderungen an bestandsgeschützte bauliche Anlagen zu stellen, die Beseitigung verfallener baulicher Anlagen nicht erleichtert wird. Entsprechendes gilt für die Anordnung erhaltender oder sichernder Maßnahmen, da Art. 54 Abs. 4 BayBO das Vorliegen einer zumindest abstrakten Gefahr38 für Leben oder Gesundheit sowie eine pflichtgemäße Ermessensausübung verlangt und damit im Vergleich zu Art. 76 S. 1 BayBO strengere Voraussetzungen vorsieht.

2. Vorgehen gegen verfallende bauliche Anlagen a) Spezielle Befugnisnormen zur Beseitigung verfallender baulicher Anlagen aa) Inhalt und Motive spezialgesetzlicher Befugnisnormen Differenzierter gestaltet sich die Situation, wenn die bauliche Anlage zwar im Verfall begriffen ist, ihren durch die Baugenehmigung vermittelten Bestandsschutz aber noch nicht verloren hat.39 Nach der herkömmlichen Konzeption des Bauordnungsrechts ist ein Einschreiten gegen eine mit dem materiellen Recht im Einklang stehende bauliche Anlage erst dann möglich, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für Leib und Leben erforderlich ist,40 etwa wenn Passanten durch herabstürzende Dachteile verletzt zu werden auch Gröpl, BayVBl. 1995, 292, 296. in: Simon / Busse, BayBO, Art. 54 Rn. 165. 38  VGH München, Beschl. v. 30.07.1992 – Nr. 15 CS 92.1935 –, KommPrax 1992, 439, 439; strenger insoweit VGH Kassel, Beschl. v. 18.10.1999 – 4 TG 3007 / 97 –, NVwZ-RR 2000, 581, 582, zu § 61 Abs. 3 HessBauO a. F.; ähnlich OVG Hamburg, Beschl. v. 04.01.1996 – Bs II 61 / 95 –, NVwZ-RR 1997, 466, 467 zu § 69 Abs. 3 und § 83 Abs. 2 HBauO a. F. 39  Zum Vorgehen gegen nicht genehmigte, nicht genehmigungsfähige und auch nicht bestandsgeschützte bauliche Anlagen, s. oben, 5. Kapitel, I. 1. a). 40  Vgl. etwa Art. 54 Abs. 4 BayBO; § 85 Abs. 1 S. 1 RhPfBauO; § 57 Abs. 3 SaarlBauO; § 61 Abs. 3 NWBauO („Anforderungen können gestellt werden, um dabei nicht voraussehbare Gefahren oder unzumutbare Belästigungen von der Allgemeinheit oder denjenigen, die die bauliche Anlage benutzen, abzuwenden“); § 53 Abs. 3 HessBauO („soweit dies zur Abwehr von Gefahren oder schweren Nachteilen für die Allgemeinheit notwendig ist“). 36  So

37  Dirnberger,



I. Verfall und Nichtnutzung baulicher Anlagen493

drohen.41 Die bloße Verwahrlosung für sich allein genügt selbst dann nicht, wenn sie zu einem städtebaulichen Missstand erheblich beiträgt. Auf diese Regelungslücke haben einige Bundesländer reagiert, indem sie spezielle Befugnisnormen zur Beseitigung verfallender baulicher Anlagen in ihre Landesbauordnungen eingefügt haben. Nach § 79 Abs. 2 BremLBO etwa kann die Bauaufsichtsbehörde den Abbruch oder die Beseitigung baulicher Anlagen anordnen, soweit diese nicht genutzt werden und im Verfall begriffen sind, es sei denn, dass ein öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse an ihrer Erhaltung besteht. Ähnliche Befugnisnormen enthalten die Landesbauordnungen von Brandenburg (§ 74 Abs. 2 BbgBauO), Hamburg (§ 76 Abs. 2 Nr. 1 HBauO), Niedersachsen (§ 79 Abs. 3 NdsBauO), Rheinland-Pfalz (§ 82 RhPfBauO) und dem Saarland (§ 82a SaarlBauO42).43 Ziel der genannten Vorschriften ist neben dem Schutz des Land- und Ortschaftsbildes sowie der Umwelt die Schaffung eines Instrumentariums, mit dessen Hilfe die Behörden gegen bauliche Anlagen vorgehen können, deren Bestandsschutz zwar noch nicht entfallen ist, die jedoch mangels Instandhaltung im Verfallen begriffen sind.44 Nach § 59 Abs. 2 Nr. 3 2. Var. BauO S-H ist kann die Beseitigung einer baulichen Anlage angeordnet werden, wenn auf Grund ihres Zustandes auf Dauer eine Nutzung nicht mehr zu erwarten ist, insbesondere bei Ruinen. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine Befugnis zum Einschreiten gegen im Verfallen begriffene bauliche Anlagen, sondern die Vorschrift setzt eine bereits verfallene Ruine voraus,45 bei der ohnehin kein Bestandsschutz mehr besteht und daher eine Beseitigungsanordnung möglich wäre. Insoweit handelt es sich lediglich um eine Klarstellung. bb) Voraussetzungen und Rechtsfolgen Die entsprechenden Vorschriften in den Landesbauordnungen zur Beseitigung verfallender baulicher Anlagen sehen vor, dass eine Abbruchsanordnung dann ergehen kann, wenn eine bauliche Anlage nicht genutzt wird und 41  Guckelberger,

NVwZ 2010, 743, 743. Unterschied zu den anderen genannten Bundesländern sind im Saarland die Gemeinden, und nicht die unteren Bauaufsichtsbehörden für den Erlass der Beseitigungsanordnung zuständig, vgl. dazu auch Bitz, SKZ 2009, 262, 265. 43  S. auch die Aufzählung bei Guckelberger, NVwZ 2010, 743, 743. 44  BremLT-Drs. 17  /  925, S. 135; SaarlLT-Drs. 13  /  1349, S. 62; vgl. Guckelberger, NVwZ 2010, 743, 744, Fn. 16; dazu auch Bitz, SKZ 2009, 262, 264. 45  Vgl. Arndt / Jensen / Thomsen / Witt, Handkommentar zur LBO Schleswig-Holstein, § 86 Rn. 16, was jedoch auch für § 59 Abs. 2 Nr. 3 2. Var. BauO S-H gilt, da es sich insoweit um die Vorgängernorm handelt. 42  Im

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5. Kap.: Bauordnungsrecht

diese zugleich im Verfall begriffen ist46 bzw. zu verfallen droht47. Weiterhin darf kein öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse an der baulichen Anlage vorhanden sein. Auch denkmalschutzrechtliche Bestimmungen dürfen einer Beseitigung der baulichen Anlage nicht entgegenstehen.48 Eine Anlage ist nach der Begründung zur bremischen Landesbauordnung im Verfall begriffen, wenn ihre Erhaltung auch einem minderen Standard an ortsüblicher Pflege und Erhaltung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht mehr genügt und sie deshalb offenbare Zeichen eines fortschreitenden Verfalls aufweist.49 Das OVG Koblenz geht davon aus, dass eine bauliche Anlage im Verfall begriffen ist, wenn sie in ihrer baulichen Substanz beeinträchtigt ist und eine Vergrößerung der vorhandenen Schäden zu erwarten ist, ohne dass eine völlige Unbrauchbarkeit oder Zerstörung eingetreten sein müsste.50 Dies wird in den Fällen der so genannten Schrottimmobilien regelmäßig der Fall sein. Die bauliche Anlage darf ferner nicht mehr genutzt werden. Nach Auffassung des OVG Koblenz ist diese Voraussetzung vor dem Hintergrund von Art. 14 Abs. 1 GG erst erfüllt, wenn das Gebäude über mehrere Jahre hinweg ungenutzt bleibt.51 Ob durch die jahrelange Nichtnutzung auch schon der Bestandsschutz entfallen ist, bleibt eine Frage des Einzelfalls. Der brandenburgische Landesgesetzgeber geht offenbar davon aus, dass auf Grund des Verfalls schon kein Bestandsschutz mehr gegeben ist.52 An der Anwendbarkeit der entsprechenden Vorschriften ändert dies jedenfalls nichts, denn wenn schon im Verfall begriffene Anlagen auf dieser Rechtsgrundlage beseitigt werden können, muss dies erst recht für solche Anlagen gelten, deren Bestandsschutz schon verloren gegangen ist. Darüber hinaus darf kein öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse an der Erhaltung der baulichen Anlage entgegenstehen. Ein öffent­liches Erhaltungsinteresse liegt insbesondere vor, wenn es sich um ein Baudenk46  So die Formulierung in § 79 Abs. 2 BremLBO, § 79 Abs. 3 NdsBauO, der von „verfallen“ spricht, § 82 S. 1 RhPfBauO und § 82 a S. 1 SaarlBauO. 47  So die Formulierung in § 74 Abs. 2 BbgBauO. 48  Näher zu dieser Problematik in Bezug auf Thüringen, vgl. Schwan, ThürVBl. 2010, 49, 49 f. 49  BremLT-Drs. 17 / 925, S.  135. 50  OVG Koblenz, Urt. v. 22.04.1999 – 1 A 11193  / 98 –, NVwZ-RR 1999, 718, 719; Guckelberger, NVwZ 2010, 743, 745. 51  OVG Koblenz, Urt. v. 22.04.1999 – 1 A 11193  / 98 –, NVwZ-RR 1999, 718, 718 f. 52  BbgLT-Drs. 1  /  2760, S. 126; in diese Richtung auch Goldschmidt, DVBl. 2011, 591, 598; Schmaltz, in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, § 89 Rn. 31 zu § 54 NdsBauO; a. A. Bahnsen, Der Bestandsschutz im öffentlichen Baurecht, S. 208 f. zu § 74 Abs. 2 BbgBauO.



I. Verfall und Nichtnutzung baulicher Anlagen495

mal handelt oder eine Erhaltungssatzung nach § 172 BauGB erlassen werden könnte.53 Ein schutzwürdiges privates Interesse ist zu bejahen, wenn der Eigentümer glaubhaft machen kann, das Bauwerk wiederherstellen oder die noch vorhandene Substanz in einen neuen Bau einbeziehen zu wol­ len und das Vorhaben realistischerweise auch verwirklicht werden kann.54 Hieran dürfte es in der Regel fehlen, da gerade in Zeiten des Bevölkerungsrückgangs kaum Interesse am Wiederaufbau eines verfallenden Gebäudes bestehen wird. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der fraglichen Vorschrift vor, kann die zuständige Bauaufsichtsbehörde den Abbruch oder die Beseitigung der verfallenden baulichen Anlage durch Verwaltungsakt anordnen. cc) Durchsetzung und Rechtsstellung des Betroffenen Der Adressat der Beseitigungsanordnung, in der Regel der Eigentümer, ist verpflichtet, die bauliche Anlage selbst und auf eigene Kosten zu beseitigen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, kann die Behörde die Anordnung mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchsetzen, insbesondere eine Ersatzvornahme durchführen. Eine Entschädigung des Betroffenen ist dabei nicht vorgesehen. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, denn die entsprechenden Befugnisnormen zur Beseitigung verfallender baulicher Anlagen sind verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmungen i. S. d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG,55 zumal der Wert des Grundstücks in der Regel steigt, wenn ein verfallendes Gebäude beseitigt wird.56 Allerdings kann es Fälle geben, in denen das Abbruchverlangen für den Betroffenen eine unzumutbare Härte darstellt, etwa, wenn die Beseitigungskosten den Wert des Grundstücks, das zugleich den wesentlichen Teil seines Vermögens darstellt, erheblich übersteigen.57 Hier wird die Bauaufsichtsbehörde in der Regel aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten auf das Abbruchverlangen verzichten müssen, es sei denn, von Seiten der Gemeinde oder des Landkreises wird ein Teil der Abbruchkosten übernommen.58

53  Wiechert, in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, §  54 Rn. 6. 54  Wiechert, in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, §  54 Rn. 6. 55  Näher dazu, Guckelberger, NVwZ 2010, 743, 747; Wiechert, in: GroßeSuchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, §  54 Rn.  8. 56  Vgl. auch BremLT-Drs. 17 / 925, S. 135. 57  Guckelberger, NVwZ 2010, 743, 747. 58  Wiechert, in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, §  54 Rn. 8.

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5. Kap.: Bauordnungsrecht

dd) Verhältnis zu § 179 BauGB Die landesrechtlichen Abbruchsnormen sind gemäß § 175 Abs. 5 BauGB neben § 179 BauGB anwendbar. Im Übrigen gilt das zur Beseitigungsanordnung und deren Verhältnis zu § 179 BauGB Gesagte.59 Insbesondere verfolgen die landesrechtlichen Abbruchsnormen im Vergleich zu § 179 BauGB eine andere Zielsetzung. ee) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Durch die Schaffung spezieller Befugnisnormen zur Beseitigung verfallender baulicher Anlagen haben die Landesgesetzgeber eine Regelungslücke beim Umgang mit derartigen baulichen Anlagen geschlossen. Klassische Beseitigungsanordnungen sind in solchen Fällen wegen des oft noch vorhandenen Bestandsschutzes nicht möglich und auch der Erlass eines Rückbaugebots nach § 179 BauGB erweist sich häufig als unpraktikabel.60 Der Begriff der nicht mehr genutzten und im Verfall begriffenen baulichen Anlage soll die Rechtsanwendung für die Bauaufsichtsbehörde erleichtern. Allerdings handelt es sich bei den genannten Voraussetzungen um unbestimmte Rechtsbegriffe, die der Auslegung durch die Behörden und gegebenenfalls durch die Gerichte bedürfen. Hinzu kommt, dass bei der Ermessens­ ausübung wegen des tangierten Eigentumsgrundrechts besondere Sorgfalt von Nöten ist.61 Eine unkomplizierte Anwendung der fraglichen Normen in der Praxis ist daher kaum zu erwarten. Überdies darf nicht verkannt werden, dass die Durchsetzung der entsprechenden Abbruchsnormen für die Bauaufsichtsbehörde mit erheblichem finanziellen Aufwand verbunden sein kann, insbesondere dann, wenn die Kosten für die Ersatzvornahme bei einem mittellosen Pflichtigen nicht beigetrieben werden können.62 Hierin besteht ein großes Hindernis für die Anwendung dieser Vorschriften.63 Deshalb bleibt abzuwarten, ob mit Hilfe spezieller Abbruchsnormen tatsächlich erfolgreich im großen Stil gegen verfallende Gebäude, von denen es in Zukunft schon auf Grund des Bevölkerungsrückgangs in vielen Gegenden immer mehr geben wird, vorgegangen werden kann. 59  Vgl.

oben, 5. Kapitel, I. 1. a) bb). auch Bitz, SKZ 2009, 262, 268 speziell für das Saarland. 61  So auch Guckelberger, NVwZ 2010, 743, 748; Schwan, ThürVBl. 2010, 49, 52; Bitz, SKZ 2009, 262, 268. 62  Guckelberger, NVwZ 2010, 743, 748. 63  So auch Goldschmidt, DVBl. 2011, 591, 599; skeptisch auch Bitz, SKZ 2009, 262, 267 f. 60  So



I. Verfall und Nichtnutzung baulicher Anlagen497

b) Bauordnungsrechtliche Generalklausel Nach der Begründung zu § 79 Abs. 2 BremLBO sollen die Bauaufsichtsbehörden gegen verfallende bauliche Anlagen sowohl auf Grund von § 79 Abs. 2 BremLBO als auch auf Grund der bauordnungsrechtlichen Generalklausel gemäß § 58 Abs. 2 BremBO vorgehen können.64 Dabei wird allerdings übersehen, dass die Generalklausel an die Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung sowie die Nutzung und Instandhaltung von Anlagen anknüpft. Diese Voraussetzungen sind im Falle bloßer Untätigkeit des Eigentümers richtigerweise nicht erfüllt,65 so dass ein Rückgriff auf die Generalklausel ausscheidet. c) Anforderungen an bestandsgeschützte bauliche Anlagen Teilweise enthalten die Landesbauordnungen neben den Spezialbefugnissen gegen verfallende bauliche Anlage auch Befugnisnormen für die Aufstellung von Anforderungen an bestandsgeschützte bauliche Anlagen. So können nach § 58 Abs. 3 S. 1 BremLBO bei bestandsgeschützten Anlagen Anforderungen gestellt werden, soweit dies zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit oder von schweren Nachteilen für die Allgemeinheit notwendig ist. Die Gesetzesbegründung zu § 79 Abs. 2 BremLBO geht davon aus, dass die Vorschrift § 53 Abs. 3 S. 1 BremLBO als lex specialis verdränge, da § 79 Abs. 2 BremLBO weitergehende Rechtsfolgen vorsehe und sogar den Abbruch einer baulichen Anlage ermögliche.66 Dies erscheint überzeugend, denn wenn bei möglicherweise noch bestandsgeschützten, aber nicht mehr genutzten und im Verfall begriffenen baulichen Anlagen sogar der Abbruch verfügt werden kann, muss dies erst recht für weniger einschneidende Maßnahmen wie die Anordnung sichernder Maßnahmen gelten. Im Anwendungsbereich der Befugnisnormen zur Beseitigung verfallender baulicher Anlagen verbleibt danach kein Raum mehr für die Anordnung von Anforderungen an bestandsgeschützte bauliche Anlagen. d) Nutzungsuntersagung Die Bauordnungen der Länder sehen die Möglichkeit des Erlasses einer Nutzungsuntersagung vor, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich64  BremLT-Drs.

17 / 925, S.  135. Gröpl, BayVBl. 1995, 292, 295 zur ähnlich lautenden bayerischen Generalklausel. 66  BremLT-Drs. 17 / 925, S.  135. 65  Vgl.

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5. Kap.: Bauordnungsrecht

rechtlichen Vorschriften genutzt werden.67 Bei verfallenden baulichen Anlagen in Zeiten rückläufiger Bevölkerungszahlen wird die Nutzungsuntersagung jedoch regelmäßig keine eigenständige Bedeutung erlangen, da die entsprechenden baulichen Anlagen leer stehen und ohnehin nicht mehr genutzt werden. Allenfalls zur Sicherheit vor erneuter Nutzung solcher Gebäude kann eine Nutzungsuntersagung ergehen. Voraussetzung dafür ist zunächst die formelle Illegalität der baulichen Anlage.68 Diese wird bei sich im Verfall befindlichen baulichen Anlagen regelmäßig nicht gegeben sein, solange die den Bestandsschutz vermittelnde Baugenehmigung sich nicht durch den Verfall des Gebäudes erledigt hat.69 Liegt aus welchen Gründen auch immer keine wirksame Baugenehmigung vor, kommt eine Nutzungsuntersagung nur dann in Betracht, wenn die bauliche Anlage nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist.70 Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit dürfte bei im Verfall begriffenen Anlagen kaum der Fall sein, so dass hier in der Regel begleitend eine Nutzungsuntersagung ergehen kann.

3. Beseitigung nicht mehr genutzter, aber intakter baulicher Anlagen a) Erlass einer Beseitigungsanordnung In Folge rückläufiger Bevölkerungszahlen kann es zu massiven Leerständen kommen, ohne dass die fraglichen Gebäude zugleich sofort im Verfall begriffen wären. Fraglich ist, ob das Bauordnungsrecht auch hierfür Instrumente vorsieht. Zu denken ist in diesem Zusammenhang zunächst an den Erlass einer Beseitigungsanordnung, was formelle und materielle Illegalität der baulichen Anlage voraussetzt. Formelle Illegalität kann sich in diesen Fällen daraus ergeben, dass die endgültige Nutzungsaufgabe zur Erledigung der ursprünglich erteilten Baugenehmigung geführt hat. Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall sein soll, ist umstritten. Nach dem Zeitmodell des Bundesverwaltungsgerichts geht innerhalb des ersten Jahres nach Nutzungs67  So

beispielsweise Art. 76 S. 2 BayBO; § 79 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 NdsBauO. Rspr., vgl. etwa VGH München, Beschl. v. 30.08.2007 – 1 CS 07 / 1253 –, BeckRS 45299; VGH München, Urt. v. 05.12.2005 – 1 B 03 / 2608 –, NVwZ-RR 2006, 754, 755; OVG Lüneburg, Beschl. v. 08.05.1987 – 6 B 10 / 87 –, NVwZ 1989, 170, 170. 69  Ausführlich dazu oben, 5. Kapitel, I. 1. a) aa) (1). 70  St. Rspr., vgl. etwa VGH München, Beschl. v. 30.08.2007 – 1 CS 07 / 1253 –, BeckRS 45299; VGH München, Urt. v. 05.12.2005 – 1 B 03 / 2608 –, NVwZ-RR 2006, 754, 755; VGH Mannheim, Beschl. v. 01.02.2007 – 8 S 2606 / 06 –, NJOZ 2007, 1918, 1920; a. A. etwa VGH Mannheim, Beschl. v. 13.06.1996 – 5 S 1211 / 96 –, NVwZ 1997, 601, 602, der auch materielle Illegalität der baulichen Anlage verlangt. 68  St.



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aufgabe die Verkehrsauffassung stets von der Wiederaufnahme der Nutzung aus, während im Laufe des zweiten Jahres immerhin noch eine Vermutung für die Wiederaufnahme spricht, die sich jedoch nach Ablauf von zwei Jahren umkehrt.71 Dies ist jedoch wenig überzeugend, zumal keine Rechtspflicht zur Ausnutzung einer Baugenehmigung besteht.72 Erst wenn weitere Hinweise auf einen endgültigen Verzichtswillen des Berechtigten hinzu kommen, kann von einer endgültigen Nutzungsaufgabe und damit von einer Erledigung der Baugenehmigung auf andere Weise i. S. v. § 43 Abs. 2 5. Var. VwVfG gesprochen werden. Solche Indizien werden regelmäßig schwer zu ermitteln sein, wenn das fragliche Gebäude leer steht, ohne dass sich der Berechtigte dazu geäußert hat und ohne dass bereits der Verfall eingetreten ist. Der Erlass einer Beseitigungsanordnung scheidet in solchen Fällen daher regelmäßig aus. b) Bauordnungsrechtliche Generalklausel Ein Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde gegen bloße Leerstände kommt nicht in Betracht, denn die bauordnungsrechtliche Generalklausel verlangt die Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung, Beseitigung, Nutzung oder Instandhaltung einer baulichen Anlage.73 Ein solcher Tatbestand liegt bei der bloßen Nichtnutzung aber gerade nicht vor.74 c) Bewertung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels Die Bauaufsichtsbehörden haben in der Regel keine Möglichkeit, mit bauordnungsrechtlichen Mitteln gegen Gebäudeleerstände einzuschreiten, solange der Verfall der baulichen Anlagen noch nicht eingesetzt hat. Dies kann in manchen Gegenden dazu führen, dass auf Grund des Bevölkerungsrückgangs eine Vielzahl an Gebäuden leer steht und das Ortsbild beeinträchtigt, ohne dass die Bauaufsichtsbehörden dagegen einschreiten könnten. Dies ist zweifellos unbefriedigend, vor dem Hintergrund von Art. 14 Abs. 1 GG und des baurechtlichen Bestandsschutzes jedoch nicht zu ändern, zumal das Bauordnungsrecht in erster Linie der Bekämpfung baurechtswidriger Zustände und der Gefahrenabwehr, nicht jedoch der Beseitigung allgemeiner städtebaulicher Missstände dient. 71  BVerwG, Urt. v. 21.08.1981 – 4 C 65 / 80 –, NJW 1982, 400, 401 f.; BVerwG, Urt. v. 18.05.1995 – 4 C 20 / 94 –, NVwZ 1996, 379, 379 f.; näher dazu, vgl. oben, 4. Kapitel, IV. 2. 72  Ausführlich dazu oben, 4. Kapitel, IV. 2. 73  Ausführlich dazu schon oben, 5. Kapitel, I. 1. b). 74  So auch Gröpl, BayVBl. 1995, 292, 295.

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5. Kap.: Bauordnungsrecht

II. Bauordnungsrechtliche Anforderungen an seniorengerechtes Bauen 1. Zugang zu Gebäuden a) Der Allgemeinheit zugängliche bauliche Anlagen Die Bauordnungen der Länder enthalten Vorschriften zur barrierefreien Zugänglichkeit und Benutzbarkeit baulicher Anlagen, insbesondere solcher, welche für die Allgemeinheit zugänglich sind. So enthält Art. 48 Abs. 2 S. 2 BayBO einen nicht abschließenden Katalog mit Vorhaben, die in den dem allgemeinen Besucherverkehr dienenden Teilen barrierefrei sein müssen. Dazu zählen Einrichtungen der Kultur und des Bildungswesens, Tageseinrichtungen für Kinder, Sport- und Freizeitstätten, Büro-, Verwaltungs- und Gerichtsgebäude, Verkaufsstätten, Gaststätten,75 die keiner gaststättenrechtlichen Erlaubnis bedürfen, Beherbergungsstätten sowie Stellplätze, Garagen und Toilettenanlagen, aber auch alle sonstigen öffentlich zugänglichen baulichen Anlagen und Einrichtungen,76 unabhängig davon, ob diese in öffentlich-rechtlicher oder privater Trägerschaft stehen.77 Der Begriff der Barrierefreiheit wird in Art. 2 Abs. 10 BayBO definiert. Danach sind bauliche Anlagen dann barrierefrei, soweit sie für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind. Alte Menschen werden, anders als noch in Art. 48 Abs. 2 S. 1 BayBO a. F., nicht explizit erwähnt, was jedoch nicht bedeutet, dass sie vom Geltungsbereich des Art. 48 Abs. 2 S. 1 BayBO ausgeschlossen wären. Der Gesetzgeber hielt eine ausdrück­ liche Erwähnung alter Menschen vielmehr für verzichtbar, weil er ihre Einbeziehung als selbstverständlich ansieht.78 Bei Tagesstätten, Werkstätten und Heime für Menschen mit Behinderung sowie bei Altenheimen, Altenwohnheimen und Altenpflegeheimen müssen alle Teile, die von dem jeweiligen Personenkreis genutzt werden, barrierefrei zugänglich sein.79 Die niedersächsische Bauordnung etwa enthält in § 48 Abs. 1 ähnliche Vorgaben, wobei hier zusätzlich Schalter und Abferti75  Speziell für Gaststätten, vgl. auch den gaststättenrechtlichen Versagungsgrund des § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) GastG; näher dazu, Jürgens, Barriere- und diskriminierungsfreier Zugang zu öffentlichen Gaststätten, S. 116 ff.  76  Vgl. Würfel, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 48 Rn. 24. 77  Würfel, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 48 Rn. 33. 78  S. dazu Bayerisches Staatsministerium des Innern, Vollzugshinweise zur BayBO 2013, 01.07.2013, Ziff. 48.2.1. 79  Vgl. etwa Art. 48 Abs. 3 BayBO.



II. Bauordnungsrechtliche Anforderungen an seniorengerechtes Bauen 501

gungsanlagen der Verkehrs- und Versorgungsbetriebe sowie der Banken und Sparkassen, Campingplätze sowie Parkhäuser eigens erwähnt werden. Die Bauordnungen der übrigen Länder enthalten allesamt vergleichbare Vorgaben.80 Nicht erfasst von den Bauordnungen der Länder wird hingegen der Zugang zum ÖPNV, da dieser keine bauliche Anlage im Sinne der Bauordnungen darstellt und daher speziellen landesrechtlichen Vorschriften unterliegt.81 Der in den einschlägigen Vorschriften verwendete Behindertenbegriff entspricht dem des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG.82 Zur allgemeinen Anforderung der Barrierefreiheit hinzu kommen in der Regel detaillierte Angaben zur Ausgestaltung von Zugängen, Treppen und Toiletten in Bezug auf Breite, Rampenneigung, Handläufe und Ähnliches.83 Gleiches gilt für die Ausstattung mit Aufzügen.84 Die entsprechenden baulichen Anlagen müssen darüber hinaus zweckentsprechend nutzbar sein, d. h. die geschützten Personengruppen müssen in der Lage sein, die Einrichtungen ohne fremde Hilfe zu nutzen.85 Allerdings gelten die Anforderungen an eine behinderten- und altengerechte Ausgestaltung baulicher Anlagen, welche für die Öffentlichkeit allgemein zugänglich sind, nicht uneingeschränkt, sondern stehen vielmehr unter dem Geltungsvorbehalt der wirtschaftlichen Zumutbarkeit. Hintergrund dieser Einschränkung ist, dass es sich bei Vorschriften wie Art. 48 BayBO um Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG aus Gründen der Gleichbehandlung Behinderter nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG handelt und diese im Hinblick auf ihren Schutzzweck den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips genügen müssen.86 Nach der Konzeption der bayerischen Bauordnung brauchen nach Art. 48 Abs. 2 S. 5 BayBO öffentlich zugängliche bauliche Anlagen 80  Vgl. etwa § 39 Abs. 1 u. 2 BaWüBauO; § 51 Abs. 2 BerlBO; § 45 Abs. 2 u. 3 BbgBauO; § 50 Abs. 2 u. 3 BremLBO; § 52 Abs. 2 u. 3 HBauO; § 46 Abs. 1 HessBauO; § 50 Abs. 2 LBauO M-V; § 55 Abs. 2 u. 3 NWBauO; § 51 Abs. 1 RhPfBauO; § 50 Abs. 2 u. 3 SaarlBauO; § 50 Abs. 2 SächsBauO; § 49 Abs. 2 BauO LSA; § 52 Abs. 2 u. 3 BauO S-H; § 53 Abs. 2 ThürBauO. 81  So exemplarisch Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 BayBO; stattdessen gilt Art. 10 Abs. 2 BayBGG über die Herstellung von Barrierefreiheit im Verkehrsbereich. 82  Vgl. dazu oben, 2. Kapitel, I. 1. c) aa); siehe auch Art. 2 BayBGG, der den Begriff der Behinderung ebenfalls in Anlehnung an den Behindertenbegriff des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG definiert. 83  Vgl. etwa DIN 18040-2, die ab 01.07.2013 zusammen mit der zugehörigen Anlage 7.3 / 02 verbindlich zu beachten ist und den bisherigen Art. 48 Abs. 4 BayBO ersetzt. 84  So etwa Art. 37 Abs. 4 u. 5 BayBO. 85  Würfel, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 48 Rn. 71 f. 86  VGH Mannheim, Urt. v. 27.09.2004 – 3 S 1719 / 03 –, NVwZ-RR 2004, 795, 796; Würfel, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 48 Rn. 73.

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5. Kap.: Bauordnungsrecht

im Fall von Nutzungsänderungen nicht barrierefrei ausgestaltet zu werden, wenn dies nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erreicht werden könnte. Des Weiteren enthält Art. 48 Abs. 4 BayBO die Einschränkung, dass sämtliche öffentlich zugänglichen baulichen Anlagen die bezüglich der Barrierefreiheit gestellten Anforderungen dann nicht erfüllen müssen, soweit dies wegen schwieriger Geländeverhältnisse, ungünstiger vorhandener Bebauung oder im Hinblick auf die Sicherheit der Menschen mit Behinderung oder alten Menschen nur mit einem unverhältnismäßigen Mehraufwand erreicht werden kann. Der Mehraufwand wird festgestellt, indem man den Aufwand für ein normales Vorhaben gemäß Art. 48 BayBO mit dem zusätzlich für die entsprechenden Baumaßnahmen entstehenden Aufwand vergleicht.87 Für die Bestimmung der Unverhältnismäßigkeit ist der entstehende Mehraufwand in Relation zu setzen einerseits zum Gesamtaufwand für das Bauvorhaben und andererseits zu den Nachteilen, welche sich für den geschützten Personenkreis ergeben, wenn entsprechende Maßnahmen unterbleiben.88 Das Ziel des behindertengerechten Bauens ist dabei als gewichtig einzustufen, so dass ein Mehraufwand von bis zu 20 % der Normalkosten in der Regel zumutbar sein wird.89 b) Private Wohnhäuser Etwas weniger strikt gestalten sich die Anforderungen an die barrierefreie Erreichbarkeit von Wohnungen. Nach Art. 48 Abs. 1 S. 1 1. HS BayBO90 müssen in Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein. Diese Verpflichtung kann nach Art. 48 Abs. 1 S. 2 BayBO auch durch barrierefrei erreichbare Wohnungen in mehreren Geschossen erfüllt werden. Die Norm erfasst Geschosswohnungsbauten sowie entsprechende Wohnanlagen, nicht jedoch private Einund Zweifamilienhäuser. Nach Art. 48 Abs. 1 S. 3 BayBO muss eine Wohnung zumindest teilweise rollstuhlgerecht nutzbar sein. Weitergehende Anforderungen, etwa in Bezug auf eine altengerechte Ausstattung, bestehen 87  Würfel,

in: Simon / Busse, BayBO, Art. 48 Rn. 112. in: Simon / Busse, BayBO, Art. 48 Rn. 113; ähnlich auch Lindorf, in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, §  48 Rn.  39 zu §  48 NdsBauO. 89  So etwa Lindorf, in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, § 48 Rn. 38 zu § 48 NdsBauO. 90  Vgl. auch § 35 Abs. 1 BaWüBauO; § 51 Abs. 1 BerlBauO; § 45 Abs. 1 BbgBauO; § 50 Abs. 1 BremLBO; § 52 Abs. 1 HBauO; § 43 Abs. 2 HessBauO; § 50 Abs. 1 BauO M-V; § 44 Abs. 4 NdsBauO; § 49 Abs. 2 NWBauO; § 44 Abs. 2 RhPfBauO; § 50 Abs. 1 SaarlBauO; § 50 Abs. 1 SächsBauO; § 49 Abs. 1 BauO LSA; § 52 BauO S-H; § 53 Abs. 1 ThürBauO. 88  Würfel,



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indes nicht. Hinsichtlich der technischen Details der Ausstattung sowie der Ausnahmeregelungen auf Grund unverhältnismäßigen Aufwands gilt das zu den allgemein zugänglichen Gebäuden Gesagte entsprechend.91 c) Rechtsschutz Die Rechtsprechung hat sich bislang – so weit ersichtlich – nicht mit der Problematik der Einklagbarkeit dieser bauordnungsrechtlichen Vorgaben beschäftigt. Der überwiegende Teil der Literatur lehnt einen einklagbaren Anspruch auf einen alten- oder behindertengerechten Zugang zu allgemein zugänglichen Einrichtungen ab.92 Begründet wird dies damit, dass die fraglichen Vorschriften lediglich dem öffentlichen Interesse, nicht aber dem Nachbar- oder Individualrechtsschutz dienten.93 Etwas anderes ergebe sich allenfalls dann, wenn der Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) in Verbindung mit der Richtlinie 2000 / 78 / EG94 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf eröffnet sei,95 was gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG beim Zugang zu und und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum, grundsätzlich der Fall ist. Lediglich Grams geht davon aus, dass § 51 Abs. 1 BerlBauO a. F. einen einklagbaren Anspruch Behinderter auf barrierefreien Zugang zu öffentlichen, d. h. kommunalen und staatlichen Gebäuden enthält.96 Die Norm sei drittschützend, was sich aus einer verfassungskonformen Auslegung im Lichte von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ergebe.97 Hinsichtlich des „Wie“ der barrierefreien Ausgestaltung könne jedoch nur eine ermessensfehlerfreie Entscheidung verlangt werden.98 Einen Anspruch auf barrierefreien Zugang auch zu privaten Bauvorhaben gebe es jedoch nicht, da die Grundrechte Abwehrrechte gegenüber dem Staat seien und daher zwischen Privaten grundsätzlich keine Geltung beanspruchen könn91  Vgl.

oben, 5. Kapitel, II. 1. a). etwa Lindorf, in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, § 48 Rn. 3, jedenfalls in Bezug auf Gebäude nicht öffentlicher Bauherrn; Würfel, in: Simon / Busse, BayBO, Art.  48 Rn.  14; Hornmann, HBO, § 46 Rn. 7. 93  Würfel, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 48 Rn. 14. 94  Richtlinie 2000  / 78 / EG vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl.EU Nr. L 303 v. 02.12.2000, S. 16 ff.  95  Würfel, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 48 Rn. 14; offen gelassen von Lindorf, in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, §  48 Rn.  3. 96  Grams, BauR 1995, 195, 203. 97  Grams, BauR 1995, 195, 202. 98  Grams, BauR 1995, 195, 203. 92  So

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5. Kap.: Bauordnungsrecht

ten.99 Etwas anderes könnte sich lediglich dann ergeben, wenn aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG Schutzpflichten abgeleitet werden könnten, was Grams jedoch ausdrücklich offen lässt.100 d) Eigene Stellungnahme Die in der Literatur zum Bestehen eines einklagbaren Anspruchs auf barrierefreien Zugang aus den einschlägigen bauordnungsrechtlichen Vorschriften vertretenen Auffassungen vermögen nicht zu überzeugen. Zur Lösung der Problematik ist vielmehr eine differenzierte Herangehensweise erforderlich. In einem ersten Schritt ist danach zu unterscheiden, ob es sich um Vorhaben in öffentlich-rechtlicher oder privater Trägerschaft handelt, da subjektive öffentliche Rechte, insbesondere Grundrechte grundsätzlich nur im Verhältnis zum Staat, nicht jedoch gegenüber privaten Dritten Geltung beanspruchen können. Allerdings bleibt zu bedenken, dass sich die öffent­ liche Hand nicht durch die Wahl einer privaten Betriebsform ihren öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen entziehen kann.101 Voraussetzung für die gerichtliche Einklagbarkeit eines Anspruchs auf barrierefreien Zugang ist das Bestehen eines subjektiven öffentlichen Rechts, welches sich aus den einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften, etwa Art. 48 Abs. 2 BayBO, ergeben kann. Ob und inwieweit ein solches subjektives öffentliches Recht daraus tatsächlich ableitbar ist, bleibt der Auslegung überlassen. Voraussetzung für die Annahme eines subjektiven Rechts ist, dass die fragliche Rechtsnorm nicht nur öffentlichen Interessen, sondern – zumindest auch – Individualinteressen zu dienen bestimmt ist.102 Überdies muss gerade im Baurecht hinzu kommen, dass sich aus individualisierbaren Tatbestandmerkmalen ein geschützter Personenkreis entnehmen lässt, welcher sich von der Allgemeinheit unterscheidet.103 Die Rechtsprechung verlangt, dass eine qualifizierte Betroffenheit erreicht wird,104 wobei sich der Grad der Beeinträchtigung auf Grund der Grundstücksbezogenheit des Baurechts in erster Linie durch den räumlichen Bezug bestimmen lässt.105 In Bezug auf die landesrechtlichen Vorschriften zum barrierefreien Zugang bedeutet dies, dass ein individualisierbarer Personenkreis bereits dadurch gegeben ist, dass 99  Grams,

BauR 1995, 195, 207. BauR 1995, 195, 207. 101  Dürig / Scholz, in: MD, GG, Art. 3 Rn. 81. 102  BVerwGE 27, 29, 31 f.; 52, 122, 128; 107, 215, 220; Kopp / Schenke, VwGO, §  42 Rn.  78 ff. m. w. N. 103  BVerwGE 78, 40, 44; 27, 29, 33; 66, 307, 308; Kopp / Schenke, VwGO, § 42 Rn. 84. 104  BVerwGE 66, 307, 308; 78, 40, 44. 105  Kopp / Schenke, VwGO, § 42 Rn. 97. 100  Grams,



II. Bauordnungsrechtliche Anforderungen an seniorengerechtes Bauen 505

die einschlägigen Normen, etwa Art. 48 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Abs. 10 BayBO, die geschützten Personengruppen namentlich nennen. Zumindest in Bezug auf die Behinderten wird man eine hinreichende Individualisierbarkeit bejahen können,106 zumal die Kriterien des Behindertenbegriffs inzwischen hinreichend geklärt sind.107 Etwas anderes gilt jedoch hinsichtlich der ebenfalls genannten alten Personen. Dieser Personenkreis ist gerade nicht hinreichend individualisiert, da es keine einheitliche Definition dafür gibt, ab wann jemand als „alt“ angesehen werden kann.108 Fraglich ist darüber hinaus, ob nicht auch in Bezug auf den Kreis der Behinderten für die Annahme eines einklagbaren subjektiven Rechts eine noch stärkere Individualisierung erforderlich ist. Dafür spricht, dass andernfalls jeder Behinderter, der auch nur einmal eine bestimmte kommunale Messehalle aufsuchen möchte, sofort deren behindertengerechten Umbau einklagen könnte, was leicht zu sinnwidrigen Ergebnissen führen kann. Daher wird man, um dem Gedanken der qualifizierten Betroffenheit Rechnung zu tragen, einschränkend eine gewisse Verbindung des Klägers zu der fraglichen Einrichtung fordern müssen, die etwa darin bestehen kann, dass der Kläger in der Nähe der baulichen Anlage wohnt oder zumindest plausibel darlegen kann, sie regelmäßig aufsuchen zu wollen.109 Unter diesen Voraussetzungen ist der Kreis der Behinderten hinreichend individualisierbar. Auch die systematische Auslegung der Vorschriften über den barrierefreien Zugang steht der Annahme eines subjektiven Rechts nicht entgegen. So enthält Art. 47 BayBO über die Stellplatzpflicht ebenfalls drittschützende Elemente.110 ­ Ebenso wenig steht die historische Auslegung der Annahme eines subjektiven Rechts entgegen. Die Begründung etwa zu Art. 48 BayBO enthält diesbezüglich gar keine Aussagen, sondern verweist lediglich auf den Regelungsgehalt der Vorgängernorm,111 deren Begründung ihrerseits keine ablehnenden Aussagen beinhaltet.112 Auch der Sinn und Zweck der einschlägigen bauordnungsrechtlichen Vorschriften, die Verbesserung des Zugangs Behinderter zu öffentlichen Einrichtungen, spricht nicht gegen die Annahme eines subjektiven Rechts. Vielmehr kann die Förderung Behinderter gerade durch die Annahme eines einklagbaren Rechts verbessert werden. Hinzu kommt, dass die fraglichen Normen, soweit es sich um eine bauliche Anlage eines öffentlich-rechtlichen Bauherrn handelt, im Lichte von Art. 3 Abs. 3 S. 2 106  So wohl auch VG Aachen, Urt. v. 19.05.2009 – 2 K 1903  / 08 –, BeckRS 2009, 34657; Grams, BauR 1995, 195, 199. 107  Vgl. dazu oben, 2. Kapitel, I. 1. c) aa). 108  Vgl. dazu oben, 1. Kapitel, III. 1. 109  Vgl. Welti, NVwZ 2012, 725, 729. 110  Würfel, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 47 Rn. 227. 111  BayLT-Drs. 15 / 7161, S. 57 und BayLT-Drs. 16 / 13683, S. 13. 112  BayLT-Drs. 13 / 7008, S.  35 f.

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5. Kap.: Bauordnungsrecht

GG auszulegen sind. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG beinhaltet nach zutreffender Auffassung ein subjektives Teilhaberecht des Einzelnen auf gleichberechtigten Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung, der im Einzelfall sogar auf nachträglichen behindertengerechten Umbau gerichtet sein kann.113 Daher wird man entgegen der bislang herrschenden Meinung in der Literatur zumindest in verfassungskonformer Auslegung auch den einschlägigen bauordnungsrechtlichen Vorschriften einen entsprechenden, individuell einklagbaren Anspruch dem Grunde nach entnehmen können. Damit ist jedoch noch nichts zum Inhalt eines solchen Anspruchs gesagt. Angesichts von Bestandsschutzgesichtspunkten und daraus folgenden Ermessensspielräumen wird regelmäßig nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung in Betracht kommen.114 Allerdings muss der Beklagte im Falle der Weigerung genau darlegen, warum die Herstellung eines behindertengerechten Zugangs im konkreten Fall technisch oder finanziell unmöglich sein soll. Eine Ermessensreduzierung auf Null dürfte jedoch nur in den seltensten Fällen anzunehmen sein, etwa dann, wenn dem Kläger ohne Zugangsmöglichkeit die Ausübung seiner Freiheitsrechte unmöglich gemacht wird.115 Von der Geltendmachung eines Anspruchs auf barrierefreie Ausgestaltung gegenüber öffentlich-rechtlichen Trägern zu unterscheiden ist die Einklagbarkeit eines Anspruchs auf Zugang zu einer baulichen Anlage in privater Trägerschaft. Das Konzept der verfassungskonformen Auslegung jedenfalls greift hier nicht. Private Dritte zählen grundsätzlich nicht zu den Grundrechtsverpflichteten.116 Eine Klagebefugnis könnte lediglich dann angenommen werden, wenn sich aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG eine Schutzpflicht zu Gunsten von Behinderten auf Einschreiten des Staates ergäbe. Eine solche ist nach zutreffender Auffassung auf Grund der Nähe des Grundrechts zur Menschenwürdegarantie zu bejahen.117 Allerdings ergibt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Schutzpflicht allenfalls ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde, wobei die Belange des privaten Dritten in besonderem Maße berücksichtigt werden müssen. Noch einmal anders stellt sich die Situation für die Einklagbarkeit der Barrierefreiheit durch alte Menschen dar, welche keine spezifischen Behinderungen aufweisen und daher auch nicht dem Behindertenbegriff unterfallen.118 Für sie sind die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften man113  Vgl.

dazu oben, 2. Kapitel, I. 1. c) dd). auch Grams, BauR 1995, 195, 203. 115  Vgl. Grams, BauR 1995, 195, 206. 116  Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 50; Herdegen, in: MD, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 59. 117  Vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. c) dd). 118  Vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. c) aa). 114  So



II. Bauordnungsrechtliche Anforderungen an seniorengerechtes Bauen 507

gels Individualisierbarkeit des Personenkreises nicht drittschützend. Hinzu kommt, dass auch eine verfassungskonforme Auslegung im Lichte von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG wegen der fehlenden Deckungsgleichheit von Behinderung und Alter nicht möglich ist. Eine verfassungskonforme Auslegung vor dem Hintergrund von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG scheidet ebenso aus, da das Alter dort nicht als Differenzierungskriterium im Sinne der Norm zu verstehen ist.119 Bleibt ein Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 GG, der jedoch keinen Anspruch auf Schaffung faktisch gleicher Ausgangsbedingungen gewährt.120 Als Resümee lässt sich daher festhalten, dass die einschlägigen Vorschriften der Landesbauordnungen zur Herstellung eines barrierefreien Zugangs zu öffentlichen Einrichtungen nach richtiger Auffassung für Behinderte ein subjektives öffentliches Recht begründen, für alte Menschen hingegen nicht. Freilich dürften die Schutzlücken in der Praxis angesichts der Schnittmenge beider Personengruppen vergleichsweise gering sein.

2. Anforderungen an den Brandschutz Besonders wichtig für ältere Menschen sind nicht zuletzt hinreichende Brandschutzvorkehrungen, da ältere Menschen im Falle eines Brandes das Gebäude auf Grund körperlicher Defizite in der Regel langsamer verlassen können als Jüngere. Die Bauordnungen der Länder enthalten umfassende Vorgaben zu Brandschutzwänden und Rettungswegen, doch den Einbau von Rauchwarnmeldern schreiben bislang nicht alle Bundesländer in ihren Bauordnungen vor.121 So sieht etwa § 46 Abs. 4 ThürBauO vor, dass in Wohnungen Schlafräume und Kinderzimmer sowie Flure, über die Rettungswege von Aufenthaltsräumen führen, jeweils einen Rauchwarnmelder haben müssen. Eine entsprechende Vorschrift findet sich nunmehr auch in Art. 46 Abs. 4 BayBO. Für Senioren- und Pflegeheime gelten diese Vorgaben indes nicht, da diese nicht die Führung eines selbständigen Haushalts ermöglichen und deshalb nicht dem bauordnungsrechtlichen Wohnungsbegriff unterfallen.122 Es besteht danach keine Verpflichtung zum Einbau eines Rauchwarnmelders in das Zimmer eines jeden Bewohners. Allerdings können an Se­ 119  Vgl.

oben, 2. Kapitel, I. 1. b). oben, 2. Kapitel, I. 1. d) bb). 121  Die meisten Bundesländer sehen einen verpflichtenden Einbau von Rauchwarnmeldern inzwischen jedoch vor, s. § 44 Abs. 8 RhPfBauO; § 46 Abs. 4 SaarlBau; § 49 Abs. 4 BauO S-H; § 13 Abs. 5 HessBauO; § 45 Abs. 6 HBauO; § 48 Abs. 4 BauO M-V; § 46 Abs. 4 ThürBauO; § 48 Abs. 4 BremLBO; § 47 Abs. 4 BauO LSA; § 15 Abs. 7 BaWüBauO; § 49 Abs. 7 NWBauO; § 44 Abs. 5 NdsBauO; Art. 46 Abs. 4 BayBO; s. auch Schultz, ZWE 2011, 21, 21. 122  Vgl. Nolte, in: Simon  /  Busse, BayBO, Art. 46 Rn. 5 u. 129; Lindorf, in: Große-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, NdsBauO, §  44 Rn.  3. 120  Vgl.

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5. Kap.: Bauordnungsrecht

nio­ren- und Pflegeheime als Sonderbauten weiter gehende Sicherheitsanforderungen wie etwa die Installation von Brandmeldeanlagen gestellt werden.123 Eine gesetzliche Rauchwarnmelderpflicht ist auch aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zwingend geboten. Dem Staat obliegt zwar eine Schutzpflicht zu Gunsten der körperlichen Unversehrtheit der Bewohner aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG,124 doch kommt ihm dabei ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu,125 so dass die gesetzliche Verankerung eines verpflichtenden Einbaus von Rauchwarnmeldern sowohl in Wohnungen, als auch in Senioren- und Pflegeheimen nicht verlangt werden kann. Eine Verbesserung des Brandschutzes für ältere Menschen lässt sich mit Hilfe des Bauordnungsrechts daher nur bedingt erreichen.

123  Vgl. Bayerisches Staatsministerium des Innern, Hinweise zur Rauchwarnmelderpflicht für Wohnungen, Januar 2013; Nolte, in: Simon / Busse, BayBO, Art. 46 Rn. 129. 124  BVerfGE 56, 54, 78; 85, 191, 212. 125  BVerfGE 56, 54, 80 ff.; 77, 170, 214; 79, 174, 202; 85, 191, 212; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art.  2 Rn.  92.

Zusammenfassung und Ausblick Im ersten Teil der Untersuchung wurde dargelegt, dass das Phänomen des demografischen Wandels tatsächlich existiert und zu einer Alterung der Gesellschaft sowie zu rückläufigen Bevölkerungszahlen führt. Ferner wurden die Konsequenzen dieser Entwicklung für ausgewählte Lebensbereiche aufgezeigt. Der zweite Teil der Arbeit beschäftigte sich mit den verfassungs- und europarechtlichen Implikationen dieses Phänomens. Im dritten Teil ging es um die Steuerungsmöglichkeiten des Raumordnungsrechts vor dem Hintergrund es demografischen Wandels, während im vierten Teil die bauplanungsrechtlichen Instrumente diesbezüglich analysiert wurden. Wenngleich in beiden Rechtsgebieten ähnliche Ziele verfolgt werden, unterscheidet sich die Herangehensweise sowie die tatsächliche Steuerungswirkung fundamental. Im fünften Teil schließlich wurde das Bauordnungsrecht untersucht, welches beim Umgang mit den Folgen des demografischen Wandels eine wichtige Ergänzung zu den Instrumenten des Bauplanungsrechts bietet. Auf der Ebene der grund- und verfassungsrechtlichen Gewährleistungen ist zu unterscheiden zwischen den Rechten älterer Menschen, dem Recht auf Zugang zu den Einrichtungen der Daseinsvorsorge, insbesondere bei rückläufigen Bevölkerungszahlen, und dem Schutz vor etwaigen Rückbaumaßnahmen. Das Grundgesetz schützt Menschen vor Ungleichbehandlung auf Grund des Alters, ohne jedoch älteren Menschen spezifische Leistungsrechte zu gewähren oder staatliche Schutzpflichten diesbezüglich zu statuieren. Etwas anderes gilt lediglich für Behinderte, deren Kreis mit dem Kreis der alten Menschen nicht deckungsgleich ist. In Bezug auf behinderte Menschen bestehen durchaus staatliche Schutzpflichten. Auch das Europarecht enthält keine weiter gehenden Verpflichtungen zum Schutz älterer Menschen. In Bezug auf die grundrechtliche Absicherung der Daseinsvorsorge in Gebieten mit rückläufigen Bevölkerungszahlen existieren kaum verfassungsrechtliche Vorgaben. Der Gesetzgeber wird lediglich auf Grund des Sozialstaatsprinzips dazu verpflichtet, die Belange der Betroffenen angemessen zu berücksichtigen. Auch das Europarecht gewährt insoweit keine weiter gehenden Rechte. Hinsichtlich möglicher staatlicher Rückbaumaßnahmen ergibt sich ein vergleichweise weit reichender Schutz der Betroffenen aus Art. 14 Abs. 1

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Zusammenfassung und Ausblick

GG, was in erster Linie daran liegt, dass hier nicht die leistungs- oder teilhaberechtliche, sondern die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte zum Tragen kommt, welche der Konzeption des Grundgesetzes ursprünglich zu Grunde liegt. Daher sind staatlich verordnete Rückbaumaßnahmen nicht ohne Weiteres durchführbar. Das Raumordnungsrecht ist von seiner Konzeption her durchaus auf die Herausforderungen des demografischen Wandels ausgerichtet. Das neue Raumordnungsgesetz des Bundes aus dem Jahr 2008 enthält mit seiner Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung mit der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, der Betonung des Zentrale-Orte-Konzepts und der Gewährleistung einer Mindestversorgung in allen Teilräumen sinnvolle Ansätze zum Umgang mit den Folgen des demografischen Wandels, welche den – geringen – verfassungsrechtlichen Vorgaben ohne Weiteres gerecht werden. Das Bekenntnis des Gesetzgebers zum Postulat der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist grundsätzlich zu begrüßen, zumal alternative Lösungsvorschläge bislang wenig ausgereift sind und überdies die Gefahr in sich bergen, Versorgungslücken von vorneherein in Kauf zu nehmen. Das Zentrale-Orte-Konzept bedarf punktueller Anpassungen, etwa in Form einer Rückstufung einzelner Zentraler Orte sowie einer Stärkung der Klein- und Mittelzentren, um den Herausforderungen des demografischen Wandels gerecht zu werden. Allerdings führt die rechtliche Konzeption des Raumordnungsrechts dazu, dass dieses in der Praxis nur wenig Steuerungswirkung entfaltet. Ein Grund dafür liegt bereits in der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung. Die Bundesländer erhalten in Folge der Föderalismusreform durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG i. V. m. Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GG fast unbeschränkte Abweichungsmöglichkeiten auf dem Gebiet des Raumordnungsrechts, so dass auf Länderebene Konzepte realisiert werden können, die den demografischen Wandel und seine Folgen außer Acht lassen. Eine weitere konzeptionelle Schwäche des Raumordnungsrechts besteht darin, dass sich in den Raumordnungsplänen der Länder überwiegend Grundsätze der Raumordnung finden und diese Grundsätze der Raumordnung im Wege der Abwägung durch entgegenstehende Belange leicht überwunden werden können. Zudem existieren auch bei an sich bindenden Zielen der Raumordnung umfassende Ausnahme- und Abweichungsmöglichkeiten. Schließlich sieht das Gesetz bei bestimmten Großprojekten zwar die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens vor, doch ist dieses rechtlich nicht bindend. Größeren Einfluss besitzt das Raumordnungsrecht lediglich bei der im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel besonders wichtigen Einzelhandelssteuerung. Dies liegt in erster Linie daran, dass mit dem Konzentrations-, Kongruenz- und Integrationsgebot sowie mit dem Beeinträchti-



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gungsverbot grundsätzlich bindende Ziele der Raumordnung vorhanden sind. Die genannten Vorgaben erweisen sich nicht per se als verfassungsoder europarechtswidrig, sondern es hängt vielmehr von ihrer konkreten Ausgestaltung im jeweiligen Raumordnungsplan ab, ob die Regelungen mit der Berufsfreiheit und der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie sowie mit dem Europarecht, insbesondere der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsrichtlinie vereinbar sind. Anders als die für private Investoren unmittelbar bindenden bauplanungsrechtlichen Vorgaben geben die raumordnungsrechtlichen Gebote der Gemeinde lediglich einen Rahmen vor und genügen den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips, sofern sie Ausnahmefälle hinreichend berücksichtigen. Ein weiterer Grund für die Einflussmöglichkeit des Raumordnungsrechts auf die Einzelhandelssteuerung besteht schließlich darin, dass durch vertragliche Vereinbarungen mit Investoren steuernd auf die Einzelhandelsentwicklung eingewirkt werden kann. Im Bereich des Straßenbaus, der über die Anbindung an die Zentralen Orte mitentscheidet, entfaltet das Raumordnungsrechts dagegen kaum Steuerungswirkung, so dass das Leitprinzip der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse hier weitgehend außen vor bleibt. Beim Fernstraßenbau besteht mit der Pflicht zur Durchführung eines Raumordnungsverfahrens immerhin eine Mechanismus zur Berücksichtigung raumordnungsrechtlicher Belange, doch ist das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens neben den gewichtigen Umweltgesichtspunkten lediglich ein Belang, der leicht im Wege der Abwägung überwunden werden kann. Im Bereich des Straßenbaus auf Länder­ ebene ergibt sich für Bayern, dass die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens hier überhaupt nicht mehr vorgesehen ist und raumordnerische Belange daher nur noch zu einem späten Zeitpunkt im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens zu berücksichtigen sind. Trotz – oder gerade wegen – der begrenzten, konzeptionell bedingten Steuerungswirkung des Raumordnungsrechts im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel erscheint es angezeigt, das Rechtsgebiet de lege ferenda für die Herausforderungen einer alternden und zahlenmäßig rückläufigen Gesellschaft zu sensibilisieren. Dies kann durch die Einführung eines nicht mehr auf den Umweltbereich beschränkten, sondern auch die Versorgungssituation der Bevölkerung einbeziehenden Monitoring-Konzepts erfolgen, wodurch Raumordnungspläne laufend auf ihre Effizienz überprüft werden und ein System des Planungscontrollings etabliert wird. Im Gegensatz zum Raumordnungsrecht entfaltet das Bauplanungsrecht große Wirkung beim Umgang mit dem demografischen Wandel und seinen Folgen. Dies gilt sowohl für die Einzelhandelssteuerung und die Ausweisung von Flächen für seniorengerechtes Wohnen, als, mit gewissen Ein-

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schränkungen, auch für den Rückbau verfallener und verfallender baulicher Anlagen. Die Intensität der Steuerungswirkung hängt bei der Einzelhandelssteuerung in erster Linie davon ab, ob das Vorhaben im beplanten oder im unbeplanten Gebiet verwirklicht werden soll. Das Bauplanungsrecht enthält Mechanismen, mit deren Hilfe die Gemeinden bei der Aufstellung eines qualifizierten Bebauungsplans die Einzelhandelsansiedlung gezielt beeinflussen können. Dies kann zum einen im Wege von Sondergebietsfestsetzungen nach § 11 Abs. 2 BauNVO und zum anderen über die Anpassung von Einzelhandelsnutzungen nach § 1 Abs. 5 BauNVO sowie den Ausschluss bestimmter Sortimente nach § 1 Abs. 9 BauNVO geschehen. Die fraglichen Normen sind sowohl verfassungs- als auch europarechtskonform, da sie die Durchführung eines transparenten Planaufstellungsverfahrens voraussetzen und überdies dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen. Völlig anders gestaltet sich hingegen die Situation bei Vorhaben, die im unbeplanten Innenbereich gemäß § 34 BauGB verwirklicht werden sollen. Hier existiert mit § 34 Abs. 3 BauGB zwar eine Regelung zum Schutz zentraler Versorgungsbereiche, doch erweist sich diese Vorschrift als verfassungs- und europarechtswidrig. Grund dafür ist in erster Linie ihre mangelnde Bestimmtheit sowie die fehlende Erforderlichkeit und Angemessenheit. Die dadurch entstehende Regelungslücke kann nur bedingt mit Hilfe von § 9 Abs. 2 BauGB geschlossen werden, mit dessen Hilfe auch ohne Aufstellung eines qualifizierten Bebauungsplans die Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben, welche benachbarte Zentren gefährden können, unterbunden werden kann. Die Vorschrift ist verfassungs- und europarechtskonform, da sie die Aufstellung eines Bebauungsplans und damit ein transparentes Verfahren sowie die Abwägung widerstreitender Interessen voraussetzt. Allerdings besteht im Regelfall für die Gemeinde keine Pflicht, von dieser Option tatsächlich Gebrauch zu machen. De lege ferenda scheint es daher angebracht, über das Raumplanungsrecht eine solche Pflicht zu statuieren, was in verfassungsmäßiger Weise möglich wäre. Zusätzlich erscheint de lege ferenda eine verbesserte personelle und finanzielle Unterstützung planungswilliger Gemeinden angezeigt, damit diese aktiv planerisch tätig werden können und nicht auf unerwünschte unbeplante Innenbereiche ausweichen müssen. Darüber hinaus müsste die Transparenz bei der Aufstellung städtebaulicher Entwicklungskonzepte erhöht werden, wenn diese über die Anwendung von § 9 Abs. 2 a BauGB Quasi-Verbindlichkeit erlagen. Eine Abkehr von der Zentrenorientierung des Bauplanungsrechts erscheint dagegen mangels gangbarer Alternativen zur Versorgung der Bevölkerung auch de lege ferenda kaum möglich. Schließlich sollte auch im Bauplanungsrecht ein umfassendes Monitoring-Verfahren unter Einbeziehung der Versorgungssituation der Bevölkerung etabliert werden, um Veränderungen und Versorgungsdefiziten frühzeitig gegensteuern zu können.



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In Bezug auf die Ausweisung von Flächen für seniorengerechtes Wohnen stellt das Bauplanungsrecht hinreichende Festsetzungsmöglichkeiten bereit. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit § 3 Abs. 4 BauNVO eine Norm geschaffen, die nunmehr die Ansiedlung von Pflegeheimen in reinen Wohngebieten erlaubt, was der Eingliederung alter und pflegebedürftiger Menschen ins tägliche Leben erlaubt und einer Ausgrenzung und Stigmatisierung vorbeugt. Steuerungswirkung entfaltet das Bauplanungsrechts auch beim Um- und Rückbau verfallener Stadtviertel und Gebäude. So können mit Hilfe des Sanierungsrechts ganze Stadtviertel zurückgebaut werden, wenn auf Grund stark rückläufiger Bevölkerungszahlen ein Bedürfnis dafür besteht. Allerdings versagt das Sanierungsrecht dort, wo keinerlei Nachnutzung beabsichtigt ist. Es bleibt vielmehr nur dort ein sinnvolles Instrument, wo nach dem Abriss verfallener Gebäude ein Bedürfnis zumindest nach Grünflächen oder Ähnlichem besteht. Hinzu kommt, dass Enteignungen in Sanierungsgebieten de lege lata nur bei Aufstellung eines Bebauungsplans zulässig sind, was die Durchschlagskraft des Sanierungsrechts hemmt. Hier wäre de lege ferenda eine Harmonisierung mit den Regelungen des Stadtumbaurechts angezeigt. Als geeigneter für den Umgang mit den Folgen des demografischen Wandels erweist sich das Recht der Stadtumbaumaßnahmen, welches zwar überwiegend auf konsensuale Maßnahmen mit den Betroffenen setzt, als ultima ratio aber die Möglichkeit der Enteignung vorsieht, um Rückbaumaßnahmen auch gegen den Willen der Betroffenen durchzusetzen. Hinzu kommt, dass das Stadtumbaurecht einen Rückbau „von außen nach innen“ anstrebt. Dadurch kann zusammen mit leer stehenden Gebäuden die nicht mehr benötigte Infrastruktur wie etwa Wasserleitungen zurückgebaut werden, was die finanzielle Belastung für die Gemeinden senkt. De lege ferenda ist die gesetzliche Verankerung der teilweise schon auf freiwilliger Basis durchgeführten Frühwarn- und Kontrollsysteme zur Überarbeitung und Anpassung der städtebaulichen Entwicklungskonzepte angebracht. Wenig Durchschlagskraft in der Praxis entfalten indes die städtebaulichen Gebote, insbesondere das eigentlich für den Rückbau verfallender Gebäude konzipierte Rückbaugebot des § 179 BauGB. Dies liegt in erster Linie an den Kostenrisiken, die die Anordnung und Durchsetzung eines Rückbaugebots mit sich bringt, da der Eigentümer den Rückbau lediglich dulden muss und nur im Falle einer Erhöhung des Wert seines Grundstücks infolge der Beseitigung an den Kosten beteiligt werden kann. Daran ändert auch der Versuch des Gesetzgebers nichts, das Rückbaugebot mit der Abschaffung des Erfordernisses, einen Bebauungsplan aufzustellen, attraktiver zu machen. De lege ferenda wäre deshalb jedenfalls eine speziell auf § 179 BauGB zugeschnittene Entschädigungsausschlussregelung sinnvoll.

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Durch den Rückbau baulicher Anlagen oder auch durch deren dauerhafte Nichtnutzung kann sich für die umliegenden Grundstücke eine Änderung ihrer bauplanungsrechtlichen Einordnung ergeben. Das Bauplanungsrecht hält hierfür mit Ausnahme der Möglichkeit der Aufstellung eines qualifizierten Bebauungsplans keine veritablen Lösungen bereit. Die betroffenen Grundstückseigentümer können sich nicht dagegen zur Wehr setzen, dass ihre ursprünglich im unbeplanten Innenbereich belegenen Grundstücke nunmehr dem Außenbereich zugefallen sind und sich die Genehmigungsfähigkeit baulicher Anlagen erschwert hat. Nach richtiger Ansicht können die Betroffenen in solchen Fällen jedoch einen Anspruch auf Entschädigung geltend machen. Das Bauordnungsrecht hält in Ergänzung der bauplanungsrechtlichen Instrumente eigene Vorschriften zum Umgang mit den Folgen des demografischen Wandels bereit. Zunächst können so genannte Schrottimmobilien durch den Erlass einer Beseitigungsanordnung auf Grundlage der einschlägigen Landesbauordnung auf Kosten des Eigentümers beseitigt werden. Dies funktioniert freilich nur dann, wenn die bauliche Anlage bereits so verfallen ist, dass sie ihren durch die Baugenehmigung vermittelten Bestandsschutz verloren hat. Für im Verfall begriffene Gebäude ergeben sich insoweit Regelungslücken, die einige Bundesländer dadurch zu schließen versucht haben, dass sie spezielle Vorschriften zur Beseitigung verfallender baulicher Anlagen auf Kosten des Eigentümers in ihre Landesbauordnungen aufgenommen haben. Zu viel sollte man sich jedoch von derartigen Eingriffsbefugnissen nicht versprechen, zumal die Bauaufsichtsbehörden im Falle insolventer Eigentümer die finanziellen Risiken eines Einschreitens scheuen könnten. Kaum Zugriffsmöglichkeiten verbleiben den Bauaufsichtsbehörden dann, wenn das Gebäude noch nicht verfällt, sondern schlicht nicht mehr genutzt wird. Hier scheitert eine Intervention daran, dass keine sicherheits- oder ordnungsrechtlich relevante Situation vorliegt und daher das Bauordnungsrecht in seinem Anwendungsbereich gar nicht tangiert wird. Im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel erlangt das Bauordnungsrecht noch in einer anderen Hinsicht Relevanz, nämlich bei der altenund behindertengerechten Ausgestaltung des Zugangs zu öffentlichen und privaten Gebäuden. Die Bauordnungen der Länder sehen durchgängig die Pflicht zu einer alten- und behindertengerechten Ausgestaltung des Zugangs vor. Einklagbare Rechte ergeben sich für den Einzelnen daraus nur insoweit, als Behinderte in verfassungskonformer Auslegung der einschlägigen Vorschriften einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen barrierefreien Zugang geltend machen können. Alte Menschen ohne Behinderteneigenschaft hingegen können aus den bauordnungsrechtlichen Vorschriften keinerlei subjetive Rechte für sich ableiten.



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Weitgehend schutzlos gestellt sind ältere Menschen auch hinsichtlich der Ausstattung von Gebäuden mit Brandschutzanlagen, insbesondere Rauchwarnmeldern. Die einzelnen Landesbauordnungen sehen überwiegend eine Rauchwarnmelderpflicht vor, die jedoch nicht für Seniorenheime gilt. Insoweit ergibt sich weder eine verfassungsrechtliche Pflicht für ein Tätigwerden des Landesgesetzgebers noch ein einklagbares Recht des Einzelnen. Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass die Herausforderungen des demografischen Wandels sowohl vom Raumordnungsrecht als auch vom Städtebaurecht aufgegriffen werden. In beiden Rechtsgebieten fehlen jedoch ausgereifte und vor allem langfristig angelegte Strategien für den Umgang mit der Thematik. Beim Raumordnungsrecht kommt hinzu, dass sich dieses Rechtsgebiet trotz oder gerade wegen der in jüngerer Vergangenheit durchgeführten Reformen in einer Sackgasse befindet. Abgesehen vom Bereich der Einzelhandelssteuerung vermag das Raumordnungsrecht gegenwärtig wenig Steuerungswirkung zu entfalten, wobei eine Änderung nicht in Sicht ist. Paradoxerweise könnten jedoch gerade die Folgen des demografischen Wandels zu einem Umdenken beim Gesetzgeber und damit zu einer Stärkung des Raumordnungsrechts führen, wenn erkannt wird, dass den Herausforderungen des Bevölkerungsrückganges nur mit einem leistungsfähigen und strukturell modifizierten Raumordnungsrecht Rechnung getragen werden kann. Anders als das Raumordnungsrecht befindet sich das Bauplanungsrecht gegenwärtig keineswegs in einer Krise. Dies könnte sich jedoch bald ändern, wenn auf Grund europarechtlicher Vorgaben bei der Einzelhandelssteuerung einzelne Normen nicht mehr angewandt werden dürfen. Dabei ist die Einzelhandelssteuerung keineswegs eine „Mission Impossible“, sondern sie lässt sich mit Hilfe der bestehenden Planungsinstrumente durchaus in den Griff bekommen, vorausgesetzt natürlich, die Gemeinden machen davon Gebrauch. In Bezug auf das besondere Städtebaurecht hat es der Gesetzgeber bislang versäumt, entscheidende Akzente zu setzen, um den existierenden Mechanismen zu größerer Durchschlagskraft zu verhelfen. Es ist nicht zu erwarten, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern wird, zumal die entsprechenden Instrumente mit unpopulären Maßnahmen wie der Beteiligung der Bürger an den Abbruchkosten für Gebäude einhergehen würden. Das Bauordnungsrecht, welches von seiner Konzeption her nicht auf den Umgang mit demografischen Veränderungen ausgelegt ist, überrascht damit, dass sich zumindest in einigen Bundesländern bauordnungsrechtliche Spe­ zialregelungen für den Umgang mit verfallenden Gebäuden herausgebildet haben. Eine noch stärkere Ausrichtung auf die Herausforderungen des demografischen Wandels ist hier tendenziell nicht zu erwarten. Hinzu kommt, dass die Länder die Gesetzgebungskompetenz für das Bauordnungsrecht

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inne haben, so dass die Entwicklung einer einheitlichen Strategie erschwert wird. Für alle drei untersuchten Rechtsgebiete lässt sich im Hinblick auf den demografischen Wandel zusammenfassend sagen: Die Entwicklung wird zur Kenntnis genommen, ohne dass jedoch seitens der Politik bislang tragfähige, über die einzelnen Rechtsgebiete hinaus gehende Lösungsansätze entwickelt worden wären. Eine solche umfassende Strategie ist aber vonnöten, wenn der demografische Wandel nicht zum gesellschaftlichen Sprengstoff werden soll.

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Verzeichnis der verwendeten amtlichen Statistiken553

Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Bevölkerungsvorausberechnungen 2011 bis 2030 nach 5-er Altersgruppen (19) und Geschlecht – kreisfreie Städte und Kreise, abrufbar unter https: /  / www.landesdatenbank.nrw.de / ldbnrw / online /  data;jsessionid=BEE324008A6DFB2C89035A6D3FECD90A?operation=abrufta belleBearbeiten&levelindex=2&levelid=1351525935527&auswahloperation=ab ruftabelleAuspraegungAuswaehlen&auswahlverzeichnis=ordnungsstruktur&aus wahlziel=werteabruf&selectionname=12421-02iz&auswahltext=&werteabruf= Werteabruf (zuletzt abgerufen am 29.10.2012). Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Kommunales Bildungsmonitoring: Tab. A1.2 Bevölkerung nach Altersgruppen und Geschlecht, abrufbar unter https: /  /  www.landesdatenbank.nrw.de / ldbnrw / online / data;jsessionid=C5F6FA5F02D2211 3301C9543CE23F2EA?operation=abruftabelleBearbeiten&levelindex=2&levelid =1351526545401&auswahloperation=abruftabelleAuspraegungAuswaehlen&aus wahlverzeichnis=ordnungsstruktur&auswahlziel=werteabruf&selectionname=B-A 01.2-I1&auswahltext=&werteabruf=Werteabruf (zuletzt abgerufen am 29.10. 2012). Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr Sachsen-Anhalt, Auswertungen zur 5. Regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung Sachsen-Anhalt, abrufbar unter http: /  / www.sachsen-anhalt.de / fileadmin / Elementbibliothek / Bibliothek_Poli tik_und_Verwaltung / Bibliothek_MBV / PDF / Raumordnung / Bev_Raumbeobach tung / 5_Regionalisierte_Bev_prognose / BevProg_2025_Analyse.pdf (zuletzt abgerufen am 29.10.2012). Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hrsg.), Demografischer Wandel in Deutschland, Auswirkungen auf Krankenhausbehandlungen und Pflegebedürftige im Bund und in den Ländern, Wiesbaden 2010. Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2050, 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden 2006. Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden 2009. Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Bevölkerungsfortschreibung, Fachserie 1, Reihe 1.3, Wiesbaden 2011. Statistisches Bundesamt, Entwicklung der Bevölkerung in Deutschland von 2009 bis 2060, 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Durchschnittliches Alter der Bevölkerung in den Jahren 2008–2060, Wiesbaden 2009. Statistisches Bundesamt, Geburten in Deutschland, Ausgabe 2012, Wiesbaden 2012. Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2009, Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung, Wiesbaden 2011. Statistisches Bundesamt, Verkehrsunfälle – Unfälle von Frauen und Männern im Straßenverkehr 2009, Wiesbaden 2010. Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Bevölkerungsentwicklung im Freistaat Sachsen und im Bundesgebiet 1990 bis 2008, abrufbar unter http: /  / www.sta tistik.sachsen.de / download / 010_GB-Bev / 02_02_01_graf.pdf (zuletzt abgerufen am 29.10.2012).

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Sachwortverzeichnis Abbruch von Gebäuden  128 f., 413 Abwägung  85 ff., 92, 98, 128, 135 ff., 139 ff., 147, 166, 194, 199 f., 258 f., 263, 281 f., 297 ff., 310, 383 ff., 403 ff., 416 ff., 424 ff., 433 ff., 442 –– Phasen  135 f. –– Planfeststellung  263 –– sanierungsrechtliche  416 ff., 424 ff., 433 ff. –– stadtumbaurechtliche  442 Abwasseranlagen  417 Abweichungskompetenz  132 ff., 182 ff. Altenheime  177, 405 ff., 500 ff. Alter  59 ff. Anpassungsgebot  453 ff. Außenbereich  293, 358, 444 f., 450, 470, 472 ff. Außenbereichssatzung  475 ff. Barrierefreiheit  65, 72 f., 268 f., 287 ff., 500 ff. BauGB-Novelle 2013  298, 306 f., 416, 460 ff. Bauleitplanung  293, 297 Bauplanungshoheit siehe Kommunales Selbstverwaltungs­ recht Baurecht –– Sicherung  475 ff. –– Verlust  472 ff. Bebauungsplan –– einfacher  308 f., 356 –– Entschädigung  358 ff., 406 –– Grundlage städtebaulicher Gebote  452, 458 ff. –– qualifizierter  354 ff., 383, 386 ff. –– vorhabenbezogener  235, 292, 320 ff., 356

Beeinträchtigungsverbot  166 ff., 207 ff., 219 f., 230 ff., 240 ff. Behinderung  78 ff., 500 ff. Belange der Wirtschaft  300 Berufsfreiheit  216 ff., 237, 246, 252, 314 f., 331 ff., 343 ff. Beseitigungsanordnung  128, 485 ff. Bestandsschutz  127, 458, 467 ff., 481 ff., 486 ff., 497 ff. –– Ende  458, 467 ff. –– nachwirkender  473 f. Bestimmtheitsgebot  139 ff., 135 f., 197 ff., 221 ff., 225 ff., 242 ff., 248 f., 310 f., 345, 352 ff. Bevölkerungsentwicklung  41 ff. –– Deutschland  41 ff. –– München  45 ff. –– Nordrhein-Westfalen  56 ff. –– Oberfranken  48 f. –– Sachsen  50 ff. –– Sachsen-Anhalt  53 ff. BID siehe Business Improvement Districts Bodenwertsteigerung  420 f., 461 ff. Brandschutz  73 f., 507 f. Business Improvement Districts  361 ff. Daseinsvorsorge  61 f., 94 ff., 114 ff., 118 ff., 151 ff., 158 ff., 193 ff., 363, 384 ff. –– Begriff  61 f. Demografischer Wandel –– Begriff  39 ff. Dienstleistungsrichtlinie  221 ff., 238 f., 246, 252 f., 315 ff., 334 f., 346 ff., 372 ff. –– Anwendungsbereich  225 ff., 315 Doppelsicherungsverbot  190

556 Sachwortverzeichnis Drei-Stufen-Lehre  siehe Berufsfreiheit Duldungspflicht  460 Durchführungsmaßnahme –– sanierungsrechtliche  428 ff. –– stadtumbaurechtliche  448 EAG Bau  2004 243, 299, 301, 304 ff., 323 Eigentumsfreiheit  110 ff., 125 ff., 221, 254, 419, 425 f., 434, 447 ff., 457, 460 ff., 494 ff., 501 –– Inhalt  110 ff., 125 ff. Einfacher Bebauungsplan siehe Bebauungsplan Einkaufszentrum  202, 341 Einzelhandel  202 ff., 291 ff., 308 ff., 320 ff., 323 ff., 338 ff. –– großflächiger  188 ff., 202 ff., 206 ff., 211 ff., 230 ff., 240 ff., 247 ff., 253 ff. Einzelhandelserlass  203 ff., 208, 227, 238, 243, 246 ff., 352 ff. Einzelhandelsgroßprojekte siehe Einzelhandel, großflächiger Einzelhandelskonzept  256 ff., 293 ff., 306 ff., 309 ff., 386 ff., 392 f. Enteignung  128 f., 420 f., 428 f., 431, 448, 453 ff., 457 f. –– sanierungsrechtliche  420 f., 428 f., 431 –– stadtumbaurechtliche  448 Entschädigung  128 f., 358 ff., 406, 420, 427 f., 431 f., 444 f., 458 ff., 478 ff. Entsorgung  62 f. Entwicklungskonzept siehe Einzelhandelskonzept Erfordernisse der Raumordnung  139 ff., 265 f. Ersatzvornahme  456 ff., 495 f. EUREK  151 ff., 373 Europäische Grundrechte-Charta  99 ff., 119 ff. Factory Outlet Center  siehe FOC Fernstraßenbau  261 ff.

Flächennutzungsplan  306 ff., 476 ff. FOC  67 ff. –– Begriff  67 f. –– Merkmale  67 ff. –– raumordnungsrechtliche Zulässigkeit  211 ff., 236 ff. Freizügigkeit  107, 123 f. Funktionsmängel  416 ff. Geburtenrate siehe Bevölkerungsentwicklung Genehmigungsvorbehalt  425 f., 446 ff. Gesamtmaßnahme  415 f., 424 f., 435, 437 ff. –– sanierungsrechtliche  415 f., 424 f. –– stadtumbaurechtliche  437 ff. Geschossfläche  202, 340 ff., 399 Gleichheitsgrundsatz –– allgemeiner  87 ff., 113 ff. –– besonderer  76 ff. Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse  147 ff., 183 ff. Grundsatz der Raumordnung  142 ff., 191, 193 ff., 265 f., 268 f. Integrationsgebot  167, 210, 247 ff. ISEK  411 ff. Kaufkraftabzug  68 ff., 230 ff., 240 ff., 293 ff., 303 ff., 325 ff., 353, 366 ff. Klarstellungssatzung  475 Kommunales Selbstverwaltungsrecht  92, 212 ff., 234 ff., 244 ff., 249 ff., 253 f., 295, 343, 377, 388 Kongruenzgebot  166 f., 210, 230 ff., 254, 297, 356, 358, 374 ff. Konzentrationsgebot  166 f., 210 ff., 233, 254, 280, 282, 394 Landesplanung  134 f., 182 ff., 200 ff., 278 f. Leerstand  71 f., 129, 299, 410 ff., 416 ff., 437 ff., 468, 481 ff., 492 ff.

Sachwortverzeichnis557 Marktgutachten  227 f., 238, 316 f., 326 ff., 334 f., 343, 347 f., 366 f., 381 f. Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot  456 ff. Monitoring  260, 270 ff., 277 ff., 400 ff., 450 f. –– Bauplanungsrecht  400 ff., 450 f. –– Begriff  270 f. –– Raumordnungsrecht  260, 277 ff. München  42 ff., 66, 72 Nachhaltige Raumentwicklung  147 ff., 188 ff. Nachnutzung  415, 423, 436, 439 ff., 453 ff. Negativplanung  309, 313 f. Niederlassungsfreiheit  221 ff., 237 f., 246, 252 f., 315 f., 333, 338, 346 ff. Nordrhein-Westfalen  46 ff., 212, 278, 362, 490 Nutzungsaufgabe  468 ff., 481 ff., 498 ff. Oberfranken  48 f., 72, 189 ff. ÖPNV  63 ff., 67 ff., 73, 115, 120 f., 154, 162, 168, 171 ff., 179 ff., 254, 280 ff., 287 ff., 301, 367 ff., 501 Ordnungsmaßnahmen  428 ff. Pflegeheime  siehe Altenheime Planfeststellung  140, 194 ff., 263, 266 ff., 394 ff. Planungscontrolling  281 ff., 402 Planungspflicht  292 ff., 295 ff., 373 ff., 376 ff., 383 ff. Planungsschäden  321, 358 ff., 427, 444 f., 454 f., 469 f., 478 ff. Rauchwarnmelder  siehe Brandschutz Raumbedeutsamkeit  136 ff., 138, 140 ff., 187 f., 194 ff., 202 f., 253 ff., 260, 262, 265 ff., 375 ff. Raumordnerischer Vertrag  138, 256 ff. Raumordnungsklausel  141, 195 ff., 262, 295 ff., 374 ff. Raumordnungsrecht  32, 102 ff., 132 ff.

–– Aufgabe  32, 132 ff. –– Gesetzgebungskompetenz  32, 132 ff. –– Zuständigkeit der EU  102 ff. Raumordnungsverfahren  136 ff., 144, 185, 187 f., 192, 200, 202 f., 255, 258, 262 ff., 397 Regionalmanagement  191 f., 259 Rückbau  62 f., 72, 123 ff., 410 ff., 414 ff., 437 ff., 453 ff., 468 ff., 472 ff. –– Einzelhandelsimmobilien  468 ff. –– perforierender  474 Rückbaugebot  427, 431, 454, 458 ff., 479, 488 f. –– Änderungen durch die BauGB-Novelle 2013  465 f. –– Rechtslage vor der BauGB-Novelle  2013  460 ff. –– Verhältnis zum Bauordnungsrecht  488 f. Sachsen  50 ff., 70, 168, 279, 288 Sachsen-Anhalt  53 ff., 70 f., 211 ff., 231 ff., 241 ff., 247 ff., 369 Sanierungsgebiet  418, 420 f., 424 ff., 438 Sanierungskonzept  422 f., 425 Sanierungsrecht  411, 413 ff. –– Begriff und Anwendbarkeit  414 f. –– Entstehungsgeschichte  413 f. Sanierungssatzung  424 ff., 428, 435 Schädliche Auswirkungen  323 ff., 366 ff. –– Begriff  325 f. –– Nachweis  326 ff. Selbstvornahme  458 f. Senioren  72 ff., 59 ff., 63 ff., 67, 403 ff., 500 ff. Seniorenheime  siehe Altenheime Sollziele  139 ff., 145 f., 197 ff., 232 ff., 248 ff., 287 f., 374 ff. –– Begriff  139 f. Sondergebiete  211, 231 f., 234, 241, 247 ff., 338 ff., 355, 363, 380, 399 f., 409, 469

558 Sachwortverzeichnis Sortiment  69, 203 ff., 210, 215 ff., 231, 236, 241 ff., 247 ff., 293 ff., 304 f., 308 ff., 338 ff., 352 ff., 367, 369 ff., 383 ff., 386 ff. Sozialpflichtigkeit des Eigentums  126 Sozialstaatsprinzip  83 ff., 89 ff., 92 ff., 98, 114 ff., 119, 156 f., 159, 174, 180 f., 184, 295, 300, 313 ff., 344, 390 ff., 405 f. –– Begriff  92 ff. –– Inhalt  94 ff. Städtebauliche Entwicklung  297 f. Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen  435 ff. Städtebauliche Gebote  451 ff. Städtebaulicher Missstand  125, 416 ff., 424 ff., 431 f., 456, 461 ff., 493 Städtebaulicher Vertrag   444 ff., 470, 478 –– Stadtumbau  444 ff. Städtebauliches Entwicklungskonzept 301 f., 308 ff., 324 f., 383 ff., 389, 392 ff., 411 ff., 442 f., 444, 446 f., 450 f., 458 siehe auch Einzelhandelskonzept Stadtentwicklungskonzept  siehe ISEK Stadtumbau  410 ff., 437 ff. –– Stadtumbau Ost  411 ff. –– Stadtumbau West  411 ff. Stadtumbaugebiet  442 f. Stadtumbausatzung  446 ff. Stadtumbauvertrag  444 f. Substanzmängel  414, 416 f. Suburbanisierung  45, 68, 71, 168 Trinkwasser  62 f., 112 f., 416 f., 432 f., 474 Übermaßverbot siehe Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Unbeplanter Innenbereich  308 ff., 323 ff., 356 ff., 359 f., 366 ff., 383 ff., 400 ff., 444 ff., 453, 460 ff., 472 ff. Unternehmerische Freiheit siehe Berufsfreiheit

Veränderungssperre  318, 350, 425 f. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  88, 91, 126 f., 129 f., 214 ff., 234 ff., 253 ff., 313 ff., 331 ff., 343 ff., 370 ff., 386 ff., 428, 461 ff., 467, 469, 495, 501 ff. Verkaufsfläche  202 ff., 207, 231 ff., 328, 331 ff., 338 ff., 353 ff., 369 ff., 379 ff., 390 f., 399 f. –– Begriff  203 Vorkaufsrecht  426 f., 448 Wettbewerbsfreiheit siehe Berufsfreiheit Wohn- und Arbeitsverhältnisse  416, 431 f., 439 f. Zentrale Orte  161 ff., 165 ff., 176 ff., 206 ff., 210 ff., 232 f., 240 ff., 263 ff., 304 f. –– Begriff  165 ff. Zentrale Versorgungsbereiche  178 f., 256, 299 ff., 304 ff., 323 ff., 351 ff., 367 ff., 383 ff., 393 ff. –– Begriff  178 f., 323 ff. –– Darstellung im Flächennutzungsplan  306 ff. –– Nachbargemeinde  304 ff. –– Schutz durch Ausschlussplanung  308 ff. Zentralörtliches Gliederungssystem  161 ff., 165 ff., 176 ff., 193 ff., 210 ff., 253, 260, 304 f. Ziele der Raumordnung  134, 136 f., 139 ff., 145 ff., 185 ff., 194 ff., 206 ff., 209 f., 242 ff., 247 ff., 255, 260 f., 262 ff., 295 ff., 303 ff., 341, 348 ff., 354, 356, 358, 373 ff. –– Anpassungspflicht für Bebauungs­ pläne  295 ff. –– Ausnahmen  145 f., 185 f., 197 ff., 206 ff. –– Begriff  139 ff. Zielabweichungsverfahren  134, 140, 145 f., 185 f., 192, 197 ff., 220, 237, 252, 255, 278, 296, 375