Die Akquisition von Spenden als eine Herausforderung für das Marketing [1 ed.] 9783428486106, 9783428086108


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Die Akquisition von Spenden als eine Herausforderung für das Marketing [1 ed.]
 9783428486106, 9783428086108

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Schriften zum Marketing Band 41

Die Akquisition von Spenden als eine Herausforderung für das Marketing

Von

Willy Schneider

Duncker & Humblot · Berlin

WILLY SCHNEIDER Die Akquisition von Spenden als eine Herausforderung für das Marketing

SCHRIFTEN ZUM MARKETING . von Prof. Dr. Dr. h. c. Erwin Dichtl, Mannheim Prof. Dr. Franz Böcker t 9 Regensburg Prof. Dr. Hermann Diller, Nürnberg Prof. Dr. Hans H. Bauer, Mannheim Prof. Dr. Stefan Müller, Dresden Band 41

Die Akquisitíon von Spenden als eine Herausforderung für das Marketing

Von

Willy Schneider

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Schneider, Willy: Die Akquisition von Spenden als eine Herausforderung für das Marketing / von Willy Schneider. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum Marketing ; Bd. 41) Zugl.: Mannheim, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08610-4 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0343-5970 ISBN 3-428-08610-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

So eine Arbeit wird eigentlich nie fertig. Man muß sie für fertig erklären, wenn man nach Zeit und Umstand das Möglichste getan hat. Goethe

Vorwort Eine Vielzahl von Personen trug direkt und indirekt zum Gelingen der Arbeit bei. Ihnen allen schulde ich Dank, insbesondere aber meinem akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Erwin Dichtl, der mir den Anstoß für diese Arbeit gab und mich bei deren Erstellung in Rat und Tat unterstützte, sowie Herrn Professor Dr. Peter Eichhorn, der das Korreferat meiner Dissertation übernommen hat und mir wertvolle Anregungen vermittelte. Unschätzbare Dienste leistete weiterhin Herr Professor Dr. Stefan Müller, der mir half, eine Fülle von Schwachstellen zu beseitigen. Außerdem gebührt mein Dank Herrn Dipl.-Psych. Achim Brötz, der mich in der Anwendung statistischer Verfahren beriet, sowie den Herren cand. rer. oec. Frank Kadel und Dipl.-Kfm. Martin Kerner, denen ein wesentlicher Anteil an der formalen Erstellung der Schaubilder und des Fragebogens zukommt. Undenkbar wäre diese Studie schließlich ohne das persönliche Engagement von Frau Dipl.-Kffr. Betina Prestel gewesen, die mich bei der Versendung der Fragebögen sowie der Eingabe der Daten tatkräftig unterstützte und deren Rückhalt für mich kaum zu ersetzen war. Mannheim, im August 1995 Willy Paul Albert Schneider

nsverzeichnis 1. Die Bedeutung des Spendenmarketing als Erkenntnisobjekt

17

1.1. Zur Leistungsfähigkeit des Marketingansatzes im Spendensektor

17

1.2. Das Gratifikationsprinzip als zentrale theoretische und technologische Leitidee der Untersuchung

23

1.3. Zielsetzung der Arbeit sowie Gang der Analyse

25

2. Das Spendenwesen in Deutschland - Entwicklungsepochen und Status quo

29

2.1. Entstehung und historische Entwicklung des Spendensektors

29

2.2. Funktionen gemeinnütziger Organisationen im Sozialstaat

45

2.3.

Struktur und wirtschaftliche Bedeutung des Spendenmarktes 2.3.1. Begriff und Formen der Spende

50 50

2.3.2.

55

Das Beziehungsgefiige der Marktteilnehmer

2.4. Das rechtliche Umfeld der Spende

68

2.4.1.

Juristische Grundlagen des Spendenwesens

68

2.4.2.

Steuerrechtliche Aspekte der Philanthropie

72

3. Das Spenderverhalten als Gegenstand theoretischer Überlegungen

85

3.1. Die Spende im Spannungsfeld zwischen Emotion, Rationalität und Gewohnheit

87

3.2. Das philanthropische Verhalten als Ausdruck von Kosten/NutzenÜberlegungen

88

3.2.1.

Die egoistischen Motive für ein gemeinnütziges Engagement

90

3.2.2.

Der altruistische Nutzen einer Zuwendung

97

8

alverzeichnis 3.2.3.

Monetäre und nichtmonetäre Kosten des Spendens

3.3. Das Merkmalsprofil des typischen Spenders 3.3.1.

100 106

Demographische Determinanten des gemeinnützigen Engagements

106

Sozio-ökonomische Eigenschaften als Bestimmungsgrößen des Spendenverhaltens

109

Die Bedeutung psychographischer und situativer Merkmale für die Spendenentscheidung

111

3.4. Die Integration der Befunde in ein empirisch überprüfbares Modell des Spenderverhaltens .

114

3.3.2. 3.3.3.

4. Eine empirische Analyse des Spenderverhaltens privater Haushalte 4.1. Der Untersuchungssteckbrief.

117 117

4.1.1.

Ziele und Hypothesen der Untersuchung

117

4.1.2.

Gestaltung des Fragebogens und Einsatz von Interessenstimuli

121

4.1.3.

Auswahl der Probanden und strukturelle Zusammensetzung der Stichprobe

122

4.2. Das Spenderverhalten im Spiegel empirischer Befunde 4.2.1.

Informationsstand sowie -beschaffung der potentiellen Förderer.... 126 4.2.1.1.

Das Spektrum bekannter Spendenorganisationen

126

4.2.1.2.

Die Einstellung zum Spendenwesen

129

4.2.1.3.

Die Beurteilung der Kommunikationsaktivitäten gemeinnütziger Institutionen

137

4.2.1.3.1.

4.2.2.

126

Die globale Einstellung zur Spendenwerbung

137

4.2.1.3.2.

Glaubwürdigkeit und Nutzung ausgewählter Informationsquellen 138

4.2.1.3.3.

Die Akzeptanz des Spendenbriefs

145

Die Entscheidungsfindung der Spender

150

4.2.2.1.

Die Informationsverarbeitung

150

4.2.2.1.1.

Dimensionen der Vergabeentscheidung

150

4.2.2.1.2.

Grundtypen von Spendern

152

alverzeichnis 4.2.2.2.

Die Gratifikationserwartungen an eine Spende 4.2.2.2.1.

4.2.3.

4.2.4.

164

Die aus einer Zuwendung resultierende persönliche Befriedigung

164

4.2.2.2.2.

Die perzipierten Kosten einer Spende

166

4.2.2.2.3.

Der Beitrag der Gratifikationserwartungen zur Trennung von alten und neuen Bundesländern 169

4.2.2.2.4.

Die Identifikation verhaltensrelevanter Gratifikationsaspekte

171

Das Transferverhalten der Spender

180

4.2.3.1.

Die quantitative Dimension

180

4.2.3.2.

Die qualitative Dimension

183

4.2.3.3.

Demographische und sozio-ökonomische Bestimmungsfaktoren des Spendenverhaltens 188

Die Zufriedenheit der Spender mit den Informationen über die Verwendung ihrer Zuwendungen

193

4.2.4.1.

Das Ausmaß der (Un-)Zufriedenheit

193

4.2.4.2.

Die Reaktion auf (Un-)Zufriedenheit

195

4.3. Die zentralen Untersuchungsergebnisse im Überblick

5. Das Marketing Spenden akquirierender Organisationen - Bestandsaufnahme und Gestaltungsperspektiven von Spendenbriefkampagnen vor dem Hintergrund empirischer Befunde 5.1. Das Forschungsdesign

196

199 199

5.1.1.

Zielsetzung und Methodik der Untersuchung

5.1.2.

Zur Struktur der analysierten Organisationen und zur Vorgehensweise bei der Diagnose 200

5.2. Die Gestaltung der untersuchten Mailing-Kampagnen

199

204

5.2.1.

Das Timing von Spendenbriefaktionen

204

5.2.2.

Die Identifikation von Spendersegmenten

206

5.2.3.

Der Einsatz formaler und inhaltlicher Gestaltungsmittel

210

5.3. Ein Pilotversuch zur Aktivierung des Erfolgspotentials von Direct-MailAktionen

219

10

alverzeichnis 5.3.1.

Die Versuchsanlage

219

5.3.2.

Der Nutzenbeitrag ausgewählter Gestaltungsinstrumente

223

6. Zusammenfassung und Ausblick

229

Literaturverzeichnis

235

Anhang

267

Anhang A Tabelle A. 1

Der Einfluß demographischer, sozio-ökonomischer, psychographischer und situativer Variablen auf das Spendenverhalten 269

Tabelle A.2

Demographische und sozio-ökonomische Struktur der Stichprobe und der Grundgesamtheit

274

Abb. A. 1:

Der inhaltsanalytisch ausgewertete Spendenbrief der Deutschen Krebshilfe vom 24.10.1991 275

Abb. A.2:

Das mit Stimulus 7 korrespondierende hypothetische SpendenMailing 276

Anhang B Der Fragebogen.

277

blnverzeichnis Tabelle 2.1

Die Spendenmotive im Wandel der Zeit

Tabelle 4.1

Die Kosten der schriftlichen Befragung bei einzelnen Anreizarten

124

Tabelle 4.2

Der Steckbrief der schriftlichen Befragung privater Haushalte

126

Tabelle 4.3

Das Faktorenmuster nebst Kommunalitäten der Einstellungsstruktur zum Spendensektor

135

Die wahrgenommene Glaubwürdigkeit ausgewählter Akquisitionsformen

140

Tabelle 4.4

44

Tabelle 4.5

Die Relevanz ausgewählter Informationsquellen für die letzte Spendenentscheidung 143

Tabelle 4.6

Das Faktorenmuster nebst Kommunalitäten der Entscheidungsstruktur von Spendern 153

Tabelle 4.7

Die Gütekriterien einer diskriminanzanalytischen Prüfung der identifizierten Clusterlösungen

156

Die Zusammensetzung der identifizierten Spendersegmente nach Maßgabe ausgewählter Merkmale

160

Der Beitrag ausgewählter Nutzen- und Kostenaspekte einer Spende zur Trennung zwischen den Bürgern in den alten und neuen Bundesländern

170

Tabelle 4.8 Tabelle 4.9

Tabelle 4.10 Die Gütekriterien der diskriminanzanalytischen Untersuchung von Bagatell- und Intensivspendern

176

Tabelle 4.11 Der Beitrag ausgewählter Kosten/Nutzen-Aspekte einer Zuwendung zur Trennung zwischen Bagatell- und Intensivspendern

177

Tabelle 4.12 Die im Untersuchungszeitraum gewählten Formen der Geldspende

184

Tabelle 4.13 Die im Untersuchungszeitraum gewählten Formen der Sachspende

185

Tabelle 4.14 Die zuletzt unterstützte Spendenorganisation bzw. -aktion

187

Tabelle 5.1 Tabelle 5.2

Die Verwendungshäufigkeit von Gestaltungsmitteln zur Steigerung des vom Spender wahrgenommenen Nutzens

211

Die Verwendungshäufigkeit von Gestaltungsmitteln zur Reduktion der vom Spender wahrgenommenen Kosten

214

12

Tabellenverzeichnis

Tabelle 5.3

Das experimentelle Design zur Generierung hypothetischer Spendenbriefe 222

Tabelle 5.4

Die relative Wichtigkeit der analysierten Spendenbriefattribute

226

Tabelle 5.5

Gesamtnutzen und Rang der SpendenbriefVarianten des reduzierten Designs

227

Abbildungsverzeichnis Abb. 1.1:

Ablauf und Analyseebenen der Untersuchung

27

Abb. 2.1:

Beispiel für eine mit einer Rentenzahlung verbundenen Spende

53

Abb. 2.2:

Das nach § 10 b EStG steuerlich geltend gemachte Spendenaufkommen in der Bundesrepublik Deutschland für den Zeitraum von 1965 bis 1994 57

Abb. 2.3:

Die Einnahmen- und Ausgabenstruktur ausgewählter Spendenorganisationen 60

Abb. 2.4:

Die Verteilung des Spendenaufkommens auf einzelne Verwendungszwecke

63

Abb. 2.5:

Die Elemente des Spendenmarktes und ihr Beziehungsgefüge

67

Abb. 2.6:

Die einkommensteuerrechtliche Behandlung von Spenden im Überblick

83

Die Evaluation verschiedener Kosten/Nutzen-Verhältnisse durch den Spender

89

Abb. 3.1: Abb. 3.2: Abb. 3.3:

Der Beitrag ausgewählter Theorien zur Erklärung des Spenderverhaltens

103

Die Spendenentscheidung als Ergebnis eines Kosten/NutzenVergleichs

105

Ein Prozeßmodell des Spenderverhaltens

116

Abb. 4.1:

Struktur und methodische Basis der Datenanalyse

120

Abb. 4.2:

Der Bekanntheitsgrad von Spendenorganisationen nach Arbeitsgebieten

128

Abb. 4.3:

Die globale Einstellung zu Spendenorganisationen

130

Abb. 4.4:

Die multiattributive Einstellung zu Spendenorganisationen

132

Abb. 4.5:

Die globale Einstellung zur Spendenwerbung

138

Abb. 4.6:

Die Anzahl der im Untersuchungszeitraum erhaltenen Spendenbriefe.. 145

Abb. 4.7:

Die typische Reaktion auf den Empfang von Spendenbriefen

147

Abb. 4.8:

Die Bewertung des Spendenbriefs unter Gratifikationsaspekten

149

Abb. 4.9:

Der Ablaufplan für die Typisierung von Spendern

151

Abb. 3.4:

14

Abbildungsverzeichnis

Abb. 4.10:

Das Struktogramm der Ward-Lösung

154

Abb. 4.11:

Die Position verschiedener Spendertypen im dreidimensionalen Faktorraum

157

Die Intensität ausgewählter Spendenmotive in den alten und neuen Bundesländern

165

Die Wahrnehmung ausgewählter monetärer Spendenkosten in den alten und neuen Bundesländern

167

Die Wahrnehmung ausgewählter nichtmonetärer Spendenkosten in den alten und neuen Bundesländern

168

Abb. 4.12: Abb. 4.13: Abb. 4.14: Abb. 4.15:

Die Intensität ausgewählter Spendenmotive bei Bagatell- und Intensivspendern 172

Abb. 4.16:

Die Wahrnehmung ausgewählter monetärer Spendenkosten durch Bagatell- und Intensivspender

173

Die Wahrnehmung ausgewählter nichtmonetärer Spendenkosten durch Bagatell- und Intensivspender

174

Der im Untersuchungszeitraum pro Kopf aufgewendete Spendenbetrag

181

Abb. 4.19:

Der bevorzugte Zeitpunkt für eine Spende

183

Abb. 4.20:

Das Baumdiagramm der CART-Analyse

190

Abb. 4.21:

Die relative Bedeutung demographischer und sozio-ökonomischer Variablen für die Erklärung des jährlich gespendeten Betrags

192

Die Zufriedenheit mit den Informationen über die Verwendung von Spenden

194

Die Zusammensetzung der Stichprobe nach der Anzahl hauptberuflicher Mitarbeiter

201

Abb. 5.2:

Das Kategoriensystem zur Inhaltsanalyse von Spendenbriefen

202

Abb. 5.3:

Der für Spendenbriefaktionen präferierte Zeitpunkt

204

Abb. 5.4:

Häufigkeit und Regelmäßigkeit von Spendenbriefkampagnen

205

Abb. 5.5:

Die Bezugsquellen für Fremdadressen

207

Abb. 5.6:

Die Verwendungsintensität ausgewählter Segmentierungskriterien

208

Abb. 5.7:

Ansatzpunkte zur Optimierung der wahrgenommenen Kosten/Nutzen-

Abb. 4.17: Abb. 4.18:

Abb. 4.22: Abb. 5.1:

Relation einer Spende in Bittbriefen

218

Abb. 5.8:

Die formale Ausgestaltung des DZI Spenden-Siegels

220

Abb. 5.9:

Die transponierten Teilnutzenwerte für vier Spendenbriefmerkmale

225

Abungsverzeichnis AID

Automatic Interaction Detector

AO

Abgabenordnung

BDSG

Bundesdatenschutzgesetz

BFH

Bundesfinanzhof

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

CART

Classification and Regression Trees

Chaid

Chi-Square Automatic Interaction Detection

DFG

Deutsche Forschungsgemeinschaft

DRK

Deutsches Rotes Kreuz

DVPW

Deutscher Verband für paritätische Wohlfahrtspflege

DZI

Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen

ErbStG

Erbschaftsteuergesetz

EStDV

Einkommensteuer-Durchfuhrungs-Verordnung

EStG

Einkommensteuergesetz

EStR

Einkommensteuer-Richtlinie

FW

Faktorwert

GewStG

Gewerbesteuergesetz

IEA

The Institute of Economic Affairs

KStG

Körperschaftsteuergesetz

LAKO

Schweizerische Landeskonferenz für Sozialwesen

p

Signifikanzniveau

r

Korrelationskoeffizient nach Pearson

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozeßordnung

Unicef

Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen

UWG

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

USA

United States of America

vs.

versus

Vol.

Volume

WWF

World Wide Fund for Nature

ZEWO

Zentralstelle für Wohlfahrtsunternehmen

1. Die Bedeutung des Spendenmarketing als Erkenntnisobjekt 1.1. Zur Leistungsfähigkeit des Marketingansatzes im Spendensektor Eine Spendenorganisation repräsentiert, wie jegliche Institution, ein zweckbezogenes System von Menschen, Werkstoffen und Betriebsmitteln, deren gezielter Einsatz der Erfüllung eines spezifischen Anliegens dient. Um die gesteckten Ziele erreichen zu können, müssen genügend Ressourcen akquiriert, diese in Produkte, Dienstleistungen und/oder Ideen transformiert und der im Rahmen des Umwandlungsprozesses entstandene Output an die Umwelt abgegeben werden. Im Zuge ihrer Aufgabenerfüllung greift eine solche Institution gemeinhin weder zu Zwangsmaßnahmen noch fordert sie einen selbstlosen Beitrag, sondern offeriert spezifische Anreize, welche die Marktpartner dazu bewegen sollen, am Austauschprozeß teilzunehmen. Gemäß diesem sog. „law of exchange " (Austauschgesetz, Interaktionsparadigma) kommt es somit nur dann zu einem Leistungstransfer, wenn dies den involvierten Parteien vorteilhaft erscheint. 1 Damit hat es im Falle des Spendenwesens indessen eine besondere Bewandtnis, hegt doch ein großer Teil der Bevölkerung grundsätzliche Zweifel an der Integrität (1981: 11 %; 1991: 79 % der Bundesbürger) sowie Effizienz gemeinnütziger Organisationen (1981: 26 %; 1992: 58 %). 2 Der darauf begründete Ruf nach einer verstärkten Kontrolle durch den Gesetzgeber sowie unabhängige Institutionen suggeriert nicht zuletzt, daß Spenden akquirierende Vereinigungen ihre Klientel zunehmend aus dem Blick verlieren. 3 Ein solches 1

Vgl. Kotler (1978), S. 5. Vgl. Oberholz (1992), S. 7. Die Begriffe gemeinnützige Organisation und Spenden akquirierende Organisation werden im folgenden synonym verwendet, da sich die Untersuchung auf Institutionen konzentriert, die dem Gemeinwohl dienen und sich zu diesem Zweck - zumindest teilweise - aus Spenden finanzieren. 3 Vgl. Esser u. a. (1993), S. 40 ff. Die Kritik an Spendenorganisationen schlägt sich beispielsweise in Zeitungs- und Zeitschriftenberichten wie „Die Spendensauger" (Hanke [1992], S. 33), „Spenden - Millionen parken auf deutschen Konten" (No6 [1991], S. 2), „Geschäfte und Apotheken bleiben auf vollen Spendenbüchsen sitzen" (O. V. [1992a], S. 3), „Spenden in die Tasche gesteckt" (O. V. [1990c], S. 10), „Dubiose Spendenaufrufe" (O. V. [1989], S. 24), „Umweltkonzern im Zwielicht - Geldmaschine Greenpeace" (O. V. [1991 d], S. 84), „Spenden ans DRK nicht empfohlen" (Grubbe [1986], S. 22), „Geschäfte mit dem Mitleid?" (O. V. [1980], S. 16), „Kinder und Spendenwerbung - Pornographie des Elends" (Müller-Werthmann [1986], S. 18), „Wer anderen hilft, mischt sich politisch ein" (Nass [1991], S. 9), „Kolonialismus der Wohltätigkeit" (O. V. [1986], S. 17) und „Päckchen, Demütigungen und die Helfer" (Hank [1990], S. 13) nieder. 2

2 Schneider

18

1. Die Bedeutung des Spendenmarketing als Erkenntnisobjekt

Defizit wiegt bei einer rezessiven Wirtschaftslage besonders schwer, da dann die Nachfrage nach Leistungen derartiger Organisationen, wie gemeinhin festzustellen ist, wächst, diese sich aber einem verschärften Wettbewerb gegenübersehen.4 Schließlich trägt die nachlassende Unterstützung durch die Öffentliche Hand dazu bei, daß gemeinnützige Institutionen zunehmend auf Spenden angewiesen sind.5 Vor diesem Hintergrund scheint eine Rückbesinnung auf die Ziele und Motive der Marktpartner, also in erster Linie der Förderer und Hilfsbedürftigen, dringend geboten zu sein. Für eine Spendenorganisation, die auch zukünftig dem Gemeinwesen dienen will, wirft dies die grundsätzliche Frage auf, inwieweit sie die im erwerbswirtschaftlichen Bereich bereits so erfolgreich eingesetzten Marketinginstrumente im Sinne einer wertneutralen Sozialtechnik für ihre Zwecke nutzen kann und soll. Wenn man versucht, ein so vielschichtiges Phänomen wie Marketing aus seinem traditionellen erwerbswirtschaftlichen Anwendungsgebiet zu lösen und für eine nichtkommerzielle Aktivität, im vorliegenden Fall die Arbeit von Spendenorganisationen, nutzbar zu machen, erscheint es zweckmäßig, in knapper Form auf die Entstehungsgeschichte dieser Denkhaltung einzugehen. Deren Geburtsstunde ist heute nicht mehr auszumachen, es gilt jedoch als gesichert, daß Marketing in den USA um das Jahr 1910 zu einem Schlagwort für das Vermarkten von Produkten heranreifte. Marketing in seiner ursprünglichen Konnotation war also nichts anderes als ein Synonym für die im deutschsprachigen Raum als Absatzwirtschaft bezeichnete unternehmerische Aufgabe bzw. wissenschaftliche Disziplin. 6 Heute hingegen besteht unter Wissenschaftlern und Praktikern weitgehend Einigkeit darüber, daß das Bemühen um die Vermarktung von Gütern und Dienstleistungen zu kommerziellen Zwecken lediglich eine von mehreren Varianten einer Sozialtechnik repräsentiert, für die sich die Bezeichnung Marketing eingebürgert hat.7 Im Zuge dieses Erkenntnisprozesses haben sich zwei zentrale Denkrichtungen herausgebildet 8: Die Überwindung von Engpässen im Unternehmen Nachdem immer häufiger nicht der Absatz der produzierten Leistung, sondern die Bereitstellung von Ressourcen (Kapital, Rohstoffe, Personal, Knowhow) den unternehmerischen Handlungsspielraum begrenzen, besann man sich in den siebziger Jahren auf den semantischen Gehalt des Wortes Marketing, 4

Vgl. Eichhorn (1994), S. 103; Pantenburg (1993), S. 289; Rückert (1991), S. 315. Vgl. Bürger (1993), S. 1850. Zum Spendenmarketing in rezessiven Zeiten siehe Christensen (1991), S. 46 ff. 6 Vgl. Holscher (1977), S. 15. 7 Vgl. Dichtl (1981), S. 249; Raffte (1976), S. 61 ff.; Raffte/Wiedmann (1983), S. 185 ff. 8 Vgl. Bruhn/Tilmes (1989), S. 13 ff; Raffte u. a. (1983), S. 676 ff 5

1.1. Zur Leistungsfähigkeit des Marketingansatzes im Spendensektor

19

nämlich die Erfüllung jeglicher marktgerichteter Aufgaben eines Unternehmens.9 Folglich meint die Marketingphilosophie in ihrem heutigen Begriffsverständnis nicht mehr nur den Einsatz einer speziellen Technologie auf den Absatzmärkten, sondern umfaßt auch die effiziente Gestaltung der Austauschbeziehungen mit den Marktpartnern auf der Beschaffungsseite. Im Sinne eines Spiegelbildes kann so der Aktivität eines Leistungsanbieters ein adäquates Instrumentarium gegenübergestellt werden. In diesem Begriffsverständnis repräsentiert Marketing „eine Konzeption bzw. ein Konglomerat von Techniken und Maßnahmen zur Bewältigung von Engpässen" 10. Die Verfolgung

nichtkommerzieller

Anliegen

Beschränkte sich das Marketing ursprünglich auf erwerbswirtschaftliche Unternehmen, so haben sich mittlerweile die Begriffe Non-Profit - bzw. NonBusiness-Marketing für eine marktorientierte Führung nichtkommerzieller Institutionen weitgehend etabliert, entsprechendes gilt für das Social-Marketing (Vermarktung bestimmter Ideen und gesellschaftlicher Anliegen). 11 Im Mittelpunkt der an der Schwelle zu den achtziger Jahren nachdrücklich betriebenen Ausdehnung des Marketingkonzepts auf den Non-Profit-Bereich steht die Überlegung, daß Austauschprozesse bei kommerziellen und nichtkommerziellen Organisationen prinzipiell gleichartig ablaufen, da auch letztere gegenüber ihren Marktpartnern (z. B. Abnehmer, Geldgeber) Bedarfsdeckungs- und/ oder Beeinflussungsziele verfolgen. Folglich, so die Vertreter dieses Ansatzes, ließen sich auch gemeinschaftliche Aufgaben, wie Probleme des Gesundheitswesens, der Umweltverschmutzung, der Familienplanung, der Verkehrssicherheit, der Bildung, der Entwicklungshilfe u. ä., durch den angepaßten Einsatz der Marketingtechnologie effizient lösen.12 Die These von der Übertragbarkeit des Marketingansatzes auf den Spendensektor 13 knüpft an diesen Überlegungen an. Da die von gemeinnützigen Organisationen produzierten Güter im Regelfall Leistungen verkörpern, die nicht gegen ein kostendeckendes Entgelt abgegeben werden, sind Finanzierungsquellen außerhalb des Empfängerkreises aufzuspüren. Findet innerhalb der Organisation kein kalkulatorischer Ausgleich statt und ist auch keine kollektive Finanzierung über Subventionen der Öffentlichen Hand möglich, so benötigt eine solche Institution Zugang zu alternativen Ressourcen, sei es in 9 Das englische Verb „to market" bedeutet soviel wie „to buy or seil on markets". Vgl. hierzu auch Holscher (1977), S. 17; Wiedmann (1992), S. 49. 10 Dichtl (1981), S. 249. Am Ausgangspunkt dieser Überlegung steht das auf Gutenberg zurückgehende Ausgleichsgesetz der Planung, wonach diese am jeweils schwächsten Teilbereich eines Unternehmens (Minimum- bzw. Engpaßfaktor) anzusetzen hat. 11 Vgl. ebd., S. 249 f. 12 Vgl. Kotler/Levy (1969), S. 10 ff. 13 Siehe hierzu auch Hasitschka/Hruschka (1982); Kotler (1978); Kotier/Roberto (1991).

2*

20

1. Die Bedeutung des Spendenmarketing als Erkenntnisobjekt

monetärer oder sei es in nichtmonetärer Form. Folglich bildet die Beschaffimgsseite den zentralen Engpaß einer Spendenorganisation, während der Absatz der produzierten Leistungen gemeinhin vergleichsweise geringe Schwierigkeiten bereiten dürfte. 14 Aufmerksamkeit fand in diesem Kontext bislang vor allem das sog. Spendenmarketing, also der gezielte Einsatz von Marketinginstrumenten zur Erlangung von Geld-, Sach- und Dienstleistungsspenden. Daneben wird die Möglichkeit diskutiert, die Marketingtechnologie für das Eintreiben von Bußgeldern zu nutzen. 15 Obwohl sich die Akquisition von Ressourcen (Geld, Sachmittel, Personal) als dominanter Engpaß einer gemeinnützigen Institution darstellt und daher in besonderem Maße den Einsatz des Marketinginstrumentariums erfordert, darf die Absatzseite nicht gänzlich aus den Überlegungen ausgeklammert werden. Zwar steht eine Spendenorganisation - zumindest im üblichen Sinne - nicht vor Absatzproblemen, doch verleitet dies allzu leicht dazu, den auch hier zwischen Absatz und Beschaffung bestehenden sehr engen Zusammenhang zu verkennen. Je mehr es nämlich gelingt, Erfolge bei der Verfolgung des zentralen Anliegens vorzuweisen oder glaubhaft in Aussicht zu stellen, desto größer wird die Spendenbereitschaft sein.16

Zum anderen kann unterstellt werden, daß es sich bei der Sammlung von Spenden im klassischen Sinn um die Vermarktung eines Produktes handelt, da der Förderer - entgegen dem ersten Eindruck und wie noch zu zeigen sein wird - im Austausch für seine Zuwendung eine Gegenleistung erhält. Dieser Prämisse folgend liegt die zentrale Aufgabe des Spendenmarketing darin, dem potentiellen Förderer ein Nutzenbündel zu offerieren, das konsequent an dessen Bedürfnissen ausgerichtet ist. Hierzu wiederum bedarf es detaillierter Kenntnisse über die Motive für Hilfsbereitschaft. Im anglo-amerikanischen Sprachraum beschäftigt man sich schon seit geraumer Zeit mit dem Phänomen Spende und darauf aufbauend mit den Besonderheiten sowie Schwierigkeiten der Nutzung des Marketing bei der Spendenakquisition. 17 Die Aufmerksamkeit, die die Wissenschaft der Erforschung philanthropen Verhaltens geschenkt hat, 18 die akribische Zusammenstellung von Marktdaten durch Verbände, 19 die eingehende journalistische Behandlung des 14

Vgl. Raffée u. a. (1983), S. 730. Vgl. Biege (1988), S. 68 ff.; o. V. (1993b), S. 130. Siehe hierzu auch die Ausführungen in Abschn. 2.4.2. 16 Vgl. Raffée (1978), S. 134. 17 Eichhorn (1994), S. 102, führt das rege Interesse an und die aggressive Praktizierung von Spendenmarketing in Großbritannien unter anderem auf den dort chronischen Kapitalmangel gemeinnütziger Organisationen zurück, da diese im Gegensatz zu Deutschland über keinen gesetzlichen Anspruch auf Erhalt staatlicher Investitionsmittel verfügen. 18 Vgl. hierzu beispielhaft Diamantopoulos u. a. (1992); Magat (1989); Powell (1987); RoseAckerman (1986); Schlegelmilch u. a. (1991); Schlegelmilch/Tynan (1989a), S. 16 ff; Weisbrod (1988); Weisbrod (1977). 19 So gibt die American Association of Fund-Raising Counsel (1990) einmal jährlich die Dokumentation GIVING USA heraus, die den amerikanischen Spendenmarkt in Zahlen vorstellt. Ein weiteres Beispiel bietet die in regelmäßigen Abständen von dem Independent Sector (1990), 15

1.1. Zur Leistungsfähigkeit des Marketingansatzes im Spendensektor

21

Themas 2 0 und nicht zuletzt das umfangreiche Angebot an entsprechenden Gestaltungsempfehlungen

sowie Beratungsleistungen 2 1

belegen dies auf ein-

drucksvolle Weise. Die hierbei entwickelten Konzepte lassen sich infolge struktureller und kultureller Unterschiede jedoch nur bedingt auf die Gegebenheiten in Deutschland Ubertragen. Als wesentlicher Grund dafür wird angeführt, daß Amerikaner und Briten Philanthropie und damit auch die Spendenakquisition als einen Teil des öffentlichen Lebens betrachten, während dementsprechende Handlungsweisen und Einstellungen hierzulande tendenziell eher der Privatsphäre zugerechnet werden. So stoßen beispielsweise die in den USA häufig zu beobachtenden und in den Medien von Privatleuten ohne Scheu zur Schau gestellten Multi-Millionen-Dollar-Spenden in Kontinentaleuropa nur auf Unverständnis, u. a. weil man befürchtet, durch eine derartige Demonstration von Reichtum lediglich den Neid Dritter und die Aufmerksamkeit von Kriminellen auf sich zu ziehen.22 Im

Gegensatz

zu

den

USA

und

Großbritannien

„fundraising" hierzulande noch ein Außenseiterdasein,

fristet

das

Thema

ohne daß die Bedeutung

des Spendenwesens und das Leistungspotential, das dem Marketing auch in seiner Anwendung auf nichtkommerzielle würden. Die deutschsprachigen

Beiträge

Anliegen innewohnt,

bestritten

zum Spendenmarketing lassen sich,

wenn auch grob vereinfachend, in zwei Kategorien unterteilen: einerseits in Arbeiten m i t überwiegend empirischem Bezug und andererseits i n Studien, die eher konzeptionell angelegt sind und lediglich illustrierend Hinweise auf die praktische Arbeit von Spendenorganisationen geben. 2 3 I n der ersten Gruppe dominieren sog. „case studies", also jeweils mehr oder weniger aufschlußreiche Beschreibungen

einzelner

Spendenkampagnen

und der

dabei

ergriffenen

Marketingmaßnahmen. Derartige Fallstudien werden zumeist in eher praxisorientierten Büchern 2 4 sowie Zeitschriften ähnlicher A u s r i c h t u n g 2 5 publiziert. Informative Beispiele vermitteln des weiteren Präsentationen v o n Werbeagen-

einer Vereinigung zur Vertretung der Interessen von Spendenorganisationen, in Auftrag gegebene und vom Gallup Institut durchgeführte Untersuchung Uber Spendenverhalten und ehrenamtliche Tätigkeit in den USA. In Großbritannien werden vergleichbare Studien von der Charities Aid Foundation (CAF) durchgeführt; vgl. Halfpenny/Pettipher (1992); McQuillan (1992). 20 Vgl. beispielsweise die monatlich erscheinende Zeitschrift Fundraising. 21 Vgl. exemplarisch Clarke (1992); O'Connell (1987); Riggs (1986), S. 64 ff.; Shaktman (1992), S. 36 ff. 22 Vgl. Bauer (1991), S. 10; Hills-Bush (1990), S. 38; dieselbe (1991), S. 13; Neuhoff (1992), S. 32. 23 Vgl. hierzu auch Wiedmann (1982), S. 52 ff. 24 Vgl. beispielhaft Fachbereich Werbung und Public Relations im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik e. V. (ohne Jahresangabe); Fischer/Boessneck (1990), S. 241 ff.; Gottwald (1990), S. 223 ff.; Hell (1989), S. 238 ff.; Magyar/Magyar (1987), S. 161 ff. 25 Hierzu zählen die Zeitschriften absatzwirtschaft, Response, Werbeforschung & Praxis sowie werben & verkaufen. Vgl. Conrads (1988), S. 60 ff.; Kracht (1991), S. 27 ff.; MautnerMarkhof (1986), S. 71 ff.; o. V. (1992e), S. 22 f.; o. V. (1990a), S. 26; o. V. (1987), S. 146 ff.; o. V. (1979), S. 38 ff.; Schmalhaus (1985), S. 156 ff.

22

1. Die Bedeutung des Spendenmarketing als Erkenntnisobjekt

turen, die Kampagnen für Spendenorganisationen entwickelt haben. 26 Zu erwähnen sind schließlich die zahlreichen Broschüren und Dokumentationen gemeinnütziger Institutionen 27 sowie derer Dachverbände. 28 Sieht man bei der zweiten Gruppe einmal von den zahlreichen Praktikerbeiträgen ab, die dem Leser Handlungsempfehlungen vermitteln, welche das Ergebnis von Erfahrung, Intuition und Fingerspitzengefühl sind, jedoch weitgehend einer wissenschaftlichen Grundlage entbehren, 29 verbleibt eine kleine Zahl konzeptionell ausgerichteter Studien, die sich theoriegeleitet der Thematik zuwenden und drauf aufbauend eine in sich geschlossene Marketingkonzeption entwickeln. 30 Erschwerend kommt hinzu, daß die betreffenden Autoren weitgehend darauf verzichten, ihre theoretischen Erkenntnisse empirisch zu überprüfen; zumindest weisen sie nicht explizit daraufhin, in welchem Maß die angeführten Vorschläge zum Einsatz des Marketinginstrumentariums in der Realität getestet wurden. 31 Folglich können die so präsentierten Befunde in der Mehrzahl der Fälle allenfalls als plausible Vermutungen gelten. Somit läßt sich feststellen, daß im Gegensatz zum anglo-amerikanischen Sprachraum Philanthropie und daran anknüpfend Spendenakquisition hierzulande nur selten theoretisch fundiert und hypothesengeleitet empirisch untersucht werden. 32 Das Forschungsdefizit ist nicht zuletzt auf die mangelnde Kooperations- und Auskunftsbereitschaft zahlreicher Spendenorganisationen zurückzuführen, die sich, absichtlich oder nicht, scheuen, die Prinzipien und Methoden des Marketing zu nutzen, oder, falls sie davon Gebrauch machen, dies offenzulegen. Die Gründe für diese teilweise verständliche Berührungsangst sind vielfältig und können an dieser Stelle nur angedeutet werden. Eine Rolle spielen dürfte, daß solche Institutionen (insbesondere kleinere) im Regelfall auf ehrenamtliche Hilfe angewiesen sind. Der daraus resultierende geringe Professionalisierungsgrad setzt einer systematischen Nutzung des Marketing enge Grenzen . 3 3 26

Vgl. GGF Frankfurt/World Vision International (1982), S. 115 ff.; Ogilvy (1984), S.150 ff 27 Vgl. beispielhaft Deutsches Rotes Kreuz (1989); Schulze-Holz u. a. (1988), S. 1 f.; Umweltstiftung WWF-Deutschland (o. J.); dieselben (1989); Unicef (1991). 28 Vgl. Bartel (1989), S. 5 ff 29 Vgl. hierzu etwa Dieterich (1993), S. 35 ff 30 Vgl. Heister (1993); Holscher (1977), S. 67 ff; ders. (1978), S. 1551 ff; Holscher/Meyer (1990), S. 244 ff; Meyer u. a. (1989); Raffte u. a. (1983), S. 675 ff; Seiler (1988); Wiedmann (1982), S. 33 ff 31 Eine Ausnahme bildet Diehl (1987a), S. 110 ff; (1987b), S. 104 ff 32 Ein anschauliches Beispiel für einen Fall theoriegeleiteter empirischer Erforschung des Spendenverhaltens und die Umsetzung der Befunde in marketingpolitische Gestaltungsempfehlungen geben Schlegelmilch/Tynan (1989a), S. 16 ff. 33 Vgl. Weger (1991), S. 53.

1. Die Bedeutung des Spendenmarketing als Erkenntnisobjekt Erschwerend kommt hinzu, daß es zahlreichen Mitarbeitern gemeinnütziger Organisationen unmöglich erscheint, das Denken und Handeln in Marketingkategorien mit ihrer sozialen Aufgabenstellung in Einklang zu bringen. Schließlich befürchtet so manche Spenden akquirierende Institution die öffentliche Meinung, die neben dem klassischen Vorwurf der Manipulation zwei zentrale Vorbehalte hegt: Marketing erhöhe die Ausgaben einer Organisation und verletze die Privatsphäre der (potentiellen) Förderer. 34

1.2. Das Gratifikationsprinzip als zentrale theoretische und technologische Leitidee der Untersuchung Versucht man, die vielfältigen, oftmals divergierenden Marketingansätze und -interpretationen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, so treten die Gestaltung und Nutzung von Austauschbeziehungen als programmatische Leitidee zutage.35 Damit vermag das eingangs skizzierte Interaktionsparadigma als Fundament einer Theorie des Marketing aufgefaßt zu werden. 36 Von grundlegender Bedeutung ist hierbei die Annahme, daß die Gratifikation in Gestalt der antizipierten und/oder auch vorweggenommenen Belohnung bzw. Bestrafung die maßgebliche Antriebskraft für die Aufnahme einer Austauschdas von Schanz (1977) beziehung darstellt. Dieses sog. Gratifikationsprinzip, und Silberer (1979, S. 44 f.) akzentuiert sowie speziell für den Bereich des Sozio-Marketing von Raffée, Wiedmann und Abel (1983, S. 698 ff.) erweitert wurde, steht in der Denktradition der Nutzentheorie, so daß sich eine Gratifikation auch als Nutzen oder Kosten einer Transaktion bzw. als der von dieser ausgehende Anreiz auffassen läßt. Entsprechendes gilt für den Beitrag, der zum Zustandekommen einer Austauschbeziehung zu leisten ist. Der dem Gratifikationsprinzip häufig angelastete Grad an Unbestimmtheit (manche sprechen sogar fälschlicherweise von einer Leerformel) 37 ist nicht gerechtfertigt, da dessen Protagonisten keinen höheren Anspruch erheben, als auf Probleme hinzudeuten, interessante Fragestellungen aufzuwerfen und zur Gewinnung von Hypothesen beizutragen. Dieser Zweck ist voll und ganz erfüllt, wenn das Prinzip - wie im vorliegenden Fall - als fruchtbare Forschungsdirektive, als Heuristik, genutzt wird und verdeutlicht, daß eine Spende nur bei oberflächlicher Betrachtung eine einseitige Leistung repräsentiert, dem

34

Vgl. Kotier (1978), S. 11 ff.; Mann/Bokatt (1985), S. 42 ff; Müller-Werthmann (1985), S. 43 ff. 35 Vgl. Wiedmann (1992), S. 115 ff. Zu den verschiedenen Dimensionen von Austauschbeziehungen siehe ebd., S. 129 ff. 36 Vgl. Alderson (1957); ders. (1965); Bagozzi (1975), S. 32 ff; Kotier (1978), S. 5. 37 Vgl. hierzu sowie zu den entsprechenden Gegenargumenten ausführlich Schanz (1977), S. 104 ff.

24

1. Die Bedeutung des Spendenmarketing als Erkenntnisobjekt

Förderer bei genauerem Hinsehen jedoch durchaus einen Nutzen vermittelt. Was von Individuen konkret als Lohn bzw. Strafe empfunden wird, gilt es unter Heranziehung geeigneter spezieller Theorien zu erarbeiten. Damit kommt dem Gratifikationsprinzip hier die Funktion einer theoretischen Leitidee zu, in der wissenschaftliche Erkenntnisse komprimiert formuliert sind. Es stellt einen Bezugsrahmen dar, in den einerseits Theorien eingebunden werden können und der andererseits die Suche nach solchen erleichtert. 38 Eine solche Direktive zu besitzen, erscheint angesichts der Vielzahl und Heterogenität der für das vorliegende Thema relevanten Erkenntnisse unverdes hier verfolgten Forzichtbar, ganz abgesehen von der Interdisziplinarität schungsansatzes. Das Gratifikationsprinzip ist um ein zweites Prinzip zu ergänzen und hierdurch gleichzeitig zu präzisieren. So unstrittig sein dürfte, daß der Mensch sein Handeln an dem Streben nach Belohnung ausrichtet, so zweifelsfrei steht auch fest, daß auf vielerlei Ebenen auftretende Knappheit das offen zutage tretende Verhalten determiniert. Dieser Überlegung folgend, die Silberer (1979, S. 8 ff.) treffend als Kapazitätsprinzip bezeichnet, engt das Ressourcenpotential den Handlungsspielraum des Spenders ein. Dabei kann es sich um Fähigkeiten psychischer und physischer Art, um Wissen und Informationen oder um das Budget in Gestalt von Zeit, finanziellen Mitteln und Sachgütem handeln. Indem derartige Restriktionen geeignet sind, den potentiellen Förderer davon abzuhalten, die objektiv gegebenen Gratifikationschancen zu erkennen und/oder auszuschöpfen bzw. rationale Kosten/Nutzen-Überlegungen anzustellen, sind diese in das Gratifikationsprinzip zu integrieren.

Während Theorien der Klärung von Ursache-Wirkungs-Beziehungen dienen, zielt eine Technologie auf die effiziente Gestaltung von Zielsetzungs- und Zielerreichungsentscheidungen ab. 39 In diesem Sinn schafft die Gratifikation als theoretische Leitidee eine tragfähige Grundlage für die Erklärung des Spendenverhaltens und vermag nach entsprechender Transformation als technologische Leitidee ftlr die Erarbeitung von Gestaltungsempfehlungen genutzt zu werden. Dabei leitet die Gratifikationsorientierung zum einen die Bemühungen um die Entwicklung konkreter Handlungsanweisungen, zum anderen fließt sie als Ausdruck der Marktorientierung unmittelbar in die Marketingethik gemeinnütziger Organisationen ein. 40 Damit kann die Interaktion zwischen sammelnder Organisation und Spender entgegen dem ersten Eindruck als klassische, dem Marketing zugängliche Austauschbeziehung aufgefaßt werden. Vor diesem Hintergrund trägt das Gratifikationsprinzip dazu bei, die Bedürfnisstruktur von Spendern (theoretische Leitidee) zu identifizieren und darauf aufbauend Marketingkonzepte für Spendenorganisationen (technologische Leitidee) zu entwickeln. Diesen Überlegungen folgend besteht die zentrale Aufgabe des Spendenmarketing darin, 38 39 40

Vgl. Wiedmann (1992), S. 169 ff. Zum Dualismus von Theorie und Technologie vgl. Chmielewicz (1994), S. 169 ff. Vgl. Wiedmann (1992), S. 181 ff., sowie die Ausführungen in Abschn. 5.1.1. u. 6.

1. Die Bedeutung des Spendenmarketing als Erkenntnisobjekt dem potentiellen Förderer ein Nutzenbündel anzubieten, das für ihn subjektiv in einem angemessenen Austauschverhältnis zu den mit einer Zuwendung verbundenen Kosten steht.

1.3. Zielsetzung der Arbeit sowie Gang der Analyse Angesichts des hohen volkswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Stellenwerts des in unserem Lande traditionsreichen Spendenwesens41 und des Außenseiterdaseins, welches das Phänomen „fundraising" in der wissenschaftlichen Literatur führt, sprechen sowohl einzel- als auch gesamtwirtschaftliche Überlegungen dafür, dem Phänomen Spendenakquisition nachzugehen. Hierbei werden mehrere Ziele angestrebt. Zunächst wollen wir versuchen herauszufinden, inwieweit sich das Spenderverhalten mit Hilfe des Gratifikationsprinzips erklären läßt. 42 In diesem Kontext interessieren unter anderem Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einer Zuwendung vorausgehenden Kosten/Nutzen-Überlegungen zwischen den Menschen in den alten und neuen eine einmalige historiBundesländern, weil die deutsche Wiedervereinigung sche Situation darstellt, die Genese solcher Gratifikationserwartungen zu untersuchen. Des weiteren wird hinterfragt, in welchem Maße gemeinnützige Organisationen die Gratifikationswünsche potentieller Förderer bei ihrer Ressourcenbeschaffung berücksichtigen. Besonderes Augenmerk gilt hierbei der Spendenbriefwerbung, der gemeinhin eine zentrale Rolle im Zuge der Akquisitionsbemühungen zugeschrieben wird. 43 Schließlich sollen anhand der Gegenüberstellung von Spenderverhalten und Spendenmarketing Stärken sowie Schwachstellen in den Marketingkonzepten von gemeinnützigen Organisationen offengelegt und darauf aufbauend Spenden- bzw. Spenderpotential identifiziert werden. Im Mittelpunkt der zu diesem Zweck durchgeführten Untersuchung stehen auf der Spenderseite private Haushalte. Für diese Festlegung sprach, daß im Falle des gemeinnützigen Engagements der Wirtschaft, wie z. B. Bruhn (1990; 1987) und Hüchtermann/Spiegel (1986) festgestellt haben, primär kommunikationspolitische Ziele eine Rolle spielen, während bei Privatpersonen andere 41 Die herausragende volkswirtschaftliche Bedeutung des Spendenwesens wird unter anderem daran deutlich, daß Diakonie und Caritas, also Vereinigungen, die sich teilweise aus Spenden finanzieren, etwa 70.000 Einrichtungen unterhalten, dort rund 800.000 Mitarbeiter beschäftigen und damit nach dem Staat den zweitgrößten Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland darstellen. Vgl. Branahl (1994), S. 6. 42 Zum zentralen Stellenwert der Erforschung des Förderverhaltens im Rahmen des Spendenmarketing vgl. Cary (1992), S. 36 ff. 43 Vgl. Clarke (1992), S. 73 ff.

26

1. Die Bedeutung des Spendenmarketing als Erkenntnisobjekt

Motive im Vordergrund stehen dürften. Eine Vermengung beider Untersuchungsfelder sollte angesichts der Heterogenität dieser Segmente und der daraus resultierenden spezifischen marketingpolitischen Ansatzpunkte der Spendenakquisition bei Privaten vermieden werden. Des weiteren beschränkt sich die Analyse auf Seiten der Spendensammler auf gemeinnützige Institutionen im eigentlichen Sinne und läßt somit politische Organisationen, die einen Teil ihres Budgets aus freiwilligen Transfers finanzieren, außer acht. Für diese Entscheidung gab die Unvereinbarkeit sozialer und politischer Motive den Ausschlag. Die Untersuchung (vgl. hierzu Abb. 1.1.) umfaßt folgende Schritte: Ausgehend von einer knappen Skizze der Themenstellung (erstes Kapitel) gilt es im weiteren Verlauf, den Spendenmarkt in Deutschland zu beschreiben und dessen Hintergründe zu analysieren. Da Marketing und insbesondere Marketingforschung im Regelfall ahistorisch betrieben werden, 44 was unter anderem zu einer gewissen Orientierungslosigkeit des Faches beitragen mag, ist das zweite Kapitel zunächst der geschichtlichen Auseinandersetzung mit dem Spendenwesen gewidmet. Im Mittelpunkt stehen hierbei die kulturhistorischen Wurzeln der Gratifikationserwartungen, die Spender hegen. Sodann geht es um die idealtypischen Funktionen des Spendenwesens in einem Wohlfahrtsstaat, die aus der Perspektive des Förderers letztlich nichts anderes als Gratifikationen auf der Makro-Ebene repräsentieren. Darauf aufbauend versuchen wir, das Beziehungsgeftige der Teilnehmer auf dem Spendenmarkt offenzulegen. Schließlich gilt es die zentralen rechtlichen Regelungen für das Spendenwesen zu beleuchten. Besonderes Augenmerk verdient hier die steuerliche Förderung der Philanthropie, da unschwer vorauszusehen ist, daß ein Teil der Spender darin eine zentrale Nutzengröße erblickt. Das dritte und das vierte Kapitel beleuchten das Spendenverhalten privater Haushalte aus theoretischer wie aus empirischer Sicht. Dem interdisziplinären Ansatz verpflichtet werden dazu ausgehend vom Gratifikationsprinzip ökonomische und verhaltenswissenschaftliche Erklärungskonzepte in ein Kosten/Nutzen-Modell der Spendenentscheidung integriert. Dieses ist sodann, neben anderen Aspekten, Gegenstand der empirischen Prüfung im Zuge einer Befragung privater Haushalte aus den alten und neuen Bundesländern. Kapitel fünf ist der Erarbeitung von Gestaltungsempfehlungen für das Marketing von Spendenorganisationen gewidmet. Zu diesem Zweck werden Direct-Mail-Kampagnen, denen im Zuge der Spendenakquisition herausragende Bedeutung zukommt, inhaltsanalytisch ausgewertet, die Ergebnisse den Gratifikationserwartungen der Förderer gegenübergestellt und vor dem Hinter44

Vgl. hierzu Tietz (1993), S. 226.

1.3. Zielsetzung der Arbeit sowie Gang der Analyse

( Abschnitt

l j

Marketing und Spendenakquisition Das Erkenntnispotential des Marketingansatzes im Spendensektor Das Gratifikationsprinzip als theoretische und technologische Leitidee der Untersuchung

X

Abschnitt 2 ] Das Spendenwesen in Deutschland Die historische Entwicklung Funktionen im modernen Wohlfahrtsstaat Struktur und wirtschaftliche Bedeutung Rechtliche Rahmenbedingungen

1

[ Abschnitt 3 J Theoretische Erklärungsansätze des Spendenverhaltens • Der Erklärungsbeitrag ausgewählter Wissenschaftsdisziplinen • Die Integration der Erklärungsansätze in ein Kosten/Nutzen-Modell

J | Abschnitt 4 J Das Spendenverhalten privater Haushalte in Deutschland • Die Informationsbeschaffung und -Verarbeitung • Die Entscheidungsfindung • Das Transaktionsverhalten • Die Zufriedenheit

x

( Abschnitt 5 ] Ansatzpunkte eines Spendenmarketing unter besonderer Berücksichtigung des Spendenbriefs • Das Timing der Marketingmaßnahmen • Die Segmentierung von Förderern • Die formale und inhaltliche Gestaltung von Mailings

1

Zusammenfassung I Abschnittund 6 j Ausblick

J

Abbildung 1.1: Ablauf und Analyseebenen der Untersuchung

28

1. Die Bedeutung des Spendenmarketing als Erkenntnisobjekt

grund von Übereinstimmungen und Diskrepanzen Handlungsempfehlungen für die Direktwerbung entwickelt. Aufgabe eines Pilotversuchs ist es sodann, ausgewählte Gestaltungsregeln auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Das sechste Kapitel schließlich enthält eine Zusammenfassung der Befunde und thematisiert kurz einige ethische Forderungen an das Spendenmarketing.

2. Das Spendenwesen in Deutschland Entwicklungsepochen und Status quo 2.1. Entstehung und historische Entwicklung des Spendensektors Ausgehend vom Gratifikationsprinzip und im Sinne einer kulturhistorischen Betrachtung lassen sich die mit einer Spende verbundenen Nutzenerwartungen, die in verschiedenen Epochen dominiert haben und zum überwiegenden Teil noch immer relevant sind, herausarbeiten. Dabei zeigt sich, daß zahlreiche der von modernen Spendenorganisationen praktizierten Akquisitionstechniken und die damit verbundenen Probleme im wesentlichen auf geschichtliche Gegebenheiten zurückzuführen sind. In einem Abriß der historischen Entwicklung des Spendensektors kann indessen kein umfassender Überblick über nahezu 3.000 Jahre Menschheitsgeschichte vermittelt werden. Vielmehr sollen die verschiedenen Epochen hier nur insoweit referiert werden, als sie für die Thematik bedeutsam erscheinen. Die Wohltätigkeit als Ausdruck von Philanthropie, Mäzenatentum und Caritas Geistige Grundlagen und Anfänge des Spendenwesens Bis zum heutigen Tage ist die Geschichte des Spendenwesens in Deutschland untrennbar mit der Entwicklung des Christentums verbunden. Im Rahmen eines historisch ausgerichteten Überblicks über den Spendensektor erscheint es deshalb unverzichtbar, zunächst auf den Ursprung dieser Weltreligion, deren philosophische und religiöse Wurzeln in die antiken Kulturen des Mittelmeerraumes reichen, einzugehen. Bereits in den Werken von Plato und Aristoteles begegnen wir dem Bild vom wohlwollenden Menschenfreund (Philanthropen), dem die negative Gestalt des menschenverachtenden Misanthropen gegenübersteht. Daß aus der philanthropia, also einer generell wohlwollenden Einstellung des einzelnen zu seinen Mitmenschen, konkrete Hilfe resultiert, liegt nahe, ist jedoch keinesfalls zwingend. Außerdem waren einer im klassischen griechischen Humanismus verwurzelten Menschenfreundlichkeit enge Grenzen gesetzt, da diese lediglich dem Wunsch entsprang, durch Güte und Milde die eigene Vollkommenheit zu steigern, und damit in keinem Zusammenhang zur Nächstenliebe im Sinne von Altruismus stand. Schließlich blieben Sklaven im Regelfall von einer aus heutiger Sicht nüchternen und der Befriedigung egoistischer Bedürfhisse dienen-

30

2. Spendenwesen in Deutschland - Entwicklungsepochen und Status quo

den Wohltätigkeit ausgeschlossen, da sie nicht als Menschen i m eigentlichen Sinne, sondern bestenfalls als beseelte Werkzeuge galten. 1 Allerdings forderten auch schon im antiken Griechenland einige Denker Wohlverhalten gegenüber Tieren, so z. B. Pythagoras, der diese als mit dem Menschen in Bruderschaft verbundene Lebewesen ansah, oder Empedokles, der die Tötung eines Tieres als die größte Befleckung des Menschen bezeichnete. Solche Sichtweisen können als Keimzelle des heutigen Tierschutzgedankens angesehen werden. I m antiken Rom entsteht eine Form der Wohltätigkeit, die zwar alle Notleidenden - also auch solche, die einer anderen sozialen Gruppe angehören - einbezieht, aber eher staatspolitischen Interessen (Vermeidung v o n Unruhen, Bekämpfung v o n Krankheiten) denn altruistischen M o t i v e n entspringt. Dieser rationalen Geisteshaltung verdankt R o m ein für die damalige Zeit umfassendes Sozialwesen. So lebten in der Kaiserzeit rund 100.000 bis 150.000 Familien ausschließlich von Zuwendungen der Behörden. 3 A u c h rechnete es sich jeder bedeutende Staatsmann damals zur Ehre an, K o r n und W e i n in großen Mengen unter dem Proletariat zu verteilen, nicht zuletzt m i t der Absicht, die Gunst des Volkes für sich zu gewinnen. Hier taucht zum ersten M a l die Intention auf, m i t Hilfe von Spenden soziales Prestige zu erlangen. In jener Epoche lebte auch Gaius Cilnius Maecenas (70 bis 8 v. Chr.), der als Urvater der heutigen Kulturförderung gilt. Die einschlägige Literatur4 zeichnet ein Persönlichkeitsbild dieses Mannes, das unscharfe Konturen aufweist; denn obwohl Mäzenatentum häufig mit der selbstlosen und altruistischen Unterstützung von Kultur und Gemeinwesen assoziiert wird, erscheint die Vorstellung vom Mäzen als reinem Gönner und Förderer aus innerer Neigung sowie Überzeugung heraus und damit ohne kommerzielle oder politische Zielsetzung eher unrealistisch. So war Maecenas zutiefst davon überzeugt, daß Geben und Nehmen einander bedingen: Wie in Diplomatie und Politik müsse man auch beim Geschäftemachen freigiebig sein, um etwas zu erreichen. Deshalb verfiel er in den Jahren nach dem Zerfall der römischen Republik auf die Idee, junge Dichter und Philosophen finanziell zu unterstützen und seine Paläste als Foren des literarischen Austauschs zur Verfügung zu stellen. Dem sog. Maecenaskreis gehörten damals so bekannte Persönlichkeiten wie Vergil, Horaz und Properz an. Mit dieser innovativen Art der Kulturförderung erwarb sich der Gönner nicht nur einen guten Namen, sondern schmeichelte auch dem Kaiser Augustus, indem er junge Dichter zum Verfassen von Lobes-Epen auf den Monarchen veranlaßte. Das gemeinnützige Engagement zahlte sich für Maecenas schließlich in Form vielfältiger staatlicher Vergünstigungen und der Erlangung einer einflußreichen gesellschaftlichen Funktion aus. Das aus der jüdischen Tradition des A l t e n Testaments entstandene Christentum markiert einen Wendepunkt i m Verständnis von Wohltätigkeit. A u f g r u n d des christlichen Universalismus, nach dem alle Menschen, gleich welcher Herkunft oder welchen Standes, Brüder in Christus sind, entsteht erstmalig das 1

Vgl. Nutzinger (1993), S. 366 ff.; Vonhoff (1987), S. 16. Vgl. Vonhoff(1987),S. 15. 3 Vgl. Vonhofl/Hofmann (1977), S. 17. 4 Vgl. Bruhn (1987); Fischer/Scheuch (1988), S. 72 ff.; Hermanns (1987), S. 435 ff.; o. V. (1992g), S. 21; Roth (1989); Schürmann (1988), S. 296 ff.; Strachwitz (1990); Wiese und Kaiserwaldau (1922). 2

2.1. Entstehung und historische Entwicklung des Spendensektors

31

Konzept einer umfassenden Mitmenschlichkeit, in der, wie das Beispiel des barmherzigen Samariters 5 zeigt, Unterschiede bezüglich Rasse, Geschlecht, Schicht und Religion keine Rolle spielen. Damit erhält Barmherzigkeit einen neuen Begriffsinhalt, nämlich den der Caritas, der tätigen Nächstenliebe.6 Tragendes Element ist dabei die grundlegende Einsicht der christlichen Ethik, daß jede noch so geringfügige Hilfeleistung gegenüber einem notleidenden Menschen eine Wohltat an Christus selbst darstellt und Barmherzigkeit somit eine über das Irdische hinausreichende Bedeutsamkeit besitzt.7 Vor eigennützig motiviertem sozialem Handeln warnt das Neue Testament in der Matthäus zugeschriebenen Stelle jedoch eindringlich. 8 Damit tritt ein neues Verständnis von sozialem Engagement zutage, das als spezifisch christlich gilt. Der im Neuen Testament verankerte Grundsatz der Diakonie, d. h. des Dienstes und der Verantwortung für den Nächsten aus der Verbindung zu Gott, war anfänglich die Aufgabe eines jedes Christen. In dem Maße, wie die Gemeinden größer und damit unübersichtlich wurden, mußte gewährleistet sein, daß in erster Linie Witwen und Waisen das Lebensnotwendige erhielten. Zu diesem Zweck wurden Armenhelfer, sog. Diakone, eingesetzt, deren Aufgabe darin bestand, die Apostel bei der Verteilung von Almosen zu unterstützen. Im 3. und 4. Jahrhundert nach Christus kam es dann gar zum Aufbau von gemeinnützigen Anstalten, was Flierl (1982, S. 133) als „Geburtsstunde des institutionellen Spendensektors" bezeichnet. Das Bild bliebe unvollständig und einseitig, wenn man über dem Christentum vergäße, daß auch andere Weltreligionen ihre Anhänger zu Wohltätigkeit verpflichten. So gehört es zu den fünf Hauptpflichten eines Muslims, regelmäßig Almosen zu geben.9 Dementsprechend verzeichnet der Koran eine Vielzahl an Geboten zur Spendenvergabe, etwa die vierte und die dreiunddreißigste Sure. Hiernach hat jeder Gläubige gemäß seinem Vermögen einen Beitrag an die Armen, den sog. Zakat, zu entrichten.10 5

Im Gegensatz zum Priester und Leviten hilft dieser, obwohl er nicht dem jüdischen Glauben angehört, dem unter die Räuber Gefallenen; vgl. Lukas 10,25 - 37. 6 Siehe Furger (1987), S. 29. Der Begriff Caritas, der uns abgewandelt auch im englischen charity und imfranzösischen charité begegnet, geht auf das neutestamentliche agape (= umfassende Liebe) zurück. Vgl. Nutzinger (1993), S. 366 f. 7 „Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren....Freut euch undfrohlockt, denn euer Lohn ist groß in den Himmeln; ..." Vgl. Matthäus 5, 7 und 12. Gemäß dieser Prophezeiung aus dem Matthäus-Evangelium verhilft erst die Gewährung mitmenschlicher Hilfe zur Erlangung des Seelenheils. 8 „Habt acht, daß ihr euer Almosen nicht gebt vor den Menschen, um von ihnen gesehen zu werden; sonst habt ihr keinen Lohn bei eurem Vater, der in den Himmeln ist. Wenn du nun Almosen gibst, sollst du nicht vor dir her posaunen lassen, wie die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Straßen, damit sie von den Menschen geehrt werden. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn dahin. Wenn du aber Almosen gibst, so lasse deine Linke nicht wissen, was deine Rechte tut; damit dein Almosen im Verborgenen sei, und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten." Matthäus 6, 1-4. 9 Vgl. Kinder/Hilgemann (1975), S. 135. 10 Zitiert nach Vonhoff (1987), S. 47 f.

32

2. Spendenwesen in Deutschland - Entwicklungsepochen und Status quo

Von christlicher Spätmittelalter

Nächstenliebe zum Ablaßhandel - Die Almosenvergabe im

Das Spendenwesen, das in der Spätantike eine erste Blütezeit erlebt hatte, kam während der Völkerwanderung, mit der der Zusammenbruch der Geldwirtschaft sowie der Niedergang der großen Städte einhergingen, nahezu völlig zum Erliegen. Erst im 12. Jahrhundert ist in Deutschland ein erneuter Aufschwung zu verzeichnen, wobei die Kirche, die einzige gut organisierte und zentral gesteuerte Institution jener Tage, eine Schlüsselrolle spielt. 11 Spenden - in der kirchlichen Almosenlehre dogmatisch geregelt - wurden, außer im unmittelbaren Kontakt zwischen Spender und Bedürftigem, vor allem über wohltätige Stiftungen und Vermächtnisse, die sog. Seelengeräte und Anniversare, vergeben. 12 Das Motiv für eine gute Tat war, wie der Begriff Seelengerät schon vermuten läßt, vornehmlich die Erlangung von Seelenheil. Diese Mischung von Altruismus und Egoismus prägt philanthropisches Verhalten bis zum heutigen Tage. Auf der einen Seite verkörpert eine Spende Hilfe für den Mitmenschen, auf der anderen Seite eine Investition in einen Platz im Paradies. Zu diesem Zweck schufen die Gemeindepfarrer, die mehr und mehr als Wohlfahrtsunternehmer agierten, bewußt Anlässe für demonstrative und damit beiden Facetten verpflichtete barmherzige Akte. Hierdurch erreichten sie, daß Wohltätigkeit zur Ehrensache wurde: Die zahllosen Vermächtnisse zugunsten der Armen sollten sowohl dem Verblichenen zur Ehre gereichen als auch das Prestige seiner Hinterbliebenen in der Gemeinschaft erhöhen. 13 Folglich beeinflußten weniger Art und Ausmaß einer Notlage des Mitmenschen die Vergabe von Almosen als die Reihenfolge und Bedeutung kirchlicher Feiertage sowie die von einer Spende erhoffte Öffentlichkeitswirkung, was zu einer gewissen Ineffizienz des Spendenwesens führte. Die Unterstützung von Bedürftigen war jedoch nur anfangs die dominierende Zweckbestimmung von Wohltätigkeit. Mit Hilfe von Sammlungen, mit deren Durchführung die Kirche zum Teil sog. Bettelorden A beauftragte, 11

Vgl. Neuhoff (1982b), S. 18 f. Vgl. Fischer (1979), S. 142 f.; Maschke (1973), S. 437. 13 Vgl. de Swaan (1993), S. 40 f. 14 Die Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner, in denen - zumindest anfänglich - das Armutsgelübde eine herausragende Stellung einnahm, wurden im 13. Jahrhundert gegründet. Die Mönche verpflichteten sich, ihren Lebensunterhalt ausschließlich durch Betteln zu verdienen. Damit verzichteten sie nicht nur auf persönliches Eigentum, sondern auch auf ordenseigene Häuser und Güter. Mit dieser neuen Ordensform versuchte die Kirche, die Kritik an ihrem Reichtum, wie sie von Ketzern geäußert wurde, zum Verstummen zu bringen. Doch spätestens in der Endzeitbewegung der Reformationszeit kam es auch in diesen Glaubensgemeinschaften zu einem erheblichen Mißbrauch von Spendengeldern und somit zu einer erneuten Desillusionierung der Gläubigen. Vgl. Harenberg (1988), S. 230; Volkert (1991), S. 167 ff.; Whitaker (1979), S. 158. 12

2.1. Entstehung und historische Entwicklung des Spendensektors

33

wurden unter anderem Kirchen, Klöster, Hospitäler und Bildungseinrichtungen gebaut, Dämme, Häfen und Befestigungsanlagen errichtet, Gefangene freigekauft sowie Kreuzzüge finanziert. 15 Obwohl aus heutiger Sicht die überwiegend weltliche Natur der Vielzahl dieser Vorhaben auf der Hand liegt, verstand es die Kirche, diese argumentativ in einen religiösen Kontext zu stellen. So wurde die Errichtung von Brücken und Straßen mit Hilfe von Spendengeldern damit begründet, den Pilgern auf diese Weise den Weg zu den heiligen Stätten zu ebnen.16 Für die von kirchlicher Seite initiierten Sammlungen erwies sich die in der scholastischen Almosenlehre wurzelnde Idee, für seine finanzielle Unterstützung einen Ablaß bzw. Nachlaß , d. h. im Regelfall eine Minderung des zeitlichen Ausmaßes der Sündenstrafen erlangen zu können, zunehmend als bedeutsam. Die scholastische Almosenlehre , die im wesentlichen auf Thomas von Aquino zurückgeht, verpflichtete die Reichen, ihre Sündenstrafen durch Beten und Fasten sowie die Unterstützung Notleidender abzugelten. Im Vordergrund stand dabei die Person des Spenders: Er soll sich mit Almosen den Weg ins Paradies bahnen. Ob die Spende auch tatsächlich Bedürftigen zugute kam, war sekundär. 17 Der Gedanke des Ablasses entwickelte sich bereits im 9. Jahrhundert auf und ist im wesentlichen in der hochmittelalterlichen Kanonistik verankert. Den Kriegern, die im Kampf gegen Ungläubige ihr Leben gelassen hatten, sollten die zeitlichen Sündenstrafen erlassen werden. In der Folge entwickelte sich der Kreuzablaß, der jedem Teilnehmer an einem Glaubenskrieg die Buße erließ; auch Pilgerfahrten zu den heiligen Stätten führten zu einem Sündenerlaß. Im Laufe der Zeit verkamen die Bedingungen für den Ablaß jedoch, und der Straferlaß konnte immer häufiger auch mit Geld erkauft werden. Die Kirche begründete den Handel mit Ablässen damit, daß ihr die Verdienste der Heiligen, also die über das erforderliche Maß hinaus geleisteten guten Taten, zur Verwaltung übergeben worden seien. Aus diesem unerschöpflichen Vorrat an Verdiensten (thesaurus ecclesiae) könne sie Gläubigen als Gegenleistung für erbrachte Almosen einen Nachlaß zeitlicher Sünr denstrafen gewähren. Welch groteske Formen der Ablaßhandel, der durch einen von Papst Innocenz III. im Jahre 1199 zur Finanzierung des vierten Kreuzzuges angeordneten Ablaß einen weiteren Aufschwung erlebte, schließlich annahm, verdeutlicht das Beispiel des Johann Tetzel, Generalsubkommissar des Mainzer Erzbischofs Albrecht II.: Jener versprach nicht nur Ablaß für eigene Sündenstrafen sowie für verstorbene Seelen im Fegefeuer, sondern propagierte auch den Erlaß künftiger Sünden, d. h. die Gewähr, falls jemand in der Zukunft Schuld auf sich 15 16 17

Vgl. Vonhoff (1987) S. 43 ff. Vgl. Neuhoff (1982b), S. 19. Vgl. Frey/Leu (1988), S. 11; Scherpner (1962).

3 Schneider

34

2. Spendenwesen in Deutschland - Entwicklungsepochen und Status quo lade, mit der Beichte auch die Strafe erlassen zu bekommen. Dies veranlaßte z. B. Friedrich den Weißen dazu, 19.013 Reliquien mit einem Sündenerlaß für rund zwei Millionen Jahre zu erwerben.18

Die leicht nachvollziehbare Kritik an derartigen Auswüchsen erreichte im Jahre 1517 ihren Höhepunkt. Anlaß hierfür war der von Papst Leo X. Medici initiierte St.-Peter-Ablaß, der zur Finanzierung des Petersdomes in Rom und zur Hofhaltung der Päpste bestimmt war. Dies rief ebenso einen heftigen Protest der Bevölkerung hervor wie die kunstvoll verfaßten und verzierten Ablaßbriefe, das pomphafte Auftreten der Akquisiteure, der aufgeblähte Verwaltungsapparat sowie die Delegation des Ablaßhandels an Geldinstitute und große Handelshäuser wie beispielsweise die Fugger. Neuhoff (1982b, S. 19 f.) führt in diesem Zusammenhang an, daß eine solch mißbräuchliche Verwendung von Geldern bis zum heutigen Tag gegen Spendenorganisationen ins Feld geführt wird. Daß damals infolge eines unmäßig aufgeblähten Verwaltungsapparates lediglich die Hälfte des Geldes dem eigentlichen Bestimmungszweck zufloß, kann nicht verwundern, wenn man bedenkt, daß in dieser Epoche jeder neunte Einwohner Deutschlands dem Klerus angehörte. 19 Es erklärt aber auch die immer noch vorhandene Skepsis gegenüber gemeinnützigen Institutionen, die sich - auf welche Weise auch immer - um die Erlangung von Mitteln bemühen müssen. Das Zeitalter der Reformation Nächstenliebe

- Die Rückbesinnung auf den Gedanken der

Im Jahre 1517 veröffentlichte der Wittenberger Theologieprofessor Martin Luther 95 Thesen, in denen er den Mißbrauch des Ablaßhandels anprangerte und damit die Kirchenspaltung einleitete. Der religiöse Umbruch begründete ein neues Verhältnis von Glaube und Barmherzigkeit, indem die bisherige Annahme von der sündentilgenden Wirkung einer guten Tat verworfen wurde. In seinem Bemühen, dem Evangelium in seiner ursprünglichen, unverfälschten Bedeutung wieder Geltung zu verschaffen, forderte Luther, daß Almosen ausschließlich aus Gründen der Nächstenliebe vergeben werden dürften bzw. 20

müßten. Damit sprach sich der Reformator keineswegs gegen die Spende an sich aus, er versuchte aber, ihr die jenseitige, instrumentelle Bedeutung im Sinne der Erlangung von Seelenheil zu nehmen. Die Reformatoren überdachten darüber hinaus den Pauperismus als soziales Phänomen. Mit der bisherigen, nicht am Hilfsbedürftigen orientierten Art der

18 Vgl. Harenberg (1988), S. 250 u. 303; Kinder/Hilgemann (1975), S. 230; Volkert (1991), S. 11 sowie 137 ff. 19 Vgl. Harenberg (1988), S. 303; Kinder/Hilgemann (1975), S. 230. 20 Vgl. Vonhoff (1987), S. 74 ff.

2.1. Entstehung und historische Entwicklung des Spendensektors

35

Spendenvergabe vermöge man lediglich an den Symptomen der Armut herumzukurieren, nicht jedoch deren Ursachen zu beseitigen. Da sich gemäß der scholastischen Almosenlehre in der Spende primär die Gesinnung des Wohltäters offenbare, sei dieser wenig motiviert gewesen, sich um die sinnvolle Verwendung seiner Gabe zu kümmern. Deshalb habe sich Barmherzigkeit im Sinne der katholischen Kirche zur gelegentlichen, dem Ermessen der Priester und Laien anheimgestellten Fürsorge, nicht jedoch zur systematischen Betreuung und Pflege Notleidender entwickeln können. Das nun anvisierte Fürsorgekonzept basierte im wesentlichen auf einem neuen Verständnis von Arbeit. Diese wurde nun nicht mehr nur als natürliche Pflicht des Menschen, sondern als fester Bestandteil praktizierter Nächstenliebe angesehen, da ehrlich und sorgfältig geleistete Arbeit dem Mitmenschen diene. Wer werktätig sein könne, müsse für seinen Unterhalt selbst sorgen. Fürsorge dürfe lediglich dem zuteil werden, der nicht erwerbsfähig sein kann. Gleichzeitig schaffe der „ehrlich arbeitende Mensch" die Basis für eine gemeinschaftliche Ordnung, die allen Gemeindemitgliedern gleichermaßen zugute komme. 21 Indem sich das Almosen von einer religiös motivierten Mildtätigkeit zu einer rationalen Strategie entwickelte, rückte die soziale Komponente der Spende zunehmend in den Vordergrund. Damit einher gingen Bestrebungen von Gilden und Bruderschaften, Hilfsfonds für die eigenen Armen zu gründen. Die Stabilität solcher Gruppierungen, die im wesentlichen auf die Langfristigkeit der Mitgliederbeziehung, die Dauerhaftigkeit der Verpflichtung sowie die Zuverlässigkeit sozialer Kontrollen zurückzuführen ist, ließ ein Verteilungssystem entstehen, das dem Spender garantierte, daß auch ihm geholfen würde, falls er in Not geriete. 22 Hier erkennen wir erstmalig das mit einer Spende verbundene Versicherungsmotiv im Sinne des Schutzes vor weltlichen Gefahren. Wohltätigkeit und Absolutismus - Die Rationalisierung unter weltlicher Aufsicht

des Spendenwesens

Der 30jährige Krieg hinterließ Verwüstungen von bis dato nicht gekanntem Ausmaß und zerstörte die sozio-politische Ordnung in Deutschland weitgehend, was nicht ohne Konsequenzen für das Spendenwesen bleiben konnte. Erschwerend kam hinzu, daß sich weder die protestantische noch die katholische Kirche während dieser Zeit intensiv mit sozialen Anliegen beschäftigten. Während die Reformatoren ganz in die Abhängigkeit der weltlichen Machthaber gerieten, die das landesherrliche Kirchenregiment (sog. Summus Episco21 22



Vgl. Vonhoff (1987), S. 74 f., sowie die Ausführungen in Abschn. 3.2. Vgl. de Swaan (1993), S. 38 ff.

36

2. Spendenwesen in Deutschland - Entwicklungsepochen und Status quo

pus) innehatten, war die katholische Kirche in unzählige politische Händel verstrickt und außerdem damit beschäftigt, die reformatorische Kirche zu bekämpfen. Der ungeheuren Not zum Trotz engagierten sich in dieser Epoche lediglich einzelne Persönlichkeiten im gemeinnützigen Bereich. 23 In der Folgezeit ging unter dem Zeichen des Absolutismus die Wohlfahrtspflege mehr und mehr in staatliche Hände über. Die noch tätigen privaten und kirchlichen Wohlfahrtseinrichtungen, die infolge der territorialen Zersplitterung Deutschlands regional und lokal unterschiedlich organisiert waren, verloren weitgehend ihre gesamtgesellschaftliche Bedeutung und wurden dem universellen weltlichen Herrschaftsanspruch der Landesherren nachgeordnet. 24 Deren Sozialpolitik zeichnete sich durch eine ambivalente Mischung aus Unterdrückung und Fürsorge aus. Zu den Instrumenten zählten auf der einen Seite Almosenämter und Armenkassen, auf der anderen Seite weitverbreitete Bettelverbote und repressive Maßnahmen aller Art. 2 5 Zur Finanzierung des Gemeinwesens trugen neben Einnahmen aus Stiftungen in erster Linie Spenden bei, die primär in wöchentlich bzw. monatlich durchgeführten Hauskollekten akquiriert wurden. Die Beiträge waren zwar grundsätzlich freiwillig, doch übte die weltliche und geistliche Obrigkeit durch Publikation einer Spenderliste sowie ständige Spendenaufrufe einen erheblichen Druck auf die Gemeindemitglieder aus. So verpflichteten die Bettelordnungen von Leipzig (1652) und Augsburg (1711) jeden Bürger dazu, den Betrag, den er regelmäßig zu spenden bereit sei, in ein Spendenbuch einzutragen und sich auf diese Weise selbst zu binden. 26 Flankierend z. B. an hohen kirchlichen Feiertagen veranstaltete Sammlungen sowie in Wirtshäusern, bei Hochzeitsfesten und an den Stadttoren aufgestellte Sammelbüchsen erwiesen sich, zumal angesichts der Freiwilligkeit der Zahlungen, als für eine verläßliche Finanzierung des Armenwesens ungenügend. Deshalb bedurfte es im Laufe der Zeit einer Reihe von Zwangsäbgaben, die den Kassen der Armenhäuser zuflössen. Hierzu zählten Strafgelder, Gebühren für die Erlaubnis zur Veranstaltung von Kartenspielen sowie für Hochzeitslizenzen und eine Art von Einstandszahlung, die Beamte beim Antritt einer neuen Stellung zu leisten hatten. Schließlich gab es die sog. Quarta Pauperum, eine Gebühr, die bei sämtlichen gemeinnützigen Stiftungen und Vermächtnissen an die Armenfürsorge zu entrichten war. 2

23 24 25 26 27

Vgl. Flierl (1982), S. 157. Vgl. Sachße/Tennstedt (1980a), S. 107. Vgl. Frey/Leu (1988), S. 11; Geremek (1974), S. 351; Sachße/Tennstedt (1980a), S. 33. Vgl. Sachße/Tennstedt (1980a), S. 341. Zur Entstehung der Zwangsabgaben vgl. Klebel (1955), S. 105 ff.

2.1. Entstehung und historische Entwicklung des Spendensektors

37

Die Durchsetzung der begleitenden repressiven Maßnahmen (Verordnungen und Verbote aller Art) 2 8 erwies sich als überraschend schwierig. In der mangelnden Akzeptanz des Almosenverbots bei den Bürgern läßt sich unschwer der Fortbestand des mittelalterlichen Glaubens, daß die Spende ein gottgefälliges Werk und die persönliche Unterstützung des Notleidenden die Pflicht eines jeden Christenmenschen seien, erkennen. Diese in der Bevölkerung noch tief verwurzelte Tradition hintertrieb vielerorts die Bestrebungen der Kameralisten , eine systematische Fürsorge zu gewährleisten. Im übrigen konnte sich die abgewiesene Bitte um ein Almosen leicht in einen Fluch auf den Geizhals oder gar in eine offene Androhung von Brandstiftung, Gewalt oder Raub verwandeln. 29 Sozialgeschichtler erblicken in einer derartigen Verbreitung von Furcht ebenso wie in der Weckung von Aufmerksamkeit (lautes Gehabe, Positionierung auf öffentlichen Plätzen und im Umkreis von Kirchen) und der Erregung von Mitleid (Bloßstellung von Wunden, Verkrüppelungen und Krankheiten) Instrumente einer professionell betriebenen und traditionsreichen Kunst des Betteins. Stellte sich den einen die Spende als ein moralisches Problem dar, so sahen diejenigen, die von Almosen lebten, darin vor allem eine Frage der sozial angemessenen Technik? 0 Daß es hierbei nicht immer bei Drohungen blieb, wird deutlich an den Fällen, wo sich Arme zu Banden zusammenrotteten und die Bauern ihrer Region terrorisierten. 31 Zwar ist mittlerweile den Europäern die Vorstellung von Menschen, die verzweifelt über Städte oder Ernten herfallen, eher fremd, doch rufen bei Spendenkampagnen eingesetzte Bilder aus der Dritten Welt , deren Einwohner nach wie vor von Hungersnöten und Seuchen geplagt sind, beim Betrachter noch immer Betroffenheit hervor. Während für die einen die westlichen Industrieländer infolge von Struktur und Gesetzmäßigkeiten des Welthandels ftlr die Misere in den Entwicklungsländern mitverantwortlich sind, weckt bei anderen der Migrantenstrom von ärmeren in reichere Regionen die Sorge um den eigenen Wohlstand und damit das Interesse, die Lebensverhältnisse in der Dritten Welt zu verbessern.32

Das Mäzenatentum im Zeitalter der Industrialisierung druck von Fortschrittsglaube und Sicherheitsdenken

- Die Spende als Aus-

Mit der Aufklärung, die Mitte des 18. Jahrhunderts zum amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und zur Französischen Revolution führte, brach ein neues Zeitalter an, das auch den Spendensektor tiefgreifend veränderte. Prägend war der unerschütterliche Glaube an den Fortschritt, der die Menschheit aus dem mittelalterlichen Dunkel der Unwissenheit, der Vorurteile und des Aberglaubens in das Licht einer ausschließlich von Vernunft regierten und von jeglicher 28 29 30 31 32

Vgl. Sachße/Tennstedt (1980a), S. 109. Vgl. Frauenstädt (1897), S. 508. Vgl. Aydelotte (1967); Cobb (1970); Geremek (1974), S. 337 ff.; Salga 500 DM, im folgenden als Intensivspender ausgewiesen) gegenübergestellt. Indem wir Teile der Stichprobe, bei denen man deutlich vom Durchschnitt abweichende Ergebnisse erwartet, herausgriffen und überprüften, ob diese in die prognostizierte Richtung weisen, konnte gleichzeitig die Gültigkeit der Befunde im Sinne einer Extremgruppenvalidierung nachgewiesen werden. Zur zunächst im Vordergrund stehenden Identifikation (hoch-)signifikanter Mittelwertdifferenzen zwischen diesen beiden Segmenten wurde der t-Test eingesetzt. Dabei zeigt sich, daß die Intensiv- im Vergleich zu den Bagatellspendern mit einer Zuwendung grundsätzlich einen höheren Nutzen sowie geringere Kosten verbinden (vgl. Abb. 4.15, 4.16 sowie 4.17), was als Bestätigung des der Untersuchung zugrunde gelegten Gratifikationsprinzips und damit als Untermauerung von These 3 zu werten ist. Auf der Nutzenseite sind bei den Intensivspendern mit Ausnahme der Kategorien „Erwerb eines Benefizproduktes" sowie „Entrümpelung des Haushaltes im Falle von Sachspenden" sämtliche egoistischen Motive höher bzw. zumindest gleich stark ausgeprägt. Eine besonders deutliche Diskrepanz besteht bezüglich der Erfüllung religiöser Normen sowie der mit einer Spende verbundenen steuerlichen Vorteile. Bei den altruistischen Nutzenüberlegungen hingegen sind allenfalls marginale Unterschiede zwischen den Kontrastgruppen auszumachen. Lediglich das zwischen den Polen Altruismus und Egoismus anzusiedelnde Gefühl der persönlichen Befriedigung im Anschluß an eine Zuwendung ist bei den Intensiv- deutlich stärker entwickelt als bei den Bagatellspendern. Auf der Kostenseite zeichnet sich ein facettenreicheres Bild ab. Zunächst fällt auf, daß die Bagatellspender die Effizienz des Ressourceneinsatzes grundsätzlich schlechter einstufen als die Intensivspender, wobei insbesondere die unrechtmäßige Verwendung von sowie der verschwenderische Umgang mit den übertragenen Ressourcen angeprangert werden (vgl. Abb. 4.16).

172

4. Eine empirische Analyse des Spenderverhaltens privater Haushalte

Weder Zustimmung noch Ablehnung

Stimme überhaupt nicht zu Egoistische Motive

Stimme in hohem Maße zu

- 3 , -2

Erwerb materieller Leistungen Ich spende, weil ich dadurch auch einen steuerlichen Vorteil habe.** Beim Kauf von Spendenlosen sowie Benefizschal Iplatten, -bOchem, -kalendem usw. kann man das Notwendige mit dem Angenehmen verbinden.** Eine Sachspende (z. B. Papier, Kleider) entrümpelt nicht zuletzt auch meinen Haushalt*

Persönlicher Nutzen aus der Leistung der Spendenorganisation Ich spende, weil auch ich und meine Familie einmal in Not geraten könnten. Die Organisationen, denen ich spende, sichern letztlich auch mein eigenes Leben bzw. das meiner Familie. Mit meiner Spende trage ich ein kleines StOck dazu bei, den Weltfrieden zu sichern.

Erfüllung religiöser bzw. sozialer Normen Es ist eine christliche Pflicht, in einer Notsituation zu helfen.** Ich spende, weil ich in der Vergangenheit selbst Hilfe von Spendenorganisationen bzw. anderen Menschen erhalten habe.*

Erlangung von Sozialprestige Wenn man spendet, möchte man auch irgendwie, daß andere Menschen davon erfahren. Von anonymen Spenden halte ich wenig. Durch Spenden will ich mir bzw. meiner Familie ein bleibendes Andenken schaffen.*

Altruistische Motive Als Spender ist es für mich wichtig zu wissen, was mit meiner Spende konkret bewirkt wurde bzw. bewirkt werden kann. Spender zu sein, vermittelt das Gefühl, für die Gesellschaft etwas Nützliches getan zu haben. Ich unterstütze Spendenorganisationen, auch wenn sich daraus langfristig für mich wirtschaftliche Nachteile ergeben sollten. Wenn ich spende, verschafft mir das ein Gefühl der persönlichen Befriedigung.** Legende: • * **

Bagatellspender = Intensivspender = p £ .05 = p ^ .01

Abbildung 4.15: Die Intensität ausgewählter Spendenmotive bei Bagatell- und Intensivspendern

4.2. Das Spenderverhalten im Spiegel empirischer Befunde

173

Vor diesem Hintergrund und angesichts der wahrgenommenen Intransparenz des Spendenmarktes verwundert es kaum, daß der Ruf nach dem Gesetzgeber hier besonders laut wird. Eine nahezu entgegengesetzte Strategie ist bei den Intensivspendern festzustellen: Zwar beklagt auch dieses Segment, daß eine Vielzahl unseriöser Institutionen am Markt agiert. Doch im Gegensatz zu den Bagatellspendern vertraut man nicht auf Hilfe von externer Seite, sondern begegnet der Gefahr des Spendenmißbrauchs aktiv mit ausführlicher Information sowie Bindung an eine Organisation (vgl. Abb. 4.17).

Stimme überhaupt nicht zu

Weder Zustimmung noch Ablehnung

Stimme in hohem Maße zu 2, 3

Effizienz des Ressourceneinsatzes Viele Spendenorganisationen arbeiten unprofessionell. Spendenorganisationen stecken zuviel Geld in Werbung und Verwaltung, da bleibt für den eigentlichen Spenden- zweck doch kaum noch etwas übrig. Wenn man die vielen Spendenbriefe so sieht, dann fragt man sich manchmal, ob der Großteil der Spendengelder nicht in die Werbung gesteckt wird. Viele Spendenorganisationen gehen verschwenderisch mit dem ihnen anvertrauten Geld um.* Spendengelder fließen häufig in die falschen Kanäle.** Preis/Leistungs-Verhältnis Wenn ich lese, was man selbst mit einem kleinen Geldbetrag iilles erTeichen kann, dann muß ich einfach spenden.* Ich spende, weil mir die Zeit fehlt, mich persönlich zu engagieren. Legende:

Bagatellspender Intensivspender p £ .05 p £ .01

Abbildung 4.16: Die Wahrnehmung ausgewählter monetärer Spendenkosten durch Bagatell- und Intensivspender

174

4. Eine empirische Analyse des Spenderverhaltens privater Haushalte

Such- und Informationskosten

Stimme überhaupt nicht zu

Weder Zustimmung noch Ablehnung

Stimme in hohem Maße zu

Bei der Vielzahl von Organisationen und-3 Aktionen weiß man doch gar nicht mehr, für was bzw. wen man überhaupt spenden soll.** Es gibt eine Vielzahl unseriöser Spendenorganisationen. Deshalb informiere ich mich ausführlich darüber, wem ich mein Geld anvertraue.** In bestimmten Jahreszeiten (z. B. vor Weihnachten) wird man mit Spendenbriefen förmlich überschüttet.* Spendenbriefe sind meist zu lang. Deshalb liest man sie im Regelfall nicht zu Ende.

Entscheidungskosten Selbst etwas immer Betrag

wenn man sich entschieden hat, zu spenden, ist man sich noch im unklaren darüber, welcher angemessen ist.**

Bevor ich spende, lasse ich mir das erst einmal ein paar Tage durch den Kopf gehen.*

Transferkosten Häufig nehme ich mir vor, etwas zu spenden, aber dann ist mir der Aufwand (Überweisung ausfüllen, zur Bank gehen) doch zu groß.** Ein dem Spendenbrief beiliegendes, schon ausgefülltes Überweisungsformular erleichtert das Spenden beträchtlich.** Ich spende nicht einmalig, sondern lieber regelmäßig, z. B. über einen Dauerauftrag.**

Kontrollkosten Spendenorganisationen sollten vom Gesetzgeber stärker kontrolliert werden.* Es sollte einen telefonischen bzw. schriftlichen Auskunftsdienst über die Vertrauenswürdigkeit von Spendenorganisationen geben. Es ist notwendig, für Spendenorganisationen eine Axt TÜV einzurichten, der ein Spenden-Qualitätssiegel vergibt und damit eine Kontrollfunktion ausübt. Wenn eine bekannte Persönlichkeit (z. B. Politiker, Sportler, Schauspieler) eine Spendenorganisation öffentlich unterstützt, dann erfüllt mich das mit Vertrauen. Legende:

Bagatellspender Intensivspender p £ .05 p £ .01

Abbildung 4.17: Die Wahrnehmung ausgewählter nichtmonetärer Spendenkosten durch Bagatell- und Intensivspender

4.2. Das Spenderverhalten im Spiegel empirischer Befunde

175

Ähnliche Unterschiede treten bezüglich der im Zusammenhang mit einer Spende wahrgenommenen Transferkosten zutage: Während die Bagatellspender infolge des perzipierten Transaktionsaufwandes (Überweisungsformular ausfüllen, Finanzinstitut aufsuchen) relativ häufig auf eine Zuwendung verzichten, haben die Intensivspender offensichtlich Strategien entwickelt, diesen zu reduzieren: So nehmen sie zum einen die Spendenbriefen beiliegenden und bereits weithin ausgefüllten Überweisungsformulare als beträchtliche Erleichterung wahr, zum anderen wählen sie überdurchschnittlich häufig den Dauerauftrag als Transaktionskanal und verringern damit den Transferaufwand, letztlich aber auch die Entscheidungs- und Kontrollkosten. Um nunmehr Aufschluß über den Beitrag, den die Gesamtheit der Kostenund Nutzenüberlegungen zur Erklärung des Spendenverhaltens leistet, sowie über das relative Gewicht, das einzelnen Aspekten hierbei zukommt, zu gewinnen, führten wir auf unterschiedlichen Aggregationsebenen schrittweise Diskriminanzanalysen nach der Wilks' Lambda-Methode (SPSS/PC+-Prozedur DISCRIMINANT) durch. An der Ausprägung der in Tab. 4.10 aufgeführten Gütekriterien ist abzulesen, daß sich die Gesamtheit der einbezogenen Kosten/Nutzen-Aspekte als sehr gut geeignet erweist, die Gruppen voneinander zu isolieren. Insbesondere die hohe Varianzaufklärung von 75,7 %, die man durch Quadrierung des kanonischen Korrelationskoeffizienten C 4 5 erhält, dokumentiert die Qualität der ermittelten Lösung. Bricht man die Analysen schrittweise auf die einzelnen Gratifikationsebenen herunter, so wird deutlich, daß sich Kosten- und Nutzenaspekte hinsichtlich ihrer Trennstärke in etwa die Waage halten. Dabei kommt insbesondere den egoistischen Nutzenkomponenten sowie den nichtmonetären Kostengrößen ein großer Stellenwert zu, während altruistische Motive sowie der mit einer Spende perzipierte monetäre Aufwand zwar immer noch hochsignifikant, jedoch tendenziell weniger bedeutsam sind.

45

Der kanonische Korrelationskoeffizient C ist als Wurzel von erklärter zu gesamter Streuung definiert und aufwerte zwischen Null und Eins normiert. Vgl. Backhaus u. a. (1994), S. 184.

176

4. Eine empirische Analyse des Spenderverhaltens privater Haushalte Tabelle 4.10

Die Gütekriterien der diskriminanzanalytischen Untersuchung von Bagatell- und Intensivspendern In die Diskriminanzanalyse einbezogene unabhängige Variablen

Gütekriterium

Egoisti- Altruisti- Egoistischer scher scher Nutzen Nutzen und einer einer altruistiSpende Spende scher Nutzen einer Spende

Monetäre Kosten einer Spende

Nichtmonetäre Kosten einer Spende

Mone- Kosten täre und und Nutzen nichtmoneeiner täre Spende Kosten einer Spende

Kanonische Korrelation

0,62

0,36

0,64

0,32

0,67

0,70

0,87

Wilks' Lambda

0,62

0,87

0,59

0,89

0,55

0,50

0,25

Irrtumswahrscheinl ichkeit der ermittelten Diskriminanzfunktion

0,00

0,00

0,00

0,01

0,00

0,00

0,00

Anteil richtiger Klassifikation der in die Analyse einbezogenen Fälle (in %)

82,7

63,1

77,3

63,6

83,3

87,0

95,2

Anteil richtiger Klassifikation der aus der Analyse ausgeschlossenen Fälle (in %)

68,6

58,6

69,8

61,2

63,3

65,8

74,0

Maximale Zufallswahrscheinlichkeit der Zuordnung zur größten Gruppe

55,5

55,9

55,5

56,4

55,6

55,6

54,3

Zur Trennung der Kontrastgruppen isoliert die multiple Diskriminanzanalyse ein Set von 18 aus 34 einbezogenen Gratifikationskomponenten. Die in Tab. 4.11 aufgeführten standardisierten Diskriminanzkoeffizienten dokumentieren, daß der christlichen Pflicht, Notleidenden zu helfen, mit 11,2 % die höchste Trennstärke zukommt. Rang zwei nimmt die Variable „Verschwendung von Spendengeldern" (9,7 %) ein, dicht gefolgt von der Nutzung des Transaktionskanals Dauerauftrag (8,8 %) und damit einem Aspekt, der die mit einer Spende verbundenen Transferaufwendungen betrifft. A u f Position 4 finden wir

4.2. Das Spenderverhalten im Spiegel empirischer Befunde

177

die Attraktivität von Benefizprodukten (6,8 %), auf Platz 5 den m i t einer Spende verbundenen steuerlichen Vorteil (6,3 %).

Tabelle 4.11 Der Beitrag ausgewählter Kosten/Nutzen-Aspekte einer Zuwendung zur Trennung zwischen Bagatell- und Intensivspendern Wilks' Lambda Standardisierter Relative Bedeutung der DiskriminanzVariablen bei der koeffizient Diskriminierung Variable

in %

Rang

Christliche Pflicht

0,77719

1,10117

11,2

1

Transaktionskanal Dauerauftrag

0,65407

0,86323

8,8

3

Transaktionsaufwand

0,58064

- 0,60285

6,2

6

Verschwendung von Spendengeldern

0,52598

- 0,95090

9,7

2

Nutzen Spendenempfänger

0,46311

0,57412

5,9

8

Steuerlicher Vorteil

0,42135

0,61531

6,3

5

Hilfe trotz persönlicher Nachteile

0,39986

-0,29183

3,0

16

Benefizprodukt

0,37076

- 0,66302

6,8

4

Notwendigkeit der Einrichtung eines Auskunftsdienstes

0,34991

0,55030

5,6

10

Kontrollbedarf Spendenwesen

0,32226

- 0,29620

3,0

16

Prestige

0,31216

0,42038

4,3

12

Substitut für persönliche Hilfe

0,29710

- 0,58389

6,0

7

Versicherungsschutz

0,28830

- 0,57066

5,8

9

Partizipation an Leistungen der Spendenorganisation

0,27844

0,53841

5,5

11

Vertrauen durch Meinungsführer

0,27016

-0,31616

3,2

14

Entrümpelung des Haushalts durch Sachspende

0,26014

0,33057

3,4

13

Notwendigkeit der Einrichtung eines Spenden-TÜV

0,25610

0,30577

3,1

15

Erleichterung durch weithin ausgefülltes Überweisungsformular

0,25000

0,22111

2,3

18

12 Schneider

178

4. Eine empirische Analyse des Spenderverhaltens privater Haushalte

Will man die Segmente der Intensiv- und Bagatellspender marketingpolitisch bearbeiten, empfiehlt es sich, aus den festgestellten Unterschieden bezüglich der an eine Spende gestellten Kosten/Nutzen-Erwartungen spezifische Maßnahmen abzuleiten. Die Dominanz der christlichen Motivs „Nächstenliebe" bei den Intensivspendern bedingt es, daß diesem in der Spendenwerbung eine herausragende Stellung eingeräumt werden muß. Da die Gruppe der „religious donors" in erster Linie einen indirekten Nutzen anvisiert, der darin besteht, anderen die Leistungen einer Spendenorganisation zukommen zu lassen, bietet es sich an, im Vorfeld einer Zuwendung den konkreten Nutzen für den Spendenempfänger (z. B. Schutz vor lebensbedrohenden Krankheiten, Beseitigung von Armut) aufzuzeigen sowie im Anschluß an die Leistungserstellung Informationen über den Erfolg des jeweiligen Projektes zu vermitteln. Die Intensivierung des After-Spending-Service erscheint um so bedeutsamer, wenn man bedenkt, daß Intensivspender zur Reduktion ihres Transaktionsaufwandes den Dauerauftrag präferieren und demnach überdurchschnittlich stark an eine bestimmte Organisation gebunden sind. Ergänzend hierzu erscheint es zweckdienlich, sich das bei dieser Zielgruppe stark ausgeprägte Bedürfnis nach Erlangung steuerlicher Vorteile zunutze zu machen. Primär gilt es hierbei der weit verbreiteten Unwissenheit über die mit einer Spende verbundenen fiskalischen Abzugsmöglichkeiten mittels entsprechender Informationen (z. B. Versendung einer Broschüre, Beilage eines Faltblattes) zu begegnen. Wenn man das im Segment der Bagatellspender offensichtlich brachliegende Spendenpotential erschließen möchte, muß auf der Nutzenseite dem Wunsch Rechnung getragen werden, mit Hilfe des philanthropischen Engagements einen direkten Nutzen für sich oder ein Mitglied des Familienkreises zu erlangen. Vor dem Hintergrund der Untersuchungsbefunde erscheint es besonders erfolgversprechend, diesem Typus Sachleistungen wie Benefizprodukte oder die Teilnahme an Verlosungen und Tombolas anzubieten. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang das „cause related marketing": Hierbei werden Spenden für einen sozialen Zweck unmittelbar an die Umsätze von Produkten und Dienstleistungen gekoppelt. Grundlage ist ein beide Seiten verpflichtender Vertrag zwischen einem Unternehmen und einer Spendenorganisation, welcher jener für die vereinbarte Dauer einer Kampagne, im Regelfall als Äquivalent für die Einbindung des Namens der Institution in die Kommunikationspolitik des Unternehmens, einen festen Prozentsatz vom Verkaufspreis der jeweiligen Leistung einräumt. Die entsprechenden Benefizprodukte und leistungen werden nicht von der Spendenorganisation selbst vertrieben, sondern die Vermarktung obliegt ausschließlich dem Partnerunternehmen, was angesichts des mangelnden Professional isierungsgrads einzelner Institutionen als grundsätzlicher Vorteil zu werten ist.46

46

Vgl. Barnes (1991), S. 24; Henricks (1991), S. 34 f.; Nichols (1990), S. 28 ff.

4.2. Das Spenderverhalten im Spiegel empirischer Befunde

179

Dabei gilt es jedoch zu bedenken, daß infolge der zum Teil recht ansehnlichen Zuwendungen die Gefahr des Entstehens einer Abhängigkeit vom Partnerunternehmen und einer damit einhergehenden Vernachlässigung der Bedürfnisse anderer Förderer nicht von der Hand zu weisen ist. Außerdem ist mit einer Verwässerung der Integrität bzw. einem Glaubwürdigkeitsverlust auf Seiten der gemeinnützigen Organisation zu rechnen, falls deren Name, etwa im Falle von Umweltschutzinstitutionen, für unseriöse Geschäftspraktiken, z. B. ökologiefeindliche Produktionstechniken, mißbraucht wird. Darüber hinaus bleibt eine solche Strategie wenig bekannten oder umstrittenen Institutionen weitgehend vorenthalten, da diese ihrem Kooperationspartner nicht zu dem erstrebten Imagegewinn verhelfen können. Schließlich befürchten einige Organisationen, daß die enge und publik gemachte Verbindung zu einem Unternehmen das Wohlwollen anderer potentieller Partner aus dem kommerziellen Bereich gefährden könnte.

Eine ähnliche Funktion wie Benefizprodukte und -leistungen erfüllen, sofern etwaige Reaktanzeffekte auf seiten der Spender ins Kalkül gezogen werden, dem Spendenbrief beiliegende Informationsbroschüren, Postkarten, Kalender und Weihnachtsmarken, da auf diese Weise die Reziprozitätsnorm aktiviert werden kann. Parallel hierzu erscheint es zweckdienlich, mittels einer „ it could beyou"-Strategie dem potentiellen Spender vor Augen zu führen, daß er selbst einmal in die Situation des Hilfesuchenden geraten und in einem solchen Fall von der Leistung der Organisation profitieren könnte. Auf der Kostenseite gilt es den Eindruck der Verschwendung von Spendengeldern auszuräumen und damit dem wahrgenommenen Kontrollbedarf gerecht zu werden. Für diesen Zweck bietet es sich an, im Rahmen einer „targeting"-Strategie die Effizienz der Spenden Verwendung bzw. den geringen Verwaltungsaufwand der Organisation zu unterstreichen. Flankierend dazu empfiehlt sich der verstärkte Einsatz von Meinungsführern, da diese im Segment der Bagatellspender erhebliches Vertrauen genießen und demnach dafür prädestiniert sind, Glaubwürdigkeit für die Organisation und deren Anliegen zu erzeugen. Weniger erfolgversprechend hingegen erscheinen hier die Einrichtung eines Auskunftsdienstes sowie die Vergabe eines Gütesiegels, da dieser Spendentyp offensichtlich nicht bereit bzw. in der Lage ist, sich mit derartigen Informationen auseinanderzusetzen. Nicht zuletzt bedarf es der Reduktion des als erheblich wahrgenommenen Transaktionsaufwandes. Hierfür eignet sich die verstärkte Durchführung von Haus- und Straßensammlungen mit der Option einer Barspende, da diese Zielgruppe den Überweisungsweg offensichtlich als zu aufwendig erachtet. Bezüglich der an eine Spende geknüpften Gratifikationserwartungen bleibt folgendes festzuhalten: - D i e Gesamtheit der in die Analyse einbezogenen Kosten/Nutzen-Aspekte erweist sich, wie in These 3 unterstellt, als sehr gut geeignet, Unterschiede im Spendenverhalten zu erklären. Dabei wird offenkundig, daß egoistischen Nutzenkomponenten eine hohe Bedeutung zukommt, während altruistische

12*

180

4. Eine empirische Analyse des Spenderverhaltens privater Haushalte

Motive einen zwar immer noch hochsignifikanten, jedoch tendenziell geringeren Einfluß ausüben. Des weiteren zeigt sich, daß die Entscheidung für oder gegen eine Spende weniger von monetären Gesichtspunkten als vielmehr durch die mit einer Zuwendung verknüpften Mühen in Form von Transferund Kontrollaufwendungen bestimmt wird. - Während Intensivspender tendenziell stärker von religiösen und steuerlichen Motiven geleitet werden, genießen bei den Bagatellspendern Benefizprodukte eine vergleichsweise hohe Attraktivität. Außerdem fallt auf, daß Intensivspender versuchen, die bei einer Spende anfallenden Transaktionskosten durch eigenständiges Handeln (z. B. Abschließen eines Dauerauftrags; Nutzung des zur Verfügung gestellten, weithin ausgefüllten Überweisungsformulars) zu reduzieren. Bei Bagatellspendern hingegen ist eine gewisse Passivität auszumachen, die es für Spendenorganisationen ratsam erscheinen läßt, von ihrer Seite aus aktiv zu werden. - Ein Vergleich zwischen den alten und neuen Bundesländern verdeutlicht, daß im Westen Ich-bezogene Beweggründe dominieren, während im Osten eher altruistische Motive im Vordergrund stehen. Ferner ist festzustellen, daß weite Teile der westdeutschen Bevölkerung die mangelnde Effizienz gemeinnütziger Organisationen beklagen, deren Ursache primär in der wenig professionellen Arbeit sowie in hohen Werbeausgaben gesehen wird, und folglich nicht in der intendierten Weise auf Spendenwerbung reagieren. In den neuen Bundesländern hingegen findet sich ein noch weitgehend brachliegendes Feld für einschlägige Bemühungen, das mit den Mitteln des Marketing erschlossen werden könnte. Hierbei wäre anzustreben, den im Osten als vergleichsweise hoch empfundenen Entscheidungs- und Transferaufwand zu reduzieren. Insgesamt bestätigen die Befunde den in These 5 postulierten Zusammenhang.

4.2.3. Das Transferverhalten der Spender 4.2.3.1. Die quantitative Dimension Rund neun von zehn Probanden (Gesamtstichprobe: 91,3 %; alte Bundesländer: 93,0 %; neue Bundesländer: 84,9 %) geben an, im Jahre 1991 gemeinnützige Anliegen unterstützt zu haben. Im Durchschnitt wurde rund fünfmal gespendet, wobei sich Geld- (54,9%) und Sachspenden (45,1 %) nahezu die Waage halten. Die jährliche Spendensumme (einschließlich der Befragungsteilnehmer, die im Untersuchungszeitraum nicht gespendet haben) beträgt im Durchschnitt 455,20 D M bzw. 1,14 % des Netto-Haushaltseinkommens, wobei gravierende

4.2. Das Spenderverhalten im Spiegel empirischer Befunde

181

Unterschiede zwischen Ost und West auftreten: Während in den alten Bundesländern im Durchschnitt 530,26 DM bzw. 1,19 % des Budgets für gemeinnützige Zwecke eingesetzt werden, sind dies in den neuen Ländern gerade einmal 169,60 DM bzw. 0,67 % der Einkünfte. Angesichts der geringen Verbreitung von Spendenorganisationen im Osten auf der einen und des niedrigen Einkommensniveaus sowie der positiven Korrelation zwischen Einkommen und Spendenhöhe (r = 0,3633; p < .01) auf der anderen Seite vermag dieses Ergebnis kaum zu überraschen. Häufigkeit (in %) 50,0

30,0

20,0

0,0

51 100 DM

500 DM

1.001 -

501 1 000 DM 5.000 DM 7,7 9,1

Gesamtstichprobe



Bis 20 DM 11.5

19,2

40,1

Alte Bundesländer



10,8

12,0

17,5

39,5

9,8

Neue Bundesländer



14.6

10,4

26,0

42,7

6,3

21 -

50 DM 11,7

101 -

9,5

0,0

Mehr als 5 000 DM

0,8 1,0 0,0

Abbildung 4.18: Der im Untersuchungszeitraum pro Kopf aufgewendete Spendenbetrag (in %)

Rund jeder vierte Proband spendet weniger als 50 DM und ist demnach als Bagatellspender zu klassifizieren. Der Schwerpunkt des Spendenaufwendungen liegt mit 59,3 % (alte Bundesländer: 57,0 %; neue Bundesländer: 68,7 %) in dem Intervall von 50 bis 500 DM, während lediglich 17,6 % der Befragten (sog. Intensivspender: alte Bundesländer: 20,2 %; neue Bundesländer: 6,3 %) Beträge jenseits dieser Grenze für gemeinnützige Anliegen zur Verfügung stellen (vgl. Abb. 4.18). Extrapoliert man die vorliegenden Befunde auf die Gesamtheit aller privaten Haushalte, so ergibt sich für das Jahr 1991, wie in

47 Zu Vergleichszwecken sei an dieser Stelle noch einmal in Erinnerung gerufen, daß die typische US-amerikanische Familie im Jahre 1988 $ 374 bzw. 2,0 % ihres Einkommens spendete. Vgl. Independent Sector (1990), S. 1. In Großbritannien belief sich der Betrag 1991 auf 7 Pfund 49 Pence bzw. 0,61 % der Einkünfte. Siehe Halfpenny/Pettipher (1992), S. 8.

182

4. Eine empirische Analyse des Spenderverhaltens privater Haushalte

Abschn. 2.3. auf Basis sekundärstatistischer Analysen bereits prognostiziert, ein gesamtdeutsches Spendenaufkommen von 16,05 Mrd. DM. Wenn eine solche Hochrechnung angesichts der zugrundeliegenden Stichprobe, die 534 Haushalte umfaßt, auch nur einen Anhaltspunkt zu bieten vermag und der Befund einer Bestätigung durch weitere Untersuchungen bedarf, wird doch deutlich, daß das in zahlreichen Publikationen mit 4 Mrd. DM bezifferte und lediglich geschätzte jährliche Spendenaufkommen48 in der Realität um rund das Dreifache Ubertroffen wird. Will man diese Zahl relativieren, so erscheint es nützlich, einige Angaben aus der Amtlichen Statistik heranzuziehen.49 Gemäß unserer Berechnung korrespondiert das Spendenvolumen in Deutschland mit der jährlichen Nettolohn- sowie -gehaltssumme von rund einer halben Mio. Arbeitnehmern (535.000) und liegt damit in einer Größenordnung, die zwischen dem Aufkommen aus der Tabaksteuer (19,6 Mrd. DM p. a.) und den Einnahmen aus der Kraftfahrzeugsteuer (13,3 Mrd. p. a.) angesiedelt ist. Trotz eines solchen Ausmaßes darf nicht verkannt werden, daß dies nur rund 2,1 % der öffentlichen Sozialausgaben (766,1 Mrd. DM p. a.) und damit in etwa dem Betrag entspricht, den der Staat jährlich alleine für die Jugendhilfe aufwendet (14,8 Mrd. DM). Damit wird erneut deutlich, daß Spendenorganisationen trotz ihrer erheblichen volkswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Bedeutung im Vergleich zur öffentlichen Hand stets nur eine Nischenposition einnehmen können.

Hinsichtlich der saisonalen Verteilung nehmen die Spendenfälle zur Jahresmitte hin tendenziell ab, um ab August wieder anzusteigen und im Dezember mit 62,1 % ihren Höhepunkt zu erreichen. Das Eintreten für andere gerade am Jahresende ist zum einen auf die religiöse Bedeutung des Weihnachtsfestes sowie die während dieser Zeit zu beobachtende Intensivierung der Spendenwerbung zurückzuführen, zum anderen dürften dabei auch steuerrechtliche Aspekte und der Umstand, daß ein Großteil der Arbeitnehmer ein 13. Monatsgehalt erhält, eine Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, daß das Weihnachtsfest der beliebteste Zeitpunkt ist, wenn es darum geht, philanthropisch aktiv zu werden (vgl. Abb. 4.19). Bei rund drei von zehn Befragten hingegen dominiert ein spendenzweckbezogener Anlaß (bei karitativen Organisationen etwa Katastrophen, bei Umweltschutzorganisationen z. B. Projekte), und jeder vierte verspürt die Neigung, an kirchlichen Feiertagen bzw. religiösen Festen etwas zu geben. Mit 10,8 % bestimmen persönliche Anlässe wie Geburtstag, Taufe eines Kindes oder Tod eines Angehörigen die Entscheidung, anderen zu helfen, eher selten. Schließlich ist bei rund einem Viertel der Probanden eine gewisse Habitualisierung festzustellen, die sich darin niederschlägt, daß diese ihre Spendenentscheidung nicht situativ fallen, sondern in regelmäßigen Abständen gemeinnützig aktiv werden, während 42,4 % der Untersuchungsteilnehmer keinen bestimmten Spendenzeitpunkt zu nennen vermögen.

48

Vgl. beispielhaft o. V. (1993a), S. 9; o. V. (1993d), S. 2; Richter (1991), S. 52. Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft Köln (1993), Tab. 40, 85, 91. Die Angaben beziehen sich auf den Betrachtungszeitraum der empirischen Untersuchung und damit auf das Jahr 1991. 49

4.2. Das Spenderverhalten im Spiegel empirischer Befunde

183

Häufigkeit (in %)

Abbildung 4.19: Der bevorzugte Zeitpunkt für eine Spende (in %; Mehrfachnennungen möglich) Bei der Suche nach geographischen Unterschieden im Spendenverhalten fällt auf, daß die Westdeutschen tendenziell eher zu bestimmten Terminen und damit gewohnheitsmäßig gemeinnützige Anliegen fördern. Folgerichtig steht hier die Bedürftigkeit des Spendenempfängers, wie bereits festgestellt, im Hintergrund. Bei den Menschen im Osten hingegen spielen altruistische Motive eine stärkere Rolle, was sich in der vergleichsweise häufigen Wahl eines spendenzweckbezogenen Zeitpunktes dokumentiert. Außerdem zeigt sich, daß Zuwendungen in der Weihnachtszeit sowie an kirchlichen Feiertagen eine unterdurchschnittliche Bedeutung zukommt. Dies belegt erneut den geringen Stellenwert religiös motivierter Spenden in den neuen Bundesländern, was zum Teil darauf zurückzuführen ist, daß sich dort vergleichsweise viele Menschen nicht mehr zum Christentum bekennen.

4.2.3.2. Die qualitative Dimension Wie Tab. 4.12 zu entnehmen ist, dominieren bei den monetären Spendenformen die Geldvergabe bei Haus- und Straßensammlungen, beim Kirchgang sowie auf dem Bank- bzw. Postweg.

Zu diesem Zeitpunkt betrug die durchschnittliche jährliche Nettolohn- und -gehaltssumme je Beschäftigtem 30.000 DM.

184

4. Eine empirische Analyse des Spenderverhaltens privater Haushalte Tabelle 4.12 Die im Untersuchungszeitraum gewählten Formen der Geldspende (Mehrfachnennungen möglich)

Nennungen (in %) Alte Bundesländer

Neue Bundesländer

Gesamtstichprobe

Spende bei einer Haus- bzw. Straßensammlung

63,5

35,4

57,6

Spende während des Kirchenbesuchs

57,4

43,4

54,5

Überweisung, Versendung und/oder Einzahlung von Geld

51,6

34,5

48,1

Teilnahme an einer Lotterie für gemeinnützige Zwecke

34,9

26,5

33,1

Almosen an einen Bettler

27,0

22,1

26,0

Kauf von Wohlfahrtsbriefmarken

25,3

20,4

24,3

Unterstützung eines Verwandten bzw. Bekannten

17,7

26,5

19,5

Erwerb von Benefizprodukten

13,3

15,9

13,8

Spende bei einer Schulsammlung

13,0

10,6

12,5

303,7

235,2

289,6

Form der Geldspende

Gesamt

Hinsichtlich der direkten Hilfe ohne Einschaltung einer Organisation wird augenscheinlich, daß rund jeder vierte Befragungsteilnehmer im vergangenen Jahr einem Bettler und jeder fünfte einem in Not geratenen Verwandten oder Bekannten Geld zukommen ließen. Bei den mit einer materiellen Gegenleistung verbundenen Spendenformen ist die Teilnahme an einer gemeinnützigen Lotterie am stärksten vertreten: auf Platz zwei und drei rangiert der Erwerb von Wohlfahrtsbriefmarken sowie Benefizprodukten. Angesichts dieser vergleichsweise geringen Werte und des

4.2. Das Spenderverhalten im Spiegel empirischer Befunde

185

hohen Stellenwerts solcher Leistungen im Motivsystem der Spender (vgl. Abschn. 4.2.2.2.1.) scheint hier noch einiges Potential zu schlummern. Die Liste der Sachspenden schließlich wird von Kleidungs- und Wäschestücken angeführt, gefolgt von Altpapier 50 und Haushaltsgegenständen (vgl. Tab. 4.13).

Tabelle 4.13 Die im Untersuchungszeitraum gewählten Formen der Sachspende (in % ; Mehrfachnennungen möglich)

Nennungen (in %) Alte Bundesländer

Neue Bundesländer

Gesamtstichprobe

Kleidungs- und Wäschestücke

81,2

76,1

80,1

Altpapier

53,7

27,4

48,3

Möbel, Haushaltsgegenstände

18,6

7,1

16,2

Lebensmittel

12,6

18,6

13,8

Spielzeug

11,4

7,1

10,5

Bücher

6,3

8,0

6,6

Gesamt

183,8

144,3

175,5

Form der Sachspende

Differenziert man die Menschen hinsichtlich ihrer Spendenformen nach Ost und West, so sticht zunächst ins Auge, daß der typische Spender in den Alten durchschnittlich rund fünf (4,9) und jener in den neuen Bundesländern rund vier (3,8) unterschiedliche Optionen nutzt. Diese Diskrepanz dürfte zum einen Spendensumme begründet liegen, in der zwischen Ost und West differierenden zum anderen der in den neuen Ländern noch schwach ausgeprägten Umwertung potentieller Förderer zuzuschreiben sein. Auch in bezug auf den Stellenwert der einzelnen Spendenformen kommt es zu einer räumlichen Diskrepanz'. Wenn man die Angaben um Mehrfachnen50 Im Falle des Altpapiers ist zu berücksichtigen, daß zunehmend erwerbswirtschaftliche Unternehmen auf diesem Sektor aktiv werden und demnach nicht jede Überlassung einem gemeinnützigen Anliegen zugute kommt.

186

4. Eine empirische Analyse des Spenderverhaltens privater Haushalte

nungen bereinigt, ist im Westen die Spendenvergabe bei Haus- und Straßensammlungen (20,9 %) sowie per Überweisung (17,0 %) relativ stark ausgeprägt. Außerdem werden häufiger Spielzeug (6,2 %) sowie Möbel und Haushaltsgegenstände (10,1 %) verschenkt, was als Ausdruck des Überflusses, in dem ein Gutteil der westdeutschen Gesellschaft lebt, zu werten ist. Im Osten dagegen kommt der direkten Hilfe, also der Zuwendung ohne Einschaltung eines Intermediärs, mit 20,7 % aller Nennungen eine vergleichsweise größere Bedeutung zu. Auch der Erwerb von Benefizprodukten erreicht hier ein tendenziell höheres Niveau (6,7 %). Flankierend dazu war von Interesse, inwieweit die Probanden im Untersuchungsintervall auf spezielle Weise philanthropisch aktiv geworden waren. Rund vier von zehn Befragten (38,7 %) gaben an, Mitglied in einer gemeinnützigen Organisation zu sein; bei 13,0 % der Untersuchungsteilnehmer beschränkte sich die Zugehörigkeit nicht auf die monetäre Förderung des Anliegens, sondern war auch mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit in der jeweiligen Institution verbunden. Lediglich rund jeder zwanzigste (5,8 %) bekundete, eine Patenschaft für einen Menschen bzw. ein Projekt übernommen zu haben, was angesichts der zahlreichen Negativmeldungen, die diese Form der Wohltätigkeit betreffen, nicht zu verwundern vermag. Ein regelrechtes Schattendasein führen testamentarische Regelungen zugunsten von Spendenorganisationen: Lediglich 16 Probanden (3,0 %) beabsichtigen, auf diesem Wege gemeinnützig aktiv werden zu wollen. Des weiteren bekunden nur 7,6 % der West- und 0,9 % der Ostdeutschen, einen Organspenderausweis zu besitzen. Vergegenwärtigt man sich, welche Probleme es bereitet, im Falle des Fehlens eines solchen Dokumentes die Einwilligung der Hinterbliebenen zu einer Organentnahme einzuholen, so bedarf es hier verstärkter Akquisitionsbemühungen. Schließlich bezeichnen sich 17,7 % der Befragten als Blutspender, wobei diese in ländlichen Regionen (34,3 %) sowie unter jüngeren Menschen (22,4 %) überdurchschnittlich stark vertreten sind. Während ersteres im wesentlichen mit sozialen Aspekten zu begründen ist, geben im zweiten Fall wohl eher gesundheitliche Gründe den Ausschlag.

Für welche Organisationen bzw. Anliegen wird nun aber gespendet? Das Deutsche Rote Kreuz sichert sich mit rund einem Drittel den Löwenanteil am Spendentopf (vgl. Tab. 4.14). Auf Platz zwei rangieren nicht näher beschriebene regionale Organisationen bzw. Aktionen, dicht gefolgt von den SOSKinderdörfern. Die Plätze vier bis sechs werden vom Deutschen Caritasverband, von Brot für die Welt sowie Adveniat und damit von kirchlichen Hilfswerken eingenommen. Auf Rang acht wird mit Greenpeace die erste Umweltschutzorganisation geführt.

4.2. Das Spenderverhalten im Spiegel empirischer Befunde

187

Tabelle 4.14 Die zuletzt unterstützte Spendenorganisation bzw. -aktion

Spendenorganisation bzw. -aktion

Alte Bundesländer absolut in %

Neue Bundesländer absolut in %

Gesamtstichprobe absolut in%

Deutsches Rotes Kreuz

91

27,2

36

50,0

127

31,3

Regionale Organisation bzw. -aktion

37

11,1

7

9,7

44

10,8

SOS-Kinderdörfer

32

9,6

9

12,5

41

10,1

Deutscher Caritasverband

26

7,8

1

1,4

27

6,7

Brot für die Welt

14

4,2

6

8,3

20

4,9

Adveniat

18

5,4

0

0,0

18

4,4

Rußlandhilfe

14

4,2

3

4,2

17

4,2

Greenpeace

12

3,6

0

0,0

12

3,0

Malteser Hilfsdienst

9

2,7

1

1,4

10

2,5

Aktion Sorgenkind

5

1,5

3

4,2

8

2,0

Misereor

8

2,4

0

0,0

8

2,0

Sonstiges

68

20,3

6

8,3

74

18,1

334

100,0

72

100,0

406

100,0

Gesamt

Ein Vergleich zwischen den alten und neuen Bundesländern führt plastisch vor Augen, daß einige Vereinigungen (z. B. Deutsches Rotes Kreuz, SOSKinderdörfer, Brot für die Welt) im Osten bereits recht erfolgreich agieren, während beispielsweise Greenpeace tendenziell eher das Gegenteil bescheinigt werden muß. Das schwache Abschneiden vom Deutschen Caritasverband, von Adveniat und von Misereor hingegen ist darauf zurückzuführen, daß es sich hierbei um Institutionen der katholischen Kirche handelt, sich im Osten jedoch vergleichsweise wenige Menschen zu dieser bekennen. Ordnet man die angeführten Organisationen bzw. Aktionen einzelnen Tätigkeitsfeldern zu, so fließen 95,0 % aller Spenden in die nur schwerlich voneinander abzugrenzenden Bereiche Wohlfahrtspflege sowie Entwicklungs- und

188

4. Eine empirische Analyse des Spenderverhaltens privater Haushalte

Katastrophenhilfe. 51 Der Umweltschutz vermag sich nur einen Anteil von 5,0 % am Spendenpool zu sichern. Keiner der Befragten gab an, bei der letzten Spende die Bereiche Wissenschaft und Bildung sowie Sport und Kultur gefördert zu haben. Ein wesentlicher Grund für diese Außenseiterposition ist in den in Abschn. 4.1.1.1. aufgeführten Argumenten zu erblicken.

4.2.3.3. Demographische und sozio-ökonomische Bestimmungsfaktoren des Spendenverhaltens Im Anschluß an den vorangestellten deskriptiven Analyseschritt, der dazu diente, die Fakten bezüglich der Spendenverhaltens zu ermitteln, gilt es nunmehr Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen nachzugehen, deren Kenntnis als Entscheidungshilfe beim Einsatz der Marketingtechnologie (etwa bei einer Marktsegmentierung) genutzt werden kann. Dabei war es unser Anliegen zu klären, welche demographischen und sozio-ökonomischen Variablen dazu geeignet sind, Unterschiede im Spendenverhalten von privaten Haushalten zu identifizieren, welche Interaktionsbeziehungen zwischen den einzelnen Merkmalen bestehen und welche Eigenschaftskombinationen mit einem geringen bzw. hohen gemeinnützigen Engagement einhergehen. Hierfür bot es sich an, die Kontrastgruppenanalyse einzusetzen. Zielsetzung dieses Verfahrens ist es, eine abhängige Variable - im vorliegenden Fall die Höhe des jährlich gespendeten Betrags - dadurch zu erklären, daß die Ausgangspopulation im Wege binärer Splits sukzessive in Gruppen aufgeteilt wird, die sich durch bestimmte Merkmalskombinationen auszeichnen, wobei jedes Charakteristikum zusätzliches Aufklärungspotential erschließt. 52 CART (Classification and Regression Die Daten wurden mittels der SYSTAT-Prozedur Trees) analysiert. Hierbei handelt es sich um ein Verfahren, das speziell unter dem Gesichtspunkt entwickelt wurde, Defizite von Programmen wie AID (Automatic Interaction Detector) und Chaid (Chi-Square Automatic Interaction Detection) auszumerzen und damit Fehlinterpretationen zu vermeiden.53 Als wesentliche Stärken der CART-Prozedur sind anzuführen: - Im Gegensatz zu anderen Verfahren, die sich bestimmter Stopp-Kriterien (z. B. Minimalgröße einer Gruppe, Mindestbeitrag zur Varianzaufklärung) bedienen und damit häufig zu suboptimalen Lösungen führen, verzichtet CART darauf festzulegen, wann ein Ast nicht mehr weiter aufgespalten werden kann. Vielmehr werden solange Untergruppen gebildet, bis kein weiteres Splitting mehr möglich ist, wenn also jedes Objekt eine Gruppe repräsentiert und/oder sämtliche Objekte einer Gruppe strukturgleich sind. Somit beginnt das Verfahren

51

Die Abgrenzungsproblematik wurde bereits in Abschn. 4.1.1.1. eingehend erläutert, so daß an dieser Stelle auf entsprechende Ausführungen verzichtet wird. 52 Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (1994), S. 805 ff.; Weber (1986). 53 Vgl. hierzu Hill (1994), S. 415 ff.; Steinberg/Colla (1992).

4.2. Das Spenderverhalten im Spiegel empirischer Befunde

189

grundsätzlich mit der Generierung eines sog. maximalen Baums. Dieser wird sodann sukzessive beschnitten, bis unter Abwägung zwischen der vorhergesagten Genauigkeit sowie der Komplexität einer Lösung die optimale Baumstruktur gefunden ist. - Unabhängige metrische Variablen bedürfen im Vorfeld der Analyse keiner künstlich erzwungenen Dichotomisierungy die im Regelfall mit mehreren Programmläufen und einem entsprechend hohen Analyseaufwand verbunden wäre. Daraus folgt, daß dasselbe Merkmal mehrfach, d. h. in verschiedenen Zweigen und auf unterschiedlichen Ebenen des Analysebaumes genutzt werden kann. Auf diese Weise läßt sich identifizieren, inwieweit einzelne Splitvariablen in bestimmten Merkmalskombinationen positiv, in anderen aber negativ auf die abhängige Variable ausstrahlen. - Für jeden Split entwickelt das Verfahren alternative Lösungen, die zur Klassifizierung eines Gegenstandes herangezogen werden können. Dies erweist sich immer dann als zweckdienlich, wenn bei zahlreichen Objekten die Werte der Hauptvariablen fehlen (z. B. „missing values" im Falle des Einkommens) und auf andere Merkmale rekurriert werden muß. Ausgehend v o m jährlich für gemeinnützige Anliegen aufgewendeten Betrag der

gesamten

Stichprobe

führte

die

CART-Analyse

zu

65

alternativen

Baumstrukturen, wobei der sog. maximale Baum 97 Äste besitzt und 73,4 % der Varianz erklärt. U m eine sinnvolle Interpretation der Kontrastgruppen zu gewährleisten, entschieden w i r uns unter A b w ä g u n g von vorhergesagter Genauigkeit und Komplexität für diejenige Lösung, die 37,8 % der Gesamtvariation der Spendensumme aufklärt und zu insgesamt 13 Endgruppen

führt. 5 4

I n A b b . 4.20 sind für jede Aufspaltung die Splitvariablen, deren Beitrag zur Varianzaufklärung, die Anzahl der Probanden, die den Untergruppen zugeordnet werden, und schließlich die jeweiligen Mittelwerte der Kriteriumsvariablen (Spendensumme p. a.) angegeben. Dabei zeigt sich, daß das Alter

der

Probanden bei der Dichotomisierung der Gesamtgruppe die höchste Erklärungskraft besitzt. Der optimale Schnitt trennt die Probanden, die jünger als 29,5 Jahre sind, von denen, die diese Altersgrenze schon überschritten haben. 5 5 Durch diesen ersten Split lassen sich bereits 12,2 % der Gesamtvarianz erklären.

54 Hierbei wird der relative Kreuzvalidierungsfehler (= Indikator für die Genauigkeit einer Lösung) der Anzahl der Verästelungen (= Indikator für die Komplexität einer Lösung) gegenübergestellt. Zur Berechnung und Aussagekraft des relativen Kreuzvalidierungsfehlers sowie zur Ermittlung der optimalen Lösung vgl. Steinberg/Colla (1992), S. 23 u. 163 ff. 55 Zur Erklärung des auch in anderen Untersuchungen festgestellten Phänomens, daß die Spendenfreude mit steigendem Alter zunimmt, vgl. die Ausführungen in Abschn. 3.3.1.

190

4. Eine empirische Analyse des Spenderverhaltens privater Haushalte

Gesamtstichprobe Spendensumme = 455,20 D M p.a.

Erklärte Varianz: 12,2%

Splitvariable: Alter

Spendensumme = 343,42 D M p.a.

Splitvariable: Alter

Spendensumme = 490,47 D M p.a.

Eiklflite Varianz: 4,3%

Splitvariable: Ausbildung

Erklärte Varianz: 6,2%

I Spendensumme =• 404,19 D M p.a.

Spendensumme = 303,60 D M p.a.

Splitvariable: Alter

|

Geringes Bildungsniveau

Mittleres und hohes Bildungsniveau

Spendensumme = 462,36 D M p.a.

Spendensumme = 554,49 D M p.a.

Eiklflite Varianz: 2.1%

r

Splitvariable: Alter

Erklärte Varianz: 2,7%

n = 173

n = 89

n = 30

n = 85

< 60,5 Jahre

¿60,3 Jahre

< 43,5 Jahre

£ 4 3 , 5 Jahre

Spendensumme = 436,98 D M p.a.

Spendensumme = 511,81 D M p.a.

Spendensumme = 477,19 D M p.a.

Spendensumme = 581,82 D M p.a.

Splitvariable: Alter

Eiklflite Varianz: 2,0%

I

1

Spendensumme = 130,13 D M p.a.

Spendensumme = 453,90 D M p.a.

Splitvariable: Beruf

Splitvariable: Haushaltseinkommen

Spendensumme = 475,24 D M p.a.

Spendensumme = 637,64 D M p.a.

Splitvariable: Alter

Eiklflite Varianz: 1,5%

Splitvariable: Alte/Neue Bundesländer

Eiklflite Varianz: 1,9%

Neue Bundesländer

Alte Bundesländer

Spendensumme «= 469,90 D M p.a.

Spendensumme = 611,75 D M p.a.

Erklärte Varianz: 1,4%

Alle übrigen Berufe Spendensumme = 439,71 D M p.a.

Eiklflite Varianz: 1,1%

¿ 66,5 Jahre Spendensumme = 550,59 D M p.a.

Spendensumme = 561,65 D M p.a.

Splitvariable: Alter

Eiklflite Varianz: 1,1%

Spendensumme = 429,69 D M p.a.

Splitvariable: Alter

Eiklflite Varianz: 1,3%

1

Spendensumme = 455,46 D M p.a.

679,55 D M p.a.

Spendensumme = 303,60 D M p.a.

Abbildung 4.20: Das Baumdiagramm der CART-Analyse

Spendern 478,49 D M p.a.

4.2. Das Spenderverhalten im Spiegel empirischer Befunde

191

Abb. 4.20 kann des weiteren entnommen werden, daß gemeinnützig besonders aktive Personen (Spendensumme p. a. = 679,55 DM) zwischen 45,5 und 59 Jahren alt sind, den Beruf einer Hausfrau ausüben und sich ihre Schulbildung auf den Hauptschulabschluß beschränkt. A u f der Gegenseite zeichnen sich Menschen, die mit jährlich D M 130,13 den geringsten Betrag geben, durch ein ebenfalls geringes Bildungsniveau sowie ein Alter von über 59 Jahren aus. An diesem Befund, auf den wir die inhaltliche Interpretation des CARTAnalysebaums beschränken wollen, wird deutlich, daß Variablen in unterschiedlichen Konstellationen entgegengesetzte Effekte auslösen können: Während ein geringer Bildungsstand sowie ein im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt hohes Alter bei der ersten Gruppe spendenfordernd wirken, üben diese Variablen im zweiten Fall einen geradezu konträren Einfluß aus. Folgerichtig genügt die in zahlreichen Studien eingeschlagene Vorgehensweise nicht, ausschließlich den isolierten Einfluß demographischer und sozio-ökonomischer Merkmale auf das Spendenverhalten zu untersuchen. Beschränkt man die Suche nach Interaktionen ausschließlich auf das Baumdiagramm, so werden zwangsläufig all jene Prädiktoren aus der Betrachtung ausgeklammert, die nicht als Splitvariablen zum Zuge kommen. Dies wirft insbesondere bei ausgeprägter Multikollinearität im Datenmaterial Probleme auf, da Wechselbeziehungen zwischen Variablen häufig dazu führen, daß im Aufspaltungsprozeß all jene Merkmale nicht berücksichtigt werden, die hoch mit einer Splitvariablen interagieren. Es ist daher notwendig, im Rahmen der Interaktionsrecherchen flankierend das Potential von Eigenschaften, in verschiedenen Verästelungen eines Baumes zu erscheinen, zu betrachten. Bei der in Abb. 4.21 wiedergegebenen relativen Bedeutung demographischer und sozio-ökonomischer Variablen für das Spendenverhalten zeigt sich, daß auch die Merkmale Familienstand, Haushaltsgröße sowie Einwohnerzahl des Wohnorts, die nicht im Baumdiagramm aufgeführt sind, eine gewisse isolierte Erklärungskraft besitzen. Hierbei handelt es sich offensichtlich um Eigenschaften, die von anderen Größen in ihrer Wirkung überlagert werden. Einsichtig wird dieser Effekt am Familienstand, dessen Trennstärke im Baumdiagramm im wesentlichen vom Alter verdeckt wird: So befinden sich unter den jüngeren Befragungsteilnehmern überdurchschnittlich zahlreich ledige Personen, während im Alterssegment besonders viele verwitwete Menschen anzutreffen sind.

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4. Eine empirische Analyse des Spenderverhaltens privater Haushalte

Relative Bedeutung

stand Haushaltseinkommen

hörigkeit Ost/West

haltsgröße

des Wohnorts

Abbildung 4.21: Die relative Bedeutung demographischer und sozio-ökonomischer Variablen für die Erklärung des jährlich gespendeten Betrags (in %) Des weiteren wird bestätigt, was sich im CART-Baum bereits angedeutet hat: Mit 41,6 % kommt dem Alter mit deutlichem Abstand die höchste relative Erklärungskraft zu. Den zweitgrößten Beitrag zur Erklärung von Divergenzen im Spendenverhalten leistet der Beruf der Versuchsperson, gefolgt vom Familienstand und dem Netto-Haushaltseinkommen. Die Variablen Anzahl der Haushaltsmitglieder, Größe des Wohnorts sowie Geschlecht tragen dagegen wenig bzw. nicht zur Erhellung bei. Ins Auge sticht schließlich, daß die Zugehörigkeit zu den alten bzw. neuen Bundesländern lediglich 2,6 % der Varianz aufklärt und damit allenfalls marginale Erklärungskraft für die Höhe des jährlich gespendeten Betrags besitzt. Der Befund deutet an, daß der identifizierte Intensitätsunterschied im Spendenverhalten zwischen Ost und West in erster Linie auf die unterschiedliche ökonomische Situation und erst an zweiter Stelle auf kulturelle Besonderheiten zurückzufuhren ist. Wir können damit folgende zentrale Ergebnisse festhalten: - Demographische und sozio-ökonomische Merkmale der potentiellen Förderer beeinflussen, wie in These 4 postuliert, das Spendenverhalten entscheidend. Hierbei kommt dem Alter der Probanden die höchste, der Zugehörigkeit zu den alten bzw. neuen Bundesländern lediglich marginale und dem Geschlecht gar keine Bedeutung zu.

4.2. Das Spenderverhalten im Spiegel empirischer Befunde

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- Die Splitvariablen führen je nach Merkmalskonstellation zu unterschiedlichen, häufig geradezu entgegengesetzten Effekten. Demnach genügt es nicht, sich auf die Analyse des isolierten Einflusses einer Variablen auf die Bereitschaft, ein gemeinnütziges Anliegen zu fördern, zu beschränken. -Zwischen den demographischen sowie sozio-ökonomischen Merkmalen der Befragungsteilnehmer besteht eine ausgeprägte Multikollinearität, die darin zum Ausdruck kommt, daß Variablen, die nicht im Baumdiagramm aufgeführt sind, isoliert eine Erklärungskraft besitzen.

4.2.4. Die Zufriedenheit der Spender mit den Informationen über die Verwendung ihrer Zuwendungen 4.2.4.1. Das Ausmaß der (Un-)Zufriedenheit Im Anschluß an einen philanthropischen Transfer werden die Spender im Regelfall den Erfolg ihres Engagements beurteilen wollen. Da Käufer und Konsument einer gemeinnützigen Leistung zumeist nicht identisch sind, benötigen die Förderer entsprechende Informationen. Um einen genaueren Einblick zu gewinnen, inwieweit Spendenorganisationen diesem Bedürfnis gerecht werden, baten wir die Probanden, anhand einer siebenstufigen Skala anzugeben, wie (un-)zufrieden sie generell mit den Informationen über die Verwendung ihrer Zuwendungen sind. Im Vergleich zu Untersuchungen im kommerziellen Bereich ist ein vergleichsweise hoher Grad an Unzufriedenheit auszumachen.56 Lediglich 15,1 % der Untersuchungsteilnehmer bezeichnen sich als „Sehr zufrieden" bzw. „Zufrieden". Betrachtet man die übrigen Einstufungen als Ausdruck der Wahrnehmung eines mehr oder weniger großen Defizits, das der Spender empfindet, so zeichnet sich ein düsteres Bild ab; denn dann bekunden 84,9 % aller Befragten, daß sie nur unzureichend über den Erfolg der geförderten Projekte informiert werden (vgl. Abb. 4.22). 57 Um so besorgniserregender erscheint dieses Ergebnis, wenn man berücksichtigt, daß bei der in der Untersuchung herangezogenen globalen Erfassung der Zufriedenheit generell ein „positivity bias" zu unterstellen ist und demnach der Anteil unzufriedener Individuen eher noch unterschätzt wird. 5 8

56

Vgl. beispielhaft Bruhn (1982); Meffert/Bruhn (1978). Zu einem ähnlichen Resultat gelangt das Deutsche Kundenbarometer, bei dem Hilfs- und Spendenorganisationen mit einer Durchschnittsnote von 2,52 hinsichtlich der auf einer fünfstufigen Skala gemessenen Zufriedenheit (1 = vollkommen zufrieden; 5 = unzufrieden) unter 38 Branchen lediglich Rang 23 belegen. Vgl. Deutsche Marketing-Vereinigung/Postdienst Deutsche Bundespost (1992). 58 Vgl. Dichtl u. a. (1981), S. 80. 57

13 Schneider

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4. Eine empirische Analyse des Spenderverhaltens privater Haushalte Häufigkeit (in %)

Abbildung 4.22: Die Zufriedenheit mit den Informationen über die Verwendung von Spenden (in %) macht deutlich, daß sich in den alten Bundesländern Ein Ost/West-Vergleich lediglich ein Drittel der Befragten als mehr oder minder zufrieden einstuft. Im Osten hingegen sind es immerhin 42,6 % der Untersuchungsteilnehmer, die so urteilen. In diesem Ergebnis dokumentiert sich erneut das insgesamt freundlichere Spendenklima in den neuen Bundesländern. Grundsätzlich äußern sich die Befragten um so zufriedener, je - freundlicher sie gegenüber (r = 0,4066;p