Das Loch oder Das wiedergefundene Paradies. Das Incognito oder Die mehreren Könige oder Alt und Neu [Reprint 2019 ed.] 9783110827057, 9783110050417


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German Pages 130 [132] Year 1968

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Das Loch oder Das Wiedergefundene Paradies
Das Incognito oder Die mehreren Könige oder Alt und Neu
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Das Loch
Das Incognito
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Das Loch oder Das wiedergefundene Paradies. Das Incognito oder Die mehreren Könige oder Alt und Neu [Reprint 2019 ed.]
 9783110827057, 9783110050417

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KOMEDIÄ 13

LUDWIG ACHIM VON ARNIM / DAS LOCH J O S E P H VON E I C H E N D O R F F / DAS I N C O G N I T O

KOM E DIÄ DEUTSCHE LUSTSPIELE VOM BAROCK B I S ZUR G E G E N W A R T Texte und Materialien zur Interpretation Herausgegeben von H E L M U T A R N T Z E N und K A R L P E S T A L O Z Z I

13

1968 W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. / B E R L I N V O R M A L S G. J. G Ö S C H E N ' S C H E V E R L A G S H A N D L U N G • J. G U T T E N T A G V E R L A G S B U C H H A N D L U N G • GEORG R E I M E R • KARL J. T R Ü B N E R V E I T & COMP.

LUDWIG ACHIM VON A R N I M

DAS LOCH oder DAS W I E D E R G E F U N D E N E

PARADIES

Ein Schattenspiel

J O S E P H VON EICHENDORFF

DAS INCOGNITO oder DIE M E H R E R E N

KÖNIGE

oder A L T U N D N E U Ein Puppenspiel

Text und Materialien zur Interpretation besorgt von GERHARD KLUGE

1968 W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. / B E R L I N V O R M A L S G. J . G Ö S C H E N ' S C H E V E R L A G S H A N D L U N G • J . G U T T E N T A G V E R L A G S B U C H H A N D L U N G • G E O R G R E I M E R • K A R L J. T R Ü B N E R V E I T Sc C O M P .

Archiv-Nr. 3609681 © 1968 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung J. Guttcntag, Verlagsbuchhandlung - Georg Keimer - Karl J . Trübner - Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Str. 13. Printed in Germany. Alle Rechte der Ubersetzung, des Nachdruckes, der Anfertigung von Photokopien und Mikrofilmen, auch auszugsweise, vorbehalten. Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30

LUDWIG ACHIM VON ARNIM

DAS LOCH oder

DAS WIEDERGEFUNDENE PARADIES Ein Schattenspiel

SCHATTEN DICHTER. KAISER

vom Rhabarberlande.

KAISERIN, KASPER,

dessen Frau.

sein Rath.

Volk und Thiere im Rhabarberlande. RITTER

von der runden Tafel.

Dessen Matrosen. D E R TEUFEL.

P r o l o g des S c h a t t e n d i c h t e r s Euch Aktionärs vom neuen Schauspielhaus, Entbiet ich meinen besten Grus voraus, Ich schwör es euch, ihr lebet viel bequemer Als Ich, der dieses Baues Unternehmer! Wer Geld gegeben, meint, er hab das Recht, Daß er das Ganze finde gar zu schlecht; Ich hör viel Tadel, niemand will recht loben, So geht es mir, wie unserm Herrn da droben. Der eine meint, ich hab das Oel gespart, Nach der bekannten Stadtbeleuchtungsart, Der andre meint, die Malerperspective Verliere sich beinahe in das Schiefe, Der dritte meint in diesem Augenblick, In Gesten hätte ich noch kein Geschick, Auch sollte ich noch mehr Register ziehen In dem deklamatorischen Bemühen. — Bei Licht besehn, wird's keinem recht gemacht, Doch traulich waltet über euch jetzt Nacht, Ihr seht nicht mehr, als ich will sehen lassen, Wollt ihr was hören, müßt ihr auf mich passen, Denn keiner ist von euch so vorbereitet Daß er aus'm Stegereif mein Stück bestreitet. Doch wenn es euch mißfällt, ihr könnet schlafen, Ihr könnet schwatzen, niemand kann euch strafen, Die Nacht ist Feindin aller Policey, Die Welt wird Chaos und der Mensch wird frei. Zwar ist der Raum nur eng, den wir regieren, Wenn uns kein Licht zu ferner Welt will führen, Die Nacht ist ohne alle Offenbarung, Sie hat zu ihrem Tröste die Erfahrung Im engen Raum, den unser Blut durchschwärmt, Den unsre Haut umspannt, und Athem wärmt Wo Töne sind die einzigen Gestalten, Die ungeschwächt von aussen in uns walten, Wenn die Erinnerung von allem Leben Will in verzerrten Bildern schon verschweben. — — Die Kinder schreien in der Dunkelheit, Verständge sehnen sich nach Freudigkeit, Und sehnen sich wohl gar nach jenen Schatten, Die sie am Tage übersehen hatten,

Das Loch Die den bewegten Umriß deutlich zeigen Von allem Lebenden, was uns einst lieb, Was in der Phantasie verwischt und trüb, Beseelte Bilder, die, obwohl schon eigen Der Unterwelt, doch an des Lichtes Grenzen Sich noch mit seiner Heiterkeit bekränzen, — So ward einst Nachts das Schattenspiel erfunden Von Liebenden, die sich getrennt befunden, Die Liebe gönnte diese Kunst im Scheiden Als sie erfand den Schattenriß zu schneiden, Der Liebe hat es Scherz bald nachgemacht, Und spricht zu euch in dieser Winternacht: Dies Geisterreich, es sey euch aufgethan, Es bricht die Kunst sich heute neue Bahn In einem Haus, von Pappe auferbaut, Personen h i n t e r Dekorationen schaut. Wer sind die Schatten, kennt ihr sie noch nicht ? Erkennt sie doch am Umriß vom Gesicht 1 — — Da die Gebildeten mit nichts zufrieden, Da sie an allen Künsten schon ermüden, Und da das alte Schauspielhaus verdorben, Die alten Schauspielleut aus Gram gestorben Um die Kritik, die sie so stolz verlacht, So steigen ihre Schatten aus der Nacht, Sie wollen sich vor euch noch einmal zeigen, Sie bleiben euch im Schattenreich noch eigen, Es war ihr einzger Trost im ewgen Leben, Daß ihnen Kritiker heut Beifall geben; Brecht eures Witzes scharfe Spitzen ab, Gedenkt, daß niemand steiget aus dem Grab Gelenkig, zierlich, wie er einst im Leben Die Arme und die Beine konnte heben; Einseitig auch sind Schatten, wie bekannt, Ihr Ansehn wechselt bei des Lichtes Stand, Auch wird zuweilen sichtbar jene Hand, Die sie auf Erden hat zu euch gesandt. — Wems nicht behagt, der komm zu mir herauf, Denn wie ihr seht, ich bin ein Schatten auch, Verbessert mich in meiner Verse Lauf, Und meinen Beinen gebet bessern Brauch, Die Ehre gebe ich der Lust in Kauf, Hier oben könnte mir noch mancher helfen, Doch müßte er hier heulen mit den Wölfen, Und mit dem Eselein das Ja Schrein,

Prolog des Schattendichters Und sich mit kindschem Spiele noch erfreuen. Des Spieles Name schon bedeutsam ist, Es heißt das L o c h , weil, wie ihr alle wißt, Das Loch ein körperlicher Schatten ist, Ein Nichts, das durch die Grenze nur gemessen, Im Lichte ganz und gar vielleicht vergessen, Auch heist's das n e u g e f u n d n e P a r a d i e s , Weil man vom Schauspielhaus so viel verhieß, Doch Rom ward nicht in einem Tag erbaut, Und dieser Tag hat dieses Haus gebaut, Und diese Dekorazion mit Tusch gemalt, Die jetzt auf meinen Wink zu euch hinstrahlt. Seht hier das Kaiserschloß, den hohen Thron, Die Regierungsmaschine steht nicht weit davon, Auf diesem Thurm, da wohnt die Kaiserin In jungfräulichem, sehr betrübtem Sinn, An einen Ritter denket sie im Stillen, Dem sie entrissen ward durch Vaters Willen, Die See ist offen und ein Schiff kommt bald. Da hinten ist der grün belaubte Wald, Doch höre ich da unten ein Gemunkel, Die Farbe dieses Walds sey etwas dunkel: Sprecht nicht von Farben mir, dem armen Blinden, Verlangt nicht mehr, als was ihr könnet finden.

ERSTER AUFZUG I. K A I S E R und KAISER.

KAISERIN.

Nicht wahr, es sitzt sich gut auf dem Thron ?

Ich sitze nicht gern, das wißt ihr schon, Tanzen und Springen war mein Entzücken, Das Regieren will mich gar nicht beglücken.

KAISERIN.

Ja, liebes Kind, man muß sich genieren, Wann man die ganze Welt will regieren, Es ist kein Spas, es fordert Knochen.

KAISER.

KAISERIN.

So ward mir noch nie vom Regieren gesprochen.

Du kennst auch noch nicht die schwersten Pflichten, Du kennst bis jetzt nur die lustgen Geschichten, Wie einer den andern läßt köpfen und schinden, Die Städte verbrennt, den Krieg zu verkünden, Ja wäre es damit abgethan, Da wäre gar mancher ein großer Mann, Doch dann kommt erst das Gesetzegeben, Das greifet dem Klügsten in das Leben. Wenn du in deiner Kammer verschlossen, Da wird die Regierungsmaschine gestoßen, Wie mancher Tropfen Schweiß wird vergossen, Bis wir die Gesetze herausgestoßen.

KAISER.

Kann ich euch bei der Arbeit nicht nützen, Fast fürchte ich mich, hier zu versitzen, Bewegung kann die Gesundheit schützen.

KAISERIN.

Kein Weib hat die Kraft und den hohen Muth, Der die Gesetze recht greifen thut, Oft muß ich ganze Tage drauf lauern, Und dann will wenig Minuten nur dauern Die Kraft der hohen Begeisterung: Sie kommt, sie kommt, entfliehe im Sprung.

KAISER.

Erster Aufzug Ich ziehe mich willig zurück in die Kammer, Doch endet, o Kaiser, des Herzens Jammer, Gedenket, wie langsam die Tage verfließen, Ach, soll ich in Einsamkeit immer büßen!

KAISERIN.

Was kannst du verlangen, was kannst du vermissen, Geh schlafen auf deinen sammtenen Kissen, Und Kasper soll mir heut Spässe aufschreiben, Womit ich dir kann die Zeit vertreiben.

KAISER.

Ich möchte auch gerne ins Freie gehen, Die Ritter der Tafelrunde besehen.

KAISERIN.

Das schicket sich nicht in glücklichen Ehen. Flugs steige die Treppe zu deinem Thurm.

KAISER.

KAISERIN.

Ich arme Prinzessin, ich armer Wurm. Er führt sie %ur Treppe und schließt sie ein. II.

KAISER. KASPER

He Kasper, Tintenklecker, seyd ihr noch nicht fertig. kommt. Ich bin des kaiserlichen Worts gewärtig.

SO schieb die Regierungsmaschine herbei, Ich fühle in mir Begeisterung, Die macht mich wieder in Freuden jung.

KAISER.

KASPER KAISER.

schiebt sie herbei. Die Räder machen ein wenig Geschrei. Ihr müsset die Räder ein wenig schmieren.

Das nennen wir dann das Regeneriren, Das Fett, das geben die Unterthanen, Die Verarmten stecken wir unter die Fahnen, Die müssen für's Vaterland billig bluten.

KASPER.

KAISER.

Das Sterben erfreuet alle Guten.

Nun steht die Maschine uns eben recht, Hier sind die Würfel, sie fallen nicht schlecht, Sie zeigen uns eben recht viele Augen, Da werden die Gesetze zur Aufsicht taugen, Wie alle Steuern rasch einzutreiben, Daß kein Kreuzer in der Tasche kann bleiben. Was wollen wir diesmal die Leut' überraschen.

KASPER.

11

12 KAISER.

Das Loch ES

füllt uns der Geist der Zeit die Taschen.

E S ist eine ganz besondre Laune, So gute Gesetze bricht man nicht vom Zaune.

KASPER.

KAISER.

Nummer neune ist eben der Würfel gefallen.

Da steht ein herrlich Gesetz vor allen: Jede Lichtputz ein für allemal Einen Blaffert zu der Taxe bezahl. Aber Herr, wer nun putzt das Licht mit den Fingern, Da wird sich die Einnahme schmälig verringern.

KASPER.

Finger ? Die sollen auch wie Lichtputze bezahlen, Wir stempeln ein jedes Paar Finger mit Zahlen, Und setzen jedem einen Aufseher dabei, Daß im Gebrauche auch Ordnung sey, Daß kein Paar früher wird abgenutzt, Und daß das Volk nicht der Ordnung trutzt, Und über den Aufseher setzen wir zwei, Damit er thut seine Pflicht dabei.

KAISER.

Da können wir viele Leute anstellen, Da nehm ich von meinen guten Gesellen, Von meinen alten Schulkammeraden, Die kommen mir sonst in Faulheit zu Schaden, Das Stempeln wird etwas den Fingern schmerzen, Doch gute Bürger die leiden von Herzen, Und wir im Dienste des Staats sind frei, So ist es mir eben ganz einerlei.

KASPER.

D U bist ein zweiter Solon, welch Glück, Daß du mir geschenkt durch hohes Geschick, Jetzt wollen wir die Gesetze aufschreiben. Während sie sieb da hinsetzen, tritt die K A I S E R I N ans Fenster des Thurms und sieht aufs Meer nach den Schiffen, die vorüber^Jehn.

KAISER.

III. Winkt mir nicht, ihr flüchtgen Schiffe, Winkt mir nicht, ihr leichten Wellen, Hier an diesem Felsenriffe Seh ich täglich euch zerschellen, Kann mich nicht euch anvertrauen, Mich, die ärmste aller Frauen.

KAISERIN.

Erster Aufzug

13

In dem Herzen wohnt ein Hoffen, Daß Er mich noch nicht vergessen, Reicher Liebe steh ich offen, Träumend hab ich Ihn besessen, Wellen rauscht bei meinen Träumen, Möchte diesen Tag versäumen. legt unter dem Felsen, worauf das Schloß erbaut ist, unbemerkt sein Schiff an und steigt ans Land, Gefährten, haltet euch ganz still in dieser Bucht, Daß ihr bereit zur Gegenwehr und Flucht. So führte mich die Liebe zum Rhabarberschloß, O Mißgeschick — mich trifft dein ganz Geschoß, Du triebst mich erst zu der Hypekakuana, Bis ich dies gelbbraun widerliche Schloß ersah, Und hier muß sie, die Zarte aller Zarten, wohnen, So schrecklich will sich Edelmuth belohnen! Die Edle opferte sich ihrem Landeswohl, Und der Rhabarberkaiser sie der Liebe stohl; Rhabarberkaiser, ärger als Barbar, Sie ist nun dein, schon länger als ein Jahr. Ach wär sie glücklich, mit Vergnügen Wollt ich verzweifeln, doch in Handschriftszügen, Die sie posttäglich in das Vaterhaus gesandt, Hab' ich die Beimischung von Thränen wohl erkannt, Die Tinte war so blaß und keiner konnte lesen, Obs Griechisch oder Deutsch gewesen. Ihr Götter, wie geschieht mir, ach dort steht Die Sonn', von der mein Auge übergeht, Sie übersieht die Wonne ihrer Liebe, Und blendet sich in höhrer Sonne trübe.

D E R RITTER

erblickt ihn und hat die letzten Worte gehört. Vergebens meiner Blicke Blüthe Sich opfert hohem Sonnenlauf, Ich schmachte einsam im Gemüthe, Geht aller Welt mein Glanzbild auf, Und ist mein Auge ganz geblendet, Verschwand die Erd' in Strahlenduft, Da hat mein Sehnen sich gewendet Zu eines Schäfers Schattenkluft.

KAISERIN

Du schwankst in einsam tiefen Schmerzen, Und Schwindel stürzen meinen Blick, O neige dich zu meinem Herzen,

RITTER.

14

Das Loch

Du findest hier ein sichres Glück, Das alte Glück in frühen Tagen, Der Kindheit holde Schäferwelt, Eh du, vor allen hochzuragen, Auf einen hohen Thron gestellt. Wo sind die weißen Lämmerheerden Mit bunten Bändern schön geschmückt, Ein goldner Kerker sollt mir werden, Ein Scepter, der mich niederdrückt, Und eine Krone muß ich tragen, Die beugt mein Haupt noch vor der Zeit, Wenn du, mein Schäfer, nichts willst wagen, Wenn mich dein Muth nicht bald befreit. R I T T E R . O meine Kaiserin, ich bin bereit, Zu großer That, doch ohne Krieg und Streit, Denn dazu bin ich gar nicht ausgerüstet, Wenn mir gleich sehr nach Heldenruhm gelüstet. KAISERIN.

Ja wenn du keine besondre Heldenkraft hast, werther Freund, so kann das viele Hin- und Herreden nichts helfen und du mußt meinem Rathe folgsam seyn, den ich dir in aller Kürze mittheilen will. Mein Gemahl, dem ich nicht vermählt bin, weil er mit der Regierungsmaschine Tag und Nacht spielt und keine Zeit zur Vermählungsfeier übrig hat, braucht einen Thürsteher, erbiete dich zu diesem Dienste, baue dir eine Hütte unter diesem Thurme, breche ein Loch durch die Mauer, so kann ich zu dir herabkommen und mit dir zu den Schäfern nach Arcadien entfliehen, um auf mein Grabmahl schreiben zu lassen: Auch ich war in Arcadien. R I T T E R . Von Eifersflammen muß ich brennen, Ich möchte Mauern und Thürme einrennen, Dich meiner Liebe zu gewinnen, Es schickt sich gar nicht das Besinnen. Er klopft an die Thür.

KAISERIN.

IV. KAISER RITTER.

von innen. Wer klopft ? Wer ist vorm Schloß erschienen ? Ich möchte dem Kaiser gerne dienen.

E S fehlet mir nicht an gutem Gesinde. Doch da ich keinen Thorsteher finde, So mein ich, es könnte der Platz mir passen.

KAISER. RITTER.

Erster Aufzug

15

Wird er auch keine Feinde einlassen? Ich bin ein Ritter von altem Adel, Ich bin der Ritter ohne Furcht und Tadel, Ich bin ein Ritter von der Tafelrund. K A I S E R . Da ist ihm Essen und Trinken gesund. Es ist mir lieb, ich kann ihn brauchen, Wenn er keinen Taback will rauchen. R I T T E R . Ade, geliebte Pfeife, ich werf dich ins Meer, Meinem Kaiser zu Ehren, rauch ich nicht mehr. K A I S E R . Nun wird er mir ganz zum Thürsteher taugen, Er hat ein paar große gesunde Augen. Er kann sich gleich hier ein Wachthaus bauen, Daß er die Straße kann fleißig beschauen. R I T T E R . W O aber soll ich einen Maurer finden ? K A I S E R . Der Kasper ist Maurer vom reinsten System, Läßt Kalk sich bezahlen und nimmt nur den Lehm. Die Steine könnt ihr vom Felsen brechen, Ein altes Dach kann ich euch versprechen, Der Wald steht voll Bäume in Morgengefühlen, Draus könnet ihr schneiden Balken und Dielen, He Kasper, bind deine Schürze mit dem blauen Bande um, Was machst du für Zeichen und stehst da so stumm. KASPER bringt ein Glas und klopft damit auf den Tisch, drückt dem Ritter die Hand, macht seltsame Sprünge, dann spricht er %um Kaiser. Er ist kein Maurer, ich wollte drauf schwören, Er will mir auf alle meine Zeichen nicht hören. K A I S E R . Laß deine Sprünge und deine Zeichen. Du mußt hier Steine und Holz ihm reichen, Du mußt ihm helfen ein Häuschen bauen, Damit er kann auf die Straße schauen. Ab. KAISER. RITTER.

V. Nun lieber Hofrath, greift rasch zum Werke. K A S P E R . Ach hätt ich nur Schnaps, noch fehlt mir die Stärke, Ich habe mich heute so müde regiert, Ein neues Gesetzbuch zu Ende geführt. R I T T E R . Das nenn ich ja recht im Großen spaßen, Da mag das Volk euch hier weidlich hassen. RITTER.

16

Das Loch

Das Volk ist in uns, wit sind im Volke I Das Volk ist eine ungestaltete Wolke, Ich und der Kaiser, wir sind die Winde, Wir blasen bald stark und bald gelinde, Und wenn wir einander entgegenblasen, Da stehet sie stille mitten im Rasen.

KASPER.

RITTER.

Das schiene mir noch besonders gescheidt.

Auch ist es das Beste in unsrer Zeit, Wer stehen bleibt, kann der andern lachen, Die fielen und sich die Hälse brachen. Nun seht nur, wie bei Regierungsgedanken Die Arbeit sich fördert, vereint sind die Blanken, Der Dachstuhl beendet, mit Ziegeln behangen, Jetzt thuts mir recht nach Ruhe verlangen.

KASPER.

Das Haus ist gut, jetzt möcht ich nur noch, Daß du mir stießest in den Thurm ein Loch.

RITTER.

Wozu denn das? Da kämen wir ja Dem Bette der hohen Kaiserin nah.

KASPER.

Ich möchte so gern die Kaiserin sehen, Der Kopf soll ihr nicht auf dem Rumpfe stehen, Sie soll ihn nach Gefallen, um ihn zu kühlen, Herunter nehmen und damit spielen.

RITTER.

Das ist ja erstaunlich, das muß ich gestehen, Das Wunder möchte ich gerne ansehen. Er hält sie so heimlich, daß keiner sie sah, Ich meinte schon oftmals, sie sey gar nicht da.

KASPER.

Dies Spiel mit dem Kopf solls eben seyn, Warum er niemand zu ihr läßt herein.

RITTER.

Ich muß sie sehen, ich breche das Loch, Es koste mein Leben, ich thue es doch.

KASPER.

RITTER.

Das Loch ist schon fertig, o Glück sie zu sehen.

Ich kann an dem Kopf nichts besondres sehen, Ich möchte ihr einen Stoß mit der Kelle geben, Ob ich ihr könnte den Kopf abheben.

KASPER.

Er ^erbaut ihn mit dem Schwerdt. Du wolltest sie schlagen, du dummer Tropf.

RITTER.

Erster Aufzug beide Hälften schreien. Ich will nur probiren den Kopf. Ich will nur probiren den Kopf.

KASPERS

Ich bin verwundert, wo steht mir der Kopf. Je mehr ich Stücken aus ihm mag hauen, Je mehr sie fragen und wollen schauen, Ich will euch stecken in meinen Suppentopf, Den ich für die ganze Schiffskompagnie trage, So läßt er doch endlich die neugierige Frage.

RITTER.

KASPER.

Im Topf. Köpft Kopf 1 Kopf 1

Das klinget wie kochendes Wasser am Feuer, Das will ich ihm gönnen zur fröhlichen Feier. Denn jetzt, wo das schwerste Werk ist vollbracht, Die Liebesflamme gedoppelt erwacht.

RITTER.

VI. von oben. Da will ich eilig zu dir gehen, Sie könnte ausgehen.

KAISERIN

Das fürcht ich selber und rathe zur Eile, Die Liebe vergeht durch die Langeweile.

RITTER.

Ich rutsche durchs Loch, jetzt bleib ich stecken, Die Krone bleibt hängen an allen Ecken.

KAISERIN.

Ich flehe, die Krone rasch abzulegen, Die Kronen sind nicht der Liebe Segen.

RITTER.

Ein edles Herz kann Kronen vermissen, Ich habe sie unter das Bette geschmissen. Ich häng in der Luft, stell dich hier unter, Auf deinen Kopf, da springe ich munter.

KAISERIN.

Mein Kopf kriegt einen gewaltigen Stoß, Mir wars, als schlüg mich mein schwerstes Roß, O wäre der Liebe die Schwere genommen, Sie wäre so leicht zum Himmel gekommen.

RITTER.

Ich fühle mich freudig gen Himmel getragen, Dein Rücken mir scheinet ein himmlischer Wagen.

KAISERIN.

Ich fühle mich wie ein Streiter munter, Es geht mir die Welt in den Röcken unter.

RITTER.

z KOMEDIA XIII

18

Das Loch

Der Kaiser hat mich nie so getragen. Ich möchte ihn von dem Throne verjagen, Der Eifersüchtge ließ mich verschmachten, Den Kaiser muß ich von Herzen verachten.

KAISERIN.

Der Kaiser scheint ein gemeiner Hund, Der gar nicht paßt an die Tafelrund.

RITTER.

Er ist ein alter Krippensetzer, Ich entsage hiemit dem alten Schwätzer, Und schenk dir den Ring, den er mir schenkte, Als er mich mit der Verlobung kränkte.

KAISERIN.

Der Ring hat uns verbunden Zu heimlich selgen Stunden.

BEIDE.

RITTER.

Die Vorsicht soll uns schützen.

KAISERIN.

Die Ohren will ich spitzen.

Daß niemand uns beschleiche, Wenn ich den Mund dir reiche.

BEIDE.

RITTER.

Ich höre etwas gehen.

KAISERIN.

ES

war' um mich geschehen.

Ich hör, daß einer poche, Jetzt eilig zu dem Loche. Die K A I S E R I N steigt durch das Loch nach ihrer

BEIDE.

Kammer.

VII. KAISER RITTER.

von innen. Wie könnt ihr denn die Thüre zumachen ? Ich soll ja des Kaisers Thüre bewachen.

Daß niemand zur Thür hinein soll kommen, Dafür seyd ihr hier angenommen.

KAISER.

Wer weiß, ob ihr nicht des Kaisers Stimme nachmacht, Da werd ich von euch nachher ausgelacht, Will erst durchs Schlüsselloch euch besehen, Eh ich den Schlüssel wage umzudrehen.

RITTER.

KAISER.

Nun sehet nur recht mein kaiserlich Gesicht.

Ich sehe ein dickes Fleisch, das spricht, Jetzt seh ich die Krone, und öffne die Thür.

RITTER.

Erster Aufzug

19

Für diese Vorsicht empfange von mir, Den großen Orden vom Hosenträger, Du scheinest mir gar ein tapferer Schläger. Sag an, hast du nicht den Kanzler gesehen, Ich kann allein die Maschine nicht drehen. RITTER. Er ist gegangen zum dunkelen Wald, Er holt noch Bauholz und kommt wohl bald. K A I S E R . Ich meine, das Haus sey schon beendet. R I T T E R . Es fehlt noch die Kunst, die alles vollendet, Die Widderköpfe an allen Säulen, Die müssen die Ritzen der Balken ausheilen; Wir schmückens in reinem griechischen Styl, Hier koch ich im Topfe der Zierrathen viel. K A I S E R . Der Widderkopf hier, ich muß es gestehen, Thut meinem Rathe etwas ähnlich sehen. R I T T E R . Ein jeder Mensch hat etwas vom Thiere, Damit et sich nicht zu edel aufführe. K A I S E R . Nun sagt mir Freund, ich staune schon lange, Was dort für ein Ringlein am Finger euch prange. R I T T E R . Die liebliche Braut, sie hat ihn geschenkt, Und wie ich ihn küsse, sie meiner gedenkt. KAISER.

Das ist doch gar ein kurioses Ding, Meiner Frau verehrt ich einen gleichen Ring. So ähnlich hab ich noch gar nichts gesehen, Ich muß zu meiner Gattin gleich gehen, Ja nehmt es nicht übel, ein Spas fiel mir ein, Ich werde gleich wieder bei euch seyn.

KAISER.

VIII. Frau Kaiserin, ich reich dir durchs Loch den Ring, Unser Leben am seidenen Faden hing, Gleich leg dich mit Krone und Ring in das Bette.

RITTER.

KAISERIN

von oben. Der Alte soll kommen, er dient zum Gespötte.

tritt in das Zimmer der Kaiserin. Die Kaiserin schnarcht, nur Unschuld kann schnarchen, Die Sünde träumet ganz stille vom Argen, Ich will mit Vorsicht zum Bette hinschreiten,

KAISER

2*

20

Das Loch

Ich möchte nicht gern mit ihr mich streiten, Und manche Leute, wenn sie schnell erwachen, So schlagen sie um sich wie die Drachen, Liebes Kind, ich küsse dir gerne die Hand. KAISERIN.

Ich geb dir eine, die ist verwandt.

Victoria, die Ohrfeig that weh, Doch meinen Ring ich wiederseh, Schon dacht ich, es sey ein Liebeszeichen, Das sie dem fremden Ritter thät reichen. Nun gute Nacht. Ab.

KAISER.

Jetzt bin ich erwacht, Und rufe dir nach, statt Lebewohl, • Daß dich der Teufel hol. Hört, Ritter, der Alte war richtig betrogen, Ein neuer Anschlag sey jetzt vollzogen, Ich ziehe gleich an verkehrte Kleider, Die gute Seite, die kennet er leider, Dann komm ich zu euch durchs Loch ins Haus, Und ihr bereitet da einen Schmaus, Und bittet den Kaiser und ihm erzählt, Ich sey die Braut, die ihr erwählt, Die auf dem Schiffe jetzt nachgekommen, Und euch zum Manne sich angenommen, Er möchte uns segnen mit guten Gaben, Dann können wir auf dem Schiffe abtraben.

KAISERIN.

Du bist gescheidt, mein Herz schlägt munter, Nur komme eilig durchs Loch herunter.

RITTER.

kommt herab. Jetzt ging es leicht, weil ich mich nicht geziert, Gewohnheit ists, was die Welt regiert. Jetzt sorge nur rasch für Küch und Keller, Der König segnet aus Eßlust viel schneller.

KAISERIN

Da haben wir ja den zerstückten Rath, Verzehret stört er uns nicht durch Verrath.

RITTER.

Nein, das ist gegen alles Gefühl, Menschenfleisch ekelt selbst im Schattenspiel.

KAISERIN.

Da find ich noch Krümeln von Schiffszwieback, Wer weiß, ob er die nicht essen mag.

RITTER.

Erster Aufzug S O lade den Kaiser ganz eilig ein, Und bitte ihn selbst um etwas Wein, Der wird uns auf dem Meere behagen, Ich kann die Seefahrt nicht gut vertragen.

KAISERIN.

IX. geht durch die Schloßthüre ins Thronzimmer. O Glück und Wonne in lichter Sonne, O liebliche Luft voll Blumenduft! Luft, die meine Geliebte getrieben, Und in die weissen Segel blies, Die muß ich vor allem auf Erden lieben, Und sie mit schönstem Tone begrüß, Wellen, die meine Geliebte getragen, Und sie gespiegelt in schimmernder Lust, Die seh ich im Meere noch heftig schlagen, So schlägt mir das Herz in meiner Brust, O freundliche Wellen, ihr wollt uns gesellen, O lieblicher Wind, du führtest mein Kind.

RITTER

Ich hab kein Wort von dir verstanden, Ach warum kam der Kasper mir abhanden.

KAISER.

Nun, gnädger Herr, mit dem Dienst ists aus, Ich muß heut wieder zurück nach Haus, Die Braut ist eben mir nachgekommen, Und hat mich gleich zum Manne genommen, Ich wollte euch bitten auf Schiffszwieback Und auf eine gute Prise Taback, Und daß ihr den Wein könnt selber mitbringen, Damit die Gläser recht fröhlig erklingen.

RITTER.

Ich komme sogleich, ich stelle mich ein, Ich meine euch toll, mags selber wohl seyn.

KAISER.

RITTER.

Vergesset nur nicht den herrlichen Wein. Ab. X.

kommt zurück ins Thürsteherhaus. Der Kaiser und der Wein, sie werden gleich kommen.

RITTER

KAISERIN.

Ich schnüre mich auf, ich werde beklommen.

Das Loch

22

Fast habt ihr mich zu solchem Spaße verführt, Wobei ihr nun alle Haltung verliert, Eure Arme fächeln wie Windmühlenflügel, Ich höre den Kaiser, er öffnet den Riegel.

RITTER.

kommt. Nun seyd mir gegrüßet, schöne Braut, Es ist mir, als hätt ich euch sonst schon geschaut.

KAISER

Sie hat ein recht allgemeines Gesicht, Sie ist noch blöde und wenig verspricht, Doch wird sie euch bald viel besser gefallen.

RITTER.

vor sieb. Die Eifersucht will mich schier anfallen. Laut. Ihr habet so etwas in eurem Wesen, Ich hätte euch selber zur Kaiserin erlesen.

KAISER

Ihr wollet nur spotten, ich weiß noch nicht, Wie man zu großen Kaisern spricht, Welcher Fuß im Knien voraus zu setzen, Auch weiß ich von Politik wenig zu schwätzen.

KAISERIN.

Zum Teufel, das Knixen doch endlich laß, Du scheinst ein lebendiges Butterfaß.

RITTER.

vor sich. Meine Weisheit kommt noch heimlich von Sinnen, War meine Frau nicht im Thurme drinnen, Ich glaubte sie in der Braut zu sehen, Vor Neugier bleibt mir mein Herz still stehen, Ob meine Frau im Bette noch liegt, Oder ob sie mich mit dem Ritter betrügt.

KAISER

RITTER.

Mein gnädiger Herr, ihr scheint nicht vergnügt.

Ein Wunsch, mein Fräulein, im Sinne mir liegt, Es spricht so schön euer rother Mund, Mir wäre ein Küßchen darauf gesund.

KAISER.

Das darfst du dem Kaiser nicht versagen, Ein Küßchen in Ehren kann niemand abschlagen.

RITTER.

KAISERIN.

SO

küsset mich, Herr, auf meine Stirn.

küßt sie. Sie schmecket so süß wie die beste Bim. Vor sich. Sie schmecket so ganz wie meine Braut, Ich fahre vor Eifersucht aus der Haut. Laut. Es schmeckte der Kuß so trefflich gut, Er hat mir erweckt mein ganzes Blut, Ich will zum Feste die Kaiserin bringen, Sie soll uns heut was Lustiges singen. Ab.

KAISER

Erster Aufzug

23

XI. Jetzt rasch durchs Loch und umgekleidet, Sonst wird uns der ganze Spas verleidet.

RITTER.

klettert hinauf. Der Kaiser eilet auch gar zu sehr, Kaum kann ich mich legen ins Federmeer. Es sitzet die Krone noch gar nicht fest, Und schon kommt der Kaiser gestapelt ins Nest.

KAISERIN

tritt oben ein. Da liegt sie ganz stille, ich dachte recht schlecht, Das kommt von dem Warnen gegen's schöne Geschlecht, Ich lasse jetzt alle Bücher verbrennen, Worin man ein Weib wagt untreu zu nennen. Laut. Geliebte Kaiserin, jetzt komme herunter, Bei meinem Thürsteher, da ist es munter, Der will, was man nennt, heut Hochzeit machen, Da kannst du mit tanzen, da kannst du mit lachen.

KAISER

O sage, du Herrscher, zu welcher Strafe Erweckst du mich stets aus meinem Schlafe, Es würde sich doch für mich nicht schicken, Daß ich da tanzte mit Domesticken.

KAISERIN.

Das nenne ich gute Zucht und Sitten, Nein, Hoheit, ich will dich darum nicht mehr bitten, Weil du die Etikette verstehst, Du nimmermehr im Gespötte vergehst. Aus dem Zimmer der Kaiserin ab. K A I S E R I N steht auf. Jetzt werf ich die Krone in tausend Stücke, Sie war nur zu meinem Glücke die Brücke. Den Scepter steck ich mir in die Tasche, Wenn ich den Ritter einst überrasche, Daß er sich meinen Befehlen nicht fugt, Damit ihn dann mein Ansehn besiegt. Erfahrung macht uns Weiber klug, Doch klüger macht uns der Betrug.

KAISER.

von unten. Ach, Kaiserin, bist du noch nicht fertig, Ich bin des Kaisers schon lange gewärtig, Und ihr Matrosen, kommt eilig herbei, Und macht von der Abfahrt großes Geschrei. K A I S E R I N kommt herab. Wie ein Schornsteinfeger rutsch ich herab, Und kehre nimmer zu diesem Grab, Zu diesem alten gelben Thurm, Bald spielet mit uns der Meeressturm.

RITTER

24

Das Loch XII.

kommt ins Wachtbaus zurück. Ei, ei, hier war ein Poltern im [Haus, Ich glaube, ihr werdet vertraulich beim Schmaus.

KAISER

Ach leider, wir weinten so bittere Thränen, Der Seufzer will ich gar nicht erwähnen, Die Schiffsleute treiben uns fort von hier, Der Wind sey günstig, sagten sie mir.

RITTER.

MATROSEN

kommen. Der Wind ist gut, Das Schiff ist flott, Auf, junges Blut, Vertrau auf Gott, Er führt uns nah, er fuhrt uns weit, Er führt uns in die Ewigkeit.

Zur Ewigkeit ist eine weite Reise, Ei, bleibt noch hier und trinket euch erst weise, Und dieser Wind wird nicht der einzge seyn, Er bläßt wohl morgen auch noch munter drein.

KAISER.

MATROSEN.

Der Wind ist gut, Das Schiff ist flott, Und wer jetzt ruht, Der wird zum Spott, Wer einen guten Wind versäumt, Der hat sein bestes Glück verträumt.

Ihr seht, mit diesen Leuten ist nicht viel zu spaßen, Sie haben derbe Fäuste zum Anfassen.

RITTER.

Ach Ritter, ich gäbe euch gerne was mit, Euer Fräulein hat Kleider von schlechtem Schnitt. Ich will zu meiner Frau gleich gehen, Die wird sie willig mit bessern versehen.

KAISER.

MATROSEN.

Kein Augenblick Sey mehr versäumt, Des Sturmes Tücke Das Meer jetzt räumt, Und blauer Himmel überall Und aller Vögel Wunderschall.

Erster Aufzug Ja war mein Kasper nur zurück, So störte nichts der Abfahrt Glück, Doch der muß euch erst Pässe geben, Sonst kommt ihr nicht davon mit dem Leben.

KAISER.

vor sich. Ich hol den Kanzler aus dem Topf, Er bleibe bei dem armen Tropf. Laut. Da kommt der Kanzler schon angegangen, Nach Pässen habe ich kein Verlangen, Weil ich sie alle mir selber kann schreiben, So darf ich länger nicht hier verbleiben.

RITTER

Wenns also ist, so fahrt mit Gott, Aufm Meere scheint mein Name ein Spott, Dieweil ich nicht kann die Seefahrt ertragen, So mögen die Schiffer nicht viel nach mir fragen.

KAISER.

So ist es leider, mein gnädiger Kaiser, Doch ihr seyd drüber hinaus als Weiser. Vor sich. Ich kann das eine Bein noch nicht finden, Sonst thät ich den Kanzler ganz eilig verbinden.

RITTER.

KAISER.

Ihr sehet den Kanzler, ich seh ihn nicht.

Jetzt ist er recht nahe euch im Gesicht. Vor sich. Das Bein ist da und auch das Gesicht, Wir müssen fort, noch ehe er spricht. Laut. Nun werdet ihr ihn doch erblicken.

RITTER.

KAISER.

ES

KAISERIN.

will mir wirklich noch nicht glücken.

Er steht ja vor euch so kurz und so breit.

Ich dachte, er kam von jener Seit, Willkommen, du lieber Kasper, mein, Wir sollen nun wieder alleine seyn, Geh, küsse die Hand der gnädgen Frau, Und diesen Wein dem Schiffe vertrau.

KAISER.

KASPER.

Wo ist denn der Kopf, sitzt er jetzt fester.

RITTER.

Ich habe noch nichts getrunken, mein Bester.

Der Kasper spricht ja ganz unverständig, Ich glaube, wir werden regieren elendig! So lebt denn wohl, vergeßt mich nicht.

KAISER.

Das Loch

26 KAISERIN.

Das wäre die allerschlimmste Pflicht.

steigt mit ihr ein. Lebt wohl, mein Kaiser, grüst eure Frau, Wie kommt es, daß sie nicht niederschau.

RITTER

Das dumme Ding kommt nicht ans Fenster, Der Hochmuth macht ihr solche Gespenster, Es ist doch lustig anzusehn, Wie sich die Segel alle drehn!

KAISER.

Aber Herr, die Kaiserin zieht ja fort, Wie kann sie denn sehen aus dem Schlosse dort.

KASPER.

Nicht wahr, sie gleicht der Kaiserin sehr Erst dachte ich auch, daß sie es war, Doch meine Frau, die schnarcht jetzt im Schlosse, Der Ritter war ihr ein schlechter Genosse, Sie liebet so hübsche runde Leute, Wie ich es bin — ich heirath sie heute.

KAISER.

RITTER.

Auf dem Meere. Lebt wohl, eure Braut ich stohl.

KAISERIN.

Allzu lang litt ich eurer Liebe Zwang.

Hat der Wind uns erst ergriffen, Lachen wir des festen Lands, Und dies Lied wird da gepfiffen: Wind, der achtet keines Stands; Ob ein Kaiser unterm Segel, Oder ein gemeiner Flegel, Ist dem Winde einerlei, Keinem Menschen ist er treu, Doch vor allen mag er necken Ehekrüppel, Liebesjecken, Führt einst Helena von dannen, Weiß die Griechen lang zu bannen, Die sie suchen auf dem Meer, Liebe führt er leicht daher, Liebe führt er schnell zum Ziel, Nun Ade, du Possenspiel.

MATROSEN.

Das Schiff verschwindet. KAISER.

Ich werde aus dem allen nicht klug.

KASPER.

Die Kaiserin weiß wohl mehr als genug. Ich will bei ihr nach allem fragen.

KAISER.

Erster Aufzug Ach laßt das in so betrübten Tagen, Wer viel frägt, der muß viel hören, Und schweigen wir, bleiben wir alle bei Ehren, Ich habe doch mehr als ihr ausgestanden, Mir kamen ein Dutzend Glieder abhanden, Und in den andern ist keine Besinnung, Und in dem Kopfe ein großer Sprung.

KASPER.

Ich ahnde schlimme Verwechselung, Die Kaiserin mir vielleicht entsprung ?

KAISER.

KASPER.

Ich meine, ihr habt ganz recht gerathen.

Was soll ich beginnen bei solchen Unthaten ? Mich hält ein jeder künftig zum Narren, Und meinet, ich hätte wie ihr, einen Sparren.

KAISER.

KASPER.

Ich meine, wir schleichen uns sachte fort.

KAISER.

Und sehen aus einem versteckten Ort.

KASPER.

Wer künftig in unserm Schloß wird regieren.

So werden wir auch die Leute anfuhren, Wir sind dann die Narren nicht allein, Ein jeder Bürger wird angeführt seyn. Beide ab in den Wald.

KAISER.

ZWEITER AUFZUG I. A U S den ersten stürmenden Tagen, Wo der glühende Schöpfungswagen Nahe der gährenden Erde fuhr, Steiget die bildende Kraft der Natur, Was sie thut, das muß sie vollbringen, Ohne Freiheit ein Allesgelingen, Denn sie thut nur, was fordert die Noth. Auch der Mensch folgt ihrem Gebot, Seine Gesetze sind ewige Schranken, Seine Träume ewge Gedanken, So entwickelt sich Menschenkraft, Die in spielender Freiheit schafft, Und es geschieht das göttlich Freie, Und er empfängt des Glaubens Weihe. Herrlich ist nur, was frei geschaffen, Was sich versündgen kann und sich bestrafen, Und so steiget im Menschengeschlecht Frei empor, was nichtig und schlecht, Und die Geschlechter wachsen, vergessen, Was sie einst als Höchstes besessen, Lassen die Erde aus ihrer Haft, Wo sie gebunden von Schöpfungskraft, Und sie tritt zerstörend hinaus, Freies Wirken erlischt in Graus.

C H O R DER SCHLOSSGEISTER.

steigt aus der Regierungsmaschine heraus. Verlassen steht der mächtge Thron, Da kann ich sprechen der Welt Hohn, Die Regierungsmaschine ist unbesetzt, O süße Bosheit, wie wirst du ergötzt, Wie will ich spotten der ganzen Welt, Wenn sie in sich selber zerfällt. Ich nehme die Krone, ich nehme das Kleid, Und geheiligt erschein ich der Welt zum Leid, Ihr Menschen, kommet einmal herbei.

D E R TEUFEL

Zweiter Aufzug Sey uns gegrüßt mit Freudengeschrei, In unsern Festen, mit schönen Künsten.

MENSCHEN.

Ihr ehrt mich allein in Feuersbrünsten, Wenn ihr geistige Thorheit vergeßt, Euch unter einander gierig auffreßt, Das Eine ist nur nöthig der Welt, Der Krieg allein mir wohlgefällt, Die Taktick ist menschliche Wissenschaft, Die Kunst ist eine niedere Kraft.

D E R TEUFEL.

Hohe Weisheit. Unsre Kunst war nichts werth, Nur der Waffenklang Menschen belehrt, Fechtet, streitet, wer übrig bleibt, Das Paradies auf Erden beschreibt. Sie fechten.

MENSCHEN.

Ha, wie sie sich im Streit ermüden, Bald haben wir nichts als Invaliden, Jetzt, dumme Thiere, kommt eilig herbei, Ich mache euch jetzt vom Menschen)och frei, Kein Mensch darf mehr euch Ochsen braten, Die Affen dürfen die Menschen heirathen, Die Offenbarung wird abgeschafft, Sie würd' euch schützen, hätte sie Kraft.

TEUFEL.

Wir armen müden lahmen Leute Werden nun sicher der Thiere Beute, Nachdem wir für deinen Thron gestritten, Begeisterung ist uns ganz abgeschnitten.

MENSCHEN.

Wir danken für die Gerechtigkeit, Die uns versaget so lange Zeit, Jetzt wollen wir uns an Menschen rächen, Und ihnen das hohe Genick zerbrechen, Bis sie auch gehen auf allen vieren, Gleich uns andern edleren Thieren.

THIERE.

Ihr kämpft für den größten unendlichsten Wahn, Und große Seelen erzieht große Bahn.

TEUFEL.

Mein gnädiger Kaiser, ich bin so beschämt, Daß ihr mir jetzt die Nahrung nehmt; Wenn ihr die Menschen laßt alle verderben, So muß ich endlich selbst Hunger sterben.

KROKODILL.

30

Das Loch

Das Krokodill hat verständige Art, Ich befehl euch, setzt ihm Menschen apart, Es hat sich immer als Leckerbissen, So nach der Mahlzeit einen zerrissen, Das soll man dem lieben Thiere noch gönnen, Es wird ihm dabei so sauer das Rennen, Das liebe Würmchen ist steif in dem Rücken, Da wußten die Menschen es oft zu berücken, Jetzt soll man die Menschen halten und binden, Da kann es sie nach Gefallen schinden.

TEUFEL.

Mein gnädger Kaiser, ich will Gerechtigkeit, Ich bin der Prügel gewohnt zur Zeit. Mir juckt der Rücken, wenn sie mir fehlen, Da bitt ich euch, dem Menschen zu befehlen, Daß er mir gebe der Prügel so viel, Als mir nöthig nach meinem Gefühl.

ESEL.

Das ist verständig, ich muß es gestehen, Einem jeden Thiere soll seine Lust geschehen.

TEUFEL.

II. KAISER

und

werden von einem A F F E N an einem Strick geführt und müssen Kunststücke machen.

KASPER

Aufgeschaut, ihr lieben Thiere, Seht, wen ich am Stricke führe, Die beiden kleinen dicken Leute, Die fand ich im Walde mit großer Beute, Der eine trug eine goldne Krone, Die trage ich jetzt zu seinem Hohne.

AFFE.

E S sind ja unbegreifliche Dinge, Daß ich nicht befehle und daß ich mich zwinge.

KAISER.

Es muß sich alles geändert haben, Während wir nach den Trüffeln gegraben.

KASPER.

Ihr Herren, wenn es euch hier nicht gefällt, So hab ich noch drunten die Unterwelt, Der Eingang ist die Regierungsmaschine, Wollt ihr besehen die höllische Bühne.

TEUFEL.

Zweiter Aufzug

31

Ich will gar gerne zum Höllengraus, Damit ich nur komme zur Welt hinaus, Ach hätt ich geglaubt, daß solche Noth In aller Welt um das tägliche Brodt, Ich hätte sicher mit Fleiß regiert, Und kein so faules Leben geführt.

KAISER.

Jetzt ist es zu spät, jetzt geht nur hinein, Wo ihr ins künftge sollt ewig seyn.

TEUFEL.

steigt in die Maschine. Ich sage euch meinen verbindlichsten [Dank, Doch finde ich etwas enge den Gang.

KAISER

Eure gute Braut mußte durch ein engeres Loch, Eh sie aus eurem Schloß zur Freiheit kroch.

TEUFEL.

Der gnädige Kaiser mit seinem Bauch Verstopft mir den Gang, das ist kein Brauch.

KASPER

Was brachst du ein Loch, die Kaisrin zu sehen, Jetzt mußt du länger im Dunkeln stehen.

TEUFEL.

KASPER.

Seine Majestät bleiben hier schlafend stecken.

TEUFEL.

SO

mußt du ihn mit Fußtritten wecken.

Jetzt rollet er ganz glatt herunter; Es ist hier in der Hölle doch munter.

KASPER.

III. Wir möchten auch gern ein Plätzchen da kriegen, Wir gingen zur Hölle mit rechtem Vergnügen.

MENSCHEN.

Ich will sehn, was ich thun kann, Die Hölle ist nicht für jedermann, Man muß sich Verdienste um mich erwerben, Sonst laß ich euch nicht so leicht hier sterben.

TEUFEL.

Ach gnädger Herr, dich unsrer erbarm, Die Welt ist kalt, die Hölle ist warm.

MENSCHEN.

Ihr sollet dienend zur Hölle mich fuhren, Zum Zeichen, wie gut ich euch kann regieren.

TEUFEL.

32

Das Loch

MENSCHEN.

Der Siegeswagen ist schon bereitet.

Auf lustig zum Höllenthor niederschreitet. Ade du Welt, voll wilder und dummer Thiere, Es lohnt nicht der Mühe, daß ich dich regiere.

TEUFEL.

TEUFEL

und

MENSCHEN

ins Höllenthor.

IV. Seitdem mir der Mensch kein Heu mehr reicht, Mir alle Kraft aus den Knochen entweicht.

OCHS.

Sonst hatten wir's so bequem im Stall, Nun werden die Bissen mir gar zu schmal.

ESEL.

Ich sinke in meinem Honig unter, Sonst ging mir die Arbeit so rasch und munter.

BIENE.

So soll mich doch Gott davor behüten, Daß ich soll all meine Eier ausbrüten.

HUHN.

Wenn die Hechte nicht weggefangen werden, So bleibet kein Weißfisch hier auf der Erden.

WEISSFISCH.

Mir wachsen so entsetzlich lange Geweihe, Daß ich nach dem Tode mit Sehnsucht schreie.

HIRSCH.

Ich hätte jetzt rechte Lust, dich zu hetzen, Doch ohne Jäger kannst du mich verletzen. Ach kämen die Menschen doch nur bei Zeiten, Wir wollten sie selbst zum Throne leiten, Und wollten mit allen unsern Kräften Sie schützen in ihren Regierungsgeschäften.

HUND.

STORCH. PFERD. OCHS.

Ihr Freunde, ich sehe ein Schiff von weiten. Ach Jubel, da werden die Menschen mich reiten.

Da müssen wir gleich entgegenkommen.

Damit sie sich fühlen gut aufgenommen, Die Eselinnen kleiden sich weiß, Und tragen ein grünes Friedensreis,

ESEL.

Auf weissem Küssen die Kaiserskron, Die locket Menschen auf unsern Thron.

OCHS.

Zweiter Aufzug

33

V. Die

%iehn das Schiff am Mäste gegen das Land, worin der die K A I S E R I N und M A T R O S E N abfuhren.

ENGEL

RITTER,

Ihr sehet nicht die hohe Hand, Sie führt euch zum Rhabarberland, Ihr sollt die Thiere zu Menschen erziehen, Das ist ein göttlich reines Bemühen.

D I E ENGEL.

Ritter, welch Wunder ich euch verkünd, Es geht das Schiff heut gegen den Wind.

MATROSE.

RITTER.

SO

müßt ihr lavieren, das ist das Best'.

MATROSE.

Eine höhere Hand hält uns hier fest.

KAISERIN.

Wir sind verloren an dieser Küste.

RITTER.

Die gute Sache mit Muth dich rüste.

Umsonst ist unser Widerstand, Uns führet eine höhre Hand.

MATROSEN.

Wir sind verloren in diesem Land, Der Kaiser ist sicher von Wuth entbrannt.

KAISERIN.

Ich schütze dich, schöne Kaiserin, Mein Leben geb ich für deines hin.

RITTER.

Ei seht doch, Herr Ritter, den Kreis von Thieren, Sie halten die Krone in ihren vieren.

MATROSEN.

Gewiß war hier eine Staatsaction, Rhabarber herrschet nicht mehr auf dem Thron.

RITTER.

Als Redner bin ich hier vorgetreten, Ihr guten Menschen, seyd freundlich gebeten, Hier anzulegen. Steiget ans Land, Nehmet die Krone aus meiner Hand, Wir fürchten, sie möchte noch endlich platzen, Wenn wir drauf tappen mit unsern Tatzen.

ESEL.

Ich setze sie meiner Frau auf das Haupt, Die ihrer Krone durch mich ward beraubt.

RITTER.

Wir schwören euch Treue, daß alles schallt, Und illuminiren den ganzen Wald, Es lebe der Kaiser, die Kaiserin, Wir gehorchen euch in treuem Sinn.

THIERE.

3

KOMEDIA x r n

34

Das Loch

Nun saget mir doch, ihr lieben Thiere, Wie kommts, daß ich keine Menschen verspüre.

RITTER.

Den Kaiser, den Kasper, die Menschen alle Hat der Teufel gelockt in eine Falle; Sie gingen in die Maschine hinein, Der Himmel weiß, wo sie jetzt mögen seyn.

ESEL.

Ihr Freunde, nehmt die Regierungsmaschine, Sie hat vernichtet alles Freie und Kühne, Und werfet sie in das tiefe Meer, Damit uns kein unnütz Gesetz mehr beschwer, Dann leben wir hier wie im Paradies, Das uns der Himmel nach Leiden verhieß.

RITTER.

In deiner Lieb ist mein Paradies, Wo mich sonst jede Freude verließ. Wir wollen in Lieb und Beschaulichkeit Nun treiben unsere Ewigkeit.

KAISERIN.

MATROSEN.

O selige Fahrt Zum Paradies, Er hat uns bewahrt, Der's allen verhieß.

Wie hat sich doch alles zur Freude gewendet, Ihr Hörer, jetzt klatschet, das Spiel ist geendet.

THIERE.

J O S E P H VON

EICHENDORFF

DAS INCOGNITO oder

DIE MEHREREN KÖNIGE oder

ALT UND NEU Ein Puppenspiel

37

I. Freies Feld.

KÖNIG

mit Krone und Szepter und

NARR

treten rasch auf.

Nimmt denn die Erde kein End einmal! Das Reisen ist mir schon ganz fatal. Gibt's denn nichts Neues ? kein Krieg, kein Kurier ?

KÖNIG.

NARR.

Die Welt schmaucht ihr Pfeifchen beim Glase Bier.

D U wirst auch schon jetzo recht ennüyant, Je mehr du kommst zu Jahren und Verstand.

KÖNIG.

Das lohnte auch noch, ein Narr zu sein, Pfuscht jeder mir ins Handwerk hinein. Man hat nichts voraus mehr mit seinen Gaben, Seit alle Narren Gewerbfreiheit haben. Man hört einen Kanonenschuß in der Ferne.

NARR.

KÖNIG.

Ha, Narr, sag' an, was ist das gewesen ?

Vaterlandsliebe und Gemeindewesen, Sie können den Patriotismus nicht mehr halten, Sie sahen vom Turme uns dort und knallten.

NARR.

Wahrhaftig, schon wieder eine Stadt 1 Ich wette, da gibt's wieder die alte Geschichte: Weiße Mädchen und schwarzer Magistrat, Gute Leute und schlechte Gedichte, Entsetzlich Geschrei, das man Vivat nennt — Man kann nicht treten vor Kompliment — Das halt' der Teufel aus, Gott's Sapperment! Da werf' ich von mir Krön', Szepter und Talar, Will auch ein Mensch sein ganz und gar, Laß' die Chausee gradaus immer laufen, Will im Wald vom Regieren verschnaufen. In diesen neuaquirierten Provinzen Sah noch niemand weder König noch Prinzen, Da sollen unschuldige Hirten Ungekannt ihren Herren bewirten, Ich will auf Erden Um mein selbst geliebt und geehret werden,

KÖNIG.

Das Incognito

38

Incognito schneiden in zarte Rinden Meinen Namen mit der Krone auf alle Linden, Daß einst die künft'gen Geschlechter lesen: Das ist ein philosophischer König gewesen! Ab. Da ist er durch Strauch und Nesseln gebrochen, Als hätt' ihn eine Bremse gestochen. Hier liegt noch Krön', Szepter, das freut mich nicht wenig. Macht er den Narren, so mach' ich den König. Er schiebt Krön und Szepter in den Schubsack und singt. O kluge, kluge Welt, wie fein Deine Schellenkappe klinge, Kluge Welt, sollst mein Hofnarr sein. Fang' an deine lustigen Sprünge! Ab.

NARR.

II.

Platz

am

Tore einer kleinen Stadt, viel Volk durcheinander, und der

BÜRGERMEISTER.

PAPHNUTIUS

BÜRGERMEISTER.

Platz da! Der Herr Kommerzienrat!

Nun wie ich euch sage, der Potentat Kommen incognito in die Stadt Gleichwie ein Hirt unter seinen Rindern Zu den geliebten Landeskindern.

PAPHNUTIUS.

Da wird man ja ganz im Kopfe verwirrt, Rinder, Hirt, König und Hirt und nicht Hirt, Als war' ich selber meine eigne Frau Schwester!

BÜRGERMEISTER.

Das nennt man so diplomatisch, mein Bester: Der König nennt Graf sich und lächelt ein wenig, Wir aber verneigen uns untertänig Und lächeln und tun, als ob wir's glauben, Er tut, als glaubt' er, daß wir's glauben Und so aus Lächeln und solchem Glauben Und Gegenglauben, an den niemand glaubt, Bestehen die Staaten überhaupt1. —

PAPHNUTIUS.

Der König muß gleich kommen, man Hört schon in der Ferne den Wagen rumpeln.

ERSTER ( B Ü R G E R ) .

1 Die folgenden Verse bis »Freut euch des Lebens« sind von Eichendorff im Text gestrichen.

39

II

Frisch die Rosen und Vergißmeinnichts auf den Weg [gestreut I

ZWEITER. DRITTER.

Haltet den Galgen fest.

VIERTER.

Galgen I 's ist ja das Triumphtor — Platz da! Hurrah, vivat hoch!

SECHSTER. ANDRER.

Kommt er geritten, gefahren oder gegangen ?

DRITTER.

Nichts von allem, incognito kommt er.

VIERTER.

Die Hirten sagten's, so reist er prompter.

FÜNFTER.

WO

ist die Lampe, der Opferaltar ?

SECHSTER.

Und die Jungfern mit den Kränzen im Haar?

SIEBENTER.

Sie haben ihn im Gedränge umgestoßen —

ACHTER.

Und sich die weißen Kleider mit öl begossen.

GYMNASIAST. NEUNTER.

Phoebus, mit rosenwangigen Rossen

Macht dem Platz 1 Der memoriert 1

Aha, der Schüler, der den König salutiert. Man kann ja hier vor Menschheit nicht treten. — Kurz, und wenn sie mir die Kehle vernähten, Incognito oder nicht, Ein Patriot doch in Vivat ausbricht, Ihr wißt schon, ich bin immer so grade aus. Man hört draußen ein Posthorn.

ZEHNTER.

BÜRGERMEISTER.

Da kommt er. Jetzt schmettert, ihr Flöten, Blaset die Baßgeigen, streicht die Trompeten!

BÜRGERMEISTER.

Tusch. Währenddeß tritt der

NARR

in einfacher Reisetracht durch das

Tor berein. GYMNASIAST

den Paphnutius anredend. Phoebus mit den rosen-

PAPHNUTIUS

ihn %um Narren wendend. Hier herum, Narr!

NARR.

Narr? Narr? — ja so — ich dachte schon gar.

GYMNASIAST.

Ha, den schwarzen, den roten, den weißen!2 Gemeint sind die verschiedenen Klassen des Adler-Ordens.

NARR. 2

Greif' dir im Fluge die Adler, sie reißen —

40

Das Incognito

GYMNASIAST. NARR.

ES

bleibt dir einer im Knopfloche hängen I

GYMNASIAST. NARR.

Auf zu den Sternen dich aus dem Engen!

Ja, nicht vergebens —

Freut euch des Lebens! 3

GYMNASIAST.

Manneskraft blüht I

Wenn noch das Lämpchen glüht I Er faßt den Gymnasiasten begeistert bei der Hand. Und für alle diese Tugend Will die edelmüt'ge Jugend Rührend nichts, als Brot, Brot, Brotl Aber ich sage: wer auf Leben und Tod Nur befolgt jene ewigen Lehren, Dem wird man auch Butter aufs Brot bescheren, Ja, schmiere nur, junges Blut, Im Alter schmeckt es gut! Unauslöschliches Hurra. P A P H N U T I U S . Woll't Ihr mit hohem Fuß mein niedres Haus [beglücken? NARR.

NARR.

Ja wohl, Paphnutius, ich möchte gern frühstücken. Alle ab. III.

Rasenplatz vor einem Dorfe*. Bauernhochzeit. Tanz und Gesang. REIGEN.

Wir dampfen, Im Stampfen, Und nimm es nicht krumm, Dein Bengel Mein Engel Der schwenkt dich herum.

3 Parodie auf das Gedicht des Schweizers Johann Martin Usteri (1763—1827), das zuerst im Neuen Schweizer Museum erschienen war (1793) und rasch zum Modelied wurde (vertont von Hans Georg Nägeli, 1773—1836). Eichendorff benutzt es gern zur Verspottung philisterhaften Lebens; vgl.: Die Freier II, 2 (Werke u. Schriften, hrsg. v. G. Baumann u. S. Grosse. 1959. Bd. 1, S.937). S. auch: Leif L. Albertsen, Freut Euch des Lebens. Das Schicksal eines Gassenhauers in der Literatur. In: GRM Bd. 47, 1966, S. 277-283. 4 Diese Szene liegt im Entwurf auch als Zigeunerlager vor, in das sich der Großherzog mit dem Regenschirm verirrt (vgl. Weichberger, S. 6if.).

41

m

der sich lustwandelnd nähert. Oh, ein bukolisches Vergnügen, Zwei Herzen, die einander kriegen!

KÖNIG

Ein

BURSCH

und ein

MÄDCHEN

treten rasch aus dem Tan%.

ER. DU sollst nicht nach den Burschen schaunl SIE. Und du nicht nach den jungen Fraunl ER. Ich laß' mich unter die Soldaten werben I SIE. Ich werd' drum nicht als Jungfer sterben. Die zanken ja recht grob und laut. Wer bist du, holdes Kind?

KÖNIG.

SIE.

Die Braut.

Braut? D u ? Ei, ei — ha, ich verstehe — Ein harter Vater — gezwungne Ehe Du kannst den Jüngling dort nicht lieben?

KÖNIG.

SIE. Warum nicht ? Hat 'nen hübschen Hof da drüben, Drei bunte Küh und ein fettes Schwein. Ach, das ist ja ganz gemein. Hymen, nur Seele an Seele reiht er —

KÖNIG.

SIE. Da kommt der Vater, mit dem gackelt weiter. Läuft fort. KÖNIG

zum Vater. Hört, aus der Partie wird nichts, ihr Herrn!

Oho, ein fremder Lustigmacher, Die wittern den Hochzeitsbraten von fern.

VATER.

KÖNIG.

Zärtliche Herzen, sie sind nicht zum Schacher.

VATER.

ZU

KÖNIG.

Des Starrkopfs Tücken hier will ich wandeln.

E I N BAUER.

schachern? Topp, Judel heut kauf' ich gern!

Wie ? Mit Kopfstücken will er handeln ?

KÖNIG.

Ja, ich verlange höh're Gesittung —

VATER.

Was! und darüber verlangt er noch Quittung ?

KÖNIG.

Hoch in der Luft —

BAUER. KÖNIG.

Wo?

Walten und schlummern —

42

Das Incognito siehst du Nummern?

VATER.

WO

KÖNIG.

Was denn? Bei Gott, da kommen sie an.

BAUER.

und T Ä N Z E R plötzlich nach allen Seiten auseinanderstiebend. Die Nummernjäger I rett' sich, wer kannl

BAUERN

Was kommt denn da für ein entsetzlich Schnattern ? Die Luft wird dunkel, Papiere flattern. Fliegende Hefte im Wind, hinterdrein die N U M M E R N J A G D .

KÖNIG.

Das ist fürwahr jetzt ein unruhig Wetter, Der Wind verwirrt uns die zahmsten Blätter.

ERSTER JÄGER.

Das müßige Volk hat da auch noch Zeit Zu Narreteien und Lustbarkeit 1 N u n ja, nicht rechts und nicht links geblickt, Gestoßen, gehascht und aufgespickt, Der hohen Bestimmung nicht vergessen 1

OBERJÄGERMEISTER.

ZWEITER JÄGER.

Das ist einmal ein Aktenfressen.

Da seht, ein kapitales Stück, An die zweihundert Folien dick!

DRITTER JÄGER.

Halt, halt! ich seh's an den Tintenfässern, Sind meine Leut', die die Welt verbessern.

KÖNIG.

Wer ist allhier denn so verwegen, Sich dem Geschäftsgang in den Weg zu legen ?

OBERJÄGERMEISTER.

Gewiß ein Poet, so ein Allotrientreiber. Seid nützlich, Mensch, engagiert euch als Schreiber.

ERSTER JÄGER.

Aber so hört' doch — ein Herz bricht vor Leid, Ein tyrannischer Vater, der zum Himmel schreit —

KÖNIG.

O B E RJÄGERMEISTER.

Ach was da, wir haben keine Zeit!

Platz hier, halt' das Gemeinwohl nicht auf 1 Für König und Vaterland, hurra, frisch drauf! Sie stürmen weiter.

D I E ANDERN.

steckt den Kopf vorsichtig aus dem Gebüsch hervor. Ich trau noch nicht recht, ist's wieder vorüber ?

E I N BAUER

Aber, was war denn das eigentlich, mein Lieber? Das trampelt ja über Beete und Saat —

KÖNIG.

IV

43

Man nennt das hier zu Lande den Staat, Das pflegt so manchmal heraufzurucken Wie Hagel und andre Kalamität Man muß sich eben ein wenig ducken, Und nur nicht mucken, es kommt und geht Und bleibt am Ende alles beim Alten.

BAUER.

Ich glaube, ihr seid hier alle verdreht. Ich kann vor Verwunderung den Kopf noch nicht halten.

KÖNIG.

REIGEN

wieder hervorbrechend. Jetzt hampelt Und trampelt Von frischem herum 1

Und auch der Tanz da, das wilde Schwenken, Gar keine Grazie in den Gelenken!

KÖNIG.

REIGEN.

Wer schwatzt da ? He, Platz dal Wir rennen dich uml Der König wird tankend von der Bühne gedrängt. IV.

Kirchhof. Vor Tagesanbruch, im Felde, man hört aus der Ferne Getöse, Lärm und zuweilen ¿¡abwischen Gesang herübertönen. Währenddes ruckt und hebt sich hier und da der Boden. draußen. Licht! Licht! Licht! Licht! Der Geist durchbricht! Dem Menschengeist Verehrung! Hai Auf! auf, auf — B I E S T E R 5 sich ungeduldig herauswühlend duckt plötzlich mit der Schlafmütze auf dem Kopfe empor und schreit. Aufklärung I — Ich weiß nicht, ist mir noch so wüst im Kopf, Als hätt' mich jemand plötzlich erwischt beim Zopf. Er sieht sich nach allen Seiten um. 'S ist aber doch noch recht eklig finster, Das sind gewiß so Jesuitengespinster. KRIEGSGESANG

6 Johann Erich Biester (1749—1816), Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift, die seit 1799 als Neue Berlinische Monatsschrift (bis 1811) erschien.

44

Das Incognito

ttoch im Boden. Jesuiten ? Ei, die soll — sieb emporreckend Philosoph noch ein jeder Zoll!

NICOLAI6

BIESTER.

Ah, Herr Kollege, auch schon wach?

sieb die Augen reibend. Mir war's, der Zeitgeist kräht vom [Dach. Ich hört' unsre Stichwörter durch die Luft fliegen, Da mag der Teufel länger im Grabe liegen. B I E S T E R . Die Herren Romantiker sagen, Sie hätten uns alle totgeschlagen, Ja, gehorsamer Dienerl — NICOLAI

SEBALDUS N O T H A N K E R 7

auch ebenfalls aufduckend. Ganz ergebenster Knecht.

BIESTER.

Ih, unser würd'ger Herr Magister, seh' ich recht.

Geht's wieder los ? Hab' schnell schon meine Perücke [genommen. Hatt' da mein ruhig Unterkommen.

NOTHANKER.

draußen. Nationen etc. — Tand I Welt, mein Vaterland I

GESANG

Schon wiederI Was soll das nur bedeuten? Das sind gewiß von unsren Leuten.

BIESTER.

Wachtfeuer — Seh'n Sie dort den Schimmer ? Fort, fort, dem L i c h t e nach wie immer. Alle ab.

NICOLAI.

V. Vor Tagesanbruch. Freies Feld. R A L F , K U N Z und andre S O L D A T E N liegen um Wachtfeuer. Ein O F F I Z I E R steht gedankenvoll im Vordergrunde, auf seinen Regenschirm gestützt. RALF. KUNZ. 6

Vom Tage noch immer keine Spur. Was Wunder! wir steh'n ja hier auf der Vorhut der Kultur.

Friedrich Nicolai (1733—1811), Haupt der Berliner Aufklärung; in seinem Verlag erschien Biesters Monatsschrift; wegen seiner »Jesuitenriecherei« und grotesker Versuche des Exorzismus mittels Blutegeln von Goethe in Faust I (Walpurgisnacht) als Proktophantasmist verspottet (V. 4i44ff.). Den Romantikern dient er als Urbild des Philisters; Arnim, Schlegel, Brentano und Tieck griffen ihn verschiedentlich satirisch an. 7 Titelfigur von Nicolais Roman »Leben und Meinungen des Herrn M. Sebaldus Nothanker (3 Bde 1773—1776).

V

45

RALF. Nur Nachtvögel durch die Nebel jagen. Sie wittern's, ihr letztes Stündlein hat geschlagen; Wären sie nie geboren, ihnen wäre wohl.

KUNZ.

OFFIZIER8

halbfür sich. Außen morsch, pfui, pfui, und inwendig hohll

SOLDATEN

singen in der Ferne. Von der Welt die Freiheit verschwunden

Fragst du nach Religion zu dieser Frist: Man nennt dir Mohammedaner, Juden, Christ —

[istl®

OFFIZIER.

SOLDATEN

singen. Man sieht nichts als Herren und Knechte I

Ha, bin ich denn allein hier der Gerechte ? Weh! Warum muß ich von allem Wehe wissen, Das mich, wie tausend Morde, hat zerrissen ? Die Erde bis in den tiefsten Kern zerspalten — O unglücksel'ger Atlas, sie zu halten 1 10 Und nun fängt's gar noch an zu regnen, Ha, auch noch dies muß mir begegnen!

OFFIZIER.

Indem er verzweifelt

BIESTER, NOTHANKER

den Regenschirm aufspannt, kommen N I C O L A I , etc. Er stößt sie auf die Seite und schreitet tiefsinnig weiter.

E i seh't doch, trägt eine Brille der Fant Und hätt' uns doch fast umgerannt.

NICOLAI.

RALF

sie anrufend. Halt! Wer da? Etwa gar romant-?

NICOLAI. BIESTER. NICOLAI

Ih, daß uns doch Zeus davor behüte! Warum nicht gar noch Jesuitel

noch immer entrüstet dem Offizier nachsehend.

Aber was war denn der Herr Leutnant so echauffiert ? Das kommt so, wenn man sich übermarschiert, E r hat wieder seinen Anfall von Weltschmerz, Das ist so eine Art von Heldscherz. Aber jetzt macht euch nicht so breit hier! Parol und Feldgeschrei! Wer seid Ihr?

KUNZ.

8

Persiflage auf den Typ des Zerrissenen und Weltschmerzlers. vgl. Schiller, Wallensteins Lager: »Von der Welt die Freiheit verschwunden ist, | Man sieht nur Herren und Knechte« (Reiterlied). 10 vgl. Heinrich Heine, Die Heimkehr Nr. 24: »Ich unglücksel'ger Atlas I eine Welt, / Die ganze Welt der Schmerzen muß ich tragen«. 9

46

Das Incognito

NICOLAI. Weltbürger. Hörten im Feld euer Geschrei, Schien uns viel Verstand dabei, Da nahmen wir geschwind unsere Perücken, Um euch brüderlich die Hand zu drücken. RALF. Wer ist denn die ? — aus dem Fräuleinstift ? BIESTER. ES ist unsre blaue Monatsschrift 11 , Etwas verblüht schon und zerlesen, Dünn und verschossen, das liebe Wesen. S O macht ihr doch eine neue Ode So von Rokoko, das ist jetzt wieder Mode 12 .

KUNZ.

D I E BLAUE

pikiert. Frag' nach Odenschneidern nichts, noch [Dichtern.

RALF. Die Mamsell ist gar nicht schüchtern. BIESTER. Ihr Herren, wir schliefen da unter den Bäumen, Da fingen wir an, bedenklich zu träumen Mit allerhand Visionen und Gesichtern — Ich sehe hier die Kaffeekannen schäumen, Wenn's erlaubt ist, — das macht hübsch nüchtern. Sie setzen sich alle um das Feuer

den Soldaten.

NICOLAI. Aber sagen Sie doch, verehrliches Korps, Was haben Sie allhier denn eigentlich vor? RALF. Seh'n Sie dort drüben die alte Stadt Sich finster in der Dämmrung türmen ? NICOLAI. Ja, etwas finsterlich und platt. RALF. Die wollen wir stürmen 1 BIESTER. Da rat' ich doch, vorsichtig und bedächtig. RALF. Ei was 1 Der Fortschritt ist allmächtig. KUNZ. Das Große schafft sich selber Bahn. NICOLAI. Aber was hat Ihnen denn die Stadt getan? vgl. Anm. 5. vgl. Eichendotff, Prinz Rokoko. Werke a.a.O. Bd. 1, S. 176; W. Rehm, Prinz Rokoko im alten Garten. In: W. R., Späte Studien. Bern, München 1964. S. 122-214. 11

12

V

Drinn wohnt die alte gute Zeit, Wir denken, und sie essen — das tut uns leid. Sie sitzen gähnend um ihre Fleischtöpfe, 'S ist eine Schande, und tragen noch Zöpfe, Wir haben nichts und sie sind reich, Wir überfallen sie und machen alles gleich.

RALF.

Hört Ihr die Nachtigallen schlagen ? es rauschen Die Springbrunnen in den Gärten — da lauschen Hinter ihren seid'nen Gardinen im Schlummer Die Aristokraten und werden immer dummer.

KUNZ.

Wir lassen in den Gärten die verschnittnen Hecken Nach allen Seiten sich in die Freiheit strecken, Die Wasserkünste sollen wieder vernünftig fließen, Das Vieh tränken und überrieseln die Wiesen.

RALF.

BIESTER

entzückt. Jeder wieder frei des eignen Kohles warten.

NICOLAI

ebenso. Ja, alles Ein Weltgemüsegarten I

RALF.

Horch't, die Morgenglocken schon herüberhallen.

KUNZ.

Das ist des Mittelalters Lallen.

RALF.

Wir machen Lokomotiven aus ihren Metallen.

KUNZ.

Die Vernunft liest Messe und die Kirchen fallen!

Himmel, diese Laute — Wie alte Vertraute —

D I E BLAUE.

Zu Ralf.\ Kunz Sind Sie nicht aus der RALF.

den andern

Residenz?13

Ja, das Mir und Mich.

BLAUE.

Wo der viele Sand ?

Und der große Verstand. Ja, dies Gefühl ist keine Lüge, Diese Familienzüge —

KUNZ.

BLAUE.

NICOLAI.

Diese kritischen Nasen —

BIESTER.

Die prächtigen Phrasen.

13

Berlin.

48

Das Incognito

A n mein HerzI Ihr seid meine Kinder und da auf Nicolai deutend Euer natürlicher Papa.

BLAUE.

Das ist ja rührend, wir dachten immer, Wir hätten uns selber erschaffen.

RALF.

BLAUE. KUNZ. BLAUE.

Durch die Aufklärung — ohne Ehe. Ich verstehe. Nennt mich nur Tante.

NICOLAI.

Doch wer stört da die Familienszene ?

Herr Onkel, ich höre wütend sprechen, Es sind zwei Duellanten, die da den Tag anbrechen.

RALF.

FREIMUND14 KUNZ.

draußen. Nicht weiter hier, nicht einen Fußl

Da hat gewiß unser Regimentsdichter wieder Verdruß.

FREIMUND

und W I L L I B A L D 1 5 stürben miteinander fechtend herein.

Wart', jetzt streck' ich doch, ich wette, Nieder dich mit dem Sonette!

WILLIBALD.

Der Jambe ist ein Dolch zum Streiten, Aus Begriffen Von beiden Seiten Scharf geschliffen, Die eine kritisch, Die andre politisch 1

FREIMUND.

WILLIBALD.

B a h , das ist n i x

Hier ein Spondäus fix! Da parier' einmal Dies Madrigal 1 Längst stumpf und schal! Mein Arm ist Stahl. Und Stein die Welt versunken, Hau' drein, da gibt's Funken Und Funken geben Licht Und jedes Gedicht Ein Weltgericht!

FREIMUND.

14 Anspielung auf Friedrich Rückert (1788—1866), der 1841 nach Berlin berufen wurde. Unter dem Pseudonym Freimund Reimar waren 1814 seine »Deutschen Gedichte« erschienen. 16 Parodie auf einen romantischen Dichter; Weichberger vermutet Heine, Häusle denkt an Tieck, Meisner gar an Willibald Alexis.

V

49

Göttlich! wie ein antiker Heros ficht er! Dazwischentretend, z» Freimund. Aber genug nun des Gemetzels, Herr Regimentsdichter! Wo trafen Sie den fremden Mann ?

RALF.

Im Felde draußen, er sah die Sterne an; Ich rief ihm zu: er existier' ja nicht mehr! Da meint er frech, das glaub' er schwer.

FREIMUND.

NICOLAI RALF.

auf Willibald deutend. Wer ist denn der mit der Hellebarde ?

Einer von der alten romantischen Garde.

NICOLAI

erschrocken zurücktretend. Herrje! bindet den Kerl! Die [schlagen alles totl

Aber so hört mich doch nur, Schwerenot! Hab' in meiner jungen Zeit In der Waldeinsamkeit Das Waldhorn geblasen. Aber bei eurem Schrei'n und Rasen Die Rehe nicht mehr im Mondschein grasen, Um's Waldhorn sich jetzt niemand mehr schiert, Da bin ich zu euch herüberdesertiert.

WILLIBALD.

Ja, in Ihrer Waldeinsamkeit Haben Sie ganz versäumt die Zeit, Ich hoffe, Sie werden sich noch applizieren. Sie müssen nur tüchtig nachexerzieren.

RALF.

Ja, das kann den Herren nichts schaden, Lebten ins Blaue hinein wie die Nomaden.

BIESTER.

Na, stecken Sie jetzt Ihren Spieß in den Boden, Setzen Sie sich zu uns und holen Sie erst Odem; Dann geht's mit Kriti- und Suitisieren Unaufhaltsam fort ans Emanzipieren: Juden, Fleisch, Weib, Nationen, Wo sie schachern, wo sie wohnen.

KUNZ.

der sich zu ihnen an das Feuer gesetzt. Doch ich habe zu Hause Kinder und Frau Und die Romantik ging jetzo flau, Wenn ich mich lasse anwerben hier, Was geb't Ihr denn als Handgeld mir?

WILLIBALD

4 KOMEDA XHI

50

Das Incognito

Wir pflegen nur in Papier zu zahlen, Ein preisender Artikel in unsern Journalen, Wo du philosophisch wirst entwickelt Und bist du bei uns erst eingeartikelt, Dann lobst du uns wieder, So sind wir Brüder.

RALF.

sich unruhig umsehend. Tout comme chez nous! — Aber ich weiß nicht, hier um's Feuer, E s ist mir da nicht ganz geheuer — Mitten unter uns sind tote Leut'!

WILLIBALD

erschrocken. Sie sind wohl gar nicht recht gescheut! Leise Biester. Die Romantiker gleich jeden Spuk aufspüren.

NICOLAI

BIESTER

ebenso. E r wird uns hier noch kompromittieren.

laut. Meine Herren, Sie wollen uns nur schrauben, Sie werden doch nicht an Geister glauben ?

NICOLAI

BIESTER.

Ha, wahrlich, das ist kolossall

welcher beide genauer betrachtet. Ihr schaut in der Tat ein wenig [fahl. Wollt Ihr mit uns fraternisieren, Müß't Ihr Euch nach dem Zeitgeist modernisieren Fort mit dem Zopf vom freien Rücken! Daß sie uns nicht die Gedanken erdrücken, Hängen wir jetzt an's Kinn die Perücken ä la Gog, Magog —

RALF

WILLIBALD

Demagog oder Ziegenbock 16 .

ALLE plötzlich durcheinander gegen Willibald. Nun, abgeschabt ist auch schon Ihr altdeutscher Rock — Sieht noch durch gemalte Fenster — Des Mittelalters Hexen und Gespenster —• So ein rückwärts gewandter — V o n der Zeit längst überrannter — Ritterlich galanter, hirnverbrannter — RALF. 18

Aber was gibt's denn da?

vgl. Brentano, Gockel, Hinkel und Gackeleia (Spätfassung): »Zeter über Schurrimurri und Gog/Mack, Benack, Magog und Demagog«. Anspielung auf die Demagogenverfolgungen. Gog und Magog vgl. Hesekiel 38, 2; Offenbarung Johannis 20, 7f.

51

V DRAUSSEN.

Hallelujal

Ruhig jetzt allzumal, Unser Frau Generali

KUNZ.

FREIMUND.

Welt, lauschend harre!

tritt rasch auf,, zwei deutsche Jünglinge tragen ihre Schleppe. Heda, eine Zigarre!

MATHILDE

D I E SCHLEPPTRAGENDEN JÜNGLINGE.

Sie schwänzelt so viel hin [und her,

Wir müssen hinter ihr immer kreuz und quer. NICOLAI

leise zu Biester. Wie 'ne alte Jungfer — etwas schofel.

ebenso. Hat im Gürtel einen ungeheuern Pantoffel. Gegrüßt mein Volk, das mich emanzipiert I Schon glüh'n vom Morgenrot der Zeit die Wangen Des freien Weibes, das zum Sieg euch fuhrt; Die gute alte Zeit und was vergangen, — Die Jungfer hat mich heut zu fest geschnürt I — Es hat vor Langerweil' sich selbst erhangen. Ein Orgelstrom von Stimmen fern und nah, Die Nacht geht unter und der Tag ist dal

BIESTER

MATHILDE.

DRAUSSEN.

Hallelujal

Sie glauben mir alles, wie sonst den Pfarren — Zum Sterben ennuyant mit den guten Narren 1 Auch die Zigarre brennt mich an die Nasen — Will Hirtin spielen hier auf dem Rasen. Sie setzt sich auf den Boden. Pfui, das Gras ist naß und die Erde hartl Zu KunzDa breite mir unter deinen frisierten Bart. — Es schmeckt doch nichts recht, wenn man von allem nascht, Die Welt hat nichts mehr, das mich überrascht. Was fang' ich nun mit der langen Freiheit an ? Ich wünscht, Kunz, du wärst ein Tyrann 1 Rück' weiter her, sitz' noch nicht recht — Die Männer sind doch ein recht ungeschicktes Geschlecht.

MATHILDE.

KUNZ. 4*

Bin etwas dick, das Bücken wird mir schwer.

52

Das Incognito

aufspringend. Nein so geht's auch nicht — ein Sofa her! Es wird eilig gebracht. Sie set^t sich. Zu Ralf. Neig' dich als Schemmel meinen Füßen.

MATHILDE

sich vor ihr niederstreckend. Laß mich begeistert deinen Pantoffel küssen, O freies Weib!

RALF

Schafft Zeitvertreib! Soll ich euch hier kommandieren, Um mich so elend zu ennuyieren? Was wird denn heut in der Stadt gegeben?

MATHILDE.

Ein Spion brachte den Komödienzettel eben: »Der Marschall Rückwärts oder wer lacht zuletzt?« 17 Ein altes Stück, nur neu besetzt, Die Baschkiren tanzen ein Menuett darin. M A T H I L D E . Das will ich sehn, da muß ich hin! K U N Z . Aber wie willst du in die Loge kommen ? Wir haben ja die Stadt noch nicht genommen. M A T H I L D E . Ihr seid ja Männer, das ist eure Sache, Berenn't den Wall, überrenn't die Wache, Ich will noch heute auf den Schanzen Mit dem Burgemeister tanzen.

FREIMUND.

Aber wenn man doch keine Leitern hat! Der Wall ist hoch, die Mauern glatt. M A T H I L D E . Jetzt hab' ich eure Flausen satt. So müß't Ihr unterminieren die Stadt, Ich will als Genius durch die Trancheen Mit der Vernunftsfackel ins Theater gehen. V I E L E STIMMEN durcheinander. Punkt Sechs wird ja schon eröffnet [die Kasse, So fix durchtunnelt man keine Gasse. Sie hat so viel Bücher in ihren Poschen, Da bleibt sie hängen in den Approschen. Wir ersticken noch alle in dem Gemüll — RALF.

17

vgl. Rückerts Gedicht »Marschall Vorwärts«: »Warum seid ihr so verstört? Laßt die Felder, kriecht in Wälle, Wenn ihr diesen Namen hört? Marschall Rückwärts! das ist euer Name...«

V

53

ungeduldig mit den Füßen stampfend. Mir alles gleich — aber ich will, ich will! Man hört aufrührerisches Gemurmel. Währenddes kommt der König im eifrigen Gespräche mit mehreren Soldaten eilig über das Feld daher. MATHILDE

KÖNIG. Laßt mich nur erst ein wenig verschnaufen. Wie gesagt: Partikülier aus fernen Weiten, Ich habe mich schon ganz müde gelaufen, Um mit der Zeit recht fortzuschreiten. ERSTER S O L D A T . ZWEITER SOLDAT.

Da kommen Sie ja eben zurecht allhier. Da ist jetzt ihr neustes Hauptquartier.

KÖNIG. Die falsche Freiheit also, wollt' ich sagen — DRITTER SOLDAT.

Ihr Regiment ist nicht mehr zu ertragen I

KÖNIG. Zerbrodelt, was uns die Vorzeit ließ. VIERTER SOLDAT.

Behält sich den Braten und zeigt uns den Spieß.

RALF mit den andern hinzutretend. Als ob wir nicht selber Hunger [hätten! KÖNIG. Nur MutI ich zerbreche ihre Ketten. KUNZ. Ja, Fortschritt ohne historische Krücken 1 KÖNIG. Juste milieu 18 und Völkerbeglücken! ERSTER SOLDAT. U n d freie Presse 1 ZWEITER SOLDAT.

Und deutsche Messel 19

DRITTER SOLDAT.

Jedes Maul ohne Gebiß 1

KÖNIG. Aber so hört doch! Ihr versteht mich ganz miß. RALF. Und emanzipierten Leib! ALLE. Nieder mit dem freien Weib! MATHILDE. Das ganze Volk kommt plötzlich in Trab, Sie treten mir noch die Schleppe ab. 18 Regierungsdevise Louis Philippes; Staatsideal des inneren Gleichgewichts zwischen Monarchie und Demokratie. 18 Eine der Forderungen der sog. »Katholischen Aufklärung«; Heinrich Ignaz von Wessenberg (1774—1860), Generalvikar in Konstanz, führte zeitweise die deutsche Messe ein und gab Andachtsbuch, Brevier und Gesangbuch in deutscher Sprache heraus.

54 KÖNIG.

Das Incognito SO

laß't mich doch nur zu Worte kommen I

ALLE. Sollst unser Führer sein! Frisch auf die Schultern genommen! Sie beben den sich sträubenden König auf ihren Schilden empor und tragen ihn im Triumphe fort. KÖNIG. A b e r ich bin JA hier incognito! GESANG. Hat Zeit, in steter MetamorphoKÖNIG. Lass't mich herunter, ich krieg' den Schwindel! GESANG. Und aus der Windel Reckt sich und wächst die Zeit Hinein in die Ewigkeit! Sie tragen den König fort.

VI. Früher Morgen. Garten des Paphnutius, im Hintergrunde sein Schloß mit Balkon, von dem Stufen hinabführen. PAPHNUTIUS tritt auf. PAPHNUTIUS. Wahrhaftig, da graut der T a g noch kaum. Ich könnt' nicht schlafen auf meinem Kissen, Ich träumt' und träumt' — das war ein Traum! Nun, nun, man kann nicht wissen, man kann nicht wissen — Die das Schicksal machen, die hohen Herrn, Sie sehen auch auf Schicksein gern 20 . Der K ö n i g war kaum angekommen, So hatt' er schon die Lorgnette gekommen: »Es haben mir hier Töchter zu sein geschienen. — « »Nur eine Base, E w . Majestät zu dienen.« Er blickt umher. Der Morgen mich ordentlich in die A u g e n sticht. Ja, wer pries da Jehovahs Allmacht nicht I Die Blumen, die Bäume, Garten und Wiesen Lauter Diamanten, Smaragden und Türkisen, Der Himmel von Dukatengold, auch nicht schlecht — Mein! was hat er davon, 's ist ja doch nicht echt. Ja, im Traum erblickt' ich mich voll Entzücken, 20 Ein entsprechendes Wortspiel bei Arnim, Die Majoratsherren: »Die da ist ein Schickselchen« — »Mein Schicksal? fragte der Majoratsherr bestürzt« (Sämtl. Romane u. Erzählungen. Hrsg. v. W. Migge. 1961fr. Bd. 3, S. 38).

VI

55

Ich mußte mich vor mir selber bücken: A u f der Brust einen Stern von den reinsten Brillanten, So eine Art Hausorden von hohen Verwandten — Unsre Leut' hatten all' die Hüte abgenommen Und zischelten, ob da nicht der Messias gekommen ? Der Offizier, wie er mich so sieht promenieren, Ruft selbst: Heraus 1 Läßt die Trommel rühren Ich nick' ein wenig, die Wachen präsentieren — Er promeniert vorüber; währenddes erscheint der Narr mit Krön und Szepter auf dem Balkon. NARR. Fürwahr, ich seh' recht würdig aus. So tret' ich freundlich denn hinaus, Mich dem entzückten Volk zu zeigen; So — rechts und links mich huldvoll erst verneigen — Aber wer kommt denn dorther so verwegen, Als wär die Welt an ihm gelegen ? im Garten. Genug bin ich nun in die Hütten gekrochen, Da war es schmutzig und hat übel gerochen, Nun will ich an die Paläste pochen — Da steht ja gleich einer. Er klopft an die Schloßtür.

FREIMUND21

NARR.

Herein.

Es scheint mir der König selbst zu sein. Da komm' ich ja eben wie gerufen Und trete keck an des Thrones Stufen.

FREIMUND.

NARR. Guten Morgen, mein lieber Untertan. in erhabener Stellung. Es führt ein Gott hier einen freien [Mann Zu Ihnen, Sir', eh' Sie der Tag verschachtet — Ich stand und sann und eine Träne rann,

FREIMUND

21 Die folgende Szene spielt zunächst auf die spektakuläre Audienz an, die Georg Herwegh am 19. 11. 1842 bei Friedrich Wilhelm IV. hatte. Sie parodiert zudem die Szene Philipp-Posa aus Schillers »Don Carlos« (III, 10). Die Zeitgenossen sahen in der Visite Herweghs beim König schon eine entsprechende Analogie. Nach den Überlieferungen Emma Herweghs soll der Dichter selbst das Zitat »Sire, ich kann nicht Fürstendiener sein« angebracht haben; vgl. auch Heines Gedichte »Georg Herwegh« und »Die Audienz« sowie eine Notiz Eichendorffs: »Freimund spricht immerfort sehr pomphaft, deklamatorisch, idealisch wie Marquis Posa« (Häusle, S. 59).

56

Das Incognito

Denn dunkel war es und das Land umnachtet. O Sire, lösen Sie des Lichtes Bann, Wonach die Menschheit freiheitdürstend schmachtet Und Volkes Schrei wird orgelndes Entzücken! NARR.

ES

FREIMUND NARR.

hängt der Zopf recht stattlich dir im Rücken 22 . erschrocken hinter sich sehend. Zopf? mir?

Und wenn ich dich dran hängen ließe ? —

FREIMUND.

Und richtend Sie die Nachwelt: Narr hieße ?

mit über der Brust gekreuzten Armen. Welt — Nachwelt — ha, papierne Knabendrachen.

NARR

FREIMUND.

O Sire, nicht dies schneidend kalte Lachen I

'S ist so mein gähnendes Hyänenlächeln. — Mich lüstert recht, mit einem Herren Vetter Um der erschrocknen Gauen Los zu knöcheln. Es fragt der Blitzstrahl nicht, wen er zerschmetter', Und über und Völkerröcheln Geht unbekümmert hin das Donnerwetter! — Reich's schriftlich ein, ich wiE dich drauf bescheiden, Nun geh' und laß dir drinn den Zopf verschneiden.

NARR.

für sich. Mir graut zwar nicht vor des Tyrannen Wink, Doch wende ich mich stolz und etwas flink. Er verneigt sich kalt und springt dann hastig in die Schloßtür.

FREIMUND

NARR. Ha, Marquis Posa, der da dithyrambte, Fand'st deinen Philipp, der dich überjambte I wieder unten im Garten erscheinend, den Narr erblickend. Aha, der schwärmt — von jeher ja beliebten, So mit sich selbst zu reden die Verliebten. Ich verstecke mich hier hinter die Ranken Vielleicht spricht er wieder in Gedanken. Er tritt hinter eine Laube.

PAPHNUTIUS

NARR. 22

Da schweift ein Mädchen schon so früh durch's Grüne.

vgl. Chamisso, Tragische Geschichte: »'s war einer, dem's zu Herzen ging, Daß ihm der Zopf so hinten hing« mit dem stereotypen Refrain: »Der Zopf, der hängt ihm hinten«.

VI PAPHNUTIUS. NARR.

Ja, dacht' ich's doch — er sieht die Colombine.

Ich seh' nur Streifen des Gewands.

PAPHNUTIUS. NARR.

57

Ich, Schwiegervater des Vaterlands —

Mein großer Tubus, ha, wo ist er ?

PAPHNUTIUS.

Elefantenorden — Premier-Ministerl —

tiefer im Garten singt. Pensionsanstalt, wie liegst du so [weit, Langweilige Zeitl 23 Vor der Anstalt an der Linde Saß und strickt ich ganz verschneit Von den Blüten — nicht vom Winde, Denn der Abend atmet kaum 'S war der Kasperl auf dem Baum.

COLOMBINE

Kasperl ? — ja so heiß' ich — welcher Ton ? Woher kennt mich die Person ?

NARR.

singt wieder. Rosinen und Mandelkern, Die eß' ich so gern! Warf er mir auf Schoß und Nacken, Ja, da sah der Abendstern Mich so oft zufrieden knacken — Und nun hat er sich verlaufen, Muß mir selbst die Mandeln kaufen.

COLOMBINE

Das ist richtig. Ja, sie ist es ohne Frage, Kenn' die Nachtigall an ihrem Schlage! Er stürmt in den Garten hinab und prellt mit Paphnutius zusammen. Ihr kommt ja grade zurecht wie ein Wechsel auf Sicht 1 Ihr seid doch hier auch auf die Gleichheit erpicht, Runkelrüben und Menschenbeglückung ? PAPHNUTIUS. Ja wohl, mit untertäniger Entzückung. NARR. VortrefflichI die Lieb' gehört auch in dies Fach: Ein Ach, ein Bach, einer Hütte Dach Und zweier zärtlicher Herzen Vereinung —

NARR.

PAPHNUTIUS.

Bin ganz derselben hohen Meinung.

23 vgl. L. Tieck, Der blonde Ekbert: »Waldeinsamkeit, | Wie liegst du weit«.

Das Incognito

58

Drum mach' ich mir auch nichts draus, Ob meine Braut aus einem alten Haus, Es weiß ja keiner, wie's ihm morgen gehe.

NARR.

O , ich verstehe. — Und in der Lieb auf's Herz nur sehe!

PAPHNUTIUS.

NARR.

Was ist Rang, Geld, wenn ich's recht betrachte!

PAPHNUTIUS. NARR.

Kurz: kann ich Euere Jungfer Tochter kriegen?

PAPHNUTIUS. NARR.

Ha, wie ich diesen Mammon verachte!

Sie soll an's klopfende Herz Euch fliegen.

Laß't Euch embrassieren, Schwiegerpapa I

PAPHNUTIUS.

Das geht ja ganz vortrefflich, Sassal Beide unter heftigen Umarmungen ab. VII.

Ein andrer Teil des Gartens vor dem Schloß, in der Mitte ein Kirschbaum mit Hecken %u beiden Seiten. COLOMBINE, eine Larve im Gürtel, sit%t auf dem Baume. Die Kirschen äugeln im Sonnenschein, Das möcht' so gern gegessen sein. Da muß ich geschwind noch ein wenig naschen Und auf die Reise mir füllen die Taschen. — Wie der Vormund sich streckt und vornehm spricht, Die Narren denken, ich merk' es nicht: Zur Hochzeit sie drinnen kochen und braten, Ich soll den langweiligen König heiraten, Sitzen mit güldenem Mantel und Krone, Da lacht' ich halbtot mich auf dem Throne. Die Untertanen tanzen, die Fiedeln klingen, Hab' neue Schuh' an, will auch mitspringen I Die Vögel singen und die Länder blühn, Die Erde bleibt noch lange, lange grün, Will in die weite Welt jetzt wandern, Find' ich den Kasper nicht, find' ich einen andern. So jetzt die Larve vor's Gesicht, Nur die Waldvöglein wissen's, die verraten mich nicht.

COLOMBINE.

VII

59

Indem sie hinabsteigen will, kommt mten Paphnutius an\ sie nimmt geschwind wieder die Larve ab und bleibt auf dem Baume. O weh, da hat mich der Vormund entdeckt! — Was wollt Ihr? Hab't Ihr mich doch erschreckt! ganz außer Atem. Der König — du geruhtest ihm zu [gefallen — Er seufzt und ließ sichtbar ein Ach erschallen, Die Krone wackelt ihm hin und her Da fliegt er schon selbst über's Aurikelbeet —

PAPHNUTIUS

Der?! für sich. Herrje! der Kasperl mit Stern und Orden! Wie ist denn der auf einmal König geworden ?

COLOMBINE

noch in der Ferne. Dort schimmert ihres Röckleins Saum, Ich wett', das Eichkätzchen sitzt im Baum.

NARR

für sich. Wie'n Kartenkönig! — wart' den will ich [necken. laut zu Paphnutius. Versteckt Euch geschwind dort hinter die Hecken, So hört Ihr, was wir mitsammen diskutieren, Könnt's Euch gleich mit Bleistift notieren.

COLOMBINE

vor dem Baume anlangend. Verzeih'n Sie, wohnt hier nicht eine gewisse Colombine ?

NARR

die Larve vornehmend. Das bin ich selber, Ew. Majestät zu dienen.

COLOMBINE

NARR.

Was? — Hast ja eine Nase wie eine Hexe!

Man muß Gott danken für jedes Gewächse. Sie wendet sich auf die andere Seite und nimmt die Larve ab. Herr Vormund, er mag mich nicht, wie er spricht, Denn Eure Nase gefällt ihm nicht! PAPHNUTIUS. Ach, das kann ja nicht sein, geh' frag' ihn nur weiter. COLOMBINE.

nach der vorigen Seite, mit der Larve. Ihr könn't wohl nicht klettern ? Hab' keine Leiter.

COLOMBINE

NARR.

Geh', sprichst durch die Nase, mir wird ganz graulich.

nach der andern Seite, ohne Larve. Herr Vormund, er sagt, Euere Nase war' blaulich.

COLOMBINE

60 PAPHNUTIUS.

Das Incognito Was er mit meiner Nase hat, möcht' ich nur wissen.

Co LO MB INE nach der andern Seite, Larve vor. Ihr braucht mich ja nicht grade auf die Nase zu küssen. Küssen? Da bin ich gut angekommen, Am besten hier Reißaus genommen! Er entflieht.

NARR.

plötzlich mit gebücktem Degen hervorbrechend. Ha, Sire! ihr Herz erst brechen in Stücken Und dann von den Scherben sich heimlich drücken ? Jetzt müßt Ihr sie nehmen und wechseln die Ringe. Mein, was macht der für große Sprünge I Er eilt ihm nach. Die Dienerschaft des Paphnutius stürmt in voller Flucht aus dem Schlosse hervor. ERSTER DIENER. Der Weltweise richtet uns ganz zugrunde! ZWEITER. Hängt ihm alleweil ein' Sentenz aus dem Munde I D R I T T E R . Vor Langerweile sterbe ich schon! V I E R T E R . O Gott! Da hält er dir gewiß noch einen Leichensermon. FÜNFTER. Da kommt er schon wieder, wohin mich verstecken! SECHSTER. Wie er seine Sprüche tut nach uns strecken! F R E I M U N D 2 4 heraustretend. Nun also wende ich mich zum Schluß — ERSTER. Wend't Euch nur dorthin, wenn's durchaus sein muß. FREIMUND. Ihr überwacht es nicht — der Morgen bricht herein! W Ä C H T E R 2 6 . Na, was kann ich dafür! ich nickte ein. FREIMUND. Und kreisend aus der Nacht gestalten — ERSTER DIENER. Das ist ja gar nicht auszuhalten! FREIMUND. Die jungen Mächte sich zum Bund — ZWEITER DIENER. Allons, das Maul ihm zugespundt! Sie umringen alle den Regimentsdichter und binden und knebeln ihn. FREIMUND. Der Gedanke — und sein Wort — ist — frei — W Ä C H T E R . Da zieht's noch immer nebenbei, Den Propfen fester zugeschnürt!

PAPHNUTIUS

24 Im Text urspr. König, da nach einem anderen Entwürfe Eichendorffs der Dialog Freimund-Narr vom verkleideten König mit dem Narren geführt werden sollte. 25 Rest einer geplanten Wächterszene.

VII

61

SO, der war' glücklich quiesziert, Da setz dich ruhig auf die Banken Und zerplatz meinetwegen vor Gedanken.

ERSTER D I E N E R .

vom Baume. Herrje! seht doch und laß't das Raufen, Da ist ein Schornstein fortgelaufen, Sie setzen ihm nach in vielen Wagen, Hie, das ist einmal ein lustig Jagen 1

COLOMBINE

in die Ferne hinaussehend. Ein Irrlicht, Feuermann, Hirngespinste Das sind so metaphysische Dünste.

WÄCHTER

Nein, das ist so eine Art von Drachen, Es speit ja Feuer aus dem Rachen.

ERSTER DIENER.

Und wie's ihm gollert im Leibe, Ja sehe jeder, wo er bleibe! 28

ZWEITER DIENER.

DRITTER D I E N E R .

Jetzt hat sich's bis zur Stadt gewunden,

Ich wünscht', ich wär' von hier verschwunden! Der Wächter tutet Feuerlärm, flüchtiges Landvolk stürmt plötzlich berein. EINIGE. Z U Hilfe, Brandl A N D R E . Sie haben den Satan vorgespannt! A N D R E . Nichts als Sengen und Morden! STIMMEN draußen. Weh! die Lokomotive ist toll geworden! ERSTER DIENER. Nein, das ist doch impertinent, Jetzt kommt's grad auf die Stadtmauer losgerennt! Ungeheures Krachen, darauf steigt eine Staubwolke auf. Als sie sich teilt, erblickt man die umgeworfene Lokomotive und zertrümmerte Waggons, der König, Ralf, Kunz, Nicolai, Biester und die blaue Monatsschrift treten hastig hervor. KÖNIG. Nein, ich danke für solche Lebensart, Das war ja eine Teufelsfahrt I R A L F . Ha, welcher Effekt in diesem Knall, Das nenn' ich mir einen Uberfall! Und die Stadtmauer umzurennen Die Nachwelt wird Barbar mich nennen. Trommelwirbel. Soldaten marschieren auf. Der General tritt vor.

KÖNIG.

26 vgl. Goethe, Beherzigung: »Sehe jeder, wie ers treibe / Sehe jeder, wo er bleibe«.

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Das Incognito

Hier scheint die Anarchie zu wohnen, Platz da, sonst setzt es Kontusionen! Die bewaffnete Macht tut Gehör verlangen: Der Fürst ist neulich verloren gegangen, Die hohen Behörden sind sehr erschrocken, Die Regierungsmaschine 2 ' kommt ganz ins Stocken, Da sandte das hochfürstliche Geschwister Mich aus, ihn aufzusuchen — das ist er!

GENERAL.

ALLE.

Was ? wie ? wo ? welcher denn ? der, der, der, der ? Freilich. — Gebt Achtung, präsentiert das Gewehr!

GENERAL.

für sieb. Ich dacht' allein hier zu regieren, Nun fangt mich's an zu ennuyieren.

RALF

ebenso. Der Ralf hätt' gern uns all' geknecht't, Etsch, etsch! jetzt sitzt er, das geschieht ihm recht.

KUNZ

leise. So war nur Schnee die üpp'ge Blüte ? Ich nehm's ironisch denn als Mythe.

WILLIBALD

für sich. Da soll mich doch Gott davor behüten, Alle ihre Konstitutionen auszubrüten28. Will endlich auch unter die Haube kommen.

MATHILDE

RALF vor den König tretend. Wir hatten uns längst schon vorgenom[men — MATHILDE. KUNZ.

ES

Aber konnten vor dem Rumpeln nicht zu Worte [kommen — riß der Taten Strom uns fort —

WILLIBALD.

Auch wollten wir das Incognito nicht brechen —

Ja, Sire, wir erkannten Sie gleich Und führten Sie jubelnd in Ihr Reich 1

RALF.

KÖNIG. Der Dampf ist ein Allerwelt-Haus worden; Ich ernenn' Euch zu Rittern des Hans-Dampfen-Orden. FREIMUND. KUNZ.

Hm, hm



Der Freimund!

FREIMUND.

Hum, hum, hum.

KÖNIG. E r sei H o f d e m a g o g . RALF.

Er ist ja stumm.

27 vgl. Arnim, Das Loch; dgl. in Eichendorffs Erzählung »Auch ich war in Arkadien«, Werke a. a. O., Bd. 2, S. 744. 28 vgl. Arnim, Das Loch (diese Ausg. S. 32).

VII

63

Nun eben drum. Zu Mathilde. Und Ihr sollt den reichen Paphnutius heiraten. M A T H I L D E macht einen Knix. Ringrazio, o Duka- Duka- Dukaten 1 N I C O L A I . Aus dieser retrograden Umnachtung Laß't, Hochselige, mit Verachtung Den Rücken uns wenden jenem Schwärm. Zur blauen Monatsschrift. Reichen Sie, Zarte, mir den Arm. Hier schleichen Jesuiten verkappt auf den Zeh'n —• Wir wollen anderwärts spuken gehn. Mit Biester, Nothanker etc. ab. Narr kommt eilig, Paphnutius hinter ihm drein. KÖNIG.

Der König macht ganz besondre Kapriolen, Ich kann ihn schlechterdings nicht einholen. GENERAL. Verpustet, wir haben ihn schon gefunden. KÖNIG. Solch' Treu' ist Balsam für die Wunden, Die uns die kalten Kronen drucken. PAPHNUTIUS. Ich glaube gar — o welch Entzücken! N A R R plötzlich stutzend. Der König und die Garde ? — Das ist doch [die Bühne ? Der Platz, der Kirschbaum — da ist Colombine! Er rennt vergnügt ^u dem Kirschbaum, rüttelt und singt. Es schüttelt der Wind Vor Freuden die Äste, Bunt Vöglein geschwind Zu Neste, zu Neste I Colombine gleitet vom Baume ihm in den Arm, er küßt sie. PAPHNUTIUS.

ihm mit dem Pantoffel eins versetzend. Aber sei doch nicht so dumm, Es sieht's ja das ganze Publikum! N A R R tut mit Colombinen einen Fußfall. So schrei' auch ich allhier zum Throne: Ha, dem Verdienste seine Krone29! Paphnutius da, bei dem ich wohne, In patriotischer Sympathie Für deine veredelten Menschheits-Gedanken, Gab er mir die Muhme aus Philosophie! Ich litt's erst nicht und wollte danken, COLOMBINE

29

vgl. Schiller, An die Freude: »Dem Verdienste seine Kronen«.

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Das Incognito

Ich sagt' ihm, ich war' nur ein Genie, Das seine Sach' auf nichts gestellt 30 , 'S half alles nichts — er verachtet Geld, Rang, Gut und solchen Aberglauben Und tat' ordentlich vor Aufklärung schnauben — Ja, ein Kuppelpelz ziehmt ihm, wie mir scheint. PAPHNUTIUS.

Nein, glaubet ihm nicht — es war nur — ich meint' —

Nicht doch, deine Bescheidenheit acht' ich sehr — Einen Ehrenpelz mit Zymbeln herl Diener bringen den PelzDen häng' ich dir um mit höchsteignem Arm, Knöpf dir ihn zu, so sitzst du hübsch warm. Des Narren und Colombinens Hände zusammenfügend.

KÖNIG.

Da hab't Euch und mehret Euch jedes Jahr, Daß die Narren im Reich' nicht werden rar. Musik, zu Ehren dem jungen Paarl Musik. Narr erwischt den Paphnutius, der General reicht der Colombine den Arm; allgemeiner Tanz", während des Tanzes singen Was Königskerzen und Kaiserkronen I Will mit Kasperl unter Lavendel wohnen.

COLOMBINE.

Ich muß vor Wut entsetzlich springen, Daß der Pelz fliegt und die Zymbeln klingen 1

PAPHNUTIUS.

Mein hochverehrtes Pu- 3 1 Nun wirst du sicher fraUnd nimmer doch erraWen wir gemeint im BuEs gibt zu viele NaUnd klingen ihre ScheSo meint wohlweislich jeEs sei des andern KaDerweil geht durch die KoDer Ernst incognito. Ich bin ganz außer AUnd muß auch gleich heiraDrum wünsch' ich wohl zu schla-

NARR.

30 vgl. Goethe, Gesellige Lieder. Vanitas, vanitatum vanitas: »Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt«. 31 vgl. Cervantes, Don Quixote. Urgandas Gedicht »Auf das Buch des Don Quixote von la Mancha« am Romananfang.

ANHANG Erster Entwurf Regentenspiegel (oder dergl!) Lustspiel in Versen und Prosa (das Ganze nicht aus der jetzigen Zeit, sondern etwas märchenhaft, phantastisch halten 1 —) Ein junger Fürst, der eben erst aus der Ferne, von seinen Studienreisen zurückkehrt und die Regierung antreten soll, weil ein entfernter Vetter von ihm plötzlich erblos gestorben, findet das ewige Repräsentieren, die Gène usw. überaus langweilig und klagt dies seinem humoristischen (eigentlich melancholischen und misanthropischen) Freunde. Sie verabreden nun, daß der Freund den Fürsten und dieser seinen Diener spielen solle. So kommen sie in eine weit entlegene, große Stadt, wo das Volk, auf einer Promenade (wie im Philisterkriege) den Fürsten erwartet. Den Fürsten achtet nun niemand, worüber dieser oft ungeduldig und unwirsch wird und dadurch die Sache nur noch ärger macht. Dagegen hofiert und schmeichelt alles ungeheuerlich dem Freunde. Hier recht die Misere und Jämmerlichkeit der Welt schonungslos, fast tragisch, darstellen (wie in Shakespeares Timon), noch tragischer, weil der Freund alles humoristisch behandelt und wild auf die Spitze stellt. Der Fürst findet unter allen nur eine Person, die ihn um seiner selbst willen achtet und liebt, nämlich ein Hirtenmädchen, das sich in ihn verliebt, und er in sie. Dies ist aber just des Freundes heimliche Liebschaft. Darüber verliert dieser alle Contenance, giebt sich, alle wütend verhöhnend, als des Fürsten Diener zu erkennen, aber niemand glaubt es ihm, sie meinen, er wollte nur incognito sein, verfolgen ihn noch immer, und so weiter. Zuletzt zum Schluß allgemeine Confusion, so daß niemand mehr weiß, wer der rechte sei usw. (Zusatz) Vielleicht ist es ein Puppenspiel.

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KOMEDIA XIII

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Anhang Der letzte Gesamtentwurf Puppenspiel

(das Incognito, oder die mehreren Könige — oder Alt und Neu) I. Die fertige erste Szene. König nimmt sein Incognito an. II. Die fertige zweite Szene. Der Narr wird in dem Städtchen als König empfangen. Nur ist dabei der mehr auszuführende Kommerzienrath = Rothschild, bei dem auch der Narr einkehrt. III. Die fertige dritte Szene. Bauernhochzeit, der König will sie vergeblich vor dem heranziehenden Feinde warnen. Da kommt plötzlich die Nummernjagd. Der König sagt ihnen, ihre Stadt, ja Staat sei in Gefahr. Sie aber haben keine Zeit. Fängt vielleicht mit einem Liede an die weinende Braut an, wie das Lied in Brentanos Gokel, und überhaupt idyllisch poetische Momente einflechten. IV. Feldlager der neuen Zeit. Die emanzipirte Frau, als Amazone, kommandirt das Ganze. Sie beschließen, jenes Städtchen, als die gute alte Zeit, zu berennen. Als die Sonne aufgeht und sie von fern die Türme jener Stadt erblicken, die Landleute dahin zu Markte gehn, wird einer der Neuen so begeistert, daß er mit Gewalt aus der Haut fahren will. Wie ihn die andern in seiner Haut zurückhalten. Andre mockieren sich über die aus der Stadt herüberklingenden Morgenglocken als Aberglauben, während einer sehr elegant mit Brille, Ziegenbart ganz melancholisch ist vor Weltschmerz. Vor Tagesanbruch Sturm. Uber dem Freiheitsgesang der Neuen, Feldgeschrei, großem Getrampel erheben sich Nicolai usw. aus ihren Gräben, schmeißen ihre Schlafmützen in die Luft. Sie beschließen endlich, ihren geliebten Pflegesohn Sebaldus Nothanker als Philosophen auszusenden in das Städtchen, um das Terrein zu recognoscieren und das Volk zu stimmen. Da kommt der König (incognito) in der Morgenstunde, ganz windschief, mit zerknattertem Regenschirme, eiligst über das Feld dahergestolpert. Er sucht die Zeit, will durchaus mit der Zeit fortgehen, und stößt nun auf die emancipirte Frau, die ihm sagt: sie sei selber die Zeit und Ewigkeit zugleich. — Da komm' ich ja gerade recht, meint der König. Der König spricht in so altmodischen Floskeln von Aufklärung, Völkerglück, daß ihn die entzückten Neuen ohne weiteres auf ihren Schildern emporheben und zum Könige ausrufen. Er wehrt sich, will sein Incognito behaupten, alles umsonst. Sie tragen ihn auf ihren Schultern jubelnd f o r t . . . Da bebt und hebt sich die Erde unter ihnen. . ., da steigen über dem Lärm die aufgewachten

Der letzte Gesamtentwurf

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Nicolai, Biester usw., da sie gewisse Aufklärungsstichwörter vernommen, mit ihren Schlafmützen aus ihren Gräbern. V. a) Rothschild, der vor ehrgeizigen Träumen nicht schlafen kann und schon etwas von des vermeintlichen Königs Liebe zu seiner Tochter gemerkt hat, promeniert unten im Garten mit seiner Gemahlin, erzählt ihr seinen Traum, ihr Diskurs in Alexandrinern. b) Der Narr auf dem Balkon, Sebaldus Nothanker (d. i. der König) kommt als Philosoph an. c) Der Narr oben erblickt und erkennt Colombine, seine Werbung beim Vater und Gewährung. Schluß. Die Domestiken des Rothschild stürzen heraus, fliehend vor dem langweiligen Philosophen Sebaldus Nothanker. Plötzlich erblicken sie von fern einen furchtbar schnell heranrennenden Elephanten, der aus dem Rüssel Dampf und Feuer speit. Es sind die Neuen, die auf einer Eisenbahn mit Dampf ankommen. Die Lokomotive ist aber durchgegangen und rennt unaufhaltsam mit ungeheurer Vehemenz die Mauern durchbrechend mitten unter die Philister hinein. So wird die Stadt überrumpelt, die Neuen brechen ein, rufen den sich sträubenden König zum Herrscher aus. Die bewaffnete Macht erscheint, den verlorenen König zu suchen. Erkennungsszene. Die Neuen (Liberalen) kehren nun die Sache um und werden plötzlich loyal. Sie thun als hätten sie das eben schon lange gewußt, daß es der König sei, und ihn deshalb hierher gebracht. Sie sagen: Wer möchte da alle die liberalen Eier ausbrüten? Der aus der Haut Fahrende meint, er hätte eigentlich nur selber herrschen wollen (wie die Tiere in Arnims Puppenspiel!). Denn der König giebt ihnen nämlich nun einem jeden Dotationen, abenteuerliche Orden usw. Die emancipirte Frau ist auch froh, unter die Haube zu kommen, und kriegt den reichen Wittwer Rothschild. Allgemeiner Jubel, Walzer und Fackeltanz.

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MATERIALIEN Z U M V E R S T Ä N D N I S DES T E X T E S »DAS LOCH oder DAS W I E D E R G E F U N D E N E

PARADIES«

Editionsbericht Arnims Schattenspiel Das Loch oder das wiedergefundene Paradies ist in folgenden Ausgaben gedruckt: 1. Ludwig Achim von Arnim's/Schaubühne./Erster Band./ Berlin, 1813. Nebentitel: Jann's erster Dienst, Posse;/der Auerhahn, dramatische Geschichte; das / Frühlingsfest, Nachspiel; Mißverständnisse, Lust-/spiel; die Befreiung von Wesel, Schauspiel; das / Loch, Schattenspiel; Hanrei und Maria, Pickel / heringsspiel; der wunderthätige Stein, Hanswurst / spiel; Jemand und Niemand, Trauerspiel; die Appelmänner, Puppenspiel, / von / Ludwig Achim von Arnim. / Vignette: radschlagender Pfau./Berlin 1813./In der Realschulbuchhandlung. / S. 187—212. 2. Ludwig Achim's von Arnim sämmtliche Werke. Herausgegeben von Wilhelm Grimm. Sechster Band. Schaubühne. Zweiter Band. Berlin, bei Veit & Comp. 1840. 3. Ludwig Achim's von Arnim sämmtliche Werke. Neue Ausgabe. Sechster Band. Schaubühne. Zweiter Theil. Berlin, Expedition des v. Arnim'schen Verlages. 1853. 4. Ludwig Achim's von Arnim sämmtliche Werke. Neue Ausgabe. Siebenter Band. Schaubühne. II. Berlin, v. Arnim's Verlag. 1857. 5. Achim von Arnims ausgewählte Werke in vier Bänden. Hrsg. u. m. Einl. vers. v. M A X M O R R I S . Leipzig: Hesse (1906). Bd. 2, S. 153—176: Das Loch oder Das wiedergefundene Paradies. Ein Schattenspiel. 6. Arnims Werke. Hrsg. v. A L F R E D S C H I E R . Krit. durchges. u. erl. Ausg. Leipzig u. Wien: Bibl. Inst. (1920). Bd. 3, S. 309—350: Das Loch, oder Das wiedergefundene Paradies. (Ein Schattenspiel.)

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Materialien: Das Loch

7. Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- u. Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Hrsg. v. H E I N Z K I N D E R M A N N . Reihe Romantik. Bd. 2 3 : Lustspiele. Hrsg. v. P A U L K L U C K H O H N . Leipzig: Reclam 1938. S. 152—181: Das Loch oder das wiedergefundene Paradies. Ein Schattenspiel von Ludwig Achim von Arnim. Der Text der Erstausgabe enthält manche Unregelmäßigkeiten in Orthographie und Interpunktion. Diese wie offensichtliche Druckfehler wurden für die Ausgabe 1840 von B E T T I N A , die sich der Textrevision annahm, verbessert. Durch die Aufteilung der Ausgabe von Arnims Dramen auf mehrere Bände rückt Das Loch an den Beginn des 2. Teils der Schaubühne, des 6. Bandes der Gesamtausgabe. Die Ausgabe von 1853 ist eine bloße Titelauflage derjenigen von 1840, die inzwischen in B E T T I N E N S Selbstverlag übergegangen war. Die Ausgabe von 1857, gleichfalls eine Titelauflage der Ausgabe von 1840, erhält eine andere Bandaufteilung: auf fünf Bände Novellen folgen vier Bände Dramen, dadurch erscheint das Schattenspiel nunmehr im 7. Band der Gesamtausgabe. Der Text bleibt in allen Ausgaben seit 1840 unverändert. M O R R I S geht auf den Text von 1 8 1 3 zurück, normalisiert aber Schreibweise und Interpunktion nach der Ausgabe von 1840; S C H I E R verglich den Text von 1813 mit der Neuen Ausgabe von 18J3, gibt einen Teil der Lesarten an und keinen exakten Abdruck der Erstausgabe, deren Versionen mit dem Text von 1853 vermischt sind. K L U C K H O H N druckt einen gereinigten und normalisierten Text von 1813. Unsere Ausgabe gibt den ursprünglichen Text der Schaubühne von 1813 ohne die Veränderungen von 1840; verbessert wurden lediglich einige offensichtliche Druckfehler in den Angaben der Sprechenden (z. B. Königin-Kaiserin) oder Widderköfe-Widderköpfe, Stegegreif-Stegereif; normalisiert wurde die Schreibweise des Namens Kasper, der gelegentlich auch als Kaspar erscheint. Orthographie und Interpunktion blieben unangetastet auch da, wo sie heutigen Gepflogenheiten nicht mehr entsprechen (z. B. Anredeformen ihr, er, euch ohne Majuskel).

Zur Entstehungsgeschichte Obwohl die Entstehungszeit des Schattenspiels durch einen der für die Chronologie von Arnims Dramen nicht sehr zahlreichen Briefbelege mit ziemlicher Sicherheit auf die Wintermonate des Jahres 1811 zu fixieren ist, begegnet in allen Kommentaren des Textes eine falsche Jahreszahl, weil sich in S T E I G S erste Veröffent-

Zur Entstehungsgeschichte

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lichung jenes Briefes von Arnim an B R E N T A N O 1 ein Druckfehler eingeschlichen hat, der — leicht durchschaubar für den Kenner der Biographie Arnims — den Brief auf 1810 vordatiert. Unbesehen haben alle späteren Editoren dieses falsche Datum abgeschrieben2. Angaben über eine erste Aufführung des Stückes schon im Winter 1807/08 in J O R D I S ' Haus Schloß Schönfeld bei Kassel lassen sich nicht belegen®, hingegen weist Arnims Nachwort zur »Schaubühne«, daß Das Loch »allein von allen hier gelieferten Schauspielen der Ehre sich erfreut« habe, »vor zwei Jahren in einer geistreichen Gesellschaft aufgeführt zu werden« 4 , auf 1 8 1 1 als das Jahr der ersten Aufführung und bei einem derart aktuellen Stück auf das Jahr seines Entstehens. Achim und B E T T I N A waren am 18. 8. 1 8 1 1 von Berlin aus nach Weimar aufgebrochen, wo man »alles in Festen« fand 6 und in G O E T H E S Haus verkehrte, bis es zu jener Szene zwischen B E T T I N A und C H R I S T I A N E kam, die die Beziehungen Arnims zu G O E T H E für allezeit erheblich trüben sollte. In Frankfurt hält sich das Paar nur wenige Tage auf, »bald gehts zur Weinlese«8, nach Winkel nämlich, wo G E O R G E und M A R I E B R E N T A N O , M E L I N E und G U A I T A , L U L U und K A R L J O R D I S zusammen mit den Arnims, mit Nachbarn und Gästen bis in den Oktober hinein eine Zeit fröhlicher und ausgelassener Geselligkeit verlebten. Im Hause des G R A F E N I N G E L H E I M im benachbarten Geisenheim gibt es eine L i e b h a b e r a u f f ü h r u n g , HELMINE VON CHEZY schockiert auf mancher-

lei Weise die steife Frankfurter Gesellschaft; man spielt »alle

1 Achim von Arnim und die ihm nahestanden. Hrsg. v. Reinhold Steig und Herman Grimm. Bd. 1. Stuttgart 1894, S. 296 (im folg. zit. Steig m. Band- u. Seitenzahl). 2 Die genaue Datierung dieses Briefes scheint überhaupt gänzlich ungesichert: Otto Malion, Arnim-Bibliographie. Hildesheim 1965 (Nachdr.), S. 154, Nr. 304, setzt als Abfassungsdatum den 28. 1 1 . 1811 an. Das kann nicht stimmen, da dieser Brief eine Antwort auf Clemens' Schreiben v. 10. 12. 1811 ist. Das Original des Briefes ist unbekannt, insofern kann keine endgültige Entscheidung getroffen werden. 3 Philipp Losch, Schönfeld. Bilder aus der Geschichte eines hessischen Schlößchens und seiner Besitzer. Leipzig 1913, S. 46—47. Losch gibt keine Quelle an für seine These, »Das Loch« sei in Schönfeld gespielt worden, die Aufführung habe man aber abbrechen müssen, »weil der ängstliche westfälische Hofbankier an einigen Witzen über die Regierungsmaschine Anstoß nahm, trotz des Spottes seiner Frau und seiner Schwägerin Bettine«. In den einschlägigen Quellenpublikationen fand sich dafür kein Hinweis. 4 Arnim, Schaubühne. 1840. S. 551. 5 Steig I, 288. 6 Steig I, 289.

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Materialien: Das Loch

Abend ein Reimspiel, wo Geschichten zusammengedichtet werden, das mich unglaublich langweilt, wobei ich aber umso thätiger bin«7. Ende des Monats besucht Arnim Freunde in Heidelberg, wo sich das vergnügliche Leben in C R E U Z E R S Familien- und Bekanntenkreis fortgesetzt zu haben scheint, und am 4. 1 1 . gedenkt er in einem Briefgedicht an B E T T I N A der lustigen Zeit am Rhein: »Bald tragen mich flüchtge Räder / Wieder zu Lust und Scherz«8. Nach einem Abstecher in Straßburg ist Arnim Mitte November wieder in Frankfurt, er arbeitet hier an Rezensionen für die Heidelberger Jahrbücher, an den Novellen für die 1812 erscheinende Sammlung, aber es entsteht nun auch als Beitrag für die an die Geselligkeit in Winkel anknüpfenden winterlichen Abendunterhaltungen das Schattenspiel, denn gegen Jahresende schreibt Arnim an B R E N T A N O , der in Böhmen weilt und mit C H R I S T I A N zurückzukehren gedachte: »Ich käme Euch mit einem Schattenspiele entgegen, das ich bei Guaita gespielt habe, und welches den schönen Titel führt: das Loch« 9 , in einer Fassung freilich, die damals »reicher an Lokalscherzen«10 war als der eineinhalb Jahre später gedruckte Text. In jenen Tagen hatte Arnim den damaligen Bibliothekar und Archivar, späteren Senator und Bürgermeister J O H A N N G E R H A R D C H R I S T O P H T H O M A S (1785—1838) kennengelernt, der seit der Auflösung der Klöster auch die Schätze der ehemaligen Dominikanerbibliothek verwaltete. Arnim, ständig auf der Suche nach Altdeutschem, berichtete W. G R I M M , daß T H O M A S dabei »ein Manuskript des Renner, der sieben weisen Meister« gefunden habe. »Dies letztere hat er in einer eignen Art abgeschrieben, nämlich blos das Leere der Orthographie geändert, aber alle alte Sprachformen beibehalten« 11 . Durch T H O M A S also erhält Arnim die stoffliche Vorlage für sein Schattenspiel, denn »die Geschichte im ersten Aufzug schenkte mir das herrliche alte Buch von den sieben weisen Meistern« 12 . Wie in den Märchen aus 1001 Nacht »die berühmte Erzählerin, um sich vom Tode zu retten, Märchen an Märchen spinnt, so kämpfen hier fünfzehn köstliche Novellen gegeneinander um denselben Preis« 1 3 : Leben oder Tod des von 7

Steig III, 150. Achim und Bettina in ihren Briefen. Briefwechsel Achim von Arnim und Bettina Brentano. Hrsg. v. Werner Yordtriede. Frankfurt 1961. Bd. 1, S.7. 8 Steig I, 296. 10 Arnim, Schaubühne a. a. O., S. 351. 11 Steig III, 162. 12 Arnim, Schaubühne a. a. O., S. 351. 13 Eichendorff, Werke und Schriften. Hrsg. v. G. Baumann u. S. Grosse. Darmstadt 1959. Bd. 4, S. 669. 8

Zur Entstehungsgeschichte

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seiner Stiefmutter aus Rache über einen verweigerten Liebesantrag als Ehebrecher angeklagten Kaiserssohn. Das 7. Beispiel der Kaiserin ist die Geschichte der Königin im Turm. Es ist sicher, daß Arnims Quelle die heute noch in der Frankfurter Universitätsbibliothek vorhandene Handschrift aus den Jahren 1477—1498, sei es im Original, sei es in der THOMAsschen Abschrift, gewesen ist. Allerdings hat der Dichter mit Motiven und Vorgängen so frei geschaltet, daß sich der Vergleich mit der Vorlage im einzelnen wenig lohnt, da ständig nur auf Arnims Abweichungen hinzuweisen wäre, denn auch hier ist wie in den übrigen der in der »Schaubühne« versammelten Stücke »die Freiheit einer Bearbeitung zu einer eigenen Selbständigkeit« gediehen14. Arnims Erfindungen und Zusätze im ersten Akt, die scherzhafte Grundstimmung, die Gestalt des Kaspers, die Umgestaltung der Kaiserin zu einer höchst aktiven und die Flucht selbst in die Wege leitenden Frau, die politische Satire und aktuelle Anspielungen brachten es mit sich, daß die Vorgänge gerafft werden mußten, daß Kaiserin und Ritter selbst in parodistischem Lichte erscheinen. Trauung von Ritter und Königin, Ermahnungen des Königs zur ehelichen Treue fehlen ganz, der moralisierende Schluß, daß der König den Worten des Ritters mehr Glauben als den eigenen Augen geschenkt habe, wird überflüssig, da der Dichter eine andere, spielerische Pointe im Motiv der doppelten Täuschung findet, um in den 2. Akt überzuleiten, der nun freie Erfindung ist und mit dem Volksbuch nichts mehr gemein hat. So ist die spielerische Variation des Vorgegebenen, der »Scherz der Erfindung« 15 , wesentlicher als eventuelle motivische Übereinstimmungen mit der Quelle16. Arnim hat offenbar noch eine alte gedruckte Ausgabe des Volksbuches benutzt, denn am 6. 5. 1812 schreibt ihm J . GRIMM, er habe »Dein altes Buch — Sieben weise Meister, Peter von Staufenberg etc.« an THOMAS nach Frankfurt geschickt17. Schon am 17. 1. 1812 hatte THOMAS aber auf Vermittlung Arnims an die Brüder GRIMM geschrieben und ihnen von seinen altdeutschen Studien und Manuskripten berichtet. Dabei erwähnt er auch die Prosahandschrift der sieben weisen Meister, von denen Arnim 14

Arnim, Schaubühne a. a. O., S. 349. Arnim, Sämtliche Romane und Erzählungen. Hrsg. v. Walther Migge. München 1962 fr. Bd. 3, S. 72 (im folg. zit. SRE Band- u. Seitenzahl). 16 vgl. Walther Bottermann, Die Beziehungen des Dramatikers Achim von Arnim zur altdeutschen Literatur. Diss. Göttingen 1895. 17 Steig in, 196. 15

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Materialien: Das Loch

gegenwärtig einen alten Druck besitze18. Daß es sich dabei um den Augsburger Druck von 1494 handelt, der sich in Frankfurt seit 1781 befindet19 oder um das Exemplar einer Kölner Ausgabe von 1600, das B R E N T A N O S Eigentum war 20 , ist zweifelhaft. In der Augsburger Ausgabe ist ausgerechnet in der Geschichte der Königin im Turm eine Seite unbedruckt geblieben. Da G R I M M in seinem Brief die sieben weisen Meister zusammen mit dem Volksbuch von Peter von Staufenberg nennt, wäre an einen Sammelband zu denken, wie ihn F. V O N D E R H A G E N und B Ü S C H I N G in ihrem »Literarischen Grundriß zur Geschichte der Deutschen Poesie von der ältesten Zeit bis ins 16. Jahrhundert« erwähnen 21 : demnach befand sich in Frankfurt ein heute nicht mehr nachzuweisender alter Druck der sieben weisen Meister »in Einem Bande mit mehreren Drucken aus den 1480er Jahren«, nämlich Peter von Staufenberg, Sigismunda und Guiskardo und Griselda. Arnim hat 1812 den bei G U A I T A gespielten Text für den Druck überarbeitet. Das Loch sollte in die Sammlung alter deutscher Schauspiele aufgenommen werden, deren Publikation schon seit 1808 geplant und angekündigt war, für die Arnim noch immer Material sammelte22. Nachdem im November 1811 schon W. G R I M M nach dem Verbleib des Altdeutschen Theaters gefragt hatte, kündigt Arnim im März 1812 den Band für die Ostermesse an. Der Druck verzögerte sich. Im Sommer reist Arnim mit B E T T I N A zur Kur nach Teplitz, »wohin auch die Savigny zu gehen gedachte«, und da auch C H R I S T I A N und C L E M E N S sich einstellten, »bildeten wir fast einen abgesonderten Staat, der in sich seine eigenen von der Badegesellschaft unabhängigen Ereignisse hatte«23. Das Manuskript des Schattenspiels hatte er in noch unveränderter Gestalt im Reisegepäck; C L E M E N S hat es gelesen, denn später, als die ge18 s. Steig III, 163 Anm. 1 ; der Briefwechsel Grimm—Thomas, der vielleicht nähere Aufschlüsse geben könnte, ist noch unediert. 19 Die syben weisen meister. Augsburg: Hans Schönsperger 1494; in einem Bande mit der »Chronik von allen Königen und Kaisern« von Thomas Lirer und »Lucidorus« von Honorius Augustodunensis (Sign. Inc. fol.g. 133). 20 vgl. Versteigerungskatalog von Brentanos Bibliothek: »Verzeichnis einer sehr reichen Sammlung von Handschriften und alten Drucken zur Geschichte der deutschen, französischen, spanischen, holländischen und englischen romantischen Dichtkunst gehörig . . .« Berlin 1819, Nr. 153c. 21 F. v. d. Hagen/Büsching, Literarischer Grundriß zur Geschichte der Deutschen Poesie. Berlin 1812, S. 311—312. 22 vgl. Steig I, 257, 268. 23 Joseph von Görres, Gesammelte Briefe. 2. Bd. Freundesbriefe (1802—1821). Hrsg. v. Franz Binder. München 1874. S. 352.

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druckte Fassung erschienen war, schreibt er: »Das Loch scheint mir, seit ich in Töplitz hineinsah, viel reicher und schöner; der zweite Akt ist voll herrlicher Erfindung und tiefer, ewiger Satire«24. Arnim läßt den Band auf eigene Kosten drucken. Er bestimmt den Erlös für die Ausstattung der im März 1813 einberufenen Landwehr mit Kanonen; eine bescheidene Gabe dessen, der wie schon 1806 von der aktiven Teilnahme am Feldzug ausgeschlossen war. In Berlin leitete er ein Landwehrbataillon und übernahm zeitweise die Redaktion des von N I E B U H R gegründeten »Preußischen Correspondenten«. Hier erschienen seit dem 21. 6. 1813 auch wiederholt die Werbeanzeigen für sein Buch mit dem Zusatz: »Mögen diese kleinen, meist lustigen Stücke etwas zur Erheiterung besorgter Gemüther beitragen; ihr ernster Zweck ist, durch Einnahme das Anschaffen von Kanonen für das siebente Bataillon des hiesigen Landsturms zu erleichtern, dem sie der Verfasser, auf dessen Kosten sie gedruckt sind, zum Geschenk gemacht hat«26. Unser Schattenspiel, geschrieben zur Erheiterung eines geistreichen Familienkreises, gerät in Bezug zum tagespolitischen Geschehen. Aus der zeitgenössischen Literatur konnte kaum ein Werk auf das Schattenspiel Einfluß haben, da diese Gattung damals ein literarisches Novum war und überhaupt erst im Jahre 1811 in die Literatur eingeführt worden war: durch J U S T I N U S K E R N E R , dessen »Reiseschatten«, eine Folge von Schattenbildern, ein chinesisches Schattenspiel vom König Eginhard enthielt, das auch nach einer alten Volksbuchvorlage gestaltet ist. U H L A N D war begeistert von dem Stück, er ermuntert K E R N E R ZU weiteren, denn dadurch könne dieser »ein neues und den ästhetischen Theoretikern noch nicht bekanntes dramatisches Genre« begründen, und er empfiehlt ihm als Stoffe alte Volksromane, dabei merkwürdigerweise auch die Novellen aus den sieben weisen Meistern26. Er preist den König Eginhard als ein Muster seiner Gattung und schreibt gleich ein Nachspiel dazu 27 , während F O U Q U Ä mit dem Spiel überhaupt nichts anzufangen weiß 28 . Arnim hat die »Reiseschatten« gekannt, auf die ihn J . G R I M M im Juli, W I L H E L M im November 1811 — um die Entstehungszeit unseres Textes — mit freilich negativer Beurteilung aufmerksam machten: der eine kritisiert den Mißbrauch Steig I, 318. Der Preußische Correspondent, Nr. 47, Montag, d. 21. Juny 1813. 26 Justinus Kerners Briefwechsel mit seinen Freunden. Hrsg. v. Theobald Kerner. Stuttgart 1897. Bd. 1, S. 42. 27 vgl. Adalbert von Keller, Uhland als Dramatiker. Stuttgart 1877. S. 186—191. 28 J. Kerners Briefwechsel a. a. O., S. 261. 24

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der Volkspoesie, der andere das Experimentelle des Werkes29. Von Einfluß auf Arnims Spiel ist der bizarre und wunderliche König Eginhard mit seiner verblüffenden Verwandlungstechnik kaum gewesen30; er repräsentiert einen andersartigen Spieltyp, in dem die »Magie des Lichtspiels, die Verwandlung« 31 weidlich ausgenutzt wird, ganz im Stile der Laterna magica-Bilder. Das hoch fußt auf keiner literarischen Vorlage und Tradition, da es selbst fast am Anfang der Geschichte des Schattenspiels als einer literarischen Gattung steht, die nicht mehr nur improvisatorischen Charakters ist. Die Frage nach der Gattungsgeschichte des Schattenspiels kann wesentliche Voraussetzungen für das Verständnis von Arnims Spiel klären helfen. Denn die Tatsache, daß Arnim überhaupt ein Schattenspiel schreibt, ist aus anderen als literarischen Zusammenhängen zu verstehen. Gattungsgeschichtliche Einordnung Das romantische Interesse an der Volkspoesie in allen Dichtungszweigen und die Orientierung an volkstümlichen Dichtungsformen führte auf dem Feld der Komödie zu einer Wertschätzung und Adaption kleiner Spielformen wie Puppen-, Marionetten- und Schattenspiel, die wohl im ganzen Lande noch lebendig waren, aber vornehmlich zu den Lustbarkeiten auf Jahrmärkten, Messen und Volksfesten gehörten. Arnims »Schaubühne« von 1813 ist die erste deutliche Dokumentation eines neuen Kunstwillens auf dem Gebiete des Dramas, indem durch eine Art Beispielsammlung auf die vielfältigen Spielmöglichkeiten in den dramatischen Kleinformen hingewiesen und durch die Art einer freien Bearbeitung Wege gewiesen werden sollten, wie diese nationale Dramatik für die Bühne neu zu gewinnen sei, da das Theater doch schon lange, wie Arnim bereits 1805 geschrieben hatte, »mit Redensarten national werden wollte, in der Tat aber immer fremder wurde der Nation« 32 . 29

vgl. Steig III, 142, 168. Die Zerspaltung des Kasper in mehrere Teile gemahnt vielleicht an die Art, wie sich bei Kerner die Figuren auseinanderlegen und gleichsam multiplizieren; es findet sich bei Arnim bekanntlich in den »Appelmännem« eine ähnliche Szene, aber das Motiv taucht bereits viel früher in einem Brief an Bettina v. 7. 10. 1807 (Steig II, 70) auf und kehrt auch mehrfach im 2. Teil der »Kronenwächter« wieder (SRE 1, 608; 831; 954), wobei offenbar altes Sagengut nachwirkt. Vgl. Grimm, Deutsche Sagen. Berlin 1956. S. 474. 31 Kerners Briefwechsel a. a. O., S. 108. 32 Arnim, Von Volksliedern. In: Dt. Lit. in Entwicklungsreihen. Reihe Romantik. Bd. 10. Leipzig 1935. S. 100. 30

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So ist »unser Schauspiel vom wahren Volksschauspiel ein fratzenhafter Schatten«33. Auch T I E C K hatte auf die volkstümliche Dramatik der Wander- und Marionettenbühnen verwiesen, um das Theater aus der gegenwärtigen Misere zu befreien, ohne daß freilich diese Ermunterungen oder Sammlungen (bearbeiteter) alter deutscher Theaterstücke wie Arnims »Schaubühne« und T I E C K S »Deutsches Theater« (1817) von Einfluß auf das Theaterleben gewesen wären. Das zeitgenössische Theater blieb diesen Bemühungen um eine nationale Spielplangestaltung, durch die — wie die Romantiker meinten — zugleich das wahrhaft Poetische wieder der Bühne verbunden würde, weiterhin verschlossen. Es änderte sich vorderhand nichts daran, daß »Theater und Kotzebue gleichbedeutende Namen geworden sind«34. Schattenspiele oder — nach dem Wortgebrauch des 18. Jahrhunderts — ombres chinoises kamen schon am Ende des 17. Jahrhunderts durch italienische Puppenspieler auf die deutschen Jahrmärkte, obwohl das gebildete Europa erst durch den 2. Teil der 1736 in Paris, 1748 deutsch erschienenen »Discription geographique.historique, chronologique, politiqüe et physique de l'empire de la Chine et de la Tartarie chinoise« von J . B. D U H A L D E ausführliche Kunde vom chinesischen Schattentheater erhielt36. Diese Vorstellungen auf Märkten erfreuten sich rasch allgemeiner Beliebtheit beim Volke, so daß es kein halbes Jahrhundert dauerte, bis sie an technischem Raffinement und illusionistischem Zauber gewannen und nur nach dem Maß der dargebotenen Verwandlungskünste taxiert wurden36. Die ursprünglichste und einfachste Gestalt dieser Spiele klingt wieder in J O H A N N L E O N H A R D F R I S C H S Definition: »comoedia pantomimica, a tergo parietis translucidi qui plerumque linteus vel papyraceus oleoque tinctus est, varias figuras motusque repraesentans«37. 1638 richtet eine Komödiantengruppe in Danzig 33

ebd. S. 112. L. Tieck, Kritische Schriften. Leipzig 1848. Teil. 1, S. 162. Auf die türkischen Schattenspiele hatte schon eine Frankfurter Chronik aus dem Jahre 1590 verwiesen. 36 vgl. Georg Jacob, Geschichte des Schattentheaters im Morgen- und Abendland. Hannover 2. Aufl. 1925. 37 Johann Leonhard Frisch, Lateinisches Wörterbuch. Berlin 1741. Anderer Theil, S. 165. Vgl. auch Adelung, Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart. Leipzig 1777. 3. T. Sp. 1698: »eine Art Pantomime, wo Figuren und Handlungen durch den an die Wand geworfenen Schatten vorgestellet werden«. Kaspar Stieler, Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs oder Teutscher Sprachschatz. Nürnberg 1691, verzeichnet Sp. 1739: »Lust- sive Spielschatte/comoedia umbratica«. 34 35

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an den Magistrat die Bitte, den »italienischen Schatten« zeigen zu dürfen88. 1686 beruft sich V E L T E N in einem Spielgesuch für Frankfurt a. M. auf »Puppenspiel und Schatten«, denen Konzessionen erteilt worden seien39, und 1688 verspricht der Theaterzettel seiner Truppe anläßlich einer Faust-Aufführung in Bremen nach der Haupt-Action »einen italienischen Schatten«40. Vor allem aus den Reichsstädten liegen zahlreiche Belege vor, wobei nun die einfache Form der hinter der Papierwand geführten Figuren mit Projektionen der gerade erfundenen Laterna magica oder des Raritätenkastens — das ist ein Kasten, »in welchem diese oder jene alte oder neue Geschichte im kleinen und durch dazu verfertigtes Puppenwerk, so gezogen werden kann, vorgestellet wird« 41 — mit Marionetten- und Puppenspiel kombiniert wird. Von besonderem Interesse ist für uns Frankfurt, wo durch das ganze Jahrhundert hindurch die Schattenspielauffuhrungen während der Messen nicht abreißen. Der Einfluß dieser Tradition auf den jungen G O E T H E ist von M A X H E R R M A N N eindringlich dargelegt worden 12 , aber ihr lebendiges Fortwirken ist von nicht minderer Bedeutung für die B R E N T A N O S und Arnim gewesen. So will Arnims Schattenspiel, in Frankfurt und für Frankfurt geschrieben, vor dem Hintergrunde dieser hundertjährigen Spieltradition gesehen werden. 1725/26 belebte der Prinzipal J O H A N N F E R D I N A N D B E C K die Zwischenakte seiner Frankfurter Aufführungen mit Schattenspielen48. Zu Meßzeiten sah man im Jahre 1735 auf dem Roßmarkt »allerley Perspectivische Representiones von den berühmten Städten«, wie »auch das ab und Zunehmen des Mondes von Moment zu Moment zu sehen sey«44. 1739 sind Vorführungen von »Optischen Wunderwercken des Jesuiten P. Kircheri, womit ein sichtbarer Leib, auch Blumen und Früchten, können vor die Augen gesteh werden, als wans die Natur wäre, und doch unberührlich seyn wie Geister«46. Im Oktober 1745 gastiert ein 38

Jacob a. a. O., S. 162. E. Mentzel, Geschichte der Schauspielkunst in Frankfurt am Main von ihren Anfängen bis zur Eröffnung des Städtischen Komödienhauses. Frankfurt 1882. S. 119. 40 Jacob a. a. O., S. 162. 41 Zedlersches Universallexikon aller Wissenschaften und Künste. Bd. 30. Halle 1741. Sp. 891. 42 Max Herrmann, Jahrmarktsfest zu Plundersweilen. Entstehungsund Bühnengeschichte. Berlin 1900. 48 Mentzel a. a. O., S. 149. 44 Maria Belli-Gontard, Leben in Frankfurt am Main. Auszüge aus Frag- und Anzeigungs-Nachrichten (des Intelligenz-Blattes) von ihrer Entstehung an im Jahre 1722 bis 1821. Frankfurt 1850. Bd. 2, S. 47. 46 ebd. S. 93—94. 89

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Wiener Marionettenspieler mit »neu inventirten Opticalischen Maschinen« 48 , zur folgenden Ostermesse führen Schweizer optische Schattenbilder vor, »Landschaften und sonstige Stücke mit beweglichen Figuren« 47 , im Herbst zeigen Italiener »in einem künstlich abgemessenen Schatten, ohne sichtbare Draht-Fäden die schönsten Städte, Schlösser, Wälder, Seen, Berge, Ebenen und Paläste«, auch wie »die dabey vorkommenden Figuren ihre natürlichen Bewegungen machen« 48 . Donner und Sturm, SchifFsuntergänge und Jagden wurden versprochen. Alle diese Bilder erscheinen »hinter ölgetränkten seidenen oder leinenen Vorhängen« 49 . Im Februar 1764 ist der Künstler eines »Mechanischen Schattens« angekündigt, »der ein besonders sehenswerthes Kunst-Cabinet mit sich führet, welches aus einem Wolken-Nebel und in einem wohl abgemessenen Schatten, vollkommene Figuren vorstellet« 60 . Einfachere Spiele mögen jene Aufführungen gewesen sein, von denen G O E T H E an K E S T N E R schreibt: im März und April 1775 »war ein TeufelsReuter hier, und Comödien und Schatten und Puppenspiel« 51 . Zum Herbst 1774 wird ein neues Chinesisches Spectakel »oder die Chinesische Belustigungen« gepriesen 52 , und im März 1788 schließlich kommt ein Mechanikus aus Nürnberg mit einer neuen Metaphisischen Machine zum Zwecke, »bei gegenwärtiger Aufklärung und Weltkenntniß, auch einmal dem seit so vielen Jahrhunderten her stattuirten Fantuismus der Geister- und Gespenster Historien ein Ende zu machen, D. Fausts Fabel-Geschichte, Protheus Wunderdinge, und den schon seit 100. Jahren in Ketten Hangenden Clavicula Salomonis, ins Makulatur zu verweisen«. E r werde die vier Elementargeister zitieren »unter 4 pantomimischen Handlungen«, und jeder »wird dadurch überzeigt werden, daß es niemals Gespenster gegeben hat, noch geben kann« 63 . Als dieser aufklärerische Versuch einer Teufelsaustreibung durch optische Maschinen stattfand, war GOETHE, in dessen »Jahrmarktsfest zu Plundersweilen« die bei den Frankfurter Aufführungen zu beobachtende »Personal49

ebd. Bd. 3, S. 58. E. Mentzel, Der junge Goethe und das Frankfurter Theater. In: Festschrift zu Goethes 150. Geburtstag, dargebr. v. Freien Dt. Hochstift. Frankfurt 1899. S. m . 48 ebd. S. 112. 48 ebd. S. 114. 60 Belli-Gontard a. a. O., Bd. 5, S. 45—46. 61 Der junge Goethe. Neue Ausgabe. Hrsg. v. Max Morris. Leipzig 1910. Bd. 3, S. 39. 62 Belli-Gontard a. a. O., Bd. 5, S. 58. 63 ebd. Bd. 7, S. 120. 47

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u n i o n z w i s c h e n Raritätenkasten- u n d Schattenspielmann« 6 4 w i e d e r kehrt, s c h o n längst in W e i m a r , w o w ä h r e n d der ersten g e s e l l i g e n Jahre, der Z e i t des Liebhabertheaters u n d des T i e f u r t e r K r e i s e s , der Z e i t der Silhouetten- u n d Scherenschnittmode das Schattenspiel eine liebevolle P f l e g e fand. 1781 eröffnet die H e r z o g i n das T i e f u r t e r Waldtheater in der M o o s h ü t t e des Parks an GOETHES G e b u r t s t a g mit einem zweiteiligen Festspiel, als Schattenspiel agiert v o n A n g e h ö r i g e n des H o f e s . HERZOG GEORG VON MEININGEN hatte diese Spiele mit l e b e n d i g e n Schatten aus F r a n k r e i c h in W e i m a r eingeführt, SECKENDORFF e n t w a r f das Szenarium: » M i n e r v e n s Geburt Leben und Taten. Eine T r a g i - K o m ö d i a auf dem T-WaldTheater«, w o r a u f eine allegorische H u l d i g u n g GOETHES als N a c h spiel f o l g t e . D i e B e s c h r e i b u n g dieser A u f f ü h r u n g k a n n detailliert aus KARL AUGUSTS oder WIELANDS F e d e r i m T i e f u r t e r J o u r n a l nachgelesen w e r d e n 5 5 , GOETHE berichtet tags darauf an CHARLOTTE VON STEIN 56 . I m N o v e m b e r findet in gleicher F o r m eine z w e i t e A u f f ü h r u n g statt: diesmal verfassen SEC KENDORFF u n d EINSIEDEL ein »Zauberspiel«, die G e s c h i c h t e des K ö n i g Midas, in d e m GOETHE selbst mitgespielt hat 5 7 . Z w a r f a n d e n diese internen A u f f ü h r u n g e n a m H o f e bald ein E n d e , aber n o c h in späteren Jahren erlustigt m a n sich bei A b e n d u n t e r h a l t u n g e n an Schattenspielen. S o berichtet ABEKEN v o n einer g r o ß e n Gesellschaft bei FALK, w e l c h e r d e r G a s t g e b e r »in einem selbsterfundenen Chinesischen Schattenspiel Szenen aus G o e t h e s Faust« vorspielte, » w o z u hinter d e m die Schattenbilder a u f n e h m e n d e n V o r h a n g e v o n i h m u n d einer damals reisenden V i r t u o s i n , Fräulein v o n W i n k e l , aus d e m G e d i c h t deklamirt wurde« 5 8 . D a s w a r i m Jahre 1808, u n d an j e n e m A b e n d befand sich unter den G ä s t e n a u c h Achim von Arnim, der a m Max Herrmann, a. a. O . , S. 40. Das Journal v o n Tiefurt. Hrsg. v. E . v. d. Hellen. Weimar 1892. 3. Stück, S. 16 ff. D e r Text des Spiels findet sich im Goethe-Jb. 7, 1886, S. 361 ff.; ein erhaltener Schattenriß im Jahrbuch der Goethe-Ges. 4, 1917. V g l . auch Robert Falck, Z u r Geschichte des Liebhabertheaters. Berlin 1887. S. 138—39. 58 vgl. Goethe, Briefe an Charlotte von Stein. Hrsg. v . J. Petersen. Leipzig 1923. Bd. 1, 2. S. 369—70. 57 Anna Amalia an Knebel, 7. 12. 1781: »Ich habe mit einem Schattenspiel das Theater eröffnet, welches die Geschichte des Königs Midas repräsentirt«. Knebel, Literar. Nachlaß u. Briefwechsel. Leipzig 1835. Bd. 1, S. 187. V g l . auch Goethe an Charlotte v o n Stein 25. 11. 1781, Petersen a. a. O . Bd. 1, 2, S. 304. Einsiedel verfaßte noch andere Schattenspiele, erhalten, aber unediert, sind vier Szenen eines Spiels »Colombine als Hausfrau«. 68 Bernhard Rudolf Abeken, Goethe in meinem Leben. Erinnerungen und Betrachtungen. Weimar 1904, S. 79. 54

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2 5 . 1 2 . an B E T T I N A über sein Leben in Weimar schreibt: ». . . denk Dir Schauspiel, bei der Jagemann herzogliche Gesellschaften, bei der Schopenhauer deklamatorische Thees, Malerei, Kügelgen über mir, Werner in der Nähe, Falk mit Schattenspielen, die er vordeklamiert« 59 . Schon zwei Jahre vorher hatte er in einem Brief B E T T I N E N die Aussicht aus seinem Heidelberger Zimmer auf die Neckarhöhen beschrieben, »an denen die Wagen wie an einem chinesischen Schattenspiel, wie Schatten gegen die helle Luft herumfahren« 80 . In der Familie B R E N T A N O waren improvisierte Komödien- und Puppenspiele seit je gang und gäbe, sie bildeten vor allem zu Familienfesten und Geburtstagen einen wichtigen Teil der Geselligkeit im »Goldenen Kopf«, auch Schattenspiele gehören zu den durchaus nicht ungewöhnlichen Unterhaltungen im B R E N T A N O S c h e n Familienkreis: ein Geburtstag der C L A U D I N E P I A U T A Z wird durch ein von C L E M E N S verfaßtes Schattenspiel und andere Komödien gefeiert 61 , bei G U A I T A spielt man 1 8 1 1 Das Loch, C H R I S T I A N entwirft 1 8 1 6 ein Schattenspiel, »Der unglückliche Franzose«, in dessen Vorwort zum Druck von 1850 er bestätigt, damit sei »lediglich eine Belustigung des Familienkreises seiner Verwandten in Frankfurt am Main b e a b s i c h t i g t , in welchem solche Produktionen eine traditionell übliche Unterhaltungsweise waren« 62 . Wie wenig diese Tradition bei der nächsten Generation abriß, zeigt ein Brief FREIMUNDS aus dem Jahre 1823, in dem der Knabe dem Vater mitteilt, die Tante Savigny habe den Kindern »ein Schattenspiel geschenkt, dazu schneidet Herr Biedermann (der derzeitige Hofmeister, G . K.) mit uns in den Spielstunden Figuren aus, auch werden wir nächstens ein Theater machen« 63 . Und aus M A X I M I L I A N E S Erinnerungen wissen wir, daß auch die Komödienspiele im Familien- und Freundeskreis weiterhin gepflegt wurden 64 . In Frankfurt selbst waren die Schattenspielaufführungen auf den Straßen nie abgebrochen: als A U G U S T V O N G O E T H E zur Ostermesse 1805 seine Großmutter besuchte, schrieb er nach Weimar, daß es in Frankfurt viel zu sehen gäbe, »z. B. Steinfresser

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Steig II, 241. Steig II, 25. 61 vgl. Clemens Brentanos Frühlingskranz, aus Jugendbriefen ihm geflochten, wie er selbst schriftlich verlangte. Königsberg 1907, 60

S.289U.0.

62 Christian Brentano, Der unglückliche Franzose oder Der Deutschen Freiheit Himmelfahrt. Ein Schattenspiel mit Bildern. Aschaffenburg 1850. S. 5. 63 Arnim und Bettina a. a. O., Bd. 1, S. 416. 64 vgl. Johannes Werner, Maxe von Arnim. Leipzig 1957.

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und Steinfresserinnen Reiter Schatten- und Puppenspiele etc«65, und wenn sich Arnim besuchsweise dort aufhielt, hatte er wohl Gelegenheit, derartige Aufführungen zu sehen. Familientradition und lebendige Volkstradition wirken als anregende Faktoren bei der Entstehung von Arnims Schattenspiel zusammen. So wie K E R N E R schon 1809 durch eine Aufführung der ombres chinoises in Tübingen zu einem eigenen Schattenspiel veranlaßt wurde 66 , kam auch Arnim wieder mit diesen Spielen in unmittelbare Berührung, als er nun 1 8 1 1 mit B E T T I N A in Weimar Station machte, wo man außer in G O E T H E S Haus doch auch die Abende »in seiner sehr angenehmen Gesellschaft auf dem Schießhause« verbringt, »das jetzt durch ein dreiwöchentliches Vogelschießen belebt wird, wo Katzenkomödie, Schattenspiel und Volkssängerinnen in angenehmer Abwechslung mit Lotteriespielern und Würfelspielern den schönen Baumgang nach dem Schießhause beleben«67. Die Summierung dieser Belege hatte einen doppelten Sinn: zum einen sollte auf die Tradition aufmerksam gemacht werden, in der Arnims Text steht. E s ist eine durchaus volkstümliche Spielund Unterhaltungssphäre, die in die Kultur des 18. Jahrhunderts und die Formen romantischer Geselligkeit hineinwirkt; zum anderen sollte die Art jener »Spiele« deutlich werden, die ja im Grunde nur Improvisationen und Bilderfolgen sind, ohne oder nur mit losem Zusammenhang, und nur selten durch eine geschlossene Handlung ein abgerundetes Spiel bilden. Einzelszenen, bewegte und durch optische Künste erzeugte Verwandlungsvorgänge und Metamorphosen werden einem schaulustigen Publikum dargeboten. Auch die Weimarer Aufführungen kommen ohne eigentliche Spielhandlung aus: die beiden Teile des Minerva-Spieles, Minervas Geburt und Huldigung Goethes, stehen in lockerer Verbindung, die textliche Grundlage ist nicht mehr als ein Gerüst für die freie Entfaltung eines pantomimischen und bilderreichen Spieles. F A L K S FaustAufführung beschränkt sich auf einzelne, ausgewählte Szenen; und auch das Schattenspiel B R E N T A N O S war nur eine revueartige Folge von Szenen aus dem engeren Familien- und Freundeskreis mit vielen persönlichen und lokalen Anspielungen68. Erst dadurch, 65 August von Goethe an? Der Empfänger ist nicht zu ermitteln. Der Brief ist ungedruckt und im Besitz des Freien Deutschen Hochstifts, er liegt aus im Frankfurter Goethehaus. 66 vgl. Kerners Briefwechsel a. a. O., Bd. 1, S. 33. 67 Andacht zum Menschenbild. Unbekannte Briefe von Bettine Brentano. Jena 1942. S. 172. 68 vgl. Brentano, Werke. Hrsg. v. Friedhelm Kemp. Darmstadt 1966. Bd. 4, S. 890fr.

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daß die romantischen Schattenspiele auf eine andere stoffliche Grundlage gestellt werden, vermögen sich kleinere Spielhandlungen zu bilden, und so entstehen Texte von eigenem literarischen A n spruch und Wert. U H L A N D hatte K E R N E R auf die Tauglichkeit der Volksbücher verwiesen, und K E R N E R S Stück ist das erste Schattenspiel, das einen geschlossenen Handlungszusammenhang aufweist, mannigfach durchbrochen freilich v o m arabeskenhaften Spiel kaleidoskopartiger Verwandlungen und Effekte. Arnims Spiel setzt diese Tendenz fort, und dadurch, daß nun Novellen und Schwankstoffe zu Schattenspielen umgestaltet werden, rückt diese neue ästhetische Gattung zugleich in den engeren Zusammenhang mit der romantischen Komödiendichtung, in der der stoffliche Vorwurf eine nicht minder große Affinität zu Novelle und Schwank, zu den novellistischen Komödien Shakespeares aufweist 69 . Es hatte sich schon die damalige Modeliteratur, noch ehe die Romantik das Schattenspiel zu neuem Leben erweckte, des klangvollen Titels bedient, ohne damit doch auf die geschilderte Spieltradition bezogen zu bleiben: 1797 waren in Berlin anonym zwei Bändchen erschienen, die sich »Schattenspiele« nannten 70 und von A . W. S C H L E G E L sehr wohlwollend rezensiert wurden 7 1 . Prosastücke unterschiedlichen Umfangs sind es, unbedeutenden, faden oder lasziven Inhalts, ein Gemisch aus Sentimentalität, Trivialität und witziger Geistreichelei, flüchtige Szenen und kaum v o n ästhetischem Interesse. »Schattenspiele der Einbildungskraft, w o Könige, Bettler, T o d und Teufel durcheinander tanzen«, heißt es hochtrabend im Vorwort 7 2 . Die Bezeichnung »Schattenspiel« ist in bildlichem Sinne gemeint. Dergestalt erscheint das Schattenspiel als literarischer Topos in der deutschen Literatur bereits seit dem Barock in Zusammenhang mit Motiven der Eitelkeit und Vergänglichkeit irdischer Schönheit 73 . In der anakreontischen Lyrik tritt Amor als Schattenspielmann auf, der einer verliebten Nymphe aufreizende und verführerische Bilder zeigt und ihr die Ruhe raubt 74 . Der Schattenspiel- und Raritätenkastenmann der Jahr89 vgl. G. Kluge, Spiel und Witz im romantischen Lustspiel. Zur Struktur der Komödiendichtung der deutschen Romantik. Diss. Köln 1963. S. 39fr. 70 Schattenspiele. Bd. 1 und 2. Berlin, bey Fr. Maurer 1797. 7 1 vgl. A. W. Schlegel, Sämtliche Werke. Hrsg. v. E. Böcking. Leipzig 1846t. Bd. 11, S. 92—93. 72 Schattenspiele a. a. O., S. 3. 73 vgl. Benjamin Neukirchs Anthologie. T. 1. Hrsg. v. A. G. da Capua u. E. A. Philippson. Tübingen 1961. S. 459. 74 vgl. Briefe des Herrn Johann Georg Jacobi. Berlin 1778. S. 661,: Das Schattenspiel.

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marktspiele »mit Orgel und bildender Lampe« 75 trägt die Welt im Bilde in seinem Kasten; mit seinem stereotypen Lied »Orgelum, Orgeley, Dudeldum, Dudeldei« lockt er Zuschauer, um ihnen die »Narrheiten der Welt«, auf geschliffene Gläser gemalt, zu zeigen76. Für den jungen G O E T H E ist der Raritätenkasten mit seiner Vergegenwärtigung der Ständefolge ein Bild der Weltordnung und Menschheitsgeschichte. Werther verwandelt sich das Dasein in ein marionettenhaftes, totes Leben wie in einem Raritätenkasten, als er nicht mehr aus der Kraft der Innerlichkeit und aus der Intensität ursprünglichen Gefühls einen Welt- und Lebensbezug findet77, und in der Kunstauffassung der Zeit erscheint im Bilde des Raritätenkastens jenes Drama, das in umfassender Totalität Natur und Geschichte in gewaltigen Gemälden zur Darstellung bringt 78 . In der Goethezeit werden generell Phantasiegebilde gern als Schattenspiele bezeichnet, um deren irrealen Charakter und eine Lebensferne ihrer Erscheinungen zu charakterisieren. Der Gegensatz von Sein und Schein, Wahrheit und Einbildung spricht sich häufig im Bild des Schattenspiels aus79. Die Entwertung der irdischen Welt, das vanitas vanitatum vanitas im christlichen Sinn und die Skepsis gegenüber den Produkten der Einbildungskraft und des Verstandes bedienen sich desselben literarischen Topos. Je nachdem, wie man die Akzente setzt, meint das Schattenspiel das Flüchtige und Bunte der Erscheinungswelt oder die phantastische Bilderwelt der Poesie. So spricht es in Kunst und Leben eine Auffassung aus, die entweder die Autonomie der Einbildungskraft zu relativieren sucht und die Gefährdungen bewußt macht, denen der Mensch ausgesetzt ist, sofern er Wirklichkeit nur nach seinen Vorstellungen, den täuschenden Schattenbildern des Wirklichen bemißt, oder die die schwankenden Bilder und Eindrücke des Lebens nicht zu bannen vermag, um ihnen die Beständigkeit des inneren Besitzes zu geben. Die Wirklichkeit zerfällt in eine Fülle von Einzelbildern 76 vgl. Johann Heinrich Voß, Abendempfindung. Sämmtl. poet. Werke. Leipzig 1850. Bd. 4, S. 74. 76 zit. nach M. Herrmann a. a. O., S. 5 f. 77 Goethes poetische Werke. Stuttgart 1958. Bd. 6, S. 74; vgl. auch: R. Majut, Lebensbühne und Marionette. Berlin 1931; August Langen, Anschauungsformen in der deutschen Dichtung des 18. Jahrhunderts. Rationalismus und Rahmenschau. Jena 1934. S. 107fr. 78 vgl. Paul Böckmann, Der dramatische Perspektivismus in der deutschen Shakespearedeutung des 18. Jahrhunderts. In: Vom Geist der Dichtung. Gedächtnisschrift Robert Petsch. Hamburg 1949, S. 65 bis 119. 79 vgl. z. B. Schiller, Poesie des Lebens; Die Räuber IV, 2. Weitere Belege können hier nicht gegeben werden.

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und ist vom erlebenden Geist in ihrer Totalität nicht mehr begreifbar. Nur in der unendlichen Folge der Bilder und Eindrücke schließt sich das Leben zu einer scheinbaren Ganzheit zusammen. Leben und Wirken der Natur verwandeln sich dem Menschen in schemenhafte Bilder, und ihr wahres Sein verbirgt sich unter der Fülle des Aufzunehmenden. Das Bild des Schattens wird Signum neuzeitlicher Bewußtseins- und Erkenntnisproblematik, während der Sturm und Drang-Generation gerade die Totalität des Seins, eine harmonische ständische Geordnetheit des Weltzusammenhangs und allenfalls die davon marionettenhaft empfundene Abhängigkeit des Menschen im Schattenspielmotiv deutlich werden konnte. »Die äußeren Dinge des Lebens gehn ziemlich vor mir vorüber wie ein Schattenspiel, und mein Herz ist Dir ewig zugekehrt und schöpft ewig aus Dir alle Wahrheit seines Daseins« 80 , schreibt K A R O L I N E an W I L H E L M VON H U M B O L D T , und S A V I G N Y nach einer Italienreise: daß sie »das herrliche Land wie in einem Schattenspiel« an sich hätten vorübergehen lassen 81 . Für K E R N E R ist das Schattenspiel ein Bild des schwankenden und verrinnenden, nur in der Erinnerung zu bewahrenden Lebens. In der romantischen Dichtung begegnet das Schattenspiel als Zeichen und Abriß einer höheren Welt, als Beispiel flüchtigen oder abgestorbenen Lebens häufiger. Gerade die Beziehungsfülle, die sich aus der einesteils rein spielerischen Komponente, andererseits aus der Tragfähigkeit des Bildes als Ausdruck für Leben und Welt in seiner irdisch-vergänglichen Erscheinungsform, von Phantasie und Geistesprodukten in ihrer einseitigen, aus subjektiver Innerlichkeit entstandenen Selbstherrlichkeit ergab, hat die romantischen Poeten bei der Verwendung dieses Motivs gereizt 82 . In Arnims Dichtung ist alles Reale nur Verweis auf ein Geistiges, Göttliches, aber trotz seines Zeichencharakters hat das Irdische eine eigene Lebendigkeit und Dynamik, weil sich gerade in der Ambivalenz des Gegenständlichen die »Heimlichkeit der Welt« bekundet, welche zum Thema aller Arnimschen Dichtungen wird. Der Schattenriß als Projektion einer höheren Lichtquelle ist demgegenüber für Arnim ein die Tiefe und Einheit der Welt, den lebendig-metamorphotischen Charakter 80 Wilhelm und Karoline von Humboldt in ihren Briefen. Hrsg. v. A. v. Sydow. Berlin 1918. Bd. 1, Briefe aus der Brautzeit. 1787—1791. S. 455. 81 K. v. Savigny an Bang, 23. 4. 1826. In: Adolf Stoll, Karl v. Savigny. Ein Bild seines Lebens mit einer Sammlung seiner Briefe. Berlin 1929. Bd. 2, S. 326 (im folg. zit. Stoll). 82 Belege kann ich dafür hier nicht geben. Eine Untersuchung liegt noch nicht vor. Vgl. allenfalls M. M. Rauraty, Hoffmann und die ombres chinoises. In: Mitt. d. E. T. A. Hoffmann-Ges. 11, 1964, S. 11—23.

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ihrer historischen Erscheinungen nicht genau treffendes Bild, und so verwendet er diesen Topos als Bild für Welt und Leben seltener als in der ganz konkreten Bedeutung als scherzhaftes Spiel mit der Zauberlaterne83 oder eben dort, wo die dämonische Erstarrung des Lebendigen ausgedrückt sein will, wie in Vasthis grausiger Verwandlung am Ende der »Majoratsherren«. Bezeichnenderweise gründet Arnim auf die Gattung Schattenspiel kein ästhetisches Programm. Im Prolog gibt er wohl eine eigene Auffassung vom Schattenspiel und dessen Entstehung kund: die Schattenbilder rücken in die Nähe des Traumes, sie bringen die versunkenen und im Getriebe des Tages übersehenen Bilder, der Vergessenheit schon anheimgefallen, erneut vor die Sinne, und sie erinnern durch ihre klaren, deutlichen Umrisse den Menschen an das, was in der Phantasie verwischt und trüb nur in verzerrten Bildern bewahrt wird. Die Liebe erfand den Schattenriß als Treuebild getrennter Geliebter; er ist ein beseeltes Bild, weil der Liebende es in der Kraft seines Gefühls und der Heiterkeit der Erinnerung zu halten weiß. Der Scherz hat es der Liebe jedoch nachgemacht, und so ist im modernen Schattenspiel dessen heimlicher Ursprung aus Seelentiefen kaum noch erkennbar. Das Schattenspiel ist ein Produkt des Scherzes, eines Sohnes der Liebe, und mithin ein Geschwister von Puppenkomödie, Hanswurstiade und Fastnachtspiel. Damit ordnet sich Arnims Schattenspiel der Intention des romantischen Lustspiels zu, das die Idee des freien, ungetrübten Spiels verwirklichen will, wobei keineswegs ausgeschlossen ist, daß in ihm ernste Probleme des Lebens oder der Zeit zur Darstellung kommen. Z u r A n a l y s e des Stücks Obwohl Das Loch nur eine Gelegenheitsarbeit ist, steht es in Arnims dichterischem Gesamtwerk durchaus nicht an einer untergeordneten Stelle wie manches andere Stück aus der »Schaubühne«. Viele Motive aus den Prosadichtungen kehren wieder, die Idee des wiedergefundenen Paradieses spielt in Arnims Dichten und Denken eine wichtige Rolle; interessant ist das Schattenspiel zudem wegen seiner Anspielungen auf Zeitereignisse. Die Auseinandersetzung mit Gegenwartsproblemen ist hier freilich in ein verklausuliertes Spiel gehoben und entbehrt des paradigmatischen Charakters wie in der »Gräfin Dolores«. So scheint es geboten, zunächst diesen Anspielungen nachzugehen, soweit sie für uns 83 vgl. Arnim, SRE i, 101; 117; 176; 728; SRE 2,41; 727; SRE 3, 63; 742t

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noch entschlüsselbar sind. Der Prolog bezieht sich kritisch auf Zustände im Frankfurter Theaterwesen84. Das 1782 neueröffnete Frankfurter Schauspielhaus wurde 1792 in eine Aktien-Gesellschaft umgewandelt, deren Direktorium, bestehend aus vier Aktionären (meist Kaufleuten und Bankiers), weitgehend Spielplan und Besetzungsfragen, abgesehen von allen verwaltungstechnischen Dingen, bestimmten, so daß der Magistrat der Stadt dabei wenig mitzureden hatte. Die Direktion wechselte in zyklischer Folge, und von 1796—1800 gehörte ein G. G U A I T A diesem Gremium an. Natürlich hatten die Familien B R E N T A N O und G U A I T A Aktien gezeichnet, die ersten Verse des Prologs spielen darauf an. In späteren Jahren besaß G E O R G E B R E N T A N O selbst Sitz und Stimme in dem erweiterten Comité der Direktion. Schon bald nach der Jahrhundertwende traten nicht nur finanzielle, sondern auch künstlerische Krisenerscheinungen infolge einer mangelnden straffen, beständigen persönlichen Leitung zutage. Die Aktionäre fühlten sich zu jeder Kritik an Stücken und Schauspielern berechtigt, um so mehr als damals eine professionelle öffentliche Kritik noch fehlte; individuelle Wünsche und Geschmacksrichtungen der finanzkräftigsten Aktionäre gaben mehr und mehr den Ausschlag, so daß eine vernünftige Spielplanpolitik erschwert" wurde und gerade nach 1810 das Niveau des Theaters erheblich sank. Unser Prolog erinnert auch an dieses Kritikastertum, das Arnim so sehr verachtete85. Schon 1806 hatte er anonym in Reichardts musikalischer Zeitung »Etwas über das deutsche Theater in Frankfurt am Mayn. Von einem Reisenden« publiziert und dieselben Mißstände angegriffen: ohne alle Absicht sei der Spielplan, »was hat da das Schauspiel wie jede andere Kunst für einen höheren

84 Zum Frankfurter Theaterleben vgl. Ludwig Holthoff, Zur Geschichte des Frankfurter Schauspielhauses. Historische Skizze. Frankfurt 1878; A. H. E. von Oven, Das erste städtische Theater zu Frankfurt am Main. Frankfurt 1872. Auch Frommanns Brief anTieck v. 17.12. 1801 (Letters of L. Tieck. Hrsg. v. E. H. Zeydel. New York 1937, S. 32L). 85 vgl. Arnims Aufsatz »Über eine Theater-Kritik«. In: L. Geiger, Unbekannte Aufsätze u. Gedichte (von A. v. Arnim). Berlin 1892; hier spricht er vom »bethlehemitischen Kindermord der Kritik«, deren Verderben darin liege, daß »jedes Lob überflüssig, der Tadel allein unterhaltend erscheint« (36). Hochmut, Überdruß, Langeweile, Teilnahmslosigkeit breiten sich in der Gesellschaft aus, der »Kunstsinn«, »beim ersten Blick das Wesentliche, das, was einen Künstler veranlaßte und wie viel er erreichte zu erkennen« (35), geht verloren, »und so kommt die Welt in ein Greisenalter, das nur durch Revolutionen verjüngt werden kann« (35).

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Richter als den Einfall« 86 . Das Abwechselnde im Repertoire ist in Wirklichkeit nur »ein schwindelndes Drehen«, in regelmäßiger Folge erscheinen die Stücke wieder auf dem Plan. So habe das Frankfurter Theater »das sonderbare Schicksal eben so durch die reichliche Unterstützung der Bewohner verdorben zu werden, wie in den meisten anderen Städten durch Mangel und Vernachlässigung« 87 . Die Prognosen sind ungünstig, eine bessere Entwicklung werde gehindert vor allem durch »das Zerstörende einer gemeinen tückischen Kritik alter Sünder, die selbst zum Verfall des Theaters am meisten beigetragen« 88 . Arnims Kritik an der Kritik im Prolog wird die satirische Spitze abgebrochen, weil sie kontrapunktiert ist mit einer positiven Begründung des eigenen Unternehmens, in dem die Kunst sich heute neue Bahn bricht. Die Berechtigung der Kritik wird gerade mit dem Hinweis darauf, daß es sich um eine neue Kunstform handelt, bestritten, und nur als Rat und Hilfe hat sie Gültigkeit, d. h. der Kritiker müßte hier heulen mit den Wölfer?9. Der Prolog illudiert den Zuschauer nicht nur in eine eigenartige Spielwelt, das Spiel mit der Kritik intendiert zugleich die Maßstabslosigkeit, mit der man den Spielvorgängen gegenübertreten soll. Die Beschwörung der Schatten aus der Erinnerung, des Geisterreichs phantasiegebundene Figuren rechtfertigen alle Willkürlichkeiten des Dichters. Der Prolog schafft freie Bahn, indem er nicht nur ein Spiel ankündigt, sondern vor allem durch die spielerische Variation des Schattenmotivs den Menschen in die Freiheit kritikloser Anschauung erhebt. Die dadurch gewonnene Indifferenz des Zuschauers wird der Ansatzpunkt, von dem aus der Dichter sein eigenes Stück rechtfertigt und zugleich sein Spiel mit dem Zuschauer treiben kann; der Prolog erscheint als eine witzige captatio benevolentiae des Poeten, als Trick, sich der Zustimmung des Zuschauers zu versichern und die politische Satire zu entschärfen. Die komprimierte und auf den szenischen Wechsel zwischen Türsteherhaus und Turmzimmer zugespitzte Dramatisierung des Schwankes ist erweitert — außer durch einige Anspielungen auf die damals nicht mehr sonderlich aktuelle Schäfermode in der Literatur und die eben beginnenden altdeutschen Studien — durch 89 »Etwas über das deutsche Theater in Frankfurt am Mayn«. In: Berlinische Musikalische Zeitschrift. Hrsg. v. J. F. Reichardt. No. 6. 2. Jg. 1806. S. 21. 87 ebd. 88 ebd. 89 »Das Anerkennen ist das Allerhöchste, was der Mensch erreichen kann und das Tadeln das Allerschlechteste; das Bessermachen ist gewiß nur auf dem Wege des Anerkennens zu erreichen«. Geiger a. a. O., S. 99.

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eine scharfe, obgleich heiter gehaltene Abrechnung mit H A R D E N Politik, insbesondere der Steuergesetzgebung. Die Opposition des preußischen Adels gegen H A R D E N B E R G S Reformen hatte im Frühjahr 1811 zu einer offenen Frontstellung unter Führung der Grafen F I N K E N S T E I N und VON D E R M A R W I T Z geführt, um die Adelsprivilegien zu verteidigen und eine ständische Vertretung zu sichern, die H A R D E N B E R G schon lange versprochen hatte, die aber noch für Jahre ein nur papiernes Zugeständnis bleiben sollte. In Arnims »christlich-teutscher Tischgesellschaft« zentrierte sich die Opposition gegen den Staatskanzler: M A R W I T Z , K L E I S T , A D A M M Ü L L E R , F O U Q U E ; dennoch schließt sich Arnims Kritik nicht den Wünschen der Adelsfronde an90, sie richtet sich allgemeiner gegen die Grundlagen der HARDENBERGschen Staatsauffassung und die M e t h o d e n seiner Gesetzgebung. Der wesentliche Gedanke der S T E i N s c h e n Reformpolitik, daß der Staat n i c h t eine Konzentration aller Machtmittel zu autoritärer und despotischer Herrschaft sei, sondern »ein religiös-sittlicher Verband«91, eine »Zusammenfassung der sittlichen Kräfte des Volkslebens und höchstes Mittel zu ihrer Entwicklung«92, die romantische Idee eines Staates nicht als Ergebnis eines Vertrages, sondern als Gewächs des Volksgeistes ( A R N D T ) , dessen Reform aus den sittlichen Kräften des Volkstums zu erfolgen habe, diese Idee war durch die Politik H A R D E N B E R G S , die Macht »der rein staatlichen Autorität durch eine stramme bureaukratische Verwaltung«93 zu mehren und zu sichern, gefährdet. Arnims Kritik richtet sich gegen die veraltete Konzeption eines wohlreformierten, aber volksfremden Staatsapparates, in dem die Repräsentation unmittelbar von der Regierung selbst auszugehen habe und »wie eine gute Gabe von oben« herabkommen müsse94. Der Gegensatz zwischen dieser mechanistischen und einer organischen, auf die Idee des Volksgeistes gegründeten Staatsauffassung, der zufolge der Staat »in der Natur des Menschen BERGS

90 vgl. Herma Becker, Achim von Arnim in den wissenschaftlichen und politischen Strömungen seiner Zeit. Berlin 1912, S. 75; Wilhelm Steffens, Hardenberg und die ständische Opposition 1810/1811. Diss. Göttingen 1907; P. Kluckhohn, Persönlichkeit und Gemeinschaft. Studien zur Staatsauffassung der dt. Romantik. Halle 1925; Ernst Klein, Von der Reform zur Restauration. Finanzpolitik und Reformgesetzgebung des preußischen Staatskanzlers Karl August von Hardenberg. Berlin 1965. 81 Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Bd. 1. Freiburg 1929. S. 329. 92 Friedrich Meinecke, Das Zeitalter der deutschen Erhebung (1795 bis 1815). Bielefeld-Leipzig 1924. S. 48. 93 Meinecke a. a. O., S. 52. 94 Meinecke a. a. O., S. 97.

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begründet« ist95 und »die innige Verbindung der gesamten physischen und geistigen Bedürfnisse, des gesamten physischen und geistigen Reichtums, des gesamten inneren und äußeren Lebens einer Nation zu einem großen, energischen, unendlich bewegten und lebendigen Ganzen«96 darstellt, spiegelt die Kontroverse zwischen Aufklärung und Romantik. Nur auf diesem geistesgeschichtlichen Hintergrund ist auch Arnims Aversion gegen das Freimaurertum zu verstehen. Es ist weder Zufall, daß Arnim diese Bewegung aufs Korn nimmt, noch ein sich anbietendes Wortspiel, weil Kasper dem Ritter beim Mauern des Hauses helfen soll. Diese Szenen richten sich eindeutig gegen H A R D E N B E R G . Dieser war selbst Freimaurer, und er hat gerade in jenen Tagen des Jahres 1 8 1 1 , als sich seine Position erneut zu festigen begann, die Staatskanzlei und Büros mit Logenbrüdern zu besetzen gewußt97. Die letzten Verse der Szene II waren seinerzeit höchst aktuelle, die Tagespolitik kritisch kommentierende Enthüllungen! Die Opposition der Romantiker knüpft an Gedanken an, die schon viele Jahre früher laut geworden waren, als führende Köpfe ihr Unbehagen am alten preußischen Staat kundgaben. 1793 hatte sich F I C H T E gegen den Staat ausgesprochen, der »durch das mannigfaltige Spiel der Maschine, und durch die Elasticität des menschlichen Geistes, der es belebte« gegen die Natur sündigte und den Menschen als selbständiges Wesen entmündigt98. A R N D T schalt den friderizianischen Staat, weil in ihm »alles nur Maschine I J a Maschine! Maschine!« war99. Nun, fürchtete man, werde sich das Staatswesen unter H A R D E N B E R G abermals zu einem ähnlichen »Dienstmechanismus« ( S T E I N ) entwickeln, dessen negative Auswirkungen man bereits an der Art seiner Gesetzgebung zu spüren bekam. Arnim erfindet für seine Kritik die Regierungsmaschine, eine Allegorie dieses Staatsgedankens und der legislativen Methoden H A R D E N B E R G S 1 0 0 . S T E I N S Grundsatz, daß die Teilnahme der Nation 95 Adam Müller, Von der Idee des Staates und ihren Verhältnissen zu den populären Staatstheorien. In: A. M., Ausgew. Abhandl. Hrsg. v. J. Baxa. Jena 1931. S. 6. 98 ebd. S. 13. 97 vgl. Hans Haussherr, Hardenberg. Eine politische Biographie. T. 3. Die Stunde Hardenbergs. Köln 1965. S. 199. 98 Johann Gottlieb Fichte, Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution. 1793, S. 92. 99 Ernst Moritz Arndt, Geist der Zeit. 1. Teil. Ausgew. Werke. Hrsg. v. H. Meissner. Leipzig o. J. Bd. 9, S. 158. 100 Wahrscheinlich geht diese Allegorie auf Arndts »Geist der Zeit« zurück, den Arnim zwar nicht kritiklos las (Steig I, 184), in dem aber wiederholt das alte Staatswesen mit einer Maschine verglichen wird.

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an Gesetzgebung und Verwaltung bei einer Reform des Staatswesens beachtet werden müsse, A R N D T S Gedanken, daß Gesetze gefunden und nicht gemacht werden müssen, wurden von H A R D E N 101 B E R G , der »den Beruf zur Gesetzgebung in sich« fühlte , in den Wind geschrieben. Gesetzgebung war Sache der Obrigkeit, und es seien dabei, empfahl der Kanzler, »mit großer Vorsicht Maßregeln zu treffen, daß sich kein hemmender Widerspruch gegen die Maßregeln der Regierung zu allgemeinem Verderben organisiere«102. Notabein, eine Art Scheinparlament, wurden berufen, die über die neuen Gesetze zu beraten hatten, obwohl H A R D E N B E R G eine wirklich gewählte Ständevertretung tunlichst zu umgehen suchte und »die Verfassung umwarf, alle Rechte mit Füßen trat, indem er von Regeneration des Staates redete«103 (vgl. Szene II). Männer wie G N E I S E N A U (er nannte die Notabein einen bloßen Regierungsapparat) und S A V I G N Y (er sprach von einer Zeit der Gesetzemacherei, während nach seiner Auffassung das Recht durch innere, stillwirkende Kräfte entstehe) äußerten ihr Mißfallen; am schärfsten vielleicht A D A M M Ü L L E R in einem Aufsatz der Berliner Abendblätter, in dem er verfocht, »daß die Gesetzgebung niemals die Sache eines einzelnen guten Kopfes sein könne, sondern daß sie nur aus dem Konflikt und der Beratung der bei der Existenz dieses Staates am meisten interessierten Stände hervorgehe«104. Bei der Ausübung seiner juristischen Rechte als Grundherr erhielt Arnim »eine feste Anschauung von dem absolut sinnlosen Narrenkram unserer inneren Einrichtungen«, daß nämlich jede neue Gesetzgebung sinnlos sei, sofern sie »von den übrigen bildenden Staatskräften« abgesondert ist. Nur auf der Grundlage einer Konstitution sei eine bürgerliche Rechtsprechung möglich, die eben nicht mehr Die Staatsmaschinerie sei so überkünstelt, »daß selbst die Gescheiten die Maschine nicht mehr in Gang halten können. So viele Netze mit mannigfaltigen Stricken, Fäden und Verknüpfungen sind sichtbar und unsichtbar gestellt, daß Jäger und Wildbret zugleich darin gefangen werden und bei der vergeblichen Arbeit sich loszuwickeln, sich nur immer tiefer zum Verderben darein verwirren« (Arndt, a.a.O., S. 55); man habe »das Tote als Maschine des Staates über den Menschen gestellt« (S. 226 u. ö.). Freilich taucht der Vergleich des Staates mit einer Maschine schon früher auf, z. T. sogar positiv gemeint, etwa in Schlözers »Allgemeinem Staatsrecht« (1795): der Staat sei eine »künstliche, überaus zusammengesetzte Maschine, die zu einem bestimmten Zwecke gehen soll«. 101 Haussherr a. a. O., S. 233. 102 Meinecke a. a. O., S. 97. 103 Aus dem Nachlasse Friedrich August Ludwig's von der Marwitz. Berlin 1852. Bd. 1, S. 324. 104 Adam Müller, Vom Nationalkredit. In: H. v. Kleist. Berliner Abendblätter. Leipzig 1925. S. 159t. (Faks.dr. literar. Seltenheiten. 2.).

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»wie ein todtes abgesondertes Stück der Verfassung, sondern als Organ des Ganzen« anzusehen ist 105 . Seine Kritik an der Gesetzgebung wurzelt in der nicht praktizierten organischen Verbindung legislativer und konstitutioneller Maßnahmen, denn die Notabein waren ja keine Repräsentanten, sondern Berater, denen überdies H A R D E N B E R G zur Pflicht machte, »auf die allgemeine Stimmung heilsam zu wirken und Vertrauen und Folgsamkeit zu begründen« 1 0 6 .

Die

Historiographie

beurteilt

die

HARDENBERGSche

Steuergesetzgebung sehr skeptisch, Arnim urteilt nicht wesentlich anders (Szene II). Wenn H A R D E N B E R G sich wirklich dazu berufen fühlte, »den Geist der Zeit in Gesetzesform zu binden . . ., den Umsturz zu vermeiden, indem er das, was der Geist der Zeit einmal erzwingen würde, als Gesetzgeber freiwillig gewährte« 107 , so wurden diese Gesetze doch über den Kopf der Bevölkerung hinweg und zu deren Ungunsten im Geiste eines Obrigkeitsstaates erlassen, so daß Arnims Kaiser wohl sagen kann, daß dieser Geist der Zeit — seit A R N D T zur Parole geworden, hier nur noch Phrase — ihm die Taschen fülle. Einer der jungen Staatsmänner, die H A R D E N B E R G mit nicht weniger Mißtrauen beobachteten wie die Dichter, W I L H E L M VON G E R L A C H , verwahrte sich damals gegen solche Spekulationen mit dem »Geist der Zeit«, hinter dem sich immer Fremdländisches ins nationale Leben hineinschmuggeln ließ, das eine echte Regeneration der Nation erschwerte. Im Dezember schrieb er dem Bruder L E O P O L D : »In unseren neuen Verordnungen wirst Du den Zeitgeist oft zitiert finden, d. h. den französischen Geist. Vom Volksgeist ist nie die Rede!« 108 . Den Volksgeist hat der Zeitgeist aufgesogen. Die Obrigkeit hat ihn usurpiert und macht mit ihm ihr Geschäft. Das organische Wechselleben zwischen Volk und Herrscher ist gestört. Die Parodie weist darauf hin: Das Volk ist in uns, wir sind im Volke! | Das Volk ist eine ungestaltete Wolke. Arnims Kritik richtet sich gegen die Mißachtung des Volkes als der historisch gewachsenen, keinesfalls amorphen, sitdichen Gemeinschaft »einer langen Reihe von vergangenen, jetzt lebenden und noch kommenden Geschlechtern . . ., von denen jedes einzelne, und in jedem einzelnen Geschlechte wieder jedes einzelne menschliche Individuum, den gemeinsamen Bund verbürgt, und mit seiner gesamten Existenz von ihm verbürgt 106 R. Steig, Achim von Arnim über Savignys Buch vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung. Zs. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgesch. Germ. Abt. 13. Bd. 1892. S. 229—30. 106 s. Klein a. a. O., S. 179. 107 Haussherr a. a. O., S. 234. 108 zit. nach Haussherr a. a. O., S. 236.

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wird« 1 0 9 . Alles Maschinelle, Mechanische des Staatsapparates mißachtet das Leben als Individualität in seiner generischen Verflochtenheit mit dem Volksganzen. »In Verfassungen, wie die westfälische war, die gar nicht in dem Geiste des Volkes begründet, sondern als Maschine von den Angestellten bewegt wird, findet es sich sehr häufig, daß diese Angestellten in der Uberzeugung allgemeiner Glückseligkeit stehen, wenn sich diese Maschine nur rasch bewegt, ohne zu beachten, wie vielen sie die Glieder zerschmettert«110. Diese Sätze aus den »Anekdoten zur Zeitgeschichte« (1813/14) kommentieren am deutlichsten die politische Satire im Schattenspiel, zumal ja die westfälische Verfassung das Vorbild für Preußen abgab. Wenngleich Arnim wenige Jahre später über die Regierungsmaschinerie auch toleranter denkt, so hält doch die ihm eingewurzelte Abneigung gegen das Ministerwesen und insbesondere gegen das Amt des Staatskanzlers, das ihm in der Person 111 H A R D E N B E R G S zeitlebens verhaßt blieb, unvermindert an . Leben ist für Arnim Geschichte, in der das Alte immer wieder in neuer Gestalt und Pracht erscheint; Welt und Leben verjüngen sich jedesmal wieder, »wenn wir sie ganz abgetragen glauben« 112 . Der Gedanke einer Einheit in der Veränderung, der Metamorphose des einen Geistes, des Volksgeistes, der alles geschichtliche Leben bestimmt, widerspricht nicht nur einer mechanistischen Geschichtsauffassung, sondern auch einem maschinellen Lebensverständnis der Menschen, wie es die Regierungsmaschine allegorisiert. Leben und Geschichte lassen sich nicht planen 113 . Leben als nur maschineller Vorgang ist Tod, Erstarrung, Oberflächlichkeit, da bleiben die Tiefen der Welt, die dem Menschen verschüttet sind und ihm durch den Dichter neu eröffnet werden, verborgen. Ein solches Leben wird zur inhaltlosen Abfolge stets gleicher Vorgänge (vgl. 108 Adam Müller, Die Elemente der Staatskunst. Hrsg. v. J. Baxa. Jena 1922. Bd. 1, S. 145—146. 110 Arnim, SRE 2, 846. 111 vgj_ Arnim an Görres, 14. 6. 1817: »Den Regierungen bist Du zu gram, sie sind als Maschinen gut genug (wenngleich ein wenig kostbar), wenn die Mitte, die Minister und Staatskanzler nicht alle ihre Thätigkeit hemmten. Dieß Ministerwesen, das wir, wie so viele andre Dummheiten, aus Frankreich erhalten, ist der faule Fleck unseres Landes«. Görres, Briefe a. a. O., Bd. 2, S. 531. 112 Arnim, SRE 3, 352. 113 »Gräfin Dolores«, wo es von Karl heißt, »daß er die meisten Fehler begangen, weil er einen kleinen Plan, den er in einer Begebenheit entdeckt, für den Plan Gottes gehalten und ihn darum ohne Klugheit zu fördern gesucht hätte, wo es dann oft ganz anders ergangen, was er auch für recht und besser und würdiger dem Plane Gottes erkannt hätte«. SRE 1, 332.

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den Vetter in den »Majoratsherren«). Wo die Kunst aber ihren Auftrag verliert, wird sie zu einer Art »Feuermaschine, sie wird gebraucht, Bewegung hervorzubringen; die Bewegung ist aber fast immer dieselbe« 114 . In »Fürst Ganzgott und Sänger Halbgott« wollen Fürst und Sänger die Ämter tauschen, aber der Sänger warnt den Fürsten vor allzu großer Leichtfertigkeit beim Regieren: »Lernt erst den Takt, ehe die Menschen nach eurer Pfeife tanzen sollen. . . Höret und sehet! um dies eine bitte ich euch, die Geschichte ist keine Rechenmaschine, und was vorbei ist, läßt sich nicht mehr monieren, noch weniger ausradieren« 115 . Noch in einer anderen Erzählung taucht ein ähnliches Motiv auf: die Apparate und »Wundermaschinen« in »Wunder über Wunder«, mit denen in der pädagogischen Provinz die Wunder als Allheilmittel einer kranken, materialistisch gerichteten Zeit erzwungen werden sollen 118 . Das Maschinenwesen — auch in den mechanischen Kabinetten des Doktors in der »Gräfin Dolores« — ist Ausdruck einer Zeit, in der man nicht mehr an Wunder, d. h. die Geheimnisse der Welt und des Lebens glaubt, wie sie im Volke und seinen Bräuchen, seinem Glauben an das Unsichtbare noch fortleben 117 . In der Religion, der Poesie erfährt der Mensch die Einheit alles Lebens, und nur wer diese »Welteinigkeit« gewonnen, kann segensreich im großen wie im kleinen, in der Familie als Hüter der Sitte, im Staate als Hüter der Gesetze wirken: »macht euch erst allen Menschen gleich, eh ihr euch über sie erhebet« 118 . Der leitende Gedanke unseres Stückes ist, daß im 2. Akt diese Entfremdung von Mensch und Welt, Regierung und Volk überwunden wird. Nur die zeitgeschichtlichen Anspielungen im Zusammenhang mit Arnims Lebensverständnis dargestellt, erschließen das ganze Stück, das nach Handlung und Aufbau in zwei lose Teile zerfallt. Die literarische Satire bleibt demgegenüber flach. Die Handlungsführung im ersten Akt hält sich an die Schwankmotive. Lyrische Einlagen, in denen der parodistisch-scherzende Ton fallen gelassen ist, lockern die Szenen auf. Einfallsreich ist die Potenzierung des Schlusses durch die doppelte Täuschung, indem der getäuschte Kaiser nun das Volk täuscht und unbemerkt in den Wald flieht. Damit ist wohl ein Übergang geschaffen für den folgenden Akt, aber der Vorgang, der im Volksbuch zu einer Steig I, 95. Arnim, SRE 3, 27f. 118 Arnim, SRE 3, 461. 117 ygi_ E_ L. Offermanns, Der universale romantische Gegenwartsroman Achim von Arnims. Die Gräfin Dolores. — Zur Struktur und ihren geistesgeschichtlichen Voraussetzungen. Diss. Köln 1959, S. i4of. 118 Steig II, 82. 114

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Einsicht des Königs und zu einer Lehre führt, mündet in einen Spaß, durch den der Geprellte sich schadlos halten möchte, dabei aber selbst wieder zu Schaden kommt. Die Täuschung, die sich über sich selbst täuscht, ist ein Zentralmotiv in Arnims Dichtungen. So löst ein Scherz den anderen ab, und durch eine Folge an sich belangloser Schwanksituationen rundet sich das Stück zu einer arabeskenhaften Form. Auf die Personengestaltung einzugehen, erübrigt sich. Es herrscht darin gewollte Willkür. Von Charakteristik einzelner Figuren kann man nicht sprechen. Die Stimmungslagen wechseln sporadisch, eine Konsequenz des Verhaltens, Denkens und Fühlens sucht man vergebens. Es sind keine Menschen, sondern leblose Puppen, Schatten, die, wie es im Prolog heißt, einseitig sind. Ihr Ansehn •wechselt bei des Lichtes Stand, und so fehlt ihnen nicht nur jeder Lebensfunke, sondern auch ein unveräußerlicher Wesenskern, der sie als Charakter oder Person legitimiert. Der Prolog hat uns das Zugeständnis für jede dichterische Freiheit abgefordert, und so haben wir uns über nichts mehr zu wundern, auch nicht über die Behandlung des Kasper — ein Scherz, sonst nichts. Selbst die oft als ironische Illusionszerstörung im Sinne T I E C K S interpretierten Verse der Kaiserin-. Nein, das ist gegen alles Gefühl, | Menschenfleisch ekelt selbst im Schattenspiel reduzieren sich auf einen Witz, bedenkt man, daß die Figuren nur Schatten sind und daß hier jede psychologisierende Interpretation von vornherein verfehlt ist. Es kann keine Rede davon sein, daß hier »die Regeln der Mechanik auf Gebiete übertragen werden, wo sie in unseren Augen nicht gelten, nämlich auf die Beziehungen von Mensch zu Mensch oder auch auf die Beschaffenheit des Menschen, der — wie im Falle der Kaiserin, die mit dem Kopfe spielen soll — kaum mehr als eine zerlegbare Maschine ist« 119 . Das heißt, einem witzigen Einfall zu viel Ehre erweisen und den Schalk zum Philosophen machen. Die Mechanik der Puppen- und Schattenwelt darf nicht zur Analogie des Menschlichen erhoben werden; nicht Gott oder der Teufel ist hier der Spielleiter, beides sind Marionetten des Dichters, dem eigentlichen Gott dieses Spieles. Arnim wehrt sich, wie wir sahen, gegen die rationalistische Auffassung des l'homme machine, und Das Loch gewinnt daraus seine umfassende Satire. Im 2. Akt wandelt sich die politische Satire zur allegorischen Darstellung der Idee eines neugeschaffenen Menschentums, einer Erneuerung der Welt und des Lebens nach Gesetzesherrschaft und verhängnisvollem Regime des Bösen. Der Chor der Schloßgeister 119

Gerhard Falkner, Die Dramen Achim von Arnims. Ein Beitrag zur Dramaturgie der Romantik. Zürich 1962. S. 206.

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bildet das ideelle, das Motiv der doppelten Täuschung das dramaturgische Bindeglied zwischen beiden Akten. Der Gegensatz von Natur und Mensch erscheint als Kontrast von Notwendigkeit und Freiheit. In der Natur folgt alles ohne Freiheit der Notwendigkeit, mit der nicht nur ein gesetzmäßig funktionierender Mechanismus gemeint ist. Die Natur bildet nach den Bedürfnissen des Lebens. Gesetzhaft determiniert scheint nur die Konsequenz, mit der sie ihr begonnenes Werk vollbringt. Der Mensch dagegen ist von Natur frei und begabt mit der Verantwortlichkeit des aus eigenem Willen, aus eigener Vollmacht Schaffenden. Die Gesetze, welche ihn bestimmen, sind nur die ewigen Schranken des Lebens, Geburt und T o d ; er träumt immer neu die ewigen Gedanken der Menschheit, des Lebens, und daraus entwickelt sich seine Schaffenskraft in spielender Freiheit. Wo er dem Ewigen und Absoluten und nicht nur der Notwendigkeit und den unmittelbaren Lebensbedürfnissen folgt, erhält sein Werk die Weihe des Höchsten, bestätigt er sich als Ebenbild Gottes: ». . . und ich sähe Gottes Hand in der Hand des Menschen, der sein Ebenbild ist — verachte den Menschen nicht und was er geschaffen; denn was ganz menschlich ist, das ist auch ganz göttlich«, so schreibt Arnim im Jahre 1808 an B E T T I N A 1 2 0 — Gedanken über eine ursprüngliche Unschuld und Vollkommenheit des Menschen, die Ehrfurcht vor dem Menschen, der »Gottes Abglanz in seinem Gesichte« niemals völlig auslöschen kann 1 2 1 . Nur darin ist der Mensch nicht Gott, daß er die Folgen seines Handelns nicht absehen kann. Wohl bildet und schafft er nach freiem Willen, aber ein Allesgelingen ist ihm im Gegensatz zur Natur nicht garantiert. Freiheit ist Möglichkeit, und gerade deshalb ist das Leben wunderbar und unergründlich tief, ambivalent im Guten wie im Bösen, so daß alles Beginnen des Menschen in Freiheit geheiligt oder bestraft werden kann. Auch das Böse, was nichtig und schlecht, steigt frei im Menschen empor und ergreift dann von ihm Besitz, wenn er seine ewigen Gedanken vergißt, wenn die Zeit, die Geschichte sie verschütten. Sein Höchstes, die Freiheit, steht dann auf dem Spiel, und anstelle der ewigen Schranken, begrenzen, bedrängen ihn nun die irdischen Gesetze des Staates, die sich der Mensch selbst gegeben hat, um in Verblendung »Gott überflüssig zu machen« 122 . Der Mensch wird zur Maschine, Leben zum mechanischen Prozeß des Gehorsams, der Unterwerfung. So deutet der Chor rückblickend die politische Gesetzgebung als das Werk des Bösen (und der Teufel steigt ja auch aus der Regie-

120 121 122

Steig II, 81. Arnim, SRE 3, 265. G. Falkner a. a. O., S. 90.

Zur Analyse des Stücks

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rungsmaschine), zugleich gibt er aber auch die Perspektive an, in der sich das Stück vollenden wird: die ursprüngliche Bestimmung des Menschen zur Freiheit muß wieder verwirklicht werden, und das geschieht nun mit einer heiteren Radikalität, die nur in der Welt des Spieles, der Komödie, der Utopie des neugeschaffenen Paradieses möglich ist, wo sich der Mensch spielend der Freiheiten versichert, die das geschichtliche Leben ihm versagt. Der Gedanke eines triadischen Ablaufs der Weltgeschichte, der als geistige Voraussetzung für Arnims Gegenwartsroman erkannt wurde 123 , klingt an; aber während die »Gräfin Dolores« zeigt, wie der Mensch durch die Sünde seine höhere Bestimmung verlieren, diese durch Reue und Tat im täglichen Leben jedoch wiedergewinnen kann, gestaltet Arnim im Schattenspiel diesen Prozeß als zeitlosen Vorgang an generellen Figuren mit der Einfalt eines lächelnden Dichtergottes, der die alles lenkende Hand zeigt und sie im gleichen Augenblick für unsichtbar erklärt. Arnims jugendlicher Optimismus von der Reinheit des Menschen und der ewigen Erneuerung der Welt rettet und bewahrt sich in der Welt des Spieles; »so muß die Welt endlich schön werden, weil sie so schlecht wird« 124 , schrieb er an B R E N T A N O . Es ist die Idee des Spieles, die nun im 2. Aufzug an einem Motiv durchgeführt wird, welches vielleicht zur Deutung des ganzen Stückes herangezogen werden darf: die verkehrte Welt, ein in der Romantik nicht vereinzelter Topos. Der Teufel verfuhrt die Menschen zum Kriege und übergibt die Überlebenden der Herrschaft der Tiere; alle vernünftigen und gewohnten Ordnungen werden auf den Kopf gestellt. Die Tiere lassen sich vom Teufel täuschen und merken zu spät, daß sie sich damit die ihnen natürlichen Lebensbedingungen entziehen. Der Teufel prellt die Menschen, die in völliger Entmündigung in die Hölle verlangen, und die Tiere, denen er die Welt überläßt, damit sie verfalle, denn ohne die wirkende und schützende Hand des Menschen gedeiht nichts auf Erden. Die Herrschaft der Tiere über den Menschen erweist sich als verhängnisvoller Irrtum. Man könnte schon die Unterwerfung des Menschen unter die Produkte der Regierungsmaschine als eine verkehrte Welt bezeichnen, in der die natürliche Freiheit des Menschen pervertiert und durch Institutionen ersetzt ist. Auch im Prolog klingt das Motiv an, denn im Schattentheater sind die Gepflogenheiten des Theaterspiels umgedreht: In einem Haus, von Pappe aufgebaut, / Personen hinter Dekorationen schaut. Die Satire, die sich mit diesem Motiv verbindet, richtet sich nicht gegen einzelne Un123 124

7

Offermanns a. a. O., S. 17L Steig I, 94. KOMEDIA X m

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Materialien: Das Loch

Vollkommenheiten des Lebens, sondern gegen einen augenblicklichen Weltzustand und ist deshalb in ihrer Schärfe und Treffsicherheit stark abgeschwächt, denn Gottes überlegene Weisheit läßt keinen Zweifel daran, daß er die Welt aus diesem Zustand der Unordnung wieder herausführen wird. Arnim nutzt deshalb nicht eigentlich die Möglichkeiten zur Komik, die sich aus dem Motiv der verkehrten Welt ergeben, vielmehr verlangt gerade die Darstellung des Widersinnigen dessen Beseitigung 125 . Gelegentlich schrieb Arnim, »daß die Verkehrtheit allein das Wunderbare des Natürlichen aufhebt« 128 . Wie die vergebliche Mühe des Teufels zeigt, die Tiere über die Menschen zu setzen (eine vernunftlose Absurdität, denn die Tiere sind im entscheidenden Augenblick vernünftiger als der Teufel, vgl. Ende II, i), ist die verkehrte Welt nicht nur ein negatives, umgekehrtes A b b i l d des Wirklichen und Natürlichen, sondern geradezu dessen völlige E n t s t e l l u n g und Verfehlung, weil sie das Wesen des Wirklichen nicht trifft. Das Leben, die Welt ist voller geheimnisreicher Tiefen, und in der uranfanglich gesetzten Ordnung der Dinge liegt so viel göttliche Weisheit, daß der Mensch Gottes planende Weitsicht nur als Wunder zu ahnen vermag. »Kein Baum kann sich selbst beschneiden, das wirst Du mir zugeben, ein solcher Schneiderbaum wäre so merkwürdig wie ein Mensch, der sich selbst erzeugte; jeder Baum hat alles lieb, was an ihm treibt, die Blüthe, die ihn verherrlicht, das Moos, das ihn verdirbt, aber der Weltathem zieht hindurch, er stürmt das Moos ab und die trocknen Zweige, daß der Baum nicht verderbe, und die Blüthen, daß Früchte kommen« 127 . Arnims Thema ist die Wunderbarkeit des Natürlichen, die Heimlichkeit der Welt, welche durch die Gesetzesherrschaft des Staates nicht mehr wahrgenommen wird, weil der Mensch, aus ursprünglichen Ordnungsbezügen gerissen, seine Freiheit verliert und in einen rationalen Mechanismus eingespannt ist, der sein Leben entwertet. In diesem Sinne handelt es sich im Schattenspiel um Satire, aber um mehr als politische Zeitsatire 128 . Nicht die ein125 v gi (Jazu dieselbe Verwendung des Motivs in den »Metamorphosen der Gesellschaft«: »Verächtlich blickte er zu den Sternen, und rief in sich: ,Was soll diese strenge Ordnung da oben? Die Welt ist reif zum Untergange. Torheit predigt, Liederlichkeit musiziert, und beide meinen zusammen eine Kirche zu stiften, indem sie den letzten Rest des Würdigen mit Narrheit stempeln'« (SRE 3, 350); oder in »Marino Caboga«: »Ihr Leute, seht, so hat die Welt sich umgedreht, und eine andre Macht, die Freiheit, will erscheinen« (SRE 3, 504). 128 Steig II, 33. 127 Steig n , 82. 128 vgl. Dorothea Streller, Arnim und das Drama. Diss. Göttingen 1956, S. 37.

Zur Analyse des Stücks

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zelnen zeitbezogenen Anspielungen für sich sind wichtig, sondern ihre Integration in ein Spiel von der verkehrten Welt, d. h. die Welt ohne die Tiefe der Wunder, der Geheimnisse und ohne die göttliche Freiheit, die höchste Mitgift des Menschen. »Das Leben ist uns ewig offen«, heißt es in der »Gräfin Dolores«, »daß w i r uns schauend mit seiner Allgegenwart erfüllen, aber w i r selbst stehen uns im Lichte mit toter Vorsicht, wie mancher große Mann gähnend einem Kinde im Lichte steht, bei dem Festaufzuge, der das Kind entzückt hätte« 1 2 9 : eine Verkehrtheit, welche Leben verkennt w i e der Gesetzemacher, der »Konstitutionenschmied« (ARNDT), der es entstellt, wenn er Gesetze aus dem Geist der Zeit und nicht aus dem ewigen, unveräußerlichen Geist des Volkes gibt. In dem Augenblick, w o die Menschen zum Teufel gegangen sind u n d mit ihnen der Z w a n g einer alles freie Leben einengenden Gesetzesdespotie, w o in der herrenlosen Welt ein chaotischer Zustand zu beginnen droht, öffnet sich das Leben wieder dem Wunderbaren: die Wunder wirkende Hand Gottes greift ein und führt Ritter, Kaiserin und Matrosen gegen die Windrichtung ans Land. Die verkehrte Welt verkehrt sich in eine Welt des Glücks, der Liebe und der Beschaulichkeit, einer neuen ewigen Gemeinschaft der Menschen, die in einer solchen Welt »der Tiere Gott« sind, wie es im »Wintergarten« heißt 1 8 0 . Arnims Paradiesesvorstellung hat nichts gemein mit dem biblischen Bild eines uranfänglichen Lebens des Menschen im Garten Gottes; immer wieder begegnet die Vorstellung eines w i e d e r g e f u n d e n e n Paradieses 1 3 1 , einer Dreistufigkeit als weit- u n d heilsgeschichtlicher Prozeß, der ja fast für das gesamte Geschichtsdenken der Romantik kennzeichnend ist. Inwiefern Arnim von SCHELLING beeinflußt • ist, inwiefern er sich etwa von K L E I S T unterscheidet, für den das Paradies mit der Reflexion des Menschen verlorenging und nur i m Gang der Erkenntnis »durch ein Unendliches« 1 ' 2 wieder zu erlangen ist, kann hier nicht dargelegt werden 1 3 3 . Arnim, SRE i , 237. Arnim, SRE 2, 432. 131 vgl. die nach Schnabels Insel Felsenburg im »Wintergarten« eingelegte Erzählung gleichen Titels (SRE 2,159fr.); dgl. »Kronenwächter« (SRE i , 918) und »Gräfin Dolores« (SRE 1, 222). 132 H. v. Kleist, Sämtl. Werke u. Briefe. Hrsg. v. Helmut Sembdner. München 1961. Bd. 2, S. 345. 183 Vg|_ dazu; Hanna Hellmann, Heinrich von Kleist. Darstellung des Problems. Heidelberg 1911, S. 13 ff.; Benno v. Wiese, Das verlorene und das wieder zu findende Paradies. Eine Studie über den Begriff der Anmut bei Goethe, Schiller und Kleist. In: Kleists Aufsatz über das Marionettentheater. Studien und Interpretationen. Hrsg. v. H. Sembdner. Berlin 1967. S. 196 ff. Arnim wird dabei nicht berücksichtigt. 129

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7*

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Materialien: Das Loch

Jedenfalls handelt es sich bei Arnim nicht um einen Erkenntnispro2eß, an dessen Ende der Mensch mit dem unendlichen Bewußtsein, d. h. der Gott, wieder in das Paradies einkehrt. Arnim denkt einerseits enger in eigenwillig poetisierten christlichen Vorstellungen, wenn am Ende der »Majoratsherren« der sterbenden Esther Adam und Eva erscheinen, die tröstend »aus dem ewigen Frühlingshimmel des wiedergewonnenen Paradieses«134 blicken. Andererseits ist seine Paradiesesvorstellung nicht ausschließlich auf das Jenseits gerichtet oder ein poetisierter Himmel, sie zielt vor allem auf eine schon im Diesseits zeichenhaft erfahrbare oder in der Poesie erahnbare wiedergewonnene Einheit von Mensch und Welt, der »höheren Weltorganisation«, in der der Mensch der Ewigkeit teilhaftig ist so wie diese auch »jede Ahndung der Liebe, der Jugend und des Frühlings erfüllt« 135 . Das Paradies ist die »Welteinigkeit«, die sich dem Liebenden erschließt wie dem Dichter, dessen Phantasie die höhere und die irdische Welt, einst eine Einheit, zu vermitteln strebt. Ein tiefer Glaube an die Harmonie des Lebendigen und die ursprüngliche Güte der Welt steht hinter dieser Vorstellung. Im »Hollin« kommen die Liebenden in ein Tal, »da schien ihnen die Welt anders, sie glaubten sich im Paradiese und die einzigen Menschen auf Erden; sie lagerten sich unter einer Laube, wo ein Reh aufgesprungen war, die Schranken des Lebens öflneten sich, er fand und raubte die Myrtenkrone«138. Das Paradies ist die Ewigkeit, d. h. die Aufhebung der Grenzen des Lebens in Raum und Zeit. In der Erzählung »Die Kirchenordnung« heißt es im Lied vom »gewonnenen Paradies«: »Es spiegelt sich die Ewigkeit | In engster Gegenwart, | Und rückwärts die Vergangenheit | Erscheint in andrer Art« 137 . Das Paradies des Schattenspiels ist die Ewigkeit des Liebesglücks, in dem jeder Augenblick nur Freude und Heiterkeit weckt, weil kein unnütz Gesetz ihn beschwert. Die Gegenwart selbst wird Ewigkeit. Wenn in der historischen Romanwirklichkeit dem Menschen die Vorstellung von einer verborgenen Einheit alles Seienden nur als augenblickhafte Ahnung oder im symbolischen Bilde zuteil wird 158 , allenfalls als Utopie in einem legendären (vgl. das Ende von »Päpstin Johanna«) oder in einem von der Zivilisation unberührten Lande möglich ist (vgl. die Erzählung »Das wiedergefundene Paradies«), so verklärt 134

Arnim, SRE 3, 63. Arnim, SRE 3, 360. Arnim, SRE 1, 103. 137 Arnim, SRE 3, 147. 138 vgi_ Arnim, SRE 1, 918: »Susanna machte ein Kreuz und gedachte des Apfels wie eines wiedergewonnenen Paradieses, der heute ein gutes unschuldiges Kind von einem schmachvollen Tode errettet hatte«. 136

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Zur Wirkungsgeschichte

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und heiligt die Komödie das Leben und die Wirklichkeit mit der Weihe des Ewigen in einer Illusion des Spieles ohne die schmerzliche Resignation der Weltabkehr wie am Schluß des WaldemarDramas, wo sich auch, wie man gesagt hat, die irdische Welt »unversehens als gespiegelter Himmel« enthüllt139. Nicht um das Problem einer ständig ironisch infragegestellten Spielwirklichkeit geht es ja in der romantischen Komödie, sondern umgekehrt um die Illusion einer möglichst reinen, heilen, im Spiele vom Menschen zu bewältigenden Welt und deren möglichst ungetrübten, durch keine Nebenempfindungen gestörten Bestand. Zur Wirkungsgeschichte Von einer Wirkungsgeschichte des Schattenspiels kann man nur in einem ganz begrenzten Sinne sprechen. Andere zeitgenössische Aufführungen als die im Hause G U A I T A S sind nicht bekannt und bei der Aktualität des Stoffes auch unwahrscheinlich. Mitte Juni 1813 wurde das Buch ausgeliefert. Die Verbindung zu Freunden und Bekannten war durch die Kriegs wirren weitgehend abgerissen; so liegen von ihnen sehr wenige Urteile über die »Schaubühne« vor, sie würdigen zumeist die ganze Sammlung und von den Einzelwerken vor allem den »Auerhahn«. B R E N T A N O weilte im Süden, S A V I G N Y begab sich im Juni (bevor das Buch erschien) nach Prag; zu den G R I M M S brach jeder Kontakt ab, die Brüder bedauern, daß sie »das ganze Jahr von Arnim, der sonst der fleißigste und regelmäßigste ist, nichts gehört haben«140. Arnim hoffte insgeheim, mit seinen Dramen Zugang zu deutschen Bühnen zu finden. So schickte er im August den Band an C L E M E N S , der in Verbindung mit dem Wiener Theater stand und seinerseits Pläne hegte, eigene Stücke aufführen zu lassen 141 . B R E N T A N O antwortete im August und äußerte sich lobend über Das Loch (s. oben S. 75), B E T T I N A schrieb an ihre Schwester G U N D A in Bukowan, als das Buch erschienen war: »sag's den Leuten dort und mache, daß sie es kaufen« 142 . S A V I G N Y , im Herbst noch im Riesengebirge, wo er sich heimlich mit A R N D T und S T E I N traf, schreibt aus Glatz, daß die Schauspiele hier noch nicht zu haben seien, »die ich sehr gesucht habe« 143 . J A K O B G R I M M äußerte sich erst im Dezember über das Buch; in 139 140 141 142 143

Falkner, a. a. O., S. 202. Görres Briefe a. a. O., Bd. 2, S. 398. Steig I, 317. Andacht Zum Menschenbild a. a. O., S. 182. Stoll a. a. O., Bd. 2, S. 90.

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Materialien: Das Loch

den Puppenspielen fand er »die alte Fabel besser« 144 . Die offiziellen Blätter schwiegen. Nur C L E M E N S berichtete aus Wien, es sei »eine in mancher Hinsicht gute, im ganzen sehr empfehlende Kritik in der Wiener Literaturzeitung, die niemand liest, von einem mir unbekannten Wolfram« erschienen 145 . Der Rezensent bedauert die Bühnenuntauglichkeit nahezu aller Stücke; zum Loch heißt es, es wäre »ein tüchtiges, belustigendes Possenspiel, in dem man denn doch lachen kann, welches bey so vielen neueren Possenspielen nicht der Fall i s t . . . Wir können indessen nicht läugnen, daß uns die ernsthafte Erzählung besser gefällt, als ihre lächerliche Behandlung. Vielen Scherz und manche Stachelreden, besonders in der zweiten Handlung, mögen sich die Leser weiter selbst ausdeuten« 146 . A m 16. 2 . 1 8 1 4 schickt Arnim sein Buch an G O E T H E , »ungeachtet ich keinen Anspruch darauf mache, Sie dafür zu interessieren, es ist eine Angewohnheit« 1 4 7 . G O E T H E notiert nur im Tagebuch am 22. 2. 1814 »Arnims Schauspiele« 148 und antwortet ablehnend über eine mögliche Aufführung eines der Stücke. Wir haben wenigstens e i n Zeugnis dafür, daß Arnims Satire auf H A R D E N B E R G richtig verstanden wurde: S A V I G N Y schrieb an den Schwager, er habe die »Schaubühne« sehr gesucht, »als Graf Dohna an H. v. Schön schrieb, in diesen Schauspielen stehe p. 191. 192 eine himmlische Stelle, er solle sie gleich lesen« 149 . DOHNA, gewesener Innenminister, war im Sommer 1810 zurückgetreten, da er mit H A R D E N B E R G S Politik nicht konform gehen konnte. Die erwähnte Stelle betrifft die 2. Szene des 1. Aufzuges, in dieser Ausgabe S. 1 1 . Wirkungen auf die zeitgenössische Literatur lassen sich mit Ausnahme der Verwendung der Regierungsmaschine in EICHENDORFFS »Incognito« und seiner satirischen Erzählung »Auch ich war in Arkadien« nicht feststellen. Der Einfluß des Spieles auf die weitere Entwicklung des Schattenspiels ist geringfügig; allenfalls »Der unglückliche Franzose oder der Deutschen Freiheit Himmelfahrt« ( 1 8 1 6 ) von C H R I S T I A N B R E N T A N O weist Anklänge auf. Auch hier gibt es einen Prolog des Dichters, in dem der Standort angegeben wird, »der dem Spiel 144

Briefe der Brüder Grimm. Hrsg. v. W. Schoof.Berlin 1953. S. 151. Brentano, Briefe. Hrsg. v. F. Seebaß. Nürnberg 1951. Bd. 2, S. 123. Wiener Allgemeine Literaturzeitung. Nr. 6. 21. Januar 1814, S. 103. 147 Goethe und die Romantik. Hrsg. v. Carl Schüddekopf u. O. Walzel. Bd. 2. Weimar 1899. S. 148fr. (Schriften d. Goethe-Ges. 14.). 148 Goethes poetische Werke, a. a. O., Bd. 12, S. 213. 149 Stoll a. a. O., Bd. 2, S. 90; der Brief Dohnas an Schön v. 6. 8. 1813 in: Aus den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg Theodor von Schön. 3. T. Berlin 1883. S. 200. 146 148

Zur Wirkungsgeschichte

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gebührt«160. Am lustigsten wäre es, man sähe das Spiel »aus Paradieses Höhn« 1 5 1 , dies bleibt aber nur eine empfehlende Erinnerung an das Ende von Arnims Stück, denn der Prolog preist den besten Platz dort, »Wo ihre Logen hingebaut | Gott Momus und Gott Phantasus | Wo Jokus lustig niederschaut, | Satyrisch spähend nach Genuß« 162 . Spott, Phantasie, Scherz sind auch hier die Regenten des Spieles, das, voller direkter politischer und satirischer Anspielungen, den damaligen Franzosenhaß aufs Korn nimmt, den »Blütheausdruck deutschen Hochgefühls. Der Verfasser konnte inzwischen keinen Geschmack an ihr (i. e. dieser Gesinnung, G. K.) finden und daher rührt, daß er in Behandlung des unglücklichen Franzosen (Napoleon, G. K.) sie so ins Burleske gezogen, daß sie ihre absurde Unmenschlichkeit selbstredend aussprechen mußte, denn jede andere Weise, ein solches Urteil laut werden zu lassen, hätte sich damals einer üblen Aufnahme zu befahren gehabt« 153 . Auch hier taucht gegen Ende das Motiv der verkehrten Welt auf, wenn Napoleon — Saute-au-ciel — in den Himmel springend sich vor der Hinrichtung durch den Pöbel rettet und dort wider Erwarten auf den Teufel trifft. »Seit die Welt verkehrt ist, hat sich Alles herumgedreht. Das Oberst' ist zu Unterst' und das Unterst' ist zu Oberst* gekommen« 164 . An des Teufels langem Schwanz, den alle für die Himmelsleiter halten, steigen die Bürger in den Himmel voller Hoffnung auf das Paradies. Das Spiel endet freilich nicht mit dieser witzigen Pointe, sondern mit einem erbaulichen Epilog, der den im Getriebe der Welt verlorenen Menschen an Gott, den Erlöser weist. Im allgemeinen geht die Schattenspieldichtung aber andere Wege. Die von K E R N E R und Arnim eingeleitete Fundierung auf volkstümliche Stoffe wird nicht beibehalten. Schon M Ö R I K E S Schattenspiel vom König Orplid im »Maler Nohen« hat in seiner lyrischen Verhaltenheit und zarten Melancholie kaum etwas gemeinsam mit den Scherzspielen und an Satire reichen Stacheldichtungen der Romantiker—höchstens daß es auch ein Spiel für Erwachsene ist. Die Schattenspiele des 18. Jahrhunderts und der Romantik waren in ihrer allegorischen Sinnbildlichkeit und zeitkritischen Relevanz ja zur Unterhaltung für ein vorwiegend erwachsenes und gebildetes Publikum gedacht. Das Loch ist primär kein Spiel für Kinder, obschon diese an Kasper, dem Teufel, der Menagerie und dem Spiele überhaupt ihren Spaß haben mochten. C H R I S T I A N schreibt, daß auf die Unterhaltung 160 161 152 163 164

Christian Brentano, Der unglückliche Franzose a. a. O., S. 14. ebd. ebd. S. 14—15. ebd. S. 8. ebd. S. 53.

Materialien: Das Loch

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der Erwachsenen Bedacht genommen, aber auch »das Interesse der Kinder nicht außer Acht gelassen« war, »auf deren Belustigung es ja hauptsächlich abgesehen war« 155 . Allerdings bietet gerade sein Spiel wenig Einfälle und lustige Szenen, an denen die Kinder sich hätten belustigen können; so mochten sie ihre Freude am radebrechenden Deutsch des Napoleon haben, nimmt man einige »Realspezialitäten« aus, auf die B R E N T A N O ausdrücklich hinweist. In der Zukunft nun entwickelt sich das Schattenspiel zur reinen Belustigung für die Kinder. Das 1821 erschienene Spiel »Kronprinzchen im Kinderland« von M . A U G U S T W I L H E L M Z A C H A R I A E (1769—1823) enthält ein Vorwort an die Pisonen, gemeint sind die »Kinderländer«, in dem es heißt: »Das Schattenspiel soll für weiter nichts, als für einen kindlichen Spas gelten«166. Der Dichter schreibt nur noch für Kinder, sein Stück aber verliert alle Spezifitäten des Schattenspiels; es könnte ebensogut ein Marionettenspiel sein oder von den Kindern selbst gespielt werden. Allein für Kinder gedacht sind auch die Schattenspiele des Grafen F R A N Z V O N P O C C I (1807—1876). Kasperlstücke und Schattenspiele werden kaum noch streng geschieden. Auf Messen und Märkten aber bleibt die jahrhundertealte Spieltradition noch im ganzen 19. Jahrhundert erhalten, und dort spielt man auch weiterhin Bearbeitungen alter Schwänke und Volksbücher, Sagen und biblischer Geschichten. Als nach der Jahrhundertwende in München die »Schwabinger Schattenbühne« ins Leben gerufen wurde, hat man um 1908/09 auch Arnims Schattenspiel aufgeführt. Zeugnisse darüber ließen sich bis zum Abschluß des Manuskriptes nicht auffinden, sie sind offenbar im Kriege verloren gegangen. Literatur Die Dramen Achim von Arnims. Ein Beitrag zur Dramaturgie der Romantik. Zürich: Atlantis 1962. (Das Schattenspiel gehört in den Umkreis jener Dramen, die Welt als Spiel erfassen und Wirklichkeit nach mechanistischen Gesetzen gestalten. Das Spiel verrate ein extrem mechanistisches Weltbild.)

FALKNER, GERHARD:

G E R H A R D : Spiel und Witz im romantischen Lustspiel. Zur Struktur der Komödiendichtung der deutschen Romantik. Diss. Köln 1963. (Versuch einer Einordnung des Schattenspiels in den Zusammenhang romantischer Lustspieldichtung und Bestimmung einer arabeskenhaften Spielform.)

KLUGE,

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ebd. S. 8. M. A. Wilhelm Zachariae, Kronprinzchen vom Kinderland. Ein Schattenspiel. Leipzig 1821. S. IX. 156

Worterklärungen

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STRELLER, DOROTHEA: Arnim und das Drama. Diss. Göttingen. 1956. (Das Schattenspiel gilt als politische Zeitsatire; die einzelnen zeitkritischen Züge und Anspielungen werden nicht herausgearbeitet.)

Worterklärungen Blaffert: rheinische Münze. Blanken: mitteldt. Form für Planken. genieren: frz. gêner = belästigen, sich Zwang antun. Kelle : Maurerkelle. Krippenset^er: urspr. ein Pferd, das beim Fressen die Vorderzähne auf die Krippe setzt. Hier: zänkischer Mensch. Lichtput^e : Scherenartiges Instrument zum Beschneiden des Kerzendochtes. Hier übertragen auf den Menschen als Berufsbezeichnung. Solan-, athen. Gesetzgeber (640—580 v. Chr.). Stegereif: alte, noch bei Goethe, Tieck und Immermann nachzuweisende Form für Stegreif. einen Sparren haben: volkstüml. im Kopfe nicht ganz in Ordnung sein.

MATERIALIEN ZUM VERSTÄNDNIS DES TEXTES

»DAS I N C O G N I T O oder DIE MEHREREN KÖNIGE oder A L T U N D NEU« Editionsbericht Die Szenen zu Eichendorffs Puppenspiel sind — ausschnittweise oder vollständig — publiziert in folgenden Ausgaben: 1. Deutsche Dichtung. Hrsg. v. Karl Emil Franzos. 3. Bd. Stuttgart 1888. Sp. 319—325: Das Inkognito. Ein Puppenspiel von Joseph Freiherrn von Eichendorff. Mitgeteilt von Heinrich Meisner. 2. Das Incognito. Ein Puppenspiel von Joseph Freiherrn von Eichendorff. Mit Fragmenten und Entwürfen anderer Dichtungen nach den Handschriften hrsg. v. Konrad Weichberger. Oppeln 1901. 3. Hugo Häusle: Eichendorffs Puppenspiel: Das Incognito. Eine politisch-literarische Satire aus dem Zeitalter Friedrich Wilhelms IV. Regensburg 1910 ( = Deutsche Quellen und Studien. Bd. 6.). 4. Joseph Freiherr von Eichendorff. Werke und Schriften. Stuttgart: Cotta (zugl.: Darmstadt: Wiss. Buchges.) 1958. Bd. 1, S. 959—989. M E I S N E R edierte aus Eichendorffs Nachlaß 6 Szenen, allerdings nur fragmentarisch, mit verbindenden Prosatexten, W E I C H B E R G E R gibt als erster einen zusammenhängenden Text, der auf »die vollendetste Fassung jeder Szene in der älteren, noch nicht wesentlich polemischen Gestalt« (110) zurückgeht; seine Ausgabe blieb nicht unangefochten und wurde durch H Ä U S L E S Bemühen, die drei Fassungen und Entwürfe des Puppenspiels getrennt zu edieren, mit philologischer Akribie überboten. Die Cotta-Ausgabe folgt im

Zur Entstehungsgeschichte

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wesentlichen der Anordnung und dem Text H Ä U S L E S . Unsere Ausgabe, die keine historisch-kritische Edition sein will, gibt einen möglichst geschlossenen Text und stützt sich auf die dritte der bei H Ä U S L E abgedruckten Fassungen, im 2 . Bild um des Zusammenhanges willen erweitert durch Verse, die Eichendorff gestrichen hat. Die selbst noch in dieser Fassung vorhandenen Textlücken wurden stehengelassen; die Szenen sind durchgezählt, obgleich Eichendorff für die 3. Fassung des Incognito eine zweiaktige Gliederung beabsichtigte (der 2. Akt sollte mit der 6. Szene beginnen). Zur Entstehungsgeschichte Man glaubt, daß die Entwürfe zum Incognito aus den Jahren zwischen 1840 und 1843 stammen. Sichere Daten lassen sich freilich nicht nennen. H E R M A N N V O N E I C H E N D O R F F gibt das Jahr 1841 als Entstehungszeit an 1 ; M E I S N E R und W E I C H B E R G E R folgen dieser Auskunft, während H Ä U S L E aufgrund genauer Quellenstudien am Jahre 1841 nur für die Fassung 1 und 2 festhält, die 3. Fassung aber in die Jahre 1843/44, Eichendorffs Danziger Aufenthalt, verlegt. Eichendorffs »Anstellungsmisere«2 im Ministerium in Berlin, seine satirische Abrechnung mit dem Beamtenstaat im Puppenspiel, die Gestalt des Königs, in dem man den jungen, 1840 auf den Thron gekommenen F R I E D R I C H W I L H E L M IV. erblicken will, sind wichtige biographische und zeitgeschichtliche Indizien für die Datierung des Textes. Zudem ist evident, daß die Puppenspielentwürfe in engem Zusammenhang mit den Fragmenten zur Novelle »Unstern« und den »Glücksrittern« stehen3. Interessant dabei ist, abgesehen von manchen motivischen und thematischen Ubereinstimmungen unter diesen drei Dichtungen, daß Eichendorff offenbar schwankte, ob er der novellistischen oder der dramatischen Form den Vorrang geben sollte: »Unstern«, schon 1838 begonnen, blieb im Entwürfe stecken; der Dichter notierte dazu: »Oder ein Lustspiel daraus machen in Prosa keck und frisch fort!« 4 . Auch bei den »Glücksrittern« konnte er sich nicht entscheiden, ob er lieber ein Lustspiel 1 Joseph Freiherrn von Eichendorff's sämmtliche Werke. Bd. 1. Leipzig. Z.Auflage 1864. S. 215. 2 Randbemerkung Eichendorffs zum Entwurf »Unstern«; vgl. Häusle a. a. O., S. 31. 8 Häusle a. a. O., S. 30—31; s. auch: Dietmar Kunisch, Textkritische Studien zu Eichendorffs Novellenfragment »Unstern«. In: Literaturwiss. Jahrbuch im Auftr. d. Görres-Ges. hrsg. v. Hermann Kunisch. N. F. 2, 1961, S. 69—102. 4 Häusle a. a. O., S. 30.

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Materialien : Das Incognito

machen solle aus seiner »entworfenen Novelle über den dreißigjährigen Krieg, keck, zierlich etc. wie im Shakespeare I Oder eine ganz freie Tragikomödie wie Arnims Halle und Jerusalem«6. Eichendorff dachte auch daran, das Incognito als Einlage in den Tagebuchaufzeichnungen eines Einsiedlers, der »Trösteinsamkeit«, neben Gedichten und Novellenbruchstücken zu veröffentlichen6. Die ursprünglich novellistische Struktur ist im enthaltenen ersten Entwurf des Incognito, das damals noch »Regentenspiegel« hieß, deutlich erkennbar, und das Stück wäre damit durchaus der Tradition romantischer Komödiendichtungen gefolgt, in denen unter Berufung auf Shakespeare aus der Affinität von Schwanknovelle und Komödie eigenartige Spielsituationen gewonnen werden. Eichendorff plante ursprünglich ein »Lustspiel in Versen und Prosa« und hätte damit wohl die in den »Freiern« in einem »idealen Wurfe« gefundenen Möglichkeiten eines poetischen Lustspiels7 weitergeführt. Doch steht auch der ursprünglich geplante Lustspielv o r g a n g in einem inneren Zusammenhang mit dem Geschehen in den »Freiern«, da nämlich das Incognito- und Verkleidungsmotiv dazu dienen sollte, aus dem Konflikt von Maskerade und Liebe die lustspielhafte Spannung zu entwickeln: der Fürst, verkleidet, verliebt sich in ein Hirtenmädchen, das die heimliche Liebschaft seines Freundes ist, der sich als Regent ausgibt. Dieser Freund »verliert alle Contenance, giebt sich, alle wütend verhöhnend, als des Fürsten Diener zu erkennen, aber niemand glaubt es ihm, sie meinen, er wolle nur incognito sein« usw. Wie in den »Freiern« sollten die Maskierten in Situationen geraten, in denen das Incognito plötzlich seinen Sinn verliert, weil Liebe und wahre Empfindung in Widerstreit mit der Maskerade geraten. Eine Steigerung gegenüber den »Freiern« wäre es gewesen, wenn das Volk die Demaskierung des Freundes nicht geglaubt hätte; in den »Freiern« sind Gefühlssicherheit der Menschen und Glaube an das menschliche Wort noch die Garantie des lustspielhaften Schlusses. Das Lustspiel wäre in heilloser Verwirrung zugleich in die Nähe der Tragikomödie geraten, über deren dichterische Möglichkeiten die Romantiker hin und wieder theoretisierten, die sie — als Lustspieldichter — aber tunlichst umgingen. Eine Notiz Eichendorffs deutet die Perspektive an: »Hier recht die Misere und Jämmerlichkeit der Welt schonungslos, fast tragisch darstellen, (wie in Shakespeares Timonl) noch tragischer, weil der Freund alles humoristisch 5

Häusle a.a. O., S. 31. Eichendorff, Werke und Schriften. Hrsg. v. G. Baumann und S. Grosse. Darmstadt 1964. Bd. 2, S. 995 (zit. Werke). 7 Eichendorff, Werke IV, 640. 6

Zur Entstehungsgeschichte

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behandelt und auf die Spitze stellt«8. Ist der Dichter vor dieser Konsequenz zurückgeschreckt, da eine solche »allgemeine Confusion«, die schwerlich in einen befriedigenden, nicht gewaltsam angehängten heiteren Kehraus hätte münden können, das Lustspiel aufgehoben hätte? Der Gedanke eines Puppenspiels (»Vielleicht ist es ein Puppenspiel. . .«) mag solche Bedenken zunächst beseitigt haben; als Eichendorff an ihm aber festhielt und nun an eine Ausführung des Plans als Puppenkomödie ging, erfuhr dieses ungeheure Lustspielprojekt, dessen Scheitern wir allen Grund zu bedauern haben, eine Simplifizierung, deren Resultat jene drei Fassungen sind, die weder stofflich noch formal dem frühesten Konzept, das doch vermutlich schon vor 1841 skizziert war, gleichkommen; der Ton wird im salopp gehandhabten Knittelvers oder in metrischen Parodien leicht und gelegentlich banal, das IncognitoMotiv begründet keine inneren Vorgänge, sondern ganz einfache Täuschungen und einen im wesentlichen nur dem äußeren Ablauf dienenden Rollentausch. Thematisch hält sich der Dichter nun eng an Zeitphänomene und macht das Puppenspiel zur Zeitsatire, wo das Lustspiel doch wohl »tiefer in das Reinmenschliche« zurückgegriffen hätte, wie er es selbst von der Gattung verlangte9. Uber das Verhältnis der drei Fassungen zueinander kann man sich bei H Ä U S L E orientieren. Ob man sie bereits als »fertige Fassungen« 10 bezeichnen darf, bleibt angesichts des erhaltenen letzten Gesamtentwurfs und der noch in der dritten Fassung vorhandenen offenen Stellen und Lücken fraglich. Hieß die erste Fassung einfach Das Incognito, so erhält die zweite einen Untertitel: Das Incognito oder die lange Nase; zum Rollentausch von König und Narr tritt nun Colombinens Maskenspiel, der Narr schüttelt am Ende sein Liebchen vom Kirschbaum herunter, und Colombine steckt dem Papbnutius die lange Nase vors Gesicht. Der Narr schließt: »Und dachtet ihr, 's wird was Kluges draus, | So zieht mit langer Nas' nach Haus«. Der Titel bezeichnet damit zwei Motive, die in den Szenenreihen angespielt werden; erst die dritte Fassung bezieht sich in der Überschrift Das Incognito oder die mehreren Könige oder Alt und Neu11 zugleich auch auf einen thematischen Zusammenhang der Szenen, indem die Verwendung des Incognito-Motivs 8

Häusle a. a. O., S. 30. Eichendorff, Werke IV, 640. Häusle a. a. O., S. 17. 11 Deutlich ist die Beziehung zu Brentanos »Die mehreren Wehmüller«, die im Jahre 1833 zusammen mit Eichendorffs »Viel Lärmen um Nichts« in einem Bande in der Berliner Vereinsbuchhandlung, hrsg. v. F. W. Gubitz, erschienen waren. 9

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nun dem Verhältnis von alter und neuer Zeit, um das sich die satirische Darstellung bemüht, zugeordnet wird. Warum Eichendorff auf die Gattung der Puppenkomödie verfiel, ist mit Sicherheit nicht auszumachen. Doch lassen sich einige mutmaßliche Gründe nennen: zum einen ist das Puppenspiel ein ganz legitimer Zweig der romantischen Komödiendichtung, zum anderen war der Dichter seit früher Jugend ein passionierter Liebhaber des Volkstheaters, das er, w o sich ihm Gelegenheit bot, immer gern besuchte. Auf der Rückfahrt von Hamburg kehrte der Student mit seinem Bruder eines Abends irgendwo an der Elbe in einem Gasthof ein, sie »verschlangen« ein Abendbrot und sahen »en passant eine Marionettentragödie, die in der Nebenstube gegeben wurde« 1 2 . In Wien ist Eichendorff ein ständiger Gast »im Kasperl«, w o freilich nicht mit Holzpuppen gespielt, sondern echtes, lebendiges Volkstheater gemacht wurde 1 3 . Ob er in Berlin noch Aufführungen im Puppentheater gesehen hat, das mit königlichen Privilegien dort seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ständig spielte und ab 1825 durch die Gruppe eines J U L I U S L I N D E vertreten war, ist nicht zu belegen. Immerhin war diese Tradition noch lebendig, u n d g e r a d e i m J a h r e 1 8 4 1 hat FRIEDRICH VON DER HAGEN die

Erinnerung an einige der denkwürdigsten Puppenspiele in Berlin um 1810 aufgefrischt, als er in der von ihm herausgegebenen »Germania« der Aufführungen von S C H Ü T Z und D R E H E R gedachte, die damals, die berühmtesten und legitimsten Verwalter der Puppenspielkunst, in Breslau und Potsdam das alte Spiel vom Dr. Faust, aus dem V O N D E R H A G E N zugleich einige Auszüge publizierte, auf dem Programm hatten 1 1 . E s ist nicht ausgeschlossen, daß in Eichendorffs Entschluß, aus dem Lustspiel eine Puppenkomödie zu machen, Altes und Neues, die Erinnerung an frühere Aufführungen und das noch oder wieder lebendige Spielgut, zusammengewirkt haben; auch in der fast zur selben Zeit entstandenen Erzählung »Die Glücksritter« taucht die Figur eines Puppenspielers auf, der mit seinen Kindern durch die Lande zieht, um sein Glück zu machen. Gattungsgeschichtliche

Einordnung

Daß Puppenkomödie und Marionettenspiele in der Romantik eine literarische Wertschätzung erfuhren, hat die nämlichen Gründe, 12

Eichendorff, Werke in, 131 (25. 9. 1805). vgl. Eichendorffs Tagebuch vom Juli bis Dezember 1811 (Werke III, 265 fr.). 14 Germania. Neues Jahrbuch d. Berlinischen Gesellschaft für Deutsche Sprache und Altertumskunde. Hrsg. v. Friedrich von der Hagen. Bd. 4. Berlin 1841. S. 211—224. 13

Gattungsgeschichtliche Einordnung

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die für die Pflege des Schattenspiels geltend gemacht wurden. Im Unterschied zu diesem hatte sich freilich das Puppenspiel schon eine Generation früher Eingang in die Dichtung und ein bescheidenes literarisches Ansehen verschafft. Die Romantiker fanden nicht nur eine mehr oder weniger stark verkommene lokale Spieltradition auf Volksfesten und Märkten vor, sondern zugleich eine kleine Anzahl brauchbarer Spieltexte von unterschiedlichem Niveau, deren ausgesprochen literarischer Charakter mit den kaum überlieferten oder publizierten Texten originaler Puppenspiele wenig gemein hat 15 . So hatte G O E T H E aus der »bedeutenden Puppenspielfabel« vom Dr. Faust schrittweise und unaufhaltsam eine Szenenfolge gedichtet, deren früheste Gestalt mit der Vorlage schon nicht mehr verglichen werden kann, doch wird vermutet, daß das »treffliche Trauerspiel« von Hamann und Esther im »Jahrmarktsfest zu Plundersweilen« ein Marionettenspiel ist, »nach der neusten Art, / Zähneklappern und Grausen gepaart« 16 , wie man sie damals in Frankfurter Spielbuden oder vielleicht auch auf G O E T H E S privater Puppenbühne hatte sehen können. G O E T H E schrieb fiir seine beiden Plundersweilener Spiele einen »Prolog zum neueröffneten moralisch-politischen Puppenspiel« (1774), das man als das »erste literarische Puppenspiel« bezeichnet hat 17 . Bewußt lehnen sich seine Satiren und Farcen an alte Formen des deutschen Dramas und Volksschauspiels an, wobei die Gattungsbezeichnungen (Schönbartspiel, Fastnachtspiel) nicht aus einer derart differenzierten Kenntnis des Dramas der Hans-Sachs-Zeit, wie wir sie heute besitzen, gewählt sind; sie meinen allesamt den T y p des alten bodenständigen Dramas, auf das man sich als Rest nationaler Literatur besinnt. Kennzeichnend ist ein Brief H E R D E R S vom März 1769: »Hier ist ein Marionettenspieler gewesen, dessen Entwürfe zu seinen Durchlauchtigsten Helden- und Staatsaktionen ich gern gehabt hätte, um einen Begriff von unsern alten Deutschen Stücken zu bekommen: er ist aber zu frühe entwischt« 18 . H E R D E R meint, in 16 Unter den führenden Puppenspielern war es ungeschriebenes Gesetz und Brauch, daß Spieltexte der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht wurden. Man gab vor, daß die Spiele mündlich von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Wie man in den Besitz des Textes vom Faust-Spiel kam, schildert von der Hagen a. a. O., S. 213, 219. 18 Goethes poetische Werke. Stuttgart: Cotta 1959. Bd. 5, S. 657. Vgl. auch Carl Engel, Deutsche Puppenkomödien. Bd. 6 (Hamann und Esther). Oldenburg 1877. 17 Philipp Leibrecht, Zeugnisse und Nachweise zur Geschichte des Puppenspiels in Deutschland. Diss. Freiburg 1918. S. 65. 18 Herders Briefe an Joh. Georg Hamann. Hrsg. v. Otto Hoffmann. Berlin 1889. S. 57.

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diesen Dramen den Quellpunkt nicht nur des deutschen, sondern des »nordischen« Dramas zu finden; sein Interesse haben dabei nicht die individuellen Spiele, sondern er befaßt sich mit der ganzen Art, denn wie das griechische Drama aus dem Chor, so entstand das nordische »aus Fastnachts- und Marionettenspiel«19. Diese fand S H A K E S P E A R E vor, »er bildete also aus diesen Staats- und Marionettenspielen, dem so schlechten Leim, das herrliche Geschöpf, das da vor uns steht und lebt«20. H E R D E R betrachtet die Puppenspiele unter historischen Aspekten und würdigt sie als frühe Entwicklungsstufe in der Genese unseres Dramas, an einer Wiederbelebung der alten Spiele ist ihm nicht gelegen. Dabei ist gänzlich unerheblich, daß Dichter und Theoretiker des 18. Jahrhunderts einer terminologischen Ungenauigkeit zu zeihen sind, weil sie »Puppen- und Marionettenspiel« unterschiedslos als Bezeichnung für das ältere Drama und dessen Nachahmungen verwenden 21 . Wie das ursprüngliche Schattenspiel bald durch Laterna-magicaKünste und Elemente des Raritätenkastens verändert wurde, so ist im 18. Jahrhundert auch zwischen Hanswurst- und Puppenkomödie keine scharfe Trennung mehr zu ziehen, da in den Puppenspielen (in der Regel sind das keine Spiele für Handpuppen, sondern für lebensgroße Marionetten) auch lebendige Figuren auftraten. Schon im Jahre 1705 fanden in Hamburg Aufführungen von Marionettenopern statt, während Schauspieler und Sänger nur in den Nachspielen mitwirkten; später stehen Holzpuppen und lebendige Schauspieler sogar nebeneinander auf der Bühne, wobei im einzelnen offenbleiben muß, ob die Schauspieler ganz natürlich agierten oder (was wahrscheinlicher sein dürfte) in Marionettenart22. 1730 gab es im Wiener Kärntnerthor-Theater ein Faustballett mit lebendigen Puppen, und die Theatergeschichte hat sicherlich eine Fülle von Belegen ähnlicher Aufführungen vorrätig. Noch in A U G U S T M A H L M A N N S Lustspiel »Simon Lämchen« tritt beim Spiel im Spiel, der Parodie einer antikisierenden Tragödie unter dem Titel »Das in den Hoftrompeter verliebte Kaiserherz oder Bleibt denn niemand lebendig?«, neben dem Chor, dem Hanswurst (Peter Pips) noch die Kaiserin Ismene als Marionette auf, modisch, doch gro19 Herders Werke. Hrsg. v. W. Dobbek. Berlin, Weimar 1964. Bd. 2, S. 245. 20 ebd. S. 247; sichtlich in Abhängigkeit von Herder spricht Goethe von »rohen und doch schwachen, fast puppenspielartigen Anfängen« des deutschen Theaters (Werke a. a. O., Bd. 15, S. 591). 21 vgl. Jacob Minor, Rezension von Weichbergers Ausgabe. In: Zs. f. Bücherfreunde 6, 1902/03, S. 424—426. 22 vgl. Leibrecht a. a. O., S. 31.

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tesk gekleidet, »der man eine furiose Attitüde gegeben hat« 23 . KOTZEBUE nennt seine banale Dramatisierung der Sage des Grafen von Gleichen ein »Spiel für lebende Marionetten«. Wie die Gattungsbezeichnung Schattenspiel schließlich in der Trivialliteratur nur noch metaphorischen Charakter hat, so bleibt zweifelhaft, ob alle Stücke, die sich um 1800 als Marionettenspiele bezeichnen, wirklich nur von Puppen gespielt zu denken sind. Die mit der romantischen Poetik einsetzende Auflösung der traditionellen Gattungen fuhrt zu Unsicherheit und Willkür in der Bezeichnung der Spiele, deren Gattungsnamen freilich oftmals bewußt irreführen und den Interpreten Fallen stellen. Die durch den jungen G O E T H E in den Weimarer Kunstkreis übergeleitete und mehr und mehr stilisierte Begeisterung für die Formen naiv-volkstümlichen Spieles blieb nicht ohne Einfluß auf die am Hofe A N N A A M A L I A S für die geselligen Belustigungen verantwortlichen Dichter und »Zeremonienmeister«. E I N S I E D E L hat Puppenkomödien verfaßt, die noch unediert sind, aber auch der von der Romantik angefeindete C. D. F A L K schrieb ein Puppenspiel, »Die Prinzessin mit dem Schweinerüssel«, das sich noch bis ins 19. Jahrhundert im Repertoire der Spieltruppen hielt. Die Puppen- und Marionettenspiele der Romantik kennzeichnet ein Zwiefaches: einerseits wollen sie die Dramenformen unserer altdeutschen Literatur, des 15. und 16. Jahrhunderts, erneuern, andererseits gewinnen Puppe und Marionette in zunehmendem Maße Bedeutung als Bild des unfreien, determinierten Menschen, sei es daß diesem Menschenbild ein fatalistisches Lebensgefühl zugrunde liegt oder daß es als Folge einer Bewußtseinsproblematik erscheint, derzufolge der Mensch nicht mehr von einem sein ganzes Personsein erfüllenden Selbstgefühl getragen wird, sondern sich einem Mechanismus ausgeliefert sieht und den eigenen Körper gleichsam von außen als maschinenmäßig gelenkten Automatismus empfindet. Neben die einfach volkstümlichen Puppenspiele tritt eine mehr und mehr spekulativ satirisch ausgerichtete Gruppe nicht nur dramatischer Dichtungen, in denen im Bild der Marionette als Lebenssymbol das Menschsein in seiner triebmäßigen Funktionalisierung in Frage gestellt wird. Wir haben es mit dieser Richtung, deren Entfaltung seit dem Sturm und Drang bereits dargestellt worden ist 21 , hier 23 August Mahlmann's Sämmtliche Schriften. Berlin 1859. Bd. 3, S. 248 und S. 262—270. 24 Eleonore Rapp, Die Marionette in der deutschen Dichtung vom Sturm und Drang bis zur Romantik. Leipzig 1924; Rudolf Majut, Lebensbühne und Marionette. Ein Beitrag zur seelengeschichtlichen Entwicklung der Genie-Zeit bis zum Biedermeier. Berlin 1951.

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KOMEDIA XIII

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nicht zu tun, sondern verfolgen jene Spiele, die als ein Beitrag zur romantischen Lustspieldramaturgie und Theaterreform gelten wollen. T I E C K , dessen frühromantische Dichtungen bis hin zum »Prinz Zerbino« (1799), die Situation des Menschen, das Leben und die Welt immer wieder neu im Bilde der hölzernen gelenkten Marionette und des Puppentheaters gestalten, sprach doch schon in den im »Poetischen Journal« erschienenen »Briefen über Shakespeare« (1800) in ganz anderer Weise vom Marionettentheater; da er die alten Spiele auf sich wirken ließ, entdeckte er »in ihrer schlichten Einfalt«, die sie mit den Volkssagen gemeinsam haben, »etwas sehr Poetisches«26. Wie H E R D E R meint er, daß diese Stücke, »die eben ihres Alters wegen nicht ganz veralten können«, »unser eigentliches Nationaltheater formiren«26. Weil die Deutschen begannen, ausländische Vorbilder nachzuahmen, versank diese »gothische wunderliche Welt«, und auf unserem Theater findet man kaum noch »Spuren und Werke des alten deutschen Geistes«27. Nicht einfach nur als Vorstufe zu kommenden Blütezeiten dramatischer Dichtkunst ( H E R D E R ) bewertet er die alten Spiele,sie selbst sind schon vollkommene kleine Kunstwerke, deren Einfachheit und »allegorische Art der Behandlung« 28 unmittelbarer zum Menschen spreche als moderne langwierige Psychologisierung der Figuren nach den Gesetzen innerer Wahrscheinlichkeit; schließlich sei »bei der G e n a u i g k e i t . . . über die Richtigkeit das Ergötzen fortgegangen« 29 . Erneuerung dieser Spiele für unser Theater wird gefordert, die Künstler mögen jedes dieser alten Spiele veredeln, »feinen Sinn und romantische Poesie« hinzubringen, »um es zu einem schönen und reizenden Ganzen zu machen«30. Die sprachliche Form der Spiele schon gebot eine Neufassung, vor allem sollten sie »romantisiert«, d. h. witzig überformt und mit jener Laune und Heiterkeit durchsetzt werden, die sich bis zur Ironie erhebt, ohne daß die einfachen Grundverhältnisse dieser Spiele, die zumeist in einfachen Figuren ausgetragenen Gegensätze von Gut und Böse, dadurch verletzt würden. Es mag uns heute schwerfallen, Einfalt, Naivität, Frömmigkeit schon als Kriterien des Poetischen anzuerkennen und die altdeutsche Dichtung einem derart kunstreligiösen Verständnis zu unterwerfen; aber auch F. S C H L E G E L fand in Paris vor den Gemälden alter Meister im Louvre (1803) in den Gesichtern 26 Ludwig Tieck, Kritische Schriften. Leipzig 1848. Bd. 1, S. 161 (zit. KS). 29 ebd. 27 Tieck, KS I, 162. 28 Tieck, KS I, 161. 29 Tieck, KS I, 167. 30 Tieck, KS I, 168.

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der Menschen »durchaus und überall jene kindliche, gutmütige Einfalt und Beschränktheit, die ich geneigt bin, für den ursprünglichen Charakter der Menschen zu halten« 31 . Wie diese alten Gemälde den Menschen mit sich selbst in seinem unverfälschten Charakter wieder bekanntmachten, so sollten auch die alten Spiele, wie T I E C K meinte, »den Menschen am Ende wieder nach vielen Umwegen zu sich ziehen« 32 , und damit erhält das Bemühen der Romantiker um eine Neubelebung altdeutscher Kunst auch einen tieferen menschlichen Sinn. Wiederholt beschreibt T I E C K Aufführungen solcher Marionetten- und alter Trauerspiele und deren gelungene oder mißlungene Anpassung an die neueren Verhältnisse und die Ansprüche des Publikums 33 . Ein eigener Beitrag ist vom Dichter nie zu Lebzeiten publiziert worden (mit Ausnahme einer Puppenspieleinlage im »Prinz Zerbino«, wobei T I E C K aus der Zuordnung verschiedener Spielebenen komödiantische Effekte zieht, indem er die Spielwelt der Puppen in die Spielwirklichkeit des »Zerbino« überführt); erst KÖPKE hat die einzelnen Blätter unter dem Titel »Hanswurst als Emigrant« ediert und auf 1795 datiert. Der Herausgeber zählt es zu »jenen kühnen und muthwilligen Spielen« T I E C K S , deren Darstellung dieser »im Kreise seiner Geschwister und Freunde in seiner Sommerwohnung« leitete 34 , der Dichter selbst wollte zugleich ausprobieren, wie er im Prolog sagt, »ob uns das kühne Wagestück | Gelinge, jenen Scherz, ob dem die grauen Väter | Der Deutschen oft ihr wackelnd Bäuchlein hielten, | Von neuem zu beleben« 36 . Die Einfältigkeit und Absurdität der Situationen, die keinerlei Interesse vom Leser abzufordern imstande sind, wird durch parodistischen Einfallsreichtum der Sprache und die üblichen Tricks romantischer Komödien (Reflektion von Rolle und Stück auf sich selbst) ausgewogen, schließlich auch durch die am Ende zutage tretende Absicht des Dichters, den Hanswurst zu rehabilitieren, »der jetzt wiedergekommen ist, um sein Vaterland zu besuchen« 36 . T I E C K S launischer 3 1 Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Hrsg. v. Ernst Behler. Bd. 4. Ansichten und Ideen von der christlichen Kunst. Paderborn 1959, S. 14. 32 Tieck, KS I, 168. 33 vgl. Tieck, KS I, 170fr.; II, 2 2 5 ; Die Sommerreise, Schriften XXIII, 1 1 5 f., 1 2 3 — 1 2 6 . 34 L. Tieck's nachgelassene Schriften. Auswahl und Nachlese hrsg. v. Rudolf Köpke. Leipzig 1 8 5 5 . S. XHI, der Text des Spiels S. 7 6 — 1 2 6 . 36 ebd. S. 76f. 36 Tieck, nachgelassene Schriften a. a. O., S. 125; wie Tieck eine ähnliche Wendung zur Rehabilitierung der Hanswurstfigur in seinen anderen Komödien erreicht vgl. G. Kluge, Spiel und Witz im romantischen Lustspiel. Diss. Köln 1 9 6 3 . S. I02ff.

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Materalien: Das Incognito

Geist entgeht den Gefahren, die der komischen Dichtung durch jenes Ideal der Naivität, des heiteren einfältigen Scherzens, dem man sich verschreibt, drohen und denen beispielsweise A U G U S T M A H L M A N N S Marionettenspiele erliegen, in denen die Einfallslosigkeit der Situationen und die Einfalt der Sprache sich gegenseitig potenzieren und ein ästhetisches Urteil hinfällig werden lassen. Sein 1806 anonym erschienenes »Marionettentheater oder Sammlung lustiger und kurzweiliger Aktionen für kleine und große Puppen« (für deren Verfasser man eine Zeitlang T I E C K gehalten hat, weil er in Briefen lebhaften Anteil an dieser Sammlung zeigte und wohl auch vorhatte, dafür einen eigenen Beitrag zu liefern 37 ), plädierte für »kleine leichte Stücke, von freier und kecker Erfindung, nicht in der Büchersprache geschrieben, die dem freien Fluß der Rede widersteht, aber auch nicht in dem platten Jargon des Pöbels, nicht mit vornehm witzigen Pointen, aber auch nicht mit niedrigen pöbelhaften Späßen, voll Satyre, aber ohne Persönlichkeiten« 38 — welcher Raum für komische Gestaltung bleibt als das alle Extreme vermeidende Mittelmaß? Lust und Liebe des Volks zum Theater wollte der Verfasser mit seinen Stücken wecken, die er Marionettenspiele genannt hat, weil »die gezogenen Puppen von Holz« sie eher und besser aufführen werden »als die hölzernen lebendigen auf unseren Haupt- und Staatstheatern«39. Das Bedürfnis nach einer Aufwertung des Theaters und sich mit den volkstümlichen Spielen »dem Centrum aller Poesie und Wahrheit zu nähern« 40 , weicht dem Zwecke bloßer Unterhaltung eines durch die Zeitereignisse bedrückten Publikums, das für Theater gerade in einer alle zeitgeschichtliche Aktualität meidenden Puppenkomödie gewonnen werden soll, die als ein falsch verstandenes Pendant zum Pariser Vaudevilletheater, einer echten Volksbühne, zu gelten hat. Inwiefern diese Spiele wirklich Anklang fanden, mag den Literatursoziologen interessieren; der Literarhistoriker hat hier kaum noch fruchtbare Betätigungsmöglichkeiten. Eine eigene Domäne gewann J O H A N N F R I E D R I C H S C H I N K 4 1 , alles andere als ein Parteigänger der Romantik, der Puppenkomödie, indem er mit seinem 1799 anonym erschienenen Marionettenspiel »Prinz Hamlet von Dänemark« eine nicht witzlose literarische 37 vgl. dazu Weichberger a.a.O., S. 19f. und die Rezensionen von Minor a. a. O. und Walzel (Euph. 10, 1903, S. 321 ff.). 38 Mahlmann, Werke a. a. O., Bd. 3, S. 78. 38 ebd. 40 Tieck, KS I,i68. 41 vgl. Richard Bitterling, Joh. Fr. Schink. Ein Schüler Diderots und Lessings. Beitrag zur Literatur- und Theatergeschichte der dt. Aufklärung. Leipzig, Hamburg 1911 ( = Theatergesch. Forsch. Bd. 23).

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Parodie im neuen Stile ausprobierte, in der natürlich im Prolog, den Hamlet spricht, das Marionettensymbol satirisch auf staatliche und kirchliche Autoritäten zielt, ohne daß aber dieses »Moralisieren«, dessen sich der Prologsprecher zeiht, größere Auswirkungen auf die Anlage dieses Spieles hätte. Dieses nutzt vielmehr in reichem Maße die Spielmöglichkeiten, welche die Vorlage in bescheidnerem Umfang bietet, und weitet sie genußvoll aus, wobei T I E C K S Methoden einer Potenzierung der Spielebenen unverkennbar bleiben. Die Schauspielerbande wird ersetzt durch einen Puppenspieler, der »sein kleines Theater auf dem Rücken« trägt 42 , in dem dann zunächst pantomimisch von Pantalon, Pierrot und Colombine der Königsmord gespielt wird, ehe eine dialogische Darbietung mit Marionettenkönig, -königin und -prinz folgt. Am Ende steht ein Maskenfest mit Hamlet als Harlekin, Ophelia als Colombine und Gustav ( = Horatio) als Pierrot: Hamlet, der des Königs Absichten, ihn töten zu lassen, belauschte, trägt mit Ophelia eine Ballade vor, die abermals den Königsmord decouvriert; der König reicht daraufhin dem Sänger den Giftbecher, den er selbst zu trinken gezwungen wird; Hamlet enthüllt nun des Königs Verbrechen, beansprucht selbst die Krone, und alles endet in spießiger Familieneintracht, ohne Dissonanz, da Ärzte durch Gegengifte den Entthronten schließlich am Leben halten. Mit einer Moral auf gutes Regiment endet das Stück, in dem die Parodie immer wieder zu komödiantischen Spielsituationen drängt, die nicht ganz unähnlich gewissen romantischen Lustspielpraktiken sind, welche freilich vom Autor zugleich ironisiert werden 43 . Der dichterische Höhepunkt romantischer Puppenspiele ist zweifellos A R N I M S Drama »Die Appelmänner« (1813), das, keine Komödie mehr, freilich auch auf ganz anderes Terrain vorstößt: zum historischen Schauspiel. Diese Dichtung, bislang wie A R N I M S Dramatik kaum gewürdigt, verdankt, sagt man, ihre Gattungsbezeichnung dem seltsamen Verfahren, daß Vivigenius, der auf»Prinz Hamlet von Dänemark. Marionettenspiel.« Berlin 1799. S. 71. Schinks literarische Parodien und Satiren sind kaum untersucht; 1778 erschien ein Band »Marionettentheater«, enthaltend zwei Hanswurstspiele, gerichtet gegen die Geniedramatik des Sturmes und Dranges, aber doch mit Hanswurst als Hauptperson, der »bald als Genierepräsentant, bald als dessen Ankläger spricht« (Bitterling a. a. O., S. 12), so daß Schinks satirische Invektiven sich doch noch dramatischer Darstellungsmittel eben aus jenem Lager bedienen, das er angreift. Dasselbe gilt für die Hamletparodie. 1801 erschien ein Band unter dem Titel »Peter Strohkopf«, offenbar Tiecks »Peter Lebrecht« parodierend, dann aber 1804 veröffentlicht er, der auf die Romantiker nicht eben gut zu sprechen war, »Romantische Erzählungen«. 42 43

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Materialien: Das Incognito

rührerische Sohn des Bürgermeisters Appelmann, auf offener Bühne enthauptet, dann durch eine heilkräftige Salbe wieder ins Leben gerufen wird. Daraus abzuleiten, A R N I M habe das Stück nur deshalb Puppenspiel genannt, weil allein mit Marionetten dergleichen dargestellt werden könne, simplifiziert das Drama und die Bedeutung des Puppenspielgedankens in der Romantik. A R N I M setzt am konsequentesten die von T I E C K proklamierte nationale Erneuerung der deutschen Bühne ins Werk. Seine Beispielsammlung, die »Schaubühne«, in der auch das Puppenspiel erstmals publiziert wurde, enthält geradezu die Paradigmen romantisierter, volkstümlicher Dramatik, und so sollten die »Appelmänner« wohl vordringlich als Versuch gewürdigt werden, das Puppenspiel der banalen Unterhaltungssphäre wie der komödiantischen Tradition zu entreißen und die Gattung, dadurch daß sie zum Gefäß eines geschichtlich-tragischen Stoffes wird, dichterisch zu heben. Vielleicht erfüllt sich hier am vollkommensten die romantische Bemühung einer Erneuerung deutscher Dramatik aus alten Formen, deren klischeehaftem Zwang die meisten Dichter nicht auszuweichen vermochten. Die Puppenkomödien leiden insgesamt unter dem Widerstreit zwischen einer (wie man meinte) geschichtlich tradierten naiv-natürlichen Einfachheit und der vom romantischen poetologischen Imperativ diktierten notwendigen geistig-witzigen Überformung, Romantisierung der Darstellung. Zwischen Naivität und Witzelei verlieren sie daher leicht an ästhetischem Gewicht wie an menschlicher Verbindlichkeit. A R N I M bewahrt beides dem Puppenspiel vor dessen Absinken zum Kinderspaß und Salonstück mit Effekten des Wiener Zaubertheaters und lokaler Typisierung b e i F R A N Z VON P O C C I .

Z u r Analyse des Stücks Eicbendorffs Incognito besitzt gegenüber den eben betrachteten romantischen Puppenspielen eine eigene Note in seinem Reichtum an politischer und zeitgeschichtlicher Satire, der manchen Interpreten dazu verführte, das Stück gewissermaßen nur als politische Allegorie zu lesen 44 . Der König sei ein Konterfei F R I E D R I C H W I L H E L M S IV., Papbnutius eine Karikatur des Bankiers R O T H S C H I L D usf. Zweifellos ist der geschichtliche Hintergrund unseres Stückes leicht zu diagnostizieren, aber auf der Suche nach Vorbildern und historischen oder biographischen Korrespondenzen übersieht man gern, daß alle diese Einzelheiten in einem thematischen Zusammenhang 44

vgl. Häusle, Weichberger a. a. O.

Zur Analyse des Stücks

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stehen und einer spezifischen Gestaltungsweise unterworfen sind, die der Zeitsatire Eichendorffs erst ihr besonderes Gepräge gibt. Außerdem ist die allegorische Eindeutigkeit der Figuren sehr begrenzt. Der König ist zweifellos keine Allegorie des »Romantikers auf dem Thron«, ebensowenig wie der Kasperl in A R N I M S Schattenspiel nur eine Allegorie oder Parodie Hardenbergs, wenngleich er hier und da an ihn gemahnen mag; in Freimund mischen sich Züge R Ü C K E R T S mit Anspielungen auf die Audienz G E O R G H E R W E G H S beim König; hinter Willibald verbirgt sich der romantische Poet par excellence und nicht nur T I E C K . Viele der literarischen Parodien sind ausgesprochen unaktuell: R Ü C K E R T publizierte nur im Jahre 1814 unter dem Namen Freimund Reimar seine »Deutschen Gedichte«. Die Parodie auf T I E C K S »Waldeinsamkeit« ist um 1840 wirkungslos, da der Stimmungston romantischer Lyrik in H E I N E S desillusionierender Auflösung schon längst zu neuen lyrischen Möglichkeiten geführt hat. Als persönliche Stichelei Eichendorffs gegenüber R Ü C K E R T und T I E C K , die, nach Berlin berufen, am Hofe Anerkennung fanden, während er, der Katholik, der gerade dem König den 1. Band seiner Schriften überreicht hatte, vergebens auf eine Beförderung im Amte wartete und nur ein Handschreiben seines allergnädigsten Königs empfing, lassen diese Anspielungen vielleicht des Dichters persönliche Verärgerung über seine »Anstellungsmisere« erkennen; auch der allegorische Auftritt der blauen Monatsschrift, die schon 1811 ihr Erscheinen eingestellt hat, ist höchst unzeitgemäß. Das Incognito ist primär keine Literatursatire wie die früher entstandenen satirischen Dichtungen Eichendorffs (Philister, Meierbeth). Alle diese mehr oder weniger veralteten Erscheinungen des literarischen Lebens werden wichtig, um das eigentliche Thema unseres Puppenspiels zu erläutern: den scheinbaren Gegensatz von Vergangenheit und Gegenwart, die Decouvrierung des sich fortschrittlich gebärdenden liberalen Zeitgeists als Relikt abgestandener Aufklärung und gespenstische Neugeburt überholten Rationalismus'. Das Motiv des incognito reisenden Fürsten, beliebtes Lustspielmotiv mit langer Tradition45, wird von Eichendorff kaum für dramatische Verwicklungen genutzt, es bietet einen allgemeinen stofflichen Rahmen mit dem Rollentausch von König und Narr und diese oder jene heitere Verwirrung, erfährt aber keine tiefere Begründung, wie sie etwa der Lustspielentwurf noch vorsah oder wie sie das Unstern-Fragment aus dem »ewigen Incognito« ( S T Ö C K L E I N ) des Menschen zu geben dachte. Eichendorff weicht jeder Komplizierung der Fabel aus und nutzt die ein45 vgl. die Werke von Häusle, Weichberger und Kunisch, die Belege verzeichnen.

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fächeren komischen Effekte aus dem Kontrast von wissentlicher und unwissentlicher Täuschung (Narr / König — Paphnutius, Narr / König — Freimund, Narr— Colombine usw.). Der General durchschaut das Incognito des Staatsoberhaupts auf Anhieb, und somit steht einem heiteren, versöhnenden Schluß nichts im Wege, bei dem alle (auch der Kuppelpelz Paphnutius) auf ihre Kosten kommen. Das Motiv des Rollentausches steht ohne Bezug zum Thema des Spieles, das, wie der Narr sagt, als Ernst gleichsam incognito durch das Stück geht: die scheinbare Dialektik der Zeitbewegung, das Verhältnis von Alt und Neu, dem die satirischen Ausfälle, die sich nicht gegen Einzelerscheinungen der Zeit, sondern gegen die Epoche des Liberalismus allgemein richten, ihr Ziel verdanken. Damit aber partizipiert das Puppenspiel sehr entschieden von der Thematik der Eichendorffschen Dichtung, deren »zeitliche Perspektiven« ( S E I D L I N ) immer wieder vom bloß historischen Ablauf und Wandel des Lebens weglenken und Dasein aus einer tieferen Einheit der Zeit in der Vereinigung von Erinnerung, Gegenwart und Ahnung zu gründen suchen46. Erst aus dem fließenden Übergang dieser »drei Zeitwandelungen«47 läßt sich das Verhältnis von Alt und Neu, damit die Thematik unseres Spieles fassen, denn »das rechte Alte ist ewig neu, und das rechte Neue schafft sich doch Bahn über alle Berge«48. Eichendorffs erste große Jugenddichtung, der Roman »Ahnung und Gegenwart«, war bereits als ein Dokument der gewitterschwülen Zeit zwischen 1806 und 1813 gedacht, und wenn es den Anschein haben mag, daß sich für den Dichter mit der Idyllik der Taugenichts-Welt der zwanziger Jahre diese bange Erwartung des Zukünftigen beruhigt habe (das »Marmorbild« hatte schon mit einem triumphalen Bild siegesgewissen Morgens geschlossen), so hebt doch in den Dichtungen der beginnenden dreißiger Jahre das beunruhigte Fragen nach dem Wohin der Zeit, nach Legitimation der Sicherheit menschlichen Lebens in einem biedermeierlichen Scheinglück erneut an: »Man möchte sich gern bequem, fröhlich und auf die Dauer einrichten, wie in der guten alten Zeit, aber der ferne Donner verkündigt überall den unheimlichen Ernst, und so sitzen wir verwirrt, ungewiß und in banger Erwartung«49. Vollends die Zeit des Regierungswechsels in Preußen, die Jahre, da auf die konsolidierte Restauration im politischen Leben neue Beunruhi4S 47 48 49

vgl. Oskar Seidlin, Versuche über Eichendorff. Göttingen 1965. Eichendorff, Werke IV, 855. Eichendorff, Werke II, 508. Eichendorff, Werke II, 531.

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gungen als Folge der Pariser Julirevolution, eines sich ausbreitenden liberalen Engagements des Bürgertums, allenthalben in der Öffentlichkeit zu keimen begannen, erscheint dem Dichter als Epoche des Kampfes. An T H E O D O R V O N S C H Ö N schreibt er unter dem 2. 10. 1839: »Alle Erscheinungen, in Staat und Kirche, lassen sich freilich unter einem großen Gedanken — Kampf des Alten und Neuen — zusammenfassen, auch ist kein Zweifel, daß im letzten Akt das ewig Alte und Neue doch siegen wird. Aber dieses Drama mit seiner weitschweifigen Exposition, mit seinem unnützen Geschwätz und hohlen Floskelwesen, Szene für Szene mit durchzumachen, ohne die Hoffnung den 5ten Akt zu erleben, ist wahrlich über alle Gebühr langweilig«50. Was ist das ewig Alte und Neue? Das, was es zu sein vorgibt, ist es zweifellos nicht, denn darin besteht das satirische Engagement im Incognito, daß das, was sich als neu ausgibt, als nicht so neu entlarvt wird, daß aber das Alte, auf das sich das Neue stützt, seinerseits abgelebt ist und aus dem Grabe steigt, also das falsche Alte ist. Dieses zu dokumentieren, ist der Sinn der allegorischen Partnerschaft von Nicolai und dem Heer der Fortschrittlichen, geistesgeschichtlich gesprochen von Aufklärung und Liberalismus. Eichendorff hat damit zugleich eine bestechende Analyse des Zeitgeistes gegeben und die historische Verwurzelung der liberalen Gedankenwelt und ihres Fortschrittsglaubens im Rationalismus des 18. Jahrhunderts aufgedeckt. Fast alle Szenen des Stücks führen denselben Beweis: daß die neue Zeit keine echte Gegenwart ist, weil sie auf einer falschen Vergangenheit basiert und einen falschen, verhängnisvollen optimistischen Zukunftsglauben zur Schau trägt, der, im Sinne des Liberalismus, dem Menschen als Vernunftwesen eine unendliche Perfektibilität zubilligt und ihn zugleich, im Vertrauen auf diese Vernunft, aus alten historischen und religiösen Bindungen löst. Die Neuen belagern die Stadt, in der die alte gute Zeit wohnt. Im Puppenspiel ist diese durch nichts repräsentiert als durch diese Worte, sie erscheint nur negativ in den abwertenden Interpretationen der belagernden Soldaten als Gegenbild mit einigen typischen Motiven, die der Dichter in anderen Werken in ähnlichen Zusammenhängen ausführlicher ausgestaltet: Gartenidyll, abgeschieden hinter Mauern, Morgenglocken — Natur und Frömmigkeit also sind der Grund, die Heimat des Menschen, dessen Leben im ewig Alten und Neuen geborgen ist. Gegenüber dem Fortschrittsdenken der Neuen ist diese Zeit merkwürdig geschichtslos, zeitlos; sie erscheint zugleich als zweckfreie Kunstwelt des ausgehenden 18. Jahrhunderts, 60 Sämtliche Werke d. Freiherrn Joseph von Eichendorff. Hist.-krit. Ausgabe. Bd. 12. Regensburg o. J. S. 60—61 (zit. HKA).

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in der die Schloßbewohner die neue Zeit verschlafen 61 . Die alte gute Zeit wird gerade wegen ihrer indifferenten zeitlichen Perspektive, dem ununterscheidbaren Verfließen von Geschichtlichkeit und Geschichtslosigkeit vom einseitig progressiven Charakter der neuen Zeit und ihres ausgesprochen modernistischen Gehabes abgehoben. Zwar verschlafen die Aristokraten die Zeit, die der »freien Persönlichkeit jede Leistung, jeden Beitrag zum Aufstieg des Menschengeschlechts« zutraute62, und sie werden immer dümmer, aber sie leben doch in einer im Alten geborgenen Welt, das alles Neue tragen und umfangen müßte. Die Kritik an der neuen Zeit streift hier auch die träumenden Adligen aus der alten Zeit, weil diese der Verpflichtung zur Erneuerung des Alten im Neuen, in der Gegenwart nicht folgen und das Neue auf diese Weise den Kräften anheimfällt, die Progressivität auf ihre Fahnen geschrieben haben, ohne daß sie merken, wie ihnen der falsche Zopf noch im Rücken hängt. Die Einheit des Geschichtlichen im Zeitwandel wird im Puppenspiel ersetzt durch den Gegensatz von neuer und f a l s c h e r alter Zeit, die incognito unter den Neuen einhergeht, während die gute alte Zeit als Ideal nur verhalten anklingt in der Trauer um die verschlafene Mission ihrer Paladine, des Adels. Die Ziele der satirischen Anspielungen sind nur aus der in der Gegenwart zutage tretenden scheinbaren Gegensätzlichkeit von Alt und Neu zu erklären: die Schlagworte der Liberalen erwecken die Aufklärer — ihre Ahnherren — zu neuem Leben, das Rokoko kommt wieder in Mode 63 , die Emanzipation des Ich, der Fortschrittsglaube sind echtes Erbe des 18. Jahrhunderts. Eichendorffs Satire richtet sich gegen den Fortschritt, der in Wahrheit Reaktion ist und gerade deshalb in der Zeit gewitterschwülen Übergangs die Besinnung auf die wahren Grundlagen eines nationalen Lebens durch Phrasen und hohle Worte erschwert. Die Identität von Alt und Neu stiftet die kleine lustspielhafte Pointe des Stückes: daß nämlich die Neuen den König, der in altmodischeren Wendungen dieselben Ideen verkündet, für die sie nur moderne Parolen gefunden haben, zu ihrem Führer wählen, dann aber, als das Incognito gelüftet ist, im Handumdrehen Royalisten werden, weil sie keine echte historische Alternative zur Monarchie bilden. Die »Wahlverwandtschaft« der liberalen Epoche mit der Aufklärung und ihrer »Jesuitenriecherei«,

61 vgl. Walther Rehm, Prinz Rokoko im alten Garten. In: W. R., Späte Studien. 1964, S. 173. 62 Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Bd. 2. Freiburg 1933. S. 114. 63 vgl. W. Rehm a. a. O.

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die um 1830 als gehässiges »Spionier- und Denunziations wesen« wieder auflebte und in ein neues Stadium getreten war, führte zur Konfrontation der Neuen mit Nicolai54, gegen den G O E T H E einst mit fast gleichen Worten die Feder geführt hatte. Das IncognitoMotiv will mithin vor allem den Widerspruch von Sein und Schein im Zeitgeist dechiffrieren. Indem der Dichter dartut, wie wenig neu und wie wenig fortschrittlich dieser Zeitgeist ist, indem er alt und neu nicht nur k o n f r o n t i e r t , sondern vor allem p a r a l l e l i siert, dient das Incognito, das im Handlungsverlauf komödiantische Situationen durch die M a s k e r a d e schafft, im Hinblick auf die Thematik des Stückes geradezu als d e m a s k i e r e n d e s Motiv. Das politische Engagement der Liberalen erweist sich als Scheingefecht und hebt sich selbst auf, indem die Liberalen den König anerkennen. Das Spiel stagniert wie die Zeit, da Fortschritt und Reaktion, Alt und Neu sich wechselweise über die gemeinsame Identität täuschen und im politischen Gegeneinander neutralisieren. Die karge Handlung in den Episoden mit dem König sackt in sich zusammen, wird nur durch die Nebenstränge (Papbnutius — Narr — Colombine) aufgefangen und auf anderer Ebene zum Ende gebracht. Eichendorff hat in einem Passus seiner »Geschichte des Dramas« den geistesgeschichtlichen Hintergrund der dreißiger Jahre entworfen und den scheinbaren Gegensatz von Fortschritt und Reaktion als geheime Identität entlarvt: »Als aber die Revolution der Romantik an sich selbst irre und kampfesmüde geworden, ging . . . die Reaktion, die nichts gelernt und nichts vergessen hatte, unverweilt an ihre Arbeit. Als hätten sie ungefähr 60 Jahre verschlafen, hören wir sie wie aus Träumen überall wieder von der guten alten Zeit der Aufklärung reden, während sie die etwas wackelig gewordene Literaturmaschine, Ruck auf Ruck, über die Romantik hinweg bis möglichst vor Christus zurückzudrängen suchen. Diesen Rückmarsch nennen sie wunderlicherweise den Fortschritt; und doch wäre es ebenso leicht als ergötzlich, jedem ihrer Stichwörter einen ganz analogen Ausspruch aus dem weiland Nicolaischen Idiom gegenüberzustellen. Ihr »freies Weib« ist nur eine Neuauflage des bekannten Buchs von Hippel; und wenn sie sich rühmen, die Emanzipation des Fleisches und den religiösen Unglauben erfunden zu haben, so vergessen sie oder wollen nicht wissen, daß es in diesem lüderlichen

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vgl. Eichendorff, Werke IV, 747; möglicherweise nahm Eichendorff das Wort »Jesuitenriecherei« auch deshalb auf, weil der Orden, seit 1804 durch Papstbeschluß wieder installiert, jedoch in Deutschland bis 1848 weiterhin verboten, sich zu dieser Zeit heftigen Angriffen seitens der liberalen Theologie und der Staatsmänner ausgesetzt sah.

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Fache die Kavaliere Ludwigs X V . viel weiter gebracht«55. Letztlich spricht daraus eine dem herrschenden Liberalismus völlig konträre Geschichtsauffassung. Für Eichendorff ist Geschichte ein »ständiges Verweisungssystem« »auf der Schwelle zwischen Rückbezug und Vorahnung«56. Bloßes Fortschrittspathos, das »den großen Sinn der Vergangenheit« verkennt, ist nicht weniger von Übel als eine sich als fortschrittlich tarnende Reaktion; das Heil liegt auch nicht »in der unbedingten Wiederkehr zum Alten, denn in der Weltgeschichte gibt es keinen Stillstand«57. Gegen den Zeitgeist stellt Eichendorff den unvergänglichen »Geist aller Zeiten, der in keiner einzelnen vergänglichen Form festgebannt ist, das ewig Alte und Neue zugleich«58, das jeden geschichtlichen Augenblick erfüllen solle und damit sinnstiftend einen Zusammenhang der Weltbegebenheiten schafft, die sowohl rückwärts ins Vergangene wie vorwärts in eine unendliche Zukunft weisen59. In dieser Geschichtskonzeption, in der das Alte als Ursprung nicht nur »als zeitlicher Beginn, sondern als Entwurf alles dessen erscheint, was Geschichte überhaupt sein könnte«60, sind Alt und Neu nicht dialektisch auseinanderstrebende Gegensätze, das Neue ist auf jeder Stufe auch das Alte, so daß Ursprung und Ziel schließlich zusammenfallen, während der politische Vernunftglaube des Liberalismus in der Geschichte die von Stufe zu Stufe fortschreitende Vervollkommnung des Menschen aus eigener Kraft und freier Verantwortlichkeit, einen »subjektiven Absolutismus«, proklamiert, in dem Eichendorff einen politischen Aberglauben erblickt61. Geschichte als »eine ewig wandelnde, fortschreitende Regeneration«62 muß dabei durchaus als ein unter gött55

Eichendorff, Werke IV, 631; vgl. auch IV, 409: »Unsere neueste Poesie ist im Grunde nur die Reaktion gegen die Romantik, und hat alle, von dieser quieszierten und vorlängst abgeschiedenen Geister als ihre Kampfgenossen wieder aufgerufen, die aber als bloße Revenants keineswegs ihre ursprüngliche Lebenskraft mehr bewähren. Da laufen alle Elemente und Richtungen gleichzeitig zusammen und prallen oft hart aneinander: der Humanitätskultus, die Sentimentalität, Pietismus, Kantsche, Schellingsche und Hegeische Philosophie und politisches Bardengebrüll. Sie haben die Romantik überwunden, aber noch nichts Neues an deren Stelle gesetzt, indem sie das Alte, weil es sich modern kostümiert, für etwas Neues halten.« 66 Seidlin a. a. O., S. 159. 57 Eichendorff, Werke IV, 1131. 58 ebd. 59 Wilhelm Emrich, Eichendorff. Skizze einer Ästhetik der Geschichte. In: W. E., Protest und Verheißung. Frankfurt 1963. S. 19. 60 Emrich a. a. O., S. 20. 61 Eichendorff, Werke IV, 1118. 62 Eichendorff, Werke IV, 1294.

Zur Analyse des Stücks

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lichem Willen verlaufendes Geschehen verstanden werden, als Periode des Übergangs, der Erwartung des Heils, bis jene Zeit kommen wird, da — wie es in »Ahnung und Gegenwart« heißt — der Herr ein End' macht. Dieser religiösen Geschichtsauffassung widerspricht das Bedürfnis der Liberalen, dem, wie man meint, »religiös entleerten Ablauf des Menschenschicksals, einen diesseitigen Sinn zu verleihen«63: daß der Mensch als Vernunftwesen nämlich sich veredeln und sich seiner Bestimmung gemäß vollenden werde, so daß sich im Staatsleben Gesetze schließlich erübrigen. Diese liberale Staatslehre ist ebenfalls ein Erbe der Aufklärung und ein Ableger der Geschichtsphilosophie S C H I L L E R S , die Eichendorff verwarf 64 . Die Parodie der Szene Posa-Philipp im Incognito erhält damit ihren thematischen Sinn : Posa erscheint Eichendorff als republikanischer Charakter, »seine Philosophie aber ist der moderne Liberalismus«65, oder, wie er an anderer Stelle sagt, identisch mit dem »religiösen Rationalismus« der Zeit 66 . So erweist sich, daß alle literarische Satire auf das thematische Grundproblem von alter und neuer Zeit bezogen bleibt. Was darüber hinaus an einzelnen Anspielungen auf die Berliner Gegenwart der beginnenden vierziger Jahre grelle Schlaglichter wirft, ist demgegenüber belanglos und nur nach der Originalität der Erfindung zu taxieren. In der staunenden Verblüffung, mit der der König seinem Beamtenheer gegenübersteht, mag etwas davon anklingen, wie wenig F R I E D R I C H W I L H E L M IV. sein auf das monarchische Prinzip gegründetes Staatsideal verifizieren konnte und wie zwischen Regent und Volk eine anonyme Instanz, die Beamtenschaft, getreten war, die für die Bevölkerung recht eigentlich den Staat repräsentiert. Indessen wirkt diese Szene doch vor allem durch die Art, wie hier die Bureaukratie als wesen- und gesichtsloser Trupp, in betriebsamer Hetze und auf Schlagwörter wie Gemeinwohl und Staat gedrillt, in einer Allegorie verspottet wird, die M I R A B E A U S Definition der Bureaukratie als »animal armé d'une plume« gewissermaßen ins Bild umsetzt. Ekhendorff weicht einer kritisch-realistischen Wiedergabe der Zeiterscheinungen aus. In den Beamten wollte er ursprünglich einzelne seiner Kollegen aus dem Ministerium karikieren; die Personalsatire wurde aber dadurch beträchtlich entschärft, daß Schnabel a. a. O., S. IIJ. vgl. Seidlin a. a. O., S. 144t. In einer Analyse des Calderonschen »standhaften Prinzen« spricht Eichendorff vom echten Liberalismus, der sich »mit dem Christentum gar wohl verträgt, ja mit demselben großgewachsen ist.« Werke IV, 524. 66 Eichendorff, Werke IV, 592; vgl. auch IV, 211; 235; 805. 66 Eichendorff, Werke IV, 596. 68 64

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der Dichter die individuellen Nuancierungen vermied und vielmehr allgemeine Zeiterscheinungen als konkrete Personen treffen möchte. Die Figuren werden zu Allegorien des Zeitgeistes und dessen Repräsentanten67, die Zeitsatire erscheint im Gewand eines phantastisch-märchenhaften Spiels, das nicht einfach als Zeitgemälde gewürdigt werden will, sondern als Komödie doch auch einer p o e t i s c h e n Gestaltungsweise unterworfen ist, die schon Eichend o r f f s Notizen zum ersten Entwurf andeuten: »nicht aus der jetzigen Zeit, sondern etwas märchenhaft, phantastisch halten«. So sehr im Puppenspiel der Zeitbezug gewonnen hat, so wenig hat der Dichter das Phantastische verdrängt. Schon die Thematik, das Verhältnis von alter und neuer Zeit, bedingt Phantastik und Märchenhaftes in der Darstellung, wollte man die vergangene, abgelebte Zeit selbst als Revenant darstellen. Eine freie Willkür der Erfindung herrscht in diesen Szenen, in anderen dagegen eine bewußte Rezeption mimischen Komödiengutes der commedia dell'arte, so daß die Zeitsatire sich doch nur als Spiel darbietet, das die Realien allegorisch-phantastisch poetisiert. Wenn am Ende in ironischer Wendung auf die Bühnensituation selbst angespielt wird, so zeigt das, wie stark Eichendorff sich der Tradition romantischer Komödiendichtung noch bewußt ist, deren frühe Muster er in seinen satirischen Dichtungen stärker als in den eigenwilligeren »Freiern« beachtet. Fast schon Erbe, schaltet Eichendorff in freier Verfügung über die dramatischen Mittel und Tricks, die — anders als bei T I E C K — keine strukturelle Bedeutung für die Gesamtanlage seines Puppenspieles haben, aber doch in bunter Vielfalt die szenische Rhythmik bedingen. Eichendorffs satirische Dichtungen, deren Baugesetze und Darstellungsweise noch wenig untersucht sind, zeichnen sich allesamt durch denselben phantastisch-märchenhaften Zug aus, der der Satire erst poetische Dimensionen abgewinnt, und darüber hinaus lehrt ein Blick auf BRENTANOS, T I E C K S und selbst PLATENS Literaturkomödien und Satiren, daß diese auch ihren zeitbezogenen Stoff in spielerisch-freier Behandlungsweise poetisch auszumünzen wußten. Auch die Komödiensatire steht unter dem Gesetz des Spielerischen. Allegorie, Parodie, Witz und phantastische Willkür sind die beliebig variierbaren Darstellungsformen, deren arabeskspielerische Handhabung wichtiger ist als die strenge Durchführung bestimmter Handlungsmotive. Wenn das »feinere Lustspiel« der 67 Biester und Nicolai sind ebenfalls nur als Typen gedacht. Eichendorff schwankte, ob er für Sebaldus Nothanker den zum Protestantismus übergetretenen Kapuziner Ignaz Feßler, der durch didaktische Romane bekannt geworden war, einsetzen sollte. Die Figuren sind also austauschbar und ohne Individualität.

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Romantik auf Komik zugunsten von Scherz, Heiterkeit und harmloser Lust verzichtet, so — sagt Eichendorff— kennzeichne es die Satire, daß sie, weil sie Übel »als vor der Welt verächtlich und lächerlich« darstellt, »immer komisch« ist und daß das Komische, »sehr verschieden von harmloser Lust, immer auch satirisch ist«68. Es ist hier nicht der Ort, im einzelnen zu entwickeln, ob die romantische Satire noch auf ein Ideal oder eine Moral bezogen bleibt. Es scheint so, als suchten die Romantiker die Satire nicht mehr als Gattung zu fassen oder einer Dichtart im Sinne S C H I L L E R S zuzuordnen, als suchten sie nach Möglichkeiten einer eigentlich p o e t i s c h e n Gestaltungsweise des Satirischen. Im Hinblick auf die römische Satire bemerkte F. S C H L E G E L in seinen Wiener Vorlesungen, daß ein Gemälde des wirklichen Lebens der Dichtung »nur durch die Darstellung, wenn sie nämlich wahrhaft künsderisch ist«, angehöre. Eine »Begeisterung des Unwillens und des Hasses gegen Laster und Thorheit« sei moralisch achtenswert, »aber poetisch ist sie nicht69. So lenkt S C H L E G E L den Blick auf eine von allen äußeren Bedingnissen (Stoff, Motive, moralisches Engagement) unabhängige innere Form und Organisation der Satire, auf die Darstellungsart, die er als »Einheit der Gesellung wie der Stimmung und Richtung« apostrophiert70. Witz, Laune, Spottlust und Begeisterung des Dichters bedingen die Gestaltungsweise und die Einheit der »Gesellung« des empirischen Materials, das nicht schon dadurch zur Satire wird,daß es an einer verbindlichen Norm gemessen, einem Ideal konfrontiert wird, sondern erst dadurch, daß und wie der dichtende Geist sich seiner bemächtigt. Die Wirklichkeit mit ihren Schwächen ist daher nicht der Gegenstand satirischer Dichtung, sondern bloßer Rohstoff, der durch Laune, Witz oder Spott poetisiert wird, sei es auf Kosten formaler Geschlossenheit des Werkes. Damit nimmt die Romantik der Satire die vernichtende Tendenz, weil sie sich nicht nur auf das gestrafte Objekt richtet, sondern primär von der Laune der Poeten zeugt. Immer wieder haben die Dichter betont, wie sehr sie alle satirischen Einzelangriffe um des Scherzes willen geführt haben. Eichendorff meinte selbst, daß die Romantik das »hämische Treiben heiter als bloßes Material nahm und humoristisch der Poesie selbst dienstbar zu machen wußte« 71 . Subjekti68 Eichendorff, Werke IV, ijof. Auch F. Schlegel zählt Satire zu den »Kategorien des Komischen«, vgl. Literary Notebooks 1797—1801. Hrsg. v. H. Eichner. London 1957, Nr. 2139 (zit. LN Nummer). 69 Krit. Friedr. Schlegel-Ausg. a. a. O., Bd. 6, Geschichte der alten und neuen Literatur. 1961. S. 82. 70 F. Schlegel, LN 222. Vom »Gesetz der Mischung« in der Satire spricht er LN 4. 7 1 Eichendorff, Werke II, 1069.

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vierung und Poetisierung der Satire, ihre Bestimmung als Poesie des Witzes bedingen alle jene Spielelemente, aus denen sich die romantischen Literaturkomödien konstituieren, und jene heitere Laune, die allüberall dem Allerweltsphilister zu Leibe rückt, der »mit Nichts geheimnisvoll und wichtig tut, . . . die hohen Dinge materialistisch und also gemein ansieht«72 und eine »Borniertheit für alle höhern Motive im Leben«' 3 zur Schau trägt, die das Leben seiner poetischen Fülle beraubt. Die Satire deutet dabei nicht nur auf jene Poesie des Lebens hin, indem sie Unvollkommenes und Philiströses verspottet, sondern durch die Art der phantastischlaunischen, der scherzhaften Darstellung setzt sie selbst Leben in Poesie um. Ein konkretes, positives Ideal verfechten diese Satiren selten, sie erzeugen einen Rausch von Heiterkeit und Freude, in dem sich das Leben poetisch verklärt. Eichendorffs Incognito formuliert kein Staatsideal, zeigt keinen Ausweg, sondern deckt die Widersprüchlichkeit des Zeitgeists auf, indem Wirklichkeit selbst zum poetischen Spiel wird. Damit glaubt der Dichter in der Misere der gegenwärtigen Situation, in der die Poesie allmählich einer »allgemeinen Lähmung« der »gemeinheitsseligen Zeit« erliegt, wie er an T H . V . S C H Ö N schrieb74, die Poesie vor der Zeit und der Politisierung zu bewahren. »Sie geht bei den Philistern zu Gaste und wird mit ihnen ganz und gar politisch«75. Die poetische Satire, in der das Politische zum Spiel wird, rettet die Poesie vor der Politisierung, da die Dichtung in dieser Übergangsperiode eben nicht »selbst Politik werden kann wie in den Jahren von 1807 und 1809 und 1813« 79 . Eichendorff hat nämlich jene Instanz, der er in den Wirren der Zeit allein vertraut und von der er alles Heil erwartet, nicht in sein Spiel als positiven Gegenpol hineingeholt und hat damit verhindert, daß das Puppenspiel zum lehrhaft-moralischen oder politischen Traktat wird: den König. Daß über allem Weltspektakel der König steht »wie die Sonne, die von den vorüberziehenden Wolken nicht berührt wird und zuletzt doch den dicken Nebel zerreißt«, das ist ihm der größte Trost 77 . Die Verbitterung über die Zeit verdirbt nicht die poetische Stimmung in seinem Puppenspiel. »Der Ärger wirkt bloß kritisch, was immer der Tod der Poesie ist«78. Die Poesie bemächtigt sich 72

Eichendorff, Werke IV, 858. Eichendorff, Werke IV, 762. Eichendorff, HKA 12, 45 f. 76 ebd. 76 ebd. 77 Eichendorff, HKA 12,72; vgl. auch die Schlußsätze der Abhandlung »Preußen und die Konstitutionen«. Werke IV, 1323. 78 Eichendorff, HKA 12, 78. 73

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Zur Wirkungsgeschichte

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in radikaler Heiterkeit der Zeit, dadurch daß sie diese satirisch entlarvt und sich damit gerade der Gefährdung durch die Zeit entzieht. Indem die poetische Satire die Stichwörter und Losungen des prosaischen Zeitalters als hohle, veraltete Phrasen demaskiert, zerstört sie die Gefahr, die ihr aus diesem Zeitgeist entgegenwächst und die sie — die Poesie — zu vernichten droht. So ist unser Puppenspiel der Sieg der Poesie über »alle Satanologie dieser Zeit«79, und diesen Sieg erficht die Poesie allein, denn der König, »unser König« 80 , der ihn in der Wirklichkeit des geschichtlichen Lebens erkämpfen sollte, bleibt außerhalb des Spiels; der, welcher hier erscheint, ist nur eine bornierte und wirklichkeitsfremde Figur, die aus einer Täuschung in die andere fällt, und es wäre töricht, in ihr das Abbild F R I E D R I C H W I L H E L M S IV. erblicken zu wollen. Es ist weder die Absicht romantischer Satirendichtung, den Spott über die Unvollkommenheiten und Mängel der Wirklichkeit durch eine positiv-utopische Idealvorstellung oder ein Wunschbild zu sanktionieren, noch liegt es in der Möglichkeit des Dichters, in einer bloßen Übergangsperiode, in der »alles noch im Kreisen und Gären begriffen« ist 81 , konkrete historische Auswege aus der Zeitmisere anzuweisen. So läßt Eichendorff am Schluß die ganze Gegenwartsproblematik, die als nichtiger Schein entlarvt wurde, fallen; die Komödie klingt mit einem Idyll aus, in dem der Gesang Colombinens mit der Blumenmetapher das von allen ständischen und zeitlichen Ordnungen unabhängige menschliche Liebesglück feiert und der Tanz alle in Freude vereint. Zur Wirkungsgeschichte Eine literarische Wirkung hat das Eichendorff sehe Puppenspiel, dessen Text erst am Anfang unseres Jahrhunderts in größerem Maße zugänglich gemacht wurde, nicht gehabt. Die Forschung hat es wenig beachtet; M I N O R meinte, daß es »für die Erkenntnis des Dichters« nichts bedeutet, »und auch stofflich bietet es nur ein untergeordnetes Interesse«82. Hingegen hat die Puppenbühne das Spiel entdeckt und in mehrfachen modernen Bearbeitungen bis heute hin und wieder aufgeführt 83 . 79

Eichendorff, HKA 12, 135. Eichendorff, Werke IV, 1323. Eichendorff, Werke IV, 409. 82 Minor a.a.O., S.424; dgl. Hans Brandenburg, Joseph v. Eichendorff. Sein Leben und seine Werke. München 1922. S.43: »Zu dem Bilde des Dichters fügt es nichts Wesentliches hinzu, dasjenige des Menschen vermehrt es um ein paar kleine Tupfen.« 83 vgl. Aurora, 1, 1929, S. 132; 15, 1955, S. 101. 80

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KOMEDIA

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Materalien: Das Incognito Literatur

I n den Publikationen v o n WEICHBERGER u n d HÄUSLE (S. O. E d i t i o n s -

bericht) finden sich Würdigungen des Spiels und ausführliche Angaben zur Stoff- und Quellengeschichte. BRANDENBURG, HANS : Joseph von Eichendorff. Sein Leben und seine Werke. München 1922. S. 4 1 1 ff. (Reiht das Spiel unter Eichendorffs politische Dichtungen ein.) HEYER, ILSE: Eichendorffs dramatische Satiren im Zusammenhang mit dem geistigen und kulturellen Leben ihrer Zeit. Halle 1931 ( = Hermaea. Bd. 28). (Das Puppenspiel wird als Zeugnis für Eichendorffs politische Auffassungen, seine Idee vom Staatswesen gewürdigt.)

Worterklärungen applizieren', frz. beibringen, anwenden. A.pproschen: frz. Laufgraben. echauffiert: frz. erhitzt. embrassieren: frz. umarmen. enmeyant: frz. langweilig. fraternisieren: frz. sich verbrüdern. Gemüll: mhd. gemülle, Kehrricht, Staub. gollem: mdt. Form für kollern = toben, wüten, den Koller haben. Hymen: griech. Gott der Ehe. Kontusionen: lat. Quetschungen. Kopfstück: alte Münze von 20 Kreuzern. Poschen: frz. la poche, die Tasche. quies^ieren: frz. sich beruhigen, in den Ruhestand versetzen. retrograd-, lat. rückgängig, zurückgehend. Schicksei: urspr. jüd. Bezeichnung für Christen, später: Bezeichnung für Judenmädchen und Mädchen allgemein. sich schrauben: sich necken, ärgern. smtisieren: frz. tollen (burschikose Bildung). taut comme che%_ nous: frz. alles wie bei uns. Trancheen: frz. Graben, Laufgraben. Tubus: lat. Fernrohr.

INHALTSVERZEICHNIS Text Ludwig Achim von Arnim, Das Loch oder Das Wiedergefundene Paradies 5 Joseph von Eichendorff, Das Incognito oder Die mehreren Könige oder Alt und Neu 35 M a t e r i a l i e n z u m V e r s t ä n d n i s der T e x t e »Das Loch« Editionsbericht Zur Entstehungsgeschichte Gattungsgeschichtliche Einordnung Zur Analyse des Stücks Zur Wirkungsgeschichte Literatur Worterklärungen

69 70 76 86 101 104 105

»Das Incognito« Editionsbericht Zur Entstehungsgeschichte Gattungsgeschichtliche Einordnung Zur Analyse des Stücks Zur Wirkungsgeschichte Literatur Worterklärungen

106 107 110 118 129 ijo 130