Cicero und das Seelenheil: oder Wie kam die heidnische Antike durch das christliche Mittelalter? [1 ed.] 9783110941715, 9783598775611

Wie kam die heidnische Antike durch das christliche Mittelalter? Diese Frage von Horst Fuhrmann zielt auf die asketische

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Cicero und das Seelenheil: oder Wie kam die heidnische Antike  durch das christliche Mittelalter? [1 ed.]
 9783110941715, 9783598775611

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Horst Fuhrmann Cicero und das Seelenheil

Lectio Teubneriana XII

Horst Fuhrmann

Cicero und das Seelenheil oder Wie kam die heidnische Antike durch das christliche Mittelalter?

K G - Saur München · Leipzig 2003

Lectio Teubneriana XII Freitag, 21. März 2003, 19.30 Uhr Alte Börse am Naschmarkt in Leipzig

Es musiziert (las Ensemble „Trifoglio" Regina Häußler - Martina Qnaas Ingo Voelkner Blockflöte

Musikalische

Begrüßung

Ο rosa bella - John Dustable (1380-1453) Quel fronte signorilla - Guillaume Dufay (ca. 1400-1474) Una panthera - Johannes Ciconia (1335—1411)

Lectio Teubneriana XII

Horst Fuhrmann Ciceronianus es, non Christianus Uber Wahrheit und Sprache im Mittelalter

Die Lectiones Teubnerianae erscheinen in einer eigenen Reihe im K-G-Saur Verlag München · Leipzig

Hieronymus als Bibelübersetzer Vivian-Bibel (Paris, Bibl. Nat., Lat. 1), geschrieben in Tours ca. 845; vom Laienabt Graf Vivian (844-851) und den Mönchen von St. Martin (Tours) König Karl dem Kahlen (840-877) zugeeignet. - Titelbild zu den Vorreden des Hieronymus. Die drei Streifen stellen Szenen aus dem Leben des Kirchenvaters dar. Im oberen Bild verläßt Hieronymus die Stadt Rom, segelt in das Heilige Land und nimmt Unterricht bei einem Hebräischlehrer, den er gerade auszahlt. Die mittlere Szenenfolge zeigt Hieronymus beim Unterricht der aristokratischen Damen, die ihm aus Rom gefolgt waren, darunter Paula und ihre Tochter Eustochium, an die der Traumbrief gerichtet ist. Rechts: Geistliche bei der Schreibarbeit. Im unteren Abschnitt verteilt Hieronymus die Übersetzungsbände, die in die Welt getragen werden.

Cicero und das Seelenheil oder Wie kam die heidnische Antike durch das christliche Mittelalter? Ein Traum - behauptet der Kirchenvater Hieronymus habe sein Leben verändert. In seiner Jugend habe er die heidnischen Schriftsteller geschätzt und gelesen, den Cicero und den Plautus, und „mit höchstem Eifer und Aufwand" eine große Bibliothek zusammengetragen. Von der Heiligen Schrift sei er, Schüler des berühmten Grammatiklehrers Aelius Donatus, kaum angetan gewesen: „Wenn ich die Propheten zu lesen begann, stieß mich die ungebildete Sprache ab" (si quando ... prophetas legere coepissem, sermo horrebat incultus). Doch eines Tages in der Fastenzeit, als ein schweres Fieber ihn überwältigt hatte und man sogar ein Leichenbegräbnis schon erwog, sei ein Traum über ihn gekommen. Er sei vor das „Tribunal des Richters" gezerrt worden (ante tribunal Christi heißt es in einigen Handschriften), der ihn fragte, wes Standes er sei. Auf seine Antwort, er sei Christ, reagierte der Vorsitzende, also Christus: „Du lügst, Du bist ein Jünger Ciceros, kein Christ (Ciceronianus es, non Christianus), denn wo Dein Schatz ist, dort ist auch Dein Herz (Matth. 6,21)." Geißelhiebe habe er empfangen, Gewissensbisse hätten ihn gequält, und er habe um Gnade gefleht und versprochen, die heidnischen Schriften in Zukunft zu meiden. Ciceronianus es, non Christianus: das Donnerwort des Weltenrichters Christus begründete eine Tradition, be9

ginnend bei Zeitgenossen wie Rufin von Aquileja (1410/411), einem Studienfreund, und Eusebius von Cremona (t nach 420) über Beda (t 735) hin zu Abaelard (f 1142), Johann von Salisbury (t 1180) und vielen anderen; Petrus Damiani (f 1072) verschärft noch das Urteil, indem er den Ciceronianismus mit Häresie vergleicht. Im Spätmittelalter, in der Zeit des Humanismus, diente das Gegensatzpaar häufig zur Standortbestimmung. Ein zweites Wort gleichen Geistes wurde im Mittelalter zum locus classicus, das des Papstes Gregor des Großen (590-604); er mißachte die sprachlichen Regeln, da er es für unwürdig halte, „die Worte der himmlischen Verheißung unter die Regeln des Donat zu zwingen".

I Diese zwei Worte über den Rang der Heiligen Schrift gegenüber der heidnischen Literatur hatten ihrer bündigen Form und des Ansehens ihrer Autoren wegen weite Verbreitung und Wirkung: es waren Schlüsselworte. Es geht bei diesen Urteilen nicht primär darum, die heidnische Literatur herabzusetzen, nicht darum die klassischen Sprachregeln zur Seite zu schieben, weil sich der christliche Mund eine eigene Schlichtheit zugelegt hätte, es geht um das heilbringende Wort der Heiligen Schrift, die mehr ist als Literatur. Das Alte Testament deutet immanente Zusammenhänge an, die über den bloßen Berichtssinn hinausreichen, Verkündigungen z.B., deren Erfüllung später wahrgenommen wird (Jer. 31,31-34: „Siehe, es kommt die Zeit, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund machen."). Auch das 10

Neue Testament „bot (so Riedlinger) zahlreiche geistliche Deutungen, indem es, Methoden jüdischer Exegese entsprechend, im Alten Testament erzählte Sachverhalte über das unmittelbar Ausgesprochene hinaus als Vorzeichen und Verheißungen des in Jesus Christus erschienenen Heils ausdeutete" (Lukas 24,44. Christus nach der Auferstehung: „es muß alles erfüllet sein, was von mir geschrieben ist im Gesetz Moses, in den Propheten und in den Psalmen." Oder: der Sieg Davids als Typus des Sieges Christi über den Satan). Was sich in Alexandrien zu Zeiten Philos im ersten nachchristlichen Jahrhundert in der Exegese herauszubilden begann, die Unterscheidung verschiedener Schriftsinne, führte vor allem Origenes (ca. 18g - ca. 254) weiter aus. Er gab der Bibeltheologie die Grundgedanken auf den Weg; sein Werk περί άρχων (De principiis) entwickelte eine Theorie der Schriftauslegung. Entscheidend ist die Überzeugung, daß dem Text neben dem offensichtlichen, dem Literalsinn, ein verborgener Sinn, ein sensus spiritualis, innewohne, den freilich nur die mit der Gnade des heiligen Geistes Begabten entdecken können. Der Schriftsinn konnte verschieden begriffen werden. Aus der zweigliedrigen Auslegung (littera und spiritus bzw. historia und allegoria) entwickelte sich eine freilich mehr theoretische viergliedrige, die mit den Worten littera, allegoria, tropologia, anagoge gekennzeichnet war. Man legte sich einen Merkvers zurecht, der später gern in der Form zitiert wurde, die Augustin (Aage) von Dänemark (f 1285) ihm gegeben hat: Littera gesta docet; quid credas, allegoria; moralis, quid agas; quid speres (Nikolaus v. Lyra [f 1349] quo tendas) anagogia (Der Buchstabe lehrt die Geschehnisse; die

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Allegorie, was Du glauben sollst; der moralische Sinn, was Du tun, der anagogische, was Du hoffen sollst [bzw. wohin Du streben sollst].) II Der sensus spiritualis forderte Respekt vor dem Wort und dem Text, er verbot eine Beliebigkeit in Wort und Phrase. Das Wort mors z.B., Tod, brachte schon antike Etymologie mit dem todbringenden Kriegsgott Mars und mit dem Adjektiv amarus, bitter, zusammen. Die Bibel jedoch eröffnete den Blick auf die Menschheitsund Heilsgeschichte: das Wort mors, Tod, verband sich mit morsus, dem Biß, den Adam wider Gottes Gebot in den Apfel vom Baum der Erkenntnis getan hat; des Menschen Tod ist dieser Sünde Sold. Von den christlichen Autoren der Antike bis noch zu den Wörterbüchern der Humanisten findet sich zu mors diese Ableitung; von dem ersten Menschen, der, als er in den Apfel des verbotenen Baumes biß, dem Tod anheimfiel, qui vetite arboris pomum mordens mortem incurrit (so Marius Mercator im 5. Jahrhundert, Papias, Huguccio, Johannes von Genua und selbst noch Reuchlin in seinem weitverbreiteten Vocabularius breviloquus). Wem solche Zusammenhänge vor Augen standen, der konnte für mors nicht irgendein Synonym setzen, mochte dieses auch in Sinn und Syntax passender erscheinen. Die lateinische Sprache war neben der hebräischen und der griechischen die dritte heilige Sprache, in der Gott sich mitgeteilt hat. Göttlicher Immanenz teilhaftig, ließ sie mit mors in einem spirituellen Sinne den Sündenfall erkennen, den erst der Heiland aufgehoben hat. 12

So sehr man bei dem heilsträchtigen Bibeltext auf den rechten Wortlaut achtete, so mußten sich schon aus technischen Gründen - ohne Buchdruck, bei dem das letzte Exemplar wie das erste aussieht, ohne Reproduzier- und Kopiergerät - Fehler und Unterschiede, auch Deutungsabweichungen, einschleichen, und das um so eher, als die Bibel eins der am häufigsten abgeschriebenen Bücher war. Wir wissen aus einem Polizeiprotokoll des Jahres 303, aus der Zeit der diokletianischen Christenverfolgung, daß bei Hausdurchsuchungen

in

der mittelgroßen afrikanischen Stadt Cirta, dem heutigen algerischen Constantine, 34 lateinische Bibelhandschriften beschlagnahmt worden sind. Man mag diese Angabe mit der Zahl und Größe anderer Christengemeinden in Verbindung bringen, um eine Vorstellung zu erhalten von der Menge damals umlaufender Bibeltexte, die - handschriftlich wie sie waren - gewiß nicht selten voneinander abwichen.

III Hier war, um einen überzeugenden und verbindlichen Text herzustellen, ein Sprachkönner, ein „Ciceronianus" gefordert. Er fand sich in Hieronymus. Papst Damasus (366-384), ein auf römischen Zentralismus drängender und daher auf einen von Rom approbierten Normtext bedachter Mann, regte ihn an Hieronymus behauptet „zwang ihn" (novum opus facere me cogis ex veten) - , das Alte und das Neue Testament aus der Originalsprache ins Lateinische zu übersetzen bzw. vorhandene Übersetzungen zu prüfen und eventuell zu berücksichtigen. Damasus hatte die Sprachbegabung des Hieronymus, der vorübergehend sein Sekretär war, erkannt Hieronymus war selbstbewußt genug von sich zu sagen „Ich war des Damasus Sprachrohr", und er machte sich ernsthafte Ilofif-

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nungen, als dessen Nachfolger „des höchsten priesterlichen Amtes", des Papsttums also, teilhaftig zu werden. Das wäre der Bibelbesetzung nicht gut bekommen, denn beim Tod des Damasus (Dezember 38g) lag erst die Bearbeitung der Evangelien und des Psalters in einer vorläufigen Form vor. Zum Glück für das Unternehmen hatte sich Hieronymus in Rom so unbeliebt gemacht, daß er bei der Papstwahl übergangen wurde. Eine zunehmend feindselige Stimmung ließ ihn aus der Stadt in den Osten entweichen, wo er sich zunächst in Bethlehem niederließ. Wir können das Vorgehen des Hieronymus recht genau verfolgen: wie er es zunächst mit einer stückweisen Revision älterer Übersetzungen versucht hat, wie er mit einer Vielzahl konkurrierender Versionen rang (es seien fast ebenso viele Versionen wie Handschriften, stöhnt er, ein Wort, das später oft wiederholt wurde), welche Schwierigkeiten er schließlich bei der Übertragung selbst zu überwinden hatte. Auch gab es starrköpfige „Textfundamentalisten", die jegliche Korrektur des ihnen überkommenen Wortlauts als liturgischen Frevel empfanden; Hieronymus schimpfte sie „zweibeinige Esel". Die Leistung des Hieronymus kann kaum überschätzt werden. Es ging ja nicht bloß darum, den richtigen lateinischen Text zu schaffen: philologischer und textkritischer Verstand allein genügten nicht. Hieronymus hatte z.B. zu berücksichtigen, daß manche überkommene Wendung, mochte sie auch nicht die beste Form der Wiedergabe darstellen und theologisch unzulänglich sein, im kirchlichen Leben so fest verankert war, daß eine Neufassung weithin auf Ablehnung stoßen mußte. Und so übersetzte er jene vorhin schon zitierte Stelle der Genesis (2, 17), wo Gott dem ersten Menschen Adam vom Baum der Erkenntnis zu essen ver14

bot: „denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben" (so lautet die Stelle in Luthers Deutsch). Wir wissen aus einer Werkstattnotiz des Hieronymus, daß er selbst statt „den Tod sterben" (morte morieris) „sterblich sein" (mortalis eris) für die sinnvollere Wiedergabe gehalten hat. Wenn der Mensch Adam vom Baum der Erkenntnis ißt, wird er nicht etwa auf der Stelle tot umfallen, sondern sterblich sein, wie alle nach ihm kommenden Menschen - sicher der bessere Sinn, auf den Hieronymus verzichtet hat, indem er sich hütete, den Bezug von mors und mordere, von Tod und Apfelbiß, durch eine andere Ausdrucksweise zu zerstören. Angesichts solcher Schranken ist es erstaunlich, wie kraftvoll das Werk des Hieronymus ausgefallen ist. Seine Bibelübertragung hat sich nach mancherlei Modifikationen durchgesetzt, ist die Versio Vulgata und schließlich der offizielle Bibeltext der abendländischen Kirche geworden.

IV Papst Damasus hatte den Anstoß zur Übersetzung des Hieronymus gegeben. Jahrhunderte später bemühte sich Karl der Große (768-814) um einen sauberen Bibeltext. Karls Interesse an einem einheitlichen und unverderbten Wortlaut der Heiligen Schrift ist im Rahmen jener großen Erneuerungsbewegung zu sehen, die mit dem Namen der „Karolingischen Renaissance" bezeichnet wird. Hier, im Falle der Bibel, ging es nicht um eine Frage der Kultur, der Pflege und Erhaltung von Literatur, hier ging es um das Seelenheil der Menschen, für das sich Karl in seinem Reich verantwortlich fühlte. In einem eigenen Rundschreiben „Über die Pflege der Studien" ist die Forderung erhoben: wer Gott

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durch rechtes Leben gefallen wolle, müsse ihm auch in der richtigen Sprache dienen. Dem Kirchenvolk und den Kirchendienern sollte ein zuverlässiger Bibeltext an die Hand gegeben werden. Das berühmteste, aber durchaus nicht einzige Zeugnis dieser Bibeldurchsicht ist die sogenannte Alkuin-Bibel. Abt Alkuin von Tours (f 804), Karls Hoftheologe und kirchenpolitischer Berater, stellte seit 796 einen geläuterten Vulgata-Text her, der dank der Emsigkeit der Schreibschule von Tours in alle Teile des Reichs verschickt und dort wiederum zum Muster weiterer Abschriften genommen wurde: über 40 in den nächsten Jahrzehnten hergestellte Exemplare sind noch heute nach über 1100 Jahren ganz oder bruchstückhaft erhalten. Mit noch schärferem kritischen Sinn revidierte Alkuins jüngerer Zeitgenosse Bischof Theodulf von Orleans (f 821) den Bibeltext: er überprüfte unermüdlich den Wortlaut, besorgte sich vornehmlich aus Italien VulgataHandschriften zum Vergleich, besserte ständig an einem Werkstattexemplar herum und griff sogar auf den hebräischen Text zurück, indem er einen getauften Juden die Übertragung des Hieronymus durchsehen ließ. Die Sorge um den rechten Bibeltext brachte auch in den nächsten Jahrhunderten eine Reihe bemerkenswerter Leistungen hervor. Der Abt von Citeaux Stephan Harding (f 1 1 3 4 ) verglich zu Beginn des 12. Jahrhunderts, wie schon Theodulf von Orleans, VulgataManuskripte und zog, als er im Alten Testament grobe Ungereimtheiten entdeckte, gleichfalls sach- und sprachkundige Juden heran, deren Urteil ihn bewog, mehrere Verse in seiner Handschrift rigoros auszuschaben: ein erstaunliches Zeichen selbstbewußter Kritik. Wenig später wandten auch die mittelalterlichen 16

Universitäten ihre Aufmerksamkeit Problemen des Bibeltextes zu, und im 13. Jahrhundert erlebte die Bibelkritik eine hohe Blüte mit Paris als Mittelpunkt. In den Einleitungen zu den sogenannten Bibelkorrektorien - Zusammenstellungen von einem Normaltext der Vulgata und Varianten - ist dargelegt, auf welchem Wege ein reiner Text gewährleistet werden sollte. Die Kriterien der Durchsicht sind so durchdacht, daß ein moderner Darsteller zu dem Urteil kam: „Bei Revision des Vulgatatextes dürfte auch heute kein anderes Verfahren eingeschlagen werden" (H. Denifle). Die karolingische Bibelrevision, mit Alkuin und mit Theodulf von Orleans, der Zisterzienserabt Stephan Harding, die Rorrektorien des 13. Jahrhunderts: sie zeigen, daß es im Mittelalter textkritische Aufmerksamkeit gegeben hat. Sie galt vornehmlich der Bewahrung eines heilswirksamen Textes wie der Bibel.

y Wie aber stand es allgemein um die lateinische Sprache? Sie war ständig neuen Einflüssen und Bedürfnissen ausgesetzt und büßte ihre Mittlerfunktion ein, wenn sie nicht Zeit und Umstände aufnahm; sie veränderte sich, mußte sich verändern. Als die Humanisten zum klassischen Latein zurücklenkten, störte sie der mittelalterliche Wildwuchs. Schon bevor Ende des 17. Jahrhunderts die Epochenbezeichnung „Mittelalter" in einem historischen Sinne (von Kaiser Konstantin bis zur Eroberung Konstantinopels, von ca. 330 bis 1453) sich durchsetzte, hatten bereits die Humanisten seit der Mitte des 15. Jahrhun17

derts die Zeit zwischen Antike und ihrer zur Antike zurücklenkenden Gegenwart als mittlere Zeit betrachtet: die dazwischen liegende Nicht-Antike. Konsequent hat Charles Du Cange (1610-1688) sein Glossar für die „Schriftsteller der mittleren und letzten Latinität" (Glossarium ad scriptores mediae et infimae Latinitatis) ausgewiesen, nicht für Schriftsteller des Mittelalters o.ä. Es ist auf die „Latinitas", auf die Sprache abgehoben, und die galt vielen Humanisten wegen der Abweichungen vom Klassischen als verdorben. Zu diesem an der Sprache wahrgenommenen „Niedergang" schienen für eine spätere Zeit auch andere Beobachtungen eines „finsteren Mittelalters" zu passen, so die unglaublich zahlreichen Fälschungen, die der Zeit den Ruf einbrachten, eine „Epoche der Fälschungen" und abgesunkener Sittlichkeit („Zustände wie im Mittelalter") gewesen zu sein. Gustav Freytag (t 189g) war ernsthaft der Meinung, daß auf die Neuzeit zu „Pflichtgefühl und Redlichkeit" zugenommen hätten. Das Mittelalter hatte allerdings in der Tat einiges zu bieten. Es sind nicht nur die vorteilsuchenden Betrügereien, auf welchem Felde das Mittelalter Erstaunliches vorzuweisen hat: erschlichene Privilegien (von ca. 270 auf uns gekommenen Urkunden Karls des Großen sind rund 100 unecht), falsche und Ansprüche begründende Sukzessionslisten (es gab kaum ein Bistum, das nicht mit Bischofslisten bis in die Zeit der Apostelschüler aufwartete), erfundene Heilige und Reliquien, die einkömmliche Wallfahrten auslösten. Es sind vor allem die auf das kirchliche Leben einwirkenden Texte und Visionen, die einen festen Platz im mittelalterlichen Weltbild hatten - bei der Himmelsvorstellung die mystischen Schriften des angeblichen Paulusschülers 18

Dionysius Areopagita, bei der Sonntagsheiligung ein Himmelsbrief und ähnliches mehr. Um eine Vorstellung von den Ausmaßen nur einer Fälschungsgattung zu geben, seien die patristischen Pseudepigrapha angeführt: Zuschreibungen auf die Namen der Kirchenväter. Es sind ungeheure Dimensionen. Das von Benediktinern eingerichtete Unternehmen Corpus Christianorum unter seinem Rektor Eligius Dekkers in Steenbrügge hat eine „Clavis Patrum Latinorum" (199g) herausgegeben, die die Väterschriften und deren Umkreis (dubia et spuria) bis zu Beda Venerabiiis (t 735) verzeichnet; dieser einzelne Band wurde ergänzt durch eine „Clavis Patristica Pseudepigraphorum Medii Aevi" (1990-1994) mit den Fälschungen und Falschzuschreibungen der Zeit von Beda bis zum Ende des 13. Jahrhunderts: es sind vier Bände. Favorit bei diesen Falschzuschreibungen ist Augustin: „Erstmalig wird in diesem Verzeichnis die Sogwirkung Augustins im Mittelalter meßbar: nach 85 Seiten für Ambrosius enthält der restliche erste Halbband (fast 500 Seiten) ausschließlich Augustin Zugeschriebenes" (Gabriel Silagi). So läßt sich auch das Verhältnis von Echtem und Falschem erkennen. Von den vielen Hundert unter Augustins Namen laufenden Schriften dürften 80-90% untergeschoben sein. Lassen wir die vielen und wirkungsvollen Fälschungen auf anderen Feldern, vor allem auf dem Gebiet des Rechts, beiseite: die den Kirchenstaat begründende Konstantinische Schenkung, die Symmachianischen Fälschungen, die dem Papst die Nichtjudierbarkeit zusprachen (Papa a nemine iudicatur), die pseudoisidorischen Dekretalen, den „größten Betrug der Weltgeschichte", wie ein angesehener deutscher Historiker 19

(Johannes Haller) gesagt hat, die vornehmlich das Prozeßrecht beeinflußten und bis zum Codex Iuris Canonici von 1918 wirkten. Als der Fälschungscharakter dieser zum festen Traditionsgut gehörenden Schriften vom 16. Jahrhundert an immer deutlicher wurde, änderte sich wenig. Die Entdeckung konnte bei den Altgläubigen das überkommene Glaubens- und Rechtsgut nicht zerstören, ja nicht einmal stören. Die Schriften waren wegen ihrer Stimmigkeit in das Glaubensgut eingebaut und wurden von ihrer bewährten Funktion, nicht von der Lauterkeit ihres Ursprungs her begriffen. „Mögen sie echt oder falsch sein", sagt Vinzenz von Beauvais (f 1264), „sie können ohne Gefahr für die Seele geglaubt und gelesen werden" (sive vera, sive falsa sint, ea salva fide ac sine periculo anime credi et legi posse). Und zu einer erwiesenen Fälschung vermerkt Bonaventura (I-1274): obwohl sie falsch sei, enthalte sie doch „vieles höchst Wahre" (Quamvis sit apocrifa, continet tarnen multa verissima). Nachdem er die Unechtheit der Konstantinischen Schenkung und einiger für das Papsttum zentraler pseudoisidorischer Dekretalen festgestellt hatte, schrieb Nikolaus von Kues (t 1464) unerschütterlich: „Selbst wenn alle jene Schriften (als gefälscht) wegfallen sollten, die heilige römische Kirche ist dennoch der erste Sitz höchster Macht und Größe." Die meist von Anhängern der Reformation vorgebrachte Kritik, für die fast ausschließlich die Bibel als Richtmaß zählte, hatte ihren Anstoß von der Überzeugimg erhalten, daß der Wust alten Glaubensgutes nicht heilsvermittelnd sei. Die in die Tradition eingebauten Fälschungen bestätigten lediglich etwas, wovon man schon immer überzeugt war: die mindere Qualität des alten Glaubensgutes, das sich mit irrenden Konzilien und falschen 20

Papstbriefen von der evangelischen Wahrheit entfernt hatte. Es ist deutlich: die Kritik folgt dem Glauben, nicht umgekehrt.

VI Sicherlich ging es bei Glaubensdingen und dem dazugehörigen Schrifttum - was echt, was falsch und für die Glaubensanschauung unerheblich sei - besonders hitzig zu, doch auch die antike Literatur mußte bei diesem kritischen Aufbruch manchen Fälschungsverdacht ertragen, zumal das, was wir Hilfswissenschaften nennen, wie Paläographie oder Kenntnis der Beschreibstoffe, wenig ausgebildet war. Zudem war die kritische Einstellung in den Zeiten, Ländern, Gesellschaften verschieden. Im 17. und 18. Jahrhundert war es der Jesuitenorden mit dem Zentrum in Paris, der sich mit rigorosen Fäschungsvorwürfen hervortat - häufig mit Spitzen gegen andere Orden, vor allem die Benediktiner. Es wäre ein eigenes Thema, diese bella diplomatica oder bella critica zu beschreiben, doch in unserem Zusammenhang interessiert nur, wie weit die antike Literatur betroffen war. Viele verstiegene Ansichten wurden geäußert, doch Jean Hardouin (1646-1729), der Bibliothekar des Pariser Jesuitenkollegs Louis-le-Grand, dürfte alle überboten haben. Vor seinem kritischen Auge hielt kaum etwas stand. Er, der eine auf Staatskosten gedruckte zwölfbändige Konzilienausgabe herausgebracht hatte, erklärte sämtliche ökumenischen Konzilien, angefangen mit dem Nicaenum (325) bis zum 5. Laterankonzil ( 1 5 1 2 - 1 5 1 7 ) , für unecht, nur das Tridentinum ( 1 5 4 5 - 1 5 6 5 ) ließ er gelten; der hebräische Urtext des 21

P S E U D O

V I R G I L I U S .

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nifi poft Georgica abfoluta , Omnes conlentiunt, ut needle eft? Meminit iple icriptor iEnci'doslibrovii.verfu 606. a Parthis Romanos repopofcillcfigna: id quod mMCDH?^ Irsilio numquatn vcnit in mcntcro anno tanturn DCCXXXV. conugit, ut diximus: quo ^ WiSSKöl ^oeidcm fcnbere. Delibaatum e- tamcn anno interiiUe Virgiliumflaunt.An iguur nim α fuit poft edita Georgia pro-vates redivivus jEneida condidit,fiveintegram, live lig^^WJ'^ dene carmine its gefhs non jEnexex ea poftcriora librae fex? Tm^fflfaS certe, Ted Cae&ris Augufti. Tefti» Donde Marcellus, OäaviaAuguiHfororegcnitus j BaöaffiiaiJ ipfe, libro EL Georg, verfu 46. ludos edidit ipfo Augufto Confule undccimnm, Pliniotefte, atque adfo anno Urbis Dccxxxm. Non igirur obiit Marcellus ante annum DCCXXXIV. Et ta· Max taten ardnrtes acdeger £cm f t f f u s men libro fexto jEneidce jam defiinäus fignificatur. Cafaris, (S nommfama tat fare per amti, N um libros lex reliquos anno viae fupremo vates Jitbtm prima ;tut Λφ ab origin* Caftr. eSudit? Scribdjat ille Georgia anno Urbis Roma: DCCXXXV. Ut crederetur Augufti temporibus iEriüdographus cam ßibmiurtt Aaguftus Ettpbratm bello, ut canhlcripG£e : oporruit nngi vivere cum & icribere deut cum tardiffime, anno Urbis DCCXXXV. Et ipfe. Quodfibis AuguihiafecüTet,bis vel jam nunfiifle, c cum eile carmm illud oporteat, opus annorum un. icerum id pcraäum ab eo vares diceret. decim, utServius adnotavit, cceptum illud fiiifleanObiit autem Virgilius , tdle Plioio, anno Urbis DCCXL. Fomitnc intra illud quinquennium famäße no DCCXXXV. ' Connesa iiint enim mendacia , bacc omnia, ,ii ucefle fuit poni, ut diximus , finimm jEnci'da? Potuime vivo Principe, fidemeifiuleft, & in tam diffimili argumenco ililum eonterere ? Naopus m ante annum bcccxxr· Atquific,inquam, neςοΓίί.βώ poni. a {iliariis, iEne'idoe potroms. Nam poft Georgia fcriptam fuifle ^nadem credi illjus, a artifex iple voluit, qbi in cilce Georgicon adcexuitnno Urois DCCLIY. £ Faftis quidan aedimus; hos verfus quatuor ; quibus & Neapoli VirgiliumOjnfulatuingefljt CalfusCadir, Augufti CxCuis ex Julia ^lia nepds: son ante vioeSmum certe aetatis vixifleroennnir,& Bucolia commemorac. armuin, avi fui exemplo. Ergo natum cum die . oportet anno'Urbis DCCXXXIV. Et de anno qoidem IUo Vtr^iim mt tmpon iulas akbtt Sfto Caii natali convenit inter eruditoe. Hunc vero Partbtnopt, ftujai flormtrm ipukilit oil β genimm ^neädograrims vidillet; ipiiim potius Carmm joi lufi paftarum \ auJaxqut juvmta, qtpm Maroelum yerabos commendaret r aepotem Titjrt, U patula aäai fub Ugmiu fagL fdlicet CxGuij exfilia,potius quam fororis lpfius filium» cuius praderrim vota fuifle Augoftofufpefla Sed adfeiritii funt verfus iiB quatuor , Sc prorfos Plinius refcrt, libro vir.fcä,XLVI. Aut de Cai'o infulfi, fetus igtubilii tti, & ingtnii magis. Non Carfare certe , Don nihil libro lexto laudis auguriive yocem oltreprehendimus:eft enim &apud Horarium, aTpergeret. Ergo ut crsdatur vates bunc fetum edilibro I. fatyra ΙΠ. verfu 138. Si juU iatttr tti: feddiSe temporibus, Marcdli foliui laude uidquid hie pneterea eil, iniiilfum eft. Nam clau-commAugufti emorat, quem conftat obiiüe circa annum unc eximie nobili/fimum opus Georgicon, antece3dent» DCCXXXIV. 8C vatis obitus cum anno conlrauente naproxime quaruor verfus, hi nimmim: talem Caii Caefaris Auguftifilii,fiveexfiliancpotis »-1.

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Die „ A e n e i s " ist, wie vieles andere seiner Schriften, kein Werk Vergils. Als Beispiel eines der vielen Versuche, klassische Werke der Antike als jüngere Fälschungen zu erweisen, seien die „Observationes in Aeneidem" des Jesuiten Jean Hardouin (1646-1729) angeführt. Er beginnt seine Argumentation mit den Worten: „Dem Vergil ist es nie in den Sinn gekommen, eine Aeneis zu schreiben" (Virgilio numquam venit in mentem Aeneidem scribere). Jean Hardouin, Opera varia, Amsterdam 1733.

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Alten Testaments sei nicht ursprünglich; alle Apostel hätten lateinisch gepredigt. In einer Zeit, als eine sich stark an die Antike anlehnende Jesuitenliteratur blühte, von Angehörigen dieses Ordens Vergil- und Horazimitationen verfaßt wurden, ließ er auch gegenüber antiken Klassikern seinem Radikalismus freien Lauf. Er verwarf fast ausnahmslos die lateinischen Klassiker, nur Ciceros Werke mit Ausnahme der Reden, die Episteln des Horaz, die Georgica Vergils und der Historia naturalis des älteren Plinius, von der er eine „noch heute nicht entbehrliche Ausgabe" (L. Traube) herausgebracht hatte, blieben vor seinen Augen bestehen. Aufsehen erregte vornehmlich seine Ablehnung von Vergil (70-19 v.Chr.) als Dichter der Aeneis. Er errechnete, daß Vergil nach Vollendung der Georgica nicht mehr genügend Zeit für ein so großes Werk, wie es die Aeneis darstellt, gehabt haben dürfte. Zeitliche Festpunkte sind ihm Münzen (ut nummi antiqui docent aperte), deren Datumsangaben er als ziemlich einzige vertrauenswürdig fand. Außerdem übernahm er von der christlichen Bibelexegese allegorische Auslegungen (sensus latet allegoricus, heißt es bei ihm), und er sieht Verschlüsselungen: für das angezündete Jerusalem stehe das verbrannte Troja (Pro Hierosolymis incensis, Trojam succensam). Für Hardouin ist die Aeneis der poetische Niederschlag des Ringens der Guelfen und Gibellinen in Italien aus der Zeit um und nach 1230; sie sei - wie kann es beim Jesuiten Hardouin anders sein - das Werk eines Benediktiners. Die Zahl solcher Hardouins, die umstürzende Theorien über die Überlieferung verbreiten, ist nicht gering; die Kette der Theorienschuster - meist primitiver als Hardouin, der eine Biographie verdiente - reicht bis in unsere Tage. Die verstiegenen Theorien des Wilhelm 23

Rammeier (1889-1959), eines Volksschullehrers aus dem Lippischen, besagten, daß u.a. die Germania des Tacitus von einer kurialen Fälscherzentrale in Rom am Ende des Mittelalters erfunden worden sei. Heribert Iiiig hält heute 500 Jahre Geschichte vom 7. bis zum 10. Jahrhundert für erfunden, so daß es Karl den Großen und seine das antike Schrifttum tradierende Reform gar nicht gegeben habe. Sicherlich wird man auch in Zukunft Hardouins, Kammeiers und Illigs ertragen müssen, aber die Frage stellt sich doch:

VII Wie ist die römische Literatur (anderes antike Schriftgut bleibe beiseite) auf uns gekommen? Eine Geschichte der Überlieferung ist auch eine Geschichte der Beschreibstoffe, denn am Anfang, zur Autorenzeit, standen Schriftträger, die bald außer Gebrauch kamen. In der Antike war zunächst der Papyrus der hauptsächliche Textträger, in Rollen oder als Einzelblatt, später und selten auch in Buchform als Codex. Der Codex, leichter als die Rolle zu benutzen, setzte sich durch, und es ist bemerkenswert, daß es kein einziges Exemplar eines auf Rolle geschriebenen Evangelientextes gibt, ein Zeichen, daß hier die Überlieferung spät einsetzt. Das Pergament kam auf, der Pergamentcodex ist die gängige Überlieferungsform für das nächste Jahrtausend. Die große Umschrift vom Papyrus zum Pergament bzw. zum Pergamentcodex geschah im 3. und 4. Jahrhundert. Nehmen wir den Umkreis der im Thesaurus linguae Latinae erfaßten Schriften, so haben wir aus der Papyruszeit kaum 50 Fragmente, die die Thesaurus-Mit-

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arbeiter in ihre Arbeit einbeziehen; manche dieser Texte sind sehr bruchstückhaft. Zu den frühesten Zeugnissen gehört der Gießener Papyrus Jandana go, der dem ι. Jahrhundert zugerechnet wird und Teile von Ciceros Rede in Verrem enthält, wie überhaupt Cicero mit seinen Reden im Papyruszeitalter bis zum 4. Jahrhundert der am häufigsten vertretene Autor sein dürfte. Noch aufregender ist ein in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Ägypten gefundenes Blattfragment (aus Rasr Ibrim). Es enthält Verse des Elegikers Cornelius Gallus, der der erste Präfekt Ägyptens war und dort 26 v. Chr. Selbstmord verübte. Das Alter des Papyrus wird auf das erste Halbjahrhundert vor Christus angegeben, reicht also möglicherweise in die Lebenszeit des Gallus. Mit ihm hätten wir „vielleicht den ältesten lateinischen Papyrus" vor uns, stellte F. Brunhölzl (1984) fest, doch trübte er die Entdeckerfreude durch Hinweise auf eine mögliche Fälschung. Etwas anders sieht es im Pergamentzeitalter aus. Profane Autoren treffen wir nicht, aber wenn die Vermutung zutrifft, haben wir in einem heute in St. Petersburg liegenden Codex (Publ. Libr. Q. v. I. 3) afrikanischer Herkunft, möglicherweise sogar aus Hippo Regius, eine Handschrift aus der Umgebung Augustins, der 396/397 dort Bischof geworden war und 430 bei der vandalischen Belagerung starb. Es sind exegetische Antworten an Bischof Simplicianus von Mailand (397-400), den Nachfolger des Ambrosius. Weitere Werke, die sich in die Nähe des Autors oder des Ursprungs datieren lassen, sind ein Computus paschalis von 447, die Evangelienharmonie des Bischofs Viktor von Capua ( 5 4 1 - 5 5 4 ) , die Bonifatius (t 754) später nach Deutschland brachte, Handschriften aus der Umgebung Papst Gregors des Großen (590-604) und

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jene zwei Ausgaben der Digesten, die Kaiser Justinian in Auftrag gegeben hatte, die jüngere ist jener herrliche Digestencodex von 535 in der Biblioteca Laurenziana von Florenz; von ihm sagte Bernhard Bischoff, er sei „in justinianischer Zeit in Byzanz geschrieben" worden. Die große Masse der Überlieferungsträger antiker lateinischer Texte stammt aus späterer Zeit.

VIII Es ist unabweisbar: Das Erbe der Antike war dem christlichen Mittelalter anvertraut, und hier möchte

man

Schlimmes erwarten. Nicht weniges dieses Mittelalters scheint einer unbeschadeten Überlieferung entgegenzustehen. Da ist die Bibelsprache mit ihren exegetischen Deutungen, die vielen Fälschungen, die auch vor Textveränderungen keine Scheu zeigen, die Handhabung des Lateins fast nach eigenem Gutdünken. Zwar hatten die Menschen das Gefühl, sie sprächen ihr Latein in Fortsetzung der spätrömischen Zeit, aber sie fügten Wörter, Formen,

syntaktische

Wendungen

ein,

veränderten

Bedeutungen im christlichen Sinne (redemptor ist nicht der Unternehmer, sondern der Erlöser, der Salvator); die Bechts- und die Amtssprache benötigte neue Begriffe und termini vom bannus bis zum landgravius, sophie bildete ens und essentia

die Philo-

und anderes mehr. Das

Auseinanderfallen in scheinbare Beliebigkeit, die den Ausdruck „Küchenlatein" provozierte, traf auf die harsche Kritik der Humanisten. Selbst der irenische Philipp Melanchthon (f 1560) kam zu dem Urteil, daß die lateinische Sprache im Mittelalter in einem Gallimathias endete: „Im vorigen Zeitalter, als jeder für sich selber Wörter prägte und Fremdwörter unter die lateinischen gemischt wurden, da entstand eine derart zusammenge-

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stückelte Sprache, daß sie nicht einmal mehr von den Menschen jener Zeit selbst verstanden werden konnte." Anders Herder, der - etwas konsistorialhaft - auf die Veränderung des Lebensinhalts hinweist (1797): „Erbärmliche Pedanterie ist's, unter dem Vorwande des einzigen classischen Styls, die Schreibart der Römer, die unter Caesar und Augustus allerdings die beste war, in diesen Zeiten [des Mittelalters], zumal in Büchern der Andacht und der Klostercellen zu suchen. Der Kirchenstyl der mittleren Jahrhunderte ist eine so eigne Sprache, als die romanische, die neben ihr galt, nur seyn kann. Die Welt ihrer Gegenstände ist eine andere als die Welt der Römer; so auch der Geist und Sinn, mit denen man diese Gegenstände behandelte und ansah."

IX Wie aber kamen die antiken Texte durch diese Zeit? Wenn die Annahme richtig ist, daß mit den Jahren von ca. 550 bis 750 das „Finstere Mittelalter" einsetze, so sei das 7. Jahrhundert - sagt der Überlieferungsforscher L. D. Reynolds - das tiefe „Tal dieses kulturellen Niederbruchs". Nach Gregor von Tours, bei dem noch Reste antiker Bildung wahrzunehmen sind, fehlt „jegliche Nennung, jegliches Zitat" profaner römischer Autoren (B. Bischoff). Aus den 200 Jahren von der Mitte des 6. bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts sind - so hat man ausgezählt - 264 Bücher oder Buchfragmente erhalten, von denen lediglich 26 weltliche Texte bieten. In dieser Zeit ist die Palimpsest-Verwertung auffällig groß, nicht bloß einzelner Blätter, sondern ganzer Ronvolute, so von Cicero, Sallust, dem älteren Plinius und Fronto, die man abgeschabt und wieder beschrieben hat. 28

Auf dem Kontinent schien die antike Bildung so gut wie verloren. Die Rettung und Bewahrung der antiken Texte kam hauptsächlich von den Inseln, von den Iren und Angelsachsen, von den Gebieten also, die nie Teil des römischen Imperiums waren. Man war sich dort des kulturellen Erbes und der Pflicht, es zu bewahren, bewußt und kleidete den Vorgang in eine Legende: als das römische Reich von den Barbaren, von den Hunnen bis zu den Goten, heimgesucht wurde, seien die Gelehrten und ihr Wissen über das Meer nach Irland geflohen. Vielleicht knüpfte die Legende an den gelehrten Theodor v. Tarsos an (f 690), den Metropoliten von Canterbury, den „ersten Erzbischof, den die ganze Kirche der Angelsachsen anerkannte" (Beda). Speziell die Angelsachsen hatten zu Rom eine enge Beziehung. Englische Könige zogen nach Rom, um bei den Apostelgräbern zu sterben, und angelsächsische Gelehrte nahmen antikes Bildungsgut in ihr Wissen auf und hielten Kontakt mit Rom. Aldhelm, Abt von Malmesbury und Bischof von Sherborne (t 709), Beda Venerabiiis (t 735), Mönch im northumbrischen Kloster Wearmouth und Yarrow, in das er als puer oblatus mit 7 Jahren gekommen war, Alkuin (f 804), Bibliothekar der Kathedrale von York und später der wichtigste „bildungspolitische" Berater Karls des Großen, sie alle lassen den heimatlichen Bildungsstand erkennen. Zitate und Anspielungen deuten bei Aldhelm auf Kenntnis von Cicero und Seneca, von Terenz, Ovid, Lucan, Persius, Iuvenal und Claudian. Bei Beda begegnen Vergil, Vegetius und Servius und in York lagen Lucan, Statius und Justin. Die angelsächsische, in engem Kontakt mit Rom betriebene Mission brachte das antike Bildungsgut auf den Kontinent zurück. Karl der Große nahm es auf. Die Pflege der klassischen Tradition war kein separates

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Programm der sogenannten karolingischen Renaissance; sie gehörte genauso zur Erneuerungsbewegung wie die schon erwähnte Bibelrevision, auch wenn die geforderte Reinheit der heiligen Schrift von einem religiösen Bedürfnis ausging (s. oben S. 15fr.). Man hat als ein Ziel dieser Zeit die „norma rectitudinis", den Maßstab der rechten Ordnung, herausgestellt. In der Tat ist in vielen Bereichen der Eifer zu spüren, ordnende Maßstäbe einzurichten, von der Einführung der karolingischen Minuskel bis zur Regelung dogmatischer Unklarheiten, vom Reichsaufbau bis zu den Rechtsbüchern, von Taufritualen bis zu liturgischen Fragen, von einer Kalenderregelung bis zum Bildungsstandard der Priester. Stand im Mittelpunkt des Ordnungsinteresses ein Text, so versuchte man sich seiner reinen Gestalt zu versichern. Dieses Streben nach authentischen Texten ist ein spezifisches Zeichen der karolingischen Erneuerungsbewegung. Karl erbat z.B., um die Unübersichtlichkeit abzustellen, von Papst Hadrian I. (772-795) ein vollständiges Sakramentar; was aber aus Rom kam, war unzulänglich. Das Sakramentar enthielt die Formulare von 37 der 52 Sonntage im Jahr. Erst ein fränkisches Supplement brachte die Sache in Ordnung. Ähnlich könnte es mit den Mönchsregeln stehen. Karl ließ möglicherweise aus dem Ursprungskloster Montecassino eine Abschrift der Regula S. Benedicti holen, die das Vorbild abgab für die weitere Verbreitung der Benediktregel im Karolingerreich. Karl selbst unterwarf sich dem Bildungs- und Verbesserungsbemühen. Sein Biograph Einhart (t 840), der die letzten zwanzig Jahre bis zum Tode Karls (814) am Hofe verbracht hatte, sagt von ihm, er habe es im Lateinischen so weit gebracht, „daß er es wie seine Muttersprache redete, das Griechische jedoch konnte er bes30

ser verstehen als sprechen. Er war so beredt, daß er sogar geschwätzig (dicaculus, ein Ausdruck, der bei Plautus vorkommt) erscheinen konnte." Karl habe sich in den Wissenschaften, den artes liberales, unterrichten lassen. Mit dem Schreibenlernen allerdings habe er (obwohl er Tafel und Bücher unter dem Kopfkissen barg, um in schlaflosen Nächten zu üben), weil zu spät begonnen, wenig Erfolg gehabt. Karl sammelte um sich Gelehrte, es bildete sich eine Hofakademie. Man legte sich biblische oder antike Namen zu, darunter auch solche heidnischer Dichter: Karl hieß zwar David, nach dem Prototyp eines mittelalterlichen Herrschers, aber Alkuin (Horatius) Flaccus, Angilbert von St. Riquier Homer, Modoin von Autun (Ovidius) Naso. Die im Umkreis des Hofes entstehende Literatur griff ohne Scheu auf die heidnische Antike zurück, wie Einhart sich Suetons Kaiserviten zum Vorbild seiner Karlsbiographie genommen hatte. Am Hofe entstand eine Bibliothek auf, zu der Karl manchen Band beitrug. Der fränkische Kleriker Wigbod bedichtete Karls Sammeltätigkeit: „Wer könnte die Fülle der Bücher aufzählen, die dein Befehl aus vielen Ländern zusammenbringt" (Quis saltern poterit Seriem enumerare librorum, / quos tua de multis copulat sententia terris). X Man vermutet in den Versen des Wigbod einen massiven Büchertransfer z.B. aus Ravenna, als die Aachener Residenz eingerichtet wurde und Karl aus der antiken Kaiserstadt Marmorsäulen transportieren ließ. Auf diese Weise - und durch Schenkungen - sei die Hofbibliothek begründet und erweitert worden. Die Auflösung dieses Bücherschatzes liegt im Dunkel. Karl der Große 51

hatte in seinem Testament verfügt, die Bücher zu verkaufen und den Erlös den Armen zu geben. Dennoch finden sich Spuren, daß manche Manuskripte in der Herrscherresidenz blieben, zumal Karls Nachfolger sich ebenfalls mit Büchern umgaben. Der Schub der Buchproduktion, den Karl der Große und seine Helfer auslösten, hatte für das ganze 9. Jahrhundert Folgen. Bernhard Bischoff (1906-1991), der sich über ein halbes Jahrhundert mit den Handschriften dieser Zeit beschäftigt hat, die meisten aus Autopsie kannte, hinterließ bei seinem Tod das weit fortgeschrittene Manuskript eines „Katalogs der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen)", um dessen Endbearbeitung sich die Bayerische Akademie der Wissenschaften bemüht. Die Zahl der bearbeiteten bzw. in den Blick genommenen Handschriften beläuft sich auf rund 7000, wobei offenbleiben muß, wie hoch die Verluste waren, die die Bibliotheken erlitten haben. Die ungeheure Schreibleistung, die hinter diesen Zahlen steckt, konnte nur von Menschen vollbracht werden, die die Arbeit als Lebensinhalt begriffen, von Mönchen. Dem Benediktinerorden, der damals in Blüte kam, so daß man „die karolingische Reform die Geburtsstunde des benediktinischen Mönchtums" nannte (P. Engelbert), gereicht es zum Ruhm, sich zum Hauptträger dieser Handschriftentradition gemacht zu haben, wobei in die Pflege auch die antiken heidnischen Texte einbezogen waren. Benedikt von Nursia (f 547?) hatte der Arbeit den bedrückenden, den schändenden Charakter genommen, und gerade in Mönchskreisen hat man das Wort von der Arbeit, die alles besiege: labor omnia vincit und die in der Antike zuweilen als improbus charakterisiert ist, in 32

bezeichnender Weise sich angeeignet. Die in frommem Gehorsam zu verrichtende Arbeit, zu der auch das Schreiben gehört, ist ein Akt der Selbstheiligung: pius labor omnia vincit, wie Paschasius Ratbertus, der gelehrte Abt von Corbie ( f n a c h 851), in seinem Matthäus-Kommentar schrieb. Benedikt hatte die körperliche Arbeit - dem antiken Gebildeten eine sordida ars, eine schmutzige, niedrige Beschäftigung, die man Banausen überläßt - religiös-sittlich aufgewertet und in den Dienst mönchischer Selbstheiligung gestellt: ein Grundpfeiler des abendländischen Arbeitsethos, und diese vom monastischen Selbstverständnis getragene Arbeitsenergie kam, angestoßen vom karolingischen Reformgedanken, der Handschriftenproduktion zugute. „Aus den Handschriften, die die Benediktinermönche mit ihrer Hände Arbeit in Italien, in Frankreich, in Deutschland hervorgebracht hatten, wurde die römische Literatur fast in dem Umfang, wie wir sie heute besitzen, wieder zusammengetragen" (B. Bischoff). Bis die Domschulen vom 10. Jahrhundert an in die Schreibtätigkeit einstiegen und Rathedraibibliotheken einrichteten - Kanonikerstifte spielten zunächst keine Rolle - , waren es fast ausschließlich die Benediktinerklöster, die sich des Schreibens und des Bewahrens der Bände annahmen. Im Hochmittelalter lief das Dictum Claustrum sine armario quasi Castrum sine armamentario, ein Kloster ohne Bücherschrank ist gleichsam eine Burg ohne Befestigung. Die Bibliothek und die Buchherstellung gehörten zum klaustralen Selbstverständnis. Das Schreiben, fast möchte man sagen: das Malen der Buchstaben ist ein anstrengendes Geschäft, und mancher Schreiber trug ein klagendes Wort in die Handschrift ein: Ο quam gravis est scriptum, oculos gravat, renes frangit, simul et omnia membra contristat. 33

Tres digiti scribunt, sed totum corpus laborat. In den Scriptorien herrschte im allgemeinen strenge Disziplin, häufig über das hinaus, was die Regel oder die Consuetudo forderten. Es gab Schreiber, die mit dem Text mitdachten und des Sinnes wegen in den Wortlaut eingriffen. In einem letztlich von Plato herkommenden Text heißt es, in der Gemeinde soll „alles allen gemeinsam" gehören (omnia omnibus communia) und weiter: „auch die Frauen" (etiam mulieres). Die Überlieferung ist gespalten. Ein Teil der Handschriften bringt den Nachtrag ungerührt, ein anderer läßt ihn weg und bei nicht wenigen ist er zwar geschrieben, aber getilgt - durch den Schreiber selbst oder einen Corrector? Kluge und das Verständnis suchende Schreiber waren mit Veränderungen schnell bei der Hand, daher besteht eine gewisse Wertschätzung des nicht verstehenden, des „dummen" Schreibers. Von Ekkehard II. von St. Gallen (f 990), Lehrer in seinem Kloster, dessen strenge Zucht berüchtigt war, wird berichtet, daß er gerade diejenigen zum Schreiben und Linienziehen einsetzte (ad scribendum occupaverat et lineandum), die für das Studium der Wissenschaften zu schwerfällig waren (ad literarum studia tardiores). Ein solcher Schreiber dürfte seine Vorlage mechanisch abgemalt haben. Auch das Unverständliche wird bewahrt und wartet auf den sinngebenden Textkritiker. Es gab aber auch Texte, die nicht jedermann, beziehungsweise jedes Konventsmitglied lesen sollte. Sie waren vielleicht gefährlich für das Seelenheil oder die Disziplin. In die Consuetudines oder Statuten mancher Konvente oder Kongregationen ist ein Passus aufgenommen, der es erlaubt, Bücher zu separieren, d.h. nicht jedem Konventualen zugänglich zu machen. Ecos 34

Bibliothek im „Namen der Rose" ist mit seinem Bibliothekar Jorge de Burgos, der eine Schrift des Aristoteles sekretiert, recht nahe an der Realität.

XI Wir schreiten weiter in das Hochmittelalter hinein. Wie standen die Mönche und die Geistlichen, die Lese- und Schreibfähigen zu den Texten der Antike, zumal zu Ovid, seinen Amores und seiner Ars amatoria? Erstaunlicherweise ist die Überlieferung dieser Texte breit, und es schließen sich viele Nachahmungen an, PseudoOvidiana. Neben oder besser unterhalb des reichen Schrifttums, das dem christlichen Ernst ergeben ist, entsprechend dem Satz Augustins, man müsse beklagen, daß die Menschen lachen, gibt es eine gar nicht kleine Gruppe heiterer und meist erotischer Texte bis hin zur Laszivität. So diskutiert das „Liebeskonzil von Remiremont" (um 1150) in heiterer Nonnenrunde, im Stil einer Kirchensynode, die Frage, ob der Kleriker oder der Ritter der bessere Liebhaber sei, und selbstverständlich ist es der Geistliche, der die Mädchen glücklicher macht. Aber das sind mittelalterliche Eigenleistungen wie auch die Vagantenpoesie. Doch wie standen die für die geistliche Erziehung zuständigen Äbte, Magister, Bischöfe zu den Schriften der heidnischen Autoren? Die Schulen, Kloster- wie Domschulen, haben antike klassische Dichter, auch einige rhetorische, historische und philosophische Werke in ihr Lektüreprogramm und ihre Stilübungen aufgenommen, reichlich Cicero, Horaz, Macrobius, Lucan, auch Terenz, Juvenal und Ovid gehörten zum gebildeten Briefstil, und selbst der 35

elegante Elegiker Maximian (6. Jahrhundert) galt als Schulautor, als ethicus sogar, er, der die Impotenz des alten Mannes zum Thema macht, dessen Mädchen, sprich Hetäre, die „Mattigkeit des Glieds" beweint (Dum defies nostri languorem, femina, membri). Sicherlich stieß man auf Lehren und Sätze, die nicht im Einklang standen mit christlicher Lebensführung und Moral. Es gab Handreichungen (Accessus), wie man es mit diesen Schriften halten soll, geradezu Literaturgeschichten, die den Wert der einzelnen Autoren behandeln, häufig nicht ohne den Vorteil der christlichen Studien und der Artes hervorzuheben (so Konrad v. Hirsau, f c a . 1150). Der französische Mönch Haimerich (tum 1100) verfaßte eine „Lesekunst" (Ars lectoria) und richtete Rangstufen ein für die biblischen, christlichen und profanen Schriftsteller. Sallust gehört zur höchsten, zur goldenen Klasse der profanen Autoren. In der silbernen Klasse landen Plautus, Ennius, Varro, Boethius, Donat, Priscian, Servius und Plato in der Übersetzung des Chalcidius. Das antike heidnische Schriftgut ist in den Bildungskanon integriert, und als Zeichen der Zugehörigkeit läßt sich werten, daß antike Schriften erfunden werden, nicht „Erdichtungen aus Böswilligkeit und Eigennutz", sondern „Fiktionen, die, ohne ehrgeizige und habsüchtige Ziele, rein ein Spiel von Phantasie und Laune, eine Übung der Sprache, des Geistes sind". So wertete Paul Lehmann diese pseudoantiken Vorspiegelungen, die er von Fälschungen gängiger Art abgrenzen möchte und die vom 12. Jahrhundert an immer zahlreicher auftauchen. Bei manchen Texten gerät die Frage, was antikheidnisch, was mittelalterlich sei, zu solcher Undurchsichtigkeit, daß die Entscheidung offen bleiben muß.

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Johann von Salisbury (f 1180), ein Autor hoher Bildung, hat in seine Staatsschrift, den Policraticus, einen organologischen Staatsentwurf eingebaut, der unter der Bezeichnung Institutio Trajani läuft und nach Johannes von Plutarch stammt. Die Institutio fehlt jedoch unter dessen Schriften. Daß sie nicht von Plutarch stammt, zu diesem Schluß kam man schnell. Doch könnte ein Entwurf des 4-/5. Jahrhunderts vorliegen, den Johannes ausgebaut hat, oder stammt die Institutio am Ende ganz von Johannes? Mittelalterliche und antike Literatur sind einen so engen Bund eingegangen, daß sie sich schwer trennen lassen. Das Interesse an lateinischen Klassikern durch die mittelalterlichen Jahrhunderte schwankte, doch war der karolingische Schreibfleiß für die Verbreitung grundlegend. L. D. Reynolds und seine Mitarbeiter sind in dem Übersichtswerk „Texts and Transmission" der Tradition von weit über hundert Autoren nachgegangen, von den Agrimensores, den Feldmessern, bis zu Vitruv, und zählen im ihrem Band etwa 1700 mittelalterliche Überlieferungsträger, die sich über die Jahrhunderte in folgender Weise verteilen: 9. Jh.: 290 - 10. Jh.: 150 - 11. Jh.: 230 - 12. Jh.: 280 15. Jh.: 140 - 14. Jh.: 90 - 15. Jh.: 420 Gut ein halbes Jahrtausend mußte vergehen bis der Eifer des 9. Jahrhunderts für die Antike überholt wurde. Bereits an den zahlenmäßigen Quantitäten wird offenbar, welchen enormen Schub die Antikerezeption durch die karolingische Renaissance und deren Folgen erhalten hat. Das sprunghafte Ansteigen der Exemplare im 15. Jahrhundert wird sicherlich nicht allein dem zunehmenden Interesse am Altertum verdankt: die Zahl der Menschen und der Schreib- und Lesefähigen hat zugenommen, der billigere Beschreibstoff Papier 37

setzte sich durch, Bürgerschulen kamen auf. Besonders deutlich wird das plötzliche Ansteigen der vorhandenen Exemplare an einem Lieblingsautor wie Sallust, den Haimerich der „goldenen" Klasse, der wertvollsten Kategorie, zugewiesen hat. Im 9. Jahrhundert waren es zwei Textzeugen, im 15. sind es 330.

XII Und doch: Ciceronianus es, non Christianus, der Traum des Hieronymus blieb offen oder verdeckt auch das Trauma des Mittelalters. Was wird mit dem Seelenheil bei der Beschäftigung mit der heidnischen Literatur? Aggressive Traumbilder warnten; sie waren von gleicher Lehrhaftigkeit wie die politischen Jenseitsvorstellungen: Karl Martell, der Kirchenenteigner, schmort in der Hölle; König Heinrich I., der sich von geistlicher Hand nicht hatte weihen lassen, erhält ein unbrauchbares Schwert ohne Heft. Die Zone literarischer Gefährdung war breit. Selbst Vergil, den Augustin Poetarum optimus genannt hatte, konnte zu den bösen Erscheinungen gehören. Vilgard von Ravenna (ca. 970) suchten üble Geister heim, die das Aussehen von Horaz, Juvenal und Vergil angenommen hatten, und wenig später überfiel einen Jungmönch aus Stablo eine Teufelshorde, die aus dem Personal der Aeneis gebildet war, unter ihnen Aeneas selbst und Turnus, der König der latinischen Rutuler. Bekannt ist die Vergil-Ablehnung Alkuins, der seinen zum Erzbischof von Trier aufgestiegenen Schüler Richbod ermahnte: „Wenn doch die vier Evangelien, nicht die zwölf Bücher der Aeneis dein Herz erfüllten" (Utinam evangelia quattuor, non Aeneades duodecim

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pectus compleant tuum). Aber auch Alkuin erliegt trotz seiner seelsorgerlichen Bedenken dem Charme und der Würde der Dichtung Vergils und zitiert ihn mit Fleiß. Besonders in cluniazensischer Umgebung scheint es eine Empfindlichkeit gegenüber den antiken Texten gegeben zu haben; bei den Äbten Odo (t 942) und Hugo von Cluny (f 1109) zeigten sich Schlangengewürm und Raubtiere, als sie sich mit Vergil beschäftigten. Und der Lehrer des Abtes Wilhelm von Hirsau (t 1091), eines Klosters, das cluniazensische Lebensform annahm, Otloh von St. Emmeram (t kurz nach 1070), ein Mann fast hysterischer Sensibilität, war in seinen geliebten Lucan vertieft, als ihn die Erinnerung an den Traum des Hieronymus überkam, und er schwor die heidnischen Schriftsteller ab. Er, der immer wieder von Versuchungen und Verdrängungen heimgesucht wurde, war eingebunden in eine enge monastische Umgebung. Ganz anders Männer, die in die Welt wirkten. Wibald (t 1158), Großabt der Klöster Stablo und Corvey, Vertrauter König Konrads III. und Berater Kaiser Friedrich Barbarossas, ein Mann klassischer Bildung, schätzte Cicero über die Maßen und hatte die Absicht, eine Anthologie hauptsächlich von Ciceros Reden zusammenzustellen. Er schrieb an Rainald von Dassel (t 1167), den Hildesheimer Dompropst und später gewählten Kölner Erzbischof und Kanzler des Reiches, und bat um Unterstützung. Rainald, der Mentor des Archipoeta, wollte seiner Bitte willfahren und schrieb zurück, er wisse, daß er, Wibald, obwohl er Bücher des Cicero wünscht, kein Ciceronianus, sondern ein Christ sei. In einem Antwortbrief gibt Wibald den Grund für seinen Sammeleifer an: „Wir können es wahrlich nicht zulassen. .., daß solche edle Begabung, solch glänzender, 39

solcher herausragender Schmuck an Sachen und Worten durch Vergessen oder Nachlässigkeit verloren geht. Wir wollen alle seine Werke, soweit sie aufgefunden werden können, in einem Band zusammenfassen" (Nec vero... pati possumus, quod illud nobile ingenium, illa splendida, illa tanta rerum et verborum ornamenta, oblivione et negligentia depereant, sed ipsius opera universa, quantacunque inveniri poterunt, in unum Volu-

men confici volumus). Der Band kam zustande und ist erhalten. Er trägt vorn ein Widmungsbild, das im oberen Teil die Klosterpatrone zeigt, denen der Abt sein Buch darbringt, im unteren ist Cicero zu sehen, zusammen mit einem Schreiber. Die Eingliederung der Antike ist angekommen. Und weiter? Die Vorbildhaftigkeit des klassischen Lateins wurde auf die Renaissance zu stärker empfunden. Ciceronianus geheißen zu werden war kein Tadel, und wenn die Sprache theologischen Gehalt hatte, konnte es von einem Autor heißen: non solum Cyceronianus .. sed profecto Iheronimianus: Er ist ein glänzender Stilist der klassisch-lateinischen Sprache und

Sammlung von Ciceros Schriften Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Cod. lat. fol. 252, entstanden Mitte des 12. Jahrhunderts, wahrscheinlich Corveyer Provenienz. - Dem mächtigen Folioband (49x33 cm) ist ein Dedikations- und Autorenbild vorangestellt. In den oberen drei Arkaden stehen die Corveyer Patrone Vitus, Stephanus protomartyr, Justin, zu ihren Füßen liegt ein das Buch darbringender Mönch. Die Beschriftung dürfte nachträglich angebracht worden sein, jedenfalls ist die Bezeichnung Adalbertus abbas nicht richtig: entweder Wibaldus abbas ( 1 1 4 6 - 1 1 5 8 ) oder Adalbertus praepositus ( 1 1 4 7 - 1 1 7 6 ? ) . In den unteren drei Arkaden in der Mitte Cicero mit Liktorenbündel und Richtschwert, links ein Schreibpult, rechts ein Schüler oder Ciceros Sohn.

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kommt nach theologischem Gehalt dem Kirchenvater Hieronymus gleich. Dieses Lob empfing der Kardinal Gherardo Landriani (f 1448) aus der Feder des berühmten Mailänder Humanisten und späteren Erzbischofs Francesco Pizzolpasso (t 1445) für seine Weihnachtspredigt 1452 vor den Konzilsvätern von Basel. Cicero und Hieronymus waren keine Gegensätze, sie konnten zusammen wirken.

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Literaturhinweise Gedankt sei Herrn Dr. Markus Wesche; ohne seine Hilfe hätte das weitläufige Thema nicht bewältigt werden können. Nicht minder wertvoll war sein Rat des Weglassens mancher Aspekte. Der Beitrag - zumal eingangs bei den weiten Themen der Bibel, der Exegese, der Schriftsinne - hat von verschiedener Seite Anregungen und Auskünfte bezogen, so daß nur eine knappe bibliographische Auswahl geboten werden kann. Biographien und biographische Entwürfe zu Hieronymus gibt es in großer Zahl. Stoffreich, aber unkritisch G. Grützmacher, Hieronymus. Eine biographische Skizze zur alten Kirchengeschichte, 1 - 3 (1901-1908). Informativ H. Hagendahl, Latin Fathers and the Classics. Α Study of the Apologists, Jerome and Other Christian Writers (1958) und sein zusammen mit J. Η. Waszink verfaßter Artikel „Hieronymus" in: Reallexikon für Antike und Christentum ig (1991) S. ii7ff. Kenntnisreich und von klarem Urteil ist St. Rebenich, Hieronymus und sein Kreis. Prosopographische und sozialgeschichtliche Untersuchungen (1992), hilfreich seine Literaturbeurteilung. Rebenich bringt auch Klärung in der Frage, wann Hieronymus (*ca. 347) sein berühmtes Traumgesicht gehabt haben dürfte (S. 37fr.): „um das Jahr 370", als knapp Mittzwanziger. Dieser Brief Nr. 22 der alten Zählung (S. Hieronymi Epistulae, hg. von J. Hilberg, Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 54 [1910], S. 143 fr.) ist, im Gegensatz zu den meisten anderen Stücken, nicht selten auch separat überliefert, vgl. B. Lambert, Bibliotheca Hieronymiana Manuscripta, Bd. I Β (1996), S. 8ff., 450 ff., ein Zeichen der Aufmerksamkeit, den er gefunden hat. Die zentrale Stelle lautet (Epist. 22,30; Hilberg S. 190,7-191,4): Cum subito raptus in spiritu, ad tribunal iudicis pertrahor, ubi tantum luminis et tantum erat ex circumstantium claritate julgoris, ut proiectus in terram sursum aspicere non auderem. Interrogatus conditionem Christianum me esse respondi. Et ille, qui residebat: Mentiris, ait, Ciceronianus es, non Christianus; ubi enim thesaurus tuus, ibi et cor tuum (Matt. 6, 21). Rico obmutui, et inter verbera - nam caedi me jusserat - conscientiae magis igne torquebar, illum mecum versiculum reputans: In inferno autem quis confitebitur tibi (Ps. 6. 6).3 Clamare tarnen 43

coepi et heiulans dicere: Miserere mei, Domine, miserere mei (Ps. 56,2). Haec vox inter flagella resonabat. Tandem ad praesidentis genua provoluti, qui adstiterant, precabantur, ut veniam tribueret adulescentiae, ut errori locum paenitentiae commodaret exacturus deinde cruciatum, si Gentilium litterarum libros aliquando legissem. Aufschlußreich für die Persönlichkeit des Hieronymus sind die in englischer Übersetzung abgedruckten Texte, die Rebenich abseits der allbekannten zusammengestellt und eingeleitet hat: St. Rebenich, Jerome (2002). Zu Eustochium, der Empfängerin des Rriefes, wie überhaupt zu den Frauen der römischen Aristokratie, die sich dem Virginitätsideal und der Askese verschrieben hatten und zu denen Hieronymus 582 stieß, vgl. Rebenich, Hieronymus und sein Kreis, S. 154!!. Zum Traum und diesen Brief gibt es eine eigene Literatur, klärend P. Antin, Autour du songe de S. Jeröme, in: Rev. des Stüdes Latines 41 (1963). Weitere Beiträge nennen Hagendahl - Waszink S. 138 und die Clavis Patrum Latinorum (19955), Nr. 620 S. 214. Der Aussagewert des Traumes wird verschieden beurteilt: „Es liegt kein Grund vor, den Traum in Zweifel zu ziehen" (so Hagendahl - Waszink S. 120), dagegen das Urteil des klassischen Philologen A. Schöne: „eines der ärgerlichsten Musterstücke verlogener Rhetorik" (zitiert bei Rebenich, Hieronymus und sein Kreis, S. 38 Anm. 125). Die interessante Zuspitzung des Zitats bei Petrus Damiani: Die Briefe des Petrus Damiani, hg. von K. Reindel Bd. 3 (Monumenta Germaniae Historica, Die Briefe der deutschen Kaiserzeit IV, 3, 1989) S. 328 mit Anm. 37, wo weitere Verwendungen des Zitats genannt sind; Abaelard dagegen sieht die heidnische Literatur, speziell die Dichtung, in der christlichen Lehre fortwirkend, vgl. D. Luscombe, Peter Abelard and the Poets, in: Poetry and Philosophy in the Middle Ages. Festschrift P. Dronke, hg. von J. Marenbon (2001), S. i55ff. Der Prügeltraum des Hieronymus, der mit Gratians Dekret Dist. 37, c. 7 im Kirchenrecht präsent war, ist auch in die populäre Erbauungsliteratur des späten Mittelalters eingegangen, wie der aus dem 14. Jahrhundert stammende weitverbreitete Traktat „Seelentrost" zeigt. Davon ausgehend hat Klaus Schreiner die Auseinandersetzung um die heidnische Bildung aufgrund des Traumgesichts des Hieronymus von der Karolingerzeit bis zu Erasmus von Rotterdam verfolgt: Von 44

dem lieben herrn sant Jheronimo: wie er geschlagen ward von dem engel. Frömmigkeit und Bildung im Spiegel der Auslegungsgeschichte eines Exempels, in: Studien zum ig. Jahrhundert. Festschrift für Erich Meuthen, Bd. ι (1994), S. 415fr.; vgl. auch F. F. Schwarz, Hieronymus Flagellatus. Überlegungen zum literarischen Schlagschatten Ciceros, in: Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungariae 30 (1982-84) S. 363-378. - Das Wort Papst Gregors I. über die hier, bei der Heiligen Schrift, nicht anwendbaren Regeln des Donat steht in dem um 595 vollendeten Hiob-Rommentar, in dem Widmungsbrief an Erzbischof Leander von Sevilla: Moralia sive Expositio in Librum B. lob, Corpus Christianorum, Bd. 143, hg. von M. Adriaen, 1979, S. 7, 217fr. Als Beispiel der üblichen Vergröberung vgl. J. Haller, Das Papsttum. Idee und Wirklichkeit 1: Die Grundlagen (rowohlts deutsche enzyklopädie 221/222; 1965), S. 218: „Sogar die Sprache richtig zu handhaben, verschmähte Gregor: der Heilige Geist sei an die Regeln der Grammatik nicht gebunden." I und II Das Thema der Bibelexegese, des Zugangs zu einem Bibelverständnis in der Kirchenväterzeit und im Mittelalter, ist in der Forschungsliteratur vielfach behandelt. Mehrere Werke haben ein klassisches Ansehen: B. Smalley, The Study of the Bible in the Middle Ages (19844); eine Übersicht über die einzelnen Autoren bringt H. de Lubac, Exegese medievale. Les quattre sens de l'Ecriture, 4 Bde (1959-1964). Ein Forschungskreis hat sich um den Münsteraner Mediävisten Friedrich Ohly (1914-1996) gebildet, dessen Kieler Antrittsvorlesung (1958) „Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter" den Grundtenor für einen Sonderforschungsbereich „Mittelalterliche Bedeutungsforschung" anschlug. Der sensus spiritualis wird über das Wort hinaus in der Kunst, in Gegenständen, im außerbiblischen Bereich aufgespürt, und typologisch-heilsgeschichtliche Ereignisdeutungen werden vorgetragen. Ohlys vielfältige Zugänge zu den Sinninhalten sind noch nicht aufgearbeitet, vgl. den Nekrolog in den Frühmittelalterlichen Studien 30 (1996). Die wirkungsvolle Antrittsvorlesung „Vom geistigen Sinn . . ist in angereicherter Form, zusammen mit anderen Beiträgen Ohlys, abgedruckt in seinen Schriften zur 45

mittelalterlichen Bedeutungsforschung (1983 2 ). Die Vielfalt der im Sonderforschungsbereich aufgegriffenen Deutungsprojekte wird deutlich im Sammelband: Verbum et signum. Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung, hg. von H. Fromm, W. Harms, U. Buberg (1976). - Gute Einführungen in den komplexen Fragenkreis der Bibelauslegung bieten das Lexikon des Mittelalters 2 (1981), s. v. „Bibel" mit verschiedenen Unterabschnitten, wichtig: H. Biedlinger, Geschichte der Auslegung (S. 47 fr.), und das Lexikon für Theologie und Kirche 9 (2000 3 ) s. v. „Schriftsinne" (P. Walter). Noch lesenswert und aufschlußreich für den veränderten Forschungsschwerpunkt dasselbe Stichwort „Schriftsinne" in der vorigen Auflage des Lexikons für Theologie und Kirche 9 (1964 2 ) von I. Schildenberger. - Zur Etymologie von amarus und mortuus vgl. A. Walde - J. B. Hofmann, Lateinisches etymologisches Wörterbuch, Bd. 1 (1938 3 ), S. 35; Bd. 2 (1954 3 ), S. i i 2 f . R. Maltby, A Lexicon of Ancient Latin Etymologies ( 1 9 9 1 ) übernimmt großenteils die Erklärungen des Thesaurus linguae Latinae. Über die Tradition der mors/morsus-Etymologie vgl. Η. Fuhrmann, Der Adamsapfel oder die Wirklichkeit im Bild, in: Europäische Sachkultur des Mittelalters. Gedenkschrift aus Anlaß des zehnjährigen Bestehens des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs (1980). Als Beispiel dieser Beziehung vgl. Pseudo-Augustin, Hypomnesticon 1, 4, 5 (um 440): opinor ... quod ideo mors hoc vocabulum aecepit, eo quod morsu ... serpentis ... Adam fiierit interemptus, vgl. Thesaurus linguae Latinae Bd. 8 ( 1 9 3 6 - 1 9 6 6 ) , Sp. 1503, 66ff.s. v. mors. - Die Verbreitung der Bibel seit dem 4. Jahrhundert behandelt B. Fischer, Bibelausgaben des frühen Mittelalters, in: La Bibbia nell' alto medievo (Settimane di studio 10, Spoleto, 1963). Zur Bibelübersetzung des Hieronymus: Rebenich, Hieronymus und sein Kreis (s. oben S. 43), S. 130 äußert die ansprechende Vermutung, daß umgekehrt Hieronymus es war gerade mit der Übersetzung der Homilien des Origenes beschäftigt - , der Papst Damasus für die Bibelrevision gewann. Allerdings hat Damasus Hieronymus wiederholt um Aufklärung in exegetischen Fragen gebeten (vgl. das Referat von E. Caspar, Geschichte des Papsttums 1 [1930], S. 254ff.). Dem Mittelalter erschien das Band zwischen Damasus und Hieronymus noch enger, da ein fingierter Briefwechsel ein

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Zusammenwirken am Liber Pontificalis zu belegen scheint. Der Briefwechsel steht zuweilen an der Spitze des Liber Pontificalis, vgl. Le Liber Pontificalis hg. von L. Duchesne ι (1886), S. XXXIII f. und der Text S. 47f. u. S. 1 1 7 und Le Liber pontificalis 5, hg. von C. Vogel (1957), S. 5 1 . Dazu ein vorpseudoisidorischer gefälschter Brief des Hieronymus an Damasus: Decretales Pseudo-Isidorianae et Capitula Angilramni, rec. P. Hinschius (1863), S. 27. Bei Pseudoisidor ist auch ein Briefwechsel Damasus - Hieronymus über eine exegetische-liturgische Frage überliefert (Hinschius S. 498f.), vgl. Fuhrmann, Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen 1 (1972), S. i86f. mit Anm. 109. Über die Sprache des Hieronymus vgl. H. Hagendahl, Jerome and the Latin Classics, in: Vigiliae Christianae 26 (1974) S. 2 i 6 f f . Obwohl Hieronymus um das Jahr 570 behauptet, dem heidnischen Schrifttum abgeschworen zu haben, nimmt er viele Wendungen heidnischer Autoren auf, nach Vergil zitiert er keinen profanen Autor so häufig wie Cicero, vgl. Hilberg in seiner Stellenübersicht Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Bd. 56 (1918), S. 136fr. Der Übersetzungsleistung des Hieronymus steht man in allgemeinen positiv gegenüber; P. Nautin allerdings meint, daß er bei der Übersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen Texte anderer übernahm, da er diese Sprache kaum kannte (Theologische Realenzyklopädie 15 [1986], S. 309). Anders steht es mit dem Griechischen. „Im allgemeinen sind diese lateinischen Wiedergaben . . . als recht gut, besonders auch als sehr klar zu bezeichnen . . . , trotz seiner Selbstbezeichnung als „Ciceronianus"...; am richtigsten ist es zu sagen, daß Hieronymus einen eigenen, grammatisch korrekten und im allgemeinen einfachen Stil hat." (Hagendahl - Waszink [s. oben S. 43] S. 133). Was das Spirituelle in der Bibelsprache betrifft, so folgte Hieronymus weitgehend Origenes, auch wenn er in späteren Jahren zum Gegner des Origenes sich wandelte. Hieronymus hielt an dessen Auslegungsaxiom fest, daß „die in der Bibel erzählten Begebenheiten vor allem Symbole einer tieferen Lehre über das religiöse Leben darstellten und die Arbeit des Exegeten darin bestand, hinter jeder Einzelheit der Heiligen Schrift die Absicht Gottes zu enträtseln" (Nautin, a.a.O., S. 3 1 1 ) . Wie Hieronymus die Dreischrittexegese anwendete zeigt P. Jay, Saint Jerome et le triple sens de l'ficriture, in: Rev. des fitudes Augustiniennes 26 (1980) S. 2 i 4 f f .

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Klassisch für die Entstehung der Yulgata ist immer noch S. Berger, Histoire de la Vulgate (1893). Welche Vielfalt von Varianten und Versionen in Umlauf waren, zeigt B. Fischer an jeweils einem kurzen Abschnitt aus den vier Evangelien: Die lateinischen Evangelien bis zum 10. Jahrhundert. Vetus Latina - Aus der Geschichte der lateinischen Bibel 13, 15, 17, 18 (1988-1991). IV Der Charakter der „Karolingischen Renaissance" bzw. „Reform" ist verschieden umschrieben worden; vgl. J. Fleckenstein, Die Bildungsreform Karls des Großen als Verwirklichung der norma rectitudinis (1953), etwas anders P. E. Schramm, Karl d. Große: Denkart und Grundauffassungen. Die von ihm bewirkte „Correctio", in: Historische Zeitschrift 198 (1964). Zusammenfassungen bei P. Riehe, ßcoles et enseignement dans le Haut Moyen Äge (19892); Fr. Brunhölzl, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters 1 (1975); D. Hägermann, Karl der Große. Herrscher des Abendlandes (2000); M. Kerner, Karl der Große. Entschleierung eines Mythos (2000). Wichtig die verschiedenen Beiträge von D. Bullough, zusammengefaßt in dessen Carolingian Renewal. Sources and Heritage (1991). Β. Fischer, Die Alkuin-Bibel (1957); ders., Bibeltext und Bibelreform unter Karl dem Großen, in: Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, Bd. 2 (1965). Vgl. auch die verschiedenen Beiträge in den Akten: La Bibbia nell'alto medioevo (Settimane di studio 10, Spoleto, 1963). Gut lesbar und informativ sind die Beiträge in dem Sammelband: The Early Medieval Bible. Its Production, Decoration and Use, hg. von R. Gameson (1994), darin: P. McGurk, The Oldest Manuscripts of the Latin Bible (S. iff.); D. Ganz, Mass Production of Early Medieval Manuscripts: the Caroligian Bibles from Tours (S. 53 fr.); R. McKitterick, Carolingian Bible Production: The Tours Anomaly (S. 61 ff.). Zur Bibelredaktion des Theodulf von Orleans vgl. Ε. Dahlhaus-Berg, Nova antiquitas et antiqua novitas. Typologische Exegese und isidorianisches Geschichts-Bild bei Theodulf von Orleans (1975). Zu den Bibelkorrektorien ist in vieler Hinsicht nicht überholt H. Denifle, Die Handschriften der Bibel-Correctorien des 13. 48

Jh., in: Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte, hg. von H. Denifle u. F. Ehrle 4 (1888); A. Landgraf, Zur Methode der biblischen Textkritik im 12. Jahrhundert, in: Biblica 10 (1929); C. Spicq, Esquisse d'une histoire de l'exegese latine au moyen äge (1944); B. Fischer, Lateinische Bibel-Handschriften im frühen Mittelalter (1985).

V Über den Mittelalterbegriff und sein allmähliches Vordringen gegen die christlich-mittelalterliche Tradition von der VierWeltreiche-Lehre informiert umfassend K. Neddermeyer, Das Mittelalter in der deutschen Historiographie vom ig. bis zum 18. Jahrhundert. Geschichtsgliederung und Epochenverständnis in der frühen Neuzeit (1988), der auch den knappen und mit reichlichen Literaturhinweisen ausgestatteten Artikel „Mittelalter" im Lexikon für Theologie und Kirche 7 (1998 3 ) verfaßt hat. Zur Rolle und Leistung des Charles du Cange vgl. P. Stotz, Handbuch zur lat. Sprache des Mittelalters, Bd. 1 (2002), S. 193ff. Ein Versuch, das Phänomen des fälschenden Mittelalters zu umschreiben, bei H. Fuhrmann, Über Fälschungen im Mittelalter, Überlegungen zum mittelalterlichen Wahrheitsbegriff, in: Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen. Von ihrem Auftauchen bis in die neuere Zeit, Bd. 1 (Monumenta Germaniae Historica, Schriften 24, 1, 1972). Für den Bereich der Kirchenväter und deren echte oder unterschobene Schriften muß geradezu ein neues Buch aufgeschlagen werden. Zur Problematik vgl. W. Speyer, Die literarischen Fälschungen im heidnischen und christlichen Altertum (Handbuch der Altertumswissenschaft 1, 2, 1971) und dessen Beitrag: Religiöse Pseudepigraphie und literarische Fälschung im Altertum, in: Antike und Christentum 8/9 (1965/66), nachgedruckt in: Pseudepigraphie in der heidnischen und jüdischchristlichen Antike, hg. von N. Brox (Wege der Forschung 484, 1987). Die beiden Kirchenväter-Claves: Clavis Patrum Latinorum. Corpus Christianorum, ser. latina, hg. von E. Dekkers (!995 3 ) u n ( i J· Machielsen, Clavis Patristica Pseudepigraphorum Medii Aevi. Corpus Christianorum, ser. latina, 4

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Bände (1990-1994); Machielsen hatte seinen Plan in Sacris erudiri 27 (1984) S. 475 fr. vorgestellt. Soeben erschienen ist M. Janßen, Unter falschem Namen. Eine kritische Forschungsbilanz frühchristlicher Pseudepigraphie (2003). Über Fälschungen, Texterfindungen und Textverunstaltungen gibt es eine ganze Bibliothek. Die Monumenta Germaniae Historica haben 1986 einen Kongreß „Fälschungen im Mittelalter" durchgeführt, dessen Akten in fünf Bänden publiziert sind (Monumenta Germaniae Historica, Schriften 33,1-V, 1988, dazu ein Begisterband von D. Jasper, Schriften 33, VI). Der dort gehaltene Abschlußvortrag „Fälschungen im Dienste der Wahrheit" ist ergänzt nachgedruckt in: H. Fuhrmann, Überall ist Mittelalter (1996; Becksche Reihe 1473, 20032). In Bd. II der Akten der wichtige Aufsatz über die gestaltende Rolle des Fälschers von P. Landau, Gefälschtes Recht in den Rechtssammlungen bis Gratian, der mit dem provokanten Satz schließt: der Fälscher sei nach Gratians Dekret (um 1140) „nicht mehr gebraucht" worden, „an seine Stelle trat der geschulte Jurist" (S. 49). Als Muster einer Bereinigung der Bischofslisten von erfundenen Personen können die berühmten „Fastes episcopaux de l'ancienne Gaule" (1894/1915) des Louis Duchesne gelten: kein gallisches Bistum reiche bis in die Zeit der Apostelschüler zurück, vgl. B. Wache, Monseigneur Duchesne (1843-1922) (1992), bes. S. 277 fr. Duchesne hatte mit seiner radikalen Kritik innerkirchliche Schwierigkeiten. Daß die Erheblichkeit eines Textes von der Stimmigkeit im Glaubensgefüge abhängt, nicht vom lauteren Ursprung, zeigt in einem mehrfach abgedruckten Artikel B. Guenee, „Authentique et approuve". Recherches sur les principes de la critique historique au moyen äge, in: La lexicographie du latin medieval et ses rapports avec les recherches actuelles sur la civilisation du moyen äge (Colloques internationaux du CNRS 589, 1981), S. 215fr.: authentisch habe die Bedeutung „auctoritate plenus" (= wahr). Zum großen Komplex der pseudoisidorischen Fälschungen hat ein Symposium stattgefunden: Fortschritt durch Fälschungen? Ursprung, Gestalt und Wirkungen der pseudoisidorischen Fälschungen, hg. von W. Hartmann u. Gerhard Schmitz (Monumenta Germaniae Historica, Studien u. Texte 31, 2002).

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VI Als klärende Einführung in die Zeit und in die Probleme der bella diplomatica sind immer noch die aus dem Nachlaß herausgegebenen Beiträge Ludwig Traubes ( 1 8 6 1 - 1 9 0 7 ) hilfreich: L. T., Zur Paläographie und Handschriftenfunde, hg. von P. Lehmann, mit biographischer Einleitung von F. Boll (1909). Der Jesuit Daniel Papebroch ( 1 6 2 8 - 1 7 1 4 ) , Mitarbeiter J. Bollands an den Acta Sanctorum, hatte behauptet, es gebe keine echte Herrscherurkunde vor dem 7. Jahrhundert (so daß die Klöster des Benediktinerordens keinen diplomatischen Rückhalt in der Frühzeit hätten); ihm antwortete Jean Mabillon OSB mit seinen De re diplomatica libri VI (1681), mit der man den Beginn einer Urkundenlehre als Wissenschaft ansetzt. Mabillons Ausführungen waren überzeugend, Papebroch war fair und erkannte sie an: „Ich gestehe", schrieb er an Mabillon, „daß mir keine andere Freude an meiner Abhandlung geblieben ist, als Ihnen dadurch Veranlassung zu einem so vollendeten Werk gegeben zu haben." Über Papebrochs Rolle innerhalb der Bollandisten vgl. P. Peeters, L'oeuvre des Bollandistes (1961). Zu Mabillon sind immer noch S. Bäumer, Johannes Mabillon. Ein Lebens- und Literaturbild aus dem XVII. und XVIII. Jahrhundert (1892) und H. Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Bd. 1 (1912 2 ), S. 25fr. nützlich. Überquellend wie immer H. Leclercq, Dom Mabillon, 2 Bde ( 1 9 5 3 - 5 7 ) ; M. D. Kowles, Jean Mabillon, in: Journal of Ecclesiastical History 10 (1959) S. 153fr.; trotz mancher Verunstaltungen Bl. Barret-Kriegel, Jean Mabillon (Les historiens et la monarchie 1, 1988). Fleiß, Einfallsreichtum und Phantasterei kamen bei Jean Hardouin SJ ( 1 6 4 6 - 1 7 2 9 ) zusammen, und mit seiner hartnäckigen Unbelehrbarkeit wurde er dem Orden allmählich zum Ärgernis. Verzeichnis seiner themenreichen Werke bei C. Sommervogel, Bibliotheque de la Compagnie de Jesus, Bd. 4 (1893, Nachdruck 1966), S. 82fr. 1687 beauftragte die Versammlung des französischen Klerus Hardouin mit einer neuen Konzilienausgabe, die 1 7 1 4 - 1 7 1 5 in zwölf Bänden gedruckt vorlag, aber wegen verschiedener Ungereimtheiten und Verstöße gegen die Lehre, vor allem aber wegen mangelnder gallikanischer Gesinnung, nicht ausgeliefert wurde; erst 1 7 2 5 hob das Parlament die Sperre auf, vgl. H. Quentin, I.-D. Mansi et

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les grandes collections conciliaires (1900), S. 33fr. Als Folge der zunehmenden Druckschwierigkeiten, die mit dem Namen Hardouin verbunden waren, erschienen mehrere seiner Werke im Ausland, vor allem seine Opera selecta (1709) und seine Opera varia (1733), die beide in Amsterdam herauskamen. In den Opera varia S. 280 fr. steht seine abenteuerliche Argumentation gegen Vergils Aeneis: Pseudo Virgilius. Observationes in Aeneadem; von den einzelnen Argumentationspunkten heißt es: Scripta porro Aeneis videtur post annum 12jo ex libro I. versu 296. et libro IV. versu 229. et libro X. versu 166. Über Hardouin sind eine ganze Reihe Übersichtsartikel erschienen, besonders informativ P. Bernard, in: Diet, de Theologie Catholique VI, 2 (1947), S. 20420". Die kritikoffene Atmosphäre der Aufklärung, in der solche Theorien ins Kraut schössen, zeigen auf C. M. Northeast, The Parisian Jesuits and the Enlightment (1991) und R. Neveu, Erudition et religion aux XVIF et XYIIP siecles (1994). Zu Wilhelm Kammeier und seinen Thesen vgl. H. Fuhrmann - A. Gawlik, Der Fall Kammeier, in: Historia docet (Festschrift Ivan Hlavacek, 1992) S. 73fr.; Kammeiers Versuch, den Vatikan als Fälschungszentrale zu erweisen, kam dem Nationalsozialismus entgegen. VII Als umfassende, wenn auch veraltete klassische Darstellung gilt immer noch W. Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter (18963). Über den Umgang mit dem „Buch" konfus, aber mit vielen Hinweisen Th. Birt, Das antike Buchwesen in seinem Verhältnis zur Litteratur (1882). Zu den Papyrus-Anfängen: W. Schubart, Einführung in die Papyruskunde (1918). Mit dem Schwerpunkt auf Urkunden: L. Santifaller, Beiträge zur Geschichte der Beschreibstoffe im Mittelalter, mit besonderer Berücksichtigung der Päpstlichen Kanzlei (1953); ders., Über späte Papyrusrollen und frühe Pergamentrollen, in: Speculum historiale. Festschrift J. Spörl (1965), S. 117fr., er verzeichnet 79 Papyrus- und 49 Pergamentrollen aus der Zeit vom 3. bis zum 16. Jahrhundert. Mehr der Materialkunde, aber durchaus unter Einbeziehung der Geschichte diente ein Kolloquium, das P. Rück veranstaltet und herausgebracht hat: „Perga-

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ment". Geschichte, Restaurierung, Herstellung (1992). Als Zusammenfassung und Überblick dienlich ist die aus Vorträgen hervorgegangene Monographie von C. H. Roberts u. T. C. Skeat, The Birth of the Codex (1983). Ein schönes Beispiel eines christlich-heidnischen PapyrusCodex bietet ein kaum bekannt gewordener, aus Ägypten stammender und in Barcelona liegender Fund (Barcelona. Fondacio „Sant Lluc Evangelista"); der Papyrus wird auf die erste Hälfte des 4. Jahrhunderts datiert. Nachdem der Papyrologe R. RocaPuig 1965 aus dem Codex bereits eine Psalmendichtung der Zeit des 2. bis 4. Jahrhunderts veröffentlicht hatte (vgl. W. Speyer, Der bisher älteste lateinische Psalmus Abecedarius. Zur Editio princeps von R. Roca-Puig, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 10 [1967] S. 211 ff.), machte er 1977 die im vorderen Teil des Codex stehenden zwei Catilinarischen Reden bekannt: R. Roca-Puig, Cicero. Catilinäries (I et II in Cat.). Papyri Barcinonenses (1977). Die katilinarischen Reden stehen P. Bare. inv. 126-1493, der Psalmus Abecedarius 149-153. In dem katalanisch verfaßten Pröleg legt Roca-Puig die Zusammenhänge zu anderen Papyri dar. Die informativste und präziseste Kurzdarstellung stammt von B. Bischoff, Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters (19862), hervorgegangen aus einem germanistischen Übersichtswerk (Deutsche Philologie im Aufriß, hg. von W. Stammler); von der ausführlichen Fassung gibt es eine englische (1990) und eine französische Übersetzung (1985), die am reichsten von allen Fassungen mit Abbildungen ausgestattet ist und die hier verwendet wird: Paleographie de l'Antiquite romaine et du Moyen Äge occidendal. Traduit par Η. Atsma et Jean Vezin (1985). Dort ist auch mit Literaturhinweisen die Abfolge vom Papyrus zum Pergament usw. beschrieben (S. 198ff.). Für die Subskriptionen ist immer noch wichtig die alte Zusammenstellung von O. Jahn, Die Subskriptionen in den Handschriften römischer Classiker (Sitzungsberichte der kgl. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften, 1851). Wertvolle Nachträge bei Fr. Wieacker, Textstufen klassischer Juristen (1975), S. 78f., 441 ff. Eine allgemeine Übersicht über den Buchvertrieb gibt Th. Kleberg, Buchhandel und Verlagswesen in der Antike (1967). Der Gießener Papyrus (Universitätsbibliothek pap. Iandana 90, Inv. 210) ist Codices latini antiquiores VIII (1959), S. 50 Nr. 53

1201 abgebildet und behandelt; vgl. auch Bischoff, Paleographie S. 64, 70 und Tafel 2a. Die Fälschungsthese zum Fund der Verse des Cornelius Gallus hat Fr. Brunhölzl, Der sogenannte Galluspapyrus von Kasr Ibrim, in: Codices manuscripti 10 (1984) S. 35ff. vorgetragen, ohne freilich eine Gegenargumentation von altphilologischer Seite auszulösen; vgl. ζ. Β. M. von Albrecht, Geschichte der römischen Literatur, Bd. I (1994), S. 590 Anm. 3: „Sein [Brunhölzls] Geschmack ist besser als seine Argumente". Der Fall ist unter Beibehaltung des Unechtheitsverdachts kenntnisreich, wenn auch satirisch behandelt von G. Silagi, Definitives zu Gallus, in: Rechtshistorisches Journal 18 (1999) S. 357 ff. Vom Gallus-Papyrus sind bislang nur Photographien zu sehen; das Stück sollte in Kairo hinterlegt werden, kam aber dort nicht an, vgl. P. Radicotti, Deila genuitä e delle pere tradite da alcuni antichi papiri latini, in: Scrittura e Civiltä 24 (2000) S. 361 Anm. 4. Auch das Fragment eines Gedichts de hello Actiaco über den Ägyptenfeldzug Octavians und den Selbstmord der Kleopatra - ein in Herculaneum unter Vesuvschutt ausgegrabener Papyrus (daher auf die Zeit 31 vor Chr. bis 79 nach Chr. datiert) - wird von Fr. Brunhölzl, indem er Zweifel B. Bischoffs aufnimmt, für eine Fälschung aus dem beginnenden 19. Jahrhundert gehalten: Zum sogenannten Carmen de bello Actiaco (P. Here. 817), in: Codices Manuscripti 22 (1998) S. 3fr. Die St. Petersburger Handschrift ist in Codices Latini Antiquiores, hg. von Ε. A. Lowe XI (1966), Nr. 1613 behandelt. Zu den weiteren im Text genannten Handschriften vgl. Bischoff, Paleographie, S. 69 (vgl. auch das Register unter den Signaturen).

VIII Zur Gestaltung des Lateinischen bis zum Hochmittelalter vgl. die Arbeiten von Chr. Mohrmann, zusammengefaßt in ihren Etudes sur le latin des Chretiens, 4 Bde (Storia e letteratura. Raccolta di Studi e Testi 65, 87, 103, 143; 1961-1977). Reiches Material bringt P. Stotz in seinem Handbuch (wie oben S. 49), Bd. 1, S. 301fr. (Wörter und Sachen u. Lehnwortgut), dessen Antrittsvorlesung die Flexibilität des Lateinischen im Mittelalter mit schönen Beispielen aufzeigt: Was lebt, will wachsen -

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Veränderlichkeit von Sprache zwischen Praxis und Reflexion im lateinischen Mittelalter, in: Archivum Latinitatis medii aevi 53 0995) S. 8 7 f r . , S. 1 1 8 das Melanchthonzitat. Immer noch lesenswert ist P. Lehmann, Mittelalter und Küchenlatein, in: Historische Zeitschrift 1 3 7 ( 1 9 2 8 ) S. 1970". (nachgedruckt in dessen: Erforschung des Mittelalters, Bd. 1 [ 1 9 4 1 ] , S. 46fr.).

IX Die folgenden Seiten stützen sich hauptsächlich auf mehrere stoffreiche und wegweisende Beiträge: B. Bischoff, Das benediktinische Mönchtum und die Überlieferung der klassischen Literatur, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 9 2 ( 1 9 8 1 ) S. 1 6 6 ff. Für die Texttradition grundlegend ist der Band: Texts and Transmission. A Survey of Latin Classics, den L. D. Reynolds mit einer Reihe Mitarbeiter herausgegeben hat ( 1 9 8 6 2 ) ; von eigenem Wert ist die Einleitung von Reynolds. Dieser Band ersetzt weitgehend einen knappen früheren Versuch: Geschichte der Textüberlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur, Bd. 1 ( 1 9 6 1 ) : Überlieferungsgeschichte der antiken Literatur, darin: R. Büchner, Überlieferungsgeschichte der lateinischen Literatur des Altertums (S. 3 0 9 f r . ) . M. Zelzer, Buch und Text von Augustus zu Karl dem Großen, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1 0 9 ( 2 0 0 1 ) S. 2 9 1 f r . ist ein souveräner Forschungsbericht, der zugleich mit vielen Hinweisen ältere Urteile korrigiert oder auf neue Wertungen verweist, ζ. B. die Einschätzung von G. Ballaira, Esempi di scrittura latina dell' etä romana ( 1 9 9 3 ) , S. 8 3ff.,daß der Gießener Cicero-Papyrus aus augusteischer Zeit stamme; dann könnte dieser Papyrus noch während der Lebenszeit des Vergil (t 19 v. Chr.) geschrieben sein. Einen kräftigen Impuls erhielt die Karls-Forschung durch das große, auf einer Europarats-Ausstellung beruhende Sammelwerk: Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, hg. von W. Braunfels, 4 Bde u. 1 Registerband ( 1 9 6 5 - 1 9 6 8 ) ; Anlaß war der achthundertste Jahrestag der Heiligsprechung Karls des Großen durch Paschal III. (1164-1168), den Gegenpapst Friedrichs I. Barbarossa, im Jahre 1 1 6 5 . Trotz der Fragwürdigkeit

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der Kanonisation wurde Karls Sanktität („Karlstag" am 28. Januar, dem Todestag Karls im Jahre 814) allgemein angenommen und gefeiert. Für uns ist Bd. 2 des Karlswerks der wichtigste: Das geistige Leben (1965), darin der grundlegende Aufsatz von B. Bischoff, Die Hofbibliothek Karls des Großen, der freilich in dem verbesserten Nachdruck zu benutzen ist, B. B., Mittelalterliche Studien, Bd. 3 (1981), S. 149fr. Allerdings ist seine Behauptung, daß die Handschrift Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms. Diez. B. 66, mit „eine(r) Liste römischer Autoren . . . Exemplare der Hofbibliothek" beschreibt, zurückzunehmen. Cl. Villa, La tradizione di Orazio e la „biblioteca di Carlo Magno": per 1' elenco di opere nel codice Berlin, Diez Β Sant. 66, in: Formative Stages of Classical Traditions: Latin Texts from Antiquity to the Renaissance. Proceedings of Conference Held at Erice 1993, edited by 0 . Pecere and M. D. Reeve (1995), S. 299 (der Beitrag ist gleichzeitig auf Deutsch erschienen, in: Deutsches Archiv 51 [199g] S. 29fr.) hat nachgewiesen, daß das Verzeichnis die Veroneser Bibliothek der Karolingerzeit wiedergibt. In gewisser Weise, wenn auch stärker aufs Paläographische abgehoben, ist der Aufsatz Bischoffs über die Hofbibliothek unter Ludwig dem Frommen eine Fortsetzung (im Nachdruck seiner Mittelalterlichen Studien III, S. 170fr. zu benutzen). Das zwölfhundertjährige Gedenken an die Kaiserkrönung Karls des Großen Weihnachten 800 hat eine internationale Literaturflut ausgelöst; die „Bildungsreform bzw. die „karolingische Renaissance" ist auch in diesen Bänden gestreift. Es seien nur wenige Titel neben den oben S. 48 aufgeführten genannt: am stofTreichsten ist D. Hägermann (siehe oben S. 48); J. Favier, Charlemagne (1999) geht, wenn auch knapp, auf Karls Reformstreben ein. Von anderer Art ist das Werk von M. Kerner (siehe oben S. 48), der in griffiger Form und in großer Umschau Geschehen und Forschungsstand aufrollt; zur Bildungsreform S. 3off., wichtig: Der wirkungsgeschichtliche Karl (S. 93 fr.). Auch die knappe, aber präzise Darstellung von M. Becher, Karl der Große (1999) läßt sich dazuzählen. - Zum Wunsch Karls nach Reichseinheitlichkeit vgl. H. Fuhrmann, Das Papsttum und das kirchliche Leben im Frankenreich, in: Settimane di studio del Centro italiano di studi sull' alto medio evo, XXVII: Nascitä dell' Europa ed Europa Carolingia: un' equazione da veriflcare (1981), S. 419fr. Trotz aller Normie-

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rungstendenzen blieb eine gehörige Heterogenität, die hingenommen wurde, hingenommen werden mußte. X Es ist gerade in jüngster Zeit betont worden, daß die breite Entfaltung der Bildungsreform „erst jenseits der Lebensspanne des Kaisers eintrat", vgl. Kerner, S. 58fr.; akzentuiert bei R. Schieffer, Karl der Große - Intentionen und Wirkung, in: Karl der Große und das Erbe der Kulturen (Akten des 8. Symposiums des Mediävistenverbandes 1999), hg. von Fr.-R. Erkens (2001) S. 3 ff. - Zu B. Bischoffs Lebenswerk vgl. den Abdruck der Gedenkveranstaltung: B. Bischoff 1906-1991 (Monumenta Germaniae Historica 1992) mit einem Schriftenverzeichnis; in Kurzform: H. Fuhrmann, Menschen und Meriten (2001), S. 5ooff. Der genaue Titel des Verzeichnisses: B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen) Teil I: Aachen-Lambach (Bayerische AJkademie der Wissenschaften, Veröffentlichungen der Kommission für die Herausgabe der mittelalterlichen Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, 1998). Nach diesem ersten Band kommt der zweite (von Laon bis zu einem Teil der Pariser Bibliotheken) in nächster Zeit heraus. Die außerordentliche Leistung Bischoffs speziell mit diesem Werk bei durchaus kritischer Betrachtung würdigt ausführlich H. Hoffmann, Bernhard Bischoff und die Paläographie des 9. Jahrhunderts, in: Deutsches Archiv 55 (1999) S. 549fr. Dabei ist Bischoffs Verzeichnis durchaus nicht vollständig und konnte es auch nicht sein, vgl. Hoffmann S. 554fr. Eine weitere kritische Würdigung von Bischoffs Werk bringt H. Gorman, Bernhard Bischoffs Handlist of Carolingian Manuscripts, in: Scrittura e Civiltä 25 (2001, erschienen 2002) S. 89fr. mit punktuell abweichenden Vorschlägen. - Reiche Hinweise auf die vermittelnde Rolle der Benediktiner bis zum 12. Jahrhundert bringt Bischoff in dem oben S. 55 zitierten Aufsatz: Das benediktinische Mönchtum. Den Einfluß des Benediktinerordens auf die Wertung der Arbeit beschreibt F. Steinbach, Der geschichtliche Weg des wirtschaftenden Menschen in die soziale Freiheit und politische Verantwortung. Arbeitsgemeinschaft für Forschung des

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Landes Nordrhein-Westfalen. Geisteswiss. Heft 15 (1954). Bischoff machte deutlich, wie um die Wende des 8. zum 9. Jahrhundert Bibliotheken entstanden, die den Bedürfnissen der frühmittelalterlichen Schulen genügen konnten: Die Bibliothek im Dienste der Schule, in: Β. B., Mittelalterliche Studien, Bd. 5 (1981), S. 215fr. An der Schreibtätigkeit waren fast ausschließlich Mönche beteiligt, kaum Kanoniker, vgl. B. Kottje, Claustra sine armario. Zum Unterschied von Kloster und Stift im Mittelalter, in: Consuetudines monasticae. Festschrift K. Hallinger (1982), S. 12g ff. Wertvoll immer noch das alte Werk von K. Löffler, Deutsche Klosterbibliotheken (1922 2 ). Zum Schreiberverhalten vgl. G. Schmitz, Intelligente Schreiber. Beobachtungen aus Ansegis- und Kapitularienhandschriften, in: Festschrift H. Fuhrmann (1991), S. 79ff. Fragen der Einstellung und der Fähigkeiten mittelalterlicher Schreiber sind vielfach angeschnitten worden, vgl. L. D. Reynolds - N. G. Wilson, Scribes and scholars. A guide to the transmission of Greek and Latin Literature (1968). Zu der in Gratians Dekret eingegangenen Vorstellung Piatos vom Gemeineigentum und der Behandlung des Themas in der Kanonistik vgl. St. Kuttner, Gratian and Plato, in: Church and Government in the Middle Ages, hg. von C. N. L. Brooke, D. E. Luscombe, G. H. Martin, D. M. Owen (1976), S. 101 ff.; die Veränderungen in den Handschriften verfolgt H. Fuhrmann, Kritischer Sinn und unkritische Haltung, in: Festschrift F. Kempf, hg. von H. Mordek, Bd. 1 (1983), S. 88 ff.

XI Hilfreich zum Gegenstand der literarischen Antikennachahmung ist immer noch P. Lehmann, Pseudo-Antike Literatur des Mittelalters (1927) mit mittelalterlichen Listen „ovidianischer und pseudo-ovidianischer Dichtungen". Dazu E. J. Thiel, Mittellateinische Nachdichtungen von Ovids „Ars amatoria" und „Bemedia amoris", in: Mittellateinisches Jahrbuch 5 (1968) S. n g f f . ; J. W. Baldwin, L'ars amatoria au XIIe siecle en France. Ovide, Abelard, Andre de Chapelain et Pierre le Chantre, in: Histoire et societe. Festschrift G. Duby, Bd. 1 (1992), S. 19 ff. - Ovid wirkte in Übersetzung und Zitat auch auf das volkssprachliche Schrifttum, vgl. ζ. B. L'art d'amours, Traduction et commentaire de l'„Ars amatoria" d'Ovide, hg.

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von Β. Roy (1974). G. Glauche, Schullektüre im Mittelalter (1970); ergänzend N. Henkel, Deutsche Übersetzungen lateinischer Schultexte. Ihre Verbreitung und Funktion im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (1988). Knappe Übersicht bei G. Glauche, s. v. „Schullektüre", in: Lexikon des Mittelalters VII, 8 (1995), S. 1589!!. Zu Maximian: Poetae latini minores, Bd. V, hg. von Emil Baehrens (1885), S. 3i3ff., der zitierte Vers V, 107 (S. 345), W. Schetter, Studien zur Überlieferung und Kritik des Elegikers Maximian (1970), M. v. Albrecht, Geschichte der römischen Literatur, Bd. 2 (1994), S. 1042. Zu dem schwierigen Geflecht der Accessus speziell um Konrad v. Hirsau: Accessus ad auctores. Bernard d'Utrecht, Conrad d'Hirsau, Dialogue super auctores, hg. von R. B. C. Huygens (1970; dazu die Anzeige von P. G. Schmidt, in: Deutsches Archiv 27 [1971] S. 592). T. O. Tunberg, Conrad of Hirsau and his Approach to the Auctores, in: Mediaevalia et Humanistica 15 (1987) S. 63 ff. Zu Haimerich vgl. Μ. Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, Bd. 3 (1931), S. 180 ff.; P. G. Schmidt, Kritische Philologie und pseudoantike Literatur, in: Die Antike-Rezeption in den Wissenschaften während der Renaissance, hg. von A. Buck u. Kl. Heitmann (1983), S. 122 ff. Über den Geist, in welchem die „schöne" antike Literatur aufgenommen wurde, vgl. die einfühlsame Interpretation von J. Leclercq, Wissenschaft und Gottverlangen (1963), S. 132 ff. u.ö. Die Zahlenübersicht der Überlieferungsträger in dem von L. D. Reynolds gestalteten „Texts and Transmissions" (s. oben S. 55) steht dort S. XXVff. - Zwischen Antike und Mittelalter: M. Kerner, Die Institutio Traiani - spätantike Lehrschrift oder hochmittelalterliche Fiktion?, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica, 1986, Monumenta Germaniae Historica, Schriften 33, 1 (1988), S. 713fr. Daß hochmittelalterliche Argumentationsmuster sichtbar sind, zeigt Kerner, in: The World of John of Salisbury, hg. von M. Wilke (1984), S. 365fr.

XII Über die vor der Lektüre antiker Autoren wie Vergil warnenden Jenseitserscheinungen vgl. P. G. Schmidt, Wandlungen Vergils im Mittelalter, in: Würzburger Jahrbücher NF 8 (1982)

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S. 1 0 5 f r . ; D. Schaller, Vergil und die Wiederentdeckung des Epos im frühen Mittelalter, in: Medioevo e Rinascimento 1 ( 1 9 8 7 ) S. 76ff.; weitere Beispiele solcher Jenseitswarnungen bringt Schreiner, Fon dem lieben herrn (s. oben S. 44ft), S. 4 2 0 ff. Zu Otloh von St. Emmeram vgl. Fr. Brunhölzl, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, Bd. 2 ( 1 9 9 2 ) , S. 4 7 5 f. Die Korrespondenz Wibalds von Stablo mit Rainald von Dassel behandelt B. Bischoff in dem oben angeführten Aufsatz (s. S. 55): Das benediktinische Mönchtum und die Überlieferung der klassischen Literatur, S. 189 f. Für Wibalds Briefbuch ist immer noch die Edition Ph. Jaffe, Wibaldi epistolae, in: Monumenta Corbeiensia (Bibliotheca rerum Germanicarum 1, 1864) S. 326 ff. zu benutzen. Das Lob auf Gherardo Landriani, den Entdecker von Ciceros Dialog „Brutus", behandelt J. Helmrath, Non modo Cyceronianus, sed et Iheronymianus: Gherardo Landriani, Bischof von Lodi und Como, Humanist und Konzilsvater, in: Vita Religiosa im Mittelalter. Festschrift C. Elm (1999), S. 953 ff. Helmrath macht deutlich, daß nach Ansicht Pizzolpassos Landriani einen neuen Predigtstil eingeführt habe, ein dicendi genus novum et inusitatum. Die „Predigt wird nun „humanistisch", mit klassischer Rhetorik und Literatur, wozu auch die Kirchenväter zählen, gleichsam aufgeladen".

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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über httpi^dnb.ddb.de abrufbar. © 2003 by R. G. Saur Verlag GmbH, München und Leipzig Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten. All Rights Strictly Reserved. Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlages ist unzulässig. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH 99947 Bad Langensalza ISBN 5-598-77561-X