Augustin, die christliche Antike und das Mittelalter: Im Anschluß an die Schrift “De Civitate Dei” [Reprint 2019 ed.] 9783486743692, 9783486743685


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German Pages 185 [188] Year 1915

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Vorbemerkung
Inhalt
Einleitung. Die verschiedenen Konstruktionen der universalhistorischen Stellung Augustins und Fixierung des Themas der Abhandlung, daß Augustin in erster Linie der christlichen Antike angehöre
1. Absatz
2. Absatz
3. Absatz
4. Absatz
5. Absatz
6. Absatz
Schluß: Ergebnis der Studie für die universalhistorische Auffassung der europäischen Geistesgeschichte und die Entwicklung der christlichen Idee
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Augustin, die christliche Antike und das Mittelalter: Im Anschluß an die Schrift “De Civitate Dei” [Reprint 2019 ed.]
 9783486743692, 9783486743685

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Historische Bibliothek Herausgegeben von der

Redaktion der Historischen Zeitschrift

36. B a n d :

Augustin, die christliche Antike und das Mittelalter Von ERNST TROELTSCH

München und Berlin 1915 Druck und Verlag von R. Oldenbourg

Augustin, die christliche Antike und das Mittelalter Im Anschluß an die Schrift „De Civitate Dei" Von

ERNST

TROELTSCH

München und Berlin 1915 Druck und Verlag von R Oldenbourg

Vorbemerkung'. Das vorliegende Buch soll nicht bloß eine Lücke in meinen Soziallehren ausfüllen, wo ich Augustin noch nicht genügend würdigen konnte. Zwar muß ich heute ebenso wie damals betonen, daß es ein Irrtum ist, Augustin eine besondere originale Staatsund Gesellschaftslehre zuzuschreiben, die den Staat zum Werk der Siinde machte. Aber wenn man auf die Eingliedung der Staatsund Gesellschaftslehre in eine allgemeine ethische Theorie achtet, dann ist allerdings die Stellung Augustins eine hervorragende und abschließende, freilich weitaus mehr abschließend für die christlich gewordene Antike als grundlegend für das Mittelalter. Darüber hinaus soll die Arbeit, ähnlich wie die gleichfalls in der Hist. Bibl. erschienene Studie über »die Bedeutung des Protestantismus f ü r die Entstehung der modernen Welt«, dem Zwecke dienen, die großen Perioden und Hauptformationen der christlichen Idee gegeneinander abzugrenzen. Erst bei solchen Abgrenzungen verliert der Allgemeinbegriff des »Christentums« seine Gefährlichkeit für das Verständnis der europäischen Geistesentwicklung und für die religiösen Aufgaben der Gegenwart. Das »Christentum« ist, wie es in seiner heute noch nicht genügend erhellten und wahrscheinlich nie vollkommen erhellbaren Entstehungsgeschichte eine komplexe Erscheinung ist, so in seinen großen Hauptformationen jedesmal etwas reichlich anderes. Gewiß zeigt es seit dem zweiten Jahrhundert die starke Kontinuität der Institutionen, die man Katholizismus nennt. Aber erstlich sind die Abwandlungen der Institutionen in den großen Perioden doch recht bedeutsame Unterschiede und zweitens ist der sie jedesmal erfüllende religiöse, ethische und kulturelle Geist ganz außerordentlich verschieden. Diese Verschiedenheiten stammen aber nicht aus einer inneren Dialektik des religiösen Gedankens, wenigstens tun sie das nur zum kleinsten Teil, sondern aus der Zusammenschmelzung der jeweiligen allgemeinen Kulturlage mit den religiösen Ideenbildungen. Die religionsgeschichtliche Methode muß also überall, wo man das geschichtliche Leben überhaupt genügend in seinen Gesamt-

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erscheinungen kennt, eine kulturgeschichtliche sein, was ja die sozialgeschichtliche einschließt. Beim »Christentum«, das wir ebenso wie unsere eigene europäische Kulturgeschichte natürlich am besten kennen, sind wir eben erst im Anfang eines solchen religionsgeschichtlichen Verständnisses, das über bloße Rechts-, Verfassungs- und Dogmengeschichte hinausführt. Auch bei der mit ihm ja eng verflochtenen Geschichte der griechischen Religion sind wir annähernd so weit. Bin ähnliches Verstehen auf den Islam, Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus auszudehnen, daran können wir heute nur in seltenen Fällen denken. So lange aber das nicht der Fall ist, gibt es keine wirkliche Religionsgeschichte jener Gebiete und natürlich erst recht keine »allgemeine Religionsgeschichte«. Was sich so nennt, das sind — oft sehr wertvolle —• Zusammenstellungen von Kultaltertümern, Mythen, Institutionen, Dogmen und biographisch-psychologischen Analysen einzelner Persönlichkeiten, aber keine wirkliche Religionsgeschichte. Die Aufgabe einer solchen geht noch auf lange Zeit über menschliche Kräfte, wenigstens wenn sie wirklich wissenschaftlichen Geist und Sinn haben soll. Vielleicht tut sie es überhaupt. So mag das Buch, indem es an einem kleinen, viel bearbeiteten und wohlbekannten Felde die Kompliziertheit der Probleme zeigt, meinen allgemeinen Standpunkt mitbegründen, daß es eine allgemeine empirische Religionsgeschichte noch nicht geben kann und daher auch eine lediglich auf diese Aufgabe konzentrierte Professur, wenn sie nicht etwa wesentlich missionarisch und praktisch-theologisch gerichtet sein soll, eine Unmöglichkeit ist. Dagegen ist eine von jeder Dogmatik unabhängige Religionsgeschichte des Christentums sowohl etwas Mögliches als etwas für die Klärung unserer heutigen religiösen Lage Notwendiges. Allerdings muß dann, wenn der Hintergrund jeder irgendwie gearteten Dogmatik fehlt, an dessen Stelle ein Hintergrund allgemeiner religionsphilosophischer und kulturphilosophischer Art vorhanden sein. Das ist natürlich auch bei diesem Buche, genau so wie bei meinen früheren geschichtlichen Arbeiten, der Fall; ja, das Buch scheint mir besonders geeignet, die Art zu veranschaulichen, wie ich mir die Bedeutung eines solchen Hintergrundes für die Gewinnung von Fragestellungen und Gesichtspunkten vorstelle. H e i d e l b e r g , 27. Juli 1914. Das Buch ist nach dem Kriegsausbruch fertig gedruckt liegen geblieben und erscheint, gemäß freundlichem Entgegenkommen des Herrn Verlegers, erst jetzt. Die Zwischenzeit hat mir den Gegenstand noch in mancher Hinsicht verdeutlicht. Der Weltkrieg, die

Vorbemerkung.

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Gefahr für die Kultur überhaupt, die Debatten über Krieg und Christentum, Staat und Bruderliebe lassen den Standpunkt Augustins, den Rückzug von der Welt und den Gegensatz des christlichen Liebesreiches gegen den politischen Kampf ums Dasein, die eschatologische und jenseitige Stimmung, doch recht unmittelbar verständlich erscheinen. Auch die Bedeutung friedlicher begehrungsloser Kleinstaaten an Stelle der stets vorwärtsstrebenden Großstaaten für den Frieden und für wenigstens relativ christliche Lebensführung kann man von hier aus wohl verstehen. Die Schweizer Christen machen heute unbewußt manches Argument Augustins wieder lebendig. Freilich eine wirkliche Lösung des Problems wäre auch heute nur das Mönchtum, und manchem mag dieser Ausweg heute inmitten all des Hasses und der schonungslosen Vernichtungsbestrebungen nicht so unvernünftig erscheinen. Freilich der ungeheuren Mehrzahl wird heute gerade umgekehrt der Krieg und die opfervolle Selbstbehauptung des Staates und seiner Kultur als die eigentlich religiöse und christliche Aufgabe erscheinen. Das zeigt, wie ganz anders in der Hauptsache unsere religiös-ethische Stellung zu Staat, Gesellschaft und Kultur heute ist. Ihre Begründung finden wir klassisch bei Fichte. Sobald wir aber Fichte mit Augustin vergleichen, stoßen wir noch ganz besonders auf die höchst erleuchtende Analogie, die Fichtes eng zusammenhängende Schriften »Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters«, die »Reden an die deutsche Nation« und die »Anweisung zum seligen Leben« darbieten zu Augustins De Civitate Dei. Sie sind beinahe eine moderne Wiederholung der gleichen Aufgabe: eine praktische predigtartige Belehrung über die Zeit, ihre Gefahren, ihre Aufgaben und ihre Hoffnungin; eine geschiehtsphilosophische Konstruktion des Moments in seiner Vorbereitung und seinen Folgen; ein Ausweg aus den Schrecken und Sorgen und eine Begründung des Ganzen, der geschichtlichen Zeitanschauung und der praktischen Errettung, auf religiös-mystische Ideen. Nur ist das praktische Ergebnis das entgegengesetzte, nicht Verweisung auf ein möglichstes Minimum politischer Lebensansprüche und im Falle der Unmöglichkeit dieses Minimums auf Mönchtum und Jenseits, sondern umgekehrt ein Maximum politischen Lebenswillens, das den eigenen Staat und die eigene Kultur als Verkörperung der der Vernunft immanenten Gottheit erkennt und darum das Letzte an die kriegerische Behauptung der Individualisation der göttlichen Vernunft in dem Volkstum setzen heißt zugleich mit der Arbeit an bewußter religiösethischer Wiedergeburt und Erziehung. Den Gegensatz dieser Ethik gegen das biblische und das alte Christentum erkennt Fichte selbst sehr wohl und behandelt ihn ungemein interessant in der

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Vorbemerkung.

8. Rede. Danach war die biblische Lehre Jesu der Situation eines hoffnungslos zertretenen Volkes angemessen und bedeutete die Verlegung des Heils aus dem Diesseits in das Jenseits mit solcher Entschlossenheit, daß die Weisungen der Bergpredigt gegen jeden Sinn und Nutzen irdischen Handelns überhaupt protestieren und verzichten hießen. Aber in der Anwendung auf gesunde und lebenskräftige Völker wandelt sich die Lehre Jesu zu dem nationalen Evangelium Fichtes. Und das erscheint ihm als die Regel, während die Zurückziehung von der Welt Ausnahme war und erst bei völliger Vernichtung Deutschlands auch für dieses ausnahmsweises göttliches Gebot werden würde. Fichte weiß sehr wohl, daß er darin ein neues Verständnis des Christentums vertritt, das auch von dem der Reformatoren sogar sich weit entfernt, die »sich selbst nicht ganz klar waren in der Bezeichnung des Edelsten, das in ihnen war, mit Worten sich vergriffen«. Ähnlichkeit und Unterschied Augustins gegenüber Fichte treten bei solcher Vergleichung aufs stärkste heraus, und die Schrift De Civitate gewinnt dabei außerordentlich an Lebendigkeit. Vor allem zeigt sich der ganze Unterschied des spätantik-christlichen und des modern-christlichen Idealismus. Das gleiche gilt übrigens auch bei einer Vergleichung von De Civitate mit Schleiermachers patriotisch-christlichen Predigten, nur daß Schleiermacher ein geringeres Bewußtsein um seinen Abstand vom Urchristentum hatte. Schließlich muß ich auf ein in der Zwischenzeit erschienenes, für meinen Gegenstand wichtiges Werk hinweisen, auf das Buch von Schilling, Naturrecht und Staat nach der Lehre der alten Kirche, 1914; es bringt ein weit reicheres Material, als ich bringen konnte, bestätigt aber in allem Wesentlichen meine Auffassung, wenn auch der Verfasser im Unterschiede von mir darin nicht einen Kompromiß des an sich kulturindifferenten Christentums mit der Kultur, sondern eine klare und harmonische, dem echten Christentum entsprechende Lehre sieht; bemerkenswert ist auch bei seinen Angaben die wesentlich mehr asketische und kulturindifferente Haltung der orientalischen Theologen. Weit lehrreicher jedoch ist inzwischen das große Werk von Masaryk »Zur russischen Religionsund Geschichtsphilosophie. Soziologische Studien«, 2 Bde., 1913, geworden. Hier sind die Theorien der russischen Historiker und Soziologen über die besondere Artung und Geschichte des russischen Geistes ausführlich wiedergegeben. Die verschiedensten Richtungen, konservative und radikale, stimmen darin überein, daß das russische Christentum nicht den aggressiven Rechtscharakter des abendländischen Katholizismus besitze und mit dem Staate viel weniger zu tun habe; es habe den Geist einer mystisch-asketischen Apolitie aus dem alten echten Christentum beibehalten,

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Vorbemerkung.

sich mit dem römischen Recht und seinem Rationalismus nicht eingelassen. Hierin begegne es sich mit dem gleichfalls apolitischen, auf primitiven Kommunismus und Anarchismus gerichteten russischen Volkscharakter, und auf dieser kongenialen Verbindung beruhe die erlösende Zukunftsmission Rußlands für das vom Katholizismus und römischen Recht vergiftete Abendland. Dabei schalten die einen den Staat als westeuropäischen Import völlig aus und springen unmittelbar in Demokratie, Sozialismus und Menschenliebe hinein, während die den Staat anerkennenden Konservativen ihrerseits den Zarismus entrationalisieren und als eine von aller europäischen Politik verschiedene, gottgesetzte, auf die Kirche angewiesene Theokratie bezeichnen. Das nach-konstantinische Christentum hatte den griechischen Staat und die griechische fortdauernde Kultur neben sich, setzte beide praktisch voraus, machte den Staat zur supranaturalen Theokratie und ignorierte theoretisch die Kultur. Bei den Russen ist von alledem nur die Theokratie übrig geblieben, und fand sich die kultur- und staatsindifferente kirchliche Mystik mit den noch völlig apolitischen und nicht-rationalisierten Volksinstinkten zusammen. In dieser Hinsicht ist auch Dostojewski unendlich lehrreich. Kombiniert man diese Einsicht mit dem Bilde, das Holl von der orientalisch-christlichen Ethik entwirft, in der die Kulturethik und besonders die Staats- und Gesellschaftsethik völlig fehlen und s t a t t dessen lediglich eine mönchisch-asketisch-beschaulich-philosophische Ethik gelehrt wird, nimmt man dazu die bei Schilling und Sommerlad verzeichneten, wesentlich radikaleren und weltfeindlicheren Lehren der Orientalen über das Naturgesetz: dann wird die Stellung Augustins und der Abendländer scharf beleuchtet als die von Vertretern einer die Gesellschaftsethik rationell aufnehmenden Kulturethik. Die römische Stoa, Cicero und das römische Recht zusammen mit dem realistischeren Staatsgefühl des Abendlandes haben die abendländische katholische Kulturethik geschaffen, während das christliche Morgenland zu einer solchen bis heute nicht gelangt ist. Damit sind Diltheys und meine Gedanken über die Bedeutung der römischen Stoa von einer neuen Seite her erleuchtet und erhärtet. Dabei ist aber zu beachten, daß jene mönchischmystische Ethik bei Clemens und Orígenes noch keineswegs derartig herrscht, sondern erst mit dem Mönchtum selbst in der Zeit nach Constantin durchdringt, daß Aügustin also auch in dieser Hinsicht nicht allzu einseitig für das Abendland in Anspruch genommen werden darf. Heidelberg,

15. Januar 1915.

E. Troeltsch.

Inhalt. Einleitung: S. 1—7. Die verschiedenen Konstruktionen der universalhistorischen Stellung Augustins und Fixierung des Themas der Abhandlung, daß Augustin in erster Linie der christlichen Antike angehöre S. 1—7. 1. Absatz: S. 7—21. Analyse der Schrift De Civitate Dei S. 7—21. 2. Absatz: S. 21—47. Allgemeinste Unterschiede der vorausgesetzten Lage von der mittelalterlichen S. 21—24. Unterschiede im Kirchenbegriff S. Staatsbegriff S. 35—41, im Verhältnis von Staat S. 42—47.

in De Civ. Gesamtlage 26—35, im und Kirche

3. Absatz: S. 47—73. Frage, ob Augustin innerhalb der christlichen Antike eine wesentliche Kulturbedeutung zukomme, und Antwort, daß diese seine Kulturbedeutung in der Schaffung der ersten großen Kulturethik des Christentums liege S. 47—51. Rückblick auf die Entwicklung des christlichen Ethos und die Bildung einer wissenschaftlichen christlichen Ethik bei den Alexandrinern S. 52—56. Die wissenschaftliche christliche Ethik des Gemens Alexandrinus, ihre Unfertigkeit und die Notwendigkeit einer erweiterten und vertieften Stellung der Aufgabe S. 56—73. 4. Absatz: S. 73—104. Entwicklung Augustins zum wissenschaftlich-christlichen Ethiker S. 73—77. Die Idee des höchsten Gutes S. 77—82. Die Verinnerlichung der Askese S. 82—86. Das christliche Sittengesetz des Doppelgebotes Jesu S. 86—90. Die Eingliederung der Kulturwerte S. 90—98. Die Sündenlehre, das erbsündige Fleisch und die dualistisch-mortifikatorische Askese S. 98—104. 5. Absatz: S. 105—153. Das System der einzelnen Kulturgüter S. 105—106. Der Leib und die Sinnlichkeitskultur als Voraussetzung aller ethischen Kulturwerte S. 106—109. Die

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Inhalt. idealistisch-innerliche und die realistisch-sozial-materielle Gruppe derKulturwerte S. 109—112. Die ästhetischen Werte S. 112—116. Die logisch-intellektuellen Werte S. 116—122. Gesamtcharakter der zweiten Gruppe S. 122—127. Familien- und Sexualethik S. 127—130. Der Staat S. 130—137. Die wirtschaftlichen Güter S. 137—143. Die Gesellschaft S. 143—149. Das Problem einer christlichen Reform der antiken Gesellschaft und das Mönchtum S. 150—153.

6. Absatz: S. 154—173. Augustins Verhältnis zur christlichen Antike und Gegensatz zum Mittelalter S. 154—160. Die einzelnen Punkte des Unterschiedes gegenüber der Thomistischen Theologie und Ethik S. 160—170. Schluß: S. 171—173. Ergebnis der Studie für die universalhistorische Auffassung der europäischen Geistesgeschichte und die Entwicklung der christlichen Idee.

Augustin, die christliche Antike und das Mittelalter. Die Frage nach der Stellung Augustins in der Geistesund Kulturgeschichte der christlichen Welt ist von hoher Bedeutung für das Verständnis des einen und fast mehr noch für das der anderen. Die protestantischen Theologen haben lange in ihm den Paulus nach Paulus und den Luther vor Luther gesehen. Dagegen haben die katholischen Gelehrten, die doch immer die besten Kenner ihrer eigenen Literatur sind und die naturgemäße Voraussetzung der Kongenialität ihr gegenüber trotz aller dogmatisierenden Neigungen besitzen, mit gutem Grunde Verwahrung eingelegt. Unter den Protestanten hat daher schließlich Feuerlein in einem Aufsatze der Historischen Zeitschrift mit dieser Auffassung gebrochen und ganz entgegengesetzt ihn als den Vater des mittelalterlichen Geistes bezeichnet : »Dieser eine Mann mit dem brennenden und zur Ruhe gekommenen Herzen ist der Typus der mittelalterlichen Christenheit. Sein zügelloses und doch zuletzt gezügeltes Temperament repräsentiert jenen wilden Volksgeist, der mit der Völkerwanderung sich erhebt und seiner Zähmung durch die Kirche harrt, die ganze Hitze und Heftigkeit des Volkstums, das sich gleich ihm in der Versenkung in das eine, Göttliche, in der religiösen Andacht abkühlen soll. Er, der Sohn eines gebildeten Naturvolkes, topographisch außerhalb des Gebietes der neueuropäischen T r o e l t s c h . Augustin, die chrlstl. Antike

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Menschheit gestellt, sollte den zu erwartenden Naturvölkern Weg und Steg ihrer ersten Kultur zeigen dürfen. «*) Die folgenden Bemerkungen Feuerleins zeigen, dafi bei dieser Beziehung Augustins auf das Mittelalter dieHegelsche Methode Pate gestanden hat, genau so wie der Zwischensatz von der topographischen Sonderstellung andeutet, daß Augustin selbst doch eigentlich einem anderen Zusammenhange angehörte. Diese Auffassung ist nun aber auch ohne ihre Hegeische Ausdeutung für die wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiete der Kirchen- und Dogmengeschichte geltend geblieben und von der neueren Dogmengeschichte im einzelnen bewährt worden. So hat Harnacks berühmtes Werk Augustin überhaupt ganz aus der alten Kirche herausgenommen und ihn an den Anfang der mittelalterlichen Entwicklung gestellt: »Die Geschichte der Frömmigkeit und der Dogmen im Abendland ist vom Anfang des 5. Jahrhunderts bis zur Reformationszeit so durchgreifend von Augustin beherrscht gewesen, daß man diese ganze Zeit als eine Periode zusammenfassen muß. «*) Seeberg hat zwar diese doch immer etwas gewaltsame Ausreihung aus der christlichen Antike nicht mitgemacht, sondern beginnt die Darstellung des mittelalterlichen Kirchentums mit Gregor dem Großen; aber auch er erklärt: »Der Geist der griechischen Kirche hat kein Mittelalter durchlebt; denn er ist über die antiken Probleme des Origenes nicht hinausgekommen, d. h. die griechische Kirche hat keinen Augustin gehabt. Die beherrschende theologische Autorität des Mittelalters ist Augustin. Man kann die ganze mittelalterliche Dogmengeschichte als Geschichte des Augustinismus behandeln.«3) 1

) Emil Feuerlein, Über die Stellung Augustins in der Kirchenund Kulturgeschichte, H. Z. XXII, 1869, S. 300 f. ') Adolf v. Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte*, 1910, 8. 3. ») Reinhold Seeberg, Grundriß der D. G. II, 1898, S. 2. Versteht man unter M. A., wie man muß, in erster Linie bestimmte

Loofs ist dagegen bei der Anordnung Harnacks stehen geblieben und hat in seinem trefflichen Artikel in der Prot. Real-Enzyklopädie diese Auffassung scharf formuliert : »Kaum e i n Dogma der römischen Kirche wird ohne einen Rückgang auf Augustin verständlich. Und n i c h t n u r d a s D o g m a der abendländischen Kirche nach ihm hat Augustin, wie kein anderer, beeinflußt; auch die hierarchische Entwicklung desselben und ebenso ihre Wissenschaft wurzelt in ihm: der Kampf der beiden Häupter der mittelalterlichen Christenheit, des Kaisers und des Papstes, er wird aus Augustins Buch De Gvitate seinem tiefsten Sinne nach verständlich, seinem Verlaufe nach begreiflich; und die mittelalterliche Theologie hat stets, je reger sie war, unter desto größerem Einfluß Augustins gestanden, und die Scholastik ist nicht nur in ihren Spekulationen, sondern selbst in ihrer Methode durch Augustin bestimmt gewesen. Von Augustin hat die mittelalterliche Mystik in ihren kirchlichen wie in ihren häretischen Formen die entscheidendsten Anregungen empfangen; augustinische Einflüsse kommen auch bei allen sog. Vorreformatoren direkt oder indirekt in Frage.... Augustin ist der Vater des mittelalterlichen Katholizismus. «x) Oder — um noch ein letztes Beispiel zu nennen — der Artikel »Augustin« der neuesten großen Enzyklopädie formuliert denselben Gedanken dahin: »Als die Kirche auf den Trümmern der Alten Welt sich neu einrichtete, nahm sie Augustin mit sich, den Spiegel- und Brennpunkt einer alten Kulturwelt, das Programm einer neuen eigenen Entwicklung und doch auch ein stetes Element der Unruhe und Gewissensschärfung.*) Formen des sozialen und politischen Lebens, so hat sie der Orient auch gehabt und hat sie bis heute. Das Balkanproblem war und ist zum großen Teil das Problem des Übergangs vom M. A. zur Neuzeit. ») P. R. E.» II, 277. *) Rel. in Gesch. u. Gegenwart, Art Aug. von Scheel I, 793.



Nun mag all das für die Dogmengeschichte im engeren Sinne des Wortes gelten, obwohl auch hier die neben Augustin vorhandenen Quellen und vor allem der Unterschied des Augustinismus gegenüber der aristotelischen und kurialistischen Theologie der Bettelorden stark unterschätzt sind. Aber einerseits bestand das Mittelalter nicht aus Dogmen, und was man seinen Geist nennen kann, das ist weniger aus den ideologisch-dogmatischen als aus den materiellen und sozialen Bedingungen seines Lebens und der dann eintretenden Verwebung beider zu verstehen, wie ich in meinen »Soziallehren« gezeigt zu haben glaube.1) Hier bedarf die übliche rein ideologische Geschichtsauffassung einer starken realistischen Berichtigung, wie denn die Darsteller der mittelalterlichen Gesellschaft und Lebensordnung längst den Weg einer solchen realistischen und in erster Linie soziologischen Erklärung gegangen sind, nur freilich ihrerseits die Verwebung mit den religiösen Elementen leicht verkannt haben.2) Auf l

) Dort habe ich — vielleicht unter zu starkem Einfluß der Brüder Carlyle, A History of mediaeval political theory in the west I, 1903 — Augustin auf eine Fläche mit den Soziallehren der christlichen Väter gestellt und hervorgehoben, daß das M. A. mehr nach marxistischer als nach dogmengeschichtlich-ideologischer Methode verstanden werden müsse. Daran halte ich auch jetzt durchaus fest trotz des Tadels von P. Wernle (Z. f. Theol. u. Kirche 1912, XXII, S. 348 — 351). Wenn ich nun trotzdem Augustins Gedanken über christliche Kultur und seine Sonderstellung unter den christlichen Vätern jetzt höher werte als früher, so hat das das genaue Studium von De Civitate und die Darlegung des weitergehenden Materials bei Mausbach »Die Ethik des h. A.«, 1909, und Schilling, Die Staats- und Soziallehre des h. A., 1910, bewirkt. Ohne diese Bücher war es damals unmöglich, in die Sache so einzudringen, wie jetzt. Sie sind beide höchst verdienstlich, verlangen aber, namentlich Mausbach, kritische Leser. Wernles eigene Andeutungen über A. treffen den Sachverhalt nicht. *) Vgl. z. B. G. v. Below, Die deutsche wirtschaftsgeschichtliche Literatur und der Ursprung des Marxismus, in Jahrb. für Nationalökonomie u. Statistik Bd. XCVIII.

der andern Seite waren wiederum Augustins eigene Lebensbedingungen und Probleme v o n denen des Mittelalters völlig verschieden. E r gehörte tatsächlich der römischen Gesellschaft an und drang mit seinem Horizont nirgends über sie hinaus. Er setzte die lebendige philosophisch-theologische Arbeit der christlichen Antike fort und wurde mit Hilarius, Ambrosius und Hieronymus z u s a m m e n der Überleiter der griechisch-christlichen Wissenschaft in das Abendland, der letzte große Platoniker, der für das Abendland in noch höherem Sinne wurde, w a s Origenes und die Kappadozier für den Orient waren. Auch er ging unmittelbar aus der allgemeinen geistigen Bew e g u n g des orientalisierenden, Christentum und Spekulation versöhnenden, eine neue Ethik und Weltans c h a u u n g ausbildenden Spätaltertums hervor. 1 ) W e n n ') Der Ausdruck »christliche Antike« ist durch den Archäologen L. v. Sybel gangbar gemacht worden, indem er die Geschichte der altchristlichen Kunst unter dem Titel »Christliche Antike« 1906 und 1909 darstellte. Ich teile nicht die religionsphilosophischen Voraussetzungen v. Sybels und nicht seine Meinung, daß das Christentum die letzte »notwendige« Phase des griechischen Heidentums sei. Aber der Ausdruck ist für das Ergebnis der religiösen Bewegungen, wie es in der nachkonstantinischen Zeit sich festigte, gut und treffend, da dieses Ergebnis eine volle Verschmelzung des antiken Idealismus und der christlichen Religiosität sowie eine totale Einsaugung der christlichen Ideenwelt in die fortdauernden Formen der materiellen, sozialen und politischen Kultur der Antike bedeutete, wobei natürlich auch die Reibungen des so Verbundenen vom höchsten Interesse sind. Die letzteren hat v. Sybels evolutionistischer und mythographischer Doktrinarismus nicht empfunden; anders Wyckhoff, Riegl und Strzygowski. Etwas Ähnliches hat schon Harnacks berühmte Formel von der »Hellenisierung des Christentums« bedeutet, bei der die ursprüngliche Selbständigkeit und Eigenart der christlichen Bewegung gegenüber dem spekulativen Hellenismus gewahrt ist, die aber bei Harnackeben deshalb wesentlich auf das Dogma bezogen ist. Weiter ausgedehnt ist der gleiche Gedanke von Edwin Hatch, Griechentum und Christentum, deutsch von Preuschen 1892, wo fast alle Seiten außer der politisch-sozialen unter diesem Gesichtspunkt einer »Helleni-

die Forschung ihn heute von den Reformatoren abrücken lernte und ihn statt dessen auf das Mittelalter wesentlich bezieht, so dürfte sie vielleicht noch einen Schritt weiter zurücktun und ihn seiner eigenen Zeit, seinem eigenen Horizont, den Lebensproblemen der christlichen Antike zurückgeben. Aus ihr ist er herausgewachsen, sie ist ihm der naturgemäße und einzige Horizont, ihre praktischen Lebensprobleme hat der große, nach absoluter Wahrheit und ethischer Lebensbefriedigung strebende Praktiker und Denker vor allem verfolgt und zu lösen unternommen. Chronologisch steht er an der Seite der großen griechischen Theologie, deren Triebe er auf seine Weise und keineswegs unabhängig von ihr aufnimmt und befriedigt. Warum sollte er nicht auch sachlich in allererster Linie in diesen Zusammenhang eingereiht werden ? 1 ) Er ist in Wahrheit Abschluß sierung des Christentums« beleuchtet sind. Wichtig ist es jedoch diese Formel so zu verstehen, daß sie nicht die nachträgliche Hellenisierung eines an sich schon fertigen und selbständigen »Christentums«, sondern Oberhaupt das Ergebnis der großen Religionsbewegung der Spätantike bedeutet in ihrer Untrennbarkeit christlicher und hellenisch-römischer Elemente. Dabei war vor Konstantin die relative Selbständigkeit der kirchlich-christlichen Welt gegen Spekulation und Gesellschaft größer als nachher. Vor Konstantin war es Hellenisierung des Christentums, nach ihm war es Verchristlichung der Antike. Die Akzente verschieben sich mit dieser Änderung. Erst seit Konstantin gibt es wirklich eine christliche Antike, gegen die die im heidnischen Bekenntnis verharrende Antike heftig opponiert oder grollend und ignorierend beiseite steht, während die radikalen Christen in steigendem Maße das Mönchtum auftun. — Über die heute noch nicht spruchreife Frage nach dem Verhältnis des Urchristentums zum Hellenismus soll daher hier mit der Formel »Christliche Antike« nichts gesagt sein. Bei ihr handelt es sich um ganz andere Bestandteile des Hellenismus; s. das Beste bis heute bei Bousset, Kyrios Christos, 1914 und Boll, Aus der Offenbarung Johannis, 1914. *) Vgl. Leo, Lat. Literatur u. Sprache, und Norden, Lat. Literatur im Übergang vom Altertum zum Mittelalter, Kultur d. Gegenwart I, 8. Treffend Leo S. 394: »Die christliche lateinische Literatur ist nicht der Niederschlag einer römischen, sondern ein

und Vollendung der christlichen Antike, ihr letzter und größter Denker, ihr geistlicher Praktiker und Volkstribun. Von hier aus muß er zuerst verstanden werden. Was dann spätere Zeiten aus ihm gemacht haben, ist eine andere Frage. Seinen eigentlichen, antike Kultur, kirchlichepiskopale Autorität und innerlichste Mystik zusammenfassenden Geist können sie gar nicht fortgesetzt haben, da sie, von anderen Verhältnissen umgeben, andere praktische Aufgaben vor sich hatten. Er ist die letzte und größte Zusammenfassung der absterbenden antiken Kultur mit Ethos, Mythos, Autorität und Organisation der frühkatholischen Kirche und konnte mit seinem Wesentlichsten gar nicht auf den Boden einer anderen Kultur übernommen werden. 1.

Es ist die Absicht der folgenden Zeilen, den Satz von der Zugehörigkeit Augustins zur christlichen Antike aus seinem Hauptwerke De Civitate Dei zu erweisen, das eine Fülle von Material für eine solche Untersuchung darbietet.1) Es wird aus begreiflichen Gründen selten Ausschnitt aus einer in sich nicht zertrennlichen, die Welt umfassenden Geistesbewegung. In ihr wiederholt sich in weit größerem Mafistabe und mit breiterer, die zivilisierte und dann die Barbarenwelt ergreifender Wirkung die stete Wellenbewegung von griechischer zu römischer Produktion. Nur dafi dieses Mal durch die originale Entwicklung, die in Afrika aufwuchs, die römische Bewegung mit der griechischen Schritt gehalten und in großem Stil Eigenes hervorgebracht hat.« Norden S. 419: »Augustin und Piaton gehören zusammen als die größten Dichterphilosophen aller Zeiten.« Im übrigen habe ich gegen die Charakteristik Augustins selbst bei beiden Darstellern manche Bedenken. *) Ich benutze die Ausgabe von Dombart, Sancti Aurelii Augustini Episcopi de Civitate Dei Libri 22*, I, 1908 und II, 1905. Bemerkenswert sind die alten subscriptiones II, 635; danach heißt das Buch De civ. Dei contra paganos. Der neueste Kommentar Von Heinrich Scholz »Glaube und Unglaube in der Weltgeschichte«, 1911, bietet vorzügliche historische Notizen und Parallelen und bekämpft treffend die Mißverständnisse des Buches als »christliche Geschichtsphilosophie« oder als »christliche Gesellschaftslehre«.

in seinem vollen Umfange gelesen. Würde das geschehen, so würde das Buch nicht immer wieder für eine christliche Geschichtsphilosophie oder für eine christliche Gesellschaftslehre oder für das Grundbuch des Mittelalters gelten. Es ist völlig aus der Zeit für die Zeit geschrieben. Es nimmt nicht bloß »apologetische Fragen gegenüber den heidnisch-patriotischen Anklagen zum Ausgangspunkte«, sondern ist von der ersten bis zur letzten Zeile das Buch des Seelsorgers, Homileten, Praktikers und Apologeten, der nicht bloß die Gegner widerlegen, sondern vor allem die Christen stärken will und daher seine ungeheure und bunte Gelehrsamkeit in den Dienst der Widerlegung aller denkbaren Vorwürfe stellt. Es ist die letzte große Leistung der apologetischen Literatur, überall mit der praktischen Absicht, den alten Vorwurf einer Auflösung der römischen Gesellschaft durch die christliche Kirche zu widerlegen. Um so verwunderlicher ist es, daß Scholz dann doch gelegentlich wieder ganz unvermittelt und unbegründet von dem Programm einer »neuen christlichen Kultur und des Mittelalters« redet. So erkennt er S. 107 ausdrücklich an, daß A. vom Großstaat und Imperium gar nichts wissen will: »Sein Ideal ist der Zellenstaat: möglichst viele Miniaturreiche, die in freundnachbarlicher Eintracht mit- und nebeneinander leben.« Wenn nun A. — offenbar im Hinblick auf die christlichen Kaiser — meint, daß trotzdem bei wirklich frommen Fürsten auch eine longe lateque diu regnare ertragen werde könne, so folgert Scholz aus diesem Wort: »Das ganze Programm des mittelalterlichen Priesterstaates ist in diesen Deduktionen enthalten o d e r k a n n w e n i g s t e n s aus i h n e n g e l e s e n w e r d e n « , S. 107f! Ähnlich verfährt er an einer andern Stelle, wo Augustin die Deutung des tausendjährigen Reiches von Apok. 20 auf die gegenwärtige Christenheit vollzieht und dabei auch die Apok. 20* genannten Inhaber der himmlischen Richterstühle auf gegenwärtige irdische Größen beziehen muß. A. deutet sie selbstverständlich auf die praepositi, per quos nunc ecclesia gubernatur. Wie hätte er sich denn überhaupt anders helfen können ? Aber Scholz sieht hierin — trotz Reuters Warnung — die G l e i c h s t e l l u n g der Kirchenleiter mit den Vollstreckern des Endgerichts, der Kirche mit dem Himmelreich (S. 119) und meint, »A. habe damit die Kirche auf eine Höhe gehoben,

Aus diesem Grunde geht er überall darauf aus, die Vorwürfe der Heiden, die ja auch ihrerseits praktisch begründet sind als Verteidigung der alten, mit dem Götterkult eng verbundenen militärischen, gesellschaftlichen und geistigen Kultur gegen den alles verwandelnden Einfluß der christlichen Kirche; aus den eigenen Quellen der griechisch-römischen Literatur und Geschichte und vermittelst der D e u t u n g der zeitgeschichtlichen Ereignisse zu widerlegen. Die Gegner sollen z u m Schweigen gebracht werden und nicht nur den moralischen Vorzug, die unvergleichlich größere Gewißheit und Hoheit, sondern auch die wissenschaftliche und vernünftige Überlegenheit der monotheistischen Offenbarungsreligion anerkennen lernen. Augustin verwendet dafür die poetischen, historischen und philosophischen Muster-Autoren im weitesten U m f a n g teils als Zeugen der Wahrheit gegen ihre eigenen in der sie mit dem regnum und der civitas Dei identisch ist« (121). Gleich darauf (S. 122) ist er dann von hier aus freilich »überrascht«, daß die Kirche so spiritualistisch und so gar nicht als herrschend gedacht ist. Der Fehler liegt aber bei ihm, der eine aus exegetischer Not vollzogene U m d e u t u n g für eine G l e i c h s t e l l u n g erklärt, obwohl sonst von einer Gleichstellung nichts zu bemerken ist. Ganz unvermittelt ist dann aber vor allem der Schlußsatz des Buches: es sei »ein Abschiedswort an eine versinkende und Prolegomena zu einer neuen Kultur. Die neue Kultur war das Christentum. Ihr hat er die Grundlagen überliefert, auf denen sie in die Höhe steigen konnte, h ö h e r a l s e r e s s e l b s t g e a h n t h a t«, 195. In diesem Satze ist nur die Ahnungslosigkeit Augustins richtig. — Weitere moderne Auslegungen liegen vor bei Mausbach, bei Schilling und Br. Seidel, Die Lehre vom Staat beim hl. A. (Kirchengesch. Abh. hrsg. v. Sdralek IX, 1), 1909; sonstige Literatur bei Scholz, der auch sehr erleuchtende Parallelen aus der übrigen altchristlichen Literatur und aus den übrigen Schriften Augustins bringt. Das bekannte Buch von Boissier, La fin du paganisme 1891 gibt im zweiten Band eine Analyse von De Civ., die den polemischen und zeitgeschichtlichen Charakter stark betont und aus der Situation wie aus dem Briefwechsel A.s erläutert, aber sonst nicht in die Tiefe dringt; lehrreich ist der Hinweis auf die starke Verwandtschaft mit Cyprians Epistola ad Demetrianum.



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Befangenheiten, teils als Beispiele der außerchristlichen Torheiten und Laster. Er geht auf alle möglichen Ereignisse und Erfahrungen seiner Zeit im großen wie im kleinen ein, um Beispiele für seine Sache und Instanzen gegen die Gegner aufzubringen. Er schildert eine Silberwarenfabrik und ihr Prinzip der Arbeitszerlegung1), einen hypnotischen Anfall*), zahllose christliche Wunderheilungen*), allerhand Naturwunder, die er gesehen, heidnische Astrologie und Thaumaturgie, den Goteneinfall Alarichs und die Thronfolgekriege der konstantinischen Dynastie. Alles ist praktisch und nur das wenigste theoretisch gemeint, und dieses letztere ist dann immer als ein praktischer Beweis christlicher Geistesüberlegenheit verstanden. Das bunte und endlose Material solcher Polemik und Apologetik ist nun aber unter einen einfachen Gesichtspunkt gebracht, und dieser Gesichtspunkt hat dem Buche seinen viel mißverstandenen Namen gegeben. Gemäß seiner ganzen, auf Prinzipien gerichteten Denkweise mußte er eine solche Polemik von einem Begriff des Christentums und einem solchen des Heidentums aus orientieren, die beide als solche schon die Wahrheit und Göttlichkeit des einen, sowie die Unwahrheit und Widergöttlichkeit des andern aussprechen.4) ») VII, 4. «) XIV, 24. ') Vgl. X X I I , 8 das längste Kapitel des Buches. Hier wird auch geschildert, daß diese Wunder protokolliert wurden, wie heute in Lourdes, und die Protokolle in den Kirchen verlesen wurden. In c. 11 werden dann die heidnischen Wunder behandelt und dämonologisch erklärt, wozu man Jakob Burckhardt, Zeit Konstantins', 1880, S. 209—245 vergleichen möge. Die Darstellungen Burckhardts werden von Augustin, den er nicht mehr herangezogen hat, überall schlagend bestätigt. *) Er schreibt das Buch überhaupt »propter gloriam civitatis Dei, quae alienis a contrario comparatis clarius eminebit« I, 35 (I, 51, 29), ebenso XVI, 2,124. Der Ausdruck Civitas Dei ist dabei



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Der Begriff des Christentums ist ihm bei seiner spekulativ-mystischen, mit der griechischen wissenschaftlichen Theologie gemeinsamen Grundanschauung die absolute Seligkeit der reinen und vollen Gotteserkenntnis, die visio ac fruitio Dei oder das summum bonum der Gotteinigung, der amor Dei et invicem in Deo. An diesem höchsten Gute hat alle rationale Kreatur Anteil, die Engel, die Gläubigen, die Frommen im Zwischenreiche, die vollendeten Seligen. Um nun aber dieser wissenschaftlichen Definition vom Wesen des Christentums und seines mit der wahren Vernunft identischen Heils einen konkreten biblischen Namen zu geben, benennt er dieses Prinzip nach den Psalmen und nach Paulus, übrigens auch nach dem Vorgang mancher älterer christlichen Autoren, als civitas Dei. Es ist das Geistes- und Gnadenreich der Gottesliebe und demütigen Selbsthingebung an Gott, gegründet mit der Erschaffung der Engel als der rationalen Kreatur, deren Verlust an die Sünde dann durch die dieser Zahl entsprechende Anzahl der prädestinierten Menschen ergänzt werden soll. Es ist das himmlische Jerusalem der Apokalypse, das Jerusalem der Psalmen mystisch gedeutet. Ein Anschluß an Piatons Politeia ist nirgends auch nur von Ferne angedeutet und verbietet sich auch dadurch, daß die Civitas Dei nur vorübergehend und identisch mit Christentum und christlicher Wahrheit: XVII, 1 (II, 198, 5) Christus regnumque coelorum quae civitas Dei est; XVII, 3 (II, 200, 15) libera civitas Dei id est vera Hierusalem in coelis; XVII, 4 (II, 204, 14) die Prophetin Ana bedeutet ipsam religionem Christianam, ipsam civitatem D e i . . . ipsam postremo Dei gratiam. Sie ist die fruitio Dei XXII, 30 (II, 633 f.). In diesem Sinne ist das ganze Buch eine defensio civitatis Dei XXI, 11 (II, 512, 8). — Über den bildlich-allegorischen Charakter der Bezeichnung der beiden societates spricht A. selbst an der berühmten HauptstelleXV, 1: q u o s e t i a m m y s t i c e a p p e l l a m u s duocivitates. In letzter Linie sind es die Prädestinierten, reprobi und electi, die mit den beiden Civitates, einschließlich Engel und Dämonen, gemeint sind.



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auch da nur in äußerster Trübung und Schwächung zu einer irdischen Erscheinung und Organisation wird, bei der dann immer noch aller Schwerpunkt in ihrer Beziehung auf das Jenseits liegt; übrigens mag dem rhetorischbeziehungsreichen Geiste Augustins ein schwebender Anklang an die Politeia nicht unangenehm gewesen sein, wie denn ein solcher bei Clemens und Origenes tatsächlich ausgesprochen war. 1 ) Diesem Prinzip des Heils gegenüber steht das Prinzip des Unheils oder die civitas terrena, besser noch civitas terrigenarum oder noch richtiger civitas eorum, qui secundum carnem vivunt. Sie hat ihren biblischen Namen von dem Babylon der Apokalypse und dem Babel des Turmbaus als Reich der Verwirrung, der Gewalttat und der Bosheit. Der Name führt insoferne etwas irre, als auch dieses Reich zunächst nichts mit der Erde zu tun hat, sondern im Engelreich durch den Hochmut und die Selbsthebe des Teufels entsprang und erst von da durch Verführung des Menschen zur Ursünde auf die Erde übersprang. 2 ) Indem die ') Über die fruitio ac visio Dei, den dogmatischen Hauptbegriff Augustins, vgl. den interessanten Exkurs bei Scholz 197 — 212, über die sehr alte Verwendung der Begriffe no/Ug und civitas für das Christentum vgl. ebd. 70—81, auch Reuter, Aug. Studien S. 130 f.; Anspielungen auf Piatons Politeia bei Clemens siehe Scholz 72 und bei Origenes vgl. Harnack, Dogmengesch.* I, 656 u. 697. E s ist schade, daß Scholz den engen Zusammenhang der fruitio ac visio Dei mit der civitas Dei nicht erkannt hat, weil er bei der civitas Dei stets der doch nie sich darbietenden mittelalterlichen Gleichung mit der Kirche nachjagte und weil er in der Mystik der visio ac fruitio Dei ein dem Christentum fremdes Element bekämpfen zu müssen glaubt und es darum für sich isoliert. — Auch die Mönchsgemeinde des Antonius heißt civitas Dei, Reitzenstein, Antonius, S. 11. 2 j Die Bezeichnung civitas terrena ist daher nur a potiori zu verstehen. Mit dem Staate hat sie nur akzidentell zu tun, wenn er, der an sich gut ist und aus der lex naturae stammt, von der Erdgesinnung beeinflußt wird, wie das bei den nichtchristlichen Staaten naturgemäß der Fall ist. Eine Geringschätzung des Staates an sich



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Ursünde A d a m s das Fleisch des Menschen und d a m i t sein Erdelement zum Träger der Erbsünde und der Verdammnis machte, wurde erst auf diesem W e g e über die V e r d a m m u n g des Menschenfleisches dieses Reich der Selbstsucht und des H o c h m u t e s zu einem Reich des Fleisches und der erdhaften Gesinnung, fortwährend weiter verführt durch die boshaften Dämonen, die sich in die Totenkulte einnisten und dadurch den v o m wahren Gott ausschließenden Polytheismus erzeugen und unter Gottes Zulassung in einem gewissen Maße durch W u n d e r und Geschenke die Menschen blenden dürfen zur Strafe für ihre Sünde. Das Wesentliche an diesem Fleischesreiche aber ist hier wie beim Geistesreiche der debitus finis, d. h. die aus dem W e s e n der Sache fließende E n d folge, also in diesem Falle der Gegensatz zum h ö c h s t e n liegt nicht in dem Ausdruck. So heißt XVI, 1 »Scriptum est itaque de Cain, quod condiderit civitatem; Abel autem tamquam peregrinus non condidit« nicht, daß Kain den Staat überhaupt als Stiftung der Sünde gegründet habe, sondern: Kain gründete e i n e Stadt, wie auch Scholz, Seidel und Mausbach übersetzen. Sonst hätte es ja von Abel gar nicht erst gesagt zu werden brauchen, daß er keine gründete. Auch fehlt jede Kontinuität der Stadt Kains mit der späteren civitates. Es sind alles spontan nebeneinanderstehende Gründungen, wie das ja auch dem Begriff der antiken Polis entspricht. Daß Abel nichts Derartiges tat, zeigt freilich eine gewisse Bedenklichkeit gegen die irdischen Interessen, die so leicht zum Selbstzweck werden. Er bildet den Pilgercharakter der Christenheit vor. Übrigens ist diese Auffassung der Kainstelle auch direkt von der kanonistischen Literatur bestätigt. Der Kanonist und Ausleger Gratians, Paucapalea, gibt in deutlicher Anlehnung an A. die Entwicklungsgeschichte des Rechtes; dabei heißt es: Consuetudinis autem jus post naturalem legem (des Urstandes) exordium habuit, ex quo homines in unum convenientes coeperunt simul habitare, quod ex eo factum creditur tempore, ex quo Cain aedificasse civitatem legitur. Das Gewohnheitsrecht oder relative Naturrecht sei dann von Nimroth noch mehr als Gewaltrecht ausgebaut worden usw. Dabei ist deutlich, daß das Recht dieser terrenae civitates das dem Sündenstand angepaßte relative Naturrecht ist, s. Carlyle II, 179.

— 14 — Gut, das absolute Elend, der ewige Tod in ewigem Brennen und ewiger Seelenqual als naturgemäßes Ergebnis der Selbstausscheidung aus Gott. Diesen höchsten Gesichtspunkten und ihrem allegorisch-symbolischen Ausdruck ist das ganze unermeßliche Material unterstellt. Sie werden in endlosen Wiederholungen und mannigfachen Konstruktionen des Weltverlaufes immer wieder als die begrifflichen Unterlagen der Polemik vorgebracht, manchmal mit hinreißendem Schwung, oft aber auch mit peinlichster rhetorischer Sophistik und kleinlichster Nörgelei. In den Titel ist nur das eine der beiden Prinzipien, das positive, aufgenommen. Es ist ein mystischer Titel wie etwa später der von Arnds »Geistlichem Paradiesgärtlein«. Homiletisch ist überhaupt der ganze Ton des Buches, aber hinter dem Predigtstil steht die philosophische Analyse und die schulmäßige Polyhistorie. Oft glaubt man den Nachklang der letzten Sonntagspredigt zu hören, an andern Stellen sind ganze Schriften Augustins eingearbeitet und wiederholt. Gegnerische Schriften und eigene Vorarbeiten sind in weitem Umfange ausgeschrieben; der Gedankengang bewegt sich oft lediglich auf dem Wege der Assoziation, freilich niemals ohne praktisch erbaulichen oder apologetischen Zweck. Von der schlagenden Unüberwindlichkeit seiner Beweisführung ist Augustin so fest überzeugt, daß er einen etwaigen Widerspruch der Gegner nur aus Torheit oder Unverschämtheit sich erklären kann. Er vertraut zuversichtlich auf den praktischen Erfolg seines apologetischen Unternehmens, an das er außer seinem edelsten Pathos und prinzipiellsten Denken alle guten und schlechten Künste des damaligen Literatentums gewendet hat und mit dem er sicherlich auch amtliche Stellen zu beeinflussen bestrebt war. 1 ) *) Über den Sammelcharakter des Buches vgl. XV, 1 (II, 58, 7) non ita largum habemus hoc opus, ut in Omnibus, quae possunt requirere otiosi et scrupulosi paratiores ad interrogandum quam capaciores ad intellegendum, nos oporteat immorari.

So ist auch der Aufbau des »Uber prolixus«, des »ingens opus« zu verstehen, den Augustin pedantisch genug formuliert und im ganzen eingehalten hat. Die ersten fünf Bücher wenden sich gegen die römischen Patrioten, die wie einst Celsus das Christentum für staats- und gesellschaftsgefährlich hielten und, wie es seit den Severern immer wiederkehrte, die Verlassung der alten Staatskulte für die politischen und sozialen Katastrophen verantwortlich machten. Es sind Gegner in der Weise des Symmachus; sie hatten in dem Goteneinfall und der Plünderung Roms ein neues Hauptargument gegen die Christen. Augustin nennt diese Gruppe von Gegnern die Verteidiger des Polytheismus um irdischer und diesseitiger Güter willen. Ihnen gegenüber verweist er auf die gerade bei jenem Unglück bewährte größere Asylkraft der christlichen Kirchen gegenüber den heidnischen Tempeln, auf die Leidensgeschichte gerade des heidnischen Rom, auf die Leid und Freude zweckmäßig verteilende Vorsehung, die auch die Christen aus guten Gründen mit Leiden nicht verschont, ebenso wie sie den Heiden und Unfrommen aus guten Gründen gelegentlich Glück zuteil werden läßt. Ein Hinweis auf etwaige Segnungen und Fortschritte der »tempora christiana«, den man erwarten sollte, erfolgt nicht, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil sie nicht vorhanden waren. Die nächsten fünf Bücher wenden sich gegen die heidnischen Reformtheologen und Reformphilosophen, die mit den Christen den Gedanken des höchsten geistigen Gutes und der jenseitigen Gottesschauung gemeinsam haben, aber in ihrer Dämonenlehre ein Mittel konstruiert haben, den populären Polytheismus diesem Ziele dienstbar zu machen, ihn rationell zu deuten und mit Magie und Theurgie zu unterstützen. Es sind die Neuplatoniker, denen die christliche Wissenschaft so unendlich viel verdankte, und deren Dämonologie doch eine der gefährlichsten und verführerischsten Waffen gegen das Christentum darbot. Augustin nennt sie die Gegner, die den



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Polytheismus um jenseitiger Güter willen festhalten zu müssen glauben. Hier werden zunächst die Gottheiten der mythischen Religion, die in Theater und Literatur eine so frivole Rolle spielen, und dann diejenigen der herkömmlichen Staatskulte mit den bekannten Argumenten der jüdisch-christlichen Polemik durchgehechelt und gezeigt, daß von ihnen aus überhaupt kein Weg zu geistigen und ewigen Gütern führen könne. Noch heftiger wendet er sich gegen die stoische Rationalisierung dieser Gottheiten und setzt dieser »physiologischen« Theorie die euhemeristische Erklärung entgegen, vor allem aber gegen die Dämonologie der Neuplatoniker, ihre Allegorisierung der Mythen und ihre Vermittel ung zwischen Monotheismus und Polytheismus. Hier wird die Darlegung geradezu zu einer Auseinandersetzung mit der in vieler Hinsicht den Christen so nahestehenden und von Augustin so energisch benutzten Philosophie. Auf diese zehn ersten ganz polemischen Bücher folgt mit unverkennbarer Verschiebung des Themas 1 ) eine mehr X, 32 (I, 460), vgl. auch Boissier II, 383; nun kommt erst das eigentliche disputare de sancta civitate, die aus ihrem Gegenteil immer neu beleuchtet wird, s. Scholz 82; überhaupt den ganzen Abschnitt 83 — 98, dem zuzustimmen ist. Doch ist noch stärker hervorzuheben, daß der Ausdruck civitates bloß eine rhetorisch-bildliche Vergegenständlichung des eigentlichen Themas, der christlichen Heilswahrheit und ihres Gegenteils, ist. Augustin treibt nur das Bild soweit, daß die Darstellung mit ihrem exortus, progressus und debiti fines duorum civitatum b i s w e i l e n wie eine ernst genommene Geschichtskonstruktion aussieht. Das Positive des Buches ist in Wahrheit eine Dogmatik in Form einer Darstellung von exortus, progressus und finis des höchsten Gutes oder Heiles. Erst wenn man die Sache so versteht, dann wird auch das Spielerische und Verworrene der beiden Ausdrücke und ihrer Anwendung auf die verschiedenen Manifestationen in der Kirche und in den irdischen Staaten verständlich, worüber Scholz sich immer wieder wundert. Eine Lehre vom Staate insbesondere sollte mit diesem Buche überhaupt nicht begründet werden. Augustins Staatslehre ist zunächst die allgemeine, altchristliche aus der Lex naturae



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positive Darlegung des christlichen Heils oder der Civitas Dei, die jetzt geradezu zum Begriff des Christentums wird. E s folgt, wie auch die Konfessionen einen zweiten dogmatischen Teil haben, eine beinahe erschöpfende Dogmatik und Ethik, die bei d e m Wesen der christlichen Erlösungslehre als eines einmaligen Weltvorgangs in historischer Reihe sich auf die Heilsvorgänge v o n der Weltschöpfung bis z u m Weltende erstreckt. Aber auch jetzt ruht die Polemik nicht. Sie bricht manchmal geradezu als Hauptzweck wieder auf lange Strecken hervor und trifft dann zumeist die Platoniker, in denen trotz ihrer geringen Zahl Augustin doch die gefährlichsten und ihn a m meisten reizenden Gegner erblickt. Aber auch wo sie nicht ünmittelbar sich breit macht, bleibt sie doch in Gestalt eines entwickelte, wie sie bei Mausbach, Schilling, Seidel, den Carlyle und in meinen Soziallehren dargestellt ist. A. verwendet die polytheistischen Staatswesen lediglich um ihres Polytheismus willen, von dem ja jedesmal auch eine allgemeine moralische Verderbnis ausgeht (XIX, 21 u. 23), als Beispiele des Fleischesreiches und retorquiert damit die gegen die Christen erhobenen Vorwürfe. — Dem Abschnitt bei Scholz über »den empirischen Charakter der beiden Staaten«, in dem nicht Zusammengehöriges zusammengezogen ist, kann ich daher nur da zustimmen, wo Scholz sich Uber die Wiederaufhebungen der Gleichungen von Fleischesreich und Staat, Geistesreich und Kirche wundert. In Wahrheit haben diese Gleichungen für A. nirgends existiert; er gibt Beziehungen, aber keine Gleichungen. Sein Gegenstand ist das christliche Heil und die heidnische teuflische Verderbnis, nicht Staat und Kirche. Das wird sich uns später noch mehrfach bestätigen. Scholz macht das Buch zu einem komplizierten »Dreifarbendruck« und stellt auch für den »aufmerksamsten Leser ungelöste Rätsel« fest. Das gilt aber nur, wenn man die Voraussetzung heranbringt, daß es sich in dem Buche doch um die Deduktion von Staat und Kirche handelt, obwohl die Sache nirgends stimmt und bei der von Scholz richtig erfaßten Grundthese, daß der Gegensatz in Warheit der von Glaube und Unglaube, von Fleischessinn und Gottesliebe sei, gar nicht stimmen kann. Es ist eben Polemik und Dogmatik in der rhetorischen Form einer Schilderung der duae civitates. T r o e l t s c h . August In, die chrlstl. Antike.

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Seitenblickes auf das dem Geistesreich gegenüberstehende Fleischesreich, das stets als Gegenstück des Heils dieses begleitet, sein Wesen erläutert und sich dabei an allen Punkten ins Unrecht setzt. So werden die ersten vier Bücher zu einer Darstellung des trinitarischen Gottesbegriffes in den korrekten Formeln, weiterhin der Weltschöpfung, der Erschaffung der Engel, der Erde, des Menschen, des Sündenfalls im Engelreiche und im Paradiese, des Sündenfluches und Paradiesverlustes. Das Ganze ist ein Exzerpt aus Augustins allegorisch-spiritualistischen Erklärungen der Genesis und gibt treffliche Gelegenheit, den Unterschied des Geistesreiches und des Fleischesreiches, der Gottesliebe und der Selbstliebe zu erläutern. Darauf folgt in den nächsten vier Büchern die Schilderung der Anbahnung und Vollziehung der Erlösung, indem das Geistesreich nach den Perioden von Adam zur Sintflut, von Noah zu Abraham, von Abraham zu David, von David zu Christus, von Christus zur Gegenwart dargestellt wird. Es ist im wesentlichen der Alters-, Weissagungs- und Wunderbeweis für die Alleinwahrheit des Christentums, der unter eingehender, meist mystischer Auslegung von Schriftstellen in dieser Form gegeben wird. Die Periodenteilung, die er dabei verwendet, war gangbares christliches Material, und auch die Verbindung dieser Perioden mit dem Stufengang von infantia, pueritia, adolescentia, Juventus, gravitas, senectus entlehnte er aus der herkömmlichen heidnischen Literatur. Das Kontrastbild des Fleischesreiches ist dem je nach passender Gelegenheit beigegeben. Es manifestiert sich schon in der ersten Städtegründung, dem Werke Kains, das ebenso wie die Städtegründung des Romulus durch den begleitenden Brudermord charakteristisch sein — aber nicht des Staates an sich — Wesen beleuchtet. Im übrigen handelt es sich nur um die Beibringung der magersten synchronistischen Parallelen aus der Weltgeschichte zur Heilsgeschichte, wodurch die Realität und Bezeugtheit der letzteren klar werden

— 19 — s o l l u n d vor allem um die Erklärung des mit den weltlichen Staaten verbundenen Polytheismus aus einer Verbindung von euhemeristischer und dämonologischer Theorie, wie das die christlichen Apologeten seit langem getan hatten. Auch in der Beschaffimg der synchronistischen Daten waren Julius Afrikanus und andere vorangegangen, so daß also diese »geschichtsphilosophischen« Angaben — es sind die einzigen des Werkes, die man allenfalls so nennen kann — weder das Schwergewicht des Interesses noch die Originalität Augustins enthalten. Beides tritt dagegen in der letzten Gruppe, den letzten vier Büchern, hervor, die von der Eschatologie oder den debiti fines, den naturgemäßen Ergebnissen beider Reiche handeln. Hier bricht nun zu allererst Augustin nach dem Vorgange der orientalischen Theologie und des Reformdonatisten Tyconius in sorgfältiger Auslegung oder vielmehr Umdeutung von Apok 20 mit der bisherigen groben, unwissenschaftlichen Eschatologie des Abendlandes, mit dem Chiliasmus. Das »tausendjährige Reich«, bei dem die Zahl Tausend überdies nur die Periodeneinheit bedeutet, ist das Reich Christi auf Erden in seinem Kampf mit dem Satan und den Dämonen; die erste Auferstehung ist die spirituelle Auferstehung der Wiedergeburt und Bekehrung. Darin triumphiert auch bei ihm der platonische Spiritualismus. Die so vereinfachte Eschatologie enthält dann nur mehr den Antichrist und die Wiederkunft Christi, darauf die Auferstehung des Leibes, das Gericht und den Vollzug des Gerichtsurteils an den Gliedern beider Reiche. Uber die Einzelheiten spricht Augustin sehr zurückhaltend als noch unbekannt, mahnt aber jedenfalls die Christenheit, Über dieses rein apologetische Motiv der Kenntnis der weltlichen Chronologie s. Reuter 456 nach De doctrina Christiana II, 27, 42. Dort überhaupt ein Abriß über die Verwendbarkeit und Notwendigkeit der artes liberales und der Philosophie für die Apologetik, der wie ein Programm von De Civ. klingt. — Ueber die „Weltalter" s. Boll, Die Lebensalter, 1913, bes. S. 20. 2»



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nicht zu triumphieren, sondern sich auf neue Verfolgungen gefaßt zu machen, aus denen jederzeit die letzte große Verfolgung werden kann. Dagegen liegt alles Interesse an der Ausmalung von Hölle und Himmel. Hier zwingt ihn das Dogma, dem Spiritualismus Grenzen zu setzen und gegen die Platoniker die Wiedererweckung des Leibes für Hölle und Himmel zu behaupten. Es sind nicht bloß Leiden und Freuden des Geistes, sondern auch ein ewiges Brennen des Leibes im Höllenfeuer ohne Zerstörung des Leibes und ein körperliches Schauen Gottes mit Augen des verklärten Leibes. In gereiztester Sprache, unter Zuhilfenahme der groteskesten Naturanalogien und unter Widerlegung der skurrilsten Einwände verteidigt er diesen biblischen Realismus. Auch gegen die Apokatastasis des großen Origenes wendet er sich, übrigens mit einer sehr bemerkenswerten Milderung des Tones. Den Schluß bildet eine rhetorische Schilderung des Erdenleides der Menschen und der Frommen, insbesondere infolge der sündigen Weltverkehrung, eine schwungvolle Lobpreisung der trotz allem in den endlichen und relativen Gütern durchscheinenden Herrlichkeit und Güte der Welt und zuletzt ein Hymnus auf das höchste Gut, das das himmlische Jerusalem ist und im Schauen und Genießen Gottes besteht als des absoluten Seins und der absoluten Liebe, in welchem alles gehebt wird, was die Schöpfung bietet, und in welchem auch allein die Geschöpfe sich untereinander neidlos und leidlos lieben. Das Werk hat — nach christlichen Zeugen — ungeheuren Eindruck gemacht. Die Heiden schwiegen; ihnen war eine offene Antwort bereits nicht mehr erlaubt. Es mag in der Tat unzählige gestärkt, viele gewonnen haben. In den Punkten, wo die Schwächen der Augustinischen Beweisführung liegen, waren die Heiden selbst auch nicht stärker als er; vor allem fehlte ihnen völlig eine entsprechende Weite und Größe der Gesamtanschauung. So mag dieses letzte große Werk der Apologetik, dieser



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Höhepunkt in dem geistig-literarischen Kampfe zwischen alter und neuer Religion, alter und neuer Gesellschaft, seinen Zweck erreicht haben. Nur eines besserte sich nicht während der anderthalb Jahrzehnte, die die Abfassung des Werkes währte, die allgemeine Lage. Dem gotischen Sacco di Roma, von dem es ausgegangen war, folgten immer bedrohlichere Invasionen. Aber gerade hier ist der Unterschied dieser Apologetik Augustins gegenüber den späteren Theodizeen und Apologetiken eines Orosius und vor allem Salvians der, daß Augustin nirgends an einen Untergang der römischen Kultur und an eine dann eintretende neue Welt denkt, nirgends sich auf eine Zukunft in barbarischen Reichen einrichtet. Das Buch De Civitate zeigt den Verteidiger des Christentums so getränkt mit allen Säften der antiken Kultur, Bildung und Gesellschaft, daß trotz aller Polemik kaum anzunehmen ist, er habe sich eine Welt ohne sie vorstellen können und wollen. Wohl aber mag in dieser Verdüsterung der allgemeinen Lage es begründet sein, daß die letzten Kapitel des Werkes so nachdrücklich vom himmlischen Jerusalem handeln und ein so erschütternd pessimistisches Gemälde des Lebens malen, das mehr ein Tod zu nennen sei als ein Leben. 1 ) 2.

Es ist einleuchtend, daß diese ganze Situation und die durch sie bedingte Stellung der Aufgabe mit dem Mittelalter nichts zu tun haben. Es ist die Lage des Jahrhunderts nach Konstantin, wo zunächst die Religionen noch paritätisch behandelt waren und erst seit Theodosius *) Vgl. hierzu die interessanten Ausführungen Boissiers II, 4 4 7 - 4 9 3 ; über A. bes. 471; auch De Civ. XXII, 2 2 - 2 4 ; über die Frage des Untergangs der römischen Kultur s. Mausbach I, 380 nach Sermo 81: »Auf den ewigen Vorwurf »Rom geht unter« antworte ich: vielleicht geht Rom nicht unter; vielleicht wird es bloß gegeißelt, nicht getötet, vielleicht wird es gezüchtigt, nicht vernichtet.« Darüber hinaus geht sein Horizont niemals.



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und Gratian der heidnische Kultus verboten und die Tempelvermögen eingezogen wurden. Erst 392, in den frühen Mannesjahren Augustins und unter d e m Einfluß des Ambrosius, erfolgte das entscheidende E d i k t , das die nizänischkatholische Religion zur allgemeinen Pflicht machte. N o c h im Jahre 383, kurze Zeit vor der Taufe Augustins (387), konnte S y m a c h u s dem Kaiser zurufen: »Zu denselben Sternen blicken wir empor, ein Himmel überspannt uns, eine Erde trägt uns. E s führt mehr als ein W e g zu d e m großen Geheimnis.« In Karthago insbesondere erfolgte die Schließung und Zerstörung der Kultgebäude erst a m 19. März 399, als Augustin schon vier Jahre Bischof war. 1 ) Die Christlichkeit des Imperiums ist zur Zeit Augustins noch etwas Neues. Die zahlreichen in De Civitate eingestreuten Jugenderinnerungen zeigen eine wesentlich heidnische Kultur noch in voller und ungestörter Blüte. 2 ) Man fühlt, wie i m Laufe des Buches 1 ) Vgl. A. Dieterich, Der Untergang der antiken Religion (Kleine Schriften 1911), S. 531-536. Aus De Civ. I, 27 (I, 42, 30) ist zu schließen, daß die Erwachsenentaufe noch sehr häufig ist. Am Schluß des Buches ist dagegen viel von der Kindertaufe, den baptizati parvuli, die Rede. Auch das wohl ein Zeichen inzwischen geänderter Verhältnisse. Von den Piatonikern heißt es im I. Buche Philosophi, qui apud illos excellentissima gloria clari sunt et nobiscum multa sentiunt. Sed et ipsi in illis, quae contra nos sunt, refellendi sunt (52, 23). Später, XXII, 5, heißt es: cur pauci obstinatissimi qui remanserunt, ipsi mundo jam credenti adhuc usque non credunt? (I, 560, 11); ähnlich XIII, 16 (I, 576, 16), XXII, 5 (II, 559, 24). Der Ton gegen die »Philosophen« wird zunehmend gröber, die Rücksicht geringer. J ) S. z. B. II, 4 (I, 57, 7); ferner überhaupt die zahlreichen Hinweise auf den gemischten Zustand, wo Heidnisches und Christliches durcheinander liegt. II, 1 Haec non ex nostra conjectura probavimus, sed partim ex recenti memoria, quia et ipsi vidimus talia ac talibus numinibus exhiberi, partim ex litteris (I, 146, 15). — VII, 26 Kult der Magna Mater noch usque in hesternum diem . . . Die stupra lasciva ac turpitudines Veneris täglich in Singspiel und Ballett aufgeführt. — X, 27 (I, 445, 5) Hinweis auf die Opposition der Philosophen: Ad Christum mundus vobis quidem stomachantibus,



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seine Überlegenheit sicherer wird und schließlich ihm nur noch perpauci philosophi gegenüberstehen. Sie dürfen sich auch literarisch nicht mehr offen äußern; aber Augustin weiß, daß sie im stillen gefährliche Gegenschriften vorbereiten und nur auf eine günstigere Regierungssituation warten, um wieder hervorzutreten. 1 ) Er kämpft nicht aus literarischem und gelehrtem Bedürfnis, sondern in praktischer Absicht. So triumphierend er auf den mundus credens hinweist und sich auf die darin liegende Erfüllung der biblischen Prophezeiung beruft, er traut dem Frieden nicht und warnt davor, die Zahl der Verfolgungen für vollendet zu halten. Jeden Augenblick kann ein neuer Valens und ein neuer Julian kommen 2 ), oder es kann außerhalb des orbis Romanus eine Verfolgung entstehen. Demgegenüber kommt alles darauf an, die durch die Weissagungen bewährte Autorität der Bibel und die mit ihr übereinstimmende, aber von ihr mirantibus tarnen stupentibusque concurrit. — IX, 2 Diskussion mit den Piatonikern praktisch nötig: nequaquam ejus est neglegenda discussio, ne quisquam velut daemones bonos sequendos sibi esse arbitretur, per quos longe oberret. . . a vero Deo (I, 369, 23). Noch gibt es Zyniker XIV, 20 (II, 44, 7). — Daß man von allgemeiner Christlichkeit noch weit entfernt ist, zeigt der Ausruf XVII, 16 (II, 238, 19): Quis tarn rudis est in hac religione vel tarn surdus adversus ejus famam longe lateque diffusam, ut Christum a chrismate . . . appellatum esse non noverit! — XVII, 17 sehr bedingte Herrschaft des Christentums: Dominari Christum in medio inimicorum suorum idem ipsi, inter quos dominatur, dentibus frendendo et tabescendo et nihil adversus eum valendo testantur. — XVIII, 49 die Lage der Kirche: In hoc saeculo maligno, ubi per humilitatem praesentem futuram comparat ecclesia celsitudinem et timorum stimulis, dolorum tormentis, laborum molestiis, temptationum periculis eruditur, sola spe gaudens, quando sanum gaudet etc. XVIII, 51 Inter persecutiones mundi et consolationes Dei peregrinando procurrit ecclesia. XVIII, 54 Seit 365 usque ad hoc tempus per triginta ferme annos quis non videat, quantum creverit cultus nominis Christi I !) V, 26 (I, 241). ») XVIII, 52; XX, 8.

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erst befestigte Vernunft der besseren, d. h. der spiritualistischen Philosophie zur Anerkennung zu bringen, den reinen monotheistischen Gottesdienst durchzusetzen. Er ist die Rettung in einer zugrunde gehenden alternden Welt, in welcher das Greisentum der Welt mit der Jugendkraft der Kirche durcheinander liegt und die letztere eine leidensvolle Pilgerin zum Himmel ist.1) x

) Vgl. die Parallelstellen aus andern Schriften A.s bei Scholz S. 157. Über das Gefühl des Mundus senescens s. Burckhardt, Const. S. 249 — 256. Die von Burckhardt festgestellte Beschweigung der Kaiserzeit findet sich auch bei A. Er spricht auffallend wenig von der Kaiserzeit, sicherlich weil sie ihm eine untergehende Welt ist. Scholz sieht gleichfalls die auffallende Tatsache dieser Beschweigung S. 172 ff. und sieht darin einen »Fehler« A.s, der es gänzlich unterlassen habe, das Christentum als den Wendepunkt der Weltgeschichte zu würdigen.« Allein das ist charakteristisch modern gedacht! In Wahrheit liegt A. an der so jammervoll beschriebenen Gegenwart nichts und ist der eigentliche Wendepunkt der Weltgeschichte für ihn das Weltende, wie man aus den vier letzten Büchern und der Stimmung des ganzen Buches ersehen kann. Darin wirkt die altchristliche Eschatologie fort. A. bestreitet zwar jede Berechenbarkeit des Weltendes. Lactanz hat das Ende auf 500 (Scholz 162), Tyconius hat es auf 350 berechnet. A. selbst erzählt von Berechnungen auf 365 XVIII, 54. Doch lehnt er jede Berechnung ab, aber das bedeutet auch für ihn keine allzulange Dauer. Wo Scholz etwas von einer »vielleicht Jahrtausende umspannenden Ära des Christentums« gelesen haben will, ist mir unerfindlich. Die 1000 Jahre der Apokalyptiker hat A. auf die irdische Christenheit bezogen als runde Zahl. Er mußte das bei seinem spiritualistischen Antichiliasmus, wie das auch Origenes mußte, vgl. Harnack D. G.* I, 697. Damit mußte er auch auf die Berechnungen der abendländischen groben Eschatologie verzichten. Aber gerade, wenn er von diesem christlichen Jahrtausend spricht, sagt er sextus dies, cujus nunc spatia p o s t e r i o r a volvuntur XX, 7 (II, 420, 30). Das heißt doch, daß man sich im letzten Teil des Zeitraums befindet. Er selbst spricht XVIII, 53 von der möglichen Dauer der Welt: Frustra igitur annos, qui remanent huic saeculo, computare ac definire conamur, cum hoc scire non esse nostrum ex ore Veritatis audiamus; quos tarnen alii quadringentos, alii quingentos, alii etiam mille ab ascensione Domini usque ad ultimum ejus adventum compleri posse dixerunt. Quemadmodum autem quisque eorum

— 25 — Aber nicht nur die allgemeine Lage liegt weitab von der des Mittelalters. Gerade an den einzelnen Hauptpunkten, die das Mittelalter charakterisieren, ist der Unterschied, ja der Gegensatz handgreiflich. Das Mittelalter hat eine zentralisierte hierarchische Kirche, die an die Weltherrschaft denken kann. Es hat — wenigstens in der Idee — das allgemeine Imperium oder doch minastruat opinionem suam longum est demonstrare et non necessarium. A. erwartet in dieser Weltdauer nichts Neues; Rom wird dauern bis zum Ende und erst vor dem Antichrist vergehen; die Kirche wird dulden und leiden. Die Stimmung ist nicht reformerisch und aufbauend, sondern duldend und hoffend; vgl. den Schlußhymnus XXII, 30: Sexta nunc agitur aetas nullo generationum numero metienda (wie Mth. 1 die Perioden gemessen hat) propter id quod dictum est: Non est vestrum scire tempora, quae pater posuit in sua potestate. Post hanc tarn quam in die septimo requiescet Deus, cum eundem diem septimum, quod nos erimus, i n s e i p s o D e o f a c i e t r e q u i e s c e r e . Das ist die Hauptsache, die Ruhe und das Gottschauen. Die Welt und Weltarbeit ist nichts in sich selbst XXII, 32 u. 33. Die irdische Ewigkeit Roms ist auch für A. selbstverständlich. Natürlich hat er mit Himmel und Erde auch Rom enden lassen, Scholz 180, im übrigen aber rechnet er mit dessen Dauer bis zum Antichrist, d. h. zum Ende XX, 19, ebenso XX, 23 (II, 465, 23). — Die Notizen über die Kaiserzeit sind sehr spärlich. Der Abriß der römischen Geschichte L. III schließt mit Augustus; dem mirabilis indolis adolescens ille alius Caesar. Die Vorgeschichte und Weissagung des Heils in L. XVIII ebenso mit einer kurzen Andeutung der Predigt Jesu und der Missonserfolge. Über die Kaiserzeit und die Gegenwart finden sich im übrigen nur Klagen. Auch die christlichen Kaiser sind nur kurz erwähnt V, 24—26. Auch sie hatten viel Unglück außer Konstantin und Theodosius: ne imperator quisquam ideo Christianus esset, ut felicitatem Constantini mereretur, cum propter vitam aeternam quisque debet esse Christianus 1 V, 25. Ihr Glück darf nicht in äußeren Erfolgen bestehen: Felices eos dicimus . . si deum timent, diligunt, colunt, si plus amant illud regnum ubi non timent habere consortes. . . si malunt cupiditatibus pravis quam quibuslibet gentibus imperare et si haec omnia faciunt non propter ardorem inanis gloriae, sed propter caritatem felicitatis aeternae . . . Tales Christianos imperatores dicimus esse felices interim spe, postea re ipsa futuros, cum id quod expectamus advenerit. V, 24! Erst Theo-



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destens große königliche Staaten, die die Beförderung einer christlichen Kultur sich zur Aufgabe machen und alles, was sie an Kultur besitzen, dem Klerus verdanken. Aus der Beziehung beider entsteht das staatlich-kirchliche Einheitssystem, in welchem staatliche und geistliche Macht zur Christianisierung der Welt geeinigt sind und nur um das Maß der ihnen in diesem System zukommenden Rechte streiten. Von alledem ist bei Augustin noch nichts, aber auch gar nichts, zu finden. Die K i r c h e ist für Augustin ganz wesentlich noch, genau wie für die Alexandriner, Autorität und Kräftigung für die allgemeine Wahrheit an sich, die bereits die bisherigen Denker der Antike suchten und ahnten, aber nicht zur untrüglichen Gewißheit und triumphierenden Kraft hatten erheben können.1) Sie war das ausdrücklich in dosius habe wirklich mit dem Heidentum aufzuräumen begonnen; aber seine Siege seien durch Wunder und Gebet, nicht durch Macht und Gewalt erreicht, magis orando quam feriendo pugnavitl Sein Bestes sei die religiosa humilitas, seine Kirchenbuße: haec ille secum . . . bona opera tulit ex isto temporali vapore cujuslibet culminis et sublimitatis humanae, quorum merces est aeterna felicitas V, 26. Das ist alles, was wir über die Kaiserzeit und die christiana tempora hören, abgesehen von Unglücksfällen und Nöten. Es ist klar, dem Kirchenvater liegt nichts an dieser vorläufigen Zeitlichkeit. Die Sehnsucht der Welt ist, was das Heidentum nicht geben konnte, die Quies, ad quam vocat verus medicus dicens: Discite a me quoniam mitis sum et humilis corde et invenietis requiem animabus vestris, II, 16. Ebenso Reuter, Aug. Stud. S. 134: A. hat »der Nachwirkung der altkatholischen Vorstellung nicht widerstehen können, welche den römischen Staat und das Heidentum, den römischen Staat und Feindschaft gegen das Christentum als Korrelata setzte«; vgl.auch S. 148. *) Vgl. hierzu W. Thimme, Augustins geistige Entwicklung von 386—391 (Neue Studien z. Gesch. d. Theol. u. Kirche 3), 1908. Ferner O. Scheel, Anschauung Augustins über Christi Person und Werk, 1901, ein stoffreiches und scharfsinniges Buch, dem ich in der Auffassung, aber nicht in der Bewertung der Lehre A.s zustimme; es trägt jedenfalls stark dazu bei, ihn vom Mittelalter abzurücken und der christlichen Antike, besonders den Alexandrinern, anzu-



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den Anfängen Augustins. Aber sie ist es immer geblieben, wenn auch der den Alexandrinern gegenüber viel fester ausgebildete hierarchische Organismus der Kirche v o n i h m durch seine antidonatistischen Lehren noch bedeutend stärker versachlicht und vergöttlicht wurde und zud e m unter den Rückwirkungen seiner — übrigens aus selbständigen Quellen entspringenden — Prädestinationsund Sündenlehre in einen viel schrofferen und ausschließlicheren Gegensatz gegen das saeculum, die natürliche Kraft und Einsicht, gestellt wurde. Gewiß hat er zuerst den character indelebilis der Taufe und in bewußter Analogie damit das sakramentale, v o n der Würdigkeit der Person unabhängige W e s e n der Priesterordination gelehrt. Aber all das geschah nur in b e s t i m m t e n praktischen Gegensätzen, nicht im Sinne einer Steigerung und Vergöttnähern. Über die Verwandtschaft der A.schen Theorien über ratio und auctoritas mit denen des Orígenes s. S. 99, 445 f., 449. Das hebt auch H. Reuter hervor in seinen »Augustinischen Studien«, 1887, die durch Stoffkenntnis, Unbefangenheit und Scharfsinn des Urteils ihren Ruhm rechtfertigen; hier über die Analogie mit Orígenes S. 69, 103, 351 — 354; vgl. Harnack, D. G.4 III, 123 bis 126. A. hat freilich nicht wie Orígenes den Unterschied als den von exoterisch und esoterisch ausgeprägt; darin spricht sich das inzwischen erfolgte stärkere Zusammenwachsen von ratio und auctoritas aus, das zugleich eine stärkere Anpassung der ersteren an die letztere ist. Im übrigen ist gerade das das beherrschende Grundproblem der christlichen Antike, s. Misch, Gesch. der Autobiographie I, 1907: »Im späteren Altertum, wo wir mehrere Selbstdarstellungen von dieser (platonischen) Art haben, nimmt die Stufe der Skepsis die Form eines Ganges durch die verschiedenen gegeneinander streitenden Philosophenschulen an, und die Gewißheit, die gefunden wird, ist entweder die logische der Mathematik oder die der christlichen Lehre oder die der Erfahrung«, S. 79. Dies Verhältnis von autoritas und ratio liegt auch noch in De Civ. zugrunde; er zitiert Piaton vel ubi suffragatur r e l i g i o n i v e r a e , q u a m f i d e s n o s t r a s u s c e p i t a c d e f e n d i t , vel ubi ei videtur esse contrarius, VIII, 5 (I, 326, 12); illa quae credimus vel ex quantulacunque parte intelligimus X, 29 (I, 448, 2); sive intelligunt sive credunt XI, 33 (I, 508, 19).



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lichung der Hierarchie an sich. Hier blieb ihm vielmehr die Kirche doch immer nur Mittel zur Wahrheit an sich, Garantie und Lebenskraft für das höchste Gut. Das letztere ist — in vollem Widerspruche mit den oben angedeuteten Kampftheorien — im Grunde auch der unmittelbaren Erkenntnis zugänglich. Hiob und die Cumäische Sibylle, aber auch viele andere fanden ohne Kirche und Sakrament den Weg durch die Erleuchtung des Logos.1) Die erlösende Kraft der Kirche liegt in dem Zuschuß von Autorität und Kraft, die sie zur Wahrheit hinzubringt, nicht in einem ihr eingestifteten und darum nur ihr eignenden Erlösungsvorgang. 2 ) Das Werk Christi wird in den höchsten Tönen und in vielfachen rhetorischbiblischen Wendungen gefeiert, aber es ist im Grunde doch die Menschwerdung und Selbstoffenbarung des sonst nur schwer zu ergreifenden Logos oder, wie er lateinisch sagt, des Yerbum. Auch Tod und Auferstehung Christi sind nur Siegel auf die metaphysisch-ethische Wahrheit, nicht Bewirkung und Erschaffung des Heils. An diesem Autoritätscharakter hängen freilich wesentliche christliche Tugenden, die Demut und die Liebe, während die Philosophen in ihrem Wahn zumeist die Wahrheit sich selbst zu verdanken meinen und daher in Selbstsucht sich isolieren und zu vielköpfigen Meinungen zersplittern. Aber eine derart gedachte Kirche ist nun doch nicht eine Steigerung sondern im Gegenteil zunächst eine Schwächung des vulgärchristlichen Kirchenbegriffes. Die in ihr verkörperte Ubernatürlichkeit ist 1

) De civ. XVIII, 23 u. 47; weitere Ausdehnung bei Reuter 90-94. 2 ) Die Erlösung heißt noch in De Civ. mit platonischem Ausdruck gelegentlich via liberationis X, 32; das Christentum est religio, quae universalem continet viam animae liberandae. Die Platoniker erreichen diese Universalität nicht, da deest aliqua praestantissima autoritas, quam de re tanta sequi oportet. Der Ausdruck wird wiederholt gebraucht.

— 29 — im Grunde gegen die natürliche allgemeine Vernunft nicht sicher abgegrenzt und geht in sie trotz aller Erbsündenlehre immer wieder über. Da ist die Übernatürlichkeit schon des damaligen Volkschristentums viel schroffer und dementsprechend auch von dem stärksten Bildner abendländischer Kirchlichkeit, von Gregor dem Großen, ganz anders ausgesprochen. Der heilige Thomas vollends hat auf der Höhe der Entwicklung dieses rein supranaturalen Kirchenbegriffes das Verhältnis zur Vernunft und Philosophie viel schärfer, bestimmter und ausschließlicher gefaßt. 1 ) Bei Augustin dagegen ist von alledem noch nicht die Rede. Nirgends tritt bei ihm der Klerikalismus und Sakramentalismus — außer den bestimmten Kampfthesen gegen die ein Jahrhundert alte große afrikanische Häresie — bestimmend in den Vordergrund. Er ist eher bei ihm ermäßigt und gemildert durch den Gedanken der Einheit aller Kirchenglieder, der Laien und der Priester, in Christo und durch eine familienhaft patriarchale Auffassung des Priestertums. Eben darum tritt auch die Kirche in De Civitate schlechterdings nicht irgend beherrschend hervor. Sie ist mit den Patriarchen und Israel zusammen natürlich die Manifestation des Geistesreiches, aber eine getrübte und gemischte, leidende und hoffende. Wenn von ihrer Herrschaft die Rede ist, dann ist es eine rein geistige Herrschaft über Leidenschaft und Sünde, Selbstsucht und Unfriede, keine Herrschaft des Klerus über Glaube und Seele, am wenigsten eine solche des Klerus über Regierung und Welt. Die Kirche gehört zum Engelreiche, den Märtyrern und Seligen und ist nicht von dieser Welt. Sie heißt wohl gelegentlich regnum Dei, häufiger regnum Christi; aber das eigentliche regnum Dei ist das himmlische und selige Jerusalem des Jenseits. Ihm bleibt sein alter eschatologischer Sinn, nur nicht als tausendjähriges Reich auf Mausbach II, 100—102, 55—56; s. auch unten S. 163 f.



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Erden, sondern als ewiges Schauen und Genießen Gottes im verjüngten, zum Maß der vollen Schönheit hergestellten himmlischen Körper.1) x ) S. Reuter 23: »Die Kirche nicht in dem Maße, wie man (d. h. vor allem Baur und Ritsehl) behauptet hat, sein Zentraldogma« ; ebenso S. 82 ein pädagogisches Institut; 88 nur Durchgangssphäre; 13 die ihr beiwohnende Autorität ist Antezipation der Vernünftigkeit. S. 238 (. unklerikale Züge, ebenso 250, 288—290, 282; S. 110 f. Gleichsetzung der Kirche mit dem Reich Gottes, aber ohne klerikal-hierarchische Tendenz, nur Ersetzung der Lehre vom tausendjährigen Reich; 116 f.: das regnare der Christen ohne Bezug auf Herrschaft der Kirche, lediglich sittliche Herrschaft; 117 das regnare gilt nur von der echten communio sanetorum, nicht von der Kirche als solcher; 119 die (von Scholz so hoch gewertete) Deutung der sedentes Apoc. 20* auf die präpositi hat mit Klerikalismus nichts zu tun; 120 »es hat vor und nach A. kaum einen Autor gegeben, der weniger hierarchisch interessiert gewesen wäre«; 121: die irdische Kirche als regnum Dei von der himmlischen Kirche als dem eigentlichen regnum Dei scharf geschieden. »Die irdische Gottesstadt ist significatio (repraesentatio wagt er kaum zu sagen) der ersteren De Civ. XV, 2. Die wahre Gottesstadt ist die der Heiligen im H i m m e 1, wo dereinst ( a l l e ) ihre Mitglieder mit wiedererstandenen Leibern versammelt sein werden.« Dieses Wort von Schmidt, A.s Lehre von der Kirche, Jahrb. f. deutsche Theol. VI, 207, 213 eignet sich Reuter mit Recht an. — Wie sehr auch von guten Kennern die A.sche Gleichung von ecclesia und regnum Dei mißverstanden wird, zeigt der Artikel von Scheel R. G. G. I, 802: »Indem A. nun endlich die hierarchisch verfaßte und ihre Heiligkeit in der Objektivität der Sakramente findende Kirche mit dem Reich Gottes identifizierte (in seinem großen Werk über die C. D. die Gottesstadt) proklamiert er die Weltherrschaft der Kirche, das Programm des römischen Katholizismus. Angesichts des Untergangs der alten Welt hat A. diesen gewaltig triebkräftigen Gedanken von der sichtbaren zur Herrschaft berufenen Kirche als dem Reiche Gottes ausgesprochen, und in dieser Zeit des Zusammenbruches . . . hat die lateinische Kirche ihn zu verwirklichen sich angeschickt.« Ich kann von alledem in De C. D. schlechterdings nichts entdecken und finde überall die Auffassung Reuters bestätigt. Scheel hat alles nur aus der angeblichen »Gleichung« von Kirche und Reich Gottes herausgesponnen und gar nicht nach dem Sinn beider Ausdrücke bei A. gefragt.

— 31 — Dazu kommt aber weiter, daß Augustins Kirche freilich klerikal und sakramental — übrigens nicht aus hierarchischem Interesse — schärfer geschlossen und gegen die Welt abgegrenzt ist als die der Alexandriner, daß sie aber trotzdem keine einheitliche Administration, keine Papstherrschaft und keine einheitlich geleitete, rechtliche Universalkirche ist, j a überhaupt keine bestimmten Organe zur Feststellung auch nur ihrer dogmatischen Infallibilität, schließlich sogar eine dogmatische Infallibilität überhaupt auf rechtliche Weise nicht besitzt. Tatsachen und Theorien waren in der noch römischen Welt noch nicht soweit vorgeschritten, am allerwenigsten bei einem so durch und durch persönlichen Spiritualisten wie Augustin. Die Kirche ist ihm noch wesentlich die vom Heiligen Geiste geleitete, die sich nicht rechtlicher Formen bedient und keine solchen stiftet, aber selbstverständlich in der Einhelligkeit der Tradition, der Sukzession der Bischöfe und der Versammlung der Konzilien zum Ausdruck kommt, nicht ohne daß alles einzelne vom heiligen Geiste etwa gelegentlich berichtigt und nicht ohne daß jedes Konzil von einem folgenden, jedes partikulare von einem allgemeinen ergänzt werden könnte. Es ist noch die episkopale Geisteskirche auf Grund des selbstverständlichen Glaubens daran, daß in der tatsächlich siegreichen Entwicklung der göttliche Geist selber handle. Das aber heißt, daß noch alle dogmatischen und kirchenrechtlichen Voraussetzungen des pseudoisidorischen und des gregorianischen Papsttums für ihn ebenso abwesend sind wie die Wirklichkeit eines solchen Papsttums. Damit aber fehlt die entscheidende reale und ideelle Grundlage des Mittelalters und befinden wir uns trotz aller Tauf- und Ordinationslehre noch im Gedankenkreise des Frühkatholizismus. 1 ) >) Vgl. die fünfte Studie Reuters S. 231 — 258. Reuter äußert S. 351 — 354 die Vermutung, daß diese sehr lockere Fassung der Kirche mit seiner Mystik und seinem grundlegenden Begriff von

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Vor allem aber kommt noch weiterhin in Betracht die Besonderheit, welche der Augustinische Kirchenbegriff unter der Einwirkung seiner Gnaden- und Erwählungslehre annahm. Auch hier steht er trotz der Neuheit der Formeln und der Originalität des darin liegenden religiösen Geistes doch im engsten Zusammenhang mit der christlichen Antike und in weitgehender Analogie zu den Alexandrinern. Hatten diese den kirchlichen autoritativen Apparat im wesentlichen als eine Vorstufe und Voraussetzung der spirituellen christlichen Gnosis angesehen und Origenes nur nachdrücklich jede Höherentwicklung zur Gnosis an eben diese Voraussetzungen gebunden, so wiederholt sich der Gegensatz des Pistikers und Gnostikers in neuer Weise in dem Augustinischen Gegensatze der Kirchenmitglieder und der Erwählten. Augustins ganze Idee der Gnade und der Erwählung hängt aufs engste zusammen mit dem Spiritualismus der platonischen Erleuchtung, wie er denn ja auch bei diesen Philosophen von der Gnade redet. Die Gotteserkenntnis ratio und auctoritas zusammenhängt. Mir scheint, wenn man die — hierauf keinen Bezug nehmenden — Äußerungen A.s Uberschlägt, hierin vor allem ganz einfach der alte Begriff der Kirche als der Manifestation des Geistes zu liegen, der in der Anstalt, aber nicht in ihrem Recht und ihren Majoritäten, sondern in ihrem realen Bestand und den Beschlüssen ihrer Bischöfe zum Ausdruck kommt. Es ist der Begriff der noch nicht rechtlichen Kirche, wie ihn Sohm so trefflich geschildert hat. — Kein kanonisches Recht bei A. s. Carlyle II, 161 f.: stets korrigierbare Konzilsbeschlüsse und der mos populi Dei, soweit nicht bestimmte Schriftweisungen vorliegen. Für A. gibt es nur das jus naturale oder die Lex divina oder Lex naturae und daneben das relative Naturrecht des Sündenstandes, wie es in den positiven Landesrechten und in der Sitte ausgeformt ist; aber kein jus divinum als kirchliches oder gar päpstliches Recht, Schilling 166—176. Der letztere Begriff ist ein langsam und schwer errungener, aber auch entscheidender neuer Begriff des M.A. Vgl. Carlyle II, 160—197; bes. 181: erstes Auftauchen der Bezeichnung des kanonischen Rechtes als jus divinum auf Grund einer besonderen Inspiration des Rechtes bei Stephan v. Tournay.



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ist Wirkung und Offenbarung Gottes selbst in der Seele, ist mystische Erleuchtung. Es bedurfte nur der Bindung dieser Erleuchtung an die Voraussetzung des kirchlichen Institutes, um sie zu christianisieren, und es bedurfte nur des Eindruckes der Paulinischen Prädestinationslehre, um die kirchlich-autoritativ bewirkte Erkenntnis wieder in eine unmittelbare Erleuchtung der Seele durch die sie frei und willkürlich erwählende und unveränderlich vorausbestimmende Gnade Gottes zurückzuverwandeln. Es ist in neuer Form der Gegensatz der Pistiker und Gnostiker, nur dem freien Willen entnommen und in die göttliche Erwählung ausschließlich hineinverlegt. 1 ) Dieser Dualismus stammt in letzter Linie aus der Verbindung der platonischen Mystik mit dem kirchlichen Autoritätsglauben, aus der Lösung des zentralen Lebensproblems der Spätantike, die eine spinnwebzarte Mystik der Denker mit dem Autoritätsbedürfnis der Masse zu vereinigen streben mußte, wenn sie wirklich das Leben erneuern wollte, und auch bei den sublimsten Denkern selbst noch das Bedürfnis nach übervernünftiger Gewißheit l

) Vgl. Reuter 251 — 281; die Analogie mit der Origenistischen Lehre S. 74; die spiritualistische Sakramentslehre, durch die der klar anerkannte Anstaltscharakter der Kirche (S. 241, 253, 263) wieder neutralisiert wird, S. 273. Über den Zusammenhang der Prädestinations- und Gnadenlehre mit der platonischen Mystik s. Harnack D. G.4 III, 112, 116; es ist ja in neuerer Zeit ganz ähnlich mit Fichtes Freiheitslehre gegangen. — Daß sich A. damit wieder der gnostischen Unterscheidung der Pistiker und Gnostiker als einer in natürlichen Anlagen begründeten Unterscheidung, wogegen die Freiheitslehre der Alexandriner ankämpfte, nähert, ist unverkennbar. Man wird aber darin schwerlich Nachwirkungen des Manichäismus zu erblicken haben, sondern wird die Verlegung in den freien Willen, und zwar nicht des Menschen aber Gottes, als eine so neue Ansicht zu betrachten haben, daß A. darüber jene Annäherung an die Gnosis gar nicht zu Bewußtsein kam. Die Motive sind in der Tat völlig verschieden. Aber daß hier überall der gleiche Tatbestand als selbstverständlich anerkannt wird, zeigt, daß wir uns in der Atmosphäre des Piatonismus und der christlichen Antike bewegen. Troeltsch.

Augustin, die chrlatl. Antike.

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— 34 — empfand. Es ¡Bt das immer wiederkehrende Problem einer überreifen intellektuellen Kultur; man braucht nur an die moderne Romantik zu denken. Darum war dieser Dualismus für Augustin gar kein Problem mehr, nachdem seine Formel einmal gefunden war. Er fühlte sich in ihm durchaus kirchlich und genoß zugleich die innere Freiheit und Unmittelbarkeit des spiritualistischen Mystikers. Er hat daher nicht einmal einen Versuch gemacht, den hierin enthaltenen Gegensatz zu überwinden. Die Paulinischen Erwählungsformeln, in welche er seine Mystik kleidete, und ihre enge Verbindung mit seinen zentralsten religiösen Ideen von Demut und Gnade sicherten ihm ohne weiteres die Christlichkeit seiner Lehre. Dieser Umstand hat nun aber den Augustinischen supranatural-anstaltlichen Kirchenbegriff geradezu neutralisiert. Die Kirche ist ein corpus permixtum von Scheinchristen, Zeitgläubigen und Erw&hlten, von uneigentlichen Christen und eigentlichen Christen, zwischen denen bei der äußerlichen Unerkennbarkeit der Erwählten in der Praxis so wenig unterschieden werden kann wie zwischen bloßen Pistikern und eigentlichen Gnostikern bei Origenes. Die Civitas Dei insbesondere, soweit sie in der Kirche sich manifestiert, fällt nur mit dem Kernbestandteil, den Erwählten, zusammen, und schon darum ist die Civitas Dei ein völlig unhierarchischer, ja Über die Zugehörigkeit A.s zur letzteren s. auch Harnack D. G.4 III, 28, 32. — Die Gnade auch bei den Piatonikern besagt die Anrede an Porphyrius: Confiteris tarnen gratiam, quando quidem ad Deum per virtutem intelligentiae pervenire paucis dicis esse concessum . . . O si cognovisses Dei gratiam per Jesum Christum X, 29 (I, 448, 6—15); Ad quam rem (Ertragung des Weltelendes) etiam philosophiam prodesse dicunt docti hujus saeculi, quam dii quibusdam paucis, ait Tullius, veram dederunt; nec hominibus, inquit, ab bis aut datum est bonum majus aut potuit dari. Usque adeo et ipsi, contra quos agimus, quoquo modo compulsi sunt in habenda non quacunque sed vera philosophia divinam gratiam confiteri XX, 22 (II, 607, 30).

— 35 — antihierarchischer Gedanke. Die Konsequenzen sind nur dadurch — aber dadurch freilich auch gründlich beseitigt — daß man diesen Kernbestandteil von der bloß äußeren Kirche praktisch nicht scheiden kann. Wenn später die Joachimiten auf das Zeitalter der kirchlichen Anstalt das der freien und persönlichen Geisterfülltheit folgen ließen, wenn Huß sich auf die Gemeinschaft der Prädestinierten und wahrhaft Frommen und damit auf die Unausschließbarkeit der Erwählten aus dieser Kirche stützte, so haben sich beide mit Recht auf Augustin berufen ; aber sie hatten inzwischen den furchtbaren realen Gegensatz der anstaltlichen Weltkirche und der persönlich-frommen Geisteskirche erfahren, den Augustin noch nicht kannte und den zu behaupten oder zu bekämpfen ihm gleich wenig in den Sinn kommen konnte. Für ihn war Anstalt und Autorität einerseits, persönliche Mystik und Erwähltheit anderseits noch eine triumphierende Einheit, die man gegen die Schwäche und Zerteiltheit der bloßen Philosophie und gegen die wissenschaftliche anthropomorphe Derbheit des vulgären Christentums gleicherweise geltend machen konnte. Es ist der geistige Horizont des Frühkatholizismus und die gegenseitige Ergänzung der beiden Hauptrichtungen der christlichen Antike, wodurch sie Gebildeten und Ungebildeten, Massenbedürfnissen und persönlicher Innerlichkeit gerecht wurde. Die Frontstellung Augustins war gegen die heidnische und philosophische Welt. Daher traten die Konsequenzen seines Dualismus von Pistis und Gnosis nicht hervor, die erst bei der Frontstellung gegen das hierarchische Papstreich hervortreten konnten. Fast noch stärker ist der Gegensatz gegen das Mittelalter bei dem Begriffe des I m p e r i u m s . Augustin hat betreffs der soziologischen Bedeutung der christlichen Idee sehr scharf und klar gedacht und die Konsequenzen aus dem individualistischen Persönlichkeitsideal des Christentums entschlossen gezogen. 3«

— 36 — Auch war er bei seiner — mit der ganzen christlichen Antike geteilten — Grundüberzeugung von der Identität des stoischen natürlichen Sittengesetzes mit dem Gesetz des Moses und Christus darauf gerichtet, eine ideale Ordnung der menschlichen Gemeinschaft begrifflich zu konstruieren. Diese Ordnung liegt nun für ihn aus beiden Gründen in der Richtung eines radikal-individualistischen Denkens. Die vita socialis ist eine Gemeinsamkeit in Gütern des ewigen Lebens oder in Gütern der Erde, so oder so lediglich eine Verbrüderung oder Vereinigung von Individuen zum Zwecke ihres Wohles. Die himmlische Verbindung im gemeinsamen Genuß des höchsten Gutes ist die Civitas Dei oder die Gemeinschaft der Erwählten, nicht etwa die Kirche. /Die irdische Verbindung im gemeinsamen Genuß irdischer Güter ist im Ideal eine familienhaft geschlossene , kleine und friedliche Vereinigung zum Schutz des irdischen Friedens, in welchem allein die irdischen Güter genossen werden können, wie denn Augustin sehr wohl erkennt, daß die einzige, unmittelbar dem christlichen Ideal entsprechende und es ermöglichende Vereinigung auf weltlicher Seite die Familie ist. Von der Familie geht daher der ideale Staat aus und er bleibt in den Grenzen familienhafter Kleinheit und Gesinnung, solange er im Sinne des wahren göttlichen Naturgesetzes verfährt. Allein diesen Idealstaat weiter zu verfolgen, hatte für ihn keinen Zweck, da mit der Sünde die Herrschaft, Selbstsucht und Gewalt auch in die weltliche Gemeinschaft hereingebrochen sind und die sündige Menschheit nicht den Staat an sich sucht, sondern die Tendenz zum Großstaat, zur Machterweiterung, zum Selbstgenuß und dadurch zu Krieg und Gewalt mit sich bringt. Dieser Großstaat oder Machtstaat aber, das Ideal eines Macchiavelli, ist trotz aller relativ günstigen Gegenwirkungen gegen die Sünde vom Übel. Augustin zeigt das ausdrücklich in seiner Kritik des Römertums. Er ist nicht ohne Empfindung für die Größe des Römertums und schildert an einer seiner

— 37 — berühmtesten Stellen die Psychologie desselben nach Vergil: parcere subjectis ac debellare superbos. Aber das sind ihm splendida vitia, in denen der Wurm der Selbstgefälligkeit und der Machtgier sitzt. Als Ideal bleibt ihm daher lediglich die Verwandlung der Welt in lauter Kleinstaaten, die nach dem Grundsatz der schlichten und ganz persönlichen Familien- und Nachbarschaftsethik ihr Leben führen. Da nun freilich die Rückkehr zu diesem Ideal nicht zu erwarten ist, so ergibt er sich darein, daß auch große Dynastien im Sinne des Weltreiches herrschen, wenn die Herrscher fromme und gute Menschen sind. Er ist sich aber klar darüber, daß für einen Weltherrscher solche Tugenden selten und schwierig sind und leicht zum Leiden und Dulden führen. Von da aus versteht man auch seine schon erwähnte geringe Beachtung des christlichen Imperiums. Er hat seiner an andern Stellen, wo es der praktische Zweck verlangte, eingehender gedacht. Aber gerade in De Civitate spielt es kaum eine Rolle. Es ist eben im Grunde der heidnische Großstaat, dem ein christliches Kaisertum eingepflanzt ist, dessen religiöse Ideale sich mit dem Wesen eines solchen Großstaates schwer vertragen. Konstantin und Theodosius sind providentielle Ausnahmen, deren Größe und Erfolg teilen zu wollen sich die Imperatoren nicht zum Ziele setzen sollen. Von einer göttlichen Einsetzung, Beglaubigung, Fortsetzung oder Umwandlung des Imperiums ist nicht die Rede. Noch gibt es keinen Justinian und keinen Karl den Großen, keine rhomäische Staatskirche und keine translatio imperii. Noch herrscht im Grunde der politische Pessimismus, gegen den das Ideal der kleinen christlichen Staaten und ihres friedlichen, nur gegen Störer und Gottlose kriegerisch gerichteten Bundes als ein casus irrealis aufgeboten wird. 1 ) ') Vgl. dazu die späteren Ausführungen über Augustins Staatslehre. Reuter bemerkt S. 151 mit Recht, daß diese aus De Civ. überhaupt nicht in ihrem eigentlichen Sinne zu schöpfen ist,

— 38 — Es ist aun klar, daß das das reine Gegenteil des mittelalterlichen Imperiums ist. Den mittelalterlichen Autoren sind Imperium und Papstkirche nicht hlofi Selbstverständlichkeiten des wirklichen Lebens, sondern beide gleicherweise göttliche Stiftungen, Tatsachen und darauf gegründete Theorien, die jenseits des Augustinischen Horizontes liegen. Vor allem ist ihnen dabei, so sehr das soziale Einzelleben auch für das Mittelalter unter dem ethischen Ideal kleiner patriarchalischer Gruppenbilda dieses apologetische Buch vor allem gegen den römischen Staat und seine Verbindung mit dem Polytheismus polemisiert und eben deshalb diesen von den Patrioten im Stile des Symmachus so hoch gefeierten Staat nach Möglichkeit herabdrttckt. Auch die Ausführungen des 18. »geschiehtsphilosophischen« Buches betonen überall den Zusammenhang der irdischen Staaten mit dem Polytheismus, und die berühmten Schlußkapitel von XIX, 21 — 23 erkennen zwar die ciceronianische Definition des Staates an: coetus multitudinis juris consensu et utilitatis communione sociatus, wobei unter dem jus dasjenige zu verstehen sei, quod de justitiae fönte manaverit. Aber an diesem Ideal gemessen ist der Römerstaat eben gerade kein Staat, da er das Prinzip der justitia suum cuique tribuens verletzt, indem er die Ehrfurcht nicht dem wahren Gotte, sondern den falschen Götzen zollt; dazu wird hinzugefügt, daß die Abwesenheit des wahren Glaubens auch die übrigen Tugenden beeinträchtige und zu splendida vitia mache. Also die Ungerechtigkeit liegt auch hier am Polytheismus, nicht am Staat an sich. Wolle man aber von diesen Anforderungen an einen wirklich gerechten Staat absehen, so enthalte der Römerstaat immerhin soviel von der wahren Staatsidee, daß man sagen kann: Romanus populus populus e s t et res ejus sine dubitatione res publica. — So ist auch die berühmte Stelle IV, 4 Remota itaque justitia quid sunt regna nisi magna latrocinia? zu verstehen. Es sind eben die heidnischen Staaten. Die Darlegung zeigt deutlich, daß A. auch bei den Räuberbanden nur eine Deformation des an sich vernunftnotwendigen Organisations- und Staatsprinzips behauptet. Es ist die gute Natur, an der nur das Böse des verkehrten Zweckes haftet, wie ja auch der Teufel in quantüm natura est gut bleibt. Das hat Scholz, der darin »ein reguläres Todesurteil über den Staat« an sich sehen will, S. 102, nicht verstanden. — Es scheinen also durch De Civ. die Unterlagen einer positiven Staatslehre durch, die nur

— 39 — düngen steht, doch das Imperium ganz naturgemäß der Universalstaat oder doch mindestens der Großstaat, der für sie aus dem Naturrecht, wie sie es jetzt unter Heranziehung früher unbenützter antiker Begriffe konstruieren lernten, ganz logisch hervorgeht und als christliches Imperium überdies eine göttliche Stiftung ist. Diese nicht aus dogmatischen Ideen, sondern aus der realen Bildungsgeschichte des Mittelalters verständlichen, dann aber allerdings auch dogmatisch konstruierten Größen hier von der Polemik gegen den römischen und heidnischen Staat überdeckt werden. Wer unbefangen liest, sieht diese Grundlagen an den verschiedensten Punkten, wie wiederum Reuter in seiner Analyse an Buch XIX, 106—152 wenigstens richtig gefühlt hat. — Die Belege zum oben Gesagten sind durch das ganze Buch zerstreut und können hier leider nicht ausgeschrieben werden; ich notiere daher nur die Stellen: 1. Die an die beiden Güter, das himmlische Gut der visio Dei und die erlaubten terrena bona sich anschließende vita socialis als z w e i V e r e i n i g u n g e n o d e r B ü n d e XII, 23; XII, 28 Nihil est quam hoc genus (hominum) tarn discordiosum vitio, t a m s o c i a l e n a t u r a . XIV, 1 die beiden vitae sociales des höchsten Gutes einerseits und der irdischen Güter anderseits, jede mit ihrer eigentümlichen Friedensordnung. Ebenso XV, 4 u. 5 aus den irdischen Verbänden irdischer Güter entsteht propter angustias leicht, aber nicht notwendig Streit, in der himmlischen societas ist das unmöglich. Nullo enim modo fit minor accedente seu permanente consorte possessio bonitatis, immo possessio bonitas, quam tanto latius quanto concordius individua sociorum possidet Caritas. XIX, 12 die beiden Sozietäten und ihre beiderseitigen Friedensordnungen. — 2. Das absolut individualistische Grundschema beider Sozietäten: IV, 3 nam singulus quisque homo, ut in sermone una littera, ita quasi elementum est civitatis et regni quantalibet terrarum occupatione latissimi. IV, 5 nur was der einzelne vom Staate in seinem Leben Gutes hat, kommt in Betracht, es gibt keine überindividuellen Güter im Staate. XII, 22 das liegt schon in Herstammung des Menschen von einem Paar. Für die prädestinatianische Communio sanctorumgilt dieser Individualismus erst recht; er neutralisiert die Kirche. — 3. Die Familie als Urideal aller irdischweltlichen Gemeinschaft und einziges echtes Spiegelbild der himmlischen I, 46; die Christen sind familia Christi, ebenso I, 35; XIX, 7; XIX, 12 u. 13. — 4. Das Ideal der Kleinstaaten und die Polemik gegen

— 40 — waren den mittelalterlichen Autoren unmittelbare Voraussetzungen, wenn sie daran gingen, die Augustinische Schrift De Ci vi täte als Steinbruch für Argumente zu behandeln. Aus eben diesem Grunde konnten aber auch die entgegengesetztesten Parteien sich auf Augustin berufen, bald Augustins Argumente gegen die Sündhaftigkeit des Machtstaates, der ihnen mit dem Staate überhaupt zusammenfiel, verwenden; bald die Herrschaft der Kirche, die ihnen mit Augustins Civitas Dei identisch war, fordern ; bald ein christliches Kaisertum feiern, wo die Guten das grande regnum oder die imperiosa civitas: III, 10; IV, 3; IV, 6; IV, 15; XV, 5 innocentia minus et melius XIX, 7. 5. Der durchaus utilitarische Charakter der irdischen Friedensordnung, Garantierung der pax durch eine vom Naturgesetz gestiftete Ordnung: I, 33 in securitate pacata res publica, IV, 3 die felicitas nur im bescheidenen geordneten Kleinstaat. XIX, 10 (auf Erden) dicimur beati quando pacem habemus, quantulacunque hic haberi potest in vita bona. XIX, 12. — 6. Die Familien- und Nachbarschaftsethik als die wahre Sozialethik irdischer Gemeinschaften: IV, 3 das Ideal zeigt uns den Bürger mediocrem re familiari parva atque succincta sibi sufficientem, carissimum suis, cum cognatis vicinis amicis dulcissima pace gaudentem, pietate religiosum, benignum mente, sanum corpore, vita parcum, moribus castum, conscientia securum. IV, 15 Procul dubio felicitas major (im Staate) est vicinum bonum habere concordem quam vicinum malum subjugare bellantem. XIX, 5 Domus commune perfugium in his malis generis humani. Der Gegensatz gegen die antike Staatsempfindung braucht nicht belegt zu werden, doch s. XXII, 6 den Gegensatz gegen das von Cicero ausgedrückte Bewußtsein der Größe und Ewigkeit des Staates. — Für das Weitere s. die sehr verständigen Darlegungen von Seidel, Lehre vom Staat beim hl. A. Scholz hat A.s Lehre vom Kleinstaat in ihrem organischen Zusammenhang mit A.s christlich-soziologischem Denken nicht verstanden und behandelt diese Sätze wie eine wunderliche Velleität des Kirchenvaters S. 107, auch die Rede vom »Naturstaat« (so schon Reuter) 103 ist irreführend; es ist der auf der Vernunft oder dem sittlichen Naturgesetz beruhende und darum gute Staat an sich, der in den Dienst des Fleischesreiches und in den des Geistesreiches treten kann, im ersten Fall verderbt, im zweiten Fall zur Voraussetzung der christlichen Lebensordnung wird.

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und Gerechten late longeque herrschen und ihren Beruf im Angesicht der Ewigkeit verwalten; bald rein demokratisch-individualistische Theorien mit seiner Autorität aufschmücken wie Occam und Marsilio. Aber Augustin selbst kannte diese Fragestellungen noch nicht, und auf seinem Boden sind sie nicht gewachsen. Er hat Argumente geüefert für Größen und Fragestellungen, die erst eine ganz andere reale Welt hervorgebracht hat. Eben deshalb ist jede Beleuchtung der Augustinischen Gedankenwelt aus den mittelalterlichen Voraussetzungen heraus, wie sie unter uns bis heute überwiegend üblich ist und besonders von den Protestanten geschätzt wird, völlig irreführend für das Verständnis der geschichtlichen Stellung des Mannes selbst, wie man denn überhaupt die Grundlegung des sog. Mittelalters viel zu früh anzusetzen pflegt, noch unter dem unbewußten Einfluß der katholischen Vordatierung des Mittelalters überhaupt. Zwischen Augustin und Karl dem Großen liegen 400 Jahre, in denen die ungeheuren Wandlungen vollzogen worden sind, auf Grund deren überhaupt erst jene Fragen an Augustin gestellt werden konnten. Er selbst dachte weder an die Göttlichkeit noch an die Widergöttlichkeit des Imperiums, sondern ließ es sich gefallen als Ergebnis und Berichtigung der bisherigen römischen Geschichte. Sein politisches Denken ist überhaupt nicht am Begriff des Imperiums orientiert. 1 ) *) Die verhältnismäßige Singularität der A.sehen Staatslehre, die nicht wie die übrigen Väter bloß mit dem einfachen Begriffe des relativen Naturrechts arbeitet, sondern darüber hinaus einen natürlich guten, aber darum doch noch nicht gerechten, sondern erst durch Gnade und Glaube, d. h. durch Zuteilung seines Rechtes an Gott, gerecht werdenden Staat lehrt, heben die Carlyle hervor, ebenso aber auch die fast völlige Abwesenheit der Berufungen auf diese eigentlichste A.sche Lehre im ganzen M.A.; s. Carlyle I, 168 f. u. 221. Es sind vielmehr Gregor der Große, Isodorus Hispalensis, Gelasius u. a., auf denen die mittelalterliche Begriffstradition nach Carlyle beruht, I, 219. — Der zweite Band der Carlyle legt



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Unter diesen Umständen bedarf es schließlich kaum eines Wortes darüber, daß, wo die beiden Voraussetzungen, der mittelalterliche Begriff des Imperiums und der Kirche, fehlen, naturgemäß auch die dem Mittelalter eignende B e z i e h u n g b e i d e r a u f e i n a n d e r fehlt. Diese Beziehung stellt sich für das Mittelalter dar in einer kirchlich-staatlichen christlichen Einheitskultur, in welcher der Staat die Kirche für die allgemeine geistige und materielle Kultur verwertete und die Kirche den weltlichen Arm für die von ihr geforderte Gestaltung des öffentlichen und privaten Lebens in Bewegung setzte. jetzt in der Darstellung des fortdauernden römischen Rechtes und des kanonischen Rechtes die von den patristischen und A.schen Lehren recht verschiedenen Voraussetzungen der mittelalterlichen Theorien dar; das Neue liegt vor allem im Gedanken der translatio imperii und der naturrechtlichen sowie positiv-rechtlichen Begründung des Imperialismus sowie in der Idee eines kanonischen Rechts. Ein folgender Band wird die neuen realen Bedingungen zeigen. — Über die Zitierung und Rolle A.s in den gregorianischen Kämpfen s. Mirbt, Stellung A.s in der Publizistik des gregorianischen Kirchenstreites 1888, der die Unfertigkist und Unentwickeltheit der A.schen Lehre auch in diesen Verwertungen durch beide Gegner zeigt. Siehe dazu aber auch die Bemerkungen von Schilling 254—264, der auf die gänzlich unsystematische Kenntnis A.s aus Florilegien hinweist, auch bei den Gregorianern die relativ-naturrechtlichen Elemente A.s zeigt, den starken Unterschied der Theorien A.s und der Gregorianer aber die potestas ecclesiae in temporalia hervorhebt und den eigentlichen Einfluß A.s nur in der Lehre vom staatlichen Einschreiten gegen die Häretiker anerkennt; doch hat auch hier A. im Sinn der alten Christenheit noch die Todesstrafe vermieden sehen wollen und ist an den späteren Ketzerhinrichtungen unschuldig. — Die sehr beherzigenswerte Abhandlung von Bernheim, Politische Begriffe des M.A. im Lichte der Anschauungen A.s, Deutsche Z. f. Geschichtswissenschaft N. F. 1, 1896, betrifft die allgemeinsten Zusammenhänge, innerhalb deren die Unterschiede erst liegen, und ist durch die Carlyle heute überholt. — Felix Kolde, Das Staatsideal des M.A., Programm 1902, schildert in dem bis jetzt einzigen ersten Teil die A.sche Staatslehre so umsichtig und zutreffend, als es bei der Ignorierung der antik-patristischen Naturrechtslehre und der A.schen

— 43 — Beides ist nun aber für Augustins Zeitalter überhaupt noch nicht der Fall. Gewiß hatte Konstantin die Anerkennung der Kirche als eine neue Verkittung des auseinanderstrebenden Reiches angesehen und hatten dementsprechend er und seine Nachfolger die Kirche mit Privilegien, Rechten, Vermögen und gewissen öffentlichen Pflichten ausgestattet. Auch begann insbesondere seit Theodosius unter dem Einfluß des Ambrosius die Verwendung der kaiserlichen Macht zur Ausrottung des heidnischen Kultus, der heidnischen Literatur und der häretischen Sekten. Allein aus der Reform Konstantins ging Ethik der relativen, auf das Höchste zu beziehenden Güter möglich ist. Vom M.A. ist nur gesagt, daß es auf den in der bekannten Stelle De Civ. V, 24, dem «Fürstenspiegel«, und auf Epist. 105 ausgesprochenen Doktrinen beruhe, S. 14 f. Die erste Stelle besagt, daß die Fürsten nicht an irdischer Größe und äußerem Erfolg ihr Glück bemessen sollen, sondern am Besitz des inneren höchsten Gutes und der entsprechenden demütig-liebevollen Praxis. Man hört hier den Klang eines verchristlichten Stoizismus heraus, wenn A. nur solche Fürsten trotz etwaiger Leiden und Verluste felices nennen will. Das hat mit dem M.A. nichts zu tun. Die andere Stelle rechnet mit der Möglichkeit ungläubiger Kaiser, die Gesetze gegen den wahren Glauben erlassen. Dadurch würden dann die Gerechten geprüft; wenn sich die Kaiser aber zum wahren Glauben halten, dann erlassen sie Gesetze zugunsten der Gläubigen, die dann »per cor regis ipsa veritas jussit«. Das ist aber doch ganz offenkundig ein völlig anderer Horizont als der des M.A. Damit kann man den Satz nicht begründen: »Das M.A. ist eigentlich nichts anderes als das Streben, die im Werk De Civ. niedergelegten Ideen zu verwirklichen!« — Den Unterschied des M.A. gegenüber A. zeigt dagegen treffend Kern, Civilitas Humana, 1913, der in Dante den Höhepunkt der mittelalterlichen Gesellschaftslehre erkennt. Aber gerade in dem, was Dante mit Augustin gemein hat, dem mystisch-spiritualen Kirchenbegriff, tut sich Dantes Gegensatz gegen das M.A. auf; und in demjenigen, was er mit der Scholastik gemein hat und freilich noch bedeutend steigert, dem naturrechtlichtlichen Begriff des Imperiums, zeigt sich der völlige Gegensatz gegen A.; S. 11, 30, 93, 112. Wenn Dante schließlich A.s Güterlehre und seine Idee des Aufstieges zum höchsten Gut sehr bedeutsam verwendet für die Aufnahme

— 44 — keine wirkliche Verchristlichungder Gesellschaft hervor, und die Politik der Bischöfe bedeutete immer nur eine geistigperBönliche Einflußnahme auf die Imperatoren zum Zweck der Privilegierung der Kirchen und der Unterdrückung ihrer Feinde. Von einer christlichen Kultur im Stile des Mittelalters ist bei Augustin trotz seiner Hervorhebung der christiana tempora, des christianum imperium nicht die Rede, wie sein bitterer Pessimismus durch das ganze Buch De Civitate hindurch beweist. Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft beruht — in kanonistischen Ausdrücken der kulturellen Elemente, so überschreitet er damit sowohl die Linie A.s als die des M.A. und nähert sich der Renaissance. — Ebenso erleuchtet sich der Unterschied A.s gegen das M.-A. von dem Janssenismus aus, der A.s Gesellschafts- und Staatslehre gerade entgegen dem offiziellen Katholizismus mit der Gnadenlehre zusammen erneuert — übrigens unter starker Zurückdrängung des A.schen Naturrechts — und auch seinerseits den Staat im Sündenstand einfach hinnimmt, im übrigen aber die unterstaatlichen, familienhaften und nachbarschaftlichen Verbände als den eigentlichen homogenen Spielraum christlicher Sittlichkeit behandelt, s. Honigsheim, Die Staats- und Soziallehren der französischen Janssenisten 1914 (Diss.), bes. S. 13, 27, 45. — Die theoretischen Grundlagen des mittelalterlichen Denkens schildert Bryce, The holy Roman Empire 4 , 1892, ohne A.s zu gedenken außer mit dem Satze: The greatest mind of his generation consoled the faithful for the fall of the earthly commonwealth Rome, by describing to them its successor and representative, the city which has foundations, whose builder and maker is God . . . His influence great through all the Middle Ages was greater on no one than on Charles«, 93 f. Das ist aber nicht der Sinn von De Civ., höchstens die äußerste Möglichkeit für den schlimmsten Fall; da kann dann die Kirche mit ihren inzwischen erworbenen bürgerlichen Funktionen der Bischöfe als »zweite Organisation der römischen Gesellschaft« (K. Müller, Kultur d. G. I, IV, 1, S. 195) an Stelle der ersten treten, wie A. es selbst bei der Belagerung von Hippo tut. Im übrigen ist in D.C. die Zuflucht zur Kirche asketisch und pessimistisch gedacht als Ergebung in die Prüfungen und Leiden der Welt und Rettung für den Himmel, De Civ. I, 10 u. 11; II, 28—29. Karls des Großen Augustinstudium gehört zur »Karolingischen Renaissance« und liest A. von den inzwischen eingetretenen Voraussetzungen aus.

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gesprochen — bei ihm nur auf der potestas directiva, d. h. auf der Beeinflussung des guten Willens des Kaisers und der Provinzialbeamten, noch nicht auf der mittelalterlichen potestas directa et indirecta in temporalia, vermöge deren die Staatsgewalt und der ganze Umkreis ethischer und sozialer Aufgaben unter die Oberleitung der Kirche gestellt waren oder doch gestellt sein sollten. 1 ) Von alledem ist noch keine Rede. Besonders zu bemerken aber ist der Umstand, daß das nicht bloß ein Noch-nicht-sein der mittelalterlichen Idee ist, sondern daß das seinen tiefsten Grund in den realen Verhältnissen hat, in der immer noch bestehenden Geschiedenheit der christlichen und der heidnischen Gesellschaft. Wie das Christentum vor Konstantin ein Staat im Staate, eine Gesellschaft in der Gesellschaft war, so ist das jetzt nach hundert Jahren keineswegs vergessen und verwischt, um so mehr, als die antike Gesellschaft in Sitte und Bildung die uralten festen Traditionen und eine unüberwindliche Fremdheit gegen die christliche Gesellschaft ganz naturgemäß festhielt. Es ist noch nicht die kulturlose Barbarenwelt des Mittelalters, für die die Kirche eine Kulturmacht werden konnte und nun ihrerseits den Zusammenhang mit der Antike vermittelte, sondern eine uralte feste Kultur, Bildung, Schule, Sitte und soziale Struktur, der gegenüber die Christen sich in einer eigentümlichen Mischung von Abhängigkeit und Rebellion befinden. Augustin läßt dieses Bild der Dinge in seinen Konfessionen und in De Civitate deutlich an allen Punkten erkennen. Die heidnische Gesellschaft ist das säculum, die Zeitlichkeit, die Irdisches genießt um seiner selbst willen und völlig auf diesen Gedanken der Immanenz aufgebaut ist. Sie M S. Schilling, Staats- u. Soziallehre A.s, S. 106—154, bes. 138, 144—146; siehe auch die späteren Ausführungen über A.s Hoffnungen auf eine Neugestaltung der Welt.

— 46 — hat ihre eigene säkulare Literatur, Bildung und Sitte, der die Christen ferne stehen und eine eigene litteratura, doctrina und disciplina gegenüberstellen. Die christliche Literatur und Sitte ist bestimmt vom Gedanken der Transzendenz, des jenseitigen Heils, der Herabsetzung alles Irdischen zu Mitteln und Durchgangspunkten, durch einen radikalen Pessimismus gegenüber dem säculum. Wohl wäre es an sich möglich und scheint es Augustin erwünscht, daß die »Blumen christlicher Sittlichkeit« im christlichen Imperium aufblühen könnten. Aber Bosheit und Blindheit der Welt ist zu groß und die Berührung mit der heidnischen Gesellschaft, ohne die doch eine Reform nicht möglich wäre, ist zu meiden. Ja, sogar in der Kirche selbst herrscht oft genug Weltsinn und Scheinchristentum. Die Zahl der Erwählten ist gering und sie sind auf die Hoffnung des Endes angewiesen. Wohl wäre an sich für Augustin ein Weltleben in reiner christlicher Gesinnung möglich, aber es scheitert immer wieder an den Widerständen und Versuchungen des realen Lebens. So ist schließlich doch das Kloster das eigentliche Ideal, die wahre respublica der Christen, die eigentliche Manifestation der Civitas Dei, wie Augustin — an dieser Stelle — mit unverkennbarer Anspielung auf Piatons Politeia sagt. Aber gerade dieses Mönchtum ist nun nicht wie das* mittelalterliche eingefügt in den Organismus der Gesellschaft als stellvertretende Steigerung des Religiösen, alB entzündendes Beispiel für die Pflege christlicher Gesinnung überhaupt, als Träger christlicher Gesittung. Es ist vielmehr der Ersatz der christlichen Gesellschaft, das einzige Ideal, in welchem die individuellen und sozialen Tugenden der Andacht und Demut, der Liebe und Gleichheit verwirklicht werden können. Und*wenn jemand dagegen den Einwand erhöbe, daß damit die Welt ja bald aussterben würde, so antwortet Augustin wie Tolstoi: »Ach, wenn das doch geschähe, wie herrlich würde das sein! Dann würde ja die Stadt



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Gottes vollendet, das Kommen Welt beschleunigt sein!« 1 )

des

Endes

dieser

3. Das alles weist nicht vorwärts in eine neue christliche Kultur, sondern mitten hinein in Augustins eigene Zeit und rückwärts auf die Lebensfragen der christlichen Antike hin, die den seit den Zeiten der Sokratischen Schule entwickelten Idealismus und Individualismus mit dem großen Masseninstitut der kirchlichen Erlösungsund Mysterienreligion verschmolz und ihr immer spirix ) Hierüber s. Reuter 359—396; die mangelhafte Christlichkeit der damaligen Gesellschaft 372. Apathie A.s gegen Staat und staatliche Reformen, »das ganze Werk De Civ. bezeugt dieselbe« 386. Die Fortdauer der »hergebrachten Transzendenzen« in der christlichen Gesellschaft und Zurückziehung vom geselligen Verkehr mit den Heiden, Abwesenheit jedes Reformwillens 391 f.; der Ausweg ins Mönchtum 427 — 447; das Kloster die eigentliche res publica oder civitas im christlichen Sinn 443; das Aussterben der Welt 418. Es ist eben das Gefühl des mundus senescens; s. dazu die Stelle aus Sermo 81, 9 bei Schillings 153: Noli adhaerere velle seni mundo et nolle juvenescere in Christo, qui tibi dicit: Perit mundus, senescit mundus, laborat anhelitu senectutis. Noli timere, renovabitur juventus tua sicut aquilae. Das sagt er gegen den Satz Vergils Imperium sine fine dedi. — Wenn Seidel 28—40 diesen von Reuter geschilderten Pessimismus bestreitet und durch die richtige Anordnung von Natur und Übernatur ein patriotischweltlich-sozial gestaltendes Staatsideal auch bei A. nachweisen will, so ist das thomistische Deutung. — In der Tat redet A. in De Civ. allerdings gelegentlich von einem christlichen Staatsideal, das patriarchalisch-familienhaft empfunden ist, ohne Ehrgeiz, Machtgier und Ruhmsucht, mit der Fürsorge für das ewige Heil des Fürsten und der Untertanen. Wenn solche Herrscher herrschen, dann kann auch ein regnum quantumcunque, also sogar ein Großstaat, wahrhaft glücklich sein: I, 19 und dazu das puritanisch gezeichnete Kontrastbild der heidnischen Kultur I, 20. Aber das Ideal M im modus irrealis geschildert, und in der Wirklichkeit heißt es: »Sed quia iste audit (Christi Gebote), ille contemnit pluresque vitiis male blandientibus quam utili virtutum asperitati sunt amiciores: tolerare Christi famuli jubentur, sive sint reges sive principes sive

— 48 — tualistischer und transzendenter gewordenes Lebensideal in die geistigen und materiellen, politischen und sozialen Formen des hergebrachten Daseins einfügen mußte. Wenn aber die Bedeutung Augustins nicht in jener Grundlegung des Mittelalters bestand, worin bestand sie dann? Hat er überhaupt keine ihn wesentlich auszeichnende und darum auch für die Folgezeit wichtige K u l t Urbedeutung innerhalb der christlichen Antike? Besteht seine Fortwirkung lediglich in den dogmatischen und philosophischen Besonderheiten, die er der Folgezeit vererbte, und die diese, gebrochen genug, sich zu eigen machte? judices, sive divites sive pauperes, sive liberi sive servi, utriuslibet sexus etiam pessimam, si ita necesse est, flagitiosissimamque rem publicam et in illa angelorum quadam sanctissima et augustissima curia caelestique re publica, ubi Dei voluntas lex est, clarissimam sibi locum i s t a t o l e r a n t i a comparare. Auf diesen Ton sind alle Ideale, auch der »Fürstenspiegel« V, 24 gestimmt. II, 29 das wahre Vaterland im Himmel; III, 10 Ideal der Genügsamkeit, ebenso IV, 3; IV, 6; IV, 28 bei Verehrung des wahren Gottes melius hic regnum haberent, q u a n t u m c u n q u e haberent, et post haec acciperent sempiternum; V, 17 Quid interest, sub cujus imperio vivat homo moriturus?; V, 19 das viel zitierte Fürstenideal nihil est felicius rebus humanis, quam si D e o m i s e r a n t e h a b e a n t potestatem. II, 18 Pessimismus: Christus . . . his malis tabescenti ac labenti mundo ubique familiam suam sensim subtrahit, qua condat aeternam et non plausu vanitatis, sed judicio veritatis gloriosissimam civitatem. Dagegen kommen die freundlicheren Schilderungen bei Seidel 28 — 37 und Schilling 82 — 106 nicht auf; sie haben den in der Mehrzahl der von ihnen angeführten Stellen enthaltenen Konjunktivus nicht beachtet. — Der Gegensatz heidnischer und christlicher Gesellschaft spricht aus dem ganzen Buche, das ja auch nur um seinetwillen geschrieben ist. III, 31 Iii q u i . . . christianis temporibus insu!tant; VIII, 10 homo Christianus litteris tantum ecclesiasticis eruditus . . . non tarnen ita surdus est in rebus humanis, ut nesciat philosophos vel Studium sapientiae vel sapientiam ipsam profiteri. . . litteras eorum Christianus ignorans. VI, 2 in omni eruditione, quam nos saecularem illi autem liberalem vocant. IX, 5 scriptura divina, qua Christiana eruditio continetur; in disciplina nostra. XIV, 7 saeculares litterae; XIV verschiedene Ethik und Affektenlehre bei den Philosophen und



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Die Antwort darauf ist nicht schwierig. Gewiß hat Augustin in seiner Person, Lehre und Tätigkeit eine allgemeine und darum über jene Zeit hinaus fortdauernde Kulturbedeutung, wie denn die universal-historische Bedeutung der großen religiösen Persönlichkeiten überhaupt zuvörderst in einer bestimmten, positiv oder negativ gestalteten oder beides verbindenden Stellungnahme gerade gegenüber dem Kulturleben besteht. Das ist insbesondere der Fall bei den christlichen Denkern, die von Hause aus den Impuls zu einer starken, gegen die Kultur indiffeapud nos; das ganz andere Ideal des vir fortis in De civitate Dei. XIX, 26 Quamdiu permixtae sunt ambae civitates (d. h. beide Geistesrichtungen) utimur et nos pace Babylonis, ex qua ita per fidem populus Dei liberatur, ut apud hanc interim peregrinetur. XX, 9 E t qui sunt qui non adorant bestiam et imaginem ejus nisi qui faciunt quod apostolus ait: Ne sitis jugum ducentes cum infidelibus. »Non adorant« est non consentiunt, non subjiciuntur; »neque accipiunt inscriptionem« notam scilicet criminis »in fronte« propter professionem, »in manu« propter operationem. Ab his igitur malis alieni sive adhuc in ista mortali carne viventes sive defuncti regnant cum Christo jam n u n c q u o d a m modo huic tempori congruo. XXI, 7 A. hat allerhand Wundererzählungen aus der Literatur eorum, contra quos agimus, angeführt, ut ostenderem qualia multa multique eorum nulla reddita ratione in suorum litteratorum scripta litteris credant, qui nobis credere. . . nec reddita ratione dignantur. Dazu nehme man die Stellen, wo die Christen als familia Christi von der Umwelt unterschieden werden I, 29: habet omnis familia summi atque veri Dei consolationem suam . . ., in qua eruditur ad aeternam vitam bonisque terrenis tamquam peregrina utitur nec capitur, malis autem probatur aut emendatur. I, 35 die familia Domini Christi et peregrina civitas regis C h r i s t i . . . in ipsis inimicis latent cives futuri. Das ist nicht eine weltliche Unterstufe natürlicher Wissenschaft und eine geistliche Oberstufe übernatürlichen Lebens, sondern das sind zwei Gesellschaften, wovon die unchristliche durch Apologetik oder auch Zwang unterworfen werden soll, V, 26; XVIII, 41. — Diese unversöhnte Rivalität zweier Gesellschaften mit verschiedenen Bildungsgrundlagen, wobei die Christen die heidnische Grammatik und Rhetorik sich anzueignen trachten, aber stets eine gewisse Zurückhaltung dagegen beobachten, zeigt Boissier in seinem ganzen Buche. T r o e l t s c h . Augustin, die Christi. Antike.

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— 50 — renten Religiosität in sich tragen und darum vor den großen ethischen Fragen des Kulturlebens als ihrem schwierigsten Problem stehen. Seit die christliche Bewegung aus der anfänglichen Missionsarbeit in den Unterschichten emporgestiegen war in den Bereich von Bildung, Besitz und Gesellschaft, insbesondere seit die Konstantinische Reform das christliche Bekenntnis staatlich begünstigt und in die herrschenden Kreise eingeführt hatte, war das Kulturproblem das große Problem der christlichen Denker. Schon Clemens Jund Origenes hatten vor ihm gestanden und es den Verhältnissen der damaligen Kirche gemäß noch zögernd und tastend, sowie den Verhältnissen des Orients gemäß in einem höchst spiritualistischen Sinn gelöst. Von da aus dauerte im christlichen Orient die Richtung auf einen philosophisch-religiösen Spiritualismus fort, der sich der Welt und Kultur gegenüber schließlich nur durch das Mönchtum zu retten wußte. Im Abendlande ist es nun Augustin, der dieses große Problem als Ergebnis seiner Lebensentwicklung und seiner Zeitlage mit einer außerordentlichen Kraft persönlicher religiöser Lebensstimmung und prinzipieller Denkfähigkeit aufnahm. Er ist der große Ethiker der christlichen Antike, der die vom Leben vereinigten Elemente durchdachte und theoretisch verband, die gefundene Lösung des Problems in wirkungsvoller Polemik vertrat und in praktischer Arbeit nach {dien Seiten betätigte. Das ist wesentlicher als alle seine Sonderlehren, die übrigens fast sämtlich erst aus dem Verlauf dieser Arbeit erwuchsen. Seine dogmatischen Lehren sind Einzellehren, die er aus dem ihm mit der Kirche und dem Orient gemeinsamen dogmatischen Besitz hervorbildete. Sie haften an einem Ganzen, das früher ist und wichtiger als sie. Dieses Ganze aber das ist die Ethik des höchsten Gutes, von der aus Augustin es unternahm, die Welt- und Kulturwerte als relative Güter in das christliche Heil einzugliedern. Es ist eine prinzipielle Ethik, aber nicht die der mittelalterlichen Halbkultur, sondern die

— 51 — der christlichen Antike, einer zum christlichen Bekenntnis übergegangenen, aus ihm zu verjüngenden oder zu heilenden, jedenfalls zu begrenzenden Hochkultur. Er ist damit Abschluß und Höhepunkt der christlichen Antike und für sein eigenes Gefühl der Ordner und Hersteller der einzig möglichen Synthese, hinter der nur die Barbarei, die letzten Kämpfe und das Weltende liegen können. In dieser Ethik liegt seine wesentliche Kulturbedeutung für seine eigene Zeit, in der fortdauernden Wirkung und dem inneren Gehalt ihrer Konstruktionen Beine Bedeutung für das europäische Geistesleben.1) 1 ) Das ist schon die Auffassung Euckens in seiner Skizze (Lebensanschauungen der großen Denker* 1904). »A. hat auf dem Boden des Christentums ein umfassendes religiöses Kultursystem errichtet«, 217. »Augenscheinlich bildet er die geistige Höhe des alten Christentums«, 240. Es ist im wesentlichen auch die Auffassung in dem Werke Mausbachs, dessen »Plan entstanden ist beim Studium der Entwicklung des christlichen Vollkommenheitsgedankens, speziell seiner Beziehung zu Weltflucht und Weltarbeit«, I, VII. »A. läßt die sittlichen Ideen des Ev., die bisher ihre praktische Wirksamkeit aber nicht ihren vollen geistigen Gehalt entfaltet hatten, in farbenreicher Glut erstrahlen. Das Große ist vor allem, daß er mit der plastischen Volkstümlichkeit der Bibel die abstrakte Größe und Weite einer idealen Philosophie in natürlichster Weise zu verbinden weiß. Origenes, der einzige, der dies mit ähnlicher Begabung versucht hatte, konnte das Ziel nicht erreichen, weil seine Exegese den kernigen Sinn der Bibel zu sehr verflüchtigte und seine Philosophie d e n B e d ü r f n i s s e n a l l s e i t i g e r Welt- und L e b e n s e r k l ä r u n g nicht genügte. A. ist maßvoller und einheitlicher in seinem philosophischen Idealismus. Er steht auch— trotz starker Neigung zur Allegorese — dem geschichtlichen Standpunkt der Bibel viel näher«, I, 38. »Sodann gibt ihm die . . . metaphysische Grundlegung des Sittlichen, die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Gütern, den Schlüssel in die Hand, die Einheit des sittlichen Zieles und die Mannigfaltigkeit der Wege zum Ziel natürlich zu vereinbaren. Endlich drängt ihn der Reichtum seines Wesens, auch da, wo er es nicht beabsichtigt, für die Schönheit und Größe der Natur- und Kulturgüter Zeugnis abzulegen; ist er ja durch angeborene Empfindung und durch seinen Bildungsgang tiefer wie andere Kirchenväter





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Um das verständlich zu machen, ist ein rascher Blick auf die Entwicklung der christlichen Ethik bis zu diesem Punkte hin nötig. Die christliche Sittlichkeit war nicht das Erzeugnis eines ethischen Systems, sondern eine aus hundert Quellen zusammengeflossene Fülle von Idealen, Regeln, Autoritäten und Sitten, die erst sehr spät überhaupt ein Bedürfnis der systematischen Selbstgliederung empfand und auch dann noch mehr auf die Punkte hinblickte, wo sie mit der neuen dogmatisch-kirchlich-kultischen Ideenwelt zusammenhing und von ihnen her ihr aussonderndes Gepräge empfing. Die kirchlich-sakramentale Kraft zur Sittlichkeit schien immer wichtiger als der neue Inhalt der Sittlichkeit selbst, den man nicht entfernt in dem Maße mit allen Seiten des Menschheitslebens verwachsen«, I, 49. — Die zentrale Bedeutung der Ethik auch bei Harnack, Dogmengeschichte4 III, 29, aber bei seiner dogmengeschichtlichen Absicht verfolgt H. diesen Gedanken nicht weiter, und es entsteht bei dieser Begrenzung des Themas ein äußerst widerspruchsvolles und unruhiges Bild A.s. Die wesentliche Einheit der Leistung A.s versucht Harnack zu erfassen in der Einleitung zu dieser Darstellung, indem er A. als »Reformator der Frömmigkeit« bezeichnet und so kurz als glänzend schildert. Das ist bestechend, und doch habe ich immer stärkere Bedenken gegen diese Formulierung. Kann es eine Reformation der Frömmigkeit geben, die praktisch und kirchlich alles beim alten läßt, ja die vulgärchristlichen Tendenzen noch steigert, die also nur auf die Frömmigkeit selbst mit Ausschluß ihrer praktischen Gestaltung und Organisation sich bezieht ? Aus diesem Grunde hat schon Reuter S. 480 A. nicht als Reformator und nicht als Anfänger einer neuen kirchen- ja nicht einmal dogmengeschichtlichen Epoche bezeichnen wollen. Aber wollte man auch die Möglichkeit einer Reformation der bloßen Frömmigkeit zugeben, so ist nun noch die Frage, ob die Originalität der Religiosität A.s dem wirklich ent_ spricht. Sie scheint mir doch viel weniger eine Erneuerung der paulinischen Religiosität, als ein Hindurchführen der stets oberhalb des Vulgärchristentums liegenden idealistisch-platonisch-christlichen Idee zu ihrer letzten persönlichen Tiefe, die Verwandlung des absoluten S e i n s der Spekulation in ein schaffendes und befreiendes L e b e n , ein Ineinanderziehen der intellektualistischen und volun-

— 53 — als etwas Neues empfand. Freilich lag der Quellpunkt auch der inhaltlichen Normen klar und deutlich zu Tage und ist bei den späteren Systematisierungen auch die Beziehung auf ihn festgehalten oder herausgehoben •worden. Es sind die sittlichen Weisungen Jesu mit ihrer Doppelforderung der Gottes- und Nächstenliebe und mit ihrer Spannung auf das kommende Gottesreich, wo dieser Wille Gottes auf Erden geschehen wird, wie jetzt bei den Engeln im Himmel. Dabei bedeutete die Gottesliebe die Reinheit des Herzens und der Gesinnung, die alles Tun als eine völlig innerliche Selbsthingebung an Gott betrachtet und daher alles Handeln ausscheidet, das mit einer solchen lauteren Selbsthingebung unverträglich taristischen Kategorien, insoferne eine reife Frucht der christlich-antiken Religiosität überhaupt, zu deren Reife die Berührung mit Paulus und den Psalmen die entscheidende Kraft gegeben hat. Das wäre dann keine Wiederaufnahme abgebrochener, sondern eine Vollendung kontinuierlicher Entwicklung, wofür eine psychologisch feinfühlige Forschung vermutlich bei den orientalischen Christen sehr viel mehr Parallelen finden würde, als man heute annimmt; zum Ganzen vergleiche das psychologisch überaus eindringende Buch von Misch, das geradezu als Einleitung zu A.s Konfessionen betrachtet werden kann. Gerade durch diesen Durchbruch des Spekulativen ins Praktisch-Lebendige vermag A. sich von da aus zu der Volks- und Massenkirche zu wenden, ohne Esoteriker zu werden, sondern mit der Kraft sie zum Organ dieses vertieften religiösen Lebens und Fühlens zu machen. Das aber erreicht er durch seine Spekulation und Glaube, Welt und Heil versöhnende Ethik, innerhalb deren dann recht verschiedene dogmatische Einzelinteressen nebeneinander und ohne Ausgleichsbedürfnis Platz haben. Das, was Harnack »Reformation« der Frömmigkeit nennt, scheint mir mehr das Vermögen A.s, wirklich auszusprechen und zu formulieren, was er als Kern der christlich-antiken Frömmigkeit empfand, als Wirkung seines Tiefsinns in der psychologischen Analyse und seiner geistigen Kraft in der Formulierung und Konstruktion. Er vermag zu empfinden und zu sagen, was andere dunkel meinen und mit einem Mund voll griechischer Rhetorik nicht zum Ausdruck bringen können. — Über Halb- und Hochkultur s. Vierkandt, Natur- und Kulturvölker, 1896.

— 54 — ist; anderseits bedeutete die-Liebe die Erweisung der Gottesgesinnung der Liebe an die Brüder, vermöge deren der Gerechte sein eigenes Gottesverhältnis offenbart und im Bruder dieses Verhältnis weckt oder bestätigt, insoferne sie Brüder sind nur als Kinder des gemeinsamen himmlischen Vaters. Ein solches Handeln verbindet rein Seele mit Seele in dem höchsten religiösen Besitz und weiht die einzelne Seele zum unendlichen Wert. Es ist darum gleichgültig gegen alle irdischen Güter und streckt sich nach dem Gottesreich, in welchem mit der vollen Gottesherrschaft auch die Möglichkeit solchen Handelns gegeben sein wird. Bis dahin gilt es zu harren, sich zu rüsten, zu leiden und das Kommen des Reiches vorzubereiten durch die Ausbreitung des Evangeliums. Es ist eine durch und durch religiöse Ethik, welche die weltliche Kultur nicht verneint, aber kaum kennt und jedenfalls, soweit man sie kannte, als etwas Vorläufiges und Vorübergehendes beiseite drängt. Auch die beiden andern großen Schriftgruppen des Neuen Testamentes bleiben bei allen sonstigen ungeheuren Wandlungen gegenüber der Jesuspredigt doch in der gleichen ethischen Richtung; und wenn der Paulinismus mit seiner enthusiastischen Geistlehre alles Gesetz aufhebt und die Aufstellung einer positiv ethischen Regel unmöglich zu machen scheint, so ist eben Paulus in dieser Hinsicht wie in so mancher andern aus guten Gründen nicht durchgedrungen. Auch enthielt seine Lehre ja wenigstens praktisch selbstverständhch ein ethisches Ideal, und es ist dieses dem des Evangeliums eng verwandt. Zwar scheint hierbei die Liebesforderung zu überwiegen, in Wahrheit ist aber auch bei Paulus die Heiligung gleichberechtigt; nicht minder bei Johannes, bei dem das »Bleiben in Gott« doch nur als Forderung der Reinheit zu verstehen ist. Im übrigen sind diese Forderungen nichts Doktrinäres und Systematisches: was alles der Heiligung dienen mag und in was allem die Liebe betätigt werden mag, darüber geben Leben und Er-



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fahrung, Sitte und Herkommen, jüdische Moralschriften, Heilige Schrift und natürliches Sittengesetz reiche Auskunft. So nährten sich die Sittenregeln der Christen aus den verschiedensten Quellen, zu denen das kirchliche Herkommen und Kirchenrecht noch hinzukamen. Eben dadurch verlor sich nun aber in der Erbauungsschriftstellerei der halbgebildeten christlichen Literatur bald jede Ordnung und Systematik, auch drangen aus der Umwelt deren sittliche Regeln herein. Vor allem aber wandte sich das Gefühl heroischer Zukunftskämpfe auf außerordentliche Leistungen und wurde das Gebot der Reinheit aus verschiedenen Gründen und unter verschiedenen Einflüssen und im verschiedenen Sinne zu dem der Askese, der Brechung des natürlichen Trieblebens oder des Fleisches. Auch das Liebesgebot trat, so lebendig die Liebesübung des einzelnen und der Gemeinden bleiben mochte, unter diesen Gesichtspunkt der Brechung der natürlich egoistischen Triebe. Die alte urchristliche Strenge und Jenseitsspannung gegenüber der Welt erschien nun als Askese und als Selbstbereitung für Jenseits und Unsterblichkeit. Der Vorzug der christlichen Ethik wurde die asketische Strenge und ihre Verbindung mit göttlichen Kräften und Gnadengaben, die die Schuld des Fleisches in der Taufe und die Macht des Fleisches in Glaube und Kultgebrauch durch Wahrheitserkenntnis und Sakramente, Gebet und Almosen überwinden. In den tausend Verflechtungen der Gemeinden mit dem Weltleben wurde dies hohe Heiligkeitsideal schwieriger und schwieriger. Die Lehre von der Berechtigung von Staat, Gesellschaft, Eigentum und Ehe vermöge des natürlichen Sittengesetzes der Stoa, das mit dem mosaischen und christlichen identisch ist, half die schlimmsten Anstöße überwinden. Aber daneben stellte sich dann um so eindrucksvoller das streng asketische Ideal ein. Die christliche Moral wurde unter dem Zwang der Umstände und in verschiedenen Formulierungen zu einer doppelten

— 56 — Moral. Wesen und Inhalt, Begründung und Rechtfertigung, Ab zweckung und Formulierung des christlichen Ethos wurden immer verworrener und schwieriger, und man behalf sich schließlich mit einem bunten Wirrwarr von Autoritäten, denen man eine innere Einheitlichkeit zutraute vermöge ihrer gemeinsamen göttlichen Quelle im natürlichen und göttlichen Gesetz, aber eine solche nachzuweisen nicht bedurfte und nicht vermochte.x) In dieser Lage griff Clemens von Alexandrien, ein ähnlich wie Augustin in reifen Jahren Christ gewordener Literat und Rhetor, zu dem einzigen, was Ordnung schaffen konnte, zu den allgemeinen Begriffen der Wissenschaft, und das hieß damals: der stoisch-platonischen Philosophie. Von ihnen her schuf er, selbst kein scharfer systematischer Denker, leidliche Ordnung und Klarheit. Er befand sich in ähnlicher Lage wie einst vor ihm der Jude Philo und löste ') Vgl. hierzu meine »Soziallehren«; ferner JUlicher »Sittlichkeit des Urchristentums« in »Religion in Gesch. u. Gegenw.« V, 663 — 683; Hatch 101—125 mit interessanten Bemerkungen über die Askese bei Griechen und Christen; außerdem die bekannten Geschichten der christlichen Ethik von Gaß, Luthardt und Ziegler; auch G. Löschcke, Zwei kirchengeschichtliche Entwürfe, 1913. Löschcke betont, welche geringe Rolle Predigt und Vorbild Jesu, insbesondere die Bergpredigt, hierbei gespielt habe. Jesus sei eben der Kultgott der neuen Gemeinden und nicht der Sittenlehrer. Die Sittlichkeit ihrerseits sei keine Theorie, sondern Sitte und Gemeindepraxis, die sich gegen die heidnische Sitte und Gesellschaft wesentlich praktisch abzweigt. Das erstere ist aber nur bedingt richtig, insoferne die Gnadenhilfe, die göttliche Autorität, die von Christus garantierten jenseitigen Belohnungen der neuen christlichen Ethik allerdings den äußerlich auffallendsten Charakter geben und mit der Christustheologie eng zusammenhängen. Fragt man aber nach dem materiellen Inhalt der so begründeten, gekräftigten und abgezweckten Sittlichkeit, so kommt doch in der altchristlichen Literatur nahezu überall das Doppelgebot Jesu, die Gottesliebe und Nächstenliebe oder die damit völlig übereinstimmende Formel Reinheit und Bruderliebe, verbunden mit Weisungen der Bergpredigt, zum Vorschein. Man kann das aus der Didache, aus den Referaten Luthardts deutlich sehen, ebenso bei

— 57 — das gleiche Problem, das jener vom Standpunkt der Synagoge aus ergriffen und gelöst hatte, von dem der Kirche aus. Wie er dabei bewußt auf Philo zurückgriff, so hing er durch dessen Vermittlung — wie weit noch andere vorhanden sein mögen, ist hier nicht zu untersuchen — mit dem großen von Poseidonios ausstrahlenden Gedankenkreise zusammen; es ist die Klärung und Begründung der Religion und der religiösen Ethik durch die Wissenschaft. Mit dem Ende des zweiten Jahrhunderts traten nun auch die Christen in diese Bewegung ein. Wie mit den Alexandrinern die wissenschaftliche Bearbeitung der bisher in kultisch-mythischer Gemeindespekulation erwachsenen Glaubenslehre begann, die dann in die Hauptdogmen der alten Kirche, die homousianische Trinitätslehre und die dyophysitische Christologie, ausmündete, so Holl. Die Deutung dieser beiden Begriffe, die auch als pietas und Caritas, als Pflichten gegen Gott, sich selbst und den Nächsten, als Glaubensgehorsam und Liebeswerke erscheinen, ist die Geschichte des christlichen Ethos, soweit es mit dem Evangelium und in sich selbst zusammenhängt. Freilich sind nun die Deutungen des Doppelgebotes bei der Einschmelzung des stoischen Naturgesetzes und der platonischen Verähnlichung mit Gott, sowie bei der Entwicklung der Askese aus der Gottesliebe und Heiligung sehr charakteristisch verschieden. Wir werden sehen, daß auch bei Clemens und Augustin dieses Doppelgebot im Zentrum steht. Das geht bis Cassian Luthardt I, 204; erst seit Gregor V. und Isidorus Hispalensis herrscht die gänzlich traditionalistische und prinziplose Aufzählung der sieben Tugenden und sieben Laster, deren Kampf schon Prudentius als das Drama des christlichen Lebens beschrieben hatte. Erst damit verschwindet jede sichere Orientierung an der Jesuspredigt und treten an Stelle von Gottesliebe und Bruderliebe die natürlichen und die christlichen Kardinaltugenden unter der Vorherrschaft des Glaubensgehorsams gegen die Kirche und der Askese. — Siehe übrigens die interessante Analogie zwischen dem Doppelgebot Jesu und der Ethik Epiktets, Hatch 112 f. — Viel Material, auch die vor- und außerchristliche Askese betreffend, zugleich in psychologischer und religionsgeschichtlicher Durchdringung gibt Strathmann, Gesch. d. frühchristlichen Askese, 1914; s. auch Reitzenstein, Des Athanasius Werk über das Leben des Antonius, 1914.



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haben sie vor allem und zuerst der christlichen GemeindeEthik die wissenschaftliche Formulierung und Begründung gegeben, für die dann der ganze Glaubens- und Kirchenapparat nur als Voraussetzung und Mittel diente. Als kultivierte griechische Geister der Spätzeit haben sie Wesen und Aufgabe der Wissenschaft in einer idealistischen Ethik gesehen und im Sinne der antiken Ethik deren Aufgabe wie selbstverständlich als die Bestimmung des höchsten Gutes betrachtet. Es war ihnen klar, daß das höchste Gut der idealistischen Spätantike, die über Sinnlichkeit und Affekte erhabene Geistesfreiheit der Gotteserkenntnis und Gottesgemeinschaft, sachlich zusammenfalle mit dem christlichen Ideal der Herzenseinheit und Gottesliebe, der idealistische Asketismus mit dem christlich-religiösen, und daß die christliche Kirche diesem Ideal des höchsten Gutes die Kraft der Durchsetzung, den aggressiven Universalismus der Bekehrung und Mission, den radikalen Bruch mit dem doch immer weltförmigen Polytheismus, die uralten Autoritäten der Offenbarung, das lebendige Vorbild des Logosmenschen Christus, die umfassende Organisation der Kirche und die praktische Betätigung einer höchst wohltätigen Bruderliebe hinzufüge. In dieser Synthese lag ihnen die Durchsetzung der allgemeinen Geistesrichtungen der gesamten bisherigen Weltgeschichte, wie sie sie vom Standpunkte ihrer idealistischen Theodizee und Vorsehungslehre verstanden, und die Rettung einer schwer leidenden und erschütterten, erlösungsbedürftigen Gesellschaft. Der alle Vorstufen überall anerkennende, die relative Annäherung würdigende, durch und durch inklusive Idealismus der sublimsten Mystik vereinigte sich ihnen mit der zur massenpsychologischen Wirkung befähigten, bedingungslose Autoritätswahrheiten und Sakramentalkräfte besitzenden, völlig exklusiven Kirchenanstalt. Hier in der Kirche war nicht nur Erkenntnis, hier war Verbürgung und Wirklichkeit des höchsten Gutes. In der weihevollen Sprache des Hierophanten führt Clemens

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seine Leser ein in diesen tiefsten und einfachsten Sinn der christlichen Mysterien, und in der Sprache des wissenschaftlichen Gnostikers macht er den Christen den allgemeingültigen geistigen Sinn ihrer heiligen Bücher und Autoritäten klar. Er ist damit bestimmend geblieben für die gesamte orientalische christliche Ethik, soweit auch die dogmatische Entwicklung in Bestimmtheit und Verwickeltheit von ihm sich später entfernte. Wo das Dogma nicht zum Selbstzweck wurde, sondern in seinem natürlichen Sinn als Voraussetzung des höheren geistigen Lebens betrachtet wurde, da blieb die Clementinische Ethik des höchsten Gutes und der christlichen Gnosis in Kraft, wie denn in der Tat allein von einem solchen Begriffe des höchsten Gutes aus das christliche Ethos begrifflich geordnet werden konnte. Die Frage war nur, worin dieses »höchste Gut«inhaltlich und im Einzelnen erkannt wurde. In Übereinstimmung mit der asketischen Entwicklung des Christentums und mit der unsinnlich-idealistischen Richtung der antiken Religiosität jener Tage erkannte Clemens das höchste Gut in der Reinigung und Heiligung des Herzens durch Abkehr von der Sinnenwelt und den Affekten, durch Hinkehr zur rein geistigen Erkenntnis der wandellosen übersinnlichen Geisteswelt und zur Herr*) Vgl. hierzu den Art. Clemens von Bonwetsch in P. R. E.*, sowie die bekannte Abhandlung von Overbeck, Über die Anfänge der patristischen Literatur, H. Z. 48, 1882; ferner Ch. Bigg, The Christian Platonists of Alexandria 1886 und vor allem K. Holl, Enthusiasmus und Bußgewalt im griechischen Mönchtum, 1898, S. 226—230; die Studie von Holl ist das Lehrreichste, was wir zum Verständnis der altchristlichen Ethik besitzen; über die grundlegende Bedeutung des Clemens s. Holl S. 64, 139, 146, der Zusammenhang der Vita Antonii damit S. 144. Eine monographische Darstellung mit reicher Stellensammlung und in verständiger Ordnung gibt F. J. Winter, Studien zur Geschichte der christlichen Ethik I, die Ethik des Clemens, 1882 (nicht mehr erschienen). Hier wird mit Recht Clemens vor allem als Ethiker bezeichnet VI, 47, wie für Clemens