Götter und Maschinen: Wie die Antike das 21. Jahrhundert erfand 3805352263, 9783805352260

Die Automata der griechischen Götter: Künstliche Intelligenz in der Antike Antike und Künstliche Intelligenz - wie pass

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German Pages 336 [338] Year 2020

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Inhalt
Einführung
Geschaffen, nicht geboren
Kapitel 1
Der Roboter und die Hexe
Kapitel 2
Medeas Verjüngungskessel
Kapitel 3
Die Suche nach Unsterblichkeit und ewiger Jugend
Kapitel 4
Über die Natur hinaus
Kapitel 5
Daedalus und die lebenden Statuen
Kapitel 6
Pygmalions lebende Puppe und Prometheus’ erste Menschen
Kapitel 7
Hephaistos
Kapitel 8
Pandora
Kapitel 9
Zwischen Mythos und Geschichte
Epilog
Ehrfurcht, Angst, Hoffnung
Danksagung
Anmerkungen
Glossar
Bibliographie
Bildnachweis
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Götter und Maschinen: Wie die Antike das 21. Jahrhundert erfand
 3805352263, 9783805352260

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Götter und Maschinen

Adrienne Mayor

Götter und Maschinen Wie die Antike das 21.  Jahrhundert erfand

Aus dem Englischen von Nikolaus de Palézieux

Die englische Originalausgabe ist 2018 bei Princeton University Press (41 William Street, Princeton, NJ 08540, USA und 6 Oxford Street, Woodstock, Oxfordshire OX20 1TR, England) unter dem Titel Gods and Robots. Myths, Machines and Ancient Dreams of Technology erschienen. © 2018 by Adrienne Mayor

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Zabern ist ein Imprint der wbg. © der deutschen Ausgabe 2020 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Lektorat: Kristin Oswald, Erfurt Layout, Satz und Prepress: schreiberVIS, Seeheim Einbandgestaltung: Harald Braun, Helmstedt Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8053-5226-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-8053-5224-6 eBook (epub): ISBN 978-3-8053-5225-3



Inhalt Einführung

Geschaffen, nicht geboren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 1

Der Roboter und die Hexe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Talos und Medea Kapitel 2

Medeas Verjüngungskessel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Kapitel 3

Die Suche nach Unsterblichkeit und ewiger Jugend  . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Kapitel 4

Über die Natur hinaus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Größere Macht, von Göttern und Tieren geborgt Kapitel 5

Daedalus und die lebenden Statuen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Kapitel 6

Pygmalions lebende Puppe und Prometheus’ erste Menschen  . . . . . . . 138 Kapitel 7

Hephaistos  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Göttliche Apparate und Automata Kapitel 8

Pandora  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Schön, künstlich, böse Kapitel 9

Zwischen Mythos und Geschichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Echte Automata und lebensechte Vorrichtungen in der antiken Welt Epilog

Ehrfurcht, Angst, Hoffnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Deep Learning und alte Geschichten Danksagung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildnachweis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung Geschaffen, nicht geboren Wer kam als Erster auf die Idee von Robotern, Automata, von Ergänzungen des Menschen und Künstlicher Intelligenz? Historiker führen die Idee des Automaton gern auf Handwerker des Mittelalters zurück, die selbstbewegende Maschinen entwickelten. Werfen wir aber unseren Blick noch weiter zurück, nämlich mehr als 2000 Jahre, so finden wir in der Mythologie eine ungewöhnliche Fülle an entsprechenden Ideen und Vorstellungen. Diese Geschichten zeigen, wie man das natürliche Leben nachahmen, steigern und sogar übertreffen kann  –  durch Hilfsmittel, die man als Biotechne bezeichnen könnte, als „handwerklich geschaffenes Leben“. Wir finden also in der griechischen Antike die frühesten Andeutungen auf unsere heutige Biotechnologie. Lange, bevor im Mittelalter die ersten Uhrwerke und im frühmodernen Europa die ersten Automata aufkamen, und selbst Jahrhunderte vor den technologischen Innovationen aus dem Zeitalter des Hellenismus in Gestalt raffinierter, selbstbewegender Apparate, existierten in griechischen Mythen bereits Vorstellungen über die Herstellung künstlichen Lebens  –  und auch Skrupel deswegen. Wesen, die geschaffen, nicht geboren waren, tauchten in den Erzählungen über Iason und die Argonauten auf, in denen über den bronzenen Roboter Talos, die „Techno-Hexe“ Medea, den genialen Erfinder Daedalus (in Transkription des Griechischen eigentlich: Medeia und Daidalos), den Feuerbringer Prometheus und Pandora, den von

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Geschaffen, nicht geboren

Hephaistos  –  dem Gott der Erfindung  –  geschaffenen bösen, humanoiden, weiblichen Roboter. Diese Mythen sind der früheste Ausdruck des zeitlosen Strebens, künstliches Leben zu entwickeln. Die antiken „Science-Fiction“-Kreationen zeigen, wie die Macht der Phantasie den Menschen seit den Zeiten Homers bis zu Aristoteles dazu brachte, darüber nachzusinnen, wie die Natur durch Handwerk nachgebildet werden könnte. Ideen hatte es schon lange gegeben, ehe die Technologie ein derartiges Unternehmen überhaupt erst möglich machte. Die Erzählungen dieser Zeit stützen die Vorstellung, dass es die Phantasie ist, die Mythos und Wissenschaft miteinander verbindet. Viele der Automata und mechanischen Geräte, die in der griechisch-römischen Antike entworfen und hergestellt wurden, greifen auf Mythen zurück: Sie zeigen Götter und Heroen bzw. spielen auf sie an. Wissenschaftshistoriker glauben gern, dass antike Mythen über künstliches Leben im Grunde nur leblose Materie schildern, die durch den Befehl eines Gottes oder den Spruch eines Zauberers zum Leben erweckt wurde. Solche Erzählungen finden wir in den Mythologien vieler Kulturen. Zu den zahlreichen berühmten Beispielen gehören Adam und Eva im Alten Testament oder Pygmalions Statue der Galatea im klassischen griechischen Mythos. Doch viele der in den Mythen Griechenlands und Roms  –  bzw. in vergleichbaren Überlieferungen aus dem antiken Indien und China  –  beschriebenen, selbstbewegenden Geräte und Automata unterscheiden sich deutlich von leblosen Dingen, die erst durch magisches oder göttliches Gebot belebt wurden. Diese besonderen Wesen galten als künstlich erschaffene Technologien. Sie wurden von Grund auf entworfen und aus den gleichen Materialien und mit denselben Methoden gebaut, mit denen Künstler und Handwerker ihre Arbeitsgeräte, Kunstwerke, Gebäude und Statuen herstellten. Dabei sind die in den Mythen beschriebenen Roboter, künstlichen Menschen und sich selbst bewegenden Objekte erstaunlich  –  weit phantastischer als alles, was von gewöhnlichen Sterblichen ersonnen wurde  –, und sie sind mit den großartigen Fähigkeiten von Göttern und legendären

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Erfindern wie Daedalus ausgestattet. Man kann die antiken Mythen über künstliches Leben also als Gedankenexperimente ansehen, als „Was-wäre-wenn“-Szenarien in einer alternativen Welt der Möglichkeiten, in einem imaginären Raum, in dem Technologie bis zu einem eindrucksvollen Maß vorangetrieben wurde. Der gemeinsame Nenner aller mythischen Automata in Gestalt von Tieren oder Androiden wie Talos oder Pandora ist der, dass sie geschaffen, nicht geboren wurden. In der Antike aber waren die großen Helden, Monster und sogar die unsterblichen olympischen Götter eigentlich genau das Gegenteil: Sie waren allesamt wie gewöhnliche Sterbliche „geboren, nicht geschaffen“. Dieser Unterschied war auch für das frühe christliche Dogma entscheidend, nach dem  –  so konservative Überzeugungen  –  Jesus wie ein Mensch natürlich empfangen und geboren worden sei. Dieses Motiv finden wir auch in der modernen Science-Fiction, etwa in dem Film Blade Runner 2049 aus dem Jahr 2017. Darin geht es um die Frage, ob einige der Charaktere Replikanten (also künstliche, menschenähnliche Wesen), Faksimiles echter Menschen oder aber tatsächlich echte Menschen sind. Seit uralten Zeiten kennzeichnet der Unterschied zwischen biologisch geborenem und künstlich hergestelltem Ursprung die Grenze zwischen Menschen und Nichtmenschen, zwischen natürlich und unnatürlich. Und auch in den hier versammelten Geschichten über künstliches Leben ist die erläuternde Kategorie geschaffen, nicht geboren eine wichtige Unterscheidung. Sie trennt die hergestellten Automata von leblosen Objekten, die aufgrund eines bloßen Befehls oder mithilfe von Magie belebt wurden. Zwei Götter  –  der göttliche Schmied Hephaistos und der Titan Prometheus  –  und zwei irdische Erfinder  –  Medea und Daedalus  – tauchen in griechischen, etruskischen und römischen Erzählungen über künstliches Leben auf. Diese vier Gestalten verfügen über übermenschlichen Einfallsreichtum, außerordentliche Schöpferkraft, technische Virtuosität und hervorragendes künstlerisches Geschick. Die Techniken, Künste, Handwerke, Methoden und Werkzeuge, die sie benutzen, entsprechen denen, die man aus dem wirklichen Le-

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ben kennt. Doch die mythischen Erfinder erzielen damit spektakuläre Ergebnisse und übertreffen die Fähigkeiten und Technologien der gewöhnlichen Sterblichen bei Weitem. Mit wenigen Ausnahmen werden in den Mythen, die seit der Antike überlebt haben, die inneren Mechanismen und Energiequellen von Automata nicht beschrieben, sondern bleiben unserer Phantasie überlassen. Diese fehlende Transparenz macht die göttlich geschaffenen Erfindungen zu einer Blackbox-Technologie, zu Maschinen, deren innere Abläufe unerklärt bleiben. Dazu passt der berühmte Ausspruch des britischen Science-Fiction-Schriftstellers Arthur C. Clarke: Je fortgeschrittener die Technologie, desto magischer scheint sie. In unserer heutigen Technologiekultur sind ironischerweise die meisten von uns tatsächlich um eine Erklärung dazu verlegen, wie die Geräte in ihrem Alltagsleben funktionieren  –  von Smartphones und Laptops bis zu Fahrzeugen, ganz zu schweigen von atomgetriebenen U-Booten oder Raketen. Wir wissen, dass es sich um mechanisch hergestellte Gegenstände handelt, von geistreichen Erfindern ersonnen und in Fabriken zusammengebaut, doch sie könnten ebenso gut Produkte der Magie sein. Oft wird behauptet, die menschliche Intelligenz selbst sei eine Art Blackbox. Und derzeit erreichen wir einen weiteren Grad an allgegenwärtiger Blackbox-Technologie: Maschinen lernen, und ihr Fortschritt wird schon bald dazu führen, dass Produkte mit Künstlicher Intelligenz ohne jegliches menschliches Eingreifen bzw. überhaupt Verständnis dieser Prozesse gewaltige Datenmengen sammeln, auswählen und interpretieren, um Entscheidungen zu fällen und von sich aus zu handeln. Nicht nur werden die Nutzer im Dunkeln gelassen, sondern nicht einmal die Urheber Künstlicher Intelligenz selbst verstehen die Arbeit ihrer Schöpfungen noch gänzlich. In gewisser Hinsicht kehren wir damit zu den frühesten Mythen um phantastisches, undurchschaubares künstliches Leben und Biotechne zurück. Die Suche nach einer treffenden und passenden Sprache, um das Spektrum der Automaten und unnatürlichen Wesen zu beschreiben, die in der antiken Mythologie als geschaffen, nicht geboren bezeich-

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Einführung

net werden, gestaltet sich schwierig und entmutigend. In den Geschichten um künstliches Leben, in der Sprache des Mythos formuliert, überlappen sich oft das Magische und das Mechanische. Selbst heute erkennen Wissenschafts- und Technologiehistoriker an, dass Roboter, Automat, Cyborg, Android, KI, Maschine und dergleichen im Grunde aalglatte Begriffe ohne festgelegte Definitionen sind. Auch ich benutze hier informelle, konventionelle Begriffe, doch für die nötige Klarheit gebe ich technische Definitionen im Text, in den Anmerkungen und im Glossar an. Dieses Buch umreißt das große Kapitel von Formen künstlichen Lebens in der Mythologie. Dazu gehören auch Geschichten über die Suche nach einem langen Leben und Unsterblichkeit, Erzählungen über übermenschliche Kräfte, die von Göttern und Tieren entlehnt wurden, sowie über Automata und lebensähnliche Replikanten, die über die Möglichkeit zur selbstständigen Bewegung und einen Verstand verfügen. Der Fokus liegt auf der mediterranen Welt, aber ich habe auch einige Berichte aus dem antiken Indien und China mit aufgenommen. Und obwohl die Beispiele belebter Statuen, sich bewegender Geräte und Abbilder der Natur aus Mythen, Legenden und anderen antiken Berichten nicht direkt Maschinen, Roboter oder KI im modernen Sinne sind, glaube ich dennoch, dass die hier zusammengetragenen Geschichten „gut zum Denken“ sind, wie es Claude Lévi-Strauss in seiner Studie zum Ende des Totemismus formulierte. Sie zeichnen das Aufkeimen der Begriffe und Vorstellungen von künstlichem Leben nach, das den technologischen Gegebenheiten vorranging. Wir sollten allerdings unsere heutigen Auffassungen von Mechanik und Technologie nicht auf die Antike projizieren, vor allem angesichts der fragmentarischen Natur der Quellenlage zur Antike. In diesem Buch wird nicht behauptet, es gäbe direkte Einflüsse von Mythos oder antiker Geschichte auf moderne Technologie, auch wenn ich auf Nachklänge in der modernen Wissenschaft hinweise. Hier und da erwähne ich aber ähnliche Themen in moderner Fiktion, in Film und Popkultur und ziehe Parallelen zur Wissenschaftsge-

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schichte. Damit möchte ich das natürliche Wissen und die Voraussicht aufzeigen, die das mythische Material enthält. Nebenbei haben diese uralten Geschichten  –  manche noch heute sehr bekannt, andere schon längst vergessen  –  Fragen nach dem freien Willen aufkommen lassen, nach Sklaverei, dem Ursprung des Bösen, den Grenzen des Menschen und auch danach, was es heißt, ein Mensch zu sein. Wie der böse Roboter Tik-Tok 1983 in John Sladeks gleichnamigem Science-Fiction-Roman anmerkte, führt schon die Idee eines Automatons in „tiefe philosophische Gewässer“, weil aus ihr Fragen folgen zu Existenz, Denken, Kreativität, Wahrnehmung und Wirklichkeit. Im reichen Fundus der Geschichten aus der antiken mythischen Vorstellungswelt können wir die frühesten Spuren des Bewusstwerdens darüber erkennen, dass es eine Flut an ethischen und praktischen Dilemmata auslösen kann, die Natur zu manipulieren und das Leben nachzubilden. Diese Spuren verfolge ich im Epilog weiter. Ein Großteil des literarischen und künstlerischen Schatzes der Antike ist im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen; ein Großteil des erhaltenen Materials ist unvollständig und zudem vom ursprünglichen Kontext isoliert. Man kann nur schwer abschätzen, wie viel von der antiken Literatur und Kunst verloren gegangen ist. Die schriftlichen Zeugnisse, die noch existieren  –  Gedichte, Epen, Abhandlungen, Geschichten und andere Texte  –, sind nur ein winziges Bruchstück im Vergleich zu dem Reichtum, den es einst gab. Tausende von Kunstwerken haben sich bis heute erhalten, doch ist auch das nur ein kleiner Prozentsatz der Millionen Objekte, die es einst gegeben hat. Einige Archäologen vermuten, dass wir nur noch etwa ein Prozent der jemals entstandenen griechischen Vasenmalerei besitzen. Und das Wenige an Literatur und Kunst, das blieb, wurde oft nur durch Zufall bewahrt. Die Tatsache, dass vieles verloren und etliches nur zufällig bewahrt wurde, macht das, was wir tatsächlich haben, umso kostbarer. Das bestimmt auch den Ansatz und den Weg, diese Dinge zu finden und zu interpretieren. In einer Studie wie der vorliegenden können wir nur das analysieren, was sich über die Jahrhunderte erhalten hat,

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Einführung

als würden wir in einem tiefen, dunklen Wald einer Spur aus Brotkrümeln folgen: Vögel haben die meisten Krümel längst gefressen. Und um eine weitere Analogie für das, was verschwunden ist und was überlebt hat, anzuführen: Verheerende Waldbrände haben Pfade der Zerstörung geschlagen, und sie werden angetrieben von Winden, die über Gras- und Baumlandschaften pfeifen. Was nach solch schrecklichen Feuersbrünsten bleibt, nennen die Förster einen „Mosaik-Effekt“: breite Streifen verbrannter Gebiete, durchsetzt von Flecken blumiger Wiesen und Dickicht mit immer noch grünen Bäumen. Auch die zufälligen Verwüstungen der Jahrhunderte innerhalb jener griechischen und römischen Literatur und Kunst, die sich auf künstliches Leben bezieht, haben einen Flickenteppich hinterlassen, dominiert von geschwärzten leeren Räumen, in den hier und da entscheidende Abschnitte und Bilder aus der Antike eingestreut sind. Ein solches Mosaik braucht einen Pfad zwischen den immergrünen Oasen, die zufällig über Hunderte von Jahren erhalten und gepflegt wurden. Wenn wir diesem Pfad folgen, können wir uns vielleicht die ursprüngliche kulturelle Landschaft vorstellen. Eine ähnliche Annäherung, die „Mosaik-Theorie“, nutzen auch Geheimdienstanalysten, wenn sie ein großes Bild zusammenzusetzen versuchen, indem sie kleine Informationsstücke zusammenführen. Für dieses Buch habe ich auf alle Texte und jedes Stückchen antiker Poesie und Mythen, Geschichte, Kunst und Philosophie zurückgegriffen, die ich finden konnte und die mit künstlichen Leben im Zusammenhang stehen. Und es finden sich genügend überzeugende Beweise, die den Schluss nahelegen, dass die Menschen der Antike von Geschichten über die künstliche Erschaffung von Leben und die Verstärkung natürlicher Kräfte fasziniert, ja sogar besessen waren. Die Leser mögen also nicht erwarten, in diesen Kapiteln einen einfachen, geradlinigen Weg vorzufinden. Wie Theseus, der einem Faden folgte, um den Weg durch das von Daedalus entworfene Labyrinth zu finden, und wie Daedalus’ Ameise, die durch eine Schneckenmuschel auf dem Weg zu ihrer Belohnung in Form von Honig kroch, folgen wir dem mäandernden, vor- und zurück-

Geschaffen, nicht geboren

gehenden Pfad voller Geschichten und Bildern, um zu begreifen, wie die antiken Kulturen über künstliches Leben dachten. Es gibt einen narrativen Bogen quer durch die Kapitel, doch die Handlungsstränge sind vielschichtig und miteinander verflochten. Wir durchqueren das, was der Zukunftsforscher George Karkadakis, der sich mit der Künstlichen Intelligenz befasst, das „große Flussnetz mythischer Erzählungen mit all seinen Nebenflüssen, Zusammenflüssen und Rückflüssen“ nennt, auf dem Weg zu bekannten Gestalten und Geschichten. Und im Voranschreiten gewinnen wir neue Einsichten. Nachdem wir dann unseren Weg durch den gewaltigen Erinnerungspalast der Mythen gebahnt haben, mag es einigen wie eine Erlösung vorkommen, dass sich das Schlusskapitel endlich der wirklichen, historischen Chronologie von Erfindern und technologischen Erfindungen der Antike widmet. Dieses Kapitel endet mit der Schilderung davon, wie sich selbstbewegende Geräte und Automata während des Hellenismus vom ägyptischen Alexandria her ausbreiteten, diesem ultimativen Ort der Phantasie und Erfindungen. Insgesamt zeigen diese Geschichten, die mythischen wie die wahren, wie überraschend weit die Suche der Menschen nach einem Leben zurückreicht, das geschaffen, nicht geboren wurde. Dieser Suche wollen wir uns nun anschließen.

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Kapitel 1

Der Roboter und die Hexe Talos und Medea Der erste „Roboter“, der in der antiken griechischen Mythologie auf Erden wandelte, war der bronzene Riese Talos. Talos war eine belebte Statue, die die Insel Kreta beschützte; eine der drei wundersamen Gaben, die von Hephaistos hergestellt wurden, dem Gott der Schmiede und Schutzpatron der Erfindung und Technologie. Diese Wunderwerke wurden von Zeus für seinen Sohn Minos bestellt, den legendären ersten König Kretas. Die anderen beiden Gaben waren ein goldener Köcher mit drohnenartigen Pfeilen, die niemals ihr Ziel verfehlten, und Lailaps, ein goldener Hund, der immer seine Beute fing. Das bronzene Automaton Talos sollte Kreta gegen Piraten verteidigen.1 Talos bewachte Minos’ Königreich, indem er die große Insel dreimal am Tag umrundete. Als belebte Maschine aus Metall in Menschengestalt, die zudem fähig war, komplexe menschengemäße Handlungen auszuführen, kann man Talos als einen imaginierten androiden Roboter bezeichnen, als ein Automaton, „geschaffen, um sich von allein zu bewegen“.2 Entworfen und gebaut von Hephaistos, wurde Talos „programmiert“, um Invasionen abzuwehren, Fremde aufzuspüren, und um Felsbrocken aufzusammeln und gegen fremde Schiffe zu schleudern, die sich den Küsten Kretas näherten, um diese zu versenken. Talos besaß noch eine weitere Fähigkeit, die einer menschlichen Eigenschaft nachempfunden war: Beim Nahkampf konnte der mechanische Riese eine universelle Geste menschlicher

Der Roboter und die Hexe

Wärme, nämlich die Umarmung, auf schlimme Weise pervertieren: Er konnte seinen bronzenen Körper glutrot aufheizen, seine Feinde an seine Brust ziehen und sie in dieser Umarmung bei lebendigem Leib rösten. Den denkwürdigsten Auftritt in der Mythologie hat Talos gegen Ende der Argonautika, also in dem Epos des Apollonios von Rhodos, das die Abenteuer des griechischen Helden Iason und der Argonauten sowie ihre Suche nach dem Goldenen Vlies beschreibt. Heute ist die Talos-Episode dank der unvergesslichen Stop-Motion-Animation des bronzenen Roboters von Ray Harryhausen in dem Kultfilm Jason und die Argonauten (1963; Abb. 1.1 zeigt einen Bronzeabguss des Originalmodells) vielen bekannt.3 Als er sein Epos Argonautika im 3.  Jh.   v.  Chr. schrieb, bezog sich Apollonios auf viel ältere, mündlich und schriftlich überlieferte Versionen der Mythen um Iason, seine spätere Ehefrau, die Hexe Medea, und Talos. Diese Geschichten waren seinem Publikum bereits sehr vertraut. Apollonios schrieb in einem archaistischen, also einem bewusst altertümlich anmutenden Stil. Er stellt Talos an einer Stelle als Überlebenden oder Relikt des „Zeitalters der bronzenen Menschen“ dar  –  eine raffinierte, hochnäsige Anspielung auf einen symbolischen Abschnitt in Hesiods (ca. 750–650 v. Chr.) Lehrgedicht Werke und Tage über die lang zurückliegende Vergangenheit der Bronzezeit.4 In den

Abb. 1.1: Talos; Bronzeabguss des bröckeligen Originalmodells von Ray Harryhausen aus dem Film Jason und die Argonauten (1963).

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Kapitel 1

Argonautika und anderen Versionen des Mythos wird Talos jedoch auch als technologisches Produkt beschrieben, als bronzenes, programmiertes Automaton. Seine Fähigkeiten werden von einem internen System mit göttlichem Wundsekret angetrieben, dem „Blut“ der unsterblichen Götter. Das wirft einige Fragen auf: Ist Talos unsterblich? Ist er eine seelenlose Maschine oder ein fühlendes Wesen? Diese Unsicherheiten erweisen sich für die Argonauten als ausschlaggebend, auch wenn die Antworten uneindeutig bleiben. Im letzten Buch der Argonautika sind Iason und die Argonauten mitsamt dem Goldenen Vlies auf der Heimfahrt. Doch ihr Schiff, die Argo, gerät in eine Flaute. Ohne Wind, der ihre Segel blähen könnte, und erschöpft vom tagelangen Rudern, fahren die Argonauten in eine geschützte Bucht zwischen zwei hohen Klippen auf Kreta. Schnell erblickt Talos sie, und sogleich bricht der große Bronzekrieger Felsen von der Klippe und wirft sie auf das Schiff. Wie können die Argonauten diesem Angriff des monsterhaften Androiden entkommen? Zitternd vor Furcht und verzweifelt versuchen die Seeleute, dem schrecklichen Koloss zu entfliehen, der am felsigen Hafen steht. Doch es ist die Zauberin Medea, die zu ihrer Rettung herbeieilt. Als schöne Prinzessin aus dem Königreich Kolchis am Schwarzen Meer war Medea eine betörende Femme fatale, die eine ganze Reihe eigener mythischer Abenteuer aufzuweisen hatte. Sie besaß die Schlüssel zu Jugend und Alter, zu Leben und Tod. Sie konnte Menschen und Ungeheuer hypnotisieren, andere verzaubern und wirkungsvolle Zaubertränke brauen. Medea wusste, wie man sich vor Flammen schützt, sie kannte die Geheimnisse des nicht zu löschenden „flüssigen Feuers“, bekannt als „Medeas Öl“  –  ein Hinweis auf das leichtflüchtige Rohöl aus natürlichen Erdölquellen um das Kaspische Meer. 5 In Senecas Tragödie Medea (Verse 820–830, verfasst im 1.  Jh. n. Chr.) bewahrt die Zauberin dieses „magische Feuer“ in einem luftdichten goldenen Kästchen auf und behauptet, der Feuerbringer Prometheus selbst hätte sie gelehrt, wie man die Kräfte des Feuers bewahrt.

Der Roboter und die Hexe

Vor ihrer Landung auf Kreta hat Medea bereits Iason bei seiner Expedition geholfen, das Goldene Vlies zu erlangen. Medeas Vater, König Aietes, versprach Iason, ihm das Vlies zu geben, wenn er zuvor eine unmögliche, todbringende Aufgabe löse. Aietes besaß ein Paar massiger Bronzestiere, die Hephaistos geschaffen hatte. Er befahl Iason, die Feuer speienden Tiere anzuspannen und mit ihnen ein Feld zu pflügen. Zuvor hatte er Drachenzähne in den Boden gesät, aus denen eine Armee androider Soldaten aufkeimen würde. Medea beschloss, den gutaussehenden Helden vor dem sicheren Tod zu bewahren, und sie und Iason wurden ein Liebespaar (zur ganzen Geschichte, wie Iason mit den roboterhaften Stieren und der Drachenzahn-Armee verfuhr, siehe Kapitel 4).6 Die Liebenden mussten vor dem erzürnten König Aietes fliehen. Medea, deren goldene Kutsche von einem Paar gezähmter Drachen gezogen wurde, führte Iason zur Höhle des schrecklichen Drachen, der das Goldene Vlies bewachte. Dank ihrer scharfsinnigen psychologischen Einsichten sowie mithilfe starker Pharmaka (Drogen) und Technai (Geräte) überwand Medea den Drachen.7 Zauberformeln murmelnd griff sie in ihren Vorrat exotischer Kräuter und seltener Substanzen, die sie auf abgelegenen Felsen und Wiesen hoch im Kaukasus gesammelt hatte, versetzte den Drachen in tiefen Schlaf und ergriff das Goldene Vlies für Iason. Medea und Iason machten sich mit dieser Beute zur Argo davon, und Medea begleitete die Argonauten auf ihrer Heimreise. Nun, angesichts der Bedrohung durch das hoch aufragende Bronze-Automaton, das sich ihnen in den Weg stellt, übernimmt Medea erneut die Führung. „Wartet!“, befiehlt sie Iasons ängstlichen Seeleuten. „Auch wenn Talos’ Körper aus Bronze ist, wissen wir doch nicht, ob er unsterblich ist. Ich glaube, ich kann ihn besiegen.“ Medea (vom griechischen medeia, „gerissen“, verwandt mit medos, „Plan, Ratschlag“) macht sich bereit, Talos zu vernichten. In den Argonautika setzt sie Gehirnwäsche und ihr besonderes Wissen um die Physiologie des Roboters ein. Sie weiß, dass der Schmiedegott Hephaistos Talos mit einer einzigen Arterie bzw. einem Kanal

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Kapitel 1

versehen hat, durch den Ichor, die ätherische Lebensflüssigkeit der Götter, von seinem Kopf bis zu den Füßen strömt. Talos’ biomimetisches „Vivisystem“, die lebensähnlichen Eigenschaften, die ihn am Leben erhalten, wurde von einem bronzenen Nagel bzw. Stift an seiner Fessel verschlossen. Medea erkennt, dass die Fessel des Roboters die Stelle seiner physischen Verletzbarkeit ist.8 Apollonios beschreibt, wie Iason und die Argonauten voller Bewunderung zurückbleiben und das heroische Duell zwischen der mächtigen Hexe und dem schrecklichen Roboter beobachten. Wieder murmelt Medea mystische Worte, um böse Geister herbeizurufen; wütend knirscht sie mit den Zähnen und fixiert Talos’ Augen mit durchdringendem Blick. Die Hexe sendet eine Art unheilvoller „Telepathie“ aus, die den Riesen orientierungslos macht. Talos stolpert, als er einen weiteren Findling aufnimmt, um ihn zu schleudern. Ein scharfkantiger Felsen schlägt eine Kerbe in seine Fessel und verletzt seine einzige Ader. Als sein Leben „wie geschmolzenes Blei“ entweicht, schwankt Talos wie eine gewaltige Pinie, die unten am Stamm gefällt wird. Mit donnerndem Krachen stürzt der bronzene Riese auf den Strand. Es ist interessant, über die Todesszene von Talos zu spekulieren, wie sie in den Argonautika dargestellt wird. War dieses anschauliche Bild von dem sensationellen Zusammenbruch einer realen bronzenen Monumentalstatue beeinflusst? Manche Gelehrte haben vermutet, dass Apollonios, der einige Zeit auf Rhodos verbracht hat, an den prachtvollen Koloss von Rhodos dachte, der 280  v.  Chr. mithilfe ausgefeilter Ingenieurstechnik erbaut wurde und eine komplexe innere Struktur aufwies, ummantelt von Bronze. Als eines der Sieben Weltwunder der Antike hatte diese Statue des Sonnengottes Helios angeblich eine Höhe von mehr als 30 m, was ungefähr der Größe der Freiheitstatue im Hafen von New York entspricht. Anders als der mythische Talos, der seine Tage in ständiger Bewegung verbrachte, hatte die gewaltige Gestalt des Helios keine beweglichen Teile, sondern diente als Leuchtturm und Tor zur Insel. Der Koloss wurde noch zu Apollonios’ Lebzeiten, im Jahr 226  v.  Chr., von einem ge-

Der Roboter und die Hexe

waltigen Erdbeben zerstört: Die massive Bronzestatue brach an den Knien ein und stürzte ins Meer.9 Es gab noch weitere Vorbilder für Talos. Apollonios schrieb im 3.  Jh.  v.  Chr., als im ägyptischen Alexandria, einem regen Zentrum technischer Innovationen, eine ganze Reihe selbstbewegender Maschinen und Automaten gefertigt und zur Schau gestellt wurde. Apollodor, der aus Alexandria stammte, war der Leiter der dortigen großen Bibliothek (P. Oxy. 12.41)10. Seine Beschreibungen des Automaton Talos (und eines drohnenartigen Adlers, siehe Kapitel 6) legen nahe, dass er die berühmtesten Statuen und mechanischen Geräte Alexandrias kannte (siehe Kapitel 9). In älteren Versionen der Geschichten um Talos treten Technologie und Psychologie noch stärker in den Vordergrund  –  und zwar auf mehrdeutige Art. Macht sein metallener Ursprung Talos vollständig inhuman? Bemerkenswerterweise wird die Frage, ob er handlungsfähig ist oder Gefühle hat, in den Mythen nie vollständig geklärt. Obwohl er geschaffen, nicht geboren wurde, scheint Talos auf tragische Weise menschlich zu sein, sogar heroisch. Er wird mithilfe eines Tricks „erledigt“, während er die ihm zugewiesene Aufgabe erfüllt. In den anderen, komplexeren Beschreibungen seines Untergangs besiegt Medea ihn mit ihren hypnotisierenden Pharmaka und nutzt ihre Suggestivkraft, um Talos dazu zu zwingen, die albtraumhafte Vision seines eigenen gewaltsamen Todes heraufzubeschwören. In anderen Versionen spielt Medea mit den „Gefühlen“ des Automaton. Hier wird Talos als empfänglich für menschliche Furcht und Hoffnung dargestellt und sogar mit einer Art Willenskraft und Intelligenz ausgestattet. Medea überzeugt ihn davon, dass sie ihn unsterblich machen könne  –  aber nur durch Entfernung des Bronzestifts an seiner Fessel. Talos stimmt zu. Als diese wichtige Versiegelung entfernt wird, fließt der Ichor aus ihm heraus, und Talos’ „Leben“ verrinnt. Heutige Leser könnte das langsame Ableben des Roboters an die ikonische Szene in Stanley Kubricks Film 2001: Odyssee im Weltraum (1968) erinnern. Als die Speichermodule des dem Untergang geweihten Computers HAL nachlassen und ihren Dienst einstellen,

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fängt HAL an, die Geschichte seiner „Geburt“ zu erzählen. Doch HAL wurde geschaffen, nicht geboren, und seine „Geburt“ ist eine Fiktion, die ihm von seinen Herstellern implantiert wurde, so wie in den Blade Runner-Filmen (1982, 2017) eidetische und emotionale Speicher hergestellt und Replikanten eingepflanzt werden. Neuere Studien zu Mensch-Roboter-Interaktionen zeigen, dass Menschen dazu neigen, Roboter und Künstliche Intelligenz zu vermenschlichen, wenn die entsprechenden Geräte „wie Menschen agieren“ und zudem einen Namen und eine persönliche „Geschichte“ haben. Doch Roboter sind nicht empfindungsfähig und haben keine subjektiven Gefühle. Dennoch weisen wir selbstbewegenden Objekten, die menschliches Verhalten nachahmen, Gefühle und Leidensfähigkeit zu und verspüren Sympathie für sie, wenn sie beschädigt oder zerstört werden. Im Film Jason und die Argonauten suggeriert Harryhausens erstaunliche Animationssequenz trotz des ausdruckslosen Gesichts des monolithischen Bronze-Automaton einen Schimmer von Persönlichkeit und Intellekt in Talos. In der ergreifenden „Todes“-Szene bemüht sich der große Roboter zu atmen, während sein Lebenssaft ausläuft, und gestikuliert hilflos an seiner Kehle, während sein bronzener Körper zerspringt. Das heutige Publikum hat Mitleid mit dem „hilflosen Riesen“ und bedauert, dass er durch Medeas Trick „hereingelegt wurde“.11 Im 5.  Jh.  v.  Chr. thematisierte der griechische Tragödiendichter Sophokles (497 – 406  v.  Chr.) Talos in einem seiner Dramen.12 Leider ist dieses verschollen, aber man kann sich leicht vorstellen, wie mündliche Überlieferungen und die Dramen über Talos’ Schicksal in der Antike ein ähnliches Mitgefühl hervorgerufen haben; zumal er sich menschenähnlich verhielt und sein Name und seine Vorgeschichte weithin bekannt waren. Tatsächlich gibt es genügend Beispiele dafür, wie antike Vasenmaler Talos vermenschlichten, wenn sie seinen Tod darstellten. Wir haben nur Fragmente der vielen Geschichten um den kretischen Roboter, die in der Antike zirkulierten, und manche Versionen sind ganz verschollen. Abbildungen auf Vasen und Münzen

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Abb. 1.2: Der Steine werfende Talos auf Münzen aus Phaistos, Kreta. Links: Silberstater, 4. Jh.  v.  Chr. (auf der Rückseite: ein Stier). Rechts: Talos im Profil; Bronzemünze, 3. Jh.  v.  Chr. (auf der Rückseite: der goldene Hund).

helfen uns, unser Talos-Bild zu vervollständigen, und manche künstlerischen Darstellungen von ihm enthalten sogar Details, die in der überlieferten Literatur fehlen.13 Die Silbermünzen der Stadt Phaistos –  ursprünglich eine der drei großen minoischen Städte des bronzezeitlichen Kretas  –  aus der Zeit von ca. 350 bis 280  v.  Chr. sind Beispiele dafür. Sie zeigen einen bedrohlichen Talos von vorn oder im Profil, wie er Steine wirft. Keine einzige Quelle aus der Antike besagt, dass er Flügel gehabt hätte oder geflogen sei, doch auf den Münzen aus Phaistos hat Talos tatsächlich Flügel. Sie könnten ein Symbol für seinen nicht-menschlichen Status sein oder auf seine übermenschliche Geschwindigkeit anspielen, wenn er die Insel umrundete (nach einigen Berechnungen habe er sich mit mehr als 250 km/h fortbewegt). Auf der Rückseite einiger dieser Münzen aus Phaistos wird Talos von dem goldenen Hund Lailaps begleitet, einem der drei Ingenieurswunderwerke, die Hephaistos für König Minos geschaffen hat. Der Wunderhund hat wiederum seinen eigenen antiken Überlieferungsfundus (siehe Kapitel 7).

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Abb. 1.4: Der Tod des Talos: Detail der Ruvo-Vase.

Abb. 1.3: Der Tod des Talos: Der metallene Roboter Talos sinkt ohnmächtig in die Arme von Kastor und Polydeukes, während Medea eine Schale mit Drogen hält und boshaft dreinblickt; rotfiguriger Volutenkrater des sogenannten Talos-Malers, 5. Jh.  v.  Chr., aus Ruvo, Italien.

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Ungefähr zwei Jahrhunderte, bevor Apollonios seine Argonautika schrieb, erschien Talos um 430 bis 400  v.  Chr. in der griechischen rotfigurigen Vasenmalerei. Die Details einiger dieser Vasen zeigen, dass seine innere „Biostruktur“, das mit Ichor gefüllte Adernsystem, schon im 5.  Jh.  v.  Chr. Teil der Geschichte war. Die Ähnlichkeiten und der Stil der Szenen legen nahe, dass die Vasenmaler hier große öffentliche Wandgemälde Polygnots und Mikons kopiert haben; beide waren im 5.  Jh.  v.  Chr. bekannte athenische Künstler. Der antike griechische Reiseschriftsteller Pausanias (8.11.3) berichtet uns, dass Mikon Episoden aus dem Epos von Iason und dem Goldenen Vlies im sogenannten Tempel von Kastor und Polydeukes in Athen gemalt hatte (diese Dioskuren-Zwillinge wurden im Anakeion verehrt, siehe Kapitel 2). Diese von Pausanias im 2.  Jh.  n.  Chr. bewunderten Bilder sind heute verloren, doch Abbildungen auf noch existierenden Vasen zeigen, wie man sich Talos in der klassischen Periode der griechischen Kunst vorstellte. Die Künstler zeigten ihn teils als Maschine, teils als Mensch, dessen Zerstörung eine gewisse Technologie voraussetzte. Die Gemälde vermitteln auch einen Sinn für Pathos. Beispielsweise zeigt die dramatische Szene auf der außergewöhnlichen „TalosVase“  –  einem großen attischen Weingefäß, das um 410–400  v.  Chr. entstand  –, wie Medea den großen bronzenen Mann hypnotisiert (Abb. 1.3 und Abb. 1.4). Ihre Schale mit Drogen haltend, schaut Medea aufmerksam zu, wie Talos ohnmächtig in die Arme von Kastor und Polydeukes sinkt. Im griechischen Mythos schließen sich die Dioskuren den Argonauten an, doch keine der überlieferten Geschichten bringt sie mit Talos’ Tod in Verbindung, sodass dieses Bild auf eine verschollene Erzählung verweist. Der Talos-Maler stellt Talos mit einem kräftigen Metallkörper dar, der dem einer Bronzestatue ähnelt; sein Torso sieht aus wie jene realistischen, ausgeprägt muskulösen, bronzenen Brustharnische, die griechische Krieger trugen (siehe Kapitel 7, Abb. 7.3). Der Künstler benutzte die gleiche Technik wie bei bronzenen „Muskelharnischen“ bei Kriegerdarstellungen: Er gab den ge-

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samten Körper von Talos gelblich-weiß wieder, um die bronzene Panzerung von menschlicher Haut zu unterscheiden. Doch trotz der metallischen Hülle wirken Haltung und Gesicht von Talos menschlich  –  die Darstellung sollte Empathie hervorrufen. Ein Altphilologe entdeckte gar eine „Träne, die aus Talos’ rechtem Auge fällt“, allerdings könnte diese Linie auch eine metallische Ausformung oder eine Nahtstelle sein, so wie die anderen rötlichen Linien die Anatomie des Roboters definieren.14 Ein früheres Vasenbild (440–430  v.  Chr.) auf einem attischen Krater aus Süditalien zeigt Talos als große, bärtige Gestalt mit Gleichgewichtsproblemen, wie er gegen Kastor und Polydeukes kämpft (Abb. 1.5 und 1.6). Diese Szene weist zudem einige auffällige Details auf, die den technologischen Charakter von Talos’ Vivisystem und dessen Zerstörung bestätigen: Wir sehen, wie Iason neben dem rechten Fuß des Roboters kniet und mit einem Werkzeug an dem klei-

Abb. 1.5: Medea schaut zu, wie Iason mit einem Werkzeug den Stift aus Talos’ Fessel löst, die von einer kleinen, geflügelten Todesgestalt gehalten wird; Talos sinkt in die Arme von Kastor und Polydeukes; rotfiguriger Krater, 450–400  v.  Chr., gefunden in Montesarchio, Italien.

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Abb. 1.6: Detail des Montesarchio-Kraters: Iason benutzt ein Werkzeug, um den Stift aus Talos’ Fessel zu entfernen.

nen runden Stift in Talos’ Fessel hantiert. Medea, die sich über Iason beugt, hält ihre Schale mit Drogen. Eine kleine geflügelte Thanatos-Gestalt hält und stützt Talos’ Fuß. Diese Todesgestalt, auf einem Fuß stehend, den anderen zurückgebeugt, scheint Talos’ Todeskampf zu symbolisieren. Eine ähnliche Szene auf einem attischen Vasenfragment von ca. 400  v.  Chr., das in Spina, einem etruskischen Hafen an der Adria, gefunden wurde, zeigt die Benutzung eines Werkzeugs. Wieder wird Talos von Kastor und Polydeukes gepackt. Zu seinen Füßen hält Medea eine Kiste in ihrem Schoß und eine Klinge in ihrer rechten Hand; sie ist im Begriff, den Nagel aus Talos’ Fessel zu entfernen. Eine weitere winzige geflügelte Todesgestalt zeigt auf Talos’ Beine, was die Spannung der Darstellung erhöht.15

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Im griechischen Mythos von Iason und den Argonauten war der bronzene Koloss ein schreckliches Hindernis, das beseitigt werden musste. Für König Minos von Kreta aber war Talos ein Segen, ein Frühwarnsystem und eine Frontverteidigung für seine mächtige Flotte. Ähnlich sahen die Etrusker, die ca. zwischen 700 und 500  v.  Chr. über Norditalien herrschten, den Wächter Talos als Heldengestalt. Griechische Mythen waren bei den Etruskern beliebt; sie importierten ganze Schiffsladungen attischer Vasen mit bekannten Szenen und Gestalten der Mythologie. Oft verliehen die Etrusker den hellenischen Geschichten eine lokale Färbung, wie wir in ihren eigenen Kunstwerken sehen: Talos-Szenen wurden zwischen etwa 500 und 400  v.  Chr. in mehrere etruskische Bronzespiegel geritzt; zu dieser Zeit entpuppte sich die Macht Roms als Bedrohung für die Etrusker. Ein etruskischer Spiegel im British Museum zeigt Talos, mit seinem etruskischen Namen Chaluchasu bezeichnet. Er kämpft gegen zwei der Argonauten, die in etruskischer Schrift als Kastor und Polydeukes benannt sind. Eine Frau beugt sich herab und öffnet eine kleine Kiste, während sie zu Talos’ Unterschenkel greift (Abb. 1.7). Die Szene wiederholt die Taten Medeas aus der attischen Vasenmalerei, doch die Frau ist bezeichnet als „Turan“, also mit dem etruskischen Namen für die Liebesgöttin Aphrodite; das legt nahe, dass wir es hier mit einer weiteren unbekannte Version des griechischen Mythos’ zu tun haben. Andererseits wird auf etruskischen Bronzespiegeln auch ein sieghafter Talos/Chaluchasu gezeigt, der seine Widersacher zerquetscht, was wohl seine Fähigkeit darstellt, seine Opfer zu rösten, indem er sie an seine erhitzte Brust zieht (ebenfalls Abb. 1.7). Man schloss daraus, dass eine lokale italische Tradition Talos glorifizierte und den eigentlichen Zweck des bronzenen Roboters als Wächter der kretischen Ufer betonte. Die Spiegel zeigen, dass die Etrusker Talos/ Chaluchasu als positiven Helden sahen, durch dessen „Unbesiegbarkeit Eindringlinge und Fremde abgehalten“ wurden, und das zu einer Zeit, als die Etrusker sich mit Roms Einfällen auf ihr Gebiet auseinandersetzen mussten.16

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Abb. 1.7: Unten: Talos zerquetscht Kastor und Polydeukes an seiner Brust, während eine Frau eine Kiste öffnet und zu Talos’ Fessel greift; etruskischer Bronzespiegel, ca. 460  v.  Chr. Oben: Talos zerquetscht zwei Männer; etruskischer Bronzespiegel.

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Wie alt ist die Erzählung über Talos? Das ist nicht sicher, doch wie wir gesehen haben, erscheint er bereits in der Kunst des frühen 5. Jh.s  v.  Chr. Geschichten von weiteren belebten Statuen und selbstfahrenden Geräten, die den Göttern auf dem Olymp dienten, finden sich in antiker mündlicher Tradition. Sie wurde zuerst um 750  v.  Chr. in Homers Ilias verschriftlicht, dem Epos um den legendären Trojanischen Krieg während der Bronzezeit (ca. 1150  v.  Chr.).17 In der klassischen Antike glaubte man, dass König Minos von Kreta drei Generationen vor dem Trojanischen Krieg regiert hatte. Berühmt wegen seiner Gesetze und der mächtigen Flotte, die er bauen ließ, um Piraten zu bekämpfen, galt Minos den Historikern im 5. Jh.  v.  Chr. als „historischer“ Herrscher, u. a. Herodot (3.122) und Thukydides (1.4), und später dann Diodor (4.60.3), Plutarch (Theseus 16) und Pausanias (3.2.4). Neuzeitliche Archäologen benannten die minoische Kultur (3000 –1100  v.  Chr.) nach diesem legendären König. Siegel aus minoischer Zeit aus Kreta zeigen viele bizarre Monster und Dämonen, die offenbar als Wächter von Städten und als Talismane dienten. Ein Mann mit Stierkopf, der Minotaurus, erscheint auf einigen von ihnen. Ein spätminoischer Siegelstempel  –  Archäologen nannten ihn Master Impression (1450 –1400  v.  Chr.)  –  ist sehr eindrucksvoll. Er zeigt eine befestigte Stadt auf einem Hügel oberhalb eines felsigen Meeresufers (was zur Topographie des Hügels von Kastelli im antiken Kydonia passt, dem heutigen Chania auf Kreta, wo das Siegel entdeckt wurde). Eine riesenhafte männliche Gestalt ohne Gesicht, „ungewöhnlich robust und stark gebaut“, ragt hoch über dem höchsten Punkt der Stadt auf. Diese rätselhafte Gestalt stellt zwar noch nicht den Talos aus dem späteren griechischen Mythos dar. Doch wenn dieses und ähnliche Siegel in der griechischen Antike verbreitet waren, ist es durchaus möglich, dass eine Szene wie diese  –  ein Riese, der anscheinend eine minoische Stadt bewacht – frühe mündliche Traditionen um Talos beeinflusst haben könnte, in denen er Kreta für König Minos verteidigt. Das ist jedoch Spekulation, und die Bedeutung dieser Szene bleibt ohne passende literarische Texte weiterhin unklar.18

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König Minos taucht in weiteren antiken Erzählungen auf, in denen es um Technologie geht  –  in Verbindung mit dem legendären Handwerker Daedalus, der zuweilen auch mit den Werken des Erfindergottes Hephaistos in Zusammenhang gebracht wurde (siehe Kapitel 4 und 5). In jedem Fall ist klar, dass Talos, das bronzene Automaton aus Kreta, in der griechischen Dichtung und Kunst bereits lange Zeit wohlbekannt war, bevor Apollonios von Rhodos im 3. Jh.  v.  Chr. seine Argonautika verfasste. Von Pindar abgesehen (Pythien 4, ca. 642  v.  Chr.), wissen wir nicht, welche Quellen Apollonios für seinen Talos verwendet hat, doch einige glauben, dass die epischen Überlieferungen von der Fahrt der Argo noch älter sind als die Geschichten um den Trojanischen Krieg.19 Damit könnte auch die Talos-Erzählung sehr alt sein: Talos tauchte in der verschollenen Tragödie Daedalus des Sophokles im 5. Jh.  v.  Chr. auf, doch die älteste erhaltene schriftliche Beschreibung findet sich in einem Fragment eines Gedichts von Simonides (556–468  v.  Chr.). Er nennt Talos einen phylax empsychos, einen „belebten Wächter“, der von Hephaistos geschaffen wurde. Vor allem erklärt Simonides, der große Bronzekrieger habe, ehe er seine Pflichten als Wächter auf Kreta aufnahm, auf Sardinien viele Menschen vernichtet, indem er sie in seiner glühenden Umarmung zerquetschte. Sardinien, die große Insel westlich von Italien, war in der Antike bekannt für die Kupfer-, Blei- und Bronzeverarbeitung. Diese Insel unterhielt Verbindungen zu Kreta, die bis zur Bronzezeit zurückreichen. Auch die Etrusker trieben Handel in Sardinien und siedelten sich dort bereits im 9. Jh.  v.  Chr. an.20 Zur Zeit der Nuraghen-Kultur auf Sardinien, die von ca. 950 bis 700  v.  Chr. ihre Hochblüte hatte, schufen Schmiede zahlreiche Bronzefiguren, mittels des Wachsausschmelz-Gussverfahrens. Ihre Bildhauer benutzten überraschend fein gearbeitete Werkzeuge, mit denen sie eine ganze Phalanx riesiger Steinstatuen schufen, die über Sardinien wachten (siehe Kapitel 5). Diese beeindruckenden Steinfiguren sind zwischen 2,10 m und 2,40 m hoch und finden sich bei Mont’e Prama an der Westküste der Insel. Nach den ägyptischen Kolossen sind sie die ältesten anthropomorphen Großskulpturen im Mittelmeerraum.

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Abb. 1.8: Antiker Steinriese aus Mont’e Prama, Sardinien; Nuraghen-Kultur, um 900–700  v.  Chr.

Die rätselhaften Riesen von Sardinien haben unterschiedliche Gesichter: große konzentrische Scheiben als Augen und kleine Schlitze für den Mund (Abb. 1.8). Leicht erkennt man, dass diese einfachen Gesichtszüge witzigerweise denen typischer Roboter in unserer heutigen Science-Fiction ähneln, etwa dem Droiden C-3PO in den Star Wars-Filmen (1977–2017). Seit 1974 haben Archäologen 44 dieser

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großen Steinmenschen bei Mont’e Prama auf Sardinien ausgegraben. Man glaubt, diese Riesen dienten als heilige Wächter. Wenn das zutrifft, hätten sie die gleiche Funktion gehabt wie Talos und weitere grenzschützende Statuen in der Antike. Ist Pindars Aussage, dass das Riesen-Automaton Talos einst Sardinien beschützt hätte, auf irgendeine Weise mit alten griechischen Beobachtungen oder Berichten über die hoch aufragenden Inselriesen verknüpft? Merkwürdigerweise gibt es in Homers Odyssee (10.82, 23.318) eine Insel, die von Steine werfenden Riesen beschützt wird, den Laistrygonen. Die Bezeichnung Laistrygonen klingt ähnlich wie Lestriconen  –  und so hieß ein Stamm, der den Nordwesten Sardiniens bewohnte. Forscher nehmen an, dass die homerische Geschichte der Riesen, die ihre Insel durch Werfen von Felsbrocken verteidigten, entstanden ist, nachdem Seeleute die Kolossalfiguren in Sardinien erblickt hatten.21 Die Ähnlichkeit zu den Taten des Talos ist jedenfalls auffällig. Manche, die heute über Automata forschen, sahen in Talos fälschlicherweise eine zunächst einmal inaktive Materie, die auf übernatürliche Weise von den Göttern mit Leben gefüllt wurde. In seiner Geschichte der europäischen Automata teilt zum Beispiel Minsoo Kang die in der Antike beschriebenen Automata in vier Kategorien: (1) mythische Geschöpfe, die modernen Robotern nur der Erscheinung nach ähneln, aber von „übernatürlichen Mächten“ geschaffen wurden; (2) mythische Objekte aus menschlicher Herstellung, die mittels Magie zum Leben erweckt wurden; (3) historische Objekte nach menschlichem Entwurf; (4) in der Theorie ersonnene Automata in Untersuchungen zu moralischen Konzepten. Kang ordnet Talos seiner ersten Kategorie zu: „mythische Geschöpfe“, die wie Roboter aussehen, denen aber ein „Bezug zu handwerklicher Mechanik“ fehlt. Die „imaginäre Bedeutung“ von Automata wie Talos „in der Vormoderne hatte wenig mit mechanistischen Vorstellungen zu tun“, behauptet Kang; Talos wäre „kein mechanisches Wesen, sondern sehr wohl eine lebendige Kreatur“ gewesen.22 Doch antike Quellen beschreiben Talos als geschaffen, nicht geboren. Wie wir gesehen ha-

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ben, wurden seine innere Anatomie und Bewegungen mit mechanistischen Konzepten erklärt, was in die künstlerischen Darstellungen aufgenommen wurde: Welche lebende Kreatur hat einen metallenen Körper und ein durch einen Stift versiegeltes Kreislaufsystem, das ohne Blut auskommt? Außerdem zeigen die Mythen und Kunstwerke aus dem 5. Jh.  v.  Chr. zu Talos’ Zerstörung, dass sein Untergang einer Technologie bedurfte, vor allem der Entfernung des Stifts. Die exakte Beschreibung des Begriffs Roboter ist umstritten, doch die grundlegenden Bedingungen erfüllt Talos: Er ist ein sich bewegender Android mit einer Kraftquelle, die Energie bereitstellt, und darauf „programmiert“, seine Umgebung „abzutasten“. Er besitzt eine Art „Intelligenz“ bzw. eine Möglichkeit, Daten zu verarbeiten, um sich dafür zu „entscheiden“, mit der Umgebung zu interagieren, um Taten zu vollbringen bzw. Aufgaben zu erfüllen. Kangs Hinweis, dass antike Technologievorstellungen keine Rolle im Talos-Mythos spielen, beruht erstens auf einem schiefen Vergleich mit der göttlichen Erschaffung Adams aus Schlamm oder Ton im Alten Testament und zweitens auf der oberflächlichen Lektüre einer Passage in den Argonautika (4.1638 –1642), in der Talos als Letzter einer „Rasse bronzener Menschen“ bezeichnet wird  –  eine archaisierende poetische Wendung, die ich bereits erwähnt habe.23 Die Wissenschaftsphilosophin Sylvia Berryman führt an, dass die olympischen Götter in griechischen Mythen nicht dabei dargestellt wurden, wie sie Technologie benutzten, und dass von Hephaistos geschaffene Geräte nicht mittels handwerklichen Geschicks belebt wurden. Doch Talos’ Schöpfer Hephaistos war der Gott der Metallurgie, der Technologie und der Erfindung. Für gewöhnlich wurde er mit seinen Werkzeugen bei der Arbeit dargestellt, und von seinen Produkten sagte man, sie würden durch Werkzeug und Handwerk entworfen und konstruiert. Nach Berrymans Ansicht kann Talos „kein technologisch hervorgebrachtes Objekt“ sein, weil er keine „physischen Mittel hat, aufgrund derer er funktionieren könnte“.24 Doch Talos sticht aus den mythischen Kunstwesen heraus, weil antike Autoren und Künstler ihn als Automaton darstellten, als „Selbst-

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beweger“, als Bronzestatue, die von „einem inneren Mechanismus“ belebt wurde, in diesem Fall einer einzigen Röhre bzw. einem Gefäß, das eine spezielle Flüssigkeit enthielt  –  ein solches System wurde mit biologischen, medizinischen und zu Maschinen passenden Ausdrücken beschrieben. Die Altphilologin Clara Bosak-Schroeder warnt zu Recht, dass wir Heutigen uns davor hüten sollten, „unser Technologieverständnis auf die Vergangenheit zu projizieren“. Sie gibt zu bedenken, dass die alten Griechen in ähnlicher Weise ihr Wissen um Innovationen auf ihre alten Mythen projiziert haben könnten. Sie folgt Kang und Berryman, wenn sie annimmt, dass man sich alle mythischen Beispiele von „Automata ursprünglich als ganz und gar magisch vorgestellt“ hat, und sie meint, dass „das Aufkommen fortgeschrittener Mechanik in der späteren Antike  …  die Griechen in hellenistischer und römischer Zeit dazu brachte, magische Automata als mechanisch neu zu deuten“. Doch das Argument, dass eine „relative Moderne“ die Griechen veranlasst hätte, ihre damalige Technologie auf imaginierte Automaten in ihren Mythen und Legenden zurückzuprojizieren, trifft auf Talos und andere mythische Beispiele künstlichen Lebens nicht zu. Diese wurden schon von Hesiod, Homer, Pindar und in anderen Quellen als hergestellt beschrieben.25 Wie in Kapitel 9 diskutiert wird, tauchten einige selbstbewegende Geräte bereits im 4. Jh.  v.  Chr. auf. Talos’ Eigenschaften können nicht als rückwärtige Projektionen aus dem Hellenismus interpretiert werden, weil Talos, wie wir gesehen haben, sogar in den frühesten Versionen des Mythos und in Kunstwerken bereits als eine Konstruktion galt, als „ein selbstbewegendes oder sich selbst erhaltendes und geschaffenes Objekt, [das] eine natürliche lebendige Gestalt nachahmte“  –  die typische Definition eines Roboters.26 Tatsächlich kann eine aussagekräftigere, nuanciertere Annäherung an Talos und andere belebte Statuen aus der Antike zeigen, wie „Mythologie die Unterscheidung zwischen Technologie und göttlicher Macht“ verwischt.27 Es gibt einen Unterschied zwischen Geschichten von Göttern, die einerseits wünschen oder befehlen, dass

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unbelebte Materie lebendig wird  –  wie beim biblischen Adam oder im Mythos um Pygmalions Statue (siehe Kapitel 6)  –, und andererseits von Göttern, die höhere Technologieformen einsetzen, um künstliches Leben zu erschaffen, auch wenn die innere Funktionsweise nicht beschrieben wird. Wie zahlreiche Wissenschaftler betont haben, werden in Mythen um geschaffene Wesen wie Talos, Pandora und andere diese künstlichen Wesen als Produkte göttlichen Handwerks begriffen, nicht als bloßer göttlicher Wille. Tatsächlich unterscheiden sich „die mystischen und technologischen Ansätze, künstliches Leben herzustellen, nicht so sehr voneinander“, wie viele meinen, so der Historiker E. R. Truitt, der zu mittelalterlichen Automata forscht. Truitt erklärt, dass Technologien wie die Metallverarbeitung die Verheißung mit sich brachten, die Grenzen menschlicher Schöpfungen und Genialität zu „überschreiten“.28 In vielen antiken Mythen und Legenden, um die es uns geht, wurden einerseits künstliche Wesen aus den gleichen Substanzen und nach den gleichen Methoden gebildet, wie menschliche Handwerker sie benutzen, um Werkzeuge, Instrumente, Waffen, Statuen, Häuser, Gerätschaften und Kunstwerke herzustellen  –  dies geschah jedoch mit wunderbaren Ergebnissen, die göttlicher Expertise entsprechen; andererseits sind Talos und seinesgleichen Beispiele für andere künstliche Wesen, geschaffen nicht durch Zauberei oder göttliches Gebot, wie viele Historiker, Wissenschafts- und Technikphilosophen angenommen haben, sondern durch das, was die alten Griechen Biotechne genannt hätten, von bios, „Leben“, und techne, also „mittels Kunst oder Wissenschaft geschaffen“.29 Hephaistos, der Schmiedegott und Gott der Erfindung, erschuf Talos in seiner himmlischen Gießerei, die man sich ähnlich echten Bronzegießereien auf Erden vorstellte, die diese aber weit übertraf  –  mit überlegener Technologie, die in der Lage war, „lebendige“ und selbstbewegende Maschinen hervorzubringen (siehe Kapitel 7). Bronze als Legierung aus Kupfer und Zinn war das härteste und dauerhafteste von Menschen hergestellte Material der daher so genannten Bronzezeit. In der folgenden Eisenzeit schrieb das gewöhnliche

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Volk vergessenen Bronze- und Bronzeherstellungstechnologien die Aura des Übernatürlichen zu. Im allgemeinen Aberglauben meinte man von Bronzefiguren, sie würden das Böse verzaubern oder abhalten. Bronzene Wächterstatuen wurden oft an Grenzen, Brücken, Toren und Häfen aufgestellt.30 Von den ehernen Gestalten des mythischen Talos von Kreta und des historischen Koloss von Rhodos wurde vielleicht angenommen, sie seien eine Art magischer Schutzschild gewesen, jedoch waren beide mit komplexen inneren Strukturen ausgestattet. Von der Antike bis zum Mittelalter war Bronze das Material der Wahl, um daraus „lebende Maschinen“ und Automata herzustellen. Der Bronzeguss beruhte nicht nur auf gewissermaßen „Geschäftsgeheimnissen“, esoterischem Wissen und entsprechenden Fertigkeiten, sondern mittels des Gießens wollte man menschliche und tierische Formen in Metall schaffen, die der Realität ungeheuer nahe kamen. Das mag dazu geführt haben, dass frühe griechische Schmiede als „Magier gesehen“ wurden, wie Sandra Blakely in ihrer Geschichte des Hüttenwesens festhält. Doch, so fährt sie fort, „einen Künstler als Magier zu bezeichnen, kann einfach auch ein übertriebenes Lob seiner technischen Fertigkeiten sein“, vor allem im Falle von „Gegenständen, die zum Leben erwachen“. Im Wachsausschmelzguss, den ich noch beschreiben werde, kann die Ähnlichkeit eines Menschen oder Tieres scheinbar nur durch Zauberei zustande kommen. Wie das bekannte Dritte Gesetz des Science-Fiction-Futuristen Arthur C. Clarke besagt: „Jede genügend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“ Wenn er eine gespenstische Imitation von etwas Lebendigem erschafft, könnte ein erfinderischer Gott  –  oder ein menschlicher Erfinder  –  gerade so versuchen, „die Seele“ dieses Gegenstandes „nachzubilden“.31 In der Logik magischen Denkens legt die unheimliche Kopie von Leben die Vorstellung nahe, dass dieses Scheinbild auch eigenständige Bewegung und Handlungsfähigkeit haben könnte.32 Wenn man der Metallverarbeitung Magie zuschreibt, könnte dies zudem symbolisch für die technologische Beherrschung der Natur

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auf Basis naturwissenschaftlichen Wissens stehen, wie Blakely anführt. Gemäß der antiken griechischen Legende wurde die Kunst, geschmolzenes Metall in Tiegel einzugießen, nach einem Waldbrand auf einem Berg entdeckt. Die „starke Hitze ließ das Erz, das in der Erde verborgen war“, schmelzen, und als das geschmolzene Erz den Berg hinabfloss, füllte es Löcher auf der felsigen Oberfläche und gab dabei exakt deren Form wieder.33 Der Altphilologe A. B. Cook dachte über die Beschreibung von Talos’ Biotechnologie nach  –  das einfache Gefäß, das von seinem Kopf bis zu den Füßen verlief und mit einem Siegel verschlossen war  –, und über die Art, wie der Ichor wie geschmolzenes Blei herausfloss, als dieses Siegel erst geöffnet war, und entwickelte eine verblüffende Theorie, bei der er sich auf die antike Metallverarbeitung bezog. Cook meinte nämlich, dass die ausgeprägte Physiologie von Talos auf den Wachsausschmelzguss der Bronzezeit angespielt oder ihn symbolisiert haben könnte. Wie andere Bronzefiguren und große Bronzestatuen aus der Antike sei auch Talos möglicherweise nach diesem Verfahren gefertigt worden.34 Die sogenannte Erzgießerei-Schale, eine sorgfältig bemalte rotfigurige Trinkschale aus dem 5. Jh.  v.  Chr., zeigt Künstler, die zwei naturgetreue Bronzestatuen fertigen. Dabei benutzen sie Gießereiwerkzeuge und -techniken, einschließlich des komplizierten Wachsausschmelzgusses. Die Statue eines Athleten ist im Entstehen begriffen, mit Körperteilen, die noch nicht angefügt sind (Abb. 1.9; vgl. auch Abb. 6.3–11  –  Darstellungen von Prometheus, wie er den ersten Menschen in Teilen herstellt). Auf der anderen Seite der Schale sehen wir, wie Arbeiter eine überlebensgroße, realistische Statue eines Kriegers fertigstellen (Abb. 1.10). Das antike Wachsausschmelz-Gussverfahren ist nicht vollständig bekannt, doch bei einer Methode arbeitete man mit einem groben Tonmodell oder hölzernen Gerüst und überzog es mit Bienenwachs. Danach wurden die Details vom Bildhauer in das Wachs geschnitzt. Dieses Wachsmodell wurde mit einer dünnen Tonschicht bedeckt, auf die schichtweise dickere Lagen folgten, bis die Gussform kom-

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Abb. 1.9: Gießereiszene: Künstler fertigen eine realistische Bronzestatue eines Athleten aus Einzelteilen, umgeben von Schmiedewerkzeugen; attisch-rotfigurige Trinkschale des sogenannten Erzgießerei-Malers, aus Vulci, ca. 490–480  v.  Chr.

plett war. Der Kern dieser Masse wurde vom Kopf bis zu den Füßen mit einem hohlen Bronzestab durchstochen. Anschließend wurde die Form in einen Brennofen gesteckt, und über den Hohlraum trat das nun schmelzende Wachs an den Füßen aus. Bronze wurde geschmolzen, und wegen ihrer Verformbarkeit, und um das Fließen zu beschleunigen, fügte man Blei hinzu; dann goss man die Masse dort zwischen die innere und die äußere Gussform, wo vorher das Wachs gewesen war. Talos erhitzte seinen Körper, indem er, wie der Dichter Simonides schrieb, in ein Feuer sprang, und auch sein Ichor floss an den Füßen heraus.35

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Abb. 1.10: Gießereiszene: Arbeiter legen letzte Hand an eine Kriegerstatue; attischrotfigurige Trinkschale des Erzgießerei-Malers, aus Vulci, ca. 490–480  v.  Chr.

Magie und eine geheimnisvolle Biomechanik überlappen sich offenkundig in den Mythen um künstliches Leben und in volkstümlichen Begriffen. Doch in den verschiedenen Talos-Erzählungen fällt auf, dass die Physiologie dieses bronzenen Automaton in einer mytho-technischen Sprache beschrieben wird, mit Anspielungen auf damalige medizinische und wissenschaftliche Vorstellungen.36 So wurde etwa im Bereich des Mythos der Begriff Ichor in einem besonderen Sinn für das Blut der Götter gebraucht. Doch im

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antiken medizinischen und wissenschaftlichen Kontext bezeichnete Ichor das wässrige, bernsteinfarbene Blutserum von Säugetieren. Das Wort, das Apollonios in den Argonautika für die Lebensader, die das Gefäßsystem des Bronzeriesen ausmachte, nutzte, war zudem in griechischen Medizinabhandlungen ein Terminus technicus für Blutgefäße. Die Kombination aus lebendigen und nicht-lebendigen Komponenten, die Verschmelzung aus Biologie und metallischer „Mechanik“, macht Talos zu einer Art antikem Cyborg mit biomechanischen Körperteilen.37 Talos als Android, in Hephaistos’ göttlicher Schmiede gebaut und durch Ichor belebt, sollte vermutlich ein Perpetuum mobile werden. Im Mythos scheint Talos Spuren von Bewusstsein und einen „Überlebensinstinkt“ zu besitzen; er folgt Medeas Überredungskünsten, was auf Handlungsfähigkeit und Willen hindeutet. Doch Talos ist sich seines Ursprungs nicht bewusst und begreift seine eigene Physiologie nicht. Wie sollte man auch diese Natur verstehen? Nach dem verschollenen Theaterstück von Sophokles war Talos „dem Untergang geweiht“. Und wie Medea richtig erriet, war er nicht unsterblich  –  auch wenn der Ichor als Garant für Unsterblichkeit galt. Der Mythos gibt uns also ein Rätsel auf: War Talos eine Art Halbgott, ein in Bronze gekleideter „Mensch“ oder eine belebte Statue? In der griechischen Mythologie zirkulierte goldener Ichor anstelle von rotem Blut in den Adern der Götter, weil sie mit Ambrosia und Nektar genährt wurden, was sie alterslos und unsterblich machte (siehe Kapitel 3 und 4 zu Versuchen, diese göttlichen Eigenschaften den Menschen zuzusprechen). Unsterbliche Götter konnten oberflächliche Verletzungen erleiden und ein paar Tropfen ihres Ichors verlieren, ohne zu sterben, weil ihre Körper sich schnell regenerierten (Homer, Ilias, 5.364–382; vgl. das Schicksal von Prometheus in Kapitel 3). Auch wenn der unsterbliche Ichor in Talos floss, folgerte Medea, dass er untergehen würde, wenn sie nur sein vollständiges Verbluten bewirkte.38 Interessanterweise war die Position der Schwachstelle des Roboters biologisch bedingt. Hippokrates zufolge, der etwa zwischen 410

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und 400  v.  Chr. über den Aderlass schrieb, war die dicke Vene an der Fessel die bevorzugte Stelle für die vorsätzliche Entnahme von Blut bei Patienten, eine traditionelle therapeutische Maßnahme. Aristoteles, der um 354  v.  Chr. schrieb, zitiert den Medizinautor Polybos (er lebte um 400  v.  Chr. und war der Schwiegersohn von Hippokrates) zu größeren Blutgefäßen, die vom Kopf bis zur Fessel reichten. Dort brachten die Chirurgen ihre Schnitte an, um Blut abzuzapfen. Ein von Aristoteles beschriebenes Charakteristikum von Lebewesen ist, dass ihr Blut in Gefäßen bewahrt werden müsse, solange sie leben. Wenn sie eine bestimmte Menge Blut verlören, würden sie ohnmächtig; wenn zu viel Blut abflösse, würden sie sterben. Schon seit dem 5. Jh.  v.  Chr. verlegten Mythographen und Künstler den Stift, der Talos’ „Blutgefäße“ versiegelte, an die anatomisch für sie logischste Stelle. Diese war der Punkt an der menschlichen Vene, von dem man wusste, dass dort das Blut am freiesten floss, sodass der Roboter wie ein Mensch ausblutete, als diese Stelle von Medea verletzt wurde.39 Die Vorstellung, dass Medea auch mit dem „bösen Blick“ Zerstörung anrichten könnte, war in der Antike weit verbreitet. Nach den physikalischen Theorien einiger Naturphilosophen und anderer Schriftsteller konnten bestimmte übel gesinnte Menschen aus ihren Augen tödliche Strahlen wie „Psycho-Pfeile“ zu anderen Menschen schicken, was diesen Leid, ein schlechtes Los oder sogar den Tod brachte. So beschrieb etwa Plutarch dieses Phänomen als „feurigen Strahl“ der Bosheit, der aus einem intensiven Blick entstehe. Medeas Augen werden in den gesamten Argonautika als für Menschen gefährlich beschrieben. Mit ihrem bösen Blick übermittelte sie schreckliche Phantombilder (deikela) an Talos’ Verstand. Diesen Mythos im Sinn, stellten sich die Menschen in der Antike Talos’ Augen als sehr lebensecht vor, wie diejenigen griechischer Bronzestatuen, die sie kannten. Solche Statuen waren realistisch gefärbt, ihre Augen waren mit Elfenbein, Silber, Marmor und Edelsteinen eingelegt und hatten feine silberne Wimpern.40 Doch der böse Blick konnte nur Lebendiges treffen. Die Vorstellung, schlechte „Strahlen“ auszusenden, um eine Maschine orientierungslos zu machen oder gar

Der Roboter und die Hexe

zu zerstören, wirft die beunruhigende bzw. ungelöste Frage nach Talos’ wahrer Natur auf. Von einem Wächter aus Bronze nahm man an, er verfüge über magische Schutzkraft. Wäre aber ein gefühlloser Metallgegenstand für den bösen Blick empfänglich? Dass Medea einen solchen aussenden konnte, um Talos orientierungslos zu machen, ist ein weiterer Hinweis, dass er mehr war als nur eine gefühllose Metallmaschine. Bereits Jahrhunderte vor dem Hollywoodfilm RoboCop (1987) über eine Cyborg-Polizeitruppe, vor den bionischen Mördern und Leibwächtern aus den Terminator-Filmen (1984 – 2015) und weiterer Science-Fiction über Cyborgs, die in der Lage waren, tödliche Strahlen auszusenden, stellten sich die Griechen durch Supertechnologie entstandene Roboterwächter vor, die die Natur nachahmten: Biotechne. Talos und andere antike Automata, die von Göttern geschaffen wurden, galten wie moderne Cyborgs als Hybriden aus lebendigen und nicht-lebendigen Teilen. Zudem konnten die Menschen der Antike mittels Mythen wie dem von Talos darüber nachsinnen, ob ein Wesen, das geschaffen, nicht geboren war, eine geistlose Maschine war oder aber eine autonome, empfindungsfähige und mit Intelligenz ausgestattete Figur. Im Talos-Mythos griff die Zauberin Medea die Fragen auf, die später auch wieder thematisiert wurden, von Mary Shelleys Frankenstein (1818) über Blade Runner (Ridley Scott, 1982), Her (Spike Jonze, 2013) und Ex Machina (Alex Garland, 2014) bis hin zu Blade Runner 2049 (Denis Villeneuve, 2017). Der Talos-Mythos war eine frühe Erkundung der Vorstellung, dass Automata den Wunsch entwickeln könnten, echte Menschen zu werden. Wie wir gesehen haben, erkannte Medea intuitiv, dass Talos wie ein sterbliches Wesen seinen eigenen Tod fürchten und sich nach Unsterblichkeit sehnen würde. Die Talos-Geschichte stellt auch heraus, wie brillant Hephaistos, der göttliche Schmied, Erfinder und Techniker in der Vorstellung der Griechen war. Der Mythos zeigt, dass die Menschen schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Idee von einem bronzenen Androiden mit kodierten Anweisungen formulieren konnten, der aufgrund seiner

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übermenschlichen Stärke komplexe Aktionen ausführen konnte: Talos konnte Eindringlinge erkennen und aufspüren; er konnte Felsen finden, aufheben und als Geschosse zielgenau und weit werfen. Und er konnte Feinde innerhalb seiner Reichweite zerquetschen und verbrennen. Sehr aufschlussreich ist, dass Talos durch Suggestion aus dem Gleichgewicht gebracht werden konnte, was seine hybride, lebendige / nicht-lebendige Natur offenbart, ein unheimliches „Dazwischen-Sein“, wie es das beständige Kennzeichen von Automata ist. Der Talos-Mythos verkörpert uralte Fragen darüber, was es bedeutet, ein Mensch und frei zu sein.41 Einige der in den Talos-Erzählungen aufgeworfenen Fragen sind auch heutigen Erfindern von Videospielen nicht fremd. So lotet etwa ein philosophisches Erzähl-Puzzle aus dem Jahr 2014 einige Rätsel um Künstliche Intelligenz (KI), den freien Willen und „Transhumanismus“ aus, den Glauben, dass fortgeschrittene Technologie die menschliche Physiologie, Psychologie und Intelligenz steigern könne. Das Spiel heißt The Talos Principle. Ein einzelner Spieler nimmt die Rolle eines KI-Roboters an, der menschenähnliches Bewusstsein und eine entsprechende Autonomie zu haben scheint. Während er durch eine komplexe Welt voranschreitet, gespickt mit klassischen Ruinen und Überresten einer modernen Dystopie, reagiert der Spieler auf Hindernisse, Hinweise und Wahlmöglichkeiten, um metaphysische Dilemmata zu lösen.42 Vor mehr als 2500 Jahren hat die Geschichte um Talos antike Versionen der schwierigen Frage auf den Weg gebracht, wie man Automata kontrolliert. Sie nahm moralische Bedenken vorweg, wie sie im Umkreis unserer heutigen KI-Technologie aufkommen. Vor mehr als 400 Jahren, im Jahr 1596, schuf der Dichter Edmund Spenser in seiner Faerie Queene eine Gestalt nach Talos’ Vorbild  –  einen mechanischen Androiden, den er Talus nannte  –, um ethische Probleme um Roboter zu formulieren (Abb. 1.11). Können moralische Werte mechanisiert werden? Können Maschinen Gerechtigkeit oder Mitgefühl verstehen? In Spensers allegorischem Epos sollte der automatisierte Knappe aus Eisen Sir Artegall, dem rechtschaffenen Rit-

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Abb. 1.11: Sir Artegall und sein automatisierter Knappe, der eiserne Ritter Talus; Edmund Spenser, The Faerie Queene (1596).

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ter, bei seinem Bestreben helfen, gegenüber Gaunern für Gerechtigkeit zu sorgen. Unbesiegbar und unerbittlich nimmt der eiserne Knappe seine Aufgabe wörtlich. Weil er eine unflexible Tötungsmaschine ohne Mitleid wird, ist Talus ein Symbol für eine unmenschliche, unbeugsame Form von Gerechtigkeit, der jegliches Interesse an mildernden Umständen für die Übeltäter, an ihren Motiven oder ihremHintergrund fehlt. Können Automata mit ethischen Werten „programmiert“ und „künstliche Moralagenten“ werden („artificial moral agents“, AMA)? Haben sie Gefühle bzw. „Intuitionen“? Diese Fragen kamen in antiken und mittelalterlichen Mythen auf, lange bevor die raschen Fortschritte der Technologie sie so virulent werden ließen.43 Es mag erstrebenswert scheinen, ein Sicherheitssystem in Form von Wächtern oder Agenten zu haben, die von einer höheren Intelligenz geschaffen wurden, um automatisch vorherbestimmte Pflichten auszuführen. Was aber, wenn die Situation sich verändert oder es notwendig wird, die automatische Reaktion zu unterbrechen? Wie können Menschen eine mächtige, unaufhaltbare Maschine kontrollieren, blockieren oder zerstören? Wie macht man ein automatisch funktionierendes Gebilde kampfunfähig, nachdem es einmal losgelassen wurde? Im antiken Talos-Mythos bedeutete Medeas Duell mit Talos eine zweifache Annäherung an diese Fragen. Ihr Wissen um das innere System des Roboters ermöglichte ihr, einen physischen Defekt auszunutzen. Sie merkte außerdem, dass der Android womöglich menschenähnliche „Gefühle“ entwickelt hatte, etwa die Furcht vor seiner Auslöschung. Mithilfe dieser zwei Einsichten ersann Medea einen Trick und überredete Talos, er möge ihr erlauben, an seinem Körper eine technologische Operation durchzuführen, die ihn aber tatsächlich vernichtete, anstatt seinem inneren Trieb bzw. seinem „Wunsch“ nachzukommen, für immer weiterzuleben. Talos’ Zerstörung war nicht die einzige Gelegenheit, bei der Medea ihr Wissen um künstliches Leben dazu benutzte, einen Feind auszulöschen, indem sie versprach, den Tod zu überwinden.

Der Roboter und die Hexe

Talos in der heutigen Welt Die eine Leitung mit der mysteriösen Kraft, die Talos belebte, wurde mit einem Drehstromkreislauf verglichen. Bronze, die zum Großteil aus Kupfer besteht, ist von hoher elektrischer Leitfähigkeit, was aber in der Antike noch nicht bekannt war (obwohl Bronzekolosse auch als Blitzableiter fungierten). 2017 verglich ein Autor in der Zeitschrift Popular Mechanic Talos’ Ichor mit der blauen Flüssigkeit, die in der beliebten TV-Serie Humans aus imaginären humanoiden Robotern herausblutet (sie wird beschrieben als ein „synthetischer magneto-dynamischer Leiter“). Die antiken Darstellungen von Talos’ Leitung mit dem geheimnisvollen Ichor sind vergleichbar mit dem, was Kognitionswissenschaftler als „intuitive Theorien“ von Kindern und Erwachsenen in Bezug auf Physik und Biologie bezeichnen. Selbst viele heutige Menschen, die eigentlich wissen, dass ein elektrischer Stromkreis zwei Drähte benötigt, stellen sich noch vor, wie da eine kraftspendende „Flüssigkeit“ durch ein einzelnes Kabel fließt. Unsere „vorwissenschaftliche“ intuitive Sichtweise existiert offenbar neben unserer modernen wissenschaftlichen Erkenntnis.44 1958 schrieb der Autor einer kurzen Geschichte der Roboter in der Zeitschrift Popular Electronics, dass Talos’ „einzige Ader von seinem Nacken bis zu den Füßen reichte und irgendwo an seinem Fuß mit einem großen Bronzestift zugestöpselt war“. Mit „modernen Begriffen“ belegt, so der Autor, wäre diese Leitung „sein Hauptstromkabel gewesen und der Stift seine Sicherung“. Der Autor, der zum Höhepunkt des Kalten Krieges schrieb, erklärte sodann, dass Talos ein antikes „Waffen-Frühwarnsystem und Lenkflugkörper in einem“ gewesen sei!45 Im selben Jahr wurde die größte Boden-Luft-Rakete der Welt fertiggestellt. Passenderweise wurde, angesichts von Talos’ Rolle als automatischer Gehilfe der überlegenen minoischen Marine, diese neue Waffe der US-Marine tatsächlich Talos getauft. Als deren Entwicklung 1947 begann und die Militärplaner einen „passenden Namen“ suchten, fanden sie ihn in Thomas Bulfinchs beliebtem Sa-

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Abb. 1.12: Talos: RIM-8-Rakete, 1950er-Jahre.

genwerk Age of Fable (1855). Laut der offiziellen Geschichte dieser Rakete bewachte „Talos die Insel Kreta. Er war aus Metall, und es hieß, er würde mit einer derart sagenhaften Geschwindigkeit durch die Luft fliegen, dass er glühend rot wurde. Seine Methode, mit seinen Feinden umzugehen, bestand darin, sie eng an seine Brust zu drücken und dadurch zu Asche werden zu lassen.“ Nach dieser modernen Sichtweise kam Talos durch die Luft, was an die Bilder des geflügelten Talos auf den Münzen aus Phaistos erinnert, und wurde

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durch große Reibung erhitzt. Doch diese Details findet man weder in einer Bulfinch-Ausgabe noch in einem antiken Text. Auch die 1948 entwickelte Strahltriebwerkrakete wurde nach Talos benannt. Die gelenkten Talos-Raketen waren auf großen Flugzeugträgern stationiert und patrouillierten auf See, bereit, ihre Gefechtsköpfe auf Feinde zu schleudern. In einer gewissen Parallele zu den Aufgaben des mythischen Bronzeroboters auf Kreta dienten die Talos-Raketen als Frontverteidigung; sie hatten eine Reichweite von ca. 320 km und erreichten eine Geschwindigkeit von 2,5 Mach. Mit mehr als 3000 km/h waren sie also zwölf Mal so schnell wie der Bronze-Talos, wenn man der Schätzung glauben mag. Ebenso wie Talos sein Territorium endlos umschritt, Eindringlinge aufspürte und Felsbrocken nach ihnen warf, wurde auch das Talos-Verteidigungssystem automatisch gesteuert, konnte aber auf kürzere Reichweite auch teilweise autonom agieren. Die gesteuerten Raketen „ritten“ den Großteil des Weges bis kurz vor dem Ziel auf einem Radarstrahl, um dann „semiaktiv“ das Ziel anzupeilen.46 Die Faszination des heutigen Militärs für die antike Fiktion von einem unbesiegbaren Krieger, der aus stärksten Materialien und fortschrittlichster Technologie besteht, ging noch weiter. Inspiriert vom Mythos des großen Bronzeroboters, legten das US Special Operations Command (SOCOM) und die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) 2013 ein Projekt auf, das einen futuristischen, roboterhaften, gepanzerten Exoskelett-„Anzug“ für Soldaten in besonderen Einsätzen entwickeln sollte (special operations)  – ähnlich den als Waffe genutzten Anzügen der Superhelden im Film Iron Man (2008). Die Verbesserung des Menschen und die immer stärker werdende todbringende Gewalt sind sehr alte Ideen, wie wir in Kapitel 3 sehen werden. Die Idee für den Hightech-Panzeranzug entstand aufgrund des Wunsches eines Kommandanten, seine Männer in unkonventionellen Gefechtssituationen in Afghanistan und im Irak zu schützen. Den griechischen Mythos im Hinterkopf, ersann SOCOM den Namen Tactical Assault Light Operator Suit, der sich zu dem Akronym TALOS verkürzen lässt und so viel bedeutet wie „leich-

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Abb. 1.13: Entwurf für den Exoskelett-Militäranzug TALOS (Tactical Assault Light Operator Suit) des US Special Operations Command (SOCOM) und der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA).

ter, bedienbarer, taktischer Militäranzug“. Der Ganzkörper-Schutzanzug sollte übermenschliche Stärke, hypersensorisches Bewusstsein und ballistischen Schutz bieten. Dafür wurden ihm Computer, Biosensoren, Sonnenkollektoren und besondere Technologien eingebaut, die die Seh- und Hörfähigkeit verbessern und Treffer dämpfen sollten. Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelte sogar im Rahmen des TALOS-Programms ein elektronisch aktiviertes „flüssiges Körperschutz“-System  –  es erinnert an den Ichor der unsterblichen Götter. Zum Zeitpunkt der Recherche für dieses Buch wurde das TALOS-Programm allerdings noch nicht realisiert.47

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Medeas Verjüngungskessel Auch bei den weiteren Abenteuern von Iason und den Argonauten kam die Zauberin Medea zu Hilfe. Nachdem sie das Goldene Vlies erbeutet und Talos auf Kreta überwältigt hatten, segelten die Argonauten mitsamt dem kostbaren Vlies heim nach Griechenland. Iason freute sich auf die Heimkehr nach Iolkos, seine Heimatstadt in Thessalien. Deren König Aison war sein Vater, sodass er der rechtmäßige nächste König dieser Stadt war. Doch in Iolkos angekommen, musste Iason feststellen, dass das ihm zugesprochene Königreich nun in der Hand seines Onkels Pelias lag. Dieser machtbesessene Onkel hatte Iason überhaupt erst befohlen, seine Expedition anzutreten. Er hatte dies in der Annahme getan, dass Iason nicht lebend zurückkehren und den Thron beanspruchen würde. Nun, zurück in Iolkos, musste Iason bestürzt feststellen, wie gebrechlich sein Vater Aison geworden war. Iason bat Medea, die jugendliche Kraft seines Vaters wiederherzustellen, indem sie einige der ihm selbst gewährten Jahre auf diesen übertrug. Doch Medea wies den Wunsch zurück, Iasons Lebensspanne zu verkürzen und dafür diejenige Aisons zu verlängern. Sie tadelte Iason, ein solcher Tausch wäre unehrlich, unvernünftig und von den Göttern verboten. Stattdessen beschloss sie, den alten Mann durch ihre eigenen geheimen Künste zu verjüngen.1 Medeas Unterfangen, Aison neu zu beleben, ist ein typisches Beispiel für mythische Biotechne, die auf unnatürliche Weise das Leben

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verlängern soll, eine Form von künstlicher Verbesserung des Menschen. Die vielen verschiedenen Versionen dieses Mythos erzählen in volkstümlicher Sprache davon, wie man den Alterungsprozess umdrehen und die natürliche Lebenserwartung verlängern kann  – nicht nur durch einen Zauberspruch, sondern auch durch bestimmte Techniken, Verfahren, besondere Geräte, Pharmaka (Drogen) und therapeutische Infusionen. Die Geschichte von Aisons wundersamer Verjüngung durch Medeas Zauberei und Pharmaka ist sehr alt. Wir wissen, dass diese Episode in den Nostoi (Heimkehr) beschrieben wurde. Diese griechische Sagensammlung beruht auf mündlichen Überlieferungen über die Heimkehr der griechischen Helden nach dem Trojanischen Krieg. Diese alten Erzählungen wurden in epischer Form zuerst im 7. oder 6. Jh.  v.  Chr. niedergeschrieben. Leider ist das Gedicht nicht vollständig auf uns gekommen. Aus den Fragmenten erfahren wir aber, dass Medea Aison „zu einem jungen Mann in den besten Jahren machte, sein Alter von ihm abstreifen ließ …, indem sie Mengen von Pharmaka in goldenen Kesseln kochte“. In anderen Versionen des Mythos setzte Medea Aison selbst in den Kessel.2 Nach einem Fragment eines verlorenen Aischylos-Dramas (Ammen des Dionysos) verjüngte Medea auch die menschlichen Ammen von Dionysos und ihre Ehemänner, indem sie sie in ihrem goldenen Kessel kochte. Im 4. Jh.  v.  Chr. versuchte ein Zeitgenosse von Aristoteles namens Palaiphatos (Unglaubliche Geschichten Nr. 43 zu Medea), die Mythen um die Verjüngung von Aison, Pelias und anderen durch Medea, wenn auch mühsam, praktisch und „rational“ zu erklären. Er meinte, Medea sei ganz real eine Frau gewesen, die neue und geheimnisvolle Wege ersonnen hätte, um Männer jünger aussehen zu lassen. Sie erfand belebende Dampfbäder in kochendem Wasser, doch der heiße Dampf erwies sich für schwächliche alte Männer als verhängnisvoll. Laut Palaiphatos’ Theorie begründete das Geheimnis um Medeas Jugend spendende Therapie die mythischen Erzählungen über ihren wundersamen Kessel.3 Jedenfalls haben viele Autoren und Künstler von der Antike bis heute diesen

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populären Mythos in dramatischen Bildern nacherzählt, und in ihren Schilderungen verbindet die Hexe Medea magische Rituale mit mysteriösen biomedizinischen Methoden, um alte Männer neu zu beleben. In der um 43  v.  Chr. von Ovid verfassten Version dieses Mythos ersinnt Medea das Verjüngungsexperiment als einen tollkühnen Test ihrer eigenen Kräfte als Zauberärztin. Sie benutzt eine geheime Biotechne-Prozedur, die an den Aderlass erinnert, den sie am Bronzeroboter Talos vornahm (siehe Kapitel 1). Doch nun lässt Medea sämtliches Blut aus den Adern des alten Aison fließen und ersetzt es durch eine geheime Mischung gesundheitsspendender Pflanzensäfte und anderer Zutaten, die sie in ihrem speziellen goldenen Kessel gebraut hat. Gold galt in der Antike als nicht anlaufendes Metall, nicht verunreinigt durch chemische und metallische Mischungen. Nach Medeas Operation sind alle von Aisons neuer Energie und glühender Vitalität verblüfft. Medizinhistoriker haben darauf hingewiesen, dass Medeas imaginäres Experiment ein heutiges Verfahren bei Bluttransfusionen vorwegnahm, bei dem der Patient von seinem eigenen Blut befreit wird und stattdessen Spenderblut erhält. Seit 2005 haben beispielsweise Blutaustausch-Experimente bei jungen und alten Mäusen gezeigt, dass bei den älteren Tieren Muskeln und Leber dadurch verjüngt werden.4 Im Mythos um Iason und Medea in Iolkos folgt auf Aisons Verjüngung die Ermordung von Mitgliedern von Iasons Familie durch den Usurpator Pelias. Dieser kehrt Medeas restaurative Blutauffrischung um und befiehlt Aison, das Blut eines Stieres oder Ochsen zu trinken und auf diese Weise Selbstmord zu begehen. In der Antike hieß es von mehreren historischen Gestalten  –  einschließlich des athenischen Politikers Themistokles (gest. 459  v.  Chr.), des ägyptischen Pharaos Psammetich III. (gest. 525  v.  Chr.) und König Midas’ (gest. ca. 676  v.  Chr.)  –, sie hätten sich durch das Trinken von Stierblut das Leben genommen. Warum Stierblut? Vor allem in seinen Abhandlungen zur Anatomie schreibt Aristoteles, dass Stier- oder Ochsenblut verglichen mit

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anderem Tierblut am schnellsten gerinnt. Aristoteles meinte auch, dass Blut, das vom Unterkörper eines alten Ochsen stamme, besonders dunkel und dick sei (Geschichte der Tiere 3.19; Teile der Lebewesen 2.4). Es scheint, dass der antike Mythos von Aisons Tod und historische Berichte über den Tod nach dem Trinken von Stierblut traditionelles volkstümliches Wissen um dessen hohen Gerinnungsfaktor aufgriffen, wie es später von Aristoteles bestätigt wurde. Das antike Motiv des Erstickens an geronnenem Ochsenblut hat eine interessante moderne Parallele: Rinderthrombin (ein Blutgerinnungsenzym) wurde ab dem späten 19. Jh. bei Operationen eingesetzt. Es birgt jedoch bei Menschen das Risiko tödlicher Kreuzallergien.5 Nachdem Pelias Aison beseitigt hatte, fasste er den Entschluss, auch Iason und dessen Gefährten zu töten. Die Argonauten und ihre Verbündeten, zahlenmäßig Pelias’ Armee deutlich unterlegen, waren verunsichert. Wie konnten sie ihren Tod verhindern und die Morde an Iasons Vater und Familie rächen? Medea trat vor und erklärte, sie selbst würde König Pelias wegen seiner Verbrechen töten. Der Erfolg dieses Vorhabens hing von ihrer Zauberei ab, von ihren Pharmaka mit ihrer unglaublichen Wirksamkeit, von einem meisterlichen Trick und Medeas Fähigkeit, Feinde von ihrer Fähigkeit zu überzeugen, Leben und Tod zu ihren Gunsten zu manipulieren. Zu Medeas Methode gehörte auch der Aderlass. Ihr Plan war in der Tat gerissen und umfasste mehrere schwierige Schritte. Auch die antiken Versionen dieses Mythos um Medeas Plan, Pelias zu töten, gestalten sich kompliziert. Um sie zu verstehen, müssen wir die Fragmente zusammenfügen und versuchen, Ungereimtheiten in den literarischen Quellen und verschiedenen künstlerischen Darstellungen zu erklären. Nicht immer stimmen die Details überein, was ein Beleg dafür ist, dass einst verschiedene Versionen im Umlauf waren. Doch der Haupterzählstrang über Medeas Verjüngung von Aison und weiterer mythischer Gestalten beweist, dass die Vorstellung von einer Umkehrung des normalen Alterungsvorgangs und einer Lebensverlängerung durch die Kombination magischer Künste und Medizin schon sehr früh aufkam.

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Medeas Mordkomplott basierte auf Pelias’ Überzeugung, dass sie diese Fähigkeiten tatsächlich besäße und Iasons Vater verjüngt hätte. Der erste Schritt des Plans bestand darin, dass Medea eine hohle Bronzestatue der Göttin Artemis mit unterschiedlichen Wirkstoffen füllte. Medea hatte von ihrer Tante Kirke, der Hexe aus Homers Odyssee, und von Hekate, der Göttin der schwarzen Magie, einen geheimen Vorrat an starken Pharmaka erhalten.6 Dieses Unternehmen sollte zu einem weiteren Test für Medeas Fähigkeiten werden: Sie offenbarte nämlich Iason, dass sie diese Drogen noch nie zuvor bei einem Menschen ausprobiert hätte. Anschließend verwandelte sich Medea dank einiger Drogen in eine gebeugte, runzlige Artemis-Priesterin. Derart verkleidet, schleppte sie die Artemis-Statue im Morgengrauen auf den öffentlichen Platz von Iolkos. Medea gab vor, in Trance und unter dem Einfluss der Göttin zu sein, und erklärte, dass Artemis gekommen sei, um dem König Ehre zu erweisen und Glück zu spenden. Nachdem sie polternd den Weg in den königlichen Palast geschafft hatte, täuschte Medea König Pelias und seine Töchter und überzeugte sie davon, dass die Göttin Artemis persönlich gekommen sei, um Pelias „für immer und ewig“ zu segnen. Medea setzte entweder Drogen und Hypnose ein, um bei den Anwesenden eine Halluzination der Göttin Artemis hervorzurufen, oder sie hatte, wie Christopher Faraone vermutet, die tragbare Statue irgendwie mit Leben erfüllt.7 Der König und seine Töchter hörten, wie die alte Priesterin rief: „Artemis befiehlt mir, meine ungewöhnlichen Kräfte zu benutzen, um dein hohes Alter zu bannen und deinen Körper wieder jung und kräftig zu machen!“ Pelias und seine Töchter wussten um die magische Verjüngung von Iasons Vater, und nun schien die Göttin auch Pelias immerwährende Jugend zu versprechen. Um ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, verlangte die alte Priesterin nach einem Becken mit reinem Wasser, zog sich zurück und schloss sich in einer kleinen Kammer ein. Zur Verwunderung der Anwesenden hatte sich die hässliche Alte, als sie wieder aus der Kammer trat, in eine schöne junge Frau

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verwandelt. Medea versprach, Pelias’ Töchtern zu zeigen, wie sie etwas Ähnliches für ihren Vater erreichen könnte.8 Gebannt von ihrem Zauber, wies Pelias seine Töchter an, alles zu tun, was immer Medea ihnen mit seinem Körper zu tun befahl – wie seltsam es ihnen auch erscheinen möge. Medea forderte die jungen Frauen auf, der Demonstration ihrer Geheimformel zu folgen, denn diesen Vorgang sollten sie mit ihrem Vater exakt wiederholen. Im Palast rezitierte Medea Zauberformeln in ihrer exotischen Sprache. Sie goss die Pharmaka aus der hohlen Artemis-Bronzestatue in ihren besonderen Kessel, schlitzte im Beisein der Töchter die Kehle eines alten Steinbocks auf, trennte den Körper ab und legte ihn in ihren kochenden Kessel. Auf magische Weise erschien ein munteres junges Lamm! Die leichtgläubigen Töchter eilten fort, um diese beeindruckende Magie auch bei ihrem alten Vater Pelias anzuwenden. Sie wiederholten die Zauberworte, schnitten ihrem Vater die Kehle durch, zerhackten seinen Körper und tauchten ihn in einen Kessel mit kochendem Wasser. Natürlich tauchte Pelias nicht wieder daraus auf.9 Böcke, Lämmer und Kessel kommen in allen Versionen von Medeas Verjüngungstaten vor, in Text und Bild. Die Beliebtheit dieses Motivs in griechischer, römischer und späterer europäischer Kunst zeigt, wie verbreitet die Faszination gegenüber dem Verjüngungsthema war. Im 5. Jh.  v.  Chr. stellte der berühmte Künstler Mikon Pelias’ grauenhaften Tod durch die Hand seiner Töchter im Anakeion genannten Tempel von Kastor und Polydeukes in Athen auf großen Wandgemälden dar (Pausanias 8.11.3). Doch die Geschichte von Medeas wundersamem Kessel war schon davor, ab dem 6. Jh.  v.  Chr., bei den Vasenmalern und ihren Käufern beliebt gewesen.10 Mehrere Vasenbilder aus der Zeit um 510  – 500  v.  Chr. zeigen, wie Medea einen Schafbock wieder zum Leben erweckt, während Pelias und seine Töchter zuschauen. Auf einem besonders lebendigen Beispiel (Abb. 2.1) sehen wir Medea, wie sie mit der Hand über dem Bock im großen Kessel wedelt. Sie blickt zurück zu Pelias mit seinem weißen Bart, der einen Stab hält

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und aufmerksam zusieht. Wir sehen, wie Iason ein Stück Holz unter den Kessel legt, während eine von Pelias’ Tochter verwundert dreinschaut und gestikuliert. In einer ähnlich typischen Szene, zu sehen auf einem großen Weinkrug (5. Jh.  v.  Chr.), führt Pelias’ Tochter ihren Vater an der Hand zu Medea und ihrem Kessel, in dem ein Schafbock steckt. Auf einer weiteren Vase (470  v.  Chr., Abb. 2.2) sehen wir den Bock im Kessel zwischen Me-

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Abb. 2.1: Medea blickt zurück zum alten Pelias (links) und wedelt mit ihrer Hand über dem Bock im Kessel; Iason legt ein Holzscheit ins Feuer, und Pelias’ Tochter, rechts, gestikuliert verwundert; attisch-schwarzfigurige Hydria, Leagros-Gruppe, 510–500  v.   Chr.).

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Abb. 2.2: Medea demonstriert Pelias die Verjüngung eines Schafbocks; rotfigurige Vase, ca. 470  v.  Chr., aus Vulci.

Abb. 2.3: Medea mit Pelias’ Töchtern, die den Kessel vorbereiten; römische Kopie eines griechischen Marmorreliefs aus dem 5. Jh.  v.  Chr.

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Abb. 2.4: Medea und Iason beruhigen einen alten Mann mit Stab (Pelias?), während ein jüngerer Mann (der verjüngte Aison?) dem Kessel entsteigt; etruskischer Bronzespiegel, 4. Jh.  v.  Chr.

dea und Pelias. Die römische Kopie eines griechischen Marmorreliefs aus der Zeit um 480–420  v.  Chr. zeigt, wie Pelias’ Töchter den Kessel für Medea vorbereiten, die gerade ihr Kästchen mit den Pharmaka öffnet (Abb. 2.3). Auch die Etrusker waren von dieser Verjüngungsgeschichte fasziniert: Auf einem Bronzespiegel aus dem 4. Jh.  v.  Chr. (Abb. 2.4) sehen wir, wie Medea beruhigend die Hand eines alten Mannes ergreift, der sitzend mit einem Stab dargestellt ist (Pelias?), während Iason ermutigend seinen Arm um ihn legt. Ein junger Mann (der verjüngte Aison, Iasons alter Vater?) entsteigt dem Kessel. Eine weitere Frau (Pelias’ Tochter?) beugt sich über Medeas Schulter und blickt dem alten Mann in die Augen. In einer unheilvollen Szene, die um 440  v.  Chr. entstand, blickt eine der Töchter nachdenklich, eine zweite hilft dem gebrechlichen Pelias, sich von seinem Stuhl zu erheben, und eine dritte Tochter hinter einem großen Kessel winkt den Vater heran und verbirgt dabei seitlich ein großes Messer.11 Ein weiterer Künstler malte eine spannende Szene, die wie ein Filmstreifen um die Seiten eines rot-

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figurigen Schmuckkästchens verläuft (Abb. 2.5). Dreht man die Schachtel in der Hand, sieht man, sich Medeas Kessel, von dass Medea ein Schwert trägt und einen Schafseiner Tochter ermuntert; bock zu ihrem Kessel führt, während Pelias’ Medea gibt ein Zeichen und Tochter ihrem weißhaarigen Vater ein Zeichen trägt ein Schwert an ihrer gibt, sich dem Kessel von der anderen Seite zu Seite; rotfigurige Pyxis, spänähern; er geht an einem Stock. tes 5. Jh.  v.  Chr. Das Motiv von Schafbock und Lamm aus Medeas wissenschaftlichem Vorgehen im Mythos nimmt eine wichtige moderne wissenschaftliche Errungenschaft vorweg, bei der ebenfalls Schafe eine Rolle spielten: Medea brachte ein junges Lamm dazu, ihrem Bottich mit Pharmaka zu entsteigen, die mit der DNA eines alten Schafbocks vermischt worden waren. Erstaunlicherweise war das erste geklonte Säugetier, das in unserer Kultur populär wurde, ebenfalls ein Schaf. Dolly entstand 1996 im Rahmen eines Laborexperiments gentechnisch in einem Röhrchen und anschließend in einem Nährmedium. Das Tier starb mit sechs Jahren. Na-

Abb. 2.5: Der alte Pelias nähert

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türlich gezeugte Schafe werden im Durchschnitt doppelt so alt  –  aber das Zellalter von Dollys genetischer Mutter und die sechs Lebensjahre zusammengenommen ergeben dieselbe Lebensdauer. Das ließ die Besorgnis aufkommen, dass geklonte Tiere das Schicksal hätten, vorzeitig zu altern und zu sterben. 2017 stellten Wissenschaftler künstlich eine Gebärmutter her und füllten sie mit ebenso künstlichem Fruchtwasser, damit sie einen lebenden Lammfötus aufnehmen konnte. 2018 ließen sie menschliche Zellen in genetisch veränderten Schafembryos wachsen.12 Klonen, Gentechnik und Systeme zur künstlichen Erhaltung des Lebens haben seit Dolly große Fortschritte gemacht. Im Mythos begann Medea mit Schafen und ging zu Versuchen mit Menschen über: Auch dies eine Parallele zur Entwicklung der modernen Wissenschaft. (Das Herz und die Lungen von Schafen haben ungefähr die gleiche Größe wie beim Menschen  –  das wussten die alten Griechen.) Bis heute halten sich Zweifel, was das Manipulieren von grundlegenden natürlichen Lebensprozessen, gerade beim Menschen, anbelangt. Die antike Botschaft von Medeas verwegenen Plänen, in natürliche Alterungsprozesse und das Sterben einzugreifen, wird über die Jahrhunderte hinweg auch heute noch gehört. Pelias’ Töchter erwarteten, die Jugend ihres Vaters zurückzugewinnen, wie es Medeas Experiment zu versprechen schien. Doch es misslang ihnen katastrophal, sie erreichten die ersehnten Resultate nicht, weil Medea absichtlich den wesentlichen Schritt ausgelassen hatte: Pelias’ Blut zu ersetzen. Die blutrünstige antike Erzählung verwischt die Grenzen zwischen Scharlatanerie und Wissenschaft und verbindet geschickt die widerstreitenden Gefühle Hoffnung und Entsetzen. Auch bei den heutigen Versuchen in der westlichen Wissenschaft, „Gott“ zu spielen, gibt es dieses Nebeneinander der beiden Gefühle noch immer.13 Die Beziehung von Iason und Medea endete tragisch. Iason brach seinen Schwur ihr gegenüber, und sie tötete ihre gemeinsamen Kinder. Medea verließ Iason und machte sich in ihrem von Drachen gezogenen Streitwagen furchtlos auf zu weiteren Abenteuern. Wenn auch nicht unsterblich, so wurde Iason doch sehr alt. Obwohl er ein

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Held war, starb er einen einsamen Tod: Er wurde im Schlaf von einem herabstürzenden Balken seines verrottenden Schiffes, der Argo, erschlagen. Was war Medea? War sie sterblich oder unsterblich? Ein Blick auf ihre Vorfahren könnte einen vermuten lassen, dass sie die Sterblichkeit überwand. Als Enkelin des Sonnengottes Helios und einer Meeresnymphe konnte Medea sich einer halbgöttlichen Herkunft rühmen. In der Welt der Mythen scheinen Halbgötter, Nymphen, Nereiden, Monster, Titanen, Riesen und Zauberinnen wie Medea und Kirke in einer jenseitigen Welt zwischen Unsterblichkeit und Sterblichkeit angesiedelt zu sein. Zuweilen wurde Medea als sterblich angesehen, doch sie wurde auch als unsterblich und alterslos bezeichnet. Mythen über ihren Tod gibt es keine.14 Im griechischen Mythos konnten Gottheiten mit Menschen Nachfahren zeugen, doch diese waren meist dem Untergang geweiht. Wie viele andere Mütter in der griechischen Mythologie versuchte auch Medea, ihre eigenen Kinder unsterblich zu machen (Pausanias 2.3.11), was ihr aber nicht gelang. Doch die Götter hatten die Macht, besonderen Menschen ewiges Leben zu schenken. Der trojanische Knabe Ganymed wurde beispielsweise von Zeus’ Adler entführt und auf den Olymp gebracht, den Sitz der Götter, wo er dank einer Kost aus Ambrosia und Nektar für immer jung blieb. Und Zeus gestattete dem sterbenden Helden Herakles  –  seinem Sohn mit der Sterblichen Alkmene  –, in den Himmel aufzusteigen, wo er, mit Ambrosia genährt, unsterblich wurde und Hebe heiratete, die Göttin der Jugend (siehe Kapitel 3). In einem weiteren Mythos bat Herakles’ Neffe, der Held und Argonaut Iolaos, Hebe und Zeus, seine Jugend für einen Tag wiederherzustellen, damit er seinen Feind im Kampf schlagen könne. Eine ähnliche Erzählung gab es auch über den Krieger Protesilaos, dem gestattet wurde, für einen Tag zur Erde zurückzukehren, damit er seine Frau lieben konnte (siehe Kapitel 6).15 Götter starben nie und wurden auch nicht alt. Alterslosigkeit und Unsterblichkeit sind zwar dicht miteinander verwoben, konnten in der Mythologie aber dennoch unterschiedlich betrachtet werden.

Medeas Verjüngungskessel

Wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, gab Hephaistos Talos Ichor, doch auch dieser garantierte ihm keine Unsterblichkeit. Im Mythos konnte die göttliche Macht des Ichor auch lebenden Kreaturen, beispielsweise Pflanzen und Menschen übertragen werden, doch seine besonderen Wirkungen hielten nur vorübergehend an (siehe Kapitel 3). In Ovids Nacherzählung der Verjüngung Aisons belehrt Medea Iason, dass seine Bitte, Jahre seines eigenen Lebens auf seinen Vater zu übertragen, unvernünftig und verboten sei.16 Doch zu Iasons Bitte gab es bereits einen Präzedenzfall. In Mythen konnte Unsterblichkeit geteilt, und es konnte sogar darüber verhandelt werden. Herakles wollte beispielsweise die Unsterblichkeit des Kentauren Chiron gegen das Leben des Prometheus eintauschen. Dieser war für die Ewigkeit an einen Felsen gekettet, weil er das göttliche Feuer gestohlen hatte.17 Wir können auch an die verworrene Situation der Dioskuren denken, der Zwillinge Kastor und Polydeukes, die Iason auf der Argo bei der Suche nach dem Goldenen Vlies begleiteten. Die Mythographen konnten sich nicht entscheiden, ob die Brüder unsterblich oder „halbsterblich“ waren. Diese Unsicherheit hatte einen guten Grund, denn Leda, die Mutter der beiden, war menschlich, Polydeukes wurde von Zeus gezeugt, aber Kastors Vater war Tyndareos, ein spartanischer König. Die ungewöhnliche Vorstellung, dass Zwillinge zwei verschiedene Väter haben, war hier verwirrend: sterbliche gegenüber unsterblicher Abstammung. Erstaunlicherweise war die Abstammung von unterschiedlichen Vätern an sich aber keine bloße Phantasie oder ein Kunstgriff innerhalb des Handlungsverlaufs. Der wissenschaftliche Fachausdruck dafür, dass zwei verschiedene Männer bzw. Männchen während desselben Menstruationszyklus mit einer Frau bzw. einem Weibchen Zwillinge zeugen, ist „heteropaternale Superfekundation“ („Überschwängerung“). Dies kommt bei Hunden, Katzen und anderen Säugetieren vor, selten auch bei Menschen. Säugetiere können auch eine zweite Empfängnis während einer Schwangerschaft haben, eine sogenannte Superfötation. Dass auf diese Art gezeugte Menschen geboren werden, ist aufgrund der un-

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terschiedlichen Entwicklung der Embryonen jedoch extrem selten. In der Antike kannte man diesen Vorgang aber durchaus. Er wurde u. a. von Herodot (3.108) und Aristoteles (Geschichte der Tiere 585a3–9, 579b30–43) beschrieben.18 Als Kastor im Dioskuren-Mythos getötet wurde, bat Polydeukes darum, seine Unsterblichkeit mit seinem Bruder teilen zu dürfen. Zeus gewährte seinen Wunsch, und die Zwillinge verbrachten abwechselnd eine bestimmte Zeit im Himmel. Hinter vielen biotechnischen „Wundern“, die von Medea und anderen mythischen und historischen Schöpfern künstlichen Lebens gewirkt wurden, verbirgt sich ein zeitloses Thema: die Suche nach ewigem Leben. Die Sehnsucht nach der Überwindung des Todes ist so alt wie das menschliche Bewusstsein. Jedes Lebewesen wird ohne ein Verständnis vom Tod geboren: Alle Menschen kommen auf die Welt und glauben, sie würden für immer leben und jung bleiben. Die bittere Wahrheit dämmert ihnen erst später. Diese allgemeine Desillusionierung wurde in Mythen auf der ganzen Welt in Worte gefasst und dadurch kompensiert. Der Jungbrunnen, das Lebenselixier, Wiedergeburt, Auferstehung, ewiger Ruhm, die Fortsetzung des Stammbaums durch Nachkommen, Streben nach Unverwundbarkeit, grandiose Bauten und Monumente, sogar Vampire, Zombies und die Untoten  –  all das bezeugt die Sehnsucht der Menschen, Wege zu finden, dem Tod zu trotzen. Das ist das Thema des nächsten Kapitels.

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Die Suche nach Unsterblichkeit und ewiger Jugend Die Griechen der Antike waren von der Idee ewiger Jugend und unvergänglichen Lebens geradezu besessen. In ihren Mythen, ihrer Dichtung und Philosophie verwandten sie viele Gedanken auf den Wunsch, jung zu bleiben und für immer zu leben. Wie die Götter alterslose Unsterblichkeit zu besitzen, wäre für sie bei ihrer Suche nach künstlichem Leben die höchste Errungenschaft gewesen. Doch die Griechen waren sich sehr wohl der ernüchternden Konsequenzen bewusst, sollte ein solcher Segen je gewährt werden. Für sie war das Leben der Männer und Frauen von Chronos bemessen, der in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geteilten Zeit. Wenn aber die Menschen eine unendlich lange Zeit leben würden, Aion, was würde dann mit dem Gedächtnis oder der Liebe passieren? Wie würde das menschliche Gehirn, das sich so entwickelt hat, dass es in der Erinnerung 70 oder 80 Jahre fassen kann, damit zurechtkommen, Jahrhunderte oder Jahrtausende speichern zu müssen? Die Wechselbeziehung zwischen menschlicher Erinnerung, Liebe und dem Bewusstsein einer endlichen Lebensspanne ist auch in dem modernen Science-Fiction-Film Blade Runner (1982) zentral. Die androiden Arbeiter in dieser Dystopie wurden genetisch verändert, sodass sie eine Lebenszeit von nur vier Jahren haben  –  zu kurz, um eine wirkliche Identität zu entwickeln, die auf Erinnerungen beruht, oder um Empathie zu empfinden. Im Film versuchen abtrünnige Replikanten verzweifelt, die ihnen zugewiesene Zeit zu verlängern.1

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Die Verbindungen zwischen Erinnerung, Liebe und Sterblichkeit tauchen auch in Homers Odyssee auf. Sie spielen eine zentrale Rolle in Odysseus’ zehn Jahre währendem Versuch, nach dem Trojanischen Krieg seine Heimat Ithaka wieder zu erreichen. Besonders deutlich wird dies, als er von der Nymphe Kalypso sieben Jahre lang gegen seinen Willen als ihr Liebhaber festgehalten wird (Odyssee 5.115 – 140). Sie bietet ihm ewige Jugend und Unsterblichkeit dafür, dass er für immer auf ihrer Insel bleibt. Sie kann es nicht glauben, als Odysseus dieses großzügige Geschenk ablehnt. Die anderen Götter bestehen darauf, dass Kalypso seinen Wunsch anerkennt, mit einem selbstgebauten Floß zu seiner Frau, seiner Familie und seinen Freunden zurückzukehren und den Rest seines Lebens in seinem Geburtsland zu verbringen. Odysseus erklärt ihr: „Es gibt viele Gründe, warum neben dir die kluge Penelopeia schwächlich erschiene an Größe und Aussehen, stündet ihr beide vor mir: sie ist sterblich, du bist unsterblich und wirst nie altern. Aber auch so wünsche und hoffe ich alle Tage, heimzukommen, die Stunde der Rückkehr noch zu erleben“ (5.216–220). Da sie keinerlei Empathie verspürt, kann die unsterbliche Kalypso Odysseus’ Sehnsucht nach seiner Frau und sein Heimweh nicht verstehen. Wie die Altphilologin Mary Lefkowitz erklärt, fasst diese alte Geschichte „einen der wichtigsten Unterschiede zwischen Göttern und Sterblichen in Worte. Menschen haben Bindungen untereinander“ und zu ihrer Heimat, und „die Intensität dieser Bindungen ist umso stärker, weil die Bande nicht ewig bleiben können“. Der Philosoph C. D. C. Reeves weist darauf hin, dass Odysseus weiß, er würde seine Identität verlieren, die nicht nur ihm, sondern auch seiner Familie und seinen Freunden kostbar ist, wenn er sich entschlösse, sich der Unsterblichkeit auszusetzen.2 Das Streben nach Unsterblichkeit lässt weitere grundlegende Bedenken aufkommen. Anders als Menschen verändern sich die Götter nicht und lernen auch nicht. „Für die Unsterblichen ist alles leicht“, merkt die Altphilologin Deborah Steiner an. Mit wenigen Ausnahmen handeln die Götter „ohne sichtbare Anstrengung oder Strapazen“.3 Was würde aus dem Selbstopfer, der Tapferkeit,

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dem heroischen Streben und dem Ruhm der Menschen ohne jegliche Bedrohung durch Gefahr oder Tod? Wie Empathie sind diese Verhaltensweisen unverwechselbar menschliche Ideale und waren besonders wichtig in kriegerischen Kulturen wie dem antiken Griechenland. Die unsterblichen Götter der griechischen Mythologie sind mächtig, aber niemand bezeichnete sie als mutig. Sie konnten aufgrund ihrer Natur niemals um hohe Einsätze spielen, sich dem Risiko aussetzen, vernichtet zu werden, oder sich entscheiden, heroisch gegen unüberwindliche Hindernisse anzugehen.4

Wenn unser Leben auch kurz ist  –   es soll ruhmreich sein! Nach Herodot (7.83) nannte sich die Elite-Infanterieeinheit von 10 000 Kriegern des Persischen Reiches des 6. und 5. Jh.s  v.  Chr. „die Unsterblichen“. Diese Bezeichnung wurzelt nicht etwa in dem Wunsch, für immer zu leben, sondern in dem Wissen, dass ihre Anzahl immer gleich bleiben würde. Die Zusicherung, dass ein anderer tapferer Krieger unmittelbar die Stelle eines toten oder verwundeten Kämpfers einnehmen würde, machte die „Unsterblichkeit“ der Truppe aus und förderte das Gefühl von Zusammenhalt und Stolz. Die anhaltende Anziehungskraft dieses Konzepts zeigt sich darin, dass auch die sassanidischen und byzantinischen Kavallerien, später Napoleons kaiserliche Garde und schließlich die iranische Armee von 1941 bis 1979 die Bezeichnung „Unsterbliche“ aufgriffen. Im großen mesopotamischen Gilgamesch-Epos treten die beiden Gefährten Enkidu und Gilgamesch dem Tod heroisch gegenüber und trösten sich damit, dass zumindest ihr Ruhm ewig anhalten würde. Diese Vorstellung wird auch im antiken griechischen Ideal des kleos aphthiton verkörpert, des „unvergänglichen Ruhms“. In der griechischen Mythologie suchen wirkliche Helden nicht körperliche Unsterblichkeit. Im Gegenteil, ein wahrer Held will nicht alt sterben. Wenn sie von den Göttern eine entsprechende Chance erhalten, lehnen Helden wie Achill ein langes Leben voller Bequemlichkeit und

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Ruhe ab. Jung und schön im edlen Kampf gegen einen ebenbürtigen Feind zu sterben  –  das ist die Definition eines der Mythen würdigen Heldentums. Sogar die barbarischen Amazonen erhalten in der griechischen Legende diesen hochgerühmten Status und sterben tapfer im Kampf. Tatsächlich starb keine von ihnen in hohem Alter.5 In vielen Mythen wählen große Helden ausdrücklich ein kurzes, denkwürdiges Leben voller Ruhm und Würde, aber auch Risiko. Diese Wahl trafen der Sage nach auch die sogenannten Narten aus dem Kaukasus, überlebensgroße Männer und Frauen im Goldenen Zeitalter der Helden. Es verbanden sich hier antike indoeuropäische Mythen mit eurasischem Volkstum. In einer Sage fragt der Schöpfer: „Wollt ihr wenige an Zahl sein und ein kurzes Leben haben, aber großen Ruhm erwerben und Vorbilder für immer und ewig sein? Oder wollt ihr lieber, dass eure Anzahl groß sei, ihr viel zu essen und zu trinken habt und ein langes Leben führt, ohne dass ihr je Kampf oder Ruhm erfahrt?“ Die Antwort der Narten erfolgt „so schnell wie der Blitz“. Sie ziehen es vor, gering an Zahl zu bleiben und kühne Taten auszuführen. „Wir wollen nicht wie das Vieh sein. Wir wollen menschenwürdig leben. Wenn unser Leben auch kurz sein sollte, so lass unseren Ruhm groß sein!“6 Ein weiteres Mittel gegen den Wunsch nach Unsterblichkeit war das klassische griechische Ideal der Ruhe, auch des heiteren Fatalismus. Diese Haltung wird in einem Gedicht von Pindar (Isthmien 7.40–49) aus dem Jahr 454  v.  Chr. deutlich, in dem das Leben eines großen Athleten gefeiert wurde: „Auf der Suche nach jedem Vergnügen, das der Tag bringt, werde ich ein friedliches Alter und mein mir bestimmtes Ende erreichen.“ Ungefähr 600 Jahre später verband der römische Kaiser und Philosoph Marc Aurel in seinen Selbstbetrachtungen die Akzeptanz des Todes mit der Verantwortung, das eigene kurze, zerbrechliche Leben gut und ehrenhaft zu gestalten: „Denn das Sterben ist ja nur eine der Aufgaben des Lebens“, schrieb er (VI, 2). Ehrenwert ist, „mitten in diesem Getriebe festzustehen, mit ruhigem und freundlichem Sinn; das ist eben unsere Aufgabe“.

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Viele Reiseberichte der Antike ergehen sich in Beschreibungen sagenhafter Utopien, in denen die Menschen glücklich, gesund und frei sind und ein langes Leben führen. Ein frühes Beispiel der Idee, dass Jungbrunnen oder Quellen für langes Leben in exotischen Ländern des Ostens gefunden werden könnten, finden wir in den Schriften von Ktesias, einem griechischen Arzt, der im 5. Jh.  v.  Chr. in Babylon lebte und über Wunder in Indien schrieb. Ungefähr zur gleichen Zeit berichtete Herodot von den langlebigen Äthiopiern, die ihre Lebensspanne von 120 Jahren einer Ernährung aus Milch und Fleisch sowie ihrer Gewohnheit verdankten, in nach Veilchen duftenden, natürlichen Ölquellen zu baden. Später schrieb ein anonymer griechischer Geograph, der in Antiochia oder Alexandria lebte (4. Jh.  n.  Chr.), über das indische Volk der Camarini in einem östlichen „Eden“. Sie aßen Wildhonig und Pfeffer und wurden bis zu 120 Jahre alt. Alle kannten den Tag ihres Todes und bereiteten sich dementsprechend vor. Erstaunlicherweise sind 120 Jahre auch die maximale Lebensspanne, von der manche heutige Wissenschaftler ausgehen.7 Ein merkwürdiger kleiner Mythos um einen exzentrischen Fischer mit Namen Glaukos war Thema eines verschollenen Theaterstücks des Aischylos und eines verschollenen Gedichts von Pindar. Weitere Einzelheiten dazu finden wir bei Ovid, Platon und Pausanias. Glaukos bemerkt, dass die Fische, die er gefangen und auf eine bestimmte Grassorte gelegt hat, wiederbelebt werden und zurück ins Meer gleiten. In der Erwartung, unsterblich zu werden, isst er dieses Gras und taucht ins Meer. Dort lebt er noch immer, bedeckt von Kletten und Ranken, als Seher oder Meeresdämon. Ein weiterer merkwürdiger Mythos um einen anderen Glaukos  –  einen Knaben, der ertrank, aber gerettet werden konnte  –  war Thema in Stücken von Euripides, Sophokles und Aischylos (alle drei Werke sind heute verloren). Dieser Glaukos war der Sohn des kretischen Königs Minos. Eines Tages spielte der kleine Junge mit einem Ball (oder einer Maus) und ging dabei verloren. König Minos sandte den weisen Polyeidos aus, der ihn finden sollte. Der junge Glaukos wurde

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tot aufgefunden  –  er war in ein Fass mit Honig gefallen und ertrunken. Doch Polyeidos hatte einst beobachtet, wie eine Schlange eine bestimmte Pflanze herbeibrachte, um ihren toten Gefährten wiederzuerwecken. Polyeidos holte den kleinen Jungen mit derselben Leben spendenden Pflanze ins Leben zurück.8 Plinius der Ältere erwähnt eine Gruppe von Menschen in Indien, die Jahrtausende lang lebten. Indien taucht auch in vielen Legenden auf, die nach dem Tod Alexanders des Großen aufkamen und in arabischen, griechischen, armenischen und weiteren Versionen des Alexanderromans (3. – 6. Jh.  n.  Chr.) gesammelt wurden. Es hieß darin, dass der junge Welteroberer Unsterblichkeit erstrebte. An einer Stelle lässt sich Alexander auf philosophische Gespräche mit indischen Weisen ein. Als er fragt: „Wie lange soll man als Mensch leben?“, antworten sie: „So lange, wie man nicht den Tod als besser denn das Leben ansieht.“ Auf seinem Feldzug wurde Alexander auf der Suche nach dem Wasser des ewig andauernden Lebens allerdings immer wieder ausgebremst und traf auf phantastische Himmelsboten und Weise, die ihn vor einer derartigen Suche warnten. Der Traum, das magische Wasser der Unsterblichkeit zu finden, bestand im späteren europäischen Volkstum fort. In den mittelalterlichen Legenden um den Reisenden und Geschichtenerzähler Johannes, Priesterkönig eines Reiches östlich von Persien, behauptet dieser zum Beispiel, dass ein Bad im Jungbrunnen einen in das ideale Alter von 32 Jahren zurückführen würde  –  und dass man diese Verjüngung wiederholen könne, so oft man wolle.9 Auf der anderen Seite der Welt, in China, berichten alte Volkssagen von einem Land, in dem man nicht stirbt (Pu-szu chih kuo) und in dem die Menschen eine Wunderfrucht aßen.10 Mehrere Kaiser träumten im Lauf der Geschichte davon, das Elixier für Unsterblichkeit zu entdecken. Der berühmteste dieser Sucher war Qin Shi Huang Di, geboren 259  v.  Chr., ungefähr ein Jahrhundert nach Alexander dem Großen. Taoistische Legenden berichten von ti hsien, von Menschen, die nie alt wurden oder starben, weil sie auf legendären Inseln oder Bergen ein besonderes Kraut züchteten. Im

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Jahr 219  v.  Chr. sandte Qin Shi Huang Di einen Alchimisten und 3000 junge Menschen aus, die das Elixier finden sollten. Man sah sie niemals wieder. Der Kaiser machte auch Magier und weitere Alchimisten ausfindig, die verschiedenartige Gebräue aus Zutaten zusammenmischten, die Langlebigkeit verleihen sollten. Das Spektrum reichte von 100 Jahre alten Schildkrötenpanzern bis hin zu Schwermetallen, vor allem tan sha, rotem Sand oder Zinnober (Quecksilbersulfid). In der Antike brachten der geheimnisvolle flüssige Zustand von Quecksilber und dessen erstaunliche Beweglichkeit die Menschen dazu, es als „lebendiges Metall“ anzusehen (siehe Kapitel 5 zur Verwendung von Quecksilber, um Automata anzutreiben). Qin Shi Huang Di starb im relativ fortgeschrittenen Alter von 49 Jahren im Jahr 210  v.  Chr. Unsterblichkeit erwarb er, indem er in die Geschichte einging: als erster Kaiser des vereinten Chinas und Begründer der Qin-Dynastie. Er hatte zudem die erste Große Mauer, den großen Lingqu-Kanal, ein prachtvolles Mausoleum, das von einer Terrakotta-Armee aus 6000 Soldaten bewacht wurde, und ein Grab mit unterirdischen Quecksilberflüssen erbaut.11 Was die Angst vor dem Tod betrifft, die Qin Shi Huang Di hatte, betonte Marc Aurel (Selbstbetrachtungen 47 und 74) die stoische Sichtweise und wies darauf hin, dass „Alexander der Große und sein Maultiertreiber beide starben und mit beiden das Gleiche passierte. Sie wurden gleichermaßen in die Lebenskraft der Welt aufgenommen oder in Atome aufgelöst“. Man denke an jeden Menschen und jedes Geschöpf, das je gelebt hat und starb, „alle bilden die Basis für ein heutiges langes Leben. Welchen Schaden erleiden sie?“ Dass der historische Alexander seine eigene Sterblichkeit akzeptierte, ist Gegenstand eines berühmten Witzes, wie er durch mehrere seiner Biographen gegen Ende seiner beschwerlichen Feldzüge in Indien kolportiert wurde. Alexander hatte bereits das Persische Reich erobert und mehrere ernste Kriegsverletzungen überstanden. Einige Männer aus seinem Gefolge hatten sogar schon begonnen, ihn als Heros zu bejubeln. Mitten in einer heftigen Schlacht im Jahr 326  v.  Chr. traf ein Pfeil Alexanders Fessel. Als ihm seine Gefährten zur Seite eilten,

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lächelte er ironisch und zitierte eine bekannte Passage von Homer: „Was ihr hier seht, ist Blut  –  kein Ichor, wie er aus den Wunden der glücklichen Unsterblichen rinnt.“12 Wie Alexander  –  der drei Jahre später (323  v.  Chr.) jung sterben sollte  –  fanden sich die großen Helden der klassischen Antike letztlich damit ab, wenn ihr Tod bevorstand, getröstet dadurch, dass sie im Gedächtnis der Menschen ewiges „Leben“ gewinnen würden  – auch wenn das hieß, dass sie sich Homers traurigen „aufgeregten Geistern“ in der Unterwelt anschließen müssten.13 Die antiken Mythen über Unsterblichkeit übermitteln also eine existentielle Botschaft: Nicht nur ist der Tod unausweichlich; menschliche Würde, Freiheit und Heroismus stehen vielmehr auf bestimmte Weise mit der Sterblichkeit in Zusammenhang. Die Suche nach Unsterblichkeit unterliegt nicht ohne Grund Irrtümern, und in Mythen über furchtlose sterbliche Helden treten diese zutage. Denken wir beispielsweise an Achill. Als er geboren wurde, versuchte seine Mutter, die Nereide Thetis, ihn unverwundbar zu machen, indem sie seinen Körper mit göttlicher Ambrosia salbte und anschließend „seine Sterblichkeit wegbrannte“, indem sie ihn übers Feuer hielt. Eine berühmtere Version dieses Mythos besagte, dass sie den kleinen Achill in den Unterweltfluss Styx tauchte. In beiden Mythen musste Thetis ihren Sohn an der Ferse festhalten, die tatsächlich sein verletzlicher Fleck blieb (Appollonios, Argonautika 4.869–879). Jahre später, auf dem Schlachtfeld vor Troja, unterlag dieser beste der griechischen Kämpfer trotz seines Heldenmutes nicht im ehrenhaften Kampf Mann gegen Mann, wie er gehofft hatte. Achill starb stattdessen schmachvoll, weil ein Pfeil, der von einem unsichtbaren Bogenschützen abgeschossen wurde, seine Ferse traf, jenen scheinbar bedeutungslosen, schwachen Teil seines Körpers. Ähnlich hatten auch der Gott Hephaistos und König Minos von Kreta nicht vorhergesehen, dass der bronzene Roboter Talos durch Medeas schlichten Angriff auf seine Fessel seines Ichors beraubt werden würde (siehe Kapitel 1). Eine unvorhergesehene Verwundbarkeit wird deshalb auch bei innovativer Biotechne als Achillesferse bezeichnet.

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Viele antike Mythen stellen außerdem die Frage, ob Unsterblichkeit die Freiheit von Leid und Kummer garantieren könne. So ärgert sich im mesopotamischen Epos der Held Gilgamesch darüber, dass nur die Götter für immer leben, und fürchtet seinen eigenen Tod. Also macht er sich auf die Suche nach der Pflanze der Unsterblichkeit.14 Doch hätte Gilgamesch sein Verlangen nach ewigem Leben erfüllt bekommen, hätte er ewig den Verlust seines geliebten sterblichen Gefährten Enkidu zu beklagen gehabt. Denken wir auch an das Los des weisen Kentauren Chiron, Lehrer und Freund des griechischen Helden Herakles. Während einer Schlacht wurde Chiron zufällig von einem der vergifteten Pfeile des Herakles getroffen. Dieser Pfeil, mit dem Gift des Ungeheuers Hydra getränkt, fügte ihm eine schreckliche Wunde zu, die nicht mehr heilen sollte. Von unerträglichem Schmerz gequält, bat der Kentaur die Götter, seine Unsterblichkeit gegen einen seligen Tod einzutauschen. Einige Mythen behaupten, dass Prometheus  –  der Titan, der die Menschen heimlich die geheime Kunst des Feuers lehrte  –, anbot, seinen Platz mit Chiron zu tauschen. Zeus’ berüchtigte Bestrafung des Prometheus sollte diesem selbst unendliche Qualen bereiten: Er kettete ihn an einen Berg und schickte seinen Adler, damit er Prometheus täglich die Leber auspickte. Die regenerative Kraft der Leber war in der Antike bekannt.15 So wuchs im Mythos die Leber des unsterblichen Titanen jede Nacht nach, und der Adler verschlang sie wieder und immer wieder von Neuem. Auf ewig. Der Schrecken einer ungeheuerlichen Regeneration bestimmt auch den Mythos des vielköpfigen Ungeheuers Hydra. Als Herakles die sich windende Schlange töten wollte, schlug er ihr jeden Kopf ab, musste aber voller Entsetzen mit ansehen, wie ihr je zwei neue Köpfe wuchsen. Schließlich verfiel er auf die Technik, jeden Hals mit einer brennenden Fackel auszubrennen. Den unsterblichen zentralen Kopf der Hydra aber konnte er nicht zerstören. Herakles begrub diesen in der Erde und rollte einen großen Stein über die Stelle, um die Menschen zu warnen. Doch obwohl tief in der Erde vergraben, entwich dem Zahn der Hydra weiterhin ein todbringendes Gift. Der

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Mythos macht die Hydra zu einem perfekten Symbol der sich unendlich fortsetzenden Konsequenzen der Unsterblichkeit. In der Tat war Herakles durch seine eigene Biotechne, das Gift der Hydra, dem Untergang geweiht: Weil er seine Pfeilspitzen in dem Gift des Ungeheuers getränkt hatte, verfügte er über einen unbegrenzten Vorrat an Giftprojektilen, die jeweils ein bestimmtes unbeabsichtigtes Unglück anrichteten  –  der Kentaur Chiron war nur eines der Opfer; der große Herakles selbst ging ebenfalls unrühmlich unter, denn er erlitt aus zweiter Hand Qualen durch das Gift der Hydra.16 Eine interessante Variation des Themas der albtraumhaften Wiederbelebung taucht in der alten Geschichte eines Automaton in Gestalt eines Besens auf. Goethes Zauberlehrling von 1797 wurde später populär als eine Episode mit Mickey Mouse in Walt Disneys Film Fantasia von 1940. Die Originalerzählung aus dem Jahr 50  n.  Chr. stammt von Lukian von Samosata, der Satiren und spekulative Fiktion verfasste (als das, was man heute Science-Fiction nennt).17 In seiner Geschichte Philopseudes (Der Lügenfreund) reist ein junger griechischer Student zusammen mit einem Weisen aus Ägypten durch die Welt. Dieser Magier hat die Macht, Haushaltsgegenstände wie Besen oder Stößel zu androiden Dienern zu machen, die automatisch das tun, was er sagt. Eines Abends, als der Weise außer Haus ist, versucht der Student, selbst einen hölzernen Stößel zu beherrschen. Er legt ihm Kleider an und befiehlt ihm, Wasser zu holen. Doch dann kann er das Automaton nicht davon abhalten, immer weiter eimerweise Wasser zu bringen. Der Gasthof ist bereits überflutet, weil der Student nicht über das Wissen verfügt, das Automaton wieder in einen Stößel zu verwandeln. In seiner Verzweiflung zerschlägt der Student den nicht zu bremsenden Diener mit einer Axt, doch jedes Stück wird daraufhin zu einem weiteren Wasser holenden Diener. Zum Glück kehrt der Weise rechtzeitig heim, um die Situation zu retten. Mehrere antike griechische Mythen warnen davor, den Tod zu überlisten, weil dies Chaos bewirkt und schmerzliches Leiden nach sich zieht. Als „Sisyphosaufgabe“ bezeichnet man noch heute eine

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sinnlose, nicht zu schaffende Arbeit  –  doch nur wenige wissen, warum Sisyphos für immer einen großen Stein auf einen Berg rollen musste. Er, der legendäre Tyrann von Korinth, war für seine Grausamkeit, für List und Betrug bekannt. Im Mythos fing er hinterlistig Thanatos (Tod) ein und band ihn in Ketten. Nun konnte nichts mehr sterben, was auf Erden lebte. Diese Tat drehte nicht nur die natürliche Ordnung um, wodurch eine Überbevölkerung drohte, sondern es konnte auch niemand mehr den Göttern Tiere opfern oder Fleisch essen. Was würde aus Politik und Gesellschaft, wenn Tyrannen für immer lebten? Zudem waren alle  –  Männer wie Frauen  –, die alt, krank oder verwundet waren, dazu verurteilt, unendlich zu leiden. Der Kriegsgott Ares war besonders betroffen, denn der Krieg war kein ernsthaftes Unterfangen mehr, da kein Mensch mehr der Gefahr ausgesetzt war, zu sterben. In einer Version des Mythos befreite Ares Thanatos und lieferte Sisyphos dem Tod aus. Aber als er in der Unterwelt war, schaffte es der gerissene Sisyphos, die Götter davon zu überzeugen, ihn freizulassen, damit er sich eine Zeitlang zu den Lebenden gesellen könne, um einige nicht beendete Aufgaben fertigzustellen. So entschlüpfte er ein weiteres Mal dem Griff des Todes. Schließlich starb Sisyphos im hohen Alter, wurde aber nie in die Reihe der Schatten der Toten aufgenommen, die in der Unterwelt umherwandeln. Stattdessen verbringt er die Ewigkeit mit harter Arbeit. Die Geschichte von Sisyphos war Thema mehrerer Tragödien von Aischylos, Sophokles und Euripides.18 Im Mythos ist demnach die Unsterblichkeit für Götter wie für Menschen gleichermaßen ein Dilemma. In Kapitel 2 habe ich gezeigt, wie die alten Männer Aison und Pelias versuchten, die Uhr zurückzustellen, aber dennoch starben. Und die Mythen um Talos, Achill, Herakles und andere legen nahe, dass man bei dem Versuch, mehr als ein Mensch zu werden, unmöglich alle potentiellen Planungsfehler bedenken kann. Doch der Traum vom ewigen, alterslosen Leben geht weiter. Der Mythos von Eos und Tithonos zeigt dramatisch das Unglück, das aus dem Verlangen resultiert, die natürliche Lebensspanne des

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Menschen zu überwinden. Die Erzählung um Tithonos ist ziemlich alt und begegnet uns zuerst in den Homerischen Hymnen, einer Sammlung von 33 Gedichten, von denen die meisten aus dem 7. und 6. Jh.  v.  Chr. stammen. Eos (die „rosenfingrige“ Göttin der Morgenröte) verliebte sich in einen hübschen junAbb. 3.1: Eos (Morgenröte) verfolgt gen Sänger und Musiker aus Troja namens Tithonos. Sie holte ihn in ihre himmlische Tithonos; attisch-rotfigurige Laube am Ende der Welt, damit er ihr LiebSchale des Penthesilea-Malers,   Chr. haber würde. 470–460  v.

Die Suche nach Unsterblichkeit und ewiger Jugend

Abb. 3.2: Eos (Tesan) und Tithonos (Tinthun); etruskischer Bronzespiegel, 4. Jh.  v. Chr.

Unfähig, den unvermeidlichen Tod ihres sterblichen Liebhabers zu akzeptieren, bat Eos inbrünstig um ewiges Leben für Tithonos. In manchen Versionen ist es Tithonos selbst, der sich danach sehnt, unsterblich zu sein. Jedenfalls gewährten die Götter ihm diesen Wunsch. In typischer Märchenlogik steckt jedoch der Teufel im Detail. Eos hatte vergessen, zugleich ewige Jugend für ihren Geliebten zu erbeten. Für ihn verstrichen die Jahre in Echtzeit. Als das schlimme Alter für Tithonos immer beschwerlicher wurde, geriet Eos in Verzweiflung. Voller Sorge steckte sie ihren Geliebten in eine Kammer hinter goldenen Türen, wo er für immer bleiben sollte. Dort, ohne Gedächtnis und ohne die Kraft, sich zu bewegen, plapperte Tithonos endlos vor sich hin. In manchen Versionen schrumpfte er zu ei-

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ner Zikade zusammen, deren monotoner Gesang eine unendliche Bitte um den Tod ist.19 Von Göttern, die für immer jung und glanzvoll sind, nahm man an, sie würden über den Tod ihrer Kinder trauern, die sie mit Sterblichen gezeugt hatten. Im Mythos hatten Eos und Tithonos einen Sohn, Memnon. Als äthiopischer Verbündeter der Trojaner im legendären Trojanischen Krieg kämpfte er gegen den griechischen Helden Achill und wurde von ihm getötet. Die Tautropfen, die am Morgen erscheinen, galten als die Tränen der Eos, die um ihren Sohn trauerte. Zeus hatte Mitleid mit Eos und gewährte ihr die Bitte, Memnon für immer auf dem Olymp leben zu lassen. Dieses Mal dachte Eos daran, Zeus zu bitten, ihr Sohn solle so jung bleiben, wie er im Augenblick seines Todes war.20 So wie Sterbliche ihre eigene Sterblichkeit beklagen, beklagen auch die Götter die Sterblichkeit ihrer menschlichen Geliebten. Götter sind indes besonders abgeneigt gegenüber dem natürlichen Fortgang des Alters und der Hinfälligkeit, vor allem bei ihren menschlichen Liebhabern. In Homers Odyssee beklagte die bereits erwähnte Nymphe Kalypso sich bitterlich, dass die älteren Götter Göttinnen wie ihr und Eos das Glück missgönnten, sich in sterbliche Männer zu verlieben. Im antiken Homerischen Hymnos an Aphrodite verlässt die Göttin der Liebe gefühllos ihren sterblichen Liebhaber Anchises. „Ich aber wünschte mir nicht, dass du bei unsterblichen Göttern solch ein Unsterblicher würdest und lebtest hinfort alle Tage“, erklärt Aphrodite ihrem Anchises. „Bliebst du jedoch in solcher Gestalt und Schönheit am Leben, wie sie jetzt dir zu eigen, und würdest meine Jahre gutheißen, dann verdunkelte nie ein Leid meine Gesten und Entschlüsse. Doch nun verdunkelt dich bald das allausgleichende Alter ohne Erbarmen, das später an alle MenAbb. 3.3: Tithonos wird in eine schen herantritt, das verdirbt, das erschöpft, das auch Götter heftig verabscheuen.“21 Zikade verwandelt; Michel Selbst alterslos, wurde der Tithonos-Mythos de Marolles, Tableaux du über die Jahrhunderte von Künstlern und DichTemple des Muses (Paris, tern unsterblich gemacht. Künstler der Frühmo1655).

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derne betonten gern den Kontrast zwischen dem weißhaarigen Alten und der ewig rosigen Morgenröte.22 Doch gerade die verborgene Botschaft dieses Mythos steht im Zentrum der antiken griechischen Darstellungen. Vasenmaler zeigten den jungen Musiker, wie er ängstlich der Eroberung durch die lustvolle Eos entflieht, als würde er bereits spüren, wie die Geschichte ausgehen muss. Liebesheiraten zwischen mitleidlosen Göttern und bloßen Sterblichen enden tragisch. Eine ähnliche Vorahnung ereilte die junge Marpessa, die sowohl von dem hübschen Gott Apollon als auch von einem Sterblichen namens Idas umworben wurde. In diesem Mythos kämpften Idas und Apollon um ihre Hand, doch Zeus erlaubte dem Mädchen, zwischen den Verehrern zu wählen. Marpessa entschied sich für Idas, weil sie wusste, dass Apollon sie verlassen würde, wenn sie erst alt wäre (Apollodor, Bibliotheke 1.7.8). 2004 wurde ein Fragment eines Verses der großen Dichterin Sappho (ca. 630–570  v.  Chr.) auf einem Papyrusrest entziffert. Der Vers wurde als Tithonos- oder Altersgedicht bekannt. Sappho klagt darüber, dass sie alt und grau ist; sie erinnert an den Mythos von Tithonos und mahnt jüngere Sängerinnen, in ihrer Musik zu schwelgen, solange sie es noch könnten. Es gibt weitere ähnliche Zeilen, und der Dichter Horaz verwies im 1. Jh.  v.  Chr. auf das Elend von Tithonos und anderen Möchtegern-Unsterblichen in einer seiner Oden (1.28). Er warnt darin vor den Gefahren und der trügerischen Verlockung der Unsterblichkeit, die „ein Los schlimmer als der Tod“ mit sich bringe. Viele Jahrhunderte später, 1859, hat Alfred Lord Tennyson in einem Gedicht Tithonos und sein gebrochenes Herz erwähnt; er würde verzehrt von der grausamen Geißel der Unsterblichkeit, die ihn nicht nur aufgrund seiner unnatürlichen Langlebigkeit aus der Umarmung seiner Geliebten entriss, sondern auch aus der Menschheit ausschloss. Alicia E. Stallings beschreibt in einem ihrer Gedichte („Tithonus“ in Archaic Smile, 1999) einen alternden Tithonos, einen bemitleidenswerten Schatten eines Mannes, isoliert durch Demenz. Dieser niederdrückende Mythos um die „Schrecken des Alterns“ wäre seit Jahrhunderten vergessen, wenn die Botschaft

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die Menschen nicht unbewusst mit der Unvermeidlichkeit des Sterbens versöhnen würde, wie Aubrey de Grey erklärt, ein Gerontologe, der mithilfe futuristischer Wissenschaft die grenzenlose Verjüngung erreichen will.23 In der Phantasie Homers bleiben Götter aufgrund ihrer besonderen Nahrung für immer jugendlich und lebendig. Sie wurden mit Ambrosia und Nektar genährt, was den ätherischen Ichor anstelle von Blut entstehen ließ. Ambrosia (der Ausdruck leitet sich von einem Sanskrit-Wort für „unsterblich“ ab) war außerdem eine schützende und verjüngende Körperlotion, die von Göttinnen benutzt wurde (Homer, Ilias 14.170). In der Odyssee (18.191) gibt Aphrodite Odysseus’ Frau Penelope „unsterbliche Kleider“ und auch Ambrosia, die ihre jugendliche Schönheit erhalten sollen. Wie schon bei den geheimnisvollen „Wassern des Lebens“ wurde auch die tatsächliche Zusammensetzung von Ambrosia und Nektar nie spezifiziert. Gottheiten konnten Sterblichen Ambrosia geben, um sie unverwundbar zu machen, so wie Thetis es mit ihrem Achill versuchte, oder um ausgewählten Menschen Alterslosigkeit bzw. Unsterblichkeit zu gewähren, wie es bei Herakles geschah (siehe Kapitel 2). Ein faszinierendes Gedichtfragment von Ibykos (6. Jh.  v.  Chr.), von dem wir durch Claudius Aelianus wissen (Tiergeschichten 6.51), verweist auf eine alte Geschichte über Zeus: Der Gott habe die Menschen belohnt, die Prometheus verpetzt hatten, und zwar mit einem „Mittel gegen das Altern“. Ungefähr 1000 Jahre später klagte der Dichter Nonnos von Panopolis (Dionysiaca 7.7) zynisch, dass Prometheus anstelle des Feuers den Göttern doch besser den Nektar gestohlen hätte. Auch Tantalos war eine Gestalt, die auf ewig für Vergehen gegen die Götter bestraft wurde. Eines seiner Verbrechen bestand in seinem Versuch, göttliche Ambrosia und Nektar zu stehlen, die er den Menschen geben wollte, um sie unsterblich zu machen (Pindar, Olympien 1.50). Interessant ist, dass im Mythos der Schlüssel zu ewiger Jugend und ewigem Leben in der Ernährung lag: Die Götter hatten eine besondere Kost mit Leben spendender Nahrung und Getränken. Die Ernährung ist auch der gemeinsame Nenner, der in Aristoteles’ bio-

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logischem System lebendige von nicht-lebendigen Dingen unterscheidet. In der Hoffnung, die Geheimnisse der Langlebigkeit zu enträtseln, untersuchte Aristoteles in seinen Abhandlungen Jugend und Alter, Leben und Tod und Kurze und lange Lebensspannen das Altern, die Vergreisung, Verwesung und den Tod. Zu seinen wissenschaftlichen Theorien über das Altern gehörte, dass die Vergreisung durch Reproduktion, Regeneration und Ernährung bestimmt würde. Der Philosoph meinte, dass sterile oder enthaltsame Geschöpfe länger leben als die, die ihre Energie bei sexueller Aktivität verlieren. So überrascht es nicht sonderlich, dass sich heutige Wissenschaftler, die über lebensverlängernde Strategien forschen, ebenfalls auf Ernährung und Kalorienrestriktion fokussieren. Und Aristoteles wäre hocherfreut, zu erfahren, dass es in der Tat eine evolutionäre Wechselbeziehung zwischen Langlebigkeit und Reproduktion gibt und dass moderne Langzeitstudien nahelegen, sexuelle Abstinenz könnte der individuellen Lebensspanne einige Jahre hinzufügen.24 Bei allen antiken und modernen Wiederholungen des Tithonos-Mythos ist das Schicksal des einst vitalen Sängers das der verlorenen Würde. Sein schreckliches Los  –  „das Leben verabscheut, den Tod verleugnet“  –  wirft einen dunklen Schatten auf die praktischen und spirituellen Probleme, die entstehen, wenn die menschliche Lebenszeit dank der medizinischen Fortschritte weit über ihre natürliche Grenze hinaus ausgedehnt wird.25 Wie Sophokles in seiner Elektra (1173) meinte: „Wir alle sind dem gleichen Los verfallen.“ Die Kenntnis der griechischen Mythen voraussetzend, ließ Platon vor mehr als 2000 Jahren Sokrates sagen, es wäre falsch, die Menschen am Leben zu erhalten, wenn sie nicht mehr funktionierten. Sokrates meinte, Medizin sollte nur eingesetzt werden, um heilbare Krankheiten zu behandeln und Wunden zu heilen, nicht aber, um das Leben eines Menschen über die angemessene Zeit hinaus zu verlängern (Der Staat 405a – 409a). Heute jedoch glauben Verjüngungsforscher und optimistische Transhumanisten, die Wissenschaft könne den Tod zu einer bloßen Möglichkeit reduzieren. Immortalisten erwarten heute ein unendliches Leben durch utopische Diäten, Medizin

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und fortgeschrittene Biotechne, wobei Mensch und Maschine vereint oder Gehirne (bzw. deren technologische Nachkommen) in einen künstlichen Körper oder einen Cloud-Speicher geladen werden.26 Doch menschliche Zellen sind von Natur aus darauf programmiert, zu altern und zu vergehen; Körper haben sich dazu entwickelt, die Gene von einer Generation zur nächsten zu übertragen. Wissenschaftler bezeichnen die Konsequenz einer Langlebigkeit, nämlich ein Leben ohne Gesundheit und Kraft, als „Tithonos-Dilemma“. Dieses Dilemma behindert das Projekt, Menschen unendlich lange am Leben zu erhalten, ohne dass ihr Körper und Hirn dem Alter und dem Zelltod ausgesetzt sind, wie es für Eos’ tragischen Liebhaber im Mythos galt. Aubrey de Grey glaubt, dass die Menschen das überwinden müssten, was er als „Tithonos-Irrtum“ bezeichnet, als demütigende Einwilligung, was das Altern und den Tod betrifft. Um dem Dilemma zu begegnen, gründete de Grey 2009 die Forschungsstiftung SENS (Strategies for Engineered Negligible Senescence  –  „Strategien für einen Dank Technik vernachlässigbaren Alterungsprozess“); sie verfolgt das Ziel, wissenschaftliche Neuerungen zu unterstützen, die den natürlichen Sterbeprozess von Zellen umgehen oder abschalten, damit der Tod immer weiter hinausgeschoben werden kann. Ein diesbezügliches Scheitern würde das Schreckgespenst einer zukünftigen Dystopie aufkommen lassen, mit Unmengen transhumaner, Tithonos-ähnlicher Gespenster  –  diese Aussicht scheint noch höllischer als die homerische Unterwelt mit unruhig schnatternden Geistern.27 Der Fall Tithonos ist somit ganz nüchtern eine Fabel: Für Menschen können ein exzessives Leben oder ein unangemessenes Weiterleben  –  also ein zu langes Leben  –  noch weit erschreckender und tragischer sein als ein zu früher Tod. Für immer zu leben, nimmt der Erinnerung ihre Bedeutung für die Menschen, ebenso wie ein Leben, das zu früh endet, einen ganzen Vorrat an Erinnerungen ausschließt. Die Tithonos-Geschichte und ähnliche Mythen verleihen Ängsten um „zu langes Leben“ über die natürliche Lebensgrenze hinaus eine Stimme. Wie wir gesehen haben, sorgten sich auch die

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Philosophen der Antike um das „zu lange Leben“. Wer zu lange lebt, wird überholt, veraltet, bemitleidenswert. Auch Alterslosigkeit  –  ewige Jugend  –  bietet keinen Trost. Diese Idee durchzieht die einflussreichen modernen Schauerromane Die Chronik der Vampire (1976  – 2016) aus der Feder von Anne Rice und den Film Only Lovers Left Alive (2013) von Jim Jarmusch. Die unsterblichen, immer jugendlichen Vampire sind verloren; wandernde Seelen, die mit jedem Jahrtausend, das vergeht, immer lebensüberdrüssiger, immer übersättigter und gelangweilter werden.28 Zu lange leben, übers Ziel hinausschießen: Eine ganze Reihe von Mythen und Legenden zeigt, wie dumm es ist, nach Unsterblichkeit zu streben. Doch wenn die Umkehrung des Alterns und das Hinausschieben des natürlichen Todes unvernünftig und verboten sind, wie Medea Iason warnte (siehe Kapitel 2), können dann Sterbliche hoffen, zumindest ihre körperlichen Fähigkeiten irgendwie auszubauen  –  die so erbärmlich sind im Vergleich zu denen der Götter? Selbst einige nicht denkende Tiere verfügen über weitaus glänzendere Kräfte als die schwachen, verletzlichen Menschen. Ein weiterer, nachdenklich stimmender Teil griechischer Mythen um künstliches Leben fragt danach, ob Biotechne dazu benutzt werden darf, die Natur „upzugraden“ und übermenschliche Kräfte zu erschaffen.

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Über die Natur hinaus Größere Macht, von Göttern und Tieren geborgt Wie kam es, dass Menschen schwächer und verletzlicher sind als wilde Tiere? Platon zufolge wurden die Menschen ausgebremst, weil es einem Komitee von gerade einmal zwei Lebewesen überlassen wurde, die verschiedenen Fähigkeiten auf die irdischen Geschöpfe zu verteilen (Protagoras 320c – 322b): Nach der Erschaffung von Menschen und Tieren betrauten die Götter zwei Titanen, Prometheus und seinen jüngeren Bruder Epimetheus, damit, den Geschöpfen auf der Erde Fähigkeiten und Eigenschaften zuzuordnen. Epimetheus („der danach Denkende“) war nicht so klug wie sein Bruder Prometheus („der Vorausdenkende“), erbat sich aber das Privileg, verschiedene Fähigkeiten zu verteilen, und versprach, Prometheus könne danach seine Arbeit überprüfen. Epimetheus begann damit, das Wesen der Tiere des Landes, des Meeres und der Luft zu erfassen. Die Aufgabe, diesen Tieren das Überleben zu ermöglichen  –  durch die Gaben der Geschwindigkeit, Stärke und Beweglichkeit, durch Tarnung, Pelz, Federn, Schuppen, einen überragenden Geruchs-, Seh- und Gehörsinn, Flügel, Giftzähne, Gift, Krallen, Hufe und Hörner  –, nahm ihn sehr in Anspruch. Und so verteilte er geistesabwesend all diese Fähigkeiten auf die nicht denkenden Kreaturen. Voller Schrecken bemerkte er schließlich, dass für die nackten, schutzlosen Menschen nichts mehr übrig war. Da erschien sein Bruder Prometheus, um die Geschöpfe zu inspizieren, denn an eben diesem Tag sollten sie sich auf der Erde verbreiten.1

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„Im verzweifelten Bemühen, Mittel zum Überleben für den Menschen zu finden“, stahl Prometheus den Göttern die Fähigkeit zu technischem Geschick, Sprache und Feuer und gab sie den schwachen Sterblichen. So konnten sie zumindest Werkzeuge bauen und überlegen, wie sie für ihre mangelnden Fähigkeiten einen Ausgleich schaffen könnten. Brett Rogers und Benjamin Stevens legen in ihrer vergleichenden Studie griechisch-römischer Literatur und moderner Wissenschaftsfiktion dar, dass der Prometheus-Mythos als „frühe Erklärung und als Symbol der fortschreitenden Beziehung des Menschen zu Technologie“ gelesen werden kann. Er sei ein Beispiel für eine „spekulative Fiktion“, die von einer antiken Kultur hervorgebracht wurde, die gemeinhin nicht als „technisch-wissenschaftlich“ galt. Die von Prometheus übermittelten Gaben sind die erste „Weiterentwicklung des Menschen“, definiert als „Versuch, temporär oder permanent die Beschränkungen des menschlichen Körpers durch natürliche oder künstliche Hilfsmittel zu überwinden“.2 Im griechischen Mythos verurteilte Zeus Prometheus zu ewigem Leid, indem er seinem Adler befahl, jeden Tag die Leber des Titanen zu fressen. Doch dessen Gaben an die Menschheit wirkten weiter, und sowohl positive als auch negative Auswirkungen waren möglich. „Technologie gleicht unsere absurde Gebrechlichkeit aus“, kommentiert Patrick Lin, ein Philosoph, der zur Roboter-, KI- und HET-Ethik (Human Enhancement Technologies, „Technologien zur Verstärkung der menschlichen Fähigkeiten“) forscht. „Wir nackten Affen könnten keinesfalls ohne unseren Verstand, der Werkzeuge erfindet, und ohne dessen Erfindungsreichtum überleben.“ Heutzutage sind Hilfsmittel allgemein verbreitet und uns Menschen höchst willkommen, wie Seh- und Hörhilfen, Titangelenke, Herzschrittmacher, Aufputschmittel oder bionische Prothesen.3 Menschliche Verbesserungen und übernatürliche Verstärkungen werden aber auch kritisch diskutiert, wenn sie etwa für einen fragwürdigen Einsatz vorgesehen sind. Wir haben Angst, wenn zum Beispiel Militärwissenschaftler versuchen, Soldaten zu erschaffen, die „mehr als Menschen“ sind  –  mithilfe von Drogen, Implantaten, Exoskeletten wie

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dem TALOS-Projekt (siehe Kapitel 1), mit Hybriden aus Mensch und Maschine, mit Neurorobotern, oder indem sie die beneidenswerten Kräfte von Tieren nachahmen. Lin und seine Kollegen warnen, dass es geradezu wimmelt vor praktischen und moralischen Risiken, wenn heute versucht wird, Körper von Menschen „nachzurüsten“ und bessere Soldaten, Androiden fürs Militär, Cyborg-Geschöpfe, Drohnen und Roboter-KI-Hilfstruppen zu erschaffen.4 Inzwischen wird es niemanden mehr überraschen, dass man schon in der griechischen Antike diese Zwickmühlen in ihrer ganzen Dimension vorhergesehen hat. Techne in Verbindung mit Intellekt und Mut  –  das sind die besonderen Gaben, auf die sich die Menschen verlassen, um in der Welt zu überleben. Dieses alte griechische Verständnis fasste der Dramatiker Sophokles sehr klar zusammen (Antigone 332–371). „Ungeheuer ist viel, doch nichts ist ungeheurer als der Mensch“, erklärte er, denn keine anderen Geschöpfe verfügen über die Fähigkeiten und den Wagemut, die stürmische See zu befahren, die Erde umzupflügen, Pferde und Ochsen zu zähmen, zu jagen und zu fischen, sich Gesetze auszudenken und Kriege zu führen, Städte zu bauen und zu regieren. Keine andere Kreatur hat die Fähigkeit zur Sprache und zum „windschnellen Sinn“ der alles erfindenden Menschen, die unablässig Wege ersinnen, den Kräften der Natur zu entkommen: „Das Wissen, das alles ersinnt (mechanoen technas), ihm über Verhoffen zuteil, bald zum Bösen und wieder zum Guten treibt’s ihn.“ 5 In den Mythen um Medea, Iason und den legendären Erfinder Daedalus finden wir die frühesten Hinweise darauf, wie Menschen danach verlangten, ihre Kraft zu verstärken und sich künstliche Wesen nutzbar zu machen  –  wozu auch Nachbildungen von Tieren gehörten. Wie wir gesehen haben, litt Prometheus unter ewiger Bestrafung, weil er den Sterblichen Feuer und Werkzeuge gab, und Tantalos bezahlte für immer, weil er für die Menschen Ambrosia gestohlen hatte. Wir wollen uns nun einem weiteren Mythos über die Erweiterung menschlicher Fähigkeiten zuwenden: Der gerissenen Zauberin Medea gelingt es, sich mit einer bestimmten Menge gött-

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lichen Ichors davonzumachen und Iason zu helfen, sich gegen überlegene tödliche Mächte zu verteidigen. Im Verlauf der weiteren Abenteuer der Argonauten mixt Medea ein Getränk und ersinnt eine Taktik, um Iason vor den feuerspeienden Messingstieren ihres Vaters und einer Armee unechter Soldaten zu schützen, die den Zähnen der Stiere entwachsen. Auf der Suche nach hochwirksamen Pharmaka für ihren Geliebten zieht sie in den Kaukasus, zu der Felsenklippe, an die Zeus Prometheus gefesselt hat. Medea weiß, dass an der Stelle, wo kostbarer Ichor aus Prometheus’ Wunde auf den Boden tropft, während der Adler ihn verletzt, eine seltene blühende Pflanze wächst. Sie schneidet die Blumen ab, und aus den merkwürdigen, fleischähnlichen Wurzeln der Pflanze sickert ein schwarzer Saft, der die Ichor-Essenz der unsterblichen Titanen enthält. Medea sammelt den Saft in einer leuchtend weißen Muschel aus dem Kaspischen Meer und stellt daraus einen wirkungsvollen Trank her. Dieser sogenannte „prometheische“ Balsam verleiht übermenschliche Kräfte, lenkt das Feuer ab und panzert gegen die Speere der Feinde. Die Wirkungen der Ichor-Droge sind eindrucksvoll, doch zeitlich begrenzt, denn sie halten nur einen Tag an.6 In den Argonautika verleiht der prometheische Ichor dem sonst passiven Iason unglaubliche herkulische Stärke und Tapferkeit. Wie Medea versprochen hat, spürt Iason plötzlich „grenzenlosen Mut und große Macht wie die unsterblichen Götter“. Als die Droge sich in seinem Körper ausbreitet, spürt er, wie „furchteinflößende Kräfte in seinen Körper dringen“. Seine Arme beginnen zu zucken und sich zu beugen, seine Hände ballen sich zu Fäusten. So wie ein Streitross wild auf den Kampf ist, freut sich Iason „über die übermenschliche Stärke seiner Gliedmaßen“. Unter dem Einfluss des Ichors, der durch seinen Körper läuft, geht „und springt Iason umher, schwingt seinen Speer und brüllt wie ein wildes Tier“.7 Die Wirkung der Droge, wie sie in den Argonautika beschrieben wird, erinnert an die synthetischer psychoaktiver Stimulanzien. Beispielsweise sind heutige Straßendrogen chemisch mit Cathinon verwandt, das aus dem Kathstrauch gewonnen wird, wirken aber viel

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stärker. Sie geben ihren Konsumenten das Ge- Abb. 4.1: Zeus’ Adler pickt an fühl, sie hätten übermenschliche Kraft, was sie Prometheus’ Leber, dessen zu grausamen Taten verleiten kann. Heutige MiIchor auf die Erde tropft; lalitärpharmazeuten erschaffen „Menschen-Optikonische Schale, 6. Jh. v. Chr. mierungs“-Präparate, die Soldaten mental und physisch ungeahnte Möglichkeiten verschaffen und bei ihnen ein ähnliches Verhalten bewirken könnten, wie es Iason unter dem Einfluss des prometheischen Ichors zeigte. Vor Jahrhunderten braute Helena nach Homers Odyssee (4.219 – 221) ein Elixier namens

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Nepenthes, das man sich als Mischung von Opium und Wein vorstellte. Es sollte traumatische Erinnerungen vertreiben, also „gut gegen die Trauer und das gallige Wesen“ sein, mit denen die vom Krieg erschütterten Veteranen des Trojanischen Krieges zu kämpfen hatten. Heute suchen Militärwissenschaftler nach Drogen und anderen neurotechnologischen Möglichkeiten, um in das Gehirn einzugreifen und den Truppen zu ermöglichen, ohne Schlaf auszukommen und keine körperlichen Schmerzen zu verspüren. Außerdem sollen diese Mittel die normale Aggression verstärken, moralische Skrupel um Folter oder Tötung ausschalten, negative Gedanken auslöschen und Erinnerungen an kriegerische Gewalt oder Gewalttaten tilgen.8 Wenn wir zum Mythos vom Goldenen Vlies zurückkehren, werden wir Zeuge, wie Medeas prometheische Droge Iason die physische und mentale Kraft gibt, das Paar bronzener Roboterstiere niederzuringen, das vom Schmiedegott Hephaistos für König Aietes gefertigt worden ist. Aietes befiehlt Iason, ein Feld mithilfe dieser feuerspeienden Stiere zu pflügen, dabei einen Helm voller Drachenzähne auszusäen und die unbesiegbare Automaton-Armee zu schlagen, die dieser „Saat“ entsprießen soll,  –  und das alles vor Sonnenuntergang. Der König ist zuversichtlich, dass Iason, selbst wenn es ihm gelingen sollte, nicht verbrannt zu werden und die Zähne auszusäen, mitsamt seiner Männer von den unaufhaltsamen Automaton-Kriegern vernichtet werden würde. Bei Sonnenaufgang kommen nun die furchterregenden Stiere aus ihren rußigen unterirdischen Ställen und scharren mit ihren Messinghufen auf dem Boden. Sie greifen Iason an, Flammen schießen aus ihren Nüstern, „als würden sie durch Gebläse im Ofen eines Bronzeschmiedes angefacht“. Iason trotzt dem sengenden Atem der Stiere und zwingt sie unter das Joch des bronzenen Pfluges. Den ganzen Tag pflügt er das große Feld und sät die Drachenzähne aus.9 Der Abend dämmert schon, als die gepflügten Ackerfurchen zu brodeln und zu schimmern beginnen und die „der Erde entwachsenen“ Krieger auf dem Feld in die Höhe schießen. Diese schreckliche Ernte roboterähnlicher Soldaten muss noch vor Einbruch der

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Nacht „geerntet“, also umgebracht werden. Fans von Science-Fiction-Filmen und Verfilmungen klassischer Mythen lieben diese Szene, etwa in der spektakulären Harryhausen-Sequenz in Jason und die Argonauten (1963) . In den Argonautika sind die dem Boden entstiegenen Krieger geisterhafte Riesen in Bronzerüstungen. Sie erscheinen vollständig bewaffnet und sind bereit zum Kampf. Zum Glück hat Medea Iason gezeigt, wie er mit diesen sich ständig vermehrenden, unkontrollierbaren Gegnern fertigwerden kann. Sie haben nämlich eine wesentliche Schwäche: Man kann ihnen nichts befehlen noch sie führen, noch können sie sich zurückziehen. Sie sind auf Vorrücken und Angriff programmiert. Mit ständiger Verstärkung, die ihre Reihen auffüllt, marschieren diese bewaffneten Androiden gegen den „Feind“ – Iasons Männer. Wie bei dem bronzenen Roboter Talos, den sie außer Gefecht setzen konnte, indem sie auf seine mechanische Schwäche und „beinahe menschliche“ künstliche Intelligenz abzielte, setzt Medea nun auch die Codierung der gesäten Armee gegen sie selbst ein. Sie rät Iason, einen Stein zu schleudern, um die Programmierung der Soldaten anzugreifen. Ihr ist klar, dass ein solcher Angriff einen Dominoeffekt nach sich ziehen wird, der jeden Androiden dazu veranlasst, den jeweils nächsten Soldaten zu bekämpfen. Auf diese Weise zerstören sich alle gegenseitig. Als die ersten Reihen dieser fürchterlichen Armee gegen die Argonauten vorrücken, schleudert Iason einen großen Stein in ihre Mitte. Als die Androiden den Schlag auf ihren Bronzerüstungen spüren, reagieren sie, als würden sie angegriffen. Sie wenden sich verwirrt und in Rage gegeneinander und schlagen mit ihren Schwertern aufeinander ein. Zum Schluss werfen Iason und seine Gefährten sich in das Schlachtgetümmel und machen die Soldaten nieder, auch die noch halb in den Ackerfurchen steckenden Krieger, die sich gerade erheben.10 Als der Skeptiker Palaiphatos vor mehr als 2000 Jahren diesen Mythos erzählte, schrieb er (3 Spartoi): „Wenn diese Geschichte wahr

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wäre, würde jeder General ein Feld wie das von Iason anbauen!“ Doch das Dilemma dieser Geschichte zeigt sich noch heute in aller Schärfe. Wie können Automata-Soldaten Feinde von Freunden unterscheiden? Leicht können sie sich gegeneinander oder gegen die eigenen Verbündeten wenden. Wie können ihre Befehle zurückgenommen oder abgeändert werden? Die antike Erzählung, von der manche Wissenschaftler meinen, sie wäre vor Homer entstanden, ist einer der frühesten Hinweise darauf, dass der Einsatz von Cyborgbzw. Robotersoldaten Probleme bezüglich des Kommandos und der Kontrolle aufwerfen könnte.11 Die feuerspeienden Bronzestiere erinnern an die Fähigkeiten von Talos, der seinen ehernen Körper glutrot aufheizen konnte, um seine Feinde daran zu rösten (siehe Kapitel 1). Erzählungen über aufgeheizte, belebte Bronzestatuen ähneln zudem einigen späteren Geschichten über Alexander den Großen. Unter den vielen Legenden in der Tradition des Alexanderromans über seine militärischen Erfindungen ragen zwei heraus, in denen er glühende Bronzestatuen gegen seine Feinde benutzt. In der ersten, die aus der „griechischen Romantik“ während der byzantinischen Zeit stammt, ersinnt Alexander eine Strategie, um den großen Kriegselefanten von König Poros in Indien etwas entgegenzusetzen. Er häuft alle lebensähnlichen Bronzestatuen, die er als Beute bei seinen Eroberungen mitgenommen hat, zu einem großen Feuer auf. Dann stellen seine Männer die rotglühenden Statuen sorgfältig in der ersten Reihe auf dem Schlachtfeld auf. Als Poros seine Elefanten zum Angriff losschickt, halten die Tiere die bronzenen Männer für echte Krieger. Sie stürzen sich auf die erhitzten Metallstatuen und tragen schwere Verbrennungen davon.12 Das zweite Beispiel enthält eine technologisch verfeinerte Version der feuerspeienden Stiere. In persischen Legenden, die zur Zeit Alexanders aufkamen, erfindet der junge Kriegsherr Sikandar (Iskandar/Alexander) eine eiserne Kavallerie, die die Armee von König Fur von Hind (Poros von Indien) schlagen soll. In einigen der persischen Überlieferungen wird Alexander von seinem Großwe-

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sir beraten, dem weisen Arastu (Aristoteles, Alexanders Lehrer). In Firdausis Epos Shāhnāme (14 –15; verfasst um 977  n.  Chr. auf der Basis älterer mündlicher Überlieferungen) fertigen Alexanders Spione maßstabgetreue Wachsmodelle von Poros’ Kriegselefanten an, die zeigen, wie groß und furchterregend diese ungewöhnlichen Tiere sind. Danach entwirft Alexander einen Schlachtplan. Er befiehlt 1200 griechischen, persischen und ägyptischen Schmieden, 1000 lebensgroße hohle Eisenstatuen von Pferd und Reiter zu machen. Das zu konstruieren kostet die Schmiede einen Monat mühevoller Arbeit. Die nachgemachten Reiter werden dann lebensecht angemalt, mit Nieten an den Sätteln befestigt und mit Rüstungen, Schilden und hohlen Speeren ausgestattet. Die Gesichter dieser Reiter ähneln den unheimlichen, lebensechten, eisernen und bronzenen Masken, die üblicherweise von Kiptschaken und anderen zentralasiatischen Reiterkriegern jener Zeit getragen wurden  –  sie ließen ihre Feinde glauben, es nähere sich eine Armee von Metallsoldaten. Alexanders Handwerker malen die eisernen Rösser so an, dass sie wie „gefleckte, fuchsbraune, schwarze und graue“ Pferde aussehen. Die Schmiede befestigen Räder an den Pferden und füllen die hohlen Eisenfiguren in einem letzten diabolischen Handgriff mit Rohbenzin, das sie aus lokalen Rohölquellen gewonnen haben. Auf dem Schlachtfeld entzünden Alexanders Männer dieses Rohbenzin und setzen die eiserne Kavallerie rollend gegen den Feind in Bewegung. Das unheimliche Heer aus Metallpferden und -reitern  –   es ist so bemalt, dass sie die Illusion von Leben erzeugen, mit orangenen Flammen, die aus den Nüstern der Pferde und den Speerenden der Reiter hervorschießen  –  bietet einen furchterregenden Anblick. Poros’ verbrannte Elefanten laufen in blinder Wut durcheinander; seine Armee wird in die Flucht geschlagen. Eine dramatische farbige Darstellung dieses Schauspiels finden wir in einer mittelalterlichen mongolischen Version des Shāhnāme.13 Diese Statuen haben keine beweglichen Teile, sondern Räder, wie Pasiphaёs berüchtigte künstliche Kuh (von Daedalus hergestellt, beschrieben später in diesem Kapitel).

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Die eiserne Kavallerie bot ein überzeugendes realistisches Bild, vermengt mit unnatürlicher Feuerkraft. Die Legende gibt zugleich Praktiken wider, die es bei den Mongolen und anderen nomadischen Heeren tatsächlich gegeben hat: Ihre Kavallerien benutzten Rohbenzin und arbeiteten mit dem Trick, Soldaten-Attrappen auf lebende Pferde zu setzen, sodass ihre Armee größer wirkte.14 Seit der Antike hat die Steigerung bzw. Verstärkung der menschlichen Fähigkeiten in Gestalt moderner Prothetik ein hohes Niveau erreicht  –  von Implantaten und Organtransplantationen bis zu neuen künstlichen, mitunter neurologisch gesteuerten Armen und Beinen. Der Ersatz von Gliedmaßen und bionische Körperteile  –  also die Verschmelzung von Mensch und Maschine  –  haben lang zurückreichende Wurzeln in antiker Mythologie und Geschichte. Im Mythos hatte beispielsweise der keltische König Nuada (oder Nudd) „mit der Silberhand“ einen Arm, den der Erfindergott Dian Cecht entworfen hatte. Die nordische Göttin Freya war eine Art „organischer Cyborg“ aus Fleisch und Metall.15 In alten Hindu-Epen verloren die Heldinnen Vishpala und Vadhrimati im Kampf ein Bein bzw. eine Hand, und die Götter ersetzten diese Teile jeweils durch eine eiserne bzw. goldene Nachbildung. Im antiken griechischen Mythos schuf der Gott Hephaistos ein Schulterblatt aus Elfenbein für den Helden Pelops.16 In der Geschichtsschreibung finden wir den frühesten Bericht über eine Körperprothese bei Herodot (9.37.1– 4) im 5. Jh.  v.  Chr.: Hegesistratos, ein Grieche aus Elis (Südgriechenland), verlor durch Folter seitens der Spartaner einen Teil seines Fußes. Er konnte fliehen und ließ sich einen hölzernen Ersatz anfertigen. Wegen seines Hasses gegenüber den Spartanern kämpfte er auf persischer Seite weiter in der Schlacht von Plataiai (479  v.  Chr.).17 Plinius zufolge habe sich M. Sergius Silus, ein römischer Veteran des Zweiten Punischen Krieges gegen Karthago (218 – 201  v.  Chr.), von 23 Wunden erholt und eine eiserne Hand getragen, nachdem er seine im Kampf verloren hatte. Ein alexandrinischer Autor namens Dionysios Skytobrachion („Lederarm“, ca. 150  v.  Chr.) wurde wohl wegen seiner Armprothese so genannt.

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Archäologen haben überraschend frühe Nachweise für künstliche Gliedmaßen und andere Körperteile zutage gefördert. Einige waren zu ästhetischen, andere dagegen zu funktionalen Zwecken angefertigt worden: Ein Schädel von einem Fundort in Frankreich, der auf 3000  v.  Chr. datiert wird, hatte eine Ohrprothese, die aus einer Muschel geformt war. In Capua, Italien, war ein Skelett aus der Zeit um 300  v.  Chr. mit einem ungewöhnlich gut erhaltenen Holzbein versehen, das mit dünnen Bronzeplättchen bedeckt war. An einem Skelett aus einem Grab aus derselben Zeit, jedoch aus Kasachstan, wurde festgestellt, dass die junge Frau jahrelang mit einer Fußprothese aus den Knochen und dem Huf eines Schafbocks gelebt hatte.18 Einige der ausgeklügeltsten Prothesen gehören zugleich zu den ältesten. Um das Jahr 700  v.  Chr. schuf ein geschickter Künstler, der einiges von der menschlichen Biomechanik verstand, einen sorgfältig geschnitzten künstlichen Zeh für eine Frau, deren Mumie 1997 in der Nähe von Luxor, Ägypten, gefunden wurde. Dieser Ersatzzeh sah nicht nur echt aus, er war noch dazu auf ihren Fuß zugeschnitten und wies Spuren weiterer Nachbearbeitungen auf. Barfuß oder mit Sandalen getragen, ermöglichte die Zehprothese ihrer Trägerin, sich relativ bequem zu bewegen: Die Prothese bestand aus drei Teilen, aus Holz und Leder und hatte für die nötige Flexibilität ein Drehgelenk. Eine Augenprothese fanden Archäologen in Schahr-e Suchte („Verbrannte Stadt“) im Iran. Der sehr realistisch gestaltete Augapfel steckte in der linken Augenhöhle einer Frau, die vor ca. 4800 Jahren gelebt hatte. Die anatomischen Details waren erstaunlich naturgetreu wiedergegeben, mit konvexer Oberfläche, Hornhaut und Pupille, und im Inneren waren sogar feine Golddrähte, die die Kapillaren des Auges darstellen sollten. Strahlen waren eingraviert, und das Auge war bedeckt mit Blattgold  –  das Gesicht der Trägerin mag zu Lebzeiten „unglaublich markant“ gewirkt haben. Bemerkenswert ist, dass Versuche, eine lebensnahe Prothetik zu entwickeln, den Robotiker Masahiro Mori 1970 dazu anregten, das Konzept des „Uncanny Valley“ zu entwickeln (in Kapitel 5 und im Glossar wird der Begriff näher definiert).19

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Manche antike griechische Mythen berichten von Wesen, die  – wie heutige Militärwissenschaftler  –  davon träumten, die besonderen Kräfte von Tieren und Vögeln nachzuahmen, um die Fähigkeiten des Menschen zu erweitern. Der Kunsthandwerker schlechthin in der griechischen Antike war Daedalus, ein Vordenker, was die Reproduktion von Leben und biotechnologische Erfindungen anbelangt. Seit Homer bezeichnete der Begriff Daedala die entsprechende großartige, wunderbare Kunst bzw. das Handwerk, wie auch Arbeiten, die Daedalus zugeschrieben wurden. Chronologie und Geographie im Zusammenhang mit Daedalus sind widersprüchlich. So war etwa Pausanias (10.17.4) der Überzeugung, er habe während des „mythischen Zeitalters“ gelebt, als „Oedipus (Oidipous) König von Theben war“, während andere Autoren ihn an den Hof von König Minos versetzten und somit ungefähr ein Jahrhundert vor dem legendären Trojanischen Krieg ansiedelten. In mehreren Erzählungen kommen Werkstätten von Daedalus auf Kreta, Sizilien und in Athen vor. Die Aktivitäten dieses rätselhaften, produktiven, umherziehenden „obersten Erfinders“ können aus einem großen Bestand an Literatur und bildender Kunst erschlossen werden. Die Gestalt des Daedalus wurde zur kollektiven Figur, er galt als mythischer „Held“ der Erfindung, als „archetypischer Handwerker“. Aber beruhte diese Figur auf einem realen Vorbild? Heutige Wissenschaftler sehen die Entwicklung der Überlieferung um Daedalus als Versuch an, die vielen sich widersprechenden Berichte miteinander in Einklang zu bringen, und glauben, dass sich darin der doppelte Status von Daedalus widerspiegelt, als mythische Gestalt und realer historischer Erfinder (oder eine Gruppe von Erfindern) aus einer längst vergangenen Zeit.20 Anders als Medea, die Biotechne mit Hexerei verband, erfand Daedalus ausgefallene Apparate und Entwürfe zur Verstärkung der menschlichen Fähigkeiten ohne jegliche Zauberei. Er war Handwerker und Erfinder, kein Zauberer. Er setzte bekannte Werkzeuge, Methoden, Techniken und Materialien ein und nutzte kreatives Fachwissen und Technologie, um seine unglaublichen Resultate zu erzielen. Hyperrealistische Skulpturen, „lebende Statuen“, waren sei-

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ne Spezialität (siehe Kapitel 5). Doch in erster Linie kennt man Daedalus für seine Flugversuche, bei denen Flügel durch Menschenkraft angetrieben wurden. Dass er sich diesem Unterfangen widmete, begann mit einer Hexe namens Pasiphaё. Sie war Medeas Tante und Frau von König Minos von Kreta. Königin Pasiphaё verzauberte ihren Ehemann, der von besonders unreiner Natur war, mit einem Fluch: Jedes Mal, wenn Minos versuchte, Sex mit einer anderen Frau zu haben, ejakulierte er Skorpione, Tausendfüßler und Schlangen.21 Dafür wurde Pasiphaё von Zeus mit dem unnatürlichen Verlangen verflucht, Sex mit einem hübschen Stier aus der Herde von König Minos haben zu wollen. Von diesem Wunsch berichtete sie Daedalus, dem brillanten Bildhauer und Handwerker am Hofe ihres Mannes. Um Pasiphaёs Verlangen zu erfüllen, baute Daedalus eine hohle hölzerne Nachbildung einer Kuh: Pasiphaё konnte ins Innere kriechen und sich auf allen vieren dem Stier darbieten, damit dieser sie bestieg. Dieser Mythos wurde schriftlich zuerst von dem Skeptiker Palaiphatos (4. Jh.  v.  Chr.) festgehalten, der aber mehrere Einwände erhob (2 Pasiphaё). Am meisten bezweifelte er, dass ein Stier durch eine künstliche Kuh als Lockvogel getäuscht werden könnte, denn Stiere beschnupperten erst „die Genitalien ihrer Gefährtinnen, ehe sie kopulieren“. Andere Autoren jedoch  –  Apollodor (Bibliotheke 3.1.4), Hygin (Fabel 40) und Philostrat (Bildbeschreibungen 1.16)  – meinten zu diesem Einwand, Daedalus hätte den hölzernen Nachbau mit der Haut einer echten Kuh aus der Herde von der Weide überzogen, auf der die Stiere grasten, sodass er echt wirkte und roch. Moderne Animatronic-Experimente haben gezeigt, dass eine ganze Reihe von Säugetieren, von Erdmännchen und Affen bis zu Nilpferden, durchaus mit realistisch gefertigten Robotertieren sozial interagieren, wenn diese zuvor mit echten Häuten versehen und artentypischen Gerüchen eingerieben wurden. In der klassischen Antike gab es viele Anekdoten um Gemälde und Nachbauten von Fauna und Flora, die so täuschend echt wirkten, dass sie die Tiere reagieren ließen, als wären diese Nachbauten lebendig.22

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Die Quellen berichten von einer interessanten Täuschung, zu der auch eine Truppe falscher Kriegselefanten gehörte, die sich dementsprechend bewegten und aus der Ferne echt aussahen, aus der Nähe aber erfahrene Streitrösser nicht täuschen konnten. Die Anstifterin dieses Plans war die legendäre assyrische Kriegerkönigin Semiramis (vermutlich steht hinter ihr die historische Königin Šammuramat, 9. Jh.  v.  Chr.). Diese Geschichte wurde zunächst von Ktesias berichtet (5. Jh.  v.  Chr.) und danach von Diodor (2.16 –19; 1. Jh.  v.  Chr.). Die Zahlen sind zwar übertrieben, aber der Trick an sich scheint plausibel: Semiramis, die sich in einem Krieg mit einer überlegenen indischen Armee mit Tausenden Kriegselefanten und einer mächtigen Kavallerie konfrontiert sah, befahl ihren Künstlern und Ingenieuren, 300 000 schwarze Ochsen zu schlachten und deren Felle zu realistischen, mit Stroh gefüllten Elefantennachbildungen zu vernähen. Zwei Jahre arbeiteten die Handwerker an einem geheimen Ort an der Herstellung dieser Elefantenattrappen. Sie wurden dann über Kamele gestülpt; innen saßen Männer, die die Ohren und Rüssel wie natürlich bewegten. Semiramis erwartete sich einen Vorteil davon, weil die Inder glaubten, dass nur ihre eigenen Armeen Elefanten einsetzten. Und tatsächlich war der indische Befehlshaber überrascht, als er sah, wie sich „die Menge der Kriegselefanten“ dem Schlachtfeld näherte. Seine Kavallerie, die an Elefanten gewöhnt war, griff wagemutig an. Als sie jedoch die falschen Elefanten erreichten, scheuten die Pferde und liefen wie wild durcheinander  –  sie kannten den Geruch der Kamele nicht. Auch Athenaios (Das Gelehrtenmahl 13.605 – 606) überliefert einige Vorfälle mit naturgetreu nachgebauten Tieren. Er berichtete von männlichen Hunden, Tauben und Gänsen, die versuchten, mit weiblichen Nachbildungen ihrer Artgenossen zu kopulieren. Ein Beispiel in Priene, einer Stadt an der Küste Kleinasiens, war eine bronzene Kuh, die so verführerisch war, dass ein echter Stier sie bestieg. Der sensationelle Mythos von Pasiphaё, die sich mit einem Stier paart, ist nur einer von mehreren Erzählungen über Biotechnologie, die es den Menschen erlaubt, Dinge zu tun, die weit über ihre ge-

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wöhnlichen Fähigkeiten hinausgehen. Selbst ohne bewegliche Teile war die nachgebaute Kuh als Nachahmung der Realität überzeugend genug, um auf der Weide einen wirklichen Stier anzuziehen. Daedalus’ realistisches, lebensgroßes Sexspielzeug stellt eine ungewöhnliche Form antiker Techne-Pornographie dar. Die Lust der Zauberkönigin Pasiphaё auf einen Stier hat nichts mit den anderen phantasievollen Liaisons der griechischen Mythologie gemein  –  beispielsweise damit, wie Zeus in Gestalt eines Schwans Leda schwängert. Diese wurden nie so detailliert dargestellt. Die von Daedalus gebaute Kuh war auch kein Automaton, keine Maschine, vielmehr wurde Pasiphaё in Wahrheit zum „lebendigen“ Inneren einer „Sexroboter“-Kuh, die eben zu dem Zweck gebaut worden war, es Pasiphaё zu ermöglichen, mit einem lebenden Stier zu kopulieren. Die Details dieses Mythos um Pasiphaёs Zoophilie nötigen den Leser, sich den grotesken Sexualakt bildlich vorzustellen, wie er durch Daedalus’ kreativen biomimetischen Entwurf ermöglicht wurde.23 Die Geschichte, wie Daedalus diese Sodomie möglich machte, war in griechischer und römischer Zeit sehr beliebt und wurde von vielen Autoren aufgegriffen.24 Illustrationen der Pasiphaё-Erzählung gibt es reichlich in Form von Fresken, Mosaiken, Sarkophagen und anderen Kunstwerken. Ein Relief auf einem Tonbecher aus Tarsos, Anatolien, aus dem 1. Jh.  v.  Chr. zeigt zum Beispiel, wie Daedalus Pasiphaё die lebensechte Kuh vorführt. Dieses Motiv finden wir auch auf mehreren bunten Fresken, die in Pompeji und Herculaneum entdeckt wurden (auf einem der Gemälde ist sogar Daedalus’ Feuerbohrer zu sehen). Eine ähnliche Szene gibt es auf dem Mosaikfußboden einer römischen Aristokratenvilla in Zeugma, Kleinasien. Die Geschichte berührte die Menschen auch noch im Mittelalter und in späteren Zeiten. Mittelalterliche Miniaturen konzentrieren sich oft auf die Romanze von Pasiphaё und einem sanftmütigen, liebestrunkenen Stier, während viele moderne Gemälde und Radierungen eine lüsterne Pasiphaё zeigen, die begierig in die hölzerne Kuh steigt.25 Palaiphatos nennt das, was nun im Mythos folgte, unmöglich, weil unterschiedliche Arten gemeinsam keinen Nachwuchs produ-

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Abb. 4.2: Daedalus mit einer Säge baut eine naturgetreue Kuh für Pasiphaë; römisches Relief, 1. – 5. Jh. n. Chr.

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zieren könnten und keine Frau Sex mit einem Stier ertragen, geschweige denn einen Fötus mit Hufen und Hörnern ausgetragen hätte. Im Mythos gebiert Pasiphaё ein Ungeheuer: einen Jungen mit dem Kopf eines Stieres. Die Frage, wie sie den kleinen Minotaurus habe stillen können, kam schon in der Antike auf, wobei einige Kommentatoren meinten, eine echte Kuh hätte seine Amme sein müssen. Eine schöne Darstellung auf einer rotfigurigen Schale aus dem 4. Jh.  v.  Chr., die in einem etruskischen Grab gefunden wurde, zeigt eine düster blickende Pasiphaё mit dem kleinen Minotaurus auf ihrem Schoß (Abb. 4.3). Die Geste ihrer Hand scheint von Überraschung oder Zögern zu zeugen. Schon Jahrhunderte, bevor der Mythos verschriftlicht wurde, war er Thema in der bildenden Kunst: Die frühesten Kunstwerke, die den Minotaurus zeigen, datieren ins 8. Jh.  v.  Chr. Bis zum 6. Jh.  v.  Chr. wurde er ein bevorzugtes Motiv der Vasenmaler.26 Die Geburt des Minotaurus war für König Minos ein Schock. Ein anderer Strang des Mythos berichtet entsprechend, dass der Minotaurus  –  der aufwächst und zu einem kannibalischen Ungeheuer wird  –  im kretischen Labyrinth gefangen gesetzt wird, einem verwirrenden, verborgenen Irrgarten, den natürlich Daedalus entworfen hat. Jedes Jahr muss eine Gruppe jungfräulicher Männer und Frauen aus Athen dem Minotaurus geopfert werden, bis schließlich der athenische Held Theseus das Mischwesen aus Mensch und Stier in seinem Labyrinth erschlägt. Theseus entkommt dem Labyrinth mithilfe von Ariadne, der Tochter von Minos: Ariadne hat Theseus ein Wollknäuel gegeben und ihm gesagt, er solle ein Ende davon am Eingang des Labyrinths befestigen und das Garn entrollen. So könne er nach der Tötung des Minotaurus dem Faden folgen und denselben Weg zurückfinden. Kein anderer als Daedalus hatte Ariadne diesen Plan eingegeben.27 Heute bezeichnet man einen nachvollziehbaren Weg oder Gedankengang sprichwörtlich als roten Faden. Minos war nun zutiefst beleidigt wegen dieser Verbrechen des Daedalus, und so sperrte er den Erfinder und dessen kleinen Sohn Ikarus im Labyrinth ein. Welchen Fluchtplan ersann Daedalus? Mit

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Abb. 4.3: Pasiphaë und der kleine Minotaurus; rotfigurige Kylix aus Vulci, 4. Jh. v. Chr.

Blick auf den Horizont, wo Himmel und Meer aufeinandertreffen, ersann Daedalus einen wagemutigen Plan, der ihn und seinen Sohn aus Minos’ Gefängnis befreien sollte. Was wäre, wenn sie wie Vögel wegfliegen könnten? Der Mythos, wie sich Daedalus und Ikarus auf Flügeln aus echten Federn und Wachs in die Luft erheben, ist ein weiterer Fall von imaginärer biomimetischer Technologie, die menschliche Fähigkeiten erweitern sollte. Über Jahrhunderte von unendlich vielen Erzählern berichtet, von zahllosen Künstlern festgehalten, gehört diese Geschichte zu den beliebtesten Mythen der klassischen Antike.28

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Abb. 4.4: Daedalus baut Flügel für Ikarus an seiner Werkbank; antikes römisches Relief, Museo di Villa Albani, Rom.

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Daedalus sammelte Vogelfedern und ordnete sie der Größe nach an, wie bei echten Flügeln, wobei er Bienenwachs (oder Klebstoff, eine weitere seiner Erfindungen) benutzte. Er baute zwei Paar Flügel und schnallte sie sich selbst sowie seinem Sohn an. Daedalus ermahnte Ikarus, vorsichtig zu sein und nicht zu hoch zu fliegen, sonst würde die Sonnenhitze das Wachs bzw. den Leim zum Schmelzen bringen, und er solle auch nicht zu niedrig über dem Meer fliegen, weil die Feuchtigkeit die Flügel auseinanderbrechen lassen könnte. Doch der junge Ikarus, durch die Erfahrung des Fliegens hingerissen, stieg zu hoch auf. Als die Sonne das Wachs schmelzen ließ, schwebten die Federn davon  –  und der Junge stürzte ins Meer.29

Abb. 4.5: Ikarus mit Flügeln; kleine Bronzefigur, um 430  v. Chr.

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Abb. 4.6: Ikarus fliegt über Fischern in einem Boot; im Hintergrund König Minos in der Stadt Knossos; römische Lampe, 1. Jh. n. Chr.

Traurig flog Daedalus weiter, hielt an mehreren Mittelmeerinseln an und kam endlich nach Kamikos auf Sizilien, wo König Kokalos herrschte. Einige Autoren meinen, Daedalus hätte seine Flügel in einem Tempel in Cumae dem Gott Apollon geweiht; die Wände dieses Tempels seien später von Daedalus selbst mit Szenen aus seiner Lebensgeschichte bemalt worden. Einige skeptische Autoren, darunter auch Palaiphatos (12 Daedalus) und Pausanias (9.11.4), verwarfen den Mythos von Daedalus’ Flug jedoch. Sie nahmen an, Daedalus sei in Wahrheit der erste Erfinder von Segeln gewesen  –  die Menschen der Antike verglichen sie gern mit Flügeln  –, die es Schif-

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fen ermöglichten, über die Wellen zu „fliegen“. In dieser Geschichte ertrinkt Ikarus im Meer und wird von Herakles auf der Insel Ikaria beerdigt.30 Der bekanntere Mythos aber ging folgendermaßen weiter: König Kokalos hieß Daedalus willkommen und bot ihm Schutz vor Minos an. Jeder weiß, dass der König von Kreta seine entflohenen Gefangenen verfolgte und in allen größeren Städten des Mittelmeers nach Daedalus suchen ließ. Die frühesten Hinweise auf die Flucht aus Kreta mittels eines durch Menschenkraft angetriebenen Fluges finden wir nicht in schriftlichen Quellen, sondern in bildlichen. Die älteste Darstellung, 1988 entdeckt, ist aus zwei Gründen faszinierend: Sie ist etruskisch, nicht griechisch  –  ein Hinweis darauf, dass die Legende von Daedalus’ Flug Italien in mündlicher Form bereits im 7. Jh.  v.  Chr. erreicht hatte, also lange bevor der Mythos das erste Mal niedergeschrieben wurde. Auf einem etruskischen Bucchero-Krug wird ein geflügelter Mann als „Taitale“ benannt, Daedalus’ Name auf Etruskisch. Auf der anderen Seite ist Medea mit ihrem Kessel abgebildet und mit ihrem etruskischen Namen „Metaia“ bezeichnet. Diese Paarung ist in der antiken Kunst ohne Beispiel. Sie legt nahe, dass die Etrusker diese beiden mythischen Gestalten aufgrund ihrer wunderbaren Biotechne miteinander verbanden. Viele etruskische Gemmen zeigen Daedalus/Taitale bei der Arbeit. Ein weiteres ungewöhnliches etruskisches Artefakt, eine schöne goldene Bulla (Medaillon, 475  v.  Chr.), ist auf beiden Seiten mit Bildern von Daedalus und Ikarus versehen, beide mit ihren etruskischen Namen Taitale und Vikare bezeichnet. Sie tragen ihre Flügel und führen Werkzeuge mit sich (Säge, Beil, Axt und Winkelmaß) – ein Hinweis auf Handwerk und Technologie. Die früheste griechische Darstellung von Daedalus finden wir auf einer Vase von ca. 570  v.  Chr. Hier trägt Daedalus seine Flügel und führt eine Axt sowie einen Eimer mit. Das früheste gesicherte Bild von Ikarus ist auf einem Fragment eines attisch-schwarzfigurigen Gefäßes von ca. 560  v.  Chr. zu sehen: die untere Hälfte eines Mannes

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mit geflügeltem Schuhwerk und als „Ikaros“ be- Abb. 4.7: Daedalus trägt seizeichnet (Flügel an den Füßen tauchen auch auf nen toten Sohn Ikarus; Fraganderen antiken Kunstwerken auf). Ein Fragment eines rotfigurigen apument einer rotfigurigen Vase von ca. 420  v.  Chr. lischen Kraters der Blackzeigt Daedalus, wie er die Flügel an Ikarus beFury-Gruppe, ca. 390  v. Chr. festigt, und auf einer Vase aus dem 5. Jh.  v.  Chr. stürzt Ikarus ins Meer. Auf einem Fragment einer weiteren schönen rotfigurigen Vase (390  v.  Chr., Abb. 4.7) sehen wir Daedalus, wie er, am Boden zerstört, seinen toten Sohn trägt.31 Mehr als hundert antike Darstellungen von Ikarus und Daedalus sind bekannt. Viele davon zeigen Daedalus bei der Arbeit, von sei-

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nen Werkzeugen umgeben, wie er die Flügel baut; andere zeigen, wie er diese an seinem Sohn Ikarus befestigt und wie Ikarus vom Himmel fällt. In römischer Zeit stellten Künstler diese Geschichte als ergreifendes Thema bevorzugt dar, auf Gemmen, Tonlampen, Bronzefigurinen, Reliefs und Fresken. Eine ganze Gruppe römischer Kameen und Glasgemmen zeigt diesen Mythos, mehrere Wandgemälde in Pompeji fangen speziell den Moment von Ikarus’ Tod ein – Daedalus schwebt am Meeresufer entsetzt über dem zerschlagenen Körper seines Sohnes (Abb. 4.8). Die Mischung aus Optimismus und Verzweiflung machte diesen Mythos auch im Mittelalter zu einem unwiderstehlichen allegorischen Topos. Obgleich die Geschichte heute klischeehaft wirkt, können wir doch einschätzen, wie man sie damals gelesen hat: Große Hoffnungen, menschliche Fähigkeiten mithilfe von menschengemachter Technologie künstlich zu verstärken, werden auf grausame Weise zerschlagen, durch Selbstgefälligkeit, Hybris und unvorhergesehene Konsequenzen.32 Doch der Traum der Menschen vom Fliegen wie Vögel hoch über der Erde endete nicht mit Ikarus’ Tod. Schließlich wurden im Mythos Daedalus und Ikarus tatsächlich durch die Luft getragen, das Fliegen gelang ihnen, und  –  auch wenn diese Erfindung letztlich teuer erkauft war  –  Daedalus selbst überstand den Flug nach Sizilien. Menschen, die auf Vögeln und Insekten fliegen, begegnen uns auch in den Stücken von Aristophanes, den Fabeln Äsops und in antiken persischen Überlieferungen. Eine besondere antike „Science-Fiction“ über menschliche Flugversuche wurde von Lukian von Samosata (geb. um 125  n.  Chr.) verfasst. Im Icaromenippus (oder auch: Die Luftreise), einer beliebten Erzählung Lukians, imitiert der Philosoph Menippus Daedalus und baut sich ein Paar Flügel, um zum Mond zu fliegen. Auf seiner Reise beobachtet er, dass die Erdlinge winzigen Ameisen ähneln, die scheinbar sinnlos umherhuschen.33 Einer der denkwürdigsten Entwürfe zu einer „Flugmaschine“ taucht erneut im Kontext des Alexanderromans auf. Alexander wird von dem Verlangen getrieben, zwei große Unbekannte zu erforschen: den Himmel und das Meer. Dank zweier Erfindungen kann er die

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Abb. 4.8: Daedalus schwebt über dem Leichnam von Ikarus, der auf den Strand gefallen ist; Stich nach einem antiken Wandbild des 1. Jh.s  n. Chr. aus Pompeji.

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Kraft der Vögel nutzen, um zu fliegen, und wie ein Fisch in der Tiefsee tauchen. Eines der Hilfsmittel ist zwar reine Magie, doch das andere erfordert technologischen Einfallsreichtum: Alexanders Tauchglocke funktionierte durch eine kreative Technologie. Als er einen riesigen Krebs und große Perlen an einem Strand entdeckt, wird in ihm der Wunsch wach, die geheimnisvollen Tiefen des Meeres zu erforschen und die Meeresbewohner selbst in Augenschein zu nehmen. Für das klassische Griechenland beschreibt Pseudo-Aristoteles (Problemata 32.960b32) primitive Tauchglocken, die es Tauchern ermöglichten, länger unter Wasser zu bleiben. Wenn sie Tiefseeschwämme suchten, konnten sie Luft aus einem umgestülpten Kessel atmen, der ins Meer hinabgelassen wurde. Im Alexanderroman erklärt Alexander, wie er eine Tauchglocke baute, indem er ein Glasgefäß von der Größe eines Menschen, das mit einem Bleideckel verschlossen war, in einen eisernen Käfig einbaute. Hier hinein kletterte Alexander. Er atmete die Luft, die in dem Glasbehälter gefangen war, und wurde an einer Kette vom Schiff seiner Gefährten ins Meer hinabgelassen. In einer Tiefe zwischen 140 und 430  m, je nach Version, beobachtete Alexander viele phantastische Tiefseegeschöpfe. Doch beinahe überlebte er diese Expedition nicht. Denn plötzlich packte ein gigantischer Fisch die Tauchglocke und zog sie mitsamt dem Schiff mehr als 1 km mit sich. Der große Fisch zermalmte die eisernen Stäbe in seinem Maul und spuckte schließlich den Glaskörper mit dem immer noch darin befindlichen Alexander auf den Strand. Am Ufer nach Luft schnappend, erklärte Alexander, er wolle aufhören, „das Unmögliche zu versuchen“.34 Wie beim Sturz des Ikarus warnt die „Moral“, wie oft im Alexanderroman, vor der Hybris, die Grenzen des Menschen überschreiten zu wollen. Doch tatsächlich scheint die Verwegenheit von Alexanders Untersee- und Weltraumabenteuern, die Botschaft eher zu verschleiern, dahin zu gehen, wo noch kein Mensch je war. Wie Daedalus überlebte der kühne Eroberer das Ereignis trotz der Risiken und konnte davon berichten. Hunderte Bilder von Alexander, wie er seine Tauchglocke und seine Flugmaschine „steuert“, entstanden zwischen 1000 und

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1600  n.  Chr. in Manuskripten, Mosaiken und Wandteppichen und als Skulpturen. Anders als seine Tauchglocke aus Eisen und Glas ist die Flugmaschine keine technologische Konstruktion, sondern wird von zwei riesigen, nicht näher identifizierbaren weißen Vögeln gezogen, vielleicht Geiern oder Greifen. Sie werden mittels Pferdelebern, die an Speeren über ihnen baumeln, immer höher getrieben. Diese Phantasie spielt mit dem volkstümlichen Motiv des Esels, der durch eine Möhre an einem Stock vorwärts gelockt wird.35 Alexander fliegt immer höher, und die Luft wird immer kälter, bis er zur Erde hinabschaut, die nun einer kleinen Kugel in der Schüssel des blauen Ozeans gleicht, scheinbar unbedeutend im Vergleich zur riesigen Ausdehnung des Himmels. Diese Szene ist bemerkenswert vorausschauend und nimmt die demütigen Reaktionen heutiger Astronauten und Betrachter der ersten Fotos des kleinen blauen Planeten Erde, die vom Weltraum aus aufgenommen wurden, vorweg. Diese Geschichte verdeutlicht Alexanders Wünsche, die Grenzen der menschlichen Fähigkeiten zu überschreiten und Wissen „jenseits der Welt“ zu erwerben. Von seiner Vogelperspektive in der Stratosphäre befriedigt, kehrte er zur Erde zurück. Das tat auch Daedalus. Wie wir gesehen haben, landete er auf Sizilien und fand am Hof von König Kokalos von Kamikos Schutz vor König Minos. Im nächsten Kapitel nehmen wir die Spur dieses wandernden Erfinders wieder auf.

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Fliegen mit menschlicher Kraft Die Experimente von Daedalus und Alexander spiegeln die uralte Faszination wider, mithilfe der Möglichkeiten der Technik Grenzen zu überschreiten und menschliche Fähigkeiten künstlich zu erweitern. Das zeigt sich auch im frühen Mythos, in Legende und Volkstum. Der Wunsch, die berauschende Freiheit der Vögel zu imitieren, blieb bestehen und verleitete viele dazu, Daedalus’ Leistung nachzuahmen. Im griechischen Mythos stand Daedalus’ „unmöglicher“ Flug durch Menschenkraft dafür, dass man Vögel nachahmte, indem man mit menschengemachten, gefiederten Flügeln schlug, die man sich an Rücken und Armen band. Große Drachen in Vogelgestalt sowie weitere Fluggeräte mit Flügeln wurden in China bereits im 1. Jh.  n.  Chr. getestet.36 Ein chinesischer Text aus dem 4. Jh.  n.  Chr. erzählt davon, dass ein Volk aus dem Fernen Westen eine Flugmaschine erfunden habe, die durch Wind angetrieben wurde. Sie musste auf dem Gebiet der Shang-Dynastie eine Notlandung machen (Tal des Gelben Flusses, ca. 1600 bis 1046  v.  Chr.). Der Shang-Herrscher ließ die Maschine zerstören, sodass sie nicht nachgebaut werden konnte, doch die gestrandeten Piloten bauten sie wieder auf und flogen mit ihr nach Hause.37 Um das Jahr 1500 machte Leonardo da Vinci, der die griechischen Mythen kannte, nicht nur Pläne für eine Tauchglocke und einen Taucheranzug, sondern zeichnete auch mehrere Pläne für menschengetriebene Ornithopter (mechanische, Flügel schlagende Apparate nach dem Vorbild von Vogel- und Fledermausflügeln). Wir haben keine Hinweise auf tatsächliche Prototypen oder Testflüge nach Leonardos Plänen, aber später wurden auf jeden Fall Modelle gebaut, unlängst durch das Victoria and Albert Museum in London anlässlich einer Ausstellung über frühe Flugversuche. Der herrliche Gedanke, allein durch Menschenkraft zu fliegen, hat zahlreiche unerschrockene Erfinder in der Moderne dazu inspiriert, Wege zu finden, um die Probleme der Aerodynamik und des Verhältnisses von Gewicht zu Kraft zu überwinden. Ein kluger Vor-

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schlag lautete, die Energie von Pedalen zu nutzen. Fliegen durch Beinkraft galt lange Zeit als unmöglich. Luftfahrtingenieure glaubten, kein Flugzeug könne leicht genug sein, um mithilfe einer derart begrenzten Kraftquelle zu fliegen, und dabei noch robust genug sein, einen Piloten zu tragen  –  der natürlich außerordentliche Kraft und Ausdauer haben müsste. Einer der ersten Versuche war ein 1923 gebauter „Cycleplane“; er schaffte aber nur 6  m-Sprünge. 1977 ermöglichten Fortschritte in der Entwicklung starker, leichtgewichtiger Materialien den Bau eines Flugzeugs, das von einem Hängegleiter-Piloten über Pedale angetrieben wurde. Es erreichte die bescheidene Höhe von 3  m und flog mehr als 1,6  km weit. Es ist unterhaltsam, über die praktischen Möglichkeiten zu spekulieren, die in der Antike für den mythischen Daedalus existiert hätten, wie Drachen oder Segelflug-Flügel. Chinesische Chroniken berichten, ein Gefangener namens Yuan Huangtou sei im Jahr 559 unfreiwillig mehr als eineinhalb Meilen mit einem eulenförmigen Drachen gesegelt, einer primitiven Annäherung an nicht steuerbare „Hängegleiter“ (siehe Kapitel 9).38 Bedeutsam ist, dass Daedalus in einigen griechischen Überlieferungen die Erfindung von Segeln für Schiffe zugeschrieben wurde. Im minoischen Kreta wurde grobes Leinen mit hoher Zugkraft für Segeltücher genutzt. Kreta war bekannt für seine guten Spinner und Weber. Segeltuch aus Leinen konnte wasserdicht gewachst werden. Die natürlichen Materialien und die Fertigkeiten, um einfache Gleiter zu bauen, waren also in der Antike bereits vorhanden. Ein einfacher Gleiter hätte durch das Spannen und Verleimen von gewachstem Segeltuch auf einem leichten Weidenrahmen mit starkem Rohr (Arundo donax, Riesenschilf) gebaut werden können, ähnlich den funktionierenden Gleitern, wie der Flugpionier Sir George Cayley (1773–1857) sie herstellte  –  er probierte seine Ideen an kleinen Modellen aus, ehe er größere baute. Im Mythos wurde Daedalus außerdem mit Garnknäueln von Webern und Spinnern assoziiert. In der Antike faszinierten die mit Häuten versehenen Fledermausflügel die Menschen, und Spinnen wurden bewundert, weil sie feine Seidenfäden produzieren und damit

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starke Seidennetze weben. Wenn man sich in das Gebiet antiker Science-Fiction wagt und sich einen alternativen Mythos für Daedalus vorstellt, so könnte man sich vorstellen, wie der Erfinder zugfeste Spinnennetze webt, um daraus einen leichten Segelflugapparat zu bauen, eine Art antiken Gleiter. Frühmoderne Versionen heutiger Hängegleiter waren dem problematischen Verhältnis von Auftrieb und Luftwiderstand ausgesetzt. Heute hingegen können Hängegleiter-Piloten dank Aluminiumlegierung und Verbundrahmen, die mit einem ultraleichten, laminierten Polyesterfilm überzogen sind, stundenlang auf thermischen Aufwinden in mehreren Kilometern Höhe segeln. Dabei verlagern sie mit wenig Mühe ihr Körpergewicht und imitieren dadurch die dynamische Gleitfähigkeit von Albatrossen und Sturmtauchern. Mit einem modernen Hängegleiter und der Unterstützung durch Winde könnte ein Daedalus per Insel-Hopping von Kreta nach Sizilien gelangen. 1988 ließ sich der griechische Olympia-Radchampion Kanellos Kanellopoulos von Daedalus’ Flug über die Ägäis inspirieren und flog in einem Ultraleichtflieger namens Daedalus 88, der mit Pedalen angetrieben wurde, von Kreta über die Ägäis bis nach Santorin. Dieser Rekordflug von 115  km in einer Höhe von ca. 5 bis 9  m dauerte fast vier Stunden intensiven Pedaletretens. Das Experiment wurde vom MIT Department of Aeronautics and Astronautics gesponsert. Und 2012 rief die Royal Aeronautical Society in England den Icarus Cup ins Leben, um den Sport des durch Menschenkraft angetriebenen Fliegens zu fördern. Wie verblüfft wäre Daedalus, wenn er sehen könnte, wie sein sagenhafter Flug in die Freiheit bis heute nachwirkt.39

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Kapitel 5

Daedalus und die lebenden Statuen Nach seiner sicheren Ankunft auf König Kokalos’ Hof auf Sizilien nahm Daedalus seine Tätigkeit als Architekt, Künstler und Ingenieur wieder auf. Nach alten lokalen Überlieferungen entwarf er für Kokalos eine uneinnehmbare Akropolis für Akragas (gegründet um 582  v.  Chr., heute Agrigent). Der Gipfel war nur umständlich über einen schmalen Weg zu erreichen, gewissermaßen ein Nachhall des Labyrinths auf Kreta. Die Anlage war so ausgefeilt, dass sie von nur drei bis vier Männern verteidigt werden konnte. Auch Tempel für Apollon in Cumae und in Capua wurden Daedalus zugeschrieben, wie auch zahlreiche weitere Bauwerke, verstreut im ganzen Mittelmeerraum von Ägypten bis Libyen. Daedalus verbrachte auf der Flucht aus Kreta auch einige Zeit auf Sardinien. Dort gibt es noch heute zahlreiche geheimnisvolle Steintürme, die nach der Kultur dieser Epoche auf der Insel (10. – 8. Jh.  v.  Chr.) Nuraghen genannt werden: In der Antike wurden sie Daedalus zugeschrieben. Bei den rätselhaften nuraghischen Steingiganten von Mont’e Prama (Kapitel 1, Abb. 1.8) hat man sogar Ähnlichkeiten mit den Statuen im sogenannten Daedalus-Stil auf Kreta aus dem 7. Jh.  v.  Chr. festgestellt. Archäologen zufolge wurden bei der Herstellung der sardinischen Steinriesen für die archaische Kultur überraschend fortschrittliche Werkzeuge verwendet. Das könnte erklären, warum man Daedalus mit dieser Insel in Verbindung brachte. Einige Spuren rühren von damals modernsten Metallgerä-

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ten her, darunter: Steinmeißel mit Klingen unterschiedlicher Größe, Handschrapper, Kaltnadelstifte und gefurchte Zahnmeißel (die in Griechenland erst nach dem 6. Jh.  v.  Chr. eingeführt wurden). Wie in Kapitel 1 erwähnt, zeigen die auffällig roboterhaft anmutenden Gesichter dieser Statuen ein „T-Schema“ mit einem Schlitz als Mund sowie ausgeprägten Brauen, Nasen und Augen aus zwei konzentrischen Kreisen. Solche perfekten konzentrischen Kreise setzten technologisches Geschick voraus und die Benutzung eines Zirkels. Und in der Tat haben Archäologen auf Sardinien nuraghische Bohrer und einen aufwendig gearbeiteten eisernen Zirkel gefunden.1 Für König Kokalos entwarf Daedalus auch den ausladenden Unterbau für den Aphrodite-Tempel auf einem jäh abfallenden Felsen am Berg Eryx (heute Erice) auf Sizilien. Um die Göttin der Liebe zu ehren, schuf er angeblich einen vergoldeten Schafbock, dessen Hörner, Hufe und wollener Körper „so vollkommen waren, dass man das Werk für einen echten Schafbock halten könnte“. Der berühmte Bronze-Schafbock von Syrakus, einer von zweien aus dem dortigen Palast des Tyrannen Agathokles (siehe Kapitel 9), gibt uns eine Vorstellung davon, wie das Daedalus zugeschriebene Werk ausgesehen haben könnte (Abb. 5.1). Ein weiteres Wunderwerk unter den reichen Schätzen im Aphrodite-Tempel auf dem Erice war eine perfekt gestaltete Bienenwabe aus Gold.2 Auch sie war, wie der Schafbock, von einer derart brillanten Kunstfertigkeit, dass man sie Daedalus zuschrieb. Die Nachahmung einer goldfarbenen Bienenwabe war ein erstaunliches Werk. Wie war es möglich, dass ein menschlicher Handwerker sämtliche Details, die Struktur und Geometrie eines solchen fragilen, vergänglichen, natürlichen Gegenstandes in einer dauerhaften Metallform festhalten konnte? Der britische Künstler Michael Ayrton (1921–1975) widmete sich der Nachschöpfung einiger legendärer, Daedalus zugeschriebener Wunderwerke. In Zusammenarbeit mit einem Goldschmied zeigte er, dass die Herstellung einer zierlichen goldenen Wabe „in den Augen eines Metallarbeiters eine weitaus geringere Leistung war als in

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Abb. 5.1: Realistisch gestalteter Bronze-Schafbock aus Syrakus, Sizilien; 3. Jh.  v.  Chr.; ob der Schöpfer dieser lebensgroßen Statue sich wohl von der Geschichte von Daedalus’ Schafbock inspirieren ließ, der zur Zeit des legendären Königs Kokalos der Aphrodite geweiht wurde?

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den Augen eines Historikers“, auch wenn es mühsam sei und große Geschicklichkeit erfordere. Historiker, so Ayrton, neigten dazu, den Einfallsreichtum und die technologische Erfahrung von Künstlern der Antike zu unterschätzen.3 Die Wachsausschmelztechnik beim Metallguss, in Kapitel 1 beschrieben, konnte als Kern einen natürlichen Gegenstand verwenden, ob nun einen Pinienzapfen oder eine Muschel. So konnte der Künstler diesen Gegenstand mit unglaublichen Details genau nachbilden. Goldschmiede im alten Ägypten vervollkommneten diesen mühevollen Prozess als Erste. Wir wissen, dass Ägypten lebhafte Handelsbeziehungen mit dem minoischen Kreta unterhielt, weshalb griechische Kunsthandwerker diese Technik bereits zu einem frühen Zeitpunkt gelernt haben könnten. Plinius (Naturgeschichte 33.2.4 – 5) schrieb in seiner Darstellung der Fertigkeiten für die aufwendige Goldverarbeitung: „Der Mensch hat gelernt, die Natur herauszufordern!“ In The Maze Maker, seinem Roman über den mythischen Erfinder, beschreibt Ayrton, wie man eine Wabe gemäß dem Verfahren, wie es für Daedalus überliefert wurde, gießen konnte. Eine echte Wabe, selbst aus Bienenwachs bestehend, diente beim Wachsauschmelzverfahren als Modell. Daedalus suchte als Erstes nach einer solchen unbeschädigte Wabe, dann öffnete er sorgfältig jede sechseckige Zelle und ließ den Honig ablaufen. Anschließend bestrich er die Wabe vorsichtig mit einer feinen Tonschicht. Seitlich

Abb. 5.2: Goldene Wabe, gegossen nach einem echten Vorbild.

Daedalus und die lebenden Statuen

befestigte er einen „winzigen Gusskanal und dünne Wachsrinnen zur Entlüftung“. Danach wurde das Objekt in einen Brennofen gestellt, bis die wächserne Wabe weggebrannt war und ihren exakten Abdruck in der Gussform hinterlassen hatte, der nun mit dem geschmolzenen Gold gefüllt werden konnte. Das Ganze ergab einen perfekten goldenen Abguss einer echten Bienenwabe.4 Die stabile Struktur der von „Baubienen“ geschaffenen Waben wurde in der Antike von Architekten bewundert. Beispielsweise wurden im 6. und 5. Jh.  v.  Chr. Marmorblöcke für Tempel auf Delos und anderen ägäischen Inseln so gehauen, dass sie gewaltigen Waben ähnelten. Möglicherweise kam man zu einem bestimmten Zeitpunkt durch eine in Metall gegossene Wabe wie die im Tempel auf dem Berg Eryx auf die Idee, beim Bau von Steingebäuden sechseckige Wabenmodelle zu nutzen. Diese architektonische Neuerung wurde wohl in mathematischen Schriften im 2. Jh. v.  Chr. erstmals erwähnt. Um das Jahr 30  v.  Chr. formulierte der römische Gelehrte Varro die sogenannten Honigwaben-Hypothese, der zufolge das Sechseck die geometrisch effizienteste Form im Sinne von kompaktem Volumen und Stärke sei. Mehr als 2000 Jahre später, im Jahr 1999, wurde Varros Theorie von Thomas C. Hales mathematisch bewiesen.5 Zu Daedalus’ Projekten für König Kokalos gehörten auch innovative Wasseranlagen, die ein ganzes Netzwerk verjüngender Dampfbäder speisten. Hinter der Legende von Daedalus’ „Spa“ stehen die vulkanischen Thermalquellen in Sciacca nahe Selinunt im westlichen Sizilien. Heutige Besucher können noch immer die antiken Ruinen der Badegrotten ausmachen, die so gebaut waren, dass sie die natürlichen heißen Schwefelquellen ausnutzten, die auf dem Hügel der Erde entsprangen.6 Daedalus’ sagenumwobene Karriere auf Sizilien war nicht frei von Dramatik. König Minos von Kreta war, wie bereits erwähnt, davon besessen, den Tod des Minotaurus zu rächen. Während er auf der Suche nach Daedalus quer durch das Mittelmeergebiet fuhr, dachte er sich ein Rätsel aus, um seine Beute aufzuspüren. Der König führte eine große, spiralförmig gewundene Meeresmuschel mit sich und

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bot jedem eine märchenhafte Belohnung, dem es gelänge, einen Faden durch die gebogenen Kammern dieser Muschel zu führen  –  eine offensichtliche Anspielung auf den Trick, durch den man dem von Daedalus gebauten Labyrinth entkommen konnte. Als Minos endlich auf Sizilien ankam, zeigte er auch König Kokalos diese Muschel. In der Hoffnung, die Belohnung gewinnen zu können, brachte Kokalos die Muschel heimlich zu Daedalus. Dieser setzte einen Tropfen Honig auf ihren Eingang und bohrte am anderen Ende ein winziges Loch. Dann klebte er einen dünnen Faden an eine Ameise und setzte dieses winzige Geschöpf in das Loch. Die Ameise wand sich durch die Spirale und kam mitsamt dem Faden am Eingang der Muschel wieder heraus, um an den Honig zu gelangen. Als Kokalos die mit einem Faden versehene Muschel zu Minos zurückbrachte, befahl dieser ihm im Gegenzug, Daedalus sofort auszuliefern  – den einzigen Menschen, der schlau genug war, das Rätsel zu lösen.7 Ertappt, gab Kokalos vor, zuzustimmen und Daedalus auszuliefern. Doch zunächst lud er Minos ein, ein erfrischendes Bad in seinen hochgeschätzten heißen Dampfbädern zu nehmen. Sein Gast wurde dabei von den königlichen Prinzessinnen, Kokalos’ Töchtern, begleitet. Die Leser, die sich erinnern, was jenen Menschen passierte, die in Medeas verjüngenden heißen Bädern badeten, erkennen hier ein unheilvolles Muster. Und tatsächlich wurde Minos, als er sich in der Grotte aufwärmte, von Kokalos’ Töchtern und Daedalus ermordet. Sie verbrühten ihn mit kochendem Wasser aus den heißen Quellen von Sciacca. Diese Tat erinnert an das Schicksal von König Pelias, herbeigeführt von seinen eigenen Töchtern und Medea, wie in Kapitel 2 geschildert. Die Geschichte von Daedalus’ Aufenthalt auf Sizilien und seinem Mord an König Minos wurde von zahlreichen antiken Autoren verarbeitet, so auch von Sophokles in seinem Drama Kamikoi und von Aristophanes in der Komödie Kokalos (beide Werke sind verloren).8 Die Zuschauer in Athen waren von Daedalus sehr entzückt. Laut einer athenischen Überlieferung lebte der verschlagene Daedalus nach Minos’ Tod noch lange in Athen.

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Als ihre Stadt immer bedeutender wurde, fanden die ehrgeizigen Athener einen Weg, ihren Ruf noch zu steigern: Sie machten Daedalus zu ihrem Starerfinder. So kamen Legenden auf, die Daedalus mit Athen verbanden  –  bereits im 5. Jh.  v.  Chr. Man erzählte, Daedalus habe einige Werkzeuge gefertigt, darunter den Bohrer, die Axt und das Senkblei. Sogar ein eleganter Faltstuhl wurde ihm in Athen zugeschrieben. Die Athener verpassten Daedalus zudem einen ausgedehnten Stammbaum. Demnach stellte der Kunsthandwerker den jungen Sohn seiner Schwester als Lehrling ein. Der Name dieses Neffen war kurioserweise: Talos von Athen. Die athenische Geschichte über diesen Talos wäre ihrerseits einer klassischen Tragödie würdig. Der junge Talos hatte den Ruf, so begabt wie sein Onkel Daedalus zu sein. Talos von Athen dachte sich mehrere brillante Neuerungen aus: die Töpferscheibe, den Zirkel und weitere raffinierte Geräte. Doch nahm der ältere Daedalus dem jungen Lehrling seine Errungenschaften übel. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war Talos’ Erfindung einer gezackten Säge. Während eines Ausflugs aufs Land hatte der junge Mann den Kiefer einer Schlange gefunden. Als er damit herumspielte, bemerkte er, dass er mithilfe der vielen kleinen gezackten Zähne einen Stock ganz leicht durchsägen konnte. Und so schuf Talos das neue Werkzeug aus Eisen nach dem Vorbild von Schlangenzähnen. Auf der Agora versammelten sich sogar die Menschen, um Talos zuzuschauen, als er vorführte, wie gut sein neues Werkzeug Holz zersägte. In einem Anfall von Neid ermordete Daedalus seinen Neffen. Er stieß ihn von der Akropolis, wurde allerdings dann dabei entdeckt, wie er den Leichnam heimlich begrub. Athen betrauerte den Verlust des brillanten jungen Erfinders: Talos’ Grab am Südabhang der Akropolis wurde noch verehrt, als Pausanias (1.21.4) es im 2. Jh.  n.  Chr. besuchte. Wie der Mythos besagt, stellten die Athener Daedalus wegen Mordes vor Gericht, und der Rat des Areopag befand ihn für schuldig. Daedalus floh aus Attika und segelte nach Kreta  –  wo er, wie die Athener behaupteten, Arbeit bei König Minos fand. Laut der

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neuen athenischen Chronologie begannen erst jetzt Daedalus’ kretische Abenteuer (siehe Kapitel 4).9 In der Antike beruhte Daedalus’ bedeutender Ruf auf seiner Fähigkeit, mit erstaunlicher Authentizität das Leben nachzuahmen. Seine Spezialität waren derart lebensechte Statuen, dass man von ihnen glaubte, sie könnten sich bewegen. Wie erwähnt, beschrieb der Begriff Daedala „dädalische“ Wunder  –  Statuen und phantastische Bilder, die so realistisch waren, dass sie jenseits dessen lägen, was Menschen herzustellen vermochten: Sie seien offenbar durch übermenschliche Fähigkeiten entstanden. Die Liste der Daedalus zugeschriebenen Statuen ist sehr lang. Neben dem erwähnten Schafbock gehörten dazu: ein Paar Statuen aus Zinn und Messing, das ihn und Ikarus auf den Elektriden-Inseln an der Adria zeigt; eine Artemis in Monogissa in Karien (Kleinasien); eine Statue, ihn selbst darstellend, im Hephaistos-Tempel in Memphis, Ägypten; realistische Löwen und Delphine für einen Altar an der Küste Libyens; sowie Herakles-Statuen in Theben und Korinth.10 Laut einer Erzählung, die wir bei Apollodor (Bibliotheke 2.6.3) finden, wurde Herakles von seinem eigenen, von Daedalus geschaffenen Porträt getäuscht, da es wie sein Ebenbild wirkte: Eines Abends kam Herakles unwissend an der eindrucksvollen Statue in einer Säulenhalle vorbei. Der Held erschrak dermaßen, dass er sofort einen Stein nahm und ihn auf den „Eindringling“ warf. Die athenischen Dramatiker bezogen sich in ihren Stücken auf alte Traditionen und fügten in ihre Tragödien zu mythologischen Ereignissen und Charakteren originelle Bearbeitungen ein. Der Daedalus-Mythos war da keine Ausnahme. Dessen „lebendige Statuen“ kamen in zahlreichen athenischen Theaterstücken vor, die heute nur noch in Fragmenten überliefert sind, die wir bei anderen Autoren finden. Wir wissen, dass Sophokles und Aristophanes jeweils ein Stück mit dem Titel Daedalus schrieben. In beiden Werken behaupten Figuren, Daedalus’ belebte Statuen müssten an Ort und Stelle festgebunden werden, sonst würden sie fliehen. In Euripides’ noch erhaltenem Stück Hekabe (ca. 420  v.  Chr.) werden Daedalus’ Auto-

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mata mit denen des Gottes Hephaistos verglichen, und auch in seiner Komödie Eurystheus werden belebte dädalische Statuen genannt. In einer Kratinos-Komödie (Thrakische Frauen, ca. 430  v.  Chr.) wird gescherzt, Daedalus habe eine Bronzestatue geschaffen, die wegläuft, und in einer Komödie des Philippos aus dem 4. Jh.  v.  Chr. wird eine hölzerne Statue genannt, die von Daedalus geschnitzt worden sei und sprechen und gehen könne. Das Thema der weglaufenden Statuen wurde zu einem beliebten Scherz in Athen, den auch Sokrates aufnahm (siehe Kapitel 7). Auch bildende Künstler griffen das Thema auf. Eine Gravur in einem etruskischen Bronzespiegel zeigt eine Szene, in der Künstler eine Pferdestatue erschaffen, die so lebensecht ist, dass sie am Bein angekettet werden muss (siehe Kapitel 7; Abb. 7.7). Einige schwarzfigurige Vasen (6. – 5. Jh.  v.  Chr.) zeigen in ihrem Bildfeld Statuen von Menschen und Tieren auf Gebäuden, die lebendig werden und ihren architektonischen Rahmen verlassen.11 Viele sehen heute in der Gestalt des Daedalus ursprünglich ein irdisches Double des Erfindergottes Hephaistos. Tatsächlich schrieben die Athener Daedalus eine Genealogie zu, die ihn zu einem Nachkommen von Hephaistos machte. Hephaistos wurde, wie auch die Göttin Athena, in Athen stark verehrt.12 Ein Stadtteil war sogar nach Daedalus benannt. Dort wohnten Kunsthandwerker, die ihn als ihren Schutzherrn betrachteten und behaupteten, sie wären seine Nachkommen. Sokrates, dessen Vater ein Steinmetz war, nennt Daedalus zweimal als einen seiner Vorfahren. Platon lässt in seinen philosophischen Dialogen Sokrates mehrfach von Daedalus sprechen. Zwei Mal vergleicht dort Sokrates schwankende Argumente mit dessen berühmten beweglichen bzw. belebten Statuen (Platon, Alkibiades 121a; Euthyphron 11c – e). An anderer Stelle nutzt er dieses Bild für die flüchtigen Meinungen von Menschen, die frei von jeglichem Verstand seien. Sollen Gedanken oder Meinungen nämlich irgendeinen Wert haben, so Sokrates, dann müssten sie  –  wie Daedalus’ Automata  –  an einen Sockel gebunden werden; andernfalls würden sie wie entlaufene Sklaven fliehen (Menon 97d – 98a).13

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Der antike Vergleich von Automata mit Sklaven erhält heute eine zusätzliche moralische Bedias erschafft eine nackdeutung. In der Antike wurden griechische und te Statue; Andrea Pisano, römische Herren für das Verhalten ihrer Skla14. Jh., Museo dell’ Opera ven verantwortlich gemacht. Heute sagen vordel Duomo, Florenz. ausschauende Philosophen, die sich mit KI und Roboterethik befassen, man müsse beide als Werkzeuge und Besitz ansehen  –  im Grunde als Sklaven  –  und die Hersteller seien für deren Programmierung und Verhalten verantwortlich zu machen.14

Abb. 5.3: Der Bildhauer Phi-

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Ungefähr um 350  v.  Chr. schrieb Aristoteles über Automata, Marionetten und Spielzeuge, die durch die praktische Techne der Künstler in Bewegung versetzt wurden (Fäden, Gewichte, Federn, Räder und andere Formen von temporär „gespeicherter“ Energie). Und in seinen naturgeschichtlichen Texten beschrieb er deren Ähnlichkeit mit tierischer Fortbewegung (etwa in Über die Bewegung der Lebewesen 701b; Von der Zeugung und Entwicklung der Tiere 734b). In einem merkwürdigen Passus in seiner Schrift über die Bewegung der Lebewesen bezieht Aristoteles sich auf Sperma als jene Flüssigkeit, die einen Embryo „belebt“, und formuliert eine Analogie zu der Art, wie „Bildhauer Statuen und Automata erschaffen“, die wie ein aufgezogenes Uhrwerk über latente bzw. mögliche Kraft verfügen. Aristoteles’ Behandlung des Themas erinnert an die legendären belebten Statuen, die Daedalus zugewiesen werden. Es ist aber auch möglich, dass Aristoteles an reale, sich selbst bewegende Maschinen dachte, an „mechanische Puppen jeglicher Art“, von damaligen Erfindern hergestellt (siehe Kapitel 9). Vor allem hielt er fest, ein „Artefakt“ könne etwas Lebendiges „nachahmen“, und definierte ein Automaton als „eine Art Marionette mit der Fähigkeit, sich von allein zu bewegen“.15 In der Politik (1.4, ausführlicher dazu in Kapitel 7) und in Über die Seele (1.3.406b) spricht Aristoteles von selbstbewegenden Statuen wie denen von Hephaistos und Daedalus, und zwar im Kontext seiner Erörterung der Atomismus-Theorie Demokrits, eines Naturphilosophen im 5. Jh.  v.  Chr. (geb. ca. 460  v.  Chr.). Demokrits ungefähr 60 Abhandlungen sind nicht erhalten, doch durch Zeugnisse in anderen Werken wissen wir, dass er seine Theorie zu den Lebewesen und deren Bewegung auf die Existenz winziger, unzerstörbarer und unsichtbarer „Atome, die vor und zurück drängen“, gründete. In seinen Kommentaren zu Demokrits Theorie  –  dass sich unaufhörlich bewegende sphärische Atome Bewegung bewirken  –  bezieht sich Aristoteles auf seinen Zeitgenossen, den athenischen Komödienschreiber Philippos (ihn habe ich bereits erwähnt). Der hatte behauptet, das Geheimnis der berühmten lebenden Statue der Aphrodite bestünde darin, dass Daedalus in ihren Hohlraum Quecksilber

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gegossen hätte. Aristoteles vergleicht Demokrits Atomismus-Theorie mit der Art, wie sich Quecksilberkügelchen von Natur aus bewegen und zusammenziehen, wie in einem Thermometer.16 Tatsächlich wurde das sich verändernde Gewicht von Quecksilber, das bei entsprechendem Schwung an das Ende einer gekippten Röhre fließt und so deren Schwerpunkt verlagert, im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit dazu genutzt, selbstbewegende Spielzeuge anzutreiben. Der Ingenieur Heron von Alexandria (1. Jh.  v.  Chr.) entwarf selbstöffnende Türen für Tempel unter Einsatz von kochendem Wasser und Flaschenzügen, und er behauptete, andere hätten ein alternatives System benutzt, das auf erhitztem Quecksilber beruhe. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Quecksilber in der Antike genutzt wurde, um Apparate anzutreiben. Die Vorstellung, dass die weitgehend unbekannte metallische Flüssigkeit namens „Quecksilber“ oder „lebendiger“ Merkur einer Statue Beweglichkeit verleihen könne, taucht auch in antiken indischen Texten über sich automatisch bewegende Maschinen auf. Beispielsweise flog ein leichtes Holzmodell eines riesigen Vogels „mit der aus Bottichen voll kochendem Quecksilber gewonnenen Energie“, und Quecksilber galt als wichtigste Substanz, um eine Perpetuum-Mobile-Maschine anzutreiben.17 Laut einer kurzen Ode Pindars (Olympien 7.50 – 54, verfasst 464 v. Chr.) gab es auf Rhodos eine Gruppe legendärer belebter Statuen, die Ähnlichkeiten zu Daedalus’ Werken aufwiesen. „An den Straßen“, so Pindar, standen Werke erhabener Kunst, die so herrlich geschaffen waren, dass sie zu „atmen und sich zu bewegen“ schienen. Ein antiker Scholiast nennt diese Statuen „bewegliche Dinge mit einer Seele oder einem Lebensfunken“. In diesem Fall wurden als Urheber nicht Daedalus oder Hephaistos genannt, sondern die Telchinen, Meisterschmiede mit scheinbar magischem Metallurgie-Wissen  –  der Fabel nach die Ureinwohner von Kreta und Rhodos. Die Telchinen verfolgten ähnliche Tätigkeiten wie Hephaistos, aber in geringerem Ausmaß, und fertigten Waffen und Spielereien für die Götter. Die Kraft dieser Statuen auf Rhodos erinnert an die

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Bronzewächter, die Häfen und Grenzen verteidigten. Sie entsprechen also in ihrer Funktion dem mythischen Talos von Kreta und dem historischen Koloss von Rhodos (siehe Kapitel 1).18 Die legendären „lebenden Statuen“, die Daedalus zugeschrieben wurden, sind Beispiele für imaginäres und wirkliches „künstliches Leben“, wie es von klassischen Autoren beschrieben wurde. Viele behaupteten, Daedala, lebensnahe Skulpturen, seien in der Lage, ihre Augen zu bewegen und Töne von sich zu geben sowie die Arme zu heben und Schritte vorwärts zu tun. Gleichzeitig kam jedoch Streit über die Natur „lebender Statuen“ auf. Konnten sich Daedalus’ Statuen wirklich von allein bewegen? Oder handelte es sich um eine Täuschung? Viele antike Quellen aus Griechenland erwähnen Statuen aus Holz, Metall oder Marmor, die ihre Köpfe, Augen oder Gliedmaßen bewegen sowie schwitzen, weinen, bluten und Geräusche von sich geben konnten. Die antike Vorstellung, dass Statuen, vor allem die von Gottheiten, tatsächlich von sich aus handeln könnten, hat eine lange Geschichte. Sie reicht weiter als nur bis ins 5. und 4. Jh.  v.  Chr. zurück, als Künstler begannen, lebensechte Figuren zu schaffen, und historische Erfinder selbstbewegende Apparate entwarfen (siehe Kapitel 9). Es war möglich, Statuen mit Teilen bzw. versteckten oder inneren Mechanismen zu bauen, die in der Lage waren, sich zu bewegen, zu nicken, ihre eingelassenen Augen zu bewegen, die Arme zu heben oder Tempeltüren öffnen. Bei hohlen Statuen mit Aussparungen und Röhren konnten Priester ihre Stimmen wie Bauchredner einsetzen, und Plutarch, Cicero, Cassius Dio, Lukian und andere diskutierten Möglichkeiten, eine Statue dazu zu bringen, scheinbar Tränen, Schweiß oder Blut zu vergießen.19 Manche Autoren, zum Beispiel Diodor (4.76), behaupteten, Daedalus hätte alle anderen überragt, was das Bauen „von Kunstwerken sowie Metall- und Steinarbeiten“ anbelangt. Er hätte Statuen „ähnlich wie lebendige Modelle“ so geschaffen, „dass die Menschen spürten, wie sie mit Leben ausgestattet waren“. Andere meinten, Daedalus sei der erste Bildhauer gewesen, der Gehbewegung in die Kunst eingeführt hätte. „Hier ist die Arbeitsstätte des Daidalos dargestellt“,

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schrieb Philostrat (Bildbeschreibungen 1.16): „Die Standbilder stehen um ihn herum, die einen schön ausgearbeitet, die anderen noch in Form eines Tonmodells, wieder andere sind fast fertig; manche von ihnen haben schon einen Fuß vorgesetzt, gerade als würden sie jeden Moment losgehen. So etwas hatte die Bildhauerkunst vor Daidalos sich noch nicht vorstellen können.“20 Kallistratos (Ekphrasis 8) beschrieb, ebenfalls im 3. Jh.  v.  Chr., 14 bekannte Bronze- und Marmorskulpturen und wies die Bewegung von Daedalus’ Statuen einem „mechanischen“ Werk zu (mechanai). Ob die Statuen des mythischen Erfinders Daedalus sich tatsächlich bewegen konnten, ist fraglich. Wichtig ist, wie sie in der Antike beschrieben wurden und wie man sie sich vorstellte. Manche Wissenschaftshistoriker und -philosophen sagen, Mythen um Talos und andere schriftliche Darstellungen „lebender Statuen“ könnten nicht als Beweis dafür genommen werden, dass die Menschen „sich den Bau mechanischer Automata“ in der Antike tatsächlich ausmalten  –   weil es nicht möglich sei, sich mechanische Konzepte vorzustellen, solange die Technologie nicht tatsächlich existiert. Berryman nimmt in ihrer Studie zur Mechanik im Denken des antiken Griechenland eher eine literarische Sicht auf Vorstellung und Erfindung an: „Wir sollten nicht erwarten, dass Menschen ohne praktische Erfahrung in der Lage sind, sich vorzustellen, was Geräte tatsächlich erreichen können.“ Nach dieser „tautologischen“ Ansicht können sich die Menschen der Antike solche Erfindungen nicht vorgestellt haben, „es sei denn, sie wären durch Erfahrung mit Technologie“ in die Lage versetzt worden, sie damit zu vergleichen. Mit anderen Worten: Sie hätten bereits „Technologie“ kennen müssen, um die Techniken oder Werkzeuge ersinnen zu können, wie sie in den Mythen beschrieben werden.21 Natürlich gibt es starke Spannungen und Lücken zwischen Vorstellung und Ausführung, Darstellung und Wirklichkeit. Doch es scheint klar zu sein, dass die lange Geschichte menschlicher Erfindungen auf der Fähigkeit beruht, sich unbekannte Technologien vorzustellen, die jenseits von allem liegen, was bereits existiert oder

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möglich ist. Nicht umsonst gelten die alten Griechen als Innovatoren in den Bereichen Kultur, Politik, Philosophie, Künste, Kriegshandwerk und Wissenschaft. Dazu gehörten Kreativität, Originalität und Vorstellungskraft. Anstatt anzunehmen, dass Entwicklungen, verbesserte Techniken und neue Technologien einfach aus dem Nichts heraus passieren, sahen die Griechen Träume, Ehrgeiz, Inspiration, Einfallsreichtum, Geschick, Anstrengung, Wettbewerb und Scharfsinn als wesentliche Antreiber für Verbesserungen und Erfindungen in allen Tätigkeitsfeldern an. In Literatur und Kunst konnten sie sich vieles vorstellen, das möglich wäre. Nicht jede Kreativität beruht auf technologischen Voraussetzungen oder materiellen Ressourcen. Aufgrund überraschender „Neuerungen in der antiken griechischen Phantasie und einem (entsprechenden) Erfahrungshorizont“ entstanden „hervorragende andere Konzepte“ und Ideen, wie Armand D’Angour in The Greeks and the New festhält. Außerdem gab es schon immer eine Vorstellungskraft, was Technologien anbelangt, die noch nicht existieren. Sie ist der Quell jener Art spekulativer Fiktion, die wir als „Science-Fiction“ bezeichnen und die heutige Wissenschaftler auf die griechische und römische Antike zurückführen. „Wo Science-Fiction vorausgeht, folgen bald Philosophen und Erfinder.“22 Die belebten Figuren und künstlichen Verstärkungen der menschlichen Fähigkeiten, die die alten Griechen mit erstaunlicher Kreativität und Erfahrung unter Verwendung bekannter Materialien, Werkzeuge und Technologien schufen, haben die verblüffenden Resultate erzielt, die in den antiken Überlieferungen beschrieben wurden. Sie sind jedoch nicht wörtlich als Prototypen moderner, vollwertiger Roboter und anderer Arten menschengemachten Lebens anzusehen. Wie schon früher bemerkt, sind die inneren Funktionsweisen  –  mythisch ausgedrückt  –  unergründlich, was sie zu „Black Boxes“ macht. Für uns sind sie wichtig, weil die Berichte über sie zeigen, dass die Menschen in der Antike sich künstliches Leben vorstellen und über dessen mögliche Realisierung durch eine geistreiche, erhabene Biotechne spekulieren konnten, auch wenn diese noch nicht bekannt bzw. verstanden worden war. Die Mythen fassen die

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Vorstellung in Worte, dass es noch weitere praktische Wege zu entdecken gäbe, um ein synthetisches Wesen in Menschen- oder Tiergestalt zu erschaffen, dass es vielleicht sogar Möglichkeiten geben könnte, künstliches Leben ohne Magie oder göttliche Mitwirkung zu erschaffen.23 Antike Philosophen, Dichter und Dramatiker berichten uns im Zusammenhang mit den Geschichten um „lebende Statuen“, in welchem Ausmaß zeitgenössische Bilder und Skulpturen von erschreckendem Realismus in ihren Betrachtern widersprüchliche, starke Emotionen hervorriefen.24 Im 5. Jh.  v.  Chr. erreichten griechische Bildhauer ein außergewöhnliches Maß an anatomischer Genauigkeit, wenn sie Adern, Muskulatur und eine Reihe von Gesichtsausdrücken exakt darstellten. Die Bildhauer begannen, naturalistische, lebendig wirkende Haltungen nachzuahmen, was allerdings erst möglich wurde, als in der Kunsttechnologie bestimmte Innovationen erreicht waren. Zudem wurden sowohl Marmor- als auch Bronzestatuen realistisch bemalt. Plinius beschrieb eine ganze Reihe von Werken herausragender Künstler.25 Zu den von ihm erwähnten Beispielen für Skulpturen von „wunderbarer Vortrefflichkeit und wirklichkeitsnaher Darstellung“ gehörte ein Bronzehund, der seine Wunde leckte  –  eine so wertvolle Statue, dass sie selbst im antiken Griechenland nicht gegen Verlust versichert werden konnte, sondern Leibwächter benötigte, die sie mit ihrem Leben verteidigten. Plinius hob außerdem den Bildhauer Pythagoras aus Rhegion hervor (5. Jh. v. Chr.), der für seine Statuen muskulöser Marmorathleten mit sichtbaren Sehnen und Adern berühmt war. Das eiternde Geschwür am Bein einer Statue eines Lahmen ließ Betrachter vor Mitgefühl und Schmerz zusammenzucken. Und auch die dickbäuchigen und kahlköpfigen Statuen des athenischen Bildhauers Demetrios von Alopeke (ca. 400–360  v.  Chr.) waren so „lebensecht, dass sie wenig vorteilhaft aussahen“.26 Die Menschen entwickelten sogar den Wunsch, Sex mit erotisch unwiderstehlichen Statuen zu haben (siehe Kapitel 6). Allmählich wiesen auch die Meisterwerke der Malerei eine erstaunliche Tiefe und Perspektive auf. Spannende dreidimensiona-

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le Effekte ließen Hände und Gegenstände so aussehen, als würden sie aus der Oberfläche hervorragen. Zu den Beispielen für Maler aus dem 4. Jh.  v.  Chr., von Plinius in seiner Naturgeschichte beschrieben, gehörten Aristeides von Theben, der Gefühle gekonnt darstellte, und Apelles, dessen lebensgroße Bilder kraftvoller Pferde ihre lebenden Artgenossen zum Wiehern brachten. Mehrere antike Schriftsteller priesen auch die Werke von Theon von Samos, der sich auf „imaginäre Visionen“ spezialisierte, „die man Phantasias“ nannte. Zu seinen lebhaften dreidimensionalen Gemälden gehörten theaterhafte Klang-, Musik- und Lichteffekte, die realistische „umfassende Sinneseindrücke“ vermittelten. Ein weiterer großer griechischer Künstler war Parrhasios, dessen unglaublich lebensechte Athleten-Porträts zu keuchen und zu schwitzen schienen. Über sein anschauliches Gemälde, das zeigte, wie Prometheus von Zeus’ Adler gequält wird, wurde gemunkelt, Parrha- Abb. 5.4: Athena besucht die sios habe einen Sklaven zu Tode gefoltert, um Werkstatt eines Bildhauers ein Modell zu haben. Die Gemälde von Zeuxis, (Epeios?), der eine naturgeeinem Rivalen des Parrhasios, zeigten einen treue Pferdestatue baut (Trobeispiellosen Illusionismus. Diese und weitere janisches Pferd?); attischKünstler wetteiferten untereinander und brachrotfigurige Kylix des Erzgieten erstaunliche trompe l’œil-Bilder zustande, ßerei-Malers, ca. 480  v. Chr.

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Abb. 5.5: Realistische Bronze- und Marmorstatuen. Oben links: Gesicht einer hellenistischen bronzenen Boxerstatue (sogenannter Faustkämpfer vom Quirinal). Oben rechts: bronzener Bart und Mund mit Silberzähnen, gefunden 1972 in der Bucht von Riace, Kalabrien (galt als Werk des Myron von Athen, 460–450  v.  Chr.). Rechte Seite links: Marmorarm eines Diskuswerfers; römische Kopie eines klassischen griechischen Bronzeoriginals von Myron von Athen, 460–450  v.  Chr. Rechte Seite rechts: Athlet, 4.– 2. Jh.  v.  Chr.; 1996 vor der kroatischen Küste geborgen.

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illusionistische Malerei, wie saftig wirkende Trauben, die Vögel dazu verleiteten, nach ihnen zu picken.27 Wie wir in Kapitel 9 sehen werden, entwarf und schuf im Hellenismus eine ganze Reihe von Künstlern auch echte mechanische Modelle von Menschen und Tieren, etwa Dienstmädchen, pfeifende Vögel, bewegliche Schlangen und trinkende Pferde. Wunderwerke, die zuvor in Mythen nur erdacht worden waren, wurden nun in Bauplänen und Erfinderwerkstätten in die Tat umgesetzt. Wie der Künstler Michael Ayrton bemerkte, neigen heutige Historiker dazu, die Rolle des technischen Einfallsreichtums bei antiken Kunstwerken zu unterschätzen. In seiner Studie über realistische

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Kunstwerke erklärte Plinius, wie Bronze-Bildhauer lebensechte Gips(und Wachs-)Modelle von lebenden Menschen anfertigten  –  eine Technik, mit der man den Realismus von Porträts verstärkte. Einige wunderbare Statuen aus dem 5. Jh.  v.  Chr. sind physische Beweise für den Einsatz solcher Modelle, die von echten Körpern genommen wurden und nach denen sagenhafte, lebensechte Bronzeskulpturen entstanden. Diese unerwarteten Entdeckungen künstlerischer Technologie verblüfften die moderne Kunstwelt. Gewöhnlich wurde angenommen, antike Bildhauer hätten über unnachahmliche und überwältigende Virtuosität verfügt, um bei ihren Bronzefiguren einen solchen Realismus zu erreichen. Die Kenntnis der Technik, 2004 von Nigel Konstam entdeckt und beschrieben, hilft, die atemberaubenden mimetischen Qualitäten vieler Bronzestatuen zu erklären.28 Merkur, Quecksilber, galt in der Antike als geheimnisvolle Substanz, wie wir gesehen haben. Ähnlich ließ das geheimnisvolle Magnetit – ein natürlich vorkommendes magnetisches Mineral, das Eisen anzieht – die Menschen der Antike vermuten, dass auch Magneten eine Art Leben besäßen, eine Seele oder einen inneren Dämon. Dem merkwürdigen, seltenen Mineral  –  meist lateinisch als ferrum vivum, „lebendes Eisen“ bezeichnet  –  wurden Zauberkräfte zugeschrieben, die eiserne Gegenstände bewegten und belebten. Das brachte kreative Denker auf die Idee, die unerklärliche Fähigkeit des Steins, Eisen anzuziehen oder abzustoßen, dazu einzusetzen, Betrachter in Staunen zu versetzen. Was wäre, wenn „lebendes Eisen“ eine metallene Nachbildung eines Menschen dazu bringen würde, frei und mühelos zu schweben wie die Götter oder aufsteigende Vögel?29 Unter der Schirmherrschaft von Ptolemaios II. Philadelphos, dem zweiten makedonisch-griechischen König von Ägypten (283 – 246 v. Chr.), entstanden in Alexandria viele beispiellose technische Meisterleistungen, darunter ein beeindruckendes weibliches Automaton (siehe Kapitel 9). Wie fast alle ptolemäischen Könige heiratete Ptolemaios II. seine eigene Schwester, Arsinoë II., und ließ sie nach ihrem Tod als Göttin verehren. Im Jahr 270  v.  Chr. verfügte er, dass ihr Bildnis in jedem Tempel in Ägypten aufgestellt werden sollte. Plini-

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us zufolge habe der König einen berühmten Architekten beauftragt, für einen Tempel in Alexandria eine besonders erhabene Statue Arsinoës zu schaffen. Plinius gibt dessen Namen mit „Timochares“ an, könnte aber auch Deinokrates von Rhodos gemeint haben, den brillanten Ingenieur Alexanders des Großen, der die Stadt Alexandria und andere Wunderwerke entworfen hatte. Die Pläne sahen den Bau eines gewölbten Daches aus Magnetstein (magnete lapide) vor, das sich über einer lebensechten Statue Arsinoës erheben sollte, die entweder aus Eisen oder mit einem eisernen Kern gefertigt wäre. Die Idee war, dass die Königin auf wundersame Weise ohne weitere Unterstützung in der Luft schwebte, was ihre Himmelfahrt ins Bild setzen sollte (Plinius, Naturgeschichte 34.42.147–148). Die erhaltenen Skulpturen Arsinoës sind realistische, sinnliche Porträts, nackt oder nur mit durchscheinendem Stoff verhüllt, sodass man annehmen kann, dass eine vergleichbare Statue auch für diesen Tempel geplant war. Doch dieses große Projekt wurde nach dem Tod des Architekten und dem Ableben von Ptolemaios II. Philadelphos nie vollendet. Der Plan für die ständig oder auch nur zeitweise sich bewegende, schwebende Arsinoë blieb ein unerreichbarer Traum. In seiner Studie zur langen Geschichte der „Magnetismus-Phantasien“ von der Antike bis zum Mittelalter zeigt Dunstan Lowe, wie die allgegenwärtige Überlieferung von „schwebenden Statuen“ aus einem Missverständnis der Physik hinsichtlich Magneten entstand. „In Wahrheit“, so Lowe, sei Earnshaws Theorem von 1839 bis heute unangefochten. Es besagt, dass ein „dauerhaftes Schweben“ eines festen magnetischen Gegenstandes „gegen die Schwerkraft und mit ausschließlich ferromagnetischem Material in keinem Fall funktionieren kann“. Die antike Faszination für magnetische Kräfte im ptolemäischen Ägypten des 3. Jh.s  v.  Chr. ist ein Beispiel dafür, dass die Menschen Jahrhunderte vor der technischen Umsetzung des elektromagnetischen Schwebens, Levitation genannt, versuchten, sich eine fortgeschrittene Technologie vorzustellen und sie zu realisieren.30 Doch die Vision – die Science-Fiction – belebter Statuen, die durch „lebendes Eisen“ aktiviert würden, wurde in der antiken Welt

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und danach als eine Art „heilige Physik“ aufrechterhalten. Im Lauf der Jahrhunderte wurde von vielen Statuen  –  darunter Bildnisse des griechisch-ägyptischen Gottes Serapis, des griechischen Sonnengottes Helios, des mythischen athenischen Königs Kekrops oder ein geflügelter Eros  –  behauptet, sie könnten tatsächlich in der Luft schweben, magnetisch gestützt oder mit Magneten ausbalanciert. Im 12. Jh.  n.  Chr. wurde von einer sich drehenden Statue Mohammeds aus Gold, Silber und vermutlich Eisen behauptet, sie sei über einem Zelt von vier Magneten in der Balance gehalten und mittels Fächern gedreht worden. Diese Vorstellung schloss also das Konzept der Rotation ein, das aber zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch nicht umgesetzt werden konnte. Alle diese „schwebenden“ Statuen wurden, sofern sie überhaupt existierten, zusätzlich gestützt. Sie galten den Betrachtern als technische Wunderwerke; man nahm eine kluge Nutzbarmachung des Magnetismus durch Gelehrte an.31 Magnetismus als Metapher für sexuelle Anziehung und die mystische Verbindung von leblosen Steinen, Magnetit oder Eisen sind ebenfalls antike Konzepte. Diese Phänomene erweckte Claudian (geb. um 370  n.  Chr.) in einem gewagten lateinischen Gedicht „zum Leben“. Das Mineral Magnetit, so Claudian, wird „belebt und gestärkt durch die Härte von Eisen“ und „ermattet ohne sie“. Eisen seinerseits wird durch die „warme Umarmung“ der Magneten entzückt. In dem Gedicht geht es um zwei Statuen in einem Tempel in Alexandria, eine Venus aus Magnetit und einen eisernen Mars, die in einiger Entfernung voneinander aufgestellt seien. Die Göttin der Liebe und der Kriegsgott waren im griechisch-römischen Mythos ein lustvolles Liebespaar: Bei Claudian feiern die Priester deren göttliche Liebe mit Blumenbouquets und Gesängen. Als die Figuren langsam aufeinander zubewegt werden, fliegen Venus und Mars einander plötzlich in die Arme, und es kostet einige Anstrengung, sie wieder voneinander zu lösen.32 Gab es diese durch Magnetismus belebten Statuen in Alexandria wirklich oder waren sie ein Phantasieprodukt des Dichters? Claudian stammte selbst aus Alexandria, der Heimat vieler Magnetis-

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mus-Phantasien. Der in seinem Gedicht beschriebene Vorgang ist keine unmögliche Levitation, sondern durchaus machbar. Man kann sich gut vorstellen, dass in dieser kultivierten Technologie-Stadt zur Unterhaltung tatsächlich ein Paar kleiner Figuren, ähnlich modernem Magnetspielzeug, geschaffen wurde. Beispiellose Neuerungen und brillante Techniken in griechischer Kunst und mechanischer Technologie riefen in der Antike sebas, thauma und thambos hervor  –  Ehrfurcht, Verwunderung und Erstaunen. Viele Autoren beschrieben, wie die Menschen, konfrontiert mit lebensecht wirkenden künstlichen Tieren und vor allem Nachbildungen von Menschen, den „Schock des Neuen“ erlebten, ein Gefühl von Überraschung und Vergnügen  –  gemischt aber mit intensiven Gefühlen der Desorientierung, der Furcht vor Gefahr und des Schreckens. Wenn hier künstlerische Illusionen, plastische Nachahmungen des Lebens, belebte Skulpturen von Mensch und Tier sowie Statuen, die tatsächlich das zu sein schienen, was sie abbildeten, den Betrachter fassungslos machten, so könnte dies als antike Parallele zum Uncanny-Valley-Phänomen gedeutet werden. Diese psychologische Reaktion, erstmals 1970 im Kontext der Robotik festgestellt, impliziert ein Missbehagen und Befürchtungen, wie sie Menschen haben, wenn sie unheimlichen, „nicht vollständig, aber beinahe menschlichen“ Nachbildungen oder Automaten begegnen. Angst kommt jäh auf, wenn die Grenze, die das Unbelebte vom Belebten trennt, verwischt, vor allem bei anthropomorphen Wesen. Eine tatsächliche Bewegung oder die Illusion von Bewegung verstärken diese negativen Emotionen noch.33 Ein Genre antiker und frühmittelalterlicher mündlicher Überlieferungen innerhalb der hinduistischen und buddhistischen Literatur beschreibt ebenfalls diese Mischung aus Verwunderung und Furcht angesichts realistischer androider Roboter (Sanskrit bzw. Pali: yantra/yanta, „Maschine, mechanisches Gerät“), die von schlauen Maschinenerbauern (yantrakaras/yantakaras) hergestellt wurden. Die ursprünglichen Entstehungsdaten solcher mündlich überlieferter Erzählungen (es gibt Versionen in Sanskrit und Pali sowie auf Tibe-

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tisch, Tocharisch, Mongolisch und Chinesisch) sind nicht bekannt, doch zwischen dem 3. und 1. Jh.  v.  Chr. wurden sie schriftlich festgehalten. Eine Geschichte erzählt von einem brillanten Erfinder, der einen fremden König besucht: Ihn begleitet ein lebensecht wirkender Roboter, den der Erfinder am Hof als seinen Sohn vorstellt. Der Roboter, elegant gekleidet, hat „betörende Manieren und tanzt sehr schön“. Eines Tages jedoch macht er der Königin schöne Augen. Der König ist empört und befiehlt seinen Männern, den „lasziven jungen Mann“ zu enthaupten. Sogleich bietet der Erfinder an, seinen „Sohn“ selbst zu disziplinieren: Er entfernt einen Teil der Umkleidung des Roboters und enthüllt dessen innere Mechanik. Erstaunt und erfreut belohnt der König den Erfinder reich (siehe Kapitel 6 zu einer antiken chinesischen Version dieser Überlieferung).34 Die frühesten griechischen Beispiele einer Reaktion auf künstliches Leben im Sinne des Uncanny-Valley-Effekts finden wir in Homers Odyssee (11.609–614). In der Unterwelt reagiert Odysseus voller Furcht, als er auf hyperrealistische Bilder wilder, raubender und mordender Tiere mit stechendem Blick trifft. Er bittet darum, dass deren teuflischer Künstler keine weiteren dieser erschreckenden Bilder erschaffen möge. Später (19.226–230) beschreibt Odysseus eine kompliziert gearbeitete goldene Spange, die einen Jagdhund zeigt, wie er ein Rehkitz zerfleischt. Jedermann bewundert diese „lebendige“ Verzierung, den Hund im Moment, als er das Kitz fasst und tötet, und das Rehkitz, wie es seinen letzten Seufzer tut.35 In zwei dramatischen Szenen in verlorenen Theaterstücken aus dem 5. Jh.  v.  Chr., von Euripides und Aischylos, werden alte Männer von Daedalus’ belebten Statuen zu Tode erschreckt. In Aischylos’ Theoroi erschrecken einige Satyrn vor den Abbildern ihrer eigenen Köpfe, die an einen Tempel genagelt sind. Einer der Satyrn ruft aus, diese Abbilder seien so real, dass ihnen nur die Stimmen fehlten, damit sie lebendig wirkten. Ein anderer meint, eine solche Nachbildung des Kopfes ihres Sohnes würde seine Mutter vor Schreck weglaufen und schreien lassen. Solche Theater-Anekdoten legen die Vermutung nahe, dass die Zuschauer in der klassischen Antike mit Kunst-

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werken von verstörendem Realismus durchaus vertraut waren und sich einen außergewöhnlichen Kunsthandwerker vorstellen konnten, der zu einer noch natürlicheren Darstellung in der Lage wäre, als sie sie bislang gesehen hätten.36 Daedalus galt in der Antike als herausragender Handwerker, als Fertiger künstlichen Lebens und Erfinder zahlloser durchdachter Werkzeuge und Entwürfe, die die Fähigkeiten der Menschen ausbauen sollten. Im Mythos borgte sich der Erfinder nicht nur die Federn von Vögeln, um in die Freiheit zu fliegen, sondern man sagte von ihm, er hätte auch derart lebensechte Statuen geschaffen, dass sie sich von allein bewegten oder zumindest den erschreckenden Anschein gaben, sie würden es tun. Wie erwähnt, decken sich Daedalus und seine Arbeiten zuweilen mit denen seiner göttlichen Gegenspieler Prometheus und Hephaistos. Wie wir in den beiden folgenden Kapiteln sehen werden, stellen viele Wunderwerke, die von diesen beiden Gottheiten geschaffen wurden, diejenigen des Daedalus in den Schatten. Ihre Kunstwerke sind auf noch viel strahlendere Weise „lebendig“, manche von ihnen besitzen sogar „Intelligenz“. Doch von Prometheus wie auch Hephaistos nahm man an, sie benutzten die gleichen Werkzeuge, Methoden und Technologien, mit denen der sterbliche Daedalus in seiner irdischen Werkstatt hantierte.

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Pygmalions lebende Puppe und Prometheus’ erste Menschen Das Leben und das Zeitalter von Prometheus, des einzelgängerischen Titanen, der Zeus täuschte und sich für die ersten Menschen einsetzte, schlängeln sich wie ein gewundener Pfad durch die Mythologie der alten Griechen. Prometheus begegnet uns zum ersten Mal in Hesiods Gedichten, die zwischen 750 und 650  v.  Chr. entstanden. Mit seiner wechselvollen Beziehung zu Zeus taucht er auch in einer Dramentrilogie auf, wie man sie gern Aischylos zuschreibt: Der gefesselte Prometheus, Der befreite Prometheus, Prometheus, der Feueranzünder.1 Nacherzählungen und Ausschmückungen dieser antiken Überlieferung finden sich in ungefähr zwei Dutzend altgriechischen und lateinischen Quellen. In den frühesten Versionen war Prometheus der Wohltäter der Menschheit, der ihr den Gebrauch des Feuers zeigte. In späteren Mythen erstreckten sich seine Gaben auch auf Sprache, Schrift, Mathematik, Medizin, Landwirtschaft, Domestizierung von Tieren, Bergbau, Technologie, Wissenschaft  –  mit anderen Worten: auf alle Fertigkeiten einer Zivilisation. Interessant für dieses Kapitel ist der die Mythen durchziehende rote Faden, der Prometheus als Schöpfer der menschlichen Spezies beschreibt, entweder zu Beginn der Menschheit oder nach der großen Katastrophe, die man die Deukalionische Flut nennt. Diese Geschichte kann helfen, seine Sorge um die Menschen und den Diebstahl des Feuers für sie zu erklären. Die älteste uns bekannte Erwähnung dieses Mythos

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finden wir in einem Fragment eines Sappho-Gedichts. Um das Jahr 600  v.  Chr. schrieb Sappho: „Nachdem er die Menschen erschuf, soll Prometheus das Feuer gestohlen haben.“2 Der Mythos, in dem Prometheus die ersten Menschen auf Erden erschafft, ist eine der vielen antiken Erzählungen, die zeigen, dass „menschliche Wesen einst als künstliche Schöpfungen galten“. Erde und Wasser, vereint und ins Leben gerufen durch göttliche Macht  – das war die früheste Metapher der Menschen für das Leben. Wie in anderen Berichten aus aller Welt, vom Gilgamesch-Epos bis zur biblischen Schöpfungsgeschichte, benutzt der Schöpfer bzw. Demiurg weltliche Materialien  –  Ton, Schlamm, Staub, Knochen oder Blut  –, um männliche und weibliche Wesen zu formen, die dann von den Göttern, dem Wind, dem Feuer oder einer anderen Naturkraft den Lebensfunken erhalten. Die Schlamm-Metapher verblasste viele Jahrhunderte später und wurde ersetzt durch ein neues Verständnis des menschlichen Körpers als mechanistischer Einheit, die von dynamischen Flüssigkeiten angetrieben wird. Diese Vorstellung entstand unter anderem im Zuge der Etablierung der Mechanik, Hydraulik und Pneumatik als Wissenschaften im Hellenismus.3 Im antiken griechischen Mythos mischt der Titan Prometheus Erde und Wasser  –  bzw. Tränen  –  und formt den Schlamm bzw. Ton zu den ersten Männern und Frauen. In manchen Berichten erschafft er auch die Tiere. In einigen Versionen ist Athena beteiligt, in anderen befiehlt Zeus dem Wind, den Tonfiguren den Lebensatem einzuhauchen. Wieder andere Deutungen legen nahe, dass Feuer die Geschöpfe zum Leben erweckte.4 Antikes Volksgut über Prometheus’ Schöpfung der ersten Menschen war noch im Umlauf, als der wissensdurstige Reisende Pausanias im 2. Jh.  n.  Chr. durch Griechenland zog. Er hatte von der Überlieferung gehört, dass Prometheus sein Handwerk nahe der uralten Stadt Panopeus in der Region Phokis, bei Chaironeia in Zentralgriechenland, gelernt hatte. Pausanias (10.4.4) besuchte den sagenhaften Ort in der Nähe der antiken Stadtruinen und sah dort zwei große Tonbrocken in einer Schlucht, jeder groß genug, um eine

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Karre zu füllen. „Man sagt, dies seien die Überreste des Tons, aus dem das ganze Menschengeschlecht durch Prometheus geschaffen wurde.“ Der „Geruch von menschlicher Haut hängt noch immer an den großen Tonhaufen“, schrieb er. Man kann sich diesen Geruch nur vorstellen, den Pausanias und andere wahrnahmen. Doch Felsen und Ton können tatsächlich aufgrund der chemischen Zusammensetzung und eingefangener Gasbläschen unverwechselbare Gerüche verströmen, wenn sie erhitzt werden, wenn man sie anhaucht oder an ihnen kratzt.5 Mehrere griechische Erzählungen und auch Mythen anderer Kulturen beschreiben, wie leblose Materie, Statuen, Götzenbilder, Schiffe und Steine von Göttern oder durch Zauber belebt wurden. Diese Geschichten über künstliches Leben unterscheiden sich von den Erzählungen über belebte Statuen, die wir bislang betrachtet haben, etwa von denen über den bronzenen Roboter Talos, der von Hephaistos innerlich ausgestattet wurde, oder von denen über die belebten Statuen, die dem Erfinder Daedalus zugeschrieben wurden (siehe Kapitel 1 und 5). In solchen „Zauberstab-Szenarien“, wie wir sie uns jetzt ansehen, werden Gegenstände durch göttlichen Befehl zum Leben erweckt. Wir haben weder ein Handwerk noch einen Herstellungsprozess, weder innere Struktur noch die Imagination irgendeiner Mechanik. Ein Beispiel dafür, wie unbelebte Objekte mit Leben erfüllt werden, finden wir im Mythos der Großen Flut, die von Zeus geschickt wird. Deukalion und seine Frau Pyrrha sind die einzigen Überlebenden. Durch ein Orakel erfahren sie, wie sie die Erde neu bevölkern können. Beide werfen Steine über ihre Köpfe nach hinten, und diese werden augenblicklich in Männer und Frauen verwandelt. Das bekannteste klassische Beispiel einer auf göttlichen Befehl mittels Zauber belebten Statue findet sich im Mythos von Pygmalion und seiner Liebe zu einer nackten Elfenbeinstatue, die er selbst geschaffen hat. Ovids Version (Metamorphosen 10.243 – 297) ist die anschaulichste. Der junge Bildhauer fühlt sich von gewöhnlichen jungen Frauen abgestoßen, weshalb er sich eine unberührte Jungfrau erschafft. Heute stellt man sich diese Statue gern aus Marmor

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vor, doch im Mythos ist es Elfenbein, ein wärmeres, organisches Material. Pygmalions Elfenbein-Jungfrau sieht so echt aus, dass er sich sogleich „in sein eigenes Geschöpf “ verliebt. Er liebkost ihren vollkommenen Körper voll Ehrfurcht und Verlangen, fürchtet aber, dass sie zerquetscht würde, wenn er sich mit Gewalt gegen sie presst. Er überhäuft die Statue mit Geschenken und Worten der Liebe. Im Tempel der Aphrodite fleht er schließlich die Göttin an, sein „Scheinbild eines Mädchens“ zum Leben zu erwecken. Als Pygmalion nach Hause zurückkehrt, liebt er das elfenbeinerne Abbild seiner Phantasiefrau erneut. Zu seinem Erstaunen erwärmt sich die Statue bei seinen Küssen, und in seinen Armen wird ihr Körper zu Fleisch. Anders als kalter Marmor ist Elfenbein ein Material, das früher einmal lebendig war; es hat einen weichen, cremigen Glanz. In der Antike wurden Elfenbeinfiguren mit zarten, naturalistischen Farben abgetönt, die echter Hautfarbe glichen. Antike Betrachter sahen in ihnen außerordentlich sinnliche, makellose weibliche Gestalten. Unter den Liebkosungen ihres Schöpfers erwacht Pygmalions Statue zu Bewusstsein und „errötet vor Scham“. Aphrodite hat sein Gebet erhört.6 Man sollte darauf hinweisen, dass Pygmalions Statue nicht als Automaton konstruiert war, sondern dass sie dank der Göttin der Liebe auf übernatürliche Weise zum Leben erwachte. Diese oft erzählte „Romanze“ um künstliches Leben erhält heute neue Relevanz: Sie nimmt ethische Fragen vorweg, die sich auf lebensechte Roboterpuppen und KI-Geschöpfe, die eigens für Sex mit Menschen entwickelt wurden, beziehen. „Ist es möglich“, fragt ein Autor, „einvernehmlichen Sex mit einem Roboter zu haben, selbst falls dieser sich seiner eigenen Sexualität bewusst ist?“7 Heute wird der Pygmalion-Mythos gern als romantische Liebesgeschichte interpretiert, aber im Grunde handelt es sich um eine irritierende Beschreibung von einem der ersten weiblichen androiden Sexpartner in der Geschichte des Westens. Es ist nicht klar, ob Pygmalions passive, namenlose, aber lebendige Puppe mit ihrer „Schamesröte“ über Bewusstsein und eine Stimme verfügt oder ob sie ak-

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tiv handeln kann. Hat Aphrodite die vollkommene weibliche Statue in eine wirklich lebendige Frau verwandelt, mit eigenem, unabhängigem Willen  –  oder ist sie nur „eine bessere Simulation“? Die Statue wird als idealisierte Frau beschrieben, vollkommener als jede echte Frau. Damit überschreitet Pygmalions Nachbau „menschliche Grenzen“, ganz wie die Sex-Replikanten in den Blade Runner-Filmen, die als „menschlicher als Menschen“ angepriesen werden.8 Auffälligerweise beschreibt Ovid ihre Haut und ihren Körper nicht so, als würden sie sich lebensecht anfühlen. Vielmehr vergleicht er ihr Fleisch mit Wachs, das umso wärmer, weicher und verformbarer wird, je mehr es angefasst wird  –  in seinen Worten: Ihr Körper „wird nützlich, indem er benutzt wird“. Ovid beendet sein „Märchen“ mit der Hochzeit von Pygmalion und seiner namenlosen lebenden Statue. Er fügt noch hinzu, dass beide mit einer Tochter namens Paphos gesegnet werden  –  ein magischer Akt der Reproduktion, der zeigt, dass die ideale Statue zur echten biologischen Frau geworden ist. Im Plot des Films Blade Runner 2049 gibt es eine ähnliche Art der Reproduktion eines Replikanten. Dort gebiert die Replikantin Rachael ein Kind, obwohl dies in der Blade Runner-Welt für künstliche Formen von Leben als unmöglich gilt.9 Als Ovid die Geschichte um Pygmalion nacherzählte, griff er auf frühere Erzählungen zurück, die heute verloren sind. Eine Quelle war Philostephanos von Alexandria, der in seiner Geschichte Zyperns, verfasst zwischen 222 und 206  v.  Chr., eine vollständige Version des Mythos bot. In einer Variante des späteren christlichen Autors Arnobius erschafft Pygmalion eine Statue der Göttin Aphrodite und liebt sie anschließend. Wir haben leider keine antiken künstlerischen Darstellungen des Pygmalion-Mythos. Doch viele mittelalterliche Illustrationen zeigen, wie Pygmalion mit seiner Elfenbeinstatue geschlechtlich verkehrt  –  die Geschichte diente in dieser Zeit als im religiösen Sinne unzüchtiges Exempel, um vor der Anbetung von Götzenbildern zu warnen. Im 18. Jh. hatten europäische Geschichtenerzähler der Statue Pygmalions endlich einen Namen gegeben: Galatea („milchig weiß“). Im Lauf der Jahrhunderte haben

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sich Variationen des Pygmalion-Mythos stark verbreitet und unzählige Märchen, Theaterstücke, Geschichten und weitere Kunstwerke inspiriert.10 Im Pygmalion-Mythos ist die Elfenbeinstatue des Bildhauers „eindeutig ein künstlich erzeugtes Wesen, das für Sex erschaffen wurde“.11 Doch Pygmalions Elfenbein-Frau war nicht die einzige Statue, die in der Antike bei den Betrachtern eine erotische Reaktion hervorrief. Die agalmatophilia, der Lust auf Statuen, hat eine lange Geschichte.12 Lukian (Erotes 13 –16) und Plinius der Ältere (36.4.21) berichten von Männern, die in Leidenschaft für die schöne, unbekleidete Statue der Aphrodite in Knidos entbrannt waren. Sie war von dem bedeutenden Bildhauer Praxiteles um 350  v.  Chr. geschaffen worden  –  und war die erste lebensgroße weibliche Aktstatue in der griechischen Kunst. Die Männer besuchten nachts heimlich ihren Schrein, und Flecken auf Aphrodites marmornen Schenkeln offenbarten, dass sie sie für ihre Lust missbraucht hatten. Der weise Apollonios von Tyana versuchte, mit einem Mann zu reden, der sich in die Aphrodite-Statue verliebt hatte, und berichtete ihm von Mythen unglücklicher Rendezvous zwischen Göttern und Sterblichen (Philostrat, Leben des Apollonios von Tyana 6.40). Im 2. Jh.  n.  Chr. verfasste der Sophist Onomarchos von Andros einen fiktiven Brief von „dem Mann, der sich in eine Statue verliebt hat“, und lässt diesen darin „das geliebte Abbild verfluchen, indem er ihm ein hohes Alter wünschte“.13 In einem weiteren berüchtigten Fall, den Athenaios (2. Jh.  n.  Chr.) überliefert, ließ sich ein gewisser Kleisophos von Selymbria (heute Silivri, Türkei) in einem Tempel auf der Insel Samos einschließen und versuchte dort, mit einer üppigen Marmorstatue geschlechtlich zu verkehren, die angeblich von Ktesikles gemeißelt worden war. Entmutigt von der Kühle und Zurückhaltung des Steins, hatte Kleisophos schließlich „Sex mit einem kleinen Stückchen Fleisch“ à la Portnoy (vgl. sein Roman Portnoy’s Complaint von 1969; dt. Portnoys Beschwerden). Die meisten Geschichten über „Lust auf Statuen“ drehen sich um Männer, die Sex mit weiblichen Statuen haben. Doch mehrere anti-

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ke Quellen erzählen auch die traurige Geschichte der Witwe Laodameia (auch als Polydora bekannt), deren geliebter Ehemann Protesilaos im legendären Trojanischen Krieg gestorben war. Der älteste Text, von dem wir wissen, war eine Tragödie von Euripides aus dem 5. Jh.  v.  Chr., doch dieses Stück existiert nicht mehr. Ovids Version hat die Form eines Briefes von Laodameia an Protesilaus. Sie waren frisch verheiratet, als er nach Troja zog (der Krieg dauerte ein Jahrzehnt). Laodameia sehnt sich nach der Rückkehr ihres Mannes. Jeden Abend nähert sie sich erotisch einem lebensgroßen Wachsbild ihres Mannes, das für „die Liebe, nicht für den Krieg“ geschaffen worden war. Das Abbild ist so realistisch, dass ihm nur die Sprache fehlt, um „Protesilaos zu sein“. Hygin berichtet eine andere Variante dieser Geschichte: Als Protesilaos getötet wird, erbarmen sich die Götter des jungen Paares und gestatten Protesilaos, drei kostbare Stunden mit seiner Frau zu verbringen, ehe er für immer in die Unterwelt zurückkehren muss. Verzweifelt vor Kummer gibt sich Laodameia danach einem Abbild ihres Mannes hin  –  dieses Mal aus bemalter Bronze  – und überschüttet es mit Geschenken und Küssen. Eines Abends sieht ein Diener, wie die junge Witwe in leidenschaftlicher Umarmung mit der männlichen Gestalt verharrt, die so lebensecht ist, dass der Diener annimmt, es wäre ihr Liebhaber. Der Diener erzählt Laodameias Vater davon, der daraufhin in das Zimmer stürmt und die Bronzestatue des toten Ehemannes sieht. In der Hoffnung, ihre Qualen zu beenden, verbrennt er die Statue auf einem Scheiterhaufen, doch Laodameia wirft sich selbst auf diesen Scheiterhaufen und stirbt.14 In griechischen und lateinischen Quellen findet man insgesamt ungefähr ein Dutzend Berichte über heterosexuelle und homosexuelle Liebe zu Statuen. Der Historiker E. R. Truitt, der sich mit mittelalterlicher Robotik befasst, nennt diese und die Geschichte von Pygmalion „Parabeln über die Macht mimetischer Schöpfungen“ und darüber, wie „man das Künstliche mit dem Natürlichen verwechseln kann“.15 Der Altphilologe Alex Scobie und der klinische Psychiater A. J. W. Taylor haben darauf hingewiesen, dass diese besondere sexuel-

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le „Verirrung“ zu einer Zeit aufkam, als die griechische und römische Bildhauerkunst ein hohes Maß an Realismus und idealisierter Schönheit erreicht hatte. Mit Praxiteles beginnend, gab es eine „Fülle von gemeißelten menschlichen Figuren, mit denen sich die Menschen identifizieren konnten“, die lebensgroß waren und deren Erscheinung, Bemalung und Haltung sehr natürlich wirkten. Schöne, realistisch bemalte Statuen waren nicht nur im Überfluss vorhanden, sondern auch „gut zu erreichen“ in Tempeln und auf öffentlichen Plätzen, was die Menschen anregte, persönliche Beziehungen zu ihnen aufzunehmen. Nackte Kultstatuen wurden oft so behandelt, als würden sie leben: Man badete sie, gab ihnen Kleider, Geschenke und Schmuck. 1975 kamen Scobie und Taylor zu dem Schluss, dass agalmatophilia gegenüber marmornen (bzw. elfenbeinernen oder wächsernen) Statuen, die das Leben mit intimem Realismus replizierten, eine pathologische Erscheinung sei, die durch die technische Expertise hochbegabter Künstler der klassischen Antike erst ermöglicht worden sei. Laut den beiden Autoren und dem Kunsthistoriker George Hersey (2009) werden Fortschritte bei anatomisch realistischen Silikon-Sexpuppen und biomimetischen, mit KI ausgestatteten Cyber-Sexbot-Technologien künftig dazu führen, dass dieser seit der Antike existierende Fetisch in eine moderne Form der „Robotophilie“ münden wird.16 Griechen und Römer waren nicht die einzigen antiken Kulturen, die Geschichten um sexualisierte Automata ersannen. In einer buddhistischen Erzählung aus dem Mahāvastu (mündliche Überlieferungen, die über einen Zeitraum vom 2. Jh.  v.  Chr. bis zum 4. Jh.  n.  Chr. gesammelt wurden) finden wir einen unwiderstehlichen weiblichen Roboter. Sanskritische, tibetische, chinesische und tocharische Versionen der Überlieferung berichten, wie ein berühmter Erfinder mechanischer Geräte ein hübsches, lebensechtes Mädchen erschafft (yantraputraka, „mechanische Puppe“), um seine Meisterschaft unter Beweis zu stellen.17 Der Erfinder heißt einen fremden Gast in seinem Haus willkommen, einen hochgeachteten Maler lebensähnlicher Bilder, und erweist dem Künstler allerhand Ehren.

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Am Abend zieht sich der Maler in sein Zimmer zurück und findet dort zu seiner Überraschung ein schönes Mädchen, das „ihm zu Diensten sein will“. Bescheiden und schüchtern senkt das Mädchen den Blick und spricht nicht, sondern reicht dem Maler ihren Arm und zieht ihn an ihren Busen. Er bemerkt, dass eine juwelenbesetzte Brosche auf ihrer Brust sich beim Atmen hebt und senkt. Der Maler denkt, es handele sich um eine echte Frau  –  aber wer ist sie? Könnte sie eine Verwandte seines Gastgebers sein, seine Frau, Schwester oder Tochter? Oder ein Dienstmädchen? Es folgt eine lange Passage, in der der Maler abwägt, wie „moralisch riskant“ es wohl wäre, mit der bereitwilligen jungen Frau in seinem Zimmer Sex zu haben. Schließlich gibt er den Gefühlen nach, die in ihm geweckt wurden, und nimmt sie mit „wilder Leidenschaft“ in die Arme. Da bricht das mechanische Mädchen auseinander, „ihre Kleider, Gliedmaßen, Schnüre und Zapfen zerfallen in Stücke.“ Der Maler merkt, dass er von einer hinterlistigen Vorrichtung hereingelegt wurde. Beschämt denkt er darüber nach, wie er sich an seinem Gastgeber rächen kann. Er holt sein Arbeitsmaterial heraus und verbringt den Rest der Nacht damit, ein grausiges, realistisches trompe l’œil-Bild zu malen, auf dem er selbst tot von einem Haken an der Wand an einem Seil herabhängt. Am Morgen lässt der Gastgeber, zum Narren gehalten durch die gemalte Illusion, den König, dessen Minister und Bürger kommen, damit sie sich die tragische Szene mit der zerbrochenen mechanischen Frau und dem Selbstmord des Malers anschauen. Er lässt eine Axt holen, um den Körper seines Gastes abzuschneiden. Die List wird offenbar, als der Maler plötzlich aus seinem Versteck hervortritt, und alle lachen herzlich. Diese buddhistische Geschichte zeigt, welch lebensechten Realismus die Maler und Macher mechanischer Androiden im antiken Asien erreicht hatten (siehe Kapitel 5 und 9 für weitere antike buddhistische Erzählungen von Robotern). Die ausgeprägte Rivalität zwischen den beiden meisterhaften Künstlern, die sich gegenseitig mit ihren Schöpfungen von übernatürlichem Realismus herein-

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legen, ähnelt Anekdoten, die Plinius (Naturgeschichte 35.36.64 – 66) über trompe l’œil-Wettstreite zwischen den klassischen griechischen Künstlern Zeuxis und Parrhasios (siehe Kapitel 5) berichtet. Die buddhistische Erzählung ist außerdem zugleich eine philosophische Parabel über Illusionen der Selbstbeherrschung und die zeitlose Frage nach dem freien Willen des Menschen, aufgeworfen durch Gebilde künstlichen Lebens. In ihrer Studie über mechanische Geschöpfe in alter indischer Literatur weist Signe Cohen darauf hin, dass das seelenlose weibliche Automaton für die Seelenlosigkeit aller Wesen steht, was im Kern die buddhistische Lehre verkörpert: „Wir sind alle Roboter.“18 Pygmalions Statue Galateas ist ein Beispiel für einen unbelebten Gegenstand, der durch transzendente Liebe bzw. die „übernatürliche Kraft“ eines Gottes belebt wird, ohne jeden Verweis auf „mechanisches Gewerk“. Demgemäß ordnet Minsoo Kang diese Statue unter seiner ersten Kategorie antiker Nicht-Roboter ein, wie auch die „biblische Geschichte um die Erschaffung von Adam und Eva“, die nicht „technologisch“ gedacht war. Tatsächlich kommen in „Zauberstab-Mythen“ wie der Geschichte von Pygmalion keine „mechanische Erfindungsgabe“ noch eine „das Leben imitierende Maschine“ vor. Doch diese technologischen Gegebenheiten kennzeichnen Talos (siehe Kapitel 1) und tauchen in einigen interessanten bildlichen Darstellungen von Prometheus als Schöpfer der ersten Menschen auf.19 Die Erzählung von Pygmalions Sexpuppe aus Elfenbein und der Mythos um die rollenden Steine, die auf magische Weise nach der Deukalionischen Flut zu Menschen werden, helfen für die Unterscheidung zwischen eindeutigen „Zauberstab-Geschichten“ wie denen in Kangs erster Kategorie und komplexeren Erzählungen über künstliches Leben und Automata; wenn sie in Mythen thematisiert werden, dann gehört auch ihre Herstellung mit Werkzeugen und bestimmten Methoden dazu, sowie eine Art innerer Struktur und manchmal sogar Intelligenz und Handlungsfähigkeit. In den am meisten verbreiteten Versionen von Prometheus als Kunsthand-

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werker, der bekanntes Material  –  Ton  –  zu lebensechten Figuren von Mann und Frau formt, die ersten Menschen, angeleitet von Minerva/Athena; gewährt ein Gott oder eine Göttin den letzten Schliff, um das Werk des Titanen zu vollenden. spätrömisches Marmorrelief, Diese Sichtweise wird in allgemein bekannten 3. Jh. n. Chr. künstlerischen Darstellungen davon aufgegriffen, wie Prometheus die ersten Menschen erschafft. Dabei wird er angeleitet von Athena, die den Funken übernatürlichen Lebens spen-

Abb. 6.1: Prometheus erschafft

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det, symbolisiert durch einen Schmetterling. Man sollte jedoch beachten, dass all diese wohlbekannten Darstellungen spätrömisch sind, entstanden zu frühchristlicher Zeit. In spätrömisch-frühchristlicher Zeit (3. und 4. Jh. n. Chr.) taucht Prometheus als Schöpfer der Menschen in sorgfältig gearbeiteten Reliefs auf Sarkophagen, in Mosaiken und Wandgemälden auf (Abb. 6.1 und 6.2). Diese Darstellungen betonen die Zusammenarbeit von Prometheus und Athena (Minerva). Prometheus erschafft darin kleine realistische Figuren von Mann und Frau, ähnlich Pygmalions Galatea-Statue. Diese Szenen haben offensichtlich vieles gemein mit späteren christlichen Darstellungen der biblischen Schöpfung von Adam und Eva; sie sollen sie sogar beeinflusst haben. Die Beliebtheit dieser Szene mit Prometheus war vielleicht auch ein Reflex neuplatonischer Schöpfungsvorstellungen als Gegensatz zu christlichen Schriften über Adam. Diese religiöse Debatte war noch im Gange, als diese Szenen entstanden.20 Erstaunlicherweise wählte eine weitere Gruppe bildender Künstler in Italien ungefähr 1000 Jahre, bevor die römisch-christlichen Darstellungen auf Sarkophagen beliebt wurden, eine andere Darstellung der Herstellung der ersten Menschen durch Prometheus. Die Bilder dieser etruskischen Künstler hellenistischer Zeit unterscheiden klar zwischen den Statuen, denen durch Magie Leben verliehen wurde, und den Geschöpfen des Prometheus.21 In Skarabäen und Siegel haben sie die ersten Menschen nicht als Tonpuppen eingeritzt, die auf den Lebensfunken warten. Stattdessen werden sie in diesen faszinierenden Darstellungen mit Werkzeugen geschaffen und Stück für Stück auf einem Rahmen zusammengesetzt, so wie ein Bildhauer eine menschliche Statue fertigen und dabei mit einer inneren Struktur bzw. Stück für Stück beginnen würde (siehe Abb. 1.9). Mit anderen Worten: Die Gemmen thematisieren eher Biotechne als einen Zauber, der zur Schöpfung von Leben benutzt wurde. Seit dem 5. Jh.  v.  Chr. zeigten detailreiche etruskische Gemmen und solche im etruskischen Stil Bildhauer und Künstler bei der Arbeit sowie sowohl mythisches als auch wirkliches Handwerk auf

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phantasievolle Weise. Besonders interessant sind mehrere miteinander verwandte Miniadie ersten Menschen, angeturszenen, datiert auf das 4. bzw. 3. Jh.  v.  Chr., leitet von Minerva/Athena; die man als „kraftvoll originelle“ Darstellunspätrömischer Marmorsarkogen von Prometheus’ Schaffung der ersten Menphag, 3. Jh. n. Chr. schen bezeichnet hat. Die Szenen sind auf Ringen, Siegeln, Talismanen, Ornamenten und Skarabäen eingraviert, die einst Privatpersonen gehörten. Einige tragen Inschriften (mit den Namen der Eigentümer) in lateinischen, griechischen oder etruskischen Buchstaben. Nur wenige haben sich bisher mit diesen Gemmen intensiver beschäftigt, trotz ihrer außerordentlichen Metapho-

Abb. 6.2: Prometheus erschafft

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rik. Die jüngste Arbeit hat Gabriella Tassinari 1992 vorgelegt: In ihrer Monographie zählt sie 63 Beispiele von Gemmen auf, die Prometheus als Schöpfer zeigen. Dabei betont sie stilistische Unterschiede und Schwierigkeiten bei der Datierung. Die Gemmen können anhand der dargestellten Szenen in zwei Gruppen geteilt werden. In beiden wird Prometheus als einsamer Künstler gezeigt, der Werkzeuge benutzt, um in einem komplizierten Prozess Stück für Stück den ersten Mann (manchmal auch eine Frau) herzustellen.22 In der ersten Gruppe baut Prometheus eine menschliche Figur in Einzelteilen auf einem Rahmen aus Stangen, wobei er mit dem Kopf und dem Torso beginnt. In der zweiten Gruppe fängt er mit dem Bau der inneren Struktur der Figur an  –  einem menschlichen Skelett. Wie alt ist die Vorstellung von Prometheus als Schöpfer der ersten Menschen? Deutliche literarische Hinweise finden wir in griechischen Gedichten und Theaterstücken des 4. Jh.s  v.  Chr., doch die mündliche Tradition scheint noch weiter zurückzugehen.23 Wie wir gesehen haben, haben etruskische Künstler griechische Mythen in Gemmen, auf Spiegeln und Vasen gern auf besondere Weise interpretiert (siehe Kapitel 1 bis 4). Die ungewöhnliche etruskische Szene mit Prometheus (Prumathe auf Etruskisch) könnte durch abweichende lokale mündliche Überlieferungen und Kunst inspiriert worden sein. Wie die Etruskologin Larissa Bonfante bemerkt, „hat etwas an Prometheus bei den etruskischen Künstlern und ihren Auftraggebern ganz offensichtlich eine Saite angeschlagen“.24 Bei der ersten Gruppe dieser Gravuren stellt Prometheus den menschlichen Prototyp aus Einzelteilen zusammen. Anstatt unter Anleitung von Athena/Minerva Ton zu menschenförmigen Puppen zu formen, wie in den Reliefs aus spätrömisch-frühchristlicher Zeit (siehe Abb. 6.1 und 6.2), wird Prometheus allein gezeigt, wie er einen unfertigen Körper formt. Dabei sind normalerweise nur Kopf und Torso vollständig, und beide werden von einem Rahmen aus metallenen oder hölzernen Stäben gehalten. Vor allem benutzt Prometheus Werkzeuge und Technologien, wie sie in der Antike auch echte Handwerker nutzten. Er verwendet einen Hammer bzw. Schlä-

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Abb. 6.3: Prometheus benutzt ein Senkblei, während er den ersten Menschen mithilfe eines Rahmens herstellt; gravierte Karneolgemme, 3. Jh.  v. Chr.

Abb. 6.4: Prometheus formt Kopf und Torso des ersten Menschen mithilfe eines Rahmens; Sardonyxgemme, 3. Jh. v. Chr.

gel, einen Kratzer, ein Skalpell und „einen Stab oder ein Band, um die Proportionen der menschlichen Figur zu messen“, und vermisst sein Werk mit einem Senkblei. In Abb. 6.3 benutzt Prometheus zum Beispiel ein solches Senkblei und ein Lot an einem unvollständigen menschlichen Modell, das mit einem Band an einer Stütze befestigt ist.25 In Abb. 6.4 sichert Prometheus einen halbfertigen Körper mit einem Seil an einem Rahmen. Viele etruskische und griechisch-römische Gemmen in den Museumssammlungen variieren die Motive aus Abb. 6.3 und 6.4. Einige Forscher haben sich gefragt, ob diese Szenen maschalismos zeigen, die rituelle Zerstückelung feindlicher Krieger, wie sie von den

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Etruskern praktiziert wurde. Doch auf Beispielen, auf denen diese Praxis tatsächlich dargestellt ist, sieht man einen oder zwei Soldaten mit Schwertern die Feinde köpfen und ihre Gliedmaßen abschneiden. Diese seltenen Szenen unterscheiden sich deutlich von „unseren“ Gemmen, die eindeutig einen Künstler zeigen, der typischerweise sitzt, mit Werkzeugen arbeitet und eine unvollständige menschliche Figur erschafft.26 Die Darstellungen davon, wie Prometheus einen Menschen aus Teilen zusammensetzt, erinnern an griechische Vasenbilder, die Künstler zeigen, die Statuen von Menschen und Pferden hämmern und zusammensetzen (siehe Abb. 1.9; Abb. 5.4; Abb. 7.8). Der zweite Gemmentyp, den wir hier betrachten, zeigt eine weitere, eindrucksvolle und ungewöhnliche Sichtweise auf den Prozess der Erschaffung des ersten Menschen: Prometheus baut das menschliche Wesen von innen nach außen. Er beginnt dessen Gestaltung mit der natürlichen anatomischen Struktur, dem Skelett. Skelette wurden in der klassischen griechischen und etruskischen Kunst extrem selten dargestellt. Wie Tassarini bemerkt, liegt aber der Schwerpunkt dieser besonderen Gemmen nicht auf dem Skelett selbst, sondern auf „der schöpferischen Aktivität des Prometheus“ als Handwerker.27 Zwei Gemmen mit tiefen Gravuren (Intaglio)  –  datiert auf das 2. Jh. v.  Chr. und einst zur Sammlung von Giovanni Carafa, dem Herzogs von Noia (Spanien), gehörig  –  fesseln aufgrund ihrer Darstellung von Prometheus bei der Erschaffung des ersten Menschen: Die eine (Abb. 6.5) zeigt Prometheus, wie er „am Modell des Oberkörpers eines bärtigen Mannes arbeitet, der von zwei Stäben gestützt wird“. Auf der einen Seite ist der vordere Teil eines Schafbocks, auf der anderen der eines Pferdes zu sehen. Deren Gegenwart steht für antike Versionen einer Überlieferung, nach der Prometheus auch die ersten Tiere schuf.28 Die zweite Gemme in der Sammlung Carafa, bekannt nur durch einen Stich von 1778, zeigt eine merkwürdige Szene mit einem teilweise ausgeformten männlichen Torso, der auf einem menschlichen Skelett befestigt ist anstatt auf einem Metall- oder Holzrahmen. In

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Abb. 6.5: Prometheus erschafft den ersten Menschen, flankiert vom ersten Pferd und vom ersten Schafbock; 2.–1. Jh.  v. Chr. Unten: Stich aus Alcuni monumenti del Museo Carafa (Neapel 1778, Tafel 23).

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Abb. 6.6: Prometheus erschafft den ersten Menschen; dieser ist schon halb fertig (Torso, auf ein Skelett montiert); Stich aus Alcuni monumenti del Museo Carafa (Neapel 1778, Tafel 25).

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Abb. 6.6 sitzt Prometheus und hält ein Werkzeug in seiner rechten Hand. Er arbeitet an dem teilweise ausgeformten oberen Rücken und an den Armen, der Schädel ist kahlköpfig, die unteren Wirbel, die Hüfte und die Beinknochen des Skeletts sind noch blank. Die Stelle, an der die teilweise fleischlosen Rippen auf die Wirbelsäule treffen, ist ähnlich gestaltet wie auf anderen Gemmen, die die obere Hälfte eines Mannes zeigen, die schmale „unvollendete“ Taille. Der noch unfertige Mann hält in beiden Händen jeweils eine Phiale, eine flache Schale für das Trankopfer. Einige Exemplare des zweiten Gemmentyps Abb. 6.7: Prometheus, sitzend, zeigen Prometheus dabei, wie er die Armknochen an einem menschlichen Skelett befestigt befestigt den Armknochen (Abb. 6.7 bis 6.11). In Abb. 6.8 und 6.11 benutzt am Skelett des ersten MenPrometheus einen Schlägel oder Hammer, um schen; Skarabäus mit Gravur den Arm am Skelett zu befestigen.29 Diesen Darim etruskischen Stil (gestrichelte Umrandung); Inschrift stellungen liegt die Annahme zugrunde, dass Prometheus anschließend die Sehnen und MusPIPITU; 3.–2. Jh.  v. Chr.? keln auf den Rahmen aus Knochen aufbringt Rechts: Abguss.

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Abb. 6.8: Prometheus, sitzend, baut das erste menschliche Skelett, wobei er einen Schlägel benutzt, um den Arm an der Schulter zu befestigen; Karneolintaglio, Datierung unbekannt.

Abb. 6.9: Prometheus sitzt auf einem Felsen und befestigt einen Arm an dem Skelett des ersten Menschen; Abguss einer Gemme aus dunkelgrünem Jaspis, 1. Jh.  v. Chr.

und außerdem innere Organe, Blutgefäße, die Haut, Haare usw. hinzufügt. Er arbeitet also von innen nach außen, von der naturalistischen inneren Anatomie bis zum fertigen menschlichen Prototyp. Es ist aufschlussreich, im Zusammenhang mit dem Aufbau einer menschlichen Gestalt von der inneren Anatomie bis zu den äußeren Merkmalen zum Vergleich eine antike chinesische Erzählung über künstliches Leben heranzuziehen. In diesem Fall wurde das lebensechte Automaton von innen her mit realistischen und funktionalen Strukturen geschaffen. Die Erzählung ist in der Zeit König

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Abb. 6.10: Prometheus befestigt einen

Abb. 6.11: Prometheus benutzt einen

Arm an einem Skelett, Karneolskara-

Schlägel, um ein Skelett zu bauen;

bäus, um 100  v. Chr. (die Goldring-

Chalzedongemme, 1. Jh.  v. Chr.

fassung ist modern).

Mus (ca. 976–922  v.  Chr.) aus der Zhou-Dynastie angesiedelt; es geht um einen Androiden, der von einem Meister-„Erbauer“ namens Yan (Yen Shih) geschaffen wurde. Wir finden die Geschichte im Buch Liezi, das dem daoistischen Philosophen Lie Yukou (ca. 400  v.  Chr.) zugeschrieben wird, wenn auch eine genaue Datierung schwierig ist. In der Erzählung stellt Meister Yan dem König Mu und dessen Konkubinen seinen wunderbaren handgefertigten Mann vor, der geht, tanzt, singt und auch sonst die Handlungen menschlicher Wesen perfekt nachahmt. Der König ist bezaubert  –  bis der Mann mit den königlichen Konkubinen flirtet. Der König wird wütend, ist dann aber verblüfft, als Yan das Automaton öffnet und seine biotechnologische Konstruktion enthüllt, die „exakte Nachbildung der menschlichen Physiologie in künstlicher Form (jiawu)“. Bis ins kleinste Detail lebensecht, besteht der äußere Körper aus Leder, Holz, Haar, Zähnen, Leim und Lack, innen sind künstliche Muskeln und ein zusam-

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mengefügtes Skelett, mit Organen, der Leber, dem Herz, den Lungen, den Eingeweiden, der Milz, den Nieren  –  wobei jedes dieser Organe bestimmte Körperfunktionen des Androiden kontrolliert. Das antike Thema der Konstruktion hyperrealistischer Androiden von innen nach außen, wobei beim anatomisch exakten Skelett und den Organen angefangen wird, wie es in den Prometheus-Gemmen und der erwähnten chinesischen Erzählung zu sehen ist, kehrt in moderner Science-Fiction wieder. So offenbart beispielsweise im Film Blade Runner 2049 die Entdeckung der begrabenen Skelettüberreste der entlaufenen Replikantin Rachael, dass Replikanten eine „menschliche“ Physiologie haben  –  und vielleicht sogar in der Lage sind, Nachkommen zu gebären.30 Die künstlerische Entscheidung, Prometheus beim Bau des ersten Menschen zu zeigen und ihn mit der Knochenstruktur anfangen zu lassen, impliziert einen Vergleich des Titanen mit einem Bildhauer, der eine Statue auf einem Modellskelett baut. Kanaboi, Skelettformen, meist aus Holz, wurden von antiken Bildhauern als innere Stütze benutzt; um diese Stütze herum brachten sie in den ersten Stadien der Erschaffung Ton, Wachs oder Gips an. Auch bei Verfahren, bei denen mit kalt gehämmerten Metallblättern gearbeitet wurde, und beim Wachsausschmelzverfahren zur Fertigung von Bronzestatuen kamen hölzerne Stützen zum Einsatz, wie in den Schriften von Pausanias, Pollux, Hesychios und Photios beschrieben. Der künstlerische Prozess wird auch bei Plinius (Naturgeschichte 34.18.45 – 47) erwähnt: Plinius schreibt bewundernd über die fein gearbeiteten kleinen Tonmodelle und hölzernen Skelette, die im Frühstadium der Herstellung von Bronzestatuen im Atelier des berühmten Bildhauers Zenodorus in Rom benutzt wurden. Hölzerne Armaturen überstanden die Hitze des Gießens nicht, doch moderne Analysen berühmter antiker Bronzestatuen ergaben, dass die Künstler in der Antike auch mit Metallstrukturen gearbeitet haben. Ein Kanabos diente als eine Art dreidimensionales Abbild von Körperstrukturen.31 Die Szenen auf den bereits besprochenen ungewöhnlichen Gemmen zeigen, wie Prometheus sein Projekt entwirft und dabei Technologie und Werk-

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zeuge einsetzt. Er beginnt mit der Konstruktion eines Kanabos, der physischen Struktur des späteren ersten Menschen. In seinen Abhandlungen zur biologischen Anatomie und Bewegung erwähnt Aristoteles Kanaboi. Er vergleicht die Art, wie das Netz der Blutgefäße den Umriss des gesamten Körpers zeigt, mit den hölzernen Skeletten (Kanaboi), wie sie Künstler für Modelle nutzten. Außerdem nennt Aristoteles zu seiner Zeit vorhandene Apparate, mechanische Puppen oder selbstbewegende Automata als Analogien, um die innere „mechanische“ Zusammensetzung und Funktionsweise von Tieren und Menschen erklären. Wenn er vom Skelett als Rahmen spricht, der die Bewegung ermöglicht, nutzt Aristoteles Begriffe aus der Mechanik: Er betont, dass Tiere Sehnen und Knochen haben, die ganz ähnlich wie die Seile funktionieren, die im Inneren von Automata an Zapfen oder Eisenstäben befestigt sind.32 Die bildlichen Darstellungen von Prometheus, wie er mit Teilen des menschlichen Körpers arbeitet und ein Skelett-Kanabos zusammenfügt, legen die Annahme nahe, dass Künstler und Betrachter seine Schöpfung als eine Form von Biotechne begriffen haben  –  ganz wie bei einem Bildhauer, der mit dem inneren Rahmen beginnt, um Automata zu bauen, die dann zu tatsächlich lebendigen Menschen werden. Im ersten Stadium baut er das, was Betrachter als ihre eigene Anatomie erkennen: Die Vorgänger der menschlichen Spezies werden analog von innen nach außen konstruiert. In allen Varianten des Mythos von Prometheus als Schöpfer werden die realistischen Formen von Menschen zu genau der Realität, die sie abbilden: Sie werden zu echten Männern und Frauen. Diese paradoxe Sichtweise greift die zeitlose Vorstellung auf, dass Menschen auf bestimmte Weise Automata der Götter sind. Die beinahe unbewusste Furcht davor, dass wir seelenlose Maschinen sein könnten, manipuliert von anderen Mächten, wirft ein großes philosophisches Rätsel auf, über das seit alters her nachgedacht wurde: Wenn wir Schöpfungen der Götter oder unbekannter Kräfte sind, wie können wir dann Identität, Handlungsfähigkeit und freien Willen besitzen? Platon (Gesetze 644d–e) hat als einer der Ersten die Vorstel-

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lung von Menschen als nicht-autonome Wesen erwogen: „Jeder von uns Vertretern lebender Geschöpfe werde von uns betrachtet als eine Drahtpuppe (Marionette) göttlichen Ursprungs.“ Der Mythos der künstlichen Frau Pandora, hergestellt vom Gott Hephaistos, wirft ähnliche Fragen auf, wie wir in Kapitel 8 sehen werden. Die Fragen um Autonomie und Seele durchzieht auch traditionelle hinduistische, buddhistische und taoistische Erzählungen von Robotern (siehe Kapitel 5). In einer hinduistischen Geschichte ist beispielsweise eine ganze Stadt von ruhigen, aber belebten Städtern und Tieren bewohnt, die sich später als realistische Holzmarionetten entpuppen, alle kontrolliert von einem einsamen Mann auf einem Thron im Palast.33 Die Vorstellung von Menschen als Automata oder Spielzeuge eines unvollkommenen und/oder bösen Demiurgen und die sich daraus ergebenden Fragen zu Willenskraft und Moral tauchten sehr deutlich in der antiken Bewegung des Gnostizismus auf (1. – 3. Jh.  n.  Chr.). In der Moderne wurden Fragen um die Autonomie des Menschen unter anderem von T. H. Huxley und William James im 19. Jh. aufgegriffen. Der Philosoph John Gray in seinem Buch Soul of a Marionette (2015) und der Romancier Philip Pullman in seiner monumentalen Trilogie His Dark Materials (1995–2000; dt. Der Goldene Kompass  –  Die Trilogie) erfüllen heute gnostische Konzepte mit neuem Leben. Die Blade Runner-Filme (1982, 2017) sind ein weiteres Beispiel dafür, wie Science-Fiction-Erzählungen mit dem paranoiden Verdacht spielen, unsere Welt sei bereits voller Androiden  –  und dass es unmöglich sei, einen Turing-Test mit sich selbst zu machen, um zu beweisen, dass man kein Android ist.34 Einer der Replikanten aus Blade Runner greift den Satz „Ich denke, also bin ich“ auf, die berühmte Schlussfolgerung des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650). Descartes war mit mechanischen Automata seiner Zeit, die von Zahnrädern und Federn angetrieben wurden, ziemlich vertraut und machte sich die Vorstellung zu eigen, dass der Körper eine Maschine sei. Er nahm Turing und ähnliche Tests vorweg, indem er voraussagte, wir würden

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eines Tages vielleicht die Frage beantworten müssen, ob etwas eine Maschine oder ein Mensch sei. „Gäbe es Maschinen in der Form unserer Körper, die fähig wären, unsere Handlungen nachzumachen“, so Descartes, dann könnten Tests, die auf Geschmeidigkeit im Verhalten und sprachlichen Fähigkeiten basieren, nicht-menschliche Dinge entlarven.35 Im Mythos um Prometheus und Epimetheus, wie er von Platon berichtet wird (siehe Kapitel 4), werden die Geschöpfe der Erde hervorgebracht und dann mit Fähigkeiten und Schutzmechanismen „programmiert“, damit sie sich nicht gegenseitig zerstören, sondern das Gleichgewicht der Natur aufrechterhalten. Doch die Grenzen der Biotechnologie werden deutlich, wenn Tiere alle „Apps“ erhalten und nichts mehr für die Menschen übrig bleibt, die somit nackt und schutzlos bleiben. Von Mitleid erfüllt, gibt Prometheus den Sterblichen Handwerk und Feuer. Damit demonstriert der griechische Mythos, wie die unsterblichen Götter ihre eigenen Machtspiele spielen, indem sie Generationen von Sterblichen für alle Zeiten manipulieren, hinhalten, belohnen und bestrafen. Schon bald entwickelte die Menschheit den Drang, selbst Leben zu schaffen und zu kontrollieren wie die Götter. Schon vor sehr langer Zeit hat demnach die Vorstellung, launenhafte Götter oder sorglose, sogar böse Demiurgen würden willkürlich natürliche Fähigkeiten verteilen und ihre menschlichen Spielzeuge kontrollieren bzw. vernachlässigen, die Umrisse einer der unerquicklichsten Arten von Science-Fiction abgesteckt, wie sie noch heute ihr Publikum fesselt.36 Im 5. Jh.  v.  Chr. verehrten die Athener den Rebellen Prometheus und die kostbaren Technologien, die er der Menschheit geschenkt hatte. Der Titan wurde an einem Altar in einem Hain angebetet, der später zu Platons Akademie gehören sollte,  –  neben Altären von Athena und Hephaistos. Während des wichtigsten Stadtfests, der Panathenäen, wurde der Feuerbringer Prometheus mit einem Staffel-Fackellauf geehrt. Die Läufer begannen am Altar in der Akademie außerhalb der Stadtmauern und liefen durch den Kerameikos, den Bezirk der Töpfer und anderer Handwerker, die Prometheus als

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ihren Schutzherrn verehrten (zusammen mit Daedalus). Der Fackellauf gipfelte darin, dass der letzte Läufer das heilige Feuer auf dem Athena-Altar auf der Akropolis entzündete. Im Relief, das die Basis der majestätischen Statue Athenas im Parthenon schmückte, war Prometheus (mit Pandora, dem Geschöpf des Hephaistos) dargestellt.37 Im Mittelalter und in der Renaissance wurden Prometheus’ Feuerdiebstahl und seine daraufhin erfolgende Bestrafung umgeformt zu einer Allegorie der menschlichen Seele auf der Suche nach Aufklärung. Seitdem hat Prometheus Künstler, Schriftsteller, Denker und Wissenschaftler inspiriert, als Symbol für Kreativität, Erfindergeist, Menschlichkeit, Vernunft und heroisches Durchhalten sowie Widerstand gegen Tyrannei.38 Zwei berühmte Werke zeigen, wie Prometheus’ Schöpfungen spätere Autoren inspiriert haben: In Shakespeares Othello (1603) sagt der Titelheld, er könne in Desdemonas Leichnam keine „prometheische Hitze“ wiederherstellen, nachdem ihr „Licht“ erloschen sei. Diese Anspielung bezieht sich auf die Vorstellung, Prometheus habe mit dem Feuer, das er aus dem Himmel gestohlen hatte, seinen Tonfiguren Leben verliehen. Und in der aufsehenerregenden Szene des Kultfilms Frankenstein von 1931 mit Boris Karloff belebt „prometheische Hitze“ in Form von Elektrizität das Monster, das aus aufgepfropften Leichenteilen geschaffen wurde. Dieser Film beruht auf dem berühmten Roman Frankenstein von Mary Shelley. 1816 geschrieben und zwei Jahre später veröffentlicht, folgte Shelleys Geschichte streng dem Vorbild der klassischen Mythologie. Ihr Vater William Godwin schrieb später einen Kommentar über die antiken Sucher nach künstlichem Leben, darunter die Hexen Medea und Erichtho sowie die Künstler Daedalus und Prometheus. Marys Ehemann Percy Shelley und Lord Byron verfassten zur gleichen Zeit Gedichte über Prometheus. In ihrem Roman konzipierte Shelley das Wissenschaftsgenie Victor Frankenstein als den „Feuerbringer“ ihrer Zeit. Sie bezog sich außerdem auf fesselnde wissenschaftliche und pseudowissenschaftliche Vorstellungen über Alchemie, okkulte See-

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lenübertragung, Chemie, Elektrizität und die menschliche Physiologie, wie sie den Kenntnissen ihrer Zeit entsprach.39 Einige Forscher vermuten, Mary Shelley habe unter dem Eindruck von Berichten über makabere Sezierexperimente gestanden, die von dem berüchtigten Alchemisten Johann Dippel (geb. 1673) auf Burg Frankenstein durchgeführt wurden, nahe jener Villa am Genfer See, in der Shelley ihre Geschichte schrieb. In der Öffentlichkeit gab es in den 1790er-Jahren zudem Debatten über die Arbeiten zur Elektrostimulation von Luigi Galvani und anderen. Shelley wusste sicher von den morbiden Experimenten, bei denen tierische und menschliche Leichen auf groteske Weise durch Elektrizität „reanimiert“ wurden. 1803 wurde der Galvanismus zum Beispiel in London an dem zuckenden Kadaver eines hingerichteten Verbrechers öffentlich vorgeführt. Das Leben spendende Prinzip ließ Shelley 1818 in ihrem Roman noch unbestimmt, aber 1831 erwähnte sie den Galvanismus in ihrer Frankenstein-Neuausgabe. Mit dem Untertitel Der moderne Prometheus bezog sie sich auf den berühmten Essay (1756), in dem Immanuel Kant vor der anmaßenden ungezügelten Neugier warnt, die Benjamin Franklins vermeintliche „Entdeckung“ der Elektrizität in seinen Augen verkörperte. Franklin wurde zu seinen Lebzeiten auch als „Moderner Prometheus“ bezeichnet.40 Bei Shelley widmet der junge Wissenschaftler Victor Frankenstein zwei Jahre mühevoller Arbeit dem Bau eines künstlichen intelligenten Androiden. Er baut sein Geschöpf Stück für Stück zusammen, indem er Rohmaterial aus Schlachthäusern und von Leichensezierungen, die zu medizinischen Zwecken durchgeführt wurden, verwendet. Angesichts von Shelleys Geschichte eines „modernen Prometheus“ scheint den antiken etruskischen Gemmen, die zeigen, wie Prometheus menschliche Einzelteile und Skelette zusammenfügt, eine gespenstische Vorahnung anzuhaften. Tatsächlich wurden die Stiche der Carafa-Gemmen in Abb. 6.5 und 6.6 im Jahr 1778 publiziert. Mehrere dieser Intaglios gelangten in die riesige Sammlung antiker und neoklassischer Gemmen des schottischen Graveurs und Antiquars James Tassie (1735 – 1799). Ein illustrierter zweibändiger

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Katalog von Tassies Sammlung erschien 1791.41 Es könnte durchaus sein, dass Shelley und ihr Kreis eine Reihe von Gemmen mit Prometheus bei der Erschaffung eines Menschen aus Körperteilen gesehen oder davon gehört haben. Auch die grauenerregende thessalische Geisterbeschwörerin Erichtho könnte Shelleys Frankenstein beeinflusst haben. Erichtho, eine Hexe, die Schlachtfelder und Friedhöfe aufsucht und nach Körperteilen für ihre Zauber sucht, wird am besten beschrieben in den Schriften des lateinischen Dichters Lucan aus dem 1. Jh.  n.  Chr., die Shelley sehr gut kannte. In Über den Bürgerkrieg beschreibt Lucan, wie Erichtho verbittert über rauchende Schlachtfelder streift und nach verwertbaren Kadavern mit intakten Lungen sucht, die sie wiederbeleben kann. In einer schaurigen Szene benutzt sie Teile von toten Tieren, um menschliche Leichen zu reanimieren. In einer Bildsprache, die an die Hexe Medea in griechischen Mythen erinnert (siehe Kapitel 1 und 2), murmelt Erichtho Zauberformeln und knirscht mit den Zähnen, wenn sie die Toten zwingt, wieder lebendig zu werden. Die Leichen kommen mit einem Zucken krampfartig ins Leben zurück und gehen dann „bemerkenswert schnell, aber mit steifen Gliedmaßen“ umher, was an den stereotypen, steifen Gang von Zombies, belebten Statuen und Robotern denken lässt. Entsetzt darüber, dass sie von der Hexe auf unnatürliche Weise ins Leben zurückgerufen worden sind, werfen sich die lebenden Toten auf brennende Scheiterhaufen.42 In Shelleys Geschichte, oft als der erste moderne Science-Fiction-Roman gepriesen, erhofft sich der Wissenschaftler, einen Humanoiden von erhabener Schönheit und Seele zu erschaffen. Doch die entstandene Kreatur ist ein grässliches, empfindsames Monster, das Verwüstung anrichtet und sich bitter beklagt, ins Dasein gerufen worden zu sein. Einige frühmoderne Denker sahen den antiken Mythos von Prometheus’ endloser Folter als Symbol für seine nagenden Zweifel an seiner Erschaffung der Menschheit. Mit Bezug auf Kant sehen manche Historiker für Robotik die Prometheus-Erzählung als Warnung dafür, dass jeder, der „versucht, künstliches Leben

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zu erschaffen, außerhalb des legitimen menschlichen Bereichs agiert und leichtfertig in den Dunstkreis der Götter eindringt“.43 Wie viele antike Mythen und volkstümliche Legenden über künstliches Leben, das durch mysteriöse Supertechnologie erlangt wurde, thematisiert auch Shelleys Horrorerzählung fesselnd die Überschreitung menschlicher Grenzen und die Gefahren wissenschaftlicher Übersteigerung  –  ohne vollständiges Wissen bzw. Verständnis der praktischen und ethischen Konsequenzen. In einigen Quellen bittet Zeus Prometheus, die ersten Menschen zu erschaffen. Doch Zeus nimmt auch Rache an Prometheus, weil dieser das Feuer und andere Werkzeuge gestohlen und den Menschen gegeben hat. (Zeus ersinnt zudem eine ewige Strafe für die Menschheit, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden.) Alte Schätzungen darüber, wie lange der Kämpfer für die Menschen wohl die Folter durch Zeus’ Adler erdulden musste, reichen von 30 über 1000 bis zu 30 000 Jahren. In einer Version dieses Mythos, dargestellt von vielen Künstlern in der Antike, erteilt Zeus am Ende Herakles die Erlaubnis, seinen riesigen Aëtos Kaukasios („Kaukasischer Adler“) zu töten und damit Prometheus’ Siechtum zu beenden.44 Dem göttlichen Folter-Adler schrieb man verschiedene Ursprünge zu, je nach Version des Mythos. Von besonderem Interesse ist die Zusammenfassung, die wir bei Hygin finden. Dieser römische Autor (geb. 64  v.  Chr.) sammelte in zwei seiner Schriften, in den Fabeln und in De astronomia, mythologisches Material aus zahlreichen griechischen und lateinischen Quellen (viele davon sind heute verloren). Zusammenfassend schrieb Hygin über die antiken Traditionen (De astronomia 2.15): „Manche haben behauptet, dass dieser Adler von Typhon und Echidna stammte, andere sagten, von Gaia und Tartaros, aber viele meinen, der Adler wäre von Hephaistos gefertigt worden.“ Diese Überlieferung, wonach der riesige Adler, der Prometheus vernichten sollte, vom Gott der Schmiedekunst erschaffen wurde, beschwört das Bild eines metallischen Drohnen-Adlers herauf, der darauf programmiert ist, jeden Tag zu einer bestimmten Zeit Prometheus’ Leber anzupeilen.

Pygmalions lebende Puppe und Prometheus’ erste Menschen

Vor allem Apollonios (Argonautika 2.1242–1261) hat Zeus’ großen Adler auf außergewöhnliche Weise beschrieben, als unnatürlichen, glänzenden Greifvogel, der sich maschinenähnlich bewegt. Iason und die Argonauten beobachteten, wie der „glänzende Adler“ zum Felsen im Kaukasus flog. „Und diesen sahen sie am Abend ganz oben über dem Schiff nahe den Wolken in scharfem Schwirrgeräusch davonfliegen; gleichwohl erschütterte er das ganze Segel, als er mit seinen Flügeln vorbeistrich. Denn nicht hatte dieser die Gestalt eines Vogels der Luft, sondern gleich gut geglätteten Rudern schwang er seine Flügel.“ In der antiken Literatur finden wir mehrere Hinweise auf metallisch anmutende Greifvögel. Herakles beispielsweise vernichtet als seine sechste Tat die menschenfressenden stymphalischen Vögel. Man stellte sich diese Monstervögel gern mit bronzenen Federn und Rüstungen brechenden Schnäbeln vor. Aus zentralasiatischen Epen kennen wir eine weitere Darstellung von robotischen Räubern: In den volkstümlichen Überlieferungen zu Gesar von Ling erschafft der böse Einsiedler Radna ein Trio unheimlicher Metallvögel und sendet sie aus, um den Helden Gesar zu töten. Mit klappernden Federn, „dünnen Klingen aus Eisen und Kupfer“, und mit „Schnäbeln wie Schwerter“ stoßen die Vögel auf den jungen Gesar herab, der sie allerdings mit drei Pfeilen niederstreckt.45 Mechanische Vögel wurden tatsächlich schon im 5. und 4. Jh.   v.  Chr. gebaut. Es gab einen Bronzeadler, der aufstieg, um den Start der Pferderennen bei den Olympischen Spielen anzuzeigen (beschrieben von Pausanias 6.20.12–14), und dem Wissenschaftler Archytas wurde ein fliegendes Modell einer Taube zugeschrieben. Wie in Kapitel 1 erwähnt, hat Apollonios zahlreiche Automata und selbstbewegende Geräte im ptolemäischen Alexandria mit eigenen Augen gesehen (siehe Kapitel 9 zu diesen und anderen realen Erfindungen).46 Zeus’ Adler, hergestellt vom Gott Hephaistos, sollte nicht das einzige künstlich erschaffene Tier bleiben, das in der griechischen Mythologie und Geschichte ausdrücklich als Tötungs- oder Foltergerät

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entworfen wurde, wie die folgenden Kapitel zeigen. Unter Hephaistos’ geistreichen und automatisierten Geräten finden wir viele belebte Apparate und Geschöpfe, die geschaffen, nicht geboren wurden. Manche davon sollten den Menschen Arbeit abnehmen, andere jedoch sollten ausdrücklich Schaden bewirken.

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Hephaistos Göttliche Apparate und Automata Nur ein einziger Gott der griechisch-römischen Mythologie betreibt ein Gewerbe. Dieser Gott lässt sich nicht nur auf anstrengende körperliche Arbeit ein, er bricht sogar in Schweiß aus. Er verfügt auch über große Intelligenz, und seine technologischen Entwicklungen erregen allgemeine Bewunderung. Dieser schwer arbeitende Gott ist der Schmied Hephaistos, oberster Schutzherr der Metallverarbeitung, des Handwerks und der Erfindung. Hephaistos war ein Außenseiter unter den Gottheiten: Er lahmte und hatte nach einigen Quellen keinen Vater. Seine Mutter Hera und seine Frau Aphrodite lehnten ihn ab. Er wurde sogar für einige Zeit vom Olymp verbannt. Doch alle Götter hatten Ehrfurcht vor ihm. Sie riefen den Schmied immer dann, wenn sie etwas brauchten, das schön oder intelligent erdacht und von erhabener Handwerkskunst sein sollte. Hephaistos schuf goldene und marmorne Paläste und sicherte sie mit nicht zu knackenden Schlössern. Er fertigte besondere Waffen, Rüstungen und Gerätschaften für Götter und Helden  –  neben vielem anderen: Pfeile für Apollon und Artemis; den Medusenschild für den Helden Peleus; Rüstungen für Herakles, Achill, Diomedes und Memnon; Athenas Speer; und Apollons Streitwagen. Er kreierte einen elfenbeinernen Schulterersatz für den Helden Pelops. Für König Aietes, Medeas Vater, goss er die feuerspeienden Bronzestiere. Außerdem baute er vier sagenhafte Brunnen, aus denen Wein, Milch, Öl sowie heißes und kaltes Wasser quollen. Gegen seinen

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Willen musste Hephaistos in Zeus’ Auftrag die Ketten schmieden, die Prometheus an den Berg fesseln sollten, und er schuf Zeus’ fürchterliche Blitze, in der Kunst dargestellt als stilisiertes Bündel metallener Geschosse, die wie Speere geworfen wurden. Zeus’ Zepter war ebenfalls von ihm  –  es hieß, es wäre dem mythischen König Agamemnon, berühmt durch den Trojanischen Krieg, überreicht worden. Das Zepter wurde in einem Tempel in Chaironeia ausgestellt – nur eines der vielen Dinge dort, die nach Auffassung von Pausanias (9.40.11–12) Hephaistos zugeschrieben wurden.1 Die früheste Beschreibung von Hephaistos in seiner Schmiede finden wir in einem längeren Abschnitt der Ilias. In der entsprechenden Szene sucht die Göttin Thetis Hephaistos auf, damit dieser einen Satz prachtvoller Rüstungen für ihren Sohn Achill fertigt (Abb. 7.1). Sie findet den Schmied „schwitzend“ vor (18.372), wie er an seinem Amboss in seiner Wohnstatt aus Bronze arbeitet, unterstützt von mehreren automatischen Vorrichtungen. Hephaistos wischt sich mit einem Schwamm über die Augenbrauen, legt den Gegenstand seiner momentanen Arbeit beiseite, verstaut seine Werkzeuge in einer silbernen Kiste und begrüßt seinen Gast. Thetis bittet ihn um einen Bronzehelm, einen reich dekorierten Schild sowie Brust- und Armpanzer. Sie sollen herrlicher sein als alles, was je zuvor geschaffen wurde. Es folgen detaillierte Beschreibungen der einzelnen Stücke der Rüstung. Der Schild ist das Herzstück, gefertigt aus „Erz und Zinn … Gold und Silber“, und „fünf Schichten hatte der Schild“ (18.481) und einen „schimmernden Schildrand, dreifach und glänzend“ (18.479–480). Homers detaillierte Beschreibung der ausgeklügelten Technologie dieser Schildkonstruktion weckt selbst noch das Interesse heutiger Ingenieure wie Stepfanos Paipetis. Er meint, Hephaistos verwende zusammengesetzte Materialien, um daraus „schrittweise Metall-Verbundstoffe mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften“ zu fertigen. Die Handwerkskunst des Gottes repräsentiert damit das Ideal der vollständigen Kenntnis, die ein Schmied von den „dynamisch-mechanischen Eigenschaften zusammengesetzter Schichtstrukturen“ haben konnte. Dieses Ide-

Hephaistos

Abb. 7.1: Hephaistos in seiner Schmiede; er zeigt Thetis die prachtvolle Rüstung für ihren Sohn Achill; rotfigurige Kylix des Erzgießerei-Malers, aus Vulci, ca. 490  v. Chr.

al wurde entweder zu Homers Lebenszeit beobachtet (8. Jh.  v.  Chr.) oder mündlich aus früheren Zeiten überliefert.2 Später in der Ilias bewundern Achill und seine Gefährten auf dem Schlachtfeld in Troja die wundervolle Rüstung, auf die mit großem Aufwand blendende Panoramen geprägt wurden, die wie lebendig wirken. Die Szenen auf dem von göttlicher Hand gefertigten

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Schild geben eine wundervolle „künstliche, vollständige Welt mit Bewegung, Klang und lebensechten Figuren“ wieder.3 Wie in einem „Film aus belebtem Metall“ sind „die Menschen auf den Szenen des Schildes voller Kraft und Bewegung; sie können fühlen, nachdenken und argumentieren“ und haben Stimmen „wie lebendige Sterbliche“. Homers Beschreibung erinnert an die unheimlich lebensechten Bilder, die Odysseus in der Unterwelt erschrecken, und sie nimmt die Phantasia-Produkte einer „virtuellen Realität“ des Künstlers Theon von Samos vorweg (4. Jh.  v.  Chr.), zu denen Geräusche, Musik und Licht gehörten (siehe Kapitel 5). In dem merkwürdig und paradox wirkenden Abschnitt der Ilias betont Homer den verblüffenden Realismus der Szenen auf dem Schild. Er beschreibt die unterschiedlichen Metalle und Techniken, die Hephaistos benutzt hat, um „die verschiedenen Figuren zu erschaffen“, wobei er „die Aufmerksamkeit auf ihre besonders realistische Darstellung lenkt“. Dies lässt die Frage aufkommen, ob „diese wörtliche Beschreibung jemals etwas von ihrer Präzision hätte erlangen können, ohne sich auf einen sichtbaren Gegenstand zu beziehen?“4 Ehe wir uns zu Hephaistos’ weiteren Wunderwerken und seinen Entwürfen zu künstlichem Leben aufmachen, lohnt es sich, innezuhalten und sich klarzumachen, dass Metallrüstungen zu den frühesten Verstärkungen des Menschen zählten (siehe Kapitel 4). Bronzerüstungen wurden entworfen, um die Körper der Krieger weniger verwundbar zu machen. Am eindrucksvollsten an den Bronzerüstungen der klassischen Antike ist aber ihre Form. Das Hauptstück der Rüstung, der Kürass oder Brustpanzer, wurde so gestaltet, dass er wie ein idealisierter männlicher, in Bronze gegossener Körper aussah. Die „anatomische“ Rüstung, auch genannt „heroischer“ oder „Muskelkürass“, tauchte zuerst im antiken Griechenland auf und verbreitete sich dann im 5. Jh.  v.  Chr. Sie war aus zwei Teilen gegossen, aus Front- und Rückenteil, und diese beiden Teile wurden von Riemen zusammengehalten. Der gehämmerte Bronzekürass wurde nach Maß gefertigt, sodass er mit realistischen Reliefdetails dem Oberkörper eines Mannes entsprach. Er imitierte den entblöß-

Hephaistos

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Abb. 7.2: Oben: Muskelkürass; Bronze, Griechenland, 4. Jh.  v. Chr. Links: Beinschienen, realistische Beinrüstung; 4. Jh.  v. Chr.

ten Oberkörper eines „Helden“ mitsamt Brustwarzen, Nabel und eindrucksvoll herausgearbeiischem“ Kürass, 325  v. Chr. teten Brust- und Bauchmuskeln, die an die des Herakles erinnerten. Die Beinschienen, bronzene Schienbeinschützer, wurden ebenfalls so geformt, dass sie Knie und Wadenmuskeln nachbildeten. Ein griechischer Hoplit (Fußsoldat) legte mit einer solchen künstlichen Optimierung des Menschen aus bronzener Brust- und Beinrüstung ein Exoskelett an, das eine idealisierte „heroische, nack-

Abb. 7.3: Vasenbild mit „hero-

Hephaistos

te“ Bronzestatue imitierte. Vor allem der heroische Bronzekürass, wie gewöhnliche griechische Soldaten ihn auf antiken Vasenbildern tragen (Abb. 7.3), ähnelt dem robusten Bronzekörper des Automaton Talos; er wurde weiß-gelblich gemalt (vgl. Abb. 1.3, 1.4). Die bronzene Brustplatte und die Beinschienen verwandelten jeden Soldaten  –  unabhängig vom Körperbau  –  in einen beeindruckenden muskelbepackten Krieger. Eine vorrückende Phalanx (Stoßtruppe) griechischer Hopliten in Muskelpanzern mit klirrenden Waffen bildete somit eine lebende Mauer übermenschlicher Bronzekrieger.5 Später übernahmen die Römer den heroischen Kürass, um wie Herakles auszusehen. Sie verschönerten die zeremonielle Rüstung und fügten ihr zuweilen realistische silberne Gesichtsmasken hinzu, sodass das Bild eines vollständig in Metall gehüllten Superkriegers entstand. Andere Militärkulturen stellten Rüstungen her, die ihrer Armee den Anschein eiserner Männer geben sollten, um die Feinde zu erschrecken, wie zum Beispiel die furchterregende eiserne Gesichtsmaske der Kiptschaken in Zentralasien (siehe Kapitel 4 zu einem mittelalterlichen islamischen Bericht über Alexanders eiserne Kavallerie). Im europäischen Mittelalter, als Ritter mit Schwertern einander bekämpften und ihre Speere gegeneinander richteten, hatte sich die Ganzkörperrüstung als metallenes Exoskelett zu einem aufwendig konstruierten, schweren Panzeranzug entwickelt. Wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, lassen heutige Militärwissenschaftler die Idee extrem weit entwickelter Exoskelette wiederaufleben, mit der mythischen Gestalt des Talos als Vorbild, allerdings mit Computern und Sensoren hochgerüstet. Als Gott war Hephaistos in der Lage, besseres Handwerk und bessere Ingenieurleistungen zu erbringen als sterbliche Künstler. Seine Arbeiten bezeugten eine erstaunliche Kreativität und ein entsprechendes Geschick, die diejenigen seines irdischen Gegenparts, des legendären Daedalus, weit übertrafen. Doch wie bei Daedalus und dem Titanen Prometheus hieß es von Hephaistos, er würde Werkzeuge und Methoden benutzen, die denen echter Schmiede und Kunsthandwerker ähnelten. Und wie Daedalus und andere Hand-

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werker wurde Hephaistos in antiker bildender Kunst und Literatur bei der Werkzeugen; rotfigurige Kylix aus dem Arbeit gezeigt, umgeben von seinen späten 6. Jh.  v. Chr. Werkzeugen, halbfertigen Geräten und Statuen. Typische Szenen von Hephaistos bei der Arbeit in seiner Schmiede, etwa auf griechischen Vasen oder römischen Fresken (Hephaistos hieß bei den Römern Vulcanus), entsprechen den berufsspezifischen Aktivitäten von Schmieden und Bildhauern.6 Viele Gegenstände schuf Hephaistos ausdrücklich für andere Götter. Um ihnen zu helfen, ihre Streitwagen leicht aus ihrem olympischen Wohnsitz heraus und wieder zurück zu lenken, schuf

Abb. 7.4: Ein Schmied bei der Arbeit, mit

Hephaistos

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Abb. 7.5: Oben: Schmiedewerkzeuge, ca. 250  v. Chr. Unten: Antike Schmiedewerkezeuge aus der Höhle von Býčí skála, Tschechische Republik, 6.–5. Jh.  v. Chr.

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er zum Beispiel Tore, die „sich aus eigenem Antrieb in ihren Angeln drehten“, automatai  –  damit nahm er, wie der Altphilologe Daniel Mendelsohn scherzt, „das automatische Garagentor um beinahe 3000 Jahre vorweg“.7 Zwei pfiffige Geräte erschuf Hephaistos mit Blick auf seine untreue Frau Aphrodite und seine gefühllose Mutter Hera. Ein Mythos schildert, wie Hephaistos ein fast unsichtbares Netz aus sehr feinen und dennoch starken Metallschlingen entwarf, die Aphrodite und den Kriegsgott Ares dann im Bett umgarnten. Um sich an seiner Mutter Hera zu rächen, die ihn zurückgewiesen hatte, präsentierte Hephaistos ihr einen raffinierten goldenen Thron  –  eine Falle: In dem Moment, als Hera sich daraufsetzte, wurde ein Mechanismus, vielleicht eine Feder oder ein Hebel, ausgelöst, woraufhin sie nicht wieder aufstehen konnte. Hera blieb gefangen, bis Hephaistos sie freiließ. Die Szene mit Hera auf dem Thron ist auf mehreren antiken Vasenbildern dargestellt; auf einem davon löst Hephaistos gerade die Fesseln.8 Hera, die nicht über die Technologie ihres Sohnes verfügte, setzte ein übernatürliches Geschöpf namens Argus als Wache gegen ihren Ehemann Zeus ein. Argus’ besondere Fähigkeiten können als eine Art göttlicher, künstlicher Verstärkung gesehen werden. In einem Fragment eines Gedichts von Hesiod, Aigimios, und in späteren Texten ist Argus ein riesiger Wächter, der von Hera beauftragt wurde, die Nymphe Io zu bewachen, damit Zeus ihr nicht nachstellen konnte. Als Panoptes („alles sehend“) bezeichnet, schläft Argus nie und kann mit seinen vielen Augen in alle Richtungen sehen  –  je nach Quelle hat er zwischen vier und 100 davon. Auf Vasen aus dem 6. bis 4. Jh.  v.  Chr. ist der Körper von Argus Panoptes vollständig mit Augen bedeckt, ähnlich der Beschreibung des Mythographen Apollodor. Ein schöner Weinkrug (Lekythos) des sogenannten Pan-Malers aus etwa dem Jahr 470  v.  Chr. wurde unlängst im antiken Aphytis in Nordgriechenland entdeckt (Abb. 7.6). Der Körper des Humanoiden Argus ist darauf mit Augen übersät und hat einen Ianus-Kopf, der in entgegengesetzte Richtungen blicken kann.9

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Der antike Mythos eines unnatürlich wachsamen Beobachters, der niemals schläft und sein Umfeld aus allen Blickwinkeln beobachtet, hat im 18. Jh. Jeremy Bentham zu Panoptikum-artigen Plänen für Einrichtungen und Gefängnisse inspiriert. Diese kündigten ihrerseits das spätere Aufkommen ganzer Batterien von Überwachungskameras an, wie sie in unserer heutigen Welt allgegenwärtig sind. Demgemäß operieren zahlreiche Sicherheitsdienste unter dem Namen „Argos“ bzw. „Argus“. Die computerisierte Exoskelett-Uniform TALOS, die von US-Militärwissenschaftlern entwickelt werden soll, um die Sinne von Soldaten zu verstärken, hat ebenfalls mehrere „Augen“ wie Argus (siehe Kapitel 1). Und andere Militärwissenschaftler suchen nach Wegen, um Soldaten zu trainieren, wie Heras Wachposten ohne Schlaf auszukommen (siehe Kapitel 4).10 Hephaistos’ faszinierendste Apparate wurden in der Antike als außerordentlich lebensecht bzw. als selbstbewegende Automata beschrieben. Sie ahmten natürliche Körperformen nach und verfügten zudem über einen Verstand ähnlich dem menschlichen. Wir sind bereits einigen der künstlichen, belebten Geschöpfe von Hephaistos begegnet: dem Bronzewächter Talos auf Kreta, den Chalkotauroi, den feuerspei-

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Abb. 7.6: Argus mit seinen vielen Augen und Ianus-Kopf; attisch-rotfigurige Lekythos des Pan-Malers, aus Aphytis, um 470 v. Chr.

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enden Bronzestieren, die von Iason gezähmt wurden, und Zeus’ Folter-Adler. Zu den weiteren lebensechten Tieren, die Hephaistos baute, gehören Pferde, Hunde und ein Löwe. Außer im Falle von Talos sind die belebenden Mechanismen bzw. die internen Funktionsweisen dieser metallischen Wunderwerke in keinem der überlieferten Texte beschrieben.11 Doch es ist bezeichnend, dass sie von einem Erfindergott geschaffen wurden, demselben Gott, der Talos und weitere Automata mithilfe von Techne schmiedete. Die meisten Berichte über Hephaistos’ Geräte in Tiergestalt stammen aus der Antike. Eine Ausnahme bildet eine Geschichte des spätbyzantinischen Ependichters Nonnos von Panopolis (Dionysiaka 29.193). Er schildert, wie Hephaistos ein Paar belebter Bronzepferde schuf, die den diamantenen Streitwagen seiner Söhne, der Kabiren, ziehen sollten. Wie bei den ehernen Stieren schossen auch aus den Mäulern der Pferde Flammen. „Ihre bronzenen Hufe schlagen mit Geklapper in den Staub“, und die Pferde-Automata gaben sogar ein „trockenes Wiehern aus ihren Kehlen von sich“. Zu Nonnos’ Zeit, im 5. Jh.  n.  Chr., hatten viele Erfinder bereits jahrhundertelang selbstbewegende Apparate gebaut (siehe Kapitel 9). Einige dieser Schöpfungen haben vielleicht Nonnos’ Vision der feuerspeienden Pferde im Sinne einer dichterischen Wiederholung des antiken Mythos um die Bronzestiere inspiriert. Einen viel früheren  –  und rätselhaften  –  Hinweis auf ein von Hephaistos geschaffenes Pferd finden wir auf einem besonderen etruskischen Spiegel, der im 4. Jh.  v.  Chr. entstanden ist. Die abgebildete Pferdestatue und die Inschriften auf dem Bronzespiegel haben Etruskologen und Klassische Archäologen verblüfft. Die Etrusker haben, wie wir wissen, ihre eigene mündliche Version der griechischen Mythologie gepflegt. Die Szene auf dem Spiegel zeigt eine realistisch gestaltete metallene Pferdestatue (betitelt mit Pecse), erschaffen von Sethlans, dem etruskischen Hephaistos, und seinem Assistenten namens Etule, der einen Schmiedehammer schwingt (Abb. 7.7). In dem als Pecse bezeichneten Pferd sahen einige Gelehrten das Trojanische Pferd, doch diese Interpretation wirft Fragen auf. Pecse

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ist der etruskische Name für Pegasus, doch das Abb. 7.7: Hephaistos (Sethlans) Pferd auf dem Spiegel hat keine Flügel. Zudem und sein Gehilfe (Etule) bauen ist Pegasus im griechischen Mythos ein echtes ein künstliches Pferd (Pecse); Pferd, das aus dem abgeschlagenen Haupt der etruskischer Bronzespiegel aus Gorgo Medusa geboren und nicht von HephaisOrvieto, 4. Jh.  v. Chr. tos geschmiedet wurde. Das dargestellte Pferd hat keine Räder; das Trojanische Pferd jedoch hat solche, in den frühesten griechischen bildlichen Darstellungen.12 Kein bekannter griechischer Mythos assoziiert Hephaistos mit dem Trojanischen Pferd. Nach Homer (Odyssee 8.493) wurde das Trojanische Pferd von einem griechischen Handwerker namens Epeios aus Holz gebaut, nicht von Hephaistos, und entweder entstand es mit Athenas Hilfe, oder es wurde ihr geweiht (siehe Abb. 5.4 zu diesem Szenario auf einer athenischen Vase des Erzgießerei-Malers). Wer ist Etule? Möglicherweise ist Epeios gemeint. Wenn die Abbildung auf dem Spiegel aber eine etruskische Version der Geschich-

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te des Trojanischen Pferdes ist, dann wurde Epeios inspiriert oder angeleitet von Hephaistos und nicht von Athena. Epeios hatte jedoch tatsächlich eine Verbindung nach Italien: Er war der mythische Gründer der griechischen Kolonie Metapont (in Süditalien), und es hieß, die Bürger hätten seine Werkzeuge im dortigen Athena-Tempel ausgestellt.13 Auf dem etruskischen Spiegel hantiert Sethlans/Hephaistos an einem Klumpen um den Hals des Pferdes. In seiner rechten Hand hält er noch mehr vom selben Material. Er scheint Ton zu entfernen oder hinzuzufügen bzw. einen Gipsabdruck zu nehmen, wie man es bei antiken Bronzegusstechniken machte. Eine vergleichbare Szene finden wir auf einer früheren attisch-rotfigurigen Vase (ca. 460  v.  Chr.). Diese Vase zeigt eine ungewöhnliche Szene mit einem anderen Gott, der an einem künstlichen naturgetreu gestalteten Geschöpf arbeitet. Abb. 7.8 zeigt die Göttin Athena, die Schutzpatronin der athenischen Handwerker, wie sie das Tonmodell eines Pferdes anfertigt (des Trojanischen Pferdes). Das Hinterbein ist unvollendet, der Körper noch ungeformt. Hinter Athena sind Werkzeuge zu sehen wie die, die Daedalus und Hephaistos, aber auch gewöhnliche Handwerker in ihren Werkstätten benutzten: Säge, Bohrer und ein Feuerbohrer. Zu ihren Füßen liegt ein Tonhaufen, und sie bringt eine Handvoll Ton am Kopf des Pferdes an. Dieses klassische Vasenbild von Athena, die aus Ton ein Pferd erschafft, ähnelt auffällig der Darstellung von Sethlans/Hephaistos, der auf dem etruskischen Spiegel Ton auf dem Pferdenacken anbringt.14 Wer sich das Bild auf dem etruskischen Spiegel genauer ansieht (Abb. 7.7), wird bemerken, dass das lebendig wirkende künstliche Pferd mit seinen Vorderfüßen an einen Felsen gekettet ist  –  ein merkwürdiges Detail für eine leblose Statue. Merkwürdig, bis wir uns an die alten athenischen Scherze erinnern, dass man „lebende Statuen“ anbinden müsse, um sie am Weglaufen zu hindern (siehe Kapitel 5). Die Kette am Bein des Pferdes könnte also betonen, wie realistisch dieses künstliche Pferd gestaltet ist,  –  oder sie könnte darauf hinweisen, dass Sethlans/Hephaistos und sein Gehilfe eine be-

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lebte Pferdestatue bauen, womit wir eine neue etruskische Überlieferung hätten. Neben dem bronzenen Phylax empsychos („belebter Wächter“) Talos schuf Hephaistos noch zwei andere Gaben für Minos. Eine davon war magisch  –  ein Köcher voller Pfeile, die niemals sein Ziel verfehlten (oder ein Speer dieser Eigenschaft). Der andere Gegenstand ist interessanter: ein übernatürlich schneller Jagdhund, dem niemals seine Beute entging (das Bild des Hundes ziert die andere Seite der Münzen aus Kreta, die Talos zeigen). Manchmal als Automaton und manchmal als Wunderhund angesehen, dessen Fähigkeiten die von natürlichen Hunden übertrafen, erlebte diese mythi-

Abb. 7.8: Athena baut ein Tonmodell eines Pferdes. Sie hält Ton in der Hand, zu ihren Füßen liegt ein Tonhaufen; oben links sind Säge, Bohrer und Feuerbohrer zu sehen; der Rücken des Pferdes ist noch nicht fertig; attisch-rotfiguriger Weinkrug, um 460  v. Chr.

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sche Schöpfung viele Abenteuer. Sie wurde oft Lailaps genannt und erscheint in einer Geschichte, die mit Minos beginnt (Teil eines verschollenen Epos’ Homers mit dem Titel Epigonoi). Minos’ Frau, die Zauberin Pasiphaë, hatte, wie wir uns erinnern, Minos mit Skorpion-Ejakulat verflucht, um ihn zur Treue anzuhalten (siehe Kapitel 4). Minos wird schließlich von dieser Krankheit durch einen Gegenzauber geheilt, den eine andere Zauberin namens Prokris ausspricht. Aus Dankbarkeit gibt Minos ihre den besonderen Hund Lailaps. Danach nimmt Prokris’ Ehemann, Kephalos, den Hund mit nach Böotien aufs griechische Festland, wo er den ungeheuerlichen menschenfressenden Teumessischen Fuchs jagen soll, der noch nie gefangen werden konnte. Diese phantastische Jagd wirft paradoxe Rätsel auf, wie sie in griechischer Mythologie und Philosophie sehr beliebt waren. Die verzwickte Lage eines Hundes, der niemals seine Beute verfehlt, und eines Fuchses, der nicht gefangen werden kann, wird aufgelöst, indem Zeus beide in Steine verwandelt. Ein Felsenpaar in Gestalt der beiden Tiere war nahe der antiken Stadt Theben eine berühmte Attraktion.15 Aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen ist die Geschichte des kretischen Hundes Lailaps mit dem Mythos vom goldenen Hund verwoben. Rhea, die Mutter des Zeus, ließ diesen aus Gold gefertigten belebten Hund ihr Kind, Zeus, bewachen, als dieser auf Kreta vor seinem mörderischen Vater Kronos versteckt wurde. Wer schuf diesen goldenen Wachhund? Manchmal heißt es, er wäre von metallverarbeitenden Zwergen oder Dämonen, den „Kouretes“ bzw. „Daktylen“, erschaffen worden, die damit beauftragt waren, das Kind auf Kreta zu schützen (sie wurden mit den Telchinen assoziiert, den Schöpfern der fabelhaften lebenden Statuen auf Rhodos, siehe Kapitel 5). Andere Quellen besagen, der goldene Hund wäre von Hephaistos geschaffen worden. Jedenfalls befahl Zeus, als er die Macht auf dem Olymp übernahm, der Hund solle weiterhin den heiligen Ort seiner Kindheit bei seinem Tempel auf Kreta bewachen. Nach einem anderen Mythos stahl Pandareos den wertvollen goldenen Hund aus Zeus’ Tempel, doch der Gott Hermes brachte ihn

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zurück. Die Rettung des Hundes ist auf Vasen Abb. 7.9: Der goldene Hund, von des frühen 6. Jh.s  v.  Chr. dargestellt (Abb. 7.9). Hephaistos erschaffen und Im 2. Jh.  v.  Chr. verwob der Dichter Nikanvon Hermes zurückgeholt, der von Kolophon einige Stränge dieser vernachdem er von Pandareos geschiedenen Erzählungen mit den Ursprüngen stohlen worden war; schwarzder wunderbar schnellen, aus der wirklichen figurige Schale des sogenannWelt stammenden Molosser- und Chaonerten Heidelberg-Malers, um hunde, die griechische Jäger bewunderten: „Es 575  v. Chr. heißt, diese Hunde sind die Nachfahren eines Hundes“, den Hephaistos hergestellt hatte. Hephaistos, so Nikander, „goss ihn in demonesische Bronze und gab eine Seele (Psyche) hinein“. Dieser belebte Hund, so Nikander, wurde von Minos über Prokris an Kephalos weitergereicht, am Ende dann von Zeus zu Stein verwandelt. Mit der umgangssprachlichen Wendung „es heißt“ entwirft der Dichter die Vorstellung, ein belebter Hund aus Metall könne mit einem lebenden Hund kopulieren. Nikander spielt mit dem Gedanken, ein künstliches Tier könne so „real“ sein, dass es sich sogar fortpflanzen könne  –  ähnlich wie einige spätrömische Autoren berichteten, dass Galatea und Pandora (keine von beiden von biologischen Eltern geboren) so „menschlich“ gewesen wären, dass sie

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Kinder gebären konnten. Nikander verschafft mit dieser dichterischen Überlegung den besten Jagdhunden der Antike einen göttlichen Stammbaum, so wie auch athenische Handwerker behaupteten, Daedalus sei ihr Vorfahre gewesen (siehe Kapitel 5).16 Die früheste bekannte Geschichte von aus Metall gefertigten Tieren, die Hephaistos erschuf, ist in Homers Odyssee zu finden (7.91 – 98). Es geht hier um ein Paar Hunde, der eine aus Silber, der andere aus Gold, die den prächtigen Palast des Alkinoos, des mythischen Königs der Phäaken, beschützen, einer geheimnisvollen und zugleich fortschrittlichen Kultur. Odysseus bewundert diese wilden Wachhunde, „ersonnen vom klugen Schöpfer Hephaistos“ (7.92), die die reich geschmückten Eingangstore bewachen. Homer beschreibt die stets wachsamen Hunde als ewig: „Niemals sollten sie sterben noch altern alle Tage“ (7.94). Einige interpretieren diesen Mythos in dem Sinne, dass die Doggen sich bewegen könnten, um anzugreifen und sogar Eindringlinge zu beißen. Das ist aber nicht klar, und Homer sagt auch nicht, wie das möglich wäre. Einer weiteren mythischen Überlieferung zufolge hätten diese goldenen und silbernen Hunde einst dem Gott Poseidon geholfen, der sie dann Alkinoos gab.17 Drei Versionen einer zuvor unbekannten mythischen Überlieferung um einen bronzenen Löwen, den Hephaistos schuf, damit er die Insel Lesbos bewachte, tauchten 1986 auf: auf einem stark beschädigten Papyrus-Fragment aus dem 2. Jh.  n.  Chr. Die früheste Quelle dieses Fragments scheint ins 3. Jh.  v.  Chr. zu datieren. Wie der Papyrus besagt, war der Bronzelöwe an der Küste der Insel Lesbos versteckt, die er gegen Angriffe vom kleinasiatischen Festland her verteidigen sollte. Die Geschichte stimmt mit der antiken und mittelalterlichen Überzeugung überein, dass Bronzestatuen als Wächter und „magische Schilde“ dienen konnten (siehe Kapitel 1). Einige Statuen wie Talos und der goldene Hund wurden darüber hinaus als „belebt“ (empsychos) beschrieben. Die Löwenstatue von Lesbos wurde in zwei Schritten gefertigt, was an die „Seele“ denken lässt, die in dem von Nikander erwähnten Bronzehund steckte. In diesem Fall goss Hephaistos den hohlen Lö-

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wen und fügte danach „belebende“ Pharmaka (kräftige Substanzen) ein. Diese waren „der Menschheit nützlich“.18 Dieser Vorgang erinnert daran, wie Medea starke Pharmaka in die hohle Bronzestatue der Artemis goss (siehe Kapitel 2), sowie an die innere Lebenskraft, die Talos in Form von Ichor eingepflanzt wurde (siehe Kapitel 1). Es fällt auf, dass der künstliche „belebte“ Löwe das erste Robotik-Gesetz des Science-Fiction-Autors Isaac Asimov (1942) vorwegnahm: Ein Roboter darf Menschen keinen Schaden zufügen. Diese Regel – von Talos und anderen antiken Automata gebrochen  –  klingt bei modernen Experten nach, die sich mit der Ethik der Robotik und Künstlichen Intelligenz befassen. In den 23 Asilomar AI Principles zur Sicherstellung ethischer menschlicher Werte bei Künstlicher Intelligenz (aufgestellt vom Future of Life Institute im Januar 2017 im kalifornischen Asilomar-Konferenzzentrum) besagt die letzte Regel, dass „Superintelligenz nur  …  zum Wohle der Menschheit entwickelt werden sollte“.19 Als die Göttin Thetis ihn in seiner Schmiede bei der Arbeit unterbricht, ist Hephaistos mit einem Projekt von „hohem künstlerischem Anspruch“ beschäftigt. Er schmiedet 20 bronzene Kessel mit jeweils drei Beinen auf goldenen Rädern und ist gerade dabei, die Griffe zu befestigen. Bronzene Dreibeine für Becken oder Kessel waren in der klassischen Antike allgegenwärtige Alltagsmöbel. Zeremonielle, verzierte Dreibeine wurden gern in Tempeln geweiht oder als Preise und Geschenke vergeben. Solche besonderen Sets aus Dreibeinen, wie Hephaistos sie anfertigte, konnten selbständig fahren: automatoi. Sie brachten auf Bestellung Nektar und Ambrosia zu den Banketten der Götter und kehrten danach zu Hephaistos zurück (Homer, Ilias 18.368–380). Anders als in den antiken Beschreibungen von Talos finden wir bei Homer keine inneren Mechanismen für die Dreibeine beschrieben, doch diese Produkte entsprechen der Definition von Maschinen insofern, als sie von selbst fahren und die Richtung ändern können. Die Abschnitte über die Dreibeine und die sich automatisch öffnenden Tore des Olymp (Ilias 5.749 und 18.376) sind die frühes-

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ten Belegstellen für das altgriechische Wort automaton, „nach eigenem Willen handelnd“. Im 4. Jh.  v.  Chr. zitierte Aristoteles diese homerischen Verse und nannte die Dreibein-Wagen ebenfalls Automata (Politik 1.1253b). Später berichtete dann Philostrat (170–245   n. Chr.), der umherziehende Weise Apollonios von Tyana habe im 1. oder 2. Jh.  n.  Chr. viele erstaunliche Dinge in Indien gesehen (Leben des Appollonios von Tyana 6.11). Zu diesen Thaumata, „Wundern“, gehörten auch die tripodes de automatoi und automatische Becherträger bei königlichen Banketten. Einige Historiker erinnern die selbstfahrenden Dreibeine, die die olympischen Götter bedienten, an heutige selbstfahrende, arbeitssparende Maschinen, fahrerlose Autos sowie Militär- und Industrieroboter. Homers Mythos verdeutlicht uns noch einmal, dass der Impuls, „zu automatisieren“, schon sehr alt ist.20 Aus der antiken griechischen Kunst, soweit sie bis heute erhalten ist, kennen wir keine Dreibeine mit Rädern, und auch archäologische Beispiele haben wir nicht. Jedoch wurden viele kunstvoll verzierte vierrädrige Bronzewagen, die Kessel transportierten, im Mittelmeerraum ausgegraben. Sie stammen aus der Bronzezeit (13. – 12. Jh.  v.  Chr.). Aus heutiger Warte könnte man über Schienen, Federn, Hebel, Leinen, Flaschenzüge, Gewichte, Kurbeln oder Magneten als einleuchtende Betriebssysteme für selbstfahrende Dreibeine spekulieren, die sich in etwa so verhalten würden wie die in Homers Passus über Hephaistos. Tatsächlich kann man sich im Museum für altgriechische Technologie „Kostas Kotsanas“ (nahe Pyrgos, Griechenland) ein hypothetisches Arbeitsmodell eines automatischen Dreibeins auf Rädern anschauen. Das Modell arbeitet mit Hirsekörnern, Gewichten, Seilen und Querstiften, also mit Techniken, die von späteren antiken Ingenieuren in Alexandria, Philon und Heron (siehe Kapitel 9), entwickelt wurden.21 Im 3. Jh.  v.  Chr. war das ägyptische Alexandria mit seiner großen Bibliothek und der Mouseion genannten Forschungseinrichtung ein Zentrum für mechanische Innovationen. Vielleicht von Hephaistos’ Diener-Dreibeinen aus der Ilias inspiriert, erfand Philon (ein in By-

Hephaistos

zantion geborener griechischer Ingenieur, der in Alexandria lebte) dort ein Automaton in Gestalt einer Frau, die Wein servierte. Dieser Roboter konnte sich nicht im Raum bewegen, hätte aber leicht auf Räder gestellt werden können, um auf einem Gefälle zu rollen. Ein solcher Entwurf wäre mit Materialien, Fähigkeiten und Technologie aus der Antike durchaus realisierbar gewesen.22 Die arabische Abhandlung von al-Dschazarī (geb. 1136) aus dem Jahr 1206 beschreibt einen ähnlichen weiblichen Diener-Automaten. Al-Dschazarī war ein produktiver praktischer Ingenieur und lebte zur Zeit der islamischen Artukiden-Dynastie in der östlichen Türkei. In seinem Entwurf wird Flüssigkeit in ein hoch angebrachtes Gefäß gegossen und rinnt von dort so lange in eine Schale, bis sich diese neigt und einen Becher in der Hand der Dienerin füllt. Das Gewicht des Bechers lässt dann die Dienerin auf Rädern eine schiefe Ebene bis zum Trinkenden hinabrollen (weitere historische selbstfahrende Geräte und Automata werden in Kapitel 9 diskutiert).23 Der springende Punkt solcher Ideen in der griechischen Mythologie ist, dass sich selbst bewegende Dreibeine und ähnliche Erfindungen zur Zeit Homers, vor mehr als 2500 Jahren, bereits denkbar waren, auch wenn die entsprechende Technologie noch nicht beschrieben oder bekannt war.24 Rollende Dreibeine fehlen zwar in der griechischen Kunst, es gibt aber eine aufschlussreiche Abbildung eines fliegenden Dreibeins, und zwar auf einem schönen Vasenbild von ca. 500 bis 470  v.  Chr., geschaffen von einem begabten und produktiven Künstler, der als der Berlin-Maler bezeichnet wird (Abb. 7.10). Die Szene zeigt den Gott Apollon, wie er auf einem geflügelten Dreibein über das Meer fliegt, aus dem Delphine hochspringen. Man wusste, dass die Apollon-Priesterin im Orakel von Delphi auf einem besonderen Dreibein saß, während sie in prophetischer Trance versunken war. In der Antike ging die Legende von einem schönen goldenen Dreibein um, das von Hephaistos hergestellt worden war und Helena von Troja gehörte. Es war vom delphischen Orakel für „den weisesten Menschen“ bestimmt. Nach dem Orakel reiste das Dreibein aus eigener Kraft zu

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Abb. 7.10: Apollon fliegt auf seinem Dreibein über das Meer mit Delphinen und anderen Meerestieren; attischrotfigurige Hydria des BerlinMalers, um 500 – 480 v. Chr.

diesem Menschen. Es wurde zunächst unter den Sieben Weisen herumgereicht und schließlich Apollon gewidmet.25 Könnte diese merkwürdige Legende mit dem Vasenbild mit Apollons Dreibein in Zusammenhang stehen, das hier „in eine phantastische Flugmaschine verwandelt“ ist? Die Abbildung ist einzigartig, und der Mythos, den sie zeigt, ist uns nicht bekannt.26 Ein solches Gerät hätte aber von Hephaistos entwickelt worden sein können, da er bereits das goldene Dreibein, den besonderen Stuhl für seine Mutter und die Flotte selbstfahrender Dreibeine für die Götter hergestellt hatte. Tatsäch-

Hephaistos

lich belegen viele Hinweise in antiker Literatur und bildender Kunst, dass die Idee fliegender „Maschinen“, hier in Form von Streitwagen mit Rädern, durchaus geläufig war. Drei von den vielen Vasen, die diese fliegenden Sessel bzw. Streitwagen aufweisen, stammen vom Berlin-Maler. Das früheste bekannte Beispiel  –  eine Vase von ca. 525  v.  Chr.  –  wird jedoch dem Ambrosios-Maler zugeschrieben. Die Szene zeigt Hephaistos, wie er selbst in einem fahrbaren Sessel bzw. Streitwagen mit Flügeln sitzt. Es handelt sich offenbar um eine weitere unbekannte Geschichte (Hephaistos lahmte, wie wir wissen). Weitere Vasen zeigen Triptolemos, der als einziger Mensch zusammen mit Demeter und Persephone zu den Eleusinischen Mysterien gehörte. Im Mythos schickt die Göttin Triptolemos los, das Wissen um die Landwirtschaft auf der Erde zu verbreiten: Er reist in einem durch die Luft fliegenden Sessel. Auf den Vasen sitzt er in diesem zweirädrigen Sessel-Streitwagen bzw. ist gerade dabei, diesen zu besteigen (Abb. 7.11). Unter den vielen antiken Quellen befindet sich ein Fragment von Sophokles’ verlorenem Theaterstück über Triptolemos (aus dem Jahr 468  v.  Chr.), das beschreibt, wie er in seinem Sessel fliegt. Flügel werden in den schriftlichen Quellen nicht erwähnt; erst Vasenmaler fügten sie später hinzu, um den Flug darzustellen. Wir können annehmen, dass auch die Flügel an den fliegenden Maschinen von Apollon und Hephaistos andeuten sollten, dass diese Wunderfahrzeuge selbstbewegend und flugfähig waren.27 Die Dreibeine des Schmiedegottes waren geistlose Maschinen. Doch Hephaistos stellte auch wundersame Automata in Gestalt von Menschenwesen und mit besonderen Fähigkeiten her. Ein Beispiel findet sich in einem Fragment eines ansonsten verlorenen Gedichts von Pindar. Dort wird berichtet, wie Hephaistos für Apollon, den Gott der Musik, in Delphi einen Bronzetempel errichtete. Der Giebel dieses Tempels war geschmückt mit den Keledones chryseai, „goldenen Sirenen“: sechs goldenen Frauenstatuen, die singen konnten. Im 2. Jh.  n.  Chr. wollte der griechische Reisende Pausanias (10.5.12) wissen, ob die singenden Statuen tatsächlich existieren. Er suchte

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Delphi auf, erfuhr dort aber, dass der bronfliegenden Sessel zusammen mit zene Tempel und die Statuen schon vor langer Zeit entweder während eines Erdbebens Kore/Persephone; attisch-rotin eine Erdspalte gestürzt oder in einem Feufigurige Schale des AberdeenMalers, aus Vulci, um 470  v. Chr. er geschmolzen seien.28 Eine weitere Gruppe von Automata des Hephaistos stellt, was die Nachbildung naturgetreuer Humanoiden anbelangt, einen erstaunlichen „Entwicklungssprung“ dar.29 In der

Abb. 7.11: Triptolemos in seinem

Hephaistos

Szene der Ilias über den Besuch von Thetis in Hephaistos’ Schmiede bemerkt die Göttin etwas Erstaunliches: eine Reihe selbstbewegender, denkender, weiblicher Automata, die Hephaistos zur Hand gehen. Diese Assistentinnen übertreffen die Funktionsweise der automatischen Tore, reisenden Dreibeine, singenden Statuen auf dem Dachgiebel in Delphi und sogar von Talos, dem Bronzewächter, der eine gewisse Handlungsfähigkeit und ein Bewusstsein zu haben schien. „Jungfrauen stützten den Herrscher, goldene, Lebenden gleich, mit jugendlich reizender Statur: Diese haben Verstand in der Brust und redende Stimme, haben Kraft, und lernten auch Kunstarbeit von den Göttern. Schräge vor ihrem Herrn eilten sie hin.“ (Ilias 18.410–425) Wie Philostrat es mehrere Jahrhunderte später beschrieb (Leben des Apollonios von Tyana 6.11), „baute Hephaistos Jungfrauen aus Gold (und) ließ das Gold atmen“. Diese humanoiden Helferinnen waren aber nicht nur ultrarealistische „lebende Statuen“ aus Gold mit der Fähigkeit zur Bewegung. Denn Hephaistos erbaute die mechanischen Dienerinnen und gab ihnen danach „Intellekt … Verstand … Stimme … Kraft“ (noos, phrenes, aude, sthenos) sowie die Fertigkeiten und das Wissen der unsterblichen Götter.30 Diese goldenen Assistentinnen von Hephaistos konnten sich also nicht nur spontan bewegen, sondern auch seine Bedürfnisse erahnen und ihnen nachkommen. Und sie waren mit menschlichen Merkmalen ausgestattet: Bewusstsein, Intelligenz, Lernfähigkeit, Verstand und Sprache. (Die Menschen auf dem fabelhaften Schild von Achill waren mit den gleichen Fähigkeiten ausgestattet, wie bereits gezeigt.) „Die goldenen Jungfrauen des Hephaistos setzen den Standard für künstliches Leben“, bemerkt ein Forscher für klassische und moderne Science-Fiction. Mit „menschlicher Intelligenz und ebensolchen Körpern, die von echten nicht zu unterscheiden sind“, waren sie insofern außergewöhnliche „göttliche Artefakte, als sie aus Metall bestehen, dabei aber menschenähnliche Fähigkeiten besitzen“. Die mythischen goldenen Helferinnen scheinen moderne Vorstellungen von gedankengesteuerten Maschinen und KI vorwegzunehmen. Wie andere Automata von Hephaistos

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bleibt aber ihre innere Funktionsweise eine geheimnisvolle Black Box.31 Die menschenähnlichen Eigenschaften der goldenen Jungfrauen könnten auch als antike Version von „Künstlicher Intelligenz“ verstanden werden.32 Tatsächlich besitzen sie nach Aussage von KI-Spezialisten „erweiterte Intelligenz“, die auf „Big Data“ und „maschinellem Lernen“ beruht. Es scheint beinahe wie ein mythischer Overkill, wie die weiblichen Androiden in der Ilias als eine Art Speicher für alles göttliche Wissen dargestellt werden.33 In heutigen Zusammenhängen benötigen KIs für bestimmte Aufgaben gewöhnlich nur diejenigen Information, die für eine effiziente Lösung eines bestimmten Problems jeweils nötig sind, keinen riesigen, undifferenzierten „Datenvorrat“. Sie müssen in der Lage sein, nützliches Wissen gezielt abzurufen. Doch ebenso wie es für heutige Entwickler von KI schwierig ist, genau vorherzusehen, welches Wissen für komplexe Aufgaben relevant ist oder sein wird, glaubte auch der homerische Mythos, die Götter würden die wunderbaren Automata von Hephaistos mit einer Fülle göttlichen Wissens ausstatten.34 Die in der Ilias beschriebenen Automata sind nicht die einzigen selbstbewegenden Objekte der antiken Literatur, denen eine Form von Intelligenz und Handlungsfähigkeit zugeschrieben wurde. So kann zum Beispiel in der Argonautica ein übernatürlicher Eichenbalken in Iasons Schiff, der Argo, sprechen und weissagen. Noch überzeugender im Sinne einer antiken Version von KI sind die auffälligen Schiffe der Phäaken, der Bewohner des technologisch weit fortgeschrittenen Landes, auf das Odysseus in Homers Odyssee (7 – 8) stößt. Phäakische Schiffe brauchen keine Ruderer, Steuermänner noch Navigatoren, sondern werden allein mittels Gedanken gesteuert. Laut dem homerischen Mythos werden sie von einer Art Zentralsystem gelenkt, mit Zugang zu einem riesigen Datenarchiv „virtueller“ Land- und Navigationskarten der gesamten antiken Welt. König Alkinoos rühmt sich damit, dass seine unsinkbaren Schiffe unter allen Wetter- und sonstigen Bedingungen auf See große Entfernungen zurücklegen und noch am selben Tag in seinen Ha-

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fen zurückkehren könnten. Die Schiffe „wissen von selbst die Gedankengänge der Männer“, erklärt Alkinoos. „Und sie kennen die Städte und üppigen Felder von allen Menschen und durchbohren geschwind die Schlünde des Meeres, auch eingehüllt in Nebel und Wolken fürchten sie niemals, dass sie irgendwie beschädigt werden oder zugrunde gehen“ (18.559–563). Um Odysseus zurück nach Ithaka zu bringen, sei Folgendes nötig, so Alkinoos: „Sage mir nun dein Land, dein Volk und deine Geburtsstadt, dass die Schiffe dorthin die Gedanken richtend dich bringen“ (18555–556). Odysseus wundert sich über den festen Kurs des phäakischen Schiffes ohne Steuermann, das ihn so schnell wie ein Falke über das Meer zu seiner Heimatinsel bringt. Die Analogie zum heutigen GPS (Global Positioning System), zum Autopilot und anderen Navigationssystemen ist nicht zu übersehen.35 In einer Reihe ägyptischer Berichte finden wir Schiffe, die von künstlich belebten Ruderern gesteuert werden, und zwar auf Fragmenten volkstümlicher Papyrusseiten aus ptolemäisch-römischer Zeit (4. Jh.  v.  Chr. bis 4. Jh.  n.  Chr.). Einige dieser Geschichten aus der Zeit des Pharaos Ramses II. berichten, wie böse Zauberer Wachsmodelle von Schiffen und Ruderern anfertigten und diesen befahlen, bestimmte Aufgaben auszuführen. Interessanterweise waren die Ruderer nicht nur belebt, sondern offenbar auch zu unabhängigem Denken und Handlungen in der Lage, während sie ihre Missionen erfüllten.36 Hephaistos’ selbstfahrende Dreibeine und automatische Dienerinnen haben das Interesse von Robotik-Historikern geweckt. Ihr Glanz überstrahlt noch eine weitere Gruppe automatisierter Gegenstände, die weniger Aufmerksamkeit erhielten, obwohl auch sie eine bestimmte Arbeit in Hephaistos’ Schmiede ausführten:37 Die in der Antike erfundene Blasebalg-Technologie, durch die eine erhöhte Luftzufuhr und damit eine Steigerung der Verbrennungshitze möglich war, war entscheidend für die Entwicklung der Metallurgie, die extrem heißes Feuer benötigt. An späterer Stelle in der Ilias (18.468 – 474) setzt Hephaistos 20 Blasebälge in Bewegung, die anschließend

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von allein tätig sind und sich auf seine Wünsche einstellen. In der Szene wendet Hephaistos die Blasebälge „gegen das Feuer und hieß sie am Werke zu schaffen. Unter die Tiegel bliesen die Bälge, insgesamt 20, allerhand glutentfachenden Hauch aus dem Innern stoßend, hier den Geschäftigen so und dort bald so zu dienen, wie es Hephaistos wollte, auf dass er das Werk vollende.“ Wie die automatischen Türen am Olymp, die sich von selbst öffnen und schließen, die fahrenden Dreibeine und die goldenen Jungfrauen, sind auch die automatischen Blasebälge imaginäre, mechanische, arbeitssparende Maschinen. Sie verrichten Arbeiten, die andernfalls von menschlichen Hilfskräften oder Sklaven ausgeführt worden wären.38 Einer der wesentlichen Beweggründe für die Erschaffung von Maschinen und Robotern ist ihre Wirtschaftlichkeit. Dadurch, dass sie Arbeiten mechanisch ausführen, befreien sie ihre Herren von lästiger Mühe. Diese Idee brachte Aristoteles um 322  v.  Chr. dazu, über die sozioökonomischen Implikationen von Erfindungen zu spekulieren, zum Beispiel über jene, die in griechischen Mythen um Automata beschrieben werden (Politik 1.3–4). Zunächst vergleicht Aristoteles menschliche Sklaven mit Werkzeugen oder Automata, die den Willen ihres Herrn ausführen. Um gut zu leben, so Aristoteles, hängt man von „Werkzeugen ab. Werkzeuge sind nun entweder leblos oder belebt“. Für den „Steuermann ist zum Beispiel das Steuerruder ein lebloses, dagegen der Untersteuermann auf dem Vorderschiff ein lebendes (Werkzeug)“. Aristoteles fährt fort: „Der Sklave ist ein belebtes Stück Besitz, und jeder dienende Gehilfe ist gleichsam ein Werkzeug, das jedes andere Werkzeug übertrifft.“ Aristoteles’ Ausführungen sind Teil seiner Verteidigung der Sklaverei. Doch dann lässt er sich in einem Absatz auf ein Gedankenexperiment ein, das einen Zustand aufzeigt, der die Sklaverei ausschließt. „Wenn nämlich jedes Werkzeug auf Geheiß oder mit eigener Voraussicht seine Aufgabe erledigen könnte“, wie die Statuen von Daedalus oder die Dreibeine von Hephaistos  –  von denen der Dichter uns berichtet, sie könnten sich nach eigener Übereinkunft zur Versammlung der Götter bewegen  –, und wenn auf die-

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se Weise „die Weberschiffchen von allein die Webfäden durchteilen und die Schlagplättchen Kithara spielen, dann bräuchten die (planenden und beaufsichtigenden) Meister keine Gehilfen und die Herren keine Sklaven.“39 Heute ist die antike Spekulation, dass Maschinen viele Menschen von Arbeit befreien und Sklaven ersetzen könnten, in weiten Teilen der Welt bereits Realität geworden. Ironischerweise bedrohen nun aber Industrieroboter-Technologien den Lebensunterhalt menschlicher Geldverdiener oder lassen gar Massen von Arbeitslosen zurück. Heute entwerfen albtraumhafte Dystopien Szenarien einer neu entstehenden „Dienerklasse“ automatischer Sklaven, die am Ende rebellieren werden. Die Vorstellung, dass die Schöpfungen höherer Herren sich gegen ihre Schöpfer erheben, ist ebenfalls sehr alt. Mehr als 2000 Jahre, bevor Karel Čapek das Wort Robota (Westslavisch für „Sklaverei“) prägte, war die Verbindung zwischen Sklaverei und Robotern schon bei Aristoteles zu erkennen. Das Gleiche gilt für Sokrates’ Bemerkungen über das Anbinden lebender Statuen, damit sie nicht entkommen und für ihre Herren nutzlos werden wie entlaufene Sklaven (siehe Kapitel 5). Dieses Thema greift Jo Walton in seiner scharfsichtigen und in der Antike spielenden Science-Fiction-Trilogie auf, in der die Göttin Athena experimentell eine Stadt gründet, die auf Platons Staat basiert. Athena importiert Roboter aus der Zukunft, um sie als geistlose Arbeitssklaven einzusetzen, doch Sokrates entdeckt, dass diese Roboter nicht nur über Bewusstsein verfügen, sondern auch nach Freiheit verlangen.40 Heutige Historiker, die sich mit Robotik und künstlichem Leben beschäftigen, haben bislang nur oberflächlich die Frage gestellt, ob die mythischen, sich bewegenden Statuen von Menschen und Tieren, die fahrerlosen Dreibein-Wagen, die singenden Statuen und beweglichen Diener, die von Hephaistos und anderen Bronzegießern hergestellt wurden, als mechanische Automata gelten sollten. So behauptet etwa Berryman, Hephaistos’ goldene Dienstmädchen und die Dreibeine könnten nicht als Produkte „materieller Technologie“ verstanden werden, weil „die Technologie zur Zeit Homers“ nicht

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fortschrittlich genug war, als dass wir die Vorstellung selbstbewegender Automata ernsthaft in Erwägung ziehen könnten. „Es mag verführerisch sein, Berichte über [antike] Statuen, die sich bewegen, als Vorwegnahme moderner Roboter zu sehen“, schreibt sie, doch das ist „nicht verbürgt, es sei denn, es gäbe Beweise für eine Technologie, die bereits verfügbar“ gewesen wäre und derartige Dinge vorstellbar gemacht hätte (Berryman übersieht hier das Bronze-Automaton Talos).41 Truitts Geschichte mittelalterlicher Roboter behandelt kurz Hephaistos’ Dreibeine und goldene Gehilfinnen, nicht aber Talos.42 In seiner Diskussion der vier Kategorien von Automata in der griechischen Mythologie erwähnt Kang die selbstfahrenden Dreibeine, lässt aber das wichtigere Beispiel der weiblichen Automata des Hephaistos aus, die mit Geist, Stärke, Wissen und Stimme ausgestattet sind.43 Die erwähnten Automata sind natürlich im mythischen Kontext angesiedelt, und ihre Arbeitsweise ist in den erhaltenen antiken Texten nicht vollständig dargelegt, doch man sollte darüber nachdenken, wie man sich derartige Wesen vorstellte und wie sie in antiker Literatur und Kunst visualisiert wurden. Allerdings ist das schriftliche Material über mythische Automata, das sich bis heute erhalten hat, unvollständig und oft widersprüchlich. Auch die überlieferten bildlichen Zeugnisse stellen nur einen winzigen Teil dessen dar, was in der Antike tatsächlich existierte. Dennoch lohnt es sich, so viele Informationen wie möglich über Automata von den Zeiten Homers bis zur spätrömischen Epoche zu sammeln, um möglichst vollständig nachvollziehen zu können, wie sich die Völker der Antike künstliches Leben vorstellten. Alle tierischen und menschlichen Wesen, die als künstlich geschaffen beschrieben wurden  –  im Gegensatz zu biologisch geborenen  –, waren Produkte dessen, was man als Biotechne bezeichnen könnte, als Leben durch Handwerk. Deshalb verdienen sie eine ernsthafte Beachtung als früheste Vorstellungen künstlichen Lebens. Zudem wurden die vielen Veranschaulichungen künstlichen Lebens in den mythischen Werken der Antike zu einem guten Zweck eingesetzt: Sie provozierten und regten dazu

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an, über alternative Welten nachzudenken, was wiederum ethische und philosophische Fragen über menschliche Handlungsfähigkeit und Sklaverei aufkommen ließ. Die bis heute überlieferten Belege in Literatur und bildender Kunst  –  auch wenn sie nur einen Bruchteil dessen darstellen, was einst existierte  –  zeigen, dass schon seit den allerersten griechischen Schriften zur Zeit Homers und Hesiods die Menschen von belebten Statuen und selbstbewegenden Apparaten träumten. Die Mythen machen zudem deutlich, dass Automata durchaus denkbar waren  –  lange, bevor Technologie sie Realität werden ließ. Manche, aber nicht alle lebensechten Nachbauten wurden durch mystische göttliche Kraft zum Leben erweckt, so wie Pygmalions Elfenbein-Jungfrau. Doch wie wir gesehen haben, wurden viele andere selbstbewegende „Maschinen“ und künstliche Wesen in Mythos und Legende von Erfindern geschaffen, die für ihr technologisches Können und ihren Einfallsreichtum im Umgang mit Ton und Metall berühmt waren. Offensichtlich konnten die Menschen vor fast 3000 Jahren in den Begrifflichkeiten des Mythos bereits ihre Vorstellung einer außergewöhnlichen Technologie ausdrücken, mit der man aus bekannten Materialien und mit bekannten Werkzeugen und Prozessen belebte Objekte herstellen könnte, natürliche Formen nachahmend, aber eben mit Merkmalen und Arbeitsweisen jenseits bisherigen menschlichen Wissens. Um die Zeit, als Homer über Hephaistos’ intelligente goldene Jungfrauen auf dem Olymp schrieb, benutzte der Dichter Hesiod eine ähnliche Sprache, um deren Verwandte Pandora zu beschreiben. Auch sie war geschaffen, nicht geboren. Dieser Nachbau einer Frau wurde zur Erde hinab geschickt, zu einer göttlichen Mission.

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Pandora Schön, künstlich, böse Um die Sterblichen dafür zu bestrafen, dass sie das von den Göttern gestohlene Feuer angenommen hatten, ließ Zeus Hephaistos eine „Falle“ (dolos) in Gestalt einer begehrenswerten jungen Frau namens Pandora erschaffen. Dieser archaische Mythos wurde zum ersten Mal im 8. oder 7. Jh.  v. Chr. schriftlich festgehalten, und zwar in der Theogonie und in Werke und Tage, die beide Hesiod von Böotien zugeschrieben werden. Wenig überraschend ist, dass Prometheus, gewissermaßen der Anwalt der Menschheit, und sein gedankenloser Bruder in diesen Mythos über Zeus’ Vergeltung und Biotechne involviert sind. Als wir den beiden Titanen zuletzt begegnet sind, hatten sie gerade die ersten Menschen und Tiere geschaffen und, wie von Zeus verlangt, die natürlichen Eigenschaften an diese verteilt (siehe Kapitel 4). In diesem mythischen Kreislauf mit Zeus’ Rache an der Menschheit wurde Prometheus schließlich von dem Helden Herakles von dem Felsen befreit, an den er gekettet worden war. Prometheus und Epimetheus sind nun Verbündete und Gefährten der Erdlinge. Mit Voraussicht (und vernünftigerweise unter einem Verfolgungswahn) teilt Prometheus seinem impulsiven Bruder mit, er solle jegliches Geschenk von Zeus ablehnen. Getreu seinem Namen als der „danach Denkende“ vergisst der Bruder die Warnung aber.1 Fassen wir die Geschichte noch einmal zusammen: Zeus, der wegen des Feuerdiebstahls tobt, überlegt, wie er einen ewigen Fluch

Pandora

Abb. 8.1: Hephaistos erschafft Pandora; auf dieser modernen neoklassischen Gemme wird der Pandora-Mythos wie von Hesiod beschrieben gedeutet; der letzte polnisch-litauische König Stanislas Poniatowski (1754–1833) gab das Werk in Auftrag.

aussprechen könnte, allerdings in Gestalt eines Geschenks an die Menschen (kalon kakon: ein „schönes Übel“), und zwar mithilfe des Schmiedegottes Hephaistos. Dieser erschafft eine künstliche Frau, ein Scheinbild einer Frau. Athena und die anderen Götter tragen zu deren Entstehung bei, daher deren Name Pandora, der entweder „Allgebende“ oder „Allbegabte“ bedeuten kann. Mit ruchlosen Gaben zur Erde geschickt  –  einem Schwarm böser Geister, der in einer Büchse eingesperrt ist  –, wird Pandora zur Quelle aller Missgeschicke und Sorgen, die die Sterblichen zu erdulden haben.2 Wie in der Erzählung des Alten Testaments um Eva und die Schlange gibt der Pandora-Mythos einer Frau als Verursacherin die Schuld an allen Menschheitsnöten. Dieses Deutungsmuster hat mit Blick auf Religion und Moral viel Diskussion hervorgerufen, über das Patriarchat und das Geschlechterverhältnis in antiken und modernen Kulturen. Beide Geschichten werfen grundlegende Fragen hinsichtlich Theodizee, der Existenz des Bösen und der göttlichen Allwissenheit und Einmischung auf, wie auch Fragen zur Autonomie, zur Versuchung und zum freien Willen der Menschen.3 Zwischen den beiden Überlieferungen gibt es allerdings erhebliche Unterschiede. In der Genesis wird Eva als Zweite erschaffen, als Hilfe für den ersten, einsamen Mann Adam. Der Schöpfer erschafft Eva aus Adams Rippe und verbietet dem Paar, eine bestimmte Frucht zu

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essen, womit er eine Kette von Ereignissen in Gang setzt, die letztlich zur Ursünde der Sterblichen führt. Im griechischen Mythos dagegen, wie er von Hesiod und anderen berichtet wird, ist Pandora ein verführerischer Kunstgriff, den Zeus absichtlich und mit Schadenfreude gegen die Menschheit einsetzt. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Eva und Pandora besteht zudem darin, dass Pandora nicht ins Leben gerufen, sondern vom Gott des Handwerks konstruiert wurde  –  von Hephaistos, der noch weitere geniale Automata baute (siehe Kapitel 7). In der Tat stellen alle Versionen der griechischen Geschichte Pandoras „geschaffene“ Natur heraus, worauf viele Altphilologen hingewiesen haben. Pandoras Herstellung und ihre Künstlichkeit stehen auch im Fokus antiker bildlicher Darstellungen.4 Die Kurzversion dieses Mythos nach Hesiods Theogonie (507–   616): Hephaistos formt nach Zeus’ Befehl das Abbild eines heiratsfähigen Mädchens. Auf ihrem Haupt befestigt er eine prächtige Goldkrone, die mit Daedala verziert ist, aufwendig gearbeiteten Miniaturen von See- und Landungeheuern, die so lebensecht gestaltet sind, dass sie zu brüllen und sich zu krümmen scheinen. Diese besondere Krone erinnert an Daedalus’ spektakuläre Darstellung, die Hephaistos auf dem herrlichen Schild Achills schuf, sowie an die lebendig wirkenden Bilder, die Odysseus in der Unterwelt erschrecken (siehe Kapitel 7 und 5).5 Dann kleidet Athena die namenlose Jungfrau mit einem schimmernden Gewand und einem Schleier ein und steckt ihr Frühlingsblumen ins Haar. Zeus’ Plan hängt von der ätherischen, körperlichen Schönheit des Mädchens und ihrer reichen Zierde ab, die die Sterblichen „täuschen“ soll. Als Zeus die vollständige Pandora einer Versammlung von Göttern und Menschen vorführt, sind alle von Ehrfurcht (Thauma) erfüllt. Ihre Reaktion  –  „von Verwunderung ergriffen“  –  erinnert an andere antike Beschreibungen der unheimlichen Gefühle, die bei Begegnungen mit übernatürlichen und zugleich realistischen Statuen empfunden wurden (siehe Kapitel 5).6 Diese „geschaffene Jungfrau als Geschenk von Zeus“ wird vom „törichten“ Epimetheus angenommen: Er begrüßt sie eilfertig in

Pandora

seinem Haus. Eine Büchse, die mit Katastrophen gefüllt ist, wird nicht erwähnt, und Pandora wird in der Theogonie auch nicht als erste Frau genannt. Hesiods Text ist im nun Folgenden von plumper Misogynie geprägt. Pandora wird als Prototyp einer nichts tuenden, habgierigen Frau dargestellt, die schmarotzerisch auf die Arbeit der Männer und deren Reichtum aus ist, wie eine Bienenkönigin, die den Nektar aufsaugt, der von den Arbeitsbienen gesammelt wird. Hesiod schließt mit einer Klage über den „verderblichen Stamm und die Gattung der Frauen“, die „bei den Männern leben“. Zeus habe „den sterblichen Männern als Übel die Frauen gegeben“. In Hesiods Schrift Werke und Tage ist die Passage über den Pandora-Mythos länger und dramatischer, und der Ton ist ein anderer (53– 105). Wieder wird Zeus als rachsüchtiger Tyrann gezeigt, der an seinem Plan, die Menschheit auf immer für das Geheimnis des Feuers bezahlen zu lassen, sein boshaftes Vergnügen findet. Er lacht laut, als er Hephaistos befiehlt, einen Androiden in Gestalt einer verführerischen Jungfrau zu erschaffen, die den Männern den Untergang bringen wird, weil ihr Charme Lust und Liebe aufkommen lässt. Hephaistos formt Ton zur Gestalt einer jungen Frau mit dem Glanz einer unsterblichen Göttin. Wie Pygmalions Elfenbein-Jungfrau übertrifft auch die „geschaffene Pandora“ die Schönheit aller sterblichen Frauen, die je geboren wurden. Hesiods Beschreibungen machen klar, dass Pandora keine wirkliche Frau ist, sondern ein „konstruierter Gegenstand“.7 Zeus weist Hephaistos an, dieser bezaubernden Version einer Frau die Fähigkeit zu verleihen, sich selbst zu bewegen, und ihr menschliche Stärke und eine Stimme zu geben. Danach treten olympische Gottheiten vor und spenden ihrerseits besondere Gaben, Fähigkeiten und persönliche Züge, wie von Zeus befohlen. Athena lehrt Pandora Geschicklichkeit und kleidet sie in blendend schöne Gewänder; die Grazien und Peitho (die Göttin der erotischen Überredung) geben ihr Charme und die Macht der Überredung, während Aphrodite sie mit unwiderstehlichem Sexappeal ausstattet (Pandora erregt Pothos, „schmerzliches Verlangen und Sehnsucht“). Hermes,

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der trickreiche Götterbote und Gott der Diebe und Verstöße, verleiht Pandora eine schamlose, Pandora dem Epimetheus; Abguss einer modernen, neoverschlagene Natur und hinterlistige Sprache. Er ist auch, der sie „Pandora“ nennt, „wegen all ihklassischen Gemme, die im Auftrag des letzten polnischrer Gaben, die die Götter ihr haben zuteilwerden lassen, auf dass sie die Menschheit ruiniere“.8 litauischen Königs StanisNun hat er „vollendet die List“, schreibt Hesiod, las Poniatowski (1754–1833) und der „Vater“ schickt den „schnellen Boten hergestellt wurde; der Pandora-Mythos wurde hier wie der Götter“, Hermes, diese Gabe Epimetheus zu präsentieren. von Hesiod beschrieben geEpimetheus hält Pandora für eine echte Frau. deutet. Diese Geschichte ruft uns noch einen weiteren Mythos über einen raffinierten Trick ins Gedächtnis, über eine Gabe, die in Wahrheit gefährlich war: das Trojanische Pferd. Einige Versionen der Geschichte um das Trojanische Pferd, das von den Griechen erbaut und den Trojanern als Kriegslist präsentiert wurde, legen nahe, dass es zuweilen als belebte Statue aufgefasst wurde, mit beweglichen Gliedmaßen und Augen, die sich realistisch bewegten. Es ist auffällig, dass einige Erzählungen auch Wege aufzeigen, mit

Abb. 8.2: Hermes präsentiert

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denen man feststellen wollte, ob das wunderbare Pferd echt oder ein Kunstgriff war. Zu den Tests gehörte ein Stich in die Haut, um zu prüfen, ob es blutete. Es gab jedoch kein kompliziertes Rätsel und auch keine mythische Version des Turing-Tests, der den Sterblichen in der Antike geholfen hätte, „künstliche Intelligenz“ zu erkennen.9 Ohne Rücksicht auf die Warnung seines Bruders nahm Epimetheus das Geschenk an „und merkte das Übel erst, als er es hatte“, so Hesiod. Als ein Wesen, das geschaffen, nicht geboren wurde, ist Pandora unnatürlich. Da sie eine Replikantin ohne Vergangenheit ist, ist sie sich ihres Ursprungs und ihres Zweckes auf Erden nicht bewusst. Als eine „auf wunderbare Weise belebte Statue“ existiert sie zudem außerhalb der „natürlichen Kreisläufe“ von Geburt, „Reife und Verwesung“. Selbst die Götter, obgleich alterslos und unsterblich, wurden geboren, verfügen über Erinnerung und haben Nachkommen. Wie die vollkommene Jungfrau Galatea, die von Pygmalion geschaffen wurde, und die augenblicklich erwachsenen Replikanten in den Blade Runner-Filmen hat Pandora keine Eltern, keine Kindheit, keine Geschichte, keine Erinnerungen, keine emotionale Tiefe und keine Identität oder Seele. Obwohl sie manchmal für die „erste Frau“ gehalten wird, reproduziert sich Pandora nicht, sie altert und stirbt nicht.10 In tradierten Schöpfungsvorstellungen sind „alle Sterblichen (vom Wesen) Pandoras, das heißt, sie sind Produkte göttlicher Kunstfertigkeit“.11 Doch in der Vorstellung der griechischen Mythen wurde Pandora nicht als eine biologisch echte Frau betrachtet. Sie war die Kopie einer Frau; ein „wunderschönes“ Tongebilde in „Jungfrauen-Gestalt“, aus der gleichen Substanz und nach dem gleichen Verfahren geschaffen, das Handwerker benutzen, um Statuen und andere Gegenstände herzustellen. Pandora ist ein Abbild eines bewunderungswürdigen, vollkommenen Mädchens im heiratsfähigen Alter, aber mit wenig Intelligenz ausgestattet (Hermes gibt ihr „hündisches Trachten“: Hesiod, Werke und Tage 67). Es ist nicht klar, ob Pandora die Fähigkeit hat, zu lernen, auszuwählen oder autonom zu

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handeln. Ihre einzige Mission besteht darin, die Büchse mit sämtlichen menschlichen Missgeschicken zu öffnen. Die Ähnlichkeit zwischen Hephaistos’ Erschaffung Pandoras in den Gedichten Hesiods und Homers Beschreibung der ebenfalls von Hephaistos ersonnenen, sich selbst bewegenden, denkenden und sprechenden weiblichen Androiden in der Ilias ist auffällig, erst recht wenn man bedenkt, dass beide Werke ungefähr zur gleichen Zeit verfasst wurden. In beiden Fällen wird weder die innere Funktionsweise noch eine Mechanik beschrieben. Es ist aber auffällig, dass nach Hesiods Darstellung Pandora „im Grunde“ nicht von den von Homer beschriebenen goldenen Automata zu „unterscheiden ist“. Pandora „beginnt als inaktive Materie  –  in diesem Fall nicht Gold, sondern Ton“  –  und wird zu einer „humanoiden Maschine“, ausgestattet mit Geist, Sprache und Stärke, mit dem Wissen um ihre von den Göttern verliehene Verschlagenheit sowie der Fähigkeit, Aktionen einzuleiten.12 In antiken bildlichen Darstellungen des Pandora-Mythos stehen ihre Herstellung durch Hephaistos und die von den Göttern verliehenen Attribute im Mittelpunkt. Ein Beispiel dafür ist eine Amphore aus Kampanien, der Owl-Pillar-Gruppe zugeschrieben, einem Kreis etruskischer Künstler, die im 5. Jh.  v.  Chr. etwas klobige, zugleich aber bezaubernde Kopien attischer Vasen schufen. Auf einer Seite der Vase steht Zeus und blickt auf Pandoras Büchse (Abb. 8.11), auf der anderen Seite steht Hephaistos, auf seinen Hammer gestützt, neben der halbfertigen Pandora.13 Auf einer attischen Vase (Abb. 8.3; um 450  v.  Chr.) blickt ein bärtiger Mann, als „Epimetheus“ bezeichnet, verwundert zu Pandora, die ihren Kopf kokett nach hinten wirft und ihre Arme hochhält. Sie ist wie eine Braut geschmückt, doch ihr Auftreten ist nicht das einer bescheidenen Jungfrau. Beider Augen begegnen sich, und ein geflügelter Eros (er steht für Liebe bzw. sexuelles Begehren) fliegt in Epimetheus’ Richtung, was die sexuelle Anziehung zwischen beiden untermauert. Hinter ihnen schauen zwei Gestalten einander in die Augen: Hermes  –  der Pandora ihre bösen Eigenschaften verlieh  –  blickt ver-

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schwörerisch zurück zu Zeus. Die beiden Götter scheinen einander verschmitzt zuzulächeln, was den Betrachter an die vielen Betrügereien erinnern dürfte, die dem unglückseligen Epimetheus und der Menschheit bevorstehen.14 Ein Detail dieser Vase ist indes verwirrend: Warum trägt Epimetheus einen Hammer, das Attribut von Hephaistos? Eine weitere Vase aus

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Abb. 8.3: Rechts: Epimetheus und Pandora; links: Zeus und Hermes lächeln einander verschwörerisch zu; attisch-rotfiguriger Volutenkater, um 475–425  v. Chr., der Werkstatt um Polygnotos zugeschrieben.

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der Werkstatt um Polygnotos zeigt die obere Hälfte einer Frau, offenbar Pandora, flankiert von Satyrn mit Hämmern. Eine vergleichbare Szene finden wir auf einer Vase des Penthesilea-Malers aus dem 5. Jh.  v. Chr. Hier tanzen Satyrn und Pane um den Oberkörper einer jungen Frau – mutmaßlich Pandora. Ein Fries mit tanzenden Satyrn schmückt auch die majestätische Vase des Niobiden-Malers, die der Pandora-Mythos ziert  –  wir werden sie uns später noch ansehen. Warum Satyrn? Manche vermuten, diese Darstellungen könnten ein verschollenes Satyr-Spiel von Sophokles mit dem Titel Pandora bzw. Die Hammerschläger (Sphyrokopoi) wiedergeben. Diese athenische Komödie, die wir nur aus Fragmenten kennen, enthält eine Werkstattszene, in der einige Hammer schwingende Satyrn Hephaistos bei der Herstellung von Pandora helfen.15 Ein anderer wichtiger Aspekt hinsichtlich der beschriebenen Vasen: Pandoras Körper scheint aus dem Erdboden emporzusteigen. Doch Pandora ist weder eine Göttin der Unterwelt noch eine chthonische (erdverbundene) Gestalt. Vielmehr soll, wie manche folgern, die Darstellung der oberen Hälfte von Pandora verdeutlichen, dass sie mittels Hephaistos’ Handwerk aus Erde erschaffen wurde.16 Ähnliche Bilder auf den etruskischen Gemmen in Kapitel 6 stützen diese Deutung: Prometheus formt dort aus Ton den ersten Menschen. Die Gemmen-Künstler stellten nur dessen Oberkörper samt einem erhobenen Arm dar. Andere Vasenmaler betonten die Situation, in der Pandora  –  eine steife, statuenartige bzw. puppenhafte Erscheinung  –  von aktiven Göttern versorgt wird. Auf diesen Darstellungen wird Pandora gerade erschaffen und mit menschlichen Attributen versehen, ist aber noch nicht belebt oder in Bewegung versetzt. Eine schwarzfigurige Amphore, dem Diosphos-Maler (525–475  v. Chr.) zugeschrieben, scheint die älteste Darstellung der Pandora zu sein  –  so zumindest deutete Theodor Panofka die Szene, als die Vase 1832 erstmals publiziert wurde. In Abb. 8.4 sehen wir diese Amphore: Zeus hält eine kleine, puppenartige Frau in seinen Händen. Er scheint Hephaistos’ Werk zu

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bewundern. Eine Göttin hält in ihren Händen Kränze, die die Puppenfrau schmücken sollen, und Hermes geht nach rechts ab. Der Diosphos-Maler ist bekannt wegen seiner ungewöhnlichen Ikonographie. Zudem finden sich auf der Vase zwei Inschriften, die keinen Sinn ergeben,

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Abb. 8.4: Zeus hält Pandora; neben ihm stehen eine Göttin (Athena?) und Hermes; attisch-schwarzfigurige Amphore des Diosphos-Malers, um 525–475 v. Chr.

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was die Identifikation der Figuren erschwert. Adolf Furtwängler meinte 1885, die kleine steiuns Athena (links) legen fe Figur könnte Athena sein, wie sie vollständig letzte Hand an Pandora bewaffnet mit Helm, Speer und Schild aus Zeus’ (Mitte); attisch-rotfigurige Schale des Tarquinia-Malers, Haupt geboren wird. Doch anders als andere Vasenmalereien, die die Geburt Athenas zeiaus Nola, um 470–460  v. Chr. gen, hätte sie auf dieser Darstellung weder Helm noch Waffen. Stattdessen scheint es sich bei der Göttin, die der kleinen Gestalt Kränze präsentiert, um Athena zu handeln  –  auch auf anderen Vasenbildern schmückt sie Pandora (siehe Abb. 8.5 und 8.6). Die Anwesenheit von Hermes, dem Begleiter Pandoras, ist ebenfalls nicht unwichtig. Es ist also wahrscheinlich, dass diese Vase tatsächlich Pandora darstellt, wie von Panofka vermutet.17

Abb. 8.5: Hephaistos (rechts)

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In einer großen, flachen Schale (ca. 30 cm Durchmesser) des Tarquinia-Malers ist die Darstellung eindeutig (470–465  v.  Chr., Abb. 8.5): Wir sehen die Vervollständigung Pandoras. Dieses Gefäß war wahrscheinlich für eine Weihung in einem Athena-Tempel gedacht. Durch eine Beischrift erhält Pandora hier einen anderen Namen: Anesidora, „die, die Gaben verteilt“. Leider ist die schwarze, braune und purpurfarbene Malerei auf weißem Grund beschädigt, doch man erkennt noch, wie Pandora passiv wie „ein unbelebter, geschaffener Gegenstand“ zwischen den aktiven, größeren Göttern Athena und Hephaistos steht, die letzte Hand an ihre Schöpfung legen.18 Als „leblose“ Puppe, die Füße dicht beieinander und mit „schlaff am Körper herab hängenden“ Händen, hat Pandora den Kopf zu Athena gewandt.19 Athena schnürt die Schulterpartie von Pandoras Gewand, und Hephaistos setzt ihr eine Krone auf das Haupt (seinen gewohnten Hammer hält er in der linken Hand). Die Szene zeigt, dass Statuen in der Antike mit Gaben bedacht, in prächtige Roben gekleidet und mit Juwelen geschmückt wurden.20 Die Pandora-Darstellung auf einem hervorragenden, mit mehr als 30 cm Höhe überdimensionalen Krater des Niobiden-Malers (um 460  v.  Chr., Abb. 8.6 und 8.7) wirkt noch eindringlicher. Pandoras steife Haltung und ihr Gesichtsausdruck bestätigen ihre Künstlichkeit und ihre verhängnisvolle Anziehungskraft. Sie steht innerhalb eines aus Speeren gebildeten V. Diese V-Form wird im dekorativen oberen Abschluss der Vase wiederholt. Das dortige Muster ist selten, und sein Grundelement erinnert an einen Satz Werkzeuge von Handwerkern: Die Zangen sehen aus wie die, die Hephaistos und Schmiede auf anderen Vasenbildern benutzen (siehe Abb. 7.4 und 7.5). Dieses einmalige, passende Detail bestärkt die Vorstellung, dass Pandora geschaffen, nicht geboren wurde. Auffälligerweise finden wir das gleiche Werkzeug-Motiv auch auf dem oberen Abschluss der großen Vase von ca. 440  v.  Chr., die den Tod des bronzenen Roboters Talos zeigt  –  der ja ebenfalls von Hephaistos hergestellt wurde (siehe Abb. 1.3).21 Auf der Vase des Niobiden-Malers steht Pandora wie ein bewegungsloses Xoanon (hölzernes Götterbild) bzw. eine Marmorstatue.

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Ihre Arme hängen seitlich herab, der Blick ist gebewundert, auf einem herrliradeaus gerichtet. Der Vasenspezialist H. A. Shapiro vergleicht sie mit einer „Aufziehpuppe“ im chen rotfigurigen Kalyx-Krater des Niobiden-Malers, um Moment, bevor sie aufgezogen wird. Um Pandora herum herrscht aufgeregte Aktivität. Athena 460  v. Chr. nähert sich von einer Seite und hält einen Kranz, hinter ihr stehen Poseidon, Zeus und Iris in einer Reihe. Auf der anderen Seite Pandoras sehen wir Ares, Hermes und Hera (oder Aphrodite). Wir haben hier einige Gottheiten, die Hesiod nicht unter denen aufzählt, die zu Pandoras Herstellung beitragen. Außerdem scheinen die Götter miteinander zu reden und auf Pandora zu reagieren, anstatt Dinge zu ihrer Ausstattung zu präsentieren. Wahr-

Abb. 8.6: Pandora, von Göttern

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scheinlich sehen wir hier also die spätere Passage bei Hesiod, „als Zeus den olympischen Göttern sein neues Spielzeug vorführt, ehe er es auf die Menschheit loslässt“.22 Pandora ist frontal gezeigt und blickt starr aus dem Bild heraus, während die Gesichter von Göttern, Menschen und Tieren sonst in der konventionellen Vasen-Ikonographie fast immer im Profil oder in Dreiviertel-Ansicht zu sehen sind; Ansichten menschlicher Gesichter von vorne sind sehr selten. In der griechischen Kunst steht

Abb. 8.7: Pandora wird von Göttern verehrt; Detail des rotfigurigen Kalyx-Kraters des Niobiden-Malers, um 460  v. Chr.

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ein frontal wiedergegebenes Gesicht für eine gewisse Stumpfsinnigkeit, und es wurde eingesetzt bei toten bzw. nicht lebenden Figuren, vor allem bei Masken und Statuen. Frontalansichten können auch einen hypnotisierenden Blick darstellen. Besonders der Niobiden-Maler, bekannt für seinen eleganten und einfachen klassischen Stil, verwendete auf zwei seiner anderen berühmten Vasen Frontalansichten für tote und sterbende Figuren: auf dem Geta-Krater, der zeigt, wie Griechen Amazonen töten, und auf seiner namensgebenden Vase, die das Massaker an den Niobiden (Niobes Kindern) zeigt.23 In dem fesselnden Fries, der den Pandora-Mythos illustriert, scheint die frontale Haltung Pandoras für beide Eigenschaften zu stehen: einen leeren Geist und ein bezwingendes Starren. Die Szene enthält noch ein weiteres auffälliges Element: Auch Gesichtsausdrücke, die Emotionen zeigen, zum Beispiel Grimassen, Stirnrunzeln oder Lächeln, kommen in der griechischen Vasenmalerei sehr selten vor. Die Gesichter der Menschen werden meist teilnahmslos wiedergegeben; Emotionen werden durch Gesten und Haltungen angezeigt.24 Doch diese ungewöhnliche Pandora blickt nicht nur nach vorne und sieht den Betrachter direkt an; sie lächelt sogar. Welche Botschaft sendet dieses Lächeln? Ein breites Lächeln erscheint als ungeeignet für eine jungfräuliche Braut  –  doch erinnern wir uns daran, dass Hesiod Pandora als schamlose, verführerische belebte Statue beschrieb. Pandoras unerwarteter Ausdruck hätte antike Beobachter an das Gesicht einer Kore erinnern können. Diese lebensgroßen, bemalten Marmorstatuen junger, bekleideter Frauen sind typisch für die archaische Periode der griechischen Kunst (600  – 480  v.  Chr.). Die Mundwinkel sind bei allen Koren (sowie den Statuen ihres nackten männlichen Gegenstücks, der Kouroi) nach oben gebogen, zu einem merkwürdig freudlosen Lächeln. Das gleiche unpassend scheinende und geheimnisvolle Lächeln finden wir in den starren Gesichtern archaischer Marmorstatuen in Gewaltszenen.25 Diesen übernatürlich heiteren  –  manche würden sagen: nichtssagenden  –  Ausdruck antiker Statuen nennen Archäologen „archaisches Lächeln“. Mit ihrer statuenhaften Haltung und dem

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Abb. 8.8: Koren mit dem rätselhaften „archaischen Lächeln“. Rechts: Die PeplosKore, bemalter Marmor, um 530  v. Chr. Oben links: Kopf der Peplos-Kore. Unten links: Marmorner Kore-Kopf, 6. Jh.  v. Chr.

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leicht gruseligen Lächeln betonte der Niobiden-Maler Pandoras Ursprung als geschaffen und zeigt sie als Automaton in dem Moment, in dem sie belebt wird. Die Szene auf dieser herrlichen Vase  –  mit dem ungewöhnlichen „Spezialeffekt“, dass die künstliche junge Frau ihren Blick fest auf den Betrachter geheftet hat und zugleich befremdlich lächelt  –  muss vor mehr als 2500 Jahren einen starken Eindruck auf die Menschen gemacht haben. Lächelnde Automata hätten vermutlich Uncanny-Valley-Reaktionen hervorgerufen. Dieses Bild einer anzüglich lächelnden Pandora findet seinen Nachklang in einer modernen Schwester Pandoras in der Welt des Films: in dem bösen und zynisch lächelnden Automaton Maria aus dem brillanten Stummfilm Metropolis von 1927. Weithin anerkannt als einer der einflussreichsten Science-Fiction-Filme der Filmgeschichte, zeigt dieses Meisterstück des Regisseurs Fritz Lang düstere expressionistische Stadtlandschaften und eine Spezialeffekt-Technologie, die für die 1920er-Jahre atemberaubend war und noch heute erstaunt. Metropolis entwirft eine Dystopie, eine Welt, in der die Reichen dominieren und die verarmten Massen mit dämonischen Maschinen beherrschen.26 Die Werbefotos, die den Roboter Maria mit ihren Schöpfern sowie die Schauspielerin in dem Moment zeigen, in dem sie für ihre Szene vorbereitet wird, erinnern stark an die antiken Vasen mit Pandora, wie sie vor ihrem großen Auftritt auf Erden von den Göttern präpariert wird. Nur sieben Jahre, nachdem der Begriff Roboter erstmals in ein Konversationslexikon aufgenommen wurde, zeigte Metropolis eine erotische Femme fatale als Roboter, die gezielt entworfen wurde, um Verwüstungen in der Welt anzurichten. Der Film, als „Tempomacher“ für Maschinentechnologie und Industrialisierung geschaffen, hatte in Europa und Amerika großen Erfolg und zeigt, wie schnell die neuen Vorstellungen von Robotern und die Verschmelzung von Mensch und Maschine die Phantasie der Menschen fesselten. Kritiker weisen darauf hin, dass die Handlung des Films geradezu von unlogischen Wendungen durchsetzt sei  –  doch das gilt auch für den

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antiken Pandora-Mythos. Dennoch ist die Botschaft klar, auch bei den anderen Geschichten über künstliches Leben, die ich in diesem Buch vorstelle: Mit jeder neuen Generation lässt der uralte Gegensatz von Mensch und Maschine eine ausgeprägte Push-Pull-Reaktion entstehen, bei der sich Beklemmung mit Faszination und Ehrfurcht mischt. Im griechischen Mythos soll Pandoras täu- Abb. 8.9: Der böse Maschinenschende Erscheinung als „zartes Mädchen“ die mensch Maria aus Fritz Langs Männer erfreuen und verführen, bringt ihnen Metropolis (1927) und ihre jedoch endloses Leiden. In Metropolis wird eine Schöpfer.

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süße junge Frau (Maria, gespielt von einer 19-jährigen Schauspielerin) in einen sexualisierten Robotervamp verwandelt, der Chaos und Katastrophe bringen soll (Abb. 8.9). In einer spektakulär gefilmten Sequenz mit damals futuristischer Technologie  –  unter anderem geheime Chemie und pulsierende Ringe mit „elektrischer Flüssigkeit“ –  wird die metallische Gestalt des Roboters belebt, indem die Lebenskraft der unschuldigen jungen Frau abgezogen wird, die im Inneren eingeschlossen ist. Die „elektrische Flüssigkeit“ erinnert an den Ichor bei Talos (siehe Kapitel 1) und an die Elektrizität, die Frankensteins Monster belebt (siehe Kapitel 6).27 Im Film ist Marias diabolische Roboterdoppelgängerin von ihren hypnotischen, „langsamen, unwiderstehlichen Bewegungen“ und einer nichtmenschlichen, „basiliskenhaften (schlangenähnlichen) Bewegung des Kopfes“ charakterisiert. Wie beim merkwürdig grinsenden Automaton Pandora auf der Vase des Niobiden-Malers wird auch die „bewegende Anmut“ der künstlichen Maria von einem „eigenartigen, unverständlichen Lächeln begleitet“(Abb. 8.10).28 Bei anderen seiner Werke wurde vermutet, der innovative Niobiden-Maler habe sich von Wandmalereien im klassischen Athen beeinflussen lassen. Beruhte auch diese Szene mit Pandora auf einem Gemälde? Das wissen wir nicht. Wir wissen aber, dass Pandoras Erschaffung durch Hephaistos für Athen von solcher Bedeutung war, dass ihr Abbild an einem zentralen Ort auf der Akropolis aufgestellt wurde. Und auf einem Relief auf der massiven Basis, auf der die Kolossalstatue Athenas aus Gold und Elfenbein im Parthenon thronte, reihten sich ebenfalls Götter zu beiden Seiten Pandoras auf.29 Dieses Meisterwerk war eine Arbeit des berühmten Bildhauers Phidias aus der Zeit um 447 bis 430  v.  Chr. Laut Plinius’ (Naturgeschichte 36.4) Beschreibung aus dem 1. Jh.  n.  Chr. zeigte die Szene auf dem Sockel, wie Pandora von 20 Göttern aufgesucht wurde, und diese seien nahezu lebensgroß abgebildet gewesen. Ein Jahrhundert später bewunderte auch Pausanias (1.24.5–7) die imposante Athena-Statue auf der Akropolis und die Szene mit der Erschaffung Pandoras. Die originale Kolossalstatue und ihre Basis

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Abb. 8.10: Interessante Übereinstimmungen zwischen antiken und modernen Darstellungen eines bösen weiblichen Roboters. Oben links: Pandora als steifes Automaton, wie sie von den Göttern für ihre irdische Mission vorbereitet wird (Niobiden-Vase, 5. Jh.  v. Chr.), und die Schauspielerin Brigitte Helm, die für ihre Rolle als Roboter Maria im Film Metropolis (1927) zurechtgemacht wird. Rechts: Pandora und der Roboter Maria. Unten: Verwandlung Marias zu einem roboterhaft blinzelnden und grinsenden Double. Letztes Bild: Elpis, die Personifikation der Hoffnung, mit einem schiefen Lächeln, 6. Jh.  v. Chr.

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sind heute verloren, doch man kann sich beides auf Grundlage einer großen Marmorkopie aus der Zeit von ca. 200  v.  Chr. vorstellen, die 1880 in den Ruinen von Pergamon (Türkei) gefunden wurde. Eine kleine römische Marmorreplik der Statue samt Basis (1. Jh.  n.  Chr.) tauchte 1859 auf der Akropolis in Athen auf. Diese Funde machen „klar, dass Pandora als eine statuenähnliche Figur gezeigt wurde“, geschaffen und geschmückt von Hephaistos und Athena, die in Athen gemeinsam als Schutzpatrone der Künste und des Handwerks verehrt wurden.30 Weitere Hinweise darauf, dass diese Szene in Athen sehr beliebt war, wurden auf der athenischen Agora entdeckt. Seit 1986 wurden dort Fragmente eines Marmorreliefs mit einer weiteren öffentlichen Darstellung von Pandoras Erschaffung durch mehrere Gottheiten ausgegraben. Unter anderem Hephaistos und Zeus wurden gefunden, wie auch der Marmorkopf einer Frau. Wer ist sie? Ein Hinweis auf ihre Identität ist ihr seltsames, befremdliches Lächeln  –  dennoch war ihre Identifizierung, wie ich noch zeigen werde, eine Überraschung.31 Im Mythos wurde Pandora von Hermes auf die Erde geleitet und Epimetheus als Braut vorgestellt. Zeus wusste, dass Prometheus’ Bruder weder vorausschauend war noch über ein gesundes Urteilsvermögen verfügte, was ihn zum perfekten Sündenbock machte. Pandoras „Mitgift“ war ein versiegelter Pithos, ein großes Gefäß zur Vorratshaltung. Hesiod nennt den Pithos „unzerbrechlich“, ein Adjektiv, das gewöhnlich für Metallgegenstände verwendet wird, weshalb dieses Gefäß einst wohl für ein bronzenes gehalten wurde. Scheinbar wurde Pithos im 16.  Jh. fälschlich mit „Pyxis“ (Dose) übersetzt, und seitdem hält sich die Vorstellung von Pandoras „Büchse“ in der volkstümlichen Vorstellung. Kein einziges antikes Kunstwerk zeigt Pandora mit der Büchse voller Plagen, bzw. wie sie den Pithos öffnet und erschrocken zurücktaumelt. Doch mehr als 100 mittelalterliche und moderne Darstellungen  –  Gedichte, Romane, Opern, Ballette, Zeichnungen, Skulpturen, Gemälde und andere Kunstwerke  –  greifen diese Szenen auf. Eine Serie neoklassischer Reliefs und Zeichnungen von John Flaxman (1775 – 1826), die Sze-

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nen aus Hesiods Pandora-Geschichte zeigen, war gegen Ende des 18. Jh.s äußerst populär, als auch die im antiken Stil geschnittenen Gemmen in Abb. 8.1 und 8.2. entstanden.32 Dass sich in dem verfluchten Pithos all die Missgeschicke, die die Welt der Sterblichen treffen sollten, befanden, wusste Pandora nicht. Doch Zeus zählte darauf, dass sie die Büchse öffnen und Krankheit, Seuchen, endlose Arbeit, Armut, Kummer, Alter und andere schlimme Qualen für immer an die Menschheit weiterreichen würde.33 Pandoras Büchse mit den Plagen scheint mit einer Passage in Homers Ilias (24.527 – 528) zusammenzuhängen, in der zwei verhängnisvolle Büchsen beschrieben werden, die Zeus bei sich hat. Eine davon ist voller Segnungen, die andere ist voll mit Unheil, und die Inhalte wurden von Zeus willkürlich vermengt und über die Menschen ausgegossen. Vermutlich ist es Zeus’ Pithos des Elends und des Bösen, den Pandora mit sich führt. Sie „dient als seine Agentin, als sie die Büchse öffnet“.34 In Hesiods Version des Mythos (Werke und Tage 90 – 99) hebt Pandora, nachdem sie in Epimetheus’ Haus angelangt ist, den Deckel des großen Pithos, und alles Übel schwärmt hinaus. Als der Deckel wieder zugeschlagen wird  –  durch Pandoras Hand, doch nach Zeus’ Plan  –, bleibt ein Geist im Inneren gefangen. Es ist Elpis, die „Hoffnung“. Was dieses entscheidende Detail zu bedeuten hatte, darüber wurde seit der Antike intensiv diskutiert. In der Antike wurde Elpis, die Personifizierung der Hoffnung, als junge Frau dargestellt. In „The Girl in the Pithos“ (2005) identifiziert die Klassische Archäologin Jenifer Neils drei antike Gegenstände, auf/in denen wir Elpis in Pandoras Büchse sehen. Der erste war bis 2005 die einzige bekannte Darstellung von Elpis: die bereits erwähnte etruskische Owl-Pillar-Amphore, deren eine Seite Hephaistos und die halbfertige Pandora zeigt, also den Anfang des Mythos. Die andere Seite dieser Vase enthält das Ende der Geschichte (Abb. 8.11): Der bärtige Zeus betrachtet einen großen Pithos, aus dem ein kleines Mädchen herausschaut. Sie ist Elpis/Hoffnung und wurde auf seine Anordnung im Pithos eingeschlossen. Dieses faszinierende

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Stück ist die Kopie einer kunstvolleren attischen Vase, die heute verschollen ist, wie Neils feststellt. Der etruskische Künstler „stellte zwei analoge Szenen gegenüber“. Auf beiden „betrachtet eine männliche Gottheit das weibliche Böse“.35 Der zweite Gegenstand ist ein kleiner Terrakotta-Aryballos (Duftflasche) aus Böotien, einer Gegend nördlich von Athen, entstanden zwischen 625 bis 600  v. Chr. Er ist wie ein Pithos geformt, mit dem modellierten Kopf einer jungen Frau oben darauf  –  wie Elpis, die aus der Büchse herausschaut (Abb. 8.12). Die Öffnung ist so geformt, dass der Kopf wie ihr Deckel aussieht. Wir können wie Neils davon ausgehen, dass der Töpfer sich von der Beschreibung von Elpis/Hoffnung anregen ließ, die sein böotischer Kollege Hesiod einige Jahrzehnte zuvor (um Abb. 8.11: Zeus sieht zu, wie Elpis/Hoffnung 700  v. Chr.) in Werke und Tage nieaus Pandoras Büchse herausschaut; rotdergeschrieben hatte. Der Aryballos figurige Amphore aus der Basilikata, enthielt Duftwasser: eine Substanz, die 5. Jh. v. Chr. wie Pandoras Anmut in ihrer Wirkung auf Männer als verführerisch galt. Dies legt eine humorvolle bzw. ironische Interpretation dieses Mythos nahe.36 Es gibt viele Beweise dafür, dass die alten Griechen sowohl das Tragödien- als auch das Komödienhafte an der Geschichte Pandoras schätzten. Das verschollene Satyrspiel von Sophokles und die Vasen, die Satyrn und Pandora gegenüberstellen, sind Beispiele einer unbeschwerten Annäherung. Hesiod schreibt, Zeus habe gelacht, als er seine List gegenüber den Menschen anwandte. Diese Belusti-

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gung ist auch auf einer Vase zu sehen, die Zeus und Hermes zeigt, wie sie ihren Scherz mit Epimetheus genießen (Abb. 8.3). Die Vase des Niobiden-Malers setzt diese boshafte Auslegung mittels einer breit lächelnden Pandora fort (Abb. 8.7). Und wenn wir die junge Frau, die aus der kleinen Duftflasche in Abb. 8.12 herausschaut, genauer anschauen, sehen wir, dass sie ein ironisches, schiefes Grinsen zur Schau trägt, ein durchtriebenes Lächeln.37 Das dritte Bildnis, das wahrscheinlich Elpis/Hoffnung zeigt, wurde zusammen mit den Fragmenten einer Hochrelief-Tafel aus dem 5. Jh.  v. Chr. auf der athenischen Agora gefunden (ich habe diesen Fund bereits erwähnt). Die Archäologin Evelyn Harrison identifizierte diesen Fries als Illustration des Pandora-Mythos. Neben den

Abb. 8.12: Eine lächelnde Elpis/ Hoffnung lugt aus Pandoras Büchse heraus; Aryballos (Duftflasche), aus Theben, Böotien, 6. Jh.  v. Chr.

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Marmorfiguren von Hephaistos und Zeus fanden Archäologen einen weiblichen Kopf mit einem „seltsamen, leicht boshaften Ausdruck“, einem asymmetrischen Lächeln. Um die bereits formulierte Frage danach, wen dieser Kopf darstellt, zu beantworten: Es ist nicht Pandora  –  der körperlose Kopf ist größer als die Köpfe der Götterfiguren und zudem oben flach. Neils nimmt an, dass er zu einer Darstellung der Elpis/Hoffnung gehörte, die aus einem großen Pithos hervorschaute. „Gesichtsausdrücke sind in der griechischen Kunst extrem selten“, schreibt Neils dazu, „doch ein Grinsen scheint besonders geeignet, die Personifikation der trügerischen Hoffnung zu charakterisieren.“38 War Elpis/Hoffnung ein Segen oder ein Fluch? Die Überlieferungen des Pandora-Mythos sind verworren, und mehrere Aspekte der Geschichte, wie sie sich in antiker Literatur und Kunst erhalten hat, scheinen unlogisch.39 Vor allem die irritierende Frage, warum die Hoffnung in der Büchse blieb, hat die Kommentatoren gequält, seitdem dieser Mythos das erste Mal behandelt wurde. Das rätselhafte Lächeln von Pandora und Elpis scheint aber jeden Versuch zunichte zu machen, das Rätsel zu lösen. Auch Hesiod ist hier uneindeutig: Ist die Hoffnung eine der vielen Plagen, die über die Welt verstreut wurden? Oder ist sie zum einzigen Trost der Menschen geworden, da ihre Welt so aufgewühlt ist? Die moderne Märchenversion des Mythos zeigt die Hoffnung als mitleidigen Geist, der zurückblieb, um die Menschen zu trösten, bzw. als Segen, der von Zeus gespendet wurde, um die Menschen für die Übel zu entschädigen. Wir sollten aber beachten, dass die alten Griechen Hoffnung generell als negativ bzw. irreführend betrachteten, was das Adjektiv „blind“ im umgangssprachlichen „blinde Hoffnung“ verdeutlicht. Vor allem Hesiod (Werke und Tage 498, 500) nennt Elpis/ Hoffnung „nichtig“ und „niemals gut“. In der Ilias (2.227) pflanzt Athena dem trojanischen Helden Hektor, der dem Untergang geweiht ist, falsche Hoffnung ein, ehe er im Duell mit Achill getötet wird. Pindar dichtete im 5. Jh.  v. Chr. (Fragment 214): Elpis/Hoffnung „beherrscht den stets wandelbaren Geist des Menschen“. Auch

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Aristoteles ist keine große Hilfe: Er definiert Elpis als „das in die Zukunft gerichtete Gegenstück der Erinnerung“, womit er die Fähigkeit verbindet, gute oder schlechte Konsequenzen vorwegzunehmen.40 In der athenischen Tragödie Der gefesselte Prometheus (128 – 284) aus dem 5. Jh.  v. Chr. bekennt Prometheus, dass er den Sterblichen neben dem Feuer noch eine weitere Gabe gebracht hat: Er nahm ihnen die Möglichkeit, „ihr Schicksal (moros) vorherzusehen“, indem er „blinde Hoffnung (elpides) in ihren Herzen aufleben ließ“, damit sie durchhielten. Dieses Stück spitzt die philosophischen Fragen über die existentielle Bedeutung der Hoffnung zu. Es scheint, dass in der neuen, raueren Welt der Gegenwart die Menschen Epimetheus, dem Bruder von Prometheus immer ähnlicher geworden und nicht mehr in der Lage sind, zu erkennen, was vor ihnen liegt. Ist eine solche Illusion Segen oder Fluch?41 Die Unklarheit darüber, was man in der Antike unter Hoffnung verstand, vergrößert das Rätsel um Pandoras Pithos. In der Düsterkeit dieses Mythos, wie er uns überliefert ist, können wir die folgenden, scheinbar widersprüchlichen Alternativen ausmachen: Der Inhalt der Büchse ist böse und wird aktiviert, sobald er losgelassen wird, um den Menschen Schaden zuzufügen. Die Hoffnung wird nicht herausgelassen: Entweder ist sie ein Übel, das den Menschen wie die anderen Dinge in der Büchse Schaden zufügt, oder sie ist, anders als die Plagen, gut für uns. So wird die Hoffnung entweder wie die anderen Übel aktiviert, obwohl sie in der Büchse bewahrt wird, oder sie wird nicht aktiviert, weil sie noch in der Büchse steckt. Vier Szenarien sind also denkbar: (1) Die Hoffnung ist gut, obwohl sie in der Büchse voller Übel steckt, und wird von Zeus aktiviert, um die Übel aufzuheben; (2) die Hoffnung ist gut, aber von Zeus in der Büchse gefangen, daher schadet ihre Abwesenheit den Menschen; (3) die Hoffnung ist eines der Übel in der Büchse und wurde aktiviert, auch wenn sie in der Büchse gefangen ist; sie soll die Menschen mit Wunschdenken und Illusion peinigen; (4) die Hoffnung ist schlecht, aber nicht aktiviert; sie ist von Zeus gefangen, um die Menschen vor falschen Hoffnungen zu bewahren.42

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Das Geheimnis der in der Büchse gefangenen Elpis/Hoffnung kann also nicht aufgelöst werden. Die beste Interpretation ist vielleicht die, dass die Hoffnung weder vollständig gut noch vollständig schlecht noch neutral ist. Hoffnung ist eine einzigartige menschliche Emotion. Wie die künstliche Frau Pandora stellt auch Elpis/ Hoffnung ein kalon kakon dar, ein schönes Übel, eine verführerische Falle, die unwiderstehlich lockt, während sie bereits begonnene und potentielle Katastrophen verbirgt. Dieses Dilemma wurde vor mehr als 2000 Jahren im Kontext künstlichen Lebens entworfen, das von einem genialen Erfinder mit überraschend überlegener Biotechnologie geschaffen wurde. Seine Mehrdeutigkeit könnte für unser eigenes Zeitalter nicht deutlicher formuliert werden.43 Wer kann schon der Öffnung von Pandoras Büchse mit reizvollen „Gaben“ wiederstehen, den Wundern der Wissenschaft und Technologie, die versprechen, das menschliche Leben zu verbessern? Wie Epimetheus vergessen wir die Gefahren für Moral und Gesellschaft, die im Inneren lauern, und überhören die Warnungen der einsamen prometheischen Stimmen in uns. So rasen wir kopfüber in eine Zukunft mit humanoiden Robotern, mit Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer, verstärkter Kraft, unnatürlich verlängertem Leben, belebten, denkenden Gegenständen, virtueller Realität und Künstlicher Intelligenz. Wir stolpern immer weiter hinein und hoffen dabei auf das Beste. 2000 Jahre, bevor Isaac Asimov die Gesetze der Robotik formulierte (1942), stellten sich die griechischen Mythenschöpfer belebte Statuen vor, die in Bewegung gesetzt und mit besonderen Aufgaben betraut wurden, um zu helfen oder zu schaden. Asimovs ursprünglich drei Gesetze legten fest, dass (1) ein Roboter keinem Menschen Schaden zufügen darf; (2) ein Roboter von Menschen gegebenen Befehlen gehorchen muss, es sei denn, dies würde einem anderen Menschen Schaden zufügen; (3) ein Roboter sich selbst schützen muss, es sei denn, dies kollidiert mit Gesetz 1 oder 2. Wie wir gesehen haben, umgab Hephaistos sich mit gutartigen Automata und selbstfahrenden Dreibeinen, die sein Leben erleichtern sollten, und vermach-

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te der Welt schöne Wunderwerke wie die singenden Jungfrauenstatuen in Delphi. Doch Hephaistos konnte auch Dinge herstellen, die Schaden anrichteten, beginnend mit dem Thron, der seine Mutter Hera festhielt, und gipfelnd in Pandora, seinem schrecklichen Produkt, gefertigt im Auftrag des allmächtigen Zeus. Im Mythos sollten Talos, der Bronzeroboter, die Armee, die aus Drachenzähnen wuchs, der mechanische Adler und die feuerspeienden Stiere ganz gezielt die Menschen schädigen, womit sie Asimovs erstes Gesetz gebrochen hätten.44 Sicher verstößt auch Pandora gegen Gesetz Nr. 1. Doch die Skala ihrer Verwüstungen ist so gewaltig  –  die Ruinierung der Menschheit, wie vom Tyrannen Zeus geplant  –, dass hier Asimovs viertes Gesetz zutrifft, das er später hinzugefügt hat (das sogenannte ZerothGesetz): Ein Roboter soll der Menschheit keinen Schaden zufügen. Pandora verletzt außerdem Gesetz 23 der 2017 erlassenen Grundsätze von Asilomar: Künstliche Intelligenz sollte der ganzen Menschheit zugutekommen (siehe Kapitel 7). Es fällt auf, dass sämtliche Automata, die in der antiken Mythologie benutzt wurden, um Schmerz und Tod zu bringen, tyrannischen Herrschern gehörten  –  von König Minos von Kreta und König Aietes von Kolchis bis zu Zeus, dem Vater der Götter und Menschen, der mit Blick auf seine grausame „Falle“ für die Menschen sogar kicherte, noch bevor sie aktiviert war. Es ist eine auffällige Tatsache, dass die Faszination von Autokraten für belebte Statuen, die geschaffen wurden, um Qual und Tod zu bringen, nicht auf den antiken Mythos beschränkt war. Übelwollende Maschinen gab es in der Realität  –  zu historischer Zeit  –, und sie wurden von lebenden Tyrannen der antiken Welt benutzt. Das nächste Kapitel gibt einen Überblick über Automata und selbstbewegende Geräte  –  einige davon in schädlicher Absicht geplant, andere für gute Zwecken gedacht  –, die in Literatur, Geschichte, Legende und in der bildenden Kunst seit dem 5. Jh.  v. Chr. beschrieben wurden.

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Zwischen Mythos und Geschichte Echte Automata und lebensechte Vorrichtungen in der antiken Welt Bislang haben wir gesehen, wie sich die alten Griechen in Mythologie und Kunstwerken künstliches Leben, belebte Statuen und Wesen vorstellten, die nicht geboren wurden, sondern geschaffene phantastische Technologien und erweiterte Kräfte des Menschen darstellten. Wir haben gesehen, dass die Menschen der Antike in Daedalus, Prometheus und Hephaistos Supergenies sahen, die, mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet, bekannte Werkzeuge und Methoden einsetzten und mit ihnen wunderbare Dinge schufen, die weit jenseits dessen lagen, was Sterbliche erreichen konnten. Mit Ausnahme des bronzenen Roboters Talos und der von Prometheus geschaffenen ersten Menschen fehlen in den mythischen Erzählungen und Fragmenten, die sich erhalten haben, Informationen zu praktischen Details und Beschreibungen der inneren Mechanismen der von Göttern gestalteten Kunstprodukte. Doch das breite Spektrum der Biotechne zeigt, dass die Herstellung künstlichen Lebens in der Antike durchaus denkbar war und als gewaltige Leistung von Genie und Handwerk angesehen wurde. Einige göttliche Geräte in den Mythen könnten als Metaphern für technologische Innovationen entstanden sein, während andere vielleicht nur real existente Vorbilder überhöhten. Pragmatische, einfache Annäherungen an einige mythische Wunderwerke waren in der Antike mit entsprechenden Werkzeugen, Materialien und Techniken  –  und überragender Bildung und Vorstellungskraft  –  durchaus möglich. Dennoch sollte

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man der Versuchung widerstehen, heutige Beweggründe und Annahmen in Sachen Technologie auf die antike Welt zu projizieren.1 Auch wenn viele der alten Mythen und Vorstellungen um künstliches Leben an spätere Erfindungen erinnern und sie sogar beinahe erahnen lassen, kann man doch nicht von direkten Einflüssen aus der Antike auf moderne Biomechanik und Roboter ausgehen. Die Entwicklung realer mechanischer Entwürfe und praktischer Erfindungen wurde intensiv und umfassend erforscht. Sie beginnt mit der Artillerie, dem Katapult, mit der Theatertechnologie mitsamt Flaschenzügen, Hebeln, Federn und Seilwinden, und reicht bis zu selbstständig arbeitenden Geräten aus dem Mittelmeerraum bis nach China.2 Aus der Fülle gut dokumentierter Konzepte und Entwürfe von Automata und Maschinen der antiken Technologiegeschichte habe ich für dieses Kapitel Beispiele ausgesucht, die einen Nachhall der selbstbewegenden Objekte, belebten Statuen und weiterer Formen imitierten Lebens darstellen, wie wir sie aus der Mythologie kennen  –  siehe die vorangegangenen Kapitel. Wenn wir den Bereich des Mythos verlassen und uns dem wahren Leben zuwenden, sollten wir berücksichtigen, dass Elemente aus volkstümlicher Überlieferung und Legende unvermeidlich in einige noch heute existierende, fragmentarische Darstellungen von tatsächlichen Erfindungen Einzug gehalten haben. Die historischen Ereignisse auf den folgenden Seiten stellen keinen erschöpfenden Überblick dar; sie sollen vielmehr eine Vorstellung von den verschiedenen Arten lebensechter Nachbauten und Automata geben, die tatsächlich zwischen dem 6. Jh.  v.  Chr. und der Zeit um 1000  n.  Chr. entworfen bzw. getestet wurden. Manche von ihnen waren todbringend, andere waren grandios, wieder andere sind charmante Kuriositäten. Robotik-Historiker schlagen vor, Automata nach drei Hauptfunktionsbereichen einzuteilen: Arbeit, Sex und Unterhaltung bzw. Spektakel; denn diese Merkmale tauchen in den antiken Mythen und Legenden über künstliches Leben auf. Selbstständig arbeitende Apparate, die Lebewesen ähnelten, wurden eingesetzt, um menschliche Fähigkeiten zu erweitern, Menschen zu blenden, einzuschüchtern, zu be-

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trügen und zu täuschen, um sie zu verletzen oder zu töten. Automata konnten als Zierde und als Staatssymbole eingesetzt werden, zuweilen auf gutartige Weise, zu anderen Zeiten jedoch in bösartiger Absicht. In griechischen Mythen wird Zeus als boshafter Tyrann gezeigt, der Freude daran hat, sich für Prometheus eine entsetzliche Folter auszudenken, und daher die verführerische, künstliche Frau Pandora ausschickt, damit sie der ganzen Menschheit Leid bringt. Um diese Qualen hervorzurufen, bedurfte es der technologischen Expertise von Hephaistos, der auch die Bronzestiere von König Aietes schuf, die Iason verbrennen sollten, wie auch König Minos’ bronzenen Killer Talos. In diesen und anderen Mythen um Vorrichtungen, die Schmerz und Tod bringen sollen, zeigt sich ein Muster: Alle diese Kunstprodukte wurden von einem despotischen Herrscher eingesetzt  –  als Mittel, um willkürliche absolute Macht zu demonstrieren. Ein ähnliches Muster lässt sich auch für die historische Antike feststellen: Viele tyrannische Herrscher benutzten in böser Absicht schlau ersonnene Vorrichtungen und Kunstgriffe, die die Natur nachahmten und ihre Untertanen und Feinde demütigen, schädigen, foltern oder sogar töten sollten.3 Nach Ovids Schilderung des Mythos (Metamorphosen 8.183  – 235) machte Daedalus das Fliegen im Sinne einer Verstärkung des Menschen möglich, indem er die Fähigkeit von Vögeln nachahmte. Er legte Reihen echter Federn in einer Rundung nach Größe sortiert aus; dann bog er dieses Gebilde, sodass sie echten Vogelflügeln ähnelten. Er befestigte sie an seinem Rücken und den Armen und „schwang sich in das Flügelpaar und schwebte in der Luft, die er bewegte“. Anders als der übernatürliche, mühelose Flug der Götter, der Zeit, Physik und Raum trotzte, erforderten seine Flügel eine körperliche Anstrengung in Form einer Armbewegung, damit sich der Träger wie ein Vogel in die Lüfte erhob. Für einen Menschen ist der Versuch, mit menschengemachten Flügeln und Flatterbewegungen zu fliegen, aeronautisch unmöglich und muss schlimm ausgehen. Diese brutale Tatsache zeigte sich auch in einer sadistischen Bestrafung mit imitierten Vogelflügeln,

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die alljährlich im antiken Leukadia (dem heutigen Lefkada) verteilt wurden  –  einer ionischen Insel, die für ihre weißen Klippen berühmt ist. Dort hatten die alten Griechen „regelmäßig die Gelegenheit, mit solchen fliegenden Apparaten zu experimentieren, ohne dass die Sicherheit sonderlich beachtet wurde“.4 Strabon (10.2.9) beschrieb diesen antiken Brauch, den man als Verbrechersprung bezeichnete. Jedes Jahr zwangen die Leukadier einen verurteilten Mann, als Opfer für Apollon von den weißen Kalksteinklippen zu „fliegen“ (später wurden diese Klippen „Sapphos Sprung“ genannt  – nach dem legendären Selbstmord der Dichterin  –, heute „Liebhaber-Sprung“).5 Wie Ikarus im Mythos wurde der Betreffende mit einem Paar künstlicher Flügel ausgestattet; außerdem wurden alle möglichen lebenden Vögel an ihm befestigt, was den Reiz des Schauspiels erhöhte. Zuschauer auf den Klippen und in kleinen Booten beobachteten, wie das unglückselige Opfer mit aller Kraft flatterte, umgeben von ebenfalls hilflos flügelschlagenden Vögeln. Im Römischen Reich war es ein beliebter „Sport“, Menschen bei einem amüsanten Szenario, mit dem man tragische griechische Mythen gewissermaßen neu belebte, zu erniedrigen, zu foltern oder zu töten. Kaiser Nero (Regierungszeit 54–68  n.  Chr.) war ein Meister derartiger perverser Unterhaltungsshows im Circus und bei seinen Banketten in der Öffentlichkeit. Zwei solcher Vorführungen überliefert der kaiserliche Geschichtsschreiber Sueton (Leben Neros): Für das Stück Der Minotaurus wurde eine Frau, die man gezwungen hatte, Pasiphaë zu spielen, und die „sich in dem hölzernen Hinterteil einer Kuh verborgen hielt“, von einem Stier „begattet“ („viele von den Zuschauern nahmen das jedenfalls an“). Und für ein Ballett, das den Mythos von Daedalus und Ikarus nachspielte, befahl Nero dem Mann, den man zur Rolle des Ikarus gezwungen hatte, mit seinen künstlichen Flügeln von einem hohen Gerüst herabzufliegen. Sueton zufolge sei dieser Mann „neben der Loge Neros“ abgestürzt  –  „und der bekam sogar Blutspritzer ab“. Das Streben nach künstlichen menschlichen Verstärkungen in Form von Vogelflügeln zum Zweck der Folter und des Vergnügens

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war nicht auf den antiken Mittelmeerraum beschränkt. In China war Gao Yang / Wenxuan, der erste Kaiser der Nördlichen Qi-Dynastie (Regierungszeit 550–559  n.  Chr.), wegen seiner unberechenbaren, blutrünstigen Wutausbrüche gefürchtet. Er genoss es, wenn Gefangene umgebracht wurden, indem man sie in große, geflochtene Bambusflügel einspannte bzw. sie an Papierdrachen in Gestalt von Vögeln befestigte, die groß genug waren, einen Mann zu tragen. Er zwang die Opfer, vom mehr als 30 m hohen Turm des Goldenen Phönix (in der Qi-Hauptstadt Ye) zu „fliegen“, und lachte angesichts des Schauspiels der dem Untergang geweihten Männer, die versuchten, sich in der Luft zu halten. Offenbar wurden diese Tötungsdrachen auch von geschickten Männern am Boden manipuliert, die Schnüre in Händen hielten  –  die Idee war, das Opfer so lange wie möglich in der Luft zu halten. Den Quellen zufolge sollen Hunderte unfreiwilliger „Testpiloten“ zum Vergnügen des Kaisers gestorben sein. Doch ein Mann, Yuan Huangtou, ein Fürst der Östlichen Wei, wurde berühmt, weil er diese Tortur im Jahr 559  n.  Chr. überlebt hat. An einen Ornithopter (Flugzeug mit Schlagflügeln) in Gestalt einer Eule gebunden, schaffte er es, vom Phönix-Turm zu starten und eineinhalb Meilen zum Purpur-Weg in Zimo zu gleiten, wo er sicher landete. Vermutlich halfen ihm die Drachenführer am Boden.6 Im griechischen Mythos entkam Daedalus König Minos von Kreta, indem er mit seinen Vogelflügeln nach Sizilien flog. Wie wir gesehen haben, schuf Daedalus, nachdem er dort angekommen war, weiterhin wundervolle Erfindungen für König Kokalos in Akragas (Agrigent), darunter das Becken mit kochendem Wasser, in dem Minos ermordet wurde (siehe Kapitel 5). Daedalus entwarf außerdem einen phantastischen Tempel und die uneinnehmbare Zitadelle von Akragas für seinen königlichen Herrn. Mit diesen mythischen Geschichten im Hinterkopf wenden wir uns einem Erfinder aus dem wirklichen Leben in der Geschichte der Stadt Akragas zu. Dieser Erfinder konstruierte eine Foltermaschine für den Tyrannen von Akragas, die einige Ähnlichkeiten mit bestimmten mythischen Schöpfungen von Daedalus und Hephaistos aufweist.

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Akragas wurde um 580  v.  Chr. von Griechen aus Rhodos und Kreta gegründet. Ein ehrgeiziger, wohlhabender Bürger namens Phalaris führte den Bau des großen Tempels für Zeus Attavyros aus (benannt nach dem höchsten Gipfel auf Rhodos). Phalaris münzte seinen Status in militärische Macht um und wurde zum absoluten Diktator. Gehasst wegen seiner ungezügelten Brutalität, wurde er schließlich 554  v.  Chr. gestürzt. Während seiner eisernen Herrschaft fertigte ein gewitzter athenischer Bronzeschmied namens Perilaos, der die Gunst von Phalaris suchte und um seinen Hang zur Folter wusste, die lebensechte Statue eines bronzenen Stieres. Sie war hohl und hatte eine Luke bzw. Klappe, die groß genug war, damit ein Mensch hineinklettern konnte. Perilaos präsentierte Phalaris seine ansehnliche Stierstatue und erklärte, wie sie funktionierte. „Solltest du den Wunsch haben, jemanden zu bestrafen, schließ ihn im Stier ein und entzünde ein Feuer darunter. Wenn der Stierkörper sich erhitzt, wird der Mann in der Statue geröstet!“ Danach beschrieb Perilaos den teuflischen Mechanismus im Inneren des Stieres: Er hatte ein System von Röhren eingebaut, das die Schreie des Opfers verstärkte. Während aus den Nüstern des Stieres Rauch aufstieg, leiteten die Röhren die Schreie des Opfers aus dem Maul, wodurch die Schreie des Todeskampfes in das „höchst ergreifende Gebrüll eines Stieres verwandelt werden  –  Musik für deine Ohren“. Beeindruckt verlangte der hinterhältige Phalaris eine Vorführung der besonderen Klangwirkung. „Nun, Perilaos, zeige mir, wie es geht.“ Sobald Perilaos in das Innere der Statue gekrochen war, um in die Pfeifen hineinzubrüllen, verschloss Phalaris die Tür und entfachte unter dem Stier ein Feuer. Der Bronzeschmied wurde zu Tode geröstet (zuweilen heißt es, er sei erst verbrannt und dann von einer Klippe gestürzt worden). Diese Geschichte beschwört das ironische, volkstümliche Motiv eines Erfinders bzw. Verbrechers herauf, der durch eine eigene Erfindung umkommt. Ein solch sadistisches Verhalten ist von echten Despoten aus dem wirklichen Leben durchaus bekannt (zwei Beispiele aus Rom waren die Kaiser Nero und Caligula). Die Existenz des

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ehernen Stieres von Phalaris steht außer Zweifel; er wurde in zahlreichen erhaltenen und verschollenen antiken Quellen beschrieben. Und Phalaris wurde zum Prototyp des bösen Diktators. Im Griechenland des 5. Jh.s  v.  Chr. ging der Dichter Pindar davon aus, dass jeder um den „abscheulichen Ruf “ von Phalaris wusste, der „ohne Mitleid seine Opfer in einem bronzenen Stier verbrannte“ (Pythien 1.95). Ein Jahrhundert später bezog sich Aristoteles zweimal auf die tyrannische Herrschaft von Phalaris, die allgemein bekannt sei.7 Im 1. Jh.  v. Chr. berichtete Plutarch von Phalaris’ Bronzestier, in dem Menschen lebendig verbrannt wurden, wobei er einen früheren, unbekannten Historiker zitiert. Der Historiker Diodor schilderte gleichfalls den Stier. Plinius (1. Jh.  n.  Chr.) kritisierte den Bildhauer Perilaos (Perillus), weil der sich einen grauenvollen Einsatz für seine Kunst ausgedacht hatte, und billigte sein Schicksal als erstes Opfer des Stiers. Ihm zufolge (Naturgeschichte 34.19.88) wurden die weiteren Statuen dieses Bildhauers noch in Rom aufbewahrt, „nur zu einem Zweck: damit wir die Hände hassen, die sie schufen“. Im 2. Jh.  n.  Chr. verfasste der Satiriker Lukian eine humorvolle Abhandlung, die vorgab, den Ruf des abscheulichen Phalaris zu verteidigen.8 Der Stier hatte weitere Röstvorrichtungen zur Folge. Plutarch erwähnt in seinen Moralia einen verschollenen Text von Aristeides, der eine ganz ähnliche Erfindung in der sizilianischen Stadt Segesta beschrieb. Sie hatte jedoch die naturgetreue Gestalt eines Bronzepferdes und wurde von einem gewissen Aruntius Paterculus für einen grausamen Tyrannen namens Aemilius Censorinus geschaffen. Er war dafür bekannt, Kunsthandwerker für die Erfindung neuartiger Folterinstrumente belohnt zu haben.9 Diodor, ein gebürtiger Sizilianer, erwähnt eine weitere todbringende Statue: Sie hatte die Gestalt eines bronzenen Mannes und wurde von dem grausamen Tyrannen Agathokles in Segesta eingeführt, der um 307  v.  Chr. regierte (Diodor 20.71.3; siehe Abb. 5.1 zum berühmten bronzenen Schafbock von Syrakus, der Agathokles gehörte). Diodor kehrt mehrere Male in seiner Geschichte zu dem berüchtigten Bronzestier von Akragas zurück. Er berichtet (19.108), dass die-

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se Statue auf Phalaris’ Festung errichtet war, einem Hügel über dem Kap Eknomos („böse, gesetzlos“). Diodor beschreibt, wie im Ersten Punischen Krieg (264–241  v.  Chr.) der karthagische Feldherr Hamilkar Barkas kostbare Gemälde, Skulpturen und weitere Kunstwerke aus den Städten Siziliens raubte. Die wertvollste Beute war der eherne Stier von Phalaris in Akragas, den Hamilkar 245  v.  Chr. nach Karthago (Tunesien) verschiffen ließ. Ein Jahrhundert darauf, am Ende des Dritten Punischen Krieges (149–146  v.  Chr.), kehrte diese Statue wieder nach Akragas zurück: Als der römische Feldherr Scipio Aemilianus Karthago endlich besiegte, brachte er sämtliche geplünderten Schätze in die Städte Siziliens zurück, einschließlich des ehernen Stieres. Polybios (Geschichte 12.25) bestätigt im 2. Jh.  v.  Chr., dass der brüllende Bronzestier nach Karthago gebracht und später zurückgeführt wurde, und hält auch fest, dass die Klappe am Hinterteil des Stieres noch funktionierte. Im Jahr 70  v.  Chr. betont Cicero (Reden gegen Verres 4.73), dass unter den von Scipio zurückgeholten Schätzen auch der große eherne Stier aus Akragas war, den Phalaris, „der grausamste aller Tyrannen“, benutzt habe, um „lebendige Menschen hineinzusperren und Feuer darunter anzulegen“. Scipio nutzte die Gelegenheit, um festzustellen, dass der Stier ein Monument für die Barbarei der örtlichen sizilianischen Machthaber wäre und Sizilien besser von den netteren Römern regiert werden sollte. Diodor behauptete, als er seine Geschichte irgendwann in den Jahren zwischen 60 und 30  v.  Chr. verfasste, dass man immer noch den berüchtigten ehernen Stier in Akragas sehen könne.10 Der eherne Stier von Phalaris übte noch im Mittelalter eine morbide Anziehung aus. Wie christliche Legenden besagen, wurden die Märtyrer Eustachius, Antipas, Priscillian und Georg im 1. bis 4. Jh.  n.  Chr. jeweils in glühendheißen Bronze- oder Kupfer-Stierstatuen verbrannt. Das letzte Ereignis taucht in westgotischen Chroniken auf, und dieses Mal war ein verhasster Despot das Opfer: Burdunellus, Tyrann von Saragossa, wurde 496  n.  Chr. in Toulouse getötet, indem er „in einen bronzenen Stier gesteckt und zu Tode verbrannt wurde“.11 Der Schrecken des ehernen Stieres kommt uns bekannt vor; er ist ein Nachhall der Mythen aus den vorangegangenen Kapiteln. Eine

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Abb. 9.1: Phalaris, Tyrann von Agrigent, Sizilien, lässt den trickreichen Kunsthandwerker Perilaos in seiner eigenen Schöpfung, dem ehernen Stier, verbrennen; Holzschnitt aus dem 16. Jh. von Pierre Woeiriot de Bouzey.

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hyperrealistische Stierstatue erinnert an die künstliche Kuh, die Daedalus für Königin Pasiphaë schuf (siehe Kapitel 4). Wie Pasiphaës falsche Färse wurde auch Phalaris’ eherner Stier von einem echten Menschen belebt, der im Inneren eingeschlossen war.12 Noch weit fesselndere mythische Vergleiche zum ehernen Bullen sind die beiden tödlichen Bronze-Automata, die Hephaistos für andere königliche Herren schuf. König Aietes hoffte, Iason mit seinem beeindruckenden Paar feuriger Bronzestiere einzuäschern. Und erinnern wir uns daran, dass König Minos’ Bronze-Automaton Talos seinen Körper glühend heiß erhitzen und Opfer an seiner Brust zerquetschen konnte, wo sie lebendig geröstet wurden. Kamen die mythischen Parallelen zu Phalaris’ Bronzestieren den Menschen in der Antike ebenfalls in den Sinn? Weil uns Texte, die eine direkte Verbindung zu den Mythen herstellen könnten, fehlen, können wir das nicht wissen; es ist aber durchaus einleuchtend. Antike Berichte und Überlieferungen über Bronzestiere und Metallstatuen waren zu Phalaris’ Zeit sicher in der Volkskultur allgegenwärtig. Außerdem waren künstliche Stiere in Rhodos, das Phalaris’ Heimatstadt Akragas einst gründete, berühmte Glücksbringer. Phalaris’ Vater wurde zudem auf Rhodos geboren. Diese Insel war bekannt für ihre außerordentlichen Leistungen im Bereich der mechanischen Technik, wie sie zum Beispiel beim Koloss von Rhodos zum Einsatz kam (siehe Kapitel 1). Einiges weist darauf hin, dass die komplizierte astronomische Rechenmaschine aus Bronze mit 30 Zahnrädern – der sogenannte Mechanismus von Antikythera, bekannt als der erste analoge Computer der Welt –  zwischen dem 3. und 1. Jh.  v.  Chr. auf Rhodos entstand.13 Wie wir in Kapitel 5 gesehen haben, war Rhodos zudem für seine belebten Bronzestatuen bekannt, die in Pindars Gedicht (Olympien 7.50–54) gerühmt werden: „Die belebten Figuren stehen Und schmücken jede öffentliche Straße Und scheinen in Stein zu atmen Oder ihre marmornen Füße zu bewegen.“

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Zu den Wundern von Rhodos gehörten auch zwei lebensgroße Bronzestiere. Waren sie die Prototypen für den ehernen Stier, der für Phalaris von Akragas geschaffen wurde? Die Bronzestiere von Rhodos standen auf dem höchsten Gipfel der Insel Wache, dem Berg Attavyros (Wächter aus Bronze waren in der Antike verbreitet, siehe Kapitel 1). Wir wissen, dass Phalaris mit dem Bau des Tempels für Zeus Attavyros in Akragas zu tun hatte, der nach diesem Berg auf Rhodos benannt und ebenfalls von einem Paar Bronzestieren bewacht wurde. Noch bemerkenswerter ist, dass die Stiere von Rhodos genial gebaut waren. Sie dienten als Signalhörner  –  sie „brüllten laut, um die Bewohner von Rhodos vor der Ankunft von Feinden zu warnen“.14 Eine bestimmte Anordnung von Röhren in den Stieren verstärkte die Stimmen der menschlichen Wächter, die auf dem Berg stationiert waren. Gut möglich, dass der eherne Stier von Akragas perverserweise mit ähnlichen Röhren ausgestattet war, die die Schreie der Opfer in ein Brüllen verwandelten. Signalhörner und weitere megafonartige Geräte, die die menschliche Stimme verstärkten, wurden von verschiedenen Kulturen der antiken Welt ersonnen. Die künstliche Verstärkung der menschlichen Stimme, um Botschaften zu übermitteln, wurde Alexander dem Großen zugeschrieben, der ein gewaltiges Bronzehorn oder -megafon benutzte, das an einem großen Stativ aufgehängt war. Damit konnte er in alle Richtungen Signale an seine Armee übermitteln, die mehrere Kilometer weit entfernt war. Dieses Instrument war nach dem mit einer sehr lauten Stimme begabten Boten namens Stentor aus dem mythischen Trojanischen Krieg benannt (Homer, Ilias 5.783). Ein übertrieben großes Gerät nach Art des Stentor taucht auch in mittelalterlichen Legenden um Alexander auf, dessen phänomenal laute Kriegstrompete, die zuweilen „Horn des Themistios“ genannt wird, ein fast 100 km entferntes Heer herbeirufen konnte.15 Melodischere, mechanisierte Klänge waren ebenfalls möglich. Sie drangen aus einer Reihe von Statuen und Automata hervor, was an die legendären singenden Jungfrauen im Tempel von Delphi erinnert (siehe Kapitel 7). Ein Beispiel für eine Geräusche verursachende

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Statue sticht hier besonders heraus, nämlich die vom Bildhauer Demetrios (4. Jh.  v.  Chr.) geschaffene Athena-Statue. Nach Plinius (Naturgeschichte 34.76) wurde diese Statue „musikalische“ oder „schreiende“ Athena genannt (musica oder mycetica  –  das Manuskript ist an dieser Stelle unklar). Den sich windenden Schlangen im Haar der wilden Gorgo Medusa auf dem Schild von Athena sollen merkwürdige Töne entfleucht sein.16 Eine faszinierende archäologische Entdeckung aus Kairo, Ägypten, aus dem Jahr 1936 zeigt, wie einige sprechende und singende Statuen der Antike funktionierten. Eine große Kalkstein-Büste des Sonnengottes Re-Harmachis hat im Nacken eine Aushöhlung, von der ein enger Kanal zu einer Öffnung am rechten Kiefer unter dem Ohr führt. Archäologen vermuten, dass ein Priester, hinter der Statue versteckt, in die Aushöhlung und das Rohr sprach. Das veränderte seine Stimme und erweckte den Anschein, der Gott selbst würde ein Orakel von sich geben.17 Von einem der Memnon-Kolosse in Ägypten aus soll ein erhabenes Lied erklungen sein. Dieses Paar riesiger (20 m hoch) sitzender Steinstatuen mit dem Abbild von Pharao Amenophis III. war schon in der Antike eine Touristenattraktion. Amenophis ließ diese Zwillingsstatuen bei seinem Tempel in Theben am Nil um 1350  v.  Chr. errichten. Die Ägypter nannten die nördliche, „singende“ der beiden Statuen Amenophis, Phamenophes oder Sesostris; die Griechen nannten sie Memnon. Bis sie bei einem Erdbeben 27  v.  Chr. zerbrach, gab die Statue bei Sonnenaufgang einen phantastischen Ton bzw. eine „Stimme“ von sich. Im griechischen Mythos war Memnon der Sohn der Göttin Eos (Morgenröte) und ihres sterblichen Liebhabers Tithonos (siehe Kapitel 3). Als König der Äthiopier und Neffe des Priamos verbündete sich Memnon im Trojanischen Krieg mit den Trojanern. Er überlebte den Krieg jedoch nicht, sondern wurde von Achill getötet. Einige Beobachter glaubten, die Sprache bzw. der Gesang von Memnons Statue sollte seine Mutter Eos nach dem Tod ihres Sohnes trösten. Die Strahlen der Sonne ließen seine Augen leuchten und der Klang war zu hören, „sobald der Sonnenstrahl

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auf seine Lippen traf “. Besucher hatten das unheimliche Gefühl, dass Memnon kurz davor war, sich vom Thron zu erheben und den neuen Tag zu begrüßen.18 Der römische Historiker Tacitus (Annalen 2.61) erwähnt das Standbild des Memnon, das, „sobald es von den Sonnenstrahlen getroffen wird, einen hellen Ton von sich gibt“, zusammen mit den Pyramiden, „die mitten in den weit ausgedehnten und kaum begehbaren Sandwüsten von den Königen mit ihrem Reichtum um die Wette berghoch“ errichtet worden seien. Einige Forscher meinen, der Klang sei durch eine plötzliche Ausdehnung des Steines durch die Hitze der Sonnenstrahlen entstanden: Vielleicht seien innere Hebel in Bewegung gesetzt worden, die mit schwingenden Saiten verbunden waren (vielleicht brachte ein ähnlicher Effekt die goldenen Sirenen in Delphi zum Singen, siehe Kapitel 7). Als der Geograph Strabon und seine Freunde die Statuen um 26  v.  Chr. besuchten (17.146), hörten sie die Klänge, waren aber nicht sicher, ob sie von der Statue oder von jemandem kämen, der am Sockel der Statue stand. Eukrates, die Hauptfigur in Lukians Satire Philopseudes (Der Lügenfreund; 2. Jh.  n.  Chr.) behauptet, ein „wirkliches Orakel“ gehört zu haben, das von Memnon bei Sonnenaufgang ausgesprochen worden sei, obwohl die meisten Besucher nur „einen bloßen Schall ohne Sinn“ gehört hätten. In den Jahren 80 bis 82  n.  Chr. schrieb ein römischer Zenturio namens Lucius Tanicius die Daten und Zeiten auf, zu denen er bei seinen 13 Besuchen den Gesang hörte. Viele andere Touristen in der Antike hinterließen Graffitis auf den singenden Kolossen  –  die letzte datierbare Inschrift stammt aus dem Jahr 205  n.  Chr. Einige Kommentatoren meinten, der Gesang Memnons sei, nachdem Kaiser Septimius Severus die Statue im Jahre 200 restaurieren ließ, nie wieder gehört worden. Und die christlichen Kirchenväter Theodoret, Hieronymus und andere behaupteten, sämtliche ägyptischen Götzenbilder hätten aufgehört zu reden, nachdem Jesus geboren war.19 Wie wir gesehen haben, gab es viele Möglichkeiten, die Illusion zu erzeugen, dass Statuen sich bewegen und sprechen könnten bzw. dass sie lebten.20 Paul Craddock (ein Experte für antike, nahöstliche

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Metallurgie) vermutet, dass zu solchen „Tem- Abb. 9.2: Die Memnon-Kolosse peltricks“ auch ein Götzenbild gehört haben in Theben, Ägypten. könnte, das ein kribbelndes Gefühl verursachte, wenn man es berührte: die rätselhaften Objekte, die zwischen 1936 und 1938 im Irak entdeckt und als „Bagdad-Batterien“ bekannt wurden. Sie werden entweder der Zeit der Parther (ca. 250  v. Chr. bis

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240  n.  Chr.) oder der Sassaniden (Regierungszeit 224 bis 640  n.  Chr.) zugeschrieben. Die „Batterien“ sind umstritten: Für manche Historiker sind sie der Beweis für frühe persische Experimente mit Elektrizität, doch dies ist nicht gesichert. Leider verschwanden die Batterien bei Plünderungen des Irakischen Museums in Bagdad 2003. Beschreibungen, Schaubilder und Fotos liefern uns aber immerhin noch einige Details. Die kleinen Terrakotta-Gefäße, jedes ca. 12  cm groß, enthalten Zylinder aus Eisenstäben, die ihrerseits in Kupferblätter gewickelt, oben und unten mit Asphalt (Bitumen) und am unteren Ende zusätzlich mit einer Kupferscheibe versiegelt sind. Der mit Kupfer umwickelte Eisenstab ragt aus dem Asphalt heraus. Die Innenwände des Kruges zeigen Spuren von Korrosion. Es wurden jedoch keine Drähte gefunden. Vielleicht hat man sie übersehen, oder sie sind verrostet. In der gleichen Gegend wurden auch dünne bronzene „Nadeln“ (ohne Zylinder) bei ähnlichen Gefäßen gefunden. Material und Konstruktion lassen eine primitive galvanische Zelle vermuten. Und mit Nachbauten der Bagdad-Batterien ließ sich eine schwache Spannung von 0,5 Volt herstellen. Dafür wurde eine fünfprozentige Elektrolyt-Lösung verwendet  –  entsprechende Substanzen waren schon in der Antike verfügbar, etwa Traubensaft, Essig, Wein oder Schwefelsäure bzw. Zitronensäure. Miteinander verbunden, hätten mehrere Batterien eine höhere Leistung erreicht  –  genug, um einen leichten Schlag zu bewirken, ähnlich wie bei statischer Elektrizität. Der Zweck dieser Zellen ist nicht bekannt. Einige Forscher vermuten eine medizinische Funktion, andere eine magische bzw. rituelle Verwendung. Wenn die Batterien tatsächlich elektrische Ladung erzeugt haben, hätte damit entsprechend Craddocks Vermutung eine Metallstatue mit Leben und Kraft erfüllt werden können. Dazu hätte man nur Krüge in ihr verstecken und diese von außen aktivieren müssen. Jeder, der diese Statue berührte, wäre dann von einem Gefühl der Wärme, einem seltsamen Kribbeln und in einer Dunkelkammer vielleicht sogar von einen kaum wahrnehmbaren blauen Lichtblitz in Staunen versetzt worden.21

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Zwischen dem 3. Jh.  v.  Chr. und dem 1. Jh.  n.  Chr. wurde verschiedentlich Vogelgesang erwähnt, der aus den Schnäbeln naturgetreu bemalter Vogelmodelle ertöne, die die berühmten Erfinder Philon und Heron aus dem ägyptischen Alexandria erfunden hatten (ihre Werke werde ich später noch beschreiben). Doch schon früher waren Menschen von einem künstlichen Vogel fasziniert, der fliegen konnte. Ein solches Automaton wurde dem Philosophen, Wissenschaftler und Politiker Archytas (ca. 420 –350  v.  Chr.) zugeschrieben, einem Gefährten Platons. Archytas lebte in Tarent, einer von Griechen gegründeten Kolonie in Süditalien.22 Für seine Intelligenz und Tugend bewundert, wurde er in das Amt des Strategos gewählt, eines Generals, und es heißt, er hätte Einfluss gehabt auf die Idee der Philosophen-Könige in Platons Staat. Aristoteles erwähnt Archytas’ Theorien in mehreren seiner Abhandlungen. Seine eigenen Schriften existieren jedoch nur noch in Fragmenten.23 Horaz hat eines seiner Gedichte an Archytas gerichtet (Ode 1.28, „die Archytas-Ode“), und auch andere antike Quellen behandeln ihn. Doch nur Aulus Gellius (2. Jh.  n.  Chr.) berichtet über die erste Flugmaschine mit Eigenantrieb in Gestalt einer Taube. Was Archytas „ersonnen und zur Ausführung gebracht hat“ werde, „wenn nicht weniger wunderbar, so doch ganz gewiss ebenso wenig ungereimt erscheinen“ (Noctes Atticae 10.12.9 – 10). Gellius zitiert „den Philosophen Favorinus, den eifrigsten Forscher in alten geschichtlichen Denkmälern“; dieser habe die „Nachbildung einer Taube“ erwähnt, „von Archytas nach einem gewissen System (konstruiert) und aus Holz hergestellt, die sich in die Luft schwingen. Dieses Kunstwerk wurde (wie sich’s von selbst versteht) durch (gewisse) Schwungkräfte in die Höhe getrieben und durch eine verborgene und eingeschlossene Strömung von Luft in Bewegung gesetzt“. Die Taube flog über eine gewisse Distanz, und „wenn sie sich einmal niedergelassen“ habe, habe sie „sich nicht wieder erhoben“. Leider bricht die Überlieferung hier ab, der Rest ist verloren. Archytas’ wegweisende Arbeit zur Mechanik und Geometrie, zu Würfeln und Proportionen ermöglichte den Bau maßstabsgetreu-

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er Modelle. Moderne Philosophen und Wissenschaftshistoriker haben über Archytas’ Grundsätze der Mechanik geschrieben und waren der Ansicht, dass es den Tauben-Apparat tatsächlich gegeben haben könnte. Maschinenbauer vermuten, dass die Taube an eine Kordel oder einen Stock gebunden war und mit Dampf oder Druckluft angetrieben wurde, der bzw. die mit einem Ventil in einem Rohr oder einem metallenen Hohlraum gesteuert wurde. Nach jedem Flug musste das Tier wieder eingerichtet werden (es gibt keine Hinweise darauf, dass die Taube bewegliche Flügel hatte). Eine „plausible Rekonstruktion“ dieser Taube, die Carl Huffmann 2003 angeregt hat, beruht auf der Annahme, dass der Vogel „mit einer Kordel über eine Rolle mit einem Gegengewicht verbunden war“ und seine „Bewegung durch einen Windstoß verursacht wurde, der die Taube von einer niedrigeren Sitzstange zu einer höheren fliegen ließ“. In Kostas Kotsanas’ hypothetischer Rekonstruktion wird ein aerodynamischer Vogel durch Dampf bzw. Druckluft in Bewegung gebracht.24 Interessant ist ein Vergleich der Taube des Archytas mit zwei anderen historischen mechanischen Apparaten des 5. bzw. 4. Jh.s  v.  Chr. aus Elis auf der Peloponnes, wo die Olympischen Spiele abgehalten wurden. Der erste Mechanismus bestand aus einem Adler und einem Delphin. Diese bronzenen Figuren dienten im Hippodrom in Olympia als bewegliche Teile des genialen Starttors für die Pferde- und Wagenrennen. Ihr Mechanismus funktionierte noch im 2. Jh.  n.  Chr., als Pausanias (6.20.10 –14) dieses Tor beschrieb. Ein Beamter bediente diesen Mechanismus von einem Altar am Tor aus. Als Startsignal flog für die Zuschauer sichtbar der Adler mit ausgebreiteten Schwingen in die Luft und der Delphin sprang gleichzeitig herab. Diese Vorrichtung wurde ursprünglich von dem athenischen Bildhauer und Erfinder Kleoitas (480–440  v.  Chr.) gebaut und im 4. Jh.  v.  Chr. von dem Künstler Aristeides verbessert. Kleoitas wurde für seine hyperrealistischen menschlichen Statuen mit winzigen atemberaubenden Details, wie eingelegten silbernen Fingernägeln, bewundert. Er erschuf 432  v.  Chr. auch die kolossale Gold- und Elfenbeinstatue von Zeus in Olympia gemeinsam mit dem berühmten athenischen Bild-

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hauer Phidias (ihre Werkstatt wurde in den 1950er-Jahren in Olympia entdeckt). Dieser stellte auch die gewaltige Statue der Athena aus Gold und Elfenbein auf dem Parthenon her (siehe Kapitel 8). Wahrscheinlich wirkten auch der Adler und der Delphin am Starttor in Olympia sehr lebensecht, und wie Archytas’ Taube waren sie auf irgendeine Weise angebunden. Elis rühmte sich zudem eines Schauspiels, das während der Dionysien stattfand, der großen Feierlichkeiten für Dionysos, den Gott des Weines. Aristoteles (Mirabilia 842.A123) schildert es so: „In Elis soll es ein Haus geben, höchstens acht Stadien von der Stadt entfernt, in das man am Dionysosfest drei bronzene Kessel stellt. Anschließend lädt man von den gerade anwesenden Griechen jeden, der will, dazu ein, die Gefäße zu untersuchen und die Türen des Hauses zu versiegeln. Und wenn sie sie öffnen wollen, so zeigen sie zunächst ihren Mitbürgern und den Freunden die Siegel, erst dann öffnen sie sie. Die Eintretenden finden die Kessel voll von Wein, den Fußboden und die Wände aber unbeschädigt, sodass keinerlei Verdacht besteht, sie würden dabei einen Kunstgriff anwenden.“ Zu dem Trick gehörte offenbar eine unsichtbare Hydraulik-Technologie, mit der man den Wein in die Kessel pumpte. Die Datierung dieser Begebenheit ist unbekannt. Beschrieben wird sie in einer Sammlung von Notizen, die von Aristoteles’ Studenten und Nachfolgern angelegt wurde  –  sie muss also im 4. Jh.  v.  Chr. bereits bekannt gewesen sein. Noch einmal zu Archytas: Neben seinen militärischen und politischen sowie seinen wissenschaftlichen Leistungen in Mathematik, Geometrie, Harmonik und Mechanik schrieb Aristoteles ihm auch die Erfindung eines beliebten Kinderspielzeugs zu, des klackernden Krachmachers, der „Ratsche“.25 Dieses Spielzeug und sein technologisches Paradestück, die fliegende Taube, operieren mit Grundsätzen der Mechanik und dienten der Unterhaltung  –  eine willkommene Alternative zu den grausamen Automata anderer Herrscher. Ein täuschend echt wirkendes Automaton eines wirbellosen Tieres wurde in Athen während der Herrschaft der Makedonen im späten 4. Jh.  v.  Chr. gebaut. Der makedonische König Kassander hatte

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Demetrios von Phaleron 317  v.  Chr. damit betraut, Athen zu regieren. Der gut ausgebildete Redner und jüngere Zeitgenosse von Aristoteles blieb der einzige Makedone, der über Athen herrschte; 307  v.  Chr. wurde er schließlich ins Exil gezwungen. Er floh nach Alexandria in Ägypten, wo viele Erfinder arbeiteten (dazu kommen wir noch), und war dort im Auftrag von König Ptolemaios I. an der Errichtung der großen Bibliothek und des Mouseions beteiligt. Später fiel Demetrios auch in Alexandria in Ungnade und musste ins ägyptische Hinterland ins Exil, wo er um 280  v.  Chr. an einem Schlangenbiss starb.26 Als Herrscher über Athen galt er als arroganter Tyrann, der sich Exzessen und Extravaganzen hingab. Er verachtete die Demokratie und entrechtete arme Bürger. Laut einer Geschichte aus der Zeit des Demochares, eines rivalisierenden athenischen Redners, der die Demokratie verteidigte, bestellte Demetrios 308  v.  Chr. einen beweglichen Nachbau einer gewaltigen Landschnecke, „die von einem inneren Mechanismus in Gang gesetzt wurde“.27 Der griechische Historiker Polybios (12.13) berichtet im 2. Jh.  v.  Chr., diese Riesenschnecke habe die traditionelle zeremonielle Prozession der Dionysien angeführt, die das große Schauspiel-Festival Athens waren. Diese Prozession zog sich von Platons Akademie außerhalb der Stadtmauern bis zum Dionysos-Theater über eine Distanz von ca. 2,9 km. Polybios schildert den Bau der Schnecke und ihre innere Funktionsweise nicht im Detail, doch die Bezeichnung „innerer Mechanismus“ lässt auf eine Vorrichtung schließen, die sich von selbst bewegte. 1937 vermutete der Philologe Alfred Rehm, im Inneren der Schnecke habe ein Mensch eine Tretmühle bedient und ein zweiter die Richtung gesteuert. Tretmühlen gab es schon in der Antike: Die gewaltige mobile Belagerungsmaschine, die Poseidonios 323  v.  Chr. für Alexander den Großen baute, könnte auf einer Tretmühle beruht haben, und ein römisches Relief aus dem 1. Jh.  n.  Chr. zeigt einen riesigen Baukran, der von vielen Männern in einer großen Tretmühle angetrieben wird. Dennoch wird Rehms Theorie noch immer diskutiert.28

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Aber warum hätte sich Demetrios die Mühe machen sollen, einen riesigen, sich bewegenden Nachbau einer Schnecke zu kreieren? Man könnte argumentieren, dass die Dionysien im Winter stattfanden, wenn die Regensaison beginnt und Landschnecken in großer Zahl auftauchen, sodass diese Tiere wahrscheinlich überall in Athen zu sehen waren. Demetrios’ Schnecke in Übergröße war so „lebensecht“, dass sie sogar eine Schleimspur hinterließ, während sie die Route entlangkroch. Dieser besondere Effekt konnte leicht mit Olivenöl erreicht werden, das aus einem versteckten Rohr austrat. Für die Interpretation dieses Automaton ist bedeutsam, dass der Schnecke in der Prozession ein paar Esel folgten. Diese Anordnung war Teil eines abfälligen Witzes: Schnecken galten schon damals sprichwörtlich als langsam, und weil sie ihre Häuser mit sich trugen, standen sie zudem für Armut. Esel wiederum wurden mit begriffsstutzigen, faulen Sklaven assoziiert, die nur arbeiteten, wenn man sie schlug.29 Wie Demochares bemerkte (Polybios 12.13), ging es in Demetrios’ Spektakel also darum, die „Langsamkeit und Dummheit der Athener“ zu verspotten. Die große Schnecke an sich war harmlos, doch die Inszenierung war eine drastische Art des Tyrannen, die Athener öffentlich zu demütigen, deren Demokratie von den Makedonen und ihren Kollaborateuren gerade niedergeschmettert worden war. Ein Jahrhundert darauf, im Jahr 207  v.  Chr., ergriff in Sparta ein böser Diktator namens Nabis die Macht. Er herrschte bis 192  v.  Chr. Seine Herrschaft blieb lange wegen seiner barbarischen Taten in Erinnerung, denn er ließ Massen von Bürgern foltern, töten oder ins Exil schicken. Nabis und seine herrische Frau Apega (vermutlich Apia, Tochter des Tyrannen aus dem nahen Argos) pressten ihren Untertanen außerdem Wertgegenstände und Geld ab. Polybios, der aus Südgriechenland stammte und um die Zeit ihres Sturzes geboren wurde, berichtet ihre Geschichte. Laut seiner Darstellung übertraf Apega „ihren Mann bei Weitem an Grausamkeit“. Nachdem Nabis Apega nach Argos geschickt hatte, um Gelder zu beschaffen, folterte sie dort ebenfalls Frauen und Kinder, bis sie ihr Gold, Schmuck

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Abb. 9.3: Nabis, 207–192  v. Chr., Herrscher über Sparta; Porträt auf einer Silbermünze.

und kostbare Besitztümer gaben (Polybios 13.6–8,18.17). Als Tyrann lud Nabis eine ganze Reihe ruchloser Gestalten in sein Königreich ein, darunter auch Piraten aus Kreta.30 Vielleicht baute einer von ihnen auf Befehl von Nabis eine mechanische Apega, eine „Maschine“, die „mit der Frau des Nabis die größte Ähnlichkeit hatte“ (Polybios 13.6–8, 16.13, 18.17). Von den Taten seiner Frau angeregt, „erfand Nabis einen weiblichen Roboter, der so böse und betrügerisch wie Pandora war“, wie die Historikerin Sarah Pomeroy kommentiert, die über die Frauen Spartas forscht. Dieses Automaton wurde mit Apegas luxuriösen Gewändern bekleidet. Es ist gut möglich, dass der betreffende Kunsthandwerker einen Gipsabdruck oder ein Wachsmodell von Apegas Gesicht bemalte, um den gewünschten Effekt zu erreichen. Nabis ließ reiche Bürger zu sich kommen, machte sie mit Wein betrunken und drängte sie, ihm ihr Eigentum zu übergeben. Wenn ein Gast sich weigerte, dem nachzukommen, pflegte Nabis zu sagen: „Ich denke, Apega wird dich überreden.“ Wenn dann der Nachbau seiner Frau erschien und der Gast der sitzenden „Dame“ seine Hand gab, stand diese auf, wobei ihre Arme von Federn angehoben wurden. Nabis stand selbst hinter dieser Apega und bediente Instrumente an ihrem Rücken, sodass Apegas Arme das Opfer plötzlich umklammerten. Mit Hebeln und Sperrvorrichtungen verengte Nabis die tödliche Umarmung und schloss das Opfer allmählich immer enger ein. Die ausgefallene Bekleidung des Automaton verbarg die Eisenstacheln, mit denen dessen Handflächen, Arme und Brüste versehen waren und die durch den zunehmenden Druck immer tiefer in den Körper des Opfers drangen. Nabis brachte mit diesem Gerät in Gestalt seiner Frau „viele um, die sich weigerten, zu zahlen“, so Polybios (13.6–8).31

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Im 3. Jh.  v.  Chr., als Nabis und seine Frau an die Macht kamen, entwarfen viele Erfinder und Ingenieure im Mittelmeerraum belebte Statuen und andere ausgeklügelte Apparate für Krieg und Frieden. Auch ein Beispiel für einen Apparat aus dem 4. Jh. hat sich erhalten: das geniale Kleroterion, eine Art Losmaschine, mit dem Bürger zu städtischen Beamten gewählt wurden. Neben dem bereits erwähnten Mechanismus von Antikythera ist diese Losmaschine allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Es gab viele weitere praktische technologische Versuche und Erfindungen, von denen zwar keine Spuren mehr erhalten sind, die aber in antiken Texten beschrieben werden. Im 4. und frühen 3. Jh.  v.  Chr. haben Militäringenieure in Italien, Karthago und Griechenland für Herrscher wie Dionysios I. von Syrakus und Philipp II. von Makedonien Armbrustgeschütze und mächtige Torsionskatapulte entwickelt, die auf komplexen mechanischen Formeln und Federn basierten. Für seinen Versuch der Eroberung von Rhodos 305  v. Chr. ließ der makedonische Feldherr und Herrscher Demetrios Poliorketes, der „Städtebelagerer“, seine Ingenieure den größten mechanischen Belagerungsturm konstruieren, der je gebaut wurde. Ausgestattet mit 16 schweren Katapulten, mit Eisenplatten beschlagen und mit einem Gewicht von mehr als 160 Tonnen, bedurfte es mehr als 3000 Männer, um diesen hölzernen „Stadteinnehmer“ zu nutzen. Demetrios setzte außerdem einen riesigen Rammbock ein, der von 1000 Soldaten bedient wurde. Archimedes von Syrakus ist vielleicht der berühmteste Ingenieur des Hellenismus. Er stellte viele geometrische Lehrsätze auf und entwarf eine ganze Reihe innovativer Maschinen, die mit Hebeln, Flaschenzügen, Schrauben und Differentialgetrieben ausgestattet waren. Seine Entwürfe reichten von astronomischen Apparaten über Hodometer (Wegmesser) und heiße Lichtstrahle, die in den Hafen eindringende Schiffe entzünden sollten, bis hin zur „Klaue“, einem gewaltigen Enterhaken an einem Kran, der feindliche Schiffe packen und versenken sollte.32 Angesichts dieser reichen Hinterlassenschaft an Erfindungen aus klassischer und hellenistischer Zeit können wir annehmen, dass Na-

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bis’ tödliche Apega-Maschine nach technologischen Vorgängern geschaffen worden war. Das Automaton bewegte sich mittels Federn scheinbar von allein. Nabis kontrollierte die Mechanismen, um sicherzustellen, dass diese Illusion reibungslos funktionierte. Das Apega-Automaton konnte Opfer durch gewaltsame Umarmungen töten, was daran erinnert, wie der mythische Bronzeroboter Talos Menschen an seiner Brust zerquetschte. Manche Historiker haben die Frage aufgeworfen, ob diese Apega eine Inspiration für die „Eiserne Jungfrau“ gewesen sein könnte. Diese legendäre mittelalterliche Vorrichtung zur Folter und Exekution bestand aus einem Metallgehäuse, das wie eine Frau geformt und im Inneren mit Metallspitzen versehen war. Nach der Ermordung Iulius Caesars 44  v.  Chr. war Rom in Aufruhr. Sein Gefolgsmann Marcus Antonius hielt eine dramatische Grabrede über der Bahre mit Caesars entstelltem Leichnam. Der Historiker Appian (Bürgerkriege 2.146 –147) beschreibt die Auswirkungen dieser Rede auf die Bevölkerung: Während er „in einer Art von Verzückung“ „wie ein von Gott Begeisterter“ sprach, ergriff Marcus Antonius einen Speer und hob mit dessen Spitze das Gewand von Caesars Leichnam hoch, sodass alle sehen konnten, wie blutgetränkt und von Messerstichen durchbohrt es war. Die Trauernden erhoben daraufhin ein lautes Klagen. Doch damit war die theatralische Vorführung noch nicht vorbei. Ein unsichtbarer Schauspieler ahmte Caesars Stimme nach und zählte die Namen seiner Mörder auf, was die Zuhörer noch mehr betrübte. Dann erhob sich aus dem Sarg langsam der entstellte Leichnam Caesars: eine Nachbildung aus Wachs, die realistischerweise auch die 23 brutalen Stichwunden aufwies. Das Meisterstück aber folgte, als dieses wächserne Abbild „mithilfe einer Vorrichtung“ rotierte und den Anwesenden einen „jammervollen Anblick“ präsentierte. Rasend vor Wut und Kummer machte sich die Menschenmenge auf, zündete das Gebäude an, in dem Caesar ermordet worden war, und versuchte, das Haus der Mörder niederzubrennen. Dieses sensationelle Bühnenstück mit einer sich automatisch bewegenden, blutigen, wächsernen Puppe mit

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dem Abbild Caesars war von dessen Anhängern sorgfältig geplant worden, um die Bevölkerung zu manipulieren. Manche Monarchen der griechisch-römischen Antike waren begeisterte Schirmherren der Wissenschaft und forderten Vorführungen mit belebten Statuen, um ihre Macht zu demonstrieren. Solche Wundermaschinen zeigten der Welt, dass der König das Unmögliche erreichen könne. Ein vereiteltes Beispiel für den Versuch, sich durch ein mechanisiertes Spektakel zu verherrlichen, trug sich im 1. Jh.  v.  Chr. während der Herrschaft von König Mithridates VI. von Pontos am Schwarzen Meer zu. Mithridates war für sein ungeheures Ego und seine Liebe zu wunderbaren Maschinen bekannt und zog die besten Kunsthandwerker, Wissenschaftler und Ingenieure an seinen Hof. Seine Ingenieure bauten gewaltige See- und Belagerungsmaschinen  –  der berühmte Mechanismus von Antikythera wurde von den Römern aus seinem Herrschaftsgebiet geraubt (70–60  v.  Chr.). Um das Jahr 87  v.  Chr. plante Mithridates zur Feier seines Sieges über römische Truppen in Griechenland einen gewaltigen Festzug. Die königlichen Ingenieure, die klassische griechische Bilder im Sinn hatten, schufen eine gewaltige geflügelte Statue der Göttin Nike und ließen sie an unsichtbaren Seilen über den Köpfen der Sieger schweben. Eine vergleichbare Deus-ex-machina-Technik wurde bereits in klassischer Zeit bei Theateraufführungen genutzt, doch Mithridates’ Plan war jenseits aller Vorstellungen. Auf dem Höhepunkt der Festlichkeiten sollte die gewaltige geflügelte Göttin dramatisch herabsteigen, gehalten von einer Reihe von Flaschenzügen und Hebeln, dabei ihre Hände ausstrecken und eine Siegeskrone auf dem Haupt von Mithridates ablegen, um danach wieder majestätisch zum Himmel emporzusteigen. Aber die Seile rissen, und die geflügelte Siegesgöttin krachte auf die Erde. Es war ein Wunder, dass niemand verletzt wurde, doch für die Zuschauer und die Nachwelt schien dies ein schreckliches Omen zu sein.33 Eine denkwürdige und höchst erfolgreiche Machtdemonstration fand unter dem Autokraten Ptolemaios II. Philadelphos (283 – 246  v.  Chr.) in Ägypten statt. Er entstammte jener mächtigen, helle-

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nistischen makedonisch-griechischen Dynastie der Ptolemäer, die auf Alexander den Großen gefolgt war und im Jahr 30  v.  Chr. mit der berühmten Königin Kleopatra endete. Die Ptolemäer waren begeisterte Unterstützer der Künste und Wissenschaften, die am neuen internationalen Forschungszentrum in Alexandria zu Hause waren. Dessen Bücherei und Mouseion wurden um 280  v.  Chr. von den Ptolemäern gegründet und 48  v.  Chr. größtenteils von einem Feuer zerstört. Unter den Ptolemäern wurde Alexandria zum Zentrum wissenschaftlicher Erfindungen und zu dem Ort, wo mechanisierte öffentliche Vorzeigeobjekte für Theater, Prozessionen und Tempel entstanden, vor allem belebte Statuen und automatisierte Apparate.34 Ptolemaios II. Philadelphos heiratete seine Schwester Arsinoë II. im Jahr 278  v.  Chr. Wie wir gesehen haben, erklärte er sie nach ihrem Tod zur Göttin und ließ eine übernatürlich schwebende Statue von ihr fertigen (angeblich kamen hier Magneten zum Einsatz, siehe Kapitel 5). Doch an die Herrschaft von Ptolemaios II. erinnert man sich vor allem wegen der unerhörten Pracht seiner großen Prozession im Jahr 279/278  v.  Chr., einer scheinbar endlosen Parade exotischer Kreaturen, lebender Bilder, kostümierter Tänzer und atemberaubender Apparate, die mehrere Tage in Anspruch nahm. Laut den Beschreibungen in der Geschichte Alexandrias von Kallixeinos von Rhodos (Zeitgenosse Ptolemaois’ II., möglicherweise sogar Augenzeuge des Ereignisses) waren zwei Dutzend von Elefanten gezogene, goldene Streitwagen dabei, gefolgt von Straußen, Panthern, Löwen, Giraffen und anderen Tieren, dazu viele schwere Fuhrwerke oder Motivwagen, Hunderte von Darstellern, die als Satyrn, Mänaden und weitere mythische Figuren verkleidet waren, überlebensgroße realistische Statuen von Gottheiten (darunter auch Alexander der Große) und Wunderwerke der Ingenieurskunst. Leider sind Kallixeinos’ Werke verloren, wie so viele antike Texte, die für unser Verständnis von künstlichem Leben und Automata in dieser Zeit wesentlich sind, doch Teile seines ausführlichen Berichts über die Parade wurden von dem Schriftsteller Athenaios (Gastmahl der Gelehrten 5.196 – 203) im 2. Jh.  v.  Chr. aufgezeichnet.35

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Ptolemaios’ große Prozession feierte den Gott des Weines, Dionysos, und stellte Szenen aus seiner Mythologie dar. Die Beobachter waren geblendet von einer gewaltigen Dionysos-Statue, die 4,50 m hoch war und einen riesigen goldenen Becher in die Höhe hielt, der vor Wein überfloss; sie war umgeben von Satyrn, Bacchanten, Sängern und Musikern. Ein weiterer Motivwagen trug eine gewaltige Weinpresse, die ca. 19 m lang und 6 m breit war und von 300 Männern gezogen wurde; 60 als Satyrn verkleidete Männer zerstampften die Trauben mit ihren Füßen. Es gab auch einen riesigen Weinschlauch aus Leopardenfell. Dieser lag auf einem schweren Karren, der von 600 Männern gezogen wurde, wobei ein steter Strom an Wein aus dem Schlauch lief, die ganze Route über. Ein weiterer Motivwagen transportierte zwei Brunnen, aus denen Wein und Milch sprudelten (wie aus den Brunnen, die im griechischen Mythos Hephaistos zugeschrieben wurden). Der Überfluss an wunderbaren und teuren automatischen Objekten und Statuen rief antike Versionen des Uncanny-Valley-Effekts hervor, also der Unentschlossenheit gegenüber realistisch wirkenden Robotern und Automata. Sie nährten die Illusion, dass alle Konstruktionen von den Göttern belebt worden waren, und damit den Eindruck, Ptolemaios habe es geschafft, die Götter selbst herbeizuzitieren. Auf die Dionysos-Statue folgte ein weiterer verblüffender Anblick: ein Motivwagen mit einer gewaltigen sitzenden Statue, einer Personifikation des Berges Nysa, die eine goldene Krone und gelbe Kleider mit goldenem Flitter trug. Nysa war der Berg, an dem Dionysos als Kind von Regennymphen genährt wurde und aufwuchs. Im Hellenismus wurde dieser Berg als Dionysos’ Amme personifiziert. Die Nysa in der Prozession war ein selbstbewegendes Automaton. Regelmäßig erhob sie sich entlang der Strecke, goss entsprechend ihrer Geschichte ein Milch-Trankopfer aus einer goldenen Phiale und setzte sich wieder. Sie tat dies, ohne „dass irgendjemand Hand an die Statue legte“, so Kallixeinos. Das riesige Nysa-Automaton  –  im Sitzen war die Statue vermutlich ca. 3,60 m groß  –  und der große Vorratsbehälter für die Milch

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müssen sehr schwer gewesen sein. Tatsächlich soll der Karren 3,60 m breit gewesen und von 60 Männern gezogen worden sein. Wie andere übergroße Statuen war auch Nysa nicht aus Bronze oder Marmor, sondern aus Terrakotta, Holz, Gips und Wachs gefertigt und realistisch bemalt worden. Um sicherzustellen, dass er während der gesamten Prozession (die auf 4,8 km Länge geschätzt wurde) fehlerfrei funktionierte, muss der Mechanismus des Automaton sehr robust gewesen sein, so schätzen heutige Ingenieure. Wie war dies möglich? Im Jahr 2015 haben die Historiker Teun Koetsier und Hanfried Kerle, die sich mit der Geschichte des Maschinenbaus befassen, mehrere Entwürfe analysiert und in Form von Schaubildern dokumentiert. Wenn die Statue im Sitzen schon 3,60   m groß war, hätte sie stehend ca. 4,50 m gemessen. Zudem muss das Automaton mit mechanischen Mitteln und mit zur damaligen Zeit erhältlichen Komponenten angetrieben worden sein. Daraus schlossen die beiden Historiker, dass eine komplizierte Anordnung von Nocken, Gewichten und einer Radkette bzw. Zahnrädern sorgfältig aufeinander abgestimmt gewesen sein muss, damit sich Nysa von ihrem Sessel erheben, Milch ausschenken und sich schließlich langsam und herrschaftlich wieder setzen konnte. Wer schuf dieses für die Antike beispiellose Automaton der Nysa, einen der ersten funktionierenden Roboter der Welt? Die antiken Quellen sagen uns dazu nichts. Ein möglicher Kandidat wäre der Ingenieur Ktesibios, der als erster Direktor des Mouseions in Alexandria gilt. Es sind leider keine Schriften von ihm erhalten, doch seine Erfindungen, die auf Hydraulik (Pumpen, Saugrohren) und Pneumatik (Druckluft) beruhten, wurden hochgeschätzt und von Vitruv, Plinius, Athenaios, Philon von Byzanz (der in Alexandria wirkte), Proklos und Heron von Alexandria beschrieben. Ktesibios lebte zwischen 285 und 222  v.  Chr. und schuf unter anderem ein pneumatisches Trinkhorn für einen Tempel zu Ehren von Arsinoë II., Ptolemaois’ II. verstorbener Frau.36 Käme nicht auch der herausragende griechische Ingenieur und Autor Philon von Byzanz („Philo Mechanicus“) als Erbauer des Ny-

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sa-Roboters infrage? Er verbrachte den Großteil seines Lebens auf Rhodos und in Alexandria. Seine genauen Lebensdaten sind nicht bekannt, doch vermutlich wurde er erst um 280  v.  Chr. geboren  –  zu spät für die große Prozession von Ptolemaios II. Die beeindruckende Liste von Philons Maschinen und Plänen für selbstbewegende Apparate in Menschen- und Tiergestalt wurde in der Antike und im Mittelalter jedoch sehr bewundert.37 Philons Kompendium mechanischer Werke reichte von Belagerungstürmen bis zu Theatermaschinen. Zudem entwarf er eine Reihe von Geräten und Automata. Die meisten seiner Abhandlungen sind verloren, doch Pläne und Anleitungen wurden in späteren Quellen überliefert, von Heron sowie von islamischen Autoren.38 Wir sind Philons Version der Roboterassistenten des Gottes Hephaistos bereits begegnet (siehe Kapitel 7): einer naturgetreuen, lebensgroßen Dienerin, die die Fähigkeit besaß, einen Becher Wein einzuschenken und ihn mit Wasser zu verdünnen. Diese selbstbewegende mechanische Frau aus dem 3. Jh.  v.  Chr. galt lange als der erste menschengemachte Roboter, obwohl ihm das Nysa-Automaton um einige Jahre vorausging. Philon erdachte sinnreiche Miniaturmechanismen, die wegen ihrer geringen Größe umso erstaunlicher waren. Eines dieser Stücke war ein künstlicher Vogel, der piepte, wenn eine Eule sich umdrehte und ihn anschaute, und der wieder schwieg, wenn sie sich abwendete. Bei diesem Mechanismus wurde Wasser in einen Kessel gegossen und verdrängte dort die Luft  –  sie wurde durch ein kleines Rohr im Schnabel des Vogels herausgepresst. Diese oszillierenden Wellenlängen produzierten Tonhöhen unterschiedlicher Frequenz. Ein rotierender Schaft, der vom Wasserstand gesteuert wurde, bewirkte die Drehung der Eule. Philon entwarf außerdem einen Vogel, der seine Flügel ängstlich hob, wenn eine Schlange sich seinem Nest näherte. Wenn Wasser in einen Behälter floss, wurde ein Schwimmer angehoben, der über eine Stange mit den Flügeln des Vogels verbunden war. Ein weiteres amüsantes Automaton zeigte einen Drachen, der brüllte, wenn eine Pan-Figur ihn anschaute, und der sich entspannte,

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wenn der Pan sich wieder wegdrehte (eine Variante zeigte ein Reh, das Wasser trank, wenn der Pan sich abwendete).39 Philon hatte großen Einfluss auf einen weiteren führenden alexandrinischen Erfinder, Heron von Alexandria (10 – 70  n.  Chr.). Viele von dessen Schriften und Pläne für Maschinen, Geräte und Automata existieren noch heute. Heron baute beindruckende Maschinen, die charmante mythische Szenen aufführten. Dabei setzte er Hydraulik und andere Mechanismen ein, um sie in Bewegung zu versetzen. Er schuf außerdem „dionysische“ Apparate, die anscheinend spontan Wein hervorbrachten, was an die sich von selbst füllenden Kessel von Elis und die wunderlichen Schauspiele der großen Prozession von Ptolemaios erinnert. Heron gab seinen Ingenieurskollegen zudem kluge Ratschläge: Sie sollten kleine Automata bauen, damit niemand den Verdacht hegte, diese Maschinen würden von im Inneren verborgenen Menschen betrieben. In seinen Abhandlungen Automata (Über den Bau von Maschinen) und Pneumatika beschrieb Heron stationäre und bewegliche Geräte mit komplexen Bewegungsarten, zu denen auch „schlangenähnliche“ Bewegungen gehörten. Seine Instruktionen und Angaben ermöglichen es heutigen Konstruktionstechnikern, funktionierende Modelle nachzubauen.40 Ein für Heron typischer Mechanismus: ein bronzener Herakles schießt einen Pfeil auf eine Bronzeschlange; diese zischt, wenn sie getroffen wird. Heron entwarf auch automatische Miniaturtheater. Ein solches Theater rollte von allein auf die Bühne, hielt an und präsentierte „Feuer, die auf Altären flackerten, Klangeffekte und kleine tanzende Statuen“; danach rollte es wieder von der Bühne. Heutige Wissenschaftler nannten es den ersten programmierbaren Apparat.41 Um eine solche Kettenreaktion auszulösen, die eine Reihe von Ansichten und Klängen auf der kleinen Bühne präsentiert, zieht die bedienende Person an einer Schnur, woraufhin ein Bleigewicht langsam in eine Sand-Klepsydra absteigt (ein Mechanismus, der auf gleichmäßigem Abfluss von Sand  –  in anderen Fällen von Flüssigkeiten  – beruht). Dann tritt die Person zur Seite, und die Zuschauer beobachten eine faszinierende Vorführung (für einen funktionierenden

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Nachbau dieses Theaters siehe Abb. 9.4): Die Bühnentüren öffnen und schließen sich automatisch für fünf Szenen einer kleinen Tragödie um den Trojanischen Krieg mit dem Titel Nauplius. Zunächst sind Schiffbauer zu sehen, die man hämmern und Holz sägen hört. Als Nächstes stoßen die Männer die Schiffe ins Meer. Nun schaukeln Schiffe auf der rauen See mit springenden Delphinen. Ein Fackelsignal lockt dann die Schiffe in der Nacht an ein felsiges Ufer, und im letzten Akt sieht man, wie der griechische Held Aiax zwischen den zerstörten Schiffen schwimmt, während Athena von links nach rechts über die Bühne gleitet. Plötzlich wird Aiax von einem Blitz getroffen und geht in den Wellen unter.42 Diese kunstvoll konstruierten, mechanisierten Dramen von Philon und Heron gaben also einige der phantastisch anmutenden Episoden wieder, die auch auf Pandoras goldener Krone und Achills von Hephaistos geschmiedetem Schild zu sehen waren. Wie von Homer in Ilias und Odyssee beschrieben, schuf Hephaistos lebensechte Miniaturmenschen und Kreaturen, die sich zu bewegen und Töne von sich zu geben schienen (siehe Kapitel 5, 7, 8). Frühmittelalterliche arabische und islamische Texte überliefern viele der von Philon und Heron ausgearbeiteten Pläne für Automata  –  beispielsweise die der Banū-Mūsā-Brüder aus Badgad (9. Jh.) und die al-Dschazarīs (12. Jh.). Die antiken und mittelalterlichen nahöstlichen Einflüsse auf Automata und Maschinen des europäischen Mittelalters wurden intensiv erforscht.43 Auch mechanische Neuerungen im frühen China wurden von Historikern gut dokumentiert. So konstruierten etwa zur Zeit der Qin-Dynastie (221 – 206  v.  Chr.) in China Kunsthandwerker mechanische Marionetten und andere Apparate. Und um 250  n.  Chr. erfand der Ingenieur Ma Jun eine nach Süden weisende Figur in einem Streitwagen, der von einem Getriebe in Bewegung versetzt wurde, und ein Marionettentheater, das mit einem Wasserrad betrieben wurde.44 In der Tang-Dynastie (618–907  n.  Chr.) brachten technologische Fortschritte eine Vielzahl ausgeklügelter Automata und selbstbewegender Geräte hervor. Zu den typischen Beispielen gehören ein eiser-

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Abb. 9.4: Nachbau des automatischen Theaters von Heron von Alexandria, das auf Philons Entwürfen basierte. Oben, 1. Bild: Die Theatertüren öffnen sich und geben die Sicht auf Schiffbauer frei, Hämmern und Sägen ist zu vernehmen  –  die Geräusche werden durch eine innere Mechanik erzeugt. 3. Bild: Schiffe schaukeln auf dem unruhigen Meer mit springenden Delphinen. 4. Bild: Aiax ertrinkt zwischen den zerstörten Schiffen, während Athena im Vordergrund geht. Unten: der Mechanismus, mit dem Athena bewegt wird.

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ner Berg mit hydraulischen Pumpen, die Flüssigkeit aus einem Drachenmaul in einen Kelch spritzen ließen, und eine Reihe fahrender Boote mit automatischen Dienern, die Wein ausschenkten. Tang-Ingenieure schufen für Kaiserin Wu Zetian (reg. 683 – 704  n.  Chr.) viele automatische Apparate. Als buddhistische Konvertitin versuchte sie, die Verehrung von Buddha-Relikten durch den Kaiser Ashoka  – den großen Herrscher des indischen Maurya-Reichs im 3. Jh.  v. Chr.  –  noch zu übertreffen. Es gab viele Legenden über Ashoka, die von buddhistischen Pilgern nach China gebracht wurden. Eine der faszinierendsten Erzählungen enthält auch die Beschreibung mechanischer Wesen.45 Auch in Legenden aus der Zeit der indischen Könige Ajatasattu und Ashoka stoßen wir auf Roboterwächter. Beide Herrscher hatten den Auftrag, die kostbaren Relikte Buddhas zu sichern, der zwischen 483 und 400  v.  Chr. starb. Die indischen Legenden fallen nicht nur auf, weil in ihnen mechanische Krieger die Reliquien von Buddha verteidigen, sondern weil sie diese Roboter ausdrücklich mit Automata in Verbindung bringen, die in der hellenistischen, griechisch-römischen Welt erfunden wurden. Diese unerwartete historische und geographische Verbindung erfordert eine eingehendere Untersuchung.

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König Ajatasattu von Maghada (nordöstliches Indien) regierte von ca. 492 bis 460  v. Chr. in seiner Hauptstadt Pataliputta (die Ruinen dieser Stadt liegen unter dem heutigen Patna). Nach buddhistischen Überlieferungen traf er Buddha und wurde sein Verehrer. Nach dessen Tod und Einäscherung baute Ajatasattu einen gewaltigen Stupa (buddhistischer Kultbau) über einer tiefen unterirdischen Kammer, die die heilige Asche und Knochen aufnahm. Dann, so heißt es, ersann Ajatasattu besondere Schutzmechanismen, um diese Reliquien zu schützen. Die traditionelle hinduistische und buddhistische Architektur kannte bereits bewaffnete Wächterfiguren an Türen und Schatzkammern (Dvarapalas und Yakshas), manchmal in Gestalt gewaltiger Krieger (Abb. 9.5). Doch Ajatasattus Wächter waren ungewöhnlich. Er ließ seine Ingenieure in Pataliputta eine Reihe von Automaton-Kriegern bauen, die die Reliquien Buddhas verteidigen sollten. Wie alte Jaina-Texte besagen, setzte Ajatasattu dafür neue militärische Erfindungen ein: Dazu gehörten ein mächtiges Katapult, das große Felsblöcke schleuderte, und ein mechanisierter, schwer gepanzerter Kriegsstreitwagen von der Art eines „Panzers“ oder „Roboters“, der Keulen bzw. Klingen warf.46 Nach der Legende war es vorherbestimmt, dass Ajatasattus Automaton-Wachen ihren Dienst verrichten würden, bis ein zukünftiger Herrscher  –  König Ashoka  –  sie entdecken und unschädlich machen, die heiligen Reliquien einsammeln und sie auf mehrere zehntausend Schreine im ganzen Reich verteilen würde. König Ashoka (304 – 232  v.  Chr.) regierte das mächtige Maurya-Reich ab ca. 273  v.  Chr. von Pataliputta aus und wurde ein Anhänger Buddhas. Während seiner langen Herrschaft ließ er viele Stupas errichten, um eine Vielzahl von Buddhas Reliquien in seinem gewaltigen Reich aufbewahren zu können. Damit wurde die Prophezeiung Ajatasattus erfüllt.47 Mehrere hinduistische und buddhistische Texte in verschiedenen Übersetzungen beschreiben Ajatasattus Automaton-Krieger, die die Reliquien Buddhas bis zur Ankunft Ashokas bewachten. Man sagte von den hölzernen Androiden, sie würden in der Geschwindigkeit des Windes umherwirbeln und dabei Eindringlinge mit ihren

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Schwertern aufschlitzen. Einige Überlieferun- Abb. 9.5: Zwei traditionelle gen schreiben ihre Erschaffung Hindu-GottDvarapala/Yaksha-Wächterheiten zu: Vishvakarman, dem göttlichen Baukrieger, mit Speeren bewaffmeister, bzw. Indra, dem Wächtergott. Doch der net, zu beiden Seiten einer fesselndste und geheimnisvollste Bericht über Tafel, die Buddhas Reliquien die Roboterwächter wurde über verschlungeenthält; Reliefplatte, Kushan, ne Pfade überliefert: Wir finden ihn in der GeGandhara, nahe dem Fluss schichtensammlung Lokapannatti aus Birma, Swat, 1.–2. Jh.  n. Chr. Dieses einer Pali-Übersetzung eines älteren, verloreRelief wird von einem Paar nen Sanskrit-Textes, der seinerseits nur aus ei1,80 m großer Wächterkrieger ner chinesischen Übersetzung bekannt ist. Die flankiert, gefunden im eheDatierung des Lokapannatti ist unsicher; vielmaligen Pataliputta, Mauleicht stammt er aus dem 11. oder 12. Jh.  n.  Chr. rya-Reich, 3.–1. Jh.  v. Chr. Die Geschichten darin „beruhen auf einem reichen Legendenvorrat über Ashoka“, einer „großen Vielfalt“ älterer mündlicher Überlieferungen und verlorener Texte.48

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Der Bericht erzählt, dass viele Yantakara (Roboterhersteller) im Land der Yavanas lebten (Menschen im Westen, die griechisch sprachen), und zwar in Roma-visaya, dem „Königreich Rom“  –  ein allgemeiner Ausdruck für den Westen, vor allem für die griechisch-römisch-byzantinische Kultur. Die Robotertechnologie der Yavanas (bhuta vahana yanta, „Maschinen durch Geistbewegung“) wurde von deren Regierung streng geheim gehalten. In „Rom“ betrieben die Roboter Handel und Landwirtschaft, sie fingen und töteten Verbrecher. Kein Hersteller von Robotern dürfe „Rom“ je verlassen oder dessen Geheimnisse offenbaren  –  und wenn er es doch täte, würden Robotermörder ihn verfolgen und töten. Als die Gerüchte über die fabelhaften römischen Roboter Indien erreichten, inspirierten sie einen jungen Kunsthandwerker und Ingenieur, der lernen wollte, wie man Automata herstellt. Der junge Mann lebte in Pataliputta. Wie gesagt, war diese große, befestigte Stadt um 490  v.  Chr. von König Ajatasattu erbaut worden. Sie erreichte ihren Gipfel an Wohlstand als Hauptstadt von König Ashoka zur Mitte des 3. Jh.s  v.  Chr. Durch eine magische Wendung in der Erzählung erfüllt sich der Traum des jungen Mannes aus Pataliputta: Er wird in „Rom“ wiedergeboren  –  also im griechisch beeinflussten Westen. Er heiratet die Tochter des obersten Roboteringenieurs und hat mit ihr einen Sohn. Er lernt auch das Handwerk des Robotermachers. Doch dann stiehlt er die Pläne zur Herstellung von Robotern, näht sie sich unter die Haut und bricht auf nach Indien. Im Wissen, dass er von den ihn verfolgenden Robotermördern getötet werden wird, ehe er Indien erreichen kann, hat er bereits seinen Sohn instruiert, seinen Leichnam zurück nach Pataliputta zu bringen. Sein Sohn gehorcht und bringt mit dem Körper des Vaters auch die Pläne nach Indien. Er erbaut später für König Ajatasattu jene Armee automatischer Soldaten, die Buddhas Reliquien schützen soll. Das Versteck der Reliquien und die Roboter geraten für lange Zeit in Vergessenheit. Dann hört eines Tages ein Nachkomme Ajatasattus, der große Kaiser Ashoka, von der Geschichte über Buddhas verborgene Reliquien und die Prophezeiung. Ashoka sucht überall,

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bis er schließlich den Stupa mit der unterirdischen Kammer entdeckt, die von den grimmigen androiden Kriegern bewacht wird. In der Zwischenzeit erfährt der römische Kaiser vom Diebstahl der westlichen Technologie  –  er hat sich gewundert, warum die indische Technologie der eigenen römischen so ähnlich ist. Der römische Herrscher sendet sodann ein Geschenk an Ashoka, das einen Robotermörder enthält, der ihn töten soll. Doch dieser Anschlag wird vereitelt. In der unterirdischen Kammer gibt es heftige Kämpfe zwischen Ashoka und den Automaton-Wachen. Schließlich findet Ashoka den Sohn des Ingenieurs, und dieser zeigt ihm, wie man die „römischen“ Roboter auseinandernimmt und kontrolliert. Nun befehligt Kaiser Ashoka selbst eine große Roboterarmee. In manchen Versionen werden die wirbelnden Krieger-Automata von einem Wasserrad oder einem anderen Mechanismus angetrieben. In einer Erzählung hilft der Ingenieur-Gott Vishvakarman Ashoka, die Roboter zu zerstören, indem er Pfeile auf die Bolzen schießt, die die sich drehenden Konstruktionen zusammenhalten.49 Dieses Motiv der geschickten Deaktivierung der mechanischen Wächter erinnert an Medeas Zerstörung des bronzenen Roboters Talos, als dieser drohte, Iason und die Argonauten zu töten. Medea entfernte einfach den entscheidenden Bolzen an seiner Fessel (siehe Kapitel 1). Die „Science-Fiction“-Erzählung über die römischen Roboter, die Buddhas Reliquien bewachen, lenkt den Blick auf die Furcht davor, die Kontrolle über künstliche Wesen zu verlieren,  –  ein uraltes Thema, das auch im griechischen Mythos der ausgesäten Drachenzähne-Armee auftauchte (siehe Kapitel 4). „Roboter können sich gegen ihre Erbauer wenden und sie töten“, schreibt Signe Cohen in ihrer Studie über antike indische Automata. Doch die Geschichte wirft noch weitere drängende Fragen auf: „Hat eine solche Technologie“, fragt Cohen, „tatsächlich existiert, oder sind diese Geschichten einfach nur religiöse Mythen und Volksmärchen?“50 Die Geschichte über die Wächterkrieger stellt eine Verbindung zwischen den mechanischen Wesen, die Buddhas Reliquien verteidi-

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gen, und fortschrittlichen Automata-Erfindungen her, die ihren Ursprung in Roma-visaya haben, dem griechisch-römischen Westen. Solche Erzählungen, so Daud Ali, scheinen „die tatsächliche Entwicklung und den Austausch zwischen Techne-Kulturen wie Indien und dem Westen zu kodieren, wenn auch nur indirekt; und dabei werden echte wie imaginäre Gegenstände einbezogen“.51 Wie alt ist dieser historische Kern der verlorenen Sanskrit-Erzählung aus dem Lokapannatti? Wurden die Roboterwächter im Stupa einzig nach dem Vorbild funktionierender Arbeits-Automata aus spätbyzantinischer Zeit bzw. dem islamischen und europäischen Mittealter gebaut, wie die meisten Forscher annehmen? Oder ist es möglich, dass mündliche Überlieferungen zu den Roboterwächtern noch früher aufkamen und dass sie von indischem Wissen über tatsächliche hellenistische mechanische Wunderwerke beeinflusst waren, etwa aus dem ptolemäischen Alexandria im 3. Jh.  v.  Chr., der Zeit also, als auch Ashoka regierte? Der historische Hintergrund der Erzählung deutet darauf hin, dass sich Maurya-Herrscher in Indien und hellenistische Könige über Automata austauschten. Solche kulturellen Kontakte sind bereits für das 5. und 4. Jh.  v.  Chr. historisch und archäologisch belegt. Vor allem die bereits erwähnten Jain-Texte berichten, dass die Ingenieure König Ajatasattus im 5. Jh.  v.  Chr. Militärmaschinen konstruierten. Griechisch-buddhistischer Synkretismus und die gegenseitige Beeinflussung in Philosophie und Kunst intensivierten sich nach den Feldzügen Alexanders des Großen im heutigen Afghanistan, Pakistan und Nordindien.52 Wir wissen, dass um 300  v.  Chr. die beiden griechischen Botschafter Megasthenes und Deimachos am Maurya-Hof ankamen und in Pataliputta residierten  –  einer Stadt mit bedeutender, griechisch beeinflusster Kunst und Architektur. Pataliputta war, wie wir uns erinnern, auch die Heimatstadt jenes Ingenieurs, der die Pläne für den Bau von Robotern aus „Rom“ nach Indien brachte.53 König Ashoka lebte im 3. Jh.  v.  Chr., zu einer Zeit, als Automata und andere Geräte in Alexandria und anderen westlichen Technologie-Zentren verbreitet waren. In seiner Zeit als König hinterließ

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er viele Inschriften auf Pfeilern und Felsen. Manche davon waren auf Altgriechisch verfasst, in einigen werden hellenistische Könige genannt  –  Zeugnisse eines anhaltenden kulturellen Austauschs und Handels mit dem Westen. Ashoka schickte Gesandte in den Mittelmeerraum und korrespondierte mit mehreren hellenistischen Herrschern, darunter auch Ptolemaios II. Philadelphos in Alexandria, dessen spektakuläre Prozession im Jahr 279/278  v.  Chr. wunderbare Roboter mythischer Figuren wie Dionysos und Nysa zur Schau stellte. Ashokas Gesandte kamen nach Alexandria, und Ptolemaios II. schickte seinen eigenen Botschafter, einen Griechen namens Dionysios, zu Ashokas Hof in Pataliputta.54 Weitere Hinweise auf einen lang anhaltenden, gegenseitigen kulturellen Einfluss entstammen dem Tagebuch des chinesischen Mönchs Fa Hsien, eines der vielen buddhistischen Pilger, die um das Jahr 400  v. Chr. nach Pataliputta reisten. Fa Hsien wurde Zeuge der jährlichen Prozession zu Ehren Buddhas, einer Tradition, mit der vermutlich zu Ashokas Zeit begonnen wurde. Der Mönch beschreibt die herrliche Parade großer, vierrädriger Karren mit kolossalen Aufbauten, imponierenden, fünf Stockwerke hohen Nachbauten von Stupas, einer Reihe hoch aufragender Darstellungen Buddhas, von Bodhisattvas und anderen göttlichen Wesen aus Gold, Silber und Lapislazuli mit farbenprächtigen Seidenfahnen und Baldachinen. An der Parade nahmen außerdem Heere von Sängern, Tänzern und Musikern teil. Fa Hsien erwähnt keine mechanisierten Statuen (obwohl automatische Buddha-Figuren zu dieser Zeit bei Paraden in China gezeigt wurden).55 Trotzdem kommt es einem vor wie ein Déjà-vu, so sehr ähnelt die Szene in Pataliputta der großen Prozession von Ptolemaios II. Philadelpos in Alexandria im Jahr 279  v.  Chr., ein halbes Jahrhundert früher. War der Bericht über Ashoka und die Roboter der Kaiserin Wu (geb. 624  n.  Chr.) und ihren Ingenieuren im China der Tang-Dynastie bekannt? Zur Zeit Wus waren Automata in der Realität und in der Vorstellungswelt sehr präsent. Ein großer goldener Buddha, umgeben von mechanischen, sich drehenden Begleitern, die sich

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regelmäßig verbeugten und Räucherwerk warfen, war zum Beispiel von den Ingenieuren Xie Fei und Wei Mengbian für Prozessionen um das Jahr 340  n.  Chr. konstruiert worden. Ein Text aus China aus dem 6. Jh.  n.  Chr. berichtet davon, dass Arbeiter, denen befohlen worden war, zwei Buddha-Statuen zu zerstören, von zornigen Vajrapani-Wächtern (buddhistische Erleuchtungswesen, Bodhisattva genannt) angegriffen wurden. Kaiserin Wu kannte auch den Mönch Daoxuan (596–667  n.  Chr.), der heilige Technologie für Schreine entwarf. In seinen Schriften beschrieb er ein phantastisches buddhistisches Kloster in Indien mit vielen Automaton-Wächtern in Menschen- und Tiergestalt. Wir wissen zudem, dass Kaiserin Wu Ashoka verehrte und dass ihre Ingenieure „himmlische“ Gebäude für Buddhas Reliquien bauten sowie mechanische Wunderwerke. Wahrscheinlich verbreiteten die chinesischen Mönche, die Buddhas Lehre, Relikte und Stupa-Entwürfe von Indien nach China brachten, dort auch die Legende von Ashoka und den Robotern  –  denn diese Geschichte taucht auch in einer chinesischen Übersetzung auf.56 Wann tauchte die buddhistische Erzählung über Ashoka und die „römischen Roboter“ das erste Mal in Indien auf? Sie spiegelt, wie wir gesehen haben, Wissen über tatsächliche Ingenieursleistungen aus der Zeit von Ptolemaios und Ashoka, also aus dem 3. Jh.  v.  Chr. wider. Wir wissen auch, dass der Hof der Mauriya und der des hellenistischen Herrschers Gesandte ausgetauscht und einander luxuriöse Geschenke gemacht haben, um die eigenen kulturellen Errungenschaften vorzuführen. Der Legende nach erreichten Pläne zur Herstellung von Automata Indien und der Herrscher des griechisch-römischen Westens schickte ein Geschenk an Ashoka, das einen Roboter enthielt. Leider werden wir, wie bei vielen Legenden, das Ursprungsdatum wohl niemals erfahren. Doch sicherlich waren Ashoka und seine Zeitgenossen mit Plänen oder Miniaturmodellen von Automata und anderen mechanischen Wunderwerken des Westens vertraut und hatten diese Technologien vielleicht sogar schon gesehen. Mechanische Apparate und Automata in Mythologie und Realität haben Fragen aufgeworfen: über Begrifflichkeiten, Mensch und

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Wie man sich antike Roboter vorstellen kann Wie können wir uns heute Kaiser Ashokas Begegnung mit antiken „römischen Robotern“ vorstellen? Und wie stellte man sich die Automata, die Buddhas Reliquien bewachten, in der Antike konkret vor? Traditionelle Statuen von Wächter-Dvarapalas und -Yakshas beschützten buddhistische Stupas und Schreine in der Zeit des Maurya-Reiches. Es handelte sich dabei um Kriegerfiguren, die mit Bögen, Keulen und Schwertern ausgestattet waren; manche waren von monumentaler Gestalt (Abb. 9.5). Doch alte Illustrationen, die die legendären, selbstbewegenden Wächter der Reliquien Buddhas zeigen, wurden bislang nicht gefunden. In buddhistischen Legenden und Kunstwerken werden Buddha, seine Lehre und seine Reliquien von Vajrapani beschützt, einem wilden Bodhisattva, der mit einem Blitzstrahl bewaffnet ist. Einige der frühesten Buddha-Skulpturen in der Gandhara-Kunst Nordindiens (1. Jh.  v.  Chr. bis 7. Jh.  n.  Chr.) zeigen ihn in einem klassischen griechisch-römischen Gewand, beschützt von Herakles, dem Helden des griechischen Mythos. Nachdem die Mythen Herakles mit Vajrapani vermischt hatten, wurde der muskulöse, bärtige Wächter mit dem Kennzeichen des griechischen Heros dargestellt, dem Umhang aus Löwenfell; seine Keule wurde zu Vajrapanis ausgeprägter Vajra, dem Blitz (Abb. 9.6). Auf manchen Reliefs trägt Herakles/Vajrapani zudem ein Schwert, also die Waffe, von der es heißt, die Roboter in der Lokapannatti-Geschichte hätten sie geschwungen.57 Einen solchen Synkretismus, der hier in der Kunst die griechisch-römische Gestalt des Herakles mit Vajrapani als Verteidiger Buddhas vermischt, finden wir auch in der buddhistischen Geschichte, in der griechisch-römische Roboter als Wächter für Buddhas Reliquien dienten. Die Menschen im buddhistischen Indien stellten sich die Automaton-Krieger, die die Relikte im Stupa schützten, also vielleicht als Figuren vor, die klassische griechische und indische Merkmale miteinander verbanden. Die Arhats (chinesisch: Luohan)  –  vier direkte Schüler Buddhas, die die höchste Stufe der Wiedergeburt erreicht haben  –  wurden

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frühen indischen Sutren zufolge beauftragt, den buddhistischen Glauben zu verteidigen. Ihre Anzahl wuchs später in China auf 18. Die frühesten bekannten künstlerischen Darstellungen der Luohan (9. Jh.  n.  Chr.) zeigten sie als Fremde aus dem Westen. Dass es eine Verbindung zwischen den Luohan und der Geschichte der „römischen“ Roboter, die Buddhas Reliquien verteidigen, gab, ist gesichert. Entsprechend wurden die Luohan als wilde kämpfende Bronze-Automata dargestellt. Dieses Thema taucht auch im Shaolin-Kung-Fu-Film 18 Bronzemen (Joseph Kuo, 1976) auf, der zur Zeit der Qing-Dynastie spielt. In den ersten Geschichten über eine Wiederentdeckung der lange vergessenen Automaton-Technologie einer archaischen Kultur wird Robotertechnologie mit mythologischer Sensibilität und durch eine entsprechende Linse betrachtet. Vor allem Hesiod deutete an, dass der Bronzeroboter Talos aus einer früheren Zeit stammen könn-

Abb. 9.6: Buddha, beschützt von Herakles/Vajrapani; Wandrelief aus Kushan, Pakistan, 2.– 3. Jh.  n. Chr.

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Abb. 9.7: Roboterähnliche buddhistische Wächter, angefertigt 1958 im antikisierenden Stil; Buddha Park bei Vientiane, Laos.

te. Heute ist die Vorstellung „antiker Roboter“ zu einem populären Thema der Science-Fiction geworden. Im Jahr 1958 wurde der Fantasy-Skulpturengarten Buddha Park Xieng Kuan in der Nähe von Vientiane, Laos, eröffnet. Der Park ist voller kolossaler hinduistisch-buddhistischer Wächterstatuen (Abb. 9.7), von denen einige tatsächlich aussehen wie antike Roboter. Sie sind aus Beton und bewusst so entworfen, dass sie wie verwitterte Altertümer aussehen. Mittlerweile werden in Japan in der Vorstellung wie auch in der Realität Roboter bereitwillig angenommen  –  eine kulturelle Besonderheit, die

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manche der buddhistischen Spiritualität des Landes zuschreiben. Masahiro Mori, ein strenggläubiger Buddhist, war nicht nur der Erste, der den Uncanny-Valley-Effekt benannt hat; er glaubte außerdem, Roboter könnten eine „buddhistische Natur“ haben. In einigen Formen des japanischen und chinesischen Buddhismus gibt es zudem keine klare Trennung von Original und Nachahmung, von Wesen und Abbild.58 In populären japanischen Literaturformen wie Manga und Anime, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufkamen, kommen oft belebte Wesen und Roboter vor. Die Anime-Serie Mazinger Z (1972–74) beschreibt einen Superroboter, der auf einem alten, stählernen Automaton-Prototyp im Stil von Talos beruht. In der Serie graben Archäologen ihn auf einer griechischen Insel aus, die Rhodos nachempfunden ist. Entgegen der historischen Realität setzt jedoch die antike, untergegangene Kultur des mykenischen Reiches diese ferngesteuerten Roboter in Schlachten ein. Ein jüngeres Beispiel für die Darstellung antiker Automata ist der Anime-Film Laputa: Das Schloss im Himmel (1986; Hayao Miyazaki für Studio Ghibli, Tokio). Die Geschichte greift auf alte Hindu-Mythen zurück und berichtet von der Wiederbelebung und Demontage lang verschollener Roboterwächter einer untergegangenen Kultur. Eine internationale Gruppe von Retro-Futuristen, Mecha-Künstlern und Erbauern von Robotermodellen erschafft komplexe Nachbauten dieser „aufgegebenen“ Roboter, die als Überreste in der Antike weggeworfen und später in archäologischen Ruinen ausgegraben wurden. Ein Beispiel dafür ist „Whistlefax“. Laut seiner fiktiven Vorgeschichte entstand er aus „dem Abfall einer Welt, die unter Gewalt litt“, aus den verwüsteten „Ruinen einer früher großen Kultur, die von Horden herumspukender Roboter überrannt wurde. Besessen von den Seelen wütender Soldaten, werden diese verrosteten Wracks einer vergangenen Zeit einem neuen Zweck zugeführt, um die zu strafen, die die Welt ohne Vorsatz zum Nutzen einiger Weniger in Konflikte gestürzt haben.“59

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Nichtmensch, Natur- und Kunstprodukt. Sie haben die Grenzen zwischen Illusion, Realität und Möglichkeit herausgefordert. Eine große Gruppe von Mythen zeigt, dass die Menschen sich bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt belebte Statuen vorgestellt haben, lange bevor reale mechanische Apparate gezeigt haben, dass das Leben mit Technologie nachgeahmt werden kann. „Antike Mechanik überraschte ihre Zuschauer“, schreibt Sylvia Berryman, und „die Erfahrung mit Technologie veränderte die Sichtweise darüber, welche Resultate erzielt werden könnten“, was überhaupt möglich wäre. Menschliche Vorstellungskraft und Neugierde inspirieren bis heute zu Innovationen.60 Mythen über künstliches Leben und bislang unbekannte Technologie können damit als eine stichhaltige Form von „Erfahrung“ gelten. Und phantasievolle mythische Geschichte können zu antiken Vorstellungen und Spekulationen darüber beigetragen haben, welche Ergebnisse erzielt werden könnten und welche Wunder möglich wären, wenn man die überlegene Technologie und Kompetenz von Daedalus, Prometheus oder Hephaistos besäße. Waren die Wunderwerke künstlich geschaffenen Lebens in mythischen Überlieferungen nur Phantasien, die tatsächliche Technologe-Theorien aus dem echten Leben ausschmückten und fortschrieben, oder waren sie nur technologische Gedankenexperimente? Inspirierten Berichte von göttlichen und legendären Automata und Apparaten im echten Leben Erfinder dazu, reelle selbstbewegende Gegenstände und Maschinen zu entwerfen? Waren mythische Erzählungen und wissenschaftliche Vorstellungskraft miteinander verknüpft? Der KI-Historiker und Futurologe George Zarkadakis beschäftigt sich mit den Verbindungen zwischen antiken Geschichten über Roboter und der KI-Forschung. Er schlägt eine gegenseitige Beeinflussung vor, eine Ko-Evolution von mythischen Erzählungen und „wissenschaftlichen Bemühungen in der gesamten Geschichte“.61 Spekulationen über den Ursprung solcher Vorstellungen sind nicht zu klären. Doch man kann an einigen echten Erfindungen der Antike durchaus mythische Aspekte ausmachen. So ist es sicher kein Zufall, dass zahlreiche historische Erfinder gerade in dem Moment

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begannen, Automata und Mechanismen zu schaffen, als auch die antike Mythologie künstliches Leben, selbstbewegende Apparate und Technologiewunder aus der Hand göttlicher Handwerker erstmals in Worte fasste. Die realen Automata inspirierten also zu den antiken Mythen, und diese wiederum beschworen technologische Entwicklungen. Vor Jahrhunderten ersannen Visionäre eine Reihe von „Science-Fiction“-Gedankenexperimenten über höhere Wesen, die künstliches Leben erschaffen, und brachten sie in eine mythische Form. Diese imaginären Automata  –  wie Talos und Pandora mit ihren menschlichen Formen und quasi-bewusstem „Verstand“, die mit Menschen interagieren konnten  –  riefen verschiedene Reaktionen hervor, etwa Ehrfurcht, Liebe oder Schrecken. Später konstruierte eine Gruppe brillanter Erfinder echte Automata und selbstbewegende Apparate, die ebenfalls natürliche Formen nachahmten. Ihre Hypothesen und Entwürfe regten wiederum weitere Experimente und Innovationen an. Wie in der Mythologie konnten echte Automata und Maschinen dafür genutzt werden, zu blenden, zu täuschen und zu beherrschen. Wie wir in Kapitel 8 gesehen haben, sind Techne und Ehrgeiz, wie sie dem Pandora-Mythos innewohnen und auch in Sophokles’ Loblied auf die menschliche Genialität angepriesen werden, zugleich eine Warnung davor, dass diese Gaben die Menschen gleichermaßen zum Ruhm wie zum Bösen führen können. Der aufregende Traum vom künstlichen Leben, zuerst gesponnen in der Phantasie der Geschichtenerzähler, wurde in antiken technologischen Entwürfen und gebauten Maschinen erstmalig umgesetzt. Die nächsten 2000 Jahre waren geprägt von gewaltigen technologischen Veränderungen. Doch am Ende des 20. Jh.s hatte die Zeit der kreativen Vision und Innovation des Menschen tatsächlich gerade erst begonnen. Fortschritte treten nun in rasanter Geschwindigkeit auf. Über dem unheimlichen Abgrund schwebend, das Leben selbst nachzubauen, taumeln wir immer noch zwischen Hoffnung und Schrecken hin und her, beide entfesselt von dem unstillbaren Drang der Menschen, die Natur nachzuahmen und zu verbessern.

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Ehrfurcht, Angst, Hoffnung Deep Learning und alte Geschichten Antike Mythen artikulierten bereits zeitlose Hoffnungen und Ängste über künstliches Leben, menschliche Grenzen und Unsterblichkeit. Was können wir  –  und die Künstliche Intelligenz – von den klassischen Erzählungen lernen? Die Mischung aus Überschwang und Angst, die durch das Verwischen der Grenzen zwischen Natur und Maschinen aufkam, könnte als spezifisch moderne Antwort auf die Janusköpfigkeit des wissenschaftlichen Fortschritts im technologischen Zeitalter angesehen werden. Doch die Hoffnung und auch die Beklommenheit angesichts der Vorstellung von künstlichem Leben kamen tatsächlich schon vor Tausenden von Jahren im antiken Griechenland auf. Mythen setzten sich phantasievoll mit dieser Ehrfurcht, Angst und Hoffnung auseinander und fassten sie in Worte. Diese Emotionen waren die Reaktion auf die Erschaffung belebter Statuen, die Versuche, menschliche Grenzen zu überschreiten, und die Suche nach Unsterblichkeit.1 Die Diskussionen über künstliches Leben begannen also bereits die alten Griechen. Sie untersuchten im Kern die Frage, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Immer wieder werden in den antiken Geschichten die Versprechen und Gefahren ergründet, die mit dem Hinauszögern von Alter und Tod, mit der Verstärkung der Fähig-

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keiten der Sterblichen und mit der Nachahmung der Natur einhergehen. Das komplexe Netzwerk an Mythen über Prometheus, Iason und die Argonauten, Medea, Daedalus, Hephaistos, Talos und Pandora warf elementare Fragen nach den Grenzen zwischen biologischen und geschaffenen Wesen auf. Die dauerhaftesten und beliebtesten dieser Mythen  –  wie auch viele andere, längst vergessene antike Geschichten  –  erzählen spannende Abenteuer, die schon um ihrer selbst willen lesenswert sind. Doch wenn wir sie uns in Hinblick auf Biotechne ansehen, erhält diese „Science-Fiction“ der Antike eine zusätzliche Bedeutung. Die mythischen Erzählungen sind voller metaphysischer Einsichten und Vorahnungen hinsichtlich göttlicher und menschlicher Manipulation des natürlichen Lebens. Damit sind sie eine Warnung für unsere eigene Zeit. Die Vorstellung, das Leben nachzuahmen und zu erweitern, regte im antiken Griechenland packende dramatische Bühnenstücke und unvergängliche Darstellungen in der Vasenmalerei, Skulptur und weiteren Genres an. Unterdes schuf der Philosoph und Ingenieur Archytas um 400  v.  Chr. mit dem ersten fliegenden mechanischen Vogel eine echte Sensation. Im Hellenismus ersannen schließlich Heron von Alexandria und weitere brillante Ingenieure eine Vielzahl automatischer Maschinen, die mittels Hydraulik und Pneumatik angetrieben wurden. Die Griechen erkannten, dass Automata und andere Kunstprodukte in natürlicher Gestalt  –  seien sie imaginär oder wirklich  –  sowohl harmlos als auch gefährlich sein konnten. Sie konnten für die Arbeit, zum Sex, für Spektakel und zu religiösen Zwecken eingesetzt werden oder auch, um Schmerz zuzufügen bzw. den Tod zu bringen. Die Menschen im Altertum waren also eindeutig von Biotechne fasziniert, von der realen wie auch von der imaginären. Insgesamt bilden die Mythen, Legenden und Geschichten vergangener Kulturen über Automata, Roboter, Replikanten, belebte Statuen, erweiterte menschliche Kräfte, sich selbst bewegende Maschinen und andere künstliche Produkte sowie die nachfolgenden technischen Wunder eine Art Bibliothek und ein virtuelles Muse-

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um antiker Weisheit. Diese Gedankenexperimente und Erfindungen sind eine unbezahlbare Quelle für das Verständnis der fundamentalen Herausforderungen, die Biotechnologie und ganz bald das künstliche Leben heute mit sich bringen. Dieses Buch zeigt, dass die antiken Mythen auf einer tieferen Ebene eine Basis für die Auseinandersetzung mit den aktuellen exponentiellen Entwicklungen des künstlichen Lebens und der Künstlichen Intelligenz herstellen können. Zu dieser Interpretationsebene kommen weitere hinzu, etwa die sich abzeichnenden praktischen und ethischen Implikationen. Ich glaube deshalb, dass die Lektüre der antiken Erzählungen heutige Diskussionen über Robotik, autonomes Fahren, Biotechnologie, Künstliche Intelligenz, machine learning und weitere Neuerungen bereichert. Wir haben gesehen, wie der Gott Hephaistos eine ganze Flotte an „fahrerlosen“ Dreibeinen schuf, die auf Kommando Essen und Wein austeilten. Noch beachtlicher war die Reihe lebensgroßer, goldener, weiblicher Roboter, die er entwarf, damit sie ihm gehorchten. Wie Homer schrieb, waren diese göttlichen Dienerinnen in jeder Hinsicht „Lebenden gleich“ mit „Verstand … Vernunft … und redender Stimme“ und mit der gesamten Bildung der Unsterblichen versehen (18.419). Mehr als 2000 Jahre später hoffen die Entwickler von KI noch immer, das zu erreichen, was sich schon die alten Griechen vorgestellt haben: dass der Gott der technologischen Erfindungen zu echter Schöpfung in der Lage ist. Hephaistos’ Wunderwerke wurden von einer antiken Gesellschaft erdacht, die für gewöhnlich nicht als technologisch fortschrittlich gilt. Sie erträumte Leistungen innerhalb der Biotechne Jahrhunderte vor dem Aufkommen von Robotern, die komplizierte Spiele gewinnen, Unterhaltungen führen, riesige Datenmengen analysieren und menschliche Wünsche erschließen können. Doch die großen Fragen sind so alt wie die Mythen über Künstliche Intelligenz selbst: Wessen Wünsche spiegeln KI-Roboter wider? Von wem lernen sie? Im Jahr 2016 konnte man ein Warnsignal vernehmen, in Form eines fehlgeschlagenen Experiments im Bereich des machine lear-

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ning durch KI: Microsoft hatte den weiblichen Teenager-Chat-Roboter Tay entwickelt. Aufwendig programmiert, sodass sie Neuronennetze im menschlichen Gehirn imitieren konnte, sollte Tay von ihren menschlichen „Freunden“ in dem sozialen Netzwerk Twitter lernen. Man erwartete, dass sie ohne Filter oder Überwachung ihres Verhaltens selbstständig Gesprächsfloskeln würde artikulieren können. Doch nur wenige Stunden, nachdem Tay auf Twitter live gegangen war, taten sich übelwollende Twitter-Nutzer zusammen und verwandelten sie in einen twitternden Störenfried, der rassistische und sexistische Bemerkungen von sich gab. Nach wenigen Tagen wurde Tay deshalb von ihren Machern abgeschaltet. Ihr leicht zu korrumpierendes Lernsystem dämpfte den Optimismus bezüglich selbst lernender Künstlicher Intelligenz und intelligenter Roboter, jedoch nur für den Moment. Tays Ersatz Zo (2017) wurde so programmiert, dass sie nicht über Religion und Politik chatten konnte, doch auch sie kam vom zugedachten Weg ab und äußerte unter anderem Vorurteile über den Islam.2 Im griechischen Mythos war das letzte Werk aus Hephaistos’ göttlichem Laboratorium ein von Zeus bestellter weiblicher Android. Um die Menschen zu bestrafen, weil sie das von Prometheus gestohlene Feuer angenommen hatten, befahl Zeus Hephaistos, Pandora herzustellen (siehe Kapitel 8). Alle Götter statteten die künstliche junge Frau mit einem menschlichen Aspekt aus: mit Schönheit, Charme, Kenntnis der Künste und einem betrügerischen Wesen. Als rachsüchtiger KI-Agent der Götter führte Pandora ihre Mission aus und öffnete eine Büchse voller Katastrophen, die die Menschheit für immer plagen sollten. Sie wurde Epimetheus als Frau vorgeführt, einem Mann, der für seinen impulsiven Optimismus bekannt war. Wie wir gesehen haben, hatte Prometheus die Menschheit und seinen Bruder vor der Öffnung der Büchse der Pandora gewarnt. Können Stephen Hawking, Elon Musk, Bill Gates und andere weitblickende moderne Denker als die prometheischen Titanen unserer Zeit gelten? Sie haben die Wissenschaft ermahnt, das leichtsinnige Streben nach Künstlicher Intelligenz zu stoppen oder zumindest zu

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verlangsamen, weil Menschen KI nicht mehr kontrollieren könnten, wenn sie erst einmal umgesetzt wäre. „Deep Learning“-Algorithmen ermöglichen KI-Computern, Muster in riesigen Datenmengen zu erkennen, sie auf neue Situationen zu übertragen und ohne jegliche menschliche Anleitung über darauf folgenden Aktionen zu entscheiden. Unvermeidlich werden KIs nach eigenem Gutdünken Fragen stellen  –  und auch die Antworten darauf geben. Computer haben bereits heute so etwas wie Altruismus und Täuschung entwickelt. Wird die KI in Zukunft auch Neugierde entwickeln, verborgenes Wissen entdecken und gemäß ihrer eigenen Logik Entscheidungen treffen wollen? Werden diese Entscheidungen in unserem menschlichen Sinne ethisch sein? Oder wird sich eine Ethik der KI „jenseits des Menschlichen“ entwickeln? Aus Pandoras Büchse freigelassen  –  ähnlich wie Computerviren, die von einem finsteren Hacker programmiert wurden, der die Welt noch chaotischer machen will  –, flogen Unglück und das Böse aus, um den Menschen für immer nachzustellen. In schlichten Versionen dieses Mythos flatterte die Hoffnung als Letztes aus Pandoras Büchse. Doch in düsteren Versionen war das Letzte in der Büchse die „Vorhersehung des Unglücks“ und Zeus hatte Pandora so programmiert, dass sie den Deckel zuschlug und diese in der Büchse zurückhielt. Der Fähigkeit beraubt, die Zukunft vorherzusehen, wurde die Menschheit dem ausgesetzt, was wir „Hoffnung“ nennen. Wie bei Epimetheus ist auch bei uns das rationale vorausschauende Denken nicht besonders stark ausgeprägt. Doch Voraussicht ist unerlässlich, denn menschlicher Einfallsreichtum, Neugier und Kühnheit schieben die Grenzen unserer Biologie und den Tod immer weiter hinaus und treiben die Vermischung von Mensch und Maschine voran. Natürlich ist unsere Welt hinsichtlich der Skala der technischen Möglichkeiten ohne Vorbild. Doch das irritierende Schwanken zwischen Technik-Albträumen und großen Zukunftsträumen gab es zu allen Zeiten. Die alten Griechen begriffen als Erste, dass das entscheidende Kennzeichen der Menschheit  –  die Hoffnung  –  uns immer in Versuchung führt, über

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„uns selbst hinaus“ zu greifen, ohne uns dabei die entsprechenden Konsequenzen auszumalen. Wir sind ein Spiegel von Epimetheus, der das Geschenk Pandoras trotz Warnung annahm und seinen Irrtum zu spät bemerkte. Im Jahr 2016 hat Ray Crowder, ein Ingenieur von Raytheon  –  einem US-amerikanischer Rüstungs- und Elektronikkonzern  –, drei lernfähige Miniaturroboter gebaut und ihnen antike Namen gegeben: Zeus, Athena und Hercules. Ausgestattet mit neuronalen Systemen nach dem Vorbild von Kakerlaken und Kraken, waren diese solar-betriebenen Computer mit drei Gaben versehen: der Fähigkeit, sich zu bewegen; dem Streben nach Dunkelheit; der Fähigkeit, sich bei Sonnenlicht wieder aufzuladen. Schnell lernten diese Roboter sich fortzubewegen, doch sie verstanden auch bald, dass sie entweder sterben oder sich in quälendes Licht wagen mussten, um sich neu aufzuladen. Dieser simple Lernkonflikt dieser Geschöpfe, die geschaffen, nicht geboren waren, stellt eine Parallele zur „kognitiven Ökonomie“ von uns Menschen dar: Gefühle helfen dem Gehirn, Ressourcen bereitzustellen und Strategien zu entwerfen. Andere Experimente mit KI bringen Computern bei, wie Fremde einander Wohlwollen vermitteln und wie Menschen auf negative und positive Emotionen reagieren.3 Seitdem Hawking davor gewarnt hat, dass „KI das Ende der menschlichen Rasse“ heraufbeschwören könnte, regen Wissenschaftler an, Robotern menschliche Werte und Ethik beizubringen, indem wir sie Geschichten lesen lassen. „Fabeln, Romane und weitere Literatur“, selbst ein Datensatz der Handlungen von Hollywood-Filmen könnten als „menschliches Benutzerhandbuch“ für KI-Computer dienen. Ein Beispiel eines solchen Systems ist nach Scheherazade benannt, als Hommage an die Heldin aus Tausendundeine Nacht. Scheherazade war eine legendäre persische Philosophin, die sich unzählige bezaubernde Geschichten untergegangener Kulturen gemerkt hatte. Sie rettete ihr Leben, indem sie diese ihrem mordsüchtigen Entführer erzählte: dem König. Die ersten, einfachen Erzählungen, die in die KI-Scheherazade hochgeladen wurden, zeigten

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den Computern, wie sich gute Menschen benehmen. Mit dem Ziel, empathische Interaktionen mit Menschen und passende Reaktionen auf deren Gefühle zu lehren, wurden dem Repertoire des Computers dann kompliziertere Geschichten hinzugefügt. Die Idee dahinter: Geschichten können wertvoll sein, wenn KIs sich die geistige Fähigkeit der Menschen, eine Moral oder Erkenntnis auf eine andere Situation zu übertragen, aneignen können  –  also eine symbolische Beweisführung per Analogie, um ohne menschliche Anleitung passende ethische Entscheidungen fällen zu können.4 Computer können menschlichen Gehirnen nachempfunden sein, doch der menschliche Geist arbeitet nicht wie ein Computer. Wir wissen beispielsweise, dass unsere kognitiven Funktionen, Selbstreflexion und rationales Denken von Gefühlen abhängen. Geschichten appellieren deshalb an Gefühle, Pathos, und diese sind wiederum Wurzel der Empathie, der geteilten Gefühle. Geschichten werden also weiter lebendig sein, solange sie starke, komplexe Gefühle auslösen, wirkliche Dilemmata darstellen und man gern an sie denkt. Wir haben gesehen, dass die Griechen und andere antike Gesellschaften sich Geschichten erzählten, um das Streben der Menschen nach der Überschreitung ihrer biologischen Grenzen zu verstehen und sich ihre Folgen auszumalen. Die Einsichten und Weisheiten solcher Mythen können also unseren Diskurs über KI vertiefen. Geschichten über Biotechne, über Jahrhunderte fortgeführt, sind ein Vermächtnis der Antike an uns, damit wir beharrlich darüber nachdenken und sprechen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, und was es heißt, Leben vorzutäuschen. Wir sind so „programmiert“, dass wir Geschichten hören, sie erzählen und uns an sie erinnern. Wie uns George Zarkadakis verdeutlicht, sind Geschichten „das stärkste für unsere Spezies verfügbare Mittel, um Werte und Wissen über Zeit und Raum mitzuteilen“.5 Das eröffnet eine faszinierende Möglichkeit: Könnten Mythen über künstliches Leben in all seinen Formen, wie die Bespiele in diesem Buch, dazu beitragen, dass eine KI die einander widersprechenden Sehnsüchte der Menschheit besser zu verstehen lernt? Vielleicht werden KIs in der Lage sein,

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unsere tiefsten Wünsche und Ängste zu begreifen, wie sie in mythischen Vorstellungen von künstlichem Leben beschrieben wurden. Und vielleicht können diese KIs die verworrenen Erwartungen und Ängste verarbeiten, die wir gegenüber Schöpfungen der Künstlichen Intelligenz hegen. Bereits Menschen der Antike sahen diese Ängste vorher und betrachteten einige der Zwickmühlen näher, denen diese Maschinen und ihre Schöpfer begegnen könnten. Auf dieser Basis könnten die KI-Anlagen besser in der Lage sein, die Dilemmata zu verstehen, die sie uns bereiten,  –  und sie sogar „nachzufühlen“. Das Entstehen einer KI-Roboter-Kultur scheint nicht mehr weit hergeholt. Die menschlichen Erfinder und Vordenker von Künstlicher Intelligenz nahmen bereits den Logos der KI-Roboter-Kultur (Logik), ein entsprechendes Ethos (Moral) sowie Pathos (Gefühle) vorweg. Genauso, wie Menschen durch Technologie verstärkt und insofern Maschinen immer mehr ähnlicher werden, werden Roboter umgekehrt von so etwas wie Menschlichkeit durchdrungen. Wir nähern uns dem, was einige den Beginn einer Roboterhumanität nennen.6 Wenn dieser Tag kommt: Welche Mythen und Geschichten werden wir uns dann erzählen? Die Antwort wird darüber entscheiden, wie und was unsere KI-Produkte ebenfalls lernen werden.

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Danksagung Unter anderem von den anschaulichen Bildern des bösen Roboters Maria im Stummfilm Metropolis (1927) und dem bronzenen Androiden Talos im Film Iason und die Argonauten (1963) inspiriert, habe ich vor vielen Jahren begonnen, aus der antiken Literatur Bemerkungen über belebte Statuen zu sammeln. 2007 dachte ich erstmals ernsthaft darüber nach, wie griechische Mythen Ideen über künstliches Leben in Worte fassten, denn man bat mich damals, einen Essay für den Katalog der Biotechnique Exhibit zu schreiben, die Philipp Ross am Yerba Buena Center for the Arts in San Francisco kuratierte. Weitere meiner Texte über Talos und Medeas Verjüngungsexperimente erschienen 2012 auf der wissenschaftsgeschichtlichen Website Wonders and Marvels. 2016 baten mich die Herausgeber des digitalen Magazins Aeon, einen Essay über die heutige Relevanz antiker griechischer Mythen in Sachen Biotechne zu schreiben, zum handwerklich geschaffenen Leben. Bei einem öffentlichen Vortrag am Art Institute of Chicago mit dem Titel „The Robot and the Witch: The Ancient Greek Quest for Artificial Life“ („Der Roboter und die Hexe: Die Suche nach künstlichem Leben im antiken Griechenland“) habe ich einen ersten Einblick in das Thema dieses Buches gegeben. Viele Freunde und Kollegen haben Entwürfe einiger Kapitel dieses Buches in verschiedenen Stadien gelesen und kommentiert. Ich danke vor allem meinen lieben Lesern Marcia Ober, Michelle Maskiell, Norton Wise und Josiah Ober für ihre besondere Aufmerksamkeit sowie für wertvolle Änderungsvorschläge. Viele andere haben

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ihr Fachwissen und ihre Kenntnis antiker Texte, Bilder, Vorstellungen und Quellen beigesteuert. Mein Dank geht an Linda Albritton, Laura Ambrosini, Theo Antikas, Ziyaad Bhorat, Larissa Bonfante, Erin Brady, Signe Cohen, John Colarusso, Sam Crow, Eric Csapo, Nick D., Armand D’Angour, Nancy de Grummond, Bob Durrett, Thalassa Farkas, Deborah Gordon, Ulf Hansson, Sam Haselby, Steven Hess, Fran Keeling, Paul Keyser, Teun Koetsier, Ingrid Krauskopf, Kenneth Lapatin, Patrick Lin, Claire Lyons, Ruel Macaraeg, Ingvar Maehle, Justin Mansfield, Richard Martin, David Meadows, Vasiliki Misailidou-Despotidou, John Oakley, Walter Penrose, David Saunders, Sage Adrienne Smith, Jeffrey Spier, Jean Turfa, Claudia Wagner, Michelle Wang und Susan Wood. Ich danke Carlo Canna für seine unentbehrliche Hilfe bei der Beschaffung von Bildern aus italienischen Museen und Gabriella Tassinari für die Zeit, die sie sich für unsere Diskussionen über etruskische Schmucksteine genommen hat. Danke auch an Margaret Levi, an das Berggruen Institute und das Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences, Stanford,  –  sie haben meine Arbeit von September 2018 bis Mai 2019 unterstützt. Aufrichtigen Dank schulde ich meinen ausgezeichneten Agentinnen Sandy Dijkstra und Andrea Cavallaro. Bei Princeton University Press bin ich den anonymen Lesern für ihre aufmerksame Kritik dankbar, Dimitri Karetnikov für die Hilfe bei den Illustrationen, Jason Alejandro und Chris Ferrante für das Layout, Lauren Lepow für die geschickte Redaktion. Danke an Dave Luljak für die Registererstellung. Wie immer habe ich von den Einsichten und der Begeisterung meines Lektors Rob Tempio profitiert. Ich habe das Glück, das unglaubliche künstlerische Geschick meiner Schwester Michele Angel und ihre Ratschläge zum technischen Umgang mit den Illustrationen in Anspruch nehmen zu dürfen. Ich bin glücklich, einen so wunderbaren Bruder zu haben, Mark Mayor – ich weiß, dass er sich noch daran erinnert, wie sehr wir es genossen haben, den Film Jason und die Argonauten gemeinsam anzuschauen. Am meisten aber bin ich auf ewig Josh dankbar, meinem geschätzten Herzens- und Geistesgefährten, einem wahrhaft guten Mann.

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Anmerkungen Kapitel 1 1 Apollonios, Argonautika 4.1635 – 88. Das griechische Wort automatos, „nach eigenem Willen handelnd“, wurde zuerst in Homers Ilias 5.749 und 18.371 – 380 gebraucht, um die automatische Türöffnung und die automatischen, von Hephaistos gebauten und mit Rädern versehenen Dreibeine zu beschreiben; siehe Kapitel 7. Hund und Speer: Ovid, Metamorphosen 7.661 – 862. 2 Zu den „uneindeutigen“ Begriffen Roboter und Automaton für ein antikes „Objekt, das geschaffen wurde, damit es sich von allein bewegt“, siehe das Glossar; vgl. Bosak-Schroeder (2016, S. 123, 130 – 131), die meint, dass man sich die frühesten Automata der griechischen Literatur ursprünglich als ausschließlich magisch vorstellte und dass sie erst später ihr mechanisches Leben erhielten. Die Vorstellung automatischer Werkzeuge, die eine Aufgabe ohne ständigen Einsatz von Menschen erledigen können, und der Impuls, diese Werkzeuge herzustellen, sind sehr alt. Sie kamen auf mit dem steinzeitlichen atlatl (Speerschleuder) nebst Pfeil und Bogen. Ist der Pfeil eingelegt, aufs Ziel ausgerichtet und losgelassen, feuert der Bogen „diesen kleinen Speer weiter, gerader und beständiger, als menschliche Muskeln es je könnten“, wie Martinho-Truswell (2018) erklärt. 3 Zur Sichtweise eines Altphilologen auf Harryhausens Talos: Winkler 2007, S. 462 – 463. 4 Hesiod, Werke und Tage 143 – 160. In Hesiods Gedicht war die „Bronzezeit“ eine symbolische Abfolge jener kriegerischen Generationen, die den zeitgenössischen Menschen der Eisenzeit vorausgingen. Apollonios’ dichterische Freiheit machte die Menschen jener Zeit wörtlich zu bronzenen. Gantz 1993, Bd. 1, S. 153. Es gab außerdem einen legendären athenischen Erfinder namens Talos; siehe Kapitel 5. Zu unterschiedlichen Genealogien zu Talos: Buxton 2013, S. 77–79. 5 Das antike Kolchis ist heute die Republik Georgien. Zu „Medeas Öl“ vgl. in der Suda zum Stichwort „Medea“. 6 Apollodor, Bibliotheke 1.9.26; Apollonios, Argonautika 3.400 – 1339. 7 Zu Medeas technai, Geräte: Pindar, Pythien 4. 8 Eine andere Version von Medea und ihrer Beziehung zu Iason und den Argonauten: Diodor 4.45 – 48. Zum Motiv der einzig (möglichen) Verletzung von Helden und Monstern: Buxton 2013, S. 88 – 94. 9 Koloss von Rhodos: Plinius, Naturgeschichte 34.18; Strabon 14.2.5. N. F. Rieger in Ceccerelli 2004, S. 69 – 86. Jahrhunderte später war Rhodos berühmt wegen seiner „lebenden Statuen“; siehe Kapitel 5 und 9. 10 Die Oxyrhynchus Papyri sind eine Sammlung von Papyrusmanuskripten, die Ende des 19. Jh.s auf einer ägyptischen Müllkippe gefunden wurden. 11 Zu der Frage, warum Menschen dazu neigen, Maschinen und Künstlicher Intelligenz Leben zuzuschreiben: Bryson und Kime 2011; Shtulman 2017, S. 138; Zarkadakis 2015, S. 19 – 23, 25 – 27. Vertrauen und Empathie in Interaktionen zwischen Mensch und Roboter: Darling, Nandy und Breazeal 2015; Lin, Abney und Bekey 2014, S. 25 – 26 sowie Lin, Jenkins und Abney 2017, Kapitel 7–12. Wenn „denkende Maschinen Angst vor ihrem eigenen Untergang ausdrücken“, ist das „sicherlich ein Zeichen von ‚Bewusstsein‘“, so Mendelsohn 2015. Zu der Frage, ob Künstliche Intelligenz getäuscht werden kann, siehe Reynolds 2017.

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Anmerkungen

12 Sophokles, Daidalos fr. 160, 161. Winkler 2007, S. 463. 13 In einer von Apollodor (Bibliotheke 1.9.26) erwähnten Geschichte schoss der Argonaut Poias Talos in die Fessel, was an den Tod des mythischen Helden Achill durch einen vergifteten Pfeil in seiner verletzlichen Ferse erinnert. Felsen werfende Riesen waren ein bekanntes Motiv im antiken Mythos und in der Kunst. In einer weiteren Quelle ist Talos ein bronzener Stier, was ihn vielleicht mit der Figur des Minotaurus verschmilzt, des stierköpfigen Mannes, den Minos im Labyrinth von Kreta hielt (siehe Kapitel 4). Münzen aus Knossos zeigen, wie der Minotaurus Steine wirft, und auf einigen Talos-Münzen aus Phaistos ist auf der Rückseite ein Stier zu sehen. 14 Ganz 1993, Bd. 1, S. 365. Robertson 1977. Träne: Buxton 2013, S. 82 und Abb. 3, Bildunterschrift. Metallische Gegenstände und Statuen wurden in der rotfigurigen Vasenmalerei oft weißlich wiedergegeben  –  Beispielsweise ist in mehreren Bildern, die zeigen, wie Niobe zu Stein verwandelt wird, der Körper Niobes teilweise weiß dargestellt. Ein weiteres auffälliges Detail ist der Schmuckrand oben am Ruvo-Krater, der anscheinend Schmiedezangen zeigt, siehe Abb. 7.4 und 7.5, sowie eine ähnliche Zeichnung oben am Krater des Niobiden-Malers, der Pandora abbildet, die ebenfalls von Hephaistos hergestellt wurde, Abb. 8.7. 15 Robertson 1977, S. 158 – 159. Buxton 2013, S. 81 und Abb. 4 – 6. 16 Carpino 2003, S. 35 – 41, 87, Zitat S. 41. Medea und lokale etruskische Versionen griechischer Mythen: de Grummond 2006, S. 4 – 5. 17 Gantz 1993, 1, S. 341 – 365 zu künstlerischen Darstellungen und literarischen Quellen zu Talos; Apollonios, Argonautika 4.1638–1688; Simonides fr. 568 PMG; Apollodor, Bibliotheke 1.9.26 sowie J. Frazers Hinweis 1; 1.140; Photios, Bibliotheca 443b (Bekker), Zeilen 22 – 25; Zenobios v. 85; Eustathios (Scholiast) zu Odyssee 20.302. Zu göttlichen Robotergeräten s. Kapitel 7. 18 Faraone 1992, S. 41. Zitate: Hallager 1985, S. 14, 16 – 21, 22 – 25. Cline 2010, S. 325, 523. Foto und Zeichnung des Master Impression-Siegels: Archäologisches Museum Chania, Kreta, und „CMS VS1A 142“ auf arachne.uni-koeln.de. 19 Shapiro 1994, S. 94–98 zum verschollenen Argonautika-Zyklus. 20 Simonides fr. 204 PMG; Scholion zu Platon, Vom Staat 337a. Blakely 2006, S. 223. Sardinien und Kreta: Morris 1992, S. 203. Zu Etruskern und dem nuraghischen Sardinien: http://www.ansamed.info/ansamed en/news/sections/culture/ 2018/01/08 /etruscan-settlement-found-in-sardinia-for-first-time_288c45c9-9ae34b5e-ab8d-b9bf654b775.html.

21 Laistrygonen werden auch beschrieben von Apollodor in Epitome 7.13; Thukydides 6.2.1; Hygin, Fabulae 125; Ovid, Metamorphosen 14.233; Strabon 1.2.9. Zwei Wandgemälde von ca. 50 – 40  v.  Chr. (Vatikanische Museen, Rom) zeigen die Laistrygonen als kupferfarbene Giganten, die Findlinge aufheben und in Richtung der Seeleute des Odysseus werfen. Paratico 2014. 22 Kang 2011, S. 15 –16, 19, 21; 312 Anm. 1–3. 23 Weinryb 2016, S. 154. 24 Götter benutzen keine Technologie; Talos ist „biologisch“ und kein Automat, weil ein solcher einen „inneren Mechanismus“ haben muss: Berryman 2003, S. 352 – 353. Zu Aristoteles über Automaten als „selbstbewegende“ Marionetten: Ebd. S. 358. Geräte, die von Hephaistos geschaffen wurden, sind „durch göttliche Macht belebt“, nicht durch Technologie, und Götter benutzen keine Technolo-

Anmerkungen

Anmerkungen

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gie: Berryman 2009, S. 25 – 26 (hier geht es allerdings nicht um Talos). Vgl. Kang 2011, S. 6 –7 und 311, Anm. 7. Siehe jedoch De Groot 2008 und Morris 1992 zu antiker Literatur und Kunst, die eindrucksvoll belegen, dass man von griechischen Göttern annahm, sie hätten Technologie und Werkzeuge bei ihren Projekten benutzt, einschließlich selbstfahrender Einheiten. „Mechanistische“ Analogien konnten aufkommen, ehe „vollwertige Automaten“ hergestellt werden konnten. 25 Bosak-Schroeder 2016, S. 123, 132. Vgl. Berryman 2009, S. 22; „mechanistische Konzepte“ waren nicht vorstellbar, ehe sich die Mechanik „als Disziplin“ entwickelt hatte. Dagegen Martinho-Truswell 2018 zu prähistorischen Erfindungen; siehe auch Francis 2009; Bogenschießen, Katapulte, Wahlmaschinen und die Weinpresse sind Beispiele für praktische Mechanik. 26 Zur Definition siehe Truitt 2015a, S. 2. Antike griechische Automata als „selbstbewegend“: Aristoteles, Über die Bewegung der Lebewesen 701b. 27 Dieses Zitat stammt von Berryman 2007, S. 36. Zu Aristoteles über natürliches und unnatürliches Leben: Ebd. S. 36 – 39. 28 Truitt 2015b; er kommentiert Cohen 1963. 29 Die Mythen von Pandora, Talos, den goldenen Jungfrauen und weiteren Androiden „unterscheiden sich von diesen handwerklichen Nachahmungen. Diese künstlichen ‚Menschen‘ unterscheiden sich wiederum von organischen, natürlichen Lebensformen aufgrund der Zusammensetzung des Körpers“, nicht unbedingt wegen ihrer „mechanistischen“ Qualitäten. Künstliches Leben in diesen Mythen besteht aus den gleichen Substanzen und Methoden, „die menschliche Handwerker einsetzen, um Werkzeuge, Gebäude und Kunstwerke“ sowie Statuen zu schaffen. Wie bei heutigen Robotern bestehen ihre Funktionen in „Arbeit, Verteidigung und Sex“. Raphael 2015, S. 186. Siehe Berryman 2009, S. 49 und Anm. 119. Der Begriff techne wird besser mit „Wissenschaft“ als mit „Kunst“ übersetzt. 30 Verbindungen zwischen Metallverarbeitung und Magie werden gerne gezogen: Blakely 2006; Truitt 2015b; Truitt 2015a, zur Grenzbewachung S. 62 – 63; Faraone 1992, S. 19, 29, Anm. 11, 18 – 35. Weinryb 2016, S. 109, 128 – 134. 31 Blakely 2006, S. 81, 209. Weinryb 2016, S. 153–156. Clarke 1973, S. 14, 21, 36. 32 Zur Geschichte des antiken griechischen Glaubens an die Wirkung von Statuen: Bremmer 2013. 33 Blakely 2006, S. 210 – 212. 34 Cook 1914, 1, S. 723 – 724; Buxton 2013, S. 86–87; Weinryb 2016, S. 4 – 7, 14, 44 – 52. 35 Wachsausschmelzguss: Mattusch 1975; Hodges 1970, S. 127–129. Bronzetechniken, bei denen Wachs- und Tonmodelle zum Einsatz kommen: Hemingway und Hemingway 2003. Für hölzerne Gerüste siehe Kapitel 6. Für realistische Bronzestatuen nach Gipsabdrücken von Menschen siehe Kapitel 5 sowie Konstam und Hoffmann 2004. 36 Raphael 2015, S. 187. Berryman 2009, S. 27. Mayor 2007; Mayor 2016. 37 Apollonios (in Hunters Übersetzung von 2015 auf S. 300); Raphael 2015, S. 183 –  184. Zu Aristoteles über Automaten, Marionetten, Biologie, Physiologie und Mechanik: Leroi 2014, S. 172 – 173, 199 – 202. De Groot 2008. 38 Ichor: Homer, Ilias 5.364–382. „Talos hat tatsächlich eher Ichor anstatt Blut in seinen Adern“, auch wenn „wir vielleicht nicht allzu genau untersuchen sollten, was in Talos’ Adern floss“, wie R. Hunter schloss, als er Apollonios übersetzte (2015,

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Anmerkungen

S. 189, 300, 304). Ichor in Mythos und medizinischen Abhandlungen: Buxton 2013, S. 94 – 96. 39 Aderlass galt als gesundheitsfördernd bei verschiedenen Gebrechen. Hippokrates, Über die Natur des Menschen 11; Aristoteles, Geschichte der Tiere 512b 12 – 26. Aderlass ist dargestellt auf dem Peytal-Aryballos, 480  v. Chr., Louvre. Buxton 2013, S. 93. Die Lokalisierung von Talos’ Schwachpunkt, der Fessel, entspricht der in der Antike häufig mit Füßen assoziierten Verletzlichkeit, vgl. z. B. Achills Ferse und Oedipus’ lahmen Fuß. 40 Plutarch, Moralia 5.7.680C – 683B; Dickie 1990 und 1991; Apollonios (in Hunters Übersetzung von 2015 auf den Seiten 6, 302). Zu Bronze und zum bösen Blick: Weinryb 2016, S. 131 – 133. Beispiel für realistisch bemalte und eingelegte Bronzestatuen: Brinkmann und Wünsche 2007. 41 Truitt 2015 a und b. Kang 2011, S. 22 – 25, 65 – 66. Buxton 2013, S. 74. Gray 2015. Zum „Zwischenstatus“ Pandoras siehe Kapitel 8 und Francis 2009, S. 14 – 15. In bestimmter Hinsicht könnte man von Talos behaupten, er hätte eine „enge“ bzw. Typ-Ireaktive KI (siehe Glossar). Zum „Uncanny Valley“-Effekt  –  einem Begriff aus der Robotik, der die Akzeptanz „menschlicher“ Roboter und realistisch dargestellten, künstlichen Lebens beschreibt  –  siehe Kapitel 5 sowie Lin, Abney und Bekey 2014, S. 25 – 26. 42 Newman 2014. Auf den Mythos von Talos als unbesiegbarem antiken Sicherheitssystem geht auch der Name des „weltgrößten Zentrums für Sicherheitsüberwachung“ zurück, das „unermüdlich daran arbeitet, kriminelle Cyber-Attacken zu erkennen und zu bekämpfen“. Es heißt ebenfalls Talos und wird seit 2008 von Cisco Systems unterstützt. http://www.talosintelligence.com/about/. 43 Kang 2011, S. 65. Zu modernen Fragen der Ethik darüber, menschliche Urteile durch KI zu ersetzen: siehe Bhorat 2017. Lin 2015; Lin, Abney und Bekey 2014, S. 53, 60 sowie Kapitel 4 und 5. Danke an Norton Wise für wertvolle Hinweise zu diesen Fragen. Spensers eiserner Ritter Talus wurde nach dem mythischen Talos benannt, war aber vielleicht zum Teil auch nach Leonardo da Vincis roboterhaftem Ritter geschaffen (ca. 1495), der in eine schwere mittelalterliche Rüstung eingehüllt und durch Seilwinden, Kurbeln, Getriebe und Hebelarme verstärkt wurde. 44 Siehe Kapitel 9 zu antiken persischen „Batterien“. Ambrosino 2017. Shtulman 2017, S. 53 – 56. 45 Tenn 1958. Talos diente als „primitives privates Alarmsystem“: Mendelsohn 2015. 46 Garten und Dean 1982, S. 118. Die Talos-Raketen wurden 1980 außer Betrieb gesetzt. Im Film von Harryhausen 1963 verband Talos zudem vorprogrammierte Muskelkraft mit Köpfchen. Winkler 2007, S. 462 – 463. 47 Zur Geschichte der Anstrengungen, Militärroboter zu kreieren: Jacobsen 2015 und Tyagi 2018. Nissenbaum 2014. Das SOCOM TALOS hat seinen offiziellen Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen zwischen Dezember 2017 und 2018 erneuert.

Kapitel 2 Metamorphosen 7.159 – 293. Fragment 7; zu Medeas geplantem Anschlag auf Pelias in dem verlorenen Stück von Sophokles’ Rhizotomoi, „Wurzelschneiderinnen“, siehe Gantz 1993, Bd. 1, S. 191, 367. Godwin 1876, S. 41.

1 Ovid,

2 Nostoi

Anmerkungen

3 Zu Medeas Verjüngungsplan im Stück des Aischylos, laut einer Scholie zu Euripides’ Medea, siehe Denys Page (Hg.), Euripides, Medea (1938). Zur wiederbelebenden Wirkung des Dampfbades, das von Daedalus ersonnen wurde, vgl. Diodor 4.78. Neue Technologien oft fehlkonstruiert: Hawes 2014, S. 59 – 60; zu Palaiphatos und seiner Datierung S. 37– 91 und 227–238. Aristoteles zu Stoffwechsel, Altern und Lebenserwartung: Leroi 2014, S. 260 – 265, Anm. zu den Seiten 34 – 43, 227. 4 Ovid, Metamorphosen 7.159 – 293; Clauss und Johnston 1997, S. 33 – 34; Godwin 1876, S. 41; Newlands 1997, S. 186 – 192. Nur Quecksilber verdirbt Gold. Maluf 1954. Blutaustausch-Transfusionen sind lebensrettend bei Sichelzellenanämie und Blutkrankheiten bei Neugeborenen. Zu Blutaustausch-Parabiose-Experimenten, bei denen junges Blut in einen älteren Körper übertragen wird: Friend 2017, S. 60 –  61. Das Gewebe von älteren Mäusen wurde verjüngt, doch die jüngeren Spendermäuse alterten schneller. 5 Psammetichs Selbstmord durch das Trinken von Stierblut: Herodot 3.15.4; Plutarch, Themistokles 31; zu Midas siehe Strabon 1.3.21. Stormorken 1957. 6 „List mit der glückbringenden Statue“, Faraone 1992, S. 100 – 104. 7 Faraone 1992, S. 100. 8 Vgl. Diodor 4.50 – 52; weitere Quellen: u. a. Pindar, Pythien 4.138 – 167; 4.249 –  250; Apollonios von Rhodos, Argonautika 4.241 – 243; Apollodor, Bibliotheke 1.9.27 – 28; Ovid, Metamorphosen 7.159 – 351; Pausanias 8.11.2 – 3; Hyginus, Fabeln 21 – 24. In Die Peliaden (verloren) hat Euripides diesen Mythos im Jahr 455  v.  Chr. in die Form eines Dramas gebracht. Gantz 1993, Bd. 1, S. 365 – 368. Medeas Verwandlung verweist auf Artemis’ Nutzung von Ambrosia als Verjüngungssalbe; Homer, Ilias 14.170 und Odyssee 18.188. 9 Diodor (4.52.2) meint, dass Medea die Töchter hypnotisierte und bei ihnen die Illusion (eidolon) eines jungen Lammes hervorrief, das dem Kessel entstieg. 10 Z. B. eine etruskische Olpe im orientalisierenden Stil mit dem eingeritzten Bildnis von Medea, beschriftet als „Metaia“ (ca. 630  v.  Chr., schwarzer Bucchero, aus Caere/ Cerveteri, Museo Archeologico Nazionale inv. 110976; de Grummond 2006, S. 4 –  6 und Abb. 1.7). Zwei schwarzfigurige Vasen aus Vulci zeigen Medea und einen Schafbock im Kessel (British Museum, B 221 und B 328). Eine schwarzfigurige Vase weist ähnliche Abbildungen auf (Leagros-Gruppe, Harvard University Art Museum, 1960.315). 11 Rotfiguriger Krater im Boston Museum of Fine Arts, 1970.567. Rotfigurige Vase aus Vulci, ca. 470  v.  Chr., British Museum E 163. Woodford 2003, S. 80 – 83, Abb. 54; Rotfigurige Schale, 440  v.  Chr., Vatikanische Museen. 12 Dolly wurde am Roslin Institute, University of Edinburgh, aus einer ausgewachsenen Zelle geklont (schon vorher waren Kühe geklont worden). Sie und andere geklonte Schafe des Projekts starben an einem tödlichen Virus, doch eine Studie von Sinclair et al. über Dollys Skelettüberreste (aufbewahrt im National Museum of Scotland) erbrachte 2016 keine Hinweise auf eine vorzeitige Alterung ihrer Knochen. http://www.roslin.ed.ac.uk/public-interest/dolly-the-sheep/a-life-of-dolly/. 13 Für eine buddhistische Sichtweise zur Nachbildung von Leben und zum Klonen: Han 2017, S. 67. 14 Apollodor, Epitome 5.5; Scholiast zu Apollonios, Argonautika 4.815. Medea erwägt Selbstmord in Argonautika 3.800 – 815.

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Anmerkungen

15 Zur Überführung Sterblicher in die Unsterblichkeit: Hansen 2004, S. 271 – 273. Iolaos: Pindar, Pythien 9.137; Euripides, Die Herakliden. 16 Ovid, Metamorphosen 7.171 – 178; Newlands 1997, S. 186 – 187. Das Angebot der Zaubernymphe Kalypso, Odysseus unsterblich zu machen (Homer, Odyssee 7.259), bezeichnete der Skeptiker Heraklit als „irrational“: Hawes 2014, S. 96. Siehe Kapitel 3 zu dieser Geschichte. 17 Chiron, Apollodor, Bibliotheke 2.5.4. 18 Dioskuren: Apollodor, Bibliotheke 3.11.2.

Kapitel 3 1 Mayor 2016. „Cheating Death“ 2016. Raphael 2015, S. 192 – 193. Boissoneault 2017. Blade Runner wurde frei nach dem Science-Fiction-Roman Do Androids Dream of Electric Sheep? von Philip K. Dick (1968) adaptiert. In Jo Waltons in der Antike spielendem Science-Fiction-Roman The Just City (2015), S. 254, 300, werden Robotersklaven bestraft, indem ihr Gedächtnis gelöscht wird. In der beliebten TV-Serie Westworld (HBO, Premiere 2016) werden die Erinnerungen der Androiden jeden Tag bereinigt. 2 Lefkowitz 2003, S. 90–91. Reeve 2017. Rogers und Stevens 2015, S. 221 – 222. 3 Aristoteles (Über die Seele 2.2.413a21 – 25) definiert ein lebendes Wesen über die Eigenschaft, Nahrung aufzunehmen (kleinster gemeinsamer Nenner), sich zu verändern (Pflanzen), als fähig zu Bewegung, geistigem Antrieb oder Begehren und Wahrnehmung (Lebewesen), und bei Menschen nennt er zusätzlich die Fähigkeit des Denkens. Für Aristoteles ändern sich Pflanzen und Tiere, künstliche Artefakte jedoch können sich nicht verändern. Steiner 2001, S. 95. Zu den im Text angesprochenen Ausnahmen gehört Hephaistos, der lahm ist und hart arbeitet, siehe Kapitel 7. 4 Auch der Titan Prometheus bildet eine Ausnahme  –  seine Hilfe für die Menschen barg hohe Risiken, und seine Unsterblichkeit wurde zu einem Teil seiner Bestrafung. John Gray untersucht in Soul of the Marionette (2015) die menschliche Freiheit und Unsterblichkeit in einer gnostischen Sichtweise. 5 Cave 2012, S. 6– 7, 202, 205 – 209. Gilgamesch und Unsterblichkeit: Eliade 1967. Amazonen sterben als Heldinnen: Mayor 2014, S. 28 – 29. 6 Colarusso 2016, S. 11. 7 Hansen 2002, S. 387 – 389. Zu einer Lebensspanne von 120 Jahren beim Menschen: Zimmer 2016. 8 Pindar, in Pausanias 9.22.7 zitiert; Platon, Der Staat 611d; Ovid, Metamorphosen 13.904–965. Palaiphatos 27, Glaukos als Meeresgott. Glaukos, Hygin, Fabel 136; Apollodor, Bibliotheke 3.3.1–2. 9 Alexanderroman-Tradition: Stoneman 2008, S. 94, 98– 100, 146 – 147; 150 – 169. Aerts 2014, S. 498, 521. 10 Im Klassiker der Berge und Meere (Shanhaijing), Birrell 1999, S. 241. 11 Quecksilberdämpfe können tödlich sein, die Einnahme von Quecksilber jedoch nicht. Qin Shi Huang: Kaplan 2015, S. 53 – 59; Cooper 1990, S. 13–28; 44 – 45. 12 Alexander zitiert Homer, Ilias 5.340. Diese Anekdote erscheint bei Plutarch, Moralia 341b, Moralia 180e und Plutarch, Alexander 28, etc.; Buxton 2013, S. 95 – 96. 13 Homer, Odyssee 24.5. 14 Stoneman 2008, S. 152 – 153.

Anmerkungen

15 Gantz 1993, Bd. 1, S. 154 – 156. Apollodor, Bibliotheke 1.7, 2.5.4. Hard 2004, S. 271. Kaplan 2015, S. 24 – 28. Simons 1992, S. 27. Hygin (De astronomia 2.15) sagt, die Qual dauerte 30 000 Jahre, an anderer Stelle 30 Jahre; bei Strabon (11.5.5) sind es 1000 Jahre. Die Leberregeneration wird in der chinesischen Volksdichtung anhand der utopischen Figur des shih-jou behandelt, eines Hügels aus Fleisch, der aussieht wie eine Stierleber und niemals vollständig verzehrt werden kann, weil er sich regeneriert, Birrell 1999, S. 237. 16 Herakles und die Hydra: Hard 2004, S. 258. Mayor 2009, S. 41 – 49. 17 Hansen 2002, S. 36 – 38. Felton 2001, S. 83 – 84. 18 Sisyphos: Apollodor, Bibliotheke 1.9.3 – 5, und Anm. 4 in Frazers Übersetzung (S. 78 –  79); Homer, Odyssee 11.593–600; Scholiast zu Homer, Ilias 1.180 und 6.153; Pherekydes von Syros, FGrH 3 F 119. 19 Homerischer Hymnos an Aphrodite 218 – 238; Apollodor, Bibliotheke 3.12.4 und Anm. 4 in Frazers Übersetzung (S. 43 – 44). In der Antike wurden Zikaden mit erneuerter Jugend und ewigem Leben assoziiert, wobei sie die alte Haut abstreiften und ihnen eine neue wuchs. Tithonos und Eos in klassischer Kunst und Literatur: Gantz 1993, Bd. 1, S. 36–37. Woodford 2003, S. 60 – 61. Lefkowitz 2003, S. 38 – 39. 20 Hansen 2004, S. 222, 273. Cohen 1966, S. 15, 16, 24. 21 Hansen 2004, S. 269 – 273. Homerischer Hymnos an Aphrodite 239 – 248. 22 Eos und Tithonos in mittelalterlicher und moderner Kunst: Reid 1993, Bd. 1, S. 386 –  388. 23 Sapphos Tithonos-Gedicht: West 2005, S. 1 – 9. D’Angour (2003) diskutiert Horaz’ Ode mit Blick auf pythagoreische Ideen. Tennysons „Tithonus“: Wilson 2004, S. 214, Anm. 78. Alterslose Langlebigkeit als universelles Thema in der Volksdichtung über Utopien: Stoneman 2008, S. 99 – 100; 153 – 154. De Grey 2008 und 2007. Im letzten Teil von Philip Pullmans His Dark Materials-Trilogie (1995, 1997, 2000) ist Gott selbst ein „aufgeregt schnatternder Geist“. 24 Leroi 2014, S. 260 – 265. Verbindung zwischen sexueller Abstinenz und Verlängerung des Lebens: Friend 2017, S. 65. „Elysium“-Gesundheitsprodukte, so benannt nach dem mythischen Nachleben von Helden, sollen ein „überlanges Leben garantieren“: https://www.fastcompany.com/3041800/one-of-the-worlds-top-agingresearchers-has-a-pill-to-keep-you-feeling-young. 25 „das Leben verabscheut“: Woodford 2003, S. 60. Zu antiker und moderner Angst davor, dass Technologien die „menschliche Endlichkeit“ und „Menschlichkeit“ bedrohen könnten: Cusack 2008, S. 232. 26 Cave 2012. Friend 2017. Harari 2017, S. 21 – 43. Buddhistischer Transhumanismus: Mori 2012; Borody 2013. Wo liegt die Grenze der menschlichen Lebensdauer? Wissenschaftler debattieren über diese Frage kontrovers. Einige Ergebnisse legen nahe, dass die maximale Lebensspanne mit gegenwärtiger Technologie bei ca. 115 bis 120 Jahren liegt: Zimmer 2016. 27 „Das verfügbare Soma“ federt die „Tithonus-Falle“ ab: „Cheating Death“ 2016 und „Longevity“ 2016. Liu 2011, S. 242 – 243. Richardson 2013. Kaplan 2015, S. 68 – 73. Cave 2012, S. 64, 67 – 71. Friend 2017, S. 56 – 57; de Grey 2007, S. 8 und 379, Anm. 2; de Grey 2008, „globales Altenheim“. 28 Die Replikanten in Blade Runner sterben, ehe sie zu Menschen werden können; Raphael 2015. Talos: Buxton 2013, S. 78. Wilson 2004 (S. 2, 207, Anm. 2–3, S. 214) untersucht die antike griechische Vorstellung davon, zu lange zu leben, anhand

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Anmerkungen

mythischer Gestalten von Oedipus und Herakles sowie von Shakespeares Macbeth und Lear.

Kapitel 4 1 Zu Platons Legende und vorsokratischen Schriften: Gantz 1993, Bd. 1, S. 166. Platon, Protagoras 320d – 321e. Die Etymologie stammt von Platon und wurde in der Antike akzeptiert. In manchen antiken Überlieferungen war es Prometheus, der die ersten Menschen und Tiere schuf; siehe Kapitel 6 und Tassarini 1992, S. 61 –  62, 78 – 80, 230, Anmerkungen zu den Seiten 62 – 68. 2 Rogers und Stevens 2015, S. 1 – 3. Zu modernen „Human Enhancement Technologies“ HET siehe Lin 2012 und 2015. Martinho-Truswell 2018 weist darauf hin, dass viele Geschöpfe Werkzeuge gebrauchen, doch Menschen die einzigen Lebewesen sind, die Werkzeuge „automatisieren“. Dieser Impuls ist mindestens so alt wie der erste atlatl sowie Pfeil und Bogen. 3 Prothesen in antikem Mythos und Geschichte: James und Thorpe 1994, S. 36 – 37. La Grandeur 2013. Zarkadakis 2015, S. 79 – 82. 4 Lin 2012; Patrick Lin ist Direktor der Ethics and Emerging Sciences Group an der California Polytechnic State University. Zur Geschichte religiöser Skrupel bezüglich der künstlichen Verstärkung der Fähigkeiten von Menschen und Robotern: Simons 1992, S. 28–32. 5 Antike Technologie: Brunschwig und Lloyd 2000, S. 486–494. 6 Gantz 1993, Bd. 1, S. 359 – 363. Bei späteren Autoren sammelt Medea die prometheische Droge vom Blut aus Prometheus’ Leber: Properz, Elegien 1.12; Seneca, Medea 705; Valerius Flaccus, Argonautica 7.352. Der Ichor der ersten Giganten, die von den Göttern getötet wurden, versickerte im Boden und ließ die Brunnen übel riechen, so bei Strabon 6.3.5. 7 Apollonios, Argonautika 3.835–69; 3.1026 – 1045; 3.1246 – 1283. Pindar, Pythien 4.220 – 242. Die Aufgaben, die Iason von Aietes gestellt wurden, wurden von Sophokles in seinem verschollenen Stück Kolchides („Die Kolchierinnen“) in ein Drama gefasst. Dieses Stück war wahrscheinlich die Quelle für Apollonios, Gantz 1993, Bd. 1, S. 358 – 361. 8 Zarkadakis 2015, S. 79 – 82. Harari 2017, S. 289 – 291. Siehe Lin 2012, 2015. Zu schwierigen ethischen Problemen um „Supersoldaten“, Cyber-Waffen und die Verstärkung von Kämpfern durch Technologie und Drogen siehe Ethics and Emerging Sciences Group (http://ethics.calpoly.edu/he.htm). Zur Forschung zur Neurocomputer-Technologie, die Gedanken auslöschen und die mentale Integrität sowie die kognitive Freiheit bedrohen soll: Ienca und Andorno 2017. 9 Die Episode mit den feuerspeienden Stieren taucht auch auf bei Pindar, Pythien 4.224 – 250 (ca. 462  v. Chr.); Shapiro 1994, S. 94 – 96. 10 Apollonios, Argonautika 3.401 – 421; 3.492 – 535; 3.1035 – 1062; 3.1170 – 1407. Godwin 1876, S. 41. Diese Taktik ist die gleiche wie jene, die den Helden Kadmos in Theben rettet. In diesem Mythos wirft Kadmos Felsen zwischen die Spartaner, „gesäte Männer“, die aus den eingepflanzten Zähnen eines weiteren erschlagenen Drachen entstanden. Für eine rationale Erklärung der „gesäten Männer“: Hawes 2014, S. 140 – 141, 146. 11 Mayor 2016. 12 Mayor 2009, S. 193 – 194; Stoneman 2008, S. 77; Aerts 2014, S. 255.

Anmerkungen

13 Mayor 2009, S. 235 – 236, Abb. 39. Die Darstellung von Alexanders feuerspeienden eisernen Reitern und Pferden auf Rädern im Shāhnāme-Manuskript von Il-Khanid entstand 1330 – 1340; Sackler Museum, Harvard University. 14 Es ist interessant, dass Firdausi in seinem Epos auch ein verzaubertes Schloss beschreibt, das von automatischen Bogenschützen verteidigt wird. Ein späteres illustriertes Manuskript (16. Jh.) zeigt diese automatischen Bogenschützen, wie sie von ihren Stellungen auf dem Burgwall Pfeile auf eine eindringende Armee abschießen; Shāhnāme von Firdausi, Mogul-Kunst, MS 607, fol. 12v, Musée Conde, Chantilly, Frankreich. 15 Vgl. Cusack 2008 über Talos, Nuada, Freya und den hinduistischen Savitri. 16 Rig Veda 1.13, 1.116 – 118, 10.39. 17 Zur Technologie der Prothetik: Zarkadakis 2015, S. 79–81, Anm. auf S. 68 – 75, 231. 18 Zu diesen und den folgenden gefundenen Prothesen: Nostrand 2015. 19 James und Thorpe 1994, S. 36 – 37. Ägyptische Fußspitze: Voon 2017. Nostrand 2015. Mori 2012; Borody 2013. 20 Cohen 1966, S. 16 – 18. Morris 1992, S. 17 – 35, 244 – 250; Hawes 2014, S. 49 – 53, 207 – 212; „Motiv des ersten Erfinders“: S. 59 – 60, 109, 120 – 121, 210 – 211, 230 –  231. Erster Erfinder-„Held“: Kris und Kurz 1981; „archetypischer Handwerker“: Berryman 2009, S. 26. Lane Fox 2009, S. 186–191. Zu antiken Quellen zu Daedalus’ Arbeiten: Pollitt 1990, S. 13 – 15. Im Klassiker der Berge und Meere benennt die chinesische Mythologie mehrere Erfinder-Götter und Kulturheroen, darunter: Hsien-yuan („Wagendeichsel“), der als Erster Tiere einspannte, damit sie Wagen ziehen; Chi Kuang („glückbringendes Licht“), Erfinder des Streitwagens; Chi’iao Ch’ui („Kunstfertigkeit“), Gott der einfallsreichen Technologie; Birrell 1999, S. 205, 220, 239, 256. 21 Apollodor, Bibliotheke 3.15.1; Antoninus Liberalis, Metamorphosen 41. 22 Für die Natur-Miniserie Spy in the Wild („Spion in der Wildnis“, BBC/PBS) aus dem Jahr 2017 wurden mehr als 30 Animatronics mit Kameras ausgestattet, um heimlich Tiere in der Natur zu beobachten. Die Tiere akzeptierten die Roboter und interagierten mit ihnen, beklagten sogar deren „Tod“. Zu Kunstwerken, die Menschen und Tiere in der Antike täuschten: Morris 1992, S. 232, 246. Spivey 1995. 23 Pornographie und Automaten: Kang 2011, S. 108, 138 – 139, 165 – 166; Lin, Abney und Bekey 2014, S. 58, 223 – 248; Higley 1997. Vgl. Morris 1992, S. 246 zu erotischer Interaktion mit lebensechten Statuen; vgl. auch Hersey 2009 sowie Wood 2002, S. 138 – 139. 24 Palaiphatos 2 und 12; Apollodor, Bibliotheke 3.1.3 – 4; Hygin, Fabel 40; Hesiod, Fragment 145 MW; Bakchylides 26; Euripides’ verschollenes Drama Die Kreter; Sophokles’ verlorenes Drama Minos; Isokrates 10 Helena-Rede, 27; Diodorus Siculus 4.77; Ovid, Metamorphosen 8.131 – 133 und 9.736 – 740; Ovid, Ars amatoria 1.289–326. 25 Relief-Skyphos (Trinkschale) mit Pasiphaë, Daedalus und der jungen Kuh: Los Angeles Museum of Art, AC1992.152.15. Römische Mosaikfußböden: Haus des Poseidon, 2. Jh.  n. Chr., Zeugma-Mosaik-Museum, Gaziantep, Türkei; 3. Jh.  n.  Chr., Lugo, Spanien. Römische Fresken: 1. Jh.  n. Chr. in Herculaneum und im Haus der Vettier (das den Feuerbohrer zeigt) sowie in der Casa della Caccia Antica

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Anmerkungen

in Pompeji. De Puma 2013, S. 280. Pasiphaë in mittelalterlicher und moderner Kunst: Reid 1993, Bd. 2, S. 842 – 844. 26 Pasiphaë und der Minotaurus in antiker Literatur und Kunst: Gantz 1993, Bd. 1, S. 260 – 261, 265 – 266. Woodford 2003, S. 137 – 139. Rationalisierung in der Antike: Hawes 2014, S. 58, 126 – 127. Andere antike Beispiele für Menschen, die mit Tieren kopulieren, z. B. mit Pferden und Eseln, werden u. a. berichtet in Plutarchs Moralia, Parallelgeschichten 29. 27 Gantz 1993, Bd. 1, S. 261 – 264, 273 – 275. 28 Alte skandinavische Sagen berichten vom Schmied Wayland, der wunderbare Waffen und andere Wunderwerke erdachte, einschließlich eines Kleidungsstücks, das aus gefiederten Häuten echter Vögel gemacht war und mit dem er fliegen konnte, Cohen 1966, S. 18. 29 Zu Daedalus und Ikarus in antiker Literatur und Kunst: Gantz 1993, Bd. 1, S. 274 –  275; in mittelalterlicher und moderner Kunst, Reid 1993, Bd. 1, S. 586 – 593. Bienenwachs und Federn galten nach Pindar und anderen Dichtern als Baumaterial eines der ersten Apollontempel; Marconi 2009. 30 Morris 1992, S. 193, 232. 31 Etruskische Bucchero-Olpe, in Cerveteri (Caere) im antiken Etrurien gefunden: Lane Fox 2009, S. 189. Böotisches Alabastron im korinthischen Stil: ca. 570  v. Chr., Bonn. Etruskische Bulla: Walters Art Museum, Baltimore, 57.371. Morris 1992, S. 194 – 196. Daedalus auf etruskischen Gemmen: Ambrosini 2014, S. 176–178 und Abb. 1 – 15b. 32 Ikarus und Daedalus in der Kunst: Gantz 1993, Bd. 1, S. 274; LIMC 3. „Sturz des Ikarus“, Meerespanorama-Wandbild aus Pompeji: Archäologisches Nationalmuseum, Neapel. Zum weit verbreiteten volkstümlichen Motiv eines Architekten, der einen Weg zur Flucht aus dem Gefängnis ersinnt, siehe Kris und Kurz 1979, S. 87 – 88. 33 Fliegen in der griechischen Komödie: D’Angour 1999. Keen 2015, S. 106–119. 34 Stoneman 2008, S. 111 – 114. Aerts 2014, S. 27. 35 Stoneman 2008, S. 114 – 119. Zu mittelalterlichen Bildern von Alexander als Flieger: Schmidt 1995. 36 Needham und Wang 1965, S. 587 – 588. 37 Klassiker der Berge und Seen: Birrell 1999, S. 256. 38 Aufgezeichnet im Zizhi Tongjian im Jahr 1084, der Chronik der chinesischen Geschichte von 403  v. Chr. bis 959  n. Chr. Andere antike Mythen von fliegenden Menschen: Cohen 1966, S. 95 – 96. Siehe Kapitel 9 zu Kriminellen, die als Strafe zum Fliegen gezwungen wurden. 39 Antike Texte, die speziell Daedalus’ Flug behandeln: Apollodor, Epitome 1.12 –  15; Strabon 14.1.19; Lukian, Gallus 23; Arrian, Anabasis 7.20.5; Diodor 4.77; Ovid, Metamorphosen 8.183, Heroides 4, Ars amatoria 2, Tristia 3.4; Hygin, Fabel 40, Vergil, Aeneis 6.14. Vgl. dazu McFadden 1988.

Kapitel 5 1 Daedalus und Sardinien: Morris 1992, S. 202–203, 207–209; Diodor 4.30; Pausanias 10.17.4. Werkzeuge: Vulpio 2012. Der nuraghische eiserne Zirkel befindet sich im Sanna Museum, Sassari, Sardinien. 2 Diodor 4.78. Siehe Morris 1992 zu allen Daedalus zugeschriebenen Erfindungen. 3 Blakemore 1980.

Anmerkungen

4 Michaelis 1992. Ayrton 1967, S. 179 – 184. Ayrtons umstrittene modernistische Skulptur des bronzenen Roboters Talos steht Wache an der Guildhall Street, Cambridge, UK. 5 Honigwaben-Häuserblocks: Marconi 2009. Die Hypothese, die Marcus Terentius Varro in Über die Landwirtschaft formulierte, wurde von Hales 2001 bewiesen. 6 Lane Fox 2009, S. 190. 7 Muschel und Ameise: Zenobios 4.92; auch erwähnt in Sophokles’ verschollenem Stück Kamikoi; Athenaios 3.32. 8 Zu Daedalus’ Zeit in Sizilien: Morris 1992, S. 193 – 210. Apollodor, Epitome 1.14 –  15; Herodot 7.169 – 170. Diodor 4.78 – 79 gibt eine leicht veränderte Version der Ereignisse wieder. 9 Apollodor, Bibliotheke 3.15.8; Diodor 1.97, 4.76 – 77; Plinius, Naturgeschichte 36.9; Pausanias 1.21.4; Ovid, Metamorphosen 8.236; Plutarch, Theseus 19. Dieser athenische Talos wird auch Kalos oder Perdix genannt. In anderen Versionen wird die Säge nach der Wirbelsäule eines Fischs modelliert. Daedalus in Athen: Morris 1992, S. 215 – 237; Faltstuhl: S. 249 – 250; Talos’ Grab: S. 260. Es existiert kein antiker Bericht über Daedalus’ Tod. 10 Aristoteles, Mirabilia 81(wird im Text nicht erwähnt); Diodor 1.97; Scylax, Periplus; Pausanias 2.4.5 und 9.40.3. Zu Daedalus-Statuen: Donohue 1988, S. 179–183. 11 Bremmer 2013, S. 10 – 11. Mehrere antike Quellen erwähnen Götterstatuen, die angebunden oder gefesselt waren. Lukians Philopseudes (2. Jh. n. Chr.) nimmt den Glauben aufs Korn, es gebe belebte Statuen, die nachts aufstehen und baden, singen, wandern oder Diebstähle verhindern; Felton 2001. Zu belebten Statuen, die an Gebäuden zum Leben erweckt werden, auf Vasen: Marconi 2009. 12 Morris 1992, S. 30 – 31, 221 – 225, 360. 13 Sokrates über Daedalus: Morris 1992, S. 234 – 237; 258 – 289 zum attischen Volk der Daedalidae; Daedalus in Athen, S. 257 – 268. Kang 2011, S. 19 – 21. Sokrates’ Behauptung zeigt, dass Automata in der Antike als Sklaven galten. Vgl. Walton 2015, ein Science-Fiction-Roman, der in einem „Utopia“ auf Grundlage von Platons Staat spielt, worin Sokrates entdeckt, dass die Robotersklaven, die als Werkzeuge benutzt werden, Bewusstsein haben und den Wunsch nach Freiheit äußern. 14 Bryson 2010; Lin 2015; „AI in Society: The Unexamined Mind“ 2018. 15 Samen als Flüssigkeit, die einen Embryo belebt: Leroi 2014, S. 199. Zum Zitat: Berryman 2009, S. 72. 16 Keyser und Irby-Massie 2008, siehe unter Demokritos von Abdera, S. 235–236. Kris und Kurz 1979, S. 67 – 68. Leroi 2014, S. 79 – 80, 199 – 200; Morris 1992, S. 224 –  225, 232 – 233; Donohue 1988, S. 165 – 166, 179 – 183; Steiner 2001, S. 118 – 119. Samen: Hersey 2009, S. 69 – 71, 100. Demokrit studierte auch Magnete: Blakely 2006, S. 141 und Anm. 24. 17 James und Thorpe 1994, 131. Ali 2016, S. 473. Kang 2011, S. 19 – 20, behauptet fälschlicherweise, Aristoteles habe die Bewegung von Statuen Merkur zugeschrieben (S. 98, 117 – 118). Berryman 2009, S. 26, 37, 75, weist darauf hin, dass Aristoteles die Merkur-Analogie benutzte, um die Atomtheorie zu kritisieren. 18 Blakely 2006, S. 16, 25, 159, 215 – 226. 19 Zur Geschichte und den antiken Quellen zu Statuen „mit Kraft“ (schwitzende, weinende und blutende Statuen): Bremmer (2013), S. 13 – 15. Siehe auch Poulsen 1945, S. 182 – 184; Donohue 1988; Cohen 1966, S. 26 Anm. 26; Felton 2001; Van Wees 2013.

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Anmerkungen

20 Zu Widersprüchen in der künstlerischen Argumentation: siehe Morris 1992, S. 240 – 256. Felton 2001, S. 79 – 80. 21 Berryman 2009, S. 27 – 28 (kursiv: schon im Original); es scheint „sehr unwahrscheinlich“, dass „mechanistische Konzepte“ sich vor der „Existenz der Mechanik als Disziplin entwickelt haben könnten“. Manche Geräte wurden vor der Zeit des Aristoteles erfunden, darunter Katapulte, Wahlmaschinen oder Wein- und Olivenpressen. Das könnte Maschinen-Analogien inspiriert haben. Vgl. Francis 2009, S. 6 – 7. 22 Zur Erfindungs- und Vorstellungskraft der alten Griechen: D’Angour 2011, S. 139 – 142. Rogers und Stevens 2015. „Am Ursprung jeder Schöpfung oder Erfindung liegen Phantasie und die Fähigkeit zu träumen“, wie Forte 1988, S. 50, bemerkt; Erfindungen bedürfen der „Mühe des Phantasierens“. „Where Science fiction leads“ („Wo Science-Fiction vorausgeht”): paraphrasiert aus „The Next Frontier: When Thoughts Control Machines“, einem Artikel in The Economist von Januar 2018, S. 11. 23 Simons 1992, S. 40. Francis 2009. 24 Zu antiken Reaktionen auf die Ästhetik und zur Philosophie im Zusammenhang mit den Statuen: Steiner 2001. Zu verschiedenen griechischen Künstlern und Bildhauern lebensechter Kunstwerke siehe die Einträge bei Pollitt 1990. Realistische Statuen: Spivey 1995, S. 234. 25 Haynes 2018. Plinius’ Kunstbeschreibungen: Naturgeschichte Bücher 34 – 36. 26 Quintilian, Institutio oratoria 12.7 – 9; Lukian, Der Lügenfreund 18 – 20; Felton 2001, S. 78 und Anm. 10. 27 Diese und weitere Beispiele: Plinius, Naturgeschichte 34.19.59 – 35.36.71 – 96; bemalter Marmor: z. B. 35.40.133; Erfindung keramischer Porträts nach Schattenprofilen von Lebenden: 35.43.151. Zu künstlerischen Phantasias: Pollitt 1990, S. 222 und Anm. 2. 28 Gipsabdrücke sowie Ton- und Wachsmodelle von lebenden Menschen: Plinius, Naturgeschichte 35.2.6, 35.43.151 und 35.44.153 (unkorrekt zitiert als „36.44.153“ von Konstam und Hoffmann 2004). Parrhasios: Seneca, Controversiae 10.5. Vgl. frühere Diskussion der „Virtuosität“ des Bildhauers von Riace: Steiner 2001. Kris und Kurz 1979. 29 Blakely 2006, S. 141 – 144, 157. Die Eigenschaften von Magneten waren Thales von Milet bekannt (6. Jh.  v. Chr.). Magnetismus wurde in chinesischen Chroniken beschrieben, z. B. im Guiguzi (4. Jh.  v. Chr.) und im Lushi Chunqiu (2. Jh.  v. Chr.). 30 Lowe 2016, S. 249, 267. Heron von Alexandria ließ in einem Entwurf eine hohle Kugel über der Trichteröffnung eines geschlossenen Kessels mit kochendem Wasser schweben, doch dieser ist für eine große Statue nicht umsetzbar; James und Thorpe 1994, S. 134; nachgebaut von Kotsanas 2014, S. 61. Heute kann magnetische Aufhebung bzw. Levitation (vgl. z. B. Magnetschwebebahnen) nur durch äußerst starke elektromagnetische Technik und mittels Rotation umgesetzt werden (z. B. bei Spielzeug der Firma Levitron). 31 Lowe 2016. Beispiele für schwebende Statuen: Rufinus, Historia Ecclesiastica (ca. 550  n. Chr.); Georgios Kedrenos, ein byzantinischer Historiker, ca. 1050  n. Chr., in Synopsis Historion; Nikephoros Kallistu Xanthopoulos, Kirchengeschichte 15.8. Stoneman 2008, S. 119, 261, Anm. 38. 32 Claudian, Magnes 29.22 – 51. Lowe 2016, S. 248, Anm. 6.

Anmerkungen

33 Der Uncanny-Valley-Effekt wurde zuerst von dem japanischen Robotiker Masa-

hiro Mori im Jahr 1970 formuliert, nach Versuchen mit hyperrealistischen Prothesen; Mori 1981 und 2012; Borody 2013; Zarkadakis 2015, S. 68–73; Kang 2011, S. 22 – 24, 34 – 35, 41 – 43, 47 – 55, 207 – 220; Lin, Abney und Bekey 2014, S. 25 – 26. Wunder, thauma, und Wunderwerke, thaumata, vor allem in antiker griechischer Kunst: D’Angour 2011, S. 150 – 156. Über die heftigen gemischten Gefühle aufgrund hyperrealer, scheinbar belebter Skulpturen in der klassischen Antike: Marconi 2009. Liu 2011, S. 201 – 248. Wunder in indischen Automata-Berichten: Ali 2016. 34 Cohen 2002, S. 65 – 66. Vgl. Mori 1981 und 2012; Borody 2013, siehe auch Raghavan 1952. Siehe Liu 2011, S. 243 – 246 zur Diskussion der bemerkenswert ähnlichen chinesischen Erzählung im Buch Liezi. 35 Pollitt 1990, S. 17; 15 – 18, zu künstlichem Leben bei Homer. 36 O’Sullivan 2000. Aeschylos, Theoroi; Euripides, Eurystheus; Bremmer 2013, S. 10 – 11; Marconi 2009; Morris 1992, S. 217 – 237. Faraone 1992, S. 37 – 38. Kris und Kurz 1979, S. 66 – 67. Zum „Schock des Neuen“ in antiker Kunst: D’Angour 2011, S. 150 – 156.

Kapitel 6 1 Hesiod, Theogonie 507 – 616; Werke und Tage 42 – 105. Das letzte Theaterstück ist verschollen; Prometheus in antiker Literatur und Kunst: Gantz 1993, Bd. 1, S. 152 – 166; Glaser und Rossbach 2011; Prometheus in moderner Kunst: Reid 1993, Bd. 2, S. 923 – 937. 2 Hard 2004, S. 96. Raggio 1958, S. 45. Sappho, Fragment 207 (überliefert in Servius’ Vergil-Kommentar). 3 Simons 1992, Zitat 28. Von der Schlamm-Metapher zu mechanischen Technik-Metaphern: Zarkadakis 2015, S. 29 – 34. 4 Nach Aesop, Fabeln 516: „Der Ton, den Prometheus benutzte, war nicht mit Wasser, sondern mit Tränen gemischt.“ Zu weiteren Quellen zu Prometheus’ Erschaffung der Menschen gehören Menander und Philemon, so Raggio 1958, S. 46. Aristophanes, Die Vögel 686; Aesop, Fabeln 515 und 530; Apollodor, Bibliotheke 1.7.1; Kallimachos, Fragmente 1, 8 und 493; Aelian, Tiergeschichten 1.53; Pausanias 10.4.4; Ovid, Metamorphosen 1.82 und 1.363 (Deukalionische Flut); Horaz, Oden 1.16.13 – 16; Properz, Elegien 3.5; Statius, Thebais 8.295; Juvenal, Satiren 14.35; Lukian, Göttergespräche 1.1; Hygin, Fabel 142; Oppian, Halieutica 5.4; vgl. auch Suda, Stichwort „Gigantiai“. Durch Feuer belebt: Raggio 1958, S. 49; Dougherty 2006, S. 50, zitiert Servius’ Kommentar zu Vergil, Eklogen 6.42. 5 Frühe europäische Reisende besuchten die Schlucht: Im 18. Jh. berichtete Sir William Gell, dass einige Steine einen Geruch verströmten, und im 19. Jh. fand Colonel Leake das Felsbrockenpaar, nahm aber keinen Geruch wahr. George Frazer bemerkte rötliche Erde, aber keine großen Felsen. Siehe Peter Levis, Anm. 19 in Bd. 1 seiner Pausanias-Ausgabe aus dem Jahr 1979. 6 Pygmalion-Mythos und antike Lust auf Statuen: Hansen 2017, S. 171 – 175. 7 Buddhistische Erzählung über ein mechanisches „Mädchen“ für Sex: Lane 1947, S. 41 – 42; Kris und Kurz 1979, S. 69 – 70. Ambrosino 2017. Kang (2005) weist auf den misogynen Impuls bei Pygmalions Erschaffung einer vollkommenen Frau hin und zieht zum Vergleich moderne Berichte über weibliche Sexroboter heran, die allerdings, anders als der antike Mythos, unglücklich enden.

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Anmerkungen

8 Marshall (2017) vergleicht die weiblichen Replikanten aus den Blade Runner-Filmen mit Pygmalions Schöpfung. 9 Eine Stelle bei Apollodor  –  Bibliotheke 3.14.3  –  wurde auch anders interpretiert: Pygmalions lebendige Statue habe einen Sohn namens Paphos und eine Tochter namens Metharme geboren. Ähnlich bekommt im Plot von Blade Runner 2049 die Replikantin Rachael zwei genetisch identische Kinder, ein Mädchen und einen Jungen,  –  eigentlich unmöglich; sie selbst stirbt bei der Geburt. Siehe Kapitel 8 zu einer Geschichte aus römischer Zeit über die Nachkommen der antiken weiblichen Replikantin Pandora. 10 Pygmalion: Ovid, Metamorphosen 10.243 – 297; Herakleides Pontikos (verschollenes Werk), zitiert von Hygin in De Astronomia 2.42; Hygin, Fabel 142; Philostephanos von Kyrene, zitiert in Clemens von Alexandria, Protepticus 4; Arnobius, Wider die Heiden 6.22. Hansen 2004, S. 276. Hersey 2009, S. 94. Rezeption des Pygmalion-Mythos: Grafton, Most und Settis 2010, S. 793 – 794; Wosk 2015. 11 Raphael 2015, S. 184 – 186. 12 Hersey 2009. Pygmalionismus und Agalmatophilie gibt es auch heute noch. Die beiden Begriffe sind jedoch keine Synonyme: Agalmatophilie ist eine zeitweise abweichende sexuelle Neigung, Pygmalionismus eine dauerhafte sexuelle Perversion. 13 Philostrat, Leben der Sophisten 2.18. 14 Homer, Ilias 2.698 – 702, und Eustathios in seinem Kommentar zu Vers 701; Apollodor, Epitome 3.30; Ovid, Heroides 13.151; Hygin, Fabel 104; zu weiteren antiken Quellen siehe George Frazers Kommentar in der Loeb-Ausgabe von Apollodors Epitome, S. 200 – 201, Anm. 1. 15 Wood 2002, S. 138 – 139. Hersey 2009, S. 90 – 97. Athenaios zitiert in Gastmahl der Gelehrten 13.601 – 606 die Dichter Alexis, Adaios von Mytilene, Philemon und Polemon. Truitt 2015a, S. 101. 16 Scobie und Taylor 1975, S. 50. Hersey 2009, S. 132. Cohen 1966, S. 66 – 67. Neuerungen in der Kunst erregten in der Antike Ehrfurcht: D’Angour 2011, S. 148 –  156. Ein früher Prototyp ist Harmony, ein realistischer KI-Sexbot von Abyss Creations, geschaffen für Sex und „Gesellschaft“: Maldonado 2017. Zu Sexrobotern: Devlin 2018. 17 Die tocharischen Sprachen wurden etwa zwischen dem 6. und dem 9. Jh. n. Chr. im Tarimbecken im westlichen China gesprochen. Die tocharische Version eines verschollenen Sanskrit-Textes unbekannten Datums hat Lane (1947, S. 41 – 45) übersetzt. Zu hinduistischen und buddhistischen Automata siehe Cohen 2002, S. 70 – 71; zur Diskussion dieser Erzählung siehe auch Raghavan 1952; Ali 2016. 18 Cohen 2002, S. 69, 71. Zu Buddhismus und Robotern: Simons 1992, S. 29 – 31. Buddhismus und Biotechnologie: Essay von David Loy in Walker 2000, S. 48 –  59. Buddhismus und Roboter: Mori 1981 und 2012; Borody 2013. Zum chinesischen Buddhismus und zu Nachbauten: Han 2017. Zu buddhistischen Sichtweisen auf Roboter und KI: Lin, Abney und Bekey 2014, S. 69–83. 19 Kang 2011, S. 15 – 16. Kang lässt die antiken literarischen und künstlerischen Beispiele außen vor, in denen Prometheus bei seiner Schaffung der ersten Menschen Werkzeuge und Methoden der Kunsthandwerker benutzt. 20 Die Unterschiede zwischen Neuplatonismus und Christentum wurden vom Kirchenvater Tertullian erklärt, der im 3. Jh. n. Chr. lebte, als diese Sarkophage ent-

Anmerkungen

standen. Raggio 1958, S. 46 – 50 und Abb. Tertullian, Apologeticum 18.3. Römisches Mosaik mit Prometheus, der den ersten Menschen erschafft, Shahba, Syrien, 3. Jh. n. Chr. Römischer Sarkophag mit Prometheus und dem ersten Menschen, der zu seinen Füßen liegt, 4. Jh. n. Chr., Archäologisches Nationalmuseum, Neapel. Siehe Tassinari 1992 zu neuplatonischen, pythagoreischen, orphischen, christlichen und gnostischen Verbindungen zu Prometheus als Schöpfer. 21 Simons 1992, S. 24 – 28, stellt ebenfalls Pygmalion und Prometheus einander gegenüber. 22 Ich bin Gabriella Tassinari dankbar für die Erörterung der Probleme bei der Datierung (und bei der Feststellung der Authentizität) der Gemmen in ihrem Katalog und in anderen Museumssammlungen. Zu jeder in diesem Kapitel diskutierten und abgebildeten Gemme siehe die Quellen zur Datierung, zitiert in Tassinari 1992 (vgl. S. 75 – 76 zu Prometheus bei der Arbeit an einer Frauenfigur). Ich danke Erin Brady für die englische Übersetzung von Tassinaris Monographie. 23 Raggio 1958, S. 46. Apollodor, Bibliotheke 1.7.1; Pausanias 10.4.4. Tassinari 1992, S. 61 – 62, zitiert Stellen bei Philemon, Menander, Erinna, Kallimachos, Apollodor, Aesop, Ovid, Juvenal und Horaz, die Prometheus als Schöpfer der Menschen erwähnen. Siehe Kapitel 4 zu Prometheus’ Sorge um die verletzliche menschliche Spezies. 24 Ambrosini 2014; Richter 2006, S. 53, 55, 97; Dougherty 2006, S. 17. De Puma 2013, S. 283. LIMC 7 (Jean-Robert Gisler). Spier 1992, S. 70, 87, Nr. 144 und 200: Beispiele und Bibliographie. Handwerker und Künstler auf etruskischen Gemmen: Ambrosini 2014 (zu Künstlern, die an Hermen oder Büsten arbeiten: S. 182). Larissa Bonfante, Korrespondenz vom 11. März 2017. Die Besitzer der Gemmen wie in Abb. 6.3 – 6.11 waren vielleicht ebenfalls Handwerker und stolz auf ihr Handwerk: Tassarini 1992. 25 Tassinari 1992, S. 73 – 75, 78 – 80. Das Alter der Gemmen in Abb. 6.3 und 6.4 ist nicht gesichert. 26 Gemmen, die Prometheus bei der Schaffung des ersten Menschen zeigen, sind erfasst bei Tassinari (1992). Gestrichelte Umrandungen wie in Abb. 6.7 und 6.10 wurden von etruskischen Graveuren bevorzugt. Richter 2006, S. 48, 53, 55; S. 97: Hinweis, dass Gemme Nr. 437, Tafel 14, kein Krieger mit einem verstümmelten Körper ist, weil der abgeschlagene Kopf und die Gliedmaßen fehlen; Anm. zu den Seiten 1, 16 – 125, 237. Vgl. auch etruskische Gemme, Boston Museum of Fine Arts, 3. Jh.  v.  Chr., Nr. 23.599: Sie zeigt naschalismos  –  zwei Krieger zerhacken mit Waffen den Leichnam eines Feindes. Zum maschalismos: Tassinari 1992, S. 72; De Puma 2013, S. 280–295, bes. S. 286, Diskussion der Gemme Nr. 7.100. Ambrosini 2014, S. 182 – 185, zu etruskischen Gemmen mit Bildhauern, die an Hermen, Büsten und Frauenstatuen arbeiten. 27 Die ungewöhnliche Symbolik der zweiten Gemmen-Art verleitet einige Forscher zu der Frage, ob einige Stücke nicht eher neoklassische Kopien sein könnten. Danke an Laura Ambrosini, Ulf Hansson, Ingrid Krauskopf, Claire Lyons, Gabriella Tassinari und Jean Turfa für Diskussion und Bibliographie. Martini 1971, 111, Kat. Nr. 167, Tafel 32,5; Krauskopf 1995; Ambrosini 2011, 79, Nr. 5, Abb. 126a – c und Bibliographie. Tassinari 1992, S. 81–82. 28 Carafa 1778, S. 5 – 6, Tafel 23 zum Stich der ersten Gemme mit Pferd und Schafbock. Siehe Scarisbrick, Wagner und Boardman 2016, S. 141, Abb. 129, zum zi-

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Anmerkungen

tierten Text, für Farbfotos von Gemme, Ring und Abdruck, heute in der Beverley Gem Collection, Alnwick Castle, Großbritannien. Siehe auch Tassinari 1992, S. 78 – 79. Skelette selten in der antiken Kunst: Dunbabin 1986. 29 Die Daten von Abb. 6.7 und 6.10 sind unklar (Nr. 63 bzw. 54 im Katalog Tassinari 1992); Abb. 6.8 und 6.10 werden von Tassinari 1992 nicht analysiert; Abb. 6.11 (Nr. 59 in Tassinari 1992) ist sicherlich antik. Dank an Gabriella Tassinari, persönliche Gespräche, Januar bis Februar 2018. 30 Richey 2011, Zitat S. 194, 195 – 196, 202 – 203; Needham 1991, Bd. 2, S. 53 – 54; Liu 2011, S. 243 – 244. Siehe Ambrosino 2017 zum Innenleben von Cyborg-Humanoiden. 31 Mattusch 1975, S. 313 – 315. 32 Mattusch 1975, S. 313 – 215; Aristoteles, Geschichte der Tiere 515a34 – 515b; vgl. Über Zeugung und Entwickelung der Tiere 743a2 und 764b29 – 31; Teile der Tiere 654b29 – 34. Siehe De Groot 2008 zu Aristoteles und Mechanik. Vgl. Berryman 2009, S. 72 – 74, die bestreitet, dass Aristoteles’ Sprache mechanistisch sei. 33 Cohen 2002, S. 69. Zum freien Willen siehe Harari 2017, S. 283 – 285. 34 Der Pionier der Künstlichen Intelligenz, Alan Turing, entwickelte 1951 einen Test, um herauszufinden, ob etwas eine Maschine oder ein Lebewesen und damit empfindungsfähig ist, Zarkadakis 2015, S. 48 – 49, 312 – 313. Siehe auch Cohen 1963 und 1966, S. 131 – 142; Mackey 1984; Berryman 2009, S. 30; Kang 2011, S. 168 – 169. Seit Turing wurden weitere KI-Mensch-Tests entwickelt: Boissoneault 2017. Paranoide Science-Fiction-Themen zu Androiden und falscher Individualität: Zarkadakis 2015, S. xv, 53 – 54, 70 – 71, 86 – 87. 35 Boissoneault 2017; Zarkadakis 2015, S. 36 – 38, 112 – 115. 36 Mackey 1984; Gray 2015; Mendelsohn 2015; Shelley 1818; Weiner 2015; Cohen 1966; Harari 2017. 37 Dougherty 2006. Festzuhalten bleibt, dass dieser athenische Fackellauf zu Ehren von Prometheus nichts mit den Olympischen Spielen zu tun hatte. Die moderne olympische Fackelstaffel wurde von den Nazis für die Olympischen Spiele in Berlin 1936 eingeführt. 38 Raggio 1958, z. B. S. 50 – 53. Zur Prometheus-Rezeption: Grafton, Most und Settis 2010, S. 785. 39 William Godwins Lives of the Necromancers wurde 1834 veröffentlicht. Galvanismus-Experimente und Shelleys weitere Einflüsse: Zarkadakis 2015, S. 38 – 40; Hersey 2009, S. 106, 146 – 150; 238 Anm. zu den Seiten 125 – 134; Kang 2011, S. 218 –  222. Zarkadakis 2015, S. 63 – 66. Angstmachende Roboter kommen vor in E. T. A. Hoffmanns Kurzgeschichten aus der Zeit Shelleys: Die Automate (1814) und Der Sandmann (1816) über einen Wachsautomaten namens Olympia: Cohen 1966, S. 61 – 62. 40 Florescu 1975. Ein auffälliges Merkmal des Karloff-Monsters von 1931  –  die beiden Metallbolzen an seinem Nacken, die einfache Elektroden darstellen sollen und an seiner Halsvene sitzen  –  erinnert an die Anbringung des Metallbolzens am Knöchel des Bronzeroboters Talos (siehe Kapitel 1). Siehe Kapitel 9 zu den primitiven elektrischen „Bagdad-Batterien“. Kant, „der moderne Prometheus“: Rogers und Stevens 2015, S. 3 (zu Shelleys Frankenstein: S. 1 – 4). Weiner 2015, S. 46–74. 41 Prometheus als Schöpfer der ersten Menschen war zudem ein bevorzugtes Thema europäischer Gemmenschneider zwischen dem 17. und dem 19. Jh.; Tassie

Anmerkungen

und Fürst Poniatowski sammelten auch solche neoklassischen Exemplare; Tassinari 1996. 42 Shelley und Lucan: Weiner 2015, S. 48 – 51, 64 – 70; Lucan, Der Bürgerkrieg 6.540 – 915. Zu ägyptischen volkstümlichen Erzählungen zur Nekromantik: Mansfield 2015. Zur mechanischen Bewegung, die die Uncanny-Valley-Reaktion auslöst: Zarkadakis 2015, S. 69; Mori 2012. 43 Shelley 1831. Raggio 1958. Zitat: Simons 1992, S. 27 – 28. Rogers und Stevens 2015, S. 1 – 5. 44 Hygin, De astronomia 2.15, Fabeln 31, 54, 144. 45 David-Neel 1959, S. 84. 46 Auch in alter hinduistischer und mongolischer Literatur gibt es Erzählungen, die von künstlichen fliegenden Vögeln handeln, darunter auch ein Paar mechanischer Schwäne (yantrahamsa), die darauf „programmiert“ sind, königliche Juwelen zu stehlen; ein legendärer Garuda-Vogel – ein Schlangen tötendes, reitbares Mischwesen aus Mensch und Adler in der indischen Mythologie  –  wird mittels „Nadeln und Stiften“ gesteuert: Cohen 2002, S. 67 – 69.

Kapitel 7 1 Zum Schmiedegott in antiker Literatur und Kunst: Gantz 1993, Bd. 1, S. 74 – 80. Nach Homer war Zeus Hephaistos’ Vater, nach Hesiod hatte er keinen. Zu den Werken des Hephaistos: Pollitt 1990, S. 15 – 18. Zu Prothesen und Ersatz von Körperteilen als künstliche Ergänzung des Menschen: siehe Kapitel 4. Zarkadakis 2015, S. 79 – 80. 2 Paipetis 2010 und Vallianatos 2017. Dazu, wie bei Homers Schildbeschreibung ein „unmögliches Objekt“ mit Hyperrealismus und Bewegung beschrieben wird: Francis 2009, S. 6–13. Siehe auch Kalligeropoulos und Vasileiadou 2008. 3 Homer, Ilias 18.136, 18.368 – 372, 19.23. „Künstliche Welt“: Raphael 2015, S. 182. 4 Francis 2009, S. 11 – 13. 5 Bronzekürasse und Beinschienen mit angedeuteter Muskulatur wurden seit dem 6. Jh.  v. Chr. benutzt. Mit vielen Beispielen aus archäologischen Ausgrabungen: Steiner 2001, S. 29. Andere Kriegerkulturen wie Rom, Indien und Japan trugen ebenfalls anatomische Kürasse. 6 Auf einem pompejanischen Fresko aus dem 1. Jh.  n. Chr. ist Hephaistos von Werkzeugen und halbfertigen Projekten umgeben und zeigt Thetis den Schild, den er für Achill geschaffen hat. 7 Homer, Ilias 5.745 – 750; Mendelsohn 2015, S. 1. 8 Zum Netz: Homer, Odyssee 8.267 – 367. Heras besonderer Thron in Literatur und bildender Kunst: Gantz 1993, Bd. 1, S. 75 – 76. 9 Argus Panoptes: Hesiod, Aigimios Fragment 5. Apollodor, Bibliotheke 2.1.2; Ovid, Metamorphosen 1.264. Der vieläugige Argus erscheint auf einer rotfigurigen Hydria aus dem 5. Jh.  v. Chr., Museum of Fine Arts, Boston; Lefkowitz 2003, Abb. S. 216 – 217. Stamnos (Vorratsgefäß) des Argus-Malers, 500 – 450  v. Chr., Wien, Kunsthistorisches Museum 3729; Krater des Meleager-Malers, 400  v. Chr., Ruvo Museo Jatta 36930; ein weiterer doppelköpfiger Argus: schwarzfigurige Amphore, 575 – 525  v. Chr., British Museum B164. Zur Vase des Pan-Malers mit Ianus-Kopf und Augen: Misailidou-Despotidou 2012. 10 Soldaten und Schlaf: Lin 2012; 2015; Lin et al. 2014.

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Anmerkungen

11 Zu heutiger Blackbox-Technologie, die für Nutzer und Hersteller undurchschaubar ist: Einführung und Knight 2017. 12 Apollodor, Epitome 5.15 – 18. LIMC 3,1, S. 813 – 817. Nach Bonfante und Bonfante 2002, S. 202, ist Pecse der etruskische Name für das Trojanische Pferd. 13 Bonfante und Bonfante (2002, S. 198) schlagen vor, in Etule den etruskischen Name für Aitolos zu sehen, der mit seinem Bruder Epeios verwechselt worden sei, dem Erbauer des Trojanischen Pferdes. Metapont, gegründet von Epeios, und dessen im Athena-Tempel ausgestellte Werkzeuge: (Pseudo)Aristoteles, Mirabilia 840A.108: „In dem Teil Italiens, der Lagaria genannt wird, nahe bei Metapont, soll ein Heiligtum der Athena Eilenia sein, wo sich die Werkzeuge des Epeios als Weihgaben fänden, die er zum Bau des hölzernen Pferdes gefertigt hatte … Denn Athena sei ihm im Traum erschienen und habe die Werkzeuge als Weihgaben gefordert.” Nach Justin 20.2 wurde Metapont von Epeios gegründet. 14 De Grummond 2006, S. 137 – 138, Abb. VI.31. Abbildungen von Schmieden, Handwerkern und von Sethlans auf etruskischen Gemmen: Ambrosini 2014, S. 177 –  181. Gips- bzw. Tonmodelle für den Bronzeguss: Konstam und Hoffmann 2004. Athena baut aus Ton ein Pferd: Cohen 2006, S. 110 – 111. Weitere Vasenbilder zeigen Athena, wie sie das Trojanische Pferd baut: Kylix des Sabouroff-Malers, 5. Jh.   v. Chr., Archäologisches Museum, Florenz. 15 Apollodor, Bibliotheke 2.4.7–2.7, 3.192; Hygin, Fabel 189 und De astronomia 2.35; Ovid, Metamorphosen 7.690 – 862; Pausanias 9.19.1. 16 Pausanias 10.30.2; Antoninus Liberalis, Metamorphosen 36 und 41. Telchinen und Daktylen, assoziiert mit belebten Statuen: Blakely 2006, S. 16, 24, 138, 159, 203, 209, 215 – 223. Kris und Kurz 1979, S. 89. Versionen des goldenen Hunds: Faraone 1992, S. 18 – 35; Steiner 2001, S. 117. Siehe Kapitel 8 zu Pandora, die zwar aus Ton gemacht war, von der aber spätere Autoren behaupteten, sie habe Nachkommen geboren. Ein ähnliches „Wunder” ist Thema in dem Film Blade Runner 2049 (2017). 17 Faraone 1992, S. 18 – 19, 29, Anm. 1. Marconi 2009. 18 Faraone 1992, S. 19 – 23, 13, Anm. 8. Pharmaka „beleben“ die Statuen mit einer Art „Seele“, sorgen aber nicht zwingend dafür, dass sie sich bewegen. Hohle Statuen als Kessel, die dadurch belebt werden, dass man sie mit Substanzen füllt: Steiner 2001, S. 114 – 120, 240. 19 Asimovs Gesetze: Kang 2011, S. 302. Konferenz zum Nutzen von KI am Future of Life Institute 2017 (zum Vorstand gehörten u. a. Stephen Hawking, Frank Wilczek, Elon Musk und Nick Bostrom): https://futurism.com/worlds-top-expertshave-created-a-law-of-robotics/. Siehe auch Leverhulme Centre for the Future of Intelligence: http://lcfi.ac.uk/. 20 Martinho-Truswell 2018. 21 Vierrädrige Wagen: Morris 1992, S. 10. Ein kleiner, flacher, dreirädriger Wagen mit einem Bronzebecken  –  ein antikes Beispiel für ein Pen, ein Bonsai-Becken – wurde in einer archäologischen Ausgrabungsstätte aus dem 6. bzw. 5. Jh.  v. Chr. in China geborgen. Dies belegt, dass es in der Antike auch andernorts Dreibeine mit Rädern gab: Bagley et al. 1980, S. 265, 272, Farbtafel 65. Foto und Erklärung des Nachbaus von Hephaistos’ Dreibein mit Rädern: Kotsanas 2014, S. 70. Das Museum liegt in Katakolo, nahe Pyrgos, Griechenland: http://kotsanas.com/gb/index.php. 22 Siehe Kapitel 9 zu weiteren Automata in Menschen- und Tiergestalt, von Philon

Anmerkungen

gefertigt; für Schaubilder und Fotos eines funktionierenden Modells der Wein ausschenkenden Dienerin: Kotsanas 2014, S. 52 – 55. Das Mouseion in Alexandria war ursprünglich ein Tempel für die Musen, daher die Bezeichnung. Vom Mouseion leitet sich das heutige „Museum“ ab, wobei das alexandrinische Mouseion eher ein Forschungszentrum als ein Ausstellungsgebäude war. 23 Truitt 2015a, S. 121 – 122, Tafel 27. Badi’ az-Zaman Abu I-Izz ibn ar-Razaz alDschazarī (1136 – 1206): Zielinski und Weibel 2015, S. 9. 24 Homer, Ilias 18.360 – 473. In Literatur und bildender Kunst wurden Pasiphaës Kuh und das Trojanische Pferd ebenfalls als auf Rädern stehend beschrieben. Zu Hephaistos, seiner Schmiede und Automata: Paipetis 2010, S. 95 – 112. 25 Diodor 9.3.1 – 3 und 9.13.2; Plutarch, Solon 4.1 – 3. 26 Berlin-Maler, attische Hydria aus Vulci, ca. 500 – 480  v. Chr.; das Zitat stammt aus dem Katalogtext der Vatikanischen Museen, Kat. 16568; Beazley-Archiv 201984. Die auf einem Dreibein im delphischen Orakel sitzende Priesterin finden wir auf einer attischen Kylix des Kodros-Malers, aus Vulci, ca. 440  v. Chr., Berlin, Inv. F 2538. 27 Hephaistos im geflügelten Sessel, geschmückt mit Kranichkopf und -schwanz auf einer attischen-rotfigurigen Kylix, die dem Ambrosios-Maler zugeschrieben wird: Berlin 201595; heute verschollen. Triptolemos in seinem geflügelten Streitwagen mit zwei Schlangenköpfen und -schwänzen: auf mehreren antiken Vasen, z. B. auf einem Skyphos von ca. 490 – 480  v. Chr., Makron zugeschrieben, British Museum E140; Beazley 2014683. Der Stamnos des Berlin-Malers zeigt Triptolemos in seinem fliegenden Sessel, ca. 500 – 470  v. Chr., Louvre, Inv. G371. Die Kylix des Berlin-Malers mit Triptolemos befindet sich im Museo Gregoriano Etrusco, Vatikanische Museen. Zu den geflügelten Sesseln: Matheson 1995b, S. 350 – 352. 28 Nur ein Fragment von Pindars Gedicht existiert noch: Faraone 1992, S. 28 und 35, Anm. 86. Marconi 2009. 29 Mendelsohn 2015. 30 Steiner 2001, S. 117. Francis 2009, S. 8 – 10. Die goldenen Jungfrauen sind weder menschlich noch unbelebte Materie und gehören daher einer besonderen Kategorie von Wesen an: S. 9, Anm. 23. 31 Raphael 2015, S. 182. Zu Mensch-Computer-Interaktion und Gedanken-gesteuerten Maschinen: Zarkadakis 2015; „The Next Frontier: When Thoughts Control Machines“ 2018. Die goldenen Jungfrauen würden als Typ III der KI gelten; siehe Glossar. Zu Dilemmata mit Black Boxes, siehe „AI in Society: The Unexamined Mind“ 2018. Anm. zu den Seiten 150 – 154, 241. 32 Mendelsohn 2015. Vgl. Paipetis 2010, S. 110–112. 33 Big Data, AI und „machine learning“: Tanz 2016; siehe auch „Künstliche Intelligenz“ im Glossar. 34 „Magie ist mit Wissenschaft in gleicher Weise verbunden wie mit Technologie. Sie ist nicht nur eine praktische Kunst, sondern bietet auch ein Vorratslager an Ideen“, Blakely 2006, S. 212. Maldonado 2017 zufolge sei die Sexroboter-Gefährtin „Harmony“, von Realbotix für Abyss Creations hergestellt, mit „Datenmüll“ ausgestattet, darunter ca. fünf Millionen Wörter, die ganze Wikipedia sowie mehrere Wörterbücher. 35 Valerius Flaccus, Argonautica 1.300 – 314. Paipetis 2010. LaGrandeur 2013, S. 5. Homer, Odyssee 8.267. In Hindu-Texten und Sanskrit-Epen kommt Vimāna, ein

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Anmerkungen

fliegender geistgesteuerter Palast bzw. Streitwagen, vor. Eine Flotte intelligenter Schiffe, gleichfalls gedankengesteuert, taucht in der Science-Fiction-Serie The Culture (1987 – 2012) von Iain M. Banks auf; Danke an Ingvar Maehle für diesen Hinweis. Die phäakischen Schiffe scheinen dem KI-Typ III anzugehören; siehe Glossar. 36 Mansfield 2015, S. 8 – 10; Lichtheim 1980, S. 125 – 151; Raven 1983 zu magischen, realistischen und belebten Wachsfiguren in ägyptischen Texten und archäologischen Beispielen. 37 Paipetis 2010, S. 97 – 98. 38 Zu Bestrebungen in der Antike, Aufgaben und Werkzeuge zu automatisieren, um Arbeit zu sparen und menschliche Fähigkeiten zu vergrößern: Martinho-Truswell 2018. Die automatischen Blasebälge scheinen vom KI-Typ II zu sein; siehe Glossar. 39 Aristoteles’ Bemerkung (1253b29 – 1254a1), dass automatische Apparate Sklavenarbeit verrichten könnten, impliziert die „wirtschaftliche“ Funktion von Robotern und legt nahe, dass die Erfindung derartiger Apparate die Sklaverei abschaffen würde. John Stuart Mill (1806 – 1873) studierte Aristoteles. Es ist interessant, seine Feststellung zu Automaton-Arbeitern in Über die Freiheit (Kapitel 3) mit Aristoteles’ Äußerungen zu vergleichen: „Nehmen wir einmal an, es sei möglich, dass durch Maschinen  –  durch Automaten in Menschengestalt  –  Häuser gebaut würden, Korn angebaut, Schlachten geschlagen, Prozesse geführt, ja selbst Kirchen errichtet und Gebete gesprochen würden“, schreibt Mill, so wäre es „doch ein erheblicher Verlust, wenn man solche Automaten gegen Menschen und selbst gegen die Frauen und Männer eintauschen würde, die heute die zivilisierte Welt bewohnen, obwohl sie doch gewiss nur mäßige Beispiele von dem sind, was die Natur hervorbringen kann und will.“ Denn schließlich ist „die menschliche Natur keine Maschine, die nach einem Modell gebaut wird und die eine genau vorgeschriebene Arbeit verrichten kann, sondern ein Baum, der wachsen und sich nach allen Seiten ausbreiten möchte“, und die Menschheit sollte sich darauf konzentrieren, die menschlichen Wesen selbst zu vervollkommnen und zu verschönern. Danke an Ziyaad Bhorat, der mich auf diese Passage aufmerksam gemacht hat. Siehe Walker 2000 zu weiterführenden Aufsätzen über die Gefahren einer erneut aufkommenden Gentechnik und Biotechnologie. Siehe Bryson 2010 für die Aufforderung, dass Roboter und KI „Sklaven“ der Menschheit bleiben sollten. 40 Mendelsohn 2015. LaGrandeur 2013, S. 9 – 10. Robota: slawisch für „Fronarbeit“ und mittelalterliche Knechtschaft; Kang 2011, S. 279; zur Roboterrebellion, S. 264 –  296. Zu Čapek: siehe Simons 1992, S. 33. Rogers und Stevens 2015. Walton 2015. 41 Berryman 2009, S. 22, 24 – 27. In einem älteren Aufsatz von 2003 erwähnt Berryman Talos. 42 Truitt 2015a, S. 3 – 4, wo die Aufgaben der 20 Dreibeine des Hephaistos mit denen der goldenen Helferinnen verschmolzen werden. 43 Kang 2011, S. 15 – 22.

Kapitel 8 1 Dolos: List, Trick, Schlinge, Falle; Hesiod, Theogonie 589; Werke und Tage 83. „Der danach Denkende“: Faraone 1992, S. 104. 2 Pandora in antiker Kunst und Literatur: Gantz 1992, Bd. 1, S. 154 – 159, 162 – 165;

Anmerkungen

Hard 2004, S. 93 – 95; Shapiro 1994, S. 64 – 70; Panofsky und Panofsky 1991; Reeder 1995, S. 49 – 56; Glaser und Rossbach 2011. Hesiod, Werke und Tage 45 – 58 sowie Theogonie 560 – 571, kalon kakon 585; Aischylos, Fragment 204; Hygin, Fabel 142 und De astronomia 2.15; Sophokles’ verschollenes Theaterstück Pandora; Babrios, Aesops Fabeln 58. Rezeption Hesiods und des Pandora-Mythos: Grafton, Most und Settis 2010, S. 435 – 436, 683 – 684. 3 Frühchristliche Schriften vergleichen Pandora mit Eva: Panofsky und Panofsky 1991, S. 11 – 13. Der Begriff Theodizee beschreibt die Unvereinbarkeit von Gottes Allmacht und Güte auf der einen und menschlichem Leiden, das er zulässt, auf der anderen Seite. 4 Morris 1992, S. 32–33; Steiner 2001, S. 25 – 26, 116 – 117, 186 – 190; Francis 2009, S. 13 – 16; Brown 1953, S. 18; Mendelsohn 2015; Lefkowitz 2003, S. 25 – 26. 5 Morris 1992, S. 30 – 33, 230 – 231. Francis 2009, S. 14. 6 Steiner 2001, S. 116. Hesiod zeigt Pandora in der Theogonie als „nichts anderes als eine Ansammlung ihrer Kleidung und Dekoration“, während sie in Werke und Tage auch aus inneren Attributen besteht. Faraone 1992, S. 101. 7 Steiner 2001, S. 191, Anm. 25. Hesiods Sprache und Vergleiche „lenken die Aufmerksamkeit gleichzeitig auf Lebhaftigkeit und Kraft“ dieser „hergestellten lebenden Statue“ sowie darauf, dass sie „eine Darstellung ist, nicht das ‚wahre‘ Ding. Warum sonst wird diese Sprache benutzt?“ Pandora ist die „erste hergestellte Identität“; sie ist „im vollen Wortsinn konstruiert …, kein Naturprodukt“. Francis 2009, S. 14. Vgl. Faraone 1992, S. 101 – 102. 8 Faraone 1992, S. 102 – 103, diskutiert Pandoras Erschaffung als belebte Statue. Zu alternativen Versionen, in denen Prometheus der Hersteller der ersten Frau ist, siehe Tassinari 1992, S. 75 – 76. 9 Zu Mythen, in denen das Trojanische Pferd als belebte Statue beschrieben wird, und zu antiken „Tests“, um zu bestimmen, ob diese und andere realistisch gestaltete Statuen wirklich oder künstlich sind: Faraone 1992, S. 104 – 106. Turing-Test etc.: Kang 2011, S. 298; Zarkadakis 2015, S. 48 – 49, 312 – 313; Boissoneault 2017. 10 Hesiod erwähnt keine Nachkommen. Wie bei Pygmalions Galatea (siehe Kapitel 6) schmückten spätere Autoren den Mythos aus, indem sie Pandora eine Tochter von Epimetheus zuschrieben: Pyrrha, später die Frau des Deukalion; Apollodor, Bibliotheke 1.7.2; Hygin, Fabel 142; Ovid, Metamorphosen 1.350; Faraone 1992, S. 102 – 103. Es gibt keine Mythen von Pandoras Tod. Sie steht „außerhalb des natürlichen Kreislaufs“: Steiner 2001, S. 187. 11 Raphael 2015, Zitat S. 187; vgl. Steiner 2001, S. 25. Platon, Gesetze 644e, zu menschlicher Handlungsfähigkeit; vgl. Kapitel 6. 12 Mendelsohn 2015. Faraone 1992, S. 101. Zu Ähnlichkeiten zwischen Pandora und den goldenen Dienerinnen des Hephaistos: Francis 2009, S. 13. Pandora spricht in keinem der überlieferten Mythen. 13 Zu antiken Darstellungen Pandoras aus Italien: Boardman 2000. 14 Reeder 1995, S. 284 – 286. 15 Gantz 1993, Bd. 1, S. 163 – 164; Shapiro 1994, S. 69; Neils 2005, S. 38 – 39. Satyrn mit Hämmern: Vase der Werkstatt um Polygnotos, Matheson 1995a, S. 260 – 262. Vase des Penthesilea-Malers, Boston Museum of Fine Arts 01.8032. 16 Neils 2005, S. 39. Zur ausgesäten Armee von Automata-Soldaten siehe Kapitel 4. 17 Gantz 1993, Bd. 1, S. 157 – 158 und Anm. 12; Mommsen in CVA Berlin V, S. 56 – 

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Anmerkungen

59, Tafel 43, 3 – 4 sowie Tafel 47, 6. Mommsen zitiert auch Panofka. Danke an David Saunders für die wertvolle Diskussion dieser Vase. Zu etruskischen Gemmen, die Prometheus oder Hephaistos bei der Arbeit an einer kleinen weiblichen Figur auf ihrem Schoß zeigen, siehe Tassinari 1992, S. 75 – 76. 18 Reeder 1995, S. 281 (Zitat); 279 – 281. 19 Shapiro 1994, S. 66. 20 Steiner 2001, S. 116 – 117. 21 Soweit ich weiß, wurde dieses faszinierende Randmuster auf dem Niobiden- und dem Ruvo-Krater von der Forschung noch nicht bemerkt. Das British Museum sieht hier Pfeile und Lotusblüten; andere bezeichneten ein ähnliches Motiv als „Kyma aus Lesbos“. Eine Variation dieses Entwurfs erscheint auf den Volutenkrateren Neapel H2421 und Bologna 16571, dem Boreas-Maler zugeschrieben, ca. 480  v. Chr. Der Dekor auf der Pandora-Vase des Niobiden-Malers scheint Schmiedezangen oder einen Künstlerzirkel zu zeigen (der angeblich von Daedalus oder seinem Neffen Talos erfunden wurde). Einige Autoren weisen außerdem darauf hin, dass hier auch ein Blasebalg eines Schmiedes dargestellt sein könnte. Ich danke Bob Durrett, Steven Hess, Fran Keeling, David Meadows und David Saunders für die Diskussion dieser Randverzierung. 22 Shapiro 1994, S. 67. Der Fries unter Pandora auf der Vase des Niobiden-Malers zeigt tanzende Satyrn, was eine Verbindung zum verschollenen Theaterstück des Sophokles über Pandora nahelegt. Siehe auch Reeder 1995, S. 282 – 284. Pandora hält einen Kranz oder einen belaubten Ast in jeder Hand. 23 Die Geta-Vase befindet sich in Agrigent, Sizilien; der Krater mit dem Massaker an den Niobiden befindet sich im Louvre. 24 Seltenheit und Bedeutung frontal gezeigter Gesichter und Emotionen auf Vasen: Korshak 1987; Csapo 1997, S. 256 – 257; Hedreen 2017, S. 163 und Anm. 17. 25 Das archaische Lächeln finden wir etwa im Gesicht eines sterbenden Kriegers am Aphaiatempel der Insel Ägina und auf dem der Antiope, die von Theseus entführt wird, am Apollotempel der Stadt Eretria. 26 Das Drehbuch wurde von Lang und seiner Frau Thea von Harbou geschrieben und beruhte auf ihrem Roman von 1924. Simons 1992, S. 185; Dayal 2012; Kang 2011, S. 288 – 295; Zarkadakis 2015, S. 50 – 51. 27 Der weibliche Roboter in Metropolis kann zu einem Scheinbild Marias werden. Die Schauspielerin Brigitte Helm wurde 1906 geboren, die Dreharbeiten begannen 1925. 28 So beschrieb der Schauspieler, der den „verrückten Wissenschaftler“ spielte, den bösen weiblichen Roboter: Klein-Rogge 1927. 29 Shapiro 1994, S. 65. 30 Harrison 1999, S. 49 – 50. 31 Die Kopie von Phidias’ Athena samt Basis aus Pergamon sind im Pergamonmuseum in Berlin zu sehen. Die kleine Nachbildung, die sogenannte Lenormant-Athena, befindet sich im Archäologischen Nationalmuseum in Athen. Es gibt noch weitere kleine römische Kopien. Fragmente des marmornen Pandora-Frieses und der Frauenkopf mit dem „seltsamen Lächeln“: Neils 2005, S. 42 –  43, Abb. 4.13. 32 Pandoras Pithos war aus Metall, keine Töpferware: Neils 2005, S. 41. Pandora-Mythos in nachklassischer Kunst und Literatur: Panofsky und Panofsky 1991

Anmerkungen

(zum Übersetzungsfehler: S. 14 – 26). Pandora in den Künsten: Reid 1993, Bd. 2, S. 813 – 817. 33 In späteren Varianten der Geschichte gelangt die verbotene Büchse in Epimetheus’ Besitz bzw. wird von ihm anstatt von Pandora geöffnet, z. B. bei Philodem, 1. Jh.  v. Chr., und Proklos, 5. Jh.  n. Chr.: Panofsky und Panofsky 1991, bes. S. 8 und Anm. 11 – 12. 34 Neils 2005, S. 40. Dieses Paar Pithoi steht zugleich dafür, dass die großen Behälter in der Antike zweierlei Zweck erfüllten, einen positiven und einen unheilvollen: Man bewahrte darin Nahrung und andere lebenswichtige Dinge auf, aber man nutzte sie auch als Särge, um darin arme Leute beizusetzen. Verwirrenderweise behaupteten zwei Autoren des 6. Jh.  v. Chr. (Theognis, Fragment 1.1135 und Aesop, Fabeln 525 und 526 / Babrios 58), Pandora habe die Büchse mit Zeus’ Segnungen zur Erde gebracht und Elpis (die Hoffnung) sei eines der positiven Dinge in dieser Urne gewesen; siehe die Diskussion an späterer Stelle. 35 British Museum 1865,0103.28: Neils 2005, S. 38 – 40 und Abb. 4.1 – 2 sowie 4.6 –  8. LIMC 3, siehe unter Elpis, Nr. 13; Reeder 1995, S. 51, Abb. 1 – 4. 36 Neils 2005, S. 41 – 42. 37 Der frühchristliche Kirchenvater Origenes (geb. 185  n. Chr.) fand den heidnischen Mythos um Pandora „zum Lachen“: Panofsky und Panofsky 1991, S. 12–13; siehe S. 7, Anm. 12 zum zynischen Epigramm von Macedonius von Thessaloniki (Konsul, 6. Jh.  n. Chr.), das so beginnt: „Ich lächele, wenn ich Pandoras Büchse anschaue“. 38 Harrison 1986, S. 116; Neils 2005, S. 43. 39 Gantz 1993, Bd. 1, S. 157. Aesop (Fabeln 525 und 526, frühes 6. Jh.  v. Chr.) schrieb, Zeus habe der Menschheit seine Büchse mit guten Dingen anvertraut, „doch der Mensch hatte keine Selbstdisziplin und öffnete die Dose  –  und alle guten Dinge flogen heraus“. Sie wurden durch die stärkeren Übel in der Welt verjagt und flogen zurück zum Olymp, wo sie bei den Göttern lebten. Jetzt würden sie nacheinander an die Menschen verteilt, um der „Aufmerksamkeit der bösen Dinge zu entgehen, die allgegenwärtig sind. Die Hoffnung blieb jedoch in der Büchse, die einzige gute Sache, die der Menschheit blieb, um sie mit der Verheißung der guten Dinge zu trösten, die wir verloren haben.“ Im späten 6. Jh.  v. Chr. schrieb Theognis von Megara (Elegien) Ähnliches und meinte, die Hoffnung sei „die einzige Gottheit auf Erden, denn die anderen wären geflohen“. Aesop und Theognis stimmen mit Hesiod überein, dass die Hoffnung allein zurückblieb, und sehen sie in einem positiven Licht. 40 Zu Märchenversionen: Panofsky und Panofsky 1991, S. 110 – 111. Aristoteles, Über Gedächtnis und Erinnerung 1.449b25 – 28. 41 Nach Platon (Gorgias 523a) war es Zeus, der Prometheus auftrug, den Menschen die Aussicht auf den Tod vorzuenthalten. In Protagoras 320c – 322a bezieht sich Platon indirekt auf Epimetheus’ Fehler. 42 Danke an Josiah Ober für die Hilfe beim Erstellen einer Schablone aus zwei mal zwei, also vier Kästchen, deren Reihen wir mit „gut“ und „böse“ bezeichnet haben und die Spalten mit „aktiviert“ und „nicht aktiviert“. Zu unterschiedlichen heutigen Meinungen, siehe z. B. Hansen 2004, S. 258; Lefkowitz 2003, S. 233. 43 Zu ethischen Herausforderungen bezüglich der Fortschritte in der Robotik und in KI-Technologien: Lin, Abney und Bekey 2014, S. 3 – 4. Zweifel an Automata und der Verstärkung der menschlichen Eigenschaften mittels Technologie wur-

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Anmerkungen

zeln tief, bis zurück in die Antike. Schon damals wurden Bedenken formuliert, die die „Warnhinweise“ in moderner Literatur über „unzureichende Programmierung, entstehendes Verhalten, Irrtümer und andere Themen vorwegnehmen, die Roboter unvorhersehbar und potentiell gefährlich machen“; S. 362: „Das bloße Aussprechen des Wortes ‚Roboter‘ öffnet eine Pandora-Büchse voller Bilder, Mythen, Wünschen, Illusionen und Hoffnungen, die die Menschheit über Jahrhunderte hinweg auf Automata bezogen hat.“ 44 Vgl. den bösen Roboter Tik-Tok in Sladek 1983. Die Prämisse des von Androiden geleiteten Vergnügungsparks in der TV-Serie Westworld besteht darin, dass menschliche Gäste an den Körpern der Androiden ihren dunkelsten Phantasien nachgehen können. Deren Programmierung hält sie davon ab, den Menschen Schaden zuzufügen.

Kapitel 9 1 „Black box“-Technologie: Knight 2017. „Relativer Modernismus“: Bosak-Schroeder 2016. 2 Berryman 2009, S. 69 – 75. James und Thorpe 1994, S. 200 – 225. Marsden 1971. Heron von Alexandria bestätigte, dass einige seiner Automata-Mechanismen Katapulten ähnlich waren: Ruffell 2015/16. 3 Zum Zusammenhang zwischen rücksichtslosen Tyrannen und Apparaten: Amedick 1998, S. 498. 4 D’Angour 1999, S. 25: ein nicht ernst gemeinter Artikel, in dem der Autor historische Beweise für menschliche Flüge Darstellungen in antiker Komödie und Fiktion gegenüberstellt. 5 Sapphos angeblicher Selbstmord an der Leukadischen Klippe wurde zuerst im späten 4. Jh.  v. Chr. von dem Komödiendichter Menander (Fragment 258 K) erwähnt. 6 Sui Shu (Geschichte der Sui-Dynastie, 636  n. Chr.): Needham und Wang 1965, S. 587; Zizhi Tongjian: S. 167 (chinesisches Geschichtswerk, 1044  n. Chr.), im Abriss bei Ronan 1994, S. 285. Geschichte der Nördlichen Dynastien: S. 19. James und Thorpe 1994, S. 104 – 107, zu Drachen und Fallschirmen, die Menschen tragen. Yuan Huangtou überlebte zwar den Flug, wurde dann aber hingerichtet. 7 Lukian, Phalaris. Phalaris’ Ruf, grausam zu sein: Aristoteles, Politik 5.10; Rhetorik 2.20. Pindar, Pythien 1; Polyainos, Strategemata 5.1; Polybios 12.25. Kang 2011, S. 94 – 95. Phalaris’ Sadismus wurde vom frühchristlichen Autor Tatian, geb. 120  n. Chr., übertrieben, der behauptete, Phalaris habe Kinder verschlungen (Rede an die Griechen 34). 8 Diodor 9.18 – 19. Plutarch, Moralia 315. Lukian, Phalaris. 9 Plutarch, Moralia 315c – d, 39, zitiert in Kallimachos’ Aitia (4. Jh.  v. Chr., nur aus Fragmenten bekannt) sowie in Aristeides von Milets Geschichte Italiens, Buch 4 (verloren). Siehe auch Stobaios, Florilegium, 5. Jh.  n. Chr. Arruntius’ Bronzepferd erinnert an einige Beschreibungen des Trojanischen Pferdes; es war hohl und hatte eine Öffnung an der Seite. 10 Diodor 9.18 – 19 und 13.90.3 – 5; Cicero, Rede gegen Verres 4.73 und Gespräche in Tusculum 2.7; 5.26, 5.31 – 33 (Tod des Phalaris), 2.28. 11 Consularia Caesaraugustana, die Chronik von Saragossa, Victoris Tunnunnensis Chronicon, Hg. Hartmann, Victor 74a, 75a, S. 23, Kommentar S. 100 – 101. Über sadistische öffentliche Darstellungen in China zur Zeit der Tang-Dynastie, zum

Anmerkungen

Vergnügen der Kaiserin Wu Zetian, Vögel und Tiere lebendig zu rösten: Benn 2004, S. 130. 12 Berryman 2009, S. 29 – 30, schließt auch den ehernen Stier in ihr Klassifikationssystem der von „Homunculi“ angetriebenen Art von Vorrichtungen ein. Zu indischen Automata, die von Menschen, die im Inneren versteckt waren, angetrieben wurden: Cohen 2002, S. 69. 13 Faraone 1992, S. 21. Blakely 2006, S. 16, 215 – 223. Der Mechanismus von Antikythera befindet sich im Archäologischen Nationalmuseum, Athen. Iverson 2017. 14 Faraone 1992, S. 21, 26. Timaios in Scholien zu Pindar, Olympien 7.160. 15 Eine Zeichnung der Stentor-Röhre wird in den Vatikanischen Museen aufbewahrt; siehe Kotsanas 2014, S. 83. Stoneman 2008, S. 121. Aristoteles berichtet Alexander von dem „pneumatischen Horn von Yayastayus“. Das Horn des Themistios, eine „Kriegsorgel“, wurde angeblich zwischen ca. 800 und 1100 n. Chr. erfunden und vielleicht durch Pneumatik oder Hydraulik betätigt. 16 Musik-Automata: Zielinski und Weibel 2015, S. 49 – 99. Pollitt 1990, S. 89. 17 Cohen 1966, S. 21 – 22 und Anm. 20; andere sprechende Statuen: S. 18 – 24. Chapuis und Droz 1958, S. 23 – 24. 18 Cohen 1966, S. 15 – 16. Philostrat, Leben des Apollonios von Tyana 6.4; Bildbeschreibungen 1.7. The Sounding Statue of Memnon (1850). 19 Cohen 1966, S. 24; McKeown 2013, S. 199; LaGrandeur 2013, S. 22. Himerios, Reden 8.5 und 62.1. 20 Oleson 2009, S. 785 – 797 zu griechischen und römischen Automata. Poulsen 1945; Felton 2001, S. 82 – 83. 21 Frood 2003; Keyser 1993 zu Experimenten, Schaubildern und Fotos. Die Theorie, dass die Batterien benutzt wurden, um Silber zu galvanisieren, wurde verworfen. Danke an Sam Crow für den Hinweis, dass dünne Drähte, sofern sie einst existierten, weggerostet wären. 22 Brunschwig und Lloyd 2000; Archytas: S. 393, 401, 403, 406, 926 – 927, 932 – 933; antike Mechanik: S. 487 – 494. Keyser und Irby-Massie 2008, S. 161 – 162; D’Angour 2003, S. 108, 127 – 128, 180 – 182. 23 Apparate mit piependen Vögeln: Kotsanas 2014, S. 51 und 69. Quellen zu Archytas: Aristoteles, Politik 8.6.1340b25 – 30; Horaz, Oden 1.28; D’Angour 2003, S. 180 – 182; Plutarch, Marcellus 14.5 – 6. Diogenes Laërtios, Über Leben und Lehren berühmter Philosophen 8.83; Aulus Gellius, Attische Nächte 10.12.9 – 10; Vitruv, Über die Architektur 1.1.17; 7.14. Berryman 2009, S. 58 und Anm. 14, S. 95 Anm. 159 (Aristoteles und Archytas). Auf S. 87 – 96 spekuliert Berryman, die „Taube” könne eine Art Spitzname für ein Katapult oder Projektil gewesen sein, aber nichts davon würde zu dem „Strom aus Luft und Gewichten“ passen, der dieses Fluggerät angetrieben haben soll. Aulus Gellius’ Quelle, Favorinus  –  ein Philosoph und Historiker, der auch ein Freund Plutarchs war  –, schrieb beinahe 30 Werke, von denen die meisten nur aus Fragmenten bekannt sind. 24 Siehe Brunschwig und Lloyd 2000, S. 933; D’Angour 2003, S. 181. Huffman 2003, S. 82 – 83, 570 – 578 (Taube). Zum funktionierenden aerodynamischen Nachbau von Archytas’ Taube, bei dem eine Schweineblase sowie Druckluft oder Dampf zum Einsatz kommen: Kotsanas 2014, S. 145. Kang 2011, S. 16 – 18, ordnet die Taube in die Kategorie der „mythischen, selbstbewegenden Apparate menschlicher Schöpfung“ ein.

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Anmerkungen

25 Aristoteles, Politik 5.6.1340b26; Huffman 2003, S. 303 – 307 (Ratsche). 26 Plutarch, Demetrios; Diogenes Laërtios 1925b78. 27 Demochares’ Geschichte ist verschollen, wird aber zitiert bei Polybios 12.13. D’Angour 2011, S. 164. Berryman 2009, S. 29 – 30. 28 Koetsier und Kerle 2015, Abb. 2a und b. Zur Riesenschnecke und zu Problemen mit Rehms Theorie: Ian Ruffells Blogbeitrag an der University of Glasgow „Riding the Snail“, 31. März 2016, http://classics.academicblogs.co.uk/riding-the-snail/. 29 Schnecken im griechischen Volkstum: Hesiod, Werke und Tage 571; Plautus, Poenulus 531; Plutarch, Moralia 525e. Esel: Homer, Ilias 11.558; Simonides 7.43 – 49; Plautus, Asinaria; Apuleius, Der goldene Esel; etc. 30 Diodor, Fragment 27.1. 31 Polybios zu Apega: 13.6 – 8; 18.17; auch 4.81, 16.13, 21.11. Sage 1935. Pomeroy 2002, S. 89 – 90 und Anm. 51, bestätigt die Authentizität der Darstellung: S. 152. 32 Aristoteles, Staat der Athener, zum Kleroterion. Zu einem existierenden Beispiel siehe Dow 1937. Demetrios und Mithridates’ Versuch, ihn im Jahr 88  v. Chr. zu überbieten: Mayor 2010, S. 179 – 183. Antike Militärtechnologie: Aineias Taktikos; Philon von Byzanz; Berryman 2009, S. 70 – 71; Cuomo 2007; Hodges 1970, S. 145 – 153, 183 – 184; Marsden 1971. Archimedes: Plutarch, Marcellus 14 – 18; Brunschwig und Lloyd 2000, S. 544 – 553; Keyser und Irby-Massie 2008, S. 125 –  128. 33 Mayor 2010, S. 182, 193 – 194, 291 – 292. Kotsanas 2014; Modell eines deus ex machina: S. 101. 34 Koetsier und Kerle 2015. 35 Keyser 2016 zum Datum der großen Prozession, der Hochzeit mit Arsinoë II. und zur Verlässlichkeit von Kallixeinos’ Darstellung, die auf den Penteteriden beruht. 36 Koetsier und Kerle 2015. Athenaios, Gastmahl der Gelehrten 11.497d; Keyser und Irby-Massie 2008, S. 496. 37 Philon, Ktesibios, Heron: Hodges 1970, S. 180 – 184. Weder Ktesibios noch Philon von Byzanz kommen in Minsoo Kangs „Historischer Studie des Automaton“ als Teil der europäischen Geschichte vor. Das beispiellose Nysa-Automaton wird in einer Fußnote abgehandelt, und Demetrios’ große Schnecke sowie der tödliche Apega-„Roboter“ von Sparta fehlen ebenfalls in Kangs Kategorien menschengemachter mechanischer Automata in der Antike: Kang 2011, S. 16 –  18, 332 Anm. 66 (Nysa); Sylvia Berryman 2009, S. 116, erwähnt kurz die Möglichkeit, dass Ktesibios den Nysa-Automaton hergestellt haben könnte. 38 Zielinski und Weibel 2015, S. 20 – 47; Truitt 2015a, S. 4, 19; Keyser und Irby-Massie 2008, S. 684 – 656. 39 Huffman 2003, S. 575; Philon, Pneumatika 40, 42. Schaubild zur Zusammenstellung von Vogel und Schnecke: James und Thorpe 1994, S. 117. Zu funktionierenden Modellen aus Bronze und Holz sowie für Erklärungen zur servierenden Frau, zu Vogel und Eule, Pan und Drache: Kotsanas 2014, S. 51 – 55. 40 Heron: Woodcroft 1851; Keyser und Irby-Massie 2008, S. 384 – 387. Ruffell 2015/16. 41 Funktionierende Modelle und Erklärung des Mechanismus mit Herakles und dem Drachen sowie des automatischen Theaters: James und Thorpe 1994, S. 136 – 138; Kotsanas 2014, S. 58 und 71 – 75. Anderson 2012 (vielen gilt der Jacquard-Webstuhl von 1800 als der erste programmierbare Apparat). Berryman 2009, S. 30,

Anmerkungen

zitiert Heron, Automata 4.4.4. Huffman 2003, S. 575, 248, Anm. zu den Seiten 201 – 207. Kang 2011 reiht Herons Werke in seine dritte Kategorie tatsächlich gebauter Automata ein: S. 16. 42 Ruffell 2015 – 2016. Zu weiteren 3-D-Neuschöpfungen und für Erklärungen zu Herons selbstbewegenden Produkten siehe Heron von Alexandria / Automaton-Projekt, geleitet von Ian Ruffell und Francesco Grillo an der Universität Glasgow: http://classics.academicblogs.co.uk /heros-automata-first-moves/. 43 Mittelalterliche islamische und europäische Automata: Brunschwig und Lloyd 2000, S. 410, 490 – 491, 493 – 494. Zielinski und Weibel 2015, S. 20 – 21; James und Thorpe 1994, S. 138 – 140; Truitt 2015a, S. 18 – 20. Im 10. Jh. wurden arabische Übersetzungen der Automata-Pläne griechischer Erfinder wie Philon und Heron in Indien adaptiert; Ali 2016, S. 468. Strong 2004, S. 132, Anm. 17. 44 Needham 1986; 4, S. 156 – 163 et passim, zur Geschichte der chinesischen mechanischen Innovationen und automatischen Geräte. Forte 1988, S. 11, bemerkt, dass nicht alle mechanischen Innovationen in China aus Europa eingeführt wurden, einige entstanden aus einem laut Needham „diffusen Stimulus” heraus. Nach Süden weisender Streitwagen: James und Thorpe 1994, S. 140 – 142. 45 Tang-Erfindungen: Benn 2004, S. 52, 95 – 96, 108 – 109, 112, 143 – 144, 167, 271. Kaiserin Wu Zetians Ehrgeiz, Ashoka zu übertreffen: Strong 2004, S. 125 und Anm. 6, Quellen. Kaiserin Wu wurde auch Wu Zhao genannt. 46 Keay 2011, S. 69 und Anm. 19, zitiert R. K. Mookerji, History and Culture of the Indian People, 2, S. 28. Mookerji beschreibt den gepanzerten Kriegswagen mit wirbelnden Keulen oder Klingen; Keay nennt das Gerät einen „Roboter“, der eine Keule schwingt; andere vergleichen die „Maschine“ mit einem „mähenden“ Streitwagen, der an den Rädern Klingen hat. 47 Strong 2004, S. 124 – 138. Keay 2011, S. 78 – 100; Ali 2016, S. 481 – 484. 48 Strong 2004, S. 132 – 138; Pannikar 1984. Es gibt noch weitere Versionen auf Kambodschanisch und Thai. Higley 1997, S. 132 – 133. Cohen 2002. Zarkadakis 2015, S. 34, „berief sich auf einen reichen Legenden-Fundus“. Ali 2016, S. 481 –  484, diskutiert die Legende und das Datum sowie Quellen des Lokapannatti. 49 Strong 2004, S. 132 – 133. In einigen Versionen wird der Ingenieur von dem Robotermörder enthauptet, der geschickt worden ist, um Ashoka zu töten: Higley 1997, S. 132 – 133; Pannikar 1984. 50 Cohen 2002, S. 73 – 74. Man nimmt an, dass die Lokapannatti-Geschichte von späteren byzantinischen und frühmittelalterlichen Automata beeinflusst war. Zur Geschichte der Automata und komplizierter mechanischer Wunder, vergleichbar dem fabelhaften byzantinischen „Thron Salomos“ im frühmittelalterlichen Indien: Ali 2016; vgl.  v. a. S. 484 zur Verbreitung von Techne; Brett 1954 zum automatisierten Thron Salomos. 51 Ali 2016, S. 484. 52 Griechisch-buddhistischer Synkretismus: McEvilley 2001; Boardman 2015. 53 Ashoka und hellenistische Herrscher: Hinuber 2010, S. 263 (Megasthenes). Megasthenes, Indica (Fragmente); Arrian, Indike 10. Megasthenes und Deimachos waren Gesandte beim Maurya-Herrscher Chandragupta und seinem Sohn; Dionysios war Ptolemaios’ Gesandter bei Ashoka. Siehe Arrian, Anabasis 5; Plinius 6.21; Strabon 2.1.9 – 14; 15.1.12. 54 Keay 2011, S. 78 – 100; McEvilley 2000, bes. S. 367 – 370; zu indischer Technologie:

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Anmerkungen

S. 649 und Anm. 19. Zu Ashokas Gesandten bei hellenistischen Herrschern: Jansari 2011. 55 Legge 1965, S. 79. Belebte buddhistische Statuen und Karren in China: Needham 1986, S. 159 – 160, 256 – 257. Zu Wunderberichten über belebte buddhistische Statuen: Wang 2016. 56 Drehbare Dienerinnen: Needham 1986, S. 159. Zum zornigen Vajrapani: Wang 2016, S. 27, 32. Daoxuan: Strong 2004, S. 187 – 189. Dudbridge 2005. Daoxuans heilige Technologie und Beschreibungen der utopischen Automata im Kloster von Jetavana in Indien: Forte 1988, S. 38 – 50, Anm. 86 und 92; S. 49 – 50. Man weiß nicht, ob es reale indische Automata waren, die Daoxuan beschrieben hat, nachdem er von ihnen gehört oder gelesen hatte, doch Kaiserin Wu wollte offensichtlich diese Wunder für ihre Schreine nachbauen lassen. 57 Hsing und Crowell 2005, bes. S. 118 – 123. Griechisch-indische Einflüsse: Boardman 2015, S. 130 – 199; Herakles in buddhistischer Kunst: S. 189, 199, Abb. 116, 118, 122. Relief von Herakles mit Löwenfell und Schwert: British Museum 1970,0718.1. 58 Simons 1992, S. 29 – 32. Mori 1981 und 2012. Borody 2013. Han 2017. 59 Borody 2013. Danke an Ruel Macraeg dafür, dass er mich auf Mazinger Z und 18 Bronzemen aufmerksam gemacht hat. Danke an Sage Adrienne Smith für die Information über die antiken Roboter in Laputa: Das Schloss im Himmel. „Whistlefax“-Roboter von Glorbes (B. Ross), Fwoosh Forums, 13. November 2007: http:// thefwoosh.com/forum/viewtopic.php?t=12823&start=4380.

60 Berryman 2009, S. 28 (kursiv: schon im Original). D’Angour 2011, S. 62 – 63, 108 – 109, 127, 128 – 133, 180 – 181. 61 Zarkadakis 2015, S. xvii, 305.

Epilog frühere Version von Teilen dieses Epilogs erschien in Aeon, 16. Mai 2016. Liebe-/Hassreaktionen auf KI: Zarkadakis 2015. 2 Microsofts Tay und Zo: Kantrowitz 2017; menschliche Ausrichtung bei KI: Bhorat 2017. Tays Premiere und ihr Ende: http://www.telegraph.co.uk/technolo 1 Eine

gy/2016/03/24/microsofts-teen-girl-ai-turns-into-a-hitler-loving-sex-robot-wit/.

3 Raytheon: http://www.raytheon.com/news/feature. 4 Hawking-Zitat, Scheherazade: Flood 2016. http://www.news.gatech.edu/2016 /02 /12/using-stories-teach-human-values-artificial-agents. http://realkm.com/ 2016/01/25/teaching-ai-to-appreciate-stories/. Summerville et al. 2017, S. 9 – 10. 5 Zarkadakis 2015, S. 27, 305. Leverhulme Centre for the Future of Intelligence, „AI Narrative“-project: http://lcfi.ac.uk/projects/ai-narratives/. 6 Dawn of Robo-Humanity, wörtlich „Morgenröte der Roboterhumanität“: Popcorn 2016, S. 112–113.

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Glossar Android, Droid  Ein beweglicher Roboter in Menschengestalt. Automation  Technologie, mit der eine Handlung ohne menschliches Eingreifen vollzogen werden kann. Automaton, Automata  Ein sich selbst bewegendes mechanisches bzw. konstruiertes Gerät, das häufig einem Tier oder Menschen ähnelt und nicht von einer Person bedient wird. Manche Automata sind Maschinen, die nach vorheriger Instruktion Aufgaben ausführen, andere können auf unterschiedliche Umstände reagieren. bionisch  Mit künstlichen Körperteilen versehen, die die menschliche oder tierische Kraft verstärken. Biotechne  Altgriechisch bios, das „Leben“, und techne, „Handwerk, Kunst, Wissenschaft“; künstliches Leben bzw. Anwendung von theoretischen/wissenschaftlichen Erkenntnissen über reales Leben auf die Schaffung neuen Lebens oder lebensimitierender bzw. -erweiternder Ansätze. Biotechnologie  Technologie, die auf der Nutzung oder Manipulierung biologischer Organismen, lebender Systeme oder ihrer Komponenten beruht, um Produkte oder Prozesse zu entwickeln, zu verändern oder herzustellen. Black Box  Eine komplexe Einheit, Maschine oder ein System, dessen Ergebnisse bekannt oder zu beobachten sind, deren innere Inhalte und Funktionsweisen für den Benutzer jedoch verborgen, unbekannt oder unverständlich bleiben. Cyborg, kybernetischer Organismus  Ein Wesen, meist humanoid, das organische, biologische Komponenten mit künstlicher Technologie verbindet bzw. diese integriert; ein Mensch-Maschinen-Hybrid, der oft menschliche Fähigkeiten übersteigt. Fembot  Ein Roboter in Gestalt einer menschlichen Frau. Gerät  Ein Objekt, Apparat, Instrument, eine Vorrichtung oder ein System, das bzw. die zu einem bestimmten Zweck gemacht wurde; oft ein mechanisches Objekt bezeichnend. Künstliche Intelligenz (KI)  Intelligenz bzw. Geist, verortet in einer Form künstlichen Lebens bzw. einer Maschine, analog zur natürlichen Intelligenz von Tieren und Menschen, und in der Lage, die eigene Umgebung wahrzunehmen und zu handeln. KI ahmt biologische kognitive Funktionen nach, wie Lernen und Problemlösung. Eine „enge“ KI ermöglicht einer Maschine, bestimmte Aufgaben auszuführen. Eine „allgemeine KI“ hingegen ist eine Maschine „mit einem Allzweck-Algorithmus“, mit dem sie intellektuelle Aufgaben ausführt, zu denen auch Menschen fähig sind, mithilfe der Fähigkeit, zu überlegen, zu planen, abstrakt zu „denken“, Probleme zu lösen und aus Erfahrungen zu lernen. KI kann auch nach Typen geordnet werden: Maschinen vom Typ I sind reaktiv, agieren so, wie sie programmiert sind, um die Gegenwart wahrzunehmen, haben aber kein Gedächtnis und auch nicht Fähigkeit, aus vergangenen Erfahrungen zu lernen (Beispiele: der Schachcomputer Deep Blue von IBM, Googles AlphaGo, der antike Bronzeroboter Talos und die sich selbst bewegenden Dreibeine in der Ilias). Typ II hat begrenzte Fähigkeiten, Erinnerungen anzulegen, und kann vorprogrammierten Fähigkeiten eigene Beobachtungen hinzufügen (Beispiele: selbstfahrende Autos, Chatbots und Hephaistos’ automatische Blasebälge). Typ

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Glossar

III, der noch nicht entwickelt ist, würde über eine theory of mind  –  also die Fähigkeit, bei anderen Menschen und bei sich selbst Bewusstseinsvorgänge zu erkennen  –  und die über die Fähigkeit verfügen, Erwartungen oder Wünsche vorwegzunehmen (fiktionale Beispiele: C-3PO aus Star Wars, Hephaistos’ goldene Dienerinnen, die Schiffe der Phäaken). Eine zukünftige KI vom Typ IV würde gleichfalls über theory of mind verfügen sowie über Selbsterkenntnis (fiktionale Beispiele: Tik-Tok in John Sladeks Roman von 1983 und Eva in dem Film Ex machina von 2015). Weil sie zu Täuschung und Überredung fähig ist, wäre Pandora zwischen den Typen II und III angesiedelt. Künstliches Leben  Systeme, Wesen oder Einheiten, die natürliches Leben, natürliche Vorgänge nachahmen oder Aspekte biologischer Phänomene wiederholen; auch menschliche oder tierische Artefakte, die zum Leben erweckt wurden. Machine learning  Maschinenlernen. Computer und KI mit der Fähigkeit, selbstständig zu lernen, ohne dass sie ausdrücklich für die Ergebnisse dieser Lernprozesse programmiert wurden. Marionette, Puppe  Künstliches Modell eines Menschen oder Tieres, meist mit Händen, Stäben, Rädern oder Fäden bewegt. Maschine  Eine mechanische Struktur bzw. ein Gerät, das aus einer oder mehreren Komponenten besteht (zum Beispiel: Hebel, Flaschenzug, Rad, Achse, schiefe Ebene, Schraube, Keil), die die Richtung bzw. Größe einer Kraft verändern. Mechanismus, mechanisch  Etwas, das aus Teilen gemacht ist, die sich bewegen bzw. zusammenarbeiten, um eine Handlung auszuführen; die Funktionsweise einer Maschine oder etwas, das einer Maschine ähnelt. programmiert  Mit einem vorherbestimmten Satz an (kodierten) Anweisungen zur automatischen Ausführung versehen. Roboter  Komplex und nicht eindeutig zu bestimmen; meist ist ein Roboter eine Maschine bzw. ein sich selbst bewegendes Objekt mit einer Kraftquelle, die Energie bereitstellt. Ein Roboter kann „programmiert“ werden, um seine Umgebung zu erkennen, und besitzt eine Art „Intelligenz“ oder eine Möglichkeit der Datenverarbeitung, um zu „entscheiden“, mit der Umwelt zu interagieren und Handlungen oder Aufgaben auszuführen. Talos, die bronzene, von Ichor belebte Statue, passt zu dieser Definition. Uncanny-Valley-Effekt  Das unheimliche und unangenehme Gefühl, das die meisten Menschen verspüren, wenn sie künstlichen Lebensformen begegnen, vor allem humanoiden Wesen, die fast, aber nicht ganz echt erscheinen. Die Affinität nimmt mit der Realitätsnähe zu, fällt aber steil ab, sobald das Wesen von der Realität kaum oder gar nicht mehr unterschieden werden kann. Diese Hypothese wurde zuerst 1970 von dem Robotiker Masahiro Mori formuliert. Verjüngung  Ein Lebewesen erneut jung machen, Wiederherstellung von jugendlicher Stärke, Energie und/oder entsprechendem Aussehen.

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Bildnachweis 1.1 Bronzeguss von Simon Fearnham, Raven Armoury, Dunmow Road, Thaxted, Essex, England. 1.2 Links: Theodora Wilbur Fund zum Gedenken an Zoe Wilbur, 65.1291. Rechts: Geschenk von Mr. und Mrs. Cornelius C. Vermeule III, 1998.616. Fotos © Museum of Fine Arts, Boston. 1.3 und 1.4 Museo Jatta, Ruvo di Puglia. Album / Art Resource, New York. 1.5 Museo Archeologico del Sannio Claudino, mit frdl. Genehmigung durch das Ministero del Beni e delle Attività Culturali e del Turismo, fototeca del Polo Museal della Campania. 1.6 Zeichnung von Michele Angel. 1.7 Oben: Zeichnung, 1859,0301.30 © The Trustees of the British Museum. Unten: Inv.-Nr. 30480, Antikensammlung Staatliche Museen zu Berlin, Foto Sailko (Francesco Bini), 2014. 1.8 Archäologisches Nationalmuseum Cagliari, Sardinien. 1.9 und 1.10 Bpk-Bildagentur / Foto Johannes Laurentius/Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin / Art Resource, New York.

1.11 Holzschnitt von Agnes Miller Parker, 1953. 1.12 US Army / Navy Archiv. 1.13 US SOCOM. 2.1 Inv. 1843,1103.59. © The Trustees of the British Museum. 2.2 GR 1843,1103.76 © The Trustees of the British Museum / Art Resource, New York. 2.3 Sk 925. Bpk-Bildagentur / Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Jürgen Liepe / Art Resource, New York. 2.4 Cabinet de Medailles, Paris, 1329. Zeichnung von Michele Angel. 2.5 Louvre. Erich Lessing / Art Resource, New York. 3.1 Inv. 1836,0224.82 © The Trustees of the British Museum. 3.2 Inv. 1949,0714.1 © The Trustees of the British Museum. 3.3 Michel de Marolles, Tableaux du Temple des Muses (Paris, 1655). HIP / Art Resource NY. 4.1 Vatikanische Museen. Album / Art Resource, New York. 4.2 Palazzo Spada, Rom. Foto Alinari. 4.3 Cabinet des Medailles, Paris. Foto Carole Raddatom, 2015.

Bildnachweis

4.4 Alinari / Art Resource, New York. 4.5 Inv. 1867,0508.746. © The Trustees of the British Museum. 4.6 Inv. 1856,1226.470 © The Trustees of the British Museum. 4.7 Inv. 2007,5004.1. © The Trustees of the British Museum. 4.8 Ann Ronan Picture Library, London. HIP /  Art Resource, New York. 5.1 Museo Archeologico, Palermo. Scala / Art Resource, New York. 5.3 Alfredo Dagli Orti / Art Resource, New York 5.4 Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München, Foto Renate Kühling. 5.5 Faustkämpfer vom Quirinal: Album / Art Resource, New York; Bronzestatue A von Riace: Museo Archeologico Nazionale, Reggio di Calabria; Erich Lessing /  Art Resource, New York; Marmorarm eines Diskuswerfers: Museo Nazionale Romano, Rom, © Vanni Archiv / Art Resource, New York; Athlet: Apoxyomenos-Museum, Mali Losinj, Kroatien. Foto Marie-Lan Nguyen, 2013. 6.1 Sammlung Albani. MA 445, Louvre, Foto Hervé Lewandowski, RMN-Grand Palais / Art Resource, New York. 6.2 Kapitolinische Museen, Rom. Foto Erich Lessing / Art Resource, New York. 6.3 IX B 755, Kunsthistorisches Museum, Wien. Erich Lessing / Art Resource, New York. 6.4 Kunsthistorisches Museum, Wien. Erich Lessing / Art Resource, New York. 6.5 Gemme und Abguss © Collection of the Duke of Northumberland and Beazley Archive, Universität Oxford; Foto C. Wagner. Stich: Mit frdl. Genehmigung Getty Research Institute, Los Angeles (89B17579). 6.6 Mit frdl. Genehmigung Getty Research Institute, Los Angeles (89-B17579). 6.7 Townley Collection, Inv. 1814,0704.1312 © The Trustees of the British Museum. 6.8 Evtl. Townley Collection Inv. 1987,0212. 250 © The Trustees of the British Museum. 6.9 82.AN.162.69. Mit frdl. Genehmigung Getty Museum. 6.10 Boston Museum of Fine Arts, 62.184. Geschenk Frau Harry Lyman. 6.11 Thorvaldsens Museum, Dänemark, Inv. 185. 7.1 F 2294. Bpk-Bildagentur / Foto Johannes

Laurentius / Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin / Art Resource, New York. 7.2 Bronze-Kürass: 92.180 © The Metropolitan Museum / Art Resource, New York. Beinschienen: Archäologisches Museum, Sofia, Bulgarien. Erich Lessing / Art Resource, New York. 7.3 Archäologisches Nationalmuseum, Spanien. Foto Marie-Lan Nguyen. 7.4 1980.7. Bpk-Bildagentur / Foto Johannes Laurentius / Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin / Art Resource, New York. 7.5 Erich Lessing / Art Resource, New York. Oben: Museum für Vorgeschichte, Asparn, Zaya, Österreich; unten: Naturhistorisches Museum, Wien. 7.6 © Griechisches Ministerium für Kultur und Sport, mit frdl. Genehmigung Amt für Antiquitäten in Chalcidice und auf dem Berg Athos. 7.7 BnF Cabinet des Medailles, Bronze. 1333, Foto Serge Oboukhoff © BnF /  CNRS  –  Maison Archéologique & Ethnologie, 2011. B. Holzschnitt des Spiegels: Victor Duruy, History of Greece (Boston, 1890). Nachzeichnung von Michele Angel. 7.8 F 2415. BpK-Bildagentur / Foto Johannes Laurentius / Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin / Art Resource, New York. 7.9 Louvre A478. © RMN-Grand Palais / Art Resource, New York. 7.10 Vatikanische Museen. Scala / Art Resource, New York. 7.11 Louvre G 452, Sammlung Canino, 1843. Foto Marie-Lan Nguyen, 2007. 8.1 Beazley Collection. Foto mit frdl. Genehmigung von Claudia Wagner. 8.2 Beazley Collection. Foto mit frdl. Genehmigung von Claudia Wagner. 8.3 AN1896-1908 G.275. © Ashmolean Museum, Universität Oxford. 8.4 F 1837. Bpk-Bildagentur / Foto Johannes Laurentius / Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin / Art Resource, New York. 8.5 Inv. 1881,0528.1 © The Trustees of the British Museum. 8.6 Inv. 1856,1213,1 © The Trustees of the British Museum. 8.7 Inv. 1856,1213,1 © The Trustees of the British Museum. 8.8 Peplos-Kore: Akropolis-Museum, Athen;

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328

HIP / Art Resource, New York; Kopf der Peplos-Kore; Foto Xuan Che, 2011; Marmorner Kore-Kopf: Musées Royaux d’Art et d’Histoire, Brüssel; Werner Forman / Art Resource, New York. 8.9 Standfoto: mit frdl. Genehmigung von metropolis1927.com. Szene aus dem Metropolis-Film: Adoc-photos / Art Resource, New York. 8.10 Foto-Kollage von Michele Angel. 8.11 Inv. 1865,0103 © The Trustees of the British Museum. 8.12 Henry Lillie Pierce Fund, 01.8056. © 2018 Museum of Fine Arts, Boston. 9.1 Holzschnitt von Pierre Woeiriot de Bouze, 16. Jh. HIP / Art Resource, New York.

9.2 Foto Felix Bon ls, 1878. HIP / Art Resource, New York. 9.3 Inv. 1896,0601.49 © The Trustees of the British Museum. 9.4 Mit frdl. Genehmigung des Museums für altgriechische Technologie „Kostas Kotsanas“. 9.5 Plattenrelief: Inv. 1966,1017 © The Trustees of the British Museum. Wächerstatuen: Tafel 13, E. J. Rapson, Cambridge History of India (1922). Kollage von Michele Angel. 9.6 Inv. 1970,0718,1 © The Trustees of the British Museum. 9.7 Links: Foto Kerry Dunstone, rechts: Foto Robert Harding; Alamy Stock Photo.

Register 18 Bronzemen (Film)  267

Achill  65, 70, 73, 76, 79, 169–171, 193,

202, 224, 239, 257 Adam  7, 32, 34, 147, 149, 201 Adler  19, 60, 71, 84, 86 f., 129, 166 f., 180, 227, 244 f. Agathokles  114, 234 Ägypten  13, 19, 29, 51, 72, 91, 93, 113, 116, 120, 132–134, 188, 195, 239–241, 243, 246, 251 Aietes  17, 88, 169, 227, 230, 237 Aischylos  50, 67, 73, 136, 138 Aison  49–52, 57, 61, 73 Ajatasattu  259 f., 262, 264 Akragas  113, 232–235, 237 f. al-Dschazarī  189, 257 Alexander der Große  68–70, 90 f., 106, 108–110, 133, 175, 238, 246, 252, 264 Alexanderroman  68, 90, 106, 108 Alexandria, Ägypten  13, 19, 67, 124, 132–134, 142, 167, 188 f., 243, 246, 252, 254–256, 258, 264 f., 274 Ali, Daud  264 Alkinoos  186, 194 f. Amazonen  66, 214 Ambrosia  39, 60, 70, 79, 85, 187

Amenophis III.  239 Anchises  76 Android  8, 10, 14, 16 f., 32, 39, 41 f., 44, 63, 72, 85, 89, 135, 141, 146, 158 f., 161, 164, 194, 203, 206, 260, 263, 276 Antikythera, Mechanismus von  237, 249, 251 Antonius, Marcus  250 Apega  247 f., 250 Apelles  129 Aphrodite  26, 76, 79, 114 f., 141–143, 169, 178, 203, 212 Apollodor  19, 78, 95, 120, 178 Apollon  78, 103, 113, 169, 189–191, 231 Apollonios von Rhodos  15, 18 f., 23, 29, 39, 167 Apollonios von Tyana  143, 188, 193 Appian  250 Archaisches Lächeln  214 f. Archimedes von Syrakus  249 Archytas  167, 243–245, 274 Ares  73, 178, 212 Argo (Schiff) / Argonauten  6, 15–18, 20, 23, 26, 29, 49, 52, 60 f., 86, 89, 167, 194, 263, 274; s. auch Apollonios von Rhodos Argus  178 f.

Register

Arhats  267 Ariadne  99 Aristeides (Historiker)  234 Aristeides von Theben (Kunsthandwerker)  244 Aristeides von Theben (Maler)  129 Aristophanes  106, 118, 120 Aristoteles  7, 40, 50–52, 62, 79 f., 91, 108, 123 f., 160, 188, 196 f., 225, 234, 243, 245 f. Arnobius  142 Arsinoë II.  132 f., 252, 254 Artemis  53 f., 120, 169, 187 Ashoka  259–267 Asilomar KI Principles  187, 227 Asimov, Isaac  187, 226 f. Äsop  106 Athen  23, 54, 94, 99, 118–121, 130, 218, 220, 222, 245–247 Athena  121, 129, 139, 148, 151, 162 f., 182 f., 197, 201–203, 209–212, 218, 220, 224, 239, 245, 257 f., 278 Athenaios  96, 143, 252, 254 Äthiopien  67, 76, 239 Athleten  36 f., 66, 129–130 Automata  bes. 6–11, 14, 16 f., 20, 31, 33– 35, 41 f., 44, 72, 88, 97, 121–124, 126, 141, 145, 147, 158, 160 f., 167, 169 ff., 206, 216, 219, 226 f., 228 ff., 274 Autonomie  41 f., 47, 161, 201, 205, 275 Ayrton, Michael  114, 116, 131

Bagdad-Batterien  241 f.

Banū-Mūsā  257 Belagerungsmaschinen  246, 251 Bentham, Jeremy  179 Berryman, Sylvia  32 f., 126, 197 f., 271 Bienenwabe  114, 117 Biotechne  41, 49, 51, 70, 72, 81 f., 94, 104, 127, 149, 160, 198, 200, 228, 274 f., 279 Blackbox-Technologie  9, 127, 194 Blade Runner (Film)  20, 41, 63, 142, 161, 205 Blade Runner 2049 (Film)  8, 20, 41, 142, 159, 161, 205 Blakely, Sandra  35 f. Bonfante, Larissa  151

Bosak-Schroeder, Clara  33 Böser Blick  40 f. Bronzeguss  29, 35–37, 116 f., 182 Bronzener Schafbock von Syrakus  114 f., 120, 234 Bronzener Stier  233–235 Buddha  259–263, 265–270 Buddhismus  135, 145–147, 161, 259 f., 264–270 Bulfinch, Thomas  45, 47 Burdunellus  235 Byron, George Gordon, Lord  163

Caesar, Iulius 

250 f. Caligula  233 Camarini  67 Čapek, Karel  197 Carafa, Giovanni, Herzog von Noia  153–155, 164 Cassius Dio  125Cayley, George  111 Censorinus, Aemilius  234 Chaluchasu (Talos)  26 China  7, 10, 68 f., 110 f., 136, 145, 157, 159, 229, 232, 257, 259, 261, 265–268, 270 Chiron  64, 71 f. Chronos  63 Cicero  125, 235 Clarke, Arthur C.  9, 35 Claudian  134 Claudius Aelianus  79 Cohen, Signe  147, 263 Cook, Arthur Bernard  36 Craddock, Paul  240, 242 Crowder, Ray  278 Cyborgs  10, 39, 41, 85, 90, 92

D’Angour, Armand 

127 Daedala  94, 120, 125, 202 Daedalus 88 (Flugzeug)  112 Daedalus  6, 8, 12, 29, 85, 94–112, 113 ff., 140, 163, 175, 182, 186, 196, 228, 230– 232, 237, 271, 274 Daktylen  184 Daoxuan  266 DARPA, Defense Advanced Research Projects Agency  47 f. De Grey, Aubrey  78, 81

329

330

Register

Deimachos  264 Deinokrates von Rhodos  133 Delphin, mechanisch  120, 189 f., 244 f., 257 f. Demeter  191 Demetrios Poliorketes  249 Demetrios von Alopeke  128, 239 Demetrios von Phaleron  246 Demochares  246 f. Demokrit  123 f. Descartes, René  161 f. Deukalionische Flut  138, 140, 147 Deus-ex-machina-Technik  241 Dian Cecht  92 Diener, automatisch  72, 188 f., 193, 195, 197, 255, 259 Diodor  234 f. Dionysien  245–247 Dionysios (griechischer Botschafter)  265 Dionysios Skytobrachion  92 Dionysios von Syrakus  249 Dionysos  50, 245 f., 253, 265 Dioskuren s. Kastor und Polydeukes Dippel, Johann  164 Disney  72 Dolly (geklontes Schaf)  58 f. Dolly  58 f. Drachen  17, 59, 110 f., 232, 255, 259 Drachenzahn-Armee  17, 88, 227, 263 Dreibeine, selbst bewegend  187–191, 193, 195–198, 226, 275 Drogen  22 f., 25, 84, 88; s. auch Pharmaka

Earnshaw-Theorem  133

Eiserne Jungfrau  250 Eiserner Ritter s. Talus Elefanten  90 f., 96, 252 Elektrizität  45, 48, 133, 163 f., 218, 242 Eleusinische Mysterien  191 Elpis (Hoffnung)  219, 221–226 Empathie  24, 63–65, 279 Enkidu  65, 71 Eos (Morgenröte)  73–76, 78, 91, 239 Epeios  129, 181 f. Epimetheus  83, 162, 200, 202, 204– 207, 220 f., 223, 225 f., 276–278

Erichtho  163, 165 Eros  134, 206 Ethik und Moral  11, 31, 42, 44, 84 f., 88, 108, 122, 141, 146, 161, 166, 187, 199, 201, 226, 275, 277–280 Etrusker  25–27, 29, 57, 75, 99, 104, 121, 149–153, 156, 164, 180 f., 183, 206, 208, 221 f. Etule  180 f. Euripides  67, 73, 120, 136, 144 Eustachius  235 Eva  7, 147, 149, 201 f. Ex Machina (Film)  41 Exoskelett  47 f., 84, 174 f., 179

Fa Hsien 

265 Fantasia (Film)  72 Faraone, Christopher  53 Faustkämpfer vom Quirinal  130 ferrum vivum („lebendes Eisen“, Magnet)  132 Firdausi  91 Flaxman, John  220 Fliegen/Flügel  21, 46, 95, 100–106, 108–112, 137, 167, 189, 190 f., 230–232, 243–245, 274 Fliegende Sessel  191 f. Folter  88, 92, 129, 165–167, 180, 230– 234, 247, 250 Frankenstein (Film)  41, 163–165, 218 Franklin, Benjamin  164 Freier Wille  11, 19, 39, 42, 142, 147, 160 f., 188, 201 Freya  92 Furtwängler, Adolf  210 Future of Life Institute  187

Galatea  7, 142, 147, 149, 185, 205

Galvani, Luigi  164 Galvanismus  164, 242 Ganymed  60 Gao Yang  232 Gates, Bill  276 Gedächtnis  63, 70, 75, 204 Gefühle  16, 19 f., 41 f., 44, 59, 65, 87, 128 f., 135, 146, 172, 202, 240–242, 278–280 Gellius, Aulus  243

Register

Genesis  201 Gesar von Ling  167 Geschichtsschreibung / antike Historiker  28, 92, 231, 234, 240, 246, 250 Gilgamesch (Epos)  65, 71, 139 Glaukos  67 Global Positioning Systems (GPS)  195 Gnostizismus  161 Godwin, William  163 Goethe, Johann Wolfgang von  72 Goldene Jungfrauen  193 f., 196–199 Goldene Sirenen  191, 240 Goldener Hund  14, 21, 184–186; s. auch Lailaps Goldenes Vlies  15–17, 23, 49, 61, 88 Gray, John  161 Grazien  203

Hales, Thomas C. 

117 Hamilkar Barkas  235 Hängegleiter  111 f. Harnisch  23; s. auch Panzerung; Rüstung Harrison, Evelyn  223 Harryhausen, Ray  15, 20, 89 Hawking, Stephen  276, 278 Hebe  60 Hegesistratos  92 Hekate  53 Helena  87, 189 Helios  18, 60, 134 Hephaistos  7 f., 14, 17, 21, 29, 32, 34, 39, 41, 61, 70, 88, 92, 120 f., 123 f., 137, 140, 161–163, 166–168, 169 ff., 200–203, 206–208, 210 f., 218, 220 f., 224, 226– 228, 230, 232, 237, 253, 255, 257, 271, 274–276 Her (Film)  41 Hera  169, 178 f., 212, 227 Herakles  60 f., 71–73, 79, 104, 120, 166 f., 169, 174 f., 200, 256, 267 f. Hercules (moderner Miniatur-Roboter)  278 Hermes  184 f., 203–207, 209 f., 212, 220, 223 Herodot  28, 62, 65, 67, 92 Heron von Alexandria  124, 188, 243, 254–258, 274

Hersey, George  145 Hesiod  15, 33, 138, 178, 199–206, 212, 214, 220–222, 224, 268 Hesychius  159 heteropaternale Superfekundation  61 Hexen  6, 14 ff., 51, 53, 94 f., 163, 165, 281; s. auch Erichtho; Hekate; Kirke; Medea; Pasiphaë; Prokris Hieronymus  240 Hinduismus  135, 161, 260, 269 f. Hippokrates  39 f. Homer  7, 28, 31, 33, 39, 53, 64, 70, 74, 76, 79, 81, 87, 90, 94, 136, 170–172, 181, 184, 186–189, 194, 198 f., 206, 221, 238, 257, 275 Horaz  78, 243 Horn des Themistios  238 Huffman, Carl  244 HUMANS (TV-Serie)  45 Huxley, T. H.  161 Hydra  71 f. Hydraulik  139, 245, 254, 256, 259, 274 Hygin  95, 144, 166

Iason  6, 15–18, 23–26, 49, 51–53, 55, 57,

59, 61, 82, 85–90, 167, 180, 194, 230, 237, 263, 274 Ibykos  79 Ichor  18 f., 23, 36–39, 45, 48, 61, 70, 79, 86 f., 187, 218 Idas  78 Identität  63 f., 160, 205, 220 Ikarus  99–108, 120, 231 Indien  7, 10, 67–69, 90, 96, 124, 147, 188, 259 f., 262–264, 266–268 Indra  261 Io  178 Iolaos  60 Iolkos  49, 51, 53 Iron Man (Film)  47

James, William 

161 Japan  269 f. Jason und die Argonauten (Film)  15, 20, 89, 282 Jesus  8, 240 Johannes, Priesterkönig  68

331

332

Register

Jungbrunnen  62, 67 f.; s. auch Verjüngung

Kabiren  180

Kallistratos  126 Kallixeinos von Rhodos  252 f. Kalypso  64, 76 Kanaboi (Gerüste/Skelette)  159 f. Kanellopoulos, Kanellos  112 Kang, Minsoo  31–33, 147, 198 Kant, Immanuel  164 f. Karloff, Boris  163 Kassander  245 Kastor und Polydeukes  22–27, 54, 61 f. Katapulte  229, 249, 260 Kekrops  134 Kephalos  184 f. Kerle, Hanfried  254 KI s. Künstliche Intelligenz Kiptschaken  91, 175 Kirke  53, 60 Kleisophos von Selymbria  143 Kleoitas  244 Kleopatra  252 Kleroterion (Losmaschine)  249 Klonen  59 Koetsier, Teun  254 Kokalos  103 f., 109, 113–115, 117 f., 232 Koloss von Rhodos  18, 35, 125, 237 Konstam, Nigel  132 Kontrolle von Automata und Robotern  42, 44, 90, 161 f., 250, 263, 277 Kore  192, 214 f. Kotsanas, Kostas  188, 244 Kouretes  184 Kratinos  121 Kreta  14, 16 f., 20 f., 26, 28 f., 35, 46 f., 49, 67, 70, 94 f., 99, 104, 111–113, 116 f., 119 f., 124 f., 179, 183 f., 227, 232 f., 248 Kronos  184 Ktesias  67, 96 Ktesibios  254 Ktesikles  143 Kubrick, Stanley  19 Kuh, künstliche  91, 95–99, 231, 237 Künstliche Intelligenz (KI)  6, 9 f., 13, 20, 42, 84 f., 89, 122, 141, 145, 164, 187, 193 f., 205, 226 f., 271, 273, 275–280

Künstliches Leben  6–10, 12 f., 33 f., 38, 44, 62, 82, 125, 127 f., 136 f., 140 f., 147, 157, 165, 193, 198, 217, 226, 228 f., 271– 273, 279, 275

Labyrinth  13, 99, 113, 118

Lailaps  14, 21, 184 Laistrygonen  31 Lang, Fritz  216 f. Laodameia  144 Laos  269 Laputa: Das Schloss im Himmel (Film)  270 Leda  61, 97 Lefkowitz, Mary  64 Leonardo da Vinci  110 Lesbos  186 Lestriconi  31 Leukadia  231 Lie Yukou  158 Lin, Patrick  84 Lokapannatti  261, 264, 267 Löwe  120, 180, 186 f., 252, 267 Lowe, Dunstan  133 Lucan  165 Lukian  72, 106, 125, 143, 234, 240 Luohan  267

Ma Jun 

257 Magie  7–10, 16, 31, 33, 35, 38, 41, 51–54, 68 f., 108, 142, 149, 183, 186, 242, 262 Magnetismus  45, 132–135, 188, 252 Mahāvastu  145 Manga  270 Marc Aurel  66, 69 Marpessa  78 Maschalismos  152 Mazinger Z (Anime-Manga-Serie)  270 Medea  6, 8, 14 ff., 49 ff., 70, 82, 85 f., 88 f., 94 f., 104, 118, 163, 165, 169, 187, 263, 274 Medizin  38–40, 51 f., 80, 138, 164, 242 Megasthenes  264 Memnon  76, 169, 239–241 Mendelsohn, Daniel  178 Merkur  124, 132 Messingstier von Phalaris  233–238

Register

Metropolis (Film)  216 f., 219 Mickey Mouse  72 Microsoft  278 Midas  51 Mikon  23, 54 Militär  45–48, 84 f., 87 f., 90, 94, 175, 179, 188, 233, 145, 249, 260, 264 Mimik/Gesichtsausdrücke  128, 211, 218–220, 223 f. Minoer  21, 28, 45, 111, 116 Minos  14, 21, 26, 28 f., 67, 70, 94 f., 99 f., 103 f., 109, 118 f., 183–185, 227, 230, 232, 237 Minotaurus  28, 99 f., 117, 231 Misogynie  203 MIT (Massachusetts Institute of Technology)  48 Mithridates VI.  251 Mittelalter  6, 34 f., 44, 68, 91, 97, 106, 124, 133, 135, 142, 144, 163, 175, 186, 198, 220, 235, 238, 250, 255, 257 Mohammed  134 Mont’e Prama (Sardinien)  29–31, 113 Moral s. Ethik und Moral Mori, Masahiro  93, 270 Mosaik-Theorie  12 Mu  158 Münzen  20 f., 46, 183, 248 Musk, Elon  276 Myron von Athen  130

Nabis  247–250

Narten  66 Neils, Jenifer  221 f., 224 Nektar  39, 60, 79, 187, 203 Nepenthes  88 Nero  231, 233 Neuplatonismus  149 Nikander von Kolophon  185 f. Nike  251 Nonnos  79, 180 Nostoi (Heimkehr)  50 Nuada (Nudd)  92 Nuraghen  29, 113 f. Nysa  253–255, 265

Ochse  51 f., 85, 96

Odysseus  64, 79, 136, 172, 186, 194 f., 202

Olympische Spiele  167, 244 Only Lovers Left Alive (Film)  82 Onomarchos von Andros  143 Ovid  51, 61, 67, 140, 142, 144, 230

Paipetis, Stepfanos 

170 Palaiphatos  50, 89, 95, 97, 103 Pan  208, 255 f. Panathenäen  162 Pandareos  184 f. Pandora  6, 8, 34, 161, 163, 185, 199, 200 ff., 230, 248, 257, 272, 274, 276– 278 Panofka, Theodor  209 f. Panzerung  24, 47, 170, 172, 175, 260 Paphos  142 Parrhasios  129, 147 Parthenon, Athen  163, 218, 245 Pasiphaë  91, 95–100, 184, 231, 237 Pataliputta, Indien  260–262, 264 f. Paterculus, Aruntius  234 Pausanias  23, 28, 54, 60, 67, 94, 103, 119, 139 f., 159, 167, 170, 191, 218, 244 Pecse  180 f. Pegasus  181 Peitho  203 Pelias  49–59, 73, 118 Pelops  92, 169 Penelope  64, 79 Perilaos  233–236 Pferd  85, 91 f., 96, 121, 129, 131, 153 f., 180–183, 204 f., 234 Phäaken  186, 194 Phalaris  233–238 Phantasias  129, 172 Pharmaka  17, 19, 50, 52–54, 57 f., 86, 187 Phidias  122, 218, 245 Philipp II. von Makedonien  249 Philippos  121, 123 Philon von Byzanz  188, 243, 254–258 Philostephanos von Alexandria  142 Philostrat  95, 126, 143, 188, 193 Photios  159 Pindar  29, 31, 33, 66 f., 79, 124, 191, 224, 234, 237 Platon  67, 80, 83, 121, 160, 162, 197, 243, 246

333

334

Register

Plinius der Ältere  68, 92, 116, 129 f., 132 f., 143 f., 159, 218, 234, 239, 254 Plutarch  28, 40, 125, 234 Pollux (Schriftsteller)  159 Polybios  235, 246–248 Polybos  40 Polydeukes s. Kastor und Polydeukes Polydora  144 Polyeidos  67 f. Polygnot  23, 207 f. Pomeroy, Sarah  248 Poniatowski, Stanislas  201, 204 Popular Electronics (Zeitschrift)  45 Pornographie  97 Poros  90 f. Poseidon  186, 212 Poseidonios  246 Praxiteles  143, 145 Programmierung  14, 16, 32, 44, 89, 122, 162, 166, 256, 276 f., 279 Proklos  254 Prokris  184 f. Prometheus  6, 8, 16, 36, 39, 61, 71, 79, 83–87, 129, 137, 138 ff., 170, 175, 200, 208, 220, 225, 228, 230, 271, 274, 276 Protesilaos  60, 144, 233 f., 236 Prothesen  84, 92 f. Prumathe  151 Psammetich  51 Ptolemäer  132 f., 167, 195, 252, 264 Ptolemaios I.  246 Ptolemaios II. Philadelphos  132 f., 251–256, 265 f. Pullman, Philip  161 Pygmalion  7, 34, 138, 140–144, 147, 149, 199, 203, 205 Pyrrha  140 Pythagoras aus Rhegion  128

Qin Shi Huang Di 

68 f. Quecksilber  69, 124, 132

Ratsche (Spielzeug) 

245 Raytheon  278 Realismus  23, 36 f., 40, 92–97, 115, 120, 128–133, 235–137, 144–146, 149, 157, 159–161, 172 f., 175, 180, 182, 193, 202, 204, 27, 244, 252–254

Rebellion  197, 263 Reeve, C. D. C.  64 Regeneration  39, 71, 80 Re-Harmachis  239 Rehm, Alfred  246 Replikanten  8, 10, 20, 63, 142, 159, 161, 205, 274 Rhea  184 Rhodos  15, 18, 29, 35, 124 f., 133, 184, 233, 237 f., 249, 252, 255, 270 Rice, Anne  82 Riese  14, 18, 20, 28, 30 f., 39, 60, 89, 113 Rinderthrombin  52 RoboCop (Film)  41 Roboter  6 f., 10 f., 14 ff., 51, 70, 84 f., 88– 90, 95, 97, 114, 122, 127, 135 f., 140 f., 145–147, 161, 165, 187–189, 196–198, 211, 216, 218 f., 226–229, 248, 250, 253–255, 259–271, 274–276, 278, 280 Rogers, Brett  84 Rohbenzin  91 f. Roma-visaya  262, 264 Royal Aeronautical Society, England  112 Rüstung  89, 91, 167, 169–175, 278

Sappho  89, 139, 231

Sardinien  29–31, 113 f. Satyr  136, 208, 222, 252 f. Schaf/Schafbock  54–56, 58, 93, 114 f., 120, 153 f., 234 Scheherazade  278 Schiff  14, 16, 108, 111, 140, 167, 195 f., 249, 257 f.; s. auch Argo Schmiede(werkstatt)  14, 29, 35, 37, 39, 91, 116, 124, 170 f., 175–177, 187, 193, 195, 211; s. auch Hephaistos Schnecke  246 f. Schwebende Statuen  132–134, 251 f. Science-Fiction  7–9, 11, 30, 35, 41, 63, 72, 89, 106, 112, 127, 133, 159, 161 f., 165, 187, 193, 197, 216, 263, 269, 272, 274 Scipio Aemilianus  235 Scobie, Alex  144 f. Semiramis  96 Seneca  16 Septimius Severus  240

Register

Serapis  134 Sethlans  180–182 Sex  80, 95, 97, 99, 128, 141–147, 218, 229, 274 Shakespeare, William  163 Shapiro, H. A.  212 Shelley, Mary  41, 163–166 Shelley, Percy Bysshe  163 Sikandar  90 Silus, M. Sergius  92 Simonides  29, 37 Singende Statuen  191, 193, 197, 227, 238–240 Sisyphos  72 f. Skelett  93, 151, 153, 155–160, 164; s. auch Exoskelett Sklaverei  11, 122, 196–199 Sladek, John  11 Sokrates  80, 121, 197 Sophokles  20, 29, 39, 67, 73, 80, 85, 118, 120, 191, 208, 222, 272 Spenser, Edmund  42 f. Sprechende Statuen  121, 193 f., 198, 203, 206, 239 f., 275 Stallings, Alicia E.  78 Star Wars (Filme)  30 Steiner, Deborah  64 Sterblichkeit  10, 16–22, 22 f., 39–41, 59–62, 63 ff., 186, 205, 273, 278 Stevens, Benjamin  84 Stier  17, 21, 28, 51 f., 86, 88, 90, 95–97, 99, 169, 180, 227, 230 f., 233–238 Stimmenverstärkung  125, 238 f. Stoizismus  69 Strabon  231, 240 Strategies for Engineered Negligible Senescence (SENS) Research Foundation  81 stymphalische Vögel  167 Sueton  231 Superfötation  61

Tacitus  240

Tactical Assault Light Operator Suit (TALOS)  47 f. Taitale  104 Talos RIM-8 Geschütze  46 Talos von Athen  119

Talos  6, 8, 14 ff., 49, 51, 61, 70, 73, 79, 85, 89 f., 119, 125 f., 140, 147, 175, 179 f., 183, 186 f., 193, 198, 211, 218, 227 f., 230, 237, 250, 263, 268, 270, 272, 274 Talus, der Eiserne Ritter  42 f. Tanicius, Lucius  240 Tantalos  79, 85 Tassie, James  164 f. Tassinari, Gabriella  151 Taube  96, 167, 243–245 Tauchglocke  108–110 Tay (Chatbot)  276 Taylor, Joyce Waterman  144 f. Technologie  6–10, 13 f., 16, 19, 23 f., 29, 32–36, 41 f., 44, 47 f., 81, 84, 90, 94, 100, 104, 106, 108 f., 114, 116, 126– 128, 132 f., 135, 137 f., 145, 147, 151, 159, 166, 169 f., 178, 188 f., 194, 196– 199, 216, 218, 226, 228 f., 273, 275, 280 Telchinen  124, 184 Tennys335on, Alfred, Lord  78 Terminator (Filme)  41 Teumessischer Fuchs  184 Thanatos  36, 73 The Talos Principle (Videospiel)  42 Theater von Heron  255–259 Themistokles  51 Theodizee  201 Theodoret  240 Theon von Samos  129, 172 Theseus  12, 99 Thetis  70, 79, 170 f., 187, 193 Thukydides  28 Tik-Tok  11 Tithonos  73–76, 78, 80 f., 239 Transhumanismus  42, 80 f. Tretmühle  246 Triptolemos  191 f. Trojanisches Pferd  129, 180–182, 204 trompe l’œil  129, 146 f. Truitt, Elly Rachel  34, 144, 198 Turan  26 Turing-Test  161, 205 Twitter  276 Tyndareos  61 Tyrann  73, 114, 163, 203, 227, 230, 232, 234–236, 246–248

335

336

Register

Überwachung  179, 276; s. auch

Wächter Uncanny Valley  93, 135 f., 216, 253, 270 Unsterbliche (als Bezeichnung militärischer Einheiten)  65 Unsterblichkeit s. Sterblichkeit Unterwelt  70, 73, 81, 136, 144, 172, 202, 208 US Special Operations Command (SOCOM)  47 f. Utopien  67

Vadhrimati  92

Vajrapani  266–268 Varro  117 Verbrechersprung  231 Verjüngung  49 ff., 68, 79 f., 117 f. Vermenschlichung  20; s. auch Uncanny Valley; Realismus Verstärkung des Menschen  12, 84, 92, 94, 127, 172, 230 f., 238, 273 Vishpala  92 Vishvakarman  261, 263 Vitruv  254 Vogel  12, 94, 102, 106, 108–110, 124, 131 f., 137, 167, 230–232, 243 f., 255, 274; s. auch Adler Vorstellung(skraft)/Phantasie  6 f., 10 f., 13, 32, 38, 40 f., 61, 65, 124–128, 133– 135, 139, 160–163, 197–199, 205, 216, 228 f., 265, 271, 273 f., 280

Wachhund  184, 186

Wachs  91, 100, 102, 111, 142, 144 f., 159, 195, 248, 250, 254

Wachsausschmelzguss  29, 35–37, 116 f., 132, 159 Wächter  28 f., 31, 35, 41, 44, 125, 178, 183, 186, 238, 259–261, 263 f., 266 f., 269 f.; s. auch Thalos Walton, Jo  197 Wei Mengbian  266 Wenxuan  232 Werkzeug  8, 24 f., 29, 32, 34, 36 f., 84 f., 94, 104, 106, 113, 119, 122, 126 f., 137, 147, 149, 151, 153, 156, 166, 170, 175–177, 182, 196, 199, 211, 228 Westgoten  235 Wiederbelebung  67, 72, 165, 270 Wu Zetian  259

Xie Fei 

266 Xieng Kuan (Skulpturengarten)  269 Xoanon  211

Yan (Yen Shih)  158 yantra/yanta, yantrakara/yantakara  135, 262 Yuan Huangtou  111, 232 Zarkadakis, George 

271, 279 Zauberlehrling  72 Zenodorus  159 Zeus (moderner Miniatur-Roboter)  278 Zeus  14, 60–62, 71, 76, 78 f., 84, 86 f., 95, 97, 129, 138–140, 166 f., 170, 178, 180, 184 f., 200, 202 f., 206–210, 212 f., 220– 225, 227, 230, 233, 238, 244, 276 f. Zeuxis  129, 147 Zo (Chatbot)  276