Die Lagune: oder wie Aristoteles die Naturwissenschaften erfand 3806235848, 9783806235845

Vor mehr als 2000 Jahren ließ sich Aristoteles an den Ufern einer großen Lagune auf der Insel Lesbos nieder, um sich der

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German Pages 528 [529] Year 2017

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Widmung
Inhalt
Bei Erato
Die Insel
Die bekannte Welt
Die Anatomien
Naturen
Das Schnarchen des Delfins
Die Instrumente
Die Vogelwinde
Die Seele des Tintenfisches
Schaum
Das Tal der Schafe
Rezept für eine Auster
Feigen, Honig, Fisch
Der Steinwald
Kosmos
Die Meerenge von Pyrrha
Glossar
Anhänge
Anmerkungen
Bibliografie
Aristoteles Illustrieren
Danksagung
Register
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Die Lagune: oder wie Aristoteles die Naturwissenschaften erfand
 3806235848, 9783806235845

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Armand Marie Leroi

Die Lagune oder wie Aristoteles die Naturwissenschaften erfand

Aus dem Englischen von Susanne Schmidt-Wussow und Manfred Roth

Veröffentlicht mit Unterstützung des Wilhelm-Weischädel-Fonds der WBG.

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel The Lagoon: How Aristotele Invented Science bei Bloomsbury Publishing, London Copyright © Armand Marie Leroi, 2014 Copyright der Übersetzung © 2017 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG. © 2017 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: TypoGraphik Anette Klinge, Gelnhausen Einbandabbildung: © Oktopus: H. Fischer, Fische und Seepferdchen: K. Gesner Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3584-5 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich eBook (PDF): 978-3-8062-3693-4 eBook (ePub): 978-3-8062-3694-1

Die Lagune

Für meine Eltern Antoine Marie Leroi (1925–2013) und Johanna Christina Joubert-Leroi

Inhalt Bei Erato 11 Die Insel 23 Die bekannte Welt 49 Die Anatomien 71 Naturen 89 Das Schnarchen des Delfins 109 Die Instrumente 137 Die Vogelwinde 149 Die Seele des Tintenfisches 169 Schaum 197 Das Tal der Schafe 223 Rezept für eine Auster 243 Feigen, Honig, Fisch 257 Der Steinwald 289 Kosmos 327 Die Meerenge von Pyrrha 369 Glossar 411 Anhänge 425 Anmerkungen 438 Bibliografie 494 Aristoteles Illustrieren 508 Danksagung 511 Register 513

Bei Erato

kēryx – Atlantische Tritonschnecke – Charonia variegata

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n der Altstadt von Athen gibt es einen Buchladen. Es ist der reizendste, den ich kenne. Er liegt in einer Gasse nahe der Agora, neben einem Geschäft, das Kanarienvögel und Wachteln in Käfigen verkauft, die an der Fassade festgebunden sind. Breite Jalousielamellen lassen Lichtstrahlen herein, die auf japanische Holzblockdrucke auf einer Staffelei fallen. Im Halbdunkel dahinter Kisten voller Lithografien und stapelweise topografische Karten. Terrakottakacheln und Gipsbüsten antiker Philosophen und Dramatiker dienen als Buchstützen. Es duftet nach warmem, altem Papier und türkischem Tabak. Die Stille wird nur vom gedämpften Trillern der Singvögel nebenan unterbrochen. Ich war schon so oft hier und es ändert sich hier so wenig, dass ich mich kaum daran erinnern kann, wann genau ich zum ersten Mal George Papadatos’ Buchladen betrat. Aber ich weiß noch, dass es im letzten Frühling der Drachme war, als Griechenland noch arm und billig war und man in Ellinikon landete, wo die klackernden Flugtafeln Istanbul, Damaskus, Beirut und Belgrad anzeigten und man sich immer noch fühlte, als sei man in den Osten gereist. George – strähniges graues Haar, mit dem Schmerbauch eines Büchermenschen – saß an seinem Schreibtisch und las ein altes französisches politisches Traktat. Vor vielen Jahren, erzählte er mir, hatte er in Toronto gelehrt, »aber in Griechenland gab es noch Poeten«. Er kehrte zurück und nannte sein Geschäft nach der lyrischen Muse. Ich überflog die Regale und sah Andrew Langs Odyssey und drei Bände von Jowetts Plato. Bücher, die einem Engländer gehört haben könnten, einem Lehrer vielleicht, der seinen Ruhestand in Athen verbrachte, von seiner Pension lebte und dort mit einem Sinnspruch von Kallimachos auf den Lippen starb. Wer immer er war, er hatte außerdem eine Reihe in sattem Blau hinterlassen, die kompletten Works of Aristotle Translated into English, herausgegeben von J. S. Smith und W. D. Ross und zwischen 1910 und 1952 veröffentlicht. Für die alten Philosophen hatte ich mich nie besonders interessiert, ich bin schließlich Wissenschaftler. Aber ich hatte Zeit und wollte die Ruhe des Ladens nicht so schnell wieder verlassen. Außerdem war mir der Titel des vierten Bandes der Reihe ins Auge gefallen: Historia animalium*. Ich öffnete ihn und las etwas über Muschelschalen.

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Ferner zeigen auch die Schalen selbst mancherlei Unterschiede. Die einen haben glatte Schalen, wie die Scheidenmuscheln, Miesmuscheln und die unter dem Namen Galakes bekannten Muscheln, andere haben raue Schalen, wie die Limnostrea, die Steckmuscheln, einige Herzmuschelarten und die Trompetenschnecken. Von den Letzteren haben manche gerippte Schalen, wie die Kammmuscheln und eine Herzmuschelart, andere ungerippte, wie die Steckmuscheln und eine Venusmuschelart.

Das Schneckenhaus, für mich immer die Schale, hatte im Sonnenlicht auf der Fensterbank eines Badezimmerfensters gelegen, begraben in Sedimentschichten des Rasiertalkums meines Vaters, scheinbar für alle Zeiten. Meine Eltern mussten es irgendwo an der italienischen Küste aufgesammelt haben, jedoch konnte sich niemand erinnern, ob es in Venedig, Neapel, Sorrento oder Capri gewesen war. Ein Sommersouvenir also aus der Zeit, als sie noch jung und frisch verheiratet waren; doch mein Begehren, dem solche Assoziationen gleichgültig waren, galt dem Objekt selbst: den schokoladenbraunen Flammen ihrer spiraligen Windungen, dem tiefen Orange ihrer Öffnung, der Milchigkeit ihres unerreichbaren Inneren. Ich kann sie so genau beschreiben, weil ich sie heute noch vor mir habe, obwohl es so viele Jahre her ist. Ein perfektes Exemplar einer Charonia variegata (Lamarck), wie sie in minoischen Fresken und in Sandro Botticellis Venus und Mars auftaucht. Die Trompete ägäischer Fischer, wettergegerbte Schalen mit einem Loch in der Spitze, sind heute noch an den Ständen von Monastiraki zu finden. Aristoteles kannte sie als keryx, was so viel heißt wie »Herold«. Es war die erste von vielen: Muschelschalen und Schneckenhäuser, offensichtlich unendlich vielfältig und doch einer tiefen formalen Ordnung von Formen und Farben und Strukturen gehorchend, die sich in Schuhkartons endlos neu sortieren ließen, bis mein Vater schließlich einsah, dass die Besessenheit mich nicht verlassen würde, und eine Vitrine bauen ließ, in dem alle Platz fanden. Eine Schublade für die glänzenden Kaurischnecken, eine für die aufregend giftigen Kegelschnecken, eine für die filigranen Murex, andere für die Olivenschnecken, die Marginella, die Wellhornschnecken, Konchas, Tonnenschnecken, Strandschnecken, Kahnschnecken, Turbanschnecken und Napfschnecken, mehrere für die Muscheln und zwei, mein ganzer Stolz, für die afrikanischen Landschnecken, riesige Kreaturen, die einer gemeinen Gartenschnecke kaum mehr ähnelten als ein Elefant einem Kaninchen. Die reinste Freude! Der heroische Beitrag meiner Mutter bestand darin, den

* Der traditionelle lateinische Titel. Auf Griechisch: Historiai peri ton zoon, auf Deutsch: Aristoteles Thierkunde (1868) bzw. Tierkunde (1957).

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Katalog mit der Schreibmaschine zu tippen – ich war Aronnax, sie mein Conseil, eine Expertin für die lateinische Hierarchie der Weichtier-Taxonomie, wenn auch ihr Wissen vollkommen theoretisch blieb, da sie kaum eine Art von der anderen zu unterscheiden wusste. In der Überzeugung, dass mein Beitrag zur Wissenschaft in umfassenden Weichtier-Monografien bestehen würde, die für die nächsten hundert Jahre (mindestens) der Weisheit letzter Schluss auf dem Gebiet der Achatinidae der afrikanischen Wälder sein würde oder vielleicht auch – da meine Aufmerksamkeit sich gern ablenken ließ – auf dem Gebiet der Buccindae des Nordpazifiks, ging ich mit achtzehn fort, um in einer Forschungsstation am Rand eines kleinen kanadischen Meeresarms Meeresbiologie zu studieren. Dort zeigte mir ein Meeresökologe, ein Furcht einflößender, Blaubart-ähnlicher Kerl, dessen ungestüme Ungeduld nur durch seine ebenso große Freundlichkeit in Schach gehalten wurde, wie man mit einer nadelspitz gefeilten Pinzette die reispapierartigen Gewebeschichten einer Schnecke voneinander löst und damit die strenge funktionelle Logik enthüllt, die darin verborgen liegt. Ein anderer, ein professoraler Cowboy-Ästhet – die Kombination erscheint unvereinbar, und doch war er wie aus einem Guss –, lehrte mich, richtig über die Evolution nachzudenken, und das heißt, über fast alles. Ich hörte eine Legende sprechen, einen Wissenschaftler, der Laotses hagere Wangen und seinen dünnen Bart hatte, von Kindheit an blind war und einen Teil der empirischen Welt entdeckt hatte, der erforscht werden konnte, ohne ihn zu sehen – die Form der Muschelschalen und Schneckenhäuser natürlich – und ihre Geschichten nur über die Berührung zu erzählen wusste. Es gab auch ein Mädchen dort. Es hatte windgerötete Haut und schwarzes Haar und konnte ein Festrumpfschlauchboot mit zwei 60-PS-Johnson-Außenbordern durch zwei Meter hohe Brandungswellen steuern, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. All das ist, wie gesagt, lange her. Die taxonomischen Monografien schrieb ich nie. Die Wissenschaft schickt einen immer auf vollkommen unvorhersehbare Wege, und als ich George Papadatos’ Buchladen betrat, hatte ich meine Schneckenhäuser schon lange weggelegt. Doch es kam alles zurück, als ich Aristoteles’ Ausführungen zu den Schalen und Gehäusen las und beim Weiterblättern über seine Beschreibung der inneren Anatomie der Lebewesen stolperte, die sie herstellen: An den Mund schließt sich unmittelbar der Magen an, welcher einem Vogelkropf ähnelt. Daran befinden sich unten zwei weiße, derbe, zitzenähnliche Körper, wie sie sich auch bei den Sepien finden, nur dass sie hier noch derber sind. Vom Magen aus geht eine einfache lange Speiseröhre bis zu der leberähnlichen Mekon, welche sich im Grunde der Schale befindet. Diese Teile zeigen

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sich bei den Purpurschnecken und den keryx in der Windung der Schale. Was sich an die Speiseröhre anschließt …

Vielleicht wundert es Sie, dass so unverblümte Worte Schönheit vermitteln können, aber für mich taten sie es. Es war nicht nur reine Nostalgie, obwohl diese sicherlich ihren Teil beitrug. Nein, es war vielmehr so, dass ich verstand. Ich verstand entgegen allen Erwartungen und Wahrscheinlichkeit, was er meinte. Er war offenbar zum Strand gegangen, hatte eine Schnecke aufgehoben, hatte sich gefragt: »Was steckt darin?«, hatte nachgesehen und hatte gefunden, was ich gefunden hatte, als ich 23 Jahrhunderte später dasselbe tat. Wir Wissenschaftler neigen ebenso wenig dazu, in den Seitenpfaden der Geschichte zu stöbern, wie wir uns metaphysischen Spekulationen hingeben. Wir sind von Natur aus fortschrittlich. Aber das war zu wunderbar, um es nicht zu beachten.

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as Gelände, das als Lyzeum bekannt war, lag direkt hinter Athens Steinmauern. Das Heiligtum, Apollon Lykeios gewidmet, dem Apollo der Wölfe, umfasste unter anderem ein militärisches Trainingsgelände, eine Rennbahn, mehrere Schreine und einen Park. Die Topografie ist nicht eindeutig. Strabo bleibt vage, Pausanias ist noch schlimmer und außerdem schrieb der eine darüber zwanzig Jahre, der andere zwei Jahrhunderte, nachdem der römische General Sulla den Ort dem Erdboden gleichgemacht hatte. Sulla hatte auch die alten Platanen abgehackt, die seine mäandernden Wege säumten, und Belagerungsgeräte aus ihrem Holz gezimmert. Als Cicero 97 v. Chr. den Ort besuchte, fand er nur ein Ödland vor. Sein Besuch war eine Hommage an Aristoteles, der hier über 200 Jahre zuvor einige Gebäude gemietet und seine Schule eröffnet hatte. Es hieß, dass Aristoteles gern auf den schattigen Wegen des Lyzeums wandelte und dabei redete. Er redete über die geeignete Grundordnung der Stadt: über die Gefahren der Tyrannei – und auch über die der Demokratie. Und darüber, wie die Tragödie durch Mitgefühl und Furcht eine reinigende Wirkung ausübt. Er analysierte die Bedeutung des Guten, to agathon, und sprach davon, wie der Mensch sein Leben verbringen sollte. Er gab seinen Schülern logische Rätsel zu lösen und verlangte dann, dass sie das Wesen der fundamentalen Realität neu überdenken sollten. Er redete in knappen Syllogismen und illustrierte

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ihre Bedeutung mit endlosen Listen von Dingen. Er begann seine Lektionen mit den abstraktesten Prinzipien und ging stundenlang ihren Konsequenzen nach, bis wieder ein Teil der Welt seziert und erklärt vor ihnen lag. Er erörterte die Gedanken seiner Vorgänger – die Namen Empedokles, Demokrit, Sokrates und Plato trug er ständig auf den Lippen – manchmal mit widerwilliger Anerkennung, häufig mit Verachtung. Er reduzierte die chaotische Welt auf eine Ordnung, denn wenn Aristoteles eins war, dann ein Systematiker. Seine Schüler sahen voller Ehrfurcht zu ihm auf und vielleicht auch mit etwas echter Furcht. Einige seiner Aussprüche legen eine spitze Zunge nahe: »Die Wurzeln der Erziehung sind bitter, aber die Frucht ist süß.« – »Gebildete Menschen sind den ungebildeten genauso überlegen wie die Lebenden den Toten.« Über einen konkurrierenden Philosophen sagte er: »Es wäre eine Schande für mich, still zu sein, solange Xenokrates noch spricht.« Es gibt auch eine Beschreibung von ihm, und keine besonders sympathische. Er sei ein Dandy gewesen, der eine Menge Ringe trug, sich etwas zu sorgfältig kleidete und viel Aufhebens um seine Frisur machte. Auf die Frage, warum die Menschen Schönheit in anderen suchen, antwortete er: »Das ist eine Frage, die nur ein Blinder stellen würde.« Es heißt, er hätte dünne Beine und kleine Augen gehabt. Vielleicht ist das alles nur Klatsch – die Athener Schulen befehdeten sich unaufhörlich und die Biografen sind unzuverlässig. Aber wir wissen, worüber Aristoteles sprach, denn wir haben seine Vorlesungsskripte. Darunter befinden sich auch die Arbeiten, die wie ein Gebirge über der Geschichte der westlichen Gedankenschule aufragen: Kategorien, De interpretatione, Analytica priora, Analytica posteriora, Topik, Sophistische Widerlegungen, Metaphysik, Eudemische und Nikomachische Ethik, Poetik, Politik. Diese Bücher, manchmal klar und didaktisch, oft undurchsichtig und rätselhaft, von Lücken durchsetzt und voller Redundanzen, haben Aristoteles’ Namen unsterblich gemacht. Dass wir sie haben, verdanken wir Sulla, der die Bibliothek eines Bibliophilen in Piräus plünderte und nach Rom brachte. Aber diese philosophischen Texte sind nur ein Teil – und nicht einmal der wichtigste Teil – von Aristoteles’ Werk. Unter den Büchern, die Sulla stahl, befanden sich mindestens neun, in denen es nur um Tiere ging. Aristoteles war ein intellektueller Allesfresser, ein Nimmersatt, wenn es um Informationen und Konzepte ging. Aber das Thema, das ihm am meisten am Herzen lag, war die Biologie. In seinen Arbeiten wird das »Studium der Natur« lebendig, wenn er die Pflanzen und Tiere beschreibt, die in all ihrer Vielfalt unsere Welt bevölkern.* Sicher, es hatten sich schon manche

* Aristoteles’ Formulierung lautet historia tēs physeōs, wozu auch die Biologie zählt.

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Philosophen und Ärzte vor ihm in der Biologie versucht. Aber Aristoteles widmete ihr einen großen Teil seines Lebens. Er war der Erste, der das tat. Er kartierte das Gelände. Er erfand diese Wissenschaft. Man könnte sogar behaupten, er erfand die Wissenschaft an sich. Im Lyzeum gab er einen umfassenden Kurs zur Naturwissenschaft. In der Einleitung zu einem seiner Bücher wird das Curriculum skizziert: zuerst eine abstrakte Darstellung der Natur, dann die Bewegung der Sterne, dann in rascher Folge Chemie, Meteorologie und Geologie und dann der größte Teil, eine Darstellung des Lebendigen – der Lebewesen, die er kannte, darunter wir. Seine zoologischen Arbeiten sind die Notizen für diesen Teil des Kurses. In einem Buch beschäftigte er sich mit dem, was wir vergleichende Zoologie nennen, in einem anderen mit funktioneller Anatomie, in zweien ging es darum, wie sich Tiere bewegen, in einem, wie sie atmen, zwei beschäftigten sich damit, warum sie sterben, und eins mit den Systemen, die sie am Leben halten. Eine Reihe von Vorlesungen drehte sich darum, wie Lebewesen sich im Mutterleib entwickeln und heranwachsen, sich fortpflanzen und den Vorgang erneut in Gang setzen – denn auch darüber schrieb er ein Buch. Es gab auch einige Bücher zu Pflanzen, aber wir kennen ihren Inhalt nicht. Sie gingen zusammen mit rund zwei Dritteln seiner Arbeiten verloren. Die Bücher, die wir haben, sind für Naturforscher ein reines Vergnügen. Viele der Lebewesen, über die er schreibt, leben im oder am Meer. Er beschreibt die Anatomie von Seeigeln, Seescheiden und Schnecken. Er betrachtet Sumpfvögel und beschreibt ihre Schnäbel, Beine und Füße. Delfine faszinieren ihn, weil sie Luft atmen und ihre Jungen säugen, aber dennoch aussehen wie Fische. Er erwähnt mehr als hundert verschiedene Fischarten und zählt auf, wie sie aussehen, was sie fressen, wie sie sich fortpflanzen, welche Geräusche sie von sich geben und welche Wege sie auf ihren Wanderungen zurücklegen. Sein Lieblingstier war ein merkwürdig intelligenter Wirbelloser: der Tintenfisch. Der Dandy muss also Fischmärkte geplündert und an Anlegeplätzen mit Fischern geplaudert haben. Doch der größte Teil von Aristoteles’ Wissenschaft ist ganz und gar nicht beschreibend, sondern besteht aus Antworten auf Hunderte von Fragen. Warum haben Fische Kiemen und keine Lungen? Flossen, aber keine Beine? Warum haben Tauben einen Kropf und Elefanten einen Rüssel? Warum legen Adler so wenige Eier, Fische so viele, warum sind Sperlinge so lüstern? Wie ist das überhaupt mit den Bienen? Und dem Kamel? Warum geht nur der Mensch aufrecht? Wie sehen, riechen, hören, fühlen wir? Wie beeinflusst die Umgebung das Wachstum? Warum sehen Kinder manchmal aus wie ihre Eltern und manchmal nicht? Was ist der Zweck von Hoden, Menstruation, Scheidenflüssigkeit, Orgasmen? Was verursacht Missgeburten? Was ist der wahre Unterschied zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen? Wie

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bleiben Lebewesen am Leben? Warum vermehren sie sich? Warum sterben sie? Das ist kein zaghafter Streifzug in ein neues Gebiet, es ist eine vollständige Wissenschaft. Vielleicht zu vollständig, denn manchmal scheint es, als hätte Aristoteles für alles eine Erklärung. Diogenes Laertios, der tratschende Biograf, der Aristoteles’ Aussehen beschrieb (fünf Jahrhunderte nach seinem Tod), schrieb: »Im Bereich der Naturwissenschaften übertraf er alle anderen Philosophen in der Untersuchung von Ursachen, selbst die unwichtigsten Phänomene wurden von ihm erklärt.« Seine Erklärungen durchdringen seine Philosophie. In gewisser Hinsicht ist seine Philosophie Biologie – wenn er nämlich seine Ontologie und Erkenntnistheorie nur entwickelt, um zu erklären, wie Tiere funktionieren. Man frage Aristoteles: Was existiert im Grunde genommen? Er würde nicht sagen, wie ein moderner Biologe es vielleicht tun würde: »Frag einen Physiker«, sondern er würde auf einen Tintenfisch zeigen und sagen: Das. Die Wissenschaft, die Aristoteles begann, ist groß geworden, aber seine Nachkommen haben ihn so gut wie vergessen. In einigen Bezirken von London, Paris, New York und San Francisco kann man keinen Stein werfen, ohne einen Molekularbiologen zu treffen. Aber fragt man ihn dann, nachdem man ihn niedergestreckt hat, was Aristoteles getan hat, erntet man bestenfalls ein verwirrtes Stirnrunzeln. Doch Gesner, Aldrovandi, Vesalius, Fabricius, Redi, Leeuwenhoek, Harvey, Ray, Linné, Geoffroy Saint-Hilaire père et fils und Cuvier – um nur einige von vielen zu nennen – haben ihn gelesen. Sie nahmen die Struktur seiner Gedanken in sich auf. Und so wurden seine Gedanken zu unseren Gedanken, selbst wenn wir nichts davon wissen. Seine Konzepte fließen wie ein unterirdischer Fluss durch die Geschichte unserer Wissenschaft und treten hier und da als Quelle zutage als scheinbar neue Ideen, die jedoch tatsächlich schon sehr alt sind.* Dieses Buch ist eine Erforschung der Quelle: die großartigen wissenschaftlichen Arbeiten, die Aristoteles schrieb und am Lyzeum lehrte. Großartig, aber auch rätselhaft, weil die Bedingungen seiner Gedankenwelt selbst so weit von uns entfernt sind, dass sie schwer zu verstehen sind. Er muss übersetzt werden – nicht nur ins Deutsche, sondern in die Sprache der modernen Wissenschaft. Das ist natürlich ein gefährliches Unterfangen: Stets lauert die Gefahr, ihn falsch zu übersetzen, ihm Ideen zuzuschreiben, die er gar nicht gehabt haben kann.

* »Man braucht die Lehren und Schriften der großen Meister des Altertums, eines Platon und Aristoteles, nicht zu kennen, man braucht ihre Namen nie gehört zu haben, und man steht darum doch nicht weniger im Bann ihrer Autorität.« – Theodor Gomperz (1911), Griechische Denker, Band 1, S. 422.

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Die Gefahr ist groß, wenn der Übersetzer ein Wissenschaftler ist. Wir geben im Allgemeinen schlechte Historiker ab. Uns fehlt die historische Veranlagung, die Vergangenheit in ihrer Eigenständigkeit zu begreifen. Weil wir so beschäftigt mit unseren eigenen Theorien sind, tendieren wir dazu, sie in allem wiederzuerkennen, was wir lesen. Der französische Wissenschaftshistoriker Georges Canguilhem formulierte es so: »Die Vereinbarung, Vorgänger zu suchen, zu finden und zu feiern, ist das deutlichste Symptom für einen Mangel an Begabung für die erkenntnistheoretische Kritik.« Der ad-hominem-Tonfall des Epigramms mag uns dazu verleiten, seine Wahrhaftigkeit zu bezweifeln. Es missachtet auch den Umstand, der jedem Wissenschaftler, wenn auch vielleicht nicht allen Historikern, geläufig ist, dass nämlich Wissenschaft tatsächlich kumulativ ist, dass wir wirklich Vorgänger haben und dass wir auch wissen sollten, wer sie waren und was sie wussten. Dennoch steckt ein Unbehagen verursachender Splitter Wahrheit darin. All dies sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man dieses Buch liest. Doch ich will auch eine Verteidigung wagen, eine apologia des Wissenschaftlers, wenn man so will. Aristoteles’ großes Thema war die lebendige Welt in all ihrer Schönheit. Es scheint daher möglich, einen Gewinn daraus zu ziehen, wenn man ihn wie einen Biologen liest. Schließlich sind unsere Theorien nicht nur durch die Abstammung miteinander verknüpft, sondern auch durch die Tatsache, dass sie dieselben Phänomene zu erklären versuchen. Es könnte also tatsächlich sein, dass sie sich von unseren gar nicht so sehr unterscheiden. Im 20. Jahrhundert begann eine Generation großer Gelehrter, Aristoteles’ biologische Arbeiten nicht als Naturgeschichte, sondern als Naturphilosophie zu untersuchen. David Balme (London), Allan Gotthelf (New Jersey), Wolfgang Kullmann (Freiburg), James Lennox (Pittsburgh), Geoffrey Lloyd (Cambridge) und Pierre Pellegrin (Paris) schenkten uns einen neuen, aufregenden Aristoteles. Ihre Entdeckungen tauchen auf jeder Seite dieses Buches auf (auch wenn jeder von ihnen mit einem Großteil des Buches nicht einverstanden sein wird oder gewesen wäre, nicht zuletzt, weil sie untereinander so häufig verschiedener Meinung waren). Daher beanspruche ich hier auch keine besondere Originalität. Ich stelle mir jedoch gern vor, dass ein Wissenschaftler, und sei es nur gelegentlich, in Aristoteles’ Schriften etwas sehen kann, das die Philologen und Philosophen übersehen haben. Denn manchmal gehen seine Worte jedem Biologen direkt zu Herzen, wenn er uns zum Beispiel sagt, warum wir Lebewesen studieren sollten. Wir müssen ihn uns in den marmornen Säulengängen des Lyzeums vorstellen, wie er zu einer Gruppe aufsässiger Schüler spricht. Er deutet auf einen Haufen tintenfleckiger Tintenfische hin, die in der attischen Sonne verwesen. Sucht euch einen aus, sagt er, schneidet ihn auf, öffnet ihn, seht hin. »…?«

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Verzweifelt versucht er, es ihnen zu erklären: Wir sollten nicht wie Kinder mit Abscheu auf die Untersuchung von weniger hohen Tieren reagieren. Es steckt etwas Ehrfurchtgebietendes in allen natürlichen Dingen. Man erzählt sich, dass Fremde einmal Heraklit sehen wollten. Sie kamen näher, sahen aber, dass er sich am Ofen wärmte. »Sorgt euch nicht!«, sprach er. »Kommt herein! Hier drinnen gibt es auch Götter.« Ähnlich sollte man sich der Forschung an Tieren jeder Art ohne Zögern nähern. Denn jedem wohnt etwas Natürliches und Schönes inne. Nichts ist zufällig in der Natur: Schlichtweg alles dient etwas anderem zu einem bestimmten Zweck. Der Zweck, aus dem jedes Ding entstanden ist oder entstehen wird, verdient seinen Platz unter dem, was schön ist.

Gelehrte nennen es »Die Einladung zur Biologie«.

sēpia – Gewöhnlicher Tintenfisch – Sepia officinalis

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Die Insel

Kisthos – Zistrose – Cistus sp.

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III

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anz klar ist die Sache nicht. Wie kam Aristoteles zur Biologie? Wie erfindet man überhaupt eine Wissenschaft? Als Erster erzählte D’Arcy Wentworth Thompson die Geschichte. Oder zumindest sorgte er für das chronologische und geografische Gerüst. Im hohen Alter wurde er mit Über Wachstum und Form berühmt, dem exzentrischen, wunderbaren Buch, das er über das Thema schrieb, warum Lebewesen die Form haben, die sie haben. Aber 1910 war Thompson ein dilettantischer Versager. In Cambridge hatte er brillante Leistungen erbracht und war mit nur 24 Jahren an den Lehrstuhl für Zoologie am University College Dundee berufen worden. Er war unermüdlich in seiner Arbeit, lehrte, hielt Vorträge für das einfache Volk, schrieb Leserbriefe an den Dundee Courier, sammelte Ausstellungsstücke für ein zoologisches Museum (ein Schnabeltier war sein besonderer Triumph), reiste an die Beringsee, um die Robbenfischerei zu erforschen, und reichte philologische Notizen in der Classical Review ein – doch er veröffentlichte kaum wissenschaftliche Forschungsarbeiten. Als er 28 war, riet ihm sein alter Tutor aus Cambridge eindringlich, endlich Wissenschaft zu betreiben, bevor es zu spät sei. Als er 38 war, schrieb ihm ein anderer Freund aus Cambridge: »Ich möchte dir nahelegen, von nun an mehr wissenschaftliche Arbeiten vorzulegen.« Thompson quälte sich und veröffentlichte 1895 seine Arbeit A Glossary of Greek Birds, in der er alle Vögel einordnete und identifizierte, die in den alten griechischen und ägyptischen Texten erwähnt wurden. Seine Kollegen waren wenig beeindruckt. Also brachte Thompson 1910 auch noch eine Übersetzung von Aristoteles’ Historia animalium heraus. In Thompsons Händen erlangt Aristoteles’ gequälte Prosa eine zurückhaltende Erhabenheit: »Alle lebend gebärenden Vierfüßer sind sodann mit einer Speiseröhre und einer Luftröhre ausgestattet, an derselben Stelle wie im Menschen; dasselbe gilt für Eier legende Vierfüßer und Vögel, nur dass bei Letzteren eine Verschiedenartigkeit in der Form dieser Organe festzustellen ist.« Oder: »Bei den Eier legenden Fischen ist der Vorgang der Begattung der Beobachtung weniger zugänglich.« Oder: »An vielen Orten ist das Klima für bestimmte Besonderheiten verantwortlich; so ist der Esel in Illyrien, Thrakien und Epirus klein …« Thompson wandte sein zoologisches Wissen an, um die Lebewesen zu identifizieren, die Aristoteles beschrieb. In Arabien, so Aristoteles, gibt es eine

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Maus, die viel größer ist als unsere Feldmaus, »die Hinterbeine eine Spanne lang und die Vorderbeine von der Länge des ersten Fingerglieds«. »Dies«, schreibt Thompson in einer Fußnote, »ist eine Springmaus, Dipus aegyptiacus, oder eine verwandte Art« – was die Ausführungen sofort klarer macht. Stellenweise drohen seine Anmerkungen den Text zu erdrücken: »Bei ῥιvόβατος handelt es sich vermutlich um die moderne Gattung Rhinobatus, die Squatinoriaia Willughbys und anderer älterer Autoren, darunter R. columnae, sowie andere Arten, die auf den griechischen Märkten häufig anzutreffen sind. ῥίνη ist wahrscheinlich der Engelhai Rhina squatina (Squatina laevis, Cuv.), der selbst irgendwo zwischen den Haien und den Rochen steht.« (Jahre später sollte Thompson ein Pendant zu A Glossary of Greek Birds mit dem Titel A Glossary of Greek Fishes veröffentlichen.) Wie Thompson schreibt, und man liest hier eine Spur Verzweiflung heraus: »Aristoteles’ Wissen der Naturkunde zu annotieren, zu illustrieren und zu kritisieren ist eine endlose Aufgabe …« Die wichtigsten Zeilen in Thompsons Historia animalium stehen in der Einleitung. Sie kommen mit so wenig Brimborium aus, dass sie leicht zu überlesen sind: Ich glaube, es lässt sich zeigen, dass Aristoteles sein Studium der Naturkunde wenigstens größtenteils im mittleren Lebensalter durchführte, zwischen seinen beiden Aufenthalten in Athen, und dass die von Land umgebene Lagune in Pyrrha zu seinen liebsten Jagdgebieten zählte.

Pyrrha, so Thompson weiter, befand sich auf der ägäischen Insel Lesbos.*

IV

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m Westen verströmt Lesbos die nüchterne Klarheit der Kykladen. Die Landschaft ist eine Komposition aus Rot, Ocker und Schwarz. Verantwortlich für die Farben ist vulkanisches Tuffgestein, erodierte Pyroklasten und Basalte, die vor 20 Millionen Jahren bei Vulkanausbrüchen entstanden. Die spärliche Pflanzendecke besteht aus der dornigen xerophytischen Fauna der ägäischen Phrygana, inmitten derer ein paar dürre Schafe zwischen Steinmauern zu grasen versuchen, die sich in geometrischen Gittern über die

* Meine lesviotischen Freunde mögen mir nachsehen, dass ich die Insel »Lesbos« nenne und nicht »Lesvos« nach ihrem offiziellen heutigen Namen, da sie Aristoteles in dieser Form bekannt war und auch den meisten Lesern so bekannt sein dürfte.

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Berghänge ziehen. Im Osten jedoch ist die Insel üppig und grün. Über die Hänge des Olympos, einem Bergmassiv aus Schiefer, Quarzit und Marmor, ziehen sich Eichenwälder (Quercus ithaburiensis macrolepis und Q. pubescens) und in den größten Höhen finden sich dichte Bestände von Edelkastanien und harzreichen Kalabrischen Kiefern. Wasserschildkröten und Aale schwimmen in den Flüssen und Störche nisten in den Kaminen verlassener OuzoFabriken. Im Frühling leuchtet in den Tälern die seltene asiatische Gelbe Azalee (Rhododendron luteum) und Teppiche aus Mohnblumen bedecken die Böden der Olivenhaine in den Ebenen. Dank ihrer Lage zwischen der europäischen und der asiatischen Landmasse mischt sich auf der Insel die Flora aus beiden Kontinenten und ist daher außergewöhnlich artenreich. 1899 beschrieb der griechische Botaniker Palaiologos C. Cantartzis 60 neue endemische Arten in seiner La végétation de l’île de Lesbos (Mytilène, Université de Paris, Sorbonne). Fast alle sind ungültig, aber selbst seine konservativeren Nachfolger zählen 1400 Pflanzenarten, darunter 75 Orchideen. Kolpos Kalloni trennt die beiden Welten. Der 22 Kilometer lange und zehn Kilometer breite Wasserkörper liegt durch eine schmale, gewundene Meerenge geschützt vor dem offenen Meer und teilt die Insel fast in zwei Hälften. Er wird häufig als Lagune bezeichnet, tatsächlich handelt es sich aber um ein Binnenmeer der Art, die von den Ozeanografen als bahira bezeichnet wird. Er gehört zu den nährstoffreichsten Wasserkörpern in der östlichen Ägäis. Die Flüsse aus den umgebenden Hügeln tragen die Nährstoffe ein und versorgen so das Phytoplankton mit Nahrung, das im Vorfrühling das Wasser grün färbt. Die Seegraswiesen in den flachen Teilen dienen Brachsen, Barschen und Schwimmkrabben als Kinderstube. Die sanften Hänge seines schlammigen Bettes werden nur von uralten Austernriffen unterbrochen – erwähnt man jedoch Kalloni im Gespräch mit einem Griechen, wird er von seinen Sardinen schwärmen, die am besten gesalzen schmecken und mit Ouzo Plomari hinuntergespült werden. Das Salz stammt aus der Fabrik am nördlichen Ende der Lagune. Ein Labyrinth aus Kanälen leitet das Salzwasser in immer höheren Konzentrationen von Pfanne zu Pfanne. In den gesättigten Lösungen bilden sich große Kristalle auf Ästen und Steinen, die unter Teppichen von Europäischem Queller und Strandflieder glitzern. In den innersten Pfannen wird das Salz zu einer rauen, öden Decke, die dann aufgebrochen und zu gewaltigen weißen Pyramiden angehäuft wird. Rostige Geräte stehen überall herum, sind jedoch selten im Einsatz zu sehen – die Salzernte ist ein ruhiges Geschäft. Die Ökologie der Salzpfannen ist sehr einfach. Salzliebende Algen werden von Salinenkrebsen und Salzfliegenlarven gefressen, die ihrerseits von Schwärmen von Rosaflamingos, Stelzenläufern und einer Vielzahl von Schnepfenvögeln und Regenpfeifern aus dem Wasser gesiebt und gepickt werden. Nur

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ein Fisch, der Zebrakärpfling Aphanius fasciatus, kann in der bitteren, heißen Salzbrühe leben und wird von den Schwarzstörchen und Braunen Sichlern gefressen, die durch die Kanäle waten, sowie von mehreren Seeschwalbenarten, die vom Himmel herabstoßen. Im Frühling und im Herbst sind die Salzpfannen und die umliegenden Sümpfe ein Ruheplatz für Tausende von Zugvögeln auf der Reise zwischen Afrika und dem Norden.

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ristoteles ist weder Geograf noch Reiseschriftsteller, aber erstaunlich viele Passagen in seinen Arbeiten beziehen sich auf Kalloni, das er als Pyrrha kannte, nach einer Stadt an seinem östlichen Ufer. Die Häufigkeit dieser Passagen brachten D’Arcy Thompson auf seine Vermutung, dass Aristoteles hier einen großen Teil seiner biologischen Forschungen betrieb. Viele davon finden sich in seiner großen Abhandlung zur komparativen Zoologie, Historia animalium. Sie erzählen von den Tieren, die die Lagune bewohnen. Eine Zusammenfassung dieser Passagen zu einem biologischen Baedeker würde sich etwa so lesen: Die Fische von Lesbos laichen in der Lagune bei Pyrrha. Einige der Fische – hauptsächlich die Eier legenden – schmecken im Frühsommer am besten, andere – Meeräschen und die Knorpelfische – im Herbst. Im Winter ist die Lagune kälter als das offene Meer; daher schwimmen die meisten Fische bis auf die Meergrundel aus der Lagune fort und kehren erst im Sommer wieder. Die weiße Meergrundel ist kein Meeresfisch, ist aber ebenfalls dort zu finden. Weil es im Winter keine Fische gibt, bleibt mehr Nahrung für die essbaren Seeigel der Meerenge – deshalb sind sie dann besonders reich an Rogen und wohlschmeckend, wenn auch klein. Es gibt Austern in der Lagune. (Einige Bewohner von Chios kamen nach Lesbos herüber und versuchten, sie in die Gewässer um ihre eigene Insel umzusetzen.) Einst gab es auch zahlreiche Jakobsmuscheln, aber Schleppnetze und Trockenheit haben sie verschwinden lassen. Die Fischer sagen auch, dass die Seesterne nahe dem Eingang zur Lagune besonders lästig seien. Obwohl die Lagune so viele Lebensformen beherbergt, ist eine Reihe von Arten dort nicht zu finden: Papageifische, Alosinae, Dornhaie. Auch keiner der anderen leuchtend bunten Fische ist dort anzutreffen, genauso wenig wie Langusten, der Gemeine Krake oder der Moschuskrake. Die Murex-Schnecken von Lectum, einem Festlandkap gegenüber Lesbos, sind von besonderer Größe.

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kobios – Grundel – Gobius cobitis

So geschrieben, zeichnen Aristoteles’ Bemerkungen über die Lagune und ihre Lebewesen ein Porträt der Lagune, wie sie vor 23 Jahrhunderten aussah, vielleicht das älteste Porträt eines Naturortes, das wir haben.* Heute ist kaum noch etwas von der alten Stadt Pyrrha übrig – Strabo schreibt, sie wurde zerstört (durch ein Erdbeben im 3. Jahrhundert v. Chr.) –, aber die Biologie stimmt noch immer. Die Lagune ist heute noch reich an Austern, allerdings werden sie inzwischen tonnenweise nach Nordeuropa exportiert. Bis vor Kurzem gab es dort auch noch Jakobsmuscheln. Tatsächlich beklagte sich ein Fischer bei uns, dass es früher Jakobsmuscheln am Eingang zur Lagune gab, dass aber die Schleppnetzfischerei sie vor zwanzig Jahren fast vollständig ausgelöscht hätte. Offenbar unterlag die Jakobsmuschelpopulation von Kalloni in den letzten 23 Jahrhunderten einigen Schwankungen und die Einheimischen haben sich schon immer darüber beschwert. Die Fischer bestätigen auch, dass die Fische jährlich zum Laichen in die Lagune und wieder hinaus wandern, dass es dort aber keine Papageifische, Alosinae oder Dornhaie gibt. Einiges hat sich seit Aristoteles’ Zeit jedoch auch verändert in der Lagunenfauna. Damals gab es keine Kraken, heute hingegen schon – ich habe selbst mehrere gefangen und gegessen. Und trotz ihrer Auffälligkeit erwähnt Aristoteles die Flamingos nicht – weil sie erst vor einigen Jahrzehnten in die Lagune zogen.

* Wenn Aristoteles das Meer bei Pyrrha nennt, meint er gewöhnlich die euripos oder »Meerenge«, den Eingang zur Kolpos Kolloni. Die Lagune selbst wird treffender beschrieben als limnothalassa oder »Seemeer«.

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ber alle Griechen interessierten sich für Fische. Schon als Aristoteles im Lyzeum Vorlesungen zu Fischen und ähnlichen Lebewesen hielt, arbeitete auf Sizilien ein gewisser Archestratos an einem Buch über sie in Versform. Darin ging es ausschließlich darum, wann und wo man sie am besten fängt und wie man sie anschließend am besten zubereitet. Wenn man ins Land von Ambrakia (West-Griechenland) komme, mahnte Archestratos, müsse man einen »Eberfisch« (Wels) kaufen, auch wenn er sein Gewicht in Gold koste! Aber die Jakobsmuscheln kaufe man lieber auf Lesbos, die Muränen aus den Meerengen von Italien und den Thunfisch aus Byzanz (in Scheiben schneiden, mit Salz bestreuen, mit Öl bestreichen, backen und heiß verzehren). Er betitelte sein Buch mit Leben im Luxus. Für die Griechen gehörten Fische zum Geltungskonsum: weniger Gegenstand von Philosophie als Gegenstand der Begierde. Was bringt also einen Mann dazu, seinen Fisch nicht zu essen, sondern ihn zu sezieren?

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icht, dass es vor Aristoteles keine Wissenschaft – oder zumindest Naturphilosophie – gegeben hätte, denn davon gab es reichlich. Zum Zeitpunkt seiner Geburt waren an den Küsten Anatoliens und Italiens philosophische Schulen, die sich eingehend mit dem Verständnis des Wesens der physikalischen Welt beschäftigten, entstanden und wieder vergangen. Die Griechen nannten diese Philosophen physiologoi, wörtlich »die über die Natur berichten«. Viele von ihnen waren kühne Theoretiker. Sie liebten Systeme, die mit pauschalen Begriffen den Ursprung der Welt erklärten, ihre mathematische Ordnung, das Material, aus dem sie besteht, und die Gründe, warum sie so viele verschiedene Dinge enthält. Andere waren Empiriker, die versuchten, den Himmel oder die Intervalle von Tonleitern zu vermessen. In ihren Schriften finden sich einige Zutaten der modernen Wissenschaft, auch wenn sie selten erahnen lassen, ob sie ihre Theorien anhand der Beobachtungen überprüften, die sie machten. Ihre Erklärungen zielten eher auf natürliche als auf göttliche Kräfte ab.

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Ein Vergleich zweier Beinahe-Zeitgenossen macht den Wandel im Denken deutlich. Für den Mythografen Hesiod (bl.* 650 v. Chr.) sind Erdbeben die Folge von Zeus’ Zorn; für den ersten der Naturphilosophen, Thales von Milet (bl. 575 v. Chr.) sind sie das Ergebnis der instabilen Lage der Erde, die auf einer Wasserfläche dahintreibt und gelegentlich von Wellen in Aufruhr versetzt wird. Der Unterschied könnte nicht deutlicher sein: auf der einen Seite eine Erklärung, die übernatürliche Wesen unergründlicher Altertümlichkeit heraufbeschwört, auf der anderen eine Erklärung, die auf rein physikalischen Kräften basiert – unabhängig davon, dass sie falsch ist. Und doch ist der Vergleich nicht das, was er zu sein scheint. Zum einen können wir nicht sicher sein, dass es sich wirklich um Thales’ Theorie handelt.** Keiner seiner Texte hat die Zeiten überdauert; nach allem, was wir wissen, könnte er gar keine geschrieben haben. Seneca der Jüngere berichtet in seinen Naturwissenschaftlichen Untersuchungen über die Erdbebentheorie. Da er sie etwa 500 Jahre nach Thales’ Tod schrieb und nicht viel zu seinen Quellen angibt, können wir uns fragen, ob Seneca – oder wir – überhaupt irgendeine Vorstellung davon hatte, was Thales wirklich über Erdbeben oder etwas anderes dachte, obwohl ihm tatsächlich übereinstimmend nachgesagt wird, er hätte 585  v.  Chr. eine Sonnenfinsternis vorhergesagt. Dasselbe gilt für einen großen Teil der übrigen frühen – »vorsokratischen« – griechischen Denker. Der gesamte Korpus ist uns in Fragmenten überliefert, die in den Texten späterer Denker begraben liegen. Diesen wiederum muss man unterstellen, dass sie nicht selten mit ihren Zitaten recht freizügig umgingen oder sie gar frei erfanden. Gelehrte nennen diese Texte »doxografisch« und sie sind ihnen Freud und Leid zugleich. Freilich lassen sich ausreichend Fragmente sammeln und wiederherstellen, um dicke Bücher zu füllen. Und diese Fragmente erzählen tatsächlich von einem neuen philosophischen Geist im Griechenland des fünften Jahrhunderts. Aber Unterscheidungen, die für uns heute ganz offensichtlich sind, etwa zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft, zwischen Philosophie und Mythos, waren es vor zwei Jahrtausenden und mehr noch nicht. In seiner Metaphysik gibt Aristoteles, selbst eine unerschöpfliche Quelle von Fragmenten, einen Überblick über das, was frühere Denker über die »Grundursachen« der Welt gesagt hatten. Er ordnet Thales die Theorie zu, dass alles vom Wasser abstammt. Das ist eine vollkommen vernünftige, wenn auch etwas ungenaue, Vorstellung, die eine eigenständige Diskussion verdient. * bl. = blühte; wenn weder Geburts- oder Todesdatum bekannt ist, der Zeitraum des Auftretens jedoch belegt ist. ** Für die Beschreibung von Thales’ Ansichten benutzt Aristoteles Begrifflichkeiten, die erst nach Thales’ Tod erfunden wurden (z. B. archē – Ursprung oder Prinzip). Allein daraus ergibt sich schon eine gewisse Unsicherheit, ob wir wirklich wissen, was Thales tatsächlich meinte.

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Aristoteles nimmt sie vor – und verwirft sie. Und, fährt er fort, einige glauben, dass Thales’ Ansichten sehr denen der »Männer in der fernen Vergangenheit (weit vor der jetzigen Generation)« ähneln, »die erstmals von den Göttern berichteten«. Hier stutzen wir plötzlich. Ja, die Mythen sind vielleicht alt, aber doch nicht so alt, dass sie in einer hochspezifischen Diskussion darüber, woraus die Welt grundsätzlich besteht, nicht vorgebracht werden dürften. Und dann, wenige Abschnitte später, nachdem er Thales in einen Topf mit den Vorvätern geworfen hat, beschließt Aristoteles, ein wenig Hesiod zu analysieren – »Siehe, vor allem zuerst ward Chaos; aber nach diesem ward die gebreitete Erd’, ein dauernder Sitz den gesamten Ewigen« – und zu prüfen, ob sich darin etwas Wissenschaftliches verbirgt. Hesiod mag ein Mythograf gewesen sein, aber für Aristoteles ist er trotzdem einen flüchtigen Blick wert. Und das ist das Problem, wenn man den Naturalismus zum Kennzeichen der vorsokratischen Gedankenwelt macht. Die physiologoi »lassen« nicht immer »die Götter beiseite«; das Göttliche lauert in der Regel immer noch irgendwo in ihren Kosmologien. Als sie fragten: »Was ist der Ursprung der Welt?«, gaben einige von ihnen Antworten, die so kreationistisch waren wie die eines Christen, andere wiesen auf abstraktere Kräfte hin wie die Liebe selbst, wieder andere waren überzeugte Materialisten und hielten die Welt für selbstorganisiert. Von Hesiod bis Demokrit tritt der Schöpfer vor, zieht sich zurück oder macht es sich manchmal auch einfach gemütlich und sinnt über sich selbst nach. Vielleicht also sind das, was die physiologoi als frühe Wissenschaftler ausmacht, nicht so sehr ihre naturalistischen Erklärungen für die Geheimnisse, die die Welt präsentiert, sondern die rationalen. Sie glaubten, dass man Weisheit nicht einfach empfangen muss, sondern dass man Konzepte diskutieren und gegebenenfalls auch verwerfen sollte. Sie stritten untereinander und mit denen, die vor ihnen da gewesen waren, sie brannten für ihre Ideen. Man höre nur, wie Heraklit (bl. 500 v. Chr.) einige seiner Vorgänger bewertet: »Großes Wissen lehrt noch keine Einsicht, denn sonst hätte es Hesiod und Pythagoras und auch Xenophanes und Hekataios gelehrt.« Gemein – und unverkennbar ist hier ein Intellektueller am Werk. Die meisten physiologoi hatten kein großes Interesse an der Biologie. Empedokles (um 492–432 v. Chr.) war eine Ausnahme. Der Sizilianer adliger Herkunft war ein Redner, Dichter, Politiker, Heiler und charismatischer Seher. In den ersten Zeilen seines religiösen Gedichts Reinigungen stellt er sich als unsterblichen Gott vor und beschreibt, wie Tausende zu ihm strömen, wenn er in eine Stadt kommt, und Heilungen und Orakel von ihm verlangen – Bitten, denen er bei mindestens einer Gelegenheit nachkam, indem er die Toten erweckte. Also ein Jesus mit Ego oder ein Zarathustra mit Attitüde, aber er

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war auch ein unglaublich einflussreicher Naturphilosoph, der Über die Natur verfasste, mehrere tausend Zeilen in Versform, in denen sich unter anderem eine Kosmogonie, eine Zoogonie, eine mechanistische, wenn auch unplausible, Theorie über die Atmung und eine Vier-Elemente-Chemie finden, die Aristoteles später übernehmen sollte. Empedokles’ Biologie spiegelte die medizinischen Überlieferungen und Praktiken seiner Zeit wider. Dasselbe galt für sein Verlangen nach Magie und Mystizismus. Doch während er noch in Sizilien herumsprang und vor staunenden Menschenmengen Wunderheilungen vollbrachte, ging auf der anderen Seite des Mittelmeers Hippokrates (bl. 450 v. Chr.?) zur Schule. Auf der Plateia der Stadt Kos steht eine uralte, knorrige Platane, unter der – so behauptet es jedenfalls die Tafel – der erwachsene Hippokrates einst saß und Heilmittel und Weisheiten verteilte. Es kann nicht derselbe Baum sein, aber andererseits stammen die medizinischen Schriften, die Hippokrates zugeschrieben werden, wahrscheinlich auch nicht von ihm. Teile des Corpus Hippocraticum, ein Potpourri aus rund sechzig Schriften, sind alt genug, um von ihm oder seinen Schülern geschrieben worden zu sein, andere jedoch datieren etwa aus dem ersten Jahrhundert nach Christus. Die meisten sind nüchterne, professionelle Texte, die naturalistische Erklärungen für Krankheiten liefern. Bei einigen handelt es sich um einfache Fallstudien, andere dagegen sind intellektuell anspruchsvoller. Der Autor von Über das Fleisch schreibt, er wolle »erklären, wie der Mensch und die anderen Tiere geformt werden, also zustande kommen, was die Seele ist, was Gesundheit und Krankheit sind, was das Schlechte und das Gute im Menschen sind und was zum Tod führt«. Tief schürfend oder banal, jedenfalls unterscheiden sie sich sehr von Empedokles’ Ergüssen. Folgendes sagt »Hippokrates« über das Heilen akuter Krankheiten: Häufig findet man in solchen Fällen »Oxymel« [Sauerhonig] als Trank äußerst hilfreich. Er hilft, das Sputum heraufzubringen, und fördert die Atmung. Am besten wendet man ihn unter den folgenden Bedingungen an: Mit viel Säure ist er besonders wirkungsvoll in Fällen, bei denen das Sputum schwierig abzuhusten ist. Indem er das Sputum schmiert, erleichtert er das Abhusten und reinigt so die Luftröhre wie mit einer Feder. Dies beruhigt die Lunge und bringt Erleichterung. Und wenn er zusammen mit anderen Maßnahmen diese Wirkungen erbringt, muss er viel Gutes tun.

Und hier Empedokles’ Ansatz: Alle Heilmittel, die es geben mag, Schutz gegen Übel und Alter / wirst du allein kennen; ich werde dafür sorgen, dass du sie alle kennst. / Du wirst

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den Winden Einhalt gebieten, ihrem unermüdlichen Herabstoßen / auf das Land, ihrem wirbelndem Atem, der mit dörrender Kraft die Felder streift. / Auch wirst du, wenn du es willst, ebenso starke Wirbel heraufbeschwören … / Selbst aus dem Hades wirst du Menschen emporholen, deren Kraft über die Zeit dahingeschwunden ist.

Aristoteles hätte Empedokles’ Stil »unreifes Gestammel« genannt. Es hat vielleicht den Anschein, dass Aristoteles, um ein Wissenschaftler zu werden, nur eine Verbindung zwischen den forschenden, missmutigen physiologoi und den hartnäckigen empirischen Medizinern stiften musste. Und genau das hat er auch getan. Dass es ihm jedoch gelang, ist der Kraft seines Geistes zu verdanken.

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ber Aristoteles’ Leben ist wenig mit Sicherheit bekannt. Die alten Quellen, etwa ein Dutzend, entstanden Jahrhunderte nach seinem Tod und widersprechen sich häufig. Sie wurden im Zuge der Übertragung durcheinandergebracht, sind gespickt mit Klatsch und verzerrt durch die Ansichten rivalisierender Philosophenschulen und über die Jahrhunderte haben Gelehrte sie auf der Suche nach dem Menschen hinter den Arbeiten wieder und wieder durchgekaut. Die Ergebnisse sind mager; die unstrittigen Tatsachen passen auf eine Seite. Er wurde 384 v. Chr. in Stagira geboren, einer Küstenstadt nicht weit vom heutigen Thessaloniki. Sein Vater Nicomachus gehörte zu den Asklepiaden, war also teils Priester, teils Arzt. Kein gewöhnlicher Quacksalber, sondern Leibarzt von König Amyntas III. von Makedonien. Das ist allerdings weniger beeindruckend, als es klingt. Makedonien war ein halb barbarischer Hinterwäldlerstaat mit einem entsprechenden Hof. Mit 17 wurde Aristoteles in die Platonische Akademie nach Athen geschickt. Er blieb fast zwanzig Jahre dort, erst als Schüler und dann als Lehrer. Als der halbwüchsige Aristoteles nach Athen kam, um zu Platons Füßen zu sitzen, war die erst zwei Jahrhunderte alte Tradition der Naturphilosophie bereits tot. Und zwar im wörtlichen Sinn: Demokrit von Abdera, der letzte und größte der physiologoi, war erst ein paar Jahre zuvor gestorben. Jahre später sollte Aristoteles in Demokrit einen gewaltigen Gegner sehen, eine Kontrastfigur, an der er die Beständigkeit seines eigenen Systems prüfen konnte. Demokrit, sagt Aristoteles, machte Fortschritte. »Doch [noch] zu seiner Zeit gaben

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die Menschen auf, die Natur zu erforschen, und die Philosophen wandten ihre Aufmerksamkeit der Politik und praktischer Güte zu.« Er sprach von Sokrates. Sokrates (469–399 v. Chr.) war ein Steinmetz mit einer Schwäche für spekulative Gedankengänge. Als junger Mann liebte er die Naturphilosophie. Zumindest lässt Platon ihn das im Phaedo sagen. Er sann über den Ursprung des Lebens nach, die physikalische Grundlage des Denkens und die Bewegungen des Himmels. Seine Mühen waren vergebens. Er folgte, oder versuchte es jedenfalls, den Argumenten der physiologoi, erst diesem, dann jenem, aber zum Schluss war er nur verwirrt. War 1 + 1 = 2? Wenn er fertig war, wusste er es nicht mehr mit Sicherheit zu sagen. Er war, schlussfolgerte er, »einzigartig ungeeignet für diese Art der Erforschung«. Außerdem, so schien es ihm, gaben die physiologoi nie die richtigen Antworten – oder stellten auch nur die richtigen Fragen. Wenn sie erklärten, warum die Erde flach oder rund oder von welcher angenommenen Form auch immer war, hätten sie vielmehr erklären sollen, warum es so am besten ist. Aber das taten sie nie. Stattdessen beriefen sie sich auf »Naturen« – und die liefern gar keine kausalen Erklärungen. (»Man stelle sich nur vor, man könne nicht unterscheiden zwischen der Ursache von etwas und der Bedingung, ohne die es keine Ursache sein könnte!«) Desillusioniert vom bemerkenswerten fehlenden Interesse der physiologoi an der Erörterung, warum das Universum gut war, wandte Sokrates sich vom Studium der natürlichen Welt ab. Xenophon erzählt: Anders als die meisten anderen erörterte Sokrates nicht die Natur des Universums und untersuchte nicht den Zustand dessen, was Intellektuelle den Kosmos nennen, oder die notwendigen Merkmale, um Himmelsphänomene entstehen zu lassen. Stattdessen argumentierte er, dass diejenigen, die über solche Dinge spekulierten, ihre Zeit vergeudeten. Er würde zuallererst die Frage stellen, ob diese Art von Spekulationen auf einer Überzeugung basierten, dass sie die menschlichen Angelegenheiten bereits gründlich begriffen hatten. Dachten sie wirklich, es sei angebracht, ihre Untersuchungen zulasten des Menschlichen auf das Göttliche zu konzentrieren?

Die physiologoi mit ihrer Fülle an gegenseitig unschlüssigen Theorien nannte er »Verrückte«. Auch waren sie für ihn Sozialparasiten: Noch etwas störte ihn an diesen Menschen. Diejenigen, die menschliche Belange studieren, sagte er, denken, dass sie in ihren Themen für sich selbst und andere mögliche Nutznießer etwas Neues schaffen. Glauben diejenigen, die himmlische Phänomene untersuchen, tatsächlich, dass die Entdeckung der notwendigen Merkmale für die Entstehung der Dinge es ihnen ermöglichen wird, auf Verlangen Wind, Wasser, Jahreszeiten und was sie sonst noch auf die Liste setzen zu

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erschaffen? Oder hegen sie in Wahrheit solche Erwartungen gar nicht, sondern geben sich damit zufrieden zu entdecken, wie die Dinge dieser Art entstehen?

Die Wissenschaftler sind sich nicht einig, daher sind sie Narren; was gibt ihnen das Recht, Gott zu spielen? Welche Vorteile habe ich von ihrer Arbeit? All das ist die authentische Stimme der Anti-Wissenschaft im Laufe der Zeiten; hier sehen wir sie entstehen. Ethik ist so viel nützlicher. »Sokrates rief die Philosophie vom Himmel herab, brachte sie in die Städte, führte sie in Familien ein und verpflichtete sie, das Leben und die Moral, Gut und Böse zu erörtern.« Das war Ciceros Urteil – und er meinte es als Lob.

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ie Akademie war von einer Mauer umgeben, hatte ein Gymnasion, einen heiligen Olivenhain und einen Garten. Ihre Grundsteine sind in einem Park in Piräus zu besichtigen, aber oberirdische Leitungen, welke Bäume und Müll machen es schwierig, den Ort zu rekonstruieren. Platon hatte das Grundstück gekauft und gründete um 387 v. Chr. hier seine Schule. Diogenes Laertios führt einige von Platons Schülern auf: Speusippos von Athen, Xenokrates von Chalkedon, Dion von Syrakus und ein Dutzend mehr aus der ganzen hellenischen Welt, darunter auch zwei Frauen. Es war weniger eine moderne Hochschule als ein philosophischer Klub. Die Schüler zahlten keine Gebühren. Das allein unterschied die Unternehmung deutlich von den Schulen der Sophisten und Rhetoriker, deren Geschäftsmodell darin bestand, Athens Jugend zu lehren, wie man schön spricht, im Leben vorankommt und vor Gericht gewinnt. Als Aristoteles ankam, packte Platon selbst gerade seine Sachen für eine zweijährige Reise nach Sizilien. Wahrscheinlich übergab er seinem Neffen Speusippos die Leitung der Schule. Dieser war um die vierzig und notorisch übellaunig – einmal soll er in einem Wutanfall seinen Lieblingshund in einen Brunnen geworfen haben. Dennoch nahm er den Jungen vielleicht unter seine Fittiche; es finden sich jedenfalls Spuren seines Gedankenguts bei Aristoteles. Dennoch, wenn Platons Dialoge, die Doxografie der Akademiker und Aristoteles’ Erinnerung zuverlässige Hinweise auf den Themenbereich der Gespräche im Garten der Akademie sind, dann stand Naturphilosophie nicht mehr auf dem Lehrplan. Oder falls sie doch vertreten war, dann in einer eigentümlichen Form. Platon hatte sich Sokrates’ Interesse an der moralischen Theologie zu eigen gemacht. Natürlich ist es schwierig, die beiden auseinanderzuhalten,

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da Sokrates nichts schrieb und Platon viel, und viel von dem, was Platon schrieb, legte er »Sokrates« in den Mund. Doch auch wenn Platons Sokrates nicht so krass antiwissenschaftlich daherkommt wie Xenophons, steht Platons durchdachte Philosophie der Wissenschaft nicht weniger feindlich gegenüber als Sokrates’ Sticheleien; das gilt umso mehr, weil er so wunderbar schrieb und weil seine Werke vollständig überliefert sind. Die Politeia, Platons berühmtester Dialog, verrät seine Ansichten zu den Zielen und Methoden der Naturphilosophie. Glaukon und Sokrates diskutieren darin über die Erziehung von Philosophenkönigen. Sollen die Jungen Astronomie studieren? Ja, sagt Glaukon, denn sie ist nützlich für alle möglichen anderen Dinge wie Landwirtschaft, Navigation und Krieg. Sokrates befreit ihn behutsam vom Irrtum seines »vulgären« Utilitarismus. Nun, erwidert Glaukon, dann sollten sie vielleicht Astronomie studieren, weil sie »die Seele zwingt, nach oben zu schauen«. Das, so hofft er, ist die Art von Antwort, die Sokrates sucht, aber erneut wird er eines Besseren belehrt. Glaukon nehme das alles viel zu wörtlich: Das einzige Studium, das den Blick der Seele nach oben wende, sagt Sokrates, sei dasjenige, das sich mit dem »Seienden und dem Unsichtbaren« beschäftige – womit er die wahre Realität meint, die hinter der oberflächlichen Erscheinung der Dinge liegt. Das Studium der Sterne, fährt er fort, hilft uns dabei, aber nicht sehr. Die tatsächlichen Bewegungen der Sterne sind nur eine unvollständige Darstellung der unsichtbaren Realitäten; man könne ebenso nach geometrischen Figuren in einem Gemälde suchen. Und diese Realitäten können »nur durch Vernunft und Denken erfasst werden, aber nicht durch das Sehen, oder bist du [Glaukon] anderer Meinung?« Glaukon ist nicht anderer Meinung. Er kapituliert vollständig vor Sokrates’ – und Platons – Anti-Empirismus. Und einige Seiten später, wenn das Gespräch auf das Studium der Harmonie kommt, spotten beide Männer gemeinsam über diese physiologoi, »die die Saiten« ihrer Instrumente »quälen und foltern, ihre Ohren daranlegen, als wollten sie eine Stimme im Nachbarraum hören« in dem Bemühen, die Regeln der Harmonie und die kognitiven Grenzen der musikalischen Wahrnehmung zu verstehen. Diese »Honoratioren« (die musikalischen physiologoi) »steigen nicht zu allgemeinen Fragen auf und berücksichtigen nicht, welche Zahlen in sich übereinstimmend sind und welche nicht und warum das jeweils der Fall ist«.* Sie spielten mit Harfen herum, statt eine allgemeine, formelle Theorie für die musikalische Ordnung zu erarbeiten, die sie vage wahrnehmen; eine Theorie, die das Schöne und Gute erklären würde, das wir in der Musik hören; eine Theorie, die musika-

* Man beachte, dass der Spott sich auf einen Versuch richtet, ein ernsthaftes wissenschaftliches Problem zu lösen: die kognitiven Grundlagen der Harmoniewahrnehmung.

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lische Harmonien mit der Bewegung der Sterne in Einklang bringen würde. »Eine übermenschliche Aufgabe«, kommentiert Glaukon – was für uns wie eine Untertreibung klingen mag. Dabei hätte Platon es belassen sollen. Hätte er das getan, könnten wir ihm wenigstens geziemende Bescheidenheit zugutehalten. Er tat es nicht. Zu einem späteren Zeitpunkt in seinem Leben verfasste er noch ein Werk, das die natürliche Welt beschreiben und erklären soll – in ihrer Gesamtheit. Trotz der ehrgeizigen Zielsetzung ist es nur ein Viertel so lang wie die Politeia. Der Umfang sagt schon alles.

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latons Timaios erzählt die Schöpfung des Kosmos und all dessen, was in ihm ist: Zeit, die Elemente, die Planeten und Sterne, Menschen und Tiere. Trotz seiner Kürze will das Werk enzyklopädisch sein und Ontologie, Astronomie, Chemie, Sinnesphysiologie, Psychiatrie, Lust, Schmerz, menschliche Anatomie und Physiologie abdecken – mit einem Exkurs darüber, warum die Leber die Quelle von Prophezeiungen ist – sowie den Ursprung von Krankheit und sexuellem Verlangen. All dies lässt es aussehen wie ein naturphilosophisches Werk. In diesem Fall wäre es ein sehr merkwürdiges. Weder wissenschaftliche Zitate noch empirische Belege oder auch nur besonders viele begründete Argumente finden sich im Timaios; es kommt vielmehr in Form eines SalonMonologes daher und stellt mit seelenloser Selbstsicherheit eine unplausible Behauptung nach der anderen auf. Aus einer tiefen Religiosität heraus will es zeigen, warum ein göttlicher Arbeiter, der dēmiourgós, die Welt erbaute. Es ist außerdem eine politische Propagandaschrift, die zeigt, wie die ideale Stadt der Politeia in Wirklichkeit aussähe. Tatsächlich ist nicht einmal klar, ob Platon den Timaios als Beitrag zur Naturphilosophie gemeint hat. Er behauptet, er wolle über die sichtbare Welt berichten; er beginnt jedoch mit der Warnung, dass er nur einen eikōs mythos erzählt, eine plausible Geschichte. Teilweise liegt das daran, dass er wirklich nach einem Bericht über die Welt hinter den Sinnen strebt, und dass jeder Bericht der fehlerhaften, aber sichtbaren Welt, eine unsichere Entsprechung zur perfekten, aber unsichtbaren abgäbe. Es liegt aber auch daran, dass er kein großes Interesse daran hat, einen rationalen Bericht auch nur über diese Welt zu liefern. Platon verrät sich mit seiner Darstellung des Ursprungs der Tiere. Einst, sagt er, gab es Menschen, die in unterschiedlichem Ausmaß entartet oder auch nur tumb waren. Sie wurden gemäß ihren Untugenden in die verschie-

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denen Tiere verwandelt – Krabbeltiere, Schalentiere und Ähnliches. Vögel »entstanden durch die Formänderung der harmlosen, aber schwachsinnigen Menschen, die ihre Aufmerksamkeit den Dingen am Himmel zuwandten, aber in ihrer Einfachheit annahmen, dass der sicherste Beweis in diesen Dingen der des Auges sei.« Damit meint er die Astronomen. Glaubte Platon wirklich, dass Vögel wiedergeborene Naturphilosophen waren? Oder ließ er sich nur nicht die Gelegenheit entgehen, einen billigen Witz zu reißen? Wir wollen großzügig sein und Letzteres annehmen, denn Ersteres ist selbst nach den dehnbaren Maßstäben der Zoologie des vierten Jahrhunderts allzu bizarr. Doch dieser Witz verrät die wahre Natur des Timaios: Er ist gar kein naturphilosophisches Werk, sondern ein Gedicht, ein Mythos, ein behäbiges jeu d’esprit, das in seiner eigenen Zweideutigkeit schwelgt. Das Urteil mag hart erscheinen. Platon teilte die Faszination der Pythagoräer für Geometrie und der Timaios enthält einen der ersten Versuche, anhand von Mathematik die natürliche Welt zu beschreiben. »Lasst niemanden der Geometrie Unkundigen hier eintreten« soll eine Inschrift im Türsturz über dem Eingang zur Akademie gelautet haben. Derselbe Satz steht über den Türen des Fachbereichs Physik an jeder beliebigen Universität, in den man nur mit einer Magnetkarte gelangt, auch wenn er vielleicht nicht zu sehen ist. Und wenn Platons Wissenschaft sich kaum von der Theologie unterscheiden lässt, so gilt das den Äußerungen einiger Physiker zufolge auch für die moderne Wissenschaft: »Wenn wir eine vollständige Theorie entdeckten, wäre das der ultimative Triumph der menschlichen Vernunft – dann nämlich könnten wir Gottes Plan erkennen.« Platon? Nein, Hawking. Der Vergleich rettet Platon allerdings nicht. Ein Beispiel für seinen Stil der mathematischen Modellierung: »Die zweite Art von Festkörpern wird aus denselben Dreiecken gebildet, die sich als acht gleichseitige Dreiecke vereinen und einen festen Winkel aus vier Ebenenwinkeln bilden, und aus sechs solcher Winkel entsteht der zweite Körper. Und der dritte Körper besteht aus 120 dreieckigen Elementen, die … [etc.]« Dies stammt aus einem Abschnitt über die Elemente, geschrieben von einem Mann, der offenbar dem Mysterium der Zahlen vollständig verfallen ist. Auch können wir Platon nicht einfach mit seinem Alter entschuldigen. Zugegebenermaßen hatten auch die physiologoi eine Schwäche für das Theoretisieren frei von den Zwängen empirischer Belege. Aber wenigstens meinten sie, was sie sagten. Sie machten sich weder lustig noch versteckten sie sich hinter Mythen. Darüber hinaus sollte wenige Jahre nachdem Platon den Timaios verfasst hatte, einer seiner eigenen Schüler einen unermüdlichen, durchdachten Angriff auf die Zitadelle der Realität beginnen, dieser Realität, der in modern gedruckter Form über tausend Seiten lang ist: eine im doppelten Wortsinn erschöpfende Analyse dessen, was seine Vorgänger über die

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Ursachen und Struktur der natürlichen Welt dachten, warum diese Vorgänger (meistens) unrecht hatten, seine eigenen Theorien zu diesen Dingen und die empirischen Daten für seine Annahmen. Aristoteles würde sich vom Idealismus seines Lehrers abwenden und die Welt, unsere Welt, als das sehen, was sie ist: als etwas, das schön und aus diesem Grund einer eigenständigen Untersuchung wert ist. Er würde sich ihr mit der Demut und Ernsthaftigkeit nähern, die sie verdient. Er würde sie sorgfältig beobachten und keine Scheu haben, sich dabei die Hände schmutzig zu machen. Er würde der erste wahre Wissenschaftler werden. Dass er sich aus eigenem Antrieb dazu entwickelte, nachdem er bei einem der überzeugendsten Intellektuellen aller Zeiten gelernt hatte – das ist das Geheimnis an Aristoteles. Alles, was er jemals erklärend dazu äußerte, war: »Die Pietät erfordert es, dass wir die Wahrheit über unsere Freunde stellen.«

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m Jahr 348 oder 347 v. Chr. verließ Aristoteles plötzlich Athen. Es gibt mindestens zwei Berichte, die den Grund zu erklären versuchen. Im ersten geht er aus Groll. Zwanzig Jahre hat er in der Platonischen Akademie gearbeitet. Seine Kollegen nennen ihn »der Leser«, aber er ist auch originell. Vielleicht zu originell. Platon gab ihm den leicht schroffen Beinamen »das Fohlen« – er meinte damit, dass Aristoteles nach seinen Lehrern trat wie ein Fohlen nach der Stute. Älian erzählt Jahrhunderte später eine Geschichte, die Aristoteles nicht gerade schmeichelt und Machtkämpfe in der Akademie anklingen lässt: Eines Tages lustwandelt der ältliche Platon, tatterig und nicht mehr ganz so scharfsinnig, in den Gärten der Akademie, als er auf Aristoteles und seine Gang trifft, die ihm eine philosophische Abreibung verpassen. Platon zieht sich nach drinnen zurück und Aristoteles’ Bande besetzt monatelang den Garten. Speusippos kann gegen die Thronräuber nichts ausrichten, aber Xenokrates, ein weiterer Loyalist, bringt sie schließlich zum Weiterziehen. Wer weiß, ob die Geschichte wahr ist; sicher ist jedoch, dass nach Platons Tod das höchste Amt nicht Aristoteles zufiel, sondern Speusippos, und dass Aristoteles genau zu jener Zeit, ob zufällig oder nicht, gen Osten aufbricht. In einer anderen Version treibt die Politik und nicht der Groll Aristoteles in die Flucht. Aristoteles hat enge Verbindungen zum makedonischen Hof. Amyntas’ Sohn Philipp II. lässt im griechischen Hinterland seine militärischen Muskeln spielen. Gerade hat er Olynth, eine mit Athen verbündete Stadt, dem Erdboden gleichgemacht und ihre Bürger zusammen mit einer

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Garnison athenischer Soldaten in die Sklaverei verkauft. In Athen wiegelt Demosthenes die Bürger in nie gekanntem Ausmaß zur Fremdenfeindlichkeit auf. Aristoteles macht sich aus dem Staub, solange er noch kann. Die alten Quellen sind sich einig, dass Aristoteles nach Osten ging, als er Athen verließ: über die Ägäis an die Küste Kleinasiens, den Rand der hellenischen Welt, wo Mikrostaaten gefährlich durch die Strömungen der athenischen, makedonischen und persischen Machtspiele lavierten. Unter diesen befand sich auch Assos, ein Stadtstaat an der Südküste der Halbinsel Troas. Assos und ihre Schwesterstadt Atarneus wurden von Hermias regiert. Wenig ist über ihn bekannt, außer dass seine Herkunft im Dunkeln liegt, er für kurze Zeit an der Macht war und einen schrecklichen Tod starb. Er soll sein Leben als Sklave eines Bankiers begonnen haben, des amtierenden Tyrannen von Assos, der seine Talente erkannte, ihn freiließ und ihn schließlich zu seinem Erben machte. Er soll in der Platonischen Akademie ausgebildet worden sein. Er soll ein Eunuch gewesen sein. Vieles davon mögen Gerüchte sein, um seinen Ruf zu stärken oder zu beschmutzen – die alten Quellen sind selten unparteiisch. Wo auch immer er herkam, offenbar war er eine Art Intellektueller, denn als er 351 Tyrann wurde, lud er mehrere Akademiker an seinen Hof ein, darunter auch Aristoteles. In der Politeia spricht Platon davon, wie im idealen Staat die politische Macht durch die Weisheit der Philosophie gemäßigt würde. Im Streben nach diesem Ideal war Platon nach Sizilien gereist, um für den lasterhaften Dionysios II. von Syrakus den Weisen zu spielen, ein Projekt, das ihn fast das Leben gekostet hätte. Vielleicht war Hermias also ein erneuter Versuch der Akademiker, einen Philosophenkönig zu schaffen; ein spätes biografisches Fragment deutet darauf hin, dass die drei Jahre, die Aristoteles in Assos verbrachte, viel dazu beitrugen, die Unerbittlichkeit der Herrschaft des Tyrannen zu mildern. Wenn dem so war, nahm auch dieses Projekt keinen guten Ausgang. Hermias hegte Sympathien für Makedonien. 341 sah sich Athen durch den makedonischen Expansionismus bedroht und befahl Philipp, seine Truppen aus Troas abzuziehen. Er gehorchte. Hermias hing nun in der Luft und die Perser, Athens vorübergehende Verbündete, fingen, folterten und töteten ihn. Aristoteles ging der Verlust sehr nahe. Jahre später errichtete er in Delphi eine Statue für den Tyrannen mit der Inschrift: Wie er behandelt wurde, war abscheulich und sprach jedem Respekt vor der göttlichen Gerechtigkeit Hohn. Sein Mörder? Der König der bogentragenden Perser. Es war kein öffentlicher Streit, kein tödlicher Speerkampf, der ihn niederstreckte. Nur die Unaufrichtigkeit eines Mannes, dem er vertraut hatte.

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Man erzählt sich auch, dass er jeden Tag einen Päan auf seinen ermordeten Freund sang – vielleicht die Hymne, die Diogenes Laertios in seinem Vitae Philosophorum verzeichnete. Diese Rührseligkeit mag übertrieben erscheinen, aber es ist auch bekannt, dass Aristoteles ein Mädchen namens Pythia heiratete, die Hermias’ Nichte oder vielleicht sogar seine Tochter war. Er war 38 oder 39 Jahre alt, seine Braut vermutlich sehr jung. (In Politik sagt, Aristoteles, das beste Heiratsalter für einen Mann sei 37, für eine Frau 18.) »Einen Myrthenzweig und eine schöne Rose / hielt sie anmutig in den Händen und ihr Haar / fiel wie Dunkelheit über ihren Rücken und ihre Schultern …« – so Archilochos über ein anderes Mädchen aus einem anderen Ort und einer anderen Zeit, aber so stelle ich sie mir vor.

Griechisches Mädchen

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ie Ruinen des alten Assos stehen auf einem erloschenen Vulkan, der steil aus der Ebene und der Küste darunter aufragt. Ein Tempel der Athene mit fünf stehenden dorischen Säulen krönt die Akropolis; die Fundamente von Stoa, Bouleuterion, Gymnasion, Agora und eines Theaters sind weiter unten am Hang zu finden, der zum Meer hin liegt. In seiner Voyage pittoresque de la Grèce (1809) schreibt Choiseul-Gouffier: »Wenige Städte sind mit einer so glücklichen und spektakulären Lage gesegnet wie Assos …« und beschreibt in einer entzückenden, wenn auch stark ungenauen, Rekonstruktion, wie die Stadt in ihrer Blütezeit aussah. William Martin Leake sagte, sie sei die perfektionierte Vorstellung einer griechischen Stadt gewesen. Geht man in der Abenddämmerung durch das türkische Dorf die Hänge der Zitadelle hinauf und springt über den Zaun, der die alten Ruinen umgibt, kann man immer noch sehen, wie schön Assos einmal gewesen sein muss. Man sieht jedoch nicht, was Choiseul-Gouffier und Leake sahen. 1864 zerstörte die osmanische Regierung einen großen Teil der noch intakten alten Stadt und baute aus den Steinen die Docks für Istanbuls Arsenal. Da hatten die Franzosen jedoch schon nach einem Geschenk der Hohen Pforte die Tempelreliefs demontiert und im Louvre aufgestellt. Das war auch ganz gut so. 1881 musste sich ein amerikanisches Team bei den Ausgrabungen dessen, was noch übrig war, mit Dorfbewohnern herumärgern, die gerade freigelegte Mauern davonkarrten und einen Zentauren aus Marmor mit Steinen bewarfen, den die Franzosen übersehen hatten. Der Tempel in Assos war zu Aristoteles’ Zeiten etwa 180 Jahre alt, aber das Theater stammt aus der hellenistischen Zeit. Der Blick von der Zitadelle kann sich nicht groß geändert haben. Die gewaltig-unbewegliche östliche Mauer steht heute noch. Die umgebenden Hügel sind mit einheimischen Büschen und die Täler mit Eichenwäldern überzogen – die Touristenorte befinden sich weiter die Küste hinunter und es gibt nicht einmal viele Olivenhaine. Nichts stört den Frieden außer einer türkischen F-16, die über den Himmel schießt und den fragilen Luftraum testet, und dem gelegentlichen Meckern einer Ziege. Aber es ist die Insel, die die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Lesbos liegt direkt vor einem, erstaunlich nah, in aufgetürmten Schichten aus Grau- und Blautönen. Man meint, man könne hinschwimmen, und der Drang dazu ist fast unwiderstehlich, obwohl die Meerenge von Lesbos an ihrem schmalsten Punkt neun Kilometer breit ist. Man kann Lesbos nicht sehen und nicht hinwollen. Die Insel verspricht Entdeckungen.

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Blick auf die Stadt Assos, restauriert

Blick auf Lesbos von der Zitadelle von Assos, August 2012

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m Jahre 345, als Hermias noch herrschte, brachte Aristoteles seine Braut nach Lesbos, um dort mit ihr zu leben. Der Romantiker Thompson nannte die zwei Jahre, die Aristoteles auf der Insel verbrachte, »die Flitterwochen seines Lebens«. Vielleicht waren sie das; aber tatsächlich weiß man nichts darüber, was Aristoteles tatsächlich dort tat, denn er hinterließ uns keine Tagebücher oder Notizbücher und die alten Biografen schweigen sich aus. Doch wenn D’Arcy Thompson recht hat, begann er auf Lesbos mit der großen Aufgabe, die Welt des Lebendigen zu kartieren und zu verstehen. Vielleicht war es ein Gespräch, ein zufälliger Kommentar, der eine erregte Antwort hervorrief. Und dann mehr Reden und noch mehr, bis eine Vision des ganzen gewaltigen, beängstigenden, faszinierenden Gebildes entstand. Ein reizvoller Gedanke – dass die Biologie so ihren Anfang nahm. Und nicht einmal ein unplausibler. Denn als Aristoteles nach Lesbos ging, hatte er offenbar mindestens einen Philosophen dabei, mit dem er reden konnte: einen Mann, der einer seiner engsten Freunde werden und seinen intellektuellen Reichtum erben sollte. Tyrtamos wurde in Eresos geboren, einer Stadt an der Südwestküste von Lesbos. Durch die Täler um Eresos zogen sich grüne Weingärten; die Stadt war berühmt für ihren Wein. Heute sind diese Wälder trocken und unbebaut, doch die Überreste der alten Terrassen sind dort noch zu sehen. Wir wissen nicht, wann und wie Tyrtamos und Aristoteles sich kennenlernten. Möglicherweise war der jüngere Mann – 13 Jahre trennten ihn von Aristoteles – einer seiner Schüler aus der Akademie, der ihm nach Assos gefolgt war. Wenn dem so war, zeigte Tyrtamos seinem Meister nun sein Heimatland. Oder vielleicht war Tyrtamos nie in Athen gewesen und lernte Aristoteles erst auf Lesbos kennen – ein eloquenter junger Einheimischer, der den berühmten Besucher beeindruckte. Wir sind noch nicht einmal sicher, wie er wirklich hieß: Strabo sagt »Tyrtamos«, Diogenes Laertios meint »Tyrtanios«. Eigentlich ist die Schreibweise nicht weiter wichtig, weil Tyrtamos/Tyrtanios bald vergessen war. Aristoteles gab dem jungen Mann den Namen Theophrastos, was so viel bedeutet wie »Göttliche Rede«. Er sollte Aristoteles’ engster Mitarbeiter werden. Sokrates – Platon – Aristoteles – Theophrastos: Wir kennen nun das nächste Glied in der goldenen Kette. »Göttliche Rede« ist ein seltsamer Name für einen Mann, dessen Schriften bei aller Bedeutung so trocken sind wie der Boden im Sommer. Eins sei-

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ner überlieferten Bücher heißt Charaktere und ist eine Enzyklopädie von Menschen, die man besser meiden sollte – der Grobian, der Geizige, der Redselige und immer so weiter. Es ist genauso langweilig, wie es klingt. Theophrastos schrieb auch Bücher über Logik, Metaphysik, Politik, Ethik und Rhetorik – also das gesamte aristotelische Spektrum –, die jedoch nicht überliefert sind. Seine botanischen Werke jedoch haben die Zeiten überdauert. Und sie sind hervorragend. Theophrastos verfasste zwei botanische Werke. Eins davon, Historia plantarum, ist eine beschreibende Arbeit, in der er die Teile der Pflanzen identifiziert und mit ihrer Hilfe Pflanzen in Gruppen einteilt – Bäume, Sträucher, Halbsträucher, Kräuter –, die bis in die Renaissance ihre Gültigkeit behielten. Im anderen, De causis plantarum, beschreibt er, wie Pflanzen wachsen. Er untersucht die Auswirkungen der Umwelt auf ihr Wachstum, erörtert den Anbau von Bäumen und Feldfrüchten und analysiert die Krankheiten der Pflanzen und warum sie sterben. Zusammen sind diese Arbeiten für das Studium der Pflanzen das, was Aristoteles’ Arbeiten für das Studium der Tiere sind – die Gründungsdokumente der zugehörigen Wissenschaft. Es ist eine bezaubernde Einbildung, sich die beiden Philosophen vorzustellen, wie sie durch einen Olivenhain schlendern, nicht allzu weit von der Lagune entfernt, und die natürliche Welt unter sich aufteilen. Wie sie sich auf eine Zusammenarbeit anstelle von Konkurrenz einigen, wie es sich für zwei echte Wissenschaftler geziemt: »Du übernimmst die Pflanzen, ich die Tiere – und zusammen legen wir die Fundamente der Biologie.« Bezaubernd, aber zu einfach. Theophrastos schrieb Bücher über Tiere und Aristoteles mindestens eins über Pflanzen; in beiden Fällen sind sie jedoch nicht überliefert. Dass die Botaniker den einen als den Begründer ihrer Wissenschaft ansehen und die Zoologen den anderen, scheint größtenteils auf die Wechselfälle der Geschichte zurückzuführen zu sein – welche Texte nämlich die Mönche zur Bewahrung wählten. Dennoch kann es kein Zufall sein, dass Aristoteles sich in der Heimat des anderen großen Biologen der Antike dem Studium der Tiere verschrieb. Ihre Forschungsprogramme und Lebensläufe sind eng miteinander verknüpft. Theophrastos war nach Aristoteles Leiter des Lyzeums und erbte seinen am höchsten geschätzten Besitz: die Bibliothek. Jedoch sind sie ganz unterschiedliche Denker. Wo Aristoteles selten vor einer kühnen Erklärung zurückscheut, ist Theophrastos zurückhaltend empirisch; wo Aristoteles synoptisch vorgeht, macht sich Theophrastos lieber Gedanken um Schwierigkeiten. Auf dieser Grundlage wird häufig angenommen, dass Aristoteles die Zusammenarbeit dominierte, und sicher konnte man ihm schwer widerstehen. Dennoch fragt man sich angesichts der Tatsache, dass beide auf Lesbos lebten, wer von ihnen wohl zuerst auf die Idee kam, Lebewesen zu studieren. Wer überzeugte wohl wen?

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m nach Lesbos zu gelangen, nimmt man am besten die Abendfähre von Piräus. Wer jung oder arm oder abgehärtet ist, nimmt einen Platz an Deck – für dreißig Euro kommt man so über die Ägäis. Man muss sich dann allerdings einen Platz zwischen den Sinti- und RomaFamilien suchen, die in den Treppenaufgängen kampieren, den Soldaten, die zu ihren Inselgarnisonen zurückkehren und die Bar belagern, oder den Bauern, die in ihre Olivenhaine zurückfahren und sich in der Lounge häuslich niederlassen. Oder man nimmt doch lieber eine Kabine – die Reise dauert immerhin zwölf Stunden. Athen fällt zurück und man ist mitten im Blau. Um drei Uhr morgens dockt das Schiff in Chios an. Es ist so groß, wie der Hafen klein ist, und so dreht es sich mit heulenden Turbinen um seine eigene 135-Meter-Achse, um hineinzugelangen. Weiß uniformierte Hafenpolizisten lassen im Flutlicht ihre Pfeifen schrillen und schwenken ihre Arme, um die Containerfahrzeuge und die eigentlich unkontrollierbaren Fußpassagiere zu choreografieren. Und doch läuft alles unwahrscheinlich effizient ab. Eine halbe Stunde später dröhnt das Schiffshorn über die schlafende Stadt, die Fähre dreht sich erneut und sieht sich wieder der Ägäis gegenüber. Vor der roten Morgendämmerung tauchen die schwarzen Umrisse der türkischen Küste auf. Lesbos erscheint im zunehmenden Licht, erst der kiefernbestandene Olympos und dann die felsige Südküste. Kap Malea wird umrundet: Lesbos liegt jetzt backbord, Assos bugseitig steuerbord und bald kommt Mytilini in Sicht, die Marmorkuppel der Kathedrale blendend weiß in der Morgensonne. Ich habe ein Mytilini-Ritual. Sobald das Schiff andockt, rufe ich Giorgos K. an und verabrede mich mit ihm in einem Hafencafé. Er ist theoretischer Ökologe an der örtlichen Universität und mein ältester und liebster Freund auf der Insel. Unsere Gespräche schlagen immer denselben Bogen: erst Wissenschaft, dann Frauen – Fortschritte und Schwierigkeiten auf beiden Gebieten. Er ist von unberechenbarer Sinnlichkeit, verströmt seinen Charme allzu großzügig und, da sind sich seine Freunde einig, verdient seine wunderschöne Frau nicht. Diese Gespräche sind für uns wie die Jahresringe unserer Freundschaft. Ich erwähne ihn hier, weil er es war, der mir Kalloni zeigte. Wir fuhren in Richtung Norden aus Mytilini heraus, umrandeten den Golf von Gera, Kal-

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lonis graue kleine Schwester, schlugen uns dann in südwestlicher Richtung durch die kiefernbestandenen unteren Hänge des Olympos und kamen bei Achladeri heraus, wo die Lagune sich überraschend weit vor unseren Augen auftat. Es gibt dort eine ausgezeichnete Fischtaverne, Olivenhaine und, so heißt es, ein paar Überreste der alten Stadt Pyrrha, die sich einst die Küste hinunter bis in die benachbarten Dörfer zog, die ich jedoch nie gefunden habe. Die Archäologie liefert hier jedoch nicht die Grundlage, sondern das Buch und die Insel. Von allen Orten in der östlichen Ägäis, an denen Aristoteles gelebt hat, ist Lesbos der bezauberndste. Hier, an dieser öden, ausgedörrten Küste, ist die Natur so üppig präsent und verführerisch wie nirgends sonst; und nirgendwo auf Lesbos so wie bei Kalloni. An einem Frühlingsmorgen in einem der Dörfer an der Küste von Kalloni an die Hafenmauer zu gehen, ist so, als sähe man Historia animalium zum Leben erwachen. Man sieht Aristoteles’ Fische – perkē, skorpaina, sparos und kephalos – hinten auf den Kleinlastern der Käufer nach Luft schnappen.* Dies sind die Namen, die Aristoteles verwendete und für diese Fische zumindest gilt, dass man sie immer noch unter diesen Bezeichnungen kaufen kann. Man kann auch einen Eimer Tintenfische kaufen und sie seinem Text folgend sezieren. Man kann sich über die Hafenmauer lehnen, ins Wasser greifen und Seescheiden, Seeanemonen, Seegurken, Napfschnecken und Krabben heraufholen – die er alle beschrieben hat. Die Decks der Fischerboote sind übersät mit den Häusern und Eihüllen der Murex-Schnecken, die den Boden der Lagune überschwemmen und deren Fortpflanzungsgewohnheiten ihn so faszinierten. Man sieht Bienenfresser, die hübschesten der Frühlingszieher, mit ihrem türkis-golden-ocker-grünen Gefieder auf den Sandbänken nisten, genau wie er es beschreibt. Thompson drückt es so aus: »Der glückliche Naturforscher, der einmal einen ruhigen Sommer an dieser stillen Lagune verbringt, wird dort all den natürlichen Reichtum, ὅσσον Λέσβος. . . ἐντὸς ἐέργει** finden und zu seinen Füßen die Kreaturen erkennen, die Aristoteles kannte und liebte.« Ich habe es ausprobiert: Er hat recht.

* Altgriechische – moderne griechische Namen: perkē – perka; skorpaina – skorpiomana; sparos – sparos; kephalos – kephalos. Deutsche Trivialnamen und lateinische Artnamen: siehe Anhang A2. ** »alles, was es auf Lesbos gibt«: Ilias XXIV.

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chamaileon – Chamäleon – Chamaeleo chamaeleon

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enn wir behaupten, Aristoteles sei ein Wissenschaftler gewesen, nehmen wir gleichzeitig an, dass wir einen solchen erkennen können. Soziologen und Philosophen haben lange versucht, einen Blick auf dieses Geschöpf zu erhaschen – mit mäßigem Erfolg. Denn ihre Aktivitäten und Hauptbeschäftigungen sind so unterschiedlich, dass sich nur schwer eine Definition finden lässt, die alle umfasst, aber die Astrologen ausschließt. Wissenschaftler, die sich über Definitionen viel weniger Gedanken machen, erkennen ihresgleichen einfach, aber wenn man sie bedrängte, würden sie vielleicht etwas vorschlagen wie »Ein Wissenschaftler ist jemand, der durch systematische Untersuchung die erfahrene Wirklichkeit zu verstehen versucht.« Diese großzügige Definition bietet Platz für theoretische Physiker und Käferkundler sowie einige Soziologen; und auch wenn wir an den Randgebieten herumdeuten, engt sie das Betätigungsfeld der menschlichen Aktivitäten beträchtlich ein, indem sie Gärtner und Ärzte ausschließt (keine systematische Untersuchung), ebenso Literaturkritiker und Philosophen (keine erfahrene Realität), dazu auch Homöopathen und Kreationisten, die beide Kriterien nicht erfüllen. Sie schließt jedoch Aristoteles mit ein, der seine Untersuchungen absolut systematisch durchführte und sich dem Verständnis der erfahrenen Realität fest verschrieben hatte. Zwar nannte Aristoteles sich niemals einen »Wissenschaftler«, aber er hatte ein Wort für »Naturwissenschaft« – physikē epistēmē, wörtlich das »Studium der Natur«. Und er bezeichnete sich selbst nicht nur als physiologos – »der über die Natur berichtet« –, sondern als einen physikos – »der die Natur versteht«.

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n der Sammlung von Abhandlungen, die wir unter Metaphysik kennen, untersucht Aristoteles die fundamentale Wirklichkeit. Seine Konzepte sind nicht einfach zu begreifen: Mit der Exegese seiner 13 Bücher beschäftigen sich Gelehrte schon seit Jahrhunderten und werden das sicher noch weitere Jahrhunderte tun. Glücklicherweise müssen wir ihnen nicht folgen, um das Lichte in seinen einleitenden Worten zu erkennen: Alle Menschen verlangt es von Natur aus nach Wissen. Ein Hinweis darauf ist die Freude, die uns unsere Sinne machen; unabhängig von ihrer Nützlichkeit lieben wir sie um ihrer selbst willen, vor allem den Gesichtssinn. … Der Grund dafür liegt darin, dass er uns von allen Sinnen am meisten mit vielen Unterschieden zwischen den Dingen bekannt macht und sie ans Licht bringt.

Aristoteles meint »wissen« nicht nur im Sinne von »verstehen«, sondern auch im Sinne von »wahrnehmen«. Daher sollten wir seine Worte zunächst als Behauptung begreifen, dass der Mensch sich an der Benutzung seiner Sinne erfreut, und der Grund dafür liegt darin, dass sie ihm die Wahrnehmung all der verschiedenen Dinge ermöglichen, aus denen die Welt zusammengesetzt ist. Das ist jedoch nur sein Eröffnungszug. Denn Aristoteles argumentiert weiter, dass »wissen« im Sinne von »wahrnehmen« die Grundlage für »wissen« im Sinne von »verstehen« ist, ja sogar eine Voraussetzung für Weisheit. Warum er diese Aussage ganz am Anfang der Metaphysik macht, ist klar. Aristoteles stellt seine Schlachtstandarte auf und erklärt dem Idealismus der Akademie den Krieg. Sein Projekt ist nicht das von Platon, denn es betrifft diese Welt – und er möchte, dass wir das wissen. Um von der Wahrnehmung zur Weisheit zu gelangen, gibt uns Aristoteles eine Hierarchie des Verstehens an die Hand. Wenn wir etwas wahrnehmen, sagt er, eignen wir uns eine Erinnerung davon an. Und viele Erinnerungen an eine Sache ermöglichen es uns, allgemeine Rückschlüsse über sie zu ziehen. Anhand von Erinnerungen an Sokrates und Platon zum Beispiel können wir verallgemeinernde Aussagen über »Menschen« treffen. Hier eröffnet Aristoteles eine weitere Front gegen Platon, der behauptete, dass wir mit allem Wissen geboren werden, das wir besitzen – sogar mit allem Wissen, das wir besitzen können, allem Wissen der Welt. Nur leider haben wir es vergessen;

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unsere Aufgabe ist es daher, dieses Wissen wiederzuerlangen. Eine solche Epistemologie ist natürlich ein Aufruf zu empirischem Quietismus. Wenn wir schon alles wissen, dann brauchen wir die Welt nicht wirklich zu untersuchen; wenn wir nur genügend über sie reden, erinnern wir uns vielleicht wieder an alles. Es ist kein Zufall, dass Platon Dialoge schrieb. Aber Worte sind für Aristoteles nur Schall und Rauch. Selbst Erfahrung, auch wenn sie für Kunst und Wissenschaft nötig ist, reicht nicht. Aristoteles erklärt, warum das so ist, indem er einen nicht sehr klugen, aber praktisch veranlagten Arzt heraufbeschwört. Einen von der Art, die annehmen, dass eine Medizin, die bei einem Menschen wirkt, bei einem anderen wahrscheinlich auch wirken wird, die aber weder verstehen noch sich darum kümmern, warum sie überhaupt wirkt. Ein solcher roher Empirismus hat seinen Nutzen, sagt Aristoteles, verdient aber nicht wirklich Bewunderung. Tatsächlich ist er sehr streng mit dem reinen Empirismus und vergleicht Arbeiter, die durch Routine erlernte Aufgaben ausführen, mit »leblosen Dingen«: Sie tun, was sie tun, einfach deshalb, weil sie es tun.* Werkmeister, die das Warum ihrer Handwerkskunst begreifen, sind »ehrenhafter und wissen in einem wahreren Sinn und sind weiser« als solche Maschinenmenschen. (Politik 1253B31: »Ein Sklave ist ein lebendes Werkzeug …«) Der Mensch, der lehren kann, ist dem Menschen überlegen, der es nicht kann, weil er versteht. Dies ist eine ganz natürliche Sichtweise für jemanden, der sein Leben genau damit verbracht hat. Er kann außerdem Dinge erfinden und, fährt Aristoteles fort, Erfinder sind zu bewundern. Aber – man ahnt, wohin das steuert – manche Erfinder sind bewundernswerter als andere. Erfinder, die nützliche Dinge herstellen, sind denen unterlegen, die Erfindungen machen, die »der Unterhaltung dienen«. Das klingt verdreht, aber er meint damit, dass das Hervorbringen reinen Wissens besser ist als das Hervorbringen nützlichen Wissens. Wie in seiner gesamten Argumentation erweitert er hier unglückliche Unterscheidungen zwischen den Formen des Verstehens auf die Menschen, denen sie zu eigen sind. Und so verfällt er in den offenen Snobismus – inzwischen ausgestorben, aber noch zu unseren Lebzeiten bestehend – des reinen Wissenschaftlers gegenüber dem Ingenieur und des Ingenieurs gegenüber dem Gärtner. Genau diese Haltung ist mit unseren eigenen egalitären Instinkten schwer vereinbar, aber ich möchte den verärgerten Leser an dieser Stelle daran erinnern, dass Aristoteles eine neue Art von Philosophie begründet: eine, die sich weder mit der Suche nach

* Aristoteles beanstandet dabei nicht die Arbeit mit den Händen per se, sondern das fehlende Verständnis. Dies wird aus seiner häufigen Verwendung von handwerklichem Können als Metapher in seiner Biologie deutlich sowie aus dem Verweis auf den »Werkmeister«, der vermutlich auch seine Hände benutzt, aber versteht, worum es geht.

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absoluten Werten befasst noch auf einer perfekten Welt jenseits der Sinne basiert. Seine Philosophie schließt Schmutz, Blut, Fleisch, Wachstum, Kopulation, Fortpflanzung, Tod und Verfall mit ein – die täglichen Erfahrungen des Bauern und des Fischhändlers. Er muss seine Zuhörer überzeugen, die Elite einer stark stratifizierten Gesellschaft, dass das Wissen, das aus der Betrachtung solcher Dinge erwächst, von hohem Wert ist und dass diejenigen, die nach ihm streben, es auch sind.

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ristoteles’ wissenschaftliche Methode passt genau zu seiner Epistemologie. Wir müssen, so sagt er, mit den phainomena anfangen – daher kommt unser Wort »Phänomen«, aber die beste Übersetzung wäre vielleicht »Erscheinungen«, denn er meint dabei nicht nur das, was er mit eigenen Augen sieht, sondern auch das, was andere Menschen gesehen haben, und ihre Meinung dazu. Er bevorzugt dabei Berichte von »weisen« und »angesehenen« Menschen. Ihm ist bewusst, dass ein Mensch nicht alles sehen kann; manchmal muss man darauf vertrauen, was andere einem erzählen (die Griechen übernahmen beispielsweise gewaltige astronomische Kataloge aus Babylon und Ägypten). Unabhängig von der Quelle bestehen solche Daten in der Regel aus zahlreichen Beobachtungen einer breit angelegten Klasse von Objekten, zum Beispiel Tieren – zōa. Sind sie zusammengetragen, müssen sie in kleinere Klassen geordnet werden: Vögel, Fische, Tiere mit Hörnern, Tiere ohne Blut und so fort. Aristoteles’ Datenhunger ist unersättlich und sein Ordnungseifer unermüdlich. Er saugt Beobachtungen über Tiere, Pflanzen, Steine, Winde, Geografien, Städte, Verfassungen, Persönlichkeiten, Theaterstücke, Gedichte – die Liste ist unvollständig – auf, verarbeitet sie und gibt sie bald auf die eine, bald auf die andere Weise geordnet wieder aus, in Buch auf Buch. Trotz alledem ist er der Meinung, dass seine erste induktive Forschungsphase keine echte Wissenschaft ist, sondern nur der empirische Fels, auf dem das wissenschaftliche Denken steht. Aristoteles trägt seine Tierdaten in Historia animalium zusammen. Eine zufällige Passage vermittelt ein Gefühl für den Stil: Einige Tiere sind lebend gebärend, andere legen Eier, manche bringen Larven zur Welt. Zu den lebend Gebärenden gehören Menschen, Pferde, Robben und alle anderen Tiere mit Fell sowie unter den Meerestieren die Wale – zum Beispiel Delfine – und die sogenannten »Selachier«. Einige [Wassertiere mit

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Blut], zum Beispiel Delfine und Wale, haben keine Kiemen, dafür aber Blaslöcher. Die Blaslöcher der Delfine befinden sich auf dem Rücken, die der Wale auf der Stirn. Zu den Tieren mit sichtbaren Kiemen gehören die Selachier wie der Graue Glatthai und Rochen.

Die Welt, die Aristoteles kannte, war im Westen durch die Straße von Gibraltar, im Osten durch den Oxus, im Süden durch die libysche Wüste und im Norden durch die eurasischen Ebenen begrenzt. In ihr lebten mehr als 500 verschiedene Tierarten, zumindest kannte er so viele Namen. Alles an ihnen interessiert ihn. Er spricht über die Fortpflanzung von Läusen, die Paarungsgewohnheiten von Reihern, die sexuelle Zügellosigkeit von Mädchen, den Magen von Schnecken, die Empfindlichkeit von Schwämmen, die Flossen von Robben, die Laute von Zikaden, die Zerstörungswut von Seesternen, die Stummheit von Gehörlosen, die Flatulenz von Elefanten und die Struktur des menschlichen Herzens; sein Buch enthält 130 000 Wörter und rund 9000 empirische Behauptungen. Die Tierwelt ist ein weites Feld und Aristoteles begann ganz von vorn. Abgesehen von einigen medizinischen Schriften gibt es keine Belege, dass jemand vor ihm schon einmal eine zoologische Abhandlung geschrieben hatte. Woher bezog er also all diese Fakten? Die Antwort scheint zu sein: so ziemlich von überallher. Einige stammten aus Büchern. Aristoteles ist zurückhaltend, was seine Quellen angeht, aber einige lassen sich aufgrund flüchtiger Anspielungen identifizieren. Im Lichte der behaupteten wissenschaftlichen Natur seiner Unternehmung erscheinen einige der Arbeiten, die er doch nennt, eher seltsam. Gelegentlich taucht Homer auf und er zitiert einen Vers von Aischylos über das Gefieder von Wiedehopfen – aber hier sieht man nur den Leser bei der Arbeit. Das Überraschende fehlt. Aus den Abhandlungen des Hippokrates scheint nicht allzu viel Anatomie einzufließen, dabei war Aristoteles’ Vater Arzt. Hier drängt sich der Verdacht auf, dass er seinen Vorläufern nicht genügend Anerkennung zollt. Platon wird nie als Quelle faktischer Informationen zitiert – kein Verlust an dieser Stelle –, auch wenn seine Spekulationen Aristoteles’ Theorie durchdringen. Die physiologoi tragen einige Fakten bei; auch sie dienen überwiegend als theoretische Sparringspartner. Wir lernen, sagte Aristoteles einmal, »indem wir die vor uns weiterschieben und nicht auf die hinter uns warten«. Es besteht der Verdacht, dass einige von Aristoteles’ Daten zur Anatomie der Säugetiere aus hieroskopischen Texten stammten – Büchern über das Weissagen aus Innereien. Ein unangemessenes Maß an Aufmerksamkeit wendet er der Gallenblase zu, einem anderweitig unbedeutenden Organ, das im Dickicht des Glaubens an Prophezeiungen eine große Rolle spielte. Er ist ein Experte für das Sprungbein, einen kleinen Fußknochen, der von Spielern

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und Propheten als Würfel verwendet wurde. Wenn Aristoteles tatsächlich einige seiner Daten aus solchen Quellen bezog, hielt er sich an die Anatomie und ließ die Prophezeiungen beiseite. Platon machte es umgekehrt. Ein prophetisches Handbuch lieferte wahrscheinlich auch einen Teil der Ethologie. »Daher nehmen die Seher ihre Begriffe ›angeglichen‹ und ›nicht angeglichen‹: Tiere in Feindschaft sind ›nicht angeglichen‹, diejenigen aber, die in Frieden leben, zählen als ›angeglichen‹.« Weiter beschreibt er dann, wie Adler gegen Geier kämpfen (und gegen Schlangen und Kleiber und Reiher), wie Schlupfwespen und Geckos gegen Spinnen kämpfen, wie Schlangen gegen Wiesel kämpfen, wie Zaunkönige gegen Eulen kämpfen und so weiter. Über mehrere Seiten zieht sich dieser Krieg der Natur, dessen Gewaltniveau fast Darwin’sche Ausmaße annimmt. Hier finden sich viele Daten geringer Qualität. Dass Zaunkönige, Lerchen, Spechte und Kleiber sich von den Eiern anderer Vögel ernähren, würde jeden Ornithologen überraschen. Und falls zu Aristoteles’ Zeiten der Esel in Feindschaft mit der Eidechse lebte, weil »die Eidechse in seiner Krippe schläft und in seine Nase krabbelt und ihn so am Fressen hindert«, dann können heutige Esel ganz gelassen bleiben, da die modernen Eidechsen diese unschöne Angewohnheit offenbar aufgegeben haben. Hätte er solches Material mit aufnehmen dürfen? Vielleicht nicht. Aristoteles’ Sinn für die empirische Realität ist so gefestigt wie bei jedem heutigen Wissenschaftler, und Handbücher für Wahrsager scheinen keine guten Quellen für Fakten zu sein. Aber bevor wir ihn rügen, sollten wir kurz innehalten und bedenken, vor welchen Schwierigkeiten er stand. Die Populärkultur war erfüllt von Mythen, die medizinischen Schulen wussten wenig über die menschliche Anatomie, die Landbevölkerung war ein sprudelnder Quell von Falschinformationen über die Tiere, die sie täglich sah. Als er die empirische Grundlage seiner Wissenschaft legte, muss er große Mengen zweifelhafter Daten zusammengetragen und kommentarlos beiseitegelassen haben. In seinen Büchern wird das Dickicht aus Fabeln und Mythen, durch das er sich schlug, nur angedeutet. Er weist Erzählungen – er benutzt dafür das Wort mythoi – zurück oder zieht sie wenigstens in Zweifel, nach denen Kraniche Steine als Ballast verschlucken, die, wenn sie wieder hervorgewürgt werden, gewöhnliche Materie in Gold verwandeln können; nach denen Löwinnen ihre Gebärmutter ausstoßen, wenn sie ihre Jungen zur Welt bringen; nach denen Ligyer (aus Westgriechenland) nur sieben Paar Rippen haben und nach denen Köpfe weiterreden können, nachdem sie vom Körper getrennt werden. Im dritten Jahrhundert nach Christus sollte Aelianus ganze Bücher mit dieser Art von Geschichten füllen. Wie Aristoteles mit der letzten dieser Behauptungen – den sprechenden Köpfen – umgeht, ist sehr lehrreich. Viele Menschen, schreibt er, glauben,

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dass ein abgeschlagener Kopf sprechen kann, und sie zitieren dazu Homer. Auch, fährt er fort, gibt es eine offenbar glaubwürdige Beschreibung genau so eines Falles. In Karien (Anatolien) wurde ein Priester des Zeus Hoplosmios geköpft. Als der Kopf zu Boden fiel, nannte er den Namen seines Mörders, eines gewissen Cerides. Ein Cerides wurde auch gefunden und vor Gericht gestellt. Aristoteles gibt keinen Kommentar zum Schicksal des Mannes ab, nicht einmal zu dem möglichen Justizirrtum, sondern weist die Geschichte aus folgenden Gründen zurück: (i) Wenn die Barbaren Köpfe abschlagen, sprechen diese nicht. (ii) Wenn Tieren der Kopf abgeschlagen wird, machen ihre Köpfe keine Geräusche; warum also sollten menschliche Köpfe dazu fähig sein? (iii) Um zu sprechen, muss Luft aus der Lunge durch die Luftröhre strömen, was bei einem abgetrennten Kopf kaum möglich ist. All das ist bewundernswert vernünftig.

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bgeschlagene Köpfe machen zwar keine Geräusche, Fische aber schon. In einem Abschnitt über Tierlaute sagt Aristoteles, dass der kokkis und der lyra (beides Knurrhähne) eine Art Grunzen von sich geben, während der chalkeus (Petersfisch) ein pfeifendes Geräusch macht. Er erklärt weiter, da Fische keine Lungen haben, seien diese Geräusche keine »Stimme« von der Art, wie Vögel oder Säugetiere sie haben; vielmehr werde das Geräusch durch die Bewegung innerer Teile verursacht, die »Luft oder Wind enthalten«.* Historia animalium steckt voller Fischfakten, einige davon recht unergründlich. Athenaios aus Naukratis, der um 300 n. Chr. einen Ratgeber für höfliche Tischkonversation verfasste, die zu einem überraschend großen Teil offenbar um Fische kreiste, bemerkt dazu sarkastisch: Doch ehrlich gesagt, erstaunt mich Aristoteles. Wann hatte er das alles nur gelernt? Und von wem? Einem Proteus oder Nereus, der aus der Tiefe emporgestiegen war? Was Fische tun, wie sie schlafen, wie sie ihre Zeit verbringen – das sind die Themen, über die er schrieb. Und nur, um die Idioten zu verblüffen, wie der komische Dichter sagte!

* Diese Fische erzeugen Geräusche, indem sie mit einem speziellen Muskel gegen ihre Schwimmblase trommeln. Der Laut des Petersfischs, Zeus faber, wurde von Meeresbiologen als etwas zwischen Bellen und Knurren beschrieben.

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chalkeus – Petersfisch – Zeus faber

Dabei gab es da gar nichts zu staunen: Aristoteles’ Nereus war ganz einfach irgendein Fischer. Aristoteles selbst verachtet die Weisheit des Volkes nicht. Er sagt oft, dass wir bei unseren Untersuchungen bei dem beginnen sollten, was die meisten Menschen glauben, da sie häufig recht hätten. Das Problem sei nur, dass die Menschen dazu neigen, Geschichten zu erzählen. Manche Fischer sagen, dass Fische ihre Eier befruchten, indem sie den Samen fressen. Das kann nicht stimmen, meint Aristoteles, da es nicht mit ihrer Anatomie übereinstimmt (alle Spermien, die sie fraßen, würden einfach verdaut werden); sie beschrieben nur ein Balzverhalten. Er verrät nicht, welche Fische das tun, aber mein Freund David Koutsogiannopoulos, der alles über griechische Fische weiß, sagte mir, es müsse sich um einen Lippfisch handeln, wahrscheinlich um Symphodus ocellatus, und schickte mir zum Beweis ein Foto. Apropos Seemannsgarn: Folgende drei Geschichten hörte ich von jemandem, der mich beeindrucken wollte. Erstens, dass die Mönchsrobbe, die am Eingang der Lagune lebt, die örtlichen Fischer verfolgt und dann ihre Netze plündert. Zweitens, dass die Möwen der Insel Vrachonisida Kalloni ihre Küken mit Oliven statt mit Fischen füttern. Drittens, dass die Krähen von Apothika Walnüsse vor herankommende Autos fallen lassen in der Hoffnung, dass diese unter den Rädern zermalmt werden. Sollte das Auto sie nicht erwischen, holten die Krähen ihre Nüsse zurück und versuchten es noch einmal. Angemessen verblüfft war ich und sagte das auch. Aber wie Aristoteles sagt: Das Problem ist, dass die Fischer die Natur nicht wirklich sorgfältig beobachten, da sie kein Wissen um des Wissens willen anstreben. Überlieferungen können ein guter Anfang sein, aber die Untersuchung der natürlichen Welt erfordert Expertenwissen, und nicht nur eine allgemeine Art von Wissen, die es uns ermöglicht, rationale Argumente zu bewerten, sondern auch Spezialwissen zu einem gegebenen Thema. Experten, sagt er, erkennen Dinge, die von anderen leicht übersehen werden – zum Beispiel die verschrumpelten Samenleiter von Dornhaien außerhalb der Saison. Und ungeachtet der

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Berichte über den Gebrauch von Werkzeugen durch Krähen in Neukaledonien würde ich es gerne von einem Verhaltensökologen mit praktischer Erfahrung auf dem Gebiet hören, bevor ich glaube, dass die Krähen von Apothika wirklich so schlau sind. Aristoteles’ Skeptizismus ist das erste Erwachen wissenschaftlicher Autorität – der Autorität, die heutzutage kein Maß mehr kennt. Er würde sicherlich darüber staunen, dass es heute kein noch so obskures Gebiet gibt, das nicht seine eigene Expertenkaste hätte, ermächtigt durch Doktorgrade und Universitätsposten und mit Statistiken gerüstet, um die öffentliche Meinung zu übertrumpfen. Es würde ihm gefallen.

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ristoteles’ Zurückhaltung bei seinen Quellen gilt auch für seine eigenen Recherchen. Er sagt nie: »Ich habe das gesehen – deshalb ist es wahr«, daher lässt sich schwer sagen, welche seiner Myriaden von Fakten etwa zum Fortpflanzungsverhalten aus eigener Beobachtung stammen. Doch zwischen den Zeilen wird schnell klar, dass er tatsächlich viel empirische Forschung betrieb. Dies hier trägt beispielsweise den Stempel persönlicher Autorität: Im Aussehen ähnelt der Chamäleonkörper im Wesentlichen der Eidechse, doch seine Rippen fallen und konvergieren zum Unterbauch hin wie die eines Fisches; auch seine Wirbelsäule tritt wie die eines Fisches hervor. Sein Gesicht ist dem eines Affen sehr ähnlich, aber sein Schwanz ist sehr lang, fällt bis zu einem gewissen Punkt ab und ist gewöhnlich aufgerollt wie ein Lederriemen. Es steht höher über dem Boden als eine Eidechse, aber seine Beine sind gebeugt wie die einer Eidechse. Jeder Fuß ist zweigeteilt und die relative Stellung (thesis) jedes Teils ähnelt der Opposition (antithesis) des menschlichen Daumens zum Rest der Hand. Jeder Teil [Fuß] geht unmittelbar in zehenähnliche Strukturen über: Die Innenseite des Vorderfußes ist dreigeteilt, die Außenseite zweigeteilt, während bei den Hinterfüßen die Innenseite zweigeteilt und die Außenseite dreigeteilt ist. Die Füße haben Krallen wie die eines Greifvogels. Der ganze Körper ist rau wie bei einem Krokodil. Die Augen, sehr groß und rund, sind mit Haut bedeckt wie der Rest des Körpers und liegen in einer Höhle; in der Mitte befindet sich ein kleines Loch, durch das es sieht und das nie von Haut bedeckt ist. Stattdessen dreht das Chamäleon seine Augen herum, ändert seine Blicklinie in jede Richtung und betrachtet, was immer es will. Sein Farbwechsel erfolgt, wenn es aufgeblasen ist, wobei es eigentlich schwarz ist, nicht unähnlich einem Krokodil, oder grün wie eine Eidechse mit schwar-

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zen Flecken wie ein Leopard. Dieselbe Veränderung tritt im gesamten Körper ein, einschließlich Augen und Schwanz. In der Bewegung ist das Chamäleon schrecklich schwerfällig, wie eine Schildkröte. Und wenn es stirbt, wird es grün und behält diese Färbung nach dem Tod. Speiseröhre und Luftröhre liegen an derselben Stelle wie bei einer Eidechse, und es hat kein Fleisch außer in der Nähe von Kopf und Kiefer und an der Schwanzwurzel. Blut hat es nur um das Herz herum, in den Augen, der Stelle direkt über dem Herzen und in den Venen, die davon ausgehen; die Blutmenge in ihnen ist winzig. Das Gehirn ist mit den Augen verbunden, sitzt jedoch etwas darüber. Wird die äußere Haut weggezogen, wird in den Augen so etwas wie ein dünner, glitzernder Kupferring sichtbar. Durch den größten Teil seines Körpers ziehen sich mehr als bei anderen Tieren viele kräftige Membranen. Selbst nachdem es vollständig eröffnet wurde, atmet das Chamäleon noch eine lange Zeit weiter und eine winzige Bewegung ist am Herzen zu sehen. Die stärksten Kontraktionen sind im Bereich der Rippen sichtbar, sie treten aber auch in anderen Teilen des Körpers auf. Es gibt kein Anzeichen für eine Milz. Es hält Winterschlaf wie die Eidechse.

Offenbar hat er das Chamäleon seziert, oder vielmehr viviseziert, diese herrliche und liebenswerte Kreatur, die heute noch in den Olivenhainen von Samos lebt.

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n seinen zoologischen Arbeiten erwähnt Aristoteles die folgenden Säugetiere: ailouros (Katze), alōpēx (Fuchs), arktos (Bär), aspalax (Blindmaulwurf), arouraios (Feldmaus), bos/tauros (Ochse), dasypous/lagos (Hase), echinos (Igel), elaphos/prōx (Hirsch), eleios (Schlafmaus), enydris (Otter), galē (Steinmarder), ginnos/hinnos (Maulesel), hippos (Pferd), hys (Schwein), hystrix (Stachelschwein), iktis (Wiesel), kapros (Wildschwein), kastōr (Biber), kyōn (Hund), leōn (Asiatischer Löwe), lykos (Wolf), lynx (Luchs), mys (Maus), mygalē (Sumpfspitzmaus), nykteris (Fledermaus), oïs/krios/probaton (Schaf), onos (Esel), oreus (Maultier), phōkē (Robbe), thōs (Schakal), tragos/aïx/chimaira (Ziege). All diese Arten waren in Griechenland und Kleinasien heimisch, daher überrascht die Aufzählung nicht weiter. Erstaunlicherweise ist aber die Anzahl von Arten, die er erwähnt, die aber im Nildelta, der libyschen Wüste und den Ebenen Zentralasiens leben, nicht viel geringer: alōpēx (hier: Nilflughund), boubalis (Nordafrikanische Kuhantilope), bonassos (Wisent), dorkas (Gazelle), elephas (Elefant), hyaina/trochos/glanos (Streifenhyäne), hippelaphos (Nil-

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gauantilope), hippos-potamios (Flusspferd), ichineumōn (Manguste), kēbos (Affe), kynokephalos (Pavian), onos agrios/hēmionos (Wildesel oder Asiatischer Esel), onos Indikos (Panzernashorn), oryx (Oryxantilope), panther/pardalis (Leopard), pardion/ hippardion (Giraffe?), pithēkos (Berberaffe), kamēlos Arabia (Dromedar), kamēlos Baktrianē (Trampeltier) – dazu können wir noch Tiere wie den ibis (Heiliger Ibis), strouthos Libykos (Strauß), krokodeiloos potamios (Krokodil) und verschiedene afrikanische Schlangen rechnen. »Immer wieder Neues aus Libyen«, sagt Aristoteles – und nach dieser Liste zu urteilen, auch aus dem Osten. Woher stammt Aristoteles’ exotische Tierkunde? Er war kaum jemals außer Sichtweite der Ägäis, also kann er sie nicht selbst zusammengetragen haben. Der römische Enzyklopäde Plinius der Ältere hatte eine Erklärung. Wie so häufig bei Plinius’ Behauptungen umweht sie der Hauch des Fantastischen. Er sagte, Alexander der Große hätte sie beigesteuert. König Alexander der Große, entflammt von dem Wunsch, das Wesen der Tiere zu entdecken, vertraute diese Aufgabe Aristoteles an, der sich in jedem Wissensgebiet hervortat. Mehrere Tausend Männer im gesamten Gebiet von Asien und Griechenland wurden seinem Kommando unterstellt – alle, die ihren Lebensunterhalt mit Jagen, Vogelfang und Fischen verdienten, sowie alle, die Tiergruppen versorgten: Rinderherden, Bienenstöcke, Fischteiche, Volieren. Nichts auf der ganzen Welt sollte von ihm übersehen werden. Durch seine gründliche Befragung dieser Männer konnte er fünfzig berühmte und hervorragende Bücher über Tiere verfassen.

Im Jahr 343, als er noch auf Lesbos lebte, wurde Aristoteles an den makedonischen Hof berufen. Er hatte allen Grund, dem Ruf zu folgen. Makedonien war schließlich seine Heimat und es war nicht mehr das verschlafene Nest, das er fast ein Vierteljahrhundert zuvor zurückgelassen hatte. Amyntas war lange tot, Philipp II. war ihm auf den makedonischen Thron gefolgt, hatte eine Armee aufgestellt und ließ seine militärischen Muskeln spielen. In Athen warnte Demosthenes die Bürgerschaft in zunehmend apokalyptischen Tönen vor der Gefahr, die sich vor ihrer Türschwelle zusammenbraute. Sie ignorierten ihn – was sie bald bereuen sollten. Philipp wollte einen Lehrer für seinen Sohn, jemand, der ihm die rauen Kanten abschliff und ihm die philosophische Erziehung angedeihen ließ, die sich für einen Prinzen ziemte. Machte Aristoteles aus dem Jungen den Mann, zu dem er werden sollte? Oder versuchte er, seine natürliche Energie in geordnete Bahnen zu lenken? Wir würden es gerne wissen, aber das können wir nicht. Denn Aristoteles’ halbwüchsiger Schüler war nicht irgendein verzogenes Prinzchen, sondern Alexander selbst, der zukünftige König der oikoumenē, der bekannten Welt.

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Es ist eine der bemerkenswertesten Zusammenkünfte in der Geschichte: Einer der größten Denker der Geschichte hat für einige Jahre die Oberhand über einen ihrer größten militärischen Anführer – und lässt ihn dann auf die Welt los. (Pierre-Simon Laplace führte bei Napoleon nur die Musterung für die Aufnahme in die École Militaire durch.) Vier Jahrhunderte später beschrieb Plutarch die Situation wie folgt: Für Studium und Freizeit erbaute Philipp das Nymphäum in Mieza für sie. Noch heute kann man die Steinsitze und schattigen Wege von Aristoteles bewundern. Wahrscheinlich lernte Alexander hier nicht nur Ethik und Politik, sondern auch die geheimen und tiefer gehenden Lehren (diese sogenannten Privatlektionen und besonderen Mysterien wurden nicht veröffentlicht oder den Massen zugänglich gemacht).

Dieselben schattigen Wege und Steinsitze sind auch heute noch zu sehen. Im Jahr 336 wurde Philipp ermordet. Alexander wurde König. Als Erstes machte er Theben, die zweitgrößte griechische Stadt, dem Erdboden gleich. In einem Brief rät Aristoteles ihm, den Griechen ein Anführer zu sein und sich um sie zu kümmern, als wären sie »Freunde oder Verwandte«, aber Alexander verkaufte Thebens Bürger in die Sklaverei. Später ließ er alle Männer von Gaza kreuzigen. Das war schon eher in Aristoteles’ Sinn: Im selben Brief rät er Alexander, den Barbaren ein Gewaltherrscher zu sein und sie zu »behandeln, als wären sie Tiere oder Pflanzen«. Während der junge General sich durch die bekannte Welt wütete, führte er eine Ausgabe des Ilias in Aristoteles’ Fassung mit sich. 335 kehrte Aristoteles nach verrichteter Arbeit nach Athen zurück, das nun unter makedonischer Hegemonie stand, und gründete dort das Lyzeum. Hier sezierte er auch, wenn man Plinius Glauben schenkt, Alexanders großzügige zoologische Gaben.

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linius’ Geschichte ist bezaubernd. Alexander, mehr als nur ein Lüstling mit kajalumrandeten Augen oder ein megalomanischer Eroberer, hat auch eine Schwäche für Pflanzen und Tiere, und als er sich an die Interessen seines alten Lehrers erinnert, legt er ihm liebevoll die zoologische Ausbeute eines Weltreichs zu Füßen. Ein oder zwei Jahrhunderte später schreibt Athenaios, dass Alexander Aristoteles 800 Talente für seine Forschungen bezahlte, und macht den König so im Vorübergehen zur nationalen Wissenschaftsstiftung von Makedonien. Ein Hauch Romantik umweht diese Ge-

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schichten. 800 Talente war ein Vielfaches des jährlichen Bruttosozialprodukts von Makedonien und in seinen biologischen Werken schreibt Aristoteles nichts von Subventionen, einem Zoo oder auch nur von Alexander selbst. Ebenso ist klar, dass Aristoteles Teil seiner exotischen Tierkunde aus Reisetagebüchern bezog. Ktesias von Knidos, ein griechischer Arzt am persischen Hof im 5.  Jahrhundert, schrieb mehrere Bücher über Persien und Indien, von denen Aristoteles meinte, dass er sie weder ignorieren noch ihnen trauen könnte. Keine dieser Arten [genē] von Tieren [lebend gebärende Landwirbeltiere, d. h. Säugetiere] hat eine doppelte Zahnreihe. Nun, eine gibt es, wenn man Ktesias glaubt. Er behauptet, dass ein Tier, das die Inder martichōras nennen, eine dreifache Zahnreihe hat, in der Größe einem Löwen ähnelt, ebenso zottig ist und dieselbe Art von Füßen hat. Es hat ein Gesicht und Ohren wie ein Mensch, blaue Augen, zinnoberrotes Fell und einen Schwanz wie ein Skorpion. Am Schwanz sitzt ein Stachel, es verschießt lange Stacheln wie Pfeile und seine Stimme liegt zwischen der Flöte eines Hirten und einer Trompete. Es rennt so schnell wie ein Hirsch, ist wild und ein Menschenfresser.

Hinter dem Fabeldickicht von Ktesias’ martichōras versteckt sich der Tiger (das persische Wort lautete martijaqāra, wörtlich »Menschenfresser«). An anderer Stelle sagt Aristoteles: »Was Ktesias über das Sperma des Elefanten geschrieben hat [dass es hart wie Bernstein ist], ist falsch.« – »Und in Indien, behauptet Ktesias, gibt es keine wilden oder zahmen Schweine, aber die blutlosen und schuppigen Tiere sind alle groß.« Dies bezieht sich auf Ktesias’ indischen Wurm, der in Bäumen lebt und Haustiere reißt und bei dem es sich offensichtlich um einen großen Python handelt. Der vermaledeite Ktesias ist auch die Quelle eines der klassischen Probleme in der aristotelischen Tierkunde. Aristoteles nennt zwei Arten von Tieren, die ein einzelnes Horn tragen. Eins, der onos Indikos (wörtlich »indischer Esel«), hat einen einzelnen Huf (ist also ein Unpaarhufer, genauer gesagt ein Pferd), das andere, der oryx, hat einen gespaltenen Huf (ist also ein Paarhufer, wahrscheinlich eine Antilope). Mit dem onos Indikos ist er zurückhaltend, und das zu Recht. Mindestens seit dem 19. Jahrhundert vermuten die Gelehrten, dass es sich dabei um eine entstellte Beschreibung des Panzernashorns handelt, und dass der oryx die Oryxantilope ist, aus weiter Ferne und von der Seite betrachtet. Aber natürlich war es da schon viel zu spät; trotz seiner Skepsis konnte Aristoteles nicht verhindern, dass sich Einhörner in seine Bücher schlichen. Während Aristoteles Ktesias immer wieder verdächtigt, sich Dinge einfach ausgedacht zu haben, ist er wesentlich mehr geneigt, Herodot (bl. 450 v. Chr.)

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Glauben zu schenken, und greift häufig und vertrauensvoll auf ihn zurück. Schließlich behauptete Herodot selbst von sich, dass er lieber Dinge glaubte, die er selbst gesehen hätte. Historia animalium steckt voller unmarkierter Herodot-Fakten: dass den Priesterinnen von Karien (Anatolien) in der Menopause Bärte wachsen, dass Kamele gegen Pferde kämpfen, dass in ganz Europa Löwen nur zwischen den Flüssen Acheloos und Nestos (Makedonien) zu finden sind, dass im Herbst die Kraniche von Skythien (Zentralasien) in die Feuchtgebiete südlich von Ägypten ziehen, in denen der Nil entspringt, dass ägyptische Tiere größer als ihre griechischen Artverwandten sind und so weiter. Manchmal, wenn die Fakten Aristoteles zweifelhaft vorkommen, stellt er ihnen ein »angeblich gibt es« voran, wie in »angeblich gibt es gewisse fliegende Schlangen in Äthiopien«. Fliegende Schlangen mögen uns fantastisch erscheinen, aber Herodot behauptet, ihre Skelette in Arabien gesehen zu haben, berichtet von ihren brutalen Paarungsritualen und fügt hinzu, dass sie jedes Jahr in Ägypten einfallen, wo sie dann von Schwärmen Heiliger Ibisse zurückgeschlagen werden. Legt man das zugrunde, ist Aristoteles’ zaghafter Kommentar bewundernswert zurückhaltend. Er ignoriert einfach Herodots Geschichten über nach Gold grabenden Ameisen und Greifen und entkräftet, ohne Namen zu nennen, seine Überzeugung, dass jedes Hinterbein eines Kamels vier Knie hat. Tatsächlich nennt Aristoteles den Geschichtsschreiber nur ein einziges Mal – und man hört die Verzweiflung heraus –, nämlich als er ihn bei einer wirklich absurden Aussage ertappt: »Herodot hat unrecht, wenn er sagt, dass die Äthiopier schwarzes Sperma ejakulieren.« Da Ktesias und Herodot nur für einen kleinen Teil dessen verantwortlich sind, was Aristoteles über Asiens und Afrikas Fauna wusste, muss er auch die Berichte anderer Reisender geplündert haben. Aber der erstaunlichste Aspekt seiner exotischen Tierkunde besteht darin, wie es ihm gelingt, exaktes Wissen mit vollkommener Ahnungslosigkeit zu kombinieren. Zum Beispiel erwähnt Aristoteles häufig den Elefanten. Er hätte durchaus von jemandem wie Ktesias etwas über das allgemeine Erscheinungsbild und die Gewohnheiten des Elefanten erfahren können – zum Beispiel, dass er groß ist, einen Rüssel und Stoßzähne hat. Aber woher wusste er, dass der Elefant keine Gallenblase hat, dass seine Leber etwa viermal so groß ist wie die eines Ochsen, dass seine Milz eher kleiner ist und dass seine inneren Hoden in der Nähe der Nieren liegen? Solche anatomischen Daten findet man wohl kaum in den Reiseberichten des vierten Jahrhunderts. Gerade solche überraschenden Fakten hielten die Geschichte über Alexanders Großzügigkeit am Leben. Vielleicht fing also Alexander einen der Kriegselefanten von Dareios III. ein, als er 331 die Perser bei Gaugamela schlug, und sandte ihn nach Athen, auf eine Reise von etwa zweitausend Kilometern, wo Aristoteles ihn im Schatten des Peripatos im Lyzeum sezierte. Der Science-Fiction-Autor L. Sprague de Camp schrieb

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eine interessante Novelle namens Ein Elefant für Aristoteles (1958) auf der Grundlage genau dieser Annahme und auch einige Gelehrte halten sie nicht für absurd. Aber selbst wenn wir diesen außerordentlich reisefreudigen Dickhäuter als gegeben annehmen, können wir uns immer noch fragen, warum Aristoteles, nachdem er einen Elefanten gesehen und aufgeschnitten hatte, behauptet, dass seine Hinterbeine wesentlich kürzer sind als seine Vorderbeine.* Aristoteles’ übrige exotische Tierkunde ist ebenso unstet. In seiner Zusammenfassung von Aristoteles’ Bericht über den Asiatischen Löwen bemerkt William Ogle, einer der wohlwollendsten Übersetzer des Philosophen und selbst erfahrener Zoologe, scharfzüngig: »Es ist eindeutig, dass Aristoteles nie selbst einem Löwen begegnet ist, denn fast alle seine Angaben über dessen anatomische Strukturen sind falsch.« Er denkt dabei vor allem an Aristoteles’ Behauptung, dass der Löwe nur einen Knochen im Hals hätte (das stimmt nicht, wie alle Säugetiere hat er sieben Halswirbel). Der Fehler ist umso verwunderlicher, als Aristoteles Löwen hätte sehen können, ohne weit zu reisen; in seiner Zeit schlichen Asiatische Löwen noch durch die abgelegeneren Täler von Makedonien.** Er liefert eine gute Beschreibung des Wisents, behauptet aber dann, dass es ätzenden Dung auf seine Verfolger schießt.*** Ebenso beschreibt er auch den Strauß überzeugend – mit der Ausnahme, dass er seine (zugegebenermaßen beeindruckenden) Krallen für Hufe hält. Beim Kamel schlägt er sich besser: Er weiß, dass es den mehrkammrigen Magen eines Wiederkäuers hat, gespaltene Klauen und überraschenderweise auch, dass der Spalt an den Hinterfüßen tiefer ist als an den Vorderfüßen. Und er liefert eine sehr gute Beschreibung der Genitalien von Hyänen.

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Die Antwort könnte ganz einfach sein: Der obere Teil der Hinterbeine eines Elefanten ist von tief hängenden Hautfalten verborgen, sodass sie für den oberflächlichen Betrachter kürzer aussehen als die Vorderbeine. Dieses Missverständnis hätte aber auf keinen Fall eine Sektion überstanden. ** Der Asiatische Löwe, Panthera leo persica, war in Europa vermutlich im 1. Jahrhundert n. Chr. ausgestorben. Heute lebt er nur noch im indischen Gir-Nationalpark. *** Eine Übertreibung, die ihren Ursprung in der Angewohnheit von Rindern hat, bei Bedrohung ihren Schwanz zu heben und flüssige Fäkalien zu verspritzen. Die Geschichte könnte auch eine nicht aristotelische Erweiterung sein. Sie wird fast wortwörtlich in De mirabilibus auscultationibus wiederholt, einer Sammlung erstaunlicher Geschichten, die zum Corpus Aristotelicum gehört, aber von einem von Aristoteles’ Nachfolgern verfasst wurde.

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n De generatione animalium schreibt Aristoteles, dass einem gewissen Herodoros zufolge die hyaina sowohl männliche als auch weibliche Sexualorgane hätte und dass sie sich jedes Jahr abwechselnd bestiegen, dass sie also kurz gesagt ein Zwitterwesen sei. Herodoros stammte aus Herakleia, einem Hafen am Schwarzen Meer, über den er eine Historia schrieb und wo er Bryson den Sophisten zeugte, der sich an der Quadratur des Kreises versuchte. Bei seiner hyaina muss es sich um die Streifenhyäne Hyena hyena gehandelt haben, da sie das einzige Mitglied der Familie ist, das dort oder irgendwo sonst in der hellenischen Welt zu finden war. Aristoteles bezeichnet Herodoros’ Schilderungen als Unsinn. Die Hyäne ist kein Zwitterwesen – allerdings hat sie tatsächlich einen seltsam anmutenden Unterbau. In Historia animalium erzählt Aristoteles uns mehr. Will man seinem Bericht folgen, muss man wissen, dass Hyänen beiderlei Geschlechts große Drüsen besitzen, die einen Beutel um den Anus bilden. Das erklärt seine Beschreibung. Die eingefügten modernen Bezeichnungen stammen von mir: Die Hyäne ist von wolfsähnlicher Farbe, aber zottiger und trägt eine Mähne über die gesamte Länge ihres Rückens. Die Behauptung, dass sie sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsorgane besitzt, ist falsch. Das des Männchens [der Penis] ist wie beim Hund oder beim Wolf. Was wie ein weibliches [eine weibliche Analdrüse] aussieht, befindet sich unter dem Schwanz und obwohl seine Struktur der eines Weibchens ähnelt, hat es keinen Durchlass. Was sich darunter befindet, ist der Durchlass für Abfallstoffe [Anus]. Das Weibchen hat in der Tat eine Struktur, die dem ähnelt, was als weibliches Geschlechtsorgan bezeichnet wird [Analdrüse], aber wie beim Männchen sitzt es unter dem Schwanz und hat keinen Durchlass. Danach kommt der Durchlass für Abfallstoffe [Anus] und darunter das echte Geschlechtsorgan [Vagina]. Die weibliche Hyäne hat eine Gebärmutter, genau wie andere weibliche Tiere dieses Typs. Es ist selten, dass man eine weibliche Hyäne zu fassen bekommt. Ein Jäger erzählte mir, unter elf Hyänen, die er erlegt hätte, sei nur ein Weibchen gewesen.

Ein Diagramm zeigt den Grund für die Verwirrung: Die Einstülpung, die von Analdrüsen gebildet wird, ist leicht mit einer Vagina zu verwechseln – aber einer, die beide Geschlechter haben. Aristoteles jedoch macht seine

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Genitalien der hyaina – Streifenhyäne – Hyena hyena. Links: männlich, rechts: weiblich. AS – Analbeutel, R – Rektum, S – Skrotum, P – Penis, V – Vagina

Sache gut. Aber er sagt nicht, dass er das alles gesehen hätte, er sagt, dass es »beobachtet wurde«. Da hatte offenbar jemand anders einer Hyäne neugierig zwischen die Beine geschaut. Tatsächlich scheint es nicht wahrscheinlich, dass Aristoteles die Exotika, die er beschreibt, jemals selbst gesehen hat. Seinen Berichten über ihre Anatomie und Gewohnheiten fehlen einfach Umfang, Detail und Genauigkeit, die wir in diesem Fall erwarten würden – und die er liefert, wenn er die Anatomie beispielsweise des Tintenfisches beschreibt. Die Geschichte von Alexanders Freigiebigkeit ist fast sicher eine späte Erfindung, die das Image des Eroberers weichzeichnen sollte – oder das des Philosophen aufwerten. Stattdessen scheint Aristoteles bei Erzählungen von Reisenden anzusetzen – den verschiedenen frühen Historiae –, die er so eingehend prüft, wie es ihm möglich ist, das Unplausible verwirft, dem Möglichen warnende Hinweise hinzufügt und das Wahrscheinliche behält. Dieses Material verwebt er dann mit fragmentarischen, aber wissenschaftlich anspruchsvolleren Berichten, die ihm von jemand anderem geschickt wurden. Hier ist ein unbekannter Mitarbeiter am Werk: jemand, der reiste, der sich mit Anatomie auskannte und der Aristoteles Informationen über das sandte, was er sah. Es gibt mehrere Kandidaten für diesen unbekannten Mitarbeiter. Der plausibelste ist Aristoteles’ Großneffe Kallisthenes von Olynth. Die beiden Männer waren nicht nur verwandt, denn Kallisthenes war ein Schüler an Platons Akademie in Athen, als Aristoteles dort lehrte. Es ist auch wahrscheinlich, dass Kallisthenes Aristoteles folgte, als dieser 346/7 die Akademie

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verließ, um an Hermias’ Hof in Assos zu gehen. Als Hermias von den Persern gefoltert und hingerichtet wurde, schrieb er genau wie Aristoteles eine Lobeshymne an den Tyrannen. Nach weiteren Überlieferungen folgte Kallisthenes Aristoteles nach Lesbos und dann, einige Jahre später, nach Makedonien. Zwar war er einige Jahre älter als Alexander, doch sie könnten zusammen Schüler in Mieza gewesen sein. Sicher ist jedenfalls, dass Kallisthenes sich durch die Hellenica, eine Geschichte Griechenlands in zehn Bänden, bereits einen Ruf als Geschichtsschreiber erarbeitet hatte, als Alexander an die Macht kam, und dass er, als Alexander auf seinem Eroberungsfeldzug gen Osten 334 den Hellespont überschritt, mit ihm reiste, um den Feldzug zu dokumentieren. Und um Berichte über die Fortschritte der Armee nach Athen zu senden. Der noch unerprobte Alexander, nur ein kleiner Monarch unter vielen, wollte sichergehen, dass die Athener von seinen Triumphen erfuhren. Aber Kallisthenes war mehr als nur ein Propagandist. Er war auch ein Naturphilosoph, der eine Erklärung für die Ursache der jährlichen Nilflut in den regenschweren Wolken fand, die auf das äthiopische Bergmassiv trafen. Dies war zweifellos inspiriert von Alexanders raschem Durchmarsch durch Ägypten in den Jahren 332/1; Alexander könnte ihn sogar nach Süden in Richtung Sudan geschickt haben, um nach den Quellen des mächtigen Flusses zu suchen. Kallisthenes dokumentierte auch die astronomischen Überlieferungen der Babylonier und schlug eine Theorie über die Ursachen von Erdbeben vor. Einem Fragment zufolge schickte er Aristoteles Informationen, auch wenn wir nicht wissen, worüber. Kallisthenes folgte Alexanders Heereszug über sieben Jahre. Er war bei der Eroberung von Tyros und Gaza dabei, beim Einzug in die Oase Siwa, den Schlachten am Granikos, bei Issos und bei Gaugamela und bei der langen und abenteuerlichen Verfolgung von Dareios durch die Wüsten Zentralasiens. Er durchquerte Anatolien, Syrien, Ägypten, Mesopotamien, Babylon, Persien, Medien, Hyrkanien und Parthien. Er umrandete das Kaspische Meer, die Wüste Kir und die Sümpfe von Sistan, bestieg den Felsen von Aornos und überquerte den Hindukusch. All diese Gegenden sind ergiebiges zoologisches Territorium, also könnte man sich fragen, warum Aristoteles, wenn er auf all das zurückgriff, was Kallisthenes sah, uns nicht mehr über den Osten erzählt. Diese Frage lässt sich jedoch leicht beantworten: Aristoteles sah seinen Neffen nie wieder. Irgendwo in Baktrien, im heutigen Afghanistan, ließ Alexander seinen Geschichtsschreiber festnehmen und hinrichten. Die alten Quellen sind sich nicht einig darüber, warum und wie Kallisthenes getötet wurde, aber berichten übereinstimmend, dass es ein hässlicher Tod war. Alexander starb 323. Oft wurde behauptet, dass er von Antipatros vergiftet wurde, seinem Vizekönig in Pella und Aristoteles’ Freund. In seinen

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Schriften, die völlig frei von politischen und persönlichen Passionen sind, berichtet Aristoteles nichts über das Schicksal seines Neffen, aber Theophrastos, der Pflanzensammler, betrauerte Kallisthenes und schrieb einen Dialog in seinem Namen.

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esthiomenon echinus – Steinseeigel – Paracentrotus lividus

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ristoteles beschreibt die innere Anatomie von etwa 110 verschiedenen Tieren. Bei etwa 35 davon sind seine Angaben so umfassend oder akkurat, dass er sie selbst seziert haben muss. Die Qualität seiner Arbeit in ihrer besten Form lässt sich an dem messen, was er über die Anatomie des Tintenfisches sagt. Hat man ein Exemplar vor sich, ist es einfach, seiner Beschreibung zu folgen. Wir legen unseren Tintenfisch – schlaff, bleich, klebrig – auf den Tisch. Wir beginnen, so wie er, mit den äußeren Teilen: dem Mund, seinen beiden scharfen Kiefern, den acht Armen, zwei Tentakeln, dem Mantelsack und den Flossen. Dann müssen wir hinein. Aristoteles sagt uns nicht, wie. Vielleicht hat er einfach die Tentakeln mit einer Hand festgehalten, den Mantel mit der anderen und ihn auseinandergerissen – so jedenfalls hätte es eine griechische Hausfrau gemacht. Wir sollten ihm nicht die Geschicklichkeit, Geduld und feinen Instrumente eines modernen Anatomen zuschreiben, aber etwas vorsichtiger war er sicherlich. An anderer Stelle beschreibt er, wie er die Haut vom Gesicht eines Maulwurfs schneidet, um die verkrüppelten Augen darunter freizulegen. Wie dem auch sei, wir schlitzen den Mantel von den Tentakeln zum Schwanz längs auf. Ein Bauchschnitt legt die Fortpflanzungsorgane frei, ein Schnitt in den Rücken den Schulp und darunter eine große rote Struktur, die er mytis und Verdauungssystem nennt. Wir wollen an dieser Stelle seinen anatomischen Beschreibungen nicht in allen Details folgen, sondern nur auf zwei bemerkenswerte Dinge hinweisen, die er tut. Zunächst fällt ihm auf, dass sich zwischen den Augen mit ihren irisierenden Spiegelhäuten und den schwarz geschlitzten Pupillen ein Knorpel befindet. Trägt man ihn vorsichtig ab, legt man zwei kleine, weiche, gelbliche Wölbungen frei: das Gehirn des Tintenfisches. Es ist sehr leicht zu übersehen oder versehentlich zu beschädigen, aber er findet es. Hat man es erst entdeckt, ist die Struktur des Neuralgewebes unverkennbar. Zweitens folgen wir dem Verdauungstrakt. Wir beginnen am Mund, folgen der Speiseröhre durch das Gehirn und durch die mytis bis zum Magen, den Aristoteles so treffend mit dem Kropf eines Vogels vergleicht. Hier befindet sich ein weiterer Beutel, das spiralige Caecum, das er mit der Schale einer Kronenschnecke vergleicht. Der Darm entspringt aus dem Caecum,

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aber während er bei den meisten Tieren nach hinten verläuft, tut er das hier nicht. Stattdessen macht er eine Schlaufe nach vorn, sodass das Rektum seinen Ausgang in der Atemöffnung hat. Er bemerkte damit eins der seltsamsten Merkmale in der Anatomie der Kopffüßer: dass sie auf ihren Kopf koten. Einiges versteht Aristoteles auch falsch. Er glaubt, dass die mytis – ein großes, zentrales Organ – das Tintenfisch-Äquivalent eines Herzens ist. Nein – es ist das Tintenfisch-Äquivalent einer Leber. Im 17. Jahrhundert entdeckte Swammerdam die wahren Herzen – alle drei. Aristoteles bemerkt auch »fedrige Wucherungen« in der Mantelhöhle, erkennt sie aber nicht als Kiemen, obwohl sie denen eines Fisches sehr ähnlich sehen. Muskeln und Nerven nimmt er gar nicht wahr. Fehler sind zu erwarten. Aber etwas Wichtiges fehlt – nicht beim Tintenfisch, sondern im Buch. Der Historia animalium fehlt das, was jeden modernen tierkundlichen Text auszeichnet: Schaubilder. Ohne sie kann Anatomie nicht wirklich gelernt oder gelehrt werden. Erst durch Abstraktion und Visualisierung wird die logische Struktur der tierischen Form deutlich. Wie jeder Anatom weiß, kann man erst richtig sehen, wenn man zeichnet. Und gerade als wir uns fragen, wie Aristoteles ohne Schaubilder durchkam, stoßen wir auf Folgendes Einzelheiten zur Anordnung dieser Teile sollten den Schaubildern der Anatomie entnommen werden.

Es gab ein ganzes Buch von ihnen. Acht sogar, so jedenfalls behauptet Diogenes Laertios. Philosophen bedauern den Verlust von Aristoteles’ Protrepticus, einer frühen Zusammenfassung seiner Philosophie. Aber die zumindest lässt sich über diejenigen rekonstruieren, die sie zitieren. Ich betrauere Die Anatomien, denn sie gingen vollständig verloren. Wie sah ein anatomisches Schaubild aus dem vierten Jahrhundert aus? Vielleicht ein wenig wie die Fischbilder auf der apulischen Keramik. Aber sicherlich skizzenhafter, denn Aristoteles war kein professioneller Künstler und hatte einen didaktischen Auftrag zu erfüllen. Ein Umriss also in raschen schwarzen Pinselstrichen, mit alphabetischen Bezeichnungen (A, B, Γ, Δ) für die verschiedenen Teile – teilweise bezieht er sich explizit darauf. Wir können versuchen, seine Schaubilder zu rekonstruieren, aber tatsächlich können wir nur raten. Man hat undefinierbare alte Texte auf Papyrus gefunden, der um ägyptische Mumien gewickelt oder in sie gestopft worden war. Ein Schaubild des menschlichen Herzens von Aristoteles könnte also durchaus noch irgendwo im ausgeräumten Brustkorb einer hellenistischen Leiche existieren, aber ein befreundeter Papyrologe sagte mir, die Chancen, so etwas zu finden,

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seien vergleichbar mit denen, einen lebenden Dinosaurier im Kongo zu entdecken. Trotzdem, wenn ich annähme, dass ein Exemplar von Die Anatomien im ägyptischen Sand vergraben liegt, würde ich graben, bis ich es gefunden hätte, bis ich sehen könnte, was er gesehen hat, wie er es gesehen hat.

sēpia – Gewöhnlicher Tintenfisch – Sepia officinalis. Anatomie nach Historia animalium, Buch IV

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lle Tiere interessieren Aristoteles, aber keins so sehr wie der Mensch. Sie – wir – sind sein ultimativer Modellorganismus. Der Begriff ist kein Anachronismus, denn Historia animalium beginnt mit einer Beschreibung der menschlichen Anatomie: Zuerst müssen die Teile des Menschen [anthrōpos] erfasst werden. Die Leute beurteilen die Gebräuchlichkeit, wie alles andere, nach dem, was ihnen am vertrautesten ist, und Menschen sind notwendigerweise die Tiere, die uns am vertrautesten sind.

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Menschen sind, gibt er zu, nicht sehr typisch. Häufig erwähnt er unsere Besonderheiten: dass nur wir ein Gesicht haben, Wimpern an beiden Lidern, Augen verschiedenster Farbe, bei Geburt zahnlos sind, aufrecht gehen, Brüste vorn und Hände haben. Dennoch sind wir der einleuchtende Ausgangspunkt. Hat Aristoteles jemals einen Menschen seziert? Darüber wird heiß diskutiert. Ein verdrießlicher Gelehrter, Lewes, der dies verneinte, führte Sophokles ins Feld und wie er Antigone beschreibt – ihre süße, kompromisslose Loyalität, ihre keusche Schönheit, ihren leidenschaftlichen Mut – und wie sie darum kämpft, ihren Bruder zu beerdigen. Das, sagt Lewes, zeigt den Respekt, den die Griechen für ihre Toten empfanden, und diese Haltung hätte dafür gesorgt, dass Aristoteles niemals seine lüsternen Anatomenhände an eine Leiche legte. Viel Kraft hat dieses Argument nicht. Es gab viele Sklaven im Griechenland des vierten Jahrhunderts; man kann sich vorstellen, dass an ihren ungeliebten, ungriechischen Leichnamen in Athen kein Mangel herrschte. Außerdem sezierten im folgenden Jahrhundert Erasistratos von Keos und Herophilos von Chalkedon offenbar tatsächlich Menschen, wenn auch im liberal gesinnten Alexandria. Die alten Quellen erzählen sogar von Vivisektionen Gefangener. Aber wir brauchen keine soziologischen Argumente, um die Angelegenheit beizulegen. Aristoteles selbst sagt recht deutlich, dass er es nicht getan hat. Als er sich unserer inneren Anatomie zuwendet, schreibt er: »Tatsache ist, dass uns die inneren Teile des Menschen äußerst unvertraut sind, deshalb müssen wir die [inneren] Teile anderer Tiere heranholen und untersuchen, die dem Menschen vom Wesen her vergleichbar sind.« Tatsächlich ist die Extrapolation verantwortlich für einige der Ungenauigkeiten, die seine Beschreibungen unserer inneren Organe durchziehen. Er schreibt, dass Menschen eine »doppelte Gebärmutter« haben – eine kühne Vermutung, da die Gebärmutter der meisten Säugetiere in unterschiedlichem Maß gabelförmig angelegt ist, nur unsere zu seinem Pech eben nicht. Er behauptet weiter, wir hätten »gelappte« Nieren – wir nicht, aber der Ochse. Manche Ungenauigkeiten sind unerklärlich. Er schreibt, wir hätten acht Rippenpaare – hat er nie ein Skelett gesehen? Er gibt an, nach spontanen Fehlgeburten menschliche Föten untersucht zu haben. Er sagt nicht, dass er je einen seziert hätte, aber einige seiner offensichtlichen Irrtümer könnten akkurate Beschreibungen der fetalen Anatomie sein. Kein Organsystem interessiert Aristoteles so sehr wie das Herz und seine Gefäße. Seine Erörterung beginnt mit einem Überblick über den aktuellen Wissensstand. Syennesis von Zypern, Polybos von Kos und Diogenes von Apollonia – zwei hippokratische Ärzte und ein physiologos – gesteht er einen Absatz bis einige Seiten zu. Platon wird überhaupt nicht erwähnt. Vielleicht

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deshalb, weil sein Modell des Herz-Kreislauf-Systems im Timaios nur fünf Zeilen umfasst. Die beiden Hippokraten waren unbrauchbar. Sie ließen die Blutgefäße im Kopf entspringen und sparten das Herz aus. Diogenes war besser und in einem der längsten Fragmente, die wir von einem präsokratischen Philosophen überhaupt besitzen, zitiert Aristoteles ihn ausführlich. Diogenes war klug genug, die Blutgefäße am Herzen zu befestigen, und beschrieb den Verlauf einiger Gefäße ausreichend detailliert, dass man sie heute noch wiedererkennt. Alle drei behaupteten, das Gefäßsystem sei in eine linke und eine rechte Hälfte unterteilt: Ein Satz Blutgefäße versorge Hoden, Niere, Arm und Ohr auf der linken Körperseite, ein anderer, vollkommen separater Satz ihre Entsprechungen auf der rechten Seite. Eine schön ordentliche, aber falsche Vorstellung. Aristoteles’ eigene Beschreibung dagegen ist ein Bravourstück anatomischer Forschung. Wo die Hippokraten offenbar die Gefäße verfolgt hatten, die durch die Haut zu sehen waren, oder aber einfach geraten hatten, sezierte Aristoteles: Wie bereits erwähnt, besteht das Problem bei der visuellen Untersuchung darin, dass es nur dann möglich ist, eine wirksame Erforschung vorzunehmen, wenn die durch Strangulation getöteten Tiere zuvor an Gewicht verloren haben.

Und: Das spitze Ende des Herzens zeigt nach vorn, aber eine Lageveränderung während der Sektion führt häufig dazu, dass man dies übersieht.

Und: Ein detailliertes und akkurates Studium der relativen Positionen der Blutgefäße sollte sich der Anatomien und der Historia animalium bedienen.

Damit scheint er eine Warnung auszusprechen: Denkt nicht mal daran, meine Ergebnisse in Zweifel zu ziehen, bevor ihr nicht zuerst meine Techniken gemeistert habt. Diese Techniken lieferten ihm eine zusammenhängende, detaillierte Beschreibung des Aufbaus des Herzens, der großen Blutgefäße des Körpers und ihrer Beziehungen und Verästelungen. Wenn man sie liest, kommt einem sogar der Gedanke, dass er doch einen Menschen seziert haben muss; doch wenn man genauer hinsieht, wird deutlich, dass sich darin nichts findet, was er nicht von einer Ziege hätte lernen können. Er setzt das Herz in die Mitte des gesamten Systems und orientiert die Geometrie der großen Blutgefäße

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Menschliches Gefäßsystem nach Historia animalium, Buch III

so, dass die Aorta »hinter« (dorsal) dem »großen Blutgefäß« – der Vena cava – liegt, wie sie es nahe dem Herzen auch tut. Wir folgen seiner Beschreibung des »großen Blutgefäßes« und seiner Zuflüsse: Die Vena cava verläuft durch die größte der drei Kammern des Herzens (rechter Vorhof + Herzkammern). Die obere Vena cava verläuft zum oberen Brustraum und teilt sich dann in die unbenannten Venen, die anschließend in den Schlüsselbeinvenen zusammenfließen, die in die Arme ziehen, und in die beiden paarigen Drosselvenen, die in den Kopf ziehen. Aus den Drosselvenen entspringen die Gesichtsvenen und viele andere kleine Gefäße im Kopf. Die untere Vena cava verläuft durch das Zwerchfell, wo sie sich in die Lebervene, die die Leber versorgt, und die Nierenvenen teilt, die die Nieren versorgen, und läuft dann weiter, bis sie sich in die Beckenvenen teilt, die an den Beinen hinunter bis zu den Zehen verlaufen. Die Venen von Magen, Bauchspeicheldrüse und Gekröse, von denen es viele gibt, vereinigen sich zu einem einzelnen großen Gefäß. Ein Zweig des »großen Blutgefäßes« (die Lungenarterie) teilt sich und verzweigt sich dann immer weiter in immer kleinere Gefäße, die die Lungen versorgen. Die Terminologie ist modern, denn Aristoteles benannte keine Gefäße mit Ausnahme des »großen Gefäßes« und der Aorta, deren Zuflüsse er auf eine ganz ähnliche Weise verfolgt. Doch seine Beschreibung ist so gut, dass

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wir wissen, was er meint, selbst wenn seine Sprache, die immer schwerfällig ist, verklumpt; sie ist so gut, dass wir ihr mit modernen Schaubildern in der Hand folgen können; so gut, dass ihre Irrtümer sofort ins Auge fallen.* Aber Sezieren ist schwer. Wenn man eine Leiche öffnet, sieht man die Organe nicht ordentlich ausgerichtet, logisch verbunden und praktisch in Kontrastfarben ausgezeichnet, sondern einen Sumpf von kaum unterscheidbaren Röhren und Beuteln und Membranen, die in Lachen von Körperflüssigkeiten schwimmen. Was man in diesem Sumpf sieht, wird stark von dem beeinflusst, was man zu sehen erwartet, denn wie bei jeder Untersuchung verschwören sich bei der Sektion Erwartung und praktische Schwierigkeiten, um die Wahrheit zu verbergen. Erwartungen und Schwierigkeiten lassen sich jedoch manchmal überwinden. Aristoteles fragt sich, wo das Blut hinläuft. Er sieht nach und beschreibt, möglicherweise zum ersten Mal, wie Blutgefäße sich wieder und wieder verzweigen, bis sie zu winzigen Gefäßen werden, den Kapillaren, und im Fleisch verschwinden.

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as natürlich die Frage aufwirft: Wie gut ist seine Biologie als Ganzes? Diese Frage, die sich jedem aktiven Wissenschaftler stellen wird, der ein Buch aus Aristoteles’ biologischen Arbeiten aufschlägt und Seite um Seite voll empirischer Behauptungen betrachtet, wurde nie beantwortet. Nicht, dass man es nicht versucht hätte. Im Laufe der Jahrhunderte haben viele Kommentatoren versucht, die Wahrheit in Aristoteles’ Behauptungen zu bewerten. Sie alle mussten die Waffen strecken vor der schieren Größe der Aufgabe. Nehmen wir nur einmal den folgenden Abschnitt:

* Zu denen auch seine Überzeugung gehört, dass unser Herz nur drei Kammern habe statt der vier, die es tatsächlich hat – entweder gelingt es ihm hier nicht, den rechten Vorhof von der rechten Herzkammer zu trennen, oder er hält den rechten Vorhof irrtümlich für einen Teil der Vena cava. In diesem Zusammenhang bringt er auch die Verbindung der Lungenarterien durcheinander – sie münden in den rechten Vorhof, nicht in die Vena cava. Auch nimmt er an, dass die Venen des Verdauungssystems zusammenfließen und in die untere Vena cava münden, statt in die Leber zu führen (er übersieht also das Pfortadersystem der Leber); weiterhin, dass die Kopfvene am Ohr von der Drosselvene abzweigt (das tut sie nicht; sie fließt in die Schlüsselbeinvene), und dass im Gehirn kein Blut fließt. Er erfindet außerdem ein Venenpaar, das von der unteren Vena cava in die Arme verläuft (das könnte eine hippokratische Nachwirkung sein). Ich habe hier Arterien von Venen unterschieden, er tut das nicht. Natürlich weiß er nicht, dass Blut zirkuliert.

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Alle lebend gebärenden Vierfüßer haben Nieren und eine Blase. Einige der Eier legenden Tiere (wie Vögel und Fische) haben keine; von den Vierfüßern unter ihnen nur die Schildkröte, wobei die Größe zu der ihrer anderen Teile proportional ist. Die Niere einer Schildkröte ähnelt der von Rindern. Die Niere eines Ochsen sieht aus wie ein einzelnes Organ, das aus einer Reihe kleinerer Organe zusammengesetzt ist.

In nur drei Sätzen stecken hier sechs empirische Behauptungen: dass (i) alle Säugetiere Nieren haben – wahr; (ii) alle Säugetiere eine Blase haben – wahr; (iii) kein Fisch oder Vogel eine Niere hat – falsch; (iv) kein Fisch oder Vogel eine Blase hat – wahr; (v) von den Amphibien und Reptilien nur Schildkröten Nieren haben – falsch; (vi) die Niere der Schildkröte wie die des Ochsen modular aufgebaut ist – wahr. Aristoteles scheint also die Nieren von Fischen und Vögeln übersehen zu haben. Die Erwartung spielte hier sicherlich eine Rolle, da die Nieren von Fischen und Vögeln nicht nierenförmig, sondern lang und dünn sind. Tatsächlich schreibt Aristoteles in einem anderen Buch auch, dass Fische und Vögel »nierenähnliche« Teile haben. Aber Aristoteles nach seinem Wissen über das Ausscheidungssystem zu bewerten, ist leicht und erfordert nicht mehr als eine flüchtige Bekanntschaft mit der Anatomie der Wirbeltiere. Was aber soll man von seiner Behauptung halten (um ein anderes Beispiel aufzugreifen), dass es eine Spechtart von mittlerer Größe gebe, der in Olivenhainen nistet? Filios Akreotis, Griechenlands herausragender Ornithologe, sagte mir, dass es tatsächlich einen gibt – den Mittelspecht, Dendrocopus medius –, aber nur auf Lesbos. Und dann sind da die Schwierigkeiten mit den Texten. Im euripos Pyrrhaiōn, schreibt Aristoteles, sei der esthiomenon echinos zu finden, der Steinseeigel. Er schreibt auch, dass man diesen essbaren Seeigel (Paracentrotus lividus) von seinen ungenießbaren Verwandten anhand des Seetangs unterscheiden kann, mit dem er seine Stacheln verziert. Also fuhren wir eines schönen Sommertages zur Mündung der Lagune und schnorchelten nach den bekränzten Seeigeln, zerschlugen ihre Schalen oder vielmehr ihre Endoskelette an den Felsen und aßen ihre Geschlechtsdrüsen, die von den Sizilianern so heiß geliebten ricci di mare, roh. Unter den Resten unseres Mittagessens befanden sich die Mundwerkzeuge der Seeigel: winzige, komplexe Vorrichtungen aus knochenweißem Kalzit. Im Jahr 1734 beschrieb sie der preußische Universalgelehrte Jacob Theodor Klein in seinem Werk Naturalis dispositio echinodermatum oder vielmehr beschrieb sie erneut, denn er merkte an, dass Aristoteles die Struktur ebenfalls gesehen hatte, und nannte sie in Anlehnung an den Vergleich seines Vorgängers »Laterne des Aristoteles«. Es ist ein symbolträchtiges Stück Anatomie. Wenn ein Zoologe nichts über Aristoteles weiß, kennt er doch die Mundwerkzeuge des Seeigels unter

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Kleins Bezeichnung. Eigentlich, so stellte sich heraus, hat Klein genau wie so ziemlich jeder andere nach ihm die Texte missverstanden, denn als Aristoteles den Seeigel mit einer »Laterne« verglich, meinte er keineswegs nur seine Mundwerkzeuge. Eine alte Laterne, die vor Kurzem bei Ausgrabungen in einer Nekropole in Lethe zutage gefördert wurde, macht dies ganz deutlich, da sie genau aussieht wie das Endoskelett eines Seeigels. Das Problem liegt in den Manuskripten: In manchen heißt es soma (Körper), in anderen stoma (Mund) und seine Interpreten mussten eine Wahl treffen. Dies ist ein warnendes Beispiel. Um die Richtigkeit von Aristoteles’ Beobachtungen zu beurteilen, bräuchte eine Schwadron von Zoologen mit viel Erfahrung in seiner Gedankenwelt und soliden Altgriechischkenntnissen Jahre. Heute sind solche Zoologen selten. Vor einigen Jahrhunderten jedoch waren sie es nicht. Viele konnten Aristoteles im Original lesen und taten es auch. Was sie fanden, gefiel ihnen sehr. Cuvier gab den Ton an: »Alles bei Aristoteles lässt uns staunen, alles ist wunderbar, alles ist gewaltig. Er lebte nur 62 Jahre und es gelang ihm, Tausende von Beobachtungen von äußerster Feinheit zu machen, deren Exaktheit auch die harscheste Kritik bisher nicht anzweifeln konnte.« Cuvier, der Autor von Leçons d’anatomie comparée (5 Bände, 1800–5), Le Règne animal (4 Bände, 1817), Histoire naturelle des poissons (mit Valenciennes, 22 Bände, 1828–49) und anderen Monumentalwerken, war nach allgemeiner und nicht zuletzt eigener Auffassung der größte Anatom seiner Zeit. Er glaubte, dass Aristoteles nicht widerlegt werden könnte – und er hätte es wissen müssen. Er hätte es auch besser wissen müssen. Stattdessen gab er den Vorsänger für den nachfolgenden Chor: »Ein Meister … der die Grenzen aller Wissenschaften ausweitet und in ihre Tiefen vordringt«, so Geoffroy Saint-Hilaire fils; »sein Plan war gewaltig und strahlend … er legte den Grundstein der Wissenschaft, der nie vergehen wird«, so de Blainville. Das scheint übertrieben. Aber Owen, Agassiz, Müller, von Siebold und Kölliker, Meister des Skalpells in einer Zeit, in der das gesamte Tierreich unters Messer kam, alle ehrten Aristoteles. Weil er ihre Wissenschaft begründet hatte, aber auch, weil er Dinge wusste, die sie nicht wussten. Sie liebten ihn besonders dafür, dass er drei Dinge erkannt hatte, die sie erst wiederentdecken mussten: das väterliche Verhalten des Welses, den Penisarm des Oktopus und den plazentaren Dornhai.

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n den kühlen Flüssen und Seen von Makedonien lebt ein Wels mit liebevollen Gewohnheiten: Das Männchen des Flussfisches glanis kümmert sich sehr um seine Jungen. Das Weibchen lässt sie nach der Geburt zurück, aber das Männchen bleibt und bewacht die Eier dort, wo sich am meisten Laich gesammelt hat. Sein einziger nützlicher Beitrag besteht darin, in den 40 oder 50 Tagen, die es dauert, bis die Jungen sich entwickeln, andere kleine Fische daran zu hindern, die Eier zu stehlen, und die Jungen damit vor anderen Fischen zu retten. Fischer wissen, wann es die Eier bewacht, weil es murmelnde Geräusche von sich gibt, während es sie vor anderen winzigen Fischen beschützt. In seinem Verweilen bei den Eiern ist es so liebevoll und besitzergreifend, dass es den Nachwuchs selbst dann nicht im Stich lässt, wenn an tiefen Wurzeln befestigte Eier von Fischern in seichte Gewässer bewegt werden. Hier kann es dabei beobachtet werden, wie es nach den kleinen Fischen schnappt, wenn sie sich nähern. Erfahrene Hakenfresser werden ihren Nachwuchs trotzdem nicht verlassen, sondern stattdessen die Haken zerstören, indem sie mit ihren kräftigsten Zähnen daraufbeißen.

Was für ein reizendes Bild: Der männliche Wels, von seiner nichtsnutzigen Gefährtin im Stich gelassen, hält streitlustig vor sich hin murmelnd die Stellung in alle Richtungen, während seine unglückselige Brut sich unter seinen Flossen zusammendrängt. Es könnte eine Charakterskizze aus einer Fabel sein. Das wäre nicht vollkommen unaristotelisch. Er beschreibt verschiedene Tiere als »gutmütig«, »träge«, »intelligent«, »schüchtern«, »heimtückisch« und in einem Fall als »vornehm und mutig und von hoher Geburt« – den Löwen natürlich – und all das klingt ein wenig nach Äsop. Im Jahr 1839 identifizierten Georges Cuvier und Achille Valenciennes Aristoteles’ glanis als Flusswels, Silurus glanis. Sie waren umsichtig genug, Aristoteles’ Bericht über die väterlichen Instinkte des Fisches nicht direkt abzutun, kommentierten jedoch, dass sie »ans Wunderbare grenzen«, was auch stimmt. Im Jahr 1856 nahm Louis Agassiz, Professor für Zoologie an der Harvard University, den glanis noch einmal unter die Lupe. Agassiz war deutlich geneigter, Aristoteles Glauben zu schenken. Elternverhalten war erst vor

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Kurzem auch bei Fischen dokumentiert worden. Er selbst hatte beobachtet, wie ein amerikanischer Wels Nester für seine Jungen baute und für sie sorgte, warum sollte ein makedonischer also nicht Ähnliches leisten? Andererseits kannte der in der Schweiz aufgewachsene Agassiz die Lebensgewohnheiten von S. glanis genau und hatte ihn niemals seine Jungen bewachen sehen. Das Problem wurde gelöst, als Agassiz einige griechische Fische von einem Dr. Röser erhielt, dem Leibarzt des griechischen Königs. In seiner Sammlung befanden sich »ein halbes Dutzend Exemplare mit der Bezeichnung Glanidia, im Acheloos gefangen, in dem auch Aristoteles seine Informationen über den Glanis sammelte. »Name und Ort lassen keinen Zweifel daran, dass ich im Besitz des wahren Glanis des griechischen Philosophen bin, dass dieser Glanis zu den Siluridae gehört, aber nicht der Silurus glanis der systematischen Autoren ist.« Im Jahr 1890 beschrieb sein Assistent Samuel Garman den makedonischen Wels als eine neue Art, Silurus aristotelis, der sich von S. glanis hauptsächlich dadurch unterschied, dass er vier Barteln unter dem Maul hatte statt sechs. Aristoteles’ Beschreibung der Brutgewohnheiten des S. aristotelis trifft genau zu, wenigstens soweit wir sie kennen. In einer anderen Passage beschreibt er das Balzverhalten des Fisches, die äußere Befruchtung, die »Scheide« (Eihülle), die sich nach der Befruchtung entwickelt, die embryonischen Augen, die

glanis – Aristoteleswels – Siluris aristotelis

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einige Tage später entstehen, und das ungewöhnlich langsame Wachstum der Larven. All dies ist so detailliert, dass Aristoteles den Fisch gut selbst studiert haben könnte; er lebte schließlich als Mann und als Junge in Makedonien. Seine Beschreibung des Elternverhaltens von S. aristotelis stimmt ebenfalls mit der Wirklichkeit überein. Die Weibchen schwimmen tatsächlich nach der Eiablage davon und überlassen dem Männchen das Wachestehen. Und das Männchen gibt tatsächlich ein »Murmeln« von sich, um andere Fische zu vertreiben (indem es mit den Brustflossen auf den Thorax trommelt). Eins verwundert dennoch an seinem Bericht: Aristoteles behauptet, dass das Männchen fünfzig Tage lang Wache hält. Das erscheint sehr lang, denn die Jungen schlüpfen bereits nach etwa einer Woche. Ich habe Experten für diese Art befragt, ob die Männchen sich auch um die heranwachsende Brut kümmert, wie Aristoteles behauptet, aber sie wussten es nicht. Jemand sollte das untersuchen, denn Aristoteles hat uns vielleicht noch mehr über den Fisch zu erzählen. Und er sollte das bald tun: Die Weltnaturschutzunion IUCN führt S. aristotelis als »stark gefährdet«.

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as Große Papierboot, Argonauta argo, ähnelt einem Oktopus. Das Tier selbst ist wenig beeindruckend, aber sein Gehäuse ist wunderschön: so dünn und weiß wie eine Eierschale und von perfekter planispiraler Geometrie. Und obwohl das Große Papierboot pelagisch weit draußen im Meer lebt, wird es häufig angespült. Nach Stürmen findet man sie zu Hunderten sterbend am Strand. Delle Chiaje entdeckte 1828, ein ansonsten unbekannter italienischer Anatom, der Papierboote im Golf von Neapel erforschte, dass sie mit einem parasitischen Wurm infiziert zu sein schienen. Er nannte seinen Wurm Trichocephalus acetabularis oder »haarköpfiger Sauger«. Ein Jahr später fand Cuvier einen ähnlichen Wurm an einem Oktopus in Nizza. Er nannte seinen Wurm Hectocotylus octopodis oder »Becher an einem Oktopus«. An der Entdeckung eines neuen parasitischen Wurms war nichts besonders Bemerkenswertes. Viele Meerestiere sind von ihnen befallen. Hectocotylus war jedoch ein seltsamer Parasit, da er seinem Wirt auf merkwürdige Weise ähnelte: Seine Saugnäpfe sahen sehr kopffüßerartig aus. Es keimte der Verdacht auf, dass es sich gar nicht um einen Wurm handelte. Heinrich Müller und Jean Baptiste Vérany zeigten 1851 unabhängig voneinander, dass Hectocotylus nicht etwa ein Parasit war, sondern der Gatte des Papierbootes, oder genauer gesagt, der Penis des Gatten. Alle Papierboote weltweit, die jemals

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gesichtet wurden, waren offenbar Weibchen; das Männchen ist ein unbekanntes, zwergenhaftes Wesen, das gar kein Gehäuse produziert. Eine seiner Tentakeln ist ein stark modifiziertes Begattungsorgan, das während der Kopulation in der Mantelhöhle des Weibchens abbricht; das Männchen hat nach dem Akt also keinen Penis mehr bzw. eine Tentakel weniger, auf jeden Fall ein Anhängsel weniger als vorher. Der Ein-Weg-Tentakelpenis des Papierboot-Männchens war ein anatomisches Wunder des 19. Jahrhunderts – von dem Aristoteles bemerkenswerterweise schon wusste. So jedenfalls behauptete 1853 der begeisterte von Siebold: »[…] werden Vérany und Müller, welche die Geschichte des Hectocotylus in eine neue Phase eingeführt haben, mit Erstaunen entnehmen, dass ihnen durch Aristoteles die Priorität in der Entdeckung in Bezug auf den männlichen Oktopus mit Hectocotylus-Arm vielleicht streitig gemacht werden dürfte.« Konnte er es gewusst haben? Mit Sicherheit kannte Aristoteles Argonauta argo. Er nennt ihn nautilos polypus oder »Segler«, beschreibt ihn eindeutig und glaubt (»obwohl das Wissen durch Beobachtung noch nicht zufriedenstellend ist«), dass er nicht so fest mit seinem Gehäuse verbunden ist, wie es bei anderen Gehäusetieren, etwa Schnecken und Muscheln, der Fall ist. Das ist richtig, aber andererseits wiederholt er eine Geschichte, nach der er die Fläche zwischen seinen Tentakeln als eine Art Segel verwendet, was wiederum nicht stimmt. Über seine Amouren schweigt sich Aristoteles jedoch ebenso aus wie die Kreatur selbst.

polypodon megiston genos – Gewöhnlicher Krake – Octopus vulgaris. Begattungsarm oder Hectocotylus

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Doch etwas hat Aristoteles gesehen. In seiner Beschreibung der Paarungsgewohnheiten des Oktopus sagt er, dass eine der Tentakeln des Männchens sich von den anderen unterscheide, dass sie heller und spitzer sei, mit größeren Saugnäpfen am Ansatz und einer Falte an der Spitze. Während der Balz, fährt er fort, schiebt das Männchen seine Tentakel in die Atemöffnung des Weibchens. Steenstrup bestätigte 1857, dass Octopus vulgaris ebenfalls eine Penistentakel besitzt. Es ist eine weniger extravagante Version des Organs von Argonauta, denn das Oktopusmännchen zieht sie nach dem Akt unversehrt wieder aus den Öffnungen seiner Gefährtin heraus – aber sie sieht genauso aus, wie Aristoteles sie beschreibt. Von Siebold übertrieb, was Aristoteles’ anatomisches Können angeht. Aristoteles erkannte wohl die subtile Spezialisierung der Penistentakel des Oktopus, doch er war sich nicht sicher, wozu sie diente. In einigen Abschnitten behauptet er, dass es sich bei den Tentakelbohrungen um den Koitus selbst handelt, in anderen tut er dies als Seemannsgarn ab und postuliert, die Oktopusse bereiten sich nur auf den Sex vor. Er versteht nicht, wie Samen über eine Tentakel übertragen werden kann, und bezweifelt das Ganze aus Vernunftgründen. Dieser Ansatz, der vernünftig genug ist, wenn es um die Einschätzung fellationierender Fische geht, führte ihn beim amorphen Oktopus in die Irre. Aber beide Passagen verraten uns etwas über seine Denkweise. Und vielleicht auch, dass er nicht geneigt war, sich die Füße nass zu machen und sie selbst zu beobachten.

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ber es gibt eine Entdeckung, für die Aristoteles die volle Anerkennung gebührt. Er beschrieb die bemerkenswerten Embryonen des Grauen Glatthais. Als er erkennt, dass Dornhaie, Haie, Rochen und Zitterrochen aus Knorpel bestehen, wo die meisten Fische Knochen haben, gibt er ihnen die Sammelbezeichung selachē*. Er weiß, dass sie externe Geschlechtsteile haben und kopulieren, aber auch hier ist er wieder vorsichtig – »Fischer erzählen« – bei der Beschreibung, wie das vonstatten geht. Er merkt an, dass einige selachē wie die batides (Rochen) und skylion (Kleingefleckter Katzenhai) Eier mit harten Schalen und Fäden daran legen – die »Seemäuse«, die manchmal an

* Aristoteles’ selachē entspricht nicht der Ordnung Selachii, zu der nur die Haie gehören, sondern ungefähr unserer Teilklasse Elasmobranchii, zu der Haie und Rochen gezählt werden.

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Stränden angespült werden –, aber dass die meisten lebende Junge gebären. Darüber hinaus ist ihm bekannt, dass beim Aufschneiden eines weiblichen akanthias galeos (Dornhais) die Föten noch in ihren Eierschalen zu finden sind; die Art ist, wie wir sagen würden, ovovivipar.* Das war wahrscheinlich allgemein bekannt. Heutzutage werden die Haibabys, die als koytabakia oder Welpen bekannt sind, mit Knoblauchsoße verspeist.** Die selachē sind eindeutig merkwürdige Fische. Aber ein Hai, der leios galeos, ist ganz besonders seltsam. Hier: Die Tiere wachsen mit einer an der Gebärmutter angewachsenen Nabelschnur heran, mit dem Ergebnis, dass der Embryo, während die Eier aufgebraucht werden, dem eines Vierfüßers ähnelt. Eine lange Nabelschnur ist am unteren Teil der Gebärmutter befestigt, jede mit einer Art Saugnapf. Der Embryo ist in der Mitte mit der Nabelschnur verwachsen, an der Leber. Die Ernährung in einem sezierten Embryo ist wie im Ei, auch wenn das Ei nicht mehr vorhanden ist. Ein Chorion und Eihüllen umgeben jeden der Embryos, wie bei Vierfüßern. Im frühen Stadium zeigt der Kopf des Embryos nach oben, wenn er ausgewachsen und vollständig ist, nach unten. …

Plazenta-Hai

* Aristoteles behauptet auch, dass der batrachos (Seeteufel, Lophius piscatorius) ein Knorpelfisch sei, der eine Masse hartschaliger Eier an der Küste ablegt. Obwohl er den Fisch gut kennt, liegt er hier vollkommen daneben. Zunächst einmal ist Lophius kein Knorpelfisch, zweitens legt er zwar Eier, aber die Beschreibung seiner Eiermasse stimmt nicht mit der Wirklichkeit überein, denn wie Alexander Agassiz 1882 zeigte, legt der Seeteufel Millionen von Eiern in gewaltigen, gallertartigen, pelagischen »Vorhängen«. Meiner Meinung nach haben entweder Aristoteles, seine Informanten oder nachfolgende Schreiber den batrachos hier teilweise mit den batos (Rochen) verwechselt. ** Skylion leitet sich vom attisch-griechischen Wort für »Welpen« ab.

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Die Beschreibung könnte nicht eindeutiger sein. Aristoteles legt dar, dass die Jungen des Grauen Glatthais, Mustelus mustelus, durch eine Nabelschnur und eine Art Plazenta mit dem Uterus ihrer Mutter verbunden sind. Er merkt sogar an, dass dieses bemerkenswerte Arrangement normalerweise nur bei lebend gebärenden Vierfüßern anzutreffen ist – also bei Säugetieren. In den 1550er-Jahren bestätigten Pierre Belon und Guillaume Rondelet die besonderen Fortpflanzungsstrukturen des Grauen Glatthais. Letzterer zeichnete sogar ein Haibaby, das an einer Nabelschnur am Bauch seiner Mutter hängt. Im Jahr 1675 sezierte der dänische Naturforscher Niels Stensen (Steno) ein Exemplar und zeigte, wie die Nabelschnur seine Eingeweide versorgt. Danach geriet der Graue Glatthai für fast zwei Jahrhunderte in Vergessenheit. Cuvier und Valenciennes erwähnen ihn nicht. Johannes Müller entdeckte ihn 1839 wieder. In einer meisterhaften Sektion zeigte er, dass die Plazenta des Grauen Glatthais in Wirklichkeit der Dottersack ist, der mit der Gebärmutterwand verwachsen ist und dessen Struktur so komplex ist wie die jeder Säugetierplazenta. In Würdigung seines Meisters betitelte er seine Monografie Über den glatten Hai des Aristoteles. Viele Zoologen haben Aristoteles gepriesen, weil sie einen der ihren in ihm sahen. Manche übersahen in ihrer Begeisterung seine Fehler; sie schrieben ihm ihre eigenen Einsichten und ihre Besessenheit von Präzision zu und meinten das als Kompliment. Die Einschätzung eines Gelehrten und Zoologen jedoch erscheint mir ganz besonders schön und richtig: Ich nehme an, dass Aristoteles im Hinblick auf die Biologie dasselbe tat wie Boyle und eine ähnliche Tradition durchbrach; und hierin liegt eine seiner größten Leistungen. Auch vor seiner Zeit gab es reichlich Naturkunde, doch sie gehörte dem Bauern, dem Jäger und dem Fischer – und es war (zweifellos) noch etwas für den Schuljungen, den Müßiggänger und den Dichter übrig. Aber Aristoteles machte daraus eine Wissenschaft und eroberte sich damit einen Platz in der Philosophie. So D’Arcy Thompson.

Naturen

krangon – Gemeiner Heuschreckenkrebs – Squilla mantis

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chiller sagte, die Griechen sähen die Natur ohne Rührseligkeit, Humboldt postulierte, sie porträtierten sie nicht um ihrer selbst willen. Meiner Meinung nach liegen beide falsch.

Es singt aus den Blättern die süße Zikade, und von den Flügeln träufelt heller Gesang dicht an dicht hernieder, die Distel blüht; jetzt sind die Weiber am verruchtesten, schwächlich die Männer, da ja Kopf und Knie der Sirius ausdörrt.

Vielleicht geht es in Alkaios’ reizendem Fragment um Lesbos, denn daher stammte er. Er schrieb es im 6. Jahrhundert v. Chr. und war möglicherweise Sapphos Geliebter. Auch Sappho, die es fertigbrachte, das Gesicht eines Geliebten mit einem Kavalleriegeschwader oder den aufgereihten Rudern einer Kriegsflotte zu vergleichen, schrieb vom goldgelben Ginster am Meeresufer, dem Tau auf Wildrosen und Thymian und wie das Licht sich auf das Meer ergießt. Und liest man weiter in der Griechischen Anthologie, dieser Sammlung gebrochener Oden und bittersüßer Epigraphen, wird deutlich, dass in den gut tausend Jahren, die die Sammlung umspannt, die Natur den Griechen immer nahe und voller Bedeutung war. Und doch hatte Schiller auf eine eingeschränkte Art recht. Die Griechen mögen auch die Rückkehr der Schwalben im Frühling gefeiert haben, aber ihre »Natur« ist nicht die Natur der Romantiker, ein Sammelbegriff für alles Wilde und Nichtmenschliche. Für die physiologoi stand sie manchmal für »Schöpfung«; jedenfalls schrieben Xenophanes, Heraklit, Empedokles, Gorgias von Leontinoi, Demokrit und später Epikur allesamt Werke mit dem Titel peri physeos – Über die Natur –, die Kosmologien enthalten. Auch Aristoteles verfasste einen Text mit diesem Titel (die ersten vier Bücher seiner Physik), aber es handelt sich ganz und gar nicht um eine Kosmologie. Vielmehr ist es eine Analyse der Veränderungen. Steine fallen, heiße Luft steigt nach oben, Tiere bewegen sich, wachsen, kopulieren und sterben, die Himmel rotieren – alles ist in Bewegung. Wir sehen es als gegeben an, dass es zahlreiche Ursachen für Veränderungen gibt. Dampf steigt aus einem Kochtopf zum Himmel, ebenso wie eine Pflanze im

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Garten, doch diese Phänomene sind offensichtlich dermaßen unterschiedlich, dass sie verschiedene Ursachen haben müssen. Aristoteles sieht das auch – wenn auch nicht ganz auf dieselbe Weise wie wir –, aber er sieht auch, dass die Veränderung selbst das ist, was erklärt werden muss, und so setzt er sie mit physis – »Natur« – gleich. Er schreibt, es wäre absurd, den Beweis zu versuchen, dass die Natur in diesem Sinne existiert. Viele Dinge haben eine Natur – das ist einfach offensichtlich. Die Aufgabe des Wissenschaftlers besteht darin zu erkennen, wie die Natur funktioniert und was sie ist. Dieses Konzept der physis ist nicht seine Erfindung, denn es lässt sich vielleicht schon bei Homer finden: »Mit diesen Worten zog Hermes das Kraut aus dem Boden, reichte es mir und zeigte mir seine Natur.« Auf jeden Fall steht es Demokrit sehr nahe: »Natur und Lehre sind ähnlich, denn die Lehre gestaltet den Menschen um und die Natur verändert die Gestalt.« Auch unser Gebrauch von »Natur« zur Beschreibung immanenter Ursachen stammt von diesem Konzept ab, wie in diesem Knittelvers von Isaac Watts (1674–1748): »Lasst Hunden doch den Spaß, zu bellen und zu beißen, / denn so erschuf sie Gott; / lasst Bären und Löwen ihr Knurren und Reißen, / denn auch dies die Natur gebot« oder Hobbes’ »Natur (die Kunst, durch die Gott die Welt geschaffen hat und lenkt)«. Aber Aristoteles ist kein Gottgläubiger des 18. Jahrhunderts und Gott in die Kausalkette zu zerren, birgt das Risiko zu verschleiern, was er meint. Seine Natur ist ein inneres Prinzip von Veränderung und Ruhe. Das ist der fundamentale Unterschied zwischen natürlichen Objekten und Artefakten: Erstere bewegen sich von selbst und hören von selbst wieder auf, Letztere tun und können das nicht. Und obwohl er glaubt, dass unbelebte natürliche Dinge wie die Elemente sich ebenfalls aus eigenem Antrieb bewegen, ist es klar, dass diese Definition von »Natur« in Wirklichkeit für Biologen ersonnen wurde. Ihr Zweck besteht darin, die geheimnisvolle Art genau zu bestimmen, auf die Lebewesen alles tun, was sie tun – und es selbst tun. Niemand zieht das Uhrwerk auf, niemand weist der kleinen Maschine die richtige Richtung – die Natur tut das.

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ndem er Natur als ein »inneres Prinzip von Veränderung und Ruhe« definiert, begrenzt Aristoteles nur den Umfang der Naturwissenschaft. Die Frage – die große Frage, die seine wissenschaftlichen Forschungen antreibt – lautet: Was sind die Gründe für die Veränderung? Um dies zu beantworten, begann Aristoteles zu lesen. Als er 367 v. Chr. in der Akademie eintraf, war die intellektuelle Tonart wissenschaftsfeindlich und die große Linie der physiologoi ausgestorben. Aber ihre Bücher – Papyrusrollen – waren noch da. Ich wage keine Behauptung, wie oder wann Aristoteles sie aus den Regalen der Bibliothek nahm; ich bemerke an dieser Stelle nur, dass er 37 Jahre alt war, als er die Akademie verließ, dass er also reichlich Zeit zum Lesen, Notieren und Denken gehabt hatte. Unter den Arbeiten, die er las, war auch die von Demokrit. In Aristoteles’ intellektuellem Einzugsgebiet hatte nur Platon mehr Bedeutung als er. Der Naturphilosoph des Naturphilosophen. Platon soll Demokrit gehasst haben und wünschte angeblich, dass seine Bücher verbrannt würden. Da spätere Philosophen sie offenkundig lasen, wissen wir, dass er sie nicht vernichten ließ; dennoch erfüllte die Nachwelt Platon seinen unehrenhaften Wunsch, denn heute existiert keins mehr davon. Aristoteles’ physikalische Theorie ist größtenteils als Gegenentwurf zu der von Demokrit aufgebaut, aber viel von dem, was wir über Letzteren wissen, stammt von Ersterem, denn anders als Platon erwies Aristoteles seinen Gegenspielern die Ehre, ihre Worte zu bewahren. Nach Aristoteles’ Darstellung war Demokrit der Meinung, dass die Welt letztlich aus Einheiten besteht, die unsichtbar, fest, unzerstörbar, unteilbar, unveränderlich, unendlich in ihrer Zahl und Verschiedenheit und ständig in Bewegung waren – kurz gesagt, aus Atomen. Er nannte seine Atome onta – »Dinge«. Diese Theorie hatte er von seinem Lehrer Leukipp. Heute werden er und Leukipp gemeinsam als Väter der Atomlehre gefeiert und all dessen, was sie mit sich bringt, denn der theoretische Faden, der sie mit Dalton und Rutherford verbindet, ist zwar schwach, aber real. Demokrit spann seine Atomtheorie zu einer Kosmologie weiter. Die lückenhafte Theorie – ob die Lücken allerdings Demokrits Unvermögen geschuldet waren oder den Wechselfällen der Geschichte, wissen wir nicht – besagt, dass in der Leere treibende Atome miteinander kollidieren und anei-

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nander haften bleiben und auf diese Weise größere Einheiten bilden, aus denen zum Schluss die Planeten und Sterne werden. Offenbar erklärte er auch Geschlechtsbestimmung, Sinneseindrücke und Bewegung der Tiere mit einem Verweis auf die Formen und Bewegungen der Atome. Vielleicht hat er eine ganze reduktionistische Theorie des Lebens entworfen – die Doxografen führen drei Bücher über die Ursachen der Tiere an –, aber das wissen wir nicht, da sie verloren gingen. Dennoch wird die allgemeine Stoßrichtung seiner Theorien klar. Als Demokrit das Wesen der Dinge zu erklären versuchte und warum sie sich verändern, nahm er ausschließlich auf die Materie Bezug – den Stoff, aus dem sie gemacht waren. Er war nicht der Erste; der Materialismus ist einer der roten Fäden der neuionischen Ansichten, aber seine Darstellung war die ausgefeilteste. Aristoteles sollte einen großen Teil seines Lebens damit verbringen zu zeigen, warum sie falsch war; auf gewisse Weise sind seine wissenschaftlichen Arbeiten eine einzige lange Streitschrift gegen die Materialisten. Wir sind an einem der großen Wendepunkte des wissenschaftlichen Denkens angelangt. Er wurde oft als ein Punkt betrachtet, an dem man falsch abbog. Das Problem an Demokrits Kosmologie, argumentiert Aristoteles, besteht darin, dass in ihr das Universum spontan aus Atomkollisionen entsteht. Um zu erklären, warum dies unwahrscheinlich ist, analysiert Aristoteles die Bedeutung von »spontan«. Nehmen wir an, sagt er, wir sehen einen Dreifuß auf seinen drei Beinen stehen. Wir würden natürlich annehmen, dass jemand ihn absichtlich so hingestellt hat. Aber das muss nicht der Fall sein; vielleicht ist der Dreifuß auch von einem Dach gefallen und nur zufällig auf seinen Füßen gelandet – der griechische Begriff dafür lautet automaton und ist der Ursprung unseres Wortes »automatisch«. Demokrit nehme an, dass der Kosmos einem aufrecht stehenden Dreifuß gleicht, der nicht absichtlich so aufgestellt wurde, sondern nur zufällig so gelandet ist. Das Argument mutet seltsam an. Warum sollte der Kosmos nicht zufällig auf seinen Füßen gelandet sein? Aber Aristoteles will darauf hinaus, dass spontane Ereignisse solche sind, die einen Zweck zu haben scheinen, tatsächlich aber keinen haben. Und hier liegt der Knackpunkt: Aristoteles glaubt, dass der Kosmos – die Sterne, die Planeten, die Erde, die Lebewesen auf ihr, die Elemente selbst – offensichtlich einen Zweck hat; sie tragen schließlich die Handschrift eines Entwurfes. Und obwohl zweckmäßige Dinge spontan auftreten können, erscheint es ihm einfach unplausibel, dass ein Kosmos, der so kunstvoll geordnet ist, sich spontan selbst zusammensetzen kann. Die meisten modernen kosmologischen Theorien gehen davon aus, dass das Universum keinen Zweck hat, sondern einfach existiert. Nur ein Kind würde fragen: »Wozu sind die Sterne da?« Aber für Aristoteles ist das keine kindische Frage. Seine Sinnorientierung umfasst beinahe alles. Vielleicht

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erscheint uns das weniger seltsam, wenn wir ihn als eine Art kosmischen Biologen betrachten. Wir glauben vielleicht, dass er sich auf unsicherem Terrain bewegt, wenn es um die Sterne geht, aber er hat offensichtlich recht mit seiner Argumentation, dass die zufällige Kollision von Atomen nicht die regelmäßigen und zweckgerichteten Merkmale des Lebens auf der Erde (oder sonstwo) erklären können. Aristoteles’ biologische Sichtweise der Welt wird ganz deutlich, wenn er einen anderen der physiologoi angreift. Wenn er Demokrit erörtert, ist Empedokles meist nicht weit. Für Aristoteles sind beide Materialisten, wenn auch unterschiedlicher Prägung. Empedokles dachte, dass die Welt aus vier Grundelementen besteht – Erde, Wasser, Luft, Feuer –, die sich als Materie in ihrem festen, flüssigen und gasförmigen Aggregatzustand plus Feuer verstehen lassen. Diese Elemente verschmelzen in bestimmten Zusammensetzungen zu all den verschiedenen Stoffen – Stein, Eisen, Knochen, Blut –, die wir sehen. Bestehende Dinge haben keine Natur – es gibt nur ein Mischen und ein Trennen des Gemischten. Natur ist ein Name, der von den Menschen verliehen wird.

»Natur« ist also nur die Lehre vom Mischen. Empedokles’ Verse erklären, wie ein Konflikt zwischen Liebe und Streit zur zyklischen Erschaffung und Zerstörung der Welt führt und damit zur periodischen Erschaffung von Lebewesen. In den ersten Phasen jedes Zyklus formt die Liebe Gewebe, jedes nach einer bestimmten chemischen Formel, und aus diesen Geweben entstehen seltsame Kreaturen, die überwiegend aus einzelnen Organen bestehen: »Augen ohne Gesichter«, »Köpfe ohne Hälse« und »einzelne Glieder«. Liebe vergeht, Streit entsteht, der Zyklus setzt sich fort, Körperteil-Wesen verbinden sich zufällig miteinander und werden zu Kreaturen mit zwei Gesichtern, zwei Brustkörben oder sind teils männlich, teils weiblich oder aber hybride »Ochsenkälber mit Menschengesicht« oder »Menschen mit Ochsengesicht« – ein teratologisches Bestiarium, in dem auch der Minotaurus nicht fehlt. Und es mag so scheinen, als sei Empedokles weit davon entfernt, auf diese Weise die Tiere zu erzeugen, die wir tatsächlich kennen – doch er hat eine brillante Lösung parat. Simplikios, der im 6. Jahrhundert n. Chr. einen Kommentar zu Aristoteles’ Physik verfasste, beschreibt sie uns: Empedokles sagt also, dass unter der Herrschaft der Liebe die Teile der Tiere zunächst zufällig entstanden – Köpfe, Hände, Füße und so weiter – und sich dann zusammenfanden: »Es entstanden Nachkommen des Ochsen mit menschlichen Gliedmaßen und umgekehrt [offensichtlich meint er damit menschliche Nachkommen mit Ochsen-Gliedmaßen, also Kombinationen aus Ochse und

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Mensch]. Und aus denjenigen, die so zusammenkamen, dass sie sich selbst erhalten konnten, wurden Tiere und sie überlebten, weil sie [die Teile] die Bedürfnisse der anderen erfüllten – die Zähne zerkleinerten und mahlten die Nahrung, der Magen verdaute sie, die Leber verwandelte sie in Blut. Und der menschliche Kopf, wenn er sich mit einem menschlichen Körper vereint, sorgt für die Erhaltung des Ganzen, aber in Kombination mit dem Ochsenkörper kann er kein Ganzes bilden und stirbt. Denn alle, die nicht nach den richtigen Prinzipien zusammenfanden, starben. Und so geschieht es noch heute …

Die meisten Rekombinanten waren nicht lebensfähig und starben, daher sehen wir heute nur die Überlebenden. Viele frühe Naturphilosophen, bemerkt Simplikios, hatten diese Vorstellung. Falls das stimmt, ist es bemerkenswert, denn es deutet darauf hin, dass die Idee der Selektion als Quelle einer Ordnung weit verbreitet war. Auf jeden Fall trat Epikur, eine Generation jünger als Aristoteles, mit einer noch ausgeklügelteren selektionsbasierten Kosmogonie an als Empedokles – zumindest, wenn man den epikurischen Versen des Lukrez Glauben schenken darf. Man könnte erwarten, dass Aristoteles Gefallen an Empedokles’ Modell fand. Der Sizilianer bietet – jedenfalls nach Simplikios’ Darstellung – einen vollkommen vernünftigen Mechanismus, der komplexe, funktionsfähige Lebewesen aus dem Chaos erschaffen kann. Sicherlich musste Aristoteles auf seiner Suche nach dem Zweck in der Natur dies sehen und begierig aufgreifen? Auf jeden Fall erkennt er die Macht der Logik. Er greift ein schönes Beispiel für biologisches Design heraus: Zähne. Bei den Säuglingen brechen die Vorderzähne – Schneidezähne – scharfkantig durch, geeignet zum Zerschneiden von Nahrung, während die Backenzähne breit durchtreten und nützlich zum Mahlen von Nahrung sind. Warum, fragt er, sollten wir dies nicht als das Ergebnis eines Prozesses betrachten, in dem das passend Geordnete überlebt und das Ungeordnete nicht? Warum sind Zähne nicht »spontan«? Aristoteles fallen mehrere Gründe ein, warum das nicht der Fall ist. Doch um sie zu verstehen, muss man sich erst Aristoteles’ Version des Selektionsgedankens vor Augen führen. Vermutlich stimmt sie nicht mit der von Empedokles überein, denn die erhaltenen Verse des Sizilianers erzählen nur von rekombinanten Selektionsereignissen, die in einer fernen historischen Vergangenheit erfolgten; seither sind die Formen der Überlebenden – die Pflanzen und Tiere, die wir sehen – festgeschrieben. Aristoteles dagegen nimmt an, dass die Selektion heute noch arbeitet. Doch die aristotelische Selektion ist auch nicht die von Darwin, sie ist viel radikaler. Nach Darwins Theorie der natürlichen Auslese besitzen die Lebewesen ein Erbsystem, das ihre Merkmale mehr oder weniger intakt von einer Generation an die nächste

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weitergibt, wobei jedoch das Erbmaterial dennoch leicht variiert. Diese kaum merkliche Variation ist der Nährboden für die natürliche Auslese. Nach der aristotelisch-empedoklischen Selektion jedoch bildet sich jedes Individuum de novo in einem variierend-selektiven Mechanismus. Die Gebärmutter enthält sozusagen eine formlose Suppe, aus der die Selektion ein vollständiges Kind mit Zähnen macht. Kurz gesagt, verwandelt Aristoteles ein kosmologisches Modell in ein embryologisches. Das er dann mühelos dekonstruiert. Seine Argumente sind faszinierend, denn einige von ihnen wurden auch gegen die Theorie von der Evolution durch natürliche Auslese verwendet. (1) Spontane Ereignisse sind selten, aber das typische Merkmal wirklich zweckhafter Ereignisse besteht darin, dass sie häufig sind: Zähne brechen immer auf genau dieselbe Weise durch. Das ist ein probabilistisches Argument für die Existenz eines zweckhaften Agens und wie alle solche Argumente ist es falsch, denn die Selektion kann regelmäßig Ordnung aus der Unordnung schaffen.* Zugegebenermaßen verhilft Empedokles Aristoteles zu seiner Schlussfolgerung, indem er seine Kosmogonien als unbestimmt entwirft: »[Manchmal] geschieht es auf die eine Weise, oft aber auch anders« – die Zeile zitiert Aristoteles. (2) Jeder Entwicklungsschritt orientiert sich offensichtlich nach einem übergeordneten Ziel, etwa so wie jeder Schritt beim Bau eines Hauses. Diese Schritte müssen das Produkt einer Intelligenz sein, die das Endergebnis im Sinn hat. (3) Obwohl die Entwicklung ganz regelmäßig erfolgt, passieren Fehler (in De generatione animalium hat er viel zu siamesischen Zwillingen und Zwergen zu sagen), aber es sind eben Fehler – Abweichungen von einem bestehenden, zweckhaften Programm, das bereits vorhanden sein muss. Tatsächlich könnten selbst Empedokles’ ursprüngliche rekombinante Tiere nicht aus dem Nichts entstanden sein; sie müssen »einer Verfälschung eines Prinzips« entsprungen sein, das »dem entspricht, was heute der Samen ist«. (4) Außerdem sehen wir einfach nicht so viele Variationen. Ja, gelegentlich treten monströse Nachkommen auf, manche vielleicht sogar so monströs wie Empedokles’ Kalb mit Menschenkopf, aber warum sehen wir nicht dasselbe bei den Pflanzen, etwa einen Weinrebenschössling mit Olivenkopf ? »Eine absurde Vorstellung« – und an dieser Stelle wünscht man sich, man hätte ihm eine homöotisch mutierte

* Dasselbe Argument brachte der Astronom Fred Hoyle in einem Radiointerview 1982 vor: »Die Wahrscheinlichkeit, dass auf der Erde Leben [durch natürliche Auslese] entsteht, ist nicht größer als die Chance, dass ein Wirbelsturm, der über einen Schrottplatz fegt, rein zufällig eine Boeing 747 zusammenbaut.« Das Argument, bekannt unter dem Namen »Boeing-747-Gambit«, ähnelt dem von Aristoteles insofern, als beide behaupten, dass Zufall allein nicht zur regelmäßigen Entstehung einer komplexen Struktur (wie Kinderzähnen oder einer Boeing 747) führen kann, es müsse ein zweckhaftes Agens geben, das dafür sorgt. Beide erkennen nicht, dass die Selektion kein »Zufall« ist, sondern ein festgelegter, kreativer Prozess.

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Blüte zeigen können. (5) Lebewesen erben ihre Formen von ihren Eltern. Ein Samen entwickelt sich nicht zu irgendeinem Wesen, sondern zu einem ganz bestimmten: einer Zikade, einem Pferd oder einem Menschen. Selektionismus vermag das nicht. Aristoteles hat recht – seine Version kann das nicht. Im Zentrum von Aristoteles’ Zurückweisung des Materialismus steht seine Überzeugung, dass der Kosmos und die Lebewesen darin Ordnung und Zweck haben. Seine Ablehnung von Demokrits Ansicht, dass Ordnung einfach spontan entstehen kann, ist vielleicht noch nachvollziehbar. Seine Kritik an Empedokles steht auf weniger festen Füßen, denn die Selektion – selbst die nicht darwinsche Selektion – kann in der Tat Ordnung aus dem Chaos schaffen; tatsächlich ist sie die einzige bekannte naturalistische Erklärung dafür. Aristoteles scheint sich hier in eine Sackgasse manövriert zu haben. Wo also kommt die Ordnung tatsächlich her? Und was ist ihr Zweck?

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m Hinblick auf die physiologoi räumt Aristoteles ein, dass einer von ihnen nicht vollkommen ahnungslos war. »Wer auch immer sagte, dass in der Natur wie in den Tieren der Geist als Ursache aller Ordnung und Gliederung gegenwärtig sei, stand wie ein besonnener Mann da im Vergleich zu den wahllosen Äußerungen derer, die vor ihm kamen.« Der Adressat dieses zweifelhaften Kompliments war Anaxagoras von Klazomenai (um 500– 428 v. Chr.). In Anaxagoras’ Kosmologie, denn auch er hatte eine verfasst, begann der Kosmos mit einer Mischung verschiedener Arten ewig bestehender Materie. Diese Mischung wurde durch das Handeln von nous – »Intelligenz« – in Bewegung gesetzt, sodass sich die Zutaten teilweise trennten und zu den verschiedenen Arten von Materie wurden, die wir heute sehen. Die Fragmente verraten uns weder, was die Zutaten waren noch die Rezepte für bestehende Materie oder die Quelle der Intelligenz; es scheint jedoch, als sei Anaxogoras’ Intelligenz nicht so sehr ein Konstrukteur gewesen als vielmehr die Energiequelle des kosmologischen Mixers. Im Phaidon tut Sokrates seine Enttäuschung darüber kund. Damals, sagt er, als er sich noch für Naturwissenschaften interessierte, hatte er gehofft, als Anaxagoras die Intelligenz zur Ordnung und Ursache der Dinge machte, dass er, Anaxagoras, auch erklären würde, warum die Dinge so geordnet sind, wie sie es sind, warum eigentlich sie auf die bestmögliche Weise geordnet sind. Aber dann kaufte er Anaxagoras’ Bücher und erkannte, dass »der Mann keinen Nutzen aus der Intelligenz zog und ihr keine Kausalität für die Ord-

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nung der Welt zuschrieb, sondern Ursachen wie Luft und aithēr und Wasser und viele andere Absurditäten dafür anführte«. Das ist genau die Reaktion, die wir von Sokrates erwarten würden. Unerwarteterweise stößt Aristoteles größtenteils ins selbe Horn. Denn einige Seiten nachdem er Anaxagoras zu seiner Beschwörung der Intelligenz beglückwünscht hat, macht Aristoteles einen Rückzieher und beschuldigt ihn, die Intelligenz als deus ex machina zu missbrauchen, sie nur hervorzuziehen, wenn er nicht weiterweiß, und allgemein Ereignisse durch die Berufung auf alle möglichen anderen Ursachen zu erklären. Das Problem ist nicht, dass Anaxagoras die Intelligenz beschwört, sondern dass er ihr nicht freien Lauf lässt. Wenn wir Sokrates/Platon und Aristoteles, Ersterer der Wissenschaft gegenüber so feindlich eingestellt, Letzterer ihr so unbedingt verschrieben, in ihrer Schmähung eines dritten (oder ist es ein vierter?) Philosophen so traut vereint sehen, können wir sicher sein, dass wir eine tiefe Verbindung zwischen ihnen entdeckt haben. Und genau das stellt sich auch heraus. Denn Aristoteles’ Überzeugung, dass der Kosmos durch Ziele oder Zwecke erklärt werden muss, hat er als junger Mensch bei Platon gelernt. Erklärungen, die auf Ziele oder Zwecke oder Zweckursachen Bezug nehmen, sind als »teleologische« Erklärungen bekannt. Der Begriff leitet sich von telos – »Ende« – ab und wurde 1728 von dem deutschen Philosophen Christian Wolff geprägt. Die immerwährende Faszination teleologischer Erklärungsansätze besteht darin, dass sie die Existenz zweckhaft wirkender Prinzipien zu fordern scheinen, indem sie der Welt einen Zweck zuschreiben; tatsächlich werden die Phänomene, die sie erklären, zu Belegen dafür, dass solche Prinzipien existieren. Aus diesem Grund beschrieb William Paley in seiner Natural Theology (1802) die funktionelle Perfektion des Augenlids: Unter allen Außenwerken des tierischen Körpers kenne ich keines, das nach Verrichtung und Bau mehr Aufmerksamkeit verdiente als das Augenlid. Es schützt das Auge, es reinigt es, es schließt es zum Schlafe. Kann bei irgendeinem Werk der Kunst der Zweck, den der Künstler sich vorgesetzt, deutlicher in die Augen springen als bei den Diensten, die das Augenlid leistet? Oder wäre wohl eine Einrichtung denkbar, die diesen Zwecken auf angemessenere, sinnreichere Weise entspräche?

Und aus demselben Grund tat es auch Sokrates: Und von alledem abgesehen, meinst du nicht, dass dies Voraussicht ist, dieses Schließen der empfindlichen Augäpfel mit Augenlidern wie mit Falttüren, die, wenn sie für irgendeinen Zweck gebraucht werden, weit geöffnet werden können und im Schlafe wieder fest geschlossen?

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Sokrates argumentiert weiter, dass die Voraussicht und der Zweck, die sich im Augenlid manifestieren, von Gott stammen, »einem weisen Handwerker voller Liebe für alles Lebendige«. Zum ersten Mal in der Geschichte tritt hier das Argument vom Plan in Erscheinung, auf das sich Paleys Natural Theology und die Bridgewater Treatises (1833–40) gründen. Es ist eine Geste gegenüber den Darstellungen, die Sokrates vergeblich bei Anaxagoras und anderen physiologoi suchte, die ihn aus der phänomenalen Welt zum Schönen und Guten und Göttlichen führen würden. Es handelt sich mit größter Wahrscheinlichkeit um Sokrates’ Argument, denn es taucht in Xenophons Memorabilien auf statt in Platons Werken. Aber wo Sokrates sich nur vor einer Darstellung der Welt verneigte, schrieb Platon eine – oder etwas, das wie eine aussieht. Der Timaios mag ein »Schöpfungsmythos« sein, aber da Platon ihn verfasste, wuchern zwischen den Scherzen und den moralisierenden Teilen die Konzepte. Natürlich enthalten auch die Genesis und der Rigveda Konzepte, und die im Timaios wären für die Wissenschaftsgeschichte ebenso irrelevant wie diese, wenn nicht Aristoteles den Timaios gelesen und seinen konzeptionellen Ansatz in das Gold wissenschaftlicher Erklärung verwandelt hätte. Die Schöpfungsgeschichte, die Platon erzählt, handelt von intelligenten Entwürfen. Der Kosmos und seine Lebewesen existieren und sind schön, weil ein göttlicher Handwerker, der Dēmiourgos, sie so erschaffen hat. Platon, kein Zoologe, erwähnt nur sechs Arten von Lebewesen: die himmlischen Götter (alias Sterne und Planeten), Menschen, Landtiere, Vögel, Fische und Schalentiere. Dennoch hat er viel darüber zu sagen, wie und warum der Dēmiourgos sie so erschuf, wie sie sind. Seine Darstellung unseres Verdauungstraktes enthüllt die Prioritäten in der Konstruktion des Dēmiourgos. Unsere Eingeweide, sagt Platon, sind in Schlingen aufgerollt, um dafür zu sorgen, dass die Nahrung nicht zu schnell hindurchfließt. Die Schlingen beschränken also die Menge an Nahrung, die wir essen können. Das ist gut, denn wenn wir essen, werden wir »taub gegenüber dem Befehl des göttlichsten Teils unserer Natur« – wir fressen uns wortwörtlich dumm und dämlich – und können daher nicht denken, und das ist schlecht. Philosophie, so scheint es, beginnt im Darm. Der Dēmiourgos ist auch bemerkenswert weitsichtig. Platon erklärt, dass wir Fingernägel haben, »denn unsere Gestalter wussten, dass eines Tages aus Männern Frauen und auch Tiere werden würden und dass viele Lebewesen Nägel (Klauen und Hufe) für viele Zwecke brauchen würden; daher legten sie die Rudimente dieser Anhängsel gleich bei der Entstehung der Menschheit an«. Man ist versucht anzunehmen, dass Platon hier an Evolution denkt und dass Fingernägel Voradaptationen für Klauen sind. Das würde diese Passage seltsam, aber interessant machen; tatsächlich ist sie aber seltsam und

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langweilig. Es ist nur einer seiner bizarren Umwandlungsfantasien, ähnlich der, nach der aus Astronomen Vögel werden. Nicht, dass im Timaios keine interessanten Konzepte enthalten wären. Aristoteles nutzt viele von ihnen in seinen zoologischen Abhandlungen. Aber Platon glaubt typischerweise nicht, dass wir seine göttliche Teleologie aus wissenschaftlichen Gründen annehmen sollten. In Die Gesetze erklärt er, dass Materialismus – der Materialismus des Empedokles und des Demokrit – bösartig sei, denn da er auf den göttlichen Zweck verzichte, führe er in den Atheismus und damit in die soziale Unordnung. In jeder von Platons Geschichten steckt ein moralischer Stachel.

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uf Platons unnatürlicher Teleologie errichtete Aristoteles eine funktionelle Biologie. Wenn Aristoteles eine teleologische Erklärung anführt, verwendet er oft die Wendung to hou heneka – »das Worumwillen« – oder eine grammatikalische Variante davon. In De partibus animalium liefert er eine knackige Definition dieses Begriffs: »Wir alle sagen, x sei um etwas willen, wenn eine Bewegung in ihrem Voranschreiten auf ein offenkundiges Ziel nicht behindert wird.« Er assoziiert diesen teleologischen Impuls mit den Naturen, dem inneren Prinzip der Veränderung, und nennt dann als konkretes Beispiel die Entwicklung eines Pferdes. Also postuliert er Folgendes: Wenn wir Vorgänge sehen, die ihrer Natur nach auf ein Ziel ausgerichtet sind (zum Beispiel die Entwicklung eines Pferdes vom Samen seines Erzeugers zu einem Fohlen und schließlich einem ausgewachsenen Tier), dann sollten wir diesen Vorgang erklären als »dies geschieht um dessentwillen«, wobei »dies« ein Merkmal des Tieres ist und »dessentwillen« das erwachsene Tier selbst. Aristoteles war tief beeindruckt von der Ähnlichkeit zwischen Lebewesen und Gegenständen, insbesondere Maschinen. Abschnitt um Abschnitt zieht er Äxte, Betten, Häuser und, rätselhafter, automata heran, um verschiedene Merkmale des tierischen Lebens zu erklären und zu erläutern. Manchmal liefern sie mechanische Modelle, die erklären, wie Tiere funktionieren. In Über die Bewegung der Tiere (De motu animalium) vergleicht er die Funktionsweise einer Gliedmaße mit der einer Marionette. Aber Aristoteles’ wahre Motivation für den Vergleich von Lebewesen und Gegenständen besteht darin, dass beide »sich entwickeln«: Sie wachsen oder werden hergestellt. Und beide tragen den Stempel der Gestaltung. Dieses Gerede von Gegenständen klingt sehr nach Platon. Und es mag scheinen, dass auch Aristoteles auf einen intelligenten Gestalter hin argu-

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mentiert. Doch verneint er wiederholt und entschieden die Existenz eines göttlichen Handwerkers, der alles erschaffen hat. In Aristoteles’ Kosmos ist kein Platz für einen Dēmiourgos, weil er nicht geschaffen wurde, sondern immer schon da war. Außerdem wird ein Handwerker gar nicht gebraucht. Betrachten wir, sagt er, nur einmal die offensichtlich zweckgerichteten Handlungen von Tieren: wie die Spinne ihr Netz webt oder die Schwalbe ihr Nest baut. Manche Menschen nehmen an, dass diese Fähigkeit sie so intelligent machen muss wie menschliche Handwerker. Aber das ist eindeutig nicht der Fall, denn selbst Pflanzen, denen jede Intelligenz fehlt, zeigen eine Zweckgebundenheit in der Art ihres Wachstums. Auf dieselbe Weise mögen die verschiedenen Teile der Lebewesen aussehen, als seien sie von einem genialen externen Geist gestaltet worden, aber das sind sie nicht; jedes Tier und jede Pflanze ist das Ergebnis seiner ureigenen Natur, jedes Lebewesen erschafft und erhält sich selbst, wie ein Arzt, der sich selbst verarztet. Aristoteles bestreitet, dass Platon solche »Worumwillen«-Erklärungen je angeführt hätte. Das ist seltsam. Der Timaios scheint voll davon zu sein und Platon benutzte sogar dieselbe Wendung. Vielleicht meinte Aristoteles, dass seine Art von Teleologie sich stark von Platons unterscheidet. Das tut sie auch. Im Timaios führte Platon eine teleologische Erklärung für die Schlingen des Verdauungstrakts an und in De partibus animalium tut Aristoteles das ebenfalls; die Erklärungen sind verwandt, da beide argumentieren, dass die Eingeweidemorphologie den Appetit reguliert, aber während Platon erklärt, dass die menschlichen Eingeweide von einem göttlichen Handwerker so gestaltet wurden, um sicherzustellen, dass wir philosophieren, hat Aristoteles dazu Folgendes zu sagen: Beim Fressen müssen einige Tiere sich stärker mäßigen (das heißt, sie haben keinen Raum im Unterbauch und keinen geraden Darm, sondern viele Spiralen). Raum lässt das Verlangen nach Masse entstehen. Geradheit beschleunigt das Verlangen. Solche Tiere sind gefräßig, entweder im Hinblick auf die Geschwindigkeit oder auf die Menge.

Kein Verweis auf einen Philosophie liebenden göttlichen Handwerker also, sondern nur komparative Verdauungsphysiologie. Es ließen sich noch mehr solcher Beispiele anführen – De partibus animalium ist voll davon. »Jeder Teil des Körpers ist für eine Handlung bestimmt: Der Körper als zusammengesetztes Ganzes ist also für eine vielfältige Handlung bestimmt.« Und obwohl Aristoteles’ Untersuchungen dieser tiefschürfenden Wahrheiten wunderbar detailliert und unendlich genial sind, scheint es, als hätte er sich in eine Zwickmühle begeben. Wie Sokrates und Platon vor ihm, erkennt er die Hinweise auf Zweckgerichtetheit in jeder Facette der Welt; er

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erkennt ebenfalls, dass materielle Kräfte sie nicht erklären können, weigert sich jedoch, auf den Ausweg eines kosmischen Gestalters zurückzugreifen. Es bleibt also die Frage: Woher kommen Plan und Zweck in der Natur? Aristoteles’ Antwort darauf ist brillant subversiv. Er eignet sich eine weitere von Platons Doktrinen an, die seine – Platons – gesamte Ontologie und Epistemologie untermauert, die eigentliche Triebfeder seiner Verachtung für die wahrnehmbare Welt; er zerstört sie, baut sie wieder auf und stellt sie in den Dienst der Wissenschaft. An Platon kann man vieles nicht mögen – seine Wissenschaftsfeindlichkeit, seinen Totalitarismus und den verführerischen Charme seiner Prosa – aber eins muss man ihm lassen: Er hat Aristoteles einiges beigebracht.

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latons Kreationismus, der Demokrits atomarer Kosmologie auf dem Fuße folgt, mag wie ein Rückschritt zur naiven natürlichen Theologie aus Hesiods Theogonie wirken. Und so wäre es auch, hätte Platon ihn nicht mit einer ganz neuen Ontologie unterfüttert. Auf der Suche nach einer Quelle der Stabilität in einer veränderlichen, wandelbaren Welt argumentierte Platon, dass die physikalischen Einheiten, die wir sehen, nur unvollkommene Kopien abstrakter, immaterieller Einheiten sind, die er Formen oder Ideen nannte. Es ist eine undurchsichtige Doktrin, aber wenn wir uns diese Formen als Blaupausen in Gottes Geist vorstellen, kommen wir vielleicht dem nahe, was er im Sinn hatte. Der gesamte Kosmos ist nur eine Kopie einer Form. Im Timaios nennt Platon das Original das »intelligible Lebendige« – die Bezeichnung spiegelt seine Überzeugung wider, dass der Kosmos lebendig ist. Diese ultimative Form enthält zahllose untergeordnete Formen, die Blaupausen für alles, was der Kosmos enthält. Betten, Vögel und Menschen sind nichts als verschwommene Spiegelbilder unsichtbarer Ideale. Platons Ideenlehre ist der Vorgänger aller Arten des Idealismus. Moderne Wissenschaftler sind in der Regel Realisten und werden sie daher unverständlich oder bizarr finden. So ging es auch Aristoteles. Er wollte die Eigenschaften der physikalischen Welt erklären. Aber wenn Formen ewig und statisch sind, wie können sie dann, fragt er, irgendetwas tun? Und was bedeutet es, dass die physikalische Welt an der Welt der Formen »teilhat«? Und wenn eine Form nur ein mentales Konzept ist, hat dann nicht jeder physikalische Gegenstand so viele Formen, wie Arten möglich sind, darüber nachzudenken? Und wenn eine Form für einen gegebenen Gegenstand existiert, etwa für Sokrates, warum sollten dann nicht zwei, drei oder eine unendliche

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Anzahl von Kopien von Sokrates auf der Erde wandeln? Platons Formen, so schlussfolgert er, sind nur leere Worte und poetische Metaphern. Sie machen das Studium der Natur zunichte. Es ist daher umso bemerkenswerter, dass diese aussichtslose Theorie die Quelle einer von Aristoteles’ tiefschürfendsten Konzepten war. Denn Aristoteles glaubt, dass die Natur eines Lebewesens, oder wenigstens der wichtigste Teil davon, tatsächlich seine Form ist – wenn nicht gar seine Platon’sche Form. Er benutzt dabei für »Form« denselben Begriff wie Platon, eidos. Er ist einer der Angelpunkte seines Gedankens. Aristoteles behauptet, dass jeder wahrnehmbare Gegenstand eine Verbindung aus Form (eidos) und Materie (hylē) ist. Man kann abstrakt von »Form« und »Materie« sprechen, aber in der Praxis sind sie untrennbar. Um zu erklären, was er meint, greift Aristoteles auf verschiedene Metaphern zurück: Wenn Wachs hylē ist, dann ist eidos der Abdruck, den ein Siegelring hinterlässt. In seiner allgemeinsten Bedeutung ist eidos die Art, auf die Materie strukturiert ist, um die Dinge zu bilden, die wir sehen. Das scheint ziemlich klar. Wenn er jedoch den Begriff auf die Welt des Lebendigen bezieht, verwendet er ihn in mehreren unterschiedlichen, aber verwandten, Bedeutungen. Die erste biologische Bedeutung, in der Aristoteles eidos verwendet, liegt nahe bei unserem Verständnis von »Form« – dem Erscheinungsbild eines Tieres. Sein Begriff für ein Taxon von Tieren ist genos (pl. genē) – was ich als »Sorte« übersetze. Manche genē sind klein, wie die Sorte der Spatzen, manche groß, wie die Sorte der Vögel. Wenn er also die Merkmale beschreiben will, die einen Spatz zu einem Spatz und nicht zu einem Kranich machen oder einen Vogel zu einem Vogel und nicht zu einem Fisch, dann spricht er von eidos. Wenn er eidos in diesem Sinne verwendet, spricht Aristoteles meist von Formen innerhalb einer Sorte: »Es gibt viele eidē von Fischen und Vögeln.« Was uns zur zweiten Bedeutung von eidos bringt: die der Grundeinheit der Artenvielfalt, also nahe dem, was wir mit »Art« in der taxonomischen Bedeutung meinen. Tatsächlich lautet die traditionelle lateinische Übersetzung von eidos denn auch species, genau wie genus die Übersetzung von genos ist.* Man könnte also obigen Satz umschreiben zu: »Es gibt viele Arten von Fischen und Vögeln.« Die Zweideutigkeit wirft Probleme auf. Die Aussage, es gebe viele verschiedene Vogel- und Fischarten, ist viel gehaltvoller als die, dass sie in vielen * Die platonisch-aristotelische Terminologie der Teilung eidos/species und genos/genus sickerte durch die Werke römischer Enzyklopäden, neoplatonischer Kommentatoren, mittelalterlicher Gelehrter und Naturforscher der Renaissance bis zu Linné, von dem wir sie übernommen haben.

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Formen daherkommen, und häufig ist es schwierig zu unterscheiden, welches von beidem Aristoteles gerade meint. Ältere Übersetzungen der biologischen Werke verwenden oft einfach »Art« für eidos. Liest man William Ogles de Partibus animalium (1882) oder D’Arcy Thompsons Historia animalium (1910), kann man sich schwer des Eindrucks erwehren, dass Aristoteles’ Auffassung vom Vorhandensein der Arten sich nicht sehr von der Linnés unterscheidet. Heutzutage stimmen die meisten Gelehrten darin überein, dass Aristoteles eidos selten in dieser zweiten Bedeutung verwendet. Manchmal bezieht er sich auf ein atomon eidos – eine »unteilbare Form« –, zum Beispiel wenn er sagt, dass Kallias und Sokrates einen atomon eidos aufweisen. Damit meint er ganz offensichtlich nicht, dass sie identisch sind, sondern dass sie dieselben Grundmerkmale aufweisen. Dies scheint unserer »Art« zu entsprechen. Aber er nennt nur sehr wenige unteilbare Formen, unter ihnen Menschen und Pferde, Spatzen und Kraniche. Das Problem ist, dass hier wie so oft Aristoteles’ fachliches Vokabular unterbestimmt ist. Er prägt nur sehr zögerlich neue Begriffe, selbst wenn er sie dringend bräuchte. Er ist sich des Problems durchaus bewusst. Oft gibt er an, dass ein bestimmter Begriff in mehreren verschiedenen Bedeutungen benutzt wird, und sagt uns sogar, welche das sind – aber im Folgenden müssen wir dann sehr oft raten, welche er gerade meint. Tatsächlich gibt es noch eine dritte Bedeutung, in der Aristoteles eidos verwendet. Sie ist mit den anderen beiden verwandt, geht aber viel tiefer und ist viel überraschender. Es ist das Erscheinungsbild eines Lebewesens, aber – wenn das nicht zu paradox klingt – sein Erscheinungsbild, wenn es noch nicht gesehen werden kann. Es ist die »Information« oder die »Formel«, die ihm von seinen Eltern übertragen wurde, aus der es sich selbst im Ei oder Mutterleib gestaltet hat und die es seinerseits an seine Nachkommen übertragen wird. In dieser Bedeutung meint Aristoteles, dass die Natur eines Gegenstands vorwiegend in seiner Form liegt. Von eidos als »Information« zu sprechen, birgt die Gefahr eines Anachronismus. Aristoteles versteht Information mit Sicherheit nicht in dem allgemeinen Sinn wie wir heute. Doch diese Deutung wird gestützt von Abschnitten, in denen er eine Parallele zwischen der Übertragung der tierischen Form und der Übertragung von Wissen zieht. In De partibus animalium betrachtet Aristoteles, wie ein Bildschnitzer seine Kunst erklären würde. Er würde natürlich nicht nur von dem Holz sprechen – das ist nur die Materie, aus der das Bild gemacht ist. Auch würde er nicht nur von seinem Beil und Bohrer sprechen – sie sind nur Werkzeuge. Auch nicht über die Handgriffe, die er tätigt – das ist nur die Technik. Nein, wenn er wirklich den Ursprung des Gegenstands übermitteln will, den er herstellt, muss er über die Vorstellung sprechen, die er hatte, als er mit seiner Arbeit begann – den Vorgang, durch

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den er unter seinen Händen entsteht, sein fertiges Aussehen und den endgültigen Zweck – er muss über sein eidos sprechen. Auf dieselbe Weise muss ein Wissenschaftler, wenn er erklären will, warum Lebewesen bestimmte Merkmale haben, über ihre eidē sprechen. Es ist nur so, dass die Formen der Lebewesen nicht, wie Platon behauptete, im Geist irgendeines göttlichen Handwerkers existieren, sondern in den Samen ihrer Eltern. In einem Abschnitt in der Metaphysik nennt Aristoteles eine weitere Metapher für die Beziehung zwischen Material und formellen Naturen. Auf recht geniale Weise vergleicht er die Bestandteile eines Körpers mit einem Symbolsystem. Manche Dinge, sagt er, sind Zusammensetzungen. Die Silbe ab ist eine Zusammensetzung aus den Buchstaben a und b. Es reicht jedoch nicht, a und b einfach zusammenzusetzen, um diese bestimmte Silbe zu erhalten; man braucht noch etwas anderes: Man muss die Ordnung der Buchstaben festlegen (sonst erhält man ba) oder, wie wir heute sagen würden, man braucht weitere Informationen. Auf dieselbe Weise sei das Fleisch eine Zusammensetzung aus Feuer und Erde und noch etwas: der Art, wie sie geordnet sind. Und diese Ordnung ist die Form und Natur des Fleisches. Aristoteles’ Überzeugung, dass wir uns weniger der Materie widmen sollten als der Informationsstruktur der Lebewesen, lässt ihn wie einen vorweggenommenen Molekulargenetiker erscheinen. Dabei griff er nicht etwa auf wundersame Weise der Entdeckung der DNA vor – es ist reiner Zufall, dass er eine geordnete alphabetische Sequenz verwendete – ab gegenüber ba –, um Formen zu beschreiben, wie wir Nukleotide beschreiben. Doch indem er die Formen aus dem Platon’schen Reich jenseits der Sinne zurückholte, beantwortete Aristoteles – und zwar korrekt – die Frage: Was ist die unmittelbare Quelle der Gestaltung, die wir in Lebewesen erkennen? Es ist die Information, die sie von ihren Eltern erben.

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rotz der Strenge, mit der er seine Vorgänger behandelte (und Aristoteles nahm wirklich nie ein Blatt vor den Mund), bediente er sich dennoch bei ihnen allen. Demokrit und Empedokles zeigten ihm die Macht der Materie, Anaxagoras, Sokrates und Platon das Vorherrschen des Zwecks, Platon den Ursprung der Ordnung. Sein eigenes Erklärungsschema enthält all diese Elemente. Das musste es auch. Das ganze Problem bestand darin, dass keiner seiner Vorgänger sah, dass Naturen auf mehrere unterschiedliche Weisen verstanden werden konnten, ja verstanden werden sollten. Unsere Herzen schlagen

naturen

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– aber nicht nur wegen der Chemie, nicht nur, um uns am Leben zu halten, und auch nicht nur, weil eins in unserem Embryotorso heranwuchs, oder weil unsere Eltern auch Herzen hatten; unsere Herzen schlagen vielmehr aus all diesen Gründen. Alle diese verschiedenen Ursachen ergänzen einander, sind sogar eng miteinander verwoben. So jedenfalls argumentiert Aristoteles in einem berühmten methodischen Ausspruch, der als die »vier Ursachen« bekannt ist. Dabei ist »Ursachen« hier nicht ganz richtig: »vier Fragen« oder »vier Arten ursächlicher Erklärungen« treffen besser, was er meint: Es gibt vier grundlegende ursächliche Erklärungen: erstens, wozu etwas da ist (was also sein Ziel ist); zweitens die Formursache oder »Definition des Wesens« (die ersten beiden sollten als etwa dasselbe behandelt werden); drittens seine materielle Grundlage und viertens seine Wirkursache oder der Ursprung seiner Bewegung.

Nehmen wir sie in umgekehrter Reihenfolge auf. Die Wirkursache (oder Bewegungsursache) ist eine Darstellung der Mechanik von Bewegung und Veränderung. Heute entspricht es dem Bereich der Entwicklungsbiologie und Neurophysiologie. Die Materialursache ist eine Darstellung der Materie – des Stoffes –, aus der bzw. dem Tiere bestehen, und ihrer Eigenschaften. Das ist der Bereich der modernen Biochemie und Physiologie. Die Formursache ist eine Darstellung der übertragenen Informationen, die jedes Lebewesen von seinen Eltern erhielt und die verantwortlich sind für die Merkmale, die es mit anderen Mitgliedern seiner Art teilt – also der Gegenstand der Genetik. Die Zweckursache ist die Teleologie, die Analyse der Teile von Tieren im Hinblick auf ihre Funktionen. Dies gehört heute zur Evolutionsbiologie, die sich mit der Anpassung beschäftigt. In dem Maße, wie die Funktion den Stoff formt, aus dem Tiere bestehen, wie sie sich entwickeln, wie sie gegen die Widrigkeiten der Welt bestehen und wie sie sich vermehren und sterben, umfasst die Zweckursache, wie Aristoteles sagt, die anderen drei. Er gibt uns die Struktur unserer Gedanken vor, auch wenn wir das gar nicht wissen. Auch ihre Verwerfungslinien. Seit ihrer Wiederauferstehung im 17. Jahrhundert wurde die Biologie oft von großen Konflikten aufgewühlt. Häufig handelte es sich nur um Streitigkeiten darüber, wie man etwas erklären sollte. In den 1950er-Jahren tobte die Schlacht zwischen den formal-materialistischen Molekularbiologen und den teleologisch gesinnten organismischen Biologen. Einige der heutigen Wissenschaftler haben es noch erlebt. Die Zoologen Ernst Mayr und Niko Tinbergen versuchten, Frieden zu stiften – oder wenigstens den Triumphalismus der Molekularbiologen in Schach zu halten –, indem sie für die gleichmäßige Anerkennung von »vier Ursachen«

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oder »Problemstellungen« plädierten. Ihre Ursachenliste war nicht ganz identisch und entsprach nicht ganz der von Aristoteles (schließlich waren sie Evolutionsbiologen), aber die Erkenntnis, dass Lebewesen auf mehrere verschiedene Arten erklärt werden müssen, deckt sich auf jeden Fall mit der von Aristoteles. Heutzutage hat in den meisten Universitäten jeder Erklärungsansatz einen eigenen Fachbereich. Ist es Aristoteles’ Gedanke, der uns so beeinflusst hat? Einige Gelehrte deuteten auf die Quellen für Aristoteles’ System und behaupteten, er sei nur eine sehr fleißige Elster gewesen. Karl Popper nannte ihn in einem Anfall von Majestätsbeleidigung einen »Denker von geringer Originalität« (obwohl er auch zugab, offenbar ohne sich des Widerspruchs bewusst zu werden, dass Aristoteles die formale Logik erfunden hatte). Platon-Fans – einige hat er noch – neigen besonders dazu, Aristoteles als Nachahmer seines Lehrers zu betrachten. Das kann man nur, wenn man beflissen ignoriert, wie Aristoteles Platons Konzepte veränderte. Als Student las Darwin Paleys Natürliche Theologie und erfreute sich an ihr, und vielleicht hat er sogar daher sein feines Gespür für die Ausgestaltung von Lebewesen. Doch wer würde Darwin einen Paley-Anhänger nennen? Aristoteles einen Platoniker zu nennen, ist in etwa das Gleiche. Denn Aristoteles brachte nicht nur ein neues Erklärungssystem hervor, sondern wandte es auch an. Seine Vorgänger betrachteten die Welt wie vom Olymp herab. Sie lag weit unter ihnen, verschwommen in der Entfernung oder ganz im Nebel verborgen, und Spekulationen füllten die Lücken dort, wo sie nichts sehen konnten. Aristoteles hingegen ging an den Strand hinunter. Er beobachtete, wandte seine Ursachen auf seine Beobachtungen an und verwob sie in den Büchern miteinander, aus denen sein großer Kurs der Zoologie besteht: De partibus animalium, De longitudine et brevitate vitae, De juventute et senectute, De vita et morte, De spiritu, De generatione animalium, De motu animalium und De animalium incessu. Als er damit fertig war, waren Materie, Form, Zweck und Veränderung nicht mehr die Spielzeuge der spekulativen Philosophie, sondern ein Forschungsprogramm.

Das Schnarchen des Delfins

delphis – Großer Tümmler – Tursiops truncatus

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m Vogelsaal des Londoner National History Museum stehen vier alte Vitrinen. Sie zeigen drei verschiedene Betrachtungsweisen der Natur. Die erste ist aus Walnussholz, stammt aus dem frühen 19. Jahrhundert und ist mit vielleicht tausend Kolibris gefüllt (sie sind allerdings schwer zu zählen). Man hatte sie in der gesamten Neuen Welt gesammelt und in großen Schwärmen installiert, wie um einen unmöglichen Garten Eden der Vogelwelt oder auch den Anflug auf Heathrow darzustellen. Hier, so besagt das erklärende Schild, sieht man die Trochilidae in all ihrer Pracht. Man beachte die Vielfalt und Brillanz ihres Gefieders (im Laufe der Zeit inzwischen verblasst), die unterschiedlichen Längen ihrer Schnäbel und die wechselnde Form ihrer Schwänze; man beachte die endlosen Variationen eines gemeinsamen Themas, geschaffen von einem Schöpfer, aber geordnet vom Menschen. Diese Betrachtungsweise ist typisch für das 18. Jahrhundert, sie steht für die Wissenschaft von Linné und Banks, ihre Freude an den Lebewesen der Neuen Welt und ihren Wunsch, sie festzunageln. Die zweite Vitrine in der Mitte des Saals ist aus Eichenholz, stammt aus dem Jahr 1881 und enthält weder Arten noch Einzeltiere, sondern Körperteile. Die Vögel wurden zerlegt, sodass nun der Schwimmfuß einer Ente den Fängen eines Greifvogels gegenübersteht und der gebogene Schnabel eines Papageis dem schlanken eines Wiedehopfs. Die Vitrine ist ein Essay zum Thema Funktionalismus. In winzig beschrifteten Etiketten erklärt sie voll pingeliger Didaktik, warum Vögel so unterschiedliche Schnäbel, Füße und Federn haben. Einst muss das sehr modern gewirkt haben. Die dritte und vierte Vitrine stehen hinten im Saal. Die ausgestopften Vögel sitzen auf Ästen und Blättern, ganz, paarweise, mit ihren Nestern und ihren Jungen. Sie gehören zur Gruppe »Britische Vögel – Nistreihe«. In einer Vitrine drückt sich ein Paar Sturmschwalben gegen hebridische Felsen; in der anderen blickt ein Amselmännchen von einer Weißdornhecke herab, während seine Gefährtin ihre elfenbeinfarbenen Eier bewacht. Diese jüngsten Ausstellungsstücke zeigen die Natur, wie die Romantiker sie besangen und wie wir sie uns gern immer noch vorstellen würden, auch wenn das nicht ganz leicht ist: voller Tiere, die in einer ungestörten, zeitlosen Welt zu Hause sind und sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, also ums Paaren und um die Jungenaufzucht. Sie sind auch eine Vision von England, dem

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England aus Selborne, Der Heukarren, Adlestrop und The Lark Ascending, im Fluge erwischt und in einer Vitrine verewigt. Von den Etiketten erfahren wir ohne Überraschung, dass es dort, wo jetzt zwei Vitrinen stehen, einmal 159 gab, und dass der Rest 1944 von der Luftwaffe zerstört wurde.*

Vogelteile, Natural History Museum, London, 2010

Die Schönheit der Lebewesen entsteht aus ihrer endlosen Vielfalt, dem Gefühl von Einheit in der Vielfalt, das sie vermitteln, und der Komplexität ihrer Beziehungen. Angesichts der Freigiebigkeit der Natur ist es allzu leicht, sich einem unartikulierten Gefühl der himmlischen Verbundenheit aller Dinge hinzugeben oder aber alles in einem kaleidoskopischen Wirbel vorbeiziehen zu lassen. Haeckel sah auf die Korallengärten von Al-Tur herab und faselte von den magischen Hesperiden, Darwin betrat die Mata Atlântica in Rio und entdeckte die Hingabe – im Angesicht eines Regenwaldes kann

* Dabei hat Britische Vögel – Nistreihe eine sehr deutsche Abstammung, denn die Ausstellung wurde von Albrecht Günther (1830–1914) zusammengetragen, dem in Tübingen geborenen Direktor der Zoologischen Abteilung des British Museum (Natural History). Er hatte sich von einer taxidermischen Darstellung inspirieren lassen, die er im Crystal Palace in Southwark gesehen hatte und die vom Naturforscher Hermann Plouquet, einem weiteren Deutschen, ursprünglich für die Londoner Industrieausstellung 1851 angefertigt worden war. Neben der Sturmschwalbe und der Amsel, die noch immer ausgestellt sind, wurden einige der Originalnester gerettet und befinden sich nun in der Forschungssammlung.

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schließlich jeder weiche Knie bekommen. Wenn wir jedoch die natürliche Welt verstehen möchten, müssen wir uns auf ihre Bestandteile konzentrieren, sie isolieren und benennen. Wir müssen sezieren, analysieren und etikettieren. Aber wie der Vogelsaal zeigt, gibt es viele Möglichkeiten, sich die Wirklichkeit zurechtzumeißeln, und jeder Schlag enthüllt eine andere Facette. Die Frage, die sich uns stellt, ist also: Wo setzte Aristoteles seinen Meißel an? Was für eine Art von Wissenschaft erfand er?

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ie Naturphilosophen der Renaissance betrachteten die Welt mit Neugier, entdeckten, dass sie fast gar nichts über sie wussten, und wandten sich wie selbstverständlich Aristoteles zu als einem, der mehr wusste. Für sie war Aristoteles vor allem ein Naturforscher, der sich an einer umfassenden Darstellung aller Lebewesen versucht hatte, die er kannte, dem es aber unerklärlicherweise nicht gelungen war, seine Daten richtig zu ordnen. Im Jahr 1473 legte Theodorus Gaza seinem Mäzen Papst Sixtus IV. seine Übersetzung Aristoteles’ zoologischer Werke in ciceronischem Latein vor. In seinem Vorwort beschreibt Theodorus, worum es in den Büchern ging: Die rationale Untersuchung der Natur verläuft ordentlich durch alle Unterscheidungen, die die Natur getroffen hat, sodass all ihre Lebewesen verschiedenartig gestaltet sind: Sie gruppiert die großen Gattungen und erläutert einzeln die restlichen Aspekte: Sie unterteilt Gattungen in Arten und beschreibt sie nacheinander (und diese Bücher enthalten etwa 500 von ihnen); weiterhin wird erklärt, wie sich jede von ihnen fortpflanzt (sowohl die landlebenden als auch die wasserlebenden Arten), aus welchen Gliedmaßen sie besteht, welche Nahrung sie frisst, was sie verletzt, was ihre Gewohnheiten sind, wie lange sie leben darf, wie groß ihr Körper ist, welches die größte und welches die kleinste ist sowie Form, Farbe, Stimme, Wesen und Gefügigkeit; kurz, sie lässt kein Tier aus, das die Natur hervorbringt, ernährt, gedeihen lässt und schützt.

Das falsche Werbeversprechen springt direkt ins Auge. Aristoteles benennt in der Tat rund 500 »Arten«* und er hat über viele von ihnen wirklich eine Menge zu sagen, aber mit Sicherheit beschreibt er nicht die »Arten nach-

* Gaza führt hier bereits einen un-aristotelischen Gebrauch von »Gattungen« und »Arten« ein.

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einander«. Man denke nur daran, was er über den Elefanten schreibt. Wenn man bedenkt, dass er nie einen gesehen hat, weiß er viel über ihn zu erzählen. Aber um herauszufinden, was genau, muss man zunächst auf das Register von Historia animalium zurückgreifen, wo man die Teile und Gewohnheiten des Elefanten stückweise im ganzen Buch verteilt findet: Elefant: Alter des -en 586a3–13; 630b10–31; Brustdrüsen des -en 498a1; 500a17; Fortpflanzung des -en 540a20; 546b7; 579a18–25; Gefangennahme des -en 610a15–34; Ernährung des -en 596a3; Erkrankungen des -en 604a11; 605a23b5; Reiter des -en 497b27; Füße des -en 497b23; 517a31; Galle des -en 506b1; Genitalien des -en 500b6–19; 509b11; Gewohnheiten des -en 630b19–31; Haare des -en 499a9; Gliedmaßen des -en 497b22; Schlaf des -en 498a9; Schädel des -en 507b35; Sperma des -en 523a27; Temperament des -en 488a28; Zähne des -en 501b30; 502a2; Rüssel des -en 492b17; 497b23–31; Stimme des -en 536b22 …

und dann auf De partibus animalium: Elefant: Wassergewohnheiten des -en 659a30; Rüssel und seine verschiedenen Funktionen 658b30; 661a25; 682b35; Vorderfüße des -en 659a25; -fuß hat Zehen 659a25; Brustdrüsen des -en 688b15; Schutz durch Masse 663a5 …

wo seine Zergliederung sich fortsetzt.* Vielleicht in dem Versuch, seinem Gönner die Zoologie schmackhaft zu machen, ließ Theodorus diese Art der Ordnung unaufrichtig unter den Tisch fallen und präsentierte Aristoteles als Enzyklopäden. Eigentlich bewirbt er Aristoteles als einen griechischen Plinius. Im ersten Jahrhundert nach Christus schrieb und veröffentlichte Plinius der Ältere seine Naturalis historia, die in Essay auf Essay das meiste von dem abdeckte, was sie abzudecken behauptete – alles. Es war eine wahre Naturgeschichte, wahrscheinlich die erste überhaupt. Plinius sammelte seine Tierkunde aus allen Quellen zusammen, die er finden konnte, und ordnete sie nach Arten. Er behauptete, Berichte aus erster Hand hoch zu schätzen, aber

* Aristoteles’ Manuskript hatte kein Register. Ohne fällt es mir schwer zu begreifen, wie er in den Hunderten von Schriftrollen in seiner Bibliothek seine früheren Gedanken zu einem Thema wiederfand. Tatsächlich scheint es, als hätte er sich häufig die Mühe nicht gemacht, denn er hat die quälende Angewohnheit, sich in trivialen Dingen selbst zu widersprechen, als hätte er vergessen, was er früher dazu geschrieben hatte. Wie wir sehen werden, ist dies auch beim Elefanten der Fall.

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er meinte es nicht ernst. Vielleicht hatte er Elefanten in römischen Triumphzügen, Zirkussen und Schlachten gesehen, aber seine ergiebige Datenquelle hatte ihm nichts genützt. Ein paar Zitate machen das deutlich: [Der Elefant] freut sich über Zuneigung und Ehrbezeugungen, darüber hinaus besitzt er Tugenden, die selbst unter Menschen selten sind: Ehrlichkeit, Weisheit, Gerechtigkeit und auch Respekt vor den Sternen und Ehrerbietung für Sonne und Mond. [E]in Elefant verliebte sich einmal in ein Mädchen, das Blumen verkaufte und (damit niemand denkt, er hätte eine ordinäre Wahl getroffen) ein bevorzugter Günstling des sehr gefeierten Gelehrten Aristophanes war. [A]ber die größten [Elefanten stammen aus] Indien, ebenso wie Schlangen, die ständig in Krieg und Fehde mit ihnen leben. Die Schlangen sind auch so groß, dass sie die Elefanten leicht umschlingen und in einem Knoten fesseln können.

Dies ist die authentische Stimme der antiken Naturgeschichte: tratschsüchtig, leichtgläubig und darauf beharrend, dass das, was der Autor zu erzählen hat, ganz wunderbar sei – was es auch wäre, wenn etwas davon wahr wäre. Wenn Plinius einen Vorgänger hatte, dann war es sicherlich Herodot mit seinen Geschichten von Gold schürfenden Ameisen, Greifen und einäugigen Arimaspen und selbst für Herodots Geschmack ist Letzteres allzu haarsträubend. Doch es war Plinius und nicht Aristoteles, der das Modell für die Naturkunde der Renaissance lieferte, selbst wenn Aristoteles glücklicherweise einen Großteil des Materials beisteuerte. 1551 veröffentlichte der Schweizer Arzt und Gelehrte Konrad Gesner den ersten Band von Historia animalium, ein Kompendium all dessen, was über die Tierwelt bekannt war. Er filetierte Aristoteles’ Werk und ordnete wie Plinius sein Material nach Art einer Enzyklopädie. Anders als Plinius interessierte sich Gesner vor allem für die Biologie der Lebewesen, über die er schrieb, war lobenswert zurückhaltend und versuchte, die Daten der Antike zu bestätigen; in seinen Händen nimmt das Handbuch der modernen Naturkunde Gestalt an. Um von ihm zu »Britische Vögel – Nistreihe« zu kommen, fehlt nur noch die Wahrnehmung, dass die Natur nicht nur wunderbar ist, sondern erfüllt von Schrecken, Schönheit und Pathos.

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ie moderne biologische Taxonomie – die Wissenschaft von der Klassifikation – erblickte 1758–59 mit der Veröffentlichung der zehnten Ausgabe von Carl Linnés Systema naturae das Licht der Welt. Sie gab die Richtung für eins der großen Projekte der Wissenschaft im 19.  Jahrhundert vor: die Entdeckung, Klassifizierung und Katalogisierung allen Lebens auf der Erde. Seine Nachfolger verfolgten dieses Projekt durch die Veröffentlichung dicker mehrbändiger Monografien, in denen die Natur in all ihrer farblithografierten Pracht beschrieben wurde. Unter der Histoire naturelle des poissons von Cuvier und Valenciennes, Voets Catalogus systematicus coleopterorum (2 Bände, 1804–06), Die Schmetterlinge von Esper und Charpentier (7 Bände, 1829–39), Agassiz’ Recherches sur les poissons fossiles (5 Bände, 1833– 43), dem Thesaurus conchyliorum der Sowerbys (5 Bände, 1847–87), Goulds Monographs of the Trochilidae oder Family of Humming-birds (1849–61), Darwins Living Cirripedia und Fossil Cirripedia (4 Bände, 1851–54), Bells Tortoises, Terrapins and Turtles (1872) – um nur eine Handvoll von Hunderten zu nennen – biegen sich noch heute die Regale der Bibliotheken. Auch die Taxonomen erschufen Aristoteles nach ihrem eigenen Bilde neu. Ihr Aristoteles war kein reiner Naturhistoriker, sondern der Gründer ihrer ureigenen Wissenschaft. Auch Aristoteles, meinten sie, musste den Klassifizierungsimpuls verspürt haben, heute als leicht autistische Eigenschaft eingeordnet, der einen Jungen dazu bringt, seine Schneckenhaussammlung wieder und wieder neu zu gruppieren auf der Suche nach dem einzigartigen Ordnungsprinzip, das ihre grundverschiedenen Formen eint. Auch er muss den Triumph verspürt haben, der sich bei der Entdeckung eines Lebewesens einstellt, das niemand bisher bemerkt hat, eine unbekannte Art (was für ergötzliche Worte!), und sich das Vergnügen gegönnt haben, ihm einen Namen zu geben. Auch Historia animalium muss – wenn es auch zugegebenermaßen nicht leicht zu erkennen ist – ein Katalog sein. Sie sahen in ihm einen Proto-Linné, der an der Ägäisküste Klassifikationen aufstellte. Und einen begabten dazu. Cuvier lobte ihn mit typischem Überschwang: Aristoteles legt auch von Anfang an eine zoologische Klassifikation vor, die über Jahrhunderte sehr wenig zu verbessern übrig ließ. Seine großen Abteile

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und Unterabteile des Tierreichs sind erstaunlich präzise und haben sich fast alle den nachfolgenden Ergänzungen durch die Wissenschaft widersetzt.

Das ist natürlich eine Überspitzung. Cuvier selbst stellte eine Klassifikation der Tiere auf, die der von Aristoteles weit überlegen war und in der die großen Abteilungen des Griechen ergänzt, reduziert oder einfach ignoriert wurden, sodass kaum eine von ihnen unbeschadet blieb. Trotz aller Heiligenverehrung jedoch hat die Sichtweise, dass Aristoteles’ Projekt im Grunde taxonomischer Natur war, einen progressistischen Reiz. Schließlich kann eine Wissenschaft kaum in Gang kommen, wenn nicht ihre Gegenstände zuerst identifiziert und benannt wurden. Wie die Biologie Linnés System brauchte, so brauchte die Astronomie Johan Bayers Sternenatlas, die Kristallografie Abbé Haüys Geometrien und die Chemie Dmitri Mendelejews Periodensystem. Aber warum nur die Wissenschaft heranziehen? Kaum hatte Er die Tiere erschaffen, da gab Er Adam den Auftrag, sie zu benennen – selbst Gott sieht die Dinge so. Die meisten von Aristoteles’ Sorten – genē – entsprechen grob unseren Arten. Erythrinos, perkē, skorpaina, sparos, kephalos können alle einer oder wenigen heutigen Fischarten zugeordnet werden. Manchmal aber bezeichnen seine Sorten auch unsere Rassen oder Varietäten: »Es gibt mehrere Sorten von Hunden …« – die lakonischen und die molossischen Hunde. Seine Tiernamen waren, so weit wir das beurteilen können, keine erfundenen Fachbegriffe der Art, wie Linné sie für seine Arten ersann, sondern kamen aus der Volkszoologie seiner Zeit: Er bekam sie von den Fischern, Jägern und Bauern, mit denen er sprach. »In der Nähe von Phoinikē [Libanon] gibt es Krebse, die als hippos – Pferd – bekannt sind, weil sie so schnell laufen, dass sie schwer zu fangen sind« – gemeint ist die Geisterkrabbe, deren wissenschaftliche Bezeichnung Ocypode cursor so viel heißt wie »schnellfüßiger Läufer«. »Es gibt einen Felsenvogel namens kyanos [»blau«]. In Skyros kommt er sehr häufig vor und verbringt seine Tage auf den Klippen. Er ist kleiner als ein kottyphos [Amsel], etwas größer als ein spiza [Buchfink]; er hat große Füße und klettert an den Steilwänden umher, ist ganz und gar dunkelblau, sein Schnabel ist dünn und lang, seine Beine kurz und wie die eines hippos [Spechtes]« – wahrscheinlich der Felsenkleiber. Die Tatsache, dass für Aristoteles ein hippos ein Krebs, ein Vogel und ein Pferd sein kann, macht seine Tierkunde nicht wirklich einfacher zu lesen.* Es gibt die weitverbreitete und ziemlich romantische Auffassung, dass die Fischer und Jäger traditioneller Gesellschaften außerordentlich begabte

* Hippos als Specht könnte ein Abschreibfehler von pipō sein, Aristoteles’ üblichem Namen für diesen Vogel. Vielleicht ist dies also gar nicht Aristoteles’ Schuld.

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Taxonomen seien und mit einem Blick Arten unterscheiden können, die einfache Wissenschaftler kaum auseinanderhalten können. Die Hochlandbewohner von Neuguinea sollen mit untrüglicher Sicherheit 136 verschiedene Vogelarten identifizieren können. Vielleicht können sie das. Heutige griechische Fischer jedoch scheinen deutlich weniger begabt zu sein, wenn es um die Identifizierung ihres Fangs geht. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass das jemals anders war. Wir waren in Skamanoudi, einem winzigen Hafen an der Ostküste, wo, so sagte man uns, im richtigen Licht die Überreste des antiken Hafens von Pyrrha direkt vor der Küste zu sehen sind. Aber es wehte ein starker Wind, das Kap lag frei und Schaumkronen auf den Wellen behinderten die Sicht, also ließen wir uns nieder und bestellten Ouzo und einen Teller gesalzenen Fisch. Jemand lobte die papalinas. David K., der Ichthyologe unserer Expedition, erhob Einspruch. Du meinst die sardella, sagte er. Die sardella ist die Sardina pilchardus, fuhr er fort, die papalina die Sprattus sprattus – und zum Beweis zog er Ta psara tis Helladas (Die Fische Griechenlands) heraus, das er voller Autorenstolz fast immer mit sich herumträgt, damit wir seine herrlichen Gouache-Bilder zweier praktisch identischer Fische betrachten konnten. Wir fragten den Wirt. Es seien papalinas, sagte er. Wir machten ihn darauf aufmerksam, dass auf der Speisekarte aber sardellas stünden. Natürlich – eine papalina sei eine sardella in der Lagune und eine sardella sei eine papalina draußen, und diese hier kämen von drinnen, weshalb sie auch so lecker seien. Die Fischer am Nebentisch mischten sich ein. Der Wirt hätte nicht die Wahrheit gesprochen oder sich zumindest nicht verständlich geäußert. Die sardella und die papalina seien in der Tat ein und dieselbe Art, aber der wesentliche Unterschied bestünde nicht in ihrem geografischen Ursprung, sondern in ihrem Alter oder vielleicht einfach ihrer Nahrung – aber ob einer oder alle diese Faktoren besonders wichtig seien, darüber war man sich nicht einig. Einige Querdenker nahmen die wissenschaftliche Sichtweise ein. Die sardella und die papalina seien, sagte sie, ganz unterschiedliche Arten, genau wie der kyrios gesagt hätte: Jeder könne den Unterschied schmecken. Die Verschiedenartigkeit ihrer Ansichten zur Beziehung zwischen den beiden Fischen und welche wir nun aßen, war verwirrend. Kalloni exportiert Tausende Tonnen sardellas oder papalinas oder jedenfalls kleine silbrige Fische pro Jahr; es gibt keinen griechischen Supermarkt, in dem es sie nicht zu kaufen gibt, und man sollte meinen, dass die Männer, die sie täglich aus dem Wasser ziehen, zu einer taxonomischen Übereinkunft gekommen wären. Sie hatten sehr lange Zeit gehabt, sich auf einen Namen zu einigen. Erkennt Aristoteles die inhärente Zweideutigkeit von Trivialnamen? Vielleicht. Sein Vertrauen in die zoologischen Fähigkeiten von Fischern ist beschränkt und er versteht ganz klar, dass Volkstaxonomien nicht die Vielfalt des Lebens einfan-

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gen: »Die anderen Sorten [von karkinoi, Krebsen] sind kleiner und haben meist keinen besonderen Namen.« Aber er gleicht den Mangel nicht aus. Dennoch lassen sich viele von Aristoteles’ Sorten überzeugend modernen Arten zuordnen, darunter Hunde insgesamt, Pferde, zwei Zikaden, vier Spechte, sechs Seeigel und Menschen. Wenig überraschend leistet er sehr gute Arbeit bei den Kopffüßern und benennt den polypodon megiston genos (Gewöhnlicher Krake), den heledōne/bolitaina/ozolis (Moschuskrake), den sēpia (Echter Tintenfisch), den teuthos (Großer Pfeilkalmar), den teuthis (Gemeiner Kalmar) und den nautilos polypous (Papierboot). Er erwähnt noch einen weiteren Kopffüßer mit Gehäuse, »der in seinem Haus lebt wie eine Schnecke, aus dem er manchmal seine Tentakeln streckt«. Die Identität dieses Wesens wurde heiß diskutiert. Es wäre eine hübsche Beschreibung des prächtigen Gemeinen Perlbootes, wenn nicht Nautilus pompilius im Indopazifik westlich der Andamanen zu Hause wäre – sehr weit außerhalb von Aristoteles’ Reichweite. Einige Gelehrte meinen, er hätte die Beschreibung eines Exemplars übernommen, das jemand gesehen hatte, der Alexander den Großen nach Indien begleitet hatte; andere glauben, dass er das Männchen der pelagischen Krakenart Ocythoe tuberculata meint, die sich im Hohlkörper von Salpiden häuslich niederlässt, oder die pelagische Schnecke Janthina janthina, die überhaupt nicht aussieht wie ein Kopffüßer. Keine Erklärung erscheint besonders plausibel und so bleibt die Identität des neunten Kopffüßers im Dunkeln. Aristoteles erkennt auch größere Gruppen an, die modernen höheren Taxa wie Gattungen, Familien, Ordnungen, Klassen und Stämmen ähneln. Er nennt sie megista genē – »größte Sorten«. Manche ihrer Namen sind eindeutig auch Trivialnamen: ornis (Vogel), icthys (Fisch). Aber andere wurden offenbar als Teil eines Fachvokabulars erfunden. Aristoteles erkannte, dass Volkstaxonomien sich nicht gut dazu eigneten, Tiere in größere Gruppen einzuteilen, vor allem, wenn die fraglichen Tiere zu denen gehören, die die wenigsten kennen. Die Namen seiner »größten Sorten« sind oft beschreibend: malakostraka (»Weichschalige« = die meisten Krebstiere), ostrakoderma* (»Hartschalige« = die meisten Stachelhäuter + Gastropoden + Muscheln + Rankenfußkrebse + Seescheiden), entoma (»Kerbtiere« = Insekten + Tausendfüßer + Kieferklauenträger), malakia (»Weichtiere« = Kopffüßer), kētōdeis (»Monsterartige« = Wale), zōiotoka tetrapoda (»lebend gebärende Vierfüßer« = die meisten Säugetiere), ōiotoka tetrapoda (»Eier legende Vierfüßer« = die meisten Reptilien + Amphibien), anhaima (blutlose Tiere = Wirbellose), enhaima (Bluttiere = Wirbeltiere).

* Wörtlich »mit einer Haut wie Keramikscherben«.

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Aristoteles scheint geglaubt zu haben, dass in einer guten Klassifikation Sorten anderen Sorten untergeordnet sind und dass jede Sorte eine einzigartige, definierte Position im Verhältnis zu allen anderen hat – mit anderen Worten, dass sie als verschachtelte Hierarchie angeordnet sein sollten. »Die wichtigsten Sorten von Bluttieren sind Eier legende Vierfüßer, lebend gebärende Vierfüßer, Vögel, Fische, Wale und alle, die unbenannt sind, weil die Gruppe nicht existiert, nur die einfache Form in jedem einzelnen Fall.« – »Wir müssen nun von den blutlosen Tieren sprechen. Es gibt mehrere Sorten« – die er dann aufzählt. »Es gibt vier größte Sorten von Weichschaligen: Sie heißen astakoi, karaboi, karides und karkinoi« – was uns verrät, dass Hummer, Krebse, Garnelen und Krabben untergeordnete größte Sorten innerhalb einer noch größeren Sorte sind, der Weichschaligen. Aber einige seiner Hierarchien sind auch sehr flach: Der Mensch ist ein Bluttier, steht aber ansonsten für sich. Heute ist es offensichtlich, dass die Beziehungen zwischen den Tieren als verschachtelte Hierarchie beschrieben werden sollte. Es ist die einzige Möglichkeit, die Topologie eines Baumgrafen mit Worten zu beschreiben und ein Baumgraf ist die einzige Möglichkeit, die Abstammung mit Abänderung von einem gemeinsamen Vorfahren bildhaft darzustellen. Aber wenn es für uns offensichtlich ist, können wir uns fragen, warum es das für Aristoteles auch war, der schließlich nie den Abschnitt in der Entstehung der Arten gelesen hatte, in dem Darwin es erklärt. (»Die Verwandtschaften zwischen allen Wesen derselben Klasse wurden gelegentlich durch einen großen Baum dargestellt. Ich glaube, dass dieser Vergleich im Großen und Ganzen wahr ist …«). Es gibt schließlich logische Alternativen. Aristoteles hätte eine Klassifikation aus Taxa aufbauen können, die relativ unabhängig voneinander sind. In seiner wunderbar arglistigen Beschreibung des Heavenly Emporium of Benevolent Knowledge, einer chinesischen Enzyklopädie, erzählt uns Borges von einer solchen Enzyklopädie, in der jedes Taxon durch Merkmale wie »dem Kaiser zugehörig«, »einbalsamiert«, »Meerjungfrau«, »streunender Hund« oder »aus der Ferne einer Fliege ähnelnd« definiert ist. Aristoteles hätte ebenfalls eine Enzyklopädie aus rein orthogonalen statt verschachtelten Taxa erstellen können. In Politik III, 7 klassifiziert er Regierungsformen auf diese Art auf der Grundlage von zwei Merkmalen: dem Grad der Machtkonzentration und ihrer Qualität. hoch mittel niedrig Monarchie Aristokratie Verfassungsstaat gut schlecht Tyrannei Oligarchie Demokratie Diese Struktur wandte er jedenfalls nicht auf Tiere an.

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Vielleicht ist es einfach für jeden, der die Vielfalt des Lebens mit Sorgfalt untersucht, ganz offensichtlich, dass sie hierarchisch geordnet sein sollte. Linné brauchte keinen Darwin, der ihm sagte, dass er seine Tiere in Gattungen, Ordnungen und Klassen verteilen sollte. Aristoteles’ Begriff für »Taxon«, genos, ist außerdem inhärent hierarchisch, da er ursprünglich »Familie« bedeutet, unter der die Griechen einen patrilinearen Klan verstanden. Aber es stimmt auch, dass verschachtelte Hierarchien ganz natürlich aus seiner Klassifikationsmethode hervorgehen. Aristoteles’ Klassifikation der Tiere war wahrscheinlich die erste.* Aber Klassifizierung ist sehr nahe an Definition und vom Definieren war die Akademie besessen. Platon glaubte, etwas zu definieren bedeute, es zu verstehen. Seine Definitionsmethode zog die sukzessive dichotome Unterteilung der Merkmale des Gegenstands nach sich. Als er im Politikon das Wesen der Monarchie untersucht, beginnt er mit »allem menschlichem Wissen«, das er dann in immer spezialisiertere Zweige teilt, bis er zeigen konnte, dass ein König eine Art Hirte ist. Aber was hütet ein König? Um das herauszufinden, teilte Platon die Tiere nacheinander anhand ihrer verschiedenen Merkmale ein und folgert, dass ein König ein Hirte der zahmen, hornlosen, federlosen Zweifüßer ist, bekannter unter dem Namen Menschen. Platon gibt zu, dass jede Klasse von Aktivitäten, Menschen oder Tieren auf viele verschiedene Arten unterteilt werden kann, die zu vielen verschiedenen Definitionen führen (er gibt etwa acht Stammbäume für die Sophisten an, von denen die meisten darauf abzielen, sie als unappetitliche, geldgierige Verführer der Jugend zu definieren). Dennoch argumentiert er, dass man »die Fäden« der verschiedenen Definitionen »zusammenziehen« und so die Natur der Sache bestimmen könne. Seine späteren Dialoge weisen Anzeichen einer Definitionsmanie auf. In Metaphysik und Analytica posteriora ändert Aristoteles die Platon’sche Zweiteilung ein wenig ab; in Historia animalium und De partibus animalium formt er sie um. Er erweitert ihre Zielsetzung, um die Klassifikation mit aufzunehmen, und fährt einen vernichtenden Angriff auf ihre Methoden. Er nennt viele Gründe dafür, warum die dichotome Unterteilung nicht funktioniert, aber die aufschlussreichste ist die Willkürlichkeit der Ergebnisse. Platon teilte die Tiere in »Wasserbewohner und Landbewohner«, in »Herdentiere und Einzelgänger« und in »zahm und wild« ein, was gut und schön ist – mit der Ausnahme, dass Vögel in allen Fällen immer in beiden Untergruppen lan-

* Athenaios sagt allerdings, dass Speusippos ein Buch namens Ähnlichkeiten geschrieben hätte, in dem er behauptete, dass Tritonschnecken, Murex-Schnecken, Landschnecken und Muscheln einander ähnlich seien. Auf welcher Grundlage er dies tat und zu welchem Zweck, wissen wir nicht.

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den, und das scheint nicht richtig. Lebewesen, so erkannte Aristoteles, wohnt eine tiefe, natürliche Ordnung inne, die eine gute Klassifizierung widerspiegeln sollte; bei der Unterteilung, sagt er, »sollte man es vermeiden, jede Sorte auseinanderzureißen«. Eigentlich äußerte Platon denselben Gedanken stilvoller: »Wir sollten nicht durch die Gelenke schneiden wie ein ungeschickter Metzger« – ein weiser Grundsatz, den er ausnahmslos ignorierte. Er wirft auch die Frage auf: Wie finden wir die Gelenke der Natur?

XXXVIII

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as Problem besteht vor allem darin, dass sie schwer zu erkennen sind. Aristoteles hat viel gegen Platons Ansatz zu sagen, aber weniger über seinen eigenen. Dennoch lassen seine Praxis und verschiedene programmatische Abschnitte eine ausgeklügelte Methode der Unterteilung erahnen, die auf zwei wichtigen Einsichten beruht. Die erste ist die Erkenntnis, dass tierische Merkmale sich an verschiedenen Stellen der natürlichen Hierarchie in unterschiedlichem Ausmaß unterscheiden. Die diaphorai – Unterschiede – zwischen Sorten einer beliebigen größten Sorte, zum Beispiel zwischen einem Spatz und einem Kranich, sind relativ gering. Beide haben dieselben grundlegenden Körperteile und unterscheiden sich nur in Form und Größe. Sein Begriff für solche Variationen ist »das Mehr und das Weniger«: Die Unterscheidung zwischen Vogel[-Sorten] umfasst Überschuss und Mangel in ihren Teilen und ist eine Angelegenheit des Mehr und des Weniger. Manche sind langbeinig, andere kurzbeinig, manche haben breite, andere schmale Zungen und so fort bei den anderen Teilen.

In großen Teilen seiner beschreibenden Biologie geht es denn auch darum, wie sich Schnäbel, Blasen, Därme und Gehirne in Größe und Proportionen unterscheiden. Die Unterschiede zwischen den größten Sorten, etwa Vögeln und Fischen, sind wesentlich radikaler. Sie liegen darin, welche Teile diese Tiere besitzen und wie sie angeordnet sind. Sie sind also architektonisch. Moderne Zoologen sprechen von einem »Bauplan«; Aristoteles hatte keinen entsprechenden Begriff, aber er bedient sich desselben Konzepts. Die relative Position harter und weicher Teile und die Anzahl der Beine sind besonders wichtig. Manche Weichtiere (Kopffüßer) haben eine harte innere Struktur (der Gladius eines Kalmars und der Schulp eines Tintenfisches)*, aber Weichschalige (Krebstiere)

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und Hartschalige (Schnecken, Muscheln, Seeigel) haben einen äußeren harten Teil oder, wie wir sagen würden, ein Exoskelett. Fische haben keine Beine, Menschen und Vögel haben zwei, Vierfüßer haben vier, Kerbtiere und Weichtiere viele. Größte Sorten unterscheiden sich auch in ihren Geometrien. Für Aristoteles hat ein Tier drei Achsen mit sechs Polen: oben – unten, vorne – hinten und links – rechts.** Das Oben ist der Pol eines Tieres, der die Nahrung aufnimmt, das Unten derjenige, der sie ausscheidet; das Vorn ist der Pol, in dessen Richtung die Sinnesorgane eines Tieres ausgerichtet sind und in dessen Richtung es sich bewegt, das Hinten ist sein Gegenteil; sein Rechts und Links sind dieselben wie bei uns. Diese Geometrie basiert auf dem Menschen und unterscheidet ihn von den Vierfüßern. Bei einem Vierfüßer ist Oben (Lage des Mundes) und Vorn (Ausrichtung der Sinnesorgane) derselbe Pol und Unten (Lage des Anus) und Hinten (gegenüber den Sinnesorganen) ebenfalls. Das ist ein Grund dafür, dass Aristoteles uns nicht zusammen mit den lebend gebärenden Vierfüßern (Säugetieren) einordnet. Moderne Zoologen werden diese Geometrisierung von Körpern recht befremdlich finden.*** Aber es gibt keinen Grund, warum er es genauso machen sollte wie wir. Und es verschafft Aristoteles in der Tat echte Einsicht in die seltsame Geometrie der Kopffüßer. Da ihre Füße um ihren Mund herum angeordnet sind und ihr Darm zu einem U geschlungen ist, behauptet Aristoteles, der Tintenfisch besäße die Geometrie eines zusammengeklappten Vierfüßers, sodass sein Oben und Unten und sein Vorn und Hinten sich alle an derselben Stelle treffen.

*

Wenn er diese beiden gegenüberstellt, scheint er die Schalen des Papierbootes und des geheimnisvollen neunten Kopffüßers zu vergessen. ** Da alle Übersetzer Aristoteles’ unterschiedliche Begriffe zur Beschreibung dieser Pole verwenden, nenne ich hier die griechischen Originalbezeichnungen: das Vorne (to emprosthen), das Hinten (to ophisten), das Oben (to anō), das Unten (to katō), das Rechts (to dexion), das Links (to aristeron). *** Für uns haben Menschen und Vierfüßer dieselben Achsen: anterior – posterior, dorsal – ventral, links – rechts. Das kommt daher, dass wir den Umstand ignorieren, dass Menschen aufrecht gehen, während dies für Aristoteles von grundlegender Bedeutung ist. Mit anderen Worten: Wo Aristoteles seine Achsen auf funktionelle Analogien gründet, richten wir unsere, zumindest bei Wirbeltieren, nach der strukturellen Homologie aus. Doch der Unterschied zwischen seinem Ansatz und unserem ist gar nicht so groß, wie er scheint. Wenn wir uns außerhalb der Wirbeltiere umsehen, sind unsere Achsen auch nicht wirklich durch strukturelle Homologie definiert. Der Bauch einer Fruchtfliege gilt gemeinhin als ventral und ihr Rücken als dorsal, aber molekulargenetische Daten zeigen, dass Insekten im Vergleich zu uns invertiert sind, dass unser Dorsal also homolog zum Ventral einer Fliege ist und unser Ventral dem Dorsal einer Fliege. So gesehen, ist auch »dorsal/ventral« heute nur noch eine Aussage zur funktionellen Analogie.

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Das ist ziemlich brillant.* Aber seine Geometrie verleitet ihn auch zu einigen weniger scharfsichtigen Behauptungen. Da er nichts von der Fotosynthese weiß, stülpt er den Pflanzen ein tierisches Ernährungsmodell über. Pflanzen, glaubt er, beziehen ihre Nahrung über ihre Wurzeln, die daher analog zum Maul der Tiere sind. Sie müssen auch am anderen Ende etwas ausscheiden – nämlich Früchte. Diese Analogien bringen ihn zu dem Schluss, dass das Oben-Ende einer Pflanze im Boden vergraben liegt, während ihr Unten-Ende sich im Wind wiegt. Aber Aristoteles beschreibt nicht nur detailliert seine größten Sorten anhand ihrer Baupläne. Er fragt auch, ob sie dieselbe Art von Körperteil besitzen. Dazu eignet er sich einen bestehenden Begriff an, analogon – Analogon oder Gegenstück. Er definiert es nirgendwo, aber seine Beispiele lassen vermuten, dass er etwas meint wie »ein Teil in einer Sorte Tier, der dieselbe Funktion oder Position wie ein Teil in einem anderen Tier hat, aber sich dennoch auf eine fundamentale Weise von ihm unterscheidet«. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Mathematik: »Wie sich A zu Y verhält, so verhält sich B zu Z.« In seiner Tierkunde wendet er es metaphorisch an: »Was die Feder für den Vogel ist, das ist die Schuppe für den Fisch.« Wenn zwei Lebewesen analoge Teile haben, dann gehören sie zu verschiedenen größten Sorten. Analoga unterscheiden sich in ihrer Feinstruktur oder ihren physikalischen Eigenschaften. Krebse und Schnecken haben beide harte äußere Teile, aber tritt man auf einen Krebs, ist sein Panzer zerdrückt; tritt man auf eine Schnecke, ist ihr Haus zerbrochen. Panzer und Schneckenhäuser müssen sich also auf eine grundlegende Weise unterscheiden** und ebenso die Sorten, die sie besitzen. Aristoteles findet eine ganze Menge Analoga. Lebend gebärende Vierfüßer, Menschen und Delfine haben Skelette aus Knochen, aber Fische, Haie, Tintenfische und Kalmare haben Knochen-Analoga: »Gräten«, Knorpel, Schulpe und Gladii. Alle diese Strukturen üben dieselbe Funktion aus: Sie erhalten und stützen das Weichgewebe. Sowohl Vogelfedern und Fischschuppen sind offensichtlich Körperbedeckungen. Bluttiere haben Herzen, aber blutlose Tiere – vor allem Kopffüßer – haben etwas Analoges zum Blut und etwas Analoges zum Herzen, um es zu bewegen. Lungen sind die Analoga zu Kiemen. Manchmal scheint er unsicher, ob zwei Teile Analoga sind oder eigentlich nur Varianten desselben Teils. In einem Abschnitt sagt er, die

* Ebenso brillant bemerkt er, dass Schnecken dieselbe verdrehte Geometrie aufweisen. Sowohl bei Kopffüßern als auch bei Schnecken ist dies das Ergebnis eines Vorgangs, der »Torsion« genannt wird und im Embryonalstadium ihre Körper auf diese Weise verdreht. ** Und das tun sie auch tatsächlich: Der eine besteht hauptsächlich aus Chitin, das andere aus Kalziumkarbonatkristallen.

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Die Geometrie der Lebewesen nach De animalium incessu 4

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Kopffüßer hätten nur ein »Gehirn-Analogon«, in anderen wiederum schreibt er, sie hätten »ein Gehirn«, was eine Gleichheit mit dem Gehirn der Vierfüßer zu implizieren scheint. Aristoteles erfand kein Antonym für analogon für gleiche Teile »ohne Einschränkung«. Erst 1843 schloss Richard Owen die terminologische Lücke mit dem Begriff »Homologon«. Aristoteles glaubt vermutlich, dass die meisten inneren Organe der Wirbeltiere Homologa in diesem vorevolutionären Sinn sind; zumindest spricht er ohne jede Einschränkung von Herzen, Mägen, Lebern, Gallenblasen etc. bei Eier legenden Vierfüßern, lebend gebärenden Vierfüßern, Vögeln und Fischen. Kleinere Sorten – Rassen, Arten – unterscheiden sich also durch die Vielfalt derselben Teile in Größe und Form; größte Sorten – höhere Taxa – unterscheiden sich durch die Vielfalt in ihren Bauplänen und die Analogie ihrer Teile. Um es abstrakter zu formulieren: Aristoteles korrigiert die Gewichtung seiner Merkmale je nachdem, wo in seiner Klassifikation er sich befindet. Diese Logik ist heute noch die Grundlage der modernen Systematik. Doch sein Sinn für Einheit in der Vielfalt ist oft sehr scharf. Er erkennt, dass seine Begriffe »Analogie« und »das Mehr und das Weniger« zweideutig sind. Wann schließlich ist ein quantitativer Unterschied so ausgeprägt, dass er zu einem qualitativen wird? Vergleicht man das Skelett etwa einer Kuh mit dem einer Sardine, scheint die Unterscheidung zwischen echten Knochen und Gräten eindeutig (für ihn jedenfalls): Sie sind Analoga. Aber, wie Aristoteles anmerkt, während Vögel und Schlangen allgemein Knochen haben, ähneln die von kleinen Vögeln und Schlangen eher den Fischgräten. Bei solchen Tieren, beobachtet er, »schafft die Natur einen Übergang in kleinen Schritten«. Er räumt ein, dass die Grenzen zwischen seinen größten Sorten nicht trennscharf sind, sondern ineinander übergehen. Zu Schlangen und Echsen sagt er: »Schlangen als Sorte haben Teile, die mit denen der Echsen vergleichbar sind (wenn man ihre Länge erhöht und ihre Beine wegnimmt)«, und er nennt sie sogar sungenis – Verwandte. Und obwohl Robben im Wasser leben, sind ihre Flossen nur seltsame Gliedmaßen; sie sind, sagt er, »unvollkommene« oder »verkrüppelte« Vierfüßer.

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XXXIX Aristoteles’ zweite methodologische Einsicht besteht in seiner Lösung für eins der größten Probleme der biologischen Klassifizierung, nämlich die leidige Tendenz von Lebewesen, eine Mischung offenbar unvereinbarer Merkmale zu zeigen. Die Hierarchie der Natur ist nicht ordentlich, genau genommen ist sie ein einziges Chaos. Ordnet man Tiere nach ihrer Fortpflanzungsmethode (Eier legende und lebend gebärende), erhält man zwei Gruppen; klassifiziert man sie nach ihren Gliedmaßen (Beine und Flossen), erhält man ebenfalls zwei Gruppen – aber zwei ganz andere. Es liegen, wie die Taxonomen sagen, Konflikte in den Daten vor, und jede Lösung, wie Aristoteles sagt, birgt die Gefahr, Sorten auseinanderzureißen. Dies ist genau das Problem, das Platons Methode nicht löst. In der Platon’schen Zweiteilung werden die einzelnen Merkmale nacheinander betrachtet, mit unvermeidlich arbiträren Ergebnissen. Aristoteles hat jedoch ein weitaus besseres Gefühl für die Ordnung der Natur. Hier entscheidet er über die Aufteilung einiger Landtiere: Alle Vierfüßer ohne Flügel haben Blut, aber die lebend gebärenden haben Haare, die Eier legenden haben Schuppen, entsprechend den Fischschuppen. Die Schlangen sind eine Tiersorte, die Blut hat, sich an Land bewegen kann, aber die natürlich keine Beine hat und dazu verhornte Schuppen. Schlangen legen in der Regel Eier, aber die echidna (Kleinasiatische Bergotter) bildet eine Ausnahme, da sie lebende Junge zur Welt bringt. Doch nicht alle lebend gebärenden Tiere haben Haare, manche Fische bringen ebenfalls lebende Junge zur Welt.

Der Trick scheint darin zu bestehen, mehrere Merkmale gleichzeitig – Beine (vier oder keine), Fortpflanzung (lebend gebärend oder Eier legend) und Körperbedeckung (Haare oder Schuppen) – und in Kombination zu betrachten. Drei Merkmale mit jeweils zwei Zuständen ergeben acht mögliche Kombinationen und damit acht mögliche Sorten von Tieren. Aber nur vier gibt es tatsächlich: behaarte, lebend gebärende Vierfüßer beschuppte, Eier legende Vierfüßer beschuppte, Eier legende Keinfüßer beschuppte, lebend gebärende Keinfüßer

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Die ersten drei sind größte Sorten: zōiotoka tetrapoda, ōiotoka tetrapoda, opheis (Schlangen). Die vierte Kombination, die außergewöhnliche Bergotter, ist in jeder Hinsicht eine Schlange mit der Ausnahme, dass sie lebende Junge zur Welt bringt. Wo also sollte sie eingeordnet werden? Ein Platon’scher Taxonom hätte die Bergotter definiert als »beschuppten, lebend gebärenden Keinfüßer« und sie so von allen anderen Schlangen abgesondert. Aristoteles ist scharfsinniger. Für ihn ist eine Sorte eine Gruppe ähnlicher Lebewesen, aber mit unscharfen Rändern.* Recht vernünftig stellt er sodann eindeutig fest, dass die Bergotter, auch wenn sie lebende Junge zur Welt bringt, dennoch eine Schlange ist. Dieser Pragmatismus ist typisch für Aristoteles. Er spricht ständig über Dinge, die »überwiegend« wahr sind, als sei die organische Welt voller Ausnahmen, die man feststellen, von denen man aber nicht allzu viel Aufhebens machen sollte. Das klingt beiläufig, aber tatsächlich stellen die Herangehensweisen von Platon und Aristoteles an die Einteilung zwei ganz unterschiedliche Arten dar, die Welt zu zerlegen. In »monothetischen« Klassifikationen ist das Vorhandensein eines Merkmalszustandes (z. B. lebend gebärend) notwendig und hinreichend, damit ein Gegenstand in eine Klasse aufgenommen wird (die der lebend gebärenden Tiere); in »polythetischen« Klassifikationen werden Klassen durch die zentrale Tendenz aller Merkmale definiert und für die Klassenzugehörigkeit ist das Aufweisen eines einzelnen Merkmalszustands weder notwendig noch hinreichend.** Bei der Beschreibung von genē nimmt Aristoteles eine implizit probabilistische Haltung ein und analysiert Merkmalsmatrix und Merkmalscluster. Er braucht dazu keinen Computer. Bei der Klassifikation achten Menschen natürlicherweise auf viele Merkmale und suchen nach Verbindungen zwischen ihnen. In diesem Sinne sagt Aristoteles, wir sollten mit den genē beginnen, die die meisten Menschen benutzen (Vögel, Fische) – jedenfalls, wenn sie sie richtig benutzen. Die Bergotter ist nicht der einzige Störfaktor in Aristoteles’ Bestiarium. Strauße, Menschenaffen, Fledermäuse, Robben und Delfine lassen sich ebenfalls schwer klassifizieren. Die meisten dieser Tiere haben Merkmale, die auf entfernte Verwandtschaften hindeuten. Der Ursprung dieses Problems

* Damit meine ich nicht, dass Sorten überlappende Ränder haben. Für Aristoteles kann ein Tier nicht zu zwei Sorten auf derselben Hierarchieebene gleichzeitig gehören. Eine Bergotter mag (unwahrscheinlicherweise) ein lebend gebärender Vierfüßer sein, der Schuppen und keine Beine hat, oder sie kann eine Schlange sein, die lebende Junge zur Welt bringt, oder sie kann etwas ganz anderes sein – aber nicht ein lebend gebärender Vierfüßer/lebend gebärende Schlange. ** Aristoteles’ Vorgehen ähnelt insofern in Teilen den in den 1970er-Jahren entwickelten phenetischen Klassifikationsmethoden, als es zu polythetischen Taxa führt. Die Phenetiker beharrten traditionell jedoch auf einer übergreifenden Ähnlichkeit (Verwendung aller untersuchbarer Merkmale mit gleichem Gewicht), was Aristoteles nicht tut.

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ist für uns so klar, wie er für Aristoteles im Dunkeln lag: die Unwägbarkeiten der Evolutionsgeschichte. Eng verwandte Arten teilen oft viele Merkmale, weil sie von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen. Entfernt verwandte Arten jedoch können aufgrund konvergenter Evolution ebenfalls gemeinsame Merkmale aufweisen – Vögel und Fledermäuse haben Flügel, aber das bedeutet nicht, dass sie verwandt sind. Tiere können auch verwirrende Mosaiken aus ursprünglichen und abgeleiteten Merkmalen sein – man nehme nur das Eier legende, behaarte, Milch absondernde, Schnabel tragende Schnabeltier. Die Geschichte der Systematik lässt sich als die Suche nach einer Lösung für solche Wirren schreiben. Aristoteles hat vielleicht nicht den Grund verstanden, aber er sah die Konsequenzen und beschäftigte sich mit ihnen. Er nannte Tiere, deren Körper in zwei Richtungen zeigten, epamphoterizein – eine Zwischenstellung einnehmend. Aristoteles klassifiziert einige Zwischentiere, indem er wie bei der Bergotter die Grenzen einer bestehenden größten Sorte verwischt. Der strouthos Libykos (Strauß, wörtlich »libyscher Spatz«) scheint, alles in allem, ein Vogel zu sein. Beim Berberaffen meidet er Schlussfolgerungen. Er sagt, er habe einige menschliche Merkmale (Gesicht, Zähne, Wimpern, Gliedmaßen, Hände, Brust, weibliche Genitalien, kein Schwanz), einige Vierfüßermerkmale (Haare, Hüften, allgemeine Proportionen, männliche Genitalien) und einige einzigartige Merkmale (Hinterfüße, die wie Hände aussehen), nicht aber, an welche Stelle seiner Klassifikation er gehört. Zum Delfin dagegen äußert er sich entschieden radikal.

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itten in der Darstellung von Griechenlands kriegsgeschüttelter Dynastienhistorie erzählt Herodot zusammenhanglos die Geschichte von Arion, einem Musiker aus Lesbos. Die Schönheit von Arions Musik, sagt Herodot, war unübertroffen; er erfand den Dithyrambos, den wilden Rhythmus der dionysischen Hymnen. Arion hatte lange in Korinth gelebt, zur Zeit der Tyrannei von Periander, was die Geschichte Mitte bis Ende des 7. Jahrhunderts ansiedelt. Dann zog Arion nach Sizilien, wo er Harfe spielte und reich wurde. Aber nach einer Weile sehnte er sich nach dem felsigen Korinth und so heuerte er in Tarentum in Apulien ein bemanntes Schiff an, das ihn zurückbringen sollte. Die Besatzung bestand aus Korinthern, also aus anständigen Kerlen – so dachte er jedenfalls. Kaum war Italien außer Sicht, wollten sie ihn nach einem Blick auf seine Geldbörse über Bord werfen. »Nicht so schnell!«, sagte Arion. »Lasst mich erst für euch sin-

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gen.« – »Warum nicht?«, erwiderte die Besatzung. Und so putzte Arion sich heraus, zupfte seine Harfe, sang sein Lied und stürzte sich dann über die Bordwand, wo ein freundlicher Delfin ihn aufgriff, ihn fragte, wohin er wolle, und ihn bis nach Korinth trug. Natürlich glaubte ihm dort niemand seine Geschichte, aber dann tauchte die Schiffsbesatzung auf, war angemessen schockiert, Arion lebend vorzufinden, und bestätigte damit ihre Schuld. Und es gibt heute noch, schließt Herodot, am Kap Tenaro einen Schrein mit der kleinen Bronzestatue eines Mannes, der auf einem Delfin reitet. Dass Heridot Arion Italien über Tarentum (Tarento) verlassen lässt, ist kein Zufall, denn ein Junge auf einem Delfin spielt eine Rolle im Gründungsmythos der Stadt und ihre Münzen trugen sein Bild. Pausanias, Aelianus, Plinius, Oppian, Ovid und ein Dutzend anderer antiker Schriftsteller erzählen von Arion oder anderen Delfinreitern, aber Aristoteles, immer auf der Suche nach dem plausiblen Kern des Mythos, schreibt nur: »Zu den Meerestieren: Viele Belege beweisen die Sanftheit und Freundlichkeit von Delfinen und ihre leidenschaftliche Liebe zu den Jungen in den Regionen von Taras, Karien und anderswo.« Falls das für unsere Ohren pädophil klingt – das tut es auch im Griechischen. Er erzählt weiter, wie Delfine ihre Artgenossen schützen, insbesondere ihre Jungen, aber vor allem interessiert er sich für ihre Anatomie. Delfine, sagt Aristoteles, sind pfeilschnelle Schwimmer und unersättliche Jäger. Er schreibt, dass sie kopulieren und ein oder zwei lebende Junge gebären, die sie über Bauchschlitze säugen. Sie haben innere Hoden nahe dem Bauch und keine Gallenblase. Sie haben richtige Knochen. Sie atmen Luft, haben eine Luftröhre und Lungen und ein Blasloch, durch das sie Wasser ausstoßen. Beim Jagen tauchen sie in die Tiefe ab, berechnen, wie lange sie unten bleiben können, schießen dann wie Pfeile an die Oberfläche und fliegen durch die Luft, manchmal höher als die Maste von Booten. In diesem Sinne sind sie genau wie Taucher, die an die Oberfläche stürzen. Werden sie unter Wasser in Netzen gefangen, ertrinken sie, an Land dagegen überleben sie eine lange Zeit. Wenn sie aus dem Meer geholt werden, klagen sie, können sich aber nicht artikulieren, da ihre Zunge unbeweglich ist und sie keine Lippen haben. Schlafende Delfine jedoch schnarchen – das erzählt man sich jedenfalls. Sie leben bis zu dreißig Jahre lang in Paaren von Männchen und Weibchen. Wir wissen dies, weil Fischer ihre Schwänze einkerben und sie dann wieder freilassen – dies scheint eine Darstellung der ersten Rückfangstudie in der Geschichte zu sein. Manchmal stranden sie ohne erkennbaren Grund. Das meiste davon ist korrekt. Dass Delfine schnarchen, ist zweifelhaft, aber vielleicht lassen wir das durchgehen, denn offensichtlich vokalisieren sie tatsächlich im Schlaf. Manche Gelehrte meinen, dass Aristoteles einen Delfin seziert haben muss. Ich glaube das nicht, denn er macht auch einige schwere

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Fehler. Er sagt – und das zweimal –, dass das Maul des Delfins unter dem Kopf sitzt wie das eines Hais. Diesem Irrtum kann nur jemand aufsitzen, der nie einen Delfin aus der Nähe gesehen hat. (Plinius erweiterte Aristoteles’ Fehler noch und schreibt, dass Delfine ihre Mäuler am Bauch haben, was uns zu dem Schluss verleitet, während der Grieche manchmal irrt, ist der Römer oft ein Narr.)* Aristoteles glaubt auch, dass das Blasloch mit dem Maul verbunden ist, da er sagt, aus ihm wird Wasser ausgestoßen, das während des Fressens aufgenommen wird, jedoch stimmt beides nicht. Es ist klar, dass er seine Anatomie von einem Fischer hat, der einen Delfin am Strand zerlegt hatte. Häufig hört man, die Griechen hätten Delfine als heilige Tiere verehrt. Der Delfinfreund Oppian sagte, sie zu jagen, sei unmoralisch, so verwerflich wie Mord, und beschrieb in Worten, die jedem Greenpeace-Aktivisten zur Ehre gereichen würden, wie die bestialischen Thraker sie harpunierten. Aber Delfinjagden müssen weit verbreitet gewesen sein, denn Aristoteles beschreibt eine andere Technik. Er sagt, dass in völliger Stille Netze herabgelassen werden und dann, wenn die Delfine eingekreist sind, die Jäger Lärm machen, was die Delfine betäubt, sodass sie in der Falle sitzen. Es steckt keinerlei Kritik in seiner Beschreibung: Er interessiert sich nur für die Tatsache, dass Delfine offenbar hören können, obwohl sie keine Ohren haben. Ob aus erster Hand oder nicht, Aristoteles wendet seine Delfinanatomie nutzbringend an. Obwohl der Delfin in vielerlei Hinsicht einem Fisch ähnelt, erkennt er, dass sein Klagen und Schnarchen, Lungen und Knochen, innere Hoden und lebend geborene, Milch trinkende Junge typischerweise Merkmale von Vierfüßern sind. Er hat auch ein eigenes Merkmal, das Blasloch. In De partibus animalium scheint er unsicher, was er mit dem Delfin anfangen soll, aber in Historia animalium, das wahrscheinlich teilweise später entstand, ordnet er ihn zusammen mit dem Schweinswal und dem Wal einer neuen größten Sorte zu, den ketoeides, von denen unser Begriff Cetacea abstammt. Zur Aufstellung eines neuen Taxons brachte ihn wahrscheinlich der Umstand, dass mehrere Sorten Tiere diese charakteristische Kombination von Merkmalen aufwiesen; er ist ein taxonomischer Pragmatist. Aristoteles bezeichnete die Wale nicht als Säugetiere, da »Säugetier« ein Konzept war, das er nicht verstand. Für ihn waren die Wale nur eine der großen Sorten von Bluttieren auf gleicher Ebene mit den Vögeln, Fischen und lebend gebärenden Vierfüßern. Dennoch schlug er sich wesentlich besser als seine Nachfolger, die sie zweitausend Jahre lang »Fische« nannten.

* Der Fehler könnte auf die volkstümliche Ikonografie zurückgehen, die, etwa auf den Münzen von Tarentum, Delfine oft mit nach hinten versetztem Unterkiefer zeigten. Man muss Plinius jedoch zugutehalten, dass er die Funktion des Blaslochs richtig verstand.

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Ich habe niemals Delfine in Kalloni gesehen, aber manchmal sind sie dort. Ein Fischer erzählte mir, dass im Sommer 2011 eine große Schule Tümmler zum Jagen in die Lagune gekommen sei. Einige Fischer – andere Fischer, ließ er durchblicken, nicht er, obwohl das nicht ganz klar wurde – trieben sie zusammen und töteten sie. Er erklärte, dass die Jungen die Netze beschädigen, die dreitausend Euro pro Stück kosten, und dass von den fünfzig Tümmlern nur drei entkamen.

XLI

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ndem ich Aristoteles zu seiner erfolgreichen Ordnung der Tiere beglückwünschte, habe ich jedoch das Problem übergangen, mit dem ich begonnen hatte – nämlich, ob sein Projekt im Kern ein taxonomisches war. Die Zoologen des 18. und 19. Jahrhunderts waren dieser Meinung. Wir sollten sie nicht beim Wort nehmen. Sie suchten einen schillernden Vorläufer. Es gibt Gründe, daran zu zweifeln, ob er tatsächlich so etwas war. Im Gegensatz zu dem, was Cuvier sagt, stellt Aristoteles niemals etwas wie eine zusammenhängende, umfassende Klassifikation auf, in der jedes Tier seinen Platz hat. Weiterhin mag er zwar die Hierarchie der Natur erfasst haben, benennt aber ihre Ebenen nicht: Von Rasse bis Reich reicht ihm der Begriff genos. Er sagt uns auch nicht, wie wir eine Sorte von einer anderen unterscheiden können, und er ist furchtbar unbeständig, was Namen angeht. Zu Aristoteles’ Zeiten waren gesalzene Sardina pilchardus und Sprattus sprattus ein Grundnahrungsmittel an der Ägäis, aber er erwähnt weder die sardella noch die papalina, da beides römische Namen sind. Stattdessen schreibt er von den membras, den chalcis, den trichis, den trichias und den thritta, alles offenbar Heringsfische, aber ob Sprotten, Sardinen oder Heringe (um die ebenso unterbestimmten deutschen Namen einzuführen), ist schwer zu sagen, da er uns kaum Hinweise auf ihre Identität gibt. Seine höheren Taxa sind dürftig. Er erkennt, dass Schlangen und Echsen irgendwie verwandt sind, hält sich aber nicht damit auf, ihnen einen Familiennamen zu geben. Er vergisst, uns zu sagen, ob Fledermäuse Vögel oder Vierfüßer oder wieder etwas anderes sind. Er gibt keine diagnostischen Merkmale an, anhand derer sich eine Sorte praktikabel definieren ließe; schreibt nicht: »Ein Fisch ist ein Tier, das Kiemen + Schuppen + Flossen etc. hat«, sondern nur: »Fische sind eine Sorte« in der Annahme, dass jeder weiß, was ein Fisch ist. Vergleicht man die unermüdlichen Listen und Tabellen der Namen und Definitionen in Systema naturae mit den narrativen Diskursen der Historia animalium, wird schnell klar, dass hier sehr unterschiedliche wissenschaftliche Agenden am Werk waren.

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Aristoteles scheint nur dann zu benennen und zu klassifizieren, wenn ein anderer Zweck dies verlangt. Er sagt es sogar selbst. Bei der Beschreibung von Tieren könnten wir, sagt er, immer einzeln über einen Spatz oder einen Kranich sprechen, aber »da dies dazu führt, dass wir viele Male über dieselbe Eigenschaft reden, weil sie so vielen Dingen gemein ist, ist es in dieser Hinsicht etwas töricht und ermüdend, über jedes [Tier] einzeln zu sprechen.« Es ist schlicht viel einfacher, größere Gruppen von Tieren zu besprechen, die vieles gemeinsam haben. Aber wenn Aristoteles’ deskriptive Biologie weder Plinius’sche Naturgeschichte noch Linné’sche Taxonomie ist, worum genau geht es dann in ihr? Einen Hinweis gibt die Struktur von Historia animalium selbst. Zu Beginn des Buches überlegt er, wie er seine Daten auf eine Art Ordnung reduzieren kann. Das Problem, dem er gegenübersteht, ist jedem Zoologen bekannt: Soll er sie nach Taxon (also Reptil, Fisch, Vogel) ordnen oder nach Merkmal (also Fortpflanzungssystem, Verdauungssystem, Verhalten, Ökologie)? Seine (vernünftige) Lösung besteht in einem Kompromiss: »Tiere unterscheiden sich voneinander in ihrer Art der Versorgung, in ihren Gewohnheiten und in ihren Teilen. Über diese Unterschiede werden wir erst in allgemeinen Begriffen sprechen und sie dann mit engem Bezug zu den einzelnen Sorten behandeln.« Er beginnt mit einer allgemeinen Synopse, wobei er besonderes Augenmerk auf die Menschen legt, seine Modelllebewesen. Dann beschäftigt er sich mit der groben Anatomie der Bluttiere: Gliedmaßen, Haut, sekundäre Geschlechtsmerkmale, Verdauungssystem, Atmungssystem, Ausscheidungssystem. Anschließend betrachtet er die blutlosen Tiere System für System, und kehrt dann für einen Blick auf ihre Sinnesorgane, die Geräusche, die sie erzeugen, und wie sie schlafen, wieder zu den Bluttieren zurück. Es folgen zwei Bücher über Fortpflanzungsorgane und entsprechende Verhaltensweisen, geordnet nach Bluttieren und blutlosen Tieren, ein Buch zu Gewohnheiten und Lebensräumen, eins zum Verhalten und schließlich ein Buch über die menschliche Fortpflanzung. Am Ende wird offensichtlich, dass er eine vergleichende Zoologie aufgebaut hat – die erste. Er sieht sich Füße an und beschreibt, wie einige der lebend gebärenden Vierfüßer mit Blut (Säugetiere) viele Zehen haben (Mensch, Löwe, Hund, Leopard) während andere (Schaf, Ziege, Hirsch, Schwein) gespaltene Füße mit Klauen anstelle von Nägeln haben und andere (Pferde) einen einzigen massiven Huf. Woanders untersucht er Fischeingeweide. Neben dem üblichen Magen und Darm haben viele Fische pylorische Blindsäcke, die die aufnahmefähige Oberfläche des Dünndarms erhöhen. Er beschreibt, wie sie in Anzahl und Position variieren. An einer anderen Stelle betrachtet er die Verteilung des Geruchssinns und so fort. All dies ist ein Vorläufer nicht

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der großen systematischen Monografien wie Cuviers Poissons, sondern eher seiner Anatomie comparée oder Owens Vertebrate Zoology (1866), in der die Tiere in Stücke geschnitten werden. Man kann Aristoteles zu den Füßen der Vierfüßer oder den Eingeweiden der Fische lesen, die verwandten Abschnitte bei Owens heraussuchen und Aristoteles mit Owens Tafeln illustrieren. Wir sind wieder im Vogelsaal und betrachten die Vitrine der Körperteile – auch bei ihm findet sich ein Abschnitt zu Vogelschnäbeln und Vogelfüßen. Aber es ist nicht einfach, Aristoteles’ Ziele herauszufinden. Wie all seine erhaltenen Arbeiten ist Historia animalium arm an Struktur und reich an redundanten, inkonsistenten, deplatzierten und kaum abgeglichenen Daten. Der Leser verspürt das brennende Verlangen, sie zu redigieren. Sie war nie ein poliertes Werk, sondern immer im Fluss; er scheint sie stückchenweise verfasst zu haben, neue Informationen einfach hinten angefügt oder aber vor dem Hintergrund einer woanders ausgeführten Theorie überarbeitet zu haben. Es ist auch daran herumgefummelt worden – bei wem und wie sehr, ist allerdings schwer zu sagen. Trotzdem sind moderne Wissenschaftler sich allgemein einig, dass das Werk einen eindeutigen Zweck verfolgt. Unter der Unordnung liefert es die Materialien zum Durchkämmen großer Datenmengen. Aristoteles sucht nach Mustern – sehr subtilen Mustern. Er interessiert sich nicht nur dafür, wie Teile variieren, sondern auch dafür, wie sie kovariieren. So beschreibt er den bekanntermaßen komplexen vierkammrigen Magen eines Wiederkäuers (moderne Bezeichnungen eingefügt): Lebend gebärende gehörnte Vierfüßer mit einer ungleichen Anzahl von Zähnen im Ober- und im Unterkiefer (auch Wiederkäuer genannt) haben vier Kammern. Der stomachos [Speiseröhre] beginnt am Maul und verläuft an der Lunge vorbei vom Zwerchfell zum megalē koilia [Pansen]. Dieser ist auf der Innenseite rau und unterteilt. Und an ihn schließt sich nahe dem Eingang zur Speiseröhre das kekryphalos [Netzmagen] an, das so genannt wird, weil es von außen aussieht wie ein Magen, von innen aber gewebten Haarmützen ähnelt. Der Netzmagen ist wesentlich kleiner als der Magen. Mit ihm verbunden ist das echinos [Blättermagen], rau und blättrig von innen und in der Größe dem Netzmagen ähnlich. Nach diesem kommt das sogenannte emystron [Labmagen], größer als der Blättermagen und länglicher in der Form. Es hat viele glatte Innenfalten. Direkt nach diesem folgt der Darm.

das schnarchen des delfins

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Die Beschreibung ist detailliert und korrekt, aber das wirklich Interessante daran ist, wie er diesen seltsamen Magen als eine Eigenschaft lebend gebärender Vierfüßer präsentiert, die gehörnt sind und nicht dieselbe Anzahl Zähne in den beiden Kiefern haben (er denkt dabei an die fehlenden Schneide- und Eckzähne im Oberkiefer vieler Wiederkäuer). Aus solchen Verknüpfungen konstruiert Aristoteles seine größten Sorten, aber es sind die Verknüpfungen selbst, die ihn interessieren. Man kann seine Daten zusammenziehen und sie als Datenmatrix präsentieren, die zum Beispiel sechs Merkmalsklassen (Anzahl der Zähne, Magentyp, Fußtyp usw.) und zwölf Tiersorten (Rind, Schwein, Pferd, Löwe usw.) enthalten.* Es zeigt, wie die verschiedenen Merkmale (unvollkommen) zusammenpassen. Eine solche Tabelle hat er nie aufgestellt – alles wird umständlich mit Worten erklärt. Aber dass er so etwas im Sinn hatte, wird im Nachfolger der Historia animalium deutlich, De partibus animalium, wo er die Muster von Variation und Kovariation zusammenfasst, die er entdeckt hatte, und erklärt, warum es sie gibt. Er zieht seine Daten zusammen und webt daraus ein weites kausales Netz, das einem einzigen Zweck folgt: die wahren Naturen von Lebewesen zu entdecken.

* Die vollständige Matrix findet sich in Anhang B1.

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elaphos – Rothirsch – Cervus elaphus

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eder Wissenschaftler hat eine Vorstellung davon, was »gute Wissenschaft« ausmacht. Es ist ein ebenso fest verankertes wie unzureichend artikuliertes Gefühl dafür, welche Kausalbehauptungen fundiert sind und welche nicht. Es ist natürlich nicht so, dass sich die Wissenschaftler unbedingt einig über die Fundiertheit einer Behauptung sind. Wer jemals die Reviews eines Manuskripts gelesen hat, das hoffnungsvoll an Nature oder Science geschickt wurde (denn an den Toren dieser Fachzeitschriften stirbt die Hoffnung wahrlich zuletzt), der weiß, dass die Vorstellungen der Kollegen davon, was fundierte Kausalbehauptungen ausmacht, sich oft deutlich von den eigenen unterscheiden und insgesamt ziemlich wirr sind. Aristoteles stand ebenfalls vor dem Problem, aus Beobachtungen Kausalwissen zu extrahieren, aber er war allein. Hinter ihm lagen Generationen spekulativer Theorien über die Ursachen der natürlichen Welt; zu seinen Füßen erstreckte sich die Welt selbst. Er sah, wie niemand vor ihm gesehen hatte, die Notwendigkeit einer Möglichkeit, beides zu verbinden. Also entwickelte er eine. In Buch I der Historia animalium spielt er darauf an. Zuerst, sagt er, müssen wir die Fakten über die verschiedenen Merkmale von Tieren zusammentragen, dann müssen wir ihre Ursachen herausfinden. Geht man in dieser Reihenfolge vor, fährt er fort, werden Thema und Ziel unserer Demonstrationen klar. Es klingt wie eine recht banale einleitende Erklärung. Dem ist aber nicht so. Denn wenn Aristoteles von »Demonstration« spricht, meint er eine intellektuelle Struktur von kunstvoller Komplexität, deren Fundamente in metaphysisches Felsgestein eingelassen sind und deren Säulen aus stählerner formeller Logik bestehen. Er meint seine wissenschaftliche Methode.

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rganon bedeutet »Werkzeug« oder »Instrument«.* Es ist auch der Titel, mit dem sechs von Aristoteles’ Büchern häufig benannt werden. Er passt, denn sie sind Werkzeuge für die Erzeugung von Wissen. Eins dieser Bücher, die Analytica posteriora, enthält seine wissenschaftliche Methode. Aristoteles unterscheidet die Regeln zur Erörterung von Meinungen von den Regeln zur Aufstellung wissenschaftlicher Erklärungen. Erstere nannte er »Dialektik«, Letztere »Demonstration« (das griechische Wort lautet apodeixis). Mit »Demonstration« meint er genau, was ein moderner Wissenschaftler meint, wenn er sagt: »Wir haben demonstriert, dass B die Ursache von A ist« – das heißt, er und seine Mitarbeiter haben gezeigt, dass das Vorhandensein von B eine notwendige und hinreichende Bedingung für A ist. Er hatte eine hohe Meinung von der Macht wissenschaftlicher Demonstrationen: Er glaubte, dass sie die Wahrheit liefern, weil sie die Produkte logischer Operationen sind. Aristoteles erfand die Theorie der logischen Schlussfolgerungen, die als Syllogistik bekannt ist. Sie war seine größte fachliche Errungenschaft und dominierte die Wissenschaft über Jahrtausende, auch wenn sie unvollständig und in Teilen falsch war. Seine Syllogistik zielte darauf ab, neue Schlussfolgerungen aus etablierten Prämissen zu ziehen, wobei die Prämissen Aussagen sind, die ein Subjekt und eine Satzaussage (ein Prädikat) enthalten, zum Beispiel »Alle Oktopusse [Subjekt] haben acht Arme [Satzaussage/Prädikat]«. Um solche Behauptungen zu analysieren, erfand er einen Formalismus, der die Begriffe durch Buchstaben ersetzte, zum Beispiel »Alle A sind gleich B«. Dieser Formalismus ermöglichte es ihm, allgemein von allen Aussagen mit einer bestimmten Form zu sprechen, sie zu verändern und die vielen Ergebnisse daraus abzuleiten, zu denen er gelangte. Für Aristoteles beruht eine wissenschaftliche Demonstration auf einem Syllogismus. Aber um als Demonstration zu gelten, muss ein Syllogismus bestimmte Bedingungen erfüllen. Zunächst einmal muss die Prämisse des Syllogismus offenkundig wahr sein. Zweitens müssen die Prämissen des Syl-

* Im Griechischen wird der Begriff heute noch in dieser Bedeutung gebraucht. Während der Militärdiktatur hießen die Polizisten Organa, weil sie die Instrumente der Obrigkeit waren.

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logismus unmittelbarer, empirisch offensichtlicher sein als seine Schlussfolgerung (wenigstens in der Naturwissenschaft, im Gegensatz zur Geometrie). Drittens muss sie Universalien betreffen und keine Details. Tatsächlich ist Aristoteles der Überzeugung, es sei unmöglich, über wissenschaftliche Kenntnisse zu Individuen zu verfügen. Festzustellen, dass dieser Oktopus acht Arme hat, bringt uns nicht weiter; wissenschaftliche Kenntnisse können erst entstehen, nachdem wir festgelegt haben, dass alle Oktopusse acht Beine haben – oder wenigstens alle normalen Oktopusse. Schließlich können nur universelle, affirmative und assertorische Aussagen die Grundlage von Demonstrationen bilden: »Alle A sind gleich B; alle B sind gleich C; daher sind alle A gleich C.« Logiker bezeichnen solche Syllogismen als »Modus Barbara«. Solche logischen Restriktionen mögen weit entfernt von der modernen wissenschaftlichen Methode erscheinen und in gewisser Weise sind sie das auch. Aber Aristoteles’ Grund für die Verankerung wissenschaftlicher Kenntnisse in seiner Syllogistik ist einer, der wohl jedem modernen Wissenschaftler vertraut ist. Ich habe weiter vorn behauptet, dass Historia animalium bei Weitem keine Naturkunde oder Taxonomie ist, sondern eine Suche nach Verknüpfungen zwischen den Merkmalen, die Tiere besitzen; dass es in der Tat eine Datensuche darstellt. Seine Syllogistik liefert daher eine leistungsstarke Möglichkeit, diese Verknüpfungen zu sichern – zu zeigen, dass sie wahr sind. Sichere Verknüpfungen wiederum verlangen kausale Erklärungen – die seine Syllogistik ebenfalls identifiziert. Ein hübsches Beispiel aus der modernen Biologie lässt sich dazu heranziehen, diese Strategie zu illustrieren. In den Buchten und Mündungsgebieten Nordeuropas und Amerikas lebt ein kleiner Fisch, der Dreistachlige Stichling (Gasterosteus aculeatus). Die lateinische Bezeichnung bedeutet wörtlich »knochiger Magen mit Stacheln«, was gut passt, da er einen Beckengürtel mit Stacheln am Bauch trägt. Obwohl der Stichling normalerweise im Meer lebt, ist er anpassungsfähig und hat in den letzten zehntausend Jahren häufig Süßwasserseen besiedelt. Die Seefische entwickelten sich rasch weiter und verloren ihre Beckengürtel und Stacheln. Kürzlich haben mehrere fantastische Studien gezeigt, dass die Seestichlinge eine Mutation in einem Genverstärker namens Pitx1 aufweisen, die ihre Verwandten im Meer nicht haben. Hätte er sie gekannt, hätte sich Aristoteles sicher gefragt, welche Verbindung zwischen diesen Fakten besteht, aber vor der Untersuchung hätte er vielleicht die Existenz dieser Verbindung wie folgt bewiesen: Allen Seestichlingen fehlen die Beckenstacheln. Alle Stichlinge, denen die Beckenstacheln fehlen, haben eine Pitx1-Mutation, daher Haben alle Seestichlinge eine Pitx1-Mutation.

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Die Wahrheit dieses Syllogismus garantiert eine Verbindung zwischen mehreren Stichling-Prädikaten: Leben in einem See, fehlende Beckenstacheln und das Vorhandensein der Pitx1-Mutation. Ein darlegender Syllogismus impliziert jedoch nicht nur eine logische Verbindung, sondern eine kausale, die sich als »Definition« ausdrücken lässt. Wir verstehen unter einer »Definition« gewöhnlich die Beschreibung eines Wortes – also eine Nominaldefinition: »Ein Seestichling ist ein Stichling, dem die Beckenstacheln fehlen.« Aristoteles würde jedoch die mittlere Aussage des Syllogismus – die Pitx1Mutation – als Kausalverbindung verstehen und eine Definition folgender Art liefern: »Ein Seestichling ist ein Stichling, dem die Beckenstacheln fehlen, weil er eine Pitx1-Mutation hat.« Das ist eine Demonstration, würde er sagen; das ist Wissenschaft. Solche Definitionen sind logos – die »Essenz« oder »Formel« der Dinge, die er untersuchte. Also stellt sich seine wissenschaftliche Methode als eine Art heraus, die fundamentalen kausalen Identitäten der Dinge ohne alle zufälligen und damit wissenschaftlich uninteressanten Merkmale auszudrücken.

Stichlinge – Gasterosteus aculeatus Oben: marine (anadrome) Morphe aus Kalifornien Unten: (benthische) See-Morphe aus dem Paxton Lake, British Columbia

Ich habe hier von Aristoteles’ »Theorie der Demonstration« gesprochen, als gäbe es nur eine. In der Analytica posteriora räumt er sicherlich der Methode, die ich umrissen habe, den meisten Platz ein. Aber er erkennt auch an, dass es andere Arten der Demonstration gibt – auch wenn er nicht genau verrät, wie sie funktionieren. In De partibus animalium sagt er, dass die Methoden der Demonstration in der Naturwissenschaft sich von denen in »theoretischen Wissenschaften« wie Geometrie unterscheiden. In der Biologie, schlägt er vor, sollten wir mit dem Ziel – dem teleologischen Zweck – eines Tieres beginnen und uns deduktiv zurückarbeiten, um zu folgern, wie die verschiedenen

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Teile des Tieres diesem Zweck dienen. Solche Demonstrationen lassen sich mit leichten Abänderungen auch syllogistisch formulieren. Obwohl die Demonstration das lebendige Herz seiner wissenschaftlichen Methode ist, erkennt Aristoteles an, dass die Wissenschaft auf verschiedenen undarlegbaren Aussagen beruht. So fordert die Geometrie beispielsweise eine Definition von »räumlicher Größe« und Arithmetik eine Definition von »Einheit«. Die Axiome und primären Definitionen der Biologie sind weniger offensichtlich; es gehören jedoch Aussagen dazu wie »Die Natur tut nichts vergeblich« – ein Sinnspruch, von dem er häufig Gebrauch macht. Aristoteles sagt nicht eindeutig, wie solche Konzepte sich rechtfertigen lassen, und behauptet, dass ihre Wahrheit einfach durch Induktion (epagōgē) offensichtlich ist, dennoch argumentiert er, dass sie notwendig sind, wenn die Wissenschaft auf einen grünen Zweig kommen will. Damit hat er sicherlich recht. Heutzutage gibt es Menschen, die allen Beweisen zum Trotz meinen, die Wissenschaft sei nur ein Glaubenssystem von vielen. Auch Aristoteles musste sich gegen sie behaupten. Manche Menschen, sagt er, behaupten, dass wissenschaftliche Kenntnisse unmöglich sind, weil jede Schlussfolgerung, die wir ziehen, auf einer früheren Schlussfolgerung basieren muss, und diese wiederum auf einer anderen und so fort bis in alle Unendlichkeit, sodass wir letztendlich gar nichts wissen können. Andere Menschen, fährt er fort, behaupten, dass alles dargelegt werden kann: Alles ist wahr, daher ist nichts wahr. Aristoteles erkennt, dass beide Gedankengänge tödlich für eine mögliche Wissenschaft sind, und er macht kurzen Prozess mit ihnen. Nein, es gibt keine unendlichen Rückgriffe auf Schlussfolgerungen und es ist auch nicht wahr, dass sich alles darlegen lässt, weil unsere Argumente letztlich mit Axiomen und unserer Wahrnehmung der empirischen Welt beginnen. Seine Sprache ist kämpferisch. Das muss sie auch sein. Er muss seinen Widersachern beweisen, nicht nur Platon, sondern auch den Sophisten mit ihrer rasiermesserscharfen Dialektik, dass es möglich ist, echtes Wissen aus der sinnvollen Welt zu ziehen. Wir dürfen uns fragen, ob er Erfolg hatte. Die moderne Wissenschaft beruht nicht weniger auf grundlegenden Axiomen als die aristotelische Wissenschaft und die Wissenschaftler begründen sie überwiegend mit der Tatsache, dass sie funktionieren. Aber Aristoteles konnte seine Annahmen kaum verteidigen, wie ein moderner Wissenschaftler es kann, indem er etwa ein Licht einschaltet.* * Der entscheidende Begriff ist »Wissenschaftler«. Es ist sicherlich die Aufgabe der Philosophen, sich Gedanken über epistemologische Probleme zu machen, aber es hat noch nie ein Wissenschaftler beispielsweise wegen erkenntnistheoretischer gegenüber konstruktivistischer Begründungen der Wahrheit nachts wachgelegen. Wir wissen auch nicht genau, ob Aristoteles das tat.

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ristoteles’ Theorie der Demonstration ist nicht ganz problemfrei. Jeder Wissenschaftler lernt schon im Grundstudium, dass »Korrelation nicht gleich Kausalität« ist. Weil das so ist, führen wir Experimente durch. Um seine Arbeit in Science zu veröffentlichen, mussten Chan et al. nicht nur zeigen, dass die Pitx1-Mutation koextensiv mit einem fehlenden Beckenstachel ist, sie mussten auch im Experiment belegen, dass die Pitx1-Mutation tatsächlich den Verlust des Stachels mit sich bringt – und stellten (in heldenhaftem Einsatz) einen transgenen Stichling her, um diesen Beweis zu führen. Aristoteles, der niemals kontrollierte Experimente durchführte, ist weitaus weniger vorsichtig. Sobald er einen koextensiven Merkmalssatz findet, schließt er daraus meist sofort auf die Kausalbeziehung. Vielleicht lässt sich syllogistisch zeigen, dass das Vorhandensein von Hörnern, eines unvollständigen Gebisses und vieler Mägen vollkommen koextensiv ist (dass also Wiederkäuer und nur Wiederkäuer diese Merkmale aufweisen), aber stehen sie wirklich in einem so direkten kausalen Zusammenhang, wie Aristoteles behauptet? Mangels weiterer Beweise dürfen wir das eher bezweifeln. Ein weiteres Problem liegt in der Richtung der Kausalität. »Gehörnte Tiere haben viele Mägen, weil sie kein vollständiges Gebiss haben.« Vielleicht – aber warum nicht andersherum? Sicher ist es doch genauso plausibel, dass ihnen Zähne fehlen, weil sie viele Mägen haben? Im Fall der Stichlinge sind wir sicher, dass der Kausalitätspfeil so verläuft: besiedelt Seen ➝ erwirbt Pitx1-Mutation ➝ verliert Beckenstacheln, weil zwei Theorien, die von der Evolution durch natürliche Auslese und das fundamentale Dogma der Molekularbiologie, uns sagen, dass es so und nicht andersherum sein muss. Aristoteles betrachtet das Problem in den Analytica posteriora, löst es jedoch nicht. In der Praxis hängen die Richtungen, in die er seine Kausalpfeile setzt, auch von allen möglichen theoretischen Überzeugungen ab, die unabhängig von den Syllogismen existieren, auf denen sie basieren. Schließlich argumentiert Aristoteles, dass alle demonstrativen Behauptungen in Form von Syllogismen gemacht werden können. Auf einige trifft das sicherlich zu, aber auf alle? Ein großer Teil der modernen Wissenschaft hängt von mathematischen Modellen ab, die quantitative Phänomene und Beziehungen postulieren. Das Testen solcher Modelle erfordert Messungen

die instrumente

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und eine probabilistische Theorie der logischen Schlussfolgerungen. Aristoteles’ Modelle dagegen sind ausnahmslos qualitativ und er scheint nie etwas gemessen zu haben. Einige Wissenschaftler behaupten, wenn wir seine eigentlichen wissenschaftlichen Arbeiten aufschlagen, etwa De partibus animalium, müssten wir Aristoteles’ wissenschaftliche Maschine bei der Arbeit sehen; wir müssten Axiome und Syllogismen sehen, die so ordentlich aufgestellt sind wie in einer Abhandlung über geometrische Nachweise. Sie sind verwirrt ob der Tatsache, dass dem nicht so ist. Alle Abhandlungen sind eine chaotische Mischung von Daten, Argumenten und Schlussfolgerungen (ein Chaos, das sich angesichts seiner Allgegenwärtigkeit nicht darauf zurückführen lässt, dass seine Bestandteile bei der Übertragung durcheinandergeworfen wurden). Wenn wir genau hinsehen, lassen sich Spuren von Aristoteles’ Maschine in all seinen wissenschaftlichen Arbeiten finden. Sie enthalten vielleicht keine Syllogismen, aber sie enthalten ihre Ergebnisse. Seine Arbeiten sind voller kausaler Definitionen: »Die gehörnten Tiere haben viele Mägen, weil sie kein vollständiges Gebiss haben«; »Selachier haben raue Haut, weil ihr Skelett aus Knorpeln besteht«; »Der Strauß hat Zehen anstelle von Hufen, weil er groß ist« – all dies sind Zitate aus De partibus animalium. Dennoch legt er nie die Syllogismen selbst dar. Warum nicht? Vielleicht meinte er, es sei nicht nötig. Oder vielleicht war er der Überzeugung, er würde es erst tun, wenn er die Ursachen für alles verstanden hätte, sobald seine Arbeit vollständig war – doch das tat er nicht, das war sie nie und so kam es nie dazu. Aber ich glaube, dass er seine Kausalbehauptungen nicht als Syllogismen ausdrückte, weil er es nicht konnte. In Aristoteles’ demonstrativer Logik sind die Prädikate seiner Syllogismen typischerweise koextensiv. Bei echten Tieren dagegen ist das nicht so. Hörner, mehrere Mägen, gespaltene Hufe und fehlende Zähne treten oft nur zusammen auf. Das Kamel hat all diese Merkmale bis auf die Hörner. Das Problem an syllogistischen Beweisführungen ist dasselbe, das auch die monothetische Klassifikation hat: Irgendein Lebewesen ist immer der Spielverderber. Es ist genau das Problem, das unsere Theorie der probabilistischen Inferenz – die Statistik – angeht. Wenn wir nach Verbindungen zwischen Attributen suchen, verlangen wir, dass sie nicht vollständig koextensiv sind, sondern nur korrelieren. Tatsächlich behaupten Chan et al. nicht, dass das Leben in Seen, fehlende Beckenstacheln und das Vorhandensein einer Pitx1-Mutation vollständig koextensiv sind; sie zeigen (bemerkenswert fundiert) statistische Assoziationen auf und weisen darauf hin, dass noch andere genetische Faktoren im Spiel sein könnten. Aristoteles’ Lösung besteht einfach darin zu sagen: »viele [meine Hervorhebung] der spalthufigen Tiere haben Hörner« und dann aus dem Stegreif eine Erklärung zu liefern, warum

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das Kamel keine hat. Tatsächlich behauptet er oft, dass eine Verbindung »überwiegend« existiert. Meiner Meinung nach setzen die Analytica posteriora einen Goldstandard für wissenschaftliche Kenntnisse. Sie legen die Bedingungen fest, unter denen wir tatsächlich wissen, dass eine Kausalbeziehung wahr ist. Aber in der Praxis gestattet die Naturwissenschaft – und damit meine ich, wie Aristoteles auch, das Studium der natürlichen Welt und nicht mathematischer oder geometrischer Objekte – selten präzise Beweise. Der Großteil hängt von viel schwächeren Formen der Schlussfolgerung ab, der Behauptung, dass diese Erklärung die derzeit beste ist. Daten sind unvollständig, Ergebnisse vorläufig, Ursachen kompliziert und inferenzielle Lücken tun sich an jeder Ecke auf. Das gilt für uns und das galt auch für Aristoteles. Im Ergebnis ist seine Praxis zwangloser und dialektischer oder, um es positiv auszudrücken, wesentlich vernünftiger und probabilistischer als die strengen Regeln in den Analytica posteriora. In der Nikomachischen Ethik (denn Ethik ist auch eine aristotelische Wissenschaft, wenn auch keine Naturwissenschaft) tritt diese Mehrdeutigkeit klar zutage: Hier wie in allen anderen Fällen müssen wir die Erscheinungen [phainomena] niederschreiben und, indem wir uns durch die Rätselhaftigkeiten arbeiten, auf diese Weise, wenn möglich, die Wahrheit aller Überzeugungen zeigen, die wir in Verbindung mit diesen Erfahrungen hegen; und wenn dies nicht möglich ist, die Wahrheit der größten Anzahl und der zuverlässigsten von ihnen. Denn wenn die Schwierigkeiten gelöst und die Überzeugungen noch immer an ihrem Platz sind, war unsere Demonstration ausreichend.

Wenn man ihn etwas entwirrt, läuft der Abschnitt auf Folgendes heraus: Beginne mit einigen geordneten Informationen über einen Teil der Welt, identifiziere die Problemstellungen, die er präsentiert, sammle die besten Erklärungen für diese Problemstellungen und zeige dann, welche dieser Erklärungen kohärent sind und welche nicht. Diejenigen, die hinterher übrig bleiben, sind die Antwort. Obwohl es in diesem Abschnitt um »Demonstration« zu gehen scheint, wird hier ein von der Theorie der Analytica posteriora recht stark abweichendes Verfahren vorgeschlagen. Dies zeigt sich in Aristoteles’ Gebrauch des Wortes phainomena. Die syllogistische Theorie der Demonstration erfordert, dass die Prämissen des Arguments unbestreitbar wahr sind. Ist das nicht der Fall, lässt sich gar nichts beweisen. Aber phainomena besitzen diese Art von epistemologischer Sicherheit nicht, da sie nach Aristoteles Meinungen beinhalten – zwar die Meinungen der »weisen« und »angesehenen« Leute, aber doch Meinungen. Wir betreten hier das Reich der Dialektik, das, wie sich heraus-

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stellt, gar nicht so weit von der Demonstration entfernt ist. Der Großteil seiner Biologie liegt in dieser Dämmerzone. Das folgt aus dem Chaos in der Welt. Aber Aristoteles hat noch eine andere, tiefer gehende Strategie für den Umgang mit fehlender Koextension. Er erkennt Folgendes an: Wenn eine Gruppe von Individuen (oder Sorten) ein Merkmal teilt, dieses Merkmal aber unterschiedlich mit anderen Merkmalen verknüpft ist, könnten möglicherweise mehrere Ursachen am Werk sein. In solchen Fällen, schlägt er vor, sollten wir unsere Klassen aufteilen und nach der gemeinsamen Ursache suchen und damit fortfahren, bis wir für jedes Merkmal eine einzelne Ursache gefunden haben. Ein nicht geringer Teil der modernen biomedizinischen Wissenschaft geht genau nach diesem Rezept vor. Melanome der Uvea – eines Teils des Auges – betreffen etwa einen von 167.000 Amerikanern. Wie sollen wir den Erkrankten helfen? Die Antwort – auf die Forscher ihr ganzes Arbeitsleben gesetzt haben – besteht darin, nach der Ursache der Erkrankung zu forschen, nach ihrer Definition, ihrer Formel, ihrer Essenz. Es ist eine Krebserkrankung, also wird sie vermutlich durch eine bestimmte Mutation oder eine Kombination mehrerer Mutationen verursacht. Aber es gibt mindestens zwei Arten von Uvea-Melanomen, von denen jede ihre eigene Mutations-»Formel« aufweist. Klasse-2-Tumoren zeigen Mutationen in einem Gen namens BAP1, Klasse-1-Tumoren nicht. Das hat Konsequenzen, denn während Klasse-1-Tumoren behandelt werden können, ist das bei Klasse-2-Tumoren derzeit nicht möglich, sie sind aggressiv bösartig und lassen sich durch das Vorhandensein und Fehlen anderer Mutationen weiter unterteilen. Und so jagen die Onkogenetiker auf der Suche nach den Ursachen dieser Erkrankung – oder vielmehr, dieser Erkrankungen – immer weiter hinterher und nehmen unterwegs immer weitere Unterteilungen vor. Tatsächlich spielt Aristoteles auf genau so einen Fall an: Jede Definition ist immer universell; der Arzt verschreibt nichts, was für ein bestimmtes Auge gesund ist, sondern etwas, das für jedes Auge oder für eine bestimmte Form von [krankem] Auge gesund ist [meine Hervorhebung].

Doch es gibt einen Unterschied zwischen Aristoteles und dem modernen Biologen. Aristoteles ist überzeugt: Wenn man nur tief genug gräbt, ist man tatsächlich in der Lage, stabile Klassen von Gegenständen, unteilbaren Formen – echten Arten – zu beschreiben, die alle eine einzigartige, definierende kausale Formel gemein haben. Auch wir sind beeindruckt von der natürlichen Vielfalt, aber da wir schon so viel mehr gesehen haben als er, haben wir uns ihr vollkommen ergeben. Unsere Technologie – zuletzt die DNA-Sequenzierung – zeigt uns, dass keine zwei Stichlinge, keine zwei Krebsarten,

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keine zwei Menschen, nicht einmal eineiige Zwillinge genau dieselbe Formel besitzen. Dieser Unterschied in der Betrachtungsweise reicht tief, aber in der Praxis ist er gar nicht so wichtig. Denn immer noch graben und unterteilen und suchen wir die Formel der Dinge, genau wie Aristoteles. Und wenn wir in unserem tiefsten Herzen wissen, dass wir niemals auf diese Ader aus purem kausalem Gold stoßen werden, wissen wir auch, dass wir auf dem Weg hinab reich werden. Und darum geht es. Trotz all ihrer Einschränkungen ist Aristoteles’ Theorie der Demonstration eine echte wissenschaftliche Methode. Sie ist Teil der unseren. Wissenschaftler streiten sich vielleicht über die Methodik, aber sie sind sich auch in vielen Punkten einig. Sie verstehen das Gebiet der Wissenschaft: die Arten von Dingen, die sie untersucht. Sie verstehen, wie sie Dinge und Probleme eingrenzt und sie Stück für Stück untersucht, statt zu versuchen, alles zu studieren und zu beantworten. Sie verstehen die reziproke Rolle von Theorie und Beweisen und die Unterscheidung zwischen Hypothese und Tatsache. Sie verstehen, dass Wissenschaft mit Induktion beginnt, um aus Beobachtungen Verallgemeinerungen zu ziehen, und dann zur Deduktion übergeht, um aus Verallgemeinerungen solide Kausalbehauptungen aufzustellen. Sie verstehen, dass eine wissenschaftliche Behauptung eine logische sein muss – und erkennen ein logisches Argument, wenn sie eins hören. Sie verstehen, dass manche Kausalbehauptungen stark sind und andere schwach – und dass es darum geht, beides auseinanderzuhalten. Das alles verstehen sie, weil Aristoteles ihnen sagte, dass es so ist.

Die Vogelwinde

epops – Wiedehopf – Upapa epops

die vogelwinde

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XLV

S

iebzig Tage nach der Wintersonnenwende, irgendwann Anfang März, beginnen die ornithiai anemoi, die Vogelwinde, zu wehen. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Zugvögel in Lesbos eintreffen. In den Sümpfen und Tümpeln zwischen Skala und der Mündung des Vouváris, wo die Lagune weich mit dem Land verschmilzt, flattern sie zwischen den Schilfhalmen umher und waten durchs seichte Wasser, während weit oben die Greifvögel aus Afrika heranziehen. Gleich darauf treffen die Vogelbeobachter aus Arlanda, Schiphol und Gatwick ein. Sie verfolgen die Vögel durch Teleobjektive, zanken sich wie die Stelzenläufer und aktualisieren ihre Websites mit skeptischer Präzision (»7. Mai: Eine Bekassine an den Salinen, die auch gestern dort gewesen sein soll, lässt die angebliche gestrige Sichtung der Doppelschnepfe an diesen Becken zweifelhaft erscheinen«). Auf der Insel wimmelt es von Aristoteles’ Vögeln. Hier seine Beschreibung nur einer Art (obwohl sie eigentlich ein Winterzügler ist): »Der tyrannos ist nur etwas größer als eine Heuschrecke, sein Scheitel von der Farbe der Sonne, die durch Nebel scheint, und er ist in jeder Hinsicht ein hübscher und anmutiger kleiner Vogel.« Gemeint ist das Wintergoldhähnchen, Regulus regulus, das in den Kiefernwäldern von Lesbos lebt. Vielleicht ging Aristoteles an Frühlingstagen, wenn in den Olivenhainen um Pyrrha die Anemonen rot leuchteten und der Gipfel des Olympos klar zu sehen war, auch Vögel beobachten. Die Schönheit der Vögel liegt in ihrer Klarheit. Fische verstecken sich unter den Wellen, Säugetiere schleichen durch die Wälder, aber das Leben der Vögel liegt offen vor uns. Deshalb, so glaube ich, spricht Aristoteles oft von ihnen, wenn er »das Mehr und das Weniger« erklären will, die feinen Variationen in Größe und Form, die Sorten innerhalb größter Sorten aufweisen. Zunächst einmal sortiert er seine Vögel in Gruppen: Fleisch fressende Vögel, Wasservögel, Sumpfvögel und so fort. Es sind keine taxonomischen Gruppen – genē/Sorten –, sondern funktionelle Klassen wie die Gilden der modernen Ökologie. Er erklärt die Merkmale jeder Klasse daran, wie die Vögel ihr Überleben sichern. Fleisch fressende Vögel (Adler, Habichte) müssen Beute finden und überwältigen – und haben daher große Klauen, kräftige Flügel, kurze Hälse und können sehr gut sehen. Wasservögel (Enten, Lappentaucher) müssen schwimmen, ins Wasser tauchen und Wasserpflanzen abreißen – daher haben sie kurze Beine und Schwimmhäute, die ihre

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Füße wie Ruder aussehen lassen, lange Hälse und flache Schnäbel. Sumpfvögel (Reiher, Kraniche, Stelzenläufer) leben in Sümpfen und fangen Fische – daher haben sie lange Beine, lange Hälse und speerartige Schnäbel. Kleine Vögel (Finken) sammeln Samen oder schnappen Mücken – daher haben sie kleine, hohle Schnäbel. Einige Vögel sind ausdauernde Flieger und können daher in ferne Länder ziehen. Genau dort beginnt die funktionelle Erklärung in der Evolutionsbiologie. »Sieht man diese Abstufung und Vielfalt der Strukturen in einer kleinen, eng miteinander verwandten Gruppe von Vögeln, kann man sich wirklich vorstellen, dass aus der ursprünglichen Knappheit an Vögeln auf diesem Archipel eine Art herausgenommen und für verschiedene Zwecke verändert wurde.« Wer Darwins Worte zu den Finken auf den Galapagosinseln zitiert, tut das meist wegen der Stelle eine Art herausgenommen und verändert. Aber lassen wir das einmal beiseite und betrachten nur den Teil Abstufung und Vielfalt der Strukturen und dann für verschiedene Zwecke: die Tatsache, dass der Schnabel einer Finkenart daran angepasst ist, Samen mit harten, stacheligen Hüllen aufzubrechen, der einer anderen zum Aufpicken winziger Körner, ein weiterer daran, Tölpel anzubohren und ihr Blut zu trinken, mehrere ans Insektenfressen, dass eine Art sich sogar darauf verlegt hat, Insekten wie ein Specht mithilfe von Kaktusstacheln aus Baumrinden herauszupolken; betrachtet man dies alles, hat man eine gründlich aristotelische Analyse vorgenommen. In De partibus animalium sagt Aristoteles: »Die Natur erschafft Instrumente, die zur Funktion passen, nicht die Funktion, die zum Instrument passt.« Natürlich erscheint uns das heute trivial. Aber er war der Erste, der erkannte, dass ein Vogel nicht nur eine Vitrine voller Teile ist, sondern ein fliegender Werkzeugkasten.

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elchem Zweck dient es? Um ein beliebiges Naturphänomen vollständig zu erklären, müssen wir vier Fragen stellen und beantworten. Aber, daran lässt Aristoteles keinen Zweifel, diese Frage ist die erste. Wir sollten sozusagen am Ziel beginnen. Im besten Fall, behauptet Aristoteles, wären einzelne Lebewesen unsterblich. Aber tatsächlich sterben alle einzelnen Lebewesen. Also tun sie das Nächstbeste: Sie vermehren sich. Um dies zu erreichen, brauchen sie wiederum Körperteile zum Fressen, Atmen, Kopulieren und so fort. Seine Bezeichnung für ein solches funktionelles Körperteil lautet organon; von diesem Begriff leitet sich unser »Organ« ab.

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Dass er Körperteile als »Instrumente« bezeichnet, könnte darauf hindeuten, dass Aristoteles’ vielgepriesene Teleologie nichts weiter ist als der naive Funktionalismus vom sokratisch-platonisch-paleyschen Typ: Augenlider sind »Türen für die Augen« – so etwas. Sicherlich führt er viele solcher Erklärungen an. Er verfügt über die Standardliste grundlegender tierischer Fähigkeiten, wie man sie im Lehrbuch findet – Ernährung, Atmung, Schutz, Bewegung, Sinneseindrücke –, und er verteilt die Organe auf sie, wobei er zulässt, dass einige davon viele Funktionen übernehmen. Manchmal fällt ihm das leicht: Ein Magen ist offensichtlich zum Zweck der Ernährung da. Manchmal ist es schwieriger: Er ist sich nicht sicher, was die Milz tut oder ob sie überhaupt etwas tut. Manchmal findet er es einfach, wenn es das nicht ist: Er ist sich sicher, dass er weiß, was Herz und Gehirn tun, aber in Wirklichkeit hat er keine Ahnung. Aber ob richtig oder falsch, diese Art der allgemeinen Teleologie ist nur ein Anfang, denn Aristoteles’ Programm ist wesentlich gründlicher und ehrgeiziger als alles, wovon Sokrates, Platon oder Paley jemals geträumt haben. Er ist ein komparativer Biologe; sein wahres Interesse liegt in der spezifischen Teleologie: Er will nicht nur wissen, warum dieses Tier jenes Merkmal besitzt, sondern auch, warum andere es nicht haben. Um diese Frage und unzählige ähnliche zu beantworten, die alle Teile aller Tiere auf der ganzen Welt aufwerfen, entwickelte er ein System teleologischer Prinzipien und Regeln. Es ist das Kernstück eines Systems, das seither Verwendung findet. In De partibus animalium geht es also darum, warum manche Tiere fliegen, andere schwimmen und wieder andere laufen; es geht um Zähne und Klauen, Kiefer und Krallen, Hörner und Hufe. Es geht um Vögel und ihre Flügel, Beine und Schnäbel. Und es geht auch um die Nase des Elefanten.

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ie Nase des Elefanten ist einzigartig unter den Tieren wegen ihrer Länge und ihrer außerordentlichen Vielseitigkeit.« Der Elefant kann sie wie eine Hand benutzen. Er kann damit fressen. Er kann sich mit ihr verteidigen. Er kann mit ihr trompeten. Er kann sie sogar dazu benutzen, Bäume auszureißen. Aristoteles hat vielleicht niemals einen Elefanten gesehen, aber er hat eine Menge über seinen Rüssel zu sagen. Wenn Aristoteles erklären will, warum ein Tier ein bestimmtes Merkmal besitzt, führt er manchmal seine Lebensweise an – also Lebensraum, Ernährungsweise und Beziehungen zu anderen Lebewesen –, mit anderen Worten, sein bios. So erklärt er Vögel in all ihrer Schönheit. Gelegentlich gelingt es

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ihm auch, unter die Wellen zu spähen. »Auch bei den Meerestieren findet man viele kunstfertige Tätigkeiten [technika], die in Beziehung zu ihrer Lebensweise stehen, denn die Geschichten über den batrachos und den narkē sind wahr.« Er berichtet weiter, wie der Anglerfisch sich im Schlamm vergräbt, seine Angel aufstellt und die Fische einsaugt, die davon angelockt werden, und wie der Zitterrochen seine Beute betäubt. In diesem Geist beginnt Aristoteles auch mit der Lebensweise des Elefanten, wenn er seine bemerkenswerte Nase erklärt. Er glaubt, dass der Elefant in Sümpfen lebt, und damit liegt er nur leicht daneben, denn Elefanten lieben tatsächlich das Wasser:

narkē – Gefleckter Zitterrochen – Torpedo torpedo

Wenn Taucher über eine längere Zeit unter Wasser bleiben, rüsten sie sich mit Atmungsgeräten aus, die sie nutzen, um Luft von außerhalb des Wassers zu atmen. Die Natur hat für die Elefanten in der Länge ihrer Nase einen ähnlichen Mechanismus erschaffen.

Haben die Taucher und Elefanten der Antike tatsächlich geschnorchelt? Ehrlich gesagt, ich bezweifelte beides. Doch D. L. Johnson berichtet in einer Arbeit mit dem Titel »Probleme in der Zoographie der Landwirbeltiere bestimmter Inseln und die Schwimmfähigkeit von Elefanten«, dass Afrikanische Elefanten im Sambesi schwimmen, dass Indische Elefanten zwischen den kleinen Inseln vor Sri Lanka hin- und herschwimmen und dass sie dabei delfinartige Bewegungen machen und ihren Rüssel in die Luft strecken. Ihre Höchstgeschwindigkeit liegt bei 1,5 Knoten, ihre größte Reichweite bei 26 Seemeilen. Er fügt hinzu, dass man einen Elefanten selten schwimmen sieht, weil sie dies in der Regel nachts tun. Um Zweifler zum Schweigen zu bringen, liefert er ein verschwommenes Foto mit. Der sumpfige Lebensraum des Elefanten erklärt seinen Rüssel jedoch nicht vollständig. Flusspferde, Robben und Krokodile leben mindestens ebenso amphibisch und haben keinen Rüssel. Der Elefant muss einzigartigen Proble-

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men gegenüberstehen, für die ein Rüssel die beste Lösung darstellt. Genau so ist es auch. Es handelt sich allerdings nicht um ein einzelnes Problem, sondern eher um ein Bündel von Problemstellungen. Er lebt nicht nur im Sumpf, sondern muss auch grundlegende tierische Funktionen erfüllen wie Atmen, Fressen und Verteidigung gegen Raubtiere, und all das muss er tun, während er durch andere Merkmale eingeschränkt ist. Aristoteles’ vollständige Erklärung für den Elefantenrüssel beginnt daher bei diesen Funktionen und Merkmalen und folgt ihren Konsequenzen in sich kreuzenden Kausalketten. Der Elefant braucht Schutz. Wovor, erläutert Aristoteles nicht weiter; vermutlich kann nur ein dreireihig bezahnter martichōras ihn zur Strecke bringen. Er verteidigt sich durch seine schiere Masse. Das hat aber Folgen. Weil er so groß ist, müssen seine Beine dick sein. Dicke Beine sind unbeweglich und unbewegliche Beine machen den Elefanten verhältismäßig langsam. Vielleicht ist das an Land kein so großes Problem, aber der Elefant lebt in Sümpfen. Gelegentlich findet er sich in tiefem Wasser wieder, kann aber nicht schnell auftauchen, um Luft zu schnappen, und da wälzt er sich nun im Schlamm des Indus und befindet sich dabei in tödlicher Gefahr zu ertrinken. Oder wenigstens wäre es so, hätte die Natur ihm nicht in weiser Voraussicht einen Schnorchel gegeben.* Aristoteles nennt diese Art der Erklärung »bedingte Notwendigkeit«. Es handelt sich dabei um ein Prinzip der folgenden Art: Gegeben ist ein Ziel, X, und ein Instrument, Y, um X willen. Dann ist die Bedingung Z notwendig, damit Y X erfüllen kann. Das Beispiel, das er anführt, ist banal. Wenn das Ziel (X) darin besteht, Holz zu schlagen, und das Instrument (Y) eine Axt ist, dass muss die Axt aus etwas Hartem bestehen (Z), zum Beispiel Bronze. Aber das Prinzip ist ein allgemeines: Wenn das Ziel darin besteht zu atmen und man ein schwerfälliger, sumpfbewohnender Vierfüßer ist, dann braucht man eine lange Nase. Es ist seine Art, die Tatsache auszudrücken und zu untersuchen, dass ein Lebewesen ein zusammengesetztes Ganzes ist, dessen einzelne Teile ausnahmslos an alle anderen angepasst sind, um sein Überleben zu sichern. Würde man die Teile wahllos unter den Formen auswechseln, bekäme man Monster, und zwar nicht lebensfähige. Deshalb sind Empedokles’ selektionistische Entwürfe so absurd.

* Aristoteles’ halbaquatischer Elefant ist ein bisschen absurd. Aber es war auch eine geniale Vermutung. Neue Studien zur Embryologie, fossilen Funden und zur molekularen Phylogenetik des Elefanten zeigen, dass er von einem wasserlebenden Säugetier abstammt. Die Schlussfolgerung lautet, dass sein Rüssel, unabhängig von seinem vielfältigen heutigen Nutzen, ursprünglich ein Schnorchel war. Interessanterweise kennt Aristoteles einen weiteren Beweis für diese Behauptung: die Tatsache, dass der Elefant wie Robben und Delfine innere Hoden hat. Aber er stellt die Verbindung nicht her.

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In Historia animalium zerlegt Aristoteles seine Lebewesen, um die Verbindungen zwischen ihren Teilen darzulegen; in den Analytica posteriora beschreibt er eine Methode, nach der sich die Ursachen dieser Verbindungen zeigen lassen; in De partibus animalium setzt er seine Lebewesen wieder zusammen und wendet die Methode an. Das Prinzip der bedingten Notwendigkeit ist daher das wichtigste teleologische Prinzip in diesem Buch. Die Kausalketten vermehren und verzweigen sich im Laufe des Textes so stark, dass kaum zu bestimmen ist, wo sie anfangen und wo sie aufhören. Er gibt sogar noch eine weitere Kette der bedingten Notwendigkeit für den Elefantenrüssel an, der damit endet, dass er seinen Gebrauch als Handersatz erklärt, aber bei seinen Zehen beginnt. Mit den Zehen des Elefanten ist es nämlich so, dass er viele davon hat. Damit besteht eine funktionelle Affinität zu anderen mehrzehigen Tieren wie Katzen, Hunden und Menschen. Mehrzehige Tiere ergreifen ihre Nahrung mit den Vordergliedmaßen. Aber der Elefant kann das nicht, weil seine Beine unbeweglich sind, weil sie dick sind, weil er groß ist.* Da steht der Elefant nun also im Teakwald und befindet sich in Gefahr zu verhungern. Oder wenigstens wäre es so, hätte die Natur ihm nicht in weiser Voraussicht eine Art Hand gegeben. Setzt man das mit dem Schnorchelargument zusammen, braucht man wirklich ein Kausaldiagramm, um zu erkennen, ob das alles einen Sinn ergibt. Das tut es, aber es ist ein Wunder, dass Aristoteles dabei vermutlich ohne Diagramm auskam.

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ristoteles’ Analyse der Vogelanatomie ist so eindeutig, so offensichtlich, dass man in De partibus animalium mehr davon erwartet. Man erwartet ein ausgewachsenes adaptionistisches Programm, das die hervorragende – dieses Adjektiv darf nicht fehlen – Anpassung von Tieren an ihre Umgebung darlegt. Es gibt jedoch keins. Ja, Aristoteles erklärt gelegentlich tierische Anpassungen explizit anhand ihrer Lebensweise, aber das Prinzip der bedingten

* Aristoteles schwankt in seiner Beschreibung, wie biegsam die Beine des Elefanten nun wirklich sind. Fünf Jahrhunderte später fand der römische Paradoxograf Älian es merkwürdig, dass Elefanten tanzen können, obwohl sie keine Gelenke haben. Vielleicht hat er ein verzerrtes aristotelisches Echo aufgeschnappt oder vielleicht hat er es von jemand anderem. Auf jeden Fall etablierte sich die Vorstellung, dass Elefanten keine Knie haben und im Stehen schlafen, fest in den mittelalterlichen Bestiarien und überdauerten lange genug, um Gegenstand eines Zweizeilers von Shakespeare, einer Strophe von Donne und des vernichtenden Spottes von Sir Thomas Browne zu werden. Kinematische Studien zeigen, dass Elefantenbeine recht beweglich sind.

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Notwendigkeit – die Erklärung von Teilen in Bezug aufeinander – dominiert. Ein Grund dafür ist sein taxonomischer Schwerpunkt. Manche Biologen malen das Gemälde des Lebens mit breiten Pinselstrichen, vergleichen die großen Stämme miteinander, blind für die Heerscharen von Arten, die sie umfassen; andere erstellen intime Familienporträts von nur einer Gruppe, etwa der Sandlaufkäfer; viele beschäftigen sich nur mit einer Art, der Maus, der Fliege, dem Wurm, mit uns. Aristoteles tut alles gleichzeitig. Sein Blick wandert in seiner taxonomischen Hierarchie nach oben und nach unten und ruht manchmal auf den Menschen, manchmal auf allen Bluttieren. In De partibus animalia jedoch legt er sein Hauptaugenmerk auf die Unterschiede zwischen den größten Sorten. Das ist auch vollkommen logisch. Unter den größten Sorten findet man schließlich den Großteil der Vielfalt des Lebens. Die Teile der größten Sorten unterscheiden sich nicht wie die der Vögel durch »das Mehr und das Weniger«, sondern im gesamten Aufbau ihrer Körper. Wenn ihre Organe sich ähneln, dann nur durch Analogie. Und doch sind gerade zwischen den größten Sorten bestimmte teleologische Erklärungen schwer fassbar. Vögel haben Schnäbel und Vierfüßer Zähne – warum? Die meisten Tiere haben einen Mund am einen Ende ihres Körpers und ein Rektum am anderen, aber nicht die Kopffüßer – warum? Manche Tiere haben Blut, andere nicht – auch hier: warum? Jede der größten Sorten unterscheidet sich so stark von allen anderen und umfasst eine so große Vielfalt, dass es schwerfällt, die Form mit der Lebensweise in Beziehung zu setzen, wenn es nicht gerade trivial ist. Ja, Fische haben Flossen anstelle von Beinen und Kiemen statt Lungen, weil sie im Wasser leben und nicht an Land – das sagt uns Aristoteles auch so. Aber im Allgemeinen versucht er es nicht einmal, wenn er über die Vielfalt seiner größten Sorten nachsinnt.* Man könnte meinen, Aristoteles sei am Ende mit seinen Erklärungen. Dabei hat er gerade erst angefangen. Sein Ansatz ist folgender: Für jede größte Sorte erklärt er bestimmte Merkmale als primitiv (im epistemologischen, nicht im evolutionären Sinn). Sie sind gegeben und können nicht unbedingt erklärt werden. Sie bilden jedoch die Ausgangspunkte für Erklärungen. Aristoteles benennt häufig primitive Merkmale, indem er angibt, dass sie Teil der »Definition [logos] des Wesens [ousia]« eines Tieres sind. Für die Vögel ist das Fliegen ein solches Merkmal, für die Fische das Schwimmen. Für Vögel (und vermutlich auch andere) ist die Lunge ein solches

* Evolutionsbiologen tun das in aller Regel allerdings auch nicht. Versuche, die Merkmale von Stämmen oder Klassen adaptiv zu erklären, sind eher selten, wenn nicht gerade die Geschichte über den »Aufstieg der Säugetiere« oder den »Niedergang der Dinosaurier« erzählt wird.

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Merkmal. Für lebend gebärende Vierfüßer (= die meisten Säugetiere), Eier legende Vierfüßer (= die meisten Reptilien und Amphibien), Vögel und Fische ist ein solches Merkmal, Blut zu haben, für alle Tiere sind es Sinneswahrnehmungen. Aristoteles bezeichnet nur wenige Merkmale als Gegebenheiten dieser Art, aber er tut so, als gäbe es viele. Zum Beispiel Vogelschnäbel. Aristoteles erklärt an keiner Stelle, warum Vögel Schnäbel haben und keine Zähne; es ist einfach so. Aber er schildert die Auswirkungen. Weil Vögel Schnäbel haben statt Zähne, können sie ihre Nahrung nicht kauen. Um diesen Mangel auszugleichen, speichern und »verkochen« sie sie (verdauen sie) mit verschiedenen anderen Hilfsmitteln. Manche Vögel (Tauben, Pelikane, Rebhühner) haben einen Kropf; andere (Krähen) eine breite Speiseröhre oder (Falken) einen erweiterten Magenteil (Drüsenmagen). Die meisten Vögel haben einen fleischen, harten Magen (Muskelmagen). Sumpfvögel haben weder einen Kropf noch eine breite Speiseröhre, weil ihre Nahrung sich leicht zerkleinern lässt. All diese anatomischen Einzelheiten sind im Großen und Ganzen korrekt, ebenso wie Aristoteles’ Begründung: Sie tun das, weil sie keine Zähne haben.

Verdauungstrakt der Vögel Links: alektōr – Huhn – Gallus domesticus Rechts: aietos – Adler – Aquila sp.

Mit derselben Logik erklärt Aristoteles, warum manche Weidetiere (Pferde, Esel, Halbesel) dieselbe Anzahl von Zähnen im Ober- und Unterkiefer und einfache Mägen haben, andere (Kühe, Ziegen, Schafe) aber eine ungleiche Anzahl von Zähnen und komplexe Mägen. Oder warum einige Fische einfache Kiemen haben, andere jedoch doppelte. Oder warum der Strauß nicht fliegen kann. Oder warum …  Es gäbe zahllose solcher Beispiele, denn fast jede Zeile von De partibus animalium ist eine Erklärung.

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m Hafen von Mithymna, der hübschen türkischen Stadt an der Nordspitze von Lesbos, fand ich einmal die vertrockneten Überreste einer Seeigelart, die ich noch nie gesehen hatte. Sie lagen auf der Kaimauer, offenbar weggeworfen von einem Fischer, der dort angelegt hatte, um seinen Fang zu sortieren und die Netze zu säubern. Ich erkannte ihn als eine von Aristoteles beschriebene Art, der über ihn sagt, er hätte einen kleinen Körper und große, harte Stacheln und unterscheide sich damit stark von den dicken Seeigeln in der Lagune mit ihren zerbrechlichen Stacheln. Bezeichnenderweise gibt er ihm keinen Namen, aber er schreibt, dass er weit vor der Küste hundert Meter (»60 orguiai«) in der Tiefe lebt – was zu meinem Fundort passt, denn Mithymna liegt an der Straße von Mytilini, wo der Meeresboden 300 Meter oder mehr abfällt.

echinos genos mikron – Lanzenseeigel – Cidaris cidaris

In seinem Werk Greek Fishes identifizierte D’Arcy Thompson den namenlosen Seeigel aus der Tiefe als Cidaris cidaris; er hatte sicherlich recht, denn genau den hielt ich in der Hand. Aristoteles schreibt, dass dieser Seeigel als Medizin gegen Harnzwang eingesetzt werde, einem Drang zum Wasserlassen, der jedoch nur zu Schmerzen und nicht zum Erfolg führt, aber ich glaube nicht, dass dieser Gebrauch heute noch verbreitet ist. Auf jeden Fall

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ist er nicht sehr interessiert an seinen arzneilichen Qualitäten, sondern erklärt mit großen Eifer, warum er so lange Stacheln hat. Aristoteles weiß, dass ihre Stacheln die Seeigel beschützen, also würde man das Argument erwarten, dass der Seeigel aus der Tiefe aus irgendeinem funktionellen Grund besonders lange Stacheln braucht, vielleicht weil die Fische dort unten besonders aggressiv sind. Aber das ist nicht die Erklärung, die Aristoteles liefert. Stattdessen behauptet er, sie hätten gar keinen besonderen Nutzen für den Seeigel, sondern seien einfach das Ergebnis seiner »materiellen Natur«. Auch wenn er nichts als Verachtung für den krassen Materialismus seiner Vorgänger übrig hat, glaubt Aristoteles an die Macht der Materie. Eine Form kann schließlich ohne sie nicht existieren. Betrachtet man freilich Form und Materie abstrakt, ist die Form wichtiger: Eine Form (eine Kugel), die sich in verschiedenen Materialien (Holz, Eisen) manifestiert, bleibt im Wesenskern eine Kugel. Doch eine Kugel ist ein sehr abstraktes Beispiel; Lebewesen sind viel abhängiger von dem Stoff, aus dem sie gemacht sind. Man kann eine Holzstatue in Form eines Menschen erschaffen, aber sie wird natürlich nicht laufen oder sprechen. Jedem aristotelischen Tier wohnt eine dreistufige Hierarchie inne. Ganz unten besteht es aus Elementen, ganz oben aus Organen. In der Mitte befinden sich die »gleichförmigen Teile« – Blut, Samen, Milch, Fett, Knochenmark, Fleisch, Sehnen, Haare, Knorpel, Knochen. Ich würde sie »Gewebe« nennen, würde dieser Begriff nicht Aristoteles’ Bedeutung leicht verzerren. Wir wissen, dass Gewebe aus Zellen bestehen, aber Aristoteles glaubt, dass seine gleichförmigen Teile tatsächlich gleichförmig sind – also vollkommen ohne mikroskopische Struktur. Jeder gleichförmige Teil hat eine eigene besondere »materielle Natur«, einen Satz funktioneller Eigenschaften – weich, trocken, feucht, biegsam, spröde –, der von der jeweiligen Mischung der Elemente abhängt, aus denen er besteht. Und obwohl die gleichförmigen Teile selbst Funktionen haben (Knochen schützen Fleisch), besteht ihr wahrer Zweck darin, der Stoff zu sein, aus dem die Organe bestehen. Aristoteles bemerkt, dass die gleichförmigen Teile sich von Tier zu Tier unterscheiden. Tiere haben unterschiedlich warmes Blut, ihre Knochen, ihr Fleisch, Fett und ihre Haut sind unterschiedlich hart und sie haben unterschiedlich viel Knochenmark. Viele Tiere haben natürlich auch gar kein Blut, kein Fleisch oder keine Knochen, sondern stattdessen andere analoge, gewöhnlich unbenannte gleichförmige Teile. Aristoteles scheint zu glauben, dass die gleichförmigen Teile einer beliebigen Tiersorte eine immanente Norm haben, in Qualität und Zusammensetzung jedoch mit Gesundheit, Ernährung und Jahreszeit variieren. Sie sind die Grundeinhei-

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ten seiner Physiologie und damit die Verbindung zwischen der Umgebung eines Tieres und seinem Körper. Das eröffnet eine ganz andere Art der Erklärung für die Vielfalt der Tiere. Aristoteles glaubt nicht, dass jede Variation teleologisch erklärt werden kann. Einige lassen sich direkt auf die Auswirkungen der Umwelt zurückführen. Die Tiefe, in der der namenlose Seeigel lebt, sagt er, ist kalt. Aus diesem Grund hat er nicht die Hitze, die er braucht, um seine Nahrung richtig »zu verkochen« oder zu verdauen. (Seeigel sind in seinem physiologischen Schema ohnehin eher kalte Lebewesen.) Aus Mangel an Hitze hat der Seeigel daher eine Menge »Restmaterie« von der Verkochung übrig, die er in die Stachel umleitet, und aus diesem Grund sind sie auch so lang. Die Kälte sorgt dafür, dass das Stachelmaterial versteinert, und deshalb sind sie so hart. Dies alles sind sehr mechanische Erklärungen. Lange Stacheln sind einfach das Ergebnis einer »Notwendigkeit« – obwohl er hier Material meint und nicht eine bedingte Notwendigkeit, denn ihre Länge lässt sich nicht durch ein noch so vages funktionelles Ziel erklären, sondern nur durch die reine Physiologie. Zufällig bilden Seeigel tatsächlich in Reaktion auf ihre Umgebung unterschiedliche Stacheln aus; dieses Phänomen nennen die Biologen »phänotypische Plastizität«. Allerdings ist sie nicht die Erklärung für die langen Stacheln von Cidaris cidaris, da sie ein Artmerkmal sind. Aus welchem Grund auch immer sieht Aristoteles das jedoch nicht so. Für ihn hat hier die Materie die Oberhand gewonnen.

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enn Aristoteles den Aufbau von Tieren analysiert, denkt er wie ein Architekt oder ein Ingenieur. Sein erster Gedanke gilt dem Zweck, dem ein Organ dient. Er ist sich aber auch deutlich bewusst, aus welchem Stoff es gemacht ist. Diese beiden Erklärungsansätze – bedingte und materielle Notwendigkeit – interagieren auf subtile Weise. Aristoteles setzt voraus, dass die Organe eines Tieres in der Regel aus dem richtigen Stoff bestehen, dass die materiellen Naturen ihrer gleichförmigen Teile – die Biophysik ihrer Gewebe – zu den funktionellen Bedürfnissen des Tieres passen, doch er räumt auch die Möglichkeit ein, dass Tiere nicht immer aus dem richtigen Stoff bestehen. Die Tatsache, dass die Körper bestimmter Tiere aus bestimmten Materialien gemacht sind, schränkt ein, was für Organe sie haben; sie kann sogar verhindern, dass sie sonst wünschenswerte Organe haben. Im Gegensatz dazu produzieren Tiere mehr Material, als sie selbst brauchen – »Restmaterie«. Manchmal wird diese Rest-

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materie dazu eingesetzt, Organe zu bilden, die vielleicht nicht lebenswichtig, aber dennoch wünschenswert sind. Für Aristoteles ist die Funktion wie für einen Architekten nicht allmächtig; die Funktion ist gebunden. Seine Beispiele, wie die Eigenschaften gleichförmiger Teile funktionellen Anforderungen entsprechen, versetzen jeden Biophysiker in helles Entzücken. Schlangen müssen sehen, was hinter ihnen vorgeht, können aber ihren Körper nicht so einfach herumdrehen, weil sie keine Beine haben, also drehen sie nur ihren Kopf – deshalb ist ihre Wirbelsäule so beweglich. Wenn Rochen schwimmen, tun sie das in Wellenbewegungen, also brauchen auch sie ein flexibles Skelett – deshalb besteht ihres aus Knorpeln statt aus Knochen. Die menschliche Speiseröhre muss sich erweitern können, um Nahrung zu schlucken, und darf dennoch nicht durch die Nahrung aufgeschürft werden – deshalb ist sie sowohl elastisch als auch fleischig. Der menschliche Penis muss sowohl hängen als auch aufrecht lustwandeln können – deshalb besteht er aus einem Stoff, der sowohl weich als auch hart sein kann. Dies sind alles Beispiele für bedingte Notwendigkeiten, in denen die Folge eine Eigenschaft eines gleichförmigen Teils ist. Mit dem Kehldeckel verhält es sich anders. Aristoteles bemerkt, dass die Gestaltung des Halses eher schlecht ausgeführt ist. Da Kehlkopf und Luftröhre direkt vor der Speiseröhre sitzen, ersticken Tiere leicht an ihrer Nahrung. Bei Säugetieren hat die Natur dieses Problem gelöst, indem sie einen Deckel für den Kehlkopf konstruierte, den Kehldeckel, der sich beim Schlucken schließt. Aber Vögel und Reptilien haben keinen Kehldeckel. Warum nicht? Seine Antwort lautet, dass ihr Fleisch und ihre Haut »trocken« sind und sie daher keinen haben können, da der Kehldeckel »fleischig« sein muss, um funktionieren zu können. Die Natur hat sich daher etwas anderes für sie ausgedacht, nämlich das Zusammenziehen des Kehlkopfes.* Aristoteles ist gewöhnlich zuversichtlich, dass er weiß, was ein bestimmtes Organ tut. Die Milz bleibt jedoch ein Geheimnis für ihn. Er ist sich ziemlich sicher, dass sie kein lebenswichtiges Organ ist. Er weiß, dass viele Bluttiere nur eine sehr kleine Milz haben, und glaubt, dass einige gar keine haben, also stellt er die Möglichkeit zur Debatte, dass sie ein Gegengewicht zur Leber ist (es gefällt ihm, wenn Organe in bilateral symmetrischen Paaren daherkommen); vielleicht hilft sie ihr sogar dabei, Nährstoffe »zu verkochen« (also bei der Verdauung). Außerdem könnte sie der Verankerung der Blutgefäße dienen. Aber überwiegend hält er sie für »Restmaterie« – ein Ausscheidungspro-

* Aristoteles’ Tierkunde ist im Großen und Ganzen korrekt. Ist auch seine Erklärung für das Vorhandensein des Kehldeckels bei Säugetieren und seines allgemeinen Fehlens bei Reptilien und Vögeln korrekt? Sicher nicht. Aber warum haben Säugetiere einen Kehldeckel entwickelt?

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dukt, für das die Natur verschiedene nicht besonders wichtige Nebennutzen vorgesehen hat.* Natürlich sind einige Körperprodukte tatsächlich nur nutzlose »Restmaterie«. Urin und Kot sind eindeutig nur Ausscheidungsprodukte, aber Aristoteles glaubte, dass auch die Galle dazugehört. Damit stellte er sich gegen die vorherrschende Meinung. Die Griechen hatten schon immer aus den Lebern und Gallenblasen geopferter Tiere die Zukunft vorausgesagt. Die rationaler gesinnten physiologoi spekulierten, dass die Gallenblase eine Sinnesfunktion hat. Die Hippokraten und Platon glaubten, dass Galle das Produkt einer Erkrankung sei. Aristoteles weist diese Vorstellungen zurück und greift einmal mehr auf vergleichende Daten zurück (einige Tiere haben Gallenblasen, andere nicht). Auf dieser Grundlage argumentiert er, dass Galle ein Restprodukt des Blutes sei, das in der Leber hergestellt und in den Darm ausgeschieden werde und ziemlich nutzlos sei: »Manchmal gibt die Natur sogar den Reststoffen einen Zweck, doch das ist kein Grund dafür, in allen einen zu suchen. Tatsächlich sind viele andere notwendig nur vorhanden, weil einige einen Zweck haben.«** Seeigel, Schlangen und Haie; Gallenblasen, Penisse und Milzen – beim Sezieren und Analysieren schlägt Aristoteles einen gefährlichen Pfad ein. Über ihm die Gipfel von Platons kompromissloser Teleologie, unter ihm der Abgrund des unerbittlichen Materialismus der physiologoi. Aristoteles erkennt, dass keine der Ursachen ignoriert werden kann, betrachtet reihum jeden Teil und räumt einmal funktionellen Zwecken den Vorrang ein, einmal der Physiologie und oft – das ist seine große Leistung – dem subtilen Wechselspiel zwischen beidem. Doch bei der Lektüre von De partibus animalium wird klar, dass unter solchen Erklärungen, die sich direkt aus seinen vier Ursachen ableiten, auch eine ganz andere Reihe von Prinzipien am Werk ist – Axiome, die weder direkt teleologisch noch materiell sind, sondern ökonomisch.

* Die Funktion der Milz blieb bis ins letzte Jahrhundert ein Geheimnis. Sie filtert das Blut und entfernt dabei rote Blutkörperchen, regelt den Eisenhaushalt und steuert das Einsetzen adaptiver und angeborener Immunantworten. ** Tatsächlich ist die Galle wahrscheinlich ein Beispiel für ein Ausscheidungsprodukt, das eine Zweitverwertung erfährt. Das enthaltene Bilirubin ist ein Abbauprodukt aus abgestorbenen roten Blutkörperchen, die von der Milz aus dem Blut gefiltert werden. Es gelangt mit dem Blut in die Leber, sammelt sich in der Gallenblase und wird in den Darm abgegeben, wo es die Fettverdauung unterstützt.

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eus, Poseidon und Athene wetteifern, wer das schönste Ding erschaffen kann. Zeus macht einen Menschen, Athene ein Haus, Poseidon einen Stier. Sie bitten ihren Kollegen Momos, ihre Schöpfungen zu beurteilen, und Momos verspottet sie prompt alle drei. Der Mensch, sagt er, sollte ein Fenster in seinem Herzen haben, damit wir seine Pläne sehen können; das Haus sollte Räder haben, damit es den Ort wechseln kann; der Stier sollte (zusätzliche?) Augen unter seinen Hörnern haben, damit er sieht, was er aufspießt. Erzürnt ob dieser Krittelei – schließlich hatte er lange am Menschen gesessen – schleudert Zeus Momos vom Olymp hinab. In De partibus animalium spielt Aristoteles auf Aesops Fabel an, aber in seiner Version wird nichts über Hörner-Augen gesagt; stattdessen schlägt Momos vor, dass der Stier die Hörner auf den Schultern tragen sollte, weil sie dort den größten Nutzen hätten. Aristoteles kommentiert mit ungelenkem Humor: »Momos’ Kritik hier ist stumpf.« Er hätte sich erst einmal über die Kraft und Richtung von Stößen informieren sollen; außerdem würden die Hörner auf den Schultern (oder irgendwo sonst) die Bewegungen des Stieres behindern – sie sind genau da, wo sie sein sollten: auf dem Kopf. Das ist ein geradliniges teleologisches Argument auf der Grundlage bedingter Notwendigkeit: Hörner sind zum Schutz da, also befinden sie sich aufgrund anderer funktioneller Einschränkungen an der bestmöglichen Position dafür. Er fügt einige weitere Einzelheiten hinzu: dass sie hart sind, dass sie beim Hirsch massiv sind und beim Stier hohl, aber an der Basis durch Knochen verstärkt werden und so fort. Alles so adaptionistisch, wie es nur sein könnte. Auch hier würde man erwarten, dass er zur Erklärung, warum die meisten Tiere keine Hörner haben, zeigen würde, dass die Lebensweisen einiger Tiere Hörner erfordern, die von anderen dagegen nicht. Das tut er aber nicht. Stattdessen beschwört er eine Reihe von Hilfsprinzipien herauf, die von der Ökonomie des Körpers abhängen. In Politik argumentiert Aristoteles, dass die Haushaltsführung auf zwei Probleme hinausläuft: Befehlsgewalt und Kontrolle sowie Ökonomie. Es geht darum, wer wen regiert und um Erwerb und Verteilung von Gütern. Er hat einen ausgeprägten Sinn für die natürliche Ordnung der Dinge. Für ihn gibt es eine natürliche Hierarchie: Hausherr, Ehefrau, Kinder, Sklaven, Tiere. Es gibt – oder sollte geben – eine natürliche Grenze für den Erwerb von Wohl-

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stand. Er ist sehr streng, was das Anhäufen von Geld über den eigenen Bedarf hinaus angeht: Handel ist unnatürlich, Wucherei abscheulich. Er zeigt die Verachtung des Intellektuellen für die Geldbesessenheit der Bourgeoisie. Sein Tonfall ähnelt dem eines Cambridge-Dozenten in den 1940erJahren (man denkt unwillkürlich an F. R. Leavis): autokratisch, moralistisch, puritanisch. Wenn er über Haushaltsökonomie schreibt, bezieht er sich immer wieder auf die Tierwelt. Wenn er über Tiere schreibt, bezieht er sich immer wieder auf Haushaltsökonomie. »Wie eine gute Haushälterin wirft die Natur gewöhnlich nichts weg, aus dem sich noch etwas Nützliches machen ließe«; »Die Natur tut nichts vergeblich«; »Was die Natur an einer Stelle wegnimmt, fügt sie an anderer hinzu«; »Die Natur handelt nicht aus Geiz«. Aristoteles braucht diese Prinzipien, damit seine teleologischen Erklärungen funktionieren, aber er führt keine Argumente dafür an, sie sind Axiome, deren Wahrheit offenkundig ist. Heraklit sagte einmal: »Die Natur versteckt sich gern.« Nicht vor Aristoteles. Er schreibt, als würde die Natur nebenan wohnen und eine Taverne betreiben. Aristoteles bleibt seltsam ambivalent, was die Nützlichkeit von Hörnern und Geweihen angeht. Natürlich haben die Tiere sie zu Verteidigungszwecken, aber er sagt auch, dass sie verzichtbar oder sogar schädlich sind. Dass Hirsche ihr Geweih jedes Jahr abwerfen, beeindruckt ihn. Ich vermute auch, dass er sie nie in Aktion sah. Er schreibt von ihrem Einsatz gegen Räuber, aus der Sicht eines Jägers, aber nicht von ihrem Gebrauch als Waffen im Balzkampf. Er kann nie gesehen haben, wie die Geweihe von Hirschen in der Brunft gegeneinanderkrachen.* Dass Hörner keinen großen Nutzen haben, spiegelt sich für ihn in ihren physiologischen Ursprüngen. Da Tiere sich selbst aus der Nahrung erschaffen, die sie aufnehmen, bilden sie zuerst die wichtigsten Organe mit der hochwertigsten Nahrung und dann, wenn sie noch etwas übrig haben, die weniger wichtigen. Wir müssen uns also seine »gute Haushälterin« vorstellen, die ein paar Reste der Familienmahlzeit übrig hat und diese einer streunenden Katze hinwirft, die an der Küchentür herumlungert – ehrlich gesagt, ist die Katze eine rechte Plage und man würde sie nicht im Haus haben wollen, aber die Kinder mögen sie und sie hält die Mäuse in Schach. Hörner sind wie griechische Katzen: Sie kosten nicht viel und sind geringfügig nützlich. Warum also haben nicht alle Tiere Hörner? Aristoteles gibt zwei Gründe dafür an. In Übereinstimmung mit seinem Bild von der »guten Haushälte-

* Man vergleiche De partibus animalium II, 2 mit Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl II, 17.

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rin« meint er, dass Tiere effizient gestaltet sind und daher keine funktionell redundanten Organe besitzen. Er bemerkt, dass Tiere sich schützen können, indem sie groß oder schnell sind, oder Hörner, Stoßzähne oder Reißzähne besitzen. Aber wenn ein Tier über einen Verteidigungsmechanismus verfügt, braucht es keinen zweiten, denn »die Natur tut nichts Vergebliches oder Überflüssiges«. Es wirkt hier noch ein weiteres ökonomisches Prinzip. In Historia animalium hat Aristoteles ein Netz von Verbindungen zwischen lebend gebärenden Vierfüßern (Säugetieren) identifiziert, zu dem auch gehört, dass gehörnte Tiere (Wiederkäuer) eine ungleiche Anzahl von Zähnen im Ober- und im Unterkiefer haben, während das bei hornlosen Tieren (zum Beispiel Pferden) nicht so ist. Hörner und Zähne müssen hart sein, daher bestehen sie zu einem großen Teil aus Erde. Entsprechend argumentiert er, dass es eine Abwägung bei der Bildung von Hörnern und der Bildung von Zähnen gibt: Ein Tier kann entweder Hörner oder ein vollständiges Gebiss produzieren, aber nicht beides, denn, wie er es oft ausdrückt, »was die Natur von einer Stelle wegnimmt, fügt sie an anderer hinzu.«* Er handhabt dieses Prinzip der Ressourcenverteilung mit großer Scharfsinnigkeit. Er bemerkt, dass die Hörner großer Tiere im Vergleich mit denen kleinerer Tiere wie der Gazelle, des kleinsten ihm bekannten Wiederkäuers, überproportional groß sind, und erklärt dieses Muster durch das Argument, dass große Wiederkäuer im Verhältnis mehr überschüssiges Erdmaterial haben, das sie für ihre Hörner verwenden können, als kleinere. Er tangiert hier eins der großen Muster bei Lebewesen – eins, das wir immer noch nicht richtig erklären können.** Obwohl Aristoteles’ Natur in der Regel knauserig ist, kann man es mit dem Geiz gelegentlich auch übertreiben. Viele Tierorgane haben mehrere Funktionen; der Elefantenrüssel etwa ist besonders vielseitig. Aber er beobachtet auch, dass es funktionelle Kompromisse gibt. Es ist schwierig, in vielen * Dasselbe Prinzip wird immer noch häufig in der Evolutionsbiologie angeführt, um offensichtliche Ausgleiche zwischen Organen oder anderen Merkmalen zu erklären. Kürzlich hat man damit beispielsweise die Evolution von Hörnern bei Blatthornkäfern erklärt und wie dies häufig auf Kosten anderer Kopfstrukturen geht. ** Wenn wir in einer Sammlung verwandter Tiere (zum Beispiel Säugetiere) ein Merkmal (Horngröße, Stoffwechselrate, Langlebigkeit etc.) in Abhängigkeit von der Körpergröße grafisch darstellen, sehen wir häufig, dass das Merkmal nicht im gleichen Maßstab wie die Körpergröße wächst, sondern schneller oder langsamer. Die Beziehung ist, mit modernen Begriffen ausgedrückt, allometrisch statt isometrisch, arithmetisch lässt sie sich tatsächlich am besten durch eine exponentielle anstelle einer linearen Funktion beschreiben. Die Mathematik der Allometrie wurde erstmals in den 1920er-Jahren von Julian Huxley ausgearbeitet, also hat Aristoteles sie nicht angewandt, aber er bemerkte das Phänomen und versuchte es zu erklären. Viele folgten ihm. Stephen Jay Gould nutzte bekanntermaßen die Allometrie, um das monströse Geweih des irischen Riesenhirsches zu erklären, würdigte jedoch Aristoteles nicht als Pionier auf dem Gebiet – ich vermute, er hatte ihn nicht gelesen.

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Dingen gut zu sein, daher vertritt er die allgemeine Auffassung, dass es für einzelne Teile besser ist, spezialisiert zu sein. Wie er es formuliert, handelt die Natur nicht »wie ein Kupferschmied, der aus Geiz einen Drehspieß und einen Lampenhalter in einem herstellt«, da ein solch merkwürdiges Gerät vermutlich weder die eine noch die andere Funktion besonders gut erfüllen würde. Er geht auch davon aus, dass komplexere Tiere tendenziell stärker spezialisierte Teile haben. Diese Hilfsprinzipien durchziehen seine Erklärungen für die Artenvielfalt. Die gute Haushaltsführung der Natur erklärt (oder liefert unterstützende Argumente für) das Vorhandensein und Nichtvorhandensein aller Arten von Organen mit schwachen Funktionen wie Augenbrauen, Milz und Nieren. Dass die Natur nichts vergeblich unternimmt, erklärt unter anderem, warum Fische keine Augenlider, Lungen oder Beine haben, warum Tiere mit Reißzähnen keine Stoßzähne haben, warum nur Tiere mit Backenzähnen ihre Nahrung von einer Seite zur anderen mahlen, warum unsere Zähne so lange halten und warum es Männchen gibt. Der Umstand, dass die Natur nur einem Teil geben kann, was sie einem anderen nimmt, erklärt unter anderem, warum Haie keine Knochen haben, warum Bären keinen behaarten Schwanz haben, warum Vögel keine Blasen haben, warum Löwen nur zwei Zitzen haben, warum Vögel entweder Klauen oder Sporne haben, aber nicht beides, und woher der Anglerfisch seine merkwürdige Form hat. Es erklärt auch einen großen Teil der lebensgeschichtlichen Variationen und warum wir sterben. Zusammen sind diese Hilfsprinzipien ein Modell der ökonomischen Gestaltung des Körpers. Genau wie dem Oberhaupt eines menschlichen Haushaltes ein bestimmtes natürliches Einkommen zur Verfügung steht, aus dem er seine Schutzbefohlenen ernähren, beherbergen und kleiden muss, hat ein Tier ein bestimmtes Nahrungseinkommen, aus dem es seine Teile bilden und seine Funktionen erfüllen muss. Manche Organe und Funktionen sind lebenswichtig, andere nützlich, aber verzichtbar. Lebenswichtige Organe und Fortpflanzung bekommen zuerst ihren Teil aus dem Nahrungseinkommen und verzichtbare Organe werden hergestellt, wenn etwas übrig bleibt. Im Allgemeinen operieren Tiere jedoch unter recht strengen Etatzwängen und Organe sind teuer. Das hat zwei Konsequenzen. Erstens muss die Herstellung eines Organs oft mit der Unfähigkeit bezahlt werden, ein anderes zu bilden. Zweitens müssen Tiere ihr Nahrungseinkommen effizient nutzen und bilden daher tendenziell keine funktionell redundanten Organe. Obwohl alle Tiere innerhalb ihres Nahrungsbudgets bleiben müssen, haben größere Tiere einen überproportional größeren Überschuss als kleinere und können es sich daher leisten, nicht überlebenswichtigen Organen mehr Nahrung zuzuweisen. Und obwohl schließlich multifunktionelle Organe billig sind und viele

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Tiere sie besitzen, bedeuten die Tugenden der funktionellen Spezialisierung, dass es am besten ist, wenn ein Organ möglichst eine einzige Aufgabe erfüllt. Aristoteles legt sein Modell nicht in allen Einzelheiten dar. Nirgendwo spricht er vom Nahrungs-»Einkommen«, von »Effizienz« oder »Budgets«. Diese Beschreibung ist ein Modell seines Modells, aber sie beleuchtet einen Großteil seiner Hilfsteleologie. Ökonomie ist mit der theoretischen Struktur der modernen Evolutionswissenschaft verwoben, das ist schon seit Darwin so. Darwin lebte in einem Zeitalter des Laissez-faire-Kapitalismus, gehörte zum Privatier-Bürgertum und nahm Adam Smith und Malthus schon mit der Muttermilch auf. Für Aristoteles gilt das nicht, doch ich bin der Meinung, auch er verstand diese einfachen, aber fundamentalen ökonomischen Erkenntnisse und wandte sie entsprechend an.

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Tintenfischeier auf einem Zweig

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ie Fischerboote in Kalloni sind kleine, doppelendige Gefährte, die trahantiri genannt werden und blau gestrichen mit gelben und grünen Rändern sind. Als wir zum Hafen kamen, lag der Großteil der Flotte noch vertäut. Ein Pelikan auf der Kaimauer gähnte lautlos und plusterte sein Gefieder auf. Die Lagune lag ganz still in der Morgendämmerung, symmetrisch gespiegelte gedämpfte Orange-, Rosa- und Blautöne, zerteilt von einem Streifen Weiß, der die Westküste markierte. Wir wollten Tintenfische angeln. Im Frühling ziehen sie in die flachen Buchten der Ägäis, um sich zu paaren, zu laichen und zu sterben. In seiner Halieutica, die in einer Stadt etwas oberhalb an der türkischen Küste verfasst wurde, schreibt Oppian, zu dieser Zeit könne man sie in konischen Fallen aus Binsen fangen. Die Technik ist immer noch dieselbe, nur dass die Fallen heute aus Plastiknetzen bestehen. Die ersten Fallen zogen wir leer herauf und eine Weile vermuteten wir, dass jemand anders sie geleert hatte (die zänkische Bruderschaft der Fischer Kallonis hatte keine Skrupel, sich gegenseitig den Fang zu stehlen), aber dann schlitterte ein kleiner Oktopus knochenlos auf das Deck. Gerissen, wie er war, versuchte er sofort, in Richtung Speigatt zu entwischen, aber wir fingen ihn, betäubten ihn und warfen ihn in einen Eimer. In der nächsten Falle hatte sich eine Meeräsche verheddert, deren Kopf abgefressen worden war – »Siehst du, das war ein soupia« –, und dann zogen wir einige Kilo Tintenfische herauf, gerade genug, um die Benzinkosten zu decken. »In den Salzminen von Salzburg«, schrieb Stendhal, »werfen sie einen blattlosen winterlichen Zweig in einen der verlassenen Schächte. Zwei oder drei Monate später ziehen sie ihn wieder herauf, bedeckt von einer glitzernden Ablagerung von Kristallen« – so seine berühmte Metapher für die Kristallisation, die einsetzt, wenn man einen Liebenden vierundzwanzig Stunden mit seinen Gedanken allein lässt. Wirft man im Frühling einen Zweig in den Kalloni, ist er innerhalb eines Tages von Beeren bedeckt, die kleinen griechischen Trauben ähneln. Es sind Tintenfischeier. »Der Tintenfisch legt seine Eier nicht weit vor der Küste in der Nähe von Seetang oder Schilf oder auf schwimmenden Gegenständen wie Reisig oder Ästen oder Steinen ab; Fischer bringen sogar Zweige in Position, auf denen sie ihre Eier ablegen sollen«, berichtet Aristoteles, und in Kalloni tun die Fischer das heute noch. Aber Tintenfische haften ihre Eier an alles, was hart ist, und unsere Fallen

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waren voll von ihnen. Wahre Kopffüßer-Orgien müssen da unten stattgefunden haben. Die Eier eines Tintenfisches werden einzeln abgelegt, sind gummiartig und direkt nach der Ablage von der Tinte der Mutter in undurchsichtigem Violett-Schwarz gefärbt. Beim Heranreifen wird die Eischale durchsichtig. Ich zupfte eine dieser durchscheinenden Beeren aus dem Netz, hielt sie gegen die Sonne und sah in ihr den winzigen, zuckenden Umriss eines Tintenfisches, weiß mit überraschend rosafarbenen Augen, der in einer goldenen perivitellinen Flüssigkeit schwamm. Aristoteles muss dasselbe getan haben: Die Entwicklung des jungen Tintenfisches: Er schlüpft erst, nachdem die Entwicklung aus dem weißen Stück im Inneren abgeschlossen und das Ei gesprungen ist. Darin entwickelt sich ab dem Zeitpunkt der Eiablage eine Art Hagelkorn. Daraus wird der junge Tintenfisch, der am Kopf am Ei befestigt ist; Vögel weisen eine ähnliche Befestigung am Bauch auf. Bisher gibt es noch keinen optischen Nachweis für die genaue Art dieser nabelschnurartigen Befestigung; man sieht nur, dass das Weiße kleiner wird, je mehr der junge Tintenfisch heranwächst, und schließlich wie das Eigelb bei den Vögeln verschwindet. Seine Augen erscheinen wie bei jedem anderen Tier am Anfang sehr groß. (Im Schaubild zeigt A das Ei, B und G die Augen und D den jungen Tintenfisch selbst.) Die Trächtigkeit setzt im Frühling ein, die Eiablage innerhalb von fünfzehn Tagen. Wenn die Eier gelegt sind, entwickelt sich nach weiteren fünfzehn Tagen etwas Ähnliches wie eine Traube Beeren; wenn diese aufspringen, kommen die jungen Tintenfische heraus.

Tintenfisch-Embryo nach Historia animalium, Buch V

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Als wir so dahintrieben, schwamm ein Paar kopulierender Tintenfische vorbei. »Weichtiere wie der Oktopus, der Tintenfisch und der Kalmar kopulieren alle auf dieselbe Weise, das heißt, sie vereinigen sich am Mund durch das Verschlingen ihrer Tentakeln.« Er erwähnt nicht, dass nicht beide Partner am Leben sein müssen. Mit nekrophiler Leidenschaft zog das Männchen ein sehr bleiches und sehr totes Weibchen mit sich. Die Weibchen sterben nach der Eiablage und die Männchen schnappen sich alles, was Tentakeln hat, ob sie noch zucken oder nicht. Als wir die Tintenfische aus den Fallen holten, wurden sie dunkelrot vor Ärger, verspritzten schwarze Tinte und fauchten wie kleine, aber sehr wütende Kätzchen. Wir machten uns auf den Heimweg, während Fluss-Seeschwalben unser Fahrwasser kreuzten.

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as ist Leben? Diese Frage stellte Erwin Schrödinger. Seine Antwort: Leben ist ein System, das sich aus negativer Entropie speist. Herbert Spencer definierte das Leben als »die fest umrissene Kombination aus heterogenen Veränderungen, die sowohl gleichzeitig als auch nacheinander stattfinden«. Jacques Loeb war der Überzeugung, dass Lebewesen chemische Maschinen seien, die »im Wesentlichen aus gallertartigem Material bestehen und die Besonderheit aufweisen, sich automatisch zu entwickeln, zu erhalten und zu vermehren«. Hermann Muller glaubte, dass jede Einheit, die die Eigenschaften der Multiplikation, Variation und Vererbung aufweist, lebendig ist. Für die Autoren jedes beliebigen Biologie-Lehrbuchs ist das Leben eine ziemlich willkürliche Liste von Eigenschaften: Stoffwechsel, Ernährung, Fortpflanzung und so weiter; für die meisten Biologen ist es eine Frage, die man am besten ignoriert. Aristoteles stellte Schrödingers Frage und beantwortete sie. Zuerst liefert er die konventionelle Liste von Eigenschaften: »Mit Leben meinen wir die Fähigkeit, sich selbst zu ernähren, zu wachsen und zu verfallen.« Aber das trifft nicht ganz die Begriffe, in denen er das Problem analysiert. Er verfolgt eine wesentlich abstraktere Beschreibung dessen, was das Lebendige vom Toten trennt. Seine tiefer reichende Antwort lautet, dass nur Lebewesen eine Seele haben.

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as traditionelle griechische Verständnis der Seele war das von Homer. Patroklos fällt vor Troja und seine körperlose Seele fliegt davon in das Haus des Hades. Vielleicht erklärt das, warum der griechische Name für »Schmetterling« derselbe ist wie für »Seele« – psychē –, denn wie die Seele im Tode aus einem Körper entflieht, so klettert ein Schmetterling aus seiner Puppe. Im Phaidon führt Platon die traditionelle Theorie weiter aus. Die Seele ist nicht mehr nur etwas, das verloren geht, wenn wir sterben; sie denkt logisch und reguliert das Verlangen des Körpers, solange wir am Leben sind. Jetzt ist es Sokrates, der stirbt. Auch seine Seele wird den Körper verlassen, in dem sie eingesperrt ist, und sich auf den Weg in den Hades machen, aber wo Patroklos’ Seele bestenfalls eine Art schwaches Nachklingen im Jenseits erwartet, kann sich Sokrates’ Seele auf die Aussicht der ewigen Wiedergeburt freuen – so jedenfalls argumentiert er optimistisch. In der Politeia gewinnt die Seele noch an Komplexität: Sie wird zum Sitz der moralischen Tugend. Platon beschreibt, dass das Böse die menschliche Seele so verschandelt, wie das Seemonster Glaukos – offenbar einer Seespinnenart nachempfunden – von den Schalen und vom Seetang niedergedrückt wird, die es überkrusten. Fragmente von Aristoteles’ Jugendwerken zeugen von ähnlichen Denkweisen. Ein guter Freund, Eudemos, war auf einem sizilianischen Schlachtfeld gestorben. In einer Monografie zu seinem Andenken lässt Aristoteles Eudemos’ Seele nach Hause zurückkehren. Eine weitere frühe Arbeit, der Protreptikos, vergleicht die Beziehung zwischen Körper und Seele mit der unschönen Sitte der Etrusker, ihre Gefangenen von Angesicht zu Angesicht mit einer Leiche zusammenzubinden – mit der Seele als lebendigem Partner in diesem makabren pas de deux. Über diesen Abschnitt sagte ein Gelehrter einmal: »Sicherlich werden wir hier Zeugen eines kranken, wenn auch starken und herrlichen Geistes.« Später in seinem Leben schrieb Aristoteles ein ganzes Buch über die Seele: De anima oder Über die Seele. In seinem entschieden wissenschaftlichen Ton findet sich keine Spur des platonschen moralischen Zeigefingers. Die Seele ist hier Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen:

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Manche Arten von Wissen können besonders gut und erstrebenswert sein, wegen ihrer Präzision oder weil der Gegenstand einen größeren Wert hat oder größeres Staunen hervorruft. Aus beiden Gründen sollten wir die Erforschung der Seele als eine von äußerster Bedeutung behandeln. Jedoch scheint ihre Untersuchung von besonderer Bedeutung für die Wahrheit im Allgemeinen und die Erforschung der Natur im Besonderen zu sein. Denn Seelen sind der Grundsatz des tierischen Lebens.

Das ist für uns eine sehr seltsame, ja fragwürdige Behauptung. Der Begriff »Seele« trägt die Last zahlreicher Bedeutungen, aber keine davon in der modernen Wissenschaft. Vielleicht wären wir besser beraten, die Übersetzung beiseitezulassen, aber die reine Transliteration hilft hier auch kaum weiter. Für uns bezieht sich »Psyche« auf Geisteszustände – insbesondere auf das Bewusstsein. Zwar behandelt Aristoteles in seinem Buch auch Geisteszustände, aber er betrachtet sie unter physiologischem Aspekt: Das kartesische Problem des Bewusstseins taucht kaum einmal auf. Tatsächlich ist De anima ganz und gar keine psychologische Abhandlung, sondern seine allgemeinste Aussage über die Befehls- und Kontrollsysteme, mit deren Hilfe Lebewesen das tun können, was sie tun. Aristoteles stellt ohne große Erörterung zwei Thesen auf: dass alle Lebewesen – Pflanzen, Tiere und Menschen – eine Seele haben und dass die Seele aufhört zu existieren, wenn ein Lebewesen stirbt. Wahrscheinlich war das die gängige Überzeugung unter den griechischen Intellektuellen des vierten Jahrhunderts. Platon glaubte eindeutig an die erste und musste gegen die zweite argumentieren. Aber was genau ist die Seele? Aristoteles beginnt mit einem Überblick über die Ansichten seiner Vorgänger. Alle, so sagt er, sind sich darüber einig, dass die Seele mit der Bewegung zusammenhängt, also der Fähigkeit von Lebewesen zu atmen, zu wachsen, zu schlängeln, zu schwimmen, zu laufen und zu fliegen. Eine gute Darstellung der Seele sollte erklären können, wie dies zusammenhängt. Er erörtert das verbreitete Konzept, dass Seelen aus einer physikalischen Materie bestehen. Die üblichen Kandidaten für den Seelenstoff sind die Elemente: Luft, Wasser oder Feuer – nur die Erde scheint in der Liste zu fehlen. Er verwirft sie alle. Recht vernünftig argumentiert er, er könne sich nicht vorstellen, wie irgendein Element dazu fähig sein soll, ein Tier in Bewegung zu versetzen. Er betrachtet Demokrits Argument, dass Bewegung auf das rastlose Umherschwirren der kugeligen Atome zurückzuführen ist, aus denen die Seelen der Lebewesen bestehen. Das, sagt Aristoteles, ist etwa so sinnvoll wie der Plan des Dädalus, eine Holzstatue der Aphrodite zu beleben, indem er geschmolzenes Silber hineingießt. Elemente sind der Stoff, auf den Seelen wirken; sie sind das Substrat des Lebens, nicht das Leben selbst.

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Er erörtert auch einige weniger profane Konzepte. Eins davon, aufgestellt von einem abtrünnigen Pythagoreer, besagt, dass die Seele eine Harmonie sei. Aristoteles interpretiert das als ein bestimmtes Verhältnis von Elementen. Auch diese Vorstellung erscheint ihm allzu vereinfachend, doch er sieht einigen Wert in ihr. Sie hat insofern einiges mit seiner eigenen Theorie gemein, als sie nicht von den Eigenschaften von Materie an sich abhängig ist, sondern vielmehr von der Weise, wie Materie geordnet ist. Denn als Aristoteles seine eigene Theorie vorstellt, argumentiert er, dass die Seele eines Lebewesens seine Form – sein eidos – in seinem Körper ist. Ich habe argumentiert, dass Aristoteles, wenn er von der »Form« oder »formalen Natur« eines Lebewesens spricht, häufig die Information meint, die erforderlich ist, um Materie zu einem Lebewesen einer bestimmten Art zu ordnen. Diese Interpretation basiert nicht nur auf den verschiedenen Analogien, die er nennt (Abdrücke in Wachs, Buchstaben und Silben), sondern auch auf der Tatsache, dass Formen auch vorhanden sind, wenn sie unsichtbar sind. Irgendwie sind sie im Samen eines Tieres präsent und verantwortlich für die Entwicklung des Embryos, das Erscheinungsbild und die Funktionen des adulten Tieres. Die Seele eines Tieres ist also seine Form, wenn auch unter ganz bestimmten Umständen: Wenn wir etwas Allgemeines über alle Arten von Seelen sagen müssen, wäre es der erste Akt eines natürlichen Körpers mit Organen.

Das Schlüsselwort hier ist »Akt« – entelecheia. Dieser Begriff gehört zur aristotelischen Fachsprache und kennzeichnet seine Theorie von der Seele in besonderer Weise. Er benutzt es häufig im Gegensatz zu »Potenz« – dynamis. Der Gegensatz zieht sich weit in seine Theorie vom Körperlichen. Jede Veränderung ist nach Aristoteles’ Ansicht die Verwirklichung eines Potenzials oder eben der Akt einer zugehörigen Potenz. Wenn er also die Seele einen Akt nennt, dann betont er damit, dass sie vorher nur potenziell existierte und dass sie aus etwas anderem entsteht. In Kombination mit der Behauptung, dass die Seele eines Lebewesens »seine Form in seinem Körper« ist, wird deutlich, was er meint: Die Formen unverschmolzener Keimzellen sind reine Potenziale und wenn diese Formen in wachsenden Embryonen und funktionsfähigen adulten Lebewesen verwirklicht werden, sind sie Seelen. Das alles ist immer noch unbefriedigend abstrakt. Aber Aristoteles verrät uns viel über die Eigenschaften von Seelen und diese wiederum sagen uns, worauf er hinauswill. Manche Eigenschaften sind recht allgemein und gelten für alles, was Seelen in allen Lebewesen tun; andere sind spezifischer und gelten nur für Menschen. Vier davon sind besonders aufschlussreich.

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Erstens besteht eine aristotelische Seele nicht aus Materie. Das wird in seinem Einwand gegen Demokrits rohen Materialismus deutlich, aber es folgt auch aus seiner Definition der Seele als die »Form in einem Körper«. Zweitens ist die Seele verknüpft mit dem Vorhandensein von Organen, was bedeutet, dass sie eine funktionelle Eigenschaft von Lebewesen ist. Drittens ist die Seele verantwortlich für Veränderungen in Lebewesen. Damit meint er, dass sie die Vorgänge im Körper reguliert: Wachstum, Erhaltung, Altern, Bewegung, Empfindung, Gefühle und das Denken selbst. Schließlich ist die Seele verantwortlich für die Ziele eines Lebewesens und damit letztlich für sein Überleben und seine Fortpflanzung. Aristoteles’ Verwendung des Begriffes entelechia zur Beschreibung der Seele verrät uns, für wie wichtig er sie hielt, denn der Begriff leitet sich teilweise von telos her, dem Zweck oder Ziel. Auch dieses Konzept ist tief verwurzelt – in seiner Metaphysik. Die Seele, sagt er, ist »ein Wesen [ousia] im Sinne einer Definition [logos]«. Damit will er sagen, dass die Seele eines Lebewesens die Summe seiner funktionellen Merkmale ist. Wäre ein Auge ein Lebewesen, sagt er, wäre seine Seele das Sehen. Er legt sich so sehr auf das Konzept fest, dass funktionelle Merkmale ein Lebewesen definieren, dass er sogar meint, wenn ein Auge nicht sehen könne (weil es beschädigt ist), dann sei es eigentlich gar kein Auge mehr, sondern nur noch ein Auge »dem Namen nach« – wie die Augen, die griechische Seeleute auf den Bug ihres Schiffes malen.* Er beharrt darauf, dass eine Leiche kein Mensch sei, da sie keine Seele habe. Aus diesen Blickwinkel verschwendet ein Tintenfischmännchen, das mit einem toten Weibchen kopuliert, nicht nur seine Zeit, sondern begeht auch einen schweren philosophischen Fehler.

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eelen tragen also eine schwere Last. Sie umfassen nicht weniger als drei von Aristoteles’ vier erklärenden Ursachen – Formursache, Wirkursache und Zweckursache – und überlassen der Materie, aus der sie bestehen, nur noch die Stoffursache. Doch trotz all ihrer offenkundigen Bedeutung bleiben Seelen geheimnisvoll. Was kann schließlich den Stoff bewegen, aus dem Lebewesen bestehen, seine Ziele enthalten und dennoch selbst ungegenständlich sein? * In der Praxis ist er nicht immer so puritanisch funktionalistisch: Er spricht ohne Einschränkung vom Auge eines Maulwurfs, obwohl er uns dabei schildert, dass Maulwürfe wegen einer Hautschicht über den Augen blind sind.

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Angesichts dieser anspruchsvollen Kriterien haben Gelehrte schon geschlussfolgert, dass Aristoteles, wenn er von der Seele spricht, eine Art spirituelle Kraft beschwört. Diese Interpretation einer »spirituellen Seele« gibt es in verschiedenen Ausprägungen, die sich aus zwei grundverschiedenen Traditionen ableiten: der Biologie und der Geistesphilosophie. Das Endergebnis ist allerdings weitgehend dasselbe – eine unnötige Mystifizierung dessen, was Aristoteles meint. In der geistesphilosophischen Version ist Aristoteles ein kartesischer Geist-Körper-Dualist, der glaubt, dass Geisteszustände unabhängig vom Körper existieren; wenn er von der Seele spricht, meint er in Gilbert Ryles Worten einen »Geist in der Maschine«. Wenn Aristoteles den »aktiven« Intellekt erörtert, bieten sich in der Tat einige Abschnitte für diese Interpretation an, aber Gelehrte verzweifeln an ihnen, weil sie so unvereinbar sind mit allem, was er sonst über die Beziehung zwischen Seelen und Geisteszuständen schreibt. Zum einen verneint Aristoteles, dass Seelen Agenzien sind. Besonders deutlich macht er das, wenn er über Gefühle spricht. Er betont, dass jedes Gefühl, das wir unseren Seelen zuschreiben könnten (Freude, Verzweiflung) in unseren Körpern als physiologische Antwort zu sehen ist (Lachen, Tränen). Aber er geht noch weiter und argumentiert, dass unsere Neigung, diese Antworten als Folge des Seelenzustands zu sehen, falsch ist; sie sind vielmehr die Seele: Zu behaupten, die Seele sei zornig, ist so, als würde man sagen, dass die Seele webt oder baut. Denn es ist vielleicht besser zu sagen, dass nicht die Seele Mitleid hat, lernt oder denkt, sondern dass Menschen diese Dinge tun.

Und: Denken, Lieben oder Hassen betreffen nicht den Geist, sondern denjenigen, der den Geist hat, in dem Ausmaß, in dem er ihn hat. Im Grunde hören Erinnerung und Liebe in dem Moment auf zu existieren, wenn dieser vergeht, da sie nicht ein Teil des Geistes waren, sondern zu dem zusammengesetzten Ding gehörten, das untergegangen ist.

Aristoteles versucht, den »Homunkulus« auszuroden. Er greift die Vorstellung an, dass es in uns allen eine kleine, körperlose Person gibt – ein Ich –, die unsere Gedanken denkt, unsere Hassobjekte hasst, unsere Liebesziele liebt und auf eine geheimnisvolle Weise unsere Körpermaschine steuert. Er hat nicht das Descartes’sche Problem, erklären zu müssen, wie eine ungegenständliche Seele den Körper bewegt.

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In der biologischen Version der »spirituellen Seele« ist Aristoteles ein Vitalist. Ein Vitalist glaubt, dass Lebewesen eine Eigenschaft haben, die weder in unbelebter Materie zu finden ist noch aus ihr abgeleitet werden kann; er verneint, dass Lebewesen eigentlich nur sehr komplexe Maschinen sind, und glaubt an die Autonomie des Lebens. Im 18. und 19. Jahrhundert tobte vor allem in Deutschland ein Krieg zwischen Biologen und Philosophen, die glaubten, dass Lebewesen nur Maschinen seien, und denen, die das nicht taten. Letztere waren sämtlich beeindruckt von dem, was auch Aristoteles so imponierte: die Zielgerichtetheit von Lebewesen. Die Teleologie war eine Einladung, das Erklärungsvakuum mit wohlklingenden, wenn auch leeren, Phrasen zu füllen: nisus formatus, Bildungstrieb, Lebenskraft, vis vitalis, vis essentialis und Ähnliches mehr. Der letzte Wissenschaftler von gutem Ruf, der stolz das Abzeichen der Vitalisten trug, war Hans Driesch (1867–1941). Der in seiner Jugend brillante Experimentator und Mitbegründer der Entwicklungsmechanik wandte sich im mittleren Alter von der mechanistischen Theorie ab und wurde zum überzeugten Vitalisten, der argumentierte, dass keine Maschine ein Lebewesen konstruieren könnte, nicht einmal im Prinzip. »Aber das könnte nichts weiter bedeuten, als dass die lebendige Maschine komplexer ist als alles, woran Driesch denkt«, witzelte Edward Conklin 1914 süffisant, und heute ist Driesch, wenn überhaupt, nur noch als Lehrbeispiel für die Gefahren bekannt, den Labortisch zu verlassen und sich in das luftige Reich der Philosophie zu begeben. In einer unglücklichen Hommage an Aristoteles nannte Driesch seine Lebenskraft »Entelechie«. Geist-Körper-Dualisten lauern vielleicht immer noch in den dunklen Ecken der Philosophie-Fakultäten, aber die Vitalisten sind in der Biologie ausgestorben. Die Zielgerichtetheit von Lebewesen wurde durch die natürliche Auslese erklärt, die uns verrät, warum Lebewesen Ziele haben und was das für Ziele sind, durch die Physiologie und die Biochemie, die uns erklären, wie sie diese Ziele erreichen, und durch die Genetik, die uns erklärt, wo diese Ziele gespeichert sind und wie sie von den Eltern an die Kinder weitergegeben werden. Aristoteles’ Zweck-, Wirk- und Formursache – all die Arbeit, die er in die Seele gesteckt hat – haben die verschiedenen Zweige der Biologie absorbiert und unter sich aufgeteilt. Es stellt sich also die Frage: Erlag Aristoteles, der diese nahtlose Erklärungshierarchie nicht kannte, der Kant’schen Verzweiflung und zwangsverpflichtete einen althergebrachten Begriff, »Seele«, als Platzhalter für die Lücke zwischen unbelebter Materie und all den Dingen, die Lebewesen tun? Wenn ja, ist er ein Vitalist. Oder verwendete er »Seele« als Begriff, um die Vorgänge zu umfassen, durch die Lebewesen sich entwickeln und funktionieren? Vorgänge, von denen er – zu Recht oder Unrecht – dachte, sie ließen sich problemlos mit den Begriffen der

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Naturwissenschaft seiner Zeit erklären? Wenn ja, dann ist er ein Materialist – wenn auch ein sehr intellektueller. Es heißt manchmal, alle modernen Biologen seien insofern »Materialisten«, als all unsere Erklärungen die grundlegenden Eigenschaften der Materie berücksichtigen – Chemie und Physik. Aber kein Biologe ist ein naiver demokritischer Materialist, denn alle sind sich einig, dass die charakteristischen Eigenschaften von Lebewesen von der Ordnung der Materie abhängen. Die Elemente sind zwar notwendig, aber nicht hinreichend für das Leben. Ein Ordnungsprinzip – Information – wird ebenfalls gebraucht. Wir sind, um einen neuen Begriff in den Raum zu werfen, »informierte Materialisten«. Das war auch Aristoteles’ Ansicht. Deshalb identifiziert er psychē als den Akt von eidos. Und das ist nur der Anfang. Die Seele erscheint in seinem Buch über Entwicklungsbiologie und Erblichkeit – De generatione animalium –, in seinem Buch über die Fortbewegung der Tiere – De motu animalium –, in seiner funktionellen Anatomie – De partibus animalium – und vor allem in seiner Physiologie – De longitudine et brevitate vitae und De juventute et senectute, De vita et morte. Kurz gesagt, die Seele durchdringt Aristoteles’ Biologie. Wenn wir alles sichten, was er über ihre Funktionsweise sagt, wird deutlich, dass er eine detaillierte und zusammenhängende Darstellung geliefert hat, die viele Ebenen der biologischen Organisation umfasst und erklärt, wie Tiere Materie aus der Umgebung ziehen, sie umwandeln, die umgewandelte Materie in ihrem Körper verteilen und sie nutzen, um zu wachsen, sich zu erhalten, sich fortzupflanzen, die Welt wahrzunehmen und auf sie zu reagieren – und dass die Form, Struktur oder Organisation aller dieser Aktivitäten die Seele ist. Das Ergebnis ist eine Vision, die gleichzeitig verstörend fremd und überraschend vertraut ist. Sie ist fremd, wenn wir bedenken, dass wir über die »Seele« sprechen, einen Begriff, der nach unserer religiösen und philosophischen Tradition gewöhnlich auf Einheiten angewandt wird, die nur am Rande mit der physikalischen Welt in Verbindung stehen, wenn überhaupt; aber sie ist sehr vertraut, wenn wir den Begriff selbst ignorieren und uns dem widmen, was Aristoteles zu verstehen versucht – die treibende Kraft des Lebens.

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ristoteles teilt die Seele nach ihren Funktionen auf. Alle Lebewesen haben eine »nährende« Seele, die für die Ernährung – trophē – zuständig ist und für alles, das daraus herrührt, aber nur Tiere (und Menschen) haben eine »sensitive« Seele, die Wahrnehmung, Appetit und

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Fortbewegung steuert. (Er ist der Meinung, dass Pflanzen weder ihre Umgebung wahrnehmen noch auf sie reagieren.) Menschen haben außerdem noch eine »rationale« Seele. Diese Unterseelen sind Bestandteile eines größeren Ganzen, kurz gesagt: Untersysteme der Seele. Die nährende Seele ist die erste Seele, die in der Entwicklung eines Tieres auftritt. Ihre Kräfte sind umfassend. Sie herrscht über die Beschaffung, Umwandlung und Verteilung der Nahrung und damit über das Wachstum und die Erhaltung von Lebewesen, ihren Verfall durch das Altern und die Verewigung ihrer Formen durch Fortpflanzung. Sie hält sie zusammen und verhindert, dass sie zu Staub zerfallen. Um es prägnanter zu formulieren: Wenn Aristoteles über die nährende Seele eines Lebewesens spricht, redet er über die Struktur und die Steuerung seines Metabolismus, also seines Stoffwechsels. »Metabolismus« kommt vom griechischen metabolē und bedeutet wörtlich »Umwandlung«. Ein sehr aristotelischer Begriff. Der Metabolismus ist das System, durch das ein Lebewesen Materie aus der Umwelt aufnimmt, sie in den Stoff umwandelt, den es braucht, und dann an die Stellen verteilt, an denen es ihn braucht. Er ist ein offenes chemisches System – das meinte Schrödinger, als er davon sprach, dass das Leben sich aus negativer Entropie speist. Aristoteles nahm Lebewesen ebenfalls als offene Systeme wahr: Wir müssen dies [einen wachsenden gleichförmigen Teil] wie einen stetigen Wasserstrom verstehen. Verschiedene Teile entstehen nacheinander. So wächst die Materie, aus der das Fleisch besteht: Ein Teil wird durch den Fluss abgetragen, ein anderer dazugespült. Nicht zu jedem Teil wird etwas hinzugefügt, aber zu jedem Teil, der zur Gestalt und Form gehört.

Aristoteles vergleicht die Entstehung eines Tieres oft mit der Herstellung menschlicher Gegenstände: Äxten, Statuen, Betten und Häusern. Aber hier sagt er, dass ein Tier ganz und gar nicht wie ein Haus ist. Wenn ein Tier sich selbst zusammensetzt, fügt es nicht einfach hier und da Fleisch hinzu wie Backsteine, bis es fertig ist; die Materialdynamik von Tieren ist viel komplizierter, da sie sich auch im Wachstum auch noch selbst erhalten. Es gibt, um es mit den Fachbegriffen der Biologen auszudrücken, einen ständigen »Umsatz« von Materialien und Wachstum lässt sich auf den Zuwachs von Materie über diesen Umsatz hinaus zurückführen. Dies ist ein zentrales Konzept für Aristoteles’ Physiologie und auch der Ausgangspunkt für jedes moderne physiologische Wachstumsmodell. Die Überzeugung, dass Lebewesen Nahrung in gleichförmige Teile umwandeln, erscheint kaum wie eine überraschende Einsicht, doch sie scheint seine ureigene zu sein. Er schreibt, dass es unter seinen Vorgängern zwei Ansichten

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darüber gab, wie die gleichförmigen Teile wachsen. Manche behaupteten, dass Lebewesen mehr x (Fleisch, Knochen, was auch immer) herstellen, indem sie einfach x fressen. Nennen wir es das »additive« Modell der Ernährung. Andere waren feinsinniger: Sie glaubten, dass Lebewesen mehr x herstellen, indem sie sein Gegenteil fressen. Diese »Antimaterie«-Theorie ist schwer zu verstehen und Aristoteles’ Erläuterung, dass »man sagen kann, dass Wasser das Feuer nährt«, ist nicht sehr hilfreich, aber sie enthält – wenn auch in eigentümlicher Form – das Konzept der Umwandlung. Aristoteles gibt denn auch zu, dass die »Antimaterie«-Theorie ein Körnchen Wahrheit enthält. Dennoch sagt er ganz klar, dass eine viel allgemeinere Umwandlungstheorie nötig sei. Einige chemische Notationen zeigen, was für ein Fortschritt seine Theorie im Vergleich zu denen seiner Vorgänger war. Wenn wir die »additive« Theorie formulieren als x ➝ x und die »Antimaterie«-Theorie als Anti-x ➝ x, dann lautet Aristoteles’ allgemeine Theorie x ➝ y. Oder, um es mit seinen Worten zu sagen, eine Art von Materie, x, »geht dahin«, während gleichzeitig eine andere, y, »sich entwickelt«. Aber eigentlich ist das noch zu einfach, da Aristoteles glaubt, dass gleichförmige Teile aus einem System von seriellen und parallelen Umwandlungen entstehen: x ➝ y ➝ z etc. oder x ➝ y + x ➝ z etc. Das heißt, er ist der Meinung, dass metabolische Umwandlungen als Kette oder sogar als Netzwerk angeordnet sind. Aus dieser einfachen, aber prägnanten Idee konstruiert Aristoteles ein ganzes System. Bei Bluttieren wird die Nahrung von den Zähnen zermahlen, im Verdauungssystem zerlegt, in Gekröse, Leber und Milz transportiert, wo sie in reinere Nährstoffe zerlegt und dann über die Venen weiter zum Herzen transportiert und dort erneut umgewandelt wird. Das Produkt dieser letzten Umwandlung ist das Blut, das wesentliche Zwischenglied, aus dem sich alle gleichförmigen Teile der Tiere ableiten. Das Blut wird über das Gefäßsystem im ganzen Körper verteilt und an den entsprechenden Stellen in Fleisch, Fett, Knochen, Samen und so weiter umgewandelt. Aristoteles erklärt, wie jeder gleichförmige Teil sich aus den anderen ableitet oder mit ihnen verwandt ist. Fleisch entsteht aus dem »reinsten« Nährstoff, weswegen andere gleichförmige Teile aus dem Rest entstehen müssen; was noch übrig bleibt, wird ausgeschieden. Aristoteles präsentiert sein Modell nirgendwo als Ganzes, aber wenn man seine Texte durchkämmt, kann man ein Schaubild erstellen, das einem modernen metabolischen Netzwerk ähnelt und den Ursprung aller gleichförmigen Teile, Flüssigkeiten und Abfallstoffe erklärt, die er erwähnt.* Es ist Aristoteles’ Vision der Körperökonomie im Ganzen.

* Ein Diagramm von Aristoteles’ metabolischem Netzwerk findet sich in Anhang B2.

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ass Materie Lebewesen durchfließt, von ihnen in verschiedene gleichförmige Teile umgewandelt wird, die sie zum Leben brauchen, und auf diese verschiedenen gleichförmigen Teile auf eine Weise verteilt wird, die ökonomischen Gesetzen unterliegt – das sind die Elemente jeder Metabolismus-Theorie. Aber jede solche Theorie muss durch die Chemie abgesichert sein. Aristoteles hat eine chemische Theorie, aber es ist keine gute. Sie beginnt mit den traditionellen vier Elementen. Nahrung und all ihre Derivate – die gleichförmigen Teile – sind Zusammensetzungen aus diesen Elementen in bestimmten Verhältnissen. Aristoteles schreibt Empedokles dieses Konzept zu und Empedokles gibt tatsächlich sogar eine Formel für Knochen an: E2W2L0F4, wobei E für Erde steht, W für Wasser, L für Luft und F für Feuer. Aristoteles dagegen bleibt sehr unbestimmt, was die Formeln für die gleichförmigen Teile angeht, und sagt allgemein über sie, dass sie nur aus Erde und Wasser bestehen: Harte gleichförmige Teile (Knochen, Nägel, Hufe, Hörner etc.) enthalten viel Erde und wenig Wasser, weiche gleichförmige Teile (Fett, Samen, Menstruationsflüssigkeit) wenig Erde und viel Wasser; das Fleisch liegt irgendwo dazwischen. Aristoteles behauptet, eine solche Formel sei ein Schritt hin zur Definition jedes gleichförmigen Teils. Das klingt auch logisch, denn die Zusammensetzung bestimmt seine funktionellen Eigenschaften. All das ist recht intuitiv zu erfassen. Aber bohrt man tiefer, tauchen Schwierigkeiten auf. Aristoteles schilt Empedokles, weil er sich die gleichförmigen Teile nur als Mischungen vorstellt – als zusammengeballte Haufen von Elementen. Das sind sie aber nicht, sagt er; es sind Zusammensetzungen, echte neue Substanzen. In Ordnung, aber wie entstehen solche Zusammensetzungen? Unsere Chemie basiert auf einer Molekulartheorie materieller Substanz. Gerade die Offensichtlichkeit dieser Theorie macht sie so ergiebig, da sie eine Vielzahl möglicher Umwandlungen – »Reaktionen« – und zahllose molekulare Spezies mit jeweils eigenen charakteristischen physikalischen Eigenschaften erlaubt. Aber Aristoteles hat Demokrits Atomlehre verworfen, daher bestehen seine Zusammensetzungen bis auf die kleinste mikroskopische Ebene hinunter aus vollständig zusammenhängender Materie. Wie können aber verschiedene Arten zusammenhängender Materie sich zu einer neuen Art zusammenfinden? Aristoteles gibt uns kein Modell und keine

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Metapher zur Erläuterung und mir fällt keine ein, die das erklären könnte. Er sagt, wenn Elemente ein mixis bilden, werden sie zu etwas ganz Neuem umgewandelt, doch er beharrt darauf, dass diese Elemente immer noch existieren, oder das zumindest »potenziell« tun.* Tatsächlich müssen die Elemente in einer Mischung existieren, denn seine chemische Theorie basiert auf ihrem Wiederauftauchen während der Umformung. Die Wurzel des Problems ist klar. Als Aristoteles die Atomlehre ablehnte, verwarf er auch jede Molekulartheorie der chemischen Verbindungen. Damit weist er jede Theorie zurück, in der Elemente Bausteine neuer Substanzen sein können und dennoch selbst unverändert bleiben und von Lebewesen beliebig wiederverwendet werden können. Hitze wandelt Nahrung in die verschiedenen gleichförmigen Teile um. Aber Aristoteles hat Mühe, das Wesen der Hitze zu verstehen. Er merkt an, dass »heiß« und »kalt« in vielen Bedeutungen verwendet werden können, was sicherlich stimmt. Daher ist es schade, dass er sie so willkürlich einsetzt. Alle Lebewesen, glaubt er, besitzen eine innere Quelle von »lebenswichtiger Hitze« (außer den Embryonen, die ihre Hitze von den Eltern bekommen) und fühlen sich deshalb warm an. Dieses innere Feuer, das nicht dasselbe ist wie normales Feuer, wird durch die Nahrung erhalten – »Feuer«, sagt er, »entsteht immer und fließt wie ein Fluss« – und wie jedes Feuer muss es gefüttert werden.** Dieses innere Feuer treibt die »Verkochung« an, einen analogen Vorgang zum »Garen«, »Grillen« oder »Kochen«; diese Prozesse, so glaubt er, vertreiben alle die innere Hitze und Feuchtigkeit einer Mischung und hinterlassen erdiges Material in unterschiedlichen Proportionen. Die Verkochung erscheint als ein recht grobes Mittel, und das ist sie auch, aber Aristoteles argumentiert, dass die geschickte wiederholte Anwendung von Hitze auf rohe Nahrung, Blut und anschließend abgeleitete Zusammensetzungen alle verschiedenen Arten von Materie ergibt, aus denen Lebewesen bestehen. Es mag so scheinen, als hätte ich über die Beschreibung von Aristoteles’ metabolischem Modell und der zugrunde liegenden Chemie die Seele ganz

* Hier könnte der unaufmerksame Leser in eine Falle tappen. Für Aristoteles ist synthesis das Entstehen einer Mischung (eine Zusammenballung von Teilen) und mixis die Bildung einer Zusammensetzung (eine neue Substanz). Verwirrenderweise bedeuten unsere heutigen verwandten Begriffe »Synthese« und »Mix« (für »Mischung«) jeweils genau das Gegenteil. In Übersetzungen wird das nicht immer deutlich. ** Die Vorstellung eines inneren Feuers ähnelt natürlich unserem eigenen Konzept der Zellatmung, die im wörtlichen Sinn eine langsame Verbrennung ist. Aber während für Aristoteles das wichtige Produkt des inneren Feuers die Hitze selbst ist, sind es für uns hochenergetische Bindungen wie die in der ATP-getriebenen »Verkochung« – dem makromolekularen Katabolismus – und die Hitze nur ein Nebenprodukt.

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vergessen. Aber tatsächlich rede ich die ganze Zeit von der Seele. Das System, das ich beschrieben habe – die Struktur des metabolischen Netzwerks – ist die nährende Seele oder wenigstens ein Teil davon. Der Zweck, für den ein Lebewesen seine Nährstoffe verwendet, wie viel es von jeder Art von gleichförmigen Teilen herstellt und wann und wo es das tut, sein Wachstum, seine Fortpflanzung und sein Tod – all das hängt von der Organisation des Metabolismus ab und alles hängt, sagt uns Aristoteles, von der nährenden Seele ab. Doch es steckt noch mehr hinter der nährenden Seele: Manche glauben, das Feuer sei der Hauptgrund für Ernährung und Wachstum. Das stimmt nicht – die Seele ist es, auch wenn das Feuer vielleicht ein beisteuernder Faktor ist. Feuer wachsen immer weiter, solange es Nahrung gibt, aber die Größe und das Wachstum aller natürlich zusammengesetzten (also lebendigen) Dinge sind beschränkt und definiert: Es ist die Aufgabe der Seele, nicht des Feuers, Merkmale zu definieren und nicht Materie.

Wir müssen uns vorstellen, wie Aristoteles vor einem Herd sitzt (wie Heraklit es angeblich tat), ins Feuer starrte, gelegentlich darin herumstocherte, über das Feuer nachdachte, das hell in ihm brennt, das ihn am Leben hält, das seine Gedanken offenbar unendlich fließen lässt und die Welt dabei verschlingt. »Feuer entsteht immer und fließt wie ein Fluss« – wie wahr. Aber kein Feuer kann ewig ungehindert brennen, weil es sich selbst verzehrt. Alle Feuer müssen genährt, geschürt, gedämpft – reguliert – werden, wenn die schwache Flamme der Existenz erhalten werden soll. Auch das ist die Aufgabe der Seele.

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ristoteles sagt, dass Schildkröten fauchen, kopulieren und Panzer haben. Außerdem haben sie eine große Lunge, eine kleine Milz, einen einfachen Magen und eine Blase; männliche Schildkröten haben innere Hoden und ihre Samenleiter laufen zu einem »Organ« zusammen. Offensichtlich hat er also eine seziert. Mindestens eine Schildkröte hatte er noch lebend unter dem Messer, denn er sagt auch, wenn man das Herz einer Schildkröte herausschneidet und ihr dann den Panzer wieder aufsetzt, zappelt sie weiterhin mit den Beinen. Aristoteles hat keine Haustiere, er hat Prüfobjekte. Er vivisezierte sie mit einer Begeisterung, die inzwischen aus der Mode gekommen ist. »Nachdem man es über seine gesamte Länge aufgeschnitten hat, atmet es« – das Chamäleon – »noch eine lange Zeit weiter.« Auch Insek-

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ten scheinen es erstaunlich lange zu überleben, halbiert zu werden. (Er scheint anzunehmen, und das ohne Zweifel zu Recht, dass seine Leser wissen, dass Hühner, Ziegen, Hunde und Menschen ohne Herz nicht lange überleben.) Das erscheint alles recht brutal, aber diese Beobachtungen werden sorgfältig erwogen, denn wenn Aristoteles viviseziert, ist er auf der Suche nach dem Sitz der Seele. Wo befindet sich die Seele? Die aristotelische Antwort lautet »überall« und »nirgends«. Die Seele eines Lebewesens ist schließlich kein physikalisches Objekt, sondern die Summe seiner funktionellen Merkmale. Diese Binsenweisheit schließt jedoch die Möglichkeit nicht aus, dass das eine oder andere Organ besonders wichtige regulatorische Aufgaben erfüllt. Bei Bluttieren – Wirbeltieren – nimmt Aristoteles an, dass es sich bei diesem Organ um das Herz handelt. Eine seltsame Wahl, könnte man meinen: Warum nicht das Gehirn? Aber das lässt sich leicht beantworten: Die wichtigste Aufgabe der Seele ist die Ernährung, und das ist natürlich keine Aufgabe für das Gehirn. Na schön – aber was hat das Herz mit der Ernährung zu tun? Alles, erwidert Aristoteles. An dieser Stelle nimmt seine Physiologie eine seltsame Wendung. Insofern, als die Nährstoffe im Blut transportiert werden, muss das Herz-KreislaufSystem zwar irgendwie beteiligt sein, aber Aristoteles setzt das Herz in seiner Ernährungsphysiologie an vorderste Front. Er glaubt, dass es der Hauptort der Verkochung ist; dass in der Tat das »Kochen« bei der Verkochung das Herz in Bewegung hält. Das Herz ist der Hauptort der Verkochung, weil es also der Sitz des »inneren Feuers« ist. Wir halten es für eine Pumpe, er für einen chemischen Reaktor. Er nennt es die »Zitadelle des Körpers« und sagt, es hätte die »oberste Kontrolle«.

chelōnē – Landschildkröte – Testudo sp. Längsschnitt

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Natürlich sind nicht alle Tiere Bluttiere. Aber wenigstens einige blutlose Tiere haben etwas Blutähnliches und auch so etwas wie ein Herz. Deshalb missdeutet er die mytis des Tintenfisches so schnell als Herz-Analogon. Er begeht jedoch nicht den Fehler, dieses kardiozentrische Modell der Seele auf alle Tiere anzuwenden. Da einige Insekten sich weiterbewegen, »wenn sie geteilt werden«, folgt daraus, dass jeder Körperteil »alle Teile der Seele« besitzen muss. Alle Teile? Das klingt übertrieben, auch wenn die Fähigkeit etwa eines Gottesanbeterin-Männchens, selbst dann mit dem Koitus fortzufahren, wenn seine Partnerin gerade seinen Kopf frisst, ein gutes Argument dafür ist. Wahrscheinlich denkt er dabei an Hundert- und Tausendfüßer, da er sagt, sie seien wie »Verschmelzungen vieler Tiere«. All diese Vivisektionen bringen Aristoteles zu dem Schluss, dass Pflanzen, Insekten, Reptilien und Säugetiere zunehmend zentralisierte Seelen haben. Er meint, dass zentralisierte Seelen »besser« sind als verteilte. Genau im Zuge dieser Untersuchungen vivisezierte er eine Schildkröte. Ich habe Aristoteles’ Beobachtung nicht wiederholt, aber ein ungewöhnlich empirisch gesinnter Philosoph sagt, er hätte es getan. Er behauptet, ebenfalls zu Aristoteles’ Ergebnis gekommen zu sein, obwohl er seinem Protokoll nicht ganz gefolgt war und seine Sumpfschildkröte aus Mitgefühl zuerst enthauptet hatte.

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ischylos war gerade zu Besuch auf Sizilien, als ein Adler seinen Kahlkopf mit einem Felsen verwechselte, eine Schildkröte auf ihn fallen ließ und ihn damit tötete. Die Schildkröte starb vermutlich auch, denn der einzige Teil der Geschichte, der mit Sicherheit stimmt, ist die Tatsache, dass Steinadler tatsächlich Schildkröten greifen, mit ihnen auffliegen und sie aus großer Höhe fallen lassen, um sie wie eine Nuss zu knacken. Hier geht es aber weder um den Dramatiker noch um die Schildkröte; einer ist nur der zufällige Amboss und die andere Nahrung – die Bedeutung der Geschichte liegt darin, wie der Adler diese Leistung vollbrachte. Bäte man einen Neurophysiologen, die beteiligten Mechanismen zu skizzieren, würde er eine Kausalkette beschreiben, die mit einem Ziel beginnt (körperliche Erhaltung), eine »appetitive Motivationskraft« (Hunger), Wahrnehmung (der Schildkröte und von Aischylos’ Kopf), eine Reihe von Berechnungen (wie und wann die Schildkröte zu greifen, zu tragen und fallen zu lassen ist) und motorische Antworten erfordert, um entsprechend zu handeln. Er würde sagen, dass die Physiologie, die einigen dieser Vorgänge zugrunde liegt, hinlänglich bekannt ist, dass andere im Dunkeln liegen und

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dass ziemlich unklar ist, wie das alles zusammenwirkt. Er würde darauf hinweisen, dass wir schon Schwierigkeiten damit haben, ein Berechnungsmodell für einen Wurm aufzustellen, der sich durch eine Petrischale windet, ganz zu schweigen von einem Adler auf der Jagd. Aristoteles versucht sich auch an einer mechanistischen Erklärung von Tieren in Bewegung. Er skizziert, wie die Sinne funktionieren, wie sie Informationen an das Sensorium übermitteln, wie diese Informationen im Hinblick auf die Ziele des Tieres eingebunden werden und wie sie in den Gliedmaßen in mechanische Aktion umgewandelt werden. Dieses System erhielt (von zwei klassischen Philosophen) sogar eine sehr wissenschaftlich klingende Abkürzung: CIOM-Modell, für »Centralized Incoming Outgoing Motions« (zentralisierte eingehende und ausgehende Bewegungen). Aristoteles nennt es einfach die sensitive Seele. Unter jedem Namen ist es vage, seine Physiologie ist falsch, seine Struktur jedoch scharfsichtig erkannt. Die Wahrnehmung erfordert offensichtlich die Übertragung von Informationen über die Welt in das Innere eines Tieres. In Aristoteles’ Worten ist Wahrnehmung die Übertragung der Form eines Gegenstands ohne seine Materie. Dieser Vorgang beginnt mit den fünf Sinnen: Sehen, Riechen, Schmecken, Hören, Fühlen und den dazugehörigen Sinnesorganen. Er nimmt an, dass es durch die Wahrnehmung zu einer qualitativen Veränderung in einem Sinnesorgan kommt. Das impliziert, dass der wahrgenommene Gegenstand Kontakt mit ihm aufnehmen muss. Man versteht leicht, wie kontaktabhängige Veränderungen beim Fühlen, Schmecken, Hören und vielleicht beim Riechen funktionieren. Mit dem Sehen ist es schwieriger. Empedokles und Platon argumentierten, dass in den Augen ein Feuer brennt und dass Lichtstrahlen von diesem Feuer zum gesehenen Gegenstand wandern. Aristoteles weist pointiert darauf hin, dass wir im Dunkeln sehen können müssten, wenn diese Fackelstrahl-Theorie wahr wäre. Wir könnten nun mit Fug und Recht vermuten, dass seine eigene Theorie vom Licht einfach das Gegenteil ist: Lichtstrahlen dringen aus einer Quelle und fallen in unsere Augen, wo sie eine Veränderung bewirken. Das jedoch sagt Newton, nicht Aristoteles. Aristoteles nimmt an, dass manche Medien – Luft und Wasser – die Eigenschaft haben, entweder undurchsichtig oder transparent zu sein. Wenn ein solches Medium der Sonne oder einem Feuer ausgesetzt ist, wird es durchsichtig. Licht ist also kein Strahl, keine Welle und kein Partikel, sondern eine Eigenschaft, eine Verwirklichung eines Potenzials. Wenn wir durch ein transparentes Medium hindurch einen Gegenstand betrachten, regen seine Form und seine Farben Bewegungen im Medium an, die zu unseren Augen wandern, wo sie eine Veränderung herbeiführen. Jedes Sinnesorgan nimmt bestimmte Arten von Veränderungen in der

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Welt wahr; diese Spezifität hängt mit der elementaren Zusammensetzung ihrer gleichförmigen Teile zusammen. Um Farbe und Form wahrzunehmen, müssen Augäpfel transparent sein und bestehen daher aus Wasser; um Berührungen wahrzunehmen, muss Fleisch aus etwas Festem gemacht sein und besteht daher aus erdiger Materie. Seine Darstellung, was tatsächlich im Auge geschieht, wenn wir einen Gegenstand sehen, bleibt recht obskur. Wahrscheinlich glaubt er, dass der Augapfel eine Art physikalische Umwandlung erfährt. Auf jeden Fall ist er der Meinung, dass der Kontakt mit Sinnesorganen eine Kette physikalischer Auswirkungen anstößt, die bis in den Körper reichen. Das Ziel dieser Kette ist das zentrale Sensorium, der Ort der Wahrnehmung selbst. Nach antiker anatomischer Tradition hielt Platon das Gehirn für das zentrale Sensorium und hier hatte er sogar einmal recht. Aristoteles geht natürlich davon aus, dass es das Herz ist. Sein Hauptargument lautet, dass es eine einzelne, zentrale Grundlage für alle Funktionen der Seele geben sollte. Damit seine Theorie funktioniert, braucht er natürlich eine physikalische Verbindung zwischen dem Herzen und den peripheren Sinnesorganen. Man könnte erwarten, dass er hier auf die Nerven hinauswill, aber die kennt er nicht. (Er benutzt den Begriff neuron, aber verwendet ihn für Sehnen; Herophilos sollte im folgenden Jahrhundert Nerven als eigenständiges Gewebe identifizieren.) Aristoteles nimmt daher an, dass die Übermittlung von Sinneseindrücken über das Netzwerk von Blutgefäßen funktioniert sowie über verschiedene »Kanäle«. Die meisten dieser »Kanäle« entsprechen nicht eindeutig einer Struktur in der modernen Anatomie, aber einer von ihnen ist wahrscheinlich, um die heutige Bezeichnung zu verwenden, der Sehnerv. Sein Argument stützt sich darauf, dass auf seine Durchtrennung durch einen Schlag auf den Kopf Blindheit folgt, als hätte man eine Laterne gelöscht. Es ist nicht klar, ob er glaubt, dass die Sinneseindrücke über die Gefäße/Kanäle selbst, das Blut oder etwas anderes übermittelt wird; auf jeden Fall ist die physikalische Kontinuität zwischen dem peripheren Sinnesorgan und dem zentralen Sensorium entscheidend. Die Kernfunktionen der sensitiven Seele laufen im Herzen ab. Dort werden die rohen Wahrnehmungen in mentale Abbilder übersetzt, die zusammen mit dem Begehren zu Aktionen werden. Aristoteles nimmt an, dass die Funktion der sensitiven Seele darin besteht, das Wohlergehen des Tieres unter anderem dadurch zu erhalten, dass es genug zu fressen bekommt und selbst nicht gefressen wird. Tiere erfahren die Welt daher in Form von Lust oder Schmerz, wie durch das Ziel der Selbsterhaltung definiert. Der Adler nimmt die Schildkröte mit Lust wahr, die Schildkröte den Adler mit Schmerz. Eine beliebige Wahrnehmung kann jedoch je nach innerem Zustand des Tieres auch entweder angenehm oder schmerzhaft sein: Ein Adler, der sich

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bereits den Bauch mit Schildkröten vollgeschlagen hat, wird vielleicht eine weitere verschmähen. Der Begriff, den Aristoteles für das mentale Abbild eines Gegenstands verwendet, lautet phantasia. Zur Erklärung personifiziert er: »›Ich muss trinken‹, sagt das Verlangen. ›Hier ist etwas zu trinken‹, sagt die Sinneswahrnehmung oder phantasia oder der Gedanke.« Er liefert natürlich keine mechanistische Darstellung von phantasia oder irgendeines anderen höheren kognitiven Prozesses, aber er versteht die Schwierigkeit. Nachdem er die Physiologie des Geruches erklärt hat, sagt er: »Aber der Geruchssinn ist mehr, als auf diese Weise von etwas betroffen zu sein, das riecht – was mehr? Lautet nicht die Antwort, dass die Luft zwar aufgrund der vorübergehenden Dauer der Handlung an ihr durch den riechenden Gegenstand selbst für den Geruchssinn wahrnehmbar wird, dass das Riechen aber ein Beobachten des hervorgerufenen Ergebnisses ist?« In der Tat. Phantasia und Verlangen mögen Blackboxes sein, aber wenn er erklärt, wie sie Handlungen hervorrufen, wird er wieder sehr physiologisch. Das Erhitzen und Kühlen des Herzens begleiten beide mentalen Ereignisse. Diese Temperaturveränderungen stoßen Bewegung an, die dann in die Gliedmaßen übertragen wird. Um die Funktionsweise zu erklären, führt er Apparate ins Feld, die er »automatische Puppen« nennt: Die Bewegung der Tiere ist wie die von automatischen Puppen, die durch einen kleinen Anstoß in Bewegung gesetzt werden: Die Schnüre werden losgelassen und die Glieder schlagen aneinander … denn sie [Tiere] haben funktionierende Teile von derselben Art: die Sehnen und Knochen. Letztere sind wie die Stifte und das Eisen in unserem Beispiel, die Sehnen wie die Schnüre. Wenn sie entspannt werden und locker sind, bewegt sich das Tier. In den Puppen … findet allerdings keine qualitative Veränderung statt. … Aber bei Tieren hat derselbe Teil die Fähigkeit, größer und kleiner zu werden und seine Form zu ändern; die Teile verändern sich qualitativ, wenn sie sich wegen der Hitze ausdehnen und sich wegen der Kälte wieder zusammenziehen.

Das Wort, das er für diese Puppen verwendet, heißt automata. Sie scheinen eine Art mechanischer Puppen gewesen zu sein. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass ihre Bewegungen nicht genau denen von Tieren entsprechen, da Tierbewegungen auch qualitative Veränderungen wie Ausweitung und Kontraktion umfassen wie etwa im Herzen. Dies stellt ihn vor ein weiteres anatomisches Problem. Er muss qualitative Veränderungen im Herzen in mechanische Veränderungen übersetzen und dann diese mechanischen Impulse auf die Gliedmaßen verteilen und er muss dabei nicht nur ohne Nerven, sondern auch ohne Muskeln auskommen.

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Nicht, dass die Griechen nichts von Muskeln gewusst hätten. Klassische Statuen von Athleten und Helden stellen sie schließlich in beneidenswert ausgeprägter Deutlichkeit dar. Hippokratische Texte bezeichnen Muskeln als mues – »Mäuse« –, bleiben aber vage, was ihre Funktionen angeht. Aristoteles meidet den Begriff ganz und nennt sie sarx – »Fleisch« –, das nach seiner Vermutung eine überwiegend sensorische Funktion hat. Die Auslöser lokalisierter Bewegungen sind für ihn Sehnen und eine Substanz, die er symphyton pneuma nennt. Pneuma, verschiedentlich wiedergegeben als »angeborenes Pneuma«, »heißer Atem«, »Geist« oder einfach SP, ist eine der geheimnisvollsten und doch mächtigen Substanzen in Aristoteles’ Chemie. Sie ist so etwas wie heiße Luft, aber ihre Hitze ist von besonderer Art, nicht wie die Hitze eines herkömmlichen Feuers. Sie ist analog zum göttlichen »ersten Element« (aithēr), aus dem die Sterne bestehen. Profaner gesagt, verleiht sie organischen Materialien besondere Eigenschaften: Olivenöl glänzt, schwimmt auf Wasser und gefriert nicht, weil es so viel pneuma enthält. Pneuma ist auch ein unmittelbares Werkzeug der Seele. Vom Herzen erhitzt oder gekühlt dehnt es sich aus und zieht sich zusammen und bewegt so die winzigen Sehnen des Herzens. Diese mechanischen Bewegungen werden wiederum an den Rest des Körpers übertragen. Wie sie das tun, ist nicht ganz klar, da Aristoteles weiß, dass das Netzwerk der Sehnen, anders als das der Knochen und Blutgefäße, nicht durchgehend ist. Dies ist ein weiteres Verbindungsproblem, ähnlich dem, wie die Sinneseindrücke aus den Sinnesorganen ins Herz gelangen. Wie auch immer es jedoch funktioniert, erkennt er, dass eine kleine Veränderung in den Bewegungen des Herzens so weit verstärkt werden kann, dass sie das ganze Tier bewegt. Dies ist seine Motivation für die automaton-Kausalität. Dann wechselt er das Bild und vergleicht die Art, wie sich Tiere bewegen, zusätzlich damit, wie eine große Änderung im Kurs eines Schiffes durch die kleinsten Bewegungen des Steuerruders erfolgt. Es ist vernünftig anzunehmen, dass Bewegungen von den Teilen zum »Ursprung« [archē] und vom »Ursprung« zu den Teilen und zueinander verlaufen. Dann kommen die Bewegungen von jedem Buchstaben in dem Diagramm, das wir gezeichnet haben, am Ursprung an und vom Ursprung, der sich bewegt und verändert, gehen die möglicherweise zahlreichen Bewegungen von B zu B, die von G zu G, die von beiden zu beiden. Aber um von B nach G zu gelangen, muss sie erst von B nach A, zu einer »Grundlage«, verlaufen und dann von A nach G, von einer Grundlage.

Am Ende von De motu animalium fasst Aristoteles seine Darstellung der tierischen Bewegung in einem einfachen geometrischen Diagramm zusammen:

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Herkules Farnese. Nach Lysipp, um 330 v. Chr.

Das ist eine komplizierte Art zu erklären, dass Bewegungen in peripheren Organen (B und G) angestoßen und ausgeführt werden, dass sie aber in jedem Fall immer durch A vermittelt werden – den Ursprung, das Herz, den Sitz der Seele. Hier sehen wir das Gerüst des CIOM-Modells; wir müssen ihm nur noch eine Gestalt geben.* Aristoteles lässt zu, dass Tiere ohne phantasma Aktionen durchführen können (unwillkürliche Bewegungen wie die des Herzschlags), und dass es phantasma gibt, die Aktionen ohne tatsächliche Sin-

* Ein Diagramm des gesamten CIOM-Modells befindet sich in Anhang B3.

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neswahrnehmungen in Gang setzen (Träume, Halluzinationen); auch, dass Menschen eine ganz andere Ebene der Kognition besitzen, nämlich nous – die Vernunft –, die ihre Aktionen reguliert. Unser Adler jedoch ist ein weitaus weniger komplexes Lebewesen. Als er über die sizilianischen Hügel dahinbraust, nimmt er das Glänzen von Aischylos’ Kopf wahr, errichtet ein (fehlerhaftes) phantasma in Form eines Felsens daraus, reagiert auf seinen unstillbaren Appetit, feuert sein pneuma an, lockert die Gelenke, entspannt die Sehnen, öffnet die Klauen, lässt die Schildkröte fallen, stößt todbringend auf sie nieder und befriedigt ganz einfach sein Verlangen.

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enn Aristoteles sagt, dass das Herz die »oberste Kontrolle« hat, meint er nicht nur, dass es in der Mitte des sensorischen und metabolischen Netzwerks sitzt – er meint »Kontrolle« in einem sehr wörtlichen Sinn. Er vergleicht die Organisation der Tiere mit der einer gut regierten Stadt. Ein zentrales Ordnungsprinzip, die Seele, bringt Dinge in Bewegung und der Rest folgt einfach. Am deutlichsten wird das an den Tätigkeiten der sensitiven Seele. Aber es gilt auch für die nährende Seele. Tief beeindruckt von der Fragilität des Lebens, sorgt sich Aristoteles, dass das innere Feuer des Herzens unkontrolliert lodert, all sein Brennmaterial verzehrt und so eine metabolische Krise herbeiführt. Er argumentiert daher, dass Tiere eine Vielzahl von Hilfsmitteln haben müssen, die ihr Feuer unter Kontrolle halten. Das wichtigste davon ist die Luft. Feuer, sagt Aristoteles, werden durch die Änderung des Luftstroms um sie herum reguliert. Auf dieselbe Weise reguliert die Luft aus der Lunge das Feuer des Herzens. So (i) dehnen sich die Lungen aus und saugen kühle Luft ein wie der Blasebalg eines Schmieds, (ii) fließt die kühle Luft zum Herzen und dämpft das innere Feuer, (iii) zieht das Herz sich zusammen, (iv) zieht die Lunge sich zusammen, (v) wird die frisch erhitzte Luft ausgestoßen, (vi) erhitzt das Herz sich erneut, (vii) dehnt das Herz sich aus, (viii) dehnen die Lungen sich aus, (ix) beginnt der Zyklus von Neuem. Ein genialer Mechanismus. Natürlich ist er vollkommen falsch.* Und er funktioniert nur bei Säugetieren, Vögeln und Reptilien; andere Tiere, sagt er, * Er ist anatomisch falsch – die Gefäße, die die Lunge mit dem Herzen verbinden, sind Lungenarterien und Lungenvenen, aber bei lebendigen Tieren sind diese mit Blut gefüllt und nicht, wie Aristoteles meint, mit Luft. Er ist chemisch falsch – da Aristoteles Lavoisier nicht gelesen

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müssen ihr inneres Feuer auf irgendeine andere Art kühlen. Bienen, Maikäfer, Wespen und Zikaden atmen durch ihre Haut*, Fische atmen gar nicht. Sie verschlucken keine Luft, sie sterben sogar, wenn man sie ihr aussetzt, also werden sie von dem Wasser gekühlt, das sie über ihre Kiemen aufnehmen. Aber viele kleine Kerbtiere (Insekten etc.) und Weichschalige (Hummer, Krebse und Ähnliche) brauchten gar nicht viel Kühlung, da ihr inneres Feuer einfach nicht so intensiv sei. Wenn Aristoteles erklärt, wie das innere Feuer kontrolliert wird, legt er die Funktionsweise der nährenden Seele bloß. Dies ist eine weitere Dimension seiner Teleologie. Er behauptet, die Seele sei verantwortlich für die Form-, Wirk- und Zweckursache, und zeigt dann alle drei bei der Arbeit. Er setzt dem Körper ein Ziel und demonstriert dann, wie es erreicht wird. Viele Gelehrte, die sich damit schwertaten zu vermitteln, was Aristoteles mit der Seele meint, haben sie als »kybernetisches System« beschrieben. Die Metapher ist bewusst anachronistisch, aber plausibel. In den 1860er-Jahren zeigte Claude Bernard, dass Säugetiere ihre Körpertemperatur regeln, indem sie ihre Blutzirkulation in Reaktion auf Signale aus dem Nervensystem verändern. Bernards Wahlspruch »Erst die Beständigkeit des milieu intérieur stellt die Bedingung für ein freies und unabhängiges Leben dar« inspirierte Walter Cannon dazu, 1932 den Begriff »Homöostase« zu verbreiten. In den 1940er-Jahren formalisierte Norbert Wiener die Homöostase als Produkt von Regulierungssystemen mit negativen Feedbackschleifen. Wiener prägte für solche selbstregulierenden Systeme den Begriff »Kybernetik«** und argumentierte, dass sie das Problem der Teleologie lösten: wie nämlich Torpedos ein Zielsuchverhalten ausüben können. Wenn



hat, weiß er nicht, dass die Verbrennung eine Reaktion ist, in der ein Bestandteil der Luft, Sauerstoff, sich mit einem Brennstoff verbindet. (Tatsächlich prüft er explizit die Möglichkeit, dass das innere Feuer von Luft genährt wird, und verwirft sie.) Dies bringt ihn zu der Vorstellung, dass die Auswirkungen von Luft auf Feuer (oder Leben) sich auf die Kühlung zurückführen lassen. Er ist physikalisch falsch – das Modell basiert auf der Idee, dass die Intensität eines Feuers von der Umgebungstemperatur beeinflusst wird, aber natürlich ist dem nicht so. Abgesehen vom Herz-Lungen-Kreislauf glaubt er auch, dass bei Bluttieren das innere Feuer durch das Gehirn gekühlt und von der Ernährung gedämpft wird; auch das ist falsch. * In De juventute et senectute, De vita et morte schreibt Aristoteles, dass dieses Atmen der Grund für das Summen sei, das Insekten von sich geben, aber in Historia animalium sagt er eindeutig, dass dieses von den Flügelbewegungen verursacht wird. ** Auf der Suche nach einem Namen für seine neue Wissenschaft begann Wiener mit »governor«, das auch für die Vorrichtung verwendet wird, die eine Dampfmaschine reguliert. Dies führte ihn zu dessen lateinischem Vorläufer gubernator und darüber auf direktem etymologischem Pfad zum ursprünglich griechischen Urvater des Begriffs, kubernētē oder Pilot, das er für besonders passend hielt, da die Steuervorrichtungen von Schiffen äußerst gute Beispiele für Kontrollsysteme mit negativem Feedback waren. Aus kubernētē entstand dann »Kybernetik«. Eine glückliche Wahl, da der Steuermann eine alte Metapher für Kontrolle ist, die sowohl Platon als auch Aristoteles schon im Kontext politischer Hierarchien benutzt hatten.

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Maschinen Zielsuchverhalten zeigen können, dann können das auch Lebewesen. Der Vitalismus wurde aus seinem letzten Rückzugsort vertrieben: »Viele Eigenschaften von organistischen Systemen, die oft als vitalistisch oder mystisch gelten, lassen sich aus dem Systemkonzept und den Eigenschaften bestimmter eher allgemeiner Systemgleichungen ableiten« – so von Bertalanffy 1968. Die aristotelische Seele hat mit Sicherheit viele Eigenschaften eines Systems. Sie ist ein Satz interagierender Einheiten (Organe), die ein zusammengesetztes Ganzes bilden (einen Körper). Sie hat Module (die nährende, die sensitive und die rationale Seele) und diese Module haben spezialisierte Funktionen und sind hierarchisch angeordnet. In einigen Fällen (Menschen) ist sie zentralisiert und in anderen (Hundertfüßer) verteilt. Sie hat einen Zweck: die Lebensfunktionen regulieren. Doch ist die Seele ein kybernetisches System? Wenn die Metapher stimmig ist, dann sollte sie Aristoteles in seinen konkretesten Momenten beleuchten – wenn er also den Wärmeregulierungszyklus von Herz und Lunge beschreibt. Aristoteles behauptet, dass er beschrieben hätte, wie das Herz schlägt und die Lunge pumpt. Hat er? Die Antwort ist von einer verbalen Darstellung her nicht offensichtlich. Wenn wir aber seine Physik, Chemie und Anatomie gelten lassen und sein Modell mithilfe des Blockdiagramm-Formalismus der Kybernetik grafisch darstellen, wird die Struktur des Mechanismus klar.* Das Diagramm, das isomorph zu seinem Text ist, zeigt, dass sein Modell funktioniert, aber auf eine andere Weise, als er denkt. Er glaubt, er hätte einen Oszillator beschrieben, der die Lunge rhythmisch erweitert und zusammenzieht; tatsächlich hat er einen Thermostaten beschrieben. Er hat herausgefunden, wie man das Herz gleichmäßig am Kochen hält. Und das ist keine geringe Leistung. Denn sein System enthält die Essenz jedes homöostatischen Mittels: eine negative Feedbackschleife. Es ist ein echtes kybernetisches System. Die Erfindung oder zumindest die Anwendung der negativen Feedbackkontrolle wird meist dem alexandrinischen Wissenschaftler Ktesibios (bl. 250 v. Chr.) zugeschrieben, der sie in die Gestaltung einer Wasseruhr einfließen ließ. Vielleicht sollte man dabei auch Aristoteles erwähnen, der zwei Jahrhunderte früher den Bedarf an einem solchen Mittel bei Lebewesen erkannte und skizzierte, wenn auch etwas abstrus, wie es funktionieren könnte. Dies ist natürlich ein Aristoteles für unsere Zeit. Kybernetik und von Bertalanffys Allgemeine Systemtheorie wurden ihrerseits zu Vorläufern der modernen Systembiologie, dieser typischen Wissenschaft des 21. Jahrhunderts,

* Ein Regelschema des Herz-Lunge-Zyklus findet sich in Anhang B4.

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die sich mit Netzwerken beschäftigt, die den Fluss von Materie und Informationen zwischen den Teilen beschreiben, aus denen Lebewesen bestehen. Der Systembiologe B. Ø. Palsson drückt es so aus: »Bestandteile kommen und gehen, daher ist ein Schlüsselmerkmal lebender Systeme, wie ihre Komponenten miteinander verbunden sind. Die Verbindungen zwischen Zellen und Zellkomponenten definieren die Essenz eines lebendigen Vorgangs.« Nimmt man den Hinweis auf die Zellen heraus, könnte der Ausspruch von Aristoteles stammen. Natürlich geht es nicht darum, Aristoteles als furchtbar modern hinzustellen. Wir wollen vielmehr seine Antworten auf einige der tief greifendsten Fragen in der Biologie besser verstehen. Was verleiht Lebewesen ihre Zielgerichtetheit? Seelen – damit meinte er Kontrollsysteme von einer ausreichenden Komplexität, um zielgerichtetes Verhalten zu zeigen. Was hält Lebewesen zusammen? Seelen – damit meinte er die funktionellen Verbindungen ihrer Teile. Wie sollten wir Lebewesen untersuchen? Wir müssen sie auseinandernehmen, sie auf ihre Einzelteile reduzieren. Aber danach müssen wir sie auch wieder zusammensetzen, denn erst dann verstehen wir wirklich, wie sie funktionieren.

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Entstehung eines menschlichen Embryos nach einem Modell von Aristoteles

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enn Aristoteles uns, wie er es so häufig tut, davon überzeugen möchte, dass Lebewesen ein Ziel haben und dass sie sich daher nicht ausschließlich aus der Funktionsweise der Materie erklären lassen, verweist er nicht einfach nur auf die Schönheit der Gestaltung von Tieren, auf die Mittel, mit denen sie sich in der unbeständigen Welt am Leben halten, sondern vielmehr auf die Tatsache, dass sie sich regelmäßig entwickeln. In seiner Physik greift Aristoteles die Behauptung an, dass Ordnung einfach »spontan« im Mutterleib entsteht; er schreibt sie Empedokles zu – ob zu Recht oder nicht, ist schwer zu sagen. Daher stammt sein Argument, dass die Zähne eines Kindes einen zielorientierten Vorgang erfordern, unterfüttert von einer formellen Natur, wenn sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort durchbrechen sollen. In De partibus animalium geht er wieder zum Angriff über. Jetzt ist es das Rückgrat, das ihm Sorgen bereitet. Empedokles behauptete offenbar auch, dass die Wirbel voneinander getrennt sind, weil die Wirbelsäule sich während der Entwicklung zufällig verdreht und zerbricht. Das, sagt Aristoteles, kann nicht stimmen. Der Samen, aus dem sich der Embryo entwickelte, muss schon das Potenzial gehabt haben, die Wirbel hervorzubringen. Deshalb »entsteht aus einem Menschen ein Mensch« und kein Pferd. In dieser Aussage, einem seiner liebsten Aussprüche, steckt eine sehr tiefe Wahrheit. Gleichzeitig ist sie kein zwingendes Argument, da sie nur das Offensichtliche benennt. Wie genau aber entsteht aus einem Menschen ein Mensch? Es ist eine Sache zu behaupten, Empedokles habe unrecht gehabt, aber eine ganz andere, es zu beweisen. In den Tiefen des Mutterleibs, in die niemand blicken kann, können alle möglichen Theorien heranwachsen. Aristoteles’ Lösung besteht in einem Forschungsprogramm, um herauszufinden, was da drinnen vor sich geht. Er untersucht einen vierzig Tage alten menschlichen Embryo: Legt man einen männlichen Embryo, mit vierzig Tagen von der Mutter getrennt, in etwas anderes als kaltes Wasser, löst er sich auf und verschwindet. In kaltem Wasser hält er im Inneren einer Membran recht gut zusammen. Zieht man diese auseinander, wird der Embryo sichtbar, so groß wie eine der

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großen Ameisenarten, mit deutlich sichtbaren Teilen einschließlich Penis und Augen. Diese sind wie bei anderen Tieren auch sehr groß.

Er sagt nicht, woher er ihn hatte. Er scheint mehr als einen untersucht zu haben. Der rein beschreibende Abschnitt taucht in Historia animalium auf. Erklärt wird er an anderer Stelle. Diese zweite Arbeit enthält eine mechanistische Darstellung, wie Tiere sich entwickeln, die eng mit seiner physiologischen Theorie verknüpft ist; eine Erklärung, warum Lebewesen zwei Geschlechter haben, wo dies der Fall ist, und warum es manchmal nicht so ist; eine mechanistische Darstellung der Übertragung der Form von Eltern zu Embryo und eine Theorie der ererbten Variation, also eine genetische Theorie. Weiterhin analysiert er dort auch die lebensgeschichtlichen Variationen und erörtert Umwelteinflüsse. De generatione animalibus ist, kurz gesagt, eine allgemeine Darstellung, wie aus einem Menschen ein anderer Mensch entsteht oder aus einem Fisch ein Fisch. Abgesehen von Historia animalium ist es sein längstes Buch und außerdem sein brillantestes.

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ie Reproduktionsbiologie ist orgiastisch in ihrem Inhalt, aber klinisch im Ton. Während der Paarungszeit, sagt Aristoteles, »sind alle Tiere durch Verlangen und die aus der Kopulation entstehende Lust erregt«. Froschmännchen, Schafböcke und Eber rufen nach Froschweibchen, Schafen und Säuen, Tauben küssen sich. Manche Weibchen zeigen Verlangen, indem sie in Hitze kommen. Stuten sind schamlos und Kätzinnen betteln Kater um Sex an, aber Hirschkühe sind zurückhaltend, weil ihnen die Hirsche zu steif sind. Die Männchen kämpfen natürlich. Hengste, Hirsche, Eber, Stiere, Kamele, Bären, Wölfe, Löwen, Elefanten, Wachteln und Rebhühner gehen in sexuell motivierten Verstümmelungsorgien auf ihre Rivalen los. Hirsche treiben Weibchen zusammen, graben Löcher in den Boden und brüllen Rivalen an. Gesellige Lebewesen sind meist wettbewerbsorientiert, Einzelgänger weniger. Und während Rebhähne »lüstern« sind und die Eier von Hennen zerstören, sind Tauben viel sanfter und suchen sich eine Partnerin fürs Leben – obwohl die Weibchen sich manchmal mit einem anderen Männchen aus dem Staub machen. All dies ist nur ein Vorspiel zum Akt selbst. Aristoteles definiert ein Männchen als ein Tier, das »sich in einem anderen Tier fortpflanzt«.* Um in ein anderes Tier hineinzukommen, besteigen die meisten Männchen es von hin-

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ten. Haie und Rochen jedoch paaren sich Bauch an Bauch, Delfine kopulieren Seite an Seite, Löwen, Luchse und Hasen Rücken an Rücken und Schlangen verflechten sich. Er sagt auch, dass Igel sich beim Sex auf den Hinterbeinen gegenüberstehen, damit ihre Stacheln nicht im Weg sind, dass Bären in die Missionarsstellung gehen und dass Kamele den ganzen Tag brauchen.** Es ist jedoch nicht die Kopulationsphysiologie, sondern die Reproduktionsphysiologie, die den wesentlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern ausmacht. Aristoteles argumentiert, dass sowohl Männchen als auch Weibchen einen reproduktiven Reststoff erzeugen, sperma – Samen. Der männliche Samen ist gonē – unser »Sperma« –, das er für stark geläutertes Blut hält und wie alle metabolischen Reststoffe für absolut gleichförmig in seiner Zusammensetzung. Der weibliche Samen ist katamēnia – Menstruationsflüssigkeit. Die letzte Behauptung wird den modernen Leser seltsam anmuten, aber es passt alles zu seiner Physiologie. Da Embryos Nahrung brauchen und Blut die reinste Form der Ernährung darstellt, ist klar, dass die deutlich blutähnliche Menstruationsflüssigkeit der Stoff sein muss, aus dem ein Embryo gebildet wird. Darüber hinaus lässt sich der monatliche Ausfluss als ungenutzter Samen erklären, was wiederum schlüssig zeigt, warum Mädchen fruchtbar werden, sobald sie zu menstruieren begonnen haben, und warum sie nicht menstruieren, wenn sie schwanger sind. Die Menstruationsflüssigkeit ist dem Sperma ziemlich ähnlich, aber weniger geläutert oder verkocht, was logisch ist, da nach Aristoteles Frauen kälter sind als Männer. Frauen haben vielleicht eine Seele, aber sie haben auch ein kaltes Herz. Wie immer wünscht sich Aristoteles eine Theorie, die für alle Tiere gilt (oder wenigstens für alle Bluttiere), aber die Vorstellung, dass Embryos aus Menstruationsflüssigkeit bestehen, hat den offensichtlichen Schwachpunkt, dass die meisten Tiere nicht menstruieren. Unbeirrt identifiziert Aristoteles die blutähnliche Flüssigkeit, die Kühe und Hündinnen in der Hitze absondern, als ihre Menstruationsflüssigkeit.*** Hennen sondern ganz offensicht* Diese Definition scheint Eier legende Fische auszuschließen, die, wie wir wissen, eine äußere Befruchtung vollziehen. Aristoteles weiß sicherlich, dass Fischmännchen ihre Milch über frisch abgelegten Rogen abgeben, aber was genau seiner Meinung nach bei der Paarung der Fische vor sich geht, ist unklar – er gibt zu, dass der Vorgang im Dunkeln bleibt. ** Igel, Bären, Kamele, Löwen, Luchse und Hasen kopulieren nicht auf diese Weise. *** Aristoteles sortiert seitenweise weibliche Scheidenausflüsse wie Urin, vaginale Lubrikation, pathologischen Ausfluss, Wochenfluss, Menstruationsblutung beim Menschen und Östrusblutung bei Tieren in der Hitze. Er argumentiert zu Recht, dass die ersten drei wenig direkt mit der Fortpflanzung zu tun haben, glaubt aber zu Unrecht, dass Menstruation (bei Menschen) und Östrusblutung (bei Hunden und Kühen) dasselbe sind – katamēnia –, also das sperma (Samen), das die Mutter zum Embryo beisteuert. Diese beiden Absonderungen sind jedoch recht unterschiedlich. Nur Primaten menstruieren tatsächlich und Aristoteles kannte nur einen Primaten, den Menschen, aus erster Hand.

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lich nie etwas Blutähnliches ab, also verweist er auf »Spareier«, die kleinen, dotterlosen Eier, die Hennen manchmal legen, als eine Art Vogelmenstruation.* Und obwohl er glaubt, dass die meisten Fischeier Embryos sind, bestätigt er, dass manche Fische voll unbefruchtetem Rogen stecken, der gewissermaßen ihre Menstruation darstellt. Aber so ist Aristoteles eben: nie um eine Antwort verlegen.

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ännchen erzeugen eher wenig Samen, Weibchen eine Menge. Daraus folgt, dass sie sehr unterschiedliche Genitalien haben. Entsprechend viel hat Aristoteles über Penisse zu sagen: Die Robbe hat einen großen, das Kamel einen sehnigen, das Wiesel einen mit Knochen. Zwei Kopulationsanhängsel befinden sich an der Kloake männlicher, aber nicht weiblicher, Haie und Rochen. Bei den Vögeln ist er sich nicht sicher. In De generatione animalium sagt er, dass kein Vogel einen Penis hat, aber in Historia animalium stellt er fest, dass die Gans einen hat.** Er schreibt, dass Schlangen keinen Penis haben; tatsächlich haben sie zwei, die während der Paarung hervortreten. Er äußert sich nur vage zum Penis der Schildkröte, der sehr groß und steif ist. Dann wendet er sich den Hoden zu. Die Hoden der meisten lebend gebärenden Vierfüßer (Säugetiere) hängen unter dem Bauch, aber bei Delfinen, Igeln und Elefanten liegen sie innen in der Nähe der Nieren. Die inneren Hoden von Vögeln und Eier legenden Vierfüßern (Fröschen, Echsen, Schildkröten) befinden sich in der Nähe der Lenden. Bei all diesen Tieren sind die Hoden mit Samenleitern (Urogenitalgang/Vas deferens) verbunden, die sich zu einem einzigen Gang vereinigen. Die Eier legenden Tiere (Vögel, Repti-

* Aristoteles’ Behauptung, dass ungedeckte Hennen hypēnemia (wörtlich »Windeier«) legen, ist nicht wahr. Alle großen Supermarkt-Eier mit perfekt geformten Dottern werden von ungedeckten Hennen gelegt. Die ersten Eier jedoch, die von einer Junghenne gelegt werden, sind oft klein und ohne Dotter; ersetzt man »ungedeckt« durch »jung«, kommt man zu Aristoteles’ Behauptung. Er könnte also genau genommen recht haben. Moderne Zuchthennen sind sehr seltsame Vögel. Sie werden seit Jahrtausenden nach Legeleistung selektiert; vielleicht legten alte Rassen nur gelegentlich ein Sparei, wenn sie noch nicht gedeckt waren. Allerdings legen zumindest einige Vogelarten erst nach der Paarung überhaupt Eier. ** Viele Entenvögel (Enten, Gänse und Schwäne) haben eine Schwäche für gewalttätigen, erzwungenen Sex und ausgeklügelte Begattungsorgane für diesen Zweck. Einem jüngeren Bericht zufolge hat die Argentinische Ruderente einen 20 cm langen, korkenzieherförmigen, stachelbesetzten Penis.

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lien, Amphibien) haben einen gemeinsamen Durchlass für Kot, Samen und Urin (die Kloake), Säugetiere jedoch nicht. Es ist detailliert. Es ist überwiegend richtig. Sehr leicht lässt man sich in wohlgefällige Vertrautheit einlullen. Aber dann sagt er etwas Unerwartetes und wenn das noch nicht geschehen ist, erkennt man spätestens dann, dass seine Vorstellungen von der Funktionsweise der Dinge sich von unseren unterscheiden. Aristoteles sieht, dass die Hoden etwas mit dem Sperma zu tun haben, aber nicht, dass sie ihn herstellen. Stattdessen argumentiert er, dass sie es speichern und seinen Fluss regulieren. Seine Gründe sind wie üblich komplex. Hoden, sagt er, können nicht für die Erzeugung von Leben erforderlich sein, weil Schlangen und Fische keine haben. Sie haben jedoch spermagefüllte »Durchgänge«, die also das Äquivalent zu den Samenleitern von Vögeln und Vierfüßern sein müssen, dem wichtigsten Samen aufnehmenden Organ.* (Da Samen extrem geläutertes Blut ist, das Produkt mehrerer Verkochungsvorgänge, muss er im Herzen erzeugt werden, wenn überhaupt, wenn er auch zu diesem Thema recht vage bleibt.) Daraus folgt auch, dass Hoden eine optionale Verfeinerung sind, Strukturen, die manche Tiere, aber nicht alle, zu ihrem Vorteil haben und nicht aus Notwendigkeit. In den Hoden wird Sperma gespeichert. Das zeigt sich in der Tatsache, dass die Hoden einiger Vögel (Rebhühner und Tauben) während der Brutperiode mit Sperma gefüllt, danach aber leer sind. Aber bei Vierfüßern besteht ihre Funktion darin, seinen Fluss zu regulieren. Aristoteles bemerkt, dass die Samenleiter (Vas deferens) bei Vierfüßern auf dem Weg in den Penis eine Schlaufe nach oben über die Harnleiter machen, und argumentiert, dass diese Anordnung den Spermafluss stabilisiert oder sogar beschränkt.** Die Hoden seien Gegengewichte, die die Schlaufe erhalten, indem sie der natürlichen Tendenz der Samenleiter entgegenwirken, sich aufzurollen. Deshalb

* Aristoteles erwartet Hoden in runder Form, aber die Hoden von Fischen und Schlangen sind länglich, daher missdeutet er sie als die Entsprechungen zu den Samenleitern der Vierfüßer, genau genommen zum Vas deferens. Der Fehler überrascht, da er weiß, dass die Samenleiter der Fische sich in bestimmten Jahreszeiten mit Samen füllen, genau wie die Vogelhoden, was auf eine ähnliche Funktion hindeuten sollte. Die Situation ist vergleichbar mit seiner Unsicherheit bezüglich der Nieren von Fischen und Vögeln, weil ihnen die typische Nierenform der Vierfüßer fehlt. ** Da die Hoden in Wirklichkeit keine Gegengewichte sind, muss Aristoteles’ geniale Erklärung für die Schlinge des Vas deferens falsch sein. Was ist also die wahre Funktion der Schlaufe? Die Antwort lautet interessanterweise, dass sie keine hat. Sie ist ein zufälliges, nicht adaptives Produkt einer Evolutionsgeschichte der Säugetiere, in der die absteigenden Hoden von der Bauchhöhle, wo sie bei ihren Vorfahren gesessen hatten, zu ihrem Platz zwischen den Beinen unabsichtlich einen ineffizienten Weg einschlugen. Hier überholt Aristoteles’ Teleologie sich selbst, zumindest dann, wenn die übliche evolutionäre Darstellung korrekt ist.

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Fortpflanzungsorgane eines lebend gebärenden vierfüßigen Bluttiers Nach Historia animalium, Buch III Oben: Männchen, unten: Weibchen

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steigen beim Menschen die Hoden in der Pubertät ab und deshalb sind kastrierte Tiere unfruchtbar: Wenn man die Hoden abschneidet, schnellen die Samenleiter in die Körperhöhle zurück und verhindern das Fließen des Spermas. Sein Modell ist auffallend mechanisch. Er vergleicht die Hoden sogar mit den Steinen, die Weberinnen verwenden, um die Kettfäden in ihrem Webstuhl an Ort und Stelle zu halten. Seine Darstellung der Funktionen des Penis ist ebenso merkwürdig. Er glaubt, dass er das Sperma durch die Reibungshitze, die bei der Paarung entsteht, ein letztes Mal verkocht. Nimmt man alles zusammen, meint er, dass das Sperma im Gefäßsystem verkocht wird, sich in den Samenleitern sammelt und in den Hoden gespeichert wird, die auch für ein Ejakulat der richtigen Menge sorgen; der Penis lädt es noch einmal auf und schleudert es in den weiblichen Genitaltrakt. Aristoteles’ Modell des männlichen Fortpflanzungssystems basiert auf einem lebend gebärenden Vierfüßer, wahrscheinlich einem Stier oder Widder. Er verweist auf ein entsprechendes anatomisches Schaubild. Sein Modell des weiblichen Systems basiert ebenfalls auf einem Wiederkäuer. Er nennt die ganze Struktur eine hystera – »Gebärmutter« – und beharrt darauf, dass sie stets »doppelt« vorliegt – ein Beleg dafür, dass seine Beschreibung auf einen Wiederkäuer zurückgeht, da deren Gebärmutter tatsächlich überwiegend aus zwei großen Uterushörnern besteht, die dem Menschen fehlen. Die Uterushörner – keratia – vereinen sich dann zum delphys, der zu einer fleischigen, knorpeligen Röhre mit einer Öffnung führt, der mētra. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um Gebärmutterkörper und Gebärmutterhals. Indem er die Einheitlichkeit bis an ihre Grenzen ausreizt, versucht Aristoteles, die Fortpflanzungssysteme von weiblichen Säugetieren, Reptilien, Fischen, Kopffüßern und Insekten unter einen Hut zu bringen. Es fällt ihm schwer, was auch kaum überrascht, da die Systeme in Wirklichkeit sehr unterschiedlich sind.

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ber genug von der Anatomie. Was denkt Aristoteles über den weiblichen Orgasmus? Er glaubt, dass Frauen Sex wollen – viel Sex. Geschlechtsverkehr ist ta aphrodisia. Frauen mit starkem Geschlechtstrieb beschreibt er als aphrodisiazomenai. Heranwachsende Mädchen müssen unter Beobachtung stehen, weil sie den natürlichen Impuls verspüren, ihre aufkeimenden sexuellen Fähigkeiten zu nutzen. Sie können sogar schlechte Gewohnheiten annehmen (eine verschleierte Warnung vor Masturbation?), kommen aber gewöhnlich

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zur Ruhe, nachdem sie einige Kinder bekommen haben. Manche Frauen sind jedoch so schamlos wie Stuten. Nymphomaninnen sind hippomanousi, wörtlich »Hengst-verrückt«. Die Griechen hatten keinen Fachbegriff für den Orgasmus, also spricht Aristoteles einfach vom »Genuss« oder »intensiven Genuss« beim Sex. Aber er ist ganz sicher der Meinung, dass Frauen typischerweise welche haben; seine Modelle der männlichen und weiblichen Sexualität sind sich sehr ähnlich. Bei Frauen »wird der Genuss beim Geschlechtsverkehr durch die Berührung im selben Bereich wie beim Mann erzeugt« – was darauf hindeutet, dass er mit »Genuss« den Orgasmus meint und mit »demselben Bereich« die Eichel und die Klitoris. Für Erstere hat er zwar einen Namen, balanos, für Letztere jedoch nicht – allerdings scheint er sie immerhin gefunden zu haben. Ehre, wem Ehre gebührt. Manche Frauen, sagt er, wenn sie »auf eine dem Mann vergleichbare Weise« Genuss erfahren, produzieren eine speichelähnliche Flüssigkeit, die sich von der Menstruationsflüssigkeit unterscheidet. Das muss die vaginale Lubrikation sein. Manchmal gibt es viel davon, mehr als der Ausstoß eines Mannes. Wenn Frauen Genuss erfahren und diese Geschlechtsflüssigkeit absondern, ist dies ein Zeichen dafür, dass die Gebärmutter offen und eine Empfängnis wahrscheinlich ist. Er sagt, Blonde seien besonders feucht. Tatsächlich lautet die Frage nicht, ob Frauen während des Geschlechtsverkehrs Genuss erfahren, denn Aristoteles glaubt, sie sollten es und sie tun es; es geht vielmehr darum, ob sie den Höhepunkt brauchen, um zu empfangen.* Aristoteles widerspricht sich hier selbst. In De generatione animalium argumentiert er, obwohl eine Frau gewöhnlich beim Sex Genuss erfährt, kann sie auch ohne ihn empfangen und kann im Gegenteil auch dann nicht empfangen, wenn sie mit ihrem Partner »Schritt hält«. Der weibliche Orgasmus ist angenehm, aber nicht notwendig. In Buch X der Historia animalium jedoch scheint der Orgasmus wesentlich wichtiger, denn dort behauptet er, während des Geschlechtsverkehrs werde die Menstruationsflüssigkeit in einen Bereich »vor der Gebärmutter« abgesondert (vermutlich der Gebärmutterhals oder die Vagina), wo sie sich mit dem Sperma vermischt. Diese Absonderung erfolgt offenbar beim Orgasmus, denn beide Partner müssen miteinander »Schritt halten«, wenn eine Empfängnis stattfinden soll. Tatsächlich ist Unfruchtbarkeit gewöhnlich auf Männer zurückzuführen, die »schnell fertig werden«, während ihre Partnerinnen gerade erst angefangen haben (»denn in den meis* In seinen Essays zitiert Montaigne Aristoteles in dem Sinne, dass »ein Mann … seine Frau mit Bedacht und Vernunft berühren sollte, denn wenn er sie zu lüstern liebkost, entführt der Genuss sie über die Grenzen des Verstandes hinaus.« Ich weiß nicht, von wem er diesen kläglichen Rat hat, aber es war mit Sicherheit nicht Aristoteles.

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ten Dingen sind Frauen langsamer«). Um zu bestimmen, ob die vorzeitige Ejakulation wirklich die Ursache für eine Unfruchtbarkeit ist, schlägt er vor, dass der betreffende Mann mit anderen Frauen Geschlechtsverkehr haben sollte, um zu sehen, ob er Kinder zeugen kann – was von einer bewundernswert empirischen Einstellung zeugt. Um das Problem des ungleichen Timings zu lösen, schlägt er außerdem vor, dass die Frau sich mit »passenden Gedanken« selbst erregen soll, während ihr Liebhaber an seine Sorgen denkt, um seine Leidenschaft abzukühlen. Es ist schwer zu sagen, ob die Theorie vom angenehmen oder vom notwendigen Orgasmus Aristoteles’ endgültige Überzeugung widerspiegelt. Buch X gehört eindeutig nicht zum Rest der Historia animalium, da sein Inhalt überwiegend klinisch ist; manche Wissenschaftler bezweifeln sogar, dass er es überhaupt geschrieben hat. Doch diese unterschiedlichen Theorien haben ein Konzept gemein: dass Sex eine Zusammenarbeit ist. Beide Partner sehen sich dazu veranlasst wegen des intensiven Genusses, den er verschafft, und erfahren idealerweise ihren Genuss gemeinsam – zumindest, wenn sie ein Kind zeugen wollen, und das ist für Aristoteles mit Sicherheit der springende Punkt.*

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n den ersten Zeilen von De generatione animalium schreibt Aristoteles, dass er nun die treibende Kraft des Lebens untersuchen will und dass »dies zu untersuchen und die Entstehung von Tieren zu untersuchen, auf gewisse Weise dasselbe ist«. Eine eher elliptische Darstellungsweise, aber er benennt das Problem in seiner allgemeinsten Formulierung. Er glaubt, dass die Materie, aus der Eltern ihren Nachwuchs formen – der Samen – nur potenziell lebendig ist. Irgendwie muss diese Materie belebt werden. Für uns ist dies das Problem der Befruchtung, für Aristoteles bedeutet es die Erlangung einer Seele.

* Evolutionsbiologen haben ebenfalls über die Funktion des weiblichen Orgasmus nachgegrübelt. Der männliche Orgasmus ist eine offensichtliche Anpassung, ein direkter Anreiz zur Fortpflanzung, aber Frauen brauchen keinen Orgasmus, um zu empfangen, so gerne sie ihn auch erleben mögen. Wenn der weibliche Orgasmus also eine Funktion hat, muss sie recht hintergründig sein und es gibt viele geistreiche Darstellungen, was das sein könnte. Manche Biologen haben sogar schon argumentiert, dass er überhaupt keine adaptive Funktion hat, sondern nur ein entwicklungsgeschichtliches Nebenprodukt der Selektion nach männlichem Genuss sei – das genitale Äquivalent zu männlichen Brustwarzen. Das wird wohl den meisten von uns unplausibel erscheinen.

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Zu sagen, dass ein Embryo »eine Seele erlangt«, klingt sehr geheimnisvoll, aber Aristoteles meint damit nur die Erlangung eines Satzes funktionsfähiger Organe. Oder um es anders auszudrücken, wie der Embryo seine Form bekommt. Platon stellte seine Formen im Reich jenseits der Sinne ab; Aristoteles legt seine Formen in den Samen. Ein Tier bekommt seine Seele von seinen Eltern. Das jedoch lässt viele Fragen offen. Von welchem Elternteil kommt die Seele? Werden die Unterseelen – die nährende, sensitive, rationale – als Einheit übertragen? Wann erscheint die Seele tatsächlich in der Ontogenese? Wann genau beginnt das Leben? Aristoteles’ Ansatz zur Beantwortung dieser Fragen ist empirisch. Er beobachtet, dass im Vergleich zum ausfließenden Menstruationsblut die Menge des Ejakulats dürftig ist. Also tendiert er zunächst zu der Annahme, dass Väter die Form des Embryos und damit seine Seele beisteuern, während die Mütter für seine Materie sorgen. Das würde bedeuten, dass die Mutter nur das Baumaterial liefert, das der Vater zu einem funktionsfähigen Lebewesen formt. Tatsächlich redet Aristoteles oft so, als glaube er genau das. Durch das gesamte De generatione animalium hindurch greift er immer wieder auf einen Satz paralleler Dichotomien zurück, mit denen er versucht, den Unterschied zwischen Männchen und Weibchen zu erfassen: heiß/kalt, Sperma/Menstruationsflüssigkeit, Form/Materie, Seele/Materie, Wirkursache/Stoffursache, aktiv/passiv – die Begriffe variieren, aber der Kontrast ist immer deutlich. Aber ist er das wirklich? Obwohl Aristoteles wiederholt darauf beharrt, dass Männchen und Weibchen ganz unterschiedliche Beiträge zum Embryo leisten, beginnen die männliche und die weibliche Rolle zu verschwimmen und ineinanderzufließen, wenn er sich den Details der Embryogenese und Vererbung zuwendet, bis sie schließlich kaum noch auseinanderzuhalten sind. Manche Wissenschaftler argumentieren, dass De generatione animalium sehr unterschiedliche und inkompatible Theorien enthält, aber vielleicht sollten wir diese geschlechtlichen Dichotomien als Überschriften lesen, die in der weiteren Analyse erläutert und verfeinert werden. Zum Beispiel präsentiert er uns, nachdem er behauptet hat, dass Väter die Seele des Embryos beisteuern, einige Beweise dafür, dass das nicht ganz stimmt und dass es schließlich die Mütter sind, die ihren Nachkommen das Leben schenken. Aristoteles behauptet, dass Rebhühner »empfangen« könnten, wenn sie nur ein Männchen im Wind röchen. Das klingt absurd, aber er sagt es wirklich – zweimal sogar. Rebhühner sind nicht die einzigen Vögel, die solche »Windeier« produzieren; alle Vögel tun das, aber besonders häufig kommen sie bei Viellegern vor. Das mit dem Wind ist nicht weiter wichtig, sondern die Tatsache, dass ungedeckte Weibchen Windeier produzieren. Glaubt Aristoteles wirklich, dass Vögel ohne Befruchtung empfangen können? Ja – aber es

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ist hier wichtig zu unterscheiden, was genau er damit meint. Für uns findet die Empfängnis statt, wenn ein Spermium mit einer Eizelle zu einer Zygote verschmilzt; für Aristoteles findet Empfängnis statt, wenn Sperma auf Menstruationsflüssigkeit trifft und daraus ein Ei entsteht. Da ungedeckte Hennen aber Windeier legen können, muss Menstruationsflüssigkeit ganz klar manchmal spontan zu einer Leibesfrucht gerinnen.* Die Menstruationsflüssigkeit ist also in gewissem Sinne lebendig; sie besitzt, in seinem Vokabular, das Potenzial für eine nährende Seele. Aristoteles ist sich darüber im Klaren, dass Windeier Blindgänger sind; die vollständige Empfängnis, aus der ein Küken hervorgeht, erfordert einen Hahn, Kopulation und Sperma. Er fragt sich jedoch, ob das wirklich für alle Tiere gilt, denn er spekuliert, dass einige Fische ohne Männchen auskommen. Das Rätselhafte an channos ist nämlich, dass man immer nur Weibchen fängt.** Vielleicht gibt es also gar keine Männchen. Aristoteles zögert jedoch, ohne weitere Daten (»es gab keine ausreichenden Beobachtungen«) den Bedarf an Männchen zu verwerfen, also bleibt er bei seiner Theorie, dass beide Samen das Potenzial für eine nährende Seele bergen und dass nur das Sperma das Potenzial für eine sensitive Seele und eine spezifische Form besitzt – die Merkmale, die zum Beispiel einen Spatz zu einem Spatz und nicht zu einem Huhn oder Kranich machen. In seiner Beschreibung, wie die Entwicklung funktioniert, greift Aristoteles verstärkt auf seine Potenz/Akt-Dichotomie zurück: »Daher ist der Samen der Hand oder des Gesichtes des ganzes Tieres tatsächlich die Hand oder das Gesicht eines ganzen Tieres, wenn auch auf eine undifferenzierte Weise; mit anderen Worten, was jedes davon im Akt ist, ist der Samen in der Potenz …« Das ist gleichzeitig wundervoll erkenntnisreich und frustrierend undurchsichtig. Es ist erkenntnisreich, weil es das Konzept einfängt, dass der Samen etwas enthält – die Form –, das nicht das Tier selbst ist, aber dennoch die Macht

* Wenn Aristoteles behauptet, dass der Geruch eines Rebhahns dazu führen kann, dass eine Henne »empfängt«, meint er nur, dass er sie dazu bringt, Windeier zu erzeugen, die unvollständig entwickelt bleiben. Ein erfahrener Fasanenbrüter hat mir jedoch erzählt, dass das nicht stimmt – Junghennen legen Windeier unabhängig von der Anwesenheit eines Hahns. Aber ich frage mich, ob nicht der Einfluss von männlichen Pheromonen auf die Oogenese der Rebhühner weitere Erforschung verdient. ** Aristoteles erwähnt drei Fische, die sich möglicherweise ohne Männchen fortpflanzen: channos, erythrinos und psetta. Der channos ist der Sägebarsch Serranus cabrilla, der erythrinos wahrscheinlich der Mittelmeer-Fahnenbarsch Anthias anthias, die Identität des psetta ist ein Geheimnis, aber man glaubt, dass es sich hierbei um einen Textfehler handelt und der perka gemeint ist, der Schriftbarsch (Serranus scriba). Wenn diese Zuordnungen korrekt sind, gehören alle drei »ausschließlich weiblichen« Sorten des Aristoteles zu den Serranidae. 1787 zeigte Cavolini, dass S. cabrilla und S. scriba Simultanzwitter sind; Anthias ist ein protogyner (zuerst weiblicher) Zwitter, Männchen sind hier selten. Bei den Simultanzwittern sind die Hoden klein und schwer zu sehen. Aristoteles, der weder die Hoden noch männliche Tiere entdeckte, stellt daher die Möglichkeit zur Debatte, dass diese Fischsorten sich ohne Sex fortpflanzen.

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besitzt, sowohl es zu formen als auch es zu werden, und dass die Ontogenese der Prozess ist, durch den diese Potenz in ein echtes lebendes, atmendes, kopulierendes Wesen übersetzt wird. Aber das Potenz-Gerede kann auch wie ein dürftiger Ersatz für ein physikalisches Entwicklungsmodell klingen. Was genau sind diese Potenzen? Zeig uns eine. Oder, wenn du das nicht kannst, gib uns wenigstens einen Hinweis darauf, wie sie funktionieren. Aristoteles spürt diese Spannung offensichtlich auch und versucht sich daher an einem physikalischen Modell. Er fragt zunächst, ob diese embryoformenden Potenzen unabhängig von der physikalischen Materie des Spermas selbst übertragen werden können oder nicht. Er greift dabei auf eine seiner liebsten Analogien zurück: menschliche Handwerkskunst. Nehmen wir einen Tischler, der ein Bett aus Holz baut. Dabei gibt er dem Bett nicht etwa seine Materie, sondern das Wissen seiner Handwerkskunst (eine Potenz) manifestiert sich als eine funktionelle Bewegung und formt die Materie. Analog braucht das Sperma nicht wirklich Materie zum Embryo beizutragen, um ihm seine Potenz zu verleihen. Neben dieser Analogie liefert Aristoteles auch drei Zeilen zoologische Beweise. (i) Manche Insekten, glaubt er, kopulieren auf seltsame Weise: Nicht die Männchen führen ein Organ ins Weibchen ein, sondern es ist umgekehrt.* In solchen Fällen, behauptet er, übertragen die Männchen kein Sperma, sondern nur eine Potenz. (ii) Wenn eine Henne sich mit mehr als einem Hahn paart, können die Küken jedem der Väter ähneln – meist dem zweiten –, haben aber niemals »jeden Teil zweimal«. Der Gedanke dahinter scheint zu sein, dass missgebildete Tiere (siamesische Zwillinge) durch einen Überschuss an Spermienmaterial entstehen können. Falls dem so wäre, würde man erwarten, dass multiple Paarungen zu missgebildeten Küken führen, aber das tun sie nicht; es ist also nicht die Menge an Sperma entscheidend, sondern nur eine qualitative »Potenz«.** Wenn Fischmännchen ihre Milch über einem Gelege abgeben, werden nur die Eier, die von der Milch berührt werden, befruchtet. Keins dieser Argumente ist überzeugend. Doch Aristoteles’ Ziel ist klar: Er versucht zu zeigen, dass die Macht des Spermas, * Vielleicht beschreibt Aristoteles das Weibchen des Grashüpfers oder einer anderen Heuschreckenart, das während der Kopulation ihren langen, spitzen Ovipositor nach oben zu den bescheideneren Genitalien des kleineren Männchens biegt, das auf seinem Rücken sitzt. Dennoch bleibt unklar, warum eine solche Anordnung eine echte Besamung verhindern sollte. ** Aristoteles glaubt, dass ein Überschuss an weiblichem Samen siamesische Zwillinge hervorbringt. Gleichzeitig will er argumentieren, dass ein Überschuss an männlichem Samen dies nicht tut. Das Argument basiert auf einer geistreichen, aber unkorrekten Theorie über die Ursachen für siamesische Zwillinge. Aristoteles nimmt jedoch zu Recht an, dass es dem zweiten Männchen häufig gelingt, die Eier zu befruchten. Das Phänomen, bekannt unter dem Namen last male precedence (»Vorrang des letzten Männchens«), tritt bei vielen Vogelarten auf und lässt sich auf die Spermienkonkurrenz zurückführen.

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die Entwicklung zu steuern, nicht auf der Übertragung des Spermienmaterials selbst beruht, sondern auf etwas anderem. Auf was? Irgendetwas im Sperma muss in den Embryo gelangen, und wenn es nicht Spermienmaterial ist, was ist es dann? Um dieses Problem zu lösen, greift Aristoteles erneut auf den mysteriösen Stoff namens pneuma zurück. Es ist nicht nur ein Instrument der sensitiven Seele, sondern auch ein Bestandteil des Vererbungssystems. Aristoteles sucht im Sperma nach Zeichen von Aktivität. Er findet sie in der Tatsache, dass Sperma Schaum ähnelt – zumindest direkt nach der Ejakulation. Der Schaum entsteht aufgrund einer Ladung pneuma, das durch die Verkochung des Spermas beim Sex beigemengt wird. Pneuma muss jedoch nicht im Sperma enthalten sein, da es bei den erwähnten Insekten mit den seltsamen Paarungsgewohnheiten direkt ins Weibchen injiziert wird. Das Ergebnis ist eine Theorie darüber, wie die Seele eines Tieres im Embryo nachgebildet wird: Die Struktur der väterlichen Seele ist faktisch durch eine pneuma-tische Handlung in seinem Sperma kodiert.* Wir dürfen uns pneuma nicht als den Träger genetischer Informationen selbst vorstellen – es ist keine aristotelische DNA. Stattdessen sind Aristoteles’ Einheiten der Vererbung viel abstrakter: Es sind die Bewegungen, die das pneuma im Sperma hervorruft. Wenn er das Bewegungsprinzip im Sperma beschreibt, die Bewegung als Verkörperung der zukünftigen Seele, wählt er einen ebenso passenden wie eleganten Begriff: aphros oder Schaum. Damit meint er sowohl im wörtlichen Sinn den Schaum, der im Sperma sichtbar ist, als auch den Schaum, den die Wellen beim Zurückfließen auf dem Strand hinterlassen. Doch wie der Abschnitt verdeutlicht, dachte er bei der Wahl dieses Wortes auch an etwas anderes. Nach aphros, sagt er, wurde auch die Göttin der Liebe benannt.

* Dieses Befruchtungsmodell hielt sich jahrhundertelang durch die Geschichte der Entwicklungsbiologie hindurch, selbst nachdem Leeuwenhoek 1677 von den Spermien-»animacules« berichtete, die er unter dem Mikroskop gesehen hatte. Fabricius nahm an, dass das Sperma seine geheimnisvolle Arbeit über eine »strahlende oder feurige Fähigkeit« verrichtet; Harvey, der die Terminologie seines Lehrers verschmähte, sagte, es funktioniere durch »Ansteckung«. Beide hätten genauso gut sagen können, es funktioniere über pneuma oder Bläschen. Selbst von Baers Befruchtungsmodell war immer noch sehr aristotelisch geprägt (es war von Baer, der Spermien spermatozoa nannte – wiederum eine Bezeichnung, die ihre Mehrdeutigkeit anklingen lässt). Erst 1875 zeigte Oskar Hertwig unwiderruflich, dass der Embryo in der Verschmelzung eines Spermiums mit dem Kern einer Eizelle seinen Anfang nimmt – und zwar, indem er ein sehr aristotelisches Lebewesen untersuchte, den Steinseeigel (Paracentrotus lividus). Das jedoch erforderte ein Mikroskop mit Zeiss-Optik. Der Beweis, dass Chromosomen die Träger ererbter Informationen sind, konnte erst 1910 durch Thomas Hunt Morgans Taufliegen-Experimente geführt werden – und selbst da gab es Skeptiker. Noch 1928 argumentierte William Bateson, einer von Mendels frühesten Verfechtern und der Mann, der den Begriff »Genetik« prägte, dass Vererbung durch ein System von intranuklearen »Vibrationen« erfolgt – also durch Bewegungen.

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ristoteles wird allgemein zugeschrieben, der erste Wissenschaftler gewesen zu sein, der die Embryogenese untersuchte oder, um seine Worte zu verwenden, das »Entstehen«. Stimmt das? Die Ursprünge seiner Methoden liegen insgesamt im Dunkeln, aber eine hippokratische Abhandlung, die auf – vielleicht – fünfzig Jahre vor seiner Geburt zurückgeht und – vielleicht – von Polybus geschrieben wurde, stellt fest, dass der Fetus eines Menschen dem eines Huhns ähnelt. Um das zu beweisen, sagt Vielleicht-Polybus, nehme man zwanzig Eier, lege sie unter ein paar Hennen und öffne täglich eins, bis die Küken schlüpfen: »Du wirst alles so vorfinden, wie ich es sage, insoweit ein Vogel einem Menschen ähneln kann.« Aristoteles verweist nicht auf Vielleicht-Polybus, und das ist seltsam, da er eine Bibliothek von bekannter Güte hatte und oft Vorgänger zitiert, zugegebenermaßen allerdings überwiegend dann, wenn er glaubt, sie lägen falsch.

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Ob er nun der Erste war oder nicht, der die Embryologie des Huhns untersuchte, seine Beschreibung war auf jeden Fall besser als alle bisherigen: Bei Hennen dauert es drei Tage bis zum ersten sichtbaren Zeichen [des Lebens]: Es dauert länger bei größeren und kürzer bei kleineren Vögeln. In diesem Zeitraum bewegt sich der Dotter nach oben, zum Ursprung des Eis, hin zum spitzen Ende, wo es aufbricht. Das Herz befindet sich im Eiweiß, von der Größe eines Blutflecks. Dieser Fleck schlägt und bewegt sich, als wäre er am Leben. Von ihm, der sich immer weiter zu den beiden Enden der Hülle hin entwickelt, die ihn umgibt, führen zwei verzahnte Blutgefäße mit Blut darin fort. In diesem Stadium umhüllt eine Membran mit blutigem faserigem Material das Eiweiß, die aus den Blutgefäßen entspringt. Etwas später kann auch der Körper unterschieden werden, am Anfang winzig klein und weiß. Der Kopf ist sichtbar und in ihm die Augen, äußerst stark hervortretend …*

Aristoteles studierte die Entwicklung des Kükens, weil er es konnte. Fischembryos sind winzig, Säugetierembryos liegen im Mutterleib verborgen, aber um ein Küken zu betrachten, muss man nur ein Ei öffnen. Er beschreibt auch die Entwicklung vieler anderer Lebewesen, wenn auch weit weniger detailliert. Ein Fischembryo, so weit er das erkennen kann, ähnelt stark dem eines Vogels, hat allerdings nur eine Art Dotter und keine Allantois. Selbst die Embryos der lebend Gebärenden (Säugetiere, Grauer Glatthai) ähneln recht stark denen der Eier-Legenden (Vögel, die meisten Fische und Reptilien): Beide sind vor der Außenwelt geschützt (durch die Eischale oder die Gebärmutter), beide sind von einer Fruchthülle umgeben (dem chōrion) und beide werden über eine Nabelschnur entweder aus dem Dotter oder aus dem Blut der Mutter ernährt. Aristoteles weiß, dass die Gebärmutter von Kühen, Schafen und Ziegen mit kotylēdones (Kotyledonen oder Karunkeln) gespickt

* Paraphrasiert und mit modernen anatomischen Begriffen versehen, lautet die gesamte Passage so: Der drei Tage alte Embryo hat ein Herz, das schlägt und von dem aus zwei Blutgefäße, die linke und die rechte Dotterarterie, sich zu den Kapillaren des Dottersacks verzweigen. Körper, Kopf und Augen sind zu sehen. Beim zehn Tage alten Embryo ist der Kopf noch größer als der Körper, die Augen sind groß genug, um sie heraustrennen zu können, und mehrere Membranen – Chorion, Allantois, Amnion und Dottersack – sind zu erkennen. Diese Membranen sind durch flüssigkeitsgefüllte Räume voneinander getrennt; der Fruchtsack ist von Gefäßen durchzogen; der Dotter ist flüssiger geworden und das Ei enthält weniger Albumin. Magen und andere Eingeweide sind zu sehen. Das zwanzig Tage alte Küken hat Daunen am ganzen Körper und ist so gebeugt, dass sein Kopf neben seinem Bein liegt und von einem Flügel bedeckt wird. Die Allantois enthält nun ausgeschiedenes Material und ihre Verbindung zum Küken wurde getrennt; der Dottersack wurde fast vollständig in seinen Magen absorbiert. Das Küken schläft, wacht auf, bewegt sich, sieht nach oben und piepst; bald schlüpft es. So viel zur Entwicklung der Vögel.

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Hühnerembryo

ist, dass aber die meisten anderen Tiere keine haben.* Dennoch ist es manchmal, wenn er ins Generalisieren kommt, schwer zu sagen, ob er gerade ein Huhn oder einen Menschen meint. Dabei ist er an solchen Stellen nicht etwa nachlässig. Er sagt vielmehr etwas ziemlich Wichtiges: Es ist nicht so, dass ein Mensch, Pferd oder irgendein anderes bestimmtes Tier in dem Augenblick geformt wird, in dem ein Tier geformt wird. Die letzte Entwicklungsstufe jedes Tiers ist sein Ziel und was an ihm typisch ist. …

Das soll heißen, wenn ein Embryo sich bildet, sieht man zuerst nur die allgemeinen Merkmale, die aus ihm ein Tier machen – die Tatsache, dass er ein Herz hat, und die einfachen Umrisse seiner Organe. Die spezifischen Merkmale – die aus einem Menschen einen Menschen und kein Pferd machen – treten in der Entwicklung als Letztes zutage. Das ist eine wunderbare Beobachtung. Sie wurde noch einmal in weitaus mehr Einzelheiten von Karl von Baer gemacht, der sie in seinem großartigen Über die Entwicklungsgeschichte der Thiere, 1828, seine »erste Regel« der kompa-

* Aristoteles schlägt sich hier besser als da Vinci mit seiner berüchtigten Skizze eines menschlichen Fetus an der kotyledonen Plazenta einer Kuh. Andererseits hat er keinen Fachbegriff für die Plazenta.

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Von Baers erste Regel der Embryologie bei Wirbeltieren, illustriert Von links nach rechts: Glatthai, Lachs, Axolotl, Schlange, Huhn, Katze, Mensch Von oben nach unten: frühes, mittleres, spätes Stadium

rativen Embryologie nannte. Sie sollte eine der großen Verallgemeinerungen der evolutionären Entwicklungsbiologie werden.* Aristoteles’ Anatomie ist zwar mit Sicherheit das Produkt selbst durchgeführter Sektionen, es steckt aber auch viel von dem darin, was er von Fischhändlern und Metzgern, Jägern und Reisenden, Ärzten und Wahrsagern gelernt hat. In seiner Embryologie jedoch geht es offensichtlich nur um Dinge, die er selbst gesehen hat. Wer außer einem Biologen voller Eifer, die Geheimnisse der Entstehung von Leben zu lüften, würde so viel Zeit damit verbringen, winzige Embryos zu betrachten? Wenn wir mit einer leichten Verbeugung in Richtung Vielleicht-Polybus auch einräumen, dass Aristoteles nicht der Erste war, der den Hühnerembryo untersuchte, so war er doch sicherlich der Erste, der darin die Lösung der Entwicklungsfrage sah.

* Und zwar eine, die bis in die jüngste Zeit Bestand hatte. In den letzten Jahren haben Transkriptomdaten gezeigt, dass die allerfrühesten Embryonalstadien ebenfalls recht variabel sind. Inzwischen glaubt man, dass die Embryos verschiedener, verwandter Arten am stärksten in einem mittleren Stadium konserviert sind. Bei Wirbeltieren ist das etwa der Zeitpunkt der Somitenbildung und der Neurogenese. Danach ist das Muster so, wie Aristoteles und von Baer es beschrieben.

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LXVII

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enn die Menstruationsflüssigkeit mit Sperma in Kontakt kommt, gerinnen beide zu einem Embryo oder einem Ei. Aristoteles erklärt in schlichten Analogien, wie das abläuft: »Es ist ähnlich wie bei Feigensaft, der Milch gerinnen lässt, denn auch dieser verändert sich, ohne ein Teil der gerinnenden Masse zu werden.« Oder an anderer Stelle: »Dieses wirkt auf dieselbe Weise, wie Lab auf Milch wirkt.« Es geht also ums Käsen. Wenn Lab, eine Substanz aus dem Magen nicht entwöhnter Kälber, mit Milch gemischt wird, trennt es sie in feste und flüssige Teile: Käsebruch und Molke. Aristoteles nimmt an, dass das pneuma im Sperma dasselbe mit der Menstruationsflüssigkeit macht, indem es den erdigen Stoff gerinnen lässt und eine Flüssigkeit zurücklässt. Er hielt die Analogie wahrscheinlich für besonders passend. Die aktiven Zutaten (Sperma, Lab, Feigensaft) beziehen ihre Macht alle durch das Aufladen mit Lebenshitze; ihre Substrate (Menstruationsflüssigkeit, Milch) sind beides sehr eng verwandte Ableitungen aus dem Blut.* Das Ergebnis dieser Käserei ist ein Embryo, in eine Membran gehüllt und in einer Flüssigkeit schwimmend. Und jetzt macht sich das pneuma an seine wahre Arbeit: die Herstellung der Teile des Embryos. Aristoteles behauptet und wiederholt diese Behauptung mit dem Elan eines Mannes, der glaubt, eine große Entdeckung gemacht zu haben, dass das Herz das erste Organ ist, das im Embryo entsteht. Es ist eine ganz ordentliche Entdeckung, wenn wir ihm zugestehen, dass er das erste sichtbare funktionierende Organ meint, und so die Somiten und das Notochord ausschließen, die sich weit vor dem Herzen bilden. Es ist nicht nur eine Tatsache für Aristoteles, es passt auch zu seiner Theorie. Das Herz muss sich als erstes Organ entwickeln, weil Ernährung und damit das Wachstum aller anderen Organe von ihm abhängen. Die Nahrung, von der Mutter bereitgestellt und in ihrem Herzen verkocht, fließt durch die Dottergefäße in den Embryo und wird vom Herzen

* Als er sich in seiner Küche nach einer chemischen Analogie umsah, um die frühe Embryogenese zu erklären, greift Aristoteles auffälligerweise nach einem, das auf Enzymen basiert (sowohl Feigensaft als auch Lab enthalten Proteasen). Er spielt auf das Konzept der Katalyse an, denn er glaubt, dass die aktiven Zutaten nicht zu einem Teil des Produkts werden; er begreift es aber nicht ganz, denn er glaubt auch, dass sie in der Reaktion verbraucht werden.

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und seinem System verzweigter Gefäße verteilt. Er vergleicht die Blutgefäße mit den Wurzeln eines Sämlings oder mit Bewässerungsrinnen in einem Feld und die Art, wie die Nahrung durch die Gefäßwände tritt, damit, wie Wasser durch ungebrannte Keramik sickert. Im letzten Stadium wandelt die umsichtige Anwendung von Hitze die Nahrung in Fleisch, Sehnen, Knochen und all die anderen Gewebe um, aus denen ein wachsender Embryo gebildet wird. Aristoteles glaubt, dass Gewebe und Organe aus rohem, ungeformtem Material bestehen, aber zuerst nimmt er die offensichtliche rivalisierende Vorstellung auseinander, dass die Teile eines Embryos – vielleicht sogar des gesamten Embryos – bereits im Samen der Eltern vorhanden sind, allerdings zu klein, um sie zu sehen. Seine Widersacher waren die vorsokratischen physiologoi, die abstritten, dass Materie irgendeiner Art – sogar Gewebe – geschaffen oder zerstört werden könne. Ein später Kommentator berichtet über Anaxagoras’ Theorie: »Denn im selben Samen, sagt er [Anaxagoras], sind Haar und Nägel und Venen und Arterien und Muskeln und Knochen und sie sind unsichtbar wegen der geringen Größe ihrer Teile, aber wenn sie wachsen, werden sie nach und nach voneinander getrennt. Denn wie, sagt er, kann Haar aus dem entstehen, was nicht Haar ist, und Fleisch aus dem, was nicht Fleisch ist?« Aristoteles jedoch kritisiert Empedokles, der, so sagt er, glaubte, dass Lebewesen sich selbst aus vorgeformten Organen zusammensetzen. (So sagt er – Aristoteles scheint oft ein unzuverlässiger Berichterstatter über die Vorstellungen des Sizilianers zu sein.) Auf jeden Fall führt er viele Argumente gegen die Theorie an, zögert aber nicht, auch einige recht banale Punkte festzustellen: »Und wenn die Teile des Tieres im Sperma verteilt sind, wie sollen sie dann leben? Wenn sie verschmölzen, würden sie ein kleines Tier bilden« – und das, soll sein Leser selbst schließen, ist offensichtlich absurd. Aristoteles legt seine eigene Vision mithilfe zweier hübscher Metaphern dar. In einer malt die Natur den Embryo: Die Teile werden alle zunächst in Umrissen skizziert und erhalten erst später Farbe, Weichheit und Härte. Es ist genau so, als wäre die Natur ein Künstler, der an einem Gemälde arbeitet. Auch Maler skizzieren Tiere erst – bevor sie die Farbe auftragen.

In der anderen wird der Embryo geknüpft wie ein Netz: Wie also werden die anderen Teile durch das Sperma erzeugt? Sie … entstehen entweder alle zusammen oder nacheinander, wie Orpheus’ Gedicht schließen lässt … wie das Knüpfen eines Netzes. Ersteres ist nicht der Fall: Einige Teile sind schon deutlich im Embryo sichtbar, andere dagegen noch nicht … Die

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Lunge ist größer als das Herz und taucht trotzdem in der ursprünglichen Entwicklung später auf als das Herz.

In diesem zweiten Abschnitt finden wir den wahren Grund, warum Aristoteles die Vorstellung vorgeformter Organe nicht mag. Jede solche Theorie muss winzige Hühner oder Hühnerteile im Sperma bedeuten und Aristoteles glaubt einfach nicht an die Existenz von Dingen, die zu klein für das menschliche Auge sind. Diese voreingenommene Einstellung zur unsichtbaren Welt entspringt direkt aus seiner grundlegendsten Materietheorie. Sperma ist homogen: Es besteht weder aus Molekülen noch aus mikroskopischem Geflügel. Nachdem er den Mechanismus eingeführt hat, fühlt sich Aristoteles verpflichtet, ihn zu erklären. Wie entstehen die Teile nacheinander? Er wägt die Möglichkeit ab, dass die Organe auseinander entstehen – dass die Leber tatsächlich aus dem Herzen wächst –, verwirft sie aber aus dem Grund, dass jedes Organ eine eigene Form hat und die Form eines Organs nicht in einem anderen existieren kann; alle Organe bestehen aus grundlegenderer Materie. Seine eigene Lösung hängt von einer viel raffinierteren Kausalkette ab. Sperma, sagt er, stößt eine Bewegung im Embryo an, und sobald es das tut, geschieht Folgendes: Man stelle sich vor, dass A B bewegt und B C wie bei den fantastischen automatischen Puppen. Selbst wenn ihre Teile sich nicht bewegen, behalten sie eine Art von Potenz. Das bedeutet, wenn eine Kraft von außen einen Teil in Bewegung versetzt, wird der nächste Teil unmittelbar im Akt bewegt. In gewissem Sinn bewegt also A C in den mechanischen Figuren, nicht weil es aktuell Kontakt mit einem Teil hat, sondern wegen seines vorherigen Kontakts. Dasselbe gilt für den Ursprung des Spermas. Der Erzeuger des Spermas setzt Dinge durch eine vergangene Verbindung in Bewegung und nicht durch eine aktuelle.

Es handelt sich um die automatischen Puppen aus De motu animalium. Puppen zur Erklärung heranzuziehen, wie ein Tier sich bewegt, ist nicht weiter erstaunlich; als Erklärung für die Entwicklung eines Embryos allerdings schon. Mit »A«, »B« und »C« meint Aristoteles sicherlich die entstehenden Organe des Embryos. Die Bewegungen des Spermas formen das Herz, das dann andere Organe formt, die wieder andere formen, bis das Bild gemalt ist, das Netz geknüpft und der Embryo vollständig. In großen Teilen seiner Darstellung scheint uns Aristoteles zu erzählen, dass die Herstellung eines Embryos der Herstellung einer Statue ähnelt: Der Vater ist der Künstler, der formt, und das Sperma ist die Hand; die Mutter ist der Ofen, in der ihre Menstruationskeramik gebrannt wird. Jetzt wird klar,

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dass dieser Vergleich nicht erfasst, was er meint. Er hat schon eingeräumt, dass die Menstruationsflüssigkeit auf eine Art lebendig ist, dass sie das Potenzial für eine nährende Seele enthält. Die automaton-Kausalität verleiht dem Wort »Potenz(ial)« eine neue Bedeutung, da sie uns sagt, dass die Menstruationsflüssigkeit eine verborgene Struktur und eine latente formative Kraft hat; dass sie mehr wie eine aufgezogene Uhr mit einer Arretierung ist, die das Sperma nur löst. Die automaton-Kausalität erklärt auch die Vielfalt der Formen. Embryos beginnen gleich, aber im Laufe ihrer Entwicklung entfernen sich die Kausalketten, die sie formen, voneinander. Er spricht von einem Lebewesen namens kordylos. Es ist eine Amphibie: Es hat Kiemen und schwimmt mit einem Schwanz, der dem eines Welses ähnelt, hat aber auch Beine statt Flossen und kann an Land leben.* Es ist von Natur aus ein Zwischending zwischen einem Land- und einem Wassertier. Er sagt, es sei so »abartig« wegen eines Ereignisses, das sehr früh in seiner Ontogenese stattfindet. Er erklärt weiter, dass die Umgebung, in der das Tier aufwächst – Land oder Wasser – ein »unendlich winziges, aber absolut notwendiges Organ« beeinflusst, das wiederum bestimmt, ob ein Tier die Merkmale eines Land- oder eines Wassertiers tragen wird. Viel über den kordylos bleibt vage, aber das allgemeine Argument ist es nicht: Früh in der Ontogenese ist ein kleines Organ verantwortlich für die vielen Merkmale, in denen sich Wasser- und Landlebewesen voneinander unterscheiden: A bewegt B bewegt C.

* Der kordylos ist offensichtlich ein Jungmolch oder eine Kaulquappe, aber es ist nicht klar, ob Aristoteles das weiß. Er könnte glauben, dass der kordylos ein »Zwischenwesen« ist wie eine Robbe oder ein Delfin. Wenn Aristoteles von dem winzigen Organ spricht, das die zukünftige Entwicklung des Tieres bestimmt, werden sich Zoologen unwiderstehlich an die endokrinen Organe erinnert fühlen – Hypothalamus, Hypophyse oder Schilddrüse –, die die Metamorphose der Amphibien steuern. Aristoteles meint wahrscheinlich das Herz – das tut er meistens.

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ls die Anatomen der Renaissance sich wieder angewöhnten, in Eier zu schauen, nutzten sie De generatione animalium als Leitfaden. Natürlich hatten sie auch nichts anderes. Aldrovandi (Ornothologica, 1600), sein Schüler Volcher Coiter (Externarum et internarum principalium humani corporis partium tabulae et exercitationes, 1573) und Hieronymus Fabricius ab Aquapendente (de Formatione ovi et pulli, 1604) fügten kaum Verbesserungen zu Aristoteles’ Beschreibungen der Entwicklung des Kükens hinzu – allerdings steuerten sie einige schöne Abbildungen bei. William Harvey, der Aristoteles verehrte, näherte sich ihm mit kritischerem Blick. In seinen Exercitationes de generatione animalium (1651) identifizierte Harvey korrekt die cicatricula (Blastoderm) anstelle des punctum saliens (embryonisches Herz) als die erste Manifestation des Embryos. Er nannte es »Die Quelle allen Lebens«, aber er sah auch im Widerspruch zu Aristoteles, dass sich das Blut vor dem Herzen bildet. Es war auch Harvey, der nach dem Koagulum aus Sperma und Menstruationsflüssigkeit suchte, das Aristoteles’ Befruchtungstheorie vorhersagte. Er sezierte frisch begattete Hirschkühe, Opfer der Jagdgesellschaften Karl I. in den Parks von Hampton Court und Windsor, fand die aristotelischen Flüssigkeiten nicht, entschied sich für die andere einende Möglichkeit und erklärte (auf dem Titelblatt seines Buches): Ex ovo omnia – »alles aus dem Ei«.* Obwohl er ein so scharfsinniger Kritiker war, blieb ein großer Teil von Harveys Embryologie durch und durch aristotelisch. »Kein Teil des zukünftigen Fetus«, erklärte Harvey, »befindet sich wirklich im Ei, dennoch sind alle seine Teile potenziell darin enthalten …« Man beachte den Gegensatz zwischen »wirklich« und »potenziell« – Aristoteles hätte es nicht besser formulieren können. Harvey nannte diesen Vorgang der Aktualisierung »Epigenese«.** Hier erfährt auch Aristoteles’ Streit mit den Neo-Vorsokratikern eine Neuauflage.

* Das jedoch war wirklich nur gut geraten oder vielleicht auch eine programmatische Aussage. Mit Sicherheit war es keine empirische Verallgemeinerung. Karl von Baer entdeckte die winzige, wenn auch nicht gerade mikroskopisch kleine Eizelle der Säugetiere erst 1827. Da er weniger Glück mit seinen Gönnern hatte als Harvey, fand er sie beim Sezieren der Hündin eines Kollegen. ** Nicht zu verwechseln mit der »Epigenetik« im modernen Sinn – also den chemischen Modifikationen von DNA oder der Chromosomenstruktur, die zu veränderten Mustern in der Genexpression führen.

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Viele von Harveys Nachfolgern argumentierten verzaubert von den Strukturen, die ihnen ihre Mikroskope enthüllten, dass das aristotelische Modell schlicht falsch sei. Der Embryo, behaupteten sie, enthalte von Anfang an all seine Teile, und zwar vollständig. Manche sagten, sie könnten Miniatur-Embryos in Spermatozoen sehen, andere sahen sie in Eiern. Historiker nennen diese Doktrin in all ihren Spielarten »Präformationismus«. Der Schweizer Naturforscher Charles Bonnet, der vor logischen Konsequenzen nicht zurückscheute, stellte die These auf, dass jeder Samen einen vollständig vorgeformten Embryo enthielte, dessen Samen vollständig vorgeformte Embryos enthielten, dessen Samen … und so weiter bis zum Ursprung der Schöpfung. Der Streit zwischen Epigenese und Präformationismus tobte etwa zweihundert Jahre lang. Eine Weile schienen die Präformationisten Modernität und Mechanismus auf ihrer Seite zu haben. Bessere Mikroskope auf der Grundlage von Zeiss-Optik zeigten, dass dem nicht so war. Präformationismus war eine Illusion; Embryos erschaffen sich tatsächlich selbst. Man kann ihnen sogar dabei zusehen. Man braucht dazu nur ein richtig gutes Mikroskop mit ein paar ausgefallenen Filtern und eine gesunde Kultur Nematoden. Man nimmt ein einzelnes befruchtetes Ei, legt es auf eine Agar-Unterlage mit einem Tropfen Puffer, damit es nicht zerdrückt wird, schützt das Ganze mit einem Deckglas und stellt die 1000-fache Vergrößerung ein. Dann sieht man zu. Zuerst passiert nicht viel, aber dann beginnt das Zytoplasma, sich zu verwirbeln und zu verformen und ziemlich plötzlich sind da zwei Zellen, wo vorher nur eine war. Sie teilen sich wieder und dann wieder und dann noch einmal – das Ganze geschieht mit bemerkenswerter Geschwindigkeit und gleichbleibender Präzision. Zellen beginnen sich zu bewegen, manche schieben sich unter andere; Höhlungen bilden sich und Ausbeulungen wölben sich vor; Organe – ein Schlund, ein Darm – beginnen in geisterhaften Umrissen aufzutauchen und werden zunehmend deutlicher. Die Zellmasse zieht sich zusammen, zuerst zu etwas Bohnenförmigem, dann zu einem Komma, dann zu einer Brezel – das heißt, zu einem kleinen Wurm. Etwa sieben Stunden nachdem man begonnen hat zuzusehen, fängt er an zu zucken; nach zehn windet er sich in seinem Ei. Vieles an Aristoteles’ Entwicklungsbiologie scheint eher seltsam. In unserer Biologie sind die elterlichen Materialien Gameten und keine Flüssigkeiten; sie kommen sich nicht nur irgendwie nahe, sondern verschmelzen; der Träger der ererbten Informationen ist kein Muster von »Bewegungen«, sondern ein eigenartig stabiles Makromolekül. Und die Form des aufkeimenden Tieres stammt natürlich nicht nur vom Vater, sondern von beiden Eltern. Dennoch kommt man nicht umhin, die schiere Kühnheit seines Systems zu bewundern. Es ist alles da – eine mechanistische Darstellung des geheimnisvollsten Vorgangs in der gesamten Biologie: Wie aus offenbar ungeformter

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Materie ein Lebewesen mit all seinen Teilen entsteht. Und bedenkt man die unsichtbaren Gradienten molekularer Signale, die Kaskaden von Transkriptionsfaktoren und die Netzwerke der Signaltransduktionsproteine, die die Zellen an ihre Bestimmungsorte und in ihre differenzierten Formen bringen, scheint es, als würde Aristoteles’ automaton-Logik – A bewegt B bewegt C –, die in verzweigten Kausalketten widerhallt, etwas sehr Grundlegendes darüber erfassen, wie das alles funktioniert. Es ist »genau so, als wäre die Natur ein Maler, der ein Kunstwerk erschafft«. Wenn es eine entzückendere und wahrere Metapher für den Akt der Selbsterschaffung gibt, der Sie und mich und Aristoteles und jedes andere Lebewesen erzeugt hat, dann kenne ich sie nicht.

Das Tal der Schafe

probaton – syrisches fettschwänziges Schaf – Ovis aries

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LXIX

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er Potamiá, was einfach »Fluss« bedeutet, strömt vom Ordimnos-Massiv hinunter zur Schwemmlandebene an der Nordwestküste der Lagune. Eines schönen Frühlingstages folgte ich von Anemótia aus seinem Lauf flussabwärts. Ich sah niemanden sonst. Die Hügel sind kaum bewohnt, obwohl sie genutzt werden, denn ab und zu wurde mir der Weg von kleinen Hunden versperrt, die aus Kisten oder Fässern schossen, um mich anzubellen, und an den Seilen zogen, mit denen sie festgebunden waren. Ich fragte mich, was sie in dieser Einsamkeit dort taten, denn es gab dort nichts zu verteidigen, aber später erfuhr ich, dass sie die Bewegungen der Schafe regulieren sollen, die durch die Olivenhaine im Tal wandern. Ich begegnete einer Herde, die offenbar unbewacht umherlief. Die Schafe von Lesbos sind schlank und intelligent. In den Olivenhainen fressen sie Zweige, die die Bauern für sie abgeschnitten haben, aber im trockenen Inneren der Insel leben sie von den aromatischen Pflanzen der Phrygana , die in der dünnen vulkanischen Bodenschicht wachsen. Sie tragen Bronzeglocken um den Hals und in der Stille der Hügel hört man häufig das leise Gebimmel lange bevor sie selbst auftauchen. Aristoteles, der viel über Schafhaltung zu sagen hat, beschreibt, wie ein bestimmtes Schaf, ein Hammel, die Glocke trägt und darauf abgerichtet ist, die Herde zu führen und auf seinen Namen zu hören. Auf Lesbos haben fast alle Schafe Glocken von unterschiedlicher Größe und Klangfarbe; wenn man sich ihnen nähert und sie nervös ausbrechen, klingt es daher wie ein Carillon, dessen Töne sich wellenförmig durch die Herde verbreiten. Ein Schaf, offenbar der Anführer, stellte sich mir mutig in den Weg und starrte mich mit unbeweglichen gelben Augen an, und obwohl ich neugierig war, ob es noch seine Hoden hatte, hätte ich dafür unter sein zotteliges Fell sehen müssen und seine Körperhaltung ließ mich daran zweifeln, dass es mein Interesse teilte. In Korinth habe ich einmal einen Hochland-Schafhirten kennengelernt, angemessen wettergegerbt und schweigsam, der bestätigte, was Aristoteles sagt. Im Alter von drei Monaten wird ein männliches Lamm, groß, diszipliniert und hübsch, als zukünftiger Anführer ausgewählt. Mit sechs Wochen wird es kastriert, bekommt einen Namen und wird einem erfahrenen Hammel zur Seite gestellt, um die Führung eines Pulks von 25 Schafen zu erlernen. Die Hirte verwies anschließend auf die kuriose Tatsache, dass

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ein erfahrenes weibliches Schaf manchmal durch Instinkte oder kraft seiner Persönlichkeit die Führung an sich reißt und dass es, wenn es das tut, nie wieder ein Lamm zur Welt bringt. Er sagte auch, dass sein Anführer-Hammel ihn einmal aus einer tödlichen Gefahr befreite, aber er wollte nicht sagen, worum es sich dabei gehandelt hatte. In seiner Zusammenfassung der tierischen Artenvielfalt kommt Aristoteles kurz auf die Biogeografie von Schafen zu sprechen. Er berichtet, dass in Pontos (an den Küsten des Schwarzen Meeres) die Widder keine Hörner haben, dass es aber in Libyen ein Schaf mit langen Hörnern sowohl bei den Widdern als auch bei den weiblichen Schafen gebe,* dass sauromatische (Bosporus-)Schafe harte Wolle haben, dass sie auf Naxos sehr große Gallenblasen haben, auf Euböa dagegen gar keine, dass Schafe mit flachen Schwänzen die Winterkälte besser vertragen als solche mit langen Schwänzen und kurzwollige Schafe besser als zottelige, aber dass solche mit krausem Fell am meisten leiden. Syrien ist die Heimat einiger einzigartig ausgefallenen Haustiere: Bei syrischen Schafen sind die Schwänze oft anderthalb Fuß breit und Ziegenohren etwa einen Fuß lang, sodass sie in einigen Fällen den Boden berühren. Rinder haben auch Höcker auf ihren Schultern wie Kamele.

Das ist für sich genommen keine besonders wichtige Beobachtung – nur ein weiteres Stück naturgeschichtliche Überlieferung unter Tausenden. Aber man fragt sich: Wofür hielt Aristoteles diese fettschwänzigen Schafe, die langohrigen Ziegen und die buckeligen Rinder? Waren sie für ihn nur lokale Varietäten derselben einfachen Schafe, Ziegen und Kühe, die auf jedem griechischen Bauernhof grasten, oder etwas ganz anderes? Das klingt nicht nach einer sehr bedeutsamen Frage, doch es ist eine. Denn die Antwort stellt nichts weniger als die eigene Vision der Ordnung und Stabilität des Lebens auf den Kopf: Hottentotten sagen, dass großschwänzige Schafe vom Kap stammen und eine Art mit dünneren Schwänzen weiter aus dem Binnenland … Kapitän Davis fand 1598 in der Tafelbucht Rinder mit Höckern auf dem Rücken sowie Schafe mit großen Schwänzen.

Sie haben dieselben Daten: Fettschwänzige Schafe und buckelige Rinder in exotischen Umgebungen, ganz anders als alles, was zu Hause sein Futter * Vielleicht ist dieses Langhorn eine andere Art der Mähnenspringer (Ammotragus lervia), da heutige Schafe der nordamerikanischen Berber auffallend hornlos sind.

das tal der schafe

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wiederkäut. Doch es sind nicht nur die Daten wichtig, sondern das, was man in ihnen sieht. Der zweite Abschnitt stammt aus Darwins Transmutation Notebooks. Wir schreiben das Jahr 1837 oder 1838 und er hat gerade die Evolution entdeckt.

LXX

I

m ersten Kapitel von Über die Entstehung der Arten hätte es um die Herrlichkeit des brasilianischen Regenwaldes gehen können, durch den der 23-Jährige in geradezu religiöser Verzückung gewandert war. Oder es hätte um das ländliche Kent gehen können, wo unter der grünen Beschaulichkeit ein wilder Kampf auf Leben und Tod tobt. Oder es hätte um die Galapagosinseln gehen können, im Ursprungsmythos der Evolution Quelle und Ursprung der Theorie selbst. Darwin hätte auch einfach einen Überblick über die vier Bände zu den Rankenfußkrebsen geben können, die er nur einige Jahre zuvor veröffentlicht hatte, und herausstellen können, wie ihre Cyprislarve ihre Verbindung zu Garnelen und Krebsen beweist; er hätte die seltsamere Art mit mikroskopisch kleinen Männchen (»reine Spermatozoen-Behälter«) und gigantischen rüsselförmigen Penissen beschreiben können. All dies ist schließlich das Problem, das versucht er zu erklären und man sollte meinen, er würde den Leser zu packen versuchen, indem er ihm zeigt, wie wunderbar es ist. Aber er tut es nicht. Er beginnt ganz prosaisch mit Tauben.

Potamiá-Tal, Lesbos, Juni 2011

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Er argumentiert, dass alle Taubenrassen auf der Welt von der Felsentaube, Columbia livia, abstammen. Die Selektion durch den Menschen über Tausende von Generationen hätten sie geteilt und umgeformt und genau das geschehe auch in der Natur. Kennt man die Taube, versteht man die Taube, folgt der ganze Rest von selbst. Darwins Argument ist so bekannt, dass kein Biologe eine Taube, ein Schaf oder einen Goldfisch ansehen kann, ohne in ihren Federn oder Füßen oder Flossen eine evolutionäre Geschichte zu lesen, eindrucksvoll oder grotesk oder auch beides. Jedes Fettschwanzschaf und jede buckelige Kuh erzählen eine Geschichte von Ursprung, Migration und Veränderung, die vor Jahrtausenden in den Wüsten des Nahen Ostens und den Kulturen am Indus begann, die Berge Kleinasiens einschließt, die struppigen Hügeln an den Küsten der Levante streift, den Ostafrikanischen Graben hinunter über zahllose Kilometer Veld-Landschaft führt, ein geografisches Ende in der Tafelbucht findet und doch – denn die Evolution selbst hat kein Ende – bis heute fortgeschrieben wird. Aber es ist nicht ganz Darwins Geschichte. Erst in den letzten Jahrzehnten haben Molekulargenetik und Archäologie die mäandernden Stammbäume unserer Bauernhoftiere bis zu ihren fernen und uralten Ursprüngen in der Wildnis zurückverfolgt.* Darwins wahre Absicht lag tiefer. Er wollte zeigen, dass Arten variantenreich sind und dass einige dieser Variationen vererbt werden können. Die Natur erschafft vererbliche Variationen – und wie: Die Vielfalt der Rassen ist etwas Erstaunliches. Man vergleiche die Carrier-Taube und den Short-faced Tumbler und betrachte den herrlichen Unterschied zwischen ihren Schnäbeln, der entsprechende Unterschiede zwischen ihren Schädeln nach sich zieht. Der Carrier, genauer gesagt das Männchen, ist auch bemerkenswert wegen der wunderbaren Entwicklung der warzigen Hautlappen am Kopf, die von stark verlängerten Augenlidern, sehr großen äußeren Nasenlöchern und einer großen Schnabelöffnung begleitet wird. Der Short-faced Tumbler hat einen Schnabel, der in seinen Umrissen fast dem eines Finken ähnelt, und der Common Tumbler … [etc.]

Darwin musste die Vererbung verstehen. Erbliche Variation war der Treibstoff für seine Evolutionsmaschine, also musste er ihre Gesetze und ihre Grenzen kennen. Er schlug sich jahrzehntelang mit dem Problem herum. Aus den zögerlichen Notizen in den Transmutation Notebooks wurden die selbst* Darwin vermutet, dass Höcker-Rinder tatsächlich auf einen anderen boviden Vorfahren zurückgehen könnten; heute glaubt man, dass sie von einer anderen Unterart, Bos primigenius indicus, abstammen, während die europäischen Rinder aus B. p. taurus hervorgingen.

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bewussten Behauptungen in der Entstehung der Arten, die 1868 das ausufernd aporetische Das Variieren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication hervorbrachte. Es war ein Fehlgriff, der größte seines wissenschaftlichen Lebens. Dennoch wissen wir heute, dass Darwin recht hatte mit der Annahme, dass jede Art voller erblicher Variationen steckt. Tatsächlich lautet die große Lektion der postdarwinistischen Biologie, dass die Vielfalt bis in die untersten Ebenen reicht. Ein Teil dieser phänotypischen Varianz wird durch die Vielfalt in den Genen verursacht, ein Teil durch die Vielfalt in der Umgebung; ein großer Teil ist auf so komplexe Arten auf beides zurückzuführen, dass wir sie kaum alle entwirren können. Darwin begriff einiges davon. Aristoteles auch? Viele Wissenschaftler glaubten, dass dies nicht der Fall war. Aristoteles, argumentieren sie, glaubte, dass die Aufgabe eines Wissenschaftlers darin bestehe, die »wesentlichen« Merkmale der Lebewesen aufzuzählen, die er untersuchte. »Wesentliche« Merkmale variieren unter den Individuen nicht oder nur versehentlich (ein Beinamputierter ist ganz offensichtlich immer noch ein Mann, auch wenn er nicht mehr tatsächlich ein Zweifüßer ist). Indem er die Essenz jeder Form suchte, ignorierte Aristoteles die Vielfalt, die Individuen zur Schau stellen, und schloss sie aus dem Aufgabenbereich der Wissenschaft aus. Wie unterschiedlich auch Sokrates und Kallias – oder zwei Schafe – aussehen mögen, für Aristoteles sind sie »eins in der Form« und mehr gibt es nicht zu sagen. Gibt es aber doch. Ja, er will die typischen, funktionellen – »essenziellen« – Merkmale seiner Sorten verstehen. Aber auf seiner Forschungsagenda steht parallel dazu auch noch die Aufgabe, die nutzlose Vielfalt zu verstehen, die selbst die kleinsten Sorten durchzieht, die sich als atoma eidē – »unteilbare Formen« – bezeichnen lassen. Er hat keine Bezeichnung für diese Art der Variation, also nenne ich sie informale Variation in Analogie zur intraspezifischen Variation des modernen Biologen. In Illyrien und Paionien (Balkan), sagt Aristoteles, haben die Schweine massive Hufe wie ein Pferd anstelle der gespaltenen Füße der meisten Schweine. Das klingt wie eine aristotelische Bizarrerie, aber das ist es nicht, denn Darwin schreibt, dass es solche Schweine in England gibt. Aristoteles und Darwin machen beide deutlich, dass sie nicht über zwei verschiedene Sorten oder Arten von Schweinen sprechen, sondern um Varianten des normalen Schweins.* Die verschiedenen Schafe, Schweine, Pferde und Rinder, die in der ganzen Welt verstreut leben, sind also nur unterschiedliche Manifestationen bestimmter Formen. Jedes domestizierte Tier, sagt Aristoteles, hat ein wildes

* Eine syndaktyle Mutation, wie sie in Louisiana als »mule-foot hog« (Maultierhuf-Schwein) bekannt ist.

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Gegenstück; sollten sie in verschiedene Sorten eingeordnet werden? Nein, eine solche Teilung wäre unnatürlich. Auch Menschen sind eine Einheit. Aristoteles weiß, dass Äthiopier schwarze Haut und krauses Haar haben, dennoch sieht er es als gegeben an, dass sie und die Griechen dieselbe unteilbare Form gemein haben. Darwin behauptete, der Großteil der Variationen, die bei domestizierten Tieren zu sehen sind, sei erblich. Aristoteles dagegen führt die meisten informalen Variationen auf die direkten Auswirkungen der Umwelt zurück. Manche Orte seien heiß, andere kalt, manche feucht, andere trocken, und solche Unterschiede sorgten für die Unterschiede im Erscheinungsbild. Die Tiefen des Meeres sind so kalt, dass die dort lebenden Seeigel lange Stacheln haben. Afrika ist trocken, aber die Küste des Schwarzen Meeres ist feucht, daher haben die Äthiopier krause Haare, aber die Haare der Skythen und der Thraker sind glatt. Das sengend heiße Klima Ägyptens sorgt dafür, dass die natürlicherweise kalten Tiere – Schlangen, Echsen und die Schildkröten im Roten Meer – dort sehr groß werden. Andererseits führt die Nahrungsknappheit dazu, dass die Hunde, Wölfe, Füchse und Hasen in Ägypten eher klein bleiben. Bienen sind »einheitlicher gefärbt« als Hornissen und Wespen, weil sie sich relativ eintönig ernähren. All diesen informalen Variationen fehlt die funktionelle Bedeutung. Sie dienen zu nichts, sondern sind nur das Ergebnis materieller Naturen, der physikalischen Eigenschaften von Geweben, die von den Wechselfällen der Welt geprägt werden. Aristoteles’ umweltlastige Sicht auf geografische Variationen ist verwirrend. Verstand er nicht, dass die verschiedenen Merkmale domestizierter Tiere ererbt sind? Vermutlich hatte er über fettschwänzige syrische Schafe und maultierfüßige Balkan-Schweine nur gelesen, aber jeder Bauer hätte ihm doch sagen können, dass Schafe mit langem und mit gekräuseltem Fell Rassen sind? Er sagt uns, dass in einigen Gebieten die Schafe weiß sind und in anderen schwarz und dass dies auf das Wasser zurückzuführen sein könnte.* Das ist absurd. In Griechenland sind die Schafherden eine schachbrettartige Mischung aus Weiß und Schwarz, und jeder Schafhirte muss gewusst haben, wie mein korinthischer Hochländer sicher auch, dass die Fellfarbe vererbt wird. Es ist auch nicht so, als seien die Prinzipien der selektiven Zucht im Griechenland des 4. Jahrhunderts unbekannt gewesen, denn Platon erörtert in Politeia, wie man einen besseren Schäferhund züchten könne. Natürlich dient das wieder einmal nur als Einleitung zu seinem wahren Thema, wie

* In einem anderen Abschnitt deutet er an, dass die Fellfarbe erblich sein könnte, wenn auch auf seltsame Weise – dass nämlich die Farbe der Venen unter der Zunge des Widders die Farbe seiner Nachkommen voraussagt. Ich bezweifle, dass das stimmt; zumindest schienen einige Bauern, die ich danach befragte, verwirrt.

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man nämlich einen besseren Menschen züchten könnte. Zugegebenermaßen tat Aristoteles gut daran, Platons politische Fantasien zu ignorieren,* aber er hatte mindestens einen weiteren Kollegen, seinen engsten Freund, dessen Verständnis der intraspezifischen Varianz wirklich sehr scharfsinnig war – und dessen Daten viel besser waren als seine eigenen.

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r wirkt wie der klassische Epigone. Wenn Aristoteles ein Feuerwerk ist, dann ist Theophrastos eine Kerze. Seine Theorien sind nicht so kühn, sie reichen nicht so tief, sie scheinen überwiegend von seinem Freund geliehen zu sein. Wenn er uns von seinen Pflanzen erzählt, nennt Theophrastos niemals Aristoteles’ Namen – aber er ist immer präsent. Dennoch sollte man Theophrastos nicht unterschätzen. Dieser Unterschied im Temperament ist auch ein Unterschied in den Methoden. Theophrastos ist vorsichtiger, weniger streitsüchtig, empirischer, weniger theoriegesteuert. Er trägt weniger metaphysisches Gepäck mit sich herum. Das kommt nicht nur daher, dass seine Metaphysik nur in Fragmenten vorliegt, während die von Aristoteles intakt überliefert ist. Wenn Theophrastos alternative Erklärungen erwägt und für jede Belege liefert, hat man nicht den Eindruck – wie überall bei Aristoteles –, dass er die Karten bereits verteilt hat. »Göttliche Rede« ist nicht der Inbegriff eines modernen Wissenschaftlers – aber er ist näher dran. Thrakischer Weizen, sagt Theophrastos, keimt spät und braucht drei Monate zum Reifen; an anderen Orten keimt Weizen früh und reift in zwei Monaten – warum? Eine offensichtliche Erklärung wäre, dass an der Luft, dem Wasser oder dem Boden in Thrakien irgendetwas anders ist. Er analysiert die Auswirkungen von Boden, Wasser und Wind auf Pflanzenwachstum und -länge. Auf Lesbos ist ein Fluss in der Nähe von Pyrrha so nährstoffreich, dass sein Wasser Pflanzen tatsächlich umbringt, und Menschen, die in ihm baden, sind hinterher mit einer Art von Schuppen bedeckt. (Er muss die mineralienreichen heißen Quellen von Lisvoni meinen, die ein kleines Stück westlich der Lagune entspringen.) Obwohl auch Tiere von der Umwelt beeinflusst werden, sagt er, es sei bei ihnen weniger der Fall als bei Pflanzen, da ihre Verbindung zum Boden weniger direkt sei.

* In der Politik schlägt Aristoteles vor, der Staat solle die Heirat und das Zeugen von Kindern so regulieren, dass gesunde Kinder aufgezogen werden; er empfiehlt sogar, deformierte Kinder zu töten. Aber nirgendwo führt er erbbegründete Argumente für solche Gesetze an, daher ist sein Argument nicht als eugenisch einzustufen.

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Die Anspielung gilt Aristoteles’ ägyptischen Tieren. Tatsächlich ist das ganze Modell sehr aristotelisch. Aber dann weist er darauf hin, dass thrakischer Weizen, wenn man ihn woanders anbaut, trotzdem spät keimt, und dass früh keimender Weizen in Thrakien trotzdem früh keimt.* Jede der Weizenvarietäten, schließt er, habe ihre eigene »besondere Natur«. Er scheint zu glauben, dass die Unterschiede zwischen den Weizenvarietäten fest sind, also erblich. Aber allgemein gesprochen, können sowohl Umwelt als auch ererbte Eigenschaften das Wachstum einer Pflanze beeinflussen: »Denn wenn etwas als Ergebnis von zwei oder mehr Dingen auftritt, die einen Einfluss ausüben, variiert das Ganze notwendigerweise mit den Unterschieden in seinen Quellen (und das geschieht auch bei Tieren, denn Tiere erfahren Unterschiede nicht nur durch das männliche und das weibliche Elternteil, sondern auch durch das Land und die Luft, kurz gesagt, durch ihre Nahrung).« Oder, um es mit Francis Galtons Worten zu sagen, es ist gleichzeitig eine Angelegenheit von nature und nurture. Wenigstens an dieser Stelle kommt Theophrastos dem Phänomen näher als Aristoteles. Wir spüren, dass der Schüler ein Gärtner war, sein Lehrer aber nur über den Zaun spähte. Doch die beiden Wissenschaftler ergänzen sich. Theophrastos’ Theorien sind dünn. Wie wird Variation vererbt? Das sagt er nicht genau. Aristoteles schon.

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r mag krauses und glattes Haar auf klimatische Bedingungen zurückführen, aber Aristoteles weiß natürlich, dass Kinder wenigstens einen Teil der Besonderheiten ihrer Eltern erben. Er hatte mindestens zwei eigene, eine Tochter und einen Sohn. Von allen wissenschaftlichen Problemen, die er anging, gehört die Vererbung subspezifischer – informaler – Variationen zu den schwierigsten. Seine Phänomene sind schwer zu erfassen: Um präzise zu beschreiben, wie Kinder ihren Eltern ähneln, braucht man ein Verständnis der Wahrscheinlichkeit; um präzise das Innere eines Tintenfisches zu beschreiben, braucht man das nicht. Und durch Beobachtung allein lässt sich kein genetisches Problem knacken – dazu sind komplexe Experimente erforderlich, zu denen Aufzucht und Vermessung vieler Individuen

* Absichtlich durchgeführt, heißt dieses Experiment unter Botanikern »Common-Garden-Experiment« und dient genau den Zwecken, auf die Theophrastos anspielt, nämlich den jeweiligen Beitrag von Erblichkeit und Umwelt zur phänotypischen Varianz zu bestimmen.

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gehören. Darwin, der genau solche Experimente durchführte und sich sogar in Relationen versuchte, kam hier überhaupt nicht voran. Es überrascht also kaum, dass Aristoteles’ Datenlage zur vererbten Variation schlecht ist. Trotzdem ist es überraschend, wie schlecht sie ist. Er erwähnt zwar ein paar Fälle von vererbten Variationen, aber sie bestehen nur aus konfusem Hörensagen und er übersieht viel von dem, was er hätte sehen können. Er ist nicht Darwin und lässt domestizierte Tiere völlig außer Acht. Natürlich kreuzt er keine Lebewesen (obwohl es einige faszinierende Abschnitte zu Hybriden gibt). Er widmet ganze Seiten den Variationen des menschlichen Auges und der Haarfarbe, gibt aber keinen Hinweis darauf, dass sie vererbt werden können. Er ist fasziniert von der Teratologie – Zwergwuchs, Zweigeschlechtlichkeit, siamesische Zwillinge, anormale Genitalien, Körperanhängsel – und sagt, dass solche Deformitäten oft ererbt sind, aber manchmal auch nicht, was uns nicht viel weiter bringt, auch wenn es sicherlich stimmt. Insgesamt ist Aristoteles’ Verständnis der Vererbung nur wenig weiter entwickelt als die Überlegungen jedes frischgebackenen Vaters: Manche Kinder ähneln ihren Eltern, andere nicht. Manche ähneln ihrem Vater, manche ihrer Mutter, manche im ganzen Körper, manche in einzelnen Teilen, manche ihren Eltern, manche ihren Vorfahren, manche einfach nur irgendeinem Menschen. Jungen können dem Vater ähneln, Mädchen der Mutter. Manche allerdings ähneln keinem Verwandten, sehen jedoch aus wie ein Mensch. Manche ähneln von der Form her nicht einmal einem Menschen, sondern eher einem Monster.

Von Mendel’schen Relationen ist er noch meilenweit entfernt. Doch wie schwach diese Daten auch sein mögen, sie liefern Aristoteles eine Liste von zu erklärenden Phänomenen, nämlich warum ein Kind (i) manchmal seinen Eltern ähnlich sieht, (ii) manchmal seinen Vorfahren ähnlich sieht, (iii) manchmal keinem Verwandten ähnlich sieht, sondern einfach wie ein Mensch aussieht, (iv) manchmal nicht wie ein Mensch aussieht, sondern einfach monströs. Außerdem: (v) warum Jungen normalerweise, aber nicht immer, ihrem Vater ähnlich sehen und Mädchen ihrer Mutter und (vi) warum Kinder in ihren verschiedenen Merkmalen unterschiedlichen Elternteilen oder Vorfahren ähnlich sehen können. Natürlich hat Aristoteles eine Theorie, um all das zu erklären, und genauso natürlich muss er sich dazu erst der eines anderen entledigen. Aristoteles nennt seine Widersacher nicht oft, aber gelegentlich wissen wir trotzdem, wer sie waren, da wir einen Text mit genau dem Argument kennen, das seinen Zorn entfachte. Ein Traktat aus dem 5. Jahrhundert mit dem Titel De genitura enthält eine kurze Darstellung einer Vererbungstheorie, die

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Aristoteles offensichtlich gelesen hat. Es gehört zum Corpus Hippocraticum, aber Hippokrates schrieb es mit Sicherheit nicht. Die Theorie ist besonders interessant, weil sie im 19. Jahrhundert wieder auftaucht. Aristoteles demontiert sie und erobert damit gleich zwei Skalpe, die durch mehr als zwei Jahrtausende getrennt sind, einer davon Darwins. Das hippokratische Modell ist einfach. Der Samen eines Vaters nimmt seinen Ursprung in den Körperteilen: Seine Hände, sein Herz und all seine anderen Organe und Gewebe geben Flüssigkeiten ab, die über die Blutgefäße zum Penis wandern, wo sie verwirbelt, erhitzt und ejakuliert werden. Etwas Ähnliches geschieht in der Mutter. Die elterlichen Samen vermischen sich in der Gebärmutter und es bildet sich ein Embryo, der die Merkmale beider Eltern trägt, gewichtet nach ihrem jeweiligen Beitrag. Oberflächlich betrachtet, eine überzeugende Vorstellung. Die direkte physikalische Verbindung zwischen Körperteilen und Samen erklärt sehr schön, wie die Merkmale der elterlichen Körper auf den Samen und so auf den Nachwuchs übertragen werden. Demokrit scheint eine Version davon übernommen zu haben, aber bei ihm waren wahrscheinlich eher Partikel als Flüssigkeiten die Übertragungseinheiten. 1868 veröffentlichte Darwin dieselbe Idee mit einigen genaueren Angaben und nannte sie »Pangenesis«.* Aristoteles nahm die Pangenesis ernst. »Hippokrates« skizzierte mehrere Argumente dafür; Aristoteles wiederholt diese Belege und fügt sogar noch einige hinzu – aber nur, um sie hinterher umzustoßen. Über ein Dutzend Seiten voll abschweifender Dialektik hinweg liefert er fünfzehn verschiedene Einwände. Eine davon wird später zu der großen Frage der Genetik des 19. Jahrhunderts: Können erworbene Merkmale vererbt werden? »Hippokrates« argumentierte, wenn ein Teil eines Elternteils verkrüppelt ist, ist der Samen aus diesem Teil schwach und das Kind wird auf dieselbe Weise verkrüppelt sein. Aristoteles erkennt: Wenn das wahr wäre, dann würden »Kinder geboren werden, die ihren Eltern nicht nur in angeborenen Merkmalen ähneln, sondern auch in erworbenen«. (In seiner Übersetzung von De generatione animalium schreibt Peck 1942: »Es wird deutlich werden, dass diese Übersetzung trotz ihres modernen Klangs eine getreue Wiedergabe des Originals ist.«) Aristoteles erwähnt sogar einen Mann aus Chalkedon, der ein Brandzeichen an seinem Arm trug und dessen Kind eine schwa* Die hippokratische Theorie ist der von Darwin so ähnlich, dass moderne Wissenschaftler seine Bezeichnung dafür verwenden ohne dies als Anachronismus zu empfinden, obwohl sie raffinierter war als Darwins. In Das Variieren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication sagt Darwin, William Ogle habe ihm erzählt, dass Aristoteles eine seiner Theorie sehr ähnliche gekannt und verworfen hätte. Da Darwin nicht viel Aristoteles gelesen hat und mit Sicherheit nicht De generatione animalium, besteht kein Zweifel, dass er unabhängig von ihm darauf gekommen ist.

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che Version desselben Zeichens trug. Darwin legte in der Mitte seines Lebens seine Version der Pangenesis gerade deswegen vor, weil er glaubte, dass erworbene Merkmale vielleicht doch eine Rolle in der Evolution spielen. Aristoteles jedoch will davon nichts hören: »Tatsächlich sind die Kinder von Behinderten nicht notwendigerweise behindert, genau wie Kinder nicht notwendigerweise ihren Eltern ähneln.« Die Pangenesis würde auch Folgendes implizieren: Schneidet man einen Teil einer Pflanze zurück, müssten ihre Nachkommen bereits zurückgeschnitten heranwachsen, aber das tun sie nicht.* Verstümmelungen müssten vererbt werden, sind es aber nicht: Die Beziehung zwischen den Körpern der Eltern und dem genetischen Inhalt ihrer Samen muss also deutlich weniger direkt sein.

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ristoteles’ eigenes Vererbungsmodell ist ein Triumph der spekulativen Biologie. Es ist wohl eine seiner ausgereiftesten Theorien. Es enthält seine klarste und detaillierteste Darstellung der Rolle der Mutter bei der Fortpflanzung. Hier sind die Eltern wie nirgends sonst fast gleich in ihrer Fähigkeit, den Embryo zu formen. Er spricht nicht mehr von aktiven Formen und passiver Materie, sondern vielmehr von konkurrierenden Kräften im Mutterleib. In seiner Standarddarstellung der Embryogenese wird die Form eines Tieres durch Bewegungen im Sperma auf den Embryo übertragen. Sie sind seine Vererbungseinheiten, seine Informationsträger. Er bleibt eher vage bei der Frage, wie die Menstruationsflüssigkeit Informationen übermittelt, aber er muss annehmen, dass sie das ebenfalls tut – schließlich verleiht sie dem Embryo zumindest eine Art passive Lebenskraft. Aber jetzt, da er die Phänomene der Vererbung erklären will, erweitert Aristoteles seine Vision. Er argumentiert, dass Sperma und Menstruationsflüssigkeit auch vor Bewegungen brodeln, die die individuellen Merkmale beider Eltern kodieren. Das Ergebnis ist ein doppeltes Vererbungssystem: eine Reihe väterliche Bewegungen, die die Form kodieren – die dafür sorgen, dass ein Embryo zu einem Spatz heranwächst und nicht zu einem Kranich (oder zu einem Menschen und nicht zu einem Pferd), und eine Reihe Bewegungen, die von beiden Eltern stammen und ihre informalen Merkmale kodieren – die den Embryo zu

* Das ist seine Version des Arguments der »jüdischen Vorhaut«: Wenn erworbene Merkmale vererbt werden, warum werden Juden dann nach Jahrtausenden der Beschneidung immer noch mit Vorhaut geboren?

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einem Erwachsenen heranwachsen lassen, der mehr dem einen als dem anderen Elternteil ähnelt. Die relative Macht dieser informalen Bewegungen bestimmt, wem das Kind ähnelt, wenn überhaupt jemandem. Das Konzept des Embryokonflikts stammt wahrscheinlich von Demokrit oder »Hippokrates«, aber Aristoteles’ Modell ist raffinierter als beide, da er argumentiert, dass der Konflikt asymmetrisch ist. Die Bewegungen der Menstruationsflüssigkeit existieren nur potenziell. Sie sind da, aber deaktiviert, und sie führen ihre Aufgabe nur aus, wenn das Sperma seine nicht vernünftig erledigt. Selbst hier kann er Müttern nicht ganz den Vätern gleichstellen. Um zu zeigen, was sein Modell leistet, beginnt Aristoteles mit der offensichtlichen Tatsache, dass Kinder eins von zwei Geschlechtern haben können. Die Geschlechtsbestimmung war genau die Art von Problem, das die spekulative Begabung der physiologoi auf den Plan rief, und Aristoteles greift ihre Theorien freudig an. Anaxagoras argumentierte, dass das Sperma aus dem rechten Hoden Jungen hervorbringt und das aus dem linken Hoden Mädchen. Diese Theorie schrieb also den Vätern den gesamten Verdienst zu. Ein gewisser Leophanes führte dieses Argument bis zu seiner logischen Schlussfolgerung weiter und schlug eine Geschlechterselektion durch Abbinden eines Hodens vor dem Sex vor. Aristoteles hält das für Unsinn, allerdings deshalb, weil er nicht glaubt, dass Hoden überhaupt Sperma produzieren. Empedokles’ Theorie war gewohnt komplex. Nach Aristoteles’ Darstellung stellte Empedokles sich mikroskopisch kleine männliche und weibliche Teile vor, die von den jeweiligen Elternteilen abstammten und sich im Mutterleib spalten und neu verschmelzen. Aber es ist schwer herauszulesen, was er wirklich meint, entweder deshalb, weil Aristoteles seine Theorie so stark ablehnt (»Empedokles war recht schlampig in seiner Annahme«, »die gesamte Angelegenheit scheint das Produkt der Vorstellung zu sein«, »daneben ist es unsinnig, sich vorzustellen …«) und sie in der Wiedergabe ziemlich verstümmelt, oder weil sie von vornherein unlogisch ist (Empedokles schrieb immer in Versform). Eine Schwäche nimmt Aristoteles jedoch heraus. Offenbar behauptete Empedokles, dass das Geschlecht des Fetus irgendwie von der Temperatur im Mutterleib abhänge, und Aristoteles hat einen Beweis, der diese Behauptung eindeutig widerlegt. Wenn man lebend gebärende Tiere seziert, sagt er, findet man häufig männliche und weibliche Zwillinge in derselben Gebärmutter, also kann die Temperatur im Inneren das Geschlecht gar nicht bestimmen. Eigentlich schreibt er das nicht nur, er trompetet es. In Aristoteles’ eigener Theorie kodieren Bewegungen im Sperma Männlichkeit, Bewegungen in der Menstruationsflüssigkeit Weiblichkeit. Da weibliche Bewegungen nur dann auftreten, wenn die männlichen schwach sind, steht jedes kleine Mädchen für ein Versagen des Spermas seines Vaters. Aristoteles versucht, sein Modell mit seiner Embryogenese-Theorie zusammen-

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zubringen. Sperma ist heiß, Menstruationsflüssigkeit ist kalt und wenn der Embryo richtig verkocht werden soll, müssen die beiden Samen in den genau richtigen Mengen vorliegen. Die relative Macht ihrer Bewegungen wird also irgendwie durch ihre relative Hitze beeinflusst. Der Wechsel zwischen Hitze und Bewegungen hat etwas von einem Taschenspielertrick, aber die Kernaussage des Modells ist klar. Wenn das Sperma die Menstruationsflüssigkeit »besiegt«, ist das Ergebnis ein Junge; sollte ihm das aus irgendeinem Grund nicht gelingen, erblühen latente Bewegungen in der Menstruationsflüssigkeit und das Ergebnis ist ein Mädchen. Töchter werden also von schwachen, oder zumindest kalten, Vätern gezeugt. Dies macht den Weg für eine umweltbasierte Geschlechtsbestimmung frei und so behauptet Aristoteles denn auch, dass Ernährung, Alter des Vaters, Umgebungstemperatur und Windrichtung allesamt die Hitze des Spermas und damit das Geschlecht des Kindes beeinflussen können. Will man also eine Tochter, sollte man nach Aristoteles’ Regeln zuerst eine lange, kalte Dusche nehmen, dann sein Bestes geben und bedenken, dass das immer noch angenehmer ist, als sich einen Hoden abzubinden. Der Konflikt im Embryo ist jedoch nur der Anfang, denn Aristoteles unterscheidet zwischen der ursprünglichen Festlegung des Geschlechts und ihren Auswirkungen. Er argumentiert, dass der Embryokonflikt direkt nur einen kleinen Teil des Embryos bestimmt, der dann den Rest des Körpers beeinflusst und zu allen anderen Geschlechtsmerkmalen führt. Hier ist wieder die automaton-Kausalität am Werk. Diese Unterscheidung ähnelt stark der modernen zwischen »primärer« und »sekundärer« Geschlechtsbestimmung. 1944 kastrierte Alfred Jost Kaninchenföten, fand heraus, dass daraus immer Weibchen wurden, und zeigte so, dass das entscheidende Organ für die sekundäre Geschlechtsbestimmung die Keimdrüse ist (sie produziert die Hormone, die die anderen sekundären Geschlechtsmerkmale bestimmen: äußere Genitalien, Brüste, Bärte etc.). Aristoteles weist darauf hin, dass kastrierte Tiere und Eunuchen verweiblicht sind, und schließt daraus, dass »einige der Teile Grundlagen [der Geschlechtsbestimmung] sind und wenn eine Grundlage bewegt wird oder betroffen ist, müssen viele Teile, die mit ihr zusammenhängen, sich mit ihr verändern«. Die Schlussfolgerung hätte für Aristoteles fast so offensichtlich sein müssen, wie sie für Jost war: dass die Hoden eine entscheidende Rolle bei der Geschlechtsbestimmung spielen. Aber Aristoteles ist skeptisch, was die Hoden angeht, und verehrt das Herz, also argumentiert er, dass es das Herz des Embryos ist, aus dem alle anderen Unterschiede fließen.

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achdem er festgestellt hat, dass das Geschlecht eines Kindes das Ergebnis eines Konflikts zwischen informalen Bewegungen in Sperma und Menstruationsflüssigkeit ist, argumentiert er, dass andere informale, ererbte Variationen auf dieselbe Weise kodiert sind. Also spricht er über Nasen – im Besonderen über Sokrates’ Nase, die bekanntermaßen alles war, was die ideale griechische Nase nicht war. Das Ideal lässt sich am Poseidon vom Kap Artemision oder an jeder Statue aus dieser Zeit bewundern: mit hohem Rücken, gerade und recht groß. Sokrates hatte eine kleine Himmelfahrtsnase. (In seinem Symposion lässt Xenophon Sokrates seine Stupsnase, die hervorquellenden Augen, den breiten Mund und die schlaffen Lippen verteidigen – sie sind schön, weil sie besser funktionieren als deine, sagt Sokrates.) Der sichtbare Schaum in Sokrates’ Sperma repräsentiert also zahllose winzige Bewegungen, die hochpräzise seine Merkmale kodieren, darunter auch seine Himmelfahrtsnase. Sokrates war mit Xanthippe verheiratet und ihrer Menstruationsflüssigkeit wohnen ebenfalls Bewegungen inne, die ihre informalen Merkmale kodieren. Aber wie ihr Geschlecht sind sie nur potenziell vorhanden – sie werden also nicht unbedingt ausgedrückt. Xanthippe war für ihre Kratzbürstigkeit bekannt, also geben wir ihr eine Hakennase. Wenn Sokrates’ Sperma Xanthippes Menstruationsflüssigkeit vollkommen »besiegt«, wird ihr gemeinsamer Sohn Menexenos ein Klon seines Vaters sein, einschließlich Stupsnase. Aber wenn Sokrates’ Sperma nicht siegt, werden Xanthippes latente Bewegungen ausgedrückt und er bekommt eine hakennasige Tochter. Eine der Seltsamkeiten an Aristoteles’ Vererbungstheorie besteht also in seiner Überzeugung, dass die meisten Merkmale – sicherlich denkt er hier an Gesichtszüge – geschlechtsspezifisch sind. Jungen kommen in der Regel nach ihrem Vater, Mädchen nach ihrer Mutter. Ich weiß nicht, warum er das denkt. Schließlich teilen heutige Eltern die Merkmale ihrer Kinder unabhängig vom Geschlecht fröhlich untereinander auf (mit einem Nicken in Richtung Großeltern).* Tatsächlich erkennt Aristoteles an, dass die Verbindung

* Ich habe auch die Möglichkeit erwogen, dass die Menschen von Natur aus dazu neigen, eine Ähnlichkeit zwischen Söhnen und Vätern und zwischen Töchtern und Müttern zu erkennen.

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zusammenbrechen kann. Sollten die Bewegungen in Sokrates’ Sperma überwiegend triumphieren, aber seine Nase-Bewegungen versagen, dann bekommt Menexenos die Hakennase seiner Mutter. In diesem Fall, sagt Aristoteles, »geht die Nase zur anderen Blutlinie über«.

Griechische Nasen. Links: Helden. Rechts: Sokrates

Die Unterschiede zwischen den Vererbungstheorien von Aristoteles und »Hippokrates« reichen sehr tief. Aristoteles nimmt an, dass ererbte Merkmale eine diskrete Verteilung aufweisen: Menexenos kann Sokrates’ oder Xanthippes Nase haben, aber keine, die irgendwo dazwischen liegt. »Hippokrates« glaubt an eine kontinuierliche Verteilung: Je nach dem genauen Verhältnis der elterlichen Samen kann Menexenos die Nase eins seiner beiden Elternteile haben oder alles dazwischen. Dies impliziert, dass Aristoteles’ Erbbewegungen stabil sind: Sie können mehr oder weniger unverändert über viele Generationen weitergegeben werden. Die hippokratische Mischung der Erbflüssigkeiten ist es nicht: Jede Generation erzeugt eine neue Mischung. Diese Unterscheidung ist ebenso vertraut wie grundlegend, da sie auch frühe moderne Vererbungstheorien voneinander trennt. Aristoteles geht von einer »partikulären« Vererbung aus, »Hippokrates« von der »Mischverer In einem kleinen Experiment bat ich daher 35 Elternteile, ihre 55 Kinder im Hinblick auf verschiedene Merkmale (Nase, Augenform, Haarfarbe etc.) nach Familienähnlichkeit (Vater, Mutter, Großvater väterlicherseits etc.) zu bewerten. Daraus erstellte ich für jedes Kind einen »väterlichen« und einen »mütterlichen« Ähnlichkeitswert. Es war kein besonders aussagekräftiger Test, aber dennoch waren die Werte für Jungen und Mädchen nicht unterscheidbar. Die Verzerrung, wenn es überhaupt eine gibt, muss also klein sein. Die Menschen scheinen zu glauben, dass die Merkmale eines Kindes von beiden Elternteilen stammen können, unabhängig vom Geschlecht. Natürlich erinnerten sich einige meiner Versuchspersonen aus der Oberschule noch dunkel an die Mendel’sche Genetik, daher ist es möglich, dass im alten Griechenland eine andere Wahrnehmung herrschte, aber ich bezweifle das.

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bung« (blending inheritance).* »Partikulär« soll nicht heißen, dass Aristoteles annahm, es würden tatsächliche Partikel übertragen – das wäre zu demokritisch –, sondern nur, dass die Bewegungen stabil und diskret sind. Das hat wichtige Konsequenzen. Aristoteles erkennt, dass eine gute Vererbungstheorie mehr können muss als zu erklären, warum Kinder wie ihre Eltern aussehen; sie muss auch erklären, warum Kinder manchmal nach ihren Großeltern kommen oder sogar nach noch entfernteren Verwandten. Aristoteles ist zu Recht davon überzeugt, dass solche Umkehrungen häufig vorkommen, aber das Beispiel, das er anführt, scheint unwahrscheinlich. Es war einmal, sagt er, eine Frau in Elis, einer Gegend auf der Peloponnes, die eine außereheliche Affäre mit einem Äthiopier hatte. Sie bekam eine Tochter von ihm, die weiß war; als diese Tochter erwachsen war, bekam sie einen Sohn, der schwarz war – obwohl der Vater des Kindes vermutlich ein Grieche war.** In Buch I von De generatione animalium sagt Aristoteles, dass die Theorie seines Widersachers das nicht erklären könne, und er hat recht. Und obwohl er den Fall nicht noch einmal aufgreift, wenn er seine eigene Theorie darlegt, handelt es sich um genau die Art von Phänomen, die sie erklären kann. Zumindest kann sie das, wenn er sie noch etwas komplexer macht. Aristoteles argumentiert, dass Hitze und Bewegungen des Spermas manchmal nicht stark genug sind, um die Merkmale des Vaters nachzubilden, aber auch nicht so schwach, dass nur noch die der Mutter übertragen werden. In diesem Fall hätte Menexenos die Nase seines Großvaters und vererbt seinerseits die Nase seines Großvaters an seine Söhne. Menexenos könnte sogar die Nase eines entfernteren Verwandten väterlicherseits haben, aber das ist weniger wahrscheinlich. Da ein solches Versagen eine permanente erbliche Veränderung in den väterlichen Bewegungen verursacht, kön-

* Der Begriff »Mischvererbung« oder blending inheritance wird normalerweise mit der entsprechenden Theorie in Verbindung gebracht, die der schottische Ingenieur Fleeming Jenkin 1867 in einer feindseligen Besprechung von Darwins Über die Entstehung der Arten vorstellte. Aber es war Francis Galton, der eine deutliche Unterscheidung zwischen partikulärer und Mischvererbung traf. Natürlich impliziert eine kontinuierliche Verteilung von Merkmalen nicht notwendigerweise eine partikuläre anstelle einer Mischvererbung, denn, wie R. A. Fischer 1918 bekanntlich zeigte, ist eine kontinuierliche Verteilung sehr wohl mit der partikulären Vererbung vereinbar, wenn wir annehmen, dass viele Partikel zum Phänotyp beitragen. Das war in der Tat die Grundlage der Aussöhnung zwischen den Biometrikern und den Mendel-Anhängern und die Erklärung dafür, warum viele Merkmale (Hautfarbe, Größe) kontinuierlich und dennoch von bestimmten Genen gesteuert sein können. Der hippokratische Autor jedoch (i) hat Fischer nicht gelesen und (ii) spricht eindeutig über Flüssigkeiten und nicht über Partikel, also muss seine Theorie der Mischvererbung entsprechen. ** Die Daten sind unwahrscheinlich, aber nicht unplausibel, denn die Vererbung der menschlichen Hautpigmentation ist komplex. Im Allgemeinen würde man jedoch erwarten, dass die Tochter hellbraune Haut hat und die Enkelin noch heller wäre.

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nen wir sie ohne Anachronismus Mutation nennen. Aristoteles scheint zu denken, dass viele, vielleicht die meisten, Mutationen den Rückfall auf Merkmale der Vorfahren verursachen. Sein Begriff für eine permanente, erbliche Veränderung in der Bewegung lautet lysis oder »Rückfall«. Aber die Bewegungen auszuschließen, die für Sokrates’ Nase verantwortlich sind, erklärt allein noch nicht, wie Menexenos an die Nase seines Großvaters kommt, denn Aristoteles muss auch erklären, wo sich die Informationen für die Nase seines Großvaters befinden. Er argumentiert daher, dass die Bewegungen von Sokrates’ Sperma nicht nur seine Himmelfahrtsnase kodieren, sondern auch die Nase seines Vaters, seines Großvaters, seines Urgroßvaters und so fort bis … ja, wohin? Das sagt Aristoteles nicht. Ebenso kodieren die Bewegungen von Xanthippes Menstruationsflüssigkeit die Nasen ihrer weiblichen Vorfahren. Aber keine dieser Bewegungen der Vorfahren werden umgesetzt; sie sind reine Potenziale, die auf die Reaktivierung warten, falls die aktive elterliche Bewegung versagt. Generationen von Nasen, in unseren Körperflüssigkeiten kodiert – ein schwindelerregender Gedanke. Stünde Menexenos am Ende mit der Nase seines Großvaters da oder sogar mit dem Zinken seiner Mutter, wäre das nicht allzu schlimm, denn Aristoteles meint, dass einige Mutationen wesentlich drastischere Auswirkungen haben. Die Leute erzählen sich, sagt er, von einem monströsen Kind mit dem Kopf eines Widders oder eines Ochsen oder von einem Kalb mit dem Kopf eines Kindes und glauben, es seien Mensch-Tier-Hybriden. Aber es sind keine Hybriden: Die Bewegungen in Sperma und Menstruationsflüssigkeit ihrer Eltern haben ihre Aufgabe nicht erfüllt. Seine Beispiele – ein Kind mit Ochsenkopf (oder umgekehrt) – deuten an, dass er hier nicht nur gegen einen Volksglauben vorgeht, sondern den empedoklischen Präformationismus angreift. Er will sichergehen, dass kein neunmalkluger Schüler die Hand hebt und sagt: »Ich habe einen Freund, der eine Frau kennt, deren Cousine ein Kind mit einem Kalbskopf zur Welt gebracht hat. Beweist das nicht, dass Empedokles recht hatte?« Das tut es nicht. Aristoteles kann alle möglichen Monstrositäten erklären, indem er auf die Bewegungen in Sperma und Menstruationsflüssigkeit verweist. Wenn die für Sokrates’ Nase verantwortliche Bewegung sehr schwach ist, könnte Menexenos einfach eine allgemeine menschliche Nase haben.* Und im Falle eines Totalausfalls hätte er eine monströse Nase – und mit »monströs« meint Aristoteles hier tierähnlich. Nimmt man alle für menschliche Nasen spezifischen Bewegungen im Sperma weg, sind nur noch die * Devin Henry wies mich darauf hin, dass Aristoteles hier vielleicht an die Gesichtszüge von Kindern mit Down-Syndrom – Trisomie 21 – denkt, die zwar eindeutig menschlich sind, aber keinem Vorfahren besonders ähnlich sehen.

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Bewegungen übrig, die ein Tier hervorbringen. Diese Sicht von Mutationsauswirkungen ergibt sich ganz natürlich aus seinen von Baer’schen Ansichten über die Embryoentwicklung. Wenn Embryos zuerst Merkmale entwickeln, die alle Lebewesen gemeinsam haben (die nährende Seele) oder alle Tiere (die sensitive Seele), und erst später Merkmale bestimmter Arten entstehen, ist es leicht nachzuvollziehen, wie ein Versagen des Spermas bei der Verkochung der Menstruationsflüssigkeit dazu führt, dass die Entwicklung auf halbem Wege stehen bleibt, und damit einen menschlichen Fetus seiner menschlichen Merkmale beraubt. Er wäre, in seinen Worten, sehr »unvollkommen«. Jede Vererbungstheorie, die Reversionen erklären will (oder Atavismen, Rückschläge, Ahnenähnlichkeit, übersprungene Generationen – verschiedene Bezeichnungen für ähnliche Phänomene),* muss annehmen, dass die Erbeinheiten stabil sind – also Partikel im weitesten Sinne des Wortes sind – und dass diese Partikel über Generationen stumm geschaltet und dann reaktiviert werden können. Diese beiden Konzepte selbst wiederholen sich. Aristoteles erklärte die Reversion, indem er seinen Bewegungen zugestand, tatsächlich oder potenziell zu sein; Pierre-Louis Moreau de Maupertuis, der philosophe des 18. Jahrhunderts, der vom ersten Stammbaum eines vererbten Merkmals berichtete, erlaubte seinen vererbbaren éléments mehr oder weniger »hartnäckige Anordnungen«; Darwin, der ein Kapitel seiner Domestication den Atavismen widmete, ließ seine Version der Pangenesis über Knöspchen funktionieren, die ruhen konnten; Mendel machte seine elementen dominant oder rezessiv. Zweifellos gibt es noch andere. Im Gegensatz zur modernen Taxonomie, Embryologie und zum modernen Funktionalismus, die alle direkt auf aristotelischen Fundamenten ruhen, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass Aristoteles’ Einsichten in die Logik der Vererbung einen Widerhall durch die Zeiten fand. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die Natur, wie sie es so oft tut, diejenigen, die sie befragten, dieselbe Richtung wies. (Wie Aristoteles in einem anderen Zusammenhang über Demokrit sagte: »Er wurde dazu [zur Theorie der substanziellen Definition] gegen seinen Willen allein durch den Zwang der Fakten gebracht.«) Natürlich stellt jede Theorie unterschiedlich dar, wie die Erbeinheiten kombiniert und übertragen werden, und nur eine von ihnen war richtig. Aristoteles lag auch falsch; aber sieht man sich die zugegebenermaßen entmutigende Geschichte der frühen Genetik an, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass es bis 1865, als Mendel einer unglaublich uninteressierten Welt seine Versuche über Pflanzenhybriden vorlegte, einfach keine bessere Theorie als seine gab. * In der modernen Genetik wird das »Überspringen von Generationen« aufgrund der Isolierung rezessiver Allele von seltenen »Atavismen« durch Mutation unterschieden. Aber die Unterscheidung darf nicht auf Aristoteles angewandt werden – übrigens auch nicht auf Darwin.

Rezept für eine Auster

limnostreon – Auster – Ostrea sp.

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ie harten Männer von Kalloni sind seine Taucher. Für Pressluftflaschen haben sie nur Verachtung übrig; sie tauchen an Schläuchen ab, die an dieselbetriebene Kompressoren angeschlossen sind, um tonnenweise Austern, Jakobsmuscheln und Miesmuscheln zu sammeln. Die meisten der Taucher sind jung, aber ich lernte einmal einen kennen, der vielleicht sechzig Jahre alt war. Er war schlank wie ein Kormoran und schien aus Olivenholz geschnitzt zu sein. Ich fragte ihn, wie viele Stunden er schon unter Wasser verbracht hätte. Fünfhundert letztes Jahr. Schon als Gesamtsumme beeindruckte mich das, weil ich bisher nur auf 150 kam. Ja, fuhr er fort, letztes Jahr waren es 500, und im Jahr davor 500 und in jedem Jahr davor auch, seit ich ein junger Mann war. Meistens tauchen wir im Winter. Es gibt keine Zahlen zu Größe oder Zustand der Muschelfischerei, aber die bathymetrischen Daten lassen auf ehemalige Reichtümer schließen. Südwestlich von Skala, wenn man Kurs auf den Eingang zur Lagune nimmt, ist der flache Boden zunehmend mit kreisrunden Buckeln besetzt, die auf dem Echolotbildschirm steigen und fallen. Das sind die Austernriffe, die die Fischer kapalies nennen. Sie sagen, es gebe einige Tausend von ihnen, oder wenigstens war das früher so. Seit den 1950er-Jahren hat die Schleppnetzfischerei viele von ihnen dem Erdboden gleichgemacht. Heute ist das illegal, auch wenn die Fischer murmeln, dass manche Leute – andere Leute natürlich – immer noch Schleppnetze einsetzen, während die Hafenpolizei wegsieht; dabei bleibt jedoch unklar, ob das aus Trägheit oder aus Bestechlichkeit passiert. Sicher ist jedoch, dass die Bestände von Austern und Jakobsmuscheln zurückgehen und dass sich an ihrer Stelle große Miesmuschelbetten ausbreiten. Die Muscheln in der Lagune sind Aristoteles’ ostrakoderma – Hartschalige. Er beschreibt ihre Anatomien und einen Teil ihrer Gewohnheiten und erwähnt dabei unter anderem die limnostreon (Auster), die kteis (Jakobsmuschel), die pinna (Edle Steckmuschel), die lepas (Napfschnecke) und die hübsche keryx, meine Atlantische Tritonschnecke.* Er verweilt eine Weile bei der

* Archestratos, der sich nur für die Essbarkeit von Meereslebewesen interessiert, schreibt, dass Ainos am Golf von Saros große Miesmuscheln hervorbringt, dass aus Abydos, Parion und Ephesos, alle in der Troas, in dieser Reihenfolge Austern, kleine Herzmuscheln und Glänzende Venusmuscheln kommen und dass Mytilini Jakobsmuscheln produziert.

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porphyra, einer Schnecke, die einst wegen einer violetten Substanz gefischt wurde, die sie aus ihrer Hypobranchialdrüse absondert. Er sagt, es gebe viele verschiedene Sorten von porphyra, dass sie in der Lagune klein sind und dass Schnecken von verschiedenen Orten Farben unterschiedlicher Qualität produzieren. Wahrscheinlich unterscheidet er hier zwischen der Stumpfen Stachelschnecke, Hexaplex trunculus, der Quelle einer Indigofarbe, und der Herkuleskeule, Haustellum brandaris, der Quelle für das echte tyrrhenische Purpur, sowie lokalen Varietäten beider Arten. Die häufigste Art in Kalloni ist H. trunculus, die den Boden der Lagune besiedelt und massenhaft in jede Falle mit Köder wandert, denn wie Aristoteles sagt, ernährt sie sich zwar eigentlich von Muscheln, ist aber auch ein Aasfresser. Diese Schnecken sind heute eine Plage, aber einst bildeten sie die Grundlage eines großen Industriezweigs. Berge zerbrochener Schalen, die frühesten minoisch, die jüngsten byzantinisch, finden sich überall an der Ägäis. Zu Aristoteles’ Zeiten war die Farbe ihr Gewicht in Silber wert. Wenn er die Anatomie der Auster beschreibt, erwähnt Aristoteles ihre »sogenannten« Eier. Er meint damit eindeutig ihre Eier, genauer gesagt ihre Gonaden, die in den Sommermonaten als milchiger Beutel sichtbar werden. Er verwehrt jedoch der Auster und jeder anderen Muschel ihre Gonaden. Er verweigert sie sogar dem Seeigel und behauptet, die ricci di mare seien nur die Stelle, an der er sein Fett speichert, obwohl die einzelnen Eizellen mit dem bloßen Auge sichtbar sind. Aber wenn Eier keine Eier sind, wie vermehren sich die Austern dann? Aristoteles findet eine recht überraschende Erklärung: Gar nicht. Stattdessen argumentiert er, sie entstehen spontan aus dem Stoff, in dem sie wachsen.

prophyra – Stumpfe Stachelschnecke – Hexaplex trunculus

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enn Aristoteles sagt, dass manche Tiere spontan entstehen, meint er es auch so:

Manche Tiere entstehen aus Tieren, deren Form ihrer Verwandtschaft entspricht. Andere entstehen spontan und nicht aus Verwandten. Einige von diesen entstehen aus verrottender Erde und verrottenden Pflanzen, wie es bei vielen Insekten der Fall ist, andere wiederum entstehen in Tieren selbst aus den Reststoffen verschiedener Teile.

Herzmuscheln, Venusmuscheln, Scheidenmuscheln und Jakobsmuscheln entstehen spontan auf sandigen Böden, Austern wachsen in Schleim, die pinna in Sand und Schleim, Seescheiden, Napfschnecken, nēreitēs (eine Schnecke, wahrscheinlich Monodonta), Seeanemonen und Schwämme auf Felsen; Einsiedlerkrebse stammen aus dem Boden. In Knidos gibt es eine Sorte Meeräschen, die aus Sand oder Schlamm entspringen, genau wie manche Sorten Jungfische. Fischläuse entstehen aus dem Schleim der Fische. Würmer (helminthes) entstehen spontan in unseren Eingeweiden. Insekten und ähnliches Getier entstehen anscheinend spontan überall: Flöhe wachsen aus faulender Materie, Läuse im Fleisch von Tieren, Zecken in Kriech-Quecke, Maikäfer und Fliegen in Dung*, Pferdebremsen in Holz, Pseudoskorpione in Büchern, Kleidermotten in Kleidern. Andere Insekten stammen aus dem Morgentau auf den Blättern. Feigenwespen entstehen spontan in Feigen. Jeder nur denkbare Lebensraum, so scheint es, bringt seine eigene Lebensform hervor. Wenn Aristoteles anfängt, über spontane Entstehung zu sprechen, wird deutlich, dass seiner Meinung nach die unbelebte Welt unendlich fruchtbar ist. Er verlangt von seinen Lesern nicht, diese Vision einfach für bare Münze zu nehmen, sondern legt Beweise vor. Ein Marinegeschwader, sagt er, ankerte einmal vor Rhodos und es wurde eine Menge irdenes Geschirr über Bord geworfen. In den Töpfen sammelten sich Schlamm und dann lebendige Austern. Da Austern sich nicht auf Töpfe oder überhaupt bewegen können, * Der Heilige Pillendreher jedoch soll Eier oder Larven in Dung ablegen.

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müssen sie aus dem Schlamm entstanden sein. Er hat noch eine weitere Austernanekdote auf Lager. Einige Chioten transportieren einmal eine Menge Austern aus der Lagune bei Pyrrha auf ihre Insel Chios im Süden von Lesbos und legten sie in einer Meerenge ab, »wo die Strömungen sich treffen«. Die Austern wurden größer, vermehrten sich aber nicht. Das Argument besitzt eine hübsche Symmetrie: Zuerst zeigt er, dass Austern ohne Fortpflanzung entstehen können, dann zeigt er, dass sie sich nicht vermehren, und dann erklärt er die Strukturen weg, die weniger wissenschaftlich Denkende für ihre Geschlechtsorgane halten. Aber wie Thomas Kuhn uns gern immer wieder erinnerte, empirische Belege, wie gut sie auch sein mögen, sind niemals entscheidend, wenn es um große wissenschaftliche Themen geht – man braucht auch eine neue Theorie. Aristoteles spürt diese Spannung offenbar auch. (In Über den Himmel (De caelo) bemerkt er: »Es ist jedoch falsch, die Grundlagen einer Wissenschaft zu entfernen, solange man sie nicht durch etwas Überzeugenderes ersetzen kann.«) Hier geht er das Problem durch ein Rezept zur Herstellung einer Auster an. Man gebe Wasser (Meerwasser eignet sich besonders gut) und erdiges Material in eine beliebige Vertiefung, mische, erhitze alles mit pneuma (reichlich im Meerwasser vorhanden) oder stelle es in die Sonne. Die Mischung verkocht erst, dann bildet sich Schaum. Es entstehen auch einige faulige Rückstände – ein Nebenprodukt der Verkochung. Nach einer Weile beginnt das erdige Material zusammenzuklumpen und bildet die Schale; das lebendige Material befindet sich im Inneren. Leben – so einfach geht das. Die meisten von Aristoteles’ spontan entstehenden Kreaturen sind blutlose Tiere, Wirbellose. Es gibt jedoch ein spektakuläres Lebewesen, dessen Geschlechtsorgane er nicht wegargumentieren muss, weil es gar keine hat. »Der Aal«, sagt Aristoteles in Buch IV von Historia animalium, »ist weder männlich noch weiblich und bringt keinen Nachwuchs hervor.« In Buch VI fügt er hinzu: »Aale entstehen nicht durch Kopulation und legen auch keine Eier.« Diese beiden Sätze enthalten vier faktische Behauptungen, alle davon falsch. Im Gegensatz zu Aristoteles’ Annahme sind Aale entweder männlich oder weiblich, paaren sich, laichen und bringen Nachwuchs hervor. Das ist noch nicht einmal die vollständige Liste aller irrigen Annahmen von Aristoteles über den Aal; tatsächlich hat er kaum etwas über ihn richtig verstanden. Dennoch waren Zoologen, wenn sie Aristoteles’ Abschnitte zum Aal betrachteten, meist nachsichtig. Denn Aristoteles ist der Urheld einer ihrer größten Missionen. Er zeigte ihnen, dass der Aal ein Problem darstellt. Das Problem ist, dass Aale keine Gonaden haben. Wenn man einen Aal aufschneidet, sagt Aristoteles, findet man niemals Milch oder Rogen. Hier hat er vollkommen recht – wenigstens in griechischen Gewässern. Während die Gonaden von Fischen normalerweise mit Sperma oder Eiern gefüllt sind,

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ist das beim Aal meist nicht der Fall. Aristoteles reagiert darauf, indem er den Aal auf seine Liste der spontan entstehenden Lebewesen setzt. Er muss natürlich auch konkurrierende Theorien berücksichtigen. Bei einer ging es um die Form des Aalkopfes. Manche Aale haben breite Köpfe, die ihnen ein vage froschähnliches Aussehen verleihen, andere zarte, schmale Schnauzen, und manche Leute dachten offenbar, dass der Dimorphismus ein sexueller war. Aristoteles weist das brüsk zurück: »Ein Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Aalen, behaupten die Leute, bestünde darin, dass der Kopf des Männchens länger sei, der des Weibchens kleiner und stupsnasiger. Aber hier reden sie nicht von einem Unterschied zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen Sorten [genos].«* Und dann gab es noch diejenigen, die behaupteten, dass Aale vivipar seien. Für diese Theoretiker hat er nur Verachtung übrig: »Manche sagen, dass Aale gelegentlich mit Anhängseln zu sehen sind, die Haaren, Würmern oder Seetang ähneln. Dies sind unüberlegte Behauptungen, die aus falschen Beobachtungen hervorgingen.« Seine eigene Lösung ist eine Darstellung der Ontologie des Aals. Sie werden, sagt er, aus den gēs entera hergestellt, den »Eingeweiden der Erde«, als eine Art Wurm, der in der Nähe von Flussufern und Sumpfrändern lebt, wo es viel in der Sonne verfaulendes Material gibt. Die gēs entera sind die Mutter oder der Wirt der Babyaale – Aristoteles ist hier nicht sehr deutlich, aber wenn man eins öffnet, findet man jedenfalls manchmal kleine Aale darin. Eine geistreiche und vollkommen trügerische Theorie. Vermutlich meint er grabende Wattwürmer; ihre Ausscheidungen überziehen Strände und Wattenmeere und sehen tatsächlich aus wie kleine Haufen zusammengerollter Eingeweide.** Ich halte die gēs entera für einen Versuch, die Aale zu verstehen. Viele andere marine Spontanentwickler (Venusmuscheln, Austern, Schnecken, Schwämme etc.) sind aus seiner Sicht sehr einfache Tiere; er vergleicht sie oft mit Pflanzen. Ein Aal ist keineswegs wie eine Pflanze: Er ist ein großer, sehr aktiver Räuber mit Blut und es gibt viele davon. Aristoteles war kühn, aber selbst er scheute sich, einen großen Zweig der Fischerei mit meterlangen Tieren jedes Jahr von Neuem aus dem Schlamm zu stampfen – also gab er ihnen Larven. * Viele Wissenschaftler haben die Köpfe vieler Aale vermessen, aber Aal-Kraniometrie ist keine eindeutige Wissenschaft. Manche Forscher stimmten Aristoteles zu, dass die Kopfform das Merkmal verschiedener Arten oder wenigstens Rassen sei, andere stellten sich auf die Seite seiner Widersacher und schrieben den Unterschied dem Geschlecht zu; wieder andere behaupteten, der Unterschied liege in einer rein plastischen Reaktion auf die Ernährung. ** Platt identifiziert die gēs entera als Regenwürmer, Peck als parasitische nematomorphe Würmer aus der Gattung Gordius; keiner erklärt jedoch, warum. D’Arcy Thompsons Vorschlag, dass die gēs entera mit casentula verwandt sein könnten, dem Namen, den sizilianische Fischer der Weidenblattlarve geben, klingt unwahrscheinlich, da die Weidenblattlarve in küstennahen Gewässern selten ist und nicht im Schlamm lebt.

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ristoteles’ Theorie der spontanen Entstehung hatte eine unheilvolle Wirkung auf die frühe moderne Wissenschaft. Descartes, Liceti, sogar Harvey standen alle in ihrem Bann. Van Helmont, kein dummer Mann, berichtete von spontaner Entstehung von Mäusen aus einer Mischung von Lumpen und Weizen. Der Niedergang der Theorie wurde seltsamerweise durch eine Passage von Homer ausgelöst. Es hatte eine Schlacht gegeben und Leichen liegen am Boden verstreut. Achilles weint neben den Überresten seines Freundes Patroklos und fleht seine Mutter an, die Nymphe Thetis mit den silbernen Füßen: Aber ich habe große Sorge, dass die Fliegen inzwischen auf Patroklos’ offenen Wunden landen und Würmer hineinlegen. Dann wird sein Leichnam entweiht sein, denn es ist kein Leben mehr in ihm, und sein Fleisch wird verfaulen.

Francesco Redi, der in Pisa seinen Aristoteles studiert hatte, las die Ilias XIX und fragte sich, ob Homer vielleicht doch recht gehabt hatte. Die Experimente, die er in den Laboren von Ferdinand II., dem Erzherzog der Toskana, durchführte, waren einfach und überzeugend. In getrennte Glaskolben gab er tote Schlangen, einige Flussfische, Aale aus dem Arno und Kalbfleisch in Scheiben. Einige Kolben verstopfte er mit Papier oder einer Art feiner Gaze namens velo di Napoli, andere, die Kontrollen, ließ er offen. Die offenen Kolben brachten Fliegenschwärme hervor, die verschlossenen nicht. Er folgte der Fliege durch ihren Lebenszyklus, vervollständigte, was Aristoteles unvollendet gelassen hatte, und veröffentlichte seine Ergebnisse 1668 in einer Arbeit mit dem Titel Esperienze intorno alla generazione degli insetti – »Experimente zur Entstehung von Insekten«. Leeuwenhoek kümmerte sich um die Auster. 1695 kaufte er in Zierikzee im Seeland-Delta einen Scheffel der Tiere. Er knackte ihre Schalen, spähte mit dem Mikroskop in ihre Mantelhöhlen und beschrieb Sperma und Eier der Auster. Er fand auch Tausende von Veligerlarven einschließlich ihrer embryonischen Schalen. Er nennt Aristoteles nicht beim Namen, sondern hebt sich seinen Zorn für seine Zeitgenossen auf: »Ich lege diese Beobachtungen der Welt vor, um damit jene starrköpfigen Menschen zum Schweigen zu bringen, die immer noch vorgeben, dass Muscheln spontan aus Schlamm entstehen.«

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Leeuwenhoek sah auch das tiefere Problem an der spontanen Entstehung. Mit unbewusstem Anklang an die Ilias schrieb er: »Denn wenn aus Ausdünstungen Tiere entstehen, warum entsteht dann nach einer Schlacht, in der fünfzigtausend Männer und mehr getötet werden und auf dem Schlachtfeld verwesen, nicht eine große Menge an kleinen Kindern oder Erwachsenen oder etwas, das einem Menschen oder einem Pferd ähnelt? Denn in einer Schlacht werden zwar viele Männer getötet, aber auch Pferde.« Wenn man also zulässt, dass einige Tiere spontan entstehen, warum dann nicht alle? Mehr als ein Jahrhundert später fanden Biologen, als sie Europas Küstengewässer mit Seidennetzen filterten, die Larven von Aristoteles’ übrigen ostrakoderma im Plankton. 1826 identifizierte John Vaughan Thompson in Cork Harbour die Cyprislarve eines Rankenfußkrebses; 1846 fischte Johannes Müller den seltsamen Pluteus paradoxus aus der Deutschen Bucht und beobachtete, wie er sich in einen Seeigel verwandelte; 1866 entdeckte Anton Kowalevsky die kaulquappenähnlichen Larven einer Seescheide in der Bucht von Neapel. Die Larven selbst sind wunderschön. In hundertfacher Vergrößerung sehen sie aus wie Maschinen aus venezianischem Glas. Ihre Entdeckung veränderte die Ordnung der Natur. Während Aristoteles die Seescheide für das niedrigste aller Tiere hielt, zeigte Kowalevskys Entdeckung, dass ihre Larven Kiemenschlitze, einen dorsalen Nervenstrang und einen Notochord haben, dass es sich also um ein Chordatier handelt. Die Seescheide entstand mitnichten aus Felsenschleim, sondern war eng mit uns verwandt. Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts hatte man die meisten Tiere von der Liste der Spontanentwickler gestrichen. Nicht alle, denn die parasitischen Würmer mit ihren undurchsichtig-komplexen Lebenszyklen standen immer noch darauf. Mikroben blieben bis zu Pasteurs Experimenten 1859 suspekt. In Nordeuropa hielt sich der Volksglaube an die spontane Entstehung des Aals bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. In Griechenland lebt er heute noch fort. Wir fischten gerade an der Vouváris-Mündung mit der Langleine nach Aalen, als Dimitris, der wusste, dass ich mich für solche Dinge interessiere, erwähnte, dass Wissenschaftler nicht wissen, woher der Aal stammt, dass er aber aus dem Schlamm entsteht. Das schien eher auf örtlichen Überlieferungen und persönlichen Beobachtungen zu fußen als auf der Lektüre von Aristoteles. Natürlich wissen Wissenschaftler, woher der Aal stammt. Und es war Redi, der beschrieb, was Aristoteles nur andeutet: dass der Aal Wanderungen unternimmt. Adulte Tiere leben in Flüssen und Seen, teils viele Jahre lang, wandern dann ins Meer, treten eine unklare Reise an, pflanzen sich fort und sterben. Ihre Nachkommen kehren dann als Glasaale zurück, die zwischen Januar und April auf dem Weg in die Flüsse, aus denen ihre Eltern stammten, zu Millionen in die europäischen Mündungsgebiete einfallen.

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Und doch blieben die Gonaden des Aals verschwunden. Manche dachten, im Widerspruch zu Aristoteles, dass der Aal zu den lebend gebärenden Tieren gehörte. Leeuwenhoek behauptete, dass er die Gebärmutter eines Aals voller junger Aale kurz vor der Geburt gefunden hätte. In Wirklichkeit hatte er die Blase eines Aals voller parasitischer Nematoden entdeckt. 1777 identifizierte Professor Carlo Mondini in Bologna endlich den Eierstock des Aals. Er erwies sich als gekräuseltes Gewebeband, das über die Länge des gesamten Tieres hinweg verläuft und zuvor fälschlicherweise als Fett interpretiert worden war. Die Hoden waren schwieriger zu fassen; erst 1874 wurden sie von Simon Syrski in Triest entdeckt. Es ist leicht zu verstehen, warum Aristoteles sie übersah: Die Gonaden beider Geschlechter sind mehr oder weniger leer, bis der Aal weit draußen auf dem Meer ist. (Bis heute wurden erst wenige trächtige Tiere gefangen; eins stammte aus dem Magen eines Pottwals mitten im Atlantik.) Aristoteles wusste das nicht; genauso wenig allerdings Sigmund Freud, der als 20-jähriger Forschungsstudent 400 Aale sezierte und nach ihrem Sperma suchte, nichts fand und sich besser lenkbaren Problemen zuwandte. Einige Jahre später zeigten Grassi und Calandruccio in Messina, dass der seltsame pelagische Leptocephalus, die Weidenblattlarve, die eigentliche Larve des Aals war. Erst 1922 bestimmte Johannes Schmidt an Bord der Dana endlich, wo der Aal sich paart, stirbt und entsteht: 22° 30’ N, 48° 65’ W, im Sargassomeer.

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s gibt hier ein Paradoxon in der Beweisführung. Es besteht nicht darin, dass Aristoteles so viel über Tiere wusste, dass er nicht an spontane Entstehung glauben konnte, denn das tat er eindeutig; angesichts der Tatsache, wie viel er wusste, ist es vielmehr überraschend, dass er sie überhaupt für plausibel hielt. Und doch scheint er einen Narren an der Theorie gefressen zu haben. Er beobachtet, dass Fliegen kopulieren und Maden hervorbringen. Er beobachtet auch, dass Maden zu Fliegen heranwachsen. Dennoch beharrt er darauf, dass Fliegen spontan entstehen. Es gelingt ihm nicht, den Kreis zu schließen und der Fliege den Lebenszyklus zuzugestehen, den sie offenkundig hat. Das erscheint abwegig. Aber die Widersprüche sind nicht nur empirisch. Spontane Entstehung läuft auch einigen seiner grundlegendsten Theorien zuwider. Für Aristoteles kann die Ordnung nicht nur von den Eigenschaften der Materie allein abhängen, sondern braucht auch eine Formursache. Ein Tier, das sich geschlechtlich vermehrt, bekommt seine Form von seinem

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väterlichen Elternteil; Form ist die Information, die die dynamische Organisation der Seele modelliert. Aber Spontanentwickler haben per definitionem keine Eltern. Wie also werden sie lebendig? Hat eine Schnecke keine Seele? Aristoteles’ Rezept für einen Spontanentwickler ist offensichtlich ein Versuch, einige dieser Probleme zu lösen oder wenigstens unter den Tisch zu kehren. Es basiert offensichtlich auf seinem Modell der geschlechtlichen Fortpflanzung. Es gibt ein Substrat (eine Stoffursache), analog zur Menstruationsflüssigkeit der Mutter; es gibt eine Bewegungsquelle (eine Wirkursache), eine Quelle von Seelenhitze analog zum pneuma im Sperma; es gibt Verkochung, Schaum und das Hervortreten von Ordnung und Leben. Es ist eine Erklärung, aber eine sehr dünne. Wenn es keinen Vater gibt, was sorgt dann dafür, dass eine bestimmte Form von Tier erzeugt wird, zum Beispiel eine Auster und keine Venusmuschel? Warum gibt es so viele Sorten von Spontanentwicklern? Aristoteles’ Antwort ist nicht besonders deutlich, aber die Spezifizität hängt irgendwie von der genauen Mischung der Zutaten ab. Deswegen gibt er sich so große Mühe, uns den genauen Lebensraum zu beschreiben, in dem seine Spontanentwickler zu finden sind: die Larven der Dungfliege, muia, entstehen aus Dung, aber die Larven der Bremse, muōps, entstehen aus Holz. Es hat auch mit der Form des Hohlraums zu tun, in dem die Verkochung stattfindet. Zusammen bestimmen diese Variablen, wie »ehrenwert« – er meint etwa, wie »komplex« – ein Lebewesen aus einer bestimmten Reaktion hervorgehen wird. Aber da alle Rohmaterialien allgegenwärtig sind, scheint es wahrscheinlich, dass Leben überall entsteht; tatsächlich, wie er uns sanft versichert, sind »auf eine Art alle Gegenstände voller Seele«. Es ist ein Wunder, dass er diese Darstellung überzeugend findet. Sie unterscheidet sich kaum von den materialistischen Theorien, die er so verachtet, und hat all ihre Fehler. In Physik II, 8 beharrt Aristoteles darauf, dass spontane Ereignisse »normalerweise nicht auf bestimmte Weise daherkommen« – sie sind ungewöhnlich, sogar selten. Dennoch gehören Austern, Venusmuscheln, Fliegen und Flöhe zu den bestandreichsten Tieren, die er kennt; wie können sie dann das Produkt spontaner Ereignisse sein? Aristoteles beharrt ebenso darauf, dass spontane Ereignisse nur Zwecke zu haben scheinen, sie aber tatsächlich nicht haben. Dennoch haben Spontanentwickler seiner eigenen Theorie zufolge bis auf die Geschlechtsorgane dieselben Organe, die Tiere mit geschlechtlicher Fortpflanzung haben. Ein Aal ist vielleicht kein Teil der Ewigkeit, doch sonst ist er ebenso ein teleologisches Konstrukt wie eine Sardine; beide haben Mäuler, Mägen, Kiemen und Flossen, die sie auf genau dieselbe Weise benutzen. Nachdem er die Formen aus ihrem platonischen Reich geholt und sie zum Kernstück seiner Vererbungstheorie und Ontogenie gemacht

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hat, lässt er sie offensichtlich einfach fallen. Und das nur, weil er nicht versteht, wo Aale ihre Gonaden verstecken und wie Austern sich paaren. Ein Rätsel bleibt. Aristoteles glaubt an die spontane Entstehung, obwohl die Tiere, die er am besten kennt, alle Eltern haben. Er glaubt es sogar, als seine eigenen Daten zu bestimmten Tieren – diesen lästigen Fliegen – in die entgegengesetzte Richtung zeigen. Er glaubt daran, obwohl er seine eigene – brillante – Entwicklungstheorie verbiegen muss, um es zu erklären. Er glaubt daran, obwohl es seiner Metaphysik widerspricht und den – hart erkämpften – Ball ins Feld seiner materialistischen Widersacher schlägt. Er glaubt daran, obwohl bereits eine einfache alternative Erklärung vorliegt. Warum also glaubt er daran? Die Überzeugungen jedes Wissenschaftlers hängen zu gleichen Teilen von den Theorien ab, die er von seinen Vorgängern übernimmt, von den Theorien, die er selbst formuliert, und von dem, was er mit eigenen Augen sieht. Aristoteles sagt uns nicht, woher er die Theorie der spontanen Entstehung hat, aber sie war zu seiner Zeit sicherlich eine Binsenweisheit. Theophrastos sagt, dass viele physiologoi, unter ihnen Anaxagoras und Diogenes, sie für wahr hielten. Wahrscheinlich war sie mit Theorien über den Ursprung des Lebens verwoben. Ein Abschnitt in den Problemen, einem pseudoaristotelischen Text, zeigt die Verbindung deutlich auf. Der Autor, wahrscheinlich einer von Aristoteles’ Schülern, fragt sich, warum manche Tiere spontan entstehen, während andere dafür Sex brauchen. Er beginnt mit der Behauptung, dass alle Tiersorten letztendlich aus der »Vermischung bestimmter Elemente« entstanden sind. Aber, fährt er fort, wie die physiologoi erklärt haben, erfordert eine ausgewachsene Zoogenese »mächtige Veränderungen und Bewegungen«. Wir sollen uns offenbar einen großen chemischen Aufruhr vorstellen, ähnlich wie zu der Zeit, als der Kosmos noch jung war. (Unwillkürlich denkt man dabei an Ursuppenszenarien mit Lava speienden Vulkanen und zuckenden Blitzen.) Heutzutage jedoch sind die Gegebenheiten ruhiger, daher entstehen nur noch kleine Tiere spontan; die großen müssen sich geschlechtlich vermehren. Der durchschnittliche Grieche musste mit Sicherheit keine Theorien solcher Art ausarbeiten. Nach dem Volksglauben entstand die Zikade spontan aus der Erde; als Zeichen ihrer Heimatverbundenheit trugen Mädchen in Athen daher goldene Zikaden im Haar. Außerdem erwachen Brot, Fleisch, Wein, Holz, Stoff – fast jedes organische Substrat – irgendwann zum Leben, wenn man es nur lang genug sich selbst überlässt, und bringt wimmelnde Schwärme von Tieren hervor. Selbst ein Bottich Wasser entwickelt ein eigenes Ökosystem. Was wäre also natürlicher, als anzunehmen, dass die Lebewesen dort herstammten? Selbst der zurückhaltende Theophrastos gibt zu, dass einige Pflanzen tatsächlich spontan entstehen.

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Es kann aber nicht sein, dass Aristoteles’ Festhalten an der spontanen Entstehung nur ein Überbleibsel eines Volksglaubens oder vorsokratischer Überzeugungen ist. Normalerweise ist er doch so schnell dabei, seine Vorgänger zu korrigieren, und tut es mit so viel Verachtung. Dennoch können wir intellektuelle Trägheit nicht vollkommen ausschließen. Vielleicht geschah Folgendes: Aristoteles beginnt wie immer bei Volksglauben und Expertenmeinung und behauptet, dass einige Tiersorten Spontanentwickler sind. Für sie ist es seine Nullhypothese. Dann beginnt er, sie zu untersuchen und Beweise für oder gegen die Hypothese zu sammeln. Er nimmt dabei eine empirische Haltung ein und weigert sich zu glauben, dass ein Tier einen vollständigen Lebenszyklus hat, bis er ihn in Gänze gesehen hat. Zum Beispiel sagt er, dass einige Schreiber behaupteten, alle Meeräschen seien Spontanentwickler, aber das sei empirisch falsch – nur auf eine träfe das zu. Er zieht nicht in Erwägung, dass Spontanentwickler das Ergebnis von unsichtbaren Samen sind, da er generell der Existenz mikroskopischer Objekte wie Atomen skeptisch gegenübersteht. Er entwickelt eine Erklärung für Spontanentwickler, die so schlüssig wie möglich an sein Modell der geschlechtlichen Fortpflanzung anschließt, und lässt seine Schwierigkeiten einfach aus. Er behält den präsokratischen Beinamen »spontan« für die Entstehung dieser Art, obwohl seine eigene Definition spontaner Ereignisse, die er in seiner Physik vorlegt, viel enger ist. Wie so oft verwendet er hier einen Begriff in mehreren recht unterschiedlichen Bedeutungen und vergisst, uns zu sagen, welche er gerade meint. Es ist keine sehr befriedigende Lösung, aber Aristoteles hilft uns nicht dabei, eine bessere zu finden. Selten drückt er Zweifel aus oder spricht von Schwierigkeiten, sondern verströmt fast immer das Selbstvertrauen eines Mannes, der die Phänomene versteht und gute Erklärungen parat hat. Manchmal allerdings erhaschen wir einen Blick auf einen Aristoteles im Zwiespalt. Er scheint sich nicht entscheiden zu können, ob die porphyrai – die Stachelschnecken am schlammigen Grund der Lagune – spontan entstehen oder nicht. Im Frühling, sagt er, versammeln sich die porphyrai und sondern eine »Wabe« ab, auf der man die Babyschnecken herumkriechen sieht. Offensichtlich redet er von ihren Eihüllen, aber wie bei den Austerngonaden sieht er das nicht. Stattdessen behauptet er in Historia animalium, dass die Babyschnecken spontan aus dem Schlamm unter der »Wabe« entstehen. In De generatione animalium stellt er die Sache etwas anders dar und behauptet, die Wabe sei ein samenähnlicher Reststoff, aus dem Babyschnecken entstehen, so wie eine Pflanze Knospen hervorbringt. Und in einem anderen Abschnitt in De generatione animalium erörtert er die Möglichkeit, dass sie sich doch geschlechtlich fortpflanzen: »Die einzigen Tiere dieser Sorte [der ostrakoderma], bei denen Kopulationen beobachtet wurden, sind die Schnecken; es

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gibt jedoch keine visuelle Bestätigung dafür, ob die Kopulation zur Fortpflanzung führt« – es müssen weitere Forschungsarbeiten durchgeführt werden. Aristoteles’ Empirismus tritt auch deutlich zutage, wenn er Insekten behandelt. Er glaubt, dass die meisten Tiere Spontanentwickler sind, und man könnte annehmen, dass er überhaupt nichts über komplexe Lebenszyklen weiß, doch dem ist nicht so. In einem herrlichen Abschnitt berichtet er nämlich über den der Zikade: Die große und die kleine Zikade kopulieren auf dieselbe Weise, Bauch an Bauch. Das Männchen führt sich ins Weibchen ein, nicht das Weibchen ins Männchen wie bei anderen Insekten, und die weibliche Zikade hat eine gespaltene Vulva, in die das Männchen sich einführt. Sie legen ihre Eier in unbebauten Boden und bohren ein Loch mit der Spitze, die sie am Hinterleib tragen, genau wie Heuschrecken. … Die Zikaden legen ihre Eier auch in die Pfähle, mit denen die Menschen ihre Weinranken aufrecht halten: Sie bohren ein Loch in die Pfähle und auch in die Stiele der Meerzwiebel. Ihre Brut sickert in den Boden und wird bei feuchtem Wetter sehr zahlreich. Wenn die Larve im Boden herangewachsen ist, wird sie zu einer Zikaden-Mutter [reifen Nymphe]. … Wenn die Sonnenwende herannaht, kommen sie bei Nacht heraus; die Hülle bricht sofort auf und sie werden zu Zikaden anstelle von Zikaden-Müttern. Sofort werden sie schwarz, härter und größer und beginnen zu singen. Bei beiden Sorten singen die Männchen, die Weibchen jedoch nicht.

Und er fügt hinzu, wenn man die Fingerspitze in die Nähe einer Zikade hält, krabbelt sie auf die Hand.

tettix – Zikade – Cicadidae

Feigen, Honig, Fisch

membras – Sardine – Sardina pilchardus?

feigen, honig, fisch

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inmal sah ich in Eresos einen geschlachteten Thunfisch. Er war weit oben an der Küste gefangen worden und wurde auf einem Tavernentisch zerlegt: Sein Messer wetzend, die Arme rot bis zu den Ellbogen, machte der Eigentümer eine unbestimmte Handbewegung in Richtung Troja. Aristoteles schreibt ausführlich über den Fisch, hat aber offensichtlich nie einen seziert, denn er sagt nichts über seine Anatomie – sein warmes Blut, sein Herz, das so groß ist wie das eines Kindes, die Verstrebungen seines Skeletts, die wie präzise gefrästen Mundwerkzeuge und die Heckspoiler-Flossen – die ganze erstaunliche Anmutung einer hundert Kilo schweren stahlblauen, gepanzerten, organischen Tötungsmaschine. Stattdessen spricht er von seinem Leben. Im Frühling, sagt er, »empfängt« der weibliche thynnos oder füllt sich mit Rogen. Wenn der Sommer herankommt, wandert er ins Pontos Euxeinos, das Schwarze Meer. Wenn die Fischer die brodelnden Schwärme von ihren Wachtürmen aus sehen, fangen sie die glitzernden Fische nachts, wenn sie schlafen, in ihren Netzen. Der thynnos laicht nur im Schwarzen Meer. Danach ist er schlank und erschöpft und wird oft von einem Parasiten befallen, der aussieht wie ein Skorpion und so groß ist wie eine Spinne, eindeutig eine Art von Fischlaus. Die Jungfische wachsen sehr schnell und machen sich im Herbst in die Tiefen der Ägäis auf, wo sie Winterschlaf halten, Fett ansetzen und dann wieder nach Pontos zurückkehren.* Alle Lebewesen auf der Erde müssen sterben. Oder wie Aristoteles es formuliert: Sie »kehren in sich selbst zurück«, nicht als Individuen, sondern

* Der Blauflossen-Thunfisch, Thunnus thynnus, ist im Schwarzen Meer inzwischen ausgestorben, wanderte zu historischen Zeiten aber zum Laichen dorthin, genau wie Aristoteles sagt. (Aber im Widerspruch zu Aristoteles laicht er auch an anderen Stellen im Mittelmeer.) Ein schwerwiegenderer Fehler in seiner Darstellung ist seine Aussage, dass Thunfische »sackähnliche« Eihüllen legen, denn der Thunfisch gibt viele kleine frei schwimmende Eier ab. Vielleicht denkt er an die pelagische Brut des Seeteufels, Lophius. Dessen Laichverhalten verwirrt ihn ebenfalls.

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als Formen. Ihre Lebenszyklen sind nicht autonom, sondern werden von höheren Zyklen gesteuert – dem Mond und der Sonne, die um die Erde kreisen. Der Mond steuert den Menstruationszyklus der Frauen, die Sonne auf ihrer Bahn entlang der Ekliptik schenkt uns die Jahreszeiten, nach denen alle Lebewesen ihr Leben ausrichten. Es gibt also unendlich viel darüber zu sagen, wann und wo Tiere sich paaren, Nachwuchs zur Welt bringen, Winterschlaf halten und wandern. Die meisten Tiere, sagt Aristoteles, paaren sich im Frühling, aber es gibt auch viele Ausnahmen. Menschen paaren sich und gebären zu jeder Zeit des Jahres, aber – wieder eine Einschränkung – Männer sind leidenschaftlicher im Winter, Frauen im Sommer. Und der alkyōn, der um den Untergang der Plejaden herum (Anfang November) auftaucht, baut ein raffiniertes Nest und brütet zur Wintersonnenwende (Dezember), wenn es häufig ruhig ist und die Menschen von den halkyonides hēmerai sprechen, den »friedlichen Tagen«. Er meint den Eisvogel, einen Wintermigranten auf Lesbos, dessen blaugrünes Aufblitzen häufig in den Sümpfen und Bächen um die Lagune herum zu sehen ist. Es ist nur ein hübscher Zufall, dass Linné den Vogel nach Atthis benannt hat, dem strahlend schönen Mädchen, das Sappho von all ihren Schülerinnen am liebsten mochte.*

thynnos – Blauflossen-Thunfisch – Thunnus thynnus Eresos, 2012

* Jedoch brütet Alcedo atthis nicht, wie Aristoteles sagt, im Winter in Griechenland in einem großen Nest am Meer; er brütet im Frühling in Mitteleuropa in einer Erdhöhle in einem Flussufer. Aristoteles sagt, dass es zwei Sorten von alkyōn gibt; eine von ihnen könnte vielleicht eine Seeschwalbe sein, aber ihre Brutgewohnheiten passen nicht zu denen des alkyōn. D’Arcy Thompson argumentiert, dass Aristoteles’ Darstellung des alkyōn stark von astrologischer Mystik beeinflusst ist, aber Peck ist anderer Meinung. Es ist jedoch wahr, dass eine der Plejaden unter dem Namen alkyōn bekannt war.

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Jedes Jahr zieht eine ganze Prozession von Fischen ins Meer, um dort zu laichen. Die Ersten in der Reihe sind im Vorfrühling die atherinai (Ährenfische), die beim Laichen ihren Körper am Sand reiben. Dann, sagt Aristoteles, kommen die kestreus (eine Meeräsche), im Frühsommer die salpē (Goldstriemen), gefolgt von anthias (Mittelmeer-Fahnenbarsch?), chrysophrys (Goldbrasse), labrax (Europäischer Wolfsbarsch) und mormyros (Marmorbrasse). Trigli (Meerbarbe) und korakinos, dessen Identität unbekannt ist, laichen gegen Herbst, der salpē auch noch einmal. Maenis (Pikarelle), sargos (Geißbrasse), myxinos und chelōn (zwei weitere Meeräschen) laichen im Winter. Manche Fische laichen zu verschiedenen Zeiten im Jahr an unterschiedlichen Orten.* Viele Tiere meiden Extreme und verstecken sich vor der sengenden ägäischen Sonne oder Boreas’ Winterstürmen. Im Hochsommer verschwinden alle möglichen Tiere – Schlangen, Echsen, Schildkröten, verschiedene Fische, Schnecken und Insekten. Beim Untergang der Plejaden verstecken sich Bienen in ihren Stöcken und fasten, sodass sie bei Wintereinbruch fast durchsichtig sind. Der Bär, der sich im Monat Elaphebolion gepaart und über die Sommermonate Fett angesetzt hat, bringt Junge zur Welt und verfällt für drei Monate in den Winterschlaf.** Andere Tiere ziehen in gemäßigtere Klimazonen; Aristoteles verzeichnet die lärmenden Wanderungen der Kraniche im Frühling und Herbst zwischen Afrika und dem eurasischen Landesinneren.

* Es ist schwer, die Genauigkeit dieser Laichzeiten zu beurteilen. Teilweise liegt es daran, dass trotz aller Bemühungen der Icthyologen – unter ihnen Rondelet, Cuvier und D’Arcy Thompson –, Aristoteles’ Fische zu identifizieren, wir von einem recht großen Teil immer noch nicht wissen, um welche Arten es sich handelt. Nehmen wir den korakinos: Von Aristoteles und aus anderen Quellen wissen wir über ihn nur, dass er über Felsen lebt und spät im Jahr laicht. Er wurde von Cuvier, Gesner und D’Arcy Thompson unterschiedlich identifiziert: als Mönchsfisch (Chromis chromis), Gewöhnlicher Umber (Umbrina cirrosa) und Meerrabe (Sciaena umbra), die jedoch alle im Früh- bis Hochsommer laichen. Neben der Liste hier, die aus Historia animalium VI, 17 stammt, berichtet Aristoteles uns auch an anderen Stellen in der HA von den Laichzeiten verschiedener Fische und sie stimmen nicht immer überein. Zum Beispiel sagt er uns, dass der sargos im Frühling und im Herbst (HA 543a7), im Herbst (HA 543b8) und dreißig Tage nach Poseidon laicht (HA 543b15, HA 570a33) – etwa im Januar also. Tatsächlich laicht Diplodus sargus zwischen Januar und März (FishBase). Sehe ich mir die mit größter Sicherheit identifizierten Fische an, schätze ich, dass er die Zeiten in etwa der Hälfte der Fälle richtig angibt. Allerdings müssen die Daten in der FishBase auch nicht unbedingt auf griechische Gewässer zutreffen. ** Nach der obigen Darstellung ist die Lebensgeschichte des arktos (Europäischer Braunbär, Ursus arctos arctos) schlüssig. Wenn Elaphebolion ungefähr März/April entspricht und er ab Dezember Winterschlaf hält, wäre das eine Tragzeit von etwa neun Monaten, nicht allzu weit von den 7,5 Monaten entfernt, die die panTHERIA-Datenbank angibt. Leider behauptet Aristoteles auch – und zwar im selben Kapitel (Historia animalium VI, 30) –, dass die Sau nur dreißig Tage trächtig ist, also im Mai wirft. Viele Herausgeber haben schon mit vielen Mitteln versucht, hier einen Sinn hineinzubringen.

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Man muss natürlich kein Aristoteles sein, um das Fortschreiten des Jahres zu bemerken. Nichts davon jedoch ist ein Lobgesang auf die Jahreszeiten nach Art eines Alkaios, Simonides oder Thoreau. Aristoteles will zeigen, wie Tiere ihre Gewohnheiten an die Jahreszeiten anpassen, um sicherzustellen, dass sie sich paaren, ihre Jungen aufziehen und Nahrung finden können – die Fische, die nach Pontos strömen, tun das, weil es hier mehr Nahrung und weniger Räuber gibt als auf dem offenen Meer und weil der Süßwassereintrag dort die Jungen besser wachsen lässt. Er will auch erklären, dass jede Tiersorte einen bestimmten Komfortbereich hat, dass die Temperaturtoleranz »schwächerer« Tiere enger ist als die »stärkerer« Tiere – deswegen zieht die Wachtel, ein schwacher Vogel, vor dem stärkeren Kranich und die Makrele vor dem Thunfisch. Vor allem möchte er zeigen, wie Lebewesen von der Struktur der physikalischen Welt abhängen. Ihre Lebenszyklen spiegeln natürlicherweise die Zyklen der himmlischen Rotationen wider: »Das Ziel der Natur ist es also, die Entstehung und das Ende der Dinge durch die Maße dieser [Himmels-]Körper zu messen.« Aber die Natur, warnt er, erreicht ihr Ziel nicht immer, denn Materie kann kompromisslos sein.

LXXX

I

n der Struktur von Aristoteles’ physikalischem System liegt etwas verborgen, das die Intaktheit seiner Welt bedroht. Wissenschaft, sagt er, ist die Erklärung von Veränderung und in der Welt gibt es sicherlich genügend Veränderungen zu erklären. Stürme fegen vom Meer heran, Regen fällt, Flüsse schwellen an. Erdrutsche vernichten, Berge erodieren, Vulkane brechen aus. Lebewesen – unzählige Lebewesen – leben. Nach seiner eigenen Darstellung kann man nichts davon als gegeben hinnehmen, denn die Welt besitzt eine eingebaute Tendenz zum Stillstand. Aber hier muss ich präziser sein, denn wenn ich sage, dass »die Welt« diese Tendenz aufweist, meine ich nicht, dass der Kosmos als Ganzer das tut, sondern nur der Teil davon, der grob mit dem übereinstimmt, was wir Erde nennen. Es ist der Teil, den Aristoteles mit größerer Genauigkeit die »Welt unter dem Mond« nennt. Die Wurzel des Problems ist elementar, im ganz wörtlichen Sinn. Die sublunare Welt besteht Aristoteles’ Ansicht nach aus vier Elementen. Jedes Element hat eine natürliche Heimat im Kosmos, zu der es strebt und wo es ruht, wenn es angekommen ist. Die natürliche Heimat des Erdelements befindet sich im Zentrum der sublunaren Sphäre, die des Wassers direkt über der Erde, die der Luft über der des Wassers und die des Feuers über der Luft. Wir befinden uns etwa in der Mitte dieses Systems, daher sehen wir normaler-

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weise Feuer und Luft sich nach oben bewegen, Wasser und Erde nach unten. Diese elementaren Tendenzen sind für Aristoteles so allgegenwärtig wie für uns die Schwerkraft. Aber während die Schwerkraft unsere Welt zusammenhält, drohen die Bewegungen der Elemente Aristoteles’ Welt in eine Zwiebel zu verwandeln. Tatsächlich sieht seine Welt auf den ersten Blick wirklich wie eine Zwiebel aus – sie hat einen Kern aus Erde, umgeben von Schichten aus Wasser, Luft und Feuer. Wären die Elemente jedoch sauber getrennt – wäre die Welt in einem vollkommenen Gleichgewicht –, dann wäre sie still. Es wäre eine Welt in einer elementaren Totenstarre. Das Leben selbst würde nicht, könnte nicht existieren. Aristoteles sieht das Problem, das seine Theorie der Elemente aufwirft, und schlägt eine raffinierte Lösung vor. Etwas, argumentiert er, muss sie ständig von ihrem natürlichen Ruheort ablenken; etwas muss den sublunaren Kessel umrühren. Um die Elemente in Bewegung zu halten, gibt er ihnen zunächst einmal einen Kreislauf. Jedes Element ist eine Kombination aus zwei dichotomen Sätzen grundlegenderer Eigenschaften, gegenübergestellter »Potenziale«: heiß und kalt sowie trocken und nass. Das Erdelement ist also kalt und trocken, Wasser ist kalt und nass, Luft ist heiß und nass und Feuer ist heiß und trocken. Diese Potenziale diktieren die möglichen bidirektionalen Transmutationen: Feuer ↔ Erde, Erde ↔ Wasser, Wasser ↔ Luft, Luft ↔ Feuer – und damit ist der Kreislauf geschlossen. Dieses elegante Schema allein kann nicht verhindern, dass die Welt zu einer Zwiebel wird. Um ihre Transmutationen zu durchwandern, müssen die Elemente miteinander in Kontakt kommen. Also wendet er seine Aufmerksamkeit den himmlischen Rührern zu, der Sonne und dem Mond. Während sie sich im Tages-, Monats- und Jahresrhythmus nähern und entfernen, erhitzen und kühlen sie die Welt, die sie bescheinen. Die Sommersonne erhitzt den Boden, dieser bringt einen heißen, feuchten, luftreichen Dampf hervor, aus dem Wolken entstehen, die mit Eintreffen des Winters abkühlen und sich wieder in die kalte, nasse, wasserreiche Substanz zurückverwandeln, die wir Regen nennen: »Wir müssen uns dies wie einen Fluss vorstellen, der in einem Kreislauf nach oben und unten fließt und der zum Teil aus Luft und zum Teil aus Wasser besteht.« Aufgrund einer ähnlichen Ursache bläst auch der Wind – »selbst der Wind hat eine Art Lebensspanne«. Aristoteles erklärt diese Vorgänge in Meteorologica. In großen Teilen geht es dort um Kreisläufe. Es ist ein Argument gegen Entropie, ein Modell, wie die Welt sich gleichzeitig verändern und bestehen kann, wie sie ihr dynamisches Gleichgewicht hält. Die Oberfläche der Erde, sagt er, verändert sich ständig, aber so langsam, dass wir es kaum bemerken. Während des Trojanischen Krieges war Argos sumpfig und Mykene fruchtbar; nun werden die Argiver Sümpfe kultiviert und Mykene ist trocken. Auch Ägypten trocknet aus und

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deswegen hat der Nil seinen Lauf geändert. In den Augen mancher Menschen, sagt er, zeigen solche Veränderungen, dass die Erde austrocknet, seit sie entstanden ist, aber das ist eine beschränkte Sichtweise. Aristoteles versucht, in die Tiefenzeit einzudringen, aber seine Beweise stammen von Homer. Es ist eher so: Während ein Teil der Erde austrocknet, sackt ein anderer ins Meer ab, denn ihre inneren Teile sind ständig dabei, »zu wachsen und zu vergehen«. All diese Biometeorologie wirft die Frage auf, wie Aristoteles die sublunare Welt wahrnimmt. Hält er sie für einen Organismus? Sind die meteorologischen Kreisläufe Lebenszyklen? Existieren sie um einer Sache willen? Es gibt einen Abschnitt in Physik II, 8 – einen oft diskutierten –, in dem Aristoteles zu sagen scheint, dass der Winterregen um der Frühjahrsernte willen fällt, und damit impliziert, dass die physikalische Welt zum Wohle der Lebewesen aufgebaut ist, die sie bewohnen, vielleicht sogar für den Menschen, der schließlich erntet, was er sät. In seiner Meteorologica jedoch sagt er nichts dergleichen. Die darin beschriebenen Kreisläufe werden nur durch Stoffursache und Wirkursache erklärt, Zweckursachen scheinen vollkommen zu fehlen. Die sublunare Welt hat homöostatische Mechanismen, die sie in Bewegung halten, aber sie sind viel einfacher als die kybernetischen Rückmeldungen, auf die er sich beruft, wenn er Lebewesen erklärt. Seine organische Sprache ist metaphorisch – die Erde hat keine Seele. Er versucht, seine Empfindung zu vermitteln, dass der Kosmos, die Jahreszeiten, die Elemente, das Leben selbst auf eine Art alle eins sind, dass sie alle in ihrer Entstehung und im Verlöschen miteinander verbunden sind: Kreisläufe in Kreisläufen in Kreisläufen.

LXXXI Aristoteles führt die Laichzeiten der Fische nach Jahreszeiten auf, Theophrastos die Blütezeiten. Die ersten Frühlingsblüher sind Levkojen und Schröterich. Dann folgen die Weiße Narzisse, das Buschwindröschen und die Schopf-Traubenhyazinthe. Dies sind die Blüten, die Girlandenmacher verwenden. Kleines Mädesüß, Sonnenröschen, Pfauen-Anemone, Acker-Gladiole, Zweiblättriger Blaustern und all die anderen Bergblumen kommen als Nächste; die Wildrose blüht zuletzt und verblüht zuerst, denn ihre Zeit ist kurz. Obwohl Theophrastos so viele Blüten kennt, weiß er nicht, wozu sie da sind. Er sieht Staubblatt und Stempel, weiß aber nicht, dass sie die Geschlechtsteile der Blüte sind, dass Pollen der männliche Samen ist und dass ihre berauschenden Düfte und Farben nur dazu da sind, ihre Bestäuber

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zu verführen. Die Liebe der Pflanzen (ich bediene mich hier bei Erasmus Darwin) war ihm unbekannt. Die Gründe für seine Unkenntnis sind auf den ersten Blick offensichtlich. Staubblätter und Stempel sind recht klein, Pollen ist noch kleiner. Auch lassen sich viele Pflanzen aus Stecklingen ziehen (als echter Gärtner langweilt Theophrastos seine Leser damit gern) und dabei ist kein Sex im Spiel. Vielleicht stand er auch unter dem Einfluss von Aristoteles’ Definition eines Männchens als »ein Tier, das sich in einem anderen Tier fortpflanzt«, was auf Pflanzen nicht einmal ansatzweise zutrifft. Wenn er erklärt, wie sich Pflanzen vermehren, behauptet Aristoteles nur, dass sie »sowohl das männliche als auch das weibliche Prinzip enthalten«.* Außer, wenn es um Feigen geht. In Historia animalium erzählt Aristoteles eine seltsame Geschichte: Wilde Feigenfrüchte enthalten das, was psēnes genannt wird. Es beginnt als Larve, aber sobald die Haut [Puppenhülle] aufgesprungen ist, fliegt das psēn heraus und lässt die Frucht zurück. Dann kriecht es durch die Öffnungen in die kultivierten Feigen und verhindert, dass sie abfallen. Deshalb pflanzen Kleinbauern [wilde] Feigenbäume neben kultivierte und befestigen ihre Früchte an ihnen.

Genau wie Schafe stammen Feigen aus Asien und waren schon vor Homers Zeiten an der Ägäis zu finden. Heute kommen die besten Feigen auf Lesbos aus Eresos, wie jeder bestätigen wird. Die Haine dort sind so kühl und grün und voller Leben, wie die umgebenden Hügel heiß und trocken und öde sind. Viele Feigensorten werden auf der Insel angebaut: apostolatika, vasilika, aspra (weiß), maura (schwarz), diphora (doppelt tragend, im Frühling und Herbst), aber die berühmteste ist die smyrna, benannt nach der Stadt in Kleinasien. Ihre Früchte sieht man auf den Märkten, so groß wie eine Kinderfaust mit mitternachtsvioletter Haut und purpurnem Fleisch. Aristoteles’ kultivierte Feige könnte jede der alten Kultursorten gewesen sein. Die psēn ist die Feigenwespe, Blastophaga psenes, die aus der Frucht

* Er meint damit nicht, dass sie einhäusig sind – er hat ganz einfach die geschlechtlichen Teile von Blüten nicht erkannt. Manchmal heißt es, Aristoteles gehe bei Pflanzen, vermeintlich männchenlosen Tierarten wie den channos und Bienen von einer Parthenogenese aus, aber da er typischerweise sagt, in ihnen sei das »männliche und das weibliche Prinzip« vereint, wären sie bei ihm eher so etwas wie selbstbefruchtende Zwitter. Er äußert sich einfach nicht klar genug über die Mechanik der Fortpflanzung bei diesen Lebewesen, als dass wir eine solche moderne Unterscheidung treffen könnten.

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schlüpft, genau wie er sagt.* Die Wildfeige, die heutzutage ornos heißt, wächst in Flussbetten. Die Praxis, wilde an kultivierte Feigen zu binden, um sicherzustellen, dass sie Früchte tragen, heißt »Kaprifikation«, da die wilde Feige nicht essbar ist, sondern nur an Ziegen (lat. Capra) verfüttert werden kann. Die früher weit verbreitete Praxis ist in Griechenland heute selten; auf Lesbos pflanzen die Bauern einfach wilde und kultivierte Feigenbäume im Verhältnis 1:25. All dies ist recht klar, verwirrt uns aber trotzdem. Was genau ist die Beziehung zwischen der wilden und der kultivierten Feige? Und wie verhindert eine Wespe, die in der Frucht der einen schlüpft, dass die Frucht der anderen herabfällt? Theophrastos, der aus Eresos stammte und daher alles über Feigen wusste, erörtert diese Fragen ausführlich. Er wiederholt Aristoteles’ Geschichte und fügt einige Einzelheiten hinzu, etwa dass die Feigenwespe einem räuberischen Insekt zum Opfer fällt, dem kentrinēs, bei dem es sich wahrscheinlich um die Parasitenwespe Philotrypesis caricae handelt.** Er hat auch mehrere Hypothesen, wie Wespen Feigen am Baum halten. Die Einzelheiten interessieren hier nicht – sie sind mechanisch und ziemlich falsch. Viel interessanter ist, dass sowohl er als auch Aristoteles die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Geschichte mit den zwei Feigensorten etwas mit Sex zu tun hat. Als Aristoteles in De generatione animalium über die Geschlechter redet, kehrt er zu den Feigen zurück und sagt: »Es gibt einen kleinen Unterschied wie diesen [zwischen den Geschlechtern], da wir selbst bei Pflanzen ein und derselben Sorte Bäume finden, die Früchte tragen, und andere, die das nicht tun, aber dabei helfen, die Früchte der Fruchttragenden zu verkochen. Dies geschieht im Fall der [kultivierten] Feige und der wilden Feige.« Theophrastos kommt sogar noch näher heran, denn er vergleicht Feigen direkt mit Dattelpalmen. Indem er offensichtlich auf einen Bericht von Herodot oder Kallisthenes aus dem Osten zurückgreift, beschreibt er, dass Dattelpalmen »männliche« und »weibliche« Blüten haben und dass die Bauern die Entstehung von Datteln unterstützen, indem sie den »Staub« – offensichtlich Pollen – der einen über der anderen verteilen. Dies, fährt er fort, ähnelt stark der Praxis, wilde an kultivierte Feigen zu binden, und beides ähnelt einem Fisch, der seine Milch über Rogen verteilt.

* Feigenwespen zählt Aristoteles zu den Spontanentwicklern; tatsächlich haben sie wunderbar komplizierte Lebenszyklen. ** Die Identität liegt im Namen, der sich von kentron (Stachel) ableitet. P. caricae legt sein Ei mit einem spektakulär langen Ovopositor von außerhalb der Feige in die Larven von B. psenes. Im Widerspruch zu dieser Identifikation behauptet Theophrastos, dass sie den adulten Tieren nachstellt, wenn sie in die Feige kriechen.

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Sie ziehen die Analogie heran. Sie kommen der Wahrheit so nahe. Die beiden Sorten von Feigen sind nur verschiedene Geschlechter derselben Sorte. Eine Feige ist weniger eine Frucht als ein Agglomerat winziger Blüten in einer fleischigen Hülle. »Wilde« und »kultivierte« Feigen sind beide Ficus caria, aber Erstere enthält sowohl männliche als auch weibliche Blüten, Letztere nur weibliche; die Wespe transportiert Pollen von der einen zur anderen. Feigen reifen nicht, wenn sie nicht bestäubt wurden, daher müssen sie nahe beieinanderstehen. Unsere beiden griechischen Wissenschaftler spielen mit der Idee. Doch keiner von beiden spricht einfach aus, dass auch Pflanzen Sex haben. Also ein Lehrbeispiel für die Gefahren der Theorie, oder? Vielleicht nicht. Die Feige ist eine vielgestaltige Pflanze. Um Früchte zu tragen, bemerkt Theophrastos, brauchen einige Feigen Wespen und die Sache mit der Kaprifikation, die dazugehört, aber die meisten nicht. »Ist das nicht seltsam?« Ja, das ist es. Wie wir heute wissen, müssen manche Kultursorten bestäubt werden, andere jedoch nicht, weil sie asexuelle Mutanten sind, und beide Typen waren im vierten Jahrhundert weit verbreitet.* Theophrastos verallgemeinerte die Tatsache, dass einige Feigen keinen Sex brauchten, und schloss, dass das für alle Feigen gilt. Es gab also keinen Grund anzunehmen, dass Pflanzen überhaupt Sex brauchen. Im 17. und 18. Jahrhundert beschäftigten sich Tournefort in Paris, Pontedera in Padua, Cavolini in Neapel – sogar Linné in Uppsala – alle mit dem Geheimnis der Feige. Sie machten einige Fortschritte, konnten es aber nicht lösen. 1864 studierte Guglielmo Gasparrini, Professor für Botanik in Neapel, die Feige von Aristoteles’ Darstellung bis zu den Ergebnissen seiner eigenen umfangreichen Experimente und zog daraus genau die falschen Schlüsse. Die »wilde« und die »kultivierte« Feige, sagte er, seien ganz unterschiedliche Arten, gehörten gar zu unterschiedlichen Gattungen, und dass die Feigenbäume die Nähe zur wilden Feige bräuchten, sei ein rein bäuerlicher Aberglaube. Gasparrini hatte Pech: Auch er untersuchte einen asexuellen Stamm und wie Theophrastos verallgemeinerte er zu stark.** * Archäologische Berichte datieren den Ursprung des asexuellen Stamms auf vor rund elftausend Jahren. ** 1881 lernte ein Konsortium kalifornischer Farmer, darunter Gouverneur Leland Stanford, mehr über die Befruchtung der Feige und zahlte ein hohes Lehrgeld dafür: Weil sie von Feigenplantagen im ganzen San Joachin Valley träumten, importierten sie 14.000 Setzlinge aus Smyrna. Die Setzlinge gediehen und wuchsen zu Bäumen heran, die Feigen trugen; alle verschrumpelten jedoch, wurden gelb und fielen ab. Die Kalifornier beschuldigten den Händler aus Smyrna, einen bedauernswerten Syrer, er hätte ihnen die falsche Feigensorte geschickt, was dieser bestritt. Das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium und der kalifornische Agrarausschuss wurden beauftragt, der Sache auf den Grund zu gehen. Pflichtgemäß importierte man dann wilde Feigen voller Wespen und die kalifornische Feigenindustrie war geboren.

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Aber das ist das ewige Dilemma des Wissenschaftlers: wie weit er seine Daten interpretieren darf. Aristoteles’ Verallgemeinerungen sind häufig zu allumfassend, Theophrastos ist vorsichtiger. Deshalb liest er sich auch langweiliger. Beide stellen gelegentlich die Qualität ihrer Beweise infrage, aber keiner äußerte je solche Zweifel wie Gasparrini am Ende seiner Feigen-Monografie, und was für klägliche: Da ich nun das Ende meiner Bemühungen erreicht habe, kann ich eine bestimmte Sorge nicht verbergen, die heimlich in meinem Geist gekeimt ist. Es liegt wohl daran, dass ich von allen Seiten höre, der Brauch, wilde an kultivierte Feigen zu binden, der so alt ist und von so vielen angesehenen Männern der Wissenschaft sowohl aus alten wie auch aus neuen Zeiten unterstützt wird, müsse auf Erfahrung gegründet sein, gegen die keine Theorie, keine wissenschaftlichen Spitzfindigkeiten etwas auszurichten vermögen. Fürwahr beunruhigt das Aufkommen solcher Gedanken in meiner Brust mich so sehr, dass mir inmitten meiner Bemühungen der Atem stockte aus Furcht, dass eine falsch verstandene Tatsache einen Schleier über meinen Geist gezogen haben könnte.

Bedauerlich, aber so ist es nun mal. In der Wissenschaft geht es häufig darum, zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen zu navigieren, zwischen dem Zusammenfassen der Phänomene und ihrer Trennung voneinander, und manchmal liegt man einfach falsch.

LXXXII

V

or dem Aufgang der Plejaden gibt es keinen Honig. Der kommt erst mit dem morgendlichen Aufsteigen der Sterne – wenn alkyōn (Eta 25 Tauri) und sirios (Sirius A) erstmals vor der Morgendämmerung am Himmel stehen – und wenn der Regenbogen auf die Erde herabführt. Honig kann geerntet werden, wenn die wilden Feigen Früchte tragen. Das alles geschieht Ende Mai bis Ende Juni. Honigbienen erfreuen Aristoteles. In Historia animalium widmet er ihnen mehr Seiten als jedem anderen Tier, mit Ausnahme des Menschen selbst. Er beschreibt ihre Nahrung, Räuber, Krankheiten, die verschiedenen Produkte, die sie sammeln oder herstellen, ihren verblüffenden Fleiß und die Komplexität ihres Soziallebens. Er sagt, sie seien göttlich. Man fragt sich, wieso er so viel über sie weiß. Der arabische Enzyklopäde al-Damîrîb al Din (gest. 1405) behauptete, dass Aristoteles sich einen gläsernen Bienenstock hätte anfertigen lassen, sodass er die Bienen bei der Arbeit

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beobachten konnte. Den Bienen hätte jedoch seine Neugier nicht gefallen und sie hätten die Innenseite des Glases mit Ton beschmiert. Allein das letzte Detail macht die Geschichte unwahrscheinlich und der Araber sagt nicht viel über seine Quelle. Ich bin nicht sicher, ob Aristoteles überhaupt einmal das Innere auch nur eines gewöhnlichen Bienenstocks gesehen hat. Die Imkerei war jedoch ein wichtiges Gewerbe im Griechenland des vierten Jahrhunderts und mit Sicherheit befragte er Imker in aller Ausführlichkeit. Unter den Problemen rund um die Bienen, die Aristoteles erörtert, ist auch der Ursprung von Honig. Man würde nicht meinen, dass das überhaupt ein Problem darstellt. Jedes Kind weiß, dass Bienen Honig aus dem Nektar machen, den sie in Blüten sammeln. Wie erwartet beschreibt Aristoteles denn auch, wie Bienen in kelchförmige Blüten kriechen und die süßen Säfte mit einem Organ aufnehmen, das einer Zunge ähnelt.* Er sagt auch, dass Honig von weißem Thymian besser schmeckt als von rotem; Theophrastos spricht von weißem und schwarzem Thymian.** Es scheint alles ganz eindeutig. Aber in anderen Abschnitten, einige direkt auf die Beschreibungen folgend, widerspricht er sich selbst. Honig stammt nicht aus Blüten, denn wenn Imker im Herbst Honig aus dem Stock nehmen, wenn es noch viele Blüten gibt, wird er nicht ersetzt. Er fällt vielmehr vom Himmel. Sein Tonfall dabei ist der eines Mannes, der einen irrigen Volksglauben korrigiert. Darum geht es in der Geschichte vom Honig und den Sternen: Die Honigerzeugung ist auf irgendeine ziemlich direkte Art an den astronomischen Kalender gebunden; es scheint sich um ein dem Tau ähnliches Phänomen zu handeln. Das scheint absurd. Ist es aber nicht – oder nicht allzu sehr. Sein Himmelshonig ist tatsächlich »Honigtau«, die Tröpfchen der süßen Flüssigkeit, die im Frühling plötzlich auf Zweigen und Blättern im Wald auftaucht. Sie sind, auch wenn er das nicht weiß, das Ausscheidungsprodukt von Blattläusen und anderen Insekten, die sich von Pflanzensaft ernähren.*** Heutzutage werden rund 65 Prozent des griechischen Honigs aus Honigtau erzeugt. (Die Griechen, die einen bei solchen Themen gern in längere Feinschmeckerdiskussionen verwickeln, sind sich nicht einig, ob Blüten- oder Kiefernhonig besser schmeckt.) Was die Frage angeht, warum Aristoteles sich selbst

*

Aristoteles glaubt, dass Bienen Honig sammeln. Er weiß also nicht, dass Nektar im Bienenstock durch Verdunstung und Enzymreaktionen zu Honig verarbeitet wird. ** Es gibt ein Dutzend Thymus-Arten oder mehr in Griechenland sowie zahlreiche Hybriden, daher weiß ich nicht genau, welche Pflanzen sie hier meinen. *** Ich habe einen korinthischen Imker gefragt, woher der Honigtau kommt. Korinth ist eine Region, die seit der Antike berühmt ist für ihren Honig, und mein Informant war ein Mann, dessen Familie seit mehreren Generationen Bienen hält und der eine Menge über sie gelesen hatte. Trotzdem wusste er nicht, dass Honigtau von Schnabelkerfen abgesondert wird.

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widerspricht, so hat jemand an dem Text herumgefuhrwerkt. Ich tippe auf Theophrastos, der ein nicht überliefertes Buch namens Über den Honig schrieb; soweit sich das aus Berichten aus zweiter Hand rekonstruieren lässt, schrieb er darin, dass Honig aus drei Quellen stammt: Honigtau, Blüten und »Schilf«, wobei er mit Letzterem vielleicht indisches Zuckerrohr meinte. Wenn schon der Ursprung des Honigs problematisch ist, dann ist es der Ursprung der Bienen selbst noch mehr. Es ist nicht so, als hätte Aristoteles nichts über die Entwicklung von Bienen gewusst, denn er beschreibt sie recht detailliert mit mäßiger Genauigkeit. Eine Biene legt die Brut in eine Zelle und brütet sie dann wie ein Vogel aus, bis sie sich zu einer Larve entwickelt hat. Solange die Larve noch klein ist, liegt sie schräg in ihrer Zelle; später sitzt sie aufrecht, frisst, scheidet aus und hält sich an der Wabe fest. Sie verwandelt sich in eine Puppe, wird in ihrer Zelle eingeschlossen, es wachsen ihr Füße und Flügel und dann bricht sie aus und fliegt davon. Nein, das Problem lautet vielmehr: Welche Biene legt die Brut in die Wabe? Wie bei der »wilden« und der »kultivierten« Feige stehen einfach zu viele Schauspieler auf der Bühne. Wenn es im Bienenstock nur zwei Sorten von Bienen gäbe, wären sie wie jedes andere Tier und es wäre einigermaßen einfach, die Geschlechter zu bestimmen. Aber es gibt drei Sorten von Bienen – Arbeiter, Drohnen und Anführer – und niemand hat jemals eine von ihnen kopulieren sehen.* »Die Entstehung von Bienen ist ein großes Rätsel«, sagt er, aber es ist eins von den Rätseln, die er liebt. In De generatione animalium stellt er die Hypothesen dazu in einer logischen Reihenfolge auf. Aus ökonomischen Gründen ordne ich sie hier einmal tabellarisch. Bienen können:

* Tatsächlich unterscheidet Aristoteles sechs »Sorten« – genē – von Bienen: (i) eine kleine, runde, mehrfarbige Arbeitsbiene, (ii) eine große, träge Drohnenbiene, (iii) eine rote Anführerbiene, (iv) eine schwarze, dickbäuchige Raubbiene, (v) eine längliche Biene, die schlechte Waben herstellt und einer Wespe ähnelt, (vi) eine schwarze, vielfarbige Anführerbiene. Er hat es hier eindeutig mit drei Geschlechtern oder Kasten (Arbeiterin, Drohne, Königin) und mindestens zwei von mehreren Unterarten von Apis mellifera zu tun, die in Griechenland zu finden sind. Er scheint das Problem zu verkleinern, indem er annimmt, dass (i) bis (iii) verwandt sind und ebenso (iv) bis (vi), da sie jeweils aus denselben Stöcken stammen. Aber er macht nirgendwo deutlich, dass Arbeiterinnen, Drohnen und Königinnen eigentlich zur selben Sorte gehören, also dieselbe Form oder denselben eidos haben wie normale Männchen und Weibchen, die bzw. den die anderen Sorten nicht haben. Hier könnte man sich also fragen, was genau für Aristoteles der ontologische Status eines genos ist.

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1.  spontan entstehen, 2.  die Nachkommen einer anderen Sorte Tier sein, 3.  die Nachkommen von Bienen sein. Falls 3., dann könnten sie erzeugt werden: 3.1 ohne Kopulation, 3.2 mit Kopulation. Falls 3.2, dann sind die folgenden Kombinationen aus Paarung und Nachkommen möglich: 3.2.1 A × A ➝ A (und so fort für die anderen Sorten), 3.2.2 K × K ➝ A + D + K (oder eine andere Art von homotypischer Paarung) 3.2.3 A × D ➝ A + D + K (oder eine andere Art von heterotypischer Paarung)

Dabei stehen A, D und K für Arbeiterin, Drohne und Königin, × für eine Kreuzung und ➝ für die Nachkommen.* Es folgen seitenlange Analysen, die sich aus allgemeinen zoologischen Prinzipien und einigen Bienenmythen speisen, um die Möglichkeiten der Erbfolge auszuschließen. Nachdem er sich rasch von der Vorstellung abgewandt hat, dass Bienen spontan entstehen oder von einer ganz anderen Sorte Tier hervorgebracht werden, das nicht im Bienenstock lebt, wendet er sich den Bienengeschlechtern zu. Er beginnt mit einigen Geschlechterstereotypen oder, um es freundlicher auszudrücken, empirischen Verallgemeinerungen. Männchen haben offensive Waffen (Hörner, Stoßzähne), Weibchen nicht; Weibchen kümmern sich um die Jungen, Männchen nicht. Weder Arbeiterinnen noch Drohnen passen jedoch in dieses Schema, da Arbeiterinnen Stacheln haben, sich aber um die Brut kümmern, während die stachellosen Drohnen gar nichts tun. Arbeiterinnen und Drohnen müssen also weder männlich noch weiblich sein, sondern ein wenig von beidem. Sie sind wie Pflanzen oder die angeblich geschlechtlich ambivalenten Fische, die sich vermeintlich ohne Kopulation fortpflanzen. (Er weiß, dass Drohnen manchmal aus dem Stock schwärmen, aber nicht, dass sie dabei eine jungfräuliche Königin verfolgen mit der Absicht, sich hoch in der Luft mit ihr zu paaren.) Dann untersucht er, welche Biene welche hervorbringt. Aristoteles berichtet, dass Drohnen in Bienenstöcken auftauchen können, die weder Drohnen noch eine Königin haben, sondern nur Arbeiterinnen. (Bemerkenswerter-

* In Anbetracht der völligen Unwissenheit, wer mit wem kopuliert und was die Produkte dieser Kopulationen sein könnten, gibt es noch viele weitere mögliche Kombinationen, die er nicht in Betracht zieht, doch das macht keinen Unterschied, da er zu seiner Zufriedenheit beweisen wird, dass Bienen überhaupt nicht kopulieren.

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weise hat er recht – das können sie.) Also müssen Arbeiterinnen Drohnen erzeugen. Arbeiterinnen tauchen niemals in Bienenstöcken ohne Königin auf. Also erzeugen Königinnen Arbeiterinnen. Weder Arbeiterinnen noch Drohnen erzeugen Königinnen (behauptet er), also müssen Königinnen sich selbst erzeugen. Daraus ergibt sich also folgende Reihenfolge der Entstehung: K ➝ K + A ➝ D. Schließlich erwägt er, ob eine der Sorten kopuliert. Arbeiterinnen sind geschlechtlich ambivalent, können sich also ohne Kopulation fortpflanzen. Außerdem – würden sie kopulieren, hätte irgendjemand das sicherlich einmal gesehen, und das hat niemand. Da Arbeiterinnen nicht kopulieren, können wir annehmen, dass auch Königinnen das nicht tun. Es bleibt nur eine Möglichkeit: eine ungeschlechtliche Fortpflanzung über mehrere Generationen, in der Königinnen Königinnen und Arbeiterinnen hervorbringen, Arbeiterinnen Drohnen und Drohnen nichts. Es ist ein seltsames System, allerdings nicht annähernd so seltsam wie die Wirklichkeit.* Es ist auch nicht so seltsam, wie es oft dargestellt wird. Wer Aristoteles’ Ausführungen über die Vermehrung von Bienen liest, wird feststellen, dass ich einen seiner scheinbar extravaganten Aspekte hinauskorrigiert habe: Ich habe seine »Anführerbiene«, die alle anderen Bienen hervorbringt, »Königin« genannt, da dies ihre heutige Bezeichnung ist. Er jedoch nennt sie häufig basileus – »König«. Manche Wissenschaftler haben Aristoteles einen Gender-Bias vorgeworfen. (Sie ist schließlich weiblich, warum also nicht basileia?) Aber Aristoteles ist unschuldig. Er kann unmöglich annehmen, dass die Anführerbiene männlich ist. In seiner Biologie sind Männchen ebenso wenig dazu fähig, sich ohne Weibchen fortzupflanzen, wie in unserer. Auf der Grundlage seiner Daten sieht er die Anführerbiene als weder männlich noch weiblich an, sondern als eine Mischung aus beidem, und benennt sie einfach nach ihrem Trivialnamen. Soziale Wespen, sagt er, haben eine Anführerwespe, die gemeinhin »die Mutter« genannt wird – und für die Wespen übernimmt er diese Bezeichnung.

* Tatsächlich sind Königinnen fortpflanzungsfähige Weibchen, Drohnen sind Männchen und Arbeiterinnen sind (normalerweise) unfruchtbare Weibchen. Jungfräuliche Königinnen bringen durch Parthenogenese Drohnen hervor. Nach der Paarung mit den Drohnen bringen Königinnen Arbeiterinnen oder Königinnen hervor, je nachdem, wie viel Gelée royale an die Larven verfüttert wird, sowie in Abhängigkeit von weiteren Faktoren. Den Leser mag Aristoteles’ Behauptung erstaunen, dass Arbeiterinnen in Abwesenheit einer Königin Drohnen hervorbringen können. Aber in jedem Bienenstock hat ein bestimmter Anteil von Arbeiterinnen Eierstöcke und kann, falls erforderlich, Eier produzieren, aus denen Drohnen schlüpfen. Dies sind die Komplexitäten eines haplo-diploiden Geschlechtsbestimmungssystems in Verbindung mit einer umweltabhängigen Kastenbildung.

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Honigbiene – Apis melifera Von links nach rechts: melissa – Arbeiterin, kēphēn – Drohne, basileus – »König« oder hēgemōn – »Anführer« (unsere Königin)

Aristoteles gefällt sein Schema. Es bietet eine Abfolge von Bienen über drei Generationen, die mit den unfruchtbaren Drohnen endet. Es hat, sagt er, insofern eine Art von Ordnung, als jedes Mitglied der Abfolge sich von den anderen auf nur eine Art unterscheidet. (Königinnen sind groß und haben einen Stachel, Arbeiterinnen sind klein und haben einen Stachel, Drohnen sind groß, haben aber keinen Stachel.) »Die Natur hat dies so gut geordnet, dass die drei Sorten auf ewig existieren, obwohl sie nicht alle neue Bienen erzeugen.« Er hat einen Lebenszyklus für Bienen. Aristoteles’ Analyse des Geheimnisses der Bienenfortpflanzung ist ein Modell dafür, wie er häufig Wissenschaft betreibt. Es ähnelt dem Vorgang, der in der Nikomachischen Ethik beschrieben wird. Er beginnt mit den »Erscheinungen«, sammelt die besten Erklärungen für sie und eliminiert sie deduktiv auf der Grundlage der Beweise. Wenn er fertig ist, scheint er eine wesentliche Eigenschaft der Bienen demonstriert zu haben. Aber hat er das? Aristoteles glaubt, dass Demonstrationen die Wahrheit liefern. Doch wie er genau weiß, ist jede Demonstration nur so gut wie ihre Prämissen und seine – obwohl er das nicht zugibt – sind schwach. Sie gründen sich auf Verallgemeinerungen, von denen er wissen muss, dass sie bestenfalls »überwiegend« wahr sind. (Kümmern sich Männchen niemals um ihre Jungen? Was ist dann mit der väterlichen Sorge des glanis, seines Welses? Haben Weibchen niemals offensive Waffen? Was ist dann mit den Kühen?) Auch stammen seine Daten von Imkern, die nicht zuverlässiger sind als Fischer. Sein Text ist durchsetzt mit »sie sagen«. Es bleibt also ein nagender Zweifel und seine Erörterung endet mit einer vorläufigen Schlussfolgerung. Ich kann nicht so tun, als sei das typisch. Normalerweise ist er so zuversichtlich, dass niemand jemals seine Arbeit übertreffen wird, so endgültig. Aber hier blickt er einmal in die Zukunft und sagt uns, dass er nicht alles verstanden hat; mehr noch, er sagt uns, wie zukünftige Entdeckungen gemacht werden oder gemacht werden sollten. Und auch wenn wir Aristoteles in seinen hoheitsvolleren Stimmungen respektieren

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mögen, zu denen große Wissenschaftler häufig neigen, hier müssen wir ihn einfach lieben: Dies also scheint, soweit es die Theorie betrifft, die Situation in der Entstehung der Bienen zu sein – das heißt, zusammen mit dem, was die Menschen als Fakten über ihr Verhalten ansehen. Es gibt gegenwärtig allerdings kein echtes Verständnis davon, welches diese Fakten sind. Wenn sie in Zukunft verstanden werden, dann zu dem Zeitpunkt, an dem die Beweise der Sinne auf mehr als Theorien fußen, auch wenn Theorien eine Rolle spielen, solange das, was sie angeben, mit dem übereinstimmt, was zu sehen ist. –  denn genau das ist geschehen.

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m März treffen die Schwalben in Lesbos ein. Sie kommen aus Afrika auf dem chelidonias, dem Schwalbenwind – Theophrastos benutzt den Ausdruck, vermutlich ein Synonym zu ornithiai anemoi. Aristoteles, der Schwalben unter seinen Zugvögeln auflistet, schreibt darüber, wie intelligent ein Paar sein Nest aus Schlamm und Stroh baut, seine Küken aufzieht und sein Heim schön sauber hält.* Er scheint die kleinen Vögel zu bewundern. Aber ebenso berichtet er gewohnt leidenschaftslos, wenn man das Auge eines Nestlings aussteche, wachse es nach. Er glaubt das wirklich. Er wiederholt es dreimal. Und obwohl es eine bizarre Aussage ist, bin ich nicht sicher, ob er wirklich unrecht hat. Vielleicht hat er es wirklich ausprobiert.** Hinter dieser Behauptung steht eine Studie in vergleichender Embryologie. In einem Vergleich der Ontogenesen verschiedener Lebewesen, die er untersucht hat, bewertet er ihren Nachwuchs auf einer »Vollkommenheitsskala«, die zu erfassen versucht, wie stark sie sich zwischen dem Verlassen des Mutterleibs und dem adulten Stadium verändern. Holometabole Insekten * Er glaubt auch, dass einige nackt in Löchern überwintern. Noch 1862 fragte sich Philip Henry Gosse (Romance of Natural History, 2. Schriftenreihe), ob das wahr ist. ** Frisch geschlüpfte Hühnerküken werden in der Regenerationsforschung verwendet, weil sie Linse und Netzhaut nachwachsen lassen können, nachdem sie ihnen im Experiment entfernt wurden. Da Schwalbenküken im Gegensatz zu Hühnerküken Nesthocker sind, mag ihnen das sogar noch besser gelingen, aber das könnte wohl nur ein hartherziger und vor allem mutiger Forscher herausfinden.

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wie Schmetterlinge haben sehr unvollkommenen Nachwuchs. (Er meint, das Wachstum einer Raupe entspricht der Entstehung eines Eis im Fortpflanzungstrakt eines Huhns und die Puppe ist das Äquivalent zu einem Ei.) Kopffüßer, Schalentiere und Fischeier sind weich und »wachsen« noch etwas, nachdem sie abgelegt wurden, also stehen sie auch recht weit unten auf der Vollkommenheitsskala. Der Nachwuchs von Vögeln, Schlangen, Schildkröten und Echsen ist vollkommener, da er aus hartschaligen Eiern schlüpft, die nicht wachsen, und die Jungen von Knorpelfischen sind noch vollkommener, weil sie als hartschalige Eier im Mutterleib beginnen, jedoch bereits in dessen Innerem schlüpfen und lebend geboren werden. Die Jungen von lebend gebärenden Vierfüßern (Säugetieren) sind die vollkommensten von allen. Nachdem er diese ziemlich grobe Skala embryonischer Vollkommenheit für seine größten Sorten aufgestellt hat, lässt er innerhalb dieser Sorten wiederum Variationen zu. Die Vollkommenheit hängt nun von der relativen Größe bei der Geburt und dem Bereitschaftsgrad für ein unabhängiges Leben ab: Unvollkommene Tiere werden blind geboren. Innerhalb der lebend gebärenden Vierfüßer, sagt Aristoteles, haben die mit massiven (Pferde und Esel) und gespaltenen Hufen (Kühe, Ziegen, Schafe) vollkommene Junge; die Welpen und Jungen der mehrzehigen Vierfüßer (Bär, Löwe, Fuchs, Hund, Hase, Maus etc.)* sind im Gegensatz dazu recht unvollkommen. Unter den Vögeln haben Häher, Spatzen, Ringeltauben, Turteltauben und Tauben ebenfalls sehr unvollkommene Küken.** Und so ist es auch bei den Schwalben. Wenn Aristoteles daher davon spricht, Schwalbenküken ins Auge zu stechen, will er darauf hinaus, dass eine Regeneration bei Embryos wahrscheinlicher ist als bei adulten Tieren, und da Schwalbenküken sich regenerieren können, ähneln sie beim Schlüpfen noch sehr einem Fetus.

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Aristoteles sagt, dass ein neugeborener Bär sehr klein und schlecht ausgeformt ist, dass gar seine Gliedmaßen keine Gelenke hätten, und er behauptet auch, dass die Bärenmutter (genau wie die Füchsin) die »Verkochung« ihrer Jungen unterstützt, indem sie sie ableckt. Mit einem Umweg über die römische Übertreibung (Plinius, Ovid, Vergil) führte dies im Englischen zu einer Redewendung, die noch heute von zornigen Eltern und Trainern gebraucht wird: »You need to be licked into shape.« (»Dich muss man erst mal zurechtbiegen«, wörtlich: »Dich muss man in Form lecken.«) Zoologen nennen dies das Nesthocker-Nestflüchter-Spektrum. Die Begriffe »Nesthocker« (= »unvollkommen«) und »Nestflüchter« (= »vollkommen«) wurden 1835 vom schwedischen Zoologen Carl Jakob Sundevall geprägt, der sie als Eigenschaft nutzte, nach der sich die Vögel in zwei Taxa unterteilen ließen, Ava Altrices und Ava Praecoces. Sundevall zollt Aristoteles für das Konzept keine Anerkennung, schrieb jedoch 1863 Die Thierarten des Aristoteles. Hatte Sundevall die Idee von Aristoteles? Oder fühlte er sich später zu Aristoteles hingezogen, weil er das Konzept dort wiederfand? Sundevall nennt Lorenz Oken als Inspiration für das Konzept, aber woher dieser es hat, weiß ich nicht. Aristoteles’ Bewertung von frisch geschlüpften Vögeln und neugeborenen Säugetieren nach dem unvollkommen – vollkommen/Nesthocker-Nestflüchter-Spektrum ist jedenfalls korrekt.

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Aristoteles’ Wissenschaft ist nicht quantitativ. Sie ist ganz sicher auch nicht entschieden qualitativ, denn er benutzt häufig Begriffe wie »groß und klein«, »das Mehr und das Weniger« und »überwiegend«. Er kann auch quantitative Verhältnisse wie das Skalieren von Körpergrößen scharfsinnig erörtern. Dennoch liefert er selten, was moderne Wissenschaftler so lieben und brauchen: Zahlen. Wenn er jedoch die Lebenszyklen verschiedener Vögel und Säugetiere beschreibt, dann tut er es. Man kann sie sogar in eine Tabelle schreiben. Das zeigt, dass seine Daten, wenn auch nur punktuell, recht gut sind.* Wie immer interessieren ihn die Zusammenhänge. Das Netz, das er knüpft, ist weit, aber fünf Eigenschaften – Körpergröße des adulten Tiers, Langlebigkeit, Tragzeit, Vollkommenheit des Embryos, Wurfgröße (oder Gelegegröße) und Größe des Neugeborenen – sind zentral. Einige der Zusammenhänge, die er zwischen diesen Eigenschaften entdeckt, sind recht offensichtlich: Längere Tragzeiten führen zu vollkommeneren (nestflüchtenden) Neugeborenen. Andere sind eher kontraintuitiv. Man würde erwarten, sagt er, dass große Tiere größere Würfe (oder Gelege) hätten als kleine, aber dem ist nicht so – sie haben kleinere Würfe. Pferde und Elefanten bringen immer nur ein Junges zur Welt. Offensichtlich glaubt er, dass sich aus solchen Zusammenhängen Vorhersagen treffen lassen. »Man erzählt sich Geschichten«, sagt er, »über die Langlebigkeit [des Hirsches], aber keine davon ist als wahr belegt; außerdem deuten die Tragzeit und das rasche Wachstum der Kitze nicht darauf hin, dass es sich um eine langlebige Kreatur handelt.« Nimmt man einen positiven Zusammenhang zwischen Langlebigkeit und Tragzeit an, dann müssten Hirsche, wenn sie wirklich langlebig wären (was sich schwer beobachten lässt), auch eine sehr lange Tragzeit haben, was aber nicht den Tatsachen entspricht.** Aristoteles will nicht einfach irgendwelche Zusammenhänge, er will Kausalzusammenhänge. Jeder Zusammenhang kann, in seinen Worten, »zufällig« statt »wesentlich« sein und damit überhaupt keine Erklärung erfordern. Er bemerkt, dass der negative Zusammenhang zwischen adulter Körpergröße und Wurfgröße mit der Fußmorphologie vermengt ist. Tiere mit massiven * Anhang B5 ** Die Zusammenhänge, von denen Aristoteles berichtet, sind korrekt. Zur Illustration: Wendet man eine einfache lineare Regression auf moderne Daten an (Anhang B6), ergibt sich bei plazentaren Säugetieren eine mäßig starke Verbindung der Form log (Lebensspanne) = 0,77 log (Tragzeit) + 1,53, r2 = 0,6. Da der Rothirsch (Cervus elaphus) eine Tragzeit von 235 Tagen hat, sagt dies eine Lebenserwartung von rund 25 Jahren voraus; die tatsächlich belegte maximale Lebensdauer liegt bei 27 Jahren. Ich habe sechs der Zusammenhänge zwischen lebensgeschichtlichen Merkmalen untersucht, von denen Aristoteles berichtet – sie waren alle korrekt. Eigentlich ist das nicht überraschend, da all diese Merkmale stark mit der adulten Körpergröße und damit auch untereinander zusammenhängen. Das Wichtige ist jedoch, dass er nachgeprüft hat, was das Kennzeichen für die Beziehung ist – er übernahm sie nicht aus einer Theorie.

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Hufen sind eher groß und haben immer nur ein Junges; Tiere mit gespaltenen Hufen sind meist mittelgroß und haben mehrere; mehrzehige Tiere sind meist klein und haben viele. Vielleicht geht es beim Zusammenhang zwischen Wurfgröße und Körpergröße also in Wirklichkeit um die Füße. Doch nein: Auf die Körpergröße kommt es an. »Der Beweis ist, dass der Elefant das größte Tier ist, aber mehrzehig; das Kamel, das größte unter den übrigen, hat gespaltene Hufe« – der Zusammenhang Fußtyp – Körpergröße ist tatsächlich dürftig. Außerdem: »Nicht nur an Land bringen große Tiere wenige Jungen hervor und kleine viele, sondern auch unter den Tieren, die fliegen und schwimmen, und der Grund ist derselbe. Ebenso tragen auch die größten Pflanzen nicht die meisten Früchte.« Er ist sich also nicht nur der Störvariablen bewusst, sondern er hat auch eine Lösung: nach demselben Zusammenhang in ganz unterschiedlichen Gruppen von Lebewesen zu suchen.* Auf dieselbe Weise behauptet er, dass der positive Zusammenhang zwischen Tragzeit und Langlebigkeit bei lebend gebärenden Vierfüßern (der so viel über Hirsche verrät) kein kausaler ist.** Hier springt er wenigstens nicht vom Zusammenhang zur Demonstration; hier wägt er Kausalität gegen Korrelation ab. Um sein Netz von lebensgeschichtlichen Merkmalen zu erklären, schwingt Aristoteles all seine bekannten Hilfsmittel. In der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Wurfgröße und adulter Körpergröße greift er nach seiner Körperökonomie. Sie ist besonders effektiv, da die Fruchtbarkeit von der Samenproduktion abhängt und Samen das am stärksten geläuterte und damit teuerste Nahrungsprodukt von allen ist. Samen abzugeben, schwächt den Körper. Deshalb (sagt er) sind Männer nach dem Sex so erschöpft, sind dicke Menschen unfruchtbar, sind kastrierte Tiere und Maultiere so groß und wild, haben große Tiere meist wenige Jungen und sind sehr fruchtbare Tiere meist klein. (Das Adria-Huhn*** soll ein extrem fruchtbarer Zwerg *

Mit dem Problem, kausale von nicht kausalen Zusammenhängen zu unterscheiden, plagt sich heute noch die vergleichende Biologie. Evolutionsbiologen werden die Solidität von Aristoteles’ Lösungsversuch erkennen. Aristoteles übersieht jedoch, dass es bei oviparen Fischen einen positiven Zusammenhang zwischen Fruchtbarkeit und Körpergröße gibt; streng genommen ist seine Behauptung dennoch korrekt, denn er bezieht sich auf Tiere, die schwimmen (also auf alle Fische), und er zieht den Vergleich zwischen den Selachiern, die groß sind und relativ wenige Jungen haben, und oviparen Fischen, die überwiegend klein sind und viele haben. ** Was also ist nun die Ursache? Wahrscheinlich denkt Aristoteles, dass beide Merkmale – Langlebigkeit und Tragzeit – kausal mit der Körpergröße zusammenhängen, also leben große Tiere länger als kleine, da sie weniger anfällig für Fluktuationen in der Umgebung sind; sie haben auch größere Jungen, die wiederum eine längere Tragzeit erfordern – daher gibt es einen positiven Zusammenhang zwischen Tragzeit und Langlebigkeit. Er postuliert diese Zusammenhänge jedenfalls, aber er macht die ganze Argumentation nicht sehr deutlich; tatsächlich gibt er sich oft länger mit den Abweichungen vom Muster ab (zum Beispiel, dass Pferde kürzer leben, aber eine längere Tragzeit haben als Menschen). *** Eine ausgestorbene Zwerghuhnrasse aus Adria in Venetien. In seiner Ornithologica (1600) bespricht Aldrovandi sie ausführlich, weiß aber auch nicht, was genau sie ist.

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sein.) Sex mag Spaß machen und Fortpflanzung ist notwendig, aber Wachstum und Lebenskraft fließen durch unsere Genitalien aus uns hinaus. Tiere müssen also wählen, ob sie Junge tragen oder etwas anderes tun wollen. Der Ornithologe Aristoteles weiß, dass jedes Jahr einige Vögel (Rebhühner) ein einziges Gelege mit vielen Eiern hervorbringen, einige (Tauben) viele Gelege mit wenigen Eiern, wieder andere dagegen (Greifvögel) nur ein einziges Gelege mit ein oder zwei Eiern. Um diese Unterschiede zu erklären, postuliert er ein Netzwerk der Ressourcenverteilung, das Flügel, Beine, Körpergröße und Fruchtbarkeit miteinander verbindet und daneben noch einige Merkmale mehr. Ein Vogel kann in einige dieser Merkmale investieren, aber nicht in alle, denn jedes geht zulasten der anderen. Eine solche Analyse ist jedoch unvollständig. Er kann seine Netze der bedingten Notwendigkeit so weit oder so tief auswerfen, wie er möchte, aber er muss auch eine endgültige Erklärung dafür liefern, warum ein bestimmtes Tier einen Satz Merkmale hat und nicht ein anderes. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass Aristoteles das oft nicht tut. Häufig macht er sich nicht die Mühe, die spezifischen Merkmale eines Tieres mit einer ultimativen Ursache zu verknüpfen, und wenn er es doch tut, dann skizziert er sie nur flüchtig. Wenn er jedoch lebensgeschichtliche Variationen erklärt, kommen diese beiden Erklärungsansätze – bedingt und zweckgebunden – wunderbar zusammen, denn er argumentiert, ob ein Vogel in seine Teile investiert oder in die Fortpflanzung, hängt von seinem bios ab, seiner Lebensführung. Greifvögel, sagt er, brauchen kräftige Flügel, große Federn und riesige Klauen, um ihre Beute zu fangen; Rebhühner und Tauben, die sich von Körnern und Früchten ernähren, brauchen das alles nicht. Daher investieren Greifvögel in Flügel und Klauen, haben weniger Nährstoffe für die Fortpflanzung übrig und legen daher wenige Eier; Rebhühner und Tauben investieren nicht in Flügel und Klauen, haben viele Nährstoffe übrig und legen viele Eier. In seiner Analyse der lebensgeschichtlichen Variationen bei Tieren nutzt Aristoteles quantitative Daten, um die großen Muster ausfindig zu machen, trennt kausale von zufälligen Zusammenhängen und erklärt dann die Kausalzusammenhänge zum bestmöglichen Kompromiss zwischen physiologischer Notwendigkeit und teleologischem Bedürfnis – das heißt, zwischen den Anforderungen ihres Körpers und den Anforderungen ihrer Welt. Es ist, meine ich, die vollständigste und erfolgreichste Analyse der Funktion eines beliebigen Komplexes von tierischen Körperteilen und wie die Natur jedes Tieres die beste aller Möglichkeiten findet, die ihm zur Verfügung stehen. Vögel und Vierfüßer umfassen jedoch nur einen kleinen Teil der möglichen Lebensgeschichten. Seine beste Analyse der Frage, warum sich Tiere so fortpflanzen, wie sie es tun, erstellt er, wenn er über Fische redet.

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n Theophrastos’ Jahr bringt der Sommer die Kronen-Lichtnelke, Nelken, Lilien, Breitblättrigen Lavendel, Majoran und einen Rittersporn mit Namen »Bedauern«, von dem es zwei Sorten gibt: eine mit einer Blüte wie der des Feldrittersporns, die andere mit weißen Blüten, die bei Beerdigungen verwendet werden. Auch die Iris blüht dann und ebenfalls das Seifenkraut, das, wie er sagt, hübsche, aber duftlose Blüten trägt. So beginnt der Sommer. Aber Ende Juli bestehen die Inselgruppen in der Ägäis nur noch aus verbrannter Erde. In den Olivenhainen klammern sich Zikaden an Zweige und singen um Partnerinnen, in den Kiefernwäldern kauern Feuerwehrleute in ihren Wagen und halten Ausschau nach Brandstiftern. (Theophrastos sagt, dass der Wald bei Pyrrha brannte und dann wieder nachwuchs; zweifellos hat er dies seither viele Male getan.) Die Flüsse, die die Lagune speisen, versiegen. Der Vouváris fließt immer, aber selbst seine Quelle ist ein stehendes Becken und der Wasserfall bei Pessa nur noch ein Rinnsal. Die Meeräschen darin werden zum Ziel für degenschnabelige Reiher, während die Aale Zuflucht im Schlamm des Meeresarms gefunden haben. Die Wasserschildkröten imitieren Steine. Die Phrygana an der vulkanischen Westküste, vormals weich, in vielen Farbtönen leuchtend und duftend, ist jetzt nur noch ein fadenscheiniger Mantel aus spröden Dornbüschen. Während das Land backt, schwillt das Meer an. Der Sommerwind, den die Einheimischen boukadora nennen (den »Wind, der nach innen geht«), weht vom offenen Meer in die Lagune und verwandelt ihre Oberfläche in Schaum. In Kallonis Tiefen laichen die überladenen Spontanentwickler. Aber niemand isst spermienbeladene Austern und Miesmuscheln (die Gonaden von Seeigeln sind etwas anderes); Fisch ist jetzt angesagt, vor allem die polyvalente sardella. Kallonis Sardinen werden gewöhnlich gesalzen als sardeles pastes gegessen, aber jetzt ist die richtige Zeit, sie frisch zu genießen. Aristoteles sagt, dass die Fische im Sommer zum Laichen in die Lagune kommen. Wenn er die Sardinen meint, dann hat er nur teilweise recht, denn sie sind zwar vom offenen Meer hineingewandert, jedoch taten sie das im Larvenstadium. Kalloni ist nicht ihr Laichgebiet, sondern ihr Aufwuchsgebiet, und im August sind sie ausgewachsen und fett und machen sich auf den Weg in ihre Laichgebiete in der Ägäis selbst. Wenn sie den engen Eingang zur Lagune passieren, werden sie von einer Wand aus Netzen abgefangen und tonnenweise an Land gezogen.

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Aristoteles’ Analyse der Lebenszyklen von Vögeln und Vierfüßern, so aufschlussreich sie auch ist, berücksichtigt nicht den einen Faktor, den Evolutionsbiologen für den wichtigsten in der Ausprägung von tierischen Lebenszyklen halten: das Muster der altersspezifischen Mortalität – also ob das Sterberisiko am schwersten auf den Jungtieren oder den Adulttieren lastet. Wenn er die Fische bespricht, macht er diese Auslassung wieder wett. Er sagt, dass ihre Funktion darin besteht, sehr fruchtbar zu sein. Natürlich ist es die Funktion jedes Lebewesens (Spontanentwickler einmal ausgenommen), sich fortzupflanzen, aber für Fische ist dieses Ziel besonders zwingend wegen ihrer hohen Säuglingssterblichkeit: »Die Mehrheit der extern abgelegten Embryos wird vernichtet und das ist der Grund, warum Fische als Sorte viele Junge hervorbringen. Denn die Natur nutzt die Anzahl, um der Vernichtung entgegenzuwirken.« Um so viele Nachkommen zu erzeugen, haben laichende Fische eine Fülle an besonderen Merkmalen. Die Weibchen sind größer als die Männchen, damit all ihre Embryos in ihnen Platz haben. Zum Beweis dieser Notwendigkeit deutet er auf einige kleine Fische, bei denen die Gebärmutter eine einzige Masse von Eiern zu sein scheint. Er führt auch den belonē an, der wortwörtlich unter diesem Druck platzt, diese Erfahrung jedoch überlebt. Er meint die Seenadel, die in den Seegraswäldern nahe dem Kopf der Lagune lebt und ihre Embryos in einer Bauchtasche ausbrütet.* Das ist auch der Grund, warum die meisten Fischeier erst »vervollkommnet« – befruchtet – werden, wenn sie gelegt sind. Würden sie in der Gebärmutter »vervollkommnet«, wäre dort nicht genug Platz für alle. Fischeier sind in der Regel klein, aber sobald sie befruchtet sind, wachsen die Embryos und Larven sehr schnell heran, um »die Vernichtung ihrer Sorte zu verhindern, die eintreten würde, wenn sie eine lange Zeit für ihre Bildung bräuchten«. Einige Fische schließlich wie der glanis (Aristoteleswels) betreiben Brutpflege, um zu verhindern, dass die Jungen gefressen werden. Um die hohe Sterblichkeit ihrer Embryos und Larven auszugleichen, haben laichende Fische daher eine ganze Palette an ineinandergreifenden Anpassungen entwickelt: hohe Fruchtbarkeit, kleine Eier, Geschlechtsdimorphismus mit umgekehrten Größenverhältnissen, Heranwachsen als Nesthocker, schnelles Wachstum und elterliche Sorge. Die Selachier dagegen, die lebende Junge gebären, müssen nicht so fruchtbar sein, weil ihre Jungen bei der Geburt groß und relativ vollkommen sind und daher »eine bessere Chance haben, der Vernichtung zu entgehen«. Zu Beginn dieses Buches sagte ich,

* Aristoteles weiß nicht, dass die männliche Seenadel ihre Jungen in der Bauchtasche austrägt – ebenso wenig wie die Fischer aus Kalloni, die ich danach fragte.

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dass Wissenschaftler schlechte Historiker abgeben, weil sie die Neigung haben, ihre eigenen Theorien in die Vergangenheit hineinzudeuten, aber ich erlaubte mir auch die Anmerkung, dass ein Wissenschaftler vielleicht Dinge erkennt, die die klassischen Philologen übersehen haben, weil er genau das tut. Aristoteles’ Analyse, warum Vierfüßer, Vögel und Fische eine so unterschiedliche Zahl an Nachkommen haben, ist kein schlechteres Beispiel für dieses Spannungsfeld als jedes andere. Trotz allem, was über Aristoteles’ Biologie geschrieben wurde, sind diese Abschnitte, soweit ich das sagen kann, unbeachtet geblieben. Dennoch würde ein Evolutionsbiologe, der De generatione animalium liest, sie aufgreifen, denn in ihnen geht es, zumindest dem Anschein nach, um die Life-history-Theorie, den Teil der adaptationistischen Biologie, der sich damit beschäftigt, in welcher Währung der Fortpflanzungserfolg letztendlich gezählt wird. Darüber hinaus ist die Struktur von Aristoteles’ Analyse sofort erkennbar. Ebenso wie wir analysiert er die Lösungen, die Tiere für die unterschiedlichen Eventualitäten ihrer Umgebung gefunden haben, und wie die Körperökonomie die Form ausbildet, die diese Lösungen annehmen. Unsere Theorie wird natürlich in Gleichungen formuliert, aber das ist nur eine Sache des Ausdrucks; es gibt andere, tiefere Unterschiede (dazu später). Die wahre Frage ist, ob Aristoteles’ Analyse für ihn so wichtig, so grundlegend ist wie ihr Analogon für uns. Ich glaube, die Antwort muss lauten, dass sie es ist. Denn am Ende von Aristoteles’ Erklärung der organismischen Vielfalt steht die Behauptung, dass der ultimative Zweck und das ultimative Verlangen jedes einzelnen Lebewesens darin bestehen, sich fortzupflanzen: Der Kreislauf muss von Neuem beginnen. So war es für ihn, so ist es für uns. In Skala gibt es zur Feier des Fangs ein Panagyri, wo man zwei Nächte lang haufenweise gegrillte Sardinen schlemmen, trinken und tanzen kann, während silberne Schuppen wie Pailletten auf den Füßen glitzern. Die Musik ist bewusst national; die meisten Lieder stammen aus Kleinasien und besingen Konstantinopel, die verlorene himmlische Stadt. (Als Smyrna 1922 abbrannte, kamen die griechischen Flüchtlinge zuerst nach Lesbos, wo viele von ihnen blieben.) Aber in einem Lied ging es nur um Fische: Ich stieg in mein neues Boot und legte ab von Agios Giorgos. Ich traf einige junge Männer, Seeleute, beim Fischen: »Ihr Fischer, habt ihr Fische, Hummer und Tintenfische?« – »Wir haben gesalzene sardellas, wie schöne Mädchen. Komm an Bord, nimm sie auf, wiege sie, nimm ein Seil, binde sie zusammen und zahl, so viel du magst!«*

* Vgl. E. Pound: »The Study in Aesthetics«, 1916.

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n den Dörfern um Kalloni beginnt der Herbst, wenn sich die alten Männer ihre Rechte zurückerobern. Skandinavische Mädchen und niederländische Familien besetzen nicht mehr ihre Lieblingsstühle in den kafeneons; selbst die englischen Wandervögel, ausnahmslos paarweise unterwegs, sind nach Hause gefahren. So können die alten Männer wieder an ihrem Ouzo nippen, Backgammon spielen und lautstark über die Themen des Tages debattieren, ohne dass der Besitzer, der die Touristen eigentlich ganz nett fand, sie ermahnt, leiser zu sein und nicht mit ihren Stöcken herumzufuchteln. Häufig hört man, die Lebenserwartung auf den Inseln sei hoch – die südlich von Lesbos gelegene Insel Ikaria wurde sogar schon als eine Art Shangri-La der Ägäis beworben, wo die Neunzigjährigen herumspringen wie Ziegen. Das ist natürlich übertrieben, obwohl es Belege für hohe Überlebensraten älterer Frauen auf Ikaria gibt. Wahr ist allerdings, dass die Griechen (und die Italiener und Spanier) trotz ihrer Liebe zu den Zigaretten eine höhere Lebenserwartung haben als die Bewohner der meisten nördlichen Länder Europas und dass dies zumindest teilweise der »mediterranen Ernährungsweise« geschuldet ist, die reich an Gemüse, Obst und Nüssen, Olivenöl und Hülsenfrüchten, aber arm an Fleisch ist. Das hätte Aristoteles interessiert. »Wir müssen die Gründe dafür untersuchen, warum einige Tiere langlebig sind und andere kurzlebig sowie die Länge und Kürze des Lebens im Allgemeinen.« So beginnt die Abhandlung, die unter dem Namen De longitudine et brevitate vitae bekannt ist. Zu den relevanten Daten aus der Historia animalium gehören unter vielen anderen die folgenden: ein Bericht über das ephēmeron, die Eintagsfliege, die um die Sommersonnenwende aus kleinen Säcken im Fluss Hypanis am Kimmerischen Bosporus schlüpft und nur einen Tag lebt,* die (suspekte) Behauptung, dass der Elefant jahrhundertelang lebt, und die Beobachtung, dass die meisten

* Der Südliche Bug an der Straße von Kertsch, ukrainisch-russische Grenze, im Juni. Seltsamerweise beharrt Aristoteles darauf, dass die Eintagsfliege ein Vierfüßer sei, wahrscheinlich deshalb, weil sie auf nur vier Beinen steht und das vordere Beinpaar wie zum Gebet nach vorn streckt.

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geflügelten Insekten im Herbst sterben. Vielleicht denkt er an die Zikaden, mit deren vertrockneten Leichen am Sommerende die stillen Olivenhaine übersät sind. Aristoteles fasst zusammen, dass Pflanzen meist länger leben als Tiere, große Tiere meist länger als kleine, Bluttiere länger als blutlose, Landbewohner länger als Meeresbewohner. Kein einzelnes Merkmal sagt die Langlebigkeit besonders gut voraus, aber zusammen verraten sie etwas über die relative Empfindlichkeit der Sorten. Es gibt reichlich Ausnahmen: Manche Pflanzen (einjährige) haben eine sehr kurze Lebensspanne, manche blutlosen Tiere (Bienen) sind langlebig, manche großen Tiere (Pferde) leben nicht so lange wie kleinere (Menschen). Wie so oft erkennt er die großen Muster und stellt die Ausnahmen fest. Er fragt sich, ob es möglich ist, eine allgemeine Erklärung für den Tod in all seinen Formen zu finden, und ob die Tatsache, dass manche Individuen und Sorten so viel länger leben als andere, eine Erklärung hat oder viele. Dies sind, gibt er zu, schwierige Fragen. Er entwirft daher seine Theorie des Alterns, um sowohl den allgemeinen Mustern als auch den Ausnahmen gerecht zu werden. Tatsächlich erörtert er die Ausnahmen genau deswegen, um holzschnittartige Erklärungen (»große Tiere leben lange, weil sie groß sind«) aus dem Weg zu schaffen und so die Tür zu einer komplexeren Darstellung aufzustoßen. Um die Vielfalt der Lebensspannen zu erklären, beginnt Aristoteles mit der Beobachtung, dass Lebewesen warm und feucht sind. Vor allem ist das so, wenn sie jung sind; die Alten sind kalt und trocken, genau wie die Toten. »Das«, sagt Aristoteles im Brustton der Überzeugung, »ist eine beobachtete Tatsache.« Er argumentiert weiter, dass Tiere sich in der Menge und Qualität oder in der Wärme ihrer Feuchtigkeit unterscheiden. Mithilfe dieser Variablen kocht er sich seine Erklärungen zurecht. Große Tiere und Pflanzen haben (relativ) mehr warm-feuchte Materie und leben daher länger als kleine. Die außergewöhnlichen Lebensspannen (für ihre Größe) der Menschen und Bienen lassen sich auf dieselbe Ursache zurückführen. Blutlose Meeresbewohner (Wirbellose) sind zwar immer nass (sie leben ja im Meer), aber trotzdem ist ihre Lebenszeit kurz, weil sie aus einem Stoff mit geringem Wärmegehalt bestehen. Das Gerede von der Wärme klingt vage, aber hier geht es ums Fett. Von den verschiedenen gleichförmigen Teilen enthält Fett besonders viel Wärme und widersteht der Zersetzung. (Von allen Nahrungsmitteln hält sich Olivenöl am besten in der Küche.) In Aristoteles’ Augen ist Fett ein lebensfördernder Stoff. Nichts davon erklärt jedoch, warum Tiere überhaupt altern. Aristoteles’ Tiere werden stetig durch Nahrung versorgt und haben komplexe Regulationsmechanismen, um ihren Metabolismus unter Kontrolle zu halten. Wenn

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sie altern, muss etwas den Tieren die Wärme und Feuchtigkeit entziehen, die sie brauchen, um am Leben zu bleiben. Aristoteles glaubt, es sei die Fortpflanzung, die den Körper nicht nur des Materials beraubt, das er braucht, um einige Teile zu bilden, sondern auch des Lebens selbst. Das verschafft ihm eine weitere Erklärung für die Variationen der Lebensspannen. Es kommt nicht nur darauf an, mit wie viel warm-feuchter Materie Tiere ins Leben gehen, sondern auch darauf, wie schnell sie sie verbrauchen. Lüsterne Tiere, sagt er, altern schneller als keusche. Die unfruchtbaren Maultiere leben länger als Pferde oder Esel; das Sperlingsmännchen, ein ungewöhnlich wollüstiger Vogel, lebt nicht so lange wie das Weibchen. Pflanzen zahlen denselben Preis für die Fortpflanzung. Einjährige Pflanzen sterben in jedem Herbst, weil sie all ihre Nahrung für ihre Samen aufwenden. Aristoteles scheint den Körper als eine Art Bankkonto zu betrachten, auf das stetig Einkommen in Form von Nahrung fließt, von dem aber noch schneller die Ausgaben der Selbsterhaltung und Fortpflanzung abgehen und das, sobald es überzogen ist, stirbt. Das ist biologische Ökonomie mit Biss.* Aristoteles wendet sich dann den Pflanzen zu und argumentiert, dass die Tatsache, dass sie in der Regel länger leben als Tiere, sich zum Teil auf ihren Ölgehalt zurückführen lässt. Aber häufig gibt er widersprüchliche Erklärungen zu natürlichen Phänomenen ab, wenn er meint, die Fakten seien es wert, also argumentiert er weiter, dass Pflanzen auch deshalb so lange leben, weil sie sich regenerieren können: »Denn Pflanzen werden stetig wiedergeboren; deshalb leben sie so lange.« Wurzeln, Stämme und Zweige können sterben, aber neue Teile wachsen neben ihnen empor. Darüber hinaus, wie Stecklinge beweisen, »hat die Pflanze potenzielle Wurzeln und Stängel in jedem Teil« – in der Tat ist ein Steckling »in gewisser Hinsicht ein Teil der [Eltern-]Pflanze«. Und obwohl er weiß, oder glaubt zu wissen, dass manche Tiere Organe nachwachsen lassen können – Schlangen und Echsen können ihren Schwanz regenerieren und Schwalbenküken ihre Augen –, ist es nur Pflanzen möglich, ständig wiedergeboren zu werden, nur sie haben das

* Die Vorstellung entspricht der heutigen Auffassung von »Fortpflanzungskosten zulasten der Seneszenz«. Der Beweis dafür ist derselbe, den Aristoteles anführt: Verschiedene experimentelle Manipulationen, die den Reproduktionsaufwand verringern, erhöhen die Langlebigkeit. Die Standarderklärung – eine Umleitung von Ressourcen auf somatische Selbsterhaltung und damit auf Langlebigkeit statt auf Fortpflanzung – ist ebenfalls identisch mit der von Aristoteles, wenn man »warme, feuchte« Materie oder Fett durch Energie ersetzt. Der Wahrheitsgehalt dieser Erklärung bleibt unklar. Dass wir immer noch in Aristoteles’ Begriffen über das Altern diskutieren, ist vielleicht weniger ein Zeichen seiner Differenziertheit als eins unserer physiologischen Naivität.

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»Lebensprinzip in jedem Teil«.* Mit »Lebensprinzip« meint Aristoteles die Seele.** Aristoteles glaubt also, dass die Lebensspanne durch eine Vielzahl von Mechanismen beeinflusst werden kann. In einer anderen Abhandlung, De juventute et senectute, De vita et morte, legt er eine Theorie dar, die eher auf Wirbeltiere zugeschnitten ist. Hier behauptet er, dass der Tod immer auf die Erschöpfung der Lebenswärme zurückzuführen ist. Bluttiere haben einen besonders aktiven Metabolismus und sind daher besonders empfänglich für die Wechselfälle der chemischen Konflikte in ihrem Inneren – wegen all der Verkochung. Deshalb verfügen sie über so ausgeklügelte homöostatische Mechanismen. Der Grund dafür, dass sie sterben, liegt also darin, dass diese Mechanismen, vor allem ihr thermoregulatorisches System, versagen. Er definiert sogar den Lebenszyklus in thermoregulatorischen Begrifflichkeiten: »In der Jugend wächst das Primärorgan für die Kühlung, im Alter wird es zerstört. Der mittlere Zeitraum ist die Blütezeit des Lebens.« Die Zerstörung der »kühlenden Organe« – Lunge und Kiemen – erfolgt, weil sie, je älter das Tier wird, immer »erdiger« werden, immer weniger beweglich und schließlich einfach festsitzen. Sollte das geschehen, zieht das einen Zusammenbruch des Stoffwechsels nach sich, rasch gefolgt vom Hitzetod. Oder, wie Aristoteles es formuliert, das Tier »erstickt«. Aristoteles bemerkt, dass die Wörter für Alter (gēras) und Erde (geēron) ähnlich sind.*** Die Etymologie ist falsch und erklärt auf jeden Fall nicht, warum Lungen und Kiemen im Alter »erdiger« werden. Vielleicht glaubt er, dass sich Erde darin ablagert, wie Teer sich in Raucherlungen absetzt. Oder vielleicht meint er, wenn sie Wärme und Feuchtigkeit verlieren, werden sie einfach relativ gesehen erdiger. Die zweite Erklärung hat ihren Reiz, weil sie seine beiden materiellen Gründe für das Altern verknüpft – tatsächlich erklärt er auch faltige Haut genau auf diese Weise. Doch es besteht ein interessanter Unterschied zwischen den beiden Theorien. Während die Reproduktionskostentheorie deterministisch ist – es besteht eine einfache Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen dem Abbau *

Schlangen können ihren Schwanz nicht regenerieren. Aristoteles denkt wahrscheinlich an die Panzerschleiche, Pseudopus apodus, die dazu in der Lage ist. Sie kommt auf Lesbos häufig vor und lässt sich leicht mit einer Schlange verwechseln. ** Hier nimmt er das Thema der biomedizinischen Wissenschaft des 21. Jahrhunderts vorweg: die Suche nach totipotenten Stammzellen, aus denen sich nach Belieben neue Organe züchten lassen. Er wäre begeistert, von Hydra zu erfahren, diesem winzigen seeanemonenähnlichen Wesen, das reich an Stammzellen ist, all seine Teile regenerieren kann und zu den wenigen Tieren gehört, die überhaupt nicht offenkundig altern. Dieses Tier setzt den Grundsatz »Lebensprinzip in jedem Teil« wahrlich meisterhaft um. *** Aristoteles’ Theorie zum Altern von Land entspricht seiner Theorie zum Altern von Organismen: Land wird feucht geboren und trocknet aus, wenn es altert.

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von Fettreserven und dem Sterberisiko –, hat die Theorie vom Homöostaseversagen ein stochastisches Element. Dies wird deutlich in Passagen, in denen Aristoteles behauptet, dass alte Lebewesen anfälliger für Variationen in ihrer Umwelt, ihrer Gesundheit oder dem Zustand des inneren Feuers sind. Alte Tiere sterben an trivialen Erkrankungen, wie »eine winzige Flamme durch eine leichte Bewegung ausgelöscht wird«. Kleine Tiere sind besonders verletzlich, da sie »nur wenig Spielraum in beide Richtungen haben«. Er zeichnet hier ein Bild von einer Heimsuchung der Lebewesen durch metabolische Probleme, die die Lebenswärme auf eine Weise zu- und abnehmen lassen, dass die Großen oder Jungen es wohl überleben können, es für die Alten oder Kleinen jedoch der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt.* Es ist nicht klar, warum Aristoteles glaubt, dass das Altern in verschiedenen Taxa unterschiedlich erklärt werden muss. Seine verschiedenen Erklärungen hängen jedoch alle auf die eine oder andere Weise mit dem Metabolismus des Lebewesens zusammen und mit den Mechanismen, die ihn regulieren – also mit den Mechanismen der nährenden Seele. Und das wiederum impliziert, dass die Lebensspanne eines Lebewesens nicht überwiegend reine Glückssache ist: Sie ist in seiner Form verankert, sie ist Teil dessen, was es zu einer Sorte Tier anstelle einer anderen macht. Die besondere Faszination von Aristoteles’ Theorie – oder vielmehr seiner Theorien – zum Altern besteht darin, dass sie Antworten auf immer noch unbeantwortete Fragen gibt. Die unmittelbare Ursache – oder sind es mehrere? – der Seneszenz ist für uns kaum weniger geheimnisvoll, als sie es für ihn war. Es gibt natürlich eine Menge Wissenschaftler, die mit ebenso hochmütiger Überzeugung wie er behaupten würden, dass sie das Geheimnis des Alterns kennen, doch wenn dem so ist, dann ist es ihnen nicht gelungen, ihre Kollegen davon zu überzeugen. Auf der anderen Seite haben viele ihrer Erklärungen kaum mehr empirischen Gehalt als seine, manche sogar weniger. Es gibt jedoch eine Frage, die wir besser beantworten können als er. Sowohl die aristotelische als auch die moderne Wissenschaft verlangen teleologische oder, wenn man so will, adaptive Erklärungen für die meisten sichtbaren und allgegenwärtigen biologischen Phänomene. Herzen, Federn, Zähne und Genitalien sind Anpassungen; sie existieren zum Zweck des Überlebens und der Fortpflanzung. Aber was kann der Zweck des Alterns sein? Der Tod hat keinen offensichtlichen Nutzen. * Alte Säugetiere können ihre Temperatur schlecht regeln, aber das ist mit Sicherheit weniger eine Ursache als eine Folge tiefer gelegenerer Vorgänge. Doch Aristoteles’ Überzeugung, dass das Altern vom Verfall regulatorischer Netzwerke verursacht wird und der Tod durch stochastische, umweltinduzierte Krisen, kann sich immer noch als Vorahnung entpuppen.

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Aristoteles weicht dieser Frage aus. Er sagt, es sei einfach die »Natur« der Lebewesen auf der Erde, zu altern und zu sterben. Die Frage ist nur, wie und wann. Darwin umgeht sie ebenfalls. Er sagte sogar noch weniger dazu. Die Auslassung sprang ins Auge. Darwins deutscher Schüler August Weismann versucht, die Lücke zu füllen – und es liest sich, als widerlegte er Aristoteles. »Mir scheint«, schreibt er, »das Leben nicht deshalb auf ein bestimmtes Maß der Dauer gesetzt, weil es seiner Natur nach nicht unbegrenzt sein könnte [meine Hervorhebung], sondern weil eine unbegrenzte Dauer des Individuums ein ganz unzweckmäßiger Luxus wäre.« Er argumentiert weiter, dass alte Tiere, erschöpft und zerrüttet, für die Art nutzlos, ja sogar schädlich seien und dass die Evolution daher das Altern eingerichtet habe, um sie aus dem Weg zu räumen. Moderne Evolutionsbiologen äußern da Bedenken. Sie weisen darauf hin, dass Argumente nach dem Muster »gut für die Art« schwach sind und bestenfalls eine letzte Zuflucht darstellen. Stattdessen argumentieren sie, dass das Altern das Ergebnis der Abwesenheit natürlicher Auslese ist. Für die meisten Tiere und Pflanzen besteht ein ständiges Sterberisiko durch äußere Ursachen wie Unfall und Krankheit, und da die Toten sich nicht fortpflanzen können, ist das Alter unsichtbar für die natürliche Auslese. Diese Unsichtbarkeit bedeutet, dass ein Körper darauf ausgelegt ist zu funktionieren, solange er jung ist, aber zerfällt, wenn er alt wird. Wenn wir daher fragen, wozu das Altern gut ist, müssen wir die seltsame Antwort geben, dass es nicht zu etwas gut ist; es ist vielmehr die Konsequenz aus der Tatsache, dass es keinen Grund dafür gibt, am Leben zu bleiben. Es gibt jedoch noch etwas mehr über Aristoteles’ Darstellung für den ultimativen Grund zu sagen, warum wir zerfallen. Denn nicht nur Lebewesen unterliegen den Kräften der Zerstörung: jedes natürliche Objekt unter dem Mondlicht tut das. Tiere, Pflanzen, Gewebe, Flüsse, Steine, sogar die Elemente selbst befinden sich ständig in einem Zerfallsprozess. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen vorzeitig beschriebenen Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, denn in Aristoteles’ Welt entsteht alles, was zerstört wird, wieder neu, und sei es nur als ein anderes Individuum derselben Form. Mehr noch: Die endliche Lebensspanne jedes Lebewesens ist eine Konsequenz des ewigen Aufruhrs der Elemente in seinem Inneren. Der ultimative Grund dafür, dass wir geboren werden, leben, altern und sterben, liegt also darin, dass auch wir uns in der wirbelnden Umarmung der Kreisläufe der physikalischen Welt befinden.

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s gibt eine Geschichte über Lesbos, die die Insel beschreibt, wie sie vor fast zwei Jahrtausenden aussah. Zwei Kinder, ein Ziegenhirte und eine Schafhirtin, hüten ihre Tiere in den Hügeln hinter Mytilini. Sie begannen ihr Leben als Findelkinder, wuchsen in einfachen Verhältnissen auf, sind nun aber zu frappierender jugendlicher Schönheit herangereift. Die Blumen blühen, die Bienen summen in den Wiesen, Vogelgesang erfüllt die Wälder. Berauscht von der Jahreszeit tollen die Jugendlichen herum wie die Lämmer, fangen Grillen und winden Blüten zu Girlanden. Zusammen schleichen sie sich in den Wald, bis sie zu einem großen hohlen Felsen kommen, aus dem ein Bächlein über eine moosige Grasnarbe sickert. Es ist ein Heiligtum: Statuen von Nymphen (nackte Arme, offene Locken, gegürtete Taillen) stehen erstarrt zum Kreistanz bereit, zwischen ihnen Flöten und Panflöten, die Generationen von Schafhirten dort hinterlassen haben. Daphnis badet, unschuldig wie ein Fisch; Chloe entbrennt in Liebe, die lächelnden Nymphen sehen zu, ihre steinernen Hälse mit Blüten umwunden. Manche Wissenschaftler weisen die Landschaft, die Longos in seinem Roman beschreibt, als idyllische Erfindung zurück. Andere jedoch sagen, dass die Geografie mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Einer macht aus Daphnis’ und Chloes’ Grotte sogar die Quelle des Vouváris in den Hügeln südöstlich der Lagune. Mein persönlicher Favorit ist dagegen der Wasserfall bei Pessa, gespeist von dem angrenzenden Mákri, wo es tiefe Gezeitentümpel gibt, die im Schatten von Kiefern liegen und von winzigen Süßwasserkrebsen bewohnt sind. Dort geht die einheimische Jugend heute baden. Aber der genaue Ort der Grotte ist nicht wirklich wichtig. Schließlich ist es nur eine Geschichte. Wichtig ist, dass es wieder Frühling ist.

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hippokampos – Seepferdchen – Hippocampus sp.

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er in Skala Kallonis ansässige Pelikan hieß Odysseus und lebte in einer Hütte am Strand. Er war Teil der peripheren Wirtschaft von Haustieren und Streunern, die von den unverkäuflichen Fischen leben, die man ihnen gelegentlich zuwirft. Ich habe den Pelikan, sechs Katzen und einen Collie schon auf die Takelage eines einzelnen Boots – das offenbar einem Fischer von bekannter Großzügigkeit gehörte – mit dem ausdruckslosen Optimismus von Pendlern starren sehen, die auf die U-Bahn warten. Odysseus riss immer den Schnabel auf und versuchte, die Fische zu fangen, die in seine Richtung geflogen kamen; aber Pelikane, oder vielleicht nur dieser Pelikan, haben eine schlechte Schnabel-Augen-Koordination und so hatte er gelernt, sie vom Kai aufzusammeln – in einem Manöver, das akrobatische Verrenkungen seines Halses erforderte, für die er offensichtlich nicht gemacht war. Odysseus war eine arrogante Schönheit mit rosa angehauchtem Gefieder und einem zitronengelben Schnabel. Aber es umwehte ihn auch ein Hauch von Pathos, denn er hatte nur ein Bein. Wenn ein für ihn bestimmter Fisch ins Wasser fiel, stand er nur auf der Hafenmauer und sah missmutig zu, wie er versank. An Sommertagen streckte ich mich manchmal auf der warmen Kaimauer aus, um in die Tiefen des Wassers zu schauen. Odysseus kam dann gern herangehüpft und kaute aus Langeweile oder Misanthropie an meinen Schuhen, bis ich ihn in strengem Ton zurechtwies, das zu unterlassen, woraufhin er sich aufplusterte und mich mit seinen winzigen blutunterlaufenen Augen anstarrte. In Skalas Hafen wimmelt es von Fischlarven, zu klein zum Identifizieren, die von blitzenden Schwärmen kleiner silbriger Meerbrassen gejagt werden, die ihrerseits von der ansässigen Schwadron unerbittlicher schwarzer Kormorane verfolgt werden. Direkt unter der Wasseroberfläche sind die Kaimauern von braunen Algen überzogen, zwischen denen Dutzende Einsiedlerkrebse herumklettern, die tomatenroten Scheren in leuchtendem Kontrast zum Kalkgrau ihrer wurmstichigen Häuser. Sie bewegen sich unbeholfen und die Seeanemonen, die sie auf ihren Häusern mit sich tragen, machen die Sache nicht gerade besser. Die Anemonen heißen Calliactis parasitica, aber tatsächlich sind sie Mutualisten, die den Krebs mit ihren brennenden Nesselzellen schützen und dafür im Gegenzug ein ortsunabhängiges Festmahl bekommen.

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Weiter unten an der Mauer wird die Gemeinschaft artenreicher. Schwarze Miesmuscheln, kristallklare Seescheiden, Hydrozoenkolonien aus goldgelben Fäden und grün-braune Massen von Schwämmen kämpfen hier um ein Stück Lebensraum. Kleine Seespinnen schlendern an Rudeln von Holothuria forskali vorbei. Einmal griff ich mir eine der schlaffen Kreaturen und fragte einen Fischer, der gerade seine Netze flickte, nach der lokalen Bezeichnung. »Gialopsolos – wissen Sie, was das heißt?« Ja – überall auf der Welt nennt man Seegurken auch Seeschwänze. Ungewöhnlicherweise hat Kalloni auch eine gialopmoya oder Seemöse – eine große, schöne, aber giftige Schirmqualle. An ihrem tieforangefarbenen, sanft pulsierenden Schirm zieht sie einen Meter lange Tentakeln hinter sich her. Dort unten gibt es auch Seepferdchen. Man erkennt sie nicht häufig vom Kai aus, aber sie werden in den Netzen mitgefangen und da nicht mal die Katzen sie fressen können, einfach weggeworfen. Oft fand ich sie sterbend in der Sonne, wo sie ihren gepanzerten Schwanz zusammenrollten und entspannten auf der vergeblichen Suche nach etwas zum Umklammern. Ich warf sie immer wieder zurück ins Meer, doch ich vermute, das nützte nichts mehr, denn sie richteten sich nie auf und huschten davon, sondern trudelten nur schlaff ins Dämmerlicht hinab. Für Skala gibt es keine archäologischen Daten, also versetzen wir Aristoteles doch einfach nach Pyrrha, die kleine polis an der Südostküste der Lagune. Es ist ein schöner Frühsommermorgen und das Meer ist glatt. Sirios, der Hundsstern, der kurz vor der Morgendämmerung aufging, ist im immer gleißenderen Sonnenlicht verschwunden. Aristoteles hat vielleicht ein Frühstück aus Feigen und Honig und milchigem Käse genossen, aber jetzt liegt er mit dem Gesicht nach unten auf Pyrrhas Kaimauer, ein erboster Pelikan malträtiert seine Füße und er zieht Schwämme, Seeanemonen und Seescheiden aus dem Wasser. An der Luft, in einem Haufen auf der Mauer, bilden sie ein gallertartiges Durcheinander und fassen sich ein wenig eklig an. Aristoteles hatte ein ontologisches Problem mit Schwämmen. Nicht, dass sie ihm nicht vertraut gewesen wären, denn sie waren in jedem Haushalt zu finden. In der Odyssee werden Schwämme benutzt, um die Flecken der Verehrer von den Möbeln zu entfernen. Im Agamemnon vergleicht Aischylos den Tod mit einem Schwamm, der all unsere sterblichen Spuren wegwischt. Nein, Aristoteles kennt Schwämme sehr genau; sein Problem besteht darin, dass er sich nicht sicher ist, ob sie Tiere oder Pflanzen sind. Seine Welt erscheint so schön strukturiert. Scharfe Linien trennen das Lebende vom Toten, das Tier von der Pflanze. In seiner offiziellen Ontologie haben Lebewesen Seelen, tote Gegenstände nicht; Tiere haben sensitive Seelen, Pflanzen nicht. Niemand könnte einen Stein mit einem Olivenbaum verwechseln oder einen Olivenbaum mit einer Ziege. Es scheint alles ganz klar.

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Bis wir zu den Schwämmen kommen. Einerseits sind Schwämme wie Pflanzen, denn sie sind mit den Felsen verwurzelt, auf denen sie wachsen, und aus denen sie vermutlich ihre Nahrung beziehen. Andererseits tun sie etwas sehr Unpflanzliches: Sie können Berührungen spüren und darauf reagieren. Die Leute erzählen – Aristoteles beschreibt den Bericht eines Tauchers –, wenn ein Schwamm bemerkt, dass er gleich von seinem Felsen gepflückt wird, zieht er sich zusammen und leistet Widerstand. Er fügt hinzu, dass die Menschen in Toroni das abstreiten, dass aber alle sich einig sind, dass der aplysia (Sarcotragus muscarum?) Berührungen spüren kann.* Es sind nicht nur Schwämme, die den Graben zwischen Tieren und Pflanzen zu überbrücken scheinen. Wirft man einen Blick in den Hafen, findet man dort nichts als Mehrdeutigkeit. Die tēthya (Seescheiden), knidae und akalēphae (Seeanemonen), holothourion und pneumōn (von denen seinen dürftigen Beschreibungen zufolge beide oder keine eventuell Seegurken oder Quallen sind) und die pinna (Edle Steckmuschel)** sind alle Zwischenwesen, aber von viel radikalerer Art als ein Delfin, ein Strauß oder eine Fledermaus. Andere unbestimmbare Wesen wachsen in größeren Meerestiefen. Theophrastos erzählt von einem steinartigen, scharlachroten Gewächs in der Tiefsee. Er nennt es korallion und meint die Edelkoralle, Corallium rubrum. Er schreibt in seinem Buch über Steine über sie, zwischen Perlen, Lapislazuli und rotem Jaspis. Ist die Koralle also ein Mineral? Wahrscheinlich nicht – denn sie taucht in seiner Naturgeschichte der Gewächse (Historia plantarum) als eine Art Tiefseepflanze wieder auf, die nahe der Straße von Gibraltar wächst und einer Gänsedistel ähnelt. Es gibt auch baumähnliche Gewächse im Golf der Helden, die etwa drei Cubits (135 Zentimeter) hoch sind, Stein ähneln, wenn sie aus dem Meer ragen, und unter Wasser leuchtende Blüten tragen. Theophrastos hatte von den großen Korallen-Saumriffen gehört, die sich über zweitausend Kilometer von Akaba zum Eingang des Roten Meeres ziehen. Tiere haben drei Veranlagungen, über die Pflanzen nicht verfügen: Wahrnehmung von Sinneseindrücken, Appetit und Bewegung. Es sind alles Fähig-

* Die Behauptung, dass Schwämme Berührungen spüren und sich zusammenziehen, wurde lange mit Spott bedacht. Selbst D’Arcy Thompson tat es als Fabel ab. Aber Suberites und Tethya, zwei Gattungen in der Ägäis, ziehen sich bei Berührung tatsächlich sichtbar zusammen; Chondrosia und Spongia tun das vielleicht auch. Wie ihnen das ohne ein echtes neuromuskuläres System gelingt, ist unklar. Es wäre interessant, Aristoteles’ Bericht über den Widerstand von Schwämmen durch ein Experiment auf den Prüfstand zu stellen. ** Ein weiteres mögliches Zwischenwesen ist der sōlen, der Aristoteles zufolge nicht weiterleben kann, wenn er (von seinem Felsen) abgerissen wird. Woanders sagt er jedoch, dass er frei schwimmt und vielleicht sogar hören kann. Eine der Behauptungen muss falsch sein. Der sōlen wird traditionell als Schwertmuschel (Solenidae) identifiziert, die sich im Sand eingräbt, zu den aktivsten Muscheln mit der besten Wahrnehmung gehört und mit der geringsten Wahrscheinlichkeit für eine Pflanze gehalten werden könnte.

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keiten der sensitiven Seele. Jedem von Aristoteles’ Pflanzen-Tier-Zwischenwesen fehlt mindestens eine davon. Seescheiden sind sessil, reagieren aber auf Berührung; Seeanemonen sind ebenfalls sessil, können sich aber manchmal lösen und ihre Beute ergreifen; holothurion und pneumōn können sich frei bewegen oder sich wenigstens voranwälzen, haben aber keine Wahrnehmung; die Steckmuschel, eine der ostrakoderma und daher den Schnecken und Austern ähnlich, ist im Boden »verwurzelt« wie eine Pflanze (er meint die Byssusfäden, mit denen sie sich festhält). Da alle diese Lebewesen mindestens eine Fähigkeit der sensitiven Seele besitzen, glaubt Aristoteles vermutlich, dass sie alles in allem Tiere sind. Aber das sagt er nirgendwo explizit, weil er weniger an der Lösung des taxonomischen Problems interessiert ist als an dem Grund, warum es überhaupt ein Problem ist. Das wirklich Interessante an der Sache ist Folgendes: Die Natur schreitet in so kleinen Schritten vom Unbelebten zu den Tieren, dass wir wegen der Kontinuität nicht erkennen, zu welcher Seite die Grenzen und die Mitte zwischen ihnen gehören. Denn nach den unbelebten Dingen kommt zuerst die Sorte der Pflanzen und innerhalb dieser unterscheidet sich eine von der anderen, indem sie mehr Leben zu haben scheint, aber die ganze Sorte erscheint im Vergleich zu den anderen Gegenständen als mehr oder weniger belebt, während sie im Vergleich mit der Sorte der Tiere unbelebt erscheint.

Die Lebenden und die Toten, die Pflanze und das Tier, bilden ein fein abgestuftes Kontinuum. An einem Ende befinden sich die unbelebten, fast formlosen Einheiten wie Steine, am anderen Tiere mit zwei- oder sogar dreigeteilten Seelen. Bewegt man sich durch das Kontinuum von toten Gegenständen über Pflanzen zu den Tieren, tauchen die charakteristischen Merkmale jeder Klasse schrittweise auf. Aber die Tatsache bleibt: Im Meer ist es schwierig, Grenzen zu ziehen.

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ie Natur schreitet in so kleinen Schritten … voran.« Oder, um den gleichen Gedanken umgekehrt und auf Latein auszudrücken, Natura non facit saltum – die Natur macht keinen Sprung. Der Satz klingt vertraut. Er war einer von Darwins liebsten Kernsätzen; allein in der Entstehung der Arten taucht er siebenmal auf. Huxley hielt ihn bekanntermaßen für eine unnötige Schwäche der Theorie.* Auch bei Aristoteles ist er ein wiederkehrendes Motiv: explizit, wenn er von pflanzenähnlichen Schwämmen spricht oder wie bei manchen Tieren Knochen in Gräten überzugehen scheinen; implizit, wenn er sagt, dass Schlangen längliche Echsen sind (oder in der Tat »gleichartig«), dass Robben »deformierte« Vierfüßer sind und dass Menschenaffen fast menschenähnlich erscheinen. Dabei geht es nicht nur um einen einzelnen Kernsatz. Wer Aristoteles liest, kommt nicht umhin, sich an Darwin erinnert zu fühlen. Aristoteles konstruiert hierarchische Klassifikationen und benutzt das Wort genos – Familie – für seine taxonomische Kategorie. Das scheint Ähnlichkeit durch Abstammung zu implizieren, denn was sonst ist eine Familie, wenn nicht eine Gruppe genealogisch verwandter Dinge? Er unterscheidet zwischen analogen Teilen und solchen, die »uneingeschränkt dasselbe« sind – also homologen Teilen. Welche Bedeutung kann das haben, wenn nicht eine evolutionäre? Ebenso auch seine Darstellung, wie die Embryos verschiedener Tiere sich bemerkenswert ähneln, wenn sie entstehen, und sich erst später auseinanderentwickeln. Unter der Bezeichnung »Baer-Regel« nach seinem Wiederentdecker gehörte es zu Darwins aussagekräftigsten Beweisen für die Evolution. Und dann gibt es in den Schriften beider Männer dutzendweise Erklärungen, wie die Organe dieses oder jenes Tieres darauf ausgerichtet sind, in der besonderen Umgebung, in der es lebt, miteinander zu funktionieren. Viele Philosophen und Wissenschaftler haben versucht, eine Grenze zwischen der aristotelischen Teleologie und dem darwinschen Adaptationismus zu ziehen. (Die vorübergehend verbreitete Worthülse »Teleonomie« wurde geprägt, um auf die Teleologie anzuspielen, ohne allzu offen auf Aristoteles Bezug zu nehmen.) Solche semantischen Kritteleien verschleiern die Ähnlichkeiten. * Das war er nicht – aber er war die Quelle endloser Kontroversen um Tempo und Modus des evolutionären Wandels, vor allem in den 1970ern, als Eldredge und Gould ihre Theorie des Punktualismus vorstellten, um Muster in dokumentierten fossilen Funden zu erklären.

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Aristoteles’ Funktionalismus ist ebenso bestimmt wie Darwins – und der der meisten Evolutionsbiologen. Liest man Aristoteles, ist es tatsächlich leicht anzunehmen, dass er auf eine Evolutionstheorie hinarbeitet oder sogar schon eine hat. Das tut er aber nicht und das hat er nicht. Nirgends in seiner Arbeit behauptet er, wie Darwin es tat, dass alle Tiere von einem entfernten gemeinsamen Vorfahren abstammen. Nirgendwo behauptet er, dass sich eine Sorte Tier in eine andere verwandeln kann. Nirgendwo betrauert er eine Sorte, die ausgestorben ist. Genos, sagt er, ist ein Wort, das in mehreren unterschiedlichen Bedeutungen verwendet werden kann – aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass er es im biologischen Zusammenhang genealogisch meint. Wenn er sagt, dass »die Natur kleine Schritte macht«, dann meint er das im statischen Sinne – dass man feine Abstufungen zwischen den Formen erkennen kann. Darwin meint es dagegen dynamisch – dass Arten sich verändern können, dies aber stufenweise tun. Nirgendwo spielt Aristoteles auf etwas an, das der natürlichen Auslese als einem Antrieb zu Stillstand oder Veränderung ähnelt. Dabei hatte er alle Zutaten. Die natürliche Auslese ist eine Erklärung – die derzeit einzig rationale – für die Anpassung. Aristoteles versteht Anpassungen und begreift, dass sie erklärt werden müssen. Für eine wissenschaftliche Erklärung ist die natürliche Auslese die Einfachheit selbst und verlangt lediglich ein Verständnis dreier Konzepte: dass Lebewesen variabel sind, dass wenigstens ein Teil dieser Variation ererbt ist und dass einige dieser Varianten aufgrund ihrer Phänotypen überleben und sich fortpflanzen, andere dagegen nicht. Aristoteles’ eigene Theorie der quasi-stabilen Fortpflanzung verschafft ihm die ersten beiden; Empedokles’ Selektionismus das dritte. Aristoteles, so scheint es, fehlt es an nichts außer an der Einsicht, oder vielleicht dem Willen, alles zusammenzusetzen. Es wäre kurzweilig, wenn vielleicht auch nutzlos, zu spekulieren, warum das so ist. Eine gewisse Bereitschaft im Geiste mag schließlich notwendig sein, um ein neues Konzept zu formulieren, aber sie ist eindeutig nicht ausreichend. Hat nicht Huxley gesagt, nachdem man ihm die natürliche Auslese erklärt hatte: »Wie dumm von mir, dass ich daran nicht gedacht habe«? Im Nachhinein ist immer alles so einfach. Und einflussreich. Es ist nicht unmöglich für einen Biologen, Aristoteles zu lesen und alle Gedanken an die Evolution zu verbannen, aber es ist sehr schwierig. Die Evolution unterfüttert all unsere Theorien und erklärt all unsere Beobachtungen. Wir sehen sie überall bei der Arbeit. Wir sind dazu gezüchtet, wie Greyhounds zum Rennen. Und es gibt noch eine weitere Schwierigkeit. Darwin ragt so groß über seinen Vorgängern auf, dass wir dazu neigen, ihm alles Mögliche zuzuschreiben. Historiker schreiben über deutsche Naturphilosophen und französische transzendentale Anatomen,

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aber sofern es um Biologen geht, schreiben sie vergeblich – 1859 bleibt das Jahr null. »Seit Darwin …« – es ist unsere Geschichte, unser Ursprungsmythos. Es ist keiner, den ich gern zerstören würde oder könnte. Aber ich habe eine Bitte: Sollten Sie bei Aristoteles einem scheinbar darwinschen Gedanken begegnen, halten Sie inne und denken Sie darüber nach, dass Sie sich vielleicht gerade an einen aristotelischen Gedanken bei Darwin erinnern.

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enn dem so ist, dann nicht, weil Darwin viel Aristoteles gelesen hätte. Das Transmutation Notebook C enthält einen Schuldschein: »Aristoteles lesen, um festzustellen, ob eine meiner Ansichten alt ist?« Er ist auf Juni 1838 datiert, etwa zwei Jahre nachdem die Beagle Falmouth angesteuert hatte. Danach kommt kaum etwas bis zur vierten Ausgabe der Entstehung der Arten 1866, in der Darwin in einer Erörterung über einige mögliche Proto-Evolutionisten einen komplizierten Abschnitt aus Physik II, 8 zitiert – Aristoteles über Empedokles’ Selektionismus. Aber das tat er nur, weil ein Briefeschreiber ihm die Passage geschickt hatte, und bringt sie auch ziemlich durcheinander. Tatsächlich ist sicher, dass Darwin wenig über Aristoteles wusste, was nicht aus Fragmenten bestand oder was er aus zweiter Hand gehört hatte, bis ihm der Arzt und Altphilologe William Ogle 1882 eine Ausgabe von De partibus animalium schickte, die er gerade übersetzt hatte, mit folgendem Begleitschreiben: Sehr geehrter Mr Darwin, ich erlaube mir, Ihnen eine Ausgabe einer Übersetzung von »De Partibus« von Aristoteles zu senden, und ich verspüre eine gewisse Selbstherrlichkeit, wenn ich auf diese Weise den Vater der Naturforscher offiziell seinem großen modernen Nachfolger vorstelle. Könnte die Begegnung in Fleisch und Blut stattfinden, was wäre sie für ein Spektakel! Ogles Übersetzung ist wunderbar. Es wurden seither dem Original treuere Übersetzungen mit tiefer gehenden Kommentaren verfasst, aber genau wie D’Arcy Thompson Historia animalium mit der Einsicht eines Naturforschers erhellte, erleuchtete auch Ogle De partibus animalium. Wenn Aristoteles uns erzählt, dass »alle weiblichen Vierfüßer ihren Urin nach hinten entleeren, weil die Position der Teile, die dieser Umstand andeutet, für sie nützlich bei der Kopulation ist«, dann bestätigt Ogle uns in einer Fußnote, dass dies stimmt.

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Es war genau das richtige Geschenk für Darwin. Einige Wochen später dankte Darwin Ogle in einem Antwortschreiben für das Buch: Durch Zitate, die ich kannte, hatte ich bereits eine hohe Meinung von Aristoteles’ Verdiensten, aber ich hatte nicht die leiseste Vorstellung davon, was für ein wunderbarer Mann er war. Linné und Cuvier waren bisher meine beiden Götter, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, aber im Vergleich zum alten Aristoteles waren sie nichts als Schuljungen. Nach seiner eigenen Darstellung war dies der Zeitpunkt, an dem sie zum ersten Mal wirklich aufeinandertrafen. Und wenn wir auch liebend gern wüssten, was Darwin dachte, als er De partibus animalium las und auf einen der wenigen großen Köpfe in der Geschichte traf, die seinem Geist in Umfang und Leistung ebenbürtig waren, und dann noch zum selben Thema, tun wir das leider nicht. Darwins Antwort an Ogle war eine der letzten, die er überhaupt schrieb, denn im April desselben Jahres starb er. Es mag daher so scheinen, als sei meine Behauptung, Darwins Arbeiten seien von Aristoteles durchdrungen, nichts als Wunschdenken, aber dem ist nicht so. Als Darwin sagte, dass seine »beiden Götter« – Linné und Cuvier – nichts als Schuljungen im Vergleich zu Aristoteles waren, drückte er sich nicht präzise genug aus. Er hätte sagen sollen, dass der alte Aristoteles ihr Lehrer war.

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ristoteles’ Klassifikation der Tiere ist der Ausgangspunkt unserer eigenen. Linné hatte viele seiner europäischen Arten von ihm, entweder direkt oder über die Enzyklopäden des 16. Jahrhunderts. In den Gewölben der Linné-Gesellschaft im Burlington House an der Picadilly lagert Linnés Ausgabe von Aristoteles’ zoologischen Arbeiten (Gazas Übersetzung, 1476 in Venedig gedruckt) und seine Ausgabe von Gesners Historia animalium. Man kann ihre Namen durch die nachfolgenden Ausgaben von Systema naturae hindurch verfolgen, bis sie als moderne Arten in der maßgeblichen zehnten Auflage auftauchen. Aristoteles spricht von sēpia, Gesner von Sepia, Linné (1758) von Sepia officinalis – der Name, unter dem wir den Gewöhnlichen Tintenfisch heute kennen. Aristoteles’ höhere Taxa – die megista genē – sind ebenfalls die Grundlagen für unsere. In der ersten Ausgabe von Systema naturae (1735) erscheinen Aristoteles’ zōiotoka tetrapoda als Quadrupedia (erst in der zehnten Auflage in Mam-

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malia umbenannt). Einige andere aristotelische Taxa werden verschoben oder untergeordnet, bleiben aber erkennbar intakt: Aristoteles’ ostrakoderma werden zu Linnés Testacea, seine entoma + malakostraka zu Linnés Insecta. Aristoteles’ Einfluss auf Linné tritt nicht nur in seinen eigentlichen Taxa zutage. Wenigstens ein Teil seiner taxonomischen Terminologie, am offensichtlichsten species (eidos) und genus (genos), geht letztendlich auf Aristoteles oder Platon zurück. Es wird auch häufig gesagt, dass Linnés Klassifikationsmethoden auf der aristotelischen Teilungslogik basieren. Historiker sind sich darüber jedoch nicht einig und ich tendiere dazu, es zu bezweifeln. Es ist jedoch recht deutlich, dass ein Komplex aus platonischen und aristotelischen Konzepten vorgab, wie Linné und andere prädarwinistische Naturforscher die Struktur der natürlichen Welt wahrnahmen. Um 1260 formulierte Albert Magnus, der erste moderne Europäer, der Aristoteles’ Zoologie untersuchte, Aristoteles’ Behauptung, dass »die Natur … in so kleinen Schritten voran[schreitet]«, in sehr ähnlichen Begrifflichkeiten wie dieser: »Die Natur schafft [Tier-]Sorten nicht getrennt voneinander, ohne etwas zwischen ihnen zu erschaffen; denn die Natur geht nicht von einem Extrem ins andere nisi per medium.« Im frühen 17. Jahrhundert war die gegenteilige Version Natura non facit saltum (oder saltus – Plural) eine Binsenweisheit. In seiner Philosophia botanica erhob Linné sie 1751 zum methodischen Prinzip. »Dies ist zuallererst das, was in der Botanik erforderlich ist – die Natur macht keine Sprünge.« Vielleicht ist es das, woran Darwin sich erinnerte, als er es zitierte. Die Vorstellung, dass die Natur keine Sprünge macht, ist eng mit einer anderen verknüpft: dass die Natur in Form einer linearen Leiter organisiert ist, die von Steinen über Pflanzen, Tiere und Menschen bis hin zu Gott verläuft. Die scala naturae – die Stufenleiter der Natur –, wie sie später genannt wurde, taucht in der kosmischen Struktur des Timaios auf, die absolut hierarchisch aufgebaut ist. Sie ist auch eine von Aristoteles’ Themen. Jedes natürliche Ding kann für ihn eine Verbindung aus Form und Materie – eidos und hylē – sein, aber die relative Bedeutung der Bestandteile variiert. Bei Steinen dominiert hylē, bei Lebewesen eidos. Unter den Lebewesen gibt es auch eine Stufenleiter zunehmender Komplexität von den Pflanzen bis zu den Menschen, die aufeinander folgend mit un-, zwei- und dreigeteilten Seelen funktionieren. In De generatione animalium führt Aristoteles diese Stufenleiter des Lebens innerhalb der Tiere aus und sichert sie mit seiner Embryologie und Physiologie ab. Er beginnt damit, seine Skala der »Vollkommenheit« des Nachwuchses (wie entwickelt er bei der Geburt ist) mit den Eltern zu verknüpfen: »Das Gesetz der Natur besagt, dass vollkommene Nachkommen meist von einer vollkommeneren Art von Eltern hervorgebracht werden.« Elterliche Vollkommenheit hängt von der intrinsischen Wärme ab, wobei warm besser ist

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als kalt. Die Wärme spiegelt sich in der Zusammensetzung ihrer gleichförmigen Teile wider; warme Tiere sind flüssiger und weniger erdig als kalte. Wärme spiegelt auch die Anatomie wider, da warme Tiere Lungen und ausgeklügeltere thermoregulatorische Mechanismen haben als kalte. Warme Tiere sind außerdem meist größer, leben länger und sind intelligenter als kalte Tiere. Das Ergebnis ist eine Stufenleiter der Vollkommenheit, die von den lebend gebärenden Vierfüßern über die Selachier, Eier legenden Fische, Schalentiere und Kopffüßer, Larven tragenden Insekten bis hinunter zu den Spontanentwicklern wie Schwämmen, Seeanemonen und Seescheiden reicht, die wenig mehr als Pflanzen sind. Obwohl diese Stufenleiter einen großen Teil ihres umfassenden Variantenreichtums in ihren Merkmalen erklärt, ist Aristoteles ein viel zu guter Zoologe, um zu glauben, dass jedes Tier unzweifelhaft auf einer bestimmten Sprosse der Leiter zoologischer Vollkommenheit sitzen kann. Seine Zusammenhänge zwischen den Kennzeichen sind immer nur »überwiegend«. Die Stufenleiter der Natur wurde von Neoplatonisten, christlichen Theologen und frühen modernen Philosophen übernommen. Sie untermauerte Leibniz’ Kosmologie. Seit ihren attischen Ursprüngen stark erweitert und kräftig umgeformt, erreichte sie den Höhepunkt ihres Einflusses im 18. Jahrhundert, als sie in Systema naturae auftaucht.* Linnés Version der Stufenleiter der Natur ist recht aristotelisch. Biologen vergessen gern, dass er nicht nur Pflanzen und Tiere klassifizierte, sondern alle natürlichen Produkte der Erde – Per regna tria naturae lautet der Untertitel: Es gibt auch eine Taxonomie der Steine. Die drei großen Reiche der Natur – Animale, Vegetabile und Lapideum – sind explizit nach Komplexität geordnet; das Buch beginnt mit Homo sapiens und endet mit Ferrum – Eisen. Es scheint alles ganz eindeutig gewesen zu sein. Das war es aber nicht. Im 18. Jahrhundert mühten sich die Naturforscher, wie es Aristoteles getan hatte, damit ab, steinähnliche Pflanzen und pflanzenähnliche Tiere zu klassifizieren. Aufeinanderfolgende Ausgaben von Systema naturae dokumentieren ihre Bemühungen. In der ersten Auflage von 1735 befinden sich die niedrigsten der niederen Tiere in der Ordnung Zoophyta, wörtlich »Tierpflanzen«. Sie enthält die trägen, kaum wahrnehmungsfähigen Lebewesen – Seegurken, Seesterne, Quallen und Seeanemonen –, die Aristoteles solches Kopfzerbrechen bereitet hatten. (Außerdem enthält sie seltsamerweise auch

* Der Harvard-Historiker A. O. Lovejoy verfolgte Ursprung und Schicksal dieser Konzepte zusammen mit dem platonischen »Prinzip der Fülle« in seiner klassischen Arbeit zur intellektuellen Geschichte Die große Kette der Wesen, 1936. Er fand sie in Augustinus’ und Thomas von Aquins Theologie, in Leibniz’ Kosmologie und in Spinozas Ethik sowie in den Schriften u. a. von Addison, Locke, Pope, Diderot, Buffon, Herder, Schiller und Kant.

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den Tintenfisch.) Schwämme, Korallen, Gorgonien und Moostierchen sind nicht einmal Tiere, sondern Pflanzen, und unter diesen die niedrigsten der niederen. Sie gehören zur Ordnung Lithophyta, wörtlich »Steinpflanzen«. Im Laufe der nächsten fünfzig Jahre werden sie alle aufgewertet. In der letzten, posthumen Auflage von 1788–93 haben Aristoteles’ Pflanze-Tier-Zwischenwesen den vollen Tierstatus erreicht. Die Ordnung Zoophyta existiert immer noch, enthält aber jetzt alle Lebewesen – Korallen, Gorgonien, Moostierchen und natürlich Schwämme –, die einmal unter Lithophyta zu finden waren. Steinpflanzen werden zu Tierpflanzen. Linné fand diese Mehrdeutigkeiten faszinierend. Er definierte die Zoophyta als »zusammengesetzte Tiere, die wie Pflanzen blühen«, und schrieb, hier träfen sich die Grenzen der drei Reiche. Von den vielen Naturforschern – Trembley, Peyssonnel, B. de Jussieu, um nur drei zu nennen –, die die Pflanzentiere ordneten, verdient einer eine besondere Erwähnung. John Ellis war ein Londoner Händler, der gern Meereslebewesen in künstlerischen Anordnungen presste. Seine Faszination für die Materialien seiner Kunst trieb ihn dazu, sie zu studieren. 1765 fuhr er nach Brighton am Meer, setzte einen lebenden Schwamm in eine Glasschüssel und sah, dass er Wasser durch seine »kleinen Röhrchen« einsaugte und ausspie. So, schrieb er in einem Brief an die Royal Society, erhalte der Schwamm seine Nahrung und scheide seine Exkremente aus, woraus folge, dass Schwämme auch Tiere sein müssen. Wenn wir die Alten konsultieren, sehen wir, dass zu Zeiten von Aristoteles die Menschen, deren Arbeit es war, diese Substanzen [Schwämme] zu sammeln, eine besondere Empfindung, wie ein Schrumpfen, wahrnahmen, wenn sie sie von den Steinen zogen, und zu Plinius’ Zeiten herrschte dieselbe Meinung, dass sie eine Art Gefühl oder ein Tierleben in sich trügen; danach jedoch wurde diesem Wissen keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt …

Er war mit einiger Berechtigung der Meinung, dass er Aristoteles verteidigt hatte. Wenige ließen sich überzeugen. Schwämme wurden erst 1826 wirklich zu Tieren, als der Edinburgher Zoologe Robert Grant ihre frei beweglichen Larven zeigte. So kam es also zur platonisch-aristotelischen Vision der Natur als einer Stufenleiter der Vollkommenheit und zu ihrem Einfluss. Doch es gibt noch eine weitere Vision der Ordnung der Natur, die ebenfalls bei Aristoteles zu finden ist. In großen Teilen seiner Biologie spricht er nicht von einer Stufenleiter der Natur, sondern nur von seinen großen natürlichen Gruppen von Lebewesen, die alle überwiegend dasselbe tun – essen, fühlen, bewegen, fortpflanzen –, aber auf sehr unterschiedliche Weisen mit sehr unterschiedlichen

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Mechanismen. Genau wie beide Visionen an verschiedenen Stellen in Aristoteles’ Texten auftauchen, tun sie das auch in der Zoologie nach dem 17. Jahrhundert. Manchmal existieren sie sogar gleichzeitig, wenn sie sich dabei auch unbehaglich fühlen. Selbst als die Stufenleiter der Natur triumphierte, protestieren Naturforscher wie Pallas, dass Tiere in ihrer ganzen Vielfalt nicht in eine lineare Skala gezwungen werden können und sollten. 1812 teilte Cuvier die Tiere in vier große Gruppen, die er embranchements nannte: Vertebrata, Articulata, Mollusca, Radiata. »Es gehörte nicht zu meiner Absicht, die lebendigen Stämme nach ihrer empfundenen Überlegenheit zu ordnen«, schrieb er, »und ich halte einen solchen Plan auch nicht für praktisch.« Er führte sein Schema in Le Règne animal, 4 Bände, 1817 aus. Das kühne, klare, detaillierte und synoptische Werk wurde rasch zum Standard der Tierklassifikation und machte Cuvier berühmt. Hier feierte er Aristoteles als seinen großen Vorläufer, der, sagte er, seinen Nachfolgern kaum etwas zu tun gelassen hätte. Cuviers Klassifikation sieht jedoch ganz und gar nicht aristotelisch aus. Die große Teilung zwischen den blutlosen Tieren und den Bluttieren (von Lamarck zu animaux sans vertèbres und animaux à vertèbres umformuliert) wird vollkommen abgeschafft, die Hierarchie der Klassen, Ordnungen, Familien und Gattungen wird stark erweitert, wenige von Aristoteles’ megista genē bleiben intakt. Das Schema hat jedoch ein aristotelisches Element. Genau so, wie Aristoteles jedes seiner megista genē als einen Komplex funktionsfähiger Teile beschrieb, stellt Cuvier auch seine embranchements dar. Genau dieses Element sollte den Grundstein für einen der erbittertsten und folgenreichsten Kämpfe in der Geschichte der Zoologie legen.

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m Oktober 1829 reichten zwei unerfahrene Anatomen, Meyranx und Laurencet, ein Manuskript bei der französischen Académie des Sciences ein, in dem sie behaupteten zu demonstrieren, wenn man einen Vierfüßer nähme und ihn so nach hinten faltete, dass sein Schwanz seinen Kopf berühren würde (eine Übung, die nur auf dem Papier durchgeführt wurde, glaube ich), sähe er einem Tintenfisch sehr ähnlich. Ich weiß nicht, ob ihre Demonstration durch Aristoteles’ Analyse der Tintenfisch-Geometrie in Historia animalium und De partibus animalium inspiriert war, denn ihr Manuskript scheint verschwunden zu sein. Auf jeden Fall wurde der Tintenfisch – an sich völlig schuldlos – zum casus belli für einen Zusammenstoß zweier Weltsichten.

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Die Protagonisten waren Georges Cuvier und sein Kollege am Muséum d’Histoire Naturelle in Paris, Étienne Geoffroy Saint-Hilaire. Geoffroy, der Ältere von beiden, hatte Cuviers Karriere gefördert (tatsächlich hatte er ihm diese Anstellung verschafft), aber im Jahr 1830 hatte der jüngere Mann seinen Mentor längst überflügelt. Cuviers Leçons d’anatomie comparée hatte die vergleichende Anatomie wiederbelebt, sein Le Règne animal war der Standard der Klassifikation, seine Recherches sur les ossements fossiles de quadrupèdes wiesen das Aussterben von Tieren im Fossilienbericht nach, seine Histoire naturelle des poissons stellte alles in den Schatten, was je über Fische geschrieben worden war. Napoleon hatte ihn in den Rat der Kaiserlichen Universität berufen, die wieder eingesetzten Bourbonen ernannten ihn zum Baron und dann zum Pair von Frankreich – aber Cuviers Arbeiten, Titel, Anstellungen und Ehrungen aufzuzählen, würde Seiten verschlingen. Geoffroys großer Beitrag dagegen war das zweibändige Philosophie anatomique (1818–22), eine idiosynkratische Sammlung von Essays über komparative Thematiken und Teratologie, die für eine von der Naturphilosophie beeinflusste »transzendentale Morphologie« eintrat. Der Anlass des Streits lag in Cuviers Klassifikation von 1812. Seinem Vorbild Aristoteles folgend, behauptete Cuvier, dass in jeder seiner vier großen embranchements die Tiere im Grunde dieselben Strukturen hätten, die durch die Zufälligkeiten der Funktion in ihre unterschiedlichen Formen gebracht worden seien. Tiere in verschiedenen embranchements dagegen hätten nur analoge Organe. Jedes embranchement sei von den anderen durch eine Kluft getrennt, über die die Natur nicht spränge, nicht springen könne. Geoffroy war anderer Meinung. Als Naturromantiker neigte er dazu, Einheiten zu erkennen, wo andere Unterschiede sahen. Es gebe, sagte er, eine große »Einheit des Bauplans«, die alle Tiere umfasse, eine Einheit, die die Mauern von Cuviers embranchements überwinde. Geoffroy betrachtete das Exoskelett eines Insekts und die Wirbel eines Fisches und erklärte, es handle sich um ein und dieselbe Struktur. Natürlich hätten Insekten ein Exoskelett (harte Teile, die weiche umhüllen), Fische dagegen ein Endoskelett (weiche Teile, die harte umhüllen), aber wo andere Anatomen darin genug Grund sahen, sie zu trennen, erklärte er mit dem schlichten Selbstvertrauen des wahren Visionärs, dass »jedes Tier innerhalb oder außerhalb seiner Wirbelsäule lebt«. Er gab sich nicht zufrieden mit dieser Anwendung seines alles aufdeckenden Systems und zeigte weiter, dass die gesamte Anatomie eines Hummers in Wirklichkeit ganz ähnlich der eines Wirbeltiers sei – wenn man ihn nur umdrehte. Während beim Hummer die großen Nervenstränge auf der Bauchseite verlaufen und die großen Blutgefäße am Rücken, sei es bei den Wirbeltieren umgekehrt (was stimmt). All dies schmerzte Cuvier, weil es seinen embranchements Gewalt antat; nein, es empörte ihn. Jahrelang schäumte er und ließ immer wieder spitze Bemer-

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kungen fallen. Als 1829 Meyranx und Laurencet ihre Arbeit bei der Académie einreichten, war Geoffroy hocherfreut. Die Mauer zwischen zwei weiteren von Cuviers embranchements, den Vertebrata und den Mollusca, war durchbrochen worden. Er drängte auf sofortige Veröffentlichung. Das war zu viel für Cuvier. In Verteidigung seiner viel geschmähten embranchements stellte er die Tintenfisch-Arbeit in einer Sitzung bloß. Es sei alles Geoffroys Schuld, den jungen Männern warf er gar nichts vor. Geoffroy antwortete darauf und über drei Monate des Jahres 1830 stritten sich die beiden Zoologen an der Académie. Der Aufruhr wurde öffentlich; Goethe und Balzac schlugen sich auf Geoffroys Seite, aber man war sich einig, dass Cuvier ihn nach Punkten besiegt hatte. Manchmal heißt es, es sei eine Debatte über die Evolution gewesen, und es stimmt, dass Geoffroy mit der Idee liebäugelte. Zu der Zeit jedoch war es mehr eine Debatte über die Kraft und Bedeutung der aristotelischen Wissenschaft. Geoffroy sah durch die seltsame Geometrie des Tintenfisches hindurch die Einheit, die ihr zugrunde lag, und argumentierte, dass all seine Organe dieselben seien wie beim Wirbeltier, nur anders angeordnet. Für Cuvier war das auf zu viele unterschiedliche Arten falsch. Es war anatomisch falsch: Kopffüßer, zeigte er forensisch, haben eine Vielzahl von Organen, die Wirbeltiere nicht besitzen; es war konzeptuell falsch: Es konnte keine Gleichheit über die großen Gräben der Natur hinweg geben; es war historisch falsch: eine Perversion von Aristoteles’ Doktrinen. Meyranx und Laurencet, das unglückliche Paar, durften ihre Arbeit nie veröffentlichen. Cuvier jedoch veröffentlichte seine Gegenschrift. Er rief den Experten der Antike auf den Plan und erklärte, die Untersuchung der Ähnlichkeit zwischen Arten sei »der Gegenstand einer besonderen Wissenschaft, die vergleichende Anatomie genannt wird, aber keineswegs eine moderne Wissenschaft ist, da sie auf Aristoteles zurückgeht.« In seiner Erwiderung erzählte Geoffroy, wie er diese uralten Bande durchtrennt hatte: »Ich gab mich mit Aristoteles’ Darstellung nicht zufrieden. Zuerst habe ich es nie versäumt, Aristoteles in meinen Arbeiten zu zitieren … aber ich wollte weitergehende Lehren aus den Fakten selbst ziehen.« Cuvier höhnte, während Aristoteles ein Monument aus Fakten errichtet habe, betriebe Geoffroy nur Philosophie. Dieser Ausspruch brachte Cuvier nicht gerade die meisten Sympathiepunkte ein. Ein semantischer Nebel verhüllte das Schlachtfeld. Beide behaupteten, dass die Organe eines Tintenfisches und eines Vierfüßers »analog« seien, meinten damit aber eindeutig ganz unterschiedliche Dinge. Cuviers Gebrauch des Begriffs lag näher an dem von Aristoteles; Geoffroy machte sich den Begriff in einem kühnen Schachzug zu eigen und verlieh ihm die genau gegenteilige Bedeutung, also das, was Aristoteles »uneingeschränkt dasselbe«

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Geometrie eines Wirbeltiers und eines Kopffüßers im Vergleich

nannte und Owen 1834 »homolog« nennen sollte. Im März 1830 jedoch ging es nicht mehr um solche terminologischen Fragen. Übrigens auch nicht mehr um Tintenfische oder Klassifikation. Die Protagonisten waren sich über etwas weitaus Grundlegenderes uneins – wie die Form erklärt werden sollte. Cuvier war der größte funktionelle Anatom seiner Zeit. Er prahlte stolz, dass er ein Tier über einen einzigen Knochen einordnen konnte. Die Teile eines Tieres hängen miteinander zusammen, sodass »die Form des Zahns die Form des Kondylus impliziert, die des Schulterblatts die Form der Klauen, so wie die Gleichung einer Kurve all ihre Eigenschaften impliziert«. Das war die Apotheose von Aristoteles’ Methode. In seinem großen Erklärungsprinzip, den Existenzbedingungen, die er wieder und wieder darlegte, hatte Cuvier Aristoteles’ bedingte Notwendigkeit zum Gesetz erhoben: Die Naturgeschichte besitzt ein rationales Prinzip, das ihr eigen ist und das bei vielen Gelegenheiten nutzbringend angewandt wird: das der Existenzbedingungen, gemeinhin bekannt als Zweckursachen. Nichts kann existieren, wenn es nicht die Bedingungen vereint, die seine Existenz möglich machen; die verschiedenen Teile jedes Lebewesens müssen daher auf eine Weise koordiniert sein, dass sie das ganze Lebewesen nicht nur für sich selbst, sondern auch in seinen Beziehungen mit denen in seiner Umgebung möglich machen. Die Analyse dieser Bedingungen bringt häufig neue allgemeine Gesetze hervor, ebenso exakt demonstriert wie durch Berechnung oder Experiment. Im Zeitalter der wissenschaftlichen Gesetze hatte Geoffroy sein eigenes. Die Funktion, erklärte er, bestimmt nicht die Form; vielmehr bestimmt die Form die Funktion. Indem er das Brustbein der Wirbeltiere als Beleg anführte,

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Skelett eines Kolibris

erklärte er die verschiedenen Proportionen seiner Teile mit rein physiologischen Begriffen. Der hypertrophe Brustbeinkamm der Vögel, an dem die Flugmuskeln ansetzen, hemme das Wachstum anderer Knochen, indem er »die nährende Flüssigkeit zu seinem eigenen Vorteil ablenke«, die sie sonst versorgt hätte. Keine cuviersche funktionelle Harmonie in Sicht, nur Ökonomie. Er nannte seinen Fund loi de balancement – das Gesetz der Kompensation – und erklärte es zur großen Entdeckung. Goethe hatte ihm bereits vorgegriffen. Aber Geoffroy hatte die Idee wahrscheinlich aus De partibus animalium, denn das loi de balancement ist Aristoteles’ Ausspruch »was die Natur von einem Teil nimmt, gibt sie einem anderen dazu«, als Gesetz formuliert. In der großen Tintenfisch-Debatte von 1830 ging es also um vieles: die Einheit des tierischen Lebens, die Gleichheit von Organen, die Terminologie, mit der diese Gleichheiten beschrieben werden sollten, und vor allem um die kausale Erklärung der Vielfalt der Organe. Es ist ein Zeugnis des Umfangs seiner Gedankenwelt und ihrer Vielgestaltigkeit, dass sie zum großen Teil aus Aristoteles contra Aristoteles bestand.

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s war die letzte große Wissenschaftsdebatte, an der Aristoteles teilnahm. Ihre Protagonisten lebten nur zwei Jahrhunderte vor uns, doch konzeptuell sind sie ihm näher als uns, denn alle ihre Veröffentlichungen lagen vor 1859. Über die Entstehung der Arten transformierte die Be-

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grifflichkeiten von Aristoteles’ Wissenschaft oder machte sie hinfällig: genē (und embranchements) wurden zu echten Familien, die von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen; Zwischenwesen lagen nirgendwo mehr dazwischen und wurden zu konvergenten Lösungen für adaptive Probleme; Teile waren nicht mehr »analog« oder »uneingeschränkt dasselbe«, sondern analog oder auf eine neue Art homolog, die von ihren Ursprüngen im Baum des Lebens abhing. Geoffroys Einheit des Bauplans wurde über die Abstammung durch Modifikation erklärt, Cuviers Existenzbedingungen durch natürliche Auslese. Man hört manchmal, dass Cuvier seine Teleologie von Kant übernahm, aber für Kant war die Teleologie lediglich eine »heuristische Fiktion«, an der man nur verzweifeln kann. »Es könnte nie«, sagte er, »einen Newton geben, der einen Grashalm erklären kann.« Cuvier war da zuversichtlicher. »Warum sollte die Naturkunde nicht eines Tages auch einmal ihren Newton haben?« (»Und jetzt hat sie einen«, lautete seine unausgesprochene Entgegnung.) Man fühlt an dieser Stelle mit Cuvier. Wenn die Naturkunde einen Newton hat, dann ist es Darwin, der in der Entstehung der Arten großzügig bleibt, auch wenn er seinen Vorgänger in die Schranken weist: Den Ausdruck »Existenzbedingungen«, auf denen der berühmte Cuvier so oft beharrte, schließt das Prinzip der natürlichen Auslese vollständig mit ein. Denn in der natürlichen Auslese werden entweder die unterschiedlichen Teile jedes Lebewesens unmittelbar an seine organischen und anorganischen Lebensbedingungen angepasst oder sie wurden über längst vergangene Zeiträume angepasst: Diese Anpassungen werden in einigen Fällen von Gebrauch und Nichtgebrauch unterstützt, ein wenig durch die direkte Einwirkung der äußeren Lebensbedingungen beeinflusst und sind in allen Fällen mehreren Wachstumsgesetzen unterworfen.

Man beachte, wie subtil Darwin Cuviers Bedeutung abwandelt. Wenn Cuvier sich auf die Existenzbedingungen beruft, versucht er in der Regel zu erklären, wie die Teile eines Tieres zueinander passen; wenn Darwin das tut, erklärt er damit, wie die Teile eines Tieres zu seiner Umwelt passen. Der Unterschied liegt nur im Schwerpunkt. Wer den Aufbau von Lebewesen zu verstehen versucht, studiert sie notwendigerweise als ganze Einheiten in sich und in ihrer Welt; die drei großen Erforscher des Aufbaus der Tiere, Aristoteles, Cuvier und Darwin, behielten alle beides wenigstens im Auge. In der Entstehung der Arten taucht Geoffroys Gesetz der Kompensation unter der Überschrift »Korrelation des Wachstums« wieder auf. »Mit diesem Ausdruck meine ich«, schreibt Darwin, »dass die gesamte Organisation in ihrem Wachstum und ihrer Entwicklung so stark miteinander verbunden ist,

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dass beim Auftreten leichter Variationen in einem Teil, wenn diese sich durch natürliche Auslese häufen, andere Teile verändert werden.« Darwins Konzept ist allgemeiner als Geoffroys, denn er lässt zu, dass die Verbindungen nicht unbedingt ökonomisch sein müssen. Aber er zollt ihm (und Goethe) Anerkennung für die Einsicht. Diese Konzepte ziehen sich noch heute durch die Wissenschaft. Aber sie haben sich erneut gewandelt, denn wenn Aristoteles, Cuvier und Geoffroy alle vor 1859 veröffentlichten, so gesellt sich Darwin zu denen, die vor 1900 veröffentlichten oder, wem das lieber ist, vor 1953.* Aristoteles’ Prinzip der bedingten Notwendigkeit wird heute genauso oft, wenn auch nicht unter diesem Namen, auf Moleküle oder sogar auf Gene angewandt. Der Platy, Xiphophorus maculatus, und der Schwertträger, Xiphophorus helleri, sind kleine lebend gebärende Fische aus Mexiko. Man kann sie dazu bringen, sich untereinander zu paaren, und die Hybriden lassen sich ungewöhnlicherweise erneut hybridisieren. Einige dieser Hybriden der zweiten Generation entwickeln Melanome, die sich wie Schimmel auf einer Weinbeere ausbreiten. Die natürliche Auslese hat die rund 20.000 Gene des Platys so angepasst, dass sie harmonisch gemeinsam die Aufgabe erfüllen, einen Platy zu bilden; die Gene des Schwertträgers bilden in harmonischer Zusammenarbeit einen Schwertträger. Aber Platy-Gene sind nicht darauf ausgerichtet, mit Schwertträger-Genen zusammenzuarbeiten, und so sterben die schlecht konzipierten Hybriden, deren Genom eine Wundertüte aus den Genomen ihrer Eltern darstellt, voller Tumore. Sie sind wahre empedoklische Monstren. Genetiker nennen die genetischen Interaktionen, die solche Auswirkungen hervorrufen, »Fitness-Epistasis«, aber das ist nur eine Übersetzung von Cuviers »Existenzbedingungen« oder Paleys »Beziehungen« zwischen Teilen oder Aristoteles’ »bedingter Notwendigkeit«. In dieser Verkleidung begibt das Konzept sich auf den Weg durch Mullers und Sturtevants Darstellung von Spezialisierungsmechanismen, Wrights Theorie von der Gleichgewichtsverschiebung, Kondraschows Erklärung für die Erhaltung des Geschlechts, Kauffmans NK-Fitnesslandschaften und vieles mehr. Wo immer es auftaucht, die Idee ist immer dieselbe: Man kann verschiedene Tiere nicht vermischen. Aristoteles’ Grundsatz »was die Natur von einem Teil nimmt, gibt sie einem anderen« lässt sich ebenfalls in genetischen Begriffen formulieren. Gene, die offensichtlich unterschiedliche Teile eines Tierkörpers beeinflussen, haben »pleiotrope Effekte«. Der Begriff gilt unabhängig davon, ob sie

* Das Jahr der Wiederentdeckung der mendelschen Genetik und der Entschlüsselung der DNA-Struktur.

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das erreichen, indem sie Flüsse von Informationen, Materie oder Energie teilen. Es gibt einen mutierten Nematodenstamm, dessen Lebenserwartung anderthalbmal so hoch ist wie bei einem normalen Wurm, der aber weitaus weniger Eier legt – offenbar die Kosten eines langen Lebens. Man sagt hier, die Mutation hat einen »antagonistischen pleiotropen Effekt«, da sie ein Merkmal verstärkt und gleichzeitig ein anderes abschwächt. Die »Pleiotropien« des Genetikers, Darwins »Korrelationen des Wachstums«, Geoffroys »Gesetz der Kompensation« und Aristoteles’ »was die Natur von einem Teil nimmt, gibt sie einem anderen« sind also verwandte Konzepte. In ihrem modernen Gewand untermauert die Idee die Evolutionstheorie von Lebenszyklus und Altern, wie sie im alten Gewand Aristoteles’ Theorie untermauerte. Wo immer sie auftaucht, drückt sie dieselbe Vorstellung aus: dass die Teile von Tieren unzerlegbar aneinander gebunden sind. Aristoteles’ vielleicht wichtigstes Erbe ist eins, das ich noch gar nicht angesprochen habe, das sich aber ebenfalls durch die Geschichte der Zoologie zieht. Es ist sein Beharren darauf, dass die organische Welt in natürlichen Klassen strukturiert ist, die unsere Klassifikationen nicht auseinanderreißen sollten. Für die Modernen – Linné und fast alle Systematiker nach ihm – wurde diese Vorstellung zur Suche nach einem natürlichen Klassifikationssystem. Darwin sagte uns, was ein solches System bedeutet und warum es existiert. »Ich glaube«, schreibt er, »dass die Nähe der Abstammung – die einzige bekannte Ursache für die Ähnlichkeit organischer Wesen – das Band ist, verborgen durch verschiedene Grade der Modifikation, das uns durch unsere Klassifikationen teilweise enthüllt wird.« Das Problem besteht nun darin, die Form dieses verborgenen Bandes wiederzuentdecken, die Topologie des großen Baums des Lebens. Es wird gerade von Wissenschaftlern mit sehr schnellen Suchalgorithmen enthüllt, die sich durch Terabytes von DNA-Sequenzen arbeiten. Heute werden die Tiere in drei große Superstämme (plus einige Basisgruppen wie die Schwämme) eingeordnet, die wiederum in rund dreißig Stämme unterteilt werden und diese ihrerseits in immer kleinere Gruppen bis hin zu den Arten, von denen es streng genommen zwar nicht unzählige gibt, die man aber trotzdem kaum als beziffert bezeichnen kann, denn es gibt zwischen 3 und 100 Millionen von ihnen auf der Erde. Die Blätter an Darwins großem Baum sind nahezu unzählbar. Der große Baum, eine Metapher für die Geschichte des Lebens, dient auch als Metapher für die Geschichte der Ideen. Dass die Natur keine Sprünge macht, dass es eine Stufenleiter der Natur gibt, dass es natürliche Gruppen von Tieren gibt, dass diese Gruppen durch die Homologie und Analogie ihrer Organe definiert werden sollten, dass Organe durch ihre funktionellen und ökonomischen Beziehungen geformt werden – all diese Vorstellungen, behaupte ich, lassen sich bei Aristoteles finden. Sie haben außerdem die

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moderne Zoologie über einen Großteil ihrer Geschichte geformt und das tun sie noch immer. Wir können uns jedoch fragen, ob es dieselben Ideen sind. Das hängt natürlich vollständig davon ab, was man mit »dieselben« meint. Ideen sind die Organe unserer Gedanken und wie die Organe eines Tintenfisches und eines Vierfüßers können sie »dieselben« durch einen gemeinsamen Ursprung sein oder »dieselben«, weil sie unabhängige Lösungen für ähnliche Bedürfnisse darstellen. Aristoteles selbst merkte gern an, dass dieselben Ideen vielen Menschen zu vielen Zeiten gekommen sind. (Wenn das banal klingt, dann zweifellos deshalb, weil es auf eine selbstreflektive Art wahr ist.) Für das Konzeptecluster jedoch, das ich hier erörtert habe, lassen sich meiner Meinung nach überzeugende Argumente für ihre Gleichheit durch Abstammung finden, für eine intellektuelle Homologie, wenn man so will. Linné, Geoffroy, Cuvier und ihre Vorgänger haben Aristoteles gelesen, Darwin hat sie gelesen, wir haben Darwin gelesen. Der genealogische rote Faden ist klar zu sehen. Unter Historikern gilt das Verfolgen konzeptueller Genealogien durch die Zeiten – die »Ideengeschichte« (reine Ideen) anstelle der »intellektuellen Geschichte« (ihr sozialer und kultureller Kontext) – als eher unzeitgemäß. Sie weisen darauf hin, dass sich Denker in jedem Zeitalter die Begriffe und Konzepte ihrer Vorgänger angeeignet und für ihre eigenen Zwecke eingesetzt haben und dass sie das auch tun, wenn die zugrunde liegende Struktur ihres Gedankens den Sinn dieser Begriffe und Konzepte vollkommen verändert hat. Philosophen nennen diesen Vorgang »konzeptuelle Verschiebung« und freuen sich, wenn sie eine entdecken, wie ein Terrier über eine Ratte. Wissenschaftler – stets nachlässig mit der Terminologie, ständig neue Theorien vorantreibend – sind berüchtigt dafür. Die wandelbaren Bedeutungen von »Analogie« und »Homologie« sind ein gutes Beispiel dafür. Auch Aristoteles ist diesem Mechanismus verfallen – seine eidos und psychē sind ausdrücklich nicht die von Platon. Die Historiker betonen diese Besonderheit zu Recht, aber sie geht nicht so weit, dass sich die Logik der Veränderung durch Abstammung abstreiten ließe, die mit gleicher Stärke auf das Reich der Ideen zutrifft wie auf das Leben selbst. Es kommt nur darauf an, wie man sie betrachtet. Konzentriert man sich auf den Tintenfisch in seiner Tintenfischwelt, erscheint seine merkwürdige Geometrie als Lösung seiner ureigenen Tintenfischprobleme. Blickt man aus größerer Entfernung darauf, erscheint sie mehr wie eine kleine Abänderung eines Grundplans, der vor langer Zeit aufgestellt wurde. Dass Zoologen ihre Ideen von Aristoteles bezogen, sich gegen ihn abgrenzten oder ihn einfach anwandten, und das über Jahrhunderte, erscheint uns heute unverständlich. Darwin stellte seine Vorgänger in den Schatten, er wurde für uns, was Aristoteles für sie war: eine Autorität, die inspirierte oder

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auf die man einfach Bezug nehmen konnte. Doch obwohl wir ihre eigentliche Quelle vergessen haben, bleiben Aristoteles’ Konzepte, abgewandelt und auf verschiedene Weisen angewandt, die er sich nicht hätte vorstellen können, uns erhalten.

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ristoteles machte nie den Evolutionssprung. Natürlich nicht. Schließlich stand er nicht wie Darwin auf den Schultern von Linné, Buffon, Goethe, Cuvier, Geoffroy, Grant und Lyell. Er hörte kein transformistisches Geflüster aus Paris und Edinburgh. Er sah weder die Spottdrosseln auf den Galapagosinseln noch die fossilen Riesen in der argentinischen Pampa. Dass er das Material für eine Evolutionstheorie beisammen hatte, ist natürlich nur im Rückblick zu erkennen. Wir können Aristoteles in Darwin lesen, aber nicht Darwin in Aristoteles. Nach derselben Logik kann Aristoteles’ System auch nicht antidarwinistisch sein. Seine Widersacher waren die physiologoi und Platon, keiner davon ein Evolutionist im darwinschen Sinn. Viele von ihnen waren jedoch Evolutionisten in einem viel weiteren Sinn, denn sie lieferten naturalistische Darstellungen des Ursprungs oder der Veränderung von Arten. Aristoteles lehnte sie radikal alle ab. Kreationismus und Evolution sind rivalisierende Geschwister. Beide sagen, die Vergangenheit sei ganz anders gewesen. Beide behaupten, dass die Lebewesen, die wir in der Welt sehen, nicht immer schon da waren, sondern einen Ursprung im Zeitverlauf haben. Bei den Griechen ist es nicht immer ganz einfach, beides auseinanderzuhalten. Die physiologoi mögen die Mythen abgelehnt haben, aber wie ich schon sagte, lauert das Göttliche häufig irgendwo in ihren Gedankenwelten. Xenophanes von Kolophon (bl. 525 v. Chr.) soll argumentiert haben, dass alle Lebewesen aus Erde und Wasser entspringen, allerdings wissen wir nicht, wie er sie dazu brachte. Wir kennen Empedokles’ Zoogenese in all ihren verwirrenden Einzelheiten. Zuerst sind da diese getrennten Körperteile, dann verschmelzen sie zu verschiedenen unwahrscheinlichen Formen, dann findet eine Auswahl statt und schließlich ordnen sich die Überlebenden nach Lebensraum. Auch Demokrit legte offensichtlich eine naturalistische Zoogenese vor, aber wir wissen nicht, wie sie funktionierte, mit Ausnahme der Tatsache, dass sie auf Atomen basierte. Die vorsokratischen Zoogenesen sind in der Regel nicht transformistisch. Wenn Empedokles’ Lebewesen ihre Merkmale erhalten haben, bleiben sie dabei. Aber Anaximander von Milet (bl. 525 v. Chr.) scheint geglaubt zu haben, dass die Menschen mit den Fischen verwandt sind. Die Quellen sind

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sich nicht einig über das Wie. Eine sagt, dass Anaximander behauptete, Menschen hätten ursprünglich den Fischen geähnelt, eine andere, dass Menschen aus Fischen hervorgegangen seien, wieder eine andere, dass sie von einem galeoi geboren wurden. Das könnte ein Verweis auf den Grauen Glatthai sein, Aristoteles’ leios galeos, der seine Embryos im Mutterleib über Plazenta und Nabelschnur ernährt und seine Jungen lebend zur Welt bringt. Und dann ist da noch der Timaios. Behandeln wir nur für einen Augenblick Platons Ursprungsmythos mit der Ernsthaftigkeit, die er nicht verdient. Tiere sind degenerierte Menschen. Die Götter verwandelten die albernen, wenn auch harmlosen, Männer, die den Himmel studierten (Astronomen), in Vögel. Männer, die ihr Herz anstelle des Kopfes einsetzten, wurden zu Landtieren: Ihre Vordergliedmaßen wurden zur Erde hinabgezogen, ihre Köpfe verformten sich wegen mangelnden Gebrauchs. Wirklich dumme Männer bekamen erdgebundene Körper und viele Beine (Hundertfüßer?), den ganz hoffnungslosen Fällen wurden die Beine weggenommen (Schlangen oder Würmer). Boshafte Männer stiegen in die Tiefe hinab. Da sie es nicht wert waren, Luft zu atmen, wurden sie zu einem Leben als Fische und Schnecken verdammt. Oder aber sie wurden zu Frauen. Anaximander leitet die Menschen von den Fischen her, Platon die Fische von den Menschen. Die beiden Theorien haben eine reizvolle progressivistisch-degenerationistische Symmetrie. Aristoteles erwähnt keine von beiden. Tatsächlich schreibt er sehr wenig über Theorien zum Ursprung des Lebens oder der Arten. Wenn er Empedokles angreift, behandelt er seine Zoogenie zu Recht oder zu Unrecht als Embryologie. Aber er kannte die Theorien. In De generatione animalium schreibt er in der Erörterung der spontanen Entwicklung, falls, »wie manche andeuten«, alle Tiere, selbst die Menschen, ursprünglich »erdgeboren« seien, wären sie spontan aus Larven in der Erde entstanden – und er denkt dabei an die gēs entera des Aals. Wer genau deutet das an? Anaxagoras? Xenophanes? Demokrit? Diogenes? Es spielt keine große Rolle: Er spielt nur mit der Idee und weist darauf hin, falls es eine Zoogenese gegeben hätte, zeige seine Ernährungsphysiologie, wie sie funktioniert hätte. Soweit es ihn betrifft, ist es nie geschehen. Soweit es ihn betrifft, haben alle Tiersorten, die sich geschlechtlich fortpflanzen, immer existiert und werden immer existieren. Unsere konzeptuelle Welt ist auf der Grundlage eines manichäischen Konflikts zwischen Kreationismus und Evolution strukturiert. Die konzeptuelle Welt der Griechen vor und nach Aristoteles war auf der Grundlage eines Konflikts zwischen kreationistischen und naturalistischen Erklärungen für den Ursprung seiner lebendigen Bewohner strukturiert. Für Aristoteles besteht nicht wirklich eine Wahl zwischen beiden Ansätzen. Beiden gelingt es nicht, eins der hervorstechendsten Merkmale der biologischen Welt zu erfassen: ihre Regelmäßigkeit.

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Für Aristoteles erfordert der Ursprung jedes Individuums einer bestimmten geschlechtlichen Sorte die Existenz zweier anderer Individuen derselben Sorte. Um einen Spatz zu erschaffen, braucht man zunächst einmal zwei weitere Spatzen. Sein Motto »aus einem Menschen entsteht ein Mensch« gilt mutatis mutandis für alle geschlechtlichen Sorten. Nur Eltern – genauer gesagt, der Vater – können die Form, das eidos, liefern, das für die Erschaffung eines neuen Individuums erforderlich ist. Nimmt man sie wörtlich, impliziert diese Theorie eine endlos zurückreichende Reihe von Spatzen. Aristoteles nimmt sie wörtlich. Aristoteles’ Theorie der geschlechtlichen Fortpflanzung und ihre metaphysische Grundlage sind unvereinbar mit jeder zoogenetischen oder transformistischen Theorie. Das gilt auch für seine Vererbungstheorie. Ich habe argumentiert, dass Aristoteles ein System der dualen Vererbung aufstellt. Das formale System ist der einzigartige Beitrag des Vaters zum Embryo und überträgt das logos – den Satz funktioneller Merkmale, die es seinem Nachkommen ermöglichen, in seiner Umgebung zu leben und, falls er männlich ist, wiederum seine Form zu reproduzieren. Das informale System, auf beide Eltern zurückzuführen, ist verantwortlich für die Variationen unter den Individuen einer Sorte – Sokrates’ im Vergleich mit Kallias’ Nase – und kodiert eine zufällige Vielfalt. Diese Arbeitsteilung zwischen den beiden Vererbungssystemen hat tief greifende Auswirkungen. Aristoteles kann ohne Weiteres zulassen, dass ein Individuum eine neue Mutation erfährt, die ihm ein neues Merkmal beschert, etwa eine Himmelfahrtsnase; aber offenbar ist es in seinem System nicht möglich – bei allem Respekt gegenüber Sokrates, der seine Himmelfahrtsnase für so nützlich hielt –, dass diese Mutation adaptiv sein kann. Aus seiner Sicht sind alle Entwicklungsfehler, ererbt oder nicht, entweder ohne funktionellen Einfluss (seltsam geformte Nasen) oder gesundheitsschädlich (fehlende Organe). Von der Entstehung von Weibchen einmal abgesehen, deutet er nicht ein einziges Mal an, dass eine Mutation einem Tier auch nützen könnte. In seiner Welt ist jedes Lebewesen innerhalb der Grenzen seiner Physiologie perfekt an seine Umwelt angepasst; es gibt keinen Raum für Verbesserung. Hätte er Darwin kennengelernt, hätte er ihn – zu Recht – gefragt: »Wo sind denn diese ›günstigen Variationen‹, von denen du sprichst? Wenn das sperma eines Vaters den Embryo nicht richtig verkocht, sehe ich nur Tod, Deformitäten oder im besten Fall ein Mädchen.« Darwin hätte darauf keine Antwort gehabt. Zum Glück haben seine Nachfolger eine gefunden – wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten. Diese Vererbungstheorie schlägt ganz offensichtlich die Tür zur natürlichen Auslese zu. Das macht uns zu schaffen, nicht jedoch Aristoteles, denn er stritt ja nie mit Darwin. Hätte Aristoteles eine Evolutionstheorie entwickeln können? Vielleicht. Er hätte allerdings etwas von seiner eigenen Theorie

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über Bord werfen müssen und das Ergebnis wäre nicht unbedingt in Darwins Sinn gewesen. Im mittleren Lebensalter gelangte Linné zu der Überzeugung, dass neue, stabile Pflanzenarten durch Hybridisierung entstehen können und tatsächlich entstanden waren. Aristoteles könnte das auch geglaubt haben. In der Metaphysik sagt er, dass Maultiere »unnatürlich« seien. In seiner Zoologie sagt er das nicht. Er glaubt mit Sicherheit, dass im Allgemeinen nur Tiere derselben Sorte kopulieren und Nachwuchs hervorbringen,* aber er sagt auch, dass Tiere unterschiedlicher Sorten sich manchmal paaren und Nachwuchs zeugen oder dass sie dies zumindest tun können, wenn sie in Form, Größe und Trächtigkeitsdauer nicht zu unterschiedlich sind.** Er liefert eine ausgeklügelte Erklärung, warum Maultiere unfruchtbar sind, aber er hält dies eindeutig für eine Ausnahme, da seine Grenzen der Hybridisierung sonst eher großzügig sind. Er glaubt, dass Kreuzungen zwischen verschiedenen Sorten von Hunden, Wölfen und Hunden, Füchsen und Hunden, Pferden und Eseln sowie zwischen verschiedenen Greifvögeln alle fruchtbare Nachkommen hervorbringen. Er erwägt die Möglichkeit, dass der »indische Hund« der F2-Nachkomme eines Tigermännchens und einer Hündin sein könnte (falls der Tiger die Hündin nicht frisst) und dass der merkwürdige rhinobatos (Gemeiner Geigenrochen, Rhinobatos rhinobatos) ein Abkömmling des nicht minder merkwürdigen rhine (Meerengel, Squatina squatina) und einem batos (wahrscheinlich ein Rochen, Rajiformes) ist – aber hier befindet er sich auf unsicherem Boden und das weiß er auch. Dass neue Tiersorten aus Hybridisierung entstehen können, passt nicht zu Aristoteles’ häufig geäußerter Behauptung, dass die Form einer Sorte vom Vater stammt. Wenn ein Hybride die funktionellen Merkmale beider Eltern haben soll, wie es beim rhinobatos vermutlich der Fall ist, dann muss sein eidos von beiden stammen. Wie ich ihn verstehe, glaubt Aristoteles das nicht, aber in seinen Texten gibt es genug Diskrepanzen, um plausibel erscheinen zu lassen, dass er dies zu einem Zeitpunkt tat.

* Er definiert Sorten allerdings nicht auf diese Weise – er wendet also keine biologische Artdefinition an, sondern beobachtet dies nur. ** Zoologen gehen meist davon aus, dass die Hybridisierung eher selten vorkommt. Aber 10 Prozent der Vogelarten können sich mit anderen Arten kreuzen und es gibt viele Fälle von Hybriden, aus denen offensichtlich stabile Arten hervorgingen. Das gilt noch mehr für Pflanzen. Unter Aristoteles’ Hybriden können Hund und Wolf sich paaren und fruchtbare Nachkommen zeugen; es gibt keine verifizierten Fälle von Hund-Fuchs-Hybriden, obwohl Aristoteles behauptet, der lakonische Hund sei eine. Es gibt Berichte über Hybriden aus Huhn (Gallus domesticus) und Steinhuhn (Alectoris sp.) in Gefangenschaft, aber das Phänomen ist eindeutig so selten, dass wir bezweifeln dürfen, ob Aristoteles’ Informationen korrekt sind.

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Doch hätte Aristoteles den Weg der Evolution eingeschlagen, dann glaube ich, er hätte denselben genommen wie Geoffroy Saint-Hilaire. Im zweiten Band seiner Philosophie anatomique, 1822, legte Geoffroy die Fundamente der Teratologie, der Wissenschaft von den Monstern. Er bemerkte, dass teratologische Deformitäten einer bestimmten Ordnung unterliegen und dass sie oft irgendeiner normalen Art ähneln. Er benannte eine menschliche Deformität Aspalasoma, weil ihre urogenitale Anatomie der eines Maulwurfs, aspalax, ähnelte. Aus solchen Beobachtungen erwuchsen transformistische Überlegungen. »Nichts ist monströs und die ganze Natur ist eins« war einer seiner gnomischeren Aussprüche. Dies findet sich auch im Geist von Buch IV von De generatione animalium: »Selbst das, was unnatürlich ist, entspricht auf eine Art der Natur.« Monster sind tatsächlich unnatürlich, aber hauptsächlich deswegen, weil sie selten sind. Aristoteles’ Impuls besteht darin, sie einzugliedern, indem er sie anhand der normalen Vorgänge bei der Embryogenese erklärt. Tatsächlich liegt »die Ursache von Monstrositäten sehr nahe bei der Ursache für deformierte Tiere und ist ihr auf eine Art ähnlich …«. Mit »deformierten Tieren« meint Aristoteles hier natürlicherweise deformierte Lebewesen. Maulwürfe sind deformiert, weil sie blind sind, Robben sind deformiert, weil sie Flossen anstelle richtiger Gliedmaßen haben, Hummer sind deformiert, weil sie asymmetrische Scheren haben. Sie verletzen auf eine Art die Normen der größeren Sorten, zu denen sie gehören. Indem er diese Parallele zieht, will er nur sagen, dass die beweglichen Ursachen für unnatürliche und natürliche Deformitäten dieselben sind. Im Gegensatz zu Geoffroy glaubt er jedoch nicht, dass aus Deformitäten neue Arten entstehen können. Aristoteles machte nie den Evolutionssprung. Er hätte es tun können. Platon hatte ihm gezeigt, wie. Moralische Unzulänglichkeiten verwandeln einen Menschen ganz offensichtlich nicht in einen Fisch, aber eine Mutation, eine lysis, kann das. Oder wenigstens kann sie einen Menschen in einen Vierfüßer verwandeln. Manchmal deutet Aristoteles’ Sprache so etwas an. Es gibt einen Abschnitt in De partibus animalium, in dem er erklärt, warum Vierfüßer auf vier Beinen laufen statt auf zwei. Er sagt, dass Vierfüßer im Vergleich zum Menschen relativ schwere Oberkörper haben. Diese Topplastigkeit hat zwei Folgen. Erstens führt sie dazu, dass ihr Körper instabil wird und daher in Richtung Boden schwankt. Zweitens hemmt sie die Aktivität der Seele, deren Zentrum im Herzen sitzt. Aus diesen beiden Gründen entwickelten sich Vierfüßer – egeneto – vornübergebeugt und die Natur gab ihnen dann aus Stabilitätsgründen Vorderbeine statt Arme. Entwickelten sich? In welchem Sinne entwickelten Vierfüßer vier Beine? Warum die dynamische Sprache? Warum sagt er nicht einfach, dass sie so

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sind? Es ist ja nicht so, als würden Vierfüßer aufrecht gehend geboren oder als wäre die Welt einst voller kognitiv verkrüppelter zweifüßiger Pferde und Schafe gewesen, die auf ihren Hufen umhertorkelten. Vermutlich meint er das metaphorisch. Und doch erkennt man, woher es kommt. Er beherrschte das Rezept aus dem Effeff, er hatte es so häufig angewandt. Man nehme ein Konzept aus dem Timaios. Man entferne die moralisierenden Teile. Man füge etwas Alltagsbiologie hinzu. Man präsentiere es als Wissenschaft.

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anchmal hört man, Aristoteles hätte kein Evolutionist sein können, weil ihm die Beweise fehlten. Das scheint plausibel. Es gibt eine Klasse von Beweisen, über die Darwin verfügte, und zwar in rauen Mengen, Aristoteles offenbar aber nicht: Fossilien.* Aristoteles wusste nicht, dass es in vergangenen Zeiten auf der Erde vor Lebewesen wimmelte, die inzwischen ausgestorben sind. Er wusste nicht, dass Lesbos und Troas einst – und im Verhältnis sogar vor gar nicht allzu langer Zeit – wie die Serengeti aussahen, mit einer entsprechenden Fauna.** Genau solche Beweise waren nötig, lautet das Argument, bevor die Evolutionstheorie Fuß fassen konnte. Im November 1832, als Darwin in Montevideo eintraf, wartete schon Band II von Lyells The Principles of Geology – der über fossile Überlieferung, Biogeografie und Transmutation von Arten (Argumente dagegen) – in der Post auf ihn. Doch das Argument ist zu einfach. Denn obwohl Aristoteles nie auch nur ein einziges Fossil in seinen Arbeiten erwähnt oder etwas, das als solches ausgelegt werden könnte, ist es nicht plausibel, dass er nichts über sie wusste. Genauer gesagt ist es unplausibel, dass er nie mit einem Prima-facie-Beweis für die frühere Existenz von Lebensformen konfrontiert war, die zu seiner Zeit zumindest lokal ausgestorben waren. Eine ganze Liste griechischer Reisender und physiologoi vor ihm, aus seiner Zeit und unmittelbar nach ihm beschrieben steinerne Objekte, die tierischen * Vielleicht noch eine andere: Biogeografie. A. hält sicherlich nicht alle Tiersorten für Kosmopoliten, aber er hat auch ganz bestimmt nicht Humboldts und Darwins Gespür für die vollkommene Fremdheit von Biota in verschiedenen Teilen der Welt, und das konnte er auch gar nicht. Aber vielleicht ist das für einen Kreationisten problematischer als für einen Eternalisten. Ersterer fragt sich vielleicht, warum der Schöpfer all diese unterschiedlichen Biota geschaffen hat; der Eternalist akzeptiert ihr Dasein einfach als gegeben. ** In seiner Geographie behauptet Strabon, der ein gutes Gespür für tektonische Instabilitäten hat, dass Lesbos einst mit dem Ida-Gebirge an der Küste Kleinasiens verbunden war. Im Pleistozän hing Lesbos in der Tat mit dem kontinentalen Kleinasien zusammen.

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Überresten ähnelten. Vor allem Lagerstätten von Muschelschalen an unwahrscheinlichen Orten erweckten oft Aufmerksamkeit. Xenophanes berichtete von Muschelschalen von einem Berg auf Sizilien. Er berichtete auch über die Abdrücke von Fischen und anderem marinem Leben in Steinen aus Syrakus, Paros und Malta. Xanthos der Lyder (bl. 475 v. Chr.) sah Lagerstätten von gestrandeten Muschelschalen in Anatolien, Armenien und im Iran. Herodot, Eratosthenes von Kyrene (ca. 285–194 v. Chr.) und Straton von Lampsakos (bl. 275 v. Chr.) rätselten allesamt über Muschelschalen mitten in der ägyptischen Wüste nahe den Karnak-Tempeln. Dass das Meer einst das Land bedeckt haben musste, war ihnen klar; sie sind sich nur nicht einig darüber, wie.

Fossile Muschelschalen und Schneckengehäuse aus Kalabrien

In De lapidibus beschreibt Theophrastos »ausgegrabenes« – oruktos – Elfenbein.* Seinen Ursprung gibt er nicht an, aber die Ablagerungen der Megafauna auf Samos, Kos oder Tilos im Südosten von Lesbos wären eine plausible Vermutung. Die Schichten aus dem späten Pleistozän bis zum Holozän enthalten die Überreste einer Zwergelefantenart, die bis vor vier-

* In der Meteorologica schreibt Aristoteles ebenfalls über oruktos-Gegenstände. Hier liegt eine mögliche Quelle für Verwirrungen, da in englischen Übersetzungen (z. B. H. D. P. Lees Loeb-Edition) oruktos manchmal als das lateinische fossile angegeben wird, von dem unser Wort »fossil« stammt. Da Aristoteles’ fossiles eindeutig anorganische Stoffe wie Schwefelklumpen sind, kann man leicht annehmen, dass er konfuserweise behauptet, sie hätten einen organischen Ursprung. Aber oruktos und fossile bedeuten einfach »ausgegraben«. Erst vor relativ kurzer Zeit bekam »fossil« seine heutige Bedeutung als versteinerte Überreste ehemaliger Lebewesen – die Bedeutung, in der ich das Wort hier verwende.

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tausend Jahren noch gelebt haben könnte. Die Ablagerungen sind mindestens seit der Archaik bekannt. Auf Samos wurden die Knochen eines riesigen ausgestorbenen Tieres in einem Hera geweihten Tempel wie in einer Wunderkammer ausgestellt. Dem lokalen Mythos zufolge handelte es sich um die Überreste uralter Monster, der »Neaden«. Ein Knochen, der in der Nähe eines Altars aus dem 7. Jahrhundert ausgegraben wurde, gehörte zur ausgestorbenen Miozän-Giraffe Samotherium. Lesbos’ eigene Fossilien der Megafauna präsentieren sich bescheidener. Man kann sie im kleinen Naturkundemuseum in Vrisa bewundern, einem Dorf direkt über der Lagune. Der Verwalter Kostas Kostakis ist besonders stolz auf die Riesenschildkröte, deren Überreste in der Nähe von Vatera gefunden wurden. Eine lebensgroße Rekonstruktion aus glasfaserverstärktem Kunststoff hat die Abmessungen eines VW-Käfers, aber die Fossilien selbst sind ein bisschen enttäuschend. Das Ganze wurde – zweifellos korrekt – nach Cuvier-Art aus einigen Beinknochen, Krallen und Hornschuppen extrapoliert. Es ist also keine Überraschung, dass Aristoteles keine riesigen ausgestorbenen Schildkröten auf Lesbos erwähnt. Aber wie konnte er den großen versteinerten Wald übersehen, der auf der Insel verstreut steht? In den pyroklastischen Hügeln westlich von Kalloni ragen die Stämme ausgestorbener Koniferen einschließlich Wurzelsystemen aus der Phrygana hervor wie abgesägte Tempelsäulen. Im kleinen Hafen von Sigri liegen gewaltige steinerne Baumstämme am Strand. Sie liegen dort unbeweglich, seit sie von einem Vulkanausbruch vor 20 Millionen Jahren gefällt wurden. Aristoteles sagt nichts über sie, auch Theophrastos bleibt stumm. In seiner Naturgeschichte der Gewächse erwähnt Letzterer »versteinertes Schilf« von den Ufern des Indischen Ozeans (Bambus? Korallen?), verliert aber kein Wort über den versteinerten Wald von Lesbos. Dabei ist Sigri der nächste Hafen von Eresos aus, seiner Heimatstadt. Als Junge könnte er auf diesen Stämmen gespielt haben. Auch sie haben jetzt ein eigenes, prächtiges Museum. Vielleicht hat das Geheimnis eine ganz prosaische Lösung. Es könnte sein, dass wenigstens Theophrastos alles über den versteinerten Wald wusste und darüber schrieb. Diogenes Laertios berichtet von einer Arbeit von Theophrastos, die den Titel Über Dinge, die zu Stein wurden getragen haben könnte. Das deutet für uns darauf hin, dass es um Fossilien ging, aber wir wissen es nicht, da Diogenes’ Text beschädigt ist und eine alternative Lesung Über brennende Steine wäre, womit vermutlich Kohle oder Vulkane gemeint wären. Vielleicht fehlen also nicht die Fossilien, sondern nur die Texte. Möglicherweise hat auch Aristoteles Berichte über Muscheln in Wüsten und Bergen als Fantasien beiseitegewischt. (Hatte Herodot nicht auch behauptet,

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dass es in Ägypten Nekropolen geflügelter Schlangen gebe – dass er sie gesehen hätte?)* Oder vielleicht, um eine weitere Entschuldigung anzuführen, war Aristoteles einfach nie auf der anderen Seite von Lesbos. In den Hügeln war es heiß, er war ein schlechter Segler, Theophrastos vergaß, ihm von den Steinbäumen zu erzählen. All dies ist möglich. Aber ich frage mich, ob er sich nicht bewusst dafür entschieden hat, die Berichte und sogar das zu ignorieren, was er mit eigenen Augen gesehen hatte. Wenn man schließlich an die Ewigkeit und Unveränderlichkeit organischer Sorten glaubt, ist es gut möglich, dass man einen Wald als ein Feld voller Steine abtut.

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ass Theophrastos ein Buch über Fossilien geschrieben haben könnte, ist ein quälender Gedanke. Denn es hieße, dass er den Weg einschlug, an dem sein Lehrer vorüberging. Die ersten Schritte sind klein. Als er die Unterschiede zwischen Kultursorten – thrakischem Weizen, ägyptischen Granatäpfeln, apulischen Oliven und Ähnlichem mehr – erörtert, erkennt Theophrastos, dass eine Pflanze sowohl durch das geformt wird, was der Samen von seinen Elternteilen mitbekommt, als auch durch seine Umwelt. Das ist noch ein recht konventioneller Gedanke. Aber dann erklärt er, wenn eine Kultursorte aus einer Region in eine andere umgesetzt wird, erlangt sie in nur wenigen Generationen eine neue Natur: Aus dieser zweiten Quelle [Unterschiede in der Umgebung] entstehen darüber hinaus Besonderheiten innerhalb von Sorten (das heißt, Varietäten), und häufig sehen wir, dass etwas der Natur Entgegengesetztes zu etwas Natürlichem wurde, sobald es einige Zeit bestanden und seine Zahl zugenommen hatte.

Ein sehr unaristotelischer Gedanke. Er macht ein Verrücken der formalen Naturen möglich. Er mischt auch Form- und Stoffursache, die Aristoteles so strikt zu trennen versucht. Aber Theophrastos lässt es nicht dabei bewenden, denn er argumentiert auch, dass die Kultursorten in verschiedenen Ländern * Herodots geflügelte Schlangen könnten einigen Wissenschaftlern zufolge Fossilien von Amphibien aus dem Machtesch Ramon in der Wüste Negev gewesen sein. Andere stellen zur Debatte, ob sie vielleicht auf Beschreibungen von Spinosaurus-Ablagerungen in der Westlichen Wüste, auf Abbildungen von Schlangen mit gefiederten Flügeln auf ägyptischen Sarkophagen (z. B. im British Museum) oder auf Kobras zurückgehen könnten, deren Nackenschilde Herodot als Flügel missdeutete.

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»nützlich« sind. Er meint damit, dass thrakischer Weizen spät keimt, weil thrakische Winter hart sind, und wenn man einen Samen in einem neuen Land sät, wird er sich schließlich ändern, um der Herausforderung zu begegnen. Theophrastos’ Pflanzen sind nicht ideal angepasst, sie können sich verbessern. Seine Sicht auf die Welt ist ebenfalls teleologisch, aber wo Aristoteles’ Welt erstarrte Perfektion darstellt, ist die von Theophrastos kontingent und im Fluss. Er ist so bescheiden, so schwerfällig, so zögerlich, große Theorien aufzustellen, dass man seine radikalste Behauptung überhaupt leicht übersieht. Bisher hat Theophrastos nur vom Ursprung neuer Varietäten von Weizen und Trauben gesprochen. Wenn das Evolution ist, dann eine recht armselige. Aber was ist mit dem Ursprung der Arten? Kann eine Sorte von Pflanzen sich in eine andere verwandeln (metabolē)? Ja, sagt unser Botaniker, vom Boden aufblickend – ein recht fantastisches Vorkommnis, aber es ist auf jeden Fall möglich. Weizen kann sich in aira verwandeln. Diese Getreide, sagt er, sind unterschiedliche Sorten, man kann sie an ihren Blättern unterscheiden. Einige Menschen bezweifeln, dass sich eine in die andere verwandelt; sie sagen, dass aira in besonders regenreichen Jahren einfach zufällig in Weizenfeldern wächst. Aber, fährt Theophrastos fort, die »besten Quellen« stimmen überein, dass viele Leute Weizen gesät, aber aira geerntet hätten. Nun, das mag sein. Es ist nicht so, dass griechische Farmer nicht manchmal Weizen gesät und aira geerntet hätten, wahrscheinlich haben sie das, aber die Erklärung für dieses auf den ersten Blick bemerkenswerte Ereignis ist keine blitzartige Verwandlung. Aira ist, wie Theophrastos sagt, eine ganz andere Art, nämlich ein Gras namens Taumel-Lolch (Lolium temulentum), und der Grund, warum ein Bauer seine Felder voll davon vorfinden könnte, liegt darin, dass seine Samen ganz ähnlich aussehen wie Weizenkörner.* Die Verwandlung von Weizen in Taumel-Lolch ist also nur der Bericht eines Bauern, dem es nicht gelang, seinen Samenvorrat zu sortieren, und der angesichts eines Feldes voll giftigem Getreide diesen Umstand wegerklären musste. * Der Unterschied zwischen Weizen und Taumel-Lolch wird erst offensichtlich, wenn man sie zu Brot verarbeitet. Ein symbiotischer Pilz durchtränkt die Samen des Taumel-Lolchs mit einem Cocktail psychotoxischer Alkaloide und neurotoxischer Indolditerpene, die Schwindel, Koma oder Tod verursachen. In Attika war aira die Droge der eleusinischen Rituale, im mittelalterlichen Europa versetzte man sich damit in religiöse Rauschzustände. Durch seine Angewohnheit, sich in Samenvorräte zu schmuggeln, wurde er zu einer Metapher für falsche Überzeugungen. Er ist das »Unkraut« in Matthäus 13:24–30 (»Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune.«) Im 17. Jahrhundert war er ein Symbol für die Subversion und den Papst.

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Aber es steckt tatsächlich eine unabsichtliche Wahrheit in Theophrastos’ Verwandlungsbehauptung. Taumel-Lolch mutiert nicht im Handumdrehen zu Weizen, aber der Grund, warum seine Samen den Weizenkörnern so stark ähneln, liegt darin, dass sie sich so entwickelt haben. Seine Geschichte ist in den archäologischen Funden von Levante verzeichnet. Er war schon seit vorbabylonischen Zeiten ein Unkraut; Bauern haben ihn bereits in der Neusteinzeit aus ihren Samenvorräten aussortiert. Aber Sortieren ist Selektion und Selektion bedeutet bei einer erblichen Variation Evolution. Im Laufe der Jahrtausende hat sich das Unkraut so entwickelt, dass es dem Weizenkorn ähnlicher wird, um dem Sieb des Bauern zu entwischen; im 4. Jahrhundert v. Chr. durchsetzte es wie Kuckuckseier die Samenbanken Europas. Erst mit modernen chemischen Unkrautvernichtern konnte man ihm beikommen. Hätte Theophrastos diese Evolutionsgeschichte geglaubt? Wahrscheinlich – schließlich akzeptiert er, dass die Verwandlung innerhalb einer einzigen Saison stattfinden kann. Ihm ist zwar nicht wohl bei seiner Weizen/Taumel-Lolch-Geschichte (sie ist eine von mehreren »Problemen«, die er im Rahmen der Entstehung von Pflanzen erörtert), aber nachdem er sich selbst überzeugt hat, geht er die vermeintliche Tatsache mit geballter theoretischer Kraft an. Er erörtert den Ursprung der Verwandlung und kommt zu dem Schluss, dass eine Art von »Beschädigung« im Samen dazu führen muss, dass der »Ausgangspunkt« des Embryos »beherrscht« wird. Das, fährt er fort, ist analog zu dem, was passiert, wenn ein Weibchen (Tier) oder etwas noch Unnatürlicheres erzeugt wird, denn wir müssen uns die »Erde als ein Weibchen« vorstellen. Er hat sich einfach Aristoteles’ Monstrositätentheorie angeeignet, um die Evolution einer natürlichen Sorte zu einer anderen zu erklären – und es ist eine Evolution, auch wenn sie noch weit von Darwins Vision eines großen Baums des Lebens entfernt ist. So häufig spüren wir beim Lesen von Aristoteles den Druck des Artenwandels. An diesen Stellen sollten wir vermuten, dass wir nur unsere eigene evolutionäre Voreingenommenheit in Texte hineinlesen, die tatsächlich nichts davon enthalten. Aber der Druck muss da gewesen sein, denn Theophrastos, einst sein Schüler, dann sein Kollege, schließlich sein Nachfolger und über zwanzig Jahre lang sein Freund, gab ihm nach.

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illiam Ogle, der Darwin und Aristoteles liebte, wünschte sich, sie wären sich einmal begegnet. In seinem Brief an Darwin stellt er sich vor, wie der Grieche in Down House eintrifft. Aristoteles beäugt Darwin misstrauisch. Er überfliegt, wie Autoren es eben tun, die Bücherregale im Arbeitszimmer auf der Suche nach seinen eigenen Werken. Er ist erstaunt, wie Autoren es eben sind, sie nicht dort zu finden – wie sie auch tatsächlich nicht dort waren, denn Darwin hatte nach eigener Aussage längst das bisschen Griechisch vergessen, das er jemals konnte. Er wäre auch, fährt Ogle fort, erstaunt zu entdecken, dass seine Ansichten nur noch von antiquarischem Interesse sind und dass sein alter Feind Demokrit triumphiert hat – ja als Darwin wiedergeboren wurde. »Ich habe jedoch ein solches Vertrauen in Aristoteles als ehrlichen Jäger der Wahrheit«, schreibt Ogle, »dass ich wahrlich glaube, würde er alles hören, was Sie zu sagen haben, würde er wie ein echter Mann nachgeben und alle seine Werke verbrennen.« Das klingt optimistisch. Aristoteles hätte sicherlich verächtlich darauf hingewiesen, dass Demokrit blind war für das Auftreten von Gestaltung in der Natur und hätte – um die Prioritäten klarzumachen – Darwin dazu gratuliert, dass er die Zweckursache ins Zentrum seiner Theorie gestellt hat. Er hätte die Pangenesis als aufgewärmte hippokratische Theorie abgetan und die natürliche Auslese als neues Etikett für Empedokles’ Faseleien. Er hätte mit Ersterem recht gehabt und mit Letzterem unrecht. Er wäre fasziniert von der Biota der Neuen Welt gewesen und beeindruckt von den Fossilien. (Ein Megatherium kann man nicht einfach ignorieren.) Vielleicht hätte er nach einiger Überlegung sogar zugestimmt, dass sich Arten weiterentwickeln, dass seine große Vision der Ordnung des Lebens in einer noch größeren aufgegangen ist. Ich stelle mir das jedenfalls gern so vor. Wenn er das täte, müsste er einen Teil seiner Metaphysik aufgeben, aber soweit die beiden sich überhaupt trennen lassen, nicht viel von seiner Wissenschaft. Theodosius Dobzhansky machte die berühmte Bemerkung, die von Evolutionsbiologen wieder und wieder zitiert wird, dass »nichts in der Biologie sinnvoll ist, außer im Lichte der Evolution betrachtet«. Eine schöne, wohltönende Haltung, immer gut als Zitat, wenn ein Kreationist anwesend ist, aber sie stimmt nicht wirklich, denn vieles ist sehr wohl sinnvoll. Aristoteles versteht genau wie Darwin und wir, dass (i) die komplexen Morphologien und Funktionen der Lebewesen eine grundlegende Quelle

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der Ordnung oder Information brauchen, seine »formalen Naturen« oder einfach »Formen«; (ii) dass diese Formen dynamische, sich selbst reproduzierende Systeme sind; (iii) dass sie unter den Sorten variieren und so für Vielfalt sorgen; (iv) dass sie ihre Macht ausüben, indem sie den Materialfluss in Entwicklung und Physiologie verändern; (v) dass Lebewesen diese Materialien über die Ernährung beziehen, die intern umgewandelt wird; (vi) dass dieses Material in seiner Menge begrenzt ist; (vii) dass die Herstellung von Teilen, die Erzeugung von Nachkommen, ja das Überleben selbst dieses Material verbrauchen – dass diese Vorgänge also teuer sind; (viii) dass diese Kosten die Formen und Funktionen von Lebewesen so beschränken, dass sie etwas nur tun oder herstellen können, wenn sie etwas anderes nicht tun oder herstellen können; (ix) dass diese Kosten nicht absolut sind: Einige Lebewesen sind ihnen stärker unterworfen als andere; (x) dass diese Materialeinschränkungen gemeinsam mit funktionellen Ansprüchen für die Vielfalt der Tiere sorgen, die wir in der Welt sehen; (xi) dass die Teile von Tieren an die Umgebung angepasst sind, in der sie leben, dass sie, mit einem Wort, Anpassungen sind; (xii) dass die Funktionen verschiedener Organe voneinander abhängig sind – dass also Lebewesen als zusammengesetzte Ganzheiten betrachtet werden müssen. Ein großer Teil der modernen Evolutionswissenschaft findet sich in dieser Liste – aber nicht die Evolution selbst. Man könnte nun einwenden, dass diese Ähnlichkeiten oberflächlich sind. Schließlich ist die Evolution eine dynamische Theorie und Aristoteles’ Welt ist statisch. Aber Dynamiken sind kompliziert und bei der Erfassung der Merkmale von Tieren gehen die Biologen oft von einer Welt im Gleichgewicht aus. Was uns also bleibt, genau wie Aristoteles, ist ein technisches Problem: die Suche nach der optimalen Lösung aus einem Satz an möglichen Lösungen. »Die Natur«, sagt er, »tut das, was unter den gegebenen Möglichkeiten das Beste für das Dasein jeder Tiersorte ist.« Es ist das Credo des Ingenieurs und der Ausgangspunkt für Biomechanik, funktionelle Morphologie, Soziobiologie und all die anderen Wissenschaften der organismischen Gestaltung. Es ist sicher kein Zufall, dass Aristoteles dieses Prinzip in einem Buch über die Bewegungen von Tieren einführte und für grundlegend erklärte. Obwohl ich Aristoteles’ Einsatz von teleologischer und materieller Erklärung einander gegenübergestellt habe, wie er es auch tut, ist er eindeutig der Meinung, dass in der Regel gar kein Konflikt zwischen ihnen besteht. Wenn er die Zusammenhänge zwischen Teilen erklärt, bezieht er sich manchmal auf die funktionelle Harmonie, manchmal auf die Körperökonomie, entscheidet sich aber häufig ganz ökumenisch für beides. Rochen haben knorpelige Skelette, weil sie bei ihrer Schwimmweise beweglich sein müssen und weil sie all ihr erdiges Material für ihre harte Haut verwendet haben und nichts

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mehr für das Skelett übrig bleibt. Solche doppelläufigen Argumente erscheinen redundant, sind es aber gar nicht; es fehlt nur eine zusätzliche Prämisse. Für Aristoteles sind funktionelle Anforderungen und die Zuweisung von Ressourcen harmonisiert, weil »die Natur nichts vergeblich tut«. In ihrem Principles of Animal Design (1998) nennen Weibel und Taylor dies das »Prinzip der Symmorphose«. Die westliche Ideengeschichte steckt voller Teleologen. Vom Attika im 4. Jahrhundert bis zum Kansas im 21. Jahrhundert hat das Argument vom Design nie seine Anziehungskraft verloren. Aristoteles und Darwin jedoch teilen die ungewöhnlichere Überzeugung, dass die organische Welt zwar von Gestaltung erfüllt ist, es jedoch keinen Gestalter gibt. Aber wenn der Gestalter tot ist, für wen ist dann die Gestaltung gedacht? Es läuft auf die klassische Frage des Staatsanwalts hinaus: Cui bono? Darwin antwortete, dass Individuen einen Nutzen daraus ziehen. Biologen diskutieren diese Frage seither ausführlich. Ihre Antwortversuche lauten: Meme, Gene, Individuen, Gruppen, Arten, eine Kombination daraus oder alles zusammen. Aristoteles jedoch scheint insgesamt mit Darwin übereinzustimmen: Organe existieren um des Überlebens und des Fortpflanzens einzelner Tiere willen. Deshalb erscheint so viel von seiner Biologie so vertraut. Doch es gibt tatsächlich einen tief greifenden Unterschied zwischen Aristoteles’ Teleologie und Darwins Adaptationismus, und er wird deutlich, wenn wir der Erklärungskette folgen, zu der jede Theorie der organischen Gestaltung einlädt. Warum hat der Elefant einen Rüssel? Um zu schnorcheln. Warum muss er schnorcheln? Weil er langsam ist und in Sümpfen lebt. Warum ist er langsam? Weil er groß ist. Warum ist er groß? Um sich zu verteidigen. Warum muss er sich verteidigen? Weil er überleben und sich fortpflanzen will. Warum will er überleben und sich fortpflanzen? Weil … Weil die natürliche Auslese den Elefanten so gestaltet hat, dass er sich selbst neu erschaffen kann. Darwin gab der Teleologie eine mechanistische Erklärung. Er unterbrach die endlose Folge von Warums. Aus diesem Grund feierte Ogle Darwin als den wiedergeborenen Demokrit. Denn wo Aristoteles’ organismische Teleologie der widerspenstigen Materie aufgezwungen wird, zeigte Darwin, wie sie mittels einiger einfacher Bedingungen daraus hervorgeht. Darwin ist ein ontologischer Reduktionist, Aristoteles nicht. Warum also sollten aristotelische Tiere danach streben, zu überleben und sich fortzupflanzen? Aristoteles kann sich kaum auf die natürliche Auslese berufen. (Er hat mindestens eine Version davon abgelehnt.) Er hätte sagen können »sie tun es eben« und es dabei belassen können, aber dann wäre er nicht Aristoteles, also hat er eine Antwort, wunderbar und ein bisschen geheimnisvoll. Lebewesen, sagt er, wollen überleben und sich fortpflanzen,

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damit sie »am Ewigen und Göttlichen teilnehmen können«. Wenn er behauptet, dass Lebewesen am Ewigen teilnehmen wollen, dann meint er damit, dass sie darauf ausgerichtet sind, nicht auszusterben. Cui bono? Wie sich herausstellt, besteht die organismische Gestaltung nicht zum Nutzen von Individuen, denn sie sterben immer, sondern um sicherzustellen, dass ihre Formen/Sorten, ihre Art, auf ewig fortbesteht. Wenn Aristoteles vom Göttlichen spricht, spielt er damit nicht – es muss noch einmal darauf hingewiesen werden – auf einen göttlichen Handwerker an, denn es gibt keinen. Vielmehr sagt er uns, dass die Unsterblichkeit eine Eigenschaft göttlicher Dinge ist und dass die Fortpflanzung Tiere ein kleines bisschen göttlich macht. Wir geraten langsam in den Bereich von Aristoteles’ Theologie, seine ultimative Erklärung dafür, warum der Kosmos auf diese Weise eingerichtet ist und wie er in Beziehung zu einem unsterblichen Gott steht. Warum sollten Tiersorten unsterblich sein? Hier gelangen wir ans Ende aller Erklärungen, zu einem der undemonstrierbaren Axiome, die jeder aristotelischen Wissenschaft zugrunde liegen und aus denen alles andere entspringt, und es lautet ganz einfach: Es ist besser zu existieren, als nicht zu existieren.

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pinnophylax und pinna – Steckmuschelkrebs und Edle Steckmuschel – Nepinnotheres pinnotheres und Pinna nobilis

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enn Aristoteles von »Vollkommenheit« spricht, ist es oft am einfachsten, ihn in simplen zoologischen Begriffen zu verstehen. »Vollkommenere« Nachkommen sind bei der Geburt vollständiger entwickelt als weniger »vollkommene«. Und wenn er sagt, dass die Anordnung eines Organs »besser« ist als die eines anderen, nennt er meist einen recht gewöhnlichen funktionellen Grund, warum das so ist. Aber wenn er seine Sicht der Ordnung von Lebewesen darlegt, wird deutlich, dass noch ein anderes, metaphysisches Wertesystem am Werk ist. Aristoteles’ Tiergeometrie (oben–unten, vorn–hinten und links–rechts) ist nicht deckungsgleich mit der Geometrie der modernen Biologie (anterior–posterior, dorsal–ventral und links–rechts). Das ist auch in Ordnung so: Seine Geometrie versucht, funktionelle Analogien zu erfassen, unsere strukturellen Homologien. Seine Bewertung der Pole ist fremder – wenn er uns erzählt, dass oben »ehrenwerter« (oder »wertvoller«) ist als unten, vorn ehrenwerter als hinten und rechts ehrenwerter als links. Es gibt offensichtlich eine biologische Begründung für diese Bewertungen: Sinnesorgane sind unter Umständen nützlicher als Hintern oder Schwänze; Essen ist für die meisten Menschen angenehmer, als den Darm zu entleeren; mehr Menschen sind Rechtshänder als Linkshänder. Trotzdem kann man sich fragen, ob Ehre oder Wert einen Platz in der funktionellen Biologie haben sollte – in unserer haben sie keinen. Und doch steckt seine Teleologie voll ähnlicher Wertungen. Er sagt, dass die Lage des Herzens in der Körpermitte von seinen Ursprüngen im Embryo diktiert wird. Doch es befindet sich auch weiter oben und mehr vorn als hinten, »denn wenn die Natur Plätze zuweist, setzt sie ehrenwertere Dinge an ehrenwertere Stellen, sofern nicht etwas Wichtigeres dies verhindert« – die Sprache lässt an eine Sitzordnung bei einer Dinnerparty denken. Man könnte sich fragen, warum sich dann das menschliche Herz (eigentlich seine Spitze) links unten befindet, aber Aristoteles hat einen Vorbehalt eingebaut – »wenn die Natur nichts tut …« – und liefert eine offenkundige Ad-hoc-Erklärung, dass es dort gebraucht wird, um »die Abkühlung der Dinge auf der linken Seite auszugleichen«. Er glaubt natürlich, dass die rechte Körperseite, weil sie ehrenwerter ist, wärmer ist als die linke, und dass dies speziell bei Menschen der Fall ist, und daher muss das Herz sich verschieben, um die relative Kühle der linken Seite zu kompensieren.

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Selbst wenn er nicht von Ehre spricht, scheint Aristoteles zu denken, dass bestimmte geometrische Anordnungen einfach »besser« sind als andere, unabhängig von ihrem funktionellen Wert. Er glaubt, es sei besser, wenn Organe einen einzigen Ursprung haben. Er mag Symmetrie. Da das Herz – das Sensorium – in der Mitte sitzt, muss es »am besten« drei Kammern haben: Die mittlere Kammer ist ein einzelner Ursprung, zu dem die beiden anderen ein schönes Gegengewicht bilden. Dies ist eine undurchsichtige Seite seiner Biologie. Man spürt den Einfluss populärer, pythagoräischer oder, am wahrscheinlichsten, platonischer Wertebegriffe. Die Biologie – wenn man sie so nennen kann – des Timaios ist nicht nur durchsetzt von religiösen Werten, sie gründet sich vielmehr auf sie. Platons Einfluss wird am deutlichsten, wenn Aristoteles den Menschen erörtert. Er ist explizit: Der Mensch ist nicht nur deswegen sein Modell, weil er das Tier ist, das wir am besten kennen, sondern auch, weil er das vollkommenste Tier von allen ist. Die Körperachsen sind beim Menschen am stärksten differenziert; bei anderen Tieren sind sie vorhanden, aber auf eine verworrene Weise (bei Vierfüßern, wir erinnern uns, sind oben–unten und vorn–hinten dasselbe). Auf dieselbe Weise sind die tierischen Charaktereigenschaften – Mut, Scheu, Intelligenz und Ähnliches –, die von der sensitiven Seele gesteuert werden, beim Menschen besser entwickelt als bei jedem anderen Tier. Bei manchen dieser Merkmale ist die menschliche Einzigartigkeit rein quantitativer Natur (wir unterscheiden uns von den Tieren durch das Mehr und das Weniger), bei anderen ist sie qualitativ (wir unterscheiden uns durch die Analogie). Auf gewisse Weise zeigt die Schwalbe Intelligenz, wenn sie ihr hübsches kleines Nest baut, aber die menschliche Intelligenz ist von einer vollkommen anderen Art. Da die Fähigkeiten der sensitiven Seele beim Menschen am weitesten entwickelt sind, treten unter den Menschen ihre Variationen auch am deutlichsten zutage. Man sieht dies am Unterschied zwischen den Geschlechtern. Männer sind in der Regel mutiger und treuer als Frauen, aber weniger mitfühlend, hinterlistig, schamlos, eifersüchtig und depressiv. Wird ein Tintenfischweibchen von einem Dreizack getroffen, sagt Aristoteles, bleibt das Männchen heldenhaft in der Nähe, um seiner Partnerin beizustehen; wird das Männchen getroffen, nimmt das Weibchen einfach Reißaus. So ist es auch bei den Menschen, nur ausgeprägter. Es scheint, dass Aristoteles insgesamt eine recht düstere Sicht auf den weiblichen Charakter hat, dass er meint, Frauen seien weniger vollkommen als Männer. Genau genommen ist das noch recht milde formuliert, denn in De generatione animalium sagt er, dass Weibchen »unreif«, »unvollkommen«, »deformiert« und sogar »monströs« sind. Feministische Wissenschaftlerinnen haben immer wieder darauf hingewiesen.

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Das sollen sie auch gerne tun. Ich möchte Aristoteles jedoch nicht für seine Geschlechterideologie auf die Anklagebank setzen, sondern nur für seine Wissenschaft. Es ist nicht so, dass er nicht seine Gründe hätte – natürlich hat er die, er ist schließlich Aristoteles. Er fragt: Warum sind die beiden Geschlechter in getrennten Körpern zu finden? Schließlich muss es nicht so sein, bei Pflanzen ist es ja auch nicht so. Getrennte Geschlechter müssen also erklärt werden.* Die Erklärung ist teleologisch: Tiere (die meisten jedenfalls) haben getrennte Geschlechter, weil es so »besser« ist. Der Grund für dieses Bessersein ist recht abstrakt. Unter anderem drückt Aristoteles la différence aus, indem er sagt, dass Männchen die Wirkursache und Weibchen die Stoffursache für ihre Nachkommen bereitstellen. Die Wirkursache, behauptet er, ist der Stoffursache überlegen, da sie Definition und Form des Tieres einschließt. Und er fährt fort, es sei besser, wenn Überlegenes sich nicht mit Unterlegenem mischt. Das ist einfach ein Axiom. Es sei daher besser, wenn Männchen und Weibchen in separaten Körpern existieren und nicht in einem einzigen. Die Existenz getrennter Geschlechter ist also auf eine Arbeitsteilung zwischen den kausalen Kräften zurückzuführen, die für die Fortpflanzung erforderlich sind, wobei die Männchen eine überlegene Rolle einnehmen. Überlegen? Tatsächlich sagt er »göttlicher«. Nun, wenigstens verleiht das den Weibchen irgendeinen Lebenszweck. Der Rest seiner Geschlechtsbiologie folgt seiner gewichteten Beurteilung: Mädchen entstehen, wenn das Sperma die Menstruationsflüssigkeit nicht »beherrscht«, Männer sind wärmer als Frauen, Sperma ist reiner als die Menstruationsflüssigkeit, die Form ist der Materie überlegen und so weiter. Für keine dieser Behauptungen liefert er empirische Beweise. Andererseits sind Eunuchen verstümmelt und verweiblicht. Die Schlussfolgerung, dass Frauen unvollkommen sind, ist logisch, auch wenn sie nicht wirklich zutrifft. Wenn er sich dem Menschen als Art zuwendet, kennt seine stets glühende Leidenschaft für das Verknüpfen und Erklären kein Halten mehr. Er verknüpft eine lange Liste unserer Merkmale – Triebhaftigkeit, Menge geschlechtlicher Absonderungen, Fruchtbarkeit, Körperhaltung, Gliedmaßen, Körperproportionen, Haarlosigkeit, Bluttyp, Herzstruktur, Geselligkeit und vor allem Intelligenz – in einem komplexen kausalen Netz miteinander. Man kann dieses Netz an fast jedem Punkt betreten, zum Beispiel beim Sex.

* Man beachte, dass er die Existenz getrennter Geschlechter erklärt, nicht die geschlechtliche Fortpflanzung an sich. Ihn interessiert also nicht die moderne Frage nach der adaptiven Erklärung für die geschlechtliche Fortpflanzung oder für die Rekombination und ihre Kosten.

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Aristoteles glaubt, dass wir außergewöhnlich triebhaft sind: Nur Menschen und Pferde haben während der Schwangerschaft Sex. Wir sind so, weil wir im Verhältnis zu unserer Größe mehr Samen produzieren als jedes andere Tier.* Da Frauen so viel Menstruationsflüssigkeit erzeugen, sind sie für ihre Größe auch ungewöhnlich fruchtbar. Die meisten großen Tiere bringen nur ein Junges hervor und das ist gewöhnlich auch bei Frauen der Fall. Frauen bringen aber auch häufig Zwillinge oder Drillinge zur Welt; er hat sogar schon von Fünflingen gehört. Warum produzieren wir so viel Samen? Aristoteles hat darauf zwei Antworten, beide auf der Grundlage seiner Physiologie. Die erste lautet, dass wir von allen Tieren den wärmsten und flüssigsten Körper haben. Der zweite lautet, dass wir nackt sind. Anders als andere Tiere haben wir keine Stoßzähne, Hörner oder auch nur besonders viele Haare; da wir keine Nahrung auf solche Dinge verwenden, können wir sie in Samen investieren. Eunuchen und Frauen, beobachtet er, bekommen keine Glatze, weil sie viel weniger Samen verbrauchen als Männer. Andererseits haben Glatzköpfe besonders viel Lust auf Sex. Er glaubt auch, dass Sperma Materie aus dem Gehirn abzieht, weshalb zu viel Sex zu eingesunkenen Augen führt.** All dies erklärt Aristoteles in De generatione animalium. Aber den ultimativen Grund für die Einzigartigkeit des Menschen nennt er in De partibus animalium. Dort erklärt er, warum Menschen nackt sind. Wie sich herausstellt, ist der Grund dafür, dass wir eine ultimative Waffe besitzen, die wir nach Belieben in jede andere verwandeln können – eine Kralle, eine Klaue, ein Horn, einen Speer oder ein Schwert –, nämlich unsere Hände; denn unsere Hände können all diese Dinge herstellen und greifen und nach dem Prinzip der Ökonomie (»die Natur tut nichts vergeblich«) brauchen wir daher keine andere Waffe. Warum haben wir Hände? Anaxagoras sagte, dass Menschen die intelligentesten Tiere sind, weil sie Hände haben. Das, sagt Aristoteles, dreht die wahre Richtung der Kausalität um: Wir haben Hände, weil wir die intelligentesten Tiere sind (denn nur ein hochintelligentes Lebewesen wäre in der Lage, sie zu benutzen). Darüber hinaus können wir Hände haben, weil nur wir aufrecht gehen. Warum also gehen wir aufrecht? Wir tun es, weil wir so * Dass Frauen mehr menstruieren als jede andere Art, ist wahr; dass Männer im Verhältnis zu ihrer Größe mehr Sperma erzeugen als jedes andere Säugetier, stimmt nicht. Eber produzieren 250 ml Sperma pro Ejakulat, ein Mann etwa 2,5 ml; angesichts der Tatsache, dass sie etwa dasselbe Gewicht haben, ist das Ejakulatvolumen pro Masseneinheit beim Menschen deutlich geringer. Berücksichtigt man die Kopulationsfrequenz, erzeugen Menschen pro Masseneinheit sogar weniger Sperma als die meisten Bauernhoftiere. ** Da das Gehirn nicht das Zentrum der höheren kognitiven Funktionen ist, sondern eine Art Heizung, ist dies nicht so schädlich, wie es sich anhört. Daraus folgt, dass man sich in Aristoteles’ Augen zwar im wahrsten Sinne des Wortes das Gehirn herausvögeln kann, nicht aber sich besinnungslos bumsen.

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wachsen. Alle Tiere sind im Vergleich zu uns zwergenhaft, nicht nur in der Statur, sondern auch im Intellekt. Und wir wachsen so, weil wir die wärmsten aller Tiere sind – was uns zusammen mit unserem reinen und dünnen Blut zu den intelligentesten aller Tiere macht. Körperhaltung und Intelligenz sind also durch die materielle Notwendigkeit eng miteinander verknüpft. Es gibt auch eine Zweckursache, und hier kommen wir zum Ende dieser langen Kausalkette. Wir gehen nicht nur aufrecht und können argumentieren, weil wir das vollkommenste Tier sind, sondern weil wir das göttlichste sind. Das ist einfach ein Teil der Definition unserer Substanz und muss nicht erklärt werden. Der Grund also, warum wir auf so viele Arten etwas Besonderes sind – pikanterweise selbst in unserer wilden Triebhaftigkeit –, liegt darin, dass wir von allen Tieren Gott am nächsten sind.

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enn Aristoteles in Historia animalium die verschiedenen Arten erörtert, auf die Tiere voneinander abweichen, unterscheidet er mehrere Ebenen sozialer Organisation. Die meisten Tiere, sagt er, sind Einzelgänger, manche sind gesellig, aber einige wenige sind »politisch« in dem Sinne, dass sie für ein gemeinsames Ziel zusammenarbeiten. Kraniche hält er für außergewöhnlich intelligente Vögel, weil sie »sich einem Anführer unterwerfen«, der mit lauten Rufen seinen Schwarm auf ihren Wanderflügen unter Kontrolle hält.* Sein liebstes politisches Tier ist natürlich die Honigbiene. Die komplizierten Gewohnheiten der Bienen faszinieren ihn offensichtlich. Er verzeichnet, wie sie immer nur eine Blumensorte zur Zeit aufsuchen, wie sie ihre Mitbienen zu einer Stelle mit Blüten führen und wie sie tänzeln, wenn sie mit ihrer Ladung im Bienenstock ankommen (er weiß jedoch nicht, warum).** Während einige Arbeiterinnen mit der Honigproduktion beschäftigt sind, bauen andere die Waben und wieder andere sammeln Wasser – eine fantastische Arbeitsteilung. Die Anführerbiene (sein »König«, unsere

* Eurasische Kraniche koordinieren ihre Flüge tatsächlich durch hornartige Rufe, aber ich habe keinen Beleg dafür gefunden, dass es einen einzelnen Anführer gibt. Man glaubt, dass die Schwärme keine zentralisierten Befehle brauchen; zumindest lassen sie sich durch Schwärme anführerloser, interagierender Handlungsträger modellieren. ** Bienen suchen tatsächlich immer nur eine Blumenart zur Zeit auf; dieses Phänomen wird »Blütenstetigkeit« genannt. Die Bewegungen, die sie bei der Heimkehr in den Stock machen, sind ihre Tanzsprache, die von Frisch zwischen 1923 und 1947 erforschte. Aristoteles sagt jedoch nicht, dass es sich um Signale für die anderen Bienen handelt. Und Arbeiterinnen erfüllen tatsächlich spezialisierte Aufgaben.

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Königin) ist ebenfalls eine Spezialistin, die nur auf einen Zweck ausgerichtet ist: Die Erzeugung von weiteren Bienen. Honigbienen haben ein gemeinsames Ziel: die Erhaltung des Stocks. Sie halten ihn makellos sauber. Sie sterben, um ihn zu verteidigen. Sie regulieren rigoros seine Binnenwirtschaft und töten Mitglieder, wenn mehr vorhanden sind, als gebraucht werden. Drohnen, diese nutzlosen Kreaturen, sind besonders gefährdet.* Das alles ist faszinierend. Dennoch zeigen Aristoteles’ Ausführungen über das Verhalten der Honigbiene ein klaffendes Loch in seiner Biologie auf: die Verhaltensökologie. Er erklärt so viel über die Tiere, aber nicht, warum sie sich auf eine bestimmte Weise verhalten. Es gibt kein Werk namens Über die Gewohnheiten der Geschöpfe (De generatione animalum), das sich neben Über die Glieder der Geschöpfe und Über die Zeugung der Geschöpfe (De partibus animalum) einreihen könnte. Im Ergebnis kennen wir seine Antworten auf einige äußerst interessante Fragen nicht. Wie zum Beispiel regulieren Bienen ihre Aktivitäten? In seinem Oikonomikos gibt Xenophon eine Sichtweise zum Besten. Ischomachos, eine ziemlich selbstgefällige Figur, erzählt Sokrates, wie er seine junge Braut angewiesen hat, ihren Haushalt zu verwalten. Ich erzählte ihr, sagt er, von der Bienenkönigin. Die Bienenkönigin (und sie ist hier tatsächlich eine Königin und kein König) weist die Arbeiterinnen an, was zu tun ist, verteilt die Nahrung, überwacht den Bau der Waben und die Aufzucht der Brut. Du, meine liebe kleine Frau, solltest dasselbe tun. Xenophons Bienenkönigin ist die herrschende Intelligenz in einer Kommandowirtschaft. Natürlich ist sein Dialog, der um die Zeit entstand, als Aristoteles an der Akademie war, kein größerer Beitrag zur Bienenkunde als Mandevilles Bienenfabel, aber er zeigt vermutlich, wie ein gebildeter Grieche im 4. Jahrhundert sich die Organisation eines Bienenstocks vorstellte. (Umso mehr, als Xenophon die Art von Gutsbesitzer war, der einen eleganten kleinen Aufsatz wie Über das Jagen mit Hunden schreiben konnte.) Xenophons Sichtweise scheint jedoch nicht Aristoteles’ zu sein. Seine Anführerbiene beweist einen Mangel an Führungsinstinkten: Sie sitzt nur herum und erzeugt neue Bienen. Die Initiative ergreift sie nur, wenn sie mit einem Schwarm im Schlepptau davonfliegt, um einen neuen Stock zu gründen. Ihre Existenz gründet sich außerdem auf Leiden. Arbeiterinnen, sagt er, töten häufig junge Anführerbienen, damit durch sie keine Splittergruppen (mehrere Schwärme) entstehen und damit den Stock schwächen. Und sollten sich einmal zwei * Seltsamerweise erklärt Aristoteles nirgendwo, wozu Drohnen gut sind. Nach seinem Modell der Bienenentstehung sind sie eine reproduktive Sackgasse und er sagt, dass sie keinerlei Arbeiten verrichten. Sie scheinen seinen Ausspruch zu widerlegen, dass die Natur »nichts vergeblich tut«.

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Schwärme zusammenschließen, wird ein Anführer eliminiert. In Aristoteles’ Stock scheint das Proletariat an der Macht zu sein. Aber wie ich schon sagte, es ist schwierig, genau zu wissen, wie oder zu welchem Zweck nach Aristoteles’ Ansicht ein Bienenstock organisiert ist, weil er uns nichts darüber erzählt. Das Fehlen einer ökologischen Abhandlung bleibt rätselhaft. Die Daten liegen vor. Er erkannte, dass sich daraus eine Wissenschaft ableiten ließ, denn in Historia animalium wagt er tatsächlich einige ökologische Verallgemeinerungen. In De partibus animalium führt er ebenfalls einige Gedanken dazu aus, wie die Physiologie den Charakter von Tieren beeinflusst. (Warmblütige Tiere sind mutig, kaltblütige Tiere scheu – so etwas.) Es ist die Teleologie, die funktionelle Biologie, die hier fehlt. Vielleicht gab es ein Über die Gewohnheiten der Geschöpfe und ging vor langer Zeit verloren; schließlich ist nur ein Drittel seiner Arbeiten erhalten geblieben. Falls dem so ist, verweist er aber nicht darauf und die Doxografen haben das Werk nicht in ihre Listen aufgenommen. Es ist auch möglich, dass er nicht das Bedürfnis verspürte, eine derartige Arbeit zu verfassen, da er schon eine Abhandlung über das sozialste aller Tiere geschrieben hatte – das Werk, das wir Politik nennen.

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er Mensch ist von Natur ein politisches Wesen« – es ist sein meistzitiertes Apophthegma. Es taucht in Buch I der Politik auf. Manchmal wird es als Aristoteles’ Definition unserer Spezies bezeichnet, aber das ist es nicht. Wenn überhaupt, dann geht es ihm darum, dass wir einiges mit anderen Tieren gemeinsam haben. Aristoteles’ politikē epistēmē – Politikwissenschaft – ist sehr soziobiologisch. Beide Wissenschaften sind im tierischen Verhalten verwurzelt und beide nehmen eine eindeutige Haltung zur menschlichen Natur ein – das heißt, sie gehen von angeborenem Verlangen und angeborenen Fähigkeiten aus. Aristoteles würde mit E. O. Wilson und Steven Pinker übereinstimmen: Menschen werden nicht als unbeschriebenes Blatt geboren, sie haben ein angeborenes Verlangen zu kooperieren.* * Ironischerweise hat das Bild des Geistes als tabula rasa seinen Ursprung in Über die Seele (De anima 430a1). Dort jedoch wird das Bild nur benutzt, um die Funktionsweise des Intellekts zu erklären und nicht den kognitiven Status von Neugeborenen. (Der Übergang von potenziellem zu tatsächlichem Denken wird mit der Handlung des Schreibens auf einer Schiefertafel verglichen.) Der moderne Gebrauch des Bildes ist auf Avicenna, Thomas von Aquin und Locke zurückzuführen.

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Um diesen Instinkt zu illustrieren, liefert Aristoteles eine gewissermaßen historische Darstellung des Ursprungs des Staates. Es begann mit der Gründung des Haushalts. Die Grundlage des Haushalts war ein Verbund zwischen Mann und Frau. Das war keine begründete Entscheidung, nur der Instinkt zur Fortpflanzung. Es gab auch einen Verbund zwischen einem natürlichen Herrscher und Untertanen, die instinktiv um des Schutzes willen zusammenkamen. Er meint die Haustiere und Sklaven, die die Natur glücklicherweise für die Griechen bereitgestellt hat. (Die Barbaren, die weniger weit entwickelt sind, unterscheiden nicht zwischen Frauen und Sklaven.) Um unmissverständlich klarzumachen, was er meint, fügt er hinzu, dass Frauen und Sklaven nicht dasselbe sind, da die Natur kein billiger Kupferschmied ist, der ein Gerät für mehrere Zwecke herstellt. (Wenn die Analogie bekannt klingt, dann deshalb, weil sie in seinem Argument für die Spezialisierung von Insektenorganen schon einmal auftauchte.) Es ist verständlich, dass sich Aristoteles keinen Haushalt ohne eine Frau vorstellen kann. Viel auffälliger ist jedoch, dass er sich auch keinen ohne einen Sklaven oder zumindest einen Ochsen vorstellen kann. Der Zweck des Familienhaushalts mit Sklaven und allem anderen bestand darin, tägliche Bedürfnisse zu erfüllen. Gruppen verwandter Haushalte bildeten dann Dörfer mit mehreren Generationen zur Erfüllung nicht alltäglicher Bedürfnisse. Zuerst waren die Dörfer verstreut (»wie es in alten Zeiten üblich war«), aber dann bildeten sie schließlich dichtere Verbünde zum Zwecke einer vollständigen Selbstversorgung. Der Stadtstaat – die polis – war geboren. Fähigkeit, Verlangen und Bedürfnis, in einem Staat zu leben, gehören zu den Kennzeichen der Menschheit. Jeder Mensch, der von Natur aus nicht im Staat leben kann, ist entweder ein »stammesloses, gesetzloses, herzloses« Monster – hier zitiert er Homer zum Zyklopen – oder ein Gott. Dass die meisten Männer und Frauen einen Instinkt zur Fortpflanzung besitzen oder dass domestizierte Tiere einen Instinkt haben, dem Menschen zu dienen, scheint unstrittig. Genau solche Instinkte führen zu Haushalten, die aus zwei Eltern, zwei Kindern und einem Hund bestehen. Aristoteles’ Darstellung der genesis des Staates – Sozialstrukturen von zunehmender Komplexität, angetrieben durch angeborenes menschliches Verlangen nach größeren wirtschaftlichen Kapazitäten – ähnelt auch vielen späteren Evolutionstheorien über den Ursprung des Staates.* Aber seine Geschichte enthält auch ein weniger vertrautes Element. Besitzen einige Menschen einen

* Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Darstellung der Staatsbildung, die Francis Fukuyama in The Origins of Political Order (2011) vorlegt, ist soziobiologisch inspiriert und hat auch starke aristotelische Anklänge.

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Instinkt, sich von anderen beherrschen zu lassen? Ja, sagt Aristoteles, manche Menschen sind Sklaven »von Natur«: Ein Mensch, der von Natur aus nicht sich selbst gehört, sondern einem anderen, ist von Natur aus ein Sklave. Ein Mensch gehört einem anderen, wenn er ein Besitzstück ist, obwohl er ein Mensch ist. Ein Besitzstück ist, als individuelle Wesenheit, ein Werkzeug, das für eine Handlung geeignet ist.

Was genau aber macht einen Menschen zu einem Sklaven von Natur? Es ist eindeutig nicht die Tatsache, dass jemand ihn besitzt, denn Aristoteles bemerkt sofort anschließend, dass manche Menschen Sklaven »nach dem Recht« sind, nämlich Kriegsbeute. Auch ist ein Sklave von Natur nicht einfach ein Mensch, der von Sklaven abstammt. Es ist vielmehr ein Mensch, der auf eine Weise unvollkommen ist und nicht anders kann, als ein Sklave zu sein: Die Menschen unterscheiden sich so stark voneinander, wie sich der Geist vom Körper unterscheidet und der Mensch vom Tier. Diejenigen, deren Funktion zufällig der Einsatz ihrer Körper ist (wenn dies das Beste ist, was sie erreichen können), sind Sklaven von Natur aus.

Sklaven von Natur sind also Menschen, denen so viel Verstand fehlt, dass sie im Grunde Tiere sind. Aristoteles schätzte das Seelenleben höher als alles andere, aber selbst unter dieser Voraussetzung ist seine Einstellung ziemlich extrem. Tatsächlich räumt er rasch ein, dass Sklaven von Natur Menschen sind und damit wenigstens die Fähigkeit besitzen, Befehle zu befolgen, auch wenn sie nicht selbst denken können. Der Sklave von Natur ist also ein kaum empfindungsfähiges Werkzeug, das die Natur zum Gebrauch durch Menschen mit Verstandeskräften bereitgestellt hat. Er behauptet auch, dass die Natur die Körper der Sklaven von Natur stärker und weniger aufrecht gemacht hätte als die der Freien, aber er gibt zu, dass die Natur es nicht immer richtig macht und manchmal einem Freien den Körper oder die Seele eines Sklaven gibt. (Er weicht dabei der Begleiterscheinung aus, dass ein Sklave die Seele eines Freien haben kann.) Dies ist keine ansprechende Theorie. Wenig überraschend wurde Aristoteles denn auch häufig beschuldigt, die Ungerechtigkeiten der Gesellschaft zu verteidigen, in der er lebte, indem er auf die Natur verwies – das heißt, den »naturalistischen Fehlschluss« zu ziehen: das Ableiten eines »sollte« von einem »ist«. (Dieser Vorwurf wird mit weitaus weniger Berechtigung auch häufig Soziobiologen gemacht.) Das mag so sein oder auch nicht. Die inte-

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ressantere Frage jedoch ist die: Enthält seine Theorie einen Funken Wahrheit? Lässt man die Frage des Eigentums einmal beiseite, liegt der Unterschied zwischen einem Freien und einem Sklaven in Aristoteles’ Augen in der Fähigkeit, den Verstand einzusetzen. Um das Ganze vor einen modernen Hintergrund zu stellen: Es ist der Unterschied zwischen dem höheren Management zum Beispiel eines Fulfillment Centers eines Versandhauses und den Arbeitern, die dort unter ihrer Kontrolle stehen. Für einen leitenden Angestellten bedeutet Kontrolle einen monatlichen Bericht an den Vorstand, für einen »Picker« besteht die Kontrolle in einem Handgerät, das ihm sagt, was er wo von den Regalen zu nehmen hat, das eine optimale Route für ihn entwirft und Effizienzdaten zu seinen Bewegungen in Echtzeit an umherstreifende »Controller« überträgt. Es ist eine Arbeit, die ein Roboter erledigen könnte, wenn Roboter billiger wären. In einem skurrilen Gedankenexperiment sagt Aristoteles, wenn wir Leiern hätten, die von selbst spielten, oder automatische Webstühle, bräuchten wir weder Diener noch Sklaven. Wie wenig er wusste. Im Fulfillment Center läuft Aristoteles’ Theorie der Sklaverei von Natur auf die Behauptung hinaus, dass manche Menschen sich von Natur aus zum Manager eignen, so wie andere sich von Natur aus zum Picker eignen. Eine anstößige Doktrin? Nein, sagt der Leiter der Einstellungskommission, nachdem er neun von zehn Management-Trainees wegen fehlender »natürlicher Führungsqualitäten« abgelehnt hat: So ist es einfach. Darüber hinaus würde Aristoteles sagen, da sich die Menschen von Natur aus in ihren Fähigkeiten zur vernünftigen Schlussfolgerung unterscheiden, ist die Beziehung zwischen Herr und Sklave für beide von Vorteil, und unsere Manager würden ihm sicherlich zustimmen. Vielleicht ja auch die Picker? Es ist nicht meine Absicht, hier Aristoteles’ Theorie des Sklaven von Natur oder Einstellungspraktiken von Unternehmen zu verteidigen. Ich möchte lediglich zeigen, dass seine Theorie des Sklaven von Natur kein pathologisches Produkt der Sklaven haltenden griechischen Gesellschaft des 4. Jahrhunderts ist, sondern eine allgemeine Theorie, die etwas über die sozioökonomische Struktur jeder Gesellschaft auf Staatsniveau aussagt, einschließlich unserer eigenen. Tatsächlich könnte man sagen, dass alle modernen Kämpfe aufgrund von Ungleichheiten sich letzten Endes der Frage zuwenden, ob »Sklaven von Natur« existieren und falls ja, wie man sie von »Sklaven nach dem Recht« unterscheidet. Im Extrem wird das am deutlichsten. Ich bin zu Apartheid-Zeiten in Südafrika aufgewachsen, einem Staat, der auf dem Konzept fußte, dass Afrikaner von Natur aus unfähig sind, etwas selbstständig zu leiten, genau wie Europäer von Natur aus dazu in der Lage sind. Es gibt Hinweise in der Politik, dass auch Aristoteles glaubte, die Barbaren seien insgesamt Sklaven von Natur; er behauptet sogar, dass Raubzüge

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zur Erbeutung von Sklaven von Natur aus gerecht seien. Aristoteles’ Wort für die Handlung eines Herrn, despotikē, hat im Deutschen keine echte Entsprechung. Aber baasskap – »Chef-schaft« – trifft es auf Afrikaans sehr gut.

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ie Griechen, sagte Plato, drängen sich um das Mittelmeer wie Frösche um einen Teich. Von Sizilien bis Kleinasien und weiter bis zum südlichen Schwarzen Meer gab es mehr als tausend griechische Stadtstaaten. Sie folgten einer Vielzahl politischer Richtungen. Um die Zeit von Aristoteles’ Geburt bestand die attische Demokratie bereits seit mehr als einem Jahrhundert. Es war nicht die einzige Demokratie, nur die bekannteste, mächtigste und extremste. Andere Staaten wurden vom Adel beherrscht, viele von Königen. Manche Könige waren gut, andere grotesk. Phalaris von Akragas, der im 6. Jahrhundert über die gleichnamige griechische Kolonie auf Sizilien herrschte, war den Menschen noch in Erinnerung, wenn auch in keiner guten, weil er seine politischen Gegner in einem Bullen aus Bronze rösten ließ – und weil er seinerseits geröstet worden war. Aristoteles soll 158 Berichte über die griechischen Stadtstaaten gesammelt haben, die alle verloren gingen bis auf die Schrift Der Staat der Athener, die im späten 19. Jahrhundert aus dem ägyptischen Sand geborgen wurde.* Diese Berichte sind das eigentliche Thema der Politik. Sein Erklärungssystem durchzieht das ganze Buch. Der Staat hat eine Zweckursache: Er existiert so sicher um eines Zweckes willen wie das Haus einer Schnecke. Seine Formursache ist die Verfassung – nicht nur ein schriftliches Dokument, sondern seine gesamte wirtschaftliche, rechtliche und politische Struktur. Der »Gesetzgeber«, oder vielmehr seine Kunstfertigkeit, ist die Wirkursache. Mit »Gesetzgeber« meint er einen Mann wie Solon von Athen (bl. 590 v. Chr.) oder Lykurgos von Sparta (ca. 800 v. Chr.), der seine Stadt und ihre Bürger zu dem formte, was sie waren. Volk und Territorium des Staates sind das Rohmaterial, aus dem er gebildet wird. All dies klingt sehr biologisch und wie die Meteorologica ist die Politik reich an organismischen Metaphern. Der Staat hat nicht nur einen Ursprung, eine Entwicklung und einen Zweck, sondern auch eine optimale Größe und Selbsterhaltungsmechanismen. Er setzt sich aus vielen voneinander abhängi* Ein Fragment von Der Staat der Athener wurde 1879 unter den Papyrusrollen einer alten Müllhalde in Oxyrhynchos südwestlich von Kairo gefunden; weitere tauchten später in einem Grab in Hermopolis auf.

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gen Funktionseinheiten zusammen, ist aber auch ein Ganzes. Seine Verfassung hält ihn zusammen, wie die Seele eines Tieres seine Teile vereint. In einer Umkehrung von Heraklits Metapher des Flusses, in den man nicht zweimal steigen kann, vergleicht er die Verfassung mit einem Fluss, der seine Identität behält, auch wenn das Wasser, das in ihm fließt – die Bürger – sich ständig verändert. Er kann sogar verfallen oder zumindest in etwas anderes verwandelt werden. Die Politik ist gezwungenermaßen Politikwissenschaft, geschrieben von einem Biologen. Wir sollten uns nicht zu stark auf die Metaphern stützen. Wie bei seinem Modell der physikalischen Vorgänge in der sublunaren Welt sind sie nichts weiter als Bilder. Menschen mögen in Aristoteles’ Augen politische Wesen sein, aber wir sind auch politischer als jedes andere Tier. Wir sind das einzige Tier, das zur moralischen Vernunft imstande ist, und das einzige, das die Ergebnisse dieser Vernunft durch eine Sprache artikulieren kann. Hobbes, Hegel und Spencer – um nur drei zu nennen – würden den Staat direkt mit einem Organismus vergleichen. Aristoteles, der einzige Biologe unter ihnen, tut das nicht. Er sagt auch nirgendwo, dass der Staat eine physis hätte – eine Natur, ein inneres Veränderungsprinzip – wie alle natürlichen Wesenheiten. Das kommt daher, dass der Staat, auch wenn er eine »Schöpfung der Natur« ist, in seinen Augen keine rein natürliche Wesenheit ist, weil er auch durch menschliche Wirkung geformt wird. Er ist eine Hybride aus Organischem und Artefakten – man könnte ihn einen Cyborg-Staat nennen. »Jeder hat von Natur aus einen Instinkt zur Gemeinschaft. Aber der Mann, der dies zuerst instituierte, leistete den größten Dienst.« Wir sind damit ohne Atempause vom Staat als dem Produkt des Herdeninstinkts zum Staat als Produkt eines rechtsstaatlichen Genies gelangt. Philosophisch ist das knifflig; wissenschaftlich ist es unvermeidlich. Jede menschliche Gesellschaft besteht unausweichlich aus den Begehrlichkeiten, ob angeboren oder nicht, von Individuen und den Gesetzen des Landes. »Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl«, besagt Simonides’ Epigramm für die gefallenen Helden. Aber selbst ein Spartaner wäre lieber zu Hause und würde Söhne zeugen, als am Termopylen-Pass den Fliegen als Nahrung zu dienen. Gesetze sind notwendig. Es besteht ein Konflikt zwischen dem wahren Zweck des menschlichen Lebens und unserer angeborenen Fähigkeit, ihn zu erreichen. Menschen, sagt Aristoteles, sollten nach Glück – eudaimonia – streben, womit er die aktive Ausübung von Tugend im Sinne der Vernunft meint. Das jedoch lässt sich nur erreichen, wenn man sich dem Staat unterwirft. Ja, wir haben vielleicht eine angeborene Fähigkeit zur Kooperation und denken moralisch, aber ohne die Herrschaft des Gesetzes sind wir das »schlimmste der Tiere«. Wir sind wild, unheilig, lüstern und unersättlich.

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Wenn Aristoteles’ Politikwissenschaft mit der Soziobiologie begann, hat sie sie inzwischen weit hinter sich gelassen. Tatsächlich ist seine politikē epistēmē ganz und gar keine Naturwissenschaft, sondern eine praktische: Ihr Zweck liegt darin, Herrschern Ratschläge zu erteilen. Sollte der Philosoph mit der Macht sprechen, kann er sogar etwas politischen Maschinenbau betreiben: Platon versuchte es in Sizilien, Aristoteles hat es vielleicht wieder in Assos versucht. Wie Sokrates/Platon hat er eine Vision des idealen Staates. Sein Idealstaat maximiert die Anzahl seiner Bürger, die ein gutes Leben führen können, die eudaimonia erreichen können. Das klingt reizend, aber – und hier kommt der Haken – in seinem Staat erfordert die Bürgerschaft Freiheit von niederer Arbeit, also brauchen Händler, Handwerker und Arbeiter sich gar nicht erst zu bewerben. (Dass Frauen, Kinder und Sklaven keine Bürger sein können, versteht sich von selbst.) Es ist ein Staat, in dem die Mittelklasse zahlenmäßig vorherrscht (zwiebelförmige Einkommensverteilung) und es eine vage beschränkte, aber offenbar recht hohe Schwelle zur Erlangung der Bürgerschaft gibt. Es ist die Art von Staat, die es in England gab, als das Haus Hannover auf dem Thron saß und der Landadel im Parlament. Das Modell wäre heute eher schwer an den Mann zu bringen. Aristoteles’ Abneigung gegen die Demokratie ist nicht nur der Snobismus eines wohlhabenden Philosophen, sondern auch eine Reaktion auf die Art der Regierung in Athen. Das öffentliche Leben im Athen des 4. Jahrhunderts war verkommen. Jeder Bürger konnte zur Pnyx gehen und über die Gesetzgebung des Tages abstimmen. Viele taten es – und sei es nur für die drei Obolus, die sie für ihre Anwesenheit bekamen. Das Ergebnis war eine institutionalisierte Herrschaft des Mobs. Von Sophisten in dieser Kunst ausgebildete Demagogen wiegelten den Pöbel auf. Sukophántēs* – Informanten, Erpresser und Verleumder – überliefen das Rechtssystem. Ein Mann konnte sich wegen trivialer oder erfundener Beschuldigungen vor Gericht wiederfinden und dabei sein Vermögen, sein Heim oder sein Leben einbüßen. Gewählte Funktionäre setzten sich gegenseitig in Gerichtsverhandlungen ab. Tapfere Militärkommandeure, die das Pech hatten, nach verlorenen Schlachten überlebt zu haben, erkannten plötzlich die Tugenden der Besonnenheit und blieben lieber in der Fremde, statt zurückzukehren und um ihr Leben zu argumentieren. 406 exekutierte Athen sechs Generäle, denen es der Anklage zufolge nicht gelungen war, die Überlebenden einer Seeschlacht zu bergen. Bestechung und Korruption waren allgegenwärtig. In seiner Ecclesiazusae,

* Ein Wort, das nicht nur aus dem Griechischen stammt, sondern aus Athen, mit der Bedeutung »Verfolger von Feigenschmugglern« – es ging um das Handeln mit dem Feind im Peloponnesischen Krieg. Von ihm stammt das englische sycophant (Schmeichler) ab, das jedoch etwas ganz anderes, wenn auch ebenso Abstoßendes, bedeutet.

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erstmals 392 aufgeführt, lässt Aristophanes die Frauen die Regierung übernehmen, weil die Männer alles verpfuschen. Die Farce ist grob, bringt es aber auf den Punkt: Die Dinge standen schlecht. Selbst ein Philosoph fernab der öffentlichen Angelegenheiten konnte denunziert und vor ein Gericht gezerrt werden. Aristoteles vergaß niemals Sokrates’ Schicksal. Kein Wunder, dass Aristoteles glaubte, er könne es besser. Aber er ist kein Utopist. In der Politik geht es eher wenig um den idealen Staat, sondern fast ausschließlich um echte Staaten in ihrer unerschöpflichen Vielfalt. Als Ordnungsfanatiker versucht er, sie zu sortieren. Tiere werden durch die Vielfalt ihrer Organe und ihre Beziehungen untereinander klassifiziert. Staaten, sagt er, lassen sich auf dieselbe Weise klassifizieren. Die Funktionseinheiten des Staates sind seine Klassen: Bauern, Handwerker, Händler, Arbeiter, Soldaten, Reiche, Beamte, Verwalter und Richter. Ihre Beziehungen – wer beherrscht wen – und die Qualität ihrer Herrschaft sagen uns, was für einen Staat wir vor uns haben. Das Ergebnis ist eine komplexe Taxonomie von Macht und Tugend. Aristoteles’ politischer Pragmatismus spiegelt sich in seiner Erklärung der Vielfalt. Der Hauptgrund, sagt er, dass es so viele verschiedene Arten von Staaten gibt, besteht darin, dass die Menschen auf unterschiedliche Arten nach Glück streben und daher unterschiedliche Arten zu leben und Regierungsformen für sich erzeugen. Die Parallele zu seiner teleologischen Darstellung der Vielfalt des Tierreichs ist offensichtlich. Auch hier ist seine Teleologie jedoch nicht unbedacht: Materielle Notwendigkeit schränkt die Verfassungen ein. Oligarchien entstehen in den Ebenen, auf denen die Macht auf der Kavallerie beruht und damit den Reichen zufließt; Demokratien erheben sich aus Ackerboden, wo viele Menschen auf ihren eigenen Höfen arbeiten. Auch der Charakter seines Volkes formt den Staat. Europäer sind geistreich, aber nicht sehr klug und damit nutzlos im Organisieren; Asiaten sind schlau, aber träge und enden daher meist als Sklaven. Das ist eine Auswirkung ihres Klimas. Die vom Temperament her in der Mitte liegenden Griechen (»mutig und vernünftig«) haben natürlich den besten Charakter für eine gute Regierung. Und sie sind frei. Die Ehrlichkeit zwingt ihn jedoch dazu, eine Schwäche einzugestehen. Falls die Griechen sich jemals auf eine einzige Verfassung einigen könnten, sagt er, dann würden sie die Welt beherrschen. Falls … Nach Aristoteles’ Beschreibung ist der auffälligste Aspekt der griechischen Staaten ihre Zerbrechlichkeit. Die attische Demokratie war in der Tat recht alt. Aber an der gesamten Ägäis entstanden und vergingen Monarchien, Oligarchien und Demokratien gleichermaßen wie Eintagsfliegen. Das Bild, das er zeichnet, zeigt politische Systeme, die auf Wellen von kaum kontrolliertem Chaos reiten. Ein großer Teil der Politik ist den Ursachen der Instabilität und

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den Gegenmaßnahmen gewidmet. Da er keine rein natürliche Wesenheit ist, gibt Aristoteles dem Staat keinen Lebenszyklus, aber keine der Verfassungsformen, die er erörtert, ist immun gegen Revolution (metabolē). In der Analyse konstitutioneller Veränderungen spricht Aristoteles vom Verlangen der Menschen nach Ehre, Geld, Macht und Gerechtigkeit. Alles davon führt zur Zersplitterung. Er spricht auch davon, wie offenbar triviale Ereignisse – zum Beispiel ein Streit um eine Erbin aus der Provinz – den Staat stürzen können. Er streift soziale und demografische Faktoren und weist auf die destabilisierende Wirkung von Immigration hin, obwohl – oder weil? – er in Athen ein Ausländer mit Aufenthaltsgenehmigung ist und nicht einmal ein Haus besitzen darf. Aber wieder und wieder kehrt er zu den unheilvollen Auswirkungen von Ungleichheit zurück. Eine plötzliche Zunahme bei den Armen oder Reichen oder Mächtigen zerstört oder verwandelt den Staat auf die Weise, wie ein hypertrophes Körperteil ein Tier zerstört. Da er kein extremistischer Sozialreformer ist, will er wissen, wie man die Dinge unter Kontrolle hält – er schreibt kapitelweise Tipps für Tyrannen. Aber es gibt auch Argumente gegen offenkundig verrückte Gesetze. In der Politeia hatten Sokrates/Platon, diese verträumten Utopisten, argumentiert, dass Frauen als Gemeingut geteilt werden sollten. Aus verschiedenen, recht stichhaltigen Gründen hält Aristoteles das für eine schlechte Idee. (Die Wünsche, ganz zu schweigen von den Rechten, der betreffenden Frauen gehören nicht dazu.) Obwohl der Staat zumindest teilweise ein künstliches Konstrukt ist, gehört er zu den Instrumenten, mit deren Hilfe Menschen – oder die wenigen, die das Glück haben, Bürger zu sein – ihr volles Potenzial ausdrücken können. In De partibus animalium sagt Aristoteles in der Beschreibung der Ordnung in der lebendigen Welt ausdrücklich, dass wir die einzige Art sind, die ein gutes Leben führen kann. Wie unsere Arme, die aufrechte Körperhaltung und der vernunftbegabte Geist ist der Staat ein Instrument unserer Göttlichkeit. Deshalb liebte Aristoteles die polis trotz all ihrer Unzulänglichkeiten. Richtig konstruiert, könnte sie die Heimat des Glückes selbst sein. Und doch ist die Politik eine im Grunde nostalgische Arbeit. Als er sie schrieb, war das Zeitalter der unabhängigen griechischen Stadtstaaten schon vorbei und das Alter des Reiches war gekommen. Die Eroberer waren seine Freunde, er war praktisch einer von ihnen. Als Makedonien aus dem stolzen Athen einen Vasallen machte, lehrte Aristoteles noch Alexander in Mieza. Die Ironie zieht sich durch das ganze Buch.

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er Adler, sagt Aristoteles, befindet sich im Krieg mit dem drakon, den er frisst. Woanders schreibt er, der drakon greift in flachen Gewässern den Wels an und tötet ihn. Obwohl unser »Drache« über einen langen und komplexen Sprachwandlungsprozess vom drakon abstammt, meint Aristoteles damit nur eine große Schlange, wahrscheinlich die Wasserschlange Natrix tessellata, die auch unter dem sinnträchtigen Namen hydros lief. An der Mündung des Vouváris sieht man sie manchmal ins Wasser gleiten und davonschwimmen. Adler fressen tatsächlich Schlangen und Schlangen fressen Welse, aber wie so viele von Aristoteles’ ökologischen Daten in Buch VII von Historia animalium umweht die erste Behauptung ein Hauch von Folklore, ja sogar Mythos. In der Ilias XII gibt es einen Luftkampf zwischen einem Adler und einer gewaltigen, blutroten Schlange. Die Schlange windet sich aus dem Griff des Adlers und stürzt auf die Trojaner, als diese sich gerade zum Angriff auf die Flotte von Achaia bereit machen. Die Trojaner deuten die herabgestürzte Schlange als schlechtes Omen – wie sich herausstellt, zu Recht. Dieses bestimmte mythologische Ereignis lässt sich leicht zurückverfolgen,* aber der Ursprung von Aristoteles’ Überzeugung, dass die Drachenschlange auch den Saft der pikris, einer Art Gänseblümchen, trinkt, liegt weiter im Dunkeln. Unabhängig von der Quelle sind viele der Dutzende von Wettbewerbsund Räuber-Beute-Beziehungen, die Aristoteles beschreibt, zumindest plausibel. Die wahre Schwäche liegt erneut in der Tatsache, dass es sich um Daten ohne Erklärung handelt. So wie es keine zoologische Politik gibt, die die Gewohnheiten bestimmter Arten erklärt, gibt es keine Schrift, die erklärt, wie und warum verschiedene Arten so interagieren, wie sie es tun. Aristoteles hat die Zutaten der Gemeinschaftsökologie in den Händen, benutzt sie aber nicht. Es gibt jedoch einen Abschnitt – wertvoll und quälend kryptisch –, der seine Sichtweise der Position von Lebewesen nicht nur in der sublunaren

* 1939 argumentierte Rudolf Wittkower, dass das Adler-Schlange-Motiv seinen Ursprung vor vier Jahrtausenden in Babylon hat, von wo es sich bis nach Japan und ins Aztekenreich verbreitete. Kulturelle Diffusionisten waren zu jener Zeit noch mutiger.

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Welt, sondern auch im Kosmos zu enthüllen scheint. Sie taucht im zwölften Buch seiner Metaphysik auf. Wie Sokrates und Platon vor ihm glaubt auch Aristoteles, dass der Aufbau des Kosmos gut ist. In Metaphysik λ, 10 versucht er zu identifizieren, auf welche Weise er gut ist. Auf eine Art ist er gut, weil er wie eine Armee oder ein Haushalt eine hierarchische Struktur besitzt: Wir müssen auch bedenken, auf welche Weise die Natur des Ganzen das Gute und das Beste besitzt – ob als etwas Getrenntes und für sich oder in ihrer Anordnung. Oder ist es auf beide Weisen, wie eine Armee? Denn die Güte einer Armee besteht in ihrer Ordnung und auch in ihrem General. Und mehr im General, denn er ist nicht der Ordnung geschuldet, sondern die Ordnung ist ihm geschuldet. Alle Dinge befinden sich in einer gemeinsamen Ordnung, aber nicht auf dieselbe Weise – selbst Lebewesen, die schwimmen, Lebewesen, die fliegen, und Pflanzen. Und die Ordnung ist nicht derart, dass eins keine Beziehung zu einem anderen hat. Sie haben eine Beziehung: Denn alle Lebewesen sind gemeinsam in einer Beziehung zu einem Ding geordnet. Sondern wie in einem Haushalt, wo die Freien die geringste Befugnis haben, so zu handeln, wie es der Zufall will, wo aber alles oder das meiste von dem, was sie tun, geordnet ist, während die Sklaven und Tiere etwas zum Gemeinwohl beitragen können, aber überwiegend so handeln, wie es der Zufall will. Denn so ein Prinzip ist die Natur für jeden von ihnen. Ich meine zum Beispiel, dass wenigstens jeder von ihnen notwendigerweise zerfallen muss; und es gibt genauso andere Dinge, in denen alle gemeinsam zum Ganzen hin arbeiten.

Aristoteles-Anhänger sprechen oft voller Bewunderung von den Texten des Philosophen. Sie preisen seine Fähigkeit, so viel Bedeutung in so wenigen Worten unterzubringen. Aber in Wahrheit ist das Vergnügen, das sie daraus ziehen, seine gepeinigte Syntax und seine unergründlichen Metaphern zu entwirren, das gleiche wie beim Lösen eines kryptischen Kreuzworträtsels. Häufig ist er schockierend unverständlich.* Wäre er das nicht, würden klassische Philosophen nicht mehr als zwei Jahrtausende, nachdem sie geschrieben wurden, immer noch an seinen Texten herumkauen, und weniger von ihnen hätten eine Arbeit. Vor mir liegen drei Monografien und eine wissenschaftliche Abhandlung, die in den letzten zehn Jahren veröffentlicht wurden. Jede Arbeit stammt von einem begabten Wissenschaftler und jede analysiert diesen einen, metapherngeschwängerten Abschnitt mit einer Genauigkeit, ja

* In der Renaissance verglichen seine humanistischen Kritiker ihn oft mit einem Tintenfisch, der sich hinter seiner eigenen Tinte versteckt. Das ist witzig, aber unfair; ich glaube, dass er immer versucht, sich klar auszudrücken, nur gelingt es ihm häufig nicht.

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Brillanz, die ich niemals aufbringen könnte. Sie alle sind in unterschiedlichem Maße verschiedener Ansicht darüber, was sie bedeutet. Und ich stimme keinem von ihnen so ganz zu. In einfacheres Deutsch übertragen, besagt der Abschnitt meiner Meinung nach Folgendes: »Was macht den Kosmos gut oder sogar zum bestmöglichen? Eine Armee oder ein Haushalt hat ein Organisationsprinzip (den General/Herrn) und ihre bzw. seine Mitglieder verfügen über einen geordneten Satz an Beziehungen zueinander. Hängt die Güte vom Organisationsprinzip ab oder von den geordneten Beziehungen? Die Antwort lautet: von beidem, aber hauptsächlich vom Ersteren, da dieses das Letztere bestimmt. Wie eine Armee oder ein Haushalt sind die Lebewesen, die die Welt bevölkern, durch einen Satz geordneter Beziehungen miteinander verbunden. Und wie diese geht die Ordnung auf ein Organisationsprinzip zurück, nicht auf einen Menschen, sondern auf ein gemeinsames Ziel. [»Denn alle Lebewesen sind gemeinsam in einer Beziehung zu einem Ding geordnet.«] Aber nicht jeder in einer Armee oder einem Haushalt trägt gleichermaßen zu diesem gemeinsamen Ziel bei. Ranghöhere Mitglieder (Offiziere/Herren/ höhere Tiere) tragen mehr bei als rangniedere (Soldaten/Sklaven/Pflanzen); das ist einfach ihre Natur. Obwohl alle Geschöpfe auf der Welt notwendigerweise individuelle Wesenheiten sind (und damit ihre eigenen Ziele haben), tragen sie auch alle zum gemeinsamen Ziel bei.« Aristoteles’ Haushalt-Analogie ist sowohl schön als auch vertraut. Sie taucht, wenn auch weniger explizit, in seiner Erörterung der Körperökonomie auf und unterfüttert dort das, was ich seine untergeordneten teleologischen Prinzipien nenne. Hier beruft er sich darauf, um die Struktur des Kosmos selbst zu erklären. Aber natürlich ist es uns aus einem anderen Grunde vertraut. Als Ernst Haeckel 1866 den Begriff Ökologie prägte, um die neue Wissenschaft von der Ökonomie der Natur zu beschreiben, griff er dabei auf oikos zurück, das griechische Wort für Haushalt. Dieser Zufall ist ein Beleg für die Kraft der Metapher. Aber er wirft auch die Frage auf: Sind all die verschiedenen Sorten von Tieren auf der Welt wirklich wie ein Haushalt, weil sie einem gemeinsamen Organisationsprinzip unterliegen, oder sind sie mehr wie die Gäste in einem Hotel, die sich nur zufällig unter demselben Dach befinden? Von dieser Frage hängt ein Großteil der Geschichte der modernen Ökologie ab. Es ist eine Frage, die man auch Aristoteles stellen könnte. Aristoteles’ Behauptung, dass Organismen miteinander in Beziehung stehen wie Mitglieder einer Armee oder eines Haushalts, ist, so wie ich sie lese, eine offene Anomalie. Sie beruft sich auf eine höhere, zwischenartliche Organisationsebene, einen gemeinsamen kosmischen Zweck oder eine allumfassende Teleologie. In der Politik macht Aristoteles deutlich, dass ein gut funktionierender Haushalt nicht nur eine Versammlung von Individuen

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mit eigenen Interessen ist. Vielmehr ist er ein Kollektiv kooperierender Mitglieder, das vom Haushaltsvorstand geleitet wird und dessen gemeinsamer Zweck in Fortpflanzung und Schutz besteht. Doch wenn er über Tiere spricht, beschreibt er kaum einmal die Art von kooperativem, ja altruistischem zwischenartlichem Verhalten, das wir in einer Armee oder einem Haushalt zu finden hoffen würden. Ja, er behauptet, dass das karidon (oder pinnophylax), eine kleine symbiotisch lebende Garnele oder Krabbe, der pinna (Edle Steckmuschel) Nutzen bringt, in der sie lebt, aber er macht nichts weiter daraus. Und wenn er die Merkmale einiger Tiere in funktionellen Begriffen erklärt, spricht er fast ausnahmslos von ihrem Nutzen für diese spezielle Sorte von Tier. Wenn für alle Arten auf der Welt ein gemeinsames Organisationsprinzip oder ein gemeinsamer Zweck hinter dem Verlangen nach individuellem Überleben stünde, dann sagt seine Zoologie uns nicht, was das ist oder wie sie es erreichen. Aristoteles’ Formen sind eigennützige Formen. Darüber hinaus gibt es eine Art von allumfassender Teleologie, die er ausdrücklich zurückweist. Die stärkste Form der allumfassenden Teleologie wäre eine, die postuliert, dass die Welt, vielleicht sogar der ganze Kosmos, ein einziger Superorganismus ist. So eine Welt wäre eine, über die Gaia mit einer Macht regiert, die über James Lovelocks wildeste Fantasien hinausgeht. Es wäre eine Welt wie James Camerons Pandora, deren Einwohner alle durch ein gewaltiges Signalübertragungsnetzwerk miteinander verbunden sind, deren Räuber weniger das ökologische Äquivalent zu Schakalen und Habichten sind, sondern zu Phagozyten, die durch den planetaren Kreislauf wandern, und deren Tiere sich in Reaktion auf den bangen Ruf zu den Waffen wie ein Tier erheben würden. Oder, da wir uns nicht im 22.  Jahrhundert n. Chr. befinden, sondern im 4. Jahrhundert v. Chr., es wäre eine Welt wie diejenige, die Platon im Timaios beschreibt. Platons wahrnehmbarer Kosmos ist eine Kopie einer einzelnen Form, des »intelligiblen Lebewesens«. Der Name sagt alles. Der Kosmos hat eine »Seele«. Er wurde vom Dēmiourgos gestaltet, aber auch für den Dēmiourgos. Selbst unsere Eingeweide sind so angeordnet, dass wir über Ihn nachsinnen können. Aber hier bezieht Aristoteles eindeutig Stellung: Der Kosmos hat keine Seele. (Obwohl, wie noch deutlich werden wird, das Himmelsreich auch nicht ganz frei von Leben ist.) Wegen dieses und anderer Gründe haben die meisten neueren Auslegungen der Metaphysik λ, 10 die Haushalt-Analogie in einem sehr schwachen Sinn verstanden. Sie argumentieren, wenn Aristoteles sagt, dass Lebewesen »gemeinsam in einer Beziehung zu einem Ding geordnet« sind, drückt er nur aus, was er schon so oft geschrieben hat: dass sie alle nach Ewigkeit streben. Und ich würde dem auch zustimmen, würden nicht drei Gründe dagegensprechen. Der erste lautet, dass diese Lesart die Analogie überflüssig macht. Warum sollte er sie dann überhaupt anführen? Der zweite ist, dass Aristoteles

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tatsächlich einige altruistische Arten beschreibt. Seltsamerweise gehören dazu auch Haie. Er erklärt, warum die Gesichter von Haien (und Delfinen) aussehen, wie sie aussehen. Sie haben schmale Schnauzen und ihr Maul befindet sich unten am Kopf und nach hinten versetzt. Diese Merkmale, meint er, machen sie zu ineffizienten Räubern, da sie ihr Maul nicht sehr weit öffnen können und sich auf den Rücken drehen müssen, um ihre Beute zu schnappen, wodurch die kleinen Fische entkommen können. Er erklärt diese Unbequemlichkeiten auf zwei Arten. Eine Erklärung lautet, dass dies verhindert, dass der Hai sich überfrisst. Das stimmt mit seinem üblichen Erklärungsstil überein. Er argumentiert häufig, dass Tiere eingebaute Beschränkungen der Menge an Nahrung haben, die sie fressen können, oder der Anzahl von Eiern, die sie legen können, oder der Menge an Sperma, die sie erzeugen können, und solche Beschränkungen, erklärt er stets weiter, sind die Konsequenz eines anderen Merkmals, das dem Tier nützt. Sie sind, wie wir es nennen würden, functional trade-offs. Es ist seine zweite Erklärung, die überrascht. Denn er sagt auch, dass Haie eine geringe Maulöffnung und nach ein hinten versetztes Maul haben, damit sie nicht all ihre Beute verschlingen (»Die Natur scheint dies um der Erhaltung anderer Tiere willen zu tun«). Haigesichter, so scheint es, sind nicht nur zum Nutzen der Haie gestaltet, sondern auch zum Nutzen der Sardinen.* Die Geschichte mit den Haigesichtern ist so seltsam, dass man versucht ist, sie als Aristoteles-untypischen Einschub abzutun. Das scheint jedoch unwahrscheinlich, da sie sowohl in Historia animalium als auch in De partibus animalium auftaucht. Die Verteidiger der Individualteleologie argumentieren daher manchmal, dass Aristoteles nur eine verbreitete Vorstellung wiedergibt – etwas von der Art, wie ein Fischer es erzählen könnte. Oder aber, subtiler, dass ein sardinenfreundliches Gesicht nur ein zufälliger Nebennutzen seiner wahren haifreundlichen Gestaltung ist. Ich bin mir da nicht so sicher. Ein Haigesicht, das Sardinen beim Überleben hilft, ist genau die Art von Merkmal, die wir erwarten würden, wenn die Welt, wie Metaphysik λ, 10 behauptet, wie ein Haushalt wäre. Tatsächlich glaube ich, dass dieser Abschnitt ein tief sitzendes, verstecktes Problem in Aristoteles’ Ökologie löst. Das ist mein dritter Grund, warum ich Aristoteles’ Haushalt-Analogie ernst nehme. Die meisten Wissenschaftler sind sich einig, dass Aristoteles glaubt, (i)

* Es gibt noch einen anderen Fall, in dem Aristoteles behauptet, dass ein Räuber Merkmale hat, die seiner Beute nützen: In Historia animalium 563a20 schreibt er, »es hieße«, dass nistende Adler auf Futter verzichten und dass ihre Klauen umgebogen werden, damit sie nicht die Jungen wilder Tiere belästigen. Die Datenlage ist schwach, die Lesart zweifelhaft und er geht nicht weiter darauf ein.

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Organismen seien für das Überleben und die Fortpflanzung gestaltet und (ii) Tiersorten seien ewig. Sie haben jedoch übersehen, dass diese beiden Überzeugungen insgesamt nicht kompatibel sind. Denn in einer Welt, in der Lebewesen miteinander interagieren, in der sie im Wettbewerb stehen und Jagd aufeinander machen, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass alle für immer fortbestehen werden. Tiere und Pflanzen rotten ihre Konkurrenten oft aus; Räuber fressen die Bestände einer Beuteart komplett auf und wenden sich dann der nächsten zu. Wenigstens ist das in unserer Welt so. In Aristoteles’ Welt jedoch ist das Aussterben keine Option; seine Metaphysik verlangt ein Gleichgewicht der Natur. Aristoteles, so behaupte ich, begreift, dass ein solches Gleichgewicht nicht automatisch aus einer eigennützigen Ansammlung von Lebewesen entsteht, sondern von der Natur so gestaltet werden muss. Für diese Denkweise gibt es zugegebenermaßen nur indirekte Belege. Um mit dem Beweis zu beginnen, der dem Thema am nächsten liegt: Er muss – wenn ich recht habe – ein gewisses Verständnis der Zerbrechlichkeit ökologischer Gemeinschaften gehabt haben. In Historia animalium sagt er im Zusammenhang mit Fischen, wenn »all ihre Eier erhalten blieben, wären sie von unendlicher Zahl«. Er ist auch beeindruckt von der außergewöhnlichen Fruchtbarkeit von Mäusen und spricht davon, wie sie sich manchmal so schnell vermehren, dass ihre Räuber ihre Bestände nicht einmal ansatzweise dezimieren können, dass sie ganze Ernten vernichten und dann plötzlich wieder verschwinden, aber niemand weiß, warum.* Seine Beschreibung deutet darauf hin, dass er von einem ungewöhnlichen Phänomen berichtet. Das ist auch so. In der Nikomachischen Ethik stellt er in der Erörterung »unmäßiger Gelüste« beim Menschen – er nimmt dazu eine recht strenge Haltung ein – die Frage, ob Tiere diese auch haben können. Seine warmherzige Antwort lautet, da Tiere nicht vernunftbegabt sind, bezeichnen wir sie in der Regel nur im Rahmen von Metaphern als »gemäßigt« oder »hemmungslos«. Doch, fährt er fort, manche Sorten von Tieren übertreffen andere im Hinblick auf »Lüsternheit, Zerstörungswut und omnivorer Gier« – er denkt dabei sicherlich an die bösartigen Mäuse – und sind eine Abweichung von dem, »was natürlich ist, wie es unter Menschen die Verrückten sind«. Solche Randbemerkungen sind sicherlich noch keine Ökologietheorie. Doch sie verraten uns, dass er einen Sinn für die normale Beziehung von Tierpopulationen zu ihrer Nahrung hat und dafür, dass diese Beziehung manchmal aus den Fugen gerät. Allgemeiner sagt er in der Einleitung zu

* In seinem Klassiker Voles, Mice and Lemmings: Problems in Population Dynamics von 1942 merkt Charles Elton an, dass dieser Abschnitt den Kern des Problems der Regulierung von Bestandszahlen enthält.

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seiner von den Wahrsagern abgeleiteten Darstellung der Konflikte zwischen Tieren in Historia animalium: »Es besteht ein Kriegszustand zwischen Tieren, die denselben Ort besetzen und ihren Lebensunterhalt [zōiē] aus denselben Quellen beziehen.« Es ist eins seiner wenigen expliziten ökologischen Prinzipien – dafür ein tiefgründiges.* Er sagt nirgendwo, dass Tiere aus Nahrungsmangel aussterben können. Andererseits erkennt er, dass eine angemessene Nahrungsversorgung für eine bestimmte Art nicht automatisch gegeben ist und dass Individuen und Arten angesichts begrenzter Ressourcen miteinander konkurrieren. Abschnitte, in denen es um ökologische Instabilität geht, sind in Aristoteles’ Werk jedoch dünn gesät. Er scheint zu glauben, dass die Natur gewöhnlich sicherstellt, dass es ausreichend Nahrung für alle gibt. In der Politik sagt er, wenn er die unterschiedlichen Weisen erörtert, auf die Menschen und Tiere ihr Leben bestreiten: Die Natur scheint bei allen für ein grundlegendes Auskommen zu sorgen, wenn sie neugeboren und wenn sie ganz erwachsen sind [meine Hervorhebung]. Einige Tiere (zum Beispiel Larven tragende und Eier legende Tiere) versorgen ihre Nachkommen mit ausreichend Nahrung, bis sie für sich selbst sorgen können. Für einen begrenzten Zeitraum haben lebend gebärende Tiere Nahrung für ihre Jungen in sich, Milch genannt. Ebenso sollten wir annehmen, dass Pflanzen nach der Geburt um der Tiere willen existieren und andere Tiere um der Menschen willen, die zahmen für Dienste und als Nahrung und die meisten wilden als Nahrung, für Kleidung und andere Zwecke. Wenn die Natur nichts ohne Zweck oder vergeblich tut, muss sie alle Tiere um der Menschen willen gemacht haben. Manche haben diesen Abschnitt so interpretiert, dass Aristoteles’ Teleologie eine rein anthropozentrische ist; dass er wie Xenophon vor ihm und die Stoiker nach ihm die Existenz der ganzen Welt und aller Tiere in ihr als nur zum

* Die Behauptung hier lautet nicht, dass Aristoteles Gauses Konkurrenzausschlussprinzip oder die Räuber-Beute-Dynamik nach Lotka und Volterra versteht, und das braucht er auch nicht, denn die Vorstellung, dass Tiere so gestaltet sind, dass sie ein Gleichgewicht der Natur fördern, war im alten Griechenland wahrscheinlich eine Binsenwahrheit. Herodot beispielsweise scheint zu behaupten, dass Räuber weniger Nachkommen haben, als sie könnten, um ihre Beute nicht gänzlich zu verspeisen: »Die göttliche Vorsehung scheint wahrlich, wie man vorher schon erwarten mag, ein weiser Pläneschmieder zu sein. Denn scheue Tiere, die für andere zur Beute werden, sind alle so gemacht, dass sie Junge im Überfluss hervorbringen, sodass die Art nicht vollkommen gefressen werden und verloren gehen kann; während wilde und schädliche Geschöpfe sehr unfruchtbar gemacht sind … [meine Hervorhebung].«

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Nutzen des Menschen betrachtet. Das kann er aber wirklich nicht meinen, da seine übrige Teleologie, wie ich bereits sagte, überwiegend auf das Überleben einzelner Tiere ausgerichtet ist. Aber zumindest deutet dieser Abschnitt darauf hin, dass Pflanzen, Tiere und Menschen miteinander durch eine Kette trophischer Beziehungen verbunden sind, dass sie voneinander abhängig sind und dass dies nicht nur ein Zufall ist, sondern dass die Natur die Dinge auf diese Weise angeordnet hat. Es gibt also eine Lesart, nach der vollkommenere Lebewesen weniger vollkommene als Instrumente für ihr Überleben einsetzen, indem sie sie fressen. Aber wessen Natur ist hier am Werk? Wenn Aristoteles sagt, dass die »Natur« dies oder das tut, meint er fast immer die formale oder materielle Natur eines bestimmten Tiers. Hier jedoch scheint sich die Natur auf eine höhere Organisationsebene zu beziehen. Es scheint die Natur des Kosmos selbst zu sein, für eine ausreichende Versorgung mit Nahrung für alle Tiere darin zu sorgen. Der Kosmos ist ein holon, ein Ganzes. Als solches ist er wie eine Seele, ein Haushalt, ein Staat oder sogar wie eine Tragödie – Aristoteles wendet den Begriff auf sie alle an. Mit »ein Ganzes« meint er ein komplexes Objekt, das mehr ist als die Summe seiner Teile, ein System. Aber Aristoteles weiß genau um die Zerbrechlichkeit von Ganzheiten. Seine Theorie der nährenden Seele ist letztendlich eine Darstellung der Materialflüsse und Regulationsmechanismen, die Tiere am Leben halten; seine Darstellung des Todes zeigt, wie sie versagen. Ein Großteil seiner politischen Theorie dreht sich um die Bedingungen, die die Stabilität des Staates sichern. Es wäre in der Tat seltsam, wenn er nicht erkennen würde, dass das, was für diese Ganzheiten gilt, auch für das größte, komplexeste Ganze gilt, das er kennt: den Kosmos selbst. Dies, glaube ich, ist die Stärke seiner Haushalt-Analogie. Sie stellt fest, wenn die Bestandteile der sublunaren Welt – all ihre Pflanzen- und Tierformen – auf ewig überleben sollen, dann müssen ihre Beziehungen genau so geordnet sein. Haie müssen ihren Appetit zügeln, denn täten sie das nicht, würden die Sardinen aussterben, und wenn die Sardinen ausstürben, wäre das schlecht für die Haie. In der Nikomachischen Ethik unterstreicht er das noch einmal. Er schreibt vom Unterschied zwischen wahrer Weisheit und reinem politischem Können oder »Umsicht«, womit er die Fähigkeit meint, einen Haushalt oder einen Staat zu führen. Er sagt, dass Umsicht für Menschen und für Fische etwas ganz Unterschiedliches bedeutet. Das ist unbestreitbar, wirft aber die Frage auf: Wie kann ein Fisch überhaupt umsichtig sein? Keiner seiner Fische ist nach irgendeiner Definition »politisch«. Meiner Meinung nach will er sagen, dass ein Fisch – ein Hai – umsichtig wie ein Mensch ist, indem er sein Einkommen verwaltet, indem er Völlerei meidet, indem er sein oikos – sein Heim – erhält und damit auch sich selbst. Er behauptet sogar, sie würden vorausschauen. Tiere sind in der Tat so gestaltet, dass sie ihre

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eigenen Interessen vertreten, aber weniger so, dass sie die Existenz anderer Sorten gefährden, denn das würde ihre eigene gefährden. Die hierarchische Dimension der Haushalt-Analogie ist sehr undeutlich, aber ich glaube, Aristoteles behauptet hier, dass Menschen und Tieren mehr unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, ihre Ziele zu erreichen, als zum Beispiel Pflanzen, deren einzige Funktion darin besteht, sich fortzupflanzen. Ob das so ist oder nicht, sein Haushalt beruft sich eindeutig auf eine weitaus schwächere Form einer allumfassenden Teleologie als Platons kosmischer Superorganismus, in dem alle Interessen sich denen des Dēmiourgos unterordnen. Sie entspricht eher – um auf eine andere organisatorische Analogie zurückzugreifen – der Art von gegenseitigem Eigennutz, wie er zwischen Industriekonzernen und den Myriaden von Unternehmen besteht, die sie mit den Komponenten beliefern, die sie brauchen. Alle streben hier dasselbe an – »das Vortrefflichste, was es gibt« – in ihrem Fall den Profit.* Diese Vision einer kosmischen Teleologie hat einen weiteren Vorteil. Sie schlägt eine Lösung vor – wenn auch eine unumwunden spekulative, für die kein Textbeleg existiert – für das Rätsel, warum es Spontanentwickler gibt. Aristoteles würde Macbeths düsterer Behauptung, das Leben eines Menschen sei nur Klang und Wut ohne Bedeutung, widersprechen. Als Biologe (statt als Politikwissenschaftler) würde er antworten, dass der Grund dafür, dass er geboren ist, heranreift und sich gegen die Wechselfälle der Welt behauptet, darin liege, dass er seine Form reproduzieren kann. Nicht so die Auster. Ihr Leben scheint nach seiner Darstellung wirklich ohne Zweck zu sein, da sie nichts fortbestehen lässt. Aber vielleicht ist diese Sichtweise zu eingeschränkt. Denn die Auster und all die anderen Spontanentwickler haben eins gemeinsam: Sie werden von anderen Lebewesen gefressen. Die meisten von ihnen stehen am unteren Ende der Nahrungskette. Vielleicht ist also der Zweck der Spontanentwickler, das Überleben der Lebewesen zu sichern, die sich von ihnen ernähren. Sie existieren, wie alle Lebewesen, um ihre Welt intakt zu halten. Es würde mir sehr gefallen, wenn Aristoteles’ Teleologie vollständig auf das Überleben von Individuen ausgerichtet wäre. Das würde ihr einen ziem-

* Oder ist Aristoteles’ umfassende Teleologie sogar noch stärker als das? Könnte es sein, dass, um meine Metapher auszuweiten, unsere Unternehmen nicht nur in einem kooperativen Netz auf der Suche nach Profit miteinander verbunden sind, sondern explizit von einer höheren Macht so gelenkt werden, um ein höheres Ziel zu erreichen? Das wäre eher so, wie das japanische Ministerium für internationalen Handel und Industrie (MITI) in den 1980er-Jahren die keiretsu-Konglomerate zum Wohle des nationalen Wirtschaftswachstums lenkte. Es gibt ein Spektrum von Möglichkeiten zwischen rücksichtslosem Individualismus und dem Status eines Superorganismus, und es ist schwer zu sagen, wo genau sich nach Aristoteles’ Meinung die Welt auf diesem Spektrum befindet.

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lich modernen Anschein geben – einen darwinistischen, wenn nicht gar neodarwinistischen. Aber wenn das Bild, das ich von Aristoteles’ Welt gemalt habe, korrekt ist, dann unterscheidet sie sich sehr von unserer. In unserer Welt maximiert die natürliche Auslese den kurzfristigen Fortpflanzungserfolg und ist der Ewigkeit gegenüber gleichgültig: »[Die natürliche Auslese] plant nicht für die Zukunft. Sie hat keine Vision, keine Voraussicht, sie sieht überhaupt nichts. Wenn man ihr die Rolle des Uhrmachers in der Natur zuschreibt, dann ist sie der blinde Uhrmacher.«* Ganz genau. In unserer Welt bringen daher die Arten einander zum Aussterben. Um 1280 brachten die Maori die Pazifische Ratte nach Neuseeland. Sie vernichtete fünf Arten einheimischer Vögel und drei Froscharten sowie eine Vielzahl von Echsen-, Insekten- und Landschneckenarten. Die Maori selbst brachten neun Moa-Arten zum Aussterben, indem sie sie jagten und aßen. Heute marodieren importierte europäische Raubtiere – Wanderratten, Hausratten, Hermeline, Wiesel und Katzen – durch die Reste der einheimischen Fauna. Wenn es in unserer Welt ein »Gleichgewicht der Natur« gibt, dann handelt es sich nur um den vorübergehenden Waffenstillstand gleich starker Gegner, die nach ihrer Schlacht in der Arena des ökologischen Krieges erschöpft zwischen den Leichen derer stehen, die weniger Glück hatten und weniger gut ausgestattet waren. Aristoteles’ Welt ist nicht freundlicher, denn in ihr gibt es keine Waffenstillstände, nur Schlachten, die ohne Pause immer weitergehen, bis in alle Ewigkeit.

akanthias galeos – Dornhai – Squalus acanthias

* Aristoteles’ Hai ist offenbar ein »umsichtiger Räuber«. Den Ausdruck prägte Lawrence Slobodkin 1961 in Growth and Regulation of Animal Populations, aber es war V. C. Wynne Edwards, der 1962 in Animal Dispersion in Relation to Social Behaviour argumentierte, dass umsichtige Räuber durch Gruppenselektion entstehen könnten. Allgemeiner führte Wynne Edwards an, dass ökologische Gemeinschaften als homöostatische Systeme betrachtet werden sollten, und er interpretierte unzählige Aspekte tierischer Verhaltensweisen in diesem Sinne. George C. Williams demontierte 1966 in Adaptation and Natural Selection diese Sichtweise. Er wies darauf hin, dass Gruppenselektion eine sehr schwache Kraft ist und dass fast alle Anpassungen, einschließlich Prädationsverhalten, sich besser als Ergebnis individueller oder genetischer Selektion interpretieren lassen. Trotz des Revivals der Gruppenselektion in jüngster Zeit ist das heute noch eine solide Schlussfolgerung.

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lle Experten sind sich einig, dass die Welt einen Anfang hat, aber einige [Orpheus, Hesiod und Platon] behaupten, dass sie, nachdem sie begonnen hat, unvergänglich ist; andere [Demokrit] sagen, dass sie wie jeder andere natürliche Gegenstand dem Verfall unterliegt; und wieder andere [Empedokles, Heraklit], dass sie wechselt, in einem Augenblick so ist, wie sie jetzt ist, und in einem anderen sich ändert und dem Verfall unterliegt, und dass es dieser Prozess ist, der sich ohne Unterlass fortsetzt … Nun, die Vorstellung, dass sie einen Anfang hat, aber immer währt, ist ganz unmöglich. … So Aristoteles in seiner kosmologischen Abhandlung Über den Himmel. Er sagt den verschiedenen Theorien einen fairen Prozess zu, aber eigentlich will er Argumente für seine eigene bringen. Die beruht auf der – neuen – Behauptung, dass das Universum ewig ist, dass es keinen Anfang hat und niemals enden wird. Da die Formen der Lebewesen ewig sind, braucht er natürlich einen ewigen Kosmos, der sie beherbergt. Dennoch führt er eine Reihe unabhängiger Argumente für einen solchen Kosmos an. Einige seiner Argumente für die Ewigkeit des Kosmos sind rein semantisch, die meisten sind verworren. Das klarste von ihnen taucht in der Physik auf. Es konzentriert sich auf die notwendige Existenz nicht etwa kosmischer Materie, sondern kosmischer Veränderung. Veränderung ist das Thema seiner Wissenschaft und da alle natürlichen Wesenheiten ein internes Prinzip der Veränderung besitzen – eine physis –, ist der Beweis der Ewigkeit der Veränderung auch der Beweis der Ewigkeit der Gegenstände der Veränderung. Aristoteles’ Beweis gründet sich auf der notwendigen Existenz vorausgehender Ursachen. Das Argument ist abstrakt, aber ein konkretes Beispiel, das Schicksal des Aischylos, verdeutlicht es. Damit Aischylos von einer herabstürzenden Schildkröte getötet wird – würde Aristoteles argumentieren –, müssen der Dramatiker und die unmittelbare Ursache seines Todes, eine Schildkröte mit hoher Geschwindigkeit, erst einmal vorhanden sein. Das erscheint offensichtlich genug. Damit die Schildkröte fällt, muss ein existierendes Ding sich verändert haben: Ein Adler, der seine Klauen geöffnet hat. Damit der Adler seine Klauen öffnete, müssen existierende Dinge sich verändert haben: die sensitive Seele des Adlers – das kognitiv-motorische System, das Aischy-

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los’ Kopf wahrgenommen, die Ziele und Wünsche des Adlers erwogen, sein pneuma abgegeben und seine Klauen gespreizt hat. Damit die Seele des Adlers … aber nun ist klar, worum es geht: Egal, wie weit man zurückgeht, jede beobachtete Veränderung impliziert notwendigerweise die Existenz einer vorausgehenden Veränderung und die Existenz von Objekten und Subjekten der Veränderung – die Veränderung ist also ewig. Aristoteles’ Argument ist eine Verallgemeinerung des Arguments für die Ewigkeit von Formen/Sorten – wobei die organismische Entstehung eine Sonderform der Veränderung ist. Sie ist gut, wenn die Physik vollständig deterministisch funktioniert. In einem deterministischen Kosmos voller Veränderungen muss die Veränderung so lange existiert haben, wie die Zeit existiert hat, und Aristoteles fährt ein weiteres Argument auf, um zu zeigen, dass die Zeit weder einen Anfang noch ein Ende hat. Wir könnten erwarten, dass dies das Ende der Geschichte ist, aber das ist es nicht. »Die Ewigkeit ist ein furchtbarer Gedanke. Ich meine, wo soll das enden?«, sagte Tom Stoppards Rosenkranz; Aristoteles dagegen macht sich Sorgen, dass sie genau das tun könnte. Er sorgt sich, dass die Kausalkette reißen könnte. Denn seine Physik basiert auf der vernünftigen Vorstellung, dass ein Gegenstand in Bewegung schließlich auf natürliche Weise zum Stillstand kommen wird. Bevor er das tut, kann der Gegenstand Kontakt zu einem anderen Gegenstand aufnehmen und ihn damit in Bewegung setzen, aber schließlich verbraucht sich die Kraft, als wenn man einen Stein in einen Teich wirft und die Wellen immer schwächer werden und schließlich ganz vergehen.* Um also die Welt in Bewegung zu halten, braucht Aristoteles eine stetige Quelle der Veränderung, einen kosmischen Motor. Um einen zu finden, sieht er zum Himmel auf. Die Ägypter und die Babylonier, sagt Aristoteles, beobachten den Himmel seit vielen Generationen und seine Bewegung variiert niemals.** Wenn etwas die ewige Bewegung auf Erden garantieren kann, dann die Sterne. Wenn Aristoteles Biologie betreibt, spürt man seine Einsamkeit. Natürlich konnte er mit Theophrastos reden und später mit seinen Schülern, aber wer unter seinen Zeitgenossen scherte sich schon um Schwämme und dergleichen – der schrullige alte Speusippos vielleicht? Möglich. Astronomie war etwas anderes. In der Mitte des 4. Jahrhunderts gab es ein Netzwerk mathe-

* Galileo dagegen würde argumentieren, dass ein Gegenstand in Bewegung nur dann zur Ruhe kommt, wenn ihm eine gleiche Kraft entgegenwirkt. Das ist sein Trägheitsprinzip, von Newton im ersten newtonschen Gesetz kodifiziert. Aristoteles kennt kein Trägheitsprinzip. ** Aristoteles weiß um Kometen und Meteoriten, aber er hält sie für sublunare Phänomene. Griechische Astronomen verzeichneten offensichtlich keine Novae und Supernovae, frühe chinesische Astronomen dagegen schon.

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matischer Astronomen, das die hellenische Welt umspannte.* Zwei von ihnen, Eudoxos von Knidos und Kallippos von Kyzikos, waren mit Aristoteles an der Akademie. Ersterer war ein erstklassiger Mathematiker, dessen Lehrer Archytas von Tarent gewesen war, der Begründer der mathematischen Mechanik. Aristoteles ist ihnen gegenüber ungewöhnlich großzügig. Dies ist die Verteidigung des Verbaltheoretikers gegenüber den Kollegen, die die entsprechenden Berechnungen tatsächlich anstellen können. (Wie gut ich das kenne!) Als Aristoteles jedenfalls ein geometrisches Modell des Kosmos braucht, führt er einfach ihres weiter aus. Dieses Modell postulierte eine kugelförmige Erde** in der Mitte mehrerer konzentrischer Kugeln, in die die Himmelskörper eingebettet waren. Das System (oder vielmehr die Systeme, da Kallippos das von Eudoxos verbesserte oder wenigstens abänderte) war komplex und hauptsächlich dazu entworfen, um die retrograde Bewegung der »Wanderer« (planētēs) zu erklären – die eigenartige Weise, wie sie über den Nachthimmel tanzten, statt über ihn hinwegzuziehen wie die gewöhnlichen Sterne.*** Die Einzelheiten interessieren uns hier nicht weiter; soweit es Aristoteles betrifft, ist dies gar keine Naturwissenschaft. Die Modelle der mathemati-

* Nehmen wir nur einmal Eudoxos’ Karriere. Er wurde um 390 in Knidos in Kleinasien geboren und reiste als junger Mann nach Athen, um kurz an der neu gegründeten Akademie zu studieren. Anschließend zog er nach Heliopolis in Ägypten, um Astronomie zu lernen, und offenbar auch nach Italien, um mit Archytas, einem Freund von Platon, und mit Philistion von Lokroi zu studieren, einem philosophischen Arzt. Offenbar war er sehr arm; dank seiner Freunde und der Leidenschaft für sein Fach blieb er jedoch bei der Stange. Nach weiteren Reisen kehrte er an die Akademie zurück, wo er Aristoteles kennenlernte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon eigene Schüler, unter ihnen Kallippos, der sich später Aristoteles am Lyzeum anschloss. Eudoxos kehrte schließlich nach Knidos zurück, wo er ein Observatorium errichtete und den Rest seiner Tage mit der Betrachtung der Sterne verbrachte, Vorlesungen hielt und legislative Arbeiten für die Stadt ausführte. ** Aristoteles sagt, dass der Umfang der Erde auf 400.000 Stadien geschätzt wurde (von wem, sagt er nicht). Es besteht eine große Unsicherheit über die Länge des antiken Stadions, einer Wettlaufdistanz: Die Schätzungen liegen zwischen 150 und 210 Metern, aber wenn man den Median nimmt, also 180 Meter, ergibt Aristoteles’ Zahl 72.000 Kilometer, 1,8-mal so viel wie der tatsächliche Umfang am Äquator. Eine Generation später sollte Eratosthenes den Erdumfang auf 250.000 Stadien oder 45.000 Kilometer schätzen, also den 1,2-fachen tatsächlichen Umfang. Ich bin beeindruckt. Aristoteles fügt einige biogeografische Beweise für die Kugelgestalt der Erde hinzu: Es gibt Elefanten in Afrika und Asien, also haben diejenigen, die die Existenz einer durchgehenden westlichen Landmasse zwischen den Säulen des Herakles und Indien behaupten, vielleicht recht. Genau so argumentierten später Alfred Russel Wallace und Alfred Wegener mit der Biogeografie für (prähistorische) Verbindungen zwischen Landmassen. *** Die Retrogradation wurde von Kopernikus erklärt, indem er den antiken geozentrischen Kosmos aufgab. Wenn, erklärte Kopernikus, die Erde ein Planet ist, der wie alle Planeten um die Sonne kreist, dann verschiebt sich unsere Position im Verhältnis zu den anderen Planeten auf komplexe Weise so, dass sie manchmal die relative Richtung zu den Sternen umzukehren scheinen.

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schen Astronomen mögen himmlische Ereignisse beschreiben; sie mögen »die Phänomene (phainomena) retten« – die Formulierung wird Platon zugeschrieben –, und obwohl das wichtig ist, reicht es nicht aus. Die Sterne sind nicht nur mathematische Konstrukte, sie sind natürliche Gegenstände; natürliche Gegenstände sind die Objekte der Naturwissenschaft und Naturwissenschaft braucht kausale Erklärungen. Woraus besteht der Himmel? Warum rotiert er? Nicht nur, dass die Astronomen auf solche Fragen keine Antworten hatten, sie kamen nicht einmal darauf, sie zu stellen.

Retrograde Bewegung von Mars vor den Sternen, August 2003

Von allen natürlichen Gebilden in Aristoteles’ Kosmos sind die Himmelskörper – der Mond, die Sonne, die Planeten und vor allem die Sterne – die vollkommensten und göttlichsten. Sie sind, gibt er zu, am schwierigsten zu untersuchen: Sie sind so weit weg und wir wissen so wenig über sie, aber das sollte uns nicht davon abhalten zu versuchen, sie zu verstehen. Wenn wir schwierige Probleme angehen, sollten wir selbst mit bescheidenen Ergebnissen zufrieden sein. Wir finden mehr Glück selbst in einem flüchtig erhaschten Blick auf das Gesicht eines geliebten Menschen als in dem unverstellten Blick auf alltägliche Dinge. Aristoteles geht die Himmelskörper in Über den Himmel an. Er behauptet, dass die Himmelskörper, ja die Sphären, in die sie eingebettet sind, aus einer einzigartigen Substanz bestehen – dem »ersten Element«, to prōton stoicheion, traditionell aithēr genannt. Das bringt die Gesamtzahl der aristotelischen Elemente auf fünf. Wie den vier sublunaren Elementen ein natürliches Prinzip

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von Veränderung und Ruhe innewohnt, so gilt das auch für aithēr. Wie immer hält Aristoteles auch hier Ausschau nach einem Kreis, wenn er die Ewigkeit sucht; er hält dies für die einfachste aller Bewegungen.* Also postuliert er, dass die natürliche Bewegung des aithēr die Kreisbewegung ist, dass er aber keinen natürlichen Ruheort hat. Er gehört nicht zum Vier-Elemente-Transformationszyklus, also ist er auch unzerstörbar. Der elementare aithēr war umstritten. Im Timaios äußerte Platon die konventionelle Ansicht, dass die Sterne aus Feuer bestünden. Proklos schrieb im 5. Jahrhundert n. Chr., dass die Platoniker aithēr für absolut barbarisch hielten. Einige von Aristoteles’ peripatetischen Nachfolgern ließen ebenfalls wieder davon ab. (Im Mittelalter kam er wieder auf.) Doch seine Gründe dafür, sich so etwas auszudenken, waren überzeugend. Bestünden die Sterne aus einer Kombination der herkömmlichen sublunaren Elemente, wäre es schwierig, die herrliche Regelmäßigkeit ihrer Bewegungen zu erklären – aithēr kann das mühelos. Aithēr sorgt auch für die ewige Existenz. Er bedeutet, dass die Sterne sich nicht mit dem inneren Aufruhr der Elemente abgeben müssen, der letztlich alles auf der Erde zerstört, einschließlich uns. Der seltsamste Aspekt an Aristoteles’ Kosmologie ist jedoch nicht ihre Chemie, sondern seine Anwendung teleologischer – funktioneller – Argumentationen auf den Himmel. Wenn er sagt, dass die Himmelskörper um die Erde kreisen, weil sie aus aithēr bestehen, liefert er nur die Stoffursache und die Wirkursache. Aber wie immer will Aristoteles auch eine Zweckursache. Die Himmelskörper kreisen aus demselben Grund, aus dem sich Tiere und Pflanzen vermehren: um ewig zu sein. Eine seltsame Behauptung – warum sollten die Sterne sich überhaupt aus irgendeinem Grund bewegen? Seltsam vielleicht, aber das ist erst der Anfang. Aristoteles untersucht den Mechanismus ihrer Bewegung. Er will zeigen, dass jeder Stern nicht durch eigenen Antrieb dahinzieht, sondern dass sie kollektiv in einer einzigen, rotierenden aithēr-Sphäre transportiert werden. Er liefert mehrere Beweise dafür: Sie bewegen sich alle synchron, daher scheint die Beförderung die ökonomischste Erklärung zu sein – er vergleicht sie mit Schiffen, die in einem Fluss dahingetragen werden. Wenn sie sich darüber hinaus tatsächlich selbst bewegen würden, müssten wir sie rollen sehen; aber der Mond rollt nicht, da wir immer sein »Gesicht« sehen können. Und hier noch ein weiteres Argument: Wenn sie sich von selbst bewegten, müssten sie entsprechende Anhängsel für diesen Zweck haben – Füße, Flossen oder Flügel –, aber die haben sie

* Hier liegt einer der fundamentalen Unterschiede zwischen der aristotelischen und der newtonschen Physik: In Letzterer ist die Bewegung in gerader Linie die einfachste mögliche Bewegung; eine Kreisbewegung erfordert eine zusätzliche Zentripetalkraft.

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nicht. (Aristoteles macht sich nicht die Mühe, darauf hinzuweisen, dass niemand je Flügel am Mond gesehen hat. Das ist wohl offensichtlich.) Aber es kann nicht sein, fährt er fort, dass die Natur einfach vergessen hat, ihnen Bewegungsanhängsel zu geben; schließlich sind die Himmelskörper vollkommen für das entworfen, was sie tun – wesentlich besser (behauptet er) als jedes Tier. Ihre Fortbewegungsmethode muss also von einer Art sein, die keine Anhängsel erfordert: Beförderung in einer kristallenen aithēr-Sphäre. Es ist einfach, Aristoteles’ teleologische Erklärungen von Tierkörpern in die Sprache des adaptationistischen Designs der modernen Biologie zu übersetzen. Aber Himmelskörper? Die Planetenwissenschaft sagt uns, dass der Mond rund ist und um die Erde kreist, weil die rohe Physik ihn dazu zwingt; der Umstand, dass er keine Flügel hat, wird dabei nicht einmal zum Thema. Aber genau darum geht es. Für uns sind Sonne, Mond und Sterne unbelebt, für Aristoteles sind sie lebendig – so lebendig wie eine Biene, ein Elefant oder Sie. In gewisser Hinsicht sind sie sogar lebendiger; sie sind die vollkommensten aller Lebewesen. Der Kosmos als Ganzes hat vielleicht keine Seele – ein Stern aber schon. Aristoteles’ Himmelsbiologie ist etwas vage – wie könnte es anders sein? –, denn manchmal behauptete er, dass nicht die Sterne (oder Planeten) selbst lebendig sind, sondern die Sphären, in die sie eingebettet sind. Sterne oder Sphären, jedenfalls gibt es Leben da draußen. Ist das eine weitere von Aristoteles’ kosmologischen Nova? »Aber wir stellen sie uns nur als Gegenstände vor und als Einheiten, die eine Ordnung besitzen, dennoch sind sie vollkommen ohne Seele. Sie müssen jedoch als etwas angenommen werden, das Leben und Aktivität besitzt.« Er erweitert sogar seine zoologische Leiter der Vollkommenheit nach oben. Die Sterne oder ihre Sphären sind aufgrund ihrer Bewegungen – und daher die Mittel, durch die sie ihr Ziel erreichen – die vollkommensten; Planeten, Sonne und Mond sind mit zunehmender Nähe zur Erde immer weniger vollkommen. Die bewegungslose Erde hat überhaupt kein Ziel. Wie jede Pflanze und jedes Tier sind die Himmelskörper im Allgemeinen dazu gestaltet, ihre eigenen Ziele zu erfüllen. Aber sie stehen den sublunaren Angelegenheiten nicht vollkommen gleichgültig gegenüber. Die Sterne führen in ihren unveränderlichen Umlaufbahnen eine sehr einfache Bewegung aus, aber die anderen Himmelskörper nicht. Die Planeten laufen rückwärts und die Sonne bewegt sich nicht nur von Osten nach Westen, sondern vollzieht auch eine sekundäre West-Ost-Bewegung entlang der Ekliptik. Genau diese Bewegungen versuchten die Modelle der mathematischen Astronomen zu beschreiben. Aristoteles jedoch möchte diesen komplexeren Bewegungen ebenfalls ein Ziel geben. Die sekundären Bewegungen der Sonne und des Mondes steuern die Jahreszeiten auf der Erde und somit den sublunaren

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Elementezyklus, der die Welt davon abhält, zu einer Zwiebel zu werden. Aber, so scheint er zu behaupten, dies ist nicht nur die Konsequenz der materiellen Notwendigkeit, es ist der Grund dafür, dass diese sekundären Bewegungen existieren. Man beachte die Richtung der Kausalität. Die sublunaren Elemente vollziehen nicht einfach einen Kreislauf, weil die Sonne eine sekundäre Bewegung ausführt; die Sonne führt eine sekundäre Bewegung aus, damit die sublunaren Elemente einen Kreislauf vollziehen. Aristoteles scheint das Prinzip der bedingten Notwendigkeit aus seiner Zoologie, nach dem die Merkmale eines lebendigen Tieres so gestaltet sind, dass sie zueinander passen, auf den Kosmos als Ganzes anzuwenden. In der Haushalt-Analogie der Metaphysik λ, 10 geht es also nicht nur darum, wie sublunare Lebewesen in ihrer Existenz voneinander abhängig sind, sondern auch darum, wie sie von den Handlungen der Lebewesen abhängig sind, die die Erde umkreisen. Wesenheiten weiter oben und weiter unten in der Lebenskette sind miteinander durch ein in alle Richtungen gespanntes Netz von Vorteilen verbunden. Aristoteles’ Ökologie ist im wahrsten Sinne des Wortes von kosmischem Ausmaß. Deshalb nennt er in Über Entstehen und Vergehen (De generatione et corruptione) die Sonne den »Erzeuger« und deshalb wandelt er in der Physik sein übliches Motto »ein Mensch entsteht aus einem Menschen« ab zu »ein Mensch entsteht aus einem Menschen und der Sonne [meine Hervorhebung]«. Das ist nicht nur eine Aussage über die Verbundenheit aller Dinge, es ist die Erklärung eines kosmischen Zweckes. Das ganze Schema ist herrlich absurd. Ganz abgesehen von der Behauptung, dass die Himmelskörper lebendig sind, erscheint uns selbst die schwächere Behauptung eines gestalteten Universums merkwürdig. Kein Astronom glaubt, dass eins der Merkmale des Universums – Monde, Planeten, Sterne, Nebel, schwarze Löcher, Supernovae, Galaxien – Anzeichen für eine Gestaltung zeigen. Außerhalb der Biologie hat die Teleologie keinen Platz in der wissenschaftlichen Erklärung kosmischer Ordnung. Das Universum ist einfach. Tatsächlich? Im Zentrum der modernen Physik liegt ein tiefes Geheimnis. Das Standardmodell der Teilchenphysik und das Lambda-CDM-Modell des Kosmos*, die unser Universum so gut erklären – zumindest in Größenordnungen zwischen 10-21 und 1025 Meter –, enthalten rund dreißig Eingabeparameter, zum Beispiel die Massen der Elementarteilchen und die Stärke der drei Grundkräfte der Physik (elektroschwache Kraft, starke Kernkraft und Schwerkraft). Viele sind dimensionslos und nehmen offenbar beliebige Werte an – würden sie allerdings vom Beobachteten abweichen, würde das Universum, wie wir es kennen, nicht existieren. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die kosmologische Konstante λ entspricht annähernd der Masse-EnergieDichte eines Wasserstoffatoms pro Kubikmeter. Nach der Quantentheorie

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müsste sie viel größer sein, doch wäre sie es, hätte sich unser Universum so schnell ausgedehnt, dass weder die Galaxien noch wir heute hier wären. Zweites Beispiel: Neutronen sind etwa 0,1 Prozent schwerer als Protonen. Wäre das Gegenteil wahr, würden Protonen zu Neutronen zerfallen, Wasserstoff wäre instabil und die konventionelle Chemie würde nicht existieren. Dies ist bekannt als das »Problem der Feinabstimmung«. Einige Physiker haben versucht, die kosmische Feinabstimmung wegzuerklären, indem sie das »schwache anthropische Prinzip« ins Feld führten, das besagt: Wären die physikalischen Konstanten des Universums nicht so, dass Sterne, Planeten, Leben und intelligentes Leben entstehen könnten, wären wir nicht hier und könnten uns darüber wundern, dass sie doch entstanden sind. Das ist wahr, löst aber das Problem nicht. Wenn es nur ein Universum gibt und nur einige Lösungen im Parameterraum, der zur Entstehung empfindungsfähigen Lebens passt, dann stehen die Chancen, dass die Natur alles richtig gemacht hat, wortwörtlich astronomisch schlecht. Wie Aristoteles sagte, als er Demokrit et al. kritisierte: »Sie [die Materialisten] behaupten, dass der Zufall nicht verantwortlich für die Existenz oder Entstehung von Tieren und Pflanzen ist … und doch behaupten sie gleichzeitig, dass die himmlische Sphäre und das göttlichste der sichtbaren Dinge spontan entstanden, obwohl sie eine solche Ursache weder Tieren noch Pflanzen zugestehen.« Die empirischen Regelmäßigkeiten, die Aristoteles und moderne Kosmologen verwirren, sind unterschiedlich, die Wurzel des Problems ist dieselbe. Nehmen wir ex hypothesi einmal an, dass der Kosmos die Signatur der zielgerichteten Ordnung trägt, den Stempel der Gestaltung. Woher stammen sie? Es gibt drei, und nur drei, mögliche Antworten. Die erste beruft sich, wie Platon es tat und die Christen es immer noch tun, auf einen wohlwollenden Schöpfer, der die Dinge genau so geordnet hat. Die zweite beschwört, wie Demokrit es tat und Epikur es noch tun würde, ein unendliches Universum herauf – denn die Unendlichkeit löst alle Dilemmata geringer Wahrscheinlichkeiten. Die erste Antwort können wir verwerfen, zur zweiten habe ich keine Meinung, auch wenn manche Kosmologen sie für wahr halten.* Als Biologe jedoch gefällt mir die dritte, denn sie hängt vom einzigen bekannten Mechanismus ab, der Ordnung aus der Unordnung schaffen kann: natürliche Auslese. Dies ist die Argumentation hinter der kosmologischen Selektionstheorie, die die Existenz einer Population von Universen zur Debatte stellt – ein Multiversum also. Weiterhin pflanzen diese Universen sich fort, und zwar mit ungleichem Erfolg, und übertragen ihre physikalischen Konstanten mit eini-

* CDM = Cold Dark Matter (kalte dunkle Materie).

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gen möglichen Mutationen an ihre Kinder-Universen. Die Theorie ist nicht mehr und nicht weniger als kosmischer Darwinismus und ein schneller Weg zu einem Universum, das je nach Fitnessfunktion jede beliebige nicht tödliche Kombination von Parameterwerten besitzt. Eine Multiversumtheorie postuliert, dass Universen durch schwarze Löcher Baby-Universen zur Welt bringen. In diesem Fall wäre die Anzahl der schwarzen Löcher in unserem Universum (Millionen) ein Gestaltungsmerkmal. Die Plausibilität der Physik soll uns dabei nicht abschrecken, aber lässt man diese Physik oder ein ähnliches Schema zu, dann wird klar, dass die natürliche Auslese unter Universen funktioniert. Wenn sie funktioniert hat, wären einige Merkmale des Universums nicht etwa das reine Produkt roher materieller Notwendigkeit, sondern teleologisch erklärbar wie die Teile eines Elefanten. Ein solcher Kosmos hätte einen Zweck. In so einem Kosmos würde Aristoteles sich sicher zu Hause fühlen. Und doch würde er eine selektionistische Erklärung für seinen Ursprung ablehnen, so wie er einen Schöpfer und Zufall ablehnen würde. Fragte man Aristoteles, wie der Kosmos mit seinen zielgerichteten Merkmalen entstanden ist, würde er sagen: Das ist eine bedeutungslose Frage, da der Kosmos nicht entstanden ist. Er ist einfach und war immer und wird immer sein, für immer und ewig. Von all seinen Theorien ist diese, glaube ich, diejenige, mit deren Verständnis wir die größten Schwierigkeiten haben.

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ir kommen Gott näher. Ich habe schon beiläufig erwähnt, dass Aristoteles’ Auffassung zufolge Sterne, Menschen und sogar Bienen »göttlich« sind, aber vielleicht haben Sie das ja als eine reine Façon de parler aufgefasst, Aristoteles’ Art eben, Schönheit, hohe Intelligenz oder ein kompliziertes Sozialleben zu beschreiben. Gott ist sogar ein- oder zweimal namentlich erwähnt worden, aber vielleicht meinten Sie, Er sei nur eine Metapher für etwas wie Platons absolutes Gutes. Wenn dem so ist, dann ist es zweifellos meine Schuld. Ich habe Aristoteles’ theos verborgen gehalten. Es könnte sogar sein, dass ich das mit Absicht tat, dass ich mich sträubte zu enthüllen, in welchem Ausmaß das wissenschaftliche System meines Helden

* Um die Feinabstimmung zu erklären, müsste ein unendliches Universum eine unendliche Anzahl an lokalen Variationen in den physikalischen Parameterwerten enthalten und nicht nur diejenigen, die wir im beobachtbaren Universum sehen. Eigentlich wäre das ein Multiversum.

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von Religion durchzogen ist. Doch das ist es. In Wahrheit war Gott die ganze Zeit bei uns. Warum glaubt Aristoteles, dass die Sterne lebendig sind? Er gibt mit Sicherheit keine Belege dafür. In Über die Seele (De anima) sagt er: »Das Leben nennen wir ein in sich selbst bewirktes Ernähren, Wachsen und Absterben« – aber die Sterne, sagte er auch, tun nichts dergleichen. Weder haben sie noch brauchen sie Organe. Richtig, er behauptet, sie hätten Seelen und sie vergnügten sich dort oben, aber woher weiß er das? Es ist nur eine Behauptung. Eine bizarre Haltung – wenigstens für einen Wissenschaftler, der sich so zurückhaltend über die Fortpflanzungsgewohnheiten von Bienen äußert. Er scheint ein wenig sternenverliebt zu sein: Die Gründe, warum der erste Körper [aithēr] ewig ist und weder Zunahme noch Abnahme unterliegt, sondern nicht alternd und unveränderlich und unverändert ist, wird deutlich aus dem, was zu jedem gesagt wurde, der an unsere Annahmen glaubt. Unsere Theorie scheint die Erfahrung zu bestätigen und von ihr bestätigt zu werden. Denn alle Menschen haben eine Vorstellung von der Natur der Götter und alle, die überhaupt an die Existenz von Göttern glauben, ob Barbaren oder Griechen, sind sich darin einig, der Gottheit den höchsten Platz einzuräumen [meine Hervorhebung], sicherlich deswegen, weil sie annehmen, dass das Unsterbliche mit dem Unsterblichen verbunden ist und jede andere Vermutung als unvorstellbar betrachten. Was zeigt, dass er auch gottverliebt ist. Es gibt einen Abschnitt in der Metaphysik, in dem Aristoteles religiöse Archäologie betreibt. Unsere entfernten Vorfahren, sagt er, haben uns eine Tradition übergeben, dass die himmlischen Wesenheiten Götter sind und dass das Göttliche die gesamte Natur umfasst. Später jedoch wurden mythische Elemente hinzugefügt – die zoomorphen und anthropomorphen Götter der Volksreligionen. Aber sie wurden nur für »die Masse« erfunden und weil sie »nützlich« waren. (Nach meinem Verständnis brauchte der Mob also hübsche Statuen zum Anbeten und der Staat brauchte die Religion, um den Mob unter Kontrolle zu halten.) Aber, fährt er fort, wir sollten die ursprünglichen »göttlichen Äußerungen« von diesen späteren Zusätzen trennen … Damit hat Aristoteles eine neue Theologie erfunden, die nahtlos prähistorischen Aberglauben mit modernster Technik verwebt. Immer wieder bezieht er sich auf eine altertümliche Ansicht über die Götter – dass sie im Himmel wohnen, unsterblich sind oder unveränderlich – und zeigt dann mit einem Fanfarenstoß ihre Übereinstimmung mit der Kosmostheorie auf. Der Grund

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also – der einzige Grund, soweit ich sehe –, warum Aristoteles glaubt, dass die himmlischen Sphären lebendig sind, liegt darin, dass er glaubt, sie seien Götter. Aristoteles sagt, dass die Theologie kein Zweig der Naturwissenschaft ist. Sie ist, in seinen Worten, erste Philosophie, ein Zweig unserer Metaphysik; Naturwissenschaft ist zweite Philosophie. Verschiedene Wissensgebiete, sagt er außerdem, sollten klar getrennt bleiben, da sie von verschiedenen Grundbegriffen abhängen. Doch in seiner hartnäckigen Suche nach intellektuellem Lebensraum übertritt er selbst die Grenzen zwischen den Disziplinen, wie es ihm gefällt. Er erörtert die Natur der Götter nicht nur in der Metaphysik, sondern auch in Über den Himmel, Über die Seele, Über Entstehen und Vergehen und der Physik. Sogar in De motu animalium tauchen sie auf. Es kann auch kaum anders sein, da die Funktionsweise der Welt auf so viele Weisen von ihnen abhängt. Die Rotationen der Himmelssphären sind die ultimative Wirkursache aller natürlichen sublunaren Veränderungen. Als Wirkursachen können die Himmelssphären den Kosmos in Bewegung halten, unabhängig davon, ob sie tot, lebendig oder göttlich sind. Aber Aristoteles baut auch darauf, dass sie den Geschöpfen des Kosmos ihre Ziele geben, und dafür müssen sie Götter sein. Aischylos starb als ahnungsloses Instrument für die Ziele eines Adlers. Dessen Ziel (dürfen wir annehmen) bestand lediglich darin, die Schildkröte an seine unersättliche Brut zu verfüttern. Indem er das tat, versuchte er, die ewige Bewegung der Sterne nachzuahmen – nicht die versteinerte Vollkommenheit kristallener Sphären, sondern die Unsterblichkeit lebendiger Gottheiten. Alles, was er wollte, war eine kleine Scheibe vom Ewigen. Und wenn wir unsere Partner ansehen, wollen wir das schließlich alle. Wovon hängen die Bewegungen der Gott-Sphären ab? Man kann sich vorstellen, dass sie von gar nichts abhängen, schließlich sind es Götter. Außerdem bestehen sie aus aithēr, der sich einfach natürlicherweise im Kreis bewegt. Das scheint tatsächlich die Theorie zu sein, die Aristoteles in Über den Himmel vorlegt; in der Metaphysik und der Physik jedoch präsentiert er eine andere oder vielleicht verschiebt er auch nur die Betonung. In dieser zweiten Version bewegen sich die Himmelssphären nicht von selbst. Ihre Göttlichkeit wird herabgestuft. Der aithēr tritt in den Hintergrund und eine Schar geheimnisvoller Wesenheiten betritt die Bühne: die »unbewegten Beweger«. Die unbewegten Beweger sind die neuen Gottheiten. Die Sphären waren fast profan in ihrer Verständlichkeit. Jeder Science-Fiction-Fan käme problemlos mit empfindungsfähigen Wesenheiten aus exotischer Materie von der Größe einer astronomischen Einheit zurecht. Die unbewegten Beweger dagegen sind begrüßenswert abstrakt und paradox. Es soll 55  von ihnen geben, aber auch nur einen. Sie treiben die Himmelssphären an, sind aber

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selbst gänzlich statisch. Dabei sind sie unteilbar, haben keine Körperteile oder auch nur Körper. Tatsächlich sind sie ungegenständlich. Aristoteles meint, dass sie nicht aus irgendeiner physikalischen Substanz bestehen. Der Grund dafür, dass es so viele unbewegte Beweger gibt, liegt darin, dass jeder von ihnen nur eine der Sphären in Aristoteles’ geometrischem Modell des Kosmos antreibt. Alle Sterne mit ihrer einfachen, einheitlichen Bewegung lassen sich einer Sphäre zuordnen. Der Mond, die Sonne und fünf Planeten mit ihren komplexeren Bewegungen erfordern weitere 54 Sphären (Sparsamkeit war noch nie eine Stärke geozentrischer Kosmologien). Die unbewegten Beweger entspringen Aristoteles’ vollentwickelter Bewegungstheorie. In dieser Theorie, die er noch nicht formuliert hatte, als er Über den Himmel schrieb, erfordert jede Bewegung eine vorausgehende Bewegung. Nun können aithēr-Sphären sich nicht mehr selbst bewegen, sie müssen in Bewegung gehalten werden. Aber er will keine Endlosrekursion von Bewegern, die die einzelnen Sphären antreiben, daher gibt er jeder einen unbewegten Beweger. Seine Physiktheorie, Kosmologie und Theologie sind in ihrer Entwicklung unentwirrbar miteinander verwoben. Die unbewegten Beweger ziehen oder schieben ihre Sphären natürlich nicht umher, denn dann wären sie ja bewegte Beweger; außerdem sind sie ungegenständlich, daher können sie das gar nicht. Stattdessen treibt jeder seine Sphäre an, indem er ihr Objekt der Liebe und Begierde ist. Das klingt merkwürdig, aber es handelt sich um eine andere Art von Wirkursache, denn die einfache physikalische Kausalität hängt von der Kognition ab. Aristoteles sagt, dass die unbewegten Beweger die Himmelssphären »berühren«, aber nicht von ihnen berührt werden. Wir dürfen das nicht als physikalische Berührung im wörtlichen Sinne verstehen, sondern als eine psychologische Veränderung – was wir meinen, wenn wir sagen: »Deine Fürsorglichkeit berührt mich« oder »Ihre Schönheit ist bewegend«. Selbst Tiere, die sich selbst bewegen können, sind letztendlich von Objekten der Begierde abhängig, die sie zu Handlungen veranlassen. Wie sich herausstellt, ist die Liebe tatsächlich die treibende Kraft in der Welt.* * Aristoteles’ Physik fehlt das Konzept einer nicht kontaktabhängigen Kraft. Dies ist sein bester Versuch, eine zu definieren. Delbrück wies darauf hin, dass die Idee eines unbewegten Bewegers nicht mit dem dritten newtonschen Gesetz vereinbar ist (wenn ein Körper auf einen zweiten Körper eine Kraft ausübt, übt der zweite Körper gleichzeitig eine gleich große, entgegengesetzte Kraft zu der des ersten Körpers aus) – das heißt, die Himmelssphären müssen eine entsprechende Kraft auf den unbewegten Beweger ausüben. Andere haben behauptet, dass unter Berücksichtigung bestimmter physikalischer Modelle der Himmelsbewegungen in De motu animalium 3 Aristoteles auf die newtonschen Bewegungsgesetze anzuspielen scheint. Solche Überlegungen sind jedoch unerheblich: Newton’sche Mechanik kann einfach nicht auf sein finales Kosmosmodell zutreffen, da unbewegte Beweger ungegenständlich sind und daher keine Masse haben.

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Aristoteles’ Kosmos sieht plötzlich recht geschäftig aus. Nimmt man all die Sphären und ihre unbewegten Beweger zusammen, ergibt das 110 Wesenheiten in verschiedenen Graden von Materialität und Göttlichkeit in einer Umlaufbahn um die Erde. Der Grund, dass er in nur wenigen Absätzen behaupten kann, dass es so viele unbewegte Beweger gibt, und gleichzeitig darauf beharren kann, dass es nur einen gibt, liegt darin, dass sie wie so vieles in Aristoteles’ Welt in einer Hierarchie mit einem Beweger an der Spitze geordnet sind. Das ist natürlich der unbewegte Beweger der äußersten Sternensphäre. Der »erste unbewegte Beweger« hat in gewisser Hinsicht die Kontrolle über all die anderen. Er könnte ihr ultimatives Objekt der Liebe und Begierde sein. Er ist Aristoteles’ ultimativer Gott. In der Metaphysik enthüllt Aristoteles in ausufernden Abschnitten den Zweck und die Natur dieser Wesenheit: Von dieser Art ist das Prinzip [der erste unbewegte Beweger] und an ihm hängt Himmel und Erde. Die heitere Klarheit dieses obersten der Wesen ist gleich dem, was für uns das Herrlichste ist und was uns immer nur für kurze Augenblicke zuteil werden kann. Diese Herrlichkeit genießt es immer. Uns bleibt das versagt. Denn bei ihm ist seine Wirksamkeit zugleich seine Seligkeit. Ist doch auch bei uns das Wachsein, die Wahrnehmung, das Denken das Köstlichste, und um ihretwillen auch Hoffnung und Erinnerung. Das Denken aber an sich hat zum Gegenstande das, was an sich das Wertvollste ist, und das reinste Denken hat auch den reinsten Gegenstand. Mithin denkt das Denken sich selbst; es nimmt teil an der Gegenständlichkeit; es wird sich selber Gegenstand, indem es ergreift und denkt, und so wird das Denken und sein Objekt identisch. Denn das, was für den Gegenstand und das reine Wesen empfänglich ist, ist der denkende Geist, und er verwirklicht sein Vermögen, indem er den Gegenstand innehat. Das Göttliche, das man dem denkenden Geiste als sein Eigentum zuschreibt, ist also mehr dieser Besitz als die bloße Empfänglichkeit; das Seligste und Höchste ist die reine Betrachtung. Ist nun Gottes Seligkeit ewig eine solche, wie sie uns wohl je einmal zuteil wird, wie wunderbar! Ist sie eine noch höhere, wie viel wunderbarer noch! So aber verhält es sich. Und auch das Prädikat der Lebendigkeit kommt ihm zu. Denn die Wirksamkeit des denkenden Geistes ist Leben; Gott aber ist reine Wirksamkeit, und seine Wirksamkeit an und für sich ist ein höchstes, ein ewiges Leben. Und so sagen wir denn: Gott ist das ewige, absolut vollkommene Lebendige, und ihm kommt mithin ein zeitloses ewiges Leben und Dasein zu. Das nun ist Gottes Wesen und Begriff.

Das tut Gott: Er denkt. Normales Denken ist nicht gut genug für ihn, also verbringt er seine Zeit mit »Denken … des Denkens des Denkens« – noēsis

kosmos

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noēseōs noēsis. Dies ist ein Gott, der weder Liebe noch Hass kennt, der weder erschafft noch zerstört, der nicht rettet, verdammt oder auch nur urteilt; dieser Gott steht den Angelegenheiten der Erde vollkommen gleichgültig gegenüber, und doch hängt ironischerweise von ihm die Existenz selbst des Universums ab. In der Nikomachischen Ethik erörtert Aristoteles, welches Leben man am besten führen soll. Ein gutes Leben ist natürlich ein aktiv tugendhaftes und es gibt viele Möglichkeiten, wie sich Tugend erlangen lässt – in der Politik oder in der Armee zum Beispiel. Aber die Tugend, die aus solchen Zusammenhängen entsteht, ist ganz und gar zweckmäßig. Die beste Art, wie ein Mann sein Leben verbringen kann, ist die Betrachtung dessen, was kein nützliches Ziel hat; es ist ergötzlich an sich. Woanders erzählt er eine Geschichte. Jemand fragte Anaxagoras, was der Zweck ist, geboren zu werden, worauf der große physiologos antwortete: »Um den Himmel und die Ordnung des gesamten Kosmos zu studieren.« Die Antwort klang für Aristoteles glaubhaft genug; er erzählte die Geschichte mindestens zweimal. Aber er warnt auch, dass niemand von uns jemals ein Leben der reinen Betrachtung erreichen kann. Es gibt so vieles, die profanen Dinge des Alltags und die Menschen – das ist abfällig gemeint –, die uns vom göttlichen Leben des Geistes ablenken. Dennoch sollten wir »jede Sehne anspannen«, sie zu ignorieren und uns der reinen Vernunft zu widmen. Darin liegt das wahre Glück. Seine Arbeiten, die gnadenlos in ihrer Distanziertheit sind, zeigen uns, was er meint. Schließlich war er ein Mann, der über den Drang des sexuellen Begehrens schrieb, aber nicht von Pythia, seiner längst gestorbenen asiatischen Liebsten; er schrieb über den Aufstieg und Fall von Staaten, aber nicht von Alexander, dem Jungen auf seinem Eroberungsfeldzug, den er auf die Welt losgelassen hatte; er schrieb über die Struktur der Realität selbst und erwähnte dabei kaum einmal den Namen seines Lehrers, dessen Lebenswerk er mühelos assimilierte, sich aneignete und dann vernichtete. Das ist das Leben der Vernunft – das wissenschaftliche Leben – und, betrachtet man die Reihe dicker Bücher, die Regale voller Papyrusrollen, die sie einst gewesen sein müssen, und den unerbittlichen Marsch seiner Argumente Seite um Seite um Seite, dann kommt man nicht umhin zu denken, dass er die Kausalität durcheinandergebracht hat; dass er nicht so sehr nach Gott suchte, als Ihn vielmehr nach seinem eigenen Abbild zu rekonstruieren. Doch Aristoteles’ Gott hat noch eine andere Seite. Denn nicht nur Philosophen und Wissenschaftler können, ja müssen danach streben, wie Er zu sein; jedes natürliche Ding hat in einem noch so geringen Maß teil an seinen Eigenschaften. Tatsächlich verstehen wir erst jetzt die Bedeutung der Worte, mit denen Aristoteles seinen großen Kurs begonnen haben muss und mit denen ich dieses Buch begann:

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Wir sollten nicht wie Kinder mit Abscheu auf die Untersuchung von weniger hohen Tieren reagieren. Es steckt etwas Ehrfurchtgebietendes in allen natürlichen Dingen. Man erzählt sich, dass Fremde einmal Heraklit sehen wollten. Sie kamen näher, sahen aber, dass er sich am Ofen wärmte. »Sorgt euch nicht!«, sprach er. »Kommt herein! Hier drinnen gibt es auch Götter.«

Selbst ein Tintenfisch ist auf eine Art göttlich. Es ist ein lieblicher und ernster Gedanke. Hätte ich einen Gott – hätte ich einen Gott –, dann wäre es Aristoteles’ Gott.

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Detail aus Theodore Gazas Übersetzung Aristoteles’ zoologischer Werke, 1552

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m Jahr 340 v. Chr. verbündete sich Athen unter dem Einfluss von Demosthenes’ nationalistischer Rhetorik mit Theben gegen Makedonien. Philipp sah sich daraufhin veranlasst, gen Süden zu marschieren. Im August 338 trafen die Armeen bei Chaironeia aufeinander. Philipp trug den Sieg davon, zeigte aber Gnade. Weder versklavte er die Überlebenden noch besetzte er Athen, dafür schickte er die Knochen ihrer Tausenden von Toten zurück, damit man sie begraben konnte. Als er zwei Jahre später ermordet wurde, jubelte der Athener Mob. Der neue König, sagten sie, sei nur ein Junge. Sie vergaßen, dass Alexander ein kampferprobter 21-Jähriger war. 335 zettelte Theben einen Aufstand an. Alexander machte es dem Erdboden gleich. Athen ergab sich. Das war das Jahr, in dem Aristoteles zurückkehrte. Er war zwölf Jahre fort gewesen. Er war fast 50. Trotz seiner freundschaftlichen Beziehungen zu den Eroberern war er nicht unwillkommen. Die Stadt war noch immer geteilt: auf der einen Seite Demosthenes’ Nationalisten, auf der anderen die promakedonischen Aristokraten. Nun wurden Erstere bestraft (Demosthenes war knapp dem Schicksal entronnen, Alexander zum Fraß vorgeworfen zu werden, um dessen Zorn zu besänftigen) und Letztere hatten Oberwasser. Und Aristoteles hatte in Antipatros, der demnächst Alexanders europäischer Vizekönig werden sollte, einen engen Freund. Der neue Philosoph in der Stadt war wahrscheinlich ziemlich gefragt. Er mietete einige Gebäude am Lyzeum und begann zu lehren. Es heißt, dass er die schwierigeren, fachlichen Vorlesungen morgens gab und nachmittags öffentliche Vorträge hielt. Ältere Kollegen – Theophrastos, Kallippos – sollen ebenfalls Vorlesungen gehalten haben. Seine Schüler kamen aus der ganzen hellenischen Welt. Er ließ sie arbeiten. Die Daten in Historia animalium könnten vielleicht von einem Menschen gesammelt worden sein, aber das und die 158 Verfassungen der griechischen Staaten und die Liste der Sieger der Pythischen Spiele und seine Aufzeichnungen über die dramatischen Werke, die in Athen aufgeführt wurden? Es gibt auch Hinweise auf weitere enzyklopädische Projekte. Ihr Umfang deutet darauf hin, dass das Lyzeum nicht nur eine Versammlung von philosophisch gesinnten Freunden oder auch nur eine Schule war, sondern ein Forschungsinstitut.

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Wir können uns fragen, was genau Aristoteles lehrte. Oberflächlich ist es klar genug. Die Arbeiten von Aristoteles, die uns vorliegen, scheinen alle Vorlesungsnotizen oder zumindest unveröffentlichte Manuskripte zu sein, und alle stammen aus der Bibliothek des Lyzeums. Es gab einen Lehrplan. Aber so einfach können die Dinge nicht liegen. Auf viele Arten, im Großen wie im Kleinen, scheinen die Texte sich gegenseitig zu widersprechen. Die kleinen Widersprüche lassen sich als Fehler der Kopisten abtun, als Einschübe von Nachfolgern, als die Stellen, an denen Aristoteles seine Meinung etwa zum Gehirn des Oktopus später änderte. Die großen Widersprüche lassen sich weniger leicht erklären. Es gibt zwei Ansätze, sie aufzulösen. Erstens kann man versuchen zu zeigen, dass die offensichtlich unvereinbaren Texte doch miteinander vereinbar sind, wenn man sie nur richtig liest. Zweitens kann man zulassen, dass Aristoteles auch bei wichtigen Themen die Meinung änderte; dass zur Lyzeum-Zeit einige der Texte bereits veraltet waren und in den Bibliotheksstapeln verstaubten, während andere seine aktuellen Gedankengänge zeigten. Das scheint vernünftig. Wer philosophiert schon vierzig Jahre lang und ändert nie seine Meinung? Solche Interpretationen unterliegen Strömungen. 1923 veröffentlichte der junge deutsche Philologe Werner Jaeger Aristoteles: Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung. Die Arbeit zeichnete ein Bild von Aristoteles, wie er sich vom jungen Mann unter Platons Einfluss über mehrere Stufen zum reifen, empirisch gesinnten Philosophen des Lyzeums wandelte. Jaeger glaubte, dass er die Erstellung bestimmter Teile des Corpus Aristotelicum zeitlich einordnen konnte, dass er zeigen konnte, dass die Bücher A, B, M 9 –10 und N der Metaphysik in Assos gegen Speusippos verfasst worden waren, während Z, H und Q zu einem völlig anderen, späteren Projekt gehörten, oder dass Politik II–III, VII und VIII, die im Tonfall so platonisch daherkommen, vor den empirischen Bänden IV–VI geschrieben wurden. Sein brillantes und leicht verrücktes System bezauberte die Aristoteles-Anhänger bis in die 1960er-Jahre. Seither wurde es so weit auseinandergenommen, dass wenig davon übrig blieb. Heutzutage betonen klassische Philosophen, vielleicht immer noch in Reaktion auf Jaeger, häufig die Einheitlichkeit von Aristoteles’ Gedankenwelt. Die Punkte gehen an diejenigen, die zeigen können, dass das scheinbar Unvereinbare es in Wirklichkeit gar nicht ist. Zuzugeben, dass Aristoteles seine Meinung geändert haben könnte oder die Bedeutung seiner Fachbegriffe, scheint als Eingeständnis einer Niederlage gehandelt zu werden. Doch diese Lesart von Aristoteles’ Werken verbirgt genauso viel, wie sie erhellt. Zwei Tatsachen lassen sich schließlich nicht bestreiten: Dass er sein intellektuelles Leben als Schüler von Platon begann und platonische Dialoge zu platonischen Themen schrieb, und dass er am Ende ein Denksystem ent-

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wickelt hatte, das die Elemente der Naturwissenschaft enthielt, wie viel auch immer er davon seinen Vorgängern schuldete. Es wäre tatsächlich erstaunlich, wenn diese Veränderung keine Spuren in seinen Arbeiten hinterlassen hätte. Für mich manifestiert sich diese Transformation in zwei verschiedenen Aristoteles-Gestalten. Wir können sie grob als den philosophischen und den wissenschaftlichen Aristoteles bezeichnen. Damit meine ich nicht Aristoteles’ Unterscheidung zwischen erster und zweiter Philosophie oder theologikē und physikē; ich meine vielmehr unsere Unterscheidung, die wir zu einer Zeit wahrnehmen, in der Philosophie und Wissenschaft zwei ganz unterschiedliche Dinge sind. Teilweise ist es eine Sache des Stils. Auf der einen Seite stehen die Argumente a priori in der Metaphysik, dem Organon und sogar in der Physik und in Über den Himmel. Auf der anderen stehen die Argumente der Zoologie, in der Meteorologica und in Politik, die auf Daten basieren oder wenigstens durch diese unterlegt werden. Hier kommt ein Beispiel des ersten Stils aus Über den Himmel. Aristoteles erklärt darin, warum es nicht mehr als eine Welt geben kann: Wir müssen nun erklären, warum es nicht mehr als eine Welt geben kann – die weitere Frage, die oben angedeutet wurde. Denn man könnte glauben, dass wir nicht allgemein bewiesen haben, dass kein wie immer gearteter Gegenstand außerhalb unseres Universums existieren kann, und dass unser Argument nur für diejenigen mit unbestimmter Größe gilt. Alle Dinge ruhen und bewegen sich von Natur aus und durch Beschränkung. Ein Ding bewegt sich von Natur aus zu einem Ort, an dem es ohne Beschränkung ruht, und es ruht von Natur aus an einem Ort, zu dem es sich ohne Beschränkung bewegt. Auf der anderen Seite bewegt sich ein Ding durch Beschränkung an einen Ort, an dem es durch Beschränkung ruht, und ruht durch Beschränkung an einem Ort, an den es sich durch Beschränkung bewegt. Wenn weiterhin eine bestimmte Bewegung der Beschränkung geschuldet ist, dann ist ihr Gegenteil natürlich. Wenn sich die Erde also durch Beschränkung von einem bestimmten Ort zum Zentrum hier bewegt, dann ist ihre Bewegung von hier nach dort natürlich, und wenn … [etc.]

Ich werde keine Erklärung versuchen. Es ist ein Gedankengebäude aus rein deduktiven Folgerungen, eine Reihe von Behauptungen, die als selbstverständlich wahr oder als ableitbar aus anderen selbstverständlich wahren Behauptungen verstanden werden. Das Beispiel illustriert die Binsenwahrheit, dass zwar jede Wissenschaft Grundprinzipien braucht, um in Bewegung zu kommen, dass sie aber auf ihrer Grundlage allein nicht weit kommt. Im Kontrast dazu folgt nun ein Beispiel des eher empirischen Aristoteles. In De generatione animalium erklärt er, warum Tiere ihre Embryos ernähren:

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Wie bereits festgestellt, erreicht bei lebend gebärenden Tieren der Embryo sein Wachstum durch die Nabelschnur. Bei Tieren besitzt die Seele eine nährende Kraft (neben den anderen), und so streckt sie diese Schnur wie eine Wurzel in die Gebärmutter. Die Schnur besteht aus Blutgefäßen in einer Hülle, mehrere bei größeren Tieren wie Rindern, eine einzelne bei den kleinsten und zwei bei denen mittlerer Größe. Der Embryo erhält seine Nahrung in Form von Blut durch diese Schnur, denn viele Blutgefäße enden in der Gebärmutter. Alle Tiere ohne Zähne im Oberkiefer … [etc.]

Auch die zoologischen Arbeiten sind reich an langen Argumentationsketten a priori, aber normalerweise sind die unterstützenden Daten hier nicht weit. Das ist der Unterschied. Für Aristoteles gehörten sowohl Über den Himmel als auch De generatione animalium zu den physikē; für uns ist das eine kosmische Philosophie, das andere Reproduktionsbiologie. Es geht aber nicht nur um Stil, sondern auch um Substanz. Häufig besteht ein Konflikt zwischen Theorie und Praxis. Es besteht ein Konflikt zwischen der syllogistischen Demonstrationstheorie der Analytica posteriora mit ihren strengen programmatischen Gewissheiten und der Art, wie Aristoteles tatsächlich Wissenschaft betreibt.* In seinen empirischen Arbeiten greift er auf andere Arten der Demonstration zurück, sagt aber nicht deutlich, um welche es sich handelt. Oft bietet er nur dialektische Plausibilität: Hier sind ein paar Erklärungen, hier sind ein paar Argumente dagegen; dieses scheint das Beste zu sein. Es besteht ein Konflikt zwischen seinem Beharren darauf, dass alle Wissensbereiche voneinander getrennt werden sollten, und wie er dann ihre Grenzen ignoriert. Es besteht ein Konflikt zwischen dem taxonomischen Essenzialismus der Kategorien und der pragmatischen Beiläufigkeit seiner Tierklassifikation in Historia animalium. Es besteht ein Konflikt zwischen seinem Beharren in der Metaphysik, dass Gegenstände und Tiere vollkommen getrennt sind, ja dass Ersteren nicht einmal der ontologische Status von »Wesenheiten« (ousiai) zugestanden werden darf, und dem mechanistischen Beigeschmack seiner Erklärungen in den zoologischen Arbeiten. Dazu komme ich später noch. Es besteht ein Konflikt zwischen seiner einfachen Dichotomie »Mann/Frau :: Form/Materie« und den Komplexitäten seiner

* Jim Lennox und Allan Gotthelf haben in vielen sauber argumentierenden Arbeiten gezeigt, dass die Demonstrationstheorie in der Analytica posteriora sich bis in De partibus animalium fortsetzt, und ihnen folgend, habe ich versucht zu erklären, wie das geschieht. Aber mich verblüfft auch die Tatsache, dass die Analytica posteriora kein einziges Beispiel für die syllogistische Demonstration enthält, das der Zoologie entstammt. Aristoteles’ Beispiele handeln immer von Geometrie und Eklipsen (nun gut, in einem geht es um Blätter). Als ich die Methode anhand eines zoologischen Beispiels veranschaulichen wollte, musste ich daher die modernen Stichlinge zur Hand nehmen.

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Vererbungstheorie. Es besteht ein Konflikt zwischen seinem Antimaterialismus – das heißt, seiner gesamten Kausaltheorie – und seinem Glauben an die spontane Entstehung. Einige Wissenschaftler sehen einen oder mehrere dieser Konflikte als unvereinbar an, andere verstehen sie als dieselben Gedanken, auf unterschiedliche Weise ausgedrückt. Für mich zeugen sie in ihrer Gesamtheit von einem Philosophen, der von der empirischen Realität heimgesucht wurde – oder wenigstens von dem, was er für sie hält. Es ist verlockend anzunehmen, dass diese beiden Aristoteles-Gestalten zu unterschiedlichen Zeiten seines Lebens gehörten, dass es einen frühen, philosophischen und einen späten, wissenschaftlichen Aristoteles gibt. Der erste saß unter einem Baum in Piräus und bohrte Löcher in Platons Theorie der Definition durch Einteilung, der zweite auf einer Hafenmauer auf Lesbos und stocherte in einem Haufen Fische herum. Ich glaube, in dieser Vorstellung steckt viel Wahres, habe aber weder den Mut noch das Expertenwissen, um sie zu trennen, und sicherlich nicht, um die Texte in irgendeine Art von chronologischer Reihenfolge zu bringen.* Außerdem, wenn man diesen Weg erst einmal eingeschlagen hat, ist es schwer zu erkennen, wo man aufhören muss. Alle, die Metaphysik studiert haben, sind sich einig, dass es sich um eine Reihe getrennter Abhandlungen handelt, die von einem späteren Herausgeber zusammengeschustert wurden. Aber was ist mit den offenkundigen Widersprüchen innerhalb von De generatione animalium? Es scheint ein einziges, wenn auch unvollkommen vereinheitlichtes, Werk zu sein. Wir würden es zerfleischen, wenn wir es auseinandernähmen. Aus diesem Grund habe auch ich versucht, einen Aristoteles zu präsentieren, der sich nicht selbst widerspricht. Und wenn ich an ein oder zwei Stellen eingeräumt habe, dass die Texte nicht schlüssig sind, dass er einmal das eine dachte und später das andere, dann nur als letzten Ausweg, als exegetisches Schwert, das im Extremfall geschwungen werden muss, wenn alle anderen den Knoten nicht durchschlagen konnten. Auch das ist wahr: Hört man auf, in den Texten herumzuwühlen, tritt einen Schritt zurück und betrachtet das Corpus aus der Entfernung, wird eine große Einheitlichkeit sichtbar. Trotz all seinen Unvollkommenheiten und Ungereimtheiten liefert es ein System von fantastischer Vollständigkeit. Viel davon ist der Biologie zu verdanken. Von allen Dingen in der Welt, die er hätte untersuchen können, denen er sein Leben hätte widmen können, erkannte Aristoteles die Lebewesen als das, was seine Aufmerksamkeit am meisten verdiente. Fast der gesamte Rest – seine

* Allerdings sind die meisten Wissenschaftler sich einig, dass der Organon aus der Akademiezeit stammt; Guthrie zumindest glaubte, dass Über den Himmel ein Frühwerk ist, und viele nehmen an, dass er De generatione animalium spät geschrieben hat.

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Metaphysik, sein System der Kausalerklärung, seine Physik, Chemie, Meteorologie, Kosmologie, Politik, Ethik, sogar seine Poesie* – tragen den Stempel dieser Entscheidung. Was die Frage angeht, warum das Corpus so unterschiedliche Argumentationsstile enthält, so liegt die Antwort auf der Hand. In unserer Zeit sind Philosophen und Wissenschaftler getrennte akademische Kasten mit unterschiedlichen Argumentationsweisen. Aber wer sagt, dass ein Mann vor mehr als zweitausend Jahren nicht beides zugleich sein konnte? Dass der Wissenschaftler den Philosophen vielleicht nicht verdrängt, sondern ihn ergänzt? Ein solcher Mann war nach meinem Verständnis Aristoteles, als er über die gewundenen Pfade des Lyzeum-Gartens wandelte und anfing zu lehren.

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r lehrte etwa zwölf Jahre lang. Doch dann starb Alexander in Babylon. Die Athener jubelten wieder einmal. Die antimakedonische Seite wurde garstig. Man beschuldigte Aristoteles, zu Hermias zu beten, seinem vor so langer Zeit verstorbenen Freund, und klagte ihn wegen Gottlosigkeit an. Hier war sicherlich die Politik am Werk. Hätten sie ihn der Ketzerei überführen wollen, hätten sie seine Vorlesungen zur Astrotheologie besuchen sollen. Die Bewohner von Delphi hatten ihn (und Kallisthenes) geehrt, weil er die Sieger der Pythischen Spiele aufgezeichnet hatte. Nun widerriefen sie die Ehrung und zerschlugen die Tafel, auf der sie verkündet worden war. Er beschloss zu gehen. »Ich werde nicht zulassen, dass die Athener ein zweites Verbrechen gegen die Philosophie begehen.« Er dachte an Sokrates. Er ging nach Euböa, auf die große Insel, die nur durch eine schmale Meerenge vom attischen Festland getrennt ist, einen weiteren euripos. Die Familie seiner Mutter hatte dort in Chalkis ein Anwesen. Brieffragmente aus dieser Zeit künden von Abgeschiedenheit und Ruhe. Er schreibt an Antipatros, dass er die widerrufenen Ehrungen bedauert, aber nicht sehr. In einem weiteren Brief: »Je mehr ich allein bin, desto besser gefallen mir die Mythen.« Innerhalb eines Jahres war er tot.

* Künstler tun häufig ihre Enttäuschung kund, wenn sie seine Poetik lesen. Warum, klagen sie, sagt Aristoteles uns nicht, worin Schönheit liegt? Er tut es nicht, weil es keine Abhandlung über Ästhetik von einem anderen Dichter ist, sondern eine Abhandlung darüber, wie Bühnenwerke funktionieren, geschrieben von einem Biologen.

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Sein Testament, das erhalten geblieben ist, beginnt so: »Alles wird gut gehen, aber falls nicht …« Er benennt Antipatros als Vollstrecker. Er gibt seine Tochter Nikanor zur Frau, einst sein Mündel, inzwischen ein Offizier in Alexanders Armee. Herpyllis – seiner Sklavin? Seiner Konkubine? Seiner zweiten Ehefrau?, auf jeden Fall einer Frau, mit der er sein Bett teilte – hinterlässt er Land, Silber, Möbel und Sklaven. Er entledigt sich etwa eines Dutzends Sklaven. Bevorzugte Sklaven sollen freigelassen werden und Geld sowie Sklaven niederen Ranges bekommen. Ein Schüler wird heimgeschickt. Er gibt Statuen zum Gedenken an seine Eltern und Vormunde in Auftrag. Weitere Statuen sollen bei den Schreinen von Zeus und Athene der Bewahrerin aufgestellt werden, um ihnen für Nikanors sichere Heimkehr aus dem Osten zu danken. Außerdem möchte er neben Pythia begraben werden, »wie sie es wollte«. Es ist nicht viel. Es ist der einzige echte Blick, den wir auf Aristoteles, den Menschen werfen dürfen statt auf Aristoteles, den großen Geist. Theophrastos wurde Leiter des Lyzeums. Diogenes Laertios schreibt, dass zweitausend Schüler seine Vorlesungen besuchten. Vermutlich ist das eine kumulative Gesamtzahl, aber selbst dann zeigt sie, dass die Schule florierte. Theophrastos’ Testament zeigt sie mit einem Tempel für die Musen, einem Museum mit Landkarten und einer Büste von Aristoteles und natürlich mit einem Garten. Er hinterließ alles seinen Philosophenkollegen, damit sie dort »in Vertrautheit und Freundschaft« wohnen konnten. Straton »der Physiker« wurde Leiter der Schule. Sie bestand weiter, jedoch ohne sich weiter hervorzutun, bis sie 86 v. Chr. von Sulla abgerissen wurde.*

Das Lyzeum, Zentral-Athen, Juli 2011

* Im ersten Jahrhundert n. Chr. wurde sie neu gegründet.

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Am Fuße des Lykabettus, dem Hügel der Wölfe, liegt ein Grundstück voller Gestrüpp und mit einigen Ruinen. Es sind nicht mehr als Grundmauern, gitterförmig angeordnete Steinblöcke, wie sie nur Archäologen verstehen können. Wackelige, mit Plastikplane abgedeckte Bauten zeigen, dass die Archäologen auch hier waren, aber die Ausgrabung wurde vor langer Zeit aufgegeben und ist nun ein trostloser Anblick. An der Straße Rigillis hält hinter der Reihe violett blühender Jacaranda-Bäume ein hoher Zaun die Neugierigen fern, aber vom Grundstück des angrenzenden Byzantinischen Museums hat man durch den Drahtzaun einen ordentlichen Blick darauf. Man wird von einem gereizten Wächter angeblafft, aber wenn man erklärt, was man sucht und warum man hier ist, führt er einen herum und raucht – als echter Athener – eine Zigarette, während man sich dort umsieht, wo Aristoteles einst gelehrt hat.* Strabon erzählt die Geschichte, dass Theophrastos die Bibliothek des Lyzeums einem Neleus vermacht hat, der sie mit nach Skepsis nahm, einem Bergdorf ein Stück im Landesinneren hinter Assos an der türkischen Küste. Fast zwei Jahrhunderte lang sollen die Schriftrollen in einer Höhle verrottet sein, bis sie von einem Athener Bibliophilen gekauft, dann von Sulla erbeutet und mit nach Rom genommen wurden. Wahrscheinlich ist das wahr. Dies sind die Bücher, die im ersten Jahrhundert n. Chr. von Andronikos von Rhodos herausgegeben und in die Form geordnet wurden, die wir heute kennen. Sie können jedoch nicht die einzigen Ausgaben gewesen sein. Innerhalb eines Jahrhunderts nach Aristoteles’ Tod begannen die Ptolemäer ihre große Bibliothek in Alexandria aufzubauen. Mit Sicherheit enthielt sie auch die Werke von Aristoteles und Theophrastos. Alexandria wurde zum Zentrum der wissenschaftlichen Forschung. Mechanik, Astronomie und Medizin erlebten eine Blütezeit. Viele Philosophen dort nannten sich »Peripatetiker« zu Ehren von Aristoteles’ Schule. In all dieser neuen Wissenschaft jedoch klafft eine seltsame Lücke: die Biologie. Es gab wissenschaftlich gesinnte Ärzte (Herophilos, Erasistratos) und später die naturgeschichtlich gesinnten Enzyklopäden (Plinius), Dichter (Oppian) und Paradoxografen (Älian) von Rom. Da war auch noch der größte Arzt und Wissenschaftler von allen, Galenos von Pergamon. Aber niemand von ihnen versuchte, Lebewesen in all ihrer Vielfalt zu erklären, wie es

* Die Archäologen glauben, dass sie eine palaestra ausgegraben haben, eine Turnhalle, aber die Überreste könnten auch gut zu einer römischen Villa gehören; falls dem so ist, dann befindet sich das, was von Aristoteles’ Gebäuden noch übrig sein mag, unter einem Wohnblock oder dem Kriegsmuseum. Es gab Pläne, einen Park aus der Ausgrabungsstätte zu machen, aber bislang ist nichts dergleichen geschehen und wie ich heute annehme, wird auch noch viele weitere Jahre lang nichts geschehen.

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Aristoteles getan hatte. Niemand beschäftigte sich mit Zoologie oder Botanik. Niemand erkannte, wie er erkannt hatte, dass jedes Geschöpf uns »etwas Natürliches und etwas Schönes« enthüllt. Niemand sollte das in den nächsten tausend Jahren und länger tun.

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ine Frage bleibt. Wenn, wie ich behauptet habe, Aristoteles tatsächlich so ein großer Biologe war, wenn, wie ich behauptet habe, es kaum eine Facette unserer Wissenschaft gibt, die er nicht erleuchtet hat, wenn, wie ich behauptet habe, viele unserer Theorien auf seiner aufbauen, warum geriet dann seine Wissenschaft in Vergessenheit? Natürlich ist das Vergessen nicht absolut. Die Autoren von Biologielehrbüchern melden gelegentlich pflichtbewusst ihre Ehrerbietung an (»Aristoteles war der Vater der …«), bevor sie rasch weitergehen. Klassische Philosophen studieren ihn noch immer, wie sie es immer getan haben und immer tun werden. Aber für moderne Biologen ist er eine Leere mit einem Namen. Seine wissenschaftlichen Arbeiten und das System, das sie enthalten, sind so gründlich aus dem Allgemeinwissen verschwunden, als hätten die Motten sie aufgefressen. Und selbst wenn man zufällig auf einen Wissenschaftler trifft, der unerklärlicherweise behauptet, etwas über Aristoteles’ Werk zu wissen, fällt sein Urteil wahrscheinlich unvernünftig hart, sogar ungehörig aus: »ein seltsamer und insgesamt recht ermüdender Mischmasch aus Hörensagen, unvollkommenen Beobachtungen, Wunschvorstellungen und Gutgläubigkeit, die man schon als Leichtgläubigkeit bezeichnen kann« – so Peter Medawar, Essayist, Wissenschaftler und Staatsmann, Nobelpreisträger in Physiologie und Medizin über die Bücher, die den Ursprung seiner Wissenschaft enthalten. Medawar schrieb diese Zeilen 1985.* Ihrem Tonfall nach könnten sie jedoch aus dem 17.  Jahrhundert stammen. Es ist der Tonfall der frühen Royal Society in London, der wissenschaftlichen Vereinigung, in der auch Medawar mit berechtigtem Stolz Mitglied war. Der Anachronismus erklärt alles. Medawars Beschimpfung galt nicht Aristoteles, dem Vater der Wissenschaft, sondern Aristoteles, seinem ärgsten Feind. Er spielte tatsächlich für eine neue Generation den Ursprungsmythos der modernen Wissenschaft nach, den Mythos, in dem Aristoteles der Riese war, der getötet werden

* In Von Aristoteles bis Zufall: Ein philosophisches Lexikon der Biologie, zusammen mit seiner Frau Jean.

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musste, damit wir durch die Meerengen der Philosophie gelangen konnten, um das offene Meer der wissenschaftlichen Wahrheit dahinter zu erreichen; der Mythos, in dem Aristoteles wenig mehr als eine endlos fruchtbare Quelle empirischer, theoretischer und methodologischer Fehler war; der Mythos, der erklärt, warum nicht einer von tausend Wissenschaftlern ein einziges Ergebnis aus seinen wissenschaftlichen Arbeiten nennen und noch viel weniger darlegen kann. Ich nenne es einen Mythos und soweit die Geschichte überhaupt eine Bedeutung hat, ist es mit Sicherheit ein schädlicher, weil er alles auslässt, was wir ihm schulden. Aber es ist ein Mythos, in dem ein Körnchen Wahrheit steckt: dass Aristoteles’ Wissenschaft das wichtigste Opfer der wissenschaftlichen Revolution war. Man kann sogar sagen, die moderne Wissenschaft wurde auf ihren Ruinen errichtet.

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n den 23 Jahrhunderten seit seinem Tod gingen Aristoteles’ Arbeiten viele Male verloren und tauchten wieder auf. Im Christentum des frühen Mittelalters hatte man ihn fast vollkommen vergessen. Teile des Organon, Relikte aus Byzanz, kursierten noch, aber Metaphysik, Poetik, Politik und seine Naturwissenschaft waren quasi ausgestorben. Die Wiederherstellung seiner Arbeiten war in großen Teilen der christlichen Rückeroberung des maurischen Spaniens zu verdanken. Im Jahr 1085 fiel Toledo, das Juwel von Al-Andalus, an Alfons VI. von Kastilien. Unter den Schätzen in der Stadt befand sich auch der größte Teil des Corpus Aristotelicum auf Arabisch, zusammen mit Paraphrasen und Kommentaren des Persers Avicenna und des Andalusiers Averroës, beides Muslime. Nach der Übersetzung ins Lateinische durch Michael Scotus begannen Aristoteles’ Arbeiten in ganz Europa zu kursieren. An zwei Daten, reizvoll in ihrer Symmetrie, lässt sich ihr Schicksal in den folgenden vier Jahrhunderten gut ablesen. 1210 verbot die Universität von Paris das Lehren von Aristoteles’ Naturphilosophie an der Fakultät der Künste unter Androhung der Exkommunikation. 1624 verbot das Pariser Parlament auf Drängen der theologischen Fakultät das Lehren jeder Doktrin, die seiner widersprach, unter Androhung der Todesstrafe. Die Bedeutung der Daten liegt in dem Gemeinplatz, dass die Obrigkeit nur Verbote ausspricht, wenn sie spürt, dass der Wind sich gegen die Strenggläubigkeit dreht, und dass es, wenn sie es schließlich tut, immer schon viel zu spät ist. Aristoteles’ Anziehungskraft erwies sich als unwiderstehlich für mittelalterliche Gelehrte. Selbst das Pariser Verbot galt nur für die Fakultät der Künste; Theologen durften ihn immer noch lesen und taten das auch. 1245 begann

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Albertus Magnus, ein Dominikaner, der in Paris an der Universität lehrte, mit einer umfangreichen Arbeit, in der er Aristoteles’ Werke auf der Grundlage von Scotus’ Übersetzung paraphrasierte und kommentierte. Einige Jahrzehnte später machte sich sein Schüler Thomas von Aquin an seine ebenso ambitionierte Synthese der aristotelischen Metaphysik und der christlichen Theologie. Er verwarf Aristoteles’ Trennung zwischen der ersten und der zweiten Philosophie – was nicht schwierig war, da sie von Aristoteles selbst schon verwischt worden war – und machte aus der Naturphilosophie einen Zweig der Theologie. Thomas’ Gott, der primum movens immobile, ist Aristoteles’ unbewegter Beweger; die Teleologie seiner Ethik ist auch die von Aristoteles.* Der Triumph der thomistischen Synthese brachte Aristoteles’ Philosophie an die Spitze. In Inferno IV, veröffentlicht um 1317, nannte Dante Aristoteles »den Meister der Wissenden«. Der Preis für die Philosophie war die Wissenschaft. Nach Thomas von Aquin spielten die Schulmänner von Oxford, Coimbra, Padua und Paris endlos mit Substanz, Potenzen, Form-und-Materie-Mischungen, Kategorien und all den anderen Rädchen in der metaphysischen Maschine des Philosophen herum. Ihre Methode war streitbar, ihre Splittergruppen unzählig, ihre Schriften ellenlang und ihre Schlussfolgerungen stupide. Viel davon war ganz und gar nicht aristotelisch. Sie regierten drei Jahrhunderte lang über Europas Universitäten. Es gab natürlich auch Abweichler von der thomistischen Orthodoxie. Im 16. Jahrhundert kritisierten verschiedene Denker, vorwiegend außerhalb der Universitäten, die Schulmänner auf der Grundlage von Platon, Epikur, den Stoikern, den Materialisten oder aus ganz neuen Gründen. Im Ermland legte Kopernikus eine neue kosmische Geometrie vor; in Kalabrien skizzierte Telesio eine neue materialistische Kosmogenese. Angesichts der engen Verbindung zwischen Naturphilosophie und Theologie waren solche Neuerungen riskant. Der neapolitanische Mönch Giordano Bruno entwickelte eine umfassende pantheistische Kosmologie, wurde für seine Bemühungen von der Inquisition der Ketzerei angeklagt und 1600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Galileo erfasste die Stimmung. In seinem Dialogo spora i due massimi sistemi del mondo argumentierte er 1632 für sein physikalisches System in Form eines

* Es war auch Thomas von Aquin, der vermutete, dass der arabische Text fehlerhaft sein könnte, und Wilhelm von Moerbeke mit der Übersetzung von Aristoteles’ Werken auf der Grundlage verschiedener griechischer Texte byzantinischen Ursprungs beauftragte. Sie sind aus der Ausgabe des Andronikos abgeleitet und bilden die Basis unseres eigenen griechischen Textes. Das älteste bekannte Manuskript von Historia animalium ist ein Fragment von Buch VI aus dem 9. Jahrhundert aus Konstantinopel (Parisinus suppl. gr. 1156, Bib. Nat., Paris). Die meisten anderen existierenden Manuskripte stammen aus dem 12. bis 15. Jahrhundert.

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Gesprächs zwischen drei Männern: Salviati (Galileos Held), Sagredo (einem einsichtigen Strohmann) und Simplicio (einem Aristoteliker). Wer, fragt Simplicio, wird uns führen, wenn wir Aristoteles aufgeben? Jeder mit Augen im Kopf und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte kann als Anführer dienen, erwidert Salviati. Aber Augen waren genau das, was Simplicio fehlte. Er soll nach dem Vorbild von Cesare Cremonini entstanden sein, einem Professor für Naturphilosophie in Padua, der – die Geschichte ist so köstlich, dass man sie für unecht halten möchte, aber sie scheint dennoch wahr zu sein – Galileos Einladung ablehnte, durch ein Teleskop die Berge auf dem Mond zu betrachten, denn wenn der Mond keine vollkommene Kugel sei, dann müsse er vergänglich sein, und Aristoteles hätte gesagt, das sei er nicht. Wie unglaublich aristotelisch – und, wie Galileo bemerkte, gleichzeitig absolut untypisch für Aristoteles.

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ristoteles’ physikalisches System litt schmerzlich in den Händen der neuen Wissenschaftler. In der Mitte des 17. Jahrhunderts waren seine Kosmologie und seine Bewegungstheorie obsolet. Seine Chemie zu meucheln, dauerte länger. Seine Biologie, so reich an empirischen Daten, schlug sich am besten. Selbst im 13. Jahrhundert zog Albertus Magnus daraus die richtigen Schlüsse. »Das Ziel der Naturwissenschaft«, schrieb er, »besteht nicht darin, einfach die Aussagen anderer anzunehmen, sondern die Ursachen zu untersuchen, die in der Natur am Werk sind.« Und: »Das Experiment ist der einzige gute Wegweiser in solchen Untersuchungen.« Er fügte dementsprechend zu seiner Zusammenfassung von Aristoteles’ Zoologie viel neue Tierkunde hinzu, einiges aus erster Hand, einiges aus anderen Quellen. Vergleicht man Albertus’ Gebrauch von Aristoteles mit dem von Thomas von Aquin, kann man sich kaum der Schlussfolgerung erwehren, dass die Tatsache, das Letzterer den Ersteren überstrahlte, die Entwicklung der Naturwissenschaft um Jahrhunderte verzögerte. Dieser Gedanke bekommt noch mehr Gewicht durch die Tatsache, dass im 16. Jahrhundert Aristoteles’ Biologie dabei half, die Feste der thomistischen Scholastik zu erstürmen. 1516 veröffentlichte Professor Pietro Pomponazzi in Bologna den Tractatus de immortalitate animae, in dem er die thomistische Doktrin der Unsterblichkeit der Seele, die vom Fünften Laterankonzil von 1512 als Dogma etabliert worden war, Aristoteles’ Argumenten für ihre Sterblichkeit gegenüberstellte. Das Buch wurde in Venedig verbrannt. Mächtige Freunde und eine umsichtige Verteidigung ersparten seinem Autor das-

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selbe Schicksal. 1521 veröffentlichte er Nutritione et augmentatione – »Über Ernährung und Wachstum« – auf der Grundlage von Aristoteles’ Über Entstehen und Vergehen. Und dann gab er einen Kurs zu De partibus animalium – den ersten seit der Antike. »Ich möchte euch nicht lehren«, sagte dieser entzückende Mann, »ich bin nicht hergekommen, weil ich gelehrter bin, sondern weil ich älter bin. Die Liebe zur Wissenschaft drängte mich, deshalb bin ich bereit, ausgepeitscht zu werden, und ich möchte, dass ihr mich lehrt« – seine Worte zu seinen Schülern, getreulich von einem unter ihnen aufgezeichnet. Es war kein Zoologiekurs, aber Pomponazzi zögerte nicht, Aristoteles auf empirischer Grundlage zu widersprechen. Als er die (korrekte) Darstellung der Nickhaut der Vögel in De partibus animalium II, 3 erörterte, beklagte er, dass er ein Huhn seziert habe, sie aber nicht finden konnte. »Ich habe meine Henne verschwendet und nichts gefunden!« Aber Pomponazzi hatte einen medizinischen Abschluss aus Padua, was für einen Schulmann ungewöhnlich war. Wenige Jahrzehnte später sezierten die Anatomen – Vesalius, Fabricius, Falloppio, Colombo und Eustachi – an den medizinischen Fakultäten von Padua und Bologna Leichen. Sie ließen sich durch die andere große Autorität der Antike anleiten, durch Galenos, scheuten sich jedoch nicht, Aristoteles zu Hilfe zu rufen. 1561 wurde Ulisse Aldrovandi der erste Professor der Naturwissenschaft in Bologna (lectura philosophiae naturalis ordinaria de fossilibus, plantis et animalibus lautete sein klangvoller Titel). Er gründete einen botanischen Garten und ein Museum und machte sich daran, Aristoteles’ Zoologie und alle anderen Materialien, die er finden konnte, zusammenzutragen und in einer umfangreichen Enzyklopädie neu zu ordnen. Naturforscher wie Salviani, Belon und Rondelet gingen auf die Märkte von Rom und Montpellier und sortierten die Fische auseinander. Dies war keine Ablehnung von Aristoteles’ Wissenschaft, es war ihre Wiederentdeckung und Wiederauferstehung. Die Anatomen und Naturforscher des 16. Jahrhunderts ließen Aristoteles’ erklärende Theorien größtenteils intakt. Harveys Demonstration des Blutkreislaufs 1632 und der ovulären Embryologie 1651 waren schon tiefere Einschnitte. Doch Harvey war ein Mann, der gleichzeitig Aristoteles lieben und dem vertrauen konnte, was er mit eigenen Augen sah. Denn obwohl es ein neuerer und schwierigerer Weg sein mag, die Natur der Dinge durch die Dinge selbst herauszufinden und nicht durch das Lesen von Büchern und dadurch, dass wir unser Wissen vertrauensvoll aus den Meinungen von Philosophen ableiten, so müssen wir doch zugeben, dass Ersteres viel offener ist und weniger unehrlich, vor allem in den Geheimnissen im Zusammenhang mit der Naturphilosophie.

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Wie wahr. Dennoch sagte er auch zu John Aubrey, dass er besser Aristoteles lesen sollte als die neuen »Hosenscheißer«. Er meinte damit unter anderem Descartes. Aristoteles’ empirische Ergebnisse mögen die Grundlagen der modernen Biologie gewesen sein, aber seine Erklärungen, wie Tiere eigentlich funktionieren, waren anfällig für Angriffe auf seine physikalische Theorie. Das Faszinierende an Aristoteles’ Naturwissenschaft ist ja genau die außergewöhnliche Art, in der alles ineinandergreift. Es wird häufig bemerkt, dass Aristoteles kein ontologischer Reduktionist ist; dass er niemals sagen würde, dass ein Junge oder ein Tintenfisch nur der Stoff ist, aus dem er besteht. Das stimmt: Formen sind für Aristoteles grundlegender als Materie. Er ist jedoch ein theoretischer Reduktionist, denn er glaubt, dass Phänomene auf höheren Ebenen in physikalischen Begriffen erklärbar sind. Ein Sohn ähnelt seinem Vater, weil die Form seines Vaters ihn im Embryostadium modellierte. Das klingt geheimnisvoll, lässt sich aber durch die physikalische Aktivität des pneuma und die Erwärmung und Abkühlung von materiellen Substanzen erklären, wie sie durch den Schaum im Sperma belegt sind. Schön, aber nimmt man das pneuma fort, fällt die gesamte Darstellung auseinander. Vernichtet man Aristoteles’ Bewegungstheorie, ergibt ein Großteil von De motu animalium keinen Sinn mehr; nimmt man den Elementen ihre »Naturen«, funktioniert die Physiologie von De longitudine et brevitate vitae, De juventute et senectute, De vita et morte und De partibus animalium nicht mehr; lässt man die Atomlehre wieder aufleben, befinden sich die Elemente in Über Entstehen und Vergehen nicht mehr im Kreislauf; lässt man die Erde um die Sonne kreisen, versagt der Himmelsmotor aus Über den Himmel. Nimmt man der Welt ihre Ewigkeit, entzieht man jedem Lebewesen seinen Daseinsgrund. Doch es waren weder seine Verbindung mit der Scholastik noch seine zoologischen Irrtümer, nicht einmal die Verfälschung seiner physikalischen Theorien dafür verantwortlich, dass Aristoteles’ wissenschaftliche Gedankenwelt in Vergessenheit geriet, und dafür, dass man sich seiner, wenn überhaupt als Wissenschaftler, dann als konfusen Alten (kaum zu unterscheiden von Plinius) erinnert statt als Erbauer der größten wissenschaftlichen Struktur, die je von einem Menschen errichtet wurde. Es war vielmehr die Überzeugung, ein Grundstein der »neuen Philosophie«, dass sein Erklärungssystem bis ins Mark hinein fehlerhaft war. Und hier hat Medawar völlig recht. Denn er zollt einem Mann Anerkennung – nein, er jubelt ihm zu –, weil er mehr als jeder andere für die Zerstörung von Aristoteles’ Ruf getan hat. Bühne frei für Francis Bacon.

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er zukünftige Lordkanzler von England hockte über Aristoteles’ Werken wie ein Geier über einem Kadaver. Er war selbst kein Wissenschaftler, aber der leidenschaftlichste Theoretiker und Propagandist der »neuen Philosophie«. In den weitschweifigen Abschnitten von The Advancement of Learning von 1605 wird seine Feindseligkeit gegenüber Aristoteles greifbar: Und hierbei muss ich mich nicht wenig über den Philosophen Aristoteles wundern, der in einem solchen Geiste der Abweichung und des Widerspruchs gegenüber allem Alten vorging und dabei nicht nur nach Belieben neue Begriffe der Wissenschaft erfand, sondern die gesamte alte Weisheit vermischte und auslöschte, da er die alten Autoren oder Meinungen nur nennt oder erwähnt, um sie zu widerlegen und zu rügen …

Aristoteles war, sagte Bacon, wie ein »ottomanischer Türke im Niedermetzeln seiner Brüder, und das mit Erfolg«. Dass Aristoteles großzügig mit Kritik und sparsam mit Lob gegenüber seinen Vorgängern ist, lässt sich nicht leugnen. Na und? Es ist die Aufgabe eines Wissenschaftlers, anderer Meinung zu sein. Außerdem ist das Bemerkenswerte ja gerade, wie jedes seiner Bücher mit einer Zusammenfassung dessen beginnt, was seine Vorgänger dachten, bevor er zu seinen eigenen Lösungen weitergeht. Aristoteles’ Abhandlungen haben die Struktur, die Akademiker seither benutzen.* Wie Bertrand Russel sagte, Aristoteles war der erste Mann, der schrieb wie ein Professor. Bacon jedoch hatte eine komplexe Agenda. Er wollte den Philosophen in den Farben der streitlustigen Scholastiker zeichnen, ihre leidenschaftlichen Disputationen der neuen, zivilisierten Art des wissenschaftlichen Diskurses gegenüberstellen, den er sich ausmalte (für den jedoch seine eigenen Arbeiten kaum als Beispiel dienen können), und Aristoteles wegen seiner Ungerechtigkeit gegenüber den wahren wissenschaftlichen Helden der Antike anklagen, den physiologoi. * Die ersten beiden Bücher von Strabons Geographie widmen sich der Verteidigung seiner Helden (Homer) und der Kritik seiner Widersacher (Erastosthenes, Hipparchos, Poseidonios).

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Er fuhr seinen Angriff von allen Seiten. Im Novum organum beschuldigte er Aristoteles 1620, die Fakten zu verdrehen, bis sie zu seinen Theorien passten: Auch darf seinem [Aristoteles’] häufigen Zurückgreifen auf Experimente in seinen Büchern über Tiere, seinen Problemen und anderen Abhandlungen nicht allzu viel Bedeutung beigemessen werden; denn er hat sich bereits entschieden, ohne ausreichend die Erfahrung als Grundlage seiner Entscheidungen und Axiome zu befragen, und nachdem er sich entschieden hat, zerrt er das Experiment wie eine Gefangene herbei, die darauf beschränkt ist, sich seinen Entscheidungen anzupassen: So ist er noch mehr verantwortlich zu machen als seine modernen Nachfolger (der scholastischen Lehre), die dies ganz und gar aufgegeben haben.

Die Propagandisten der Royal Society – Thomas Sprat (History of the Royal Society, 1667) und Joseph Glanvill (Plus Ultra, 1668) – wiederholten die Beschuldigung. Glanvill war dabei besonders ätzend: »Er [Aristoteles] nutzte Experimente nicht zur Errichtung seiner Theorien, sondern nachdem er seine Theorien willkürlich aufgestellt hatte, war es seine Art, das Experiment dazu zu zwingen, für seine bedenklichen Behauptungen zu stimmen und ihnen Unterstützung zu gewähren.« Bacons schwerwiegendster Angriff galt Aristoteles’ Erklärungssystem. Von den vier Arten kausaler Erklärungen, die Aristoteles zufolge die Naturwissenschaft verlangt, erklärte Bacon zwei – die Form- und die Zweckursache – für unzulässig. Die Naturphilosophie sollte sich mit den Eigenschaften und Bewegungen der Materie und ihnen allein beschäftigen. Erklärungen wie »die Haare des Augenlids sind als Hecke und Zaun um die Sicht herum da« oder »die Festigkeit der Häute und Felle von Lebewesen besteht, um sie vor den Extremen von Hitze oder Kälte zu verteidigen« oder »die Knochen sind als Säulen oder Streben da, auf denen die Gerüste der Körper der Lebewesen gebaut sind« gehörten nicht zur Wissenschaft, sondern sollten der Metaphysik überlassen werden. Sie seien »Schiffshalter und Hindernisse, die das Schiff davon abhalten, weiterzusegeln«. Sie verzögerten die Suche nach den wahren, physikalischen Ursachen der Dinge. Bacons Angriff auf die Formen war subtiler. Es ist, sagte er, nutzlos, die Form eines Löwen oder einer Eiche oder von Gold oder sogar von Wasser oder Luft zu erkunden. In dem Maße, wie Formen einen Platz in der Naturphilosophie einnehmen, sind sie nur eine Liste der grundlegenden fühlbaren Eigenschaften von Materie, schwer–leicht, heiß–kalt, hart–weich und Ähnliches. Seine formalen Eigenschaften wurzelten in einer partikulären (im Jargon des 17. Jahrhunderts: »korpuskularen«) Materietheorie. Wärme ist bei-

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spielsweise eine Art von Bewegung, die eintritt, wenn Partikel gleichzeitig in Bewegung gesetzt und auf irgendeine Weise eingeschränkt werden. Er stellte sich offenbar ein Wärme»gesetz« vor, das die Partikelbewegung mit der Temperatur verknüpft. Bacon umging die Frage, wie man komplexere Objekte – Gold oder Löwen – aus diesen grundlegenden Eigenschaften erhält, aber es ging ihm auch mehr darum, allgemeine Prinzipien aufzustellen als anwendbare Theorien. Die Stoßrichtung war jedoch klar: ein radikaler, unaristotelischer, ontologischer Reduktionismus, in dem nur Platz für Erklärungen aufgrund von Bewegung und Materie ist. Bacon suchte nach einem neuen philosophischen Helden der Antike. Demokrit. Er sollte zum attischen Aushängeschild des neuen wissenschaftlichen Zeitalters werden. Bacons Abneigung gegenüber Aristoteles und dem Aristotelismus – er unterscheidet kaum zwischen beidem – stammte auch aus einer besonderen Sichtweise auf den Zweck der Wissenschaft und ihr eigentliches Studienobjekt. Ihr Zweck bestand in Bacons Augen nicht nur darin, die Welt zu verstehen, sondern sie zu verändern; ihr eigentliches Studienobjekt war daher das Künstliche und nicht das Natürliche. Bacon war ein Technologiefan. Aristoteles’ Philosophie, sagte er, war »reich an Disputationen und Behauptungen, brachte aber kaum Arbeiten zum Nutzen des Menschen hervor«. Bacon forderte eine neue, mechanistische Naturphilosophie, untermauert von einer vereinten Physik, die die Bewegungen sowohl natürlicher als auch künstlicher Gegenstände erklären würde. Dafür sollte Newton später sorgen. In der Biologie war Descartes der Cheerleader des Mechanismus. Tiere und Pflanzen, erklärte er, haben keine Seelen – sie sind nur Maschinen. Dies war die Doktrin der bête machine, der Tiermaschine. Descartes reduzierte den Komplex der aristotelischen Veränderungen auf die lokale Bewegung allein und gründete seine Physiologie auf einen Korpuskularismus, den er von Gassendi und Beeckman übernahm. Seine mathematische Physik war wichtig, aber seine Anatomie war mittelmäßig und er machte keine biologischen Entdeckungen. (Er stritt mit Harvey über die Bewegungen des Herzens und verlor.) Seine Teleologie war ganz einfach theistisch. (Tiere mögen Maschinen sein, aber von Gott gemachte Wundermaschinen.) Doch sein expliziter Vergleich von Tieren mit Automaten fand Widerhall in einer Zeit, als mechanische Geräte sich überall verbreiteten. Er entledigte sich der Unklarheiten von Aristoteles’ nährender und sensitiver Seele (in den Händen der Schulmänner vollkommen undurchsichtig geworden) und lieferte einen Ansatzpunkt für die experimentelle Untersuchung. 1666 schrieb der dänische Anatom Niels Stensen (Steno): Niemand außer [Descartes] hat die gesamte menschliche Funktion, und vor allem die des Gehirns, auf mechanische Weise erklärt. Andere beschreiben uns

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den Menschen selbst; Descartes spricht nur von einer Maschine, die uns gleichzeitig die Unzulänglichkeit von anderen zeigt und eine Methode aufzeigt, die Funktion der Teile des Körpers ebenso aufschlussreich zu untersuchen, wie er die Teile seines mechanischen Menschen beschreibt [meine Hervorhebungen].

Die bête machine ließ die Muskeln spielen und einen markanten Schrei hören. Dies also waren, in aller Kürze, die intellektuellen Strömungen, die Aristoteles’ Wissenschaft im 17. Jahrhundert zerstörten. Seither ist sein Schicksal wechselhaft. Zoologen haben ihn stets mit Zuneigung betrachtet. Im 19. Jahrhundert erhoben Cuvier, Müller, Agassiz und viele andere ihn sogar zu einer Art Kultfigur.* Für sie war er ein berühmter Vorfahr mit einem scharfen Blick für interessante Teile der Zoologie, eine Autorität, die man gegen Widersacher ins Feld führen kann, und sogar eine fruchtbare Quelle erklärender Konzepte – so jedenfalls habe ich argumentiert. Im 18. und 19. Jahrhundert holte man auch die Teleologie aus dem Mülleimer der Metaphysik und der Theologie, in den Bacon und Descartes sie verbannt hatten. In einigen wissenschaftlichen Kreisen, vor allem in deutschen, wurden Zweckursachen wieder salonfähig. Das war sehr aristotelisch. Die Folgen daraus für seinen Ruf jedoch waren letztendlich bösartig. Die Verbindung zwischen Teleologie und Vitalismus lebte wieder auf und untermauerte Bacons alten Vorwurf, dass Aristoteles’ Wissenschaft unmechanistisch sei. Hans Driesch, der fehlgeleitete Embryologe, schrieb sogar eine Geschichte des Vitalismus, die stolz mit Aristoteles begann. Die Biologen des 20. Jahrhunderts droschen noch lange auf den Vitalismus ein, nachdem er bereits tot war. »Und so möchte ich den Vitalisten unter Ihnen folgende Prophezeiung machen: Was alle gestern glaubten und was Sie heute glauben, werden nur Spinner morgen noch glauben« – so Francis Crick 1969. Als 1954 Erwin Schrödinger ein kleines Buch über die Wissenschaft der Antike veröffentlichte, hörte er einfach bei Demokrit auf. Warum auch fortfahren? Aristoteles hatte der modernen Wissenschaft nichts zu sagen.

* Dies war auch die Zeit, in der klassische Philologen mit einer Begabung für Zoologie und Zoologen mit einer Begabung für klassische Philologie wie C. J. Sundevall, H. Aubert und F. Wimmer, J. B. Meyer und W. Ogle seine zoologischen Arbeiten als Zoologie studierten. Im 20. und 21. Jahrhundert wurden diese Arbeiten vorwiegend wegen ihrer philosophischen Einsichten untersucht und ich würde sagen, dass D’Arcy Thompsons Historia animalium von 1910 die letzte Ausgabe in der zoologischen Tradition war, wenn nicht W. Kullmanns großartiges Werk Über die Teile der Lebewesen von 2007 einerseits hochphilosophisch wäre und dem Leser andererseits die Wahrheit über den Atemtrakt des Delfins verriete.

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acon und seine Nachfolger sagten, Aristoteles’ Methoden seien falsch und auch seine Erklärungen. Beide Anschuldigungen sind schwer, aber sind sie auch gerechtfertigt? Unsere Vorstellungen davon, was eine wissenschaftliche Erklärung ausmacht und wie man dorthin kommt, ändern sich ständig. Es kann also sein, dass wir Vorzüge bei Aristoteles erkennen, die unsere Vorgänger übersehen haben. Jede Generation muss Aristoteles von Neuem lesen.* Dass Aristoteles unzählige Beobachtungen über die natürliche Welt anstellte, ist für jeden offensichtlich, der seine Bücher liest – selbst die Männer der Royal Society räumten das ein. Wenn Sie jedoch Aristoteles’ biologische Werke lesen, wundern Sie sich vielleicht, warum Bacon und Glanvill immer auf seinen »Experimenten« herumreiten. Sie sagten, er hätte sie durchgeführt, aber ihre Ergebnisse dazu missbraucht, nur das zu bestätigen, was er wusste oder zu wissen glaubte. Sie jedoch sind vielleicht weniger bestürzt über seinen Missbrauch von experimentellen Daten als vielmehr über ihr Fehlen. Das Problem ist ein rein semantisches. Im 17. Jahrhundert war ein »Experiment« jede Untersuchung eines Naturphänomens, die irgendeine Art von Intervention einschloss. Aristoteles’ Studium der Küken-Embryogenese, für das er Eier im genau richtigen Stadium finden, vorsichtig die Schale öffnen und im Embryo stochern musste, um sein Herz freizulegen, ist in diesem Sinne eins. Vieh hungern zu lassen und dann zu strangulieren, ist ein weiteres. Ebenso die Vivisektion von Schildkröten und das Ausstechen von Schwalbenaugen. Aristoteles deutet manchmal an, dass er etwas tatsächlich ausprobiert hat, indem er den Begriff pepeiramenoi benutzt: »Wenn sich Salzwasser in Dampf verwandelt, wird es süß, und der Dampf bildet kein Salzwasser, wenn er wieder kondensiert. Dies weiß ich durch pepeiramenoi – Experimente.« So wird es jedenfalls häufig übersetzt. Ein moderner Wissenschaftler würde eine strengere Position beziehen. Solche Manipulationen, würde er sagen, sind nur Beobachtungen, die mit-

* »[Aristoteles] muss sich erst von [seinen] geschichtlichen Wurzeln lösen und neutralisieren lassen, ehe [er] gangbares Gut für die Nachwelt werden kann.« – Werner Jaeger, Aristoteles, 1934.

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hilfe einer ausgefallenen Technik gemacht wurden. Experimente sind nicht durch ihre Technik definiert, sondern durch ihren logischen Aufbau. Ein echtes Experiment ist der Vergleich einer vorsätzlich manipulierten Situation mit einer unmanipulierten Kontrollsituation, um eine Kausalhypothese zu überprüfen. Und in Aristoteles’ Werken, würde er traurig schließen, fehlen Experimente dieser Art.* Warum ist das so? Aristoteles versteht mit Sicherheit die experimentelle Logik, denn er bezieht sich wiederholt auf das, was wir heute »natürliche Experimente« nennen würden. Die Austern, die von Lesbos nach Chios gebracht wurden, vermehrten sich in ihrer neuen Heimat nicht, daher hängt die Entstehung von Austern nicht vom Vorhandensein von Austern ab, sondern vom richtigen Schlamm, also sind sie Spontanentwickler. Die Schlussfolgerung ist plausibel, aber deutlich schwächer, als Aristoteles zugibt. Vielleicht waren die Gewässer von Chios zu kalt für die Vermehrung der Austern, vielleicht vermehrten sie sich, aber die Babyaustern starben unentdeckt, vielleicht … es fallen einem ein Dutzend alternative Erklärungen ein. Ökologen und Evolutionsbiologen sprechen oft von ›natürlichen‹ Experimenten, da es schwierig ist, den Verlauf der Evolution zu stören oder ganze Ökosysteme zu verändern, aber wie einer meiner Kollegen, selbst ein berühmter Ökologe, so gerne sagt: »Die Sache mit den ›natürlichen‹ Experimenten ist die: Es sind gar keine Experimente«** – womit er meint, dass in einem echten Experiment die einzigen Variablen, die sich zwischen Kontroll- und Behandlungsgruppe unterscheiden, diejenigen sind, die vom Experimentator manipuliert wurden. Wenn man sich dagegen darauf verlässt, dass die Natur die Manipulationen vornimmt, kann man niemals sicher sein, woran genau sie herumgefummelt hat.

* In der Meteorologica beschreibt Aristoteles eine Vielzahl von Beobachtungen wie die Kondensation von Salzwasser, die er häufig »Experimente« nennt. Das seltsamste unter ihnen taucht ebenfalls in Buch II, 2 auf. Er will Argumente dafür liefern, dass Salzwasser eine Mischung aus Wasser und einem erdigen Stoff, Salz, ist. Er behauptet, wenn man ein verschlossenes Wachsgefäß ins Meer taucht, würde es sich mit Süßwasser füllen, da das Salz vom Wachs herausgefiltert würde. Der Vorgang war jedoch kein echtes Experiment, weil keine Kontrolle stattfand. Eine passende Kontrolle wäre das Untertauchen eines ähnlichen Gefäßes aus undurchlässigem Material – Glas, Bronze – in Salzwasser gewesen. Das Fehlen einer Kontrolle war vermutlich der fatale Fehler. Wir können sicher sein, dass Wachs kein Meerwasser filtert (wenn es das täte, wären die Wüsten Arabiens schon längst erblüht), wenn also Aristoteles die Prozedur ausführte (und das bezweifle ich eher), dann muss das Süßwasser, das er im verschlossenen Gefäß fand, von der Kondensation stammen, als das Gefäß im Meer abkühlte. Hätte er eine richtige Kontrolle durchgeführt, hätte er gesehen, dass er eventuelles Süßwasser im Gefäß keinem marinen Ursprung hätte zuordnen dürfen und dass seine Ergebnisse kein Licht auf seine ursprüngliche Behauptung warfen. Derselbe Einwand lässt sich für seine Vivisektionen geltend machen. ** Mick Crawley, der dieses Zitat Nelson Hairston zuschreibt.

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Theophrastos’ Berichte darüber, wie Kulturformen von Weizen sich verhalten, wenn sie an verschiedenen Orten angebaut werden, sind besser und wären, vorsätzlich durchgeführt, ein reziprokes Common-Garden-Experiment der Art, die seine Schlussfolgerung, dass Weizenstämme sich aufgrund einer ererbten Eigenschaft unterscheiden, umfassend rechtfertigt. Aber er hat die Experimente nicht vorsätzlich durchgeführt, und daher ist seine Schlussfolgerung zwar sehr wahrscheinlich korrekt, aber ebenfalls schwach. Wer weiß schon wirklich, was Bauern anstellen? Wenn man ihnen glaubt, dann glaubt man am Ende alles Mögliche, sogar, dass aira aus Weizen hervorgehen kann. Aristoteles’ Version eines Common-Garden-Experiments ist sogar noch ergötzlicher: Um zu bestimmen, ob die Unfruchtbarkeit eines Paares auf ein Defizit beim Mann zurückzuführen ist, sagt er, lasse man ihn mit anderen Frauen als seiner Frau kopulieren und prüfe, ob er mit ihnen Nachwuchs zeugen kann. Das hat nun wirklich die Zutaten für ein echtes Experiment und es wäre vollkommen, hätte er auch die reziproke Behandlung empfohlen, was er nicht tat. Aber es ist nicht mehr als ein Vorschlag. Um das Zitat meines Kollegen abzuwandeln: »Die Sache mit den Gedankenexperimenten ist die, …« Es ist ja nicht so, als seien die Experimente technisch schwierig gewesen. Entstehen Fliegen tatsächlich spontan aus verfaultem Fleisch? Um die Idee zu prüfen, braucht man nur zwei Gläser, frischen Fisch und etwas feinen Stoff. Das war Francesco Redis gesamte Ausrüstung. Geht der Embryo eines Vierfüßers wirklich aus einem Koagulum aus Sperma und Menstruationsflüssigkeit hervor? Falls ja, müsste das Koagulum in der sezierten Gebärmutter eines gerade befruchteten Säugetiers zu sehen sein; schon ein Schaf würde dafür reichen. Aristoteles sah nicht nach, William Harvey schon.* Historiker schreiben manchmal die Tatsache, dass Aristoteles keine Experimente durchführte, seiner Weltsicht zu. Wenn man wie Aristoteles eine scharfe Trennlinie zwischen natürlichen und unnatürlichen Veränderungen zieht, dann kann ein manipulatives Experiment, das eindeutig in die zweite Kategorie gehört, kaum Licht auf die erste werfen. Da könnte etwas dran

* Was ist die früheste Beschreibung eines echten Experiments? Vielleicht Herodots Bericht über ein von Psammetich durchgeführtes, einem ägyptischen Pharao aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. Psammetich wollte mehr über die Ursprünge der Menschen wissen und ließ zwei Kinder ohne einen menschlichen Laut von Ziegen aufziehen. (Die Kontrollen sind implizit Kinder, die von ihren Eltern aufgezogen werden.) Die ersten verständlichen Äußerungen dieser Ziegen-Kinder ähnelten offenbar dem phrygischen Wort für »Brot«. Psammetich folgerte mit einer Art rekapitulationistischer Logik, dass die Phryger ein älteres Volk seien als die Ägypter. Dies ist eine von mehreren Manipulationen unter Einbeziehung von Menschen, die als »Verbotene Experimente« bekannt geworden sind und die sich nicht mehr reproduzieren lassen. Die experimentelle Wissenschaft, so scheint es, wurde in Sünde geboren.

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sein. In den Jahrhunderten nach Aristoteles’ Tod begannen griechische Technologen in Alexandria damit, ausgeklügelte Maschinen zu bauen. Im ersten Jahrhundert n. Chr. beschrieb Heron von Alexandria eine bezaubernde hydraulische Vorrichtung, in der ein Schwarm Bronzevögel aufhört zu singen, wenn eine Bronzeeule sich umdreht und sie ansieht. Die Alexandriner mit ihrer Schwäche für technische Spielereien erprobten ihre physikalischen Theorien auch schneller als Aristoteles. Herons Pneumatika enthält eine Darstellung eines Experimentprogramms, das beinahe eines Boyle würdig wäre.* Vielleicht liegt also der Grund dafür, warum Aristoteles keine Kugel eine Schräge hinabrollen ließ wie Galileo, in dem Umstand, dass die konzeptuelle Struktur seiner Physik ihn daran hinderte.** Aber erklärt das, warum er nicht einen Bauern bat, einen weißfelligen Schafbock mit einem schwarzfelligen Schaf zu paaren, um herauszufinden, wie ihr Nachwuchs aussehen würde? Es ist keine besonders »erzwungene« Intervention, er verstand die Logik (siehe seine Erörterung der untreuen Frau aus Elis) und die Ergebnisse des Experiments hätten ihm sicherlich eine Denkpause bei der Konstruktion seines Vererbungsmodells verschafft.*** Hätte Aristoteles nur einige einfache Experimente durchgeführt, hätte er in der Tat sicherlich weniger Fehler gemacht. Aber es ist das eine, experimentelle Logik zu verstehen, und etwas ganz anderes, sie als den sicheren Weg zur Wahrheit zu betrachten. Die Frage ist jedoch die: Angesichts der Tat-

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Diels behauptete, dass die ersten Seiten von Herons Pneumatika, das diese Experimente beschreibt und im ersten Jahrhundert verfasst wurde, zum großen Teil auf Stratons verschollenen Arbeiten basieren. Falls das stimmt, würde es einen bemerkenswerten Fortschritt in der experimentellen Solidität am Lyzeum in nur wenigen Jahrzehnten nach Aristoteles’ Tod bedeuten. ** Dass Galileo Kanonenkugeln vom Schiefen Turm von Pisa fallen ließ, um im Experiment Aristoteles’ Bewegungstheorie zu widerlegen, ist offensichtlich ein Mythos. Othens aber tat es. *** Schwarzes Fell, wie wir inzwischen wissen, wird meist durch einfache autosomale Dominanz am Locus MC1-R verursacht, also wären nach den mendelschen Gesetzen die Nachkommen zur Hälfte schwarz und zur Hälfte weiß gewesen oder alle wären schwarz gewesen, je nach Genotyp des schwarzen Schafs. Auf jeden Fall wäre die Fellfarbe unabhängig vom Geschlecht des Nachwuchses. Das hätte Aristoteles’ Überzeugung, dass Söhne generell ihren Vätern ähneln und Töchter ihren Müttern, einen Schlag versetzen sollen. Natürlich scheint er zu denken, die Fellfarbe des Nachwuchses werde von dem Wasser beeinflusst, das die Eltern trinken – aber jedes Zuchtexperiment hätte diese Hypothese widerlegt. Zufällig befragte ich zwei Schafbauern auf Lesbos über die Vererbung von Fellfarben. Einer sagte, dass sich die Fellfarbe des Nachwuchses in der Regel nach dem Bock richtet, der andere bestritt das und sagte nur, dass aus Kreuzungen von Schwarz und Weiß manchmal schwarze Lämmer hervorgingen, manchmal weiße – was stimmt. Keiner berief sich auf die mendelschen Gesetze, also glaube ich, dass beide Männer Volksbiologie wiedergaben. Der fehlende Konsens ist meiner Erfahrung nach dafür recht typisch.

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sache, dass er keine Experimente durchführte, entspricht seine Methode überhaupt irgendetwas, das wir heute als Wissenschaft anerkennen können? Platons Methode macht seine Theorien eindeutig untauglich als Wissenschaft – sie basierte schließlich auf der Verachtung für die empirische Wirklichkeit. Schwieriger ist es, sich über die Methoden der physiologoi sicher zu sein – sie sind so unterschiedlich und wir wissen so wenig darüber, was sie genau taten. Aristoteles jedoch hat eine Methode, um die Wahrheit aus der empirischen Welt zu extrahieren, und eine sehr raffinierte dazu. Sie ist, glaube ich, einer anderen sehr ähnlich, die heute angewandt wird.

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ie Wissenschaft hat immer zwei sehr unterschiedliche Arten der empirischen Untersuchung akzeptiert. Die erste ist der Stil, der uns am vertrautesten ist, bei dem Kausalhypothesen durch vorsätzliche, kritische Experimente geprüft werden. Dieser Stil wurde von den Gründern der Royal Society übernommen und bejubelt. Der zweite ist weniger vertraut, aber kaum weniger wichtig. Hier werden Daten angehäuft, Muster gesucht und Kausalerklärungen aus diesen Mustern abgeleitet. Dieser Stil war einst nur in den Vergangenheitswissenschaften zu finden – Kosmologie, Geologie, Paläontologie, Ökologie und Evolutionsbiologie –, also in den Wissenschaftszweigen, in denen manipulative Experimente schwierig durchzuführen sind. Das gilt jedoch heute nicht mehr. Der erste Stil dominierte die Biologie des 20. Jahrhunderts. Zuerst identifizierte man den Gegenstand der Studie – zum Beispiel ein Gen in einem Lebewesen, das man aus irgendeinem Grund für besonders faszinierend hielt. Man ersann eine Möglichkeit, seine Aktivität zu messen. Dann manipulierte man es. Man konnte das Gen »ausschalten« – es zum Stillstand bringen – oder es »überexprimieren« – es auf unerwartete Arten und an ungewöhnlichen Stellen aktivieren. Man würde dann sehen, wie die Manipulation den allgemeinen Phänotyp des entsprechenden Lebewesens oder vielleicht das Verhalten anderer Gene beeinflusst – aber nicht zu vieler, denn jeder Test war kompliziert, teuer und zeitraubend. All das dauerte Jahre. Wenn man fertig war, veröffentlichte man eine wissenschaftliche Arbeit wie diese: Morita, K. et al. 2002. A Caenorhabditis elegans TGF-beta, DBL1, controls the expression of LON-1, a PR-related protein, that regulates polyploidization and body length. Embo J. 21:1063–73

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Die Autoren dieser Arbeit – und es gibt Tausende wie diese – verglichen lange mutierte Würmer mit normalen Würmern und beschrieben so die Rolle einiger Gene in der Steuerung der Länge ihres Wurms. Sie wissen genau, dass sie nur einige Verknüpfungen in einem großen kausalen Netzwerk enthüllt haben, das die Wurmlänge beeinflusst, aber da sie an ihre Ergebnisse glauben, schlafen sie ruhig in dem Wissen, dass ihre Kausalbehauptung wahr ist und dass ihre Entdeckung, so bescheiden sie auch sein mag, in Kombination mit tausend ähnlichen Entdeckungen etwas von Bedeutung hervorbringen wird. Diese Arbeit wurde vor über einem Jahrzehnt veröffentlicht. Wie veraltet es jetzt aussieht! Denn im bisherigen Verlauf des 21. Jahrhunderts kam die Idee, nur einige Gene zu untersuchen, ziemlich aus der Mode. Das Problem ist nicht mehr, ein interessantes Gen zu finden – eine einzige moderne Genomsequenzierungsmaschine spuckt bis zu 54 Gigabasen Sequenzen pro Tag aus.* Das sind rund 16 menschliche Genome, jedes mit gut 25 000 Genen. Ein »Expressionsarray«-Chip kann für jedes Gewebe zeigen, das man zerkleinert und aufträgt, welche dieser 25 000 Gene aktiv sind und in welchem Ausmaß. Andere Technologien ermöglichen die Überprüfung Tausender Metaboliten oder Proteine auf einmal. Biologen sprechen von den »Omics« – Genomik, Transkriptomik, Metabolomik, Proteomik, aber alle meinen eigentlich nur eins: Daten – jede Menge Daten. Hier der Titel eines typischen Omics-Papers: Fuchs, S. et al. 2010. A metabolic signature of long life in Caenorhabditis elegans. BMC Biology 8:2 Die Autoren dieser Arbeit – und es gibt Tausende wie diese – verglichen langlebige mutierte Würmer mit normalen Würmern und beschrieben viele Unterschiede in ihren Metaboliten. Diese Arbeit (Fuchs) hat viel mit der obigen (Morita) gemein: gleicher Wurm (C. elegans), gleiches Labor (meins), ähnliche Problemstellungen (Wachstum gegenüber Alterung). Aber es gibt einen fundamentalen Unterschied in der Methode. Während Morita einige Gene im Detail untersuchte, betrachtete Fuchs Hunderte von Metaboliten oberflächlich. Das wirkte sich beträchtlich darauf aus, was sie daraus folgern konnten – und das zeigt sich auch im Titel. Während Morita kühn von control (Steuerung) spricht, gibt Fuchs nur an, eine »Signatur« gefunden zu haben.

* Illumina HiSeq 2500 High Output, 1 × Abdeckung pro Genom. Diese Zahl wird bei Veröffentlichung des Buches schon obsolet sein und einem imaginären Leser im Jahr 2024 drollig erscheinen.

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Sie fand Dutzende von Unterschieden zwischen ihren langlebigen und kurzlebigen Würmern, hatte aber keine Ahnung, welche von ihnen wichtig sind, welche – wenn überhaupt – tatsächlich für das lange Leben der langlebigen Würmer verantwortlich sind. Die Technologie schenkte Fuchs Reichhaltigkeit. Sie kostete sie aber auch Kausalität. Natürlich verzweifelten Fuchs und ihre Kollegen nicht. Sie – wir – durchsuchten ihre Daten nach Mustern. Wir fanden sie und woben daraus ein Kausalmodell, von dem wir liebevoll annehmen, dass es einige Wahrheit enthalten könnte. Aber wir wären die Ersten, die zugeben würden, dass wir es nicht wirklich wissen. Fuchs’ Arbeit gehört deutlich zum zweiten Stil. Es ist der typische Stil im Zeitalter von Big Data, der sich auch in Soziologie, Kulturgeschichte, Ingenieurswissenschaften und Ökonomie ausbreitet. Seine Methode ist immer dieselbe: Nimm alle Daten, die du kriegen kannst, ordne sie nach einer Art von Klassifikation, mach ihre Struktur sichtbar, leite ein Kausalmodell ab. Die Werkzeuge – multidimensionale Skalierung, selbst organisierende Karten und dergleichen – sind alle neu, aber der Stil ist alt. Es ist Aristoteles’ Stil. Diesen Stil übernimmt man, wenn man eine neue Welt entdeckt, wenn man sich nicht mehr über die Phänomene sorgt, mit denen sich die Vorgänger beschäftigt haben, sondern zufällig auf einen gewaltigen neuen Bereich von Dingen stößt, die man untersuchen kann, prächtig in ihrem Durcheinander, faszinierend in ihrer Ordnung und undurchsichtig in ihren Ursachen. Heutzutage schenkt uns die Technologie – bessere Sequenziermaschinen, größere Teleskope – neue Welten. Aristoteles brauchte nichts davon. Er musste nur zum Strand hinuntergehen und fand einen ganzen Bereich von Dingen, die noch nie untersucht worden waren. Historia animalium ist das große Big-Data-Lager seiner Zeit. An den Daten sei doch nichts »Big«, meinen Sie? Kann sein – aber sein anderes Big-Data-Projekt, die 158 Verfassungen, die er sammelte, wären auch heute noch beeindruckend. Sie waren die Grundlage für seine andere große Übung in Kausalerklärungen, die Politik. In den beiden Stilen herrschen auch ganz unterschiedliche Beziehungen zwischen Theorie und Daten. Im ersten wird eine bestimmte Hypothese geprüft. Das Ergebnis stimmt entweder mit der Hypothese überein oder nicht. Im zweiten wird ein Narrativ konstruiert. Man lässt die Daten sprechen. Was sie einem sagen, ist natürlich stark von dem beeinflusst, was man glaubt und hofft zu hören. Als Glanvill sich beschwerte, Aristoteles würde das »Experiment dazu … zwingen, seinen bedenklichen Behauptungen … Unterstützung zu gewähren«, nannte er die Gefahr beim Namen. Wir sind uns viel deutlicher dessen bewusst als Aristoteles, dass jedes empirische Muster mit mehreren verschiedenen Modellen erklärt werden kann, und dennoch sind wir anfällig für genau denselben Fehler. Deshalb brauchen wir

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beide Wissenschaftsstile, die ich beschrieben habe. Aus Datenerfassung und Musteranalysen entstehen Modelle; gezielte Experimente zeigen uns, ob sie wahr sind oder nicht. Viele Wissenschaftler wenden beide Methoden an. Neben dem Fehlen einer starken kausalen Schlussfolgerung hat der zweite – aristotelische – Stil eine weitere Schwäche. Viele Daten bedeuten immer minderwertige Daten, vor allem dann, wenn sie unterschiedslos von überall stammen.* Genbank – die große Datenbank, in der Biologen ihre DNA-Sequenzen ablegen – ist berüchtigt für ihre Fehler. Das hält die Biologen nicht davon ab, sie zu nutzen. Sie nehmen die Daten, prüfen sie, so gut sie können, und hoffen, dass die Fehler sich aufheben und dass die Wahrheit in der Gesamtheit sichtbar wird. Auch das klingt sehr nach Aristoteles’ Stil. Er stellt Hunderte von faktischen Behauptungen auf, von denen er gewusst haben musste, dass sie auf unsicheren Daten basierten. Wahrscheinlich war das eine bewusste Entscheidung. Seine Daten waren der Rohstoff für die empirischen Verallgemeinerungen und Kausaltheorien, um die es ihm letztendlich ging, und er schien der Meinung gewesen zu sein, dass das Risiko, zweifelhafte Daten mit einzuschließen, sich lohnte, um dorthin zu gelangen. Die Daten aus seinen von Wahrsagerei inspirierten Abschnitten zum Tierverhalten sind schwach. Aber sie illustrieren tatsächlich die verschiedenen Arten von Interaktionen zwischen Tieren, manche rivalisierend, manche räuberisch, und reichen für eine wichtige Verallgemeinerung darüber, wie agonistische Interaktionen unter Tieren zunehmen, wenn die Nahrung knapp wird. In Über den Himmel behauptet er, dass wir auch dann Theorien aufstellen sollten, wenn die Beweislage sehr dünn ist und der Gegenstand unserer Untersuchungen weit entfernt. Die Geschichte beurteilt solche Wissenschaftler als kühn, wenn sie recht haben – und als voreilig, wenn sie falsch liegen.

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s gibt die Überzeugung, und ich glaube, sie ist sehr weit verbreitet, dass etwas mit Aristoteles’ Erklärungen nicht stimmt, dass sie auf eine Art grundlegend unwissenschaftlich sind. Manchmal heißt es, seine Berufung auf die »Naturen« der Dinge sei zirkelhaft. In Le Malade imaginaire von 1673 erklären Molières aristotelische Quacksalber, dass Opium Schlaf herbeiführe, weil ihm ein Schlaf herbeiführendes Prinzip innewohne. Seither sind Argumente dieser Art als Virtus-dormitiva-Erklärungen bekannt und wer-

* Man könnte dies als Wikipedia-Prinzip bezeichnen.

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den zu Recht mit Verachtung gestraft. Ein andermal heißt es, dass die aristotelischen Naturen einen »kreativen Impuls« oder aber »okkulte Kräfte« besäßen. Auf seine Biologie angewandt, sind dies höfliche Umschreibungen für die Behauptung, dass er ein Vitalist ist – was auch viele gesagt haben. Und dann sind da noch diejenigen, die meinten, dass Zweck- oder Formursachen diese kreativen Impulse und okkulten Kräfte sind und keinen Platz in der modernen Wissenschaft hätten. All diese Anschuldigungen in ihrer endlosen Wiederholung sind Echos der wissenschaftlichen Revolution. Oft wurden sie von Aristoteles’ Widersachern aufgegriffen, die wenig darüber wussten, was er sagte oder tat. Doch selbst diejenigen, die Aristoteles genau kannten und sehr schätzten, hielten seine Erklärungen gelegentlich für verfehlt. William Ogle tat das. Bemerkenswerterweise ging es selbst D’Arcy Thompson so. Über Wachstum und Form, das seltsame und verführerisch schöne Buch, das er nur sieben Jahre nach seiner Übersetzung von Historia animalium veröffentlichte, ist ein Lobgesang auf Demokrit. Über die letzten fünfzig Jahre etwa haben Wissenschaftler die Erklärungsfülle von Aristoteles’ Biologie erforscht, enthüllt und zur Schau gestellt wie nie zuvor. Ich habe versucht, einiges von dem zu zeigen, was sie gefunden haben. Ihre Entdeckungen und unser ständig wechselndes Verständnis der natürlichen Welt verlangen, dass wir die Untersuchung dieser uralten Anschuldigungen neu aufrollen. Die Behauptung, dass Aristoteles’ Erklärungen nicht nur falsch, sondern unwissenschaftlich seien, läuft auf die Behauptung hinaus – so alt wie Bacon –, dass sie unmechanistisch sind. Lassen wir ihre Prämisse einmal gelten: dass eine wissenschaftliche Darstellung eines Phänomens, ob alt oder modern, eine mechanistische Erklärung dafür liefern oder wenigstens ihre Möglichkeit einräumen muss. Die meisten Wissenschaftler werden das nicht als kontrovers empfinden. Die Frage ist: Was meinen wir mit »mechanistisch«? Der Begriff ist schwer zu fassen. Wir sind uns sicherlich einig, dass eine mechanistische Erklärung mindestens in den Begriffen einer physikalischen Theorie formuliert ist. Darüber hinaus gibt es unterschiedliche Ansichten. Es folgen einige Definitionen, die ich für falsch halte. Manche Philosophen und Historiker verlangen auch, dass die betreffende physikalische Theorie korrekt sein muss oder zumindest eine bestimmte ist – newtonsche Mechanik oder die Atomlehre zum Beispiel. Solche Einschränkungen sind offensichtlich ahistorisch. Warum sollte irgendeine bestimmte physikalische Theorie derartige Privilegien erhalten? Physikalische Theorien kommen und gehen: Die Entdeckung subatomarer Partikel mag Daltons atomare Chemie redundant gemacht oder gar widerlegt haben, aber deswegen ist sie noch lange nicht unmechanistisch und schon gar nicht unwissenschaftlich.

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Mechanistische Erklärungen werden manchmal auch als diejenigen verstanden, die jeden Bezug zu Zweck- oder Formursachen scheuen. Das scheint mir auch falsch. Bestimmte Arten komplexer Phänomene verlangen zweckgerichtete und formale Erklärungen; mechanistische Erklärungen werden dadurch nicht ausgeschlossen, sondern ergänzen sie vielmehr. Andere Philosophen fordern, dass mechanistische Erklärungen explizite Vergleiche mit Maschinen enthalten – zum Beispiel mit Flaschenzügen oder Uhrwerken. Auch das ist zu restriktiv. Fragt man einen Biologen, wie Proteine in der Zelle hergestellt werden, erzählt er von der »Ribosom-Maschinerie«. Fragt man ihn dann, welchem künstlichen Gegenstand ein Ribosom ähnelt, wird er antworten: »Nun, es ist ein bisschen wie ein CD-Player, da beide Informationen, die in einer physikalischen Form kodiert sind, in eine andere umwandeln, und ein bisschen wie eine Lokomotive, da beide auf ›Schienen‹ (mRNA) umherfahren.« Bohrt man jedoch etwas tiefer, wird er auch die Belanglosigkeit dieser Vergleiche einräumen und dass Menschen nie etwas wie ein Ribosom gebaut haben oder überhaupt etwas so Kluges, dass aber die Physik trotzdem funktioniert. Ich schlage daher vor, dass eine mechanistische Erklärung einfach eine ist, die ein Phänomen in den Begrifflichkeiten der aktuellen physikalischen Theorie erklärt. Nach dieser Definition ist Aristoteles’ Biologie randvoll davon. Sie bilden zwei der vier Säulen seines Erklärungsschemas, die Wirkursache und die Stoffursache. Wohl sagt er ständig, dass es die »Natur« eines Tieres ist, dies oder das zu tun, und hätte er es dabei belassen, wären seine Erklärungen in der Tat nichtssagend und okkult. Das tut er aber nicht. Es folgt stets die Erklärung, wie und warum. In diesem Buch habe ich Aristoteles’ Darstellung von fünf verzahnten biologischen Vorgängen skizziert: (i) das Ernährungssystem, durch das ein Tier komplexe Materie aus seiner Umwelt aufnimmt, ihre Eigenschaften verändert und sie an seine verschiedenen Gewebe neu verteilt, damit es wachsen, gedeihen und sich fortpflanzen kann; (ii) den thermoregulatorischen Zyklus, durch den es sich selbst erhält und der im Alterungsprozess zerfällt; (iii) das CIOM-System, durch das ein Tier seine Umwelt wahrnimmt und auf sie reagiert; (iv) die epigenetischen Vorgänge der Embryoentwicklung und die verwandte Version der Spontanentwickler; (v) das Vererbungssystem. All diese Vorgänge werden von Aristoteles’ physikalischer Theorie untermauert und sind damit mechanistisch. Dass die physikalische Theorie nicht stimmt, ist dabei irrelevant – das gilt für alle physikalischen Theorien. All diese Prozesse erklären einen Teil der Funktionsweise der Seele. Aber die Seele ist nichts, was obendrauf hinzugefügt wird: Sie sind zusammen die Seele oder genauer gesagt, die Seele ist die dynamische Struktur dieser physikalischen Vorgänge (oder ihr Ergebnis). Auch hier: Dass Aristoteles’ Seelen

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auf der Grundlage einer obsoleten Bewegungstheorie, einer untergegangenen Chemie und einer häufig fehlerhaften Anatomie funktionieren, ist hier unerheblich. Descartes ließ seine Tiere trotz all seiner Rhetorik von der bête machine durch »Tiergeister« bewegen, die sie über ihr Nervensystem durchdrangen – mit anderen Worten, durch pneuma. Wenn Aristoteles’ Biologie an einem Punkt unmechanistisch wird, dann passiert das, wenn er die höheren kognitiven Funktionen betrachtet – phantasia, Vernunft, Verlangen. Es sind reine Blackboxes. Aber das können wir ihm verzeihen – für uns sind sie das auch. Obwohl mechanische Vergleiche nicht erforderlich sind, damit eine Theorie mechanistisch ist, sind sie häufig ein Anzeichen dafür. Wenn er erklärt, wie Tiere funktionieren, führt Aristoteles sie unaufhörlich an. Blasebälge, Bewässerungsgräben, poröse Keramik, Käseherstellung, Spielzeugkarren und natürlich die geheimnisvollen Puppen, alle tauchen in seiner Biologie auf. Trotz alledem zeichnet er nie den cartesianischen Vergleich eines ganzen Lebewesens mit einer Maschine. Zweifellos rührt dies daher, dass die mechanischen Geräte zu Aristoteles’ Zeiten so rudimentär waren.* Wir sehen, dass sein Herz-Lunge-Kreislauf ein Thermostat ist, aber er tat das offenbar nicht – er sagte nur, wie er sich die Funktionsweise vorstellte. Das ist also Aristoteles’ Dilemma. Er sieht, dass sowohl Gegenstände als auch Lebewesen aus einfacherem Stoff bestehen, dass sie sich verändern und dass diese Veränderungen mithilfe physikalischer Prinzipien zu erklären sein müssen. Doch wenn er seine Welt betrachtet, sieht er auch, dass kein Gegenstand auch nur annähernd in der Lage ist zu tun, was Lebewesen so mühelos tun. Seine Lösung besteht darin, die Parallelen einzuräumen, sie aber streng zu trennen. Die kybernetischen Eigenschaften von Lebewesen bringen ihn sogar dazu, ihnen den besonderen ontologischen Status von »Wesenheiten« – ouisai – zu verleihen, während er den Gegenständen diesen Status verwehrt. Er hätte Descartes Gerede von Tiermaschinen sicherlich als leere Rhetorik abgetan. In Descartes’ Händen war es das auch. So sollte es jedoch nicht bleiben. Aristoteles’ Feinde (und einige seiner Freunde) haben auch Form- und Zweckursache viel geheimnisvoller erscheinen lassen, als sie wirklich sind. Aristoteles erkannte, dass komplexe Objekte – und nichts ist komplexer als

* Aber wer weiß schon genau, welche Geräte im 4. Jahrhundert modern waren? Die komplexeste mechanische Vorrichtung der griechischen Antike, der Mechanismus von Antikythera, ein analoger Computer aus mindestens dreißig verzahnten Getrieben, der die Himmelsbewegungen zeigte, wurde um 87 v. Chr. in Rhodos gebaut, einige Jahrhunderte nach Aristoteles’ Tod. Aber bis er aus dem Meer gezogen wurde, hätte niemand den Griechen auch nur annähernd zugetraut, so etwas zu bauen.

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ein Lebewesen – sich nicht einfach so zufällig zusammensetzen können, sondern nach einem Muster geformt sein müssen, das sich woanders befindet. Nachdem sie lange in der Wissenschaft fehlte, machte die Molekularbiologie die Form – eidos – wieder salonfähig. In Was ist Leben? argumentierte Schrödinger mit einem Goethe-Zitat (»Das Sein ist ewig; denn Gesetze / Bewahren die lebend’gen Schätze, / Aus welchen sich das All geschmückt«), dass die Chromosomen, die er sich als aperiodische Kristalle vorstellte, einen »Code« enthalten und »Legislative und Exekutive – oder, um einen anderen Vergleich heranzuziehen, Bauplan und Bauhandwerk – in einem« sind. Den letzten Vergleich hatte auch Aristoteles gezogen. Es war Max Delbrück am Caltech, der die Verbindung aufdeckte. In seinem bezaubernden Essay »Aristotle-totle-totle« erzählt er davon, wie er im Laufe einer langen Korrespondenz mit André Lwoff am Institut Pasteur in Paris die Arbeiten des Philosophen entdeckte. Nach einigen Zitaten aus De generatione animalium schrieb er: »Was all diese Zitate sagen, ist Folgendes: Das Formprinzip ist die Information, die im Sperma gespeichert ist. Nach der Befruchtung wird sie auf eine vorprogrammierte Weise ausgelesen; das Ausgelesene verändert die Materie, auf die es wirkt, verändert aber nicht die gespeicherte Information, die genau genommen kein Teil des fertigen Produkts ist.« Und dann schlug er vor, wenn Nobelpreise posthum verliehen würden, sollte Aristoteles einen für die Entdeckung des Prinzips (wenn auch kaum der Substanz, ganz zu schweigen von der Struktur) der DNA bekommen. 1969 bekam Delbrück selbst einen für seine Arbeit an Mutationen. Auch Zweckursachen wurden entmystifiziert. Aristoteles erkannte, dass sie gebraucht werden, wenn das zu erklärende Phänomen ein Ziel zu haben scheint. Sie tauchen dann als Antworten auf mehrere verwandte Fragen auf, die er stellte und die auch moderne Biologen stellen. Wenn wir fragen, warum zielgerichtete Wesenheiten existieren, geben wir Darwins Antwort: weil die Evolution sie durch natürliche Auslese hervorbrachte. Das ist ein Stenogramm für das gesamte Theoriegebäude der Populationsgenetik, das wohlwollende Schöpfer für null und nichtig erklärt. Wenn wir fragen, was ihre Ziele sind, antworten wir darauf, indem wir auf all die adaptiven Vorrichtungen zeigen, mit deren Hilfe sie fressen, sich bewegen, sich paaren, ihren Räubern trotzen und letztendlich überleben und sich fortpflanzen können. Es sind Bacons höhnische Bemerkungen über die teleologischen Erklärungen dieser Art, diesen »Schiffshaltern und Hindernissen«, die jetzt kurios anmuten. Wie er zu argumentieren, dass die funktionelle Untersuchung von Wimpern, Haut und Knochen nicht zur Wissenschaft gehören sollte, zeugt von einer bemerkenswerten fehlenden Neugier auf den eigenen Körper. Wir können auch fragen, wie zielorientierte Dinge, ob lebendig oder nicht, funktionieren. Das ist die schwierigste Art der Zweckerklärung und ihre Ant-

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wort liegt im schlagenden Herzen der Wissenschaft von den komplexen Objekten. Kybernetik, allgemeine Systemtheorie und Kontrolltheorie formalisieren die allgemeinen Prinzipien; die Systembiologie zeigte diese Prinzipien in Lebewesen bei der Arbeit; die synthetische Biologie zeigt, wie dieselben Prinzipien genutzt werden können, um sie umzuformen. 2010 startete JCVI-syn1.0, die erste künstliche zelluläre Lebensform der Welt, ihre molekularen Motoren. Die Unterscheidung zwischen Gegenstand und Organismus löste sich in einer Petrischale auf. Aristoteles’ Antworten auf diese Fragen, die alle in seiner Zweckursache eingeschlossen sind, ähneln manchmal unseren und sind manchmal, kaum überraschend allerdings, ganz anders. Dass es sich um wissenschaftliche Fragen handelt und dass er wissenschaftliche Antworten darauf gab, lässt sich nicht leugnen; zumindest tat er das, bis er von seinem Gott verlangte, den Lebewesen, nicht zuletzt auch ihm selbst, ihren ultimativen Lebenszweck zu verleihen. Und was schließlich ist mit Bacons Anschuldigung, dass Aristoteles’ Wissenschaft für den Menschen nutzlos sei? Es ist der ewige Stoßseufzer des Wissenschaftsbürokraten. (Immer wollt ihr Wissenschaftler Geld von uns, aber was genau bekommen wir dafür?) Keine der Klagen, weder Bacons noch die des Bürokraten, ist vollkommen unbegründet. Aber genau so, wie einigen modernen Wissenschaftlern der Nutzen ihrer Arbeit herzlich egal ist, so war sie es auch für Aristoteles. Sein Vater war Arzt, daher ist es keine Überraschung, unter seinen verlorenen Werken zwei Bücher mit dem Titel Über die Medizin zu finden. Und obwohl seine Bücher über das Altern – De juventute et senectute, De vita et morte und De longitudine et brevitate vitae – nicht enthüllen, was wir tun können, um das innere Feuer zu nähren, dessen Lebendigkeit die Länge unseres Lebens vorgibt, schließt er Letzteres mit folgenden Worten: Unsere Untersuchung von Leben, Tod und verwandten Themen ist fast vollständig. Was Gesundheit und Krankheit angeht, so ist es in gewissem Maße die Sache der Naturwissenschaftler sowie der Ärzte, ihre Ursachen zu betrachten. Aber es ist wichtig, den Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen von Forschern darin zu vermerken, wie sie unterschiedliche Probleme behandeln; denn es ist klar, dass sie sich in gewissem Umfang mit denselben Themen beschäftigen; Ärzte, die Neugier und intellektuelle Flexibilität zeigen, haben etwas über die Naturwissenschaft zu sagen und erklären, dass ihre Theorien daher stammen, und die besten Praktiker in den Naturwissenschaften beschäftigen sich irgendwann meist mit medizinischen Theorien [meine Hervorhebung].

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Man kann das als die Einladung zur biomedizinischen Wissenschaft verstehen. »Diese unsere Wissenschaft«, schrieb D’Arcy Thompson, »ist kein unbedeutendes Handwerk, kein begrenztes Fach. In Aristoteles’ Händen war sie großartig und umfangreich, und seit seiner Zeit ist sie gigantisch geworden.« Aristoteles hätte sich nicht träumen lassen, wie groß die Wissenschaft einmal werden würde, die er begründete. Doch wenn ich den erlesenen Wandteppich seiner Wissenschaft betrachte und mit unserer vergleiche, schließe ich, dass wir heute seine Absichten und Errungenschaften deutlicher sehen können, als jedes vorangegangene Zeitalter es konnte, und wenn das so ist, dann deswegen, weil wir ihn endlich eingeholt haben.

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nd weil wir den einen anderen Wissenschaftler in der gesamten Geschichte kennen, und zwar ganz genau, der ihm mehr ähnelte als jeder andere. Sie waren sich so ähnlich. Beide waren die Söhne berühmter Ärzte, aber beide zogen es vor, die Natur zu studieren. Beide waren verrückt nach Fakten. Beide waren rücksichtslos, kraftvoll logisch – und nicht besonders gut in Mathematik. Beide waren ebenso kühn wie voreilig und weil sie so waren, hinterließen sie uns Sichtweisen des Lebens, die voller – dafür gibt es nur ein Wort – Grandeur steckten. Wenn es einen Unterschied zwischen ihnen gab, dann nur im Ausmaß ihrer Errungenschaften. Schließlich erfand Darwin nicht die Wissenschaft an sich aus dem Nichts – Aristoteles schon. Sie teilten auch denselben wissenschaftlichen Stil. Auf der Suche nach Fakten zur Unterstützung ihrer Theorien warfen beide ihre Netze weit aus. Beide befragten Bauern, Fischer, Jäger und Reisende – obwohl Darwin auch noch Taubenliebhaber auf die Liste setzen konnte.* Beide überspielten große inferenzielle Lücken in ihren Beweisen – Darwin unter anderem die Mechanismen der Vererbung, Lücken im Fossilbericht und die Unsichtbarkeit der natürlichen Auslese. Beide machten umfangreiche, wenn auch häufig flüch-

* Darwin führte natürlich Experimente durch – er züchtete Tauben, prüfte, wie lange Schnecken in Salzwasser überleben und wie Bienen ihre Waben bauen –, aber das war kaum der Stoff, aus dem die Entstehung der Arten gemacht war. 1860 schrieb Richard Owen eine anonyme Rezension des Buches. In seinem Eifer, Darwins Originalität zu leugnen, konzentrierte er sich auf die »direkten Beobachtungen der Natur [in der Arbeit], die neuartig und originell schienen« – die Experimente. Wie sehr er Darwins Methode und Leistung falsch verstand, wäre witzig, wenn es nicht so offensichtlich bösartig wäre.

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tige, Beobachtungen. Und beide Männer folgerten gelegentlich zu viel aus den Fakten, die sie kannten oder zu kennen glaubten. In Über die Entstehung der Arten erzählt Darwin von einem kleinen Nager, dem Tukotuko (Ctenomys), der die argentinische Pampa überschwemmt. Er lebt in Bauen und, so versichert uns Darwin, ist häufig blind; ein Exemplar, das er auf der Reise mit der Beagle am Leben gehalten hatte, »befand sich mit Sicherheit in diesem Zustand; die Ursache dafür, so schien es bei der Sektion, war eine Entzündung der Nickhaut«. Da eine solche Entzündung, fährt er fort, für das Tier schädlich wäre, würde die Selektion daher eher in Richtung augenlose Tukotukos gehen und schließlich zu etwas Ähnlichem wie einem Maulwurf führen. Es ist ein sehr vernünftiges Argument und auch ein wichtiges, denn es ist das einzige Beispiel, das Darwin für die natürliche Auslese, die treibende Kraft der Evolution, in Aktion hat. Leider ist es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht wahr. Vor einigen Jahren suchte ich auf Darwins Spuren wandelnd in Argentinien und Uruguay nach Tukotukos mit tränenden Augen, doch vergeblich. Ich befragte Gauchos und Wissenschaftler und alle bestritten, dass die Tiere irgendwelche Probleme mit ihren Augen haben. Ein Gaucho lieferte eine Erklärung für Darwins Beobachtung: »Nun ja, wissen Sie, wenn wir Tukotukos fangen, dann schlagen wir mit einem Spaten drauf. Sie sind schnell und wild! Vielleicht hat Carlos Darwins Tukotuko deswegen aus den Augen geblutet, eh?« Es ist eine Lektion, die jeder Biologe, jeder Wissenschaftler kennt oder lernen muss: dass die Ausübung von Wissenschaft eine besondere Vertrautheit mit dem Objekt der Untersuchungen erfordert. Man muss seine Form kennen, seine Marotten, all seine Eigenheiten, denn wenn nicht, macht man einen Fehler oder übersieht, dass es etwas Erstaunliches tut, und das ist fast genauso schlimm. Deshalb verbrachte Darwin acht Jahre mit Seepocken. Er suchte, um es mit Barbara McClintocks Worten zu sagen, nach einem »Gefühl für den Organismus«. Mein eigener Doktorvater sagte etwas Ähnliches, wenn auch eingeschränkter, als er mich an meinem ersten Tag in seinem Labor ermahnte: »Lernen Sie den Wurm kennen.« Eine delphische Äußerung? Keineswegs. Ich wusste genau, was er meinte.* Ich glaube, Aristoteles hätte es auch gewusst. Vertrautheit mit der natürlichen Welt strahlt aus seinen Arbeiten, auch aus Theophrastos’ übrigens. Diese Vertrautheit machte es ihnen, den Männern des Lyzeums, möglich, mit dem Durchsieben des Meeres an naturkundlicher Folklore und Reiseberichten nach Körnchen von Wahrheit zu beginnen, aus denen sich eine neue Wissenschaft erbauen ließ. Aristoteles erwähnte es sogar:

* Scott Emmons mit einem Zitat von Paul Sternberg.

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Ein Nichtverstehen des Offensichtlichen kann durch Unerfahrenheit verursacht werden: Diejenigen, die mehr Zeit mit der natürlichen Welt verbracht haben, können besser Theorien mit einer großen Reichweite ihrer Erklärungen aufstellen. Diejenigen, die ihre Zeit mit Argumentieren verbracht haben, statt die Dinge zu studieren, wie sie sind, zeigen allzu deutlich, dass sie überhaupt nicht viel erkennen können.

Der Abschnitt stammt aus Über Entstehen und Vergehen. Die Argumentierer sind die Platoniker. Ihre fixen Ideen – nicht greifbare Formen, Numerologie und Geometrie – veranlassten sie, das zurückzuweisen, was sie mit eigenen Augen sahen. Sie waren blind gegenüber dem Aufbau der Welt, dieser Welt. Der Abschnitt ist ein Vorspiel zur »Einladung zur Biologie«. Denn als Aristoteles sagte, dass wir selbst den einfachsten Geschöpfen unsere Aufmerksamkeit widmen müssen, weil es auch dort Götter gibt, drängte er damit nicht nur ein paar Schüler, ihre Tintenfische zu ergreifen, er stritt auch, wie er es bis zum Ende tun würde, mit Platons Schatten. Er tat, was jeder Wissenschaftler tun muss, der einen neuen Untersuchungsbereich eröffnet: ihn vor seinen Kollegen verteidigen. In der ganzen weiten natürlichen Welt hielt die Akademie nur die Sterne für untersuchenswert. Aber, und darum geht es Aristoteles, wir leben nicht in den Sternen, wir leben hier, auf der Erde. Und zwar nicht irgendwo auf der Erde. Wenn D’Arcy Thompson recht hatte, wie ich glaube, dann ist es das, was Lesbos und die Lagune bei Pyrrha Aristoteles schenkten: einen Ort, ruhig und lieblich, wo er unter natürlichen Dingen sein konnte. Lesbos war für ihn, was der Chimborazo für Humboldt war, der Malaiische Archipel für Wallace, der Amazonas für Bates und ein Wald in Berkshire für Hamilton. Es war das, was der atlantische Regenwald von Brasilien, die öde Pampa von Patagonien, das schwarze Vulkangestein der Galapagosinseln und ein Feld in Kent für Darwin waren. Biologen haben oft solche Orte. Sie brauchen sie, denn Ideen entstehen nicht aus dem Nichts, sie kommen aus der Natur selbst.

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enn Aristoteles von Kalloni spricht, dann meint er immer den euripos Pyrrhaiōn – die Meerenge der Lagune. Durch den euripos kommen die Fische auf ihren jährlichen Wanderungen wie durch einen Trichter. Hier nehmen die Jakobsmuschelbestände zu und ab und hier brodelt der Meeresgrund vor Seesternen. Ich wollte das einmal mit eigenen Augen sehen.

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Der euripos wird von einem Riff knapp unter der Wasseroberfläche gebildet, das an der Nordwestküste hervorspringt. Möwen, die zwischen seinen verborgenen Steinen herumpicken, scheinen auf dem Wasser zu gehen. Die Strömungen der Ägäis sind schwach, aber das Riff engt den Eingang zu einer Wasserrinne ein, sodass beim Gezeitenwechsel der ganze Wasserkörper es in rauschenden Kaskaden zu überwinden versucht. Ein Austerntaucher sagte, er würde uns hinfahren. Wir machten ein Datum bei abnehmendem Mond aus, berechneten das Zeitfenster, beluden das Boot in Apothikes und zogen uns unterwegs die Taucheranzüge an. Als wir die Tauchstelle erreichten, sprang ein Thunfisch hoch aus dem Wasser, Blau vor Blau vor Blau. Ein negativer Einstieg brachte uns über einen felsigen Grund bei sieben Metern. Rosafarbene und braune Schwämme saßen zwischen Seegraswiesen. Silber-schwarze Meerbrassen stemmten sich mit kräftigen Flossenschlägen gegen die Strömung. David K., der eine Leidenschaft für Meeresschnecken hat, verschwand, um nach ihnen zu suchen. Später vermeldete er die Fadenschnecken Cratena peregrina (violette Cerata, orangefarbene Rhinophoren) und Caloria elegans (Cerata mit schwarzen Enden vor einem weißen Körper) sowie die Sternschnecke Discodorus atromaculata (eine zerdrückte belgische Praline, aus der Marzipan hervorquillt). In Richtung der Riffwand gaukelten Schwärme orange-pinkfarbener Anthias und neonblauer juveniler Chromis zwischen Büscheln von Gorgonien. Diese zerbrechlichen Zoophyten findet man normalerweise erst ab dreißig Metern Tiefe, aber hier leben sie wie an den Unterseeklippen von Sulawesi im Flachwasser. Ihre Äste – manche golden, andere weiß – verzweigten sich in einer seltsamen netzartigen Geometrie. Trauben von durchscheinenden Clavelina-Seescheiden hingen an ihnen wie Kristalle an einem Kronleuchter. Unter einem Vorsprung hervor schoss ein Brauner Zackenbarsch davon. Bei zehn Metern drängten sich Schwämme, irgendwo zwischen Form und Formlosigkeit. Einer sah aus wie ein merkwürdiger Wüstenkaktus, ein anderer wie eine mutierte Hand, wieder ein anderer ähnelte einem geschwollenen Ohr, das unerklärlicherweise an einem Felsen sitzt. Kalkrotalgen hingen in Stalaktiten von Felsblöcken herab. Ein Oktopus schniegelte vorbei. Offenbar waren die Gezeitenströmungen verantwortlich für diese Reichtümer. Zweimal pro Tag rauschte ihr nährstoff- und planktonreiches Wasser durch den euripos und sorgte so für ein Unterwasserleben in einer Intensität, wie ich sie noch nirgendwo in der Ägäis gesehen habe. Und dann stieß ich in fünfzehn Meter Tiefe verwirrenderweise auf eine Korallenwand. Es war, als wäre ich unwissentlich durch den Suezkanal in die Korallengärten des Roten Meeres geschwommen. Bei näherem Hinsehen erkannte ich, dass mein Korallenriff tatsächlich ein gewaltiger Felsbrocken war, der von einer soli-

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tären Koralle, Parazoanthus axine, besiedelt worden war, aber so dicht, dass die Illusion eines tropischen Riffs vollkommen war. Ihre goldenen Becher mit dem Tentakelrand strahlten wie tausend kleine Sonnen.

Parazoanthus axinellae, Meerenge von Kolpos Kalloni, Lesbos, August 2012

»Manche sagen«, schrieb Borges, »dass alle Menschen entweder als Aristoteliker oder als Platoniker geboren werden.« Philosophen zucken bei der Gegenüberstellung vielleicht zusammen, aber ich vermute, sie ist im wörtlichen Sinne wahr. Platon lädt uns in eine Welt der Abstraktionen ein, Aristoteles in eine Welt der fassbaren Dinge. Man beginnt mit Einzeldingen, etwa einer Schachtel voller Muschelschalen, bringt sie zusammen und arrangiert sie wieder und wieder neu, um ihre Logik und Ordnung zu begreifen. Dieses Begreifen, sagt Aristoteles, ist das Geschenk der Vernunft und der Anfang der Wissenschaft. Hier liegt auch die wahre Schönheit. Das war für mich schon mit zehn Jahren unausgesprochen offenkundig. Wenn wir älter werden, sind wir zunehmend in unseren Denkgewohnheiten gefangen, durch das, was wir schon wissen, so sicher, wie es Fische im Meer gibt. Die Wissenschaft, das glitzernde Medium, in dem wir schwimmen, diktiert, was wir sehen. So sollte es sein und so ist es unausweichlich, denn niemand sieht die Welt ohne die Brille von Theorie und Erwartung. Doch wie sehnen wir uns danach, sie von Neuem zu sehen. »Denn wie die Augen der Fledermäuse gegenüber dem Gleißen des Tages, so ist der Verstand in unserer Seele [nichts ahnend] gegenüber den Dingen, die von allen am offenkundigsten sind« – Metaphysik 993b10. Bewaffnet mit der Methode, die er entdeckt hatte, diesem bedenklichen Gemisch aus Theorie und sie prägender Erfahrung, das den Kern der Wissenschaft darstellt, wandte sich Aristoteles einem Teil der Welt zu, den noch nie jemand betrachtet hatte, beschrieb ihn, erklärte ihn und, wie Thompson sagte, erkämpfte für ihn einen Platz in der Philoso-

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phie. Wir können ihn dafür beneiden. Von den schäumenden Strömungen des wissenschaftlichen Fortschritts mitgerissen, mühen wir uns ab, ihn nachzuahmen. Aber Aristoteles zeigt uns, was wir tun müssen. Und warum. Als ich die keryx fand, war sie zwischen zwei Felsblöcken eingeklemmt. Ihr Fuß, getupft wie der Pelz eines Leoparden, quoll unter ihrem Haus hervor. Ihre Tentakeln waren gestreift wie ein Zebra. Nie zuvor hatte ich eine lebendige gesehen. Das dicke Gehäuse war von einer filigranen Schicht Moostierchen und einem Flickenteppich von Kalkrotalgen bedeckt, seine Spitze war grau und abgestoßen. Sie muss sehr alt gewesen sein. Der Rüssel der großen Schnecke steckte in einem schwarzen Seeigel, dessen Eingeweide sie langsam wegraspelte. Die Stacheln des Seeigels schwankten in einer letzten, nutzlosen Abwehrbewegung, aber seine Systeme versagten rasch. Dies ist die Welt, die Aristoteles uns schenkte: die eindringlich wahrnehmbare Welt der Lebewesen, ganz und daheim; die Welt, die er uns lieben und verstehen heißt. Aristoteles schrieb Tausende von Sätzen, aber einer, der erste seiner Metaphysik, definiert ihn: »Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen.« Nicht alle Formen von Wissen sind jedoch gleich – die beste ist die reine, unvoreingenommene Suche nach der Ursache der Dinge. Und, daran zweifelt er nicht, danach zu suchen, ist die beste Art, sein Leben zu verbringen. Es ist eine Forderung nach der Schönheit und dem Wert der Wissenschaft.

glaux – Steinkauz – Athene noctua Akropolis, Athen, 2013

Glossar I. technisches Glossar

aithér anó anóantithesis analogonn aphrodisiazomenai aphros apodeixisn aristeross arkhé atomon eidos automata balanos basileia basileus biose delphys Démiourgos dexios diaphora/diaphorai dynamis eikósmythos/eikotes mythoi ekhino eidos/eidé emprosthen entelekheia epagógé epamphoterizein epistémé euripos) geéron genos/gené. géras goné hippomanein historia tés physeó historiai peri tón zóión Historia animalium holon

Äther oben gegenüberliegend (Anatomie) Analogon mit starkem Geschlechtstrieb (bei Frauen) Schaum Beweis, Demonstration links Ursprung, Prinzip unteilbare Form spontan/selbstbewegende Dinge Glans Königin König Lebensweise Gebärmutterkörper Schöpfer rechts Unterscheid (bezügl. mancher Merkmale) Potenzialität, Potenz, Vermögen wahrscheinliche/plausible Erzählung/Bericht Blättermagen, Igel, Seeigel, Krug mit großer Öffnung Form/Pl. vorn Aktualität, Akt,Entelechie Induktion Zwischenstellung/Mittelstellung einnehmen Wissen Meerenge (Straße) Erde Sorte Pl. alt, greis Erdwurm (»Eingeweide der Erde«) Samen »liebesrasende Stute«/Nymphomanin Studium der Natur Historia animalium Ganzheit

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Die Lagune hylé hystera kataménia kató kekryphalos keratia khelidonias khórion kinésis/kinéseis kotylédones limnothalassa logos lysis mathematiké megalé koilia metabolé métra mixis myes mythos mytis neuron/neura nous oikoumené onta opisthen organon ornithiai anemoi ousia/ousiai pepeiramenoi peri physeós phainomena phantasia phantasma/phantasmata physis physiké epistémé physikos physiologos/physiologoi pneuma polis politiké epistémé próton stoicheion psyché sarx sóma sperma stoma stomakhos symmetria symphyton pneuma syngenis synthesis

Materie (Stoff) Gebärmutter/weibliche Fortpflanzungsorgane Menstruationsflüssigkeit unten Retikulum (Netzmagen) Gebärmutterhörner Schwalbenwind Fruchtblase Bewegung/Pl. Kotyledone/Karunkel Lagune, wörtl. See-Meer Definition, Essenz Rückfall/Mutation Mathematik (als Wissenschaft) Pansen Transformation/Veränderung Gebärmutterhals Zusammensetzung Muskeln Geschichte/Erzählung »Herz« der Cephalopoden (i. e. deren Mitteldarmdrüse) Sehne/Pl. Vernunft bekannte Welt Dinge hinten Instrument/Werkzeug/Organ Vogelwinde Substanz, Wesenheit/Pl. etwas ausprobiert oder getestet haben über Natur Erscheinungen mentale Vorstellung mentales Bild/Pl. Natur Naturwissenschaft jemand, der die Natur versteht jemand, der die Natur studiert/Pl. Pneuma Stadtstaat Politikwissenschaft erstes Element Seele Fleisch (i. e. Muskeln) Körper Samen Mund Ösophagus Ebenmaß angeborenes Pneuma verwandt Mischung, Zusammenfügung aus Teilen

Glossar ta aphrodisia technika telos theologiké theos thesis to agathon to hou heneka trophé tón zóión

Geschlechtsverkehr kunstfertige Tätigkeit, Geschick Ziel Theologie Gott Position (Anatomie) das Gute das, um dessentwillen Nahrung/Ernährung/Lebensweise Lebensgrundlage

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II. Erwähnte Tierarten »Gerade in Anbetracht dieser Masse an wertvollen Informationen ist es schade, dass der Autor [i. e. Aristoteles] nicht vorhergesehen hatte, dass die Nomenklatur seiner Zeit irgendwann unverständlich werden könnte, sodass er auch keine Maßnahmen traf, um sicherzustellen, dass man nachvollziehen kann, von welchen Arten er sprach. Dies ist ein grundsätzliches Problem bei den antiken Naturforschern; man ist fast gezwungen, die Arten hinter den verwendeten Namen zu erraten. Da sich Konventionen oft ändern, kommt es zu Fehlern, sodass man zumindest bei manchen Arten durch mühsame Rückschlüsse und das Zusammentragen von Information von verschiedenen Autoren zu einem positiven Ergebnis kommt. Bei einem Großteil von ihnen jedoch sind wir zur Unkenntnis verdammt.« Georges Cuvier und Achille Valenciennes, Histoire naturelle des poissons (1828–49)

Die Arbeit an der Bestimmung der aristotelischen Tiere begann etwa 1256, als Albertus Magnus sein De animalibus zum Teil unter Rückgriff auf die Historia animalium zusammenstellte. Seitdem arbeiten zoologisch gesinnte Altphilologen und altphilologisch gesinnte Zoologen kontinuierlich weiter daran. Mit gemischten Resultaten. Aristoteles’ Beschreibungen der Tiere sind häufig so spärlich, dass sie sich einer Bestimmung widersetzen. Allerdings liefern andere klassische Texte, in denen dieselben oder ähnliche Namen verwendet werden, sowie die von den ägäischen oder adriatischen Fischern und Jäger benutzten Alltagsnamen wertvolle Hinweise. Auch die Biogeografie hilft. Oder man kann einfach zur Lagune gehen und sehen, was es dort gibt. Einem Forscher, der genau das getan hat, ist es überzeugend gelungen, Aristoteles’ kóbios als drei verschiedene Grundelarten zu identifizieren, und sein phykis als den Schleimfisch Parablennius sanguinolentus*. Obwohl sich Generationen von Forschern daran abgearbeitet haben, Aristoteles’ Tiere zu bestimmen, gibt es aktuell dazu keine umfassende Liste. Deswegen habe ich die über 230 Arten aus diesem Buch tabellarisch aufgelistet, mitsamt meiner bestmöglichen Vermutung, worum es sich jeweils han-

* Tipton (2006).

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deln könnte. Nicht jeder Forscher ist gleichermaßen gewillt, die aristotelischen Arten eins-zu-eins mit linnéschen Arten gleichzusetzen. Manche tun es mit Begeisterung, während andere der Ansicht sind, dass es kaum sinnvoll machbar sei. Ich habe mich für den Mittelweg entschieden. Immerhin ist offensichtlich, dass Aristoteles, wenn er von hippos spricht, Equus caballus, also ein Pferd, meinen muss und nicht ein Flusspferd, zumindest wenn er nicht gerade eine Krabben- oder eine Spechtart meint. Spricht er allerdings von kephalos, ist die Sache weniger eindeutig. Mit Sicherheit meint er eine Meeräschenart, denn genau so werden sie in Griechenland auch heute noch genannt, doch er kann eine oder auch alle der Arten Mullus cephalus (Großkopfmeeräsche), Chelon labrosus (Dicklippige Meeräsche), Oedalechilus labeo (Kastenmaul-Meeräsche), Liza saliens (Springmeeräsche), Liza aurata (Goldmeeräsche) oder Liza ramada (Dünnlippige Meeräsche) gemeint haben. Sie alle findet man in griechischen Gewässern und sie sind berüchtigt dafür, dass man sie nur schwer auseinanderhalten kann.* Darüber hinaus erwähnt Aristoteles mindesten vier verschiedene Fische, bei denen es plausibel ist, anzunehmen, es handele sich um Meeräschen, sodass er und die Fischer seiner Zeit wahrscheinlich zumindest einige der heutigen sechs nominellen Arten unterschieden. Doch welche seiner Meeräschen unseren heutigen entsprechen, wird vermutlich für immer ein Rätsel bleiben. Für den Unachtsamen gibt es auch noch einen Stolperstein. Linné und andere frühe Taxonomen gaben ihren europäischen Arten häufig auf Grundlage antiker Beschreibungen klassische Namen. Manchmal hatten sie damit recht. Linnés Chamaeleo chamaeleon chamaeleon – das Europäische Chamäleon – ist mit Sicherheit Aristoteles’ chamailéon, da es die einzige Echsenart ist, die seiner ausführlichen Beschreibung entspricht.** Manchmal allerdings bewegten sie sich auf weitaus unsichererem Terrain. Linné dachte, dass Aristoteles rhinobatos der Geigenrochen war, also nannte er den Geigenrochen Rhinobatus rhinobatus; und da sowohl der Fisch selbst als auch das, was Aristoteles über ihn zu sagen hat, interessant sind, wäre es schön zu glauben, dass tatsächlich der gemeint ist, der es heute ist, doch sicher kann man sich nicht sein, weil Aristoteles nicht viel dazu sagt.

* Koutsogiannopoulos (2010). ** Zwar ist es richtig, dass das Afrikanische Chamäleon, Chamaeleo africanus, in Pylos auf dem Peloponnes vorkommt, allerdings geht man davon aus, dass es von den Römern eingeführt wurde. Warum die Römer allerdings Chamäleons im Mittelmeerraum herumgetragen haben sollten, ist schwer zu sagen.

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Meine Liste beruht auf mehreren Ausgaben der Historia animalium und Über die Teile der Tiere* sowie auf Monografien über Tiere in der Antike*. Ich habe versucht, Mehrdeutigkeiten aufzulösen. Im Allgemeinen lassen sich große Säugetiere mit heutigen Arten identifizieren, Vögel mit der Gattung oder überhaupt nicht (die Historia animalium enthält eine Bandbreite seltsamer, möglicherweise ägyptischer oder babylonischer Vogelnamen); Fische mit Arten, Gattungen oder Familien je nach Bekanntheit, Einzigartigkeit und Detailliertheit der Beschreibung; Insekten größtenteils mit Familie oder Ordnung; wirbellose Wassertiere im ganzen Spektrum zwischen Art und Tierstamm. Über einige von Aristoteles’ Kreaturen können wir allerdings nicht viel mehr sagen, als dass es sich dabei vermutlich um Tiere handelt und dass sie im Meer leben.

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TIERE ZÓIA METAZOA BLUTTIERE ENHAIMA VERTEBRATA Mensch anthrópos Homo sapiens LEBENDGEBÄRENDE ZÓOTOKA MAMMALIA TETRAPODEN TETRAPODA (MEIST) Affe, Berberaffe pithékos Macaca sylvanus? Affe, Rhesusaffe?*** kébos Macaca mulatta Bär, Europäischer Braunbär arktos Ursus arctos Bieber, Eurasischer kastór Castor fiber Bilch eleios Gliridae Bison, Europäischer bonassos Bison bonasus Elefant, Asiatischer**** elephas Elephas maximus Esel, Afrikanischer (Echter) onos Equus africanus asinus

*

HA: CRESSWELL und SCHNEIDER (1862), THOMPSON (1910), PECK (1965), PECK (1970) und BALME (1991). PA: OGLE (1882), LENNOX (2001a) und KULLMANN (2007). ** KITCHELL (2014) über Säugetiere und einige andere Tiere, THOMPSON (1895) und ARNOTT (2007) über Vögel, THOMPSON (1947) über Fische, DAVIES und KATHIRITHAMY (1986) über Insekten, SCHARFENBERG (2001) über Cephalopoden und VOULTSIADOU und VAFIDIS (2007) über wirbellose Wassertiere. *** Aristoteles erwähnt drei nicht menschliche Primaten: kynokephalos, pithékos und den kébos (ausgenommen ist der textlich zweifelhafte khoireopithékos aus HA 503a19). Kynokephalos ist mit Sicherheit der Mantelpavian, Papio hamadryas, da er einen hundeähnlichen Kopf und keinen Schwanz besitzt; vom pithékos wird gesagt, er habe einen kurzen Schwanz und ist deswegen wahrscheinlich der Berberaffe, Macaca sylvanus. Vom kébos wird gesagt, er habe einen Schwanz, doch die schwanztragenden afrikanischen Meerkatzen Cercopithecus kommen nur südlich der Sahara vor, also ist es vielleicht der Bericht über einen asiatischen Rhesusaffen, Macaca mulatta, von der Expedition Alexanders. Siehe KULLMANN (2007) S. 709 sowie KITCHELL (2014). **** Aristoteles sagt nicht, wo sein Elefant gesichtet wurde; höchstwahrscheinlich handelt es sich um den Asiatischen, da er nur im Zusammenhang mit Alexanders Expeditionen auftaucht.

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Esel, Asiatischer (Wildesel)? hémionos* Equus hemionus? Esel, Asiatischer (Wildesel) onos agrios Equus hemionus Fischotter enhydris Lutra lutra Flusspferd hippos potamios Hippopotamus amphibius Fuchs alópéx Vulpes vulpes Gazelle, Dorkasgazelle dorkas Gazella dorcas Giraffe? hippardion Giraffa camelopardis? Hase, Feldhase dasypous Lepus europaeus Hase, Feldhase lagós Lepus europaeus Hirsch, Reh prox Capreolus capreolus Hirsch, Rothirsch? elaphos Cervus elephas? Hund kyón Canis lupus familiaris Hund, Indischer kyón Indikos Canis lupus familiaris (Indischer Pariahund?) Hund, Lakonischer Jagdhund kyón Lakónikos Canis lupus familiaris (Jagdhund) Hund, Molosser kyón en téi Molottiái Canis lupus familiaris (Mastiff) Hyäne, Streifenhyäne glanos Hyaena hyaena hyaina Hyaena hyaena Hyäne, Streifenhyäne** Hyäne, Streifenhyäne trokhos Hyaena hyaena Igel, Nördlicher ekhinos Erinaceus roumanicus Kamel, Arabisches (Dromedar) kamélos Arabia Camelus dromedarius Kamel, Baktrisches kamélos Baktriané Camelus bactrianus (Trampeltier) Katze ailouros Felis silvestrus cattus Kuhantilope, Nordafrikanische boubalis Alcelaphus buselaphus Leopard pardalos Panthera pardus Löwe, Asiatischer león Panthera leo persica Luchs, Eurasischer lynx Lynx lynx Manguste ikhneumón Herpestes ichneumon Marder iktis Martes sp. Maulesel ginnos Equus caballus (m) X Equus africanus asinus (w) Equus africanus asinus (m) X Maultier hémionos Equus africanus asinus (m) X Equus caballus (w) Maultier oreus Equus africanus asinus (m) X Equus caballus (w)

* Aristoteles benutzt den Begriff auch für das normale Maultier; in welcher Beziehung es zum Wildesel steht, ist unklar; siehe KITCHELL (2014). ** Angefangen bei WATSON (1877) gibt es einen langen und unrichtigen Konsens, dass es sich bei Aristoteles’ glanos/hyaina um die Tüpfelhyäne Crocuta crocuta handelt, doch schon die Mähne identifiziert sie als die gestreifte Hyena hyena. Außerdem passt Aristoteles’ Beschreibung ihrer Genitalien nicht auf die außergewöhnliche Maskulinisation der Crocuta-Weibchen. Ich vermute, bei trokhos handelt es sich um dasselbe Tier, allerdings ist das weitaus strittiger; siehe FUNK (2012). KITCHELL (2014) sagt, dass Oppian Tüpfel- und Streifenhyäne unterscheidet, also war Letztere vielleicht in der Antike doch nicht gänzlich unbekannt.

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Maulwurf, Blindmaulwurf* aspalax Talpa caeca Maus mys Mus sp. Maus, Stachelmaus ekhinos Acomys sp. Maus, Waldmaus arouraios mys Apodemus sp. Nashorn, Panzernashorn** onos Indikos Rhinoceros unicornis Nilgau hippelaphos Boselaphus tragocamelus Oryxantilope oryx Oryx sp. Pavian, Mantelpavian kynokephalos Papio hamadryas Pferd hippos Equus caballus Rind bous Bos primigenius Rind, Auerochse tauros Bos primigenius (auroch) Robbe, MittelmeerMönchsrobbe phóké Monachus monachus Schaf krios Ovis aries Schaf oïs Ovis aries Schaf probaton Ovis aries Schakal, Goldschakal? thós*** Canis aureaus? Schwein hys Sus scrofa domesticus Spitzmaus mygalé Soricidae Springmaus dispous**** Dipodidae Stachelschwein, hystrix Hystrix cristata Kamm-Stachelschwein Tiger martikhóras Panthera tigris unbekannter Bovid pardion Bovidae Wiesel galé Mustela sp. Wolf lykos Canis lupus Ziege, Wildziege, Bock khimaira Capra aegagrus Ziege, Wildziege, Bock tragos Capra aegagrus Ziege, Wildziege, Zibbe aïx Capra aegagrus

* Bei aspalax könnte es sich um die in Kleinasien beheimatete Ostblindmaus Spalax oder um den Blindmaulwurf, Talpa caeca, handeln. Sowohl Spalax als auch T. caeca sind blind und haben hautüberwachsene Augen, doch Letzterer scheint biogeografisch plausibler. (T. europea, den Europäischen Maulwurf, findet man nördlich der Alpen und er scheidet aufgrund seiner zwar kleinen, aber von außen sichtbaren Augen aus.) THOMPSON (1910) Anm. HA 491b30 bevorzugt T. caeca schlicht deswegen, weil er in den Regionen, die Aristoteles persönlich vertraut waren, häufiger vorkommt als Spalax; siehe KULLMANN (2007), S. 457. ** Gemeinhin nimmt man an, dass es sich bei onos Indikos um das Panzernashorn handelt (OGLE 1882, S. 190, THOMPSON (1910) Anm. 499b10). LONES (1912) S. 255, widerspricht, als er sich die Füße ansieht. Lones hat recht, wenn er sagt, dass das Nashorn drei Zehen hat und das onos Indikos eine, doch bei Nashörnern ist die Mittelzehe viel größer als die anderen und könnte so fälschlicherweise leicht für einen Huf gehalten werden. *** KITCHEL (2014) weist darauf hin, dass dieses Tier als verblüffend viele Tiere identifiziert wurde. Es könnte sich um einen Schakal, eine Zibetkatze oder um eine Schleichkatzenart handeln. **** Dies ist der antike griechische Name des Tieres. Aristoteles benutzt ihn gar nicht, sondern spricht lediglich von Mäusen mit langen Beinen oder solchen, die sich auf den Hinterbeinen fortbewegen – eindeutig die Springmaus.

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WALE KÉTÓDEIS CETACEA Delfin delphis* Delphinidae Zahnwal phalaina Odontoceti VÖGEL ORNITHES AVES Adler aietos Aquila Amsel kottyphos Turdus merula Bienenfresser, Europäischer merops Merops apiaster Buchfink spiza Fringilla coelebs Eichelhäher kissa Garrulus glandarius Eisvogel alkyón** Alcedo atthis Ente, Krickente? boskas Anas crekka? Falke, Turmfalke kenkhris Falco sp. tinnunculus oder F. naumanni Flamingo, Roter*** phoinikopteros Phoenicopterus ruber Gans khén Branta sp. Geier aigypios Aegypius sp. Habicht hierax Accipitridae, klein Haubentaucher kolymbis Podiceps cristatus Huhn alektór Gallus domesticus Huhn, Adrianisches adrianiké Gallus domesticus Ibis**** ibis Threskiornithidae Kauz, Uralkauz? aigólios Strix uralensis? Kleiber, Felsenkleiber kyanos Sitta neumayer Kormoran korax Phalacrocorax carbo Krähe, Aaskrähe koróné Corvus corone Kranich, Eurasischer geranos Grus grus Kuckuck kokkyx Cuculus sp. Lerche korydalos Alaudidae Meise aigithallos Parus sp. Meise, Tannenmeise melankoryphos Parus ater Milan iktinos Milvus sp. Möwe laros Laridae Pelikan, Krauskopfpelikan pelekan Pelecanus crispus Rabe, Kolkrabe korax Corvus corax Rebhuhn perdix Alectoris oder Perdix Reiher pellos Ardea, sp. Schwalbe khelidón Hirundo rustica Spatz strouthos Passer sp.

*

Vermutlich der Große Tümmler, Tursiops truncatus, doch Aristoteles unterscheidet die verschiedenen, in der Ägäis beheimateten Delphinid spp. nicht. ** Könnte sich auch auf eine Seeschwalbenart beziehen. *** Zwar von Aristoteles nicht erwähnt, doch heute in Kalloni weit verbreitet. Die einzigen Hinweise auf einen Flamingo (oder auf das, was einer sein könnte) im antiken Griechenland sind in Aristophanes’ Die Vögel, 273 und bei Heliodoros. **** Entweder der Braunsichler, Plegadis falcinellus, den man in Griechenland (Kalloni) findet, oder der Heilige Ibis, Threskiornis aethiopicus, den man in Ägypten findet.

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Specht, Buntspecht* dryokolaptés Dendrocopus sp. Specht, Buntspecht hippos Dendrocopus sp. Specht, Buntspecht pipó Dendrocopus sp. Specht, Grünspecht keleos Picus viridis Steinkauz** glaux Athene noctua Stelzenläufer krex*** Himantopus himantopus Storch, Weißstorch pelargos Ciconia ciconia Strauß, Afrikanischer strouthos Libykos Struthio camelus Taube, Feldtaube peristera Columba sp. Taube, Ringeltaube phatta Columba palumbus Taube, Turteltaube trygón Streptopelia turtur Trappe, Großtrappe ótis Otis tarda Wachtel ortyx Coturnix vulgaris Wiedehopf epops Upapa epops Wintergoldhähnchen tyrannos Regulus regulus Zaunkönig trokhilos Troglodytes troglodytes Ziegenmelker aigothélas Caprimulgus europaeus EIERLEGENDE ÓIOTOKA REPTILIA* TETRAPODEN TETRAPODA + AMPHIBIA Chamäleon chamaileón Chamaeleo chamaeleon chamaeleon Eidechse sauros Lacertidae Gecko, Türkischer askalabótés Hemidactylus turcicus? Halbfingergecko? Krokodil, Nilkrokodil krokodeilos potamios Crocodylus niloticus Schildkröte, Landschildkröte chelóné Testudo sp. Schildkröte, Meeresschildkröte khelóné thallattia Cheloniidae Schildkröte, Wasserschildkröte emys Mauremys rivulata? *

Dryokolaptés ist ein allgemeiner Name für Spechte. Aristoteles (HA 593a5, HA 614b10) spricht von mindestens vier Spechtarten sowie vom hippos, von denen manche sich einfach bestimmen lassen, andere nicht. Wenn er einen kleinen Specht mit rötlichen Tupfen erwähnt, muss er Dendrocopos minor meinen, da er der einzige Kleinspecht in Griechenland ist, auf den die Beschreibung zutrifft. Wenn er einen größeren Specht erwähnt, der in Olivenbäumen brütet, muss er D. medius meinen, da es die einzige Art ist, die das tut – interessanterweise auch nur auf Lesbos (Filios Akreotis, pers. Gespr.) Wenn er recht schwammig von einer »größeren« Art spricht, könnte er eine der drei großen Dendrocopus meinen: D. leucotos, den Weißrückenspecht, den Blutspecht, D. syriacus, oder den Großen Buntspecht, D. major, die alle ungefähr dieselbe Größe haben (20 cm – 25 cm). Bei hippos könnte es sich um einen Kopistenfehler für pipó handeln. Darüber hinaus verweist Aristoteles auf den Grünspecht, eindeutig Picus viridis. Siehe THOMPSON (1895) und ARNOTT (2007). ** Wörtlich die Eule der Athene. Auch im Deutschen hat sich das antike Sprichwort »Eulen nach Athen tragen« erhalten. *** Gewöhnlich als Wiesenralle, Crex crex, identifiziert, dies ist jedoch zweifelhaft, zumal der krex von Aristoteles als langbeiniger Wasservogel mit einer kurzen Hinterzehe und einem zänkischen Wesen beschrieben wird (THOMPSON 1895 S. 103; ARNOTT 2007 S. 120), was auf die Wiesenralle nicht besonders gut passt, den Stelzenläufer allerdings schon. **** Kein gültiges Taxon; heute Sauropsida, das Vögel als Klade der Dinosaurier umfasst.

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SCHLANGEN OPHEIS SERPENTES ekhidna Vipra xanthina Bergotter Schlange, groß drakón Serpentes hydros Natrix tessalata? Schlange, Wasserschlange FISCHE IKTHYES CHONDRICHTHYES + OSTEICHTHYES Aal, Europäischer enkhelys Anguilla anguilla Ährenfisch atheriné Antherina presbyter Alosa thritta Alosa sp. oder ein anderer Heringsartiger Barsch, Mittelmeer-Fahnenbarsch anthias Anthias anthias Barsch, Sägebarsch khannos Serranus cabrilla Barsch, Schriftbarsch perké Serranus scriba Blutstriemenschleimfisch? phykis* Parablennius sanguinolentus? Brasse, Geißbrasse sargos Diplodus sargus sargus Brasse, Goldbrasse khrysophrys Sparus aurata** Brasse, Marmorbrasse mormyros Lithognathus mormyrus Brasse, Ringelbrasse sparos Diplodus annularis Brasse, Rotbrasse erythrinos Pagellus erythrinus Drachenkopf skorpaina Scorpaena scrofa Goldstrieme salpé Sarpa salpa Grundel kóbios Gobius cobitis? »Grundel, weiß« leukos kóbios unbekannt Knurrhahn kokkis Triglidae Knurrhahn lyra Triglidae Laxierfisch mainis Spicara maena Petersfisch khalkeus Zeus faber Meeräsche kephalos Mugilidae Meeräsche kestreus Mugilidae Meeräsche khélon Mugilidae Meeräsche myxinos Mugilidae Papageienfisch, Europäischer skaros Sparisoma cretense Rotbarbe triglé Mullus sp. Seebarsch labrax Dicentrarchus labrax Seenadel beloné Syngnathus sp. Thunfisch, BlauflossenThunfisch thynnos Thunnus thynnus

* Der phykis wurde verschiedentlich als Grundel (Gobus niger), eine Lippfischart (z. B. Symphodus ocellatus), THOMPSON 1910 Anm. HA 567b18, THOMPSON (1947) S. 276–8 oder Schleimfisch (Parablennius sanguinolentus), TIPTON (2006) identifiziert. Das lässt sich schwer entscheiden, da man alle in Kalloni und Umgebung findet und die Beschreibung so vage ist, dass man ihn leicht mit anderen Fischen verwechseln kann. ** Wird manchmal aufgrund einer komplizierten Synonymiegeschichte mit Chrysophrys auratus, einem indopazifischen Fisch, verwechselt.

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unbekannt korakinos unbekannt unbekannt, Hering khalkis Clupeidae unbekannt, Hering membras Clupeidae unbekannt, Hering trikhis Clupeidae Wels, Aristoteleswels glanis Silurus aristotelis KNORPELFISCHE SELAKHÉ CHONDRICHTHYES Anglerfisch* batrakhos Lophius piscatoris Geigenrochen? rhinobatos Rhinobatos rhinobatos? Hai galeos Galeomorphi + Squalomorphi Hai, Dornhai akanthias galeos Squalus acanthias Hai, Grauer Glatthai leios galeos Mustelus mustelus Katzenhai, gefleckt skylion Scyliorhinus sp. Meerengel rhiné Squatina squatina Rochen oder Echter Rochen batos/ batis Rajiformes Zitterrochen, Gefleckter narké Torpedo torpedo UNKLASSIFIZIERTE BLUTTIERE Fledermaus nykteris Microchiroptera Flughund, Nilflughund alópéx Rousettus aegyptiacus Kaulquappe oder Molch kordylos Amphibia BLUTLOSE TIERE ANHAIMA INVERTEBRATA** »WEICHSCHALIGE« MALAKOSTRAKA CRUSTACEA (GRÖSSTENTEILS) Garnele karis Nantantia + Stomapoda Garnele, Steckmuschelgarnele pinnophylax Pontonia pinnophylax oder ähnliche spp. Hummer astakos Homarus gammarus Krabbe karkinos Brachyura Krabbe, Geisterkrabbe hippos Ocypode cursor Krebs, Heuschreckenkrebs krangón Squilla mantis Krebs, Steckmuschelkrebs pinnophylax Nepinnotheres pinnotheres Languste karabos Palinurus elephas »WEICHTIERE« MALAKIA CEPHALOPODA Kalmar teuthis Loligo vulgaris Kalmar, Fliegender teuthos Todarodes sagittatus Krake, Moschuskrake bolitaina Eledone moschata Krake, Moschuskrake heledóné Eledone moschata Krake, Moschuskrake ozolis Eledone moschata

* Wider Aristotles handelt es sich beim Anglerfisch nicht um einen Knorpelfisch. ** Kein gültiges Taxon.

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Oktopus, Gewöhnlicher Krake polypodón megiston genos Octopus vulgaris Papierboot nautilos polypous Argonauta argo Tintenfisch sépia Sepia officinalis »HARTSCHALIGE« OSTRAKODERMA GASTROPODA + BIVALVIA + ECHINOZOA + ASCIDIACEA + CIRRIPEDIA Auster limnostreon Ostrea sp. Edle Steckmuschel pinna Pinnas nobilis Herzmuschel khonkhos, rhabdótos Cardiidae trakhyostrakos Jakobsmuschel kteis Pectinidae Napfschnecke lepas Patella sp. Scheidenmuschel?* sólén Solenidae? Schnecke, Murex porphyra Haustellum brandaris Schnecke, Murex porphyra Hexaplex trunculus Schnecke, Tritonschnecke kéryx Charonia variegata Schnecke, Turbanschnecke néreités Monodonta sp.? Seeigel, Lanzenseeigel ekhinos genos mikron Cidaris cidaris Seeigel, Steinseeigel, essbar esthiomenon ekhinos Paracentrotus lividus Seescheide téthyon Ascidiacea »KERBTIERE« ENTOMA INSECTA + CHELICERATA + MYRIAPODA Ameise myrméx Formicidae Biene, Honigbiene (Arbeiterin) melissa Apis mellifera Biene, Honigbiene (Drohne) képhén Apis mellifera Biene, Honigbiene (Königin, wörtl. Führer) hégemón Apis mellifera Biene, Honigbiene (Königin, wörtl. König) basileus Apis mellifera Bremse myóps Tabanus sp. Bücherskorpion to en tois bibliois Chelifer cancroides gignonmenon skorpiodes** Eintagsfliege ephémeron Ephemeroptera Fliege myia Diptera

* Aristoteles sagt, die sólén ist nicht lebensfähig, wenn sie vom Felsen gerissen wird. An anderer Stelle jedoch sagt er, dass sie frei lebt und womöglich auch hören kann. Eine der Aussagen muss falsch sein. Normalerweise wird sólén als Scheidenmuschel (Solenidae) identifiziert, die sich im Sand eingräbt, ein großes Wahrnehmungsvermögen besitzt und zu den aktivsten Muschelarten gehört. ** Wörtlich: »Das Ding, das aussieht wie ein Skorpion, der in Büchern heranwächst.«

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Floh psylla Siphonaptera Grashüpfer akris Acrididae Heuschrecke attelabos Acrididae Hundertfüßer oder Tausendfüßer ioulos Myriapoda Käfer, Mistkäfer kantharos Scarabaeoidea Laus phtheir Phthiraptera Maikäfer mélolonthé Geotrupes sp. Pelzmotte sés Tinea sp. Schmetterling psyché Lepidoptera Skorpion skorpios Scorpio sp. Spinne arachné Araneae Wespe sphéx Vespidae Wespe, Feigenwespe psén Blastophaga psenes Wespe, Parasitoid kentrinés Philotrypesis caricae? Wespe, u. a. Taillenwespe anthréné Vespidae Zecke kynoraistés Ixodes ricinus Zikade tettix Cicada sp. UNKLASSIFIZIERT Edelkoralle korallion Corallium rubrum Einsiedlerkrebs karkinion Paguroidea Fischlaus oistros ó tón thynnón Caligus sp. Qualle? pneumón* Scyphozoa? Schwamm spongos Dictyoceratida Schwamm, Hornschwamm? aplysias Sarcotragus muscarum? Seeanemone akaléphé Actinaria Seeanemone knidé Actinaria Seegurke? holothourion** Holothuria? Seestern astér Asteroidea Wurm helminthes Plathyhelminthes + Annelida + Nematoda, usw. Wurm, Bandwurm helminthón plateion genos Taenia sp. Wurm, Spulwurm strongyleion Ascaris? Würmer, unbekannt

* **

akarides

unbekannt

VOULTSIADOU und VAFIDIS (2007) identifizieren dies als Tote Meerhand, Alcyonium palmatum. Auch das ist plausibel. VOULTSIADOU und VAFIDIS (2007) identifizieren dies als die Runde Seefeder, Veretillum cynomorium. Auch das ist plausibel.

Anhänge Hier präsentiere ich einige von Aristoteles’ Daten und Modellen, so wie er sie vielleicht heute notiert hätte: in Tabellen und Diagrammen. Solche Verfahren sind nicht grundsätzlich unaristotelisch, da er offensichtlich abstrakte Modelle benutzt hat, um biologische Phänomene zu erklären, zumindest gelegentlich – zum Beispiel, wenn er die Geometrie von Lebewesen in PA erklärt oder Wahrnehmung und Bewegung in MA*. Allerdings rechtfertige ich deren Gebrauch nicht mit solchen Beispielen, denn ich möchte damit nicht seine Methoden nachbilden, sondern die Stärken und Schwächen seiner Daten und seiner Erklärungen nachvollziehen. Dass Daten in Form von Tabellen in seinem Werk fehlen, ist ganz besonders schmerzlich: er kann ein ganzes Buch (z. B. HA VI über die Lebensgeschichte von Vögeln) dafür brauchen, Muster zu erklären, die heute in einer Zeitschrift wie Nature in einer einzigen Tabelle zusammengefasst wären – und noch dazu online, als Zusatzinformationen. Auch ist es unmöglich zu wissen, ob sein Herz-Lungen-Kreislauf aus JSVM 26 tatsächlich so funktioniert, wie er behauptet, ohne ein Kontrollmodell oder sonst eine physikalische Nachbildung zu haben – wobei ersteres viel einfacher zu sein scheint. Antikenforscher scheuen vielleicht die entstandenen Tabellen und Diagramme; ihnen erscheint vielleicht das Moderne solcher Verfahren unpassend. Ich möchte sie bitten, sie lediglich als Werkzeuge anzusehen, vergleichbar ihrer modernen abstrakten Notation, mit der sie die Stimmigkeit von Aristoteles’ Logik darlegen und nachprüfen. Naturwissenschaftler werden weniger Schwierigkeiten damit haben, denn für sie wird der Nutzen solcher Verfahren auf der Hand liegen und sie werden sich lediglich die Frage stellen, wie Aristoteles allein mit Wörtern so weit hatte kommen können. Ich würde sie bitten, sich daran zu erinnern, dass er zwar schlau war, aber doch vor sehr langer Zeit gelebt hatte.

* Natali (2013) Kap. 3.3.

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I.  EINE DATENMATRIX FÜR ZWÖLF ARISTOTELISCHE ARTEN UND SECHS MORPHOLOGISCHE EIGENSCHAFTEN In dieser Tabelle werden morphologische Merkmale einiger Tiere dargestellt, so wie Aristoteles sie beschrieben hat. Seine Informationen sind nicht immer richtig. Der Einfachheit halber sind die Merkmalzustände selbst in ganzen Zahlen kodiert. Nimmt Aristoteles an, eine Tierart besäße mehr als ein Merkmal, wird dies in der Matrix durch einen Schrägstrich dargestellt, zum Beispiel 0/1; Zustände dazwischen werden als 0,5 dargestellt; keine Daten als N/A. Diese Tabelle beruht auf folgenden Quellen. Fußtyp: Löwe, Hund, Schaf, Ziege, Hirsch, Flusspferd, Pferd, Maultier, Schwein, HA 499b5. Astragalus mit Fußtyp: Löwe, Schwein, Mensch, Paarhufer, Unpaarhufer, HA 499b20; Mensch HA 494a15, Kamel HA 499a20. Hörner mit Paarhufen: Ochse, Hirsch, Ziege HA 499b15. Anzahl Zähne und Hörner: gehörnte Tiere, Kamele, HA 501a7, HA 499a22. Zahntyp und Hörner: Schwein, Löwe, Hund, Pferd, Ochse, HA 501a15; Elefant HA 501b30. Magentyp und Hörner und Anzahl Zähne: HA 495b25; HA 507b30, Mensch HA 495b25. Die Merkmalsmatrix zeigt einen starken Zusammenhang zwischen den verschiedenen von Aristoteles beschriebenen Merkmalen. Diese Zusammenhänge werden daraufhin erklärt. Zwar könnte man diese Tabelle ausweiten und ihr mehr Arten und Merkmale hinzufügen, allerdings tue ich es nicht, da für alles weitere Aristoteles’ Daten entweder unvollständig sind oder er kaum weiter darauf eingeht.

427

anhänge

Kodierung

Merkmal Zustand

Anz. Zähne Zähne Oberkiefer ≠ Zähne Unterkiefer Zähne Oberkiefer = Zähne Unterkiefer Zahnform flach Sägezahn Stoßzähne Magen einfach komplex Hörner nicht vorhanden vorhanden Füße unpaarhufig paarhufig mehrzehig Astragalus nicht vorhanden vorhanden

0 1 0 1 2 0 1 0 1 0 1 2 0 1

Matrix Merkmal Art

Anz. Zahnform Magen Hörner Füße Zähne

Ochse Ziege Schaf Hirsch Kamel Schwein Pferd Maultier Elefant Löwe Hund

0 0 1 0 0 1 0 0 1 0 0 1 0 N/A 1 1 2 0 1 0 0 1 0 0 N/A 0/2 1 1 1 0 1 1 0

Mensch

1 1

Astragalus

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 0 1 1 0 1/0 1/0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 2 0,5 0 2 0

0 0 2 0

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Die Lagune

II.  AUFNAHME VON RESSOURCEN (TROPHÉ) UND VERTEILUNGSVERLÄUFE BEI EINEM LEBENDGEBÄRENDEN TETRAPODEN (EINEM SÄUGETIER) Dieses Schaubild fasst Aristoteles’ Vorstellung eines Stoffwechselsystems zusammen, davon wie Nahrung aufgenommen, umgewandelt und je nach Zweck verteilt wird. Die Pfeile stellen die Materialflüsse dar. Aristoteles’ »gleichförmige Teile« entsprechen in etwa unseren Geweben, außer dass er betont, sie hätten keine mikroskopischen Strukturen wie Atome oder Zellen. Alle gleichförmigen Teile entstehen aus Blut, selbst wieder ein gleichförmiger Teil. In dem Netzwerk gibt es zwei große Zweige, einer für die erdigen gleichförmigen Teile, einer für die fettigen, wobei Fleisch sich am Endpunkt eines eigenen Zweigs befindet. Alle Reaktionen produzieren Überschuss, und alle gleichförmigen Teile werden in Überschuss und Exkrete zerlegt, sodass ein offenes System entsteht. Manche Nahrung wird für das innere Feuer aufgewandt. Die Knotenpunkte stellen spezifische Nahrungstransformationen dar. Die Aussagen, die das Netzwerk stützen, sind folgende. Blut ist die finale/universelle Nahrung: PA 650a34, PA 651a15. Fleisch wird aus der reinsten Nahrung gemacht, und Knochen, Sehnen usw. sind Überreste: GA 744b20. Fleisch ist verkochtes Blut und Fett ist das aus diesem Prozess übrig gebliebene überschüssige Blut: PA 651a20. Fett ist verkochtes Blut PA 651a21. Fett kann weich oder hart sein (Weichfett oder Talg): PA 651a20. Samen entsteht aus Blut, und zwar aus dem Teil, der auch Fett bildet: PA 651b10; GA 726a5. Mark ist teilweise gekochtes Blut: PA 651b20. Hufe, Hörner und Zähne sind mit Knochen verwandt: PA 6551b1, PA 663a27. Knochen und Mark besitzen eine gemeinsame Vorstufe: PA 652a10. Knorpel und Knochen sind im Grunde dasselbe: PA 655a27. Ablagerungen aus Blase und Darm sind Ausscheidungen von Nahrung; PA 653b10. Galle ist eine Ausscheidung von Nahrung: PA 677a10.*

* Siehe LEROI (2010) für weitere Einzelheiten.

anhänge

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III.  DAS CIOM-MODELL FÜR WAHRNEHMUNG UND AKTION Dieses Schaubild stellt das CIOM-Modell (Centralized Incoming Outgoing model) dar, ein Modell davon, wie laut Aristoteles bei Tieren durch Wahrnehmung gewonnene Informationen von den peripheren Sinnesorganen zum Sensorium (dem Herzen) übermittelt werden, wie diese Informationen im Hinblick auf die Ziele des Tieres eingebunden werden und wie sie mittels der aktiven Kraft Pneuma und den mechanischen Prozessen der Sehnen in Bewegung der Gliedmaßen umgewandelt werden.* Die Pfeile stellen Kausalzusammenhänge dar.

* GREGORIC und CORCILIUS (2013).

anhänge

431

IV.  KONTROLLDIAGRAMM FÜR ARISTOTELES’ THERMOREGULATORISCHEN HERZ-LUNGEN-KREISLAUF Dies ist das einfachste einer Vielzahl möglicher Modelle, mit denen man den Herz-Lungen-Kreislauf darstellen kann, den Aristoteles in JSVM 26± entwirft. Die Pfeile stellen Kontrollbeziehungen dar. Damit Aristoteles’ Modell funktioniert, bedarf es etlicher Annahmen, die er nicht explizit formuliert. Hier nehmen wir an, das Tier habe eine ideale »Referenztemperatur« Tr. Das Ziel des Systems ist es, die Herztemperatur, Th, auf dieser Temperatur zu halten. Das System funktioniert folgendermaßen. Nahrung gelangt ins Herz und wird verkocht. Die Temperatur der Nahrung (jetzt Blut) Tn, steigt über die Referenztemperatur. Falls diese Temperaturzunahme groß genug ist, dass sie den Verlust durch Diffusion (siehe unten) übersteigt, steigt die Herztemperatur Th. Da das Lungenvolumen eine Funktion aus der Differenz zwischen Th und Tr ist, steigt das Lungenvolumen. Das Ergebnis ist eine Zunahme des Luftflusses durch den Mund, FA. Da die Lufttemperatur Ta tiefer als die Referenztemperatur ist, nimmt die Herztemperatur ab und die Lunge zieht sich zusammen. Das Ergebnis ist ein negatives Feedback-Kontrollsystem. Man beachte, dass wir einen konstanten Verlust eines Teils der Herzwärme durch Diffusion berücksichtigen, vielleicht über das Gehirn, das nach Aristoteles als Kühlung fungiert. Dadurch herrscht die Tendenz, dass das System abgekühlt wird, wodurch es weniger empfindlich für eine Zunahme von Tn wird und ein Temperaturgleichgewicht bei Tr erhält. Dieses System funktioniert nur, wenn die Lufttemperatur tiefer als die ideale Referenztemperatur ist. Wenn allerdings Ta > Tr, dann wird keine Menge an Luft Th reduzieren, der negative Feedback-Kreislauf wird zu einem instabilen positiven Feedback-Kreislauf, und die Lungen des Tieres bleiben permanent offen oder geschlossen, löschen in beiden Fällen aber das Feuer (entweder weil es zu kalt oder weil alle Nahrung aufgebraucht wird), was zum Tod führt. So wie hier beschrieben, neigt das System eher zu einem stabilen dynamischen Gleichgewicht wie ein Thermostat. Wenn man allerdings noch mehr Verzögerungen und Nicht-Linearitäten integriert, wird es jenes oszillierende Verhalten an den Tag legen, von dem Aristoteles annahm, es erkläre die Bewegung der Lunge. Das Modell entstand mit freundlicher Unterstützung von David Angeli, Electrical Systems Control Group, Imperial College London.

* KING (2001) S. 126–9.

432

Die Lagune

anhänge

433

V.  ARISTOTELES’ DATEN ZUR LEBENSGESCHICHTE: LEBENDGEBÄRENDE TETRAPODEN UND VÖGEL Diese Tabellen fassen Aristoteles’ Daten zur Lebensgeschichte zusammen. Seine Daten sind etwas komplexer, als die Tabellen es nahelegen, und wieder sind sie nicht immer richtig. Da Aristoteles noch keine deskriptive Statistik kannte, sagt er häufig, dass etwas »im Allgemeinen« der Fall sei; falls dem so ist, ist das der Wert, den ich zuweise. Wenn er eine Spanne angibt, notiere ich einen Mittelwert, ignoriere aber die Extreme. Sagt er, dass er unsicher ist (z. B. über die lange Lebensspanne des Elefanten oder die kurze des Spatzen), habe ich dies mit a. u. vermerkt. In manchen Fällen sagt Aristoteles nicht ausdrücklich, dass eine Art für eine bestimmte Lebensgeschichte-Variable einen gewissen Wert besitzt, sondern spricht ganz allgemein von megista genos – beispielsweise: »sehr wenige Vögel vermehren sich in ihrem ersten Jahr«. In solchen Fällen habe ich festgehalten, dass der Wert zu allen Arten innerhalb einer größten Gattung gehört, sofern nicht anders angegeben; in den Fällen aber, in denen er nicht ausdrücklich sagt, dass ein Wert auf eine megista genos zutrifft, habe ich ihn auch nicht übernommen. Zum Beispiel weiß er vermutlich, dass die meisten großen lebendgebärenden Tetrapoden (Säugetiere) einen Wurf pro Jahr haben, jedoch sagt er es nicht. Die Ausnahme zu dieser Regel betrifft die Körpergröße. Nie liefert Aristoteles quantitative Daten zur Körpergröße, noch nicht einmal, ob ein Tier groß oder klein ist, ausgenommen im Kontext einer funktionalen Erklärung. Aus solchen Erklärungen wird jedoch ersichtlich, dass er einen Menschen oder einen Strauß für »groß« hält, ein Schwein oder Huhn für »mittelgroß« und eine Katze oder einen Spatzen für »klein« im Hinblick auf die megista genos, zu dem sie je gehören; ich habe dementsprechend die passenden Körpergrößen eingetragen. Die meisten dieser Daten stammen aus HA V und VI; Daten zur Vollkommenheit von Embryonen stammen aus GA IV. Ganz richtig behauptet Aristoteles, dass mehrzehige Tiere (Fuchs, Bär, Löwe, Hund, Wolf, Schakal usw.) unvollkommene Jungen haben, paar- und unpaarhufige Tiere (Kuh, Pferd) haben vollkommene Jungen. Das Schwein ist eine Ausnahme, da es als Paarhufer relativ vollkommene Nachkommen hat. Bei den Vögeln listet Aristoteles unter anderem Raben, Eichelhäher, Spatzen, Schwalben und Tauben als Arten auf, die unvollkommene Neugeborene haben – benennt aber keine mit vollkommenen. Vermutlich basieren seine Verallgemeinerungen auf mehr Daten, als er tatsächlich angibt.

Die Lagune

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zoótoka tetrapoda  LEBENDGEBÄRENDE TETRAPODEN

MERKMAL ART

Körper- Alter Lebens- Würfe Wurf- Trächtig- relative größe – bei spanne pro größe keits- Vollausge- Reife Jahr dauer kommenwachsen (Jahre) heit

Maus S groß Hase S 4 U/ V Katze S 6 l 1 2 Ziegenmelker S >1 1 1 1 1 1 groß U Feldtaube S 0,5 8 l 10 16 l 1 groß 0,6 Rabe M >1 1 4 0,6 U Milan M >1 1 2 0,6 Habicht M >1 1 Falke M >1 1 4 Uralkauz? M >1 1 4 Pfau L 3 25 l 1 1 1 1 Großtrappe L >1 1 1 Geier L >1 1 2 Adler L >1 1 3 1 Strauß L >1 groß

±

L: groß

l: einfache

V: Vollkommen

M: mittel

Lebensspanne

U: Unvollkommen

S: klein

rl: reproduktive



Lebensspanne

Wenn Aristoteles sagt: »sehr wenige Vögel vermehren sich in ihrem ersten Jahr«, meint er sicherlich, dass sie es in ihrem zweiten tun, also in der nächsten Brutsaison, für gewöhnlich im Frühling.

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Die Lagune

VI.  ZUSAMMENHÄNGE ZWISCHEN MANCHEN LEBENSGESCHICHTLICHEN MERKMALEN, DARGESTELLT ANHAND HEUTIGER DATEN In GA IV und LBV behauptet Aristoteles, dass verschiedene lebensgeschichtliche Merkmale auf bestimmte Art und Weise miteinander zusammenhängen. Zumindest für Höhere Säugetiere sind seine Behauptungen richtig. Unten stelle ich vier dieser Beziehungen dar, indem ich auf Daten aus der

anhänge

437

Datenbank der Lebensgeschichte von Säugetieren, panTHERIA*, zurückgreife. Ordnungen, die Aristoteles entweder unbekannt waren (z. B. Marsupialia) oder aus anderen Gründen nicht unter seine Tetrapoden fielen (Chiroptera, Catacea), schließe ich zunächst aus, dann bilde ich die logarithmierten Daten als lineare Regression ab. Vier der von Aristoteles behaupteten Zusammenhänge werden dargestellt: Wurfgröße und adulte Körpergröße des Tieres (negativ), Trächtigkeitsdauer und Lebensdauer (positiv), adulte Körpergröße des Tieres und Lebensdauer (positiv) sowie Fruchtbarkeit und Lebensdauer (negativ). Weitaus komplexere Analysen dieser Art wurden schon häufig publiziert.** Für gewöhnlich versuchen sie, etliche verwirrende Effekte miteinzubeziehen, womit sie die Schwierigkeit, kausale Beziehungen aus komparativen Daten abzuleiten, zwar reduziere, jedoch selten ganz beseitigen.

* JONES et al. (2009). ** Zum Beispiel MILLAR und ZAMMUTO (1983), DERRICKSON (1992), STARCK und RICKLEFS (1998), BIELBY et al. (2007).

Anmerkungen

D

ie Literatur, die sich mit Aristoteles’ Schriften befasst, ist alt, streitbar und äußerst umfangreich. Wenn heutige Antikenforscher herausarbeiten, worauf Aristoteles in seiner Physik hinauswollte, zitieren sie häufig den Kommentar von Alexander von Aphrodisias, obwohl er im 2. Jahrhundert nach Christus verfasst wurde. Ich hingegen verzichte auf solch eine Zurschaustellung von Gelehrsamkeit, und die folgenden Anmerkungen haben lediglich zwei bescheidene Ziele. Das erste ist, Ihnen den Weg zu den Texten des Aristoteles zu weisen. Falls Sie selbst nachlesen möchten, was er über die Augen des Maulwurfs geschrieben hat, sagen Ihnen die Anmerkungen zu Kapitel LIV, wo Sie das können. Das zweite ist, Sie in die wichtigste, neueste und zugänglichste Sekundärliteratur einzuführen. Leider fallen diese Qualitäten nur selten zusammen, da die Aristotelesforschung sehr schleichend voranschreitet und neue Erkenntnisse häufig in solch abgelegenen Winkeln akademischer Publikationsorgane wie Festschriften und Konferenzmitschriften erscheinen. Größtenteils habe ich weder meine Deutungen allein unter Rückgriff auf diese Literatur gerechtfertigt, noch habe ich versucht, über die darin enthaltenen Streitpunkte zu urteilen. Wenn ich gelegentlich Forscher zitiere, deren Ansichten von meinen abweichen, dann nur, um auf wichtige Meinungsunterschiede unter den Experten aufmerksam zu machen oder auf eine eigene kleine unorthodoxe Überzeugung. Die Verweise auf Aristoteles’ Werke geschehen in Form der Bekker-Zählung, die auf Immanuel Bekkers Ausgabe des griechischen Textes von 1831 zurückgeht. Sie sehen folgendermaßen aus: HA 608b20, wobei sich HA auf die Schrift Historia animalium und 608b20 auf die Zeilenzahl bezieht. Jedes Werk, auch beispielsweise die HA, ist außerdem noch in Bücher und Kapitel unterteilt, die ich im Allgemeinen nicht verwende, es sei denn, ich verweise auf ein gesamtes Kapitel, zum Beispiel HA I, 1 – HA Buch I, Kapitel 1. Durch die Verwendung dieser Zählung sind Sie in der Lage, jeden angegebenen Text in jeder zuverlässigen Ausgabe, ganz gleich welcher Sprache, zu finden. Die englischsprachige Oxford-Ausgabe Works of Aristotle Translated into English, 1910–52, herausgegeben von J. A. Smith und W. D. Ross, ist online kostenlos verfügbar. Diese Ausgabe wurde überarbeitet und erschien in zwei Bänden als The Complete Works of Aristotle: The Revised Oxford Translation, Princeton, 1984, herausgegeben von Jonathan Barnes. Falls Sie dennoch eine eigene Ausgabe der HA wollen, suchen Sie nach einem gebrauchten Exemp-

anmerkungen

439

lar der Oxford-Ausgabe von 1910, es ist die von D’Arcy Thompson. Sicherlich bin ich etwas sentimental, allerdings enthält sie Anmerkungen, die Sie in der Princeton- und der Online-Ausgabe nicht finden. Ebenfalls von unschätzbarem Wert und außerdem mit griechischem Originaltext sind die von Harvard publizierten Loeb-Ausgaben. Zum Teil wurden diese Ausgaben heute vom Clarendon Aristotle abgelöst, der neben dem englischen Text auch wichtige Anmerkungen enthält. Allerdings ist momentan der einzig verfügbare biologische Text in dieser Reihe Jim Lennox’ The Parts of Animals, 2001. Deutsche Leser sollten zu Aristoteles: Werke in deutscher Übersetzung aus dem Akademie Verlag greifen; allerdings ist es auch hier so, dass die einzigen verfügbaren biologischen Werke Jutta Kolleschs IA und MA, 1985 und Wolfgang Kullmanns PA – Über die Teile der Tiere, 2007, sind. Die griechische Standard-Ausgabe der Historia animalium ist die editio maior, Cambridge, 2002 von David Balme (zusammen mit Allan Gotthelf). SCHRIFTEN DES ARISTOTELES Cat APo Top Phys DC GC Meteor DA PN Sens SV LBV JSVM HA PA MA IA GA DP Mirab

* Pseudo-Aristoteles

Kategorien (Categoriae) Zweite Analytik (Analytica posteriora) Topik (Topica) Physik (Physica) Über den Himmel (De caelo) Über Entstehen und Vergehen (De generatione et corruptione) Meteorologie (Meteorologica) Über die Seele (De anima) Kleine naturwissenschaftliche Schriften (Parva naturalia) Über Wahrnehmung und Wahrnehmbares (De sensu et sensibilius) Über Schlafen und Wachen (De somno et viglia) Über Lang- und Kurzlebigkeit (De longitudine et brevitate vitae) Über die Jugend und Alter, Leben und Tod, inkl. Über die Atmung (De juventute et senectute, vita et morte, inkl. de Respiratione) Tiergeschichte (Historia animalium) Über die Teile der Tiere (De partibus animalium) Über die Bewegung der Tiere (De motu animalium) Über die Fortbewegung der Tiere (De incessu animalium) Über die Entstehung der Tiere (De generatione animalium) Über die Pflanzen (De plantis)* De mirabilibus auscultationibus*

Die Lagune

440 Prob Metaph EN EE MM Pol Poet FR

Probleme* Metaphysik (Metaphysica) Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) Eudemische Ethik (Ethica Eudemia) Große Ethik (Magna Moralia)* Politik (Politica) Poetik (Poetica) Fragmente (Fragmenta)

SCHRIFTEN DES THEOPHRASTOS HP CP St

Naturgeschichte der Gewächse (Historia plantarum) Über die Ursachen der Pflanzen (De causis plantarum) Von den Steinen (De lapidibus)

SCHRIFTEN PLATONS Poli Tim Phaidros Phaidon Politikos Nomoi Philebos Gorgias

Politeia (Der Staat) Der Timaios Der Phaidros Der Phaidon Der Politikos Die Nomoi (Gesetze) Der Philebos Der Gorgias

SCHRIFTEN ANDERER ANTIKER AUTOREN Athen BG DK DL Herod Hesiod Mem Oik Paus Plin Plut Strab Symp TG * Pseudo-Aristoteles

Athenaios, Deipnosophistai Aelianus, Bunte Geschichten Fragmente der Vorsokratiker (Diels-Kranz-Nummer) Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen Herodot, Historien Hesiod, Theogonie Xenophon, Memorabilien, Erinnerungen an Sokrates Xenophon, Oikonomikos Pausanias, Beschreibung Griechenlands Plinius, Naturgeschichte Plutarch, Das Leben Alexanders Strabon, Geographie Xenophon, Symposion Aelianus, Tiergeschichten

anmerkungen

441

I Muscheln und Schnecken. A. über Muscheln, HA 528a20; über die innere Anatomie von Schnecken, HA 529a1. THOMPSON (1947) S. 113 zweifelt einen etymologischen Zusammenhang zwischen kéryx und Herold an und geht davon aus, dass es sich lediglich um eine alte Bezeichnung für Schnecke handelt.

II Das Lyzeum. Sulla brandschatzte Athen 87–86 v. Chr. im Ersten Mithridatischen Krieg; vgl. KEAVENEY (1982), S. 69. Strab. XIII, 1, 54–5 beschreibt, wie er A.s’ Werke mit nach Rom nahm. In Strab. IX, 1, 24 und Paus I, 19,3 finden sich späte Darstellungen des Lyzeums; LYNCH (1972) erörtert dessen Topografie und Funktion. Die Aussprüche und Beschreibungen von A. finden sich in DL V, 1–2; DL V, 17–22 [engl. Übers. Hicks (1925)]. Laut manchen Quellen ist es eine Schande, still zu sein, während Isokrates (ein Sophist) und nicht Xenokrates (ebenfalls ein Akademiemitglied) spricht. Die meisten Forscher sind sich darin einig, dass A.s’ erhaltene Werke Aufzeichnungen zu Vorträgen sind, z. B. ACKRILL (1981) S. 2, GRENE (1998) S. 32, BARNES (1996) S. 3, ANAGNOSTOPOULOS (2009b). Canguilhems äußerte seine kritischen historiografischen Bemerkungen in L’ objet de l’histoire des sciences, 1968, ich bin jedoch in PELLEGRIN (1986) S. 2 auf sie gestoßen. A. spricht von der Erforschung der Natur in PA 639a13, PA 644b17, PA 645a6 sowie DA 402a7. Den Lehrplan zur großen Vorlesung gibt er bei Meteor 338a20. Die Einladung zur Biologie findet sich in PA 645a15.

III D’Arcy Thompson. Eine Biografie von D’Arcy Thompson schrieb seine Tochter THOMPSON (1958). THOMPSON (1910) identifiziert die Springmaus in HA 606b6, Anm. 1, und bespricht den Geigenrochen und seine Verhältnisse in HA 566a27, Anm. 6. THOMPSON (1910) S. vii argumentiert dafür, dass es sich bei A.s’ Aufenthalt auf Lesbos – oder allgemeiner in der östlichen Ägäis – um die Zeitspanne handelt, in der er den Großteil seines biologischen Werks verfasste. Das ignorierte JAEGER (1948) bei seiner Chronologie, LEE (1948) jedoch sprach sich für Thompsons Einschätzung aus, während SOLMSEN (1978) Thompson kritisierte, weil er davon ausging, dass die Kernstellen in HA nicht authentisch seien; LEE (1985) verteidigte Thompson erneut. BALME (1991) S. 25 war der Ansicht, dass es »am wahrscheinlichsten« sei, dass A. während der Zeit auf Lesbos an einem Großteil von HA arbeitete, nahm aber an, dass einige der anderen Arbeiten zur Biologie früher entstanden waren, vielleicht sogar noch an der Akademie. KULLMANN (2007) S. 146–56 geht die Argumente für die Chronologie der Zoologie durch und kommt zu dem Schluss: »Die Zeit auf Lesbos ist dabei terminus post quem [i.e. der früheste Zeitpunkt] für die Abfassung der zoologischen Schriften. Viel spricht also dafür, dass alle zoologischen Schriften im selben Lebensabschnitt des Aristoteles konzipiert wurden. Ob sie erst später ausgearbeitet wurden, wissen wir nicht.« Bei THOMPSON (1910) S. iv hört man die Verzweiflung darüber, A.s’ Naturgeschichte zu kommentieren.

442

Die Lagune

IV Lesbos. Zu den Vögeln auf Lesbos, siehe DUDLEY (2009); für die Geologie der Insel siehe ZOUROS et al. (2008); für ihre Botanik siehe BAZOS und YANNITSAROS (2000) sowie BIEL (2002). Makis Axiotis, ein örtlicher Arzt, Naturkundler und vielseitig gebildeter Mensch hat ebenfalls etliche hervorragende Bücher über die Flora und Fauna der Insel (auf Griechisch) verfasst, die man jedoch nur vor Ort erwerben kann.

V An der Lagune. Meine Zusammenfassung der Tiere der Lagune nach Aristoteles setzt sich aus folgenden Quellen zusammen: HA 621b13, HA 544a20, PA 680b1, HA 547a4, HA 548a8, HA 603a22, GA 763b1. Bei THOMPSON (1913) findet sich außerdem noch HA 548b25, wo es um die Schwämme am Kap Malea geht; obwohl zwar ein Kap Malea auf Lesbos existiert, gibt es ein weitaus bekannteres auf dem Peloponnes, weswegen ich die Stelle weglasse. A.s’ Wort für »Lagune« lautet limnothalassa, wörtlich SeeMeer, vgl. GA 761b7, HA 598a20, das er nicht speziell für Kalloni gebraucht.

VI Fisch als Nahrung. Archestratos’ gastronomische Fragmente wurden von WILKINS et al. (2011) gesammelt und ins Englische übersetzt. In seiner klassischen Arbeit über den Konsum der antiken Griechen, weiß DAVIDSON (1998) viel über die Bedeutung von Fisch zu sagen.

VII Die Vorsokratiker. Eine gut verständliche Einführung ins Denken der physiologoi liefern LLOYD (1970) und WARREN (2007). BARNES (1982) und BARNES (1987) legen eine großzügige Auswahl an Texten und Kommentaren vor, die so geistreich wie erhellend sind. Jedoch ist Barnes nach eigenen Aussagen nicht allzu sehr an den wissenschaftlichen Theorien der physiologoi interessiert, sodass diese hervorragenden Bücher von KIRK et al. (1983) ergänzt werden müssen. Für manche, z. B. FARRINGTON (1944–9) und LLOYD (1970) S. 9, lassen die physiologoi »die Götter außen vor«; andere wie SEDLEY (2007) neigen eher dazu, das Göttliche in ihren Erklärungen zu sehen. LLOYD (1970) S. 10 und BARNES (1982) Kap. 1 behaupten, die physiologoi seien gekennzeichnet durch das Streitgespräch oder die Vernunft. Thales’ Erklärung von Erdbeben stimmt mit denen aus Aëtus III, 15 und Senecas Naturales quaestiones III, 14; 6.6 überein. A. spricht über Hesiod in Metaph 983b19; Hesiod 116–20. Heraklits scharfe Kritik an seinen Vorgängern und Zeitgenossen findet sich bei DK 22B40. Die Referenzausgabe des Corpus Hippocraticum ist Littrés griechisch/französische Ausgabe: LITTRÉ (1839–61), der Textkorpus ist auch in einer griechisch/englischen Ausgabe verfügbar: JONES et al. (1923–2012) und LOINE (1981). »Hippokrates« möchte »erklären, wie der Mensch und die anderen Tiere …«: Littré VIII, Über das Fleisch, I [modifizierte Übers. nach JONES et. al (1923–2012) Bd. VIII]; spricht über die Nutzung von Oxymel: Littré II, Über die Diät bei akuten Krankheiten, 16. A. erwähnt Hippokrates nur ein einziges

anmerkungen

443

Mal und das nicht in einem medizinischen Kontext: Pol 1326a15. Dass Empedokles ein Quacksalber war, ist in DK 31BIII festgehalten; A. kritisiert seinen Stil in Metaph 985a5.

VIII A. kommt an die Akademie. A.s’ Biografie wurde mit scharfsinniger Gelehrsamkeit aus einer Vielzahl von später verfassten und unzuverlässigen Vitae zusammengestückelt. Etliche Jahre lang war DÜRING (1957) das Standardwerk; inzwischen hat NATALI (2013) eine neue hervorragende Quellenauswertung vorgelegt. A. spricht vom Aufgeben der Naturforschung bei PA 642a29. Eine Liste von Platons Schülern findet sich bei DL III, 46. Sokrates’ Verzweiflung und seine eigene Zerstreutheit sind in Phaidon 99B festgehalten. Seine Antiwissenschaft wird von Xenophon in Mem I, I.11–15 festgehalten. Cicero lobt Sokrates’ Hinwendung zur Ethik in den Tusculanae dispuationes, Buch V, 10.

IX Platons Antiwissenschaft. Speusippos’ Charakter ist in DL IV, 1 beschrieben. Der Dialog zwischen Sokrates und Glaukon stammt aus Poli 527C–531C.

X Der Timaios. BURNYEAT (2005) untersucht die Bedeutung von eikós mythos. Platons nummerologische Theorie der Elemente findet sich bei Tim 54D–55C [engl. Übers. CORNFORD (1997)]. GREGORY (2000) und JOHANSEN (2004) liefern allgemeine Darstellungen von Platons Naturphilosophie. HAWKING (1988) sucht nach einer Absicht Gottes. (Später gab er auf.). A. spricht vom Konflikt zwischen der Liebe zur Wahrheit und Freundschaft in EN 1096aII; in der späteren Tradition wurde daraus häufig: »Platon ist mir lieb, aber noch lieber die Wahrheit.«

XI In der Akademie. Die (eher unglaubwürdige) Anekdote, wie Aristoteles den betagten Platon schikanierte, wird von Aelianus erzählt: BG III, 19. Von Hermias und Assos erfahren wir in DL V, 3–9, wo ebenfalls die Inschrift auf der Statue des Hermias wiedergegeben wird; vgl. Athen XV, 696 und Strab XIII, 1, 57. ANDREWS (1952) untersucht, ob A. am Hof des Hermias politisch involviert war; wahrscheinlich hat Platon Hermias nie getroffen – zumindest scheint sein Sechster Brief über Freundschaft, den er sowohl an Hermias als auch an die Akademiemitglieder Koriskos und Erastos richtet, dies nahezulegen, NATALI (2013). A. spricht vom besten Heiratsalter in Pol 1335a27; zu der Zeit war er etwa 37, woraus man (wenn auch nur sehr indirekt) schließen kann, dass Pythia 18 war. »Einen Myrthenzweig und eine schöne Rose / hielt sie anmutig in den Händen und ihr Haar / …«: Archilochos [engl. Übers. BARNSTONE (1972) S. 29]

444

Die Lagune

XII Assos. Ein Bericht über die Ausgrabungen bei Assos liefert CLARK et al. (1882).

XIII Theophrastos. Die Archäologie des antiken Eresos legen SCHAUS und SPENCER (1994) dar. T.s Leben wird in DL V, 36-57 geschildert. Seine Botanik lässt sich in der griechisch/englischen Ausgabe bei HORT (1916) sowie EINARSON und LINK (1976–90) nachlesen, die jedoch von den griechisch/französischen Ausgaben von AMIGUES (1988–2006) sowie AMIGUES (2012) als Standard abgelöst wurden, bzw. es sein werden, sobald Letztere abgeschlossen ist. Die übrigen fragmentarischen Schriften des T. wurden in einer langen Reihe von Monografien gesammelt und analysiert, die den Titel trägt Theophrastus of Eresus: Sources for his Life, Writings, Thought and Influence und den dazugehörigen Bänden, herausgegeben vom verstorbenen Robert Sharples, von William Fortenbaugh und Pamela Huby vom hervorragenden Project Theophrastus.

XIV Lesbos. »Der glückliche Naturforscher …« stammt aus THOMPSON (1913) S. 13, eine Hommage eines großen Zoologen an einen anderen.

XV A. als Wissenschaftler. A. benutzt physiké [epistémé] in Metaph 1026a6 und physikos in Phys 197a22. WHEWELL (1840), Bd. I, S. 113 definierte den Begriff »Wissenschaftler«, benutzt hatte er ihn jedoch bereits davor.

XVI Epistemologie. »Alle Menschen verlangt es von Natur aus nach Wissen« bei Metaph 980a21 [abgeänderte engl. Übers. nach Ross (1915)] und weiter in Metaph I, 1. Die Metaphysik ist eine Zusammenstellung verwandter Texte. Gemäß JÄGER (1948) war es in der Vergangenheit Brauch, sie in verschiedene Entwicklungsstadien aufzugliedern, mittlerweile geht man aber davon aus, dass sich das nur schwer bewerkstelligen lässt; für eine Einführung in ihre verschiedenen Inhalte und deren Beziehung zueinander siehe BARNES (1995b).

XVII Die Quelle empirischer Informationen. OWEN (1961/1986) und NUSSBAUM (1982) erörtern, was A. mit phainomena meint, berücksichtigen meiner Meinung nach aber seinen Empirismus nicht ausreichend; ein Korrektiv dazu liefert BOLTON (1987). Für eine eindeutige Aussage über A.s’ Sinn für eine empirische Wirklichkeit und das Primat der

anmerkungen

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Beobachtung beim Betreiben von Wissenschaft, siehe unter anderem DC 306a5. Trotz alledem beginnen A.s’ Untersuchungen der phainomena nicht nur mit eigenen Beobachtungen, sondern mit »anerkannten Meinungen« oder den Meinungen der meisten oder der Weisen, dem was er endoxa nennt, z. B. Top 100b21. »Einige Tiere sind lebend gebärend, andere legen Eier …« stammt aus HA 489a35. Die von mir geschätzte Anzahl der empirischen Behauptungen in der HA basiert auf einer zufällig ausgewählten, 1500 Wörter umfassenden Probe aus THOMPSON (1910) HA. Dass Platon an die Hieroskopie glaubt, wird in Tim 71–2 offenkundig. »indem wir die vor uns weiterschieben und nicht auf die hinter uns warten« bei DL V, 20. BOURGEY (1955), PREUS (1975) und LLOYD (1987) verhandeln die Quellen von A.s’ empirischen Daten. A. spricht über Wahrsager und das Verhalten von Vögeln in HA 608b19. THOMPSON (1895), THOMPSON (1910) Anm. 609a4 und PREUS (1975) S. 34–6; eBd. S. 278 Anm. 113, 115, 116 legen nahe, dass ein erheblicher Teil von A.s’ Wissen über Vögel einen astrologischen Ursprung hatte: siehe auch A. über den alkyón, Kap. LXXX. PREUS (1975) S. 22 analysiert A.s’ Gebrauch von »mythos«, während LLOYD (1979), Kap. 3 der Beziehung zwischen griechischer Wissenschaft und Volksglauben auf den Grund geht. Zu A. über den Astragalus siehe HA 499a22, HA 499b19; Gallenblasen HA 506a20; Zurückweisung von Mythen über Kraniche, HA 597a23; Löwen HA 579b2; Wölfe, HA 580a11; sprechende Köpfe, PA 673a10.

XVIII A. und die Fischer. A. spricht von Lauterzeugung bei Fischen bei HA 535b14; ONUKI und SOMIYA (2004) beschreiben die Laute, die der Petersfisch von sich gibt, sowie die Art und Weise, wie er sie erzeugt. Sarkastisch wird Athenaios bei Athen VIII, 352. Es herrscht der sentimentale Glaube, dass Bauern und Fischer außergewöhnlich viel über die Tiere wüssten, mit denen sie es zu tun haben, doch Belege ergeben ein anderes Bild, z. B. THOMPSON (1998) zu den Volkssagen über Robben auf den schottischen Inseln. A. spricht vom Oralverkehr bei Fischen bei HA 541a13, HA 567a32, GA 756a7; eine Geschichte, die vermutlich von Herod II, 93 stammt. Es wird oft behauptet, H.s Darstellung rühre vom maulbrütenden Nil-Tilapia (Oreochromis nilotica) her, doch sowohl in A. als auch H. scheint es sich um einen Salzwasser- oder Küstenfisch zu handeln, wohingegen Tilapia Süßwasserfische sind. A. stellt seine Forderung nach Sachkenntnis bei PA 639a1 und HA 566a8 auf.

XIX Chamäleons. Über das Chamäleon, HA 503a15. Dieser Absatz ist insoweit ungewöhnlich, als das betreffende Tier nicht in Einzelteile zerlegt und System für System in der gesamten HA verstreut wurde. Stattdessen scheint es sich um die Zusammenfassung vorläufiger Erkenntnisse zu handeln, die weiterer Analyse harren, BALME (1987a). LONES (1912) S. 157 sagt, dass das Chamäleon sehr wohl eine Milz besitzt, dass diese allerdings klein ist, nur etwa 0,11 Zoll lang.

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XX A. und Alexander. In seinem Das Leben Alexanders berichtet Plutarch Plut 668, 7, 4 [engl. Übers. Dryden] von der Erziehung Alexanders durch A. NATALI (2013) zweifelt die ganze Geschichte mit Mieza an, doch ist nicht ersichtlich, weshalb – er streitet nicht ab, dass A. Alexander unterrichtet hat, und irgendwo muss er das ja getan haben. Die Geschichte über die Ilias des Alexander wird ebenfalls von Plutarch berichtet; A. schrieb für Alexander Bücher darüber, wie man herrscht und Kolonien führt, doch abgesehen von Fragmenten sind sie heute verloren. LANE-FOX (1973) liefert eine Darstellung des Lebens Alexanders. Plinius berichtet, dass Alexander A.s’ Forschung finanzierte: Plin VIII, 44; Athenaios, Athen IX, 398e schmückt sie aus. LEWES (1864) S. 15, OGLE (1882) S. xiii–xiv, ROMM (1989) und die meisten heutigen Forscher halten Plinius’ Geschichte für falsch, JAEGER (1948) allerdings verteidigte sie, da sie gut zu seiner entwicklungsgeschichtlichen Deutung der Struktur von Aristoteles’ Schriften passt. LLOYD (1970) weist darauf hin, dass dem vierten vorchristlichen Jahrhundert die Vorstellung, Staat oder König könnten wissenschaftliche Forschung direkt finanzieren, anstatt wie Hermias Gelehrte nur zu beherbergen, wahrscheinlich fremd war und dass die erste Aufzeichnung über staatlich finanzierte Forschung die der Bibliothek von Alexandrien im 3. Jahrhundert v. Chr. ist. Gemeinhin wird Plinius (Plin. VIII, 42) der Ausspruch ex Africa semper aliquid novi zugeschrieben, doch A. sagt uns, dass schon zu seiner Zeit das Sprichwort alt war, HA 606b20. Für eine Liste der in diesem Buch erwähnten Tiere des Aristoteles und ihre Bestimmung, siehe Glossar II.

XXI Exotik. A. berichtet vom martikhóras bei HA 501a24, lässt sich bei HA 523a26 über Ktesias’ Unzuverlässigkeit bezüglich Elefantensperma aus und spricht über Indien bei HA 606a8. A. erwähnt die oryx bei HA 449b20 und das onos Indikos bei HA 499b19 und PA 663a19. Was den Status des »sogenannten« Indischen Esels angeht, ist A. zwiegespalten und sagt, dass »berichtet wird«, er sei gehörnt und besäße einen Huf; falls es sich wirklich um ein Nashorn handelt, liegt er falsch, denn es hat drei Zehen: siehe Glossar II. Herodot spricht bei Herod II, 99; II, 147; IV, 81; V, 59 davon, was er mit eigenen Augen gesehen hat. Informationen, die A. von Herodot übernimmt, ohne ihn zu nennen: klimakterische Priesterinnen, HA 518a35/Herod I, 175; Herod VIII, 104: Kamele, die gegen Pferde kämpfen, HA 571b24/Herod I, 80; Löwen HA 579b7/Herod VII, 126; Kraniche, HA 597a4/Herod II, 22; ägyptische Tiere, HA 606b20/Herod II, 67; fliegende Schlangen in Äthiopien, HA 490a10/Herod II, 75; Kamelknie, HA 499a20/Herod III, 103; Sperma von Äthiopiern, HA 523a17/Herod III, 101. Herodot spricht von Goldgräberameisen bei Herod III, 101–5. Zu seinen geflügelten Schlangen siehe auch Kap. XCIV. Neben Ktesias’ Persiká und Indiká und Herodots Historien könnte A. außerdem auf Herodoros von Herakleias Herakleia zurückgegriffen haben, welches er erwähnt. Allerdings gibt es etliche andere Historien, die er zwar nicht erwähnt, derer er sich aber trotzdem bedient haben könnte, etwa Herakleides von Kymnes Persika (Mitte 4. Jahrhundert v. Chr.) und Damastes’ Periplus (5. Jahrhundert v. Chr.).

anmerkungen

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Der Elefant et al. Es gibt eine beträchtliche Menge an Literatur darüber, ob A. einen Elefanten gesehen hat oder nicht, und falls ja, ob es sich um einen Asiatischen oder einen Afrikanischen Elefanten gehandelt hat. Ich glaube, er hat keinen von beiden gesehen; jedoch legt PREUS (1975) S. 38 nahe, dass A. einen Elefanten in einem makedonischen Zoo gesehen haben könnte, auch wenn es keinen Beweis gibt, dass die Makedonier überhaupt einen Zoo hatten. ROMM (1989) nimmt sich der Themen an und versucht Plinius’ Geschichte zu widerlegen, indem er behauptet, A. habe einen Afrikanischen Elefanten gesehen, während BIGWOOD (1993) sich auf die möglichen literarischen Quellen für A.s’ Wissen über Elefanten konzentriert. Für mehr über Elefanten siehe Kap. XXXVI und XLVII. A. legt seine größtenteils unzutreffenden Informationen über den Löwen bei HA 579a31, HA 594b18, HA 629b12 und GA 760b23 dar. Seine Informationen über die Verbreitung des Asiatischen Löwen in Europa stammen größtenteils von Herodot, der um 430 v. Chr. geschrieben hat, doch scheint sich Ha 629b12 außerdem auf Informationen von Jägern zu stützen und zwei Arten von Löwen zu unterscheiden; unabhängig davon spricht Xenophon, der ca. 380 v. Chr. geschrieben hat, von der Löwenjagd in Makedonien; zu seiner historischen Verbreitung siehe BIGWOOD (1993) S. 236 Anm. 6 und SCHNITZLER (2011). A. spricht über den Strauß bei HA 616b5, PA 644a33, PA 658a10, PA 695a15, PA IV, 14, GA 749b15 und GA 752b30. Die Zehen von Kamelen diskutiert er bei HA 499a23. Was er über sie sagt, ist etwas undurchsichtig und zahlreiche Interpretationen drehen sich um die Frage, was A. genau mit »hinten« und »vorn« gemeint hat, LONES (1912) S. 191–2. Ich deute »hinten« und »vorn« als Hinter- und Vordergliedmaße. Falls dem so ist, stimmt A.s’ Aussage, da die Spalte am Hinterfuß tatsächlich tiefer ist als die am Vorderfuß. A. sagt nicht, wie viele Kammern ein Kamelmagen genau hat, was nicht weiter schlimm ist: ihre Anzahl und Funktion bei Wiederkäuermägen war jahrhundertelang Thema von Diskussionen, WANG et al. (2000). Über Geschosse kotende Bisons siehe HA 630b9, vgl. Mirab I, und das Verhalten von Bovinen zur Abwehr von Fressfeinden, ESTES (1991) S. 195; dasselbe Verhalten wurde auch beim Amerikanischen Bison beobachtet.

XXII Die Hyäne. A. beschreibt die Hyäne bei HA 579b15; vgl. GA 757a3. Viele haben in dieser Beschreibung eine Darstellung des Pseudohermaphrodismus der Tüpfelhyäne (Crocuta crocuta) gesehen, doch das ist unwahrscheinlich, siehe Glossar II: Hyäne/glanos/trochos. In THOMPSON (1910) findet sich bei HA 579b23 ein Übersetzungsfehler – anstatt »männlich« müsste es »weiblich« heißen – A. behauptet nicht, das Weibchen habe ein Organ, das dem des Männchens ähnele. BIGWOOD (1993) behauptet, Kallisthenes sei eine Quelle für A.s’ Wissen über die exotische Zoologie; darüber hinaus erwähnt er Eudoxos von Knidos, siehe Kap. CII. BROWN (1949) untersucht die Beziehung zwischen A., Alexander und Kallisthenes, während ROMM (1989) von der Gepflogenheit spricht, nachträglich das Ansehen zu steigern. Selbstverständlich kann es mehr als nur diesen einen unbekannten Kollaborateur gegeben haben; man denke nur an das immense Korrespondentennetzwerk, auf das Darwin zurückgreifen konnte.

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XXIII Die Anatomien. Es ist schwierig, mit Bestimmtheit zu sagen, wie viele verschiedenen Tierarten A. seziert hat, doch LONES (1912) S. 102–6 schlägt 48 spp. vor, was sicherlich zu großzügig ist, denn er schließt den Elefanten und weitere Tiere ein, über die sich A. nur recht vage äußert. A. spricht über die Sektion des Maulwurfs oder aspalax bei HA 491b28; siehe Glossar II. Seine Tour de Force durch die Anatomie der Tintenfische findet sich bei HA IV, 1. A. verweist auf die grafische Darstellung des sezierten Tintenfisches bei HA 525a8. Oft bezieht er sich in seinen Schriften auf Darstellungen und Tabellen, wie NATALI (2013), Kap. 3, 3 aufzeigt.

XXIV Innere Anatomie des Menschen. A. sagt bei HA 491a20, dass man zunächst die Teile des Menschen verstehen sollte. LLOYD (1983) Kap. 1, 3 diskutiert den Menschen als ein Leitbild und listet Merkmale auf, von denen A. behauptet, sie seien beim Menschen einzigartig, weist aber darauf hin, dass sich diese Liste auch auf zahlreiche andere Stellen anwenden lässt, etwa wenn A. über Affen spricht. A. spricht von der Undurchsichtigkeit der inneren Anatomie des Menschen bei HA 494b19. Insbesondere bezieht er sich auf die Form des menschlichen Magens und der Milz, HA 495b24 und HA 496b22, doch ansonsten gibt es kaum einen Hinweis darauf, dass er eine Leiche seziert hat. LEWES (1864) S. 160–70 stellt sich die Frage, ob A. einen Menschen seziert hat und ungerechterweise werden auf S. 157 A.s’ Sektionen mit dem Argument abgetan, seine medizinischen Fähigkeiten stünden hinter denen moderner Anatomen zurück; COSANS (1998) liefert eine wohlwollendere Darstellung. LLOYD (1973) Kap. 6 und LLOYD (1975) diskutieren das Sezieren bei Erasistratos und Herophilos sowie allgemein in Alexandrien. Zu A.s’ Behauptung, der menschliche Uterus sei zweigeteilt, siehe HA 510b8 und OWEN (1866) Bd.3, S. 676–708; über die Anzahl menschlicher Rippen, siehe HA 583b15 und über Gründe, warum er sich geirrt hat siehe LEWES (1864) S. 155–70, OGLE (1882) Anm. PA I, 5. Keines der verbreiteten einheimischen Säugetiere, die A. gesehen haben könnte, besitzt acht Rippenpaare. Zu den Nieren heimischer Tiere siehe OWEN (1866) Bd. 3, S. 604–9, SISSON (1914) S. 564–70. A. beschreibt einen menschlichen Fötus bei HA 583b14. Seine hervorragende, wenn auch zum Teil fehlerhafte Anatomie der Herzkranzgefäße findet sich bei HA III, 2–4; vgl. HA 496a4 und PA III, 4. Er bezieht sich auf seine Vorläufer: Syennesis bei HA 511b24, Diogenes bei HA 511b31 und Polybos bei HA 512b12. Für A.s’ Verhältnis zu den Hippokratikern siehe OSER-GROTE (2004). A.s’ Autoritätsanspruch bei seinen Sektionen: HA 513a13, vgl. PA 668a22; HA 496a8; PA 668b26. Ich gehe davon aus, dass wenn er in PA von »Sektionen« oder »Anatomien« spricht, er sich auf Bücher bezieht, doch genauso gut kann er schlicht allgemeine Studien gemeint haben, LENNOX (2001a) S. 179, 257, 265. Es gibt eine umfangreiche Literatur über die Richtigkeit von A.s’ Darstellung des Herz-Kreislauf-Systems, insbesondere über die Frage, warum er dachte, dass die Herzen von Säugetieren drei Kammern hätten; die wichtigeren Beiträge sind unter anderem: HUXLEY (1879), OGLE (1882) S. 193–6, THOMPSON (1910), Anm. HA 513a30, LONES (1912) S. 136–47, HARRIS (1973) S. 121–76, COSANS (1998), KULLMANN (2007) S. 522–51. A. erwähnt Kapillaren bei HA 513b21, HA 514a23 und PA 668b1.

anmerkungen

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XXV Wie gut ist die deskriptive Zoologie? A. beschreibt die Anatomie des Urogenitalsystems von lebendgebärenden Tetrapoden bei HA 506b26. BOJANUS (1819–21) illustriert die klassische Bohnenform und modulare Struktur der Nieren einer Schildkröte. A. berichtet von den Seeigeln in der euripos Pyrrhaión bei HA 544a20. Bei dem essbaren Seeigel handelt es sich um Paracentrotus lividus. A. behauptet, man könne den essbaren Seeigel daran erkennen, dass er Seegras und anderes Treibgut an seinen Stacheln mit sich führt (HA 530b16); in der Ägäis tut dies nur P. lividus, warum das allerdings so ist, ist ziemlich rätselhaft, CROOK et al. (1999). Selbst heute noch jagen die Einheimischen auf Lesbos nur die geschmückten Seeigel – der nicht essbare und nicht geschmückte Arbacia lixula ist allerdings weiter verbreitet. A. beschreibt die Struktur, die als »Laterne des Aristoteles« bekannt wurde, bei HA 531a3, vgl. HA 530b24; LENNOX (1984) behauptet, dass der Teil, den wir heute als »Laterne des Aristoteles« bezeichnen, nur ein Bereich dessen ist, worauf er den Vergleich bezog, doch VOULTSIADOU und CHINTRIROGLOU (2008) haben die ganze Angelegenheit mit dem Bild einer antiken Laterne aufgeklärt. Zu den Spechten, die in Olivenhainen nisten, siehe HA 614n11 und zu Spechten allgemeiner, Glossar II. CUVIER (1841) Bd. 1, S. 132 lobt A.s’ Zoologie; LEWIS (1864) S. 154–6, BOURGEY (1955) und LLOYD (1987) S. 53 sammeln ähnliche Passagen früherer Zoologen. Unter anderem HALDANE (1955) und BODSON (1983) haben gefordert, dass A.s’ empirische Arbeiten einer systematischen Analyse im Licht der modernen Biologie unterzogen werden sollten – das steht immer noch aus.

XXVI Der fürsorgliche Wels. A. beschreibt die Brutpflege bei seinem Wels bei HA 621a21, seine Entwicklung bei HA 568a20 und seine Anatomie bei HA 490a4, HA 505a17 und HA 506b8. CUVIER und VALENCIENNES (1828–49) Bd. 14, Buch 17, Kap. 1, S. 350–1 identifizierten glanis als S. glanis, AGASSIZ (1857) schlug den Namen S. aristotelis vor, beschrieb ihn formal aber nicht; das tat GARMAN (1890). AGASSIZ, GARMAN, HOUGHTON (1873) und GILL (1906), GILL (1907) wiederholen zwar alle die Geschichte, doch keiner von ihnen scheint tatsächlich einen männlichen S. aristoteli dabei beobachtet zu haben, wie er ein Nest baut und die Eier bewacht; I. Leonardos, Universität von Ioannina (pers. Gespr. 2010) bestätigt jedoch A.s’ Angaben und fügt hinzu, dass Jungfische nur langsam wachsen. Ich danke ihm für diese Information. Bei HA 607b18 beschreibt A. die Brutpflege bei einem anderen Fisch, dem phykis, und behauptet, er sei die einzige im Meer lebende Art, die dies tue. Seine Identität ist nicht ganz klar, doch A. liegt mit seiner Annahme, es gäbe nur eine Art nestbauenden Salzwasserfisch falsch, denn etliche Arten Lippfische, Grundeln und Schleimfische in der Ägäis bauen Nester und bewachen ihre Jungen. Vom Charakter von Tieren spricht er bei HA 608a1.

XXVII Der Hectocotylus. A. spricht von den nautilos bei HA 525a19 und HA 622b8. OWEN (1855) S. 630–1 liefert die frühe Geschichte von der Entdeckung des Hectocotylus. A. beschreibt die Tentakel des männlichen Oktopus bei HA 524a4 und HA 541b8 und das Fortpflan-

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zungsverhalten des Oktopus bei HA 544a8 und GA 720b32. LEWES (1864) S. 197–201, sauertöpfisch wie immer, macht sich über die Vorstellung, A habe den Hectocotylus gesehen, lustig, doch Lewes lag falsch, denn STEENSTRUP (1857) und FISCHER (1894) demonstrierten, was A. gesehen hatte. THOMPSON illustriert A.s’ Textpassage mit dem komplizierten Hectocotylus einer Art, die er nicht gesehen haben konnte; in Wirklichkeit ist das Ganze beim Octopus vulgaris weitaus subtiler.

XXVIII Die Fortpflanzung der Haie. A. beschreibt die Reproduktionsanatomie von Selachii bei HA VI, 10–11; vgl. HA 511a3 und GA III,3. Die berühmte Beschreibung der Plazentation beim Grauen Glatthai ist bei HA 565b4; vgl. GA 754b28. Zur Geschichte von A.s’ Grauem Glattheit siehe MÜLLER (1842), COLE (1944), THOMPSON (1947) S. 39–42 und BODSON (1983). Zum batrakhos, seiner Identität und Fortfplanzung, siehe HA 505b4, HA 564b18, HA 570b29, GA 749a23, GA 754a26, GA 754b35, GA 755a8, GA 749a24. THOMPSON (1940) S. 47 liefert seine Zusammenfassung der Leistungen A.s.

XXIX Naturen. Schiller über die Natur wird von THOMPSON (1940) S. 39 zitiert, die Quelle ist jedoch die Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung, 1884. Das Alkaios-Gedicht folgt der englischen Übersetzung von BARNSTONE (1972), S. 56–8. Das Homerzitat stammt aus der Odyssee X, 302–3 [engl. Übers. MURRAY (1919)]. Demokrit spricht von Natur bei DK 68B33 [engl. Übers. BARNES (1987)]. LLOYD (1991) Kap. 18 analysiert den sozialen Hintergrund, vor dem es im antiken Griechenland zur »Erfindung von Natur« gekommen war. A. definiert Naturen in Metaph IV, 4 und Phys II, 1; für eine Einführung in die aristotelischen Naturen siehe LEAR (1988) S. 16–17. A. behauptet, die selbstevidente Beschaffenheit von Naturen bei Phys 193a3. Die Materialisten. Von Platon wird bei DL, IX, 38–40 gesagt, er habe die Bücher Demokrits verbrennen lassen wollen. Im Gegensatz dazu schrieb A. ein Buch über D., das offenbar eine Zusammenfassung seiner physikalischen Theorie sowie ihre Bedeutung für die Biologie enthielt: FR F208R3. A. greift die Materialisten wiederholt an, z. B. bei Phys II, 4–8, Metaph I, 3–4, DA I, 2–3 und PA 640b5. Das Herzstück seines Angriffs liegt in der Vorstellung von »spontan«, wobei ich dieses eine Wort benutze um zwei von A. wiederzugeben: automaton und tyché. Beide Wörter beziehen sich auf Ereignisse oder Phänomene, die das Produkt eines zweckgerichteten Agens zu sein scheinen, es aber nicht sind. Sie unterscheiden sich darin voneinander, dass tyché (oft als Glück übersetzt) sich der menschlichen Intelligenz verdanken könnte, dies aber nicht tut, während automaton (oft übersetzt als »spontan«, »das Automatische«, »das Zufällige«) sich irgendeines Agnes, etwa dem Verlangen eines Tieres, verdanken könnte, dies aber nicht tut. Automaton ist also der inklusivere Begriff. Beide Wörter werden manchmal mit »Zufall« übersetzt, doch das unterstellt, es handele sich um das Ergebnis eines probabilistischen Prozesses, etwa eines Münzwurfs, was allerdings nicht das ist, was A. hier vorschwebt. Ich benutze »spontan« für beide, weil: (i) ich den menschlichen Agens nicht thematisiere; (ii) A. sie auch nicht konsequent unterscheidet; (iii) »spontan« die Vorstellung von einem zwar bestimmten, aber ungeplanten Ergebnis gut wiederzugeben scheint. Schließlich

anmerkungen

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sollte auch noch angemerkt werden, dass A. automaton auch anders benutzt, wenn er spontan erzeugte Tiere beschreibt; siehe Kap. LXXVI–LXXVIII. Empedokles & Selektion. E.s Theorie der Vermischung findet sich bei DK 31B8 und wird von A. in Metaph 1015a1 zitiert. E.s’ Zoogenese lässt sich aus folgenden Fragmenten rekonstruieren: Gewebebildung, DK 31B96, DK 31B98; Körperteile, DK 31B57; zufällige Kombination, DK 31B59. Vieles an der Theorie ist undurchsichtig, insbesondere ob Liebe und Streit als intrinsische Eigenschaften von Elementen, als externe physikalische Kräfte oder göttliche Mächte verstanden werden sollen, oder als alle drei. Simplikios analysiert E.s Darstellung in seiner Physik 371.33–372.11 [engl. Übers. LONG und SEDLEY (1987)]. Obwohl darin ganz klar das Prinzip der Selektion zum Ausdruck kommt, hatte E. keine fortschreitende Evolution im Sinn. A. schreibt in seiner Kritik der Präformationslehre (siehe Kap. LXVII) E. außerdem embryonale Selektion zu, doch ist es nicht gesichert, ob E. dies tatsächlich glaubte – allerdings schien er sehr wohl einzuräumen, dass Monster auch heute noch vorkommen; siehe SEDLEY (2007), S. 31–74. CAMPBELL (2000) behauptet, in der hippokratischen Abhandlung Über die antike Medizin 3, 25 die Vorstellung einer Evolution durch natürliche Auslese aufgespürt zu haben. Obwohl es jedoch in dem Text eindeutig um Selektion (durch Ernährung) geht, ist nicht ersichtlich, ob kräftigere Individuen ihren robusteren Körperbau weitervererben – ob also eine Evolution stattfindet. Die Argumente für eine Selektion bei Epikur/Lukrez sind weitaus überzeugender; siehe CAMPBELL (2000) und SEDLEY (2007) S. 150–5. In Phys II, 8 drückt sich A. abstrakter aus, als ich es hier getan habe, doch liegt es auf der Hand, dass er eine organische Entwicklung im Sinn hat. Lloyd (1970) Kap. 4 und SEDLEY (2007), Kap. II, V handeln ganz allgemein von den vorsokratischen Materialisten; für Text und Kommentare siehe BARNES (1982) Kap. XV–XX. Zu Demokrits Atomismus siehe BARNES (1982) S. 377. Zu A.s’ Kritik an den Materialisten siehe NUSSBAUM (1978) S. 59–99, WATERLOW (1982) Kap. II und JOHNSON (2005) Kap. 4, 5.

XXXI Der Ursprung einer teleologischen Erklärung. A. lobt Anaxagoras bei Metaph 984b15, vgl. DA 405a20, und kritisiert ihn dann bei Metaph 985a19. Sokrates-Platon kritisiert Anaxagoras, Phaidon 98B–99C; siehe JOHNSON (2005) S. 112–15. Über den Ursprung des Begriffs »Teleologie« im 18. Jahrhundert siehe JOHNSON (2005) S. 30. PALEY (1809/ 2006) S. 24 singt ein Hohelied auf die Augenlider, genauso wie Sokrates, laut Mem I, 4.6 [engl. Übers. DAKYNS (1890)]; für A. über Augenlider siehe PA II, 13. Für Sokrates als die Quelle des Arguments vom Plan siehe JOHNSON (2005) S. 115–17 und SEDLEY (2007) S. 78–92. Zu Platon über das Gute und das Göttliche Tim 29A, Tim 30A und Poli 530A. Für P. über menschliche Handwerker siehe Gorgias 503D–504. P.s Zoologie findet sich in Tim 72D–73, Tim 74E–75C. Zu P. über den Verdauungstrakt siehe Tim 73A und zur Umbildung von Fingernägel zu Klauen, Tim 76D – E. P.s Ablehnung des Materialismus ist offenkundig in Nomo 889A–890D. LENNOX (2001b) Kap. 13 analysiert P.s unnatürliche Teleologie. LLOYD (1991) Kap. 14 vertritt eine weniger zynische Sicht auf P.s Wissenschaft als ich.

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XXXII Teleologie. »Wir alle sagen, x sei um etwas willen« PA 641b25; siehe GOTTHELF (2012) S. 2–5 für andere Verwendungsweisen des Ausdrucks oder seine grammatischen Beziehungen. Zu A.s’ System der teleologischen Erklärung existiert eine riesige Menge Fachliteratur; hier eine Auswahl bedeutsamer, neuerer Monografien und Aufsatzsammlungen, mit eher biologischer Ausrichtung: KULLMANN (1979), GOTTHELF und LENNOX (1987), LENNOX (2001b), QUARANTOTTO (2005), JOHNSON (2005), LEUNISSEN (2010a), GOTTHELF (2012). A. spricht von automatischen Puppen und Tiere, MA 701b2; siehe Kap. LIX. A. vergleicht Artefakte mit Tiere, Phys. II, 8, PA I, 1 und Metaph VII, 7, spricht sich aber in Phys 199a8 und Phys 199b30 gegen einen intelligenten Handwerker aus. A. lehnt Platons Teleologie bei Metaph 988a7 ab, doch Platon nutzt die Wendung »um … willen«, wenn er in Philebos 54C vom Werden spricht; siehe JOHNSON (2005) S. 118–27. A. über die Funktionsweise des Verdauungstrakts, PA 675b23; für ein entsprechendes Argument im Hinblick auf die Reproduktionsmorphologie siehe GA 717a21. A. über den Zweck des Körpers, PA 645b15.

XXXIII Formen. Platon skizziert sein »intelligible Lebendige« und dessen Beziehung zu den ihm untergeordneten Formen in Tim 30C–31A; CORNFORD (1997) S. 39–42. A. kritisiert platonische Formen in Metaph I, 9. A. spricht von vielen eidé von Fischen und Vögeln bei HA 486b224. THOMPSON (1910) Anm. 490b16 war einer der ersten Forscher, die darauf hingewiesen haben, dass A. eidos ganz unterschiedlich verwendet, und es sich nicht immer mit »Arten« übersetzen lässt. BALME (1962a) und PELLEGRIN (1986) bauten später diesen Interpretationsansatz aus und führten ihn gegen die Ansicht ins Feld, dass sich A. einem Taxonomieprojekt gewidmet habe. A. benutzt den Ausdruck atomon eidos bei PA 643a13, Metaph 1034a5, DA 415b6 und HA 486a16. Doch selbst hier gibt es eine Debatte darüber, ob atomon eidos sich auf Individuen, auf Arten oder auf beides bezieht – A. ist alles andere als eindeutig. Manche, z. B. BALME (1987d), HENRY (2006a), HENRY (2006b) haben behauptet, er beziehe sich auf Individuen, doch ich finde GELBER’s (2010) Argument, dass er für gewöhnlich eher Arten meint, dass also zwei Individuen dieselbe unteilbare Form gemein haben, überzeugender. Diese Lesart hat Folgen für die Deutung der aristotelischen Vererbungslehre, da ich mich so dazu genötigt sehe, eine weitere subspezifische Ebene vererbbarer Variation einzuführen, die ich »Sorte« nenne; siehe Kap. LXX und LXXIII. A. erklärt mithilfe der Zimmermann-Analogie bei PA 641a6 was Formen sind und bei Metaph VII, 17 die Theorie der Form von Silben. DELBRÜCK (1971) sprach sich für die Deutung von Form als Information aus und viele sind ihm dabei gefolgt, so z. B. FURTH (1988) S. 11–120, KULLMANN (1998) S. 294 und HENRY (2006a), HENRY (2006b); siehe allerdings DEPEW (2008), der anderer Ansicht ist.

anmerkungen

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XXXIV Die vier Arten zu erklären. A. legt häufig seine vier grundlegenden Kausalerklärungen dar, z. B. GA 715a4, woher das Zitat stammt, und Phys II, 3 sowie PA 642a2. In PECK (1943) S. xxxviii–xliv, LEUNISSEN (2010a) und LEUNISSEN (2010b) finden sich allgemeine Diskussionen von A.s’ System der kausalen Erklärung. LEAR (1988) S. 29–31 erläutert, wie sich A.s’ »Ursachen« von denen Humes unterscheiden. Der Einfluss der aristotelischen Unterteilung kausaler Erklärungen auf die Biologie ist eines der großen Themen bei RUSSEL (1916), einem Klassiker. HUXLEY (1942), MAYR (1961) und TINBERGEN (1963) führen die verschiedenen Arten kausaler Erklärungen in der modernen Biologie an; Mayr zitiert A. ganz explizit, Tinbergen nicht; siehe auch DEWSBURY (1999). Der Hauptunterschied zwischen ihrer Liste und der von A., ist der, dass A. keinen evolutionären Aspekt besitzt. Zu denjenigen, die in A. bloß eine Art Platoniker gesehen haben oder jemanden, der platonische Ideen zusammenführte, gehören POPPER (1945/1962) Bd. 2, Kap. 11 und SEDLEY (2007) S. 167–204 – doch diese Denktradition ist nicht neu, sondern lag dem gesamten neuplatonischen Projekt zugrunde.

XXXV Die Vogelhalle & wie man Natur zerstückelt. Für eine Geschichte des Naturhistorischen Museums und seinen Ausstellungen siehe STEARN (1981). LENNOX (2001b) Kap. 2 diskutiert A.s’ Optionen, seine Daten zu ordnen, in so ziemlich demselben Geiste, wie ich es hier tue.

XXXVI A. als Naturkundler. Theodorus Gazas Vorwort zu seiner Ausgabe von A.s’ Zoologie, GAZA (1476), findet sich bei PERFETTI (2000) S. 16, der auch Plinius’ Einfluss auf ihn analysiert. BEULLENS und GOTTHELF (2007) analysieren Datierung und Struktur von Theodorus’ HA. Plinius über den Elefanten stammt aus Plin VIII, I, 13, 32 [engl. Übers. RACKHAM et al. (1938–62)]. Die Ansicht, dass A. keine Naturkunde betrieben hat, ist unter A.-Forschern weit verbreitet. FRENCH (1994) widersprach zwar, doch seine Sicht auf A. war selbst nach seinen eigenen Kriterien inkonsistent.

XXXVII A. als Taxonom. CUVIER (1841) Lobrede auf die Fähigkeiten A.s’ als Taxonom wird von PELLEGRIN (1986) S. 11 zitiert. Die heutigen griechischen Fischnamen finden sich bei KOUTSOGIANNOPOULOS (2010) – unabdingbar für alle, die sich für die Fische Griechenlands interessieren, bislang aber nur auf Griechisch verfügbar. A. spricht von den verschiedenen Hunderassen bei HA 574a16, der hippos-Krabbe bei HA 525b7 und dem kyanos bei HA 617a23. Er schreibt eine Menge über Cephalopoden, insbesondere über ihre Anatomie in HA IV, 1 (siehe Kap. XXIII in diesem Buch) und daneben noch an vielen anderen Stellen. Über Papierboote, auch Argonauten, siehe HA 622b8; vgl. HA 525a19 und Kap. XXVII. Der geheimnisvolle Cephalopode, der »in einer Schale

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wie eine Schnecke« lebt, wird – sehr knapp – beschrieben bei HA 525a26; siehe SCHARFENBERG (2001). A. spricht über die anderen Krabbenarten bei HA 525b6; vgl. PA 683b26. DIAMOND (1966) beschreibt die Fähigkeit der Hochlandbewohner Neu Guineas, Vogelarten zu unterscheiden; ARTAN (1993) spricht über Volkstaxonomien im Allgemeinen; bei ihm gibt es auch ein nützliches Kapitel über A.s’ Systematiken. Die größten Gattungen. Die Hauptaussagen A.s über die größten Gattungen: Bluttiere, HA II; blutlose Tiere HA 490b7, HA 523a31 sowie andere Textabschnitte in HA IV. Dass Namen wie ornithes und ikythes volkstümliche Bezeichnungen seien, erwähnt er bei PA 644b5; vgl. PA 643b9. Einige seiner neuen technischen Namen (z. B. malkostraka) sind eigentlich »namensähnliche Ausdrücke«, also Kurzbeschreibungen, die ein Nomen ersetzen: vgl. APo 93b29–32; PECK (1965) S. lxvii, 31 und LENNOX (2001a) S. 155. Wahrscheinlich hat der Gebrauch solcher Namen an der Akademie begonnen; Speusippos, so scheint es, benutzte malakostraka und interessierte sich für Definitionen; siehe WILSON (1997). A.s’ Hierarchie der gené ist äußerst unvollständig, allerdings darf es bei ihm keine Unterart an mehr als einer Position innerhalb der Hierarchie geben; vgl. Top IV, 2. Viele gené sind bestenfalls in enhaima oder anhaima klassifiziert, Menschen z. B. werden unter keinem anderen genos als enhaima aufgeführt, HA 490b18. Folgende Abschnitte stützen den Eindruck, dass A. eine hierarchische Klassifikation für verbindlich hält: über Bluttiere, HA 505b26; Blutlose HA 523a31, HA 523b1; Weichschalige Tiere, PA 683b26, vgl. HA 490b7. Dass in einer Klassifizierung jedes Tier nur einmal vorkommen sollte, sagt er bei: PA 642b30 und PA 643a8. Borges (1942) »El idioma analítico de John Wilkins« [Die analytische Sprache von John Wilkins] in BORGES (2000) S. 231 handelt von der (apokryphen) chinesischen Enzyklopädie. A.s’ orthogonale Klassifikation von Verfassungen findet sich bei Pol III, 7. Diese Klassifikation ist das Ergebnis einer Methode, die in Pol IV, 3 dargelegt wird. Tatsächlich vergleicht A. an dieser Stelle explizit die Klassifikation von Staaten mit der von Tieren und schlägt vor, alle Arten von Organen – die von Staaten wie die von Tieren – orthogonal zu ordnen, denn es muss so viele Regierungsformen geben, wie es Möglichkeiten gibt, die Teile miteinander in Beziehung zu setzen. Doch genau das tut er nicht, wenn er Tiere klassifiziert, denn dieses Vorgehen würde notgedrungen zu leeren Klassen führen. Nehmen wir zum Beispiel an, man wollte Tiere anhand zweier verschiedener Merkmale klassifizieren: Mundwerkzeuge (Zähne kontra Schnäbel) und Hautanhangsgebilde (Haar kontra Federn). Eine orthogonale Klassifikation würde vier Tierklassen hervorbringen: (i) bezahnt-behaart, (ii) schnäbelig-behaart, (iii) bezahnt-gefiedert; (iv) schnäbelig-gefiedert. Davon sind (i) Säugetiere, (iv) Vögel, während es (ii) und (iii) nicht gibt, geht man davon aus, dass das »Schnabeltier« keinen echten Schnabel besitzt. Dies zeigt, dass orthogonale Klassifikationen ineffizient sind, da sie nicht die tatsächliche Kovarianzstruktur bei biologischen Entitäten widerspiegeln. Ich vermute, A. hatte sie ursprünglich in Betracht gezogen, dann ihre Absurdität erkannt und wieder verworfen, vielleicht als er angefangen hatte, Biologie zu treiben. Tatsächlich befolgt er seine eigene Empfehlung zu einer orthogonalen Klassifikation noch nicht einmal in der Pol, da er später die gené aus Pol III, 7 weiter untergliedert, sodass seine Gesamtklassifikation von politischen Verfassungen in Wirklichkeit verschachtelt ist. Die Bedeutungen von genos. Metaph V, 28; siehe PELLEGRIN (1986) Kap. 2.

anmerkungen

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Die Methode der Teilung. Platon definiert Könige bei Politikos 257–68e. Er sagt, Politikos 266D, dass der Herrscher lächerlich erscheint, indem »er samt seiner Herde umherläuft und gleichen Schritt hält mit dem auf ein schlechtes Leben eingeübten«. In seinem Unterteilungsschema ist die Schwestergruppe von »Hirten federloser Zweifüßer« – Könige – »Hirten gefiederter Zweifüßer« – Gänsehüter, offenkundig eine wenig anspruchsvolle Aufgabe. In Metaph VII, 12 und APo II, 5, 13, 14 folgt A. P.s Methode der Unterteilung, führt allerdings einige technische Modifikationen ein; seine Kritik wird tiefgreifender in PA I, 2-3; siehe BALME (1987b), LENNOX (2001a) S. 152–472. Manche Forscher behaupten, das Ziel von A.s’ Unterteilung war eher Definition als Klassifikation, doch in PA I, 4 ist es offensichtlich, dass er ein Interesse daran hat, Arten zu identifizieren, und dass er die Unterteilung dazu benutzt; siehe LENNOX (2001a) S. 167–9 und Anm. dieses Buch Kap. XLI. P. sagt, dass man versuchen sollte, einen Gegenstand nach Gliedern zu erlegen »Wir sollten nicht durch die Gelenke schneiden wie ein ungeschickter Metzger«, bei Phaidros 265E.

XXXVIII Taxonomische Methodik. Für eine Liste von diaphorai oder differenzierenden Eigenschaften, siehe HA I, 1. Über »das mehr und weniger« als Mittel, um innerhalb der größten Gattung der Vögel reguläre Arten zu unterscheiden, siehe PA 692b3, vgl. HA II, 12–13, und ganz allgemein HA 486b13, HA 497b4 und PA 644a13; LENNOX (2001b) Kap. 7. A. legt seine Geometrie von Tiere bei IA 4, PA 665a10 und HA 494a20 dar. Der Mensch steht für sich: HA 490b18, HA 505b31. A. diskutiert die Geometrie von Tintenfischen und Gastropoden bei HA 523b22, PA IV, 9, IA 706a34; siehe auch dieses Buch Kap. XCI und XCVII; zu seiner Pflanzengeometrie siehe IA 706b5, LBV 467b2, Phys 199a26 und PA 686b35. A.s’ Theorie der Analoga findet sich bei HA 486b18, HA 497b11 und PA 644a22. Manche finden, A.s’ Verwendung sei sehr ähnlich der Definition von Analogie bei OWEN (1843) als »ein Teil oder Organ in einem Tier, das dieselbe Funktion wie ein Teil oder Organ in einem anderen Tier hat«. LENNOX (2001a) S. 168 weist zu Recht darauf hin, dass A. die funktionale Ähnlichkeit oft nicht explizit macht, auch wenn er es hin und wieder doch tut (z. B. Herzen und Herzen-Analoga). Zu Analoga siehe LLOYD (1996), Kap. 7, LENNOX (2001b) Kap. 7 und PELLEGRIN (1986) S. 88–94, der behauptet, analogon habe keine klassifikatorische Funktion, doch ich finde seine Argumente nicht überzeugend. Zum »Gehirn« von Cephalopoden siehe PA 652b24, HA 494b28 und HA 524b4; LENNOX (2001a) S. 209–10. RUSSEL (1916) S. 7, sowie BALME und GOTTHELF (1992) S. 120 sind sich einig, dass A. ein implizites Konzept von Homologie hat; allerdings sollte darauf hingewiesen werden, dass der Ausdruck, Teile, die »ohne Qualifikation« gleich sind, mehrere Bedeutungen hat. LENNOX (2001b) Kap. 7. A. vergleicht die Skelette von Schlangen untereinander sowie Schlange und eierlegenden Tetrapoden bei HA 516b20 und PA 655a20, sagt bei HA 508a8 und PA 676a25, dass Schlangen wie Eidechsen ohne Füße seien, und spricht bei HA 498a32, PA 657a22 und PA 697b5 von Robben.

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XXXIX Polythetische Klassifikation. A. überlegt, wie man einige Landtiere aufteilen kann bei HA 490b19. Dieser Absatz taucht inmitten einer Diskussion der größten Arten auf, scheint also darauf abzuzielen, diese zu beschreiben. Er sagt bei HA 490b23 und HA 505b5, dass Schlangen ein genos seien. Er weist bei PA 643b9 darauf hin, dass es notwendig ist, bei der Aufteilung viele Eigenschaften gleichzeitig in Betracht zu ziehen. Für die polythetische Klassifikation und ihre Geschichte, siehe BECKER (1959) und MAYR (1982) S. 194–5. MAYR (1982) S. 192, LENNOX (2001a) S. 165–6, 343 und LENNOX (2001b) Kap. 7 stimmen überein, dass A. eine polythetische Klassifikation benutzte. Über den Strauß siehe Kap. XXI. A. bespricht drei Affenarten bei HA 502a34 und PA 689b31 (eine mögliche vierte wird an anderer Stelle erwähnt). Der pithékos nimmt eine Mittelstellung ein, nicht aufgrund einer ähnlichen Entwicklung, sondern weil er zwischen zwei unterschiedliche Gattungen fällt (Vierfüßer und Menschen). Dies ist eine Folge der Weigerung A.s, Menschen dort einzuordnen, wo sie hingehören, unter die zóotoka tetrapoda. Er hat eine natürliche Gattung auseinandergepflückt, nur weil er an die Besonderheit des Menschen glaubte (siehe Kap. XCVII). Über Zwischenstellungen siehe LLOYD (1983) Kap. I, 4 und LLOYD (1996), Kap. 3. XL Delfine. Herod I, 24 erzählt die Geschichte von Arion. Für Berichte über Delfine in der Antike und insbesondere Delfinreiter, siehe THOMPSON (1947) S. 54–5. A. spricht von pädophilen Delfinen bei HA 631a8 und über die Eigenschaften von Walen ganz allgemein bei JSVM 476b12, HA 589a33, PA 655a15, PA 669a8 und PA 697a15. Plinius erzählt Unsinn über Delfine bei Plin IX, 7 –10. XLI Was ist das Vorhaben der HA? MEYER (1855), BALME (1987b) (eine überarbeitete Version eines Aufsatzes von 1961) und PELLEGRIN (1986) griffen nacheinander die Auffassung an, dass A. eine Klassifikation konstruiert oder dass er es überhaupt vorhat, und dies wurde mal mehr, mal weniger zu einem Dogma. Doch zweifellos konstruiert A. sehr wohl eine Klassifikation, und er benutzt sie auch, selbst wenn sie sehr unvollständig und auch nicht sein Hauptanliegen ist; siehe LLOYD (1991) Kap. 1, LENNOX (2001a) S. 169 und GOTTHELF (2012) Kap. 12. A. erklärt, warum Klassifikationen nützlich sind bei PA 644a34. Wie er seine Informationen in HA anordnen wird, legt er bei HA 487a10 dar. Meine Zusammenfassung von HA beruht auf der von BALME (1991) angegebenen Reihenfolge der Bücher, nicht auf der von D’Arcy Thompson und früherer Autoren, welche die von Theodorus Gaza festgelegte Reihenfolge benutzten; siehe Balmes Einführung für eine Darstellung der Authentizität, Absicht und Reihenfolge der Bestandteile der Bücher von HA. Balme stellt außerdem die These auf, dass unter den zoologischen Arbeiten HA nicht die erste war. Tatsächlich ist es wahrscheinlich, dass alle noch zu Lebzeiten A.s überarbeitet und miteinander in Beziehung gesetzt wurden, und vielleicht auch danach von seinen Nachfolgern, sodass es heute sehr schwierig ist, die Reihenfolge ihrer Entstehung zu bestimmen. A. beschreibt den Wiederkäuermagen bei HA 507a32. Die Ansicht, dass HA das Ausgangsmaterial für eine demonstrative Wissenschaft ist, ist unter Forschern, die sich mit A.s’ Zoologie befassen, weit verbreitet.

anmerkungen

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XLII Die Notwendigkeit zu Beweisen. A. verweist auf den Zweck von HA als Materialsammlung für Beweise bei HA 491a12, vgl. PA 639a13, PA 640a1 und GA 742b24; siehe LEUNISSEN (2010a) Kap. 3.1.

XLIII Das Beweisen und das Syllogistische. Die folgenden, nach zunehmender Komplexität aufgelisteten Arbeiten befassen sich mit A.s’ Logik und seiner Theorie der Beweisführung: BARNES (1996) Kap. 7–8, ACKRILL (1981) Kap. 6–7, ROSS (1995) Kap. II, ANAGNOSTOPOULOS (2009c), BYRNE (1997) und BARNES (1993), wobei Letzterer wirklich ein Verständnis von formaler Logik voraussetzt. Was es bedarf, um eine wissenschaftliche Kenntnis von etwas zu haben: APo 71b9. Die Bedingungen für einen Beweis sind folgendermaßen näher bestimmt: Die Prämissen müssen wahr und unmittelbar sein, APo 71b9; müssen Individuen betreffen, APo 71a8, APo 73b25, vgl. DA 417b21, Metaph 1036a2, Metaph 1039a24, Metaph 1086b32; sie müssen unbekannter sein als die Schlussfolgerungen, APo 72a25. Zur Geschichte, wie der Stichling seinen Beckengürtel verloren hat, siehe SHAPIRO et al. (2004) und CHAN et al. (2010). Das Vorkommen von Gasterosteus aculeatus reicht bis nach Griechenland, doch es gibt keinen aristotelischen Fisch, der zweifelsfrei damit identifiziert werden kann. A. benutzte »Definition« auf viele verschiedene Weisen, siehe APo II, insbes. APo 94a11; hier meine ich »Konklusion des Beweises dessen, was etwas ist« [engl. Übers. BARNES (1993)]. Für die Rolle, die solche Kausaldefinitionen in seiner Wissenschaft spielen, siehe Kap. XLVII. Teleologische Beweise, z. B. PA 640a1, werden von LLOYD (1996) Kap. 1, LEUNISSEN (2010a) behandelt. A. spricht über die Notwendigkeit von primären Definitionen bei APo II, 19; siehe GOTTHELF (2012) Kap. 7 für andere Beispiele. BYRNE (1997) S. 207–11 legt die Unterscheide zwischen A. und den Sophisten dar.

XLIV Probleme mit und Kritik an A.s’ Beweistheorie. A. ist sich mit Sicherheit folgender Probleme durchaus bewusst, (i) aus Zusammenhängen falsche Ursachen ableiten, (ii) die Richtung der Kausalität falsch ableiten und (iii) mehrere Ursachen. In APo I, 13 unterscheidet er zwischen der »Tatsache«, womit er nur die vom Syllogismus bewiesenen Zusammenhänge zu meinen scheint, und der »begründeten Tatsache«, womit er die Zusammenhänge + weitere Informationen meint, die uns davon überzeugen, dass tatsächlich ein Kausalzusammenhang besteht, und in welche Richtung der Kausalzusammenhang verläuft. Kurz gesagt scheint er vernünftigerweise zu argumentieren, dass irgendeine andere Informationsquelle außerhalb des Syllogismus selbst darauf verweist, dass es eine kausale Beziehung gibt und worin diese besteht, allerdings ist seine Darstellung nicht besonders klar; siehe LENNOX (2001b) Kap. 2. Die Frage, warum A.s’ Schriften nicht nach einer syllogistischen Form geordnet sind, hat zu einer Menge Diskussionen geführt. BARNES (1996), S. 36–9 präsentiert eine Lösung, doch Kosman, zitiert von GOTTHELF (2012) Kap. 7, sagt, dass die ganze Problematik auf einem Missverständnis beruht, da A. nirgendwo behauptet, Wissenschaft sollte auch in dieser Form dargestellt

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sein. Ich glaube, dass er deswegen seine Wissenschaft nicht syllogistisch darlegt, weil er es nicht kann. Sicher, APo I, 30 behauptet, Beweise könnten Zusammenhänge miteinschließen, die »größtenteils« gelten, das scheint jedoch seine Universalitätsbedingung zu verletzen; BARNES (1993) S. 192 und HANKINSON (1995) untersuchen das Problematische an A.s’ Stegreiferklärung, warum Kamele keine Hörner haben, die sich bei PA 674a30 findet; LENNOX (2001a) S. 280–1. Beweisführung geht in Dialektik über bei EN 1145b2 [bearb. engl. Übers. nach NUSSBAUM (1982)]. Dies führt uns zur Kontroverse darüber, in welchem Ausmaß sich A.s’ offizielle Beweistheorie in seiner Biologie findet. Manche Wissenschaftler sind der Ansicht, dass die Biologie stark von der offiziellen Theorie geprägt sei; andere sind eher zwiegespalten und weisen auf die Vielfalt der Beweisführungsmethoden. Die wichtigsten Diskussionen dazu finden sich bei BOLTON (1987), LLOYD (1996) Kap. 1, LENNOX (2001b) Kap. 1, 2, LEUNISSEN (2007). LEUNISSEN (2010a), LEUNISSEN (2010b) und GOTTHELF (2012) Kap. 7–9. A. erörtert, wie man mit mehreren Ursachen umgeht – aufteilen und erklären – bei APo II, 13–18; LENNOX (2001b) Kap. 1. A. spricht über Aufteilen und Erklären, wenn er bei APo 97b25 [engl. Übers. Barnes (1993)] Mittel gegen Augenerkrankungen verordnet; für das moderne Äquivalent in der Krebsforschung siehe HARBOUR et al. (2010).

XLV Die funktionale Schönheit der Vögel. Über die Vogelwinde siehe Meteor 362a24. A. beschreibt Vögel und ihre Gewohnheiten bei Ha VII, 3 und den tyrannos bei HA 592b23. Er spricht über des mehr und weniger in Bezug auf die Merkmale von Vögel bei PA 692b4 und die Beziehung zwischen Vogelvielfalt und bios bei PA 662a34, PA 674b18, PA 692b20, PA 693a11, PA 694a15, PA 694b12; vgl. GA 749a35. Siehe WILSON (1999) für Gilden und funktionale Gruppen in der modernen Ökologie. Bei DARWIN (1845) S. 380 steht die berühmte Passage über die Vögel auf den Galapagos. A. spricht bei PA 694b12 davon, wie die Natur Organe für die Funktion schafft.

XLVI Teleologie in der Zoologie. A. spricht vom Vorrang finaler Ursachen in PA 639b13 und PA 646a25; siehe LEUNISSEN (2010a) Kap. 7.1, und die Gründe, warum sich Organismen fortpflanzen bei GC 338b1, DA 415a25 und GA 731b31. Genau genommen gilt dieses Argument nur für (i) sublunare Organismen (d. h. himmlische Organismen sind ausgenommen); (ii) Organismen, die sich fortpflanzen (d. h. Spontanzeuger sind ausgenommen). Hier und anderswo (Kap. XCVI) behaupte ich, von der Fortpflanzung begünstigt, seien die Formen; siehe LENNOX (2001b) Kap. 6 für eine etwas andere Ansicht.

XLVII Den Elefanten erklären. A. spricht über den Elefantenrüssel bei HA 497b26, HA 536b20 und HA 630b26; Er erklärt ihn bei PA 658b34 und PA 661a26. Es gibt einige Widersprüchlichkeiten zwischen HA und PA, was die Lebensweise von Elefanten angeht. In PA ist besonders hervorgehoben, dass er im Wasser lebt; in HA allerdings findet sich der

anmerkungen

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Elefant nicht unter den amphibischen Tieren, und obgleich er offensichtlich in der Nähe von Flüssen lebt, lebt er nicht in ihnen und ist ein schlechter Schwimmer; siehe LENNOX (2001a) S. 234, KULLMANN (2007) S. 469–73 und insbesondere GOTTHELF (2012) Kap. 8 zu A.s’ Analyse des Elefanten. JOHNSON (1980) beschreibt schnorchelnde Elefanten, aber heutzutage kann man sie sich auch auf YouTube ansehen. Bei PA 659a25 behauptet A., die Beine des Elefanten seien untauglich »zur Beugung«, an anderer Stelle aber – HA 498a8, IA 709a10, IA 712a11 – deutet er an, dass sie sich sehr wohl krümmen ließen, allerdings sind letztere Passagen zugegebenermaßen recht unklar. Ktesias wird oft beschuldigt, A. von der Ungelenkigkeit des Elefanten erzählt zu haben, doch es existiert keine Schrift, die dies bestätigte, BIGWOOD (1993). Für das Bein des Elefanten in der Geschichte, siehe TENNANT (1867) S. 32–42; zu der modernen Kinematik des Elefantenbeins siehe REN et al. (2008), und für die wasserlebenden Vorfahren des Elefanten siehe GAETH et al. (1999) und WEST et al. (2003). Zusammenhang zwischen Form und Lebensweise. Bei HA 487a10 legt A. eine recht lange Liste vor, wie sich die Lebensweisen von Tieren voneinander unterscheiden können; allerdings benutzt er nur wenige von ihnen in teleologischen Erklärungen in PA. Vielleicht liegt das, wie LENNOX (2010) anmerkt, daran, dass die Liste der Differenzierungen in der Lebensweise in HA I, 1 mit einer Liste von Tätigkeiten vermischt wird. Zum Nutzen von Lebensweisen mit einer Betonung auf der Ernährung siehe auch Pol 1256a18. A. spricht von den Anpassungen des Anglerfischs und des Zitterrochens bei HA 620b10. Weitere Fälle, bei denen A. die Vielfalt der Formen durch verschiedene Lebensweisen erklärt, sind: Fischmäuler und Ernährung, PA 662a7, PA 662a31 und PA 696b24; Insektenflügel und Mobilität und Beschädigung, HA 490a13, HA 532a19 und PA 682b12; Land- kontra Wassertiere, PA 668b35. Bedingte Notwendigkeit. Bei PA 642a4 unterscheidet A. zwei grundlegende Ursachen: das »worum-willen« und das »notwendigerweise«. Dann fährt er fort, zwei Formen von Notwendigkeit zu unterscheiden. Eine ist die »bedingte Notwendigkeit«, womit er die Merkmale meint, die ein Teil haben muss, damit er ordnungsgemäß funktioniert, die andere ist die materielle Notwendigkeit, womit er die Merkmale eines Teils (oder Tieres) meint, die sich unmittelbar aus den Eigenschaften der Materie ergeben, aus der es besteht; vgl. PA 639b24 und PA 645b15. In der Praxis lassen sich diese Arten von Notwendigkeit häufig schwer auseinanderhalten, und A. weist oft nicht darauf hin, von welcher er gerade spricht; siehe COOPER (1987) und LEUNISSEN (2010a) Kap. 3.

XLVIII Die Kraft der bedingten Notwendigkeit. Die Bedeutung von gené bei den Erklärungen in PA zu betonen, widerspricht, wie sich zeigen wird, der allgemeinen Tendenz zu der Annahme, A.s’ Klassifikation sei unbedeutend oder existiere überhaupt nicht; siehe GOTTHELF (2012) Kap. 9 für ein Argument, das dem ähnlich ist, das ich hier vorgebracht habe. A. sagt, dass die folgenden Teile oder Tätigkeiten Teil der »Definition substanziellen Seins« seien (GA 778a34), in folgenden gené: das Fliegen bei Vögeln, PA 669b10, PA 697b1 und PA 693b10; Fische, Schwimmen, PA 695b17; Vögel, Lungen, PA 669B10; Fische, blutführend, PA 695b17; Vögel, blutführend, PA 693b2–13; Blut oder dessen Fehlen, PA 678a26; Tiere, Wahrnehmung, PA 653b19. GOTTHELF (2012) Kap. 7 und LEUNIS-

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SEN (2010a) Kap. 3.2 zeigen, wie wichtig A. solche Argumente sind. Er sagt lediglich, dass Vögel Schnäbel haben, »weil der natürliche Bauplan der Vögel so beschaffen ist«, PA 659b5, und dass es ein eigentümliches, doch charakteristisches Merkmal von Vögeln sei, PA 692b15. Über die Konsequenz von Schnäbeln für den Verdauungstrakt von Vögeln siehe HA 508b25ff. und PA 674b22. OGLE (1882) S. 241, OWEN (1866) Bd. 2, S. 156–86 sowie ZISWILER und FARNER (1972) beschreiben die Vielfalt der Verdauungstrakte der Vögel.

XLIX Materielle Notwendigkeit. BALME (1987d) erörtert die Rolle der materiellen Notwendigkeit in A.s’ Erklärungsschema. A. skizziert die gleichförmigen Teile, ihre Zusammensetzung und Funktionen bei HA III, 2–20 und PA II, 1–9; siehe LONES (1912) S. 107–17 für eine Übersicht dessen, was A.s über sie weiß. A. sagt, gleichförmige Teile seien um der inhomogenen Teile willen da, bei PA 646b11; vgl. PA 653b30 und PA 654b26. Für ihren physiologischen Zusammenhang siehe Kap. CVII. A. erwähnt den Tiefseeigel bei HA 530a32 und erläutert seine Stacheln bei GA 783a20; siehe THOMPSON (1947) S. 72 für seine Bestimmung. Er behauptet bei PA 680a25, Seeigel seien gemeinhin kalt. Die Hippokratiker sowie Dioskurides, ein Verfasser medizinischer Schriften, scheinen die Stacheln von Seeigeln als harntreibendes Mittel eingesetzt zu haben, PLATT (1910) Anm. GA 783a20. GUIDETTI und MORI (2005) analysieren die funktionalen Eigenschaften von Seeigelstacheln; MOUREAUX und DUBOIS (2012) demonstrieren ihre Biegsamkeit. A. bezieht sich auf den Tiefseeigel als eine eigenständige Gattung (genos), was vererbbare Unterschiede bezüglich anderer Seeigel zu implizieren scheint, doch seine Erklärungen für die von ihm besprochenen Eigenschaften beruhen allein auf umweltbedingten Eigenschaften und können damit nicht mit einem Unterschied im eidos oder der ererbten Form in Verbindung gebracht werden. Er benutzt genos auf eine ähnliche, nicht klar definierte Weise auch an anderen Stellen seiner Zoologie (siehe Kap. LXXXII über Bienen).

L Das Zusammenspiel von bedingter und materieller Notwendigkeit. A. beschreibt die funktionalen Eigenschaften der Wirbelsäulen von Schlangen bei PA 692a1, wie sich Knorpelfische bewegen bei PA 655a23, die Struktur der Speiseröhre bei PA 664a32 und den Penis bei PA 689a20. Solche Beispiele sind der Beilmetapher ähnlich, die er benutzt, wenn er die bedingte Notwendigkeit in PA I,1 erklärt; siehe LENNOX (2001b) Kap. 8 für weitere Beispiele. A. beschreibt den Zweck des Kehldeckels bei PA 664b20; für eine moderne Darstellung siehe EKBERG und SIGURJONSSON (1982). A. bespricht die Milz und ihre Funktion bei HA 506a13, PA 666a25, PA III, 7; siehe LENNOX (2001a) S. 270 und OGLE (1882) S. 207–8; Letzterer bewertet seine recht akkuraten Vergleichsdaten. Die Milz ist ein Beispiel für »indirekte« oder »sekundäre« Teleologie, LENNOX (2001a) S. 248–9, LEUNISSEN (2010a) Kap. 4. 3. MEBIUS und KRAAL (2005) besprechen die Funktion der Milz aus heutiger Sicht. A. erörtert Gallenblase und Galle bei HA 506a20 und PA IV, 2. LENNOX (2001a) S. 288–90 beharrt darauf, dass das griechische cholé nicht zwischen »Gallenblase« und »Galle« unterscheidet, weswegen er es immer als »Galle« übersetzt, doch A.s’ Schilderungen der Verteilung von cholé in verschiedenen

anmerkungen

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Tieren scheint mehr Sinn zu ergeben, wenn wir davon ausgehen, dass er manchmal über die Gallenblase spricht und manchmal über die Galle selbst. OGLE (1882) S. 218 prüft die vergleichende Verbreitung von Gallenblasen und kommt wieder zu dem Schluss, dass A.s’ vergleichende Anatomie größtenteils stimmig ist. A. kommt bei PA 677a16 zu dem Schluss, dass Galle nutzlos ist.

LI Die Teleologie der Haushaltsökonomie. A. bezieht sich auf Äsops Fabel über Momos bei PA 663a34; das Original findet man in Babrios’ Fabeln, 59. A. spricht sich für die Notwendigkeit von teleologischen Hilfsprinzipien bei IA 704b11 aus, vgl. IA 708a9, IA 711a18, allerdings listet er nur ein paar von ihnen auf; FARQUHARSON (1912) Anm. 704b12 benennt viele weitere. A.s’ Hauptaussage über Haushaltsökonomie ist in Pol. I, 2–9. Er benennt und wendet eine Reihe von ökonomischen Prinzipien in seiner Zoologie an folgenden Stellen an: (i) die Natur ist »wie ein guter Hausverwalter« bei GA 744b12; siehe LEUNISSEN (2010a) Kap. 3. 2, die von »Luxusteilen« spricht. (ii) »Die Natur tut nichts ohne Grund«, angewandt auf: Augenlider bei Fischen, PA 658a8; Zahnmorphologie, PA 661b23; Mundfunktion, PA 691b25; Fische haben keine Beine, PA 695b16; Fische haben keine Lungen, JSVM 476a13; Zähne GA 745a32; Männchen, GA 741b4; siehe LENNOX (2001a) S. 231, 244, LENNOX (2001b) Kap. 9. (iii) »Was die Natur an einer Stelle wegnimmt, fügt sie an anderer hinzu.« Angewandt auf: Knorpel bei Knorpelfischen, PA 655a27, vgl. PA 696b5; Verteilung von Körperbehaarung, PA 658a31; Fehlen der Blase bei gefiederten und geschuppten Tieren, PA 671a12; Zitzen bei Löwen, PA 688b1; keinen Schwanz beim Menschen, PA 689a20; Flügel kontra Sporen, PA 694a8; Sporen kontra Krallen, PA 694a26; Vogelschweife und Beine, PA 694b18; der Grund, warum Enten kurze Beine haben, IA 714a14; die komische Form des Anglerfisches, PA 695b12; Lebensgeschichte siehe Kap. LXXXIII; siehe LENNOX (2001a) S. 218–19 und LEROI (2010). (iv) »Die Natur handelt nicht aus Geiz«: Pol 1252b1 und PA 683a22. (v) mehrere Funktionen von Teilen: z. B. PA 655b6, siehe TIPTON (2002) und KULLMANN (2007) S. 444. A. erörtert die Funktion und Bildung von Hörnern bei PA 655b2, PA 661b26, hauptsächlich aber in PA III, 2; siehe OGLE (1882) S. 186– 91, LENNOX (2001a) S. 246–50 und KULLMANN (2007) S. 499–514. A. erwähnt zwar das aggressive Verhalten mancher Tiere bei der Paarung HA 571b1, verweist aber nicht darauf, dass männliche Hirsche im Kampf gegeneinander ihr Geweih einsetzen.

LII Die Seele des Tintenfisches. A. beschreibt das Laichen des Tintenfischs bei HA 550b6, Embryologie bei HA 550a10, und Paarung von Cephalopoden bei HA 541b1, weiter bei HA 541b13. THOMPSON (1928) beschreibt alte und moderne Fangmethoden für Tintenfische.

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LIII Definitionen von Leben. Die zahlreichen Definitionen lassen sich bei SCHRÖDINGER (1944/ 1967) Kap. 6, LOEB (1906) S. 1 und SPENCER (1864), Bd. 1, S. 74 nachlesen; LEWES (1864) S. 228–31 liefert frühere Definitionen und einen Kommentar zu A.s’ Definition. A. gibt seine eigene Definition bei DA 412a14 [bearb. engl. Übers. aus HETT (1936)].

LIV Frühe Vorstellungen von der Seele. Patroklos’ Schicksal wird in Illias XVI beschrieben. A. nennt den Schmetterling psyché bei HA 551a14; siehe DAVIES und KATHIRITHAMY (1986) S. 99–108. Platons Vorstellung von der Seele und sein Argument für ihre Unsterblichkeit lässt sich nachlesen bei Phaidon 78B–95 D, Phaidros 245C–257B und Poli 609C–611C; siehe LORENZ (Sommer 2009) für eine Darstellung früher Theorien der Seele. A.s’ frühe Vorstellung von der Seele findet sich in den Fragmenten des Eudemos FR F37R3–F39R3 und Protreptikos FR F55R3, F59R3, F60R3, F61R3. Im Allgemeinen nimmt man an, dass sich A.s’ Vorstellung von der Seele im Laufe seines Lebens radikal geändert hat, z. B. LAWSON-TANCRED (1986) S. 51–2, aber BOS (2003) vertritt eine gegensätzliche Auffassung, siehe dazu allerdings KING (2007). A. sagt in DA 402a1, dass die Kenntnis der Seele ausgesprochen wichtig sei, und bewertet die Ansichten seiner Vorgänger in DA I. Er definiert die Seele als die erste Entelechie des Körpers bei DA 412b4 [engl. Übers. HETT (1936)], vgl. DA 412a19, DA 412b4, DA 414a15 und spricht von Samen als potenziell beseelten Körpern bei DA 412b27; siehe KING (2001) S. 41–8. A.s’ Doktrin, dass die Seele eine materialisierte Form ist, ist ein Sonderfall seiner Theorie des Hylemorphismus – der Vorstellung, dass eine Substanz (ousia) als eine Zusammensetzung aus Materie und Form gedacht werden kann. Er wendet diese Theorie bei DA 412b6 auf die Seele an. Über diese Auffassung wird manchmal gesagt, sie widerspräche der allgemeinen Hylemorphismus-Theorie, die besagt, dass Form und Materie einander bedingen, ACKRILL (1972/1973). A. macht bei DA I,3; DA 415b21 die Seele für Veränderung verantwortlich. Hier übersetze ich A.s’ kinésis (pl. kinéseis) als »Prozess« – worunter ich eine zeitabhängige Menge an Zuständen verstehe – gemeinhin wird es jedoch als »Bewegung« übersetzt. A. charakterisiert bei DA II, 4 die Seele als zielgerichtet und spricht bei DA 412b10 als Entität von ihr, vgl. DA 415b8, PA 640b34 und Meteor 390b31; er benennt ihre Beziehung zu seinen »Ursachen« bei DA 415b8. A. beschreibt die Augen von Maulwürfen bei HA 491b28, HA 533a1 und DA 425a10.

LV Spirituelle Deutungen der Seele. Der »Geist in der Maschine« stammt von RYLE (1949) Kap. 1. LAWSON-TANCRED (1986) S. 24 scheint A.s’ Theorie der Seele durch die Brille eines cartesianischen Geist-Körper-Dualismus zu sehen, doch unter anderem FREDE (1992) zeigt, dass A.s’ Theorie nicht die von Descartes ist. A. spricht von dem geheimnisvollen aktiven Intellekt bei DA 408b19 und DA III, 5. A. argumentiert, Seelen seien keine Agenzien bei DA 408b11 und DA 408b25; allgemeiner, DA I, 4. Siehe die Essaysammlung NUSSBAUM und RORTY (1992) sowie DURRANT (1993) für A.s’

anmerkungen

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Vorstellung von der Seele, mentalen Zuständen und ihre Bedeutung für die moderne Theorie des Geistes. KANT (1793) X 75, Ak. v, S. 400 verzweifelt daran, teleologische Prozesse zu erklären; siehe GRENE und DEPEW (2004) Kap. 4 zu Kants Biologie. Wie LENOIR (1982) darlegt, waren nicht alle Teleologen ganz offen Vitalisten; manche waren »Telomechanisten«, allerdings schlägt eine Faszination für Teleologie oft in Vitalismus um. DRIESCH (1914) liefert eine Geschichte des Vitalismus in eigener Sache; CONKLIN (1929) S. 30 und SCHRÖDINGER (1944/1967) reagieren auf Drieschs Vitalismus; SANDER (1993a) und SANDER (1993b) sehen ihn wohlwollender; siehe auch KULLMANN (1998) S. 308–10. DRIESCH (1914) S. 1 und NEEDHAM (1934) S. 30ff. liefern eine explizit vitalistische Interpretation der aristotelischen Biologie; heute würden nur wenige Forscher dem zustimmen, doch FREUDENTHAL (1995) Darstellung von A.s’ Theorie des pneuma erscheint oft vitalistisch; siehe KING (2001) Anm. S. 141. Zu den Wissenschaftlern, die darin übereinstimmen, dass A. weder ein Vitalist noch ein demokritischer Materialist ist, gehören NUSSBAUM (1978), COOPER (1987), BALME (1987c), GOTTHELF (2012) Kap. 1, KING (2001) Kap. 3, KULLMANN (1998) Kap. IV, QUARANTOTTO (2010). Meine eigene Kennzeichnung A.s als »informierter Materialist« ist lediglich eine Umformulierung seines Hylemorphismus. A. kennzeichnet Seele als Form bei DA 412b6 und DA 414b20 und das bewegende Prinzip des Lebens bei DA 415b21.

LVI Das Seelenvermögen. Für die hierarchischen Vermögen der Seele siehe DA 414a2. Für die Vermögen der nährenden Seele siehe DA 415a22, DA 416b3 und DA 432b7. Tiere werden bei DA 416b20 dadurch definiert, dass sie eine nährende Seele besitzen; dass sie in allen Tiere zu finden sei, wird bei DA 414a29 und DA 434a22 gesagt. Die nährende Seele ist die erste, die sich bei der Ontogenese manifestiert, GA 735a12; siehe auch Kap. LXV. Die Seele hält Tiere zusammen, DA 411b5 und DA 415a6; siehe QUARANTOTTO (2010). A. spricht bei DA 416a33 über Metabolismus und vergleicht Wachstum mit dem Fließen eines Flusses bei GC 321b24; vgl. GC 322a22. Das ist heutigen Wachstumsmodellen nicht unähnlich, z. B. BERTALANFFY (1968) S. 180; A. unterscheidet ebenfalls Ernährung, die für den Erhalt des Körpers und solche, die für Wachstum aufgewendet wird, z. B. GA 744b33, siehe Anm. PECK (1943) S. 232. A. spricht über chemische Umwandlung bei DA 416a21; siehe Kap. LVII. Seine Darstellung der Verdauung und der Aufnahme bei blutführenden Tieren findet sich in PA III. Für ein Beispiel einer modernen Energiebilanz siehe WARE (1982).

LVII Die Chemie gleichförmiger Teile. Die Mischung der Elemente legt die homogenen Teile fest, ja definiert sie überhaupt erst, PA 642a18 und Metaph 993a17. Zu Empedokles über die chemischen Bestandteile von Knochen, siehe DK 31B96 und FURTH (1987) S. 30–3. SOLMSEN (1960) S. 375 und KING (2001) S. 168 Anm. 12, sind skeptisch, was die Darstellung von A.s’ Verbindungen als tatsächliche Zahlenverhältnisse betrifft, doch zusätzlich zu den oben zitierten Textabschnitten, ist die Vorstellung eines Zahlenverhältnisses auch an vielen anderen Stellen impliziert, an denen er über die Zusammensetzung verschiedener gleichförmiger Teile spricht, z. B. PA II, 4 für Blut; PA 653a20 für

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Die Lagune

das Gehirn; PA 654a29 für das Exoskelett von Insekten und GA 743a14 für Nägel. A. merkt manchmal an, dass gleichförmige Teile außerdem aus einer heißen Substanz bestünden, z. B. GA 743a14; er könnte pneuma meinen – siehe Kap. LIX und LXV. A. rügt Empedokles für dessen Mischungstheorie bei GC 334a27; für den Unterschied zwischen bloßer Vermischung und Entstehung von etwas Neuem durch Zusammensetzung (Mixis) siehe BOGAARD (1979). A.s’ allgemeine Theorie der Zusammensetzung findet sich bei Meteor IV, 8, GC I, 10 und GC II, 7–8. Ich spreche hier davon, dass gleichförmige Teile sich bezüglich der Verhältnisse ihrer Elemente voneinander unterscheiden, doch A. kleidet seine Erörterung gleichförmiger Teile häufig in Begriffe darüber, wie ausgeprägt gegensätzliche elementare Kräfte (heiß/kalt/trocken/nass) vorhanden sind, und sagt eigentlich, dass diese Kräfte fundamentaler seien, z. B. PA 646a12. Kräfte und Elemente sind keine isomorphen Substanzen, da jedes Element eine Kombination aus Kräften ist, siehe Kap. LXXX, tatsächlich leitet er beim Sprechen aber oft von den Elementen zu ihren Kräften über, z. B. GA 743a14; siehe WATERLOW (1982) S. 83–6, SORABJI (1988) S. 70, KING (2001) S. 74–80 und SCALITAS (2009). Die Bedeutung von »heiß« und »kalt«. A. bespricht die zahlreichen Bedeutungen von »heiß« und »kalt« bei PA II, 2. Wenn man sich ansieht, was er über Hitze sagt, gibt es mindestens drei Quelle, die möglicherweise Verwirrung stiften. (i) Er unterscheidet nicht allzu deutlich die Rolle von Hitze beim »Kochen« und beim »Verbrennen«, also zwischen endothermen und exothermen Reaktionen, siehe allerdings PA 648b35. (ii) Wenn er sagt, etwas sei »heiß«, meint er nicht notgedrungen, dass es im Vergleich zu seiner Umgebung eine hohe Temperatur besäße, sondern dass es durch Hitzezufuhr leicht zu verändern ist – in anderen Worten, dass es schnell brennt, schmilzt oder kocht, vgl. PA 648b16, er spricht also über so etwas wie relative thermodynamische Stabilität. In diesem Sinne ist Fett »heiß« (vielleicht hat es aber auch eine hohe Temperatur). (iii) Schließlich gibt es noch die Frage nach der »vitalen Hitze«. FREUDENTHAL (1995) argumentiert, dass es sich dabei um eine ausgesprochen exotische Art von Hitze handelt, denn in Tiere findet sich keine gewöhnliche Hitze, sondern eine »informierte Hitze«, was er mit pneuma in Verbindung bringt; zu pneuma siehe Kap. LIX. Obwohl vitale Hitze nicht dasselbe wie herkömmliches Feuer ist, ist diese Vorstellung unnötig vitalistisch und es darf bezweifelt werden, dass pneuma tatsächlich so bedeutsam ist, da es nicht in A.s’ ausgereifter Ernährungsphysiologie in JSVM vorkommt, sondern lediglich in seiner Embryologie und seiner Wahrnehmungsphysiologie, wo es sich scheinbar um ein Vehikel der Seele handelt, das eine Aktion aus der Ferne erlaubt; für eine Auseinandersetzung damit siehe KING (2001). Die Rolle der Hitze bei der Tätigkeit der nährenden Seele. Bei JSVM 469b8 heißt es über Tiere, sie hätten eine innere Wärmequelle; vgl. PA 682a24. A. vergleicht Feuer mit einem Fluss bei JSVM 470a3 [engl. Übers. HETT (1936)], doch er sagt, dass vitale Hitze kein gewöhnliches Feuer sei, GA 736b33, auch wenn er häufig von einem inneren »Feuer« spricht. Darüber, dass Hitze genügt, um eine Transformation auszulösen, siehe z. B. Meteor 390b2. Zu Verkochung und Transformation siehe Meteor IV, 2–3, DA 416b28. Wenn A. erklärt, wie Hitze verschiedene gleichförmige Teile hervorbringt, kann er ausgesprochen verwirrend sein, z. B. GA 743a5. Dies liegt daran, dass er sagte, manche gleichförmigen Teile würden durch Erhitzen gebildet, andere durch Abkühlung und manchmal (z. B. Fleisch) durch beides. Die Lösung scheint zu sein, dass das Blut erhitzt wird, und sich dabei in heißere und kältere Komponenten aufspaltet; die kälteren Kom-

anmerkungen

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ponenten erstarren dann zu Fleisch oder Knochen oder anderen festen gleichförmigen Teilen, vgl. Meteor IV, 7–8. Dass Feuer nicht die Hauptursache für Ernährung und Wachstum ist, wird bei DA 416a9 gesagt. A. betont die Notwendigkeit, das innere Feuer zu regulieren bei JSVM 469b10 und JSVM 474b10.

LVIII Der Sitz der Seele. A. spricht von der Vivisektion von Schildkröten bei JSVM 468b9 und JSVM 479a3; von Chamäleons bei HA 503b23, vgl. PA 692a20; Insekten und Pflanzen bei DA 411b19, JSVM 468a23, JSVM 471b20, JSVM 479a3 und PA 682a2; siehe LLOYD (1991) Kap. 10. A. spricht über das Herz als dem Sitz der Seele bei JSVM 1, 3. Verkochung und das innere Feuer im Herzen werden beschrieben bei JSVM 469b10, das stattfindende Kochen bei JSVM 479b28. Er sagt, das Herz sei die Burg des Körpers bei PA 670a25 und dass es die absolute Kontrolle besitzt bei JSVM 469a5. Seine allgemeine Darstellung des Herzens findet sich in PA III, 4; siehe KING (2001) S. 64–73 über A.s’ Kardiozentrismus. Er behauptet bei PA 665a28, dass es sich nur bei Organen mit Blut (bei Bluttieren) um Eingeweide handelt. Seine Gegenüberstellung von zentral sitzender und im Körper verteilter Seele wird bei JSVM 468b9 entwickelt, vgl. PA 682a2, PA 682b30, PA 666a13. COSANS (1998) »vivisezierte« eine Wasserschildkröte.

LIX Die Struktur der sensitiven Seele. Das CIOM-Modell stammt aus GREGORIC und CORCILIUS (2013), die jedoch nicht das gesamte System als sensitive Seele bezeichnen würden. Diese unterschiedliche Deutung rührt von der in A.s’ Schriften allgegenwärtigen Spannung zwischen kardiozentrischen und hylemorphischen Darstellungen der Seele. Wahrnehmung als Übertragung der Form: DA 435a4. Empedokles’ und Platons Theorien des Sehens finden sich bei DA II, 7 und Sens 2; A. führt auch noch weitere anatomische Argumente gegen sie ins Feld, doch sind sie schwer zu deuten, weil seine Anatomie des Sehapparats so undurchsichtig ist; siehe LLOYD (1991) Kap. 10. A.s’ Theorie zu Licht und Sehen findet sich bei DA II, 7 und DA 434b24. Welcher Art genau die sich am Augapfel vollziehende Veränderung ist, ist umstritten. Manche Forscher behaupten, es sei eine materielle Veränderung, andere lehnen dies ab. Ich neige dazu, es für eine materielle Veränderung zu halten, da es schwierig ist, nachzuvollziehen, wie eine nicht materielle Veränderung in der Folge materielle Veränderungen auslösen könnte; und dieses Modell stimmt mit den rein materiellen Veränderungen überein, die bei der Berührungswahrnehmung stattfinden; für eine Auseinandersetzung damit siehe JOHANSEN (1997). A. identifiziert das Herz als Ursprung der Wahrnehmung bei PA 657a28 und JSVM 467b27 und argumentiert gegen das Gehirn bei JSVM 469a10, JSVM 469a20 und PA 656a15. Seine Darstellung, wie Sinnesorgane und Herz kommunizieren, findet sich bei Sens 2; siehe LLOYD (1991) Kap. 10 und FRAMPTON (1991). GREGORIC und CORCILIUS (2013) S. 63 verhandeln die homöostatische Rolle der sensitiven Seele; siehe DA 431a8. Die Begierde befiehlt zu trinken bei MA 701a32; siehe NUSSBAUM (1978) Essay 5 und CASTON (2009) über phantasia. A. weist bei DA 424b16 auf die höheren kognitiven Prozesse hin, die mit der Wahrnehmung von Gerüchen verbunden sind. Angenehme und schmerzhafte Begierden werden bei MA 701b35 erörtert.

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Pneuma. Es lässt sich nur schwer sagen, was pneuma für Aristoteles ist, da die ganze Theorie eher unzureichend ausgearbeitet zu sein scheint. Das Problem liegt darin, dass A. zunächst sagt, pneuma ist nur »heiße Luft«, GA 736a1, und dann, nur ein paar Dutzend Zeilen später, sagt, es sei etwas »Göttlicheres« als die irdischen Grundelemente, tatsächlich scheint es dem Element analog zu sein, aus dem Sterne gemacht sind, aithér, GA 736b33, vgl. DC I, 3. Zwischen der eher profanen und der exotischen Alternative haben Forscher viel Diskussionsstoff gefunden, siehe PECK (1943) Anhang B, BALME und GOTTHELF (1992) S. 158–65, FREUDENTHAL (1995) Kap. 3 und KING (2001) Kap. 4. Zur Rolle von pneuma bei der Fortbewegung von Tieren, siehe MA 10. FRAMPTON (1991) und GREGORIC und CORCILIUS (2013) stellen die Verteilung von pneuma im Körper leicht anders dar und damit auch das Ausmaß des Übergangsproblems; siehe auch NUSSBAUM (1978) Essays 3. Die Kommunikation zwischen Herz und Fortbewegungsorganen und die Metapher von den automatischen Puppen findet sich bei MA 701b2 [engl. Übers. Nussbaum, 1978], ich habe allerdings den Hinweis auf den Spielzeugwagen, einen weiteren mechanischen Vergleich, weggelassen. PREUS (1975) S. 291 und LOECK (1991) diskutieren, was A. mit diesen Apparaten gemeint haben könnte. Zu den Griechen und Muskeln siehe OSBORNE (2011) S. 39–40. Der Verweis auf mechanische Verstärkung beim Ruder und Stadtanalogien findet man bei MA 701b27 und MA 702a21. Das gesamte CIOM-Modell wird bei MA 703b27 [engl. Übers. Nussbaum] entworfen, manchmal mitsamt einer Grafik. A. bespricht die geistigen Fähigkeiten des Menschen in DA III, 3–4; ich gehe nicht weiter auf sie ein.

LX Die kybernetische Seele. A.s’ Darstellung der Thermoregulation findet sich größtenteils in dem Buch, das traditionell als De respiratione bekannt ist; nach KING (2001) S. 38–40 fasse ich es unter JSVM zusammen. A. erörtert die Notwendigkeit der Abkühlung bei JSVM 5 und den Herz-Lungen-Kreislauf bei JSVM 480a16; siehe KING (2001) S. 127– 9. Er erklärt die Atmung von Insekten bei JSVM 471b20, JSVM 474b25 und JSVM 475a29 und von Fischen bei JSVM 480b19. Die kybernetische Deutung von A.s’ Theorie der Seele stammt ursprünglich aus NUSSBAUM (1978) S. 70–4 und wurde in verschiedenen Ausmaßen unter anderem übernommen von: FREDE (1992), WHITING (1992), KING (2001), SHIELDS (2008), QUARANTOTTO (2010), MILLER und MILLER (2010). Für die Geschichte der Homöostase, Kybernetik und Systembiologie siehe BERNARD (1878), CANNON (1932), ROSENBLUETH et al. (1943), WIENER (1948) – der auf S. 19 eine Etymologie der Begriffe Gouverneur/kybernétés/Kybernetik darlegt – ADOLPH (1961) und COOPER (2008). Für eine Geschichte der Apparaturen zur Regelungstechnik siehe MAYR (1971) und, allgemeiner zur Technologie der Griechen, BERRYMAN (2009). Das Verhältnis zwischen Teleologie und zielgerichtetem Verhalten wird bei AYALA (1968) und RUSE (1989) erörtert. »Viele Eigenschaften von organistischen Systemen …« stammt aus BERTALANFFY (1968) S. 141. Für die allgemeinen Eigenschaften von Systemen siehe SIMON (1996) »Bestandteile kommen und gehen …« stammt aus PALSSON (2006) S. 13. A. benutzt die Steurmann-Metapher in einem anderen Kontext bei DA 413a8 und DA 416b26. Er spricht von methodologischem Reduktionismus bei Pol 1252a17. Seelen halten Tiere zusammen bei DA 410b10, DA 411b6 und DA 415a6; siehe QUARANTOTTO (2010) für weitere Hinweise und Diskussionen.

anmerkungen

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LXI Das Ende der Entwicklung. A. greift Empedokles wegen der Wirbelsäule bei PA 639a20 an. Er beschreibt einen abgegangenen menschlichen Fötus bei HA 583b14. Zumindest manche der Informationen in der Umgebung dieser Textstelle stammen von Hippokrates; auf diese könnte es auch zutreffen.

LXII Paarungsverhalten. Ein Großteil von A.s’ Angaben zur Paarung sind bei HA VI, 18–37. Tiere werden durch Begierde erregt bei HA 571b9. A. beschreibt Paarungsrufe bei HA 536a11, die Taubenbalz bei HA 560b25, die Lüsternheit bei Stuten und Katzen bei HA 572a9 bzw. HA 540a9, und den Widerwillen von Hirschkühen bei HA 540a4, vgl. HA 578b5. Er beschreibt Konflikte zwischen Männchen bei HA 571b1. Männchen werden zunächst definiert bei GA 716a14. A.s’ anfängliche Definition der Geschlechter ist anatomisch und funktional; später, bei GA 765b13, erweitert er sie um eine physiologische; siehe MAYHEW (2004) und NIELSEN (2008). Zu den Kopulationstechniken bei Bluttieren siehe HA V, 2–6, GA I, 4; dazu, wie sich Igel paaren, siehe GA 717b26, und wie es Fische tun, GA 756a32. Reproduktionsflüssigkeiten. A. beschreibt den Ursprung von sperma bei PA 651b15 und GA 725a21. Obwohl ich für gewöhnlich den Begriff sperma mit Samen übersetze – was sich sowohl auf männliche wie auch auf weibliche Fortpflanzungssäfte beziehen kann – benutzt A. ihn offensichtlich manchmal in einem engeren Sinn als »Sperma«, also den männlichen Fortpflanzungssaft, und ich übersetze den Begriff entsprechend. A. erläutert die Bildung von Menstruationsblut bei GA 738a10ff. und anderswo; beschreibt vaginale Ausflüsse bei HA VI, 18–19, HA 582a34 und GA 738a5; siehe PREUS (1975), S. 54–7, Anm. S. 286–7. Er setzt Menstruationsflüssigkeit mit Ausflüssen bei der Brunst bei GA 728b12 gleich. Er bespricht Ausnahmen zu seinem Modell der Menstruationsflüssigkeit bei GA 727b12 und GA 739a26. A. behauptet, Windeier und Fischrogen bei Vögeln bzw. Fischen seien das Äquivalent zu Menstruationsblut bei GA 750b3. Für eine moderne Ansicht über Auftreten und Funktion der Menstruation siehe STRASSMANN (1996).

LXIII Anatomie der Fortpflanzungsorgane. A. beschreibt die außenliegenden Genitalien von Bluttieren bei HA 500a33; HA III, 1; HA V, 5; HA 566a2 und GA I, 3–8. Er beschreibt die Kloaken oviparer Tiere bei GA 719b29. Zu den Penissen bei Entenvögeln siehe BRENNAN et al. (2007); für den Aufbau des Penis allgemein, siehe KELLEY (2002). A. erklärt die Funktion der Hoden bei GA I, 4–7 und GA 787b20. Er erläutert das Fehlen von Hoden und Penissen bei Fischen und Schlangen und andere Unterschiede der männlichen Fortpflanzungsanatomie bei GA I, 4–7. Hier geht A. auch der Frage nach, warum es für Tiere, wenn es doch ihr Anliegen ist, sich fortzupflanzen, überhaupt wünschenswert sein sollte, ihre Spermienproduktion zu begrenzen. Für eine moderne Erklärung des geschlungenen Samenleiters siehe WILLIAMS (1996) S. 141–3. Die Anatomie der

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Fortpflanzungsorgane männlicher Bluttiere wird bei HA 510a13 beschrieben und die weiblicher bei HA 510b7 und GA I, 3, 8–17. Hier erklärt A. auch, warum der Uterus bei verschiedenen Arten so ganz unterschiedlich angelegt sein kann.

LXIV Weibliche sexuelle Begierde. A. erörtert die sexuelle Begierde von Mädchen und Frauen bei HA 581b12 und GA 773b25, die Rolle der weiblichen Lust beim Sex, deren Beziehung zur Empfängnis, die Produktion von Menstruationsflüssigkeiten und die Produktion von Scheidenflüssigkeit bei HA 583a11, GA 727b7, GA 728a31 und GA 739a29. Die Eichel nennt er bei HA 493a25. Für gewöhnlich wird HA X nicht zu HA gezählt, da es sich kausalen Erklärungen widmet; manche gehen sogar davon aus, dass es gar nicht von A. stammt; siehe BALME (1991), Einleitung, S. 26 und NIELSEN (2008). Die Darstellungen der Abläufe bei der Fortpflanzung in HA X und GA sind ähnlich, unterscheiden sich aber in zwei Punkten. In HA X behauptet A., dass Geschlechtsverkehr den weiblichen Samen (= Menstruationsflüssigkeit) in eine Region vor dem Uterus befördert, wo er sich mit dem männlichen Samen vermischt, doch GA 739b16 streitet dies ab. Zweitens äußert A. in HA X, dass der weibliche Orgasmus benötigt wird, damit die Samenmischung zurück in den Uterus gesaugt wird, doch offensichtlich ist dies in GA nicht notwendig. Für einen Vergleich der beiden Darstellungen siehe BALME (1991), Anm. S. 487–9. Für heutige Ansichten über die Funktion des weiblichen Orgasmus, falls er überhaupt eine hat, siehe JUDSON (2005) kontra LLOYD (2006). Montaignes zweifelhaftes Zitat stammt aus seinen Essays III, 5. 783.

LXV Befruchtung. Für GAs Subjekt als die bewegende Ursache des Lebens siehe GA 715a12. A.s’ Menge an sexuellen Dichotomien zwischen dem männlichen und dem weiblichen Beitrag zur Reproduktion, nennt HENRY (2006b) seine Theorie des »Fortpflanzungshylemorphismus«. Hier sind einige charakteristische Passagen, in denen er behauptet, Männer trügen die Form, Frauen die Materie bei: GA 729a9, GA 730a27, GA 732a1, GA 737a29, GA 738b9 und GA 740b20. Ganz offensichtlich widerspricht die Theorie etlichen Aspekten seiner mechanistischen Darstellungen, und weiter unten werde ich eingehender auf manche dieser Widersprüche zu sprechen kommen. Für eine Einführung in die Literatur darüber, wie oder eigentlich ob überhaupt diese Widersprüche aufgelöst werden können, siehe HENRY (2006b). Windeier. A. kommt immer wieder auf das Thema Windeier zu sprechen. Zu Windeiern bei Vögeln ganz allgemein, siehe HA 539a31, HA 560a5, GA 730a32, GA 737a30, GA 741a16 und GA III,1; für Windeier bei Rebhühnern siehe HA 560b10, GA 751a14 und ein weiteres Mal bei HA 541a27, was jedoch eine Interpolation zu sein scheint. Ich bedanke mich bei Chris McDaniel von der Mississippi State University, Tommaso Pizzari von der Universität Oxford und Nick Willcox von Pheasants UK dafür, dass sie mich über Windeier aufgeklärt haben. A. spricht über möglicherweise parthenogenetische Fische bei HA 538a18, HA 539a27, HA 567a26, GA 741a32, GA 757b22 und GA 760a8; siehe CAVOLINI (1787) und SMITH (1965) für Hermaphrodismus bei Sägebarschen. Interessanterweise übersieht A. nicht nur die doppelten Gonaden dieser

anmerkungen

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Fische, sondern behauptet auch, dass es funktionale Hermaphroditen nicht geben kann, GA 727a25. Die Übertragung der Seele. A. spricht von der Potenz des Menstruationsbluts, die Seele zu übertragen bei GA 736a31, und wie im Samen das potenzielle Tiere angelegt ist bei GA 726b15 [engl. Übers. PECK (1943)]. Der Begriff, der hier mit »potenziell« wiedergegeben wird, ist einmal mehr, dynamis; A. erläutert die Unterscheidung potenziell/ tatsächlich ausführlich bei GA II, 1; siehe PECK (1943) S. xiix–lv. A. wendet die Zimmermann-Analogie auf die aktive Rolle des Samens bei GA 730b6 an. Er liefert zoologische Argumente gegen eine physische Übertragung von Samenmaterie bei GA 729a34 und GA 736a24; vgl. GA 721a13. Daneben beschreibt er die Paarung von Heuschrecken bei HA 555b18; siehe DAVIES und KATHIRITHAMY (1986) S. 81. Pneuma bei der Fortpflanzung. Wie sich Pneuma im Samen findet, GA 736b33; seine aktive Rolle bei der Befruchtung, GA 737a7, GA 741b5. A. verweist auf die Homonymie von Aphros/Aphrodite bei GA 736a19. Samen als Schaum ist eine alte Vorstellung und taucht im Corpus Hippocraticum auf, Littré VII, Über Zeugung, I; siehe LONIE (1981), und in einem Fragment des Diogenes von Apollonia, DK 64B6. Siehe COLES (1995) für eine Diskussion der Fortpflanzungsmodelle im 5. Jahrhundert v. Chr.

LXVI Deskriptive Embryologie. Über die hippokratische Embryologie siehe Littré VII, Über Zeugung, 29; LONIE (1981) und NEEDHAM (1934) S. 17. A. beschreibt die Embryogenese beim Huhn bei HA 561a7, vgl. GA II, 4–6 und GA III, I–2; THOMPSON (1910) Anm. HA 561a7 erläutert, was A. sieht, und PECK (1943) S. 396 veranschaulicht die verschiedenen Membrane. A. beschreibt die Embryologie bei Knochenfischen bei HA 564b24 – siehe OPPENHEIMER (1936) – und die Embryologie bei Säugetieren bei GA 745b23 und GA 771b15. Er nimmt an, dass Mäuse, Fledermäuse und Hasen ebenfalls Kotyledonen in der Gebärmutter besäßen, HA 511a28, doch ihre Plazenten werden heute als diskoidal klassifiziert. Er erörtert die Ontogenese von Insekten bei HA 550b22, GA 732a25 und GA 758a30; siehe DAVIES und KATHIRITHAMY (1986) S. 102; und vergleicht lebendgeborene und eiergeborene Embryonen bei GA 753b31. Er beschreibt die verhältnismäßige Vollkommenheit von Embryonen bei GA 732a25, vgl. HA 489b7, und in GA II, 1 argumentiert A., dass zumindest bei blutführenden Tiere die Vollkommenheit des Nachwuchses damit zusammenhängt, wie viel Hitze und Feuchtigkeit ein Elternteil besitzt (wobei kalt/trocken am wenigsten vollkommen und heiß/ feucht am vollkommensten wäre). Dies wird Teil einer Klassifikation der Tiere nach einer Rangordnung, eine Art scala naturae, die orthogonal zu seinem Klassifikationssystem ist, siehe Kap. LXXXVII und XCVII. A.s’ Vorwegnahme des ersten Gesetzes von von Bear, BAER (1828), findet man bei GA 736b2; siehe NEEDHAM (1934) S. 31 und PECK (1943) Anm. S. 166. Zum Stundenglasmuster bei der Embryonalentwicklung siehe KALINKA et al. (2010).

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Die Lagune

LXVII Entwicklungsabläufe. A. vergleicht den Effekt von Samen auf die Menstruationsflüssigkeit mit dem Einfluss von Lab und Feigensaft auf Milch bei GA 737a11 und GA 739b21 [engl. Übers. PLATT (1910)]; vgl. HA 516a4, GA 729a11, GA 771b23 und GA 772a22. A. vergleicht außerdem das Embryowachstum mit dem Wachstum von Hefe bei GA 775a17; siehe PREUS (1975) S. 56 und 77. NEEDHAM (1934) S. 34 lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass A. über Enzyme spricht, und er zeichnet nach, was aus der Metapher des Käsemachens geworden ist, zum Beispiel in der Bibel bei Hiob. Dass sich das Herz zuerst entwickelt sagt A. bei HA 561b10, PA III, 4, JSVM 468b28, GA 734a11, GA 735a23, GA 738b15, GA 740b2, GA 714b15 und GA 742a16. Er spricht vom Eigelb als Nährstofflieferant in GA III, 2 und von den Blutgefäßen als Wurzeln bei GA 739b33. Die Töpfermetapher stammt aus GA 743a10 und die Ackerfurche ist aus GA 746a18. Epigenese kontra Präformationslehre. A. spricht sich gegen die vorsokratischen Vertreter der Präformationstheorie bei GA I, 17 aus. PREUS (1975) S. 285 regt an, gewisse Abschnitte in den Tragödien des Aischylos und des Euripides ebenso wie Platons Symposion seien präformationistisch in einem weiteren Sinn, allerdings ist ihre Embryologie rudimentär genug, um so ziemlich alles hineinlesen zu können. Überzeugender ist so eine Einschätzung im Fall von Anaxagoras DK 59B19 [engl. Übers. BARNES (1982)] sowie bei Empedokles; siehe BARNES (1982) S. 332, 436–42. A.s’ eigene Darstellung der Epigenese findet sich in zwei metaphernreichen Absätzen, in denen er den Embryo mit einem Maler vergleicht, GA 743b20, und dann mit einem Netz, GA 734a11. Er behauptet die Homogenität von Samen bei GA 724b21. Der Ursprung eines jeden Organs oder gleichförmigen Teils im Rohmaterial der Mutter findet sich bei GA 734a25. Seine automatonKausalität findet sich bei GA 734b9, vgl. GA 741b8; siehe Kap. CIX für die Rolle dieser Puppen bei der Bewegung. Die automaton-Kausalität bei der Embryogenese scheint A.s’ Fortpflanzungshylemorphismus zu widersprechen, insoweit als sie der Mutter eine erhebliche gestaltende Rolle zuweist. PECK (1943) S. xiii akzeptiert einfach, dass Materie der Mutter »in hohem Maße informiert« ist, BALME (1987c) S. 281–2, vgl. BALME (1987d) S. 292 löst den Konflikt auf, indem er darlegt, dass sich automaton auf die Bewegung im Samen und nicht im Embryo bezieht. Der kordylos wird beschrieben bei HA 589b22; vgl. HA 490a4, JSVM 476a5 und PA 695b24. THOMPSON (1910) und PECK (1965) vermuten, es handele sich bei diesem Tier um einen Teichmolch, OGLE (1882) S. 248 es handele sich um eine Kaulquappe. Er sagt: »Es klingt seltsam und doch scheint es mir zweifelsfrei so zu sein, dass Aristoteles nicht den leisesten Verdacht hegte, dass Kaulquappen die Larvenformen von Fröschen und Molchen sind.« Zum mysteriösen kordylos siehe auch KULLMANN (2007) S. 741–2.

LXVIII Nacharistotelische Embryologie. Der Klassiker zur Geschichte der Embryologie ist NEEDHAM (1934), der sowohl die »Makroikonografen« der Renaissance als auch Harveys Aristotelismus, S. 118, einordnet, siehe dazu auch LENNOX (2006). Traditionell wurden alle Theorien, die behaupten, der Embryo oder seine Teile existieren im unbefruchteten Material der Eltern, sei es in Spermium oder Ei, als »präformationistisch« bezeichnet, NEEDHAM (1934), und in diesem Sinne benutze ich den Begriff; siehe

anmerkungen

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aber BOWLER (1971) und PYLE (2006) für eine nuanciertere Unterscheidung der verschiedenen theoretischen Zweige. NEEDHAM (1934) S. 29–30 regt an, dass A.s’ Darstellung der automaton-Kausalität ein Ausreißer in einer ansonsten mehr oder minder vitalistischen Darstellung der Embryogenese sei, tatsächlich steht sie aber im Zentrum seiner Darstellung der Embryogenese – wie der kordylos und die Geschlechtsbestimmung zeigen (Kap. LXXIII); dazu auch PECK (1943) S. 577. Siehe PINTO-CORREIA (1997) und COBB (2006) für eine Erläuterung der Rolle von Samen und MAYR (1982) Kap. 15 zur Arbeit der größtenteils deutschen Mikroskopisten im 19. Jahrhundert.

LXIX Variation und Domestizierung. A. schreibt über die Schafhaltung bei HA 573b18, HA 596a13 und anderenorts; siehe THOMPSON (1932) über Leitböcke. Er beschreibt die morphologische Variation bei Schafen bei HA 496b25, HA 522b23, HA 596b4, insbesondere das Syrische Schaf und das Buckelrind bei HA 606a13. Darwins Absatz zum selben Thema ist zusammengesetzt aus DARWIN (1837–8/2002) 233e und DARWIN (1838–9/2002) 12e.

LXX Intraspezifische/informale Variation. Zu Darwin über Tauben siehe DARWIN (1859) Kap. 1; für die Rechtfertigung des Begriffs »informale Variation« siehe Anm. Kap. XXXIII und LXXIII. Zu Schweinehufen bei A. siehe HA 499b12, GA 774b15; bei Darwin (1868) Bd. 1, S. 75, der A. zitiert. Zu A. über domestizierte Tiere kontra Wildtiere siehe HA 488a30 und PA 643b5. A. erwähnt häufig Äthiopier, z. B. HA 517a18, HA 586a4, GA 722a10, GA 736a10, GA 782b35 und Metaph X, 9, sagt aber nie, es handele sich bei ihnen um einen eigenen genos. In der Politik, z. B. Pol VII, 7 spricht A. hin und wieder von den verschiedenen gené des Menschen, wobei er Griechen von allerlei Nicht-Griechen unterscheidet. Dies scheint ein eher unmethodischer Gebrauch von genos zu sein, da er an anderer Stelle deutlich macht, dass der Unterschied beim Menschen auf einem Unterschied des Umfelds beruht und nicht der Form. Hin und wieder benutzt er genos auf diese saloppere Art, z. B. die gené von Bienen, die eindeutig an Fortpflanzung geknüpft sind, und der Tiefseeigel, der sich von anderen Seeigeln nur hinsichtlich seines materiellen Aspekts unterscheidet. Zu Griechen kontra Barbaren: z. B. Pol 1252b5; siehe HANNAFORD (1996) S. 43–57; SIMPSON (1998) S. 19 und dieses Buch Kap. XCIX. Die einzigen domestizierten Rassen, die A. als »Gattungen« unterschiedet, sind Hunderassen, HA 574a16 und HA 608a27, von denen er anzunehmen scheint, dass sie voneinander so verschieden sind wie Wölfe und Füchse (vgl. Theophrastos CP IV, 11. 3); dementsprechend behandelt er Kreuzungen zwischen ihnen als Hybride: HA 607a1, HA 608a31, GA 738b27 und GA 746a29. A. stellt sein Interesse an einer informalen (intraspezifischen) Variation deutlich bei LBV 465a1 heraus, wo er eidos im Sinne von »Spezies« gebraucht. Mehr zu Essenzialismus in Kap. XXXVI–XXXVIII. Zu A.s’ Umweltdeterminismus siehe HA 605b22 und insbesondere im Hinblick auf große Reptilien in Ägypten, LBV 466b21; kleine Säugetiere in Ägypten, HA 606a22; Bienen und Wespen, GA 786a35; Haar, GA 782a19; Farbe von Schaffell, HA 518b15. Ein Großteil der Vielfalt, die er in GA V diskutiert, lässt sich nicht teleologisch oder formal erklären, sondern ist Folge einer materiellen Notwendigkeit; siehe Gotthelf und Leunissen in GOTTHELF (2012) Kap. 5.

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Zu Platon über die selektive Zuchtwahl bei Tieren und Menschen siehe Poli 459A, Poli 546A und POPPER (1945/1962) Bd. 1, S. 51–4, 81–4 Anm. S. 227–8, 242–6; zu A. über die Regelungen zur Heirat siehe Pol VII, 16.

LXXI Theophrastos über Anlage kontra Umwelt. T. erörtert früh kontra spät keimenden Weizen und andere Pflanzen bei CP I, 10.1–2 und CP IV, 11.1–7; die Unterschiede in der Umweltsensibilität bei Pflanzen und Tieren bei CP IV, 11.9; die Auswirkungen von Umweltfaktoren auf den Pflanzenwuchs bei CP II, 1–6, CP II, 13.1–5 und HP II, 2.7–12; und das Wasser in Pyrrha bei CP II, 6.4. T. zu Anlage kontra Umwelt siehe CP IV, 11.7 [engl. Übers. EINARSON und LINK (1976–90)]. Es gibt eine faszinierende Parallele zwischen T. und A., wo ein jeder den Einfluss des Bodens auf eine Pflanze mit dem Einfluss einer Tiermutter auf ihren Nachwuchs vergleicht – T.: CP I, 9.3 und CP II, 13.3 und A.: GA 738b28; siehe Anm. in diesem Buch Kap. XCIV.

LXXII A.s’ Vererbungsmodell. Für das Fehlen einer Vererbungstheorie von Haar, Auge, Hautfarbe und Haartyp siehe GA V. Viel von meiner Darlegung der aristotelischen Genetik verdankt sich HENRY (2006a)s scharfsinniger Analyse von GA IV. Trotzdem unterscheidet sich meine Deutung in etlichen Punkten von seiner: siehe unten. A. spricht über die Vererbung von Missbildungen bei HA 585b29, GA 724a3 und die Teratologie bei GA IV, 3. Die grundlegenden Erscheinungen der Vererbung finden sich bei GA 767b1. Sein Angriff auf die Pangenesis ist bei GA I, 17–18, speziell angewendet auf die Kinder missgebildeter Menschen bei GA 724a4, vgl. GA 721b28 [engl. Übers. PECK (1943)], angewendet auf Pflanzen, GA 722a13. MORSINK (1982) S. 46–7 behauptet, dass A.s’ Ziel eher der hippokratische Autor von Über Zeugung als Demokrit sei – siehe Littré VII, Über Zeugung, 3, 8, 11 zur Missbildung sowie LONIE (1981). Morsink hat sicherlich recht damit, anzunehmen, dass A.s’ Widersacher der hippokratische Autor sei, doch bei GA 769a7 bespricht A. zwei Ausprägungen der Theorie, von denen eine die des Demokrit sein könnte, denn ihm wäre eine derartige Theorie durchaus zuzutrauen, DK 68B32, DK 68A141 und DK 68A143. DARWIN (1868) Bd. II, Kap. 27 gibt seine Theorie der Pangenesis wieder; PECK (1943), MORSINK (1982), HENRY (2006a) und andere haben C.D.s Terminologie auf A.s’ Theorie angewendet. C.D. räumt bei DARWIN (1875) 2. Ausgabe, Bd. II. S. 370, Fußnote ein, dass es die Theorie der Pangenesis in der Antike gab. Siehe MORSINK (1982) Kap. III für eine Analyse von A.s’ Argument gegen Pangenesis; HENRY (2006a) merkt das Pflanzenbeispiel an.

LXXIII Die Theorie der dualen Vererbung. Dieser Begriff ist eine eigene kleine Neuschöpfung; er rührt von der Lösung eines Problems in A.s’ Vererbungstheorie her. In A.s’ Standardtheorie des Fortpflanzungshylemorphismus trägt das männliche Geschlecht die Form bei, das weibliche die Materie, siehe HENRY (2006b), doch GA IV erlaubt, dass auch die mütterliche Materie (die Menstruationsflüssigkeit) Erbinformationen einschreibt.

anmerkungen

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Eine Lösung für diesen ganz offensichtlichen Konflikt ist, die Deutung zuzulassen, dass wenn A. von unteilbaren Formen spricht, er Individuen und nicht Arten meint. Für diese Lösung plädiert unter anderem auch HENRY (2006a, b) – und sie impliziert, dass beide Elternteile Form vererben. Ich hingegen glaube, dass die Argumente eher dafürsprechen, dass die Form die grundlegenden Merkmale einer Art definiert und dass nur Väter sie beitragen (siehe Kap. Anm. XXXIII und LXX). Falls dem so ist, benötigen wir einen weiteren Begriff für die Variation innerhalb des atomon eidos, nämlich »informale Variation«. Da solch eine informale Variation sowohl von der Mutter als auch vom Vater stammen kann und darüber hinaus in den Bewegungen von Samen eingeschrieben ist, ergibt sich ein System der dualen Vererbung: eine (väterlicherseits), die grundlegende funktionale Merkmale verschlüsselt; die andere (bi-parental), welche die nicht grundlegenden Merkmale verschlüsselt (Stubsnase, Geschlecht usw.), wobei beide von Samenbewegungen abhängen und anfällig für Mutationen sind. GA 767b24 spricht von etlichen Vererbungsebenen. Geschlechtsbestimmung. A. kritisiert die bestehenden Theorien zur Geschlechtsbestimmung bei GA IV, 1. Seiner eigenen Theorie liegt das Konzept von heiß/kalt zugrunde, GA 766b8. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass für A. »heiß« nicht bloß das Vorhandensein von Hitze (Wärmeenergie) bezeichnet und »kalt« deren Abwesenheit, sondern dass es sich bei »heiß« und »kalt« vielmehr um einander entgegengesetzte Eigenschaften handelt, die eher wie Kräfte sind – daher das Vokabular von Kampf und Beherrschung. Die Vorstellung eines Mischverhältnisses in Sperma und Menstruationsblut (einem logos oder einer symmetria) taucht bei GA 767a16 auf, vgl. Ga 723a29; später formuliert A. seine Heiß/kalt-Theorie hinsichtlich tatsächlichen und potenziellen Bewegungen um und verknüpft sie mit einer Theorie der allgemeinen Vererbung in GA IV, 3. A. spricht von Geschlechtsbestimmung durch die Umwelt bei GA 767a28 und spricht von den Teilen (Herz) als Prinzipien bei GA 766a28. PLATT (1910) Anm. GA 716b5 weist auf die Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Geschlechtsbestimmung hin; PECK (1943) Anm. GA 776a30 weist darauf hin, dass A. bei der Frage, ob Sexualteile »Prinzipien« seien oder nicht, häufig nicht eindeutig zu sein scheint, er jedoch seinen Standpunkt bei GA 766a31 klarstellt und das Herz als Prinzip bezeichnet, PECK (1943) Anm. GA 766b8. A. spricht über Kastration und Eunuchen bei GA 716b4, GA 766a26. Er erläutert nicht, wie sich eine Kastration auf das Herz auswirkt. Vielleicht erkannte er nicht, wie direkt seine Analogie war, da eine postnatale Kastration sich lediglich auf einige sekundäre Geschlechtsmerkmale auswirkt, etwa der Neigung zur Glatzenbildung und der Stimmlage, nicht jedoch auf die Genitalien. Siehe LEROI (2003) Kap. 7 für eine Darstellung der Experimente Josts und der Geschlechtsbestimmung.

LXXIV Eine allgemeine Vererbungstheorie. A. erklärt sein Modell der Vererbung bei GA IV, 3 und geschlechtsspezifische Merkmale bei GA 768a24. Die Frau aus Elis hat ihren Auftritt bei HA 586a4 und GA 722a8. A. behauptet bei GA 769a24, die Theorie der Hippokratiker könne Abstammungsgemeinsamkeiten dieser Art nicht erklären; siehe HENRY (2006a). Beeinträchtigte Samenhitze als Ursache für Atavismen, GA 768a9. Littré VII, Über Zeugung, 8, zeigt, dass die hippokratische Theorie eine Theorie der Verschmelzung ist, da der Autor behauptet: »Falls von irgendeinem Teil des väterlichen Körpers eine größere

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Die Lagune

Menge Samen stammt als aus dem entsprechenden Teil des mütterlichen Körpers, wird das Kind in jenem Teil dem Vater stärker ähneln und umgekehrt« [engl. Übers. LONIE (1981), abgeändert mit eigenen Hervorhebungen]. Folglich hat jede Eigenschaft eine stetige und nicht eine diskrete Verteilung, und hängt von einem proportionalen Beitrag ab; siehe auch GA 769a7, wo A. weitaus weniger genau von dieser (oder einer ähnlichen Theorie) berichtet, dass falls »von beiden [Elternteilen] die gleiche Menge kommt, man sagt, der so gebildete Nachwuchs ähnele keinem.« Das heißt vermutlich, dass der Nachwuchs eine Verschmelzung beider Elternteile ist, doch kann es zugegebenermaßen auch bedeuten, dass er etwas vollkommen anderes ist. Von Monstren wird bei GA 769b11 gesagt, sie seien keine Hybride. Bei GA 767b1 findet sich A.s’ Atavismustheorie zu Missbildungen. Für frühneuzeitliche Theorien der Genetik siehe GLASS (1947) über Maupertuis, DARWIN (1868) Bd. 2, S. 399–401 und Kap. XIII und MAYR (1982) Kap. 14 für die traurige Bilanz früher Genetiktheorien. PA 642a29 berichtet davon, wie Demokrit durch Fakten auf seine Theorie der Definition einer Substanz kam.

LXXV Schalentiere der Lagune. Die Biologie der ostrakoderma, HA IV, 4–7; die porphyra (Murex), HA 528b36, HA 546b18 und PA 679b2; siehe THOMPSON (1910) Anm. HA 547a3 über die königliche Purpurindustrie. Über Gonaden bei Austern siehe GA 763b5; vgl. HA 607b2.

LXXVI Spontanzeuger. Manche Tiere entstehen aus anderen Tieren, HA 539a21. Von Muscheln, Herzmuscheln, Scheidenmuscheln, Jakobsmuscheln, Austern, Steckmuscheln, Seescheiden, Napfschnecken, Rankenfüßern, Murex, Schnecken, Einsiedlerkrebsen wird bei HA V, 15 behauptet, sie seien Spontanzeuger; Seeanemonen und Schwämme bei HA V, 16; Caligus bei HA 557a21; Würmer bei HA 551a8; Maikäfer, Mistkäfern, Fliegen, Bremsen, Bücherskorpione, Pelzmotten bei HA V, 19 und Jungfische und Äschen bei HA VI, 15–16. Austern werden als Beweis für Spontanzeugung bei GA 763a26 präsentiert; vgl. für Meeräschen und Aale HA 569a10 und HA 570a3. Ein Austernrezept findet sich bei GA 762a19, GA 763a25; vgl. HA 569a10. A. erörtert die Fortpflanzung von Aalen bei HA 538a3, HA 570a3 und GA 762b27. Der gés entera kommt vor bei HA 570a15, GA 762b22; siehe PLATT (1910) und PECK (1943) Anm. GA 762b22; THOMPSON (1947) S. 59 für unterschiedliche Vorschläge, worum es sich dabei handeln könnte. THOMPSON (1910) Anm. HA 538a12, BERTIN (1956) sowie PROMAN und RAYNOLDS (2000) diskutieren die Kopfform von Aalen. Darüber, nicht die Grundlagen einer Wissenschaft zu zerstören, ohne sie durch neue zu ersetzen, siehe DC 299a5.

LXXVII Das Schicksal von A.s’ Theorie der Spontanzeugung. A.s’ Theorie der Spontanzeugung und frühneuzeitliche Wissenschaft behandeln FARLEY (1977), RUSETOW (1984) und ROGER (1997). Die Gonaden und Larven bei Austern beobachtete als erster Bach

anmerkungen

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1690; unabhängig davon beschreibt sie Leeuwenhoek in folgenden Briefen: 151 (1695), 157 (1695), 170 (1696) in LEEUWENHOEK (1931–99). Müller identifizierte 1848 die Pluteus-Larven von Seeigeln, die Naupliuslarven der Rankenfußkrebse identifizierte Thompson 1835, Seescheidenlarven Kowalevsky 1866. Für die Darstellung ihrer Bedeutung siehe WINSOR (1969) und WINSOR (1976). Leeuwenhoek erörtert seine Beobachtungen über Aale und zeitgnössische Theorien zur Fortpflanzung der Aale in folgenden Briefen: 33 (1677), 15 (1691), 123 (1693), 169 (1696) in LEEUWENHOEK (1931–99). Anfangs hatte Leeuwenhoek vermeintliche Aalnachkommen im Gedärm von Aalen entdeckt, doch diese später als Parasiten identifiziert; trotzdem war er weiterhin der Überzeugung, dass er Gebärmutter und Nachkommen des Aals entdeckt hatte. Zur Entdeckung der Gonaden von Aalen siehe BERTIN (1956).

LXXVIII Fliegen. Fliegen paaren sich und produzieren Larven, HA 539b10, vgl. HA 542a6, GA 721a8; Fliegen entstehen aus Larven, HA 552a20; Fliegen werden spontan erzeugt, HA 552a20 und GA 721a8. Dieselbe Verwirrung gibt es bei Flöhen und Läusen: z. B. HA 556b21. A. überlegt auch, was geschähe, wenn sich Maden fortpflanzten. Er sagt, dass sie es nicht können, da sie andernfalls notwendigerweise eine dritte Art Tier erzeugen würden – irgendeine undefinierbare Art –, dessen Nachkommen wiederum eine weitere Tierart wäre und so unendlich weiter. Sie würden ein Geschlecht endlos mutierender Tiere erzeugen, und das kann nicht sein, denn, so sagt er: »die Natur flieht das Unendliche«, HA 539b7 und GA 715b14. Das Rezept für die Spontanzeugung kontra sexuelle Reproduktion. Für einen Vergleich siehe GA 762b1; das Spezifische des Rezepts für die Spontanzeugung, GA 762a25. Viele Forscher haben die Spannung zwischen A.s’ Theorie der Spontanzeugung und seinen Überlegungen zur Metaphysik bemerkt, jedoch sind sie sich weder darüber einig, worin das Problem im Einzelnen besteht, noch über dessen Lösung, siehe PECK (1943) S. 583–5, BALME (1962b), LLOYD (1996), Kap. 5; LENNOX (2001b), Kap. 10; GOTTHELF (2012) Kap. 6; ZWIER (in Vorber.) Warum an Spontanzeugung glauben. ZWIER (in Vorber.) behauptet, dass A. der Frage nachginge, wie spontan mutmaßliche Spontanzeuger tatsächlich sind. Meine Lösung unterscheidet sich von ihrer nur in der Gewichtung des Einflusses von A.s’ Vorläufern auf sein Denken und im Ausmaß, in dem »Spontan«zeugung und »spontane« Ereignisse in Sens und Phys II auf die gleiche Weise gemeint sind. Im Anschluss an BALME (1962b) und LLOYD (1996) Kap. 5 denke ich, dass die Begriffe ganz unterschiedlich benutzt werden. Theophrastos diskutiert Spontanzeugung bei CP I, 5.1–4; vgl. CP I, 1.2, HP III, 1.3–6 und unter den physiologoi HP III, 1.4. Zu Theorien über den Ursprung des Lebens und Spontanzeugung siehe Prob X, 13; vgl. GA 762b28. Zu traditionellen Ansichten über die Spontanzeugung von Zikaden siehe CAMPBELL (2003) S. 72. A.s’ Empirismus ist offenkundig bei seiner Diskussion der Spontanzeugung bei Meeräschen, HA 569a23, und Stachelschnecken, HA V, 15 und GA 762a34. Den Lebenszyklus von Zikaden legt er in HA 556a25 dar.

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LXXIX Lebenszyklen. Warum es Lebenszyklen bedarf. siehe Kap. XCVI und KING (2010). A. beschreibt die Naturgeschichte des Thunfisches bei HA 537a19, HA 543b32, HA 543a9, HA 543a12, HA 571a8, HA 597a23, HA 598a18, HA 598a27, HA 599b9, HA 602a26, HA 607b28 und HA 610b4. Er spricht von der Regulation monatlicher Menstruationszyklen bei Frauen bei HA 582a34 und darüber, wie sich die meisten Tiere im Frühling paaren bei HA 542a20. A. spricht vom alkyón bei HA 542b1, vgl. HA 616a14; siehe PECK (1970) Anm. S. 368–72 und ARNOTT (2007) zu dessen Identität sowie mythologische Assoziationen. Ein Großteil von A.s’ Informationen über das jahreszeitenabhängige Verhalten von Tieren, die nicht das Fortpflanzungsverhalten betreffen, findet sich in HA VII, 12–30. Bei HA VI, 17, vgl. HA V, 9–11 und andernorts schreibt er Fischen Laichzeiten zu, spricht vom Winterschlaf der Bienen bei HA 599a21 und dem der Bären bei HA 600b28, der Wanderung von Kranichen bei HA 597a4, vgl. HA 597b30, und den Gründen, warum Fische wandern bei HA 598a30. Tiere passen ihr Verhalten der Jahreszeit an, bei HA 596b20 und haben gewisse Wärmetoleranzen bei HA 597a14. Den Zusammenhang zwischen Lebenszyklen und Himmelszyklen erörtert er bei GA 778a5 und GA IV, 10, GC 336b16 und LBV 465b26.

LXXX Theorie von Elementarbewegung und Transformation. Über die natürliche Bewegung der Elemente siehe Phys 225a28, Phys 255b14 und DC 297a30. Meine Darstellung beruht auf den Behauptungen in Physik VIII und MA, die Elemente seien genau genommen keine Selbstbeweger. Sie folgt COHEN (1996) Kap. II und FALCON (2005) S. 11; siehe WATERLOW (1982) S. 167–8 und GILL (1989) S. 238 für andere Darstellungen. Über die Transmutation der Elemente siehe GC II, 1–5. Über Jahreszeiten und Transformation der Elemente siehe GC 336a13, GC 336b16, GC 337a4 und GC 338b1; FALCON (2005) S. 11. LEUNISSEN (2010a) Kap. 5.2–3 diskutiert die teleologische Verbindung zwischen der Theorie über die Bildung der Elemente und den Himmelsbewegungen. Die folgenden Abschnitte in der Meteorologie enthalten A.s’ Theorie über Winde und Regen: Meteor I, 9; Meteor II, 4–6; doch der Wind hat einen Lebenszyklus in GA 778a2; über Flüsse Meteor 347a2 und geologische Zyklen Meteor I, 14; siehe WILSON (2013). Viele Forscher haben sich mit Phys II, 8 198b16ff., über den Winterregen, auseinandergesetzt; siehe JOHNSON (2005) Kap. 5.5 und WILSON (2013) Kap. 5. Zu Recht wägt Wilson die Mehrdeutigkeiten dieses Abschnitts gegen ein völliges Fehlen teleologischer Erklärungen in der Meteorologie ab. Siehe WILSON (2013) Kap. 5 für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Gebrauch biologischer Metaphern in der Meteorologie. Außerdem macht er den verlockenden Vorschlag, meteorologische Phänomene so einzuordnen, dass sie eine Mittelstellung zwischen Elementen und Spontanzeuger einnähmen; und Spontanzeuger so, dass sie eine Mischung aus meteorologischen Phänomenen und sich geschlechtlich fortpflanzenden Tieren seien.

anmerkungen

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LXXXI Feigen. A. über Feigen, HA 557b25; T. über Feigen, HP II, 8.1–3, CP II, 9.5–15. T. über saisonale Blumen, HP VI, 8.1–5; über den Aufbau von Blumen, HP I, 12. Die Zitate stammen jeweils aus HA 557b25 und GA 715b21; vgl. GA 755b10. T. über die Dattelpalme, HP II, 6.6, HP II, 8.4, CP II, 9.15; AMIGUES (1988–2006) Bd. I, S. xxiii, diskutiert die Quelle für T.s Informationen über Dattelpalmen; vgl. Herod I, 193. Siehe LLOYD (1983) Kap. III, 2 zu T.s Hintergrund. A. über die Pflanzengeschlechter, GA 715b16 und GA 731a21; T. über die Pflanzengeschlechter, CP II, 10; NEGBI (1995) diskutiert Theophrastoss Konzept von männlich und weiblich, spricht ihm allerdings mehr Sicherheit bei der Unterscheidung des Geschlechts bei Pflanzen zu, als ich für angemessen halte. Zur Identität der mit Feigen in Verbindung stehenden Insekten siehe DAVIES und KATHIRITHAMY (1986) S.  81–2, 92 und Feigen auf Lesbos CANDARGY (1899) S. 29. Ich bedanke mich bei Charles Godfray von der Universität Oxford für seinen Vorschlag zur Bestimmung von kentrinés sowie Filios Akriotis und Theodora Petanidou, beide von der Universität der Ägäis in Mytilini, die mich über die Namen von Feigenvarietäten bzw. über Feigenkultur aufgeklärt haben. Auch bedanke ich mich bei Dimitrios Karidids, einem Feigenbauern aus Eresos, der mich zu Letzterem speziell in Eresos mit zusätzlichen Informationen versorgt hat. Zur Geschichte der Kaprifikation siehe Gasparrini, den LELONG (1891) zitiert. Siehe KJELLBERG et al. (1987) und WEIBLEN (2002) zu den Lebenszyklen von Feigenwespen.

LXXXII Bienen. Zur Herkunft des Honigs siehe HA VIII, 40 und Theophrastos HP VI, 11.2–4; SHARPLES (1995) S. 208–10 zur verschollenen Arbeit Theophrastos über Honig. A. bespricht die Entstehung von Bienen bei GA III, 10; MAYHEW (2004) Kap. 2 nimmt A. vor dem Vorwurf des Sexismus gegenüber Bienen in Schutz. A. spricht von seinen Ungewissheiten bezüglich Bienen bei GA 760b27; vgl. DC 287b28 für eine ähnliche Sicht auf die mögliche zukünftige Beseitigung von Erklärungsnöten. MADERSPACHER (2007) liefert eine kurze Geschichte der Darstellung der Lebenszyklen von Bienen.

LXXXIII Lebensgeschichte. Die Schwalbenwinde, HP VII, 15. Für das Zug- und Nistverhalten von Schwalben siehe HA VII, 16 und HA VIII, 8. Darüber, dass sich die Augen von Schwalben regenerieren, HA 508b4, HA 563a15, GA 774b31; und bei Jungvögeln, DEL RIO-TSONIS und TSONIS (2003). Zu Bärenjungen als Nesthocker siehe HA 579a20 und PECK (1970) S. 376–8. Lebensgeschichte-Schemata. A.s’ Daten zur Lebensgeschichte von Säugetieren und Vögeln finden sich größtenteils in GA IV, 4–10. Wichtige Absätze, die von bestimmten Zusammenhängen handeln sind: GA 771a17ff. (Wurfgröße und Körpergröße); GA 773b5 (Körpergröße bei ausgewachsenen Tieren und bei Neugeborenen); GA 774b5 (Vollkommenheit der Jungtiere, Wurfgröße und Trächtigkeitsdauer); GA 774b30 (Vollkommenheit der Jungtiere, Trächtigkeitsdauer); GA 777a32 (Trächtigkeitsdauer, Lebensdauer, Neu-

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geborenengröße). Dieses gesamte Material ist durchsetzt mit Erläuterungen zu Abnormitäten. Für die aus der Trächtigkeitsdauer vorhersagbare Lebenserwartung von Hirschen siehe außerdem HA 578b23; sowie LBV 466b7 (Lebensdauer und Fruchtbarkeit); siehe Anm. Kap. LXXXV, und über Vögel siehe GA 749a35 (auch weiter unten). SUNDEVALL (1835) prägte die Fachtermini »altricial« für Nesthocker und »precocial« für Nestflüchter. Siehe STARCK und RICKLEFS (1998) für einen Einblick, wie es dazu kam. Lebensgeschichtliche Zusammenhänge erläutern. A. behauptet bei GA 771b8, der negative Zusammenhang zwischen Körpergröße und Fruchtbarkeit sei kausal und der positive Zusammenhang zwischen Verdauungszeit und Lebensdauer sei nicht kausal bei GA 777a35. Zum Vertauschen von Variablen bei der vergleichenden Methode siehe LEROI et al. (1994). Zum Ausgelaugtsein nach dem Sex siehe GA 725b6. Über die Unfruchtbarkeit dicker Menschen siehe GA 725b32 und PA 651b12. Zum Einfluss von Kastration auf Lebensdauer und Wachstum siehe HA 575a31, HA 578a33 und HA 631b19; ebenso LEROI (2010) und Kap. LXXXV und XCVII. A. spricht über die Adrianischen Hühner bei HA 558b16, GA 749b25; ebenso wie Aldrovandi, LIND (1963) S. 27–9. Zum Zusammenhang zwischen Füßen, Flügeln und Lebensweisen von Vögeln siehe Kap. XLV; zu deren Zusammenhang zur Lebensgeschichte wiederum siehe GA 749a30, vgl. GA 771a17. Ich betone den Aspekt der Verteilung bei seiner Argumentation, doch A. behauptet auch, dass manche Raubvögel weniger Nahrung erwerben als andere Vögel. Für eine weitere Analyse dazu, wie lebensgeschichtliche Merkmale bei Säugetieren kovariieren, siehe Anhang V.

LXXXIV Lebensgeschichte von Fischen. T. listet die Sommerblumen bei HP VI, 8.1–5 auf. Für A.s’ Beobachtungen über die Lebensgeschichte von Fischen siehe HA VI, 10–17 und GA III, 3–6. Dass es die Aufgabe (eierlegender) Fische und Pflanzen ist, fruchtbar zu sein, wird bei GA 718b8 verfochten, und dass dies im Fall von eierlegenden Fischen aufgrund der hohen Embryonensterblichkeit der Fall ist, wird bei GA 755a30 erklärt, vgl. HA 570b30. Die Merkmale eierlegender Fische, die eine große Fruchtbarkeit gewährleisten, sind: (i) umgekehrter Geschlechtsdimorphismus, GA 720a16; (ii) kleine Eier GA 755a30; (iii) externe »Vollkommenheit« (Befruchtung? siehe unten), um Platzbeschränkungen in der Gebärmutter zu vermeiden GA 718b8a, vgl. GA 755a26; (iv) schnelles Embryonenwachstum, GA 755a26; (v) Brutpflege bei den glanis und deren Erklärung, HA 568b15. A. beschreibt das Brüten der beloné bei HA 567b22, HA 572a2, GA 755a30. Über den Gegensatz zwischen der Fruchtbarkeit lebendgebärender Knorpelfische und eiergebärender Schuppenfische siehe HA 570b29. Vollkommene kontra unvollkommene Eier. Wenn er von der relativen Vollkommenheit des Nachwuchses bei Vögeln oder Säugetieren spricht, ist klar, dass A. so etwas wie altricial kontra precocial meint. Wenn er von vollkommenen und unvollkommenen Eiern spricht (z. B. GA 718b8, GA 732b1, GA 754a22 und GA 755a11), meint er zwar etwas Ähnliches, aber doch recht Unterschiedliches. Wieder ist sein technisches Vokabular ernstlich unterbestimmt. Was das Ergebnis der Fortpflanzung bei Fischen angeht, nimmt A. an, dass der Nachwuchs, der lebend geboren wird (der der meisten Haie), der

anmerkungen

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vollkommenste ist, Eier mit einer harten panzerartigen Schale (bei anderen Plattkiemern, z. B. Rochen und echte Rochen) sind dann weniger vollkommen, während weiche Eier (z. B. bei den meisten Schuppenfischen) am wenigsten vollkommenen sind. Die Unterscheidung liegt darin, welches Maß an Entwicklung das Ergebnis der Fortpflanzung (i.e. das Ding, das aus der Mutter hervorkommt) unterlaufen muss, bevor es zu einer funktionalen Kreatur wird (ein geringes, ein mittleres, ein großes Maß). Dieser Unterschied in der Morphologie von Eiern ist in der Tat eng mit der Art der Befruchtung verknüpft: bei Plattkiemer findet die Befruchtung im Inneren des Körpers statt, während sie sich bei den meisten Knochenfischen außerhalb vollzieht, und vermutlich ist sich A. dessen bewusst, allerdings kann man das nicht mit Gewissheit sagen, da er, was die Paarung von Fischen angeht, sehr vage bleibt. Jedenfalls ist es wahrscheinlich, dass er die Befruchtung selbst für eine »Vervollkommnung« der weiblichen Materie erachtet, und das Stadium, in dem diese »Vervollkommnung« stattfindet (früh, innen kontra spät, außen) bestimmt zum Teil, wie vollkommen der Nachwuchs bei der Geburt ist. Für die Ausdehnung der Gallerthülle von Fischeiern bei der Befruchtung siehe COWARD et al. (2002). Moderne Theorie der Lebensgeschichte. Für eine Einführung in die Theorie der Lebensgeschichte siehe ROFF (2002); für eine typische Abhandlung zur Lebensgeschichte von Fischen siehe WINEMILLER und ROSE (1993).

LXXXV Lebenserwartung der Griechen. Die Lebenserwartung bei der Geburt scheint auf Ikaria dem Durchschnitt Griechenlands zu entsprechen (C. Tsimabos, pers. Gespr.), doch eine nähere Betrachtung der Lebensdauer der Ältesten legt nahe, dass Frauen auf Ikaria im hohen Lebensalter verglichen mit dem nationalen Durchschnitt einen erheblichen Überlebensvorteil besitzen (M. Poulain, pers. Gespr.). Länge und Kürze des Lebens. Die maßgebliche Darstellung von A.s’ Theorie des Alterns ist KING (2001). Bei LBV 464b19 sagt A., dass man der Frage nachgehen muss, warum manche Tiere langlebig sind und manche kurzlebig. Von Eintagsfliegen berichtet er bei HA 542b18 und wie geflügelte Insekten am Ende des Sommers sterben bei HA 553a12. Er fasst die vergleichende Biologie der Lebensspannen bei LBV 466a1 zusammen und sagt bei LBV 466a21, dass die Alten kalt und trocken sind. Gibt es eine einzige Erklärung für den Tod? JSVM 478b22. Gibt es einen einzigen Grund für die Unterschiede in der Lebensdauer? LBV 464b19. Seine Darstellung der relativen Wärme und Feuchtigkeit von verschiedenen Tieren findet sich bei LBV 5, 6. Für die Rolle von Fett bei der Begünstigung des Lebens siehe LBV 466a24, vgl. PA 651b1; siehe FREUDENTHAL (1995) Kap. IV. Zur Fortpflanzung auf Kosten der Lebensdauer, LBV 466b7, HA 576b2 und GA 750a20; siehe LEROI (2010). Für dieselbe Idee von der Fortpflanzung auf Kosten eines Alterungsprozesses in der modernen Evolutionsbiologie siehe WILLIAMS (1966), ROSE (1991), LEROI (2001), ROFF (2002). Zur Regeneration bei Pflanzen siehe LBV 467a7, Schlangen und Echsen HA 508b4, und Hydra BOSCH (2009). Zum Tod durch versagende Kühlungssysteme siehe JSVM 470b10; zur Verstopfung kühlender Organe JSVM 479a8 und JSVM 479a31; zur (falschen) Etymologie von Erde und Alter, GA 783b7. Zur Anfälligkeit von alten Tieren gegenüber Umweltveränderungen

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siehe JSVM 474b30, JSVM 478a15 und JSVM 479a16. Zur Rolle der Seele und des Alterns siehe DA 415b25, DA 434a22 und im gesamten JSVM. Vom Tod wird bei JSVM 464b29, PA 644b23 und GA 731b24 gesagt, dass er in der Natur der Tiere liege. Für eine moderne mechanistische Theorie des Alterns siehe FINCH (2007) und noch neuer, GEMS und PARTRIDGE (2013). Zu Wärmeregulation und Altern beim Menschen siehe SOMEREN (2007). Für Evolutionstheorien des Alterns siehe WEISSMANN (1889); die moderne Theorie beruht auf MEDAWAR (1951/1981) und WILLIAMS (1957); siehe LEROI (2003) Kap. IX für eine gemeinverständliche Darstellung. Zur allgemeinen Theorie der Zerstörung und Erneuerung von natürlichen Dingen: LBV 2, 3 und DC 288b15 und Kap. LXXX.

LXXXVI Die Geschichte von Daphnis und Chloe. Ich benutzte die englische Loeb-Ausgabe von Longos’ Daphnis und Chloe, übersetzt von Jeffrey Henderson, 2009. Die idyllische Szene wird bei I, 9–10 beschrieben; siehe MASON (1979), GREEN (1982) und GREEN (1989) Kap. 3.

LXXXVII Schwämme und andere Tiere mit einer Mittelstellung zwischen Tier und Pflanze. Über Schwämme, HA 487b10, HA 548b32, HA548b8, HA 588b21, PA 681a10. VOULTSIADOU (2007) analysiert die kulturelle Rolle von Schwämmen in der Antike. Für andere Zwischenwesen zwischen Pflanze und Tier, Seeanemonen, Seescheiden usw., siehe HA 487b10, HA 547b12, HA 548a22, PA 681a10, PA 683b18. Es ist schwer zu sagen, ob A. annimmt, dass einige oder alle dieser Kreaturen Tiere, Pflanzen oder etwas dazwischen sind. Von Schwämmen sagt er beispielsweise, sie seien »pflanzenähnlich« oder sogar »in jeder Hinsicht pflanzenähnlich«. Ich gehe davon aus, dass A. alles in allem annimmt, es seien Tiere, da sie alle zumindest eine der Fähigkeiten der sensitiven Seele zu besitzen scheinen (Fortbewegung oder Wahrnehmung oder Begehren); dies würde zu seinem polythetischen Klassifikationsansatz passen. Aber der vielleicht überzeugendste Grund anzunehmen, dass A. davon ausgeht, es handele sich um Tiere ist, dass er über sie in der HA spricht – wo er sie auch an anderer Stelle hätte besprechen können, z. B. in seinem verschollenen Über Pflanzen (Peri phytón). Ebenso geht auch T. in seiner Historia plantarium (HP IV, 6.10) auf das Thema Schwämme ein, sagt dann aber, sie seien »von anderer Art« – vermutlich Tiere, die an anderer Stelle behandelt werden sollen. Der pseudo-aristotelische Text De plantis, von dem man ausgeht, dass es sich bei ihm um einen Kommentar von Nikolaos von Damaskus zu A.s’ Peri phytón handelt, steht bei dieser Frage ebenfalls vor Problemen, da er behauptet, dass Tiere eine Wahrnehmung besitzen, Pflanzen nicht, Schalentiere zwar eine Wahrnehmung besitzen, aber gleichzeitig sowohl Tiere als auch Pflanzen sind: DP, I; DROSSART LULOFS (1957). Siehe LLOYD (1983) Kap. I, 4, LLOYD (1996) Kap. 3 und LENNOX (2001a) S. 301 darüber, wie A. mit diesen Kreaturen verfährt. Zu T. über Korallen und andere »Meerespflanzen« siehe St 38 und HP IV, 6, wo die Edelkoralle eine »Meerespalme« ist; HP IV, 7.2 zum Bewuchs im Golf der Helden (Akaba). Siehe THOMPSON (1947) S. 250 zur Skepsis über Schwammkontraktion; ich danke Sally Leys, Universität von Alberta, dass sie mich über Bewegung bei Schwämmen aufgeklärt hat; siehe auch NICKEL (2004).

anmerkungen

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Die Natur schreitet in so kleinen Schritten vom Unbelebten zu den Tieren …; HA 588a1, vgl. PA 681a10, Meteor IV, 12 und GA 731a25. Es könnte der Anschein entstehen, dass diese Behauptung in einem Spannungsverhältnis zu A.s’ Glauben steht, die Welt bestünde aus diskreten Arten, eine jede im Besitz ihrer eigenen ererbten Form und teleologisch definierten Essenz; mit »Kontinuität« meinte A. allerdings weder, dass das Kontinuum der Arten unendlich teilbar sei, noch dass es bei Arten zu Überschneidungen käme, sodass die Grenzen der einen nicht von denen der anderen zu unterscheiden wären, sondern lediglich, dass sie eine abgestufte Reihe bilden, die in kleinen, aber diskreten Schritten voranschreitet; siehe GRANGER (1985) kontra LOVEJOY (1936).

LXXXVIII Aristotelische Themen bei Darwin und umgekehrt. Für die Geschichte von Natura non facit saltum und dessen Verwendung bei Darwin siehe FISHBURN (2004). »Darwin nach Darwin«, im Original »Ever since Darwin«, war der Titel von Stephen Jay Goulds 1977 erschienener Sammlung von Essays aus dem Natural History-Magazin, deren englischer Name auf die klischeehafte Formulierung anspielte, mit der so viele Evolutionsbiologen ihre Arbeiten begannen. Zu den Bedeutungen von genos siehe Metaph V, 28. Manche Forscher (LENNOX (2001b) Kap. 6 und PELLEGRIN (1986) Kap. 2) haben hervorgehoben, dass A. in der Zoologie genos benutzt, um eine Gruppe von Organismen zu bezeichnen, die durch Abstammung miteinander verwandt sind. Dies scheint plausibel, so lange der Tatsache Rechnung getragen wird, dass im Falle einer megista genos (z. B. Vögel) mit untergeordneten gené (Spatzen, Kraniche), A. nicht behauptet, dass Spatzen und Kraniche durch Abstammung miteinander verwandt seien, da dies einen gemeinsamen Vorfahren, also Evolution, implizieren würde. Sein Gebrauch von genos im Sinne einer gemeinsamen Abstammung (Definitionen 1 und 2 in Metaph V, 28, die sehr ähnlich sind) kann sich dann nur auf gené beziehen, die unteilbare atoma eidé sind, die sich tatsächlich untereinander fortpflanzen können (z. B. Menschen). Im Allgemeinen muss er genos in der dritten Bedeutung aus Metaph V, 28 verwenden, die rein klassifikatorisch ist und nichts über Abstammung impliziert. Für eine Diskussion von A.s’ Vorwegnahme von evolutionsbiologischen Ansätzen (ohne selbst Anhänger der Evolutionstheorie zu sein) siehe KULLMANN (2008).

LXXXIX Darwin über A. Siehe LENNOX (2001b) Kap. 5 und GOTTHELF (2012) Kap. 15 über A.s’ indirekten Einfluss auf Darwin. »A. lesen …«: DARWIN (1838/2002) S. 267. STOTT (2012) erzählt die Geschichte, wie sich A. als ein Vorläufer der Evolution in Über die Abstammung eingeschlichen hat. Übersetzungen von Über die Teile der Tiere: heute ist LENNOX (2001a) die maßgebliche englische Übersetzung der PA. Sein ausgezeichneter Kommentar richtet den Schwerpunkt auf philosophische und theoretische Aspekte; für die zoologischen Fakten muss man auch heute noch auf OGLE (1882) zurückgreifen, in diesem Fall S. 240, Anm. 36 »das Kamel, die Katzen und viele Nager, den Hasen eingeschlossen, sind rückwärts harnend«. KULLMANN (2007) deutsche Übersetzung und Kommentar sind sowohl in philosophischen als auch zoologischen Belangen ausgezeichnet.

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XC A., Linné und die scala naturae. Über den Ursprung der linnéschen Namen siehe HELLER und PENHALLURICK (2007). In keinem der beiden Textabschnitte – HA 588b30 und PA 681a10 –, die für gewöhnlich als die Stellen angesehen werden, in denen sich die Stufenleiter der Natur oder scala naturae finden, wird der Gedanke besonders detailliert ausgeführt, LENNOX (2001a) S. 300–1; in anderen Passagen jedoch, insbesondere in GA, wird deutlich, dass A. eine genaue Vorstellung davon hatte, wie Tiere innerhalb eines Kontinuums zunehmender Vollkommenheit angeordnet werden sollten. Siehe beispielsweise GA 733a32 zu der verhältnismäßigen Vollkommenheit der Nachkommen und GA 733a1 zum Zusammenhang zwischen Eltern und deren Vollkommenheit. Die Physiologie verhältnismäßiger Vollkommenheit findet sich in folgenden Absätzen: heiße Tiere haben Lungen, PA 669b1; neigen dazu, sich aufzurichten, PA 686b26; sind in der Regel größer, GA 732a17; leben in der Regel länger als kalte Tiere (Kap. LXXXV). A.s’ Theorie – PA 648a2 und PA II, 4 – davon, wie die Zusammensetzung des Blutes Intelligenz und Temperament beeinflusst, ist im selben Geist verfasst, allerdings komplizierter. Kurz gesagt gibt es drei Eigenschaften von Blut, die Intelligenz und Temperament beeinflussen: Hitze, Dickflüssigkeit und Reinheit. Obwohl sie zusammenhängen, können diese Eigenschaften bis zu einem gewissen Grad unabhängig voneinander variieren, sowohl in blutführenden als auch in blutlosen Tieren, was A. ermöglicht, das unterschiedliche Verhalten verschiedener Tiere (Bullen, Bienen und so weiter) zu erklären. Diejenigen mit heißem, dünnem und reinem Blut sind die Besten – denn sie sind sowohl mutig als auch schlau. Der Mensch hat von allen Tiere das dünnste und reinste Blut; siehe LLOYD (1983) Kap. I, 3. Die Naturalisten und die scala naturae. Für eine Geschichte der scala naturae im westlichen Denken siehe LOVEJOY (1936) Kap. 2, der auf S. 79 Albertus Magnus zitiert. Systema naturae, 1. Ausgabe, LINNAEUS (1735); 13. Ausgabe LINNAEUS und GMELIN (1788– 93). Für eine Geschichte der Zoophytologie siehe JOHNSTON (1838) S. 407–37; ELLIS (1765). Die Cuvier-Klassifikation, zum ersten Mal 1812 publiziert, ist am bekanntesten in der Version, die von CUVIER und LATREILLE (1817) veröffentlicht wurde.

XCI Die große Tintenfisch-Debatte. Für Darstellungen der Auseinandersetzung siehe RUSSEL (1916) Kap. 3, 5, 6, APPEL (1987), GUYADER (2004) und STOTT (2012). Für A.s’ Analyse der Geometrie von Cephalopoden siehe PA IV, 9 und Kap. XXIII, XXXVIII und XCVII. Zu Geoffroy und Cuvier über A. siehe GUYADER (2004) S. 143, 155, 181. Die Begriffe »Homologie« und »Anologie« haben eine verwickelte Geschichte, doch zum ersten Mal unterschied sie OWEN (1843), S. 374, 378 und OWEN (1868); allerdings hat sich ihre Bedeutung stetig weiterentwickelt, HALL (2003). Zur Methode Cuviers siehe CUVIER (1834) Bd. I, S. 97, 179–89; und warum die Naturgeschichte denn nicht ihren Newton haben sollte, CUVIER (1834) Bd. I, S. 96. »Die Form des Zahns …«: CUVIER (1834) Bd. I, S. 181: »Die Naturgeschichte besitzt ein rationales Prinzip …«: CUVIER und LATRELLE (1817) Bd. I, S. 6, engl. Übers. OUTRAM (1986). Zu Geoffroy über das Brustbein bei Wirbeltieren und das loi de balancement siehe GUYADER (2004).

anmerkungen

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XCII Die Evolution der Konzepte. Über Cuviers Verhältnis zu anderen Denkern siehe RUSSEL (1916) Kap. 3, OUTRAM (1986), RUDWICK (1997), GRENE und DEPEW (2004) Kap. 5, REISS (2009) S. 103–13. Cuviers Bedingungen des Daseins finden sich bei DARWIN (1859) S. 206 und PALEY (1809/2006) Kap. 15. Für dieselbe Vorstellung in der heutigen Genetik siehe LEROI et al. (2003) über Krebs bei Xiphophorus-Hybriden und PHILLIPS (2008) zur Epistase. Geoffroys loi de balanncement kommt bei DARWIN (1859) S. 143 als Korrelation des Wachstums vor und als Pleiotropie bei LEROI (2001). A. spricht von wiederkehrenden Ideen bei DC 270b16, Meteor 339b28, Metaph 1074b1 und Pol 1329b25.

XCIII A.s’ Anti-Evolutionismus. Zu vorsokratischen Zoogenesen und dem Transformismus siehe CAMPBELL (2000), LLOYD (2006) Kap. II und SEDLEY (2007). Platons Transformismus wird bei Tim 91D–92C offenkundig; siehe SEDLEY (2007) Kap. 4. A. erwähnt die Vorstellung, alle Tiere könnten »erdgeboren« sein bei GA 762b23. Wie die Mehrheit der Kommentatoren, behaupte auch ich, dass A. der Konstanz der Form verpflichtet ist. BALME und GOTTHELF (1992) S. 97–8, BALME (1987d) und GRANGER (1987) behaupten, dass er es nicht sei, sind allerdings wenig überzeugend; siehe LENNOX (2001b) Kap. 6. Ewigkeit der Arten/Formen: DA 415a25, GA 731b31, Metaph VII, 8–9, GC II, 10–11. A. spricht über die schädlichen Folgen angeborener Missbildungen bei GA 771a12 und GA 772b35. HENRY (2006a) regt an, dass für A. der Fortbestand, der an eine gegebene Umwelt angepassten Individuen, durch Selektion gewährleistet wird, die sich gegen Mutationen außerhalb eines bestimmten Spektrums richtet, sodass jedes Tier, das solch eine Mutation trägt, »nicht länger an diese Umwelt angepasst ist, sodass sich der Besitz dieses Merkmals nachteilig auf seine Fähigkeiten zu überleben und sich fortzupflanzen auswirkt«. Diese Art der Selektion, die der des Empedokles sehr ähnlich ist, nennt man gemeinhin stabilisierende Selektion, doch ich bin nicht der Ansicht, dass A. sie vorwegnimmt. Er sagt lediglich, dass ganz und gar untaugliche Kreaturen (die, denen notwendige Organe fehlen) sterben, und nie verbindet er diesen Gedanken mit der Bewahrung der Formen, sei es im Hinblick auf eine ganz bestimmte Umwelt oder nicht. Entstehung neuer Gattungen/Arten durch Kreuzung. Zu Linnés Hybridismus siehe MÜLLERWILLE und OREL (2007). A. diskutiert Kreuzungen bei Metaph 1033b33, GA 738b32, GA 746a29, HA 566a27, HA 606b25, HA 608a32; vgl. Mirab 60. Die Frage, ob A. glaubt, neue Arten könnten durch Kreuzung entstehen, ist kniffelig. Wissenschaftler wie etwa HENRY (2006b), die im Gegensatz zu mir das System der dualen Vererbung nicht akzeptieren würden, behaupten, sowohl Mutter als auch Vater würden ihre Form an den Embryo weitergeben. Falls dem so ist, dann wären Hybride, die eine stabile Mischung der elterlichen Formen sind, möglich. Doch es gibt kaum Belege, dass A. dies angenommen haben könnte. Tatsächlich behauptet A. bei GA 738b28, wo er über Hund X Fuchs-Kreuzungen spricht, dass die Hybride wieder zur weiblichen Form zurückkehren würden. Diese Annahme ist weder mit ausschließlich väterlichen Formen noch den Formen beider Elternteile vereinbar, da sie der Form oder Materie der Mutter

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einen nicht weiter erläuterten Vorrang einräumt. Tatsächlich denke ich, dass der Gedanke nicht von Aristoteles stammt, sondern dass es sich um eine Ergänzung, vermutlich von Theophrastos, handelt – das Vokabular von Boden und Samen lässt vermuten, dass sich ein Botaniker an den Texten zu schaffen gemacht hat; siehe CP I, 9.3, CP II, 13.3 und in diesem Buch Anm. Kap. LXXI. Geoffroys teratologischer Transformismus, APPEL (1987) S. 128, 130–42; GUYADER (2004). Terato-Transformismus. Zur Beziehung zwischen dem Missgestalteten und dem Natürlichen bei A. siehe GA 770b15 und GA 769b27. Von folgenden Tieren wird gesagt, sie seien von Natur aus deformiert: Robben, HA 498a33 und PA 657a22, Maulwürfe, HA 491b28, HA 533a1 und DA 425a10; für weitere Beispiele und Auseinandersetzungen mit der Frage, was A. mit »deformiert« oder »verkrümmt« genau meinte, siehe LLOYD (1983) Kap. I, 4, GRANGER (1987) und WITT (2013). Wie es dazu kam, dass Vierfüßer sich auf allen vieren fortbewegten, siehe PA 686a32; vgl. PA 686b21, Tim 91D–92C. Evolutionismus. Es gibt ein von Ernst Mayr, David Hull und Arthur Cain verbreitetes Narrativ, wonach Aristoteles’ »Essentialismus«, über Linné, die Evolutionstheorie 2000 Jahre lang behindert habe. Um dies zu widerlegen, bedürfte es einer detaillierten Analyse dessen, was diese Forscher meinten, dass Aristoteles und Linné gesagt hätten, und dieses Buch ist dafür nicht der geeignete Ort. Ich werde es in einer zukünftigen Arbeit nachholen.

XCIV Fossilien. Zu Darwins Vorläufern siehe MAYR (1982) und STOTT (2012). Manche Forscher haben behauptet, A. habe schlichtweg keine Anhaltspunkte für eine Evolution gehabt, z. B. BALME (1987d), BALME und GOTTHELF (1992) S. 97–8; LENNOX (2001b) Kap. 6. Siehe Strab I, 3–19 für eine Theorie über die Erdgeschichte von Lesbos. Zum fossilen Fisch des Xenophanes siehe PEASE (1942); für Xanthos, Eratosthenes und Straton über Fossilien siehe Strab I, 3.3–4; Theophrastos über fossiles Elfenbein, St 37 und MAYOR (2000). Die Aufsätze in DERMITZAKIS (1999) liefern einen Überblick über die Paläontologie der Wirbeltiere auf Lesbos. SOLOUNIAS und MAYOR (2004) beschreiben die Elefanten von Samos und ihre Überreste. Herod II, 75 spricht von den geflügelten Schlangen von Arabien; siehe RADNER (2007). Zu Theophrastos über versteinertes Schilfrohr siehe HP IV, 7.3 und fossiles, Meteor 378a20. Darüber hinaus gibt es einige Bezugnahmen auf Versteinerungen in peudo-aristotelischen Schriften, z. B. Prob XXIV, II, Mirab 52 und Mirab 95.

XCV Theophrastos’ Transformismus. Zur Anpassung von Weizen an das Land siehe CP IV, II.5– 9; neue Anlagen bei Pflanzen, CP IV, 11.7 [engl. Übers. EINARSON und LINK (1976– 90)]; Degeneration von Samen (Rückkehr zur Wildform), CP I, 9.1–3 und HP II, 2.4–6. Über Taumel-Lolch siehe CP II, 16.3, CP IV, 4.5–5.5, HP II, 4.1 und HP VIII, 8.3, wo T. erkennt, dass Taumel-Lolch einfach nur ein Unkraut sein könnte. Siehe THOMAS et al. (2011) zu Evolution und kultureller Bedeutung von Taumel-Lolch. Von T. wird auf

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Grundlage einiger Fragmente häufig behauptet, er sei resistenter gegen Teleologie als A., doch es steht außer Frage, dass seine Biologie auf einer tief greifenden Teleologie fußt, selbst wenn er sich vordergründig weniger mit ihr auseinandersetzt; siehe LENNOX (2001b) Kap. 12.

XCVI Vergleich zwischen aristotelischen und evolutionstheoretischen Erklärungen. »nichts in der Biologie sinnvoll ist, außer im Lichte der Evolution betrachtet«, DOBZHANSKY (1973). »Die Natur tut das, was unter den gegebenen Möglichkeiten […]«, IA 704b11; vgl. GA 788b20. Zum Optimalitätsdenken bei A. siehe LEROI (2010), zu dem in der Evolutionsbiologie und deren formale Verbindung zur Theorie der natürlichen Auslese siehe GRAFEN (2007). Nach Darwin sind die Nutznießer der Anpassung Individuen, siehe DARWIN (1859) S. 186 und RUSE (1980); für eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie man Stufen der Selektion von Stufen der Anpassung unterscheiden kann, siehe GARDENER und GRAFEN (2009). Tiere haben Teil an der Ewigkeit und am Göttlichen, bei DA 415a25, DA 415a22, GA 731b18, GC II, 10–11; vgl. die vorgeblich aristotelische MM 1187a30. Wenn A. über den höchsten Lebenszweck spricht, fasst er ihn für gewöhnlich als einen Zweck der Seele, i. e. des physiologischen Systems, das neben anderen Funktionen Ernährung, Wachstum und Fortpflanzung regelt; siehe Kap. LIV. Ich behaupte, die Eigenschaften von Kreaturen dienen bei A. letztendlich der Form/Art. Manche Forscher, z. B. BALME und GOTTHELF (1992) S. 96–7 sowie LENNOX (2001b) Kap. 6 und im pers. Gespr. bestreiten dies und argumentieren, der ewige Erhalt der Arten sei bloß eine nebensächliche Folge des Verlangens von Individuen, sich fortzupflanzen. DA 415b2 verweist jedoch darauf, dass es zwei Bedeutungen gibt, wie man von »um dessentwillen etwas ist« sprechen kann. In der ersten »zu dessen Zweck etwas ist«, in der zweiten »zu dessen Nutzen etwas ist«. Dann fährt er fort und identifiziert »zu dessen Nutzen etwas ist« ganz eindeutig mit der Form/Art; siehe auch DA 416b22. Außerdem lohnt es darauf hinzuweisen, dass A., wenn er von einer bestimmten Anpassung spricht, für gewöhnlich nicht genauer ausführt, ob diese (nehmen wir an, Hörner) »für das Individuum« gut ist oder »für die Art«. Das braucht er nicht – sie ist gut für beide. Im Gegensatz dazu sagt er manchmal ganz explizit, dass manche Eigenschaften gut für die Art sind, wenn er beispielsweise Eigenschaften bei der Lebensgeschichte von Fischen bespricht, GA 755a30; Kap. LXXXV. In dieser Hinsicht ist seine Teleologie sehr wohl von der Darwins verschieden, insofern als für Darwin Individuen die Nutznießer von Anpassung sind; für einen Neudarwinianer sind es die Gene; siehe auch Kap. CI. Zum Reduktionismus in aristotelischen Erklärungen siehe GOTTHELF (2012) Kap. 3. A. sagt bei GA 731b30, es sei besser zu existieren als nicht zu existieren.

XCVII Eine auf das Wertvolle abzielende Teleologie. Zur Definition der Körperachsen von Tieren und Pflanzen siehe Kap. XXXVIII. Für den relativen Wert der Pole siehe IA 5. SOLMSEN (1955), LENNOX (2001a) S. 275 und SEDLEY (2007) S. 172 diskutieren platonische Wertvorstellungen in der Biologie A.s. Viele von A.s’ Erörterungen über den Ursprung, die Position und die Struktur des Herzens finden sich in PA III, 4–5, insbesondere PA 665b20; siehe LENNOX (2001a) S. 254–65. Über die Symmetrie von Leber

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und Milz: PA 666a25 und PA 669b13ff. Mit einer Teleologie, die auf das Wertvolle und Ehrenhafte abzielt, wird zum Teil auch die Existenz des Zwerchfells erklärt, das die unteren und weniger wertvollen Verdauungsorgane von den Organen in der Brusthöhle, insbesondere vom Herzen, dem Zentrum der Erkenntnis, trennt, siehe PA 672b17. Für eine allgemeine Auseinandersetzung mit der Teleologie der Ehre siehe Gotthelf (2012) Kap. 2. Mensch kontra Tier. A. bespricht die Unterschiede der Körperachsen von Mensch und Tier bei HA 494a27 und die Unterschiede im Wesen bei HA 588a19, HA 608a10 und HA 608b4. Er behauptet, Frauen seien behindert, von der Norm abweichend, deformiert oder missgestaltet bei GA 728a17 (Frauen als unfruchtbare Männer), GA 737a22 (Frauen als deformierte Männer), GA 767b6 (Frauen seien das Ergebnis von Abweichungen in der Entwicklung der Art, und so in gewisser Weise missgestaltet) und GA 775a15 (Frauen sind natürliche Missbildungen). Den Grund, warum es verschiedene Geschlechter gibt, liefert er bei GA 732a1 und merkt bei GA 767b8 an, dass Frauen für den Fortbestand der Form gebraucht werden, vgl. GA 731b34, Metaph X, 9. Das Entstehen von Geschlechtern geschah jedoch »zufällig« – Metaph X, 9 – und liegt folglich am informalen Vererbungssystem. Von Eunuchen wird bei GA 716b5 gesagt, dass sie verweiblicht seien, vgl. GA 766a26. MAYHEW (2004), HENRY (2007) und NIELSEN (2008) diskutieren, ob A.s’ Theorie der Geschlechtsbestimmung sexistisch ist. Das Deutungsmodell einer »Stufenleiter der Vollkommenheit« basiert auf WITT (1998). Erklärung der Einzigartigkeit des Menschen. Zur Unverhältnismäßigkeit der Samenproduktion beim Menschen und ihre Erklärung, siehe HA 521a25, HA 572b30, HA 582b28, GA 728b14 und GA 776b26. Für die Informationen über das jeweilige Samenproduktionsvolumen bei Säugetieren bedanke ich mich bei Tim Birkhead von der Universität Sheffield. Es wird bei HA 585a4 gesagt, dass Menschen und Pferde während der Schwangerschaft Sex hätten. Über die Lüsternheit kahlköpfiger Männer siehe GA 783b27; vgl. GA 774a34. Zur Frage, warum Frauen und Eunuchen keine Glatze bekommen, siehe HA 583b33, GA 728b15, GA 784a4–7 und LEROI (2010). A. bespricht die Eigenheiten der menschlichen Physiologie bei HA 521a2 und PA 669b1; das Verhältnis von Nacktheit und dem Gebrauch der Hände als Waffen bei PA 687a22 und von aufrechtem Gang des Menschen und Göttlichkeit bei PA 686a25, vgl. PA 656a7; siehe LLOYD (1983) Kap. I, 3, LENNOX (2001) S. 317–18 und KULLMANN (2007) S. 690.

XCVIII Politische Tiere. A. spricht von politischer Tätigkeit im Tierreich bei Pol 1253a7, HA 488a10, vgl. HA 589a3; siehe KULLMANN (1991) und DEPEW (1995). Geselligkeit bei Kranichen: HA 488a7, HA 614b18. Das Verhalten von Bienen. Dazu, dass nur eine Blütenart besucht wird, und zum Schwänzeltanz siehe HA 624b5; zu Letzterem siehe auch HALDANE (1955). Zum Wabenbau siehe HA 623b26; zum Verstoß von Drohnen siehe HA 626a10; Arbeitsteilung siehe HA 625b18 und HA 627a20; Spezialisierung der Königin siehe GA 760a11. Xenophon, Oik VII, berichtet, wie die Königin im Bienenstock herrscht. A. ist zu dem Thema weitaus weniger eindeutig. Bei HA 488a10 sagte er, dass Bienen unter einem Herrscher

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leben, geht aber nicht weiter ins Detail. Den Königinnenmord unter Bienen beschreibt er bei HA 625a17 und HA 625b15. Die fehlende Schrift Historia animalium: Ein Großteil von A.s’ ökologischen Daten ist in HA VII und HA VIII (Nummerierung nach Balme), die erste Stelle befasst sich mit Nahrung und Lebensraum, die zweite mit Verhalten und Wesen. Da Letztere, die auch das Verhalten von Bienen enthält, manchmal verdächtigt wird, nicht von A. zu stammen, wäre eine Erklärung für das Fehlen einer kausalen Analyse die, dass es sich schlicht nicht um A.s’ Angaben handelt. Die meisten heutigen Forscher allerdings gehen davon aus, dass diese Bücher größtenteils authentisch sind.

XCIX Staatsbildung. A. beschreibt die Entstehung des Haushalts und des Staates bei Pol I, 1–2. Er erklärt den Zweck eines Familienhaushalts in Pol 1252b9 und befürwortet eine Spezialisierung bei Pol 1252b1; vgl. Kap. LI. Er sagt bei Pol 1253a1, das ursprüngliche Ziel des Staates sei es, autark zu sein. Von den Zyklopen wird bei Pol 1252b35 gesagt, sie hätten kein Gesetz. Siehe KULLMANN (1998) Kap. 5 für das Verhältnis von A.s’ politischem Denken zu dem seiner Nachfolger. Natürliche Sklaverei. A. liefert seine Theorie der natürlichen Sklaverei bei Pol 1254a9ff. Siehe Pol 1254b16, vgl. Pol 1260a1 über die geistigen Fähigkeiten natürlicher Sklaven. Verschiedene Kommentatoren, z. B. HEATH (2008) haben versucht, im Detail herauszuarbeiten, welche geistige Fähigkeit laut A. Sklaven fehle. Die Frage des Eigentums wird außen vor gelassen bei: Pol 1260a35. A. sagt, dass ein freier Handwerker, der für einen Herrn arbeitet, sich in einem eingeschränkten Sinne im Zustand der Sklaverei befindet. A. spekuliert über automatische Lyren bei Pol 1253b30. Dass Barbaren natürliche Sklaven abgeben, behauptet er bei Pol 1256b20, vgl. Pol 1252b5, Pol 1255a28 und Pol 1285a19; siehe HEATH (2008).

C Der Cyborgstaat. Platons berühmte Schilderung, wie sich die Griechen ums Mittelmeer wie um einen Sumpf drängen, ist in Phaidon 109B. A. spricht in Pol IV, 4 davon, dass der Staat Organe habe, und vergleicht dessen zentrale Steuerungsorgane mit einer Seele bei Pol 1254a28, Pol 1254a34, DA 410b10; vgl. Pol. 1253a20. Die Verfassung wird bei Pol 1276a35 als ein Fluss gedacht. Vom Staat wird bei Pol I, 2, Pol 1263a1 gesagt, er sei eine Schöpfung der Natur, tatsächlich aber ist er ein Hybrid aus Natur und Künstlichkeit, Pol 1265a29; siehe KULLMANN (1991) und LEUNISSEN (2013). Ohne eine Rechtsherrschaft ist der Mensch das schlimmste aller Tiere, Pol 1253a29. Für die Klassifizierung der Wissenschaften siehe Metaph XI, 7. A. spricht über den besten Staat bei Pol IV, 11 und Pol VII. Zu Berufs- und Besitzschranken bei der Erlangung des Bürgerrechts siehe Pol 1328b35, Pol 1329a20. Bei BURKHARDT (1872/1999) Kap. 5 findet sich eine besonders ausführliche und strenge Beurteilung der athenischen Demokratie im 4. Jahrhundert, doch auch A. kritisiert sie in Die athenische Verfassung; vgl. Pol V, 5. A. klassifiziert die Staaten hinsichtlich der Verteilung ihrer Glieder, Pol IV, 4. Er beschreibt die Materialursachen für verschiedene Arten von Staaten und Verfassungen bei

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Pol 1321a5, Pol 1318b10; vgl. Pol 1326a5 und die Charaktere von Europäern, Asiaten und Griechen in Pol VII, 7. Er spricht von Revolution und der Zerstörung von Staaten bei Pol V, 1 und schimpft auf Platons Ehe-Kommunismus bei Pol II, 1–3, obschon dessen Darstellung des Konzepts in Pol etwas Karikierendes hat. Er spricht von der natürlichen Ordnung und dem guten Leben bei PA 656a5.

CI Ökologie und Metaphysik λ. Der Kampf zwischen Adler und Drachenschlange wird bei HA 609a4 erwähnt; siehe WITTKOWER (1939) und RODRÍGUEZ PÉREZ (2011) zu Ursprung und Verbreitung des symbolischen Motivs. Weitere Bezüge auf die Drachenschlange bei: HA 602b25 und HA 612a33. »Wir müssen auch bedenken«: Metaph XII (λ) 1075a16 [engl. Übers. SEDLEY (1991)]. Die drei Monografien und der Aufsatz, die sich dieses Themas annehmen, sind JOHNSON (2005) Kap. 9, SEDLEY (2007) Kap. V, LEUNISSEN (2010a) und BODNÁR (2005), doch auch viele andere. Der Standpunkt zur globalen Teleologie, den ich hier eingenommen habe, ist ähnlich dem von NUSSBAUM (1978) S. 93–9, BODNÁR (2005) und MATTHEN (2009). Hier möchte ich mich bei István Bodnár für seine Hilfe bedanken. Siehe SCHMITT (1965) zur Trope von A. als Tintenfisch in der Renaissance. Zum Ursprung des Begriffs »Ökologie« siehe HAECKEL (1866) Bd. II, S. 286–8 und STAUFFER (1957). Von der pinnophylax wird bei HA 547b16 gesagt, dass sie die pinna bewohnt. Zur Biologie von Pandora siehe SWIRE und LEROI (2010). A.s’ Ausführungen in DA I, 3, vgl. DC II, 3 zeigen, dass A. nicht glaubt, es gäbe eine Weltenseele. Ökologische Beziehungen. Das Gesicht des Hais, PA 696b25, vgl. HA 591b25, wurde im Hinblick auf eine globale Teleologie ebenfalls häufig diskutiert. LENOX (2001a) S. 341–2 wägt die Möglichkeiten ab, diese seltsame Passage wegzuerklären, gibt aber zu, dass es schwierig ist; für frühere Bezugnahmen siehe ebenfalls dort. A. spricht von der außerordentlichen Fruchtbarkeit von Fischen bei HA 567a34 und Mäusen bei HA 580b10; von zügellosen Tieren bei EN 1149b30 und über den Kriegszustand, der ausbricht, wenn die Nahrung zu Ende geht bei HA 608b19; vgl. HA 610a12. Bei HA 610b2 weist er darauf hin, dass sich verfeindete Fische zu Schwärmen zusammenfinden, wenn es Nahrung im Überfluss gibt. Herodot verweist auf das Gleichgewicht der Natur in Hist III, 108–9 [RAWLINSON et al. (1858–60/1997)]; siehe EGERTON (1968), EGERTON (2001a) und EGERTON (2001b) für einen nüchternen Blick auf die antike Zoologie und diese Vorstellung. A. geht nicht weiter auf diese Textpassage ein, obwohl sie sich dort findet, wo H. über seine geflügelten Schlangen spricht, eine Passage, die A. zweifellos kennt. Neben Metaph XII (λ) 1075a16 ist Pol 1256b7 der andere entscheidende Textabschnitt, auf den die Befürworter einer globalen Teleologie verweisen. SEDLEY (1991), SEDLEY (2007) Kap. 5 liefert die stärkste anthropozentrische Deutung dieses Abschnitts, siehe aber JOHNSON (2005) Kap. 9 für eine Widerlegung. A. spricht von besonnenen Fischen bei EN 1141a20. JOHNSON (2005) Kap. 8 nutzt diesen Absatz besonders effektiv, um eine anthropozentrische Teleologie auseinanderzunehmen, stellt sich aber nicht die Frage, wie Fische überhaupt klug oder besonnen sein können. Richtig ist, dass eine alternative Lesart die wäre, dass Fische um eines unmittelbaren physiologischen Vorteils willen klug sein müssen – und im Abschnitt über das Gesicht von Haien erwähnt er solche Vorteile. Doch darauf scheint er hier nicht hinaus-

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zuwollen, denn er fügt hinzu: »Denn wer in den Dingen, die ihm je vorkommen, das Zuträgliche sieht, den nennt man klug, und dem vertraut man derartige Dinge an.« – engl. Übers. JOHNSON (2005). Diese Stelle ist ziemlich kryptisch, doch ich meine, man kann sie so lesen, dass jede Art besonnen in Bezug auf ganz bestimmte Dinge ist (ein Mensch geht besonnen mit Geld um, ein Hai mit Sardinen), dass also jeder Art gewisse Dinge anvertraut sind, i. e. ihre Natur hindert sie daran, die Dinge, die sie braucht, zu zerstören. QUARANTOTTO (2010) diskutiert Ganzheiten und ihre Eigenschaften. Siehe PIMM (1991) für eine Kritik am »Gleichgewicht der Natur« in der modernen Ökologie. »[Die natürliche Auslese] plant nicht für die Zukunft« stammt aus DAWKINS (1986), S. 5.

CII Die Ewigkeit des Kosmos. Zu den Vorsokratikern und dem Ursprung des Kosmos, DC 297b14. A. spricht sich dagegen aus, dass Wandel einen Anfang hat, Phys (VIII) 250b7, und liefert einen Beweis für ewigen Wandel, Phys 251a8; siehe GRAHAM (1999) S. 41–4 für eine Analyse dieses Arguments. In DC I, 10–13 legt A. eine Reihe weiterer Argumente dar, von denen manche dem aus Phys verwandt, manche linguistischer Natur sind. A. erörtert die Notwendigkeit für eine stetige Quelle des Wandels, Phys VIII, 5; siehe GRAHAM (1999) S. 93–4 und BODNÁR (Frühjahr 2012). A. hat keine Theorie der Trägheit, siehe BALME (1939). Astronomie. Über das Studium der Sterne, PA 644b22, DC 286a5, DC 291b24 und DC 292a14; siehe FALCON (2005) S. 99. A. verlässt sich auf das Urteil der Experten für mathematische Astronomie in Metaph 1073b10 und Metaph 1074a16; siehe LLOYD (1996) Kap. 8 über A.s’ Verhältnis zu den mathematischen Astronomen und eine eher harsche Analyse seiner eigenen astronomischen Unternehmungen. Das geometrische Modell des Kosmos wird in Metaph XII (λ) 8 umrissen; siehe LLOYD (1996) Kap. 8. Zu Eudoxos siehe DL VIII, 86–91 und JAEGER (1948) Kap. 1. A. gibt bei DC 298b15 Schätzungen über die Größe der Erde ab. Zu Naturwissenschaft und Körper siehe DC 268a1; FALCON (2005) Kap. 2. Die Erscheinungen retten kontra Erklärung: Phys 193b22; LLOYD (1991) Kap. II, LEUNISSEN (2010a) Kap. 5. Auf Grundlage alter astronomischer Aufzeichnungen erklärt A., der Kosmos sei gleichbleibend, DC 270b13, DC 292a7, vgl. Metaph 342b9, LLOYD (1996) Kap. 8. Über das erste Element aithér, DC I, 2–3; FALCON (2005) S. 115 behauptet, dass man erst seit der Spätantike traditionell das »erste Element« mit aithér gleichsetzte; zur Rezeption und den Eigenschaften von aithér, siehe FALCON (2005) Kap. 3. Die Vorzüge der Kreisbewegung, DC I, 2; vgl. Phys VIII, 9. A. erörtert die finalen Ursachen der Kreisbewegung von Himmelskörpern: DC II, 3, DC II, 12; siehe LEUNISSEN (2010a) Kap. 5.2. Die Himmelskörper sind lebendig. A. erläutert, warum Sterne keine Fortbewegungsorgane haben bei DC II,8 – LEUNISSEN (2010a) Kap. 5.4 – und vergleicht sie mit Schiffen auf einem Strom bei DC 291a11. A. behauptet bei DC 292a18 [engl. Übers. I. Bodnár], dass die Sterne (oder Sphären) lebendig seien; vgl. DC 285a29; siehe GUTHRIE (1981) 256 Text und Anmerkung. Zu den Eigenschaften himmlischen Lebens siehe S.  DC 279a20 und zur Himmelshierarchie DC II, 12. Zur Bewegung von Sonne und Mond, DC II, 3. Hier gebraucht A. die Wendung »um dessentwillen« nicht, und so

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könnte es sein, dass die Bewegung von Sonne und Mond lediglich aus materieller Notwendigkeit den sublunaren Elementekreislauf in Gang halten. Bei GC 336b1 sagt er, dass wenn Entstehen und Vergehen (Kreislauf der Elemente) fortwährend sein soll, es einen Körper (die Sonne) geben muss, der von sekundären Bewegungen angetrieben wird. Bei GC 336b32 (siehe Kap. LXXX) geht er sogar so weit, sich selbst zu vergessen und von Gott zu sprechen, der die Bewegungen von Sonne und Mond exakt so eingerichtet hat, um die größtmögliche Kohärenz des Daseins zu gewährleisten. LEUNISSEN (2010a) Kap. 5.2, eine strenge Gegnerin der globalen Teleologie bei der Auslegung von Metaph XII (λ), räumt ein, dass in DC II, 3 eine bedingte Notwendigkeit und folglich eine globale Teleologie am Werk sind: »Hier erlaubt die Anwendung des teleologischen Prinzips A. ein organisches Bild des kosmologischen Systems zu entwerfen …« Es gibt noch ein zusätzliches teleologisches Argument für die verhältnismäßige Vollkommenheit der Bewegungen von Himmelskörpern in DC II, 12. »Ein Mensch entsteht aus einem Menschen und der Sonne …« Phys 194b13, vgl. Metaph XII (λ), 10; FALCON (2005) S. 9. A. argumentiert gegen eine materialistische Erklärung (Zufall) für die Ordnung im Kosmos, Phys 196a26. Zu Demokrit über Unendlichkeit siehe SEDLEY (2007) S. 138, der auf eine moderne kosmologische Theorie vom unendlichen Universum hinweist. Zur Theorie einer kosmologischen Auslese: siehe REES (1999) über die Feinabstimmung, TEGMARK (2007) über Multiversen ganz allgemein sowie GARDMER und CONLON (2013) über die Theorie der kosmologischen Auslese und die Price-Gleichung.

CIII Annäherung an Gott. Noch einmal die Merkmale des Lebens, DA 412a14. Siehe Kap. LIII. A. rechtfertigt lebendige Himmelswesen auf Grundlage der Religion, DC 270b5; noch allgemeiner zur religiösen Motivation von A.s’ Kosmologie siehe DC 270b5, vgl. DC 278b14, DC 283b26; NUSSBAUM (1978) S. 134ff. und FALCON (205) S. 112. A. beschäftigt sich mit Religionsarchäologie bei Metaph 1074b1. Über den Unterschied zwischen erster und zweiter Philosophie siehe Metaph 1026a27 und GREENE (1998). Für eine explizite Verneinung, dass Tiere wirklich Selbstbeweger sind, siehe Phys 252b16, Phys 259b1, MA 2–5. GUTHRIE (1939) Einführung, GUTHRIE (1981) Kap. 8 und SORABJI (1988) Kap. 13 diskutieren den Beweis für mindestens zwei miteinander verwobene Theorien über Kosmologie, Theologie und physikalische Bewegung in A.s’ Schriften. Das Problem ist, dass unbewegte Beweger als Bewegursache redundant erschienen, wenn die Sterne sich bereits drehen, weil sie aus aithér gemacht sind. Selbst dann wäre es möglich, eine vereinheitlichende Darstellung von unbewegten Bewegern und aus aithér bestehenden Himmelssphären zu konstruieren, wenn man annimmt, dass aithér, wie pneuma, nur ein Teil einer Kette von Bewegursachen ist; Bodnár (pers. Gesp.) wies mich darauf hin, dass unbewegte Beweger in dem frühen nicht erhaltenen Dialog De philosophia vorkommen. A. legt das Argument für die unbewegten Beweger bei Metaph 1073a23 und Phys VIII, 8–10 dar. Bei Metaph 1073a1 sagt er, dass es 55 von ihnen gäbe, allerdings ist das nur eine von etlichen Zahlen, die A. nennt; eine andere ist 49. Er scheint, etwas unbeholfen, mit etlichen unterschiedlichen Modellen zu arbeiten, LLOYD (1996) Kap. 8. In Anbetracht von A.s’ ausgereifter Theorie der Bewegung habe ich einen Großteil dieses recht dunklen Buches, Phys VIII, außen vor gelassen; siehe BODNÁR (Frühjahr 2012) für eine lebendige Darstellung der Theorie, GRAHAM (1999) für einen Textkommentar und WATERLOW (1982) für eine voll-

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ständige Analyse, die nicht viel einfacher als A.s’ Schrift selbst ist. A. kennt keine Gesetze der Bewegung: siehe DELBRÜCK (1971), NUSSBAUM (1978) S. 130, 305ff. A. erörtert, wie die unbewegten Beweger die Dinge, die sie bewegen, bewegen: Metaph 1072a26, Phys VIII, 10. Es herrscht ein ganz offensichtlicher Konflikt zwischen der Behauptung, es gäbe viele unbewegte Beweger, Metaph 1074a14, und der Tatsache, dass er sich für gewöhnlich auf einen konzentriert (z. B. im gesamten Phys VIII); GUTHRIE (1981) S. 267–79 versöhnt diese Textabschnitte miteinander, indem er auf die Arbeit von Philip Merlan zurückgreift und sich auf eine Hierarchie beruft. A. stellt das Wesen des höchsten unbewegten Bewegers bei Metaph 1072b13ff. [engl. Übers. ROSS (1915)] dar; wie Gott denkt bei Metaph 1074b33. A. beschreibt die beste Art Leben bei EN X, 7. Er zitiert Anaxagoras bei FR B18–19 (Protreptikos) und EE 1216a10.

CIV Das Lyzeum und seine Texte. Für einen Eindruck vom Leben am Lyzeum siehe JAEGER (1948) Kap. 12, 13. Das erste widersprüchliche Zitat stammt aus DC 276a18; das zweite aus GA 745b23. ANAGNOSTOPOULOS (2009b) gibt einen Einstieg in die moderne Literatur zu A.s’ Entwicklung.

CV Letzte Tage. Auf den gegen A. vorgebrachten Vorwurf wird in DL V, 6–8 eingegangen, ebenso wie auf den problematischen Hymnus selbst. A.s’ Testament findet sich in DL, 12–16; JAEGER (1948) S. 325 spricht von den delphischen Ehrungen. A.s’ Aussprüche und Briefe: »Ich werde nicht zulassen, dass die Athener …«, FR F666R3; zum Bedauern über zurückgezogene Ehrungen, FR F667R3; »Je mehr ich allein bin …«, FR 668R3; JAEGER (1948) S. 320–1. T.s Testament findet sich bei DL V, 51–7. Strab XIII, 1.54–5 schildert das Schicksal der Bibliothek; siehe BARNES (1995a) ANAGNOSTOPOULOS (2009b) über Einschätzungen der Geschichte. LENNOX (2001b) Kap. 5 bespricht das Verschwinden der Biologie. Ich danke William S. Morison, Grand Valley State University, dafür, dass er mich über die Archäologie des Lyzeums aufgeklärt hat; siehe LYGOURI-TOLIA (2002) für den originalen Grabungsbericht.

CVI Moderne Beurteilungen A.s. MEDWAR und MEDWAR (1985) S. 26–7 wurde von Aristotelesforschern oft als Beispiel für krasse Undifferenziertheit angeführt.

CVII Das Schicksal A.s in der Frühen Neuzeit. Zu den Pariser Verdammungen siehe GAUKROGER (2007) Kap. 2 und GARBER (2000). Zum thomistischen Aristotelismus siehe GAUKROGER (2007) Kap. 2. BALME und GOTTHELF (2002) S. 6–35 erörtern die Manuskripttradition der HA. GAUKROGER (2007) Kap. 3 diskutiert die Gegenströmungen zum scholastischen Aristotelismus im 15. Jahrhundert. Galileos Auseinandersetzung stammt aus dem Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme, zweiter Tag, 1632.

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CVIII Das Schicksal der Biologie. Die Zitate von Albertus Magnus stammen aus seinem De miner. lib. II, tr. ii, I; De veg., lib. VI, tr. ii, i. Zu Pomponazzi siehe PERFETTI (2000) Kap. I, 1, GAUKROGER (2001) S. 92 und GAUKROGER (2007) Kap. 3.

CIX Francis Bacon. »Und hierbei muss ich mich nicht wenig über den Philosophen Aristoteles wundern«: Advancement of Learning (1605) Buch 2, vgl. Cogitata et vista (1607); siehe GAUKROGER (2001) S. 10ff. über den wissenschaftlichen Diskurs. Zu Bacon über Teleologie, siehe Advancement of Learning Buch 2; über Formen Novum organum (1620) Kap. 63 und JARDINE (1974) Kap. 5. Zu Bacon über artifizielle Wissenschaft siehe GAUKROGER (2001) S. 39. Glanvill wird zitiert in: MEDAWAR (1984) S. 95, bei demselben siehe auch eine allgemeine Diskussion von Experiment und Kritik an A.s’ Methode. GRENE und DEPEW (2004) Kap. 2 und GAUKROGER (2007) Kap. 9 analysieren Descartes’ bête machine, wie sie in seinem Discours de la méthode (1637) dargestellt wird, V. Steno (1666) wird von GRENE und DEPEW (2004), S. 63 zitiert. Vitalismus. Siehe Kap. LV und LXVIII; CRICK (1967) ereifert sich über Vitalismus; SCHRÖDINGER (1954/ 1996) ignoriert A.

CX Experiment. Antikenforscher meinen »Experiment« oft in einem eher allgemeinen Sinn, wenn sie über A.s’ empirische Untersuchungen sprechen. LENNOX (Herbst 2011) beispielsweise bezeichnet A.s’ Studien zur Embryogenese bei Hühnern als »Experiment«. Doch das ist es nicht. Es ist schlicht eine nette empirische Forschung. HANKINSON (1995) bezeichnet das Wachsgefäß als Experiment – auch in diesem Fall ist es das nicht. LLOYD (1991) Kap. 4 fasst das Experiment im antiken Griechenland und wie es gesehen wurde, zusammen, trifft aber auch keine klare Unterscheidung zwischen echtem Experiment und unterschiedlichen Beobachtungen. Siehe auch LLOYD (1987) zum Verhältnis von empirischen Daten und Theorie bei A. BUTTERFIELD (1957) Kap. 5 erzählt die komplizierte Geschichte von Galileo und der Kanonenkugel. Held. FARRINGTON (1944–9) Bd. 2, Kap. 1 ist höchst enthusiastisch wegen den Pneumatics, und schreibt sie im Anschluss an Diels, Strato zu, siehe aber LLOYD (1973) Kap. 7 und BERRYMAN (2009) Kap. 5.

CXI Wissenschaftsstile. Zur Unterscheidung zwischen den zwei Wissenschaftsstilen siehe KELL und OLIVER (2004). A. sagt, man soll theoretisieren, selbst wenn man wenig Fakten hat, DC 292a14ff. (über Sterne); vgl. GA 760b28–32 (über Bienen). Siehe auch DC 293a25–31 zur Beziehung zwischen Beweis und Theorie.

anmerkungen

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CXII A.s Naturen und seine Kritiker. Siehe HENRY (2008) für eine Auseinandersetzung mit A.s’ organismischen Naturen und deren Kritikern. LEAR (1988) S. 23–4 erkennt bemerkenswerterweise virtus dormitiva an und verteidigt sie bei A. BERRYMAN (2007), BERRYMAN (2009) und JOHNSON (in Druck) liefern beide wertvolle, wenn auch recht unterschiedliche Diskussionen zur Bedeutung von mechanistisch und der Frage, ob A.s’ Theorien als solche beurteilt werden können. Ich hoffe mich mit Thompsons On Growth and Form, und dessen Beziehung zur Antike in einer zukünftigen Arbeit auseinandersetzen zu können. Mittlerweile ist es unter den Forschern zu A.s’ Biologie geläufig, über Mechanismen zu sprechen, z. B. KULLMANN (1998) S. 292 und HENRY (2006a) über die Mechanismen der Vererbung sowie GREGORIC und CORCILIUS (2013) über die Mechanismen tierischer Bewegung. SHIELDS (2008) bringt auf den Punkt, was ousia für A. im Hinblick auf Artefakte und Organismen bedeutet. Die Einladung zur Wissenschaft der Biomedizin stammt aus LBV 480b20. ANAGNOSTOPOULOS (2009a) analysiert A.s’ Interesse an Medizin. »Diese unsere Wissenschaft«: THOMPSON (1913) S. 30.

CXIII A. und Darwin. Den Tukotuko erwähnt DARWIN (1845), wobei er behauptet, der Tukotuko sei auf dem Weg ein blindes grabendes Tier zu werden wie der Grottenolm, der Maulwurf oder der Aspalax – vorsichtigerweise schreibt er aber den Gedanken Lamarck zu. In DARWIN (1859) zieht er erneut die Parallele zu Maulwürfen, schreibt den Gedanken zur Evolution nicht mehr Lamarck zu und behauptet, dass die natürliche Selektion nach Augenverlust zusammen mit den Auswirkungen des Nichtgebrauchs der Augen (denn teilweise bleibt Darwin ein Lamarckianer) verantwortlich für den Verlust der Augen bei grabenden Tieren sein könnte. BORGHI (2002) untersucht die Reduktion der Augen bei verschiedenen grabenden Säugetieren und zeigt auf, dass Ctenomys geringfügig kleinere Augen als Eichhörnchen haben, doch weitaus größere als jedes andere grabende Säugetier, und dass sie beim Graben ihre Augen schützen, indem sie sie schließen. »Der Mangel an Erfahrung ist eine Ursache«: GC 316a5; siehe LENNOX (2011)

CXIV Was uns A. lehrt. »Manche sagen, dass alle Menschen …«: Deutsches Requiem (1949) in BORGES (1999) S. 233, Samuel Taylor Coleridge sagte es als Erster, Table Talk, 2. Juli 1830.

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Aristoteles Illustrieren Alle Illustrationen, die Aristoteles’ zoologische Schriften einmal gehabt haben könnten, sind seit Langem verloren. Anstatt die eher spärliche Sammlung von Tierdarstellungen aus dem antiken Griechenland zu plündern, von denen sowieso nur wenige aus Aristoteles’ Zeit stammen, habe ich mich dazu entschlossen, seine Tiere mit neueren Darstellungen – nach 1500 n. Chr. – zu illustrieren. Die Holzschnitte aus dem 16. Jahrhundert von Gesner, Belon und ihren Zeitgenossen scheinen besonders passend, da sie auf vergleichbare Art naiv sind wie beispielsweise Fischtafeln aus dem vierten Jahrhundert. Wenn exotische Tiere dargestellt werden, haftet ihnen ebenfalls etwas Seltsames an, das daher rührt, dass sie nach oft fehlerhaften Informationen aus zweiter Hand angefertigt wurden. Daneben arbeiteten die Tierzeichner der Renaissance alle mit A.s’ Texten. Die anatomischen Darstellungen auf den Seiten 61, 64, 110 und 168 basieren auf Darstellungen, die Aristoteles erwähnt. Sie wurden von David Koutsogiannopoulos mit Unterstützung der Papyrologin Grace Ioannidou rekonstruiert. David ging dabei so vor, dass er mit den Texten selbst anfing und dann nach antiken Vorlagen suchte. Es blieben keine anatomischen Darstellungen aus dem antiken Griechenland erhalten, ob aristotelisch oder nicht, doch hellenistische Papyri mit geometrischen Abbildungen und Tieren aus der Zeit dienten als Leitfaden zum technischen Verfahren. Fischtafeln lieferten einen Eindruck von der Detailfülle. Nach vielem Herumprobieren ist ein Stil entstanden, der nicht die Arbeiten eines Künstlers, sondern eines Denkers vermittelt – einer, der wie jeder Denker mit seinem Stift oder eher seinem Pinsel dachte.* vi. M. G. F. A. de Choiseul-Gouffier (1782–1822) Voyage pittoresque en Grèce, Bd. 2, Paris. 2 M. Lister (1685) Historiae sive synopsis methodicae conchyliorum, London. 10 A. E. d’Audebert de Férussac und A. D’Orbigny (1835–48) Histoire naturelle générale et particuliere des Céphalopods Acétabulifères vivantes et fossils, Paris.

* »Ein Wissenschaftler hat immer einen Stift dabei« – M. R. Rose zum Autor, ca. 1986.

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282 G. Cuvier (1830) Considérations sur les mollusques et en particulier les Céphalopods. Annales des Sciences Naturelles 19: 241–59. 283 R. Owen (1866) Anatomy of vertebrates, Bd. 2, London. 294 A. Scilla (1670) La vana speculazione disingannata dal senso, Neapel. 304 P. Belon (1551) Histoire naturelle des estranges poissons, Paris. 327 K. Gesner (1551–87) Historia animalium, Zürich. 331 Tunc Tezel. Mit Genehmigung. 344 T. Gaza (1552) Aristotelis et Theophrasti Historiae, Lyon. 351 Foto des Autors. 377 D. Koutsogiannopoulos. 379 D. Koutsogiannopoulos.

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Danksagung Während der Arbeit an diesem Buch habe ich viele Schulden angehäuft. Meine Agentin, Katinka Matson, sowie John Brockman von Brockman Inc. haben immer das Potenzial in Die Lagune gesehen. Ihnen danke ich ebenso wie Rick Kot von Viking Penguin, Anna Simpson und vor allem Michael Fishwick, meinem visionären Lektor bei Bloomsbury. Peter James, mein wundervoller Korrektor, hat mich vor zahlreichen ungelenken Formulierungen bewahrt, doch mit Sicherheit hat selbst er mich nicht vor allen bewahren können. Viele Menschen in Athen und auf Lesbos haben mir ganz spezielle Fragen beantwortet: Makis Axiotis, Lara Barazai-Yeroulanos, Níkh Dimopoulou, George Filios (Scuba Lesvos), George Fotinos (Fotinos FishShells), Alkis Kalampokis, Dimitrios Karidis, Kostas Kostakis, Ignatis Manavis, Aleka Meliadou, Theodora und Eleni Panyotis, George Papadatos, Michaelis Stoupakis (manchmal erster Offizier der F/B Sappho), Christos Samaras und Dimitra Vati. Forscherkollegen, manche von der Universität der Ägäis, Mytilini, haben mir zoologische Fragen beantwortet: Filios Akreotis, Ioannis Batjakis, Ioannis Bazos, Mike Bell, Tim Birkhead, Mick Crawley, Charles Godfray, Giorgos Kokkoris, Drosos Koutsoubas, Ioannis Leonardos, Sally Leys, Chris McDaniel, Ian Owens, Panyotis Panyotides, Vassilis Papasotiropoulos, Theodora Petanidou, Tommaso Pizzari, Michel Poulain, Mike Richardson, Sophia Spathari, Cleon Tsimabos, George Tsitiris und Nikolaos Zouros. Die Forscher zur antiken Philosophie und Geschichte, die sich wirklich mit Aristoteles auskennen, waren so geduldig und großzügig, mir dabei zu helfen, sein Denken zu verstehen; manche von ihnen waren so großzügig, Kapitel zu kommentieren: Keith Bemer, Istávan Bodnár, Nick Bunnin, Devin Henry, Wolfgang Kullmann, Jim Lennox, Mariska Leunissen, Geoffrey Lloyd, Diana Quarantotto, der verstorbene Bob Sharples, Alfred Stückelberger, Polly Winsor, Malcolm Wilson und Karen Zwier. Ein großer Aristoteliker, einer der liebenswürdigsten überhaupt, starb, kurz bevor dieses Buch in Druck ging. Allan Gotthelf wäre bestimmt mit so einigem in diesem Buch nicht einverstanden gewesen, wenn Sie jedoch die funktionale Analyse des Elefanten lesen oder darüber, worin sich Darwin und Aristoteles unterscheiden, dann lesen Sie Dinge, die Allan mir erklärt hat.

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2009 machte ich einen Film über Aristoteles und Lesbos für BBC 4 mit dem Titel Aristoteles’ Lagune. Zu der Zeit, als wir den Film drehten, hatte ich bereits seit Jahren an diesem Buch gearbeitet. Viele Menschen leisteten einen Beitrag zu jenem Film, doch mein Koautor Richard King und mein Regisseur Harry Killas machten ihn zu einem der bezauberndsten Filme, an denen ich je gearbeitet habe. Emmanuelle Almira, Cassandra Coburn, Enrico Coen, Níkh Dimopoulou, Arnold Heumakers, Olivia Judson, David Koutsogiannopoulos, Marzena Pogorzaly, Jonathan Swire und vor allem Clare Isacke und Rebecca Stott lasen Kapitel und standen mir mit schriftstellerischem Rat zur Seite. David Angeli entwarf das Kontrolldiagramm der nährenden Seele. David Koutsogiannopoulos gab mir Hinweise zur griechischen Naturgeschichte, war mein Tauchpartner und erstellte die aristotelischen Abbildungen (unterstützt von Grace Ioannidou). Simon MacPherson, Classic Master an der Harrow School, sind die Übersetzungen und Transliterationen aus dem Griechischen ins Englische zu verdanken, doch er tat so viel mehr als das. Giorgos Kokkoris machte mich mit der Insel bekannt. Er und Dimitra Filippopoulou haben sich seither immer um mich gekümmert. Dieses Buch hat damit begonnen, dass Alkistis Kontou-Dimas mir sagte, ich müsse es schreiben. Ich danke ihnen allen. Am meisten schulde ich denen, die mir nahestehen: Freunde – Austin Burt, Vasso Koufopanou, Daphne Burt, Olivia Judson, Jonathan Swire und Kaori Imoto, Michaelis Koutroumanidis und Katerina Ertsou; und meiner Familie – Marie-France Leroi, Iracema Leroi, Harry Killas, Joseph Meager und den Zweigen des NLS in Vancouver und Manchester. Es gibt keinen, dem ich und dieses Buch mehr verdanken als Clare Isacke. Die Ströme Londons haben mich in jüngster Zeit an eine Sargassosee gespült, an einen Meeresschatz aus Ambra, seltenen Intarsien und fremdartigen Wissenszweigen – dies sind die Worte Ezra Pounds. Doch schriebe ich mein eigenes Portrait d’une Femme, ich würde insistieren, dass es sich bei all diesen Wundern um die von Jerry Hall handelt. Voller Liebe danke ich ihr, dass sie sie mit mir geteilt hat.

Register Aale Lebenszyklus und Fortpflanzung  248–249 Agassiz, Louis  81–83 Akreotis, Filios  80 Aldrovandi, Ulisse  383 Alexander der Große Aristoteles, Lehrer  61–62 Feldzüge  68 Forschungsgelder an Aristoteles  62–63 Informationsquelle für Aristoteles  61–62 Alkaios von Lesbos  91 Altern, Theorien über das  283–287 altruistische Tierarten  347–348 Amphibien, Larve  219, 251 Anatomie des Menschen  75–79, 193–194 Fortpflanzungs-  66–67, 86, 202–205 Schaubilder 74 Vergleichende  132–135, 305 Anatomien, die (Aristoteles) 74–75 Anaxagoras Geschlechtsbestimmung und genetische Vererbung  235–237 Hände, Bedeutung für den Menschen  332 »Intelligenz«, Gebrauch der  98–99 Anaximander Ursprünge des Lebens  311–312 Anglerfisch  154, 167 Antipatros  68, 371, 376–377 Aphrodite  175, 212 Apollon Lykeios, Heiligtum  16 Aquin, Thomas von  381 Archestratos von Gela, Leben im Luxus  30 Argument vom Plan, siehe auch teleologische Erklärungen  99–100 Aristoteles Alexander der Große, Unterricht  61–62 Assos, Aufenthal  41 Athen, verbrachte Zeit  26, 34 Bacon, F., Sicht auf   385–387 Darwin, C., gemeinsame Ansichten  322–323 Häusliches Leben  42, 232, 367, 376–377

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Hintergrund und Bildung  34 Kallisthenes von Olynth, Zusammenarbeit mit  67–68 Lesbos, Umzug nach  45 Makedonien 61 Platons Akademie  34,36 Platons Ansichten, Sicht auf   39–40 Schriften, Beschaffenheit  17 Schriften (genannte)  439–440 Schriften, Überdauern  379 Schule, am Lyzeum (Athen)  16–17 Testament 376–377 Theophrastos von Eresos, Freundschaft mit  45 Tod, Sicht auf   286 Assos (Halbinsel Troas) Beschreibung  41, 43 Astronomie 354–362 Aristoteles’ Sicht auf   356–358 »erstes Element«  357 Himmelskörper 357–358 Kosmologische Auslese  361 moderne Sicht auf   360 Atavismen/Rückfall auf ancestrale Stadien  242 Athenaios 62 Athen Politik  339, 341 Atmung  33, 193–194 Augenlider  99, 153 Auster Entstehung 246 automaton/automata Logik  191–192, 218–219 Puppen  190, 218 »das Worumwillen«  101 Bacon, F. Aristoteles, Sicht auf   385–387 Novum organum  386 Baer, K. von  214, 242, 295 »bedingte Notwendigkeit«  360 Bekker–Zählung 438 Bernard, Claude  194 Beweis, Theorie der Demonstration  142, 144, 146, 148 Bienen und Honig  268–274 Bienen, Entstehung  270–271 Herkunft des Honigs  269–271 Honigbiene 273 Verhalten 333–335

register Blut als Nahrung  186 Auswirkung auf das Temperament von Lebewesen  333, 335 bei der Klassifikation  120, 124, 133 Bonnet, Charles  221 Borges, J. L.  120, 406 Canguilhem, Georges  20 Cannon, Walter  194 Cantartzis, Palaiologos, C.  27 Cephalopoden Oktopus  81, 85–86, 140–141 Papierboot 84 Perlboot 119 Tintenfisch  20–21, 73–74, 171–173 Chamäleon  50, 59–60, 185, 415 Charaktere (Theophrastos) 46 Chiaje, Delle 84 Choiseul–Gouffier, M. G. F. A. de  43 Cicero, Sokrates, Sicht auf   36 Corpus Aristotelicum, siehe »Aristoteles, Schriften« Corpus Hippocraticum 33 Über das Fleisch 33 Über Zeugung 234 Cuvier, Georges Bedingungen des Daseins  305 Geoffroy Saint–Hilaire, É., Auseinandersetzung mit  303–304 Le règne animal 303 vergleichende Anatomie  303 Verzweigungen (embranchements) 302–303 Darwin, Charles  96 Aristoteles, Einfluss von  297–298 Aristoteles, Vergleich mit  402–403 Entstehung der Arten  227, 306–307, 403 natürliches Klassifikationssystem  309 Schafe, Sicht auf   226–227 Theorien der Vererbung  228–231, 235, 242 Tukotuko, Sicht auf   403 Delbrück, Max  400 Delfine  110, 128–131 Demokratie  339, 341–342 Demokrit  92, 311 Aristoteles’ Sicht auf   34, 93 Theorien 93–94 Descartes, René  387–388, 399 Diogenes Laertius, Darstellung des Aristotles  19 Diogenes von Apollonia  76

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Driesch, Hans  179, 388 Einhorn (onos Indikos oder oryx) 63 Eisvogel 260 Elefanten  55, 114 »Nase« von  153–154 Elemente  39, 92, 94, 106, 175–176, 180, 183–184, 262–263, 384 Ellis, John  301 Embryogenese  208, 212, 235, 315, 389 Deutung in der Renaissance  220 Geschlechtsbestimmung und genetische Vererbung  235–237 Empedokles Geschlechtsbestimmung und genetische Vererbung  236 Kosmos, Sicht auf   95 »Liebe und Streit«  95–96 Reinigungen 32 Metabolismus-Theorie 183 Über die Natur 32 Entstehung der Arten (Darwin, C.) Entstehung der Tiere, Über die (Aristoteles)  200, 312 Befruchtung und Erwerb der Seele  207–211 Bienen, Entstehung   270–271 Embryo, Ernährung  373–374 Feigen, Bezug auf   265–266 Geschlechtsverkehr und Lust  205–206 Mensch, Merkmale  332 »Stufenleiter der Natur«  299 Entstehung des Staates  336, 339–340 Epigenese 220 Epikur 91 Ernährung  123, 162, 165, 167–168, 180–181, 184, 186 »Erscheinungen« (phainomena)  54, 146, 357 »erstes Element«, Sicht auf   191, 357 Evolution  97, 100, 129, 144, 152, 203, 227–228, 287, 295–296 Experimente, Debatte über  389–393 Familienhaushalt und soziale Strukturen  336 Feigen 265–268 Feigenwespen 247 finale Ursache, siehe Zweckursache Fische Befruchtung und Rogen  201–203 Embryos  213, 280 Knochen und Knorpel  124, 126, 141–142, 303 Knorpelfische  86–88, 145, 348 Laichen  261, 279 Lauterzeugung 57 Sexualität, siehe auch Aale  209, 248–249

register Verhalten  58, 82–83, 280–281 Wanderungen 404 Form (eidos) Aristoteles’ Sicht auf   104–106 Platons Sicht auf   104–106 Fossilien frühe Kenntnis  316–317 Frauen, Aristoteles’ Sicht auf   205–206, 330 Galle 163 Gasparrini, Guglielmo  267 Genitalien männliche 203–205 weibliche 205 Geoffroy Saint–Hilaire, Étienne  303 Cuvier, G., Auseinandersetzung mit  303–304 Einheit des Bauplans  303 Kompensationsgesetz 306–307 Philosophie anatomique 303 Teratologie, Begründung der  303 Geometrie der Lebewesen  123, 125, 329–330 gés entera (Erdwurm, »Eingeweide der Erde«)  249, 312 Geschlechtsbestimmung und genetische Vererbung siehe Vererbung Geschlechtsunterschiede 330–331 Geschlechtsverkehr und Lust, Ansichten über  206 Gesner, Konrad  115 Glaukon, Ansichten von  37–38 Glatthai, Grauer  55, 86–88, 213, 312 Gott 362–368 Greek Birds, Glossary of (Thompson, D. W.)  25 Greek Fishes (Thompson, D. W.)  26 Grundel (Fisch)  28 Halieutica Oppian der Fischfang (Oppian)  171 Harvey, William  220–221, 383 Herakleia (Herodoros von Herakleias)  66 Heraklit 32 Hermias (Tyrann von Assos)  41, 45 Tod 68 Herodoros von Herakleias, Herakleia Herodot als Informationsquelle für Aristotles  63–64 Arion, Geschichte von  129 Herz bei anderen Lebewesen  74, 124, 185–186 beim Menschen  59–60, 74, 76–79, 186, 190 Funktion  193–194, 329

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Hesiod 31 Aristoteles’ Analyse seiner Theorien  32 Heuschreckenkrebs 90 Himmel, Über den (Aristoteles)  248, 354 Himmelskörper 357–358 Kosmos, Sicht auf   354 Himmelskörper, Sicht auf   356–360 Heavenly Emporium of Benevolent Knowledge (Borges, J. L.)  120 Hippokrates 33 Corpus Hippocraticum  33, 234 genetische Vererbung, Sicht auf   234 Hirsch Geweih 164–165 Lebensdauer 276–277 Rot 138 Zähne  134, 144 Historia animalium (Aristoteles) 28 Aale 248–249 Alexander der Große, als Informationsquelle  61–62 Analoga 124–126 Anatomie, menschliche  75–79, 193–194 »Arten«, Unterschiede zwischen  122–123 Beschreibung und Hintergrund der HA 54–57 Bewegung der Tiere, Über die  101 Chamäleon 59–60 Delfine  129–131 Diogenes von Apollonia, Zitate  76 Elefanten  55, 114, 153–154 Embryo, menschlicher, Studium  199–200 Feigen 265–268 Fische 57–58 Fortpflanzungsbiologie  204 Geometrie der Lebewesen  123–125 Geschlechtsverkehr und Lust  206 Glatthai, Grauer  86–88 »gleichförmige« Teile  160–161 Gleichgewicht der Natur und Konflikt zwischen Lebewesen  349–350 Herodot, als Informationsquelle  63–64 hieroskopische Texte  55 Honig und Honigbienen, Bezug auf   268–274 Hyänen 66–67 »Intelligenz« 98–99 Kehldeckel, Funktion  162 Klassifikation von Tieren  127–129 Ktesias von Knidos, als Informationsquelle  63–64 Lang und Kurzlebigkeit, Über (De longitudine et brevitate vitae) (Aristoteles) 108, 180, 282, 384, 401, 439 Löwen 65

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Milz, Funktion  162 Mythen und Märchen  56 Natur und Effizienz  165–166 Papierboot  84, 119 Pflanzen  124 Polybos von Kos, Zitate  76 Pyrrha (Lagune), Lesbos  26, 28–29, 404 Quellen, hinzugezogene  55 Exaktheit? 81 Säugetiere 60 Schnecken und Muscheln  13–15 Schwalben, Bezug auf   477 Seeigel, Lanzenseeigel  159–161 Seeigel, Steinseeigel, essbar  80 Specht, Mittelspecht  80 Struktur und Aufbau der HA  133–135 Syennesis von Zypern, Zitate 63 Teile der Tiere, Über die (De partibus animalium)  101–102, 105, 114, 131, 142, 152, 332 Theodorus Gaza, Übersetzung der HA 113 Thompson, D. W. Übersetzung der HA 25 Tintenfisch  20–21, 73–75, 172 Vögel und Klassifikation  151–152, 158 Wels 82–84 Wiederkäuer, Mägen  134 Wintergoldhähnchen 151 Zähne 95–96 Historia animalium (Gesner, K.)  115 Hitze, Auffassung von  184 Huhn, Fortpflanzung und Embryologie  213–214 Hyäne 66–67 Illias  62, 250, 344 Insekten  185–186, 210–211, 247, 250, 274, 283, 303 Feigenwespen 247 siehe auch Bienen Zikaden  256, 279 Ischomachos 334 Jaeger, Werner  372 Jost, Alfred  237 Jugend und Alter, Leben und Tod, Über die (De juventute et senectute, vita et morte, inkl. De Respiratione) (Aristoteles)  108, 180, 285, 384, 401 Kallisthenes von Olynth  67–69 Kamel  145, 201–202 Kehldeckel 162 Klassifikation von Tieren  127–129

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Cuvier, G., Sicht auf   303 Geoffroy Saint–Hilaire, É., Sicht auf   303 Hierarchien 120–121 Le règne animal (Cuvier, G.)  303 natürliches Klassifikationssystem (Darwin, C.)  309 Klassifikation von Verfassungen  120, 342 Klein, Jacob Theodor  80 Kolibri  111, 306 Kompensationsgesetz 306–307 Koralle, Edelkoralle  293 Kosmos, Sicht auf   354 Gleichgewicht der Natur  351 geometrisches Modell (Aristoteles)  365 kosmische Teleologie  352 kosmische Veränderung  354 Platons Sicht  347 Kreuzungen 314 Ktesias von Knidos  63 Kuhn, Thomas  248 Kybernetik 194–195 Le règne animal (Cuvier, G.)  303 La végétation de l’île de Lesbos (Cantartzis, P. C.)  27 Lang und Kurzlebigkeit, Über (De longitudine et brevitate vitae) (Aristoteles)  108, 180, 282, 384, 401, 439 Leake, William Martin  43 Leben im Luxus (Archestratos von Gela)  30 Lebensdauer, Tiere  282–283 Lebensgeschichte, Tiere  274–281 Leeuwenhoek, Antonie van  250–252 Lesbos Aristoteles, Umzug nach  45 Beschreibung durch Longos  288 Beschreibung von  26–28 Besuch der Insel heute  47 Eresos  45, 318 Fossilien, Existenz von  317–318 Kolpos Kalloni, siehe auch Pyrrha, Lagune  27, 47–48, 406 Mithymna 159 Mytilini 47 Olympos, Berg  27 Potamiá–Tal  225, 227 Pyrrha, Lagune  26, 28–29, 404 Salzpfannen 27 Skala Kalonnis  291 Skamanoudi 118 versteinerter Wald  318–319 »Vogelwinde« 151

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Vouváris (Fluss)  151, 251, 279, 288, 344 Vrisa 318

Leukipp 93 Linné, C. von Aristoteles’ Einfluss  298–299 Hybridismus 314 »Stufenleiter der Natur«  299 Systema naturae  300 Löwen 65 Lungen  57, 124, 185, 193, 285 Lyzeum (Athen) Apollon Lykeios, Heiligtum  16 Aristoteles’ Schule am  16, 18, 371 Bibliothek am  372 Sulla, Verwüstung  16 Theophrastos, Leiter  377 Magnus, Albertus  299, 381–382 Maupertuis, Pierre–Louis Moreau de  242 Medawar, Peter  379, 384 mechanistische Theorien  387–388, 397–399 Mendel, G.  242 Mensch Anatomie  75–79, 193–195 Embryo, Studium des  199 Geschlechterunterschiede 330–331 Hände, Bedeutung  332 Merkmale 331–332 sexuelle Begierde  205–207 menschliche Anatomie  75–79, 193–194 Herz  77–79, 193–194, 329 Sektion 75 Menstruationsflüssigkeit (siehe auch Windeier)  201–202, 206, 208–209, 216, 220, 235, 238, 331 Metaphysik (Aristoteles)  31, 46, 52, 106, 121, 314, 407 altruistische Tierarten  347–348 Gott und Religion, Sicht auf   362–368 Hesiod, Analyse der Theorien  32 Kosmos, Sicht auf   354 Thales von Milet, Analyse der Theorien  31–32 Theorien und Vorstellungen  52–54 Metabolismus-Theorie  181, 184–185 –Wachstum und Transformation  182 Meteorologie (Aristoteles) 263 Milz, Funktion  162 Müller, Heinrich  84 Murex (Schnecke)  191, 217

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Muskeln  191, 217 Mutationen (lysis)  241, 315, siehe auch Atavismen/Rückfall auf ancestrale Stadien Nasen, Vererbung von  153, 238–241 Natur, Gleichgewicht der 349–350 Natural Theology (Paley, W.)  99 Argument vom Plan  100 Naturales quaestiones (Naturwissenschaftliche Untersuchungen) (Seneca der Jüngere)  31 Naturalis dispositio echinodermatum (Klein, J. T.)  80 Naturalis historia (Plinius der Ältere)  114 Elefanten 114 Naturen  35, 89, 101, 319, 384 Naturen, formal  89, 106, 319, 323 Naturen, materiell  161, 230 Naturgeschichte der Gewächse (Theophrastos) 293,318 Natural History Museum (London), Vogelsaal  111–112 Natürliche Auslese  96–97, 353 Aristoteles’ Ansicht über  296 Nematoden (Embryogenese)  221, 252, 309 Nikomachische Ethik (Aristoteles)  146, 367 Gleichgewicht der Natur  351 Novum organum (Bacon, F.)  386 Odysseus (Pelikan)  391 Ogle, William  297–298, 322 Ökologie  334, 344–350 Ökonomie des Körpers  164–168, 277, 281 Haushalts  164–168, 346 Oktopus  81, 85–86, 140–141 Olympos, Berg (Lesbos)  27 On Growth and Form (Über Wachstum und Form) (Thompson)  25, 397 Ontogenese, Tierarten  274 lebensgeschichtliche Merkmale und Variationen  277–278 Oppian 171 Organe (»instrumentelle Teile«)  152–153 Organon 152 Orgasmus 205–206 Paley, William  99 Palsson, B. Ø.  196 Pangenesis 234 Papadatos, George (Buchhandlung)  13 Papierboot  84, 119 Perfektion siehe »Vollkommenheit« Pflanzen und Blumen Feigen 265–268 Lebensdauer, Vielfalt  283–284

register saisonales Wachstum  265–266 Studium, siehe »Theophrastos« Transformismus 319–321 Phaidon (Platon) Seele, Definition  174–177 Philipp II. von Makedonien  40, 61 Physik (Aristoteles)  95, 199 Buch II  253, 264, 297 kosmische Veränderung  354 physiologoi 30–32 Anaxagoras  100, 236 Ansichten und Theorien  32 Sokrates Sicht auf   35 Platon Akademie 34,36 Aristoteles an der Akademie  34 Definition und Verstehen  121 Entstehung der Lebewesen  38–39 Formen und Ontologie  103 intelligente Entwürfe  99–100 mathematische Beweisführung  39 Politeia  37, 41, 174, 343 Schriften (erwähnte)  440 Seele, Definition  174 Sokrates, Schriften über  36–37 Timaios  38–39, 77, 100–103, 299, 312, 316, 330, 347, 358 Plinius der Ältere Naturalis historia  61–62, 114 Plutarch, Aristotles, Unterrichtung Alexanders des Großen  62 Pneuma  191, 193 Befruchtung und Erwerb der Seele  211 Politeia (Platon) Eugenik 230–231 Seele, Definition  174 Politik (Aristoteles) Demokratie und Entstehung des Staates  336, 339–340 Familienhaushalt und soziale Strukturen  336 Gleichgewicht der Natur  351 Klassifikation von Staaten   342 Politik I (Aristoteles) 335 Politik III (Aristoteles)  120 Polybos von Kos  76 Pomponazzi, Pietro  382 Popper, Karl  108 porphyra (Schnecke), siehe Murex 246 Präformation  221, 241 Probleme (aristotelischer Text?)  254

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Pyrrha, Lagune (Lesbos)  26, 28–29, 404 Historia animalium (Aristoteles)  28 Redi, Francesco  250 Regeneration  275, 284 Reinigungen (Empedokles)  32 Religion 363 Metaphysik (Aristoteles) 364 Metaphysik (l, 10)  347, 360 Struktur der  362–368 Reproduktionsbiologie Frauen und Lust  205–206 Geschlechtsverkehr und Lust  205–206 männliche Genitalien  203–205 weibliche Genitalien  205 Ressourcenverteilung  278, 166 Royal Society  301 Salzpfannen (Lesbos)  27 Sappho 91 Sardinen  126, 253, 258, 279, 348 Säugetiere  55, 57, 76, 80, 131, 151, 162, 202, 276 Schafe auf Lesbos  225 Biogeografie  225 Syrisches, Fettschwanz-  224, 226 Schildkröte, Landschildkröte  185–193, 202 Schnecken und Muscheln Historia animalium (Aristoteles) 13–15 Sammeln 14 Schwalbe (Vogel)  477 Schwämme 292–293 Ellis, John, Sicht auf   301 Schwein (Füße)  133 Schwertträger (Fisch)  308 Seeigel Seeigel, Lanzenseeigel  159–161 Seeigel, Steinseeigel, essbar  80 Seele, Definition 174–177 Aristoteles’ Sicht auf   174–177 Deutung von Aristoteles’ Sichtweise  177–178 »erklärende Ursachen« bei Aristoteles  177–178 Funktionen 180–181 Herz, Funktion  193–194 Kybernetik 194–195 nährende Seele  181, 185, 193–194, 209, 219, 242, 286, 351 Phaidon (Platon)  174 Politeia (Platon)  174

register pneuma  191, 193 Seele, Über die (Aristoteles) 174 sensitive Seele  180, 182,188 Struktur  180–181, 185 Vitalismus 195 Vivisektion 186 Seele, Über die (Aristoteles)  174, 363–364 Seenadel 208 Seepferdchen  290, 292 Seneca der Jüngere, Naturales quaestiones  31 Simplikios 95 Sinne und Sinnesübertragung  187–190 Sklaven  76, 164, 336–339 Sokrates Augenlider 99 Ciceros Sicht auf   36 Hintergrund und Ansichten  35, 37 physiologoi, und ihre Ansichten  30 Platons Schriften über  35 Xenophons Sicht auf   35 Specht 80 Speusippos Aristoteles, Unterrichtung des  36 Platons Akademie  40 spontane Erzeugung, Tiere Aristoteles’ Sicht auf   247–249 Infragestellung 250–251 Leeuwenhoek, Antonie van  250–251 Steckmuschel  14, 245, 294 Krebs  328, 347 Stensen, Niels  88 Stichling, Dreistachliger  141–142 »Stufenleiter der Natur«  299 sublunare Welt, Konzept  262–263 Substanz, Wesen (ousia) siehe »Wesen«  157, 177 Sulla (römischer Feldherr) Plünderung der Bibliothek, Piräus  17 Verwüstung des Lyzeums  16 Syennesis von Zypern  76 syllogistische Beweisführung  140–143 angewandt auf Evolution des Stichlings  141–143 Systema naturae (Linné, C. von)  116, 298 Taube  18, 200, 203, 227–228, 275, 278 Taumel–Lolch 320–321 Taxonomie, Anfänge  116–119, 132–133 Aristoteles’ Sicht auf   295–296, 330 Klassifikationshierarchien  120–121

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Linnés Einflüsse  298–299 »Volkstaxonomien« 118–119 Teile der Tiere, Über die (De partibus animalium) (Aristoteles)  101–102, 105, 315, 343, 439 Elefanten 114 Hörner, Position  164 Merkmale des Menschen  332 Vögel 152 wissenschaftliche Methode  142 teleologische Erklärungen  99 Aristoteles’ Sicht auf   101–103 Teratologie  233, 315 Thales von Milet  31 Aristoteles’ Analyse der Theorien  31–32 Theodorus Gaza  113 Theophrastos 45 Charaktere  46 Edelkoralle, Bezug auf   293 erbliche Variation, Sicht auf   231–232 Feigen, Bezug auf   265–266 Fossilien, Kenntnis?  319 Kultivare, Unterschiede zwischen  319–320 Lyzeum (Athen)  377 Naturgeschichte der Gewächse (Historia plantarum) Pflanzen, saisonaler Wuchs  264–265 Pflanzentransformismus  319–212 Schriften (erwähnte)  440 Über die Steine (De lapidibus)  317 Über die Ursachen der Pflanzen (De causis plantarum)  46 Wetter und saisonale Variation  279 Thompson, D’Arcy Wentworth  13, 45, 88, 397 Greek Fishes 26 Historia animalium (Aristoteles), Übersetzung  25 Thunfisch  259–260 Tiger 63 Timaios, Der (Platon)  38–39, 312, 330 Formen und Ontologie  103 Himmelskörper 358 intelligente Entwürfe  100–101 Kosmos, Sicht auf   347 »Stufenleiter der Natur«  299 Tintenfisch  20–21, 153–154 Eier und Embryologie  170–173 Sektion 73–74 Transmutation Notebooks (Darwin, C.)  227–228, 297 Tritonschnecke (kéryx)  12, 245 Tukotuko 403

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Über den Himmel (De caelo) (Aristoteles)  248, 373, 439 Über die Bewegung der Tiere (De motu animalium) (Aristotles)  101, 180, 191, 218, 439 Über die Jugend und Alter, Leben und Tod (De juventute et senectute, vita et morte, inkl. De Respiratione) (Aristoteles)  108, 150, 285, 384, 401, 439 Über die Natur (Aristoteles)  91 Über die Natur (Empedokles)  32 Über die Natur (andere Autoren)  91 Über die Steine (De lapidibus) (Theophrastos)  317, 440 Über die Teile der Tiere (De partibus animalium) (Aristotles)  101–102, 105, 315, 342, 439 Über die Ursachen der Pflanzen (De causis plantarum) (Theophrastos)  46, 440 Über Entstehen und Vergehen (De generatione animalium) (Aristoteles)  360 Vérany, Jean–Baptiste  84 Vererbung 236 Atavismen/Rückfall auf ancestrale Stadien  242 Corpus Hippocraticum 234 Epistasis 308 Geschlechtsbestimmung 235–237 Pangenesis 234 partikuläre kontra Mischvererbung  239 Pleiotropie 309 vererbte Merkmale  238–239 Verhalten, Tiere  333–335 »vier Ursachen«  107–108 Vitalismus 195 Vivisektion 186 Vögel funktionale Anatomie  152 Klassifikation durch Aristoteles  151 »primitive Eigenschaften«  157 Verdauungstrakt 157–158 »Vollkommenheit« 329 des Nachwuchses  274–275, 299, 329, 433, 469, 477, 482 von Erwachsenen  274–275, 299–302, 329–333 von Siebold, Karl Theodor Ernst  85 Voyage pittoresque de la Grèce (Choiseul–Gouffier)  43 Wale  54, 131 Wanderungen und jahreszeitlich bedingtes Verhalten von Tieren  260–261 Watts, Isaac  92 Weizen  231, 319–320, 391, 472, 484 Wels 82–84 Wesen, Substanz (ousia) siehe »Substanz«  175, 177 Wiedehopf (Vogel)  55, 111, 150 Wiederkäuer, Mägen  134 Wiener, Norbert  194 Windeier 208–209 wissenschaftliche Methode und syllogistische Beweisführung  140–143, 148

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Wolff, Christian  99 Xenophanes von Kolophon  32 Fossilien, Kenntnis?  317 Xenophon Honig und Honigbienen, Bezug auf   334 Oikonomikos 334 Sokrates, Sicht auf   35 Zähne 96–97 Zebrakärpfling  28 Zikaden  256, 279 Zistrose 24 Zitterrochen  86, 154 Zweckursache 400 Zweite Analytik (Analytica posteriora) (Aristotles)  121, 140, 142, 144, 146, 156, 374, 439 Zyklen, elementare  262–264 Zyklen, geologische  263 Zyklen, Lebens-  250–252