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German Pages 212 [213] Year 2013
Das Gesetzesverständnis Jesu im Lukasevangelium
Europäische Hochschulschriften European University Studies Publications Universitaires Européennes
Reihe XXIII Theologie Series X XIII
Theology
Série X XIII
Théologie
Band /Volume 939
Chung-Yeon Kim
Das Gesetzesverständnis Jesu im Lukasevangelium
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISSN 0721-3409 ISBN 978-3-631-64498-0 E-ISBN 978-3-653-03383-0 DOI 10.3726/ 978-3-653-03383-0 © Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften Frankfurt am Main 2013 Alle Rechte vorbehalten. PL Academic Research ist ein Imprint der Peter Lang GmbH Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. www.peterlang.de
Meiner Mutter Chang-Soon Yoon, meinem Bruder Sang-Nyung Kim und meiner Muttergemeinde Bethany in Seoul (Rev. Dr. Ju-Hwan Kwak). Ohne ihre Liebe und Unterstützungen hätte ich diese Arbeit nicht fertig schreiben können.
Inhalt
A. Einführung................................................................................................. 1. Inhaltliche Frage.................................................................................... 2. Forschungspositionen seit H. Conzelmann ........................................... 2.1 Das Gesetz ist von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr gültig ............................................................................................... 2.2 Lukas hat kein Interesse am Gesetz ................................................ 2.3 Das Gesetz ist ewig gültig............................................................... 2.4 Vorgehensweise in dieser Arbeit ..................................................... 3. Vorbemerkungen zur Terminologie ...................................................... 3.1 Tora (hr'At) ....................................................................................... 3.2 Tora (hr'At ) im Frühjudentum......................................................... 3.3 no,moj im Neuen Testament .......................................................... 3.4 Was bezeichnet das Wort nÒmoj im Lukasevangelium?................. 4. Das Gesetzesverständnis Jesu in den synoptischen Evangelien ........... 4.1 Das Gesetzesverständnis Jesu im Markusevangelium (Überblick) 4.2 Das Gesetzesverständnis Jesu im Matthäusevangelium (Überblick) ......................................................................................
11 11 15 16 20 24 29 29 30 33 35 39 40 40 44
B. Das Gesetz und die Kindheit Jesu nach Lk 1-2.........................................
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C. Das Gesetz und die Heilung ...................................................................... 1. Die Heilung eines Aussätzigen: Lk 5,12-16.......................................... 1.1 Übersetzung .................................................................................... 1.2 Struktur und Inhalt .......................................................................... 1.3 Analyse ........................................................................................... • ... Sprachliche Besonderheiten in V. 12....................................... • kaqëj als die historische Erzählweise für die Geschichte .......... • kaqëj als Vergleichspartikel....................................................... • ... Sprachliche Besonderheiten in V. 16....................................... 1.4 Das Gesetzesverständnis Jesu in Lk 5,12-16 ..................................
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D. Jesus und das Sabbatgebot ........................................................................ 1. Das Ährenraufen am Sabbat: Lk 6,1-5 ..................................................
67 67
7
1.1 1.2 1.3 1.4
Übersetzung .................................................................................... 67 Struktur und Inhalt .......................................................................... 67 Analyse ............................................................................................ 68 Das Gesetzesverständnis Jesu im Lk 6,1-5...................................... 73 1.4.1 Aspekt .................................................................................... 73 1.4.2 Was lehrte Jesus? Darf man in der Not das Gesetz übertreten? ............................................................................. 76 2. Die Heilung der verdorrten Hand: Lk 6,6-11......................................... 77 2.1 Übersetzung .................................................................................... 77 2.2 Struktur und Inhalt .......................................................................... 78 2.3 Analyse ........................................................................................... 79 2.4 Das Gesetzesverständnis Jesu in Lk 6,6-11..................................... 84 2.4.1 Beschreibt Lukas eine Lehrszene?......................................... 85 2.4.2 Wenn man diese Geschichte als Lehrszene sieht, kann man die lukanische Konzeption erkennen ..................................... 87 2.4.3 Was ist die lukanische Lehrszene?......................................... 88 2.4.4 Was wollte Jesus lehren? ....................................................... 88 3. Die Heilung einer verkrümmten Frau: Lk 13,10-17.............................. 89 3.1 Übersetzung .................................................................................... 89 3.2 Struktur und Inhalt .......................................................................... 90 3.3 Analyse ........................................................................................... 92 3.4 Das Gesetzesverständnis Jesu im Lk 13,10-17................................ 98 4. Die Heilung eines Wassersüchtigen : Lk 14,1-6 ................................... 99 4.1 Übersetzung .................................................................................... 99 4.2 Struktur und Inhalt .......................................................................... 99 4.3 Analyse ........................................................................................... 101 4.4 Das Gesetzesverständnis Jesu im Lk 14,1-6 ................................... 105 4.5 Die Zusammenfassung von Lk 13,10-17 und 14,1-6...................... 106 E. Das Gesetz und das ewige Leben .............................................................. 1. Die Liebe als Heilsforderung: Lk 10,25-37........................................... 1.1 Übersetzung .................................................................................... 1.2 Struktur und Inhalt .......................................................................... 1.3 Analyse ........................................................................................... 1.4 Das Gesetzesverständnis in Lk 10,25-37......................................... 1.4.1 Wie kann man ewiges Leben ererben? .................................. 1.4.2 Was bedeutet es, das Gesetz zu befolgen?............................. 2. Die Frage nach dem ewigen Leben: Lk 18,18-30.................................. 2.1 Übersetzung .................................................................................... 2.2 Struktur und Inhalt .......................................................................... 8
111 111 111 112 113 122 122 123 125 125 126
2.3 Analyse ........................................................................................... 126 2.4 Das Gesetzesverständnis in Lk 18,18-30......................................... 137 2.4.1 Bezieht sich im Lukasevangelium »die Rettung« auf Jesus und »das ewige Leben« auf das Gesetz?................................ 140 F. Das Gesetz und das Reich Gottes ............................................................. 1. Das Gesetz und das Reich Gottes: Lk 16,14-18..................................... 1.1 Übersetzung .................................................................................... 1.2 Struktur und Inhalt .......................................................................... 1.3 Analyse ........................................................................................... 1.4 Das Gesetzesverständnis Jesu in Lk 16,14-18 ................................
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G. Das Gesetz und die Propheten .................................................................. 1. Die Erfüllung des Propheten: Lk 18,31-34............................................ 1.1 Übersetzung .................................................................................... 1.2 Struktur und Inhalt .......................................................................... 1.3 Analyse ........................................................................................... 1.4 Das Gesetzverständnis Jesu in Lk 18,31-34.................................... 2. Der Beweis durch das Gesetz: Lk 24,36-49........................................... 2.1 Übersetzung .................................................................................... 2.2 Struktur und Inhalt .......................................................................... 2.3 Analyse ........................................................................................... 2.4 Das Gesetzesverständnis in Lk 24,36-49.........................................
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H. Zum Gesetzesverständnis in der Apostelgeschichte ................................. 177 I. Schluss: Das Gesetzesverständnis Jesu im Lukasevangelium................... 1. Die lukanische Heilsgeschichte............................................................. 1.1 Die Zeit des Gesetzes und der Propheten und Johannes des Täufers............................................................................................. 1.2 Die Zeit der Verkündigung des Reiches Gottes.............................. 1.3 Die Zeit der Verkündigung des Namens Jesu ................................. 1.4 Die Zeit des Reiches Gottes ............................................................ 2. Das Gesetzesverständis Jesu im Lukasevangelium............................... 2.1 Das Gesetz als etwas, was erfüllt werden muss .............................. 2.2 Jesus respektiert die Funktion des Gesetzes ................................... 2.3 Jesus lehrt den wahren Sinn des Gesetzes ...................................... 3. Die Funktionen des Gesetzes.................................................................
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Literaturverzeichnis ....................................................................................... 197 9
A. Einführung
1. Inhaltliche Frage Es gibt zahlreiche Arbeiten zum Gesetzesverständnis im Markus- und ebenso im Matthäusevangelium. Bei Matthäus spielt vor allem die Auslegung der sogenannten „Antithesen“ in der Bergpredigt eine große Rolle, die Frage nach dem Gesetzesverständnis im Markusevangelium wird vor allem auf Grund der Sabbatüberlieferungen untersucht, wobei auffällt, dass der Begriff no,moj bei Mk nicht vorkommt. Thema der folgenden Untersuchung ist die Frage nach dem Gesetzesverständnis Jesu im Lukasevangelium: Welches Gesetzesverständnis zeigt sich im Jesusbild des Lukasevangeliums? In der Darstellung der Kindheit Jesu werden seine Eltern als ausgesprochen gesetzestreu geschildert. „Nach dem Gesetz des Mose“ bringen die Eltern Jesus nach Jerusalem (2,22). Sie wollen das Opfer darbringen, wie es geboten ist im Gesetz des Herrn (2,23). Sie handeln nach dem Gesetz und vollenden alles, was das Gesetz des Herrn fordert (2,39). Lukas beschreibt, dass sie nicht nur das Gesetz tun, sondern auch den Brauch des Festes einhalten: Sie gehen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest (2,41ff.). Es wird zu fragen sein, warum Lukas so oft betont darauf hinweist, dass Jesu Eltern gesetzestreu sind. Die gesetzestreue Haltung Jesu selber wird dann deutlich in der Versuchungsgeschichte Jesu (4,1ff.). Er antwortet auf die drei Versuchungen durch den Teufel jeweils mit Zitaten aus der Schrift: „Es steht geschrieben: ‚Der Mensch lebt nicht allein vom Brot‘ (Dtn 8,3)“. „Es steht geschrieben: ‚Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.‘ (Dtn 6,13).“ „Es ist gesagt: ‚Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht versuchen‘ (Dtn 6,16)“ So zeigt Jesus, dass er gegen die Versuchung durch den Teufel gesetzestreu bleiben will, und dass das Gesetz für ihn ein Maßstab seines Denkens und Handelns ist. In der Erzählung von der Heilung eines Aussätzigen (5,12-16) heilt Jesus den Aussätzigen wie in den anderen synoptischen Evangelien (Mt 8,1-4; Mk 1,4045). Aber in der Anweisung an den Geheilten, sich dem Priester zu zeigen entsprechend der Weisung des Mose, steht bei Lukas anders als in den anderen synoptischen Evangelien das Wort kaqw.j (V. 14: kai. auvto.j parh,ggeilen auvtw/| mhdeni. eivpei/n( avlla. avpelqw.n dei/xon seauto.n tw/| i`erei/ kai. prose,negke peri. tou/ kaqarismou/ sou kaqw.j prose,taxen Mwu?sh/j( eivj martu,rion auvtoi/jÅ). Welche 11
Bedeutung hat das Wort kaqw.j hier und sonst im ganzen Lukasevangelium? Was kann man aus diesem Wort in Bezug auf das lukanische Gesetzesverständnis ableiten? Jesus stößt mit seinen Gegnern und den Vertretern der jüdischen Tradition zusammen, z.B. über Fragen, die den Sabbat, das ewige Leben und das Reich Gottes betreffen. In Lk 6,1-5 geht es um den Sabbatkonflikt: An einem Sabbat gehen Jesus und seine Jünger durch ein Kornfeld und die Jünger raufen Ähren aus und zerreiben sie mit den Händen und essen. Das ist eine Mahlarbeit; anders als Matthäus berichtet Lukas nicht, dass sie hungrig waren (Mt 12,1). Sie rauften einfach die Ähren aus, zerrieben und aßen sie. Das ist für Pharisäer nicht akzeptabel (Lk 6,2). Aber Jesus sagt zu ihnen: „Der Menschensohn ist ein Herr über den Sabbat“ (Lk 6,5). Was bedeutet das? Wer kann der „Menschensohn“ hier sein? Ist es Jesus, oder ist es allgemein „der Mensch“? Lukas hat den Satz „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“ (Mk 2,27) aus seiner Vorlage weggelassen. Es wird diskutiert, ob Lukas (und auch Matthäus) von sich aus dieses Jesus-Wort weggelassen hat, oder ob es schon vor Lukas (bzw. Matthäus) von „einem unbekannten Redaktor“ aus dem Mk-Text gestrichen wurde.1 Wenn die Annahme richtig ist, dass Lukas (und Matthäus) das Wort Jesu aus „sachlich theologischen Gründen“ weggelassen haben2, so ist zu fragen: Warum lässt Lukas es weg? Welche Gründe gibt es dafür? Das muss geklärt werden. Außerdem geht es um die Frage, welche positive Bedeutung der Sabbat im Kontext des Lukasevangeliums hat. Auch in der unmittelbar folgenden Erzählung geht es um den Sabbat (6,6-11): Jesus heilt am Sabbat einen Menschen, dessen rechte Hand verdorrt war. Die vorangegangene Szene bietet ein Motiv für seine Gegner, ihm aufzulauern. Obwohl Jesus deren Absicht bemerkt, tut er was er will. Bevor Jesus den Menschen heilt, stellt er ihnen die Frage: „Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses, Leben zu erhalten oder zu vernichten?“ (6,9). Welcher Tag ist der Sabbat für Jesus? Was sollte man am Sabbat tun? Danach kommen die Berufung der zwölf Apostel (6,12-19) und die sogenannte „kleine Einschaltung“ aus Q-Stoff und Sondergut. Anschließend folgt Lukas (8,4-9,50) wieder der Mk-Vorlage (4,1-9,41); er lässt aber dabei den ganzen Abschnitt Mk 6,45-8,26 aus, und damit fehlt bei ihm auch die Diskussion des typisch jüdischen Themas „rein und unrein“ (Mk 7,1-23). Warum fehlt dieser Abschnitt bei Lukas? Hatte er kein Interesse an einer Auseinandersetzung um kultische Fragen?
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Aichinger, H., Quellenkritische Untersuchung, 146. Lindemann, A., Der Sabbat, 82.
Zu 9,51-18,14 gibt es keine Mk-Parallele; daher nennt man ihn „große Einschaltung“. Die Erzählung vom barmherzigen Samariter (10,25-37) gehört in diesen Abschnitt: Ein Schriftgelehrter stellt Jesus die Frage, was er tun muss, damit er das ewige Leben ererbt (V. 25). Jesus antwortet darauf mit dem Hinweis auf das Gesetz: „Was steht im Gesetz geschrieben?“ (V. 26). Was ist das Gesetz für Jesus? Welche Beziehung gibt es zwischen dem Gesetz und dem ewigen Leben? Was bedeutet es, das Gesetz zu halten? In Lk 13,10-17 folgt ein weiterer, der dritte Sabbatkonflikt: Jesus heilt eine verkrümmte Frau am Sabbat in der Synagoge. Hier handelt Jesus nicht nur als Arzt, sondern auch als Kritiker; denn er heilt die verkrümmte Frau und übt zugleich Kritik an den Pharisäern, indem er ihnen Heuchelei vorwirft. Der Vorwurf ist, dass sie am Sabbat ihre Tiere von der Krippe losbinden und zur Tränke führen, und dass sie trotzdem jetzt unwillig darüber sind, dass Jesus am Sabbat einen Menschen heilt. Ihr Verhalten ist für Jesus heuchlerisch. In Lk 14,1-6 kommt zum letzten Mal ein Sabbatkonflikt vor: Jesus heilt einen Wassersüchtigen am Sabbat. Hier kritisiert Jesus noch mal den Widerspruch seiner Gegner; sie werden sicherlich ihren Sohn oder ihren Ochsen, der in den Brunnen fällt, alsbald herausziehen, auch am Sabbat. Was wollte Lukas durch diese Sabbatheilungen betonen und lehren? Die nächste für die Frage nach dem Gesetzesverständnis Jesu bei Lukas wichtige Szene ist Lk 16,14-18. Jesus unterhält sich mit den Pharisäern. Die Pharisäer spotten über ihn und seine Lehre. Jesus kritisiert wieder ihre widersprüchlichen Herzen. Danach gibt er eine wichtige Information zu seinem Gesetzesverständnis: „Das Gesetz und die Propheten reichen bis zu Johannes. Von da an wird das Evangelium vom Reich Gottes gepredigt, und jedermann drängt sich mit Gewalt hinein. Es ist aber leichter, dass Himmel und Erde vergehen, als dass ein Tüpfelchen vom Gesetz fällt.“ Für H. Conzelmann war Lk 16,16 ein Schlüsselsatz lukanischer Theologie. Seiner Meinung nach wollte Lukas mit der heilsgeschichtlichen Konzeption für seine Gemeinde eine neue Orientierung in Bezug auf Zeit und Geschichte vermitteln. Die Epoche des Gesetzes und der Propheten reicht bis zu Johannes dem Täufer und mit dem Auftritt Jesu beginnt eine neue Epoche, nämlich ‚die Mitte der Zeit‘. Welche Bedeutung hatte das Gesetz für Lukas? War das Gesetz wirklich etwas Altes?3 Betrachtet der lukanische Jesus das Gesetz wirklich für überholt?4
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Vgl. Smend, R., Luz, U., Gesetz, 131-134. Vgl. Jervell, J., The Law, 1972. Für J. Jervell hat Lukas die stärkste konservative Position zum Gesetz im NT. : „For Luke it is impossible that the law should be abrogated, replaced, or conceived as an epoch“ (s.145); Vgl. Turner, M.M.B., The Sabbath,110; „The law’s eternal validity is certainly maintained, despite the dawning of the new age, but it has been transcended and
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In der nächsten Szene, Lk 18,18-30, geht es wieder um das ewige Leben: Ein Oberster (a;rcwn) stellt Jesus die Frage, was er tun muss, damit er das ewige Leben ererbt (Lk 18,18: ti, poih,saj zwh.n aivw,nion klhronomh,swÈ). Jesus antwortet auch auf diese Frage mit dem Hinweis auf das Gesetz (V. 20). Obwohl der a;rcwn alles gehalten hat, sagt Jesus zu ihm, dass ihm etwas fehlt. Was will Jesus von ihm noch mehr fordern? Meint Jesus, dass dem Gesetz etwas fehlt? Die von dem a;rcwn gestellte Frage ist dieselbe wie die des Schriftgelehrten in Lk 10,25. Warum stellt Lukas dieselbe Frage auch hier? Auffallend ist, dass das Thema dann wechselt, von der Frage nach dem ewigen Leben zur Frage nach der Rettung: Hörer fragen, wer dann gerettet werden kann (18,26). Jesus antwortet, dass das dem Menschen Unmögliche bei Gott möglich sei (18,27). Was bedeutet das? Welche Beziehung gibt es zwischen Gesetz, ewigem Leben und Heil? In der dritten Ankündigung von Jesu Leiden und Auferstehung (Lk 18,31-34) spricht Jesus von dem, was „geschrieben ist durch die Propheten“; das Wort nÒmoj kommt hier nicht vor. An anderen Stellen stehen aber „Gesetz“ und „Propheten“ nebeneinander. Auf die Propheten wird von Lukas oft verwiesen, wenn er ein Geschehen besonders mit Hilfe alttestamentlicher Zitate erklären möchte. In 18,31 schreibt Lk anders als Mt und Mk extra: „Es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.“ Warum fügt Lukas diese Aussage hinzu? Lukas wollte vielleicht noch stärker betonen, was man bei Mt und Mk leicht übersehen kann, dass das Leiden Jesu schon von den Propheten vorhergesagt wurde. Welche Bedeutung hat der Hinweis auf die Propheten in dieser Perikope? In der Emmaus-Erzählung Lk 24,13-35 spricht der zunächst unerkannte Jesus von dem, was „in allen Schriften“ über ihn geschrieben steht, „angefangen von Mose und von allen Propheten“ (V. 27). In Lk 24,36-49 gibt sich der auferstandene Jesus seinen Jüngern zu erkennen. Dazu verweist er zuerst auf seinen Körper (V. 39); aber sie glauben noch nicht (V. 41). Dann argumentiert Jesus mit dem Hinweis auf die Schrift, und er verwendet dabei die drei Begriffe „das Gesetz des Mose“, „die Propheten“ und „die Psalmen“, die das Ganze der Heiligen Schriften ausmachen. Jesus ist auferstanden vom Tod, und er zeigt mit seinem Körper, wer er ist. Dann aber spricht er von „Gesetz, Propheten und Psalmen“. In welcher Beziehung stehen diese zu Jesus? Im Markusevangelium wird Jesus in Bezug auf das Gesetz als ‚Gesetzeskritiker‘ dargestellt. Denn Markus konzentriert sich bei der Gesetzesfrage fast ausschließlich auf die gesetzeskritische Seite der Verkündigung Jesu. In der Tat kommen Jesusüberlieferungen wie die das Gesetz verschärfenden Antithesen changed by being sucked up into the powerful vortex of Jesus’ messianic teaching and demands“.
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und judenchristliche Sonderüberlieferungen, wie sie sich im Matthäusevangelium finden, bei Markus nicht vor. Die Aussage in Mt 5,17-20 »Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und die Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht. Wer nun eine von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich. Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.« ist als ein Schlüsseltext für die Gesetzesfrage im Matthäusevangelium bekannt; Jesus kritisiert zwar die Praxis der Schriftgelehrten und Pharisäer, aber es gibt keine Aussage, die sich gegen das AT richtet. Matthäus stellt Jesus in seinem Evangelium also als ‚Gesetzesinterpret‘ dar, besonders in der Bergpredigt; aber wie wird Jesus in dieser Hinsicht im Lukasevangelium dargestellt?
2. Forschungspositionen seit H. Conzelmann H. Conzelmann hat als erster die redaktionsgeschichtliche Interpretation des Lukasevangeliums vorgenommen, wobei die Frage nach dem Gesetzesverständnis eine bedeutende Rolle spielt. Im Anschluss an die Darstellung der Interpretation Conzelmanns werde ich fragen, wie die lukanische Theologie und insbesondere das Gesetzesverständnis von nachfolgenden Forschern wahrgenommen wurde und wird. Inhaltlich sind drei unterschiedliche Positionen zu erkennen: 1. Das Gesetz ist von einem bestimmten Zeitpunkt an, seit Jesus, nicht mehr gültig. 2. Lukas hat keinerlei Interesse am Gesetz, d.h. er vertritt keine konsequente Position zum Thema Gesetz. 3. Nach Lukas ist das Gesetz ewig gültig. Ich werde hier je drei wichtige Exegeten aus dem englischen und dem deutschen Raum für jede der drei genannten Gruppen untersuchen und vorstellen.
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2.1 Das Gesetz ist von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr gültig Nach H. Conzelmann versteht Lukas in seinem Doppelwerk die Geschichte als die Heilsgeschichte Gottes; Grund ist nach Conzelmann das Bewusstwerden des Ausbleibens der Parusie – an die Stelle der Naherwartung tritt das Konzept der Heilsgeschichte.5 Vor allem aufgrund der Aussage in Lk 16,16 hat Conzelmann die These entwickelt, dass Lukas die Geschichte Jesu als „die Mitte der Zeit“ schildert, die der Zeit des Gesetzes und der Propheten folgt und umgekehrt der Zeit der Kirche bzw. des Geistes vorausgeht.6 Lukas versteht, so meint Conzelmann, das Gesetz als Voraussetzung des Evangeliums, genauso wie er Israel als Voraussetzung für die erste Gemeinde und ihre Mission versteht. Das Gesetz ist daher nichts Ewiges oder „Zeitloses“, sondern es ist nur eine „heilsgeschichtliche Größe“.7 Lukas ordnet das Gesetz lediglich einer bestimmten Epoche zu; es ist dabei ein Bestandteil der Schrift, und die Schrift weist auf Christus, auf den Beginn des Heils hin.8 Die Epochen lösen sich ab, wobei es aber zwischen ihnen keinen Bruch gibt.9 Conzelmann hat sich für seine These vor allem auf den Satz in Lk 16,16 berufen, wonach „Gesetz und Propheten“ bis Johannes gehen und danach die Gottesherrschaft verkündigt wird. Aber Conzelmann hat keine genaue Interpretation jener Texte vorgenommen, die bei Lukas vom Gesetz sprechen. Eine Erörterung der von Lukas dargestellten Haltung Jesu gegenüber dem Gesetz findet sich bei Conzelmann ganz selten. Auch hat Conzelmann nicht hinreichend bedacht, dass Lk 16,16 nicht von Lukas selber verfasst worden ist, sondern aus der Logienquelle Q stammt (vgl. Mt 11,12-13). Deshalb ist es problematisch, die Aussage von Lk 16,16 als repräsentativen Schlüsseltext für das spezifisch lukanische Geschichts- und Gesetzesverständnis zu verwenden. H. Hübner erklärt in seinem Buch »Das Gesetz in der synoptischen Tradition«, dass Lukas selber kein Nomist ist, dass er aber die Tendenz hat, „antinomistische Spitzen aus dem Munde Jesu zu vermeiden“10. Lukas verstehe Jesus auf keinen Fall als denjenigen, der „die Vollmacht zur Außerkraftsetzung der Thora für sich beansprucht“ 11. Das Leben Jesu fange mit dem Wort kata. to.n 5 6 7 8 9 10 11
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Conzelmann, H., Die Mitte, 149ff, 185ff, 208f. Vgl. a.a.O. 9,140. A.a.O. 150. Ebd. A.a.O. 140: „Die drei Epochen stehen in Kontinuität. Das Wesen der einen hält sich in der anderen durch“; „Die Elemente der früheren bleiben“ (s.150). Hübner, H., Das Gesetz, 207. A.a.O. 208.
no,mon an (2,22), und die Ostergeschichte, nämlich das Sterben und Auferstehen Jesu, sei bei Lukas ausdrücklich mit dem Alten Testament verbunden. So lege Jesus den Emmaus-Jüngern die Schrift aus, nachdem er auferstanden ist (Lk 24,27). Auf diesem Hintergrund sieht Hübner das lukanische Gesetzesverständnis vor allem in Bezug auf das Schema Verheißung und Erfüllung.12 Das Gesetz habe aber auch prophetische Funktion13; in Tod und Auferstehung Jesu müsse das, was im Gesetz, in den Propheten und in den Psalmen geschrieben steht, erfüllt werden (Lk 24,24). Was aber bedeutet „Erfüllung des Gesetzes“ für Lukas? Hübner meint, es bedeute „nicht Erfüllung durch Lehre im Sinne der Modifikation, sondern das Geschehensein dessen, was im Gesetz prophezeit wurde“14. Der lukanische Jesus stehe nicht über dem Gesetz: „Jesus ist von der Autorität des Gesetzes getragen, nicht aber steht er autoritär über dem Gesetz“.15 Eine Aufhebung des Gesetzes durch den irdischen Jesus läßt sich nach Hübner bei Lukas nicht erkennen, sondern diese zeige sich erst nach der Auferstehung Jesu vor allem nach der pfingstlichen Zeit.16 Auch Hübner nimmt also an, dass das Gesetz nach Lukas nicht zeitlos gültig ist, aber er meint, dass Lukas in seinem Evangelium mindestens „alles vermeiden will, was nach Abrogation des mosaischen Gesetzes in der Predigt des irdischen Jesus aussehen könnte“.17 Darum schlägt er vor, Lk 16,16a folgendermaßen zu interpretieren: „Bisher gab es »nur« Gesetz und Propheten, von nun an aber »auch« die Predigt vom Reich.“18 Hübner behauptet allerdings, dass Lukas „Jesus nur deshalb nicht die Thora außer Kraft setzen lässt, weil dies der Zeit der Kirche vorbehalten bleibt“.19 Das sei der Grund, weshalb Lukas bewusst Mk 7,1ff. auslasse und die Aufhebung der kultischen Reinheit erst in Apg 10 bringe.20 Hübners Beobachtung, dass Lukas die Tendenz hatte, antinomistische Spitzen im Munde Jesu zu vermeiden, ist richtig, ebenso seine Feststellung, dass Jesus nicht über dem Gesetz steht. Hübner meint jedoch, Lukas selber sei trotz dieser Tendenz kein Nomist, wofür er sich auf Apg 10 beruft. Aber es ist umstritten, ob es in Apg 10 um die Aufhebung des Gesetzes geht. J. Roloff hat betont, die Vi12
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Hübner, H., a.a.O. 211: „Erfüllung des Gesetzes bedeutet für den dritten Evangelisten nicht Erfüllung durch Lehre im Sinne der Modifikation, sondern das Geschehensein dessen, was im Gesetz prophezeit wurde.“ Vgl. Grundmann, W., Das Evagelium nach Lukas, 452; Conzelmann, H., Die Mitte, 148 Anm.1 Hübner, H., Das Gesetz, 211. A.a.O. 211. A.a.O. 208. 190-191. A.a.O. 207. Ebd. A.a.O. 208. Ebd.
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sion und ihr Kontext gebe keine Begründung für die Aufhebung der Grenze zwischen Rein und Unrein.21 Der Sinn der Vision werde zunächst in 10,15.28 und dann in Kap. 11 ausgesagt, wo Petrus die Judenchristen in Jerusalem über das Geschehen informiert; die Jerusalemer ziehen daraus nicht den Schluss: „Man darf auch Unreines essen“, sondern sie treffen die Feststellung: „So hat Gott auch den Heiden die Umkehr gegeben, die zum Leben führt.“(11,18)22 Die Vision fungiert nach Roloff als eine Allegorie für die Heidenmission23: „Es geht in ihr ja nicht darum, dass dem Petrus Unreines zugemutet würde; der springende Punkt ist vielmehr das unentwirrbare Ineinander von Rein und Unrein.“ Hübners Vergleich von Mk 7,1ff mit Apg 10 ist deshalb nicht plausibel: Lukas braucht eine gerechte Begründung für seine weitere Erzählung der Heidenmission, die von Gott selbst in die Wege geleitet worden war. J. T. Sanders behauptet in seiner Studie »The Jews in Luke-Acts«, der lukanische Jesus kritisiere nicht das Gesetz selbst, sondern nur die pharisäischen Lehren.24 Ähnlich wie Conzelmann behauptet auch Sanders, dass das Gesetz nicht zeitlos gültig ist; aber während Conzelmann meint, das Gesetz werde durch das Auftreten Jesu aufgehoben, ist es nach Sanders in der Zeit Jesu noch gültig. „Jesus’ arguments with the Pharisees are generally (although not exclusively) concerned with practice, as hear. The Lucan Jesus never actually opposes the Torah as such (contrary to the opinion of Wilson25), but he frequently defines Christian practice (halakah) over against Pharisaic“.26 Zu Lk 16,16-18 stellt Sanders fest: „All that was foretold in the Law and the Prophets has been taking place since John the Baptist. That the Law and the Prophets are being fulfilled, however, does not mean that the Torah has been summarily set aside, for God still expects the Jews to keep all the Law and the Gentiles some of the laws, like the one against divorce“.27 Der lukanische Jesus kritisiere die pharisäische Torapraxis und stelle zugleich die christliche Torapraxis dar. Sanders fragt dabei besonders nach der Spannungssituation zwischen Judenchristen und Heidenchristen. Lukas unterscheide bei den Pharisäern zwei unterschiedliche Gruppen: Auf der einen Seite stehen die Pharisäer, die sich gegen Jesus wenden, d.h. die zur Zeit des Lukas Gegner der Christen sind (vgl. Lk 4,2528; 6,7; 11,53). Auf der anderen Seite stehen Pharisäer als Modell für die Juden-
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18
Roloff, J., Die Apostelgeschichte, 170. Haenchen, E., Die Apostelgeschichte, 307. Roloff, J., Die Apostelgeschichte, 170. Sanders, J. T., The Jews, 169. Wilson, S. G., Luke, 27-43. Sanders, J. T., The Jews, 169. A.a.O. 202.
christen, die sich gegen die Heidenchristen wenden (vgl. Apg 15)28; sie sind nicht direkt mit den Pharisäern, die Jesus auflauern wollen, verbunden. Umgekehrt sind die pharisäischen Judenchristen zwar einerseits mit Jesus eng verbunden, sie werden aber andererseits angesichts ihrer Praktizierung der Halakah scharf kritisiert, weil sie den Heidenchristen die Gesetzespraxis aufdrängen wollen. Das Resultat des Apostelkonzils ist nach Sanders’ Meinung nicht ein Kompromiss zwischen Judenchristen und Heidenchristen, sondern es wird eine Entscheidung getroffen, die die Aufhebung des Gesetzes für die Heidenchristen andeutet. „Luke does not present this picture in order to reconcile Jewish-Christian and GentileChristian factions, but rather to invalidate the Jewish Christian position.“29 Lukas hatte ein starkes Interesse an einer Vereinigung von Juden und Heiden in seiner Gemeinde, und er sah als die richtige Voraussetzung dafür die Aufhebung des Gesetzes an.30 „For Luke is at pains to show how the early church, like the early Jesus, sought a home of piety and devotion in Judaism, but it would not. And Christianity became a Gentile religion, and all the Jewish laws in the Torah were rendered null and void, and Torah-observant Jewish Christians became hypocrites“.31 Sanders erklärt nicht hinreichend, welche Funktion das Gesetz für die Jesusdarstellung des Lukasevangeliums hat. Er erklärt, dass das Gesetz seine Gültigkeit mit dem Apostelkonzil verliert; aber auf dem Apostelkonzil geht es nicht um „die Gültigkeit des Gesetzes des Mose“, sondern vielmehr darum, ob die Heidenchristen sich auch nach der Ordnung des Mose beschneiden lassen müssen. Für Judenchristen ist die Beschneidung eine Voraussetzung für das Heil, aber die Frage ist, ob das für die Heidenchristen auch gilt. Das Resultat des Apostelkonzils gilt nicht für die Judenchristen, sondern die Heidenchristen, wie Jakobus ausdrücklich feststellt: „Darum meine ich, dass man denen von den Heiden, die sich zu Gott bekehren, nicht Unruhe mache, sondern ihnen vorschreibe, dass sie sich enthalten sollen von Befleckung durch Götzen und von Unzucht und vom Erstickten und vom Blut“ (Apg 15,19-20). Sanders beachtet auch nicht, dass Lukas den Paulus als einen gesetzestreuen Mann darstellt und dass er dessen Position in der Apg ausdrücklich verteidigt (vgl. Apg 24,14;25,8;26,22). Nach H. Conzelmann hat Lukas sein Doppelwerk mit einer geschichtlichen Absicht und in verschiedene Zeiträume gegliedert geschrieben. Dieser Auffassung stimme ich zu. Es wird aber häufig gefragt, zu welcher Epoche Johannes der Täufer gehörte – zur Epoche des Gesetzes und der Propheten oder zu dersel28 29 30 31
A.a.O. 315. A.a.O. 119. A.a.O. 121. A.a.O. 128.
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ben Epoche wie Jesus32, oder ob er sich an der Schwelle zwischen dem Gesetz und Jesus befand.33 Hier spielt die Interpretation der Worte avpo. to,te in Lk 16,16 eine entscheidende Rolle, und darauf wird später einzugehen sein. Schon hier ist aber auf die Aussage von J.T. Sanders hinzuweisen, der zu Lk 16,16-18 bemerkt: „That the Law and the Prophets are being fulfilled, however, does not mean that the Torah has been summarily set aside, for God still expects the Jews to keep all the Law and the Gentiles some of the laws, like the one against divorce“.34 Auch sonst finden sich Hinweise auf die fortdauernde Gültigkeit des Gesetzes; so sagt Jesus in Lk 5,12-16 zu dem vom Aussatz geheilten Menschen: „Geh aber hin und zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, wie Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis“ (5,14). Lukas hat hier eine Aussage aus der Markus-Parallele übernommen, aber er hat den Wortlaut dahin geändert, dass er an die Stelle der Wendung prose,negke peri. tou/ kaqarismou/ sou a] prose,taxen Mwu?sh/j (Mk 1,44) die Formulierung gesetzt hat prose,negke peri. tou/ kaqarismou/ sou kaqw.j prose,taxen Mwu?sh/j. Hier bezieht sich Jesus offenkundig doch positiv auf die Tora, und von daher muss man fragen, ob die These, dass das Gesetz zur vergangenen Epoche gehört, wirklich richtig ist.
2.2 Lukas hat kein Interesse am Gesetz R. Banks35 hat, ähnlich wie H. Hübner, das Verhältnis zwischen Jesus und dem Gesetz in der synoptischen Tradition umfassend untersucht, kommt aber zu einem anderen Ergebnis. Banks behauptet, Lukas habe gar kein Interesse am Gesetz; er interessiere sich für die Taten Jesu in den Heilungsgeschichten und auch für Jesu Beziehung zum Judentum, nicht aber für das Gesetz: „an anomaly in the gospel, for nowhere else have we found Lucan interest in the Law itself“. 36 Auf die Frage nach dem Gesetz sei deshalb gar nicht theologisch zu antworten. Das gelte auch für die Auslegung von Lk 16,16-18; dieser Abschnitt handele von der Gewalt gegenüber dem Reich Gottes, während die Erwähnung des Gesetzes und der Propheten diesem Thema untergeordnet seien. Die Auslassung von Mk 7,1-23; 10,2-12 bei Lk sowie die Diskussion über das Essenzielle des Gesetzes und die Dispute über den Sabbat beziehen sich nach Banks nicht eigentlich auf das Gesetz, sondern hier gehe es eher um die Christologie, die für
32 33 34 35 36
20
Kümmel, W.G., Gesetz. Bovon, F., Lukas III/3, 99. Sanders, J.T., The Jews, 202. Banks, R., Jesus, 1975. A.a.O. 219.
Lukas das zentrale Thema sei.37 Jesu Stellung gegenüber dem Gesetz sei dabei nicht konservativ, wie in den Sabbatgeschichten zu erkennen sei; Jesu Heilungshandlungen seien die Erfüllung dessen, was für Israel versprochen war (Lk 4,16f; 24,44f). Aber wenn Lukas einzelne Elemente der Gesetzesdebatten, die sich in seinen Quellen fanden, übergeht (so Mk 7,1-23; 10,1-12), dann zeigt dies doch, dass Lukas das Gesetz durchaus mit einem bestimmten Interesse bzw. in einer bestimmten Absicht interpretiert. Das zeigen auch die Sabbatgeschichten, die im Lukasevangelium viermal vorkommen und die zeigen, dass er mit eigenem Interesse dieses Thema erörtern will. S. G. Wilson38 hat das lukanische Gesetzesverständnis sowohl im Blick auf das Evangelium als auch im Blick auf die Apostelgeschichte untersucht, und er hat dabei innerhalb des Doppelwerks eine Inkonsequenz entdeckt: „That Luke has a consistent view throughout his two volumes must be proven rather than assumed, and there is always the danger that the more consistent view of Acts will be imposed on the Gospel“39. Zwar gebe es in der Apg keine Kritik am jüdischen Gesetzesverständnis, denn „Luke, despite his conviction that the law was an inadequate instrument of salvation, is nowhere critical of Jews Jewish-Christians who choose to keep the law, with the possible exception of Peter in Ac. 10-11.“40 Wohl aber sei innerhalb des Evangeliums eine Inkonsequenz zu finden, die Wilson so zusammenfasst: (1) Lukas spreche vom Gesetz in seiner „prophetischen Bedeutung“ programmatisch in Lk 24,27.44, ebenso wahrscheinlich auch in Lk 16,16; 9,29.33; dabei sehe das Gesetz wie ein Teil der Verheißung für Israel aus. In der Person und in der Tätigkeit Jesu zeige sich die Erfüllung des Gesetzes und der Propheten, dazu auch der Psalmen (24,44). Zwar stehe das Thema im Evangelium weniger im Vordergrund als in der Apostelgeschichte, aber es sei trotzdem ein wichtiger Teil in der lukanischen Konzeption des Gesetzes.41 (2) Die Gültigkeit des Gesetzes (Lk 10,25f; 16,17; 16,29.31; 18,18f cf. 11,42) zeige sich vor allem im Doppelgebot der Liebe (10,25f.). Wichtig seien auch die Geburtsgeschichte und später die Darstellung des irdischen Wirkens Jesu (Lk 12; 4,16.40; 5,14.39; 17,14 vgl. 22,56). Lukas betone vor allem zwei Themen: Zum einen ist das Gesetz ein „Begleiter“ für ein frommes und heiliges Leben, 37 38 39 40 41
A.a.O. 247. Wilson, S.G., Luke,1983. A.a.O. 55. A.a.O. 61. A.a.O. 56. Er schreibt, : „This theme is less prominet in the Gospel than in Acts but it is nevertheless a significant component in his conception of the law. It exists side by side, but integrated, with the other concepts of the law“.
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dessen Ziel es ist, in den Himmel zu gelangen. Zum andern ist es wichtiger, das Gesetz zu tun als vom Gesetz zu sprechen. Das Gegenteil liege dort vor, wo man dem Befehl Gottes zuwider handelt und ihm nicht gehorcht (Lk 7,27f.36f; 11,3712,3, 15,2f; 16,14-15; 18,9-14; 19,39.45f; 20,1-26.45-47). Jesu Angriff richte sich insofern nicht gegen das Gesetz selbst, sondern gegen die falsche Interpretation des Gesetzes durch die Menschen.42 (3) Wilson findet aber auch Indizien für die Annahme, dass Jesus das Gesetz ignorieren will. Der Status des Gesetzes und seine spezifischen Weisungen würden durch die Lehren Jesu untergraben (Lk 6,12f.) oder ergänzt (Lk 18,18f.; vgl. 16,16) oder zumindest ernstlich in Frage gestellt (Lk 6,1-11; 13,10-17; 14,1-6; 11,41; 16,18 vgl. 5,17f.33f; 9,60). Die deutlichsten Beispiele findet Wilson in den Sabbatkonflikten und in der Aussage über die Ehescheidung (16,18). Dazu verweist er darauf, dass gerade die potenziell radikalen Reden oft gegenüber ihrer unmittelbaren Umgebung isoliert sind (11,41; 16,18).43 (4) Die Unklarheit der lukanischen Gesetzesvorstellung zeige sich in 11,4142; 16,16-18, und der Evangelist versuche offensichtlich nicht, diese Unklarheit aufzulösen. So unterscheide er nicht zwischen dem mündlichen und dem schriftlichen Gesetz, und er will auch nicht darüber diskutieren, ob es leichte oder schwere Gebote gibt. Jesus werde oft als ein Gegner des Gesetzes präsentiert, aber er werde oft auch als ein im Bunde mit dem Gesetz Stehender gezeigt. Jesus stehe damit nicht unter und eigentlich auch nicht über dem Gesetz.44 Den Thesen (1) und (2) von Wilson kann ich zustimmen; die Thesen (3) und (4) sind mir aber fraglich. Denn die Sabbatkonflikte zeigen nicht, dass Jesus das Gesetz aufhebt bzw. ignoriert, sondern sie stellen die Frage, wie man sich am Sabbat verhalten soll. Zu 6,1-5 behauptet Wilson, Jesus als Herr des Sabbats stehe über dem Gesetz: „‚The Son of Man is lord of the Sabbath‘. As lord of the sabbath he stands above the law and implicitly claims the right to define it.“45 Aber Lukas hat in dieser Perikope die Aussage von Mk 2,27 („Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen“) gestrichen; warum tat er das, wenn er – wie Wilson meint – das Gesetz ignorieren bzw. aufheben wollte? M. Klinghardt meint zu dieser Stelle, das Sabbatgebot werde von Lukas „nicht aufgehoben, aber doch relativiert.“46 Offenbar will der lukanische Jesus in seinen Handlungen am Sabbat den wahren Sinn des Sabbatgebots aufzeigen und zugleich die pharisäische Interpretation des Gesetzes kritisieren („Ihr Heuchler!“ Lk 13,15). Seine Lehre führt dazu, dass sich die Gegner 42 43 44 45 46
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Ebd. Ebd. A.a.O. 56-57. Wilson, S.G., Luke, 33. Klinghardt, M., Gesetz, 227.
bzw. die Oberen der religiösen Gesellschaft schämen (Lk 13,17). Dies zeigt, dass Lukas das Gesetz mit Interesse bzw. einer bestimmten Absicht interpretiert hat. Auch C. L Blomberg47 meint, dass das Gesetz für Lukas kein wichtiges Thema ist; auffallend seien die bei Lukas zu beobachtenden Auslassungen oder Kürzungen jener Textstellen, wo bei Markus das Gesetz kritisiert wird.48 Zwar gebe es Aussagen, wo die Erfüllung des Gesetzes und der Propheten betont werde (24,27.44; vgl. Apg 3,22; 7,37)49, aber vielfach komme die lukanische Haltung gegenüber dem Gesetz in Gestalt der Typologie oder des Midrasch zur Geltung. In Lk 4,31-5,16 stehe Jesus im Mittelpunkt, das Gesetz sei Nebensache. In Lk 5,17-6,11 „Jesus repeatedly displays his authority over and above the oral and the written law“50. Blomberg meint einerseits, dass bei Lukas das Sabbatgesetz durch die Autorität Jesu gebrochen ist, andererseits aber argumentiert er unter Hinweis auf das Doppelgebot der Liebe (10,25-28), dass Jesus nicht gegen das Gesetz ist. Lk 16,16-17 wird von Blomberg folgendermaßen interpretiert: „The Law is valid in the age of this world. But with the end of this ‚Weltzeit‘ and the arrival of the kingdom of God and the Son of Man, the Mosaic Law loses its validity and becomes superfluous.“51 So nehme die Lehre Jesu den Platz des Gesetzes als Belehrung Gottes ein.52 In 16,18 hebe Jesus das Gesetz auf, in 16,17 werde die primäre Erfüllung der Propheten gezeigt, und 16,16 enthalte die Aussage, dass das Gesetz aus der Sicht Jesu zur vergangenen Epoche gehört. Weil das Gesetz nicht die Hauptsache ist, brauchen Juden und Heiden nicht das ganze Gesetz zu befolgen. Jesus fordert das ethische und rituelle Gesetz heraus. Lukas sieht alles auf der Basis zwischen der Trennung des Judentums und dem jüdischen Gesetz, besonders in Bezug auf das Gesetz: „Those who keep the Law throughout Luke’s gospel do so rightly, from a salvation-historical perspective; the new covenant is not inaugurated until the complex of events stretching from the crucifixion to Pentecost.“53 Lukas sage, dass in Jesus alle Schriften erfüllt sind.54 Aber Lukas konnte das Problem hinsichtlich des Gesetzes nicht übersehen, wie die Darstellungen der Sabbatkonflikte zeigen. Lukas erzählt mehr Sabbatkonflikte (4 Mal) als die anderen Evangelisten, um seinen Lesern den Sinn des Sabbatgebots deutlich zu machen. Dabei beschreibt Lukas für die Judenchristen 47 48 49 50 51 52 53 54
Blomberg, C. L., The Law, 53-80. A.a.O. 54-55. A.a.O. 55-56. A.a.O. 58. A.a.O. 61. A.a.O. 62. A.a.O. 70. A.a.O. 70-71.
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in seiner Gemeinde, dass man durch die Befolgung des Gesetzes das ewige Leben ererben kann; denn Jesus hebt das Gesetz nicht auf, sondern er respektiert die Funktion des Gesetzes als Weg zum ewigen Leben (Lk 10,25-37; 18,18-30). Für die Heidenchristen wird das Gesetzesproblem durch das Apostelkonzil (Apg 15) geklärt. Daran zeigt sich, dass Lukas die Gesetzfrage als wichtiges Thema betrachtet hat.
2.3 Das Gesetz ist ewig gültig. Schließlich wird die These vertreten, Lukas habe ein großes Interesse am Gesetz und nehme an, dass das Gesetz ohne Zeitgrenze gültig ist; der lukanische Jesus sei ein gesetzestreuer Mann und stehe nicht im Widerspruch zum Gesetz. M. Klinghardt55 hat das lukanische Gesetzesverständnis in seiner Dissertation »Gesetz und Volk Gottes« untersucht; dabei spielt die Frage nach dem Verhältnis Judentum – Judenchristentum – Heidenchristen eine erhebliche Rolle.56 Klinghardt meint, dass Lukas und seine Gemeinde mit dem Judentum ganz nah verbunden sind und dass Jesus im Lukasevangelium das Gesetz bekräftigt. Lk 16,16-18 sei von Lk 16,14-15 her zu erklären: „Demgegenüber wird in V. 15 durch den Hinweis auf das Herz ein umfassender Gehorsam gefordert, der den Besitzverzicht mit einschließt. Dies belegen auch die VV. 16f: Das Gesetz, das ja die Forderung nach Besitzverzicht enthält, wurde bis zuletzt durch den eschatologischen Gesetzesprediger Johannes verkündet und gilt in Ewigkeit (V. 17)“.57 Klinghardt behauptet weiter, dass für Lukas die Gültigkeit des Gesetzes nicht eingeschränkt ist, obwohl Jesus die basilei,a verkündet; denn die basilei,a ist eine universale Größe.58 Lk 16,16 zeige: „An der ewigen Geltung des ganzen Gesetzes wird in Ewigkeit nichts weggetan.“59. Klinghardt meint, das Resultat des Apostelkonzils sei die Anwendung des Gesetzes für die Heiden, und es zeige eine Möglichkeit auf, „die Heiden als Heiden (dh. ‚ohne den Umweg über das Judentum‘) ganz zentral auf Israel hin auszurichten“.60 Es sei durchaus vorstellbar, dass die Heidenchristen das Gesetz auch über die vier rituellen Forderungen hinaus gehalten haben.61 Klinghardt betont, dass Lukas den Tempel in Jerusalem in Bezug auf die Geschichte der Kindheit Jesu und den Beginn der Kirche positiv 55 56 57 58 59 60 61
24
Klinghardt, M., Gesetz, 1988. A.a.O. 4. A.a.O. 27.81. A.a.O. 27.78. A.a.O. 81. A.a.O. 205. Ebd.
darstellt. Der Tempel ist für Lukas ein Ort, wo man betet und lehrt, und er ist „der Ort der exemplarischen Gesetzeserfüllung (Lk 2,22ff; Apg 21,33ff).“62 Das gelte auch für das Verhältnis des Tempels zu den Heiden und zur Mission: „Legitimes ‚Zentrum‘ Israels ist der Tempel nur dann, wenn er auch Zentrum der Heidenwelt ist. Das Gesetz hat für Lukas die Funktion, diese Erstreckung des Anspruchs Gottes auf die Heiden zu erweisen.“63 Zur Frage nach „Inhalt und Herkunft des lukanischen Gesetzesbegriffs“ schreibt Klinghardt, das Gesetz sei bei Lk weithin identisch mit dem Pentateuch; deswegen könne er auch sagen: „wie bei Mose geschrieben steht“.64 Überdies sei Lukas der einzige Evangelist, der „rituelle Gebote als Gebote“ übernommen hat: „Anders als etwa Pls, der eine Reihe alttestamentlicher Bestimmungen übernimmt, ohne sie auf das Gesetz zu beziehen, werden bei Lk rituelle Gebote kraft der Autorität der Mosetora begründet (Lk 16,17f; Act 15,20f; aber auch Lk 16,14ff, 10,25ff; 18,18ff zum Besitzverzicht).“65 Der Inhalt der Gesetzesforderung werde ekklesiologisch in zwei Bereichen deutlich, bei den Reinheitsgeboten und beim Besitzverzicht: „Lk hat also ganz offensichtlich sehr genau zwischen den verschiedenen Möglichkeiten, die Einheit der Gemeinde darzustellen, unterschieden: Heiden erfüllen Reinheitsgebote als den sie betreffenden Teil des Gesetzes und Juden verzichten zugunsten der Einheit der Gemeinde aufgrund des Gesetzes auf Besitz.“ Besitzverzicht wird aber nicht nur von Juden gefordert, sondern auch von Heiden (Lk 16,1-13). Überdies muss auf Seiten der „Juden“ genau differenziert werden, denn die Forderung nach dem Besitzverzicht wird nicht durchweg erhoben (vgl. Lk 10,25ff; 14,21ff, 16,14ff und 18,18ff.).66 Klinghardt sieht richtig, dass für Lukas die Gültigkeit des Gesetzes nicht eingeschränkt ist (Lk 16,17); wichtig ist auch sein Versuch, das Gesetz in Bezug auf dessen ekklesiologische Funktion zu verstehen. Es gab verschiedene Gruppen in der lukanischen Gemeinde, und alle Gruppen in der Gemeinde haben im Gesetz eine gemeinsame Norm, auf die sie sich beziehen. Daher ist das ekklesiologische Modell Klinghardts, das die Gesetzesfrage im traditionsgeschichtlichen Kontext zwischen Heiden- und Judenchristen versteht, von erheblicher Bedeutung; es leistet die Geschlossenheit von unterschiedlichen jüdischen Gruppen und von Heiden in der einen Gemeinde. Aber Klinghardt konzentriert sich zu sehr auf die ekklesiologische Funktion des Gesetzes und übersieht die anderen Funktionen des lukanischen Gesetzes. 62 63 64 65 66
A.a.O. 304. A.a.O. 305. A.a.O. 306. A.a.O. 306. A.a.O. 310.
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J.A. Fitzmyer67 sieht die Geschichte Israels in Bezug auf die Heilsgeschichte ähnlich wie H. Conzelmann. Aber Fitzmyer meint, dass das Gesetz in der neuen Periode, nämlich in der Verkündigungszeit Jesu, nach wie vor lebendig ist.68 Er betrachtet aus der lukanischen Perspektive vor allem drei Funktionen für das mosaische Gesetz: (1) Das Gesetz werde als Norm verstanden. Dies zeige im Lukasevangelium die „infancy narrative“ und auch das Gespräch mit dem Schriftgelehrten (10,24ff). In den Kindheitserzählungen „the principal characters, Zechariah and Elizabeth, Mary and Joseph, Simeon and Anna are ‚upright in God’s sight and living blamelessly according to all the commandments and requirements of the Lord‘ (1:6;cf. 1:28c, 64c; 2:4, 25, 36, 41)“.69 Und „in the Period of Jesus the normative character of this law is at times affirmed by Jesus himself“.70 Dieselbe Tendenz finde sich dann auch in der Apostelgeschichte: „As for the Period of the Church the normative character of the law of Moses is further recognized … The early Christian community of Jerusalem is portrayed in Acts as living, in effect, in accordance with the law“.71 (2) Das Gesetz könne auch im Sinne prophetischer Überlieferung verstanden werden, als „proof from prophecy“72. Fitzmyer schreibt: „Sometimes he cites the Old Testament in the genuine sense of Old Testament prophecy, i.e., as an utterance of a spokesman of God. But at times he understands Old Testament passages, whether from the law, the prophets, or even the psalms, as predictive – as foretelling something to come in the divine order of thing. This sence of the law and the prophets occurs especially in Luke’s christological use of the Old Testament.“73 (3) Das Gesetz habe auch ergänzende Funktion. Fitzmyer sieht diese Spur in Lk 16,16: „Here Jesus’ kingdom-preaching is at least seen as following on the law and the prophets. The Verse has often been understood as though the kingdom-preaching were a replacement of the law… As we shall see, the sense of Luke 16,16b has to be that Jesus’ kingdom-preaching is a supplement to the law and the prophets of the Period of Israel“.74
67 68 69 70 71 72 73 74
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Fitzmyer, J. A., The Jewish People, 1989. A.a.O. 176. Ebd. A.a.O. 177. A.a.O. 185. Vgl. Schubert, P., The Structure, 173-174. Fitzmyer, J. A., The Jewish People, 181. A.a.O. 182.
Die These Wilsons, der Sabbathkonflikt zeige die Herausforderung Jesu gegenüber dem Gesetz, wird von Fitzmyer abgelehnt; das Verhalten Jesu stelle gerade eine Interpretation des Sabbatsgebots dar.75 Da Fitzmyer die Gültigkeit des Gesetzes an vielen Stellen bei Lukas findet (z.B. Lk 5,12-16; 16,16; 16,29-31; 17,11-19), ergibt sich für ihn daraus die These, dass das Gesetz bei Lukas eine Norm ist, die das irdische Leben des Menschen beherrscht. Hier habe ich zwei Fragen: Zum einen ist zu fragen, ob das Gesetz nur das irdische Leben beherrscht; Lukas zeigt ja, dass das Gesetz nicht nur eine Norm ist, die das irdische Leben des Menschen bestimmt, sondern dass es auch ein Weg ist, der zum ewigen Leben bzw. ins Reich Gottes führt (Lk 10,25-36; Lk 18,18-30). Zum andern ist zu fragen, ob das Gesetz das Leben der Heidenchristen genau so wie das der Judenchristen beherrscht; in der Apg zeigt sich ja, dass das Gesetz für die Heidenchristen verändert wird (Apg 15). Richtig ist, dass das Gesetz eine prophetische Funktion erfüllt (Lk 18,31-34; 24,36-49); aber ich kann Fitzmyer nicht zustimmen, wenn er das Gesetz in Lk 16,16 als eine „Ergänzung“ interpretiert, denn schon im nächsten Vers betont Lukas, dass das Gesetz nicht zu „ergänzen“ und dass es unabhängig von Jesus ist (Lk 16,17). Wenn das Gesetz auch nach Jesu Auftreten unverändert gültig ist, wie verhalten sich dann Gesetz und Jesus zueinander? William R.G. Loader76 nimmt als Voraussetzung für das lukanische Gesetzesverständnis an, dass Jesus und seine Nachfolger gesetztreu sind. Das zeige sich am Anfang des Evangeliums in der Darstellung der frommen Eltern Jesu, und es zeige sich auch am Anfang der Apostelgeschichte, wenn als das Zentrum der ersten Gemeinde für den Gottesdienst der Tempel dargestellt wird.77 Lukas kennt Überlieferung, die Jesus als einen Übertreter des Gesetzes darstellt; aber diese übergeht er absichtlich, und er zeigt stattdessen, dass Jesus der tiefe Beter und ein gesetztreuer Mann sowie ein frommer Jude ist.78 Loader sieht auch die prophetische Funktion des Gesetzes, die nicht die Aufhebung des Gesetzes zeige, sondern dessen Erfüllung. Die Kontinuität der Gültigkeit des Gesetzes bzw. der Treue für das Gesetz reiche vom Evangelium bis zur Apostelgeschichte. Jesu Lehre setzt voraus, dass man das Gesetz halten soll, und diese Voraussetzung gelte unverändert weiter auch für Jesu Nachfolger und für die erste Kirche.79 Für Loader hat das Gesetzesverständnis Jesu bei Lk drei Funktionen: Es dient erstens als Ausdruck des Willens Gottes, zweitens als Prophezeiung und drittens 75 76 77 78 79
A.a.O. 183-185. Loader, William R. G., Jesus’s Attitude, 1997. A.a.O. 379. A.a.O. 358. A.a.O. 388-389.
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als Lehre.80 Jesus zeigt den Willen Gottes auf (Buße, Vergebung der Sünden); das Gesetz enthält die Verheissung auf Jesus hin, wie besonders die Kindheitsund die Passionsgeschichte zeigen; das Gesetz lehrt schließlich (ebenso wie die Propheten) die Hoffnung, die durch die Geburt Jesu verwirklicht wurde. Von einer Aufhebung des Gesetzes im Lukasevangelium und in der Apostelgeschichte ist nach Loader nichts zu sehen. Problematisch ist, dass Loader, obwohl er Lukas aus seinem heidnischen Kontext versteht81, sich zu einseitig mit dem jüdischen Aspekt beschäftigt. Er meint, Jerusalem sei für Lukas noch ein heiliger Ort82, und dabei übersieht er, dass Stephanus so radikal den Tempel kritisiert (Apg 7,48ff). Loader meint, für Lukas komme Jesus nach Jerusalem als der Messias, und dabei werde Jesus von Lukas als frommer Jude gesehen. Die Hoffnung der jüdischen Frommen werde erfüllt, und das Reich werde restauriert in Israel.83 Richtig ist, dass bei Lukas die jüdische Frömmigkeit auffällt, was auf jüdische Elemente des lukanischen Gesetzesverständnisses hindeutet; aber Loader vernachlässigt die Spannung zwischen Juden- und Heidenchristen in der lukanischen Gemeinde und die Bedeutung des lukanischen Gesetzesverständnisses für die Heidenchristen. Das Dekret des Apostelkonzils ist nach Loader ein Kompromiss hinsichtlich der lukanischen Ansicht vom Gesetz, aber nicht für Judenund Heidenchristen: „The decree, itself, is effectively a compromise, not between Jews and Gentiles, but between Luke’s desire to affirm commitment to the Law and his ambivalence about its ritual demands.“84 Lukas stelle Aussagen des Gesetzes oft als „Bräuche“ dar (Apg 6,14; 15,1; 21,21; 28,17), die Gott durch Mose Israel gegeben hat; darum seien diese Bräuche nicht für Heiden, sondern nur für Juden gültig: „The God-given customs of Israel are not to be imposed on Gentiles, not primarily because Gentiles are from different cultures, but because the Law itself does not require it.“85 Aber das Apostelkonzil hat nach der lukanischen Darstellung entschieden, dass sich die Heidenchristen „von Befleckung durch Götzen und von Unzucht und vom Erstickten und vom Blut“ enthalten sollen. Hier stellt sich die Frage nach der Applikation des Gesetzes für Heidenchristen.
80 81 82 83 84 85
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A.a.O. 380-381. A.a.O. 389. „Matthew is in a Jewish setting, Luke in a primarily Gentile setting.“ A.a.O. 387. A.a.O. 382. A.a.O. 386. A.a.O. 389.
2.4 Vorgehensweise in dieser Arbeit Im Lukasevangelium finden sich viele verschiedene Überlieferungen. Bei der Analyse der Frage „Das Gesetzesverständnis Jesu bei Lk“ beschäftige ich mich erstens mit den Texten, in denen von no,moj und evntolh, die Rede ist, und zweitens mit den Streitgesprächen zwischen Jesus und den Pharisäern sowie dem Verhalten Jesu gegenüber der Tora bzw. den Lehrgesprächen, in denen es um alttestamentliche Traditionen geht. Die Texte, mit den ich mich beschäftigen werde, sind folgende: Die Kindheit Jesu (Lk 2,22ff.), das Ährenraufen am Sabbat (Lk 6,1-5), die Heilung der verdorrten Hand (Lk 6,6-11), die Liebe als Heilsforderung (Lk 10,25-37), das Gesetz und der Sabbat I (Lk 13,10-17), das Gesetz und der Sabbat II (Lk 14,1-6), das Gesetz und das Reich Gottes (Lk 16,14-18), die Frage nach dem ewigen Leben (Lk 18,18-30), die Erfüllung des Propheten (Lk 18,31-34) und die Erfüllung des Gesetzes (Lk 24,36-49). Dabei kommt es zum Teil zu Überschneidungen, wie z.B. in der Perikope über das Ährenraufen am Sabbat, in der einerseits der Begriff no,moj vorkommt, die aber andererseits ja auch zu den Streitgesprächen zählt. Diese Texte sollen im folgenden thematisch geordnet und untersucht werden. Daraus ergibt sich folgende Gliederung: Das Gesetz und die Kindheit Jesu; Das Gesetz und die Heilung (5,12-16); Jesus und das Sabbatgebot (6,1-5; 6,6-11; 13,10-17; 14,1-6); Das Gesetz und das ewige Leben (10,25-37;18,18-30); Das Gesetz und das Reich Gottes (16,14-18); Das Gesetz und die Propheten (18,3134; 24,36-39); Zum Gesetzesverständnis in der Apostelgeschichte. Ich werde zuerst diese Texte übersetzen, und ihre Struktur und ihren Inhalt herausarbeiten. Danach werde ich den einzelnen Vers analysieren. Am Schluss der jeweiligen Textuntersuchung arbeite ich das Gesetzesverständnis Jesu für den betreffenden Textabschnitt heraus.
3. Vorbemerkungen zur Terminologie Bevor ich mich eingehend mit dem Thema „Das Gesetzesverständnis Jesu im Lukasevangelium“ beschäftige, werde ich zuvor die biblische Terminologie darstellen, um möglichen Missverständnissen vorzubeugen. Was meint Lukas, wenn er vom no,moj spricht? Woran orientiert sich Lukas bei seinem Verständnis von no,moj? Und was meint er mit no,moj? Dann geht es natürlich nicht um den Begriff der Tora, sondern um die Sache der Tora. Wie wird die Tora im Alten Testament in der Sache verstanden? Und wie steht es
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z.B. mit den Fragen „Wer hat die Vollmacht, die Tora auszulegen? Und in welchem Kontext steht dann Jesus, wenn er die Auslegung der Tora offenbar vornimmt und wenn er hinsichtlich no,moj etwas sagt?“ Der Vers Lk 24, 27: „Er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war.“ handelt zwar von der Tora, also von der Bibel, der ganzen Schrift, aber er hat mit dem Halten des Gesetzes im Sinne der Tora nichts zu tun. Er ist eher ein Beweis dafür, dass Lukas die Deutung von Jesu Geschick aus der Tora inhaltlich gewonnen hat. Conzelmann warnt davor, dass man nicht das „Gesetz“ einseitig als Gebot, „die Propheten“ einseitig als Weissagung versteht.86 Seiner Meinung nach bilden Gesetz und Propheten zusammen einerseits die Grundlage des Bußrufs, andererseits die Grundlage des Weissagungsbeweises.87 Danach skizziere ich das Gesetzesverständnis Jesu bei Markus und Matthäus, denn die beiden Evangelisten sind die Parallele zu Lukas und sie haben direkt und indirekt einen Einfluss auf das lukanische Gesetzesverständnis. Jesus war Jude und als solcher hatte er eine bestimmte Einstellung dem Gesetz gegenüber. Allerdings stellen die synoptischen Evangelien die Handlungen Jesu gegenüber dem Gesetz unterschiedlich dar. Diese Tora-Praxis spiegelt sich einmal bei Markus und sie spiegelt sich auch bei Matthäus, der eine sehr eigenwillige Darstellung des Verständnisses von Jesu Tora-Praxis gibt. Darüberhinaus beschäftige ich mich mit der Darstellung des Gesetzes bei Paulus und in anderen Büchern, z.B. im Johannesevangelium, Hebräerbrief und Jakobusbrief, denn sie sind auch ein Teil vom ganzen Neuen Testament und sie haben vielleicht eine bestimmte Position in Bezug auf das Gesetz. Es ist sinnvoll, dass man sie miteinander vergleicht.
3.1 Tora (hr' hr'At) t Was meinte Lukas, wenn er in seinen Texten no,moj und evntolh, verwendet und auf welche Elemente innerhalb des Alten Testaments bezieht er sich dann jeweils? Und wie wird die Tora dann im Alten Testament in der Sache verstanden? Nach H. Fuchs, der die jüdische Position darstellt, ist die Tora äußerlich die heiligste Grundlage der jüdischen Religion und inhaltlich ist sie eine ethische
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Conzelmann, H., Die Mitte, 148. Ebd.
und religiöse Weisheit und Unterweisung in Israel, die durch Eltern oder durch Priester vollzogen wird.88 J. Begrich hat sich besonders mit der Beziehung zwischen den Priestern und der Tora beschäftigt und sagt, dass „die Tora ursprünglich nur den Priestern gehörte und ihre Entstehung und Ausbildung demnach im priesterlichen Kreis gesucht werden muß“.89 W. Gutbrod hat sich wie Begrich auch damit beschäftigt, mit welcher Bedeutung besonders Priester und Propheten den Begriff „die Tora“ verwendet haben. Für Gutbrod bezeichnet die Tora „eine besondere Aufgabe des Priesters“ (Hos 4,6; Zeph 3,4; Mi 3,11; Jer 18,18; Ez 7,26; 22,26). Allerdings wird bei einigen der priesterlichen Corpora in Lev und Num der Begriff „Tora“ als „Reglement bestimmter kultischer oder ritueller Vorgänge“ verwendet (Lev 6, 2.7 18; 7, 1. 11.37; 11,46; Num 5,29). Bei den Propheten umfasst die Tora sowohl das Gotteswort, das durch sie ergeht (Jes 1,10; 8,16; 30,9), als auch das schriftlich aufgezeichnete Gebot Gottes (Hos 8,12).90 Daraus ergibt sich seiner Meinung nach, dass die Tora in dieser Zeit in jedem Fall „den Sinn einer göttlichen Weisung hatte, ob sie nun von alters her als Gesetz aufgezeichnet war, vom Priester verwahrt und verkündigt wurde, oder ob sie der Priester jetzt gab (Thr 2,9; Ez 7,26; Mal 2,4ff) oder der Prophet sie im Auftrag Gottes in der konkreten Lage hineinspricht (Jes 30,9)“.91 Aber da in der prophetischen Verwendung des Wortes Tora keine sachliche Einheitlichkeit gefunden werden kann, können von dort ausgehend die unterschiedlichen rechtlichen, politischen, kultischen oder sonstigen Weisungen als Tora bezeichnet werden.92 Östborn erklärt in seinen semantischen Studien über die Tora im AT die anfängliche Form der Tora: „in Israel as in the Orient, the earliest instruction was given by the parents, who were the first ‚teachers‘“.93 Er nennt weiter fünf Personenkreise, die das Recht haben, die Tora zu geben: „Gottheit, König, Priester, Weise und Propheten“.94 Sie haben in jedem Fall eine enge Beziehung zur hr:/t. G. Liedke stimmt Östborn zu und schließt sich dem an: „die Tora ist anfänglich die in Imperativen und Vetitiven ergehende Weisung der Eltern, speziell der Mutter an die Kinder“.95 Aber er findet nicht nur die menschliche Weisung für 88 89 90 91 92 93 94 95
Salo., K., Luke’s Tretment, 104-111; Vgl. Fuchs, H., Tora, in: Jüdisches Lexikon IV/2, 978980. Begrich, J., Die priesterliche Tora, BZAW 66(1936), 63-88. Gutbrod, W., Art. Die Bedeutung des Wortes hr:/t, in: ThWNT IV, 1037-1039. Gutbrod, W., Die Bedeutung, 1038. Ebd. Östborn, G., Tora, 114. Östborn, G., Tora in the Old Testament, 114. Liedke, G., Gestalt und Beziehung alttestamentlicher Rechtssätze, 199.
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das Leben Israels, sondern auch die göttliche Weisung, die vom Gott Israels gegeben wurde.96 Anders als Östborn betont B. Lindars aber: „god does not give hr:/t except through such functionaries as prophets and priests“.97 Für B. Lindars ist das Wort, das den Königen von Gott gegeben wurde, keine hr:/t. Wenn Lindars Recht hätte, dann blieben nur drei Gruppen: Priester, Propheten und Weise. García Lopéz ist wie Lindars auch der Auffassung, dass „eine weisheitliche und eine prophetische Tora neben der priesterlichen Tora existiert hat.“98 Obwohl García Lopéz der Erklärung von Gutbrod zustimmt, erwähnt er trotzdem, dass die Mehrheit der gegenwärtigen Exegeten hr:/t als ‚Erziehung‘, ‚Bildung‘ oder ‚Lehre‘ deuten.99 Für ihn ist die Tora eine Unterweisung oder Lehre, die entweder mündlich oder schriftlich überliefert wurde. Seiner Meinung nach kann hr:/t, wenn „die traditio autoritativ verbindlich ist“, einen Gesetzescharakter erlangen.100 Nach S. Greengus bezeichnet die Tora das von Gott und den Propheten gegebene Wort; daher rührt die ultimative Autorität der Tora.101 Er versteht als Tora auch die Weisung, Instruktion oder die Befehle der Eltern oder des Königs, und die Propheten erscheinen für ihn nicht als Richter, sondern als Vermittler, die das von Gott gegebene Wort an Israel richten. Dazu erklärt er, dass „der Terminus hr:/t, pl. t/r/t vorkommt, um Gesetze im einzelnen oder in ihrer Gesamtheit zu beschreiben, die durch Propheten von Gott gegeben werden (Dt 4,8.44; Jer 26,45; Lv 2,9; Neh 8,1.8.14)“. Ein größerer Vermittler als die Propheten wäre Mose, der das Wort direkt von Gott erfahren hat. Daher wird im Pentateuch die Tora als das Wort Gottes bezeichnet.102 F. Crüsemann erklärt in seinem Buch »Die Tora«, dass das Wort hr:/t „in der Alltagssprache der alttestamentlichen Zeit die Weisung der Mutter (Prov 1,8; 6,20; vgl. 31,26) und des Vaters (4,1f) an ihre Kinder war, um sie in die Wege des Lebens einzuweisen und vor den Fallen des Todes zu warnen.“ Der Begriff „Tora“ wird von da ausgehend zum terminus technicus für die Weisung des Priesters an die Laien (Jer 18,18; Ez 7,26), bezeichnet aber auch die Worte des Weisheitslehrers (Prov 7,2; 13,14) oder des Propheten (Jes 8,16.20; 30,9) an ihre Schüler“103. 96 97 98 99 100 101 102 103
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Vgl. Liedke, G.,/Petersen, C. Art. hr:/t Weisung, in: THAT II, 1032-1043. Lindars, B., Torah in Deuteronomy, 119. García Lopéz, F., hr:/t, 604. García Lopéz, F., Art. hr:/t, in: ThWAT VIII, 600. A.a.O. 603. Grengus, S., Art. Law, in: ABD IV, 244. A.a.O. 242-245. Crüsemann, F., Die Tora, 7-8.
Crüsemann erklärt weiter dazu, dass im Deuteronomium besonders die Tora als „der eine umfassende und schriftlich vorliegende Wille Gottes“ verstanden werde (Dtn 4,44f; 30,10; 31,9); aber auch hier umfasst die Tora Erzählung (Dtn 1,5) wie Gesetz. Nach seiner Erklärung bezeichnet dieser deuteronomische Begriff „später das Esra-Gesetz (Neh 8,1), den gesamten Pentateuch, aber auch das prophetisch angesagte eschatologische Gotteswort an die Völker (Jes 2,3; 42,4)“.104 R. Achenbach erklärt, dass das Substantiv „die Tora“ vom Verbum hry/jrh abgeleitet wird, das die Bedeutung »zeigen«, Hifil, »unterweisen« hat. Achenbach stimmt auch zu, dass „Tora“ die ethische und religiöse Unterweisung durch Eltern oder Weisheitslehrer sowie die sakrale Anweisung durch Priester bezeichnet.105 Außerdem gilt die Tora als Maßstab jüdischer Weisheit und Lebensführung.106 Somit wird deutlich, dass die Tora in der Alltagssprache der alttestamentlichen Zeit ‚Weisung, Erziehung, Bildung‘ oder ‚Lehre‘ bezeichnet und sie außer diesem allgemeinen Lehrzweck noch Gottesoffenbarung, Anspruch, Zuspruch, Normensetzung umfasst. Allerdings ist sie nicht nur „Gesetz“, sondern auch die Gesamtheit des Gotteswillen, z.B. Erklärung für die Rituale (Lev 1,1-6,7) und Regel für die Priester (Lev 6,8-7,38).
3.2 Tora (hr' hr'At ) im Frühjudentum Nach W. Gutbrod findet sich das Gesetzesverständnis des rabbinischen Judentums in zwei sich inhaltlich entsprechenden Sätzen: „1. Gott hat sich ein für allemal in der Tora und nur in der Tora offenbart; 2. Der Mensch hat sein Verhältnis zu Gott nur in seinem Verhältnis zur Tora.“ 107 Gott hat seinen Willen und seinen Zweck in der Tora offenbart und hat mit Israel einen Bund geschlossen: Gott ist Gott von Israel und Israel ist sein Volk. Darum ist Israel diesem Gott zum Gehorsam verpflichtet. Aber man hat die Tora nicht nur als Pflicht, sondern als eine Chance gesehen, durch die man etwas verdienen kann.108 104 105 106 107 108
Ebd. Achenbach, A., Tora, in: RGG4 8, 476. A.a.O. 477. Gutbrod, W., Art. Die Bedeutung des Wortes hr:/t, in: ThWNT IV, 1047. Vgl. Gutbrod, W., Art. Das Gesetz im Judentum, in: ThWNT IV, 1050, er stellt einige jüdische Fragen vor, um den Zweck des Gesetzes zu erklären. „Warum hat Gott uns Gebote gegeben? Nicht damit wir sie tun und Lohn empfangen?“ SNu 115 zu 15,41. RChananja ben Akaschja (ca 150) sagte: „Gott wollte Israel Verdienste erwerben lassen, darum hat er ihm viel Thora und Gebote gegeben, wie es heißt: Jahwe gefiel es, um ihm (Israel) Verdienst zu verleihen, die Tho-
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Die Tora enthält nicht nur Gesetzliches, Priesterliches, sondern auch Soziales. Die Tora ist in jedem Fall die Voraussetzung für die Existenz des Volkes Israel: „Mit ewiger Liebe hast du das Volk Israel, dein Volk, geliebt. Die Tora und die Gebote, die Satzungen und die Rechte hast du uns gelehrt. Deshalb, Herr, bei unserem Liegen und bei unserm Aufstehen sinnen wir nach über deine Satzungen und freuen uns über die Worte deiner Tora“.109 U. Luz erklärt im Buch »Gesetz«, das er zusammen mit R. Smend geschrieben hat, dass das Judentum in der Zeit des NT nicht einheitlich war.110 Es gab verschiedene Strömungen und Gruppen (z.B. Pharisäer, Sadduzäer und Essener), aber nach der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 wurden die Pharisäer zum Zentrum.111 Ihre Haltungen und ihr Glauben wurden zum normativen Kriterium. Trotz der Verschiedenheit der Gruppen und Meinungen entstand eine Übereinstimmung der Aussagen über das Gesetz, so dass das Gemeinsame über die Verschiedenheit herrscht.112 Nach Luz war das Gesetz ein Verbindungspunkt und eine Grundlage für ganz Israel und das Gesetz wurde im Judentum und in Übereinstimmung mit dem AT nicht als Last, sondern als Gnade und Geschenk Gottes verstanden.113 Das Gesetz und die Verheißungen Gottes mit Israel kommen nicht getrennt voneinander vor wie bei Paulus, sondern gehören überall zusammen. Die Tora ist mit präexistenter Weisheit identifiziert und daher wurde die Tora als Schöpfungsordnung und göttliche Offenbarung verstanden.114 Man kann einerseits die Tora neuen Situationen anpassen, verschärfen, präzisieren und andererseits sie auch aufheben, aber nur wenn „entweder die Verhältnisse ihre Durchführung nicht mehr möglich oder nötig machten“.115 Y. Ishida erklärt, dass die göttlichen Gebote und ihre Erfüllung durch den Einfluss der Tora im Judentum in der Mitte von Glauben und Leben belassen wurden.116 Man kann nur in der Erfüllung der Tora sein Leben haben. Gott lässt den Menschen seinen Willen in der Tora finden und man kann nur in Bezug auf die
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ra groß und mächtig zu machen (so Js 42,21 nach dem Midr). ... Die Thora ist den einen eine Würze des Lebens, den andern eine Würze des Todes bJoma 72b. Übertretung der Thora macht nicht sie zunichte, sondern verdirbt den Übertreter Lv r 19 zu 15,25“; Vgl. Berger, K., Die Gesetzauslegung Jesu, 38-55. Bar Berakh 11b,11. Smend, R., Luz, U., Gesetz,45. Ebd. Ebd. A.a.O. 46. Vgl. Friedman, R.E., Torah, ABD VI, 605: „The Torah also has a special status in subsequent religious tradition, both because of the significance of the events narrated and because it contains the body of law that became normative in Judaism.“ Smend, R., Luz, U., Gesetz, 48. A.a.O. 52. Ishida, Y., Art. Gesetz, in: TRE 13,52.
Tora sein Leben und seinen Weg finden. Weil die Tora Gottesstimme ist, sollte man sie hören und tun, was in der Tora geschrieben ist. Wenn man das Gesetz hält, erfährt man Gerechtigkeit.117 Schließlich wurde die Tora im Frühjudentum in dreifacher Weise verstanden. Erstens ist die Tora vor allem das Ganze der göttlichen Willenskundgabe als Gesetz, die durch Mose am Sinai gegebene göttliche Willenskundgabe.118 Das ist die Grundlage für alle anderen Bedeutungen des Wortes „Tora“ in der rabbinischen Literatur. Zweitens, neben dieser sich auf das Gesetz beziehenden Bedeutung der Tora bezeichnet die Tora sowohl den Pentateuch als auch die ganze Bibel als auch die umfassende, göttliche Willensordnung.119 In den meisten Fällen ist es nicht leicht, zwischen der Tora als „Gesetz“ und der Tora als „Pentateuch“ zu unterscheiden. Drittens kann in Erweiterung dieses Normalgebrauches von „Tora“ dann auch die mündliche Überlieferung als Tora interpretiert werden. Für das jüdische Verständnis der Tora ist es bezeichnend, dass die mündliche Halaka die Dignität göttlicher Offenbarung enthält.120
3.3 nÒmoj im Neuen Testament Die jüdische griechischsprachige Bevölkerung Ägyptens fand es offenbar sachgemäß, Tora mit nÒmoj wiederzugeben. Dieser Sprachgebrauch hält sich dann im weiteren griechischsprachigen Judentum und setzt sich auch im griechischsprachigen Christentum durch. Die Septuaginta hat den Begriff hr:/t mit dem Begriff nÒmoj übersetzt. Der Begriff hr:/t kommt im AT etwa 220 mal vor (inkl. Pl. Torot tArAt, 12 mal). In der LXX gibt es ca. 200 Belege für no,moj, wobei LXX hr:/t, auch wo es im Plural steht, singularisch mit no,moj übersetzt,121 denn mit dem Wort no,moj steht „für
117 Vgl. Berger, K., Die Gesetzauslegung Jesu, 39, er erklärt nomo,j in Bezug auf dikaiosu,nh: „Einen großen Anteil an dieser inhaltlichen Entwickelung des nomo,j Begriffs hat die Geschichte des Inhalts von dikaiosu,nh/hqdc im Spätjudentum... Der Inhalt von „Gesetz“ ist weitgehend von dem abhängig, was man unter Gerechtigkeit versteht. Gerechtigkeit ist aber weithin nicht nur der Zustand „formaler“ Vollkommenheit, sondern speziell die Tugend des menschlichen Miteinanderlebens, die die Gesamtheit des sozialen Verhaltens bezeichnet.“ 118 Vgl. Smend, R., Luz, U., Gesetz, 47. 119 Vgl. Gutbrod, W., Art. Die Bedeutung des Wortes hr:/t, in: ThWNT IV, 1041: „Neben der vorherrschenden Bedeutung von Gesetz im Sinn des gebietenden Gotteswillens hat aber nÒmoj immer mehr auch einfach die Bedeutung „der Pentateuch“, deshalb wohl, weil das Gesetz als der wesentliche Teil desselben empfunden wurde.“ 120 Smend, R., Luz, U., Gesetz, 48. 121 Insgesamt steht no,moj in der LXX ca. 430 mal (Sg. und Pl.).
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den hellenistischen Juden bei der Einhaltung jedes Einzelgesetzes ‚der‘ nomos als ganzer auf dem Spiel (IV Makk 5,19-21)“.122 Auffallend ist, dass es bei der Übersetzung von hr:/t zu nÒmoj zu Bedeutungsverschiebungen kommt, da der Begriff hr:/t mehrere Bedeutungen umfasst. Es kann sowohl die Weisung des Priesters vor allem in kultischer Hinsicht bezeichnen (meistens hinsichtlich Rein und Unrein), als auch die Einzelbelehrung, die durch Engel gegebene Religionslehre bezeichnet wird (Apg 7,53). Die Tora ist also die Forderung Gottes aber nicht nur als das Gesetz, sondern auch als die Weisung für Israel. Dennoch hat LXX bei der Übersetzung für „no,moj“. Das Wort no,moj bedeutet nach griechischem Sprachgebrauch „Gesetz“, aber auch „Brauch“. Dieser Sprachgebrauch ist im Neuen Testament weitestgehend übernommen worden. Obwohl die rabbinische Tora zugleich für die meisten Fälle äquivalent zum neutestamentlichen nÒmoj verwendet wird,123 darf man dieses Wort nÒmoj nicht mit dem hellenistischen nÒmoj-Begriff identifizieren, sondern muss eben von der hebräischen Tora hr:/t interpretieren.124 Meistens bezeichnet nÒmoj das mosaische Gesetz, nämlich den Pentateuch,125 bzw. die mündliche Tora und die Schrift. Bei den Evangelien kann man die Spur noch sehen. Matthäus und Lukas unterscheiden deutlich zwischen Tora und Schriften bzw. Propheten, z.B.: Ð nÒmoj ka… oi` profh tai : Mt 5,17; 7,12; 11,13; 22,40; Lk 16,16 und Ð nÒmoj ka… oi` profh tai ka… Yalmo… : Lk 24,44 kai. avrxa,menoj avpo. Mwu?se,wj kai. avpo. pa,ntwn tw/n profhtw/n diermh,neusen auvtoi/j evn pa,saij tai/j grafai/j ta. peri. e`autou/Å: Lk 24,27. In diesen Fällen ist es klar, dass Ð nÒmoj den Pentateuch bezeichnet. Bei Paulus wird nÒmoj nicht ganz einheitlich gebraucht.126 Manchmal wird nÒmoj von Paulus auch für Pentateuch (1.Kor 14,21;Gal 4,21) und das ganze AT
122 Amir, J., TRE 13, 53. 123 Vgl. Berger, K., Die Gesetzauslegung Jesu, 36-37. 124 Vgl. Hübner, H., Art. nÒmoj, EWNT II, 1162, er stellt die Frage: „Haben die alexandrinischen Übersetzer des AT die Tora gesetzlich verstanden, wenn sie tora mit nÒmoj wiedergaben?“ Er antwortet mit der Meinung von Gutbrod; „Nach Gutbrod ist damit der in der Tora der späteren Zeit vorherrschende Ton des Gesetzes vollends zum Sieg gebracht und beherrschend geworden (ThWNT IV 1046)“. Vgl. Ishida, Y., Art. Gesetz, TRE 13, 50: „Die alexandrinische Übersetzung verwendet nÒmoj nicht nur für tora, sondern auch für hebr hoq und gebraucht elf Derivate des griechischen Nomos für mehrere verschiedene Ausdrücke des Urtextes; avnomi,a taucht über 200 mal für 24 Entsprechungen auf.“ 125 Gutbrod, W., Art. Das Gesetz im Neuen Testament. ThWNT IV, 1051. 126 Gutbrod, W., Art, Der Sprachgebrauch bei Paulus, ThWNT IV, 1061; er findet den Ausgangspunkt von nÒmoj bei Paulus nicht in der allgemeinen Bedeutung von nÒmoj, „die dann vorwiegend für das mosaische Gesetz verwendet würde“, sondern in der „herkömmlichen Verwendung des Wortes für das bestimmte alttestamentliche Gesetz.“
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gebraucht (Rom 3,19).127 Aber die Hauptverwendung von nÒmoj ist „fordernder Gotteswille“ 128 oder „Willensoffenbarung Gottes“129. Nach W. Gutbrod steht auch nÒmoj für Paulus „vor allem als ein das Tun des Menschen Fordernder im Blick, als ein bestimmter Wille“.130 Paulus stellt gegensätzliche Positionen gegenüber dem Gesetz dar.131 Daher ist es schwer, eine Einheitlichkeit des paulinischen Gesetzesverständnisses zu erkennen. Paulus akzeptiert einerseits, dass das Gesetz eine gottgegebene, heilige Forderung für den Menschen ist. Israel strebte dem Gesetz der Gerechtigkeit nach, aber hat das Gesetz nicht erreicht (Röm 9, 31). Das Gesetz ist Willensoffenbarung Gottes und daher eigentlich „heilig, gerecht und gut“ (Röm 7,12). Das Gesetz ist ursprüglich der Weg „zum Leben“ (Röm 7,10), aber es ist verflochten durch die Sünde und erreicht deshalb nicht sein wahres Ziel. Das Problem besteht nicht im Gesetz selbst, sondern im Verfehlen des Gesetzes durch Israel. Die positive Darstellung des Gesetzes findet sich in Röm 3,31. Paulus fragt „Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben?“ und antwortet gleich mit „Nein“ und betont, „wir richten das Gesetz auf“. Aber andererseits stellt er das Gesetz ganz negativ dar („Denn die aus den Werken des Gesetzes leben, die sind unter dem Fluch. Denn es steht geschrieben: ‚Verflucht sei jeder, der nicht bleibt bei alledem, was geschrieben steht in dem Buch des Gesetzes, dass er es tue‘“ Gal 3,10 ff.), und die Sünde wird vom Gesetz angerechnet und das Gesetz hat die Zeit des Todes für sie geöffnet (Röm 5,13.20; 2. Kor 3,6; Gal 4,8-10). Paulus deutet sogar an, dass das Gesetz möglicherweise nicht von Gott her stammt (Gal 3,15ff), und Paulus identifiziert nicht die Tora (im Judentum), sondern Jesus mit der präexistenten Weisheit (Vgl. Phil 2,6-11; 1 Kor 8,6; 10,1ff).132 Der Mensch kann durch die Tora nicht gerecht werden (Röm 3,28) und die Tora ist durch Jesus Christus aufgehoben („Wenn durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, ist Christus umsonst gestorben“ Gal 2,21). Außerdem benutzt Paulus das Wort Ð no,moj im übertragenen Sinn, z.B Ð no,moj tÁj ¡marti,aj = der von der Sünde mir aufgezwungene böse Wille (Röm 7,25;8,2); oder Ð no,moj toà pneu,matoj tÁj zwh/j = das Gesetz des Geistes und des Lebens (Röm 8,2); oder Ð no,moj toà Cristoà = das Gesetz Christi (Gal 6,2) usw. 127 128 129 130
Vgl. a.a.O. 1062-63. A.a.O. 1062. Hahn, F., Theologie, 238. Gutbrod, W., Paulus, 1061: „Deshalb „tut“ man das Gesetz (Röm 2,25, Vgl Gal 5,3; 6,13). Deswegen gibt es Ÿrga no,mou, vom Gesetz geforderte, dem Gesetz gemäß zu leistende Werke (Röm 3,28 uö).“ 131 A.a.O. 234. 132 Smend, R., Luz, U., Gesetz, 90-91.
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Obwohl der Hebräerbrief dieselbe „dialektisch-kritische Position“ in Bezug auf das Gesetz und das Alte Testament vertritt wie Paulus, steht er aber nach U. Luz im Unterschied zu Paulus nicht mehr in direkter Auseinandersetzung mit dem Judentum.133 Im Hebräerbrief kommt das Gesetz besonders häufig in Bezug auf das levitische Priestertum vor. Dabei setzt der Verfasser voraus, dass das Alte Testament zwar als göttliches Wort vom Himmel her gesprochen ist, es aber durch das levitische Priestertum, das das Volk Israel vom Gesetz empfangen hat, nicht vollendet wurde. Der Autor des Hebräerbriefs vergleicht das levitische Priestertum und den alten Bund mit Jesus, um den neuen Bund und das himmlische Priestertum Jesu zu verdeutlichen. Jesus ist der Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks, und das frühere Gebot wird aufgehoben. Das Gesetz ist schwach und nutzlos geworden (7,17-18). Jesus ist als eine bessere Hoffnung gekommen, weil das Gesetz nicht zur Vollendung gebracht werden konnte (7,19). Der Verfasser verwendet das Wort no,moj nur in Bezug auf das levitische Priestertum und durchweg in abwertendem und negativem Zusammenhang, z.B.: „Denn es ist nicht möglich, durch das Blut von Stieren und Böcken Sünden wegzunehmen“ (10,4), was bedeutet, dass das Gesetz kein Heil schaffen konnte. Bei Paulus liegt der Grund, warum der Mensch nicht geheilt wird, nicht im Gesetz, sondern im Menschen. Aber die negative Sicht gilt nicht für das ganze Alte Testament, sondern betrifft nur das Gebot, den schon kraftlos gewordenen alten Bund Gottes mit den Juden. Anders als im Hebräerbrief und in der paulinischen Aussage wird im Jakobusbrief die Notwendigkeit, das Gesetz zu befolgen, deutlich betont, z. B. „Wer aber in das vollkommene Gesetz der Freiheit hineingeschaut hat und dabei beharrt und ist nicht ein vergesslicher Hörer, sondern ein Täter, der wird selig sein in seiner Tat“ (Jak 1,25). Bei Jakobus findet man auffällige Ausdrücke in Bezug auf das Gesetz, z.B. „Das vollkommene Gesetz der Freiheit“ (1, 25), „das königliche Gesetz“ (2,8), „das ganze Gesetz“ (2,10) und „das Gesetz der Freiheit“ (2,12). Nach F. Mußner bezeichnet „das ganze Gesetz“ auf keinen Fall die altestamentliche jüdische Tora, sondern es sei das christliche ‚Taufwort‘.134 Nach F. Hahn ist das „königliche“ und „vollkommene Gesetz“ das von Jesus gestellte Liebesgebot, und das Liebesgebot ist kein gesetzliches Verhalten, sondern „ein Verhalten, das diesem Freiheit gewährenden Gesetz entspricht.135 Im Jakobusbrief sind besonders die menschlichen Handlungen betont. Wer den Armen mit Hartherzigkeit behandelt, verletzt das Gesetz und wird vom Gesetz als 133 Smend, R., Luz, U., Gesetz, 112. 134 Vgl. Mußner, F., Der Jakobusbrief, 243. 135 Hahn, F., Theologie I, 402.
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Übertreter überführt. Im Jakobusbrief bedeutet der Glauben an Jesus Christus, das Gesetz zu halten. Dies ist die Zusammenfassung von 2,1-13. Wenn man an Jesus Christus glaubt (2,1), erfüllt man das Gesetz nach der Schrift (2,8). Hier ist das Gesetz als Maßstab des göttlichen Gerichtes am Ende der Welt (2,12) dargestellt und es überführt den Menschen als Sünder. Der Verfasser warnt den Leser, der das Gesetz nur teilweise oder gar nicht befolgt. Jakobus geht davon aus, dass der Glaube an Jesus Christus die Werke der Liebe in seinem Leben verwirklichen muss. Sonst ist sein Glauben für Jakobus tot. Im Johannesevangelium kommt das Wort no,moj 15 mal vor. Es bezeichnet inhaltlich wie im Frühjudentum und im Urchristentum sowohl das mosaische Gesetz, nämlich den Pentateuch (z.B. 1,45; 7,19. 23. 51; 18,31; 19,7), als auch das Alte Testament im Ganzen (10,34; 12,34, 15,25). Auffallend ist, dass Johannes aber den Begriff „Gesetz“ bewusst von Schrift (grafh,) unterscheidet. Bei Johannes wird das Wort grafh,, das die gleiche Bedeutung wie das Wort no,moj hat, immer positiv verwendet und besonders als etwas, was von Jesus zeugt (5,39; 7,38.42;20,9;19,37), oder als etwas, was erfüllt werden muss (2,17.22;10,35; 13,18;17,12;19,24.28.36). Anders als Schrift wird Gesetz oft als jüdische Angriffsmethode auf Jesus verwendet (12,34; 19,7). Das Gesetz ist sicherlich die Basis des jüdischen Handelns gegen Jesus. Außerdem wird das Gesetz oft als Grenze verwendet, die Jesus und die Juden voneinander trennt (z. B. „unser Gesetz“ 7,51; 12,34 „eurem Gesetz“; 8,17;10,34; 15,25). Einerseits ist Jesus deutlich von den Juden entfernt, was man z.B. daran sehen kann, dass er den Sabbat gebrochen hat (5,18), aber andererseits wird Jesus vom Gesetz als Messias bezeugt (1,45), er wird nach dem jüdischen Gesetz begraben (19,40) und er fordert die Juden auf, das Gesetz zu befolgen (7,19). Insgesamt wird das Gesetz bei Johannes unterschiedlich gesehen. Es wird einerseits als Angriff der ungläubigen Juden auf Jesus, andererseits als Zeuge von Jesus als Messias verwendet. Jesus interpretiert das Gesetz und streitet darüber mit den Juden, indem er ihnen ihr jüdisches Gesetzeshandeln vorwirft. Das Gesetz selbst ist bei Johannes nicht negativ.
3.4 Was bezeichnet das Wort no,moj im Lukasevangelium? no,moj wird bei Lukas wie bei den anderen Synoptikern nicht als Weisung des Propheten und der Eltern und auch nicht als Einzelgebot der Tora gebraucht,136 sondern als „das Gesetz des AT bzw. das ganze als Gesetz aufgefasste AT“137. 136 Hübner, H., Art. nÒmoj in: EWzNT II, 1163. 137 Bultmann, R., Theologie, 260; Vgl. Conzelmann, H., Grundriss, 245.
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Darum darf man nun nicht no,moj im Sinne Lukas einseitig als Gebot missverstehen. H. Conzelmann stellt daher die These auf, dass „Gesetz und Propheten zusammen einerseits die Grundlage des Bußrufs, andererseits des Weissagungsbeweises bilden“.138 Was bezeichnet das Wort no,moj im Lukasevangelium? Das Wort no,moj kommt im Lukasevangelium neunmal vor, und bezeichnet den Pentateuch.139 Die Darstellung Jesu im Tempel (Lk 2,22.23.24 und 27) bezieht sich auf jeweils Lev 12,1-4; Ex 13,2.15 und Lev 12,6-8 (Lk 2,24.27). Die Eltern Jesu befolgen das Gesetz (Pentateuch). Lk 10,25ff geht um das ewige Leben. Auf die Frage Jesu („Was steht im Gesetz geschrieben?“) antwortet der Schriftgelehrte mit Dtn 6,5 und Lev 19,18. Und wenn das Wort no,moj mit den Propheten oder der Schrift zusammen vorkommt, bezeichnet no,moj hier auch Pentateuch. Und sie bezeichnen zusammen die ganze Bibel (Lk 16,16; 24,44). Auch in der Apg kommt das Wort no,moj häufiger (18 mal) vor, und es steht in der Regel als Bezeichnung für den Pentateuch. Es gibt aber auch Stellen, wo das Wort no,moj in der Apg nicht direkt den Pentateuch bezeichnet (Apg 18;13; 18,15; 23,29), aber durch den Kontext wird deutlich, dass das Wort no,moj sich auf den Pentateuch bezieht. Schlussbemerkung: Das Wort no,moj bezeichnet im Lukasevangelium inhaltlich das mosaische Gesetz und terminologisch den Pentateuch. Lukas hatte Interesse an den Themen, auf die sich das Wort no,moj bezieht. In diesen Themen zeigt sich die theologische Absicht des Lukas. Daher richtet sich die Gliederung meiner Arbeit an diesen Themen aus und werde mich im Folgenden ausführlich mit ihnen auseinandersetzen.
4. Das Gesetzesverständnis Jesu in den synoptischen Evangelien 4.1 Das Gesetzesverständnis Jesu im Markusevangelium (Überblick) Obwohl wir das Gesetzesverständnis Jesu historisch nicht kennen, hatte Jesus sehr wahrscheinlich ein eigenes Gesetzesverständnis, und dieses Gesetzesverständnis spiegelt sich zuerst im Markusevangelium wider. Auffallend ist jedoch die Tatsache, dass das Wort no,moj im Markusevangelium nicht vorkommt. Aber der Verfasser des Markusevangliums beschreibt dennoch die Sache des Gesetzes (z.B. in der „Sabbatgeschichte“ und bei der Fra138 Conzelmann, H., Die Mitte, 148. 139 Klinghardt, M., Gesetz, 306.
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ge nach „Reinheit und Unreinheit“ usw.) und verwendet ¹ ™ntol¾ (das Gebot) statt no,moj (Mk 7,7.8.9;10,19;12,18.31). Viele Neutestamentler bemerken, dass ihm die jüdischen Volkssitten fremd sind (vgl. Mk 7,3f; 14,1.12).140 Aus diesem Grund sagen H. Conzelmann und A. Lindemann, dass der Verfasser des Markusevangeliums „ein uns sonst nicht näher bekannter Heidenchrist ist“141. Es gibt Hinweise darauf, dass Markus sein Evangelium für eine heidenchristliche Gemeinde schrieb (vgl. Mk 3,17; 5,41; 7,11. 34; 9,43; 14,36; 15,22. 34).142 Und es gibt eine deutliche Spur, dass die markinische Gemeinde Heiden einbeziehen will, wie man z. B. an der Verkündigung Jesu in Galiläa (Mk 1-6), die bereits Heiden erreicht (Mk 5,1-20), erkennen kann. Aber natürlich setzte sich die markinische Gemeinde nicht nur aus Heidenchristen zusammen, sondern auch aus Juden. Darum fordert K. Berger in seiner Arbeit »Die Gesetzesauslegung Jesu«, dass das markinische Material auf der Basis der jüdisch-hellenistischen Sicht der Tora verstanden werden sollte.143 Die Szene Reinheit und Unreinheit (7,1-23) weist auf die Judenchristen in der Gemeinde hin, indem Jesus sein Werk mit der Außerkraftsetzung jüdischer Ritualvorschriften beginnt. Aufgrund dieser Geschichte kann man sich vorstellen, dass es in seiner Gemeinde Heiden- und Judenchristen zugleich gab und dadurch zeitweise Probleme entstanden. 7,18ff ist die markinische Antwort auf solche Probleme. Markus votiert für die neue – durch die Autorität Jesu abgeleitete – Praxis des Zusammenlebens von Juden und Heiden in seiner Gemeinde. Für H. Hübner144 tragen besonders die Sabbatgeschichten (2,23-3,6) sowie Reinheit und Unreinheit (7,1-23) und die Ehescheidung (10,2-12) zum Gesetzesverständnis Jesu im Markusevangelium bei. Er sieht auch die Betonung der Autorität Jesu in Bezug auf die Gesetzesfrage: „Die Autorität Jesu ist die Autorität des Evangeliums. Die Autorität des Evangeliums bedeutet aber die Aufhebung der Autorität des Gesetzes“.145 H. Hübner findet in allen drei Perikopen Hinweise auf die Aufhebung des Gesetzes durch Jesu. Er meint, dass Markus einerseits die Erfüllung der Schrift und anderseits die Aufhebung der Tora zugleich betonen will.146 140 Vgl. Conzelmann, H., Lindemann, A., Arbeitsbuch, 320; Lührmann, D., Das Markusevangelium, 6. 141 Conzelmann, H., Lindemann., Arbeitsbuch, 321. 142 Vgl. Schnelle, U., Einleitung, 219. 143 Berger, K., Die Gesetzesauslegung Jesu., 77; Gegen Hübner, H., „Mark vii 1-23 und das ‚Jüdisch-Hellenistische‘ Gesetzesverständnis,“, 319-345. 144 Vgl. Hübner, H., Das Gesetz, 1973. 145 A.a.O. 223. 146 A.a.O. 224.
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Am Schluss bemerkt er zur markinischen Gesetzesfrage: „Markus denkt nicht im geringsten nomistisch. Eher sind Anzeichen dafür vorhanden, dass er das Gesetz als solches ablehnt. Doch kann diese Aussage nicht mit letzter Bestimmtheit gemacht werden“.147 R. Banks148 hat im Jahr 1975 eine neue Interpretation der These von H. Hübner vorgestellt. Seiner Meinung nach interessiert sich Jesus nicht in erster Linie für das Gesetz oder die mündliche Tradition in seiner Lehre, sondern es geht ihm um die Anwendung auf seine Hörer, die Heiden sind.149 Er konzentriert sich besonders auf die markinische Betonung der moralischen Lehre Jesu und darauf, wie seine Lehre in Bezug auf das geschriebene und gesprochene Gesetz kritisiert wird. F. Vouga150 votiert für die These von R. Banks, nämlich, dass Markus kein Interesse an dem Gesetz hat. Die Streitgespräche sind für Markus kein Thema für das Gesetz. Sie unterstützen nur die Autorität Jesu und zeigen die Opposition. 151 Er meint, dass das Gesetz im Markusevangelium unter der Christologie steht und zur Vergangenheit gehört.152 Die Gesetzesfrage im Markusevangelium hat eine ganz enge Beziehung mit der markinischen Christologie und der Betonung der Autorität Jesu. In der Tat gibt es die Tendenz, dass Markus das Gesetz unter die Autorität Jesu als Menschensohn legt. Diese Tendenz gilt auch für die Sabbatgeschichte. Markus will durch die Sabbatgeschichte betonen, dass Jesus der Herr ist und daher Autorität über den Sabbat besitzt. In seinem Aufsatz über die Sabbatperikope Mk 2,23-28 zeigt A. Lindemann, dass Markus die Autorität Jesu als Menschensohn bzw. Christus betont.153 Nach seiner Interpretation von V. 28, geht es nicht darum, dass „der Mensch“ Kriterium für die Tora-Praxis des Sabbatgebots ist, sondern es geht darum, dass der „Menschensohn“ als Christus Herr des Sabbats ist.154 Lindemann votiert nicht dafür, dass man „der Mensch“ (V. 27) und „der Menschensohn“ (V. 28) gleichsetzt.155 Vielmehr sieht er in V. 28 „den Menschensohn“ als Christus, der Vollmacht über den Sabbat hat: „Nicht die Situation des Menschen für sich genommen, entscheidet über die Auslegung des Sabbatgebots, sondern ins Zentrum 147 148 149 150 151 152 153 154 155
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A.a.O. 226. Banks, R., Jesus and the Law, 1975. A.a.O. 248-249. Vouga, F., Jésus et la Loi, 1988. A.a.O. 173. 321. A.a.O. 173-175. Lindemann, A., Der Sabbat, 79-105. A.a.O. 83. A.a.O. 91-92.
rückt jetzt der Gedanke, dass Christus Vollmacht auch über den Sabbat besitzt“.156 H. Sariola schließt, dass die Frage nach dem Gesetz kein zentrales Thema im Markusevangelium ist. 157 Seiner Meinung nach gibt es keine systematische Behandlung dieses Themas im Markusevangelium, wie z.B. das Verhältnis zwischen dem Gesetz und dem Alten Testament sowie dem Gesetz und den Geboten.158 Er bringt die Gesetzesfrage in Verbindung mit Jesu Verhalten gegenüber dem Gesetz und seiner Messianität als der Sohn Davids.159 Die Tora Gottes fungiert als das Kriterium für die Interpretation des Gesetzes Jesu.160 Im Markusevangelium unterscheidet Jesus zwischen dem Gesetz auf der Basis der Vernunft und dem Vergleich zwischen innerlich moralisch und äußerlich rituell und kultisch.161 In der Tat spricht Jesus manchmal positiv über das Gesetz (der Dekalog, das große Gebot) und manchmal negativ (rituelle Reinheit, Ehescheidung, Tempel und der Opferkult). Obwohl Jesus manchmal Ritual und Wert der Ethik ablehnt, ist diese Unterscheidung nicht absolut. Schluss: Auf jeden Fall zeigt sich Jesus im Markusevangelium als der Christus, der mit der eschatologischen Autorität auftritt. Die Tora bleibt noch auf ihrer Position, aber ihre Position steht schließlich unter der neuen Autorität Jesu. Manchmal bleibt die Tora an der Seite des Gespräches oder verschwindet aus der Sicht des Lesers. Jesus ist in diesem Zusammenhang Gesetzeskritiker. Jesus ist zwar nicht gegen die Tora, aber er hat Vollmacht gegenüber der Tora.
156 A.a.O. 93. 157 Sariola, H., Markus und das Gesetz, 1990; Gegen Loader, W.R.G., Jesus’ Attitude, 1997, 124: „His Purpose in writting, therefore, is to present Jesus as Son of God, as good news (1;1), not to provide a treatise on Jesus’ attitude towards Torah. Yet it was impossible to do the former without attention to the latter. The absence of the word, no,moj (‚law‘), in Mark, in no way means that Mark avoided the issues. They are central to the conflict motif which dominates the plot; they are also often incidental, even unintentional. Mark’s complex response to the issues is best seen within the parameters of continuity and discontinuity. The usefulness of this framework is that it sets the discussion in the context of the relationship between Mark’s Jesus and Mark’s understanding of God’s action in history.“ 158 A.a.O. 239.248. 159 A.a.O. 250-251. 160 A.a.O. 251-252. 161 A.a.O. 255-261.
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4.2 Das Gesetzesverständnis Jesu im Matthäusevangelium (Überblick) Matthäus hatte höchst wahrscheinlich die Logienquelle Q,162 die Lukas auch übernommen hat. Aus diesem Grund ist es wichtig, auch die matthäische Interpretation der Gesetzesfrage zu kennen, um das lukanische Gesetzesverständnis besser nachvollziehen zu können. Es ist von Interesse, welche Funktion die Gesetzesfrage in anderen Situationen bei Markus, Matthäus und Lukas hat. Es gibt Diskussionen über die matthäischen theologischen Grundgedanken, die sich mit der Frage beschäftigen, ob es sich um ein judenchristliches 163 oder um ein heidenchristliches Evangelium handelt.164 Das Matthäusevangelium gilt grundsätzlich als ein Dokument, in dem Matthäus Juden erklärt, wer Jesus und was das Evangelium Jesu ist.165 Sein Ziel ist klar, nämlich dass sein jüdischer Leser bzw. seine Gemeinde an Jesus als den in jüdischer Tradition erwarteten Messias glaubt. Es gibt natürlich dafür viele jüdische Hinweise wie 15,24, 10,23 und 10,5f. wo Jesus sagt: „Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel“. Gleichzeitig finden sich aber auch Aussagen, wie z.B. 28,16-20, nach der der Horizont der Mission weltweit sein wird 166, was im Widerspruch zu der o.g. Position steht. Die Aussagen in bezug auf die Heidenmission hat Matthäus von QStoffen und Markus übernommen167 (5,18-20; 13,10; 14,9; 15,39) und betont sie ganz besonders. In Bezug auf das Gesetz im Matthäusevangelium lässt sich erstens sagen, dass Jesus in seinem Leben das Gesetz grundsätzlich bejaht hat. Jesus ist nicht gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen (5,17). Man muss das Gesetz halten, um die Gerechtigkeit zu erlangen. Das Kriterium der Gerechtigkeit war nicht Glauben (vgl. Gal 3,2), sondern Gesetz: „Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht. Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute
162 Luz, U., Das Evangelium nach Mattähus, 56-59. 163 Vgl. Schweizer, E., Theologische Einleitung, 122 ; Gnilka, J., Das Matthäusevangelium II, 515; Luz, U., Die Jesusgeschichte des Matthäus, 1993. 164 Vgl. Clark. K.W., The Gentile Bias in Matthew, 165-172; Meier, J.P., Law and History, 14-21; Conzelmann, H., Lindemann, A., Arbeitsbuch, 331. 165 Conzelmann, H., Lindemann, A., Arbeitsbuch, 332. 166 Ebd. 167 Luz, U., Matthäus, 59.
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so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich“(Mt 5,18-19). Die Voraussetzung dafür, ins Himmelreich einzugehen, ist nach dem Matthäusevangelium das Gesetz zu halten (vgl. 5,20) 168. Jesus lehrt die Essenz des Gesetzes und der Propheten mit einem Wort (Mt 7,12; 22,40) und er steht als die Erfüllung, die alle Propheten und das Gesetz bis hin zu Johannes geweissagt haben (Mt 11,13). Dazu lehrt Jesus das Volk und seine Jünger, dass sie alles, was die Schriftgelehrten und Pharisäer ihnen sagen, tun und halten sollen (23,3). Jesus betont auch „Doch dies sollte man tun und jenes nicht lassen“, womit er die Schriftgelehrten und Pharisäer kritisiert (23,23). Das Gesetz war die Basis für die matthäische Gemeinde. Die matthäische Gemeinde hielt wahrscheinlich noch den Sabbat (Mt 24,20) und die matthäische Gemeinde lebte weiterhin im Kreis des Judentums: Jesus spricht mit Petrus über die Zahlung der Tempelsteuer (vgl. Mt 17,24-27). Die Zahlung der Tempelsteuer wird mit Ex 30,11-16 begründet: „Dies sollen sie geben: jeder, der zu den Gemusterten hinübergeht, einen halben Schekel, nach dem Schekel des Heiligtums, zwanzig Gera der Schekel, einen halben Schekel als Hebopfer für den Herrn. Jeder, der zu den Gemusterten hinübergeht, von zwanzig Jahren an und darüber, soll das Hebopfer für den Herrn geben.“ Obwohl Jesus selbst der Sohn Gottes ist und die absolute Autorität von Gott hat, will er die Beziehung zwischen Israel und Gott im Tempel nicht zerstören. Im Markusevangelium lehnt Jesus das Reinheitsgebot ab (Mk 7,1-23), aber im Matthäusevangelium ist es anders. Es ist klar, dass Matthäus genauso wie Markus die innere Reinheit gegenüber der äußeren Reinheit stark betont. Aber Matthäus lässt die Rede Jesu „alles, was von außen in den Menschen hineingeht, kann ihn nicht unrein machen“(Mk 7,15) aus. Daraus kann man schließen, dass die matthäische Gemeinde das Reinheitsgebot hielt. Es ist offensichtlich, dass Jesus die Forderungen des Gesetzes radikal interpretiert hat (‚Gesetzesinterpret‘). Statt z.B. Mord und Ehebruch zu verurteilen, betont Jesus den Grund, der hinter dem jeweiligen Gesetz steht (Mt 5,21-26. 27-30). Der Mann darf sich nur scheiden, wenn sich seine Frau sexuell unmoralisch („unzüchtig“) verhielt (Mt 5,3132; 19,3-9). Man soll weder bei dem Himmel noch bei der Erde, noch bei Jerusalem, noch bei dem Haupt Versprechungen machen (Mt 5,34-36). Man soll dem Übel nicht widerstreben und soll mehr geben und bieten, was ein anderer bietet (Mt 5,39-42). Man soll sogar seine Feinde lieben und für die bitten, die andere Menschen verfolgen (Mt 5,43-48). Es scheint, dass einige dieser Reden Jesu die Forderung des Gesetzes bedrohen (Z.B. Mt 5,21-26. 27-30. 43-48; 19,17f). Aber Matthäus versteht die Rede 168 Vgl. a.a.O., 334.
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Jesu nicht als Abrogation oder Veränderung des Gesetzes, sondern die matthäische Gemeinde denkt, dass sie im Gegensatz zu anderen pharisäischen Juden das Gesetzes richtig versteht (Mt 5,20). Obwohl der Form nach Antithesen, sind die Reden dem Inhalt nach Gesetzesauslegung. Darum schreibt Matthäus die Sprechform Jesu „Ihr habt gehört (5,21.27.33.38.43), aber ich aber sage euch“ (5,22.28.34.39.44). Das heisst, keine Antithese will die Voraussetzung des Gesetzes noch das Gesetz selber bedrohen, sondern den grundsätzlichen Sinn des Gesetzes lehren. Die Voraussetzung des Gesetzes soll durch die neue Interpretation Jesu verdeutlicht werden. Jesus behält seine strenge Position bei (Mt 5,1719) und fordert das Gesetz richtig zu verstehen und zu halten. Diese Forderung ist typisch für das matthäische Bild Jesu im ganzen Matthäusevangelium.169 Eine zweiter Aspekt in Bezug auf das Gesetz ist die bewusste Distanzierung der matthäischen Gemeinde vom pharisäischen Judentum. Im Matthäusevangelium kommt der Ausdruck „ihre Synagogen“ (4,23; 9,35; 10,17; 12,9; 13,54; 23,34) vor, ebenso wie im Markusevangelium (1,23. 39), hier aber nicht so betont wie im Matthäusevangelium (vgl. Mk 3,1; 6,2; 13,9). Dieser Ausdruck zeigt, dass die pharisäische Synagoge von der matthäischen Gemeinde entfernt ist. Jesus prophezeit Israel als Volk, dass das Reich Gottes von ihnen genommen werde (vgl. 21,43) und er kritisiert die Pharisäer stark (23,1-36). In 27,25 lässt Matthäus die Juden sagen, dass sie für sich selber und für ihre unmittelbaren Nachkommen die Verantwortung dafür übernehmen, wenn Jesus gekreuzigt wird. Matthäus unterscheidet zwischen dem irdischen und auferstandenen Jesus folgendermaßen: Die Juden haben den irdischen Jesus nicht als Messias akzeptiert (23,39; 26,64). Der Missionsfeld des irdischen Jesu ist beschränkt, nämlich ist Jesus nur für Israel gekommen (15,24). Aber der auferstandene Jesus überschreitet die Grenze (29,19). Der auferstandene Jesus öffnet die Tür für die Heidenmission. Diese Überlegungen lassen die Schlussfolgerung zu, dass die matthäische Gemeinde eine gesetzestreue Gemeinde ist, obwohl sie sich zugleich von dem pharisäischen Judentum zu entfernen versucht (Mt 5,20). Die pharisäische Form der Gerechtigkeit ist gerade nicht eine Form von Gerechtigkeit im eigentlichen Sinne. Die pharisäische Gerechtigkeit bezieht sich auf die äußerliche Befolgung des Gesetzes, nicht jedoch auf die inhaltliche.
169 Loader, Wiliam. R.G., Jesus’s Attitude, 261.
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B. Das Gesetz und die Kindheit Jesu nach Lk 1-2
Für Lukas ist die Geschichte Jesu die Erfüllungsgeschichte einer Verheißung.170 Die Ankündigung des Engels über die Geburt Jesu (Lk 1,26-38) ist als die Erfüllung der Verheißung zu sehen (Lk 2,1-7). Obwohl Matthäus auch Jesu Geburt als eine Erfüllungsgeschichte (Mt 1,23) berichtet, ist aber die Erzählart anders. Der matthäische Text beschreibt ein Ereignis („Die Geburt Jesu Christi geschah aber so:“ 1,18), das schon passiert ist. Im Folgenden erklärt er die Bedeutung dieses Ereignisses („Das ist aber alles geschen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns.“ Mt 1,22-23). Sein Kommentar, der Jesu Geburt für eine Erfüllungsgeschichte hält, ist eine absichtliche Interpretation. Die matthäische Erzählart folgt der induktiven Methode. Es sieht so aus, als ob Matthäus schon die alttestamentlichen Zitate gehabt und für diese Zitate dann die passende Geschichte konstruiert hätte (vgl. Mt 1,22; 2,15.17.23; 4,14; 8,17; 12,17; 13,35; 21, 4; 26,56; 27,9). Diese Geschichten haben die Funktion, die alttestamentlichen Zitate zu erfüllen. Demgegenüber erzählt Lukas zuerst von der Ankündigung der Geburt Jesu durch den Engel (Lk 1,26ff) und danach geht die Rede des Engels in Erfüllung (Lk 2,1ff).171 Lukas berichtet nach der deduktiven Methode. Lukas verfährt ähnlich wie Matthäus, wenn er Erfüllungszitate bringt, aber er formuliert anders als Matthäus. Lukas stellt das Geschehen als Bestätigung einer Verheißung dar. Bei der Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers ist es genauso. Der Engel sagt, dass Elisabeth schwanger wird (Lk 1,13ff.) und es geschieht (Lk 1,57ff.). Durch diese Erzählweise beschreibt Lukas die Geburt Jesu flüssig und genau als Erfüllungsgeschichte. Die Geburt Jesu ist von Gott und beschreibt das Kommen des Messias.172 Danach erzählt Lukas als Einziger über die Kindheit Jesu in Bezug auf das Gesetz. Auffallend ist, dass seine markinische Vorlage dazu schweigt. Lukas be170 Vgl. Bovon. F., Das Evangelium nach Lukas, 26: Er unterscheidet die lukanische Heilsgeschichte in zwei heilsgeschichtliche Perioden, nämlich die Zeit der Verheißung und die Zeit der Erfüllung. 171 Bovon. F., Das Evangelium, 121. 172 Vgl. Schürmann, H., Das Lukasevangelium. (HThK 3/1), 121.
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richtet zuerst, dass Jesus beschnitten werden muss (Lk 2,21). Die Beschneidung ist in der Apg für den Heidenchristen nicht unbedingt die Voraussetzung, um ins Volk Gottes aufgenommen zu werden (Apg 15,1ff). Lukas will trotzdem die Beschneidung Jesu nicht verstecken. Vielmehr betont Lukas stark, dass Jesus Jude war und seine Geburt und Kindheit noch jüdischen Gesetzen und Traditionen folgten. Die Eltern Jesu bringen Jesus nach dem Gesetz des Mose in den Tempel 173 und bringen das Opfer, wie es geschrieben steht im Gesetz des Herrn (Lk 2,22ff). Sie tun alles, was das Gesetz des Herrn fordert (Lk 2,39), nicht nur für Jesus, sondern auch für sich selbst. Darüber hinaus berichtet Lukas erneut, dass die Eltern Jesu sowohl nach dem Gesetz als auch nach dem Brauch des Festes handeln (Lk 2,41). Worauf will Lukas damit bei der Darstellung der Kindheit Jesu zielen? Erstens will Lukas erklären, wer Jesus ist und wie er erzogen wird. Jesus ist ein Jude und er wird durch seine Eltern nach dem Gesetz erzogen.174 Nach lukanischer Darstellung ist Jesus ein echter Jude, der einen jüdischen Stammbaum hat (3,23ff.), und Lukas erklärt, dass Jesus durch die Erziehung seiner Eltern von Kindheit an gesetzestreu ist. Dass Jesus ein Jude ist, und dass er nach dem Gesetz erzogen wird, wird in seiner Kindheitgeschichte stark betont. In dieser Geschichte gibt Lukas keinen Hinweis auf einen Konflikt zwischen den Eltern Jesu und der Autorität des Gesetzes. Die Eltern Jesu sind noch positiver dargestellt als die Eltern Johannes des Täufers. Zacharias, der Vater von Johannes dem Täufer, glaubt der Ankündigung des Engels des Herrn von der Geburt eines Sohnes nicht und daraufhin wird er stumm. Aber Maria akzeptiert die Ankündigung der Geburt Jesu sofort und lobt den Herrn (Lk 1,26-56). Nach der Geburt Jesus brachten sie Jesus nach dem Gesetz nach Jerusalem, um ihn dem Herrn darzustellen (2,22) und sie vollendeten alles für ihren Sohn nach dem Gesetz (2,39). In 2,41-52 wird die Geschichte des zwölfjährigen Jesus im Tempel erzählt. Man kann hier die Spannung zwischen den Eltern und dem Kind erkennen. Auf den ersten Blick erscheint Jesus wie ein ungehorsames Kind, aber das entspricht nicht dem lukanischen Zweck. Lukas erklärt vielmehr, dass die Eltern (bzw. seine Leser) hätten wissen sollen, wo Jesus sich aufhält, wo Jesus doch weiß, was sein himmlischer Vater will (V. 49). Außerdem betont Lukas in 2,41-42 stark, dass Jesus und seine Eltern alle Jahre (katV e;toj) nach dem Brauch (kata. to. e;qoj) des Festes hinaufgingen und in V. 51 beschreibt er extra, dass Jesus ihnen 173 Vgl. Schürmann, H., Das Lukasevangelium. 122; „Dass der erstgeborene Knabe im Tempel Gott ‚darstellt‘ wurde, war keine Vorschrift und auch sonst nicht bezeugt.“ Aber ist es für Lukas nicht wichtig. Sein Ziel ist die Erklärung, dass Jesus (durch seine Eltern) von der Kinderheit gesetzestreu ist. 174 Schweizer, E., Das Evangelium nach Lukas, 37.
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untertan (h=n u`potasso,menoj auvtoi/jÅ ) war. Der Höhepunkt in dieser Perikope ist nicht, dass Jesus kein gehorsames Kind ist, sondern die Szene in V. 46-47, als Jesus sich inmitten der Gelehrten aufhält, mit der Lukas die Weisheit Jesu deutlich machen will. Jesus verhält sich nicht wie ein Jünger dieser Lehrer, sondern eher wie einer von ihnen. Somit erfüllt er nicht die Erwartung seiner Eltern, sondern den Willen des himmlischen Vaters. Lukas befürchtete, dass Jesus wie ein ungehorsames Kind erscheinen könnte. Darum schreibt er extra, dass Jesus den Eltern gehorcht. Lukas zeigt, dass Jesus menschlich ein gesetzestreuer Sohn ist (V. 51). Zweitens ist er „der Sohn Gottes“ (Lk 1, 32.35), der schon vorhergesagt wurde. Matthäus benutzt diesen Begriff nicht bei der Geburt Jesu. Lukas stellt Jesus zuerst als den Sohn Gottes in Bezug auf die Christologie vor. Jesu Geburt gehört zum „Heilsplan Gottes“ 175. Matthäus erklärt auch, dass Jesus schon als Messias vorhergesagt wurde, aber seine Erzählart ist anders: Matthäus benutzt direkt die alttestamentlichen Zitate in Bezug auf die Geburt Jesu, um Jesus als Christus darzustellen. In Mk 1, 23 „Siehe, eine Junfgrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immauel geben“ (Jesaja 7,14) und in Mt 2, 6 „Und du, Bethlehem im jüdischen Lande, bist keineswegs die kleinste unter den Städten in Juda, denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.“ (Micha 5,1). Aber Lukas verwendet diese alttestamentlichen Zitate nicht, obwohl das Ziel, nämlich Jesus als Christus darzustellen, das gleiche ist. Anders als Matthäus präsentiert Lukas viele Ankündigungen bzw. Lobgesänge (von Engel Lk 1,26ff.; 2,8ff; von Elisabeth Lk 1,39ff; von Simeon und Hanna 2,22ff.) in der zeitgenössischen Existenz. Hatte er keine alttestamentlichen Belege dafür oder kannte er sie nicht? Lukas präsentiert in dieser Erzählart weiter, wie die Zukunft Jesu sein wird. „Jesus wird groß sein“ und „Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben“ (Lk 2,32). „Jesus wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben“ (Lk 2,33). Es ist von Anfang an ganz deutlich, dass Jesus der Erlöser swth.r und Christus ist (2,11).176 Jesus wird sein Volk von seinen Sünden erlösen (Lk 1,77; 19,9). Lukas erklärt Jesus zuerst in 1, 32-33 für den König der Juden, und später in 2, 32 wird Jesus als Licht für die Heiden dargestellt. Durch die beiden Feststellungen, nämlich, dass Jesus ein gesetzestreuer Jude und der Sohn Gottes ist, will Lukas die Rechtmäßigkeit Jesu zeigen. Jesus ist 175 Petzke, G., Das Sondergut des Evangeliums, 59. 176 Vgl. Schürmann, H., Das Lukasevangelium, 110; „Es handelt sich also nicht um irgendeine, sondern um die messianische Errettung, in der das endgültige Heil zukommt.“; Vgl. Hahn, F., Christologische Hoheitstitel, 270ff.
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nicht nur ein Lehrer oder einer der Propheten, sondern der Sohn Gottes, der Erlöser, der Israel von Gott gesendet wird. In Lk 2 wird die Familie Jesu als gesetzestreu geschildert. Dann wird die Taufe Jesu erwähnt. Auch in der Versuchungsgeschichte (Lk 4), so wie sie Lukas erzählt, kommt etwas wie Gesetzestreue Jesu zum Ausdruck: z.B. indem Jesus ausdrücklich in seinem Verhalten gegenüber dem Satan als am ersten Gebot orientiert dargestellt wird. Anschließend kommt die Predigt Jesu in Nazareth (Lk 4,16ff.). Da geht es nicht um die Einhaltung des Gesetzes im strengen Sinne des Wortes, sondern es geht darum, dass Jesus seine unmittelbare Übereinstimmung mit der biblischen Verheißung zum Ausdruck bringt (Jes 61,1-2). Es wird verdeutlicht, dass Jesus das erfüllt, was die biblische Verheißung zugesagt hat. Das ist natürlich durchaus kein Gebot, aber es ist ein Beispiel dafür, dass Jesus sich im Kontext der biblischen und damit der Toratradition sieht. Auffallend ist, dass Jesus in der Predigt in Nazareth die Tendenz verschiebt. Jesus stellt dar, dass „kein Prophet etwas in seinem Vaterland gilt“ (4,24ff.) mit biblischen Beispielen für den Umgang Gottes mit Heiden (die Witwe von Sarepta und Naaman aus Syrien). Jesus wird da deutlich als im Kontext biblischer Tradition stehend vorgestellt und er betont auch ganz stark, dass er in diesem Kontext steht, aber er hebt Elemente heraus, die etwas mit Heiden zu tun haben. Nach diesen Beispielen wird Jesus von den Juden, die in der Synagoge waren, zur Stadt hinaus gestoßen (4,29). Das ist der erste Konflikt Jesu mit Juden. Jesus geht weiter hinab nach Kapernaum und predigt dort mit Vollmacht und heilt einen Mann, der von einem unreinen Geist besessen war, und Simons Schwiegermutter. Jesus predigt das Evangelium vom Reich Gottes in den Synagogen Judäas. Jesus ruft Simon als seinen Jünger, danach folgt die Geschichte „die Heilung eines Aussätzigen“. Auffallend ist, dass Jesus in dieser Geschichte nicht nur den Aussätzigen heilt, sondern ihm auch befiehlt nach dem Gesetz zu handeln. Bei der ersten Heilung in Kapernaum und Simons Schwiegermutter gab es keinen Hinweis in Bezug auf das Gesetz. Es ist sinnvoll, dass ich mich mit dieser Perikope (Lk 5,12-16) weiter beschäftige und mich frage, ob Jesus weiterhin im Kontext biblischer Tradition steht oder nicht.
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C. Das Gesetz und die Heilung
1. Die Heilung eines Aussätzigen: Lk 5,12-16 1.1 Übersetzung 12 Und es geschah, als er in einer Stadt war, und siehe, da war ein Mann voll Aussatz. Als er aber Jesus sah, fiel er auf sein Angesicht und bat ihn und sagte: Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen. 13 Und Jesus streckte die Hand aus, rührte ihn an und sagte: Ich will, sei gereinigt! Und sogleich wich der Aussatz von ihm. 14 Und Jesus wies ihn hin, es niemandem zu sagen: sondern nachdem du weggegangen bist, zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, wie Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis. 15 Aber die Rede über ihn verbreitete sich immer mehr, und große Volksmengen versammelten sich, ihn zu hören und von ihren Krankheiten geheilt zu werden. 16 Aber er zog sich zurück und war in der Wüste und betete.
1.2 Struktur und Inhalt In dieser Geschichte geht es um Heilung. Es ist nach 4,31-37 und 4,38-41 der dritte Bericht über eine Heilung und Lukas folgt damit der Reihenfolge des Markusfadens. Diese Perikope besteht aus drei Teilen. Der erste Teil ist die Einleitung der Geschichte (V. 12a), in dem Lukas Ort, Zeit und handelnde Personen vorstellt. Im zweiten Teil wird die eigentliche Geschichte erzählt, die von dem Gespräch zwischen Jesus und dem Aussätzigen handelt. Der Aussätzige bittet Jesus um Heilung. Jesus heilt ihn und gebietet ihm sofort, niemandem zu sagen, was ihm passierte. Dazu lehrt Jesus ihn, was er weiter tun soll, nämlich sich dem Priester zeigen und opfern, wie Mose es geboten hat. Der dritte Teil enthält die lukanische Fortsetzung der Geschichte. Die Rede über ihn breitete sich immer weiter aus, obwohl Jesus es nicht wollte. Es kam eine große Menge zusammen, um ihm zuzuhören und von ihren Krankheiten ge-
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heilt zu werden, aber Jesus verhielt sich nicht nach ihren Erwartungen, sondern betete in der Wüste. Die Perikope ist also folgendermaßen gegliedert: 12aa Einleitung in die Geschichte 12ab-14 Die Geschichte 12b Bitte eines Aussätzigen 13a Die Reaktion Jesu auf seine Bitte 13b Das Resultat der Reaktion Jesu 14a Das Gebot Jesu 14b Der Inhalt des Gebotes 15-16 Kommentar des Lukas 15 Die Reaktion der Menge 16 Die Reaktion Jesu gegenüber der Menge
1.3 Analyse Die ganze Geschichte ist in Form einer Wundererzählung geschrieben, deren markinische Textvorlage Lukas in seinem Stil bearbeitet hat. Er schreibt diese Geschichte im sogenannten „Episodenstil“.177 Sie enthält eine perfekte Konstruktion und kann daher an beliebiger Stelle, ohne vordere und hintere Verknüpfung178, stehen. Die Reihenfolge der markinischen Vorlage ist folgende: die Berufung der ersten Jünger (1,16-20), Jesus in Kapernaum (1,21-28), die Heilung der Schwiegermutter des Petrus (1,29-34), die Reise zum Predigen (Mk 1,35-39), die Heilung eines Aussätzigen (1,40-45), die Heilung eines Gelähmten (2,1-12) und die Berufung des Levi (2,13-17). Lukas verändert aber diese markinische Reihenfolge folgendermaßen: Jesus in Kapernaum (Lk 4,31-37), die Heilung der Schwiegermutter Petrus (4,38-42), die Reise zum Predigen (Lk 4,42-44), die Berufung des Petrus (5,1-11), die Heilung eines Aussätzigen (5,12-16), die Heilung eines Gelähmten (5,17-26) und die Berufung des Levi (5,27-32). Warum hat Lukas, anders als in der markinischen Vorlage, die Berufung des Petrus (5,1-11) hinter die Heilung der Schwiegermutter des Petrus (4,38-42) gestellt? Zwar gibt Markus Informationen über Simon und Andreas, aber Lukas fehlt die Information, wie sie zu Jüngern Jesu geworden sind. Markus erwähnt nur, dass sie Fischer waren und Jesus zu ihnen sprach, dass sie ihm folgen sollten. Und sie verließen sofort ihre Netze und folgten ihm nach (Mk 1,16-18). 177 Vgl. Busse, U., Die Wunder des Propheten Jesus, 108. 178 Vgl. Mt 8,1.
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Darum will Lukas dem Leser mehr Information geben, wer Simon ist und wie er Jesu Jünger wird. Bei Lukas tritt Petrus nicht direkt in der Geschichte auf, bevor er zum Jünger berufen wird (Lk 5,4f.). Anders als bei Lukas geht Jesus im Markusevangelium mit Simon und Andreas mit Jakobus und Johannes aus der Synagoge und sie kommen in das Haus des Simon und Andreas (Mk 1,29). Bei Lukas verlässt Jesus die Synagoge allein und kommt in Simons Haus (Lk 4,38). Anders als bei Lukas ging Jesus in Mk 1,35 an eine einsame Stätte und betete dort. Und Simon und die bei ihm waren, suchten Jesus (1,36). Im Lukasevangelium suchte die Volksmenge (oi` o;cloi) Jesus, nicht Simon (Lk 4,42), weil Petrus noch nicht zur Jüngergruppe Jesu gehörte. Lukas gibt zuerst die Infomation, wer Simon ist und erklärt durch den Fischzug des Petrus, wie er zum Jünger Jesu wird. An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob Simon in Lk 4,38f. dieselbe Person wie in Lk 5,4f. ist. Im Markusevangelium ist sicher, dass es sich bei den beiden Simons um dieselbe Person handelt, denn Markus berichtet, dass Simon der Bruder von Andreas ist (Mk 1,16. 29). Lukas wählt gelegentlich in der Apg und im Evangelium häufig ein Verfahren, dass er eine Person kurz erwähnt. Sie verschwindet dann wieder und man fragt sich ein bisschen „wer war das?“ und „wer ist das?“. Später wird die Person dann wichtig. Lukas nennt zuerst indirekt den Namen „Simon“ (4,38). Man weiss nicht, wer Simon ist. Und in 5,1-11 wird erklärt, wer dieser Simon ist (5,1-11). Diese Erzählweise kommt in der Apg auch vor. In der Apg 4,36 wird Barnabas erwähnt. Keiner weiß, warum Barnabas hier plötzlich vorkommt. In 9,27 kommt er wieder vor, in Kap. 11 wird er häufiger erwähnt und in 13,2 wird er ganz wichtig. In 7,58ff. wird Paulus (Saulus) erwähnt. Keiner weiss, warum Paulus hier vorkommt. In Kap. 9 kommt er wieder vor, und ab Kap. 13 wird er wichtig. Auch daher kann bei Lukas vorausgesetzt werden, dass Simon in Lk 4,38f derselbe Simon wie in Lk 5,4f ist. Zweitens nennt Lukas in seinem Evangelium Personen, die für die Handlung keine Bedeutung haben, nicht bei ihren Namen. Er verwendet, genau wie andere Synoptiker, in vielen Geschichten (vor allem in den Heilungsgeschichten und Wundergeschichten) meistens anonyme Personen: ein Aussätziger (Lk 5,12f), ein Gelähmter (Lk 5,17f), der Hauptmann von Kapernaum (Lk 7,1f), der Jüngling einer Witwe (Lk 7,11f) , Jesu Salbung durch die Sünderin (Lk 7,36f) usw.). Lukas hätte hier auch Simon nicht bei seinem Namen nennen müssen, aber Lukas verwendet den Namen. Seine Kontinuität findet sich auch im Weglassen des Namens Andreas. Anders als Markus nennt Lukas Andreas in den beiden Perikopen nicht, sondern sein Name kommt erst in 6,12ff vor. Außerdem schreiben die späteren Schriften D it vgmss den Namen Andreas in Lk 4,38 neben Petrus
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(VAnasta.j de. avpo. th/j sunagwgh/j eivsh/lqen eivj th.n oivki,an Si,mwnoj kai. VAndre,ou), um zu verdeutlichen, dass Simon der Bruder von Andreas ist. Unter dieser Voraussetzung lassen sich die beiden Perikopen flüssiger lesen und die lukanische Konzeption ist insofern verständlicher als dadurch deutlich wird, wie Petrus ein Jünger Jesu werden konnte. 12: Die Geschichte beginnt mit der eigentümlichen lukanischen Konstruktion evge,neto evn tw/| + Inf. (vgl. 1,5.59; 2,1; 3,21; 5,1), in der Lukas den Namen der Stadt, in der sich die Geschichte abspielt, nicht nennt179, aber durch den Hinweis in 4,43-44180: Jesus muss auch in anderen Städten das Reich Gottes weiter verkündigen, ist für den Leser nachvollziehbar, dass es sich um eine dieser Städte handeln muss. Anders als Lukas lässt Markus dieselbe Geschichte (1,40-45) direkt hinter den Versen 38-39 stehen, die eine Parallele zu Lk 4,43-44 darstellen. Lukas hat die Szene vom wunderbaren Fischzug bewusst zwischen die Erzählung von der Heilung der Schwiegermutter (Lk 4,38-44 gleich Mk 1,29-34) und der Heilung des Aussätzigen 5,12f (Par. Mk 1,40f) eingeschoben. Nach Mk 1,39 gehört die Stadt zu Galiläa181, aber Lukas verändert den geographischen Rahmen (4,44; 5,1), indem er statt des Wortes „Galiläa“ (Mk 1,39) das Wort „Judäa“ verwendet (Lk 4,44) und auch kwmopo,leij (Flecken, Dorf182 : Mk 1,38) zu po,lij (Städte : Lk 4,43) vergrößert. Wenn man die Perikopen 4,3844 und 5,12-16 direkt miteinander verbindet, ist „evn mia/| tw/n po,lewn“ („in einer Stadt“ : Lk 5,12) eine Stadt in Judäa.183 U. Busse meint, dass für „Lukas die missionarische Aktivität Jesu für das gesamte Judenland gültig bleiben soll“184, wie Jesus nach der Auferstehung seinen Jüngern befohlen hat (Apg 1,8; vgl. 5,17). • Sprachliche Besonderheiten in V. 12 Als Jesus in einer Stadt war, da kam ein Mann voller Aussatz (avnh.r plh,rhj le,praj) zu ihm und bat ihn um Heilung. Im Lukasevangelium kommen diese 179 Vgl. Schweizer, E., Das Evangelium, 72 180 Vgl. Bovon, F., Das Evangelium, 236-237; Schürmann, H., Das Lukas Evangelium, 275; Schmid J., Das Evangelium, 123; Ernst, J., Das Evangelium, 131. 181 Vgl. Mt 8,1: Bei Mt steht diese Geschichte direkt hinter dem Bergpredigt. Deshalb ist der Platz ein Ort unter dem Berg. 182 Bauer, W., Aland, K. und B.(Hg), Griechisch-deutsches Wörterbuch, 937. 183 Vgl. Conzelmann, H., Die Mitte, 37; Vgl. Bovon, F. Das Evangelium, 237; er meint, der Ort sei ursprünglich in einem Haus. Weil es einem Aussätzigen verboten ist, ein Haus zu betreten, wird Jesus zornig und schickt den Mann sofort weg.“; Gegen Schürmann, H. Das Lukasevangelium, 275. 184 Busse, U., Die Wunder des Propheten Jesus, 103. Gegen Ernst, J., Das Evangelium nach Lukas, 132.
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Menschen zweimal vor, einmal an dieser Stelle und einmal in 17,12. Aber Lukas bezeichnet sie nicht direkt als Aussätzige (lepro.j) im Unterschied zu Mk (1,40) und Mt (8,2), sondern als „einen Mann voller Aussatz“ (avnh.r plh,rhj le,praj) oder als „Zehn aussätzige Männer“ (de,ka leproi. ¨ndrej). Das heißt, Lukas drückt das Wort lepro.j bis auf die Verse 4,27 und 7,22 immer adjektivisch, andere Evangelisten hingegen substantivisch aus. Die substantivische Ausdrucksweise nimmt Bezug (4,27; 7,22) auf das Alte Testament (2 Kö 5,1-14; Jes 35,5.6; 61,1), die adjektivische Ausdrucksweise hingegen ist entweder eine lukanische Veränderung (5,12) oder lukanisches Sondergut (17,12). Wenn er die ihm vorliegende Überlieferung nicht verändern will, übernimmt er sie ohne Änderung. In dieser Art und Weise beschreibt er auch andere Kranke. So berichtet er in 9,18 über „einen Mann, der gelähmt war“ (a;nqrwpon Öj h=n paralelume,noj). Die anderen Evangelisten dagegen bezeichnen diesen Mann als „Gelähmten“ (paralutiko.n). Auch in 13,10-17 fällt diese Erzählweise auf. Diese beiden Geschichten gehören dem lukanischen Sondergut an. Zwar kann man nicht sagen, ob sie aus einer lukanischen Redaktion oder Überlieferung stammen, aber es wird deutlich, dass eine solche adjektivische Beschreibung charakteristisch für die lukanische Erzählweise ist. Außerdem gibt es noch einen Beleg dafür, dass eine solche Beschreibung lukanischer Stil ist: In 14,1-6 bezeichnet er einen Mann nicht als „Wassersüchtigen“(Substantivisch), sondern beschreibt ihn wieder adjektivisch durch die Krankheit (a;nqrwpo,j tij h=n u`drwpiko.j). Warum Lukas diese Schreibweise bevorzugte, wird in der Literatur unterschiedlich erklärt. Handelte es sich um medizinische Ausdrücke oder eine Steigerung der Krankheitssymptome?185 Nach U. Busse geht es um die Personifizierung des Aussatzes: „Während Mk 1,40 den Kranken als „Leprösen“ bezeichnet, personifiziert Lukas den Aussatz von Anfang an.“186 13: In V.13a schildert Lukas, wie Jesus auf die Bitte des Aussätzigen reagiert: Jesus streckte die Hand aus und rührte ihn an. In V.13b wird geschildert, dass ihn die Berührung Jesu wieder gesund macht. Lukas musste wissen, dass die Berührung eines Aussätzigen nach dem Gesetz unrein macht. Trotzdem lässt Lukas Jesus den Aussätzigen berühren, was darauf hindeutet, dass Lukas (wie Markus187)
185 Vgl. Klostermann, Das Lukasevangelium, 71; Pesch, R., Jesu ureigene Taten, 102; Ernst, J., Das Evangelium nach Lukas, 132. Gegen Busse, U., Die Wunder, 112; er meint, „Vielmehr legt der Evangelist Wert auf die Substantivierung le,pra, damit die Krankheit zum dämonischen Gegenspieler Jesu aufgewertet wird“. 186 Vgl. Busse, U., Die Wunder, 110. 187 Vgl. Pesch, R., Das Markusevangelium I, Freiburg. Basel. Wien 1980, 143: „Der Erzähler charakterisiert Jesu Macht als göttliche Macht“
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Jesus als den Messias, der der Gesandte Gottes ist, vorstellen will, weil die Krankheit nur von Gott selbst geheilt werden kann (2 Chr 5,7).188 14: Lukas ersetzt das alltägliche und gewohnte le,gei (Mk 1,44) durch parh,ggeilen. Das Wort paragge,llw ist allgemein in den ptolemäischen Papyri ein Terminus technicus der Gerichtssprache für offizielle Vorladungen, Anweisungen und Aufforderungen.189 Es bedeutet „anordnen“, „einschärfen“ (bei Philo), „anweisen“, „auffordern“, „verbieten“, „befehlen“190, so auch in Lk 8,56; 9,21. Lukas beschreibt die Geschichte objektiver als Markus. Lukas lässt das Wort „evmbrimhsa,menoj“ (Mk 1,43) aus, und erwähnt damit bewusst das Gefühl Jesu nicht.191 Außerdem drückt sich der lukanische Jesu milder aus als der markinische: Lukas schreibt in indirekter Rede (5,14 „auvto.j parh,ggeilen auvtw/| mhdeni. eivpei/n“), während Markus mit dem Imperativ o[ra die direkte Rede (1,44 o[ra mhdeni. mhde.n ei;ph|j) benutzt. So verwendet Markus sowohl die „schärfere“ Wortwahl (V. 43) als auch die eigentlich „strengere“ Form durch die Verwendung des Imperativs (V. 44). Daher hinterlässt Markus den stärkeren Eindruck beim Leser. Jesus wies ihn an, niemandem etwas zu sagen. Als Zeichen der Heilung soll er zum Priester gehen. Dieses „sich dem Priester zeigen“ – Motiv findet sich in 17,14. Diese Tradition stammt aus dem Alten Testament (Lev 14,2-32). Auffällig ist die umgekehrte Behandlung. In 5,14 sagt Jesus zuerst „Sei rein“ und anschließend „geh hin, zeige dich dem Priester“. In 17,14 hingegen müssen die Aussätzigen erst zu den Priestern gehen, obwohl sie noch nicht rein sind. Es fehlt zudem das „Schweigegebot“. Das Schweigegebot ist sicherlich von Markus übernommen.192 Hat das Schweigegebot für Lukas eine geringere Bedeutung als für Markus?193 In Mk 9,2ff beschreibt Markus die Verklärung Jesu. Die Jünger haben gehört, dass Jesus der geliebte Sohn Gottes (Mk 9,7) ist. Danach befiehlt Jesus den Jüngern, dass „sie niemandem sagen sollten, was sie gesehen hatten, bis der Menschensohn auferstünde von den Toten“ (Mk 9,9). Bei Matthäus befiehlt Jesus ebenso wie Markus: „Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist“ (Mt 17,9).
188 Vgl. Bill. IV, 751; Schürmann, H., Das Lukasevangelium, 276; Bovon, F., Das Evangelium, 237. 189 Vgl. Moulton, J.H., Milligan, G., The Vocabulary of the Greek Testament, 481. 190 Vgl. Bauer, W., Aland, K. und B.(Hg): Griechisch-deutsches Wörterbuch, 1240. 191 Vgl. Marshall,I.H., The Gospel of Luke, A Commentary on the Greek Text, 209. 192 Vgl. Ernst, J., Das Evangelium, 132. 193 Ebd.
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Anders als Mk und Mt befiehlt Jesus in Lk den Jüngern nichts, obwohl sie die Stimme Gottes gehört haben: „Dieser ist mein auserwählter Sohn; den sollt ihr hören!“ (Lk 9,35). Lukas berichtet nur, dass „sie schwiegen davon und verkündeten in jenen Tagen niemandem, was sie gesehen hatten“ (Lk 9,36). Lukas schreibt nicht, wie lange sie geschwiegen haben194, obwohl Markus und Matthäus deutlich berichten, dass man bis zu seiner Auferstehung schweigen soll (Mk 9,9; Mt 17,9). Ich folgere daraus, dass Lukas dem Schweigegebot nicht dieselbe Bedeutung beigemessen hat wie Markus.195 Lukas benutzt das Wort kaqw.j, während die anderen Evangelisten ein Relativpronomen benutzen: a] in Mk 1,44, o] in Mt 8,4. kaqw.j ist grammatikalisch gesehen ein Vergleichspartikel, Fragepartikel und eine subordinierende Konjunktion (vgl. Blaß/Debrunner §453). Ich stelle hier die Verwendung von kaqw.j in den synoptischen Evangelien und der Apg dar. 1. Fragepartikel : Mk 4,33; 15,8; Apg 2,4; 7,44; 15,14; 11,29 2. Vergleichspartikel: Lk 1,2.55.70; 2,23; 5,14; 6,31.36; 11,1.30; 17,26.28; 19,32; 22,13.29; 24,24.39 Apg 15,15; 22,3; Mt 26,24; 28,6; Mk 1,2; 9,13; 11,6; 14,16.21; 16,7 3. Zustandsangabe Apg 2,22; 7,42.48 4. Zeitangabe Apg 7,17 • kaqw.j als die historische Erzählweise für die Geschichte Lukas benutzt kaqw.j häufiger als die anderen Evangelisten (Lk 17 mal; Apg 11 mal; Mt 3 mal; Mk 8 mal). Die hauptsächliche Verwendung von kaqw.j im Lukasevangelium dient möglicherweise der Darstellung als objektive, sachliche Erzählung (Lk 1,2), so wie ein Historiker eine Geschichte schreibt. Lukas erklärt in seinem Vorwort (1,1-4), wie er sein Doppelwerk schreiben wird: Er berichtet dem Leser, dass viele Menschen die Geschichten, „die unter uns geschehen sind“ (1,1) aufgeschrieben haben, so wie die, die die Geschichten von Anfang an selbst gesehen und uns überliefert haben (kaqw.j pare,dosan h`mi/n oi` avpV avrch/j auvto,ptai kai. u`phre,tai geno,menoi tou/ lo,gou). 194 Gegen Vgl. Schmithals, W., Das Evangelium, 70; meint, der Geheilte darf sein Schweigen brechen, wenn er alles nach dem Gesetz tun. Vgl. Schürmann, H., Das Lukasevangelium, 277. 195 Vgl. Bovon, F. Das Evangelium, 240; Ernst, J., Das Evangelium, 132.
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Durch diesen Prolog erläutert Lukas, dass er sein Doppelwerk ebenso (kavmoi; 1,3a) »wie sie uns überliefert haben«, schreiben will. Dieser Satz weist auf die lukanische Erzählweise hin. Obwohl Lukas die Verkündigung mehr betont als die historische Darstellung, schreibt er doch sehr stark historisch. Daher schreibt er die Ereignisse von Anfang an sorgfältig auf und versucht so objektiv bzw. sachlich zu sein wie möglich; „wie sie uns überliefert haben“ (1,2a), „von Anfang“ (1,3) und „in guter Ordnung“ (1,3). Er schreibt die Geschichte Jesu im engen Zusammenhang mit der irdischen Geschichte (Lk 1,5; 2,1; 3,1) auf. Diese Tendenz wirkt sich auch auf sein Jesusbild aus: Lukas (5,12-16) schildert im Gegensatz zu Markus (Mk 1,41.43) keine Gefühle Jesu. • kaqw.j als Vergleichspartikel In der Apg benutzt Lukas kaqw.j, um die Geschichte Israels bzw. Jesu als die Erfüllung des Buches der Propheten darzustellen (Apg 7,42; 15,15), ebenso wie die anderen Evangelisten (Mk 11,6; 14,16; 15,8; 16,7). Auffallend ist es, dass das Wort kaqw.j als Fragepartikel, Zustandsangabe und Zeitangabe im Lukasevangelium nicht vorkommt. Im Lukasevangelium kommt es nur als Vergleichspartikel vor (Lk 1,2.55.70; 2,23; 5,14; 6,31.36; 11,1.30; 17,26.28; 19,32; 22,13.29; 24,24.39). Lukas schreibt, dass die Eltern Jesu die Forderungen des Gesetzes nach dem Gesetz des Mose befolgen. In 2,22-32 schildert Lukas die Kindheit Jesu so, dass deutlich wird, dass er in einem gesetzestreuen Elternhaus aufwächst. 15: In Vers 15 fügt Lukas einen Ergänzungskommentar ein, der das Resultat der Handlung Jesu beschreibt und erklärt, warum die große Menge zu Jesus kommt.196 Lukas schildert hier, dass Jesus zugleich heilt und das Evangelium verkündet (vgl. Lk 7,22; 9,6.11; 10,9 usw.).197 16: Lukas schreibt, wie Jesus auf die Menge reagiert. Lukas folgt hier Markus, fügt aber hinzu, dass Jesus betet (16b). Dies betont Lukas sehr stark und erklärt weiter, wie wichtig das Gebet im Leben Jesu198 und seiner Jünger ist (vgl. 3,21; 6,12; 9,18.28-29; 11,1; Apg 1,24; 2,42; 3,1; 4,31).199
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Vgl. Lk 6,17. Vgl. Ernst, J., Das Evangelium nach Lukas, 132. Vgl. Ernst, J., Das Evangelium, 132-133. Zu diesem Thema : Ott, W., Gebet und Heil, 1965.
• Sprachliche Besonderheiten in V. 16 Warum hat nur Lukas in V.16 die Pluralform von e;rhmoj verwendet? In welcher Beziehung steht das Wort e;rhmoj zum Gesetz bei Lukas? Lukas hat allein den substantivischen Plural von e;rhmoj verwendet, während die anderen Synoptiker nur die Singularform benutzt haben. Die substantivische Pluralform kommt dreimal im ganzen NT vor und sie kommt nur im Lukasevangelium vor (1,80; 5,16; 8,29). Was bedeutet das? Kannte Lukas nur die Pluralform? Woher kannte er sie bzw. wovon wurde er beeinflusst? Welches sprachliche Ziel verfolgt er? Der Grund dafür, so die Meinung von R. Pesch, weshalb Lukas die Pluralform benutzt, ist der, dass er eine Bewegung Jesu („ein Herumwandern“) beschreiben will.200 Diese Erklärung gilt jedoch nicht für die beiden anderen Textstellen (1,80; 8,29), denn Lukas verwendet die Singular- und die Pluralform nicht konsequent, aber mit diesem Aspekt werde ich mich in der Analyse noch ausführlich beschäftigen. Lukas schreibt evn tai/j evrh,moij in V. 16, Markus schreibt evp v evrh,moij to,poij (1,45), Matthäus hingegen lässt die Ortsangabe aus. Markus benutzt die Pluralform nur an dieser Stelle. Er verwendet im Gegensatz zu Lukas kein Substantiv, sondern ein Adjektiv. Lukas muss also die markinische Überlieferung absichtlich verändert haben. Die Pluralform vom e;rhmoj kommt zwar in der LXX viermal vor (Sir 9,7 mh. perible,pou evn r`u,maij po,lewj kai. evn tai/j evrh,moij auvth/j mh. planw/; PsSal 5,9 ta. peteina. kai. tou.j ivcqu,aj su. tre,feij evn tw/| dido,nai se u`eto.n evrh,moij eivj avnatolh.n clo,hj; PsSal 17,17 evplanw/nto evn evrh,moij swqh/nai yuca.j auvtw/n avpo. kakou/ kai. ti,mion evn ovfqalmoi/j paroiki,aj yuch. sesw|sme,nh evx auvtw/n; Hes13,4 oi` profh/tai, sou Israhl w`j avlw,pekej evn tai/j evrh,moij), aber es wird nie adjektivisch benutzt. In diesen Formen kommt der gleiche Ausdruck „evn tai/j evrh,moij“ in der LXX zweimal (Sir 9,7; PsSal 17,17) vor. Daher kann man sagen, dass „evn tai/j evrh,moij“ (Lk 5,16) näher an der LXX ist als „evp vevrh,moij to,poij“ (Mk 1,45). Das zeigt, dass bei Lukas die Sprachkompetenz höher war als bei den anderen Synoptikern. Hat Lukas aus semantischen Gründen sowohl die Singular- als auch die Pluralform benutzt? Worin liegt der Unterschied zwischen der Singular- und der Pluralform? Wenn Lukas sich mit seinem Stil absichtlich der LXX annähern wollte, muss man in der LXX überprüfen, welchen Unterschied es zwischen der Singular- und der Pluralform gibt.
200 Pesch, R., Jesu Ureigen Taten, ein Beitrag zur Wunderfrage, Freiburg 1970,106.
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In der LXX findet sich der Singular von e;rhmoj mehr als 350 mal. Die LXX übersetzt rB;d>mi über 250 mal mit e;rhmoj und hb'r'[ über 60 mal], an den übrigen Stellen steht e;rhmoj für hB'r>x' und ~jEv'. Der Plural hingegen kommt in der LXX nur 26 mal vor. Er steht meistens für hB'r>x' (14 mal), ~jEv' (viermal) und rB;d>mi (zweimal). Daher kann man sagen, dass die Bedeutung des Singulars dem Wort rB;d>mi nahekommt, die Bedeutung des Plurals hingegen dem Wort hB'r>x'. Diese Tendenz ist auffällig; trotzdem kann man nicht mit Sicherheit sagen, ob Lukas den Singular mit der Bedeutung rB;d>mi verwendet bzw. den Plural durch hB'r>x' ausgedrückt hat. Das Wort rB;d>mi bedeutet „Trockene oder halbtrockene Gebiete, die wegen ihrer Wasserarmut für Landwirtschaft und bäuerliche Ansiedlungen ungeeignet sind“.201 Das Wort hB'r>x' bezeichnet meistens eine „Trümmerstätte“ (Lev 26,33; Jes 58,12; Jer 30,7; 51,2; Hes 13,4; 36,33.35.38), „einen stillen Winkel“ (Sir 9,7), „Öde“ (Pss 5,9) oder „Wüste“ (Pss 17,17). Das Bedeutungsfeld dieses Wortes ist so mannigfaltig, dass man nicht genau sagen kann, in welcher Bedeutung Lukas den Plural benutzen wollte. W. Bauer unterscheidet die Singular- und Pluralform von e;rhmoj semantisch voneinander: Seiner Meinung nach bezeichnet der Singular ‚Wüste, Einöde und Steppe’, der Plural ‚einsame Gegenden‘.202 Dieser Erklärung kann ich nicht zustimmen, denn Lukas benutzt, wie oben gesagt, die Singular- und Pluralform semantisch nicht konsequent, z.B. beschreibt Lukas denselben Ort (dies muss historisch nicht derselbe Ort sein, obwohl es durch den Kontext wahrscheinlich ist), wo Johannes der Täufer war, einmal mit dem Singular (evn th/| evrh,mw 3,2) und einmal mit dem Plural (evn tai/j evrh,moij 1,80). Wenn Lukas das Wort semantisch unterschiedlich benutzt hätte, warum hat er nicht dasselbe Wort (entweder Pl. oder Sg.) für denselben Ort benutzt? Diese Textstellen zeigen, dass Lukas die beiden Formen nicht semantisch unterschiedlich verwendet hat.203 Was kann ein anderer Grund für die Verwendung des Plurals sein? Der einzige Grund liegt m.E. in den unterschiedlichen Quellen. Obwohl sowohl in 1,80 als auch in 3,2 beschrieben wird, wo Johannes der Täufer wirkte, sind jedoch die Quellen unterschiedlich, so ist Lk 1,80 lukanische Redaktion, während Lk 3,2 synoptische Tradition ist. Lukas schob diese ganze Geschichte von „Jesu Geburt“ bis „Jesu Kindheit“ (2,1-52) vor die Geschichte „Johannes der Täufer“ (3,1ff), damit der Leser die Geschichte Jesu und die Johannes des Täufers parallel lesen kann (besonders ihre 201 Talmon, S., Art. rB;d>mi, in: ThWAT Ⅳ, 664. 202 Bauer, W., Aland, K. und B.(Hg): Griechisch-deutsches Wörterbuch, 625. 203 Schürmann, H., Das Lukasevangelium, 279; meint: „die Wüste ist nicht mehr (wie bei Mk) Versammlungsort für die Massen, sondern das Rückzugsgebiet Jesu, der so unnahbar in die Einsamkeit des Gebetes gestellt wird.“ Vgl. Ernst, J., Das Evangelium, 132-133.
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Geburt bzw. Kindheit). Dies führt jedoch dazu, dass der Text nicht ganz so flüssig zu lesen ist, wie wenn z.B. das ganze Kap. 2 weggelassen worden wäre, denn Lukas berichtet in 1,80, dass Johannes der Täufer in der Wüste war, bis zu dem Tag, an dem er vor das Volk Israel treten sollte, und er knüpft daran an und sagt, dass das in der Wüste geschehen sei („das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, in der Wüste“: 3,2). Ich habe oben nachgewiesen, dass Lukas die beiden Formen semantisch nicht immer konsequent benutzt hat. Warum verwendet er sie unterschiedlich? Ist dies der lukanische Stil? Tatsächlich kommt die Pluralform von e;rhmoj als Substantiv nur im Lukasevangelium vor (evn tai/j evrh,moij :Lk 1,80; 5,16 und eivj ta.j evrh,mouj: Lk 8,29).204 Von großem Interesse ist, dass Lukas dort die Pluralform als Substantiv benutzt, wo er entweder einen eigenen Kommentar bzw. eine Ergänzungserklärung (Lk 1,80; 8,29) abgibt, oder wo er seine Vorlage verändern will (V. 5,16).205 Daran kann man erkennen, dass Lukas die Pluralform dann benutzt, wenn er ein eigenes Sondergut oder einen eigenen Ausdruck benutzen will. Durch diese Schreibart kann man im Text unterscheiden, was ein lukanischer Ausdruck bzw. Sondergut ist. Man kann aber nicht sagen, welche Singularform ein lukanischer Ausdruck ist, weil sie auch von anderen Evangelisten benutzt wird. Es ist besonders interessant, dass alle lukanischen Singularformen (3,2.4; 4,1; 7,24; 15,4) Parallelen haben. Das heißt, dass sie Überlieferungen sind und Lukas sie einfach unverändert gelassen hat. In 15,4 schreibt Lukas evn th/| evrh,mw, wo Mt ta. o;rh schreibt (Mt 18,12 ). Diese kleine Abweichung von Matthäus lässt vermuten, dass Lukas entweder eine andere Überlieferung benutzt hat oder eine andere topografische Vorstellung hatte. Möglicherweise kannten die anderen Verfasser des NT, wie Matthäus, die Pluralform nicht oder wollten sie, wie Markus, nicht substantivisch benutzen. Lukas hingegen benutzt die Pluralform bevorzugt, wenn er etwas mit eigenen Worten ausdrücken will. In Lk 5,16 wird die Pluralform von der markinischen Überlieferung beeinflusst. Es bedeutet nicht „ein Herumwandern“ Jesu, sondern eher „einen einsamen Ort“ wie bei Markus (Mk 1,35). In der Apg kommt die Singularform (e;rhmoj) nur achtmal (7,30.36.38.42.44; 8,26; 13,18; 21,38) vor, und zwar immer in der Bedeutung „Wüste“. In Bezug auf das Gesetz kommt das Wort e;rhmoj in der Rede von Stephanus (Apg 7,30204 Im Mk kommt einmal das Wort evpV evrh,moij to,poij (1,45) vor. Es ist aber kein Substantiv, sondern ein Adjektiv. 205 Lk 1,80; 8,29 sind die lukanische Fassung, denn sie haben keine Parallele und sind eigener Kommentar. Obwohl Lk 5,16 eine Vorlage (Mk 1,45) hat, ist diese Textstelle eher lukanischer Ausdruck (evn tai/j evrh,moij) bzw. Ergänzung (kai. proseuco,meno) als markinische Fassung.
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44) vor. Die Wüste ist da ein Ort, wo Mose vom Engel das lebendige Wort (die Tora) bekommen hat (7,38). Mose wird als der Vermittler der Tora vorgestellt und die Engel werden als Mittler der Tora bezeichnet.206 Die Tora wird hier als »lebendige Worte« (Dtn 32,46-47), die das Leben Gottes dem Menschen vermitteln,207 vorgestellt. Das Gesetz wurde positiv dargestellt.208 Als Mose das Gesetz auf dem Berg Sinai in der Wüste empfangen hatte, war es ein lebendiges Wort, aber seine eigene Lebensfähigkeit wurde durch die Tradition und die Interpretation des Menschen verdeckt. Dahinter steht der Gedanke, dass Jesus, der als zweiter Mose in Bezug auf seine Funktion in der Heilsgeschichte Israels vorgestellt wird, Israel mit dem Lebenswort konfrontiert und Israel die verdeckte Lebensfähigkeit des Gesetzes wieder lehrt.209
1.4 Das Gesetzesverständnis Jesu in Lk 5,12-16 Welche Einstellung hatte Jesus gegenüber dem Gesetz? Obwohl das Geschehen das gleiche wie im Markusevangelium ist, 210 hat Lukas es durch das Wort kaqw.j auf andere Weise formuliert. Lukas berichtet, dass Jesus dem vom Aussatz geheilten Mann befahl, sich dem Priester zu zeigen211 und zu opfern212, wie Mose geboten hat. Diese Szene zeigt, dass Jesus der Forderung des Gesetzes gehorcht, wie man auch schon in seiner Kindheit213 (Lk 2,22ff) sehen kann. Es kann ein lukanisches Ziel sein,214 allen Lesern zu zeigen, dass Jesus vor dem Gesetz Respekt hat.215
206 Pesch, R., Die Apostelgeschichte V/1, 254. 207 Roloff, J., Die Apostelgeschichte, 123. 208 Ebd. Er schreibt, „Eine Abwertung des Gesetzes ist damit hier keineswegs impliziert, wie der Kontext zeigt, der Engel gilt als der offizielle Vertreter Gottes.“ 209 Ebd. 210 Vgl. Loader, W.R.G., Jesus’ Attitude, 308; er schreibt wie folgt: „the story of the leper’s healing, is intended to prepare the hearer for the controversies which follow. 211 Vgl. Lev 13,49. 212 Vgl. Lev 14,1-32. 213 Lukas will beweisen, dass Jesus ein gesetzestreuer Sohn Israels ist, während die Eltern Jesu alles getan haben, was das Gesetz fordert. 214 Vgl Ernst, J., Das Evangelium, 132 ; Schweizer, E., Das Evangelium, 72; sieht hier eine apologetische Bedeutung; Vgl. Nolland, J.L., Luke, Word Bibl Comm 35 ABC, Dallas 1989, 228; Vgl. Turner, M.M.B. „The Sabbath, Sunday, and the Law in Luke/Acts,“ in From Sabbath to Lord’s Day. A Biblical, Historical and Thological Investigation, edited by D.A.Carson, (Grand Rapids 1982), 99-157. 109; Salo, K., Luke’s Treatment of the Law. A Redaction-Critical Investigation, Helsinki 1991 (Annales Academiae Scientiarum Fennicae Dissertationes Humanarum Litterarum 57), 71-72: Sie meinen, dass Lukas absichtlich den Gegnern Jesu mit diesem Beweis
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W. Radl erklärt, dass Lk 1,55.70; 2,20; 5,14; Apg 7,44.48 mit kaqw.j auf das AT verweist. U. Busse fügt hinzu, dass „diese Partikel auf Anspielungen aus alttestamentlichen Schriften oder Vorschriften hinweist“.216 Diese Erklärungen sind zwar richtig, aber noch nicht ausreichend. Lukas verwendet kaqw.j, um den vom Aussatz Geheilten (5,14) bzw. den Leser auf das AT zu verweisen. Markus hingegen verwendet a] prose,taxen Mwu?sh/j (1,44), was Matthäus zu o. dw/ron o]] ... erweitert und verdeutlicht (Mt 8,4). Die beiden Akkusative „a] prose,taxen Mwu?sh/j“ (was Mose angeordnet hat; Mk 1,44) und „o. dw/ron o]] ...“ (die Gabe, die ...Mt 8,4) beziehen sich auf den Inhalt nämlich ein bestimmtes Opfer bzw. einen bestimmten Gegenstand, wie es im Gesetz des Mose angeordnet ist. Bei Lukas liegt die Betonung nicht so sehr auf dem, was er opfern muss, sondern dass er überhaupt opfern muss, gemäß dem was Mose geboten hat. Worin das Opfer dann besteht, interessiert den Evangelisten an der Stelle nicht so sehr. Was ist der Unterschied zwischen kaqw.j (Lk 5,14) und a] (Mk 1,44)? kaqw.j macht den Unterschied zwischen dem Subjekt und dem Objekt deutlich. So erklärt Lukas z.B., wie er sein Evangelium schreiben will, nämlich „wie sie uns überliefert haben“ (1,2a). Das zeigt, dass Lukas nicht selbst etwas kreativ gemacht hat, sondern nur schreibt, was von anderen überliefert worden ist. Die Verantwortung für das, was Lukas schreibt, liegt nicht bei Lukas selbst, sondern bei denen, die Lukas diese Geschichte überliefert haben. Hier findet sich die Differenz zwischen Lukas und dem, was er schreibt. Genauso wie in Lk 1,2 macht kaqw.j die Differenz zwischen Jesus und dem Gesetz in Lk 5,14 deutlich, deutlicher als bei den anderen Synoptikern. Anders als Lukas benutzen Markus und Matthäus die Relativpronomen a] (Mk) und o]] (Mt). Diese Pronomen betonen, dass es sich um ein bestimmtes Opfer handelt. Der Fokus bei Mk und Mt liegt nach wie vor (1,41) auf Jesus als Lehrer, der das Gesetz des Mose befiehlt. Bei Mk und Mt verweist Jesus auch auf das Gesetz („geh hin und zeige dich dem Priester und opfere“ ), aber durch die Verwendung der Relativpronomen wird Jesus als Lehrer dargestellt, der das Gesetz des Mose befiehlt, und nicht das Gesetz betont. Der Unterschied liegt also darin, dass bei Lk das „Wie“ des Opferns betont wird, während bei Mk und Mt das „Was“. Jesus ist bei Mk und Mt in diesen Perikopen als Heiler und Lehrer die Hauptperson. Markus stellt das Gefühl Jesu „splagcnisqei.j„ (1,41) in den Mittelpunkt und betont die Handlung Jesu „evmbrimhsa,menoj“ (1,43). Jesus heilt die Krankheit zeigen, dass Jesus das Gesetz befolgt hat. Gegen Schürmann, H., Das Lukasevangelium. Erster Teil.(HThK 3/1), 277. 215 Vgl. Schmithals, W., Das Evangelium, 70, er meint, Jesus ist für Lukas ein rechter Israelit. 216 Busse, U., Die Wunder, 109.
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und lehrt das Gesetz. Die Aufmerksamkeit des Geheilten und des Lesers bleibt auf Jesus gerichtet. Anders als Markus beschreibt Lukas die Handlung Jesu sachlich, ohne das Gefühl Jesu zu erwähnen und ohne der Handlung Jesu etwas hinzuzufügen. Bei Lukas findet sich die Tendenz, die Aufmerksamkeit nicht auf Jesus zu richten, sondern auf das Gesetz selbst. Jesus heilt und verweist auf das Gesetz. Die Aufmerksamkeit wird durch kaqw.j von Jesus auf das Gesetz gelenkt. Bei Lukas fordert Jesus nicht, dass man die vom Gesetz befohlenen Dinge tun soll, sondern er verweist auf das Gesetz des Mose. Dieses Bild Jesu wird durch kaqw.j bestätigt. Bei Markus und Matthäus verweist Jesus auf den Inhalt des Gesetzes, bei Lukas hingegen wird die Differenz zwischen Jesus und dem Gesetz deutlich. Der Unterschied zwischen Lukas und den beiden Synoptikern ist ganz wichtig für ihren theologischen Aspekt. Entscheidend ist, wo der Fokus bzw. die Aufmerksamkeit liegen. Bei Markus und Matthäus liegt der Fokus von Anfang an immer auf Jesus, aber bei Lukas wird der Fokus geteilt, einmal liegt er bei Jesus und ein anderes mal liegt er bei dem Gesetz. Wenn Jesus im Markus- und Matthäusevangelium als Heiler und Lehrer des Gesetzes dargestellt wird, wird er in Lk 5,12-16 als Heiler und Wegweiser dargestellt, der jemandem den richtigen Weg zeigt. Er verhält sich objektiv wie ein Wegweiser, ohne seine Gefühle auszudrücken. Deswegen ist das Wort parh,ggeilen (V. 14) eher mit ‚anweisen‘ oder ‚anordnen‘ als mit ‚befehlen‘ zu übersetzen217, da dies nicht zum Begriff „Wegweiser“ passt. Welchen Bedeutungsunterschied gibt es zwischen dem Lehrer und dem Wegweiser? Wo Jesus als Lehrer dargestellt wird, findet sich die absolute Autorität bzw. Vollmacht Jesu gegenüber dem Gesetz. Jesus tritt als jemand auf, der sich sozusagen über die Weisung des Gesetzes stellt. Aber wo Jesus als Wegweiser dargestellt wird, findet man gar keine Vollmacht Jesu gegenüber dem Gesetz, sondern eher den Respekt vor der Aufgabe des Gesetzes. Im Lukasevangelium hat Jesus seine eigene Funktion, und das Gesetz hat seine eigene Funktion und Jesus akzeptiert die Funktion des Gesetzes, denn Jesus kann selber nicht beweisen, dass der Aussätzige geheilt wurde. Diese Aufgabe übernimmt der Priester auf der Grundlage des Gesetzes (vgl. Ex 13,2-14; 13,32). Jesus nimmt in 5,12-16 die Funktion des Heilers ein, während das Gesetz hier die durch Jesu geschehene Heilung bestätigt. Das Gesetz hat bei Lukas oft die Funktion des Beweises, was Jesus getan hat (z.B. auch bei 24,27.44). Jesus kann dies selber nicht beweisen, da das Beweisen nicht zu seinen Aufgaben gehört. Bei Markus und Matthäus findet sich dieselbe Funktion des Gesetzes (Mk 1,44; Mt 8,4). Zwar befiehlt Jesus als vollmächtiger Lehrer des Gesetzes bei Mk und 217 Vgl. Moulton, J.H., Milligan, G., The Vocabulary of the Greek Testament, 481.
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Mt die Befolgung des Gesetzes, aber bei Lk lehrt er nicht direkt, was das Gesetz fordert, sondern Jesus verweist lediglich auf das Gesetz. Auch in 10,26 wird eine ähnliche Szene beschrieben. Ein Schriftgelehrter kommt und fragt, wie er das ewige Leben erlangen kann (Lk 10,25). Da zeigt Jesus auf das Gesetz: „Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?“ (Lk 10,26). Jesus übernimmt die Funktion des Gesetzes nicht. Jesus wird nicht als vollmächtiger Lehrer des Gesetzes dargestellt, sondern er verweist auf das Gesetz wie ein Wegweiser. Jesus respektiert das Gesetz und sie haben jeweils ihre eigene Funktion. Es ist bei Lukas von Anfang bis zum Ende seines Werkes völlig klar, dass Jesus »Heilsbringer218« ist (Lk 2,11; Apg 5,31; 13,23), aber Jesus löst das Gesetz nicht ab, sondern er respektiert die Funktion des Gesetzes. Wie schon in Kapitel A. 2. (Forschungspositionen) dargestellt, sind Vertreter der ersten Position der Auffassung, dass das Gesetz zur alten Epoche gehört und diese Epoche sei durch die neue Epoche abgelöst worden. Weiterhin behaupten sie, dass das lukanische Interesse in Bezug auf das Gesetz nur einseitig im Rahmen der Heilsgeschichte verstanden wird, dass Jesus also im Zentrum bleiben und das Gesetz nur als Nebensache verstanden werden müsse.219 M.E. steht Jesus zwar im Zentrum, aber das Gesetz nimmt eine gleichrangige Position ein. Blomberg betont besonders, dass das Sabbatgesetz durch die Autorität Jesu gebrochen worden ist.220 Aber das Gesetz hat meiner Meinung nach auch nach dem Auftritt Jesu die gleiche Stellung. Darum kann ich den Thesen, dass das Gesetz nicht mehr gültig sei bzw. dass Lukas kein Interesse am Gesetz hatte, nicht zustimmen. J.A.Fitzmyer beschreibt die drei Funktionen des mosaischen Gesetzes221: (1) Das Gesetz als Norm. (2) Das Gesetz im Sinne des prophetischen Begriffes. (3) Das Gesetz als ergänzende Form. Nach Fitzmyer gehört diese Perikope (Lk 5,12-16) zur ersten Funktion, nämlich das Gesetz als Norm: „All these instances drawn from the Lucan Gospel reveal the normative character of the Mosaic Law precisely in the Period of Jesus.“222 Ich aber sehe in dieser Perikope noch eine zusätzliche Funktion, nämlich das Gesetz als Beweis. Jesus hat hier die Funktion des Heilers und das Gesetz hat die Funktion, die Handlung Jesu zu beweisen. Bei Lukas wird diese Differenz der beiden Funktionen durch kaqw.j deutlich.
218 219 220 221 222
Nur Lukas allein benutzt den Begriff »swth.r« im Vergleich mit anderen Synoptiker. Blomberg, C. L., „The Law in Luke-Acts,“ 58. Ebd. Fitzmyer, J. A., „The Jewish People,“ 176-187. A.a.O. 180.
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D. Jesus und das Sabbatgebot
Was ich hier betrachten möchte, ist das Thema „das Gesetz und der Sabbat“. Ich werde zunächst einmal die Sabbatperikopen zusammen betrachten, wobei es keine Rolle spielt, ob sie aus Mk oder aus dem Sondergut oder aus irgendeiner anderen Quelle stammen. Es fällt auf, dass Lukas nicht nur die beiden Perikopen über die Sabbatverletzung aus Mk 2 und 3 übernommen hat, sondern darüber hinaus auch noch zwei weitere. Handelt es sich um unabhängige Überlieferungen oder ist es so, dass Lukas einfach die eine Geschichte quasi verdoppelt oder verdreifacht hat? Ich werde hier die vier Sabbatgeschichten exegetisch untersuchen.
1. Das Ährenraufen am Sabbat: Lk 6,1-5 1.1 Übersetzung 1 Und es geschah am Sabbat, daß er durch die Kornfelder ging; und seine Jünger die Ähren abpflückten und aßen, indem sie sie mit den Händen zerrieben. 2 Einige der Pharisäer aber sprachen zu ihnen: Warum tut ihr, was am Sabbat nicht zu tun erlaubt ist? 3 Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Habt ihr auch dieses nicht gelesen, was David tat, als er und die, die bei ihm waren, hungrig waren? 4 Wie er in das Haus Gottes ging und die Schaubrote nahm und aß und auch denen gab, die bei ihm waren – die doch außer den Priestern allein niemand essen darf ? 5 Und er sprach zu ihnen: Der Sohn des Menschen ist Herr des Sabbats.
1.2 Struktur und Inhalt Diese Perikope besteht aus zwei großen Teilen: aus der Einleitung mit der Beschreibung der Ausgangssituation (V. 1a) und der eigentlichen Geschichte (VV. 1b-5). Anders als bei den anderen Sabbatperikopen lässt Lukas seinen Kommentar aus, den er oft am Ende der Perikope schreibt (vgl. 6,11; 13,17; 14,6). Er
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geht nur von seiner markinischen Quelle aus, denn Markus schreibt auch nichts dazu (Mk 2,28). Im ersten Teil gibt Lukas wie Markus Zeit (Sabbat) und Ort des Geschehens an. Ab V. 1b stellt Lukas die Handlungsperson und ihre Handlung vor, die erklären, warum die Geschichte geschehen ist. Lukas erklärt nicht, warum die Jünger am Sabbat Ähren raufen, wohingegen Matthäus deutlich schreibt „weil seine Jünger hungrig waren“ (V. 1). Markus beschreibt, wie die Jünger die Ähren raufen, während sie den Weg frei machen (V. 23). Zwischen V. 1 und V. 2 fehlt eine Information, nämlich die, woher die Pharisäer kommen. Jesus und seine Jünger waren unterwegs (Mk 2,23) und die Pharisäer sprechen sie einfach an, ohne vorherige Erklärung für ihr Auftreten (Mk 2,24). Woher kommen sie, wenn man am Sabbat doch nur 880 Meter weit gehen darf?223 Dann fangen sie einfach die Unterhaltung mit Jesus an, was Lukas von seiner markinischen Überlieferung übernommen hat (V. 2). Das Ährenraufen am Sabbat ist aus der Sicht der Pharisäer nicht erlaubt. In V. 2 beschreibt Lukas die Reaktion der Pharisäer und ihren Vorwurf. VV. 3- 5 enthalten die Antwort Jesu auf die pharisäische Frage. Jesus antwortet mit der Davidsgeschichte, die den Pharisäern schon bekannt sein muss. VV. 3- 4 ist das Argument Jesu gegen die Anklage der Pharisäer und V. 5 ist sein Schlusssatz. Man kann diese Perikope also folgendermaßen gliedern: 1a Einleitung in die Geschichte 1b-5 Die Geschichte 1b-1c Die Handlung der Jünger 2 Der Vorwurf bzw. die Anklage der Pharisäer 3-5 Die Antwort Jesu darauf: 3-4 Jesus antwortet mit der Geschichte Davids 5 Die Schlussbemerkung Jesu
1.3 Analyse Diese Geschichte ist der erste der vier Sabbatkonflikte. Die drei anderen Geschichten (6,6-11; 13,10-17; 14,1-6) beziehen sich auf Heilungen Jesu. Lukas übernimmt mit 6,1-5 und 6,6-11 die markinische Vorlage. Die zwei anderen Geschichten (13,10-17; 14,1-6) sind lukanisches Sondergut. Jesus setzt sich wie immer mit Pharisäern auseinander. 1: Lukas beschreibt in der Einleitung, wann und wo diese Geschichte passiert und wer die Hauptakteure sind. Lukas beginnt wieder mit der Form vEge,neto + 223 Belege und Erklärung bei Bill.II 590-594.
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Inf. Obwohl dieser Stil keine eigene lukanische Redeweise ist, verwendet er die Form am häufigsten von den Synoptikern (Mt 13mal; Mk 17mal; Lk 69mal). Zwar übernimmt Lukas den Mk-Stoff (Ort, Zeit, Personen, ...), aber er verändert die Haltung der Jünger. Markus erklärt, dass die Jünger Jesu Ähren ausraufen (2,23). Lukas erklärt dazu, dass die Jünger Jesu Ähren aßen (6,1), aber er beschreibt nicht, warum die Jünger die Ähren abpflückten und aßen. Der Text von Matthäus dagegen beschreibt deutlich den Grund, warum die Jünger Ähren essen (12,1; „seine Jünger waren hungrig“: evpei,nasan). Lukas schreibt extra dazu, die Jünger haben sie nicht nur gegessen, sondern auch verarbeitet (und seine Jünger zerrieben sie mit den Händen). Warum hat Lukas nicht geschrieben, dass die Jünger hungrig waren (Vgl. Mt 12,1)? Der Grund dafür ist, dass seine markinische Vorlage nichts dazu schreibt, und es ist für Lukas nicht wichtig, ob die Jünger hungrig oder nicht hungrig waren. Wichtig ist für Lukas nur, dass die Jünger das Sabbatgebot übertreten haben. Lukas schreibt extra, dass sie die Ähren mit den Händen zerreiben, was ebenfalls eine verbotene Tätigkeit darstellt. Durch diesen Zusatz betont Lukas die Sabbatverletzung der Jünger. Die Verbindung zur Davidsgeschichte will Lukas wahrscheinlich dadurch herstellen, dass er beschreibt, wie die Jünger essen („David ging in das Haus Gottes und die Schaubrote nahm und aß“). Sonst ist es schwierig, den Vergleichspunkt zwischen beiden Geschichten zu finden. Markus dagegen schreibt gar nicht, dass die Jünger sie essen. Trotzdem antwortet der markinische Jesus mit der Davidsgeschichte, um das Handeln seiner Jünger zu rechtfertigen. Eine andere Verbindung ist nicht logisch, weil die Davidsgeschichte auf die Sabbatverletzung überhaupt keinen Bezug nimmt.224 Außerdem erklärt Markus nicht, warum die Jünger Ähren ausraufen. Die Handlung der Jünger bei Markus scheint wie eine Provokation zu sein. Das provokative Motiv ist bei Lukas noch stärker, denn die Jünger raufen die Ähren nicht nur, sie zerreiben sie am Sabbat mit den Händen. Dadurch, dass die Jünger sie essen (Lk 6,1), kann Lukas die Verbindung zur Davidsgeschichte herstellen, denn die Angehörigen Davids sind hungrig (V. 3).225 Bei Markus ist es anders. Bei Markus ist es keine Voraussetzung, dass die Jünger hungrig sind. Daher brauchte Markus nicht zu schreiben, dass sie essen. Die Tatsache, dass sie essen, ist selbst keine Sabbatverletzung, denn Sabbat ist kein Fastentag. Daher will Lukas dadurch dass er beschreibt, dass sie essen, eine Parallele zur Davidsgeschichte herstellen. Dass sie essen, ist eine Vorbereitung auf die Erzählung Jesu über die Davidsgeschichte.
224 Lindemann, A., «Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden.... », WuD 15 (1979) 84. 225 Bovon, F., Das Evangelium, 270.
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Das lukanische Ziel ist es, dadurch dem Leser anzudeuten, dass die Jünger hungrig sind. Der Hunger ist eine Notlage. Auf der einen Seite steigert Lukas dadurch, dass die Jünger die Ähren mit den Händen zerreiben, die Sabbatverletzung und auf der andern Seite erhebt er dadurch, dass sie sie essen, die Notwendigkeit, durch die dass das Verbot relativiert werden kann. 2: Markus und Matthäus verwenden die Wörter oi` Farisai/oi „Die Pharisäer“, wohingegen Lukas „Einige der Pharisäer (tine.j tw/n Farisai,wn)“ schreibt. Lukas will sehr wahrscheinlich nicht alle Pharisäer verwerfen, was auch plausibel ist, denn nicht alle Pharisäer standen Jesus feindlich gegenüber. Lukas versucht da präziser zu sein als Markus, es sind nicht alle Pharisäer, sondern nur ein Teil von ihnen, deswegen schreibt Lukas „einige“. In der Tat gehören für Lukas nicht alle zu der Gruppe, die Jesus feindlich gegenüber steht, sondern nur ein Teil von ihnen ist feindlich226, obwohl Markus (wie auch Matthäus) alle Pharisäer als Gegner Jesu darstellt, 227: Man kann „die Pharisäer“ im Lukasevangelium in drei Gruppen unterteilen. Erstens, die Pharisäer, die sehr negativ dargestellt werden.228 Sie sind manchmal Beobachter, die Jesus immer mit skeptischen Augen sehen (5,17f), oder versuchen, Jesus manchmal mit einer Frage oder in einer bestimmten Situation z.B. „Sabbatkonflikte“ (Lk 6,2) oder bezüglich „eines bestimmten Themas“ zu prüfen (Lk 5,30). Zweitens, die Pharisäer, die positiv dargestellt werden.229 Möglicherweise will Lukas nicht alle Pharisäer als Gegner Jesu bezeichnen. In der Tat ist Lukas viel positiver gegenüber den Pharisäern eingestellt als Markus und Matthäus.230 Lukas schreibt z.B. nicht „Pharisäer“, die von Johannes dem Täufer scharf angegriffen wurden (Mt 3,7; par. Lk 3,7) und setzt „toi/j o;cloij (Volksmenge)„ ein. Außerdem schreibt Lukas allein, dass Jesus von vielen Pharisäern oft zum Essen eingeladen wurde und mit ihnen zusammengesessen hat (7,36; 11,37; 14,1). Dazu berichtet er, dass einige Pharisäer Jesus informieren, dass er Jerusalem verlassen soll, um seinem Tod zu entgehen (13,31).231 Drittens, die Pharisäer, die ganz allgemein Pharisäer genannt werden.232 Sie werden von Menschen oder von Jesus als Pharisäer allgemein oder als ein Beispiel bezeichnet (5,33; 11,39; 12,1; 226 Vgl. Stemberger, G., Pharisäer, Sadduzäer, Essener, (SBS 144), 30-31. 227 Vgl. Lührmann, D., Pharisäer und Schriftgelehrten im Mk, ZNW 78 (1987) 170; „Die Pharisäer erscheinen bei Mk nicht wie z.B. Nikodemus in Joh 3,1;7,50;19,39 oder Simon in Lk 7,36-50 als Einzelpersonen, sondern stets als kollektive Gruppe »die Pharisäer«, und zwar deutlich negativ qualifiziert.“ 228 Lk 5,17.21.30; 6,2.7;11,53;15,2;16,14;17,20;19,39 usw. 229 Lk11,37;13,31,14,1 230 Vgl. Schürmann, H., Das Lukasevangelium, 302; Stemberger, G., Pharisäer, Sadduzäer, Essener, Stuttgart 1991 (SBS 144), 32. 231 Vgl.. Apg 5,34; 26,5 (Gamaliel und Paulus waren auch dier Pharisäer). 232 Lk 5,33;11,39.42.43;12,1;18,10.11.
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18,10.11; Apg 15,5). Oder sie werden manchmal als Objekt des Fluchs genannt (11,42.43).233 Lukas benutzt die Singular-Form evn sabba,tw| in 6,1, aber in Vers 2 verwendet er die Plural-Form toi/j sa,bbasi,n. Lukas beschreibt mit dem Wort to. sa,bbaton einen bestimmten Sabbat und mit der Plural-Form toi/j sa,bbasi,n den Sabbat im allgemeinen Sinne. Einige der Pharisäer wenden sich direkt an die Jünger und sagen: „Was tut ihr?“ Das ist ein anderer Gedanke und eine andere Perspektive als bei Markus. Lukas erzählt die Geschichte bewusst anders. Bei Markus wenden sich die Pharisäer sogleich an Jesus und sagen: „Was tun sie (deine Jünger)?“ Markus lässt die Jünger in dieser Geschichte ganz aus. Jesus ist verantwortlich. Bei Lukas wenden sich die Pharisäer an die Jünger. Sie machen die Jünger selber verantwortlich, denn nur die Jünger haben Ähren abgepflückt und gegessen. 3-4: Jesus tritt als Vertreter der Jünger ein, obwohl er nicht dazu aufgefordert wurde. Die Gemeinde, die das erzählt, führt die eigene Interpretation des Sabbats auf Jesus zurück und deswegen lässt sie Jesus antworten.234 Jesus antwortet auf den Tadel der Pharisäer mit der Davidsgeschichte (1. Sam 21,1f). Lukas übernimmt den Markusstoff, aber er streicht den falschen Namen des Priesters (er heißt nicht Abiathar, sondern Abimelech), den Markus in seinem Evangelium verwendet hatte. Davids Übertretung des Gesetzes ist in der jüdischen Tradition akzeptabel. Jesus benutzt die Davidsgeschichte als Rechtfertigung für das Handeln seiner Jünger.235 Lukas erkannte die mangelnde Plausibilität zwischen der Handlung der Jünger und dem Argument Jesu im Markusevangelium, und ergänzte sie (V. 1) durch den Aspekt des Essens. Dadurch wird die Handlung der Jünger der Handlung von David und seinen Angehörigen quasi gleichgestellt.236 Lukas erwog in V. 1, dass die Jünger essen und er deutet jetzt in V. 3 an, warum sie essen müssen, indem er Jesus sagen lässt „als David und die Angehörigen hungerten“. Markus schreibt, dass David in Not war und ihn hungerte (Mk 2,25).237 Lukas übernimmt diese markinische Beschreibung: In dieser Geschichte wird David 233 Vgl. Klinghardt, M., Gesetz und Volk Gottes, 228; „Lk differenziert zwischen den Gegnern...Lk kann die Partner der Debatte nicht so einfach als einheitliche Gruppe zeichnen wie Mk, da es in seiner Gemeinde ja auch christliche Pharisäer gibt (Act 15,5)“. 234 Vgl. Wiefel, W. Das Evangelium, 123, er schreibt in seinem Kommentar: „Die Frage der Pharisäer wird nicht an Jesus, sondern an die Jünger gerichtet.“: Vgl. Bovon, F., Das Evangelium, 269 meinte: „Das Verhältnis zwischen Jesus und seinen Jüngern wird hier als das des Lehrers zu seinen Schülern vorausgesetzt“ 235 Klinghardt, M., Gesetz und Volk Gottes, 229. 236 Vgl. Bovon. F., Das Evangelium, 270. 237 Gegen Grundmann, W., Das Evangelium, 92; er meint, dass David ein Sonderrecht gegenüber dem Gesetz beansprucht. Im Gegensatz zur lukanischen Darstellung werden bei Grundmann
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nicht als der Mächtige dargestellt,238 sondern als ein Mann, der in einer Notlage schwach und hungrig ist.239 H. Hübner setzt voraus, dass David als gesalbter König gedacht ist. Wenn es David, dem gesalbten König, gestattet war, gilt dieses erst recht für den Gesalbten. Darum ist die Handlung Jesu kein Bruch mit dem Gesetz, sondern steht in Kontinuität mit dem Alten Testament. Er sagt weiter, dass das Handeln Jesu mit dem Handeln jenes alttestamentlichen Königs übereinstimmt.240 Doch meiner Meinung nach ist die Basis seines Arguments ist nicht ganz richtig, denn David war in dieser Geschichte (1. Sam 21,1ff) noch kein König, obwohl er schon gesalbt war (1. Sam 16,13). Lukas beschreibt David eher als hungrigen Flüchtling und nicht als König. Markus schreibt dazu den Satz »to. sa,bbaton dia. to.n a;nqrwpon evge,neto kai. ouvc o` a;nqrwpoj dia. to. sa,bbaton\ (Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen) «, den Matthäus und Lukas aber streichen. Dieser Satz könnte für Lukas – oder zumindest für seine Leser – zu liberal gegenüber dem Gesetz sein,241 darum strich er diesen Vers weg.242 5: Am Schluss verkündigt Jesus, dass »der Menschensohn« »Herr« über den Sabbat ist. Wer ist der Menschensohn? Jesus oder die Menschen? R. Bultmann unterscheidet die synoptischen Menschensohnworte in drei Gruppen: sie reden 1. vom kommenden, 2. vom leidenden und auferstehenden, 3. vom gegenwärtig wirkenden „Menschensohn“(Mk 2,10.28; Mt 8,20 par.; 11,29 par.; 12,32 par.). Seiner Meinung nach bezeichnet die 3. Gruppe nicht den messianischen Titel, sondern hat den Sinn von „Mensch“ oder von „Ich“.243 Aber ich bin der Meinung, dass Lukas hier „Menschensohn“ als messianischen Titel verwendet. Der Menschensohn zeigt nicht den „Menschen“, sondern Jesus, der die wahre Bedeutung des Sabbats lehrt. Der Schluss ist schneller und kürzer als bei den anderen Evangelisten. Lukas lässt Mk 2,27; to. sa,bbaton dia. to.n a;nqrwpon evge,neto kai. ouvc o` a;nqrwpoj dia. to. sa,bbaton\ aus und er führt – im Gegensatz zu Matthäus – auch keine anderen
238 239 240 241 242 243
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David und seine Begleiter eher als mächtige Menschen dargestellt und nicht als hungrige Menschen. Schürmann, H., Das Lukasevangelium, 303; Grundmann, W., Das Evangelium, 136; Wiefel, W., Das Evangelium, 124. Bovon. F., Das Evangelium, 270. Hübner, H., Das Gesetz, 124. Vgl. Lindemann, A., Der Sabbat, 82; Schweizer, E., Das Evangelium,180; Busse, U., Die Wunder, 139. Vgl. Lindemann, A., Der Sabbat, 96-97; er stellt vor, dass Lukas (und Matthäus) „das Logion unabhängig voneinander aus wahrscheinlich sachlich theologischen Gründen gestrichen haben“. Bultmann, R., Theologie, 31.
Beispiele an (vgl. Mt 12,5-7): Während Matthäus diese Geschichte, die er von Markus übernommen hat, stark verändert bzw. erweitert hat, behielt Lukas sie vorsichtig bei. Er schreibt nur ku,rioj evstin tou/ sabba,tou o` ui`o.j tou/ avnqrw,pou, was sich möglicherweise auf die Hoheitstitel bezog. Codex (D) fügt aber eine kleine Geschichte zwischen V. 4 und V. 5 ein: »An demselben Tage sah er jemanden am Sabbat arbeiten und sprach zu ihm: Mensch, wenn du weißt, was du tust, bist du selig; wenn du es aber nicht weißt, bist du verflucht und ein Gesetzesübertreter.«244 Warum hat Lukas Mk 2,27 ausgelassen? Anders als Markus will Lukas »die Freiheit des Menschen« vermutlich nicht so stark betonen; deshalb streicht er Mk 2,27 bewusst.245
1.4 Das Gesetzesverständnis Jesu im Lk 6,1-5 1.4.1 Aspekt Wie soll man die Geschichte (Lk 6,1-5; Mk 2,23-28; Mt 12,1-8) lesen? Obwohl die drei Sabbatgeschichten eigentlich aus der gleichen Geschichte stammen, sind der Prozess und die theologische Betonung bzw. das Ziel unterschiedlich. Man muss die drei Perikopen jeweils unter anderen Gesichtspunkten lesen. Ich schlage im Folgenden drei Aspekte für jede Perikope vor. Markus sollte man unter dem Provokationsaspekt lesen. Markus schreibt nicht, warum die Jünger die Ähren raufen. Sie tun es einfach. Die Pharisäer haben sie dabei gesehen und fragen Jesus. Sie sind sozusagen „auf frischer Tat ertappt“ worden. Jesus antwortet mit der Davidsgeschichte, als ob er auf die Anklage der Pharisäer gewartet hätte. Dazu schweigen die Pharisäer, obwohl die Antwort Jesu in keiner unmittelbaren Beziehung zu ihrer Frage steht, denn die Davidsgeschichte nimmt auf die Sabbatverletzung überhaupt keinen Bezug. An dieser Stelle reagieren die Pharisäer – anders als in einem anderen Sabbatkonflikt (Mk 3,1 ff.) – nicht auf die Rede Jesu. Am Schluss verkündet Jesus „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat“ (V. 27-28). Für Markus ist dieser Satz das Ziel, das er in dieser Perikope zeigen möchte: Der Sabbat existiert für den Menschen, nicht der Mensch für den Sabbat. Matthäus (Mt 12,1-8) sollte unter einem anderen Aspekt untersucht werden, nämlich dem Sonderrechtsaspekt. Matthäus fokkussiert das Sonderrecht Jesu. Alle drei Evangelisten berichten am Anfang, dass David und seine Angehörigen 244 Übersetzung nach Klostermann, Das Lukasevangelium, 75. 245 Vgl. Busse, U., Die Wunder, 139.
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hungrige Menschen sind. Matthäus stellt, ebenso wie Markus und Lukas, David als hungrigen Menschen dar. Matthäus ergänzt, dass die Jünger hungrig waren. Damit identifiziert Matthäus die Jünger mit David und seinen Angehörigen, denn beide Gruppen sind hungrig. Wenn David und seine Angehörigen unschuldig sind, sind die Jünger auch unschuldig.246 Nach dem Urteil Jesu ist klar, die Jünger sind unschuldig. Matthäus ergänzt auch V. 7 als Schriftbeweis. Jesus interpretiert die Schrift mit der Vollmacht des Messias. Jesus ist größer als der Tempel (V. 6). Jesus hat die Vollmacht. Jesus ist der Menschensohn (V. 8). Matthäus will durch diese Perikope zwei Dinge fokussieren. Erstens, die Menschen, die sich in einer Notlage befinden, sind bei einer Gesetzesübertretung unschuldig. Zweitens, Jesus ist der Menschensohn mit Vollmacht (V. 8).247 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Matthäus David nur als einen Hungrigen verstanden hat. Konnte Matthäus bei David kein Sonderrecht oder keine Macht finden? Meiner Meinung nach richtet sich seine Betonung sowohl auf die Notlage als auch auf das Sonderrecht Davids, der die Schaubrote nehmen und essen konnte. Wie konnte David die Schaubrote nehmen und essen? Die Antwort ist klar: Dadurch, dass er hungrig war, hatte er dieses Recht. Darum kann das Handeln der Jünger überzeugen, denn auch sie waren hungrig (V. 1). Die Jünger sind hier dargestellt wie David und seine Angehörigen.248 Aber das kann nicht alles sein, was Matthäus durch die Davidsgeschichte zeigen will. Man kann die matthäische Erzählung über die Davidsgeschichte in zwei Richtungen verstehen. Erstens so, wie sie erklärt wird, mit David als der Figur, die hungrig war. Zweitens ist David das Abbild des messianischen Königs. Darum erwähnt J. Gnilka in seinem Kommentar „die Initiative Davids“, denn David ist „Typos des Messias“ (Mt 1,1).249 U. Luz nennt diesen David in seinem Kommentar „souveräner Akteur“.250 David hat irgendeine spezifische Macht, so dass er frei tun kann, was er will. Matthäus führt nämlich außer dieser Davidsgeschichte als zweites Beispiel weiter an, dass die Priester am Sabbat im Tempel den Sabbat brechen dürfen (Mt 12,5). 251 Die Priester haben auch ein Sonderrecht. Jesus wird als „größer“ als der Tempel dargestellt. Jesus hat natürlich die Vollmacht als Messias und Menschensohn. Bei Matthäus ergibt sich folgende Reihenfolge: David (sowohl als Hungriger als auch als das Abbild des messiani246 247 248 249 250 251
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Lindemann, A., Der Sabbat, 95. Broer, I., „Anmerkungen zum Gesetzesverständnis des Matthäus,“ 141. A.a.O. 139. Gnilka, J., Das Matthäusevangelium, 444. Luz. U., Das Evangelium, 230. Num. 28,9f; Lev. 24,8f.
schen Königs) – Priester (als derjenige, der ein Sonderrecht im Tempel hat) – Jesus (als der Messias und Menschensohn). Matthäus betont die Allmacht Jesu als Messias.252 Für Lukas steht der Heilsbringeraspekt im Vordergrund. Lukas lässt die Pharisäer die Jünger direkt fragen: „Was tut ihr, was am Sabbat nicht erlaubt ist?“ (V. 2) Es kann sein, dass Lukas die Erzählung lediglich logisch verbessern will, denn die Jünger haben eindeutig gegen das Sabbatgebot verstoßen. Was will Lukas zeigen? Lukas will zeigen, dass Jesus das Sabbatgebot nicht gebrochen hat. Das ist ein lukanisch messianisches Symbol. Bei den anderen Evangelisten wird deutlich, dass Jesus als Lehrer der Jünger sich für das Handeln seiner Jünger verantwortlich fühlt, denn die Pharisäer stellen Jesus die Frage, obwohl Jesus nichts getan hat. Bei Lukas hingegen stellen die Pharisäer die Frage den Jüngern und Jesus antwortet ihnen, obwohl Jesus nicht gefragt wurde. Warum antwortet Jesus darauf? Liegt es einfach daran, dass die Vorlage bei Markus eben so war? Oder will Lukas jetzt sogar möglicherweise ganz bewusst sagen: Obwohl Jesus gar nicht angesprochen wird, und obwohl Jesus überhaupt nicht beteiligt ist an der Sabbatverletzung, greift er doch zugunsten seiner Jünger ein? A. Lindemann erklärt, dass „es hier ja tatsächlich um ein Verhalten der Gemeinde geht, die unmittelbar mit der dieses Verhalten betreffenden Kritik konfrontiert wird; wahrscheinlicher dürfte freilich sein, dass Lukas lediglich die logische Stringenz der Erzählung verbessern will: Die Jünger verletzen das Sabbatgebot und werden selbst dafür gerügt“.253 Lukas lässt bewusst Jesus ab V. 3 für seine Jünger antworten. Meiner Meinung nach geht es an dieser Stelle um den lukanischen Heilsbringeraspekt, denn Lukas will betonen, dass er Jesus als den Messias darstellt, der andere rettet (a;llouj e;swsen ; Lk 23,35). Jesus ist unschuldig, aber ergreift Partei für seine Jünger. Nach der lukanischen Christologie wird besonders die Unschuld Jesu betont. Lukas berichtet allein durch Pilatus drei Mal, dass Jesus keine Schuld hat (Lk 23,4; 23,14.22; Vgl. 23,41.), obwohl andere Evangelisten darüber nichts sagen. Dazu berichtet Lukas allein, dass einer der Räuber sagt, dass Jesus unschuldig ist. Im Vergleich zu Lukas berichten Markus und Matthäus beide, dass die beiden Räuber Jesus beleidigen (Vgl. Mk 15,32; Mt 27,44). V. 5 ist die Schlussfolgerung seines Arguments: Jesus bezeichnet sich als Herr des Sabbats, der das Sabbatgebot richtig interpretiert bzw. lehrt.
252 Broer, I., Anmerkungen, 141. 253 Vgl. Lindemann, A., Der Sabbat, 96.
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1.4.2 Was lehrte Jesus? Darf man in der Not das Gesetz übertreten? Obwohl die Handlung der Jünger nach dem Verständnis der Pharisäer als Gesetzesübertretung einzustufen ist, ist sie in den Augen Jesu verständlich. Was würde Lukas zeigen bzw. lehren? Ist diese Erlaubnis Jesu eine Ausnahme, ein Einzelfall, den es im Alltag nicht geben darf? Nein. Wie A. Lindemann sagte, gilt diese Handlung der Jünger Jesu und Davids nicht nur als einzige Ausnahme, sondern diese Geschichte gibt „den Christen aller Zeiten einen gleichsam überzeitlich gültigen Maßstab zur Beurteilung des Sabbatgebots“.254 Wenn man diese Geschichte liest, fragt man sich, ob man in der Not das Gesetz übertreten darf. Lukas würde seinen Lesern zeigen bzw. sie lehren, dass die Menschen das Sabbatgebot dann übertreten dürfen, wenn sie sich in einer Notlage befinden. Die Handlung von David ist für Juden akzeptabel. Wenn David es tun durfte, dann dürfen die Jünger Jesu es auch tun, und alle Menschen (Leser) ebenfalls. Das ist das lukanische Ziel der Lehre Jesu durch diese Geschichte. Wir wissen nicht genau, ob Lukas Angst davor hatte, dass seine Leser ein zügelloses Leben führen könnten.255 Jesus lehrt aber auf jeden Fall mit der Davidsgeschichte, dass Gesetzesvorschriften für die sich in Not befindenden Menschen Ausnahmen zulassen.256 Die Bedürfnisse des Menschen stehen für Jesus über dem pharisäischen Gesetzesverständnis.257 Daher befreit Jesus die Menschen, die hungrig sind und unter dem falsch verstandenen Gesetz leiden, und lehrt sie zugleich, was der richtige Sinn des Gesetzes ist.258 In dieser Perikope hat Jesus selber das Gesetz gar nicht übertreten, und bei der Handlung seiner Jünger handelt es sich auch nicht um eine Gesetzesübertretung, wenn die Handlung von David und seinen Begleitern für Juden akzeptabel ist. Lukas präsentiert hier zwei wichtige Punkte: Erstens, dass das Gesetz richtig interpretiert werden muss. Lukas will den eigentlichen Sinn des Sabbats betonen, nämlich die Freiheit des Menschen von der falschen Auslegung des Sabbatgebotes durch die Pharisäer. Zweitens, dass Jesus derjenige ist, der als Menschensohn die Bedeutung des Sabbatgebots richtig auslegen bzw. lehren kann.259 Die 254 Lindemann, A., „Der Sabbat“, 81; Vgl. Bovon, F., Das Evangelium nach Lukas (Lk 1,1-9,50), EKK III/1, Zürich. Benziger. Neukirchen-Vluyn 1989, 270. 255 Vgl. Schürmann. H., Das Lukasevangelium ; er meint auch, Lukas strich Mk 2,27 wegen der Angst vor der Zügellosigkeit seiner Leser. 256 Vgl. Kremer, J., Lukasevangelium, 68. 257 Es wird nicht beschrieben, dass die Jünger hungrig bzw. wirklich in einer Notsituation waren, aber es ist klar, dass David und seine Gruppe in Not waren. 258 Vgl. Bovon, F., Das Evangelium, 271. 259 Lindemann, A., Der Sabbat, 104; „Lukas unterscheidet also das banale Ährenraufen und -essen, das den Jüngern nur deshalb erlaubt wird, weil Jesus „Herr des Sabbats“ ist, sorgfältig von der Heilung des Kranken, die am Sabbat generell vollzogen werden darf (6,9).“
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wahre Bedeutung des Sabbats bzw. die Freiheit des Menschen kommt durch Jesus. Deshalb ist Jesus der Herr des Sabbats. Darum kann ich der ersten und zweiten Position nicht zustimmen, nämlich dass das Gesetz nicht mehr gültig bzw. dass Lukas kein Interesse am Gesetz hatte. Jesus hebt das Gesetz nicht auf. Das Gesetz verliert seine Gültigkeit nicht, sondern die Gültigkeit wird durch Jesus an die richtige Stelle gerückt. Im Großen und Ganzen stimme ich der dritten Position zu, aber mit folgenden Einschränkungen: P.F.Esler sieht die Überlegenheit Jesu gegenüber dem Gesetz in den Sabbatgeschichten (Lk 6,1-5. 6-11; 13,10-17; 14,1-6). Seiner Ansicht nach spiegelt sie sich ganz besonders in dem Satz „Der Sohn des Menschen ist Herr des Sabbats“ (Lk 6,5) wieder: „Luke omits Mk 2,27, but even with what remains it is quite obvious that Jesus claims the right to define the sabbath, even though he does not abrogate it.“260 Meiner Meinung nach zeigt diese Szene bei Lk – im Gegensatz zu Matthäus – nicht nur die Überlegenheit Jesu gegenüber dem Gesetz („Jesus’ transcendence of the law“), sondern den richtigen Sinn des Sabbats. Das lukanische Ziel dieser Szene liegt sowohl in der Messianität Jesu als auch der Lehre über die richtige Bedeutung des Gesetzes für seine Leser. W. Loaders Interpretation, nach der Lukas kein Interesse am Gesetz hat, sondern nur an Jesus selbst hat261, kann ich deshalb nicht zustimmen. Jesus ist der Menschensohn, der sich in Not befindende und durch falsche Interpretation leidende Menschen rettet. Darum ist Jesus der Herr des Sabbats. Lukas zeigt Jesus als den Menschensohn, der das Gesetz richtig interpretiert, aber das ist nicht alles. Lukas will auch gleichzeitig seine Leser lehren, dass das Sabbatgebot nicht im Widerspruch dazu steht, Menschen in einer Notlage zu helfen.
2. Die Heilung der verdorrten Hand: Lk 6,6-11 2.1 Übersetzung 6 Es geschah aber an einem anderen Sabbat, dass er in die Synagoge kam und lehrte. Und ein Mensch war dort, und seine rechte Hand war verdorrt. 7 Aber die Schriftgelehrten und die Pharisäer beobachteten ihn genau, ob er am Sabbat heilt, damit sie eine Anklage gegen ihn fänden. 260 Esler, P., Cummunity, 116. 261 Ebd.: „For Luke the primary interest is not Torah, nor Jesus’ relationshop to Torah, but Jesus, himself, as the one sent to announce something new which brings good news, healing to those who are in need and the opportunity for sinners to repent.“
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8 Aber er wusste ihre Erwägung und sprach zu dem Mann, der die verdorrte Hand hatte: Stehe auf und stelle dich in die Mitte. Und er stand auf und stellte sich hin. 9 Jesus aber sprach zu ihnen: Ich frage euch, ob es am Sabbat erlaubt ist, Gutes oder Böses zu tun, ein Leben zu retten oder zu verderben? 10 Und nachdem er sie alle umher angeblickt hatte, sagte er zu ihm: Strecke deine Hand aus! Und er tat es, seine Hand wurde wiederhergestellt. 11 Sie aber wurden von voller Wut erfüllt und beredeten miteinander, was sie Jesus antun könnten.
2.2 Struktur und Inhalt Lukas folgt weiter seiner markinischen Vorlage. Diese Perikope ist die zweite Sabbatgeschichte. Für Markus und Matthäus ist die Geschichte die letzte Sabbatgeschichte. Die Ortsangabe (in der Synagoge), die Zeitangabe (am Sabbat) und die handelnden Personen (Jesus, der Kranke, Gesetzeslehrer und Pharisäer, Publikum) sind die gleichen wie bei den anderen Synoptikern. Aber der Prozess der Erzählung ist anders. Der größte Unterschied ist, dass Lukas das Lehren Jesu fokussiert, d.h. Lukas beschreibt die Gespräche Jesu mit den Pharisäern bzw. Gesetzeslehrern als Lehrszene, nicht nur als Streitgespräch wie Markus und Matthäus.262 Darum ist der Satzbau ein anderer als bei Markus und Matthäus. Er ergänzt die Lehrstoffe: z.B. schreibt Lukas zu dieser Perikope, dass Jesus in der Synagoge lehrt (dida,skein). Außerdem kann man deutlich bemerken, dass Lukas seine Vorlage zur Lehrszene verändern will. Wenn man diese Geschichte als Lehrszene sieht, kann man die lukanische Konzeption wiederfinden. Er stellt die Synagoge als einen Ort vor, wo Jesus lehrt. Der Lehrer ist natürlich Jesus. Der Schüler sind alle Menschen, die in der Synagoge sind, bzw. der Leser. Das Ziel der Lehre ist das neue Verständnis des Sabbats. Das Lehrmittel ist der Mensch, dessen rechte Hand verdorrt ist, und die Absicht der Pharisäer und Gesetzeslehrer. Die Rhetorik Jesu ist die Hebammenkunst. V. 6a ist die Einleitung der Geschichte, und da erklärt Lukas, was am Sabbat in der Synagoge passiert. V. 6b bis V. 10 ist die eigentliche Haupterzählung, nämlich die Heilungsgeschichte. In V. 6b tritt der Mensch mit der verdorrten Hand auf und gleichzeitig auch die Gegner (die Pharisäer und die Schriftgelehrten) (V. 7). An dieser Stelle fügen Markus und Matthäus zum Verb qerapeu,w kein Subjekt hinzu, weshalb nicht klar ist, wen sie mit dem Subjekt ‚sie‘ (3. Pers. Pl.) meinten. 262 Diesen Punkt werde ich in 2. 4. 1 Schreibt Lukas ein Lehrgespräch? weiter erläutern.
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Lukas definiert es genauer, indem er „die Menschen“ auf die Pharisäer und Schriftgelehrten beschränkt, weil es natürlich ist, dass nicht alle Menschen Jesus auflauerten. VV. 8-10 beinhalten die Handlung Jesu. V. 11 ist die Reaktion seiner Gegner. Diese Sabbatgeschichte kann also folgendermaßen gegliedert werden: 6a Einleitung in die Geschichte 6b-10 Die Heilungsgeschichte 6b Die Einführung des Mannes mit der verdorrten Hand 7 Das Lauern der Schriftgelehrten und Pharisäer 8-10 Die Reaktion Jesu auf ihr Lauern 8 Die Einstellung zur Heilung 9 Die Frage Jesu an die Schriftgelehrten und die Pharisäer 10 Die Heilung Jesu 11 Die Reaktion der Schriftgelehrten und Pharisäer
2.3 Analyse 6: Er fängt die Geschichte wieder auf seine Erzählweise (VEge,neto de. + Inf.) an.263 Während die anderen Synoptiker diese Geschichte desselben Sabbats (Mt 12,9ff; Mk 2,23ff) als zweite Geschichte weitererzählen, trennt Lukas diese Geschichte jedoch zeitlich von den früheren Geschichten (Lk 6,1-6) ab. Markus schreibt pa,lin V. 1, aber Lukas schreibt deutlich evn e`te,rw| sabba,tw|. Markus und Matthäus schreiben nicht wieder, wer Jesus verklagt, während Lukas „die Pharisäer und die Schriftgelehrten“ deutlich erwähnt. Markus und Matthäus stellen die Gegner Jesu nicht wieder am Anfang der Geschichte vor, denn sie haben „sie“ schon in einer früheren Geschichte vorgestellt. 264 Der Tag (Sabbat) bleibt immer noch derselbe. Daher ist klar, dass Lukas diese Geschichte in einen ganz anderen Zeitraum (evn e`te,rw| sabba,tw|) einordnen wollte. Für Lukas ist es nicht akzeptabel, dass zwei wichtige Geschichten am selben Tag geschehen sind. Er will jede Sabbatgeschichte als unabhängige einzelne Geschichte betonen. Lukas folgt weiterhin seiner Vorlage. Lukas stellt die Zeitangabe („an einem anderen Sabbat“) nach vorn, so dass man sofort erkennen kann, worum es (in
263 Vgl. Busse, U., Die Wunder, 137, Anm. 3. 264 Vgl. Mt 12,1-8;Mk 2,23-28.
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dieser Geschichte) geht.265 Anders als Lukas schreiben Markus und Matthäus die Zeitangabe an einer anderen Stelle wieder (Mk 3,2; Mt 12,12). Lukas allein schreibt, was Jesus in der Synagoge getan hat. Er lehrte (dida,skein). Er war früher auch in der Synagoge gewesen, um zu lehren (Lk 4,15; 5,17)266, aber der zu Lk 4,15 parallele Mk und Mt-Text berichtet, dass Jesus das Reich Gottes verkündigt (Mk 1,15; Mt 4,17). Der zu Lk 5,17 parallele Mk- und Mt-Text berichtet nicht, dass Jesus lehrt (Mk 2,1; Mt 9,1).267 F. Bovon sieht bei Lukas keinen Unterschied zwischen predigen und lehren.268 Aber m. E. benutzt Lukas die beiden Wörter nicht synonym, weil er deutlich den Unterschied zwischen beiden Wörtern kennt.269 Lukas allein erläutert, welche Hand verdorrt ist (h` dexia,: die Rechte). Da die markinische Vorlage keine Information darüber gibt, welche Hand verdorrt ist, stammt der bei Lukas gegebenen Hinweis darauf, dass die rechte Hand gelähmt war, redaktionell vom Evangelisten. Offenbar wollte Lukas noch genauer erklären, wie schlimm die Situation des Mannes ist. 7: Lukas erwähnt schon zu Beginn der Perikope, wer Jesus belauerte: „Einige der Pharisäer aber sprachen“ (6,2). Markus und Matthäus hingegen tun dies erst ganz am Ende der Geschichte (Mt 12,14; Mk 3,6). Da die Pharisäer schon vorher erwähnt werden, benutzt Lukas in 6,2 den bestimmten Artikel.270 Sie folgen Jesus nach, um ihn zu beobachten und um ihn zu prüfen (5,30).271 Lukas allein schreibt „den Sabbat“ im Singular. In vielen anderen handschriftlichen Belegen (P4 B Q f1(f13 33) M) wurde qerapeu,sei gefunden. Dieser Befund scheint markinischen Einflusses zu sein 265 Vgl. Lohse, Grundriß der neutestamentlichen Theologie, Stuttgart 41989, 68 Anm. 14: „Während Markus zwei Sabbatgeschichten einfach nacheinander erzählt (2,23-3,6) hebt Lukas ausdrücklich hervor, die zweite Geschichte habe sich an einem anderen Sabbat zugetragen (6,6).“ Busse, U., Die Wunder, 135: „Die Zeitangabe ordnet die Episode einer Sabbatheilung in die Chronologie und Typologie der Stadtmission Jesu ein“. 266 Vgl. Pesch, R., Der reiche Fischfang Lk 5,1-11/Jo 21,1-14, Wundergeschichte Berufungserzählung-Erscheinungsbericht, Düsseldorf (Kommentare und Beiträge zum Alten und Neuen Testament) 1969, 68; „Der lehrende Jesus ist eine öfter aus Markus übernommene, von Lukas aber auch selbständig (Lk 6,6 diff Mk 3,1 etc.) ausgebaute Vorstellung“ (Vgl. Apg 1,1); Theißen, G., Wundergeschichte, 181 267 Vgl. Busse, U., Die Wunder, 136: „Das Lehrmotiv ist in V6 neu aufgenommen, und im folgenden bemüht sich Lukas um einen motivierten Handlungsablauf, wohingegen er ‚in Mark is sudden and unexplained‘“. 268 Vgl. Bovon, F., Das Evangelium, 274; er meinte, in der Synagoge zu predigen ist bei Lk das Gleiche wie in der Synagoge zu lehren. 269 Vgl. Lk 3,3; 4,44; 8,1; Apg.28,31. 270 Diese Schriftart ist typischer lukanischer Stil. Für weitere Informationen darüber, siehe Exkurs „Pharisäer bei Lk“. 271 Vgl. Schürmann, H., Das Lukasevangelium, 306.
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(Mk 3,2). Lukas kennt die Absicht der Schriftgelehrten und der Pharisäer (i[na eu[rwsin kathgorei/n auvtou/Å). Lukas streicht aÙto,n nach qerapeu,ei. In dieser Szene ist der Kranke für Lukas weniger wichtig als die Handlung bzw. Lehre Jesu. Anders als Markus (3,2) lässt Lukas den Kranken aus, um die Handlung Jesu zu betonen.272 Markus und Matthäus nennen die Namen derjenigen, die gegen Jesus einen Grund zur Anklage suchten,273 nicht, Lukas aber beschreibt, dass es sich um Pharisäer und Schriftgelehrte handelt. Im Lukasevangelium kommen die Schriftgelehrten außer in Lk 20,39ff immer zusammen mit jemandem vor, z.B. mit den Pharisäern (5,30; 6,7; 11,53,15,2) oder den Hohenpriestern (19,47; 20,1.19). Die Pharisäer kommen allerdings nicht mehr vor, nachdem Jesus nach Jerusalem gekommen ist. Wenn die Schriftgelehrten mit Pharisäern zusammenkommen, übernehmen sie die Funktion derjenigen, die Jesus anklagen wollen (5,21.30; 6,7; 11,53,15,2). Aber wenn sie mit den Hohenpriestern zusammen vorkommen, trachten sie Jesus nach dem Leben (9,22; 19,47; 22,2). Diese Tendenz findet sich bei Mk und Mt nicht. Vielmehr versuchen die Pharisäer bei Mk (hier einschließlich der Herodianer) und Mt, Jesus umzubringen (Mk 3,6; Mt 12,14). Bei Lk informieren die Pharisäer Jesus, dass Herodes Jesus umbringen will und warnen ihn dadurch (Lk 13,31 „Zu dieser Zeit kamen einige Pharisäer zu ihm und sagten: Geh weg, verlass dieses Gebiet, denn Herodes will dich töten.“). In diesem Fall tragen die Pharisäer bei Lk keine Verantwortung für den Tod Jesu. Diese Funktion haben bei Lk die Hohenpriester und Schriftgelehrten inne. 8: Lukas formuliert, dass Jesus die Absicht der Schriftgelehrten und der Pharisäer kennt (auvto.j de. h;|dei tou.j dialogismou.j auvtw/n).274 Wenige andere Handschriften (D b f) benutzen die Lesart: ginw,skwn tou.j dialogismou.j aÙtîn le,gei. Anders als Lukas berichten Markus und Matthäus nicht, dass Jesus ihre Absicht merkte. Ich folgere daraus, dass Jesus bei Markus und Matthäus nicht weiß, welche Absicht die Pharisäer und die Schriftgelehrten haben. Markus und Matthäus wollen nicht zeigen, dass Jesus die Handlung der Pharisäer bemerkt, weil sie es nicht brauchen, um ihre Geschichte aufzubauen. Das ist der große Unterschied zwischen Lukas und Markus bzw. Matthäus. Weil Jesus bei Lukas die Absicht der Pharisäer kennt, kann er sie in ihr Gegenteil umkehren, um seine eigene Absicht zu verwirklichen. 275 Dagegen tut Jesus bei Markus und Matthäus einfach, was er machen will. Jesus weiß nicht bzw. kümmert sich nicht
272 Vgl. Bovon, F., Das Evangelium, 272; er meint, die Gegner Jesu schauen nicht den Einzelfall, sondern die Gesamthaltung Jesu an. 273 Bei Markus kommt zuerst V.6 und bei Matthäus V.14 vor. 274 Vgl. Lk 5,22; 9,47; 11,17. 275 Vgl. Rengstorf, K.H., Das Evangelium, 82.
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darum, was sie denken.276 Bei Markus und Matthäus wissen nur die Autoren und Leser, dass die Pharisäer lauerten.277 Im Lukasevangelium wissen alle (Jesus, Autor, Leser), welche Absichten sie haben. Der Mann mit der verdorrten Hand ist bei Markus und Matthäus ein armer Mensch, der die Hilfe Jesu braucht wie andere z.B. der Hauptmann von Kapernaum (Mt 8,5f), die blutflüssige Frau und die Tochter des Jairus (Mk 5,21f). Aber der Kranke im Lukasevangelium ist ein Beispiel für die Lehren Jesu.278 Im Lukasevangelium stellt Jesus den Kranken in die Mitte (eivj to. me,son),279 obwohl Jesus ihre Absicht schon kannte. Jesus führt seine Lehre fort, obwohl er die Absicht der Pharisäer schon gekannt hat. Das ist eine typisch lukanische JesusDarstellung, wo Lukas eine Szene als Lehrszene einordnen will (5,22; 9,47). Es scheint im Lukasevangelium, dass Jesus den Kranken absichtlich heilt. Der Mann mit der verdorrten Hand ist zufälligerweise da evke‹ (Mk 3,1 und Lk 6,6) bzw. „doà (Mt 12,10). Die Pharisäer lauerten bei dem Mann darauf, ob Jesus ihn heilen würde (Mk 3,2; Mt 12,10; Lk 6,7). Während Jesus bei Markus/Matthäus einfach weiter macht, was er machen will, benutzt Jesus bei Lukas vielmehr die Absicht der Pharisäer (6,8).280 Der Mann wurde von Jesus absichtlich ausgewählt und benutzt, um alle zu lehren. Nach der Heilung verschwindet er sofort aus dem Blickfeld der Leser,281 da er seine Funktion beendet hat. Der Kranke war ein Modell282 für alle283 (pa,ntaj auvtou.j Lk 6,10) und ein Lehrmittel für die Lehre Jesu.284 276 Vgl. Mk 2,8; Markus benutzt auch evpignou.j, „Jesus erkannte sogleich in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten“. 277 Mk beschreibt, dass Jesus mit Zorn auf sie blickt, und über die Verhärtung ihres Herzens betrübt ist (Mk 3,4), wobei sein Zorn und seine Betrübnis eher durch ihr Schweigen (V. 4), als durch ihr Auflauern hervorgerufen wird (V. 2). 278 Gegen Bovon, F., Das Evangelium, 275; er meint: Der Fall, der für Lukas eine Person ist, wird von Jesus behandelt. M.E. ist der Kranke eher ein Beispiel für Lk als eine Person, obwohl er eine Person ist, denn es fehlt die Barmherzigkeit bzw. der Respekt Jesu für den Kranken. (Vgl. Mt 12,11-12f). 279 Das ist ein von Lukas gern und häufig verwendeter Ausdruck. Vgl. 9,46f. „Als aber Jesus den Gedanken ihres Herzens erkannte, nahm er ein Kind und stellte es neben sich.“ 280 Vgl. Rengstorf, K.H., Das Evangelium, 82. 281 Vgl. a.a.O., 83. 282 Vgl. Busse, U., Die Wunder, 138: „Der Kranke wird zum Demonstrationsobjekt, an dem Lukas augenfällg die Torheit der Gegner angesichts der rettenden Wohltat exemplifizieren will.“ 283 Vgl. Bovon, F., Das Evangelium, 273: „pa,ntaj zeigt die lukanische Tendenz zur Verallgemeinerung.“ 284 Vgl. Busse, U., Die Wunder des Propheten Jesus. Die Rezeption, Komposition und Interpretation der Wundertradition im Evangelium des Lukas, Stuttgart 1979, 136; „Lukas gestaltet den Befehl an den Kranken mit der verdorrten Rechten demonstrativer, indem er im Unterschied zu Mk 3,3 den Gehorsam des Mannes hervorhebt.“
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9: Jesus stellt den Pharisäern und Schriftgelehrten eine Frage evperwtî, was eine typisch lukanische Komposition ist. Jesus benutzt oft die sog. Hebammenkunst beim Gespräch mit den Pharisäern. Diese Methode findet sich auch bei Markus, aber nicht so häufig wie bei Lukas. Matthäus hingegen schreibt, dass die Pharisäer Jesus fragen (Mt 12,10) und Jesus darauf antwortet bzw. erklärt (Mt 12,11-12). V. 9 ist das Zentrum der Lehre Jesu. Seiner Meinung nach soll man am Sabbat Gutes tun (avgaqopoih/sai) bzw. Leben erhalten (yuch.n sw/sai), nicht Böses tun bzw. Leben vernichten (avpole,sai). Der Sabbat ist, wenn man aktiv Gutes tut bzw. Leben erhält. Für Jesus ist es Böses tun bzw. Leben vernichten, wenn man am Sabbat passiv lebt. Wenn man sich dagegen entscheidet, am Sabbat aktiv etwas Gutes zu tun, ist dieses Versäumnis etwas Böses. Der nichtaktive Erhalt von Leben kommt einer Vernichtung von Leben gleich.285 Die passive Behandlung des Sabbats handelt von dem pharisäischen bzw. (schriftgelehrten) Leben. Sie haben nichts Gutes am Sabbat getan, obwohl sie es eigentlich nach der Lehre Jesu hätten tun sollen. Sie haben das Gesetz nicht verstanden. Jesus deckt den Irrtum der Pharisäer bzw. Schriftgelehrten auf. 10: Jesus sieht sie alle ringsum an. Wer sind sie (pa,ntaj auvtou.j)? Sie setzen sich sowohl aus Pharisäern bzw. Schriftgelehrten als auch aus anderen Leute, die da sind, zusammen.286 Durch die Handlung Jesu -alle ringsum anzusehen- wird für alle Anwesenden bzw. die Leser die Frage Jesu (V. 9) beantwortet, nämlich, dass es gilt „Gutes zu tun“ bzw. „Leben zu erhalten“.287 Jesus spricht zu dem Kranken, während die Masse schweigt. Jesus handelt „aktiv“, „sichtbar“ nach seiner Lehre. Seine Handlung zeigt der Masse den Unterschied zwischen ihm und den Pharisäern bzw. Schriftgelehrten. Er zeigt der Masse noch mal durch seine Handlung deutlich, was man am Sabbat tun soll. Während Jesus bei Lukas sofort die Absicht der Pharisäer und Gesetzeslehrer bemerkt (Lk 6,8), bemerkt Jesus bei Markus erst später die Verhärtung ihrer Herzen (Mk 3,5): Zuerst stellt Jesus ihnen die Frage. Bis dahin wusste Jesus gar nicht, dass ihre Herzen verhärtet sind. Sie geben Jesus keine Antwort darauf. Dann bemerkt Jesus endlich ihre Verhärtung. Er blickt nur auf die Pharisäer. Bei Markus und Matthäus befinden sich außer den Pharisäern keine anderen Leute in der Synagoge. Er blickt sie zornig an und er heilt den Kranken. Seine Handlung 285 Vgl. Busse, U., Die Wunder, 140 meint: „Es bedeutet schon Böses tun, eine Heilung zu unterlassen.“ 286 Vgl. Rengstorf, K.H., Das Evangelium, 83. 287 Vgl. Bovon, F., Das Evangelium, 276; er meint, dass Lukas im Gespräch die jüdische und hellenistische Tradition der Popularethik und der politischen Wohltäter verbindet.; Vgl. van Unnik, W.C., Motivierung und die Kommentare zu Apg 10,38 M.E. ist die Meinung, dass Lukas Jesus als Wohltäter beschreiben will, nicht angemessen, denn das Bild Jesu ist kein lukanisches christologisches Ziel, sondern ein Phänomen, während Jesus seine Berufung erfüllt.
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bewirkt sofort ihre Reaktion, nämlich ihren Beschluss, Jesus zu töten (Mk 3,6). Es existiert besonders bei Markus nur die Spannung zwischen Jesus und den Pharisäern. 11: Die Pharisäer und die Schriftgelehrten wurden von sinnloser Wut erfüllt. Lukas benutzt deutlich das Personalpronomen 2. Pl. z.B. auvtoi. (V. 11), auvtwn (V. 8) auvtou,j (V. 9), wenn er die Pharisäer und die Schriftgelehrten (V. 7) in einer Geschichte wieder bezeichnen will. Lukas benutzt den Optativ + a;n, wo Markus und Matthäus o[pwj + Konjunktiv benutzen (o[pwj auvto.n avpole,swsinÅ). Das heißt, Lukas formuliert „Potential“288, aber Markus und Matthäus formulieren einen „Finalsatz“. Lukas verändert seine markinische Vorlage von „Jesus umzubringen“ zu „was sie gegen Jesus unternehmen könnten“( ti, a'n poih,saien tw/| VIhsou/Å), denn die Pharisäer haben – im Gegensatz zu den Hohenpriestern und Schriftgelehrten – bei Lk nicht versucht, Jesus umzubringen (Vgl. Mk 3,6).
2.4 Das Gesetzesverständnis Jesu in Lk 6,6-11 Diese Perikope von der Heilung des Mannes mit der verdorrten Hand ist nach R. Bultmann klar den Streitgesprächen zuzuordnen.289 Aber wie R. Bultmann gesagt hat, ist es schwer, Streitgespräch und Schulgespräch zu unterscheiden.290 Was kann ein Kriterium sein, wenn man unterscheiden möchte, ob eine Geschichte Streit- oder Schulgespräch ist? R. Bultmann trifft die Entscheidung aufgrund dessen, dass eine Frage das Thema einleitet,291 aber neben dem bereits bekannten inhaltlichen Unterscheidungskriterium halte ich die Unterscheidung nach der Absicht des Autors am sinnvollsten. Wollte Lukas durch die Geschichte wirklich zeigen, dass Jesus mit seinen Gegnern streitet (Dies wäre ein Hinweis auf ein Streitgespräch)? Oder wollte er ausdrücken, was Jesus lehrt (dann würde es sich eher um ein Schulgespräch handeln)? Ich neige eher dazu, dass Lukas in der Geschichte durch den Mund Jesu etwas lehren will. Nach R. Bultmann ist es klar, die Geschichte stellt formgeschichtlich ein Streitgespräch dar. Aber Lukas will durch das Streitgespräch lehren, was man 288 Vgl. Bl-Debr-Rehkopf. F., Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen 141976, § 386,1 Anm. 2. 289 Vgl. Bultmann, R., Die Geschichte, 40. 290 Vgl. a.a.O., 39-40. 291 Vgl. a.a.O., 40. 56: „Bei der Verwandtschaft der Schulgespräche mit den Streitgesprächen ist über den Aufbau der Schulgespräche wenig zu sagen. Der Unterschied ist im Wesentlichen der, dass hier nicht eine bestimmte Handlung den Ausgangspunkt zu bilden braucht, sondern dass in der Regel einfach der Meister von einem Wissbegierigen gefragt wird.“ (S.56)
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am Sabbat tun soll. Daher ist diese Geschichte bei Lukas eher eine Lehrszene, nicht nur ein Streitgespräch, dessen Pointe die Lehre Jesu ist.292 Die Absicht der Schriftgelehrten bzw. Pharisäer dient vornehmlich der Profilierung der Lehre Jesu, und es finden sich bei Lk mehr Lehrstoffe293 als bei Markus und Matthäus.294 Die Intention des Lukas liegt nicht in der bösen Absicht der Pharisäer, sondern in der Lehre Jesu über den Sabbat.
2.4.1 Beschreibt Lukas eine Lehrszene? 1. Nur Lukas schreibt am Anfang der Geschichte, dass Jesus in der Synagoge gelehrt hat „dida,skein“ (V. 6). Das ist eine lukanische Betonung dessen, was Lukas in dieser Geschichte zeigen will und gilt gleich als Überschrift für die ganze Geschichte. Lukas will durch den Mund Jesu seine Gemeinde bzw. die Leser praktisch lehren,295 was man am Sabbat machen soll. Lukas benutzt die beiden Ausdrücke khru,ssw und dida,skw in der Synagoge, je nachdem was er beschreiben will. Wenn er die Verkündigung Jesu in der Synagoge beschreiben will, benutzt er khru,ssw (4,44), aber wenn er den lehrenden Jesus betonen will, verwendet er das Wort dida,skw (6,6). Jesus ist klar für Lukas der Heilsbringer swth.r (Lk 2,11).296 Das ist eine Voraussetzung in der ganzen lukanischen Christologie. Lukas betont hier, dass der Heilsbringer Jesus die Menschen lehrt. 2. Lukas formt den Text absichtlich um, um die Lehre Jesu über den Sabbat zu verdeutlichen.297 1) Erzählperspektive: Lukas schreibt, ebenso wie Markus und Matthäus, aus der Perspektive der Allwissenheit (des allwissenden Erzählers.). Er weiß alles, z. B. welche Absicht die Pharisäer und die Schriftgelehrten haben (V. 7). Lukas 292 Vgl. Lk 5,17-26; 13,10-17. 293 Vgl. Busse, U., Die Wunder, 136; „Das Lehrmotiv ist in V6 neu aufgenommen, und im folgenden bemüht sich Lukas um einen motivierten Handlungsablauf, wo er ‚in Mark is sudden and unexplained‘“. 294 Vgl. Schweizer, E., Das Evangelium, 74; Ernst, J., Das Evangelium, 124; er sagt „Das Stück enthält Elemente des Streitgesprächs (konfliktauslösende Tat- Frage der Gegner- GegenfrageÜberwindung der Gegner) und der Wundergeschichte (Begegnung von Wundertäter und Krankem – dessen Präsentation- Heilungsbefehl und Heilung- Erfolg und Reaktion). 295 Vgl. Conzelmann, H., Lindemann, A., Arbeitsbuch, 98. 296 Vgl. Schürmann, H., Das Lukasevangelium, 308 „Man wird freilich im Sinne des Luk, dem die swth.r – Funktion Jesu wichtig ist, sehen müssen, dass sich Jesus auch heilend als Sōtēr betätigt. 297 Lohmeyer, E., Art. Galiläa und Jerusalem bei Lukas, in: Das Lukasevangelium, Die Redaktionsund Kompositionsgeschichtliche Forschung. Hg. Georg Braumann, Darmstadt 1974, 7-12; er meint: „Lehrreicher noch ist die Art, wie Lukas den Grundriß des Markusevangeliums ändert.“ (7).
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weiß auch, dass Jesus ihre Absicht bemerkt (V. 8). Anders als Lukas berichten Markus und Matthäus im Paralleltext nur, dass die Pharisäer Jesus auflauern (Mk 3,2; Mt 12,10). Warum schreibt Lukas, dass Jesus ihre Gedanken bemerkt? Steckt hinter dieser Erzählperspektive bei Lukas ein theologischer Aspekt? Anhand dieser Perikope untersuche ich den Unterschied zwischen den theologischen Aspekten bei Lukas, Markus und Matthäus. Markus und Matthäus stellen diese Geschichte als Streitgespräch dar, wie R. Bultmann aufgezeigt hat. Die Pharisäer lauern Jesus (Mk 3,2) auf. Jesus weiß am Anfang dieser Geschichte noch nicht, welche Absicht die Pharisäer haben. Erst als er durch ihr Schweigen ihre verstockten Herzen wahrnahm, wurde er zornig (Mk 3,5). Bei Matthäus stellen die Pharisäer Jesus direkt die Frage, „Ist es erlaubt, am Sabbat zu heilen“, um Jesus anklagen zu können (Mt 12,10). Jesus antwortet darauf (Mt 12,11ff).298 Anders als Markus und Matthäus benutzt Jesus bei Lukas vielmehr ihre Gedanken, um andere Menschen durch sie zu lehren, was man am Sabbat machen soll. Er stellt ein Beispiel (den Mann mit der verdorrten Hand) in die Mitte (V. 8). Anders als Lukas braucht Matthäus diese Handlung Jesu nicht zu beschreiben, da er durch diese Gespräche nicht ausdrücken will, dass Jesus lehrt. Für Matthäus ist es wichtiger, dass Jesus ihn geheilt hat. Lukas formt aber die ganze Geschichte aus freien Stücken um, um die Lehre Jesu zu verdeutlichen. 2) Die Handlungspersonen: Die handelnden Personen sind bei Markus und Matthäus die Menschen (die Pharisäer) und Jesus und der Mann mit der verdorrten Hand. Anders als Markus/Matthäus sind die Handlungspersonen bei Lukas die Pharisäer und die Schriftgelehrten und Jesus und der Mann mit der verdorrten Hand und alle anderen Menschen, die da sind. Das Wort „pa,ntaj auvtou.j“ (V. 10) umfasst sowohl die Pharisäer und die Schriftgelehrten als auch die übrigen Menschen, die da sind. Lukas stellt die Szene logischer dar als Markus/ Matthäus. Es ist klar, dass auch andere Leute in der Synagoge waren, als Jesus dort lehrte. Markus und Matthäus aber berichten nichts darüber. Das ist der entscheidende Punkt, an dem der theologischen Unterschied deutlich wird, nämlich, dass es bei Markus und Matthäus um ein Streitgespräch geht, wogegen Lukas seine Vorlage von diesem Streitgespräch in eine Lehrszene ändert. Markus schreibt, dass Jesus nur die Menschen (die Pharisäer) mit Zorn ansieht (3,5). Jesus spricht in der Szene nur mit den Pharisäern. Das ist ein Unterschied zwischen Markus und Lukas. 298 Vgl. Bultmann, R., Die Geschichte, 40 sagt; „Die Streitgespräche nehmen ihren Ausgang von einer Handlung oder einem Verhalten, woran der Gegner anknüpft und seinen Angriff als Vorwurf oder als Frage vorbringt.“
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Lukas lässt das Wort met v Ñrghj aus. Lukas lässt die Gemütsäußerung aus wie auch in Lk 5,12-16. Und wenn Jesus bei Lukas die Menschen nicht als seine Gegner ansieht, wäre es unpassend „mit Zorn“ zu schreiben. Nachdem Jesus die Frage gestellt hat, sieht er alle Leute ringsum an. Jesus fragt nicht nur die Pharisäer und die Schriftgelehrten, sondern auch alle Menschen bzw. Leser. Während er sie ringsum ansieht, reagieren sie alle mit Schweigen. Jesus erwartet von den Menschen die Antwort: „Gutes zu tun, Leben zu erhalten.“ Doch die Menschen antworten mit Schweigen. Lukas erwartet diese Antwort auch von den Lesern. Nachdem Jesus die Reaktion der Menschen, nämlich ihr Schweigen, wahrgenommen hat, macht bzw. zeigt er selbst, was man am Sabbat machen soll. Dies stellt eine lukanische Besonderheit dar. Matthäus und Markus dagegen brauchen die anderen Leute nicht, denn diese Geschichte ist für sie ein Streitgespräch zwischen Jesus und den Pharisäern. Aber Lukas verändert seine Vorlage und diese Geschichte wird bei ihm zur Lehrszene. 299 3) Die Rhetorik Jesu beim Lehren: Bei Matthäus stellen die Pharisäer Jesus die Frage: „Ist es erlaubt, am Sabbat zu heilen?“ Darauf antwortet Jesus und erklärt weiter, was man am Sabbat tun soll (Mt 12,11f). Anders als Matthäus beschreiben Markus und Lukas, dass Jesus den Pharisäern diese Frage stellt. Lukas hat die Rhetorik Jesu von Markus übernommen, aber Lukas benutzt diese Rhetorik der sog. Hebammenkunst häufiger als Markus.
2.4.2 Wenn man diese Geschichte als Lehrszene sieht, kann man die lukanische Konzeption erkennen. Der Ort der Lehre: Synagoge300 Der Lehrer: Jesus Die Schüler: Alle Menschen, die in der Synagoge sind, 301 bzw. der Leser Das Ziel der Lehre: Das neue Verständnis des Sabbats Der Lehrstoff: 1) Der Mann, dessen rechte Hand verdorrt war. 2) Der Absicht der Pharisäer und die Schriftgelehrten (V. 8) 6. Die Rhetorik Jesu: Die Hebammenkunst
1. 2. 3. 4. 5.
299 Noch mehrere Information über Apophthegmata, Vgl. Conzelmann, H., Lindemann, A., Arbeitsbuch zum Neuen Testament, Tübingen 2003, 98. 300 Vgl. Stegemann, W., Zwischen Synagoge und Obrigkeit. Zur historischen Situation der lukanischen Christen, Heidelberg 1982, 97; er erklärt, dass die Synagoge ein Ort für die Lehre ist. 301 Die Pharisäer und Schriftgelehrten können auch die Gegenstände Lehre Jesu sein.
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2.4.3 Was ist die lukanische Lehrszene? 1. Definition: Das ist ein neuer Begriff, um den lukanischen Text zu verstehen. Die äußere Form sieht wie ein „Streitgespräch“ aus, aber die ganze Erklärung läuft nicht darauf hinaus, den Konflikt als Konflikt zu beschreiben, sondern der Konflikt wird eigentlich dazu benutzt, damit man etwas daraus lernen soll. 2. Die Besonderheit der lukanischen Lehrszene 1) Am Anfang der Perikope kommt oft dida,skw vor302 (5,17; 6,6; 13,10) 2) Jesus stellt mehr Fragen als gefragt zu werden (5,17f; 6,6f; 13,10f; 14,1f) 3) Jesus benutzt manchmal die Menschen als Lehrmittel (entweder einen Kranken oder die Menschen, die da sind303: 5,17f; 6,6f; 9,47f; 13,10f; 14,1f). 4) Es gibt eines deutliches Lehrziel bzw. Lehrmotiv, z.B. „Was man am Sabbat tun soll.“ (6,9; 13,15f; 14,3) 5) Jesu verwendet als rhetorisches Mittel manchmal die „Hebammenkunst“ (5,17f; 6,6f; 13,10f; 14,1f)
2.4.4 Was wollte Jesus lehren? Lukas folgt zwar inhaltlich seiner markinischen Vorlage, ändert aber die Form der Szene von einer Streit- in eine Lehrszene. Jesus lehrt hier die Menschen, was man am Sabbat machen soll.304 Für Jesus ist der Sabbat ein Tag, wo man aktiv Gutes tun (avgaqopoih/sai) und Leben erhalten (yuch.n sw/sai) soll, wie an anderen Tagen. Was man am Sabbat passiv lebt, nämlich was man nicht an Gutem tut, obwohl man es tun sollte, was man nicht am Leben erhält, obwohl man es erhalten sollte, bedeutet Böses zu tun und Leben zu vernichten.305 Diese Lebensart zeigt indirekt das pharisäische Leben. Die Pharisäer und Schriftgelehrten hatten Recht, weil der Kranke sich nicht in akuter Lebensgefahr befand.306, weshalb die Heilung hätte verschoben werden können. 302 Die zu Lk parallen Mk bzw. Mt Berichten schreiben oft nicht, dass Jesus lehrt. (Mk 2,1-12; Mt 9,18; Mt 12,19-14; Mk 3,1-6). 303 Jesus benutzt auch ihre Absicht (5,22; 6,8; 9,47). 304 Vgl. Bovon. F., Das Evangelium, 275; er meint; „Lukas lehrt ein ethisches Verständnis des Sabbats, das in der Christologie des Retters Jesus (swsai) verwurzelt ist. Er ist Herr des Sabbats(6,5), indem er die einen rettet und die anderen aufrüttelt.“ Vgl. Dibelius, M., Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 1971, 52; er schreibt: „es gibt keinerlei Einschränkung für das Tun des Guten.“ 305 Vgl. Schneider, G., Das Evangelium, 144; „ Ihre Unterlassung würde bedeuten, dass man Böses tut.“ 306 Vgl. Bill. I, 623, bes, die Regel Mekh zu Ex 31,13: „Rettung des Menschenlebens verdrängt den Sabbat.“
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Aber es geht für Jesus nicht darum, ob der Kranke sich in Lebensgefahr befindet, sondern darum, welche Handlung man am Sabbat vornehmen soll.307 Jesus deckt diese pharisäische Lebensart bzw. Lehre (V. 10) auf, nachdem er ihre Gedanken bemerkt hat (V. 8). Die Pharisäer sollten zustimmen und an der Heilung aktiv teilnehmen, aber sie wollten vielmehr die Heilung Jesu als Möglichkeit benutzen, ihn anzuklagen (V. 7). Sie lehren das Volk, dass man am Sabbat nicht heilt und nicht für das Leben sorgt, sofern dieses nicht bedroht ist. Diese pharisäische Lehre über den Sabbat ist für Jesus nicht richtig.308 Jesus lehrt, dass man am Sabbat auch aktiv daran teilnehmen soll, Gutes zu tun bzw. Leben zu erhalten (V. 9). Lukas zeigt durch diese Handlung Jesu am Sabbat nicht, dass Jesus das Sabbatgebot zerstört, sondern dass die Darstellung der Pharisäer in Bezug auf das Gesetz eine verfälschte Gesetzestreue ist. Jesus korrigiert ihre Aufmerksamkeit und falsche Interpretation des Gesetzes.309 P.F. Esler sieht aber die Überlegenheit Jesu gegenüber dem Gesetz in dieser Geschichte,310 aber wie ich in 6,1-5 erwähnt habe, ist das Ziel dieser Geschichte eher die Lehre über den wahren Sinn des Sabbatgebotes, als die Überlegenheit Jesu gegenüber dem Gesetz.
3. Die Heilung einer verkrümmten Frau: Lk 13,10-17 3.1 Übersetzung 10 Er lehrte aber in einer der Synagogen an den Sabbaten. 11 Und siehe, da war eine Frau, die achtzehn Jahre lang einen Geist der Krankheit hatte, und sie war zusammengekrümmt und unfähig, sich wieder ganz aufzurichten. 12 Als der Jesus aber sie sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr: Frau, du bist erlöst von deiner Krankheit. 13 Und er legte ihr die Hände auf, und sie wurde sofort aufgerichtet und pries Gott. 14 Da antwortete aber der Vorsteher der Synagoge, indem er aufgebracht war, weil der Jesus am Sabbat geheilt hatte, und sagte zur Menge: Es gibt sechs
307 Vgl. Schürmann, H., Das Lukasevangelium, 308 sagt: „Dabei sei die Frage im Grunde schon von der gesetzlichen Ebene auf die sittliche geschoben.“ 308 Vgl. Bovon, F., Das Evangelium, 275. 309 Loader, W.R.G. Jesus’s Attitude, 314: „The conflicts pertain not to the Law itself but to ist interpretation“. 310 Esler, P.F., Cummunity, 115.
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Tage, wo man arbeiten soll: an denen kommt und lasst euch heilen, aber nicht am Tage des Sabbats. 15 Der Herr antwortete ihm und sprach: Heuchler! Löst nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe und führt ihn hin und tränkt ihn? 16 Diese aber, die Tochter Abrahams ist, die der Satan gefesselt hat, siehe, 18 Jahre lang, sollte sie nicht gelöst werden von dieser Fessel am Tag des Sabbats? 17 Und als er dies sagte, wurden alle seine Gegner beschämt, und die ganze Menge freute sich über alle die wunderbaren Taten, die vom ihm geschahen.
3.2 Struktur und Inhalt Diese beiden Perikopen (13,10-17 und 14,1-6) sind lukanisches Sondergut. Es geht um die Sabbatheilungen. Daher werde ich später das Gesetzesverständnis in Lk 13,10-17 und 14,1-6 zusammenfassen. Es ist schwer, diese Szene genau zu lokalisieren.311 Lukas erwähnt die Orte nicht der Reihe nach,312 sondern benutzt oft den unbestimmten Artikel, nämlich „er kam in ein Dorf“(10,38), „und es begab sich, dass er an einem Ort war“ (11,1), „er lehrte in einer Synagoge“ (13,10). Lukas hatte kein Interesse, den Ort zu nennen313, nur die Handlung Jesu ist von Bedeutung.314 Warum hat Lukas die Szene hier eingeführt?315 Es ist schwer, eine Kontinuität des Themas in dem vorangehenden und nachfolgenden Kontext zu finden.316 311 Vgl. Klostermann, E., Das Lukasevangelium, 144; er hält es für „eine sekundäre Variante des galiläischen Streitgesprächs“; Ernst, J., Das Evangelium, 286; „Lk greift offenbar auf eine Erzählung zurück, die in Galiläa anzusetzen ist (vgl. auch 13,31f)“; Schmid, J., Das Evangelium nach Lukas, 236. 312 Vgl. Conzelmann, H., Lindemann, A., Arbeitsbuch, 346-347: „Es fällt auf, dass gerade von dem Augenblick an, wo die Reise nach Jerusalem beginnt (9,51), eine Bewegung von Ort zu Ort beinahe überhaupt nicht mehr erwähnt wird; die einzige wirkliche Reisesituation, die geschildert wird, findet sich gleich zu Beginn in 9,51-56. Danach gibt es lediglich eine Reihe schematischer Notizen, in denen gesagt wird, dass Jesus unterwegs nach Jerusalem ist (10,28;13,22;17,11).“ 313 Lukas hätte sehr wahrscheinlich redaktionell den passenden Ortnamen eingeben können, aber er vermeidet es. Vgl. Grundmann, W., Das Evangelium, 279: „Da Lukas eine Beispielerzählung für das Mühen Jesu um Israel geben will, bekommt sie eine allgemeine Einleitung. Man darf deshalb nicht nach dem Ort und Zeitpunkt fragen.“ 314 Vgl Ernst, J., Das Evangelium, 286; „Auf eine Einordnung in den Rahmen der Wanderung wird völlig verzichtet... Die Unbestimmtheit der Ortsangabe könnte auf eine situationsunabhängige Erzählung hindeuten (vgl 4,16f.31), die lediglich an der Sabbatheilung interessiert ist.“ 315 Vgl. Busse, U., Die Wunder, 289. 316 Petzke, G., Das Sondergut, 125; Schneider, G., Das Evangelium, 299.
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Viele Forscher beantworten diese Szene in Bezug auf den Vorwurf der Heuchler (11,37-54; 12,3f), und einige Forscher wie E. Klostermann suchen sie in seiner Quelle.317 Haenchen geht davon aus, dass Lukas diese Geschichte aus anderen Überlieferungen als Markus genommen hat.318 R. Bultmann319 und M. Dibelius sehen die Geschichte als eine weitere Variante der Sabbatheilung Mk 3,1-6. R. Bultmann sieht diese Szene als „die ungeschickteste von den drei Sabbatheilungen“, weil sich an die vollzogene Heilung eine Diskussion mit den Pharisäern anschließt (vgl. 14,1-6; Mk 3,1-6). Er meint, dass V. 15 ein ursprünglich isoliertes Logion sei und Lukas auf dieser Grundlage komponiert habe.320 J. Roloff wiederspricht der These von Bultmann. Er sieht V. 15 als eine Abwandlung von Lk 14,5 par Mt 12,11.321 Während M. Dibelius über die Entstehung der Novellen spricht, sieht er auch diese Szene als das beste Beispiel für die Mischformen, nämlich Paradigmen und „reichere und profanere Erzählart“.322 Im Lukasevangelium finden drei Heilungsgeschichten am Sabbat statt (6,6-11; 13,10-17; 14,1-6). Wie R. Bultmann schon erkannt hat, ist die Struktur dieser Erzählung anders als bei den anderen beiden Sabbatkonflikten (6,6-11; 14,1-6). Ist die Umkehrung der Handlungsabfolge Heilung-Streit ursprünglich lukanisch? Man kann dies nicht mit Sicherheit sagen. Der Versuch von J. Roloff, der V. 15 mit 14,5 verbinden will, ist m.E. nicht akzeptabel, weil die Struktur der beiden Perikopen ganz unterschiedlich ist. Es ist nicht auszuschließen, dass Lk 13,11-13 unabhängig 323 als eine Wundergeschichte existieren kann.324 Dann könnte 13,14 -17 ein Anhang bzw. eine Erweiterungserzählung sein, um die Gemeinde zu belehren. Wie gesagt, die Szene kann wieder literarisch auf zwei kleine Szenen
317 Vgl. Klostermann, E., Das Lukasevangelium, 144; „Die Einreihung an diesem Platz geht vielleicht auf die Ordnung in der lukanischen Quelle zurück, jedenfalls nicht auf ein Bestreben durch die quga,thr VAbraa.m V.16 auf V.28 vorzubereiten, oder gar die 18 Jahre V.11 an die 18 von V.4 anzureihen.“ 318 Vgl. Haenchen, E., Der Weg, 128; „Diese Geschichte stammt – wie die von Zachäus („sintemal auch er Abrahams Sohn ist“: Lk19,9) – wohl aus judenchristlichen Kreisen: die Abrahamskindschaft des oder der Betreffenden rechtfertigt die Hilfe Jesu.“ Er nimmt weiter an, „Vermutlich ist hier eine früher selbständige Heilungsgeschichte nachträglich zur Erzählung von einem Sabbatkonflikt geworden, in Joh 5,9b ist das ja auch der Fall. Wahrscheinlich ist die Heilungsgeschichte im Laufe der mündlichen Überlieferung mit dem Motiv des Sabbatkonflikts zusammengekommen.“ 319 Bultmann, R., Die Geschichte, 10; Dibelius, M., Die Formgeschichte, 94. 320 Bultmann, R., Die Geschichte, 10. 321 Roloff, J., Das Kerygma, 67. 322 Dibelius, M., Formgeschichte, 94. 323 Vgl. Marshall, I.H., The Gospel of Luke, 556: „The story is peculiar to Lk., and is an independent story with no necessary connection with surrounding material.“ 324 Schweizer, E., Das Evangelium, 146.
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verteilt werden.325 Die erste Szene ist 13,10-13, in der es um die Geschichte „die verkrümmte Frau pries Gott“ geht. Die zweite Szene ist 13,14-17. Innerhalb dieser geht es darum: „ alles Volk freute sich über alle herrlichen Taten Jesu“. Die Szene sieht äußerlich nach „Streitgesprächen“ aus.326 Man kann auch diese Szene als „Wunderbericht“ besonders in 13,10-13 sehen.327 Aber ich sehe diese Szene (13,10-16) eher als „Lehrszene“. Lukas will erstens inhaltlich durch diese Geschichte lehren, was man am Sabbat tun soll. Zweitens ist formal gesehen die Satzstruktur anders als bei den anderen Streitgesprächen. Wie gesagt, diese Szene kann man anders als die anderen beiden Sabbatgeschichten in zwei Teile (13,10-13 und 14-17) aufteilen. Jede hat ein eigenes Thema. 13,10-11 ist die Einleitung dieser Erzählung. VV. 11- 13a enthält die Handlung Jesu an der Frau als Wundergeschichte. Aber die Handlung Jesu enthält nicht nur das Wunder, sondern auch das Lehrmotiv. Im zweiten Teil (13,14-17) hingegen wird das Lehrmotiv stärker betont. V. 14 zeigt die Reaktion der Vorsteher und 13,15-16 zeigt die Lehre Jesu als das Hauptthema. Diese Perikope ist also folgendermaßen zu gliedern: I. 13,10-13 Die Wundergeschichte 10: Die Rahmenangabe der Geschichte 11-13a: Die Handlung Jesu an der verkrümmten Frau 13b: Das Ergebnis und die Reaktion der verkrümmten Frau II. 13,14-17 Die Lehre Jesu 14a: Die Reaktion der Vorsteher 15-16: Die Lehre bzw. Argumentation Jesu gegen den Vorsteher 17: Die Reaktion der Menge
3.3 Analyse 10: Jesus lehrt in der Synagoge nach seiner Gewohnheit. Die Satzstruktur ist ähnlich wie 6,6f: Zeit (am Sabbat), Ort (in der Synagoge), Handlung (Lehren Jesu) und handelnde Personen (Jesus, Kranke, Ankläger). Ein kleiner Unterschied ist, dass Lukas, während er in 6,6 sing. (evn e`te,rw| sabba,tw|) benutzt, hier pl. (evn
325 Ernst, J., Das Evangelium, 286; Wiefel, W., Das Evangelium, 254. 326 Vgl. Bultmann, R., Die Geschichte, 10. 327 Bovon, F., Das Evangelium, 395.
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toi/j sa,bbasinÅ) schreibt. Die Pluralform328 kommt im Lukasevangelium seltener vor (dreimal) als bei den anderen Synoptikern (Mk 5; Mt 5). Es gibt bei Lukas keine Einheitlichkeit bzw. Regel dafür,329 wann er die Singular- bzw. Pluralform benutzt. Eine Besonderheit ist die Satzstruktur. Er stellt die Pluralform (toi/j sa,bbasin) immer nur ans Ende des Satzes (4,31; 6,2; 13,10), während andere Synoptiker sie niemals ans Ende stellen (vgl. Mt 12,1.5.10.11.12; Mk 1,21; 2,23.24; 3,2.4). Das Motiv „Jesus lehrt in der Synagoge am Sabbat“ stammt sehr wahrscheinlich von der markinischen Überlieferung (Mk 6,2) her, da es (‚Jesus lehrt am Sabbat‘) bei Matthäus überhaupt nicht vorkommt. Bei Lukas aber ist das Motiv, dass Jesus lehrte, auch nicht weniger wichtig als bei den anderen Synoptikern.330 Dieses Motiv zieht sich weiter durch die Apg hindurch. Am Anfang der Apg erinnert Lukas den Theophilus besonders daran, „was Jesus von Anfang an tat und lehrte“ (Apg 1,1). Und ganz am Ende der Apg beschreibt Lukas, was die Nachfolge Jesu (Paulus) heißt, nämlich „Paulus predigte das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn Jesus Christus mit allem Freimut ungehindert“ (Apg 28,31). Diese Perikope kann man so interpretieren: Im Lukasevangelium geht es um die Tat und Lehre Jesu (vgl. 4,15.31; 5,3.17; 6,6; 13,10.22.26; 19,47; 20,1; 21,37; 23,5) und in der Apg geht es um die Tat und Lehre der Apostel (vgl. 1,1; 4,2.18; 5,21.25.28.42; 11,26; 18,11.25; 20,20; 28,31). 11: Lukas stellt die Kranke vor. Die Frauen haben in der Synagoge fast wie Gäste teilgenommen, denn der Gottesdienst in der Synagoge war Männersache. Daher ist diese Szene „die Frau in der Synagoge“ selten. In der Tat kommt diese Vorstellung „Frau in der Synagoge am Sabbat“ in den anderen Evangelien nicht vor. Daher ist es auffallend, warum Lukas sie in dieser Perikope als Hauptperson auftreten lässt.331 Ihr Auftreten enthält vielleicht einen Sinn für die Erzählung der Sabbatheilung.332 Sie war nicht nur krank, sondern auch eine Frau. 328 Vgl. Grundmann, W., Das Evagelium, 279: „Überall und jederzeit lehrt Jesus in den Synagogen; so spielt also, was Lukas erzählt, in einer von ihnen an irgendeinem Sabbat; die Pluralform meint irgendeinen Sabbat (vgl. zu Mark.1,21 und Luk.4,16.31)“. 329 Vgl. Schweizer, E., Das Evangelium, 146; er behauptet, dass Lukas oft den Singular in seiner Vorlage zum Plural korrigiert, weil er den Plural auf mehrere Sabbate bezieht, z.B. Lk 6,2. 330 Schweizer, E., Das Evangelium, 146. 331 Vgl. Ernst, J., Das Evangelium, 286; „Literarische Gestaltung ist vielleicht auch an der unter historischen Gesichtspunkten ungewöhnlichen Teilnahme einer gelähmten Frau am Synagogengottesdienst zu erkennen.“ 332 Vgl. Petzke, G., Das Sondergut, 126; er behauptet auch, dass diese Geschichte aus zwei verschiedenen Überlieferungen besteht. „Das Wunder muss nicht ursprünglich als Sabbatwunder erzählt worden sein; in der Erzählung selbst deutet nichts darauf hin. Deshalb ist es zunächst auch nicht gerechtfertigt, schon in der Heilung der Frau eine Durchbrechung der Regeln des Synagogengottesdienstes zu sehen, da sie gegen die Regeln als Frau nach vorne gerufen wurde,
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Die Krankheit ist hier nicht von daimo,nia (vgl. 8,2.27; 9,1; 10,17; 13,32) verursacht, sondern vom pneuma avsqenei,aj (dem Geist der Schwäche) her (vgl. Lk 4,33; 9,39; 11,24; Mk 1,26; 3,30; 5,8; 7,25; 9,17.20.25). Die Wörter daimo,nia und pneu/ma333 werden bei den Evangelisten als die Ursache der Krankheit bezeichnet. 12-13: Jesus sah sie und rief ihr spontan zu. Lukas lässt wie immer aus, das Gefühl Jesu gegenüber der Kranken zu beschreiben (vgl. Mk 1,41; Mt 20,34). Jesus kümmert sich gar nicht um die Augen seiner Gegner, die in der Synagoge sind. 334 Jesus verkündigt ihr, dass sie frei von der Krankheit sei. Die Heilungsmethode Jesu wird nicht als Exorzismus erklärt, obwohl die Ursache der Krankheit mit dem Geist der Schwäche gedeutet wird. Wir können die repräsentative Beschreibung für die Heilungen und Exorzismus in 4,40-41 sehen. Jesus bedrohte oft unreine Geister bzw. Dämonen; „Und auch Dämonen fuhren von vielen aus, indem sie schrien und sprachen: Du bist der Sohn Gottes. Und er bedrohte sie und ließ sie nicht reden, weil sie wußten, daß er der Christus war“ (4,41; vgl. 4,35; 9,42). Bezüglich der Heilungen berichtet Lukas von verschiedenen Handlungen Jesu; „Als aber die Sonne unterging, brachten alle, die an mancherlei Krankheiten Leiden hatten, sie zu ihm; er aber legte jedem von ihnen die Hände auf und heilte sie“ (4,40; vgl. 5,12; 14,4). „...sprach er zu dem Gelähmten: Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett, geh heim!“ (5,24; vgl. 7,13-14; 8,54; 17,14; 18,42). Die äußerliche Handlung Jesu in VV. 12-13, nämlich »aufzulegen seine Hände« (V. 13) und »Verkündigung der Heilung« „Frau, sei frei von deiner Krankheit“ (V. 12) bezeugt eher eine Heilungsgeschichte (vgl. V. 14). Aber man kann nicht sagen, dass eine solche Beschreibung (4,40-41) lukanisch ist, obwohl Matthäus und Markus sie in den Parallelstellen nicht erwähnen (vgl. Mk 1,34-35; Mt 8,16),335 denn die anderen Synoptiker verwenden sie auch an anderen Stellen (vgl. Für Heilung : Mk 1,41; Mt 8,3.15; 9,29; 20.34 Für Exorzismus: Mk 1,25; 9,25, Mt 17,18).
obwohl sie gar keine vollgültige Teilnehmerin des Gottesdienstes sei. Zunächst ist die Erzählung ein ganz normales Heilungswunder, wie sie in der damaligen Zeit überall erzählt wurden, um den Wundertäter bzw. die hinter ihm stehende Gottheit zu verherrlichen...Deshalb ist es kein Zufall, dass der typische Chorschluß, d.h. der Lobpreis der Zeugen des Wunders als Abschluß der Wundererzählung fehlt.“ 333 Um den heiligen Geist zu unterscheiden, benutzen die Evangelisten meistens ein passendes Adjektiv (Vgl. Mk 9,17.25; Lk 9,39. 13,11; Mt 12,45). 334 Vgl. Ernst, J., Das Evangelium, 286; „Jesus sieht nur den Menschen, der auf seine Hilfe angewiesen ist.“ 335 Vgl. Lüdemann, G., Jesus nach 2000 Jahren, 363; er schlägt vor, dass Lk 4,40-41 ein Musterbeispiel für stilistische Verbesserung der Mk-Vorlage ist.
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Nach seinem Handauflegen richtet die Kranke sich gleich auf und preist Gott. Es ist nicht neu im Lukasevangelium, dass ein solches Lob evdo,xazen to.n qeo.n in einer Heilungsgeschichte vorkommt (vgl. 5,25; 7,16; 17,15; 18,43). Das Lob gilt Gott, nicht Jesus.336 Die Kranke sieht die Herrlichkeit Gottes in der Handlung Jesu (vgl. V. 17).337 Das ist der lukanische Zweck in dem ersten Teil (VV. 10-13) dieser Perikope. Diese Geschichte hätte hier schon beendet werden können. 14: Die neue Phase fängt mit dem Vorsteher der Synagoge an. Der Vorsteher ärgert sich über „die Handlung“ Jesu. Der Vorsteher bestimmt die Handlung Jesu als Heilung am Sabbat. Seiner Meinung nach ist die Handlung Jesu bestimmt als eine ärztliche Heilung. Lukas erzählt auch die Handlung Jesu von seiner Position her (V. 14a „Da antwortete aber der Vorsteher der Synagoge, indem er aufgebracht war, weil Jesus am Sabbat geheilt hatte,...“). Der Synagogenvorsteher protestiert gegen die Handlung Jesu. Es ist seine Pflicht, das Volk auf das Sabbatgesetz aufmerksam zu machen und die Einhaltung des Gesetzes zu fordern. Der Ärger bzw. die Reaktion des Gegners Jesu beruht darauf, dass Jesus am Sabbat gearbeitet hat (vgl. 6,6-11; 14,1-6), und damit das Gesetz übertreten hat (vgl. 5,21). Während Jesus ernste Vorwürfe direkt gegen den Gegner erhebt (vgl. V. 15), spricht dieser aber nicht Jesus an, sondern das Volk (13,14).338 Diese Reaktion des Gegners Jesu kommt im Lukasevangelium häufig vor. Die Gegner sprechen Jesus nicht direkt an, sondern entweder die Jünger (5,30; 6,2) oder seine anderen Begleiter (5,21; 6,11) oder das Volk (13,14).339 Ihr Argument ist begründet in Exodus 20,9. Man solle für die Heilung in der Woche kommen, aber am siebten Tag solle man nicht kommen.
336 Rengstorf, K.H. Das Evangelium, 171. 337 Schweizer, E., Das Evangelium, 146; Schneider, G., Das Evangelium, 300; Wiefel, W., Das Evangelium, 255; Vgl. Minear, P.S., The Audiences of the Fourth Evangeliest. Interp 1977, 339-354. 338 Vgl. Haenchen, E, Der Weg Jesu, Eine Erklärung des Markus-Evangeliums und der kanonischen Parallelen, Berlin 1966; „Darauf erst erfolgt der Einspruch des Synagogenvorsteher, der sich aber trotz seines Ärgers nicht unmittelbar an den Wundertäter wendet (auch hier treffen wir also wieder einen jener Fälle, in denen ein Tadel an Jesus selbst nicht gerichtet wird, weil ihn die Gemeinde schon als unerträglich empfand), sondern die Leute anweist, sich am Alltag heilen zu lassen, wo man arbeiten darf und soll“. Vgl. Ernst, J., Das Evangelium, 286; „Psychologische Erklärungen (er traute sich nicht, Jesus direkt anzugreifen; Ausdruck der Schwäche; bezeichnend für seine innere Unfreiheit) helfen kaum weiter. Vielleicht meldet sich hier ein jüdischer oder judenchristlicher Protest gegen die gesetzesfreie Lebensordnung der nachösterlichen Gemeinde zu Wort.“; Vgl. Grundmann, W., Das Evanglium, 279; Vgl. Schmid, J., Das Evangelium, 236. 339 Gegen 10,25;11,45.53;19,39.
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15: Obwohl der Vorsteher nicht Jesus anspricht, antwortet Jesus dem Vorsteher direkt. Daher gibt es eigentlich keinen direkten Konflikt zwischen Jesus und den Gegnern, sondern nur einen einseitigen Vorwurf Jesu gegen den Vorsteher. „Ihr Heuchler!“ (u`pokritai,) zeigt einerseits, dass sich außer dem Vorsteher noch andere Menschen in der Synagoge befinden, die mit dem Vorsteher gleicher Meinung sind (V. 17), andererseits will Jesus, obwohl er eigentlich gegen den Vorsteher Vorwürfe erhebt, durch die Pluralform all seine Gegner ansprechen. In diesem Fall hält Jesus den Vorsteher für den Vertreter seiner Gegnerschaft einschließlich „des offiziellen Judentums“ 340. Das „sachlich natürlichere“ u`pokrita, in einigen Handschriften (D W f1 579. 2542 al f 1 sys.c.p ) sind doch wohl die Korektur.341 Jesus zwingt seinen Gegner durch die selbstverständlichen Fragen. Die Art und Weise der Rede Jesu ist rhetorisch eine Art der sokratischen Hebammenkunst. Jesus fordert den Gegner durch seine rhetorischen Fragen auf, für sich selbst die Antwort zu finden. In der Tat schämen sich all seine Gegner (vgl. V. 17a). Die Frage enthält ein Beispiel,342 das aus einer Art der jüdischen Gesetzesauslegung bestehen kann. Jesus fragt, wer am Sabbat seinen Ochsen oder seinen Esel von der Krippe nicht losbinde und ihn zur Tränke führe. Nach der Mischna darf man Tiere am Sabbat führen: „Ein Kamel darf ausgehen mit einer Kinnkette und eine Kamelstute mit einem Nasenring, und ein libyscher Esel mit einem Halfter und ein Pferd mit einer Halskette; und alle (Tiere), die eine Halskette tragen, dürfen mit einer Halskette ausgehen und an einer Halskette geführt werden, und man darf sie besprengen und untertauchen, {während sie sich} an ihrem Ort befinden“ (Shab, 5, 1). 343 16: Jesus argumentiert weiter durch seine rhetorische Frage. Wenn es für alle Tiere erlaubt ist, ist es für die Menschen kein Thema mehr. Jesus erklärt, dass der Satan diese Tochter von Abraham schon achtzehn Jahre gebunden hatte. Diese Beschreibung Jesu ist anders als Lukas in V. 11 erklärt hat. Lukas hatte dort „Geist der Schwäche“ geschrieben statt „Satan“. Warum zerstört Lukas die Kontinuität der Geschichte? Dies ist aber nichts Neues bei Lukas: Lukas verwendet oft das Wort o` satana/j (Satan) in einer Perikope mit anderen ähnlichen Begriffen (z.B. daimo,nion 11,14f; pneu/ma avsqenei,aj 13,11) zusammen. In diesen Fällen aber wurde o` satana/j von Jesus benutzt, während Lukas als Erzähler und ‚einige Leute‘ (Lk 11,15) andere Begriffe für das Wort „Satan“ benutzen. „Und er trieb einen bösen Geist aus, der war stumm. Und es geschah, als der Geist ausfuhr, da redete der Stumme“... (11,14) „Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die 340 Ernst, J., Das Evangelium, 286; „Nicht die Anwesenden sind angesprochen, sondern die Repräsentanten des offiziellen Judentums, deren Wortführer der Synagogevorsteher ist.“ 341 Klostermann, E., Das Lukasevangelium, 145. 342 Schmithals, W., Das Evangelium, 152. 343 Die Mischna.Text, 53. Vgl. Bill. I, 629f.; II, 199f.
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bösen Geister aus durch Beelzebul, ihren Obersten „...(11,15) „Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen?“ (11,18). Diese Tendenz findet sich auch gemeinsam in den anderen synoptischen Evangelien. Sie findet sich bei Matthäus am deutlichsten. Zwar lässt Markus das Wort o` satana/j oft aus dem Mund Jesu kommen (3,23.26; 4,15; 8,33), aber Markus benutzt auch für seine Erklärung das Wort „Satan“, z.B. in der Versuchungsgeschichte Jesu (Mk 1,13; Lk 22,3 ). Anders als Markus und Lukas benutzt Matthäus gar nicht „Satan“ für seine Erklärung in der Perikope, sondern er lässt es immer aus dem Mund Jesu kommen (4,10; 12,26; 16,23). Er benutzt nur „dia,boloj“ (4,1) und „daimo,nion“ (12,21. 24 Pharisäer) für seine Erklärungen. Das Wort „Satan“ kommt im synoptischen Evangelium insgesamt 13 mal vor (Mk: Fünfmal, Mt: Dreimal, Lk: Fünfmal). Auffallend ist, dass es immer nur von Jesus benutzt wurde außer Mk 1,13 und Lk 22,3. Sowohl die verkrümmte Frau als auch Zachäus (vgl. 19,9) sind Kinder Abrahams. Abraham wird bei Lukas oft als Vater der Glaubenden dargestellt (Lk 1,73; 3,8; 16,24.30; Apg 7,2; 13,6). Auffallend ist, dass dieser Ausdruck bei Markus und Matthäus selten vorkommt (vgl. Mt 3,9). Abraham ist Vater Israels, aber kann auch Vater für alle (vgl. 3,8) sein. Man weiß nicht genau, woher Jesus weiß, dass die Kranke seit 18 Jahren krank ist? Es ist eine Voraussetzung für diese Geschichte. Es ist selbstverständlich nicht nur für Jesus, sondern auch für alle, dass die Kranke am Sabbat von dieser Fessel gelöst wird. Denn sie ist noch wichtiger als Tiere.344 17: Nachdem Jesus seine Rede beendet hat, kommen völlig gegensätzliche Reaktionen vor. Seine Rede ist eine Folge von dieser Geschichte. Die Geschichte enthält von vorn bis zum Ende die beiden gegensätzlichen Positionen: Jesus und der Vorsteher, Gott (V. 13) und Satan (V. 11; V. 16), pa,ntej oi` avntikei,menoi auvtw/ alle, die gegen Jesus waren (V. 17) und pa/j o` o;clo alles Volk (V. 17). Die Kranke war von dem Satan gebunden (V. 11) aber Gott hat sie durch Jesus wieder befreit (V. 13; V. 16). Der Vorsteher war ärgerlich über die Tat Jesu (V. 14) und argumentierte mit Hilfe des Gesetzes (Text). Jesus argumentiert aber mit Menschenleben (Kontext) gegen die Behauptung des Vorstehers (V. 16). Die Struktur der Gegensätzlichkeit wird nach der Rede Jesu zerstört. Der Erzähler teilt mit, dass Jesus nicht nur gegen den Vorsteher gekämpft hat, sondern auch gegen Satan, der hinter dem Vorsteher steht.345 Jesus ist der Gewinner. Alle Gegner Jesu schämten sich und alles Volk freute sich über die Taten Jesu. Und
344 Schneider, G., Das Evangelium, 300. 345 Vgl. Rengstorf, K.H., Das Evangelium, 170.
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es sah in der Tat Jesu die Heiligkeit Gottes (vgl. V. 13; 5,26; 7,16; Apg 4,21,13,48; 21,20).
3.4 Das Gesetzesverständnis Jesu im Lk 13,10-17 Diese ganze Geschichte lässt sich in zwei Abschnitte teilen. Der erste Teil (13,10-13) hat die Heilung der Frau durch Jesus zum Inhalt. Jesus lehrt in der Synagoge und sieht die verkrümmte Frau (V. 11a). Jesus heilt ihre Krankheit ohne Rücksicht auf den Gegner zu nehmen (V. 12b-13a). Die Frau pries Gott (V. 13b). Im zweiten Teil (13,14-17) tritt der Gegner Jesu auf. Er ist ein Oberer in der jüdischen Gesellschaft. Er ist ein Vertreter der jüdischen Gesellschaft, der aufgrund der falschen Interpretation des Gesetzes die Handlung Jesu (V. 14) kritisiert. Jesus fragt, wer am Sabbat seinen Ochsen oder seinen Esel von der Krippe nicht losbinde und ihn zur Tränke führe (V. 15). Nach der Mischna darf man Tiere am Sabbat führen.346 Jesus stellt die zweite Frage, ob die Frau, die doch Abrahams Tochter ist, nicht gelöst werden soll (V. 16). Die Volksmenge freut sich über die Handlung bzw. Lehre Jesu (V. 17). Lukas will durch die beiden Szenen zwei Dinge betonen347: 1. Man sieht die Heilung Gottes in der Handlung Jesu. 2. Man freut sich über alle herrlichen Taten Jesu. Die Handlung Jesu motiviert zum Lobpreis Gottes (V. 13) und seine Handlung ist eine herrliche Tat, so dass die Gegner sich schämen mussten (V. 17). Lukas will durch die beiden kleinen Geschichten sein Lehrziel erreichen. Lukas will eher die Handlungen Jesu, in denen Gott handelt, als Hauptpunkt betonen, als den Vorwurf gegen die Pharisäer. Lukas will durch die Handlung Jesu seine Gemeinde über den Sinn des Sabbats belehren. Jesus ignoriert das Gesetz nicht und er hebt es nicht auf und Jesus steht aber auch nicht über dem Gesetz. Vielmehr lehrt Jesus das Gesetz dadurch, was man am Sabbat tun soll. Durch seine Lehre wird bewirkt, dass sich die Gegner bzw. die Oberen der Religionsgesellschaft schämen. Jesus hat nicht das Gesetz verworfen, sondern die zeitgenössischen Religionsführer; „Ihr Heuchler!“ (V. 15) Was wir beobachten müssen sind diese Ausdrücke Jesu „sei frei von deiner Krankheit“ (V. 12) und „Sollte dann nicht diese, die doch Abrahams Tochter ist, die der Satan schon achtzehn Jahre gebunden hatte, am Sabbat von dieser Fessel gelöst werden?“ (V. 16). Jesus sieht, dass der Satan Abrahams Tochter schon achtzehn Jahre gebun346 Die Mischna.Text, 53 347 Vgl. Petzke, G., Das Sondergut, 125; er sah das Motiv aus zwei Gründen; nämlich „Heuchelei“ (V.15) und „Ruf zur Umkehr“ (V.17).; Gegen Wiefel, W., Das Evangelium, 254; „Ob eine innere Verbindung gegeben war – etwa Entlarvung der Heuchelei – ist schwer zu sagen.“
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den hatte. Und er sieht auch keine Barmherzigkeit in der zeitgenössischen Interpretation des Gesetzes. Für die Gegner Jesu ist nicht ihre chronische Krankheit und ihr Leid wichtig, sondern ihr falsches Gesetzesverständnis. Jesus befreit sie am Sabbat von der Krankheit bzw. dem Satan. Diese Handlung Jesu zeigt, was das wahre Gesetz bzw. der Sinn des Sabbatgebotes ist. Der wahre Sabbat ist der Tag, wo man von allen gebundenen Dingen frei wird.
4. Die Heilung eines Wassersüchtigen : Lk 14,1-6 4.1 Übersetzung 1 Und es geschah, als er am Sabbat in das Haus eines der Oberen der Pharisäer kam, das Brot zu essen, und sie waren dabei, auf ihn zu lauern. 2 Und siehe, ein wassersüchtiger Mensch war vor ihm. 3 Und Jesus antwortete und sprach zu den Gesetzesgelehrten und Pharisäern, indem er sagt: Ist es erlaubt, am Sabbat zu heilen oder nicht? 4 Sie aber schweigen. Und er fasste ihn an, heilte ihn und entließ ihn. 5 Und er sprach zu ihnen: Wer von euch wird den Sohn oder Ochsen, der in einen Brunnen fällt, nicht sofort heraus ziehen am Sabbat? 6 Und sie konnten nicht darauf antworten.
4.2 Struktur und Inhalt 14,1-24 hat die Geschichte, in der Jesus im Haus eines der Pharisäer isst, zum Thema. Dieses Kapitel enthält insgesamt drei Perikopen, nämlich „Heilung des wassersüchtigen Mannes am Sabbat“ (14,1-6), „Bilder vom Mahl“ (14,7-24) und „Worte über die Nachfolge“ (14,25-35). Einige davon sind lukanisches Sondergut wie 14,1-6; 14,12-15 (Einladung für die Bedürftigen); 14,25-27 (Von Nachfolge und Selbstverleugnung); 14,28-32 (Vom Turmbauen und Kriegführen), und einige stammen aus Q; 14,16-24 (Parabel vom Gastmahl); 14,34-35 (Vom Salz). Diese Perikope ist die dritte und letzte Geschichte, die darüber berichtet, dass Jesus am Sabbat geheilt hat. Diese Perikope besteht aus drei Teilen: Einleitung (VV. 1-2), Hauptszene (VV. 3-5) und Schlussszene (V. 6). Lukas fängt seine Einleitung mit der Vorstellung der Person (Wer), der Zeit (Wann), des Ortes (Wo) und der Handlungsangabe (Was) an. Die Hauptszene beginnt mit der Rede Jesu. Sie endet mit der Frage Jesu (V. 5). Die Schlussszene berichtet darüber, wie die Gegner reagiert haben. 99
Diese Geschichte ist strukturell und inhaltlich ähnlich wie Lk 13,10-17. In 13,10-17 tritt eine Frau auf, aber hier kommt ein Mann vor. Außerdem sind die beiden Perikopen (13,10-17/14,1-6) lukanisches Sondergut. Daher behauptet B.S.Easton, dass diese Perikope ein Teil von 13,10-17 sei.348 Aber man weiß nicht, welche Beziehung es zwischen beiden Perikopen gibt. R. Bultmann behauptet, dass diese Geschichte die Veränderung von Mk 3,1-6 sei.349 Seiner Meinung nach hat Lukas auf die markinische Erzählung diese Struktur angewendet, um 14,1-4 mit 14,5 zu verbinden. Daher sei V. 1 lukanische Schöpfung.350 J. Roloff nimmt auch an, dass Lukas die markinische Vorlage (Mk 3,1-6) übernommen hat und Lk 14,5 ein Einschub in diese Vorlage sei.351 Wenn diese Perikope auf der Basis von Mk 3,1-6 geschrieben wurde, wie R. Bultmann und J. Roloff annehmen, ist diese Überlieferung eine der zwei Perikopen, die aus derselben Überlieferung stammen. Das würde bedeuten, dass Lukas Lk 6,7-11 und Lk 14,1-6 aus derselben Quelle stammen.352 Man kann diese Perikope also folgendermaßen gliedern: 1. Einleitung zur Geschichte: 1-2 2. Hauptrede: 3- 5 Die erste Frage Jesu : 3 Die Reaktion der Gegner Jesu: 4a Heilung Jesu: 4b Die zweite Frage Jesu: 5 3. Schlussrede: 6
348 Easton, B.S., The Gospel according to St Luke, Edinburgh 1926, 225; Klinghardt, M., Gesetz und Volk Gottes, 232-233, Klinghardt sieht eine enge Verwandschaft mit 13,1ff.: „Diese auffälligen Parallelen zeigen die Verwandschaft, wobei unwichtig ist, ob 13,10ff eine Weiterentwicklung von 14,1ff, oder umgekehrt letzteres eine Reduktion auf das Notwendige darstellt.“ 349 Anders Klinghardt, M., Gesetz und Volk Gottes, 232; er behauptet, dass diese Perikope nicht von Mk 3,1ff abhängig, sondern eine eigene Bildung sei. Vgl. Jeremias, J., Die Sprache des Lukasevangelium, Göttingen 1980 (KEK), 253f; er beurteilt 14,1-6 aus rein sprachlichen Gründen wesentlich als Redaktion. 350 Bultmann, R., Die Geschichte, 10.48; Schweizer, E., Das Evangelium, 154. 351 Roloff, J., Das Kerygma, 66. 352 Anders Bovon, F., Das Evangelium, 470; Bovon bezieht diese Perikope auf Lk 6,6ff. Er nimmt an, dass Lukas die Perikope auf der Basis Lk 6,6ff bearbeitet hat; „Lukas scheint diese Episode retuschiert und weiterentwickelt zu haben, indem er Elemente aus der Geschichte des Mannes mit der verdorrten Hand beifügte (das Lauern der Pharisäer, die Frage nach dem, was am Sabbat erlaubt ist, die erste Verwirrung der Gegner)“.
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4.3 Analyse 1: Lukas fängt die Perikope oft entweder mit kai. ™ge,neto oder ™ge,neto de. an. Bei Lukas kann man zwischen der Verwendung von kai. ™ge,neto, und ™ge,neto de. unterscheiden. ™ge,neto de. wird bei Lukas sehr oft gebraucht, wenn eine neue Geschichte beginnt (vgl. ™ge,neto de. 3,21; 5,1; 6,1.6.12; 8,22; 9,28.37.51; 11,27; 18,35; 22,24), wie kai. ™ge,neto bei Markus und Matthäus (Mk 1,9; 2,23; 4,4.10; Mt 8,24; 9,10; 11,1; 13,53; 19,1; 26,1; 28,2). Auffallend ist, dass Markus und Matthäus nicht diese Form ™ge,neto de. verwenden. Ich folgere daraus, dass „™ge,neto de. am Satzanfang“ typisch lukanische Schreibart ist. Lukas fängt diese Perikope mit kai. ™ge,neto („Und es geschah“) an.353 Lukas verwendet deutlich „kai. ™ge,neto am Satzanfang“, in drei Formen. Erstens: Diese Wendung kommt in der Mitte einer Geschichte vor. Es ist klar, dass „kai. ™ge,neto“ am Satzanfang steht, aber nicht „am Kopf der Perikope“ als Einleitung, sondern „in der Mitte“ der ganzen Perikope (vgl. 1,23.41.59.65; 2,15.46; 9,33; 19,15.29; 24,4.15.30.51). Zweitens: Wenn die Geschichte eine zweite Perikope von der vorhergehenden Geschichte bzw. von irgend einer Geschichte ist (vgl. 5,12.17; 8,1; 9,18; 14,1; 17,11; 20,1), steht „kai. ™ge,neto“ nicht nur am Satzanfang, sondern ganz vorn in der Perikope. Dann wird diese zweite Perikope „inhaltlich“ oder „konstruktiv“ ein ähnliches Thema wie die direkt vorhergehende Geschichte bzw. irgend eine Geschichte (nicht direkt davor, sondern an irgend einer anderen Stelle im Lukasevangelium) enthalten. Drittens: Manchmal verwendet Lukas „kai.“, um eine Geschichte mit der, die direkt vor ihr steht, zu verbinden. Es spielt keine Rolle, ob die beiden Geschichten irgendwie verbindbar oder ob es zwei unterschiedliche Geschichten sind. Lukas schreibt „kai.“ einfach, um seinen Text noch „flüssiger“ lesbar zu machen (vgl. 5,12; 5,17; 8,1; 11,1; 20,1), er verwendet kai. als normale Konjunktion. Daraus kann man die Möglichkeit sehen, dass Lukas diese Perikope von anderen Perikopen bewusst abgetrennt hat. 354 353 Vgl. 1,23.41.59.65; 2,15.46; 5,12.17; 8,1; 9,18.33; 11,1; 14,1; 17,11; 19,15.29; 20,1; 24,4.15.30.51. 354 Vgl. Rengstorf, K-H., Das Evangelium, 176; er rechnet, dass die drei Sabbatheilungen (6,6ff; 13,11ff,14,1ff) drei voneinander unabhängige Berichte haben können: „die vorausgesetzte Lage ist nicht dieselbe (6,6ff.; 13,11ff.: Synagoge, 14,1ff.; Privathaus.), die beteiligten Personen sind verschieden, und nicht einmal im Aufbau besteht Gemeinschaft, ganz abgesehen davon, dass sich auch Jesu eigene Worte und mit ihnen sein seelsorgerliches Ziel im Einzelfalle nicht decken. Dazu kommt, dass 6,6ff. und 14,1ff. die Heilungen zugleich eine Antwort Jesu an die anwesenden Pharisäer sind. Ihr Gespanntsein setzt voraus, dass Jesus nicht nur einmal am Sabbat geheilt hat, und schließt weiter aus, dass die drei Berichte aus bestimmten Worten Jesu gegen die pharisäische Sabbatheiligung erst entstanden sind. Wir werden darum mit drei voneinander
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Lukas schreibt auvto.n (Kai. evge,neto evn tw/| evlqei/n auvto.n eivj oi=ko,n tinoj tw/n avrco,ntwn Îtw/nÐ Farisai,wn sabba,tw|). Lukas verwendet oft den Namen der handelnden Person (hier VIhsou/j), wenn die Geschichte neu anfängt (3,23; 4,1.14 usw.). Aber wenn der Satz mit VEge,neto anfängt, dann setzt er ein Personalpronomen statt des Namens (5,12.17; 6,1.6.12; 8,1.22; 9,18.29; 11,1.27; 18,35; 19,15; 20,1; 24,4.15; 30.51). Diese Art zu schreiben ist typisch lukanisch. Es gibt bei Lukas die Tendenz, sehr oft mit Absicht den Artikel zu setzen. Wenn er eine bestimmte Person bzw. Dinge nennen will, benutzt er den Artikel. Aber er verwendet den bestimmten Artikel nicht, wenn er unbestimmte Personen bzw. Dinge nennen will, oder wenn sie zum ersten Mal genannt werden (vgl. 11,37). Wenn diese grammatische Tendenz hier auch gilt, müssen die Pharisäer mit dem Artikel (twn) versehen sein, wie in 7,36. Die Pharisäer sind für Jesus bei Lukas neutral. Wenn Jesus die Pharisäer und Schriftgelehrten warnt, benutzt er immer den bestimmten Artikel (Lk 11,42.43.46.52; „ouvai. u`mi/n toi/j Farisai,oij„). Aber anders als Lukas schreibt Matthäus keinen Artikel (vgl. Mt 23,13.15.16. 23.25.27.29; „Ouvai. u`mi/n( grammatei/j kai. Farisai/oi“). Bei Lukas sind die Pharisäer, die von Jesus verurteilt werden, ein Teil vom ganzen Pharisäertum, während es bei Matthäus alle Pharisäer sind. Für Lukas sind die Pharisäer nicht einseitig, sind sie nicht nur Gegner Jesu, sondern es gibt auch welche, die bei Jesus stehen. In der Tat beschreibt Lukas die beiden Gruppen. Es gibt die Pharisäer, die Jesus helfen (13,31 „Zu dieser Stunde kamen einige Pharisäer und sprachen zu ihm: Mach dich auf und geh weg von hier; denn Herodes will dich töten.“), und es gibt Pharisäer, die Jesus ständig belauert haben (vgl.6,7; 11,54ff). Als Jesus in das Haus geht, belauern sie ihn wie immer, ob er einen Fehler mache. Lukas schreibt „eines der Oberen der Pharisäer“ avrco,ntwn Îtw/nÐ Farisai,wn. Es ist unklar, welche Bedeutung avrco,ntwn hier hat. Es gibt eigentlich keine Hierarchie zwischen den Pharisäern.355 Warum also hat Lukas es so ausgedrückt? Er wollte damit die Pharisäer bezeichnen, die Jesus gegenüber feindlich waren.356 Lukas beginnt den Text mit der vorangestellten Zeitangabe „evn tw/| sabba,tw|“ (am Sabbat), um seine Leser die „Sabbatlehre“ zu lehren. Obwohl das Motiv, aus dem heraus Jesus in das Haus des Oberen der Pharisäer eintritt, nicht genannt ist, unabhängigen Berichten rechnen müssen.“; Vgl. Bovon, F., Das Evangelium nach Lukas (Lk 9,51-14,35), EKK III/2, Zürich. Benziger. Neukirchen-Vluyn 1996, 469; er sieht Lk 14,1-6 kein lukanisches Werk (Kapitel 14,1-6 ist, obwohl es ein später Bericht ist, nicht lukanisch. Es hat seine Gestalt auf der Ebene des Sonderguts bekommen“). 355 Vgl. Bovon, F., Das Evangelium, 470. 356 Vgl. a.a.O.: „Es handelt sich entweder um einen bedeutenden Pharisäer, der in seiner Gruppe eine moralische Autorität ist, oder um einen jüdischen Magistraten pharisäischer Ausrichtung, um einen Richter, Synagogenvorsteher oder Mitglied des örtlichen Sanhedrin.“
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kann man sich vorstellen, dass Jesus eingeladen wurde. Dies wird später bestätigt (14,12). Warum Jesus eingeladen wurde, ist nicht einfach zu beantworten. Die Mahlzeit (fagei/n a;rton) findet nach dem Synagogengottesdienst statt.357 auvtoi. zeigt, dass es im Haus viele Pharisäer gegeben hat. Sie wollen Jesus wahrscheinlich auf die Probe stellen. Daher belauern (parathrou,menoi) sie Jesus. Sie sind nicht die Pharisäer, die gerade oben aufgetreten sind (13,31). Die beiden pharisäischen Gruppen (13,31 und 14,1) scheinen jeweils zu einer anderen Gruppe zu gehören. Daher ist es schwierig, diese Perikope mit der Perikope 13,31ff zu verbinden. 2: Lukas lenkt die Augen des Lesers auf einen Kranken: „Und siehe“ Kai. ivdou.. Seine Krankheit heißt u,drwpikovj Wassersucht (Hydrops). Das Wort u,drwpikovj scheint nicht als Redaktion erkennbar zu sein.358 Diese Krankheit kommt nur hier vor. Nach dem jüdisch-rabbinischen Denken ist die Unzucht ursächlich.359 Warum steht der Kranke plötzlich vor Jesus?360 Seit wann ist er in diesem Haus? Lukas erklärt es nicht. In der Perikope 13,10-17 erklärt Lukas den Prozess: Die Kranke war in der Synagoge und Jesus sieht sie und ruft sie. Aber hier in 14,1-6 ist die Situation insofern eine andere, als der Kranke nicht zum Essen eingeladen worden ist. Wie kam er „vor Jesus“ (e;mprosqen auvtou/)? G. Petzke meint, dass das Auftreten dieses Kranken für den Leser nicht zufällig ist, sondern „wohl als «Testfall» bestellt war, um Jesus zu prüfen, bzw. ihm eine Falle zu stellen“361. Der Erzähler braucht ihn, sonst funktioniert die Geschichte nicht. 3: Jesus antwortet den Gesetzeslehrern und Pharisäern, 362 obwohl niemand gefragt hat. H. Marshall interpretiert es so, dass Jesus auf eine „unspoken challenge“ reagiert hat.363 Aber Lukas schreibt entweder ei-pen oder le,gwn, wenn solche ähnlichen Situationen vorkommen (vgl. 6,9; 8,4; 9,43). Daraus folgt, dass es keine direkte Reaktion Jesu gegen V. 1 ist, sondern vielmehr ein Beweis dafür, dass es eine Vorgeschichte gibt. Jesus fragt, bevor er den Kranken heilt. Es ist ein Gegensatz zu 13,10-17. Die Frage Jesu ist ähnlich wie 6,9. Die Frage ist das Hauptthema dieser Perikope. 357 358 359 360
Vgl. Klinghardt, M., Gesetz und Volk Gottes, 232-233. Busse, U., Die Wunder, 306. Bill. II, 203f ; Rengstorf, K-H., Das Evangelium, 176. Busse, U., Die Wunder, 311; „Es braucht nicht auf orientalische Sitten verwiesen zu werden, um seine Anwesenheit unter den Gästen zu erklären. Sein plötzliches Auftreten wie seine schnelle Heilung gehören zum Skopus der Erzählung.“ 361 Petzke, G., Das Sondergut, 131. 362 Reiser, M., Sprache, 44. 363 Marshall, I.H., The Gospel, 579.
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Die erwartete Antwort für Jesus ist schon klar. Für Jesus ist es erlaubt, am Sabbat jemanden zu heilen (vgl. 6,9 „Da sprach Jesus zu ihnen: Ich frage euch: Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses, Leben zu erhalten oder zu vernichten?“). Aber für die Pharisäer ist es nicht erlaubt (vgl. 13,14 „Da antwortete der Vorsteher der Synagoge, denn er war unwillig, dass Jesus am Sabbat heilte, und sprach zu dem Volk: Es sind sechs Tage, an denen man arbeiten soll; an denen kommt und lasst euch heilen, aber nicht am Sabbattag.“). 4: Lukas lässt den Zuhörer schweigen (vgl. 6,10). Sie schweigen vom Anfang bis zum Ende der Geschichte. Was zeigt das Schweigen? Signalisiert es Zustimmung oder Entsetzen? Denken die Gesetzeslehrer und die Pharisäer, dass der wassersüchtige Mensch hier so gefährlich ist, wie die Krankheit, die sein Leben bedroht? Oder haben sie die Lust verloren, mit Jesus zu streiten? Denn in dieser Szene steht schon für sie fest, wer der Gewinner ist. Jesus berührt ihn und heilt ihn, weil sie nicht reagiert haben. Jesus befreit ihn von der Krankheit. 5: Nachdem Jesus den Kranken geschickt hat, spricht er zu den Pharisäern mit dem Vergleich. Jesus erklärt die Richtigkeit seines Handelns und will wahrscheinlich, dass diese von ihnen bestätigt wird. Jesus stellt die Frage. Es gäbe bestimmt keinen Menschen, der seinen Sohn oder seinen Ochsen nicht aus dem Brunnen retten würde. Dafür gibt es mehrere handschriftlichen Befunde: 1) Die Handschriften a K L Y f1.13 33. 579. 892. 1241. 2542 al lat (sys ) bo schreiben Ónoj h' bou/j (Esel oder Ochse). 2) Andere Handschriften Q (syc) bezeugen Ónoj ui`o.j h' bou/j (Esel oder Sohn oder Ochse). 3) Die Handschrift D schreibt pro,baton h' bou/j (Schaf oder Ochse). 4) Die Handschriften P45.75 (A) B W M e f g syp.h sa bezeugen ui`o.j h' bou/j (Sohn oder Ochse). Nach der äußeren Beurteilung ist 4) quantitativ und qualitativ gut bezeugt. 3) bezieht sich vielleicht auf Mt 12,11. 3) ist quantitativ und qualitativ schwach bezeugt. 1) ist vielleicht auf der Basis von Lk 13,15 geschrieben. 2) ist eine Variante von 1) und 4). Daher kann man schon sagen, dass 2) der spätere Befund ist. 4) ui`o.j h' bou/j scheint der ursprüngliche Befund zu sein. Denn „Sohn“ scheint nicht zum „Ochsen“ zu passen. Daher dürfte es wohl der spätere Abschreiber verändert haben. V. 5 steht in einer sehr engen Beziehung zu Mt 12,11, so dass man davon ausgehen kann, dass die beiden Verse eine gemeinsame Quelle haben.364 Jesus erklärt, dass es im Gesetz eine Ausnahme gibt. Ferner lehrt Jesus, was man in seinem Leben tun soll (Der rechte Weg).
364 Vgl. Lohse, E., Jesu Worte, 79-89, (81), er hält auch „ti,noj u`mw/n ui`o.j h' bou/j eivj fre,ar pesei/tai( kai. ouvk euvqe,wj avnaspa,sei auvto.n evn h`me,ra| tou/ sabba,touÈ“ für ältesten Bestand der Logienüberlieferung. Vgl. Busse, U., Die Wunder, 309-310; er stellt neu die ursprüngliche Fassung vor: t…j ™x Ømîn ™£n uƒÒj (aÙtoà) ½ boàj to‹j s£bbasin e„j bÒqunon ™mpšsh oÙci kpat»sei aÙtÒn kaˆ ™geire‹.
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6: Die Pharisäer und Gesetzeslehrer können darauf nichts antworten (avntapokriqh/nai). Das Wort avntapokriqh/nai hat in der griechischen Literatur einen bösen Unterton.365 Sie reagieren ganz anders, wenn man mit 6,7-11 (Par. Mk 3,1-6) vergleicht. Anders als 6,7-11 schweigen sie von Anfang an bis zum Ende der Geschichte. Die Frage Jesu ist fast gleich. Aber die Reaktion ist ganz anders. Sie reagieren in 6,7-11 nach der Heilung Jesu mit vollem Ärger („Sie aber wurden ganz von Sinnen und beredeten sich miteinander, was sie Jesus tun wollten“). Lukas hatte vielleicht eine ganz andere Quelle. Es ist sicher, dass Lukas diese Perikope ursprünglich aus dem markinischen Text heraus entwickelt hat. Aber was Lukas hat, ist wahrscheinlich aus einer anderen Quelle oder aus einer die, die vor Lukas schon geändert wurde.366 Ihr Schweigen zeigt, dass Jesus Recht und gewonnen hat.367
4.4 Das Gesetzesverständnis Jesu im Lk 14,1-6 Diese Szene ist ganz ähnlich wie Lk 13,10-17. Es handelt sich um die Heilung am Sabbat. In dieser Szene sind die zwei Fragen Jesu (V. 3 und V. 5) und das Schweigen der Gegner als Reaktion (V. 6) darauf ganz wichtig. Am Sabbat kommt Jesus in das Haus eines Oberen der Pharisäer, das Brot zu essen (V. 1). Jesus sieht einen Mann, der wassersüchtig ist (V. 2). Jesus stellt den Schriftgelehrten und Pharisäern direkt die erste Frage, ob man am Sabbat heilen darf (V. 3). Sie können Jesus keine Antwort geben. Darum schweigen sie still (V. 4). Jesus stellt die zweite Frage, nämlich „wer ist unter euch, dem sein Sohn oder sein Ochse in den Brunnen fällt, und der ihn nicht alsbald herauszieht, auch am Sabbat?“ (V. 5). Sie könnten auch ihm darauf keine Antwort geben (V. 6). Lukas will dem Leser/Hörer noch mal den wahren Sinn des Sabbats zeigen. Das pharisäische Gesetzesverständnis kann auf die zwei Fragen Jesu nicht antworten. Es muss still schweigen. Jesus lehrt durch die Fragen, was man am Sabbat tun soll. Sein Lehrziel ist, dass man doch am Sabbat Leben retten soll. Hier findet sich keine Aufhebung des Gesetzes und auch keine Überlegenheit Jesu gegenüber dem Gesetz,368 sondern Jesus deckt den wahren Sinn des Sabbats auf. Das Schweigen der Gegner zeigt nicht, dass das Gesetz falsch ist oder ignoriert 365 Busse, U., Die Wunder, 307. 366 Vgl. Schweizer, E., Das Evangelium; er vermutet dies auch, aber mit anderem Grund: „Da V.26.8-14 (ohne 12a). 16-24 Unlukanisches enthalten, sind sie vermutlich schon vor Lukas zusammengestanden; darum hat er auch die Heilung (1-6) in die Mahlsituation hineingenommen.“ Anders Haenchen, E., Der Weg Jesu, 126. 367 Lohse, E., Jesu Worte, 81. 368 Esler, P.F., Community, 115.
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werden soll, sondern dass ihr Gesetzesverständnis falsch ist. Fitzmyer sieht das Gesetz als etwas, was ergänzt werden muss in dieser Szene: „Another aspect of Jesus’ attitude toward the Mosaic law may be termed supplemental, i.e., that the law is being somehow supplemented.“369 Fitzmyer sieht auch, dass Jesus gegenüber dem Gesetz kritisch ist: „In each of these episodes Luke has scarcely portrayed Jesus as critical of the Mosaic law, even if he clearly presents him as differing with a current interpretation of it. The same has to be said for his cure of the crippled woman (13,10-17) and of the man with dropsy (14,1-6).“370 Deshalb meint er, dass die Verkündigung Jesu vom Reich Gottes als Ergänzung des Gesetzes zu sehen ist: „Thus, for the Period of Jesus one must say that Luke regards the Mosaic Law as definitely normative, even though the kingdom is now being preached as a supplement to it.“371 Aber Jesus ist nicht kritisch gegen das Gesetz, sondern kritisch gegen die pharisäische Interpretation. Jesus ergänzt nicht das Gesetz und lehrt etwas neues, sondern korrigiert die pharisäische Interpretation des Gesetzes und lehrt den wahren Sinn des Sabbats. Sabbat ist der Tag, an dem man helfen bzw. Leben retten soll.
4.5 Die Zusammenfassung von Lk 13,10-17 und 14,1-6 Im Lukasevangelium finden sich deutlich mehr Sabbatkonflikte als bei den anderen Synoptikern (Im Markusevangelium: zweimal, Mk 2,23-28; 3,1-6; Im Matthäusevangelium: zweimal, Mt 12,1-8; 12,9-14; Im Lukasevangelium: viermal, Lk 6,1-5; 6,6-11; 13,10-17; 14,1-6). Aus der Tatsache, dass Lukas diese Geschichte erwähnt, folgern wir, dass Lukas großes Interesse daran hatte. Warum? Er hatte jüdische bzw. heidnische Mitglieder372 in seiner Gemeinde, denen er die Sabbatpraktiken beibringen wollte.373 1. Die Struktur Die beiden lukanischen Perikopen haben erzählerisch fast den gleichen Stoff mit einer ähnlichen Konstruktion. Die Konstruktion ist die Konfrontationsszene zwischen Jesus und den Pharisäern bzw. Gesetzeslehrern. Außerdem befinden sich 369 370 371 372
Fitzmyer, J.A., Luke, 181. A.a.O. 185. Ebd. Vgl. Klinghardt, M., Gesetz und Volk Gottes, 4: „Das ganz umfassende Problem für die Gesetzesfrage ist schließlich die Bestimmung des Verhältnisses Judentum – Judenchristentum – Heidenchristen bei Lk.“ 373 Lohse, E., Jesu Worte, 66.
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die Konfrontationsstoffe an mehreren Plätzen. Der Kranke und der Gesunde, der böse Geist und Gott, und der Arme und der Reiche, und der Gebundene (von der Krankheit oder von dem Geist) und der Freie, und der böse Geist und Jesus, und der Bestehende und der Befreier, und die Entfremdeten (Frau und Kranke und Volk) und die Zentralen der Macht, Jesus ist der Vertreter für diese Entfremdeten und die Pharisäer stehen für die Besitzer. Jesus will diese Kranken und Entfremdeten von aller Macht, die sie bindet, befreien und während die Pharisäer sie so lassen wollen, wie sie jetzt erscheinen. Jesus will den Pharisäern den Sabbat wegnehmen und den Entfremdeten zurückgeben.374 Unter dieser Konfrontationsstruktur beschreibt Lukas „was man am Sabbat tun soll“. Die Zeitangabe (am Sabbat) ist gleich. Der oder die Kranke tritt auf. Die Gegner sind da und belauern Jesus. Jesus heilt ihn/sie, obwohl die Gegner ihn belauern (14,1). Trotz der Anwesenheit der Gegner Jesu kommt es nicht zur direkten Anrede bzw. Unterhaltung, d.h. nicht zum Streit zwischen Jesus und seinen Gegnern.375 Jesus fragt die Pharisäer zweimal „was man als Mensch am Sabbat tun soll?“. Seine Frage zielt nicht auf eine religiöse Antwort ab, sondern auf eine allgemein menschliche. Durch seine Fragen empfinden die Gegner Scham (13,17) und schweigen (14,6). Es gibt auch dazwischen einige Unterschiede. Die Gegner Jesu lauern in 14,1 (vgl. 6,7), aber in 13,10ff schreibt Lukas darüber gar nichts. Das Volk wird erwähnt in 13,10ff (vgl. 6,10) aber in 14,1ff nicht. Der größere Unterschied ist, dass Jesus in 14,1ff die Pharisäer fragt, bevor er den Kranken heilt (vgl. 6,9). Aber in 13,10ff fragt Jesus sie, nachdem er die Kranke geheilt hat. 2. Der Inhalt Was wollte Lukas durch diese Sabbatheilungen betonen und lehren? P.F. Esler sieht die Überlegenheit Jesu gegenüber dem Gesetz in diesen beiden Geschichten.376 Und J. A. Fitzmyer erörtert, dass Jesus kritisch gegenüber dem Gesetz ist: „In each of these episodes Luke has scarcely portrayed Jesus as critical of the Mosaic law, even if he clearly presents him as differing with a current interpretation of it. The same has to be said for his cure of the crippled woman (13,1017) and of the man with dropsy (14,1-6).“377 Schließlich sagt er aber, dass Lukas das mosaische Gesetz als eine maßgebliche Norm akzeptiert, obwohl das Reich Gottes jetzt verkündigt ist als eine Ergänzung des Gesetzes.378 374 375 376 377 378
Vgl.Schweizer, E., Das Evangelium, 147. Der Vorsteher des Synagoge spricht nicht zu Jesus, sondern zum Volk (Vgl.13,14). Esler, P.F., Community, 115. Fitzmyer, J.A., Luke the Theologian, 185. Ebd.
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In diesen beiden Sabbatgeschichten ignoriert Jesus weder das Gesetz, noch hebt er es auf. Jesus kritisiert nicht das Gesetz selbst, sondern korrigiert die falsche pharisäische Aufmerksamkeit. In beiden Sabbatgeschichten geht es um sowohl den pharisäischen Fehler, als auch den wahren Sinn des Sabbatgebotes.379 Die pharisäische Position ist, dass man nicht am Sabbat heilt und heilen lässt (vgl. 13,14). Aber die Meinung des lukanischen Jesus ist, dass man am Sabbat auch heilen darf (vgl. 13,15; 14,3), obwohl es kein Notfall ist. Der Sabbat ist ein Tag, wo man endlich befreit werden kann von aller Mühe und Dingen, die Menschen binden. Aber die Pharisäer haben es nicht verstanden, obwohl sie es lehren sollen. Viel mehr haben sie größere religiöse Fehler gemacht durch ihr Missverstehen. Sie haben nichts getan am Sabbat, obwohl sie es gesehen haben, dass man am Sabbat nicht ruht. Das ist einer der größeren Fehler, den die religiösen Oberen in dieser Zeit gemacht haben. W. Grundmann betont: „der Sabbat ist die Vollendung des Schöpfungswerkes und als solcher von Gott geheiligt, darum ist er der rechte Tag für das Heilen Jesu, das dem Menschen zur Heilsvollendung hilft“.380 Die Kranken sind die Tochter und zugleich der Sohn Abrahams. Sie sollen nicht unter dem bösen Geist leiden.381 Daher ist Jesus ihr Helfer.382 Jesu Meinung nach darf man am Sabbat helfen: Den Sabbat zu behalten, bedeutet nicht, nichts zu tun, sondern an der Erfüllung der Schöpfung teilzunehmen. Der wahre Sinn des Sabbats ist noch nicht da, solange man unter dem bösen Geist bzw. der Krankheit leidet. Der ungeheilte Mensch muss geheilt werden und die Leidenden müssen von dem befreit werden, was sie bindet. Das ist der wahre Sinn des Sabbats, den Jesus sich vorgestellt hat. Jesu Meinung nach, müssen die gesunden und befreiten Menschen alles tun, damit der wahre Sabbat verwirklicht wird. Jesus ist frei von allem, nicht nur von Krankheit, vom bösen Geist, sondern auch vom Menschen, von der Sitte, besonders von der Interpretation des Gesetzes. Obwohl die Pharisäer gesund, reich, religiös perfekt und frei zu sein scheinen, sind sie passiv zu stark mit dem Gesetz verbunden und binden die anderen aktiv zu sehr mit dem Gesetz. Sie sind nicht die Menschen, die Tiere und ihren Sohn im Notfall nicht retten würden (vgl. 13,15; 14,5), aber religiös verhärtete Menschen, was Jesus entdeckt. Daher empfinden die Pharisäer Scham (vgl. 13,17) und das Volk freut sich darüber (vgl. 13,17). 379 Loader, W.R.G. Jesus’s Attitude, 334: „This shows that the difference between Jesus and his opponents lies at a deeper level; Jesus refuses to take seriously the kinds of concerns which they bring to Sabbath law. Concern to respond to human need overrides concern to protect sabbath observance. Jesus is not challenging the Sabbath law; he is defending his practice as appropriate to the Sabbath.“ 380 Grundmann, W., Das Evagelium, 280. 381 Vgl. Bill. II, 200. 382 Vgl. Rad, G. v., Das erste Buch Mose, Göttingen 121987 (Das Alte Testament 2-4), 48.
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Die Menschen sahen Gotteswerk und Gotteswille in der Handlung Jesu (vgl. 13,13.17) und sie sehen auch, dass der wahre Sabbat in ihm verwirklicht wurde. Die Handlung Jesu ist nämlich das Gotteswerk.383 Es beweist, dass Jesus Recht hat (vgl. 14,6). Die Handlung Jesu zeigt, dass die Barmherzigkeit, anderen zu helfen und das Leben zu retten die Essenz des Gesetzes ist. Zugleich zeigt es, wie groß die Gefahr ist, wenn der Mensch religiös lebt ohne die Liebe Gottes. Die Pharisäer haben sie (die Liebe Gottes, die Barmherzigkeit) verloren und nur den religiösen Rahmen behalten. Jesus heilt den leidenden Menschen und lehrt die Pharisäer und Gesetzlehrer, was man am Sabbat tun soll (vgl. 14,3; o` VIhsou/j ei=pen pro.j tou.j nomikou.j kai. Farisai,ouj le,gwn\ e;xestin tw/| sabba,tw| qerapeu/sai h' ou;È).
383 Loader, W.R.G., Jesus’ Attitude, 334; er sagt, dass die Handlung Jesu dem Sabbatgebot entspricht: „This shows that the difference between Jesus and his opponents lies at a deeper level; Jesus refuses to take seriously the kinds of concerns which they bring to Sabbath law. Concern to respond to human need overrides concern to protect sabbath observance. Jesus is not challenging the Sabbath law; he is defending his practice as appropriate to the Sabbath.“
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E. Das Gesetz und das ewige Leben
1. Die Liebe als Heilsforderung: Lk 10,25-37 1.1 Übersetzung 25 Und siehe, ein Gesetzesgelehrter stand auf und indem er ihn versuchte, sprach er: Lehrer, was muss ich getan haben, um ewiges Leben zu ererben? 26 Er aber sprach zu ihm: Was steht in dem Gesetz geschrieben? Wie liest du? 27 Er aber antwortete und sprach: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Verstand und deinen Nächsten wie dich selbst. 28 Er aber sprach ihm: Du hast recht geantwortet, tu dies und du wirst leben. 29 Indem er aber sich selbst rechtfertigen wollte, sprach er zu Jesus: Und wer ist mein Nächster? 30 Indem Jesus es aber aufnahm, sagte er: Ein Mensch ging von Jerusalem nach Jericho hinab und fiel unter Räuber, die ihn sowohl auszogen als auch Schläge ihm versetzten, indem sie weggingen, ließen sie (ihn) halbtot liegen. 31 Zufällig aber ging ein Priester jenen Weg hinab; und als er ihn sah, ging er auf der gegenüberliegenden Seite vorbei. 32 Auf gleiche Weise aber kam auch ein Levit an den Ort, und nachdem er ihn sah, ging er an der entgegengesetzten Seite vorüber. 33 Aber ein Samariter, der auf der Reise war, kam zu ihm hin; und als er ihn sah, hatte er Mitleid; 34 und er ging zu ihm und verband seine Wunden und goß Öl und Wein darauf; und er setzte ihn auf sein eigenes Tier und führte ihn in eine Herberge und sorgte für ihn. 35 und am nächsten Morgen zog er zwei Denare heraus und gab sie dem Wirt und sprach: Sorge für ihn! Und was du noch dazu für ihn aufwenden wirst, werde ich dir bezahlen, wenn ich zurückkomme. 36 Wer von diesen dreien scheint dir nahe bei dem, der unter die Räuber gefallen war, gewesen zu sein? 37 Er aber sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm gehandelt hat. Jesus aber sprach zu ihm: Geh hin und handle genauso!
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1.2 Struktur und Inhalt Diese Geschichte ist eine Versuchungsgeschichte evkpeira,zw (V. 25) wie Lk 4,12 (evkpeira,seij). Diese Perikope enthält zwei Teile. Die erste Perikope (VV. 25a28) ist die Frage dieser ganzen Geschichte, wie man ewiges Leben ererben kann. Die zweite Perikope (VV. 30-37) ist die richtige Antwort darauf und ist die Lehre, die Lukas durch den Mund Jesu wirklich sagen möchte. Sie sehen zwar äußerlich wie ein „Streitgespräch“ aus, aber inhaltlich sind sie ein „Lehrgespräch“.384 Daher nennt H. Schürmann dies das „streitende Schulgespräch“.385 Für Lukas ist „die Frage des Gesetzeslehrers“ und „die Parabel des barmherzigen Samariters“ nicht trennbar. Obwohl die Parabel wie ein Anhang der ganzen Perikope aussieht, ist sie ein richtiger Teil und als ein Schritt weiter ein Höhepunkt dieser Geschichte.386 Die Strukturen der beiden Perikopen sind einander ähnlich. In der ersten Perikope scheint der Gesetzeslehrer Versucher bzw. Angreifer zu sein. Aber in der zweiten Perikope wird er zum Verteidiger umgekehrt. Die beiden Perikopen fangen mit der Frage des Gesetzeslehrers an (V. 25, V 29). Jesus antwortet mit dem Gesetz (V. 26a) bzw. der Parabel (VV. 30-35) darauf. Jesus fragt ihn (V. 26b, V 36). Der Gesetzeslehrer antwortet Jesus (V. 27, V. 37a). Sie schließen mit den Befehl Jesu ab (V. 28, V. 37b). Wir können nicht feststellen, woher Lukas „die Frage des Gesetzeslehrers“ und „des barmherzigen Samariters“ genommen hat. Die erste Perikope wird wohl durch markinische Tradition (12,28-34) verursacht.387 Und Lukas verändert seine Vorlage.388 Z.B. spricht Jesus bei Lukas mit dem Gesetzeslehrer anders als bei Markus, während das wichtige Gesetz erwähnt wurde. Jesus erklärt im Markusevangelium das Gesetz und der Schriftgelehrte stimmt zu. Aber anders als bei Markus erwähnt der Gesetzeslehrer bei Lukas das Gesetz. Lukas verändert auch die Frage des Gesetzeslehrers. Aber es scheint auch, dass Lukas einer unabhängigen Geschichte folgt, die Matthäus schon gekannt hat.389 Lukas schreibt wie Matthäus, dass Jesus mit dem Gesetzeslehrer spricht. Anders als Markus schreiben Matthäus und Lukas, dass der Gesetzeslehrer Jesus versuchte. Außerdem benennt der Gesetzeslehrer im
384 Vgl. Bultmann, R., Die Geschichte, 53f ; er sieht, dass Lukas aus dem „Schulgespräch“ des Mk formal ein „Streitgespräch“ macht. 385 Schürmann, H., Das Lukasevangelium, 132. 386 Vgl. Schneider, G., Das Evangelium 247; er erklärt auch, dass die Parabel das eigentliche Ziel ist. 387 Vgl. Klostermann, E., Das Lukasevangelium, 190. 388 Dagegen Haenchen, E., Der Weg, 413. 389 Vgl. Bultmann, R., Die Geschichte, 21.
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Matthäusevangelium und Lukasevangelium gleich Jesus als dida,skale. Man kann diese Perikope also folgendermaßen gliedern. I 25a Einleitung der Geschichte II 25b-28 Die Versuchung des Gesetzes- III 29-38 Die Verteidigung des Gesetlehrers zeslehrers 25c Die Frage des Gesetzeslehrers 29b Die Frage des Gesetzeslehrers 26a Die Antwort Jesu mit dem Gesetz 30-35 Die Antwort Jesu mit der Parabel 26b Die Frage Jesu 36 Die Frage Jesu 27 Die Antwort des Gesetzeslehrers 37a Die Antwort des Gesetzeslehrers 28 Der Befehl Jesu 37b Der Befehl Jesu
1.3 Analyse 25: Lukas fängt die neue Perikope – ebenso wie viele andere Stellen – mit Kai. „dou. an, (vgl. 2,25; 5,12.18; 7,12.37; 8,41; 9.38; 10,25; 13,11; 14,2; 19,2; 23,50; 24,4.13). nomiko.j tij kann einer von den Gesetzeslehrern (vgl. 7,30) sein. Im Vergleich zu den Pharisäern werden die Gesetzeslehrer bei Lukas immer negativ dargestellt (vgl. 7,30; 11,46.52; 14,3; 11,45). Er bezeichnet Jesus als Lehrer wie andere Personen (3,12; 7,40; 9,38; 10,25; 11,45; 12,13; 18,18; 19,39; 20,21.28.39; 21,7). dida,skale ist eine Benennung, die viele Leute außer den Jüngern für Jesus bei Lukas gebrauchen.390 Anders als Lukas und Matthäus lässt Markus ohne Unterschied Jesu Jünger und alle anderen (inkl. Pharisäer) dida,skale als Benennung für Jesus benutzen.391 Aber Matthäus benutzt diesen Titel für Jesus allein in seinem Evangelium 23,8: „Ihr sollt euch nicht ·abbi, nennen lassen, denn einer ist euer dida,skaloj, ihr alle aber seid Brüder“. Matthäus wehrt ab, dass jemand außer Jesus mit diesem Titel bezeichnet wird. Für Matthäus ist Jesus der einzige dida,skaloj. Aber Lukas lässt nicht zu, dass die Jünger die beiden Titel für Jesus gebrauchen. Für Lukas ist nämlich Jesus in den Augen der Jünger kein Lehrer oder Rabbi.392 Lukas verwendet evpista,thj statt dida,skaloj, wenn die Jünger Jesus an390 Im Lk kommt der Titel dida,skale für Jesus 12mal vor. Aber allen Belegen ist gleich, dass sie nicht von den Jüngern benutzt werden. Im Mt findet sich dida,skale sieben mal. Aber die Verwendung ist gleich wie bei Lk. 391 Im Mk bezeichnen die Jünger Jesu bzw. andere Leute Jesus als Lehrer „dida,skale“ (Vgl. Die Jünger – 4,38; 9,38; 10,35; 13,1. Die anderen- 9,17; 10,17.20; 12,14.19.32). 392 Zum diesem Thema „Jesus als Lehrer“, siehe Riesner, R., Jesus als Lehrer. Eine Untersuchung zum Ursprung der Evangelien-Überlieferung, Tübingen 1981 (WUNT: Reihe 2; 7).
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sprechen. Lukas verwendet zwar die Übersetzung dida,skale (aber nur in den Augen der Fremden,), aber diese Bezeichnung ist nicht völlig äquivalent mit evpista,thj.393 Das Wort evpista,thj findet sich nur bei Lukas (5,5; 8,24. 45; 9,33. 49; 17,13). Es ist eine lukanische eigentümliche Verwendung, die die Übersetzung des hbr-aram yBiræ ist.394 Die Verwendung von Rabbi (·abbi,,) tritt bei den anderen Synoptikern häufig auf. Aber ·abbi,, kommt im Lukasevangelium nicht vor. Das Wort evpista,thj bezeichnet in der profanen Gräzität einen Aufseher über Herden, einen Elefantentreiber, einen ägyptischen Fronvogt (Ex 1,11; 5,14 LXX), ein Vorstandsmitglied eines Athletenvereins, den Vorsteher eines Tempels, den Präsidenten des athenischen Prytanenkollegiums, einen hohen Offizier, eine Magistratsperson oder den Gouverneur einer Stadt, selbst einen Schutzgott u. ä. (vgl. Oepke 619). Aber nach W. Grimm bezeichnet evpista,thj „die Weisungsbefugnis und die besondere Verantwortlichkeit Jesu in Bezug auf die von ihm konstituierte Jüngergruppe.“395 W. Grimm empfiehlt für die Bedeutung eher „Meister“396 als Lehrer. Man weiß nicht genau, welche Aussagenintention Lukas damit verfolgte. Glombitza interpretiert sie folgendermaßen: „Mir scheint, dass Lukas diesen Titel benutzte, weil er für ihn Träger eines Amtes, Mann mit ™xousi,a, bedeutete; und er benutzt ihn gerade dann, wenn er Jesus als den darstellt, der zur Offenbarung seiner ™xousi,a herausgefordert ist.“397 Daraus kann man schließen, dass Lukas durch die Verwendung evpista,thj das Bedeutungsfeld des Lehrers (dida,skaloj, ·abbi,) vermeiden wollte.398 Lukas verändert die Frage des Gesetzeslehrers, nämlich von der markinischen Ausgangsfrage „welches ist das höchste Gebot von allen?“ zu der Frage „was muß ich tun, dass ich das ewige Leben399 ererbe?“ Für Lukas ist es nicht so wichtig, welches Gebot das höchste ist, sondern wie man sich im täglichen Leben verhalten sollte. Diese Frage deutet hier die Antwort Jesu in V. 28 an: „tu (poi,ei) dies und du wirst leben.“ Und ferner deutet sie die Parabel des barmherzigen Samariters an,
393 Oepke, A., Art. evpista,thj in: ThWNT II, 619. 394 Oepke, A., Art. evpista,thj in: ThWNT II, 619; Gegen Grimm, W., Art. evpista,thj in: EWzNT II, 93f. 395 Grimm, W., Art. evpista,thj in: EWzNT II, 94. 396 Grimm, W., Art. evpista,thj in: EWzNT II, 94. 397 Glombtza, O., Art. Die Titel dida,skaloj und evpista,thj für Jesus bei Lukas, ZNW 49 (1958) 277-279. 398 A.a.O., 277. 399 Judäer hoffen seit dem 2.Jh. v. Chr. , dass es jenseits der Todesgrenze ein wahres Leben, ein ewiges Leben bei und mit Gott gibt. Weitere Info zum „ewigen Leben“, Vgl. Foerster, W., ThWNT Ⅲ,766-786.
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der den Inhalt des Gesetzes tatsächlich befolgt hat. Dies zeigt deutlich, dass Lukas Interesse an der praktischen Anwendung (poih,saj) des Gesetzes hat.400 26: Jesus antwortet mit dem Gesetz, aber in Frageform,401 obwohl der Gesetzeslehrer nicht nach dem Gesetz gefragt hat. Jesus weist den Gesetzeslehrer auf das Gesetz hin wie 5,12f. Es scheint, dass das Gesetz für Jesus der Weg zum ewigen Leben ist.402 Jesus stellt dem Gesetzeslehrer zwei Fragen. evn tw/| no,mw| ti, ge,graptaiÈ und pw/j avnaginw,skeijÈ Auch ohne die zweite Frage wäre das Gespräch noch verständlich.403 Warum schreibt Lukas sie (pw/j avnaginw,skeijÈ) dann überhaupt? Ist sie einfach eine Verstärkung der ersten Frage? Oder handelt es sich um eine Verdoppelung? 404 Vielleicht hielt der Gesetzeslehrer sie für dieselben Fragen.405 Daher gibt er Jesus nur eine Antwort. Aber das Ziel Jesu (oder des Lukas) ist ein anderes. Jesus will das Gesetz (erste Frage) und den Gesetzeslehrer (zweite Frage) voneinander trennen. In der ersten Frage geht es darum, ‚was eigentlich im Gesetz steht‘ und die zweite Frage handelt von der ‚Interpretation bzw. Praxis der Gesetzeslehre‘. Die Antwort des Gesetzeslehrers ist richtig (V. 28), aber es fehlt noch die Antwort auf die zweite Frage, die Jesus eigentlich hören möchte. Daher gibt Jesus selber die richtige Antwort auf die zweite Frage; tou/to poi,ei kai. zh,sh| (V. 28). Das heißt, um das ewige Leben zu erlangen, ist es nicht ausreichend, das Gesetz zu kennen, man muss es auch befolgen.406 27: Der Gesetzeslehrer antwortet auf die erste Frage, weil er die erste Frage und die zweite Frage als identisch verstanden hat. In der Tat bezieht sich seine Antwort „ avgaph,seij ku,rion to.n qeo,n sou evx o[lhj Îth/jÐ kardi,aj sou kai. evn o[lh| th/| yuch/| sou kai. evn o[lh| th/| ivscu,i? sou kai. evn o[lh| th/| dianoi,a| sou( kai. to.n plhsi,on sou w`j seauto,nÅ“ völlig auf das Gesetz (Dt 6,5; 10,12; Lv 19,18). Sie entspricht der ersten Frage evn tw/| no,mw| ti, ge,graptaiÈ, aber der Text und die Wörter werfen einige Probleme auf. In der LXX steht „und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft (kai. avgaph,seij ku,rion to.n qeo,n sou evx o[lhj 400 Klostermann, E., Das Lukasevangelium, 119; „Die Frage nach dem Hauptgebot umgewandelt in die nach der Bedingung des ewigen Leben-weil nur dies für die gesetzesfreien Leser des Lukas von Interesse war (B.Weiß, Holtzmann) oder ...“. 401 Wiefel, W., Das Evangelium, 208; „Jesus antwortet mit einer doppelten Gegenfrage...“ 402 Bovon, F., Das Evangelium, 85; „Für Jesus, als guten Juden, kann die Antwort nur aus der Schrift kommen.“ 403 Die Kodizes D und wenige Handschriften lassen die zweite Frage aus. 404 Vgl. Jeremias, J., Das Gebetsleben Jesu, ZNW 25 (1926) 129, er schlägt folgende Übersetzung vor, „wie rezitierst du?“ 405 Bovon, F., Das Evangelium, 85, Anm .14 „Man kann auch sagen: Der Schrift entspricht die Leküre.“ 406 Vgl. Schweizer, E., Das Evangelium, 121.
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th/j kardi,aj sou kai. evx o[lhj th/j yuch/j sou kai. evx o[lhj th/j duna,mew,j sou).“ In der LXX kommt die Präposition evx dreimal vor. Auch Markus verwendet die Präposition evx, Matthäus dagegen benutzt evn. Im Lukasevangelium kann man keine einheitliche Verwendung finden. Einige Handschriften (D f1 l 2211 pc it) verwenden nämlich ™n o[,lh| th/| kardi,v, aber andere Handschriften (a A C L W Q Y f13 33 M lat) evx. Die letzte Lesart ist quantitativ und qualitativ besser bezeugt als die erste. Im nächsten Satz kommt in den Handschriften (A C W Q Y f13 33 M lat sy(c)) dreimal evx vor, wohingegen in den Handschriften (a B L X (f1) 579. 892. 1241. 2542 pc) dreimal evn verwendet wird. Die letzte Lesart scheint älter zu sein. Das heißt, Lukas schreibt am Anfang evx und danach dreimal ™n. Es fällt auf, dass sich bei Lukas einerseits die markinische und andererseits zugleich die matthäische Schreibart findet. Zwar verwendet Lukas für die letzten Präpositionen evn (wie im Matthäusevangelium), aber er benutzt zugleich das markinische Wort „scu,j. Anders als Markus und Matthäus benutzt Lukas weder prw,th (bzw. mega,lh) noch deute,ra. Vielleicht will er die beiden Gebote nicht voneinander trennen. Es gibt für Lukas keinen Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Gebot. Dadurch, dass er diese Unterscheidung auslässt, betont er das zweite Gebot, nämlich das der Nächstenliebe, stärker. Es wird bei Lukas vorausgesetzt, dass die Zusammenfassung des ganzen Gesetzes in diesen beiden Doppelgeboten zur Zeit Jesu der jüdischen Tradition bereits geläufig war und nicht erst von Jesus stammt.407 Der Gesetzeslehrer meint, mit dem Gesetz noch übereinzustimmen. 28: Jesus hält seine Antwort für richtig. Jesus akzeptiert nämlich auch das Gesetz als den Zugang zum ewigen Leben. Aber die Antwort des Gesetzeslehrers ist nicht genug für Jesus. Daher befiehlt er ihm, „tu dies (was du liest), so wirst du leben.“ Anders als Lukas hält der Schriftgelehrte die Antwort Jesu für richtig (Mk 12,32). Während Markus und Matthäus nur die Theorie des Gesetzes erwähnen, betont Lukas die praktische Anwendung (poi,ei) des Gesetzes.408 Was zeigt „touto“(V. 28) hier? „touto“ zeigt eigentlich den ganzen V. 27, nämlich „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst“. Der Gesetzeslehrer soll dieses Gebot befolgen, um ewig zu leben. Aber ist das alles, was Lukas in dieser ganzen Szene sagen möchte? Wenn dem so wäre, bräuchte er nicht die Parabel dazu zu schreiben. Die Frage ist, worauf Lukas in dieser Szene zielt. Eigentlich ist es nicht erforderlich, die Parabel zu schreiben. Die Form und der Inhalt sind bis V. 28 genug, um eine Geschichte zu 407 Haenchen, E., der Weg Jesu, 414; Rengstorf, K.H., Das Evangelium, 139. 408 poiw kommt in dieser Perikope vier mal vor (VV. 25.28.37a.37b); Vgl. Loader, W.R.G., Jesus’ Attitude, 327. „Luke’s focus is doing.“; Salo, K., Luke’s Treatment of the Law, 107-111.
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bilden, aber Lukas will durch die Parabel noch einmal die Wichtigkeit der Nächstenliebe betonen. Lukas will seinem Leser/Hörer zeigen, Gott zu lieben ist den Nächsten zu lieben,409 und den Nächsten zu lieben ist Barmherzigkeit zu tun (V. 37). Er verdeutlicht noch einmal durch die Parabel, was dieses heißt. „touto“ weist äußerlich auf das Gebot hin, nämlich Gott zu lieben und den Nächsten zu lieben. Aber es weist innerlich eher darauf hin, den Nächsten zu lieben. Lukas betont diese Nächstenliebe absichtlich, indem er z.B. prw,th (bzw. mega,lh) und deute,ra auslässt, um das erste Gebot und zweite Gebot gleich erscheinen zu lassen. Das heißt, für Lukas bedeutet Gott zu lieben, den Nächsten zu lieben.410 Und Lukas erklärt dies dem Leser durch die Parabel noch einmal genau: Nächstenliebe bedeutet „die Barmherzigkeit zu tun“ (V. 37). 29: Die Perikope (Lk 10,25-37) ist lukanisches Sondergut und Lukas hat sie stilistisch leicht überarbeitet.411 Nach H. Conzelmann ist der Traditionssitz dieser Perikope Jerusalem, weil der Samariter vom jüdischen Standpunkt aus dem Tempelpersonal gegenübersteht.412 Die Erzählung ist der Form nach eine Beispielerzählung.413 Der Gesetzeslehrer hatte es durch seine erste Frage nicht geschafft, von Jesus eine Antwort zu erhalten, durch die er ihn hätte anklagen können.414 Er will aber weiter mit Jesus diskutieren. Einige spätere Handschriften (A C3 W Q Y f1.13 33 Byz) verwenden an dieser Stelle dikaioun. Es scheint, dass diese späteren Handschriften den früheren Begriff dikaiwsai verbessert haben. Der Gesetzeslehrers beantwortet die Frage „Was steht im Gesetz geschrieben?“ richtig. Damit könnte die Geschichte hier enden. Trotzdem stellt er noch einmal die Frage „wer ist mein Nächster?“415, die eigentlich an dieser Stelle überflüssig ist. Warum lässt Lukas die Geschichte hier nicht enden? Er will wahrscheinlich die Nächstenliebe noch genauer erläutern.416 Es ist daher vorstellbar, dass diese
409 Petzke, G., Das Sondergut, 109. 410 Vgl. Schweizer, E., Das Evangelium, 121 „...Gottes-und Nächstenliebe sind jetzt ein einziges Gebot“. 411 Jeremias, J., Die Sprache, 190-193. 412 Conzelmann, H., Die Mitte, 64. 413 So Jülicher, A., Die Gleichnisrede, 123f; Petzke, G., Das Sondergut, 109, sagte, dass die Erzählung kein Gleichnis im strengen Sinn sei.; Vgl. Crossan, J.D., Parable and Example in the Teaching of Jesus, NTS 18 (1971-1972), 285-296. 414 Wahrscheinlich kannte Jesus die Absicht des Gesetzeslehrers und wies ihn durch seine Antwort auf das Gesetz hin. 415 Dieser Begriff to. Plhsi,on war damals im Judentum eine stark diskutierte Frage. Vgl. Schürmann, H., Das Lukasevangelium. I, 142; Jeremias, J., Gleichnisse Jesu, Göttingen 1965, 201. 416 Petzke, G, Das Sondergut, 109.
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Frage nicht von dem Gesetzeslehrer stammt, sondern entweder von Lukas selber417 oder von Lukas hineingenommen worden ist.418 Es gibt viele Forscher, die die VV. 29.36f mit der Frage nach dem Nächsten als Rahmen und die VV. 30-35 als ursprüngliche Erzählung sehen.419 Nach ihrer Meinung handelt die Erzählung nicht vom Geltungsbereich der Liebe, sondern von einem eindringlichen Aufruf zur Liebestat. Auf jeden Fall will Lukas dieses Thema durch die Frage des Gesetzeslehrers weiter vertiefen.420 Die Entwicklung der Geschichte verläuft ähnlich wie Lk 18,18f. Da kommt ein Oberer und fragt, was er tun soll, damit er das ewige Leben ererbt (18,18). Jesus antwortet mit den Geboten. Daraufhin sagte der Obere, dass er alles getan hat. Jesus macht ihn auf seinen Mangel aufmerksam. „Es fehlt dir noch eines“ (18,22). Lukas übernimmt Mk 10 in Lk 18 und er überträgt das auch in seine eigene Szene in Lk 10. Lukas macht mit dieser Geschichte (10,25f) auch auf den Mangel des Gesetzeslehrers aufmerksam. Der Gesetzeslehrer stellt die Frage, wer sein Nächster ist, weil er sich selbst rechtfertigen will. Lukas will hier durch diese Frage auch erläutern, wer als Nächster anzusehen sei. Im AT bezeichnet Nächster sowohl den Nachbarn (Dtn 19,14; 27,17; Ex 11,2) als auch den nahestehenden Menschen (Ps 38,12; 88,19; Klgl 1,2), und das Wort wird auch oft gleichbedeutend mit „Jemand“ (Lev 20,10) oder „ein Mensch“ (Ex 21,14) gebraucht. Doch überall wird die Bedeutung „Volksgenosse, Israelit“ mitgehört, wie sie in Lev 19,16-18; 25,14.17 deutlich wird.421 Aber nach E. Noort geht der Begriff „Nächster“ im AT natürlich über den Bereich der Volksgenossen hinaus (Ex 11,2 vgl. Ex 12,35).422 Die Tora befiehlt weiter einen Fremden zu lieben. „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Wie ein Einheimischer unter euch soll euch der Fremde sein, der bei euch als Fremder wohnt; du sollst ihn lieben wie dich selbst. Denn Fremde seid ihr im Land Ägypten gewesen. Ich bin der HERR, euer Gott.“ (Lev 19,3334). Selbst der Feind hat das Recht auf Mitgefühl und Hilfe (Spr 25,21). Der Gesetzeslehrer neigt jedoch dazu, die Grenze noch enger zu ziehen und den Heiden 417 Sellin, G., Studien zu den großen Gleichniserzählungen des Lukas-Sonderguts. Münster 1974, 166-189; er kommt zu dem Ergebnis, Lk 10,30-35 sei lukanischer Herkunft. 418 Vgl. Jeremias, J., Die Sprache, 190; er interpretiert, dass mou plhsi,on nicht lukanisch ist, da Lukas die enklitischen Pronomina mou und sou nicht vor das Bezugswort stellt.; Vgl.Schürmann, H., Das Lukasevangelium, 142. 419 So Jülicher, A., Die Gleichnisrede, 596, Bultmann, R., Die Geschichte, 192; Zimmermann, H., Das Gleichnis, 58. 420 Schlatter, A., Das Evangelium, 222. 421 Vgl. Berger, K., Die Gesetzesauslegung, 80-135. 422 Noort, E., Art. Nächster, in: TRE 23, 713.
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auszunehmen.423 Das Liebesgebot in der Zeit gilt für den jüdischen Stammesgenossen, aber nicht für den Nicht-Juden.424 Der Schriftgelehrte hatte wahrscheinlich seiner Meinung nach „alles getan“, was das Gesetz fordert, (vgl. 18,21). 425 30-37: Jesus will die Grenze der Nächstenliebe wieder ausweiten. Jesus stellt das Gebot der Nächstenliebe wieder her, weil das Gebot schon im AT nicht nur auf den Volksgenossen bezogen war, sondern auch auf den „Fremden“ ausgedehnt wurde. Das Thema „Samarier und die Samaritai bei Lukas“ ist umstritten. Nach dem klassischen Modell sind die Samaritai bei Lukas Heiden.426 Aber andere Forscher wie J. Jervell sehen die Samaritai als Juden.427 A. Lindemann stimmt der Forschung zu, dass man nach der Terminologie unterscheiden soll, zwischen heidnischen ‚Samariern‘, „den heidnischen Bewohnern der Landschaft Samaria“ und den „‚Samaritanern‘, den jahwe-gläubigen und toratreuen Mitgliedern der samaritanischen Religionsgemeinschaft, deren kultisches Zentrum der Berg Garizim war“.428 Trotzdem stellt Lindemann heraus, dass die neutestamentlichen Texte, die Samaria bzw. deren Bewohner „eine derartige Differenzierung“ nicht beschreiben.429 Lindemann beschäftigt sich im Lukasevangelium mit den Beziehungen zwischen Samaritanern und Jesus bzw. der christlichen Gemeinde. Das Bild, das Lukas von den Samaritanern zeichnet, wird immer positiver. Aber Lukas beschreibt auch, dass die Samaritaner kritisch gegenüber Jerusalem sind (Lk 9,52f) und dass die Samaritaner zwar an den gleichen Gott wie die Juden glauben (Lk 17,15), aber sie aus jüdischer Sicht besonders in 17, 18 „fremdstämmig“ wirken.430 Auf jeden Fall wurden die Samaritai von den Juden ignoriert431 , was erstaunlicherweise im Text nicht erwähnt wird.
423 Vgl. Grundmann, W., Das Evagelium, 223; Schürmann, H., Das Lukasevangelium, 142; Berger, K., Die Gesetzesauslegung, 134f 424 Bill. II, 177; „Nach der Halakha ist der Nächste ['r´ eines Israeliten jeder Volksgenosse, aber nicht ein Nichtisraelit.“. 425 Greeven, H., Art. Plhsi,on, in: ThWNT VI,316: Nach H. Greeven ist die echte Bedeutung der alten Übersetzung „der Nächste“ abhängig von Lokaltradition: „Der Nächste, ursprünglich eine Lokalbestimmung, bringt gleichzeitig das Element der Begegnung, damit aber ‚die Aktualität der evangelischen Forderung‘ plastisch zum Ausdruck.“ 426 Vgl. Enslin, Morten S., Luke and the Samaritans, 277-297; Bowman, J., Samarianische Probleme. 196729 427 Vgl. Jervell, J., The Lost Sheep of the House of Israel, 113-132 428 Lindemann, A., Samaria und Samaritaner, 51f. 429 A.a.O., 51-52. 430 A.a.O., 66-67. 431 Vgl. Bovon, F., Das Evangelium, 81. Sellin, G., Studien, 147; er spricht vom „Halbheiden“, der allerdings das Gesetz besitzt und hält.
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M. Böhm sieht auch die Spannung zwischen Juden und Samaritanern. Sie stellt die Samaritaner in Lk 10,25-37 als ein Mitglied der Garzimgemeinde dar.432 Sie sieht darin den Hintergrund der lukanischen Erzählabsicht. Nach Böhm haben Juden und Samaritaner eine gemeinsame pentateuchische Grundlage, aber es gibt dennoch kultische und halachische Differenzen zwischen ihnen: „Für Lukas und seine Adressaten konnte möglicherweise gerade der Aspekt der Relativierung von Kult, Kultpersonal und der Relativierung des Anspruchs auf Auslegungsautorität in Gesetzesfragen wichtig gewesen sein.“433 Jesus stellt drei Personen vor. Die ersten zwei Personen sind der Priester und Levit, die Judäer sind. Der letzte aber ist ein Samariter, er ist nämlich ein „Fremder“, der für Juden als Nächster nicht zu akzeptieren ist. Dennoch ist auch er nach der Tora eigentlich ein Nächster. Während die beiden Judäer an dem Mann, der unter die Räuber fiel434, vorbeigingen, kümmert der Samariter sich um ihn. Was zeigt Jesus hier? Jesus zeigt hier erstens das Kriterium für die Frage, wer der wirkliche Nächste ist. Jesus lässt den Gesetzeslehrer den Begriff des Nächsten neu durch die Frage einleiten, „wer der Nächste gewesen ist dem, der unter die Räuber gefallen war (V. 36)?“ Der Gesetzeslehrer antwortet „der die Barmherzigkeit an ihm tat“ (V. 37). Das heißt, der Nächste ist derjenige, der Barmherzigkeit an allen Menschen tut. Früher hatte der Gesetzeslehrer ein anderes Verständnis des Begriffs des Nächsten. Bis dahin hatte er gedacht, dass sein Nächster nur sein Volksgenosse, ein Israelit, sei.435 Aber Jesus zeigt, wer der Nächste ist. „Wer mein Nächster ist“, wird nach Jesus nicht nach Volksgenosse oder Stamm entschieden, sondern nach dem Tun. Es ist hier nicht wichtig, ob der Samaritaner das Gebot „du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Lev 19,18) kennt. Entscheidend ist, dass er es getan hat. Die ersten beiden Juden haben es nicht getan, obwohl sie das Gebot bestimmt kannten. Der Samaritaner dagegen hat es als Vorbild für das richtige Verhalten dem Nächsten gegenüber getan. Es spielt für den Begriff „Nächster“ in der Lehre Jesu keine Rolle, aus welchem Stamm man kommt. In 8,19ff sagt Jesus auch, wer seine wahren Verwandten sind. Seine Mutter und Brüder sind nicht abhängig vom Stamm oder Volksgenossen, sondern davon, ob sie „Gottes
432 Böhm, M., Samarien und die Samaritai bei Lukas, 255.259. 433 A.a.O. 258. 434 Schürmann, H., Das Lukasevangelium, 143; stellt vor, dass der unglückliche Reisende auch ein Judäer sei. 435 Eulenstein, R., „Und wer ist mein Nächster?“ Lk 10,25-37 in der Sicht eines klassischen Philologen. ThGl 67 (1977), 127.
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Wort hören und tun“.436 Diese beiden Erklärungen Jesu überschreiten die Grenze der beiden ersten Personen. Die Grenze des Nächsten wird wie 8,19ff nicht vom „Volksgenossen oder Stamm oder einer Partei“, sondern von der „Tat“ bestimmt. Jesus fordert den Gesetzeslehrer auf, seine Gedanken über den Nächsten umzudrehen. Der wahre Nächste bzw. Verwandte wird nicht von der körperlichen Herkunft bestimmt, sondern von der Tat. Zweitens befahl Jesus dem Gesetzeslehrer, dass er der Nächste sein soll.437 Der Gesetzeslehrer hatte gefragt, wer sein Nächster sei. Er will einen Nächsten haben, aber kein Nächster für jemanden sein. Jesus befiehlt dem Gesetzeslehrer daher, dass er der Nächste sein soll.438 „Wer von diesen dreien scheint dir der Nächste, der unter die Räuber gefallen war, geworden zu sein?“ (ti,j tou,twn tw/n triw/n plhsi,on dokei/ soi gegone,nai tou/ evmpeso,ntoj eivj tou.j lh|sta,jÈ). „Geh hin und handle genauso!“ (poreu,ou kai. su. poi,ei o`moi,wj!) heißt sowohl, dass er Barmherzigkeit tut, als auch dass er der Nächste dem, der unter die Räuber gefallen war, werden soll. Das Wort Ðmoi,wj (V. 37) ist ein Adverb, also kann es nicht als Pronomen („dasselbe“ ta. aÙta,) aufgefasst werden.439 Der Samaritaner handelt über die Grenze des jüdischen Begriffs „des Nächsten“ hinaus. Jesus fordert vom Gesetzeslehrer genauso wie der Samaritaner zu handeln. Drittens zeigt Jesus die Gefahr der pharisäischen Haltung. Der Satz in V. 29 wird übersetzt mit „er aber wollte sich selbst rechtfertigen“. Aber diese Übersetzung passt in diesem Kontext nicht, denn der Gesetzeslehrer braucht sich nicht selbst zu rechtfertigen. Jesus hat seine Antwort schon als richtige Antwort akzeptiert (V. 28). So ist davon auszugehen, dass die Frage des Gesetzeslehrers keine Rechtfertigung oder Verteidigung ist, sondern eine typische Haltung („gerecht zu sein“, „als gerecht hinstellen“, „als gerecht behandeln“, „anmaßend“) eines religiösen Führers wie in Lk 16,15; 18,9.14 ist.440 Jesus zeigt, wer wirklich gerecht ist. Der Gesetzeslehrer stellt sich als gerecht hin, aber Lukas lässt die Möglichkeit offen, dass nämlich andere Völker außer den Juden viel eher gerecht sein können. Die Frage Jesu (V. 36) enthält sowohl den Aspekt, „wer der Nächste ist“ als auch den Aspekt „wer gerecht ist“. Die
436 Vgl. Zimmermann, H., Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter: Lk 10,25-37, Die Zeit Jesu, Festschrift für Heinr. Schlier (1971), 68. 437 Vgl. Schneider, G., Das Evangelium, 247. 438 Vgl. Schürmann, H., Das Lukasevangelium,147. 439 Weitere Erklärung Vgl. Eulenstein, R., „Und wer ist mein Nächster?“ Lk 10,25-37 in der Sicht eines klassischen Philologen. ThGl 67 (1977), Anm.16 in 131, und 136. 440 Vgl. Kertelge, K., dikaio,w in: EWzNT I, 805.
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beiden Judäer sind sowohl für Jesus als auch für den Gesetzeslehrer selbst nicht gerecht. Vielmehr ist der Samariter es in dieser Parabel als einziger (V. 37).
1.4 Das Gesetzesverständnis in Lk 10,25-37 Lukas will den Leser Folgendes lehren: 1. Wie kann man ewiges Leben ererben? 2. Was bedeutet es, das Gesetz zu befolgen?
1.4.1 Wie kann man ewiges Leben ererben? Ein Gesetzeslehrer kam zu Jesus. Er stellt die Frage, was er tun soll, um ewiges Leben zu ererben. In seiner Antwort erklärt Jesus nicht, welches Gebot das erste bzw. größte von allen ist (vgl. Mk 12,28f; Mt 22,34), sondern weist den Gesetzeslehrer auf das Gesetz hin (V. 26) wie 5,12f. Lukas beschreibt, dass man durch die Befolgung des mosaischen Gesetzes das ewige Leben erreichen kann, während Markus nur Interesse daran hat, welches Gebot Priorität hat (Mk 12,28). Jesus gibt nicht ewiges Leben, sondern der, der das Gesetz befolgt, erlangt es. Jesus ist in dieser Perikope nicht der Weg zum ewigen Leben, sondern dieser Weg ist das Gesetz. Jesus hebt nicht die Funktion des Gesetzes auf, sondern respektiert das Gesetz. Obwohl P.F. Esler einerseits der Meinung ist, dass Jesus in dieser Perikope (Lk 10,25-28) das Gesetz respektiert, behauptet er aber andererseits, dass das Ideal der Liebe Gottes und der Liebe zum Nächsten durch das mosaische Gesetz allein nicht erreicht wird: „It is possible, however, that Luke was relying upon his readers understanding this incident in the light of an aspect of his treatment of the law developed elsewhere in Luke-Acts, that the ideal of love of God and love of neighbour was not in fact achieved by anyone relying only on the law“441. Aber meiner Meinung nach verneint Lukas in dieser Perikope nicht, dass das doppelte Liebesgebot durch das mosaische Gesetz verwirklicht wird. Die Hauptfrage ist vielmehr, wie man das Gesetz praktisch in seinem Leben befolgt. In der ersten Perikope (10,25-28) sagt Jesus theoretisch, wie man ewiges Leben ererben kann. Die Antwort Jesu ist, „Was steht in dem Gesetz geschrieben? Wie liest du?“ In der zweiten Perikope (VV. 29-37) erklärt Jesus weiter praktisch, was es bedeutet, das Gesetz zu befolgen.442 Jesus verachtet das Gesetz nicht, sondern zeigt dem Mann, der das ewige Leben sucht, das Gesetz vielmehr als Wegweiser. Das 441 Esler, P.F. Community, 115. 442 Vgl. Lindemann, A., Samaria, 59.
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ewige Leben erlangt man nur, wenn man das Gesetz wirklich versteht und befolgt.443 P.F. Esler ist einerseits der Auffassung, dass das Gesetz ein richtiger Weg für das ewige Leben sei, aber andererseits behauptet er, dass man das ewige Leben nur durch die Lehre Jesu erreichen kann: „the law is a useful stage on the way to eternal life, but it will only be attained by becoming a disciple of Jesus.“444 Aber das Gesetz allein – ohne die Lehre Jesu – gilt noch als der Weg zum ewigen Leben. Für Jesus ist das Befolgen des Gesetzes der Weg zum ewigen Leben (V. 28), und er erzählt die Geschichte des barmherzigen Samaritaners nur als Beispiel dafür, ‚was die praktische Handlung des Gesetzes ist‘. Weder übertritt Jesus das Gesetz, noch steht er über dem Gesetz.
1.4.2 Was bedeutet es, das Gesetz zu befolgen? Jesus macht durch die Parabel darauf aufmerksam, was dem Gesetzeslehrer fehlt. Der Gesetzeslehrer wusste theoretisch, was das Gesetz fordert, aber das war für Jesus nicht ausreichend. Der Gesetzeslehrer verstand das Gesetz nur aus seiner jüdischen Tradition heraus. Dieses Gesetz war kein richtiges, von Gott gegebenes, Gesetz, sondern die Interpretation des Ältesten bzw. der Israeliten. Jesus lehrt, was das richtige Gesetz ist. Das richtige Gesetz ist für Jesus die Barmherzigkeit. Das richtige Gesetz zu befolgen, heißt, Barmherzigkeit zu tun (V. 36). M. Klinghardt erwähnt, dass der Samaritaner ein „rituell interessiertes und an Reinheitstraditonen aus dem Pentateuch orientiertes Judentum repräsentiert“.445 Es ist aber nicht wichtig, ob der Samariter die Nächstenliebe aus der Tora kannte.446 Die Hauptsache ist, dass er sie praktiziert hat. Der Gesetzeslehrer wusste bereits, was im Gesetz steht, aber er hat es nicht ausreichend befolgt, obwohl er meinte, es nach seinem Glauben schon zu tun. Was zeigt dieses? Das Gesetz heißt, weder eine Grenze noch ein Maß zu setzen, noch in einer bestimmten Gruppe äußerlich religiös zu handeln, sondern das Gesetz bedeutet mit Barmherzigkeit aus ganzem Herzen die anderen ohne Grenze zu lieben.
443 444 445 446
Vgl. Joh 3,16. Esler, P.F., Community, 117. Klinghardt, M., Gesetz, 150. Vgl. Lk 17,15 Sie glauben an denselben Gott wie Juden; weitere Info.Vgl. Böhm, M., Samarien und die Samaritai bei Lukas. Eine Studie zum religionshistorischen und traditionsgeschichtlichen Hintergrund der lukanischen Samarientexte und zu deren topographischer Verhaftung, Tübingen 1999 (WUNT: Reihe 2; 111), 100-101; „In Samarien gab es eine JHWH treue Gemeinde, die aus einer dissidenten Priestergruppe hervorgegangen war,...“.
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Warum war der Dritte ein Samariter? Ist es ein Zufall? Oder hat Lukas ihn bewusst so geschildert? Ich neige dazu, dass Lukas den Samariter bewusst eingesetzt hat. Der Samaritaner repräsentiert keinen Nicht-Juden,447 sondern einen „heterodoxen“ Juden.448 Lukas hatte viele Fremde wie den Samariter in seiner Gemeinde bzw. unter seinen Lesern449, und er scheint diese heterodoxen Juden durch den Samaritaner zu charakterisieren. Die Verse 30-35 haben nur einen Sinn, wenn sie an den Leser/Hörer übermittelt werden und von ihm in seinem Leben umgesetzt werden. Lukas hat vermutlich immer seinen Leser/Hörer im Kopf behalten.450 Man kann leicht die lehrhafte Absicht des Lukas finden. Lukas zeigt oft451, dass er eine positivere oder missionarische (besonders in der Apg) Meinung452 über andere Völker als andere Synoptiker hat.453 Im 17,11ff „die zehn Aussätzigen“ zeigt Lukas auch, dass nur ein Samariter zu Jesus kam und sich für seine Heilung bedankte. Die anderen neun Aussätzigen haben aber nicht richtig gehandelt, wie Jesus erwartet hatte, obwohl sie durch Jesus geheilt worden waren.454 Durch solche Geschichten will Lukas seinem Leser absichtlich zeigen, dass andere Völker besser als Judäer sein können, und dass andere Völker sich wegen ihrer heidnischen Position nicht zurückzuhalten brauchen. Vielmehr können sie gerettet werden und besser als Judäer sein (17,19). Nach M. Klinghardt ist der Schwerpunkt ein anderer. Er behauptet, „Diskutiert wird nicht einfach die Reichweite des Nächstenbegriffs, sondern das Problem, auf welcher Grundlage und in welcher Gemeinschaft es für gesetzestreue Juden Heil geben kann.“455 Lukas will aber in dieser Perikope eher seinem „fremden“ Leser erklären, wie man ewiges Leben ererben kann, wobei es nicht um die jüdischen Leser geht, sondern um die anderen. Daher ist, wenn Lukas die Erzählung nach seiner Absicht geändert hat, die Hauptperson ein Samariter.456 Er will zuerst seinen Lesern Mut zusprechen und zugleich erklären, dass alle Menschen auch das ewige Leben erreichen können. 447 Klinghardt, M., Gesetz, 150. 448 Cullmann, O., Kreis, 41-61. 449 Lukas schreibt sein Evangelium für „Theophilus“ (Lk 1,3; Apg 2,1). Der Name „Theophilus“ ist kein jüdischer, sondern ein hellenistischer Name, aber wer „Theophilus“ ist, weiß man nicht. Weitere Diskussion über dieses Thema, Vgl. Cadbury, H.J., Commentary on the Preface of Luke, (Anm.3) 490; Vgl. Klostermann, E., Das Lukasevangelium, 3. 450 Vgl. Gewalt, D., Der „Barmherzige Samariter“ zu Lukas 10,25-37, 413. 451 Vgl. Lk 9,51ff. In dieser Perikope berichtet Lukas, dass Samariter Jesus nicht aufnahmen. 452 Bei Lk 2,32 wird Jesus das Licht der Heiden genannt; Vgl. Apg 13,47. 453 Vgl. Lohse, E., Lukas als Theologe der Heilsgeschichte, 85 454 Außerdem gibt es mehrere Hinweise z. B. Lk 4,25-26.27. 455 Klinghardt, M., Gesetz, 153. 456 Vgl. Lindemann, A., Samaria, Anm. 33, 59.
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Zweitens will Lukas zeigen, was der Inhalt des Gesetzes ist. Der Inhalt des Gesetzes ist die „Barmherzigkeit“. Obwohl der Samariter ein „Fremder“ bzw. „ein „heterodoxer“ Jude ist, müsste er nach Jesus das ewige Leben ererben (V. 28), weil er nach dem Gesetz gehandelt hat. Das ewige Leben wird jemandem, der das Gesetz befolgt, gegeben, nicht jemandem, der das Gesetz äußerlich theoretisch kennt.457 R. Eulenstein sieht auch e splagcni,sqh des Samariters als den Kernbegriff der ganzen Erzählung.458 Der Samariter hat die Barmherzigkeit praktiziert und sie war der Inhalt des Gesetzes.
2. Die Frage nach dem ewigen Leben: Lk 18,18-30 2.1 Übersetzung 18 Und ein Oberer fragte ihn, indem er sprach: Guter Lehrer! was soll ich tun, um ewiges Leben zu ererben? 19 Jesus aber sagte ihm: Warum bezeichnest du mich als gut? Niemand ist gut außer Gott allein. 20 Du weißt die Gebote: „Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!“ 21 Er aber sagte: Ich hielt dies alles von Jugend an ein. 22 Nachdem er aber gehört hat, sagte Jesus zu ihm: Eins fehlt dir noch: Verkaufe alles, wie viel du auch hast, und verteile es an die Armen, und du hast einen Schatz im Himmel, und hierher folge mir nach. 23 Nachdem er aber alles gehört hat, ist er sehr betrübt geworden: Denn er war sehr reich. 24 Nachdem Jesus ihn gesehen hat, dass er betrübt geworden ist, sagt er: Wie schwer ist es für jene, die Güter haben, ins Reich Gottes hineinzuziehen? 25 Es ist nämlich leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht als dass ein Reicher ins Reich Gottes geht. 26 Die, die es hörten, aber sagten: Und wer kann gerettet werden? 457 Vgl. Schürmann, H., Das Lukasevangelium, 147-148; er findet eine Betrachtung, wie man gemäß der Problematik „Gesetz und Evangelium“ die gesetzliche Forderung eliminiert und das Evangelium in die Perikope eintragen würde. M.E. ist das Gesetz nichts anders als Evangelium. 458 Eulenstein, R., „Und wer ist mein Nächster?“ Lk 10,25-37 in der Sicht eines klassischen Philologen. ThGl 67 (1977), 140-141: „...Dieser Vorgang erfährt nun dadurch eine Präzisierung, dass menschlichem Ermessen entsprechend der in Not geratene Israelit nur von den Stammesgenossen, dem Priester und dem Leviten, nicht aber vom Stammesfeind hätte Hilfe erwarten können. e splagcni,sqh im Samariter – das geht gegen menschliches Kalkül!“
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27 Er aber sagte: Was bei Menschen unmöglich ist, ist bei Gott möglich. 28 Petrus aber sagte: Siehe, wir haben unser Eigentum verlassen und sind dir gefolgt. 29 Er aber sagte ihnen: Ich sage euch wahrlich, dass jeder, der wegen des Reichs Gottes Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlassen hat, 30 der wird dafür in dieser Zeit Vielfaches und in der kommenden Zeit das ewige Leben nehmen.
2.2 Struktur und Inhalt Die Perikope Lk 18,18-30 (par Mk 10,17-31; Mt 19,16-30), die von dem ewigen Leben und vom Nachfolgen der Jünger handelt, steht im Schlussteil des lukanischen Reiseberichtes (9,51-19,27). Lukas schreibt sie nach der Segnung der Kinder (18,15-17) wie andere Synoptiker. Nach dieser Perikope kommt die dritte Leidensankündigung (18,31-34) wie bei Markus (10,32-34). Der Text Lk 18,18-30 besteht aus zwei großen Teilen mit einem Übergang; der erste Teil handelt von der Frage nach dem ewigen Leben und der zweite Teil behandelt die Frage nach der Rettung. V 24-25 bilden einen Übergang, der die beiden Teile miteinander verbindet. Die zwei Teile sind also folgendermaßen gegliedert: Die erste Frage (VV. 18-25) I. Die Frage nach dem ewigen Leben 18 Die Frage des Oberens 19-20 Die Antwort Jesu 21 Die Gerechtigkeit des Oberen 22 Das Urteil Jesu 23 Die Reaktion des Oberen 24-25 Übergang zur zweite Frage
Die zweite Frage (VV. 26-30) II. Die Frage nach der Rettung 26 Die Frage des Hörers 27 Die Antwort Jesu 28 Die Gerechtigkeit des Petrus 29-30 Das Urteil Jesu
2.3 Analyse 18: Das adjektivische enklitische tij ist eine spezifisch lukanische Wendung.459 Es kommt im lukanischen Doppelwerk 102 mal (Ev: 39, Apg: 63) vor, in den übrigen Evangelien nur ganz selten (Mt 1, Mk 3). Aber das adjektivische tij (V. 18) scheint eher die „Vermeidung eines markinischen indefiniten ei-j mi,,a ›n“460 459 Jeremias, J., Die Sprache, 190. 460 A.a.O., 15.
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zu sein (Lk 9,8.19; 18,18; 21,2). Das Wort a;rcwn für menschliche Herrscher kommt im NT 26 mal, davon benutzt es Lukas 17 mal in seinem Doppelwerk. In der Synopse findet es sich nur im Lukasevangelium siebenmal (8,41; 12,58; 14,1; 18,18; 23,13.35; 24,20) und im Matthäusevangelium dreimal (9,18.23; 20,25). Lukas stellt a;rcwn sowohl als einen Oberen der Synagoge (8,41), als auch als einen der Vertreter aus der Gruppe Israels vor (23,13.35; 24,20).461 Markus schreibt, dass „ein Mann herbei lief und vor Jesus nieder kniete“ 10,17). Die Kniebeuge enthält einen großen Respekt vor Jesus.462 Markus schreibt über ihn von Anfang an positiv. Er stellt ihn nicht als Gegner Jesu vor. Aber Lukas lässt diese markinische Szene aus. Der Fragesteller nennt Jesus „guter Meister“. avgaqo,j ist nach W. Caspari entweder Eigenschaft einer proai,resij die Wohlüberlegtheit, oder Eigenschaft eines richterlichen Urteils, dessen stichhaltige Begründung nach bestem Wissen und Gewissen.463 Man weiß nicht genau, ob das Wort avgaqo.j in sittlichem oder moralischem Sinn verwendet wurde. Meiner Meinung nach scheint es vielmehr eine göttliche Eigenschaft zu enthalten. Die Anrede »guter Lehrer« muss nach P.Billerbeck mit „Gütiger Meister“ übersetzt werden.464 Die Anrede »guter Lehrer« ist nach J. Gnilka auch im Jüdischen ungewöhnlich.465 Matthäus schreibt ¢gaqo.j, um das „Gute“ zu betonen. Er hat diesen Begriff, wenn auch in einem anderen Zusammenhang, bei Markus vorgefunden (Mt 19,16).466 Das Wort le,gwn ist nicht unbedingt nötig, um einen Satz zu bilden, da es nämlich pleonastisch ist. Es kommt im lukanischen Doppelwerk 91 mal (Ev: 62, Apg: 29) mit verschiedenen Wörtern vor.467 J. Jeremias sieht dieses le,gwn (V. 18) als Einfügung in den Markusstoff.468 Der Satz „dida,skale ti, poih,saj zwh.n aivw,nion klhronomh,swÈ“ war schon wörtlich in Lk 10,25 aufgetaucht. Lukas ersetzt die markinische Konstruktion †na durch das Partizip poih,saj. Markus und Matthäus schreiben deutlich einen Finalsatz mit †na. Anders als Markus und 461 Vgl. Klinghardt, M., Gesetz und Volk Gottes, 132-135, er beweist a;rcwn als finanzielle und sozial genügsame Position vor dem historischen Hintergrund. 462 Berger, K., Die Gesetzesauslegung, 429. 463 Vgl. Caspari, W., Der gute Meister, CuW 8 (1932), 214. 464 Vgl. Bill. II, 25 „Guter Meister“ fehlt natürlich jeder Grund zu der Frage, wie sich die Sündlosigkeit Jesu mit seinen Worten in V. 18 vertrage.“ 465 Vgl. Gnilka, J., Das Evangelium, 85, in Anm.9: Im Griechischen sei die meist absolute Anrede »Bester, Guter« bekannt. 466 Mt verändert die Frage des Mannes, er nennt nämlich Jesus nicht direkt „guter Meister“, sondern fragt danach, was er Gutes tun solle 467 Z.B. mit aivne,w (Lk 19,37f) avrne,omai (Lk22,57) doxa,zw (Lk 7,16;23,47) ei-pon (Lk 7,39; 14,3; 20,2) usw. 468 Jeremias, J., Die Sprache, 68.
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Matthäus macht Lukas eine Verschränkung durch das Partizip poih,saj. Wenn man die Frage des Oberen direkt ins Deutsche übersetzen würde, dann hieße der Satz folgendermaßen: „Was getan habend, werde ich ewiges Leben ererben?“ Aber man spricht im Deutschen nicht so, vielmehr benutzt man hier einen Finalsatz mit „um etwas zu + Infinitiv“. Das ist ein Übersetzungsproblem. Warum hat Lukas nicht direkt einen Finalsatz mit †na wie die anderen Synoptiker geschrieben? Weil er seine Vorlage nicht abschreiben wollte? Das wäre denkbar. Tatsächlich hat er ein höheres griechisches Niveau als andere Synoptiker. Während Markus und Matthäus das ewige Leben nur einmal thematisiert haben (Mk 10,17ff; Mt 19,16ff), wurde die Frage nach dem ewigen Leben schon früher von einem Gesetzeslehrer im Lk 10,25 gestellt. Da antwortete Jesus auch mit dem Gesetz, aber mit einer anderen alttestamentlichen Stelle (Dtn 6,5; Lev 19,18). Da ging es um »Nächstenliebe«. 19: Bevor Jesus auf die Frage des Oberen antwortet, korrigiert er zunächst dessen Fehler. Für Jesus passt das Wort avgaqo.j nur zu Gott. Nach P. Billerbeck will Jesus nicht, „dass man mit einem solchen Prädikat gedankenlos umgehe, hier wie stets nur auf die Ehre des Vaters bedacht“.469 Lukas wechselt nur die Stellung des ersten Satzes,470 sonst folgt er wörtlich dem markinischen Faden. In wenigen Handschriften (a* B*) ist der bestimmte Artikel Ð vor dem qeo.j ausgelassen. Lukas verwendet qeo.j 76 mal in seinem Doppelwerk (im Lukasevangelium 15 mal und in der Apg 61 mal), aber er benutzt immer den Artikel Ð außer in Lk 20,38. Tatsächlich benutzt Markus nicht das Adjektiv avgaqo.j, um Menschen darzustellen. Bei Markus entspricht das Wort avgaqo.j nur Gott (Mk 10,18). Aber anders als Markus benutzen Lukas und Matthäus das Wort avgaqo.j, um einen guten Menschen zu beschreiben (Lk 6,45; 23,50; Apg 11,24; Mt 5,45;12,35; 22,10). Außer Markus machen Matthäus und Lukas widersprüchliche Aussagen. Daher kann man sofort bemerken, dass Matthäus471 und ganz besonders Lukas den markinischen Stoff ohne Redaktion überliefert haben. 20: Jesus fängt an die Frage richtig zu beantworten. In Lk 10,28ff antwortete Jesus auf dieselbe Frage mit der Tora (10,27f) aber er führt hier einen Teil der Gebote (evntolh,) an.472 Die Gebote fungieren hier als Zusammenfassung des gan-
469 Bill. II, 24-25 sagt weiter: „Die Ablehnung der Bezeichnung hat darum auch nicht den Sinn, dass nur Gott sittlich vollkommen sei, wie man es allgemein versteht, sondern dass er allein die Güte in Person ist.“ 470 Von o` de. VIhsou/j ei=pen auvtw/|\(Mk 10,18) zum ei=pen de. auvtw/| o` VIhsou/j\ (Lk 18,19). 471 Der Fragesteller nennt nicht Jesus direkt „guter Meister“ wie andere Synoptiker, aber Matthäus drückt durch die Antwort Jesu aus, dass „Einer gut ist“ (19,17). 472 Vgl. Conzelmann, H., Die Mitte, 148.
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zen Gesetzes.473 Bei Markus und Lukas ist dem Oberen (a;rcwn) der Weg zum ewigen Leben schon bekannt. Aber Matthäus schreibt, dass Jesus den Jüngling diesen Weg lehrt, wie ein Gesetzeslehrer. Der Anfang des lukanischen Satzes ist der gleiche wie bei Markus. Er ändert aber die Reihenfolge der Gebote. Nach Markus und Matthäus ist die Reihenfolge der Gebote folgende: „Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; du sollst deinen Vater und Mutter ehren...“. Aber Lukas vertauscht die Position des ersten Gebotes mit der Position des zweiten Gebotes. Die Umstellung der Reihenfolge, durch die das Verbot des Ehebruchs an der Spitze steht, ist wahrscheinlich durch seine Überlieferung (z.B. durch die Septuaginta) bedingt.474 Die markinische Ordnung ist von der Ordnung im hebräischen Text beeinflusst. Die Handschriften a2 B C D Y 0274. 579. 892. 2427. l 844. l 2211 pc aur c sys co bilden die Grundlage der markinischen Ordnung. Aber es gibt noch andere Überlieferungen, wie A W Q f13 Byz syh, die der Septuaginta folgen. Nach dieser Ordnung ist das erste Gebot und zweite Gebot vertauscht, in der Weise, wie Lukas es schreibt. Man kann im Markustext keine sichere Entscheidung treffen. Auffallend ist, dass Lukas der Ordnung der Septuaginta folgt. Diese Vertauschung des ersten und zweiten Gebotes taucht auch im paulinischen Brief, nämlich Röm 13,9f (vgl. Jak 2,11) auf. Da zitiert Paulus exemplarisch die 2. Tafel des Dekalogs. Nach K. Berger entspricht die veränderte Reihenfolge der Angleichung von Dekalog und sozialer Reihe der zweiten Dekalogtafel im hellenistischen Judentum (vor allem in der zeitgenössischen jüdischen Literatur, Philo, Josephus und Liber Antiquitum).475 Entweder hatte Lukas einen Markustext, der nach der Reihenfolge der Septuaginta angeordnet war476, oder ihm lag ein paulinischer Befund (z.B. Röm 13,9) vor.477 Es ist nicht belegt, welche Überlieferung Lukas kannte, ob er von der markinischen oder der paulinischen Überlieferung beeinflusst war. Auf jeden Fall wird deutlich, dass Lukas eine engere Beziehung zu der hellenistischen
473 Klinghardt. M., Gesetz und Volk Gottes, 125. 474 Vgl. Degenhardt, H.-J., Lukas- Evangelist der Armen, 139; er stellt eine andere Hypothese auf, nämlich „dass in der Jüdischen Diaspora der Kampf gegen alle geschlechtlichen Versündigungen schon früh in den Vordergrund rückte“. 475 Vgl. Berger, K., Die Gesetzesauslegung Jesu, 259. 476 Vgl. Haenchen, E., Der Weg Jesu, 350; er stellt für das Problem eine Lösung vor; „Mt und die besseren Mk-Handschriften halten sich an die Reihenfolge der Gebote in Dt.5. Hier geht das Verbot des Tötens dem des Ehebrechens voran. In schlechteren Mk-Handschriften und bei Lk werden die Gebote entsprechend der Reihenfolge in Ex 20 gruppiert; hier geht das Verbot des Ehebruchs voran. 477 Zur Paulustradition, vgl. Hahn, F., Theologie des Neuen Testaments I, Tübingen 2002, 553.
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Überlieferung hatte als die anderen Synoptiker. Jesus gibt eine typisch jüdische Antwort auf die Frage des Gesetzeslehrers. Das Markusevangelium enthält das Verbot mh. avposterh,sh|j („Du sollst nicht berauben“), was auch in Jesus Sirach 4,1 vorkommt. Matthäus und Lukas lassen es entweder aus, weil das Gebot nicht im Dekalog zu finden ist.478 Es ist jedoch auch möglich, dass die ihnen vorliegende Überlieferung dieses Gebot nicht enthielt. 21: Lukas schreibt ei-pen statt e;fh im Markustext und lässt den Vokativ dida,skale aus. Lukas mag diesen Titel nicht für Jesus benutzen. Anders als Markus wird tatsächlich der Titel für Jesus nur von anderen Leuten als seinen Jüngern genannt. In den vielen anderen Texten ( a A L W Q Y f 1.13 892. 1006. 1342 al lat syh ) befindet sich mou hinter dem Wort neo,thtoj. Der Obere ist durch seinen religiösen jüdischen Hintergrund von Kindheit an gerecht. Er ist ein typischer Judäer. Die Frage nach dem „Leben“, die später im Judenkreis zur Frage nach dem „ewigen Leben“ erweitert wird, ist für Israel keine unbekannte Frage. Das alte Israel weiß, dass Leben da ist, wo Gott nahe ist.479 Und Juden glauben daran, dass die Einhaltung des Gesetzes möglich ist (Ps 40,9; 119,51.55, vgl. auch Mk 2,17).480 Es war den damaligen Juden klar, dass das Gesetz des Mose der Weg zum ewigen Leben ist. Wenn man das mosaische Gesetz hält, erhält man die Rettung.481 Der Obere hat gerade eine typisch jüdische Antwort auf seine Frage gehört, wie er sie vielleicht erwartet hat (V. 20). Die Antwort Jesu ist nichts Neues. Damit ist der Obere nicht zufrieden. Es kann sein, dass er einen Akt kundiger Einzelweisung erwartet hat.482 In Lk 10,28 war die Antwort des Gesetzeslehrers auch korrekt. Aber auch der Gesetzeslehrer war damit nicht zufrieden. Der Gesetzeslehrer will das Gespräch mit Jesus weiterführen und fragt weiter „Wer ist denn mein Nächster?“ (V. 29), um sich äußerlich zu rechtfertigen (vgl. 10,29). Aber es fehlt ihm etwas. Das ist der Punkt, den Lukas wie die anderen Synoptiker durch Jesus pointieren möchte. Aber anders als in 10,29 will Jesus in 18,22 das Gespräch mit dem Oberen von sich aus weiterführen (18,22). 22: Lukas lässt in seiner markinischen Vorlage aus, dass „Jesus ihn ansah und ihn lieb gewann“ (Mk 10,21). Markus schreibt über den Fragesteller immer noch positiv. Aber Lukas erwähnt eine solche Beziehung zwischen Jesus und dem Oberen nicht. Die Forderungen Jesu bezüglich Almosen und der Nachfolge wer-
478 479 480 481 482
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Vgl. Berger, K., Die Gesetzesauslegung, 454. Vgl. Rad, G. v., „Gerechtigkeit“ und „Leben“ in der Kultsprache der Psalmen, 225-247. Degenhardt, H-J., Lukas- Evangelist der Armen, 161-162. A.a.O., 162. Zimmerli, W., „Die Frage des Reichen nach dem ewigen Leben“. EvTh 19 (1959), 96.
den im Lukasevangelium offensichtlich nicht als Ruf zu seiner Jüngergruppe verstanden.483 Jesus sprach einfach dem Hören nach (avkou,osaj). Jesus sagt dem Oberen, was ihm fehlt. Dies ist eine zusätzliche Forderung. Im Judentum ist es klar, dass die Einhaltung des Gesetzes den Zugang zum Leben eröffnet.484 Jedoch ist für Jesus die Einhaltung der Gebote durch den Oberen nicht genug. Jesus fordert noch eine höhere Dimension. Was fehlt dem Oberen als einziges? Ist es die »Selbstverleugnung« (avrnhsa,sqw e`auto.n: Lk 9,23) „Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen“? Oder ist es das »Nachfolgen« „Komm und folge mir nach“? Ich glaube, was dem Oberen fehlt, sind „Selbstverleugnung“ und „Nachfolgen“.485 Die »Selbstverleugnung« und das »Nachfolgen« sind hier untrennbar miteinander verbunden, um in das Reich Gottes zu kommen (vgl. 24f).486 Jesu neue Dimension übertrifft die Beachtung der Gebote. Alles, was man hat, zu verkaufen und an die Armen zu verteilen, bedeutet im Judentum (z.B. slHenoch 50,5; Tpea 4,18; Pea 1,1 usw.), dass man im Reich Gottes Schätze sammelt (vgl. Lk 12,34).487 Lukas betont die Selbstverleugnung durch das Wort pa,nta. Die andere Dimension, avkolouqe,w »Nachfolgen«, wird als Terminus der Jesusnachfolge im NT benutzt.488 Das Wort kommt auch im AT (in der Form yrex)a; %l;h… ) in Bezug auf Gott (Die Nachfolge Jahwes) vor (Dtn 1,36; 13,5; 1Kö 14,8 ; 2Kö 23,3). In der LXX kommt das Wort avkolouqe,w auch in Bezug auf die Nachfolge des Jüngers einmal vor. Der Prophetenjünger Elisa folgt seinem Meister Elia nach (1 Kö 19,20f). Später findet sich diese Tradition in der Sitte des Judentums besonders im Bezug auf das Lehrer-Schüler-Verhältnis. Es ist nicht überliefert, ob Jesus bzw. der Synoptiker den Begriff in dieser Tradition benutzt hat. Aber was wir schon sagen können, ist dass die Anwendung des Gedankens der Nachfolge in Bezug auf Gott im NT völlig fehlt. Und avkolouqe,w ist im NT wortstatistisch nur in enger Beziehung auf Jesus beschränkt.489 Die beiden Begriffe kommen später in einem anderen Wort vor, nämlich avfi,hmi; verlassen (VV. 28-29). „Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt (avfh/ken) um des 483 Vgl. Schneider, G., Das Evangelium, 370. 484 Bovon, F., Das Evangelium nach Lukas (Lk 15,1-19,27), EKK III/3, Zürich. Benziger. Neukirchen-Vluyn 2001, 235. 485 Auch Zimmerli, W., a.a.O., 97; „Die Weisung, die Güter zu verkaufen, steht ganz im Licht dieses gnadenvollen Rufes in den engsten Dienst der Nachfolge und ist nicht als zusätzliches Gebot gemeint.“ 486 Vgl. Klinghardt, M., Gesetz und Volk Gottes, 126. 487 Vgl. Bill. I, 429-431. 488 Vgl. Schneider, G., avkolouqe,w in: EWzNT I, 118-125. 489 Vgl. Fuchs, A., Sprachliche Untersuchung zu Mt und Lk, 63-83.
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Reiches Gottes willen, der es nicht vielfach wieder empfange in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben“ In diesem Wort sind die beiden Begriffe »Selbstverleugung« und »Nachfolgen« vereint. Lukas betont eher die beiden Begriffe als den Mann. Aber Markus stellt ihn dem Leser von Anfang positiv vor (10,17), und beschreibt die besondere Beziehung mit Jesus (V. 21). Markus legt die Betonung genau so auf den Mann wie auf die beiden Tugenden. Im Vergleich mit der ersten lukanischen Geschichte über ewiges Leben (10,25ff) ist der Charakter des Fragestellers anders. Der erste Frager wollte Jesus auf die Probe stellen (10,25) und sich selbst rechtfertigen (10,29). Aber Lukas beschreibt in der Perikope 18,18ff nicht „die Probe“ durch den Oberen. Man weiß nicht, welchen Charakter der Obere hat. Jesus sagt in Lk 10,25 dem Gesetzeslehrer nicht, dass er Jesus nachfolgen solle. Viel mehr sagte Jesus ihm: „Geh hin und tu desgleichen!“ (10,37). Im Gegensatz dazu fordert Jesus den Oberen in 18,22 auf, ihm nachzufolgen. Dies zeigt, dass Jesus zumindest keinen negativen Gedanken gegen ihn hatte.490 Aber im Vergleich mit Markus ist der positive Gedanke Jesu gegen den Fragesteller sicherlich schwächer491 als der des Markus.492 Lukas lässt absichtlich die positive Handlung des Mannes (V. 17) und das Gefühl Jesu gegen ihn (V. 21) aus, um möglicherweise objektiv zu erzählen.493 23: Er hat die richtige Antwort gehört, weiß, was ihm fehlt. Diese Antwort hat er nicht erwartet. Er wird daher traurig, denn er ist sehr reich. Lukas lässt aus, dass der reiche Jüngling ging (Mk 10,22). Im Prinzip bleibt er immer noch dabei.494 Lukas erzählt nicht, wann er ging, denn das ist für Lukas nicht mehr wichtig. 490 Anders Huuhtanen, P., Die Perikope vom „reichen Jüngling“ unter Berücksichtigung der Akzentuirungen des Lukas, 79-88, (81), er meint: „Sowohl im Lukasevangelium als auch in der Apg sind die Hohenpriester und die Obersten meistens diejenigen, die sich zu Jesus negativ verhalten bzw. ihn sogar getötet haben. Somit motiviert die Bezeichnung Oberster bei Lk schon teils das negative Ergebnis des Rufes Jesu.“ Dazu schreibt er noch deutlich, dass „die Obersten bei Lk in negatives Licht gestellt sind.“ 83. 491 Vgl.Berger, K., Die Gesetzesauslegung, 454; er behauptet, dass die Einführung des av,rcwn eine deutliche antijüdische Tendenz des Lukas repräsentiert. 492 Vgl. Klinghardt, M., Gesetz und Volk Gottes, 135: „Vor allem aber wird deutlich, dass der Archon nicht zu den (Ver-) Führern des Volkes zählt, die für den Tod Jesu verantwortlich sind und die nicht-bekehrungswilligen Juden repräsentieren. Als Typos repräsentiert er vielmehr diejenigen Gruppen des Juden(christen-)tums, die bei Lk durch die Selbstrechtfertigungs-Aussagen charakterisiert sind.“ 493 Diese Erzählform ist typisch lukanisch. Lukas lässt oft das Gefühl Jesu (z.B. Mitleid....) aus. Vgl. Lk 5,13: Lukas lässt den Markustext aus, wo Markus das Mitleid Jesu ausführlich beschreibt; Mk 1,41). 494 Vgl. Auch Huuhtanen, P., Die Perikope vom „reichen Jüngling“ unter Berücksichtigung der Akzentuirungen des Lukas. 98; Mineshige, K., Besitzverzicht und Almosen bei Lukas, 76.
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24: VV. 24-25 ist ein Übergang zur zweiten Frage, nämlich nach der Rettung. Jesus sieht den Oberen an und erklärt, wie schwer es ist, dass die Reichen in das Reich Gottes kommen. Aber es ist noch unklar, wem Jesus es sagt. Es ist im Markusevangelium deutlich geschrieben, dass Jesus es zu den Jüngern sagte (10,23). Markus schreibt, dass Jesus zweimal die selbe Rede gesprochen hat. Einmal schreibt er in V. 23 „Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen“ und einmal schreibt er im V. 24 „Wie schwer ist es, in das Reich Gottes hineinzukommen.“ Aber Lukas lässt einen Satz aus. Das ewige Leben ist nach dem Ausdruck Jesu identisch damit, in das Reich Gottes einzugehen (vgl. Mk 9,43-47). 25: V. 25 ist ein Bild. Lukas verändert wieder seine Vorlage. Das Kamel (ka,mhloj) gilt in Palästina als das größte Tier (vgl. Mt 23,34). Das Nadelöhr ist die kleinste Öffnung. Markus schreibt einmal das Verb dielqei/n und einmal eivselqei/n.495 Aber Lukas schreibt zweimal eivselqei/n. Daher kann man das Bild leicht sehen, verstehen und vergleichen (Kamel und Nadelöhr, Reichen und Reich Gottes). Lukas allein benutzt das Wort belo,nh (Nadel), während Markus und Matthäus r`afi,j schreiben. Er schreibt auch trhma (Nadelöhr), während Markus trumalia, und Matthäus tru,phma schreiben. Die lukanischen Vokabeln sind entsprechend eher dem klassischen Gebrauch als die, der anderen Evangelien.496 Die Möglichkeit, dass der Reiche ins Reich Gottes kommt, ist geringer als die klassische kleinste Möglichkeit. 26: V. 26 handelt von der Rettung. Die Rettung ist identisch damit, in das Reich Gottes einzugehen (vgl. 13,23-24). Die Jünger sprechen miteinander (Mk 10,26) oder stellen die Frage Jesus (Mt 19,25), nachdem sie das Gleichnis Jesu gehört haben. Aber anders als Markus und Matthäus sprechen bei Lukas diejenigen, die das hörten (oƒ aku,santej). Lukas lässt die Reaktion (evxeplh,ssonto) des Hörers aus (vgl. V. 21). Warum erschrecken die Jünger (im Markusevangelium und Matthäusevangelium)? Die Jünger haben sich wohl erschreckt, weil es anders ist als sie denken, ins Reich Gottes hineinzukommen. Während Lukas die Jünger (Markus und Matthäus) zu Hörern (Lk 18,17) verändert, lässt er die Reaktion (evxeplh,ssonto) der Jünger (Markus und Matthäus) aus.497
495 Mt schreibt genauso wie Mk. (Vgl. Mt 19,24). 496 Schneider, G., r`afi,j in: EWzNT III,502. 497 Vgl. Huuhtanen, P., Die Perikope vom „reichen Jüngling“ unter Berücksichtigung der Akzentuierungen des Lukas. Theologie aus dem Norden (1977), 92; er schlägt vor, dass das der Grund dafür ist, dass Jesus sie nicht anblickte (Mk 10,21). „Sie werden nicht einmal als die besondere Hörerschaft Jesu erwähnt.“
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Die Perikope der Segnung der Kinder (18,15-17) ist enger mit dieser Perikope (18,18-30) verbunden als bei Markus und Matthäus.498 Lukas lässt nämlich die Einleitungsangabe zur neuen Szene (evkporeuome,nou auvtou evij Ðdo,n) aus. Die Tendenz, die Jünger zu verstecken, ist eine typische lukanische Erzählweise (vgl. Lk 6,2 ; Mk 2,24).499 In der Tat gibt es die Bezeichnung oi` maqhtai. bei Lukas viel seltener als bei den anderen Evangelien (Mk 17 mal; Mt 38 mal ; Lk 10 mal). Die Hörer stellen Jesus die Frage nach der Rettung. Die Rettung im NT enthält zwei Dimensionen. Eine ist die „Gegenwart“ auf der Erde und eine andere ist die „Zukunft“ im Reich Gottes (vgl. V. 30). Hier geht es um die zweite, nämlich die „Zukunft“ im Reich Gottes (eivj th.n basilei,an tou/ qeou/ eivselqei/nÅ V. 25). Da es hier um die zweite Dimension geht, ist die Frage des Hörers nach der Rettung identisch mit dem Eingehen ins Reich Gottes. 27: Lukas lässt aus, dass Jesus sie ansah (Mk 10,27; Mt 19,26). Jesus antwortet nicht direkt auf ihre Frage. Es geht um die Hörer. Da die Hörer von der Menge gebildet werden, gibt Jesus ihnen eine allgemeine Antwort auf die Frage nach der Rettung. Das ist die Art und Weise Jesu, auf die er seinen Jüngern etwas erzählt (vgl. 8,9-10; 10,21-24; 18,31-34). Er sagt nur, dass die Rettung abhängig von Gott ist. Man kann nichts für die Rettung tun, sondern nur Gott allein. Gott allein ist der Urheber des Heils. In der Apg wird dieses Thema noch genauer ausgeführt. In Apg 16,30 kommt eine ähnliche Frage vor. Der Fragesteller ist der Aufseher. Seine Frage ist „was muß ich tun, daß ich errettet werde? (16,30)“ Die Antwort des Paulus darauf ist „Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden, du und dein Haus“ (16,31; vgl. 2,21; 15,11). In der Apg ist es noch deutlicher, dass der Weg zum Heil Jesus ist. Aber es ist im Lukasevangelium noch nicht offensichtlich. Die Zeit der öffentlichen Verkündigung wird nach der Auferstehung Jesu kommen (vgl. 24,46-48 „und sprach zu ihnen: So steht geschrieben, und so mußte der Christus leiden und am dritten Tag auferstehen aus den Toten und in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden gepredigt werden allen Nationen, anfangend von Jerusalem. Ihr seid Zeugen hiervon“).
498 Mineshige, K., Besitzverzicht und Almosen bei Lukas, 73; er stellt den Grund dafür, dass es bei Lk keinen klaren Situationswechsel zwischen den beiden Perikopen gibt. 499 Bovon, F., Das Evangelium III/3, 237; er stellt einen anderen Grund für die Streichung der Gegenwart der Jünger vor, nämlich „Da sie alles verlassen haben, um Jesus nachzufolgen, und so das in diesen Versen unterbreitete anspruchsvolle Programm verwirklicht haben, hätte eine Überraschung ihrerseits wie die Frage »Aber wer kann gerettet werden?« die erzählerische Logik verletzt“ Vgl. Mineshige, K., Besitzverzicht, 76: „...weil bei ihm die Worte Jesu nicht direkt an die Jünger gerichtet sind (V. 24).“
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Man kann sich in diesem Zusammenhang vorstellen: „Was bei den Menschen unmöglich ist (ta. avdu,nata para. avnqrw,poij)“, deutet inhaltlich die Rettung an und die Rettung kann allein durch Gott ermöglicht werden. Die Bedeutung des Ausdrucks „bei Gott möglich (dunata. para. tw/| qew/|)“ ist hier nicht eindeutig, aber sie wird in der Apg ganz deutlich. Der Satz bedeutet von der Apg ausgehend, dass Menschen in Jesus oder im Namen Jesu gerechtfertigt werden (vgl. Apg 2,21). Gott hat einen Heilsplan, der in und durch Jesus erfüllt wird, nämlich Leiden, Tod und Auferstehung Jesu („Diesen Jesus hat Gott auferweckt“ Apg 2,32; „So wisse nun das ganze Haus Israel gewiss, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht hat.“ Apg 2,36. Vgl 3,15; 4,10;5,30; 10,40;13,23.30. usw.). Darum ist die Rettung absolut abhängig von Gott.500 28: Endlich taucht der Jünger Petrus auf. Sein Auftritt führt zum Wechsel des Ansprechpartners von der Menge zu den Jüngern. Wir können uns hier schon vorstellen, dass entweder eine Wende der Geschichte kommt, oder Jesus ihnen seine Rede ergänzt oder weiter erläutert. Petrus spricht von zwei Dingen. Erstens, sie haben alles, was zu ihnen gehört, verlassen. Zweitens, sie sind Jesus nachgefolgt. Lukas wollte vielleicht die beiden Taten (avfe,ntej: Verlassen hvkolouqh,samen: Nachfolgen) der Jünger dem Leser durch Petrus sagen. Durch seine Rede wird das Thema vom Heil den Begriff »Nachfolgen« enthalten. 29-30: Jesus sagt den Jüngern (bzw. Lukas sagt dem Leser), wer das ewige Leben empfangen wird. Er hat es schon im V. 22 gesagt. Aber der Bereich des Verlassens ist breiter geworden. Es geht nicht nur um Vermögen (Haus oder Geld), sondern auch um Frau, Geschwister, Familie. Lukas wechselt den Markustext e[neken evmou/ kai. e[neken tou/ euvaggeli,ou (um meinetwillen und um des Evangeliums willen) zum e[neken th/j basilei,aj tou/ qeou/( (um des Reiches Gottes willen). Matthäus schreibt e[neken tou Ñno,mato,j mou (um meines Namens willen; V 30). Lukas hätte Jesus in die Mitte dieser Geschichte stellen können. Vielmehr versteckt Lukas ihn aber vor seinem Leser. Warum? Lukas will Jesus nicht als Jemand darstellen, der auf seine eigene Person verweist. Lukas schreibt „um meines Namens willen“ erst nach seiner Auferstehung (21,12). Die Zeit, in der Jesus offensichtlich als Heilsbringer auftritt, ist für Lukas noch nicht gekommen. Lukas will vielleicht durch die Veränderung des markindischen Textes, in: e[neken th/j basilei,aj tou/ qeou, die Tat des irdischen Jesus, nämlich den Verkündiger des Reiches Gottes betonen.501
500 Vgl. Huuhtanen, P., Die Perikope vom „reichen Jüngling“, 90. 501 Vgl. Schweizer, E., Das Evangelium, 190.
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„Das Reich Gottes“ ist bei Lukas sehr wichtig. In der Tat findet sich der Begriff basilei,a tou/ qeou bei Lukas am häufigsten (Mt: 4 mal, Mk: 14 mal, Lk: 31 mal). Was wollte Lukas damit? Lukas wollte wahrscheinlich die Augen des Lesers von Jesus selbst zum Werk Jesu bringen. Jesus hat auf der Erde das Reich Gottes verkündet (Lk 4,43-44; 8,1; 9,11;16,16). Jesus ist selbstverständlich bei Lukas Heilsbringer (2,11) und auch der Sohn Gottes (Lk 22,29). Aber er arbeitet als Verkündiger des Reiches Gottes bis zu seiner Auferstehung. Die Verkündigung des Reiches Gottes ist seine Berufung und sein Lebensziel (Lk 4,43-44). Ich habe schon in Lk 5,12-16 und 10,25-37 gesagt, dass Jesus bei Lukas nicht als Lehrer, sondern als Wegweiser (5,12-16) oder Jemand, der die Weisungsbefugnis für die Jünger hat (10,25-37) fungiert. Dieser Charakter bleibt erhalten. Jesus wird hier als Verkündiger des Reiches Gottes dargestellt. Jesus ist nicht identisch mit dem Evangelium (vgl. Mk 10,29). Jesus ist selber kein Eingang zum ewigen Leben (Mt 19,29-30). Lukas trennt hier absichtlich Jesus und sein Werk bzw. seine Funktion.502 Petrus sagt, dass die Jünger, was sie hatten, verlassen haben und Jesus nachgefolgt sind (V. 28). Aber Jesus sagt ihnen; „Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen, der es nicht vielfach wieder empfange in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.“ Lukas ändert den Markustext. Er will Jesus nicht mit dem Evangelium identifizieren. Vielmehr will er durch die Änderung den Jüngern und Lesern sagen, dass sie nicht dem Menschen Jesus nachfolgen (Mk 10,29), sondern seinem Werk, das er auf der Erde getan hat. »Jesus-Nachfolgen« bedeutet bei Lukas nicht der Person Jesus nachfolgen, sondern der Tat Jesu nachfolgen. Die Tat Jesu ist die Verkündigung des Reiches Gottes durch sein Leben (vgl. Lk 9,2. 60; Mt 8,22). Jesus spricht kein Verbot gegen den fremden Wundertäter aus, der böse Geister im Namen Jesu austrieb. Die Jünger Jesu wehrten ihm, „denn er folgt dir (Jesus) nicht nach mit uns“ (9,49). Jesus sagt aber nicht, dass er falsch handelt, sondern er erlaubt weiter, was der fremde Wundertäter tut (9,50). In dieser Szene kann man also leicht sehen, was Nachfolge Jesu bedeutet. Jesus spricht über den Preis, den die Nachfolger Jesu bekommen werden. Lukas schreibt nicht alles über den Preis, was Markus geschrieben hat. Lukas lässt auch aus, dass sie „mit (unter)Verfolgungen“ meta. diwgmw/n leiden (Mk 10,30) und schreibt nur, dass sie alles, was sie schon verlassen haben, „in dieser Zeit“ hundertfach bekommen, und„in der zukünftigen Welt“ ewiges Leben ererben, denn die Verfolgungen helfen den Lesern nicht, dass sie Jesus nachfolgen.503
502 Siehe, meine Interpretation zu Lk 5,12-16, und 10,25-37. 503 Vgl. Schmid, J., Das Evangelium, 284.
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2.4 Das Gesetzesverständnis in Lk 18,18-30 Jesus antwortet auf die Frage nach dem ewigen Leben hier mit dem Gebot (¹ evntolh,). Der Begriff ¹ evntolh, bezeichnet bei Lukas entweder ein menschliches Gebot (15,29; 17,15) oder ein Einzelgebot der Tora (1,6; 18,20; 23,56).504 Diese Gebote sind hier eine Zusammenfassung des ganzen Gesetzes. Jesus weist dem Fragesteller die Gebote als den Weg ins ewige Leben.505 Jesus lehrt hier nicht etwas Besseres als die Gebote, und sieht zugleich die Gebote nicht als etwas Veraltetes an.506 Jesus wird nicht selber als der Weg zum ewigen Leben genannt. Auffallend ist, dass Jesus aber der Weg zum Heil erst nach seiner Auferstehung (vgl. Apg 2,24-32; 4,1-2;10,40ff;13,30- 37) sein wird. Lukas setzt nicht Jesus mit dem „Evangelium“ gleich (vgl. Mk 10,29). Und sein Name ist kein Zugang für das ewige Leben (vgl. Mt 19,29). Jesus ist noch der Verkündiger des Evangeliums vom Reich Gottes (vgl. Lk 4,43; 16,16). Aber er und seine Verkündigung vernichten nicht das Gesetz,507 sondern er zeigt hier dem Menschen, was ihm fehlt, damit der Mensch völlig das Gesetz halten kann. Der Obere hat äußerlich alles gehalten,508 die Gebote zu befolgen ebenso wie der Gesetzeslehrer im 10,25f. Aber Jesus fordert von dem Oberen eine neue Dimension. Der Obere sieht äußerlich gerecht aus, aber das ist nicht genug für das Reich Gottes. Bedeutet diese Aussage Jesu, dem Oberen, der das Gesetz vertritt, fehle etwas, dass das Gesetz nicht genug ist, um den Menschen ewiges Leben zu geben? Nein. Jesus sagt nicht, dass den Geboten etwas fehlt, sondern, dass ihm etwas fehlt (V. 22). Das Gesetz ist völlig in Ordnung, aber dem Menschen, der das Gesetz hält, fehlt etwas. Was ihm fehlt, ist m.E. Nächstenliebe.509 Bei Mt 19,19-20 ist das, „was dem Jüngling fehlt“, nicht „Nächstenliebe“, denn er hat dieses Gebot gehalten („Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Da sprach der Jüngling zu ihm: Das habe ich alles gehalten; was fehlt mir 504 Vgl. Limbeck, M., evntolh, in: EWzNT I, 1121-1125. 505 Schweizer, E., Das Evangelium, 190; „Jesus will nicht einen neuen Heilsweg anbieten“; Rengstorf, K.H., Das Evangelium, 210 506 Gegen Vgl. Degenhardt, H.-J., Lukas- Evangelist, 162-165; er sieht, dass das Gesetz nicht mehr gültig ist, um ewiges Leben zu erhalten, nach dem Jesus auftritt. „Jesus Nachfolgen, das also ist das Eine und Entscheidende, was zum ewigen Leben führt.“ (Degenhardts Kommentar bezieht sich auf den Mk-Text) 507 Auch Zimmerli, W., „Die Frage, 97; „Er hat diese Thora nicht zu beseitigen, er will sie auch nicht durch neue Elemente vermehren und anreichern.“ 508 Klinghardt, M., Gesetz und Volk Gottes, 132; „Die Einhaltung der Dekaloggebote reichte für den Archon deshalb nicht aus, weil damit nur der Außenbezug christlicher Ethik beschrieben war.“ 509 Klinghardt, M., Gesetz und Volk Gottes, 125.
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noch?“ Mt 19,20). Bei Lk und Mk dagegen wird dieses Gebot (Nächstenliebe) nicht explizit genannt (Vgl. Lk 18,20; Mk 10,20). Lukas folgt der markinischen Überlieferung. Mk und Lk erklären dem Oberen „was ihm fehlt“, statt wie Mt den Begriff „Nächstenliebe“ zu verwenden. Der Obere ist reich und gleichzeitig Leiter seines Volks (V. 18.23). Obwohl er aber sich selbst lieben kann, liebt er andere nicht wie sich selbst.510 Die Forderung Jesu ist, sich um andere arme Leute zu kümmern. Das Leben, das nicht für sich allein lebt, sondern das mit anderen zusammen leben will. Er hat die gleiche Aussage schon in 12,32ff gemacht. Seine Forderung gründet auf dem Doppelgebot. Nämlich, Gott zu lieben und den Nächsten zu lieben. M. Klinghardt sieht zwar diese Gebote als Konkretion der zweiten Tafel, aber ohne Bezug auf die Gottesliebe oder die Gebote der ersten Tafel.511 Lukas zeigt deutlich die gegensätzliche Handlung des Oberen und der Jünger Jesu. Der Obere hat zwar die richtige Antwort von Jesus gehört, aber hat nicht entsprechend gehandelt, während die Jünger Jesu bereits alles verlassen haben und Jesus nachgefolgt sind. Lukas zeigt den Lesern, was sie tun sollen, um ewiges Leben, den Schatz im Reich Gottes erhalten zu können. Hier sind die folgenden Begriffe alle gleich, nämlich „Schatz“ im Reich Gottes, „ins Reich Gottes eingehen“, „ewiges Leben“. „Alles zu verkaufen und zu verteilen“ und „Nachfolge“ sind eine Voraussetzung dafür. Und diese Handlungen beschreiben die völlige Einhaltung des Gesetzes, denn „Jesus nachzufolgen“ bedeutet hier bei Lukas nicht direkt der Person Jesu nachzufolgen, wie bei Markus und Matthäus, sondern dem, was Jesus in seinem irdischen Leben getan hat, nachzufolgen. Jesus hat nämlich auf der Erde alles „um des Reiches Gottes willen“ getan (vgl. 4,43; 18,29). Wenn man wie Jesus und seine Jünger handelt und „um des Reiches Gottes willen“ alles „verlässt“, empfängt man es in dieser Zeit vielfach wieder und in der zukünftigen Welt das ewige Leben (V. 30). Schließlich ist in dieser Perikope wichtig, dass das Gesetz noch gültig ist und besonders ist die Tatsache, dass das Gesetz (die Gebote) von Jesus als Maßname, um das ewige Leben zu ererben, genannt wird (Lk 18,20), ebenso wie bei Markus. Bei Markus aber gibt es keinen Unterschied zwischen dem ewigen Leben und der Rettung. In Mk 10,29-30 schreibt Markus, dass man das ewige Leben empfangen kann, wenn man „Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter 510 Berger, K., Die Gesetzesauslegung, 457; er zitiert im Hebräerevangelium (Origines, Comm in Matth X V,14); „Gesetz und Propheten sind erst dann wirklich getan, wenn man allen Besitz verkauft und den Armen gibt, denn erst dann liebt man den Nächsten wie sich selbst“ und sagt weiter, „die Einzelgrößen Gesetz und Propheten, Gebot der Nächstenliebe und Aufforderung zum Verkauf der Habe werden also identifiziert.“ 511 Klinghardt, M., Gesetz und Volk Gottes, 125.
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oder Vater oder Kinder oder Äcker verläßt um meinetwillen und um des Evangeliums willen“. Und in Mk 8,35 wird beschrieben, „ Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren, und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten“. Jesus und das Evangelium sind der Weg zum ewigen Leben (10,29-30) und ebenso zur Rettung (8,35; vgl. 16,16). Aber Lukas verändert seine markinische Überlieferung. Er schreibt, dass man das ewige Leben empfängt, wenn man alles „um des Reiches Gottes willen“ statt „um meinetwillen und des Evangeliums willen“ (Mk 10,29-30) verlässt. Lukas zeigt, dass nicht Jesus, sondern das Gesetz der Weg zum ewigen Leben ist. Er schreibt in 9,24 (par. Mk 8,35) „Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlierten; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten“. Lukas hat diesen Satz aus der markinischen Überlieferung übernommen. Für Lukas steht es außer Frage, dass Jesus der Weg zur Rettung ist. Diese lukanische Veränderung bzw. Redaktion bietet eine sehr wichtige Information, nämlich die, dass Lukas ‚das ewige Leben‘ und ‚die Rettung‘ voneinander unterscheidet. Lukas will Jesus und die Funktion des Gesetzes unterschiedlich darstellen, denn für Lukas geht es beim ewigen Leben um das Gesetz und bei der Rettung um Jesus. In 18,26 wird gefragt, wer dann selig werden kann. Jesus antwortet darauf: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich“ (V. 27). Lukas erklärt mit diesem Ausdruck, dass die Rettung die Sache ist, die nur bei Gott möglich ist und nicht die Sache, durch die man wegen seiner Handlung gerettet werden kann (z.B. die Befolgung des Gesetzes). Auffallend ist die unterschiedliche Antwort Jesu auf die Fragen nach dem ewigen Leben und der Rettung. Das ewige Leben bezieht sich auf die Befolgung des Gesetzes (Lk 18,18f.) und die Rettung bezieht sich auf die Handlung Gottes (Lk 18,27). Was ist das, das bei Gott alles möglich ist? Dies deutet die Auferstehung Jesu durch Gott an. In der Apg 2,22f predigt Petrus das Evangelium von Jesus. Da verkündigt Petrus, dass Gott Jesus von dem Tod auferweckt hat (Apg 2,24.32). Die Auferstehung Jesu ist die Gotteshandlung, die im Psalter und in den Propheten schon geschrieben steht (Apg 2,25f; 3,15; 4,10; 5,31; 10,40). Dieser Satz, dass bei Gott alles möglich ist, deutet für Lukas an, dass man durch den auferstandenen Jesus gerettet wird (Apg 2,21).
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2.4.1 Bezieht sich im Lukasevangelium »die Rettung« auf Jesus und »das ewige Leben« auf das Gesetz? Wenn man die lukanischen Doppelwerke liest, bemerkt man, dass Lukas »die Rettung (swqh/nai Inf. Aor. Pass. vom sw,|xw) bzw. das Heil (h` swthri,a)«512 und »das ewige Leben (zwh. aivw,nio,j)« unterschiedlich darstellt. 1. Die Zeit Im Lukasevangelium stellt die Frage nach dem »ewigen Leben« die Hauptdebatte (vgl. Lk 10,25f; 18,18f) dar.513 Aber in der Apg ändert sich diese Hauptfrage zu der Frage nach »der Rettung«514 bzw. dem »Heil« (vgl. Apg 2,37f; 4,9f; 15;1ff; 16,30f).515 Es kommt auch im Lukasevangelium zweimal die Frage nach der Rettung vor: einmal durch einen Mann, der Jesus auf dem Weg nach Jerusalem getroffen hat (Lk 13,23), und ein zweites Mal durch diejenigen, die die Rede Jesu hörten (Lk 18,26). In beiden Fällen aber sind die Antworten Jesu darauf nicht deutlich, sondern nur symbolisch, indem sie auf die Frage nach dem ewigen Leben sehr deutlich auf das Gesetz verweisen. Auffallend ist, dass die Antwort auf die Rettung in der Apg ganz deutlich ist (vgl. 2,21; 4,12; 11,14; 15,11; 16,30f.). Der Grund dafür, dass die Antworten Jesu auf die Fragen nach der Rettung im Lukasevangelium nicht deutlich sind, liegt darin, dass die Zeit, in der Jesus als Christus und Heilsbringer auftritt, noch nicht da ist. Jesus wird nach seiner Auferstehung endlich der Christus und Heilsbringer sein, durch den Gott die Rettung gibt (Apg 2,36f „So wisse nun das ganze Haus Israel gewiss, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht hat“). Im Gegensatz dazu kommt die Frage nach dem ewigen Leben in der Apg nicht mehr vor. In der Tat taucht das Wort »zwh. aivw,nio,j ewiges Leben« auch in der Apg zweimal nur in einem Kontext (13,46.48) auf, in dem die Begriffe »die Rettung und das Heil« sehr oft vorkommen (Apg 2,21.47,4,12; 11,14;14,9; 15,1.11; 16,30.31 usw.). Daraus können wir schließen, dass Lukas in seinem Evangelium mehr das Thema »das ewige Leben« verdeut512 Hier sind die beiden Begriffe „swqh/nai und h` swthri,a“ äquivalent im Sinne von „eschatologischem Heil der Welt„. Vgl. Schelkle, K.H., EwzNT III, 784-788. 513 Lukas stellt die Frage nach dem ewigen Leben zwei Mal, wohingegen andere Synoptiker sie nur ein Mal stellen (Mk 10,17-31, Mt 19,16-30). Er hatte wahrscheinlich jeweils verschiedene Überlieferungen und will durch die Verdoppelung diese Frage und die Antwort Jesu betonen. 514 swqh/nai Rettung wird hier als „Eingehen in das Reich Gottes“ beschrieben. Vgl. Radl. W., EWNT III, 769. 515 Vgl. Bovon, F., Das Evangelium III/3, 242; er stellt auch »Das ewige Leben empfangen« als wichtiges Thema vor, aber er unterscheidet nicht zwischen dem ewigen Leben und dem Heil.
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licht und fokussiert, und dass er in der Apg einen Schwerpunkt auf »die Rettung bzw. das Heil« legt. Was ist der Grund dafür? Warum sind die Antworten auf die Frage nach »dem ewigen Leben« im Lukasevangelium deutlich,516 wohingegen sie für »die Rettung« symbolisch sind? Und warum wird die Frage nach »der Rettung« in der Apg sehr deutlich beantwortet? Meiner Meinung nach geht es um die Zeit. Die Zeit des irdischen Jesus ist der Zeitraum, der sich sowohl über die Zeit des Gesetzes als auch der Kirche erstreckt. Der irdische Jesus als Christus ist versteckt und wird nach seiner Auferstehung endlich Christus genannt (Apg 2,36), denn Jesus bringt die Rettung durch seinen Tod.517 Die Zeit der Kirche (d.h. nach Ostern) ist die Zeit der Rettung.518 Der Fokus des Lukas wird Schritt für Schritt vom »ewigen Leben« zur »Rettung« entwickelt. 2. Das Kriterium Zur Unterscheidung zwischen dem „ewigen Leben“ und der „Rettung“ finden sich bei Lukas folgende Kriterien: Für »das ewige Leben« ist das Kriterium nämlich das Gesetz. Und für »die Rettung« ist es der Heilsbringer. Der Unterschied zwischen dem ewigen Leben und der Rettung ist der Unterschied zwischen dem Gesetz und dem Heilsbringer. Es besteht kein Zweifel daran, dass Jesus bei Lukas swth.r (der Heilsbringer: Lk 2,11 vgl. Apg 5,31; 13,23) ist.519 Schwierig ist die Frage, für wen Jesus der swth.r ist.520 Wessen swth.r ist Jesus? Lukas beschränkt swth.r eigentlich nicht auf Israel. Es ist nur seine Betonung, um Jesus den Lesern als den Heilsbringer zu zeigen, der schon in der alttestamentlichen jüdischen Tradition von Gott verheißen wird, dass Gott einen Heilsbringer aus dem Geschlecht Davids für das Volk Israel kommen lässt. Der Text Lk 18,18-30 ist für das Thema „die Rettung und das ewige Leben“ ein sehr wichtiger Text, denn die beiden Fragen nach dem ewigen Leben und der Rettung treffen zusammen. „Was muß ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“ fragt ein Oberer. Jesus antwortet darauf mit dem Gesetz. „Du kennst die Gebote“. Die Antwort Jesu darauf ist ähnlich wie Lk 10,25f. Da antwortet Jesus auch mit dem Gesetz. „Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?“ (10,26). 516 Jesus antwortet auf diese Frage ganz deutlich mit dem Gesetz (Lk10,25ff; 18,18ff). 517 Vgl. Pokorný, P., Die Entstehung der Christologie, 66-67. 518 Pokorný, P., Die Entstehung der Christologie, 133; „Den gekreuzigten Jesus hat man nach Ostern als den wahren Messias bezeichnet, als die entscheidende endzeitliche Gestalt, zu der ihr Volk gehört“ 519 Bovon, F., Das Heil in den Schriften des Lukas, in: Lukas in neuer Sicht, 63. 520 Vgl. Foerster, swth.r in: TWzNT VII, 1015.
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Diese zwei Szenen zeigen, dass das Gesetz der Schlüssel für das ewige Leben ist. Das Gesetz führt die Menschen zum Ewigen Leben (Apg 7,38). Dieser Gedanke gilt zur Zeit Jesu für Juden allgemein. Das ewige Leben kann durch die Handlung bzw. das Befolgen des Gesetzes ererbt werden (vgl. Lev 18,5; Lk 18,20f. 28-30). Man kann das ewige Leben ererben, weil Juden glaubten, dass man das Gesetz befolgen kann. Es wird denjenigen, die das Gesetz gut befolgt haben, gegeben.521 Die Antwort Jesu auf die Frage ist nichts anderes als das, was der Fragesteller meinte (vgl. 10,25; 18,20). Das ewige Leben ist nämlich, »was bei den Menschen möglich ist«.522 Anders als das ewige Leben ist die Rettung etwas, „was bei den Menschen unmöglich ist“ (V. 27). Jesus antwortet auf die Frage, wer gerettet werden kann: Das sei nur bei Gott möglich (V. 27). Der Unterschied dazwischen ist sehr deutlich ausgedrückt. Wenn das ewige Leben vom Menschen abhängig wäre, wäre die Rettung von Gott abhängig. Was bedeutet „das bei Gott möglich ist“? Es zeigt die Heilungsgeschichte durch bzw. in Jesus.523 Die Rettung bzw. das Heil kann nur durch Jesus, der der Heilsbringer, der Christus, der Herr ist (Lk 2,11), erlangt werden (Apg 2,21; 4,12; 11,14; 16,30.31). Die Rettung geschieht durch den Glauben (Lk 7,50; 8,48; 17,19; 18,42), wohingegen das ewige Leben durch das Einhalten des Gesetzes erlangt wird. Das Heil wurde durch die Gnade Jesu gegeben (Apg 15,11), wohingegen das ewige Leben durch die Handlung, z.B. das Verlassen des Hauses, der Frau, der Brüder, Eltern oder Kinder für das Reich Gottes (nicht für „Jesus und Evangelium:“ Mk 10,29 oder „sein Name“; Mt 19,29) gegeben wird (Lk 18,29-30). Bei Markus und Matthäus können wir sagen, dass man das ewige Leben ererbt und die Rettung empfängt, wenn man für Jesus bzw. seinen Namen alles verlässt (Mk 8,35; 10,29ff; Mt 16,25; 19,29). Bei Markus und Matthäus wird durch Jesus sowohl die Rettung als auch das ewige Leben ermöglicht. Aber Lukas benutzt die beiden Begriffe – anders als andere Synoptiker – unterschiedlich. In Lk 9,24 schreibt er „Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es retten“ und in Lk 18,29 schreibt er „Er aber sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlassen hat um des Reiches Gottes willen, der nicht Vielfältiges empfangen wird in dieser Zeit und in dem kommenden Zeitalter ewiges Leben“. Hier können wir deutlich sehen, dass Lukas Jesus mit »Rettung« in Verbindung 521 Vgl. Bovon, F., Das Evangelium III/3, 242. 522 Bei anderen Synoptikern kann es natürlich anders sein: Zum diesem Thema. Vgl. Vouga, F., Ewiges Leben, RGG4 2, 1764. 523 Bovon, F., Das Heil, 62.
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bringt524 und den Begriff „Jesus und Evangelium“ durch „das Reich Gottes“ ersetzt (vgl. 18,29). In Lk 10,25f zeigt Lukas auch „wie man ewiges Leben ererbt“. Ein Schriftgelehrter kam zu Jesus und stellt die Frage. Jesus antwortet mit dem Hinweis auf das Gesetz und lässt den Schriftgelehrten damit auf die Frage antworten. Er antwortet „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.“ (10,27) und Jesus erklärt noch mal und betont das Handeln des Menschen im Leben durch „den barmherzigen Samariter“. Es gibt zwar keinen Hinweis in dieser Erzählung, wie man in bzw. durch Jesus das ewige Leben ererben kann, aber Lukas betont, dass die Rettung in enger Beziehung zu Jesus steht. Die Rettung nämlich wird durch Jesus gegeben, wohingegen das ewige Leben durch das Einhalten des Gesetzes ererbt wird. Apg 15 ist der entscheidende Punkt zwischen der Rettung und dem ewigen Leben. Lukas berichtet über das Apostelkonzil in Apg 15. Eine wichtige Debatte ist die Frage, „wie man selig werden kann“. Einige Juden, die die normale jüdische Position vertreten, Pharisäer und Ältesten behaupten, dass man durch die Ordnung Moses selig werden kann (15,1.5). Nach vielen Diskussionen sagt Petrus, der die apostolische bzw. lukanische Position vertritt, dass man durch die Gnade des Herrn Jesus selig werden kann (15,11). Schließlich kann man sagen, dass die Rettung eindeutig die Aufgabe Gottes ist, und durch die Gnade von Jesus Christus, dem Heilsbringer, erlangt wird. Anders als die Rettung, wird im Lukasevangelium das ewige Leben durch das Befolgen des Gesetzes erlangt. 3. Gilt die Rettung für alle Völker und das ewige Leben nur für die Juden? Im lukanischen Doppelwerk gibt es einen deutlichen Hinweis darauf, dass Lukas den Begriff besonders im Zusammenhang mit Juden benutzt und den Begriff „die Rettung“ allgemein für alle Völker (inkl. Juden). In der Tat waren die Fragesteller nach dem ewigen Leben nur die Juden (Lk 10,25f; 18,18f), wohingegen die Fragesteller nach der Rettung Juden und Heiden sind (Lk 18,26; Apg 2,37; 16,30). Die Antwort ist auch unterschiedlich. Die Antwort auf die Frage, wie man das ewige Leben ererben kann, ist „das Leben nach dem Gesetz“ (vgl. die Antworten Jesu 10,26-28; 18,20). Und die Antwort auf die Frage, wie man gerettet werden kann, ist „durch den Glauben an Jesus“ (vgl. Apg 2,38; 16,31).
524 Bovon, F., Das Heil, 61-63.
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Die Geschichte der zehn Aussätzigen zeigt auch, dass der Fremde durch seinen Glauben gerettet werden kann (Lk 17,19 „Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin, dein Glaube hat dich gerettet“). Warum verwendete Lukas diese beiden Begriffe unterschiedlich, obwohl ihre Bedeutung dem lukanischen Ausdruck „in das Reich Gottes kommen“ (Lk 18,24) entspricht? „Das ewige Leben“ ist ein jüdischer Begriff, der aber für Lukas nicht umfassend genug war, weil es in seiner Gemeinde viele andere Völker gibt. Er brauchte einen neuen Begriff, der alle Völker umfasste. Dieser neue Begriff war für Lukas „die Rettung bzw. das Heil“. Welche Beziehung gibt es außerdem noch zwischen „dem ewigen Leben“ und „der Rettung“? Hielt Lukas das Wort „die Rettung“ für einen inhaltlich umfassenderen Begriff, der sowohl „das ewige Leben“ enthält als auch alle Völker (inkl. der Juden) einschließt? Die Antwort ist „Ja“, denn Lukas benutzt besonders in der Apg. „die Rettung“ bzw. „das Heil“ hauptsächlich im Zusammenhang mit den Heiden und der missionarischen Aufgabe (vgl. Apg 11,14; 14,9; 15,11; 16,30.31), aber auch für alle anderen Völker (vgl. Apg 2,21.47; 13,47) und auch für die Juden (2,40; 4,12), wohingegen er den Begriff „das ewige Leben“ im Zusammenhang mit der jüdischen Tradition verwendet. Schwierig ist die Rede von Paulus und Barnabas in der Synagoge (Apg 13,46ff). Diese Stelle ist die einzige, wo das ewige Leben in der Apg auftaucht. Hier schreibt Lukas durch das Zitat Jes 49,6 auch die Rettung in Bezug auf die Missionsrede (13,47 „Ich habe dich zum Licht der Heiden gemacht, damit du das Heil seiest bis an die Enden der Erde.“). Und Paulus und Barnabas benutzen die beiden Begriffe unterschiedlich, jeweils dem Hörer entsprechend. Apg 13,46 sagen sie den Juden mit dem ewigen Leben: „Euch musste das Wort Gottes zuerst gesagt werden; da ihr es aber von euch stoßt und haltet euch selbst nicht für würdig des ewigen Lebens,...“. Und sie sagen weiter den Heiden (inkl. Juden aber Haupthörer sind die Heiden); „siehe, so wenden wir uns zu den Heiden. ...Ich habe dich zum Licht der Heiden gemacht, damit du das Heil seiest bis an die Enden der Erde. Als das die Heiden hörten, wurden sie froh und priesen das Wort des Herrn“ (Apg 13,47-48a). Hier benutzen sie den Begriff das ewige Leben, wenn sie mit den Juden sprechen (V. 46). Aber sie benutzen den Begriff des Heils gegenüber den Heiden innerhalb der Missionsrede („an die Enden der Erde“; V. 47 für alle Völker). Bis hierher ist diese Verwendungsunterscheidung deutlich sehbar. Aber die Schwierigkeit kommt im V. 48b. Dort steht, „die Heiden wurden froh und priesen das Wort des Herrn, als sie es hörten und alle wurden gläubig, die zum ewigen Leben bestimmt waren“. Wer sind „alle, die zum ewigen Leben bestimmt waren“? Die meisten Forscher sagen, dass damit die Heiden gemeint seien. Wenn das richtig wäre, wäre diese Perikope die einzige, wo Lukas auch für die Heiden die Möglichkeit des ewigen Lebens beschreibt. Aber es gibt noch 144
andere Meinungen, z. B. „alle, die zum ewigen Leben bestimmt waren“ beziehe sich nicht auf die Heiden, sondern auf die Juden525, denn dieser Satz passe eher zum Juden als zum Heiden.526 Man kann schließlich sagen, dass das ewige Leben für Juden durch das Gesetz gegeben war und dass Lukas den Begriff „die Rettung“ bzw. „das Heil“ besonders in Bezug auf die Mission für alle Völker (inkl. Juden) benutzt und man durch Jesus gerettet werden kann.
525 Gegen Jervell, J., Die Apostelgeschichte, 365. 526 Bill. II, 726f; es „zum ewigen Leben bestimmt“ (Apg 13,46.48) sei eine jüdische Wendung; Conzelmann, H., Apostelgeschichte, 78.
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F. Das Gesetz und das Reich Gottes
1. Das Gesetz und das Reich Gottes: Lk 16,14-18 1.1 Übersetzung 14 Die Pharisäer, die geldliebend waren, aber hörten das alles und verhöhnten ihn. 15 Und er sagte ihnen: Ihr seid diejenigen, die sich selbst vor den Menschen rechtfertigen, aber Gott kennt eure Herzen; denn was in den Menschen hoch ist, ist ein Greuel vor Gott. 16 Das Gesetz und die Propheten bis Johannes; von da an wird das Reich Gottes verkündigt, und alle dringen in das Reich Gottes mit Gewalt ein. 17 Es ist aber leichter, dass der Himmel und die Erde vergehen, als dass ein Strichlein des Gesetzes fällt. 18 Alle, die ihre Frau verlassen und eine andere heiraten, begehen Ehebruch; und der, der eine vom Mann verlassene Frau heiratet, begeht Ehebruch.
1.2 Struktur und Inhalt Diese Stelle (16,14-18) liegt in der Mitte des ganzen Kapitels 16. In diesem Kapitel Lk 16,1-31 geht es um zwei Themen: 1. Mammon und 2. das Gesetz. Dieses Kapitel 16 besteht aus 3 Teilen. Der erste Teil (16,1-13) bezieht sich auf »den ungerechten Mammon«, und im zweiten Teil (16,14-18) geht es um »das Gesetz und die Propheten«, und der letzte Teil (16,19-31) ist eine Zusammenfassung der ersten beiden Themen. Lukas schreibt nämlich in dem letzten Teil über »die Warnung vor dem Geld« (V. 19-26) und zugleich über »die Ewigkeit des Gesetzes« (VV. 27- 31) in Form einer Parabel. Wenn man einen kurzen Blick darauf wirft, scheint der zweite Teil 16,14-18 nicht mit der ersten und der letzten Szene zusammen zu passen.527 Daher kann man schon sagen, dass der Text insgesamt flüssiger gewesen wäre, wenn es den zweiten Teil nicht gäbe.
527 Schneider, G., Das Evangelium, 337.
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Aber die Perikope 16,14-18 dient im konstruktivischen Sinne (äußerlich) als eine Brücke, die die erste (16,1-13) und letzte Perikope (16,19-31) verbindet.528 In der Tat enthält sie zwei Themen, VV. 14-15 geht es nämlich um »Mammon«, VV. 16-18 geht es um »das Gesetz und Propheten«.529 Lukas verbindet VV. 1415 nämlich nicht nur mit VV. 16-18, sondern auch mit VV 19-31. Möglicherweise wollte Lukas nach dem Stichwort „Gesetz (Mose) und Propheten“ ordnen (vgl. 16,16.29.31). Andererseits enthält die letzte Perikope 16,19-31 auch inhaltlich die beiden Begriffe. 16,19-26 enthält die Wendung der Situation der beiden Personen (Reicher Mann und armer Lazarus)530, und VV. 27-31 geht es wieder um Mose (Gesetz) und Propheten. In dem ersten Teil (VV. 19-26) warnt Lukas den Reichen und tröstet zugleich den Armen. VV. 27-31 erklärt die Gültigkeit des Gesetzes und der Propheten. Dieser Textabschnitt ist ein Lehrgespräch. Die Hörer sind die Jünger (V. 1), aber die traditionellen Gegner (Pharisäer) treten auch auf (V. 14), obwohl sie nicht direkt zu Jesus sprechen. Die Pharisäer treten wie in anderen Lehrgesprächen als das Lehrmittel auf, das die Lehre Jesu deutlich macht. Die Perikope Lk 16,14-18 besteht aus drei Teilen: 1. dem geldgierigen Pharisäer (VV. 14-15), 2. dem Gesetz und dem Reich Gottes (VV. 16-17), 3. dem Beispiel (V. 18). Diese drei Teile sind folgendermaßen gegliedert: 1. Die Warnung Jesu gegen die Pharisäer (V. 14-15) 1.1 Die geldgierigen Pharisäer (V. 14) 1.2 Die Warnung Jesu (V. 15) 2. Das Gesetz und Propheten (V. 16-17) 2.1 Das Gesetz und das Reich Gottes (V. 16) 2.2 Die Ewigkeit des Gesetzes (V. 18) 3. Das Beispiel der Gültigkeit des Gesetzes (V. 18)
1.3 Analyse 14: Lukas verbindet die erste Perikope (Lk 16,1-13) und die zweite Perikope (Lk 16,14-18) durch den Ausdruck „die Pharisäer waren geldgierig“(V. 14).531 Das 528 Rengstorf, K.H., Das Evangelium, 193; Schmithals, W., Das Evangelium, 168; Schmid, J., Das Evangelium, 261; Gegen. Schneider, G., Das Evangelium, 336-337, er sah weder die Einheit des ganzen Kapitels 16, noch die Rolle von VV. 14-18 als Hinführung zum Gleichnis vom Reichen und vom Armen (VV.19-31). 529 Vgl. Ernst, J., Das Evangelium, 318. 530 Vgl. Schweizer, E., Das Evangelium, 171. 531 Vgl. a.a.O., 170; nahm an, dass Lukas V. 16-18 in der Vorlage hatte und durch V. 14f. eingeleitet hat.
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ist ein sprachliches Anzeichen dafür , dass Lukas diese Perikope mit der vorherigen Perikope verbinden wollte. Lukas hat schon in der vorherigen Perikope geschrieben, dass „man nicht Gott und dem Mammon dienen kann“. Möglicherweise brauchte er ein Beispiel dafür. Die ganze erste Perikope Lk 16,1-13 und die letzte Perikope Lk 16,19-31 teilweise (VV. 19-26) handeln von Mammon. Lukas ordnet seine ganze Überlieferung nach dem Thema. Diese Perikope 16,14-18 enthält die beiden Themen; VV. 14-15 geht es um Mammon und VV. 16-18 geht es um Gesetz. Dieser Ausdruck „die Pharisäer waren geldgierig“ verbindet flüssig die erste Perikope und die zweite Perikope. Daher bleibt noch das Thema „Mammon“. Die Pharisäer sind hier dargestellt als diejenigen, die Gott und dem Mammon dienen (V. 13). Bisher waren die Haupthörer die Jünger (16,1.11). Aber der Haupthörer wechselt hier von den Jüngern zu den Pharisäern, obwohl sie Jesus nicht direkt ansprechen. Ist dieser Ausdruck „die Pharisäer sind geldgierig“ allgemein gültig für alle Pharisäer?532 Sind nämlich alle Pharisäer geldgierig? Es wäre vorstellbar, dass dieser Ausdruck ihre äußerliche Tendenz oder ihren Charakter andeutet. Trotzdem muss man immer daran denken, dass Lukas die Pharisäer in seinem Evangelium in drei Gruppen nach ihren Rollen unterteilt. Lukas schreibt nämlich mit Kontinuität533 in Bezug auf „Pharisäer“. Sie vertreten zwar einerseits die Gesamtheit der Pharisäer, aber andererseits dürfte es wohl sein, dass sie literarisch (nicht historisch) die bestimmten determinierten Pharisäer sind. Sie sind diejenigen, die Jesus mit skeptischen Augen sehen (5,17f), oder Versucher (6,2f), die Jesus manchmal mit einer Frage prüfen (5,30). Seit 15,2 tauchen die Pharisäer nicht auf. Der Abstand zwischen dem Auftauchen der Pharisäer ist so groß, dass es für den Abschreiber nicht flüssig gewesen wäre, die Pharisäer direkt hier 16, 1 zu nennen. Das Wort „geldgierig“ fila,rguroi kommt außer hier nur einmal im ganzen NT534 vor (2. Tim 3,2 „denn die Menschen werden selbstsüchtig sein, geldliebend, prahlerisch, hochmütig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, unheilig“). Das zeigt der Autor des 532 Vgl. Rengstorf, K.H., Das Evangelium, 192. 533 Lukas berichtet, woher die Pharisäer gekommen sind (5,17) und, dass sie Jesus in der Menge unauffällig gefolgt sind und belauert haben (6,7; 11,54; 14,1; 20,20). Wenn man sein ganzes Evangelium durchliest, kann man lesen, dass Lukas sie konsequent in seinem Evangelium auftreten lässt. Lukas unterscheidet sie nämlich mit und ohne Artikel vor dem Wort „Farisaioi“. Als sie zum Erstenmal im Evangelium auftreten, schreibt Lukas keinen Artikel (5,17). Aber danach schreibt er mit Artikel, bis sie abtreten. Und zwischendurch, wenn er andere Pharisäer auftreten lassen will, schreibt er wieder ohne Artikel (Vgl 13,31). 534 Petzke, G., Das Sondergut, 146, er erklärt, dass „Geldgier“ ein in der gesamten Literatur der Antike verbreiteter, beliebter Vorwurf der Auseinandersetzung sei.
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2 Timotheus mit dem fila,rguroi nicht die Pharisäer, sondern den verfallenden Menschen in der Endzeit. Man kann die Frage stellen, ob die Pharisäer in der Tat geldgierig sind. Oder ob Lukas für die Verbindung mit dem vorherigen Text das Wort fila,rguroi schreibt. F. Bovon schreibt in seinem Kommentar, dass Lukas nichts über die soziale oder psychische Realität der Pharisäer aussagt, sondern der Gebrauch dieses Adjektivs für den Grad der Polemik des Textes bezeichnend ist.535 Der Gebrauch dieses Adjektivs zeigt nicht die historische Realität der Pharisäer,536 sondern, meiner Meinung nach, fungiert das Wort fila,rguroi erstens als eine Verbindungsbrücke, die mit der vorherigen Perikope verbindet (vgl. 16,13 „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“). Zweitens wird es als ein Beispiel für die Lehre Jesu benutzt. Die Pharisäer wurden von Lukas für das Thema »Mammon« nämlich als Lehrmittel benutzt.537 Die Pharisäer hörten, was Jesus in der vorliegende Perikope gesagt hat (Lk 16,1-14). Aber sie verhöhnten Jesus. Das Wort evxemukth,rizon „verhöhnten“ kommt im ganzen NT zwei mal vor. Einmal hier und noch einmal in Lk 23,35. Es ist ein lukanischer Ausdruck und bedeutet wörtlich »die Nasenlöcher aufzuheben« zum Zeichen der Verachtung. Lukas benutzt dieses Verb nur für die Gegner Jesu, nämlich Pharisäer (16,14) oder Oberste (23,35). Es ist nachvollziehbar, warum die Pharisäer Jesus verhöhnten.538 15: Jesus sagt, dass die Pharisäer sich selbst vor den Menschen rechtfertigen. Die Pharisäer wurden oft in Bezug auf die »Rechtfertigung« von Jesus verurteilt (10,29; 15,7; 18,9ff vgl: 10,29; 18,21). Diese Kritik über die Pharisäer „Ihr habt euch selbst gerechtfertigt vor dem Menschen“ kommt auch in Mt 23,28 („von außen scheint ihr vor den Menschen gerecht“) vor. Auffallend ist, dass Markus die Pharisäer in Bezug auf die Rechtfertigung nicht beschreibt, obwohl er sie, wie andere Synoptiker, kritisiert. Die Form, dikaio,w mit menschlichem Subjekt (Lk 7,29; 10,29; 16,15), ist nach J. Jeremias keine lukanische Verwendung, weil er da „wo er selbst formuliert, sich dem üblichen neutestamentlichen Gebrauch von dikaio,w (Gott Subjekt) anschließt“539 (Apg 13,38.39; Lk 18,14). Diese Kritik dürfte wohl entweder aus der Logien535 Bovon, F., Lukas, Das Evangelium III/3, 96. 536 Die anderen Synoptiker informieren nicht, dass „die Pharisäer geldgierig sind“. 537 Schneider, G., Das Evangelium, 337: „Sie werden als »geldliebend« gekennzeichnet (vgl. 20,47), um den Gegensatz zu Jesu Aufforderung verständlich zu machen.„ 538 Petzke, G., Das Sondergut des Evangeliums, 147; Vgl. Klostermann, E., Das Lukasevangelium., 166; er schlägt einen Grund dafür vor: „ Die Pharisäer höhnen wohl nicht darüber, dass der arme Jesus seine armen Jünger so belehrt, sondern über seine Anschauung, dass Reichtum und Frömmigkeit unvereinbar seien.“ Vgl. Schlatter, A., Das Evangelium, 374; er sagt: „Der Pharisäer meint, das Verlangen nach Geld sei unschuldig und auch einem Frommen erlaubt, weil er sich um sein Herz, in dem sein Begehren entsteht, nicht kümmert.“ 539 Jeremias, J., Die Sprache, 165.
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quelle kommen540 oder von der paulinischen Tradition her, denn das Thema der »Rechtfertigung« ist ein wichtiges Thema für Paulus. Jesus sagt weiter, dass Gott ihre Herzen kennt. Diese Aussage Jesu lässt uns an 18,9ff denken. Wenn man die beiden Perikopen vergleicht, kann man eine gleiche Struktur finden. Die wichtigen Stichwörter in beiden Perikopen sind „verhöhnen“ (16,14), „verachten“(18,9) und „sich selbst rechtfertigen“ (16,15a; 18,9) und „was hoch vor den Menschen ist“ (16,15b), „wer sich selbst erhöht“(18,14). In Lk 18,9 verachtet der Pharisäer einen Zöllner. Der Pharisäer taucht auf als einer derjenigen, die sich selbst rechtfertigen und die andern verachten (18,9). In 16,14 verhöhnten die Pharisäer Jesus. Warum die Pharisäer Jesus da verhöhnten (16,14), darüber können wir uns hier informieren. Die Pharisäer dürften wohl denken, dass sie recht haben und Jesus im Unrecht ist. Die Pharisäer sahen voller Hochmut auf Jesus herab. Die Pharisäer sehen äußerlich perfekt aus. Sie halten alle religiösen Handlungen ein (Zehnten, Fasten...) und sie sind vor den Menschen »heilig« und »gerechtfertigt«. Aber nach dem Urteil Jesu (bzw. Gott), ist der Zöllner gerechtfertigt (18,14a). Die Aussage „Gott kennt eure Herzen“ bedeutet, dass Gott ihren »Hochmut« in Bezug auf die Rechtfertigung und »Verachtung« gegen andere in ihren Herzen kennt. Gott richtet anders als nach ihrer (der Pharisäer) Meinung. Für Gott ist der Pharisäer, der sich selbst rechtfertigt und andere verachtet, nicht im Recht, sondern der Zöllner, der seine Sünde kennt. Der Óti Satz „was hoch (u`yhlo.n) ist vor den Menschen, das ist ein Greuel vor Gott“ (16,15b) sollte man auch in Beziehung auf die Perikope „wer sich selbst erhöht (o` u`yw/n), der wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden“ (18,14b) interpretieren. Die Pharisäer rechtfertigen sich selbst und sie erhöhen sich vor den Menschen mit der Rechtfertigung. Aber es ist ein Greuel vor Gott. 16: Matthäus berichtet auch diese Sätze jeweils als selbständige Sprüche an anderer Stelle (11,12ff; 5,17; 19,9). Viele Exegeten haben versucht, die originale Q-Fassung zu rekonstruieren, aber das Problem (z.B was der Originaltext ist und welche Beziehung zwischen dem Markusevangelium und dem Lukasevangelium existiert...) ist noch umstritten und der Sinn bleibt noch unklar. Aber ich will mich hier nur mit dem Text, den wir jetzt lesen, beschäftigen. Das Thema wandelt sich hier von der Rechtfertigung der Pharisäer zum Gesetz und zum Reich Gottes. Lukas teilt hier die Geschichte Israels zeitlich in 4 540 Schlatter, A., Das Evangelium, 374; er sieht, dass „V. 15 der Quelle angehört haben kann, da die neue Erzählung nichts enthält, was sie als in besonderer Weise den Pharisäern gesagt kennzeichnete.“
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Epochen ein (vgl. H. Conzelmann: Zeit Israels, Zeit Jesu als »Mitte der Zeit«, Zeit der Kirche).541 Die erste Epoche umfasst m.E. die Zeit des Gesetzes und der Propheten, die bis zu Johannes dem Täufer reicht. Die zweite ist die Zeit der Verkündigung des Reiches Gottes. Diese Epoche fängt mit Jesus an. Jesus wird im Lukasevangelium deutlich dargestellt als derjenige, der das Reich Gottes verkündet (4,18.43). Das Reich Gottes beginnt noch nicht nach der Auferstehung Jesu. In der Apg erklärt Lukas, dass Jesus über das Reich Gottes nach der Auferstehung spricht (Apg 1,3). Lukas will in 16,16 möglicherweise vermeiden zu verkündigen, dass Jesus der Christus ist542, denn Jesus wird erst nach seiner Auferstehung offiziell Christus genannt werden. Jesus ist noch nicht das Objekt der Verkündigung, sondern das Reich Gottes. Die Zeit der Verkündigung des Reiches Gottes ist der Zeit des Reiches Gottes nicht gleichzusetzen. Teilweise ist es schon in der Tat Jesu und Verkündigung Jesu da, aber es ist nicht perfekt.543 Diese Zeit endet mit dem Zeitpunkt, da Jesus in den Himmel fährt (vgl. Apg. 1,22f „von der Taufe des Johannes an bis zu dem Tag, an dem er von uns genommen wurde“). Die dritte Epoche umfasst die Zeit, in der die Jünger Jesu als seine Nachfolger das Reich Gottes durch den Heiligen Geist verkündigten. Diese dritte Periode wird in Apg (8,12; 14,22; 19,8; 20,25; 28,23.31) deutlich beschrieben. Sie fängt mit dem Pfingstwunder (Apg 1,4. 8; 2,1ff) an. Jesus übermittelt den Jüngern seine Aufgabe und die Jünger werden endlich zu seinen Zeugen, nachdem sie den Heiligen Geist empfangen haben (Apg 1,8). Nach dem lukanischen Zeitverständnis ist diese Periode schon im Alten Testament vorausgesagt (vgl. Joe 3,1-5) und versprochen worden (vgl. Apg 1,4). Diese Periode ist nach Lukas „der letzte Tag“ (Apg 2,17). „Der letzte Tag“ hat mit dem Pfingstwunder schon angefangen, ist aber noch nicht vollendet. Die zweite Epoche hat mit Jesus angefangen und wird in der dritten Epoche (besonders in der Apg) durch seine Jünger mit dem Heiligen Geist weiter entwickelt. Es ist klar, dass Jesus für Lukas der Heilsbringer ist, und die Jünger sind seine Zeugen (Apg 1,8). In dieser zweiten Epoche „von da an wird das Reich Gottes verkündigt“ drängt sich jeder (pa/j) mit Gewalt hinein. In dieser Epoche werden durch Jesus (oder evt. durch den Glauben an Jesus) alle Grenzen (Judäer oder Heiden, Gerechte oder Sündige, Reiche oder Arme) aufgelöst. Jesus ist Heilsbringer, der mit der Verkündigung des Reiches Gottes alle Grenzen zerstört. Jesus öffnet für alle die Tür zum Reich Gottes, die früher nur für Judäer 541 Vgl. Conzelmann, H., Die Mitte, 172ff; Schneider, G., Das Evangelium nach Lukas, 337-338; Bovon, F., Das Evangelium EKK III/3, 99; Schulz, S., Die Stunde, 284ff. 542 Vgl. Schmithals, W., Das Evangelium, 169; er sagt: „Eine Christologie ist noch nicht im Blick.“ 543 Schmithals, W., Das Evangelium, 169.
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geöffnet war (vgl. Apg 2,21 „Und es wird geschehen: jeder (pa/j), der den Namen des Herrn anrufen wird, wird errettet werden“).544 Die vierte ist die Zeit des Reiches Gottes. Das Reich Gottes ist noch nicht da, aber es ist völlig da, wenn Jesus wieder kommt (vgl. Lk 21,27ff „Und als dann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit“...“Wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist“; Apg 1,11 „...dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen wurde, wird so wieder kommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen“). Ich werde mich mit dem Thema „die lukanische Heilsgeschichte“ in Kap. H. 1 weiter beschäftigen. 17: Lukas folgt wesentlich Q, obwohl er den Satz „der kleinste Buchstabe...“ nicht übernommen hat (vgl. Mt 5,18). In dieser Form kann man schon die Voraussetzung für die apokalyptische Erwartung des Endes dieses Äons finden. Man kann auch vermuten, dass es „einen gesetzeskritischen Enthusiasmus“ gab und dieser Satz sich als eine Abwehr dagegen erklärt.545 Lukas ergänzt, dass das Gesetz ewig ist, was eine typisch jüdische Position ist.546 In dieser Perikope kann man sich darüber informieren, dass Lukas versucht, die jüdische Position so gut wie möglich zu halten. Lukas steht immer auf der jüdischen Seite und er beschreibt auch Jesus aus dieser Position.547 Dieser Satz „Lukas steht immer auf der jüdischen Seite“ zeigt nicht, dass Lukas ein Judenchrist ist, sondern dass er sein Evangelium auf der Basis seiner jüdischen Traditionen schreibt. Eine ähnliche Beschreibung findet man auch in der Bergpredigt (Mt 5,18), aber der Inhalt bzw. die Betonung ist anders gelagert: Matthäus schreibt über die Ewigkeit und die Vollkommenheit des Gesetzes, aber Lukas beschreibt die chronologische Reihenfolge von Gesetz und der Verkündigung des Gottesreiches in seiner Heilsgeschichte. Lukas schreibt nicht den Satz „bis es alles geschieht“ (Mt 5,18b). Was könnte der Grund sein, wenn er absichtlich den Satz ausgelassen hätte? Matthäus gebraucht den Satz „bis es alles geschieht“(5,18b) in Bezug auf die Erfüllung des Gesetzes. Er beschreibt 5,17 »die Stellung Jesu zum Gesetz«. Jesus sagt da „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen“ (5,17).
544 Wiefel, W., Das Evangelium, 296; „Die Verkündigung der Gottesherrschaft will alle Menschen erfassen“ 545 Schmithals, W., Das Evangelium, 169. 546 Wiefel, W., Das Evangelium, 296; Bovon, F., Das Evangelium III/3, 99. 547 Conzelmann, H., Die Mitte, 172.
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In dieser Perikope (Mt 5,17-18) wird Jesus dargestellt als ein Teil548 des Gesetzes und der Propheten. Die Geschichte Jesu war schon vom Gesetz und den Propheten beschrieben und sein Leben geht weiter wie es prophezeit wurde. Jesus löst das Gesetz nicht auf, (vgl. 5,19a „Wer auch nur eines von diesen kleinsten Geboten auflöst...“), sondern er tut und lehrt das Gesetz (5,19b „der es aber tut und lehrt“). M. E. war Jesus und sein Leben bei Lukas vom Gesetz und den Propheten bestimmt worden (vgl. Lk 24,27.44). Trotzdem betont Lukas dies hier nicht, sondern »die Dauerhaftigkeit des Gesetzes und der Propheten«. Obwohl die Epoche des Gesetzes und der Propheten vorbei sind (V. 16a), bleibt ihre Gültigkeit bzw. Vorhersage bestehen.549 Das Gesetz und die Propheten haben eine eigene Funktion. Das Gesetz weist den Juden, wie man auf der Erde als Volk Gottes lebt. Und die Propheten sagten voraus, was in der Zukunft geschehen wird.550 Ihre Funktion wird bis zum Ende der Welt bestehen bleiben. Jesus hat auch eine eigene Funktion, indem er das Reich Gottes verkündigt und die Tür des Reiches Gottes für alle öffnet. Die Botschaft Jesu bzw. das Reich Gottes heben das Gesetz und die Propheten nicht auf.551 Jesus und das Gesetz und die Propheten sind für Lukas nicht austauschbar, da sie ihre eigene Funktion haben und erst durch das Miteinander die Menschen retten. 18: Lukas schreibt zum Thema »Ehebrechen«. Warum schreibt er hier plötzlich darüber? Man kann die Grundfrage noch mal stellen. Kommt es aus seiner Überlieferung nämlich Q-Text?552 Oder folgt er Markus? Oder hat Lukas den QText an Markus angeglichen, wie G. Schneider meinte? 553 Eine ähnliche Perikope steht auch im Markusevangelium 10,11-12. Aber der Inhalt des Satzes ist nicht ganz gleich. Markus schreibt diesen Satz formal in einem Streitgespräch.554 Im Markusevangelium ist Ehebrecher/in, wer sich von seinem Ehepartner scheidet und eine andere heiratet. Aber Jesus bei Lukas nennt nur einen Mann Ehebrecher, der sich von seiner Frau scheidet und eine andere heiratet, und den Mann, der die von ihrem Mann Geschiedene heiratet. Während Jesus bei Markus und bei Lukas darüber in un548 »Ein Teil« bedeutet, dass Jesus und sein Leben ein Stück des Ganzen, was das Gesetz und die Propheten sagten, ist. 549 Schneider, G., Das Evangelium, 338; Wiefel, W., Das Evangelium, 296. 550 Natürlich sagen die Propheten nicht nur die Vorhersage, sondern auch die Warnung oder den Willen Gottes. 551 Klostermann, E., Das Lukasevangelium, 167. 552 Schweizer, E., Das Evangelium, 171. 553 Schneider, G., Das Evangelium, 338. 554 Bultmann, R., Die Geschichte, 25.
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terschiedlichen Kontexten spricht, verschärft sich das Thema bei Lukas in der Praxis. Matthäus schreibt auch über das Thema »Ehebrechen« (Mt 5:27-32) nach der Reihe »Gesetz und Propheten« (5,17-20) und »Töten und Versöhnung « (Mt 5:21-26) in der Bergpredigt. Jesus spricht vom Ehebrechen im Matthäusevangelium in Bezug auf die Ehescheidung wie im Markusevangelium. Im Lukasevangelium spricht Jesus von der Ehescheidung wie im Markusevangelium. Jesus sagt aber: „Wer sich von seiner Frau scheidet, der macht, dass sie die Ehe bricht und wer eine Geschiedene heiratet, der bricht die Ehe“. Der Mann, der sich von seiner Frau scheidet, ist kein Ehebrecher, sondern er gibt seiner Frau nur das Motiv, dass seine Frau Ehebrecherin werden kann. Nach dem Inhalt und der Verwendung der Wörter ist Lukas näher an Matthäus als an Markus. Daher vermutet man, dass diese Perikope aus einem QText stammt. Man weiß aber nicht genau, woher Lukas diese Tradition überliefert bekommen hat und warum er diese Perikope hier eingeschoben hat.555 Man kann nur vermuten, dass Lukas diese Perikope möglicherweise als ein Beispiel für die dauerhafte Gültigkeit des Gesetzes eingesetzt hat.556 Das Wort a polu,w (Entlassen, gehen lassen, verabschieden) bedeutet in Mk 10,2-12 „Ehescheidung“.557 Während es im jüdischen Gesetz nicht sündig ist, dass ein Mann sich von seiner Frau scheidet und eine andere heiratet, sagt Jesus bei Lukas deutlich, dass der Mann die Ehe bricht. Äußerlich sieht die Rede Jesu wie ein scharfer Gegensatz zu dem, was Mose vorschrieb, aus. Was wollte Lukas mit dieser Perikope erzielen? Im zeitgenössischen offiziellen Judentum war die Ehescheidung legal möglich (vgl. Dtn 24,1-4), aber Jesus lenkt den Blick des Hörers auf den Willen Gottes. Was Mose über Ehescheidung geschrieben hat, ist für den markinischen Jesus »die widergöttliche Menschensatzung der Juden«558. Für Jesus ist der ursprüngliche Gedanke Gottes wichtiger als das sekundär hinzugetretene Gebot. Es ist klar für Jesus, dass der ursprüngliche Zustand wieder hergestellt werden soll.559 555 Vgl. Turner, M.M.B., „The Sabbath, Sunday, and the Law in Luke/Acts,“, 110: „The law’s eternal validity is certainly maintained, despite the dawning of the new age, but it has been transcended and changed by being sucked up into the powerful vortex of Jesus’ messianic teaching and demands“ Als Beweis dafür zitiert er 16,18 und 18,18-21 (111). Anders Wilson, S.G., Luke and the Law, SNTSMS 50, (Cambridge: CUP,1983); Für Wilson, ist das Gesetz einerseits ewig, aber anderseits ist die Ewigkeit nicht absolut, da man seit 16,18 die Zerstörung des Gesetzes (s.29-30,43-51) sieht. 556 Klostermann, E., Das Lukasevangelium, 167; Schmithals, W., Das Evangelium, 170; Schmid, J., Das Evangelium, 263; Ernst, J., Das Evangelium, 319. 557 Gnilka, J., Das Evangleium II/1, 71. 558 Berger, K., Die Gesetzesauslegung, 541. 559 Schmid, J., Das Evangelium, 263.
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Jesus zeigt hier, dass das geschriebene traditionelle Gebot nicht der ursprüngliche Gedanke Gottes sein kann. Wie gesagt, Lukas wollte diesen Satz als ein Beispiel für V. 17 einschieben. Er will nämlich die Dauerhaftigkeit des Gesetzes betonen. Aber das Gesetz zeigt nicht nur das geschriebene Gesetz, sondern auch den Willen Gottes. Der ursprüngliche Gedanke Gottes ist hier noch wichtiger als das geschriebene Gesetz. Lukas will den Leser lehren, dass man nicht nur äußerlich Gesetze halten soll, sondern auch an den Inhalt des Gesetzes bzw. den Willen Gottes denken soll.
1.4 Das Gesetzesverständnis Jesu in Lk 16,14-18 Welche Funktion hat Johannes der Täufer bei Lukas? Er ist der Verkündiger der Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden (Lk 3,3).560 Er hat die Funktion wie ein alttestamentlicher Prophet z. B. Jesaja (vgl. Lk 3,1ff). Daher wird er als Prophet des Höchsten bzw. Bote dargestellt, der den Weg Jesu bereiten soll (Lk 1,76; 7,27).561 Er ist der letzte der Propheten. Böhlemann versteht Johannes nicht als Täufer, sondern als Umkehrprediger und Ankündiger Jesu.562 Er behauptet, dass Lukas Johannes weder als Täufer noch als Vermittler der Sündenvergebung, sondern eben als Vekündiger der Umkehr erscheinen lassen wollte.563 Lukas wollte vermeiden, dass seine Leser Johannes als Christus bezeichen könnten (vgl. 3,15ff). Daher unterscheidet Lukas möglicherweise deutlich zwischen Johannes dem Täufer und dem »Reich Gottes (h` basilei,a tou/ qeou/)«: „Ich sage euch, dass unter denen, die von einer Frau geboren sind, keiner größer ist als Johannes; der aber der Kleinste ist im Reich Gottes, der ist größer als er“ (Lk 7,28). Lukas benutzt den Begriff »das Reich Gottes« möglicherweise nicht im Zusammenhang mit Johannes dem Täufer, sondern immer mit Jesus. Der Satz Mt 3,2 („Und sprach: Tut Buße, denn das Himmelreich564 ist nahe herbeigekommen!; le,gwn\ metanoei/te\ h;ggiken ga.r h` basilei,a tw/n ouvranw/nÅ“) ist für Lukas nicht möglich. Daher kann man schon richtig sagen, dass das Wort »das Reich Gottes« im Lukasevangelium nicht mit Johannes dem Täufer zusammenpasst.
560 Schweizer, E., Das Evangelium, 171. 561 Conzelmann, H, Die Mitte, 173; er sieht in V.16 „ein direkte Konfrontation Jesus- Israel, indem der Täufer auf die Rolle eines Propheten beschränkt wird.“ 562 Böhlemann, P., Jesus und der Täufer, 100. 563 Ebd. 564 h` basilei,a tw/n ouvranw/n (Mt) ist entsprechende Ausdruck für h` basilei,a tou/ qeou/ (Lk) in Bezug auf die Gottesherrschaft.
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Viele Exegetinnen und Exegeten haben darüber gestritten, auf welche Seite Johannes der Täufer gehört.565 Meiner Meinung nach, ist Johannes der Täufer die Brücke, die das Gesetz und das Reich Gottes verbindet. F. Bovon sagt deshalb, dass er sich auf der Schwelle befindet. Aber Lukas will hier die neue Zeit, die mit der Verkündigung Jesu angefangen hat, von Johannes dem Täufer deutlich unterscheiden. Denn es ist für Lukas wichtig, dass das Reich Gottes mit der Verkündigung Jesu richtig anfängt, nicht mit Johannes dem Täufer (4,43; 8,1; 9,11etc.).566 Lukas teilt hier 16,16 die Heilsgeschichte in zwei Teile: Erstens, die Zeit des Gesetzes und der Propheten, zweitens, die Zeit der Verkündigung Jesu. Diese Aufteilung entspricht dem Zeitverständnis des Lukas. In Apg 10,34ff unterscheidet Lukas auch die Zeit Johannes des Täufers und die Zeit der Verkündigung Jesu (vgl. Apg 10,37 „Ihr wißt, was in ganz Judäa geschehen ist, angefangen von Galiläa nach der Taufe, die Johannes predigte“). Er will deutlich verkündigen, dass die Zeit des Reiches Gottes mit der Verkündigung Jesu kam, wobei er Jesus noch nicht als Heilsbringer oder Christus auftreten lassen konnte, da Lukas ihm erst nach der Auferstehung seinen Hoheitstitel geben wollte.567 Das Reich Gottes (h` basilei,a tou/ qeou/) im Lukasevangelium ist ein Begriff, der Zeit, der Räume und alle Völker enthält. Aber Juden halten das Gesetz und die Propheten (Ð no,moj kai. oi` profh/tai)) für die Dinge, die nur für Israel gelten. Daher will Lukas zeigen, dass Gott nicht nur für Israel, sondern auch für andere Völker ist.568 Lukas erklärt, dass Gott die Heilsgeschichte hat, die nicht nur für Israel, sondern für andere Völker gilt. Das ist die Verkündigung Jesu über das Reich Gottes. Lukas berichtet durch den Mund des Petrus, dass Gott die Person nicht ansieht, sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm (Apg 10,34-35). Das Reich Gottes, das von Jesus verkündigt wird, ist das Wort und der Friede, den Gott durch Jesus Christus dem Volk Israel gesandt hat, welcher Herr über alle ist (Apg 10,36). Dieser Ausdruck entspricht dem Satz V. 16, nämlich jeder (paj) drängt sich mit Gewalt hinein.
565 Vgl. Kümmel, W.G., Gesetz, Bovon, F., Luc le Théologien 22-23.145.222-223; Conzelmann, H., Die Mitte,12-21. 566 Conzelmann, H., Die Mitte, 17. 567 Die Tendenz, dass Jesus in seinem Leben außer bei der Geburtsgeschichte nicht Christus genannt wird, ist fast gleich bei den anderen Evangelisten. Aber sie ist bei Lukas noch deutlicher als bei den anderen. Z.B Matthäus und Markus nennen ihn Christus schon in seinem Leben auch außerhalb des Bekenntnisses des Petrus (vgl. Mt 11,2; Mk 9,41). Lukas beschreibt Jesus während seiner öffentlichen Verkündigungszeit mit Absicht nicht als Christus, sondern nur in der Geschichte der Geburt Jesu und nach der Auferstehung (vgl. Lk 2,11 24,26.46; Apg 9,22.34; 17,3; 26,23 etc.). 568 Ernst, J., Das Evangelium, 318-319.
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Entgegen der jüdischen Meinung, dass das Gesetz, die Propheten und Weisung bzw. Gebote nur für Israel gemeint seien, zeigt Lukas den Lesern, dass Arme, Kranke, Heiden569 sich in dem Reich Gottes zentrieren. Besonders sagt das ganze Kapitel 16 deutlich, dass im Reich Gottes diejenigen, die sich in der Erde zentrieren (z.B. Reiche, Gesunde...), in die ewigen Hütten aufgenommen werden (Lk 16,9). Und die Situation des irdischen Lebens wird sich im Reich Gottes ins Gegenteil umkehren (Die Geschichte reicher Mann und armer Lazarus: Lk 16,19-31). Außerdem spricht Jesus im Lukasevangelium bzw. in der Apg oft von solchen Leuten (Sündern, Kindern, Kranken, Armen, Heiden...) in Bezug auf das kommende Reich Gottes (vgl. Lk 13,28-30; 14,15-24; 17,18; 19,1-10; Apg 1,6-8 etc.). Sie sind nicht mehr arme fremde Leute, sondern das Volk des Reiches Gottes. Lukas stellt Jesus als den Verkündiger des Reiches Gottes hin. Jeder Mensch kann durch die Verkündigung Jesu ins Reich Gottes eingehen. Durch die Verkündigung Jesu wird Gott endlich für alle Völker sein. Das Reich Gottes, das mit der Verkündigung Jesu angefangen hat, ist eine Region, ein Volk, ein Geschlecht, eine Farbe, übergeordnete „allgemeine“ Offenbarung Gottes, die alle Völker retten will. In diesem Sinn ist Jesus weder Nachfolger bzw. Erfüller des Gesetzes, da dem Gesetz etwas fehlt, noch ein Teil des Gesetzes, der vom Gesetz abhängig ist (Mt 5,17f), noch der Gesetzesbrecher, sondern derjenige, der den Geltungsbereich des Gesetzes erweitert hat. Lukas unterscheidet hier Jesus und das Gesetz deutlich voneinander: Das Gesetz ist für Juden und die Verkündigung Jesu ist für alle (inkl. Juden). Jesus verkündigt das Evangelium vom Reich Gottes (4,43; 8,1; 16,16). Das Evangelium vom Reich Gottes ist für Lukas eine Gnadengeschenk und somit eine qualitativ andere Größe als das Gesetz (vgl. 14,16ff; 15,11ff; 19,1ff). Z.B. ist das Gesetz für Juden gültig und das Evangelium vom Reich Gottes ist gültig für alle. Die Liebe oder die Gnade Gottes für alle Menschen war früher da, aber sie ist von Judentum eingeschränkt und falsch verstanden worden. Jesus macht den Weg zu Gott durch seine Verkündigung wieder weiter. Insofern ist Jesus derjenige, der den Eingang des Reich Gottes öffnet als der Verkündiger des Reichs Gottes. Wenn das Reich Gottes verkündigt ist, drängen alle mit Gewalt in das Reich Gottes (16,16b). Das Wort paj (alle) enthält nicht nur Judäa, sondern alle Völker (Kinder, Armen, Heiden...).570 Wenn in diesem Satz „das Gesetz und die Pro569 Z.B. Die Geschichte einer Witwe nach Sarepta im Gebiet von Sidon und die Geschichte der Naaman aus Syrien: Lk 4,21ff. 570 Vgl. Lk 14,22-23; 13,28-30; 17,18; Apg 1,6-8.
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pheten ist bis Johannes“ „das Gesetz und die Propheten“ eine ‚beschränkte‘ Offenbarung Gottes wäre, die nur für Israel und Judentum gegolten hätte, ist „das Reich Gottes“, das mit der Verkündigung Jesu angefangen ist, eine ‚allgemeine' Offenbarung Gottes, die eine andere Region, Volk, Geschlecht und Religion enthält. Denn noch bestehen das Gesetz und die Propheten noch weiter (V. 17). Sie sind nicht diejenigen, die von Jesus zerstört werden müssen, sondern ihre Gültigkeit bleibt noch bis zum Ende der Welt (VV. 17-18). Die Funktion des Gesetzes zeigt Lukas als Beispiel in V. 18. Das Gesetz wird hier Ethik und Moral des Menschen beeinflussen (Vgl. 2,23; 14,3; 16,18).
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G. Das Gesetz und die Propheten
Das Thema „das Gesetz und die Propheten“ enthält zwei Perikopen, nämlich die Erfüllung des Propheten (Lk 18,31-34) und die Erfüllung des Gesetzes (Lk 24,36-49). Ich werde jeweils zuerst übersetzen, die Struktur und den Inhalt untersuchen und die Verse analysieren. Danach werde ich das Gesetzesverständnis Jesu in Lk 18,31-34 und Lk 24,36-49) zusammenfassen.
1. Die Erfüllung des Propheten: Lk 18,31-34 1.1 Übersetzung 31 Nachdem er aber die Zwölf zu sich genommen hatte, sprach er zu ihnen: Siehe, wir gehen jetzt nach Jerusalem hinauf, und es wird alles vollendet werden, was durch die Propheten über den Sohn des Menschen geschrieben ist; 32 Denn er wird den Nationen übergeben werden und wird verspottet und geschmäht und angespuckt werden 33 und nachdem sie ihn gegeißelt haben, werden sie ihn töten und am dritten Tag wird er auferstehen. 34 Aber sie verstanden nichts von diesem, sowohl diese Rede war vor ihnen verborgen, als auch begriffen sie das Gesagte nicht.
1.2 Struktur und Inhalt Diese Perikope (18,31-34) handelt von der letzten Ankündigung von Jesu Leiden und Auferstehung. Alle drei Evangelien berichten, dass Jesus seine letzte Ankündigung auf dem Weg nach Jerusalem macht (Mk 10,32; Mt 20,20; Lk 18,31). Lukas folgt hier auch dem Markus-Faden. Dennoch bearbeitet er ihn wieder mit eigener Konzeption.571
571 Dibelius, M., Die Formgeschichte, 200.
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Einige Exegeten behaupten, dass Lukas ohne Abhängigkeit von Markus schreibe, aber ihre Aussage ist schwach.572 Lukas lässt diese Perikope wie Markus auf die Frage nach dem ewigen Leben folgen. Anders als Lukas und Markus stellt Matthäus sie hinter das Gleichnis »von den Arbeitern im Weinberg«. Außerdem lässt Lukas die Geschichte »die Forderung der Söhne des Zebedäus (Mk 10,35-45; Mt 20,20-28)« aus. Es ist undenkbar, dass Lukas sie nicht kannte, vielmehr dürfte er sie wohl absichtlich ausgelassen haben. Lukas schreibt noch drei Geschichten, bevor er Jesus und seine Jünger nach Jerusalem hineingehen lässt. Alle drei Geschichten haben eine Ortsangabe, z.B. »die Heilung eines Blinden« bei Jericho und »Zachäus« in Jericho und »von den anvertrauten Pfunden« bei Jerusalem, aber die Geschichte »die Forderung der Söhne des Zebedäus« hat keine Ortsangabe. Darin unterscheidet sie sich von den drei anderen oben erwähnten Geschichten. Lukas will die Geschichte Jesu im dritten Hauptteil erzählen. Der erste Hauptteil enthält 4,14-9,50 und berichtet von Jesu Wirken in Galiläa und in Judäa. Der zweite Hauptteil ist 9,51-19,28 und enthält den sog. „Reisebericht“. Der dritte Hauptteil ist 19,29-24,53 in Jerusalem.573 Während Jesus mit seinen Jüngern nach Jerusalem geht, wird seine Geschichte Schritt für Schritt auf die Klimax hin komponiert.574 Diese Erzählweise wird an dieser Stelle (18,31ff) noch deutlicher und stärker. Da die Geschichte »der Söhne des Zebedäus« keine bestimmte Ortsangabe enthält, hat Lukas sie ausgelassen.575 Außerdem fand Lukas vielleicht den Weg nach Jerusalem zu lang, um noch eine Geschichte davor einzuschieben.576 Daher verteilte er diese markinische Vorlage (10,35f) teilweise auf ganz andere Stellen (12,50; 22,25-27). 31 Die Ankündigung Jesu für seine Zukunft 32-33 Der Inhalt der Ankündigung 34 Das Unverstehen der Jünger
572 Easton, B.S., The Gospel according to St Luke, Edinburgh 1926, 275; Schramm, T., Der Markus-Stoff bei Lukas, Cambridge 1971,133. 573 Vgl. Conzelmann, H., Lindemann, A., Arbeitsbuch, 339. 574 Vgl. Conzelmann, H., Die Mitte, 186. 575 Vgl. Schmid, J., Das Evangelium, 285; er trägt zwei Gründe für die Auslassung vor; „Die Jünger erscheinen darin wieder in einem wenig günstigen Lichte, und den Ersatz für den zweiten Teil des Stückes (MK 10,41-45) bildet Lk 22,24-47. V38 aber hat seine Entsprechung bei Lk 12,50.“ 576 Vgl. Wiefel, W., Das Evangelium, 324. Anm. 4; er nimmt an, dass man die Notiz über das Jüngerunverständnis auch als Ersatz für die von Lukas ausgelassene Perikope von der Zebedaidenfrage verstehen könne.
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1.3 Analyse 31: Lukas hat das Einleitungswort ganz ausgelassen, während Matthäus es stark kürzt. Z.B. berichtet er nur einmal durch den Mund Jesu „wir sind auf dem Wege hinauf nach Jerusalem evn th/| o`dw/| avnabai,nontej eivj ~Ieroso,luma“ (Mk 10,32; Mt 20,17), was Markus und Matthäus doppelt berichten. Matthäus folgt anders als Lukas mehr dem Markus-Text. Lukas übernimmt nur die Ortsangabe von seiner markinischen Vorlage und lässt aus, dass Jesus ihnen voran ging; und sie entsetzten sich; die ihm aber nachfolgten, fürchteten sich (Mk 10,32). Lukas meint, dass sie nicht in seinen Kontext passen, da Markus nicht erklärt hat, warum sie sich entsetzen und sich fürchten.577 Daher ließ er die Reaktionen aus. Es scheint bei Markus und Matthäus, dass die Geschichte neu anfängt, da sie das Subjekt Ð 'Ihsouj wieder aufnahmen. Diese Geschichte kann ohne Schwierigkeit für sich gelesen werden und isoliert stehen. Bei Lukas ist es aber anders, denn er lässt das Subjekt aus. Daher muss man bei Lukas diese Perikope unbedingt mit der vorherigen Geschichte vom Reichen, der nach dem ewigen Leben fragt (Lk 18,18-30), zusammen lesen. Sonst kann man nicht richtig verstehen, wer das Subjekt ist. Diese Schreibart ist typisch lukanisch. Lukas beginnt manchmal eine neue Geschichte ohne das Subjekt, da es gleich mit dem Subjekt der vorherigen Geschichte ist. Daher ist das Subjekt manchmal im Verb versteckt (17,20; 18,1.9.15.18.31.35; 19,1.11 usw.).578 Der Grund, warum Lukas so geschrieben hat, ist, dass Lukas sein Werk als eine gesamte Geschichte in der Kontinuität lesen lassen will. Daher scheint seine ganze Geschichte flüssiger zu sein als die, der anderen Synoptiker. 577 Gegen Haenchen, E., Der Weg Jesu, 360; er erklärt: „Dass die Angst der Jünger nicht unbegründet ist, zeigt Jesu Handlung: er nimmt die Zwölf abseits und sagt ihnen das Leiden, das er durchzumachen haben wird, voraus, und zwar mit einer Genauigkeit, wie keine der beiden bisherigen Leidensankündigungen (Mk 8,31 und 9,31).“ Es ist nicht richtig, dass sie Schrecken und Furcht bekommen, da sie die Leidensankündigung gehört haben. Da schreibt Mk früher Schrecken und Furcht als Jesus die Zwölf nimmt und seine Leidensansagen sagt. Es kann wie die Erklärung von E. Haenchen interpretiert werden, aber dies kann im Zusammenhang mir der Satzstruktur kein Grund sein. D. Lührmann findet den Grund auf den Weg (V. 32) nach Jerusalem, (vgl. Lührmann, D., Das Markusevangelium, , 178). 578 Lukas will seine Geschichte nicht unterbrechen. In der Tat kommt das Wort „Ò 'Ihsouj“ als Subjekt richtig ab Lk 4,1 und 4,14 vor. Danach kommt das Wort Ò 'Ihsouj als Subjekt in der neuen Geschichte viel weniger als bei den anderen Synoptikern vor. Vielmehr ist es entweder manchmal im Verb (3.Sg.m) versteckt oder Lukas benutzt die Personalpronomen (ihm oder ihn). Das Wort Ò 'Ihsouj als Subjekt in der neuen Geschichte kommt erst in 9,47 vor. Sonst kommt es bis zu seiner Auferstehung 24,15 nicht mehr vor. Aber bei Mk und Mt kommt dieses Subjekt viel mehr vor (vgl. Mt 4,12.18.23; 8,5.14.18; 9,9 usw.; Mk 3,7; 5,21; 8,1; 8,27; 9,2; 10,32; 12,41; 14,22.27; usw.).
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Lukas lässt auch „wieder“ (pa,lin : Mk 10,32) aus. Man kann fragen, was pa,lin zeigt. Zeigt es paralabw.n oder h;rxato auvtoi/j le,gein ? Es stellt sich nämlich die Frage, ob der Satz „er nahm wieder die Zwölf zu sich“ richtig ist, oder ob „er fängt an ihnen wieder zu sagen“ richtig ist. Es ist grammatisch eher paralabw.n, denn das Wort pa,lin steht im ersten Satz, daher muss es dort, wo es steht, übersetzt werden. Aber es ist auch der Sinn vorstellbar, dass Jesus seinen Jüngern wieder sein Leiden und seinen Tod ankündigt.579 Jesus hat es schon zwei oder dreimal angedeutet und will es hier noch mal ankündigen. Aber ich verstehe den Grund, warum er pa,lin ergänzt, anders. Bei Markus finden sich zwei Szenen, die aus unterschiedlichen Stämmen kommen, nämlich 32a (die Einleitungsworte: „Sie waren aber auf dem Wege hinauf nach Jerusalem, und Jesus ging ihnen voran; und sie entsetzten sich; die ihm aber nachfolgten, fürchteten sich.“) und 32b („Und er nahm wieder die Zwölf zu sich und fing an, ihnen zu sagen, was ihm widerfahren werde“). Diese beiden Szenen können teils von ihm selbst, teils schon aus vormarkinischen Überlieferungen stammen.580 Daher ist es für Markus notwendig, pa,lin „wieder“ zu schreiben, um diese beiden Szenen miteinander zu verbinden. Trotzdem ist diese Verbindung nicht flüssig. Daher nimmt Matthäus ein anderes Wort „beiseite“ katV ivdi,an (20,17) dazu. Wie hatte Lukas die markinische Vorlage gelesen? Warum hatte er pa,lin ausgelassen? Wie oben erwähnt will Lukas möglicherweise eine Verbindung zu der vorhergehenden Geschichte schaffen. Daher benutzt er statt Ð 'Ihsouj (Markus und Matthäus) einfach bei Verben das Pronomen 3.Sg.. Die Jünger sind schon seit dem „Lohn der Nachfolge“ (18,28-30) bei Jesus gewesen. Deshalb braucht Jesus nicht „wieder“ die Jünger zu sich nehmen, denn die Geschichte geht weiter. Dazu hat Lukas schon das Einleitungswort ausgelassen. Es ist für seinen Text nicht notwendig, vielmehr ist es ohne „wieder“ flüssiger zu lesen. Daher lässt Lukas es einfach aus. Während Lukas das Einleitungswort von Markus auslässt, schreibt er etwas Neues. Diese lukanische Redaktion enthält die Beziehung zwischen dem Schicksal des Menschensohns und den Schriften der Propheten und stammt wahrscheinlich aus Mk 9,12. Lukas lässt, ebenso wie Matthäus, 581 Mk 10,32 „was ihm widerfahren werde“ aus, denn er hielt es für bedeutungsgleich mit „was geschrieben ist durch die Propheten“.
579 Vgl. Marshall, I.H., The Gospel, 690. 580 Vgl. Bultmann, R., Die Geschichte, 357. 581 „Was ihm widerfahren werde“ (Mk 10,32) zeigt zugleich sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung (Mt 20,18f).
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»Die Erfüllung der Schriften« (telesqh,setai pa,nta ta. gegramme,na) scheint eine lukanische Verwendung zu sein,582 da Markus das Wort tele,w in seinem Evangelium überhaupt nicht benutzt und Matthäus es zwar schreibt, aber er benutzt es nicht in Bezug auf die Erfüllung einer göttlichen Voraussage oder einer Verheißung583, sondern in dem Sinne „beenden, vollenden“ (Mt 7,28; 19,1; 26,1) oder „bezahlen, entrichten“(17,24). Matthäus benutzt plhro,w statt tele,w für die Erfüllung einer göttlichen Verheißung oder Voraussage (1,22; 2,15.17.23; 4,14; 8,17; 12,17; 13,35; 21,4; 26,54.56; 27,9). Aber alle Stellen, außer 26,54.56, sind entweder matthäisches Sondergut oder Redaktionen und sind alttestamentliche Zitate. Mt 26,54.56 sind aber parallel zu Mk 14,49, d.h. sie wurden sehr wahrscheinlich von Markus beeinflusst. Markus schreibt auch plhro,w in diesem Sinne nur einmal (14,49)584, wobei er aber das AT nicht zitiert. Auffallend ist, dass Lukas auch plhro,w in Bezug auf die Erfüllung der Schriften, des Gesetzes und der Propheten bzw. Mose (1,20; 4,21; 21,22; 24,44) benutzt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Matthäus plhro,w für die Erfüllung der Verheißung verwendet, und dies eine matthäische Schreibart ist. Lukas benutzt die beiden Wörter (plhro,w, tele,w) dafür. Aber Lukas schreibt als Einziger tele,w, und dies ist eine lukanische Schreibart585, denn alle Stellen, wo Lukas die beiden Wörter für die Erfüllung der Verheißung oder des Gesetzes verwendet, sind entweder lukanisches Sondergut oder lukanische Redaktionen. Es scheint bei der lukanischen Verwendung keinen Unterschied zwischen plhro,w und tele,w zu geben. 32: Lukas übernimmt paradoqh,setai aus Markus wie Matthäus, aber er benutzt es nicht für „die Hohenpriester und Schriftgelehrten“ (Markus und Matthäus), sondern direkt für „die Heiden“. Lukas lässt auch die beiden Gruppen und ihre Rolle aus, nämlich, dass sie „zum Tode verurteilen“. Warum hat er diese beiden Informationen weggelassen? Vielleicht wegen der Doppelung. Lukas hat den Lesern schon in der ersten Ankündigung 9,21-22 diese Informationen gegeben. Daher lässt er einfach die doppelte Überlieferung aus. Diese Tendenz scheint er auch in der zweiten Ankündigung zu verfolgen. Die zweite Ankündigung der Leiden Lk 9,44-45, die zu Mk 17,22-23 und Mt 9,30-32 parallel ist, ist wesentlich kürzer als bei den anderen Synoptikern. Da berichtet Lukas nur „der Menschensohn wird überantwortet werden in die Hände der Menschen“, während andere Synoptiker nochmal über sein Leiden, seinen 582 583 584 585
Rengstorf, K.H., Das Evangelium, 211 Vgl. Bauer, W., Aland, K. und B.(Hg): Griechisch-deutsches Wörterbuch, 1616-1617. Es kommt in 15,28 vor, aber es ist in der späteren Überlieferung. Schürmann, H., Jesu Abschiedsrede Lk 22,21-38, 124.
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Tod und seine Auferstehung schreiben. Lukas gibt den Lesern neue Informationen und seine zweite Ankündigung ergänzt und verstärkt sie zugleich. Lukas hat 9,44 berichtet, dass der Menschensohn überantwortet werden wird in die Hände der Menschen. Da benutzt er das Wort paradi,dwmi, und hier in 18,32 schreibt er auch paradi,dwmi. Er berichtet den Lesern nämlich, dass der Menschensohn „in die Hände der Menschen (9,44)“ „to‹j Ÿqnesin“ überliefert werden wird. Wer ist eigentlich e;qnoj für Lukas? Während der Singular und Plural von e;qnoj meistens für Heiden außer dem Volk Israel verwendet werden (Pl: Lk 12,30; Apg 4,25.27; 7,7.45; 8,9; 9,15; 10,45; 11,18; 13,47; 14,2.5.27; 15,3.12.14.19.23; 21,11.19.25; 26,17.20.23, für Sg: Apg 7,7; 8,9), wird aber der Singular teilweise für das Volk Israel benutzt (Sg: Lk 7,5; 21,10; 23,2; Apg 24,17). Wenn das Wort pa,nta oder pan vor bzw. hinter dem Wort Ÿqnh bzw. e;qnoj steht, ist die Bedeutung entweder „alle Völker inklusive Israel (Lk 24,47; Apg 17,26)“ oder „alle Völker außer Israel (Apg 14,16; 21,24)“. Wenn der Plural von e;qnoj ohne pa,nta oder pan vorkommt, zeigt es für Lukas »die Heiden« (vgl. 21,11).586 Man kann sagen, dass, da Lukas »Jesus wird den Heiden überantwortet ..... « geschrieben hat, Lukas ein negatives Gefühl gegenüber den Heiden hat. Aber diese Behauptung ist nicht überzeugend. Der Grund, warum Lukas es so geschrieben hat, ist der, dass er einfach seiner Vorlage folgte.587 Er will die Geschichte nicht völlig neu schreiben. Es geht um die klare historische Realität,588 die Lukas nicht verändern wollte. Dazu beschreibt er noch genauer, was der Menschensohn erleiden wird. Øbri,zw ist von Lukas hinzufügt worden (vgl. 11,45).589 33: Während Markus die Form Indikativ Futur mastigw,sousin benutzt, verwendet Lukas die Form Partizip Aorist mastigw,santej. Das ist eine kleine lukanische literarische Veränderung. th/| h`me,ra| th/| tri,th| ist anders als der markinische Ausdruck meta. trei/j h`me,raj. Matthäus schreibt th/| tri,th| h`me,ra|. Diese matthäische Form kommt in Lk 9,22 vor. Lukas schreibt zwar dort, wo er die Auferstehung Jesu erklärt, th/| tri,th| h`me,ra (24,7.46; Apg 10,40), aber er schreibt hier ausnahmsweise th/| h`me,ra| th/| tri,th, während Matthäus ausnahmslos th/| tri,th| h`me,ra schreibt (Mt 16,21; 17,23; 20,19). 34: Die Abschlussrede kommt nur im Lukasevangelium vor. Hier betont Lukas noch einmal, dass die Jünger die Rede Jesu nicht verstanden haben und sie
586 587 588 589
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Bovon, F., Lukas, Das Evangelium III/3, 244. Schweizer, E., Das Evangelium, 191. Bovon, F., Das Evangelium III/3, 244-245. Einige Handschriften (D L 700. 1241 pc it syp ) lassen die Wörter kaˆ ubrist»setai aus, aber sie scheinen von Quantität und Qualität her etwas Späteres zu sein. Dazu Grundmann, W., Das Evangelium, 356 dies sei ein griechischer Ausdruck, der vor allem in der Tragödie seine große Bedeutung hat.
vor ihnen verborgen ist. Eigentlich hat Lukas schon in der zweiten Ankündigung Jesu Leiden, Tod und Auferstehung (9,45) beschrieben. In der zweiten Ankündigung (9,45) folgt Lukas im Wesentlichen seiner markinischen Vorlage und benutzt den markinischen Wortschatz hvgno,oun (nicht verstanden) und evfobou/nto (fürchteten sich). Aber er betont das fehlende Verständnis der Jünger hier noch einmal mit anderen Worten, nämlich sunh/kan (verstehen, einsehen, begreifen) und evgi,nwskon (erkennen, kennen, kennenlernen). Und er fügt noch das Wort kekrumme,non (verborgen) hinzu, was ein lukanischer Ausdruck ist, den andere Synoptiker nicht gebrauchen. Was wollte Lukas durch diese Betonungen bewirken? Auf jeden Fall zeigt er den Lesern, dass die Ankündigung von den Jüngern von vorneherein nicht erkannt werden kann. Von diesem Unverständnis der Jünger hatte er schon seit seiner zweiten Ankündigung von Jesu Leiden, Tod und Auferstehung berichtet, und er will es hier noch mal betonen. »Das Leidensgeheimnis« bleibt bei Lukas bis zur Auferstehung Jesu bestehen.590 Anders als Lukas berichtet Markus nicht darüber. Markus schreibt nichts über die Reaktion der Jünger in 10,32-34, aber der Verfasser des sekundären Markus-Schlusses berichtet nach Lukas, dass sie nach der Auferstehung Jesu von ihrem Lehrer gescholten werden (Mk 16,14). Anders als Markus berichtet Matthäus, dass die meisten Jünger dem Befehl folgen, der durch die Frauen mitgeteilt wird (Mt 28,10.16). Matthäus betont nicht, dass die Jünger die Auferstehung Jesu nicht geglaubt haben, sondern dass sie dem Befehl Jesu folgen (28,16-17). Dazu schreibt Matthäus nicht, dass Jesus seine Jünger tadelt. Im Vergleich zu Matthäus und Markus beschreibt Lukas den Zeitpunkt, als die Jünger die Ankündigung Jesu verstehen, sehr deutlich. Die Jünger hatten sie nicht verstanden, bis die Frauen das, was ihnen geschah, mitteilten. Die Engel erklären den Frauen, was Jesus in Galiläa gesagt hat. „Gedenkt daran, wie er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war: Der Menschensohn muss überantwortet werden in die Hände der Sünder und gekreuzigt werden und am dritten Tage auferstehen“ (24,7). Bis die Frauen es berichten, verstehen und glauben die Jünger die Auferstehung Jesu nicht. Erst als Jesus es ihnen direkt erklärt, verstehen sie seine Ankündigung. Lukas schreibt in 24,44-46 „Er sprach aber zu ihnen: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen. Da öffnete er ihnen das Verständnis, so dass sie die Schrift verstanden(tou/ sunie,nai), und sprach zu ihnen: So steht es ge590 Bovon, F., Lukas, Das Evangelium III/3, 245; er findet in V. 34 und V. 31b deutlich redaktionell und theologisch befrachtete Begriffe.
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schrieben, dass Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage“. Hier schreibt Lukas deutlich suni,hmi, was er bereits in 18,34 geschrieben hat. Die Jünger hatten die Ankündigung Jesu nicht verstanden, bis Jesus sie nach seiner Auferstehung noch einmal erklärt (vgl. 24,26-27; 24,44-45).591 Die Auferstehung Jesu ist die Zeit, wo alle verborgenen bzw. dunklen Dinge entdeckt bzw. klar werden.592
1.4. Das Gesetzverständnis Jesu in Lk 18,31-34 Lukas verwendet in 18,31-34 den Begriff „die Propheten“ in zwei Kontexten. Wenn Lukas „die Propheten“ im Zusammenhang mit den Schriften und dem Gesetz benutzt, stehen die Propheten damit für einen Teil des Alten Testaments. Hier hat der Begriff „die Propheten“ die gleiche Bedeutung und Größe wie das Gesetz (Lk 16,16.29.31) und gleichzeitig prophetische Funktion (Lk 24,27.44). Wenn aber das Wort „die Propheten“ allein verwendet wird, hat es ebenfalls prophetische Funktion (Lk 4,17-21; 18,31) und es bezieht sich entweder auf einen oder mehrere Propheten oder die prophetischen Bücher des Alten Testaments (Lk 1,70.76; 2,36; 3,4; 4,17 usw.). In dieser Perikope wird der Begriff „die Propheten“ allein verwendet und hat prophetische Funktion. Sie fungieren wie ein Drehbuch, das Gott selbst über Jesus entworfen hat.593 In 18,31-34 (VV. 18,32-33 „Denn er wird den Nationen übergeben werden und wird verspottet und geschmäht und angespuckt werden und nachdem sie ihn gegeißelt haben, werden sie ihn töten und am dritten Tag wird er auferstehen.“) findet sich der Inhalt dieses Drehbuches.594 Die Propheten bzw. die Schriften sind das Programm der Heilsgeschichte Jesu, in dem Informationen über den Weg Jesu enthalten sind. Jesus ist von diesem Drehbuch bzw. Programm abhängig und er muss bzw. will nach diesem Programm handeln.595 In Lk 12,50 z.B. kündigt Jesus seinen Weg an. „Aber ich muss mich zuvor taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange, bis es vollbracht ist“ (e[wj o[tou telesqhsqh/|). Er sagt, dass er sich taufen lässt. Die Taufe ist aber schon eine geplante Sache, die nicht von seinem Willen abhängt. 591 Klostermann, E, Das Lukasevangelium, 183; Vgl. Wiefel, W., Das Evangelium, 324; Dagegen Schmid, J., Das Evangelium, 285. 592 Vgl. Bovon, F., Das Evangelium III/3, 249.250. 593 Schneider, G., Die Passion, 164-165; Ernst, J., Das Evangelium nach Lukas, Regensburg 1977, 452. 594 Vgl. Schweizer, E., Das Evangelium, 191; er benennt diese Zeichen als „Plan Gottes“. 595 Conzelmann, H., Die Mitte, 161; „Der Heilsplan ist ausschließlich Gottes Plan, wie act 1,7 thematisch darstellt; Jesus fungiert in demselben als Werkzeug.“
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In Lk 24,36-49 wird das Wort „die Propheten“ mit „dem Gesetz und Psalm“ zusammen verwendet. Hier findet sich auch die prophetische Funktion. Jesus sagt den Jüngern in Lk 22,37, „es muss das an mir vollendet werden, was geschrieben steht: »Er ist zu den Übeltätern gerechnet worden.« Denn was von mir geschrieben ist, das wird vollendet.“ In dieser Perikope (22,36f) bestätigt Jesus, dass das, was geplant ist, auch vollendet werden muss. Jesus befahl den Jüngern, Geldbeutel und Tasche zu nehmen und ein Schwert zu kaufen. Diese Szene zeigt, dass Jesus sich der Schrift anpasst.596 Die Perikope 24,46 („So steht es geschrieben, dass Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage“) ist auch der Inhalt des Drehbuches (vgl. V. 24,44 „Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen“). Jesus übertritt den Weg, der von dem Gesetz und den Propheten vorgegeben wurde, nicht, sondern folgt ihm. Jesus scheint nicht der Mann zu sein, in dem sich alle Propheten erfüllen, sondern Jesus folgt eher diesem Weg nach, der ihm durch alle Vorhersagen der Propheten oder der Schriften vorgeschrieben ist597 (Lk 22,42; vgl. 22,22). In 24,44 spricht Jesus von der Notwendigkeit der Erfüllung der ganzen Schrift.598 Sie muss erfüllt werden. Dies zeigt nicht, dass der Schrift etwas fehlt. Vielmehr ist die Schrift als Wille Gottes völlig ausreichend. Die ganze Schrift ist von Gott gegeben und gleichzeitig Wille Gottes. Jesus musste dem nachfolgen, was über ihn in der Schrift geschrieben steht, um den Willen Gottes zu verwirklichen. Und er tat es. Unter diesem Aspekt erscheint Jesus nicht als Brecher des Gesetzes bzw. der Prophezeiung, sondern als Befolger des Gesetzes und Erfüller der Propheten.
2. Der Beweis durch das Gesetz: Lk 24,36-49 2.1 Übersetzung 36 Während sie aber dies redeten, stand er selbst in ihrer Mitte und sagte ihnen: Friede euch! 37 Sie aber erschraken und wurden voll von Furcht und meinten, einen Geist zu sehen. 38 Und er sprach zu ihnen: Warum seid ihr bestürzt, und weshalb steigen Gedanken auf in euren Herzen? 596 Schneider, G., Die Passion Jesu, 165. 597 Schneider, G., Die Passion, 166; Ernst, J., Das Evangelium, 452. 598 Vgl. Wiefel, W., Das Evangelium, 416-417.
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39 Seht meine Hände und meine Füße, daß ich es selbst bin; fasst mich an und seht! Denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, daß ich habe. 40 Und nachdem er dies gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und die Füße. 41 Als sie aber noch nicht glaubten vor Freude und sich wunderten, sprach er zu ihnen: Habt ihr hier etwas zu essen? 42 Sie gaben ihm ein Stück gebratenen Fisch; 43 und er nahm und aß vor ihnen. 44 Er sprach aber zu ihnen: Dies sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war, daß es notwendig ist, alles zu erfüllen, was über mich geschrieben steht in dem Gesetz Moses und in den Propheten und Psalmen. 45 Dann öffnete er ihr Verständnis, damit sie die Schriften verständen, 46 und sprach zu ihnen: So steht geschrieben, dass der Christus leiden wird und am dritten Tag auferstehen aus den Toten 47 und in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden in allen Nationen gepredigt werden, anfangend von Jerusalem. 48 Ihr seid Zeugen dafür, 49 und siehe, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch. Ihr aber sollt in der Stadt bleiben, bis ihr bekleidet werdet mit Kraft aus der Höhe!
2.2 Struktur und Inhalt Das ganze Kapitel 24 handelt von der Auferstehung Jesu. Der Bericht über seine Auferstehung 24,1-12 wird zuerst von den „zwei Männern“ (V. 4) den Frauen (V. 10) gegeben. Als erstes erscheint Jesus den Emmausjüngern (24,13ff), und direkt nach diesem Gespräch tritt er selbst mitten unter sie. Diese Szene ist seine zweite Erscheinung nach der Auferstehung im Lukasevangelium. In dieser Geschichte geht es um den Beweis Jesu.599 Diese Szene kann methodisch in zwei Teile geteilt werden.600 Der erste Teil ist VV. 36-43, dort geht es um den Selbstbeweis Jesu mit seinem Körper (vgl. 24,28ff). Der zweite Teil ist VV. 44-49. Dort geht es um den Selbstbeweis Jesu durch das Gesetz, die Propheten und die Psalmen. Jesus will 599 Ernst, J., Das Evangelium, 449. 600 Schneider, G., Das Evangelium, 501; Vgl. Grundmann, W., Das Evangelium, 448-449; Er teilt die Szene (24,36-53) in drei Perikopen: „die Versicherung der realen Auferweckung V.36-43, die Einsetzung in das Apostelamt V.44-49 und der Abschied VV.50-53.“ Vgl. Müller, P.G., Lukas-Evangelium, 179.
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überzeugen und beweisen, dass er der Jesus ist, der vom Tode auferstanden ist, wie er früher gesagt hat. Diese Szenen sind auch eine Erfüllungsgeschichte, da sie schon früher von Jesus selbst angekündigt wurden. Die Gliederung ist folgendermaßen: I. VV. 36-43 Der erste Selbstbeweis Jesu mit seinem Körper 36: Die Erscheinung Jesu 37: Die Reaktion der Jünger 38-40: Der Beweis Jesu mit seinem Körper (1) 41a: Die Reaktion der Jünger 41b-43: Der Beweis Jesu mit seinem Körper (2) II. VV. 44-49 Der zweite Selbstbeweis Jesu durch das Gesetz, die Propheten und die Psalmen 44: Der Beweis Jesu durch das Gesetz, die Propheten und die Psalmen (1). 45-47a: Der Beweis Jesu durch das Gesetz, die Propheten und die Psalmen (2). 47b-48: Die Mission der Jünger 49: Die Verheißung Jesu
2.3 Analyse 36: Als »sie« (die Jünger) von der Auferstehung Jesu redeten, trat »er« (Jesus) in ihre Mitte. Die Verwendung der Pronomen ist lukanisch. Lukas benutzt oft Pronomen für die Verknüpfung mit der vorangehenden Szene, um die Erzählung flüssiger zu gestalten.601 Der Satz fängt mit einem Gen. Abs. an. lalou,ntwn kommt fünfmal im NT vor, aber nur im lukanischen Doppelwerk.602 Lukas verwendet lalou,ntwn entweder mit dem Gen. Abs. (Lk 24,36; Apg 4,1) oder mit dem Verb ¢kou,w (Apg 2,6.11; 10.46). Das Tempus ist hier nicht konsequent. Der Hauptsatz ist ein Partizip Aorist e;sth, während der Nebensatz ein Partizip Präsens lalou,ntwn ist. Aber diese Verbindung ist nicht neu, da diese unkonsequenten Tempora im Gen. Abs. Satz sowohl für Lukas603 als auch für andere Synoptiker604 ganz normal sind. Es gibt auch Beispiele, bei denen der Hauptsatz das gleiche Tempus hat, z.B wenn das Partiziptempus im Gen. Abs. Aorist steht, steht auch im Hauptsatz 601 602 603 604
Vgl. Lüdemann, G., Jesus nach 2000, 522. Lk 24,36; Apg 2,6.11; 4,1; 10.46. Lk 2,42; 3,15-16; 7,42; 8,23; 9,37.57; 19,11.33; 24,41; Apg 1,9; 4,1; 13,2; 18,6.20; 22,23-24. Mk 9,9; 14,18.22; Mt 9,32; 17,9.22; 20,29; 25,10; 26,21.26; 27,17; 28,11.
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entweder Aorist (Lk 4,2; 22,55; 24,5; Apg 2,6; 4,31; 25,17) oder Imperfekt (Apg 13,42).605 Das Übersetzungstempus ist nicht abhängig vom Partizip, sondern vom Verb im Hauptsatz. Auffällig ist das nächste Verb le,gei. Das Tempus ist hier auch nicht konsequent. Das Präs. historicum scheint eine vorlukanische Tradition zu sein.606 Die lukanische Vorzugswendung ist eŒpen.607 Einige Handschriften D, it lassen kai. le,gei auvtoi/j\ eivrh,nh u`mi/n aus. Aber die übrigen Handschriften (einschließlich P75) lesen diesen Satz. Diese Handschriften sind der ursprüngliche Lukastext. 37: Warum erschraken die Jünger eigentlich, obwohl doch die Emmausjünger doch gesagt haben, sie hätten ihn gesehen? ptoe,omai kommt nur im Lukasevangelium vor.608 e;mfoboi geno,menoi ist auch eine typisch lukanische Wendung (vgl. 24,5; Apg 10,4; 24,25). Die Jünger meinen, dass sie einen Geist sähen. Ihr Erschrecken und Fürchten ist vorstellbar, obwohl sie schon durch andere Jünger davon gehört haben (24,34-36a.). Lukas benutzt pneuma nur in dieser Perikope (inkl. V. 39) in Bezug auf das Gespenst (vgl. Mk 14,26). Die Handschrift (D) verwendet fa,ntasma statt pneuma, wobei dem äußerlichen Befund nach pneuma ursprünglicher Lukastext ist. Lukas erklärt gleichzeitig durch ihr Erschrecken und ihre Furcht den Lesern, wie die Leibhaftigkeit des Auferstandenen unvorstellbare Wirklichkeit ist. 38-40: Jesus beweist ihnen selber zuerst mit dem Körper, dass er kein Gespenst, sondern ein lebendiges Wesen mit einem Leib ist.609 Jesus fragt die Jünger, „Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz?“ (V. 38) Die periphrastische Konjugation (eŒnai + Part. Perf.) zeigt ein gutes griechisches Niveau.610 In der Tat kommt diese Verwendung am häufigsten im lukanischen Doppelwerk vor.611 tetaragme,noi scheint lukanische Redaktion zu sein, denn tara,ssw im Perf. kommt im ganzen NT nur hier vor.612 dialogismoi. avnabai,nousin evn th/| kardi,a| scheint auch eine lukanische Redaktion zu sein, denn „dialogismoi. mit kardi,a|“ kommt nur im Lukasevangelium vor (vgl. 2,35). Die Jünger brauchen sich nicht zu fürchten. Vielmehr müssen sie seine Auferstehung bestätigen, nachdem sie
605 606 607 608 609 610 611 612
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Vgl. Mk 6,54; 11,12; Mt 14,32; 17,24. Jeremias, J., Die Sprache, 320. Vgl. a.a.O., 33. Lk 21,9;24,37. Ernst, J., Das Evangelium, 450. Vgl. Jeremias, J., Die Sprache, 24. Mt 10, Mk 6, Lk 24, Apg 21 mal. Vgl. Jeremias, J., Die Sprache, 320.
seinen Körper gesehen und angefasst haben. Jesus zeigt den Jüngern seine Hände und seine Füße (V. 40), um nachzuweisen, dass er kein Gespenst ist.613 41-43: Ihr Erschrecken und Fürchten verändert sich zur Freude. Jesus versucht weiter (sein zweiter Versuch) zu beweisen, dass er körperlich auferstanden ist. Obwohl Jesus sich selbst direkt vor den Jüngern gezeigt hat, glauben die Jünger nicht an seine Auferstehung. Jesus fragt, ob sie etwas zu essen haben. Diese Szene lässt an das erinnern, was Jesus den Emmausjüngern getan hat (24,30ff). Jesus nahm das Brot, dankte, brach es und gab es ihnen (24,30). Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten Jesus (24,31). Dagegen macht es Jesus hier aber zunächst passiv: Er nahm es und aß allein, ohne zu danken und es zu verteilen (24,43). Solange Jesus es aß, wurden ihre Augen noch nicht geöffnet (vgl. 24,31). Jesus will mit seiner Handlung (Fisch zu essen) nicht ihre Augen öffnen, sondern beweisen, dass er kein Gespenst ist. Ein Gespenst hat nach jüdischer Anschauung weder Fleisch noch Knochen614 (V. 39), und isst gar nicht (vgl. Tob 12,19). Diese Szene wird später durch Petrus wieder ein Beweis bzw. Argument sein, dass er von Gott körperlich auferweckt wurde (Apg 10,40-41). 44-49: Der zweite Beweis Jesu fängt an: Nachdem der unerkannte Jesus gezeigt hatte, dass er kein Gespenst war, erinnerte er die Jünger an das, was er zu ihnen gesagt hatte, als er noch bei ihnen war. „Als ich noch bei euch war“ e;ti w'n su.n u`mi/n erinnert an die Szene 18,31, in der Jesus Leidensweg und Auferstehung angekündigt wird. Erst als er ihnen mit dem Gesetz, den Propheten und den Psamlem sagt, dass Christus all dies erleiden muss, erkennen sie, dass es sich bei Jesus um Christus handelt. Diese Szene erinnert stark an Jesus Begegnung mit den Emmausjüngern in der vorhergehenden Szene, wobei die Reihenfolge umgekehrt ist. Den Emmausjüngern erklärte Jesus sich mit den Propheten und dem Gesetz, aber sie verstanden seine Erklärung erst später dadurch, dass er beim Essen das Brot brach und es ihnen gab (V. 27.31.32). Das beide Szenen verbindende Element ist, dass die Jünger erst viel später als der Leser erfahren, dass es sich um Jesus handelt. Der Leser weiß dies von Anfang an, den Jüngern hingegen werden die Augen erst durch Jesus Handeln beim Essen bzw. seinen Hinweis auf die Schrift geöffnet. Auffallend ist, dass Jesus zwar in 18,31 nur „die Propheten“ erwähnt hat, aber hier (V. 44) außer „den Propheten“ das Gesetz Mose und Psalmen ergänzt. „Die Propheten“ in 18,31 waren ein markinischer Einfluss. Lukas folgte einfach seiner
613 Zum diesem Thema, Bill. II, 300. 614 Grundmann, W., Das Evangelium, 451.
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Vorlage, ergänzte sie aber durch einen eigenen Gedanken.615 Im Neuen Testament stehen nur hier die Psalmen mit dem Gesetz Mose und den Propheten zusammen. Auffallend sind die Wörter plhrwqh/nai (24,44) und telesqh,setai (18,31). Lukas schreibt es jeweils unterschiedlich mit pa,nta ta. gegramme,na; plhrwqh/nai pa,nta ta. gegramme,na (24,44) und telesqh,setai pa,nta ta. gegramme,na (18,31). pa,nta ta. gegramme,na ist auch wie die singularische Wendung to. gegramme,non (20,17; 22,37) lukanisch. tele,w mit ta. gegramme,na kommt nur im Lukasevangelium vor. Anders als tele,w kommt plhro,w auch häufig bei anderen Synoptikern vor, besonders im Matthäusevangelium. V. 45 „Die Schriften“ h`` grafh, bezeichnet hier die ganzen Schriften, die in V. 44 genannt werden.616 VV. 45-46a ist eine Erläuterung, die Lukas für das Verständnis seiner Leser extra schreibt. Jesus versucht mit einer konkreten Perikope seine Jünger verstehen zu lassen. Das Wort noàj kommt nur hier in einem der synoptischen Evangelien vor. V. 46b ist der Inhalt, der im Gesetz Mose, in den Propheten und in den Psalmen von Jesus steht. Jesus beweist wieder wie in V. 26, dass er Christus ist. In seinen früheren Ankündigungen benutzte Jesus nicht diesen christologischen Hoheitstitel für sich selbst, sondern nannte sich »Menschensohn« (vgl. 9,22.44; 18,31.32).
2.4 Das Gesetzesverständnis in Lk 24,36-49 In dieser Perikope Lk 24,36-49 findet man die Funktion des Beweises des Gesetzes in Bezug auf Propheten und Schriften. Lukas hat die Absicht, Jesus selbst und die Heilsgeschichte Jesu durch die Verheißung der Propheten bzw. der Tora zu unterstützen.617 Diese Tendenz kommt häufig bei Lukas vor. 618 Während andere Synoptiker die Ankündigung von Jesu Leiden, Tod und Auferstehung direkt durch den Mund Jesu verkündigen, berichtet Lukas sie allein in Bezug auf das Gesetz und die Propheten. Lukas will durch das Gesetz und die
615 Jeremias, J., Die Sprache, 321; Anders Schmithals, W., Das Evangelium, 236: Von V 44 an spreche aber zweifellos Lukas selbst. 616 Vgl. Bauer, W., Aland, K. und B.(Hg): Griechisch-deutsches Wörterbuch, 331; Hahn, F., Hahn, F., Theologie, 40. 617 Conzelmann, H., Die Mitte, 147: „Jesus selbst führt den Schriftbeweis schon zu Lebzeiten – das besagt Lc 24,44- und nach seiner Auferstehung, Lc 24,27.“ 618 Bovon, F., Das Evangelium, 246; „Lukas ist einer von denen, die die biblische Verankerung des Schicksals Jesu am stärksten betonen“.
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Propheten beweisen, dass Jesus der Menschensohn ist619 und dass Jesus als Christus leiden muss. „Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn“ (18,31). „Er sprach aber zu ihnen: Dies sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war, daß es notwendig ist, alles zu erfüllen, was über mich geschrieben steht in dem Gesetz Moses und in den Propheten und Psalmen. Dann öffnete er ihr Verständnis, damit sie die Schriften verständen, und sprach zu ihnen: So steht geschrieben, dass der Christus leiden wird und am dritten Tag auferstehen aus den Toten.“ (Lk 24,44-46). Aber es ist den Jüngern verborgen, bis Jesus nach seiner Auferstehung noch mal zu ihnen darüber spricht (24,44ff). In Apg 17,2ff beweist Paulus auch mit der Schrift, dass Jesus der Christus ist „Wie nun Paulus gewohnt war, ging er zu ihnen hinein und redete mit ihnen an drei Sabbaten von der Schrift, tat sie ihnen auf und legte ihnen dar, dass Christus leiden musste und von den Toten auferstehen und dass dieser Jesus, den ich euch verkündige, der Christus ist“. Lukas benutzt die Tora bzw. die Propheten, um zu beweisen, wer Jesus ist.620 Die Tora, die Propheten und die ganzen Schriften stehen Jesus weder gegensätzlich gegenüber noch sind sie identisch mit ihm. Jesus ist nämlich kein Gegner der Tora und der Propheten, und Jesus stellt sich im Lukasevangelium selbst nicht über die Tora.621 Jesus und das Gesetz haben einfach jeweils eine eigene Funktion und stehen in guter Wirkung nebeneinander. Das Gesetz ist für Jesus ein Beweismittel, mit dem Jesus seine Identität erklären kann. Solche Fälle haben wir schon in der Geschichte »Die Heilung eines Aussätzigen « (5,12ff) gesehen. Da wird das Gesetz („wie Mose geboten hat“) als Beweis benutzt „Geh aber ihn und zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, wie Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis“(5,14). Obwohl Jesus den Mann geheilt hat, ist die Heilung nicht beendet. Der Mann soll weiter tun, wie Mose geboten hat, wenn er in seiner Gesellschaft offiziell bewiesen werden möchte („ihnen zum Zeugnis“). Jesus befahl es ihm. Wenn Jesus gegen das Gesetz wäre oder es ignoriert hätte, hätte er ohne weiteren Befehl einfach „Geh!“ sagen können. Jesus unterscheidet zwischen seiner Arbeit und dem Beweis. Die Heilung ist die Funktion Jesu und der Beweis ist mit dem Gesetz verbunden.
619 Conzelmann, H., Die Mitte, 159 Anm. 2. 620 Vgl. Rothfuchs, W., Die Erfüllungszitate, 148-149. 621 Vgl. Hübner, H., Das Gesetz, 211 „Jesus ist von der Autorität des Gesetzes getragen, nicht aber steht er autoritär über dem Gesetz“.
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Auch in Lk 24,25ff erklärt Jesus nach seiner Auferstehung den Jüngern mit dem Gesetz und allen Propheten, dass er Christus sei. „Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war“ (24,25-27).622 Apollos weist auch in Ephesus durch die Schrift aus, dass Jesus der Christus ist (Apg 18,28). In Rom beweist Paulus Jesus mit dem Gesetz und Propheten „Da erklärte und bezeugte er ihnen das Reich Gottes und predigte ihnen von Jesus aus dem Gesetz des Mose und aus den Propheten vom frühen Morgen bis zum Abend.“ (Apg 28,23). Zu beweisen ist keine Funktion Jesu, sondern der Beweis ist mit dem Gesetz, den Propheten und der Schrift verbunden. In Lk 24,44 übernehmen das Gesetz des Mose, die Propheten und die Psalmen auch die Funktion des Beweismittels.623 Sie enthalten die Informationen über Jesus. Sie sind ein Zeugnis, das beweist, dass Jesus Christus ist. Jesus wird unterstützt vom Gesetz bzw. von der ganzen Schrift. Dieser Beweis ist die Funktion der ganzen Schrift. In V. 46 beweist Jesus mit der Schrift noch mal das Leiden, Tod und Auferstehung von Christus. Schlißlich kann man sagen, dass das Gesetz bzw. die Schrift für Jesus von Anfang an ein Beweismittel ist. Meiner Meinung nach haben das Gesetz und Jesus bei Lukas jeweils eine eigene Funktion. Jesus respektiert und befolgt das Gesetz und dessen Autorität bzw. Funktion. Das Gesetz bzw. die Schrift beweist, wer Jesus ist. Durch die Zusammenarbeit der ganzen Schrift mit Jesus, wird die Heilsgeschichte Gottes verwirklicht. In diesem Sinne ist das Gesetz der erste Zeuge, der beweist, wer Jesus ist. Die Jünger sind die zweiten Zeugen dafür, was das Gesetz bewiesen hat und was Jesus passiert ist (VV. 46-48).
622 Schneider, G., Die Passion, 166 623 Anders Smend, R., Luz, U., Gesetz, Stuttgart.Berlin.Köln.Mainz 1981, 132; „Dennoch behält das Gesetz eine wichtige positive Rolle: Gesetz und Propheten rücken zusammen und werden als Weissagung interpretiert“.
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H. Zum Gesetzesverständnis in der Apostelgeschichte
Bis zu dieser Stelle habe ich mich mit dem Gesetzesverständnis Jesu im Lukasevangelium beschäftigt, aber um das lukanische Gesetzesverständnis umfassend darzustellen, werde ich das Gesetzesverständnis in der Apg kurz skizzieren, da die Apg auch ein lukanisches Werk ist. Die Apostelgeschichte ist auch eine Erfüllungsgeschichte. Aber Lukas schreibt die Apostelgeschichte nicht nur als Erfüllung des Alten Testaments (1,20; 2,16), sondern auch als Erfüllung des Lukasevangeliums (1,1ff). Jesus als Christus wird in der Apg nicht mehr verborgen. Jesus wird öffentlich eher Christus als der Menschensohn genannt (2,36; 4,42) und er wird öffentlich als der Weg zum Heil verkündigt (2,38-40. 47; 4,12). Jesus steht im Zentrum der Verkündigung. Im Namen Jesu Christi werden viele Kranke geheilt (3,6.16). Das Gesetz ist für die Juden, aber Jesus Christus wird nicht nur für Juden, sondern für alle Herr sein (10,34-43; 11,18). Im Lukasevangelium nimmt das Gesetz (bzw. die Propheten und Schriften) immer noch eine eigene Funktion ein. Jesus und seine Eltern führten ein Leben nach dem Gesetz (besonders in seiner Kindheit) und Jesus hat das Gesetz bzw. seine Funktion respektiert. Es ist auffallend, dass in der Apg das Verhalten des irdischen Jesus gegenüber dem Gesetz nicht noch einmal thematisiert wird. Wie ist dann das lukanische Gesetzesverständnis in der Apg? Der Hinweis auf das Gesetzesverständnis in der Apg kommt primär in der Rede des Petrus (3,12ff). Petrus predigt zu der Menge (3,12ff). „Gott aber hat erfüllt, was er durch den Mund aller seiner Propheten zuvor verkündigt hat: dass sein Christus leiden sollte“ (3,18.21-24). Petrus verkündigt Jesus zusammen mit den Propheten und Mose. Hier benutzt Petrus das Gesetz als Beweismittel für die Messianität Jesu. Lukas erzählt in der Geschichte „von Stephanus vor dem Hohen Rat“, dass Stephanus von den Pharisäern und Schriftgelehrten angeklagt wurde (6,8ff) und dass falsche Zeugen, die behaupteten, dass Stephanus gegen das Gesetz bzw. Mose geredet hätte, vor den Hohen Rat geladen wurden. Lukas aber erzählt, dass dieses Zeugnis falsch war (6,13). Das heißt, nicht die ersten Zeugen handelten gegen das Gesetz, sondern vielmehr die Pharisäer und Schriftgelehrten (7,39-53). In der Rede des Stephanus (7,52-53) wurde Jesus durch die Propheten als der Gerechte verkündigt. Die Juden haben dieses Gesetz empfangen aber nicht ge-
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halten. Auch Paulus verkündigt Jesus mit den Propheten und Mose (26,22ff). Das Gesetz zeigt hier, wer Jesus ist und was Christus erleben wird (26,22-23). Das ist die eigene Funktion des Gesetzes (vgl. 28,23 „Da erklärte und bezeugte er ihnen das Reich Gottes und predigte ihnen von Jesus aus dem Gesetz des Mose und aus den Propheten vom frühen Morgen bis zum Abend“). Petrus, Stephanus und Paulus haben gezielt Jesus verkündigt. Sie mussten die Messianität Jesu beweisen. Womit? Natürlich brauchten sie Schriftbeweise, die alle Juden akzeptieren konnten. Das sind das Gesetz und die Propheten (vgl. 18,28). Ohne ihre Beweise hätten sie Jesus nicht erklären und verkündigen können, denn es geht um die traditionelle Rechtmäßigkeit. Das Gesetz wurde von den ersten Verkündigern verwendet, um die Rechtmäßigkeit Jesu zu beweisen. In Apg 11 kommt ein neuer Aspekt für das Heil hinzu. Sogar die jüdischen Christen mögen den Kontakt zu Heiden nicht (11,3). Sie dachten bis dahin, dass das Heil nur für Juden gilt. Gingen sie davon aus, dass das Heil nur für Juden durch das Gesetz gilt?624 Durch die Erscheinung bei Petrus (11,5ff) ändert sich der klassische jüdische Heilsaspekt dahingehend, dass auch Heiden durch Jesus Christus gerettet werden (11,18). Für Juden ist es unmöglich, dass die Heiden durch das Gesetz gerettet werden können (vgl. 15,1). Darum ist Jesus nicht nur für Juden, sondern auch für Heiden der neue Weg zum Heil. Jesus ist sowohl der Weg zum Heil, als auch der Weg zum ewigen Leben. Im Lukasevangelium war das Gesetz der Weg bzw. das Tor zum ewigen Leben (Lk 18,18ff). Jesus hatte dies akzeptiert. Aber das Thema ‚das ewige Leben‘ ist in der Apg in den Hintergrund getreten. Dieses Thema wird in der Apg nur einmal erwähnt und das Wort zwh. aivw,nioj kommt nur zweimal vor (13,46.48). In der Perikope (Apg 13,13-52) predigt Paulus in Antiochia in Pisidien und verkündigt Jesus als Heiland (swth/ra) für das Volk Israel (13,23). Jesus ist die Verheißung Gottes (V. 23. 32), das Wort des Heils (V. 26) und die Erfüllung der Verheißung Gottes (V. 33). Die Vergebung der Sünden wird durch Jesus verkündigt. Man wird nicht durch das Gesetz des Mose gerecht werden können, sondern durch Jesus (VV. 38-39). Die Geschichte Jesu ist die Verheißung und das Wort Gottes. Paulus und Barnabas sprechen das Wort Gottes zuerst zu den Juden, aber die Juden akzeptierten es nicht. Die Juden halten sich nicht des ewigen Lebens für würdig (V. 46). Daher wenden sich Paulus und Barnabas den Heiden zu, die das Wort des Herrn preisen und froh sind, dass sie hören: „Ich habe dich zum Licht der Heiden gemacht, damit du das Heil seist bis an die Enden der Erde“ (Jesaja 49,6). Paulus und Barnabas verwenden hier deutlich „das Gesetz des Mose“ und die Vorhersage der Propheten bzw Psalmen. Paulus und Barnabas verkündigen 624 Vgl. Wilson, S. G., Luke, 13-18: Er schreibt für die Perikope Lk 16,17; 10,25-28 und 16,29.31, dass das Gesetz der Weg für das Heil ist.
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Jesus als Heiland (swth/ra), während sie deutlich sagen, dass man durch das Gesetz des Mose nicht gerecht werden kann. Hier findet sich ein Widerspruch. Paulus hatte das Gesetz des Mose und die Propheten zusammen verwendet, um Jesus zu beweisen (Vgl. 26,22-23; 28,23), aber Paulus und Barnabas verkündigen hier deutlich, dass man durch „das Gesetz des Mose“ nicht gerecht werden kann, sondern dass man allein durch Jesus, der die Verheißung und die Erfüllung der Propheten ist, ewiges Leben ererbt (13,48). Hier wird das Gesetz in der Apg hauptsächlich nicht das Tor zum ewigen Leben, sondern Jesus ist der Weg zum ewigen Leben. Das Gesetz in der Apg hat mit der Gerechtigkeit, der Vergebung der Sünden und dem ewigen Leben (13,46.47.48) nichts zu tun. Die Vergebung der Sünden wird durch Jesus verkündigt (13,38). Jesus wird als der Weg zum ewigen Leben und zum Heil und zur Vergebung der Sünden dargestellt. Die wichtige Zeit für das Gesetzesverständnis in der Apg ist das Apostelkonzil im 15. Kap. Einige jüdische Christen lehrten noch, dass man nach der Ordnung des Mose ohne beschnitten zu werden, nicht selig werden könnte (15,1.5), aber durch die Rede von Petrus wird noch einmal betont, dass man durch die Gnade des Herrn Jesus errettet wird (15,11). Das heißt errettet zu werden, geschieht nicht durch das Gesetz, sondern durch Jesus. Es bedeutet nicht, dass das Gesetz nicht mehr gültig ist, sondern dass das Gesetz mit der Rettung nichts zu tun hat. Vielmehr geht es um die Funktion des Gesetzes. Das Heil bzw. ewige Leben beziehen sich auf Jesus (16,30; 13,46), nicht auf das Gesetz. Durch das Gesetz des Mose kann man nicht gerecht werden,625 sondern durch den Glauben an Jesus. Wofür braucht man das Gesetz? Das Gesetz existiert in der Apg für das irdische praktische Leben des Menschen. Wie Lukas Jesus im Lukasevangelium beschreibt,626 so erzählt er in der Apg, dass Paulus nicht gegen das Gesetz war.627 Paulus bekannte, dass er allem glaubt, was geschrieben steht im Gesetz und in den Propheten (24,14) und verteidigte sich, dass er sich weder am Gesetz der Juden noch am Tempel noch am Kaiser versündigte (25,8; vgl. 28,17). Paulus ist nur Zeuge und sagt nur, was die Propheten und Mose vorausgesagt haben (26,22). Das Gesetz ist in der Apg noch immer gültig, und zwar nicht nur für Ju-
625 Salo, K., Luke’s Treatment of the Law. A Redaction-Critical Investigation, 218: „That Judaism, including its legal system, cannot provide an adequate basis for salvation“. „Judaism does not (or at least not any more) possess salvation, but rather justification can be obtained only by becoming a believer“ (220). 626 Esler, P., Community, 113: „The Mission of Jesus represents the culmination of the law, not its abrogation“ 627 Wilson, S. G., Luke, 61. Nach Wilson schreibt Lukas in der Apg nirgendwo etwas Kritisches gegenüber dem Gesetz.
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den, sondern auch für die Heiden.628 Aber es hat mit dem Heil nichts zu tun, sondern mit dem irdischen praktischen Leben des Menschen. Das Gesetz beherrscht noch das Leben der Juden (z.B. Beschneidung und Gebote für das Leben) und Heiden629, aber die Heiden sind teilweise von dem Gesetz befreit (vgl. 15,11.20.28-29).630 Hier findet man die Flexibilität des Gesetzes, die dadurch möglich wurde, dass es bei Lukas nicht um das Heil geht, sondern um das Leben des Menschen. Lukas sieht das Gesetz als einen Maßstab dafür, was man in seinem Leben tun soll, was aber natürlich in jeder Kultur und jeder Sitte anders sein kann.631 Die Menschen müssen eine andere Kultur, Sitte und Besonderheit akzeptieren. Lukas beschreibt, dass Petrus und Paulus nicht gegen das Gesetz handeln wollten (vgl. 10, 9ff; 25,8). Hier findet man den Unterschied zwischen dem jüdischen und dem lukanischen Aspekt. Für Juden ist das Gesetz nicht nur der Maßstab für das Leben, sondern auch der Weg zum ewigen Leben, aber für Lukas ist das Gesetz nur ein Maßstab für das Leben des Menschen, und es handelt eher von der menschenlichen Moral und Ethik. Das heißt, das Gesetz kann das irdische Leben des Menschen bestimmen, aber es ist für Lukas kein Weg zum Heil, sondern es existiert für das irdische Leben des Menschen.
628 Vgl. Jervell, J., „The Law, 133-152: Jervell sieht, dass Juden und Heiden für Lukas zu einem Volk Gottes gehören, und sie haben ein Gesetz. 629 Vgl. Turner, M. M. B., „The Sabbat“, 118-119. 630 Vgl. a.a.O., 116. 631 Wilson, S. G., Luke, 106: „Gentiles are free from the law or ‚customs of Moses‘ because they are not their customs but the customs of the Jews, Gentiles have their own religious and cultural roots which, like those of the Jews, can be taken up and fulfilled by the gospel of Christ“
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I. Schluss: Das Gesetzesverständnis Jesu im Lukasevangelium
1. Die lukanische Heilsgeschichte Wie ich in den vorhergehenden Kapiteln gezeigt habe, hat Lukas sein Evangelium von Beginn an mit einem bestimmten Plan bzw. einer bestimmten Absicht besonders in Bezug auf das Gesetz verfasst. Die Meinungen, Lukas habe kein Interesse an dem Gesetz, Lukas schreibe inkonsequent über das Gesetz und das Gesetz sei für Lukas kein wichtiges Thema, sind nicht richtig. Lukas hatte eine bestimmte geschichtliche Absicht in Bezug auf das Gesetz und er hat sein Evangelium unter dieser Absicht verfasst. Für das Verständnis des lukanischen Doppelwerks ist es hilfreich, dieses aus einer bestimmten historischen Perspektive zu betrachten. H. Conzelmanns Betrachtungsweise des lukanischen Doppelwerks unter der heilsgeschichtlichen Konzeption ist ein wichtiger Forschungsansatz. Er stellt die These auf, dass Lukas sein Doppelwerk mit einer programmatischen Ansicht schreibt. H. Conzelmann war der erste Forscher, der die lukanische Heilsgeschichte in drei Perioden unterteilt hat: die Zeit des Gesetzes, die Zeit Jesu als ‚die Mitte der Zeit‘ und die Zeit der Kirche. Die Epoche des Gesetzes und der Propheten reicht bis zu Johannes dem Täufer, und mit dem Auftritt Jesu beginnt eine neue Epoche. M.E. aber muss die lukanische Heilsgeschichte noch einmal revidiert und die Zeit in vier Abschnitte unterschieden werden.
1.1 Die Zeit des Gesetzes und der Propheten und Johannes des Täufers In dieser Zeit beherrscht das Gesetz das Leben der Menschen. Diese Epoche reicht bis zur Verkündigung Jesu vom Reich Gottes. Es ist unumstritten, dass das Gesetz und die Propheten eine Epoche bilden, aber es bleibt zu diskutieren, zu welcher Epoche Johannes der Täufer im Lukasevangelium gehört.632 Es finden sich deutliche Hinweise, dass Lukas zwischen der Zeit Johannes des Täufers und der Zeit Jesu unterscheiden will. Der erste Hinweis kommt in Kapi632 Kümmel, W.G., „Das Gesetz, 98-99; er sieht Johannes den Täufer in der Epoche des Gesetzes und der Propheten. Dagegen Vgl. Wink, W., John the Baptist in the Gospel Tradition, 51.
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tel 3 vor. Während die anderen synoptischen Evangelien berichten, dass Jesus von Johannes dem Täufer getauft wurde, berichtet Lukas dem Leser die Geschichte nicht. Nach seinem Evangelium traf der irdische Jesus Johannes den Täufer nicht. Lukas schreibt, dass Jesus sein Werk beginnt (Lk 3,23), nachdem Johannes ins Gefängnis geworfen wurde (Lk 3,20). Für die Unterscheidung zwischen der Zeit Johannes des Täufers und der Zeit Jesu musste Lukas die Geschichte der Taufe Jesu durch Johannes auslassen. Der zweite Hinweis ist der, dass die Verkündigung des Reiches Gottes nicht mit Johannes dem Täufer, sondern mit Jesus anfängt. Ebenso wie Markus (Mk 1,15) verwendet Lukas im Gegensatz zu Matthäus (3,2) den Begriff ‚das Reich Gottes‘ (h` basilei,a tou/ qeou)/ nicht in Bezug auf Johannes den Täufer. Zwar verwendet Markus auch ‚das Reich Gottes‘ in Bezug auf Jesus, aber diese Tendenz ist bei Lukas viel stärker ausgeprägt. Das Wort ‚das Reich Gottes‘ in Bezug auf Jesus kommt bei Markus 13 mal vor, aber bei Lukas 30 mal. Das Ziel des Werkes Jesu ist nach Lukas die Verkündigung des Reiches Gottes (Lk 4:43 „Er aber sprach zu ihnen: Ich muß auch den anderen Städten die gute Botschaft vom Reich Gottes verkündigen, denn dazu bin ich gesandt worden.“ (vgl. Lk 8,1;9,2.11.60;12,31 usw.). Der dritte Hinweis findet sich in der Apg 1,22; „angefangen von der Taufe des Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns hinweg aufgenommen wurde – von diesen muss einer Zeuge seiner Auferstehung mit uns werden.“ Lukas unterscheidet hier auch die Zeit von Johannes dem Täufer und die von Jesus. Lukas berichtet über die Zeit des irdischen Jesu „als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging“. Die Zeit des irdischen Jesu ist die, in der Jesus mit den Jüngern zusammenlebte. Aber in dieser Zeit ist Johannes der Täufer schon im Gefängnis. Deshalb muss „ avpo. tou/ bapti,smatoj VIwa,nnou (von der Taufe des Johannes)“ als ‚nachdem die Zeit von Johannes dem Täufer vergangen ist‘ interpretiert werden. In Lk 16,16 „Das Gesetz und die Propheten gehen bis auf Johannes; von da an wird die gute Botschaft vom Reich Gottes verkündigt, und jeder dringt mit Gewalt hinein. (~O no,moj kai. oi` profh/tai me,cri VIwa,nnou\ avpo. to,te h` basilei,a tou/ qeou/ euvaggeli,zetai kai. pa/j eivj auvth.n bia,zetaiÅ) bezieht sich das Wort avpo. nicht auf die Zeit Johannes des Täufers, sondern vielmehr auf die Zeit nach Johannes dem Täufer. In diesem Punkt stimme ich mit der Unterteilung der Heilsgeschichte von H. Conzelmann überein. Nach H. Conzelmann ist die erste Zeit die Zeit des Gesetzes und der Propheten. Zu dieser Epoche gehört Johannes der Täufer.633
633 Conzelmann, H., Die Mitte, 18
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1.2 Die Zeit der Verkündigung des Reiches Gottes Diese Epoche fängt mit dem Auftreten Jesu an „Von da an wird das Evangelium vom Reich Gottes gepredigt“ (Lk 16,16). Es ist bei Lukas eindeutig, dass das Reich Gottes allein von Jesus verkündigt wird wie auch bei Markus (Mk 1,15). Für Lukas ist Jesus gesandt, um das Evangelium vom Reich Gottes zu verkündigen (4,43; 8,1;9,11 usw.). Zu dieser Zeit gehören zwei Abschnitte: a) die Verkündigung des irdischen (z.B. Lk 4:43;8,1;9,2.11.60;12,31) und des auferstandenen Jesu (Apg 1,3) und b) die Verkündigung der Jünger (8,1; 9,2.60). Nach der Verkündigung Jesu ist das Bild des Reiches Gottes bei Lukas folgendermaßen: Das Reich Gottes ist für Kinder und Arme geöffnet (Lk 18,16.17; 6,20) aber für Reiche ist es schwer in das Reich Gottes einzugehen (Lk 18,24). Das Reich Gottes ist noch nicht da (Lk 11,2;19,11;21,31) aber das Reich Gottes ist nahe (Lk 10,9.11) und daher werden einige Leute es sehen (Lk 9,27). Darüberhinaus verwendet Lukas drei Sonderausdrücke: erstens, dass Jesus für die Verkündigung des Reiches Gottes gesandt ist (4,43; vgl. Mk 1,38-39 634) und dass dieses nicht nur die Aufgabe Jesu, sondern auch die seiner Jünger bzw. anderer ist (9,2.60). Zweitens schreibt Lukas, „das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ (17,21), während für die anderen synoptischen Evangelien das Reich Gottes noch nicht gekommen ist. Dies stellt einen auffälligen Unterschied zu den anderen synoptischen Evangelien dar. Drittens verwendet Lukas den Ausdruck „um des Reiches Gottes willen“ in 18,29 statt „um meinetwillen und um des Evangeliums willen“(Mk10,29) bzw. „um meines Namens willen“ (Mt 19,29). Die Verwendung dieses Ausdrucks ist für die lukanische Gemeinde wichtig, denn das Reich Gottes ist das Hauptthema der Verkündigung Jesu. In dieser Epoche behält aber das Gesetz noch seine Gültigkeit. Das Gesetz ist das Tor für das ewige Leben (10,26ff; 18,18ff) und das Gesetz beweist Jesus und seine Werke (Lk 4,18; 5, 12.) Die Zeit für die Verkündigung Jesu durch die Jünger ist für Lukas noch nicht gekommen. Lukas berichtet noch, dass Jesus nach der Auferstehung mit den Jüngern vierzig Tage lang vom Reich Gottes spricht (Apg 1,3).
634 Lukas verändert seine markinische Vorlage „Laßt uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort predige (i[na kai. evkei/ khru,xw\) denn dazu bin ich gekommen.“ (Mk 1,38)
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1.3 Die Zeit der Verkündigung des Namens Jesu Iu dieser Zeit wird besonders der Name Jesu durch die Jünger Jesu verkündigt. Diese Zeit wird vom auferstandenen Jesus angedeutet (24,47 „und in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden gepredigt werden allen Nationen, anfangend von Jerusalem. Ihr seid Zeugen dafür.“) und die Zeit beginnt mit der Verkündigung durch seine Zeugen. Die Apostelgeschichte ist die Geschichte seiner Zeugen für die Verkündigung des Namen Jesu. Für diese Verkündigung werden die Jünger mit dem heiligen Geist getauft (Apg 1,4-8). Der Name Jesu ist das Hauptthema der Predigt der Jünger (Apg 2,21.38; 3,6.16; 4,7.10.12.17. 18.30.36; 5,28.40.41; 8,12.16, 9,14.15.16.21.27.29.36; 10,43.48; 15,17.25; 16,18; 19,5.13.17; 21,13; 22:16; 26:9). Der Name Jesu gibt den Gläubigen das Heil, den heiligen Geist und die Vergebung der Sünden (Apg 2,21.38;10,43). Die Jünger heilen viele Kranke im Namen Jesu (Apg 3,6; 4,30). Menschen werden auf den Namen Jesu getauft (Apg 8,16; 10,48;19,5;22,16). Der Name Jesu wird „die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ durch Johannes den Täufer (Lk 3,3) ersetzen. Der Name Jesu ergänzt manchmal die Stellung des Reiches Gottes: Im Lukasevangelium sagt Jesus: „Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen, der es nicht vielfach wieder empfange in dieser Zeit ...“ (Lk 18,29f), aber Lukas berichtet durch Paulus: „Was macht ihr, dass ihr weint und brecht mir mein Herz? Denn ich bin bereit, nicht allein mich binden zu lassen, sondern auch zu sterben in Jerusalem für den Namen des Herrn Jesus“ (21,13. vgl. 15,25). In der ersten Epoche, nämlich der des Gesetzes und der Propheten und Johannes des Täufers gilt das Gesetz für das ewige Leben, aber in dieser Epoche wird der Name Jesu zum Schlüssel für das Heil. Trotzdem wird das Reich Gottes in dieser Epoche immer noch verkündigt.
1.4 Die Zeit des Reiches Gottes Diese Zeit ist noch nicht gekommen. Lukas hatte in seiner Gemeinde Probleme mit der Parusie.635 Obwohl seit dem Auftreten Jesu ständig verkündigt wird, dass das Reich Gottes ganz nah ist (Lk 9,27; 10,9), vergeht die Zeit und das Reich Gottes ist noch nicht vollkommen da (Apg 22,16.18). Lukas sieht dieses Problem und er erklärt es mit seiner Heilsgeschichte. Das Gesetz und die Propheten prophezeiten und verkündigten, dass 635 Conzelmann, H., Lindemann, A., Arbeitsbuch, 344.
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Christus bzw. Messia kommt. Diese Prophezeiungen erfüllten sich durch Jesus. Jesus als Messias prophezeit, dass das Reich Gottes kommt. Diese Verkündigung wird sich in einer bestimmten Epoche erfüllen, wie das Gesetz und die Propheten vorhersagten. Das Reich Gottes wurde früher auch in der ‚Zeit der Verkündigung des Namens Jesu‘ durch seine Jünger verkündigt (14,22; 19,8; 20,25; 28,23.31). In welcher Beziehung stehen die beiden Begriffe, nämlich der ‚Name Jesu‘ und das ‚Reich Gottes‘ zueinander? Das Reich Gottes ist das Hauptthema der Verkündigung von Jesus und Paulus und es ist ein wichtiges Thema der Apostelgeschichte, das am Anfang (1,3) und am Ende (28,23.31) vorkommt. Jesus war der Verkündiger des Reiches Gottes, aber sein Name wird in der späteren Epoche auch verkündigt wie das Reich Gottes. Dabei stellt sich die Frage, in welcher Beziehung das Reich Gottes, das Gesetz und die Propheten und Jesus zueinander stehen? Das Gesetz Mose beweist an mehreren Stellen, dass Jesus der Messias ist, der in jüdischer Tradition erwartet wird. Jesus tut, was das Gesetz fordert, besonders in seiner Kindheit, und er respektiert Funktion des Gesetzes als Tor zum ewigen Leben. Aus unserer Ausgangsfrage ergeben sich weitere Fragen nach der Beziehung zwischen dem Reich Gottes und Jesus: Warum wird der Name Jesu verkündigt wie das Reich Gottes, während der Name Jesu das Reich Gottes nicht ganz ersetzt hat? Sind diese beiden Begriffe equivalent für Lukas? Darauf kann nur teilweise mit „Ja“ geantwortet werden, denn das Reich Gottes kann man nicht sehen (Lk 17,20), aber man kann es durch die Werke Jesu sehen (Lk 11,20; 17,21; 9,27), obwohl dieses in Jesus präsentierte Reich Gottes nicht perfekt und nicht vollkommen ist. Jesus ist derjenige, durch den man das Reich Gottes erfahren kann. Jesus war sowohl der Verkündiger des Reiches Gottes als auch derjenige, der es verwirklicht hat.
2. Das Gesetzesverständis Jesu im Lukasevangelium 2.1 Das Gesetz als etwas, was erfüllt werden muss Lukas verfasst sein Evangelium als Erfüllungsgeschichte unter dem Aspekt der Heilsgeschichte. Lukas berichtet von Geschichten, die „sich unter uns ereignet und erfüllt haben“ perˆ twn peplhroforhmšnwn (Lk1,1). plhroforšw bedeutet ganz erfüllen, vollbringen (medi. pass. ganz erfüllt werden, vollbracht werden) und plhrÒw bedeutet füllen, voll machen, anfüllen, erfüllen (medi. pass. erfüllt werden): Lk 1,20; 2,40; 3,5; 4,21; 9,31; 21,22; 22,16; 24,44 Apg 1,16; 2,2; 2,28; 3,18; 5,3;
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5,28; 7,23; 7,30; 9,23; 12,25; 13,25; 13,27; 13,52; 14,26; 19,21; 24,27). Diese häufige Verwendung dieser beiden Wörter zeigt, dass es sich hierbei um eine Erfüllungsgeschichte handelt. Diese Geschichte lässt sich in zwei Teile teilen. Zum einen in die Geburtsgeschichte Jesu, zum anderen in die Geschichte über das irdische Leben und die Auferstehung Jesu. In der Geburtsgeschichte Jesu erscheint das Lukasevangelium als die Erfüllungsgeschichte des Wortes des Herrn (durch einen Engel), und in der Geschichte über das irdische Leben und die Auferstehung Jesu erscheint es als die Erfüllungsgeschichte des Gesetzes und der Propheten. Was bei der Geburtsgeschichte Jesu auffällt, ist, dass die prophetischen Zitate bei der Ankündigung der Geburt Jesu im Lukasevangelium nicht direkt verwendet wurden. Anders als Lukas hingegen übernimmt Matthäus die prophetischen Zitate für Jesus (Mt 1,23; 2,6.15.18.23) direkt aus dem Alten Testament.636 Lukas aber benutzt statt dieser prophetischen Zitate die Ankündigungen des Engels (1,5ff; 1,26ff.), die später erfüllt werden.637 Matthäus beweist mit den prophetischen Vorhersagen, dass Jesus der erwartete Messias in Israel ist. Lukas will dies auch beweisen, aber er hatte vielleicht keine Überlieferungen. Daher musste er den Engel für Jesus einsetzen, um den Mangel an prophetischen Vorhersagen zu ersetzen. Das Lukasevangelium beginnt mit den Eltern Jesu, die als fromme, gesetzestreue Juden geschildert werden, treu das Gesetz des Mose halten, ihr Kind beschneiden lassen und im Tempel ihre Pflicht erfüllen (Lk 2,22.27.39).638 Lukas verwendet oft die Ausdrücke „nach dem Gesetz (kat£ tÕn nÒmon; 2,22)“ bzw. „wie geschrieben steht im Gesetz (kaqw.j ge,graptai evn no,mw|)“ (2,23 vgl. 2,24.27.39 usw.). Die Eltern handeln nach dem Gesetz und sie
636 Für Matthäus ist auch die Erfüllung des Gesetzes und der Propheten wichtig, aber die Erzählart ist anders. Matthäus zeigt, dass das Geschehen die Erfüllung der alttestamentlichen Zitate ohne die frühere Andeutung bzw. Erklärung ist. Bei Matthäus lassen sich viele Geschichten anstelle der alttestamentlichen Zitate finden. 637 Vgl. Diese Erzählart findet sich auch z.B. bei der Stummheit des Zacharias (Lk 1,20 wird in 1,22 erfüllt), der Schwangerschaft Marias (1,26ff wird in 1,55 erfüllt), der Geburt Jesu bei den Hirten (2,15 wird in 2,20 erfüllt), der Ankündigung der Geburt Jesu durch den Engel (1,31 wird in 2,21 erfüllt) und dem Lobpreis Simeons (2,26 wird in 2,29-30 erfüllt). 638 Vgl. Loader, W.R.G., Jesus’ Attitude, 301: „Luke repeats reference to these actions as Law observant in 2:27 and again in 2:39. At the same time his eagerness to emphasise fulfilment does not prevent some inaccuracy: only Mary needs purification, but Luke speaks of their purification; only the offering of the first fruits requires that people go to the temple, not purification; Luke also omits any mention of payment of the five shekels to redeem the child (cf. Nu 18:1516).“, „The picture Luke succeeds in creating is that of truly pious Jews, Torah observant, being caught up into the divine plan, in fulfilment of Israel’s hopes.(s.302)“.
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stehen ständig unter dem Gesetz.639 Nach Lukas ist Jesus derjenige, der durch den Engel (durch das Wort des Herrn) als der Sohn Gottes bewiesen wird (1, 32. 35). Im seinem Wirken wird Jesus auch im Fortlaufenden als gesetzestreuer Mann dargestellt. Trotzdem streitet Jesus mit den Pharisäern, die als rechtmäßige Vertreter der Tora gelten. Jesus verteidigt die Jünger gegenüber den Pharisäern, die die Vollmacht dazu zu haben scheinen, die Tora zu interpretieren, z.B. beim Ährenraufen am Sabbat, bei der Heilung am Sabbat usw.).640 Die Pharisäer werfen den Jüngern vor, gegen das Gesetz zu handeln; Hier sieht es also zunächst so aus, als ob von Jesus als Befolger des Gesetzes doch nicht gesprochen werden kann. Aber das würde bedeuten, dass Jesu Vollmacht zugunsten der Pharisäer in Frage gestellt wird. Doch gerade diese Freiheit, die Jesus im Umgang mit dem Gesetz besitzt, zeichnet ihn aus. Die Pharisäer haben die Schriften vorliegen, Jesus trägt sie in sich selbst, sie wirken in ihm. Tatsächlich beruft auch er sich auf David, der die Schaubrote gegessen hat, er argumentiert also – genau wie die Pharisäer – vom Gesetz her, d.h. er argumentiert den Pharisäern gegenüber mit den Propheten, was dazu führt, dass die Pharisäer gegen diese Argumentation machtlos sind. Dass er mit dem Gesetz so anders umgehen kann als die Pharisäer, ist ein Zeichen dafür, dass das Gesetz in ihm lebt, er ist auch ein Stück der Erfüllung des Gesetzes.641 Er macht also doch immer das, was das Gesetz verlangt. Deswegen handelt er immer nach dem Gesetz.642 Lukas betont in seinem Evangelium, dass Jesus das Gesetz nicht übertreten und nicht außer Kraft gesetzt hat. Diese Tendenz ist in der Passionsgeschichte noch stärker zu finden. Lukas berichtet davon, dass alles, was mit Jesus passiert, also Leid, Tod, Botschaft, Erhöhung, auch die Erfüllung der Vorhersage (Lk 24,27.44) ist. Jesus beweist sich selbst mit dem Gesetz des Mose, den Propheten und den Psalmen, aber er benutzt ihre genauen Zitate nicht, sondern verwendet alttestamentliche Schriften nur als Rahmen. Auch wenn Lukas möglicherweise die Stellen und genauen Zi-
639 Vgl. Loader, W.R.G., Jesus’ Attitude, 339: „Jesus, according to Luke, remains Torah observant, like his family before him. With the coming of the kingdom nothing has changed concerning the Law’s validity.“ 640 Vgl. Turner, M.M.B., „The Sabbath, 111; „Jesus fulfils and surpasses the law“. 641 Vgl. Conzelmann, H.- Lindemann, A., Arbeitsbuch, 343. 642 Vgl. Klinghardt, M., Gesetz und Volk Gottes, 233, er betont vor allem bei Lk 14,1-6, „An keiner Stelle ist eine generelle Außerkraftsetzung oder Relativierung des Sabbatgebotes festzustellen, wie sie etwa Mk 2,27 vorliegt. Jesus wird jeweils als der geschildert, der sich auf dem Boden des Sabbatgebotes befindet (vgl. vor allem das „Verstummen)“.
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tate nicht kannte, sondern nur ihre Skizzen (vgl. 24,46643), will er m. E. Jesu Geschichte mit dem Gesetz beweisen. Auch in der Apostelgeschichte findet sich diese Tendenz wieder, wo Lukas das Erscheinen des Heiligen Geistes (Apg 1,4;1,5; 2,1-13) als Erfüllung der Vorhersage Jesu (Lk 24,49), und den Verrat des Judas als Vorhersage über ihn (Apg 1,16) usw. konstruiert. Lukas verfasst die Apostelgeschichte als die weitere Erfüllungsgeschichte der Vorhersage im Lukasevangelium. Jesus wird von Lukas also nicht als jemand bezeichnet, der etwas gegen das Gesetz oder die Propheten getan hat. Vielmehr ist Jesus das Ereignis, welches Gesetz und die Propheten vorhergesagt haben, und sein Leben ist etwas, was erfüllt werden musste, wie es im Gesetz und in den Propheten geschrieben ist. Dies zeigt nicht, dass Jesus vom Gesetz abhängig ist, sondern dass Jesus das Gesetz respektiert und dass das Gesetz keinerlei Ergänzung bedarf.
2.2 Jesus respektiert die Funktion des Gesetzes Lukas beschreibt, dass Jesus und das Gesetz einander nicht entgegensetzt sind, sondern dass Jesus und das Gesetz jeweils eine eigene Position bzw. Funktion haben. Jesus übertritt die Funktion des Gesetzes nicht, wie z. B. in Lk 5,11-16 deutlich wird. Er befahl dem Mann voller Aussatz, sich dem Priester zu zeigen und zu opfern. Jesus übernimmt die Funktion des Heilers, und das Gesetz hat die Funktion der Bestätigung für die Heilung. Lukas übernimmt an dieser Stelle die markinische Überlieferung, denn sie entspricht seiner eigenen theologischen Absicht. Nach J.A. Fitzmyer hat das Gesetz drei Funktionen: (1) Das Gesetz als Norm. (2) Das Gesetz im Sinne des prophetischen Begriffes. (3) Das Gesetz als ergänzende Form. Aber ich sehe in Lk 5,12-16 noch eine weitere Funktion, nämlich die des Gesetzes als Beweis. In Lk 10,25-37 kommt ein Gesetzeslehrer zu Jesus und fragt, was er tun soll, um das ewige Leben zu bekommen. Jesus weist den Gesetzeslehrer auf das Gesetz hin (V. 26) wie in Lk 5,12-16. Jesus übertritt das Gesetz nicht, sondern respektiert es. Die Lehre Jesu sagt, dass man das Gesetz befolgen soll. Jesus verachtet das Gesetz nicht, sondern zeigt vielmehr dem Gesetzeslehrer das Gesetz. Das ewige Leben gehört dem Mann, der das Gesetz richtig befolgt. Lukas verändert hier seine markinische Vorlage, in der es um die Frage nach dem ersten Gebot geht 643 Lukas zitiert die prophetische Vorhersage (Hos 6,2) aber sie ist kein direktes Zitat, sondern eher eine Zusammenfassung.
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(Mk 12,28-34). An den Fragen, welches Gebot das höchste von allen ist (Mt 22,36) und welches Gebot das erste von allen ist (Mk 12,28) hatte Lukas wenig Interesse. Viel wichtiger war für ihn die Frage nach dem ewigen Leben. Darum setzt Lukas sich in 18,18-30 mit dieser Frage noch einmal auseinander. Hier kommt ein Oberer und stellt dieselbe Frage, nämlich was man tun soll, um das ewige Leben zu ererben. Jesus beantwortet diese Frage mit den Geboten, genau wie Markus in Mk 10,19. Jesus weist dem Oberen auf die Gebote als Weg ins ewige Leben hin. Auch hier antwortet Jesus dem Fragesteller mit dem Hinweis auf das Gesetz. Jesus selbst ist natürlich nicht die Antwort auf diese Frage, sondern das Gesetz ist der Weg zum ewigen Leben. Jesus lehrt nichts Besseres als das Gesetz und sieht es auch nicht als etwas Veraltetes an. In diesem Zusammenhang wird Jesus bei Lukas als derjenige präsentiert, der auf das Gesetz hinweist, während Jesus bei Mk als Gesetzesinterpret und bei Mt als Gesetzeslehrer dargestellt wird. Jesus respektiert im Lukasevangelium die jüdische Traditon und tut, was das Gesetz fordert. So schreibt allein Lukas, dass Jesus nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge ging (4,16). In den lukanischen Texten kann man bezüglich des Gesetzes erkennen, dass Jesus das Gesetz überhaupt nicht zerstören wollte, sondern es vielmehr respektierte und seine Funktion anerkannte.
2.3 Jesus lehrt den wahren Sinn des Gesetzes Diese Tendenz findet sich besonders in den Sabbatgeschichten (Lk 6,1-5; 6,6-11; 13,10-17; 14,1-6). Die Perikopen Lk 6,1-5 und 6,6-11 sind markinische Überlieferungen, während die anderen lukanische Sondergut sind. In 6,1-5 wird beschrieben, dass die Jünger Jesu die Ähren abpflücken und essen, indem sie sie mit den Händen zerreiben. Die Pharisäer fragen, warum sie etwas tun, was am Sabbat nicht zu tun erlaubt ist. Diese Frage ist der Schwerpunkt dieser Perikope. Jesus lehrt die Pharisäer mit der Davidgeschichte, was der Inhalt des Gesetzes ist. Für Jesus ist die Handlung der Jünger keine Übertretung des Gesetzes, obwohl sie für das Verständnis der Pharisäer deutlich eine Übertretung darstellt. Dennoch ist die Davids Handlung auch für Juden akzeptabel. Dies führt zu der logischen Konsequenz: Wenn David es tun durfte, dann dürfen die Jünger Jesu es auch tun, und alle anderen Menschen auch. Das lukanische Ziel der Lehre Jesu durch diese Geschichte ist, dass die Bedürfnisse des Menschen über dem pharisäischen Gesetzesverständnis stehen. Jesus befreit die Menschen, die hungrig und unter dem falsch verstandenen Gesetz leiden, und lehrt sie, was der richtige Sinn des Gesetzes ist. Lk 6,6-11 ist eine Lehrszene. Lukas will durch den Mund 189
Jesu etwas lehren, nämlich was man am Sabbat tun soll. Für Jesus ist der Sabbat ein Tag, wo man aktiv Gutes tun (avgaqopoih/sai) und Leben erhalten (yuch.n sw/sai) soll, wie an anderen Tagen. Die pharisäische Interpretation des Gesetzes ist für Jesus passiv, was er als negativ ansieht. Nach der Lehre Jesu bedeutet es, wenn man etwas Gutes nicht tut, obwohl man es tun sollte, etwas Böses zu tun. Darum lehrt Jesus das Gesetz aktiv, d.h. dass man am Sabbat auch aktiv Gutes tun bzw. Leben erhalten soll (V. 9). Die beiden Sabbatgeschichten Lk 13,10-17 und 14,1-6 handeln von der Heilung durch Jesus am Sabbat. Die pharisäische Lehre besagt jedoch, dass man am Sabbat nicht heilt und auch nicht heilen lässt. Aber Jesus lehrt dagegen, dass man am Sabbat auch heilen darf (Vgl. 13,15; 14,3), auch wenn kein Notfall vorliegt. Nach der Lehre Jesu ist der Sabbat ein Tag, wo man endlich befreit werden kann von allen Dingen, die Menschen binden. Aber die Pharisäer haben es nicht verstanden und haben nichts getan, obwohl sie gesehen haben, dass die Kranken am Sabbat nicht ruhen können. Jesus lehrt, dass man auch am Sabbat helfen soll. Der Wille Gottes ist es bei Lukas, nicht nur die Schrift zu erhalten, sondern auch die Liebe, und ganz besonders die Barmherzigkeit in Bezug auf das Gesetz. Das Gottesbild, das durch Jesus selbst und seine Handlungen vermittelt wurde, ist, dass Gott den Menschen das Leben geben möchte. Daher lehrt Jesus den wahren Sinn des Gesetzes. Jesus kritisiert nicht das Gesetz, sondern die Pharisäer und Gesetzeslehrer, die das Gesetz nicht richtig verstanden haben. Jesus sieht in ihrer Handlung, dass das Gesetz die Menschen bindet, kontrolliert und unterdrückt (Lk 6,1-5; 6,6-11; 16,14-18). Das ist aber für Jesus kein richtiges Gesetzesverständnis.
3. Die Funktionen des Gesetzes Erstens: Das Gesetz beweist die Werke Jesu und Jesus selbst.644 Diese Aufgabe des Gesetzes findet sich in der gesamten Geschichte Jesu. Zuerst wird dies in den Werken Jesu, anschließend in der Leidensgeschichte und später in der Auferstehungsgeschichte Jesu ausgedrückt. Während Jesus bei den anderen Synoptikern lehrt (Mt 8,1-4; Mk 1,40-45), was das Gesetz ist, weist Jesus in Lk 5,12-16 den Aussätzigen auf das Gesetz hin. Jesus ist der Heiler für den Kranken, und das Gesetz beweist, dass er wieder 644 Vgl. Turner, M.M.B, „The Sabbath, 111, er behauptet: „Jesus transcends and surpasses the Law.; Wilson, S.G., Luke and the Law, SNTSMS, (Cambridge: CUP,1983; Für Wilson steht das Gesetz unter der Autorität Jesu (s.35). Anders Blomberg, C.L., „The Law in Luke-Acts,“ JSNT 22 (1984), 53-80.
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gesund ist.645 Jesus selbst beweist nicht, dass der Kranke geheilt ist, denn das Beweisen ist Aufgabe des Gesetzes, und gehört nicht zu den Aufgaben Jesu. Jesus respektiert hier die Funktion des Gesetzes. In Lk 18,31-34 und Lk 24,27.44 lässt sich diese Bedeutung auch finden.646 Im Lukasevangelium wird die Heilsgeschichte Jesu durch die Verheißung der Propheten und der Tora deutlich untermauert. Markus und Matthäus berichten, dass die Ankündigung von Jesu Leiden, Tod und Auferstehung direkt durch den Mund Jesu verkündigt wird, aber Lukas bezieht sich bei der Ankündigung allein auf die Propheten (18,31). Jesus spricht vor seinem Tod über sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung und alle drei Ereignisse sind im Gesetz und durch die Propheten bezeugt (18,31-34). Das Gesetz und die Propheten beweisen es.647 Nach der Auferstehung zitiert Jesus auch das Gesetz, die Propheten und die ganzen Schriften, und beweist damit seine Identität (24,27.44). Das Gesetz, die Propheten und die Schriften beweisen, dass Jesus der Christus ist (24,26.46).648 Daher sind das Gesetz und Jesus weder eins noch gegeneinander austauschbar, sondern haben jeweils ihre eigene Funktion.649 Zweitens: Das Gesetz als das Tor zum ewigen Leben. Im Lukasevangelium kommen zwei Perikopen vor, die vom ewigen Leben handeln (10,25-37; 18,18-30), während es bei Markus und Matthäus nur jeweils eine ist (Mk 10,17-31; Mt 19,16-30). Der Gesprächsverlauf ist bei den drei Perikopen (Lk 18,18-30; Mk 10,17-31; Mt 19,16-30) gleich. Die Antwort auf die Frage nach dem ewigen Leben ist äußerlich das Gesetz (Lk 18,20; Mk 10,19; Mt 19,17), aber die inhaltliche Betonung dieser Perikope richten sich eher auf die Warnung vor Reichtum. Die beiden synoptischen Evangelien erklären, wie schwer ein Reicher in das Reich Gottes kommt, aber Lukas bemerkt, dass die Frage in eine andere Richtung zielt. Daher benötigt er zuvor noch ein anderes Beispiel, um die Frage nach dem ewigen Leben zu beantworten, und übernimmt noch eine andere Perikope aus seiner markinischen Vorlage (Mk 12,28-34). Die 645 Vgl. Loader, W.R.G., Jesus’ Attitude, 308; „Luke retains Jesus’ command that the leper fulfil the Law’s provisions by showing himself to the priests and making the appropriate offering. This reads very naturally as typical of the Torah observance already noted in the infancy narratives. Nothing suggests fulfilling Torah obligation is just a stunt to confront the priests with Jesus’ miraculous ability. Rather it is like Mary’s fulfilment of her obligations and reflects the obligation to present the evidence to the priests that one has been made clean, public authentication“. 646 Turner, M.M.B., „The Sabbath,111, er sieht eine der Funktion des Gesetzes als Weissagung; Vgl. Fitzmyer, J.A., The jewish People, 180. 647 Vgl. Loader, W.R.G., Jesus’ Attitude, 345. 648 Vgl. Rothfuchs, W., Die Erfüllungszitate, 148-149. 649 Anders Blomberg, C.L., The Law, 53-80, er sieht bei Lukas, dass die Lehre Jesu den Platz des Gesetzes durch die Gotteslehre ersetzt (s.62).
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Frage in der Parallelperikope bei Markus bzw. Matthäus zu Lk 10, 25-28 war eine andere, denn sie bezog sich auf das höchste Gebot (Mk 12, 28; Mt 22,36). Aber Lukas hat diese Frage absichtlich geändert. Sie wurde zu ‚was soll man tun, um das ewige Leben zu ererben?‘ (Lk 10,25). Jesus weist in seiner Antwort wie auch in 18,20 auf das Gesetz (10,27-28) hin,650 während er im Markus- und Matthäusevangelium seinen Gesprächspartner lehrt, was das höchste Gebot im Gesetz ist (vgl. Mk 12,28; Mt 22,34). Jesus verleugnet nicht, dass das Gesetz dem Menschen das ewige Leben zeigt.651 Bei Lk 18,18-30 zeigt Jesus ebenso wie die anderen synoptischen Evangelien, dass das Gesetz der Weg zum ewigen Leben ist, aber in 10,25-37 ergänzt er das Doppelgebot der Liebe und betont, dass man das Gesetz befolgen soll („Tu das, so wirst du leben“). Das zeigt, das Gesetz ist das Tor zum Reich Gottes und der Schlüssel dafür ist das Handeln. Das Gesetz ist selbst nicht das ewige Leben, sondern eine Aufgabe. Wenn man die Aufgabe richtig ausführt, dann wird man das ewige Leben ererben. William R.G. Loader sieht hier die enge Beziehung zwischen Jesus und dem Gesetz: „All three accounts (Lk 10,25-28; 18,18-23; 16,19-31) imply a close connection between obeying the Law’s demands and responding to the demands of Jesus.“652 Jesus erklärt, was „obeying the Law’s demands“ ist und ergänzt, was ihm fehlt. „Responding to the demands of Jesus“ ist nichts anderes, als was das Gesetz fordert. Jesus fungiert hier als Begleiter des Gesetzes. Im Lukasevangelium hielt Jesus das Gesetz für das Tor zum ewigen Leben und es scheint sogar, dass Jesus noch keine direkte Beziehung zum ewigen Leben hatte. Aber in der Apg tritt der verkündigte Jesus deutlich als Retter, Erlöser zu Tage, durch den man das ewige Leben erlangen kann (Apg 2,36.38.40;4,12 „Und in keinem anderen ist das Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden.“; 13,46 „Paulus und Barnabas aber sprachen frei und offen: Euch musste das Wort Gottes zuerst gesagt werden; da ihr es aber von euch stoßt und haltet euch selbst nicht für würdig des ewigen Lebens, siehe, so wenden wir uns zu den Heiden“...“Als das die Heiden hörten, wurden sie froh und priesen das Wort des Herrn, und alle wurden gläubig, die zum ewigen Leben bestimmt waren“). Jesus zeigt den Menschen, die das ewige Leben suchen, das Gesetz, und das Gesetz zeigt dem Menschen, was man tun sollte, um ewiges Leben zu ererben. Demnach bezieht sich die Frage nach dem ewigen Leben wie bei den anderen synoptischen Evangelien nicht auf Jesus, sondern auf das Gesetz. Aber Lukas 650 Vgl. Fitzmyer, J.A., „The Jewish People, 176-177. 651 Vgl. Wilson, S.G., Luke, s.25-26; er meint, dass das Gesetz ewig und das Gesetz halten der Weg zur Rettung ist 652 Loader, W.R.G., Jesus’ Attitude, 345.
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betont nicht nur den Bezug auf das Gesetz selbst, sondern dadurch, dass er zweimal dieselbe Frage stellt (Lk 10,25, 18,18), auch stark das Befolgen des Gesetzes. Was beinhaltet das Befolgen des Gesetzes in Bezug auf das ewige Leben? Obwohl die Pharisäer bzw. Gesetzeslehrer dachten, dass sie alles getan hätten, was das Gesetz fordert, denkt Jesus anders. Die richtige Handlung für das ewige Leben ist die „Barmherzigkeit“ (Lk 10,30-37). In 18,18-30 sieht sich Jesus auch nicht als derjenige an, der das ewige Leben gibt, sondern als der Verkündiger des Reiches Gottes (vgl. 16,16). In dieser Perikope (18,18-30) zeigt Jesus dem Oberen, der sich selbst für gerechtfertigt hält, was ihm fehlt. Was dem Oberen fehlt, ist die „Nächstenliebe“ (18,22). Durch die beiden Perikopen will Lukas seine Leser lehren, dass die Essenz des Gesetzes die Liebe (Barmherzigkeit und Nächstenliebe) ist. Das Gesetz ist der Wille Gottes und die Weisung für das irdische Leben des Menschen. Durch das Gesetz zeigt Gott seinem Volk, wie das Gesetz einzuhalten ist. Dies geschieht durch die Liebe. Die Liebe zu Gott und die Liebe zum Menschen sind nicht verschieden.653 Beides ist ein und dasselbe für Lukas und damit Essenz des Gesetzes. Drittens: Das Gesetz als eine Weisung, die man in Bezug auf das Leben des Menschen (Ethik und Moral) bzw. in Bezug auf Gott (ein religiöses Leben) befolgen soll. Lukas allein berichtet über die Kindheit Jesu in Lk 2,22-52. Er beschreibt hier, dass die Eltern Jesu „nach dem Gesetz des Mose“ (2,22) nach ihrer Reinigung nach Jerusalem gingen und dass sie Jesus dem Herrn darstellten „wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn“ (2,22b-23). Sie opfern, wie es gesagt ist, im Gesetz des Herrn (2,24). In 2,27 und besonders in 2,39 schreibt Lukas, dass die Eltern alles nach dem Gesetz des Herrn vollendet hatten. Jesus und seine Eltern halten die jüdischen Bräuche ein (2,41-42). Diese Szene zeigt uns, dass die Eltern Jesu nach dem Gesetz gelebt haben und das Gesetz eine Regel ist, die man in Bezug auf Gott einhalten soll. In dem Sinn ist das Gesetz inhaltlich religiöse Weisheit und Unterweisung in Israel, die durch Eltern oder durch Priester vollzogen wird.654 In 5,12-16 sendet Jesus den Kranken zum Priester und befiehlt, „opfere für deine Reinigung, wie Mose geboten hat“ (5,14). Das zeigt, dass das 653 Vgl. Wilson, S.G., Luke and the Law, 53-80: Für Wilson bedeutet, das Gesetz gut zu halten, vor allem Gott zu lieben und den Nächsten zu lieben (s.18); Blomberg, C.L., „The Law in LukeActs,“ (1984); Fitzmyer, J.A., „The Jewish People and the Mosaic Law in Luke-Acts; Nach seiner Interpretation stellt das Halten des Gesetzes, die Liebe zu Gott und dem Nächsten den Weg zum ewigen Leben dar (10,25-28; 177); Merkel, H., „Israel im lukanischen Werk,“ NTS 40 (1994), 388. 654 Begrich, J., Die priesterliche Tora, 63-88.
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Gesetz eine göttliche Weisung ist, die man für das menschliche Leben befolgen soll. Jesus respektiert diese Funktion des Gesetzes. Auch in den Sabbatgeschichten wird diese Funktion des Gesetzes deutlich. Das Gesetz weist darauf hin, dass man den Sabbat einhalten soll (Ex 20,10-11). Jesus kritisiert nicht die Gebote, sondern die religiösen Oberen und ihre falsche Interpretation des Gesetzes und lehrt den richtigen Sinn des Gesetzes. In 18,1827 kommt ein Oberer und stellt die Frage, was er tun muss, damit er das ewige Leben ererbe. Darauf antwortet Jesus mit den Geboten: „Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!“ Diese Gebote enthalten Moral und Ethik für den Menschen. Das Gesetz ist sowohl die menschliche Weisung als auch die von Gott gegebene Weisung für das Leben Israels. Viertens: Das Leben des Menschen hat Vorrang vor dem Gesetz. Diese Haltung findet sich in den Sabbatgeschichten wieder. Jesus verteidigt seine Jünger, die am Sabbat Ähren gegessen haben, gegenüber den Pharisäern (6,1-5).655 Für Jesus als Menschensohn haben die Jünger das Gesetz nicht übertreten. Für ihn hat das Leben der Menschen Vorrang vor dem Gesetz. Deshalb rechtfertigt er die Handlung seiner Jünger. Diese Tendenz kann man auch in anderen Sabbatgeschichten finden, so z.B. bei der Heilung der verdorrten Hand (6,6-11), der Heilung einer verkrümmten Frau (13,10-17) und bei der Heilung eines Wassersüchtigen (14,1-6). Diese Perikopen berichten, dass Jesus am Sabbat Kranke geheilt hat. Nach jüdischem Verständnis scheinen diese Handlungen Jesu nicht gestattet zu sein (vgl. 6,11;13,14). Der Sabbat ist ein Tag, an dem man nicht arbeiten darf. Die Handlung Jesu lässt uns nachdenken, was der Begriff Arbeit für Jesus bedeutet. Für Jesus stellt die Rettung eines Lebens, eine Heilung oder eine Wohltat für jemanden auch am Sabbat keine Arbeit dar. Seine Handlung ist daher keine Übertretung des Gesetzes.656 Jesus stellt damit eine neue Dimension des Gesetzes vor.657 Bislang hatte man den Sabbat passiv eingehalten, d.h. der Sabbat ist nach dem Verständnis der Sabbathalakha der Ruhetag, der Tag der Untätigkeit.658 Aber wofür sollte man ruhen und sich jeder Arbeit enthalten? Gott hat den Menschen dieses Gebot gegeben, damit sie sich ausruhen 655 Vgl. Klinghardt, M., Gesetz und Volk Gottes, 49. 656 Vgl. Loader, W.R.G., Jesus’ Attitude, 334: „Jesus is not challenging the Sabbath law; he is defending his practice as appropriate to the sabbath.“ 657 Blomberg, C.L., „The Law, 53-80: „Jesus repeatedly displays his authority over and above the oral and the written law“ (s.58). Nach seiner Meinung ist das Sabbatgesetz durch die Autorität Jesu gebrochen (s.58-59). 658 Vgl. Klinghardt, M., Gesetz und Volk Gottes, 234: „Sabbathalakha bezüglich der Arbeitsruhe wird in 13,10ff und 14,1ff vorausgesetzt, ist aber nicht eigentlich Thema der Perikope.“; Weiter über „ Der Sabbat im Rahmen jüdischer Apologie“ Vgl. a.a.O. 254.
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können, und nicht, um sie einzuengen. M. E. existiert das Gesetz für die Menschen. Aber Jesus geht noch weiter: Er fordert dazu auf, Leidende nicht zu übersehen, sondern ihnen aktiv zu helfen bzw. sie zu retten (14,5). Da der Sabbat für Jesus nicht nur im wörtlichen Sinne ein Tag der Ruhe ist, sondern auch im aktiven Sinne ein Befreiungstag (13,16), fordert er zum aktiven Handeln auf. Ruhe und Befreiung sind in diesem Sinn die gleichen Wörter. Ruhe bzw. Befreiung gelten nicht nur für den gesunden Menschen, sondern sind auch auf die Armen und die Kranken anzuwenden. Auch sie müssen ihre Ruhe finden, genauso wie die anderen Menschen. Daher sollen die gesunden Menschen den Armen und Kranken helfen, damit sie von ihrem Leiden und ihren Krankheiten befreit werden und ruhen können. Die Handlung und Lehre Jesu zeigt, dass alle Menschen am Sabbat ruhen und vom eigenen Leiden befreit werden, weil die Barmherzigkeit, die Rettung von Leben und die Hilfe für Leidende und Kranke, die Essenz des Gesetzes ist. Alles in allem hat das Gesetz eigene Funktionen (z.B.: Das Gesetz beweist, wer Jesus ist und seine Werke) und gilt sowohl für das menschliche Leben (Moral, Ethik und Religion) als auch dafür, das ewige Leben zu ererben. Jesus hat ebenfalls seine eigene Funktion (z.B. den Menschen zu heilen und zu retten). Jesus übertritt bzw. verachtet das Gesetz nicht, sondern respektiert es und lehrt den wahren Sinn des Gesetzes. Das Gesetz ist in diesem Sinn die Weisung Gottes, und Jesus hat gezeigt, wie man das Gesetz richtig befolgen soll.
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Literaturverzeichnis
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