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German Pages 485 [486] Year 2022
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament · 2. Reihe Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich)
Mitherausgeber/Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) ∙ James A. Kelhoffer (Uppsala) Tobias Nicklas (Regensburg) ∙ Janet Spittler (Charlottesville, VA) J. Ross Wagner (Durham, NC)
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Johannes Vortisch
Das unschuldige Blut im Matthäusevangelium Zur geschichtstheologischen Deutung des Todes Jesu
Mohr Siebeck
Johannes Vortisch, geboren 1989; 2009 – 15 Studium der Ev. Theologie in Mainz, Jeru salem (Dormition Abbey) und Heidelberg; 2020 Promotion; Vikariat in MannheimFeudenheim, seit 2022 im Pfarrdienst (EKiBa). orcid.org/0000-0003-3407-6735
ISBN 978-3-16-160695-3 / eISBN 978-3-16-160768-4 DOI 10.1628/978-3-16-160768-4 ISSN 0340-9570 / eISSN 2568-7484 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Ver lags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werk druckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Meiner Familie
Vorwort Das Schreiben einer intertextuell angelegten Forschungsarbeit schärft die Wahrnehmung dafür, dass dieses Werk niemals ohne jene entstanden wäre, die vor uns waren, die mit uns und um uns sind. Es reiht sich in diese Intertexte ein, versucht an der einen oder anderen Stelle Neues anklingen zu lassen und weiß um den bescheidenen Beitrag, der dabei geleistet wird. In diesem Geiste sollen auch die folgenden Seiten verstanden werden, die als Dissertationsschrift im Frühjahr 2020 an der Theologischen Fakultät der RuprechtKarls-Universität Heidelberg eingereicht und zur Veröffentlichung geringfügig überarbeitet wurden. Nicht nur schriftliche Prätexte brachten diese Arbeit hervor, sondern auch eine Vielzahl an Menschen, die mir bei allem Denken und Schreiben unterstützend und begleitend zur Seite standen. Der erste Dank gebührt meinem Doktorvater Matthias Konradt, der mich nicht nur auf das Thema stieß und zur Bearbeitung ermunterte, sondern auch über die Zeit hinweg das Entstehen akribisch und motivierend begleitete. Besonders danke ich ihm für die regelmäßige und priorisierte Durchführung des neutestamentlichen Oberseminars, in welchem viele Ideen und Gedanken des Buches zum ersten Mal präsentiert und diskutiert wurden. Er hat damit einen Klangraum geschaffen, der anregende Resonanzen, produktive Dissonanzen und ermunternde Konsonanzen hervorgerufen hat. Entsprechend sei an dieser Stelle allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern herzlich gedankt, im Besonderen dem daraus hervorgegangenen „Matthäuskreis“. Vielfachen Dank möchte ich auch Helmut Schwier aussprechen, der diesen Klangraum durch die Sozietät erweiterte und zudem das Zweitgutachten anfertigte. Ein herzlicher Dank gebührt den vielen Menschen, deren namentliche Nennung ich an dieser Stelle ausspare und dafür die Platzhalter „MainzHeidelberger“ und „Studienjahrler“ nenne, sowie all jenen, die bei allem „Ernst in der Wissenschaft treu in der Freundschaft“ blieben. Ohne sie hätte ich dieses Werk nicht begonnen. Namentlich nennen und danken möchte ich Max Bühler und Tina Jabbarian, mit denen ich viel Zeit während der gemeinsamen Promotionsphase verbringen und viele angenehme und anregende Gespräche führen durfte. Ferner bedanke ich mich bei May-Britt Melzer, Andreas Pflock und Kornelius Kammler-Sücker. Sie waren nicht nur beim
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Vorwort
Schreiben wertvolle Diskussionspartner, sondern haben darüber hinaus weite Teile der Arbeit korrekturgelesen. Zu danken habe ich zudem für die Gewährung des Gerhard-von-RadStipendiums der Theologischen Fakultät Heidelberg, wodurch mir die Zeit blieb, um das eigene Forschen in den Mittelpunkt zu stellen. Ein herzlicher Dank gilt Jörg Frey für die Aufnahme der Arbeit in diese Reihe sowie Elena Müller, Tobias Stäbler und Markus Kirchner für die Begleitung der Veröffentlichung seitens des Verlags Mohr Siebeck. Zuletzt darf ich jene nicht vergessen, die mich nicht nur in der Zeit des „verlängerten Studiums“ wohlwollend und fördernd begleitet haben, sondern auch Zeit meines Lebens wichtig und wegweisend waren und sind. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet: Zuvorderst meinen Eltern Volker und Elisabeth (†), meinen Geschwistern Andreas und Saskia sowie meiner Tante Ruth. Sie alle haben meinen Weg mitgetragen und durch ihre liebevolle Art unterstützt. Vor allem aber sei meiner Frau Annika gedankt, ohne deren Liebe und langjährige Unterstützung in jedweder Hinsicht dieses Buch niemals entstanden wäre. Es erfüllt mich mit Glück, dass wir mit dem Ende dieses Projektes ein neues Kapitel aufschlagen dürfen und unser Leben nunmehr zu dritt weitergeht. Heidelsheim, 8.8.2022
Johannes Vortisch
Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis .............................................................................. XV
I. Einleitung 1. Hinführung................................................................................................ 1 1.1. Blutbetrachtungen .............................................................................. 1 1.2. Fragestellung und forschungsgeschichtlicher Überblick ..................... 5 2. Eine kleine Geschichte der matthäischen Gemeinde.................................11 3. Methodische Überlegungen......................................................................33 4. Perikopenauswahl und Vorgehen .............................................................37
II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes und potenzielle Leitlinien für eine Interpretation desselben im Matthäusevangelium 1. Sprachlicher Befund.................................................................................41 Exkurs 1: Zum Begriff ʭʣ .............................................................................44 2. Literarische Zusammenhänge...................................................................47 3. Systematisierung der Belegstellen ............................................................49 Exkurs 2: Das deuteronomistische Geschichtsbild ........................................52 4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB ................................................55 4.1. Geschichtstheologische Dimension ...................................................56 4.1.1. Belegstellen auf Basis des MT ...................................................56 a) 2Kön 21,16; 24,3f........................................................................56 b) Ps 106,38.....................................................................................60 c) Jes 59,7........................................................................................61 d) Jer 2,34........................................................................................62 e) Jer 7,6..........................................................................................63 f) Jer 19,4 ........................................................................................64 g) Jer 22,3.17...................................................................................65
X
Inhaltsverzeichnis
h) Jer 26,15......................................................................................67 i) Klgl 4,13 ......................................................................................68 j) Jo 4,19..........................................................................................69 k) Zusammenfassung der hebräischen Belege..................................70 4.1.2. Belegstellen in griechischsprachig-jüdischen Schriften ..............71 a) 2Chr 36,5dLXX..............................................................................71 b) 2Makk 1,8 ...................................................................................72 c) 1Makk 1,37 .................................................................................73 d) TestLev 16,3 ...............................................................................74 e) 2Bar 64,2.....................................................................................74 f) Zusammenfassung........................................................................75 4.2. Rechtliche Dimension .......................................................................75 a) Dtn 19,10.13................................................................................77 b) Dtn 21,8f. ....................................................................................79 c) Dtn 27,25.....................................................................................80 4.3. Individuelle Dimension .....................................................................81 4.3.1. Erste Gruppe ..............................................................................82 a) 1Sam 19,5....................................................................................82 b) Ps 94,21.......................................................................................83 c) Spr 6,17 .......................................................................................84 d) Jon 1,14.......................................................................................84 e) Zusammenfassung .......................................................................85 4.3.2. Zweite Gruppe ...........................................................................85 a) 1Sam 25,26.31LXX ........................................................................85 b) 1Kön 2,5LXX ................................................................................86 c) Zusammenfassung .......................................................................87 4.3.3. Dritte Gruppe .............................................................................87 a) Est 8,12eLXX (E 5) ........................................................................87 b) SusTh 62.......................................................................................89 c) TestSeb 2,2..................................................................................90 d) Philo spec. I 204..........................................................................91 e) CIJ 725 ........................................................................................92 f) Zusammenfassung........................................................................93 4.4. Kosmologische Dimension................................................................94 4.4.1. 4Q504 Fragm. 8 recto 14............................................................94 4.4.2. Das äthiopische Henochbuch (1Hen)..........................................96 4.4.3. Jubiläenbuch ..............................................................................97 4.4.4. Schlussbetrachtung.....................................................................98 4.5. Zwischenfazit ....................................................................................98 5. Anwendung der bisherigen Leitlinien des Motivs auf das Matthäusevangelium ..................................................................100 5.1. Zur Verbreitung der potenziellen Intertexte im antiken Judentum ...100 5.2. Zum narrativen Aufbau des Matthäusevangeliums ..........................102
Inhaltsverzeichnis
XI
5.3. Indizien für ein dtrGB im Matthäusevangelium...............................104 5.3.1. Motiv A ...................................................................................106 5.3.2. Motiv B....................................................................................109 5.3.3. Motiv C....................................................................................110 5.3.4. Motiv D ...................................................................................111 a) Barmherzigkeit und Opfer .........................................................111 b) Ort der Sündenvergebung ..........................................................112 c) Ort der „Gegenwart Gottes“.......................................................113 d) Ort der „Stätte“..........................................................................115 e) Schlussüberlegung .....................................................................116 6. Zusammenfassung..................................................................................117
III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10) 1. Hinführung.............................................................................................119 2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas...................................................120 2.1. Der matthäische Judas .....................................................................120 2.2. Judas’ Agieren im Lichte von Dtn 27,25 .........................................124 2.2.1. Judas’ Vorwissen .....................................................................124 2.2.2. Judas’ Erkenntnisprozess .........................................................127 2.3. Verflucht – und jetzt? ......................................................................131 2.4. Die Antwort der Hohepriester als Interpretationsschlüssel ..............133 2.5. Indizien für Judas als Verfluchten ...................................................134 Exkurs 1: Selbsttötung in der Antike ......................................................136 1) Hermeneutische Vorbemerkungen .................................................136 1.1) Terminologie/Sinndeutung .....................................................136 1.2) Christliche Wirkungsgeschichte .............................................137 2) Römisches Reich ...........................................................................138 3) Josephus ........................................................................................140 4) Todesarten unter besonderer Berücksichtigung des Strangs ...........142 5) Suizid in der Bibel .........................................................................145 5.1) Ein Überblick .........................................................................145 5.2) Suizid und „Verrat“ ................................................................147 6) Fazit ..............................................................................................148 2.6. (Er-)Hängen als Intertext.................................................................149 2.7. Der Judasfluch ................................................................................153 Exkurs 2: Die Stellung der Perikope innerhalb der matthäischen Passionsgeschichte..................................157 3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegen über den Autoritäten.........160 3.1. Hinführung......................................................................................160
XII
Inhaltsverzeichnis
3.2. Synoptischer Vergleich und die Suche nach dem Blutacker ............161 3.2.1. Vorbemerkungen......................................................................161 3.2.2. Der Blutacker bei Lukas...........................................................163 3.2.3. Der Blutacker im Matthäusevangelium ....................................167 3.3. Eine intertextuelle Sicht auf Mt 27,3–10 .........................................169 3.3.1. Sach 11,4–17............................................................................172 3.3.2. Das Buch Jeremia.....................................................................180 a) Jer 18.........................................................................................180 b) Jer 19.........................................................................................181 c) Jer 32.........................................................................................184 d) Schlussbetrachtung....................................................................186 3.3.3. Der Blutacker im intertextuellen Klangraum des Matthäusevangeliums.........................................................187 4. Der „Prophet“ Judas...............................................................................191 5. Fazit .......................................................................................................196
IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.) 1. Hinführung.............................................................................................199 2. Die Figur des Pontius Pilatus .................................................................202 2.1. Der historische Pilatus und mögliche Implikationen für das matthäische Pilatus-Bild.......................................................202 2.2. Der matthäische Pilatus in der Passionsgeschichte mit Fokussierung auf Mt 27,24f.......................................................204 2.3. Die Ritualsequenzen in Mt 27,24 im Lichte von Dtn 21,1–9............214 2.3.1. Handwaschung .........................................................................215 2.3.2. Die Unschuldsdeklaration ........................................................217 2.3.3. Einbettung in das Gesamtritual.................................................218 2.4. Das Unschuldsbekenntnis des Pilatus …..........................................222 2.4.1. … im Lichte von 2Sam 3,28f.LXX ..............................................223 2.4.2. … mit Seitenblick auf SusTh 46.................................................233 2.5. Der Ritus des Pilatus........................................................................236 2.5.1. Die intertextuellen Interpretationsleitlinien ..............................236 2.5.2. Dtn 21,1–9 als subversive Anklage des Hegemonen.................237 3. Der Blutruf des Volkes...........................................................................242 3.1. Der traditionsgeschichtliche Hintergrund der Formel IJઁ ĮੈȝĮ ĮIJȠ૨ ਥijૃ ਲȝ઼Ȣ....................................................................242 3.2. Wer ist das „Volk“?.........................................................................248 3.3. Die Ergebnisse im Lichte der realhistorischen Umstände ................252 4. Der Blutruf als innerweltliches Gerichtswort .........................................255 5. Fazit .......................................................................................................260
Inhaltsverzeichnis
XIII
V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht? Zum matthäischen Gebrauch der Formel ĮੈȝĮ … ਥțȤȣȞȞંȝİȞȠȞ 1. Hinführung.............................................................................................263 1.1. Belegstellenübersicht.......................................................................263 1.2. Der traditionsgeschichtliche Hintergrund der Formel ĮੈȝĮ + ਥțȤȦ .................................................................264 2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1) ..................................................268 2.1. Hinführung ......................................................................................268 2.2. Synoptische Vorüberlegungen .........................................................269 2.2.1. Zur strukturellen Einbindung der Wehrufe ...............................269 2.2.2. Erste Beobachtungen................................................................273 a) Mt 23,27f./Lk 11,44...................................................................273 b) Mt 23,29–33/Lk 11,47f..............................................................274 c) Mt 23,34–36/Lk 11,49–51 .........................................................275 d) Mt 23,37–39/Lk 13,34f..............................................................277 2.3. Das matthäische Profil des letzten Wehrufs .....................................278 Exkurs 1: Jesus als inszenierter Jeremia .................................................280 2.4. Das Blut der Propheten ....................................................................283 2.4.1. Zur Erinnerungskultur der Prophetentraditionen im Frühjudentum......................................................................283 2.4.2. Abel, der Gerechte ...................................................................287 2.4.3. Der prophetische Priester Sacharja ...........................................288 Exkurs 2: Sacharja in der rabbinischen Literatur ....................................295 2.5. Von Abel bis Sacharja .....................................................................299 2.6. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Substitut der dtrPA.............303 Exkurs 3: Die dtrPA im Matthäusevangelium ........................................307 2.7. Das Gerichtswort über Jerusalem und die Reichweite des unschuldigen Blutes ..........................................310 2.8. Zwischenfazit ..................................................................................315 3. Das Blut der Versöhnung (Mt 26,26–29) ................................................316 3.1. Hinführung ......................................................................................316 3.2. Textgeschichtliche Hintergründe der Einsetzungsworte...................317 3.2.1. Die verschiedenen Textversionen .............................................317 3.2.2. Die matthäischen Besonderheiten.............................................319 3.2.3. Intertextuelle Bezüge ...............................................................320 a) Ex 24,6–8 ..................................................................................320 b) Jer 38,31–34LXX .........................................................................322 c) Jes 53,12....................................................................................323 3.2.4. Intratextuelle Bezüge ...............................................................324 a) Sündenvergebung ......................................................................324 b) Immanuel-Motiv .......................................................................326
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Inhaltsverzeichnis
3.3. Das Blutvergießen im Kontext der Abendmahlsperikope.................327 3.3.1. Zur heiligenden Wirkweise des Bundesblutes ..........................327 3.3.2. Zur beziehungsstiftenden Wirkweise des Bundesblutes............330 Exkurs 4: Der Blutruf des Volkes als unterschwelliges Heilsereignis? ...337 3.4. Erwägungen zur bundestheologischen Sühnekonzeption im Matthäusevangelium...................................................................339 4. Fazit .......................................................................................................341
VI. Resümee: Die Pragmatik des Motivs des unschuldigen Blutes im Matthäusevangelium 1. Zur Frage eines einheitlichen Sinnhorizonts...........................................343 2. Das Motiv des unschuldigen Blutes in der matthäischen Adaption des dtrGB ................................................344 3. Das unschuldige Blut als geschichtstheologisches Interpretament des Todes Jesu und der Geschichte Israels .............................................347 3.1. Die apologetische Legitimation Jesu................................................347 3.2. Die polemische Delegitimation der etablierten Autoritäten..............349
VII. Epilog: Hermeneutische Erwägungen zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Matthäusevangeliums 1. Hinführung.............................................................................................353 2. Synchrone Perspektive: Die Verfolgung der Jesusboten in Mt 23 und 1Thess 2,14–16 ................358 3. Diachrone Perspektive: Das Motiv des unschuldigen Blutes bei Melito von Sardes ....................363 4. Das bleibende Problem mit dem matthäischen Antipharisäismus ...........371 5. Beispiele einer hermeneutischen Umdeutung .........................................377 5.1. Problemskizze .................................................................................377 5.2. Zur matthäischen Geschichtstheologie ............................................379 5.3. Zu Mt 23 .........................................................................................383 5.4. Zu Mt 27,3–10.................................................................................385 5.5. Zu Mt 27,25 ....................................................................................387 6. Fazit .......................................................................................................389 Literaturverzeichnis....................................................................................391 Stellenregister.............................................................................................433 Autorenregister...........................................................................................459 Sachregister................................................................................................463
Abkürzungsverzeichnis Bibliographische und allgemeine Abkürzungen sowie Abkürzungen von Quellen folgen: Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaften nach RGG4, hg. von der Redaktion der RGG4 (UTB 2868), Tübingen: Mohr Siebeck 2007. Darin nicht aufgeführte abgekürzte Reihen und Zeitschriften sind im Abkürzungsverzeichnis gesondert genannt. ABRL AJEC ANEM ArBi ASNU AwK AYBRL AzBG BiGe BiThS BiTS BoNT BRLJ BRS CBR CSHJ DaW DCL.Y DSI DSS ESEC FDV FJTC FraThS GP GTB HBGHS HSAT JAJ Sup JHC JoC JSHJ
The Anchor Bible Reference Library Ancient Judaism and Early Christianity Ancient Near East Monographs The Aramaic Bible Acta Seminarii Neotestamentici Upsaliensis Altertumswissenschaftliches Kolloquium The Anchor Yale Bible Reference Library Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte Biblische Gestalten Biblisch-Theologische Schwerpunkte Biblical Tools and Studies Die Botschaft des Neuen Testaments The Brill Reference Library of Judaism The Biblical Resource Series Currents in Biblical Research Chicago Studies in the History of Judaism Dienst am Wort Deuterocanonical and Cognate Literature. Yearbook De Septuaginta Investigationes The Dead Sea Scrolls. Hebrew, Aramaic, and Greek Texts with English Translation Emory Studies in Early Christianity Franz-Delitzsch-Vorlesung Flavius Josephus. Translation and Commentary Frankfurter Theologische Studien Gospel Perspectives Van Gorcum’s theologische bibliotheek Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung Die Heilige Schrift des Alten Testamentes Journal of Ancient Judaism Supplements The Journal of Higher Criticism Journal of Communication Journal for the Study of the Historical Jesus
XVI JTC KB KNT KSF LNTS LTP LTSL.OS MidRab NTL NTMon ORA PoTh PRSt PzB RNTS RoThS RUB SAPERE SBL.ECL SBR SFC SGKA.E SrgS SSEJC StBL STH STusc SynKi TBN ThDiss ThKNT TuK ZÜ
Abkürzungen Jewish and Christian Texts Kleine Bibliothek der antiken jüdischen und christlichen Literatur Kommentar zum Neuen Testament Kleine Schriften des Fachbereichs Evangelische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt, Main Library of New Testament Studies Laval théologique et philosophique Lexington Theological Seminary Library. Occasional Studies Midrash Rabbah. Translated under the Editorship of Rabbi Dr. H. Freedman and Maurice Simon The New Testament Library New Testament Monographs Orientalische Religionen in der Antike Political Theology Perspectives in Religious Studies Protokolle zur Bibel Reading the New Testament Series Rostocker theologische Studien Reclams Universal-Bibliothek Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam REligionemque pertinentia Society of Biblical Literature. Early Christianity and Its Literature Studies of the Bible and Its Reception Selections from the Fathers of the Church Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums. Ergänzungsband Schriftenreihe rechtsgeschichtliche Studien Studies in Scripture in Early Judaism and Christianity Studies in Biblical Literature Studia Teologiczno-Historyczne ĝląska Opolskiego Sammlung Tusculum Synagoge und Kirchen Themes in Biblical Narrative Theologische Dissertationen Theologischer Kommentar zum Neuen Testament Texte und Kontexte Zürcher Bibel
I.
Einleitung 1. Hinführung 1. Hinführung
1.1. Blutbetrachtungen Blutvergießen ist in unserer medialen Gesellschaft ein allgegenwärtiges Phänomen.1 Insbesondere in jüngeren Produktionen des US-Pay-TVs wird Blutvergießen nahezu massentauglich zelebriert und lässt sich als gemeinsamer Nenner verschiedener Serienformate bestimmen.2 Nach Christina von Braun ist gerade im Film „Blut […] zum Symbol für ‚Wirklichkeit‘ geworden und verleiht den medial vermittelten, virtuellen oder abstrakten Bildern den Anschein von Unmittelbarkeit, Materialität und Realität.“3 Der christlichen Kunst mag diese Form der Inszenierung nicht fremd sein, doch erreicht die Darstellung eines blutüberströmten Jesus erst 2004 mit Mel Gibsons The Passion of the Christ ihren (vorläufigen) Höhepunkt.4 Die blutigen Bilder entfalteten ihre Einprägsamkeit nicht nur durch die Zurschaustellung von Gewalt, sondern auch durch die medial verbreitete, insbesondere vom Regisseur 1 Die Darstellung von Blutvergießen ist ein medienübergreifendes Phänomen, welches dem Thema von Gewalt in Medien zuzuordnen ist (vgl. hierzu insbesondere KUNCZIK/ ZIPFEL, Gewalt). Die komplexe Diskussion reicht vom „Zeigbaren“ innerhalb des Journalismus (vgl. KAHR, Gewalttaten), bis hin zur behaupteten Korrelation zwischen Gewaltdarstellung und Gewaltausübung, die sich insbesondere an Videogames („Killerspielen“) abarbeitet (zum Thema vgl. KUNCZIK/ZIPFEL, Gewalt, 287–326; KOTTLER, Lust, 205f.). 2 Anschaulich Beispiele bilden The Shield (FX Network; 2002–2008); Rome (HBO; 2005–2007); Dexter (Showtime; 2006–2013); True Blood (HBO; 2008–2014); Spartacus (Starz; 2010–2013); Game of Thrones (HBO; 2011–2019); ähnliches gilt auch für andere Sender: Vikings (History Television; seit 2013); Hannibal (NBC; 2013–2015); Narcos (Netflix; 2015–2017). 3 BRAUN, Blut, 171; ähnlich GORMANS, Film, 78 mit Blick auf den (Paparazzi-)Journalismus: „Blut […] ist die denkbar drastischste Sprache des Realismus und schafft Authentizität.“ In der neueren Kunst kann mit diesem Realismus durch übertrieben umfangreiches Blutvergießen gebrochen werden. Das Blutvergießen wird zur Karikatur und birgt hierin eine Kritik am Voyeurismus der Zuschauer – als cineastisches Beispiel kann auf Sweeney Todd: The Demon Barber of Fleet Street (2007) verwiesen werden. 4 Vgl. KUNCZIK/ZIPFEL, Gewalt, 30; ferner HOEPS, Wunden, 101: „Der geschundene Körper in seinem eigenen Blut: das ist es, was der Film als das authentische Bild der Passion Jesu explizieren will“ (Hervorhebung J.V.).
2
I. Einleitung
vorgetragene, Behauptung, hier werde die reale Geschichte in all ihrer Brutalität geschildert.5 Durch diesen Film wurde wieder neu zur Geltung gebracht, dass das Vergießen des Blutes Jesu nicht nur eine symbolische Referenzialität anzeigt, die sich in den Einsetzungsworten manifestiert, sondern auch einen realen Gewaltakt zum Ausdruck bringt.6 Inwieweit die Vorstellungswelten unserer heutigen bildhaften Kultur und die der Antike vergleichbar sind, lässt sich kaum sicher eruieren. Gleichwohl fällt auf, dass die Inszenierung von Gewalt in verschiedenen medialen Formen bis in die prähistorische Zeit zurückreicht, sich aber insbesondere in literarischen Werken niederschlägt.7 Es wäre demnach zu erwägen, ob in der Antike durch die Nennung des Wortes „Blut“ eine der heutigen bildhaften Darstellung analoge Inszenierung von Gewalt und Unmittelbarkeit erfolgte.8 Dementsprechend ist nach dem Nutzen derartiger Gewaltbilder bzw. -sprache zu fragen. 9 Eine neuere 5
Vgl. FREDRIKSEN, History; ähnlich LENTES, Blut, 52f. In der Passionsliteratur des Spätmittelalters entfaltet dieser Gedanke seine volle Wirkung, wenngleich dieser „Blutrealismus“ weniger der (historisch) realen Darstellung folgt, sondern Produkt einer „symbolischen Logik“ ist, die die heilsame Wirkung des Blutes betont (vgl. LENTES, Blut, 50–52). Dieses Zueinander von blutigen Gewaltbildern und symbolischer Ausdeutung findet sich in der kirchlichen Tradition bis heute in besonders prominenter Weise in Paul Gerhards „O Haupt voll Blut und Wunden“ (EG 85) verdichtet. 7 Zum geschichtlichen Überblick vgl. KUNCZIK/ZIPFEL, Gewalt, 27–41. Erwähnenswert ist sodann, dass Flav.Jos.Ant. XIX 94 für die Antike die Verwendung von künstlichem Blut im Theater bezeugt. 8 Dass ebendies der Fall ist, erweist die Funktion der sogenannten „Botenberichte“ (vgl. ZIMMERMANN, MLexAL, 31f.) – v.a. im Werk Senecas. In diesen werden die Handlungsverläufe nicht dargestellt, sondern berichtet, die im Falle Senecas als „sensationell[.], grauenvoll[.], blutig[.]“ charakterisiert werden (vgl. CLEMEN, Wandlung, 4f.). Doch nicht nur im Theater, sondern auch in der klassischen Literatur lässt sich dies beobachten, wie KUNCZIK/ZIPFEL, Gewalt, 27 durch den Verweis auf den 22. Gesang der Odyssee nahelegen. Der frühjüdischen Welt scheint dies keineswegs fremd zu sein; in Jub 7,22–33 wird durch die besondere Dichte des Blutbegriffs das gewaltsame Kolorit der Urzeit gesondert herausgestellt (vgl. hierzu II.4.4.3.). Bei SWOBODA, Tod, 159 wird schließlich das Lemma Blut im Werk des Josephus als „Signalwort“ bestimmt. Dieses entspricht einer von vier Kategorien, welche er zur Bestimmung einer „grausamen Todesdarstellung“ heranzieht. In ähnlicher Weise sieht MÜLLNER, Gewalt, 300 ʭʣ in 1Sam 16,8 als „dramatisch aufgeladene(s) Wort“. 9 Innerhalb der Forschung dominierte die Frage nach dem Zusammenhang von Gewaltdarstellung und Nachahmung (vgl. JIMENEZ, Gewalt). Die bloße Behauptung einer „Verrohung“ stellt eine unterkomplexe Bestimmung dar. Vielmehr ist zu einem differenzierten Urteil zu kommen, wonach mediale Gewalt in bestimmten Lebenskontexten einen Katalysator darstellen kann (vgl. KUNCZIK/ZIPFEL, Gewalt, 395–399, insbesondere 398; ähnlich KOTTLER, Lust, 211–217). Es erscheint zudem weitgehend konsensual, dass Blutund Gewaltdarstellungen, sowohl medial als auch real, im Spannungsfeld von tremendum und fascinosum anzusiedeln sind, wenngleich man sich den genauen Ursachen nur schwer annähern kann (vgl. ebd.). Häufig wird diese Haltung zu Blut und Gewalt als anthropo6
1. Hinführung
3
Perspektive hält fest, dass als sinnbehaftet empfundener Einsatz medialer Gewalt, welcher hier näherhin durch die Darstellung von Blutvergießen bestimmt sei, nicht nur Lustempfinden stimuliert, sondern auch Empathie für Opfer und damit einhergehend die Disqualifikation der Täter evoziert.10 Es ist eine plausible Annahme, dass diese Effekte gesteigert werden, wenn die Opfer als Unschuldige inszeniert oder benannt werden. Da im Fall der Tötung von Unschuldigen eine Identifikationsmöglichkeit mit dem Opfer erschwert wird – ein personaler Gerechtigkeitsausgleich ist nicht mehr möglich –, scheint dieses Motiv insbesondere zur gesteigerten Negativzeichnung der Täter gebraucht zu werden.11 Diese modernen, wenngleich in Abstrichen vermutlich zeitlosen Implikationen gilt es zumindest wahrzunehmen, ehe auf die biblischen Texte geblickt wird.
logisches Grundphänomen festgehalten (vgl. ebd., 169–197), welches bspw. in der Antike in den Gladiatorenspielen seinen besonderen Ausdruck findet (vgl. ebd., 37–52; KUNCZIK/ ZIPFEL, Gewalt, 27–41). 10 Zur Opferperspektive und dem sogenannten Robespierre-Affekt vgl. KUNCZIK/ ZIPFEL, Gewalt, 187–193. Auch eine Studie von Anne Bartsch und Louise Mares legt nahe, dass „Sinngehalt und Gewalttoleranz“ zusammenhängen (vgl. JIMENEZ, Gewalt; BARTSCH/ MARES, Violence). Problematisch bleibt, dass dieser Ansatz nicht am Inhalt eines Films festzumachen ist, sondern die Reflexionsleistung des Zuschauers erfordert; gerade in Mel Gibsons Passion droht der Zusammenhang von Sinn und Gewalt auseinanderzufallen, sofern die Sehanweisung pro nobis durch das vorangestellte Zitat aus Jes 53,5 aus dem Blick gerät (vgl. LENTES, Blut, 54f.). Zugleich ist aber das Erzeugen von compassio wohl als Zielperspektive des Films zu bestimmen (vgl. ebd., 58) Die Annahme, dass ähnliches auch für Literatur (bereits in der Antike) gilt, erscheint plausibel. Zumindest deutet die geschichtliche Kontinuität von Gewaltdarstellungen darauf, dass mit dieser nicht nur ein menschliches Bedürfnis befriedigt, sondern stets auch ein Sinngehalt produziert wird (vgl. JIMENEZ, Gewalt). Für die Antike kann abermals Josephus als Gewährsmann herangezogen werden, der mit grausamen Darstellungen das Leid des jüdischen Volkes besonders inszeniert und hierbei auch über die literarischen Konventionen seiner Zeit hinausgeht. Diese Inszenierung dient unter anderem der Delegitimation des Florus und der Darstellung der Juden als Opfer, welche einerseits als Kriegsschuldige entlastet werden und für die andererseits als Geschädigte Mitleid erweckt werden soll (vgl. insgesamt SWOBODA, Tod, 247–249). 11 Ein aktuelles cineastisches Beispiel stellt die fünfte Folge der achten und finalen Staffel der Serie Game of Thrones dar („Bells“). Die im vorherigen Serienverlauf als Heilsbringerin inszenierte Figur der Daenerys Targaryen durchläuft im Zuge der letzten Staffel einen radikalen Wandel, die sie zur letzten Antagonistin der Serie werden lässt. Diese Veränderung wird nachhaltig und unhintergehbar dadurch erreicht und unterstrichen, dass sie mit ihrem Drachen die Hauptstadt, die sich bereits ergeben hatte, niederbrennen und erobern lässt, wobei an der grausamen Darstellung unschuldiger Opfer nicht gespart wird. Die brutale Inszenierung der Gewalt dient folglich zur radikalen Brechung der Figurenzeichnung, die sodann auch jedwede positive Identifikationsfläche der vorherigen Staffeln negiert (vgl. https://www.n-tv.de/leute/Wieso-Daenerys-durchdrehen-musstearticle21097728.html [aufgerufen am 19.09.2019]).
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I. Einleitung
Unter diesen Vorzeichen fällt auf, dass die Passion Jesu in den Evangelien zwar durchaus gewaltsame Darstellungen kennt, diese aber nicht im Detail ausführt.12 Die heutzutage naheliegende Assoziation eines blutüberströmten Jesus ist folglich durch die neutestamentliche Darstellung kaum gedeckt.13 Es finden sich nur wenige Stellen, die auf das faktische Vergießen von Blut Bezug nehmen – mit Blick auf Jesus wären Mt (23,35;) 27,4.24f.; Apg 5,28; Kol 1,20 zu erwägen, mit Blick auf christusgläubige Märtyrer Mt 23,35; Apg 22,20; Apk 6,10; 16,6; 17,6; 18,24; 19,2.14 Ähnliches gilt hinsichtlich der Unschuldsthematik. Obgleich sich die Überzeugung, dass Jesus zu Unrecht zu Tode kam,15 als früher Anknüpfungspunkt für die Deutung seines Todes und 12 Der Missbrauch Jesu verdichtet sich in Schlägen und Bespucken durch den Sanhedrin und römische Soldaten (vgl. Mt 26,67f.; 27,27–31). Die Kreuzigung selbst wird im Mt nur begrenzt als Gewaltakt geschildert – allenfalls das Tragen des Kreuzes, der Spott und der Durst bieten „gewaltsame“ Details. Im Kontrast dazu fallen die Hinrichtung des Johannes (Mt 14,8–11) und die Episode des abgeschlagenen Ohres (Mt 26,51f.) in ihrer Anschaulichkeit auf. Dieser Befund gilt weitgehend auch für das Mk und das Lk, allenfalls das Joh bietet „grausame“ Details: Die Geißelung wird als Teil des Prozesses stärker betont; mit dem Zerschlagen der Beine bzw. dem Lanzenstich in die Seite werden gewaltsame und blutige Bilder explizit benannt; die Erscheinung Jesu vor Thomas verweist auf bleibende Wunden (Joh 19,1–5.31–34; 20,24–27; ähnlich LENTES, Blut, 51). Davon lassen sich zudem detailreiche, wenn auch weitgehend terminologisch unblutige, Darstellungen verschiedener Tode in den Schriften Israels abheben (vgl. exemplarisch Ri 4,21f.; 1Sam 17,49–51; Jdt 13,8f.; 2Makk 1,16; 9,9.28; 15,30.32f.35; zu 2Makk vgl. SWOBODA, Tod, 201–203). 13 Einen Anhaltspunkt bieten allenfalls der Blutschweiß Jesu in Lk 22,44, wobei der Vers textkritisch umstritten ist (vgl. BOVON, Lk IV, 300–302), und die Seitenwunde in Joh 19,34, die jedoch auch auf eine sakramentale Deutung durchlässig ist (vgl. SCHNELLE, Joh, 317–319). Darüber hinaus wird das Blut Jesu vielfach in den Kontext von Opferterminologie gestellt, wodurch das Blutvergießen symbolisch aufgeladen wird (vgl. Joh 1,13; 6,53–56; 19,34; Apg 20,28; Röm 5,9; 1Kor 10,16; 11,25.27; Eph 1,7; 2,13; Kol 1,20; Hebr 9,7.12–14.18–22.25; 10,4.19.29; 11,28; 12,24; 13,11f.20; 1Petr 1,2.19; 1Joh 1,7; 5,6.8; Apk 1,5; 5,9; 12,11; vgl. zudem LAUBACH, Blut, 199). Diese Diskrepanz zwischen biblischem Sprachgebrauch und cineastischer Darstellung ist hinlänglich erkannt, insofern die Visionen der Anna Katherina Emmerick vermittelt durch Clemens Brentano als eigentliches Drehbuch der Passion identifiziert wurden (vgl. ZWICK, Leiden; DERS., Hollywood, insbesondere 117–121). Die Inszenierung knüpft zudem an die christliche Kunst an (vgl. GORMANS, Film). Im Unterschied zu den Evangelien wird so der „blutüberströmte Körper“ zum eigentlichen Gegenstand der Erzählung (HOEPS, Wunden, 101). 14 Ähnlich LAUBACH, Blut, 198. 15 Die Unschuld Jesu stellt innerhalb der Theologie ein Axiom dar, hinter welches allenfalls in der historischen Jesusforschung zurückgegangen wird. Die historisch wahrscheinliche Verurteilung Jesu als Königsprätendent findet verschiedene Anknüpfungspunkte im rekonstruierten Leben Jesu, wobei insbesondere seine Tempelkritik herangezogen wird (THEIെEN/MERZ, Jesus, 408–410; skeptisch REINHARTZ, Temple). Nach EBNER, Tendenzen, 151f. war Jesus als Tempelkritiker nach jüdischem Recht des Todes schuldig, wenngleich nur die (verfälschende?) Zuspitzung als Königsprätendent, welche wohl in seinem messianischen Selbstverständnis gründete, eine Überstellung an die Römer und ein
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seiner Auferstehung anbieten würde,16 wird dieses unschuldige Sterben Jesu – analog zum Blutgebrauch – nur im Mt hervorgehoben, wobei sich beide Elemente im formelhaften Ausdruck „unschuldiges Blut“ vereinen. Die Benennung Jesu als eines gewaltsam zu Tode gekommenen Unschuldigen scheint demnach im Mt von besonderem Interesse zu sein.17 1.2. Fragestellung und forschungsgeschichtlicher Überblick Die kulturästhetische Hinführung legt nahe, dass der Ausdruck unschuldiges Blut ein gesondert zu beachtendes Signalwort darstellt, welches innerhalb der Kommunikationssituation des Mt auf eine bestimmte Aussageintention hin angelegt ist. Innerhalb der Matthäusforschung kann als Konsens festgehalten werden, dass eine Vielzahl der geprägten Sprachformeln, die sich im Evangelium niederschlagen, den „Schriften Israels“ entnommen sind.18 Entsprechend wird der mt Gebrauch des unschuldigen Blutes in der Literatur durchweg als feststehender Ausdruck festgehalten.19 Es ist daher angebracht, im Rahmen dieser Arbeit vom Motiv des unschuldigen Blutes zu sprechen.20 Allerdings folgendes Todesurteil ermöglichte. CARTER, Empire, 160–162 wiederum wertet das Schweigen Jesu im Prozess als Schuldeingeständnis mit Blick auf die Anklage als Königsprätendent (s.u.S. 207 Anm. 50). Im populärwissenschaftlichen Diskurs findet hingegen die These eines gewaltsamen resp. politisch-konfrontativen Jesus Anklang (vgl. exemplarisch ASLAN, Zelot), die sich jedoch trotz einzelner exegetischer Untersuchungen (vgl. MARTIN, Jesus) im Forschungsdiskurs kaum durchsetzen konnte. 16 Vgl. FREY, Deutung, 48. Die erzählerische Verdichtung dieser Vorstellung erfolgt in der übereinstimmenden Charakterisierung des Pilatus als Unschuldszeugen Jesu, welche mehr oder weniger stark ausformuliert ist (Mk 15,14; Mt 27,23f.; Lk 23,4.14f.22; Joh 18,38; 19,4.6; ähnlich SCHÖNE, Hände, 29). 17 Vgl. exemplarisch BROER, Bemerkungen, 46; FRANCE, Mt, 1050f. 18 Die Arbeit folgt der bei ZIETHE, Namen, 14f. grundgelegten Terminologie, in welcher auf den Begriff „Altes Testament“ verzichtet wird, da mit diesem bereits eine Kanonisierung der Schriften Israels postuliert und a priori eine Normativität zugesprochen wird. Beides ist für den Entstehungszeitraum des Mt Ende des 1. Jahrhunderts unzulässig. Darüber hinaus entspricht diese Wortwahl dem mt Sprachgebrauch, insofern im Evangelium regelmäßig auf Įੂ ȖȡĮijĮ verwiesen wird (vgl. Mt 21,42; 22,29; 26,54.56). 19 Vgl. BROWN, Death I, 641; DAVIES/ALLISON, Mt III, 563 („biblical expression“); DERRETT, Akeldama, 123 („cliché“); FRANCE, Mt, 1040 („standard OT expression“); FRANKEMÖLLE, Mt II, 472 („in der Bibel vielfach belegte Wendung“); GUNDRY, Mt, 470 („OT phraseology“); GNILKA, Mt II, 445 („biblische Wendung“); HAGNER, Mt II, 812 („common expression in the OT“); KEENER, Mt, 657; KLASSEN, Judas, 163; KONRADT, Mt, 428 („atl. verbreitete Wendung“); LUZ, Mt IV, 234 („biblische Wendung“); LOHMEYER/SCHMAUCH, Mt, 375 Anm. 3 („fester rechtlicher Ausdruck des AT“); MEISTER, Dimension, 161 („verbreitetes alttestamentliches Bild“); MOO, Tradition, 162 („standard OT expression“); NOLLAND, Mt, 1150; SENIOR, Fate, 380; VAN TILBORG, Reading, 172; VAN UNNIK, Death, 10 („Old Testament background“); WEAVER, Atonement, 3; ZAHN, Mt, 658 Anm. 83. 20 Zum Begriff Motiv vgl. SCHNELLE, Einführung, 145.
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I. Einleitung
bleibt das Motiv als solches in der Fachliteratur zumeist unterbestimmt.21 Die bisherige forschungsgeschichtliche Beschäftigung mit dem Motiv lässt sich auf drei Zugriffe engführen.22 Ein erster Zugriff manifestiert sich überwiegend in der Kommentarliteratur. Hier werden zumeist die intratextuellen Referenzen festgehalten und darauf verwiesen, dass sich das Motiv in Mt 23,35; 27,4 (und 27,24f.) findet.23 Die Ausdeutung des Motivs bleibt zumeist auf die konkrete Perikope begrenzt,24 wobei bisweilen naheliegende intertextuelle Referenzen benannt werden oder allgemein auf Belegstellen des Motivs in den Schriften Israels verwiesen wird. Die Kommentarliteratur beschränkt sich mit diesem Zugriff also weitgehend darauf, einen Verweis auf die Herkunft des Motivs zu setzen, eine oder mehrere intertextuelle Referenzen für den behandelten Textabschnitt geltend zu machen und intratextuelle Verweise auf andere Stellen des Evangeliums anzugeben, in denen das Motiv gebraucht wird.25 Der Mehrwert dieses Gebrauchs wird jedoch selten erörtert.26 21 Die Auseinandersetzung mit dem unschuldigen Blut erscheint häufig als Nebenprodukt anderer Fragestellungen, die eine partielle Auseinandersetzung mit dem Motiv notwendig machen. Vgl. exemplarisch B ERGHORN, Genesis, 129–133; KONRADT, Israel, 162f. Anm. 351; 248 Anm. 342. 22 Die hier skizzierte Forschungsgeschichte bemüht sich um einen Gesamtüberblick zur expliziten Beschäftigung mit dem Motiv des unschuldigen Blutes. Die zentralen forschungsgeschichtlichen Fragestellungen und Entwicklungen der zu behandelten Perikopen werden in den jeweiligen exegetischen Einzeluntersuchungen aufgearbeitet. 23 Zur Bestimmung der mt Belegstellen und Perikopenauswahl s.u. I.4. 24 Diese Deutungen gehen kaum über das „Offensichtliche“ hinaus, insofern darauf verwiesen wird, dass das Motiv des unschuldigen Blutes die Unschuld Jesu (bisweilen auch die Schuld der Autoritäten/des Volkes) zum Ausdruck bringe. Neben der Kommentarliteratur gilt dies auch für eine Reihe an Einzelbeiträgen, die das Motiv en passant behandeln. Vgl. exemplarisch zu Mt 27,4: BROER, Bemerkungen, 44; KLASSEN, Judas, 174; MEISER, Einer, 61f.; NORTJE, Motive, 48; MOO, Tradition, 162; PAUL, Texte, 77; PRATSCHER, Judas, 13; REED, Judas, 58; ROBERTSON, Death, 101; SENIOR, Fate, 397; VAN UNNIK, Death, 15; VOGLER, Judas, 70; WEAVER, Atonement, 6; WHELAN, Suicide, 521; zu Mt 27,24f.: LAU, Hände, 65; zu Mt 23,35: PEELS, Blood, 597. 25 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 316f.563.590–592; FRANCE, Mt, 880.1036 Anm. 1. 1038.1040.1043.1056; GUNDRY, Mt, 470f.554.564f.; HAGNER, Mt II, 676.812.827; KEENER, Mt, 557.657f.; LIMBECK, Mt, 292f.; LOHMEYER/SCHMAUCH, Mt, 375f. mit Anm. 4; LUCK, Mt, 297.301; LUZ, Mt IV, 234.277; NOLLAND, Mt, 946.1150.1177f.; ZAHN, Mt, 658 mit Anm. 83; eher zaghafte Ansätze einer interpretativen Gesamtschau finden sich bei GNILKA, Mt II, 300.445.454.457f.460; SAND, Mt, 473f.548f.553. Gänzlich ohne einen Verweis auf das Motiv des unschuldigen Blutes kommen FIEDLER, Mt; SCHWEIZER, Mt aus. 26 Gleichwohl markieren nicht wenige Darstellungen, dass in diesen Perikopen eine Referenz zur Tempelzerstörung vorliegt, was dem zweiten Zugriff auf das Motiv entspricht (s.u. Anm. 31). Allerdings wird diese Referenz nicht (explizit) an das Motiv des unschuldigen Blutes zurückgebunden (vgl. exemplarisch DAVIES/ALLISON, Mt III, 590–592 zu Mt 27,24f.).
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Die beiden anderen Zugriffe verbindet, dass sie sich stärker um eine Gesamtschau der Belege und deren gemeinsame Aussageintention bemühen. Zudem eint beide, dass sie ihre Argumentationen auf eine konkrete Belegstelle basieren und häufig einer übergeordneten Gesamtthematik zuordnen. Durch Letzteres besteht allerdings die Gefahr, dass das Motiv des unschuldigen Blutes abermals zu einer Randnotiz verkommt. Während der zweite Zugriff einen diffusen Konsens abbildet, der hier an Heinz-Martin Döpp und David M. Moffitt festgemacht wird, entspringt der dritte einer Forschungslinie, die vor Kurzem ihre umfassendste Darstellung durch Catherine Sider Hamilton erfahren hat. Der zweite Zugriff erkennt das Motiv des unschuldigen Blutes in den Schriften Israels als Interpretament der (ersten) Tempelzerstörung. Dieses Verständnis wird bei Döpp skizziert27 und basiert auf der Beobachtung, dass der traditionsgeschichtliche Hintergrund des Motivs in den Schriften Israels „deuteronomistisch-jeremianisch[.]“ sei und in diesen Schriften als Erklärung für die Zerstörung des Ersten Tempels diene.28 Eine ebensolche Deutung sieht er im Mt gegeben, wobei sich seine Ausdeutung des Motivs in erster Linie auf Mt 23 stützt.29 Diesen Zusammenhang arbeitet auch Moffitt heraus, der einen der wenigen Aufsätze verfasst hat, die sich explizit mit dem Motiv des unschuldigen Blutes auseinandersetzen.30 Er bestimmt ebenfalls Mt 23,35 als Ausgangspunkt seiner Fragestellung und setzt hierüber eine intertextuelle Referenz zu Klgl 4,13. Die Deutung des Motivs als Interpretament für die Tempelzerstörung, die im Fall der mt Gemeindesituation die Katastrophe von 70 n.Chr. meint, unterstreicht er durch zahlreiche weitere Verweise auf die Klgl, welche er als zentralen Intertext für die mt Passionsgeschichte bestimmt. Obgleich sich diese Auffassung in einer Reihe weiterer Beiträge finden lässt,31 bleiben die jeweiligen Begründungen dieser Annahme defizitär: Zum einen findet sich weder bei Moffitt noch bei Döpp eine umfassende Aufarbeitung aller Belege zum unschuldigen Blut. Zum anderen scheint bei ihnen jeweils das Motiv einem übergeordneten Thema zugeordnet zu sein. Döpp verhandelt das Motiv unter der Überschrift „Das unschuldig im Tempel ver-
27
Vgl. DÖPP, Deutung, 18–32. Vgl. DÖPP, Deutung, 18f. Weitere Belegstellen werden zwar genannt, allerdings bleibt die Deutung auf 2Kön und Jer konzentriert. 29 Vgl. DÖPP, Deutung, 21–25. 30 Vgl. MOFFITT, Bloodshed. 31 Vgl. bspw. FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 101; KONRADT, Deutung, 244f.; MACCOBY, Judas, 47; VAN TILBORG, Reading, 174. Für die Kommentarliteratur vgl. zudem FRANKEMÖLLE, Mt II, 481–483; GARLAND, Mt, 232.255–258; KONRADT, Mt, 259.365.435–437. Aus der Auflistung sind diejenigen Beiträge herausgenommen, die zwar einen Zusammenhang zwischen Blutschuld und Tempelzerstörung sehen, diesen aber nicht explizit mit dem Motiv des unschuldigen Blutes zusammenbringen. 28
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I. Einleitung
gossene Blut“32 und zieht hierfür auch Texte heran, die zwar Blutvergießen im Tempel bezeugen, dieses aber nicht als unschuldiges Blut bestimmen.33 Moffitt wiederum übergeht in seiner Fokussierung auf Klgl 4,13 weitere mögliche Intertexte, die sich aus den anderen mt Belegstellen erschließen ließen, und überformt durch seine Grundannahme den mt Text.34 Insgesamt lässt sich für diesen Zugriff demnach exemplarisch festhalten, dass sich zwar 1.) die Deutung des Motivs als Interpretament für die Tempelzerstörung durch eine Referenz auf die Schriften Israels gewissermaßen von selbst nahelegt, allerdings bisher 2.) weder der traditionsgeschichtliche Hintergrund des Motivs noch der spezifische Gebrauch im Mt umfangreich und auf dieses Interpretament bezogen aufgearbeitet wurde. Der dritte Zugriff auf das Motiv des unschuldigen Blutes entwickelte sich aus der Frage nach dem Verständnis von Mt 27,24f. angesichts der antijüdischen Rezeptionsgeschichte des Verses. Mit diesem Aufhänger steigt auch die Dissertation von Hamilton ein, 35 die damit erstmals eine monographische Aufarbeitung des Motivs vorlegt.36 In dieser stellt sie sich zwar nicht explizit gegen den zuvor skizzierten diffusen Konsens des zweiten Zugriffs. Allerdings sieht sie diesen als unterbestimmt an und intendiert eine tiefergehende Verankerung des Motivs in die zirkulierenden Schriften des frühen Judentums. Ihre traditionsgeschichtliche Untersuchung basiert ebenfalls auf Mt 23,35.37 Hiervon ausgehend legt sie den Schwerpunkt ihrer sprachlichen Untersuchung auf das Zusammenspiel von ĮੈȝĮ mit ਥțȤȣȞȞંȝİȞȠȞ ਥʌ IJોȢ ȖોȢ, welches sie zu 1Hen 6–11 führt. Diesen Erzählzusammenhang setzt sie mit Gen 3–6 ins Verhältnis, sodass durch ਢȕİȜ eine weitere Rückbindung zu Mt 23 ermöglicht wird.38 In 1Hen erkennt sie einen erzählerischen Zusammenhang, den sie im Schema „Cain/Blood-Flood/Judgment“ zusammenfasst, 32
DÖPP, Deutung, 18 (Hervorhebung J.V.). S.u. bei Anm. 40. 34 Durch die starke Fokussierung auf die Klgl als zentralen Intertext für das Motiv geht Moffitt so weit, dass er, ohne textkritische Basis, für Mt 27,4 eine Korrektur geltend macht, wonach ĮੈȝĮ ਕșȠȞ in ĮੈȝĮ įțĮȚȠȞ zu ändern sei (vgl. MOFFITT, Bloodshed, 313– 316). 35 Vgl. HAMILTON, Death (2016). Ihrer Monographie gingen die beiden Aufsätze DIES., Blood (2008) und DIES., Secrets (2012) voran. Wenngleich hierin ihre Leitlinien bereits weitgehend entwickelt waren, entfaltet erst ihre Dissertation die folgende Neujustierung des Motivs in Gänze. 36 Während frühere Arbeiten eher eine intratextuelle Argumentation vorlegten (vgl. exemplarisch CARGAL, Blood; HEIL, Blood), erfolgt bei HAMILTON, Blood eine erste traditionsgeschichtliche Fundierung dieser Annahme und Ausleuchtung derselben in zeitgeschichtlicher Perspektive. In diesem Aufsatz bindet sie das Motiv des unschuldigen Blutes insbesondere an die (rabbinische) Sacharja-Tradition zurück (Näheres s.u. V.2.4.3.). 37 Vgl. HAMILTON, Death, 23. 38 Vgl. HAMILTON, Death, 24f.; zu den konkreten Ausführungen zu 1Hen vgl. ebd., 45– 70. 33
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wonach die Flut als Gericht auf das Vergießen von unschuldigem Blut, repräsentiert durch Abel, reagiert. Aus dieser kataklystischen Reinigung ergebe sich zugleich eine Hoffnungsperspektive. Dieses Schema macht sie sodann für frühjüdische und frühchristliche Schriften geltend (Jub; CD; Sib III; Sus; LibAnt; Jud)39 und bindet auch das Mt ein. Das Vergießen von Jesu unschuldigem Blut führt also nicht nur, aber auch, zur Tempelzerstörung, sondern bewirkt darüber hinaus eine kataklystische und eschatologisch heilvolle Reinigung des Kosmos. Mit Hamiltons Ansatz verbinden sich wenigstens zwei Schwierigkeiten: Zum einen kann sie zwar das Motiv in einem innovativen Deutungshorizont ausleuchten, den sie aus frühjüdischen Schriften abzuleiten vermag, allerdings lässt auch ihre Arbeit eine systematische Gesamtschau aller Belegstellen des Motivs in den Schriften Israels und des frühjüdischen Schrifttums vermissen. Diese Leerstelle deutet, zum anderen, auf das zentrale Problem ihrer Untersuchung. In den von ihr herangezogenen Schriften findet sich nur selten ein lexemischer Nachweis des Motivs des unschuldigen Blutes.40 Weder in 1Hen noch in Jub wird ĮੈȝĮ41 in syntagmatischer oder in weitläufiger Zusammenstellung mit einem Unschuldsterminus verwendet. Es ist wohl kaum zu bestreiten, dass das von Hamilton herausgearbeitete Schema in sich stichhaltig ist, es stellt sich allerdings die Frage, ob dieses unter dem Stichwort des unschuldigen Blutes haltbar ist.42 39
Vgl. HAMILTON, Death, 14: „In these texts a related set of traditions emerges linking bloodshed to flood and the devastation of the land, or (in rabbinic texts) linking bloodshed to the destruction of Jerusalem – but also, finally, to hope of cleansing and new beginning.“ Zur Ausführung vgl. ebd., 71–129. 40 Ähnliches gilt allerdings auch für die konkreten Ausführungen von DÖPP, Deutung, 9–21, da insbesondere die aufgeführten rabbinischen Quellen und ApkAbr zwar den Zusammenhang von Blutvergießen und Tempelzerstörung aufweisen, aber die terminologische Zuspitzung auf unschuldiges Blut nicht vorhanden ist. 41 Anders hingegen Sus, wo das Motiv bezeugt ist (s.u. II.4.3.3.b), und Sib III 311–313, wo zumindest ein impliziter Zusammenhang geltend gemacht werden kann. Das Motiv erscheint zwar in LibAnt 62,5, jedoch geht Hamilton nicht auf diesen Beleg ein, sondern macht ihr Schema v.a. für LibAnt 1,22; 2,1.10; 3,1–4.10; 16,2f. geltend. Für Jub 7,23 ist im äthiopischen Text (s.u.S. 42 Anm. 7) eine textkritische Variante bezeugt ist, welche „innocent blood“ statt der gängigen Lesart „much blood“ bezeugt. Diese wird bei VANDERKAM, Jub II, 47 in seiner kritischen Edition im Haupttext übernommen, wobei er die Fassung mit „much blood“ als „strongly supported variant“ bestimmt. Anders werten DILLMANN, Jub, 31; ferner CHARLES, Jub, 62; BERGER, Jub, 365 mit Verweis auf 1Hen 9,1. Da Hamilton die erste Lesart „much blood“ übernimmt (vgl. HAMILTON, Death, 80), stützt diese Variante ihre Argumentation allerdings nicht (anders bspw. DORMAN, Motives, 58f., die ihre Ausführungen zum „innocent blood“ in Jub auf diese Textvariante stützt, sich aber nicht zum Mt äußert). 42 In ihrer Hinführung behauptet Hamilton: „In Second Temple Literature on the one hand and in rabbinic literature on the other, several texts dealing with the biblical figures of Cain and Abel (including 1 Enoch’s Book of the Watchers and Animal Apocalypse as well as a long list of texts from Jubilees to Jude) and Zechariah (Lives of the Prophets and
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In diesem Überblick wird deutlich, dass eine Beschäftigung mit dem Motiv des unschuldigen Blutes im Spannungsfeld des zweiten und dritten Zugriffs erfolgen muss. In dieser Gegenüberstellung werden zudem die zentralen Fragestellungen dieser Untersuchung ersichtlich. Zunächst stellt sich die Frage, ob das gängige Urteil einer Ableitung des Motivs aus den Schriften Israels resp. den frühjüdischen Schriften aufrecht zu halten ist, da die bisherigen Abhandlungen zum Motiv keine umfassende Aufarbeitung aller Belegstellen erkennen lassen. An eine solche Gesamtschau ist weitergehend die Frage zu stellen, welche Belegstellen des Motivs sich als potenzielle Prätexte für das Mt plausibilisieren lassen. Mit der Gegenüberstellung von Döpp und Hamilton lassen sich bereits zwei mögliche Korpora voneinander abheben: die dtnjer Schriften und die henochische Literatur. Jenseits dieser notwendigen Erhellung des traditionsgeschichtlichen Hintergrunds stellt sich die Frage nach dem Sinn des Gebrauchs des Motivs im Mt. Während die kulturästhetischen Vorüberlegungen eine Charakterisierung Jesu durch das Motiv nahelegen, zeichnet sich in der Forschungsgeschichte eher die Perspektive einer Weltresp. Geschichtsdeutung ab, die über die Figur Jesus hinauszureichen scheint. Letzteres führt sodann zu einer zentralen Streitfrage, die ebenfalls im Spannungsfeld der beiden skizzierten Interpretamente anzutreffen ist, nämlich ob der mt Gebrauch von ĮੈȝĮ ਕșȠȞ – insbesondere mit Blick auf Mt 27,24f. – eine Heils- oder Unheilsperspektive zum Ausdruck bringt. 43 Da beide Interpretationsansätze auf der Annahme eines intertextuellen Spiels mit vorliegenden Traditionen beruhen, bedarf es hierfür einer methodischen Absicherung, um die jeweiligen Bezugstexte zu plausibilisieren. Der Annahme einer intertextuellen Bezugnahme geht allerdings bereits ein bestimmtes Verständnis der mt Gemeinde voraus, welches nunmehr der methodischen Annäherung voranzustellen ist.
a variety of rabbinic texts) reflect the problem of blood – innocent blood – in much the same way, using terms, evidencing the same concerns, beginning from the same scriptural stories as does Matthew“ (HAMILTON, Death, 14). Diese Behauptung, dass die in den ausgeführten Quellen behandelte Blutthematik mit dem Motiv des unschuldigen Blutes verbunden sei, kann von ihr nicht verifiziert werden und erweist sich als terminologisch nicht haltbar (eine Ausnahme bilden die rabbinischen Texte; zu diesen s.u. V. Exkurs 2, S. 295ff.). Es ist daher überaus fraglich, ob diese Quellentexte als Prätexte für das Mt herangezogen werden dürfen. Wenn überhaupt, ist solches m.E. nur durch eine Fokussierung auf ĮੈȝĮ – ggf. in Verbindung mit ਥțȤȦ, Ȗો, ਢȕİȜ + ǽĮȤĮȡĮȢ – zu rechtfertigen (vgl. ebd., 24), keinesfalls aber für die Untersuchung des Motivs des unschuldigen Blutes. Hier bildet die Arbeit von Hamilton bestenfalls „a different interpretive template“ (ebd., 15) auf der Basis sekundär begründbarer Prätexte. 43 Vgl. HAMILTON, Death, 3f.
2. Eine kleine Geschichte der matthäischen Gemeinde
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2. Eine kleine Geschichte der matthäischen Gemeinde 2. Eine kleine Geschichte der matthäischen Gemeinde
In der jüngeren Matthäusforschung lässt sich erneut als Konsens festhalten, dass das Mt einem jüdischen Lebenskontext entstammt.44 Unter dieser Voraussetzung ist seit gut 30 Jahren eine rege Diskussion darüber zu beobachten, in welchem Verhältnis die mt Gemeinde zu ihrem jüdischen Gegenüber steht,45 welches gemeinhin als pharisäisch-dominiertes synagogales Judentum bestimmt wird.46 Hat sich die mt Gemeinde bereits von der Synagoge gelöst und unabhängige Gemeindestrukturen entwickelt47 oder befindet sie sich in einer Art Trennungsprozess, in welchem noch kein klarer Schnitt erfolgt ist? 48 Die vorliegende Abhandlung ordnet sich in den zweiten Forschungsstrang ein, wonach sich die mt ecclesia (Mt 16,18; 18,17) weiterhin im synagogalen
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Die völkerchristlichen Perspektiven, die zwischenzeitlich zur Annahme einer völkerchristlichen Verfasserschaft oder einer dementsprechend geprägten Gemeinde führten (vgl. als prominente Vertreter STRECKER, Weg, 15–35; TRILLING, Israel, 215; in jüngerer Zeit bspw. BASSER/COHEN, Mt, 4.20), sind nicht ausreichend signifikant, um das jüdische Kolorit zu überdecken, welches auf das Lebensumfeld durchlässig ist (vgl. exemplarisch SALDARINI, Community; OVERMAN, Judaism). Eine Gegenüberstellung der häufig diskutierten Textbeobachtungen findet sich bei SCHNELLE, Einleitung, 260f. Zugunsten des jüdischen Profils des Evangeliums verweist BORMANN, Theologie, 260f. zudem auf dessen Rezeption im 2. Jahrhundert. 45 Vgl. EBNER/SCHREIBER, Einleitung, 141; ferner KAMPEN, Matthew, 38. 46 Diese Annahme ergibt sich aus der Beobachtung, dass das pharisäische Gegenüber im Mt zur zentralen Gegnerschaft Jesu stilisiert wird (vgl. KONRADT, Mt, 19; OVERMAN, Judaism, 80.115; RUNESSON, Rethinking, 116f.; WEIെ, Kirche, 2067; zurückhaltend MARSHALL, Portrayals, 76), welches sich im Vergleich zur mk Vorlage zeigt (vgl. LUZ, Mt III, 227 mit Verweis auf die redaktionelle Änderung in Mt 21,45). Indem das Mt darüber hinaus als inclusive story zu verstehen ist (vgl. DERS., Interpretationstendenzen, 46; DERS., Mt I, 36f.42–47 mit Verweis auf die grundlegende Arbeit von HOWELL, Story), kann diese literarische Stilisierung als durchlässig auf die reale Frontstellung der mt Gemeinde angesehen werden (vgl. KONRADT, Israel, 379f.). Es ist allerdings anzumerken, dass die mt Darstellung der Pharisäer als polemische Figurenzeichnung aufzufassen ist, die der historischen Quellenlage zu den Pharisäern kaum gerecht wird (s.u.S. 384 Anm. 141). 47 Hierfür plädiert insbesondere LUZ, Mt I, 94–97; ferner DERS., Antijudaismus, 312; WEIെ, Kirche, 2078f. 48 Vgl. HAYS, Gospels, 107; KONRADT, Israel, 379f.; OVERMAN, Judaism, 141–147; SALDARINI, Community, 44–61. Die Auseinandersetzung hierüber wird zumeist mit der Metapher von intra/extra muros markiert. Im Anschluss an Knut Backhaus verweist KONRADT, Israel, 387f. jedoch darauf, dass die statische Grenzziehung der Metapher für die Gemeindesituation unangemessen ist, und besser von „kognitiven Wanderdünen“ zu sprechen sei. Damit wird deutlich, dass die Grenzziehung nicht nur fluide, sondern auch und vor allem standortabhängig ist. Die Eigenperspektive der mt Gemeinde kann sich deutlich von der Außenperspektive der pharisäisch-dominierten Synagogengemeinde unterschieden haben, und umgekehrt.
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I. Einleitung
Einflussbereich befindet.49 Die mt Gemeinde ist näherhin als „christusgläubiges Judentum“50 zu profilieren51 und befindet sich in einem heftigen Konflikt mit der nicht-christusgläubigen pharisäisch-dominierten Synagoge. 52 Zwar ist 49 Ein Kernargument bildet die aus dem frühjüdischen Kontext heraus bekannte Strafe der Geißelung innerhalb der Synagoge (vgl. Apg 22,19; 2Kor 11,24). Zwar wird durch die Zuschreibung ĮIJȞ/ਫ਼ȝȞ eine gewisse Distanzierung zur Synagoge eingezogen (Mt 4,23; 9,35; 10,17; 12,9; 23,34), allerdings scheint die Bestrafung in der Synagoge weiterhin eine reale Bedrohung darzustellen (vgl. Mt 10,17; 23,34; ferner KONRADT, Kontext, 8). 50 Insbesondere in der jüngeren englischsprachigen Forschung wird um eine adäquate Bezeichnung gerungen (vgl. COHEN, Matthew, 100–123; ferner CARTER, Gospel), da die Begriffe „Christianity“ und „Judaism“ dem 1. Jahrhundert fremd sind bzw. spätere Religionskonzepte voraussetzen (vgl. COHEN, Matthew, 109–112). Während die Bezeichnung „Jewish Christianity“ („Judenchristentum“) mit ebd., 113 abzulehnen ist, sollte trotz aller Bedenken am Begriff „Judentum“ festgehalten werden. Einerseits ist dem Evangelium zu entnehmen, dass sich die mt Gemeinde soziologisch weiterhin dem „Religionssystem“ zugehörig fühlt, welches – in Ermangelung brauchbarer Alternativen – als „Judentum“ zu bezeichnen ist (ähnlich KAMPEN, Matthew, 6–8). Andererseits lässt sich auch in ethnischer Hinsicht vermuten, dass die Gemeinde überwiegend aus „Juden/Judäern(?)“ bestand. Hervorzuheben ist sodann die Thoraobservanz, welche wohl auch von Gemeindemitgliedern aus den Völkern gefordert wurde (vgl. COHEN, Matthew, 118; ferner WEIDEMANN, Ekklesia, 76–79, der allerdings von einer „‚abgestuften‘ Toraobservanz“ ausgeht). Die Spezifika der mt Gemeinde legen jedoch nahe, die Form des „Judentums“ eingehender zu bestimmen. Forschungsgeschichtliche Prominenz erfahren dabei die Vorschläge „Christian Judaism“ (SALDARINI, Community, 4) und „Matthean Judaism“ (OVERMAN, Judaism, 2; RUNESSON, Rethinking, 100.105). Beide (vieldiskutierten) Vorschläge bleiben problembehaftet. Die Zusammenstellung „Christian Judaism“ impliziert eher einen christlichen Lebenswandel, was diametral zum eigentlichen Gemeintem steht (vgl. COHEN, Matthew, 108). Mit „Matthean Judaism“ wird eine Sonderstellung der mt Gemeinde evoziert, die sie unvergleichbar macht (gleiches gilt für die Spezifizierung „Matthean Pharisaism“, welche ebd., 139f. vorschlägt). Mit dem Ausdruck „christusgläubiges Judentum“ wird daher versucht, diese Problemlage aufzugreifen, um damit die mt Gemeinde bewusst einerseits in ihrem jüdischen Umfeld zu spezifizieren und andererseits von anderen Formen der christusgläubigen Bewegung dezidiert zu unterscheiden (ähnlich B AXTER, Israel, 1–3). 51 Zum jüdischen Profil der mt Gemeinde vgl. die knappe Übersicht der zentralen Argumente bei BERGHORN, Genesis, 34f., welche sich schlagwortartig zusammenfassen lassen als Thoratreue unter dem Primat der Barmherzigkeit, Dichte der Schriftzitation, judenchristliche Rezeptionsgeschichte, sprachliche Nähe zur LXX, Sabbathalten. 52 Angesichts dieser historischen Rekonstruktion ist darauf zu verwiesen, dass Synagogen für das 1. Jahrhundert zuvorderst als literarische Phänomene begegnen und deren Nachweis archäologisch insbesondere im Kernland umstritten ist. Während Maximalisten Synagogen u.a. in Masada, Jericho (Winterpalast), Herodeion und in den Fundamenten Kapernaums als erwiesen ansehen (CLAUെEN, Synagoge, 2.5.1), kann in minimalistischer Perspektive allenfalls Gamla geltend gemacht werden (vgl. MATASSA, Invention) sowie das inschriftliche Zeugnis der griechischsprachigen Theodotus-Synagoge in Jerusalem (vgl. KÜCHLER, Jerusalem, 79f.). Mit dem einzigartigen Fund in Migdal (Magdala) wurde kürzlich erstmals eine Synagoge in Galiläa nachgewiesen (vgl. AVIAM, Synagogue); der Synagogenstein legt zudem eine enge Verbindung der Synagoge mit dem Tempel nahe
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dieser Konflikt nur einseitig durch das Mt überliefert,53 gleichwohl lässt sich diesem entnehmen, dass die rechte Auslegung der Thora der zentrale Streitpunkt mit den Pharisäern darstellt.54 Da die Ablehnung der Lehre Jesu allerdings zugleich eine Abrogation seiner Person und seiner Sendung bedeutet, kann dieser spezifische Konflikt als Ausdruck des allgemeinen Konflikts um Jesus verstanden werden. In diesem Widerstreit lässt sich ein massiver Gebrauch von Polemik durch den „mt Kreis“55 beobachten,56 die sich jedoch nur an den unterschiedlich profilierten Gruppen der „etablierten Autoritäten“57 (vgl. AVIAM/BAUCKHAM, Stone). Insgesamt gewinnt die Annahme weitläufiger Synagogenstrukturen gegenwärtig an Plausibilität (vgl. zudem BORMANN, Theologie, 259f., der auf den Fund in Kiryat Sefer verweist). Während bereits im Kernland nur wenige Spuren auf Synagogengebäude deuten, können solche in der Diaspora erst ab dem 2./3. Jahrhundert nachgewiesen werden (vgl. CLAUെEN, Synagoge, 2.5.2). Trotz dieser Vorbehalte ist für das Verständnis sowohl des Evangeliums als auch seiner realhistorischen Situation von der Existenz synagogaler Strukturen im Entstehungsumfeld auszugehen (vgl. auch KAMPEN, Matthew, 144–149). 53 Neben verschiedenen Monographien und Aufsätzen, die dieses Thema explizit behandeln (vgl. u.a. GIELEN, Konflikt; KINGSBURY, Conflict; POPA, Konflikt; SALDARINI, Delegitimation), erscheint in jüngeren Arbeiten zum Mt häufig diese Konfliktgeschichte als Ergebnis ihrer jeweiligen motivgeschichtlichen und thematischen Untersuchungen (vgl. u.a. BERGHORN, Genesis; KONRADT, Israel; MARSHALL, Portrayals; MEISTER, Dimension). Dies setzt gleichermaßen voraus, dass das Evangelium in einer bestimmten Gemeindesituation entstanden ist und für diese verfasst wurde. Mit COHEN, Matthew, 89–97 kann diese Annahme als Konsens angesehen werden. 54 Vgl. OVERMAN, Judaism, 79; PICKUP, Matthew, 102. 55 Wenngleich es plausibel erscheint, dass das Evangelium letztlich aus der Feder eines Autors stammt (vgl. GNILKA, Mt II, 516), soll mit dem Ausdruck „mt Kreis“ herausgestellt werden, dass das Evangelium selbst als Ausdruck eines schriftgelehrten Diskurses verstanden wird, an welchem mehrere Schriftgelehrte beteiligt waren (die These wurde insbesondere von STENDAHL, School vorgetragen; zum Profil s.u. bei Anm. 85–92, insbesondere Anm. 91). Unter diesen Vorzeichen tritt der Schriftsteller, welchem die Tradition den Namen Matthäus gab, hinter den Trägerkreis des Evangeliums zurück. 56 Vgl. SALDARINI, Boundaries. 57 Der Ausdruck „etablierte Autoritäten“ begegnete mir erstmals bei BERGHORN, Genesis, wo er einerseits für Herodes gebraucht wird, um die Frage nach seinem „Jüdischsein“ zu umgehen (ebd., 185), und andererseits als Wechselbegriff zu den „jüdischen Autoritäten“ erscheint (ebd., 129). Anhand Letzterer wird hervorgehoben, dass die Konfliktgeschichte des Mt im Streben nach dem Beibehalt der bestehenden Herrschaftsverhältnisse gründet, welches konträr zu dem von Gott eingesetzten Menschensohn steht. Mit dem Begriff der etablierten Autoritäten wird bei Berghorn folglich die Dimension eines bestimmten Herrschaftskonflikts aufgerufen. Diesem Gebrauch ist grundsätzlich zuzustimmen und die aufgezeigte Konfliktlinie wird mehrfach vertreten (s.o. Anm. 53). Darüber hinausgehend möchte ich den Begriff der etablierten Autoritäten aus drei weiteren Gründen einführen: erstens können so die verschiedenen Gegnerfronten in einem Sammelbegriff gehalten werden, denn sowohl die (eher) inhaltliche Auseinandersetzung mit Pharisäern und Schriftgelehrten als auch die (eher) religionspolitischen Streitigkeiten mit Hohepriester und Ältesten treffen sich in deren jeweiliger Intention des eigenen Machterhalts, wobei
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abarbeitet. Hierdurch ergibt sich einerseits eine klare Differenz zum gemeinen Volk,58 andererseits evoziert die Polemik eine Zeit- und Figurenüberschreitung hinsichtlich der Gegner im Evangelium resp. der mt Gemeinde.59 Folglich lässt sich die lokale Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Pharisäern als „Kampf“ um Einfluss innerhalb der regionalen Synagoge60 und um die „(Sachverwaltung) des theologischen Erbes Israels“61 angesichts des Neuformierungsprozesses im Judentum nach dem jüdisch-römischen Krieg verstehen. Diese Auseinandersetzung wird offenbar auf Grundlage der Schriften Israels mit Blick auf die Schriftgemäßheit der jeweiligen Fraktionen geführt. Hierin tritt das Schema „Verheißung – Erfüllung“ prominent hervor, welches unter anderem in apologetischer Hinsicht gebraucht wird; es finden sich aber auch schriftgemäße Figurenzeichnungen, die unter anderem polemische Implikationen aus den Schriften eintragen.62 Mit Blick auf das Motiv des unschuldigen Blutes ist ein solches schriftgemäßes polemisches Potenzial zu vermuten, sodass im Folgenden aufzuzeigen sein wird, ob und wie der (christusgläubige jüdische) mt Kreis das Motiv vom unschuldigen Blut (aus
ihre Macht in den bestehenden Verhältnissen gründet, die durch die Botschaft vom Reich Gottes in Frage gestellt werden. Zweitens können durch das Stichwort des Etabliertseins die verschiedenen Zeitebenen der inklusiven Jesusgeschichte zusammengebracht werden. Sowohl in der erzählten Zeit als auch in der Erzählzeit erscheinen die bestehenden Machthaber als konkretes Gegenüber. In der Zeit Jesu sind dies die etablierten Autoritäten unterschiedlicher Prägung (s.o.), in der Erzählzeit des mt Kreises die pharisäischdominierte Synagoge. Auch in dieser handelt es sich offenbar um die etablierten Autoritäten der lokalen Gegebenheiten, mit welchen der mt Kreis ringt. Drittens ermöglicht es der Begriff etablierte Autoritäten, auf den Ausdruck jüdische Autoritäten zu verzichten. So können antijüdische Obertöne herausgefiltert werden, die in der steten Reproduktion eines jüdischen Feindbildes auch im Rahmen dieser Arbeit erzeugt werden würden. 58 Dies zeigt sich an der Erzählfigur der ȤȜȠȚ, welche in Mt 9,32–34; 12,22–24 im Vergleich zu den Pharisäern eine andere Reaktion zeigen und insgesamt einen andersartigen Erkenntnisprozess durchlaufen (vgl. KONRADT, Deutung, 221). 59 Dementsprechend ist nicht nur die Kritik an den Pharisäern der erzählten Zeit auf die mt Gegner der Erzählzeit anwendbar, sondern auch bspw. diejenige an den Hohepriestern. Eine solche Übertragbarkeit ist zudem an verschiedenen Stellen im Evangelium angelegt – sowohl die Pharisäer als auch die Hohepriester und die Ältesten fassen einen Todesbeschluss (Mt 12,14; 26,3f.). Zudem werden die Hohepriester und Pharisäer in Mt 21,45 hinsichtlich der Jesuszeit und in Mt 27,62 implizit für die Zeit der mt Gemeinde als Hauptgegner inszeniert. Es ist demnach statthaft, vom Zusammenfallen der literarischen und historischen Gegnerfront auszugehen, wenngleich diese in ihrem jeweiligen historischen Setting unterschiedlich bestimmt sind. 60 Vgl. KONRADT, Mt, 257; DERS., Gegenentwurf, 43; DERS., Deutung, 252. 61 KONRADT, Israel, 252; vgl. auch DERS., Erfüllung, 289.315; DERS., Israel, 404. 62 Ähnlich TRILLING, Israel, 221f., der den mt Schriftgebrauch mit apologetischpolemischen und didaktischen Intentionen in Beziehung setzt.
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den Schriften Israels) als Polemik im (innerjüdischen) Autoritätskonflikt mit den Pharisäern gebraucht.63 Die bisherige Darstellung der mt Gemeindesituation beruht zwangsläufig auf weiteren unausgesprochenen Implikationen. Diese sollen im weiteren Verlauf so transparent wie möglich dargestellt werden, wobei nur unscharf zwischen begründeten Hypothesen und plausiblen Spekulationen differenziert werden kann. Die Annahme, dass die mt Polemik an die Schriften Israels zurückzubinden ist, stützt sich auf die allgemein zu beobachtende signifikante Dichte an Schriftzitaten und -anspielungen,64 welche in besonderer Weise in den „Reflexionszitaten“ manifest wird.65 Die Dichte der Schriftrezeption legt nahe, dass der mt Kreis in irgendeiner Form Zugang zu den Schriften Israels und wohl auch weiteren frühjüdischen Schriften hatte. Auf Basis der Zweiquellentheorie ist darüber hinaus anzunehmen, dass der mt Kreis das Mk als Vorlage übernimmt und in dieses weitere Jesustraditionen integriert.66 Diese 63
Die genaue Bestimmung des Begriffs Polemik ist nur schwer möglich, da sich mit diesem kein rhetorisches Konzept der Antike verbinden lässt, zugleich aber das, was später als Polemik bezeichnet wurde, in der Antike weit verbreitet ist (vgl. WISCHMEYER/ SCORNAIENCHI, Einführung, 4f.). Demnach partizipiert der mt Kreis an einem breit bezeugten literarischen Phänomen. Nach TIWALD, Logienquelle, 101 „(wird) Polemik zunehmend als innerjüdischer boundary marker gesehen“, welche primär „der eigenen Profilierung in Abgrenzung zum anderen (dient)“ (Hervorhebung im Original). In ähnlicher Weise sieht auch KOSTER, Invektive, 41 die Polemik, in Abgrenzung zur Invektive, als harsche Kritik an den Überzeugungen einer Person oder Gruppe und nicht an diesen selbst (ähnlich SCORNAIENCHI, Polemiker, 385). Der Gebrauch von Polemik ist folglich kein Indiz für eine Spaltung, sondern lässt sich auch gut in einen gruppeninternen Überzeugungskonflikt einbinden. Durch diese Überzeugungsstrategie wirkt die Polemik allerdings zugleich als ein „letzter Appell“ (vgl. TIWALD, Logienquelle, 102), weshalb in dieser zumindest auch Spaltungspotenzial angelegt ist. Insgesamt deutet der Gebrauch von Polemik auf einen heftigen Konflikt, der sich auch als gruppeninterner Streit verstehen lässt und nicht von vorneherein eine vollzogene Spaltung voraussetzt. Zur Thematik insgesamt vgl. den Sammelband WISCHMEYER/SCORNAIENCHI, Polemik. 64 Innerhalb der Forschung ist es üblich, zwischen formal eingeleiteten Zitaten und informalen, aber deutlich erkennbaren, Zitaten zu unterscheiden, wobei hierdurch – je nach Betrachtung – bereits ein fließender Übergang zu den Anspielungen markiert ist. Für Anspielungen bilden die „loci citati vel allegati“ des NA28 häufig einen konsensualen Anknüpfungspunkt, wenngleich anzumerken ist, dass diese weder methodisch abgesichert noch als umfassend zu werten sind (vgl. ZIETHE, Namen, 22 mit Anm. 92.93). Diese Tendenzaussage ist daher anhand der Einzelexegese zu veranschaulichen, wofür es einer methodischen Absicherung bedarf (s.u. I.3.). 65 Vgl. grundlegend ROTHFUCHS, Erfüllungszitate. Dabei ist nicht zu bestreiten, dass die Jesustradition auch in anderen frühchristlichen Schriften durch die Schriften Israels reflektiert wird: „Nevertheless, in both its extent and its nuances, the Matthean emphasis is distinctive“ (vgl. CARLSTON/EVANS, Synagogue, 333). 66 Neben der postulierten Schriftquelle Q (s.u. bei Anm. 80–82) und eigenem Sondergut dürften sich einzelne Abschnitte des Evangeliums zudem als schriftgelehrte Reflexionen der Jesustradition im Lichte der Schriften Israels verstehen lassen.
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I. Einleitung
bilden folglich einen Vergleichspunkt hinsichtlich der literarischen Ausgestaltung der mt Jesusgeschichte und der Figurenzeichnungen. Mit Blick auf das Mk sind – z.T. massive – theologische Änderungen im Mt festzustellen, die letztlich als Korrekturen aufzufassen sind.67 Die Kenntnis des Mk scheint demnach eine weitere Ursache für die Abfassung des Mt darzustellen. Ehe der Konflikt eingehender zu betrachten ist, sind Erwägungen hinsichtlich des Abfassungsorts, des theologischen Profils der „vormt“68 Gemeinde und des Profils des Verfasserkreises festzuhalten. Die Provinz Syria ist für viele ein erster Kandidat für die Lokalisierung der Gemeinde,69 wobei sich mit Antiochia und Damaskus zwei Vorschläge gegenüberstehen,70 die entweder in den großstädtischen oder in den „provinziellen“ Raum weisen. 71 Die postulierte Dominanz des jüdischen Umfelds sowie ein gewisses Selbstbewusstsein gegenüber den Völkern lassen eher auf einen Kontext schließen, in dem sich Juden – bspw. im Wohnviertel72 – als Mehrheit wahrnehmen konnten.73 Dies dürfte in Damaskus eher der Fall 67 Eine erste offenkundige Korrektur ist, dass die exklusive Sendung zu Israel des irdischen Jesus gerade in den Erzählpassagen hervortritt, in denen im Mk die Öffnung der Mission zu den Heiden zu stehen kommt (vgl. KONRADT, Gegenentwurf, 49f.). Die zweite markante Änderung ist die Neukonzeption von Mk 7,1–23 in Mt 15,1–20, wodurch die gesetzesliberale Grundhaltung des Mk der gesetzeskonformen Auffassung des Mt und damit wohl dem „Mehrheitsjudentum“ angeglichen wird. 68 Mit dem Sigel vormt ist die christusgläubige Gemeinde gemeint, aus welcher später das Mt hervorgehen wird. Konkret ist damit diejenige Zeit der Gemeindeentwicklung markiert, die das Mk und damit potenziell die gesetzesfreie Ausprägung christusgläubiger Existenz noch nicht kannte bzw. als relevant erachtete. 69 Vgl. SCHNELLE, Einleitung, 291, der neben dem judenchristlichen Profil Mt 4,24 und die Rezeption des Evangeliums in Did 7,1; 8; 10,5; 16 hervorhebt; ferner EBNER/SCHREIBER, Einleitung, 147; SCHWEIZER, Matthäus, 138–140. 70 Vgl. GNILKA, Mt II, 514f. 71 Ein Stadtbezug ist als Grundvoraussetzung für die Abfassung des Evangeliums in griechischer Sprache anzusehen (vgl. EBNER/SCHREIBER, Einleitung, 147). LUZ, Mt I, 102 verweist zudem darauf, dass eine allzu provinzielle Verortung der Gemeinde die rasche Verbreitung unerklärlich mache. 72 Die Konsequenz des Gemeindeausschlusses in Mt 18,17, wonach das frühere Gemeindemitglied zum Zöllner und Heiden werden soll, könnte darauf deuten, dass die mt Gemeinde einen lebensweltlichen Umgang mit der paganen Welt vermied (vgl. SIM, Strategies, 509f.), was notwendig voraussetzt, dass dies in der Lebenssituation auch möglich war. Allerdings deutet Mt 10,18f. darauf, dass die mt Gemeinde von dieser Lebenswelt nicht gänzlich entkoppelt war. 73 Eine Schätzung von Einwohnerzahlen und deren jüdischen Bevölkerungsanteile lässt sich für die Antike quasi nicht vornehmen. Wohl mit Blick auf Flav.Jos.Bell. II 561; VII 368 beziffert ÖHLER, Geschichte, 170 die jüdische Gemeinde in Damaskus mit 10.000– 18.000 Personen, wobei er offenlässt, wie groß die Stadt insgesamt war. KOCH, Geschichte, 203 spricht daher lediglich von einer „bedeutenden jüdischen Minderheit“. Sofern mit SCHNELLE, Entstehungsgeschichte, 188f. von 45.000 Einwohnern auszugehen ist, wäre ein gutes Drittel der Bevölkerung jüdisch. Das jüdische Umfeld träte demnach deutlicher
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sein.74 Hier ist wiederum mit mehreren Synagogen zu rechnen (Apg 9,2.20),75 sodass sich wohl in unterschiedlichen Synagogengemeinden einzelne oder mehrere christusgläubige Juden fanden. Es ist naheliegend, dass sich diese in einer oder mehreren Hausgemeinde(n) zusätzlich versammelten,76 sodass für die christusgläubigen Juden der mt Gemeinde eine gewisse „Doppelexistenz“ sowohl in der Synagoge als auch der ecclesia plausibel ist.77 Die zusätzliche hervor als bspw. in Antiochia, wo die Zahlen zwar absolut höher veranschlagt werden, aber der jüdische Anteil insgesamt „nur“ ca. 10% der 300.000 Einwohner starken Bevölkerung (vgl. ebd., 189) der drittgrößten Stadt der damaligen Zeit (vgl. ÖHLER, Geschichte, 171) ausmacht. 74 Für Antiochia ließe sich hingegen die petrinische Tradition anführen, insofern Petrus im Mt ein höherer Stellenwert zuzukommen scheint, sowie die frühe Rezeption des Mt in Antiochia, die durch Ignatius bezeugt ist (vgl. LUZ, Mt I, 101–103; SCHWEIZER, Matthäus, 138f.). Fraglich bleibt allerdings, ob die mt Theologie mit den Fragmenten antiochenischer Theologie kompatibel ist (vgl. GNILKA, Mt II, 514f.; LUZ, Mt I, 101f.). Es ist zu vermuten, dass die hellenistische Prägung der (christusgläubigen) Juden in Antiochia ausgeprägter war als in Damaskus. Das „Aposteldekret“ in Folge des antiochenischen Zwischenfalls bringt immerhin gesetzliche Mindestanforderungen für die Völker zum Ausdruck, die die gesetzesliberale Grundhaltung (vgl. KOCH, Geschichte, 195–202) mit der mt Position vereinbaren könnte. Alternativ wäre (zusätzlich) eine konsensuale Trennung verschiedener Gemeinden unterschiedlicher Prägung zu erwägen (vgl. LUZ, Mt I, 102). Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich eine solche binnenchristliche Differenzierung stärker im Evangelium niedergeschlagen hätte. Darüber hinaus mutet es seltsam an, dass die Völkermission am Ort ihrer Begründung (vgl. ÖHLER, Geschichte, 167–169) im Mt weiterhin als begründungspflichtig erscheint. Mit Blick auf die mt Gegner wäre zuletzt zu erwägen, dass mit dem Eigenzeugnis des Paulus (Gal 1,13f.; Phil 3,5f. mit Apg 23,6; 9,1f.21f.) pharisäischer Einfluss in Damaskus geltend gemacht werden kann, welcher in der Diaspora sonst nicht bezeugt ist (vgl. NIEBUHR, Pharisäer, 75). Die tentative Verlagerung des Abfassungsortes Richtung Kernland führte in letzter Zeit zu weitergehenden Erwägungen, die den südsyrisch-nordgaliläischen Raum fokussierten. Die Verortung des Mt nach Galiläa wurde allerdings kürzlich von SIM, Gospel deutlich zurückgewiesen (ähnlich KOCH, Geschichte, 185–191). In der Tendenz ist die mt Gemeinde demnach nach Damaskus resp. in den südsyrischen Raum zu lokalisieren. 75 Vgl. KONRADT, Kontext, 7f. 76 Neuerdings wurde durch HEID, Hauskirchen Kritik an der Hauskirchen-Theorie vorgetragen, welcher eine zentralisierte Versammlung entgegengestellt wurde („nur eine Kirche pro Stadt“). Dies hätte zur Folge, dass die mt Gemeinde vor Ort die einzige christusgläubige Versammlung wäre. Zudem müsste von einer marginalen Anzahl völkerchristlicher Personen im Umfeld ausgegangen werden. Folgt man dieser Annahme, so wäre abermals eine Lokalisierung der mt Gemeinde nach Antiochia schwer vorstellbar. 77 Gegen eine solche Lebensweise, bei welcher Christen weiterhin am Leben der Synagoge partizipieren, polemisiert noch Johannes Chrysostomos in seinen Homilien Gegen die Juden (vgl. NICKLAS, Parting, 33; vgl. exemplarisch JOHANNES CHRYSOSTOMOS, Reden, 108f. [2.3]). Es ist allerdings nicht eindeutig, ob sich die Kritik allgemein gegen die Attraktivität der Synagoge für Christen richtet oder auch gegen die Beibehaltung jüdischer Lebensweise christusgläubiger Juden. Einen knappen Überblick über derlei „judenchristlicher“ Existenzen bietet SALDARINI, Community, 21–25; ferner LIEU, History, 87–91.
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Versammlung der christusgläubigen Juden jenseits der Synagoge sollte indes als institutionelle Trennung nicht überbewertet werden.78 Die vormt Gemeinde dürfte aus missionarischen Tätigkeiten hervorgegangen sein, die wohl dem Trägerkreis von Q zuzuordnen sind.79 Demnach ist diese – vermutlich schriftliche – Komposition von Herrenworten (= „Schriftevangelium“80) als Traditionsgut der Gemeinde zu verstehen. Theologisch manifestiert sich in Q eine israelorientierte Erneuerungsbewegung, die – in hoher Naherwartung des endzeitlichen Heils – nicht nur Jesus als den gekommenen und wiederkehrenden Menschensohn verkündigt,81 sondern auch Erfahrungen der gescheiterten Mission reflektiert, die sodann mit den gängigen Topoi der abgelehnten Umkehrpropheten und der Autoritätenkritik operiert.82 In dieser Hinsicht ist die vormt Gemeinde entsprechend vorbelastet. Ob in dieser Phase der allmählichen Konsolidierung einer christusgläubigen Gemeinde bereits Völkerchristen in die Gemeinde integriert wurden, ist umstritten. Für einzelne Proselyten oder Gottesfürchtige wäre solches nicht abwegig,
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Vgl. KONRADT, Israel, 386; ähnlich RUNESSON, Rethinking, 125, der jedoch von einer innerpharisäischen Sondergruppe ausgeht (s.u. Anm. 100). Diese „Sonderversammlung“ der christusgläubigen Juden am Sonntag (vgl. Did 14,1; Apg 20,7) hat demnach noch keine (exklusive) personelle und räumliche Trennung von der Synagoge zur Folge, sondern ist zunächst eher als eine Art ecclesiola in ecclesia zu denken (vgl. ebd., 128f.; ähnlich KAMPEN, Matthew, 143). In dieser Gemeindeversammlung bilden sich zwar eigene Sprachformen aus, die sich im Evangelium niederschlagen – v.a. das Vaterunser und die Einsetzungsworte sind hierbei zu nennen (vgl. LUZ, Mt I, 82f.). Eine eigene Gemeindeversammlung lässt sich jedoch weithin als Ausdruck „eines innerjüdischen Differenzierungsprozesses“ begreifen (KONRADT, Mt, 19) und stellt kein Kriterium einer Abspaltung dar. 79 Vgl. EBNER, Matthäusevangelium, 145f.; ferner GNILKA, Mt II, 531f.; TIWALD, Logienquelle, 137–143. 80 Vgl. TIWALD, Logienquelle, 76f. 81 Vgl. TIWALD, Logienquelle, 150. 82 Vgl. WEIെ, Kirche, 2049–2056. Nach TIWALD, Logienquelle, 110 manifestierte sich dieses Scheitern nicht in physischer Bedrängnis, sondern in Spott (Q 7,32), Desinteresse (Q 10,10; 11,16–32) und Schmähungen (Q 6,22). Die blutige Verfolgung (Q 11,50) erweist sich demnach als ein literarisches Konstrukt durch die Aufnahme stereotyper Topoi der Schriften Israels, allen voran durch das dtr Motiv vom Geschick der Propheten und der prophetischen Autoritätenkritik (hierzu s.u. II.3–4.). Damit erweisen sich die Verkündigung und deren Ablehnung als primär innerjüdisch (vgl. ebd., 110f.; ähnlich HAUFE, Israel, 66f.). Da die wenigen Blutzeugen der ersten Zeit im Kernland durch tempelkritische Spannungen erklärbar sind (vgl. Apg 6,11–8,3; Flav.Jos.Ant. XX 201; zu Jakobus ferner KOCH, Geschichte, 169–178), wäre zudem anzunehmen, dass dies in der Diaspora ein weniger starkes Differenzkriterium dargestellt haben dürfte und die Kontroverse um den Christusglauben vor der Tempelzerstörung weniger Gewaltpotenzial besaß (zur nur schwierig zu bestimmenden Haltung zum Tempel im Diasporajudentum vgl. TROTTER, Jerusalem; ferner die konträren Aufsätze HACHAM, Sanctity; TUVAL, Temple).
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eine proaktive Mission ist jedoch eher auszuschließen.83 Ist diese Rekonstruktion einigermaßen zutreffend, so wäre die vormt Gemeinde gut in das Gesamtgefüge der unterschiedlichen Spielarten des Frühjudentums integrierbar. Daran dürfte zunächst auch das Bekenntnis zum Auferstandenen nur wenig geändert haben,84 wenngleich sich aus diesem sicherlich auch Reibungspunkte ergeben haben. Die Besonderheit der späteren mt Gemeinde scheint allerdings zu sein, dass sich in ihr einzelne Schriftgelehrte befanden (vgl. Mt 13,52; 23,34),85 die wohl zugleich Träger-/Autorenkreis des Evangeliums sind.86 Es ist davon auszugehen, dass von diesen Schriftgelehrten die Jesustradition im Licht der Schriften Israels reflektiert wurde.87 Mit Blick auf die spätere Form des Mt, die im Zueinander von Verheißung und Erfüllung die Jesusgeschichte als 83 Dem Evangelium ist zumindest zu entnehmen, dass die Völkermission ein virulentes Thema zur Abfassungszeit darstellt, wobei unklar ist, ob dies aufgrund einer neuen Gemeindepraxis oder aufgrund zunehmenden Widerstands gegen Völkerchristen (ggf. auch von außen) der Fall ist (vgl. KONRADT, Kontext, 19–22). Sofern die Mehrheitsverhältnisse mit Blick auf die Integration von Nichtjuden in die Geschichte Israels in der mt Genealogie (Mt 1,1–17) auf die Gemeindesituation durchlässig sind, könnte auf einen sehr geringen Anteil an Völkerchristen zurückgeschlossen werden (für eine Minorität plädiert auch ebd., 36). Davon ausgehend wäre auch zu erwägen, dass der mt Kreis nicht mit einer Überformung der Gemeinde infolge der Integration von Völkerchristen rechnet (vgl. COHEN, Matthew, 150f.), was entweder für eine gewisse Naivität bzw. mangelnde Erfahrungswerte spräche oder ein hohes Selbstbewusstsein. Insgesamt erscheint die erste Position plausibler zu sein, sodass von sehr wenigen resp. keinen Völkerchristen in der mt Gemeinde bzw. fehlenden völkerchristlichen Gemeinden im mt Umfeld auszugehen ist (anders CARLSTON/ EVANS, Synagogue, 383 mit Bezug auf Mt 8,11). Insgesamt deutet dieser Befund abermals auf ein provinzielles resp. mehrheitlich jüdisches Lebensumfeld (s.o. bei Anm. 69–77). 84 Ähnlich FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 86 mit Verweis auf die Pluralität des hellenistischen Judentums; vgl. ferner LUZ, Auseinandergehen, 57f. mit Verweis auf jüdische Forschungspositionen, die Abtrünnigkeit in der Antike am Verhältnis zur Thora, nicht aber am Messianismus festmachen, wovon sich Luz selbst allerdings mit Blick auf das Mt distanziert (vgl. ebd., 70). 85 Unter dieser Prämisse lässt sich auch die mt Änderung von țĮ ȠȤ ੪Ȣ Ƞੂ ȖȡĮȝȝĮIJİȢ (Mk 1,22) zu țĮ ȠȤ ੪Ȣ Ƞੂ ȖȡĮȝȝĮIJİȢ ĮIJȞ (Mt 7,29) als Differenzmarkierung zwischen pharisäischen und christusgläubigen Schriftgelehrten erklären (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt I, 727; ORTON, Scribe, 30f.; OVERMAN, Judaism, 115; anders LUZ, Mt I, 541). 86 Vgl. VOS, Schriftgelehrte, 121–123; ferner LUZ, Mt I, 83f., der allerdings den Kreis der christusgläubigen Schriftgelehrten für die vormt Reflexion und Bearbeitung der Logienquelle verantwortlich macht, wohingegen das Evangelium selbst Produkt eines einzelnen Autors sei. 87 Der Jesustradition werden im konkreten Zusammenhang die (schriftliche) Logienquelle und die mündlichen Erzählungen zugeordnet, die teilweise und ggf. überwiegend im Mk (erstmals) verschriftlicht wurden. Hinzu kommt das mt Sondergut. Es ist daher davon auszugehen, dass weite Teile der Jesustradition im Mk der vormt Gemeinde bereits, vermutlich aus der mündlichen Überlieferung, bekannt waren (vgl. KONRADT, Gegenentwurf, 52 mit Bezug auf DUNN, Setting, 171f.).
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schriftgemäß präsentiert, liegt nahe, dass die Schriftreflexion bereits vor der Abfassung des Evangeliums begonnen hat. Hierfür bedarf es allerdings sowohl der entsprechenden Kompetenz als auch einer gewissen Infrastruktur. Sofern die Darstellung in Lk 4,16–20 auch für Mt 4,23; 9,35; 13,54 vorauszusetzen ist,88 ist – wenigstens in der literarischen Welt – davon auszugehen, dass in Synagogen Schriftrollen hinterlegt waren (= „Synagogenbibliothek“).89 Darüber hinaus ist zu erwägen, dass mit ȖȡĮȝȝĮIJİȢ eine Berufsbezeichnung zum Ausdruck gebracht wird,90 welche sodann auf eine anfängliche Teilhabe 88 Vgl. zudem die Deutung des Synagogensteins von Magdala als Thoralesepult durch Mordechai Aviam (AVIAM/BAUCKHAM, Stone, 147–150). 89 Vgl. VIVIANO, Matthew, 4, der ebenfalls von einem Zugriff des mt Kreises auf eine Bibliothek ausgeht. Ob diese Rollen an einem zentralen Ort gelagert und verliehen wurden, oder ob diese dezentral in den Einzelsynagogen lagen, lässt sich unmöglich erheben. Auch über Sprache und Form lässt sich kaum etwas aussagen. Die uneinheitliche Schriftzitation im Mt, worin einzelne Verse der LXX, andere dem MT nahestehen, weshalb bisweilen auch Mischformen zu erwägen sind, könnte anzeigen, dass – zur Zeit der Abfassung – mehrere Schrifttraditionen im Zugriffsbereich des mt Kreises vorlagen (ähnlich STENDAHL, School, 199–202; GUNDRY, Use, 172–178). Möglicherweise ergab sich – analog zu Qumran (vgl. STÖKL BEN EZRA, Qumran, 161f) – durch das Zusammenführen verschiedener Bibliotheken – wohl im Zuge des römisch-jüdischen Kriegs – eine heterogene Sammlung, in der sich griechische wie hebräische Schriftrollen fanden. Neben den Schriften Israels sind in dieser Synagogenbibliothek auch weitere frühjüdische Schriften (bspw. SapSal; 1Hen?) vorstellbar. Nach dieser Rekonstruktion konnten die christusgläubigen Schriftgelehrten – wenigstens zeitweise – auf die Schriften Israels in unterschiedlichen Schrifttraditionen zurückgreifen. Alternativ bzw. ergänzend wären auch unterschiedliche – oral tradierte – Traditionen der (christusgläubigen) Schriftgelehrten in Erwägung zu ziehen (vgl. ZIETHE, Namen, 21). Der heterogene Zugriff auf die Schriften im Mt wäre mutatis mutandis auch durch den Zuwachs christusgläubiger Schriftgelehrter anderer Schrifttraditionen im Zuge der Fluchtbewegungen erklärbar. Zwar wird mit dem Postulat der heterogenen Schriftquellen – schriftlicher und mündlicher Art – eine ähnliche Blackbox generiert, wie durch die hypothetische „revised LXX“ von MENKEN , Matthew. Allerdings werden in der hier vorgestellten Variante die Reflexionszitate und Schriftanspielungen als Aushandlungsprozess eines schriftgelehrten Diskurses erklär- und verstehbar. Dass der mt Kreis keine einheitliche Schriftquelle als Grundlage fixiert hat, mag einerseits an diesem Aushandlungsprozess gelegen haben, der eben auch die orale Tradition stärker berücksichtigte, andererseits vielleicht auch dem Umstand geschuldet sein, dass mit der Zunahme der Konfliktsituationen der Zugang zu den synagogalen Schriftrollen eingeschränkt wurde. Problematisch bleibt, dass auch in dieser Rekonstruktion nur der äußere Rahmen gesetzt werden kann, in welchem die vielschichtigen Prozesse des mehrsprachigen Schriftbezugs verstehbar werden, wohingegen eine nähere Beschreibung dieser Prozesse unmöglich ist. Daher bedarf es weiterhin einer Einzelfalluntersuchung der sprachlichen Phänomene. 90 Es ist anzunehmen, dass Schriftgelehrten im Allgemeinen eine gewisse Leitungsfunktion zukam, wie auch im Evangelium an anderer Stelle deutlich wird (vgl. Mt 23,2–12; ferner ORTON, Scribe, 34f.; OVERMAN, Judaism, 144f.). Die Quellenlage lässt nur bedingt Rückschlüsse auf die genaue Funktion und gesellschaftliche Stellung der Schriftgelehrten zu, wobei diese vermutlich auch im Kernland und in der Diaspora divergiert. Insgesamt scheint in dem Ausdruck eine Art Berufsbezeichnung vorzuliegen, die einen gewissen
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christusgläubiger Juden in der synagogalen Gemeindeleitung deutet.91 Es ist demnach nicht unwahrscheinlich, dass diesen Schriftgelehrten eine gewisse Lehrautorität zukam, von welcher sie vermutlich auch in den Synagogenversammlungen am Sabbat in Verkündigung des Christusglaubens Gebrauch
Grad an Literalität unterschiedlichen Niveaus voraussetzt (vgl. SANDERS, Judaism, 179– 181; ferner ORTON, Scribe, 39–61; SALDARINI/VANDERKAM, Pharisees, 241–276). Die so Angesprochenen sind damit nicht als homogene religiöse Fraktion zu verstehen, sondern als (berufliche) Schreiber für Schriftverkehr und Verwaltungstätigkeiten in Dörfern und Städten verantwortlich (vgl. ÖHLER, Geschichte, 66). Gleichwohl implizieren die Evangelien, die Charakterisierung Esras und Ben Sirachs als Schriftgelehrte sowie die rabbinische Literatur, dass Schriftgelehrten auch eine gewisse Kompetenz zur Interpretation der Thora zugestanden wird (vgl. CARLSTON/EVANS, Synagogue, 314; ÖHLER, Geschichte, 66f.; ähnlich SCHWARTZ, Scribes, der allerdings hinter den Schriftgelehrten Leviten vermutet), sodass ihnen womöglich auch religiöse Leitungskompetenz zukam (vgl. auch WEIെ, Propheten, der Schriftgelehrsamkeit der „Kategorie des ‚Prophetischen‘ im nachexilischen Judentum“ zuordnet). Dies mag zwar eher für die Zeit nach 70 n.Chr. und/oder in der Diaspora gelten, allerdings nicht ausschließlich. Hierauf deutet die Tatsache, dass Schriftgelehrte auch Teil des Sanhedrins waren (vgl. ÖHLER, Geschichte, 115). 91 Die bloße Existenz von christusgläubigen Schriftgelehrten in der mt Gemeinde lässt rückfragen, woher diese stammen. Sofern die Bezeichnung als ȖȡĮȝȝĮIJİȢ nicht als innergemeindliche Begriffsbildung für deren Funktion verstanden werden will (so GNILKA, Mt II, 532), ist davon auszugehen, dass die mt Schriftgelehrten bereits vor der Annahme des Christusglaubens als Schriftgelehrte tätig waren und diesen Beruf zunächst in anderen Zusammenhängen als der mt Gemeinde ausübten. Im Zuge des Selbstportraits des mt Kreises in Mt 13,52 wird der ȖȡĮȝȝĮIJİȢ mit einem ȠੁțȠįİıʌંIJȘȢ verglichen. Zwar wird der Begriff im Mt vorrangig als Gottesfigur gebraucht (Mt 13,27; 20,1.11; 21,33), er könnte aber vom Alltagsgebrauch her (Mt 10,25; 24,43) auf eine autoritative Stellung durchlässig sein. Dies lässt fragen, ob Schriftgelehrte insgesamt als eine Art Berufsstand in irgendeiner Form vernetzt und/oder in die synagogale Struktur eingebunden waren. Es wäre zumindest vorstellbar, dass einer Synagoge ein oder mehrere Schriftgelehrte zugeordnet waren. Da die Ausbildung zum Schreiber mit einem gewissen finanziellen Aufwand und entsprechender Abhängigkeit einherging (vgl. SALDARINI/VANDERKAM, Pharisees, 273f.), kommt die Synagoge auch als Arbeitgeber in Betracht. Sofern neben der Literalität auch Lehrkompetenz anzunehmen ist, wäre zu vermuten, dass sich die Berufsautorität der Schriftgelehrten nicht nur auf eine (Arbeit gebende) Synagogengemeinde beschränkte, sondern darüber hinaus erstreckte. Nach dieser Rekonstruktion ist der Terminus ȖȡĮȝȝĮIJİȢ auf eine leitende Funktion innerhalb des örtlichen Synagogenverbandes durchlässig und deutet zudem auf eine berufliche Vernetzung aller ortsansässigen ȖȡĮȝȝĮIJİȢ. Aus dieser Gruppe wiederum entstammen die mt Schriftgelehrten, die demnach als Christusgläubige, zumindest zu Beginn, als Teil dieses an die Synagoge zurückgebundenen Berufsstands der Schriftgelehrten wirkten und so Anteil an der synagogalen Hierarchie hatten. Diese Annahme ergibt sich zudem durch die literarische Charakterzeichnung im Evangelium (vgl. ebd., 159f.), welche wenigstens in der Kommunikationssituation auch historisch einigermaßen glaubhaft sein muss. Diese tritt neben den Lehrstreitigkeiten besonders deutlich in Mt 2,4 hervor, wo die Schriftgelehrten mit den Hohepriestern für den politischen Souverän als Berater tätig werden (vgl. ebd., 162).
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machten.92 Hieraus ergäbe sich auch für die vormt Zeit ein gewisses Konfliktpotenzial. Allerdings scheinen die Synagogenstrafen, die sich als Reaktion auf diese Verkündigung verstehen lassen, eher ein spätes Stadium der Konfliktgeschichte widerzuspiegeln.93 Zwischen dieser christusgläubigen Existenz als tolerierter Teil des „Mehrheitsjudentums“ in Damaskus und der Abfassung des Mt müssen verschiedene Faktoren für einen massiven Umbruch gesorgt haben, denen es im Folgenden nachzuspüren gilt. Die wohl gravierendste Zäsur des damaligen Judentums stellt die Eroberung Jerusalems und die Zerstörung der Stadt 70 n.Chr. dar,94 was wohl auch Fluchtbewegungen von Süden nach Norden nach sich zog.95 Nach Mehrheitsmeinung liegt diese zudem zur Abfassungszeit des Mt bereits zurück,96 sodass die Folgen der Katastrophe direkten Einfluss auf das Evangelium gehabt haben dürften. Im konkreten Umfeld könnte die tempelkritische Grundhaltung der Christusgläubigen zu Konflikten geführt haben, insofern sich Jesus nun als alleiniger Ort des Heils behaupten ließ.97 Auch national-politische Spannungen sind nicht ausgeschlossen, sofern die historische Einschätzung, dass sich die christusgläubigen Juden den Kämpfen
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Der Vergleich mit den pln Missionen der Apg legt zumindest nahe, dass die christusgläubigen Schriftgelehrten auch in den Sabbatversammlungen den Christusglauben predigten (vgl. Apg 9,20; 13,5.14–43; 14,1; 17,1–3.17; 18,4.19; 19,8). 93 S.u. bei Anm. 115–120. 94 Diese Zäsur ist zunächst dem Mt zu entnehmen und davon ausgehend auf dessen Kontext zu applizieren. Demnach stellt die Tempelzerstörung einen zentralen Geschichtsmarker dar (s.u. II.5.3.4.). Als solcher dürfte er auch in verschiedenen Kontexten des Judentums virulent sein, wobei sich damit noch kein absoluter Fixpunkt ergibt. Geschichte ist auch in diesem Fall im Fluss, insofern dem Einschnitt 70 n.Chr. bereits verschiedene Einschnitte vorangingen (bspw. Pompeius 63 v.Chr.; Präfektur 6 n.Chr.), aber auch folgen sollten (insbesondere der Bar-Kochba-Aufstand 132–135 n.Chr.). In den unterschiedlichen Kontexten sind demnach unterschiedliche Einschnitte zu fokussieren, sodass die Tempelzerstörung zwar einen starken Kristallisationspunkt bilden kann, aber nicht muss (zum Ganzen vgl. COHEN, Matthew, 5–12; ferner der Sammelband SCHWARTZ/WEISS/ CLEMENTS, Watershed; zur insgesamt eher schwachen Zäsur zwischen „Judentum“ und „Christentum“ mit 70 n.Chr. vgl. DUNN, Partings, 231–238). Mit Blick auf die beiden Hauptwerke des Josephus wird allerdings deutlich, dass die Tempelzerstörung auch zeitgenössische Reaktionen hervorrief, wonach das Judentum ohne Tempel nicht fortbestehen könne und zu seinem Ende gekommen sei (vgl. ESHEL, Josephus, 232f.). Zur historischen Rekonstruktion der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des Tempels vgl. SCHWIER, Tempel. 95 Vgl. ÖHLER, Geschichte, 302 mit Verweis auf Mk 13,14; ähnlich GNILKA, Mt II, 531 mit Bezug auf die mt Gemeindestruktur. 96 COHEN, Matthew, 40–56 setzt sich mit neueren Stimmen, die für eine Abfassung vor 70 n.Chr. votieren, auseinander und zeigt auf, dass weiterhin der Datierung nach 70 n.Chr. zu folgen ist. Für weitere Positionen mit Bezug auf Mt 22,7 s.u.S. 309 Anm. 215. 97 Hierzu s.u. II.5.3.4.
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versagt hatten, haltbar ist.98 Wesentlich gravierender dürfte sein, dass im Zuge des Konsolidierungsprozesses der Umbruchszeit die bisherigen Strukturen aufgebrochen wurden.99 Es ist anzunehmen, dass sich in diesem Prozess die pharisäische Position durchzusetzen begann.100 Demnach stellt sich der 98
Vgl. ÖHLER, Geschichte, 270; ferner COHN, Prozeß, 344f. Der Bevölkerungsanstieg dürfte zudem hinsichtlich der christusgläubigen Gemeinde sowohl binnengemeindlich als auch im gesamtjüdischen Gefüge für Spannungen gesorgt haben. Dies gilt insbesondere für den möglichen Zuwachs (unbeschnittener) Völkerchristen oder auch gesetzesfreier/-liberaler christusgläubiger Juden. Es lässt sich darüber hinaus nicht gänzlich ausschließen, dass erst durch diese Fluchtbewegung die Logienquelle in die vormt Gemeinde kam (vgl. ÖHLER, Geschichte, 302) oder sich die christusgläubige Gemeinde im Kern erst durch diese zugezogene Q-Gemeinde konstituierte (vgl. LUZ, Mt I, 90). 100 Da sich der Widerstreit als Führungskonflikt nahelegt, ist ab einem bestimmten Zeitpunkt (vermutlich nach 70 n.Chr.) von einer allmählichen Mehrheitsfähigkeit der pharisäischen Position auszugehen (vgl. FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 84f.; KAMPEN, Matthew, 10; KONRADT, Gegenentwurf, 43). Es ist nicht auszuschließen, dass die pharisäische Position auch durch Zuzug erstarkte, da die Quellenlage nur Pharisäer im Kernland kennt (vgl. NIEBUHR, Pharisäer, 75). Allerdings finden sich im Evangelium kaum Hinweise, dass die Pharisäer als externe Gruppierung aufzufassen sind, insofern das „Bewegungsprofil“ der Pharisäer sowohl ein bewusstes Aufsuchen Jesu (Mt 3,5.7; 15,1; 16,1; 19,3; fraglich 22,15) als auch deren natürliche Anwesenheit bezeugt (Mt 9,11.34; 12,2.24.38; fraglich 21,45; 22,34). Der Konflikt ist demnach kaum ein externer Import, sondern Folge bestehender Spannungen, die aufgrund der besonderen Konstellation (verschiedene Synagogengemeinden, christusgläubige Schriftgelehrte) bisher unterschwellig blieben. RUNESSON, Rethinking hatte hingegen vorgeschlagen, dass – analog zu Apg 6,9 – pharisäische Synagogen zu postulieren seien und die mt Gemeinde als Ergebnis eines pharisäischen Schismas anzusehen sei. Problematisch ist allerdings, dass sich die daraus folgende pharisäische Prägung des mt Kreises primär aus soziologischen Allgemeinplätzen behaupten lässt – bspw. der Annahme, dass die Intensität des Streits aus Nähe und nicht Distanz resultiert (vgl. CARLSTON/EVANS, Synagogue, 261f. mit Verweis auf FOSTER, Community, 10–15 und dessen Vorbehalten bzgl. soziologischer Kurzschlüsse; ähnlich SIM, Strategies, 495) – und nicht dem Text zu entnehmen ist. Es ist damit nicht gänzlich ausgeschlossen, dass die mt Gemeinde einer innerpharisäischen Abspaltung entstammt, allerdings gründet diese Annahme nicht in Textbeobachtungen, sondern soziologischen Erwägungen. Während sich die mt Polemik durchaus gegen die eigene Berufsidentität richten kann, insofern zwischen christusgläubigen und nicht-christusgläubigen Schriftgelehrten differenziert wird, findet sich keine Stelle, die eine Identifikationsfläche für christusgläubige Pharisäer (vgl. Apg 15,5; Joh 3,1) ermöglicht. Auch LUZ, Mt III, 365 mit Anm. 69 sieht keinerlei Indizien, dass Pharisäer Teil der mt Gemeinde waren. Dementsprechend entstammt die mt Gemeinde eher dem „Mehrheitsjudentum“, in welchem die pharisäische Position zunehmend an Einfluss gewann. Dies ist angesichts der üblichen „Vor(ur)teile“ (Stichwort „tempelfreies Judentum“), welche dem Pharisäertum mit Blick auf die Konsolidierungsphase nach 70 n.Chr. attestiert werden (vgl. näherhin OVERMAN, Judaism, 35– 38.68–71), überaus plausibel – trotz bleibender Kontinuitäten. Das pharisäische Gegenüber zeichnet sich demnach im mt Kontext einerseits durch sein attraktives Angebot zur Kontingenzbewältigung aus, andererseits durch seine (massiven) Vorbehalte gegenüber der 99
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Konflikt als Streit um Einfluss resp. Leitungsteilhabe christusgläubiger Schriftgelehrter dar. Da dieser zudem um das rechte Schriftverständnis ringt, liegt es nahe, dass sich die mt Gemeinde im verstärkten Maße dem Vorwurf der „Heterodoxie“ ausgesetzt sah.101 Die Abfassung des Evangeliums ist demnach in eine Zeit der Reformierung der lokalen jüdischen Gemeinde und (heftigen) Auseinandersetzungen um „Orthodoxie“ und „Heterodoxie“ zu verorten.102 Zwar mag das christusgläubige Judentum bereits zuvor eher an der Schwelle gestanden haben und nicht durchweg akzeptiert gewesen sein, doch dürfte die Gesetzeskonformität christusgläubigen Position. Letztere könnten auch als Reaktion auf Attacken aus dem mt Kreis in der Konkurrenzsituation erst entstanden sein. Dies muss allerdings spekulativ bleiben, sodass das Evangelium in einer Situation anzusiedeln ist, in welcher sich die pharisäische Position gegenüber der christusgläubigen durchgesetzt hat und „synagogalpolitisch“ gegen Christusgläubige vorgehen konnte. Dass sich der innerjüdische Konflikt zwischen dem mt Kreis und den Pharisäern als innerpharisäischer Konflikt darzustellen scheint, ist daher nicht in einem pharisäischen Schisma, sondern in einer Verschiebung innerhalb der synagogalen Gemeindeleitung begründet, welche zunehmend pharisäisch dominiert ist (anders RUNESSON, Rethinking, 126, der die Virulenz des Konflikts durch die Verlagerung des innerpharisäischen Konflikts in die „public synagogue“ gegeben sieht). 101 Als spätere Kategorien der Kirchengeschichte sind die Begriffe von Orthodoxie und Heterodoxie/Häresie (resp. Orthopraxie und Heteropraxie) nur bedingt brauchbar (vgl. SCHNELLE, Entstehungsgeschichte, 427). Gleichwohl soll mit diesen scharfen Markern angezeigt werden, dass der innerjüdische Konflikt des mt Kreises, der durch innerchristliche Pluralität befeuert wurde, zu einer existenziellen Krise hinsichtlich der Zugehörigkeit zum Judentum bzw. der Legitimität dessen christusgläubiger Ausprägung führte (ähnliches führt RUNESSON, Rethinking, 101–106 unter dem Schlagwort „pattern of religion“ aus). Zudem wird durch die Begriffe deutlich, dass sich die jeweiligen Spielarten innerhalb eines gemeinsamen Traditionsraums bewegen, in welchem Mehrheiten standortabhängiger Perspektiven über die Zugehörigkeit entscheiden konnten. Wenngleich eine solche Gegenüberstellung zunächst auf den mt Kontext zu beschränken ist (SALDARINI, Community, 18f.), scheint sie in der Großwetterlage nach 70 n.Chr. plausibel. Ähnliche Kontroversen um legitime Formen jüdischer Existenz lassen sich auch an der (späteren) Gründungslegende des rabbinischen Judentums in Jabne ablesen (vgl. DERS., Delegitimation, 663; anders OVERMAN, Judaism, 41). Auch für diese Gemeinde(re)konsolidierung stellt sich sowohl die Frage nach der Führung durch theologische Eliten als auch diejenige nach „Heterodoxie“ und „Orthodoxie“. Letzteres zeigen die Birkat ham-mînîm („AchtzehnBitten-Gebet“), wobei diese lediglich als Ausdruck zeitgenössischer Entwicklungsprozesse dienen können, da nicht sicher zu entscheiden ist, ob bei den adressierten innerjüdischen Häretikern bereits nôzerîm (christusgläubige Juden) mitgemeint waren (zur Thematik vgl. SCHÄFER, Synode, 46–55). Es ist in aller Deutlichkeit hervorzuheben, dass ein derartiger Gemeindeausschluss lediglich lokal wirksam war und hieran keine Trennung von „Judentum“ und „Christentum“ festzumachen ist (vgl. Theologie, 226–229). Gleichwohl scheint das Themenfeld der legitimen Zugehörigkeit verschiedener Sondergruppen im 1. Jahrhundert n.Chr. an verschiedenen Orten gleichermaßen relevant zu sein und ist folglich auch für den mt Kontext plausibel. 102 Vgl. VOLLENWEIDER, Antijudaismus, 45f.
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als gemeinsamer Nenner jüdischer Identität die „Orthodoxie“ der christusgläubigen Ausprägung jüdischer Existenz gewährleistet haben.103 Die sich ändernden Gemeindestrukturen haben offenbar zur Folge, dass sich die christusgläubige ecclesia dem Vorwurf der „Heterodoxie“ ausgesetzt sah, der offenbar insbesondere durch Pharisäer vorgebracht wurde.104 Dabei stellt sich die Frage, ob ein konkreter „Stein des Anstoßes“ jenseits der gruppendynamischen Gesamtprozesse festzumachen ist.105 Sofern die gesetzeshermeneu103
Diese Tendenzbeschreibung ist weitgehend abhängig von der Verhältnisbestimmung der mt zur pln Theologie. Wie KONRADT, Zeuge gegen Sim (u.a. SIM, Anti-Paulinism) darlegt, ist eine antipaulinische Stoßrichtung im Mt nicht haltbar (diese findet sich allerdings in der Rezeptionsgeschichte des Evangeliums bei den Ebioniten, vgl. BORMANN, Theologie, 261 mit Verweis auf Iren.har. 1,26,2). Konradt geht daher davon aus, dass der mt Kontext als „unpaulinisch“ zu kennzeichnen ist (vgl. KONRADT, Zeuge, 93 mit den in Anm. 94 genannten Vertretern). Gleichwohl ist zu fragen, ob die gesetzesfreie Grundausrichtung, die uns heute v.a. in der Person des Paulus vor Augen steht, ihre Spuren im Gemeindekontext hinterlassen hat. Dementsprechend mag die konkrete Kenntnis von Paulus und dessen Wirken in Syrien weniger bekannt sein, wie von SIM, Anti-Paulinism, 768 behauptet, gleichwohl ist eine diffuse Erinnerung nicht gänzlich ausgeschlossen (anders KONRADT, Zeuge, 88–92, der die zeitliche Distanz absolut setzt). Sofern eine Profilanalogie zwischen der vormt und der Jerusalemer Gemeinde statthaft ist, könnte deren Distanzierung von Paulus (vgl. NICKLAS, Parting, 25) auf einen thorakonformen Konsens innerhalb des christusgläubigen Judentums schließen lassen, der einerseits binnenjüdisch anschlussfähig ist und andererseits eine binnenchristliche Distanzierung zu gesetzesfreien Konzeptionen zur Folge hat (ähnlich SCHNELLE, Wege, 124, der jedoch betont, dass die binnenjüdische Anschlussfähigkeit eine unbegründete Hoffnung blieb). Unter diesen Vorgaben hätte sich – in heutiger Kenntnis frühchristlicher Theologien – der mt Kreis von der pln Theologie wohl distanziert, obgleich dies im historischen Kontext aufgrund der Unkenntnis wohl nicht der Fall war (vgl. ferner KRETSCHMAR, Kirche, 28f., der die pln Argumentation im antiochenischen Zwischenfall in Gal 2 mit einem thoratreuen christusgläubigen Judentum für nicht mehr vereinbar hält). Gleichwohl soll mit diesen Überlegungen plausibilisiert werden, dass die Gesetzeskontroversen, die sich anderswo durch eine gesetzesliberale Haltung ergaben, in der vormt Zeit für die Gemeinde überschaubar blieben. Eine ähnliche Problemskizze findet sich auch bei VOGEL, Streit, 43: „Gerade weil die nichtjüdische Christusverehrung von jüdischer Seite als eine Weise des biblisch-jüdischen Glaubens aufgefasst wurde, konnte die von Paulus propagierte und forcierte ‚gesetzesfreie Heidenmission‘ als Infragestellung der Integrität jüdischer Lebensweise und Gottesverehrung aufgefasst werden.“ 104 Vgl. auch OVERMAN, Judaism, 86, der den mt Konflikt als „a struggle with a Jewish group that claims Matthew’s community is not law-abiding“ bestimmt; ferner DUNN, Partings, 152. 105 Analog zur galatischen Krise könnte erwogen werden, dass der Konflikt durch das Eindringen externer Störenfriede provoziert wurde. Im Falle des mt Kontextes und unter Beachtung der bisherigen Rekonstruktion wären demnach die Pharisäer als „antichristusgläubige“ Aktivisten aufgetreten und hätten so das sensible Miteinander der jüdischen Pluralität torpediert. Allerdings finden sich im Evangelium nur wenige Hinweise auf eine personell-externe Bedrohung, die zudem mit dem Stichwort ȥİȣįȠʌȡȠijIJȘȢ eher auf binnenchristliche Streitigkeiten deutet (vgl. Mt 7,15; 24,11.24).
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tische Grundaussage in Mt 5,20 und die Wehrede (Mt 23) auf das faktische Gegenüber der mt Gemeinde durchlässig ist, würden sich realiter christusgläubige und nicht-christusgläubige Schriftgelehrte und/oder Pharisäer gegenüberstehen.106 Der Gemeindekonflikt wäre also Ausdruck einer innerschriftgelehrten/-pharisäischen Kontroverse um die Gesetzeskonformität des Christusglaubens. Für den Vorwurf mangelnder Gesetzestreue oder offenen Gesetzesbruchs lassen sich nunmehr zwei historische Anknüpfungspunkte erwägen. Einerseits könnte die Integration unbeschnittener Völkerchristen,107 die womöglich durch die Fluchtbewegung eine größere Minorität wurden, den Anlass gegeben haben.108 Es ist im Evangelium durchaus ersichtlich, dass dieses die Integration der Völker zu begründen sucht. Da diese zudem als schriftgemäß präsentiert wird109 und den Zielpunkt des Evangeliums bildet, handelt es sich keineswegs um ein Randthema. Jenseits der eingeforderten Gesetzestreue unter dem Primat der Barmherzigkeit werden im Evangelium indes keine konkreten Folgeprobleme angesichts dieser Integration erkennbar, was eher auf eine programmatische Begründung der Völkermission und Integration hindeutet, weniger auf eine konkrete Legitimation bestehender 106 Vgl. EBNER, Matthäusevangelium, 146. Eine idealtypische Szene schriftgelehrter Streitigkeiten aus rabbinischer Perspektive umreißt MORGENSTERN, Polemik, 112–114 in der Darstellung von jBer 9,1/10–12d,62–71 (vgl. HOROWITZ, Berakhoth, 217f.). Es steht außer Frage, dass dieses Zeugnis nur bedingt einen Quellenwert für die mt Situation besitzt. Gleichwohl lässt sich daran zeigen, dass in späterer Zeit dogmatische Streitfragen – konkret liegt hier vermutlich eine Auseinandersetzung um trinitarische Vorstellungen vor – auf der Ebene des Schriftverständnisses illustriert wurden. Während der literarische Niederschlag sicherlich eine „ideale Szene“ darstellt (MORGENSTERN, Polemik, 114), erscheint es durchaus plausibel, dass dahinter faktische schrifthermeneutische Auseinandersetzungen öffentlichen Charakters standen, die auch für den mt Kontext – hier allerdings über Gesetzesfragen (vgl. SIM, Strategies, 496f.) – nicht unplausibel erscheinen. 107 Die Frage, ob die mt Theologie derjenigen der pln Gegner in Gal (resp. der pharisäischen Position in Apg 15,5) ähnelt, ist eine der spannenden Frage der neueren exegetischen Forschung (vgl. KONRADT, Kontext, 23–37; LUZ, Mt I, 92f.). Es ist tendenziell anzunehmen, dass die Beschneidung bei christusgläubigen Juden (resp. deren Kindern) weiterhin praktiziert wurde (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 685; COHEN, Matthew, 187f.; 191; LUZ, Mt I, 94), aber von Völkerchristen keine Beschneidung gefordert wurde (vgl. KONRADT, Kontext, 29–34; COHEN, Matthew, 186–203; anders FIEDLER, Mt, 431f.). Mit der Terminologie von SCHNELLE , Entstehungsgeschichte, 376f. wäre die mt Gemeinde folglich eher dem strengen, nicht aber dem radikalen Judentum, d.h. den Judaisten, zuzuordnen. Die Unsicherheit, ob der mt Kreis durch Akzeptanz der Unbeschnittenen bewusst die (mittelfristige) Trennung vom „Judentum“ in Kauf nahm, wie DERS., Wege, 126 betont, oder ob das Beschneidungsgebot als für die Völker ungültig verstanden wurde (vgl. KONRADT, Mt, 464), legt jedenfalls nahe, dass hier eher ein Teilaspekt des Konflikts zu finden ist, aber nicht der Kern desselben. 108 Vgl. KONRADT, Mt, 19; ferner SCHNELLE, Entstehungsgeschichte, 436, der allgemein auf die Völkermission verweist. 109 Vgl. ZIETHE, Namen, 367–376.
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Gemeindeverhältnisse.110 Stellt aber die Integration christusgläubiger Unbeschnittener eher auf der theoretischen Ebene ein Problem dar, so entfiele dieser Zusammenhang auch als konkreter Anlass der massiven Auseinandersetzungen. Folglich sei eine (ergänzende) Alternative vorgeschlagen: Der Konflikt um die „Heterodoxie“ der mt Gemeinde ist wesentlich durch das Eindringen des Mk bestimmt. Für die vormt Zeit wurde mit Q ein Gemeindedokument postuliert, welches die Jesustradition bereits als schriftgemäß inszeniert, weshalb sich auch die Schriftauslegung der christusgläubigen Schriftgelehrten weithin im „orthodoxen“ Rahmen bewegt haben dürfte und (streitbare) Akzeptanz fand.111 Diese Akzeptanz wurde durch die Zirkulation des Markusstoffes bedroht, insofern nun die – in Teilen bekannte – Jesustradition in gesetzesfreier/-kritischer Ausformulierung zu stehen kam. Die Kenntnis von Spitzensätzen wie Mk 7,19 konnte gegen den Christusglauben in Stellung gebracht werden und so den Vorwurf der „Heterodoxie“ untermauern.112 Die pharisäischen Gegner konnten so (erstmals?) auf eine Jesustradition zurückgreifen, mit welcher sie insbesondere die christusgläubigen Schriftgelehrten hinsichtlich der Gesetzeskonformität ihres Christusglaubens delegitimieren konnten.113 Der dem Mt zugrundeliegende Konflikt stellt sich so als Kontroverse um die Legitimität der Leitungsfunktion christusgläubiger Schriftgelehrter im Angesicht der gesetzesfreien Tendenz des Mk dar.114 Ein solcher 110
Ähnlich KONRADT, Sendung, 144. Mit EBNER, Matthäusevangelium, 146 ist indes nicht auszuschließen, dass auch in der vormt Gemeinde (bei ihm die Q-Gemeinde) die jesuanische Thoralehre in polemischer Zuspitzung formuliert wurde. 112 Ähnlich KONRADT, Gegenentwurf, 57. 113 Wie genau die Verbreitung des mk Materials im lokalen Kommunikationsraum vorzustellen ist, bleibt schwer zu ergründen. Es ist allerdings naheliegend, dass das Mk als Schriftdokument in der vormt Gemeinde vorlag und dessen Erzählungen und Aussagen über den Gemeindekontext hinaus zirkulierten und so auch in den Synagogengemeinden bekannt wurden. Dass es hierbei auch (vereinzelt) zu einer positiven Rezeption der gesetzesfreien Aussagen kam, ist sehr plausibel. Der Einfluss dieser „Jesusbiographie“ war folglich nicht nur eine argumentative Unterstützung für die Kritik der pharisäischen Autoritäten, sondern stellte auch für den mt Kreis ein innergemeindliches Problem dar. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die umfangreiche Auseinandersetzung mit dem Mk, wovon der Aufbau des Mt zeugt, ohne äußeren Druck gleichermaßen erfolgt wäre. Weiter wäre zu erwägen, dass sich Mt 7,15–23 (auch) auf „mk Christusgläubige“ bezieht (KONRADT, Mt, 126; ferner DERS., Zeuge, 77). 114 Während die Annahme eines Führungsstreites zwischen den Pharisäern und dem mt Kreis konsensfähig erscheint (vgl. SALDARINI, Delegitimation, 661: „true leaders of Israel“; ferner REPSCHINSKI, Form, 431 mit Anm. 36), bleibt zumeist unausgeführt, worauf sich der Anspruch des mt Kreises – jenseits der theologischen Legitimation im Christusglauben (vgl. EBNER, Tendenzen, 154) – gründet, obgleich deutlich wird, dass dieser aus der schwächeren Position heraus argumentiert (vgl. KONRADT, Israel, 383f.). Das Auftreten wird jedoch verständlich, wenn die Akteure des mt Kreises bereits zuvor in 111
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I. Einleitung
Vorwurf konnte in den Synagogen, ob des postulierten Einflusses dieser Schriftgelehrten, nicht ohne Folgen bleiben. Die Synagogenstrafen (Mt 10,17; 23,34) sind demnach als historisch zu werten (vgl. 2Kor 11,24; Dtn 25,1–3) und Ausdruck des intensivierten Konflikts.115 Als Adressaten solcher Strafen dürften diejenigen zu denken sein, die weiterhin den Christusglauben in der Synagoge lehrten,116 weshalb sich abermals die Schriftgelehrten nahelegen (vgl. auch Mt 23,34), während die bloße Teilnahme christusgläubiger Juden an Versammlungen in den Synagogen als straffrei zu denken ist.117 Ob eine faktische Exklusion stattgefunden hat oder aufgrund der Repressionen diese als solche empfunden wurden und entsprechend eine Distanz gesucht wurde, muss offen bleiben.118 Gleichwohl scheint die Exklusionserfahrung in erster Linie den Autorenkreis zu betreffen, der nun die eigenen Widerfahrnisse wiedergibt. Auch für diese Gruppe ist kein letztgültiger Ausschluss aus der Synagogengemeinde zu vermuten,119 sondern – gemäß der vorherigen Rekonstruktion – sehr konkret aus jedweder gemeindeleitenden Funktion.120 Durch irgendeiner Form an der Leitung partizipiert hatten und nun einen bleibenden Führungsanspruch erheben, welcher ihnen (inzwischen) abgesprochen wurde. Möglicherweise ist diese Konstellation in Mt 21,41 verarbeitet, insofern – im Gegensatz zu Mk 12,9 und auch Lk 20,16 – die Tötung der Winzer durch țĮțȠઃȢ țĮțȢ ਕʌȠȜıİȚ ĮIJȠȢ umschreiben wird und der Weinberg explizit ਙȜȜȠȚȢ ȖİȦȡȖȠȢ anvertraut wird. Demnach werden im Gleichnis nicht die Winzer als solche abrogiert, wie dies bei Mk/Lk assoziierbar ist, sondern die spezifischen Winzer des Gleichnisses, von denen andere Winzer abgehoben werden. Im mt Gleichnis wird der Weinberg, d.h. Israel, folglich explizit Menschen gleicher Qualifikation anvertraut. Wäre es vorstellbar, dass im Hintergrund der Anspruch im Mt erhoben wird, dass die Führung Israels von den nicht-christusgläubigen Schriftgelehrten/Pharisäern auf die christusgläubigen Schriftgelehrten übergeht, wohingegen bei Mk/Lk lediglich ein unbestimmter Austausch der Führung vorgestellt ist? 115 Vgl. GNILKA, Mt II, 534. 116 Ähnlich LUZ, Auseinandergehen, 60, der diese allgemein mit Missionaren identifiziert. 117 Neben dem historischen Argument, dass noch im 4. Jahrhundert die „Doppelexistenz” in Synagoge und ecclesia bezeugt ist (s.o.S. 17 Anm. 77), scheint auch Mt 23,3– 7 auf eine bleibende Teilnahme an synagogalen Veranstaltungen zu verweisen (vgl. RUNESSON, Rethinking, 117–119). Die mt Aufforderungen lassen sich auch aus dieser Perspektive als Warnungen verstehen, die zwar nicht den Synagogenbesuch als solchen verbieten und auch die dortige Lehre nicht gänzlich in Abrede stellen, aber letztlich doch als unzureichend markieren (vgl. Mt 16,6.11f.). 118 Vgl. SALDARINI, Delegitimation, 665f.678, der – allerdings ohne konkrete Nennung der Hintergründe – davon ausgeht, dass der mt Kreis gegen die „expulsion“ anschreibt und die eigene „legitimacy“ betont. 119 Die mt Gemeindesituation ist demnach von derjenigen der joh Gemeinden zu unterscheiden, in welcher es offenbar zu Synagogenausschlüssen kam (vgl. Joh 9,22; 12,42; 16,2; ferner HUMMEL, Auseinandersetzung, 30f.). 120 Hierauf deutet die Polemik in Mt 23,2–12, falls hiervon Rückschlüsse auf die vormt Situation in den Synagogen zulässig sind. Demnach könnte die Aufforderung zur Demut aus den eigenen Erfahrungen der Demütigung resultieren, insofern die christusgläubigen
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die Zirkulation der mk Spitzensätze wurde der mt Christusglaube insoweit als „heterodox“ wahrgenommen, als dass den gläubigen Schriftgelehrten nicht länger eine gemeindeleitende Funktion bzw. die Ausübung ihrer schriftgelehrten Tätigkeiten anvertraut wurde. Dieses Herausdrängen der christusgläubigen Schriftgelehrten hätte zwar keinen Ausschluss aus der Synagogengemeinde per se zur Folge, wohl aber einen Verlust an Sichtbarkeit und v.a. eine massive Delegitimation der christusgläubigen Position, die so auch die christusgläubigen Gemeindemitglieder affizierte. In dieser Gemengelage musste der mt Kreis reagieren, indem er einerseits die „Orthodoxie“ des Christusglaubens herauszustellen hatte, andererseits auch den „Stein des Anstoßes“ soweit verteidigen musste, als dass die Korrekturen am Mk nicht zur grundsätzlichen Abrogation Jesu führten. 121 Ein solcher Gegenentwurf zielt auf Anschlussfähigkeit – sowohl für das synagogale Gegenüber als auch innerhalb der christusgläubigen Welt.122 Dem Mt sind entsprechende Reaktionen auf diese Gesamtproblematik zu entnehmen. Mit der Beibehaltung des mk Aufbaus und einer eher kleinteiligen Überarbeitung an den Formulierungen123 wird das „heterodoxe“ Evangelium in ein „orthodoxes“ transformiert. So können durch die Korrekturen besonders Schriftgelehrten aus der Leitungsfunktion ausgeschlossen wurden und sich nicht mehr – als Ausdruck der Lehrautorität – auf den „Stuhl des Moses“ setzen durften (vgl. zu diesem COHEN, Matthew, 532–537). Das egalitäre Gemeindeideal wird demnach auch als bewusster Kontrast zur bestehenden Synagogenhierarchie, von welcher der mt Kreis ausgeschlossen wurde, implementiert. Konkret kann man sich demnach den Ausschluss der Schriftgelehrten als Entlassung aus dem synagogalen Anstellungsverhältnis vorstellen. Der Verzicht auf die Anrede „Rabbi“ (Mt 23,8) könnte demnach auch aus der Aberkennung derselben resultieren. Möglicherweise wurde in diesem Zusammenhang auch der Zugang zur Synagogenbibliothek eingeschränkt (s.o.S. 20 bei Anm. 89). 121 Die Notwendigkeit, den eigenen Christusglauben auf Basis des Mk rechtfertigen zu müssen, wäre eine Erklärung für die Beobachtung bei LUZ, Mt I, 78, dass der mt Kreis „soviel Markustext wie möglich verwenden wollte“. 122 Die Motivation zum Niederschrieb des Evangeliums wird demnach als Ausdruck einer innerjüdischen Kontroverse verstanden. Anders argumentiert KOCH, Geschichte, 399f., der das Evangelium als Ausgleichsdokument verschiedener innerchristlicher Traditionen versteht, deren „Ränder“ durch das gesetzesfreie Mk der „Hellenisten“ und die gesetzestreue Logienquelle der Jerusalemer markiert sind (ähnlich EBNER, Matthäusevangelium, 147f.). Dementsprechend sieht KOCH, Geschichte, 400 das Ziel des Evangeliums auch nicht in einem innerjüdischen Konsens, sondern in der „Zusammenführung gesetzesfrei und gesetzeskonform lebender Christengemeinden“. 123 Im Detail ist noch deutlich weiter zu differenzieren. Der Beibehalt des mk Aufbaus trifft insbesondere auf Mt 12–28 zu (vgl. EBNER, Matthäusevangelium, 139). Im vorderen Teil (Mt 4,23–9,35) entfaltet der mt Kreis seine Programmatik als „Evangelium vom Königtum“ (ebd., 133–135), welches größeren Bearbeitungen aufweist. Insgesamt schließt aber auch hier die Integration von Q-Material häufig an erzählerische Leerstellen im Mk an – so knüpfen bspw. die Bergpredigt an Mk 1,21f. und die Versuchung Jesu an Mk 1,12f. an (vgl. ebd., 140).
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I. Einleitung
kritische Passagen (bspw. Mk 7,19) getilgt und die rechtmäßige – bzw. vom Selbstverständnis her die eigentliche – Lehre Jesu etabliert werden.124 Mit Blick auf die christusgläubige Gemeinde tritt durch den oberflächlichen Beibehalt die Wertschätzung des Entwurfs hervor und bereits geprägte Wendungen können weitgehend beibehalten werden.125 Ob hiermit eine regionale oder schon „globale“ Ersetzung des Mk intendiert war, lässt sich allenfalls vermuten.126 Eine zentrale Strategie dieses orthodoxen Transformationsprozesses stellt offenkundig die Rückbindung an die Schriften Israels und die Reflexion der Jesusgeschichte durch diese dar. Solches ist zwar bereits im Mk (und in Q) angelegt, wird nun aber deutlich intensiviert. Besonders markant sind dabei die Reflexionszitate, aber auch zahlreiche Anspielungen und allgemein die Adaption biblischer Sprache.127 Wie noch an Mt 27,3–10 zu zeigen ist, kann der mt Kreis auch eigene Kompositionen, die sich am besten als schriftgelehrte Reflexionen verstehen lassen, in das Evangelium eintragen. Diese Aspekte verweisen darauf, dass sich nach dem Mt in Jesus die Schrift erfüllt hat und dementsprechend die (noch-)nicht-christusgläubigen Juden aufgefordert sind, das Evangelium – gewissermaßen als Erfüllung der Thora (Mt 5,17)128 – anzunehmen.129 Da in der konkreten Situation der mt Gemeinde die synagogale Gemeindeleitung (= pharisäische Schriftgelehrte) diese Lehre zu unterbinden versuchte, werden im Evangelium die etablierten Autoritäten umso deutlicher als Feinde Jesu und letztlich der Gemeinde gezeichnet. Die eigene Delegitimation wird offenbar zurückgespiegelt, insofern nun die etab124
Vgl. EBNER, Matthäusevangelium, 139; ähnlich DUNN, Partings, 152f. Dieser holzschnittartige Entwurf kann nur erwähnen, dass in den Einzelperikopen sicherlich auch unterschiedliche Versionen von Jesustraditionen zu berücksichtigen sind, die die mt Änderungen erklären können (vgl. KONRADT, Mt, 19). 126 Vgl. KONRADT, Mt, 21. 127 LUZ, Mt I, 53 verweist auf die stilistische Prägung des Evangeliums durch die LXX, ohne allerdings diese als intendiert festzumachen. 128 Ähnlich das Fazit von CARLSTON/EVANS, Synagogue, 333–359 zum mt Schriftgebrauch: „The evanglist does this […] because he is convinced that both the Law and the Prophets have been fulfilled in the life, death, and resurrection of Jesus“ (ebd., 359). 129 Folglich ringen die Kontrahenten um dieselbe Personengruppe (vgl. KONRADT, Israel, 387), insofern die mt Gemeinde die lokalen Juden vom Christusglauben überzeugen möchte, was offenbar von pharisäischer Seite zu unterbinden versucht wird. Im Evangelium spiegelt sich dieser „Kampf“ in der Erzählfigur der ȤȜȠȚ wider (vgl. SALDARINI, Boundaries, 244f.; KONRADT, Israel, 381f. mit Verweis auf zirkulierende Gegenpropaganda Mt 12,23f.; 28,15). Ob die christusgläubige Gemeinde auch institutionell die Synagoge übernehmen wollte, darüber lässt sich nur spekulieren. Jedenfalls zielt das Angebot in die jüdische Richtung auf eine allgemeine Verständigung im Christusglauben ab (vgl. SALDARINI, Boundaries, 260). Obgleich sich der Anspruch des Mt in der Realität wohl nicht behaupten konnte, ist mit VIVIANO, Matthew, 7 davon auszugehen, dass „Matthew could not unreasonably expect his to become the majority Jewish positions“. 125
2. Eine kleine Geschichte der matthäischen Gemeinde
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lierten Autoritäten, allen voran die Pharisäer, anhand schriftgemäßer Konzeptionen – bspw. dem Bild der schlechten Hirten130 – abrogiert werden. Die mt Gegnerpolemik ist demnach auch als Radikalisierung zu verstehen, die sich in Folge der eigenen Exklusionserfahrung ausgebildet haben dürfte.131 Jenseits der Delegitimation der pharisäischen Gegner ist der mt Kreis um eine doppelte Anschlussfähigkeit bemüht: Im binnenjüdischen Diskurs soll durch den Neuentwurf des Evangeliums die „Orthodoxie“ des Christusglaubens hervortreten, welche u.a. in Jesu Anspruch gründet, die Thora letztgültig auszulegen bzw. den Gotteswillen derselben zu offenbaren. Im binnenchristlichen Diskurs insistiert der mt Kreis weiterhin auf Gesetzestreue, wenngleich diese unter das „Primat der Barmherzigkeit“132 gestellt wird, wodurch sich das „leichtere Joch“ (Mt 11,29f.; 23,4) ergibt. Diese Forderung wird im Schlagwort der „besseren Gerechtigkeit“ (Mt 5,20) gebündelt, zu welcher Juden wie Heiden aufgerufen sind.133 Insofern ähnelt das mt Anliegen dem Minimalkonsens des Aposteldekrets.134 Erst in dieser Perspektive weist sich der mt Kreis als gesetzesliberale Form des Judentums aus, die offensichtlich von gesetzeskonservativen Pharisäern in ihrer „Orthodoxie“ in Frage gestellt wurde. Unter der Voraussetzung dieser mt Gemeindesituation ergeben sich Folgen für die idealen Leser.135 Wenn durch das Mt die „Orthodoxie“ des Christusglaubens in Abgrenzung zum Mk manifest werden soll, dann handelt es sich hierbei auch um eine Expertenschrift von (christusgläubigen) Schriftgelehrten angesichts (nicht-christusgläubiger) Schriftgelehrter. Zwar ist in der historischen Kommunikationssituation kaum davon auszugehen, dass der mt Kreis sein pharisäisches Gegenüber als direkten Adressaten angesprochen hat, allerdings legt der intensive Schriftgebrauch nahe, dass diese als „virtuelle Adressaten“ im Blick sind.136 Mit Blick auf den idealen Leser werden offenbar nicht nur die Schriften Israels als bekannt vorausgesetzt, sondern auch das Mk als Kontrastfolie. Es ist hierbei allerdings nicht ausgeschlossen, 130
S.u.S. 280 Anm. 80. Es sei an dieser Stelle auf die vielfache Kritik verwiesen werden, dass hier der mt Kreis an seinem eigenen Ideal der „Feindesliebe“ gemessen werden muss und letztlich daran zu scheitern scheint (vgl. BROER, Verhältnis, 7 Anm. 11; LUZ, Mt III, 398f.). 132 Zum Begriff vgl. KONRADT, Mt, 16; zum Gemeinten vgl. DERS., Israel, 381. 133 Dementsprechend ist im Spitzensatz Mt 5,17–19 eine doppelte Front festzustellen: „Matthäus wendet sich sowohl gegen eine von christusgläubigen Zeitgenossen ausgehende Abwertung oder gar Außerkraftsetzung der Tora, und er muss sich zudem gegen die pharisäische Kritik an Jesus und seinen Nachfolgern zur Wehr setzen“ (KONRADT, Zeuge, 73; ähnlich CARLSTON/EVANS, Synagogue, 99). 134 Zu diesem vgl. ÖHLER, Geschichte, 208–210. 135 Zum implizierten resp. intendierten Leser vgl. EBNER/HEININGER, Exegese, 99– 103.106–109. 136 Dies meint, in Abgrenzung zum Begriff der intendierten Leser, dass der mt Kreis das Evangelium dergestalt ausformuliert, dass es sich in einer direkten Kommunikation mit dem pharisäischen Gegenüber als schriftgemäß behaupten könnte. 131
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I. Einleitung
dass dieser ideale Leser kein reales Pendant in der Gemeinde (oder der Gegnerschaft) hat. Die hohe Schriftexpertise mag dann in schriftgelehrter Selbstreferenzialität gründen, wobei die Tiefendimensionen erst in der Predigtpraxis vermittelt werden. Es liegt zuletzt nahe, dass der mt Kreis in der Neuformulierung des Evangeliums eine Ausstrahlkraft erhofft, die auch nicht-christusgläubige Leser von der „Orthodoxie“ des Christusglaubens überzeugen sollte, welcher sich als Erfüllung der Schriften Israels in der Geschichte Israels offenbart. Wer hierüber zur wahren Schrifterkenntnis gelangt, ist notwendigerweise bereit, den Christusglauben anzunehmen. In dieser Hinsicht kommen durch den Rückbezug auf die Schriften Israels im Evangelium Apologetik und Polemik zusammen. Auch weitgehend unabhängig von der vorgeschlagenen Gemeinderekonstruktion, ist es naheliegend, von einem Umfeld auszugehen, in welchem das Mt als schriftgelehrte Korrektur des Mk verstehbar wird. Diese ist zugleich ein „Diskursergebnis“, insofern die eigene Jesustradition und das Mk im Lichte der Schriften Israels gedeutet werden. Neben dem Schema „Erfüllung – Verheißung“ wird offenbar die schriftgemäße Rechtmäßigkeit des Christusglaubens in Konfrontation zu einem pharisäischen Gegenüber zum Ausdruck gebracht. Wenigstens ein Aspekt des Evangeliums muss daher als „Expertengespräch“ verstanden werden, sodass die pharisäischen Schriftgelehrten als „virtuelle Adressaten“ zu erwägen sind. Es steht dabei außer Frage, dass das Evangelium auch (bzw. primär) eine ekklesiologische Pointe hat, die auf innergemeindliche (Streit-)Fragen und Grundlagen zurückzuführen ist. Diese sind jedoch für das Anliegen der Arbeit von begrenztem Interesse.137 Die Konfliktpolemik ist jedenfalls Ausdruck einer bestimmten Kommunikationssituation. In dieser müssen die mt Schriftanspielungen weitgehend erkennbar („Expertengespräch“138) und in gewisser Hinsicht auch überzeugend sein („Verifizierbarkeit“). Dies bedeutet, dass die mt Schriftanspielungen einerseits – in historisch zu plausibilisierendem Maße – konkordant erfassbar sind und dementsprechend die Möglichkeit einer Schriftanspielung auch bei marginalen Textsignalen zu erwägen ist, 139 andererseits müssen Abweichungen
137
Es ist demnach an dieser Stelle der methodische Vorbehalt zu markieren, dass in der Betonung der Außenperspektive des Evangeliums, die m.E. angesichts der Konfliktlage nicht zu bestreiten ist, die Gefahr einer Überbetonung besteht. 138 Ein solcher Wettstreit um die bessere Schriftkenntnis kommt erzählstrategisch durch die Jesusfigur zum Ausdruck (vgl. Mt 12,3.5; 19,4; 21,16.42; 22,31). 139 Auf dieser Basis ist damit zu rechnen, dass der mt Kreis auf eine Vielzahl an Schriften Israels Zugriff hatte. In der Rekonstruktion wurden neben der Möglichkeit einer Synagogenbibliothek unterschiedlich stark ausgeprägte und verschiedensprachige mündliche Kenntnisse der mt Schriftgelehrten erwogen. Aufgrund der Überzeugungskraft, welche das Evangelium offenbar entfalten soll, ist eine Schriftbasis mit im Fluss befindlichen mündlichen Traditionen eine naheliegende Annahme. Welche Schriften hierfür in Frage
3. Methodische Überlegungen
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bei identifizierten Textanspielungen und etwaige Fehler eher aus dem redaktionellen Prozess erklärt werden, bevor sie als Versehen abgetan werden.140 Diese Vorzeichen führen zur Frage des methodischen Vorgehens.
3. Methodische Überlegungen 3. Methodische Überlegungen
Die Arbeit ist darauf angelegt, dass intertextuelle Spiel141 des mt Kreises am Beispiel des unschuldigen Blutes zu untersuchen und zu prüfen, welches Sinnpotenzial in dieser Referenz aufgerufen wird. Das Syntagma ĮੈȝĮ*142 + Unschuldsterminus wird dabei als Motiv verstanden,143 welches sich in verschiedenen – dem Mt zeitlich vorausliegenden – Zusammenhängen findet.144 Von dieser ersten Prämisse ausgehend ist demnach zu prüfen, ob mit diesem Motiv ein bestimmter Sinnhorizont aufgerufen wird, der sich in diesen Belegstellen niederschlägt. Hierfür ist eine synchrone Betrachtung der Stellen notwendig, die zugleich statthaft ist, da die Belege überwiegend dem Mt vorangehen. Gleichwohl erscheint es sinnvoll, das Motiv in den potenziellen kommen, bedarf einer eingehenden Untersuchung von Einzelstellen und daraus folgenden Tendenzaussagen (s.u. II.5.1.). 140 Da sich der Diskurs zwischen Pharisäern und mt Schriftgelehrten als Streit um Schriftkenntnis und das rechte Schriftverständnis darstellt, wäre jeder noch so kleine Fehler eine massive Anfrage an die Schriftkompetenz des mt Kreises. 141 Der Begriff Intertextualität als Bezeichnung eines methodischen Ansatzes ist aufgrund seiner Herkunft aus der poststrukturalistischen Theorie – geprägt durch Julia Kristeva – umstritten (vgl. ALKIER, Intertextualität, 3–10; SEILER, Intertextualität). Er kann innerhalb der Exegese mithilfe der Definition von Ulrich Broich angewendet bleiben: „Intertextualität [liegt] dann vor, wenn ein Autor bei der Abfassung seines Textes sich nicht nur der Verwendung anderer Texte bewußt ist, sondern auch vom Rezipienten erwartet, daß er diese Beziehung zwischen seinem Text und anderen Texten als vom Autor intendiert und als wichtig für das Verständnis seines Textes erkennt“ (FINNERN/RÜGGEMEIER, Methoden, 165). Unter diesen Vorzeichen ist zudem markiert, dass die Spannweite potenzieller Intertexte auf diejenigen Texte zu reduzieren ist, die sich in der mt Kommunikationssituation als Teil der kulturellen Enzyklopädie plausibilisieren lassen (vgl. ALKIER, Intertextualität, 24–26 in Aufnahme von Umberto Eco). 142 Die Erwägungen zur mt Gemeindesituation haben ergeben, dass eine Bezugnahme auf verschiedensprachige Bezugstexte, insbesondere auf den MT und die LXX, anzunehmen ist. Folglich werden die motivgeschichtlichen Untersuchungen der vorgelegten Arbeit nicht auf den griechischsprachigen Schriftbefund reduziert, sondern gleichermaßen die hebräischen Quellen (und letztlich auch äthiopische und syrische) berücksichtigt (s.u. II.). Der Asteriskus markiert, dass das jeweilige Lemma für Blut in den anderen Sprachen mitgemeint ist. 143 S.o.S. 5 Anm. 20. 144 Damit sei mit diesem Ansatz eine zentrale Differenz zu Hamilton, aber auch Döpp, angezeigt, insofern nur solche Texte als potenzielle Prätexte in Betracht gezogen werden, die das Syntagma in dieser sprachlichen Kombination aufweisen.
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I. Einleitung
Prätexten auch literaturgeschichtlich einzuordnen, um die „Stabilität“ des Motivs und damit die Plausibilität der Aufnahme des Sinnpotenzials im Mt zu eruieren. Auf dieser Basis ist die Intertextualität zwischen dem Mt und den potenziellen Prätexten eingehender zu untersuchen, wobei im engeren Sinne ein produktionsorientierter Ansatz verfolgt wird.145 Das Motiv des unschuldigen Blutes wird im Mt allerdings nicht unabhängig vom literarischen Kontext des Prätextes aufgenommen. Es ist demnach abzuwägen, welche Schriften/Belegstellen als Prätexte plausibilisiert werden können.146 Durch dieses intertextuelle Zusammenspiel mit dem Prätext ist für die mt Motivverwendung auch zu erwarten, dass sich eine Bedeutungserweiterung ausbildet, die so gut als möglich in die mt Kommunikationssituation verortet und für diese plausibilisiert werden soll. Zur methodischen Absicherung dieser intertextuellen Referenzen haben sich die sieben Kriterien von Richard Hays sedimentiert.147 Eine weiterführende Modifikation haben diese bei Sönke Finnern und Jan Rüggemeier erfahren, auf deren Basis das weitere Arbeiten methodisch grundgelegt wird. Bei ihnen werden die sieben Kategorien auf zehn erweitert und drei Hauptkategorien zugeordnet: 1. Konkretes Vorwissen, 2. Aktivierung und 3. Plausibilität.148 Dies bietet den Vorteil, dass in der ersten Hauptkategorie die zeitgeschichtlichen Voraussetzungen der Kommunikationssituation zu prüfen sind, während die zweite die konkrete Textebene in den Blick nimmt und mithilfe der dritten die Wahrscheinlichkeit einer Referenz überprüft werden kann. Von zentraler Bedeutung ist dabei das konkrete Vorwissen, insofern mit diesem zu untersuchen ist, welche Prätexte und literarischen Zusammen-
145
Vgl. EBNER/HEININGER, Exegese, 247. Mit ALKIER, Bibel, 40 ist demnach dem canonical approach soweit zuzustimmen, dass die Schriften Israels als Teil der „frühchristliche[n] Enzyklopädie“ zu verstehen sind und sich hierdurch Kontinuitäten ergeben. Demnach bilden die Schriften Israels einen ersten Anhaltspunkt für eine intertextuelle Untersuchung als potenzielles Textmaterial. Den kanonischen Texten kommt allerdings nicht als solchen eine höhere Plausibilität als Intertext zu und eine intertextuelle Untersuchung darf sich nicht auf diese Texte beschränken, sondern muss das Textmaterial des Kulturraums berücksichtigen. 147 Im Einzelnen handelt es sich hierbei um availability, volume, recurrence, thematic coherence, history of interpretation, hitorical plausibility und satisfaction (vgl. HAYS, Paul, 29–32). 148 Vgl. FINNERN/RÜGGEMEIER, Methoden, 153–166. Die zehn Kriterien werden wie folgt zugeordnet: 1.a. Hörbarkeit/availability; 1.b. Lautstärke/volume; 2.a wörtliche Nähe/volume; 2.b Häufigkeit/recurrence; 2.c priming/Prägung; 2.d Metakommunikativer Hinweis; 3.a thematische Plausibilität/thematic coherence; 3.b autorbezogene Plausibilität/historical plausibility; 3.c rezipientenorientierte Plausibilität/history of interpretation; 3.d Sinnplausibilität/satisfaction. 146
3. Methodische Überlegungen
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hänge sich für das Mt besonders nahelegen.149 Dabei ist zu beachten, dass das Judentum der Zeitenwende keinen abgeschlossenen Kanon kennt. Gleichwohl lässt sich für die Schriften Israels eine gewisse Normativität behaupten.150 Diese gilt zunächst nur einzelnen Schriften,151 welchen im jeweiligen Kommunikationsraum autoritative Funktion zukommt.152 Dieses konkrete Vorwissen bildet sodann die Grundlage, auf welcher die Aktivierungen zu untersuchen sind. Es ist dabei nicht ausgeschlossen, dass verschiedene Textsignale unterschiedliche Prätexte aktivieren.153 Es ist daher zu prüfen, ob die 149 Mit den Worten von Finnern/Rüggemeier geht es folglich darum, welche Schriften, die das Motiv bezeugen, als „VIP-Texte“ gelten können und ob der/die Sinnhorizont/e des Motivs als „VIP-Schemata“ plausibel ist/sind (FINNERN/RÜGGEMEIER, Methoden, 154). 150 Besonders deutlich wird dies in der normativen Bezugnahme auf diese Schriften, wie dies vielfach in Pseudepigraphien, aber auch dem NT bezeugt ist. Mit KRATZ, Israel, 278 kann dieses Phänomen dem „biblischen Judentum“ zugeordnet, also denjenigen jüdischen Kreisen, deren Lebensweise durch den Rückbezug auf diese Schriften normiert wird. Dieses setzt sich seit der Makkabäer- bzw. Hasmonäerzeit kontinuierlich durch. 151 Es daher zu differenzieren zwischen der Autorität, die einer Schrift per Zugehörigkeit zum Kanon zukommt, und solcher, die im intensiven Gebrauch erkennbar wird. Letzteres geht Ersterem voraus (vgl. SCHOEPFLIN, Kanon, 2), wobei der intensive Gebrauch nicht notwendiger Weise zu deren Kanonisierung führt. Dementsprechend ist vor der Kanonisierung mit unterschiedlichen Korpora normativer Schriften in den jeweiligen Kommunikationsräumen zu rechnen, wobei hierbei partielle Überschneidungen zu erwarten sind. Wenn demnach eine Schrift in mehreren Kommunikationsräumen präsent ist, kann eine Kenntnis, womöglich gar eine allgemeingültigere Autorität, in den verschiedenen Spielarten des biblischen Judentums postuliert werden. Für den mt Kontext legt sich aufgrund der erkennbaren Zitate zunächst das Korpus der Schriften Israels als normative Größe nahe. Allerdings darf deren spätere Kanonisierung kein Kriterium darstellen, um andere zeitgenössische Schriften auszuschließen, weshalb das gesamte Korpus der frühjüdischen Schriften auf sein intertextuelles Potenzial zu prüfen ist. 152 Vgl. STÖKL BEN EZRA, Qumran, 188: „Zuletzt ist Autorität immer relativ auf eine Gruppe bezogen. Man kann nicht von der Autorität der Quellen eines Autors auf die Autorität der gleichen Quelle für einen anderen Autor schließen oder, rezeptionsgeschichtlich gedacht, von den Heiligen Schriften einer Lesergruppe auf die einer anderen […].“ 153 In der Darstellung wird häufig auf auditive Metaphern zurückgegriffen (vgl. HAMILTON, Death, 19 „Matthew […] operates […] not only with ‚echoes of scripture‘ but in an echo chamber“). Das Bild einer solchen Echokammer verdeutlicht treffend, dass sich der mt Kreis in einem Klangraum bewegt, der zu begrenzen ist, insofern nicht jedes erkennbare Echo dieselbe Plausibilität besitzt (vgl. REIS, Areopagus, 266). Mit Blick auf die wörtliche Nähe ist daher gewisse Vorsicht geboten, da einerseits die postulierte Expertise des mt Kreises ein hohes Zutrauen in die Wahrnehmung selbst kleinster Anspielungen in Kombination mit dem unschuldigen Blut ermöglicht, andererseits aber die heutige Hilfestellung gedruckter und elektronischer Konkordanzen den Blick auf die Materialfülle verzerrt (vgl. FINNERN/RÜGGEMEIER, Methoden, 160). Zur formalen Absicherung hat PORTER, Tradition, 35 vorgeschlagen, dass drei signifikante Worte in gleicher Reihenfolge ein hinreichendes Kriterium für eine intertextuelle Abhängigkeit darstellen. Für die Anwendbarkeit auf das unschuldige Blut gilt jedoch, dass etwaige Varianten des Unschuldsterminus zu berücksichtigen sind und die bloße Beistellung eines weiteren Wortes
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I. Einleitung
verschiedenen Prätexte des Motivs im intertextuellen Zusammenspiel jeweils dieselbe Bedeutungserweiterung im Mt erzeugen. 154 Diesen Aspekt gilt es nicht nur hinsichtlich der Einzeluntersuchung der mt Belegstellen zu berücksichtigen, sondern er muss abschließend auch in intratextueller Hinsicht untersucht und für das Gesamtgefüge des Evangeliums plausibilisiert werden. Demnach ist zu eruieren, ob die jeweilige intertextuelle Motivaufnahme im selben Sinnhorizont angesiedelt ist und ob bzw. welche evangelische Gesamtperspektive damit zum Ausdruck gebracht wird. Aufgrund dieser Zielperspektive ist es bereits für die Einzeluntersuchung notwendig, nicht nur die intertextuellen Referenzen zu erarbeiten, sondern auch den narrativen Zusammenhang wahrzunehmen, in welchen das Motiv eingebunden ist. Daher bedarf es der pointierten Aufnahme eines weiteren methodischen Vorgehens, das der narratologischen Analyse. Eine Betrachtung des Motivs unter narratologischen Vorzeichen ist aus zweierlei Umständen gefordert. Zum einen handelt es sich bei dem Motiv um ein mt Proprium, sodass in der Aufnahme desselben das redaktionelle Handeln des mt Kreises zum Ausdruck kommt. Dementsprechend aufschlussreich ist die Analyse des literarischen Zusammenhangs. Zum anderen fällt auf, dass das Motiv stets im Kontext einer direkten Rede verwendet wird und damit als Aussage einer geprägten Erzählfigur (Jesus, Judas, Pilatus). Durch die Figurenanalyse155 und die Charakterisierung der Erzählfiguren156 lassen sich Erkenntnisse über die Erzählstrategie gewinnen, 157 die sich insbesondere auf nur bedingt signifikant erscheint. Es ist daher hilfreich, Cluster wahrzunehmen. Dies gilt sowohl in formaler Hinsicht (je öfter eine bestimmte Referenzstelle unter verschiedenen Vorzeichen und Wortfeldkombinationen als Ergebnis erscheint, desto wahrscheinlicher ist die Referenz) als auch mit Blick auf die thematische Plausibilität. Mit Letzterem ist demnach bereits die dritte Hauptkategorie aufgegriffen, wonach zu prüfen ist, ob die intertextuelle Referenz auch jenseits der literarischen Signifikanz einen inhaltlichen Mehrwert entfaltet (vgl. FINNERN/RÜGGEMEIER, Methoden, 155). 154 Es wird zu zeigen sein, dass der mt Kreis die Einzelbelege des Motivs des unschuldigen Blutes in einen Erzählzusammenhang einspannt, der auf mehrere Intertexte anspielt. Daher ist es kaum möglich diese spezifischen intertextuellen Spiele formal auf den mt Rückgriff auf die Schriften zu untersuchen, wofür exemplarisch die vier Kategorien bei ZIETHE, Namen, 28–30 genannt seien (1. autorisierend/legitimierend; 2. reakzentuierend; 3. transformativ; 4. negierend). Es ist eher davon auszugehen, dass in den zu untersuchenden Perikopen eine kreative Zusammenstellung von Anspielungen auf verschiedene Prätexte erfolgt, die für den konkreten Erzählzusammenhang relevant und ggf. auf das Motiv hin geordnet sind. Der mt Schriftgebrauch lässt sich daher nicht eigenständig von der Betrachtung des Motivs abkoppeln und sollte von der jeweiligen Pragmatik des unschuldigen Blutes aus betrachtet werden. 155 Vgl. FINNERN/RÜGGEMEIER, Methoden, 195–210. 156 Vgl. EBNER/HEININGER, Exegese, 87–91. 157 Gerade für die mt Figuren kann sodann der synoptische Vergleich weitere Erkenntnisse liefern, welcher allgemeine Tendenzen und charakteristische Differenzen hervortreten lässt. Dieser Ansatz findet sich bei GIELEN, Passionserzählung, 10, die „die
4. Perikopenauswahl und Vorgehen
37
die Figurenkonstellationen und deren Frontstellungen beziehen. Der Gebrauch des Motivs auf der Figurenebene lässt folglich auch Rückschlüsse auf die Intention und Pragmatik des Motivs in der Kommunikationssituation des mt Kreises zu. Dieses Verfahren ist sodann für den Motivgebrauch in den Prätexten anzuwenden. Entsprechend gilt es auch hier, in ausgewählten Fällen, den literarischen Zusammenhang des Motivs zu untersuchen und im Falle einer Rückbindung des Motivs eine Figurenanalyse vorzunehmen. Insgesamt wird allerdings keine umfangreiche narratologische Aufarbeitung des Evangeliums angestrebt, sondern eine gezielte Auswahl einzelner Analyseschritte zur Erweiterung des Methodenkanons vorgenommen, wobei neben der Figurenanalyse die Handlungsanalyse herangezogen wird.158 Obgleich im Allgemeinen anzunehmen ist, dass Erzählfiguren auf der Ebene der Rezipienten Identifikationsflächen anbieten, stellt sich die Frage, ob dies in den spezifischen Fällen des Judas und Pilatus der Fall ist. In der postulierten Kommunikationssituation scheinen diese eher paradigmatische Projektionsflächen darzustellen. Dementsprechend ist neben der narrativen Einbettung der Figuren die Erzählperspektive zu berücksichtigen,159 welche abermals mit Blick auf die Pragmatik in der Kommunikationssituation relevant ist.
4. Perikopenauswahl und Vorgehen 4. Perikopenauswahl und Vorgehen
Die Auswahl der zu untersuchenden Perikopen im Mt ist weitgehend selbstevident. Ausgehend von der Bestimmung des Motivs des unschuldigen Blutes als syntagmatische Zusammenstellung von ĮੈȝĮ mit einem Unschuldsterminus, treten zuvorderst die Belege Mt 23,35 (ĮੈȝĮ įțĮȚȠȞ) und Mt 27,4 (ĮੈȝĮ ਕșȠȞ) und deren unmittelbare literarische Zusammenhänge hervor. Im ersten Fall ist dies der siebte Wehruf (Mt 23,29–39) als Teil der Wehrufrede (Mt 23,13–24,2), im zweiten das Schicksal der 30 Silberlinge (Mt 27,3–10). Weiterhin ist die Unschuldsdeklaration des Pilatus und der Blutruf des Volkes einzubeziehen, insofern das Blut Jesu durch Mt 27,19 implizit als das eines Gerechten (įțĮȚȠȢ) bestimmt ist160 und die Assoziation durch die Unschuldsaussage des Pilatus (ਕșંȢ İੁȝȚ ਕʌઁ IJȠ૨ ĮȝĮIJȠȢ IJȠIJȠȣ) intensiviert wird. Dementsprechend ist auch der Prozess Jesu vor Pilatus (Mt 27,11–26) in die Analyse einzubeziehen. Diese naheliegende, aber im Vergleich mit den Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den Passionserzählungen der vier Evangelien unter primär literarischer wie theologischer Perspektive“ herausarbeiten möchte. 158 Zu dieser vgl. FINNERN/RÜGGEMEIER, Methoden, 211–227. 159 Zu dieser vgl. FINNERN/RÜGGEMEIER, Methoden, 177–194. 160 In textkritischer Hinsicht ist anzumerken, dass einzelne Handschriften für Mt 27,24 eine Zusammenstellung von ĮੈȝĮ mit įțĮȚȠȢ bezeugen, sodass in diesen Texttraditionen das Verständnis des Blutes als unschuldiges Blut eindeutig bezeugt ist (Näheres s.u.S. 222 Anm. 139).
38
I. Einleitung
beiden anderen Belegen nicht im vergleichbaren Maße verifizierbare, Identifikation des Blutes Jesu als unschuldiges Blut ermöglicht, einen weiteren Beleg von ĮੈȝĮ,161 welcher sich ebenfalls auf Jesus bezieht (Mt 26,28), in der Untersuchung zu berücksichtigen. Dementsprechend ist auch die Abendmahlsperikope (Mt 26,26–29) in den Blick zu nehmen. 162 In der Zusammenstellung der Perikopen fällt auf, dass sich diese durchweg am Todesgeschick Jesu abarbeiten, was angesichts der Thematik nur bedingt überrascht.163 Dies evoziert jedoch die Frage, ob durch das Motiv des unschuldigen Blutes eine Deutung des Todes Jesu implementiert werden soll und sich alle Perikopen gegenseitig erschließen. Unter diesen Vorzeichen erklärt sich der Aufbau der Arbeit. Zunächst ist nach dem motivgeschichtlichen Hintergrund des unschuldigen Blutes zu fragen, weshalb im Näheren überprüft wird, ob das Motiv in den Schriften Israels und den weiteren frühjüdischen Belegstellen an einem festen
161
Der einzige weitere Blutbeleg, die Zusammenstellung ıȡȟ țĮ ĮੈȝĮ (Mt 16,17), dürfte als Ausdruck der „rein menschliche(n) Sphäre“ nicht signifikant sein (vgl. KONRADT, Mt, 261 mit Verweis auf Sir 14,18; 17,31; 1Kor 15,50; Gal 1,16; Eph 6,12; Hebr 2,14). Darüber hinaus ist auffällig, dass der mt Kreis bei der Heilung der blutflüssigen Frau in der Symptombeschreibung ĮੈȝĮ (+ ૧ıȚȢ/ʌȘȖ; vgl. Mk 5,25.29; Lk 8,43f.) durch ĮੂȝȠȡȡȠȠ૨ıĮ (Mt 9,20) ersetzt. Die Verwendung von ĮੈȝĮ ist im Mt folglich in besonderer Weise kodiert. 162 Der Einbezug legt sich darüber hinaus durch die intratextuelle Verschränkung zwischen Mt 23,35 und Mt 26,28 nahe, welche durch ĮੈȝĮ […] ਥțȤȣȞȞંȝİȞȠȞ erzeugt wird. Darüber hinaus ist der Einbezug, wie oben unter I.1.2. markiert, durch den dritten forschungsgeschichtlichen Zugang notwendig. 163 Die zuvor skizzierte Engführung des Begriffs ĮੈȝĮ auf die Jesusfigur (s.o. bei Anm. 161; ferner bei Anm. 12–16) lässt sich angesichts weiterer Tötungserzählungen, die ohne Blutnennung auskommen, nochmals unterstreichen. Während im Falle von Johannes dem Täufer (Mt 14,14–29; parr. Mk 6,14–29; Lk 3,19f.; 9,7–9) und den beiden Botengleichnissen (Mt 21,33–45; 22,1–14; parr. Mk 12,1–12; Lk 20,9–19; 14,15–24) der Blutbegriff bereits in den jeweiligen Vorlagen fehlt, bleibt der Nichtgebrauch in Mt 2,16– 18 auffällig. Dies gilt auch dahingehend, dass diverse Textsignale auf eine intratextuelle Verschränkung dieser Erzählung mit Mt 23,35; 27,3–10.24f. deuten. Es wäre daher zu erwägen, ob hier in einer erzählerischen Entfaltung das Vergießen unschuldigen Blutes mitzudenken ist (vgl. HAMILTON, Death, 37–41). Diese Annahme gewinnt zudem durch rezeptionsgeschichtliche Entwicklungen an Plausibilität, insofern der 28. Dezember als Tag der unschuldigen (!) Kinder memoriert wird (vgl. BIERITZ, Kirchenjahr, 140). Die Verzahnung mit der Passion lässt darauf schließen, dass hierdurch bereits paradigmatisch auf das Todesgeschick Jesu angespielt wird, welches durch die etablierten Autoritäten verfügt wird und in letzter Konsequenz auch negative Folgen für das ganze Volk haben wird (vgl. KONRADT, Mt, 44f.). Zwar führen die intratextuellen Referenzen zu denselben Erzählkomplexen, die auch für das unschuldige Blut geltend gemacht werden, gleichwohl ist eine eingehende exegetische Untersuchung aufgrund des fehlenden terminologischen Befunds auszuschließen.
4. Perikopenauswahl und Vorgehen
39
„literarischen Ort“164 zu stehen kommt und welche Leitlinien sich für die Interpretation desselben im Mt aus dem Gebrauch in den potenziellen Prätexten des Evangeliums ergeben (II.). Auf dieser Basis folgen im Anschluss die einzelexegetischen Untersuchungen der entsprechenden Perikopen, wobei sich aus dem motivgeschichtlichen Ergebnis nahelegt, Mt 27,3–10 zum Ausgangspunkt des mt Gebrauchs zu bestimmen (III.). Im Fortgang wird der Gebrauch des Motivs innerhalb der Passionserzählung mit Mt 27,24f. angeschlossen (IV.), sodass abschließend die beiden Perikopen Mt 23,29– 24,2 und Mt 26,26–29 unter dem Vorzeichen der intratextuellen Referenz ĮੈȝĮ […] ਥțȤȣȞȞંȝİȞȠȞ gemeinsam behandelt werden (V.). Die exegetische Untersuchung mündet in einem Resümee des mt Gebrauchs von ĮੈȝĮ (VI.), ehe im Epilog eine hermeneutische Reflexion der Problematik des Motivs resp. der Perikopen hinsichtlich ihrer antijüdischen Rezeptionsgeschichte Rechnung tragen soll (VII.).
164 Mit dem „literarischen Ort“ ist diejenige Stelle in einem erzählerischen Zusammenhang markiert, an welcher das Motiv gebraucht wird.
II.
Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes und potenzielle Leitlinien für eine Interpretation desselben im Matthäusevangelium 1. Sprachlicher Befund 1. Sprachlicher Befund
Das Motiv des unschuldigen Blutes findet sich überwiegend in jüdisch geprägten Schriften1 und lässt sich daher in seinem Ursprung auf das hebräische Syntagma ʩʷʰʭʣ zurückführen.2 Dieses wird in der griechischen Septuaginta (LXX) häufig, aber nicht durchweg mit dem Ausdruck ĮੈȝĮ ਕșȠȞ wiedergegeben.3 Eine erste Übersetzungsvariante, die keine Bedeutungsdifferenz erkennen lässt, ist ĮੈȝĮ ਕȞĮIJȚȠȞ (Dtn 19,10.13; 21,8f.).4 Eine weitere Variante ist durch Jo 4,19; Jon 1,14 und Spr 6,17 vorgegeben, welche (ʠ)ʩʷʰ mit įțĮȚȠȞ
1 Außerhalb des Sprachraums der Schriften Israels und von diesen beeinflussten Schriften scheint der Ausdruck im relevanten Kulturraum kaum belegt zu sein. Nach Auskunft der Library of Latin Texts – Series A entfallen elf der insgesamt 16 Belege der Periode „Antiquitas“, die sanguis mit innocentium aufweisen, auf Schriften Ciceros, wovon allein acht den Reden gegen Verres entstammen. Darüber hinaus ist die Zusammenstellung lediglich bei Tacitus, De Vita Iulii Agricolae, 45 signifikant. Insgesamt deutet dies eher auf autorenspezifischen und situativen Sprachgebrauch, der zudem kaum Nachklang erfahren hat, sodass diese Belege ausgeschieden werden können. 2 Vgl. Dtn 19,10.13; 21,8.9 (=11QT 63,7f.); 27,25; 1Sam 19,5; 2Kön 21,16; 24,4 [2mal]; Jes 59,7; Jer 2,34; 7,6; 19,4; 22,3.17; 26,15; Jo 4,19; Jon 1,14; Ps 94,21; 106,38; Spr 6,17 (Auflistung nach WARMUTH, ThWAT V, 593). 3 Vgl. Dtn 27,25; 1Sam 19,5; 2Kön 21,16; 24,4; Jer 2,34; 7,6; 19,4; 22,3.17; 33,15LXX; Ps 93,21LXX; 105,38LXX. Jes 59,7 ist der einzige Beleg von ʩʷʰ ʭʣ, welcher in der LXX lediglich ĮੈȝĮ wiedergibt. Zudem finden sich in der LXX weitere Belege für ĮੈȝĮ ਕșȠȞ: 1Sam 25,26.31; 1Kön 2,5; 2Chr 36,5dLXX (= 2Kön 24,3f.). Darüber hinaus findet sich das Motiv in genuin griechischen Texten (Est 8,12eLXX; 1Makk 1,37; 2Makk 1,8). 4 Unabhängig von einer hebräischen Grundlage erscheint die Formel in SusTh 62 (vgl. SusLXX 60). Eine thematische Nähe von ਕȞĮIJȚȠȢ und „gewaltsamer Tötung“ liegt zudem in 4Makk 12,14; Sib IV 136 und vereinzelt bei Josephus (Flav.Jos.Bell. IV 118[.543]; V 104.355) vor. Der einzige griechische pagane Beleg für das skizzierte Wortfeld, macht sich ebenfalls an ਕȞĮIJȚȠȢ fest (Eurip. Hercules, 1161). Da die übrige Stichwortsuche zu ĮੈȝĮ + įțĮȚȠȢ und ĮੈȝĮ + ਕșȠȢ im Thesaurus Linguae Graece zu einem negativen Ergebnis kommt, kann die pagane Literatur in dieser Untersuchung ausgeklammert werden.
42
II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
wiedergibt.5 Über die Textkorpora des Masoretischen Textes (MT) und der LXX hinaus lassen sich im frühjüdischen Schrifttum weitere Belegstellen finden: ĮੈȝĮ ਕșȠȞ in TestSeb 2,2; TestLev 16,3; Philo spec. I 204; 2Bar 64,2 (syrisch),6 ĮੈȝĮ įțĮȚȠȞ könnte in 1Hen 47 erwogen werden.7 Singulär ist das Motiv inschriftlich mit IJઁ ĮੈȝĮ IJઁ ਕȞĮIJȚȠȞ in CIJ 725 (= IJO Ach70–71)
Dieser Ausdruck findet sich ferner in Klgl 4,13LXX als wörtliche Übersetzung vonʭʣ ʭʩʷʩʣʶ. Eine Verwendung beider Termini im unmittelbaren Zusammenhang findet sich bei Flav.Jos.Ant. X 38, wobei es sich hierbei um eine Erzählvariante von 2Kön 21,16; 24,3f. handelt. Zu nennen ist auch Sib III 312. Als lateinischen Textzeugen für diese Motivvariante kann auf LibAnt 62,5 mit sanguine iustum verwiesen werden. 6 Vgl. KONRADT, Israel, 162f. Anm. 351. Analog zu den äthiopischen Texten (s.u. Anm. 7) erschließt sich der Beleg der syrischen Baruchapokalypse dem Verfasser erst mit Rückgriff auf eine Übersetzung (vgl. KLIJN, 2Bar). Mithilfe der CD-Beigabe bei SOKOLOFF/BROCKELMANN, Lexicon lässt sich aus dem Textbestand (vgl. GURTNER, 2Bar, 106) (blood; vgl. SOKOLOFF/BROCKELdas Syntagma ¾ÙÜ ¾â erheben, welches aus ¾â ª ¬ MANN, Lexicon, 307) + ¾Ùܧ (innocent; vgl. ebd., 381; hier wird zudem auf Mt 27,4 verwiesen) gebildet ist. Nach Angaben der Konkordanz bei GURTNER, 2Bar, 164 bleibt ¾ÙÜ in 2Bar singulär; weitere Belege von ¾â finden sich – mit Hilfestellung der deutschen Übersetzung – in 2Bar 48,37; 56,6; 61,2; 73,4. 7 Der Einbezug des äthiopischen Henochbuches sowie des Jubiläenbuches gestaltet sich insgesamt schwierig, da beide Texte nur im Äthiopischen vollständig überliefert sind. Gleichwohl sind einzelne Abschnitte im Griechischen resp. Hebräischen überliefert, sodass von diesen Stellen aus die für diese Untersuchung relevanten äthiopischen Termini bestimmt werden können. Ausgehend von 4Q219 ii, welches mit Jub 21,14–16.18–22,1 identifiziert wird und ʭʣʪʴˇ bezeugt (vgl. GARCÍA MARTÍNEZ, SE 1, 466f.), lassen sich Û (Blut) und ½¶ (vergießen) als Lexeme festhalten (vgl. DILLMANN, Jub, 77f.), was sodann lexikalisch überprüfbar ist (vgl. DILLMANN/MUNZINGER, Lexicon, 868f.1085 [vgl. zudem die hilfreiche Online-Ausgabe: https://www.tau.ac.il/~hacohen/Lexicon.html; aufgerufen am 14.06.2019]). Dieser Wortgebrauch lässt sich via 1Hen 9,7 sowohl für den Sprachgebrauch in 1Hen nachweisen als auch als Übersetzung des griechischen ĮੈȝĮ + ਥțȤȦ/ਥțȤȞȞȦ postulieren. Von 1Hen 1,1 aus lässt sich für įțĮȚȠȢ im Äthiopischen die Übersetzung mit ĠàB (gerecht) festhalten (vgl. ebd., 1311–1313). Anhand der textkritischen Variante in Jub 7,23 (s.o.S. 9 Anm. 41) lässt sich Ģ (unschuldig) als Äquivalent von ਕșȠȢ postulieren (vgl. VANDERKAM, Jub I, 46; DILLMANN/MUNZINGER, Lexicon, 698f.). Von dieser Basis ausgehend und unter dem Postulat eines einheitlichen Sprachgebrauchs der äthiopischen Übersetzung, die darüber hinaus auf die Übersetzungsvorlage durchlässig ist, können nun – mithilfe deutscher Übersetzungen (vgl. BERGER, Jub; UHLIG, 1Hen) – näherungsweise Belegstellen herausgearbeitet und diese auf die herausgearbeiteten Termini hin geprüft werden. Sofern diese Näherung statthaft ist, lassen sich 1Hen 47,1f.4. als Belegstellen für ĮੈȝĮ įțĮȚȠȞ benennen. Es ist allerdings fraglich, ob 1Hen 47 als traditionsgeschichtlicher Hintergrund fruchtbar gemacht werden kann, da dies als Teil der zweiten Bildrede nur schwer datierbar ist. Im Gegensatz zu anderen Passagen wurden von den Bildreden (1Hen 37–71) keine Fragmente in Qumran gefunden, sodass für die Datierung nur näherungsweise die „römische Zeit“ konsensfähig erscheint (vgl. WOSCHITZ, Parabiblica, 614; ähnlich SIEGERT, Einleitung, 215 mit skeptischen Notizen zur Frühdatierung bei UHLIG, 1Hen, 574f.). 5
43
1. Sprachlicher Befund
bezeugt.8 Dieser Befund macht es notwendig, den traditionsgeschichtlichen Hintergrund des Motivs des unschuldigen Blutes in seiner ganzen Bandbreite wahrzunehmen. Ein solcher Ansatz legt sich auch durch den formelartigen Gebrauch desselben bei synonymer Verwendung der beiden Unschuldstermini ਕșȠȞ und įțĮȚȠȞ im Mt nahe.9 Daher sollten diese in ihrem gemeinsamen Rückbezug auf die Formel ʩʷʰʭʣ zusammengelesen werden, weshalb in einer intertextuellen Untersuchung nicht allein die griechischen Belegstellen zu bedenken sind, sondern gleichermaßen die hebräischen. Daraus ergeben sich durch die beiden Hauptsprachen, die für eine solche Untersuchung in Frage kommen, und die unterschiedlichen formelhaften Wortfeldkombinationen „verschiedene“ Vers-Korpora, welche als potenzielle Intertexte herangezogen werden können. Schematisiert seien diese Verse einander gegenübergestellt: ʩʷʰʭʣ
ĮੈȝĮ ਕșȠȞ
Dtn 19,10.13 Dtn 21,8.9 (= 11QT 63,7f.)
–
ʭʰʧ
–
ਕȞĮIJȚȠȞ ਕȞĮIJȚȠȞ – Dtn 27,25 1Sam 19,5 1Sam 25,26 1Sam 25,31 2Kön 21,16 2Kön 24,4 2Chr 36,5dLXX Est 8,12eLXX SusTh 62 (ਕȞĮIJȚȠȞ) 1Makk 1,37 2Makk 1,8
– – – –
Spr 6,17
8
Ps 94(93),21 Ps 106(105),38 įțĮȚȠȞ
ʩʷʰʭʣ
ĮੈȝĮ ਕșȠȞ
Jo 4,19 Jon 1,14
įțĮȚȠȞ įțĮȚȠȞ
Jes 59,7 (Jer 2,34)
Klgl 4,13 (ʭʩʷʩʣʶʭʣ) – – ? – – –
– – Jer 7,6 Jer 19,4 Jer 22,3.17 Jer 26(33),15 įțĮȚȠȞ TestLev 16,3 TestSeb 2,2 (1Hen 47,1f.4) Philo spec. I 204
(2Bar 64,4) CIJ 725 (ਕȞĮIJȚȠȞ)
Die 1834 gefundenen (vgl. VAN DER HORST/NEWMAN, Prayers, 137) und bereits bei DEISSMANN, Licht, 351–362 als „Rachegebete von Rheneia“ aufgeführten Inschriften blieben trotz der auffälligen Adaption des Motivs in der Forschungsgeschichte unberücksichtigt. Es erscheint dabei in zweierlei Varianten (Zählung nach IJO): IJઁ ਕȞĮIJȚȠȞ ĮੈȝĮ (Ach70 recto Z.6; verso Z.8f.; Ach71 Z.6f.) und IJઁ ĮੈȝĮ IJઁ ਕȞĮIJȚȠȞ (Ach70 verso Z.12f.; verso Z.17f.; Ach71 Z.13). Ich habe Michael Hölscher zu danken, der mich auf diese Inschrift aufmerksam gemacht hat. 9 Zur Austauschbarkeit von įțĮȚȠȢ und ਕșȠȢ vgl. HAMILTON, Death, 32 Anm. 1 mit Verweis auf Ex 23,7; Ps 94,21.
44
II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
Dieser Befund erschwert eine Systematisierung der potenziellen Intertexte. Zentral ist dabei die Frage, ob und bis zu welchem Grad der formelhafte Gebrauch der verschiedenen Termini einen bestimmten bzw. einheitlichen Verwendungszweck nahelegt. Lässt sich für den Ausdruck unschuldiges Blut, trotz der verschiedenen Zusammenstellungen und der unterschiedlichen sprachlichen Adaptionen, ein in sich kohärenter Bedeutungsgehalt annehmen, der in das Mt einzutragen ist? Je nach Einschätzung der literaturgeschichtlichen Stabilität des Motivgebrauchs ergibt sich das Postulat, dass die hebräische Wortkombination einen „stehenden Begriff“ darstellt, der eine bestimmte Gedankenwelt repräsentiert, die sich sprachlich in der Formel manifestiert. Davon ausgehend ist demnach zu prüfen, ob die verschiedenen Belegstellen mit derselben oder einer ähnlichen Gedankenwelt operieren oder signifikante Differenzen festzustellen sind. Sollte sich sowohl eine gewisse Kontinuität als auch Kohärenz feststellen lassen, so ist davon auszugehen, dass auch für das Mt diese Gedankenwelt anzunehmen ist und das Motiv als Ausdruck derselben bewusst aufgenommen und integriert wurde. Exkurs 1: Zum Begriff ʭʣ
Exkurs 1: Zum Begriff ʭʣ
Vor der Betrachtung des unschuldigen Blutes sind wenige Notizen zum Grundbegriff Blut angebracht. Allgemein kann festgehalten werden, dass sich das in den Schriften Israels zum Ausdruck kommende Verständnis von Blut aus der Lebenswirklichkeit speist.10 Als „besonderer Saft“ geht auch der enzyklopädische Gebrauch von ʭʣ über die bloße Benennung der Flüssigkeit hinaus.11 Einerseits finden sich Aussagen, worin Blut synonym zu Leben steht (Lev 17,11.14; ähnlich Dtn 12,23). Andererseits ist hierdurch ein besonderer Umgang mit der Substanz gefordert, die wohl auf der Erfahrung basiert, dass Blutverlust Lebensminderung darstellt. In der biblischen Welt manifestiert sich dies zum einen im Verbot des Blutgenusses,12 zum anderen in dem Ausdruck ʭʣ ʪʴˇ, der als Kurzformel für eine gewaltsame Tötung zu verstehen ist.13 Dass Blut damit dialektisch sowohl für Leben als auch für Tod stehen kann, mag die Vorstellung evoziert haben, dass dem Blut „eine immaterielle Kraft inhärent“ sei, die gewissermaßen als „beseelt“ verstanden wird.14 Für unseren Kontext ist entscheidend, dass – unter bestimmten Voraussetzungen – Blut auch nach dem Tod einer Person „existieren“ kann
10 11
Vgl. BÖCHER, Blut, 729; FREVEL, Blut, 123f. Vgl. insbesondere die Übersicht bei BERGMAN/KEDAR-KOPFSTEIN, ThWAT II, 254–
260. 12
Belegstellen s.u.S. 329 Anm. 319. Vgl. EBERHART, Blut, 1; ähnlich CHRIST, Blutvergiessen, 18. Weitergehende Ausführungen zur Formel ʭʣʪʴˇ s.u. V.1.2. 14 ERBELE-KÜSTER, Blutschuld, 1. 13
Exkurs 1: Zum Begriff ʭʣ
45
und zwar unter dem Paradigma der Blutschuld.15 Eine solche Eigenwirksamkeit des Blutes wird als „schicksalswirkende Tatsphäre“ bzw. „Blutsphäre“ umschrieben,16 wobei dahinter die Vorstellung steht, dass das gewaltsam vergossene Blut seinen Verursacher heimsucht.17 Diese Vorstellung ist in ein „Symbolsystem von Befleckung und Reinigung“ einzuordnen, wonach das vergossene Blut nicht nur sichtbar, sondern als immaterielle Sphäre am Täter haften bleibt.18 Blut kann verschiedenes verunreinigen: die eigene Hand (Jes 1,15; Ez 23,37.45) oder Kleidung (1Kön 2,5), das Land (Num 35,33) oder das ganze Volk (Dtn 19,10; 21,8).19 Deutlich zeigt sich eine Vorstellung, wonach das vergossene Blut als Besudelung am Täter haften bleibt,20 was sich durch Suffix-komposition mit ʡ oder ʬʲ zeigt.21 Der Vorstellungshorizont ist jedoch noch weiter auszudifferenzieren, je nachdem wessen Blut gemeint ist. So finden sich Formulierungen, in denen das Blut des Getöteten rächend auf den Täter zurückfällt, sowie solche, in
15
Dieser Zusammenhang schlägt sich auch sprachlich nieder, insofern Blutschuld im Hebräischen ebenfalls mit ʭʣ, überwiegend im Plural, formuliert wird (vgl. ERBELEKÜSTER, Blutschuld, 1). 16 Vgl. KOCH, Spruch, 405. 17 Die bisherige Ausführung, aber auch ihre sprachliche Darstellung, ist durch ihre „animistische“ Konnotation zu kritisieren. Es soll keinesfalls behauptet werden, dass hier eine Vorstellung vorliegt, die das Blut als „Person“ versteht, die sich nach der gewaltsamen Tötung erhebt und rächend ihr Opfer sucht. Ehe in diese Vorstellung die Annahme einer animistisch (und damit polemisch primitiven) Weltsicht eingetragen wird, sollte das Hebräische an sich, aber auch die daraus folgenden Ausführungen metaphorisch verstanden bleiben. Allerdings muss konstatiert werden, dass in der Vorstellung der Blutschuld eine gewisse Eigenwirksamkeit des Blutes zum Ausdruck kommt (vgl. DIETRICH, Schuld, 196–226.). 18 ERBELE-KÜSTER, Blutschuld, 1. Auch in anderen Kontexten, insbesondere der Menstruation, operiert Blut im rein-unrein-Schema (vgl. SALS, Blut, 77f.; ähnlich FREVEL, Blut, 124). 19 BRANDSCHEIDT, Blutrache, 2.2. 20 Vgl. KOCH, Spruch, 406: „Die Bedeutung ‚Blutschuld‘ stellt eine moderne, wenn auch sinngemässe, Abstraktion dar; der Israelit denkt sehr viel konkreter: bei einem Mord oder Totschlag übertragt sich mehr unsichtbar als sichtbar das Blut des Getöteten auf den Täter und seine Umgebung, wer aber solch fremdes Blut an sich trägt, ist dem Verderben geweiht.“ Ferner HARTENSTEIN, Bedeutung, 123, der im Anschluss an Paul Ricœur die Mehrfachbedeutung religiöser Symbolik am Beispiel der Verunreinigung aufzeigt: „Die Symbolik der ‚Befleckung‘ und der ‚Reinigung‘ […] ist nie nur physisch oder nur ethisch“ (Hervorhebung im Original). 21 Vgl. ERBELE-KÜSTER, Blutschuld, 1. Hier gilt es differenzierend zu ergänzen, dass auch andere Vergehen als Tötungen Blutschuld nach sich ziehen können, die gleichermaßen formelhaft ausgedrückt werden. Dies gilt insbesondere für den BlutschandenKatalog in Lev 20,9–16.
46
II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
denen das Blut des getöteten Täters auf ihm bleibt, also keine rächende Blutsphäre mehr ausbildet.22 Es scheint eine allgemeine Vorstellung zu sein, dass anhaftendes Blut gesühnt werden muss: Dabei stehen entweder der bekannte Täter (vgl. Ex 21,12; Gen 9,5) oder – bei unbekannter Täterschaft – ein Sühneritual (Dtn 21,1–9) als Alternativen zur Wahl.23 Eine Kompensation durch Geld wird abgewiesen (Dtn 29,21; Num 35,31f.); Blut muss mit Blut „abgewaschen“ werden (vgl. Gen 9,6).24 Innerhalb der biblischen Welt ist damit gesetzt, dass das Vergießen von Blut Blutvergießen nach sich zieht.25 Diese Grundauffassung scheint zunächst allein im Zwischenmenschlichen verortet zu sein, zuletzt wird allerdings eine Rechtsicherheit durch JHWH erwartet, um einen drohenden Kreislauf zyklischen Blutvergießens zu durchbrechen.26
22 Unter IV.3.1. wird dieser Zusammenhang unter dem Begriff Kopfformel pointiert ausformuliert und weiter ausgeführt. 23 Als Zwischenform könnte die rituelle Verfluchung in Dtn 27,24.25 angesehen werden. Dabei wird durch den Fluch das göttliche Todesurteil für den Täter erwartet, sodass weder das Volk an ihm das Todesurteil faktisch vollstreckt noch das vergossene Blut rituell ohne Täterbezug ausgelöst wird (s.u. III.2.3.). 24 In literaturgeschichtlicher Hinsicht ist eine Entwicklung im Umgang mit Blutschuld zu beobachten. Am Anfang ist das Blutrecht als Eindämmung des Blutvergießens durch die Tötung des konkreten Bluttäters zu verstehen, wobei diese – in ebenfalls begrenzender Absicht – durch den am nächsten zur Verfügung stehenden männlichen Verwandten des Opfers auszuführen ist (vgl. BRANDSCHEIDT, Blutrache, 2.2; ferner OTTO, Ethik, 37). Auf dem letzten greifbaren Überlieferungsstadium kommt der Rechtsprechung jedoch primär eine paränetische Funktion zu (vgl. ERBELE-KÜSTER, Blutschuld, 2; 3). Zudem ist eine Übertragung des Rachegedankens und des Blutrechts auf JHWH allein erkennbar (Dtn 32,35.43). In der weisheitlichen Reflexion findet diese ihren stärksten Ausdruck, wonach der Mensch auch bei legitimer Blutrache letztlich Blutschuld auf sich nimmt (vgl. ebd., 3.3.1; 3.3.3). Dies wird bei der Erzählung in 1Sam 25 besonders deutlich, insofern das Blutrecht JHWH zuerkannt wird und dem Menschen die (legitime) Blutrache mit Verweis auf drohende eigene Blutschuld versagt wird (vgl. ebd., 3). „Literaturgeschichtlich und rechtshistorisch lässt sich folgende Abfolge der Rechtstexte, die das Institut der Blutauslösung regeln, plausibilisieren: Ex 21 ist der älteste Text, Dtn 19 bildet die nächste Stufe und Num 35 die jüngste“ (ebd., 4). Es muss gleichwohl angemerkt werden, dass selbst diese durchaus nachvollziehbare Entwicklung, die zugleich literaturgeschichtliche Plausibilität hat, noch kein Abbild der Wirklichkeit darstellen muss. Jedoch legt der kulturelle Vergleich mit der griechischen Welt nahe, dass die Eindämmung von Blutschuld und die Überführung in das Recht ein transkulturelles Phänomen darstellt. Allerdings scheint im griechischen und wohl auch römischen Recht zuletzt eine Kompensationszahlung möglich zu sein, was sich in den biblischen Texten nicht findet (vgl. SCHIEMANN, Blutrache, 711f.). 25 Vgl. ERBELE-KÜSTER, Blutschuld, 4; FREVEL, Blut, 124. 26 Vgl. BRANDSCHEIDT, Blutrache, 2.2.
2. Literarische Zusammenhänge
47
2. Literarische Zusammenhänge 2. Literarische Zusammenhänge
Am Anfang der literaturgeschichtlichen Betrachtung steht nunmehr der hebräische Ausdruck des Motivs ʩʷʰʭʣ. Bereits diese Wortbildung stellt ein sprachlich bedeutsames Phänomen dar: „Das einzige Adjektiv, mit dem sich das indeterminierte ʭʣ im Singularis verbindet, ist ʩʷʰ (bzw. ʠʩʷʰ ohne Bedeutungsunterschied) ‚unschuldig‘. […] Häufiger beschreibt es substantiviert als Genetiv ʭʣ näher: ‚das Blut des Unschuldigen.‘“27 Dieses sprachliche Kuriosum der adjektivischen Zusammenstellung lässt fragen, was genau unschuldiges Blut sein soll. Dabei kommt zum Vorschein, dass „Unschuld […] kein Wesensmerkmal der Person im absoluten Sinne (ist). Imgrunde [sic!] wird also ein Tatbestand und nicht eine Person qualifiziert.“28 Es gilt daher im Folgenden mitzudenken, dass mit dem Motiv des unschuldigen Blutes eine Tat- und keine Opferbetrachtung erfolgt.29 Hinsichtlich der Verteilung von ʩʷʰ ʭʣ fällt auf, dass das Motiv schwerpunktmäßig im Dtn (bezogen auf die Thora exklusiv) bzw. in „dtr“ und jer Schriften zu verorten ist. 30 Für diese Schriften ist darüber hinaus auffällig, dass in ihnen das Lemma ʭʣ überwiegend mit ʩʷʰ verbunden ist. Das Motiv des unschuldigen Blutes dominiert dementsprechend die Gesamtzahl der Blutbelege in diesen Schriften. Im Dtn wird ʭʣ neben den Belegen des unschuldigen Blutes (Dtn 19,10.13; 21,8.9; 27,25) lediglich in Gesetzestexten zum Verbot des Blutgenusses verwendet (Dtn 12,16.23.27; 15,23), als Kompositum für den Ausdruck Bluträcher (ʭʣʤ ʬʠʢ; Dtn 19,6.12),31 oder als Ausdruck für Blutschuld.32 Hinzu treten eine formelhafte Formulierung in Dtn 17,8 und die Bildsprache für 27
CHRIST, Blutvergiessen, 34. CHRIST, Blutvergiessen, 36. Durch die vorgeordnete Qualifizierung der Tat und nicht der Person verwischen auch die syntaktischen Differenzen zwischen ʩʷʑ ʕ ʰ ʭːʕ (Blut eines Unschuldigen) und ʩʷʑ ʕ ʰ ʭʣʕ (unschuldiges Blut), die mit Verweis auf 2Kön 24,4 ohnehin austauschbar erscheinen (vgl. LIWAK, ThWAT VIII, 432f.). 29 Ein möglicher moderner Vergleich könnte an der Floskel „unter den Opfern waren auch Frauen und Kinder“ festgemacht werden. Im Gegensatz zu BERNER, Opfer-Floskel gewichte ich die exklusive Opferperspektive, welche Männer als Opfer auszuschließen scheint, weniger stark und vermute, dass durch diese Floskel vielmehr die Tat in besonderer Weise disqualifiziert werden soll. Dementsprechend wird in der Floskel keine Empathie zugunsten der Opfer generiert, sondern das Agieren des Täters in hohem Maße zusätzlich delegitimiert. 30 Vgl. CHRIST, Blutvergiessen, 164 Anm. 138. Er verweist dabei zudem auf ZIEGLER, Sünde (dort insbesondere 78). 31 So auch Num 35,19.21.24f.27; Jos 20,3.5.9; 2Sam 14,11 (vgl. GESENIUS, Handwörterbuch, 190). 32 Vgl. Dtn 22,8. Nach KOCH, Spruch, 406 steht der Plural ʭʩʮʣ als fester Ausdruck für Blutschuld. Dies ist jedoch eine Tendenzaussage (vgl. BERGMAN/KEDAR-KOPFSTEIN, ThWAT II, 250f.), wie der dtn Gebrauch sowohl im Plural (Dtn 19,10; 22,8) als auch im Singular (21,8) anzeigt. 28
48
II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
Wein (ʡʰʲʚʭʣ) in Dtn 32,14 (vgl. auch Gen 49,11; Sir 39,26). Im Moselied finden sich zudem zwei weitere Nennungen von Blut, die als Verdeutlichung der göttlichen Blutrache zugunsten seines Volkes dienen (Dtn 32,42f.).33 Insgesamt zeigt sich die Tendenz, dass (vergossenes) Blut eines Menschen zugleich als unschuldiges Blut qualifiziert wird. Wenn das Dtn also ʭʣ auf Menschen bezieht, wird dieses als ʩʷʰʭʣ bestimmt. Noch deutlicher ist dieser Befund im Jeremiabuch: Von insgesamt neun Belegen von ʭʣ weisen sechs eine Zusammenstellung mit ʩʷʰ auf (Jer 2,34; 7,6; 19,4; 22,3.17; 26,15). Sowohl für Jer 46,10 als auch Jer 48,10 liegt ein kriegsmetaphorischer Gebrauch vor, der Ähnlichkeiten mit Dtn 32,42 hat. Jeweils erscheint das Blutvergießen göttlich legitimiert, sodass der Gebrauch von ʩʷʰ ʭʣ als unrechtmäßiges Blutvergießen der Pragmatik entgegenstünde. In Jer 51,35 liegt eine ungewöhnliche Variante der „Kopfformel“34 vor. Nochmals deutlicher als im Dtn wird menschliches Blut mit ʩʷʰʭʣ kodiert. Ähnliches zeigt sich auch für die Klgl. Denn nur im vierten Kapitel wird ʭʣ gebraucht. Neben dem Blut der Gerechten in Klgl 4,13, welches wenigstens im Griechischen eine Variante des unschuldigen Blutes zu sein scheint, erfolgt eine weitere Nennung von Blut in Klgl 4,14, was allerdings eine direkte Wiederaufnahme darstellt und so ohne Näherbestimmung auskommt. Damit wird in den Klgl Blut offenbar nur als gerechtes Blut gebraucht. Ähnliches gilt für die Belege im Buch Jona (ʭʣ wird nur in Jon 1,14 verwendet) und im Buch Joel. In den übrigen Büchern, welche ʩʷʰʭʣ bezeugen, zeigt sich eine weniger exklusive Zuspitzung auf unschuldiges Blut, sondern eine weite Aufnahme von ʭʣ.35 Umgekehrt ist allerdings der Negativbefund im übrigen Pentateuch ebenso bemerkenswert wie derjenige im Buch Ezechiel. Trotz des jeweils umfangreichen Gebrauchs von ʭʣ ist keine Zuordnung zu ʩʷʰ festzustellen. Es kann daher postuliert werden, dass es sich bei ʩʷʰ ʭʣ um einen dtn-dtr Ausdruck handelt,36 insofern Während in Dtn 32,42 das Blut der Feinde gemeint ist und der Gebrauch von ʩʷʰʭʣ als illegitime Tötung abwegig wäre, muss für Vers 43 offenbleiben, ob aus bspw. metrischen, inhaltlichen oder literaturgeschichtlichen Gründen in Dtn 32,43 auf ʩʷʰ ʭʣ verzichtet wird. Aufgrund der zahlreichen intertextuellen Anspielungen ist das Moselied eher später zu datieren. Zudem lässt sich hier ein Übergang von Unheil zu Heil markieren, was auf nachexilische Fortschreibung deutet (OTTO, Dtn II/1, 2170f.) Durch das Lexem ʸʴʫ liegt jedoch ein intratextueller Verweis auf Dtn 21,8 vor, sodass auch hier „die Reinigung des Landes von der Verunreinigung durch unschuldig vergossenes Blut (ausgedrückt wird)“ (ebd., 2196). 34 Zu dieser s.u. IV.3.1. 35 Besonders auffällig ist der Gebrauch des Motivs im Verhältnis zu den weiteren Blutbelegen in Jes (1:14), Ps (2:17) und Spr (2:6). 36 Vgl. WARMUTH, ThWAT V, 599; ähnlich STULMAN, Sermons, 34 (Nr. 13), der zudem Jer C einbezieht; ferner WEINFELD, Deuteronomy, 356, der allerdings ʩʷʰ ʭʣ selbst mit Verweis auf 1Sam 19,5; Ps 94,21 als „ancient phrase“ wertet. Warmuth geht davon aus, dass der Ausdruck zunächst als fester Rechtsterminus im Dtn erscheint, zugleich aber auch – davon unabhängig – in Jeremia 2,34, wonach er im dtn-dtr Sprachgebrauch 33
3. Systematisierung der Belegstellen
49
in diesen Schriften die Problematik von vergossenem (menschlichen) Blut primär im Horizont dieses Motivs ausformuliert ist.
3. Systematisierung der Belegstellen 3. Systematisierung der Belegstellen
Im Folgenden wird eine Systematisierung vorgeschlagen, die den literarischen Ort des Motivs in den Blick nimmt und zu prüfen versucht, ob und welche Voraussetzungen und Folgen dem unschuldigen Blut konstitutiv zugrunde liegen.37 Dabei bildet die Annahme, dass das Motiv primär dem dtr-jer Sprachgebrauch entstammt, einen ersten Anhaltspunkt für die Suche nach Erzählzusammenhängen. Beiden theologischen Konzepte (dtr; jer) ist gemeinsam, das sie eine literarische Kontingenzbewältigung der Zerstörung Jerusalems samt Tempel im Jahre 587 v.Chr. in geschichtstheologischer Erzählweise erkennen lassen.38 Sowohl die Geschichtsbücher (insbesondere 1/2Kön), als auch Jer, zuletzt auch das Dtn, blicken auf den Untergang des Staates zurück und sehen in unterschiedlichen Ausprägungen die Verantwortung bei der ausgebliebenen Gesetzestreue des Volkes und/oder des Könighauses. 39 In diesem gemeinsamen Hintergrund lassen sich die Wurzeln des Motivs und
verankert wird. Hierin sind auch die beiden Psalm-Belege einzubeziehen (vgl. WARMUTH, ThWAT V, 599). Die vereinzelten weiteren Belege in der Weisheitsliteratur bzw. den Propheten greifen demnach diesen Sprachgebrauch auf (vgl. ebd., 599). 37 Der Versuch das unschuldige Blut über den Gebrauch im erzählerischen Zusammenhang näher zu bestimmen, setzt sich demnach von zwei weiteren möglichen systematisierenden Annäherungen ab. Eine erste Annäherung zielt auf die Identifikation der Personen ab, die mit dem unschuldigen Blut gemeint sind. Von WARMUTH, ThWAT V, 598f. werden hierbei fünf „Personengruppen“ identifiziert: 1) zu Unrecht Verurteilte, 2) Kinderopfer, 3) Judäer, 4) Propheten und 5) Einzelpersonen. An dieser Systematisierung orientieren sich u.a. SMELIK, Converting, 152; VAN KEULEN, Manasseh, 140. Eine zweite zielt zwar auch auf den literarischen Zusammenhang, markiert aber hierfür lediglich die Gattungen. WARMUTH, ThWAT V, 599 gliedert dementsprechend in 1) Rechtstexte (Dtn 19,10.13; 21,8f.; 27,25); 2) Erzähltexte (1Sam 19,5; 2Kön 21,16; 24,4; Jon 1,14); 3) Prophetische Anklage (Jes 59,7; Jer 2,34; 19,4; 22,17; Jo 4,19); 4) Poetische Geschichtsdarstellung (Ps 94,21; 106,38); 5) Mahnungen (Jer 7,6; 22,3); 6) Drohungen (Jer 26,15). Es ist indes einzuwenden, dass eine Systematisierung nach Opfer unzureichend bleiben muss, insofern die Prämisse gilt, dass unschuldiges Blut eine Tat- und keine Opferbetrachtung darstellt. Eine Gattungsgliederung bleibt hingegen auf der Ebene der Beschreibung stehen und hilft für das Verständnis des Motivs weder in den Schriften Israels noch im Mt weiter. 38 Die Begründungsintentionen unterscheiden sich jedoch graduell voneinander: Während in 1/2Kön die kultischen Missstände angeprangert werden, fokussiert das Buch Jeremia stärker auf die „mangelnde Gerechtigkeit im sozialen Leben“ (vgl. BORMANN, Bibelkunde, 143; im Original hervorgehoben). 39 Zur weiteren Ausdifferenzierung der Verantwortungszuschreibung in den „deuteronomistischen Geschichtswerken“ vgl. SCHMID, Deuteronomium, 13–15.
50
II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
dessen literarischen Orts vermuten, sodass das Motiv eng mit dem Phänomen des Deuteronomismus verbunden erscheint. Es gilt allerdings zu bedenken, dass in der gegenwärtigen Forschung mit Blick auf den Deuteronomismus verschiedene Problemfelder markiert werden. Dies gilt einerseits für das deuteronomistische Geschichtswerk (DtrG) als solches,40 andererseits für die inflationäre Benennung verschiedener Sprachformen und Formulierungen als deuteronomistisch (dtr).41 Gleichwohl ist nicht zu bestreiten, dass diese Zuschreibungen auf bestimmte Charakteristika reagieren: Diese Gemeinsamkeiten reichen vom Sprachgebrauch über Inhalte wie JHWH-Alleinverehrung und Torabeobachtung bis zu Vorstellungskomplexen (z.B. Gesetz des Geschichtsablaufs wie Glaubenstreue und Apostasie, die zu Segen oder Fluch führen) und kompositorischen Schemata (z.B. Verheißung – Erfüllung) auf verschiedenen Ebenen.42 Ohne aus diesen nun ein klar bestimmbares DtrG ableiten zu wollen, sollen diese Gemeinsamkeiten als Ausdruck einer Gedankenwelt verstanden werden, die auf verschiedene Kreise in der Zeit des Zweiten Tempels und des NT eingewirkt hat und mit dem Stichwort Deuteronomismus benannt werden kann.43 Neben der inhärenten monotheistischen Entwicklung, die in der Folgezeit wohl flächendeckend im Frühjudentum vorauszusetzen ist,44 nimmt die Geschichtsdeutung den größten Raum innerhalb dieser „dtr“ Gedankenwelt ein. Der Bezugsgröße Geschichte sind drei weitere Parameter der „dtr“
40
Zur Theorieentwicklung bei Martin Noth und den daran anschließenden Modifikationen und Diskussionen vgl. BRAULIK, Theorien, 239–251. 41 Vgl. exemplarisch BRAULIK, Theorien, 249 mit Verweis auf LOHFINK, Bewegung: „Die sogenannten ‚dtr‘ Sprach- und Stilmerkmale dürften übrigens in einem weitaus größeren Umfang, als bisher angenommen, auf das Dtn beschränkt sein und in viel geringerem Ausmaß, als gewöhnlich behauptet wird, in andere Bücher ausgestrahlt haben. Eine genaue Untersuchung der Wörter und Wortverbindungen, aber auch der Syntax widerstreitet also einer extensiven ‚Deuteronomismus‘-Definition, die für fast alle Prophetenbücher, viele Psalmen und die Chronik ‚dtr‘ Eigenschaften behauptete. Sie dürfte auch die geläufige Etikettierung verschiedener Texte als typisch ‚dtr‘ erheblich einschränken. Weil von einem bestimmten Zeitpunkt an Sprache und Theologie des Dtn allgemein zur Verfügung standen, erlauben sie auch nicht, auf eine gesellschaftliche abgrenzbare Trägerschaft zu schließen. Jedenfalls ist eine deuteronomistische ‚Bewegung‘ oder ‚Schule‘ zu keiner Zeit nachweisbar.“ 42 BRAULIK, Theorien, 241. 43 Aus diesem Grund wird am Sigel „dtr“ mit Anführungszeichen festgehalten, um den Rückbezug auf die Gedankenwelt des Deuteronomismus festzuhalten, ohne allerdings damit einen konkreten deuteronomistischen Trägerkreis zu meinen. 44 Wenigstens in der Elephantine und wohl auch in Al-Jahudu lassen sich auch potenziell polytheistische Spielarten des JHWH-Glaubens nachweisen, die bei KRATZ, Israel, 195.212f. als „nichtbiblisches Judentum“ charakterisiert werden.
3. Systematisierung der Belegstellen
51
Gedankenwelt zuzuordnen: Volk, Land und Gesetz.45 Dieser Zusammenhang wird als bleibender Referenzpunkt für die „dtr“ Gedankenwelt festgehalten. Die Reflexion über die Geschichte, ist dadurch auch eine Reflexion über den erfahrenen Landverlust des Volkes, der mit der Missachtung der Gesetze in Verbindung gebracht wird. Diese Aspekte kulminieren in einer spezifischen Geschichtsperspektive, für die Steck den bis heute wirksamen Terminus „deuteronomistisches Geschichtsbild“ (dtrGB) geprägt hat.46 Mit diesen Beobachtungen im Hintergrund sollen die Belegstellen des Motivs verschiedenen Dimensionen zugeordnet werden, wobei durch das Bisherige zuvorderst eine geschichtstheologische Dimension zu stehen kommt. Dieser werden folgende Texte zugeordnet: 2Kön 21,16; 24,4; 2Chr 36,5dLXX; 1Makk 1,37; 2Makk 1,8; Ps 106,38; Jes 59,7; Jer 2,34; 7,6; 19,4; 22,3.17; 26,15; Klgl 4,13; Jo 4,19; TestLev 16,3; 2Bar 64,2. Davon zu trennen sind diejenigen Belegstellen, die nur implizit einen geschichtstheologischen Horizont aufweisen und das Motiv in juristischen Kontexten aufgreifen. In diese rechtliche Dimension fallen die Belegstellen Dtn 19,10.13; 21,8f.; 27,25. In den weiteren Stellen ist das Motiv – zumindest prima facie – weder in geschichtstheologischen noch rechtlichen Zusammenhängen eingebunden, sondern wird auf eine konkrete Person bezogen. Dieser individuellen Dimension werden 1Sam 19,5; 25LXX,26.31; 1Kön 2,5LXX; Est 8,12eLXX; Ps 94,21; Spr 6,17; Jon 1,14; SusTh 46.62; Philo spec. I 204; TestSeb 2,2; CIJ 725 zugeordnet. Weniger aus den bisherigen Belegstellen, sondern aus der Forschungsgeschichte heraus, ergibt sich als weitere Möglichkeit eine eschatologische (bzw. kosmologische) Dimension.47
45
Vgl. SCHAEFER, Zukunft, 48: „Wer mit Josef Schreiner z.B. von Dtn 6,20–25 ausgeht, findet dort die schon erwähnten Elemente der Vertragsverpflichtung Israels und die damit verbundenen Implikationen auf die Größen ‚Land‘ und ‚Gesetz‘ angewendet. Die Landverheißung wird durch die Verpflichtung auf die Gebote konditioniert. Da das Land dem Volk zugleich Leben bringt und dieser Zustand zu erhalten ist, ist die Tora JHWHs zu beachten und zu tun.“ 46 Vgl. STECK, Israel; Näheres s.u. Exkurs 2. 47 Vgl. HAMILTON, Death, 25: „The shedding of innocent blood thus has in Matthew a cosmic and eschatological dimension.“ Diese Dimension entspricht ihrer Verortung des Motivs des unschuldigen Blutes in das Paradigma von „Cain/Blood-Flood/Judgment“. In gewisser Hinsicht läuft diese Dimension weitgehend analog zur geschichtstheologischen Dimension, ist aber über diese hinaus nicht israelspezifisch, sondern menschheitsgeschichtlich orientiert. Aus der hier vertretenen terminologischen Konzeption heraus lassen sich allenfalls mittelbare Belegstellen aufführen. Sofern 4Q504 Fragm. 8 recto 14 als Beleg statthaft ist (s.u. II.4.4.1.), könnten Einzelstellen in 1Hen; Jub als Belege dieser Dimension erwogen werden.
52
II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
Daher ergibt sich folgende, übersichtlich geordnete, Zuordnung: Geschichtstheologische Dimension
Individuelle Dimension
Rechtliche Dimension
„DtrG“
2Kön 21,16; 24,4
1Sam 19,5; 25,26.31LXX
Dtn 19,10.13; 21,8f.; 27,25
Propheten
Jes 59,7; Jer 2,34; 7,6; 19,4; 22,3.17; 26,15; Jo 4,19
Jon 1,14
Schriften
Ps 106,38
Spr 6,17
LXX
Klgl 4,13; 2Chr 36,5dLXX; 1Makk 1,37; 2Makk 1,8
SusTh 46.62; Est 8,12eLXX
Pseudepigraphien
TestLev 16,3; 2Bar 64,2
TestSeb 2,2
Ps 94,21
11QT 63,7f. (= Dtn 21,8f.)
Qumran Frühjüdische Schriften
Philo spec. I 204
Inschriften
CIJ 725
Kosmologische Dimension
Jub 7,23–25; 1Hen 9,1.9; 47,1f.4 4Q504 Fragm. 8 recto 14
Exkurs 2: Das deuteronomistische Geschichtsbild
Exkurs 2: Das deuteronomistische Geschichtsbild
Stellt sich für eine „dtr“ Weltsicht der Zusammenhang von Geschichte, Land und Gesetzesgehorsam als konstitutiv dar, dann kann behelfsweise eine Zuordnung des Motivs zum dtrGB vorgenommen werden. Das Modell hat den zentralen Vorteil, dass es sich über die Schriften Israels hinaus bis in die Zeit des zweiten Tempels und des NT nachweisen lässt.48 Da es zudem ein zentrales Erklärungsmodell für den Landverlust darstellt und dementsprechend die Parameter Landverlust und Geschichte zusammenführt, besteht die Möglichkeit, dass sich das Vergießen unschuldigen Blutes gleichermaßen darin integrieren lässt. Auf Basis des dtrGB wird der Blick für den Zusammenhang von Land und unschuldigem Blut in der Geschichte geschärft. Es ist jedoch zu bedenken, dass das dtrGB in seiner forschungsgeschichtlichen Herkunft auf ein einzelnes Motiv, nämlich das der deuteronomistischen Prophetenaussage (dtrPA), hin fokussiert wurde. Analog wird das dtrGB gebraucht, um den literarischen Ort des Motivs des unschuldigen vergossenen 48
Vgl. die umfassende Quellenlage bei STECK, Israel.
Exkurs 2: Das deuteronomistische Geschichtsbild
53
Blutes zu ergründen. Eine mögliche Gleichsetzung vom Motiv des unschuldigen Blutes mit dem des tödlichen Prophetengeschicks ist nicht a priori vorauszusetzen und bedarf der Einzelfallentscheidung.49 Die Grundform des dtrGB ergibt sich nach Steck aus dem DtrGW, Jer (Quelle C), Klgl 1; 2 und eventuell Esr 9. Hier steht ein linearer Geschichtsverlauf: aufgrund des steten Ungehorsams (A) und der mangelnden Umkehr (C) trotz prophetischer Mahnung (B) steht am Ende das Strafgericht JHWHs (D).50 Dieses Modell stellt die Basis der späteren Erörterungen dar. Im zweiten Modell stellt der Untergang der staatlichen Existenz eine Zäsur des Geschichtsverlaufs (D), aber nicht mehr das Ende dar.51 Die in vorexilischer Zeit ausgeschlagene Umkehr (C) wird von JHWH erneut offeriert (E); es kann dabei an die prophetische Umkehrpredigt angeknüpft werden (B). Am Ende steht nun ein doppelter Ausgang (F), der die Heilsrestitution des neu versammelten Israels und das Strafgericht über die Feinde Israels vorsieht. Damit wendet sich der Unheilstatus und die Sündengeschichte des Volkes zum Heil.52 Der chronologische Aufbau der ersten Phase wird nicht aufrechterhalten und die gegenwärtigen Sünden des Volkes zumeist in die Zeit vor 587 v.Chr. zurückdatiert.53 Das dritte und letzte Modell markiert eine Eschatologisierung der Geschichte und nimmt bisweilen auch apokalyptische Züge auf.54 Mit dem Ausbleiben der heilvollen Wende, wird die Geschichte Israels nun als diejenige eines permanenten Ungehorsams verstanden (A). Eine wirkliche Umkehr erfolgt in der Gegenwart (E), die überwiegend als die letzte Möglichkeit vor der eschatologischen Wende angesehen wird (F). Die vorherige Scheidung wird nun auch im Volk Israel selbst vollzogen: dem reuigen und gehorsamen heiligen Rest wird das versprochene Heil Israels zuteil (F1), die Ungerechten jedoch werden im Gericht verworfen (F2). Weiterhin bildet 587 v.Chr. die geschichtliche Zäsur der Geschichte Israels (D), jedoch wird dies mit weiteren geschichtlichen Erfahrungen verbunden – so mit der Entweihung des Tempels durch Antiochus IV. und den damit verbundenen Prozessen in Judäa, der Eroberung Jerusalems durch Pompeius 63 v.Chr. oder der Tempelzerstörung durch Titus 70 n.Chr. Dabei kommt es 49
Vgl. hierzu später die Diskussion zu 2Kön 21,16; 24,3f. Vgl. STECK, Israel, 185. 51 Als Referenztexte benennt STECK, Israel, 186 Anm. 2 1Kön 8,46ff.; Dtn 4,25ff.; 28,45ff.;30,1ff.; Lev 26,32ff.; Sach 1,2ff.7f.; Mal 3; lev. Predigten in Chr; Tob; TestXII; Jub 1; Gebetstraditionen; zudem Merkmale in Dan 9; Bar 1,15ff.; 4QDibHam; Asarjagebet. 52 Vgl. STECK, Israel, 185f. 53 Als markantes Beispiel sei auf die TestXII verwiesen (vgl. STECK, Israel, 149– 153.168). 54 Für die folgende Darstellung verweist Steck mehrheitlich auf die 1Hen 93,1–10; 91,11–17 (Zehn-Wochen-Apokalypse); 1Hen 85–90 (Tierapokalypse); Jub; [CD]; LibAnt; 4Esr; 2Bar; Dan 9; Bar; Qumran-Texte. Für eine ausdifferenzierten Betrachtung vgl. STECK, Israel, 187f. samt Anm. 1–8. 50
54
II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
sowohl zu Verschränkungen, sodass die aktuellen Erfahrungen in die Vergangenheit rückprojiziert werden, als auch zu Nebenordnungen, insofern das aktuelle Gericht als Ausdruck des andauernden Gerichts von 587 v.Chr. verstanden wird.55 Für diesen Entwicklungsprozess ist entscheidend, dass die Sünden des Volkes stets in eine Art Schicksalsgemeinschaft führen. Durch den Einbezug der vergangenen Schuld der Vorfahren, verschärft sich für die jeweils angesprochene Generation die Notwendigkeit der Entscheidung: Entweder man kommt zur Umkehr und tritt so in das versprochene Heil ein oder aber man verweigert sich dieser Möglichkeit, wodurch einem nicht nur die Vergehen der Jetztzeit, sondern auch alle anderen Vergehen des Volkes in der Vergangenheit angelastet werden. In dieser Logik wird das dtrGB zur Folie der Jetztzeit, insofern in der Geschichte behauptet werden kann: – Welche Taten JHWH missfallen und welche Korrekturen am eigenen Handeln vorzunehmen sind; – welche Konsequenzen JHWH aus den Missetaten der Vorfahren gezogen hat und weiterhin ziehen wird; – weshalb nur die Umkehr zu JHWH zum Heil führen kann. Insgesamt zeigt diese Entwicklung des dtrGB bis zur Zeitenwende an, dass ein geschichtstheologisches Konzept der Kontingenzbewältigung in ebendieser Bewältigung immer stärker eschatologisiert wurde. Problematisch an dieser Zuordnung von Geschichtsreflexion und eschatologischem Konzept sind gleichwohl die jeweiligen zeitlichen Perspektiven: Während im einen Fall eine Retrospektive eingenommen wird, die das Geschehene zu erklären versucht, erfolgt im anderen Fall eine (determinierte) Festschreibung der Zukunft, die analog zum Beobachteten läuft.56
55
Vgl. STECK, Israel, 187f. Eine solche Weiterentwicklung, die stärker auf eine kosmologisch-eschatologische Dimension ausgerichtet ist, stellt das SER-Schema (sin-exile-return) dar. Erstmals wurde dieses von DE JONGE, Testaments behauptet, sodass die SER-Stücke zumeist mit den TestXII verbunden werden. Diese können jedoch in Hinsicht auf ihre Geschichtsvorstellung weitgehend mit dem dtrGB nach Steck gleichgesetzt werden, wobei sie, im Gegensatz zum dtrGB, eine stärkere Affinität zu kosmologisch-eschatologischen Zügen aufweisen können, was jedoch insbesondere für die TestXII nicht zwingend zutrifft (vgl. B ECKER, Untersuchungen, 173f.177). Die Ausführungen bei PIOTROWSKI, Matthew, 98–103, welcher die dtr Geschichtslogik in Dan 9; 2Makk 7; Jub 1; CD I; 1Hen 89f. und TestLev 16f. gegeben sieht, scheinen ebenfalls dafür zu sprechen, dass die Unterschiede zwischen dtrGB und SER nur marginal sind und je nach Interesse in ihrem unterschiedlichen Ausdifferenzierungsgrades gebraucht werden. Insgesamt lassen sich beide Modelle als Ausdruck einer „dtr“ geprägten Geschichtsreflexion verstehen, in welcher die Sündengeschichte und das Exil zu zentralen Markern werden und in denen durch die realgeschichtliche Entwicklung eine Zukunftsperspektive ermöglicht wird. 56
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
55
Stecks Arbeit konzentriert sich nun auf den Zusammenhang der Elemente B/C, also die göttliche Umkehrintervention und die blutige Ablehnung der Propheten, welchen er als deuteronomistische Prophetenaussage (dtrPA) bezeichnet. Diese ist nach ihm erstmals in Neh 9,26 greifbar. Die ignorierende Abweisung der Propheten Gottes wird hierin in eine blutige gesteigert. Ohne konkret-greifbaren historischen Bezug bildet sich hier das Stereotyp aus, wonach die Propheten für ihre Botschaft mit ihrem Leben haften müssen. Erst nach Ausbildung dieses Stereotyps wird von einzelnen, aber nicht allen, Propheten ein gewaltsames Geschick berichtet.57 Die dtrPA bildet demnach die Essenz des dtrGB. Für die Untersuchung des Motivs des unschuldigen Blutes ist hinter diese Fokussierung auf die dtrPA zurückzutreten und das dtrGB in den Vordergrund stellen. Mit diesem kann eine Rezeption „dtr“ Welt- und Geschichtsvorstellungen bis in die neutestamentliche Zeit hinein nachgewiesen werden, die bereits in den „alttestamentlichen“ und „frühjüdischen“ Schriften vorhanden ist. Das Geschichtsnarrativ orientiert sich dabei an den Elementen des dtrGB: Die Sündengeschichte des Volkes Israels (insbesondere seiner Könige) führt, trotz göttlicher Interventionen, zum innerweltlichen Gericht, zur Zerstörung des Tempels und des Staates. Im Folgenden ist nun zu prüfen, ob das Motiv des unschuldigen Blutes gleichermaßen im Rahmen des dtrGB verstehbar ist.58
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB 4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
Die zu überprüfende Einordnung des Motivs des unschuldigen Blutes erfolgt anhand der „Substruktur“ des dtrGB. Das Geschichtsbild wird in seinen Grundelementen Sündhaftigkeit (A) – Umkehraufforderung (B) – Ablehnung (C) – Gericht (D) gezeichnet. Ausgangspunkt jeder Reflexion stellt eine historische Zäsur dar, die als Gericht verstanden wird. Diese greift in der Regel zwar aktuelle Ereignisse auf, entspricht aber nicht immer der aktuellen Datierung. Bildet eine gegenwärtige Katastrophe den Ausgangspunkt, so stellt die Ursache im Schema von Sünde und mangelhafter Umkehr den Reflexionsgegenstand dar, welcher die Katastrophe begründet. Wie oben aufgezeigt bildet die dtrPA eine solche stereotype Katastrophenbegründung – verkürzt: weil die gottgesandten Propheten ermordet wurden, war das Gericht unausweichlich. Dies kann jedoch nicht verallgemeinernd für jegliche Geschichtsreflexion im dtrGB herangezogen werden. Anders formuliert: 57
Zu diesen s.u. V.2.4.1. Eine enge Verwandtschaft zwischen dem Motiv des unschuldigen Blutes und dem „Motiv der abgelehnten Propheten“ sieht auch DÖPP, Deutung, 33. Gleichwohl wird keine Zuordnung zum dtrGB vorgenommen, sondern das Motiv davon isoliert herangezogen. 58
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
Nicht jede Gerichtsbegründung lässt sich auf die Tötung von Propheten zurückführen. Es wird im Weiteren argumentiert, dass auch das Motiv des unschuldigen Blutes als Gerichtsbegründung innerhalb des dtrGB fungiert. Gehört das Motiv folglich zum Reflexionsgegenstand der Gerichtsbegründung, wobei die Ausrichtung des erzählerischen Zusammenhangs auf ein Gericht (D) konstitutiv ist, so lässt sich das Vergießen unschuldigen Blutes unterschiedlichen Elementen zuordnen. Denkbar wäre es sowohl als Teilaspekt der Grund- bzw. Gesamtschuld (A), als mahnender Aspekt einer Umkehrpredigt (B), zuletzt als Zeichen der vollkommenen Halsstarrigkeit (C). Auf dieser Basis werden sowohl die hebräischen als auch die griechischen Belegstellen analysiert und die Einordnung in den Zusammenhang des dtrGB plausibilisiert. Dies erfolgt anhand der oben aufgezeigten Dimensionen in der naheliegenden Reihenfolge: geschichtstheologische, rechtliche, individuelle, kosmologische Dimension. 4.1. Geschichtstheologische Dimension 4.1.1. Belegstellen auf Basis des MT a) 2Kön 21,16; 24,3f. Die Erzählung um Manasse eignet sich gut, um den grundlegenden Gedankengang zu entfalten. Zum einen lässt sich diskutieren, ob und wie der Ausdruck ʩʷʰ ʭʣ inhaltlich zu bestimmen ist. Zum anderen lässt sich eine literaturgeschichtliche Tendenzbestimmung vornehmen, wie das Motiv rezipiert wurde. Manasse wird in 2Kön als Primärschuldiger für den Untergang des Südreiches dargestellt (betont in 2Kön 23,26).59 In der Darstellung seiner Herrschaft wird das Vergießen unschuldigen Blutes (2Kön 21,16) im Anschluss an einen umfangreichen Katalog kultischer Sünden (2Kön 21,3–9) und darauffolgender Gerichtsbegründung genannt (2Kön 21,10–15). Durch diese Stellung ist das Motiv zwar als Nachklapp erkennbar,60 wird allerdings eindeutig und eng mit der Gerichtsbegründung verbunden. Umstritten ist die inhaltliche Füllung des Motivs, die erst eine rechte Zuordnung zu einer Gerichtsbegründung ermöglicht. Ein erster Vorschlag rückt das Motiv in die Nähe der dtrPA.61 Nach frühjüdischer Tradition wurde Jesaja unter Manasse hingerichtet (VitProph 1,1; MartJes 5,1), ein Prophetenmassaker unter seiner Herrschaft nennt Josephus (Flav.Jos.Ant. X 38).62 In dieser Linie wäre es demnach möglich das 59
Vgl. SCHMID, Manasse, 91. Vgl. LANDERSDORFER, 1/2Kön, 223. 61 So VAN KEULEN, Manasseh, 142 in Abgrenzung zu COGAN, Imperialism, 90f.; ähnlich LANDERSDORFER, 1/2Kön, 223. 62 Vgl. zudem bSan 103b; bJev 49b. Auch Iust.dial. 120,5 kennt das Zersägen Jesajas, allerdings ohne Manasse zu nennen. Eine Anspielung auf die Tradition des Zersägens, 60
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
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Motiv des unschuldigen Blutes mit dem Blut von Propheten auszudeuten. Allerdings ist die negative Rezeption Manasses in Verbindung mit dem unschuldigen Blut nicht einheitlich. In 2Bar 64,2 heißt es: Sehr gottlos handelte er und tötete die Gerechten, beugte das Recht und vergoß unschuldiges Blut, schändete Ehefrauen mit Gewalt und warf Altäre um und schaffte ihre Opfer ab, vertrieb die Priester, damit sie in dem Heiligtum nicht dienen konnten.63
Hier scheint das Töten der Gerechten die Charakterisierung Manasses als Prophetenmörder einzuspielen. Gleichwohl ist uneindeutig, ob das Vergießen unschuldigen Blutes die Tötung der Gerechten aufgreift oder ob hier ein neuer Tatbestand eingespielt wird. Das Verständnis von ʩʷʰʭʣ als Prophetenmord wäre allerdings – angesichts dieser Rezeptionsgeschichte – für die mt Zeit plausibel.64 Der zweite Vorschlag zur Deutung von ʩʷʰ ʭʣ berücksichtigt die starken sprachlichen Bezüge, die durch das Anfüllen (ʠʬʮ) von unschuldigem Blut zu Jer 19,4 vorliegen.65 Das Motiv ist hier mit kultischen Vergehen verbunden. Manche Ausleger identifizieren das Vergießen unschuldigen Blutes mit der Praxis der Kinderopfer im Tophet (Jer 19,5), was sich als kultischer Missstand auch in 2Kön 21,6 in Verbindung mit Manasse findet.66 Allerdings ist ein solcher sprachlicher Bezug in Jer nur bedingt gegeben, und für 2Kön ist ein Rückbezug von 2Kön 21,16 auf 2Kön 21,6 kaum zu erklären.67 Anzufragen ist zudem, ob die Bildsprache zwischen Anfüllen von unschuldigem Blut und Verbrennen von Kindern im Tophet kohärent ist. Ob das Vergießen unschuldigen Blutes kultisch konnotiert ist, hängt auch an der Deutung des Satzanschlusses ʭʢʥ in 2Kön 21,16. Damit erfährt das Vergießen wenigstens eine jedoch ohne namentliche Nennung, liegt in Hebr 11,37 vor (vgl. VAN KEULEN, Manasseh, 141 Anm. 156). 63 Übersetzung entnommen bei KLIJN, 2Bar, 166. 64 Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass die Figur des Manasse in frühjüdischer Zeit auch positiv rezipiert werden konnte. Dies zeigt sich bereits in den Chroniken. In 2Chr 33 wird Manasse nach Babylon verschleppt, reut dort seine kultischen Missetaten und revidiert, zurück in Jerusalem, seine Altarbauten und weitere Vergehen. Eine positive Rezeption des büßenden Manasse findet sich schließlich im Gebet Manasses (vgl. hierzu KNITTEL, Gebet). Die Nennung Manasses im Stammbaum Jesu (Mt 1,10) lässt hingegen weder eine positive noch negative Konnotation erkennen, weshalb keine Aussage über das mt Bild von Manasse getroffen werden kann. 65 Vgl. hierzu und zu weiteren Referenzen SCHMID, Manasse, 92. 66 Darüber hinaus findet sich der Vorwurf des Kinderopfers in Verbindung mit Feuer in Dtn 12,31; 18,10; 2Kön 16,3; 17,17; 23,10; 2Chr 28,3; 33,6; Jer 7,31; Ez 20,25f.31 (vgl. auch Gen 22,1–18; Ri 11,29–40; 2Kön 3,21–27). Es ist daher ein gleichsam stereotypes Motiv dtr Prägung (vgl. HOSSFELD/ZENGER, Ps III, 133), das allerdings nur in Jer 19,5 eine bedenkenswerte Nähe zum Ausdruck ʩʷʰ ʭʣ aufweist. In Ps 106,38 findet sich die Kinderopferthematik zwar mit ʩʷʰ ʭʣ, allerdings ohne Feuer (s.u. II.4.1.1.b). Vgl. zur gesamten Thematik auch BAUKS, Menschenopfer, 3.2. 67 Vgl. VAN KEULEN, Manasseh, 140f.
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
abgerückte Sonderstellung innerhalb der Auflistung, die entweder das Vorhergehende ergänzt oder aber von diesem abgegrenzt eine neue Information einführt.68 Insgesamt erscheint der Vers soweit vom restlichen Zusammenhang abgerückt zu sein, dass eine nichtkultische Ausdeutung wahrscheinlicher erscheint.69 Hierfür lässt sich auch 2Kön 24,3f. anführen: Im Königsbericht zu Jojakim wird nochmals auf die Sündhaftigkeit Manasses verwiesen, die sich aus dem Vergießen unschuldigen Blutes und dem Tun der Sünden zusammensetzt.70 Durch die Differenzierung von kultischer Sünde und Vergießen von unschuldigem Blut als selbstständigem davon getrenntem Vergehen, wird eine dritte Deutung von ʩʷʰ ʭʣ ermöglicht. Es fällt auf, dass sich für die kultischen Vergehen eine Vielzahl von potenziellen Intertexten auftun. 71 Wenn für den gesamten Abschnitt nicht nur Jer, sondern auch das Dtn einen gewichtigen Intertext darstellt, so ist ʩʷʰ ʭʣ gleichermaßen im Horizont des Dtn verstehbar. Das Vergießen unschuldigen Blutes markiert demnach das Versagen der Rechtsinstitution, ein Versagen in sozialer Hinsicht. Eine solche Verwendung findet das Motiv auch in Jer und wird bisweilen mit den personae miserae verbunden (Jer 2,34; 7,6; 22,3.17).72 Darin wird deutlich, dass in 2Kön der geschichtliche Verlauf des Südreiches nicht nur im kultischen Totalversagen des Königs Manasse zementiert wird, sondern dieses durch das Vergießen unschuldigen Blutes erweitert ist.73 Das Motiv bildet in 2Kön 21 den Abschluss umfangreicher Vorwürfe gegenüber Manasse. Auch in 2Kön 24,3f. wird die erste Exilierung betont auf das Motiv zurückgeführt – 68
Sowohl SMELIK, Converting, 151f. als auch VAN KEULEN, Manasseh, 140f. sprechen sich dafür aus, dass die Erwähnung des Blutvergießens auf eine weitergehende Sündhaftigkeit hindeutet, die von den kultischen Sünden abzutrennen ist. 69 Die Argumentation basiert hier auf dem hebräischen Wortlaut. In der LXX ist die Entscheidung weniger eindeutig, insofern ʭʢʥ mit țĮ Ȗİ wiedergegeben wird. 70 Innerhalb der Königbücher wird ʺʠʨʧ primär im Zusammenhang mit der „Sünde Jerobeams“ gebraucht, welche primär kultische Verfehlung assoziieren lässt. Wäre das unschuldige Blut in 2Kön 24,3f. kultisch konnotiert, könnte es hierin subsumiert werden. Die differenzierte Nennung könnte daher nicht nur die Schwere des Vergehens verdeutlichen, sondern auch darauf verweisen, dass hier ein Vergehen vorliegt, dass nicht einfach nur „Sünde“ im kultischen Sinne ist. 71 Neben der offensichtlichen Orientierung an den Verboten aus Dtn 12–26, kann v.a. auf die unterschiedlichen Fehltaten der Nordreichkönige verwiesen werden, die Manasse gewissermaßen übertrumpft, indem ihm nicht nur einzelne, sondern umfassende kultische Vergehen zugeschrieben werden (vgl. SCHMID, Conquests, 92). Hervorzuheben ist auch die bewusste Parallelisierung mit Ahab (vgl. SMELIK, Converting, 139–151; ferner GASS, Vergehen, 195.220; COLLINET, Könige, 151). 72 Vgl. FRITZ, 2Kön, 131; GASS, Vergehen, 219; SMELIK, Converting, 153. 73 GASS, Vergehen, 223 erwägt, dass sich im Motiv historische Reminiszenzen an die gewaltsame Herrschaft Manasses niederschlagen, die durch „Terror und Unterdrückung“ geprägt war.
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
59
die kultischen Vergehen treten in den Hintergrund.74 Es scheint daher als Höhepunkt die anhaltende Sündengeschichte abzuschließen, die zu Vernichtung und Exil führt. Eine Einordnung in einen „dtr“ Geschichtshorizont lässt an Element A denken, wobei das Motiv als End- und Höhepunkt der Sündengeschichte verstanden werden kann. Zugespitzt kann formuliert werden: Das Gericht wird mit Verweis auf das Vergießen unschuldigen Blutes begründet.75 Für die geschichtstheologischen Passagen in 2Kön gilt daher, dass das Motiv nicht nur ein Aspekt innerhalb des dtrGB ist, sondern die zentrale Erklärung bietet, weshalb JHWH Stadt und Volk der Zerstörung und dem Exil preisgibt. Das Motiv ist als eine Schwelle zu verstehen, die bei ihrer Übertretung das Gericht zur Folge hat. Dabei gilt aber: Das Gericht setzt nicht exakt diese Schwelle voraus,76 wohl aber folgt dem Schwellenübertritt das Gericht. In den folgenden Einzelexegesen zu den Belegstellen des Motivs des unschuldigen Blutes, wird überprüft, ob dieser literarische Ort, nämlich die Schwellenfunktion am Ende der Sündengeschichte als Hinführung/Androhung bzw. Erklärung des Gerichts, genuin mit dem Motiv verbunden ist. Dabei stellt sich auch die Frage, ob eine literaturgeschichtliche Kontinuität behauptet werden kann.77 74
Diese Schwerpunktsetzung bleibt jedoch unklar. Vielleicht wird die Revision der Kultsünden durch Josias Reform mitgedacht. Möglicherweise tritt dann sogar die Vorstellung zu Tage, dass die kultischen Vergehen durch die Reform hätten verziehen werden können, das Vergießen unschuldigen Blutes jedoch ein Affront gegenüber JHWH darstellt, der nur durch das Gericht getilgt werden kann. Sollte dieser Vorschlag richtig sein, dann wäre dies eine Erklärung, weshalb die kultischen Sünden Manasses in 2Kön 24,3 keine umfangreiche Erwähnung finden. Sie sind durch das Reformwerk des Josias bereits revidiert. Hierzu würde auch passen, dass Josias Nachfolgern zwar attestiert wird, dass „sie taten, was Böse war in den Augen des Herrn“ (23,32.37), von expliziten kultischen Verfehlungen jedoch nichts berichtet wird. 75 Folgt man der zuvor skizzierten Lesart van Keulens (s.o. bei Anm. 61–64), wonach unschuldiges Blut die Prophetenmorde meint, so ergibt sich eine Zuordnung zu Element C. Trotz der prophetischen Intervention von Jesaja (womöglich wegen der kultischen Vergehen), bleibt Manasse „verstockt“, was in der Tötung des Umkehrboten nochmals verschärft wird. 76 Damit ergibt sich abermals eine Nähe vom Motiv des unschuldigen Blutes zur dtrPA, welches ebenfalls als ein Schwellenmotiv identifiziert werden kann. 77 Hierfür ist bereits die Verortung der Manasse-Passagen aussagekräftig. Nach SCHMID, Manasse, 93–96 handelt es sich hierbei um eine nachdtr Bearbeitung. Er argumentiert, dass die Zuspitzung auf die Sündhaftigkeit einer Person als Ursache für das Exil eine Entwicklung darstellt, die quer zur dtr Annahme liegt, dass das Volk in seiner Gesamtheit die Verantwortung für die Katastrophe trägt. Darüber hinaus wird durch die Fokussierung auf ihn das erste Exil von 597 v.Chr. zum entscheidenden Strafgericht erhoben. Schmid benennt die Redaktionsschicht in Rückgriff auf Karl-Friedrich Pohlmann daher als „golaorientierte Redaktion“, insofern sie der exilierten Elite entstammt, die sich selbst in dieser ersten Verschleppung nach Babylon als Erbe des wahren Israels ansieht (vgl. DERS., Conquests, 94). Obgleich umstritten ist, in welchem Umfang 2Kön 21,16
60
II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
b) Ps 106,38 Ps 106 stellt insgesamt eine bemerkenswerte Komposition dar, welche gerahmt von einer Doxologie die Sündengeschichte Israels reflektiert; zugleich bildet er den Abschluss des vierten Psalmenbuchs. 78 Das Motiv erscheint im achten Abschnitt des Psalmkorpus (Ps 106,34–39), welcher mit „Vergehen im Land“ übertitelt werden kann.79 Nachdem zuvor 28 Verse lang die Sündengeschichte des Volkes vom Exodus bis zur Wüstenwanderung im Blick stand (Ps 106,6–33), fällt die Betrachtung der staatlichen Zeit vergleichsweise knapp aus. Bereits der nächste Abschnitt (Ps 106,40–43) thematisiert das Gericht JHWHs und die Zerstreuung ins Exil, während der Schluss des Korpus (Ps 106,44–46) in der erneuten Zuwendung JHWHs die Aussicht auf den zweiten Exodus fokussiert. In Ps 106,38 wird eine Vielzahl an Vergehen nach der (implizierten) Landnahme festgehalten, wobei das Vergießen unschuldigen Blutes, im Sinne kultischen Fehlverhaltens, den Schlusspunkt markiert. In der jetzigen Form meint unschuldiges Blut offenbar die Praxis von Kinderopfern.80 Summarisch hält Ps 106,39 die Vergehen in ihrer Wirkung zur Unreinheit und Hurerei fest, ehe in Ps 106,40–42 das Gericht folgt. Ob sich die primär kultischen Vergehen im Land als Höhepunkt der langen Sündengeschichte verstehen lassen, kann angefragt werden. Es ist jedoch auffällig, dass erst auf das Versagen im Land das göttliche Gericht bspw. auf Jer 19,4 rekurriert, so tendieren die Exegeten zu einer Abhängigkeit von Jer/Dtn, sodass in der Fortschreibung in 2Kön 21 ein geprägter „dtr“ Sprachgebrauch aufgegriffen wird (vgl. DERS., Manasse, 93). Damit ist das Motiv hier bereits in die Wirkungsgeschichte der „dtr“ Sprache einzuordnen, wobei zugleich Modifikationen der dtr Theologie zu beobachten sind, insofern nun ein Einzelner, nicht das Volk, verantwortlich gemacht wird. Trotz dieser offenkundigen Tendenz bleibt der Textzusammenhang in der Logik des dtrGB verhaftet. Denn durch 2Kön 21,16b wird das Volk in die Sündhaftigkeit Manasses mit eingetragen. Dies dient wohl zur Erklärung, weshalb die Schuld des Einzelnen trotzdem das Volk trifft. Die beiden Größen, König und Volk, bilden hierdurch eine Schicksalsgemeinschaft, die zwar einen als Schuldigen benennt, aber offenbar dennoch die Haftung beider anerkennt. Das Motiv wird somit auch in „post-dtr“ Passagen in der Logik eines dtrGB verwendet und dient auch hier als Erklärung für den Landverlust, selbst wenn der König als Alleinschuldiger präsentiert wird. In eine ähnliche Richtung weist nach COLLINET, Könige, 87 Anm. 394 die unveröffentlichte Dissertation von Krzysztof Kinowski, The meaning of Bloodshed in 2Kgs 21:16, 24:4 in the Context of the Fall of Judah, Dissertation PBI Rom 2017, welcher die Verweise auf das unschuldige Blut als sekundäre Eintragungen wertet, die als Interpretationsschlüssel dienen: Durch die Belastung des Königs mit Blutschuld und der hieraus entstehenden Notwendigkeit einer umfassenden Reinigung des Landes wird das Volk gewissermaßen entlastet (vgl. https://www.biblico.it/ tesi/kinowski.html; aufgerufen am 23.07.2019). 78 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Ps III, 120–124. 79 HOSSFELD/ZENGER, Ps III, 125. 80 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Ps III, 133. Sie verweisen für diesen Vorwurf zudem auf das DtrG (Dtn 18,10; 2Kön 16,3; 17,17) sowie die Propheten (Jer 7,30f.; Ez 20,31).
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
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erfolgt.81 Es wäre zumindest denkbar, dass auch hier die Vorstellung im Hintergrund steht, dass das Vergießen unschuldigen Blutes, zumal im kultischen Kontext, die Schwelle überschreitet, die eine Exilierung unausweichlich macht. Insgesamt lässt sich der Geschichtspsalm Ps 106 gut als Ausdruck des dtrGB verstehen, insofern auch hier die Sündengeschichte des Volkes samt konkreter Nennungen der Vergehen als Exilbegründung herangezogen wird. Demzufolge entsprechen weite Teile des Psalms dem Element A, wobei erneut das Motiv einen Schlusspunkt der Aufzählung darstellt. c) Jes 59,7 Jes 59 ist als Reflexion darüber zu verstehen, weshalb die (endgültige) Errettung der Betenden ausbleibt.82 Es ist vorstellbar, jedoch nicht gesichert, dass ein Setting imaginiert ist, wonach das Kollektiv seiner Errettung aus dem Exil harrt.83 Das Motiv erscheint dabei als ein Aspekt unter mehreren, die die Trennung von Volk und JHWH festhalten. Auch hier ist literaturgeschichtlich von einem jüngeren Text auszugehen, wenngleich sowohl eine Abhängigkeit vom „deuteronomistischen Denken[]“ als auch ein sprachlicher Zusammenhang mit Spr 1,16, auffällt.84 Wenngleich die Feingliederung umstritten ist, so erscheint die Zäsur in Vers 8 als konsensfähig. 85 Damit stellt das Motiv zwar in gewisser Weise das letztgenannte konkrete Vergehen dar, als Schwellenmarker lässt es sich hingegen nur schwer festmachen.86 Als Geschichtsrefle81 HOSSFELD/ZENGER, Ps III, 137 halten fest, dass der Psalm durch priesterliche Theologie bestimmt ist, wobei „dtr“ Terminologie nachklingt. Zudem ist die Geschichtsbetrachtung v.a. durch Ez (20) geprägt. Auch dort liegt der Fokus stärker auf den Vergehen auf dem Weg ins Land als auf der staatlichen Zeit. Es ist daher insgesamt anzunehmen, dass das Motiv hier zwar im Sinne der „dtr“ Theologie bzw. Geschichtsauffassung am genuinen Ort steht, jedoch durch die erweiterte Einbettung in eine priesterliche Theologie nicht in den Fokus rückt. Vielmehr erscheint das Motiv als Chiffre für den (stereotypen) Vorwurf in Ez 20 „die Erstgeborenen durchs Feuer gehen zu lassen“ (vgl. Ez 20,26; 31; ferner Ez 16,21; 23,37). Falls diese literaturgeschichtliche Verortung zutrifft, dann wäre Ps 106 ein Zeuge dafür, dass das („dtr“) Motiv zwar an seinem literarischen Ort im dtrGB verhaftet bleibt, jedoch aufgrund eines anderen Geschichtsverständnisses (von Ez geprägt) neu interpretiert wird (als kultisches Menschenopfer; vgl. aber 2Kön 21,16; Jer 19,4) und so auch im Geschichtsablauf überformt wird. Trotz allem bliebe es am hinteren Ende der Sündendarstellung als Schwelle erhalten und kommt mit in einem unmittelbaren Bezug zum Gericht zu stehen. 82 Vgl. GOLDINGAY, Jes 56–66, 200–203. 83 Auf eine solche Interpretation deutet das Motiv der Trennung des Volkes von JHWH in Jes 59,2 sowie die Vergeltungsbilder bzgl. des Gerichts an den Völkern (Jes 59,17–19). 84 HÖFFKEN, Jes II, 206. Er lässt allerdings offen, ob und in welchem Abhängigkeitsverhältnis diese Belege stehen. 85 Vgl. GOLDINGAY, Jes 56–66, 156–162; HÖFFKEN, Jes II, 205f. 86 Ob dieser Einzelbeleg jedoch allzu schwer zu gewichten ist, darf angefragt werden. Es sei hier nochmals an den statistischen Befund erinnert: bei vierzehn Belegen von ʭʣ in
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
xion in einem Exilsetting verstanden, zeigt Jes 59 dennoch Nähe zum dtrGB, insofern die eigene Schuld als Ursache für die Abkehr und das Schweigen JHWHs benannt und als Ursache für den vorübergehenden Verbleib im Exil aufgeführt werden. Das Motiv lässt sich dann als ein Aspekt von Element A verstehen. d) Jer 2,34 In Jer 2 findet sich der erste von insgesamt sechs Belegen des Motivs in Jer. Das gesamte Kapitel bildet nach der Berufung Jeremias den „inhaltlichen Auftakt für das Buch“.87 Der Text zeigt insbesondere das Ringen Gottes ob der gescheiterten Beziehung mit Israel auf,88 wobei nicht zuletzt die konfrontative Anklage die Rede prägt, sodass hier ein Rechtsstreit anklingt. 89 Als zentrale Missstände lassen sich die „korrupte Führungsschicht (V 8) und [die] synkretistische Frömmigkeit (z.B. V 27f.)“ benennen.90 In der poetischen Sprache spiegelt sich zudem der „verletzte[] Zustand der Beziehung“ wider, welche letztlich auf „Wiederaufnahme der Beziehung“ abzielt.91 In Jer 2,34 findet sich eine Variation des Motivs, indem die Besudelung des Saums des Adressaten mit dem „Blut von unschuldigen, armen Menschen“ ( ʺʥˇʴʰ ʭʣ ʭʩʩʷʰʭʩʰʥʩʡʠ, ZÜ) benannt wird. Die aktive und als ungerechtfertigt markierte Zurückweisung dieses Vorwurfs mit einer Unschuldbeteuerung durch den Adressaten bildet den Abschluss und Höhepunkt des Katalogs, ehe das Gericht als Konsequenz angekündigt wird (2,35b).92 Die JHWH-Rede in Jer 2 ist folglich als Aufforderung zur Umkehr zu verstehen, in der das Gericht als drohende Konsequenz benannt wird. Dieses begründet sich durch die
Jes wird nur hier ʩʷʰ beigeordnet. Dies, wie auch das Fehlen von ਕșȠȢ (o.ä.) in der LXX, unterstreicht das eher fremdkörperartige Auftreten im Textzusammenhang. 87 FISCHER, Jer I, 177. 88 FISCHER, Jer I, 151 begreift die Rhetorik als „Monolog eines enttäuschten, verlassenen Gatten“. 89 Vgl. FISCHER, Jer I, 177. 90 FISCHER, Jer I, 177. 91 FISCHER, Jer I, 178 (Hervorhebung im Original). 92 Weniger auf das Motiv bezogen, sondern recht allgemein, hält auch Fischer diesen Umbruch fest. Die Unschuldsbeteuerung deutet er als „völlige Verkennung der Lage“, weshalb der Rechtstreit, der in Jer 2 eingeführt wurde, weiterzuführen ist. Fischer unterstreicht dies durch die Partizipialform. Zur Ausdeutung des Motivs macht er zudem darauf aufmerksam, dass es sich dabei um die Steigerung eines klassischen Vorwurfs handelt, wie durch die Nennung der ʭʩʰʥʩʡʠ deutlich wird. Dieser findet sich v.a. bei Amos (Am 4,1; 5,12). Der Kontrast zwischen offensichtlichem Unrecht (beabsichtigter Mord) und eigener Fehleinschätzung (Unschuldsdeklaration) tritt damit deutlich hervor. Die Konsequenz der Passage ist alternativlos: „Gott kann und wird das nicht tolerieren“. (vgl. insgesamt FISCHER, Jer I, 175; Hervorhebung im Original). Auch Lundbom bestimmt Jer 2,33–37 als Höhepunkt der Anklage (vgl. LUNDBOM, Jer I, 297).
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
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Unschuldbeteuerung, die in zweierlei Hinsicht zu verstehen ist. Zum einen kann sie als die abschließende Aussage Jerusalems zu den Vorhaltungen JHWHs verstanden werden, zum anderen erfolgt eine direkte Rückbindung an den letztgenannten Vorwurf der Besudelung mit unschuldigem Blut, worauf die Stichwortverknüpfung von ʭʩʩʷʰ zu ʩʺʩʷʰ weist.93 Das Motiv steht damit am Ende einer Sündenauflistung, die jedoch als Umkehraufforderung formuliert und folglich eher Element B zuzuordnen ist. Gleichwohl zeigt sich erneut, dass das Motiv am Ende einer solchen Auflistung steht und so eine Schwellenfunktion einnimmt. In diesem Fall korrespondiert das Motiv gleichsam mit der Leugnung von Verantwortung. Das Vergießen unschuldigen Blutes und die ausbleibende Rechenschaftsübernahme bilden hier das Schwellenmoment, das das Gericht geradezu unausweichlich erscheinen lässt. e) Jer 7,6 Ein ähnlich programmatischer Text ist die Tempelrede in Jer 7,1–8,3. Die Zäsur zum Vorherigen ist nicht nur durch die Petucha, sondern gleichsam durch den Wechsel von Poesie zu Prosa markiert.94 Dieser Übergang in eine sachliche Sprache dient wohl als „Deutehilfe für die umgebenden Texte“.95 Die zentrale Bedeutung verstärkt sich zudem durch intratextuelle Bezüge, insofern Setting (Tempelrede in Jer 26) und Einzelthemen (bspw. Tophet in Jer 19) nochmals aufgegriffen werden.96 Das Hauptthema der Texteinheit bildet die rechte Gottesverehrung, die auch in die Mikrogliederung eintragen ist.97 Während der „poetische Zyklus“ in Jer 2–6 durch fehlende Rahmen eher als eine Art Privatoffenbarung formuliert ist, tritt Jeremia in Kapitel 7 durch die szenische Ausgestaltung erstmals öffentlich vor das Volk:98 Am zentralen Heiligtum des Landes vermittelt Jeremia erstmals konkret den Gläubigen, was ihr Gott von ihnen wünscht (V 3–6), und erhebt zugleich schwere Vorwürfe, die massive Übertretungen des Bundes bedeuten (V 8–10). Angesichts ihrer sagt Gott dem ‚Ort‘ (Tempel, Stadt, Land) und seinen Menschen Zerstörung und Verwerfung an (V 13– 15).99
93
Vgl. LUNDBOM, Jer I, 296. Vgl. FISCHER, Jer I, 292; KNITTEL, Heiligtum, 123. 95 FISCHER, Jer I, 292. Zur Rezeption der Tempelrede im Mt s.u. V. Exkurs 1. 96 Vgl. FISCHER, Jer I, 292. 97 Vgl. FISCHER, Jer I, 293. Er verbindet dies mit den unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten dieser Unterabschnitte: 7,3–15 (Sozialverhalten); 7,16–20 (Fremdgötterkult); 7,21–28 (Starrsinn des Volkes); 7,29–8,3 (Gericht). 98 Vgl. BORMANN, Bibelkunde, 145. 99 FISCHER, Jer I, 294 (Hervorhebung im Original). 94
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
Die Redeeröffnung der Erstverkündigung Jeremias zeigt also schon in nuce ein „dtr“100 geprägtes Geschichtsbild auf: Erwartungshaltung – Sündengeschichte – Gericht. Das Motiv des unschuldigen Blutes kommt im Redeauftakt zum Tragen und steht am Ende der göttlichen Erwartungshaltung in Jer 7,6, ergänzend zur Forderung die Unterdrückung von Fremden, Waisen und Witwen zu unterlassen.101 Die Erwartungen münden in „der typisch(en) dtn/r Wendung ‚gehen hinter anderen Göttern‘“102, worauf in Jer 7,7 das Beachten der göttlichen Erwartungshaltung als conditio für das Wohnen im Land benannt wird. Hierdurch ist es zugleich mit dem Gericht verbunden.103 Der argumentative Zusammenhang lässt sich am ehesten in Element B des dtrGB einordnen. Zugleich kann das unschuldige Blut erneut als Schwellenmoment verstanden werden – auch hier gepaart mit anderen konkreten Forderungen, die gleichermaßen „dtn-dtr“ Stereotypen entsprechen. Ob das Motiv hier ein absolutes Ultimatum darstellt, kann nicht sicher entschieden werden. Dafür ist der Textzusammenhang nicht eindeutig genug, insofern ein faktischer Sündenkatalog vor die Gerichtsankündigung zwischengeschaltet ist. Jedoch wird deutlich, dass JHWH die Vermeidung vom Vergießen unschuldigen Blutes einfordert und dies mit dem Landerhalt konditioniert.104 f) Jer 19,4 Jer 19,1–13 bildet eine prophetische Zeichenhandlung samt prophetischer Rede ab. Das Vergießen des unschuldigen Blutes ist Teil einer Gerichtsbegründung (Jer 19,4f.), die in der Mitte der Steigerung von der Zuwendung zu Fremdgöttern zum Kinderopfer im Tophet zu stehen kommt.105 Diese ist 100 Zur Einordnung der „schriftlich fixierten Grundschicht“ (Jer 7,1–15*) in den „(jeremianischen) Deuteronomismus“ vgl. KNITTEL, Heiligtum, 121–130, hier 130. 101 Vgl. Jer 22,3. Fischer benennt diese als „dtn Trias der sozialen Schwachen“, die ab Dtn 14,29 (vgl. Ex 2,20f.) regelmäßig wiederkehrt (vgl. FISCHER, Jer I, 297; Hervorhebung im Original). 102 FISCHER, Jer I, 298. 103 Mit KNITTEL, Heiligtum, 123 kann Jer 7,5–7 als Konkretisierung der „generelle(n) Mahnung“ in Jer 7,3f. verstanden werden, wobei das falsche Vertrauen in Jer 7,8f. nochmal aufgegriffen und mit dem Verweis auf die Zerstörung Schilos begründet wird (Jer 7,11b–15). Der Verweis auf Schilo dient allerdings nicht einer Polemik gegen dasselbe, sondern der Illustration: Jerusalem kann es ebenso ergehen wie einst Schilo (vgl. ebd., 130–133). 104 Ob das Vergießen allein das Gericht erfordern würde oder auch die Unterdrückung der personae miserae und die Ausrichtung an Fremdgöttern hinzukommen muss, bleibt hier offen. 105 Während auf die Nähe zu 2Kön 21 bereits hingewiesen wurde (s.o. bei Anm. 65–70), sei an dieser Stelle vermerkt, dass sich auch in der Tempelrede (Jer 7,32) enge inhaltliche und sprachliche Parallelen finden.
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zunächst durch die Feststellung des kommenden Gerichtsvollzuges gerahmt (Jer 19,3.6–9), worum sich als äußerer Rahmen die prophetische Zeichenhandlung des zerbrochenen Kruges legt (Jer 19,1f.10–13).106 Jeremia hält den Versammelten dreierlei vor: Fremdgötterkult, Vergießen unschuldigen Blutes und Kinderopfer auf den Höhen.107 Zwar nimmt das Motiv nicht den Endpunkt der Auflistung ein, aber durch den Plural ʭʩʷʰʭʣ stellt es einen Höhepunkt dar: „Es handelt sich nicht um ein einmaliges Vergießen, sondern um einen konstanten, anhaltenden, extrem schweren Rechtsbruch und ein gewaltsames Beseitigen rechtschaffender Menschen, das die Stadt komplett erfaßt (‚anfüllen‘).“108 In diesem Begründungszusammenhang stellt sich das Motiv erneut als Schwelle dar, wobei im Gegensatz zum bisherigen ein stärker durativer Prozess denn eine punktuelle Überschreitung angesprochen scheint. Das Motiv ist zunächst dem Element A zuzuordnen und bildet einen Teil der massiven Sündengeschichte Judas und Jerusalems. Da allerdings im Setting die Unausweichlichkeit des Gerichts konstatiert wird, scheint hier zudem ein konstitutiver Bezug zu Element C vorzuliegen. Das Vergießen unschuldigen Blutes stellt ein Faktum der Gerichtsbegründung dar und wird nicht (mehr), wie bspw. in Jer 26,15, als etwaiger Missstand mit einer Drohung versehen. g) Jer 22,3.17 Wie in Jer 7,6 wird in Jer 22,3 ein „Vetitiv“ formuliert,109 welcher ermahnt, die im Katalog genannten Sünden nicht zu begehen. Das Auftreten Jeremias erfolgt hier jedoch nicht allgemein vor dem Volk bzw. den Tempelbesuchern, sondern richtet sich konkret an den König. Die Aufforderungen deuten auf gravierende Missstände hin, die die Intervention Gottes erfordern.110 Das Motiv bildet nun den eindeutigen Abschluss einer Aufzählung, die Gerechtigkeit einfordert und Unterdrückung anprangert. Wie in Jer 7,6 werden die 106
Fischer gliedert hingegen als dreifache Dynamik von Anweisung zu Verkündigung: 1f. ĺ 3–9; 10–11a ĺ 11b–13; 14 ĺ 15 (vgl. FISCHER, Jer I, 594). 107 Es ist umstritten, ob das unschuldige Blut mit den Kinderopfern gleichzusetzen ist. WARMUTH, ThWAT V, 598 bemerkt zu Recht, dass dies von der Deutung von ʤʦʤ ʭʥʷʮʤ abhängig ist. Da mit dem Bauen von Kulthöhen in Jer 19,5 eine lokale Zäsur markiert ist und der Ausdruck sonst Jerusalem meint (vgl. ebd., 598 mit Verweis auf GIESEBRECHT, Jer, 110, der das unschuldige Blut nicht mit den Kinderopfern identifiziert, sondern als Ausdruck „herrschende[r] Ungerechtigkeit im Rechtsleben“ bestimmt), scheint es naheliegend zu sein, das Vergießen vom kultischen Vergehen zu trennen, womit die Deutung als Kinderopfer auszuschließen ist. Anders LUNDBOM, Jer I, 839, der für eine Ausdeutung durch die Kinderopfer plädiert, wobei er einschränkend bemerkt, dass eine Doppelbedeutung hier denkbar wäre; ähnlich WARMUTH, ThWAT V, 598. 108 Vgl. FISCHER, Jer I, 597. Er verweist hier zudem auf die Parallelen zu den Berichten über Manasse in 2Kön 21,16; 24,4. 109 FISCHER, Jer I, 652. 110 Vgl. FISCHER, Jer I, 653.
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personae miserae explizit benannt, allerdings fehlt der Verweis auf die Fremdgötterverehrung. Die Konsequenzen werden als Alternativen präsentiert: Wird der Katalog erfüllt, so bleibt das Haus Davids „lebendig“, andernfalls wird es zum Trümmerhaufen (Jer 22,5).111 Diese Ankündigung geht in eine Mahnrede (Jer 22,6–9) über, in welcher deutlich wird, dass Option 2 zur Realität wurde bzw. als wahrscheinlichere Alternative erscheint.112 Im Vergleich zu Jer 7,6 ist hier die Schwellenfunktion deutlich hervorgehoben. Das Motiv kommt als Schlusspunkt der Aufzählung zu stehen und die konditionale Bedingung wird durch die explizite Nennung des Gerichts, in Form der drohenden „Hauszerstörung“, deutlich. Nach dem Gerichtswort über das Königshaus/die Dynastie Judas (Jer 22,6– 9) und einem Spruch über Schallum/Joahas (Jer 22,10–12), erfolgt abermals eine Anklage des Königs (Jer 22,13–19), welcher mit Jojakim identifiziert wird.113 Die Anklage eröffnet mit einer Auflistung der Vergehen des Königs (Jer 22,13–17), ehe sein Schicksal durch ausbleibende Klage und Eselsbegräbnis bestimmt wird (Jer 22,18f.).114 In dieser Rede findet sich das Motiv erneut am Ende der Anklage (Jer 22,17). Dieser letzte Vorwurf arbeitet sich an Gewinnsucht und Unterdrückung ab. Dadurch ergibt sich ein Rückbezug auf Jer 22,3, insofern Jojakim hier nun das dort Verbotene praktiziert. Es fällt gleichwohl auf, dass nur das Vergießen unschuldigen Blutes wörtlich übereinstimmt.115 Das persönliche Schicksal Jojakims (Jer 22,18f.) in Verbindung mit der Referenz zu Jer 22,3–5 legt nahe, dass aufgrund seines Fehlverhaltens Die Ausdeutung von ʤʦʤ ʺʩʡʤ ist umstritten. Fischer plädiert für den Palast gegen die Deutung als Tempel (vgl. FISCHER, Jer I, 653). Für selbiges spricht sich auch Lundbom aus, der die Ausdeutung als „Haus Davids“ (vgl. Tel Dan-Stele) abweist (vgl. LUNDBOM, Jer II, 121). Letzterer betont zudem den ungewöhnlichen Adressaten der Zerstörung, da sonst das Land (vgl. Jer 7,34; 25,11; 44,22) oder Jerusalem bzw. die Städte Judas (vgl. Jer 27,17; 44,2.6) betroffen sind (ebd., 120f.). 112 Zur Gliederung des Kapitels vgl. FISCHER, Jer I, 650. 113 Vgl. FISCHER, Jer I, 652f. Aufgrund der motivischen Wiederaufnahme legt sich nahe, dass der im vorherigen Orakel anonyme König ebenfalls mit Jojakim zu identifizieren ist. 114 Im Gegensatz zu 2Kön mit Manasse bildet in der „Herrscherreflexion“ in Jer 21f. Jojakim das Konzentrat der monarchischen Schlechtigkeit. Dies ist allerdings auch dadurch begründet, dass die Darstellung der letzten Könige in Jer 21f. mit Josia einsteigt. Verdeutlicht wird die Negativwertung zudem durch die anklingende Sympathie für die tragischen Schicksale der Kurzherrscher (hierzu und zur Charakterisierung Jojakims insgesamt vgl. FISCHER, Jer I, 672f.). Diese Zuspitzung auf Jojakim statt Manasse muss sich nicht allein aus der angeblichen Doppeldeutigkeit in 2Kön 24,3f. erklären (so ebd., 663). Vielmehr könnte dies auch Ausdruck einer literarischen Verschiebung sein, die sich auch in 2Chr 36,5LXX zeigt. 115 Möglicherweise sind mit dem unschuldigen Blut hier verstorbene (Zwangs-)Arbeiter gemeint (vgl. Mi 3,10; Hab 2,12), sodass das Motiv in den größeren Kontext der „Bausucht“ Jojakims einzubinden ist (FISCHER, Jer I, 663). 111
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das Gericht bzw. die „Hauszerstörung“ als Konsequenz für das Blutvergießen erfolgt. In diesem Zusammenlesen bildet das Motiv eine eindeutige Schwelle aus, die die in Jer 22,5 genannte Option zur Realität werden lässt. Dass es sich dabei nicht allein um ein individuelles Problem des Königs handelt, zeigt der Fortgang des Textes an. Von der Schmähung des Königs ausgehend wird als nächstes das „Leid der Gemeinschaft“ in den Fokus gerückt (Jer 22,20– 23).116 Das Vergießen unschuldigen Blutes ist wie bereits zuvor ein Tatbestand, der über den einzelnen Täter hinausgeht und, wie auch hier deutlich wird, sowohl für das Volk als auch für das Land Konsequenzen nach sich zieht.117 Die Ankündigung des Gerichts in Jer 22,5 als Konsequenz für das Vergießen unschuldigen Blutes und die Erfüllung des Tatbestandes in Jer 22,17 und der anschließend erzählten Gerichtsfolge lässt sich als Ausdruck der Elemente B und C werten. Die Warnung (B) wird offenbar in den Wind geschlagen – Jojakim vergießt unschuldiges Blut (C), und das Gericht (D) ist die unausweichliche Konsequenz. h) Jer 26,15 Auch in Jer 26 (bzw. Jer 33LXX) ist die Aussage mit einer Gerichtsankündigung verbunden. Zumeist wird hier das narrative Setting der Tempelrede aus Jer 7,1–15 vermutet, insofern beide Texte auf dasselbe (historische) Ereignis rekurrieren.118 Jeremia wird aufgrund der Missstände aufgefordert, das drohende Unheil anzukündigen (Jer 26,2–6). Hieraufhin kommt es zu einem Aufruhr unter den Autoritäten, die eine solche Weissagung als todeswürdig klassifizieren (Jer 26,7–9). Dieses Verhalten entspricht der Logik von Element C. Jeremia wiederholt seine Prophetie und als eine Art Schwur merkt er an, dass (sein) unschuldiges Blut über die Stadt kommt, sollten sie ihn aufgrund der Prophezeiung töten. Hier liegt ein eindeutiger Gebrauch des Motivs im Sinne von Element B vor. Jeremia wirft eine erweiterte Gefährdungssituation auf: „Die Auswirkungen [sc. seiner Tötung] würden nicht nur die direkt Beteiligten, sondern auch die ganze Stadt samt ihren Bewohnern errei116 Vgl. FISCHER, Jer I, 650; ferner 665: Jerusalem ist sowohl „Hauptleidtragende des Versagens der politischen Führer“ als auch „Mitschuldige in der Ablehnung Gottes“ (Hervorhebung im Original). 117 Vgl. FISCHER, Jer I, 665. In dieser Sache trifft sich dieser Text mit den Erzählungen in 2Kön 21; 24. Es ist auffällig, dass das Motiv offenbar als Ausdruck eines Missstandes kommemoriert wurde, der in die erzählte Zeit Manasses bzw. Jojakims fällt. Ob es sich dabei um das „dtr“ Stereotyp handelt oder sich dahinter ein geschichtliches Wissen verbirgt, ist zweitrangig. Zuvorderst ist festzuhalten, dass der widergöttliche, gesellschaftliche Missstand des Vergießens unschuldigen Blutes seinen Haftpunkt unmittelbar vor dem Exil erhält und dementsprechend, trotz unterschiedlicher Zuschreibung an einen bestimmten König, die Funktion einer Schwelle einnimmt, die von diesem überschritten wurde. 118 Vgl. THIEL, Redaktion, 105; kritisch LUNDBOM, Jer II, 284f.
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chen.“119 In der Erzählung erfolgt ein Umdenken der Fürsten und des Volkes gegen Propheten und Priester.120 Dieses Kapitel unterstreicht, dass die „prophetische Sendung […] Leiden und Lebensrisiko mit (einschließt).“121 Wie zuvor bildet das Vergießen bzw. Nichtvergießen unschuldigen Blutes in diesem Passus die Schwelle, welche das Schicksal der Stadt bestimmt.122 Insgesamt lässt sich damit für das Jeremiabuch ein einheitlicher Sinnzusammenhang ausmachen, der das Motiv stets in einer Schwellenfunktion unmittelbar dem Gericht zuordnet und in den unterschiedlichen Kommunikationszusammenhängen entweder das Gericht androht oder eine Begründung für das Gericht und die Unausweichlichkeit desselben bietet. i) Klgl 4,13 Wie oben bereits benannt, fällt der Beleg in Klgl 4,13 sprachlich aus dem Rahmen (ʭʩʷʩʣʶʭʣ/ĮੈȝĮ įțĮȚȠȞ). Gleichwohl ist der Einbezug sowohl durch die Wiedergabe dieser Form des Motivs in Mt 23,35 sinnvoll als auch durch die Tatsache, dass die Klgl im Frühjudentum explizit Jeremia zugeschrieben wurden.123 Das vierte Klagelied lässt sich in zwei Sektionen gliedern (Klgl 4,1–11.12–22), die sich jeweils in drei Stanzen unterteilen.124 Den inhaltlichen Schwerpunkt der ersten Sektion bilden das Hungerleiden der Bevölkerung und dessen Konsequenzen für Kinder, während die zweite Sektion „die Verantwortung und das Schicksal der gesellschaftlichen Führung (Propheten, Priester, Älteste, Gesalbter)“ im Blick hat.125 Das Motiv steht in der ersten Substanze der vierten Stanze, welche die zweite Sektion eröffnet. Während in Klgl 4,12 die Unmöglichkeit der Eroberung als Gedankenkonstrukt (der Zionstheologie) entlarvt wird,126 bietet Klgl 4,13 die Begründung der Preisgabe der Stadt und damit erstmals eine Begründung für das zuvor geschilderte Leid. Damit trifft diese Substanze eine radikal geschichtstheologische Aussage: „Keineswegs war es also so, dass JHWH seine Stadt nicht hatte schützen können, sondern er hatte sie wegen der Sünde von Prophet und 119
FISCHER, Jer II, 33. Dass die Geschichte auch anders hätte ausgehen können und die Tötung Jeremias eine realistische Alternative darstellt, verdeutlicht die Episode um den Propheten Uria im direkten Nachgang der Erzählung (Jer 26,20–24; vgl. auch KNITTEL, Heiligtum, 135, die diesen Fall zudem als ein Vergießen unschuldigen Blutes umschreibt). Es ist bemerkenswert, wenngleich aufgrund des Vorherigen nur wenig überraschend, dass diese beiden Episoden in die Zeit des Jojakim verortet werden (vgl. LUNDBOM, Jer II, 140.). 121 FISCHER, Jer II, 42. 122 Vgl. FISCHER, Jer II, 33. 123 In Klgl 1,1LXX wird – wohl ausgehend von 2Chr 35,25 – eindeutig die Autorenschaft Jeremias markiert (vgl. SCHMID, Jeremia, 143f.; WOLFF, Jeremia, 6). 124 Vgl. BERGES, Klgl, 234f. 125 BERGES, Klgl, 252. 126 Vgl. BERGES, Klgl, 252f.; FREVEL, Klgl, 294. 120
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Priester den Feinden übergeben.“127 Die Verantwortung liegt also gänzlich bei den inneren Missständen, die im Blutvergießen durch Priester und Propheten liegen.128 In der folgenden Substanze (Klgl 4,14–15.16) wird die individuelle Bestrafung der Propheten und Priester geschildert, die nun durch das von ihnen vergossenen Blut verunreinigt wurden und wie blind durch die Gegend wanken. Die sprachlichen Zusammenhänge verdeutlichen insgesamt, dass hier die konsequente Disqualifikation der Priesterschaft zum Ausdruck kommt.129 Neben den konkreten Strafausführungen ist jedoch mitzudenken, dass die Priester und Propheten nicht allein die Konsequenzen für ihre Fehltaten tragen, sondern auch das Volk und die Stadt davon betroffen sind. Da nur in Klgl 4,13 eine Begründung angeführt wird, ist darin wohl auch die Ursache für die Gesamtsituation zu sehen.130 Diese Engführung auf das Versagen von Autoritäten als Ursache für die Zerstörung der Stadt ist offenbar ein Grundzug, der sich mit dem Motiv des unschuldigen Blutes verbindet. Das Motiv ist hier im Sinne einer unverzeihbaren Sünde (Klgl 4,13) anzusehen, die entweder dem angefüllten Maß von Element A entspricht oder aber dem Scheitern der Umkehrintervention im Sinne von Element C. So oder so besiegelt das Vergießen unschuldigen Blutes die Preisgabe der Stadt durch JHWH. Es wird daher in Klgl 4 besonders deutlich, dass dieses Vergehen eine Schwellenfunktion einnimmt, welche bei Übertretung die Vernichtung der Stadt zur Folge hat. Zugleich wird auch deutlich, dass trotz einer enggeführten Schuldzuschreibung eine kollektive Haftung bzw. eine Schicksalsgemeinschaft möglich ist. j) Jo 4,19 Unter anderen Vorzeichen operiert Jo 4,19. Hier handelt es sich nicht um eine Eigenanklage und Begründung für das Ende des Staates Judas und das Exil, sondern um eine Fremdanklage Ägyptens und Edoms.131 Eine dezidierte 127
BERGES, Klgl, 253. Dabei liegt ein intertextueller Bezug zu Klgl 2,20 vor: „Hatte 2,20 an YHWH gerichtet vorwurfsvoll gefragt, ob man Priester und Propheten im Heiligtum dahinschlachten darf, so sind es hier ihre Propheten und Priester, die das Blut von Gerechten in ihrer Mitte vergossen haben.“ (FREVEL, Klgl, 295; Hervorhebung im Original). Es wird teilweise vermutet, dass sich dahinter eine Praxis von „Vollstreckungsurteilen“ verbirgt, durch welche Unheilspropheten aus dem Weg geräumt wurden (BERGES, Klgl, 254; kritisch LIWAK, ThWAT VIII, 433). Dafür könnte sprechen, dass statt des stereotypen Ausdrucks ʩʷʰ ʭʣ die Formulierung ʭʩʷʩʣʶʭʣ gewählt wurde (vgl. BERGES, Klgl, 254). 129 Vgl. BERGES, Klgl, 254–256. 130 Vgl. FREVEL, Klgl, 295. 131 Beide Völker werden im Buch sonst nicht thematisiert, sodass die Bezugnahme überrascht. Auch in den übrigen Propheten ist eine Zusammenstellung von Ägypten und Edom unüblich. Sie findet sich sonst nur in Jes 11,11–16; Jer 9,25; 25,15–26; mit unterschiedlichem Schicksal in Dan 11,41f. Wolff sieht die Verwendung der beiden Länder 128
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Einordnung in ein dtrGB kann nicht erfolgen, da dies die Reflexion über die eigene Geschichte voraussetzt. Dennoch bildet auch hier das unschuldige Blut, welches vermutlich mit getöteten Judäern gleichzusetzen ist, offenbar die Schwelle, welche das Gericht über Edom und Ägypten unausweichlich macht. Mit anderen Worten: Nach Joel ist die Verwüstung Ägyptens und Edoms durch deren Grenzüberschreitung im Vergießen unschuldigen Blutes begründet.132 Durch diesen Gebrauch zeigt sich, dass sich die Logik des Motivs offenbar auch in andere Zuschreibungen eintragen lässt, wobei der literarische Ort gleichbleibt.133 k) Zusammenfassung der hebräischen Belege Nimmt man das Bisherige zusammen, so zeigt sich, dass das Motiv des unschuldigen Blutes der geschichtstheologischen Dimension in den hebräischen Belegstellen der Schriften Israels eine Schwellenfunktion einnimmt. Diese kann allgemein – am Ende der Verfehlungen stehend – dem Element A zugeordnet werden, je nach Ausgestaltung der konkreten Erzählung jedoch auch das Element C verdeutlichen. Vor allem in mahnenden Texten und wörtlicher Prophetenrede wird das Motiv in den Kontext von Element B gestellt, wobei der Fortgang deutlich macht, dass das Element C meist mitzudenken ist. Wird durch das Vergießen des unschuldigen Blutes die Schwelle überschritten, ist das göttliche Gericht die notwendige Folge. Dies gilt sowohl in legitimierender als auch in „prohibitiver“ Hinsicht. Relativierend ist jedoch festzuhalten: Es besteht nur ein Automatismus vom Vergießen unschuldigen Blutes hin zum Gericht. Es ist keineswegs nachzeichenbar, dass das göttliche Gericht einzig und allein durch das Vergießen unschuldigen Blutes bedingt durch ihre jeweilige Nennung in den „Jahwe-Tag-Ansagen der Propheten“ begründet. Er verweist dabei auf Ez 30,3ff.; Jer 46,2ff.10; Jes 34,6ff.8. (vgl. WOLFF, Dodekapropheton II, 101). Die Fremdanklage der Völker wird von Schmid wiederum als Indiz einer späteren Abfassung angesehen (vgl. SCHMID, Literaturgeschichte, 193). 132 Nach Jo 4,21 muss das Blut der Judäer allerdings erst noch für unschuldig erklärt werden. Der Vers bleibt kryptisch. Möglicherweise wird hierdurch ausgesagt, dass erst dasjenige Blutvergießen, welches als Vergießen unschuldigen Blutes charakterisiert wird, die daraus folgende Gerichtslogik ermöglicht. DAHMEN/FLEISCHER , Jo, 95 gehen davon aus, dass durch die Unschuldserklärung die Überwindung von Blutschuld markiert ist, wodurch die Umkehr Gottes und sein Erbarmen für Israel als letztgültiges Wort ausgedrückt wird. 133 Dieser Belegstelle ähnelt Sib III 311–313, in welcher – wohl ausgehend von Jer 51,35 (vgl. MERKEL, Sib, 1091 Anm. 312 a) – angekündigt wird, dass Babylon mit Blut gefüllt wird, da es selbst das Blut von „guten und gerechten Männern“ vergossen hat (vgl. ebd., 1091). Auch hier liegt ein Fremdvölkerorakel vor, worin das vergossene Blut von Gerechten zum Strafgericht führt. Obgleich der Ruf des Blutes zum Himmel auffällig ist, muss dieser nicht zwangsläufig auf dem Hintergrund von 1Hen 6–11 gelesen werden (vgl. HAMILTON, Death, 98–101), sondern deutet eher auf sich ausbildende Konventionen von „Rachebitten der Gerechten“ (vgl. 2Makk 8,3f.; 1Hen 22,5–7; 47,1–4; Apk 6,10).
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
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ist. Lässt sich diese Systematik für die Texte festhalten, welche das Motiv sowohl im Hebräischen als auch im griechischen Text aufweisen, so werden im Folgenden die Texte analysiert, die vermutlich keine hebräische Grundlage haben. 4.1.2. Belegstellen in griechischsprachig-jüdischen Schriften a) 2Chr 36,5dLXX In 2Chr 36,5a–dLXX wird weitgehend wörtlich die griechische Übersetzung von 2Kön 24,1–4 in den Textzusammenhang eingetragen. Diese schließt mit dem Bericht über das Vergießen des unschuldigen Blutes, welches nun explizit Jojakim zugeschrieben ist: țĮ ਥȞ ĮȝĮIJȚ ਕș, મ ਥȟȤİİȞ ǿȦĮțȚȝ țĮ ʌȜȘıİȞ IJȞ ǿİȡȠȣıĮȜȘȝ ĮȝĮIJȠȢ ਕșȠȣ […].134 In der LXX wird dies zur letzten Tat des Königs ehe von der ersten Eroberung Jerusalems (598 v.Chr.) berichtet wird. Dies markiert eine spannende Differenz zu den Chroniken insgesamt, in welchen das „dtr“ Schema der voranschreitenden Schuldhaftigkeit der Könige Judas bzw. die aufgeschobene Vernichtung aufgrund des Fehverhaltens Manasses aufgegeben wird: „[…] der Grund für die Zerstörung mußte ausschließlich im Verhalten von Zidkija und seinen Zeitgenossen liegen.“135 Die Ursache für Exil und Vernichtung wird also in 2ChrMT gänzlich der letzten Generation zugeschrieben, wobei durch die eigenständige Komposition eher Allgemeinplätze fokussiert sind. Die Fehltaten Zedekias münden allesamt in die „bewußte Ablehnung der göttlichen Autorität“,136 wobei das Fehlen von Fremdgötterdienst auch für das Chronikbuch ungewöhnlich ist.137 Das Versagen von Fürsten, Priestern und Volk wird nun als kultisches gezeichnet. Die Ursache für das Gericht ist aber letztlich in der Abweisung der Umkehrprediger Gottes und deren Schmähung begründet.138 Diese Zuspitzung auf die letzte Generation durchbricht die Fassung der LXX, insofern sie nun das Versagen eines Einzelnen wenigstens für die erste Eroberung in den Vordergrund stellt. Damit bietet das Motiv des unschuldigen Blutes in der LXX eine zusätzliche Erklärung für das Exil auf, wobei der einschränkende Kommentar țĮ Ƞț șȜȘıİȞ țȡȚȠȢ ਥȟȠȜİșȡİ૨ıĮȚ ĮIJȠȢ implizieren könnte, dass nur das erste Exil dadurch gesondert betrach-
134 Während in 2Kön 24,3f.MT/LXX (RA-Text) naheliegt, dass die beschriebenen Taten auf Manasse verweisen und damit das Scheitern Jojakims relativiert wird, wird das Vergießen unschuldigen Blutes in 2Kön 24,3f.LXX (ANT-Text) explizit Jojakim zugeschrieben. 135 JAPHET, 2Chr, 504. 136 JAPHET, 2Chr, 505. 137 Vgl. 2Chr 21,6.10b–11; 28,2–4.22–25; 33,3–7. 138 Vgl. JAPHET, 2Chr, 506.
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
tet wird und für das zweite die Generation Zedekias weiterhin allein haftet.139 Jedenfalls ist das Motiv auch hier als Schwelle anzusehen, die durch Übertretung das (erste) Exil unausweichlich macht. Falls die Zuschreibung an Jojakim mit dem Versagen der Generation Zedekias verbunden ist, wäre das Motiv ein Ausdruck von Element C; andernfalls ließe es sich als Element A deuten, wobei aufgrund der chr Tendenz das singuläre Versagen Jojakims das (erste) Gericht auslöst. Zentral ist, dass hier die Logik des dtrGB in die Chronik eingetragen wird und als Fremdkörper erkennbar bleibt. Dadurch verdeutlicht sich, wie eng das Motiv des unschuldigen Blutes mit einem „dtr“ geprägten Denkhorizont verwoben bleibt. Bedeutsam ist zudem die konditionale Bestimmung, wonach Blutvergießen eine zentrale Ursache für Landverlust darstellt. b) 2Makk 1,8 Mithilfe der Ergebnisse zu 2Chr 36 erklären sich auch die beiden Belege in den Makkabäerbücher, welche ebenfalls kaum in einem „dtr“ Geschichtshorizont agieren.140 In 2Makk 1,8 ist das Motiv in einen vorangestellten Brief an die Diaspora eingebunden (1,1–10a). In diesem wird bereits auf die Geschehnisse zurückgeblickt.141 Die Darstellungen der Gräuel, die durch Jason verursacht wurden, enden mit dem Vergießen unschuldigen Blutes als Höhepunkt. Das Motiv markiert erneut eine Zäsur, wobei das folgende Gericht nicht berichtet wird. Stattdessen impliziert die Erhörung des Gebets gepaart mit Anspielungen auf das Chanukka-Wunder einen erfolgreichen Aufstand, der sich als Gericht über die Blutvergießer verstehen lässt. Das Motiv lässt sich daher als Schwellenüberschreitung verstehen, die das göttliche Eingreifen begründet.142 Als rudimentäre Spuren des dtrGB lassen sich erstens die Gotteswirksamkeit in der Geschichte benennen, insofern die 139
Es wäre auch denkbar, die Erweiterung in die Rezeptionsgeschichte von 2Kön 21; 24 zu verorten, insofern unschuldiges Blut die Tötung von Propheten meint (s.o. bei Anm. 61– 64). Dann wäre das Vergießen unschuldigen Blutes durch Jojakim gleichbedeutend mit der Ablehnung der Boten Gottes (2Chr 36,15f.), wodurch für beide Exile die gleiche Ursache angezeigt ist. 140 So hält STECK, Israel, 189 Anm. 2 fest, dass die Makkabäerbücher eine der wenigen Schriften darstellen, in denen das dtrGB nicht aufgegriffen wird. 141 Die Eigendatierung des Briefes auf das Jahr 188 wird von Dobbeler mit Verweis auf die seleukidische Zeitrechnung ab 312 v.Chr. auf 124 v.Chr. datiert (DOBBELER, 1/2Makk, 162). 142 Auf welche Art und Weise das göttliche Eingreifen erfolgte, wird im Brief nicht gesagt. Welches Hintergrundwissen den Adressaten bekannt war, muss offenbleiben. Falls es Grundkenntnisse zum makkabäischen Aufstand gab, könnte das Gedankenmuster impliziert sein, dass unschuldiges Blut durch Blut gesühnt wurde. Dies würde eine gewisse Verschiebung zur dtr Geschichtsreflexion darstellen, insofern dieser Prozess innerhalb des Landes (d.h. ohne Exil) und innerhalb des Volkes stattfand.
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
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„Gotteskrieger“ der Makkabäer keine Erwähnung finden. Zweitens gründet auch die folgende Geschichtsentwicklung einzig im Wirken Gottes. Drittens wird die Schuld einem Hohepriester aus den „eigenen Reihen“ angelastet und nicht Antiochus IV., sodass gilt: „Das Unglück über die Juden kam von den Juden, die sich gegen Gott, den Tempel und das Gesetz gewandt hatten; das Glück/das Heil kam zu den Juden von denen, die sich Gott zuwandten und ihn um Hilfe baten.“143 Für die Geschichtsdarstellung des Briefes wird deutlich, dass nicht nur die kultische Verfehlung, sondern auch das Vergießen des Blutes das göttliche Eingreifen zugunsten der Beter unumgänglich machte, weshalb hier die Elemente A und C anklingen. c) 1Makk 1,37 In einen anderen Kontext ist der Beleg in 1Makk 1,37 zu stellen. 1Makk 1–2 bilden das Fundament des Buches. Antithetisch stehen sich die „Abtrünnigen“ in Israel (auf Seiten der Seleukiden unter Antiochus IV.) und Mattathias und seine Söhne gegenüber.144 Die folgende Geschichtsdarstellung der zunehmenden Eskalation, auf welche Mattathias reagiert, wird nicht allein den Seleukiden, sondern auch ihren Unterstützern im judäischen Volk angelastet. In die Konfrontation zweier Völker ist zugleich eine innerjüdische Konfliktgeschichte eingetragen. Dies ist insofern zentral, als dass die „Schuldfrage“ des Makkabäerbuches nicht nur Fremd-, sondern auch „Eigen“-Verantwortung kennt, was dem dtrGB ähnelt. Das Motiv in 1Makk 1,37 entspricht durch den literarischen Kontext einer niederschwelligen Zäsur, ist gleichwohl aber als Schwellenelement (nicht aber die Schwelle) verstehbar.145 Trotz der 143
DOBBELER, 1/2Makk, 166. DOBBELER, 1/2Makk, 47f. sieht hierin das zeitgeschichtliche Interesse des Buches innerjüdische Oppositionsbewegungen in der zweiten Generation zu unterbinden. 145 Das erste Kapitel beginnt mit einer Darstellung der griechischen Herrschaft nach Alexander (1Makk 1,1–10), gefolgt vom Auftreten der innerjüdischen Opposition gegen das Gesetz, also den hellenistischen Reformern (1Makk 1,11–15). Der nächste Block umfasst den umfangreichen Zugriff der Seleukiden auf die Judäer/Juden (1Makk 1,16–64), wobei sich hier drei Schwerpunkte ausmachen: Angriff auf den Tempel (1Makk 1,16–28), die Stadt (1Makk 1,29–40) und die Identität des Volkes (1Makk 1,41–64). Die Dramatik des letzten Abschnittes ergibt sich weniger aus einer existenziellen Vernichtung des Judentums. Vielmehr handelt es sich zuvorderst um die Abrogation der religiösen Identität, die jedoch in ihrer Auswirkung eine Auslöschung des gesetzestreuen Judentums zum Ziel hat (1Makk 1,60f.; vgl. auch DOBBELER, 1/2Makk, 55–59). Das Motiv selbst ist nun in die Darstellung der Verwüstung der Stadt eingebunden; nach ebd., 54 ein „Klagegedicht des Volkes“ (1Makk 1,36–40). Dieses bindet das Schicksal der Bewohner zusammen: die Verwüstung des Tempels und die Tötung der Bewohner (vgl. 1Makk 1,21–24) sowie die anschließende Flucht der Bewohner (1Makk 1,38) samt drohenden/vollzogenen religiösen Identitätsverlusts (1Makk 1,39f.). Damit markiert auch hier die Nennung des unschuldigen Blutes eine gewisse Zäsur, wobei sie weniger eindeutig ist. Versteht man 1Makk 1,41–64 144
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
Hineinnahme der innerjüdischen Gegner in das Fehlverhalten der Seleukiden, lässt sich ein dtrGB nur schwer an den Text herantragen. Wenn überhaupt ließe sich nur das Anhäufen von Sünden benennen, womit zuvorderst an Element A zu denken ist. Obwohl das Motiv hierin weniger stark in die bisherige Ausdeutung eingebunden ist, so zeigen sich dennoch mit dem Zusammenhang von Verunreinigung und Verwüstung konstitutive Aspekte, die bereits zuvor aufgezeigt wurden. d) TestLev 16,3 TestLev 16,1–5 ist trotz apokalyptischer Einsprengsel Ausdruck des dtrGB, wobei TestLev 16,2 die dtrPA abbildet.146 Allgemein gilt TestLev 16,3 ob seiner christologisch anmutenden Zuspitzung als sekundäre Ergänzung. 147 In der greifbaren Fassung wird jedenfalls deutlich, dass das unschuldige Blut zwar den hervorgehobenen Gesetzeserneuerer meint, zugleich aber dessen Tötung den Höhepunkt der Abweisung aller Propheten umfasst. Dementsprechend ist in der vorliegenden Form das Vergießen unschuldigen Blutes die entscheidende Zäsur, die zum Gericht in 16,4 führt. Das Motiv ist hier ein klassischer Ausdruck von Element C.148 e) 2Bar 64,2 Die apokalyptische Schrift 2Bar, die am Anfang des 2. Jahrhunderts n.Chr. in Palästina entstand,149 greift in 2Bar 64 auf die stereotype Negativzeichnung des Manasse zurück.150 Diese wird im Vergleich zu den biblischen Vorwürfen erweitert, wobei weiterhin die kultischen Vergehen den Schwerpunkt darstellen. Der Vorwurf des Vergießens unschuldigen Blutes hat in diesem Zusammenhang kein Alleinstellungsmerkmal, sondern reiht sich in die drastische Vorwurfsreihe ein. Das Verhalten Manasses wird für das Gericht über die als Ausführungen zum religiösen Identitätsverlust aus 1Makk 1,39f., so schlösse die Reaktion der Makkabäer an den vorherigen Sachverhalt an. Dies ließe sich auch durch die Klage Mattathias’ in 1Makk 2,7–13 unterstreichen, die nochmals die Verwüstung des Tempels und die Tötung der Bewohner rekapituliert. Stellt damit das Motiv zwar als ein Aspekt der Vernichtung/Tötung des Volkes ein konstitutives Element der Erzählung dar, so darf man nicht darüber hinwegsehen, dass die Entweihung des Tempels im Fokus steht. 146 Vgl. STECK, Israel, 150–152. 147 Während die Grundschrift in den frühjüdischen Kontext zu verorten ist, wird dieser Vers zumeist als christliche Glosse identifiziert (vgl. WOSCHITZ, Parabiblica, 358). 148 STECK, Israel, 151 rekurriert in seiner Einordnung für TestLev 16,1–5 v.a. auf die Elemente A, D und F. Dies ist auch darin begründet, dass er das dtrGB v.a. in eschatologischen Abschnitten erkennt. Jedoch kann auch er in seiner Listendarstellung nicht gänzlich auslassen, dass TestLev 16,2 gleichsam Ausdruck von Element B und C ist. 149 Vgl. WOSCHITZ, Parabiblica, 738. 150 S.o.S. 57 Anm. 64.
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
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zweieinhalb Stämme verantwortlich gemacht sowie für den Auszug der Kabod Gottes aus dem Tempel (2Bar 64,5). Der Text bezeugt abermals das Zueinander von Manasse und dem Vergießen unschuldigen Blutes. Möglicherweise ist dies mit der Tötung von Propheten auszudeuten.151 Das Motiv nimmt hier zwar keine Vorrangstellung ein, aber die Einordnung in ein dtrGB und eine Zuordnung zu Element A bzw. C lassen sich durchaus erkennen. f) Zusammenfassung Insgesamt lässt sich für die geschichtstheologische Dimension festhalten, dass das Motiv des unschuldigen Blutes eine Schwellenfunktion einnimmt, die zumeist als ein Aspekt innerhalb des dtrGB fungiert. Überwiegend markiert das Vergießen unschuldigen Blutes das letzte Moment, an dem sich entscheidet, ob das Gericht erfolgt oder nicht. Ein (optionales) Unterlassen wird mutatis mutandis als Garant für das Ausbleiben des Strafgerichts herangezogen (vgl. Jer 7,6; 22,3; 26,15). Im weiteren Verlauf ist nun zu prüfen, ob das Motiv diese Schwellenfunktion auch in anderen Dimensionen einnimmt. 4.2. Rechtliche Dimension Die Belegstellen dieser Dimension entstammen allesamt dem Dtn. Dieses setzt in seiner jetzigen Form das Exil voraus und lässt darin einen reflektierten Umgang mit der eigenen Geschichte erkennen. 152 Besonders deutlich tritt dies in den Flüchen in Dtn 28 hervor, die die Erfahrungen der Stadtzerstörung und des Exils verarbeiten.153 Zudem ist die in der Bundestheologie angelegte Zuordnung von Landbesitz und Gesetzesbeachtung154 als Ausdruck
151 Vgl. STECK, Israel, 84 Anm. 5. 2Bar wäre demzufolge in den Traditionsstrang einzuordnen, welcher das unschuldige Blut mit getöteten Propheten in Beziehung setzt (s.o. bei Anm. 61–64). 152 Vgl. RÖMER, Deuteronomismus, 3.8. 153 Vgl. OTTO, Dtn II/1, 2021. Die Folgen bei Abweichung vom Gesetz werden in drastischen Bildern eines beschwerlichen Lebens samt Landverlust und Exilierung umschrieben (vgl. Dtn 28,21.37.63f.). Bestimmt man zudem Dtn 30,19f. als den hermeneutischen Schlüssel der Segens- und Fluchthematik in Dtn, wird deutlich, dass diese nicht nur die Frage nach dem Leben im Land im Blick hat, sondern es mit der Gegenüberstellung von Leben (Segen) und Tod (Fluch) um alles geht (vgl. LEUENBERGER, Segen, 101). 154 Vgl. SCHAPER, Heil, 71: „Das Deuteronomium stellt einen Zusammenhang zwischen Heil, Gedächtnis und Geschichte her. Das Heil Israels liegt im Besitz seines Landes. Der Besitz des Landes ist einzig und allein durch die Befolgung des Gesetzes zu sichern. Die Befolgung des Gesetzes ist nur durch Internalisierung des Gesetzes durch das Individuum zu sichern. Die Internalisierung des Gesetzes ist nur durch die Schaffung eines prägenden, Identität und Zusammenhang der sozialen Gruppe durch die Generationen hindurch gewährleistenden kulturellen Gedächtnisses zu sichern. Dieses kulturelle Gedächtnis bezieht seine Legitimation aus einer fiktiven Geschichte Israels. Von zentraler Bedeutung ist bei
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
der geschichtlichen Kontingenzbewältigung zu greifen. 155 Dementsprechend könnten die dtn Belege auch als Ausdruck der geschichtstheologischen Dimension verstanden werden, die nicht in erzählender oder prophetischmahnender, sondern in rechtlicher Form gekleidet sind. In literaturgeschichtlicher Hinsicht ist jedoch eine Differenzierung notwendig, da die Belege des Motivs in Dtn 19; 21 aus dem dtn Gesetz und damit möglicherweise aus dem ältesten (und daher vorexilischen) Bestand stammen.156 Sie wären demnach auch die ältesten Zeugen für das Motiv an sich.157 Das dtn Gesetz verfolgt als Überarbeitung des Bundesbuches die Programmatik der Kultzentralisation und wird daher mit der Josianischen Reform in Verbindung gebracht (622 v.Chr.).158 Eine Verarbeitung des Exils (587 v.Chr.) lässt sich daher nur schwerlich voraussetzen.159 Ist diese Zeichnung korrekt, dann stünden zu Beginn der literaturgeschichtlichen Entwicklung des Motivs die dtn Gesetzespassagen, welche noch in staatlicher Zeit eine Eindämmung von Blutschuld zum einen durch die Asylstädte-Regelung (19,1–13*),160 zum anderen durch die kultrechtliche Entsühnung (21,1–9*) anstrebten. Vielleicht in diesem Stadium, wahrscheinlicher aber erst in einer späteren (exilisch-nachexilischen) Überarbeitung wird die Landthematik eingetragen, die diese Gesetzesbestimmungen an den Erhalt des Landes
alledem nicht diese fiktive Geschichte, sondern die Etablierung eines kulturellen Gedächtnisses zum Zwecke des Tuns des Gesetzes“ (Hervorhebung im Original). 155 Vgl. GERTZ, Tora, 307f. An der Konzeption des Bundes wird das Proprium der dtn/dtr Theologie besonders deutlich. Wohl in Abgrenzung zu einem allzu engen Zusammenhang zwischen menschlicher Verantwortung (Gesetzestreue) und Bestehen des Bundes formuliert bspw. die Priesterschrift ein einseitiges Bundesverständnis aus (vgl. Gen 9; 17). Dies unterstreicht als Gegenfolie nochmals die konstitutive Voraussetzung der Gesetzestreue im dtn Gesetz (vgl. auch OTTO, Dtn I/1, 249). 156 So urteilt bspw. ROSE, Dtn I, 142–144 wenngleich das Motiv sowohl der ersten (Hiskia-Zeit) als auch der zweiten Schicht (Josia-Zeit) zugeordnet wird. Anders OTTO, Dtn II/1, 1521–1524. 157 Vgl. WARMUTH, ThWAT V, 599. 158 Vgl. GERTZ, Tora, 257f. 159 Möglicherweise könnte aber ein geschichtliches Wissen um das Schicksal des Nachbarstaates Israel bereits auf die unbedingte Einhaltung von Recht und Gerechtigkeit, wie sie im dtn Gesetz zum Ausdruck kommt, als Bedingung für die Vermeidung desselben Schicksals auf den Gesetzestext eingewirkt haben. So bestimmt Schmid den Forschungsstrang von Wellhausen und Cross ausgehend als denjenigen, der Sam–Kön nicht als Begründung des Exils von 587 bestimmt, sondern mit der negativen Beurteilung der Nordreichkönige und dessen Untergang „die Notwendigkeit der josianischen Reform begründet hat“ (SCHMID, Literaturgeschichte, 81f.). 160 Nach Schmid erklären sich die Asylstädte als Reflex auf die Kultzentralisation, insofern sie „als Ersatz für die vormalige Asylfunktion der Ortheiligtümer (Ex 21,12–14)“ benötigt werden (SCHMID, Literaturgeschichte, 107; vgl. ROSE, Dtn I, 139).
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rückbindet.161 Dadurch werden die gesetzlichen Vorgaben nun nicht mehr als Gesetz allein relevant, sondern auch als Erklärung des Landverlusts wirksam.162 Als Kehrseite wäre demnach zu lesen: Weil Blutschuld nicht eingedämmt und unschuldiges Blut im Land vergossen wurde bzw. ungesühnt blieb, stellt sich die jetzige Situation des Exils so dar. Diese Komplexität, welche durch die doppelte historische Kontextualisierung gegeben ist, ergibt sich nicht allein aus der Differenz von erzählter Zeit und Erzählzeit.163 In der nachstaatlichen Fassung ist das Dtn auch als Geschichtsdeutung und Neukonstitution der Exilgemeinde anzusehen. 164 Dieser Neubeginn wird jedoch an den Anfang zurückprojiziert, also in die Zeit der ersten Landnahme. Als Drohkulisse dienen implizit die eigenen Erfahrungen des Landverlusts. In der literarischen Fiktion wird dem mosaischen Volk der Landverlust bei Missachtung der Gesetze angedroht. Das Gesetz droht also mit einem Szenario, das für die wiederzurückkehrende Exilgemeinde bereits zur Wirklichkeit wurde. Israel steht nun erneut vor dem Einzug in das Land, welches JHWH ihm geben wird. Wie zuvor hat das Volk die Chance, mit der Einhaltung der Gebote ein gesegnetes Leben im Land zu führen und bei Missachtung dieser als Fluchfolge aus dem Land gerissen zu werden. Die rechtlichen Forderungen bilden damit einen schwerwiegenden Tun-Ergehen-Zusammenhang ab, bei welchem das Leben im Land konditionell vom Befolgen der Gebote abhängig ist. Darüber hinaus ist der eigentliche Adressatenkreis, d.h. die Exilgemeinde, welche in die Hörerschaft des „fiktiven“ mosaischen Volkes einbezogen ist, doppelt gewarnt – ihnen sind die Folgen der Gesetzesmissachtung bereits bekannt. Dieser Aspekt bleibt trotz der potenziellen literaturgeschichtlichen Vorbauten als hermeneutischer Ansatz relevant. Die (vorexilischen) Gesetze sind demnach in eine nachstaatliche Geschichtslogik eingeordnet und sollen in dieser interpretiert werden. Dies gilt in besonderem Maße, je stärker die Landthematik an die gesetzlichen Bestimmungen rückgebunden wird.165 a) Dtn 19,10.13 Mit Dtn 19,1.2.3.8.10 liegen fünf explizite Verweise auf das Land als Erbbesitz vor. Hierin begründet sich ein Anfangsverdacht, dass mit dem Einhalten der konkreten Gebote zur Sicherung des Landbesitzes, auch die Kehrseite 161 Vgl. Dtn 4,25–27.40; 6,7 (vgl. hierzu auch VOS, Land, 6.2; 6.5; OTTO, Dtn II/1, 1533.1632). Rose sieht die Landthematik, im Sinne des Landbesitzes, als besonderes Anliegen der dritten Schicht (babylonische Zeit) an. Nach seiner Auffassung steht insbesondere in Dtn 21,1–9 eine archaische Vorstellung von Ackerboden im Hintergrund, welcher seine Fruchtbarkeit bei Mord versagt. Dies wird später transformiert, sodass im jetzigen Zusammenhang das Erbland gefährdet ist (vgl. ROSE, Dtn I, 121–130). 162 Vgl. BERLEJUNG, Erde, 163. 163 Vgl. ROSE, Dtn I, 3. 164 Vgl. OTTO, Dtn I/1, 274–280. 165 Ähnlich JAPHET, 2Chr, 509f.
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
aufgerufen ist, wonach die Missachtung desselben den Landverlust zur Folge hat.166 Dieser Eindruck verstärkt sich rhetorisch durch die durchgehende Anrede des Volkes.167 Inhaltlich werden der Umgang mit Mord/Totschlag und die damit verbundene Blutrache diskutiert, wobei die Asylstätte als Zwischeninstanzen zur Rechtsprechung eingeführt wird. Dabei werden zwei Beispielfällen skizziert: die Bewahrung des schuldlosen Totschlägers vor Blutrache sowie die Auslieferung des asylsuchenden schuldhaften Täters.168 In beiden Fällen geht es um den rechten Umgang mit unschuldigem Blut.169 Im ersten Fall ist der „Totschläger“ vor Blutrache zu schützen. Würde er im Kontext der Blutrache getötet werden, wäre dies ein Fall von unschuldigem Blut, welches es zu verhindern gilt.170 Für die Unterbrechung des Gewaltzyklus und des Blutvergießens wird allerdings das Volk in Haftung genommen wird. Da diese nach Dtn 19,10 in den Kontext des Landerbes gestellt ist, zeigt sich hier abermals das unschuldige Blut als Schwellenmotiv. Versagt nun das Volk in der Sicherung unschuldigen Blutes, so haftet Blutschuld auf ihm und das Blut wird von ihm gefordert.171 Für die dtn Theologie könnte demnach zugespitzt formuliert werden: Das Volk haftet mit seinem Erbbesitz, dem Land dafür, dass kein unschuldiges Blut im System der Blutrache vergossen wird.172 166 OTTO, Dtn II/1, 1533 sieht diese Perspektive als Ausdruck einer dtr Fortschreibung im 6. Jahrhundert an; ähnlich ROSE, Dtn I, 144f. Die intratextuelle Referenz auf Dtn 4,42 und deren Kontext der Einschärfung der Gesetzesbeachtung zur Landsicherung (vgl. Dtn 4,25–27.40) verstärkt die Thematik zusätzlich. 167 Rose weist diese Ausweitung in der Anrede auf Israel einer zweiten Schicht (= erste Bearbeitung) in josianischer Zeit zu. Dabei stellt er die besondere Konditionalität hinsichtlich der Blutschuld heraus, die auf Israel bezogen wird: „[…] wenn Israel (‚du‘) nicht für die Einrichtung von (weiteren) Asyl-Städten Sorge trägt, wird es gesamthaft mitschuldig am Blut-Vergießen und ‚auf dir (betont!) wird Blutschuld sein‘“ (ROSE, Dtn I, 144; Hervorhebungen im Original). 168 Zur Gliederung des Textes vgl. ROSE, Dtn I, 142. 169 Es lässt sich kaum rekonstruieren, weshalb in diesem und folgenden Rechtsfall ʭʣ ʩʷʰ in der LXX mit ĮੈȝĮ ਕȞĮIJȚȠȞ wiedergegeben wird, während in Dtn 27,25 ĮȝĮIJȠȢ ਕșȠȣ zu stehen kommt. Mit Verweis auf den masoretischen Textbestand wird von einer Bedeutungsgleichheit ausgegangen. 170 Hier muss gleichwohl die Logik aus Gen 9,6 mitgedacht werden: Der Täter, welcher Blut vergießt, haftet mit seinem Blut (vgl. ROSE, Dtn I, 121f.138f.). 171 In der Neufassung des Gesetzestextes in Num 35,33 wird die Verunreinigung hingegen direkt auf das Land übertragen (vgl. BRAULIK, Dtn II, 141f. Anm. 10; zur literaturgeschichtlichen Abhängigkeit von Num 35 von Dtn 19 vgl. auch ROSE, Dtn I,139; SEEBASS, Numeri, 424–428), womit die Perspektive des Landverlusts wohl stärker mit der Fruchtbarkeit des Bodens in Verbindung steht (vgl. bspw. die mythologisch ausladende Interpretation bei LEVINE, Num, 562). 172 Dieser Zusammenhang bleibt letztlich auch in der LXX erhalten, obgleich die aus dem Sachverhalt resultierende Blutschuld nicht mehr auf das Land, sondern eine Person hin zugespitzt wird (vgl. DEN HERTOG/LABAN/POLA, Deuteronomion, 574).
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
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Dieselbe Logik gilt auch im umgekehrten Fall, wie das „Fazit“ in Dtn 19,13 zeigt. Im zweiten Beispielfall wird unterstrichen, dass der schuldige Mörder in keinem Fall vom Volk beschützt werden darf, sondern seiner gerechten Strafe überantwortet werden muss. Wird also ein Asylsuchender des Mordes überführt, muss er dem Bluträcher ausgehändigt werden. In diesem Fall entspräche das unschuldige Blut der ermordeten Person, deren Blut nur durch das Blut des Täters gesühnt werden kann und muss. Hier wird die konditionale Bedingung noch schärfer formuliert: Dies Auslieferung des Täters muss erfolgen, damit es dem Volk gut gehe. Auch hier liegt die umgekehrte Drohung auf der Hand: Das Volk haftet mit seinem „Wohlergehen“.173 Zusammenfassend gilt daher: In diesem doppelten Sinn deckt die Abschlußformel beide in der gesetzlichen Bestimmung genannten Fälle: a) es muß ausgeschlossen werden, daß der ‚Bluträcher‘ Blut eines Menschen vergießt, der nach den Normen der Gerichtsbarkeit ‚unschuldig‘ ist; b) es muß ausgeschlossen werden, daß das durch einen Mörder vorsätzlich vergossene Blut durch eine Asyl-Regelung ‚ungesühnt‘ bleibt.174
Es zeigt sich damit, dass auch hier der Umgang mit dem unschuldigen Blut in einen konditionalen Zusammenhang mit dem Landbesitz/-erhalt eingebunden ist,175 der eine Schwelle vermuten lässt, deren Überschreitung es in jeden Fall zu verhindern gilt. b) Dtn 21,8f. In Dtn 21,1–9 bildet das Land ebenfalls den konstitutiven Bezugspunkt der Gesetzgebung.176 Zwar ist dies weniger terminologisch dicht als in Dtn 19, jedoch lässt sich das gesamte Kapitel als eine Einheit verstehen, die sich mit der Reinheit des Landes auseinandersetzt.177 Im Fokus steht erneut die Ver173
Mit Dtn 4,40; 5,16.33; 6,3.18; 10,13; 12,25.28; (22,7) wird deutlich, dass ein solches Wohlergehen mit dem Leben im Land verbunden ist. 174 ROSE, Dtn I, 142. 175 Ähnlich SCHÜNGEL-STRAUMANN, Tod, 217–219. 176 OTTO, Dtn II/1, 1624 zeigt zudem enge Verknüpfungen der beiden Perikopen auf: „Dtn 19,1–13 und Dtn 21,1–9 sind als Fall und Gegenfall des aufzuklärenden und des nicht aufzuklärenden Tötungsfalls aufeinander bezogen.“ 177 Vgl. OTTO, Dtn II/1, 1623f.1626. Rose differenziert zudem die Intentionen dieser Landthematik in den unterschiedlichen literarischen Schichten aus. Während in der Grundschicht die Gefährdung der ʤʮʣʠ im Fokus liegt und das vergossene Blut eine Bedrohung für die Fruchtbarkeit des Ackerlandes darstellt, wird in der dritten Schicht das typische Anliegen einer geschichtlichen Kontextualisierung des Landes als Landgabe eingetragen. Für diese sei ʤʮʣʠ gleichbedeutend mit ʵʸʠ, weshalb die „archaisch-mythisch Tiefendimension“ gänzlich übergangen wird (vgl. ROSE, Dtn I, 122f.127). Entscheidend ist, dass die Endfassung des Textes einen Zusammenhang zwischen Landerhalt und Kompensationsritus für das unschuldig vergossene Blut aufweist (ähnlich BRAULIK, Dtn II, 152; FRYMER-KENSKY, Pollution, 408).
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
antwortung des Volkes für den aufgefundenen Toten und der damit vorhandenen Blutschuld.178 Das zentrale Anliegen des Rechtstextes ist die Kompensation dieser Blutschuld, wobei die Rechtsfiktion voraussetzt, dass der Täter unbekannt bleibt (Dtn 21,1).179 Der Zielpunkt ist, das unschuldige Blut als das Volk gefährdende Größe zu tilgen und so die Rechtsetzung JHWHs zu wahren. Mit Blick auf die Reinheit des Landes (vgl. Dtn 21,23) bedarf es also der rituellen Kompensation. Andernfalls bliebe das unschuldige Blut als Unheilsphäre weiterhin in Israel, wobei gleichermaßen das Volk haftet (Dtn 21,8). Damit bildet das Motiv des unschuldigen Blutes auch hier eine Drohkulisse ab, die den Erhalt bzw. das Erbe des Landes zur Disposition stellt. Der Ritus dient demnach als „Schwellenbrecher“, damit die Konsequenzen des Übertritts eingeholt werden können und damit das implizite Strafgericht (d.h. die Bluthaftung des Volkes) ausbleibt.180 Das Motiv tritt erneut als Schwellenmoment in Erscheinung.181 c) Dtn 27,25 Allgemein lässt sich sagen, dass die Fluchreihe in Dtn 27 in die bisherige Lesart einzuzeichnen ist.182 Dieser Fluchdodekalog setzt bereits den Fortgang der Moserede in Kap. 28f. und die dort verhandelte Fluch- und Segensthematik voraus.183 Die enge Rückbindung verdeutlicht nun, dass die in Dtn 28f. eingetragene Konditionierung, die das Leben im Land, ob dieses gesegnet oder verflucht ist, an das Halten der Gebote zurückbindet, auch in die Fluchreihe einzutragen ist.184 In einer solchen synchronen Lesart dienen die Flüche in Dtn 27 als Rechtsrückversicherung im Falle einer unbekannten Gebotsübertretung, die nicht geahndet werden kann. Damit soll verhindert werden, dass das zukünftige Heil aufgrund mangelnder Gesetzestreue ausfällt.185 Zwar fehlt die Landthematik in der Fluchreihe, doch durch die Rückbindung an Kap 28f. tritt sie umso deutlicher hervor. Ergiebig ist zudem die Beobachtung, dass die jeweiligen Einzelflüche vom Volk kollektiv durch „Amen“ bestätigt werden. Dies impliziert zugleich eine 178
Vgl. BRAULIK, Dtn II, 151. ROSE, Dtn I, 123 insistiert darauf, dass im hebräischen Perfekt ʲʣʥʰʠʬ die erfolglose Untersuchung des Falls unter Ausschöpfung der rechtlichen Mittel angelegt ist. Es geht folglich um die Regelung eines Tatbestandes, auf Basis einer „absolute(n) Ergebnislosigkeit aller Untersuchungs-Verfahren.“ 180 Zum Ritus selbst vgl. ROSE, Dtn I, 124f. und unter IV.2.3. 181 Gleichwohl ist es sicherlich nicht die einzige Schwelle, sofern das gesamte Kapitel verschiedene Grenzfälle auslotet. 182 Zu weiteren Ausführungen zu Dtn 27,25 als zentraler Intertext zu Mt 27,4 s.u. III.2.2. 183 Vgl. OTTO, Dtn II/1, 1957. 184 Vgl. OTTO, Dtn II/1, 1957f. 185 OTTO, Dtn II/1, 1958. 179
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kollektive Haftung des Volkes für das Einhalten des Gesetzes, wobei der konkrete Gesetzesverstoß jedoch am Einzeltäter ausformuliert wird.186 Damit das Volk nicht in Haftung genommen wird, bspw. für den Justizmord in Dtn 27,25, spricht es einen Fluch über das Fehlverhalten aus, welcher den jeweiligen Täter zur Rechenschaft zieht bzw. als Schuldigen behaftet. Dementsprechend liegt auch hier ein kollektives Gefährdungspotenzial dem Handeln zugrunde, d.h. der drohende Landverlust (vgl. insbesondere Dtn 28,58.63–65), welches durch die Fluchsprüche behoben wird. Neben vielen anderen Fehlverhalten tritt auch hier das Motiv des unschuldigen Blutes als Schwellenmotiv auf, wenngleich die negativen Konsequenzen durch den Fluch kompensiert werden sollen. Im Fluchkatalog selbst nimmt das Motiv einen Schwerpunkt ein, insofern es abermals am Ende einer Auflistung zu stehen kommt, ehe in Dtn 27,26, gewissermaßen zusammenfassend, das Halten der Thora durch einen Fluchspruch konditioniert wird. 4.3. Individuelle Dimension In den Belegstellen, die der individuellen Dimension zugeordnet sind, finden sich nur wenige Rückbezüge auf die Landthematik. Dies liegt auch in der entsprechenden Kategorisierung begründet, die gesondert wahrnimmt, dass sich das Motiv des unschuldigen Blutes nicht nur im Rahmen kollektiver Verantwortung findet (so bspw. auch die „individuellen“ Fälle von Jer 26,15 oder der beiden hypothetischen Mörder in Dtn 19), sondern in konkreten Szenarien persönlicher Blutschuld. Das Motiv findet sich dabei v.a. in den Konfliktgeschichten der frühen Königszeit und ist hier stets mit der Person Davids verbunden (1Sam 19,5; 25,26.31; 1Kön 2,5). Hervorzuheben ist auch, dass es nicht nur durch alternative Wortwahl Abweichungen zwischen dem griechischen und hebräischen Text gibt (vgl. Dtn 19), sondern bisweilen nur der griechische Text das Motiv bezeugt (v.a. 1Sam 25). Angesichts dieser Quellenlage werden die Belegstellen gesondert gruppiert. Die erste Gruppe umfasst die Belege, welche im Hebräischen den Terminus ʩʷʰ ʭʣ aufweisen und bei denen dies im griechischen mit ਕșȠȞ oder einem Äquivalent (įțĮȚȠȞ) wiedergegeben wird: 1Sam 19,5; Ps 94,21; Spr 6,17; Jon 1,14. Eine zweite Gruppe umfasst die LXX-Stellen, welche ĮੈȝĮ ਕșȠȞ ohne Äquivalent im MT aufweisen: 1Sam 25,26.31; 1Kön 2,5. In der dritten Gruppe finden sich die Stellen wieder, die keinen hebräischen Bezugstext aufweisen, weshalb keine Änderung eines hebräischen Textes behauptet werden kann: Est 8,12eLXX; SusTh 62; TestSeb 2,2; Philo spec. I 204; CIJ 725.
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Vgl. FINSTERBUSCH, Deuteronomium, 163.
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4.3.1. Erste Gruppe a) 1Sam 19,5 1Sam 19,5 bleibt vordergründig auf der Ebene der Gefährdung durch individuelle Blutschuld angesichts einer neuen Eskalationsstufe zwischen Saul und David.187 Jonathan interveniert zugunsten Davids und beschwört die Unverhältnismäßigkeit, insofern David Saul Gutes tat (1Sam 19,4) und der König unschuldiges Blut vergießen würde (1Sam 19,5).188 Das Motiv bildet erneut den Abschluss einer Auflistung. Ein erweitertes Gefährdungspotenzial dieses Blutvergießens könnte im Verlust der Königsherrschaft gesehen werden, die Saul jedoch in den Augen JHWHs bereits verloren hat (vgl. 1Sam 15,10–31; 16,1–13). Es wäre weiter zu erwägen, ob sich die Forderung des Königtums als Garant der Rechtsprechung (1Sam 8,1–9.19f.) an den verworrenen und uneinheitlichen Erzählstrang um das Königtum Sauls als Maßstab anlegen lässt.189 Falls ja, könnte man behaupten, dass der mögliche Rechtsbruch Sauls die Gefährdung des Volkes und Landes im Sinne des Dtn mit sich bringt (vgl. 1Sam 12,19–25). Damit wäre auch in dieser Episode ein Gefährdungspotenzial im Sinne der geschichtstheologischen und rechtlichen Dimension ausgemacht190 – eine Schwellensituation über die implizite Androhung individueller Blutschuld hinaus lässt sich jedoch nur schwer plausibilisieren.191
187
Vgl. DIETRICH, 1/2Sam II, 464. Vgl. DIETRICH, 1/2Sam II, 473f. 189 Vgl. COLLINET, Könige, 144–147, der das königliche Blutvergießen mit dem Königsgesetz in Dtn 17,14–20 in Beziehung setzt und das Ablassen vom Mord an David als Verzögerung des „Untergang(s) seines [sc. Sauls] Königtums“ wertet (ebd., 146). 190 Die (königliche) Blutschuld zieht sich durch das gesamte Korpus 1Sam–2Kön hindurch. David selbst wird sich an diesem Maßstab messen lassen müssen. Das Thema findet, wie zuvor gezeigt (s.o. II.4.1.1.a), seinen Höhepunkt in den Missetaten Manasses in 2Kön 21,16; 24,3f. (vgl. DIETRICH, 1/2Sam II, 474). 191 Auf diese Weise ist auch LibAnt 62,5 zu verstehen. David erbittet einen Bundesschluss mit Jonathan, nachdem zuvor deutlich wurde, dass Saul sein Königtum verwirkt hat (LibAnt 62,2) und ihm aufgrund der Liebe zwischen Jonathan und David nachstellt (LibAnt 62,3). Um die Notwendigkeit des Bundes zu verdeutlichen, verweist David auf seine Taten und der Angst, dass Saul ihn dennoch tötet. In diesem Zusammenhang ruft er aus: Sanguinem enim iustus numquam effugiet (vgl. KISCH, LibAnt, 264). Darin scheint eine Selbstidentifikation Davids mit dem unschuldigen Blut angelegt zu sein (vgl. Jer 26,15), was unmittelbare und unausweichliche Konsequenzen für Saul haben wird: Er kann dem unschuldig vergossenen Blut nicht entkommen. Hier tritt – gleich wie in 1Sam 19,5 – primär ein individueller Tun-Ergehen-Zusammenhang hervor, in welchem der Täter alleinig für das unschuldige Blut haftet (vgl. DIETZFELBINGER, LibAnt, 258 Anm. 5b). 188
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
83
b) Ps 94,21 Ps 94 zeigt Anlehnungen an eine „Gerichtsappellation“,192 die in unterschiedlichen Ausformungen zum Tragen kommt. Eine eindeutige Zuordnung verbietet sich jedoch durch den charakteristischen Mischstil, der sowohl Notschilderung als auch weisheitliche Argumentationen enthält und damit zwischen Vertrauen und Anfechtung changiert.193 Das Motiv bildet den Abschluss der persönlichen Klage (Ps 94,16–21), wobei im Zentrum offenbar die Suche nach einem Anwalt im Rechtsverfahren steht194 und das Motiv einen drohenden Justizmord umschreibt.195 Das Psalmende (Ps 94,22f.) lässt erkennen, dass sich JHWH dem Beter zugewandt hat und die Bedränger bestraft wurden.196 Das Motiv ist jedoch nicht einzig in einen individuellen Rechtsstreit eingebunden. Die Einordnung des Psalms in die JHWH-König-Gesamtkomposition Ps 93–100 ist sekundär und ungewöhnlich. Mit dem ebenfalls sekundär beigefügten Ps 97 wird im Gesamtzusammenhang die Gerichtsthematik (neu) akzentuiert: Damit gewinnt das Königtum JHWHs neben der Anbindung an Tempel und Tora folgende Aspekte: Die Schöpfung und Erhaltung des Kosmos, das Verhältnis von Israel zu den Völkern, das durch die universelle Gottesherrschaft neu bestimmt wird[,] sowie die klare Differenzierung zwischen Frommen/Gerechten und Frevlern als Konsequenz des Gerichtshandeln Gottes.197
Unter diesen Vorzeichen dient das Motiv zur Disqualifikation der Frevler, von welchen die Verwerfung in Gottes Gericht erwartet wird. Dementsprechend kann hier, in einem größeren Rahmen, das Motiv gleichwohl als ein Marker, wenn nicht gar, aufgrund der Positionierung im Psalm, als Schwelle verstanden werden, die JHWHs Eingreifen zugunsten des Bedrohten evoziert und zugleich die Vernichtung der Frevler zufolge haben muss.198 192
HOSSFELD/ZENGER, Ps II, 652. Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Ps II, 652f. 194 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Ps II, 655. 195 Damit ergibt sich eine Nähe zu Dtn 27,25, wobei hier der Aspekt der Heimlichkeit fehlt (HOSSFELD/ZENGER, Ps II, 656 verweisen hingegen auf Ps 37,32f. als nächste Parallele). 196 Dieser Aspekt ist im Kontext des Motivs insofern relevant, als dass nicht das Blut in einer Art Selbstwirksamkeit über sie kommt, wie es in anderen Stellen anklingt, sondern ein gesondertes Eingreifen JHWHs im Sinne einer bewussten Fürsprache ausgedrückt wird (ähnlich HOSSFELD/ZENGER, Ps II, 656). 197 HOSSFELD/ZENGER, Ps II, 657. 198 Eine solche Ausdeutung ist bereits durch die Überschrift „Gott der Vergeltung“ (Ps 94,1) nahegelegt. Dass diese jedoch über den verfolgten Einzelnen hinausgeht und letztlich das strukturelle Gefüge der göttlichen Gerechtigkeit/Gerichtsbarkeit berührt, wird erst in der kompositorischen Eingliederung deutlich. 193
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
c) Spr 6,17 Der Beleg in Spr 6,17 kommt in der dritten, von insgesamt vier, weisheitlichen Warnungen (Spr 6,12–19) zu stehen. 199 Das Motiv wird mit einer Vielzahl von Vergehen genannt, die JHWH besonders verhasst sind. 200 Diese Vergehen exemplifizieren die zuvor geschilderte Unruhestiftung (Spr 6,12– 14).201 Die Konsequenz dieses Handelns ist die plötzliche Vernichtung – die ausgestalteten Vergehen stellen daher (je für sich?) Schwellen dar, die bei Übertritt die notwendige Strafe nach sich ziehen (Spr 6,15). Der Text der LXX ergänzt in Spr 6,14, dass sich die Unruhen auf die Stadt auswirken.202 Demnach ist durch den Täter das Gefüge der Stadt bedroht, weshalb der Schwellenübertritt das göttliche Eingreifen zu Wahrung der Ordnung erfordert. Hier lässt sich also das Motiv des unschuldigen Blutes als Schwelle ausmachen. Der Text grenzt dabei die (katastrophalen) Konsequenzen durch JHWHs Eingreifen ein. JHWH erscheint als Rächer des unschuldigen Blutes, das als individuell zu ahnden gedacht wird, womöglich um die Dimension eines kollektiven Strafgerichts zu meiden. d) Jon 1,14 In Jon 1,14 wird die Schwellensituation besonders deutlich. Zur Sicherung des eigenen Überlebens, nach Ausschöpfung aller Alternativen und auf Anraten des flüchtigen Propheten werfen die Seeleute Jona ins Meer. Dabei erbitten sie, dass ihnen diese Tat nicht als unschuldiges/gerechtes Blut angerechnet wird. Die Seeleute übertreten bewusst die Schwelle, indem sie eine potenziell illegitime Tat begehen, da trotz des vorangegangen Losverfahrens Zweifel an der Rechtmäßigkeit der (vermeintlichen) Tötung bestehen. 203 Der Gebrauch von ʯʺʰ im Gegensatz zum gängigen ʪʴˇ deutet auf Dtn 21,9 und Jer 26,15 als sprachliche Vorlage.204 Es ist daher davon auszugehen, dass das Motiv hier als Formel gebraucht wird, um sich vor der drohenden Blutschuld aufgrund der Tötung des/eines Propheten zu retten. 199
Gliederung nach KRAUS/KARRER (Hg.), LXX.D, 943. Die LXX überarbeitet die eher formelhafte Überleitung des hebräischen Textes. Als gemeinsamer Nenner bleibt bestehen, dass die darauffolgende Auflistung etwas beinhaltet, was JHWH verhasst ist. Die im Hebräischen genannte Gräuel-Formel (ketib: ʺˣʡʏʲˣˢ/qere: ʺʔʡʲʏ ˣˢ) ist ein prominenter Ausdruck im Dtn (vgl. PLÖGER, Spr, 65). 201 Vgl. PLÖGER, Spr, 65. 202 Diese kollektive Dimension könnte auch im Hebräischen angelegt sein. Das Entfachen von Streit zu jeder Zeit (ʧʬˇʩ ʭʩʰʣʮ ʺʲʚʬʫʡ) deutet darauf, dass der Verursacher außen vor ist, somit der Streit über ihn hinausgeht. 203 Wie WEIMAR, Jon, 180 richtig bemerkt, steht die Schuldhaftigkeit Jonas für den Erzähler wiederum außer Frage. 204 Vgl. WEIMAR, Jon, 181. 200
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
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e) Zusammenfassung Die Belege dieser Gruppe zeigen auf, dass das Motiv als Schwelle zu verstehen ist, die im Falle ihrer Überschreitung große Gefährdung nach sich zieht. In den behandelten Fällen reicht diese jedoch nur bedingt auf einen größeren Kreis als die unmittelbar betroffenen Personen hinaus. Eine Gefährdung des Landes, wie dies in den vorherigen Dimensionen konstitutiv war, lässt sich nicht feststellen. Lediglich 1Sam 19,5 könnte dies im Blick haben, was allerdings nicht die naheliegende Deutung darstellt. 4.3.2. Zweite Gruppe a) 1Sam 25,26.31LXX Die beiden Belegstellen gehören zur selben Erzählung. Sowohl in der hebräischen als auch der griechischen Fassung bildet das Mühen Abigals, David vor Blutschuld zu bewahren, den wesentlichen Inhalt der Erzählung. 205 Die Blutschuld droht im Szenario durch die ausbleibende Schutzgeldzahlung ihres Mannes Nabal an David, der plant, diese Schmähung zu rächen. Beide Fassungen verdeutlichen, dass Davids möglicher Mord an Nabal unrecht sei. Zwar wird deutlich, dass Nabal schuldhaft ist, jedoch wird gleichermaßen unterstrichen, dass es an JHWH ist, dessen Fehlverhalten zu rächen, was er auch tut (1Sam 25,37f.). Die Tötung Nabals durch David hätte allerdings nach Auffassung Abigals eine Blutschuld zur Folge, sodass David nie die Sicherheit habe, dass diese ihn nicht eines Tages einhole.206 In beiden Fassungen wird das Bedrohungspotenzial deutlich: Würde David sich eigenmächtig über Nabal erheben, so würde er sein Schicksal selbst bestimmen und nicht passiv in JHWHs Plan eingebunden bleiben (1Sam 25,27.30f.). Es besteht also die Gefahr, dass David über die Erwählung stolpert, indem er (unschuldiges) Blut vergießt. In der LXX tritt dieses drohende Unheil über David und die Charakterisierung der Tötung Nabals durch das Motiv des unschuldigen Blutes stärker hervor (1Sam 25,26.31).207 Die Dramatik und die Gefahr, in 205 Dies bestimmt auch DIETRICH, 1/2Sam II, 782 als Zentrum der Rede Abigals. Auf die terminologischen Unterschiede geht er allerdings nicht ein. 206 Vgl. DIETRICH, 1/2Sam II, 785. Dietrich bindet dieses Risiko zudem an den Ausdruck ʣʩʢʰ zurück, welcher regelmäßig für David gebraucht wird (1Sam 13,14; 2Sam 6,21; ferner 2Sam 5,2; 7,8). Auch Saul ist dazu bestimmt (1Sam 9,16; 10,1), doch, so die unterschwellige Drohung, hat sie gleichermaßen verwirkt (für den Zusammenhang vgl. 1Sam 13,14). 207 Mit dem Unschuldsterminus ʭʰʧ in 1Sam 25,31 bietet auch der MT einen möglichen Konnex zu dieser Motivik auf. Paraphrasiert wiedergegeben, steht das unnötige Blutvergießen (MT) dem unnötigen Vergießen unschuldigen Blutes (LXX) gegenüber. Möglicherweise nimmt der MT vom Begriff ʩʷʰ ʭʣ Abstand, da diese bereits im Wortlaut eine illegitime Tötung verdeutlichen würde, was allerdings der Erzähllogik nicht in Gänze
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
welche David sich begeben hätte, wird folglich unterstrichen. In jedem Fall zeigt dieser Abschnitt, dass das Vergießen von (unschuldigem) Blut eine Schwelle ist, welche von jedem Menschen, gleich welcher Bestimmung, nicht überschritten werden darf. Die Konsequenzen sind auch hier primär auf die individuelle Person zugespitzt, zeigen jedoch in der Gesamterzählung Davids ein tiefergehendes Gefährdungspotenzial, insofern er in den Plan JHWHs eingebunden ist (1Sam 25,30). In dieser Logik wäre dem Eingreifen Abigals die Vereinte Monarchie zu verdanken. b) 1Kön 2,5LXX In 1Kön 2,5LXX kann ebenfalls eine Verdeutlichung der Sachlage gesehen werden.208 Während der MT die Ermordung von Abner und Amasa durch Joab zweimalig als Kriegsblut (ʤʮʧʬʮ ʩʮʣ) bestimmt, bezeugt die LXX zusätzlich unschuldiges Blut (ĮੈȝĮ ਕșȠȞ). Zunächst erscheint Abner als schillernde Figur, die lange Zeit zu den Sauliden hält, letztlich jedoch auf Davids Seite wechselt.209 Dessen Tötung ließe sich zudem als Blutrache für seinen Bruder deuten (vgl. 2Sam 2,18–32; 3,27).210 Vorerst sei festgehalten, dass der MT die Tat nicht als ʩʷʰʭʣ bestimmt.211 In beiden Fassungen jedoch
entspricht. Dadurch wäre im Hebräischen die Selbstermächtigung zur Tötung angeklagt, wohingegen die LXX die Gefährdung Davids betont (alternativ wäre denkbar, dass der MT eine David-kritische Fassung, welche der LXX entspräche, entschärft). Dietrich deutet an, dass die Ergänzung in der LXX fragwürdig ist, bietet jedoch keine Erklärung an (vgl. DIETRICH, 1/2Sam II, 742). Er weist indes darauf hin, dass das Motiv der Blutschuld im Kontext dieses „Höfischen Erzählwerks“ prominent besetzt ist: 1Sam 25,33; 2Sam 3,28; 17,7.8; 1Kön 2,5.31.33 (ebd., 757 Anm. 60). 208 Bereits NOTH, 1/2Kön I, 30 vertrat die These, dass die Textänderung der Verständlichkeit diene. Zur wahrscheinlicheren Rekonstruktion wonach der MT eine Korrektur der ursprünglichen Fassung darstellt, die in der LXX bewahrt ist, s.u. IV.2.4.1. 209 Zur Darstellung des Abner vgl. ARNETH, Abner; ein anderweitiges Figurenverständnis wird unter IV. bei Anm. 143–148 vorgetragen. Ähnliches gilt insgesamt auch für Amasa. Dieser wurde von Absalom in dessen Rebellion zum Heerführer eingesetzt und von David offenbar nach der Niederschlagung als Brücke zwischen ihm und der Gegnerschaft genutzt. Der zurückgesetzte Joab ermordet Amasa jedoch hinterhältig. Weit deutlicher als im vorherigen Fall begeht Joab hier ein Verbrechen – es lag kein Kontext einer Blutschuld vor. Aufgrund seiner vorherigen Beteiligung im Aufstand gegen David bleibt Amasa dennoch eine schillernde Figur (vgl. VETTE, Amasa). 210 Zur Diskussion s.u.S. 225f. bei Anm. 149–155. 211 Darauf deutet auch die Auflösung der Sachlage in 1Kön 2,31f. Im Hebräischen findet sich hier die Wortwahl ʭʰʧʩʮʣ. Zwar wird dieser Ausdruck im Deutschen aufgrund von Alternativlosigkeit mit unschuldigem Blut wiedergeben, er ist allerdings nicht in die terminologische Engführung einzubeziehen. Der Ausdruck ʭʰʧ findet sich zwar auch in 1Sam 25,31 in enger Verbindung mit Blut, charakterisiert dort, wie auch in 1Sam 19,5, aber das Vergießen, nicht das Blut (vgl. GESENIUS, Handwörterbuch, 372). Weitere Zuord-
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
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wird deutlich, dass sich David von diesem Verbrechen distanziert und eine Blutschuld bei Joab sieht, die in seine Verantwortung fällt. Durch die Einleitung der letzten Worte (1Kön 2,1–4) wird zudem deutlich, dass es um das Halten der Gebote JHWHs geht.212 Dadurch entspricht nun auch hier das Motiv einer Schwelle, die Joab überschritten hat und für die er nun auch die Konsequenzen tragen muss. Abermals scheint der König als Garant der Rechtsordnung im Hintergrund mitzuschwingen, 213 weshalb David in die Blutschuldthematik einbezogen wird. In der LXX wird diese Gefährdung von Land (?) und Dynastie mit dem Motiv verstärkt fokussiert. c) Zusammenfassung In den Passagen dieser Gruppe steht in den Fassungen der LXX verstärkt das Schicksal des Königtums Davids auf dem Spiel, sollte unschuldiges Blut vergossen werden bzw. dieses ungesühnt bleiben. Hier markiert das Motiv demnach eine Schwelle, die der Logik der geschichtstheologischen Dimension folgt und so weitaus größere Konsequenzen impliziert als die individuelle Blutschuld allein. Diese Fassungen dienen folglich als Nachweis, dass das Motiv in der LXX auch bei Abweichungen vom MT denselben literarischen Ort einnimmt. 4.3.3. Dritte Gruppe a) Est 8,12eLXX (E 5) In der LXX-Fassung der Esther-Erzählung finden sich insgesamt sechs Zusätze (A–F), die zum einen die Geschichte dramatischer ausgestalten (B, D, E), zum anderen eine Theo-logisierung vornehmen (A, C, D, F).214 Das Motiv des unschuldigen Blutes (ĮੂȝIJȦȞ ਕșȦȞ) findet sich in Zusatz E, einer Ausformulierung des königlichen Schreibens als Widerspruch zu Hamans Edikt (vgl. Est 3,13 bzw. Zusatz B).215 Je nach Fassung wird der Brief Esther und Mordechai (LXX) oder dem König selbst (A-Text) zugeschrieben.216
nungen des Terminus mit Blut finden sich nicht. Behelfsweise kann von grundlosem oder unnötigem Blut(vergießen) gesprochen werden. 212 Die konditionale Rückbindung der Daviddynastie an die Gesetzeserfüllung erscheint als dtr Umdeutung der Nathan-Verheißung in 2Sam 7 (vgl. NOTH, 1/2Kön I, 30). 213 S.o.S. 56 (II.4.3.1.a). 214 Zur Eintragung religiöser Motive vgl. MOORE, Additions, 158f. 215 Neben diesem narrativen Bezug aufeinander eint die beiden Texte, dass sie keine hebräische Vorlage erkennen lassen, sondern griechische Kompositionen darstellen (vgl. MOORE, Additions, 155). Es ist sogar wahrscheinlich, dass die beiden Ergänzungen vom selben Autor, vermutlich in der ägyptischen Diaspora, verfasst wurden (ebd., 166). 216 Zu den unterschiedlichen Fassungen vgl. KRAUS/KARRER (Hg.), LXX.D, 593f.
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
Während die Grundintention zwar identisch bleibt, zeigen die beiden Fassungen doch größere sprachliche Unterschiede auf.217 Inhaltlich klagt der Brief in erster Linie Haman an und sein Fehlverhalten nimmt den größten Raum ein.218 Ehe jedoch seine spezifischen Verfehlungen aufgezeigt werden, eröffnet der Brief mit einer allgemeinen Reflexion machtpolitischer Risiken, sofern sich die Herrschenden auf die Berater bzw. Meinungen ihrer Günstlinge allzu sehr verlassen (E 2–9). In diesem Komplex erscheint das Motiv, insofern das betrügerische Handeln der Untergebenen die Herrschenden zu Mittätern an unschuldigem Blut macht. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um eine Tatsachenbeschreibung, die durch den Schluss des Absatzes eingeholt wird und im Versprechen der Besserung dieser strukturellen Missstände mündet (E 8f.). Im Folgenden wird dieser allgemeine Vorbau an der Person des Haman exemplifiziert (E 10–18). Dies erfolgt weitgehend parallel zum „Vorwort“: die Verdorbenheit des Charakters aufgrund von Machterhalt (E 2–4.10–12), die Vernichtung/Gefährdung anderen Lebens durch Machtmissbrauch (E 5f.13), das Erkennen dieser machtstrukturellen Schieflage durch den Herrscher (E 7.14); die Korrektur dieser Struktur durch Handeln des Herrschers (E 8f.15–24).219 Gemessen an dieser Parallelität wird deutlich, dass das Vergießen unschuldigen Blutes durch die drohende Vernichtung der Juden exemplifiziert wird. Dies verdeutlicht sich durch das folgende Zeugnis des Briefschreibers, welches die Unschuld der Juden unterstreicht (Ƞ țĮțȠȡȖȠȣȢ ȞIJĮȢ įȚțĮȚȠIJIJȠȚȢ į ʌȠȜȚIJİȣȠȝȞȠȣȢ ȞંȝȠȚȢ). Bezogen auf das unschuldige Blut ist daher die Auslegung naheliegend, dass durch die Exemplifizierung gleichermaßen das Schwellenmotiv eingespielt wird. Der Herrscher erkannte noch vor seiner unbeabsichtigten Mittäterschaft, dass ein Vergießen unschuldigen Blutes droht, und bemüht sich nun um Eindämmung des Sachverhalts. Haman haftet nicht nur für tatsächlich unschuldig vergossenes Blut, sondern bereits für die von ihm in die Wege geleitete potenzielle Durchführung. Dieses Vergeltungsprinzip findet sich bereits zuvor im Narrativ: Haman wird an das „Kreuz“ gehängt,220 welches er für Mordechai vorbereitet hatte (Est 7,9f.). Dass dabei auch seine Familie „mitgekreuzigt“ wird, greift womöglich Est 9,10 vor. 217
Vgl. MOORE, Additions, 238. Vgl. MOORE, Additions, 238. 219 Der letzte Abschnitt umfasst in der Exemplifizierung verschiedene konkrete Maßnahmen, die nicht immer kohärent zur Revision der Machtstruktur stehen, da sie zugleich die Einsetzung des Festes (Purim) mitbedenken (E 21–23). Im Einzelnen sind die Korrekturmaßnahmen zu fassen als Widerspruch der Verleumdung der Juden (E 15f.), Aufruf zur Missachtung des Haman-Edikts (E 17), Verdeutlichung dieses Widerspruchs durch Verweis auf die Hinrichtung Hamans (E 18), Aufruf zur Solidarität mit den Juden inkl. Festgemeinschaft (E 19–23), Ankündigung der Vergeltung bei Missachtung dieser Revision (E 24). 220 Zur Unsicherheit des Terminus ıIJĮȣȡંȦ vgl. CHAPMAN, Crucifixion, 162–165. 218
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
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Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Vergießen unschuldigen Blutes (bzw. die Vorbereitung eines solchen Aktes) eine Strafvergeltung nach sich zieht. Deutlich wird hier eine Schwelle markiert, für die die Herrscher die Verantwortung (mit)tragen und für die es gilt, dieses zu vermeiden und (rechtsprechend) von den Übeltätern Rechenschaft einzufordern. Zwar bleibt die Vergeltungsmaßnahme hier auf die konkrete Täterschaft begrenzt (wenigstens Hamans Frau ist nach Est 5,9–14 hierin einzubeziehen). Zugleich verdeutlicht der allgemeine Vorbau, dass das Vergießen unschuldigen Blutes, welches aus den Machtambitionen der Günstlinge der Herrscher resultiert, ein Problem darstellt, dass über die konkreten Täter hinaus in die Frage der gerechten Herrschaft hineinreicht. Gleichwohl lässt sich keine Gefährdung von Land und Volk erkennen, was jedoch auch dem Setting in der Diaspora und der nichtjüdischen Herrschaft geschuldet sein mag. b) SusTh 62 Die Zusätze in Daniel sind mit SusLXX und SusTh in zwei unterschiedlichen Textfassungen überliefert, die sich zudem von ihrer Grundintention her unterscheiden.221 Jedoch findet sich das Motiv in beiden Textfassungen an derselben Stelle (SusLXX 60 bzw. SusTh 62).222 Mit dem Verweis auf das unschuldige Blut wird das Ende des Rechtsfalls markiert. Der Rettung des unschuldigen Blutes steht die Tötung der beiden Falschzeugen gegenüber. Es ist offensichtlich, dass der beabsichtigte Justizmord einer Unschuldigen eine Schwelle markiert, wobei die Umsetzung verhindert wurde. Ähnlich zu Est 8,12LXX fordert schon die Intention des Vergießens von unschuldigem Blut Vergeltung ein. Abgesehen davon ist die Tötung der Falschzeugen durch Dtn 19,19 vorgegeben, wie der explizite Verweis auf das Gesetz nahelegt. Diese intertextuelle Referenz ermöglicht, die Gefährdung des Landes, die dort als Konsequenz eingespielt wird, mitzudenken.223 Die Errettung Susannas wäre
221
Stellt sich die Fassung der LXX als autoritäts- und institutionskritisch dar, in welcher die beiden anklagenden Ältesten in ihrem Machtmissbrauch überführt werden, so ist die Fassung Theodotion durch ihre veränderte Kontextualisierung und Verortung nach Babylon den erbaulichen Lehr- und Beispielerzählungen zuzuordnen. In dieser Fassung stehen daher die Gottesfurcht Susannas und die prophetische Begabung des jungen Daniel im Fokus (vgl. KRAUS/KARRER [Hg.], LXX.D, 1418). 222 Zur Vereinfachung wird der Beleg im Folgenden mit der Verszählung von SusTh angegeben. Bei den weiteren Versangaben wird, sofern keine Differenz vorliegt, das Sigel Sus vorangestellt. Ohnehin kann mit TKACZ, Susanna, 474f. erwogen werden, dass die synoptischen Evangelien dem Rezeptionsraum der Theodotion-Fassung zuzuordnen sind. 223 Alternativ wird von manchen die Erzählung als Revision von Gen 3 verstanden, worauf u.a. das Stichwort ʌĮȡįİȚıȠȢ und die Versuchung einer Frau hindeuten (vgl. HAMILTON, Secrets, 114). Mit einem solchen Vorverständnis könnte die Erzählung auch der kosmologischen Dimension zugeordnet werden. Obgleich auch diese Erzählung über
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
demnach auch eine Rettung des Volkes vor der kollektiv zu verantwortenden Blutschuld, die im Falle einer Tötung der Frau auf das Volk gekommen wäre.224 So erklärt sich auch der Aufschrei der Synagogengemeinde in Sus 60.225 Zusammengenommen offenbart sich in dieser Textstelle erneut der Zusammenhang von unschuldigem Blut und notwendiger Vergeltung, die zudem zur Sicherung des Kollektivs dient, wenngleich die Thematik eher individuell fokussiert wird. c) TestSeb 2,2 TestSeb 2,2 ist in den innerfamiliären Bruderkonflikt der Söhne Jakobs eingetragen. Sebulon berichtet darüber aus seiner Perspektive und legt Joseph das Motiv in den Mund, der sich müht, sein eigenes Leben zu retten und zugleich seine Brüder vor Blutschuld zu bewahren. Eingeleitet wird Sebulons Bericht über die Josephsgeschichte mit dem Bekenntnis zu seinem einzigen Gesetzesverstoß (TestSeb 1,5), insofern er dem Vater die Tat der Brüder gegen Joseph verschwieg. Sprachlich und inhaltlich hängen dieses Schuldeingeständnis und der Bericht über die drohende Ermordung Josephs eng zusammen.226 Besonders deutlich wird dies an der Verwendung von ਸ਼ȝĮȡIJȠȞ, welches sich nur in TestSeb 1,4 (in Bezug auf Sebulon selbst) und TestSeb 2,2f. (als Aussage des Joseph) findet. Dass Sebulon seine Sündenfreiheit (ʌĮȡİțIJઁȢ ਥȞȞȠĮȢ) behauptet, wäre dann durch die Verhinderung des Blutvergießens, nicht zuletzt durch Sebulon selbst, begründet (TestSeb 2,4– 6). Folgt man diesem intratextuellen Spiel, so steht abermals die Vermeidung eines Schwellenübertritts durch Blutvergießen im Zentrum – hier gesondert auf die Rechtschaffenheit des Sebulon bezogen (vgl. TestSeb 1,5). Das Testament mündet zwar in eine Schau der Zukunft des Volkes, in welcher Sebulon das geteilte Königreich, den Götzendienst und das Exil voraussieht (TestSeb 9,1–9). Ein Bezug zwischen den beiden Texten ist aber nur bedingt gegeben. Möglich wäre dieser, wenn überhaupt, über das Wortfeld ıʌȜĮȖȤ- (TestSeb 2,2.4; [4,2; 5,1,3f.; 6,4; 7,1–4; 8,1–4.6;] 9,7f.). Das Testament wird meist als Abhandlung über Erbarmen und Barmherzigkeit verstanden.227 Wird die Szenerie um das Motiv als Ausgangsbasis des den individuellen Kontext hinauszugreifen scheint, evoziert sich durch die starke Israelperspektive eher eine Einordnung in die geschichtstheologische Dimension. 224 Ähnlich HAMILTON, Secrets, 119, die allerdings die Landthematik mit Verweis auf 1Hen und Num 35 einträgt (s.u. II.4.4.2). 225 Diese Ausdeutung wird durch die Nennung des göttlichen Gebots in Sus 53 unterstrichen: Die dort zitierte Forderung einen Unschuldigen und Gerechten nicht zu töten, geht wahrscheinlich auf Ex 23,7 zurück (vgl. MOORE, Additions, 110). Gleichermaßen wäre auch Dtn 19,10 durch die thematische und terminologische Nähe als Vorlage denkbar. 226 Vgl. WOSCHITZ, Parabiblica, 371. 227 Vgl. WOSCHITZ, Parabiblica, 370; MIRGUET, Responses, 856.
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
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Diskurses um Barmherzigkeit bestimmt,228 dann könnte das eschatologische Handeln Gottes, welches durch İıʌȜĮȖȤȞȠȢ charakterisiert ist,229 eine mögliche Brücke zwischen den beiden Textpassagen bilden. Ob damit allerdings das Motiv so sehr in die Nähe des Exils gerückt wird, dass eine unmittelbare Abhängigkeit zwischen dem Vergießen unschuldigen Blutes und dem Schicksal der Monarchie(n) behauptet werden könnte, darf bezweifelt werden. Damit bleibt TestSeb 2,2 zuvorderst ein Zeugnis für die Verwendung des Motivs in individueller Dimension. Es ruft allerdings zugleich bei Sebulon eine starke emotionale Reaktion hervor. Welches Gefährdungspotenzial hierin zu sehen ist, muss Spekulation bleiben. Die Heftigkeit der Reaktion darf dieses gleichwohl nicht zu gering ansetzen. d) Philo spec. I 204 In Philos Werk scheint das Syntagma recht konzeptionslos in spec. I 204 eingebunden zu sein und ist in vielerlei Hinsicht kurios. Das Motiv ist in einer Auflistung aufgeführt, welche die rechtliche Integrität des Opfernden hervorhebt (spec. I 202–204). Diese umfasst neben der Befleckung mit unschuldigem Blut u.a. Unbestechlichkeit, körperliche Unversehrtheit und Gewaltlosigkeit.230 Außer dem Zusammenhang zwischen Rechtsbeugung und Blutvergießen scheint die Liste aus Allgemeinposten zur Gesetzestreue zu bestehen. Darüber hinaus ist diese Unterstreichung der Gesetzesfrömmigkeit weder im Abschnitt „Über die Priester“ (spec. I 79–130) noch „Über die Opfernden“ (spec. I 257–279) eingetragen, sondern in eine symbolische Ausdeutung von Lev 1,4 in der Auslegung der Brandopferbestimmungen (spec. I 200–211) innerhalb der Abhandlung „Über die Opfertiere und die Arten der Opfer“ (spec. I 162–256). Philo verhandelt hier die Handauflegung beim Brandopfer. In dieser ist nach ihm mitzudenken, dass der Opfernde eine gesetzliche Integrität besitzt, die ihn unter anderem sagen lassen kann, dass er kein unschuldiges Blut vergossen hat.231 Es bleibt daher unklar, ob in der 228
Vgl. MIRGUET, Responses, 852f. Vgl. WOSCHITZ, Parabiblica, 372f. 230 Die Zusammenstellung von ĮੈȝĮ ਕșȠȞ mit ʌȡȠıʌIJȦ legt im Sprachgebrauch Philos nahe, dass hierbei an eine kultische Verunreinigung gedacht wird (vgl. spec. I 113.119; III 50.122.135.205.208). Möglicherweise steht hier auch die Vorstellung im Hintergrund, dass jedwedes Blutvergießen für den Kult disqualifiziert (vgl. bspw. 1Chr 22,8). Dennoch bleibt offen, weshalb Philo dann nicht allgemein von ĮੈȝĮ spricht, sondern dieses mit ਕșȠv qualifiziert. 231 Calabi fasst die Ausdeutung Philos auf ähnliche Weise zusammen, insofern das Kopfauflegen „indique une vie qui se déroule selon les règles de la nature“ (vgl. CALABI, Sacrifices, 115 Anm 75). Auch hier wird dem Katalog bzw. dessen Inhalten, abgesehen von seiner Funktion als Ausdruck der Rechtschaffenheit, keine weitere Bedeutung zugemessen. 229
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
Ausführung ein Gefährdungspotenzial mitgedacht wird, sollte ein Priester/ Opfernder außerhalb dieser Forderung stehen. Der Text macht nicht ersichtlich, weshalb gerade diese Integrität beim Brandopfer bzw. in der Handauflegung einen besonderen Stellenwert einnimmt, sonst aber nicht weiter gebraucht wird.232 Es kann bestenfalls allgemein religionsgeschichtlich argumentiert werden, dass bei ausbleibender Integrität das Opfer an sich und damit der erbrachte Priesterdienst durch die Korruption null und nichtig wäre. Da das Brandopfer als einziges allein auf Gott hin ausgerichtet ist (spec. I 197) und als das vorzüglichste bestimmt wird (spec. I 198), könnte hier das größte Risiko bei fehlerhafter Opferhandlung vermutet werden. Ob dies allerdings mitgedacht ist, erschließt sich aus dem Text keineswegs. Damit erscheint das Motiv hier lediglich als eine Schwelle, die ein Opfernder aufgrund seiner besonderen gesetzlichen Integrität nicht überschritten haben kann. Weiteres wird weder erörtert noch erscheint eine weitere Kontextualisierung fruchtbar zu sein. Es wird hier offenbar als Ausdruck besonderer Gesetzesfrömmigkeit gebraucht. e) CIJ 725 Die Inschrift umfasst ein Rachegebet, welches angesichts des wahrscheinlichen Doppelmordes an den beiden Jüdinnen Heraklea und Marthine verfasst und als Inschrift am Grab verewigt wurde.233 Das Gebet formuliert die Bitte, dass es den unbekannten Tätern ebenso ergehe wie den beiden Getöteten.234 Für unseren Kontext ist zweierlei bedeutsam: der Mord an Heraklea resp. 232
Im Vergleich dazu findet sich bspw. das Bestechungsmotiv erneut in spec. I 278f. Die Inschriften entstammen der Insel Rheneia, die als Grabinsel der Insel Delos diente (vgl. GAGER, Tablets, 185) und werden in die Zeit des 1.–2. Jahrhundert v.Chr. datiert (DEISSMANN, Licht, 360). Der Inschriftentext ist in dreifacher Ausführung überliefert, insofern eine erste Marmorstele (Tafel 1; heute im Museum zu Bukarest) den Text auf Vorder- und Rückseite bezeugt, während eine weitere (Tafel 2; heute im Nationalmuseum zu Athen) einen nahezu identischen Text überliefert: einziger Unterschied ist der Name des Mordopfers, der auf Tafel 1 zweimalig mit Heraklea, auf Tafel 2 mit Marthine benannt wird (vgl. VAN DER HORST/NEWMAN, Prayers, 137). Wenngleich die Inschriften und Stelen unterschiedlich gut erhalten sind, scheinen die erhaltenen Merkmale ausreichend signifikant zu sein, um die Tafeln einander zuzuordnen und gegenseitig zu ergänzen (vgl. DEISSMANN, Licht, 351–354). Inhaltlich wird die Inschrift als „Rachegebet“ (vgl. ebd., 351; ähnlich VAN DER HORST/NEWMAN, Prayers, 137; NOY/PANAYOTOV/BLOEDHORN, IJO I,238) bzw. „prayer for justice“ (vgl. GAGER, Tablets) bestimmt. Bemerkenswert ist der öffentliche Charakter, insofern die Stele wohl eine Doppelfunktion zum Schutz des Grabes als auch zur öffentlichen Verfluchung des Täters einnahm (ebd., 185f.). 234 Die Formulierung IJȠȢ ijȠȞİıĮıȚȞ […] ਲ਼ ijĮȡȝĮțİıĮıȚȞ ist entweder durchlässig auf unbekannte Todesumstände oder aber bewusst allgemein gehalten (vgl. NOY/PANAYOTOV/BLOEDHORN, IJO I, 238; ähnlich GAGER, Tablets, 187, der jedoch aus der Formulierung lediglich den faktischen Tod unbekannter Ursache ableiten will). 233
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Marthine wird als „Vergießen unschuldigen Blutes auf ungerechte Art und Weise“ bezeichnet (ਥȤȤĮȞIJĮȢ ĮIJોȢ IJઁ ਕȞĮIJȚȠȞ ĮੈȝĮ ਕįțȦȢ), weshalb die Rache dieses unschuldigen Blutes eingefordert wird (ਥȖįȚțıૉȢ IJઁ ĮੈȝĮ IJઁ ਕȞĮIJȚȠȞ).235 Da der Sprachgebrauch der Inschrift der LXX entstammt,236 ist es naheliegend, eine intertextuelle Referenz zu Dtn 19,10.13; 21,8f. zu vermuten.237 Das Problem der unbekannten Täterschaft wird hier durch die Verfluchung derselben zu lösen versucht (vgl. Dtn 27,24).238 Es ist deutlich, dass mit dem Vergießen des unschuldigen Blutes die Schwelle bereits überschritten wurde und von Gott Konsequenzen für die Täter eingefordert werden, die allerdings über das Strafmaß Blut für Blut hinausgehen, insofern die Kinder der Täter einbezogen werden.239 Da die Tat als Vergießen unschuldigen Blutes charakterisiert wird, scheint hier mehr als ein „einfacher“ Mord angeprangert zu sein.240 Die Tat wird durch das Motiv folglich potenziert241 und reicht durch den Festtagsverweis wenigstens implizit über den individuellen Kontext hinaus.242 f) Zusammenfassung Diese Gruppe verdeutlicht abermals, dass das Vergießen unschuldigen Blutes eine Schwelle darstellt, die nicht überschritten werden darf. Eine etwaige Sanktionierung wird jedoch selten verhandelt. Bei Philo ist das Motiv als Leerstelle anzusehen. Die anderen stärker dem biblischen Sprach- und Intentionsgebrauch verschriebenen Schriften offenbaren einen Gefährdungs235
Vgl. Dtn 32,43 (= Oden 2,43); 2Kön 9,7; Hos 1,4; Jo 4,21; Jer 26,10LXX; Ez 16,38; 23,45; 1Makk 9,42; ferner Apk 6,10; 19,2. Inhaltlich steht die Formulierung zudem Gen 9,5f. nahe, sodass DEISSMANN, Licht, 359 diese synonym zu ĮੈȝĮ + ਥțȗȘIJȦ versteht (zu dieser s.u. V. bei Anm. 199). 236 Vgl. DEISSMANN, Licht, 354–360; GAGER, Tablets, 186, der auch einen samaritanischen Trägerkreis für möglich hält; anders OSTMEYER, Gebete, 203, der v.a. mit Blick auf die Namen die „Klassifizierung als ‚jüdisch‘“ hinterfragt. Die Annahme ergibt sich aus den „clear allusions to biblical passages from the Septuagint“ (GAGER, Tablets, 186), wobei neben dem Motiv IJઁ ĮੈȝĮ IJઁ ਕȞĮIJȚȠȞ die Anrufung IJઁȞ țȡȚȠȞ IJȞ ʌȞİȣȝIJȦȞ țĮ ʌıȘȢ ıĮȡțંȢ (vgl. Num 16,22; 27,16) besonders signifikant ist. 237 Vgl. DEISSMANN, Licht 356; GAGER, Tablets, 187 Anm. 40; VAN DER HORST/NEWMAN, Prayers, 140; OSTMEYER, Gebete, 203. 238 Vgl. NOY/PANAYOTOV/BLOEDHORN, IJO I, 238. 239 Zum Einbezug der Folgegeneration s.u. IV. bei Anm. 172–175 sowie Anm. 274. 240 Hierfür sprechen neben den Umständen der Inschrift als solcher die nachdrückliche Einforderung des göttlichen Eingreifens sowie die Strafforderung hinsichtlich der nachfolgenden Generation. 241 Ähnlich VAN DER HORST/NEWMAN, Prayers, 140f. 242 Gemeinhin wird der Festtag mit Jom Kippur bestimmt (vgl. DEISSMANN, Licht, 357– 359; NOY/PANAYOTOV/BLOEDHORN, IJO I, 239), wobei VAN DER HORST/NEWMAN, Prayers, 142 annehmen, dass das Gebet Bestandteil der Festtagsliturgie auf Delos wurde (skeptisch OSTMEYER, Gebete, 203).
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
zusammenhang, der über die Person hinausreicht und ein etwaiges göttliches Eingreifen bei unschuldig vergossenem Blut erwartet. Eine Notwendigkeit zum Schutz des Landes im Sinne des geschichtstheologischen Ergebnisses ist jedoch nicht erkennbar, wohl aber eine Gefährdungssituation, die vom individuellen Zusammenhang auf ein Kollektiv auszustrahlen scheint. 4.4. Kosmologische Dimension 4.4.1. 4Q504 Fragm. 8 recto 14 Abgesehen von der Aufnahme von Dtn 21,7f. in 11QT 63,7f. wird das Syntagma ʩʷʰʭʣ in den Schriften von Qumran lediglich in 4Q504 Frgm. 8 recto 14 ergänzend rekonstruiert.243 Der Beleg entstammt den „Worten der Himmelskörper“,244 die als Tagesgebete im Wochenturnus konzipiert sind und inhaltlich die Heilsgeschichte des Volkes von Schöpfung bis Babylonisches Exil abdecken.245 Innerhalb dieser Schrift ist der Beleg des unschuldigen Blutes dem ersten Tagesgebet zuzuordnen,246 welches „Schöpfung, SündenDiese Rekonstruktion basiert auf dem Konsonantenbestand ]ʥʴʹʬ. Nach BAILLET, DJD VII, 163 ist diese zwar fraglich, wird jedoch mit Verweis auf Dtn 19,10.13; 2Kön 21,16; 24,4; Jes 59,7; Jer 7,6; 22,3.17; Jo 4,19; Ps 106,38; Spr 6,17 erwogen. Während sich die Ergänzung mit ʭʣ aus dem hebräischen Sprachgebrauch nahelegt, erscheint die Erweiterung mit ʩʷʰ als singulärer Beleg des Syntagmas eher unzureichend begründet. Auch das nur durch Infrarotaufnahme lesbare Fragment (vgl. ebd., LIII Recto 8 bzw. PAM 43.643: https://www.deadseascrolls.org.il/explore-the-archive/image/B-283925 [aufgerufen am 18.06.2019]) lässt aufgrund des Zustandes kaum Rückschlüsse auf die Kolumnenbreite zu, sodass der Zusatz ʩʷʰ zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich erscheint. Für eine solche Rekonstruktion spräche möglicherweise Jer 22,17, wo sich ʪʥʴʹʬ einmalig im MT und in der Satzkonstruktion ʪʥʴˇʬʩʷʰʤʚʭʣ findet, sodass hier wenigsten die reverse Reihenfolge der postulierten Rekonstruktion vorliegt. Gleichwohl fehlt dieser Verweis in der Quellenedition, sodass die Rekonstruktion m.E. nicht zu begründen ist. Sowohl MAIER, QE.TTM II, 614 als auch OLSON, Words, 110f. verzichten daher folgerichtig auf eine derartige Ergänzung. 244 Den Divrei Hameorot werden 4Q504 und 4Q506 sicher zugeordnet, die Zuordnung von 4Q505 ist umstritten (vgl. STÖKL BEN EZRA, Qumran, 361f.). Da 4Q504 in die hasmonäischen Zeit, 4Q506 in die herodianischen datiert wird, ist eine hohe Bedeutung der Schrift und ihre kontinuierliche Benutzung anzunehmen (vgl. ebd., 361). 245 Sowohl inhaltliche (der Text enthält nach XERAVITS/PORZIG, Einführung, 189 „[k]eine ‚genuin qumranischen‘ Formulierungen“; ähnlich OLSON, Words, 108; OSTMEYER, Gebete, 76), als auch äußere Kriterien (4Q504 ist nach MAIER, QE.TTM II, 606 eine Kopie um ca. 150 v.Chr.) sprechen dafür, dass der qumranische Trägerkreis nicht zugleich die Verfasserkreis darstellt. Ob die „gesamtisraelitische Perspektive“ (XERAVITS/ PORZIG, Einführung, 189) auf eine Verbreitung über die Gemeinschaft von Qumran hinaus deutet oder eher auf deren (chassidischen) Vorläufer hinweist (vgl. OLSON, Words, 108), lässt sich kaum bestimmen. 246 Vgl. BAILLET, DJD VII, 163; GARCÍA MARTÍNEZ, SE 2, 1009; STEGEMANN, Methods, 203; ähnlich OLSON, Words, 107. Die Angabe bei XERAVITS/PORZIG, Einfüh243
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
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fall und Sintflut“ umfasst. 247 Die Textlücken erschweren eine nähere Einordnung. Sollte der Ausdruck ʱʮʧ ausreichend signifikant sein und auf die Sintflut verweisen (vgl. Gen 6,11.13), wie es die zeitliche Verortung des Gebets nahelegt, so wäre das Motiv des unschuldigen Blutes mit diesem Komplex verbunden und möglicherweise Ausdruck des Paradigmas „Cain/Blood-Flood/ Judgment“.248 Die Gewalttaten auf Erden und das Vergießen unschuldigen Blutes evozieren folglich eine Dynamik, welche die Sintflut zur Folge hat,249 die eine umfassende (d.h. kosmologische) Reinigung darstellt. Eine solche Interpretation stünde zudem der theologischen Grundrichtung der Tagesgebete nicht entgegen, die offenbar mit einer Art SER-Schema operieren.250 Sollte die Textrekonstruktion verantwortbar, das Gebet über die Gemeinschaft von Qumran hinaus in apokalyptischen Trägerkreisen bekannt und die Interpretation als solche statthaft sein, dann wäre zu überlegen, ob dieser Zusammenhang von unschuldigem (!) Blut251 und Sintflut auch für ähnliche Passagen in 1Hen und Jub fruchtbar gemacht werden kann.252
rung, 188, die 4Q504 Fragm. 3 ii sowohl für den ersten als auch den vierten Tag aufführen, ist vermutlich als versehentliche Fehlzuschreibung aufzufassen. Anders hingegen MAIER, QE.TTM II, 614, welcher den Abschnitt ohne nähere Begründung dem sechsten Tag zuordnet. Es wundert daher, dass sich OSTMEYER, Gebete, 76 Anm. 8 dieser Anordnung wenigstens implizit anzuschließen scheint. 247 XERAVITS/PORZIG, Einführung, 188. 248 Sofern diese Lesart und die Textrekonstruktion korrekt sind, läge hier m.E. der einzige tragfähige Beleg vor, der den von HAMILTON, Death postulierten Zusammenhang vom Vergießen unschuldigen Blutes und Sintflut terminologisch untermauern könnte. 249 Ein Zusammenhang von Blutvergießen und Sintflut kann aus 1Hen 9 herausgearbeitet werden (vgl. HAMILTON, Death, 55–57). Entgegen der Darstellung bei Hamilton halte ich es jedoch nicht für gesichert, dass über den Rückbezug von 1Hen 6–11 auf Gen 4 (vgl. ebd., 57–59) das Paradigma des unschuldigen Blutes eingespielt wird, wie dies ebd., 59–63 v.a. im Rekurs auf den Topos der Landverunreinigung durch Blut behauptet. 250 Vgl. XERAVITS/PORZIG, Einführung, 188f. 251 Mit Blick auf die Schriften von Qumran werden von Hamilton insgesamt zwei Belege als relevant erachtet: CD-A ii,8; iii,6. Mit Verweis auf CD-A i,19f. (ʷʩʣʶˇʴʰʬʲʥʣʥʢʩʥ) und der dortigen intertextuelle Referenz auf Ps 94,21, wo das Motiv des unschuldigen Blutes bezeugt ist, macht sie auch für diese beiden Belege einen Zusammenhang mit dem Motiv geltend (vgl. HAMILTON, Death, 93). Allerdings deutet das Ausfallen des Motivs in CD-A i,19f. eher auf eine (bewusste) Nichtidentifikation, sodass die Blutbelege in CD-A ii,8; iii,6 kaum als unschuldiges Blut zu bestimmen sind. 252 Die gewählten Formulierungen zeigen bereits an, dass ich mich einer solchen Rekonstruktion nicht anschließen kann, da die Argumentationsbasis nicht tragfähig ist. Gleichwohl soll um der Vollständigkeit und des Interpretationsvorschlags von Hamilton willen die potenzielle, aber unwahrscheinliche, kosmologische Dimension des unschuldigen Blutes aufgezeigt werden.
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
4.4.2. Das äthiopische Henochbuch (1Hen) Die Blutthematik in 1Hen 9 ist in den größeren Kontext 1Hen 6–11 einzubetten, in welchem die Korruption der Schöpfung verhandelt wird. Hierin werden zwei Erzählstränge kombiniert: die Verführung der Menschentöchter durch Semjasa und seine Gefährten, die den Frauen zudem Zauberei lehren und blutrünstige Riesen hinterlassen (1Hen 6f.), sowie die Lehre der Kriegskunst und des „Verführungshandwerks“ durch Asasel.253 In Konsequenz deren Handelns erblicken die „Erzengel“ (1Hen 9,1), dass die Erde durch ĮੈȝĮ țĮ ਕįȚțĮ (ʱʮʧ) geprägt ist (vgl. 1Hen 9,9).254 Es lässt sich aufzeigen, dass diese Erzählung nicht einfach als Relektüre von Gen 6 zu verstehen ist, sondern darüber hinaus auch Themen aus Gen 4 aufnimmt, worauf einige Parallelen verweisen.255 In 1Hen wird demnach deutlich ein Zusammenhang zwischen dem Blutvergießen auf der Erde und der Fluterzählung hergestellt, wodurch sich Letztere als kataklystische Reinigung darstellt. Ähnliches findet sich in Num 35,33f., womit eine gemeinsame Vorstellungswelt behauptet werden kann.256 Hieran sind indes zwei Anfragen zu stellen: 1) Wird in der Henochliteratur dieselbe Landproblematik verhandelt wie in den biblischen Zeugnissen? 2) Ist ĮੈȝĮ (resp. Û ) in 1Hen 6–11 als unschuldiges Blut zu identifizieren? Die Antworten auf die beiden Fragen bedingen einander. Es ist festzuhalten, dass selbst in Num 35, wo die Notwendigkeit der Reinigung der blutbesudelten Erde am deutlichsten hervortritt, weiterhin der Bezug auf das Land Israel konstitutiv ist. Die kosmologische Entgrenzung, welche in 1Hen zum Ausdruck kommt, geht über die biblische Weltsicht hinaus. Mit dieser Beobachtung korrespondiert die Identifikation des Blutes, insofern das unschuldige Blut explizit nur in solchen Stellen genannt ist, die einen Landbezug auf Israel erkennen lassen.257 Es lässt sich daher für die Henochliteratur kaum plausibilisieren, dass der Blutgebrauch in kosmologischer Dimension als unschuldiges Blut zu bestimmen ist.258 253
Vgl. GÖTTE, Wächtern, 42f. Vgl. HAMILTON, Secrets, 107. 255 Für unseren Zusammenhang seien als markanteste Parallelen vermerkt: Ruf (von) der Erde (Gen 4,10; 1Hen 7,4) in den Himmel (Gen 4,10; 1Hen 8,4) aufgrund deren Blutbefleckung (Gen 4,10; 1Hen 9,1); vgl. zudem die ausführliche Darstellung bei HAMILTON, Secrets, 105–111. 256 Vgl. HAMILTON, Secrets, 108. 257 Dies gilt insbesondere für die bei HAMILTON, Secrets, 108f. genannten Belege Dtn 19,10–13; 21,1–9. 258 Es ist allerdings darauf zu verweisen, dass in 1Hen 47,1f.4 vom „Blut der Gerechten“ (Û + ĠàB) die Rede ist (s.o.S. 42 Anm. 7). In diesem Kapitel wird das Motiv des gerechten Blutes eindeutig in kosmologischer Perspektive eingespielt und erscheint in einem eschatologischen Setting. Da das Motiv mit dem Ruf des Blutes verbunden ist, scheint hier eine literaturgeschichtliche Fortschreibung von 1Hen 7,6; 8,4; 9,1.9f. vorzuliegen (vgl. NICKELSBURG/VANDERKAM, 1Hen II, 162), was nochmals unterstreicht, dass diese Passa254
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4.4.3. Jubiläenbuch Dieses Zueinander von Gen 6,1–4 und der Blutthematik samt Fluterzählung schlägt sich auch im Jubiläenbuch nieder.259 In Jub 7,22–25 wird die Flut explizit als Reaktion auf das Blutvergießen der Giganten und Menschen bestimmt.260 Aufgrund dieser Retrospektive mahnt Noah seine Nachkommen auf Blutvergießen und Blutgenuss zu verzichten, denn solche Vergehen an der Erde können nur mit dem Blut des Täters gereinigt werden (Jub 7,27– 33).261 Die Befürchtungen bewahrheiten sich in Jub 11,2–5,262 wobei dies als Kontrastfolie zur Erkenntnis dient (Jub 11,16), die zu Abrahams Erwählung führt (Jub 12).263 In Anlehnung an die vorherige Belehrung Noahs mahnt auch Abraham seinen Sohn Isaak in Jub 21,17–20 vor Blutverunreinigung durch Genuss oder Tötung;264 abermals mit Verweis auf die Grundformel „Blut für Blut“ (Jub 21,20).265 Die Blutthematik erscheint daher in Jub als gen bestenfalls sekundär als Zeugen für das unschuldige Blut zu werten sind. Aufgrund der unklaren Datierung der Bildreden insgesamt, ist allerdings nicht zu bestimmen, ob die Eschatologisierung des Motivs dem mt Kontext vorangeht oder nicht. Nach ebd., 165 wäre zu erwägen, dass Apk 6,10f. von 1Hen 47,4 abhängig ist und zumindest die Blutforderung Lk 11,50f. ähnelt (s.u.S. 306 bei Anm. 199). Unabhängig davon ist allerdings deutlich, dass das Motiv in 1Hen in einem himmlischen Setting gebraucht wird. Ein solcher Zusammenhang lässt sich weder in den bisherigen Belegstellen noch im Mt erkennen. 259 Die überblicksartige Darstellung orientiert sich an den als relevant bestimmten Blutbelegen (s.u.S. 264 Anm. 7). 260 Die Darstellung der verdorbenen Erde greift die Blutthematik vermutlich indirekt durch das gegenseitige Auffressen (Jub 5,2) auf, welches auf das Blutgenussverbot durchlässig erscheint (vgl. HAMILTON, Death, 75 mit Verweis auf Lev 17,11). Hierauf deutet auch, dass die Themen Blutgenuss und Blutvergießen als göttliches Verbot in Jub 6,7–10 direkt nach dem Ende der Sintflut ausgeführt werden (vgl. ebd., 76). Es ist weitergehend nicht unwahrscheinlich, dass durch intertextuelle Referenzen auf Lev 17f. in Jub 6 die Verunreinigung des Landes als Kernproblem der Urzeit eingespielt wird. Hierauf deutet auch, dass Noah in Jub 6,2 mit dem Blut eines Ziegenbocks für alle Sünden der Erde sühnt (Übersetzung nach BERGER, Jub, 355; zur Thematik vgl. HAMILTON, Death, 76–78). 261 Die Befürchtungen markieren zudem die Sorge eines erneuten kataklystischen Moments, welcher Noahs Nachkommen betrifft. Ob dieses als Sintflut der Endzeit zu verstehen ist, lässt sich dem Text nicht explizit entnehmen (vgl. HAMILTON, Death, 80f.). 262 Diese Entwicklung „(markiert) [sc. in Jub] die Wende [zu] einer götzendienerischen, von Dämonen geplagten Zeit“ (vgl. WOSCHITZ, Parabiblica, 467). Dementsprechend wird die Zeit von den „Kindern Noahs an bis zu Abraham“ als Verfallsgeschichte gezeichnet (vgl. ebd., 467). 263 Zur Darstellung und Aufnahme biblischer Motive und Leerstellen vgl. WOSCHITZ, Parabiblica 467f. 264 Auf den rechten Umgang mit Blut im Kult wird in Jub 21,6–8 eingegangen. 265 Dieser Grundsatz wird in Jub 4,1–6.31f. bereits in die Geschichte von Kain und Abel eingetragen, insofern Kain von seinem Haus (durch einen Stein) getötet wird. Anzumerken ist zudem, dass die Erzählung von den beiden Brüdern eher durch 1Hen denn durch Gen 4 geprägt ist, weshalb auch das Blut Abels mit der Flut zusammengebracht werden könnte (vgl. HAMILTON, Death, 72f.; 83f.).
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globales Problem aufzutreten, wobei das spätere Israel (in der Figurenzeichnung Abrahams, möglicherweise auch bereits durch Noah) dieser Korruption der Erde u.a. dadurch widerstehen soll, dass Blutvergießen und -verzehr vermieden werden.266 Allerdings muss auch für das Jubiläenbuch festgehalten werden, dass das Blut wohl nirgends als unschuldig näherbestimmt wird.267 4.4.4. Schlussbetrachtung Der Überblick lässt erahnen, dass sich in frühjüdischen Schriften eine Vorstellungswelt niederschlägt, in welcher Blutvergießen als Kernproblem der Urzeit bestimmt wird. Die Folge ist eine umfassende Reinigung durch die Sintflut. Dieser Zusammenhang ist offenbar durchlässig für eschatologische Vorstellungen, in welchen in kosmologischer Perspektive Blutvergießen als zu überwindendes Problem charakterisiert und durch eine „Flut“ überwunden werden wird. Für unsere Betrachtung ist indes entscheidend, dass keine Adaption dieser Vorstellung das Blut als unschuldiges Blut näherbestimmt. 268 Es ist daher nicht einsichtig, dieses Paradigma, trotz einzelner Analogien, zur Deutung des Motivs des unschuldigen Blutes heranzuziehen. Die hier behandelten Belegstellen sowie der Deutungshorizont der kosmologischen Dimension werden daher im Weiteren bestenfalls als forschungsgeschichtliche Kontrastfolie berücksichtigt werden können. 4.5. Zwischenfazit Trägt man nun die gesamten Ergebnisse zusammen, so lässt sich als Fazit folgendes festhalten:
266 Eine israelspezifische Perspektive scheint in Jub 23,20.23 vorzuliegen, insofern sich der bleibende Abfall Israels durch Blutvergießen manifestiert und die Umkehr ausbleibt. Aufgrund dieser Gottvergessenheit werden Israel und Jakob an sich selbst Blutvergießen durch die Völker erfahren. Zwar klingt hier eine auf Israel zentrierte geschichtstheologische Dimension an, gleichwohl schimmern im Gesamtkontext die Drangsale der Endzeit durch, sodass auch hier eine kosmologische Dimension zu stehen kommt. Wenngleich die realhistorische Bedrängnis der anti-hasmonäischen Chassidim im Hintergrund stehen dürften, geht die eschatologische Gesamtperspektive über eine enge israelorientierte Geschichtsdeutung hinaus (vgl. WOSCHITZ, Parabiblica, 473–475). 267 Zur textkritischen Variante s.o.S. 42 Anm. 7; ferner S. 9 Anm. 41. 268 Diese m.E. notwendige Differenzierung mag in der Sache zu weit gehen und möglicherweise Belegstellen ausschließen, in denen das Motiv des unschuldigen Blutes mitzudenken ist, ohne konkret ausformuliert zu werden. Allerdings können so Verallgemeinerungen ausgeschlossen werden, die bei einer mangelnden Differenzierung zu grenzwertigen Intertexten führen. So rekurriert Hamilton regelmäßig auf Lev 17 und Num 35, um „innocent [sic!] blood“ als Ursache für Landverunreinigung nachzuweisen (vgl. HAMILTON, Death, 109) und damit auf solche Bücher der Schriften Israels, die sich eben durch den Nichtgebrauch des Motivs auszeichnen (s.o. II.2.).
4. Das Motiv unschuldigen Blutes im dtrGB
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1. Die Rechtstexte im Dtn, die beiden Passagen zu Manasse und die Verse aus dem Jeremiabuch zeichnen sich nicht nur durch ihre sprachliche Kohärenz aus, sondern weisen auch theologische Gemeinsamkeiten auf, die in vermutlich jüngeren Texten in ähnlicher Weise aufgenommen werden (bspw. Sus; 1/2Makk). Aus diesem Horizont heraus ist das Verständnis des Motivs zu entfalten. 2. Grundsätzlich fordert jedes vergossene Blut fordert Rechenschaft ein. Die Täter bleiben nicht ungestraft, sondern werden von JHWH (oder einer anderen rechtsgarantierenden Instanz) zur Verantwortung gezogen. Dabei gilt nach ius talionis Blut für Blut (vgl. Gen 9,6). In bestimmten Kontexten kann dies ausbleiben, sofern die Nichthaftung der Täter festgestellt ist (bspw. Dtn 19,10; Jon 1,14). 3. Das unschuldige Blut erscheint als stehender Begriff, der eine Schwelle markiert, die bei Überschreitung eine Straffolge einfordert. Während im Dtn eine Haftung des Volkes mit dem Landbesitz vorgestellt ist, kann die Verantwortung in anderen Schriften auf eine Einzelperson zugespitzt werden (bspw. auf Manasse in 2Kön bzw. Jojakim in Jer; 2ChrLXX). Gleichwohl wird die Volksdimension in dieser Verantwortungszuschreibung auf den König nicht ausgeblendet, da mit Zerstörung des Landes und dem Exil das Volk in einer Art Schicksalsgemeinschaft einbezogen bleibt. Dementsprechend ist Jer 26 bezeichnend, insofern hier Teile des Volkes gegen ihre Autoritäten intervenieren, um das Unrecht, von welchem sie ebenfalls betroffen wären, zu verhindern. 4. In literaturgeschichtlicher Hinsicht weisen die zentralen Belegstellen des Motivs in die exilische bis nachexilische Zeit. Dementsprechend ist das Motiv mit der Kontingenzbewältigung des Landverlustes verbunden. Die (potenzielle) Schwellenüberschreitung ist Teil einer geschichtstheologischen Dynamik, sodass die Strafkonsequenzen an das geschichtliche Ereignis der Tempel- und Stadtzerstörung herangerückt wird. 5. Besteht damit ein enger Zusammenhang zwischen Motivgebrauch und Landverlust, lässt sich dieses in ein „dtr“ geprägtes Geschichtsbild integrieren bzw. als Ausdruck einer vom Deuteronomismus geprägten Gedankenwelt verstehen. Wenngleich das Motiv in verschiedenen Elementen des dtrGB aufgenommen werden kann (A, B, C), so ist dessen Ausrichtung auf Element D hin unbestreitbar. In den überwiegenden Fällen wird das Motiv als der Aspekt eingeführt, der das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen bringt bzw. bringen könnte. Eine Verwendung des Motivs ohne jedweden Bezug auf ein strafendes Gericht ist auch in den späteren „nachbiblischen“ Texten nur selten zu greifen.269
269 Als Ausnahme von dieser Regel lässt sich die unerklärliche Erwähnung bei Philo benennen.
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Als Fazit lässt sich damit festhalten, dass das Motiv, wenn es Verwendung findet, überwiegend in einer geschichtstheologischen Figur „dtr“ Prägung integriert ist. Eine derartige Tat oder Charakterisierung einer solchen lässt nicht nur ein (göttliches) Strafgericht erwarten, sondern auch den Landverlust resp. die Exilierung der haftenden Schicksalsgemeinschaft.270
5. Anwendung der bisherigen Leitlinien des Motivs auf das Matthäusevangelium 5. Anwendung des Motivs auf das Matthäusevangelium
5.1. Zur Verbreitung der potenziellen Intertexte im antiken Judentum Die literaturgeschichtliche Untersuchung konnte den Anfangsverdacht bestätigen, dass das Motiv des unschuldigen Blutes einen festen literarischen Ort in Form eines Schwellenmoments einnimmt. Dieses lässt sich sodann in ein dtrGB eingliedern, insofern überwiegend eine Bezugnahme zu Land und Geschichte Israel festzustellen ist. Aufgrund dieser literaturgeschichtlichen Kohärenz und der Prägung des Motivs durch „dtr“-jer Sprache kann dasselbe als Ausdruck eines „Deuteronomismus“ verstanden werden. Auf dieser Basis ist zu prüfen, ob diese sprachlichen und theologischen Zusammenhänge für den mt Kreis vorausgesetzt werden können. Konkret ist also zu fragen, ob das Dtn und Jer plausible Prätexte des Mt darstellen. Dem Dtn kommt eine kommunikationsraumübergreifende Autorität zu,271 insofern verschiedene Schriften eine breite Bezugnahme auf dasselbe bezeugen.272 Auch der Materialbefund unterstreicht die Bedeutung dieser Schrift: Abgesehen von den Psalmen finden sich in Qumran für keine andere Schrift 270 Dabei kann es sich auch um eine Vertreibung der „Fremdherrschaft“ handeln, die ihres Machtbereichs oder Territorialgewinns verlustig wird, wie die Belege in 1/2Makk zeigen. 271 S.o.S. 35 bei Anm. 150–152. 272 Einen rudimentären Einblick in die Verbreitung biblischer Texte im Frühjudentum geben LANGE/WEIGOLD, Quotations. Sie untersuchen dabei die „Second Temple Jewish Literatur“, wobei weder das NT noch die Werke von Philo, berücksichtigt werden; Josephus liegt ohnehin außerhalb der behandelten Epoche. Eine grobe Übersicht zeigt, dass das Dtn dabei die Spitzenposition an Versen einnimmt, die zitiert werden bzw. auf die angespielt wird. Knapp dahinter folgen Jes, Ps, Gen, Ex und Lev. Eine Mittelposition kann 1/2Chr, 1–4Reg und Jer zugestanden werden. Bei den kleineren Propheten hebt sich Sach hervor. Für diese Textauswahl legt sich eine schwerpunktmäßige Rezeption von Ps, Propheten (insbesondere Jes) und der Thora, allen voran des Dtn, nahe (vgl. näherhin ebd.). Ähnliches skizziert LIM, Deuteronomy – unter anderen Vorzeichen – für die Texte aus Qumran (insbesondere die Tempelrolle), Philo und Josephus. Er stellt diesem Ergebnis voran, dass die Bezugnahme auf das Dtn sich nicht auf den Text des Codex Leningradensis reduzieren darf, da dieser noch „im Fluss“ ist und sich ferner Exzerpte des Dtn nachweisen lassen, die gleichermaßen als autoritative Vorlage dienten.
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mehr Fragmente/Rollen.273 Insgesamt lassen sich für alle wichtigen Textkorpora, konkret die Gemeindeschriften von Qumran, die Pseudepigraphien, Philo, Josephus und nicht zuletzt das NT, mannigfaltige Anspielungen auf das Dtn neben deutlichen Zitationen nachweisen.274 Damit ist allerdings noch keine Aussage getroffen, in welcher Art und Weise auf das Dtn Bezug genommen wird. Denn der gemeinsame Referenztext ist keinesfalls ein Garant für denselben Zugriff auf diesen. 275 Dabei ist entscheidend, dass nicht nur konkrete Einzelgesetze rezipiert werden, sondern auch substrukturelle Motive oder Sprachprägungen gebraucht werden.276 Damit zeigt sich eine umfassende Ausstrahlung des Dtn in das frühjüdische Schrifttum hinein. Die allgemeine Rezeption des Dtn plausibilisiert auch für den mt Kreis eine Adaption von Sprach- und Strukturformen – nicht zuletzt eines geschichtstheologisch geprägten Deuteronomismus (d.h. dem dtrGB).277 Unter bestimmten Vorrausetzungen gilt eine ähnliche Verbreitung auch für Jer, wobei das NT den ambivalenten Befund trefflich abbildet. Nur im Mt wird Jer explizit rezipiert;278 insgesamt bleiben die Referenzen auf Jer im NT marginal.279 Dies entspricht dem statistischen Ergebnis für die Zeit des zweiten Tempels.280 Allerdings lässt sich im Zuge der zweiten Tempelzerstörung 273
Vgl. CRAWFORD, Reading, 127; STÖKL BEN EZRA, Qumran, 185–187. Ähnliches gilt für die Verbreitung der Septuagintafassung des Dtn (vgl. CROWE, Son, 40–44). 274 Vgl. CROWE, Son, 39–87; zum Dtn im NT vgl. ferner MENKEN/MOYISE, Deuteronomy. 275 Dies betrifft insbesondere die Frage, welche Teile des Dtn rezipiert wurden. CROWE, Son, 71f.84 skizziert am Beispiel von Philo und dem NT einen „holistischen“ Gebrauch, wenngleich er auf die unterschiedlich starke Gewichtung aufmerksam macht. LIM, Deuteronomy hingegen sieht bei Philo, und in Abstrichen auch bei Josephus (Flav.Jos.Ant. IV 176–331), eine bloße Rezeption der Gesetzestexte. Dabei versteht er Philos Grundanliegen als eine „synthesis of Jewish biblical exegesis and Greek philosophical tradition“; das Dtn wird dabei eher im allegorischen als im literalen Sinn gebraucht (ebd., 23). Josephus hingegen nutzt das Dtn als Ausdruck einer „ethnic pride“, die sowohl die herausragende Gesetzeskenntnis des jüdischen Volkes allgemein als auch seiner selbst unterstreicht, um die für die römische Welt befremdlichen Diskussionen im jüdischen Volk zu plausibilisieren (ebd., 26). An dieser Differenz wird offensichtlich, dass es einer Einzelfallentscheidung der untersuchten Texte bedarf, in welcher Art und Weise und zu welchem Sinn und Zweck das Dtn aufgenommen wird. 276 Zu diesem gehören bspw. Varianten des SER-Schemas, die Gegenüberstellung von Fluch und Segen (Dtn 27.28–30) sowie die Reden des Moses, insbesondere das Moselied in Dtn 32 (vgl. hierzu CROWE, Son, 50–74). 277 Von einer Rezeption des Deuteronomismus in neutestamentlicher Zeit gehen auch SCHMID, Literaturgeschichte, 81; RÖMER, Deuteronomismus, 6.; BRAULIK, Deuteronomium, 181f. aus. 278 Vgl. KNOWLES, Jeremiah; WINKLE, Model, 155. 279 Dies zeigt sich bereits für das Mt, insofern die intertextuellen Referenzen auf andere Schriften (insbesondere Dtn; Ps; Jes) als markanter erscheinen (vgl. LIM, Deuteronomy, 6). 280 Vgl. LANGE/WEIGOLD, Quotations, 141–147.
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eine „Jeremia-Renaissance“ greifen, die sowohl in der Eigendarstellung des Josephus, als auch in der umfangreichen Baruch-Literatur sichtbar wird.281 Durch dieses Ereignis ergibt sich offenbar auch für Jer eine kommunikationsraumüberschreitende Verbreitung, die themenspezifisch mit der Tempelzerstörung und der Abweisung eines Propheten verbunden scheint. Insgesamt ist auch Jer ein plausibler Prätext für das Mt.282 Diese Überlegungen machen deutlich, dass sowohl das Dtn als auch Jer in ihrer Verbreitung wenigstens potenzielle Intertexte für das Mt darstellen und (u.a.) in diesen Schrifträumen die Jesusgeschichte entfaltet wird.283 Es besteht dadurch die berechtigte Annahme, dass die Schriften im mt Kreis nicht nur durch Zitation, sondern durch Adaption ihrer theologischen Konzepte aufgenommen wurden. 5.2. Zum narrativen Aufbau des Matthäusevangeliums Ehe auf die mögliche Adaption des dtrGB im Mt geblickt wird, gilt es den erzählerischen Gesamtaufriss des Evangeliums wahrzunehmen. Die Jesusgeschichte umgreift die Herkunft des Menschen- und Gottessohnes von Geburt bis Auferstehung,284 wobei die Entwicklung der urchristlichen Gemeinde mitreflektiert wird.285 Der mt Kreis erzählt demnach einen historischen Sachverhalt (erzählte Zeit), aber durch die Einbeziehung der eigenen Erzählzeit finden sich geschichtliche Ereignisse im Evangelium wieder, die den gesetzten Zeitrahmen gleichermaßen (nach hinten) aufsprengen. Durch den Einbezug der Schriften Israels, insbesondere der Reflexionszitate, wird der chronologische Rahmen auch nach vorne aufgebrochen. Damit ist das mt Geschichtsverständnis in die biblisch-frühjüdische Welt einzubetten.286 Neben dieser oberflächlichen Beschreibung von Erzählinhalt und Kommunikationssituation gilt es zu bedenken, dass jeder Geschichtsschreibung ein plot inhärent ist. Manchen sehen diesen in der Jesusbiographie,287 jedoch stellt die reine Nachzeichnung der (biographischen) Sequenzen allenfalls eine
281
Vgl. KONRADT, Mt, 259 mit Verweis auf 2Bar; 4Bar; Flav.Jos.Ant. X 79f.89–96. 112–130.156–158.176–180 (zur Selbstinszenierung des Josephus vgl. COHEN, Josephus); ferner WOLFF, Jeremia, 96.189–192. 282 Vgl. KONRADT, Deutung, 253. 283 Zum Dtn vgl. u.a. CROWE, Son; FRANKEMÖLLE, Kirche, 106–108; MENKEN, Deuteronomy; zu Jer u.a. KNOWLES, Jeremiah; MENKEN, References. 284 Umstritten ist allerdings, ob die Schilderung des Lebens Jesu in ihrer vorliegenden Fassung auch innerhalb der Ersthörerschaft als ein hellenistisches ȕȠȢ zu verstehen ist. Während WRIGHT, Volk, 496 dies bereits für den Autor des Evangeliums behauptet, sieht LUZ, Mt I, 41 ein solches Verständnis erst für spätere Generationen gegeben. 285 Zum Verständnis des Mt als inclusive story s.o.S. 11 Anm. 46. 286 Vgl. LUZ, Interpretationstendenzen, 46. 287 So EDWARDS, Story nach der Darstellung von POWELL, Plot, 187f.
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singuläre story line dar.288 Der mt plot kann entweder vom Ende oder vom Anfang des Evangeliums her entfaltet werden. So könnte im Missionsbefehl der Zielpunkt des Evangeliums gesehen werden, welcher im Wesentlichen erklären soll, weshalb die irdische Sendung Jesu zum Volk Israel in der Völkermission mündet.289 Es ist jedoch einzuwenden, dass diese Schlusspassage weniger den Ziel- und Schlusspunkt des Evangeliums bildet, sondern durch den Auftrag eher ein Doppelpunkt gesetzt wird, insofern die Beauftragung der Jünger einen Anfangspunkt darstellt, der eine neue story eröffnet.290 Problematisch bleibt zudem, dass in diesem plot implizit eine Substitutionstheorie zum Ausdruck kommt, die als solche anzufragen ist. Blickt man auf den Anfang, kann Mt 1,21 als zentraler Marker bestimmt werden. Mit der Deutung des Jesusnamens und dem Auftrag sein Volk von den Sünden zu retten wird ein narrativer Impuls gesetzt, sodass die Frage entsteht, wie im plot dieser Handlungsauftrag vollzogen wird.291 Aus dem Auftrag heraus ergibt sich sodann eine Konfliktsituation, die unterschiedlich bestimmt wird. Auf der Textebene ist offenkundig, dass die Konfliktgeschichte zwischen Jesus und den etablierten Autoritäten verläuft.292 Gleichwohl wird erwogen, dass dies zugleich Ausdruck eines Konflikts ist, der sich auf einer Metaebene 288
Vgl. POWELL, Plot, 188f. Die Unterscheidung von story und plot erwähnen auch EBNER/HEININGER, Exegese, 63. In ihrem Modell wird jedoch der Einbezug der Autorenund Leserschaft in die story als Narration bezeichnet, wobei story und plot voneinander unterschieden bleiben. Anschaulich wird dies im Beispiel von E. M. Forster (vgl. POWELL, Plot, 190): Während die chronologische Reihenfolge lediglich eine story markiert („The king died, and then the queen died“), zeichnet sich ein plot durch die Markierung eines Erzählzusammenhangs aus („The king died, and then the queen died out of grief“). Dementsprechend ist mit Verweis auf ebd. festzuhalten, dass sich ein plot durch seine Diskursivität und ineinander gehende Handlungsstränge ergibt. 289 So der Vorschlag von Frank J. Matera (zur Darstellung vgl. POWELL, Plot, 189– 192). 290 Vgl. POWELL, Plot, 190–192. 291 Vgl. POWELL, Plot, 195f. Diese Fokussierung ermöglicht, weitere Strukturierungselemente des Evangeliums einzubeziehen. Nach Powell wird durch Mt 9,13 die Folgefrage „Wer ist dieses Volk“ mit der Charakterisierung als Sünder beantwortet, wohingegen Mt 20,28 das „Wie der Erlösung“ markiert (vgl. ebd., 195). Darüber hinaus lassen sich auch die beiden Erzähleröffnungen in Mt 4,17; 16,21 (ǹʌઁ IJંIJİ ਵȡȟĮIJȠ ȘıȠ૨Ȣ …) einbeziehen, insofern im ersten Abschnitt die Predigt Jesu die Sammlung der Sünder ermöglicht, wohingegen die in der Passion ausformulierte Lebenshingabe Jesu den Gang nach Jerusalem als Thema des zweiten Abschnitts notwendig macht (vgl. ebd., 195). Mit ebd., 196 lässt sich der plot demnach wie folgt bestimmen: „In short, an examination of Matthew’s plot from the perspective of causality reveals that this story is not fundamentally about how the Gospel passed from Israel to the nations but about how Jesus came to save his people from their sins. The plot of Matthew’s Gospel describes how this purpose came to be fulfilled, to some extent in Jesus’ ministry, but, ultimately, only in his death“; ähnlich ALKIER, Zeichen, 111. 292 S.o. I.2.
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abspielt.293 Plausibel erscheint hierbei eine Bezugnahme auf das im Evangelium genannte Kernproblem der Errettung aus Sünde. Damit stellt sich die Frage, wie dieses Kernproblem inhaltlich zu füllen ist. Ist der Vorschlag statthaft, dass das „Sein in Sünde“ auch als „Exilerfahrung“ kodiert ist,294 dann kann der mt plot in den größeren Rahmen der Exilsituation des Volkes Israels eingebunden werden. Die skizzierte Einschreibung der Jesusgeschichte in die Geschichte Israels hat Konsequenzen, insofern das Evangelium als „Grundtext“295 der Gemeinde deren identitäres Selbstverständnis zum Ausdruck bringt. Dieses erschöpft sich offenbar nicht allein in der Darstellung Jesu, sondern lässt auch den Einbezug geschichtlicher Ereignisse des Volkes Israels erwarten. Ein solches Ereignis stellt die Eroberung Jerusalems und Zerstörung des Tempels 70 n.Chr. dar. Es ist demnach zu fragen, ob und wie diese beiden Themen in der mt Geschichtsreflexion zusammengebracht werden. Die bisherige Darstellung legt nahe, dass hierfür das dtrGB adaptiert wird.296 Im nächsten Abschnitt sollen daher Indizien präsentiert werden, die nahelegen, dass die gesamte mt Geschichtsreflexion bis in die Darstellung Jesu hinein durch das dtrGB geprägt ist. 5.3. Indizien für ein dtrGB im Matthäusevangelium Als zentrale Elemente des dtrGB wurden die Sündengeschichte des (eigenen) Volkes Israels (A), die gottgewirkte Umkehrpredigt (B), die Abweisung dieser, z.T. durch die Tötung der Gesandten/Propheten (C) und das innerweltliche Gericht (D) bestimmt, wobei eine retrospektive Sicht konstitutiv ist.297 Die Erzählperspektive der Erzählzeit ist folglich in einer Exilsituation anzusiedeln und dient der Kontingenzbewältigung. Das dtrGB ist als eine
293
Kingsbury zeichnet einzelne Konfliktfelder nach (Jesus vs. Satan/dämonische Mächte, Jesus vs. jüdische Autoritäten, Jesus vs. Jünger Jesus) und sieht den Hauptkonflikt im Gegenüber von Jesus vs. Israel (vgl. POWELL, Plot, 192). Diese Beobachtungen aufnehmend sieht Powell die Hauptkonfliktlinie zwischen Gott und dessen Plan zur Sündenrettung und Satan, der diese Pläne zu durchkreuzen versucht (vgl. ebd., 198f.). Hierfür rekurriert er zum einen auf die Intervention Satans zu Beginn des Evangeliums in Mt 4, sodann auf dessen Opposition zur Wortverkündigung in Mt 13,36–43, zuletzt wird das potenzielle Verhindern der Passion als satanisch verstanden (Mt 16,23). Problematisch bleibt allerdings, dass im Gegensatz zu Lk und Joh die Passionsgeschichte als zentraler Bestandteil der Erzählung kein satanisches Kolorit (bspw. in der Figur des Judas; s.u. III.2.1.) erkennen lässt. 294 Vgl. WRIGHT, Volk, 489. Mit dieser Deutung hebt sich Wright u.a. von LUZ, Mt I, 148f. ab, der in der Sündenrettung ein christliches Spezifikum sieht. 295 LUZ, Mt I, 42. 296 Ähnlich KONRADT, Deutung, 219. 297 S.o.S. 52ff. (II. Exkurs 2).
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geschichtsreflexive Hilfestellung anzusehen, die zur Deutung des realgeschichtlichen Verlaufs dient. Entsprechend ist zunächst zu prüfen, ob im Mt eine Exilsituation erkennbar ist. Einen ersten Hinweis liefert die Genealogie Jesu (Mt 1,1–17).298 Die zweite Generationenfolge mündet in die babylonische Verbannung, die zudem die dritte (Mt 1,11f.17) eröffnet.299 Durch diesen Rückbezug könnte das Exil als andauernd verstanden werden, welches erst in der Person Jesu zum Ende kommt.300 Wenn aber die Geschichte des Volkes in dieser Hinsicht auf Jesus zuläuft, impliziert dies zugleich eine zeitgenössische Verortung in eine Exilsituation in der erzählten Zeit.301 Zugleich ist mitzudenken, dass sich die mt Gemeinde der Erzählzeit ebenfalls in einer Exilsituation befindet, insofern nach dem römisch-jüdischen Krieg sich zumindest in Ansätzen Zustände einstellen, die dem ersten Exil ähneln.302 Die Überwindung des Exils
298
Diese lässt sich als schriftgelehrte Komposition erfassen, in welcher das christologische Programm des Evangeliums bereits angelegt ist (vgl. KONRADT, Mt, 28). Mt 1,1 kann sowohl als Überschrift des gesamten Buches als auch als Überschrift der Genealogie verstanden werden (zur Diskussion vgl. ebd., 26). 299 Vgl. ALKIER, Zeichen, 113.127. 300 Die These, dass sich das zeitgenössische Judentum im anhaltenden Exil verortete, wird bei WRIGHT, Volk, 341 nachdrücklich vorgetragen: „Es scheint, als hätten die meisten Juden jener Zeit die Frage ‚Wo sind wir?‘ mithilfe einer Sprache beantwortet, die, wenn man sie auf ihre einfachste Form reduziert, bedeutete: Wir sind immer noch im Exil. Sie glaubten, dass Israels Exil in jeder bedeutsamen Hinsicht immer noch im Gange war. Obwohl man aus Babylon zurückgekommen war, blieb die herrliche Botschaft der Propheten noch unerfüllt. Israel war immer noch Fremden hörig; noch schlimmer: Israels Gott war noch nicht zum Zion zurückgekehrt.“ Zur Diskussion vgl. BIRD, Jesus, wobei die kritischen Anfragen, ob (der historische) Jesus, wie die (angebliche) Mehrheit des Judentums, sich in einem anhaltenden Exil sah, für diesen Diskurs nur bedingt relevant ist. Zentral ist, dass das Exil im Mt ein bedeutsamer Aspekt darstellt und wenigstens in der Exposition noch nicht zu einem endgültigen Ende gekommen scheint (vgl. KONRADT, Mt, 30; HAYS, Torah, 187). Die mehrheitliche frühjüdische Selbstverortung in das Exil und deren Implikationen für das Mt wurden jüngst von PIOTROWSKI, Matthew unterstrichen. 301 Die Fortdauer des babylonischen Exils ergibt sich aus der Vakanz des Throns Davids, wobei Jesus dieses (messianische) Erbe annehmen soll. Hierauf deutet zumindest das davidische Kolorit, welches sich u.a. durch die notwendige Doppelzählung seiner Person (Mt 1,6a.b; 17), die explizite Nennung des Königstitels (Mt 1,6) und möglicherweise auch die Zählweise der vierzehn Generationen, die dem hebräischen Zahlenwert von David entspricht, ergibt (vgl. KONRADT, Mt, 28–30). Über den Text hinaus kann die bestehende Diaspora als bleibendes Zeichen der ȝİIJȠȚțİıĮ verstanden werden (vgl. PIOTROWSKI, Matthew, 94–98). 302 Im Evangelium wird diese Erfahrung vermutlich durch die Fluchtthematik eingespielt, die im Mt einen höheren Stellenwert einnimmt als in anderen Schriften, wie die Flucht nach Ägypten in Mt 2 sowie die Pointierungen im Rahmen der Endzeitrede (Mt 24,15f.20) aufzeigen. Ob dahinter reale Fluchterfahrungen der Gemeinde stehen, ist umstritten (vgl. KONRADT, Mt, 374).
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in Jesus scheint demnach eine zweifache Stoßrichtung zu haben.303 Folglich lässt das Evangelium eine Eigenverortung in eine Exilsituation erkennen, wodurch eine „dtr“ Geschichtsentfaltung im Mt wahrscheinlich wird und dasselbe auf konstitutive Elemente des dtrGB geprüft werden kann. 5.3.1. Motiv A Das Vorhandensein einer Sündengeschichte des Volkes wird als Teil der Exposition in Mt 1,21 benannt, insofern es „von seinen Sünden gerettet werden“ muss. Allerdings scheint das Motiv der Sündenerrettung kein frühjüdischer Topos zu sein, der mit einer messianischen Erwartung in Verbindung gebracht wird.304 Ebenso ist unklar, ob das Motiv aus Ps 129,8LXX ableitbar ist. Eine solche Referenz würde die redaktionelle Ersetzung von ıȡĮȜ zu ȜĮંȢ implizieren,305 weshalb von manchen IJઁȞ ȜĮઁȞ ĮIJȠ૨ als christliche Perspektive verstanden und mit der ਥțțȜȘıĮ (vgl. Mt 16,18) identifiziert wird.306 Dies liegt indes quer zur vorangehenden Genealogie, welche pointiert die Geschichte Israels ins Gedächtnis ruft.307 Wenigstens für den Erstleser ist IJઁȞ ȜĮઁȞ ĮIJȠ૨ eindeutig mit der zuvor skizzierten Volkszugehörigkeit Jesu zu Israel bestimmt.308 Darüber hinaus wird in der unmittelbar 303
Darauf deutet zumindest die Raumkonzeption ausgehend von Mt 2. Durch die beiden Reflexionszitate in Mt 2,15.18 findet eine gewisse Transformation der Geschichte Israels statt. Jerusalem/Herodes stehen analog zu Ägypten/Pharao der Mose-Erzählung; Jesus geht selbst in das Exil, um anschließend zurückzukehren (vgl. PIOTROWSKI, Matthew, 229f.; ähnlich KONRADT, Mt, 32). Dass diese Rückkehr zunächst nicht nach Jerusalem, sondern nach Galiläa führt, sieht Piotrowski als Indiz dafür, dass das metaphorische Exil Jesu erst mit dem Rettungsakt, der in Mt 1,21 angekündigt wird, zu stehen kommt. Jesus kehrt abermals nach „Ägypten“, d.h. Jerusalem, zurück, um dort das Exil zu beenden. 304 Als nächste Parallelen wird regelmäßig auf PsSal 17,22–25; TestLev 18,9; 11QMelch ii,6–8 verwiesen. Hier geht es allerdings weniger um die Sündenerrettung, sondern um ein Überwinden der Sünde, sei es deren Ende oder deren Ausscheidung. LUZ, Mt I, 149 Anm. 53 verweist zudem auf 1Hen 62,2; 69,27–28, wo die Sünder gerichtet werden. Die Formulierung lässt sich folglich nur schwer in die frühjüdische Umwelt einordnen (vgl. ebd., 148f.; FRANCE, Mt, 54). Die Problematik besteht offenbar darin, dass das „Rettungsmotiv“ (ĮIJઁȢ Ȗȡ ıઆıİȚ IJઁȞ ȜĮઁȞ ĮIJȠ૨) politisch, dass „Sündenmotiv“ (ਕʌઁ IJȞ ਖȝĮȡIJȚȞ ĮIJȞ) hingegen religiös konnotiert ist (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt I, 210; HAGNER, Mt I, 19f.). Die Interpretation ist daher zunächst von dieser Gewichtung abhängig, darüber hinaus aber auch von unterschiedlichen inhaltlichen Füllungen bzw. Reichweite von ਖȝĮȡIJĮ. 305 Vgl. die Darstellung bei REPSCHINSKI, Christology, 255. 306 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt I, 210; ähnlich FRANCE, Mt, 53. 307 Die dezidierte Israel-Perspektive bestätigt sich noch einmal mehr durch den Seitenblick auf die lk Genealogie: Hier wird der Stammbaum Jesu auf Adam resp. Gott zurückgeführt. Während hier von einer „schöpfungstheologischen Perspektive“ gesprochen werden kann, steht bei Mt eine „bundestheologische Perspektive“ im Blickpunkt, die mit der Erwählung Abrahams, als Stammvater Israels, begründet ist (ALKIER, Zeichen, 126). 308 Vgl. REPSCHINSKI, Christology, 255f.
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folgenden Erzählung ȜĮંȢ mit ǿıȡĮȜ identifiziert (Mt 2,6). Es ist in dieser Kontextualisierung also wesentlich wahrscheinlicher, dass ȜĮંȢ das Gottesvolk Israel meint und nicht auf das Entstehen der „Völkerkirche“ vorausblickt.309 Ist also die Rettung des Volkes aus ihren Sünden auf das Volk Israel hin ausgerichtet, so stellt sich die Frage, wie diese untypische Formulierung im Frühjudentum verständlich wird. Im 1. Jahrhundert ist Sündenvergebung nicht nur individuell konnotiert,310 sondern auch national.311 Dementsprechend kann die Sündenfolge auch national kodiert werden und meint dann die fortbestehende Existenz im Exil.312 Wenn also das Exil das sichtbare Zeichen der Sündenfolge darstellt, so wäre die „Rettung von ihren Sünden“ durch die Aufhebung des Exils gegeben. Folglich wäre eine national-politische Restauration der davidischen Herrschaft eine naheliegende Erwartung. 313 Es ist allerdings fraglich, ob sich der nationale Impetus zwangsläufig aus dem Topos des Exils ergibt, oder ob hier ein anderes Thema verhandelt wird, nämlich die bleibende Treue Gottes in geschichtswirkender Dimension, die trotz der Sündhaftigkeit des Volkes stets aktualisiert wird.314 Die Treue Gottes wird in der Kontrastfolie der Sündhaftigkeit des Volkes bereits in der Genealogie eingespielt, welche sich als eine Art „Sündenspiegel“ liest.315 Abermals 309
Vgl. LUZ, Mt I, 149; KONRADT, Israel, 363–365; NOLLAND, Mt, 98; WRIGHT, Volk,
490. 310
Vgl. OrMan 12–15; JosAs 11,10–18; ferner KWON, Death, 62–65. Vgl. WRIGHT, Volk, 348. 312 Vgl. WRIGHT, Volk, 348. 313 Vgl. WRIGHT, Volk, 489; FRANCE, Mt, 54; ähnlich HAGNER, Mt I, 19f., der allerdings diese Konnotation für die mt Gemeinde als nicht mehr nachvollziehbar erklärt und deshalb der Deutung ȜĮંȢ = ਥțțȜȘıĮ den Vorzug gibt. Fraglich ist darüber hinaus, wie verbreitet die Hoffnungen auf einen davidischen Messias waren. Wie PIOTROWSKI, Matthew, 109–113 aufweist, sind die Hoffnungen auf ein Wiederaufleben der davidischen Dynastie in den frühjüdischen Texten weit weniger greifbar, als die Schriften Israels vermuten ließen. Es ist daher ein zeitgenössisches Proprium des Mt, dass die Hoffnungen auf das Ende des Exils mit einer davidischen Restauration eng verbunden werden. Dies heißt nicht, dass die national-politischen Hoffnungen auf ein Ende des Exils nicht als sichtbares Zeichen der Sündengeschichte verstehbar sind. Gleichwohl ist die Fokussierung des Endes über einen Davididen nicht unbedingt die naheliegende Antwort. 314 Eine solche Perspektive wird von ALKIER, Zeichen, 125f. herausgearbeitet: „Dass die Stammtafel die babylonische Gefangenschaft an exponierter Stelle erwähnt, die Kontinuität des Geschlechts Abrahams damit aber gerade nicht abreißen lässt, sondern sie bis zu Jesus fortführt, erinnert eindrücklich die durchgehende Treue Gottes“ (vgl. ebd., 126; ähnlich ELOFF, Exile, 82). 315 ALKIER, Zeichen, 127. Besonders deutlich tritt dies in der Formulierung „David zeugte Salomo mit der Frau des Uria“ hervor, insofern David als Ehebrecher gekennzeichnet wird. Doch auch weitere Namen lassen Sündhaftigkeiten assoziieren: Die Zufügung der Brüder Judas erinnert an deren unrühmlichen Umgang mit Josef. Sein eigener Umgang mit Tamar steht ebenfalls im Kontext von Gesetzesverstößen. Bereits diese „wenigen 311
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zeigt sich, dass die Errettung aus Sünde auch die Dimension des Volkes, nicht nur eines Einzelnen im Blick hat. Es ist daher möglich, dass die Sündenproblematik des Volkes mit dem Verhaftetsein in der Sünde zusammenfällt.316 Wäre demnach das Woraus der Rettung als interpretationsbedürftig bestimmt, tritt die Notwendigkeit einer Errettung deutlicher hervor.317 Sünde bleibt im Evangelium ein wiederkehrendes Thema, das als Problem in der Verkündigung Johannes des Täufers erneut eingeführt wird (Mt 3,6).318 In Mt 9,1–8 wird verhandelt, dass Jesus die Macht der Sündenvergebung innehat, die ferner den Menschen gegeben ist. In Mt 12,31 wird eine umfassende Sündenvergebung in Aussicht gestellt.319 Zuletzt unterstreicht das mt Kelchwort die zentrale Stellung der Sündenthematik innerhalb des Evangeliums (Mt 26,28).320 Damit spannt sich ein Bogen von der Feststellung der Sündhaftigkeit des Volkes bis hin zum Angebot der Sündenvergebung in der Person Jesu über das gesamte Evangelium hinweg.321 Dies korrespondiert mit der
Pinselstriche“ zeigen an, dass die Sündhaftigkeit an das Volk gebunden wird (vgl. ebd., 127). Die Argumentation ähnelt Wright, der jedoch eher ein sündigendes Volk fokussiert, während bei Alkier stärker die Perspektive eines Volkes aus/von Sündern hervortritt. 316 Vgl. WRIGHT, Volk, 489; ähnlich REPSCHINSKI, Christology, 253. 317 Das Zueinander von Rettungsmotiv und Sünde ist in Mt singulär (REPSCHINSKI, Christology, 264) und im Evangelium selbst nicht kohärent. Der weitere Umgang mit Sünde wird durch ਕijȘȝȚ ausgedrückt (Mt 9,2.5f.; 12,31; 18,21; 26,28; vgl. auch ebd., 254f.), wohingegen ıȗİȚȞ sowohl in existenziellen bzw. eschatologischen Gefährdungslagen (Mt 8,25; 10,22; 14,30; 16,25; 19,25; 24,13.22) als auch bei Heilungsgeschichten (Mt 9,21f.) wiederkehrt; eine eigene Kategorie bilden die spottenden Selbstrettungsaufforderungen in Mt 27,40.42.49 (vgl. ebd., 257). Es wäre daher denkbar, dass das rettende Handeln Jesu sowohl durch Sündenvergebung als auch Heilungen bestimmt ist, wie dies in der Täuferfrage (Mt 11,2–6) in Verbindung mit der Ringkomposition (Mt 4,23–9,35) als Ausdruck messianischen Wirkens nahegelegt wird (vgl. KONRADT, Mt, 177). Jenseits dieser konzeptionellen Überlegungen dürfte sich das Motiv der Sündenrettung als volksetymologisches Wortspiel zum Namen Jesus auf Basis der hebräischen Wörter ʲʹʩ und ʲʥʹʩ erklären lassen (vgl. Philo mut. 121). 318 Vgl. ferner den Überblick bei SIKER, Sin, 51–67. 319 Wenigstens dem Wortlaut nach wird hier zwischen ਖȝĮȡIJĮ und ȕȜĮıijȘȝĮ unterschieden. Während Erstere potenziell vollumfänglich vergeben werden kann, wird die spezifische Lästerung (ȕȜĮıijȘȝĮ) des Geistes als unverzeihlich bestimmt. 320 S.u. V.3.; zur Thematik insbesondere V.3.2.4.a). 321 Dieser übergreifende Gebrauch von ਖȝĮȡIJĮ lässt sich zudem von den anderen synoptischen Evangelien abheben. Das Mk benutzt den Begriff lediglich im Rahmen der Bußpredigt des Johannes (Mk 1,4f.) und hinsichtlich der Vollmacht Jesu (Mk 2,1–12). Im Lk rahmt die Sündenvergebung zwar das Evangelium, bindet dies aber nur an die Umkehrpredigt zurück (Lk 1,77; 24,47). Dem Mk entsprechend erscheint der Sündenbegriff auch in der Bußpredigt des Johannes (Lk 3,3) und als Zeichen der Vollmacht Jesu (Lk 5,17–26; 7,36–50). Im Gegensatz zum Mt erscheint der Sündenbegriff zudem im Vaterunser (Lk 11,4).
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besonderen Zuwendung zu den Sündern (Mt 9,9–13; 11,19)322 sowie der expliziten Nennung des Namens „Jesus“ im titulus crucis, insofern das Mt hier von der mk Vorlage abweicht.323 5.3.2. Motiv B Der Ruf zur Umkehr wird erstmals durch Johannes den Täufer vorgetragen (Mt 3,2.8.11) und bleibt als Anspruch in seiner Person im gesamten Evangelium präsent (vgl. Mt 11,9–14; 21,24–27.28–32). Johannes wird im Evangelium jedoch eindeutig als Vorläufer Jesu bestimmt, 324 weshalb der Ruf zur Umkehr erst mit der wortgleichen Adaption im Munde Jesu (Mt 4,17) seine volle Kraft als programmatische Basis der weiteren Verkündigung Jesu entfaltet.325 Der Umkehraufruf ȝİIJĮȞȠİIJİ ist konstitutiv mit dem Verweis auf die Nähe des Himmelreiches verbunden (ਵȖȖȚțİȞ Ȗȡ ਲ ȕĮıȚȜİĮ IJȞ ȠȡĮȞȞ). Dieser Ausspruch erscheint abermals im Rahmen der Aussendungsrede jedoch ohne den Imperativ zur Umkehr (Mt 10,7).326 Die Umkehraufforderung bleibt daher an Jesus zurückgebunden, worin aber (als seine Botschafter) auch die Jünger und der Täufer eingetragen sind. Der Aufruf zur Umkehr erweist sich so als zentraler Aspekt der Verkündigung des irdischen Jesus. Aufgrund der Irsaelzentrierung327 im Wirken des irdischen Jesus erscheint das Volk Israel zudem als Primäradressat dieser Umkehraufforderung, wenngleich diese wohl nicht exklusiv zu denken ist.328 Der ausformulierte Umkehraufruf
322
Unklar bleibt die Charakterisierung der Häscher Jesu als Sünder. Dies ist Mk 14,41 entnommen und kann von dort erklärt werden. Möglicherweise verdeutlicht diese Bezeichnung auch die Sündhaftigkeit des Volkes und unterstreicht nochmals die Notwendigkeit der Rettung. 323 Vgl. REPSCHINSKI, Christology, 264. 324 Vgl. die grundlegende Arbeit HÄFNER, Vorläufer. 325 Vgl. KONRADT, Mt, 60. Die Programmatik des Textes liegt darin begründet, dass er als Überschrift des folgenden irdischen Wirkens Jesu anzusehen ist. In diesem wird deutlich, dass die Himmelsreichbotschaft nicht nur das Wirken Jesu umfasst, sondern zugleich auch seine Lehre (vgl. LUZ, Mt II, 93). 326 Vgl. KONRADT, Mt, 47.163, der die Auslassung von ȝİIJĮȞȠİIJİ in Mt 10,7 in der stärkeren Akzentuierung auf die „auszurichtenden Heilsbotschaft“ begründet sieht. 327 Die Fokussierung auf Israel lässt sich anhand von Änderungen am mk Text ablesen: In Mt 8,28 wird Gerasa zu Gadara; in Mt 15,21–28 betritt Jesus das Gebiet von Tyrus und Sidon nicht explizit und betont seine Sendung zu Israel (Mt 15,24); in Mt 15,29.32–39 wird deutlich, dass die zweite wundersame Speisung nicht im (heidnischen) Gebiet der Dekapolis stattfindet (so jedoch Mk 7,31; 8,1–10). Vgl. insgesamt die ausführliche Darstellung bei KONRADT, Israel, 52–81. 328 Dass die Umkehraufforderung auch den Völkern gilt, legt der Verweis auf die Niniviten nahe (Mt 12,41) sowie der Taufbefehl in Mt 28,19, welcher durch Mt 3,2.6 mit Umkehr konnotiert sein dürfte; möglicherweise ist auch Mt 3,9 als Indikator zu werten (vgl. KONRADT, Mt, 50; ZIETHE, Namen, 128–130.). Gleichwohl bleibt auffällig, dass der
110
II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
ȝİIJĮȞȠİIJİ wird dem ganzen Volk zugerufen, wie die Reichweite des Rufes des Johannes zeigt.329 Damit markiert der Umkehrruf wie auch die Sündengeschichte ein Problem im Volk Israel, das im Mt behandelt wird. 5.3.3. Motiv C Die Weigerung zur Umkehr ist durch die sich zuspitzende Konfliktgeschichte im Evangelium selbstevident. Diese reicht von den anfänglichen Bedrohungen Jesu (Mt 2,16–18; 12,14; ferner 16,21–23; 17,22f.; 20,17–19), über die Ablehnung von Johannes (Mt 3,7–10; 11,2) bis hin zum partiellen Scheitern der frühchristlichen Missionare (Mt 10,7–15). Im Gleichnis-Zyklus (Mt 21,28–32.33–45; 22,1–14) wird diese Ablehnung der Boten Gottes nochmals verdichtet,330 wobei hierdurch und durch die Wehrufe auch die Propheten vor der erzählten Zeit in den Ablehnungszusammenhang eingetragen werden (Mt 23,27–36).331 Deren Todesgeschick (Mt 23,30f.) kehrt auch im Evangelium für die Verkündiger der Umkehrbotschaft wieder (Johannes: Mt 14,1–12; Jesus: v.a. Mt 26,1–27,66; Jünger: Mt 23,34). Es ist auffällig, dass die Ablehnung über weite Strecken hinweg, je nach Deutung wahrscheinlich sogar bist zuletzt,332 auf die etablierten Autoritäten fokussiert ist und diese vollverantwortlich zeichnet.333 Im Fokus steht allerdings nicht nur die Ablehnung der Person Jesu und des im Evangelium kommunizierten messianischen Anspruches. Auf der Konfliktebene mit den Autoritäten finden sich auch vielfach Auseinandersetzungen um die Lehre Jesu. Zentraler Streitpunkt ist demnach die Befolgung der Thora in der Auslegung Jesu (vgl. Mt 5,17–20),334 insofern sich – insbesondere für die Autoritäten – die Frage stellt, ob sie diese als Ausdruck des göttlichen Willens verstehen und ihr folgen oder nicht (vgl. Mt 21,23–27). mt Kreis die Umkehraufforderung gegenüber den Völkern nicht terminologisch herausstellt, wie dies in Lk 24,47 der Fall ist. 329 Dieser strahlt nicht nur regional auf das ganze Land aus (vgl. LUZ, Mt I, 202), sondern gilt auch explizit den Autoritäten (Mt 3,7), wenngleich bereits an dieser Stelle die Differenz zwischen Volk und Autoritäten ersichtlich wird (vgl. ebd., 205; KONRADT, Mt, 50). 330 S.u. V. Exkurs 3. 331 S.u. V.2. 332 Dies entscheidet sich an der Frage, wie umfassend oder begrenzt ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ (Mt 27,25) bzw. IJȞ ȖİȞİȞ IJĮIJȘȞ (Mt 11,16; [12,39;] 12,41f.45; [16,4; 17,17;] 23,36; 24,34) zu verstehen ist (s.u. IV.3.2.). 333 Entscheidend ist dabei, dass die Ablehnung durch die Autoritäten umfassend ist. Eine Übersicht der unterschiedlichen Zusammenstellungen von Oppositionsparteien (ਕȡȤȚİȡİȢ – ȖȡĮȝȝĮIJİȢ – ʌȡİıȕIJİȡȠȚ – ĭĮȡȚıĮȠȚ – ȈĮįįȠȣțĮȠȚ) bietet GARBE, Hirte, 47– 57. Neben dieser Zusammenschau der, primär, religiösen Gruppierungen können auch die politischen Instanzen als Gegner aufgeführt werden: Herodes in Mt 2,16–18 sowie Herodes (Antipas) in Mt 14,5. 334 Zum innerjüdischen Streit um das rechte Verständnis der Thora vgl. die knappe Darstellung bei TIWALD, Logienquelle, 96f.
5. Anwendung des Motivs auf das Matthäusevangelium
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Während sie sich offenkundig dagegen entscheiden, wird von der Menge (ȤȜȠȢ) eine partielle Erkenntnis der Person (und auch der Lehre) Jesu ausgesagt, die Jünger werden gar selbst zu „Lehrern“ seiner Lehre (Mt 28,20). Die Rückweisung zeigt sich daher nicht allein an der Person Jesu (d.h. seinem Todesgeschick), sondern auch an denjenigen, die ihn und seine Lehre verkündigen (vgl. Mt 22,1–7; 23,34–36). 5.3.4. Motiv D Die bisherigen Elemente des dtrGB, welche insbesondere in der mt Konfliktgeschichte manifest werden, lassen angesichts der aufgezeigten Motivfolge ein innergeschichtliches Strafgericht erwarten. Die Annahme, dass im Mt die Tempelzerstörung verarbeitet wird, begründet sich sowohl durch Mt 22,7, wo von der Zerstörung der Stadt die Rede ist,335 als auch durch die Worte über den Tempel (Mt 23,37–24,2; 26,61; 27,40), die das historische Ereignis vorauszusetzen und zu reflektieren scheinen.336 Demnach ist auch das Motiv D im Mt zu finden, wobei das Strafgericht in der Erzählzeit zwar vollzogen ist, in der erzählten Welt jedoch noch aussteht.337 Zwar ist mit Verweis auf 1/2Kön festzuhalten, dass „Ursache“ und Gericht zeitlich auseinanderdriften können,338 allerdings ist zu erwarten, dass dies vom mt Kreis erzählstrategisch aufgefangen wird.339 Ungeachtet des skizzierten zeitlichen Vorbehalts scheint die Tempelzerstörung im Mt vorbereitet zu sein. So finden sich statt der zu erwartenden physischen Zerstörung Indizien für eine theologische „Vernichtung“ resp. Relativierung des Tempels. a) Barmherzigkeit und Opfer Gleich zweimal wird im Evangelium Hos 6,6 ȜİȠȢ șȜȦ țĮ Ƞ șȣıĮȞ zitiert (Mt 9,13; 12,7). Die Formulierung ist komparativ zu verstehen,340 wonach das Logion aussagt: „Barmherzigkeit will ich mehr als Opfer.“341 Dies entspricht 335
Vgl. KONRADT, Deutung, 219 mit Anm. 1; zur Diskussion s.u.S. 309 bei Anm. 215. Vgl. DSCHULNIGG, Zerstörung, 56–58. 337 Futurische Gerichtsaussagen in der erzählten Zeit können demnach auf (a) das geschichtlich bereits erfolgte Gericht oder (b) das eschatologisch noch zu erwartende Endgericht zugeordnet werden. Der Schematisierung von Steck folgend wäre (a) dem Motiv D, (b) hingegen dem Motiv F zuzuordnen. Die bisherige Lesart geht davon aus, dass die Zäsur zwischen diesen Gerichtshorizonten bereits im Mt angelegt ist. 338 In 1/2Kön wird letztlich Manasse die Hauptverantwortung für den Untergang des Staates und das Exil zugeschrieben wird (vgl. 2Kön 23,26f.), wenngleich dieses erst 44 bzw. 55 Jahre nach seinem Tod erfolgt (entsprechend der Datierung nach FREVEL, Geschichte, 423). 339 Hierauf wird insbesondere unter IV.3.3. eingegangen werden. 340 Vgl. FIEDLER, Mt, 248; KONRADT, Mt, 192f. 341 LUZ, Mt II, 44. 336
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
der mt Tendenz, das Liebesgebot allen Gesetzen, auch dem Kultgesetz, vorzuordnen, ohne dies jedoch abzuschaffen.342 Beide Belege sind redaktionelle Eintragungen, weshalb hier ein besonderer Akzent der mt Theologie zu vermuten ist.343 In beiden Fällen wird Jesus in ein Streitgespräch mit Pharisäern verwickelt, wobei in Mt 9 die Tischgemeinschaft mit Sündern und Zöllnern und damit die Frage der (kultischen) Reinheit fokussiert wird,344 während in Mt 12 die Frage nach dem Sabbatbruch durch Jesu Jünger im Raum steht. Jeweils wird die Barmherzigkeit als übergeordnetes Prinzip vorangestellt, insofern zunächst den Pharisäern vorgeworfen wird, dass sie sich „auf Kosten der zwischenmenschlichen Barmherzigkeit auf äußere Regeln von Kultausübung und Reinheit konzentrieren […].“345 Im anderen Fall wird auf die Not der Jünger, nämlich Hunger, verwiesen, die Barmherzigkeit einfordert.346 In beidem geht es folglich nicht um eine allgemeine Abrogation des Opferkultes am Tempel, sondern um die kategoriale Überordnung der Barmherzigkeit als Ausdruck des Gotteswillens.347 Damit ist zwar der Tempel in diesen Aussagen Jesu nicht abrogiert, allerdings in seiner Bedeutung bereits relativiert, insofern der Gang zum Menschen dem Gang in den Tempel vorgeordnet wird.348 b) Ort der Sündenvergebung In der biblischen Welt, aber auch in der Zeit des zweiten Tempels ist der Opferkult am Heiligtum in Jerusalem die zentrale Lösungsmöglichkeit für die Sündenproblematik.349 Der Topos der Sündenvergebung wird im Evangelium hingegen exklusiv mit Jesus verbunden,350 wie die mt Änderungen bei der Taufe durch Johannes bzw. dem Kelchwort zeigen.351 Durch diese Fokussierung auf die Person Jesus ergibt sich eine Verlagerung: Der Tempel hat seine (alleinige) sühnende Funktion verloren. Bereits in der erzählten Zeit ergibt
342 Vgl. KONRADT, Mt, 16. In diesem Zusammenhang auch ebd., 149, wonach Hos 6,6 „ein[.] Schlüsseltext für die in der Liebe zentrierten Gesetzeshermeneutik“ ist. 343 Vgl. LUZ, Mt II, 41.229. 344 Vgl. LUZ, Mt II, 44. 345 KONRADT, Mt, 149. 346 Vgl. LUZ, Mt II, 232. 347 Vgl. LUZ, Mt II, 232f. 348 KONRADT, Deutung, 238f. spricht davon, dass „dem Obsoletwerden des Tempelkults […] die Relativierung seiner Bedeutung in der Lehre Jesu vorangeht“, was sich eben an der „zweifach Zitation von Hos 6,6“ wie auch der Passage in der Bergpredigt zeigt. 349 Vgl. DUNN, Partings, 31–35.44–46. Zur Bedeutung des Tempels vgl. KOLLMANN, Einführung, 75–78; ähnlich WRIGHT, Volk, 288. 350 Vgl. KONRADT, Mt, 48. 351 S.u.S. 326f. bei Anm. 309–311. Ein weiterer Indikator, der ebenfalls unter V.3.2.4.a) näher ausgeführt wird, ist Mt 9,1–8.
5. Anwendung des Motivs auf das Matthäusevangelium
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sich eine „Sühneort-Konkurrenz“ zwischen Jesus und dem Tempel.352 Diese Fundamentalopposition ist freilich in der Erzählzeit nicht mehr gegeben. Der Tempel ist durch die Römer zerstört worden, der Tempelkult zu seinem (vorläufigen) Ende gekommen.353 Für die mt Gemeindetheologie ist damit die Frage der potenziellen Alternativen eindeutig entschieden.354 Man könnte daher formulieren, dass im Mt dem historischen Ende des Tempels – hinsichtlich der Sühnefunktion – das theologische Ende vorangeht.355 c) Ort der „Gegenwart Gottes“ In den biblischen Texten und im Frühjudentum ist der Tempel der Wohnraum Gottes bzw. der Ort seiner Gegenwart.356 Diese Vorstellung kommt zwar auch in Mt 23,21 zum Ausdruck, allerdings wird die Gegenwart Gottes im Evangelium insgesamt neu akzentuiert. In Aufnahme von Jes 7 wird Jesus in Mt 1,23 der Name Immanuel gegeben, was wörtlich zu begreifen ist: Jesus ist der „Gott-mit-uns“.357 Erneut kann hierin eine Konkurrenz zwischen Jesus und Tempel vermutet werden – denn die Gegenwart Gottes ist nicht nur im
352
Vgl. SIEGERT, Tempel, 136. Exemplarisch ist hierfür auf Mt 8,1–4 zu verweisen. Jesus heilt (țĮșĮȡȗȦ) einen Aussätzigen und befiehlt ihm, sich dem Priester im Tempel zu zeigen und die entsprechende Opfergabe darzubringen. Hierdurch werden (auf der oberflächlichen Ebene) die Gesetzesbestimmungen und die Tempelhierarchie aufrechterhalten (vgl. Lev 13,1–14,32). Dass Jesus zuvor (wenigstens implizit) als derjenige auftritt, der die Reinigung durchführt und bestätigt (șȜȦ), ist subversiv und macht den Gang zum Priester zu einem formalen Akt, der jedoch ohne Mehrwert bleibt: „He [sc. the leper] is already healed. The examination and pronouncement are already made. Instead, the injunction to show himself to the priest is a shot across the bow of the current priesthood. The former leper is to show them that he has been healed independently of them. This reading helps understand why he has to go to them at all: not to be examined and categorized but İੁȢ ȝĮȡIJȪȡȚȠȞ ĮIJȠȢ. […] The testimony, therefore, is that a new priesthood is in town, totalized in Jesus himself. Moreover, he is the new epicenter of holiness; he is the new temple“ (vgl. PIOTROWSKI, Matthew, 90; Hervorhebung im Original). 353 Vgl. KOLLMANN, Einführung, 119–121. 354 Vgl. CARTER, Matthew, 221f. 355 Hintergrund dieser Annahme ist, dass die in Mt 1,21 aufgeworfen Aussage ihre Erfüllung in Mt 26,28 bzw. im Kreuzesgeschehen findet. Damit wird der Tod Jesu zum Heilstod und damit zum Ort der Sündenvergebung, wodurch der Tempel obsolet wird. Auf diese Deutung weist auch das Zerreißen des Vorhangs (Mt 27,51). Vgl. insgesamt auch KONRADT, Israel, 320f. mit Verweis auf HAGNER, Mt II, 849. 356 Vgl. SANDERS, Judaism, 70; ferner KONRADT, Mt, 360f. mit Verweis auf Hab 2,20; 11QT 29,8f.; Flav.Jos.Bell. V 459. 357 Vgl. KONRADT, Mt, 38. Die Bedeutung dieser Namensgebung wird durch das Ende des Evangeliums unterstrichen, insofern die letztgültige Zusage Jesu im „Ich-bin-mitEuch“ gründet und sich demnach der gehorsame Gottessohn als „Gott-mit-uns“ erwiesen hat (vgl. ebd., 465). Zur weiteren intratextuellen Dynamik s.u. V.3.2.4.b).
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
Tempel, sondern zugleich (oder allein?) in der Person Jesu gegeben.358 In Mt 24,2 wird diese Vorstellung veranschaulicht, insofern Jesu Weggang aus dem Tempel gegenüber Mk nochmals deutlich hervorgehoben wird:359 „Da Jesus der Immanuel ist (1,23), symbolisiert sein Weggang, dass Gott selbst sich aus dem Tempel zurückgezogen hat […].“360 Im Abgang Jesu zum Ölberg ist eine Analogie zu Ez 11,22–25 zu sehen.361 Die Figurenzeichnung Jesu zeigt demnach, dass er als Immanuel der Träger der Gegenwart Gottes im Volk ist, die nun folglich dem Tempel genommen ist. 362 Eine solche Übertragung der Gegenwart Gottes hat zudem Konsequenzen für die raumkonzeptionellen Vorstellungen zum Ende des Exils, welches ebenfalls mit dem Tempel verbunden ist. Diese werden jedoch bereits im Mt transformiert, insofern die exemplarische Völkerwallfahrt363 aus Jes 60,1–6 mit den ȝȖȠȚ durchgespielt und verlagert wird.364 Das geprägte Ziel der Wallfahrt, Zion/Jerusalem, wird zwar mit Mt 2,1 aufgenommen, sodann aber transformiert, indem ein neuer Ort als Zentrum bestimmt wird. Hierbei rückt weniger Bethlehem in den Fokus,365 sondern die Person Jesu, vor welchem die ȝȖȠȚ die Proskynese vollziehen (Mt 2,11).366 Dieser neue Ort der 358 Mit Mt 18,20 wird die Gegenwart Jesu denen zugesagt, die sich in seinem Namen versammeln. Folglich kann die Gemeinde als neuer Ort der Gegenwart Gottes angesehen werden (vgl. COHEN, Matthew, 290; HAMILTON, Blood, 100), wobei allerdings nicht zwangsläufig dieselbe als neuer Tempel anzusehen ist. 359 Für LUZ, Mt III, 387 unterstreichen dies die Verwendung von ਥʌȠȡİİIJȠ sowie der syntaktische Wechsel vom Genitivus absolutus zu einem Hauptsatz. 360 KONRADT, Mt, 368. Der Weggang Jesu aus dem Tempel ist zudem als Gerichtszeichen zu werten (s.u.S. 311 Anm. 227). 361 Vgl. REPSCHINSKI, Größeres, 174f. Er verweist zudem auf ähnliche Vorstellungen in 2Bar 8,2 und Flav.Jos.Bell. VI 299. Eine Nähe zu Ez vermerken zudem DAVIES/ALLISON, Mt III, 334; LUZ, Mt III, 382; KONRADT, Deutung, 235 Anm. 1 mit zusätzlichen Hinweisen zu dieser Vorstellung in 1Hen 89,56; 2Bar 64,6; Flav.Jos.Bell. II 539; V 412; Flav.Jos.Ant. XX 166; Tacitus, Hist. 5,12,1f. 362 Vgl. REPSCHINSKI, Größeres, 175. 363 Zur Völkerwallfahrt als Motiv des Exilsende vgl. Mi 4,1–8; insgesamt zudem DYMA, Völkerwallfahrt (dort insbesondere 2.2.2. zur Verbindung dieses Rückkehrmotivs mit der Diasporasituation). 364 Vgl. KONRADT, Mt, 42; ausführlich ZIETHE, Namen, 156–178. Auf Jes 60 deutet, neben konzeptionellen Überlegungen, die jeweilige Nennung von Gold und Weihrauch (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt I, 250.253; kritisch LUZ, Mt I, 175). 365 Die Nennung Bethlehems erfolgt durch die Zitation von Mi 5,1.3 in Mt 2,6. Es liegt nahe, dass hierdurch die in der Genealogie angelegte Darstellung Jesu als (messianischer) Davidide fortgeführt wird. Sollte die ganze Prophezeiung im Blick sein, findet sich hier ein weiteres Indiz für das anhaltende Exil, insofern nach Mi 5,2 erst die Geburt des verheißenen Davididen aus Bethlehem das Ende des Exils markiert (vgl. PIOTROWSKI, Matthew, 229). 366 Vgl. PIOTROWSKI, Matthew, 229. Allerdings ist relativierend festzuhalten, dass das royale Kolorit zunächst an eine Proskynese im herrschaftlichen Kontext denken und nur in zweiter Linie die Verehrung Gottes im Tempel assoziieren lässt.
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Verehrung in Verbindung mit einem Hinweis auf das Ende des Exils ist ein weiterer Hinweis, dass im Mt die Funktionen und der Stellenwert des Tempels auf Jesus verlagert werden. d) Ort der „Stätte“ Der Aspekt der Übertragung der Gegenwart Gottes vom Tempel auf Jesus lässt sich zuletzt noch in einem weiteren Kontext reflektieren. Innerhalb der biblischen Welt spielt die Lokalisierung des Tempels eine zentrale Rolle. Im Dtn wird deutlich, dass Gott sich einen Kultort wählen wird,367 wobei im Hintergrund das Programm einer Kultzentralisation am Jerusalemer Tempel steht. Diese Lokalisierung ist auch in der neutestamentlichen Zeit nicht unangefochten,368 wohl aber für das zeitgenössische Judentum als mehrheitsfähig zu werten.369 Auch das Mt ist dieser Lebenswelt zuzuordnen, insofern kein „Gegentempel“ behauptet wird und Jerusalem als „heilige Stadt“ bezeichnet werden kann.370 Schwerpunktmäßig ist Jerusalem dessen ungeachtet durchweg negativ konnotiert, insofern die Stadt primär Ort des Leidens und Sterbens Jesu ist. Bereits in Mt 2 klingt diese Charakterisierung an.371 Auffällig ist sodann die Relativierung, die im Handeln des Auferstandenen zum Ausdruck kommt: Im Mt ruft Jesus seine Jünger nach Galiläa und erscheint ihnen dort (Mt 28,10.16) und nicht in Jerusalem (Lk 24,33.36.47.50.52). Die Abrogation der Stadt und des Tempels scheinen sich gegenseitig zu bedingen, sodass es angesichts der Preisgabe derselben ein neuen „Ort“ für den Zielpunkt des Exils bedarf. Sofern die Skizze korrekt ist, dass die Gemeinde aufgrund der Gegenwart Christi zum neuen Ort der Gegenwart Gottes wurde (Mt 18,20), ist die Abrogation Jerusalems die notwendige Konsequenz dieser Delokalisierung. Durch den Missionsbefehl wird der Weg zu allen Völker aufgetan, die ihrerseits zu verschiedenen „Orten“ der
367 Vgl. Dtn 12,5.11.21; 14,23; 16,2.6.11; 26,2; ferner 1Kön 8,29; Ps 26,8; 132,5.12; ähnlich Jer 7,12 jedoch mit Bezug auf Schilo. 368 Vgl. FREY, Temple, 197f. mit Verweis auf den Yahu-Tempel auf der Nilinsel Elephantine, den Tempel der Samaritaner auf dem Garizim und den Tempel des Onias in Leontopolis. Während die jeweiligen Zerstörungen der beiden letztgenannten recht eindeutig zu datieren sind (Garizim: 128 v.Chr.; Leontopolis: 73 n.Chr.), verlieren sich die Spuren des Tempels auf der Elephantine nach dem 5. Jahrhundert v.Chr. (ebd., 171). Für die Gemeinschaft von Qumran wird zudem angenommen, dass sie sich vom Jerusalemer Tempel löste und sich selbst als spirituellen Tempel verstand (vgl. SCHIFFMAN, Community). Zur Thematik ferner WARDLE, Jerusalem, 98–165. 369 Vgl. SANDERS, Judaism, 47–54. 370 Vgl. RUNESSON, Purity, 148 mit Verweis auf Mt 4,5; 27,53. Die Heiligkeit der Stadt resultiert gleichsam aus der Gegenwart Gottes im Jerusalemer Tempel (vgl. SANDERS, Judaism, 70–72). 371 Vgl. KONRADT, Mt, 41.
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
Gegenwart Gottes werden.372 Der Tempel in Jerusalem und seine Existenz sind daher obsolet geworden.373 Obgleich der Tempel im Mt weniger stark in der Kritik steht als in der mk Vorlage,374 werden die Funktionen des Tempels bereits in der erzählten Zeit zunächst auf Jesus übertragen und letztlich in der Gemeinde verortet. e) Schlussüberlegung All diese Indizien legen nahe, dass die mt Geschichtsreflexion der Logik des dtrGB entspricht. Gleichsam deuten sich in der Person Jesu erste Transformationsprozesse an, die insbesondere die negativen Folgen dieses Geschichtsverlauf kompensieren. Ausgangspunkt dieser Reflexion bildet gleichwohl die eingetretene Katastrophe, die anachronistisch in die erzählte Zeit eingetragen wird: Aufgrund der realhistorischen Zerstörung des Tempels kann dessen theologische Abrogation zugunsten des Jesusereignisses in das Evangelium implementiert werden. Davon ausgehend entfalten die erkennbaren Einzelelemente des dtrGB ihre argumentative Kraft. Das Evangelium bietet mit dem dtrGB eine Erklärung für die geschichtliche Zäsur durch die Tempelzerstörung, in welches sodann die Jesusgeschichte eingetragen wird.375 Allerdings wird die Logik des dtrGB zugleich überboten, indem ein innergeschichtliches Angebot der Neukonstitution in der Person Jesu Christi mitgegeben wird. Aus der Geschichte heraus werden die Weichen für den weiteren Fortgang der Geschichte des Volkes Israels gestellt.
372
Es legt sich daher nahe, die Lösung für die Exilproblematik in der Zuwendung Jesu zu allen Völkern zu vermuten, sodass ein ortsunabhängiges Ende des Exils in der weltweiten Gemeinde zu stehen kommt. Ähnliches findet sich bei SCHUMACHER, Weltenherrscher, 221f., der angesichts der realhistorischen Ereignisse in Mt 28 eine Inversion sieht, insofern nun nicht die Völker zum Zion als Ort des Heils wallfahren, sondern das Heil zu ihnen kommt. Einmal mehr zeigt sich hierin die lokale Entgrenzung des Heils. 373 Vgl. KONRADT, Deutung, 252. 374 Vgl. GURTNER, Matthew, 148, der die mt Fassung des Tempelwortes im Verhör als Übergehen der mk Polemik gegen den Tempel versteht. 375 Ähnlich KONRADT, Deutung, 252 mit Engführung auf die dtrPA: „Während Matthäus die Zerstörung Jerusalems theologisch einlinig auf die Verfolgung und Tötung der Propheten, Jesu und seiner Boten zurückführt, hat der Historiker und Apologet Josephus verschiedene Motive und Erklärungen zu einem komplexen Gewebe verbunden.“
6. Zusammenfassung
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6. Zusammenfassung 6. Zusammenfassung
Im Vorherigen wurde das Motiv des unschuldigen Blutes auf seinen sprachgeschichtlichen Hintergrund hin untersucht. Dabei hat sich gezeigt, dass es sich um einen „dtn-dtr“ Ausdruck handelt, der darüber hinaus v.a. in Jer Verwendung findet. Mithilfe des Modells des dtrGB wurde geprüft, ob das Motiv innerhalb der verschiedenen Schriften einen einheitlichen literarischen Ort einnimmt. Es hat sich gezeigt, dass für den überwiegenden Teil der Belegstellen solches zu plausibilisieren ist. Das Motiv fungiert stets als Schwellenmarker, insofern es entweder allein oder im Verbund mit mehreren Vergehen aufgeführt wird, um hierdurch Konsequenzen anzudrohen oder zu begründen. Unschuldiges Blut hat demnach einen festen literarischen Ort als eine Schwelle, deren Überschreitung Konsequenzen nach sich zieht. Zumeist ist diese Schwelle in einen größeren Zusammenhang eingebettet, sodass die Konsequenzen nicht auf den/die Täter zu reduzieren sind, sondern ein erweiterter Kreis betroffen ist. Selbst wenn eine Einzelperson die Schwelle überschreitet, ist meist ein Kollektiv davon betroffen, unabhängig davon, ob es direkt in den Schuldzusammenhang einbezogen wird oder nicht. Vielfach nehmen die Konsequenzen des Schwellenübertritts nationale Ausmaße an, sodass sie mit der Eroberung Jerusalems und der Ersten Tempelzerstörung bzw. der Zeit des babylonischen Exils in Beziehung gesetzt werden. Damit stellt das Motiv zugleich einen konstitutiven Bestandteil einer Geschichtsreflexion dar, die den realhistorischen Verlauf der Geschichte literarisch bewältigt. Das Vergießen unschuldigen Blutes ist, insbesondere in der geschichtstheologischen Dimension, folglich ursächlich für den Verlust des Landes. Aufgrund dieser Retrospektive wird das Motiv, sobald es als Warnung eingesetzt wird, besonders gewichtet. Auch für das nachexilische Israel gilt die Mahnung kein unschuldiges Blut zu vergießen, sofern ein erneutes innerweltliches Gericht vermieden werden soll. Lässt sich ein solcher literarischer Ort für das Motiv des unschuldigen Blutes innerhalb der Textwelten der Schriften Israels und des Frühjudentums festhalten, so stellt sich weitergehend die Frage, ob ein solcher auch für das Mt anzunehmen ist. Dies setzt konstitutiv die Logik des dtrGB voraus, weshalb zu prüfen ist, inwiefern die mt Geschichtsbetrachtung dieser folgt und inwieweit sich der Deuteronomismus im Evangelium niederschlägt. Während sich Letzteres durch den Einfluss des Dtn und dessen theologischen Gedankenguts in der frühjüdischen Umwelt nahelegt, konnte Ersteres anhand der vier zentralen Elemente des Modells aufgezeigt werden. Der Durchgang durch die Elemente (Sündengeschichte – Umkehraufruf – Abweisung – Strafgericht) und die Betrachtung der notwendigen Ausgangslage (d.h. die Eigenverortung im Verhältnis zum Exil) verdeutlichen, dass sich das dtrGB an das Mt herantragen lässt. Allerdings finden sich in der mt Rede vom Tempel Modifikationen durch die Darstellung der Person Jesu, die die Logik des
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II. Der literarische Ort des Motivs des unschuldigen Blutes
dtrGB, welches auf eine Katastrophe zuläuft, durchbrechen und eine Heilsperspektive in der Person Jesu zu ermöglichen scheinen. Diese Überlegungen führen zur Annahme, dass das dtrGB die Substruktur der mt story line bildet. Entsprechend ist zu vermuten, dass das Motiv des unschuldigen Blutes seinen Platz im Mt ebenfalls in Form einer Geschichtsreflexion am zuvor skizzierten literarischen Ort einnimmt. Dies gilt es nun in der Detailexegese der Belegstellen im Mt aufzuweisen.
III.
Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10) 1. Hinführung 1. Hinführung
Die vorangehende Analyse zum Motiv des unschuldigen Blutes hat aufgezeigt, dass dieses primär in einer geschichtstheologischen oder individuellen Dimension operiert.1 Die Frage, welcher Dimension der Vorzug zu geben ist, wird in der Perikope Mt 27,3–10 besonders virulent. Das Bekenntnis des Judas ਸ਼ȝĮȡIJȠȞ ʌĮȡĮįȠઃȢ ĮੈȝĮ ਕșȠȞ in Mt 27,4 ist in der 1. Pers. Sg. formuliert und lässt damit zunächst an eine individuelle Dimension denken. 2 Dies ließe sich unterstreichen, insofern „das Übergeben unschuldigen Blutes“ als Judas’ eigenes Problem eingeführt wird und auch von den Autoritäten als solches behandelt wird: IJ ʌȡઁȢ ਲȝ઼Ȣ; ıઃ ȥૉ. Dass er das Silber in den Tempel wirft und sich anschließend erhängt, scheint eine eigenständige Lösung der Causa darzustellen. Judas trägt die individuelle Verantwortung für seine Tat – auf ihn kommt die Blutschuld, welche zum Tod führt, der von eigener Hand erfolgt. Die Perikope endet allerdings nicht mit seinem Tod, sondern weiß vom weiteren Geschick des Silbers zu berichten. Der Fortgang der Erzählung wird darüber hinaus in einem Reflexionszitat ausgedeutet. Dies zeigt bereits an, dass der Zugriff auf die Perikope aus unterschiedlichen Perspektiven heraus erfolgen kann, insofern entweder das Schicksal des Judas oder das der Silberlinge ins Zentrum gerückt wird.3 Die folgende Darstellung versucht diese 1
S.o. II.4. Da in der individuellen Dimension die Formel sonst häufig in der zweiten Person gebraucht wird, um das Gegenüber auf das potenzielle Unrecht hinzuweisen (vgl. 1Sam 19,5; 25; TestSeb 2,2), fällt das Bekenntnis bereits formal auf. Eine gewisse Analogie könnte allenfalls in der 1. Pers. Pl. in Jon 1,14 gesehen werden. 3 Dies schlägt sich bspw. in den Überschriften deutscher Bibelübersetzungen bzw. der Kommentarliteratur nieder. Vielfach wird die Perikope mit „Das Ende des Judas“ (o.ä.) überschrieben: ZUR, LUT17, EIN; zudem FRANCE, Mt; LUCK, Mt; SAND, Mt. Weniger verbreitet ist die Perikopenüberschrift mit Bezug auf den „zweiten Teil“ der Perikope: FIEDLER, Mt („[…] der Kauf des ‚Blut-Ackers‘“); GNILKA, Mt II („Der Erwerb des Blutackers“); LOHMEYER/SCHMAUCH, Mt („Die dreißig Silberlinge“); LUZ, Mt IV („Die dreißig Silberstücke“). Alternativ finden sich Kombinationen („Judas und der Blutacker/ das Blutgeld“ o.ä.): DAVIES/ALLISON, Mt III; HAGNER, Mt II; KONRADT, Mt; NOLLAND, Mt. 2
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
disparaten Zugänge zu berücksichtigen, indem zunächst der Fokus auf „das Ende des Judas“ gelegt wird, was gleichsam die individuelle Lesart des Motivs des unschuldigen Blutes ins Zentrum rückt. 4 Hierfür wird die Erzählung des Judas primär in ihrer mt Darstellung behandelt und gedeutet, sodass die potenziellen Paralleltexte zunächst zurückgestellt werden.5 Im Anschluss daran wird der Fortgang der Perikope fokussiert.6 Hiermit verbindet sich auch die Frage, wie diese beiden Erzählstränge aufeinander zu beziehen sind. Dies spiegelt sich insbesondere in der breiten Forschungsdiskussion über die Textgenese der Perikope wider,7 weshalb erst in diesem Abschnitt die überlieferungsgeschichtlichen Schwierigkeiten berücksichtigt werden. Letzten Endes gilt es zu plausibilisieren, dass das Motiv des unschuldigen Blutes in Mt 27,3–10 in eine geschichtstheologische Reflexion eingebunden ist, die das Schicksal des Judas lediglich zum Ausgangspunkt hat.
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas 2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
2.1. Der matthäische Judas Das Sündenbekenntnis zur Auslieferung unschuldigen Blutes und die damit verbundene Reuehandlung des mt Judas stehen nicht in einem luftleeren Raum, sondern sind in die vorangehende Charakterisierung der Judasfigur eingebunden.8 Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Gestalt des Judas in allen 4
S.u. III.2. Dabei handelt sich um die in der Todesart abweichenden Darstellungen bei Lukas (Apg 1,15–25) und Papias von Hierapolis, Fragment 6 (Textausgabe: KÖRTNER/LEUTZSCH, Papiasfragmente, 59–61). 6 S.u. III.3. 7 Im Wesentlichen ist hier zu erörtern, ob und in welchem Umfang die Erzählung vom mt Kreis stilisiert bzw. kreiert wurde und welches historische bzw. traditionelle Material dabei vorlag. Diese Fragestellung wird prominent bei MENKEN, Quotation; MOO, Tradition; SENIOR, Fate behandelt und in nahezu jeder Abhandlung zur Perikope bzw. Kommentierung derselben diskutiert. 8 Die Untersuchung versteht Judas damit in erster Linie als literarische Figur. Damit soll aber weder seine Historizität noch seine historische Beteiligung an der Auslieferung Jesu geleugnet werden (gegen MACCOBY, Judas). Darüber hinaus sind auch Erwägungen der realhistorischen Umstände in eine Figurenanalyse einzubeziehen, insofern sie das Umweltwissen der jeweiligen Figuren auszuleuchten helfen. Diese methodische Annäherung durch Figurenanalyse soll helfen, die späteren Negativzeichnungen der Judasfigur kritisch zu hinterfragen und, sofern möglich, auszuschließen (zur Rezeption vgl. LUZ, Mt IV, 245– 263; MEISER, Einer, 112–187; ferner VII.5.3). Gerade hinsichtlich des jüdisch-christlichen Dialogs ist es jedoch unerlässlich, diese Figur in ihrer Rezeptionsgeschichte wahrzunehmen und, wo möglich, von dieser zu trennen. Dies gilt umso mehr, als dass erst kürzlich die Schwierigkeiten des jüdisch-christlichen Verhältnisses durch die Judasfigur nachdrück5
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
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vier Evangelien eine unterschiedliche, teils stark divergierende Charakterisierung erfährt.9 Es ist davon auszugehen, dass im Mt auf die mk Charakterisierung zurückgegriffen wurde und sich anhand der Charakterakzentuierungen theologische Intentionen des Autorenkreises ablesen lassen. Die mk Grundlage ist relativ dünn:10 Judas trägt den Beinamen Iskarioth und wird zum Kreis der Zwölf gezählt (Mk 3,19), er kooperiert mit den Autoritäten hinsichtlich der Gefangennahme Jesu, woraufhin er eine Bezahlung erhält (Mk 14,10f.) und den Verhaftungstrupp anführt, wobei er Jesus durch einen Kuss im Garten identifiziert (Mk 14,43–45). Dieser Auslieferungsvorgang (Mk 14,10.44) wird bereits in der Jüngerliste als Charakteristikum aufgeführt: Ȣ țĮ ʌĮȡįȦțİȞ ĮIJંȞ (Mk 3,19).11 Durch diesen Zusatz ist auch das Logion in Mk 14,21, welches ein tragisches Schicksal für den Überlieferer impliziert, in die Charakterisierung des mk Judas einzubeziehen. Am mk Grundstock nimmt der mt Kreis einzelne Korrekturen vor: Judas selbst verlangt Geld für die Auslieferung Jesu (Mt 26,14–16).12 Die darin
lich durch Amos Oz vorgetragen wurden (vgl. OZ, Jesus, wobei seine Ausführungen bereits weitgehend in dem auflagenstärkeren Roman DERS., Judas aufgenommen waren). 9 Exemplarisch sei auf das Motiv der satanischen Besessenheit verwiesen, welches in Lk 22,3; Joh 6,70f.; 13,27 verwendet wird, in den ersten beiden Evangelien jedoch unbekannt ist. Vgl. zu den unterschiedlichen Darstellungen auch MEISER, Judas, 1.3. 10 Allerdings ist anzumerken, dass die wenigen Notizen zu Judas im Vergleich zu den anderen Jüngern, abgesehen von Petrus, recht umfangreich sind. Petrus und Judas sind zudem in den synoptischen Passionsgeschichten die einzigen beiden Jünger des Zwölferkreises, die namentlich genannt werden. 11 Die Tat des Judas wird in den Evangelien mehrheitlich mit ʌĮȡĮįįȦȝȚ bestimmt, wobei der genaue Inhalt dieses Auslieferns unklar ist. Die sedimentierte Übersetzung des Verbes mit „verraten“ ist problematisch (vgl. LUZ, Mt IV, 71). Wahrscheinlich ist der Gebrauch durch Traditionen, wie sie in Röm 8,23; 1Kor 11,23; Gal 2,20 zum Ausdruck kommen, vorgeprägt worden. Judas ist damit gewissermaßen das Gesicht des Auslieferungsvorgangs (vgl. DORN, Judas, 63–66). Die Art und Weise, wie diese Auslieferung in der Erzählung beschreiben wird, unterscheidet sich in den Evangelien. Im Mt scheint im Anschluss an die mk Vorlage die Identifikation Jesu aus der Menge der Jünger heraus die zentrale Tat zu sein. Im Lk und Joh scheint eher die Preisgabe des Aufenthaltsorts Jesu im Vordergrund zu stehen (vgl. ebd., 39f.). Die Evangelien kennen offenbar die historischen Umstände des „Judasverrats“ nicht und zeugen daher insgesamt von einem vagen bis historisch plausiblen Wissen um die Involvierung Judas’ im Zusammenhang der Verhaftung Jesu, wobei die Preisgabe des Übernachtungsorts die wahrscheinlichere Option ist (vgl. KLAUCK, Jünger, 54; MEISER, Einer, 51). Weniger wahrscheinlich, aber nicht gänzlich auszuschließen, ist die Vermutung, dass Judas der erste Jünger war, der Jesus verlassen hat und auf ihn eine Art Kettenreaktion zurückgeht (vgl. VOGLER, Judas, 35; ähnlich FISCHER, Gestalten, 63f.). Für den literarischen Judas lassen sich zumindest ein Seitenwechsel und ein Ermöglichen der Verhaftung als „Judastat“ festhalten. 12 Im Mk bleibt unklar, ob Judas das Geld tatsächlich angenommen hat. Im Mt ist dies ebenfalls aus der Verhandlung heraus nicht ersichtlich, muss aber in Mt 27,3 vorausgesetzt werden.
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
angedeutete Habgier mag als Motivation vorgestellt sein.13 Bei der Verhaftung (Mt 26,47–56) ergänzt der mt Kreis einen Dialog zwischen Judas und Jesus. Der Gruß ȤĮȡİ (Mt 26,49) ist durch Mt 27,29, wo er als Spottruf der Soldaten gebraucht wird (vgl. Mk 15,18), wenigstens ambivalent.14 Durch den mt Sprachgebrauch ist die Anrede ૧Įȕȕ mit einer inhaltlichen Distanz zur Lehre Jesu konnotiert (Mt 23,7f.; 26,25.49).15 Die Antwort Jesu mit ਦIJĮȡİ (Freund) spricht ebenfalls für Distanz.16 Der Bruch zwischen Judas und Jesus wird demnach deutlicher geschildert als im Mk. Diese Wortwechsel weisen jedoch nicht zwingend auf offene Feindseligkeit hin, sondern
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Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 452; KONRADT, Mt, 402; LUCK, Mt, 281; LUZ, Mt IV, 70. Die Darstellung der Habgier als Eigenschaft des Judas wird im Joh besonders betont (Joh 12,4–6). Zur Aufnahme dieser Charakterisierung im lk Doppelwerk s.u. III.3.2.2. Damit könnte man insgesamt die Habgier als ein einheitliches Motiv ansehen, das einen historischen Fixpunkt hat. Allerdings besteht eine Schwierigkeit darin, dass die Einzelangaben im Gesamtbild nicht kongruent sind. So wird das Habgiermotiv im Joh zwar durch die Charakterisierung des Judas als Dieb einspielt, eine finanziell-unterstützte Kooperation mit den Autoritäten findet sich jedoch nicht. Im Mt wiederum ist Habgier zwar eine mögliche Motivation, aber der Topos Bestechung/Korruption steht im Vordergrund (s.u.S. 130 bei Anm. 52). Darüber hinaus ist darauf zu verweisen, dass die joh Charakterisierung sich an der Verschwendung des Salböls entzündet. Dieselbe Szene wird in Mt 26,6–12 geschildert, wo sämtliche Jünger die Verschwendung monieren. Hierin einen Zusammenhang mit der folgenden Schilderung der Kooperation zu sehen, scheint eine Lesart des Mt im Lichte des Joh zu sein. Dies verbietet sich sowohl aufgrund der Personenkonstellation der mt Szene als auch der literaturgeschichtlichen Verortung des Joh. Dass es sich daher bei der Habgier um ein Klischee handelt, vermutete bereits WREDE, Judas, 134f. Dies lässt sich durch den Einbezug der antiken jüdischen Umwelt unterstreichen: Habgier erscheint zusammen mit Unzucht als stereotype Grundverfehlung des Menschen (vgl. TestLev 14,5f.; TestJud 17,1; 18,2–6; TestDan 5,5–7; Sib III 41–45.184–189; ferner 1Thess 4,3–6; Kol 3,5; Eph 5,3.5; 2Petr 2,14, Hebr 13,4f.). Habgier und Unzucht lassen sich als die beiden frühjüdischen „Kardinalsünden“ verstehen – gewissermaßen als der Thora entgegenstehende Verhaltensweisen (vgl. REINMUTH, Geist, 39–41). Wollte man demnach eine Verfehlung „erfinden“, da die ursächliche Motivation unbekannt blieb, wäre Habgier eine naheliegende und im konkreten Fall geeignete Erklärung. Einem historischen Wert dieser Anspielungen ist demnach vorsichtiger zu begegnen, als die Rezeptionsgeschichte vermuten lässt (zu dieser vgl. LUZ, Mt IV, 253). Es bleibt offen, ob das einheitliche Zeugnis des habgierigen Judas auf historischer Evidenz basiert oder auf der unabhängigen Wahl dieses stereotypen und naheliegenden „Sündenklassikers“. 14 Vgl. LUZ, Mt IV, 163. 15 Zwar greift das Mt hier auf das Mk zurück, allerdings scheint der Ausdruck dort neutral zu sein. Luz hebt zudem hervor, dass die Anrede im Evangelium als boundary marker dient: „Judas ist ‚draußen‘ […]“ (LUZ, Mt IV, 90); ähnlich POPA, Konflikt, 74f. 16 Die beiden anderen Stellen (Mt 20,13; 22,12) zeigen eine enttäuschte bis drohende Aussage der Gott-repräsentierenden Erzählfigur gegenüber den Angesprochenen. Deren Handeln impliziert eine Ablehnung der (göttlichen) Erwartungshaltung.
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
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markieren eher die vollzogene Abwendung Judas’ von der jesuanischen Lehre.17 Damit korrespondiert eine weitere Charakterzeichnung in der Abendmahlsperikope. Jesus offenbart, dass sich der Auslieferer unter den Anwesenden befindet,18 worauf jeder fragt, ob er gemeint sei (Mt 26,21f.; Mk 14,18–20).19 Die folgende Betonung Jesu, dass es einer aus dem engsten Kreis sei, wird durch den Wehruf über diesen abgeschlossen (vgl. Mk 14,21). Während die Szene im Mk abbricht, wird Judas durch seine pointiert hervorgehobene Nachfrage (ȝIJȚ ਥȖઆ İੁȝȚ, ૧Įȕȕ;) als Auslieferer von Jesus identifiziert (Mt 26,25). Aus dem Erzählverlauf ist es keineswegs naheliegend, dass Judas zunächst schweigt und seine Rückfrage erst nachträglich erwähnt wird. Hierdurch könnte ein Wandel im Gesprächsverlauf impliziert sein, worin Judas Jesus zunächst als țȡȚȠȢ anspricht,20 auf den Wehruf über ihn hingegen mit ૧Įȕȕ reagiert. Der offene Bruch zwischen Jesus und Judas wäre trotz der vorangehenden Kooperation mit den Autoritäten erst mit der Benennung/Entlarvung des Überlieferers und dem Wehruf verbunden. Nimmt man diese Charakteristika bis zur behandelten Perikope zusammen, so ergibt sich ein konsistentes Judasbild. Als einer der Zwölf forciert Judas die Auslieferung Jesu an die etablierten Autoritäten und offenbart dort eine, womöglich mit Habgier konnotierte, Bestechlichkeit. Er hat sich offenbar von 17
Ähnlich LUZ, Mt IV, 163f. Die Annahme von DAVIES/ALLISON, Mt III, 509, dass Jesus seinem Auslieferer hier freundlich entgegentritt, ist jedenfalls zurückzuweisen. 18 Der mt Kreis adaptiert hierbei den mk Spannungsbogen: Mit der ersten Leidensankündigung (Mt 16,21/Mk 8,31) wird durch Jesus die Unausweichlichkeit seines eigenen Todes angekündigt. Durch die zweite (Mt 17,22f./Mk 9,30–32) und dritte (Mt 20,18f./Mk 10,33f.) Leidensankündigung wird deutlich, dass dieser Prozess durch eine Auslieferung erfolgen wird. Die darin gewählte Passivform von ʌĮȡĮįįȦȝȚ ohne Nennung eines „Täters“ findet ihre Auflösung in Mt 26,20–25/Mk 14,17–21, insofern Jesus nun erkennen lässt, dass ihn einer der Zwölf (aktiv) ausliefern wird. Während der Täter im Mk unausgesprochen bleibt, lässt das Mt erkennen, dass Judas derjenige sein wird. Insgesamt ergibt sich eine eigentümliche Spannung, insofern der Täter für die Leserschaft bereits zuvor durch regelmäßige Erzählerkommentare bekannt ist (Mt 10,4; 26,25; 27,3 bzw. Mk 3,19; 14,10) resp. die Kooperation zur Auslieferung bereits berichtet wurde (Mt 26,14f./Mk 14,10). Damit finden sich wenigstens zwei Erzählebenen, weshalb zu überlegen ist, welches Wissen auf welcher Ebene der Figur Judas bekannt war (s.u. III.2.2.1.). 19 Es ist umstritten, ob Judas hier mitzudenken ist. Da er allerdings nicht explizit von dem Plural ausgenommen ist, sollte davon ausgegangen werden, dass Judas in der ersten Fragerunde beteiligt war. Auf diese Unschärfe verweist auch KONRADT, Mt, 404, der Judas allerdings aus den Erstfragenden ausklammert. Für DAVIES/ALLISON, Mt III, 464 ist der Unterschied marginal, insofern seine Heuchelei unterschiedlich scharf betont wäre. 20 Nur im Kontext der Sturmstillung wird Jesus vom Jüngerkollektiv mit țȡȚȠȢ angesprochen (Mt 8,25). Die Anrede wird aus dem Jüngerkreis nur noch von Petrus gebraucht: Mt 14,28.30 (Gang auf dem See); 16,22 (Reaktion auf Leidensankündigung); 17,4 (Verklärung); 18,4 (Vergebungsfrage). Mitzuhören ist auch Mt 7,21f., wonach die Anrede Jesu als țȡȚȠȢ allein nicht seligmachend ist.
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
der Lehre und dem Anspruch Jesu gelöst, was sich im Anredewechsel von țȡȚȠȢ zu ૧Įȕȕ zeigt.21 Wenngleich dieser Prozess schon mit der Kooperation beginnt, erfolgt der offene Bruch erst mit seiner Entlarvung während des letzten Mahls. Dieser Bruch scheint durch Jesu Wehruf provoziert zu sein, der ein tragisches Schicksal des Auslieferers impliziert. Durch Mt 28,16 und die Nennung der elf Jünger wird Judas zudem relativ deutlich aus dem Zwölferkreis entfernt.22 Diese bisherige Charakterzeichnung ist nun auf die Geschehnisse, die in Mt 27,3–10 geschildert werden, anzuwenden. 2.2. Judas’ Agieren im Lichte von Dtn 27,25 Judas’ Handeln in Mt 27,3–5 ist initial durch einen Erkenntnisgewinn (ੁįઆȞ) geprägt,23 wobei die Verurteilung Jesu als neue Information erscheint.24 Es stellt sich daher die Frage, welches Wissen die Judasfigur zu diesem Zeitpunkt hatte.25 Konkreter: Wusste Judas, dass Jesus zum Tod verurteilt werden wird? 2.2.1. Judas’ Vorwissen Erste Indizien ergeben sich aus dem Setting und der Figurenkonstellation. Dieses ist eng mit der vorherigen Kooperation zwischen Judas und den etablierten Autoritäten in Mt 26,14–16 verbunden: Wie in Mt 27,3 bilden die Hohepriester das Gegenüber. Darüber hinaus weisen das Geldmotiv (IJ IJȡȚțȠȞIJĮ ਕȡȖȡȚĮ: Mt 26,15; 27,3) und die Rückgabeintention (ıIJȡijȦ) auf die Perikope zurück. Anders als in Mt 26 treten in Mt 27 die Ältesten des Volkes als Gesprächspartner des Judas hinzu. Bei den ʌȡİıȕIJİȡȠȚ handelt es sich um eine Figurengruppe mit auffälligem Profil. Zum einen erscheinen sie niemals als eigenständige Größe, sondern immer im Verbund mit einer anderen Figurengruppe.26 Zum anderen weisen sie ein eigenes Profil auf, dass sie von
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Vgl. LIMBECK, Mt, 292. Vgl. MEISTER, Dimension, 149. 23 ੁįઆȞ markiert im Evangelium gemeinhin einen Perspektivenwechsel, wie die Verwendung in Mt 2,16; 3,7; 8,18; 9,2; 9,22.23; 27,24 zeigt. Daneben kann ੁįઆȞ auch als allgemeine Einleitung gebraucht werden (Mt 5,1; 21,19). Vgl. SENIOR, Fate, 374 Anm. 97. 24 Vgl. HAMILTON, Secrets, 127; NORTJE, Motive, 46; SENIOR, Fate, 374; anders FRANCE, Mt, 1040. 25 Nach FINNERN/RÜGGEMEIER, Methoden, 200 ist in dieses Wissen nicht nur aus expliziten Aussagen, sondern auch aus dem Figurenverhalten, dem Erzählverlauf und etwaigem Weltwissen zu erschließen. 26 Überwiegend werden sie mit den Hohepriestern gepaart (Mt 21,23; 26,3.47; 27,1.3.12.20; 28,12), wobei diese Paarung selten zu einer Dreierkonstellation mit den Schriftgelehrten erweitert wird (Mt 16,21; 27,41). Dabei greift der mt Kreis bisweilen in die Figurenkonstellation der mk Vorlage sowohl ergänzend (Mt 26,3/Mk 14,1; Mt 27,12.20/Mk 15,3.11) als auch reduzierend zugunsten der Zweierkonstellation (Mt 21,23/Mk 11,27; Mt 26,47/Mk 14,43; Mt 27,1/Mk 15,1) ein (vgl. KNOWLES, Jeremiah, 71). 22
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
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der Charakterzeichnung der Ältesten im Mk abhebt: Sie werden wesentlich stärker mit der Passion Jesu und dem Todesbeschluss in Beziehung gesetzt,27 was nicht nur durch Änderungen im Vergleich zum mk Text,28 sondern auch durch die beiden mt Sonderperikopen zu Judas (Mt 27,3) und der Bestechung der Soldaten (Mt 28,11f.) anzeigt wird.29 Es ist auffällig, dass die Ältesten zwar stark mit dem juristischen Prozedere zur Tötung Jesu assoziiert sind, jedoch bei der Kooperation zwischen Judas und den Hohepriestern nicht genannt werden. Eine solche Figurenkonstellation legt nahe, dass der Tötungsbeschluss in dieser Kooperation auszuklammern ist. Hierauf könnte auch das „doppelbödige“ Profil der mt Hohepriester hinweisen. Im Rahmen der Geburtsgeschichte treten sie mit den Schriftgelehrten als neutrale Größe auf (Mt 2,4).30 In der Logik des lokalen Settings treten die Hohepriester erst wieder in Jerusalem und sogleich als öffentliche Kritiker Jesu auf (Mt 21,15.23.45). Eine Frontstellung ist offensichtlich und mündet, wenn auch nur auf der Leserebene erkennbar, in die Verhaftungsintention (Mt 21,46).31 Es ist daher plausibel, die Opposition der Hohepriester im öffentlichen Raum von derjenigen „hinter verschlossenen Türen“ zu unterscheiden, wobei Letztere durch die Beistellung der Ältesten markiert ist.32 Durch eine solche Nur in Mt 26,57 erfolgt eine Zuordnung zu den Schriftgelehrten als Gegenüber zum Hohepriester Kajaphas, womit wohl der Hohe Rat (Mt 26,59) näherbestimmt wird. 27 Vgl. GARBE, Hirte, 52; GNILKA, Mt II, 216; WALKER, Heilsgeschichte, 31f.; ähnlich TKACZ, Susanna, 453f.460f. 28 Der erste Tötungsbeschluss der Hohepriester wird mit den Ältesten gefasst (Mt 26,3), welche die Schriftgelehrten ersetzen (Mk 14,1; Lk 22,1). Dies wiederholt sich in Mt 27,1 (diff. Mk 15,1). Bei der Anklage vor Pilatus (Mt 27,12) fehlen die Ältesten in Mk 15,2, ebenso wie bei der Aufwiegelung des Volkes (Mt 27,20 diff. Mk 15,6). 29 Lediglich in Mt 21,23 treten sie öffentlich unabhängig von der Passion auf. Dies erklärt sich allerdings aus der Gesamtanlage von Mt 21,23–24,1, in welcher Jesus mit allen Gruppierungen der etablierten Autoritäten konfrontiert ist. 30 Als negative Eigenschaft führt der mt Kreis hier allerdings die ignorante Schriftkenntnis ein, die bereits „ein Grundmotiv der Konfliktszenerie“ darstellt, welche durch die „eigenmächtige Selbstbehauptung der Autoritäten“ bestimmt ist (KONRADT, Mt, 41). Daher können sie zwar den Geburtsort des Messias bestimmen, ziehen daraus jedoch keine Konsequenzen. Andererseits offenbaren sie (noch) keine feindliche Absicht dem neugeborenen König gegenüber, insofern der Kindermord von Bethlehem und damit die offene und todbringende Feindschaft an Herodes gebunden bleibt (anders POPA, Konflikt, 61f., der hier bereits einen umfassenden Schulterschluss sieht). 31 Der zweite Teilvers zeigt Nähen zu Mt 14,5 und der Tötungsabsicht des Herodes bezüglich Johannes dem Täufer (vgl. HAGNER, Mt II, 624). Durch diese Ergänzung zum mk Text könnte entweder eine Deutung der Verhaftungsabsicht als Tötungsabsicht intendiert sein oder aber in der Differenz eine graduelle Unterscheidung gesehen werden, die pointiert hervorgehoben wird. Möglicherweise soll auch lediglich auf Mt 21,11 rekurriert werden (DAVIES/ALLISON, Mt III, 188). 32 Das Mitagieren der Ältesten als Aspekt der öffentlichen Durchsetzung des Todesbeschlusses wird auch bei POPA, Konflikt, 107f. festgehalten. Gleichwohl finden sich
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
Differenzierung ist anzunehmen, dass Judas bei der Kooperation mit den Hohepriestern, und nur den Hohepriestern, noch nicht in die Tötungsabsicht der etablierten Autoritäten eingeweiht war.33 Die bisherigen Ausführungen haben den Schwerpunkt auf das Wissen des Judas anhand der Figurenkonstellation gelegt. Dabei blieb bislang unberücksichtigt, dass Judas als Teil des Zwölferkreises durch die drei Leidensankündigungen Jesu in den geschichtlichen Fortgang eingeweiht war (v.a. Mt 20,17). In dieser Perspektive müsste Judas bereits wissen, dass (1.) die Hohepriester (neben Ältesten und Schriftgelehrten) in den Leidensprozess eingebunden sind (Mt 16,21–23), dass (2.) der Menschensohn ausgeliefert werden wird (Mt 17,22f.), dass (3.) die Auslieferung an die Hohepriester und Schriftgelehrten erfolgen wird, diese ihn zum Tode verurteilen und zur Kreuzigung an „die Heiden“ ausliefern (Mt 20,18f.). Es wäre also anzunehmen, dass dies Judas bekannt war, als er die Kooperation mit den Autoritäten einging. Sollte aber dieses Wissen vorauszusetzen sein, so wäre die Reaktion der Judasfigur in Mt 27,3 das eigentlich „Mysteriöse“.34 Werden die Erzählkommentare und Leidensankündigungen vorausgesetzt, zeigt sich eine transparente Figurenentwicklung, wobei die Reueerzählung, die sich primär an die Erkenntnis des Todesbeschlusses bindet, schwer erklärbar ist. Schließlich geschieht nichts, was Judas nicht schon längst gewusst hat. Alternativ wäre das Kriterium der Transparenz in der präferierten Lesart gewährleistet, insofern Judas zwar als hierbei keine Überlegungen zu etwaigen Konsequenzen hinsichtlich der Judasfigur (vgl. ferner ebd. 188 Anm. 295). 33 Gegen LUZ, Mt IV, 70 Anm. 7, der davon ausgeht, dass Judas, wie die Leserschaft, Kenntnis vom Tötungsbeschluss der Autoritäten hatte, wenngleich der Autor das Wissen darum nicht explizit mache; ähnlich FRANCE, Mt, 977. Zwar wird im Evangelium regelmäßig von den etablierten Autoritäten die Absicht bekundet, dass sie Jesus töten wollen, allerdings scheinen die Erzählfiguren jenseits des Beschlusses keine Kenntnis davon zu haben. In Mt 12,14 wird eine Tötungsabsicht im Kreis der Pharisäer ausgesprochen, in Mt 26,3–5 wiederum von Hohepriestern und die Ältesten. In der Verhandlung vor dem Hohen Rat wird deren Ansinnen als Erzählkommentar offenbart (Mt 26,59). Erst mit Mt 27,1f. scheint ein gewisser Öffentlichkeitsgrad erreicht zu sein, insofern der Beschluss gefasst und in der Konsequenz Jesus an Pilatus überführt wird. Dieser Zusammenhang lässt sich auch unter Einbezug realhistorischer Bedingungen plausibilisieren: Die Verurteilung zum Tode wird real, sobald mit dem Todesbeschluss des Sanhedrins die Überstellung Jesu an Pilatus einhergeht. Wenn das Umweltwissen aus Joh 18,31 (vgl. Flav.Jos.Bell. II 117; Flav.Jos.Ant. XVIII 2) auch hier vorauszusetzen ist, dann erkennt Judas nicht nur den nun öffentlichen Todesbeschluss, sondern auch dass die zur Vollstreckung rechtlich notwendigen Wege eingeleitet wurden (vgl. THEIെEN/MERZ, Jesus, 399). Die bloße Auslieferung Jesu in die jüdische Gerichtsbarkeit hätte aufgrund des fehlenden ius gladii nicht zur Vollstreckung des Todesurteils führen können. Erst die Überstellung an Pilatus könnte in dieser Lesart Judas erkennen lassen, dass sich Jesus faktisch in Todesgefahr befindet resp. wahrhaftig zum Tode verurteilt ist (ähnlich KLASSEN, Judas, 161f.). 34 Vgl. das Kriterium der Transparenz bei FINNERN/RÜGGEMEIER, Methoden, 204, welches sie an Judas fest machen.
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
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derjenige beschrieben ist, der Jesus ausliefert (Erzählkommentare), jedoch die Hinweise auf die Todesfolge ignoriert. Dann wäre jedoch „mysteriös“, wie Judas die Leidensankündigungen „überhören“ konnte. Eine mögliche Unterstützung für die zweite Lesart kann in Mt 26,69–75 gesehen werden. Petrus wurde bereits im Vorfeld (Mt 26,33–35) offenbart, dass er Jesus dreimal verleugnen wird, ehe der Hahn kräht. Diese Information verhindert jedoch nicht, dass genau dies eintrifft. Vielmehr wird er erst nach dem Vollzug der Verleugnung durch das Krähen des Hahns an dieses Wort erinnert. Auch hier findet offenkundig ein Erkenntnisprozess statt, der wider besseres (Figuren)Wissen von außen initiiert werden muss und die Tat nicht verhindert.35 Insgesamt wird ersichtlich, dass das mögliche Figurenwissen noch kein Kriterium dafür darstellt, dass die Figuren sich diesem Wissen gemäß verhalten. Demnach mag Judas vernommen haben, welche Konsequenzen seine Taten haben werden, es scheint jedoch bis zum faktischen Vollzug des Todesurteils keine Relevanz gehabt zu haben. Erst das Wissen darum, dass Jesus tatsächlich zum Tode verurteilt wurde, setzt einen Erkenntnisprozess in Gang, den Judas zur Neubewertung der Gesamtsituation führt, obwohl er – zumindest theoretisch – bereits zuvor zu dieser Erkenntnis hätte gelangen können. 2.2.2. Judas’ Erkenntnisprozess Der Grad der Neubewertung der Gesamtsituation ist abhängig vom Verständnis des Reueterminus ȝİIJĮȝȜȠȝĮȚ, der zu kontroversen Diskussionen in der Forschung geführt hat: Es sei auffällig, dass die Reaktion des Judas auf die Neuerkenntnis mit ȝİIJĮȝȜȠȝĮȚ im Sinne von Reue reagiert, eine wahrhafte Buße allerdings nur mit ȝİIJĮȞȠȦ gegeben sei.36 Obgleich diese Differenz nur schwer zu halten ist,37 kann ȝİIJĮȞȠȦ als Nachfolgeterminus verstanden werden38 und ein solcher Gebrauch wäre in Mt 27,3 offenkundig fehlplatziert. Judas’ Erkenntnis relativiert sein Verhältnis zur Person und Lehre Jesu nur bedingt, denn der Bruch erfolgte unabhängig vom Tötungsbeschluss. Aus 35
Zu weiteren Parallelzeichnungen zwischen Judas und Petrus und die Gefährdungssituation, die auch bei Petrus erkenntlich wird, s.u. III. Exkurs 2. 36 Zur Übersicht der Differenzierung innerhalb der Kirchengeschichte vgl. LUZ, Mt IV, 234f. Zur Problematik insgesamt vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III,561f.; ferner HAGNER, Mt II, 812, der zwischen „remorse“ und „repentance“ differenziert. 37 Nach KLASSEN, Judas, 162 handelt es sich bei einer solchen Differenzierung zumeist um eine unzulässige Eintragung von 2Kor 7,8–10. Zudem wendet LUZ, Mt IV, 233 Anm. 30 gegen diese terminologische Differenzierung ein, dass der Unterschied marginal sei, da „beide Verben […] in der LXX vorzugsweise das Niphal von hebr. ʭʧʰ (wiedergeben)“. Es bleibt allerdings auffällig, dass die Umkehraussagen, die in der LXX mit ȝİIJĮȝȜȠȝĮȚ ausgedrückt werden, erstens selten sind und zweitens weniger gewichtig erscheinen. Allenfalls kann auf TestJud 23,5 verwiesen werden, insofern hier die Reue des Volkes (ȝİIJĮȝİȜȠȝİȞȠȚ) die Rückkehr aus dem Exil bewirken kann. 38 Vgl. Mt 3,2; 4,17; ferner ROBERTSON, Death, 98; ähnlich SENIOR, Fate, 375.
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
dieser inhaltlichen Distanz resultiert aber keineswegs ein Gutheißen dieser Tötung – diesen Prozess versucht er zu unterbinden. Judas’ Reue wird dadurch keineswegs gemindert, sie ist aufrichtig und erhofft eine Veränderung der Situation.39 Dies wird durch die Rückgabeintention des Silbers als äußeres Zeichen der Reue deutlich.40 Eine Rückkehr zum Jüngerkreis bzw. zur Gemeinde scheint hingegen nicht intendiert zu sein.41 Diese Figurenzeichnung wird durch die intratextuelle Untersuchung zu ȝİIJĮȝȜȠȝĮȚ gestützt. Das Partizip ȝİIJĮȝİȜȘșİȢ wird neben Mt 27,3 auch in Mt 21,29 gebraucht sowie in der 2. Pers. Pl. Aor. Pass. in Mt 21,32. Hier dient die Reue des Sohnes sowie die daran exemplifizierte, wenn auch nicht terminologisch so benannte, Reue der Zöllner und Prostituierten als Zeichen gegenüber den etablierten Autoritäten.42 Die Verwendung von ȝİIJĮȝȜȠȝĮȚ in Mt 27,3 mag auch durch die besondere Konnotation von ȝİIJĮȞȠȦ begründet sein, die intratextuell eindeutigere Referenz ist jedoch der Gebrauch im Lichte von Mt 21,28–32. Die Reue dient als Zeichen gegenüber den etablierten Autoritäten: Selbst Judas, der zuvor die Seiten wechselte, nimmt im Angesicht des drohenden Todesurteils einen Perspektivenwechsel vor und negiert die Schuldhaftigkeit Jesu.43 Dieser Gedanke wird sich als ein tragendes Moment der Perikope erweisen. Es ist insgesamt also stimmig, dass die Reue des Judas die Intervention auf der Figurenebene zugunsten Jesu unterstreicht; hinsichtlich der Deutung des Wortgebrauchs ist gleichsam eine Verweisfunktion gegenüber den Autoritäten naheliegend, die über die Figurenanalyse des Judas hinausausreicht. Die Reue führt nun zum Sündenbekenntnis, welches durch die Formulierung in der 1. Pers. Sg. das belastbarste Indiz für eine individuelle Lesart des Motivs in der Perikope darstellt. Die Vokabel ਖȝĮȡIJȞȦ findet bei Mt nur selten Verwendung und erscheint sonst nur im Kontext innergemeindlicher Streitigkeiten (Mt 18,15.21).44 Als Verhandlungsort von ਖȝĮȡIJȞȦ wird 39
Gegen KLAUCK, Jünger, 94. Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 562; FIEDLER, Mt, 405. 41 Ähnlich BROWN, Death I, 641. 42 Nach Mt 21,23 wären die angesprochenen Autoritäten die Hohepriester und Ältesten des Volkes, nach Mt 21,45 jedoch Hohepriester und Pharisäer adressiert. Ob dadurch eine Identifikation von Ältesten und Pharisäer angezeigt sein soll, ist hier nicht zu diskutieren. Die Personenkonstellation von Hohepriestern und Ältesten ist hinsichtlich der untersuchten Perikope jedoch höchst auffällig. 43 Vgl. KONRADT, Mt, 428. Ähnlich SENIOR, Fate, 375, der in Anm. 102 zudem darauf aufmerksam macht, dass in Mt 21,32 durch ੁįંȞIJİȢ (+) Ƞį ȝİIJİȝİȜșȘIJİ eine strukturelle Analogie vorliegt. 44 Beide Verse bilden jeweils die Einleitung und damit das Grundanliegen der folgenden Ausführungen, wobei die Themen miteinander verwandt sind. Mt 18,15 bildet den Auftakt zum Umgang mit einem sündigen Bruder und dem gemeindlichen Verfahren, das mehrfach Umkehr ermöglicht, aber letztlich auch Exkommunikation als ultima ratio gewährt. Auch Mt 18,21 behandelt die Thematik eines sündigen Bruders, nun aber in indi40
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
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gemäß der Lehre Jesu die ecclesia bestimmt. Die übrigen mt Belegstellen im Wortfeld zeigen zudem an, dass der Ort der Sündenvergebung in der Person Jesus gegeben ist.45 Dass Judas nun nicht den Jüngerkreis oder die Person Jesu, trotz eventueller logistischer Schwierigkeiten, aufsucht, deutet abermals auf eine differenzierte Intention des Judas hin: Der Bruch zur jesuanischen Gemeinschaft ist vollzogen, hier geht es um die „Rettung“ des Lebens Jesu. Zwar wird durch den Gang zu den Hohepriestern der Anspruch Jesu bzw. der ecclesia als Ort der Sündenvergebung negiert – das Sündenbewusstsein an sich, kann jedoch nicht in Abrede gestellt werden, insofern er eindeutig den Tatbestand der ਖȝĮȡIJĮ bekennt.46 Positiv gelesen, ist für Judas, der nach seinem Ausscheiden aus der „Jesusbewegung“47 wohl (wieder) dem „Mehrheitsjudentum“ zugehört, weiterhin der Tempel der logische Ort der Sühne (vgl. Mt 27,5).48 Durch diese Figurenzeichnung ist der Gang des Judas zu den Hohepriestern und in den Tempel nicht nur als Intervention zugunsten Jesu, sondern zugleich als Weg eines reuigen Sünders verständlich. Die Näherbestimmung von Judas’ Vergehen, zu welchem er sich bekennt, ist als eine (konkrete) Übertretung der Gebote Gottes zu verstehen, die in der Perikope durch die Auslieferung unschuldigen Blutes (ʌĮȡĮįȠઃȢ ĮੈȝĮ ਕșȠȞ) bestimmt wird. Die Sündenerkenntnis erfolgt durch eine Neubewertung der Situation: Erst durch die neue Information der Verurteilung Jesu zum Tode wird Judas klar, dass er im Rahmen eines Kapitalgerichts mitagiert und nicht nur im Rahmen einer Verhaftung.49 Von Mt 26 aus kann er als „habgierig“ vidueller und nicht gemeindlicher Perspektive. Die Frage nach der Häufigkeit der Vergebung wird von Jesus mit der Intention der superlativ-dauerhaften Vergebungsbereitschaft beantwortet (vgl. LUZ, Mt III, 62; SIKER, Sin, 63f.). Das folgende Gleichnis (Mt 18,23–35) lässt zudem erkennen, dass mangelnde Vergebungsbereitschaft unter dem göttlichen Zorn steht. ਖȝĮȡIJȞȦ ist im Mt also in den innergemeindlichen Bruderkonflikt eingetragen, der mit diesem Bruder auch auszuräumen ist. In dieser Lesart hätte Judas folglich Jesus aufsuchen müssen. 45 Vgl. II.5.3.4.b; V.3.2.4.a. 46 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 563, die ਸ਼ȝĮȡIJȠȞ als „standard language of confession“ bestimmen. 47 Vgl. THEIെEN/MERZ, Jesus, 138–144. Der Begriff kann in der literarischen Fiktion des Mt in seiner ursprünglichen soziologischen Prägung gebraucht werden, insofern Judas noch zu Lebezeiten Jesu mit der Bewegung bricht. 48 Hier zeigt sich abermals die Spannung zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit. Während der Tempel für den mt Kreis aufgrund des historischen Verlaufes abrogiert ist und dessen theologische Disqualifikation durch die Übertragung der Tempelfunktionen auf Jesus schon in der erzählten Zeit angedeutet ist, bleibt auf der Textebene dennoch eine gewisse Konkurrenz zwischen Tempel und Jesus bestehen. Selbstredend hätte der Jünger Judas einen anderen Sühneort aufsuchen müssen, für den Juden Judas stellt der Gang zum Tempel jedoch die naheliegende Option dar. Er muss so am eigenen Leib erfahren, dass der Tempel nur noch eine „Räuberhöhle“ darstellt und keine Sühne bietet (ähnlich GARLAND, Mt, 255). 49 Vgl. BROWN, Death II, 1400f.; ähnlich TKACZ, Susanna, 461.
130
III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
verstanden werden, insofern er sich seine Hilfe bezahlen lässt. Aber erst mit Mt 27,1–3 wird Judas gewahr, dass er mit dieser Auslieferung auch das Todesurteil in Gang gebracht hat. Durch diese Erkenntnis bewertet Judas die Geldforderung/-annahme neu: Wie auch immer die Bezahlung zuvor zu werten ist, jetzt sieht Judas das Silber als Bestechungsgeld im Rahmen eines drohenden Justizmordes an. Er erfüllt einen Strafbestand der Thora, der in Dtn 27,25 formuliert ist:50 „Verflucht ist, wer Bestechung annimmt, damit ein unschuldiger Mensch [besser: ein Leben, unschuldiges Blut,] getötet wird. Und das ganze Volk soll sprechen: Amen.“ Hierbei geht es nicht um einen Auftragsmord, sondern es „wird die Annahme von Bestechungsgeld (šoۊad), um einen Menschen durch Justizmord zu töten, unter den Fluch gestellt.“51 Auf dieser Basis treffen nun bei Judas drei Aspekte zusammen, die in Dtn 27,25 angelegt sind: das Annehmen von (Bestechungs-52)Geld,53 der Wortlaut
50
Vgl. PRATSCHER, Judas, 13; VAN UNNIK, Death, 12–14. OTTO, Dtn II/1, 1955. Dies wird gleichermaßen durch den Gebrauch von ʩʷʰ ʭʣ unterstrichen (vgl. ebd., 1955f.; ähnlich SCHÜNGEL-STRAUMANN, Tod, 60). Anders LUNDBOM, Dtn, 87.751, der hinter Formulierung einen Auftragsmord vermutet. Dieses Verständnis könnte auch der LXX zugrunde liegen: ਥʌȚțĮIJȡĮIJȠȢ Ȣ ਗȞ Ȝȕૉ įȡĮ ʌĮIJȟĮȚ ȥȣȤȞ ĮȝĮIJȠȢ ਕșȠȣ. 52 Es ist möglich die Bestechungsterminologie hinsichtlich der Judasfigur anzufragen, da die Geldgabe zunächst als Zahlung einer „Dienstleistung“ verstehbar ist und Judas nur bedingt in einer Position zu sehen ist, die den Tatbestand der Bestechlichkeit erfüllt. Gleichwohl soll mit diesem Terminus einerseits die intertextuelle Referenz auf Dtn 27,25 ernst genommen werden. Andererseits wird dadurch die Illegitimität der Geldannahme innerhalb eines korrupten Rechtssystems angezeigt, die von anderen illegitimen Bezahlungen (bspw. im Rauschgifthandel) zu unterscheiden ist. Durch die Terminologie Bestechung wird zudem eine Differenz zu einem weiteren Blut-Geld-Rechtsfall hergestellt, welcher sich u.a. in Jub 21,19f. niederschlägt: Die Kompensation vergossenen Menschenblutes durch eine Geldzahlung wird zurückgewiesen (s.o.S. 46 bei Anm. 24; ferner BERGER, Jub, 433 Anm. 19 a). 53 Neben Dtn 27,25 wird das Verbot der Bestechung in Dtn 16,19 formuliert. Die Bestimmung, kein Bestechungsgeld anzunehmen, findet sich bereits im Bundesbuch in Ex 23,8. Daneben schlägt sich der Tatbestand auch in erzählenden Texten und warnendanklagenden Sprüchen des AT nieder (vgl. 1Sam 8,3; Hi 15,34; Ps 15,5; 26,10; Spr 17,23; Jes 1,23; 5,23; Ez 22,12; Mi 3,11). Der Sprachgebrauch von ʣʧˇ wird einheitlich als zielgerechtes Geschenk bzw. dezidierte Bestechung angesehen (vgl. BEYSE, ThWAT VII, 1208–1210; der griechische Wortlaut įȡȠȞ bleibt hingegen unauffällig: vgl. SIGISMUND, Bestechung, 2.). Diese Bezüge verdeutlichen, dass das Verbot der Bestechung in einen unmittelbaren Rechtskontext hineingesprochen und der Gerechtigkeit Gottes unterstellt ist (Dtn 16,18–20). Dies heißt im Umkehrschluss, wenn ein Bestechungsfall vorliegt, so ist (1) der Angeklagte unschuldig und (2) bildet die Rechtsinstitution nicht die Gerechtigkeit Gottes ab. Wenn sich Judas der Annahme von Bestechungsgeld schuldig bekennt, wird intendiert, dass Judas Jesus – im Rahmen des Kapitalgerichts – für unschuldig hält, während er zugleich die etablierten Autoritäten mit (möglicher) Rechtsbeugung konfrontiert. Es kann hier bereits darauf vorgegriffen werden, dass Bestechung innerhalb der biblischen Welt kein individuelles Problem darstellen kann (vgl. ebd., 4.1.). Sie verbindet sich 51
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
131
ĮੈȝĮ ਕșȠȞ und ein Verstoß gegen ein Gebot Gottes, weshalb Judas „ਸ਼ȝĮȡIJȠȞ“ bekennen muss.54 2.3. Verflucht – und jetzt? Der Strafbestand, zu welchem sich Judas bekennt, entstammt dem „sichemitischen Fluchdodekalog“ in Dtn 27,15–26.55 Dem relativ weiten Spektrum an Vergehen, die in den zwölf Fluchsprüchen genannt werden, ist im Kern gemeinsam, dass diese heimlich begangen werden und es keine Zeugenschaft gibt.56 Ein ordentliches Gerichtsverfahren ist daher nicht möglich;57 der Fluch dient folglich als rechtlicher Lückenfüller.58 Weitere Konsequenzen eines solchen Fluches werden im Fluchkatalog nicht verhandelt, wobei davon auszugehen ist, dass der Fluch der Logik der Todesstrafe entspricht und eine Todesfolge erwartet wird.59 Dies lässt sich daran zeigen, dass die im Fluchkatalog genannten Vergehen im Falle eines entlarvten Täters die Todesstrafe zur Folge haben: Für nahezu alle Fluchsprüche lassen sich entsprechende Rechtstexte finden.60 Exponiert sei auf Dtn 27,24 und das Tötungsgebot bezüglich eines Mörders (Ex 21,12; Lev 24,17) verwiesen. Die Todesimplikation eines solchen Fluches legt zudem die Syntax des Hebräischen nahe:
sogleich mit Institutionskritik, sodass die Autoritäten, die in den Bestechungsvorgang eingebunden sind, hellhörig werden müssten (s.u.S. 154 Anm. 191). 54 Gegen MOO, Tradition, 162, der behauptet, dass die Formel ĮੈȝĮ ਕșȠȞ einen Allgemeinposten adaptiert, der sich nicht auf eine konkrete alttestamentliche Stelle zurückführen ließe. 55 Die Bezeichnung geht nach HERRMANN, Recht, 93 auf Albrecht Alt zurück. 56 Vgl. BAKER, Theology, 289. 57 Vgl. DIETRICH, Schuld, 198: „Im Fall des unbekannten Täters kann […] weder eine Kompensation vom Täter noch eine Todesstrafe am Täter als gängige Rechtsantworten gefordert werden.“ 58 Vgl. DIETRICH, Schuld, 199; ähnlich MEYER, Recht, 23. 59 Vgl. BRAULIK, Dtn II, 201f.: „Der Fluch wird – anders als die das Recht sanktionierende Todesstrafe – als eine selbstwirksame zerstörerische Macht angesehen.“ Dem Fluch ist offenbar auch eine soziale Ächtung inhärent, sodass der Verlust des Sozialraums erwartet wird und der Schuldige durch den Fluch gewissermaßen rituell entsozialisiert wird (vgl. ebd., 202). Zur gesamten Thematik vgl. auch SCHOTTROFF, Fluchspruch; ferner SCHÖNEMANN, Fluch. 60 Folgende Parallelen lassen sich mit DRIVER, Dtn, 299 festhalten: Dtn 27,15: Ex 21,17; Lev 20,9; Dtn 21,18–21. Dtn 27,19: Ex 22,21–23. Dtn 27,20: Lev 18,8; 20,15. Dtn 27,21: Ex 22,18; Lev 18,23; 20,15. Dtn 27,22: Lev 18,9; 20,17. Dtn 27,23: Lev 18,17; 20,14. Für die Belege aus Lev 18 ist anzumerken, dass erst der Schluss in Lev 18,29 erkennen lässt, dass die Todesstrafe für alle vorangehenden Vergehen eingefordert wird. Ein Sonderfall stellt nun Dtn 27,25 dar. Zwar lässt sich aus den Rechtstexten eine Todesfolge aus dem Vergehen nicht erheben, aber zumindest in Ez 22,12f. wird das Motiv der Rechtsbeugung durch Bestechung als Begründung des göttlichen Gerichts explizit aufgeführt.
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
Im Gegensatz zum môt-jûmat-Recht steht im Fluchrecht die Rechtsfolge nicht als Apodosis nach der Protasis, sondern eröffnet den Rechtssatz. Mit dem performativen Sprechakt des Fluchs an der Spitze des Satzes soll er, so die ursprüngliche Vorstellung, den Täter als sein Ziel finden und ihn treffen wie die Spitze eines Pfeils.61
Die altorientalischen Vorstellungen sowie die antiken Übersetzungen deuten zusätzlich darauf hin, dass beim Fluch von einem indikativischen (und nicht optativen) Verständnis auszugehen ist:62 „Der Fluch ist vom Ursprung her im Modus des Indikativs ein performatives Machtwort, das JHWH als Vollstrecker unterstellt wird.“63 Aus diesen Beobachtungen ist zu folgern, dass diejenigen, die Tatbestände aus Dtn 27,11–26 erfüllen, in der biblischen Welt mit einem Fluch belegt sind, von welchem eine Todesfolge erwartet wird.64 Dabei ist JHWH als Garant mitgedacht, aber in den wenigsten Fällen explizit benannt.65 Wenn Judas demnach den Tatbestand aus Dtn 27,25 bekennt, lässt die intertextuelle Referenz folglich für die Leserschaft seinen Tod als Fluchfolge erwarten.66 Gleichsam dürfte sich auch Judas dieser Gefahr bewusst sein, weshalb sein Handeln auch eine intrinsische Motivation erkennen lässt. Die Handlungslogik der Figur ergibt sich folglich aus der Erkenntnis des Straftatbestandes: Sobald Jesus stirbt, verfällt Judas dem Fluch nach Dtn 27,25. Daher ist es nur verständlich, dass Judas versucht dies zu unterbinden, indem er vor den Hohepriestern interveniert. Unter diesen Vorzeichen ergeben sich wenigstens zwei mögliche Handlungsverläufe, die Judas von den Autoritäten erhoffen mag:67 Entweder sie unterbinden den Prozess Jesu – dann tritt der Fluch nicht in Kraft, oder aber sie erwirken als (legitime) Kultinstitution Sühne für Judas, sodass der Fluch kompensiert wird.68 61
OTTO, Dtn II/1, 1953. Vgl. SCHOTTROFF, Fluchspruch, 49. 63 OTTO, Dtn II/1, 1952f. 64 Dass eine solche Fluchwirkung bei unbekannter Täterschaft auch in der realen Welt erhofft wurde, legt CIJ 725 nahe (s.o. II.4.3.3.e), wo zwar keine explizite Fluchterminologie aufgegriffen wird, aber der Gesamtkontext der Inschrift und die Verwendung des Motivs des unschuldigen Blutes einen Fluchkontext nahelegen. 65 Zur Todeserwartung vgl. BRAULIK, Dtn II, 201f.; OTTO, Dtn II/1, 1953; zur vertikalen Dimension vgl. SCHOTTROFF, Fluchspruch, 52; STEYMANS, Segen. 66 In der spezifischen Beiordnung vom Motiv des unschuldigen Blutes und der Fluchthematik in Dtn 27,25 fallen hier zwei Konzeptionen ineinander, die an sich voneinander zu trennen sind. DIETRICH, Schuld, 202–222 insistiert darauf, dass die Eigenwirksamkeit der Blutschuld von der Fluchsphäre zu trennen sei. Allerdings treffen sich die beiden Konzepte in einer ähnlichen Gefährdungssituation, sodass in diesem Fall die Logik des unschuldigen Blutes um die Logik der Fluchsphäre angereichert scheint. 67 Zur Handlungsanalyse mithilfe einer solchen plot map vgl. FINNERN/RÜGGEMEIER, Methoden, 219–225. 68 Ohne Verweis auf die Fluchsphäre nimmt auch GIELEN, Passionserzählung, 147 an, dass Judas eine andere Antwort der Hohepriester und der Ältesten erwartet habe: „Wenn das so ist, dann haben wir unschuldiges Blut verurteilt.“ Sie führt allerdings nicht aus, welche Konsequenzen sich aus dieser potenziellen Antwort ergeben würden. 62
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
133
2.4. Die Antwort der Hohepriester als Interpretationsschlüssel Diese Erwartungshaltung setzt voraus, dass das Motiv ĮੈȝĮ ਕșȠȞ in dieser Kommunikationssituation in einer individuellen Dimension eingeführt ist, wobei die kollektive Dimension, die im Dtn zum Ausdruck kommt, unterdrückt wird. Die Gefährdungslage entspräche daher der individuellen Blutschuld, welche durch den Fluch einen konkreten Ausdruck findet.69 Noch einmal: Indem Judas unschuldiges Blut preisgibt und für dessen Vergießen verantwortlich zu machen ist, verfällt er nach der Logik der Blutschuld der „schicksalswirkenden Blutsphäre“, die sich nach der Gesetzesbestimmung in Dtn 27,25 im Fluch manifestiert. Es wird sich zeigen, dass dieser individuelle Zugriff defizitär ist, allerdings kann die Antwort der Hohepriester und Ältesten in ebendieser Perspektive verstanden werden. Entgegen der potenziellen Erwartungen des Judas, weisen ihn die etablierten Autoritäten brüsk zurück: IJ ʌȡઁȢ ਲȝ઼Ȣ; ıઃ ȥૉ. Sie machen damit in erster Linie deutlich, dass sie jegliche Verantwortung für das Geschehen von sich weisen und Judas in dieser Angelegenheit auf sich selbst zurückverwiesen wird.70 Der Ausdruck ĮੈȝĮ ਕșȠȞ wird somit als bloßes Bezeugen der Unschuld Jesu (miss-)verstanden. Die Reaktion der Hohepriester zeigt ein einheitliches Bild, insofern sie das Votum zur Unschuld Jesu nicht nur übergehen (27,5f.), sondern diesem auch aktiv entgegensteuern (vgl. Mt 27,20). Daher wird meist zu Recht angenommen, dass die Hohepriester und Ältesten die Antwort des Judas übergehen, da „Jesu Unschuld für sie nicht neu (ist).“71 Auf dieser Figurenebene scheint folglich alles gesagt zu sein, was es zu sagen gibt. Judas hat seine Anliegen kommuniziert und wurde zurückgewiesen. Die plot holes hinsichtlich der geschilderten potenziell erwartbaren Handlungsverläufe bleiben ungeklärt. Es bleibt unklar, weshalb die Hohepriester und Ältesten Judas nicht entlasten (bspw. durch Sühne oder durch die kommunizierte Vergewisserung, dass sie Jesus für schuldig halten) bzw. warum sie den Justizmord an einem Unschuldigen aktiv vorantreiben. Judas hat in ihrer Logik entweder unnötige Gewissensbisse, die sie keines Kommentars für Wert erachten, oder aber sie gehen davon aus, dass die Blutschuld für den
69
Die nächste biblische Parallele dürfte in 1Sam 19,5 vorliegen. NOLLAND, Mt, 1150f. macht diesen Intertext besonders stark, insofern er die Bedrohung Davids mit der des Messias parallel setzt. Sprachlich legt sich dieser Intertext zudem durch den jeweiligen Gebrauch von ਖȝĮȡIJȞȦ nahe. Die Schwächen einer Lesart auf einem davidischen Hintergrund werden unter III. Exkurs 1 5.2. (u.S. 147f.) verhandelt. 70 Vgl. NOLLAND, Mt, 1151: „From their point of view, refusing the money symbolically isolates the problem with Judas. But their symbolic act cannot make it so.“ 71 KONRADT, Mt, 428. Vgl. auch LUCK, Mt, 297; LUZ, Mt IV, 235. Anders GUNDRY, Mt, 554, der darin die Schuld des Judas akzentuiert sieht. Für GIELEN, Passionserzählung, 147 sind hingegen die Kategorien von Schuld und Unschuld irrelevant, insofern sie dem übergeordneten Interesse, nämlich der Tötung Jesu, untergeordnet sind.
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
Justizmord an Jesus über ihn allein kommt.72 Judas ist folglich auf sich alleingestellt.73 Er kann die Angelegenheit weder auf juristisch einwandfreiem Weg (Unterbindung des Prozesses Jesu74 bzw. Aufnahme eines Prozesses gegen ihn selbst) noch auf religiös-kultische Weise (Sühnehandlung im Tempel) klären. Zwar wäre nun als alternativer Handlungsstrang eine Umkehr zu Jesus und die Akzeptanz desselben als „Ort“ der Vergebung theoretisch möglich, wenngleich die logistischen Schwierigkeiten dies recht aufwendig erscheinen lassen. Allerdings ist ein solcher Fortgang der Handlung aufgrund des zuvor skizzierten Bruchs zwischen Judas und Jesus bzw. dessen Anspruch und Lehre sehr unwahrscheinlich. Judas bleibt folglich in der Fluchsphäre verhaftet – ein Aspekt, den es im Weiteren auszuleuchten gilt. 2.5. Indizien für Judas als Verfluchten Im Mt wird zwar in mehrfacher Hinsicht deutlich, dass Judas den Tatbestand aus Dtn 27,25 erfüllt, allerdings wird Judas nicht explizit als Verfluchter benannt. Neben dem genannten Intertext finden sich allerdings weitere Indizien, die diese Annahme untermauern. Das Handeln des Judas steht spätestens seit seiner Entlarvung als Überlieferer Jesu und dem darin kommunizierten Bruch zwischen Jesus und Judas unter keinem guten Stern. Über Judas wird in Mt 26,24b ein „Wehe“ ausgesprochen, welches sein Todesgeschick impliziert, je nach Ausdeutung auch seine eschatologische Verwerfung.75 Durch das Logion wird ein Deutungshorizont eröffnet, der sprachlich einen Fluchkontext nahelegt.76 Die Verhältnisbestimmung von Wehruf (ʩʥʤ-Sprüche) und Fluchspruch (ʸʥʸʠ-Sprüchen) gestaltet sich jedoch schwierig.77 Allerdings bleibt ein Zueinander auf der Ebene der Rezeption möglich und ergibt sich aus sowohl aus der inhaltlichen
72 Diese Logik bricht gleichwohl mit dem Eingeständnis der Hohepriester in Mt 27,6, wo sie die dreißig Silberstücke als IJȚȝ ĮȝĮIJȠȢ bezeichnen und eine gewisse Scheu hiervor zeigen. 73 Vgl. GIELEN, Konflikt, 378. 74 Eine solche Option wurde nach MEISER, Einer, 103 Anm. 117 bereits bei Hilarius, Matth. 32,5, SC 258; Hieronymus, Mt, PL 26, 213 A diskutiert. 75 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 464; LUZ, Mt IV, 89 verweist auf die Parallele in Mt 18,8f. und die dortige Ankündigung der ȖİȞȞĮ. 76 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 463 mit Verweis auf Lev 17,4.9; 20,3.4.5; Dtn 17,5. 77 Die beiden Sprucharten entstammen unterschiedlichen Textkorpora, wie SCHOTTROFF, Fluchspruch, 119 festhält: „Die ʩˣʤ-Worte sind primär Mittel weisheitlicher Unterweisung und stehen in dieser Funktion dem weisheitlichen Mahn- und Warnwort nahe. […] Demgegenüber stellen die ʸ˒ʸˌ-Worte, wie sie mit vergleichbaren Inhalten vor allem in Dtn 2715–26 vorliegen, Mittel dar, solche und andere Inhalte rechtlich zu sichern oder im Falle eines Verstoßes zu ahnden.“
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
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Nähe als auch der syntaktischen Ähnlichkeit in den Schriften Israels.78 Demnach wäre auf der Rezipientenebene eine Austauchbarkeit von Fluchsprüchen und Wehrufen denkbar, wovon auch neutestamentliche Schriften zeugen. 79 Wenigstens in der lk Tradition erscheint das „Wehe“ mit Fluchkonnotation: Der Kontrast zu den Makarismen (Lk 6,20–26) folgt dem Schema Fluch– Segen und entspricht damit frühjüdischen Konventionen. 80 Sollten die inhaltlichen und formalen Parallelen der Fluchworte bzw. Wehrufe in der frühjüdischen Rezeption austauschbar gewesen sein und darüber hinaus die Wehrufe eine allgemeine Fluchanalogie zu den Makarismen bilden, so wäre der Wehruf über Judas gleichermaßen mit einer Fluchdimension konnotiert.81 Durch den Wehruf Jesu wird in Mt 26,24 präludiert, dass über Judas ein Fluch verhängt ist – eine Tatsache, die in Mt 27,4 durch den Intertext Dtn 27,25 deutlich vor Augen tritt.82 Judas’ Handeln ist unter diesen Vorzeichen bis zu seinem Tod nachvollziehbar. Wie aufgezeigt, bemüht er sich den Fluch loszuwerden, was ihm
78
Für die inhaltliche Nähe vgl. in Bezug auf den Fluchdodekalog: Dtn 27,15/Hab 2,19; Dtn 27,16/Jes 45,10; Dtn 27,17/Jes 5,8; Jer 22,13; Mi 2,1f.; Hab 2,6.9; Dtn 27,19/Jes 10,1; Am 2,7; 5,7; Dtn 27,24/Nah 3,1; Hab 2,12; Zeph 3,1 (entnommen bei SCHOTTROFF, Fluchspruch, 119). Zur syntaktischen Analyse sei auf ebd., 112–120 verweisen. Auch für den vorliegenden Fall in Dtn 27,25 findet sich in Jes 5,21–23 ein Wehruf mit inhaltlicher Parallele. Während der Kontext der beiden Aussagen keinen unmittelbaren Bezug zueinander ermöglicht, so wird dennoch ersichtlich, dass das in Dtn 27,25 geschilderte Grundvergehen, die Rechtsbeugung durch Bestechung, in Jes unter das prophetisch-anklagende „Wehe“ gestellt wird. 79 Im NT sind die Wehrufe besonders im Mt (11) und im Lk (13) sowie der Apk (7) prominent. Neben diesen 31 Belegen finden sich lediglich vier weitere in Mk 13,17; 14,21; 1Kor 9,16; Jud 1,11. 80 Vgl. HAGNER, Weherufe. Diese Beiordnung findet sich häufiger in der frühjüdischen Literatur. BOVON, Lk I, 296 verweist dabei auf Tob 13,12; 2Hen 52; aber auch das verstreute Gegenüber der sieben Seligpreisungen (Apk 1,3; 14,13; 16,15; 19,9; 20,6; 22,7.14) und der sieben Wehrufe (Apk 8,13; 9,12; 11,14; 12,12; 18,10.16.19) in der Apk; vgl. auch ZAGER, Segen, 81 (2.3). Dass der mt Kreis dieses Schema dem Charakter, nicht aber der Form nach, gleichermaßen adaptiert, zeigt sich in der Gegenüberstellung im Weltgericht (Mt 25,31–45). Darüber hinaus ließe sich überlegen, ob die Makarismen (Mt 5,3–12) als Eröffnung der erste Rede Jesu als eine Art Klammer mit den Wehrufen (Mt 23,13–39) als letzte öffentliche Rede stehen (zur Differenzierung der beiden Reden Mt 23,13–24,2; 24,3– 25,46 s.u.S. 270 Anm. 33). Ähnlich WRIGHT, Volk, 493, der in den Abschlussreden des Moses im Dtn, die ebenfalls im Fluch-Segens-Schema gestaltet sind, das Vorbild sieht. 81 Auch LÜTHI, Judas, 298 (I.2) sieht das Wehe als Fluch, allerdings ohne weitere Begründung. 82 Damit wird allerdings deutlich, dass der Fluch über Judas aufgrund der Gesetzesübertretung erfolgt und dieser nicht als performativer Sprechakt von Jesus ausgesprochen wird. Folglich wird Judas nicht von Jesus verflucht, sondern die Selbstverfluchung Judas’ (durch seinen Gesetzesbruch) lediglich konstatiert.
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
allerdings aufgrund der fehlenden Bereitschaft der Hohepriester misslingt. 83 Der anschließende Wurf des Geldes in den Tempel muss nicht als emotionale Reaktion auf dieses Scheitern verstanden werden,84 sondern stellt letztlich die Konsequenz der Erstintention in Mt 27,3 dar. Mit seinem Tod vollzieht er offenbar ein Selbstgericht.85 Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Todesart einen Bruch in der Figurendarstellung bedeutet und ob der Suizid allgemein bzw. der Strick in spezifischer Hinsicht eine besondere Konnotation erzeugt. Daher erfolgt vor der Ausdeutung des Suizids des mt Judas ein längerer Diskurs zum Suizid in der Antike, um daraus etwaige Rückschlüsse über das Umweltwissen zu ziehen. Exkurs 1: Selbsttötung in der Antike 1) Hermeneutische Vorbemerkungen 1.1) Terminologie/Sinndeutung Die Betrachtung des Suizids in der Antike ist in mehrfacher Hinsicht komplex. Terminologisch ist anzumerken, dass Suizid eine Wortschöpfung des Mittelalters bzw. der Neuzeit ist und in der Antike ein abstrakter Begriff für die Selbsttötung unbekannt war.86 Stattdessen findet sich eine Vielzahl verba83
Vgl. LUCK, Mt, 297: „Judas aber ist jede Möglichkeit genommen, seine Tat rückgängig zu machen und so seinem Schicksal zu entgehen.“ 84 Vgl. HAGNER, Mt II, 812 („loathing himself“). Mit emotionaler Konnotation auch DAVIES/ALLISON, Mt III, 564; NOLLAND, Mt, 1152, die allerdings auch auf Sach 11,13 als Vorlage verweisen. Zu dieser intertextuellen Referenz s.u. III.3.3.1. 85 DAVIES/ALLISON, Mt III, 565; PAUL, Texte, 78; NOLLAND, Mt, 1153; WEAVER, Atonement, 7 ordnen diesen gesetzeskonformen Tod der Logik „Leben für Leben“ (vgl. Gen 9,6) zu, wobei sie auf unterschiedliche Referenztexte verweisen (Lev 24,17; Num 35,33; Dtn 19,11–13). NORTJE, Motive, 47f. verweist auf Dtn 19,15–21 als Vorstellungshintergrund. Judas ist demnach als Falschzeuge zu beschuldigen und gemessen am Todesurteil Jesu mit demselben Strafmaß zu bestrafen (Dtn 19,19). Allerdings enthält dieses Selbstgericht Implikationen bezüglich der Autoritäten; vgl. ebd., 48: „Because Jesus was sentenced to death as a result of Judas’s false witness, the priests should actually have put Judas to death, for such was the consequence of his admission of betrayal of an innocent man. The answer of the priests reveals their injustice, corruption and spiritual bankruptcy and their withdrawal from the presence of the Lord.“ Die Annahme, dass ein Suizid als Selbstgericht verstehbar ist, findet sich zudem in Flav.Jos.Ant. VII 229. Solcherlei Schriftbezüge sind keineswegs abwegig. Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass Judas sich zwar offenkundig für den drohenden Justizmord an Jesus verantwortlich sieht, jedoch nicht der faktische Mörder ist. Durch einen solchen rechtlichen Hintergrund kommt der Tod des Judas als schriftgemäßes Selbstgericht zugleich als Anklage gegen die Hohepriester zu stehen: ist Judas schuldig, dann auch sie. 86 Gemeinhin wird für die Wortbildung auf Contra Quatuor labyrinthos Francae 4,2 von Walter von St. Viktor verwiesen (vgl. HOFMANN, Suizid, 12 Anm. 9). Dagegen stellt Dietrich heraus, dass die Wortschöpfung in der Literatur erst im 17. Jahrhundert greifbar
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ler Umschreibungen, die entweder den Tod an sich (bspw. mors voluntaria) oder den Akt der Selbsttötung näher bestimmen (bspw. gladio transfigere).87 Dies entspricht auch dem neutestamentlichen Befund: Während Judas sich erhängt (ਕʌȖȟĮIJȠ), wird die Suizidintention des Gefängniswärters in Apg 16,27 mit (ıʌĮıȝİȞȠȢ [IJȞ] ȝȤĮȚȡĮȞ) ਵȝİȜȜİȞ ਦĮȣIJઁȞ ਕȞĮȚȡİȞ umschrieben – wenngleich das gezogene Schwert die Art und Weise des „sich selbst Tötens“ sehr deutlich impliziert. Es gilt nun zu versuchen, das Phänomen Suizid in der Antike zu greifen, ohne die christlich-tradierten oder gegenwartsgesellschaftlichen Assoziationen einzutragen. Aus den Quellen des Alten Orients bis zur Spätantike lässt sich das einheitliche Bild herausarbeiten, dass die Selbsttötung eine sinnbehaftete Handlung darstellte,88 der offenbar ein positives Wohlwollen entgegenkam.89 Zentral ist dabei die Einordnung in die Matrix von Ehre und Schande.90 Es bedarf daher zunächst einer Vergegenwärtigung der christlichen Wirkungsgeschichte, ehe das Verständnis eines sinnbehafteten Suizids nachvollziehbar wird. 1.2) Christliche Wirkungsgeschichte Die negative Sinndeutung des Judassuizids ist durch die christliche Wirkungsgeschichte belastet,91 wobei diese „christliche Brille“ vergleichsweise spät einsetzt. Zwar finden sich schon im 3. Jahrhundert einzelne grundsätzliche Ablehnungen des Judastodes in Form des Suizids, aber eine konsequente ablehnende Haltung lässt sich nicht feststellen.92 Diese vehemente Ablehnung des Suizids verbindet sich meist mit Augustin, der jedoch nur hinsichtlich
wird und der Neologismus von Walter von St. Viktor keine Rezeption erfahren hat (vgl. DIETRICH, Tod, 7f. insbesondere Anm. 54). Beide treffen jedoch das Urteil, dass der Ausdruck an homicidium angelehnt und gegen die lateinische Grammatik aus caedium und sui bzw. se caedere herausgebildet ist. Wenngleich damit vom Ursprung her keine Begriffsneutralität gegeben ist, kann im gegenwärtigen Diskurs von einer neutralen Verwendung ausgegangen werden (vgl. ebd., 8; HOFMANN, Suizid, 11). Aus diesem Grund wird auf die tendenziöse Bezeichnung „Selbstmord“ verzichtet. 87 Vgl. HOFMANN, Suizid, 12. 88 Vgl. VAN HOOFF, Autothanasia,79–82; ferner DIETRICH, Tod, 6–12; HOFMANN, Suizid, 10–13. 89 Vgl. HOFMANN, Suizid, 12f. 90 Vgl. DIETRICH, Tod, 19. 91 Exemplarisch sei auf GEIGER, Selbstmord verwiesen, der in einer eher abenteuerlichen Argumentation das Christentum zum einzigen Lebenssystem erklärt, welches die konsequente Ablehnung des Suizids hätte hervorbringen können. 92 So bereits Origenes: „[…] und er sah nicht, daß es einem Diener Gottes nicht zusteht, sich selbst aus diesem Leben hinauszutreiben, sondern auch darüber das Urteil Gottes abzuwarten“ (ORIGENES, Mt III, 313.). Ähnliches lässt sich bei Hieronymus beobachten (vgl. LUZ, Mt IV, 236).
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seiner (allgemeinen) Rezeption im Mittelalter eine Sonderrolle einnimmt.93 Seine Argumentation hingegen ist in den klassischen Diskurs der Spätantike einzuordnen, sodass er sich darin weder von christlichen noch paganen Positionen abhebt.94 Bis zur Spätantike ist der Diskurs von großer Ambivalenz geprägt: „Von einer konsequenten moralischen Ablehnung der Selbsttötung, von der die spätantike lateinische Literatur geprägt ist, kann keine Rede sein, schon gar nicht von einem generellen und allgemeinen Verbot.“95 Setzt sich also die negative Verurteilung des Suizidenten als Selbstmörder bzw. Suizid als ethisch-moralisches Vergehen erst allgemeingültig in der Augustinrezeption durch,96 so kann im literarischen Suizid des Judas keine Negativwertung a priori postuliert werden: „(d)ie Verurteilung des Judas-Suizids ist daher als Folge der augustinischen Rezeption“ zu werten, „während die Darstellung bei Matthäus der antiken Tradition folgt“.97 2) Römisches Reich Eine Annäherung kann durch die Einordnung des Phänomens in den philosophischen und rechtlichen Diskurs des römischen Reichs erfolgen. Zwei Entwicklungen scheinen dabei Trendwenden zu markieren. Zum einen die suizidale Hochphase in der späten Republik/frühen Kaiserzeit,98 zum anderen die erstmalige Berücksichtigung des Suizids im römischen Recht unter Kaiser Hadrian zu Beginn des 2. Jahrhunderts. Der hierin anklingende Mentalitätswandel erklärt sich durch den vorangehenden philosophischen Diskurs, der kurz skizziert sei. Innerhalb der Forschung werden dabei zwei diametrale Ansätze „konstruiert“: Zum einen die platonische Tradition, zum anderen die der Stoa. Für Platon wird überwiegend eine radikale Ablehnung des Suizids behauptet.99 Diese begründet sich primär durch die vertikale Aushandlung, die Suizid als 93
Vgl. HOFMANN, Suizid, 211. Vgl. HOFMANN, Suizid, 79. 95 HOFMANN, Suizid, 211. 96 Der philosophische Unterbau ist Augustin durch den Neuplatonismus vorgegeben. Mit Macrobius verschärfte sich die Ablehnung suizidaler Handlungen zum Erreichen der Vollkommenheit. Zentral ist hierbei das platonische Grundargument wider die gewaltsame Trennung von Seele und Körper (vgl. HOFMANN, Suizid, 37f.). In dieser Denktradition ist gleichermaßen auch Laktanz einzuordnen, der erstmals die neuplatonische Argumentation biblisch begründen möchte, wobei er auf das fünfte Gebot verweist (ebd., 50–52). Der Einbezug des Judasschicksals als biblische Grundlage für ein Suizidverbot findet sich bei Augustinus (Aug.civ. I,17; vgl. ebd., 54). 97 HOFMANN, Suizid, 43 Anm. 18; ferner WHELAN, Suicide, 521. 98 Vgl. die tabellarische Darstellung bei VAN HOOFF, Autothanasia, 234 (Appendix B.5). 99 WHELAN, Suicide, 514 bestimmt ferner bzw. primär die pythagoräischen und aristotelischen Schulen als Opponenten des Suizids, wenngleich dieser auch dort nicht als unehrenhaft bestimmt ist. 94
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eine Frage sieht, die coram Deo zu beantworten ist. Allerdings bricht diese Radikalität durch einzelne Ausnahmen. Gerade am Fall des Sokrates wird für Platon die Kategorie der göttlichen Erlaubnis bzw. eines göttlichen Zeichens bedeutsam.100 Einen anderen Ansatz verfolgt die Stoa, welche zudem den politischen Diskurs der Zeitenwende bestimmt. 101 Die Frage nach der Legitimität des Suizids wird liberal beantwortet, was durch die Beurteilung von Leben und Tod als Adiaphora begründet ist.102 Der Diskurs erfolgt demnach nicht coram Deo.103 Der zuvor genannte Trend der Zeit, welcher ein suizidales Zeitalter nach sich zog, wird bei Cicero und Seneca deutlich. Cicero fundiert die Entscheidung zum Suizid zwar in einer vertikalen Ausrichtung: „Die gerechte Ursache (causa iusta) wird nach Cicero […] durch jenen Gott in uns (ille in nobis deus) angezeigt, ohne dessen Befehl (iniussu) Suizid nicht erlaubt sei.“104 Allerdings sieht er zugleich in der Verantwortung der Selbsttötung coram Deo im Zusammenspiel mit berechtigten gerechten Gründen einen göttlichen Befehl, der im Falle eines Falles letztlich eine Verpflichtung zum Suizid auf das göttliche Zeichen hin verlangt.105 Eine ähnliche Sicht findet sich auch bei Seneca, der im Suizid die Erlösung aus lebensunwerten Umständen sieht.106 Als Ursache für diesen Trend wird zumeist auf den durchgängigen Einfluss der Stoa verwiesen und der damit verbundenen Annahme, dass im Untergang der glorreichen Zeit der Republik und in den Schrecken der Tyrannei im entstehenden Kaiserreich nur der Freitod als letztes Moment wahrer Freiheit bleibe.107 Den Ausgangspunkt des zeitgenössischen Kontextes, in welchem das Mt entstand, bilden folglich der Höhepunkt der positiven philosophischen Betrachtung und die weitverbreitete Umsetzung des Selbsttodes als Akt der Freiheit und der Bewahrung der Ehre, d.h. eines noble death.108 Das Ende dieser Hochphase markiert der Beginn des 2. Jahrhunderts, an dem sich die Rechtsprechung mit Suizid als Rechtsthematik auseinandersetzt, sodass „[…] für den Zeitraum bis zum 2. nachchristlichen Jahrhundert von 100
Vgl. HOFMANN, Suizid, 25; WEILER, Beurteilung, 65. Vgl. HOFMANN, Suizid, 29. 102 Vgl. HOFMANN, Suizid, 28. 103 HOFMANN, Suizid, 28f.: „Das vernunftmäßige Austreten aus dem Leben (İȜȠȖȠȢ ਥȟĮȖȦȖȒ) ist durch angemessene Gründe legitimiert. Die Stoa sage, so überliefert Diogenes Laertius, der Weise mache seinem Leben ein Ende für das Vaterland, für die Freunde, bei unerträglichen Schmerzen, Verstümmelung oder unheilbarer Krankheit.“ 104 HOFMANN, Suizid, 30. 105 Vgl. HOFMANN, Suizid, 31. 106 Vgl. HOFMANN, Suizid, 33. 107 Vgl. WEILER, Beurteilung, 70. 108 Als „Paradesuizide“ in der antiken Welt galten der des Cato sowie der der Lucretia. Hinsichtlich der christlichen Rezeption ist jedoch erwähnenswert, dass der Suizid Lucretias als Reinigungsmoment positiv rezipiert werden konnte, wohingegen an Cato die Verwerflichkeit einer Selbsttötung betont wird (vgl. HOFMANN, Suizid, 118.). 101
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einem ‚rechtlichen Desinteresse‘ gesprochen werden (kann).“109 Dieser Wandel erfolgt unter Kaiser Hadrian, der u.a. den Suizid während eines laufenden Prozesses als Schuldeingeständnis werten lässt110 sowie die Trauer um „Erhängte oder andere, die Hand an sich gelegt haben […] und deren Motivation nicht Lebensmüdigkeit (taedium vitae), sondern ein schlechtes Gewissen (mala conscientia) gewesen sei“,111 verbietet. Eine fundamentale Änderung ist allerdings nicht gegeben, insofern die Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen Gründen des philosophischen Diskurses in die Rechtsprechung überführt wird.112 Im Fokus scheint primär die Finanzpolitik des Reiches zu stehen. Durch die Wertung eines Suizids während eines laufenden Verfahrens als Schuldeingeständnisses konnte das Vermögen dem Fiskus zugeführt werden. Ein Akt, dem man vor dieser Rechtssetzung entging, indem man sich vor dem Schuldspruch tötete und so das Erbe schützte.113 Insgesamt lässt sich an den Neuerungen im römischen Recht ablesen, dass der Übergang vom ersten zum zweiten nachchristlichen Jahrhundert eine Phase mit rudimentären Ansätzen einer Problematisierung des Suizids und seiner liberalen Handhabung markiert. Dieser Umbruch, der dem Wandel in der Rechtsprechung vorausging, lässt sich in die flavische Dynastie einordnen, wobei Josephus als Zeuge der ambivalenten Deutung des Suizids dient.114 3) Josephus Josephus bietet neben einer umfangreichen Begründung gegen den Suizid zugleich die meisten Suizidenten des ersten vor- und nachchristlichen Jahrhunderts auf.115 Der statistischen Erhebung zum Suizid in der Antike folgend gehen auf Josephus 17 Schilderungen von insgesamt 960 Suizid-Fällen zurück, wobei diese zugleich 5974 aller 9639 Suizidtoten der Epoche umfassen, was 109
WEILER, Beurteilung, 83. Vgl. WEILER, Beurteilung, 76. 111 WEILER, Beurteilung, 77. 112 Vgl. WEILER, Beurteilung, 83. 113 Vgl. HOFMANN, Suizid, 67f. 114 Vgl. WEITZMAN, Josephus. 115 Im Einzelnen sind dies 5000 in Gamla (Flav.Jos.Bell. IV 79f.), 960 in Masada (Flav.Jos.Bell. VII 400); ein unbezifferter Kollektivsuizid in Jotapata (Flav.Jos.Bell. III 391) sowie weitere einzelne Suizidenten. In seiner Statistik berücksichtigt van Hooff ferner Cornelius Longus (Flav.Jos.Bell. VI 188); Decius Mundus (Flav.Jos.Ant. XVIII 69); Eleazar Auran (Flav.Jos.Ant. XII 374); Gadareni (Flav.Jos.Ant. XV 358); Herodes (Flav.Jos.Bell. I 662; Flav.Jos.Ant. XIV 356); Jerusalemer (Flav.Jos.Bell. I 150 – bei Hooff unbeziffert); Hyrkan (Flav.Jos.Ant. XII 236); Räuber (Flav.Jos.Bell. I 313); Meiros/Joseph (Flav.Jos.Bell. VI 280); Seeleute (Flav.Jos.Bell. III 425); Phasael (Flav.Jos.Bell. I 271); Phaeorae uxor (Flav.Jos.Bell. I 594); Simon (Flav.Jos.Bell. II 476). Somit beziffert er 14 weitere Suizidenten, zum Teil aufgrund der unklaren Anzahl mit 1 gewertet. Darüber hinaus finden sich bei Josephus weitere Fälle, die bei van Hooff nicht aufgeführt sind (Flav.Jos.Bell. III 331; IV 312; VI 430). 110
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knapp 62% entspricht.116 Die hohe Suizidalität in Josephus’ Werk lässt sich durch die Charakterisierung des judäischen Volkes durch eine besonders ausgeprägte Todesbereitschaft begründen.117 Dieser Grundintention steht die Vita des Autors spannungsreich entgegen. Josephus entzieht sich in Jotapata dem Kollektivsuizid seiner Kameraden. Damit bricht er sowohl auf narrativer als auch auf historischer Ebene mit der zeitgenössischen Erwartungshaltung (Flav.Jos.Bell. III 400).118 Folglich ist eine apologetische Erklärung seines Handelns in die Erzählung eingebettet. Seine umfangreiche und detaillierte, letztlich erfolglose, Rede gegen den Suizid umfasst im Wesentlichen zwei Hauptgedanken: 1. […] Töricht und ebenso feige sei, sich anzutun, was man während des Kampfes zu vermeiden suche (363–365.380). 2. Suizid sei widernatürlich, von den weisesten Gesetzgebern geahndet, ein Frevel gegen Gott und ziehe postmortale Strafen nach sich, während ewiger Ruhm denen beschieden ist, die natürlich aus dem Leben scheiden (v.a. 369–379). […]119
Zum einen widerspricht Josephus damit der antiken Tendenz des noble death im Kriegsfall, zum anderen spielt er damit eine vertikale Begründungsfigur ein.120 Hintergründig schimmert der philosophische Diskurs durch: Die Erwartungshaltung seiner Kameraden, die auch in den Reden Eliezars in Masada zum Ausdruck kommt, entspricht der stoischen Grundidee zum Suizid. Durch Erzählkommentare wird deutlich, dass Josephus hingegen mit dem platonischen Argument der ਕȞȖțȘ operiert. Von Gott müsse eine Notwendigkeit angezeigt sein, um einen Suizid zu legitimieren.121 Da dies ausblieb, sei Josephus’ Suizid nicht angebracht.122 Dies ermöglicht ihm auch eine situativ 116
Vgl. VAN HOOFF, Autothanasia, 14f.233. Der historische Wert dieser Zahlen ist umstritten ist, allerdings bleibt Josephus seinen Zahlenangaben in seinen Werken treu und weiß die hohen Gesamtopferzahlen zu begründen (vgl. SWOBODA, Tod, 75–77). 117 Neben den Suiziden finden sich eine Vielzahl provokativer Handlungen, in denen die Bereitschaft zu sterben deutlich hervortritt (vgl. Flav.Jos.Bell. I 57–60.498.650–653; II 48f.143.151–153.174.195–198; III 204–206.331f.; IV 163.312.364.430; V 515.517.530f.; VI 181.201–212.430). Nach SWOBODA, Tod, 304f. trägt Josephus dadurch in seinem Werk den durchgehenden Gegensatz zwischen jüdischer Tapferkeit und der römischen militärischen Überlegenheit als jeweilige zentrale (Kriegs-)Eigenschaften ein. 118 Vgl. WEIെ, Grenzgänger, 11. 119 SWOBODA, Tod, 330. 120 Die Legitimität dieses Arguments wiederholt sich zudem im Erzählerkommentar mehrfach (Flav.Jos.Bell. III 351–354.361.391.400.404). 121 Vgl. HOFMANN, Suizid, 25. Neben dem Argument der ਕȞȖțȘ weisen zudem der Verweis auf das Tierreich und die illegitime Trennung von Körper und Seele deutliche Anleihen der platonischen Argumentation auf. Man könnte zugespitzt formulieren, dass Josephus hier mit der Adaption platonischer Argumente dem stoischen Konsens bzw. dessen Erwartungshaltung entgegentritt. Damit ist er Teil des zeitgenössischen Diskurses. 122 Wohlgemerkt ist damit lediglich der Nicht-Suizid des Josephus begründet. Ob damit, trotz der weitreichenden Argumentation des Josephus, der Suizid seiner Kameraden illegitim sei, bleibt fraglich.
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differenzierte Sicht auf die Selbsttötung. Da die (göttliche) Legitimation allerdings nur bei Josephus erfolgt, sonst aber die Suizide eher auf menschlicher Ebene Anerkennung finden, wobei sich der Autor mitunter durch das narrative Setting zu distanzieren scheint, bleibt eine Spannung bezüglich einer allgemeinen Suizid-Wertung bestehen. Die Indifferenz und Ambiguität der Aussagen von Josephus zum Suizid erklären sich aus dem Trend der Zeit.123 Man kann Josephus in einer Linie mit den Literaten der Flavian Epic sehen, im Sinne einer „cultivated ambivalence that conveyed the heroism of suicide while blunting its subversive potential at the same time“.124 So sei in der Heroisierung des Suizids eine antiimperialistische Spitze gesehen worden, die der Konsolidierung des Kaiserreiches unter den Flaviern zuwiderliefe.125 Josephus nutzt demnach bewundernde Äußerung bei gleichzeitiger Hinterfragung der Notwendigkeit des Suizids, um die Ambivalenz zwischen Ablehnung und Akzeptanz auszudrücken. Dabei generiert er in seinem Geschichtswerk einen neuen Typus: den virtual martyr bzw. almost-suicide. Die Juden zeichnet er so als willig zum Tod für das Gesetz (und adaptiert damit die heroische Vorstellung des römischen noble death).126 Zugleich erfordert diese Standhaftigkeit bzw. Bereitwilligkeit zum Tode nicht zwangsläufig die Selbsttötung, wie die Geschichte zeigt. Josephus legitimiert seine eigene Biographie, wonach er als Feldheer das Schicksal seiner Kameraden in Jotapata hätte teilen müssen und dazu bereit war, von Gott allerdings einen höherwertigen Auftrag erteilt bekommen habe.127 4) Todesarten unter besonderer Berücksichtigung des Strangs In der Statistik ist Waffengebrauch die überwiegende Todesart (40%). Eine hohe Anwendung finden auch Erhängen (18%), Springen (16%) und Gift (10%).128 Die Differenzierung von Mann und Frau verdeutlicht, dass – in der Tendenz – der Griff zu einer Waffe stärker männlich konnotiert ist (Waffengebrauch: 46% zu Erhängen: 13%), Erhängen hingegen bei Frauen den Vorzug findet (Erhängen: 34% zu Waffengebrauch: 25%).129 Die geschlechtliche Unterscheidung erklärt sich allerdings auch aus der Tendenz, dass die 123
Vgl. WEITZMAN, Josephus. WEITZMAN, Josephus, 238 125 Vgl. WEITZMAN, Josephus, 235. 126 Vgl. WEITZMAN, Josephus, 243. 127 Vgl. WEITZMAN, Josephus, 238. Deutlich ist hier eine adaptierte Aufnahme des platonischen Arguments, wonach Suizid zwar grundlegend abgelehnt, aber durch ein göttliches Zeichen legitimierbar sei. Josephus kehrt dieses Argument um und rechtfertigt den nichterfolgten Suizid durch den göttlichen Auftrag. 128 Vgl. VAN HOOFF, Autothanasia, 42, Figure 2.1. In einem späteren Aufsatz (DERS., Suizid, 25) sind die Prozentsatzzahlen leicht modifiziert, in ihrer Relation jedoch unverändert: Waffe (ca. 36%); Erhängen (ca. 17%); Sturz (ca. 15%); Gift (ca. 9%). 129 Vgl. VAN HOOFF, Autothanasia, 44, Figure 2.2. 124
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Suizide von Männern zumeist in einem militärischen Setting erfolgen. 130 Die Engführung auf die Erhängung als die Methode der Frauen ist allerdings gleichermaßen zu relativieren. Während Erhängen in der griechischen Mythologie als klassische Suizidmethode für Frauen genannt wurde, wandelt sich dies in der römischen Rezeption.131 Allgemein lässt sich für die römische Gesellschaft festhalten: „Nevertheless, in real life hanging was counted as vulgar, in the double sense of the word.“132 Dieses Verschweigen und die Scheu vor dem Tod am Strang ist auch in der Spätantike deutlich zu greifen: Das Erhängen findet sich stets in der Assoziation mit Reue und Sühne für schuldiges Vergehen. Dabei ist es unerheblich, ob die Verbindung des Motivs Schuldbewußtsein und/ oder Reue mit der Todesart Erhängen lediglich ein Klischee in der literarischen Darstellung wiedergibt oder die Häufung dieser Verbindung in der Literatur auf eine historische Realität hinweist: Die Assoziation des Erhängens mit Schuld und Reue ist offenbar im antiken Denken fest verankert.133
Die Hervorhebung von Schuld und Strang findet sich auch in der Gesetzgebung bei Hadrian, in welcher der Gehängte gesondert benannt und vorangestellt ist.134 In späteren Rechtsordnungen bricht dies allerdings wieder ab. Da es sich beim Tod am Strang um ein literarisch gefestigtes Motiv zu handeln scheint, stellt sich die Frage, inwieweit eine Ursachenforschung anhand dieser Methode zielführend ist. Auch mit Blick auf die Motivation zeigt sich, dass Scham (pudor),135 Verzweiflung (desperata salus)136 und Schmerz (dolor) bei 130
Vgl. VAN HOOFF, Autothanasia, 50f. Vgl. VAN HOOFF, Autothanasia, 65f. 132 VAN HOOFF, Autothanasia 65f. In dieser Zuspitzung unterscheidet sich die römische Kultur offenbar von der griechischen: „The Greek world does not maintain a discreet silence as Roman civilization does: there are 81 Greek cases against only 27 Roman ones. This discrepancy means that in Rome hanging was ‚not done‘, but nevertheless many practised it“ (ebd., 66f.). 133 HOFMANN, Suizid, 189f. 134 S.o. bei Anm. 111. 135 Der Suizid des Judas wird bei Whelan (WHELAN, Suicide, 521) und Dietrich (DIETRICH, Tod, 153f.) in das Schema von Ehre–Scham eingeordnet wird. Hierfür wird die intertextuelle Referenz zu 2Sam 17,23 gebraucht, worauf im Folgenden eingegangen wird (s.u.S. 145–148). Die statistische Analyse hingegen weist Scham als Suizidgrund bei Männern als unübliche Motivation aus, sodass auch hier eine Einzelfallbetrachtung bedeutsam wird: „In general, hanging is not a fitting means for men in the case of pudor. Although there are 3 times as many male cases of pudor-suicide (212 against 79) women surpass men with regard to hanging as the method connected with this motivation, 18:14“ (VAN HOOFF, Autothanasia, 110). 136 Van Hooff ordnet den Fall des Judas ohne nähere Begründung als desparata salus ein (VAN HOOFF, Autothanasia, 93.197.214; DERS., Suizid, 28). Problematisch ist dabei, dass diese Ausdeutung des Judastodes in den Kontext der christlichen Lehre gestellt und mit Augustin verknüpft wird. Demnach wird die Suizidwertung des 5. Jahrhunderts zum hermeneutischen Schlüssel für das Verständnis der Selbsttötung Judas. Andererseits 131
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jeglicher Suizidmethode genannt werden können. 137 Bietet demnach auch die Motivation nur eine begrenzte Annährung, so scheint zumindest in sozialgeschichtlicher Hinsicht das Erhängen mit gesellschaftlich niederen Klassen verbunden zu ein.138 In spätantiken Darstellungen handelt es sich hierbei bereits um ein literarisches Klischee, aber schon früher scheint das ironische Spiel mit dem Erhängungsmotiv ein Indiz für den abwertenden Humor der high society gegenüber der lower class gewesen zu sein.139 Aus diesem Umstand lässt sich das Postulat ableiten: „The most popular method among the lower classes was hanging, likely because it was both cheap and relatively easy.“140 Demzufolge bleibt auch das Ergebnis für Judas ambivalent: Mit dem Suizid am Strang kann sowohl die naheliegende, weil verbreitete Form einer Selbsttötung gewählt worden sein, es wäre aber auch eine bewusste Disqualifikation in Abwehr eines Verständnisses von noble death möglich. 141 Insgesamt lässt sich aus dem bisherigen Datenmaterial erheben, dass die Bewertung des Suizids im 1. Jahrhundert n.Chr. uneindeutig ist. Zwar findet sich keine unmittelbar negative Konnotation, allerdings kann auch die vorbehaltlose positive Wertung des Suizids im Sinne eines noble death kaum als Deutungsmuster herangezogen werden. Da eine historische Kontextualisierung zu keinem befriedigenden Ergebnis führt, sollen nun mögliche literarische Vorbilder aus den Schriften Israels herangezogen werden.
scheint Verzweiflung angesichts der Figurenanalyse keine abwegige Einordnung darzustellen, insofern Judas die Handlungsmöglichkeiten nach der Rückweisung durch die etablierten Autoritäten ausgegangen sind (s.o. III.2.4.). 137 Vgl. VAN HOOFF, Autothanasia, 238 (Appendix B.8.b). In absoluten Zahlen fällt auf, dass Schmerz überproportional mit Erhängen verbunden ist (ebd., 71; ferner die Statistik 237f.). Dies erklärt sich aber auch aus der oben genannten Beobachtung, dass Erhängen zuvorderst ein literarisches Motiv für Frauen innerhalb der Mythologie darstellt und dementsprechend auch das literarische Setting von Liebeskummer naheliegt (ebd., 100). Für Mt 27,3–5 dürfte dies keine sinnvolle Deutungsperspektive darstellen. Der Schmerz müsste aus dem bevorstehenden Tode Jesu heraus erklärt werden. Allerdings dürfte durch den vollzogenen Bruch kaum eine emotionale Komponente relevant sein. Dies lässt sich auch in Abgrenzung zum emotionalen Ausbruchs Petri unterstreichen (Mt 26,75), wohingegen Judas recht emotionslos zu agieren scheint. 138 Vgl. HOFMANN, Suizid, 207. 139 Vgl. VAN HOOFF, Autothanasia, 71: „In these jokes hanging merely underlines the miserable character of the ridiculous protagonists; in ancient society humour nearly always means the elite laughing at the expense of ordinary people.“ 140 WHELAN, Suicide, 517. 141 Dagegen führt REED, Judas, 52f. die Ausführungen von Seneca, De Ira III [15] an, wo auch dem Tod am Strang eine positiv besetzte Wertung als Weg zur eigenen Freiheit zukommt (vgl. SENECA, De ira, 211).
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5) Suizid in der Bibel 5.1) Ein Überblick Suizide stellen in der biblischen Welt ein untergeordnetes Thema dar.142 Es finden sich nur wenige Berichte. In einen Zusammenhang können die Suizide von Abimelech (Ri 9); Simson (Ri 16); Saul (1Sam 31; 2Sam 1) und Simri (1Kön 15) gebracht werden, denen das militärische Setting der Suizide gemeinsam ist.143 Neben der direkten feindlichen Gegnerschaft verbindet diese Suizide die Tatsache, dass sie „vor aller Augen“ geschehen. Diese beiden Kontexte sprechen dafür, die Suizide in die Kategorie von Ehre und Schande einzuordnen. Es handelt sich durchweg um den Versuch, die eigene Ehre im Tod zu bewahren und der Schmach durch feindliche Misshandlung zu entgehen.144 Aus dieser Einheitlichkeit sticht der Suizid des Ahitofel in 2Sam 17,23 heraus, der auch sprachlich durch ਕʌȐȖȤȠȝĮȚ Mt 27,5 am nächsten kommt.145 Als Berater ist er an der vorläufigen Machtübernahme Absaloms beteiligt und der wichtigste Stratege der Rebellion. Sein Wort ist mit dem Wort Gottes gleichzusetzen (2Sam 16,23). Dem Höhepunkt seiner Ratgebertätigkeit in 2Sam 16 folgt der rapide Fall, der sich konsequent durch 2Sam 17 zieht. Im direkten Beraterstreit wird seinem Rat nicht weiter gefolgt und stattdessen Huschais Empfehlungen der Vorzug gegeben. Daraufhin – und nach dem Scheitern der Militäroperation – erhängt sich Ahitofel. Hierfür sucht er den Weg in das Private, entzieht sich somit der Öffentlichkeit und entfernt sich
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Eine umfangreiche Aufarbeitung wurde kürzlich bei DIETRICH, Tod vorgenommen. Zwar ordnet DIETRICH, Tod, 222–231 Simson nicht in die Kategorie der eskapistischen Selbsttötung in militärisch aussichtsloser Lage ein, sondern deutet diesen als aggressive Selbsttötung mit Rachemotivik. Allerdings lässt sich im Gesamtnarrativ der Simsonlegende ein militärischer Kontext nicht leugnen. Letztlich findet der Suizid des Simson seine Sinndeutung darin, die unmögliche Flucht aus der Gefangenschaft in der Gefangenschaft zu erreichen. 144 Hier liegt die Differenz der anderen Suizide zu dem des Simson am deutlichsten vor, welcher die Schande in der feindlichen Misshandlung überwinden muss. 145 In Tob 3,10 wird mit dem Verb zudem die Selbsttötungsabsicht von Sara beschrieben, die aufgrund von sieben gescheiterten Heiratsversuchen (ihre Verlobten wurden der Reihe nach von einem Dämon getötet) dem Spott ihrer Magd ausgesetzt ist. Sie verwirft die Suizidgedanken, da sie ihren Vater gleichermaßen dem Spott aussetzen würde. Der Beleg ist folglich in die Matrix von Ehre und Schande eingeordnet (vgl. SCHÜNGELSTRAUMANN, Tob, 86). Die Schande scheint aber weniger am Suizid oder an der Todesart zu haften, sondern an der aktiven Unterbindung von Nachkommenschaft hinsichtlich ihres Vaters (ebd., 86). Stattdessen erhofft Sara, dass JHWH sie sterben lassen möge, um aus ihrer Situation zu entkommen (Tob 3,10). Dieser Wunsch eines „passiven“ Todes wird jedoch nicht problematisiert. 143
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
aus aller Augen.146 Es zeigen sich bemerkenswerte Parallelen zwischen Judas und Ahitofel: Wie in 2Sam 17 bilden im Mt die eigentlichen Verbündeten das Gegenüber zum Suizidenten.147 Auch Judas sucht den Weg aus der Öffentlichkeit heraus,148 wie das Verb ਕȞĮȤȦȡȦ anzeigt.149 Darin ist eine Abkehr aus dem öffentlichen Zugriff konnotiert, was zugleich Einsamkeit intendiert.150 Hinzu treten, wie bereits genannt, dieselbe und gleichlautend formulierte Todesart (ਕʌȖȟĮIJȠ) sowie das offenkundig fehlende militärische Setting. Ein solcher Suizid jenseits der Öffentlichkeit lässt, wie auch die spätere Konnotation des Strangs, auf Scham als Motivation für die Selbsttötung schließen. Kann der Suizid des Judas also aus der Motivation des Ahitofels heraus verstanden werden?
146 In dieser Raumdimension wird die Selbsttötung als Folge der öffentlichen Demütigung unterstrichen, da seine Disqualifikation als Berater in Gänze erfolgte (vgl. DIETRICH, Tod, 152). 147 Zwar könnte für 2Sam 17 eine Konkurrenz zwischen Ahitofel und Huschai behauptet werden, die an die feindliche Frontstellung der übrigen biblischen Suizide erinnern mag. Die Initialzündung des Suizids scheint allerdings in der Abweisung seines Rates durch Absalom und die Männer Israels begründet zu sein (2Sam 17,14). 148 Vgl. DIETRICH, Tod, 153. Gegen eine Parallelität dieser Bewegungsrichtung spricht sich VAN UNNIK, Death, 9 Anm. 21 aus, der einen Zusammenhang zwischen den beiden Erzählungen gänzlich zurückweist. 149 Das Verb liegt in Mt 27,5 jedoch quer, da es in der mt Christologie eine bedeutsame Funktion einnimmt, insofern es den Rückzug Jesu vor seinen Gegner (passiv und aktiv) als auch von den Massen umschreibt. Mit zehn Nennungen wird ਕȞĮȤȦȡȦ im Mt überproportional verwendet (14x AT; 1x Mk; 1x Joh; 2x Apg); Flucht nach Ägypten/vor Autoritäten: Mt 2,12.13.14.22; 4,12; 12,15; 14,13; 15,21; ohne Relevanz: Mt 9,24. Nach KONRADT, Israel, 123 wird durch das Verb in Mt 12,15 eine Verbindung zwischen den Pharisäern und Herodes gezogen, insofern damit die Feindschaft gegenüber dem Gottessohn ausgedrückt ist. Zugleich sei durch das anschließende Reflexionszitat (Mt 12,18–21) die „Gottferne“ der Pharisäer unterstrichen. Wäre es vorstellbar, dass dieser Akzent nun auch bei Judas relevant wird? Sicherlich ist es kaum denkbar, dass Judas mit dem Wohlgefallen Gottes zu rechnen hat, aber die Zeichenfunktion gegenüber den Hohepriestern, die im Rückzug zum Ausdruck kommt, wäre als ironisches Spiel durchaus möglich. 150 Vgl. SENIOR, Fate, 384, wobei er behauptet, dass ਕʌİȜșઆȞ „[…] contributes to the sense of lonely despair that drives Judas to his fate.“ Ob Einsamkeit die Motivation zum Suizid darstellt, lässt sich kaum aus dem Text erheben. Allerdings wird im Mt dadurch unterstrichen, dass Judas aus seinem sozialen Umfeld hinausgefallen ist; zum einen durch den Bruch mit der Jesusbewegung resp. der ecclesia, zum anderen durch die Abweisung durch die Hohepriester, wobei zu überlegen wäre, ob die die ausbleibende Sühne zugleich Trennung von der Gesellschaft impliziert. Bisweilen wurde dieser Umstand mit dem „Durkheim Principle“ verbunden, welches besagt, dass Menschen mit geringer sozialer Integration eine höhere Suizidrate haben (vgl. REED, Judas, 55f.). Bei Ahitofel ist indes die Verortung in einem sozialen Gefüge angedeutet, insofern er sein Haus bestellt und ihm ein würdevolles Begräbnis (ʥʩʡʠʸʡʷʡʸʡʷʩʥ) und damit implizit ein rechtmäßiger Eingang in die Totenwelt zukommt (vgl. LAUER, Suizid, 3.1.4).
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
147
5.2) Suizid und „Verrat“ Die Deutung des Judassuizids im Lichte der Geschichte von 2Sam 17 wird oft durch eine Zuordnung der beiden unter dem Stichwort des Verrats vorgenommen;151 hier der abtrünnige Gefolgsmann Davids, dort der Verräter des messianischen Davidsohnes.152 Ein solches Zusammenlesen ist jedoch mit Schwierigkeiten behaftet. Der Suizid des Ahitofels ist in eine Bewegung seines persönlichen Niedergangs eingezeichnet: Indem die Geschichte Ahitofels als eine Geschichte des stetigen Rollen- und Statusverlustes erzählt wird (V. 1ĺ4ĺ7ĺ14ĺ23), wird seine Selbsttötung als konsequentes Ende seines Scheiterns angesichts eingetretener öffentlicher Erniedrigung und somit angesichts seines ‚sozialen Todes‘ verständlich.153
Der hintergründige Garant einer erfolgreichen Revolte wird als Berater diskreditiert, woraufhin er seine Konsequenzen zieht und der stete Machtverlust vom „Wort Gottes“ (2Sam 16,23) zum „mundtoten Berater“ (2Sam 17,14) in einem „Bilanzsuizid“ mündet.154 Damit erklärt sich der Suizid durch die öffentliche Erniedrigung, die allerdings nicht mit dem vorangegangenen Seitenwechsel von David zu Absalom verbunden scheint. Ein solcher Bilanzsuizid stellt in der Umwelt des Alten Orients keinen ungewöhnlichen Vorgang dar.155 Fraglich ist zudem, ob das Verhältnis zwischen David und Ahitofel in der Kategorie des Verrates zu verstehen ist. Er tritt erstmals im Rahmen der Rebellion Absaloms auf (2Sam 15,12). Davids Reaktion lässt allerdings nicht auf einen empfundenen Verrat schließen, vielmehr erkennt er die Bedrohung, die von Ahitofel ausgeht (2Sam 15,31–34). Wenigstens hinsichtlich der potenziellen Rezeption gilt zu berücksichtigen, dass Ahitofels Konkurrent Huschai in 2Chr 27,33 als Freund des Königs eingeführt wird, während jener lediglich als Ratgeber bezeichnet wird. Neben dieser Dimension ist für die Erzählung gleichermaßen entscheidend, dass im Suizid Ahitofels der Sieg Davids über die Verschwörung Absaloms bereits angezeigt ist. 156 Die göttliche Legitimation des Herrschaftsanspruchs Davids steht im Hintergrund der 151 Vgl. KLAUCK, Jünger, 96; LUZ, Mt IV, 238 mit Verweis auf 11QT [64],7–13 (s.u. Anm. 187). Darüber hinaus scheint Luz die negative Charakterisierung Ahitofels in mSan 10,2 für die Charakterisierung desselben als „exemplarische[n] Verräter“ heranzuziehen. 152 Vgl. KONRADT, Mt, 429. Als äußerst umfangreich werden die intertextuellen Bezüge zwischen der mt Passionsgeschichte und 2Sam 15–17 bei BROWN, Death I, 643 dargestellt. 153 DIETRICH, Tod, 152. 154 Vgl. DIETRICH, Tod, 148f., der treffend Ahitofel dem Bilanzsuizid zuordnet, welcher mit der öffentlichen Dimension der Abrogation seines (gottgleichen) Rates korrespondiert. Die Ironie der Geschichte besteht zudem darin, dass der Rat des Ahitofel im Fortgang der Geschichte als der bessere und erfolgversprechendere gekennzeichnet ist (2Sam 17,14). 155 Vgl. DIETRICH, Tod, 147–168. 156 Vgl. DIETRICH, Tod, 154.
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
Erzählung um Ahitofel. Vordergründig ist der Suizid damit eine Folge der Schmach, als Berater kein Gehör mehr zu finden; hintergründig aber gleichermaßen eine Notwendigkeit, das Mastermind hinter Absalom zugunsten von Davids Erfolg verschwinden zu lassen. Dementsprechend lässt sich Ahitofel in diesem Setting kaum als Verräter charakterisieren.157 Diese Interpretation ergibt sich erst, wenn die Geschichte von Ahitofel im Licht von Mt 27,5 gedeutet wird.158 Auch in der Darstellung von Josephus kann nicht von einer Charakterisierung Ahitofels als Verräter gesprochen werden.159 Zwar verweist Ahitofel in der Begründung des Suizids seiner Familie gegenüber auch auf die drohende Strafe durch David, der Schwerpunkt liegt allerdings auch in den Antiquitates auf dem erlittenen Ehrverlust und der Ehrwahrung.160 Der Judassuizid erweist sich damit in einzelnen Punkten vom Suizid des Ahitofels beeinflusst, es lassen sich aber kaum überzeugende Argumente finden, dass er sich analog zu 2Sam 17 erklären ließe. 6) Fazit Dem Überblick zum Suizid in der Antike ist demnach zu entnehmen, dass Selbsttötung für die (literarische) Antike keine unübliche Todesart ist. Darüber hinaus lässt sich festhalten, dass sich die zeitgenössischen Betrachtungen – kontextabhängig – zum Suizid eher wohlwollend verhalten haben, wobei das Mt in einer Zeit entstanden sein dürfte, indem die breite Akzeptanz am Schwinden war. Aufgrund der Todesart und dem äußeren Setting kann ein Verständnis des Judassuizids als noble death nicht plausibilisiert werden.161 Andererseits lässt sich aus den Quellen, die zudem die Oberschicht repräsentieren und nur bedingt die Mehrheitsgesellschaft abbilden, nur in der Tendenz und primär im römischen Kontext eine negative Konnotation des Todes am 157
Vgl. KLASSEN, Judas, 170; WHELAN, Suicide, 506f. Vgl. LENZEN, Selbsttötung, 85. 159 Vgl. Flav.Jos.Ant. VII 228. Der einzige Anhaltspunkt für eine Deutung des Ahitofel als „Freund“ Davids findet sich in bSan 106b mit Bezug auf Ps 41,10 (vgl. STRACK/ BILLERBECK, Bill. II, 558f.). Daraus, dass sich dasselbe Psalmzitat auch in Joh 13,18 findet und zudem sprachliche Nähe zu Mk 14,20 aufweist, wurde bisweilen geschlossen, dass Judas über den Psalm bereits früh mit Ahitofel als Feind/Verräter Davids identifiziert wurde und sich dadurch auch der Suizid erklären ließe (vgl. WREDE, Judas, 138f.142). Dabei handelt es sich jedoch um eine unzulässige Eintragung rabbinischer Texte in die neutestamentlichen Schriften. Die Streichung dieser Psalmenanspielung in Mt 26,21 verdankt sich ohnehin sprachlicher Glättung und ist kaum aussagekräftig (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 461; KONRADT, Mt, 404). 160 Vgl. VAN UNNIK, Death, 9, der zudem auf die stoische Prägung der Argumentation verweist. Zwar fehlt bei Josephus die Formel der ehrenvollen Bestattung („sich zu seinen Vätern legen“), aber es findet sich auch bei ihm weder eine positive noch negative Wertung dieser Selbsttötung (vgl. BEGG, FJTC 4, 268 Anm. 865). 161 Gegen WHELAN, Suicide, 522. 158
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
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Strang festhalten. Inwieweit diese Diskurse im mt Umfeld bekannt waren, lässt sich nur schwer erheben.162 Sowohl in literarischer als auch in potenziell historischer Hinsicht scheint daher die Wahl des Strangs im Falle eines Suizids konform mit der Figur des Judas zu sein.163 Wenig zielführend erscheint eine Untersuchung zur „Motivation“ zum Suizid. Solche „psychologisierende“ Deutungen rekonstruieren einen historischen Judas, die wohl mehr über den Standpunkt des Exegeten als über den mt Judas aussagen. Fraglich ist zuletzt auch die potenzielle Einordnung in den philosophischen Diskurs: Es ist sicherlich vorstellbar, dass der Suizid in stoisch-platonischer Mischung als notwendig zu denken sei. Judas hätte demnach die Abweisung der Hohepriester und den Gesetzesverstoß an sich als „göttlichen Wink“ verstanden, das Gericht an sich selbst zu vollziehen. 164 Während das Selbstgericht sicherlich eine korrekte Ausdeutung darstellt, kann die Intention nur vermutet werden. Eine erschreckende Gesetzestreue scheint jedoch plausibel zu sein. Wollte man den Judassuizid in die antike Welt einzeichnen, so offenbart sich der Jünger am ehesten als Mitglied der Unterschicht, welches in einem nichtmilitärischen Setting und aus Sündenbewusstsein heraus das naheliegendste Mittel zur Selbsttötung wählte. Die Todesstrafe wird als adäquate Konsequenz des Gesetzesverstoßes verstanden. Im Folgenden sollen nun andere literarische Gründe jenseits der Suizidthematik ausgeführt werden, weshalb ein hängender Tod für Judas passend erscheint. 2.6. (Er-)Hängen als Intertext Die uneindeutige Untersuchung zum Suizidmotiv führt zur Fluchthematik zurück. Das individuelle Schicksal eines Verfluchten wird in den potenziellen Bezugsschriften selten ausgeführt.165 In den biblischen Erzählungen kommt
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In THEIെEN, Schatten, 35f. wird das Wissen um diesen Diskurs für die jüdische Oberschicht imaginiert. Dies ist zumindest mit Blick auf das Werk des Josephus nicht unplausibel. 163 Der Suizid mit Strick zeige demnach lediglich den Status von Judas als einfachem Mann an (vgl. KLASSEN, Judas, 170). Dies lässt sich durch mögliche Suizidalternativen unterstreichen: Waffengebrauch setzt ein militärisches Setting voraus, das nur schwer in den mt Kontext passt. Gift könnte einerseits den Suizid des Sokrates assoziieren lassen und hätte andererseits kein Äquivalent in den Schriften Israels. Auch hier würden sich mit der Todesart mehr Fragen als Antworten ergeben. Denkbar wäre m.E. einzig der Sturz/freie Fall. Diesem stünde aber provokant Mt 4,6–8 gegenüber, wodurch der Tod „satanisches“ Kolorit annähme – eine Charakterisierung auf die das Mt, im Gegensatz zu Lk 22,3 und Joh 13,27, offenbar (bewusst?) verzichtet. 164 Vgl. PAUL, Texte, 78. 165 Die Konsequenzen eines Fluches scheinen eher im Zusammenspiel von abstrakter Verfluchung und deren Konkretisierung zu erfolgen. So stellt Josua in Jos 6,26 den Wiederaufbau von Jericho unter einen Fluch. Dieser tritt allerdings erst unter dem israeli-
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
es bisweilen gar zum Gegenteil: Exemplarisch sei dabei auf die Episode um Kain verwiesen, in welcher auf Verfluchung Bewahrung folgt und die unmittelbare Todesfolge aufgehoben wird (Gen 4,11–16; anders Jub 4,31).166 Ein konstitutiver Zusammenhang zwischen Tod und Fluch, wenngleich personellabstrakt, findet sich hingegen in Dtn 21,22f.: Und wenn jemand ein todeswürdiges Verbrechen begeht und er getötet wird und du ihn an einen Pfahl (ʵʲ/ȟȜȠȞ) hängst, darf sein Leichnam nicht über Nacht am Pfahl hängen bleiben, sondern du musst ihn noch am selben Tag begraben. Denn ein Gehängter (ʤʬʺ/țȡİȝȞȞȣȝȚ) ist von Gott verflucht (ʭʩʤʬʠ ʺʬʬʷ/țİțĮIJȘȡĮȝȞȠȢ ਫ਼ʌઁ șİȠ૨), und du sollst deinen Boden nicht unrein machen, den der HERR, dein Gott, dir zum Erbbesitz gibt.
Vermutlich ist hierbei an den Fall einer vollzogenen Todesstrafe und der anschließenden Aufhängung am Holz/Baum gedacht.167 Möglicherweise steht dabei die aus assyrischen Kriegskontexten bekannte Praxis der Pfählung von Leichnamen im Hintergrund, die der zusätzlichen Abschreckung diente.168 Die israelitische Rechtsprechung sieht hingegen auch für einen Hingerichteten einen Ehrerhalt vor, weshalb die zeitnahe Bestattung gefordert wird.169 Die Notwendigkeit der Bestattung wird durch die drohende Verunreinigung des Landes begründet, wobei das Hängen selbst als ein Fluch Gottes bestimmt wird. In frühjüdischen Schriften findet sich eine breite Rezeption dieser Passage, wobei sich unterschiedliche Verständnisse und eine entsprechend plurale Einbettung zeigt. Eine erste Grundentscheidung ergibt sich durch das Verständnis von ʺʬʬʷ ʭʩʤʬʠ.170 Die erste Lesart versteht ʭʩʤʬʠ ʺʬʬʷ als Genitivus subjectivus. Der Gehängte ist von Gott verflucht bzw. an der Tatsache des Hängens am Holz/ Baum kann abgelesen werden, dass die Person (von Gott) verflucht ist.171 Diese Lesart bezeugen die LXX und die Vulgata.172 Auf dieses Verständnis tischen König Ahab ein, in dessen Regierungszeit Hiel Jericho wiedererrichtet und gemäß dem Fluch seine beiden Söhne sterben (1Kön 16,29–34). 166 Vgl. GERTZ, Gen, 172. Ähnlich liest sich die Episode um Jonathan in 1Sam 14,24– 46, in welcher dieser durch unglückliche Umstände von Saul mit einem Fluch belegt wird, letztlich aber durch das Volk ausgelöst wird. Nach Flav.Jos.Ant. I 142 werden die Nachkommen Hams verflucht, wobei Ham selbst als eigentlicher Täter vom Fluch verschont bleibt. 167 Vgl. OTTO, Dtn II/1, 1659. 168 So WAZANA, Impaled; vgl. zudem KOENEN, Pfählung, 2. Anders OTTO, Dtn II/1, 1659f., der diesen Hintergrund nur für Jos 8,29; 10,26f. akzeptiert. 169 Vgl. OTTO, Dtn II/1, 1660; ferner EVANS, Hanging, 483. Inwiefern darin auch ein magisches Verständnis vorliegt, wonach der Totengeist durch den Gehängten in der Nacht angelockt wird (vgl. VEIJOLA, Fluch), muss unbeantwortet bleiben. 170 Vgl. FINNEY, Shame, 129. 171 Die LXX nimmt dabei auch eine Ausweitung des Personenkreises mit ʌ઼Ȣ vor, sodass jeder am Baum hängende ein Verfluchter Gottes sei (vgl. OTTO, Dtn II/1, 1623). 172 OTTO, Dtn II/1, 1659 sieht dieses Verständnis bereits in Dtn 21,23b gegeben, welches er als dtr Fortschreibung bestimmt.
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
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greift auch Paulus in Gal 3,13 zurück: ਥʌȚțĮIJȡĮIJȠȢ ʌ઼Ȣ țȡİȝȝİȞȠȢ ਥʌ ȟȜȠȣ. Mit 11QT 64,12 findet sich dieses auch in den Texten von Qumran; umstritten ist das Targum Neofiti.173 Die zweite Lesart sieht ʭʩʤʬʠ ʺʬʬʷ als Genitivus objectivus an. Das heißt, dass der Gehängte ein Gott Fluchender/ Spottender ist. Diese Deutung findet sich vor allen bei jüdischen Auslegern resp. in den Rabbinica. Als Textzeugen dienen Symmachus, TO, mSan 6,4, Sifre Dtn (Pisqa 221), bSan 46b.174 Diese Ausdeutung lässt sich vermutlich auf ein Unbehagen zurückführen, welches Gott nicht als Urheber eines Fluches verstanden wissen möchte.175 Eine ähnliche Tendenz zeigt sich auch in Gal 3,13, wo Paulus ਫ਼ʌઁ șİȠ૨ auslässt.176 Insgesamt ist es wahrscheinlich, dass die (zeitgenössische) Lesart der LXX, von 11QT und des Paulus, wonach (je)der am Holz Hängende (von Gott) verflucht sei, die naheliegende für das mt Umweltwissen sein dürfte.177 Neben der Deutung von ʭʩʤʬʠ ʺʬʬʷ zeigt sich im Frühjudentum auch eine Umkehrung der Sachlage. In 11QT; Targum Neofiti; Gal 3,13; Dtn 21,22f.LXX stellt das Hängen am Holz die Todesursache dar und nicht den Umgang mit dem Leichnam.178 Dabei ist die Forschung uneins, ob țȡİȝȝİȞȠȢ ਥʌ ȟȜȠȣ als Gehängter (d.h. mit dem Strick) zu lesen ist oder Gekreuzigter (so Gal 3,13) meint.179 Insgesamt neigt die Lesart, die vom AT her auf die Zeugnisse blickt, zum Verständnis als Gehängten,180 während die Lesart, die vom NT kommt, eher den Gekreuzigten liest.181 Dabei kommt beiden Lesarten eine gewisse Plausibilität zu, da die Kreuzigung als römische Hinrichtungsart bekannt war und entsprechend einen zeitgeschichtlichen Rahmen ermöglicht.182 173
Für die beiden letzteren Quellschriften vgl. VEIJOLA, Fluch, 544. Vgl. VEIJOLA, Fluch, 545f.; ferner O’BRIEN, Curse, 64f. 175 Vgl. VEIJOLA, Fluch, 545. 176 Vgl. DE BOER, Gal, 213. 177 Ähnlich RADL, Gal, 52 mit Blick auf den pln Kontext. 178 Diese Unschärfe ist allerdings bereits im Hebräischen angelegt, je nachdem ob ʺʩʬʺʥ als waw consecutivum oder als waw explicativum gelesen wird (vgl. MULDER, ThWAT VIII, 658). 179 Die Diskussion wird, wenngleich anhand der hebräischen Formulierung, auch bei EGO, Est, 185 aufgegriffen. Trotz des persischen Kolorits in Est votiert sie für die Alternativen zwischen Galgen und Kreuzigung, insofern das Hängen am Holz nur bedingt dem Vorgang der Pfählung entspräche. 180 Vgl. OTTO, Dtn II/1, 1623. 181 Vgl. EVANS, Hanging, 490.501; GIELEN, Passionserzählung, 192f.; MORLAND, Curse, 216f. 182 Zur Deutung wird oft auf 4QpNah, Fragm. 3–4 i,7 verwiesen, wo das Hinrichtungsgeschehen ebenfalls durch das Hängen lebendiger Personen ans Holz erfolgt. Häufig wird der darin tätige Löwe mit Alexander Jannaius identifiziert und mit der Erzählung in Flav.Jos.Ant. XIII 380 zusammengebracht. Dies könnte ein Nachweis für die Kreuzigungspraxis unter jüdischer Herrschaft darstellen sowie ein Hinweis darauf, dass Dtn 21,22f. mit dem Verständnis eines Kreuzigungsgeschehen rezipiert wurde. CHAPMAN, Crucifixion, 174
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
Die Aufnahme von Dtn 21,22f. in Gal 3,13 durch Paulus und der dortige Bezug auf das Kreuz stellen daher nicht als die einzige Ausdeutungsmöglichkeit für den zeitgenössischen Kontext dar. Es ist eher allgemein davon auszugehen, dass der Status eines Hängenden mit dem Topos der Verfluchung zusammengebracht werden konnte, wobei die vorangehende Todesart nicht spezifiziert sein muss. Insofern kann auch der Suizid des Judas, wobei das Hängen des Leichnams mitzudenken ist, als Indiz für sein Verfluchtsein dienen. Die Argumentation des Paulus dürfte dem mt Kreis ohnehin unbekannt sein,183 weshalb sich unterschiedliche Adaptionen auch hinsichtlich der Figuren keineswegs gegenseitig ausschließen. Die pln Argumentation in Gal 3,10–14 zeugt zudem davon, dass im frühjüdischen Schriftgebrauch eine assoziative Zusammenstellung von Fluchtermini möglich war, insofern Paulus das ʺʬʬʷ aus Dtn 21,23 mit ʸʥʸʠ aus Dtn 27,26 zusammenliest bzw. in dieser Hinsicht țĮIJĮȡȠȝĮȚ mit ਥʌȚțĮIJȡĮIJȠȢ wiedergibt. Ein solches Zusammenlesen von Dtn 27,25 mit Dtn 21,22f. ist somit auch für das Mt plausibel. Ein letztes Indiz, weshalb Dtn 21,22f. mit dem Suizid des Judas in Verbindung gebracht werden kann, findet sich bei Josephus. In Flav.Jos.Bell. III schreibt er zum Suizid: 376
Deshalb wird auch das, was bei Gott so verhasst ist, von dem weisesten Gesetzgeber geahndet, 377 denn es ist bei uns bestimmt, Selbstmörder bis zum Sonnenuntergang unbeerdigt draußen liegen zu lassen, während wir es für unsere Pflicht halten, selbst Feinde zu bestatten.184
Hierbei handelt es sich um einen Argumentationsbaustein, den Josephus in einer Rede in Jotapata gebraucht, um seine todeswilligen Kameraden vom Suizid abzuhalten (Flav.Jos.Bell. III 361–382). Neben vielem anderen behauptet er, es gäbe ein Thoragebot, dass sich gegen Suizid ausspricht. Ein solches findet sich allerdings nicht und steht zugleich den wenigen biblischen Zeugnissen zum Suizid diametral gegenüber.185 Allerdings spielt er deutlich die Gesetzesbestimmung von Dtn 21,22f. ein und bindet diese an Selbsttötung zurück. Aus der Forderung, den hängenden Leichnam am Tage zu bestatten, wird bei Josephus das Gebot, Suizidenten bis Sonnenuntergang unbeerdigt zu 14f. zieht zudem eine Verbindung zu Sifre Dtn (Pisqa 221), wo der Sachverhalt als „auf römische Art und Weise“ wiedergegeben sei. Dies ist jedoch nicht eindeutig, sodass letztlich festzuhalten ist, dass Dtn 21,22f. in frühjüdischer Zeit als Hinrichtung am Holz verstanden wurde, die Form jedoch offenbleiben muss (vgl. LIM, Deuteronomy, 21; O’BRIEN, Curse, 64). Die terminologische Kernfrage dreht sich um den Bedeutungsgehalt von ʤʬʺ bzw. țȡİȝȞȞȣȝȚ. Während BAUMGARTEN, Crucifixion mit Verweis auf die Rabbinica darin exklusiv das Verständnis von Erhängen sieht, zeichnet CHAPMAN, Crucifixion, 32 nach, dass eine scharfe begriffliche Differenzierung zwischen Kreuzigen, Pfählen und Hängen unzulässig ist, wobei er selbst der Kreuzigung den Vorzug gibt. 183 Vgl. KONRADT, Zeuge. 184 Übersetzung entnommen aus SCHRÖTER/ZANGENBERG, Texte, 570. 185 S.o.S. 145ff.
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
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lassen.186 Ob der Nachsatz impliziert, dass der Leichnam gleichsam unbestattet bleibt, ist unklar. Es spricht allerdings mehr für die Annahme, dass der Zeitpunkt der Bestattung gemessen an Dtn 21,23 längst möglich ausgereizt wird. Josephus ist demnach ein Zeuge, dass Dtn 21,22f. mit Suizid zusammengebracht werden konnte. Wie weit diese Annahme verbreitet war und ob der mt Kreis dies kannte, muss offenbleiben. Trotz allem legt diese Begründungsfigur nahe, dass sich die Suizidthematik mit Dtn 21,22f. in Verbindung bringen lässt, weshalb dies auch für Mt 27,5 plausibel ist. Damit finden sich gleich zwei zeitgenössische Zeugen, die eine Verbindung von Dtn 27,25 und Dtn 21,22f. hinsichtlich Mt 27,3–5 nahelegen:187 Mit Gal 3,13 zeigt sich, dass eine assoziative Zusammenstellung einzelner Fluchtexte möglich ist (hier Dtn 27,26 und Dtn 21,22f.); Josephus wiederum bezeugt, dass Suizid im Lichte von Dtn 21,22f. verstanden werden konnte. 2.7. Der Judasfluch Aus dem Bisherigen wurde deutlich, dass eine Fokussierung auf die Judasfigur allein die Perikope nur schwerlich erhellt. Bis zu einem gewissen Grad kann Judas’ Handeln zwar als transparent und nachvollziehbar bezeichnet werden, allerdings zeigen die intertextuellen Bezüge einen Hintergrund an, der einen größeren Deutungshorizont vermuten lässt. Das Sündenbekenntnis 186
An anderer Stelle (Flav.Jos.Bell. IV 317; ähnlich 382) nimmt er die Gesetzesbestimmung indes wörtlich und ohne Suizidkontext auf. 187 Aufgrund dieses Zusammenlesens von Dtn 27,25 und Dtn 21,22f. erwägt LUZ, Mt IV, 238 einen weiteren potenziellen Intertext für die Vorstellung vom schriftgemäßen Selbstgericht (vgl. Anm. 85): 11QT 64,6b–9a.9b–11a. Dieser Abschnitt der Tempelrolle stellt in Aufnahme von Dtn 21,22f. den Verrat am Volk unter die Todesstrafe, indem der Verbrecher ans Holz gehängt wird. Der Verrat, als Erklärung für das nicht-definierte Verbrechen in Dtn 21, wird in zwei Fällen geschildert. Nach 11QT 64,6b–9a ist derjenige hinzurichten, der sein Volk an ein fremdes verrät und ihm dadurch schadet; in 11QT 64,9b–11 derjenige, der zu einem fremden Volk flieht und sein eigenes Volk/die Söhne Israels verflucht. Die Tempelrolle wird zumeist in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts v.Chr. datiert (vgl. XERAVITS/PORZIG, Einführung, 79). Sie ist damit keine genuine Schrift der Qumrangemeinde, scheint aber den Kreisen nahezustehen, aus denen der Jachad hervorgegangen ist (vgl. STÖKL BEN EZRA, Qumran, 221). Es lassen sich daher kaum Aussagen über eine mögliche Verbreitung der Gesetzesbestimmungen treffen, die sich in der Tempelrolle niederschlagen. Das „Verratsmotiv“ wäre indes eine mögliche Verbindungslinie zwischen Judas, dem Tod am Holz und der Fluchthematik (11QT 64,11b–13a). Soweit ich sehe, wird diese Linie nur von Luz gezogen und bleibt in seinem Kommentar unbegründet und unausgeführt. Der Tatbestand ließe sich jedoch besser an die Hohepriester und die Ältesten zurückbinden. Diese liefern Jesus an den fremden Statthalter aus, um ihm den Prozess zu machen. Sie „verraten“ jemand aus dem eigenen Volk an ein fremdes. In dieser Hinsicht wäre Judas, der diesen Prozess angestoßen hat, aber kaum freizusprechen. Vielmehr wäre in diesem Lichte sein Suizid die schriftgemäße Strafe, die das Schicksal der Autoritäten präludiert.
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
gepaart mit der Art des Suizids macht deutlich, dass hier eine Fluchdimension eingespielt wird, welche bereits durch den Wehruf über den Auslieferer angezeigt war.188 Die Art des Suizids der Judasfigur unterstreicht die Fluchthematik der gesamten Perikope.189 Kommt der Fluch durch den Tod des Judas als „Fluchträger“ zu einem Ende?190 Der Fluch erscheint zunächst als Deutungsangebot für die Perikope Mt 27,3–10. Daraus ergeben sich wenigstens zwei abschließende Fragen: Weshalb bleibt die Fluchdimension implizit? Welchem erzählerischen Zweck dient der verfluchte Judas? Die Antwort auf beide Fragen liegt im Setting der Perikope begründet, insofern „das Ende des Judas“ nur einen Teilaspekt der Erzählung ausmacht. Vielmehr ist das Sündenbekenntnis in eine quasi-rechtliche Kommunikationssituation mit den Hohepriestern und Ältesten eingebunden. Judas bekennt nicht nur seinen sündhaften Gesetzesverstoß vor dem Kultpersonal, sondern wendet sich an seine juristischen Kooperationspartner. Im Gegensatz zu Dtn 27 wird die Heimlichkeit des Justizmords aufgedeckt und die korrupte Rechtsinstanz identifiziert. Da die Rechtsinstitution (Mt 26,57–27,2) zugleich als Bestechungsinstitution (Mt 26,14–16) fungiert, wird die Korruption der Autoritäten in besonderer Weise herausgestellt.191 Wie Judas sind sie gleichermaßen Akteure im drohenden Justizmord.192 Die korrupte Rechtsinstitution ist demnach ebenso schuldig wie der Bestochene.193 Wäre Judas hingegen alleinig als Verfluchter benannt worden, wäre die Fluchwirkung mit seinem Tod beendet.194 Der Fluchkontext geht aber offenbar über Judas hinaus, 188
Vgl. VAN UNNIK, Death, 15. Durch diese Funktionalisierung des Suizids lassen sich folglich kaum Aussagen darüber treffen, ob und welche Konsequenzen dieser für die Judasfigur auch in eschatologischer Hinsicht haben könnte. Andere sehen im Suizid hingegen eine positive bzw. erlösende Funktion (vgl. REED, Judas, 58; WHELAN, Suicide, 521f.; implizit WICK, Judas, 34f.). 190 So VAN UNNIK, Death, 15, der zudem davon ausgeht, dass ein Fluch wahlweise durch Opfer (vgl. Flav.Jos.Ant. I 58) oder „Sühnetod“ (2Sam 21) kompensiert werden kann. 191 Dass Korruption ein zentrales Charakteristikum der Hohepriester und der Ältesten ist, zeigt sich auch in einer späteren Perikope. In Mt 28,11–15 bestechen die Hohepriester und Älteste die römischen Soldaten mit Silberstücken (ਕȡȖȡȚĮ), um das Gerücht des nächtlichen Leichendiebstahls in die Welt zu setzen. Abermals nutzen sie Finanzmittel, um ihre eigenen Ziele zu erreichen, und handeln aktiv entgegen ihrem Kenntnisstand, insofern ihnen in beiden Fällen – implizit – die Wahrheit hinsichtlich Jesus zugetragen wurde (vgl. GIELEN, Konflikt, 400f.). 192 Vgl. NOLLAND, Mt, 1151: „The chief priests and the elders are maintaining that the problem is all Judas’s. Judas fully recognises that the problem is his, but those who address him are wrong in claiming that the problem is only his“ (Hervorhebung im Original). 193 Vgl. HAGNER, Mt II, 812. 194 Für die Erzählfigur des Judas ist nun entscheidend, dass seine Intervention fehlschlägt und die Hohepriester die Revision des Justizmordes abweisen. Darüber hinaus nehmen sie sich nicht der Causa Judas an, sondern suggerieren ihm, dass sie gewillt sind, wissentlich unschuldiges Blut zu vergießen. Judas selbst bleibt unter dem Fluch. Er wird 189
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
155
weshalb die Dimension an seiner Person zwar eingeführt, aber insgesamt nur subtil eingespielt wird. Erweist sich damit die implizite Fluchdimension als Stilmittel, um dieselbe nicht auf Judas zu reduzieren, scheint die Fluchursache ĮੈȝĮ ਕșȠȞ auf ein überindividuelles Geschehen zu verweisen. Es ist daher statthaft, das Motiv einer geschichtstheologischen Dimension zuzuordnen, sodass das Sündenbekenntnis des Judas den Autoritäten als Mahnung zur Schwellenmarkierung dient. Dieser Aspekt wird durch den Suizid des Judas und dessen intertextuelle Referenz auf Dtn 21 untermauert. Die Gesetzesbestimmung in Dtn 21,22f. bleibt nicht unbegründet: Nach Dtn 21,23b gilt es zu verhindern, dass das Land verunreinigt wird.195 Diese Stoßrichtung findet sich auch in Dtn 27,25.196 Durch die Landthematik als gemeinsamen Nenner der beiden Belegstellen wird ersichtlich, dass das vermeintlich individuelle Vergehen des Judas gleichsam eine kollektive Ausstrahlung besitzt und dieser Rechtsfall der geschichtstheologischen Dimension zuzuordnen ist. Die subtil eingespielte Fluchthematik berührt folglich sowohl in Dtn 21,22f. als auch in Dtn 27,25 die „dtr“ geprägte Geschichtslogik. In dieser Hinsicht erhält die Erzählung um Judas eine doppelte Stoßrichtung: Zum einen werden die Hohepriester als direkte Kooperationspartner des Judas in die Fluchlogik eingebunden.197 Das Wehe über Judas endet – gepaart mit dem Fluch-Tatbestand – nicht mit seinem Suizid. Vielmehr bestätigt die Art des Suizids, dass es sich tatsächlich um eine Fluchfolge handelt. Der Fluch, der sich an Judas exemplarisch vollzieht und in seiner Beteiligung am Justizmord begründet ist, fungiert letztlich als unterschwellige Ankündigung für Schicksal der Autoritäten.198 Zum anderen dient die Selbstanzeige als Gefahrensignal. Da die Hohepriester das Vergehen gegen die Gesetze der Thora nicht ahnden, sondern billigend den Gesetzesbruch in Kauf nehmen, gehen sie zugleich das Risiko des angedrohten Landverlustes bei Missachtung der Gebote bzw. Korruption des Rechtswesens ein. Die Gefährdung des Landes ergibt sich nicht nur durch den Rechtsfall an sich, sondern wird durch den Tod des Judas zusätzlich verstärkt. Durch ihr Agieren werden für weder beruhigt, dass Jesus kein unschuldiges Blut sei und er dementsprechend kein unschuldiges Blut auf sich geladen habe, noch erfolgt, sofern überhaupt möglich, ein Sühneritual an Judas, um kompensatorisch seine Schuld zu entsühnen (nach KLAUCK, Jünger, 94f.; LIMBECK, Mt, 292f. stehen die Autoritäten in der Pflicht einen Sühneritus nach Dtn 21,1–9 durchzuführen). Judas kommt demnach als Verfluchter zum Kultpersonal der Entsühnung und wird als Verfluchter wieder weggeschickt. 195 Vgl. SCHÜNGEL-STRAUMANN, Tod, 119. Bereits zuvor wurde für Dtn 21 die Reinheit des Landes als zentrales Anliegen des Kapitels bestimmt (s.o.S. 79 bei Anm. 177). 196 S.o.S. 80 bei Anm. 183–185. 197 WEAVER, Atonement, 7: „Accordingly, they share both Judas’s sin (27:4a) and Judas’s ‚curse‘ (cf. Dt 27:25).“ 198 Einen Zusammenhang zwischen dem Schicksal des Judas und dem der Autoritäten erkennt auch GNILKA, Mt II, 446.449.
156
III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
Judas offenbar alle sozialen Bindungen, die dem Evangelium zu entnehmen sind, gekappt. Daher bleibt unbeantwortet, ob Judas begraben wurde.199 Das offene Ende könnte ein längeres Hängen implizieren. Da die Hohepriester und die Ältesten die Verantwortung für Judas von sich weisen, sind sie letztlich auch für dessen Suizid in Haftung zu nehmen.200 Abermals ist zu betonen, dass sie als Repräsentanten der Sühneinstitution einen reuigen Sünder abweisen. Es ist vorauszusetzen, dass sie um die Todeswürdigkeit des Vergehens wissen; insofern nehmen sie offenbar auch sein Selbstgericht in Kauf. Damit erscheinen sie im Narrativ als diejenigen, die auch das Risiko eines Vergehens nach Dtn 21,22f. einzugehen bereit sind, sollte der Leichnam über Nacht hängen bleiben. Damit erfolgt möglicherweise auch hier eine Landverunreinigung, die das Leben im Land und dessen Besitz gefährdet. Der Suizid des Judas ist ein Vorbote und (bleibendes) Zeichen gegen die Autoritäten,201 welche durch Unterlassung ihrer juristischen und religiösen Pflichten das Leben im Land maximal gefährden. Das rechte Verständnis von ĮੈȝĮ ਕșȠȞ in Mt 27,4 erklärt sich folglich nicht allein aus der Betrachtung der Judasfigur (Mt 27,3–5), sondern muss in die gesamte Perikope eingeordnet werden. Dies ist umso deutlicher, als dass Judas kaum im Zentrum derselben steht,202 sondern die Perikope vielmehr durch die Schlagworte von ĮੈȝĮ und ਕȡȖȡȚĮ zusammengehalten wird, wobei sich zugleich die Hohepriester als die durchgehenden Akteure erweisen. 203 Die Analyse des zweiten Erzählteils berücksichtigt sodann überlieferungs199
Dieser Aspekt stellt ebenfalls eine Differenz zur Erzählung um Ahitofel dar. Sowohl die biblischen Schriften als auch die Fassung bei Josephus bezeugen eine Bestattung im familiären Kontext. Solches fehlt in Mt 27 und sollte nicht in den Text hineingelesen werden, da durch ਕȞİȤઆȡȘıİȞ, țĮ ਕʌİȜșઆȞ in doppelter Weise ein Rückzug unterstrichen wird. 200 Vgl. KONRADT, Israel, 163. 201 In dieser Perspektive verbindet REED, Judas, 56f. den Suizid des Judas mit dem Phänomen weiblicher Suizide in der Kultur der Gainj in Papua-Neuguinea. In dieser lässt sich der öffentlichkeitswirksame Suizid als beschämender Racheakt am jeweiligen Ehemann verstehen, sodass die Intention keine eskapadische Tendenzen besitzt, sondern primär der „Anklage“ dient und das zukünftige Leben des Witwers gleichermaßen erschwert werden soll, wie das ihrige durch sein Verhalten ihr gegenüber zu Lebzeiten. So fragwürdig eine solche interkulturelle Bezugnahme ist, dürfte seine Schlussfolgerung der mt Intention nahekommen: „This led us to the conclusion that Matthew had Judas hang himself in order to place blame upon the Jewish leaders and to shame them for their unwillingness to accept his offer of repentance“ (ebd., 58). Diese Motivation zum Suizid erinnert an die Form der exsecratio in der Antike (vgl. VAN HOOFF, Suizid, 31f.). Ein solcher Suizid ist selten und wurde zumeist durch Erhängen am Hauseingang vollzogen, wohl in der Absicht Haus und Bewohner zu verfluchen. Ähnliches, allerdings auf das gesamte Land bezogen, wäre mit Blick auf den Judassuizid im antiken Kontext demnach denkbar. 202 Vgl. GNILKA, Mt II,443; LUZ, Mt IV, 229. 203 Vgl. GNILKA, Mt II, 449; KONRADT, Mt, 427.
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
157
geschichtliche Fragestellungen und den synoptischen Vergleich zum Judastod in Apg 1, um so das theologische Profil der mt Erzählung zu verdeutlichen. Exkurs 2: Die Stellung der Perikope innerhalb der matthäischen Passionsgeschichte Ehe die Betrachtung des zweiten Teils der Perikope erfolgt, soll ein kurzer Blick auf die Stellung der Perikope innerhalb des Evangeliums geworfen werden. Dies dient zum einen als Vorbau zu überlieferungsgeschichtlichen Fragestellungen, zum anderen kann auf einen weiteren Aspekt eingegangen werden, der sich mit der Judasfigur verbindet. Die Perikope über Judas und die dreißig Silberlinge ist zwischen den Prozess Jesu vor dem Sanhedrin und den vor Pilatus eingeschoben worden. Damit wird der mk Erzählfaden deutlich unterbrochen.204 Die notwendige Wiederaufnahme des Haupterzählfadens in Mt 27,11a (fehlt in Mk 15,2) deutet an,205 dass die Erzählung bewusst hier integriert wurde. Auf der „Textoberfläche“ ergeben sich jedoch in lokaler Hinsicht Spannungen, insofern die Hohepriester und Ältesten in Mt 27,2.12 im Herodes-Palast zugegen sind,206 sich nach Mt 27,6 jedoch im Tempel aufhalten.207 Wird Judas’ Gang zu den Hohepriestern als Intervention zugunsten Jesu verstanden, so ist hier im Erzählduktus der einzige logische Ort, an welchem die Erzählung integrierbar ist. In der jetzigen Form wäre es den etablierten Autoritäten noch möglich, vor Pilatus zu intervenieren, womöglich gar die Überstellung zu revidieren.208 Andererseits füllt die Perikope eine Erzähllücke aus dem Mk, insofern sie Judas’ Tod resp. das Schicksal des „Verräters“ berichtet. Häufig ist die These dieser Lückenfüllung gepaart mit der Annahme, dass Judas Petrus als Antitypus gegenübergestellt wird.209 Der Ort der Perikope im Evangelium sei
204
Vgl. HAGNER, Mt II, 811. Vgl. LUZ, Mt IV, 226. 206 Im Evangelium wird lediglich ausgesagt, dass sich die etablierten Autoritäten beim Statthalter aufhalten, wobei die Residenz des Pilatus nicht lokalisiert wird. Das Prätorium (Mt 27,27) wird gegenwärtig mit dem Palast des Herodes („Davidszitadelle“) identifiziert (vgl. KÜCHLER, Jerusalem, 500–502), welcher folglich nicht in unmittelbarer Nähe des Tempels ist. 207 Vgl. LUZ, Mt IV, 229; ferner MENKEN, Quotation, 305, der diese Spannung als „awkward“ bezeichnet. Diese Spannungen motivierten vereinzelt zur Harmonisierung des Erzählverlaufes (vgl. ZAHN, Mt, 696); solches wird in neueren Kommentaren nicht mehr diskutiert. 208 Vgl. LUZ, Mt IV, 241. 209 Vgl. BÖTTRICH, Judas, 43; BROWN, Death I, 638; DAVIES/ALLISON, Mt III, 558; FRANCE, Mt, 1038; GNILKA, Mt II, 442; GUNDRY, Mt, 552f.; KLAUCK, Jünger, 93f.; PAUL, Texte, 77; ROBERTSON, Death, 117; SCHWEIZER, Mt, 330f.; SENIOR, Fate, 348–351; WHELAN, Suicide, 505f. 205
158
III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
folglich durch diese Parallelisierung vorgegeben.210 Da das Schicksal des Verleugners berichtet wird, dasjenige des Judas jedoch nicht, sei ein Bericht notwendig gewesen. Auffällig ist jedoch, dass diese Leerstelle nur im Mt ausgefüllt wird.211 Zudem ist darauf zu verweisen, dass die „Rehabilitierung“ des Petrus nur in Joh 21 geschildert wird. Hier liegt offenbar ein mehrschichtiges Zusammenlesen der Evangelien vor, insofern das Interesse an Judas’ Schicksal kein notwendiges darstellt und das „erbauliche Ende“ des Petrus nie in Parallelstellung zu Judas steht.212 Der Vergleich zwischen Petrus und Judas ist daher eher der Rezeptionsgeschichte zuzuordnen.213 Eine enge Verbindung von Petrus und Judas ist indes durch den jeweiligen Hintergrund der Fluchthematik gegeben. 214 Während dies für Judas umfangreich dargelegt wurde,215 ist dies bei Petrus von der Deutung von ਵȡȟĮIJȠ țĮIJĮșİȝĮIJȗİȚȞ (Mt 26,74) abhängig. Einigkeit herrscht darüber, dass in dieser dritten Verleugnung eine Steigerung zu sehen ist, insofern „zu Verleugnung und Schwur noch die Verfluchung hinzutritt.“216 Da diese Verfluchung ein Objekt erwarten lässt, dieses jedoch im Evangelium nicht definiert ist, bleibt umstritten, was genau Petrus verflucht.217 Im Wesentlichen lassen sich zwei Optionen benennen: zum einen eine Selbstverfluchung, zum anderen die Verfluchung Christi.218 Letzteres wird zumeist durch antike Quellen gestützt, insofern Personen, die als Christen angeklagt wurden, Christus verfluchen konnten, um ihre Unschuld zu beweisen.219 Hier liegt allerdings eine zeitliche Kluft vor, weshalb die These nur bedingt überzeugen kann. Zudem ist das sprachliche Problem, nämlich das fehlende Objekt, gleichermaßen ungeklärt und müsste bspw. durch eine Scheu hiervor erklärt werden (vgl. aber 1Kor 12,3). Die Lesart der Selbstverfluchung findet hingegen biblische Anklänge in 1Kön 19,2; Apg 23,12.14.21; Röm 9,3.220 Auch hier bliebe das sprachliche 210
Vgl. LUZ, Mt IV, 233. Lukas konnte zumindest im Evangelium darauf verzichten; die Erzählabsicht in der Apg scheint zudem durch die Nachwahl im Zwölferkreis motiviert zu sein, nicht durch den Bericht über Judas. Im Joh erfolgt zwar eine „Dämonisierung“ der Judasfigur, aber da die Kooperation mit den Autoritäten ebenso fehlt wie der Wehruf, scheint ein Todesbericht obsolet. 212 Vgl. VIVIANO, Hakeldama, 207. 213 Vgl. LUZ, Mt IV, 241; ferner GIELEN, Konflikt, 373; VAN UNNIK, Death, 16. 214 Vgl. GARLAND, Mt, 255. 215 S.o.S. 134–157. 216 GNILKA, Mt II, 437. 217 Vgl. LUZ, Mt II, 216. 218 Erstes wird u.a. vertreten von GNILKA, Mt II, 437; KONRADT, Mt, 425; für Zweites votieren DAVIES/ALLISON, Mt III, 548f.; FRANCE, Mt, 1034; LUZ, Mt IV, 216. 219 Vgl. LUZ, Mt IV, 216 Anm. 27 mit Verweis auf Plinius Ep 10,96; Iust.1 apol. 31,6; MartPol 9. 220 Verweise entnommen aus DAVIES/ALLISON, Mt III, 548 Anm. 41 und ergänzt durch LUZ, Mt IV, 216 Anm. 26. Eine Selbstverfluchung erfolgt zudem in 1Hen 6,4–6, wobei der 211
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Bekenntnis des matthäischen Judas
159
Problem ungelöst, insofern auch die Selbstverfluchung immer mit Objekt steht. Damit kann diese Frage kaum eindeutig entschieden werden.221 Hinsichtlich der Figurenanalogie ist eine Entscheidung jedoch weitreichend. Sollte sich Petrus selbst verfluchen, dann wäre zu überlegen, ob dieser Fluch ebenso tödlich ist wie der des Judas.222 In dem Fall wäre unklar, weshalb Petrus verschont bleibt und durch „Abwarten“ in die Gemeinde zurückkehren kann. Sollte er jedoch Christus verflucht haben, so wäre der „Automatismus“ einer Fluchdimension nicht gegeben. Ginge man von einer Gotteslästerung aus, käme zwar die Todesstrafe als Tatfolge in Betracht (vgl. Lev 24,16). Es ließe sich aber nicht eindeutig bestimmen, ob Petrus selbst unter einem Fluch stünde. In jedem Fall ist auch hier die Verhältnismäßigkeit hinsichtlich einer etwaige Parallelzeichnung problematisch. In der Tendenz müsste daher der impliziten Verfluchung Christi der Vorzug gegeben werden, denn andernfalls bliebe völlig unerklärlich, weshalb der verfluchte Judas dem Fluch verfallen muss, der verfluchte Petrus jedoch diesem entkommt. Trotz dieses potenziellen Zusammenlesens der beiden Figuren, erscheint eine literarische Bezugnahme eher von untergeordneter Bedeutung. Diese dürfte sich am ehesten ergeben, wenn der Ort der Klage resp. der jeweilige Sühneort miteinander vergleichbar wären. Von Judas ließe sich behaupten, dass er am falschen Ort nach Vergebung sucht. Für Petrus ist jedoch keine solche Suche bezeugt. Selbst das Klagemotiv lässt keinen offenkundigen Bezug hinsichtlich einer adäquaten Reaktion auf die eigene Sündenerkenntnis erkennen. Es scheint daher unzulässig zu sein, den Aktionismus des Judas mit der klagenden „Resignation“ Petri in ein Verhältnis zu setzen. Folglich wird der Annahme rechtgegeben, die den Ort der Erzählung durch den doppelten Rechtsprozess gegeben sieht. Damit eröffnet sich abermals die Perspektive, dass die Erzählung nicht allein von Judas berichten will, sondern die weiteren Akteure, d.h. die Hohepriester und die Ältesten, im Blick hat.223
gemeinsame Schwur der abtrünnigen Engel zwar eine Gefährdungssituation erkennen lässt, aber mögliche Konsequenzen unausgeführt bleiben. Es mag hierbei signifikant sein, dass die Selbstverfluchung mit ਕȞĮșİȝĮIJȗȦ ausgedrückt wird (vgl. Mk 14,71; diff. Mt 26,74). 221 Eine knappe Übersicht mit den zentralen Argumenten findet sich bei MERKEL, Peter, der den Konsens der Selbstverfluchung hinterfragt und dem Fluchen Christi den Vorzug gibt. 222 Es finden sich keine Anhaltspunkte im Evangelium zur Wirksamkeit einer etwaigen Selbstverfluchung. Mit Blick auf 1Kön 19,2 und dem Schwur Isebels lässt sich immerhin erheben, dass derselbe bei ihrem Todesgeschick implizit Erwähnung findet (2Kön 9,34) und die Gesamtthematik des Prophetenmordes ebenfalls aufgegriffen wird (2Kön 9,7). Zudem wird die Todesfolge, wie heraufbeschworen, durch göttliches Eingreifen bewirkt (2Kön 9,6–10). Sofern diese Erzählung als Blaupause dienen kann, ist auch für Petrus eine reale Gefahr durch den Fluch anzunehmen. 223 Vgl. SENIOR, Fate, 351.
160
III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten 3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
3.1. Hinführung Gerd Häfner betitelte einen Blogeintrag augenzwinkernd mit „Wie oft starb Judas?“.224 Damit hält er pointiert fest, dass das NT zwei verschiedene Berichte über dessen Lebensende kennt.225 Die Differenzen und Gemeinsamkeiten des Todes und seiner äußeren Umstände sind in der Forschungsliteratur mannigfaltig festgehalten worden. Vorab seien diese stichwortartig als Überblick aufgeführt: Gemeinsamkeiten Literarischer Kontext
–
Todeszeitpunkt
–
Todesort
–
Todesursache
Unnatürlich Bezeichnung
Blutacker
Erwerb Bezahlung Nutzung
224
Differenzen Apg Petrusrede/RekonstiPassionsgeschichte tution des Zwölferkreises tendenziell Vorösterlich/vor Jesus nachösterlich Unklar/zurückgezogen auf seinem Landgut Sturz, Herausquellen Suizid durch Erhängen der Gedärme [ ਕȖȡઁȢ IJȠ૨ ਞțİȜįĮȝȤ/ȤȦȡȠȞ țİȡĮȝȦȢ] ĮȝĮIJȠȢ ਕȖȡઁȢ ĮȝĮIJȠȢ durch die Hohepriester durch Judas 30 Silberlinge „Lohn der (Blutgeld) Ungerechtigkeit“ Fremdenfriedhof Eigentum Mt
HÄFNER, Judas. Diesen beiden biblischen Versionen gesellt sich noch eine weitere, vermutlich eigenständige, Todestradition hinzu, die den Papiasfragmenten (Schriftwerk ~125/30) entstammt und bei Apollinaris von Laodicea (310–390 n.Chr.) überliefert ist (Apollinaris v. Laodiceas, Rekonstruktion aus Catenen [ed. J. Reuss, TU 61, 47f.] nach KÖRTNER/LEUTZSCH, Papiasfragmente, 58–61). In dieser Fassung stirbt Judas nicht unmittelbar im Kontext des Kreuz- und Osterereignisses, sondern lebt noch einige Zeit „als abschreckendes Beispiel“ weiter (ebd., 61). Sein Körper wird durch Anschwellung entstellt und deformiert, sodass er an den Folgen einer massiven Adipositas, Eiterschwellungen und Würmer „nach vielen Qualen und Strafen […] zu Grund gegangen war“ (ebd., 61; vgl. auch KLAUCK, Judas, 732f.). Auch hier finden sich Anklänge an die Schriften Israels sowie der Hinweis auf ein eigenes Landgut. Angesichts der Anspielungen auf Ps 69 und vermutlich Ps 109 stellt sich die Frage nach der Abhängigkeit von der Apg. Während LUZ, Mt IV, 232 diese befürwortet, scheint die Mehrheitsmeinung von einer eigenständigen Tradition mit überlieferungsgeschichtlichen Berührungen auszugehen (vgl. BROWN, Death II, 1409f.; DAVIES/ALLISON, Mt III, 559; VAN DE WATER, Punishment, 400). 225
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
Ätiologische Namensgebung Interpretationshorizont
Blutbezug Bekanntheitsgrad Rekurs Schriftbezug
Blut Jesu „bis auf den heutigen Tag“ Jeremia Propheten (Sach 11,12f./Jer?)
161
„Blut“ Judas’ „wurde bekannt bei allen“ David Psalmen (Ps 69; 108)
Die Auslegungsgeschichte zum Tod des Judas begann früh, das Todesgeschick des Judas nach dem Mt und der Apg in Einklang zu bringen. 226 Prominent ist dabei die Annahme, dass wahlweise der Strick oder der Ast, an dem sich Judas erhängte, in Mitleidenschaft geriet und der leblose oder auch lebendige Körper abstürzte und so seinem Ende zugeführt wurde.227 Solche und ähnliche Versuche der Harmonisierung können forschungsgeschichtlich als überholt und gescheitert festgehalten werden.228 Die Unabhängigkeit der beiden Todesberichte voneinander und das Zugeständnis einer jeweils eigenständigen Untersuchung erscheinen daher als Konsens in den aktuelleren Publikationen. Eine strikte Trennung der beiden Traditionen verbietet sich jedoch durch ein gemeinsames Detail, dass sich nur schwer unabhängig voneinander erklären lässt: die Erwähnung des Blutackers. Hierin wird zumeist auch die letzte Basis einer historischen Anknüpfung gesehen, 229 sodass die jeweiligen Berichte nicht gänzlich Fiktion darstellen können. Daher werden die folgenden Überlegungen vom Blutacker her entfaltet. 3.2. Synoptischer Vergleich und die Suche nach dem Blutacker 3.2.1. Vorbemerkungen Die Problemstellung der Historizität des Blutackers ergibt sich aus der Beobachtung, dass dieser weder näher erklärt wird noch sich außerneutestamentliche Belege für diese Bezeichnung finden, obgleich der Acker jeweils als allgemeines Wissensgut eingeführt wird. Auffällig ist zudem, dass nur die Apg eine aramäische Bezeichnung nennt, die wohl auf ʠʮʣ ʬʷʧ zurückzu226
Davon zeugt bereits Apollinaris, der die Erzählung des Papias als Harmonisierungsversuch der unterschiedlichen Todesberichte einführt: „Judas starb nicht durch Erhängen, sondern lebte weiter, weil er heruntergeholt wurde, bevor er erstickt war. Und dies bezeugt die Apostelgeschichte, daß ‚er mitten aufplatzte, indem er kopfüberstürzte, so daß seine Eingeweide hervorquollen‘. Deutlicher erzählt dies Papias […]“ (KÖRTNER/LEUTZSCH, Papiasfragmente, 59). 227 Vgl. HAUGG, Judas, 183–186. Haugg reiht sich letztlich selbst in den Versuch einer solchen Harmonisierung ein. So kommt er unter Einbezug medizinischer Kenntnisse zum Urteil, dass selbst bei einem Sturz nur ein bereits in der Verwesung befindlicher Leichnam aufplatzen könne und deshalb das Mt – historisch genau – den Suizid berichte, Petrus in der Apg hingegen das Geschick des Leichnams beschreibe (vgl. ebd., 189). 228 Vgl. KLAUCK, Jünger, 107f. 229 Vgl. BENOIT, Tod, 180; KLAUCK, Jünger, 108; VIVIANO, Hakeldama, 205.
162
III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
führen ist.230 Es wurde verschiedentlich versucht, dem Acker durch diesen Namen auf die Spur zu kommen. Probleme bereitet das endstellige -Ȥ im Griechischen.231 Es wurde daher eruiert, ob sich ਞțİȜįĮȝȤ über chaqel demaࢯ hinaus von chaqel demak ableiten ließe, was Ort des Schlafes, ergo Friedhof hieße.232 Diese These basiert auf der Nutzung des Ackers als Fremdenfriedhof (Mt 27,7). Allerdings bleiben solche philologischen Erwägungen zunächst überlieferungsgeschichtliche Spekulation und können die Historizität eines solchen Orts allenfalls plausibilisieren, aber nicht nachweisen. Seit dem späten 4. Jahrhundert wird der Blutacker bzw. Akeldama im Hinnomtal südlich des Zionhügels lokalisiert.233 Auf der Karte von Madaba (um 600) findet sich „AKELDAMA“ im Westen Jerusalems im Hinnomtal eingezeichnet.234 Die Pilgerberichte des 6./7. Jahrhunderts divergieren zwischen landwirtschaftlicher Idylle mit vereinzelten Grabmälern (Pilger von Piacenza) und mauerumfasstem Fremdenfriedhof (Arkluf).235 In der Kreuzfahrerzeit ist ab dem 12. Jahrhundert durch urkundliche Schriften eine Kirche bezeugt, allerdings finden sich bislang keine archäologischen Spuren. In unmittelbarer Nähe des Onuphoris- bzw. Akeldama-Klosters aus dem 19. Jahrhundert befinden sich indes die Überreste eines kreuzfahrerzeitlichen Carnariums („Fleischhaus“).236 Dabei handelte es sich um einen Gewölbeüberbau über einer Felskante oberhalb natürlicher (Grab-)Höhlen, der sich durch seine Tiefe auszeichnete. Nach literarischen Zeugnissen wurde das Carnarium für verstorbene (fremde) Pilger genutzt, die durch zwei quadratische Auslassungen in der Gewölbedecke hinabgeworfen wurden und dort verwesten.237 Dieses Massengrab war bereits zeitgenössisch verschrien.238 Von dieser christlich geprägten Geschichte des Hinnomtals und dessen grausamen Ruf 230
Die Wiedergabe des aramäischen Namens gilt als „unlukanisch“ und bisweilen als sicheres Indiz für eine vor-lk Tradition (vgl. ZWIEP, Choice, 91). 231 In der Forschung wird sich zumeist auf HENGEL, Historiker, 161 berufen, der die phonetische Ableitung als einwandfrei bestimmt. Sein Argument basiert auf der Annahme, dass „(das) Ȥ am Ende das Wort als im Griechischen nicht deklinierbar (bezeichnet) […]“ (so bereits STRACK/BILLERBECK, Bill. I, 1029), weshalb er auch von einer schriftlichen Vorlage ausgeht. 232 Der Vorschlag geht auf KLOSTERMANN, Probleme, 1–8 zurück und wurde bisweilen als plausible Spekulation aufgenommen (vgl. BENOIT, Tod, 180; GNILKA, Mt II, 449; KÜCHLER, Jerusalem, 769). 233 Vgl. KÜCHLER, Jerusalem, 770. Eine erste Lokalisierung findet sich bei Euseb, der allerdings Akeldama nördlich des Zions lokalisiert. Da er dieses zugleich mit dem Tophet in Verbindung setzt, dürfte es sich um einen Fehler handeln, der später auch in der Übersetzung des Hieronymus korrigiert wurde. 234 Vgl. KÜCHLER, Jerusalem, 770. 235 Vgl. KÜCHLER, Jerusalem, 770f. 236 Vgl. KÜCHLER, Jerusalem, 771–773.776–779. 237 Vgl. KÜCHLER, Jerusalem, 772f. 238 Vgl. KÜCHLER, Jerusalem, 758.
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
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lässt sich nur bedingt die antike Existenz eines Blutackers ableiten. Dafür ist die Ortstradition zu jung und auch in früheren Pilgerberichten (Egeria; Pilger von Bordeaux) lassen sich keine Hinweise finden. Für die frühjüdischhellenistische Zeit finden sich hingegen divergierende Hinweise: Archäologisch sind für den Westabhang, also stadtzugewandt, mehrere Gräber der Jerusalemer Oberschicht nachzuweisen. Josephus bezeugt das Grabmal des Hohepriester Hannas.239 Gegenüber einer solchen eher positiven Konnotation deutet die LXX hingegen an, dass das Hinnomtal „zum Inbegriff einer unpersönlichen Begräbnisstätte geworden war.“240 Diese Negativqualifikation des Hinnomtals wird nicht zuletzt im NT durch die Wortbildung ȖİȞȞĮ (Mk 9,43–48 parr.) angezeigt.241 Da weder die Namensdeutung noch archäologisch-topographische Erwägungen zu einem etwaigen historischen Blutacker führen, soll dieser zuvorderst als literarischer Topos verstanden und auf seine Verwendung und Funktion innerhalb der Perikopen hin geprüft werden. 3.2.2. Der Blutacker bei Lukas In den meisten Kommentaren bleibt die recht offensichtliche Tatsache unberücksichtigt, dass der Blutacker im Griechischen mitnichten gleichlautend benannt ist. Während das Mt von einem ਕȖȡઁȢ ĮȝĮIJȠȢ spricht, findet sich in der Apg ein ȤȦȡȠȞ ĮȝĮIJȠȢ. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, dass es sich dabei nicht um mehr oder weniger gleichbedeutende Wiedergaben des aramäischen ʬʷʧ handelt und ਕȖȡંȢ (Acker) und ȤȦȡȠȞ (Landgut) Synonyme sind,242 sondern dass sich für beide Schriften eine bewusste Nutzung der jeweiligen Vokabel plausibilisieren lässt. Wenn, dann wird die Nutzung von ȤȦȡȠȞ häufig als Vorverweis auf das Psalmzitat in Apg 1,20 erklärt.243 Zu einem ȤȦȡȠȞ, hier nun mit Landgut wiedergegeben,244 gehöre demnach ein Gehöft (ʌĮȣȜȚȢ).245 Nur vereinzelt wird die weitere Verwendung des Wortes ȤȦȡȠȞ in der Apg analysiert und interpretiert.246 239
Vgl. Flav.Jos.Bell. V 506. KÜCHLER, ²Jerusalem, 513. Hinweis: Das Zitat findet sich in dieser Pointierung nur in der zweiten Auflage, weshalb diese hier ausnahmsweise zitiert wird. Grundsätzlich wird auf die umfangreichere erste Auflage verwiesen. 241 Vgl. JEREMIAS, ThWNT 1. 242 So aber VOGLER, Judas, 86; ZWIEP, Choice, 91. BARRETT, Apg I, 98 hält fest: „ȤȦȡȠȞ means an estate or farm (Mart. Pol. 7.1) rather than a field […]“, wobei er den Bedeutungsunterschied zugleich wieder relativiert. 243 Vgl. exemplarisch ZWIEP, Choice, 150: „Possibly Luke preferred ȤȦȡȓȠȞ to ਕȖȡȩȢ (Mt 27:8) as a translation of ʬʷʧ under the influence of (v.18 and) v.20, which suggests that it was an inhabited place.“ Ähnlich PESCH, Apg I, 88; HÄFNER, Judas. 244 Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1775. 245 Vgl. HÄFNER, Judas; SCHNEIDER, Apg, 218; VOGLER, Judas, 88. 246 Vgl. KLAUCK, Jünger, 108; ZWIEP, Choice, 147f. 240
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
Mit zehn Belegen ist ȤȦȡȠȞ selten im NT belegt.247 In Apg 4,34, d.h. in der Darstellung der urchristlichen Gütergemeinschaft, wird nachdrücklich betont, dass Landbesitzer (țIJIJȠȡİȢ ȤȦȡȦȞ) ihr Land verkauften und das Geld in die Gütergemeinschaft einbrachten. Darüber hinaus bildet ein ȤȦȡȠȞ den zentralen Gegenstand der Perikope um Hananias und Sapphira (Apg 5,3.8). Die Konfrontation mit dem Zurückhalten des erzielten Gesamtpreises führt zum jeweiligen plötzlichen Tod. In beiden Fällen finden sich durch das beigestellte Wortfeld um țIJȠȝĮȚ intratextuelle Bezüge zu Apg 1. Durch diesen Zusammenhang ist der Tod des Judas in den größeren Zusammenhang der lk Besitzethik einzuordnen,248 womit sich eine negative Denotation des Begriffs ȤȦȡȠȞ nahelegt.249 Der Tod des Judas erfolgt im direkten Zusammenhang mit dem Erwerb des Landguts und wird mit ʌȡȘȞȢ ȖİȞંȝİȞȠȢ ਥȜțȘıİȞ ȝıȠȢ țĮ ਥȟİȤșȘ ʌȞIJĮ IJ ıʌȜȖȤȞĮ ĮIJȠ૨ umschrieben. Umstritten ist die Übersetzung und Deutung von ʌȡȘȞȢ ȖİȞંȝİȞȠȢ. Die wörtliche Übersetzung „er wurde vornüber“ bleibt diffus. Vermutlich ist ein Sturz kopfüber vorgestellt, 250 wie griechische Parallelen nahelegen.251 Eine Stichwortverknüpfung führt außerdem zu SapSal 4,19, wo ʌȡȘȞȢ im Akk. Pl. verwendet wird.252 Demnach ereilt Judas „das Schicksal des Frevlers“, da er sich „an Jesus dem leidenden Gerechten (Lk 23,47) vergangen hatte.“253 Alternativ rekurrieren manche Ausleger auf die Parallelerzählung bei Papias. Die dortige Verwendung von ʌȡȘıșİȢ deute auf dasselbe Verständnis in der Apg hin und soll hier wie dort als Anschwellen verstanden werden.254 Wenngleich die philologische Nähe zu SapSal 4 naheliegender ist, so eröffnen doch beide Verweise einen gemeinsamen Sinnhorizont, ja dasselbe Gattungsmuster. In beiden Fällen bietet der Straftod für den Gottesverächter die Partitur, auf welcher gespielt wird.255 247 Die Verwendung in Mk 14,32/Mt 26,23 mit Getsemani bzw. in Joh 4,5 mit Sychar ist unauffällig. Die restlichen Belege entfallen auf die Apg, wobei sich drei in der untersuchten Perikope befinden. Der Plural in Apg 28,7 scheint nicht signifikant zu sein. 248 KLAUCK, Jünger, 108 kommt zu einem ähnlichen Ergebnis, wobei sich seine Überlegungen vom Stichwort ȝȚıșંȢ IJોȢ ਕįȚțĮȢ und der Bezugnahme auf Lk 16,9; 5,11.28; 14,33; 18,22 entfalten. 249 Auffällig ist darüber hinaus, dass das positiv besetzte Beispiel des Landverkaufes eines Individuums, nämlich durch Josef Barnabas in Apg 4,36f., mit dem Verkauf eines ਕȖȡંȢ formuliert ist, wobei die Vokabel nur hier Verwendung findet. 250 Vereinzelt wird dabei an eine Erhöhung gedacht und ein Suizid durch Fall imaginiert (vgl. BARRETT, Apg I, 92 mit Verweis auf ROLOFF, Apg, 30; VOGLER, Judas, 88). 251 Vgl. ROBERTSON, Death, 161f. Er verweist unter anderem auf Hom.Il. 6,43; 11,179, wo jeweils ein Sturz vom Streitwagen mit ʌȡȘȞȢ dargestellt wird. 252 Vgl. KLAUCK, Jünger, 103. 253 MEISER, Einer, 110. 254 Vgl. BARRETT, Apg I, 98, der dies indes zurückweist. 255 Zum Umwelthintergrund dieses Motivs vgl. NESTLE, Legenden; ROBERTSON, Death, 21–68.159.
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
165
Diese externe bzw. als gottgewirkte Strafe gedachte Todesursache stellt eine gewichtige Differenz zum Mt dar. Auf Basis möglicher Parallelen aus der Umwelt ist das Schicksal des Judas als (göttlicher) Straftod „of a treacherous villain“ zu verstehen. 256 Diese Beobachtungen sind sicherlich eine Dimension der Todesdeutung aus den Klangräumen der Umwelt heraus.257 Intratextuell ist auffällig, dass Hananias und Sapphira einen als gottgewirkt gedachten Tod sterben (Apg 5,1–11).258 Neben den sprachlichen Berührungen und der Einordnung der jeweiligen Tode als Gotteswirken, tritt Petrus – als jeweilige Hauptfigur der Perikope – als Parallele hinzu. Zudem werden sowohl Hananias (Apg 5,3) als auch Judas (Lk 22,3) im lk Doppelwerk als vom Teufel besessen charakterisiert. Dies alles scheint darauf zu verweisen, dass Habgier als Gegentopos zur Nachfolge auch im Todesbericht des Judas eine zentrale Dimension einnimmt.259 Während in Apg 4 das Ideal einer Gütergemeinschaft durch den Verkauf von Landbesitz charakterisiert und am Beispiel von Barnabas durch den Verkauf eines Ackers (ਕȖȡંȢ!) exemplifiziert wird, stellt sich Judas quer zum gezeichneten urchristlichen Gemeinschaftsideal und kauft sich Grundbesitz (ਥțIJıĮIJȠ ȤȦȡȠȞ). Dieses egoistische Handeln trennt ihn offenkundig von der Gemeinde:260„[Judas] geht von den Aposteln weg (1,25) und kauft sich ein Grundstück. Durch seine materielle Einstellung schließt er sich selbst aus dem Zwölferkreis und aus der christlichen Gemeinde aus.“261 Diese Zuordnung des Judas in die Besitzethik evoziert eine erweiterte Deutung der Todesursache. Die bloße Strafe als Gottesverächter ist eindimensional gedacht und im unmittelbaren Kontext weniger naheliegend als die Annahme, dass Judas aufgrund seiner materiell manifestierten Trennung von der Urgemeinde dem Gottesurteil verfällt. Darauf deutet die ungewöhnliche Charakterisierung der Judastat, die ihn als Anführer des Verhaftungstrupps kennzeichnet. Sie wird demnach nicht als Verrat an Jesus inszeniert, wie dies im Evangelium benannt ist (Lk 6,6), sondern bleibt auf der Ebene der Verhaftung (Apg 1,16). Gleichermaßen dient die Einführung des Lohns der Ungerechtigkeit weniger der Tatqualifizierung als vielmehr der Voraussetzung für 256
ROBERTSON, Death, 183; ferner JERVELL, Apg, 125. Auf die biblische Literatur beschränkt, finden sich Parallelmotive im Tod des Antiochus IV. Epiphanias (2Makk 9,1–10) und des Herodes Agrippa I. (Apg 12,21–23), wobei jeweils eine stärkere Motivanalogie zu Papias vorliegt, insbesondere durch Wassersucht und Wurmfraß. Unterstützt wird die Annahme der göttlichen Strafe durch das Psalmzitat aus Ps 69,26 in Apg 1,20. Hierin kann auch die Erfüllung der Weissagung aus Lk 22,22 gesehen werden (vgl. VOGLER, Judas, 88.). 258 Vgl. BARRETT, Apg I, 93. 259 Zur Habgier als Charaktermerkmal des Judas s.o.S. 122 Anm. 13. 260 MEISER, Einer, 110, formuliert vorsichtig, dass dieser Kauf „für Lukas einen Verrat an urchristlichen Idealen (darstellt).“ 261 KLAUCK, Jünger, 109. 257
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
den Landerwerb.262 Lukas hebt hier offenbar die allgemeine Tendenz zur Disqualifikation des Judas durch Habgier auf eine neue Ebene.263 Der Tod des Judas ist bei Lukas demnach als göttliche Strafe für seine Trennung von der Jesusbewegung zu deuten, die sich im materiellen Eigeninteresse manifestiert.264 Ob sich hieraus für Lukas auch die Motivation für sein Handeln im Kontext der Verhaftung Jesu erklärt, muss an dieser Stelle offenbleiben. Das Blutlandgut wird jedenfalls zum Sinnbild seiner materiellen Verfehlung und zum bleibenden warnenden Zeichen, sich wegen finanziellen Eigennutzes von der Gemeinde zu trennen. Folglich lässt sich ein funktionaler Gebrauch des Blutlandgutes in der Apg feststellen, welcher das Gemeindeideal unterstreicht. Dies korrespondiert zudem mit der Tatsache, dass die Erzählung um Judas’ Ableben in einen Begründungszusammenhang eingewoben ist, der ebenfalls auf die Gemeinde abzielt. Sie ist Teil einer längeren Petrusrede, in der letztlich die Nachwahl eines zwölften Apostels begründet wird.265 Auch daran wird ersichtlich, dass die Apg nur bedingt ein Interesse an Judas’ Tod hat, sondern diesen gleichermaßen funktional gebraucht, um die Rekonstitution des Zwölferkreises vor dem Pfingstereignis darzulegen.266 Die Voraussetzungen für die Kandidaten dieser Nachwahl zeigen zudem ein deutliches Interesse an geschichtlicher Kontinuität,267 insofern nur Personen aus der Jesusbewegung mit „ununter262
Wäre diese Interpretation korrekt, umginge Lukas eines der zentralen theologischen Probleme, das sich an der Figur des Judas entzündet. Nicht sein (notwendiges?) Agieren innerhalb der Heilsgeschichte würde demnach göttlich sanktioniert werden, sondern seine offenkundige Trennung von der Jünger- und Apostelgemeinschaft, die durch die gegenläufige Erwartungshaltung hinsichtlich des Besitzes verdeutlich wird. 263 Vgl. KLAUCK, Jünger, 109: „Die Geld- und Besitzgier, die Lukas dem Judas unterstellt, verliert alles Oberflächliche, sie nimmt dämonische Züge an. In ihr sind die destruktiven Kräfte des Bösen selbst am Werk. Wer sich hemmungslos dem materiellen Erwerbsstreben hingibt, liefert sich Mächten aus, von deren Gefährlichkeit er anfangs nichts ahnt und die er auf Dauer nicht beherrschen kann. Sie werden ihn physisch und psychisch zugrunderichten, wie sie es mit Judas getan haben.“ 264 Vgl. MCCABE, Words, 207f. 265 Die Notwendigkeit einer Nachwahl ergibt sich aus dem lk Ideal des Apostelamtes. Dieses identifiziert er mit dem Zwölferkreis, sodass er auch Paulus und Barnabas den Aposteltitel nur in Apg 14,4.14 zuerkennt, wohingegen sich in Apg 15 eine deutliche Trennung zwischen Aposteln und Paulus resp. Barnabas zeigt. Die hohe Bedeutung der Zwölf (vgl. 1Kor 15,5) macht für Öhler eine solche Nachwahl nicht unwahrscheinlich. Gleichwohl gibt er zu bedenken, dass der Kreis der Apostel über diesen Kreis hinausging und die Identifikation „Apostel = einer der Zwölf“ eine lk Konstruktion sein dürfte. Das besondere lk Interesse an diesem Konstrukt zeigt sich auch darin, dass es historisch plausibel ist, dass die Gemeindeleitung bald von den „drei Säulen“ übernommen wurde, sodass der Zwölferkreis seine Relevanz zeitnah verlor (Gal 2,9; Apg 15,13; zu allem ÖHLER, Geschichte, 142–144). Anfragen an die Historizität finden sich bei SCHMITHALS, Apg, 27; ZMIJEWSKI, Apg, 87. 266 Vgl. SCHMITHALS, Apg, 26. 267 Vgl. ÖHLER, Geschichte, 143.
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
167
brochener Augenzeugenschaft“ in Betracht kommen (vgl. Apg 1,21f.).268 Wie sich bereits zuvor schon bei Mt 27,3–10 angedeutet hat und im Folgenden hierfür zu unterstreichen ist, hat auch Lukas kein originäres Interesse an der Darstellung des Judastodes, sondern funktionalisiert diesen für einen bestimmten Erzählkontext. Hier gar in einem doppelten Sinne, insofern nicht nur die Rekonstitution des Zwölferkreises begründet wird, sondern am Tod zugleich die Besitzethik illustriert wird. 3.2.3. Der Blutacker im Matthäusevangelium Im Gegensatz zum ȤȦȡȠȞ in der Apg lässt sich aus der mt Verwendung von ਕȖȡંȢ kein das gesamte Evangelium umfassendes intratextuelles Netz aufspannen. Auffällig sind die vier Belege in Mt 27,8–10 dennoch – eine solche Dichte findet sich sonst nur in der Gleichnisrede (Mt 13). Eine Näherbestimmung des Ackers erfolgt in Mt 27 durch țİȡĮȝİȢ (Mt 27,7.10) und durch ĮੈȝĮ (Mt 27,8), wobei der ätiologische Kommentar in Mt 27,8 den Töpferacker mit dem Blutacker identifiziert. Bei der Betrachtung des Ackers ist zunächst auffällig, dass dieser erst nach dem Tod des Judas erwähnt wird. Der Ackerkauf stellt eine Fortführung der bisherigen Handlung durch die Hohepriester dar. Dementsprechend sind die Geschichte des Ackers und die Erzählung um Judas vordergründig voneinander getrennt. Zusammengehalten wird die Perikope jedoch durch mehrere Motive: Die Hohepriester werden bereits in Mt 27,3 als Handlungsfiguren eingeführt und greifen dialogisch in Mt 27,4 in das Geschehen ein. Die Geschichte um Judas und die Hohepriester ist zudem durch die dreißig Silberlinge bestimmt. Bereits in Mt 26,15 werden diese vom mt Kreis in das Evangelium eingeführt. In Mt 27,3–10 bilden sie das durchgehende Objekt.269 Mit der versuchten Rückgabe wird mit ihnen das Geschehen eröffnet (Mt 27,3), mit dem Wurf in den Tempel die Judasgeschichte abgeschlossen (Mt 27,5). Durch den Fund der Silberlinge (Mt 27,6) und den folgenden Ackerkauf (Mt 27,7; ਥȟ ĮIJȞ) geht die Erzählung weiter; zuletzt bilden sie auch den Kern des Reflexionszitates (Mt 27,9f.). Ein weiteres tragendes Element der Erzählung ist ĮੈȝĮ (Mt 27,3.6.8).270 Die Geschichte um den Acker im Mt ist also eine der Hohepriester, des Silbers und des Blutes, nur bedingt eine des Judas.271 268
SCHNEIDER, Apg, 219. Vgl. GNILKA, Mt II, 443; LUZ, Mt IV, 229; PAUL, Texte, 74. 270 Vgl. MOO, Tradition, 162; PAUL, Texte, 74. 271 Vgl. GNILKA, Mt II, 449: „Für Mt steht nicht Judas und sein Schicksal im Zentrum der Überlieferung, sondern die Hohenpriester und Ältesten. […] Darum legt er den Erwerb des Blutackers nicht auf das Schicksal des Judas hin aus, sondern auf das Treiben der jüdischen Hierarchen. Nicht das Schicksal des Jüngers erweckt sein Interesse, sondern das theologische Schicksal des jüdischen Volkes, das von den Taten seiner Führer natürlich nicht unberührt bleibt“; ähnlich LIMBECK, Mt, 294. 269
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
Insgesamt durchlaufen die Elemente der Perikope einen narrativen Transformierungsprozess.272 Im Zentrum steht dabei das Bestechungsgeld, welches Judas in Mt 26,15 erhielt und nun zum Geldgeber zurückgebracht wird. Trotz der vorherigen Zurückweisung der Rücknahme des Silbers durch die Hohepriester werden sie zu dessen Adressaten und Besitzern, nachdem sich Judas des Geldes durch einen Wurf desselben in den Tempel entledigt hat. Mit ihrem Kommentar und der kaufmännischen Verwendung des Geldes bestätigen sie ihre Eigentümerschaft.273 Durch Judas’ Aussage, wonach er sich an unschuldigem Blut versündigt habe, und den Kommentar der Hohepriester nach dem Fund des Silbers wird eine erste Transformation angezeigt: Die dreißig Silberlinge, zuvor Indiz des Tatbestandes unschuldigen Blutes, werden nun durch eine Art performativen Akt der Hohepriester zu Blutgeld (ਥʌİ IJȚȝ ĮȝĮIJંȢ ਥıIJȚȞ).274 Anschließend wird dieses Blutgeld in Landbesitz transformiert (ȖંȡĮıĮȞ ਥȟ ĮIJȞ IJઁȞ ਕȖȡઁȞ IJȠ૨ țİȡĮȝȦȢ), damit dieses nicht im Tempel verbleibt.275 Dieser Prozess bildet sich auch im mt bearbeiteten Reflexionszitat ab: Mit 30 Silberlingen wird ein Acker erworben (țĮ ȜĮȕȠȞ IJ IJȡȚțȠȞIJĮ ਕȡȖȡȚĮ […] țĮ įȦțĮȞ ĮIJ İੁȢ IJઁȞ ਕȖȡઁȞ IJȠ૨ țİȡĮȝȦȢ). Die Perikope um Judas und die Hohepriester bildet im Kern also ab, wie aus den 30 Silberlingen ein Blutacker wurde. Damit nimmt der Acker eine gänzlich andere Funktion ein als in der Apg. Während er dort ein Erzählelement darstellt, das intratextuell im Buch verwoben ist, bildet er hier den Zielpunkt der Perikope. Zugleich steht der Acker durch die enge Verzahnung mit dem Silber und dem Blut nicht für sich. Dieser Komplex ist zugleich in ein verästeltes intertextuelles Netz eingewoben. 272
Vgl. VAN TILBORG, Reading, 173; KLAUCK, Jünger, 93. Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 566: „[…] by taking the money they become contaminated by the guilt attached to innocent blood.“ 274 Vgl. HEIL, Blood, 121. Die ungewöhnliche Wendung IJȚȝ ĮȝĮIJંȢ erklärt sich daher am ehesten aus diesem Transformationsprozess heraus, in welchem über den Blutbegriff die Silberlinge mit dem Acker verbunden werden. Möglicherweise ist die Wendung TestSeb 3,3 entnommen, insofern hier der Verkaufspreis des Josefs durch seine Brüder als IJȚȝ ĮȝĮIJંȢ bezeichnet wird (vgl. LUZ, Mt IV, 239 Anm. 68). Weitere Bezüge zwischen TestSeb 3 und Mt 27 nennt BERGHORN, Genesis, 157–162. 275 Das Handeln der Hohepriester ist von Dtn 23,19 aus zu verstehen (vgl. DAVIES/ ALLISON, Mt III, 566; KONRADT, Mt, 429; skeptisch LUZ, Mt IV, 239). Der Lohn aus Prostitution (weiblicher wie männlicher) darf nicht in den Tempel gebracht werden (vgl. OTTO, Dtn II/1, 1791f.). Die Ironie liegt gleichwohl darin, dass die Hohepriester die rituelle Reinheit des Tempels ihrer eigenen ethischen Integrität voranstellen (vgl. COHEN, Matthew, 313; FRANCE, Mt, 1041; LUZ, Mt IV, 239; NOLLAND, Mt, 1154). Dass sie alternativ auch den Justizmord unterbinden könnten, wird nicht diskutiert und verschärft ihre Negativzeichnung. Mit der Qualifizierung des Bestechungsgeldes als Blutgeld wird somit der mangelnde Umkehrwillen der Hohepriester nochmals unterstrichen; sie agieren bewusst gegen das Gesetz in völliger Verblendung dessen, was Vergießen unschuldigen Blutes mit sich bringt. Damit tragen sie sich allerdings selbst in den Blutschuldzusammenhang ein, der bereits an Judas exemplifiziert wurde. 273
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
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3.3. Eine intertextuelle Sicht auf Mt 27,3–10 Bereits die kurze Übersicht über die Kontextualisierung des mt Blutackers ließ erkennen, dass auch dieser eng in ein literarisches Gefüge eingebunden ist. Zugleich werden dadurch auch Differenzen zum lk Gebrauch markiert. Besonders gravierend erscheinen die Unterschiede mit Blick auf den Käufer des Ackers sowie den Namen – im Mt bezieht sich der Name Blutacker auf das Judasbekenntnis und damit letztlich auf das (unschuldige) Blut Jesu, in der Apg wird das Blut nicht näherbestimmt und scheint sich am ehesten auf den Tod des Judas und das Herausquellen seiner Gedärme zu beziehen.276 Durch diese Beobachtung zeigt sich, dass in den jeweiligen Perikopen eine rege schriftstellerische Tätigkeit zu vermuten ist. Für die Erzählung in Apg 1,15–25 konnte solches auf der Endtextebene nachgezeichnet werden;277 dies erfolgt nun für den mt Kontext. Die folgende Untersuchung setzt daher die Prämisse: der historische Kern der Tradition ist sehr klein,278 da der gemeinsame Nenner der beiden Perikopen kaum mehr ist als ein gewaltsames Ende des Judas und eine (ungeklärte) Verbindung zum Kauf eines Grundstücks, das später Blutacker genannt wird.279 Wie bereits in der Apg lässt sich an der mt Endfassung ablesen, dass der Text einen schriftstellerischen Prozess durchlaufen hat. Für Mt 27,3–10 ist hierfür auf den Gebrauch der mt Vorzugswörter zu verweisen.280 Es ist naheliegend, den literarischen Prozess zwischen Kern und Endgestalt dem mt Kreis zu zuordnen.281 Die Perikope stellt den längsten Einschub in die mt 276
Vgl. FENSKE, Gott, 78; FREY, Leidensgeschichte, 70; GEBAUER, Apg, 32; HÄFNER, Judas; KONRADT, Mt, 429; KÜCHLER, Jerusalem, 758; anders HAUGG, Judas, 187. 277 M.E. reicht die Kontextualisierung des Begriffs ȤȦȡȠȞ in das intratextuelle Gefüge des Buches bereits aus, um die literarische Freiheit des Autors aufzuzeigen, insofern hier eindeutig die Besitzethik im Fokus liegt und nicht, wie anzunehmen wäre, das Schicksal des „Verräters“. Der überlieferungsgeschichtliche Hintergrund und die Frage nach lk bzw. nicht-lk Sprachformen interessiert daher nur bedingt, da der Endtext eine kreative Aufnahme voraussetzt und dementsprechend eine freie Adaption der Tradition. 278 Mit KONRADT, Mt, 427; SENIOR, Fate; WHELAN, Suicide, 509f. Für einen großen Kern aus der Tradition plädieren hingegen DAVIES/ALLISON, Mt III, 558; LUZ, Mt IV, 232f.; MEISTER, Dimension, 150f.; MOO, Tradition, 165; SCHWEIZER , Mt, 330. 279 Vgl. KONRADT, Mt, 427. Er nennt als weitere Gemeinsamkeit die Deutung des Geschehens durch die Schrift. Dies ist allerdings lediglich eine strukturelle Parallele, die möglicherweise Einblick in die frühchristliche „Predigtpraxis“ gibt, insofern einzelne Geschehnisse aus den Schriften Israels gedeutet wurden. Es ist bemerkenswert, dass hierfür bereits in den „ersten Jahren“ unterschiedliche Texte herangezogen wurden. Dennoch ist das Phänomen eher als konventionell zu bestimmen und kann kaum als Indiz für einen gemeinsamen Kern herangezogen werden. 280 GNILKA, Mt II, 444 verweist dabei auf IJંIJİ, ਕȡȖȡȚĮ, ĮੈȝĮ ਕșȠȞ, ıȣȝȕȠȜȚȠȞ ȜĮȝȕȞİȚȞ. Weiteres bei STRECKER, Weg, 77; LUZ, Mt IV, 230 Anm. 7. 281 Es erscheint mühsam, mögliche literarische Vorstufen der Perikope auf mündliche oder schriftliche Vorstufen zu verlagern. Die üblichen Verweise auf mt Hapaxlegomena
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
Passionsgeschichte dar und führt dadurch in den kreativ-literarischen Kern des Evangeliums. Dies gilt gleichermaßen für den narrativen Vorbau des Evangeliums in Mt 1–2. Dort ist bereits auffällig, dass sich die Erzählung insbesondere durch Schriftanspielungen und eine besondere Dichte an Reflexionszitaten auszeichnet.282 Auch aufgrund dieser Parallele wird die Perikope in den Interpretationshorizont der Schriften Israels gestellt und auf intertextuelle Referenzen untersucht. Die Erzählung selbst offeriert deutliche Intertextualitätssignale, wobei das Reflexionszitat in Mt 27,9f. besonders markant ist. An diesem entzünden sich umfangreiche Diskussionen, die für die literarische Gestalt der Perikope von entscheidender Bedeutung sind. Das Reflexionszitat basiert auf Sach 11,13b, was gemäß dem Kriterium der wörtlichen Nähe (volume) offenkundig ist: Sach 11,13 țĮ İੇʌİȞ țުȡȚȠȢ ʌȡંȢ ȝİ țșİȢ ĮIJȠઃȢ İੁȢ IJઁ ȤȦȞİȣIJȡȚȠȞ, țĮ ıțȥĮȚ İੁ įંțȚȝંȞ ਥıIJȚȞ, Ȟ IJȡંʌȠȞ ਥįȠțȚȝıșȘȞ ਫ਼ʌȡ ĮIJȞ. țĮݏ ޥȜĮȕȠȞ
Mt 27,9f. IJંIJİ ਥʌȜȘȡઆșȘ IJઁ ૧ȘșȞ įȚ İȡİȝȠȣ IJȠ૨ ʌȡȠijIJȠȣ ȜȖȠȞIJȠȢ· țĮݏ ޥȜĮȕȠȞ283 IJ IJȡȚޠțȠȞIJĮ ਕȡȖȡȚĮ, IJȞ IJȚȝȞ IJȠ૨ IJİIJȚȝȘȝȞȠȣ Ȟ ਥIJȚȝıĮȞIJȠ ਕʌઁ ȣੂȞ ıȡĮȜ, țĮޥ
sind nur bedingt zielführend. Zum einen finden sich im Evangelium nur wenige Texte, in denen der Kreis der Schriftgelehrten sein literarisches Können vor Augen führt, insofern zumeist die Nähe zum mk Text aufrechterhalten wird. Der spezifische Gebrauch solcher Hapaxlegomena lässt daher kaum einen Rückschluss darauf zu, ob diese untypisch für den mt Kreis sind. Zum anderen wird durch die Hapaxlegomena ein anderer Autorenkreis postuliert, der sich offenbar lediglich dadurch auszeichnet, dass er Wörter benutzt, die im Evangelium sonst kaum gebraucht werden. Dies scheint kaum ein belastbares Profil darzustellen, dass zur Interpretation der Perikope beiträgt. Es empfiehlt daher zunächst zu prüfen, ob sich der Text als Eigenproduktion des mt Kreises verstehen lässt, der auf einem dürren Traditionsgerüst basiert, ehe Überlieferungsvorstufen postuliert werden. 282 Von insgesamt zwölf Erfüllungszitaten, die bei Rothfuchs aufgeführt sind, entstammen fünf der Kindheitsgeschichte. Bei ihm wird „(die) Häufung der Erfüllungszitate in Mt 2 als literarisches Mittel (verstanden), mit dessen Hilfe Mt auf seine Weise der Meinung Ausdruck gibt, daß schon in den Wegen des Kindes Jesu und darum in diesem Kinde selbst Gottes Plan, wie er durch die Propheten vorausgesagt worden ist, geschieht“ (vgl. ROTHFUCHS, Erfüllungszitate, 101; Hervorhebung J.V.). Trotz dieser Feststellung bleibt für ihn das Zitat in Mt 27,9f. kein literarischer Ausdruck des Evangelisten, da er das Zitat als Teil einer vormt Erzählung versteht (vgl. ebd., 103). 283 Für diese Vokabel gilt die Besonderheit, dass sie zwar formal wortgleich ist, jedoch in grammatikalischer Hinsicht in Sach 11,13 die 1. Pers. Sg. Aor., in Mt 27,9 hingegen die 3. Pers. Pl. Aor. zu lesen ist, was sich zum einen durch den Kontext, zum anderen durch die folgende Verbform įȦțĮȞ im Mt zeigt. Es finden sich zwar einzelne wichtige Textzeugen, die die 1. Pers. Sg. Aor. įȦțĮ aufweisen. Dies dürfte jedoch eine sekundäre Anpassung darstellen (vgl. KNOWLES, Jeremiah, 55). Es ist nicht zu klären, ob der mt Kreis ȜĮȕȠȞ bereits in SachLXX als 3. Pers. Pl. gelesen hat oder ob es sich hierbei um eine kreative Adaption handelt.
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
IJȠઃȢ IJȡȚޠțȠȞIJĮ ਕȡȖȣȡȠ૨Ȣ țĮ ޥਥȞȕĮȜȠȞ ĮIJȠઃȢ İੁȢ IJઁȞ ȠੇțȠȞ țȣȡȠȣ İݧȢ IJઁ ȤȦȞİȣIJȡȚȠȞ.
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įȦțĮȞ ĮIJ İݧȢ IJઁȞ ਕȖȡઁȞ IJȠ૨ țİȡĮȝȦȢ, țĮș ıȣȞIJĮȟȞ ȝȠȚ țުȡȚȠȢ.
Der Vergleich der beiden Stellen macht deutlich, dass sich trotz der eindeutigen sprachlichen Parallelen auch auffällige Unterschiede hinsichtlich des Umfangs finden lassen. Insbesondere die wahrscheinliche Umstellung von ȜĮȕȠȞ IJȠઃȢ IJȡȚțȠȞIJĮ ਕȡȖȣȡȠ૨Ȣ spricht dafür, dass die Passage im Mt redaktionell an den Kontext angepasst wurde.284 Zur Diskussion steht zudem, ob und in welchem Umfang IJȞ IJȚȝȞ IJȠ૨ IJİIJȚȝȘȝȞȠȣ Ȟ ਥIJȚȝıĮȞIJȠ ਕʌઁ ȣੂȞ ıȡĮȜ auf ʭʤʩʬʲʮʩʺʸʷʩʸˇʠʸʷʩʤʸʣʠ basiert. Es handelt sich vermutlich um eine freie Wiedergabe des hebräischen Wortlauts, da zum gegenwärtigen Zeitpunkt der griechische Wortlaut der mt Fassung durch kein anderes Schriftzeugnis gedeckt ist. 285 Dies führt zur Annahme, dass der Kreis der mt Schriftgelehrten auf Basis der LXX und des MT um eine adäquate und funktionale Wiedergabe gerungen hat.286 Sind allerdings ein kreativer Umgang mit den Schriften Israels bei gleichzeitiger Kenntnis derselben als Kennzeichen des mt Schriftgebrauchs auszumachen, so verwundert es umso mehr, dass das Sacharjazitat Jeremia zugeschrieben wird: IJંIJİ ਥʌȜȘȡઆșȘ IJઁ ૧ȘșȞ įȚ İȡİȝȠȣ IJȠ૨ ʌȡȠijIJȠȣ ȜȖȠȞIJȠȢ. Unter den genannten Prämissen sind solche Versuche zurückzuweisen, die die Zuschreibung als Fehler des Mt abtun287 oder eine andere Textgrundlage („Jeremia-Apokryphon“) annehmen.288 Handelt es sich allerdings nicht um ein Versehen, stellt sich die Frage, worauf dieses Textsignal 284
Vgl. LUZ, Mt IV, 230. Vgl. MOO, Tradition, 158f.; MEISTER, Dimension, 153. Es ist allerdings umstritten, ob der Wortlaut einer vormt Bildung des Reflexionszitats entstammt (vgl. LUZ, Mt IV, 230) oder vielmehr als Indiz gilt, dass der Autorenkreis sowohl mit dem griechischen als auch dem hebräischen Text vertraut war (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 570; HAMILTON, Judas, 423f. Anm. 16). Es wäre auch denkbar, dass der mt Kreis lediglich eine LXXVariante kannte, die die entsprechenden Änderungen eingetragen hatte. Insgesamt auch s.o.S. 20 Anm. 89. 286 Die Streitfrage, welches kreative Potenzial dem mt Kreis zugestanden werden kann und ob ihnen andere schriftliche Quellen vorlagen, findet sich auch bei Brown und Senior. Während Brown das mt Sondergut in der Passionsgeschichte an populäre Volkstraditionen einer vormt Stufe rückbindet, zeichnet Senior nach, dass sich die jeweiligen Eintragungen durch Referenzen auf die Schriften Israels erklären lassen. Dementsprechend gesteht Senior dem Evangelisten ein wesentlich umfangreicheres kreatives Potenzial zu, aus welchem sich das mt Sondergut überwiegend erklären lässt (vgl. insgesamt SENIOR, Revisiting). Zum postulierten mt Zugriff auf die Schriften Israels und deren Gebrauch s.o. I.2. 287 Erinnert sei an das postulierte Verständnis des Mt als Expertengespräch (s.o. I.2.). 288 Vgl. LUZ, Mt IV, 240; ZAHN, Mt, 697; SAND, Mt, 697. Die Annahme eines „JeremiaApokryphons“ geht auf Hieronymus zurück und wurde u.a. bei STRECKER, Weg, 80f. aufgenommen. Eine Übersicht weiterer Lösungsvorschläge bieten DAVIES/ALLISON, Mt III, 568f. 285
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
verweist. Die Vorschläge hierfür konzentrieren sich einerseits auf das Reflexionszitat, welches als Mischzitat unter Nennung des wichtigeren bzw. weniger offensichtlichen Propheten verstanden wird,289 andererseits auf die gesamte Perikope, die durch die Nennung im Lichte von Jer gelesen werden soll.290 Für die Untersuchung der Intertexte dieser Perikope sind also folgende Prämissen zu setzen: Die Perikope ist auf Basis eines dürren Traditionsgerüsts in einem kreativen literarischen Prozess durch den mt Schriftgelehrtenkreis verfasst worden, wobei in diesen die Schriften Israels eingewirkt haben. Es wird sich zeigen, dass sich für nahezu jeden Teilvers und jedes Handlungselement intra- und intertextuelle Referenzen finden lassen,291 die das Berichtete zu einer gelehrten Komposition machen.292 Dementsprechend ist von einer wechselseitigen Beeinflussung zwischen der Erzählung und dem Reflexionszitat auszugehen, die aufeinander zu beziehen sind und nicht voneinander getrennt werden dürfen.293 3.3.1. Sach 11,4–17 Eine erste Untersuchung potenzieller Intertexte und damit literarischer Vorlagen für Mt 27,3–10 führt zu Sach 11,4–17, aus dessen Erzählzusammenhang das Reflexionszitat stammt. Dort tritt ein Prophet in einer Zeichenhandlung als Hirte für Schlachtschafe auf, wobei deren Besitzer, die Schafhändler, 289
Vgl. BROWN, Death I, 568, woran sich DAVIES/ALLISON, Mt III, 569 anschließen. SENIOR, Fate, 369 geht eher allgemein von einem jer Unheilskolorit aus; bei KONRADT, Mt, 430 liegt der Fokus stärker auf einem konkreten Anzeigen intertextueller Bezüge von Mt 27,3–10 zu Jer. 291 Vgl. das Urteil bei LOHMEYER/SCHMAUCH, Mt, 375: „Es gibt wenige evangelische Erzählungen, welche so bis in jede Einzelheit von alttestamentlichem Wort und Geist durchdrungen sind wie diese. Für den Gang der Geschichte wie für jedes ihrer einzelnen Motive läßt sich im AT ein Vorbild aufzeigen.“ 292 Diese Beobachtung ist keineswegs neu und die Art und Weise dieser Komposition ist in der Forschung unter mancherlei Vorzeichen gestellt worden. Für die Untersuchung ist es jedoch nur bedingt relevant, ob diese Kompositionstechnik nun als Midrasch (vgl. BENOIT, Tod, 175; VAN DE WATER, Punishment, 399; WICK, Judas; SAND, Mt, 548; zur terminologischen Kritik vgl. LANGER, Midrasch, 19–37), als Haggadah (vgl. GNILKA, Mt II, 443 mit der Rückweisung der Einordnung als Targum) oder haggadischen Midrasch (vgl. HAGNER, Mt II, 811f.) richtig zu fassen ist. Entgegen dieser nicht gänzlich abwegigen Zuordnungen in das frühjüdische Schrifttum gilt jedoch festzuhalten, dass im Evangelium das Christusereignis im Licht der Schrift gedeutet wird und nicht ein normativer Text zum besseren Verständnis interpretiert wird (vgl. MOO, Tradition, 166–168; ferner auch die Differenzierung zwischen ʌȜȘȡંȦ und ʸˇ˝ bei LUZ, Mt I, 192f.). Demnach soll mit WICK, Judas, 34 die simple Beobachtung festhalten werden, ohne ein „literarisches Genre“ zu bestimmen, obgleich Wick selbst Midrasch vorschlägt: „Eine Erzählung wird geschaffen durch die Aneinanderreihung von Bibelzitaten und biblischen Motiven. Genau das lässt sich hier im Mt-Evangelium auf eine eindrückliche Weise beobachten.“ Ähnlich PAUL, Texte, 75. 293 Gegen STRECKER, Weg, 78–80. 290
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
173
und die vorherigen Hirten negativ gekennzeichnet werden (Sach 11,4–9).294 Der Aufgabe überdrüssig lässt sich der Prophet ausbezahlen, wobei er die dreißig Silberstücke anschließend auf JHWHs Geheiß dem Töpfer bzw. Schmelzer im Tempel übergeben soll (Sach 11,12f.). In die Erzählung sind zwei Zeichenhandlungen eingewoben, in der jeweils ein Hirtenstab als Symbol des Bundes zwischen JHWH und den Völkern (Sach 11,10f.) bzw. des Bundes Judas und Israels (Sach 11,14) zerbrochen wird. Es schließt sich eine letzte Zeichenhandlung gegenüber den unzuverlässigen Hirten an, die in einen Wehruf mündet (Sach 11,15–17). Insgesamt zeigt sich in Sach 11 ein prophetischer Gerichtshorizont gepaart mit Autoritätenkritik.295 Das auffälligste Stichwort sind IJ IJȡȚțȠȞIJĮ ਕȡȖȡȚĮ. Die Nennung von dreißig Silberstücken, die in Mt 26,15 vorbereitet ist und dort eine Änderung der mk Vorlage darstellt, lässt Sach 11,12f. anklingen.296 Der Einbezug von Sach 11 konkretisiert die Höhe der Bestechung, welche durch Mk 14,10f. vorgegeben ist. Dass der mt Kreis ਕȡȖȡȚȠȞ (Mk 14,11) beibehält und nicht in ਕȡȖȣȡȠ૨Ȣ (Sach 11,12) ändert, entspricht der überwiegenden Texttreue zu seiner Vorlage.297 Die unübliche Verwendung von ıIJȘȝȚ in diesem Zusammenhang bindet Mt 26,15 an Sach 11,12LXX zurück,298 sodass eine intertextuelle Referenz „eindeutig“ ist.299 Die Höhe der Summe wird in Sach 11,13 durch einen ironischen Kommentar JHWHs als lächerlich charakterisiert.300 294
Zu den möglichen realhistorischen Hintergründen dieser ausdifferenzierten „Machthaber“ in der persischen Zeit vgl. REDDITT, Sach II, 91–94. 295 Vgl. WICK, Judas, 28. 296 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 451f.; KONRADT, Israel, 153; LONA, Judas, 29. Zu möglichen Einwirkungen von Sach auf Mt 27 insgesamt vgl. BLACK, Use, 103–105. 297 Nach LUZ, Mt IV, 70 Anm. 8 sind die beiden Begriffe bedeutungsgleich, zudem verweist er auf den jeweiligen Gebrauch des Akk. Pl.; ähnlich MOO, Tradition, 158. 298 Die Wahl von ıIJȘȝȚ ist zwar die gängige Übersetzung für ʬʷˇ in der LXX, jedoch keineswegs die naheliegende (vgl. WICK, Judas, 28). Das Mt dürfte daher vom Text der LXX abhängig sein, wenngleich sich damit keinesfalls alle sprachlichen Auffälligkeiten erklären lassen. 299 KLAUCK, Jünger, 50. Hinzu kommt, dass in beiden Fällen die Summe von den Autoritäten bestimmt wird und jeweils der Empfänger des Silbers die „Bezahlung“ einfordert. Gleichwohl ist die Differenz zu berücksichtigen, dass der Prophet in Sach 11,12 die Option einer Nichtbezahlung mitformuliert. Judas hingegen fordert aktiv und in Differenz zur mk Vorlage eine Auszahlung ein. 300 Vgl. FREY, Leidensgeschichte, 66; KONRADT, Israel, 153; KÜCHLER, Jerusalem, 773; SCHOTT, Sacharja, 141; anders REDDITT, Sach II, 96. Durch ein ironisches Verständnis scheidet auch die einzige denkbare strukturelle Analogie in den Schriften Israels aus, die einen Zusammenhang von „verraten“/ausliefern und Silbergeld aufweist: In Ri 16,4–22 werden Delilah 3–5x1100 Silberschekel geboten, um Simson das Geheimnis seiner Kraft zu entlocken und ihn so in die Gewalt der Philister zu bringen. Da es sich hierbei aber um ein beträchtliches Vermögen handelt (vgl. KNAUF, Ri, 142), kommt diese Summe kaum als sinnvolle Referenz für die Judasperikope in Betracht. Darüber hinaus finden sich erzählerische Motive, die kaum kompatibel sind: Während Judas eigenständig
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
Auch der mt Kontext spricht eher für einen geringen Gegenwert der 30 Silberlinge.301 Es ist daher naheliegend die Höhe der Summe als Eintragung aus Sacharja zu verstehen, insofern sich aus den Schriften keine plausible Alternative bietet und ein historisches Wissen gleichermaßen unwahrscheinlich ist.302 Der Rekurs auf Sach ist zudem durch weitere Referenzen auf diese Schrift wahrscheinlich. Darauf weist die Korrektur in Mt 21,2, welche die Erzählung wörtlicher an Sach 9,9 heranbringt.303 Dieses Indiz ist am ehesten zu den Hohepriestern geht, wird Delilah von den philistäischen Fürsten aufgesucht. Darüber hinaus scheint die Geschichte in Richter 16 eher unter das Stichwort der Unzucht zu fallen (vgl. Flav.Jos.Ant. V 306–317) denn unter den Aspekt der Habgier; zur Zuordnung der beiden Topoi zueinander s.o.S. 122 Anm. 13. 301 Die Kaufkraft der 30 Silberlinge lässt sich nur schwer bestimmen, da Münzen ab dem Wert eines Denars in Silber geprägt wurden. Demzufolge kommen für ein Silberstück die Kaufkraft von einem Denar (entspricht nach Mt 20,2 einem Tageslohn), die Doppeldrachme (entspricht zwei Denaren) oder der Silberschekel des Jerusalemer Tempels (entspräche vier Denaren) in Frage. Die Kaufkraft liegt demzufolge ungefähr zwischen einem und vier durchschnittlichen Monatslöhnen. Sollte der Kaufpreis des kostbaren Öls aus Mk 14,5 mitzudenken sein, welcher im Mt jedoch fehlt, würde Judas Jesus für ein Zehntel dessen preisgeben (vgl. LUZ, Mt IV, 70). Ob auch an die Entschädigung aus Ex 21,32 gedacht ist, bei dem 30 Lot Silber den Tod einer Sklavin oder eines Sklaven durch ein Rind kompensieren, lässt sich nicht sicher beantworten (dafür plädiert bspw. KONRADT, Mt, 402; dagegen VAN TILBORG, Reading, 167). Darüber hinaus wird in Lev 27,4 die Weihegabe einer Frau mit 30 Schekel Silber beziffert wird (ein Mann mit 50 Schekeln Silber); Näheres bei HIEKE, Lev, 1108–1111. 302 In den Schriften Israels finden sich zudem wenige Summenalternativen, die sich mit dem Stichwort ਕȡȖȣȡȠ૨Ȣ/ਕȡȖȡȚȠȞ verbinden ließen: Der Kauf der Höhle Machpela durch Abraham für 400 Silberstücke in Gen 23,4–18 (sofern dies eine Relation zum Ackererwerb darstellt); die Zahlung von 3–5x1100 Silberstücken an Delilah in Ri 16,5 (s.o. Anm. 300); die als „Wucher“ implizierte Bezahlung des Jerusalemer Statthalters von täglich 40 Silberstücken (Neh 5,15). In Hos 3,2 wird die Auslösung einer Prostituierten mit 15 Silberstücken plus Naturalien beziffert; in Jer 32,9 schließlich ein Ackerkauf mit 17 Silberlingen. Alternativ ist an den Verkauf Josefs durch seine Brüder für 20 Silberstücke zu denken (Gen 37,28). TestGad beziffert die Summe auf zwar auf 30 Goldstücke, aber selbst wenn es sich hierbei nicht um eine christliche Interpolation handelt (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 452f.), scheint das mk Stichwort des Silbers nicht mit dem Gold aus der Josefsgeschichte kompatibel zu sein. Insgesamt zeigt sich also, dass für die Bezifferung des mk Silberangebots nur wenige schriftgemäße Adaptionen in Frage kommen, sodass die schriftexegetische Wahl von Sach 11 äußerst plausibel erscheint. 303 In der mk Vorlage wird ebenfalls Sach 9,9 eingespielt. Allerdings bleibt die Erzählung realistischer, insofern die Doppelung aus Eselin und Füllen (ਥʌ ਫ਼ʌȠȗȖȚȠȞ țĮ ʌȜȠȞ ȞȠȞ) auf ein Tier reduziert wird (ʌȜȠȢ). Das Mt bezeugt wiederum das gesamte Zitat (ਥʌ ȞȠȞ țĮ ਥʌ ʌȜȠȞ ȣੂઁȞ ਫ਼ʌȠȗȣȖȠȣ). Wenngleich der Wortlaut von der LXXFassung divergiert, so wird durch das Reflexionszitat (Mt 21,4f.) bereits eine Fassung des griechischen Textes dargeboten, die im Narrativ wortgleich aufgegriffen wird (Mt 21,7). Diese Stelle zeigt zum einen an, dass dem Evangelium die Schriftgemäßheit wichtiger scheint als eine realistische Szenerie; zumindest bleibt unklar, wie sich Jesus auf zwei Tiere gleichzeitig setzen kann (Mt 21,7). Zum anderen muss der Autorenkreis die Schrift-
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
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dafür belastbar, dass der mt Kreis die Jesusgeschichte bereits in dieser Schrift ausgeleuchtet sieht.304 Es ist daher anzunehmen, dass auch weitere Motive in Mt 27,3–10 aus Sach 11 entnommen sind. Die Reue des Judas (ȝİIJĮȝİȜȘșİȢ) könnte auf den Auftakt der „Hirtenallegorie“305 zurückverweisen, in dem die Gewinnsucht der Schlachtschafverkäufer sowie die reuelose (Ƞ ȝİIJİȝȜȠȞIJȠ) Schlachtung des Kleinviehs durch die Käufer angeklagt werden. Das Leid der Schafe, welches aus der Mitleidlosigkeit ihrer Hirten resultiert, fordert JHWHs Intervention heraus, insofern er den Propheten als neuen Hirten installiert,306 der mit „Freundlichkeit“ und „Zusammenhalt“ die Schafe weidet. Diese Anklage ist in die prophetische Sozialkritik an der rücksichtslosen Oberschicht zu Lasten der Unterschicht einzuordnen.307 Das reuelose Verhalten der Käufer wäre nun ein mögliches inverses Vorbild für den reuigen Judas, der durch ȝİIJĮȝİȜȘșİȢ charakterisiert ist. Falls hier eine verbale Anspielung vorliegt, ließe sich diese als Differenzierung zwischen Judas und den etablierten Autoritäten verstehen, wie sie bereits intratextuell zu beobachten war. Judas wäre durch die Reue aus der verwerflichen Oberschicht herausgenommen und durch die Geldrückgabeintention wäre auch die mögliche Analogie – Judas verkauft Jesus als Schlachtvieh – passé. Eine solche Intertextualität verschärft die Kritik an den Autoritäten.308 Diese Beobachtung fügt sich zudem gut in den intratextuellen Gebrauch von ȝİIJĮȝȜȠȝĮȚ in Mt 21,29.32 ein. Auch hier dient die Reue des Sohnes resp. der Zöllner und Prostituierten als Zeichen gegen die Autoritäten, die aus deren Gesinnungswandel keine Rückschlüsse ziehen.309 Die Rückgabeintention des Judas und das zwischenzeitliche Vorhandensein des Silbers im Tempel dürften ebenfalls durch Sach 11 inspiriert sein. Dies ergibt sich aus einer, wenigstens partiellen, Identifikation des Judas mit dem Propheten in Sach 11.310 Die Annahme einer solchen Identifikation wird durch anspielung im Mk erkannt und korrigiert haben (vgl. insgesamt LUZ, Mt III, 178f.). Unter diesen Vorzeichen bleibt es unverständlich, weshalb DERS., Mt I, 191 behauptet, dass der Autorenkreis keinen Zugang zu einer Sacharja- bzw. Dodekapropheton-Rolle gehabt habe. Vielmehr setzten die Veränderungen eine gute Kenntnis des Sach voraus, die wiederum die Assoziation zwischen ਕȡȖȣȡȠ૨Ȣ (Sach 11,12) und ਕȡȖȡȚȠȞ (Mk 14,11) plausibel macht. 304 Vgl. BLACK, Use, 105; DAVIES/ALLISON, Mt III, 199 mit Anm. 48; HAGNER, Mt II, 815; ferner VAN TILBORG, Reading, 160f., der mannigfaltige Anspielungen und wörtliche Vorlagen aus Sach 11[,4–17] in Mt 24–26 aufführt. 305 WILLI-PLEIN, Haggai, 184. 306 Mit Verweis auf Ez 34,23 sieht DEISSLER, Propheten, 302 hier messianisches Kolorit eingezeichnet. 307 Vgl. DEISSLER, Propheten, 302. 308 Vgl. VAN TILBORG, Reading, 166. 309 S.o. III.2.2.2. 310 Es wird noch eingehender aufzuzeigen sein, in welcher Hinsicht Judas als Prophet zu verstehen ist und welche Zeichenfunktion er einnimmt (s.u. III.4.). WICK, Judas, 33 schlägt darüber hinaus vor, dass sich die prophetische Funktion des Judas innerhalb des Mt mit
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
die Frontstellung der jeweiligen Figurenkonstellation unterstrichen, insofern die Hohepriester resp. die etablierten Autoritäten im Evangelium analog zu den Herdenbesitzern erscheinen.311 Eine parallele Figurenzeichnung zwischen Judas und dem Propheten setzt dann aber voraus, dass Judas als Empfänger des Geldes dieses nicht behält, sondern „weitergibt“. Während in Sach 11 der Zielpunkt des Silbers durch den Schmelzer/Schmelzofen (im Tempel!) direkt bestimmt wird,312 finden sich in Mt 27 mehrere Adressaten: Hohepriester und Älteste (27,3), Tempel (27,5); țȠȡȕĮȞ઼Ȣ (27,6); Töpferacker (27,7.10). In Sach 11,13b wird im Gegensatz zum mt Reflexionszitat angegeben, dass das Silber İੁȢ IJઁȞ ȠੇțȠȞ țȣȡȠȣ geworfen werden soll (ʪʬˇ/ਥȝȕȜȜȦ). Es ist daher wahrscheinlich, dass dieser Teilvers aus Sach 11,13b ([țĮ ȜĮȕȠȞ IJȠઃȢ IJȡȚțȠȞIJĮ ਕȡȖȣȡȠ૨Ȣ] țĮ ਥȞȕĮȜȠȞ ĮIJȠઃȢ İੁȢ IJઁȞ ȠੇțȠȞ țȣȡȠȣ İੁȢ IJઁ ȤȦȞİȣIJȡȚȠȞ) als Vorlage für Mt 27,5a dient (țĮ ૧ȥĮȢ IJ ਕȡȖȡȚĮ İੁȢ IJઁȞ ȞĮઁȞ [ਕȞİȤઆȡȘıİȞ, țĮ ਕʌİȜșઅȞ ਕʌȖȟĮIJȠ]).313 Es ist nur schwer vorstellbar, dass dem Autorenkreis Sach 11,12f. zwar bekannt war, aber dieser Erzählpart davon unabhängig erklärt werden soll.314 Abermals kann auf die sonstige breite Aufnahme von Sach im Mt verwiesen werden, sodass die Wurfszene, trotz fehlender verbaler Übereinstimmung, bewusst daran angelehnt sein dürfte.315 Die Änderung der Tempelterminologie, d.h. von İੁȢ IJઁȞ ȠੇțȠȞ țȣȡȠȣ (Sach) zu İੁȢ IJઁȞ ȞĮંȞ (Mt), erklärt sich durch die mt Tempeltheologie. In Mt 21,13 Verweis auf die Lügenpropheten in Mt 7,15–23 erklären ließe (vgl. auch Mt 24,24). Demnach gibt es „Propheten“, die dieser Funktion nicht gerecht werden, wie es mit Judas auch disqualifizierte Personen gibt, die prophetische Funktionen einnehmen. 311 Näherhin wäre zu fragen, ob eine Differenzierung von Herdenbesitzern und Hirten vorzunehmen ist. Das Bild von den schlechten bzw. fehlenden Hirten stellt ein verbreitetes Motiv in den Schriften Israels dar (vgl. Num 27,17; 1Kön 22,17; 2Chr 18,16; Jes 13,14; Ez 34,5.8; Sach 10,2; ferner Jdt 11,19). Eine Aufnahme desselben findet sich in Mt 9,36 (Mk 6,34), wobei dieses im Mt nochmals anders kontextualisiert wird. KONRADT, Mt, 159f. liest die Passage im Lichte von Ez 34, woraus deutlich wird, dass es zwar Hirten gibt (die etablierten Autoritäten), diese jedoch in ihrer Aufgabe versagen und ersetzt werden. Ein solcher Zusammenhang könnte auch für Sach 11 assoziiert werden, insofern die Besitzer/Käufer mit der Oberschicht zu identifizieren sind, unter denen die Schlachtschafe, also das Volk, leidet. Demnach gibt es auch hier die Konstellation, in der das Volk von den Autoritäten resp. der Oberschicht im Stich gelassen wird. LUZ, Mt II, 81 Anm. 9 weist derlei Ausdeutungen zurück, da er eine Anspielung auf schlechte Hirten in Mt 9,36 nicht gegeben sieht. 312 Nach SCHOTT, Sacharja, 142 kommt hier tiefe Ironie zum Ausdruck, insofern beim Schmelzer „an einen Hersteller von Götzenbildern zu denken“ sei. 313 Vgl. GNILKA, Mt II, 446; KLAUCK, Jünger, 95; SENIOR, Fate, 382f.; WICK, Judas, 29. 314 Gegen MOO, Tradition, 162f. 315 Vgl. BENOIT, Tod, 174; GUNDRY, Mt, 555. Anders JEREMIAS, Jerusalem, 155, der das Rückgabemotiv aus mAr 9,4 ableiten möchte und dies als historischen Hintergrund für die Erzählung heranzieht (im Anschluss daran auch GNILKA, Mt II, 445). Dieser Vorschlag wurde nicht zuletzt wegen der methodisch nur schwer zu haltenden und inhaltlich fraglichen Ableitung aus den Rabbinica (Mischna) zu Recht abgewiesen (vgl. HAGNER, Mt II, 812; LUZ, Mt IV, 235 Anm. 48; MOO, Tradition, 162).
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
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wird deutlich, dass dem Evangelium die Rede vom Tempel als Haus Gottes bekannt ist. In terminologischer Hinsicht wäre eine wörtliche Aufnahme der Phrase daher denkbar. Allerdings ist ebendieses Haus zu einer Räuberhöhle verkommen. Damit wird bereits angezeigt, was in Mt 23,38/24,1 ausformuliert ist: Der Tempel ist von Gott verlassen.316 Unter diesen Vorzeichen kann Judas das Silber nur in den physischen Tempel werfen, weswegen ȞĮંȢ an die Stelle von ȠੇțȠȢ țȣȡȠȣ tritt.317 Darüber hinaus bildet das Heiligtum einen logischen Erzählort, an welchem Judas das Silber hinterlegen konnte, damit es die Hohepriester – gemäß seiner Intention in Mt 27,3 – erhalten, ohne ihn erneut abzuweisen. 318 Es ist nicht wahrscheinlich, dass die Wahl von ૧ʌIJȦ (Mt) anstelle von ਥȝȕȜȜȦ (Sach) einen Verweis auf den Gemütszustand des Judas darstellt oder dadurch ein Wurf über die Tempelmauer impliziert wird.319 Vielmehr handelt es sich bei ૧ʌIJȦ um die gängige Übersetzung von ʪʬˇ.320 Folgt man der Linie, wonach Sach 11,4–17 auf die Erzählung eingewirkt hat, so ergibt sich eine weitere Referenzmöglichkeit hinsichtlich des Tempelschatzes (țȠȡȕĮȞ઼Ȣ) in Mt 27,6. Die kontroverse Diskussion entzündet sich an einer syrischen Textvariante zu Sach 11,13,321 die ʸʶʥʠ (Vorrat/Schatzhaus) statt ʸʶʥʩ (Töpfer) liest.322 Wäre es möglich, dass der mt Kreis beide Varianten 316
S.o.S. 113–116. Die Wahl von ȞĮંȢ in Differenz zu ੂİȡંȞ fügt sich zudem gut in die mt Ortsterminologie ein, insofern erstes das konkrete Tempelgebäude und damit das heilige Zentrum meint, während zweites für den großflächigen Tempelbezirk gebraucht wird (vgl. GURTNER, Matthew, 131f.; ähnlich DAVIES/A LLISON, Mt III, 565; LUZ, Mt IV, 235). 318 Aufgrund des Begegnungsorts von Geld und Hohepriester ist die bisweilen bemängelte Erzähllücke, wie Judas überhaupt in den Tempel gelangen konnte, von untergeordneter Bedeutung (vgl. LUZ, Mt IV, 235). Die Gegenwart des Blutgeldes im Tempel mag zudem ein Indiz für die Tempelzerstörung darstellen, insofern hierdurch eine Verunreinigung des Heiligtums veranschaulicht wird (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 565; GURTNER, Matthew, 131f.). Die Verunreinigung trifft immerhin den Kern des religiösen Zentrums (ähnlich HAMILTON, Blood, 95). 319 Vgl. HAGNER, Mt II, 564; LUZ, Mt IV, 235. 320 Vgl. THIEL, ThWAT VIII, 93. SENIOR, Fate, 382 Anm. 128 verweist zudem darauf, dass ૧ʌIJȦ bei den LXX-Rezensionen des Aquila und des Symmachus verwendet wird. 321 Zur Peschitta, welche auf die Mitte des 2. Jahrhunderts datiert wird, und deren Verhältnis zur hebräischen und griechischen Texttradition vgl. FISCHER, Text, 164–168. 322 Vgl. MENKEN, Matthew, 180f. Der Ausdruck ʸʶʥʠ findet sich (mit der Bedeutung als Tempelschatz) in Jos 6,19.24; Kön 7,51; 14,26; 15,18; 2Kön 12,19; 24,13; 1Chr 9,26; 26,20.22.24.26; 28,12; 29,8; 2Chr 5,1; 12,9; 16,2; 36,18; Neh 10,39. Allerdings wendet HAM, King, 66 ein, dass in der LXX niemals die alttestamentlichen Stellen zu ʸʶʥʠ mit țȠȡȕĮȞ઼Ȣ wiedergegeben werden. Der einzige Beleg, der sich sonst in der Umwelt findet, ist țȠȡȕȦȞ઼Ȣ in Flav.Jos.Bell. II 175. Aufgrund dieser zeitlichen Nähe wäre es jedoch denkbar, dass sich der Terminus erst spät ausgebildet hat, wodurch der Verweis auf die LXX unzureichend wäre. Allerdings bleibt unklar, ob bei Josephus der Tempelschatz als Terminus technicus gemeint ist oder so die Gaben für den Tempel bezeichnet werden (vgl. MENKEN, Matthew, 197). 317
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
kannte und sie gleichermaßen in das Evangelium integriert?323 Das Stichwort des Töpfers (Mt 27,7.10) legt zumindest die Kenntnis des hebräischen Wortlautes nahe,324 da die LXX ʸʶʥʩ mit ȤȦȞİȣIJȡȚȠȞ (Schmelzofen) wiedergibt.325 Der Kritik, wonach die Prophetie kaum Vorbild sein könne, da die Hohepriester das Silber eben nicht in den Tempelschatz legen,326 ist folgende Überlegung gegenüberzustellen: Das doppelte Wortspiel funktioniert auf der Ebene, dass Judas der prophetischen Intention in einer Variante entspräche, indem er das Geld in den Tempel bringt und der Tempelschatz ein potenzieller Adressat ist.327 Erst die Hohepriester stehen vor der Wahl des weiteren Umgangs mit dem Silber. Die beiden Textvarianten eröffnen nun zwei (wenigstens potenziell) schriftgemäße Möglichkeiten:328 Entweder sie legen das Silber in den Tempelschatz (ʸʶʥʠ/țȠȡȕĮȞ઼Ȣ) oder aber sie geben es dem Töpfer/Schmelzer (ʸʶʥʩ/ȤȦȞİȣIJȡȚȠȞ/țİȡĮȝİȢ). Der Fortgang, der der syrischen Textvariante entsprochen hätte, wird folglich aktiv von den Hohepriestern unterbunden. Ihr Handeln erfolgt im Sinne der zweiten Variante, nämlich der Gabe des Geldes an einen Töpfer. Die Ironie liegt darin, dass die Hohepriester zwar eine Wahlmöglichkeit diskutieren, allerdings beide Varianten der Prophetie entsprechen. In diesem Fall läge die Deutung nahe, dass sich die Hohepriester im Koordinatensystem der Schrift bewegen, was zum einen den „Wahrheitsgehalt“ des Reflexionszitates unterstreicht, zum anderen ein subversives Spiel mit dem Schriftverständnis der Hohepriester treibt. Beides kommt bereits in der
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Hierfür plädiert BENOIT, Tod, 174f.; im Anschluss daran auch DORN, Judas, 54. Vgl. SENIOR, Fate, 357. Alternativ wäre natürlich denkbar, dass dem mt Kreis auch hier eine revidierte Fassung der LXX vorliegt, die entsprechend ʸʶʥʩ mit țİȡĮȝİȢ wiedergibt (vgl. MENKEN, Quotation, 315). Bei Menken findet sich zudem eine Übersicht über weitere Übersetzungsvarianten zu ʸʶʥʩ, die sich in den frühen Übersetzungen niederschlagen. Dementsprechend sollte diese terminologische Differenz nicht allzu hoch gewertet werden. 325 Als Partizip von ʸʶʩ ist die Grundaussage des hebräischen Wortes „jemand, der formt/macht“ in den meisten Belegstellen mit „Töpfer“ wiedergegeben. Sach 11 bereitet hier sachlogische Probleme, insofern der Gegenstand, der verarbeitet werden soll, das Silber meint, weshalb das Partizip hier mit „Gießer“ übersetzt wurde (ähnlich SCHOTT, Sacharja, 129). Es ließ sich nicht erheben, ob ʸʶʥʩ ein Terminus technicus für Töpfer ist und in der LXX daher eine glättende Übersetzung anstrebt wird. Diese Unsicherheit macht es notwendig für das Töpferstichwort nach weiteren Intertexten zu suchen. 326 Vgl. MOO, Tradition, 164. 327 Diese Interpretation setzt implizit voraus, dass mit İੁȢ IJઁȞ ȠੇțȠȞ țȣȡȠȣ İੁȢ IJઁ ȤȦȞİȣIJȡȚȠȞ zwei Aktionen vorliegen. In einem kreativen Umgang mit der Schrift wäre eine solche Trennung nicht unplausibel. Judas bringt demnach das Silber lediglich İੁȢ IJઁȞ ȞĮઁȞ (= IJઁȞ ȠੇțȠȞ țȣȡȠȣ) – das weitere Geschehen hängt an den Hohepriestern. Eine doppelte Bewegungsrichtung sehen auch GIELEN, Konflikt, 371; LONA, Judas, 29. 328 Eine solche Wahlmöglichkeit erwägt bereits WELLHAUSEN, Mt, 137. 324
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
179
Erzählung zum Ausdruck und würde durch ein solches Sprachspiel lediglich verstärkt werden.329 Werden diese Indizien zusammengenommen, dann ergibt sich nicht nur ein sicherer Klangraum von Sach 11,4–17 in Mt 27,3–10, sondern auch ein Deutungshorizont, welcher gegen die Autoritäten polemisiert330 und in dem Judas eine prophetische Zeichenfunktion zukommt.331 Damit bestätigt sich ein Teilergebnis der Figurenanalyse, insofern die Judasfigur gänzlich funktionalisiert wird. Im Gesamtduktus der Erzählung ist es offenbar notwendig, dass das Silber seinen Weg zu den etablierten Autoritäten findet.332 Dieser Part wird von Judas übernommen. Sein Suizid ist daher auch inmitten der Erzählung notwendig, um die Figur aus dem Spiel zu nehmen und zum Kern des Geschehens voranzuschreiten. Nach Sach ist zwar der Töpfer/Schmelzer im Tempel als Zielort des Silbers bestimmt. In erzähltechnischer Hinsicht wäre es nun aber widersinnig, wenn das Silber an einen konkreten Töpfer ginge; schließlich soll das Geld als Besitz der Autoritäten dargestellt werden.333 Es zeugt wohl von exegetischer Finesse, dass es dem Schriftgelehrtenkreis gelingt, die Nennung des Töpfers in ein sinnvolles Narrativ einzutragen. 334 Im Reflexionszitat wird nun erkenntlich, dass als Zielpunkt des Silbers nun nicht der Töpfer, sondern der Töpferacker bestimmt wird.335 Naheliegend wäre, dass sich diese Neuakzentuierung als Verbindung zwischen dem Blutacker
329 Damit sind auch historische Rückfrage vergeblich, die den Kauf des Ackers im Lichte rabbinischer Traditionen sehen, insofern bspw. geraubtes Geld der Allgemeinheit zugutekommen soll (so JEREMIAS, Jerusalem, 156). 330 Vgl. HAMILTON, Judas, 430. 331 S.u. III.4. 332 Wie SENIOR, Passion, 104 treffend bemerkt: „The money seems to be symbolic of the responsibility Jesus’ opponents bear for his death; try as they might, the money returns to haunt them.“ Ähnlich ROTHFUCHS, Erfüllungszitate, 87: „Bemerkenswert dürfte sein, daß die Gestalt des Judas in 27, 3ff nur insofern interessiert, als er mit seiner Reue, seiner Geldrückgabe und seiner Selbstverurteilung von der Bühne abtritt und die Hohenpriester und Ältesten mit dem Blutgeld sich selbst überläßt.“ 333 Dieser Gedanke führt auch HAGNER, Mt II, 814 zur Vermutung, dass der Geldwurf im Reflexionszitat aufgrund des dann notwendigen „shift of subjects“ ausgeklammert wurde. 334 Vgl. MENKEN, Quotation, 316f.; ähnlich HAM, Prophets, 55. 335 Auf der Erzählebene wird damit die implizite Frage, ob das Silber im Tempelschatz verweilen könnte, zu einer Scheinalternative. Vielmehr kann der mt Kreis hieran die Scheinheiligkeit der etablierten Autoritäten unterstreichen, die mit Anlehnung an Dtn 23,19 die kultische Reinheit des Tempels forcieren, die durch ihr eigenes Handeln ohnehin belastet ist: Anstatt zu verhindern, dass das Blutgeld zu Blutgeld wird (und den Prozess Jesu unterbinden), ignorieren sie dieses Faktum und sehen das Problem durch die Entfernung des Blutgeldes als erledigt an (vgl. LUZ, Mt IV, 239). Dass der Tempel ohnehin keine sühnende Funktion mehr aufweist und seiner Heiligkeit beraubt ist, kann gleichermaßen an ihren Taten abgelesen werden: Sie schicken den reuigen Sünder Judas vom Heiligtum fort.
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
als Traditionskern und dem Töpfer aus Sach erklärt.336 Dies erscheint jedoch unterbestimmt zu bleiben, insofern das zweite markante Intertextualitätssignal, die Zuschreibung des Zitats an Jeremia, schlichtweg übergangen wird. Daher ist davon auszugehen, dass insbesondere das Silbermotiv und partiell das Töpfermotiv Sach entnommen sind. Anderweitige Aspekte des Töpfermotivs, des Ackermotivs und des Blutmotivs bedürfen indes einer weiteren intertextuellen Spurensuche, die zu Jer führt. 3.3.2. Das Buch Jeremia Innerhalb der Forschungslandschaft werden drei Jeremiatexte als potenzielle Intertexte für Mt 27,3–10 diskutiert, die sich primär durch die Stichworte țİȡĮȝİȢ und ਕȖȡંȢ ergeben. a) Jer 18 Eine erste intertextuelle Spurensuche führt über den Begriff țİȡĮȝİȢ zu Jer 18. Von insgesamt sechszehn Belegen in der LXX,337 finden sich vier in diesem Kapitel. Signifikant tritt hinzu, dass nur in dieser Erzählung ein namenloser Töpfer individualisiert auftritt. Jeremia wird von JHWH zum ȠੇțȠȢ IJȠ૨ țİȡĮȝȦȢ geschickt, wo er das Werk des Töpfers betrachtet (Jer 18,1f.). Dabei beobachtet er, dass der Töpfer seine Arbeit neu beginnt, sobald er mit der aktuellen Fassung unzufrieden ist (Jer 18,3f.). Dieser Vorgang wird von JHWH kommentiert, sodass das gesamte Szenario zu einer „prophetischen Symbolhandlung“ wird.338 JHWH offenbart Jeremia, dass er an Israel ebenso handeln kann, wie ein unzufriedener Töpfer (Jer 18,5f.).339 Im Folgenden erhält Jeremia den Auftrag, Juda und den Bewohnern Jerusalems ein Gerichtswort zu verkünden, worin bereits deren mangelnde Umkehr und Klage über das Gericht zum Ausdruck kommen (Jer 18,7–12.13–17). Mit diesem Vergleich und Gesamtzusammenhang wird ein Gerichtshorizont ein336
Vgl. BENOIT, Tod, 176; KNOWLES, Jeremiah, 58; MOO, Tradition, 164. Für FREY, Leidensgeschichte, 68 wären damit die Hintergründe des Reflexionszitats geklärt, insofern sich der Töpferacker allein aus Tradition und Sach 11 speist. Einen erweiterten Einfluss möglicher Intertexte aus dem Jeremiabuch schließt er dadurch als belanglos aus. Dementsprechend stellt er auch seiner Argumentation voran, dass es sich bei der Zitatzuschreibung an Jeremia nur um einen Irrtum handeln kann (ebd., 58). 337 Vgl. 1Chr 4,23; Ps 2,9; SapSal 15,7; Sir 33,13; 38,29; Jes 29,16; 41,25; 45,9; Jer 18,2f.6; Klgl 4,2. Weitere Belege, die sich aus dem Hebräischen ʸʶʥʩ(ʤ) ergeben, sind Jer 18,4; 19,1; Sach 11,13. 338 WANKE, Jer I, 173. 339 Das Motiv, wonach JHWH als Töpfer handelt, ist bei Jesaja mehrfach bezeugt (vgl. Jes 59,15f.; 45,9f.; 65,7f.). Von diesen Belegen aus vermutet Wanke, dass sich JHWHs Kritik an ein Verhalten richtet, dass ihm seine Souveränität abspricht (vgl. WANKE, Jer I, 173).
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
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gespielt, der bereits auf ein vollzogenes Gericht zurückzublicken scheint.340 Als potenzieller Intertext zu Mt 27,3–10 verstärkt Jer 18 in erster Linie das prophetische Kolorit und die drohende Gerichtsperspektive der geschichtstheologischen Dimension. b) Jer 19 Die Stelle handelt von einer prophetischen Zeichenhandlung, in welcher Jeremia angewiesen wird, einen Krug zu zerschmettern und Gerichtsworte zu verkünden. Die phänomenologische Nähe dieser prophetischen Handlung zur vorherigen Schau und die Stichwortverbindung „Töpfer“ im Hebräischen weisen auf Jer 18 zurück.341 Es ist anzunehmen, dass dieses Zeichen die konsequente Fortsetzung der vorherigen Schau darstellt: „Das zuvor formbare Gefäß ist hier zum Krug geworden, der unwiederherstellbar in Scherben geschlagen wird […].“342 Der Ort des Geschehens ist das Hinnomtal,343 welches zunächst durch Fremdgötterei und Kinderopfer charakterisiert und in der Gerichtsandrohung weiter disqualifiziert wird. So führt das Gericht über die Stadt zu grausam gezeichneten (Kriegs-)Folgen (Jer 19,7–9). Bereits die Zeichenhandlung offenbart eine zweifelsfreie Botschaft: „Wie eine Tonflasche zerbrochen wird und nicht mehr repariert werden kann, so wird Jahwe Volk und Stadt so zerstören, daß sie nicht mehr geheilt werden können.“344 Abermals bildet der Gerichtshorizont den Hintergrund des Geschehens. Daneben finden sich weitere interessante Aspekte, die Jer 19 zu einem plausiblen Intertext für Mt 27,3–10 machen.345
340
Vgl. FISCHER, Jer I, 575f.; WANKE, Jer I, 173f. Vgl. WANKE, Jer I, 171. Jeremia wird beauftragt eine „[irdene] Töpferflasche“ zu kaufen (Übersetzung nach ebd., 178). Während der MT dies durch ˈʸʧ ʸʶʥʩ ʷʡʷʡ ausdrückt und das Stichwort des Töpfers erkennen lässt, übernimmt die LXX zwar die umständliche Formulierung, gibt das Töpferstichwort allerdings mit einem anderen Partizip wieder (ȕțȠȞ ʌİʌȜĮıȝȞȠȞ ੑıIJȡțȚȞȠȞ). 342 FISCHER, Jer I, 593. 343 Die LXX nimmt bereits in den unterschiedlichen Ortsbezeichnungen Interpretationen vor. So wird aus dem Tal ein Massengrab (ʌȠȜȣȞįȡȚȠȞ) und in 19,2 wird ʭʰʤʚʯʡ zu ȣੂȞ IJȞ IJțȞȦȞ ĮIJȞ, womöglich als Fehler/Wortspiel mit ʭʤʩʰʡʚʩʰʡ und/oder in Reminiszenz an Jer 7,31 (vgl. VONACH, Jeremias, 2768). In Jer 19,6 findet sich zudem die Näherbestimmung mit ȣੂȠ૨ ǼȞȞȠȝ. 344 WANKE, Jer I, 180. 345 KNOWLES, Jeremiah, 70f. führt sechs Referenzen an, die hier gleichermaßen entfaltet werden: das Stichwort ʸʶʥʩ; die Bestimmung als Friedhof; eine Namensänderung, die mit Blutvergießen konnotiert ist; die Personenkonstellation mit Hohepriester und Ältesten des Volkes; das Gericht, welches durch das Motiv des unschuldigen Blutes begründet wird; das Gericht in Form der Zerstörung Jerusalems; ähnlich HAMILTON, Judas, 422–425; MOO, Tradition, 159f.; ZAMFIR, Motifs, 154. 341
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
Innerhalb der Figurenkonstellation finden sich erste auffällige Parallelen. Jeremia wird aufgefordert, Älteste des Volkes und Älteste der Priester zu seiner prophetischen Zeichenhandlung mitzunehmen (Jer 19,1). Diese bilden wohl die Zeugen der Zeichenhandlung und die Ersthörer der Anklage- und Gerichtsworte, wobei in Jer 19,3 die Könige Judas und die Bewohner Jerusalems – in der LXX zudem die Männer Judas – als Adressaten angesprochen werden.346 Der anschließende Gang Jeremias vom Tophet in die Stadt und die direkte Anrede des Volkes in Jer 19,14f. sprechen dafür, dass die Personenkonstellation im Hinnomtal beim Tophet lediglich den Propheten mit Priestern und Ältesten umfasst. Dies wiederum gleicht dem Szenario in Mt 27,3–5: Hier stehen sich Judas und die Hohepriester samt den Ältesten des Volkes gegenüber.347 In diesem Zusammenlesen bildet die Fronstellung zwischen Judas und den Hohepriestern abermals eine Analogie zum Gegenüber von Propheten und etablierten Autoritäten. Vielfach wird auf das Motiv des unschuldigen Blutes verwiesen, 348 dass hier im Plural verwendet wird (ĮੂȝIJȦȞ ਕșȦȞ) und damit als langanhaltendes Blutvergießen verstanden werden kann.349 Das Motiv findet sich als Gotteswort im Munde des Propheten Jeremias wieder. Die Anklage der Autoritäten ist durch diesen normativen Spruch als letztbegründet zu werten, wobei insgesamt auffällig ist, dass das Motiv des unschuldigen Blutes in Jer durchweg in einem Gottesspruch erscheint, der bisweilen prophetisch vermittelt wird.350 Eine weitere Auffälligkeit ist die Namensänderung in Jer 19,6. Die Folgen des göttlichen Gerichts werden dafür sorgen, dass nicht mehr vom „Tophet“ 346
In beiden Personengruppen kommt eine gewisse Gesamtheit zum Ausdruck. Die Ältesten des Volkes treten im biblischen Sprachgebrauch auf, „wenn es um wichtige Anliegen der gesamten Gemeinschaft geht“ (FISCHER, Jer I, 595). Ähnliches liegt vermutlich bei den Ältesten der Priester vor, sodass „zwei führende gesellschaftliche Kreise anwesend [sind]“ (ebd., 595; Hervorhebung im Original). Die Anrede des Gerichtsworts nimmt diese Vorstellung gleichermaßen auf. Durch die Anrede der Könige Judas und der Bewohner Jerusalems richtet sich das Wort an „die Bevölkerung insgesamt“ (ebd., 596; im Original kursiv). 347 Es wäre daher denkbar, dass die zuvor geschilderte Funktion der Ältesten im Mt nicht nur aus dem Todesbeschluss resultiert, sondern auch der szenischen Angleichung an Jer 19,1 dient. 348 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 569; FRANCE, Mt, 1043; KNOWLES, Jeremiah, 70f.; KONRADT, Mt, 430; NOLLAND, Mt, 1155 Anm. 320; SENIOR, Fate, 360. 349 S.o.S. 65 bei Anm. 108. 350 Vgl. Jer 2,34; 7,6; 19,4; 22,3.17; 26,15. Einen göttlichen Sprecher resp. eine göttlich inspirierte Rede im Zuge des Motivgebrauchs ist sodann in Dtn 19,10.13; 21,8f.; 27,25; Jo 4,19; ferner 2Bar 64,2 auszumachen. Die Belegstellen der bisher als zentral bestimmten Intertexte gebrauchen folglich das Motiv als göttliche Rede und schreiben so diesem Deutungsmuster die größtmögliche Legitimation zu. Im Unterschied dazu wird das Motiv in den Erzählpassagen der Geschichtsbücher überwiegend in „zwischenmenschlicher“ Kommunikation gebraucht, wobei auch hier bisweilen die vertikale Dimension nicht auszublenden ist (bspw. 2Kön 24,4).
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
183
oder „Tal Ben-Hinnom“ gesprochen wird, sondern vom „Tal des Mordens“.351 Es ist möglich, dass dieses Erzählmotiv die Namensänderung in Mt 27,8 inspiriert hat.352 Die Namensänderung des Tophet lässt zudem eine weitere Analogie erkennen: In Jer 19,11 wird angekündigt, dass der Tophet als Friedhof genutzt werden wird, wobei sich letztlich auch dort kein Platz mehr finden lässt.353 Stellt der Töpferacker ein literarisches Produkt des mt Kreises dar, so wäre dessen Namensänderung zum Blutacker, den die Tradition vorgibt, von Jer 19,7 aus inspiriert, wobei auch die funktionale Bestimmung des Ackers, nämlich als Friedhof, von dort imaginiert sein dürfte. Wie aus dem Tophet, der zur Bestattung genutzt werden wird, via Namensänderung das „Tal des Mordens“ wurde, so wurde der Töpferacker, der als Friedhof genutzt werden soll, als Blutacker neu benannt. Schwierigkeiten bereitet, dass die Friedhofsfunktion des Tophet nur im Hebräischen formuliert ist ( ʥʸʡʷʩʺʴʺʡʥ ʸʥʡʷʬʭʥʷʮʯʩʠʮ) und in der LXX fehlt.354 Andererseits wird die „Friedhofsatmosphäre“ auch in der LXX spürbar: das hebräische ʠʩʢ („Tal“) wird ohne sprachlichen Anhaltspunkt mit ʌȠȜȣȞįȡȚȠȞ („Massengrab“) wiedergegeben.355 Es ist daher sowohl auf Basis des hebräischen als auch des griechischen Textes naheliegend, dass ein Friedhofsbezug imaginiert wurde.356
HAMILTON, Judas, 428 sieht in der Bezeichnung zudem durch den Begriff ʤʢʸʤʤ bzw. ıijĮȖ eine Parallele zwischen Jer 19,6 und Sach 11,4. 352 Vgl. HAMILTON, Judas, 425 mit Verweis auf GUNDRY, Use, 125. Die geringen sprachlichen Parallelen könnten durch die divergierende Spruchform bedingt sein. Während in Jer eine futurisch ausgerichtete Prophetie vorliegt, wird im Mt die Form einer Ätiologie gebraucht (vgl. SENIOR, Fate, 360f.). 353 Vgl. HAMILTON, Judas, 424f. Diese Prophezeiung stellt in synchroner Betrachtung von Jer eine Wiederholung aus Jer 7,31f. dar. In der Verwendung des Begriffs Tophet in Jer 7,31f.; 19,6.11–14 wird zudem deutlich, dass der Ort radikal disqualifiziert ist (Jer 19,13) und bereits die Bestattung an diesem Ort eine gewaltige Polemik darstellt. Diese wird durch die Ermangelung an Platz selbst am schlimmsten Bestattungsort nochmals gesteigert. Zum Tophet insgesamt vgl. KEEL, Jerusalem I, §610–612. 354 Nach VONACH, Jeremias, 2769 lässt sich nicht entscheiden, ob der Zusatz im MT erst später aus Jer 7,32 aufgenommen oder vorsätzlich in der LXX gestrichen wurde. 355 VONACH, Jeremias, 2741 spekuliert als Erläuterung zu Jer 2,23, dass es sich hierbei um eine Deutung handelt, die auf das Hinnomtal verweist. Dieser interpretierende Sprachgebrauch wurde dann offenbar beibehalten; ähnlich KÜCHLER, Jerusalem, 755. 356 Für den griechischen Sprachraum lässt sich dies anhand des sonstigen Gebrauchs von ʌȠȜȣȞįȡȚȠȢ nochmals unterstreichen. Dabei fällt zudem auf, dass das Wort häufig in Verbindung mit dem Wortfeld IJijȠȢ gebraucht wird. In 2Makk 9 kündigt Antiochus IV. ein Massaker in Jerusalem an, an welchem er seine Wut nach der Niederlage in Persien auslassen möchte: ʌȠȜȣȞįȡȚȠȞ ǿȠȣįĮȦȞ ǿİȡȠıંȜȣȝĮ ʌȠȚıȦ ʌĮȡĮȖİȞંȝİȞȠȢ ਥțİ (2Makk 9,4). Die Folge dieses Ausspruchs ist eine tödliche Krankheit: „In seiner [sc. Antiochus IV.] Wut sollte Jerusalem als Sündenbock für alle seine Mißerfolge dienen. Antiochus Drohung, die Stadt in einen Friedhof zu verwandeln, war unmittelbarer Auslöser für das Herbeikommen des Gottesgerichts (V.4)“ (DOBBELER, 1/2Makk, 215). In dem folgenden, letztlich unerhörten, Bußgebet, revidiert er seinen Plan, insofern er Jerusalem rechtlich 351
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
Darüber hinaus weisen archäologische Funde und sprachliche Überlieferungen darauf hin, dass das Hinnomtal seit der Westerweiterung unter Hiskia in mehrfacher Hinsicht mit chthonischen Vorstellungen assoziiert ist.357 Die Bestimmung des Töpferackers als Friedhof für Fremde dürfte daher von Jer 19 abhängig und dadurch vom mt Kreis im Hinnomtal imaginiert sein.358 c) Jer 32 Ein letztes Element, das sich mit Jer verbinden lässt, ist der Kauf eines Ackers. In Kapitel 32(39LXX) wird Jeremia aufgetragen, das Kaufangebot für einen Acker in Anatot (nö von Jerusalem) anzunehmen und diesen für 17 Schekel Silber zu kaufen (Jer 32,6–15). Wenngleich die konkrete Summe divergiert, so kann ਕȡȖȡȚȠȞ als weiterer Konnex zwischen Jer 32 und Mt 27 ausgemacht werden.359 Im Rahmen von Jer ist auch dieser Text als prophetische Zeichenhandlung zu verstehen,360 welche durch JHWH gedeutet wird. Vordergründig erscheint Jer 32,15 als Deutewort, sodass die Erzählung sich gut in die jer Heilsbotschaft (Jer 31–34) einfügt und der Ackerkauf als Vorverweis auf die Wiederbesiedelung des Landes nach dem Exil dient (32,16– 44).361 Es bliebe allerdings unklar, weshalb die so gedeutete Zeichenhandlung mit Versiegelung und Verwahrung des Kaufvertrages sowie dem Auftreten Baruchs einhergeht. Demnach ließe sich auch das Vergraben des Kaufvertrags als Ziel der Erzählung bestimmen.362 Der Ackerkauf verdeutlicht in Athen gleichstellen will. Versteht man 2Makk 9,14.15 als inhaltlichen parallelismus membrorum, so wäre ʌȠȜȣȞįȡȚȠȢ gleichbedeutend mit įȚİȖȞઆțİȚ ȝȘį IJĮijોȢ ਕȟȚıĮȚ. Damit wird deutlich, dass nach 2Makk ʌȠȜȣȞįȡȚȠȢ eine Form der Bestattung darstellt, die durch Leichenfraß durch Tiere charakterisiert wird (2Makk 9,15; vgl. Jer 19,7). Eine ähnliche Vorstellung kommt vermutlich im Eselsbegräbnis Jojakims (IJĮijȞ ȞȠȣ; Jer 22,19) zum Ausdruck. Eine solche „Form“ der Bestattung ist folglich maximal disqualifizierend; vgl. hierzu auch KEEL, Jerusalem I, §611. 357 Vgl. BIEBERSTEIN, Hinnomtal, 3.1–3. 358 Durch diesen Zusammenhang wird die spätere topographische Verortung des Blutackers in das Hinnomtal plausibel (s.o. III.3.2.1.). Gleichwohl kann nicht entschieden werden, ob um die Zeitenwende tatsächlich im Hinnomtal ein Landstück mit Namen Blutacker vorhanden war. Es kann lediglich festgehalten werden, dass der Name im mt Text mit dem Hinnomtal in Beziehung gesetzt wurde. Gegen eine historische Lokalisierung spräche zumindest das Zeugnis der Apg, die einen solchen Bezug, trotz des Verweises auf Jerusalem (Apg 1,19), nicht herstellt. 359 Dies lässt sich auch dadurch unterstreichen, dass der Zahlvorgang in Jer 39,10LXX mit ਕȡȖȡȚȠȞ und ıIJȘȝȚ umschrieben (vgl. Sach 11,12LXX; Mt 26,15). Vgl. zudem MENKEN, Quotation, 316f., der zudem mehrere sprachliche Verschränkungen zwischen Sach 11,11–13 und Jer 32(39),6–15 ausmacht. Es mag daher sogar plausibel sein, dass die mt Schriftgelehrten hierdurch vom Sacharjazitat direkt zu Jer geführt wurden. 360 Vgl. WANKE, Jer II, 299. 361 FISCHER, Jer II, 216. 362 Vgl. WANKE, Jer II, 302.
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
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dieser Perspektive, dass die Zeit der babylonischen Herrschaft und das Exil von langer Dauer sein werden.363 Daher kann auch für diesen Intertext – trotz der heilvollen Perspektive des prophetischen Kolorits – ein unmittelbarer Gerichtsbezug nicht gänzlich ausgeklammert werden (Jer 32,1–5). Durch den Verweis auf Jeremia im Reflexionszitat Mt 27,9f., welches den Kauf eines Ackers mit Silber zum Inhalt hat, ist eine intertextuelle Beziehung zwischen den beiden Texten wahrscheinlich.364 Es ist allerdings nicht unmittelbar einsichtig, dass der Ackerkauf in Mt 27 durch Jer 39LXX verständlich wird. Die bisherigen Intertexte haben die Gerichtsperspektive deutlich hervortreten lassen, sodass der Acker – als Heilszeichen verstanden – quer zum Bisherigen steht.365 Es wäre daher denkbar, dass die Erzählung invers heranzuziehen ist. Da die Figurenkonstellationen in Jer 19 und Sach 11 die etablierten Autoritäten als (feindliches) Gegenüber zum „Propheten“ markieren, wäre eine Identifikation derselben mit Jeremia als Ackerkäufer widersinnig. Ihr Agieren ist demnach konträr zum originären Handeln Jeremias zu verstehen. Dies drückt sich in einem weiteren divergierenden Erzählaspekt aus: Der Prophet kauft auf JHWHs Anweisung hin einen Acker als Heilszeichen, während die Hohepriester ohne göttliche Legitimation agieren.366 363
Für diese Deutung geht WANKE, Jer II, 303 zudem davon aus, dass Jer 32,15 eine sekundäre Interpretation der Kauferzählung darstellt. Eine solche diachrone Differenzierung ist für den mt Kontext eher unwahrscheinlich, weshalb eher die synchrone Deutung bei FISCHER, Jer II, 200 anzuführen ist, die im Ackerkauf und der Versiegelung des Kaufvertrages eine heilvolle Zukunft sieht: „[Die Zeichenhandlung] nimmt symbolisch vorweg, was das Leben in Zukunft ›wieder‹ ausmacht“ (Hervorhebung im Original). 364 Nur in Jer 39LXX wird das Wortfeld ਕȡȖȡ- im Buch als zählbare Einheit gebraucht (ਕȡȖȡȚȠȞ; ansonsten nur noch in Jer 6,29f.; 10,4.9; 52,19 im materiellen Sinne). Für das Stichwort ਕȖȡંȢ wiederum ist auffällig, dass dieses in verdichteter Form in Jer 39LXX gebraucht wird (Jer 39LXX,7–9.15.25.43f.). Die übrigen Vorkommen lassen sich überwiegend in einen Kontext von Gerichtsworten stellen (JerLXX 4,17; 6,12.25; 7,20; 8,7.10; 12,4.9; 13,27; 14,5; 33,18; 34,6; 42,9; 47,7.13; 48,8). Eine gehäufte Zusammenstellung der beiden Termini findet sich neben Mt 27 und Jer 39LXX lediglich in Gen 23; Lev 17 und Neh 5, wobei nur der Kauf der Höhle Machpela durch Abraham eine gewisse Nähe aufweist: der konkrete Kauf eines Grundstücks durch eine konkrete Person unter Angaben einer definierten Summe zur Nutzung als Friedhof. Da jedoch der Kaufpreis in Gen überzogen hoch erscheint, bildet Jer 39LXX und der dortige Schleuderpreis die engere Parallele (vgl. FISCHER, Jer II, 197f., wenngleich er einen Bezug zwischen Jer 32 und Mt 27 in Anm. 5 bezweifelt). 365 Zudem kann aufgezeigt werden, dass die „prophetische Funktion“ des Judas gleichermaßen auf das Gericht hin auszudeuten ist, was die Diskrepanz nochmals verschärft (s.u. III.4.). Auf die Deutung des Friedhofs als Heilszeichen für die Völker und/oder das Volk Israel s.u.S. 329 Anm. 321. 366 Zwar erscheint ihr Handeln aus der Schrift her legitimierbar, insofern sie eine Verunreinigung des Tempels zu vermeiden suchen. Allerdings stellt eben jenes Handeln die eigentliche Perversion dar, insofern sie eben nicht die Ursache (Vergießen unschuldigen Blutes), sondern die Konsequenzen daraus (Blutgeld) zu kompensieren suchen (vgl. LUZ, Mt IV, 239). Fraglich ist jedoch, ob der „göttliche Befehl“ (Mt 27,10b) das Handeln der Autoritäten legitimiert. Nach KLAUCK, Jünger, 100 handelt es sich um eine Über-
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
Bildet sowohl ihre Figurenzeichnung als auch ihr Handeln eine Perversion zu Jeremia, so muss auch die Deutung ihres Tuns invers gelesen werden. In Jer 39LXX zeigt der Acker die heilvolle Zukunft des Landes an. In der Heilszusage JHWHs (Jer 39,15LXX) ist sodann zu erkennen, dass der Acker als kultivierbares Land zu verstehen ist und als Heilsymbol die Entstehung neuer blühender Landschaften vorzeichnet (vgl. Jer 39,42–44LXX).367 Der Verwendungszweck des Ackers im Mt steht dieser Charakterisierung diametral gegenüber, insofern der Ackergebrauch eben nicht als Kulturland bestimmt ist, sondern als Friedhof für Fremde gebraucht werden soll.368 Folglich lässt sich der Acker in Mt 27 im Sinne einer Inversion als Unheilsymbol verstehen, das über die Erzählung hinaus bestehen bleibt. Der Ackerkauf der Autoritäten zeichnet so das unheilvolle Gericht vor. d) Schlussbetrachtung Insgesamt offenbart sich von Mt 27 ausgehend ein enges intertextuelles Netz, in welchem die potenziellen Intertexte zugleich stark ineinander verwoben sind. Daher lassen sich mit dem Forschungskonsens Anspielungen auf Jer 18; 19 und 32 festhalten,369 sodann Sach 11. Die Intertexte weisen durchweg tragung von țĮ İੇʌİȞ țȡȚȠȢ ʌȡંȢ ȝİ (Sach 11,13) „in eine stehende Einführungsformel“ (ähnlich WOLFF, Jeremia, 163 Anm. 1). Ein Rückbezug auf Ex 9,12 – manchmal gepaart mit einem etwaigen Verstockungsmotiv hinsichtlich der Autoritäten – wird überwiegend abgewiesen (vgl. HAM, King, 66). Ein hohepriesterliches Agieren als Ausdruck eines göttlichen Befehls wird in der Forschungslandschaft folglich vermieden (vgl. MENKEN, Quotation, 318). Insgesamt gilt zudem, dass „(das) Schlußsätzlein des Zitats wegen des im Kontext beziehungslosen Personalpronomens ȝȠȚ kaum zu deuten (ist)“ (LUZ, Mt IV, 241). 367 Die verheißungsvolle Zukunft wird bei Jeremia insgesamt allerdings nüchtern und als Wiederaufbau der Ruinen geschildert (vgl. KOENEN, Eschatologie, 3.1.4). 368 Die Kaufabsicht der Hohepriester bleibt weitgehend im Dunkeln. Dass die Hohepriester den Friedhof nicht für sich selbst nutzen, ist durch IJȠȢ ȟȞȠȚȢ markiert. Allerdings ist unklar, welche Personengruppe damit gemeint ist. Nach Luz, IV, 239 muss offenbleiben, welcher der beiden gängigen Vorschläge – Heiden oder (nicht ortsansässige) Juden – gemeint ist. Beides ließe sich in einen historischen Kontext einbetten. Im Duktus der Figurenzeichnung wäre es vorstellbar, dass der Kauf vordergründig als eine Art Wohltätigkeitsakt der Autoritäten zu lesen ist (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 567). Gleichwohl wäre dieser mit Ironie gespickt, wie der Kauf mit Blutgeld anzeigt. Denkbar ist ein Rückverweis auf den siebten Wehruf in Mt 23,29–33, wo die Grabpflege ebenfalls vordergründig als Akt der Gerechtigkeit eingeführt ist, sich zugleich aber als Fortführung der väterlichen Frevel herausstellt (vgl. HAMILTON, Blood, 97). 369 Vgl. BENOIT, Tod, 173; FRANCE, Mt, 1042–1044; GNILKA, Mt II, 449; KONRADT, Mt, 429; NOLLAND, Mt, 1155. Auch MENKEN, References, 11f. verweist auf diese Referenzen, sieht aber in der Namensnennung primär die Erzeugung einer „certain atmosphere“ (ebd., 11). Andere Autoren sehen die potenziellen Anspielungen auf Jer als Ursache für eine (fehlerhafte) Zuschreibung des Zitats (vgl. LUZ, Mt IV, 231; SAND, Mt, 697; ähnlich CARLSTON/EVANS, Synagogue, 344 Anm. 55).
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
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einen Gerichtshorizont als Hintergrund auf, sodass ein gemeinsamer Sinnhorizont entsteht, der letztlich Ausdruck einer geschichtstheologischen Dimension ist. Daher ist die Einleitung des Reflexionszitats in Mt 27,9 als metakommunikativer Lesehinweis des Evangeliums ernst zu nehmen und die Erzählung im Lichte von Sach 11 einerseits und Jer (18f.; 32) andererseits zu deuten. So erklärt sich die Zuschreibung des Reflexionszitats an Jeremia, wenngleich Sacharja die eigentliche Basis bildet. Der Verweis auf Jeremia dient als Augenöffner für die Anspielungen bei diesem Propheten, damit sie nicht übersehen werden.370 Diejenigen auf Sacharja hingegen können als unübersehbar bewertet werden.371 Diese Zusammenhänge machen es in verstärktem Maße wahrscheinlich, dass die Perikope im mt Kreis komponiert wurde, insofern sich die Erzählung aus Schriftanspielungen unterschiedlicher „Lautstärke“ zusammensetzt. Das Zusammenhören dieser Klangräume erlaubt jedoch kaum, die Perikope in einzelne Redaktionsprozesse zu untergliedern. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass die „Partitur“ in einem konkreten Zusammenhang entstanden ist, wobei es keine vernünftigen Gründe gibt, diesen Prozess nicht den Schriftgelehrten der mt Gemeinde zuzuschreiben. Dies ergibt sich sowohl aus dem Axiom der vorauszusetzenden Schriftkenntnis, die überhaupt erst eine solche Dichte kreativer Schriftrezeption ermöglicht, als auch aus den Bezugnahmen, die sich aus der mk Vorlage ergeben. Zuletzt wird noch aufgezeigt werden, dass die sich aus diesen Ergebnissen ergebende Deutung der Perikope im intertextuellen Klangraum – gemäß dem Kriterium der Plausibilität – gut in die mt Theologie und deren Anliegen einfügt. Zunächst ist jedoch die literarische Funktion des Blutackers im Mt zusammenzufassen. 3.3.3. Der Blutacker im intertextuellen Klangraum des Matthäusevangeliums Der Blutacker nimmt in der Perikope eine zweifache Funktion ein. Zum einen verbindet sich mit ihm ein umfassendes intertextuelles Netz, welches durch die Schlagwörter ਕȡȖȡȚȠȞ, ਕȖȡંȢ und țİȡĮȝİȢ bestimmt ist und Sach 11,4– 17 mit Jer 18f.; 32 zusammenbindet. Zum anderen kulminiert in der Namensgebung der transformative Prozess der Erzählung, welcher mit dem Stichwort ĮੈȝĮ verknüpft ist. Durch diese doppelte Bezugnahme erklärt sich die zweifache Namensgebung: Der Töpferacker greift das Erzählelement aus Sach 11 um „Silber“ und „Töpfer“ auf. Der Blutacker verbindet diesen Zusammenhang mit dem Stichwort Blut. Damit zeigt sich aber, dass sowohl der mt Blutacker als auch das lk Blutlandgut in ihren jeweiligen Kompositionen eng in das jeweilige literarische Gefüge integriert sind. Als gemeinsame Basis kann 370
Vgl. GUNDRY, Use, 125; HAMILTON, Judas, 420f. (hier jeweils Jer 19,1–13); ROTHErfüllungszitate, 86 (hier Jer 18,3; 39,6ff.LXX). 371 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 569; GUNDRY, Mt, 557; KONRADT, Deutung, 244; LIMBECK, Mt, 291. FUCHS,
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
daher lediglich das Zueinander von Judas und Blutacker als historischer Traditionskern dienen. Im Mt wurde der Blutacker als Unheilsymbol (invers zu Jer 32) adaptiert, der durch Jer 19 zudem eine starke Friedhofskonnotation aufzuweisen scheint. Der Ausdruck Blutacker ist folglich im Mt durch jer Sprache geprägt und interpretiert, während das Blutlandgut in der Apg in besitzethischer Hinsicht funktionalisiert wird. Dieser gänzlich unterschiedliche Gebrauch lässt vermuten, dass weder das Mt noch die Apg auf ein historisches Wissen um den Blutacker durchlässig sind. Für das Mt lässt sich zumindest eine Umweltparallele bedenken, die die Adaption des Blutackers historisch plausibel macht. Josephus greift bei den Schilderungen der Eroberung Jerusalems ebenfalls auf Friedhofsmetaphorik zurück.372 In Flav.Jos.Bell. V 15–20 finden sich Berichte,373 dass der Tempel durch Wurfgeschosse angegriffen wird. Im Zuge dieses Angriffs bleiben Blutlachen im Tempelvorhof zurück, die nicht nur das Blut der Opfertiere umfassten, sondern auch der Menschen – sowohl Einheimischer (ਥʌȚȤઆȡȚȠȢ) als auch Fremder (ȟȞȠȢ/ਕȜȜંijȣȜȠȢ). In einer Kurzklage in Flav.Jos.Bell. V 19 wird die Stadt als Grab des Volkes (IJijȠȢ ȠੁțİȦȞ ȖİȞȠȝȞȘ ıȦȝIJȦȞ) skizziert. Parallel dazu steht die Charakterisierung des Tempels als Massengrab der Bürgerkriegsopfer (ʌȠȜȝȠȣ IJઁȞ ȞĮઁȞ ਥȝijȣȜȠȣ ʌȠȚıĮıĮ ʌȠȜȣȞįȡȚȠȞ). Die Vorstellung von Jerusalem als Massengrab im Angesicht des Krieges wiederholt sich in Flav.Jos.Bell. VI 121 (ੂİȡઁȞ ਫ਼ʌઁ ʌȜșȠȣȢ ȞİțȡȞ ʌȡȠıİȠȚțȞĮȚ ʌȠȜȣĮȞįȡ). Das Bild, das Josephus hier zeichnet, ist das eines blutdurchtränkten Orts, genauer des Tempels.374 Ähnlich drastisch zeichnet sich der Zusammenhang zwischen Blutüberschwemmung und Friedhofsatmosphäre in Flav.Jos.Bell. IV 313: ਥʌİțȜıșȘ į IJઁ ȟȦșİȞ ੂİȡઁȞ ʌ઼Ȟ ĮȝĮIJȚ, țĮ ȞİțȡȠઃȢ ੑțIJĮțȚıȤȚȜȠȣȢ ʌİȞIJĮțȠıȠȣȢ ਲ ਲȝȡĮ țĮIJİȜȝȕĮȞİȞ.375 Sollten sich diese Schilderung entweder als „historische Tatsache“ oder „sedimentierte Erinnerung“ innerhalb der frühjüdischen Umwelt als „Allgemeinwissen“ niedergeschlagen haben, so gäbe es einen Anhaltspunkt, wie der mt Kreis den Ausdruck Blutacker verstanden hat: Jerusalem wurde nach 70 n.Chr. als eine von Blut getränkte Landschaft imaginiert.376 Unter diesen Vorzeichen wäre es 372 Wenngleich die Bezüge im Folgenden aufgrund sprachlicher Auffälligkeiten erwogen werden, sollen damit keine (literarischen) Abhängigkeiten behauptet werden. Vielmehr geht es mit KONRADT, Deutung, 251 darum, „Josephus als einen Zeugen des frühen Judentums nach 70 n.Chr. heranzuziehen, der den geistesgeschichtlichen Kontext mit zu erhellen vermag, in dem auch Matthäus eingebettet ist.“ 373 Textauswahl entnommen aus SCHRÖTER/ZANGENBERG, Texte, 77f. 374 Vgl. u.a. Flav.Jos.Bell. IV 150f.201.215; V 100–105; VI 95–110 (Textstellen entnommen bei DEN HOLLANDER, Jesus, 3). 375 Verweis entnommen bei KONRADT, Deutung, 236 Anm. 75. 376 Ähnliches formuliert auch VAN TILBORG, Reading, 174: „I want to say: does not the situation of Jerusalem after 70 AD being (also) in a significant trace of meaning: the field of blood as ‚field of slaughter‘ (see IJોȢ ıijĮȖોȢ from Jer 19,[6] LXX), where no Jews but
3. Das Bekenntnis des Judas als Zeichen gegenüber den Autoritäten
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denkbar, dass der Ausdruck Blutacker mit dieser Vorstellung assoziiert wurde, die sich zudem gut mit der Szenerie in Jer 19 verbinden würde. Die unterschiedliche Verortung der „Friedhofsatmosphäre“ bzw. des in Blut getränkten Landes ist marginal. Die Darstellung bei Josephus dürfte ohnehin durch jer Sprache geprägt sein, worauf der Ausdruck ʌȠȜȣȞįȡȚȠȞ verweist.377 In Jer ist indes die genaue Verortung des blutüberströmten Landes uneindeutig, da ʭʥʷʮ bzw. IJંʌȠȢ (Jer 19,3f.6f.12f.) nicht durchweg denselben Ort meint. Zumindest in Jer 19,6 wird „dieser Ort“ mit dem Tophet bzw. Hinnomtal identifiziert. Dementsprechend ist der Ort, welcher mit (unschuldigem) Blut überschwemmt wurde (Jer 19,4), sowohl mit der Stadt Jerusalem als auch dem Hinnomtal identifizierbar.378 Letzteres assoziiert stärker eine blutige Zeichnung der Stadtlandschaft und ihrer Umgebung, welche im Hintergrund eines blutigen ਕȖȡંȢ stehen könnte.379 Wäre es vorstellbar, dass das Bild eines blutbesudelten (Kriegs-)Gebiets nicht nur den Zusammenhang von Blutacker und Jer hergestellt hat, sondern aus diesem Zusammenhang eine solche Vorstellung des Gebiets als ਕȖȡઁȢ ĮȝĮIJȠȢ verbalisiert wurde?380 only foreigners are buried? The money with which Jesus has been bought so that he could be killed shows, till today, its ominous power to anyone who sees the destroyed city of Jerusalem, this field of blood as field of slaughter changed into a burial place for foreigners.“ 377 Eine naheliegende Alternative könnte 2Makk 9,4.14 darstellen, insofern auch hier ʌȠȜȣȞįȡȚȠȢ auf Jerusalem bezogen ist. Aus diesem Grund scheint Ez 39,11–16 weniger wahrscheinlich zu sein. 378 Die Vorstellung, dass Jerusalem mit unschuldigem Blut überschwemmt wurde (ʌȝʌȜȘȝȚ), findet sich in 2Kön 21,16; 24,4; 2Chr 36,5dLXX. Blutvergießen durch Obere inmitten der Stadt bezeugen zudem u.a. Ez 22; Klgl 4,13. 379 Die topographischen Erwägungen bei Benoit und Küchler deuten darauf hin, dass das unmittelbare Umland der Stadt bereits als ਕȖȡંȢ zu verstehen ist und dementsprechend die enge Definition von ਕȖȡંȢ als Gegenpunkt zur Stadt, das kultiviert sein kann, aber nicht muss (BAUER, Wörterbuch, 24), dieser Interpretation nicht entgegensteht. 380 Solche pragmatisch-literarischen Überlegungen lassen sich nur als Frage formulieren. Diese zeigt allerdings an, dass ein solcher Name nicht allein als Lokaltradition eines konkreten Grundstückes zu erklären ist. Es ist nicht gänzlich abwegig, dass der Name Blutacker nur als literarisches Konstrukt („mündliche Wortbildung“) greifbar ist, ohne realen Bezugsort. Weshalb der Name hingegen nur in „christlichen“ Schriften tradiert wurde, bliebt jedoch auch nach dieser These ungeklärt. Möglicherweise wurde das (vermutlich unbekannte) Schicksal Judas mit den Kriegsschrecken zusammengebunden. Die frühe Christenheit dürfte keinen Hinweis auf seinen Verbleib gehabt haben (vgl. insbesondere die pln Briefe, aber auch noch das Mk). Zudem scheint der Name Blutacker ohnehin nur in einem kurzen Zeitraum tradiert worden zu sein. Die Formulierung findet sich weder im Joh, das allerdings das Schicksal des Judas nicht aufgreift, noch bei Papias, wo sich aber der Hinweis auf ein eigenes Grundstück findet. Der Zeitraum, in dem der Ausdruck Blutacker tradiert wurde, nämlich ca. 70–110 n.Chr., wäre folglich mit der unmittelbaren literarischen Kontingenzbewältigung der Tempelzerstörung identisch. Den Blutacker als allgemeines Bild der Kriegsschrecken verstanden, könnte die völlig gegensätzliche Verwendung des Begriffs in den beiden Evangelien erklären, wenngleich in der Apg der Rück-
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
Unabhängig von dieser Spekulation dürfte das blutbesudelte Umland Jerusalems einen plausiblen Hintergrund sowohl für die Bildsprache bei Josephus als auch bereits zuvor in Jer 19 darstellen, die auch für Mt 27,7 vorauszusetzen ist. Damit wird die These des Ackerkaufs als Unheilsymbol unterstrichen. Die Autoritäten kaufen demnach ein Grundstück, dass spätestens im Zuge der Eroberung Jerusalems 70 n.Chr. als Friedhof gebraucht381 und in Blut getränkt werden wird (ähnlich Jer 19,11MT).382 In dieser Lesart muss es sich gleichsam nicht um ein bestimmtes abgetrenntes Grundstück handeln,383 da im Zuge der Eroberung Jerusalems – hyperbolisch gesprochen – jedwedes Gebiet zum Friedhof wurde. Der Kauf des Töpferackers ist demnach als Investition in eine unheilvolle Zukunft zu begreifen, wobei die Namensänderung zu Blutacker anzeigt, dass das gekaufte Landstück mit Blut durchtränkt werden wird bezug auf die Eroberung Jerusalems nicht mehr zu erkennen ist. Der Name wäre folglich mitgetragen worden, wofür die unlukanische Überlieferung des aramäischen Namens spräche. Für Papias wäre die Tradition gänzlich fremd und folglich nur der „Acker“ geblieben. Unter anderen Vorzeichen führen Yadin pragmatische Erwägungen hingegen zur Lokalisierung eines realen Blutackers. Nach mJoma 5,6 fließt das am Altar ausgegossene Blut durch ein Aquädukt ab, wobei dieser Abfluss ins Kidrontal offenbar als Düngemittel verkauft wurde. Solche Kanalanlagen sind gleichermaßen in 11QT 32 gefordert, sodass Yadin daraus schließt, dass Blutacker ein gebräuchlicher Name für Felder im Kidrontal war, die mit dem Blut-Wasser-Gemisch des Tempelabflusses gedüngt wurden (vgl. hierzu YADIN, Tempelrolle, 150f.). Eine solche Lokalisierung ist wohl dadurch attraktiv, als dass das untere Ende von Kidron- und Hinnomtal häufig als Industrieviertel verstanden wird, wo sicherlich auch Töpfer tätig waren, sodass der Doppelname Töpferacker-Blutacker sich gut in das Bild einfügt (vgl. hierzu v.a. BENOIT, Tod, 176). Diese These scheint nicht rezipiert worden zu sein, was sich wohl aus dem spekulativen Charakter derselben erklärt (lediglich KLASSEN, Judas, 175 Anm. 34 erwähnt sie ohne weitere Bezugnahme). 381 Ähnlich BERGHORN, Genesis, 132: „Weil die Hohepriester mit Jesus ĮੈȝĮ ਕșȠȞ übergeben haben und damit wie die Könige Judas in Jer 19,4 agieren, wird JHWH die Täter bestrafen und so der Acker, der den Namen ਕȖȡઁȢ ĮȝĮIJȠȢ erhält, bei der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n.Chr. als Begräbnisplatz dienen. Matthäus nennt also die Konsequenzen, die sich aus der Übergabe Jesu ergeben, nicht explizit, sondern spielt sie mit Hilfe von Jer 19 ein und parallelisiert die Folgen aus Jer 19 und Mt 27 miteinander: In dem Acker des Töpfers, der Blutacker genannt wird, spiegelt sich das Schicksal Jerusalems wider.“ 382 Eine ähnliche Deutung hat Karl Barth vorgeschlagen: „[…] so sieht Matthäus in dem von den Hohepriestern vollzogenen Kauf jenes Begräbnisplatzes offenbar die schauerliche Umkehrung jener Verheißung: ihre Erfüllung kann jetzt, nach der Tat des Judas, nach der Verwerfung des Sohnes Davids, als der schreckliche Erlös dieser Tat nur noch darin bestehen, daß es in Jerusalem einen Begräbnisplatz für die Fremden, d.h. für die in ihrer eigenen Heimat zu Gästen gewordenen Kinder Israels geben wird. […] Die Hohenpriester und Ältesten haben mit ihrer Verfügung über den Judaslohn wie das Urteil über Judas, so auch ihr eigenes Verwerfungsurteil und das über Israel selbst unterzeichnet“ (BARTH, KD II/2, 519f.). 383 Der Gebrauch des Artikels muss dieser Lesart nicht entgegenstehen, insofern damit primär markiert ist, dass der Acker dem Töpfer gehört, was im Sinne der intertextuellen Referenz zu Sach 11,13 unumgänglich ist.
4. Der „Prophet“ Judas
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(vgl. Jer 19,4).384 Der Blutacker wird so zum Unheilszeichen gegen die Autoritäten, das von ihnen selbst gestiftet wird. Der ätiologischen Kontextualisierung liegt in dieser Lesart die mt Spitze inne, dass der Blutacker, d.h. das blutbefleckte Land, für alle erkennbar – ਪȦȢ IJોȢ ıȝİȡȠȞ – als Zeichen gegen die Autoritäten steht.385 Sie erschaffen ein Denkmal gegen sich selbst.386
4. Der „Prophet“ Judas 4. Der „Prophet“ Judas
Die intertextuellen Referenzen der Perikope lassen in der Figurenkonstellation das Gegenüber von Prophet und etablierten Autoritäten erkennen, welches wenigstens in Jer 19 explizit als Frontstellung zwischen Jeremia auf der einen und den Ältesten des Volkes und den Ältesten der Priester auf der anderen Seite geschildert ist.387 In dieser Hinsicht ist es nun naheliegend, diese Konstellation auch für Mt 27,3–10 zu adaptieren, weshalb Judas als „Prophet“ zu kennzeichnen ist.388 Diese Parallelisierung evoziert weiter, dass Judas eine prophetische Zeichenhandlung vollzieht, die den etablierten Autoritäten als seinem Gegenüber gilt. Die Deutung dieses Handelns ist durch die 384
Dass ĮੈȝĮ in Mt 27,3–10 mit dem Blut Jesu kodiert ist, steht dieser Deutung nicht entgegen. Die Wertung des Todes Jesu als unschuldiges Blut evoziert in der dargestellten Logik eine Blutsphäre, die zum umfassenden Gericht führt. In dieses ist erneutes Blutvergießen als Straffolge einzubeziehen. Dementsprechend kann der Blutacker sowohl auf das Blut Jesu zurückgeführt werden als auch auf das Blut, das im Gericht noch vergossen wird. 385 Diese Angabe lässt sich abermals mit dem realhistorischen Hintergrund der Eroberung Jerusalems verbinden, insofern die Zerstörungsschäden, wenn auch nur bedingt die blutgetränkte Erde, weiterhin sichtbar und verifizierbar sind. Zudem handelt es sich bei ਪȦȢ IJોȢ ıȝİȡȠȞ um eine stereotype Formel, sodass diese, wie jede andere Ätiologie, historisch vage bleibt (vgl. Gen 19,37f.; 26,33; 35,4.20; Jos 4,9; 6,25; 9,27; 10,27; 13,13; 1Sam 30,25; 2Chr 35,25; Ez 20,29). Durch diese biblische Prägung stellt sich auch hier die Frage, ob das Evangelium einen realen gegenwärtigen Ausdruck zu erklären sucht (vgl. LUZ, Mt IV, 240) oder aber der Sprachgebrauch nicht vielmehr anzeigt, dass es sich um literarische Fiktion handelt. Mit WHELAN, Suicide, 510; WICK, Judas, 30 ist ferner festzuhalten, dass die Ätiologie einen Aspekt der Perikope darstellt, aber keinesfalls den Zielpunkt des Erzählinteresses bildet. Sollte jedoch durch die Bezeichnung Blutacker die blutige Zerstörung Jerusalems assoziiert werden, wäre der ätiologische Kommentar ein Zielpunkt, insofern damit die „bis heute“ sichtbaren Konsequenzen des Versagens der etablierten Autoritäten dokumentiert sind. 386 Ähnliches formuliert WALKER, Heilsgeschichte, 72, wenngleich bei ihm das „bleibende[] Denkmal“ von „der Schmach des Verräters und ihrer [sc. die Oberen Israels] eigenen Blutschuld“ zeugt. 387 Ein solches Gegenüber ist auch für Sach 11 geltend zu machen, weshalb sich in dieser Personenkonstellation auch Sach 11 und wenigstens Jer 19 zusammenbinden lassen (vgl. HAMILTON, Judas, 428). 388 Trotz der Einwände bei MOO, Tradition, 162f. LIMBECK, Mt, 290 hält das prophetische Kolorit bereits in Mt 26,14f. durch die Eintragung der 30 Silberlinge fest.
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
Intertexte zudem als Gerichtszeichen zu verstehen oder wenigstens in diesen Kontext eingebettet. Der Gesamtzusammenhang der Perikope weist folglich eine geschichtstheologische Dimension auf, in welcher dieselbe auszudeuten ist. Die prophetische Funktion des Judas sprengt jede Reduktion seiner Figur auf sich selbst, sodass eine rein individuelle Lesart spätestens hier abbrechen muss.389 Gleichwohl ist durch den Gesamtduktus des Evangeliums die prophetische Existenz Judas zu differenzieren. Er wird weder als Prophet eingeführt noch lässt sein Tun eine Beauftragung JHWHs erkennen.390 Judas ist daher kaum als Prophet im eigentlichen Sinne zu bewerten. 391 Er ist nur „Prophet“, insofern er eine Zeichenfunktion gegenüber den Autoritäten einnimmt, nicht aber seinem „Wesen“ nach. Es wird also davon ausgegangen, dass die Figur des Judas in Mt 27,3–5 als „Prophet“ funktionalisiert wird.392 Wenn Judas als „Prophet“ agiert, kommen seinem Wort und Handeln ein besonderes Gewicht innerhalb der Perikope zu. Seine Botschaft, d.h. sein Sündenbekenntnis, ist mit einer prophetischen Botschaft gleichzusetzen.393 Sein Handeln ist durch 389
Ähnlich HAMILTON, Judas, 422, die allerdings den intertextuellen Interpretationsgewinn auf Jesus und das Volk beziehen möchte. 390 Zur Prophetie vgl. SCHART, Prophetie. Es wäre allerdings denkbar, dass das Reflexionszitat in der 1. Pers. Sg. zu lesen ist, sofern man ȜĮȕȠȞ durch țĮș ıȣȞIJĮȟȞ ȝȠȚ țȡȚȠȢ bestimmt und nicht durch įȦțĮȞ oder die alternative Lesart įȦțĮ heranzieht (vgl. Anm. 283). Dann wäre die Geldrückgabe des Judas als göttlicher Befehl zu werten (Mt 27,10), wobei die Eröffnung des Reflexionszitats auf Mt 26,15 rekurrieren würde (vgl. MEISER, Einer, 102). 391 Darauf deutet auch das Todesgeschick des Judas, wenngleich er einen gewaltvollen Tod erleidet, der an das gewaltsame Geschick der Propheten erinnern mag. Gleichwohl unterscheidet sich seine Todesart markant von den Todesberichten, die bspw. in den VitProph erzählt werden (s.u. V.2.4.1.). Die literarische Wahl einer Selbsttötung könnte sich so erklären: Eine gewaltsame Tötung durch Menschen hätte Judas als vollkommenen Propheten legitimiert, ein Gottesgericht hingegen die prophetische Botschaft unterminiert. Ein natürlicher Tod verbot sich durch den Wehruf. Anhand dieser Grenzen stellt der Suizid eine elegante Lösung dar, um allen Aspekten gerecht zu werden. Nimmt man jedoch ernst, dass die Hohepriester in der Abweisung des reuigen Sünders, der zudem unter einem todbringenden Fluch steht, für das Schicksal des Judas mithaftbar gemacht werden, dann werden sie auf diese Weise zu „Prophetenmördern“ (vgl. Mt 23,31), obgleich sie keinen Propheten im eigentlichen Sinne getötet haben. 392 Gegen KLAUCK, Jünger, 51, der durch den Intertext zu Sach 11 eine nicht intendierte Adaption des Prophetischen annimmt. Auch die redlichen Bemühungen von ZAMFIR, Motifs, 156 sowohl den Autoritäten als auch Judas jedwede prophetische Konnotation abzusprechen und stattdessen in thematischer Hinsicht Jesus als zurückgewiesenen Propheten ins Zentrum zu rücken, verfehlen die ironische Frontstellung zwischen dem „Propheten“ Judas und den etablierten Autoritäten, die dem Text zu entnehmen ist. 393 Dieser Zusammenhang macht nochmals deutlich, dass Judas nur schwer als vollumfänglicher Prophet verstanden werden kann. Klassischerweise tritt der Prophet als „dritte Instanz“ auf, die Fehlverhalten aus dieser neutralen/objektiven Perspektive anpran-
4. Der „Prophet“ Judas
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den Geldwurf in den Tempel bereits prophetisch konnotiert (vgl. Sach 11,13), insofern wäre die Frage, ob auch dem Suizid eine „prophetische Zeichenfunktion“ zukommt. Judas verkündet ਸ਼ȝĮȡIJȠȞ ʌĮȡĮįȠઃȢ ĮੈȝĮ ਕșȠȞ – es sind die ersten und letzten Worte des „Propheten“. Mit dem Stichwort ĮੈȝĮ ਕșȠȞ reiht sich Judas in die Verkündigung biblischer Propheten ein, insofern sich dieses häufig im Munde von Propheten bzw. als Redeauftrag JHWHs an einen Propheten wiederfindet.394 Der Zusammenhang legt nahe, dass ĮੈȝĮ ਕșȠȞ hier ebenfalls als prophetisches Droh-/Mahnwort zu lesen ist, welches eine drohende Schwellenüberschreitung in einer geschichtstheologischen Dimension markiert.395 Eine Analogie solchen prophetischen Auftretens liegt in Jer 26 vor.396 Jeremia warnt, dass die Tötung seiner Person unschuldiges Blut über Stadt und Bewohner bringen wird.397 Die Botschaft ist eindeutig: „Verhindert meinen Tod, sonst droht das Gericht über der Stadt.“ Ähnliches ist für das Bekenntnis des Judas anzunehmen: hier geht es nicht (allein) um ein schlechtes Gewissen, das es zu beruhigen gilt; hier tritt ein „Prophet“ auf, der sagt: „Wenn Jesus zum unschuldigen Blut wird, droht das Gericht über der Stadt.“ Die prophetische Botschaft steht als Warnhinweis für die Autoritäten im Raum.398 Das Signal, welches von ĮੈȝĮ ਕșȠȞ ausgeht, ist im Kontext der Schriften Israels eindeutig. Gerade als Repräsentanten der Rechtsinstitution hätten die Autoritäten diese Botschaft erkennen und dementsprechend handeln müssen.399 Ihr Nichthandeln unterstreicht folglich auch ihren defizitären Umgang mit der Schrift, der zwischen Unfähigkeit und boshafter Ignoranz gert und das Wort JHWHs verkündet. Judas ist hingegen Teil dessen, was angeprangert wird. Vielleicht könnte man von einer prophetischen Selbstanklage sprechen, die jedoch nicht bei ihm endet, sondern seine Kooperationspartner gleichermaßen anklagt. 394 S.o. bei Anm. 350. 395 Dies geht nochmals über die Interpretationen hinaus, welche in der Perikope zu recht eine (allgemeine) Belastung der Autoritäten erkennen (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 571; LUZ, Mt IV, 239; NORTJE, Motive, 48). 396 Unter anderen Vorzeichen wurde ein Zusammenhang von Jer 26,15; Mt 27,4 und Dtn 27,25 bereits bei DOEVE, Hermeneutics, 185f. gesehen. 397 Die Personenkonstellation ist zumindest in Ansätzen vergleichbar. Als Gegner des Propheten treten die Priester und Propheten auf, wohingegen die Adressaten und letztlich die „Retter“ die Fürsten und alles Volk sind. Eine zusätzliche Legitimation erhält der Freispruch aus dem Munde der Ältesten des Volkes. Wenigstens die Frontstellung zwischen dem Propheten und den Priestern verläuft parallel zu Mt 27. 398 Die prophetische Botschaft ist hier, wie auch in den Intertexten, eindeutig als Drohwort bestimmbar. Dementsprechend agiert Judas am ehesten als „Unheilsprophet“. Durch diesen Zusammenhang ist es gänzlich abwegig, Judas als „Heilspropheten“ zu verstehen und den Text auf „Heilsprophetien“ zu untersuchen. Einen solchen Weg geht WICK, Judas, der zwar die prophetische Funktion des Judas nachdrücklich benennt, aber die Zielrichtung der Prophetie verkennt. 399 Vgl. WEAVER, Atonement, 7.
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III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
changiert.400 Es lässt sich daher kaum eindeutig bestimmen, ob die Autoritäten die Implikationen, die mit ĮੈȝĮ ਕșȠȞ angelegt sind, aufgrund defizitärer Schriftkenntnis verkennen oder aber im Sinne einer Selbstgerechtigkeit („Es wird schon nichts passieren“) oder verantwortungsloser Selbsterhöhung („Dieser Jesus muss – egal zu welchem Preis – sterben“) ignorieren. Wenngleich sie die Schwellenfunktion von ĮੈȝĮ ਕșȠȞ und das drohende Gericht im Judaswort zunächst ausblenden, wird die Problematik im Fortgang der Erzählung immer weiter untermauert. Der Wurf der 30 Silberlinge in den Tempel verstärkt das situativ-prophetische Auftreten des Judas, welches von den Hohepriestern zumindest dadurch registriert wird, insofern sie die 30 Silberstücke als Blutgeld erkennen. Zuletzt wird die prophetische Grundaussage, nämlich dass durch das Handeln der Hohepriester Stadt und Land gefährdet werden, im Suizid des Judas nochmals gesteigert. Dieser gestaltet sich nicht nur als konsequente Fluchfolge aus, sondern ist in der Abweisung durch die Autoritäten mitbegründet: Durch ihre Ignoranz des Tatbestandes ĮੈȝĮ ਕșȠȞ weisen sie einen reuigen Sünder ab. Da aber die Hohepriester keine Korrektur vornehmen,401 bleibt die Blutschuld nach Dtn 27,25 zunächst an Judas haften. Die Unfähigkeit der Hohepriester und Ältesten mit dem prophetischen Mahnwort aus der Schrift adäquat umzugehen, wird im Fortgang der Perikope nochmals verschärft. Statt den drohenden Landverlust durch das Vergießen unschuldigen Blutes zu verhindern, erwerben sie in ihrer Ignoranz ein Landstück von dem sie weder auf der Erzähl- noch auf der Deutungsebene einen Nutzen haben. Die Ironie verschärft sich zudem, wenn der Suizid des Judas im Licht von Dtn 21,22f. gelesen wird. Indem die Hohepriester Judas abweisen, ist dieser jedweder Bezugsperson innerhalb der Personenkonstellation des Evangeliums beraubt. Als Judas sich erhängt, gibt es im Evangelium niemanden, der das notwendige Begräbnis für den Verfluchten vor Sonnenuntergang bereitet und so die Verunreinigung des Landes verhindert.402 Da die Hohepriester jedoch nicht nur ihren Komplizen, sondern mit ihm einen reuigen Sünder im Tempel abgewiesen haben, können diese als Letztverantwortliche für dessen Schicksal gezeichnet werden. Mit der barschen Abweisung haben sie folglich auch die Selbsttötung (als Selbstgericht) und deren 400
Dieser Vorwurf stellt ein wiederkehrendes Element der mt Konfliktgeschichte dar, wobei er primär an die Auseinandersetzung mit der Gruppe der Pharisäer gekoppelt ist. Allerdings gilt der Vorwurf der mangelnden Schriftkenntnis bzw. der bewussten Ignoranz auch den Hohepriestern. In Mt 2,4–6 können die Hohepriester und Schriftgelehrten des Volkes zwar zielsicher den Geburtsort des Messias bestimmen, ziehen allerdings daraus keine Konsequenzen (vgl. KONRADT, Mt, 41; ähnlich WEAVER, Atonement, 7). Es ist daher auch für Mt 27,4 wahrscheinlich, dass der Warnhinweis durch die Schrift mit dem Verweis auf das unschuldige Blut gekonnt ignoriert oder verkannt und die kollektive Gefährdungssituation entsprechend ausgeblendet wird. 401 Vgl. BROER, Bemerkungen, 44; GIELEN, Konflikt, 343. 402 Ähnlich HAMILTON, Judas, 427.
4. Der „Prophet“ Judas
195
Konsequenzen zu verantworten. Ihr Nichthandeln gefährdet das bereits gefährdete Land noch einmal mehr. Bezieht man zudem die beiden anderen Stellen zum unschuldigen Blut in Dtn 19,10.13 bzw. 21,8f. ein, liegt noch eine weitere Perversion vor. Gilt es hier zu vermeiden, dass das Land mit unschuldigem Blut verunreinigt wird, so sorgen die Hohepriester nicht nur nicht dafür, dass überhaupt unschuldiges Blut vergossen wird. In ihrer Ignoranz transformieren sie gar das Silber, an welchem das (unschuldige) Blut haftet,403 in einen Acker. Indem sie das unschuldige Blut vom Silber auf das Land übertragen, bürden sie durch diesen Transformationsprozess das unschuldige Blut nicht nur ideell, sondern auch materiell dem Land auf.404 Die Bestätigung der „Prophetie“ des Judas – als Gericht über Jerusalem – ist im Evangelium hingegen nur vereinzelt angedeutet (Mt 22,7; 23,29–39; 27,24f.). Der mt Kreis lässt die Grauen des Krieges offenbar bewusst im Impliziten. Den intertextuellen Referenzen dieser Perikope liegt jedoch das Potenzial inne, dass die Berichte und Erfahrungen der realhistorischen Zerstörung Jerusalems mit den literarischen Bildern der Schriften Israels zur ersten Tempelzerstörung verschmelzen und dadurch potenziert werden. Wenn Judas als „Prophet“ implizit vor der Zerstörung der Stadt warnt und der Ball damit eindeutig bei den etablierten Autoritäten liegt, diese jedoch über die „Prophetie“ hinweggehen, dann sind in der Erzählzeit die Schuldigen für die erfahrene Katastrophe eindeutig bestimmt. Die Polemik wird zudem gesteigert, indem die Warnung in biblische Sprache gekleidet wird. Von den Autoritäten wäre zu erwarten gewesen, dass sie die Warnung nicht nur aufgrund ihrer eigenen Schriftkenntnis erkennen können. Vielmehr hätten ihnen 403 Ähnlich KEENER, Mt, 661, der mit Verweis auf TestSeb 3,1–3 annimmt, dass das Blutgeld als Fluchträger anzusehen ist. 404 Ähnlich LIMBECK, Mt, 294. Eine vergleichbare Transformation zeigt sich in der Erzählung Ri 17. Ein Teil des gestohlenen Silbers, auf welchem ein Fluch liegt (vgl. KNAUF, Ri, 150; STEYMANS, Gewalt, 251.256; TÄUBLER, Studien, 47; anders GROെ, Ri, 770f.; MUELLER, Micah, 54f.), wird zur Kompensation in ein Kultbild verarbeitet. Dadurch verschärft sich der Fluch (Dtn 27,15; vgl. KNAUF, Ri, 151; ähnlich STEYMANS, Gewalt, 250), was sich am späteren Schicksal des Kultbildes und seiner Besitzer zeigt (Ri 18,11– 26.30). Der Vergleichspunkt ist nun, dass das Silber sowohl in Form der 1100 Münzen als auch in Form des Kultbildes – bei materieller Kontinuität – den Indikator für eine Fluchrichtung bildet. Ähnliches findet sich in Mt 27, insofern zunächst dem Silber, dann dem Acker eine Blutsphäre anlastet, die in dem Zusammenhang als Fluchträger bzw. Fluchsphäre verstehbar ist. Der Wechsel von Blutgeld zu Blutacker erinnert an den Wechsel vom verfluchten Silber zum verfluchten Kultbild. Die immateriell-materiell anhaftende Gefährdungssubstanz (Blut/Fluch) bleibt bei einer transformierenden Kontinuität des behafteten Gegenstands (Silber) erhalten und wird im Prozess nochmals verschärft. In Ri 17 erfolgt diese Verschärfung durch den erneuten fluchsanktionierten Gesetzesverstoß in der Herstellung des Kultbildes, im Mt wird die Verschärfung durch die konsequente Landgefährdung deutlich, die neben dem Motiv des unschuldigen Blutes, in der Fluchfolge des Suizids und der Übertragung der Blutsphäre vom Silber auf den Acker angezeigt ist.
196
III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
die Konsequenzen aus den Erfahrungen der Vorfahren unübersehbar bekannt sein müssen, sodass sie umso dringender die drohende Katastrophe zu verhindern haben. Dieses radikale Versagen dient dem mt Kreis in der Kommunikationssituation gleichwohl zur Diskreditierung der etablierten Autoritäten, die sich gegen Jesus gestellt haben und in der Gegenwart den Auferstandenen nicht bekennen. In der Pragmatik der Perikope kommt damit die Aussage zu stehen: Judas hat erkannt, dass der Justizmord an Jesus den Tatbestand von ĮੈȝĮ ਕșȠȞ erfüllt. Seine Intervention ist nicht allein zugunsten Jesu, sondern auch als Bewahrung von Volk und Land intendiert. Durch die bewusste Abweisung durch die Autoritäten bei gleichzeitiger Erkenntnis der Gefahr sind die Hohepriester und Ältesten für die Katastrophe verantwortlich zu machen. Die Perikope stellt dementsprechend eine umfangreiche Anklage der Autoritäten dar, wobei die zentralen Anklagepunkte die mangelhafte Führungsfunktion, die Tötung Jesu (und seiner Anhänger) und die daraus resultierende Zerstörung Jerusalems und des Tempels 70 n.Chr. sind. Intendiert ist damit im Gesamtnarrativ zugleich die Abrogation der zeitgenössischen etablierten Autoritäten, der Pharisäer.
5. Fazit 5. Fazit
Die Untersuchungen zu Mt 27,3–10 verdeutlichen, dass mit dieser Perikope ein Ausdruck eigenständiger literarischer Tätigkeit des Schriftgelehrtenkreises der mt Gemeinde vorliegt. Diese basiert auf einem geringen Kern historischen Wissens, wenngleich auch hier eine genaue Unterscheidung schwierig bleibt.405 In Abgrenzung zu den Paralleltexten zum Tod des Judas in Apg 1 und in den Papiasfragmenten kann lediglich festgehalten werden, dass der Tod des Judas in der mt Gemeinde als Suizid durch den Strang memoriert resp. imaginiert wurde. Es finden sich zwar Anhaltspunkte, die dies historisch plausibel machen,406 zugleich deuten die intertextuellen Bezüge eher auf eine literarische Fiktion.407 Diese ambivalente Offenheit zwischen historischem Kern und exegetischer Ausgestaltung gilt auch für das Stichwort des Blut405
Als Kern wurde ein tragisches Ende des Judas und die Bezeichnung Blutacker bestimmt. Vgl. SENIOR, Passion, 104f.: „The differences suggest that a rather vague tradition about Judas’ tragic fate was somehow connected with the ‚Blood Field‘ near Jerusalem, but the exact reasons why had been lost. Each evangelist develops the story in a manner fitting his Gospel.“ 406 Der nüchterne Bericht eines Suizids macht einen historischen Hintergrund im Vergleich wahrscheinlicher (vgl. HARRISON, Verräter, 29). Zudem scheint die Wahl des Strangs mit dem gesellschaftlichen Status des Judas zu korrespondieren. 407 Durch den Wehruf Jesu ist ein tragisches Schicksal des „Verräters“ unumgänglich. Der offenkundige Einbezug von Dtn 27,25 führt zur Annahme, dass dieses Schicksal durch Dtn 21,22f. ausgestaltet wurde. Möglicherweise steht auch 2Sam 17,23 im Hintergrund.
5. Fazit
197
ackers. Einerseits deutet die ähnliche Namensüberlieferung in der Apg auf einen gemeinsamen historischen Kern. Andererseits wird die Rede vom Blutacker im Mt durch vielfache intertextuelle Bezüge ausgestaltet, sodass das Gesamtsetting mit jer Sprach- und Vorstellungswelt angereichert ist. Ein ähnlicher Sprachgebrauch findet sich bei der Schilderung der Eroberung Jerusalems durch Josephus, weshalb hier der historische Haftpunkt der Rede vom Blutacker vermutet wird. Ein Zusammenhang mit dem historischen Judas wäre demnach ausgeschlossen, sodass die Verbindung von Judas und Blutacker in den Zusammenhang des jüdisch-römischen Kriegs zu datieren und somit nur unwesentlich älter als die Berichte im Mt bzw. in der Apg ist.408 Dieser Kern wurde vom Schriftgelehrtenkreis der mt Gemeinde in einem kreativen exegetischen Prozess adaptiert. Er basiert ferner einerseits auf den Implikationen des Mk, andererseits auf dem exegetischen Einbezug der Schriften Israels. Die durch das Mk vorgegebene finanziell-bedingte Kooperation zwischen Judas und den etablierten Autoritäten führte den Autorenkreis zu zwei zentralen Intertexten, namentlich der Verfluchung aus Dtn 27,25 sowie der Bezifferung des Silbers durch Sach 11. Aus diesen heraus waren Erzählbausteine vorgegeben, die zum einen den Fluch über Judas thematisieren, zum anderen das weitere „Schicksal“ der Silberlinge. Durch die Endgestalt der Perikope ist anzunehmen, aber letztlich nicht nachzuweisen, dass die Verknüpfung dieser beiden Texte durch Jer 18f.; 32 erfolgte, was möglicherweise durch den Ausdruck Blutacker motiviert wurde. Der Text lässt zudem erkennen, dass die Verschriftlichung nicht um Judas willen erfolgt, sondern einem anderen Interesse dient. Dieses wird durch die Delegitimation der etablierten Autoritäten bestimmt. Dementsprechend werden die Hohepriester sowohl in die Geschichte des Silbers als auch, wenigstens implizit, in den Fluch des Judas einbezogen. Unter diesen Vorzeichen kommt der Perikope ein besonderes Gewicht zu. Zum einen hatte der Schriftgelehrtenkreis offenkundig ein besonderes Interesse daran, diese Erzählung in das Evangelium resp. die Passion Jesu zu integrieren.409 Zum anderen entstammen die Erzählelemente der Perikope aus dem schriftexegetischen Prozess des mt Kreises, welche unmittelbare Rückschlüsse auf die theologische Fokussierung desselben erlauben. Für die Untersuchung des Motivs des unschuldigen Blutes ist dies von entscheidender Bedeutung: Der Autorenkreis hatte offenbar ein besonderes Interesse daran, das Motiv in das Evangelium einzubeziehen. Die prophetische Funk408 Anders bspw. DERRETT, Akeldama, 131f., der u.a. davon ausgeht, dass der Blutacker noch in der Zeit vor 70 n.Chr. als Pilgerort einen Beweis für die Passion darstellte. 409 Darauf weist zumindest die Tatsache, dass weder das Mk noch das Joh ein Interesse an Judas’ Schicksal aufweisen. Selbst Lukas verzichtet im Evangelium darauf und integriert sein Geschick erst in der Apg. Weitere neutestamentliche Berichte zu Judas und dessen Schicksal sind bekanntermaßen nicht vorhanden. Das Interesse des frühen Christentums ist daher weniger stark, als das Argument der Leerstelle im Mk vermuten ließe.
198
III. Das Sündenbekenntnis des Judas (Mt 27,3–10)
tionalisierung der Judasfigur legt in der Erzählung selbst ein besonderes Gewicht auf das Bekenntnis zum unschuldigen Blut (Jesu). An diesem hängt offenbar die Pragmatik der gesamten Perikope. Es ließ sich nachzeichnen, dass das Motiv des unschuldigen Blutes in Mt 27,3–10 in die geschichtstheologische Dimension einzuordnen ist. Das Evangelium adaptiert folglich den literarischen Ort des Motivs des unschuldigen Blutes, der bereits in den Schriften Israels aufgezeigt werden konnte. Es wird in einer Schwellenfunktion gebraucht und markiert einen point of no return. Die Intervention des Judas erfolgt in dieser Logik zu einem Zeitpunkt, an dem der weitere Verlauf revidierbar erscheint, insofern die Anklage vor Pilatus noch nicht eröffnet ist. Judas reagiert unmittelbar auf das Todesurteil der etablierten Autoritäten und interveniert, um den Tod Jesu und dessen Folgen zu verhindern. Die Notwendigkeit ist aus den Gesetzestexten der Thora vorgegeben und wird über die Perikope hinweg durch prophetisches Kolorit ausgestaltet. Dieses Zueinander von „Thora und Propheten“ unterstreicht abermals mit welcher Dringlichkeit die Warnung von Judas vorgetragen wird. Die Autoritäten verkennen bzw. übergehen indes die Gefahr, die vom unschuldigen Blut ausgeht, wobei ihr Handeln die Situation zusätzlich verschärft. Sie versagen folglich auf ganzer Linie: das Verkennen des Rechtsfalls disqualifiziert sie als Richter des Volkes, die Abweisung des reuigen Sünders disqualifiziert sie als Priester des Volkes, das willentliche Risiko des Strafgerichts disqualifiziert sie als Führer des Volkes. In Mt 27,3–10 wird das Motiv des unschuldigen Blutes als übersteigerte Polemik gegen die Autoritäten herangezogen. Die Blut- und Friedhofsmetaphorik assoziiert das göttliche Gericht nicht nur durch die biblische Welt (vgl. Jer 19), sondern auch die realhistorischen Umstände in der Folge des jüdisch-römischen Kriegs. Der mt Kreis funktionalisiert demnach das Ende des Judas und die 30 Silberlinge, um eine geschichtstheologische Aussage zu treffen. Gleich wie die Zerstörung des Ersten Tempels durch das Vergießen unschuldigen Blutes begründet wurde, erfolgte auch die Zerstörung des Zweiten Tempels durch diesen Gesetzesverstoß. Die Verantwortung hierfür wird gänzlich von Judas auf die etablierten Autoritäten verlagert, welche sich selbst von jenem nicht warnen lassen wollten. 410 Eine solche Polemik unter Gebrauch des Motivs des unschuldigen Blutes scheint damit in der „dtr“ Tradition der innerjüdischen Auseinandersetzungen zu stehen, in welcher eine Kontingenzbewältigung der Katastrophe erfolgt. Die Autoritäten sind im Erzählduktus unter Gebrauch des Motivs des unschuldigen Blutes erneut gewarnt von ihrem Treiben abzulassen (vgl. Mt 23,34–36). Es soll nicht die letzte Warnung bleiben.
410
Vgl. GIELEN, Konflikt, 373.
IV.
Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.) 1. Hinführung 1. Hinführung
Mit der Unschuldsdeklaration des Pilatus ਕșંȢ İੁȝȚ ਕʌઁ IJȠ૨ ĮȝĮIJȠȢ IJȠIJȠȣ adaptiert mit Mt 27,24–26 eine weitere zentrale Perikope das Wortfeld des Motivs ĮੈȝĮ ਕșȠȞ. Abermals handelt es sich um eine mt Eintragung in die mk Passionsgeschichte,1 wodurch ihr ein „besonderes Gewicht“ innerhalb des Erzählverlaufs zukommt. 2 Das mt Profil lässt sich zudem in den zahlreichen intratextuellen Verschränkungen dieser beiden Verse mit Mt 27,3–10 erkennen. Neben sprachlichen und thematischen Wiederaufnahmen finden sich auch syntaktische Parallelen.3 Es ist darüber hinaus bedeutsam, dass es sich bei diesen beiden Versen um eine der größten Herausforderungen der Matthäusexegese handelt, welche in der Rezeptionsgeschichte des sogenannten „Blutrufs“ des Volkes begründet liegt.4 Eine gegenwärtige Interpretation des Verses erfolgt daher stets „nach Auschwitz“,5 sodass eine erhöhte exegetische Sensibilität gefordert ist.6 Unter diesen Vorzeichen lässt sich auch ein 1
Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 578f.; LUZ, Mt IV, 267f. LUCK, Mt, 299 3 Der Austausch der Nebenfigur von Judas zu Pilatus erfolgt unter Beibehalt des zentralen Gegenübers, der Hohepriester und der Ältesten, welche wiederum in einer noch zu klärenden Verbindung mit dem Volkshaufen stehen. Innerhalb dieser Kommunikationssituation werden von der Nebenfigur die Worte ĮੈȝĮ und ਕșંȢ bemüht, um das fundamentale Anliegen der Perikope zum Ausdruck zu bringen. HAMILTON, Death, 34 macht zudem darauf aufmerksam, dass dies in syntaktischer Parallelbildung erfolgt: ੁįઅȞ + Namensnennung + IJȚ. Die deutlichste Referenz liegt im Ausspruch ıઃ ȥૉ/ਫ਼ȝİȢ ȥİıșİ vor (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 591; FIEDLER, Mt, 410 Anm. 112; FRANCE, Mt, 1040; FRANKEMÖLLE, Mt II, 481; GARLAND, Mt, 257; GNILKA, Mt II, 458; GUNDRY, Mt, 565; HAGNER, Mt II, 827; HAMILTON, Death, 34; KONRADT, Mt, 434f.; LUCK, Mt, 301; LUZ, Mt IV, 277; NOLLAND, Mt, 1177f.; SAND, Mt, 554). 4 In zahlreichen Kommentaren und Aufsätzen wird die schmerzliche Grundhaltung zu dieser Episode zum Ausdruck gebracht. Exemplarisch sei auf die Tradierung des Votums von Montefiore verwiesen: „A terrible verse, a horrible invention … This is one of those phrases which have been responsible for oceans of human blood and ceaseless stream of misery and desolation“ (MONTEFIORE, Gospels II, 346 zitiert bei LUZ, Mt IV, 285). 5 Vgl. exemplarisch den Beitrag JACOBS, Blood. Näheres s.u.S. 248 Anm. 246. 6 Vgl. HAACKER, Blut, 47; LUZ, Mt IV, 276. Näheres zudem s.u. VII. 2
200
IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
Wandel in der Forschungsgeschichte nachzeichnen: Während in der älteren Forschung der Blutruf zumeist mit einem „ätiologischen Ende Israels“ zusammengebracht oder insgesamt als symbolischer Haftpunkt der Substitution Israels durch die ecclesia gesehen wurde,7 finden sich in der neueren Forschung verschiedene Ansätze, die diesen Konsens deutlich in Frage stellen. Dabei dominieren zwei „textimmanente Relativierungen“, 8 die an unterschiedlichen Punkten ansetzen: zum einen an der Frage, welcher Personenkreis mit ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ gemeint ist, zum anderen an der konkreten Bezugnahme von ĮੈȝĮ. Im Groben lassen sich die Forschungspositionen auf drei Deutungen der Episode reduzieren: Die ersten beiden Positionen verstehen ĮੈȝĮ – meist mit Bezug auf Mt 23,34f. – als Gerichtsblut, welches ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ trifft. Hiervon ausgehend bestimmt die erste Forschungsposition das „ganze Volk“ als das Gottesvolk Israel, während die zweite Position einen begrenzten Personenbestand annimmt, der zumeist mit der Jerusalemer Bevölkerung identifiziert wird. Von dieser Bestimmung des Personenbestandes hängt auch die Dauer des Strafgerichts ab, welches aus dem Gerichtsblut resultiert. Während der zweiten Position eine Beschränkung des Gerichts inhärent ist, welche die Strafe an der Jerusalemer Bevölkerung als abgegolten versteht, wird der Umfang des Kollektivs in der ersten Position verschiedene bestimmt und reicht von einem begrenzten Gericht am „ganzen Volkes“ bis hin zur Substitutionstheorie, wonach der Blutruf bis heute anhält bzw. immer neu aktualisiert wird. Eine dritte, relativ junge, Forschungsposition weicht von der Deutung von ĮੈȝĮ als Gerichtsblut ab, und versteht ĮੈȝĮ stattdessen in Verbindung mit Mt 26,28 als Sühneblut.9 In dieser Lesart wird zwar die Gerichtsperspektive nicht gänzlich ausgeblendet, aber als unzureichend verstanden.10 Die forschungsgeschichtlichen Interpretationen zu Mt 27,25 ließen sich demnach folgendermaßen schematisieren:11
7
Häufig genannte Autoren für diese These sind FRANKEMÖLLE, Jahwe, 210; STRECKER, Weg, 116f. Eine besonders deutliche Zuspitzung findet sich bei MARGUERAT, Jugement: „By this cry, Israel has wiped itself out of the history of salvation“ (zitiert bei HAMILTON, Death, 3). 8 Vgl. THEIെEN, Aporien, 540–542. 9 Zuletzt nachdrücklich vorgetragen von HAMILTON, Death; zuvor bereits DIES., Blood. Näheres zur Forschungsgeschichte dieser Position s.u.S. 254 Anm. 280. 10 Für dieses Zueinander von Unheil- und Heilperspektive hat CARGAL, Blood den Begriff „Double Entendre“ (als heuristische Kategorie) geprägt. 11 Eine andere Schematisierung findet sich bei POPA, Konflikt, 155f. Er unterscheidet in „begrenzt/kontextbezogen“ und „unbegrenzt/radikal heilsgeschichtlich“. Der ersten Kategorie entspricht die dargestellte Ableitung zum Strafgericht, während die zweite Kategorie zur Substitution führt. Auf „Double Entendre“ wird nur kurz eingegangen (ebd., 155 mit Anm. 130). Vgl. dort auch für weitere Literatur (ebd., 156 Anm. 131.132).
1. Hinführung
201
IJઁ ĮੈȝĮ ĮIJȠ૨ ਥijૃ ਲȝ઼Ȣ / \ Gerichtsblut Sühneblut / \ / [\]12 Volkshaufen Israel [Volkshaufen] / (/)13 / \ Strafgericht14 Substitution15 „Double Entendre“16 Durch die Forschungsgeschichte ist demnach vorgegeben, dass sich die Ausführungen an den zentralen Anfragen abarbeiten müssen, nämlich wie Blut bzw. „Volk“ inhaltlich zu bestimmen sind.17 Gleichwohl ist hierfür die gesamte Episode Mt 27,24f. in den Blick zu nehmen. Diese setzt sich aus zwei Sequenzen zusammen, die je für sich einer genaueren Betrachtung bedürfen. Es handelt sich dabei einerseits um den Unschuldsritus des Pilatus, andererseits um den Blutruf des Volkes. Für beide Sequenzen lassen sich intertextuelle Referenzen erwägen, denen es im Einzelnen nachzugehen gilt. Sodann ist das Zueinander der beiden Sequenzen zu prüfen, wobei dem Stichwort ĮੈȝĮ, als gemeinsamer Gegenstand der beiden Sequenzen, eine besondere Bedeutung zukommt.18 Die folgenden Ausführungen setzen an der Verortung der Episode im Erzählfaden der mt Passionsgeschichte an, wobei hierfür auf die Erzählfigur des Pontius Pilatus fokussiert wird. Es wird sich zeigen, dass die intertextuellen Verschränkungen, die in der Episode aufzuzeigen sind, eng mit dieser Figur verbunden sind. Gleichwohl ist durch die Kommunikationssituation zwischen Pilatus und dem „Volk“ vorgezeichnet, dass eine Einordnung der Blutbelege in eine individuelle Dimension unzureichend ist. Es ist daher zu prüfen, ob auch die vorliegende Episode und die
12
Eine doppelte textliche Relativierung, die sowohl ĮੈȝĮ als Sühneblut versteht als auch ȜĮંȢ mit dem Jerusalemer Volkshaufen identifiziert, ist grundsätzlich vorstellbar, wurde allerdings in der untersuchten Literatur nicht wahrgenommen. 13 Als eine Übergangsphase lässt sich die Position bestimmen, die ȜĮંȢ (weiterhin) als Gottesvolk Israel versteht, allerdings von der Substitutionstheorie abweicht und für ein innerweltliches Strafgericht plädiert. Eine solche Zwischenposition nimmt FRANKEMÖLLE, Mt II, 474f. in Korrektur seiner vorherigen Position ein und vertritt nun ein begrenztes Gericht am ganzen Volk. 14 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 529; FIEDLER, Mt, 411f.; GIELEN, Konflikt, 386; HAACKER, Blut, 48; KONRADT, Israel, 177f. 15 Vgl. GNILKA, Mt II, 458f; FRANCE, Mt, 1058; FRANKEMÖLLE, Jahwe, 210; LOHMEYER/SCHMAUCH, Mt, 386; SAND, Mt, 553f.; WEIെ, Kirche, 2075f. 16 Vgl. CARGAL, Blood; HAMILTON , Blood; DIES., Death; HEIL, Blood; SETZER, Sinai; zurückhaltend bereits SCHWEIZER, Mt, 333. 17 Vgl. JANKOWSKI, Blut, 17. 18 Hierdurch liegt abermals eine strukturelle Parallele zu Mt 27,3–10 vor, insofern hier wie dort die Erzählung durch ĮੈȝĮ als zentrales Stichwort zusammengehalten wird.
202
IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
darin greifbare Adaption von ĮੈȝĮ ਕșȠȞ der geschichtstheologischen Dimension zuzuordnen ist.
2. Die Figur des Pontius Pilatus 2. Die Figur des Pontius Pilatus
2.1. Der historische Pilatus und mögliche Implikationen für das matthäische Pilatus-Bild Pontius Pilatus ist eine der wenigen biblischen Figuren in der Passionsgeschichte, die historisch verifiziert werden können.19 Neben den breiten literarischen Zeugnissen in frühjüdischen, urchristlichen und paganen Schriften, 20 wurde 1961 in Caesarea Maritima eine Steintafel gefunden, die die Präfektur des Pilatus inschriftlich bezeugt. 21 Durch diese Befunde lässt sich relativ sicher rekonstruieren, dass Pilatus 26–36 n.Chr. Präfekt in Judäa war.22 Dennoch kommt insgesamt ein disparates Bild zu stehen. Die Notizen bei Tacitus und – unter Vorbehalt – Flav.Jos.Ant. XVIII 64 lassen erkennen,
19
Vgl. HARRISON, Verräter, 189; LÉMONON, Pilatus, 13. Neben der Passionsgeschichte finden sich zwei Erwähnungen in Lk 3,1; 13,1f. Im NT finden sich weitere Nennungen in Apg 3,13; 4,27; 13,28 sowie 1Tim 6,13. Sowohl Josephus (Flav.Jos.Bell. II 166–177; Flav.Jos.Ant. XVIII 55–64.85–89.177) als auch Philo (legat. 299–305) berichten vielfach über die Amtszeit des Pilatus (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 554). Für die römischen Literatur ist auf Tacitus, Ann. 15,44 zu verweisen. 21 „…S TIBERIÉVM [Nautis Tiberieum] …NTIVS PILATVS [Pontius Pilatus] …ECTUS IVDAEAE [Praefectus iudaeae] ….É… [Refecit]“ (vgl. hierzu und den Hintergründen der Inschrift LÉMONON, Pilatus, 15). Jüngste archäologische Forschungsergebnisse haben zudem auf einem Ring, der im Herodium gefunden wurde, den Namen „Pilatus“ identifiziert. Ein Zusammenhang mit Pontius Pilatus ist aufgrund fehlender Alternativen wahrscheinlich (vgl. https://www. timesofisrael.com/2000-year-old-ring-engraved-with-pilate-may-have-belonged-tonotorious-ruler/ [29.11.2018]). 22 Die zehnjährige Amtszeit und deren Ende ergeben sich aus der Notiz in Flav.Jos.Ant. XVIII 89 (vgl. DEMANDT, Pilatus, 48f.). Die Präfekten Roms wurden dem Ritterstand entnommen und hatten sich in der Regel militärisch bewährt, sodass Pilatus als eine Art Militärgouverneur zu verstehen ist (vgl. ebd., 48; CARTER, Empire, 151). Gleichwohl ist Pilatus in mehrfacher Hinsicht untergeordnet, insofern er einerseits nicht den senatorischen Rängen entstammt, anderseits Judäa der Provinz Syria untergeordnet ist, die von einem Senator verwaltet wurde. Eine genaue Aufgabenbeschreibung lässt sich nur schwer erschließen und ist den Evangelien kaum zu entnehmen. Die Zeugnisse von Josephus lassen ein umfassendes finanzielles, militärisches, sicherheits- und baupolitisches Aufgabenfeld erkennen, welches sich grob als Gewährleistung von Ordnung und partielle Förderung der römisch-hellenistischen Kultur umschreiben lässt (vgl. ebd., 151f.). 20
2. Die Figur des Pontius Pilatus
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dass die Hinrichtung Jesu durch Pilatus veranlasst wurde.23 Dieser Aspekt ist auch in den Evangelien nicht gänzlich ausgeblendet, wenngleich die Beteiligung des Hohen Rates mehr Raum einnimmt, als historisch wahrscheinlich ist.24 Die hierdurch implementierte „Entlastung“ des Pilatus zeigt sich sowohl in der chronologischen Abfolge der Evangelien als auch in weiteren frühchristlichen Schriften. 25 In letzter Konsequenz wird Pilatus mancherorts zum Christen oder gar zum Heiligen.26 Dieser tendenziell positiven Rezeption in christlich geprägten Schriften stehen die frühjüdischen Zeugnisse entgegen, die seine brutale Amtsführung betonen. Nach den Schilderungen von Philo und Josephus kam es zu mehreren Konfrontationen zwischen Pilatus und der judäischen/jüdischen Bevölkerung.27 Die wohl gravierendste Anordnung des Präfekten war die blutige Unterbindung einer samaritanischen Versammlung auf dem Garizim, welche wahrscheinlich zu seiner Absetzung führte.28 Ein 23
Zum Testimonium Flavianum und dem hier grundgelegten Quellentext vgl. HORN, Testimonium. 24 Die historische Rückfrage nach der jüdischen Beteiligung am Prozess Jesu ergibt sich bereits aus den unterschiedlichen Darstellungen der Evangelien. Während in den Synoptikern ein weitgehend normatives Rechtsverfahren des ganzen Sanhedrins behauptet wird, berichtet das Joh von einem eher informellen Verhör im Hause Kajaphas. Je nach Einschätzung des Quellenwertes der Berichte und deren historischer Plausibilität ergeben sich unterschiedliche Geschichtsrekonstruktionen. Bisweilen wurde eine jüdische Beteiligung am Prozess Jesu gänzlich bestritten und dieser als rein römische Angelegenheit behandelt (grundlegend WINTER, Trial; eine differenzierte Gesamtübersicht zum Diskurs, welche letztlich für eine römische Angelegenheit votiert findet sich bei STEGEMANN, Beteiligung). Zwar ist Stegemann zuzustimmen, dass der Prozess Jesu als rein römische Angelegenheit grundsätzlich historisch rekonstruierbar wäre, dies erklärt allerdings die Quellenlage (insbesondere Josephus) und die erkennbaren dahinter liegenden Konflikte (insbesondere die Frage, ob die Causa Jesu den Römern ohne Zutun der Autoritäten aufgefallen wäre) nur unzureichend, sodass die plausibelste Rekonstruktion eine Überstellung Jesu durch die jüdischen Autoritäten an Pilatus sein dürfte (vgl. REINBOLD, Fall, 33f.). Welche Intention hierbei vorlag und in welchem Rahmen Jesus und die jüdischen Autoritäten aufeinandertrafen, lässt sich indes kaum erheben. 25 Einen knappen Überblick bietet REINBOLD, Prozess, 141–144. 26 Als Christ wird Pilatus u.a. in den Pilatusakten charakterisiert; die koptisch-orthodoxe Kirche führt Pilatus als Märtyrer (vgl. REINBOLD, Prozess, 143f.). Neben dieser Linie findet sich auch die gegenteilige Entwicklung, in welcher Pilatus „zum Typus eines Heuchlers“ wird. Dieser bildet sich v.a. im Westen seit der Spätantike aus und ist daher eine jüngere Entwicklung (vgl. LUZ, Mt IV, 283f.; ähnlich HARRISON, Verräter, 229–238.238–247). 27 Genannt seien die versuchte Etablierung kaiserlicher Feldzeichen in Jerusalem (vgl. Flav.Jos.Bell. II 169–174; Flav.Jos.Ant. XVIII 55–59; vermutlich bezieht sich Philo legat. 299–305 auf denselben Vorfall: vgl. DEMANDT, Pilatus, 53–56) sowie die Kontroverse um die Finanzierung eines Jerusalemer Aquädukts durch den Tempelschatz (vgl. Flav.Jos.Bell. II 175–177; Flav.Jos.Ant. XVIII 60–62). Vgl. insgesamt REINBOLD, Prozess, 75. 28 Vgl. Flav.Jos.Ant. XVIII 85–89; möglicherweise nimmt Lk 13,1f. darauf Bezug. Dieser Vorfall war nach Josephus die entscheidende Beschwerde, damit Pilatus 36/37 von seinem Amt abberufen wurde und sich vor dem Kaiser rechtfertigen sollte. Da dieser vor
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IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
vernichtendes Gesamturteil findet sich bei Philo von Alexandrien. 29 In historischer Hinsicht dominiert das Bild einer insgesamt strengen und konfliktbereiten Amtsführung, die jedoch zugleich ausreichend kompromissbereit war, sodass sich Pilatus überdurchschnittlich lange im Amt halten konnte. 30 Unabhängig von dieser historischen Bewertung der Quellen muss allerdings betont werden, dass die jüdischen Darstellungen eine durchweg negative Charakterisierung erkennen lassen.31 Bestimmt man die mt Gemeinde als mehrheitlich christusgläubige Juden, so wäre insgesamt ein eher negatives Pilatus-Bild zu erwarten. 2.2. Der matthäische Pilatus in der Passionsgeschichte mit Fokussierung auf Mt 27,24f. Die Episode um den Unschuldsritus des Pilatus und den Blutruf des Volkes bildet den dramaturgischen Abschluss und Höhepunkt des öffentlichen Prozesses Jesu vor Pilatus.32 Dieser gliedert sich in drei Abschnitte:33 Zunächst erfolgen eine ergebnisoffene Befragung des Angeklagten (Mt 27,11–14) und die Anwendung der Passaamnestie (Mt 27,15–17.21–23),34 zuletzt kommt die zentrale Episode (Mt 27,24–26) zu stehen. Inmitten des zweiten Blocks werden Hintergrundhandlungen eingestreut, die Einblicke in das Innenleben Pilatus’ Eintreffen in Rom verstarb, verliert sich sein weiteres Schicksal im Dunkeln der Geschichte. 29 Vgl. Philo legat. 302. 30 Vgl. REINBOLD, Prozess, 77f.; NOLLAND, Mt, 1146f. Ähnlich das Urteil von HARRISON, Verräter, 213, der allerdings den Quellenwert von Philo und Josephus sehr stark relativiert; ferner LÉMONON, Pilatus. 31 Aus einer postkolonialen Perspektive heraus, welche die imperialen Machtstrukturen ernst nimmt, ist eine grundlegende negative Assoziation die wahrscheinliche; vgl. CARTER, Empire, 157: „He [sc. Pilate] represents and protects Rome’s political, economic, military, and legal interests in an exploitative, oppressive, and largely unaccountable relationship with those he governs, and as the one who has the almost untouchable power to execute Jesus.“ 32 Vgl. LUZ, Mt IV, 276. 33 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 578; LUZ, Mt IV, 266; ähnlich HAGNER, Mt II, 751. 34 Die historische Kritik sieht die Passaamnestie zumeist als urchristliche Legende an, die keine historische Plausibilität hat. Als zentrale Argumente werden dabei das fehlende Begnadigungsrecht eines Präfekten genannt, da dieses ausschließlich dem Kaiser zustand, fehlenden Quellen, die einen solchen Brauch in Judäa bezeugen, sowie grundlegend den Sinn und Ort dessen im Prozess selbst. Dass Pilatus jemanden durch Druck des Volkes verurteilt, den er als schuldlos präsentiert, erscheint widersinnig. Als historischer Kern dieser Erzählung wird zumeist eine (historisch plausible) Freilassung des Barabbas angenommen, die unabhängig von der Verurteilung Jesu erfolgte (vgl. insgesamt REINBOLD, Prozess, 116–120; anders VERMES, Passion, 134f., der die Episode für so unbedeutend hält, dass sie kaum erfunden wurde und daher historisch sei; auch LUZ, Mt IV, 273f. hält die Episode zumindest für historisch plausibel).
2. Die Figur des Pontius Pilatus
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des Pilatus (Mt 27,18), seiner Frau (Mt 27,19) und das Handeln der Autoritäten (Mt 27,20) geben. Diese Zäsur inmitten der Passaamnestie verschärft die Konfliktsituation, sodass das Votum des Volkes in den Kreuzesruf mündet. In dieser aufgeheizten Situation (Mt 27,24: șંȡȣȕȠȢ) bekennt sich Pilatus als unschuldig am drohenden Todesurteil – ਕșંȢ İੁȝȚ ਕʌઁ IJȠ૨ ĮȝĮIJȠȢ IJȠIJȠȣ – und weist dem Volkshaufen samt Autoritäten die Eigenverantwortung zu: ਫ਼ȝİȢ ȥİıșİ (Mt 27,24). Nach der Antwort des Volkes, beschließt eine knappe Schilderung der Freilassung von Barnabas und der Verurteilung Jesu diesen Abschnitt (Mt 27,24–26). Pilatus wird zu Beginn des Prozesses als ਲȖİȝઆȞ eingeführt (Mt 27,11) und erst in Mt 27,13 mit Namen benannt, wobei dessen Identität bereits aus Mt 27,2 bekannt ist.35 Die Verwendung von ਲȖİȝઆȞ in Flav.Jos.Ant. XVIII 55 zeigt, dass dieser Amtstitel für den römischen Statthalter im Frühjudentum gebräuchlich war,36 weshalb im Mt das Amt im Unterschied zu den übrigen Evangelien hervorgehoben erscheint.37 Damit korrespondiert, dass Pilatus angesichts der Straffung der mk Vorlage bis zur Intervention seiner Frau autonomer zu agieren scheint und mit stärkerer Handlungssouveränität auftritt.38 Die Forderung des Volkes nach der Passaamnestie in Mk 15,8 wird gestrichen und als „Gewohnheitsrecht“ eingeführt (Mt 27,15),39 welches Pilatus jedoch eigenständig zugunsten Jesu initiiert (Mt 27,17f.). Er lässt dabei die Wahl zwischen Barabbas und Jesus, dem „Christus“. 40 Damit wird 35
Es ist auffällig, dass lediglich das Mt Pilatus durchweg und pointiert in der Passionsgeschichte als ਲȖİȝઆȞ bezeichnet. Lediglich in Lk 20,20 (vgl. Lk 3,1) wird ਲȖİȝઆȞ andernorts als Titel für Pilatus gebraucht. Ein genaues Verständnis ist aufgrund des unbestimmten Gebrauchs schwierig (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 581 Anm. 8; LUZ, Mt IV, 226), weshalb eine Annäherung bestenfalls durch Umweltwissen erfolgen kann. CARTER, Pilate, 84 postuliert aus dem Begriff entsprechende Zuschreibungen wie das Wissen um die Einsetzung durch Rom, einen ritterlichen Hintergrund, militärische, ökonomische und juristische Machtkontrolle, (finanzielle) Ausbeutung der jeweiligen Provinz und grundsätzliche Unantastbarkeit als Repräsentant der römischen Herrschaft. 36 Vgl. auch Apg 23,24.26.33; 24,1.10; 26,30. 37 Ähnlich GIELEN, Konflikt, 379, die jedoch durch den Titelgebrauch „den offiziellen Charakter der Szene“ unterstrichen sieht. 38 Ähnlich CARTER, Empire, 163f. Zur Figurenzeichnung des mt Pilatus als „the most powerful human symbol of Roman Empire and domination“ vgl. WEAVER, Fruits, 111– 113; hier 113. 39 Vgl. GIELEN, Konflikt, 381; KONRADT, Mt, 433. Anders DAVIES/ALLISON, Mt III, 583 die hier eine ironische Spitze sehen, insofern der Hegemon dadurch seine Souveränität abgibt. Diese Beobachtung ist nicht falsch, sie übersieht jedoch, dass Pilatus weit weniger vom Volk getrieben agiert, als dies in der mk Vorlage der Fall ist. In diesem aus der Tradition vorgegebenen Rahmen der Passaamnestie handelt Pilatus einigermaßen hoheitlich. 40 Die Gegenüberstellung von Barabbas, dem „bekannten“ Gefangenen und Jesus, dem Christus, wird bisweilen als zentrales Moment der Perikope verstanden, insofern hierdurch abgebildet sei, ob sich das „Volk“ für oder wider den Messias entscheidet (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 585f.; GUNDRY, Mt, 563f.; LUCK, Mt, 300; LUZ, Mt IV, 272;
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IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
zwar die Parteinahme zugunsten Jesu im Vergleich abgemildert (vgl. Mk 15,9),41 zugleich behält aber Pilatus die Entscheidungshoheit,42 welche Gefangenen zur Wahl stehen (Mt 27,17.21; vgl. Mk 15,11).43 Für eine Betonung der Souveränität des Pilatus spricht auch, dass sich Pilatus niemals direkt an die Ankläger wendet, sondern diese stets übergeht.44 Bis zu diesem Zeitpunkt ergibt sich also ein transparentes Bild der Pilatusfigur, welche durch Handlungssouveränität profiliert ist und sich durch das Übergehen der Anliegen der etablierten Autoritäten auszeichnet. Der mt Pilatus weist indirekt das Ansinnen derselben ab, indem er ihnen im Prozess nur begrenzt Raum gewährt, ihre Intention entlarvt (Mt 27,18) und, möglicherweise als Darstellung seiner eigenen Macht „über“ das Volk, einen Brauch und des Volkes Stimme instrumentalisiert, um die Hohepriester und Ältesten ins Leere laufen zu lassen und damit indirekt bloßzustellen.45 Die Parteinahme zugunsten Jesu ist nicht allein durch eine Unschuldsvermutung erklärbar.46 Daher stellt auch das Christuszeugnis des Pilatus kein Bekenntnis dar,47
SAND, Mt, 552). Letztlich lassen die Deutungen eine unterschiedlich starke Gewichtung der Rückweisung des „Christus“ erkennen (vgl. BOND, Pilate, 128). 41 Vgl. KONRADT, Mt, 433; LAU, Hände, 66. Es ließe sich erwägen, ob das Mt durch die Auslassung von Mk 15,7 ein realistischeres Bild von Pilatus zeichnen möchte, der keinen aufständischen Mörder zur Wahl stellt, der ein etwaiges Sicherheitsrisiko darstellt (implizit bei GIELEN, Evangelien, 41 angelegt). 42 Bedenbender betont, dass die Szene einer Passaamnestie als solche bereits „zutiefst pervers“ ist. Das Volk steht vor der Möglichkeit einen zu retten, den anderen aber zu verdammen. Ob nun Barabbas oder Jesus, dem Volk wird durch die Entscheidungsfreiheit Schuld aufgebürdet (vgl. BEDENBENDER, Blut, 44f.). Unabhängig von der Plausibilität dieser Deutung wird ersichtlich, dass in der Bestimmung der Wahlkandidaten Machtfülle zum Ausdruck kommt (vgl. LUZ, Mt IV, 272). 43 Dieser Aspekt findet sich auch bei CARTER, Pilate, 93, der jedoch ein grundsätzlich anderes Verständnis der Perikope hat (s.u. Anm. 50). Anders FRANCE, Mt, 1053, der erwägt, dass der Wunsch des Volkes bereits im Vorfeld Pilatus kommuniziert wurde und er dem gewünschten Jesus Barabbas einen anderen Jesus beistellt. 44 Vgl. LUZ, Mt IV, 271. 45 Vgl. KONRADT, Mt, 433. 46 Das spätere Unschuldszeugnis des Pilatus sollte aufgrund einer möglichen Figurenentwicklung nicht a priori am Anfang des Prozesses eingetragen werden. Allerdings finden sich einzelne Signale, die eine Unschuldsvermutung bereits erkennen lassen. Zum einen ändert der mt Kreis im Zuge der Anklage țĮIJȘȖȠȡȦ (Mk 15,4) in țĮIJĮȝĮȡIJȣȡȦ (Mt 27,13), was intratextuell auf den Prozess vor dem Hohen Rat und deren Falschzeugen (ȥİȣįȠȝĮȡIJȣȡĮ, 26,59f.) verweisen dürfte (vgl. GIELEN, Passionserzählung, 154f.). Zum anderen tritt das Schweigen Jesu deutlicher hervor, was von Pilatus mit einer gesteigerten Verwunderung quittiert wird (vgl. ebd., 155). 47 Gegen GUNDRY, Mt, 561f.
2. Die Figur des Pontius Pilatus
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sondern eine subtile Einflussnahme auf den Prozess.48 Da seine Intention offenbar an die Erkenntnis des Neides der etablieren Autoritäten gebunden ist,49 erscheint die Parteinahme des Pilatus zugunsten Jesu in erster Linie als bewusster Affront gegenüber den etablierten Autoritäten.50 Um sich nicht von den Hohepriestern und Ältesten für ihre Zwecke instrumentalisieren zu lassen, instrumentalisiert Pilatus geschickt deren „Volk“.51 Der Handlungsverlauf lässt an dieser Stelle eher einen positiven Ausgang für die Jesusfigur erwarten, insofern die Entscheidung des Volkshaufens (ȤȜȠȢ) zu Jesu Gunsten beeinflusst wird.52 Allerdings kommt es nun zu einer Unterbrechung des Erzählfadens, die das weitere Geschehen neu justiert und somit zum Wendepunkt des Prozesses wird. Pilatus, der Jesus bisher eher aus Gründen der Autoritätsbehauptung gegenüber den Hohepriestern und Ältesten protegiert hat, wird nun über den wahren Sachverhalt zur Person Jesu aufgeklärt.53 Seine Frau lässt ihm ausrichten, dass es sich bei Jesus um einen įțĮȚȠȢ handelt,54 von welchem er 48 Vgl. KONRADT, Mt, 433. In textpragmatischer Hinsicht sind hier gleichwohl die Leser angesprochen, welche immer wieder neu vor ebendiese Entscheidung gestellt werden (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 586; FIEDLER, Mt, 409). 49 Vgl. GIELEN, Passionserzählung, 156; GNILKA, Mt II, 452; KONRADT, Mt, 433. 50 Vgl. GIELEN, Konflikt, 376. Anders CARTER, Empire, 165f., der aus postkolonialer Perspektive davon ausgeht, dass die römischen und jüdischen Autoritäten als gemeinsame Front anzusehen sind und Pilatus nicht nur aus Gründen dieses Bündnisses, sondern auch aus eigener Überzeugung Jesus für schuldig hält. Letzteres ergebe sich aus der Antwort Jesu sowie aus dessen Schweigen, was im römischen Recht als Schuldeingeständnis zu bewerten sei. Pilatus sei daher als manipulativer Herrscher zu sehen, der im Sinne der jüdischen Autoritäten das Volk auf die Probe stellt und durch die Bezeichnung Jesu als „Christus“ letztlich einen Loyalitätserweis zu Rom gegen den Königsprätendenten einfordert (DERS., Pilate, 92.95). Dagegen wendet WEAVER, Fruits, 118 Anm. 33 zu Recht ein, dass diese Interpretation weder der Inszenierung des Gerichtsverfahrens gerecht wird noch die Unschuldsdeklaration des Pilatus sinnvoll in diesen Zusammenhang einbinden kann. 51 Vgl. KONRADT, Israel, 167: „Pilatus wähnt offenbar die Volksmenge auf seiner Seite.“ Ähnlich JANKOWSKI, Blut, 20; POPLUTZ, Mt, 265. 52 In diesem Punkt erinnert der Erzählverlauf an Mt 27,3f. insofern dort eine Intervention zugunsten Jesu durch Judas erfolgte. Spätestens mit dem Übergehen des Sündenbekenntnisses sind die etablierten Autoritäten als die treibende Kraft hinter der Tötung Jesu bekannt, die sich – selbst durch die implizite Warnung vor dem Niedergang der Stadt – nicht von diesem Ziel abbringen lassen. Da sie nun aber von Pilatus aus dem Spiel genommen wurden, besteht eine neue Hoffnung für einen Prozessausgang zugunsten Jesu. 53 Ähnlich PAUL, Texte, 87. 54 Durch dieses Votum wird die Frau des Pilatus häufig als Unschuldszeugin verstanden (vgl. PAUL, Texte, 87.91; GIELEN , Konflikt, 375; KONRADT, Mt, 433). Diese Dimension ist sicherlich naheliegend und im näheren Kontext gerade hinsichtlich des Gerichtssettings plausibel. Weitergehend gilt zu bedenken, dass įțĮȚȠȢ im Evangelium eine gewisse Bandbreite umfasst, die zwischen der allgemeinen rechtlichen Integrität eines ʷʩʣʶ (vgl. Mt 1,19) und der spezifischen Parallelstellung zu einem Propheten (vgl. Mt 10,41; 13,17; 23,29.35) changiert (ähnlich, aber mit Ergänzung um eine eschatologische Perspektive
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ablassen soll.55 Diese Charakterisierung wird durch das Traumleiden in der Nacht unterstrichen.56 Durch die Bezeichnung Jesu als įțĮȚȠȢ wird eine Brücke zu Mt 23,29–36 geschlagen; zudem fügt sich das Unschuldszeugnis in das Sündenbekenntnis des Judas ein. Dieser doppelte Verweis präludiert im Kontext eines Kapitalgerichts die Thematik des unschuldigen Blutes. Auf der Erzählebene wird durch diesen Hinweis deutlich, dass es nun an Pilatus liegt, das Vergießen unschuldigen Blutes zu verhindern. Die Frau des Pilatus bleibt als Unschuldszeugin Jesu indes ambivalent, insofern ihre Intervention lediglich dem Schutz ihres Mannes gilt.57 Ihr Zeugnis bestätigt Pilatus die latente Unschuldsannahme hinsichtlich Jesu,58 fokussiert diese jedoch in Ergänzung
GIESEN, Handeln, 179–196). GIELEN, Passionserzählung, 156 hält fest: „Gerechtigkeit besteht nach dem mt Verständnis im Tun des Willens Gottes.“ Sie betont darüber hinaus für Mt 1,19 die intratextuelle Referenz via ȞĮȡ (zum Gebrauch von įțĮȚȠȢ im Sinne rechtlicher Integrität vgl. zudem Mt 5,45; 9,13; 13,43.49; 23,28; 25,37.46; ferner SCHWEIZER, Matthäus, 156f.). Es ist dennoch wahrscheinlicher, dass in Mt 27,19 die prophetische Assoziation eingetragen ist und eine intratextuelle Referenz zu Mt 23,29.35 vorliegt. Eine messianische Konnotation lässt sich für įțĮȚȠȢ nicht verifizieren (vgl. GNILKA, Mt II, 456; LUZ, Mt IV, 275 Anm. 56 gegen SAND, Mt, 553). 55 Es ist umstritten, ob dieser Vers aus dem mt Autorenkreis stammt oder aus der (vormt) Tradition aufgenommen wurde. LUZ, Mt IV, 268 tendiert zu einer vormt Tradition, da die Warnung des Ehemanns durch seine Frau ein verbreiteter Topos darstellt, an welchem sich die „volkstümliche Gemeindeüberlieferung“ orientiert haben könnte, wobei er u.a. auf Appian, Bell Civ 2,16 (115); Bill. I 1032; Flav.Jos.Vit. 16.342.355; Flav.Jos.Bell. II 314; Flav.Jos.Ant. XII 204; XX 135 als zeitgenössische Parallelen verweist (vgl. ebd., 268 Anm. 16). Eine solche Adaption kann allerdings gleichermaßen durch den mt Kreis erfolgen. Mit GNILKA, Mt II, 453f. wird eine mt Schöpfung angenommen, die sich v.a. aus dem regelmäßigen Gebrauch von Träumen und weiterer mt Stilistik ergibt. 56 Das Traummotiv wurde im Evangelium bereits in der Kindheitsgeschichte gebraucht und stellt eine verifizierte Botschaft dar (vgl. Mt 1,20–24; 2,12.13f.19–21.22f.). Die Anrede eines heidnischen Herrschers durch einen Traum ist ein bekanntes frühjüdisches Motiv (vgl. Gen 37–41; Dan 1–6; Flav.Jos.Ant. XVII 345–348; Flav.Jos.Bell. II 111–113). Es ist ungewöhnlich, dass der Traum nicht Pilatus selbst ereilt, sondern seine Frau. DAVIES/ALLISON, Mt III, 587 erwägen, dass es sich hierbei um eine Spitze gegen Pilatus handeln könnte, der einer direkten Kommunikation unwürdig sei. Alternative sei denkbar, dass hier ein literarisches Klischee bedient wird, in welchem die weise Frau den törichten Mann warnt (vgl. Dio Cassius 44, 17, 1 mit Blick auf Calpurnia und Gaius Julius Caesar). 57 Vgl. KONRADT, Mt, 433. 58 Anders CARTER, Empire, 165, der įțĮȚȠȢ nicht als Unschuldsterminus versteht, sondern die Treue zu Gott als Antipode zu Rom hervorhebt: „He [sc. Jesus] enacts God’s justice (3:15), and is rejected because of his threat to the empire, in anticipation of his participation in God’s final vindication (25:46). Faithfulness to God means guilt in the eye of the Roman Empire.“ Die intratextuellen Referenzen zu įțĮȚȠȢ legen indes eine innerjüdische Opposition, aber keine antiimperiale Spitze nahe. Mit der Mehrheitsmeinung wird daher ein Gebrauch von įțĮȚȠȢ als Unschuldszeugnis angenommen (vgl. die unter Anm. 59 genannten).
2. Die Figur des Pontius Pilatus
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zum Kräftemessen zwischen Pilatus und den etablierten Autoritäten.59 Die Nachricht seiner Frau bestätigt folglich seinen Kurs und rückt ihn möglicherweise in ein neues Licht.60 Mit den intratextuellen Anspielungen auf das Motiv des unschuldigen Blutes wird das Gesamtsetting auf der Leserebene zudem dramatisiert. Für das weitere Geschehen ist die Intervention indes höchst fatal: Zwar zeugt die Frau des Pilatus von „der Wahrheit“,61 gleichwohl ergibt sich hierdurch offenbar ein Leerlauf im Prozess, den die etablierten Autoritäten geschickt zu nutzen wissen.62 Während Pilatus von der Traumbotschaft abgelenkt wird, überreden (ʌİȚıĮȞ) sie den Volkshaufen, die Seiten zu wechseln und somit das Schicksal Jesu zu besiegeln. In Verschärfung der mk Vorlage überzeugen die etablierten Autoritäten nicht nur zur Wahl von Barabbas, sondern sie implementieren zugleich die Forderung nach der Vernichtung Jesu im Volkshaufen.63 Pilatus verliert folglich durch das Zwischenspiel die Souveränität über das Volk und letztlich sein eigenes Spiel. Die etablierten Autoritäten re-instrumentalisieren den Volkshaufen zulasten des Ansinnens des Pilatus.64 Damit aber bestätigt sich nochmals die oben skizzierte Konfliktlage, wonach die Frontstellung zwischen den etablierten Autoritäten und Pilatus verläuft.65 Die Passaamnestie verhandelt folglich nicht nur das Schicksal Jesu an sich, sondern auch die Frage, wer die Hoheit über den Volkshaufen behält.
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FIEDLER, Mt, 409 spricht davon, dass die „erkennbare Neigung des Pilatus, Jesus für schuldlos zu erklären“ durch das Zeugnis seiner Frau unterstützt wird. Häufig wird das Zeugnis der Frau als Verstärkung/Bestätigung verstanden (vgl. GIELEN, Passionserzählung, 157; GNILKA, Mt II, 456; HAGNER, Mt II, 823; KONRADT, Mt, 433; NOLLAND, Mt, 1172; SAND, Mt, 552). 60 Zum Zeitpunkt der Intervention seiner Frau ist das Handeln des Pilatus eher als Brüskierung der etablierten Autoritäten bestimmt, in der die Schuldfrage Jesu eine untergeordnete Funktion einnimmt. Dass Jesus überhaupt als Kandidat der Passaamnestie betrachtet wird, spräche zumindest dafür, dass Pilatus davon überzeugt sei, ihn verurteilen zu können, falls er wolle, dies aber offenkundig nicht intendiert. Die Dramatisierung erfolgt durch den thematischen Zusammenhang der Botschaft der Frau des Pilatus und der implizierten Blutthematik, insofern nun eindeutig ist, dass Pilatus’ Urteil darüber entscheidet, ob unschuldiges Blut vergossen wird oder nicht. 61 Die Traumbotschaft ist als göttliche Legitimation Jesu zu verstehen (vgl. FRANCE, Mt, 1055). 62 Vgl. FIEDLER, Mt, 409; GIELEN, Passionserzählung, 157; KONRADT, Israel, 167f. 63 Vgl. HAGNER, Mt II, 821; LAU, Hände, 66. 64 Vgl. KONRADT, Israel, 168: „Nicht Pilatus, sondern den Autoritäten gelingt es also, sich des Volkes zur Erreichung des eigenen Ziels zu bedienen“; ferner GIELEN, Passionserzählung, 160; NOLLAND, Mt, 1174 („[…] they regain control over the people“). 65 Vgl. GIELEN, Passionserzählung, 157f; ähnlich KONRADT, Israel, 166.
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IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
Pilatus hat sich offenbar verkalkuliert und wird nun zum Getriebenen seines eigenen Vorgehens.66 Die erneute Wahlaufforderung zwischen Barabbas und Jesus legt im erzählerischen Setting fest, dass die Entscheidung nur in diesem Rahmen getroffen werden kann. Eine Rückkehr zu einem ordentlichen Rechtsverfahren (erste Ansätze in Mt 27,11–14) oder die Abkehr von dieser Wahl zurück zu seiner Amtssouveränität sind im Evangelium nicht vorgesehen. Pilatus hat sich selbst in die Ecke drängen lassen und muss – auf der Erzählebene – anhand des von ihm initiierten Verfahrens agieren. In diesem werden der kontinuierliche Souveränitätsverlust und die zunehmende Ohnmacht des Mächtigen erkennbar: Zunächst „verliert“ Pilatus die Abstimmung, insofern der von ihm favorisierte Kandidat scheitert. Wenngleich Pilatus – zumindest theoretisch – die Möglichkeit hätte, zum ordentlichen Gerichtsverfahren zurückzukehren, gibt er die Urteilsfindung an den Volkshaufen ab.67 Die Frage, was Pilatus mit Jesus machen soll, wird mit der Forderung nach der Höchststrafe beantwortet: ıIJĮȣȡȦșIJȦ. Diese Antwort scheint den Statthalter zu überraschen, insofern er nachfragen muss, welche Tat Jesu eine solche Strafe rechtfertige. Der aufgeheizten Stimmung – der Tumult der mk Fassung ist auch hier zu greifen –,68 ist jedoch keine sinnvolle Antwort mehr zu entnehmen: Ƞੂ į ʌİȡȚııȢ țȡĮȗȠȞ ȜȖȠȞIJİȢ· ıIJĮȣȡȦșIJȦ (Mt 27,23). Bedeutsam ist bei dieser Schilderung, dass die römische Todesstrafe nicht vom römischen Beamten, sondern vom jüdischen Volkshaufen gefordert wird.69 Der mt Pilatus wird bis zu diesem Punkt als eine Figur gezeichnet, die sich trotz gewisser Machtfülle durch politisch unkluges Agieren von den Hohepriestern und Ältesten an die Wand fahren lässt. Obgleich ihm die Macht über Leben und Tod und die Gerichtssouveränität zugestanden werden, verliert er beides an den von den etablierten Autoritäten instrumentalisierten Volkshaufen. Der darin gezeichnete Machtverlust ist durch seine Fehlkalkulation begründet, insofern er den Volkshaufen gegen seine Führer ausspielen will und dafür sogar deren Soziolekt bemüht.70 Dem Versagen des Römers steht die Gerissenheit der etablierten Autoritäten gegenüber, die sich auf das Spiel des Pilatus, d.h. den Volksentscheid, einlassen und diesen für ihre Zwecke missbrauchen. Im gesetzten Rahmen der Passaamnestie gelingt es ihnen nicht 66 FRANCE, Mt, 1055 geht davon aus, dass sich Pilatus von Anfang an verkalkuliert hat und der versammelte Volkshaufen von jeher auf der Seite der Autoritäten stand. KONRADT, Israel, 167 spricht von einer für Pilatus „unerwartete Wendung“ und verweist zudem auf GNILKA, Mt II, 457, der annimmt, „daß das Volk bis dahin noch unentschlossen gewesen wäre“; ähnlich NOLLAND, Mt, 1173. 67 Vgl. GNILKA, Mt II, 451; LUZ, Mt IV, 275f.; WEAVER, Fruits, 116–118. 68 Vgl. KONRADT, Mt, 434. 69 Ähnlich FIEDLER, Mt, 409; FRANCE, Mt, 1056. 70 Vgl. GIELEN, Konflikt, 376 („jüdische[.] Diktion“); KONRADT, Mt, 433; NOLLAND, Mt, 1169.
2. Die Figur des Pontius Pilatus
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nur den favorisierten Kandidaten des Statthalters scheitern zu lassen, 71 sie nutzen die Volksbeteiligung zugleich, um diesen zum Tode zu verurteilen. Pilatus offenbart durch die Befragung des Volkes eine offene Flanke,72 in welche die Hohepriester und Ältesten geschickt den Volkshaufen hineinstoßen lassen und die Handlungssouveränität des Hegemonen begrenzen. Entgegen seiner eigenen Intention und Machtfülle wird Pilatus zur Exekutive ihres Willens.73 Der Souveränitätsverlust des Pilatus hält im weiteren Verlauf des Evangeliums an.74 Nachdem er das „Kräftemessen“ mit den etablierten Autoritäten verloren hat, tritt der Präfekt nur noch als passive Figur auf, die keine eigenständigen Entscheidungen mehr trifft. Eine gewisse Souveränität kommt noch in der Freigabe des Leichnams Jesu zum Ausdruck, insofern er diese befehligt (ਥțȜİȣıİȞ). Mit dieser Vokabel fordern im Anschluss daran jedoch die etablierten Autoritäten, hier im Zusammenschluss von Hohepriester und Pharisäern, dass das Grab Jesu bewacht wird, um einen etwaigen Betrug durch die Jünger zu verhindern.75Auf diese im Imperativ formulierte Forde-
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Vgl. ZAHN, Mt, 712. Diese ergibt sich durch die implizite Verurteilung Jesu als Pilatus Jesus zum Kandidaten der Amnestie bestimmt. Vgl. RATZINGER, Jesus II, 219: „Damit [sc. der Passaamnestie] freilich begibt er sich in eine fatale Situation. Wer als Kandidat für die Amnestie angeboten wird, ist an sich schon verurteilt. Nur so hat die Amnestie Sinn. Wenn der Menge das Akklamationsrecht zukommt, dann ist nach ihrem Zuruf derjenige als verurteilt anzusehen, den sie nicht gewünscht hat. Insofern ist im Vorschlag zur Freigabe auf dem Weg der Amnestie im Stillen schon eine Verurteilung eingeschlossen“ (Hervorhebung im Original). 73 Bereits dieser Zusammenhang zeigt an, dass das Verhalten des Pilatus nur schwerlich als Entlastung seiner Schuld anzusehen ist. Es ist jedoch umstritten, wie gravierend diese anzusehen ist. Bedenbender zieht einen radikalen Vergleich heran und zeigt mit Adolf Eichmann die Unmöglichkeit einer solchen Entlastung bei Wissen um Unschuld an (BEDENBENDER, Blut, 35f.). Eine Schuld des Pilatus wird auch bei anderen gesehen, wenngleich diese, vermutlich zu Recht, ins Verhältnis zur Schuld der etablierten Autoritäten gesetzt wird; exemplarisch GIELEN, Passionserzählung, 160: „Die Schuld des Pilatus erschöpft sich darin, dass er – trotz seiner Überzeugung von Jesu Unschuld – seine Amtsbefugnisse nicht konsequent nutzt und unter dem Druck der Straße Jesus zum Tode verurteilt. Dagegen gelten die Hohenpriester und Ältesten Mt als die eigentlichen Drahtzieher dieses Todesurteils gegen Jesus, die in der konsequenten und kompromisslosen Verfolgung ihres Ziels Pilatus und das Volk vor den Karren ihrer eigenen Interessen spannen.“ 74 Ähnliches zeichnet auch WEAVER , Fruits, 117 nach. 75 Die Szene ist abermals durch triefende Ironie und radikale Disqualifikation der Autoritäten charakterisiert. Mit dem nächsten Tag (IJૌ į ਥʌĮȡȚȠȞ) ist im Erzählverlauf eindeutig der Sabbat markiert, welchen die Autoritäten hierdurch brechen. Damit vergehen sie sich in der Art und Weise gegen die Thora, welche zu einer ersten Tötungsintention durch die Pharisäer führte (vgl. Mt 12,14). Dass hier die Pharisäer erstmalig mit den Hohepriestern auftreten, erklärt sich nicht allein durch diese intratextuelle Referenz, sondern 72
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IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
rung (țȜİȣıȠȞ) reagiert Pilatus eher zurückhaltend und gewährt die Bitte weitgehend,76 wobei er erstmalig im Evangelium mit den Autoritäten direkt kommuniziert. Dies ist der letzte Auftritt des Präfekten, wenngleich die Macht der etablierten Autoritäten über den Hegemonen ein weiteres Mal demonstriert wird. Nachdem das leere Grab zur Realität wurde, offerieren die Hohepriester und die Ältesten den römischen Soldaten Bestechungsgelder, damit diese bezeugen, dass sie ihrem Wachdienst unzureichend nachgekommen seien. Die zu erwartenden disziplinarischen Konsequenzen wollen sie gar selbst abwenden und entgegen jeder historischen Wahrscheinlichkeit – auch hinsichtlich des Weltwissens der Leser – Pilatus beschwichtigen.77 Diese Anmaßung bleibt unwidersprochen und durch die Annahme des Geldes durch die Soldaten wird deutlich, dass die Erzählwelt voraussetzt, dass die etablierten Autoritäten Pilatus in ihrer Hand haben.78 Durch diese Befehlsgewalt und die rein passive Erwähnung des Pilatus wird zuletzt nochmals unterstrichen, dass die etablierten Autoritäten über Pilatus obsiegt haben und dieser jeglicher Souveränität über sie verlustig geworden ist.79 Auf die Niederlage im „Tauziehen“80 mit den Autoritäten reagiert Pilatus mit einer „Selbstentlastung“, die als konsequente Fortsetzung der Perikope in Folge seines Scheiterns zu sehen ist.81 Die Episode ist vom Schriftgelehrtenkreis eigens komponiert worden und zeichnet sich einmal mehr durch mt Vorzugsvokabular und biblisches Kolorit aus.82 Pilatus vollzieht einen Ritus, ausgestaltet durch Handwaschung und Unschuldsdeklaration, im Gegenüber
fügt sich gut in die Bitte der Bewachung ein (vgl. die Zeichenforderung in Mt 12,38f.; 16,1–4). Zu allem GIELEN, Passionserzählung, 234f. 76 Gielen macht darauf aufmerksam, dass zur Sicherung lediglich eine Wache zur Verfügung gestellt wird, die Art und Weise der Maßnahmen den Autoritäten angelastet wird und in seiner Antwort eine gewisses Skepsis zum Ausdruck kommt (vgl. GIELEN, Passionserzählung, 235). Gleichwohl wird deutlich, dass Pilatus dem Ansinnen weder widerspricht noch seine Autorität anderweitig zu behaupten sucht. Mit WEAVER, Fruits, 122 kann hierin sogar eine Souveränitätsabgabe gesehen werden, insofern die Soldaten den etablierten Autoritäten überantwortet werden und jene sich offenbar ohne Widerworte diesen unterstellen. 77 Vgl. LUZ, Mt IV, 423. Die Macht über Pilatus drückt sich sprachlich zudem durch ʌİșȦ aus. Wie die Autoritäten den Volkshaufen überzeugen und so die Macht über diesen zurückerlangen, so haben sie nun auch Pilatus in ihrer Hand. 78 Vgl. KONRADT, Mt, 458. 79 Vgl. LUZ, Mt IV, 423. Solches zeigt sich auch hinsichtlich der direkten Anrede: Während Pilatus es nicht für notwendig hielt sich im Zuge des Prozesses mit den Autoritäten dialogisch auseinanderzusetzen, sehen die Autoritäten jetzt keinen Grund mit Pilatus direkt ins Gespräch zu kommen. Die Rollen haben sich vertauscht. 80 POPLUTZ, Mt, 265. 81 Vgl. KONRADT, Israel, 168. 82 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 578f.; GNILKA, Mt II, 453f.; PAUL, Texte, 88; zurückhaltend LUZ, Mt IV, 268.
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zum Volkshaufen (ਕʌȞĮȞIJȚ IJȠ૨ ȤȜȠȣ) und spricht diesen offenbar direkt an. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Konfliktlinie zwischen Pilatus und der Volkmenge verläuft.83 Dies divergiert jedoch von der bisherigen Konfliktsituation, die als „Kräftemessen“ zwischen dem Statthalter und den etablierten Autoritäten gezeichnet wurde. Es ist daher zu fragen, ob der Ritus und das Unschuldsbekenntnis zwar im Angesicht des Volkshaufens erfolgt, aber die Hohepriester und Ältesten als Adressaten intendiert sind. Einen ersten Hinweis liefert die dialogische Frontstellung zuvor: Pilatus kommuniziert zwar mit dem Volkshaufen, es ist jedoch im Gesamtduktus der Erzählung offenkundig, dass dieser als Sprachrohr der Autoritäten instrumentalisiert wurde. Das anwesende Volk drückt den Willen der Autoritäten aus.84 Ein zweites Indiz findet sich im Wortlaut des Pilatus: Er beendet den Ritus mit der Aussage ਫ਼ȝİȢ ȥİıșİ. Hiermit erfolgt ein Rückverweis auf Mt 27,4. Mit derselben Formulierung haben Hohepriester und Älteste Judas abgewiesen und, in ihrer verzerrten Logik, 85 seiner Schuld selbst überlassen. Indem Pilatus seine Selbstentlastung ähnlich begründet, ist auf der Textebene die Adressierung der etablierten Autoritäten eindeutig gegeben.86 Zuletzt deutet der folgende Ritus darauf, dass die Hohepriester und Ältesten im Blick des Pilatus sind. Nach Mehrheitsmeinung spielt dieser auf Dtn 21,1–9 an.87 Diese Thora-Bestimmung sieht die Ältesten der Stadt unter Beteiligung (levitischer) Priester als Akteure für die Sühnehandlung zugunsten des Volkes vor.88 83
Vgl. PAUL, Texte, 88f. Vgl. POPA, Konflikt, 154. 85 Es wurde zuvor argumentiert, dass die hierdurch implizierte Selbstentlastung der etablierten Autoritäten weder der Situation des reuigen Sünders und Rechtszeugen noch der Warnung, die im Sündenbekenntnis durch das Motiv des unschuldigen Blutes steckt, angemessen ist (s.o. insbesondere III.2.4.; III.4.). 86 Die ungewöhnliche Formulierung kann innerhalb der Welt des Mt nur von den Hohepriestern und Ältesten des Volkes wiedererkannt werden und spricht sie daher unmittelbar an. 87 Vgl. u.a. DAVIES/ALLISON, Mt III, 590; FIEDLER, Mt, 410; GIELEN , Konflikt, 382f.; DIES., Passionserzählung, 159; GNILKA, Mt II, 457; HAMILTON, Blood, 97; LAU, Hände, 42; LUZ, Mt IV, 276f.; NOLLAND, Mt, 1177; POPA, Konflikt, 153 Anm. 123; SAND, Mt, 554f. Weniger exponiert bei FRANCE, Mt, 1056; HAGNER, Mt II, 827. 88 Hinsichtlich der Figurenkonstellation finden sich einige Berührpunkte zwischen den beiden Texten, die jedoch sprachlich geringfügig divergieren. Im Wortlaut der LXX werden die Ältesten der Stadt durch ਲ ȖİȡȠȣıĮ IJોȢ ʌંȜİȦȢ („Ältestenrat der Stadt“) wiedergegeben, wodurch die Stichwortverknüpfung durch ʌȡİıȕIJİȡȠȢ fehlt. Allerdings handelt es sich jeweils um die Übersetzung der hebräischen Formulierung ʸʩʲʤ ʩʰʷʦ, welche analog zum biblisch geprägten Ausdruck ʌȡİıȕIJİȡȠȚ IJȠ૨ ȜĮȠ૨ (ʭʲʤʩʰʷʦ bzw. ʩʰʷʦ ʬʠʸˈʩ) steht (vgl. Ex 17,5; 19,7; Num 11,16.24; Ruth 4,4; Jes 3,14; Jer 19,1). Mit 16 von insgesamt 25 Belegen im Pentateuch wird ȖİȡȠȣıĮ überwiegend in DtnLXX gebraucht. Die terminologische Abweichung dürfte daher einer Assoziation nicht im Wege stehen. Ähnliches ist hinsichtlich der Hohepriester anzunehmen. Zwar werden in Dtn 21,5 explizit levitische Priester (Ƞੂ ੂİȡİȢ Ƞੂ ȁİȣIJĮȚ) einbezogen, es ist damit aber nicht ausgeschlossen, 84
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IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
Wenn Pilatus nun diesen Ritus adaptiert, imitiert er seine Gegner. Dies könnte abermals anzeigen, dass das Handeln des Pilatus die etablierten Autoritäten zum Ziel hat. Im Folgenden ist nun den intertextuellen Referenzen zu Dtn 21 nachzugehen. 2.3. Die Ritualsequenzen in Mt 27,24 im Lichte von Dtn 21,1–9 Mithilfe eines Rituals wird in Dtn 21 auf das Auffinden des Leichnams und der dadurch ausgebildeten Blutsphäre reagiert.89 Das Ritual setzt sich aus mehreren „Ritualsequenzen“ zusammen, die u.a. auf einen „Eliminationsritus“ hinweisen:90 Eine Jungkuh wird aus der Stadt herausgeführt und in ein Wadi gebracht.91 Dort wird dem (makellosen) Tier das Genick gebrochen.92 Anschließend waschen sich die Ältesten ihre Hände über dem Kopf der getöteten Kuh und sprechen eine Unschuldsdeklaration. Das Ritual schließt auf der Endtextebene mit einem Gebet, wodurch der zuvor selbstwirksame Ritus in das Gnadenwirken JHWHs überführt wird, dem die (alleinige) Macht zur Sühne zuerkannt wird.93 Wie bereits zuvor betont,94 wird das Ritual in das Problem der Reinheit des Landes eingebettet.95 Selbst in der vorliegenden
dass die Hohepriester hierdurch adressiert werden. Zentral ist folglich die abermalige Beiordnung von Priester und Ältesten (des Volkes) in der Personenkonstellation, die sich in der Passionsgeschichte durchweg prominent ausgestaltet. 89 Vgl. DIETRICH, Schuld, 197f.: „Wichtig ist sowohl für das Verständnis der Protasis als auch von Vers 7, daß ʤʫʰ Hifޏil häufig ‚ein blutiges Totschlagen‘, ‚das Blut eines Menschen vergießen‘ impliziert. Dem entspricht es, daß ʤʫʰ Hifޏil ‚an erster Stelle die Tötung als Delikt bezeichnet, und zwar als eine Tat, die Blutschuld verursacht und entsprechend gesühnt werden muß‘. ‚Blutschuld‘ ist ‚ein wichtiger Begriff im Pentateuch, dessen Inhalt an einigen Stellen als bekannt vorausgesetzt wird.‘ Daher steht mit der Protasis von vornherein fest, daß es um Blutschuld geht, auch wenn der Begriff ʭʣ erst in Vers 7 fällt.“ 90 DIETRICH, Schuld, 246–263. 91 Mit DIETRICH, Schuld, 245–262 wird der Ausdruck ʯʺʩʠʬʧʰ als trockenes Flussbett verstanden, in welchem es in der Regenzeit zu sturzflutartigen Überschwemmungen kommen kann. Dietrich benutzt hierfür den Begriff „Sturzbachtal“. 92 Diese Tötungsart ist unreinen Tieren vorbehalten (vgl. DIETRICH, Schuld, 267). 93 Die zentralen Aspekte dieses Sühnerituals sind folglich die (rituelle) „Verurteilung des Verbrechens und […] Distanzierung vom Verbrechen“ (DIETRICH, Schuld, 333). Damit erweist es sich als komplementärer Gegenfall zu Dtn 19,1–13, wobei eine exilischfrühnachexilische Integration in das dtn Gesetz naheliegt (vgl. ebd. 336–341). 94 S.o. II.4.2.2. 95 Vgl. LAU, Hände, 45f. Die kollektive Dimension, die bereits im (vor-)staatlichen Ritualtext zu vermuten ist, wird in der dtr Redaktion verstärkt: „Der dahinter stehende Grundgedanke, daß die Tat des einzelnen Auswirkungen auf die Gemeinschaft hat, wird von den Redaktoren nicht etwa bestritten, sondern aufgenommen und von einer ursprünglich lokalen Perspektive auf eine städtische und nationale Israel-Perspektive ausgeweitet“ (DIETRICH, Schuld, 346).
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Fassung lassen sich einzelne literarische Brüche erkennen, 96 weshalb sich für den mt Kontext fragen lässt, ob das gesamte Ritual in den Blick zu nehmen ist oder lediglich die hervorstechenden Ritualsequenzen der Handwaschung samt Unschuldsdeklaration. Es ist daher erst diesen beiden Aspekten nachzugehen, ehe zu prüfen ist, ob der gesamte Text als Intertext mitzudenken ist. 2.3.1. Handwaschung Sprichwörtlich wäscht sich Pilatus die Hände in Unschuld, wenngleich dies nicht dem biblischen Befund entspricht.97 Gleichwohl wird in der Literatur öfters auf Ps 26,6; 73,13 verwiesen, wo es heißt: ȞȥȠȝĮȚ/ਥȞȚȥȝȘȞ ਥȞ ਕșȠȚȢ IJȢ ȤİȡȢ ȝȠȣ.98 Die Psalmenbelege korrespondieren allerdings stärker mit dem Topos der rituellen Reinheit vor Gott.99 Die Handwaschung in Dtn 21 kommt indes am Ende des Ritus zu stehen und ist darüber hinaus eng in
96 Vgl. bspw. die Zufügung weiterer Autoritäten (s.u. Anm. 119) und das Ritualgebet in Dtn 21,8f. (s.u. bei Anm. 121–125). Zwar mögen diese literarkritischen Erwägungen für den mt Kontext irrelevant sein (vgl. LAU, Hände, 44 Anm. 6), allerdings könnten sie für eine etwaige partikulare Aufnahme des Rituals in Mt 27,24f. geltend gemacht werden. 97 Vgl. LAU, Hände, 55. 98 Eine sprachliche Differenz tritt im Hebräischen hervor, insofern die Psalmen ʳʫ anstelle von ʣʩ (Dtn 21,6) verwenden, welches im Griechischen allerdings jeweils durch Ȥİȡ ausgedrückt wird. Wesentlich stärker divergiert das Medium, in welchem die Hand gewaschen wird. Während dies in den Psalmenbelegen durch Unschuld (ਥȞ ਕșȠȚȢ) bestimmt ist, wird in Mt 27 ausdrücklich Wasser (įȦȡ) genannt, was in Dtn 21 sachlogisch vorauszusetzen und in der Relektüre von Josephus ausformuliert ist (Flav.Jos.Ant. IV 222: țĮ ȤȡȞȚȕĮȢ ਦȜંȝİȞȠȚ). Eine sachliche Differenz ergibt sich durch die Einbindung von Dtn 21,6 in einen quasi-rechtlichen Rahmen (vgl. Jes 1,15), während die Psalmen eine metaphorische Aufnahme der tempelrituellen Handwaschung aufweisen (vgl. DIETRICH, Schuld, 306). 99 Dieser Aspekt zeigt sich besonders stark in Ps 24,4, einer weiteren Psalmenanspielung, die bisweilen in diesem Zusammenhang genannt wird. Diese Vorstellung findet sich zudem in Arist 305f., wo das Händewaschen vor dem Gebet als Symbolhandlung gedeutet wird. Sie zeigt an, dass die Hände nichts Schlechtes getan haben und daher „frei“ sind zum Gebet. Auch die paganen Reinigungseide, die bisweilen erwogen werden (Hdt. I, 35; Verg.Aen. II 719; Sophoc.Ajas 654–656; Ov.Fasti II 39f.), können nur bedingt als Vorlage angesehen werden (vgl. GNILKA, Mt II, 457; LUZ, Mt IV, 276 Anm. 67). Lau macht darauf aufmerksam, dass sich in diesen paganen Texten (1) kein Zueinander von Unschuldsdeklaration und Handwaschung findet und (2) faktische Täter um Handwaschung bemüht sind (vgl. LAU, Hände, 56). Zudem sind die Handwaschungen in altorientalischen Mythen als Vorbild zurückzuweisen – Dietrich verweist u.a. auf KTU 1.3 II 30ff. (DIETRICH, Schuld, 302) –, die zumeist als bewusste Unterbrechung bzw. Zäsur eingesetzt werden. Dabei wird „die vorhergehende Handlung [nicht] verneint, sondern nur [angezeigt], daß man zu neuen weiterschreitet, für die es reiner Hände bedarf“ (ebd., 302). Hier liegt demnach der Akzent auf der Reinigung zu und nicht wegen etwas, was auf Mt 27,24 nicht zutrifft.
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diesen verwoben.100 Sie bildet daher eine eigene Sequenz innerhalb des Ritus und ist in demselben auszudeuten. Die Gesamtproblematik in Dtn 21 deutet daher darauf hin, dass die Ältesten die materiell vorgestellte Blutschuld (= Blutsphäre) abwaschen sollen.101 Das zentrale Problem, welches in Dtn 21,1– 9 verhandelt wird, stellt folglich die ungesühnte Blutschuld dar, welche eine Eigenmächtigkeit ausbildet und das Land bedroht.102 Im Zuge des Eliminationsritus gilt es nun offenbar diese Blutschuld zu tilgen, wobei ein Aspekt die symbolische Handwaschung darstellt, mit welcher das Blut an den Händen abgewaschen wird. Die Handwaschung über der Jungkuh zeigt demnach die Abtragung dieser Blutschuld an, wobei eine (partielle) Identifikation mit dem Ritualtier ausbleibt, sodass eine „quasi-rechtlich, magisch-religiöse Distanzierung“ von der Tat erfolgt.103 Gleichwohl ist diese Ritualsequenz nicht nur durch die „Übertragung der materia magica auf ein Substitut“ bestimmt,104 d.h. die Abwaschung der Blutsphäre auf die Kuh,105 sondern zeichnet sich darüber hinaus durch ihre „rechtssymbolische Bedeutung zur Deklaration der eigenen Unschuld“ aus.106 Diese Unterscheidung ist notwendig, da der Ritus rechtssymbolische Akte adaptiert und dadurch „quasirechtlich“ transformiert. Die Akte selbst werden jedoch keineswegs nur in magischen Zusammenhängen gebraucht. Das Abwaschen der Blutschuld ist demnach keine Blutübertragung durch Wasser, sondern stellt eine symbolische Distanzierung von der geschehenen Bluttat dar.107 Die Handwaschung 100
Da die Handwaschung über der Kuh erfolgen soll, ist diese Handlung eindeutig auf den vorangehenden Ritus zu beziehen und nicht als Übergangshandlung zu verstehen, die zum Gebet überführt. Dieser Zusammenhang bleibt auch in der Wiedergabe des Ritus in Flav.Jos.Ant. IV 222 erhalten. Eine Analogie zum Arist ist kaum gegeben. 101 Vgl. DIETRICH, Schuld, 303: „[…] anders stellen sich Handwaschungen dar, bei denen es um die Reinigung einer Befleckung geht, die wie eine materia magica an den Händen klebt. Bei diesen Handwaschungen handelt es sich um Eliminationsriten, mit deren Hilfe man sich von einer Befleckung bzw. einem sündigen Zustand reinigen kann.“ 102 Während die unausgesprochenen Konsequenzen im Ritualtext vermutlich agrarisch geprägt sind und den Ackerboden betreffen (vgl. 2Sam 21,1–14), wird die Gefährdungslage in der dtr Redaktion auf das Land Israel bezogen, welches entsprechend von diesen Konsequenzen bedroht ist. Es ist davon auszugehen, dass auf der Endtextebene die implizite Gefährdung den Verlust des Landes meint (s.u. Anm. 133) und dieser Zusammenhang dem mt Kreis vor Augen steht. 103 DIETRICH, Schuld, 305. 104 DIETRICH, Schuld, 307 (Hervorhebung im Original). 105 Vgl. DIETRICH, Schuld, 307: „Die Jungkuh erweist sich als das Objekt, an dem die Ältesten ihre Distanzierung vom Verbrechen öffentlich anzeigen, indem sie an ihr das Verbrechen (nicht den Verbrecher!) aus dem Stadtbereich entfernen (Vers 3b.4a), verurteilen (Vers 4b) und sich aus der Verwicklung in das Verbrechen durch einen Waschritus (Vers 6) sowie eine Unschuldsdeklaration (Vers 7) lösen.“ 106 Vgl. DIETRICH, Schuld, 307 (Hervorhebungen im Original). 107 Unter diesen Vorzeichen verbindet Dietrich Dtn 21,6f. und Mt 27,24 als jeweilige „öffentliche Distanzierung von einer Bluttat“ (DIETRICH, Schuld, 307; Hervorhebung im
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für sich ist demnach (noch) keine Unschuldsbezeugung, wie dies in den Psalmen postuliert wird, sondern drückt primär eine rituelle Distanzierung von der Tat aus. Stattdessen wird dieser Aspekt komplementär durch die Unschuldsdeklaration fortgeführt,108 wodurch in dieser Wort- und Tateinheit die Disqualifizierung der Tat als solcher und der maximalen Distanzierung von derselben nochmals verstärkt ausgedrückt wird. 2.3.2. Die Unschuldsdeklaration Die Unschuldsdeklaration der Ältesten in Dtn 21,7 erscheint weniger formelhaft als diejenige des Pilatus. Sie bringt zum Ausdruck, dass weder ihre Hände noch ihre Augen mit dem vergossenen Blut in Beziehung gebracht werden können. Sie schließen mit der zweizeiligen Aussage sowohl ihre „Mittäterschaft“ als auch ihre „Mitwisserschaft“ aus.109 Neben dieser inhaltlichen Bestimmung kann die Unschuldsdeklaration in zwei Perspektiven ausgeleuchtet werden: zum einen als „assertorischer Eid“,110 zum anderen als „negatives Sündenbekenntnis“.111 Für die erste Perspektive ist entscheidend, dass es sich dabei um eine Reaktion auf einen anklagenden Sachverhalt handelt. Durch den Eid wird angezeigt, dass die ungesühnte Blutschuld – ausgedrückt in Aufnahme des formelhaften Syntagmas ʭʣ ʪʴˇ112 – als solche eine Anklage an die Ältesten darstellt, welche sich nun von derselben entlasten.113 Die in der Eidesform implizierte Anklage der Ältesten unterstreicht folglich die notwendige Distanzierung, welche diese im Ritus vornehmen. In Original). Bei ihm bleibt jedoch unausgeführt, welche Beziehung zwischen den beiden Texten vorliegt und ob im Evangelium tatsächlich nur die rechtssymbolischen Aspekte rezipiert werden, wie seine Argumentation impliziert. 108 Dieses komplementäre Verständnis reagiert insbesondere auf den Vorwurf der Redundanz, welche dem Ritus nachgesagt wird: „Handwaschung und Unschuldsdeklaration wiederholen nicht nichtssagend schon Gesagtes, sondern bringen denselben Gedanken auf komplementäre Weise sowohl auf der Ebene der Sprach- als auch der Tathandlung symbolisch zum Ausdruck“ (DIETRICH, Schuld, 308). 109 DIETRICH, Schuld, 313 (Hervorhebung im Original). Die Deklaration ist umfassend zu verstehen, insofern das „Nichtsehen“ nicht nur die eigentliche Augenzeugenschaft umfasst. Vielmehr wird dadurch ihre juristische Integrität ausgedrückt, denn die (ergebnislose) Untersuchung etwaiger Indizien oder Gerüchte bzw. die Nichtannahme von Bestechungsgeld sind in dem Statement ʥʠʸ ʠʬ ʥʰʩʰʩʲ mitgemeint (ebd., 313; s.o.S. 80 Anm. 179). 110 DIETRICH, Schuld, 308–314. 111 DIETRICH, Schuld, 314–319. 112 Zu diesem s.u. V.1.2. 113 Vgl. DIETRICH, Schuld, 313f. Für den Gesamtzusammenhang gilt auch hier zu berücksichtigen, dass die Aussage juristische Sprache adaptiert, gleichwohl aber in einen rituellen Kontext eingebunden ist. Dietrich spricht aus diesem Grund von einem „quasirechtlichen Reinigungseid im außerrechtlichen Kontext“ (ebd., 312). Hierin äußert sich das für Dtn 21,1–9 charakteristische Zueinander von rechtlichem und kultischem Kolorit.
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dieselbe Richtung weist die zweite Perspektive des negativen Sündenbekenntnisses. Das Vorbild bildet hierbei die abiuratio, welche aus der altorientalischen Umwelt bekannt ist.114 Diese ist klassischerweise an den Tempelkult gebunden und stellt eine Art Rechtfertigung vor der/den (anklagenden) Gottheit/en dar. Die außerbiblischen Parallelen lassen dabei erkennen, dass es im Ritus insgesamt um eine Verhältnisbestimmung „der Ortschaft zur Tat“ geht.115 Der formelhafte Gebrauch von ʸʮʠʥʥʰʲ lässt folglich erkennen, dass das Ritual als solches „eine Art Reaktionszwang, auf die geschehene Bluttat“ darstellt, welches, „wenn schon nicht auf rechtliche, so doch auf eine quasirechtliche und magisch-rituelle Weise (reagiert)“.116 Durch Adaption der juristischen Formel des Eides erfolgt „eine außerrechtliche abiuratio, der es allein um die – durchaus rechtssymbolische Elemente aufnehmende – Reinigung und Entlastung von Blutschuld mittels einer Deklaration der Unschuld geht.“117 Im Gesamtsetting bringt diese Unschuldsdeklaration eine Verantwortungsübernahme der Autoritäten zum Ausdruck, die zugleich eine Rückweisung von Schuldhaftigkeit darstellt.118 2.3.3. Einbettung in das Gesamtritual Insgesamt ist der Ritus in Dtn 21,1–9 als notwendige Reaktion zur Kompensation der entstandenen Blutschuld zu verstehen, welcher aufgrund der nicht zu ermittelnden Täterschaft von den „(juristischen) Autoritäten“ auszuführen ist.119 Dies erfolgt durch eine umfassende Distanzierung derselben von der Tat, wodurch die Blutschuld/Blutsphäre gebannt wird.120 Der Ritus ist in dieser Form noch im Text erkennbar, wenngleich die spätere dtr Fortschreibung die Selbstwirksamkeit desselben vom abschließenden Gebet abhängig macht. Hierdurch wird nun JHWH zum Garanten, dass das Ritual wirksam wird.121 Gleichsam wird durch das Gebet eine gesamtisraelitische Perspektive eingezogen, die der Intention der dtr Fortschreibung entspricht.122 114
Vgl. DIETRICH, Schuld, 315. DIETRICH, Schuld, 318. 116 DIETRICH, Schuld, 319 (Hervorhebung im Original). 117 DIETRICH, Schuld, 319. 118 Ähnlich LAU, Hände, 49: „Während durch den normalen Reinigungseid ein Individuum für (moralisch) rein erklärt wird, weil überhaupt keine Schuld und damit Unreinheit vorhanden war, geht das Ritual von Dtn 21,1–9 davon aus, dass Blutschuld gesühnt wird, also faktisch/objektiv Schuld und damit Unreinheit vorhanden waren.“ 119 Dies zeigt sich zudem an der (sekundären) Beiordnung der beiden weiteren zentralen Institutionen in der Gesellschaftsfiktion des Dtn: Die Richter beaufsichtigen nach Dtn 21,1 die Vermessung der Entfernung, wohingegen die levitischen Priester in Dtn 21,5 herantreten, um für die korrekte Durchführung des Rituals zu garantieren. 120 Vgl. DIETRICH, Schuld, 353. 121 Vgl. DIETRICH, Schuld, 353f. 122 Vgl. DIETRICH, Schuld, 353. 115
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Dieses liegt auf einer Ebene mit der Bestimmung des freien Feldes als Teil der Landgabe JHWHs (Dtn 21,1) und der Bestimmung der Bluttat als eines Falls unschuldigen Blutes (Dtn 21,8f.). Durch die dtr Transformation des Rituals reagiert dieses nun nicht mehr auf ein unheilvolles Omen (= den Erschlagenen), sondern wertet dies als Rechtsfall im Sinne einer Gesetzesübertretung, welche den Zorn Gottes bewirkt.123 Gerade die Aufnahme des Syntagmas ʩʷʰ ʭʣ bewirkt dabei eine geschichtstheologische Codierung, die aus Dtn 21,1–9 ein auf Gesamtisrael ausgerichtetes Sühneritual generiert, welches hierdurch dem Sündenbockritus in Lev 16 gleicht.124 Mit dieser gesamtisraelischen Gefährdungslage, die durch den Topos des unschuldigen Blutes offenbar wird, kann Dtn 21,1–9 mit weiteren Texten in Verbindung gebracht werden, die in ähnlicher Art und Weise die kollektive Gefährdungsdimension zum Ausdruck bringen. Dies trifft insbesondere auf Jer 26,15 zu: „Entscheidend ist […], daß Blutschuld nicht nur Einzelpersonen, sondern auch ein Kollektiv, etwa die Bewohner einer Stadt, treffen kann.“125 Die intertextuelle Referenz des unschuldigen Blutes weist einmal mehr in einen geschichtstheologischen Interpretationshorizont.126 Dtn 21,1–9 stellt
123
Vgl. DIETRICH, Schuld, 354. Vgl. DIETRICH, Schuld, 355. Als weitere Analogie werden von Dietrich die repräsentative Durchführung eines komplementären Aktes in Handlung und Votum mit jeweiligem Tierbezug, wobei in Lev 16 ein Sündenbekenntnis, in Dtn 21 eine Unschuldsdeklaration erfolgt. Darüber hinaus zielt die jeweils problematische Verunreinigung auf unterschiedliche Orte: während P auf das Heiligtum konzentriert ist, wird im Dtn Land und Bewohnerschaft fokussiert. Gemeinsam ist zudem die Absonderung des Tieres in „lebensgefährdende“ Gebiete (zum letzten Aspekt vgl. ebd., 255). 125 DIETRICH, Schuld, 197. Dietrich macht neben dieser sachlichen Parallele zudem auf sprachliche Verzahnungen aufmerksam: „Zwar wird der Akt des Tötens nicht mit ʤʫʰ Hifޏil, sondern mit ʺʥʮ Hifޏil formuliert, doch sowohl das Sachproblem als auch die Wortverweise ʲʣʩ sowie ʸʩʲ und ʩʷʰʭʣʯʺʰ beziehen die Texte Dtn 21,1–9 und Jer 26,15a eindeutig aufeinander. In Jer 26,15a betrifft der antizipierte Mord an Jeremia nicht nur die Täter, sondern legt der Stadt und ihren Bewohnern kollektiv die Blutschuld auf: Jeremia weist das Ansinnen des Mordes mit Hinweis auf die kollektive Blutschuld aller Stadtbewohner zurück“ (ebd., 197f.). 126 Partiell wird dies auch von DIETRICH, Schuld, 360 erkannt und entsprechend ausgeführt: „Das Vergießen unschuldigen Blutes hat auch in anderen dtr Texten kollektive Auswirkungen auf Jerusalem. In beiden Tempelreden wird den Bewohnern Jerusalems mit kollektivem Unheil gedroht, falls sie unschuldiges Blut vergießen sollten: Im Fall von Jer 7,6f bleibt JHWH nur dann ‚an diesem Ort‘, wenn die Jerusalemer die Schwachen schützen und kein unschuldiges Blut vergießen. Im anderen Fall droht JHWH implizit, Jerusalem zu verlassen und die Landgabe rückgängig zu machen (zur Landgabeformel in Jer 7,7 vgl. die zwar nicht identische, aber ähnliche Landgabeformel in Dtn 21,1). In Jer 26,15 wird ausdrücklich hervorgehoben, daß die Täter mit dem Mord am Propheten nicht nur unschuldiges Blut auf sich, sondern auch ‚auf diese Stadt und ihre Bewohner‘ legen würden. In dem Geschichtspsalm 106,38 wird die Zerstörung Jerusalems unter anderem mit dem 124
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daher „eine Form der zukünftigen Kontingenzverarbeitung“ dar, um etwaige staatliche Konsequenzen vermeiden zu können: Während die Zerstörung Jerusalems mit der Blutschuld Manasses erklärt wird, kann nach Dtn 21,1–9 selbst der unaufgeklärte Mordfall rite gelöst werden. Das zukünftige Überleben wird in diesem Falle mittels der solidarischen Abweisung bislang ungesühnter Blutschuld durch das vorgeschriebene Sühneritual ermöglicht.127
In letzter Konsequenz wird dadurch jedoch die Notwendigkeit des Rituals verschärft, da in Hinblick auf die geschichtstheologischen Konsequenzen das kollektive Gedächtnis die Gefährdungslage des Landes eindeutig besetzt weiß.128 Dass eine solche Konditionierung auf die „bedingte Landgabe“ erfolgt,129 lässt im dtr Gebet darüber hinaus die Formelʩʰʩʲʡ ʸˇʩʤ ʤˈʲʺʚʩʫ ʤʥʤʩ erkennen, wodurch die stereotype Königsbewertung der Königsbücher in den Rechtstext eingetragen wird.130 Vergießen unschuldigen Blutes erklärt, welches das Land entweiht hätte (vgl. zu letzterem auch Dtn 19,10).“ 127 DIETRICH, Schuld, 361. 128 Abermals ist auf die Segens- und Fluchthematik des Dtn und seiner Gesetze zu verweisen, welche den Bund konditionieren: „Die Kapitel in Dtn 27f stellen die Einhaltung der Gesetze unter das Verdikt einer bedingten Fluchdrohung und einer bedingten Segensverheißung. Auf diese Weise trifft der Fluch zum einen den Täter, der unschuldiges Blut vergießt (ʩʷʑ ʰ ʭʣ Dtn 27,25; vgl. 21,8a.9a), selbst wenn er im Verborgenen tätig ist (Dtn 27,24; vgl. 21,1b), zum anderen trifft Israel insgesamt bei ungesühnter Blutschuld im verheißenen Land (vgl. die Landgabeformel in Dtn 21,1), die Verfluchung nicht nur des Personenverbandes Israel, sondern auch des Verheißungslandes (vgl. insbesondere Dtn 28,17f.22–24.38–40.42)“ (DIETRICH, Schuld, 362). 129 Vgl. DIETRICH, Schuld, 347 mit Verweis auf PERLITT, Motive. 130 Vgl. DIETRICH, Schuld, 371f.: „Durch das ‚Tun des Bösen in den Augen JHWHs‘ (ʤʥʤʩʩʰʩʲʡʲʸʤʤʹʲ) ziehen der König (vgl. etwa 1 Kön 16,25.30; 2 Kön 21,2.6.9.15f.20 u.a.) und das ganze Volk (vgl. etwa Dtn 9,18; 31,29; Ri 2,11; 3,7.12 u.a.) Schuld auf sich mit der Folge des Untergangs von Nordreich und Südreich (vgl. neben 1 Kön 14,10 insbesondere noch 2 Kön 17,17; 21,15f). Dieses ‚Böse‘ gewinnt in Dtn 21,8a.9a die konkrete Gestalt unschuldig vergossenen Blutes und stellt eine schwerwiegende kollektive Schuld dar, für welche Israel ins Exil muß (vgl. 2 Kön 21,16; 24,4; Ps 106,38). Eingedenk einer derartigen Gottesstrafe ist es nach Vers 9b Aufgabe des Gottesvolkes, der gottgewollten Ordnung durch ein gottgefälliges und das heißt toraorientiert[e]s ‚Tun des Rechten in den Augen JHWHs‘ (ʤʥʤʩ ʩʰʩʲʡ ʸʹʩʤ ʤʹʲ) zu entsprechen.“ Dieser Aspekt verbindet sich in der dtr Theologie zudem mit der sogenannten „biҵartƗ-Formel“ (vgl. ebd., 362–370). Dabei handelt es sich um einen eliminatorischen Ansatz des Dtn durch welchen „das Böse“ aus der Mitte des Volkes zu tilgen ist (vgl. ebd., 363f. mit Verweis auf Dtn 13,6; 17,7.12; 19,13.19; 21,9.21; 22,21f.24; 24,7). Diese konkrete räumliche Vorstellung verschärft sich durch die JHWH-Konkurrenz, der die eigentliche Mittelposition für sich beansprucht (vgl. Dtn 6,15; 7,21), weshalb das Volk seine eigene Erwählung riskiert (vgl. ebd., 364 mit Verweis auf Dtn 1,42; 23,15; 31,17). Die konkrete Ausgestaltung dieses „Bösen“ in der „Mitte“ variiert in den einzelnen Rechtssätzen, die sich nur grob in Oberkategorien zusammenfassen lassen: (Verführung zu) Idolatrie (Dtn 4,3; 13,2–6; 17,2–7;
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Der Anspruch an das Kollektiv des Volkes, welchen das Dtn formuliert, führt zur Frage der Haftung und der Verantwortung. Hilfreich ist hierfür die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Schuld.131 Im konkreten Fall agieren die Ältesten nicht aufgrund einer persönlichen Verantwortung oder einer sie subjektiv betreffenden Schuld als „Ritualagenten“. Sie sind durchweg als am Verbrechen unschuldig gezeichnet. Dennoch verweist „der Erschlagene auf dem Feld auf eine objektiv vorliegende Blutschuld kollektiven Ausmaßes“.132 Dies liegt in der Ausgangskonstellation begründet, wonach der Täter gänzlich unbekannt ist. Dementsprechend geht vom Erschlagenen in Form der Blutschuld/Blutsphäre eine Gefährdungssituation [aus] […], die sowohl das besiedelte Gebiet (in unserem Fall die Stadt mit ihrem Umland) als auch die von der objektiv vorliegenden Blutschuld betroffene Personen (in unserem Fall die Stadtbewohner, repräsentiert durch ihre Ältesten) bedroht.133
Die Blutschuld wiegt dementsprechend schwer auf der Gemeinschaft, sodass eine Haftungsübernahme erfolgen muss.134 In jedem Fall wird deutlich, dass die Blutschuld, welche vom Erschlagenen ausgeht, als eigenmächtige Gefährdungslage anzusehen ist, die darüber hinaus durch das unschuldige Blut maximal bestimmt wird. Dergestalt wird das Verbrechen als solches zu einem objektiven Problem des ganzen Volkes, welches dafür in Haftung genommen wird.135 In dieser sakral-rechtlichen Bestimmung kommt zum Ausdruck, dass 31,16f.); Ungehorsam (Dtn 17,17; 19,19; 21,21); Sexualdelikte (22,21.22.23f.); Bluttat (Dtn 19,13; 21,8f.); Diebstahl (Dtn 24,7). In all diesem kommt daher eine gesonderte Gefährdungssituation von Volk und Land zum Ausdruck. 131 Vgl. DIETRICH, Schuld, 381: „Kollektive Schuld erweist sich hier als ein Spezialfall objektiver Schuld: als eine Schuld, welche die Gemeinschaft trotz der persönlichen Unschuld ihrer Mitglieder trifft. Nur wenn kollektive Schuld als eine objektive verstanden wird, nimmt man ihr den Stachel, daß sie als eine persönliche Schuld aller zu verstehen sei. Kollektive Schuld ist so zwar in dem Sinne persönlich, daß sie jeden angeht und betrifft, aber dabei nicht subjektiv, sondern objektiv, indem sie die Sühne eines überindividuellen Verbrechens fordert, das seine Auswirkungen – ob man es gut heißen mag oder nicht – faktisch immer schon auf die Gemeinschaft legt, wenn es nicht oder nicht allein am Täter geahndet werden kann.“ 132 DIETRICH, Schuld, 226. 133 DIETRICH, Schuld, 227. 134 Während der Ritualtext eine Selbstwirksamkeit des Ritus nahelegt, erfolgt durch das Ritualgebet eine Rückbindung an die Intervention Gottes, welcher die Tötung des Menschen nicht als Vergießen unschuldigen Blutes werten möge (vgl. DIETRICH, Schuld, 357). Für Dietrich bildet Jon 1,14 den entscheidenden Intertext, in dem ebenfalls mit einem Gebet darum gebeten wird, dass die implizierte Tötung Jonas gebilligt wird und nicht als unschuldiges Blut über die Mannschaft kommt. Sprachlich liegt dabei der Fokus auf die jeweilige Zusammenstellung von ʩʷʰʭʣ mit ʯʺʰ. 135 Vgl. auch LAU, Hände, 49 Anm. 25: „Ein Phänomen wie Kollektivhaftung und -schuld ist ja nur denkbar, wenn es jenseits subjektiver Schuldverstrickung faktisch Schuld gibt, die ein Individuum und ein soziales Kollektiv unabhängig von realer Täterschaft
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unschuldiges Blut gebannt werden muss. Es stellt für das Volk eine objektive Schuld dar, welche einen Gesetzesbruch anzeigt, der aufgrund der bedingten Landgabe schwerwiegende Folgen haben wird.136 Die Verantwortungsübernahme mündet in einer rituell ausformulierten radikalen Distanzierung des Volkes, repräsentiert durch die Ältesten und assistiert durch Richter und Priester, welche in letzter Konsequenz die gnadenvolle Zuwendung JHWHs erhofft, dass er das vergossene Blut nicht als folgenschweres unschuldiges Blut werten möge. 2.4. Das Unschuldsbekenntnis des Pilatus … Dem Votum des Pilatus kommt wie auch dem Sündenbekenntnis des Judas ein besonderes Gewicht zu. Dies begründet sich einerseits aus der dramaturgischen Stellung der Episode, welche die Verurteilung Jesu zu ihrem Ende führt,137 andererseits aus der Tatsache, dass der mt Kreis diese eigens in das Evangelium eingeführt hat, wodurch ein gesondertes Anliegen zum Ausdruck kommt. Die sprachliche Ausgestaltung erfolgt durch die Adaption biblisch geprägter Formeln, wobei das Stichwort ĮੈȝĮ jeweils zentralen Raum einnimmt.138 Durch die formelhafte Verknappung unterscheidet sich die Aussage des Pilatus von dem „quasi-rechtlichen“ Eid der Ältesten in Dtn 21. Pilatus bekennt: ਕșંȢ İੁȝȚ ਕʌઁ IJȠ૨ ĮȝĮIJȠȢ IJȠIJȠȣ.139 betrifft. Das ist angesichts der Blutschuldproblematik von Dtn 21,1–9 der Fall. Deshalb werden eigene Reinheit und Unschuld von den Ältesten nicht behauptet – sondern wieder vor Gott als rein und unschuldig zu gelten, ist das Ziel des ganzen Rituals, das in der Bitte um Sühne gipfelt. Weil man jenseits subjektiver Täterschaft als Kollektiv von Blutschuld betroffen und dadurch schuldig und unrein ist, deshalb vollzieht man überhaupt erst das Ritual. Würden die V. 6f. eine Unschulds- und Reinerklärung bedeuten, so wäre V. 8 gar nicht mehr notwendig.“ 136 Dementsprechend geht auch der Rechtsfall über den juristischen Rahmen hinaus: „Kollektive Schuld ist hier nicht dem Bereich des profanen Rechts, schon gar nicht dem Strafrecht, sondern dem Bereich religiös gebundenen Weltordnungsdenkens zuzusprechen“ (DIETRICH, Schuld, 226; Hervorhebung im Original). 137 Vgl. PAUL, Texte, 88. Die Verspottung Jesu (Mt 27,27–31) ist im Gegensatz zur joh Passionsgeschichte kein Teil der Urteilsfindung, sondern ein Geschehen im Zwischen, welches eher als Auftakt der Kreuzigung denn als Abschluss der Gerichtsverhandlung anzusehen ist. Dies gilt trotz der offenkundigen Parallele zum Verfahren vor dem Hohen Rat (Mt 26,67f.). Markant sind v.a. die gängigen literarischen Abschnittsmarker, insofern mit den Soldaten neue Figuren eingeführt werden, die ab sofort die wesentlichen Handlungsträger darstellen, und ein Ortswechsel in das Innere des Prätorium vollzogen wird. 138 Vgl. SENIOR, Narrative, 256f. 139 Das Unschuldszeugnis dient zunächst einmal Pilatus, sodass sich erst im Gesamtduktus der Perikope erschließt, dass er Jesus für unschuldig hält (vgl. LAU, Hände, 58). Dessen Unschuld wird bspw. durch das Zeugnis seiner Frau und die unbeantwortete Frage nach dem Verbrechen Jesu ausgedrückt. Einige Handschriften überliefern die Nennung des Motivs des unschuldigen Blutes im Zeugnis des Pilatus (ʠ K L W ī f1.13
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2.4.1. … im Lichte von 2Sam 3,28f.LXX Die nächste Parallele zum Unschuldsbekenntnis findet sich in 2Sam 3,28LXX.140 David erklärt sich und sein Königtum auf ewig für unschuldig am Blut Abners: ਕșંȢ İੁȝȚ ਥȖઅ țĮ ਲ ȕĮıȚȜİĮ ȝȠȣ ਕʌઁ țȣȡȠȣ ਪȦȢ ĮੁȞȠȢ ਕʌઁ IJȞ ĮੂȝIJȦȞ ǹȕİȞȞȘȡ ȣੂȠ૨ ȃȘȡ. Mit dieser Aussage wird ein längerer, aber nicht zusammenhängender Erzählstrang aufgerufen, welcher die Causa Joab zum Kern hat. Dessen Bluttat an Abner rahmt die davidische Königsherrschaft und greift zudem in die Konsolidierung der Herrschaft Salomos hinein.141 Die Betrachtung der Unschuldsdeklaration Davids erfordert dem-
33.565.700.892.1241.1424 ੍lat syp.h samss mae bo: IJȠȣ ĮȚȝĮIJȠȢ IJȠȣ įȚțĮȚȠȣ IJȠȣIJȠȣ; A ǻ aur f h: IJȠȣ ĮȚȝĮIJȠȢ IJȠȣIJȠȣ IJȠȣ įȚțĮȚȠȣ), während dieser Zusammenhang in der Textfassung von NA28 lediglich impliziert wird. Die Mehrheitsmeinung gibt gegenwertig der kürzeren Lesart den Vorzug, allerding finden sich einzelne Stimmen, die die Langfassung für die ursprüngliche halten (vgl. GUNDRY, Mt, 565; DAVIES/ALLISON, Mt III, 590 Anm. 52). Eine umfassende Betrachtung hat Wettlaufer vorgelegt, der aufzeigt, dass sich externe wie interne Kriterien die Waage halten. Ausgehend von der Prämisse, dass es sich in Mt 27,24 nur um eine versehentliche Ergänzung (in diesem Fall Harmonisierung) oder versehentliche Auslassung handeln könne, votiert er für Letzteres. Nach seiner Einschätzung gilt zwar allgemein, dass eine Ergänzung wahrscheinlicher ist, im spezifischen Fall neige jedoch der Codex Vaticanus, als Hauptzeuge des Textes, stärker zu versehentlichen Auslassungen als der Codex Sinaiticus, als Hauptzeuge der Textvariante, zu versehentlichen Ergänzungen (vgl. insgesamt WETTLAUFER, Glance). Es ist allerdings fraglich, ob diese Tendenz als ausschlaggebendes Kriterium ausreichend ist. Insgesamt dürften die Kriterien der lectio brevis und einer Ergänzung, die auf Verdeutlichung abzielt, stärker zu gewichten sein, als von Wettlaufer postuliert (vgl. CARGAL, Blood, 107 Anm. 19). Für die hier vorgelegte Untersuchung ist die textkritische Frage zudem weitgehend zu vernachlässigen, da die intertextuelle Referenz zwischen Mt 27,24 und 2Sam 3,28LXX resp. SusTh 46 auch mit dem Zusatz IJȠȣ įȚțĮȚȠȣ erkennbar bliebe und die Kategorie des unschuldigen Blutes resp. Blut eines Gerechten sogar unterstrichen wäre. 140 Eine TLG-Recherche eines analogen Gebrauchs der Lemma ਕșંȢ/țĮșĮȡંȢ/ ਕȞĮIJȚȠȢ + ਕʌં + ĮੈȝĮ in einem 15-Worte-Limit führt neben 2Sam 3,28LXX zu SusTh 46; Apg 18,6; 20,26; Cassius Dio, Hist. LXXI 30,1. Als assoziative Paralleltexte können zudem solche aufgeführt werden, in denen eine Unschuldserklärung und Blutbegriff aufgenommen sind. Dies gilt insbesondere für Jos 2,19MT (s.u. bei Anm. 227–232). In Jo 4,19 findet sich zwar die feierliche Erklärung, dass JHWH Blut als unschuldig bestimmt, welches er zuvor noch nicht als schuldlos angesehen hatte. Letzteres ist kaum zu erklären und kann aufgrund der sprachlichen Differenzen vernachlässigt werden. Ähnliches gilt für Belege der Struktur ਕșંȢ/țĮșĮȡંȢ/ਕȞĮIJȚȠȢ + İੁȝ + ਕʌં (mit gewisser Struktursignifikanz in Gen 24,8.41; Num 5,31; Ri 15,3; Tob 3,14; Spr 9,20; TestLev 10,2; 14,2; 1Clem 59,2), da hier der Blutbezug fehlt. Auszuscheiden ist zudem Jer 2,34f. (s.o. II.4.1.1.d), obwohl hier unschuldiges Blut und Unschuldsdeklaration direkt aufeinander bezogen sind. Allerdings handelt es sich hierbei um eine Zuschreibung Gottes, die sodann im polemischen Kontext als unzureichend entlarvt wird. 141 Vgl. HUGO, Morde, 24.
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nach eine Berücksichtigung des gesamten Erzählzusammenhangs, wobei das sprachliche Bindeglied ĮੈȝĮ fokussiert wird.142 Den Hintergrund der königlichen Deklaration bilden Auseinandersetzungen im davidisch-saulidischen Thronkampf. Nachdem Saul gestorben war und David bereits zum König über Juda ernannt wurde, konnte sich Ischbaal (LXX: Jebosthe/ Memphibosthe), gestützt durch den Heeresführer Abner, als saulidischer König über Israel halten (vgl. 2Reg 2,1–12).143 Den Konflikt zwischen den beiden Königreichen trugen die jeweiligen Heerführer aus: Joab, auf der Seite Davids, und Abner, auf der Seite Ischbaals (2Reg 2,13– 3,1). Im Nachgang einer verlorenen Schlacht wird Asael, der Bruder Joabs, von Abner nicht intentional getötet (2Reg 2,23).144 Nach einem vorläufigen Waffenstillstand zwischen Abner und Joab145 kommt es zum Bruch zwischen Abner und Ischbaal, sodass Abner einen Bund mit David initiiert (2Reg 3,6– 21). Als faktischer Herrscher reist Abner nach Hebron, um das Bündnis der Ältesten Israels mit David zu besiegeln.146 Wenngleich David Abner ਥȞ 142
Die folgende Darstellung basiert auf dem griechischen Ant-Text, welcher in diesem Unterkapitel mit dem Sigel LXX gemeint ist. Eine solche Bezugnahme ist aus inhaltlichen Gründen zu rechtfertigen, da Hugo umfassend herausgearbeitet hat, dass sich die Erzählungen um Abner und David und deren Intentionen in den verschiedenen Fassungen deutlich voneinander unterscheiden. Er kommt dabei zum Ergebnis, dass wenigstens für die von ihm untersuchten Passagen (2Sam 3,28; 1Kön 2,5.31–33) die hebräische Textfassung, welche dem Ant-Text und damit auch VL zugrunde lagen, dem MT vorzuziehen ist (HUGO, Morde, passim; zu einer Vorrangstellung der Vorlage der LXX vor dem MT kommt auch WIRTH, Septuaginta, 233f.242; kritisch KIPFER, David, 110–117). Neben sprachlichen Erwägungen begründet Hugo diese Entscheidung durch die jeweiligen Grundintentionen der beiden Fassungen. Im MT ist eine pro-davidisch bzw. pro-dynastische Korrektur zu erkennen, die David durchweg von jeglicher Teilhabe an der Blutschuld Joabs distanziert. In der LXX zeigt sich indes eine Teilidentifikation Davids mit dieser Blutschuld, insofern er Nutznießer vom Mord war. Insgesamt sei eine pro-davidische Korrektur als jüngere Fassung wahrscheinlicher, weshalb die Vorlage der LXX als älteste Fassung zu stehen kommt (HUGO, Morde, 47). Auf dieser Grundlage sollen an einzelnen Stellen markante Unterschiede diskutiert werden und damit auch potenzielle Konsequenzen für das Verständnis des mt Kreises. Damit ist noch keine Entscheidung getroffen, welche dieser Textfassung der mt Gemeinde resp. dem Autorenkreis bekannt war. 143 Aus Gründen der Anschaulichkeit werden in diesem Abschnitt die Belegstellen der LXX mit den Sigeln 1–4Reg wiedergegeben. Dies entspricht 1–2Sam; 1–2 Kön im MT, sodass im konkreten Fall 2Reg auf 2SamMT rekurriert. Für den Ant-Text gilt darüber hinaus, dass 2Reg 25,1–26,11 sowohl in der LXX (Ra-Text) als auch im MT 3Reg resp. 1Kön 1,1–2,11 entspricht. 144 Vgl. SCHROER, 1/2Sam, 133. 145 Die Erzählung suggeriert, dass Joab erst nach diesem Waffenstillstand der Tod seines Bruders Asaels bekannt wird. 146 Für die Umstände des Bündnisses lassen sich in den beiden Fassungen divergierende Intentionen erkennen, die im Wesentlichen die Darstellung Abners betreffen. Die jüngere Bearbeitung im MT zeichnet insgesamt ein positiveres resp. machtvolleres Bild von David.
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İੁȡȞૉ ziehen lässt, interveniert Joab, der bei den Verhandlungen auswärts war, zunächst anklagend vor dem König (2Reg 3,24f.), anschließend in Unwissenheit Davids. Eine persönliche Unterredung endet in der Ermordung Abners durch Joab (2Reg 3,27). Dies fordert David zu einer Unschuldsdeklaration heraus, in welcher er sich von der Blutschuld, die ihn womöglich als Dienstherr und Verhandlungspartner treffen könnte,147 freispricht.148 Im folgenden performativen Sprechakt ruft er das Blut Abners (aus dem vorherigen Satz zu ergänzen) auf das Haupt Joabs und seines Vaterhauses herab. Die Distanzierung Davids von Joabs Bluttat ist durch Deklaration der eigenen Unschuld und Ausspruch der Kopfformel radikal.149 Die Tat selbst wird als illegitime Blutrache gewertet. Entscheidend sind dabei die Stichwörter Krieg und Frieden. Nach biblischem Blutrecht ist Blutvergießen im Krieg legitim.150 Zwar lässt die Erzählung um die Tötung Asaels keine offene Kriegshandlung erkennen, aber mehrere Signale machen deutlich, dass die Kampfhandlung nicht in Friedenszeiten erfolgte. Der Waffenstillstand ergibt sich erst aus 2Reg 2,26f. Zudem wertet David den Tod Asaels in 2Reg 3,30 als Kriegsfolge: ਥșĮȞIJȦıİȞ […] ਥȞ IJ ʌȠȜȝ. Bemerkenswert ist zudem, dass Abner bemüht ist, Asael zu verschonen.151 Durch die Tötung mit dem stumpfen Ende des Speers wird vermutlich unterstrichen, dass Abner keine Tötung intendierte.152 Der Totschlag ist folglich sowohl als Kriegshandlung als auch als Notwehr eingeführt, wodurch etwaige Blutrache ausgeschlossen
Für unseren Zusammenhang ist eine weitergehende Betrachtung jedoch nicht relevant. Weiteres bei HUGO, Abner. 147 Vgl. HUGO, Morde, 34; DUPONT, Paulus, 92. 148 Schroer geht davon aus, dass es sich um einen politischen Mord handelt, der vom Herrscherhaus als Blutfehde dargestellt wurde (vgl. SCHROER, 1/2Sam, 136). Ihre Deutung wird dabei allerdings durch historische Erwägungen zur davidischen Machtpolitik hinter dem Text geleitet. Auf der literarischen Ebene wird hingegen deutlich, dass die Tötung Abners mit der Tötung Asaels korrespondiert und diese unabhängig von David erfolgt. 149 Das Zueinander der formelhaften Unschuldsdeklaration und Kopfformel (zu dieser s.u. unter IV.3.1.) markieren die deutlichste Parallele zwischen 2Sam 3,28f. und Mt 27,24f. Dies gilt unabhängig davon, wer wessen Blut auf wessen Haupt ruft. Die „unzertrennliche Einheit“ erweist sich damit als biblisches Sprachspiel (vgl. PAUL, Texte, 89 mit Verweis auf GNILKA, Mt II, 454). 150 Vgl. DIETRICH, Schuld, 214 Anm. 202; KOCH, Spruch, 412; SCHÜNGEL-STRAUMANN, Tod, 48; SINGER, Blutrache, 1654. Bei Philo, Mos I 314 findet sich hingegen die Vorstellung, dass in der Logik von Num 31,13–20 auch bei der Tötung von Kriegsgegnern eine Entsühnung der Blutschuld erfolgen muss. Gleichwohl ist dieser Befund nicht signifikant genug, um dem allgemeinen Urteil entgegenzustehen. 151 Der Dialog zwischen Asael und Abner ist im MT etwas kürzer, doch wird in beiden Fassungen deutlich, wie sehr Abner (letztlich vergeblich) darum bemüht ist, dass Asael von ihm ablässt. 152 Ähnlich STEINER, Salomo, 160f. Anm. 537.
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ist.153 Im Gegensatz dazu tötet Joab Abner in einer Zeit, in welcher Abner in Frieden gegangen war.154 Darüber hinaus lässt das Setting eine heimliche Tötung erkennen (2Reg 3,27),155 welches die Legitimation einer solchen Tat weiter untergräbt (vgl. Ex 21,14; Dtn 27,24). Diese beiden Aspekte – die legitime Tötung im Krieg und die illegitime Blutrache – werden in den letzten Anordnungen Davids abermals angeprangert (2Reg 26,5): Das Blut Abners wird als Kriegsblut (IJ ĮȝĮIJĮ ʌȠȜȝȠȣ; ʤʮʧʬʮʩʮʣ) bestimmt, welches in Friedenszeiten vergossen wurde. In diesem Vers lässt sich ein weiterer markanter Unterschied der Textfassungen festhalten: Während die LXX das Kriegsblut mit ĮੈȝĮ ਕșȠȞ näherbestimmt,156 wird im MT das Kriegsblut zweimal genannt.157 Die Blutdimension ist in der LXX demnach weiter gefasst, insofern hier nicht nur der spezifische Fall von Kriegsblut im Blick ist, sondern das Problem auf der Ebene des unschuldigen 153
Vgl. HUGO, Morde, 31. Gegen BRANDSCHEIDT, Blutrache, 2.2, die mit Verweis auf Ri 8,18 „Kriegshandlungen oder Notwehrsituationen“ als legitime Gründe zur Blutrache impliziert. 154 Anders KNAUF, 1Kön I, 139, der betont, dass sich David (durchweg) mit Ischbaal im Krieg befand. Dagegen ist einzuwenden, dass in 2Reg 3,21–24 viermal ausgesagt wird, dass Abner ਥȞ İੁȡȞૉ fortging. 155 An dieser Stelle unterscheiden sich die beiden Textfassungen deutlich voneinander, insofern sich die Aussagen ʩʬˇʡ ʥʺʠ ʸʡʣʬ ʸʲˇʤ ʪʥʺʚʬʠ ʡʠʥʩ ʥʤʨʩʥ und țĮ ਥȟțȜȚȞİȞ ĮIJઁȞ ǿȦĮȕ ਥț ʌȜĮȖȦȞ IJોȢ ʌȜȘȢ ȜĮȜોıĮȚ ʌȡઁȢ ĮIJઁȞ ਥȞİįȡİȦȞ diametral gegenüberstehen. Die Unterschiede beziehen sich v.a. auf den Ort der Unterredung als auch die ausformulierte Intention. Im MT wird das Geschehen in die Mitte des Tores verortet, welche als Ort des Handels und des Gerichts (vgl. Gen 23,10; 1Sam 19,18; 2Kön 7,1 bzw. Dtn 17,5; 21,19; Ruth 4,1–11; Am 5,12) einen Öffentlichkeitscharakter besitzt (vgl. HUGO, Morde, 44f.). Die Formulierung der LXX ist weniger eindeutig, lässt aber ein Geschehen abseits des Tores und damit jenseits der Öffentlichkeit vermuten (vgl. ebd., 45). Bei der Tötung selbst tritt der Aspekt der Heimlichkeit nochmals hervor, insofern nicht vom ungestörten Reden (ʩʬˇʡʥʺʠʸʡʣʬ), sondern vom Locken in einen Hinterhalt gesprochen wird (ȜĮȜોıĮȚ ʌȡઁȢ ĮIJઁȞ ਥȞİįȡİȦȞ). Solches ist in 2Reg 3,30 auch in den Ausruf Davids eingetragen, insofern die Tötung Abners (ʥʢʸʤ) durch ein (längeres) Auflauern paraphrasiert wird (įȚİʌĮȡİIJȘȡȠ૨ȞIJȠ). Hugo kommt insgesamt zum Ergebnis, dass die Version der LXX eine Verschwörung vor Augen hat, während die Tötung im MT eine öffentliche Provokation darstellt, wobei Letzteres eine Verschärfung zulasten Joabs und damit literaturgeschichtlich jünger sei (vgl. ebd., 42–46). 156 Hugo diskutiert die Möglichkeit, ob sich das Kriegsblut auf Abner und das unschuldige Blut auf Amasa beziehen könnte (diesen Einwand trägt bspw. STEINER, Salomo, 161 Anm. 539 vor), sieht es aber als wahrscheinlicher an, dass sich beides auf beide bezieht: „Dank dem Friedensschluss sind Abner und Amasa aber unschuldig geworden, sie sind nicht länger Feinde Davids. Daher wird das von Joab vergossene Blut unschuldiges Blut“ (HUGO, Morde, 31f.). 157 Mit Hugo lässt sich diese Doppelung bzw. der Wegfall von ʩʷʰ ʭʣ als zusätzliche Belastung Joabs erklären. Mit der nachdrücklichen Betonung, dass es sich um Kriegsblut handelt, wird die Illegitimität der Tötung unterstrichen. Dies fügt sich gut in die Gesamttendenz des MT ein, welcher Joab be- und David entlastet (vgl. HUGO, Morde, 35).
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Blutes verhandelt wird. Die Blutschuld, welche von der Tötung Abners ausgeht, betrifft folglich nicht nur Joab, sondern reicht über ihn hinaus. Dies ist auch daran erkennbar, dass das Blut, welches Joab vergossen hat, David befleckt.158 Als ursprüngliche Fassung bestimmt Hugo:159
ʭʬʹʡʤʮʧʬʮ(ʩʮʣ)ʭʣʭʷʩʥ ʩʬʢʸʡʸˇʠʩʬʲʰʡʥʩʰʺʮʡʸˇʠʥʺʸʢʧʡʩʷʰ(ʩʮʣ)ʭʣʯʺʩʥ Auf dieser Grundlage lassen sich für 2Reg 26,5 drei zentrale Aussagen treffen, welche vom MT divergieren: Die Tat wird als Rache charakterisiert und das Kriegsblut als unschuldiges Blut bestimmt, welches die Kleider Davids befleckt.160 Hervorzuheben ist der Zusammenhang der letzten beiden Aspekte. Durch die Charakterisierung der Tat als unschuldiges Blut wird eine weitreichende Gefährdungssituation aufgerufen, die anzeigt, dass das Blut Abners (und Amasas) noch ungesühnt ist und daher drohend über dem jungen Königreich schwebt.161 Zugleich wird durch die Befleckung Davids angezeigt, dass 158
Im MT spricht David im Gegensatz dazu davon, dass Joab Blut an seinen (d.h. an Joabs) Gürtel, Hüfte und Sandalen gebracht hat. Nach Hugo ist eine solche Suffixänderung bewusst vorgenommen worden, sodass eine Entlastung Davids die wahrscheinlichere Korrektur darstellt als eine Belastung (so die LXX). Das Zeugnis des Codex Vaticanus, welcher das Suffix der 3. Pers. Sg. bezeugt, lässt sich am besten als sekundäre Anpassung an den MT werten (vgl. HUGO, Morde, 30). 159 Zur Diskussion vgl. HUGO, Morde, 27–31, hier 30. 160 Vgl. HUGO, Morde, 30. Das nachvollziehbare Bild vom Blut an der Kleidung ist in den biblischen Schriften einmalig formuliert. Trotz der realistischen Bildsprache (vgl. STEINER, Salomo, 162f. Anm. 543), handelt es sich um einen symbolischen Sprachgebrauch, insofern darin immaterielle Blutschuld materiell vor Augen geführt wird (vgl. HUGO, Morde, 32f.). Hugo erwägt, dass dieser Sprachgebrauch eine geminderte Haftung hinsichtlich der gängigen Formel „*sein Blut auf *ihn/*sein Haupt“ darstellt, da das Blut nicht vom Kopf her, sondern erst ab der Mitte (Hüfte bis Füße) an ihm haftet (vgl. ebd., 34). Die Besudelung mit Blut sei also nicht vollständig und damit nicht voll straffähig. Eine solche Vorstellung kann gleichwohl nur für die LXX-Fassung angenommen werden, da nur hier die Befleckung Davids eine Teilschuld andeuten könnte; nach dem MT ist Joab indes als vollverantwortlich gezeichnet und die zusätzliche Belastung von der Mitte abwärts bringt keinen Mehrwert mit sich. 161 Der Formel ĮੈȝĮ ਕșȠȞ kommt in der Untersuchung von Hugo kein eigenes Aussagepotenzial in der LXX zu, sondern wird nur in der Änderung zu ʤʮʧʬʮʩʮʣ als verdeutlichende Belastung Joabs verstanden (vgl. HUGO, Morde, 35). Der Ausdruck fügt sich indes gut in die Pragmatik der LXX ein, insofern dadurch dem vergossenen Blut ein erweitertes Gefährdungspotenzial zukommt, das die davidische Dynastie bedroht. Die Notwendigkeit Davids an seinem Lebensende diese Blutschuld von sich zu nehmen, ist nicht nur durch die Teilselbstbelastung gezeichnet, sondern auch durch das Drohpotenzial von ĮੈȝĮ ਕșȠȞ. Ähnlich argumentiert auch STEINER, Salomo, 163 für die Notwendigkeit einer Blutrache und verweist hierfür auf Dtn 19,13; 21,8. Trotz dieser Intertexte, die zu ʩʷʰ ʭʣ führen, wird das Syntagma auch bei ihm nicht als eigenständiger Topos berücksichtigt und letztlich im allgemeinen Topos der Blutschuld belassen.
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das Königshaus in den Zusammenhang der Blutschuld einbezogen ist. Die Blutschuld an Abner (und Amasa) ist bis zu diesem Zeitpunkt ungesühnt geblieben162 und die vorherige „verfluchende“ Distanzierung Davids wird damit als unzureichend bestimmt. In beiden Fassungen wird deutlich, dass Joab Blutschuld auf sich geladen hat, wobei die Blutrache durch das Haus Davids zu vollziehen ist.163 Zu unterscheiden bleibt jedoch, ob dies als durchzusetzendes Recht erfolgt (MT) oder zur Kompensation eigener Teilverantwortung (LXX). Der Gesamtkomplex wird in der anschließenden Hinrichtung Joabs noch einmal aufgenommen. Die nachdrückliche Betonung der LXX, dass die Szene im Heiligtum stattfindet und sich Joab vor Salomo fürchtet, könnte durch eine pro-salomonische Redaktion ausgefallen sein.164 Abermals spielt die Blutthematik in dem Setting eine zentrale Rolle, wobei das Blutvergießen als „unnötig“165 näherbestimmt wird. In der königlichen Begründung der Hinrichtung wird die Kopfformel aufgenommen. Nach LXX sagt Salomo IJઁ ĮੈȝĮ 162
Die zeitliche Differenz zwischen Erstklage und jetziger Anklage ist bereits in 2Sam 3,39 durch die faktische Schwäche Davids hinsichtlich Joab vorgegeben (bei KIPFER, David, 97–117 wird die Schwäche Davids als zentraler Topos der Erzählung bestimmt, sodass auch die Frage nach einer etwaigen Blutschuld Davids negiert wird). In dieser Konstruktion ist es David also zu Lebzeiten nicht möglich, die notwendigen Schritte zur Sühnung der Blutschuld einzuleiten und gegen Joab vorzugehen. Darin mögen sich auch realhistorische Umstände widerspiegeln (vgl. SCHROER, 1/2Sam, 136f.). Deutlich tritt ferner die Verantwortung Davids hervor, von welchem implizit die Durchsetzung der Gerechtigkeit erwartet wird. In der LXX wird dies offenbar durch Teilschuld ausgedrückt, im MT ist es eher der allgemeinen Königsideologie zuzuordnen. Dementsprechend gestaltet sich die Rolle, die David in diesen letzten Worten einnimmt, unterschiedlich aus: Nach Hugo tritt David im MT als Richter auf, der Joab als eine der letzten Amtshandlungen verurteilt. In der LXX nimmt er jedoch die Rolle eines Klägers ein, der auf sich eine Teilschuld lasten sieht. Die eigene Befleckung soll daher durch den Tod Joabs gereinigt werden (vgl. HUGO, Morde, 34). 163 Da die Konzeption der Blutrache feste Regelungen vorsieht (s.o.S. 46 Anm. 24), besteht im hiesigen Gebrauch eine terminologische Schwierigkeit. Aus diesem Grund spricht wohl WERLITZ, 1/2Kön, 53 von einem „Sühneauftrag“ und nicht von Blutrache. Damit bleibt allerdings die Blutdimension, die sich durch die Episode um Joabs Blutschuld zieht, unterbestimmt. Die vorliegende Blutschuld wird eindeutig in die Verantwortung Davids gelegt. Behelfsweise wird daher der Begriff Bluttilger resp. Bluttilgung gewählt. 164 Auf einer ähnlichen Linie liegt die Implikation des MT, wonach Joab sich letztlich nicht mit den Händen an den Hörnern des Altars festhält und damit die Tötung nicht (mehr) dem Asylrecht widerspricht (vgl. HUGO, Morde, 40 Anm. 65). Anders argumentiert STEINER, Salomo, 164–166, der die Unterschiede relativiert. Nach ihm ist die Flucht im Wesentlichen als Eingeständnis der zu erwarteten Todesstrafe zu verstehen, was sich auch im Ausbleiben eines Begnadigungswunsches zeigt. Er wertet daher die Dialogerweiterung in der LXX als pro-salomonische Redaktion. 165 Vgl. 3Reg 2,31: IJઁ ĮੈȝĮ įȦȡİȞ ਥȟȤİİȞ; ʪʴˇ ʸˇʠ ʭʰʧ ʩʮʣ; s.o.S. 85 Anm. 207 und S. 86 Anm. 211.
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IJોȢ ਕįȚțĮȢ ĮIJȠ૨ İੁȢ țİijĮȜȞ ĮIJȠ૨. Durch die Spezifizierung des Blutes als Ausdruck seiner (d.h. Joabs) Ungerechtigkeit ist mit dem Blut offenbar das vergossene Blut Abners bzw. Amasas gemeint. Dementsprechend stellt die Aussage eine Urteilsbegründung dar, die besagt, dass das Blut der Getöteten (rächend) auf Joab kommt (vgl. 3Reg 2,33).166 Der Ausspruch ʥˇʠʸʚʬʲʥʮʣʚʺʠ des MT entspricht hingegen jener Kopfformel, die beide Suffixe auf dieselbe Person bezieht; paraphrasiert: „Joabs Blut komme auf Joabs Kopf“. In dieser Akzentuierung wird ausgesagt, dass Joab für seinen Tod selbst verantwortlich ist und seine Tötung keine Blutschuld nach sich ziehen kann. 167 Die etwaige Blutsphäre, die sich durch den gewaltsamen Tod ausbilden könnte, bleibt demnach an ihm selbst haften. Eine Blutrache für Joab wird als illegitim ausgeschlossen. Hierdurch erscheint die Aussage als Selbstrechtfertigung Salomos, der die Verantwortung für die Tötung auf den Getöteten verlagert. Dies entspricht der pro-salomonischen Tendenz, die ihn – nochmals stärker als in der LXX – von Blutschuld freispricht.168 Während der MT insgesamt darum bemüht ist, die Bluttat Joabs als dessen eigenes Problem darzustellen, wird das Blutvergießen in der LXX durchweg als Gefährdung des Königsreiches aufgeführt, von welchem David sich loszusagen bemüht. Es tritt dabei die eigentümliche Spannung hervor, dass David sowohl von der Tat profitiert als auch durch diese gefährdet ist.169 Die Ambivalenz in der LXX liegt in der Charakterzeichnung: Als Profiteur von Joabs Bluttat weigert sich David bis zu seinem Lebensende, die dadurch entstandene Blutschuld zu bereinigen. Erst am Ende erkennt er seine Verantwortung für die notwendige Bluttilgung und überantwortet diese Salomo als letzten
166
Vgl. HUGO, Morde, 39: „Der Begriff ‚Blut‘ bezeichnet wohl die Schuldzuweisung an Joab und rechtfertigt daher die gegen ihn verhängte Todesstrafe, ohne die Vorstellung einer Rechtfertigung und Schuldentlastung des Richters.“ 167 Vgl. STEINER, Salomo, 167f. 168 Vgl. HUGO, Morde, 39. 169 Diese Spannung könnte nach HUGO, Morde, 39f. durch eine spezifische Interpretation des schwierigen Zusatzes Ƞț ȖȞȦ IJઁ ĮੈȝĮ ĮIJȞ in 3Reg 2,33 gelöst werden. Zumeist wird der Zusatz als Verdeutlichung verstanden, sodass eine Abhängigkeit vom MT anzunehmen ist. Wahlweise handelt es sich um die Verstärkung der Unwissenheit Davids an den Bluttaten (David wusste nicht von ihrem Blut) oder aber der Unschuld der Getöteten (paraphrasiert: David wüsste nichts von etwaigen Bluttaten ihrerseits – d.h. von Seiten Abners bzw. Amasas). Eine solche pro-davidische Aussage wäre im MT wohl kaum gekürzt worden. Nach der alternativen Lesart konstatiert Salomo hier, dass David seine Verantwortung für das vergossene Blut bis hierher nicht (an-)erkannt hat. Dies fügt sich gut in die Klage Davids in 2Reg 26,5 ein und die Abweisung jeglicher Verantwortung zuvor. Ein solches Verständnis begründet auch den Wegfall von Ƞț ȖȞȦ IJઁ ĮੈȝĮ ĮIJȞ, da David durch diese Aussage als verantwortungslos bzw. ignorant charakterisiert wäre.
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IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
Auftrag.170 Der Erzählstrang der LXX lässt folglich ein Ringen mit dem Umgang mit der Bluttat Joabs und der daraus entstandenen Blutschuld erkennen. Bedeutsam ist dabei, dass selbst eine radikale Distanzierung durch Unschuldsdeklaration und Blutübertragung auf das Haupt des Täters defizitär bleibt. Erst die ausgeführte Bluttilgung beschließt das Kapitel der Blutschuld. Im dargestellten Erzählzusammenhang in der LXX kann die Blutschuld – trotz aller Distanzierung – nur durch das davidische Königshaus selbst ausgelöst werden. Dies scheint zwar coram deo angelegt zu sein (vgl. 2Reg 3,28; 3Reg 2,33), aber im faktischen Fortgang der Erzählung liegt die Handlungspflicht bei den Daviden, wobei diese durch JHWH lediglich sanktioniert wird.171 Einen letzten Aspekt gilt es zu benennen: David beschwört in 2Reg 3,29 das Blut nicht nur auf das Haupt des Joab, sondern zugleich auf dessen Vaters Haus. Damit haftet die gesamte Familie für Joabs Blutschuld, wobei die Konsequenzen durch fünf bildreiche Verwünschungen bestimmt sind, die auf vollkommene Lebensminderung und Aussterben der Sippe abzielen.172 In den letzten Worten Davids scheint die Haftung auf Joab reduziert zu sein (2Reg 26,5f.),173 die folgende Durchführung des letzten Willens lässt jedoch erkennen, dass die Blutsphäre die Familie Joabs gleichermaßen betrifft wie den Heerführer selbst (3Reg 2,33; İੁȢ țİijĮȜȞ ĮIJȠ૨ țĮ İੁȢ țİijĮȜȞ IJȠ૨ ıʌȡȝĮIJȠȢ ĮIJȠ૨). Die dynastische Ausweitung ist vermutlich durch das Gefährdungspotenzial begründet. Schließlich bedroht die Tat die Herrschaft Davids und damit seine Dynastie (vgl. 2Reg 26,5; 3Reg 2,33).174 Zur Entlastung Davids und seiner Nachkommenschaft erscheint die Belastung Joabs und seines Hauses als logische und notwendige Konsequenz.175 Die Entgrenzung der Schuldzuweisung korrespondiert mit dem Gefährdungspotenzial: 170
Dass sich diese Aufträge zugleich gut in die machtpolitischen Maßnahmen der salomonischen Herrschaftssicherung einfügt, kann unter diesen Vorzeichen ausgeblendet werden. 171 Vgl. STEINER, Salomo, 168; anders LAU, Hände, 59 Anm. 54. 172 Vgl. STOLZ, 1/2Sam, 201f. 173 Es wäre jedoch möglich, dass mit dem Blut auf Hüfte und Füße ebenfalls die Nachkommenschaft betroffen ist. Hier gilt abermals die Unterscheidung der unterschiedlichen Fassungen, insofern nach dem MT Joabs Nachkommenschaft betroffen ist, nach der LXX die Dynastie Davids (vgl. HUGO, Morde, 32f.). 174 Dieser Aspekt trifft v.a. auf die Fassung der LXX zu, da die Verantwortung Davids im MT stark abgemildert wird. Gleichwohl bleibt die Verfluchung der Nachkommen Joabs stehen, was der pro-davidischen Intention bei gleichzeitiger Belastung Joabs keinesfalls im Wege steht. Die dynastische Korrespondenz kommt jedoch nur noch in 3Reg 2,33 zum Ausdruck. 175 Steiner bestimmt die Verlagerung der „Blutschuld vom Haus Davids auf das Haus Joabs“ als den „theologischen Höhenpunkt“ der Passage. Hierdurch versteht er die Aussage Salomos zugleich als „Absicherung der Dynastieverheißung“ und somit als bedeutsamer Aspekt nicht nur der Dynastiesicherung, sondern zugleich der göttlichen Verheißung (STEINER, Salomo, 168f.).
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Eine Ausweitung der Blutschuld auf die Nachkommenschaft ist in diesem Zusammenhang verständlich, da die Dynastie Davids gefährdet ist. Nimmt man diese Beobachtungen zusammen, so lässt sich die Episode als Ausdruck eines kohärenten Blutfalls in der Matrix von Blutschuld und Blutrache bestimmen. Hier tritt nun der Sonderfall auf, dass Blutschuld nicht geahndet wird bzw. werden kann.176 Die Verantwortung liegt in der Fallkonstruktion beim König, dem offenbar keine andere Möglichkeit bleibt, als sich von der Bluttat zu distanzieren und das Blut des Getöteten auf den Mörder herabzurufen.177 Die besondere Gefährdung seiner Dynastie rechtfertigt wohl den Einbezug der Nachkommen Joabs. Dieser öffentliche Akt wird durch zweierlei Blutformeln ausgedrückt: zum einen die Unschuldsdeklaration (ਕșંȢ İੁȝȚ ਥȖઅ […] ਕʌઁ IJȞ ĮੂȝIJȦȞ […]), zum anderen die Verantwortungsübertragung (ਥʌ țİijĮȜȞ ǿȦĮȕ […] bzw. IJ ĮȝĮIJĮ ĮIJȞ İੁȢ țİijĮȜȞ ĮIJȠ૨). Im konkreten Fall ist dies allerdings nicht ausreichend, da die Gewährleistung, dass das Blut des Getöteten tatsächlich über den Täter kommt, weiterhin bei der Rechtsinstitution, in diesem Fall dem Königshaus, liegt.178 Hierdurch entsteht eine partielle Teilhaftung, die hier nicht nur durch das Nutznießen (vgl. 2Reg 26,5), sondern auch durch mangelnde Durchführung der Bluttilgung (vgl. 3Reg 2,32) begründet ist. Die Verantwortungsübertragung durch die Kopfformel scheint hier nur bedingt zu funktionieren. In letzter Konsequenz wird Salomo, in der Beauftragung Davids, zum Bluttilger des Blutes Abners, obwohl zuvor eine radikale Distanzierung von der Bluttat durch Unschuldsdeklaration und Kopfformel erfolgte. Der Erzählzusammenhang behauptet also, dass das unschuldig vergossene Blut durch denjenigen, der von der Blutsphäre gefährdet wird, zu rächen resp. tilgen ist. Trotz der umfangreichen Parallelen der Blutzusammenhänge müssen wenigstens zwei Umstände genannt werden, die einen direkten Einfluss dieser Erzählung auf Mt 27,24f. in Frage stellen. Zunächst ist zu erwähnen, dass die Geschichte um Joab und Abner in den Chroniken ausgespart wird, sodass zumindest fraglich ist, wie weit diese in der Erinnerungskultur des 176
Die Grundproblematik in 2Sam 2f. wird in Dtn 19,1–10 verhandelt, insofern die illegitime Blutrache zu Blutschuld führt, die auf den Rächer kommt. Die Konstruktion des Falles Joabs setzt – synchron gelesen – offenbar voraus, dass sich dieses Recht nicht durchsetzen lässt. 177 Vgl. KOCH, Spruch, 406: „Hier handelt es sich deutlich um eine Verwünschung, durch die David verhindern will, dass die unheilvolle Sphäre fremden Bluts, die Joab verursacht hat, auf ihn und seine Dynastie übergreift.“ 178 Dies gilt trotz der Differenzen für beide Textfassungen. Nach der LXX bemüht David eine Distanzierung, bleibt aber im Schuldzusammenhang verhaftet (vgl. das Blut Abners an Davids Kleidung). Der MT ist zwar bemüht dieses Bild durchweg zu korrigieren, damit David eine gänzliche Distanzierung gelingt. Trotz allem bleibt aufgrund des späten Zeitpunkts des Hinrichtungsbefehls eine ambivalente Spannung erhalten, die die Verantwortung Davids verdeutlicht.
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IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
ersten Jahrhunderts verankert war. Diesbezüglich ist allerdings einzuwenden, dass der mt Geschichtshorizont insgesamt der „dtr“ Geschichtsschreibung zugeneigt scheint.179 Darüber hinaus findet sich zwar eine Nacherzählung der Episode in Flav.Jos.Ant. VII 9–45.386; VIII 13–16, allerdings ist hier die Blutthematik ausgeklammert. Es ist auffällig, dass die unwillige Tötung Asaels durch Abner verstärkt wird (Flav.Jos.Ant. VII 15).180 Zudem wird der Leichnam bereits vor dem Waffenstillstand entdeckt und als Ursache für die langanhaltende Verfolgung bestimmt. Im Dialog zwischen den Heeresführen wird indes deutlich, dass Abner Asael aus Notwehr getötet hat, was von Joab bestätigt und akzeptiert wird (Flav.Jos.Ant. VII 17). Die spätere Ermordung Abners durch Joab wird folgerichtig in ein anderes Licht gerückt. Nach Flav.Jos.Ant. VII 31 befürchtet Joab, dass er seine Stellung als oberster Heeresführer durch die neue Konkurrenz verlieren könnte und fasst daher den Entschluss, Abner zu diskreditieren und letztlich zu töten. Joabs Ansinnen wird frühzeitig als schändlich und hinterlistig charakterisiert.181 Josephus kommentiert die anschließende Ermordung vordergründig als Blutrache und hintergründig als Machtsicherung (Flav.Jos.Ant. VII 36). Die Reaktion Davids wird in der dritten Person geschildert,182 sodass sich keine geprägten Blutformeln finden. Recht allgemein wird gesagt, dass David den Mörder verflucht und ihn samt Familie und Helfern auf gleiche Weise bestrafen wird.183 Die zeitliche Differenz zum Vollzug ergibt sich gleich der biblischen Vorlage aus der gegenwärtigen Schwäche Davids gegenüber Joab und Abessa (Flav.Jos.Ant. VII 45). Dieser Komplex ist in Davids letzten Worten wiederzufinden: die Tötung Abners wird durch Neid (ȗȘȜȠIJȣʌĮ), die ausbleibende Strafe durch eigene Schwäche begründet (Flav.Jos.Ant. VII 386). Hier und auch im Zuge der Hinrichtung Joabs verzichtet Josephus abermals auf Blutformeln.184 Eine Reminiszenz der Blutthematik klingt an, wenn Salomo sich und seinen Vater für unschuldig am Tode Joabs erklärt und die Sünden Joabs ihm und seinem Geschlecht anhaftet.185 Implizit verbürgt Salomo damit, dass die Hinrichtung Joabs keine Blutschuld nach sich zieht resp. das 179
S.o. II.5. Vgl. BEGG, FJTC 4, 208 Anm. 61. 181 Durch Flav.Jos.Ant. VII 34 wird Joab zudem als Heuchler benannt (vgl. BEGG, FJTC 4, 214 Anm. 137). 182 Nach der Deutung Beggs wird die Szene dramatisiert (BEGG, FJTC 4, 214 Anm. 144). Die unterschwellige Drohkulisse, die durch die Blutthematik gegeben ist, geht indes verloren. 183 Vgl. Flav.Jos.Ant. VII 39: […] ਕȡȢ į țĮIJ IJȠ૨ ʌİijȠȞİȣțંIJȠȢ ĮIJઁȞ įİȚȞȢ ਥIJșİIJȠ țĮ IJઁȞ ȠੇțȠȞ ȜȠȞ ĮIJȠ૨ țĮ IJȠઃȢ ıȣȝʌȡȟĮȞIJĮȢ ਫ਼ʌİȣșȞȠȣȢ ਥʌȠȚİIJȠ IJĮȢ ਫ਼ʌȡ IJȠ૨ IJİIJİȜİȣIJȘțંIJȠȢ ʌȠȚȞĮȢ. Die konkreten fünf Flüche aus 2Sam gehen entsprechend verloren (vgl. BEGG, FJTC 4, 214 Anm. 145). 184 Vgl. BEGG, FJTC 4, 309 Anm. 1408; vgl. auch BEGG/MASON, FJTC 5, 6 Anm. 43. 185 Vgl. Flav.Jos.Ant. VIII 15. 180
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Blut Joabs ihn nicht heimsuchen kann. 186 Josephus und letztlich auch die Chroniken sind damit Zeugen, dass eine bewusste Adaption der Blutthematik um Joab – nach aktuellem Kenntnisstand – nur mit Rückgriff auf 2Sam–1Kön erfolgen konnte. 2.4.2. … mit Seitenblick auf SusTh 46 Das Zueinander von Unschuldsdeklaration und Kopfformel lässt sich auch an anderer Stelle zeigen.187 Die engste Parallele ergibt sich zu SusTh, wenngleich die Unschuldsdeklaration țĮșĮȡંȢ anstelle von ਕșȠȢ verwendet.188 In SusTh findet sich die Kopfformel weder in der Verbindung mit ĮੈȝĮ noch im unmittelbaren Zusammenhang des Zwischenrufes. Allerdings scheint sie sachlich in der Gerichtsverhandlung impliziert zu sein. Die jeweiligen Falschaussagen der beiden Ältesten werden von Daniel mit den Worten ੑȡșȢ ȥİȣıĮȚ [țĮ ıઃ] İੁȢ IJȞ ıİĮȣIJȠ૨ țİijĮȜȞ kommentiert (SusTh 55.59). Diese Verantwortungszuschreibung, die an die Kopfformel angelehnt erscheint, geht unmittelbar mit einem Todesurteil durch den richtenden Daniel einher. Es ist zumindest möglich, dass die Kopfformel im Hintergrund des „Zeugens gegen das eigene Haupt“ steht.189 Damit wäre auch die Passage in der SusannaErzählung ein Ausweis, dass das Unschuldsbekenntnis in Bezug auf Blut, in dem Fall noch nicht vergossenes, mit einer konkreten Schuldzuweisung einhergeht. Es ließe sich folglich erwägen, dass in SusTh das Blut Susannas virtuell vorgestellt ist, welches als solches auf die Täter kommt, aber faktisch nicht kommen kann, da es nicht vergossen wurde. Dementsprechend muss die Kopfformel auf das Blut verzichten, bleibt aber in angepasster Form erhal186 Insgesamt ist der Bericht in Jos.Flav.Ant. VIII 14f. auch dahingehend abgemildert, als dass Salomo ein ordentliches Rechtsverfahren eröffnen möchte und die Hinrichtung erst befehligt, als sich Joab weigert, das Heiligtum zu verlassen (vgl. BEGG/MASON, FJTC 5, 5f. Anm. 40). 187 Als relevante Vergleichstexte wurden Jos 2,19MT; SusTh 46.55.59; Apg 18,6; 20,26 bestimmt (s.o. Anm. 140). Der einzige pagane Beleg, welcher die Unschuldsdeklaration in dieser Formulierung aufnimmt, findet sich bei Cassius Dio, Hist. 71,30,1 (țĮșĮȡȐȞ ȝȠȣ IJȞ ਕȡȤȞ ਕʌઁ ʌĮȞIJઁȢ ĮȝĮIJȠȢ). Der Text aus dem 2./3. Jahrhundert n.Chr. hat allerdings keinen Bezug zu einer Kopfformel und kann insgesamt als mögliche Parallele ausgeklammert werden. Wegen der fehlenden Kopfformel ist auch die mögliche Referenz auf Jer 2,35 nicht weiter zu verfolgen. 188 Sofern die Differenz thematisiert wird, wird durchweg eine Äquivalenz der beiden Termini angenommen (vgl. DUPONT, Paulus, 91; FRANCE, Mt, 1056 Anm. 41; GUNDRY, Mt, 565; zurückhaltend CARGAL, Blood, 104). HAMILTON, Death, 108 erwägt, dass der Codex Vaticanus mit ਕșંȢ ਥȖઆ die ursprüngliche Form überliefert (ferner TKACZ, Susanna, 464). 189 Für einen solchen Zusammenhang von Unschuldsdeklaration und Kopfformel könnte auch sprechen, dass diese beiden Aussprüche lediglich in der Theodotion-Fassung zu stehen kommen. Es ist zumindest auffällig, dass in den anderen LXX-Fassungen keine der beiden Formulierungen gebraucht wird.
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ten.190 Zugleich agiert auch Daniel in gewisser Weise als Bluttilger, insofern er gegen das virtuell bereits vergossene Blut Einspruch erhebt bzw. sich davon distanziert. Zudem fällt er unter Gebrauch der Kopfformel ein Todesurteil, wenngleich dies nicht von ihm selbst, sondern von der anwesenden Gemeinde vollzogen wird. Für diese Untersuchung ist zuletzt entscheidend, dass sowohl in 2/3Reg als auch SusTh die Bluttat als unschuldiges Blut qualifiziert wird. In beiden Fällen erfolgt diese Identifikation allerdings erst, nachdem Unschuldsdeklaration und Kopfformel bereits ausgesprochen wurden (2Reg 26,5: ĮੈȝĮ ਕșȠȞ; SusTh 62: ĮੈȝĮ ਕȞĮIJȚȠȞ). Damit verstärken sich die sprachlichen und strukturellen Analogien zwischen dem David-Joab- und Daniel-Älteste-Komplex. Die Untersuchung der Erzählung um Joabs Blutschuld und die kursorische Absicherung des Ergebnisses mit Blick auf SusTh weisen insgesamt auf einen kohärenten Zusammenhang zwischen den beiden Blutformeln *ਕșંȢ İੁȝȚ 190
Eine situative Adaption der Kopfformel findet sich auch in 1Kön 2,44. Hier wird ein Todesurteil gegen Schimi ausgeführt, welches sowohl im Testament Davids (3Reg 2,8f.) als auch durch eine Art bedingter Begnadigung durch Salomo (3Reg 2,36–38) vorbereitet ist. Ersteres bindet den Komplex also partiell an die Joab-Episode, Letzteres greift die Kopfformel mit dem Stichwort ĮੈȝĮ auf: țĮ ıIJĮȚ ਥȞ IJૌ ਲȝȡ IJોȢ ਥȟંįȠȣ ıȠȣ țĮ įȚĮȕıૉ IJઁȞ ȤİȚȝȡȡȠȣȞ ȀİįȡȦȞ, ȖȚȞઆıțȦȞ ȖȞઆıૉ IJȚ șĮȞIJ ਕʌȠșĮȞૌ, IJઁ Įੈȝ ıȠȣ ıIJĮȚ ਥʌ IJȞ țİijĮȜȞ ıȠȣ. Mit der Kopfformel wird ausgesagt, dass Schimis Blut auf ihn komme, falls er entgegen der Abmachung mit Salomo handelt und das Kidrontal übertritt. Als dies passiert, tadelt ihn Salomo und verkündet das Todesurteil, wobei er zwar auf die vorherige Abmachung verweist, zugleich aber die vorherige Frontstellung mit David einbezieht, indem er sagt: Ȉઃ ȠੇįĮȢ ʌ઼ıĮȞ IJȞ țĮțĮȞ ıȠȣ, Ȟ ȖȞȦ ਲ țĮȡįĮ ıȠȣ, ਘ ਥʌȠȘıĮȢ IJ ǻĮȣȚį IJ ʌĮIJȡ ȝȠȣ, țĮ ਕȞIJĮʌįȦțİȞ țȡȚȠȢ IJȞ țĮțĮȞ ıȠȣ İੁȢ țİijĮȜȞ ıȠȣ (3Reg 2,44). Die Todesstrafe wird folglich durch einen Tun-Ergehen-Zusammenhang begründet, insofern das Schlechte, welches Schimi über David ausgesprochen hat (vgl. 2Reg 16,5– 14), richtend auf sein Haupt zurückkommt. Dieses Schlechte lässt sich inhaltlich mit der Verfluchung Davids füllen und steht demnach situativ angepasst für das sonst übliche Blut, welches die Kopfformel zum Ausdruck bringt (einen Zusammenhang dieser Formeln hält auch KIPFER, David, 216f. fest). Interessanterweise ist der Fluch Schimis ebenfalls durch Blut kodiert, insofern er hierfür ebenfalls eine Kopfformel gebraucht: ਥʌıIJȡİȥİȞ ਥʌ ı țȡȚȠȢ ʌȞIJĮ IJ ĮȝĮIJĮ IJȠ૨ ȠțȠȣ ȈĮȠȣȜ (2Reg 16,8). Ähnlich wie in SusTh liegt also eine Tat vor, die mit Blut in Verbindung steht und demnach sprachlich analog zu Blutvergießen gesetzt wird. Da allerdings faktisch kein Blut geflossen ist, wird die Kopfformel situativ angepasst. Die Funktion des Tilgers nimmt abermals der Gefährdete ein, insofern Schimi gegen die davidisch-salomonische Dynastie fluchte (vgl. 2Reg 16,8) und Salomo in die Rechtsfolge Davids eingetreten ist. Insgesamt zeigt sich, dass eine blutlose Kopfformel substitutiv als situative Anpassung möglich ist und in dieselbe Gedankenwelt eingeordnet werden kann. Gleichwohl ist das Zeugnis in 3Reg 2,44 dahingehend auszuscheiden, als dass kein Bezug zu einer Unschuldsdeklaration vorliegt. Es kann lediglich daran gezeigt werden, dass es blutlose Kopfformel gibt, wenn die Blutthematik zwar vorhanden ist, aber kein Blut vergossen wurde. Eine ähnliche Formulierung, die allerdings vergossenes Blut voraussetzt, findet sich in Ri 9,57. Sie lässt sich wohl als Variante zur blutigen Kopfformel in Ri 9,24 verstehen.
2. Die Figur des Pontius Pilatus
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ਕʌઁ IJȠ૨ ĮȝĮIJȠȢ *IJȠIJȠȣ und IJઁ ĮੈȝĮ *ĮIJȠ૨ ਥʌ/İੁȢ țİijĮȜȞ *ĮIJȠ૨, wie die schematische Übersicht zeigt: 2Sam
SusTh Mt
Unschuldsdeklaration ਕșંȢ İੁȝȚ ਥȖઅ […] ਕʌઁ IJȞ ĮੂȝIJȦȞ […] țĮșĮȡઁȢ ਥȖઅ ਕʌઁ IJȠ૨ ĮȝĮIJȠȢ IJĮIJȘȢ ਕșંȢ İੁȝȚ ਕʌઁ IJȠ૨ ĮȝĮIJȠȢ IJȠIJȠȣ
Kopfformel țĮIJĮȞIJȘıIJȦıĮȞ ਥʌ țİijĮȜȞ ǿȦĮȕ ਥʌ ʌȞIJĮ IJઁȞ ȠੇțȠȞ IJȠ૨ ʌĮIJȡઁȢ ĮIJȠ૨ ੑȡșȢ ȥİȣıĮȚ [țĮ ıઃ] İੁȢ IJȞ ıİĮȣIJȠ૨ țİijĮȜȞ IJઁ ĮੈȝĮ ĮIJȠ૨ ਥijૃ ਲȝ઼Ȣ țĮ ਥʌ IJ IJțȞĮ ਲȝȞ.
Es ist daher plausibel, dass hier von einem strukturellen Zusammenhang auszugehen ist, auf welchem alle drei literarischen Ausgestaltungen basieren. Die formelhafte Unschuldsdeklaration geht mit einer Kopfformel einher, wodurch eine Übertragung der Blutschuld von einem potenziellen Mittäter auf den eigentlichen Täter erfolgt, was ein Gericht über diesen impliziert. Das im Mittelpunkt stehende Blut ist stets das des Getöteten. So soll nach 2Sam 3,29f. das Blut Abners auf Joab und seine Familie kommen (vgl. 3Reg 2,32f.), nach Mt 27,25 das Blut Jesu über den Volkshaufen. In SusTh wird das Blutvergießen verhindert, sodass sich die Unschuldsdeklaration zwar auf das Blut Susannas bezieht, die Kopfformel jedoch ohne Blut auskommt. Hier ist es nun das Lügen gegen den eigenen Kopf, welches die Haftung für den potenziellen Justizmord anzeigt. Es ist daher nicht abwegig, dass hier das potenziell unrechtmäßig vergossene Blut Susannas auf das Haupt der Ältesten kommt. Liest man die Episode um die Blutschuld Joabs und die Passagen aus SusTh in diesem Zusammenhang, so treffen hier jeweils die zentralen Blutformeln, welche im Mt aufgegriffen werden, zusammen: das Vergießen unschuldigen Blutes, eine Unschuldserklärung hinsichtlich dieses Blutvergießens und das schuldzuweisende Heraufbeschwören der „heimsuchenden“ Blutsphäre auf das Haupt der Verantwortlichen. Diese Beobachtungen unterstützten folglich die Annahme, dass sich in diesen Schriftzeugnissen ein allgemeiner Vorstellungszusammenhang literarisch niederschlägt, der jedoch weniger auf direkte intertextuelle Abhängigkeit deutet,191 sondern eher auf eine jeweilige Adaption desselben.192 191
Legt man hingegen die Annahme von PORTER, Tradition, 35 zugrunde, wonach drei signifikante Worte in gleicher Reihenfolge ein hinreichendes Kriterium für eine intertextuelle Abhängigkeit darstellen, so wäre auch eine direkte Aufnahme von 2Sam 3,28f.LXX in Mt 27,24f. denkbar. 192 Für diese Annahme spricht vor allem der Gebrauch beider formelhaften Aussprüche in Apg 18,6: IJઁ ĮੈȝĮ ਫ਼ȝȞ ਥʌ IJȞ țİijĮȜȞ ਫ਼ȝȞ· țĮșĮȡઁȢ ਥȖઅ ਕʌઁ IJȠ૨ Ȟ૨Ȟ İੁȢ IJ șȞȘ ʌȠȡİıȠȝĮȚ, wenngleich die Unschuldsdeklaration zu țĮșĮȡઁȢ ਥȖઆ verkürzt ist (zur Zuordnung des Halbsatzes zum Vordersatz vgl. DUPONT, Paulus, 90f.; offen bleibt die Frage bei
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IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
2.5. Der Ritus des Pilatus 2.5.1. Die intertextuellen Interpretationsleitlinien Mit Bezug auf das Mt ergeben sich zwei potenzielle Intertexte, die in der Episode um den Pilatus-Ritus adaptiert werden. Zum einen das Zueinander von formelhafter Unschuldsdeklaration und Kopfformel, wobei das angesprochene Blut offenbar als unschuldiges Blut verstanden wird (2Reg 26,5; SusTh 62). Zum anderen der Ritus aus Dtn 21,1–9, wobei aus diesem der Kern mit Handwaschung und Unschuldsdeklaration hervorsticht. Auch in diesem Kontext ist das Blut als unschuldiges Blut charakterisiert (Dtn 21,8.9). Diese jeweiligen Intertexte stehen sich in ihrer Grundintention diametral gegenüber. Für Dtn 21,1–9 wurde deutlich, dass im Sühneritual eine Tatbetrachtung erfolgt, in welcher der Täter gänzlich ausgeblendet wird.193 Das zentrale Anliegen ist also die radikale Distanzierung von der Tat selbst, durch welche diese gesühnt wird. Für den anderen Komplex ist hingegen die Täterbetrachtung von entscheidender Bedeutung. Zwar lässt sich auch hier eine Distanzierung von der Tat beobachten, diese geht jedoch mit einer radikalen Verantwortungszuschreibung an den Täter einher, welche in der Kopfformel ausgedrückt wird. Zugleich wird in 2Sam/1Kön und SusTh erkennbar, dass die Verantwortung für die Bluttilgung bei einer richtenden Gestalt liegt, im konkreten Fall dem davidischen Herrscherhaus bzw. Daniel. Diese Institution muss gewährleisten, dass das Blut des Opfers tatsächlich über den Täter kommt. Gleichwohl kann die Ausübung der Bluttilgung offenbar delegiert BARRETT, Apg II, 867). Trotz deren Verwendung scheint in der Apg ein anderes Verständnis dieser Formeln vorzuliegen, was sich v.a. aus der fehlenden Näherbestimmung des Blutterminus ergibt. Intratextuell ist auf Apg 20,26 zu verweisen, wo die Unschuldsdeklaration in voller Ausgestaltung analog zu 2Sam 3,28; SusTh 46 und Mt 27,24 gebraucht wird, allerdings ohne Kopfformel. Nimmt man die beiden Abschiedsworte des Paulus zusammen, so legt sich für ĮੈȝĮ am ehesten ein eschatologisches Verständnis nahe, welches entsprechend die Vernichtung im ewigen Gericht meint, derer sich Paulus entschuldigen möchte (vgl. DUPONT, Paulus, 90–96; BARRETT, Apg II, 973; PESCH, Apg II, 148.204; ähnlich KOSMALA, Blood, 121f.). Hierdurch weicht das Blutverständnis der Formeln der Apg fundamental von dem jeweils konkreten Bezug auf ein individuelles Opfer ab, wie es in 2Sam; SusTh und Mt zum Ausdruck kommt. Dementsprechend tragen die Belege der Apg kaum etwas für die hier vorgeschlagene Deutung der Blutformeln aus. Gleichwohl lässt sich mit diesen festhalten, dass das Zueinander der Unschuldsdeklaration und der Kopfformel ein gängiger literarischer Topos darstellt. Zuletzt ist darauf zu verweisen, dass die lk Adaption samt eschatologischer Konnotation eine literaturgeschichtliche Neuerung darstellen dürfte. Darauf verweist der „klassische“ Gebrauch der Kopfformel in Apg 5,28, welche den etablierten Autoritäten für ihre Beteiligung am Tode Jesu zugesprochen ist (vgl. Apg 3,17). Damit erfolgt hier ein eindeutiger Blutbezug auf Jesus, sodass hier eine innerweltliche Verantwortungsübernahme die naheliegende Deutung der Formel darstellt (vgl. PESCH, Apg II, 216; ähnlich DUPONT, Paulus, 90f.). 193 Vgl. DIETRICH, Schuld, 379.
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werden, insofern die Ältesten der Susanna-Erzählung durch die Synagogengemeinde hingerichtet werden, Joab durch Salomos Heeresführer Benaja. Die Überführung des Täters und das Todesurteil sind indes an den Sprecher der Unschuldsdeklaration gebunden. Im weiteren Vorgehen wird zunächst das intertextuelle Potenzial von Dtn 21,1–9 fokussiert werden. Die eingehende Betrachtung des anderen Zusammenhangs kann erst nach eigehender Betrachtung von Mt 27,25 erfolgen und wird daher unter IV.4. verhandelt. 2.5.2. Dtn 21,1–9 als subversive Anklage des Hegemonen Das Zueinander von Unschuldsdeklaration und Handwaschung sowie die Nennung von ĮੈȝĮ, welches in Dtn 21 explizit, in Mt 27 implizit als unschuldiges Blut bestimmt ist, stellen ausreichend starke Textsignale dar, die eine intertextuelle Beziehung von Mt 27,24 auf Dtn 21,1–9 und anzeigen. 194 Dieser Hintergrund, der sich durch die Tatbetrachtung auszeichnet, macht deutlich, dass der mt Pilatus eine radikale Distanzierung von der Hinrichtung Jesu anstrebt. Die Erstassoziation zu Unschuldsdeklaration und Handwaschung lässt eine erfolgreiche Selbstentlastung des Pilatus vermuten, die eine Entlastung des Präfekten zu Ungunsten der „Juden“ anzeigt.195 Bei genauerer Betrachtung stellt dies jedoch eher eine Art public message dar,196 Vgl. LAU, Hände, 53–55; ferner die Literaturauswahl in Anm. 87. Für viele SCHWEIZER, Mt, 333: „Der Zug gehört also zu der allgemein festzustellenden Tendenz, immer mehr die Römer zu entschuldigen und dafür die Juden zu belasten.“ Vgl. zudem CARGAL, Blood, 102 mit Verweis auf die frühchristliche Traditionsbildung in EvPetr 1,1. 196 Die theoretische Grundlage hierfür bietet James C. Scott, dessen Werk „Domination and the Arts of Resistance“ häufig am Anfang einer Betrachtung der imperialen Zusammenhänge in biblischen Texte steht (vgl. PORTIER-YOUNG, Apocalypse, 31–44; ferner BLATZ, Semantik, 18–27; CARTER , Guide, 11–13). Scott versteht die Interaktion zwischen den Mächtigen und den Unterdrückten in Form eines Theaters, in welchem ein allgemeingültiges Protokoll (public transcript) vorherrscht und die Machtverhältnisse zum Ausdruck bringt. Der radikale Bruch mit diesem besteht in einer offenen Revolte, doch das Ausbleiben einer solchen ist kein Zeichen dafür, dass sich die Unterdrückten in das System einfügen. Vielmehr finden sich, quasi jenseits der Bühne, verschiedene unterschwellige Formen des Wiederstandes, welche unter dem Ausdruck hidden transcript zusammengefasst werden (vgl. hierzu PORTIER-YOUNG, Apocalypse, 31–33). Diese können bisweilen auch auf der Bühne aufgeführt werden, bleiben aber anonym. Anschaulich wird dieses Zueinander in einem äthiopischen Sprichwort: „The general […] passes by, the peasant bows, and passes gas“ (CARTER, Guide, 12). Diese soziologische Analyse lässt sich nicht nur auf Verhaltensformen und deren Transformationen im NT fruchtbar machen, sondern legt v.a. nahe, dass die Texte in ihrer imperialen Wirklichkeit zu verstehen sind, in welcher auf unterschiedliche Weise eine Haltung zum römischen Reich zum Ausdruck kommt. Exemplarisch sei auf das Logion zur Steuer verwiesen, welches nicht nur als Kritik an den jüdischen Fragestellern, sondern am Imperium insgesamt zu lesen ist (vgl. ebd., 28f.). In 194 195
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IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
welche sich möglicherweise auch aus der Assoziation der Psalmentexte oder paganer Handwaschhandlungen speist.197 Für diejenigen, die den Ritus aus Dtn 21,1–9 als Hintergrundfolie erkennen, dürfte die mt Adaption jedoch andere Assoziationen hervorrufen.198 Das Grundproblem ist die schlichte Tatsache, dass die Tat, von welcher sich Pilatus distanziert, noch nicht stattgefunden hat.199 Es ist möglich, dass durch den Blutbegriff die Tötung Jesu bereits vorausgesetzt ist und Pilatus durch seine Unschuldsdeklaration in einer Art performativen Sprechakts Jesus für tot erklärt.200 Dafür würde Anlehnung an dieses Konzept wird daher davon ausgegangen, dass sich im Evangelium insbesondere in (konfrontativen) Begegnungen mit dem römischen Reich, wie dies im Prozess Jesu der Fall ist, Doppelbotschaften finden lassen, die durch die Schlagwörter public message und hidden message bestimmt sind (in Anlehnung an SIMMONDS, Message, 733). Die public message kommt in Mt 27,11–26 v.a. in der romfreundlichen Darstellung des Pilatus zum Ausdruck, welche sich als erste Leseassoziation ergibt (diese mag mit FIEDLER, Passion, 316 auch der Entlastung Jesu bzw. der christusgläubigen Mission im römischen Reich dienen). Eine hidden message würde dieses Bild korrigieren und erwarten lassen, dass das Evangelium sehr wohl deutliche Kritik am Präfekten übt, die sich allerdings erst auf den zweiten Blick erschließt. Hierfür werden von machttheoretischen Überlegungen in postkolonialer Perspektive abgesehen, wie dies v.a. bei Carter der Fall ist (vgl. exemplarisch CARTER, Pilate, 75–99). Vielmehr wird das subversive Potenzial der intertextuellen Referenzen fokussiert (vgl. LAU, Hände). Damit ist aber zugleich ausgesagt, dass die hidden message nur unter bestimmten Voraussetzungen verstehbar ist. Es wird die Prämisse gesetzt, dass die public message in römisch-paganen Kontexten gehört wird, während die hidden message in die jüdische Sozialisierung hineinspricht und damit die Kenntnis der Schriften Israels voraussetzt. In dieser Hinsicht gilt, was SIMMONDS, Message, 737 mit Bezug auf Mk formuliert: „Because scholars regarded the narrative as anti-Jewish, they failed to appreciate the idealized pro-subaltern and anti-dominant hidden message: that is, the narrative has two dimensions, a surface portrayal for Gentiles that makes the narrative appear anti-Jewish and pro-Roman, and a deeper, more profound and obscure portrayal to be understood by Jews that is partisanly pro-Jewish and anti-Roman.“ Ähnliches gilt laut DERS., Uses, 172 Anm. 23 auch für das Mt. 197 Zu den Belegstellen s.o.S. 215 Anm. 99. Dies trifft insbesondere auf die pagane Umwelt zu, für welche nur ein begrenzter Einblick in das Schrifttum Israels anzunehmen ist. 198 LAU, Hände, 57–60 führt die vielfache Invertierung vor, die die mt Adaption von Dtn 21 letztlich als Pervertierung des Rituals erkenntlich macht. 199 Vgl. COHN, Prozeß, 350. 200 Wie im Falle des Sündenbekenntnisses des Judas generiert das Evangelium die Erwartung verschiedener Handlungsverläufe. Zwar ist der Tod Jesu wohl auch für die Erstleserschaft als bekannt vorauszusetzen, dennoch spielt der mt Autorenkreis immer wieder Textsignale ein, die eine Wendung seines Schicksals erwarten lassen. Im konkreten Fall wird diese durch das Unschuldszeugnis der Frau des Pilatus, der Volkswahl bei der Passaamnestie und nun auch der vordergründigen Distanzierung von der Tat durch Pilatus hervorgerufen. Mit Blick auf SusTh könnte die Unschuldserklärung eine Verteidigungsrede einleiten, da Daniel dort diesen Ausspruch nutzt, um sich im Volk Gehör zu verschaffen und anschließend zur Verteidigungsrede Susannas ansetzt. Die Unschuldsdeklaration bildet demnach einen Auftakt zum Rechtsstreit und setzt gleichermaßen voraus, dass die angeklagte Person noch am Leben ist. Während die Unschuldsdeklaration den Zustand Jesu
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zumindest der vorangehende Handritus sprechen, mit welchem Pilatus das immaterielle Blut Jesu von seinen Händen wäscht. Die Unschuldserklärung wird dadurch zum Todesurteil,201 welches im Evangelium selbst unausgesprochen bleibt. Auf diesem Hintergrund kann im Ritus des Pilatus eine Schuldzuweisung an Pilatus auf der Erzählerebene gesehen werden, die sich erst durch den Intertext erschließt. Hierdurch, aber auch durch den späteren Blutruf, wird der Täter, welcher für den Tod Jesu verantwortlich ist, bekannt. 202 Die fundamentale Grundvoraussetzung für Dtn 21 – der unbekannte Täter – ist daher nicht mehr gegeben. 203 In figurenanalytischer Perspektive wird deutlich, dass sich die Grundkonstellationen diametral zueinander verhalten. In Dtn 21 handeln die Ältesten repräsentativ zugunsten des Volkes Israels (ȜĮંȢ). In Mt 27 handelt Pilatus hingegen für sich als Individuum204 und zulasten des Volkes (ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ).205 Damit wird auch offensichtlich, dass Pilatus eine Verantwortungsübernahme für den Blutfall von sich weist, während dies die Aufgabe der Ältesten nach Dtn 21 darstellt. Auch hierin wird der karikierende Zug im Evangelium deutlich, insofern die Ältesten (des Volkes) nun nicht für die Sühne der Blut-
offenlässt und ggf. eine Verteidigungsrede erwarten ließe, deutet das Setting durch Handwaschung darauf, dass Jesus als lebender Toter anwesend ist. LUZ, Mt IV, 277 weist zu Recht darauf hin, dass die Tötung noch zu verhindern gewesen wäre; ironischerweise gerade durch denjenigen, der nun indirekt das Todesurteil fällt. 201 Ähnlich LAU, Hände, 57. 202 Erst im folgenden Abschnitt wird der Frage nachzugehen sein, wer genau durch den Blutruf als Täter auf jüdischer Seite bestimmt wird (s.u. IV.3.2.). An dieser Stelle ist zudem einschränkend zu bedenken, dass Pilatus das Todesurteil nur durch den performativen Akt „sagt“. Hingegen finden sich konkret ausgesprochene Todesurteile bei den etablierten Autoritäten. Die Verurteilung durch den Hohen Rat wird zweimal berichtet (Mt 26,66; 27,1); die Tötungsabsicht findet sich in unterschiedlicher Konstellation (Hohepriester und Älteste: Mt 26,4; Pharisäer: Mt 12,14; Herodes: Mt 2,13.16). 203 S.o.S. 80 Anm. 179. Die unbekannte Täterschaft wird im Evangelium eingehend karikiert: Während Dtn 21 durch das „nicht sehen“ voraussetzt (s.o.S. 217 Anm. 109), dass sämtliche Untersuchungen ergebnislos enden, „sieht“ Pilatus nicht nur die Ausweglosigkeit des Todes Jesu und die Verantwortlichen dessen (ਫ਼ȝİȢ ȥİıșİ), sondern weiß sogar um das Innenleben der Hohepriester und Ältesten, die Jesu aus Neid ans Kreuz bringen wollen (vgl. LAU, Hände, 57f.). 204 Lau umschreibt diesen Aspekt unter dem Stichwort des „Nutznießer(s) des Rituals“ (LAU, Hände, 57). 205 Vgl. LAU, Hände, 60: „Aus einem Reinigungsritual, dessen Ziel darin besteht, Blutschuld, die auf Israel lastet, zu eliminieren, wird ein Reinigungsritual, das Blutschuld gerade für Israel produziert – nicht zuletzt aufgrund der Initiative der mit den Hohenpriestern verbundenen Ältesten, die in Dtn 21,1–9 gerade alles daran setzen, die Blutschuld zu tilgen.“ Ähnlich SIMMONDS, Message, 748: „Pilate tries to use the Jewish hand-washing ritual, whose purpose was to absolve Israel (Deut 21:8), not to absolve but to condemn Israel and absolve himself!“
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IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
schuld sorgen, sondern für deren Entstehen. 206 Insgesamt bilden Pilatus und die etablierten Autoritäten, hier vor allem in Gestalt der Ältesten des Volkes, eine einheitliche Täterschaft, die durch den Intertext als Subtext eingetragen wird: „Für Matthäus scheinen Pilatus und die jüdische Elite die Hauptverantwortung am Tod Jesu zu tragen.“207 Die Eintragung von Dtn 21,1–9 in Mt 27 nimmt dabei eine gewiefte Doppelfunktion ein, die Pilatus auf der oberflächlichen Ebene entlastet, auf der Subtextebene jedoch zum Täter erklärt.208 Dieses Vorgehen lässt sich gut im zeitgenössischen Kontext verorten. Während die Kritik an den etablierten Autoritäten unverhohlen zum Ausdruck kommt, bleibt die Kritik am römischen Statthalter unterschwellig. Ungeachtet der Belastung des Pilatus durch die invertierten Anspielungen auf Dtn 21,1–9 verdeutlicht ein letztes Textsignal die Verantwortung des Pilatus. Durch die Aussage ਫ਼ȝİȢ ȥİıșİ liegt eine intratextuelle Referenz zu Mt 27,4 vor, die nicht zu übersehen ist.209 Damit ist gleichermaßen offenkundig, dass eine partielle Identifikation zwischen Pilatus und den etablierten Autoritäten erfolgt,210 die bereits durch die faktische Täterschaft via Dtn 21 eingespielt wurde. Entscheidend ist nun aber, wer von Pilatus angesprochen wird und welche Intention diese Referenz verfolgt. Eine erste Lesart sieht hier eine analoge Verantwortungsübertragung. So wie die etablierten Autoritäten die Schuld am Tode Jesu von sich weisen und auf Judas abladen, so auch Pilatus auf den Volkshaufen. 211 Im Umkehrschluss erfolgt hierdurch eine partielle Identifikation zwischen Judas und dem Volkshaufen, welche dann jeweils die Schuld zu ihrem Nachteil auf sich nehmen.212 Allerdings wurde zuvor argumentiert, dass Judas in dieser Schuldübernahme eine Zeichenfunktion gegenüber den Autoritäten einnimmt, die damit entgegen ihrer eigentlichen Intention doch wieder belastet werden. Solches lässt
206
Vgl. LAU, Hände, 59. LAU, Hände, 66 (Hervorhebung im Original). 208 Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt auch WEAVER, Fruits, welche allerdings nicht auf die intertextuelle Referenz zu Dtn 21 eingeht. Stattdessen differenziert sie die Figurenzeichnung des Pilatus in ein „Lower-Level Portrait“ und einem „Upper-Level Portrait“ aus. Während erstes auf die Figurenzeichnung des Hegemonen gemäß seiner Verortung innerhalb der römischen Hierarchie abzielt, welche ihn letztlich zur mächtigsten Figur im Evangelium macht, wird durch zweites ein subversives Potenzial ersichtlich. Dieses zeigt sich nicht nur am Machtverlust des Pilatus (s.o.S. 211f. bei Anm. 74–79), sondern auch in der eindeutigen Verantwortungszuschreibung hinsichtlich des Todes Jesu (vgl. ebd., 118) 209 Vgl. hierzu die Literaturangaben o.S. 199 Anm. 3. 210 Vgl. LUZ, Mt IV, 277. 211 Vgl. PAUL, Texte, 91f.; ähnlich GIELEN, Passionserzählung, 157; LAU, Hände, 67. 212 Vgl. auch BROWN, Death I, 836, der jedoch betont, dass in jeder Verantwortungsabgabe bzw. -übertragung eine Mitschuld zum Ausdruck kommt. Im Fall des Pilatus wird diese zwar nicht berichtet, sei aber mitzudenken. 207
2. Die Figur des Pontius Pilatus
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sich der Verantwortungsübernahme des Volkes, welche durch die Kopfformel ausgedrückt wird, kaum entnehmen. Es sei daher eine zweite Lesart vorgeschlagen, die die Aussage des Pilatus – auf der Ebene der Rezipienten – als Ironie auf den Erstsprecher gemünzt sieht. In dieser wird die Aussage des Pilatus ebenfalls zum Zeichen gegen die Autoritäten. Durch den Ausspruch ਫ਼ȝİȢ ȥİıșİ werden die Autoritäten direkt adressiert,213 insofern sie auf ihre vorherige Aussage Judas gegenüber zurückverwiesen werden. In dieser Hinsicht kann das Wort als das erste und einzige verstanden werden, welches im Rahmen des Prozesses von Pilatus an die etablierten Autoritäten adressiert wird.214 Durch die Aussage des Pilatus werden offenbar die Autoritäten karikiert und abermals als Verantwortliche gekennzeichnet. Dieser Aspekt verschärft sich zudem im Lichte von Dtn 21. Hier dient die Handwaschung dazu, das immateriell anhaftende Blut abzuwaschen, wobei im Ritual eine Übertragung auf die Kuh, welche für die Tat steht, erfolgt. Da in Mt 27 jedoch zwangsläufig eine Täterbetrachtung mitzudenken ist, scheint die Abwaschung dieses Blutes auf jemanden, d.h. den Täter, naheliegend. Zwar wird dieses vom Volkshaufen durch die Kopfformel über sich geworfen; die Anrede als ironische Aufnahme von Mt 27,4 her verstanden, impliziert jedoch, dass die Blutübertragung auf die Ältesten und Hohepriester hin intendiert ist. Während Judas also zum Zeugen gegen die Autoritäten durch prophetisches Kolorit wird, erscheint Pilatus als Zeuge gegen dieselben durch rituelles Kolorit. Dies ist in der Kommunikationssituation auch dahingehend wahrscheinlich, als dass die Ältesten als eigentliche Ritualagenten und damit Ritualexperten den Ritus am deutlichsten erkennen sollten.215
213 Es lässt sich allerdings nicht sicher entscheiden, ob hier eine intentionale Anrede durch die Pilatusfigur vorliegt oder lediglich die Autoritäten an ihren eigenen Ausspruch erinnert werden. 214 S.o. IV.2.2. 215 Die im vorherigen Kapitel skizzierte Funktionalisierung der Judasfigur als Zeichen gegen die Autoritäten, lässt eine ähnliche Funktionalisierung für die Pilatusfigur erwarten. Vereinzelt wurde solches bereits gesehen. LAU, Hände, 67 spricht bspw. von Pilatus als dem „schlechteren Judas“: „Überraschend erscheinen nämlich Judas und Pilatus parallel, insofern beide als Individuen im Gegenüber zu einem Kollektiv vom Blut Jesu und von Unschuld sprechen. Allerdings spricht Judas über das unschuldige Blut Jesu, Pilatus hingegen spricht über seine eigene Unschuld angesichts des Blutes Jesu, was dazu führt, dass man unwillkürlich den ‚schuldlosen‘ Pilatus mit dem tatsächlich reuigen Judas vergleicht und in Pilatus so etwas wie den schlechteren Judas sieht.“ Die Zeugenschaft des Pilatus ergibt sich aus mehreren Beobachtungen: Pilatus agiert über das Verfahren hinweg in Opposition zu den Autoritäten, weswegen er ihnen die Verantwortung zuschiebt. Dies erfolgt durch einen Ritus, der die Ältesten des Volkes als „Erstversteher“ nahelegt, und durch den Ausspruch ਫ਼ȝİȢ ȥİıșİ, welcher ebenfalls die etablierten Autoritäten als „wissende Hörer“ vor Augen führt. Durch die angestrebte Selbstentlastung formuliert Pilatus zugleich
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IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
3. Der Blutruf des Volkes 3. Der Blutruf des Volkes
3.1. Der traditionsgeschichtliche Hintergrund der Formel IJާ ĮݮȝĮ ĮރIJȠࠎ ijߩ ݘȝߢȢ Der Blutruf des Volkes lässt sich auf eine Grundformel zurückführen, die in unterschiedlichen Varianten überliefert ist. Dabei handelt es sich um das Zueinander von Blut und dessen Übertragung auf eine Person, wobei Letzteres auch durch die Bezugnahme auf das Haupt ausgestaltet sein kann (Kopfformel). Dementsprechend lässt sich die Grundformel durch: „x’s Blut auf y“ bzw. „x’s Blut auf y’s Haupt“ bestimmen, wobei x und y zumeist Pronomen/Pronominalsuffixe sind. Die zentrale Kategorisierung der zahlreichen Belegstellen erfolgt anhand des Blutbezugs.216 In den ersten Block fallen die Belegstellen, in welchen der Personalbezug identisch ist (x = y), d.h. das Blut der angesprochen Person an dieser haften bleibt.217 Zum zweiten Block gehören die Stellen, in denen das Blut nicht mit dem Adressaten des Spruches identisch ist (x y), in denen also der Täter mit dem Blut des Opfers konfrontiert wird.218 Die Zusammenstellung mit einer Unschuldsaussage findet sich in beiden Blöcken.219 Für die Aussage „x y“ finden sich im zweiten Block zahlreiche Ausgestaltungen der Grundformel, wobei das Blut nicht immer durch ein Pronomen eindeutig zugeordnet wird. Aus dem Kontext ist jedoch die Zugehörigkeit dieses Blutes stets zu erkennen. 220 Insgesamt eine Belastung der Autoritäten, die gleichwohl in der Erzählung nicht ausformuliert wird, da die Verantwortung vom „ganzen Volk“ übernommen wird. 216 Eine Schwierigkeit der Belegstellenanalyse besteht darin, dass die Formel bisweilen in den greifbaren griechischen Übersetzungen der hebräischen Texte fehlt. Zudem findet sie sich auch in rein griechischsprachigen Schriften. In der Gesamtdarstellung werden sowohl die hebräischen als auch die griechischen Belegstellen berücksichtigt, um die Breite der Formelvariation deutlich aufzuzeigen. Folgende Belege finden sich nur im MT: Lev 20,9.11.12.13.16.27; Jos 2,19; weitere sowohl in MT als auch LXX: Ri 9,24; 2Sam 1,16; 3,29; 16,8; 1Kön 2,32.33.37; Hos 12,15; Jer 26,15; 51,35; Ez 18,13; 33,4.5; Jon 1,14; zu 1Kön 2,44 s.o. Anm. 190. Weitere Belege in griechischen Texten sind TestLev 16,3; Apg 5,28; 18,6. 217 Vgl. LevMT 20,9.11.12.13.16.27; Jos 2,19MT; 2Sam 1,16; 1Kön 2,32MT.37.44; Hos 12,15; Ez 18,13; 33,4.5; Apg 18,6. 218 Vgl. Jos 2,19MT; Ri 9,24; 2Sam 3,29; 16,8; 1Kön 2,32LXX.33; Jer 26,15; 51,35; Jon 1,14; TestLev 16,3; Apg 5,28. 219 Belegstellen, in denen x = y ist: Jos 2,19MT; Apg 18,6; ferner 2Sam 1,16; 1Kön MT 2,32 .37.44; Belegstellen, in denen x \ LVW 6DP IHUQHU .|Q LXX.33; Jon 1,14; Jer 26,15. 220 Blutbezüge, die sich aus dem Kontext erschließen sind kursiv markiert: 1. Pers. Sg. + 2. Pers. Pl.: Jer 26,15. 1. Pers. Sg. + 3. Pers. Pl.: Jer 51,35. 3. Pers. Sg. + 3. Pers. Sg.: 2Sam 3,29. 3. Pers. Sg. + 2. Pers. Sg.: 2Sam 16,8.
3. Der Blutruf des Volkes
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wird deutlich, dass die Kopfformel bei unterschiedlichem Personenbezug situativ immer wieder neu ausgestaltet wird, wobei die beiden Formen 3. Pers. Pl. (Opferblut) auf einen Täter der 3. Pers. Sg. bzw. 3. Pers. Sg. (Opferblut) auf eine (potenzielle) Täterschaft der 1. Pers. Pl. öfters bezeugt sind. Diese Beobachtung muss das gängige Urteil der Kommentare, wonach Mt 27,25 eine ungewöhnliche Formulierung sei, relativieren: Sie ist weder gänzlich „neu“, noch ließe sich eine einheitliche Grundformel festhalten.221 Dieses Urteil gilt insbesondere hinsichtlich der Verantwortungsübertragung/-übernahme eines Kollektivs,222 sodass weder die Bezugnahme auf ein Kollektiv noch ein Eigenbezug ungewöhnlich ist. Ein anderes Differenzkriterium stellt die Frage nach der Allgemeingültigkeit des situativen Gebrauchs dar. In einen ersten Block fallen Belegstellen, die eine durative Gültigkeit nahelegen, zumeist in einem (quasi-)rechtlichen Kontext. Häufig geht diesem ein explizit ausformuliertes Todesurteil voraus.223 Durchweg tritt hierbei JHWH als Sprecher auf. In den anderen Block fallen Belegstellen, die auf einen konkreten
3. Pers. Sg. + 1. Pers. Pl.: Jos 2,19; Jon 1,14; Apg 5,28. 3. Pers. Sg. + 2. Pers. Pl.: TestLev 16,3. 3. Pers. Pl. + 3. Pers. Sg.: Ri 9,24; 1Kön 2,32LXX.33. 2Sam 3,29 und Ri 9,24 nehmen dabei den Sonderfall ein, dass die Übertragung der Blutschuld zwar Joab bzw. Abimelech als Haupttäter zugesprochen ist, zugleich aber weitere Personen einbezogen werden. Die Umstände zu Joab wurden bereits beleuchtet (s.o. IV.2.4.1.); in Ri 9 werden die Führer Sichems als Mittäter einbezogen, sodass auch hier eine kollektive Bestrafung mitzudenken ist, die jedoch innerhalb der Erzählung auf Abimelech fokussiert wird (vgl. Ri 9,57). 221 Vgl. KOSMALA, Blood, 99. Das gegenteilige Urteil einer mt Sonderform, welches im deutschsprachigen Raum wohl mit GNILKA, Mt II, 458 wirkmächtig wurde (vgl. BROER, Antijudaismus, 335; GIELEN, Konflikt, 383; KONRADT, Israel, 177 Anm. 419; PAUL, Texte, 93), bleibt eine Begründung schuldig. Vermutlich wird Jos 2,19 als offenkundiger Beleg (ʥʰˇʠʸʡʥʮʣ; vgl. LUZ, Mt IV, 280 Anm. 84, der sich jedoch ohne Begründung dazu skeptisch verhält) ausgeschlossen, da die Kopfformel im Griechischen zu einer Eidesformel wird (ȞȠȤȠȢ ਦĮȣIJ ıIJĮȚ, ਲȝİȢ į ਕșȠȚ IJ ȡț ıȠȣ IJȠIJ […] ਲȝİȢ ȞȠȤȠȚ ਥıંȝİșĮ). Dennoch zeugt die hebräische Formulierung davon, dass fremdes Blut auf das eigene Haupt kommen kann. Auch Jon 1,14 ist ein Zeuge dafür. Die Kopfformel (ohne Kopf) ist als Wunsch formuliert: ȝ įȢ ਥijૃ ਲȝ઼Ȣ ĮੈȝĮ įțĮȚȠȞ. Mit ĮੈȝĮ įțĮȚȠȞ ist die vermeintliche Tötung Jonas durch den Wurf ins Meer umschreiben, sodass hier zwar nicht wörtlich, aber doch eindeutig eine ausformulierte Kopfformel vorliegt, in welcher erbeten wird, dass das Blut Jonas nicht strafend über die Seeleute komme. Trotz der negativen Ausformulierung ist die Analogie zu Mt 27,25 mit der Bezugnahme von fremdem Blut auf die 1. Pers. Pl. unverkennbar. 222 Das Blut der Verwandten Rahabs kommt über die beiden Kundschafter (Jos 2,19), das Blut Jeremias über Stadt und Bevölkerung (Jer 26,15), dasjenige Jerusalems über die Bewohner Chaldäas (Jer 51,35), das Blut Abners auf Joab und seines Vaters Haus (2Sam 3,29); das Blut Jonas soll hingegen nicht über die Gemeinschaft der Seeleute kommen (Jon 1,14), das Blut Jesu nicht auf die etablierten Autoritäten (Apg 5,28). 223 Vgl. Lev 20,9.11.12.13.16.27; Ez 18,13; 33,4f.
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IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
Fall reagieren und damit in einen größeren Erzählstrang eingeordnet sind. Es finden sich sowohl abschließende Begründungen eines vollzogenen (eher individuellen) Gerichts nach vorne,224 als auch vorausschauende Begründungen eines drohenden (eher kollektiven) Gerichts nach hinten. 225 Die Sprechenden sind dabei Menschen, die nur vereinzelt göttlich inspiriert sind.226 Häufig ist eine Unschuldsdeklaration des Sprechenden beigestellt oder impliziert.227 Für eine Interpretation der Kopfformel bildet Jos 2,19 den zentralen Bezugstext,228 obgleich die LXX diese nicht wiedergibt. Hier wird die paraphrasierte Grundformel „x’s Blut auf y’s Haupt“ in den beiden Ausdifferenzierungen (x = y bzw. x y) gebraucht, weshalb der Vers beiden Kategorien zuzuordnen ist:
ʪʺʠʤʩʤʩʸˇʠʬʫʥʭʩʷʰʥʰʧʰʠʥ ʥˇʠʸʡʥʮʣʤʶʥʧʤʪʺʩʡʩʺʬʣʮʠʶʩʚʸˇʠʬʫʤʩʤʥ ʟʥʡʚʤʩʤʺʣʩʚʭʠʥʰˇʠʸʡʥʮʣʺʩʡʡ Hierdurch lassen sich die beiden zentralen Kontexte markieren, in welchen die Kopfformel verwendet wird. Die jeweilige Bedingung ist im konkreten Fall lokal bestimmt, wobei der Aufenthalt innerhalb oder außerhalb des Hauses Rahabs als Grenzmarkierung dient: Wer sich nicht in dieser Hausgemeinschaft aufhält, hat seinen Tod selbst zu verantworten. Dementsprechend kommt dessen Blut auf ihn selbst zurück – auf den beiden Spionen lastet keine Blutschuld, sie sind unschuldig (ʭʩʷʰʥʰʧʰʠʥʥˇʠʸʡʥʮʣ). Diese Form der Kopfformel ist demnach als Schutzformel zu verstehen, insofern das Blut des Getöteten – aufgrund der Eigenverantwortung an seinem Tod – keine rächende Blutsphäre ausbildet, die eine etwaige Blutrache rechtfertigt. 229 Wenn jedoch jemand innerhalb des Schutzraums im Zuge der Eroberung Jerichos zu Tode kommt, so kommt das Blut auf die Spione zurück. Es bildet eine Blut224
Vgl. 2Sam 1,16; 1Kön 2,32.33.37.44; TestLev 16,3. Vgl. Jos 2,19; Ri 9,24; 2Sam 3,29; 16,8; Hos 12,15; Jer 26,15; 51,35; Jon 1,14; Apg 5,28; 18,6. Zur Sonderstellung der Belege der Apg s.o. Anm. 192. 226 So Ri 9,24 (Erzählkommentar); Jer 26,15; TestLev 16,3; einzige Ausnahme: Jer 51,35. Ein Sonderfall stellt 2Sam 16,8 dar. Schimi verflucht David, beschwört das Blut des Hauses Sauls über seinen Kopf und kündigt die Herrschaft Absaloms an. David kommentiert dieses Geschehen als potenziell göttlich inspiriert (vgl. 2Sam 16,10–12). Schimi wird später via Kopfformel durch Salomo getötet (1Kön 2,37.44; ferner Anm. 190). In der Gesamtübersicht ist der Ausspruch Schimis der einzige, bei welchem ein Ausgang berichtet wird, in dem sich die Drohung nicht bewahrheitet. 227 Eine explizite Unschuldsdeklaration findet sich in Jos 2,19; 2Sam 3,29; Apg 18,6. Implizite Unschuld zeigt sich entweder durch einen legitimen Schuldspruch im Erzählverlauf (2Sam 1,16; 1Kön 2,32.33.37.44; Jon 1,14) oder durch äußere Legitimation (Jer 26,15). 228 Vgl. ERBELE-KÜSTER, Blutschuld, 1. 229 Dieses Verständnis wird im rechtlichen Kontext (vgl. Lev 20) besonders deutlich, insofern die Ausführung der Hinrichtung unter dem Schutz der Kopfformel erfolgt (vgl. KOCH, Spruch, 401; SCHÜNGEL-STRAUMANN, Tod, 59). 225
3. Der Blutruf des Volkes
245
sphäre aus, welche das Blut des Getöteten nun von den Spionen einfordert: das Blut des Opfers kommt also über die Spione (ʥʰˇʠʸʡʥʮʣ). In diesem Fall erfolgt durch Kopfformel eine Verantwortungsübernahme (bzw. im Falle eines Zuspruchs eine Verantwortungsübertragung) für das vergossene Blut.230 In Jos 2,19 wird dabei auch ersichtlich, dass die Spione für die Bluttat haften, selbst wenn sie dieses Blut nicht eigenhändig vergießen.231 Mit diesem Hintergrund lässt sich der Zweck einer Kopfformel allgemein bestimmen. Zum einen fungiert die Kopfformel als Schutzformel vor vergossenem Blut. Dies trifft auf die Texte zu, in welchen die Blutsphäre auf dem Angesprochenen haften bleibt (x = y).232 Durch die Kopfformel wird das Blutvergießen als legitim bestimmt, insofern der Getötete seine Tötung selbst zu verantworten hat.233 Zum anderen wird die Kopfformel als Verantwortungsübertragung bzw. -übernahme gebraucht.234 Der dadurch situativ verhandelte Blutfall wird als illegitimes Blutvergießen gewertet, was entsprechende blutrechtliche Konsequenzen zur Folge hat. In dieser Form steht die Formel häufig im Begründungszusammenhang in einer Erzählsequenz (Ri 9,24; 1Kön 2,32LXX.33; Jer 51,35; TestLev 16,3). Seltener wird die Kopfformel in diesem Kontext mit einem drohend-mahnenden oder bittenden Impetus benutzt (2Sam 3,29; 16,8; Jer 26,15; Jon 1,14; Apg 5,20). Insgesamt wird deutlich, dass es jeweils um die Frage der Verantwortung der Blutschuld und deren Konsequenzen geht, die je nach Ausprägung entweder urteilendschützend oder mahnend-übertragend behandelt wird.235 Die Vielzahl an Belegstellen führt deutlich vor Augen, dass die Kopfformel überwiegend in einen situativgeschichtlichen Kontext eingebunden ist und die Formel in diesen Situationen immer wieder neu ausformuliert wird. Werden unter diesem Gesichtspunkt die durativ angelegten Stellen aus Lev 20 und Ez ausgeklammert, so zeigt sich auch für die Kopfformel, dass sie vornehmlich in „dtr“ geprägten Schriften vorzufinden ist. 236 Diese Fokussie230
Vgl. insgesamt DOZEMAN, Jos, 247–249. Vgl. COHN, Prozeß, 349. 232 Vgl. Lev 20,9.11.12.13.16.27; Jos 2,19; 2Sam 1,16; 1Kön 2,32MT.37.44; Apg 18,6. 233 Vgl. LAU, Hände, 51: „Wenn der Sprecher des Blutrufs dabei das Blut, gemeint sind natürlich die gefährlichen Auswirkungen, die die bei der Tötung um sich greifende Blutschuld evoziert […], auf ein Gegenüber herab ruft, handelt es sich um eine Art Abwehrritus, mit dem die negativen Auswirkungen des ‚Blutflusses‘ vom Sprecher des Blutrufes als dem Richter oder Henker ferngehalten werden sollen. Der Blutruf drückt dann aus, dass das Gegenüber, derjenige, dessen Blut geflossen ist oder fließen wird, selbst für sein Schicksal verantwortlich ist.“ 234 Vgl. KOCH, Spruch, 400f. 235 Vgl. LAU, Hände, 51: „Ein Blutruf markiert in jedem Falle personale Verantwortung für vergossenes oder zukünftig fließendes Blut – und zwar auf Seiten des Täters wie des Opfers.“ 236 Vgl. Jos 2,19; Ri 9,24; 2Sam 1,16; 3,29; 16,8; 1Kön 2,32.33.37.44; Jer 26,15; 51,35; Jon 1,14; ferner TestLev 16,3. 231
246
IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
rung verstärkt sich, wenn die Belegstellen, welche mit einem Unschuldsbegriff operieren, hervorgehoben werden. Dies trifft abermals insbesondere auf die Erzählsequenz um Joab zu (2Sam 3,29; 1Kön 2,32.33) sowie auf Jer 26,15; Jon 1,14, welche zudem mit dem unschuldigen Blut verbunden sind. 237 Diese Beobachtungen legen nahe, dass die Kopfformel Mt 27,25 als situativbedingte Verantwortungsübernahme zu verstehen ist.238 Diese ergibt sich aus der versuchten radikalen Distanzierung des Pilatus durch seine Unschuldsdeklaration, die folglich einen neuen Träger der Verantwortung für den Kreuzestod erfordert. Diese Lücke füllt nun „das ganze Volk“ aus. Von entscheidender Bedeutung dürfte dabei sein, dass die Formel in dieser Fassung konditional zu verstehen ist. Daher hat sich für Mt 27,25 die Rede von einer „bedingten (Selbst-)verfluchung“ etabliert:239 Das Blut Jesu kommt nur auf das Volk, wenn 1) Jesu Blut vergossen und 2) er zu Unrecht hingerichtet wird. Die Verantwortung für Jesu Blut greift also nur dann, wenn sich tatsächlich eine Blutschuld ausbildet.240 Diese Bedingungen scheinen im Evangelium allerdings bereits vorausgesetzt zu sein. Schließlich hätte das „Volk“ im vorliegenden Erzählzusammenhang, in dem es offenbar von der Schuld Jesu überzeugt worden war, die Kopfformel direkt auf Jesus hin formulieren können: „Sein (d.h. Jesu) Blut komme auf ihn (d.h. Jesus)/sein (d.h. Jesu) Haupt!“241 So richtig es daher ist, dass die Kopfformel eine Art bedingte 237
Vgl. 1Kön 2,5LXX; Jer 26,15; Jon 1,14. Die Stellen eint zudem die jeweilige Verwendung des Verbs įįȦȝȚ/ʯʺʰ. 238 Die vereinzelt angeführte Rückbindung der Kopfformel an 2Sam 1,16 (vgl. HAYS, Gospels, 133) ist demnach nur wenig hilfreich. Als Parallele wird herangezogen, dass das Volk Jesus den Todesverstoß versetzt, so wie der Amalekiter Saul tötete. Da der König in diesem Fall als IJઁȞ ȤȡȚıIJઁȞ țȣȡȠȣ bezeichnet wird, läge zudem eine intertextuelle Referenz zu Mt 27,17.22 vor. Der Klangraum von 2Sam 3,28f. ist indes naheliegender, da sich die Kopfformel als Verantwortungsübernahme gut in den mt Kontext einfügt. Die Schutzformel, welche David zur Legitimation der Tötung des Amalekiters gebraucht, evoziert hingegen die Frage, wer hier zu schützen sei. Andererseits ist auch hier ein polyphones Hören möglich, insofern durch beide intertextuellen Referenzen negative Konsequenzen für das Volk vorgezeichnet sind. Mit Bezug auf 2Sam 1,16 führt ebd., 133 aus: „The reader who hears an echo of this story in the people’s answer to Pilate will feel the awful foreshadowing of impending disaster for the people of Jerusalem. Their own mouths have testified against them in calling for the death of the Lord’s Christ, and they have taken blood on their own heads.“ 239 Der Begriff wurde geprägt durch THEIെEN, Aporien, 538. 240 Vgl. LAU, Hände, 52. 241 Ein solcher Ausspruch hätte in Ez 33,4 ein entsprechendes Vorbild: IJઁ ĮੈȝĮ ĮIJȠ૨ ਥʌ IJોȢ țİijĮȜોȢ ĮIJȠ૨ ıIJĮȚ bzw. ʤʩʤʩʥˇʠʸʡʥʮʣ. Gerade aufgrund dieser möglichen Formulierung fällt es schwer ein einseitiges Urteil zu fällen, wie es bspw. THEIെEN, Aporien, 538 vermag: „Die Ankläger sind von der Schuld Jesu überzeugt. Für den Fall seiner Unschuld wollen sie für die Folgen haften – sie und ihre Kinder.“ Ähnlich sicher formulieren DUPONT, Paulus, 91; EBNER, Tendenzen, 140. Nach Cargal wurde diese Differenz unterschiedlicher Kopfformeln bereits bei „some Jewish interpreters of Matt 27. 25“ gesehen
3. Der Blutruf des Volkes
247
Selbstverfluchung darstellt, die erst greift, sobald Jesus zu Unrecht zu Tode gekommen ist, so sehr ist diese Bedingung in der Ausgestaltung der Kopfformel bereits erfüllt.242 Insgesamt lässt sich für die Frage nach Schuldüberzeugung und Verantwortungsübernahme eine eigenartige Konstellation festhalten. Pilatus scheint in mehrfacher Hinsicht von Jesu Unschuld überzeugt zu sein (Kenntnis des Neidmotivs, Traum seiner Frau) und obwohl er jede Möglichkeit hätte, Jesus vor dem Kreuz zu bewahren, überträgt er die Verantwortung auf andere. Die etablierten Autoritäten wiederum beschließen intern das Todesurteil. Sie wissen zwar um die Unschuld Jesu (vgl. Mt 27,3–10), manipulieren aber geschickt die beiden anderen Spielbälle (Pilatus; Volkshaufen), um ihr Ziel zu erreichen. In dem Moment, in denen ihnen eine Verantwortungsübernahme möglich wäre, treten sie mindestens nicht in den Vordergrund und verstecken sich offenbar hinter/in der Volksmasse. Zuletzt bleibt das Volk zurück: Da es von den Autoritäten überredet/überzeugt wird (ʌİșȦ),243 sowohl Barabbas frei zu fordern als auch Jesus zu vernichten (Mt 27,20), war der Volkshaufen offenbar zu Beginn des Prozesses noch nicht von Jesu Schuld überzeugt. Der weitere Verlauf lässt daher erkennen, dass das Volk Jesus nun für schuldig hält, wenngleich die Ursache hierfür auf einem listigen Verhalten der Autoritäten gründet.244 Die Tragik liegt nun offenbar darin, dass das Volk, welches am wenigsten Einblick in den gesamten Gerichtsprozess erhält, das Urteil fällt und zugleich die Konsequenzen dafür trägt, nicht nur falls, sondern wenn sich dieses als Fehlurteil herausstellt. Die Überzeugung von der Schuld Jesu reicht demnach bis zur Verantwortungsübernahme, während ebendiese bereits die Unschuld Jesu erkennen lässt. Dadurch aber ist die Unrechtmäßigkeit der und als Bezeugung der Unschuld Jesu gewertet (CARGAL, Blood, 105). Ein solches Unschuldsbekenntnis widerspräche laut Cargal allerdings dem mt Kontext. 242 Durch diese Umstände ist eine exakte Bestimmung dieser Verantwortungsübernahme recht schwierig. Weder eine Verurteilung eines offenkundig Schuldigen noch der bewusste Justizmord an einem Unschuldigen scheinen hier die Sachlage zu treffen. Demnach legt sich die vielfach vertretene Annahme nahe, dass im Blutruf eine Verantwortungsübernahme für den Tod Jesu zum Ausdruck kommt, die das „Risiko einer Fehlentscheidung“ in sich trägt (HAACKER, Blut, 47; Hervorhebung im Original). Dieses Risiko besteht darin, dass sich im Tod Jesu eine Blutschuld ausbildet, welche die Tatverantwortlichen heimsucht und das Blut an ihnen gerächt wird. Insgesamt scheint die Risikobereitschaft, welche das „Volk“ hier formuliert, gerade in der Art der Formulierung der Kopfformel eine recht hohe zu sein. Es handelt sich, sofern das Bild gestattet ist, in lebensbedrohlicher Hinsicht weniger um ein kalkuliertes Fahrradfahren auf dem Radweg ohne Helm als vielmehr um den Verzicht auf einen solchen beim Motorradfahren auf der Autobahn entgegen der Fahrrichtung. 243 Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1288f. 244 Durch diesen Hintergrund, der auf die List in Mt 26,4 anspielt, ist es statthaft, in der Überredung eine Verführung zu sehen (vgl. KONRADT, Mt, 433f.; ähnlich POPA, Konflikt, 154).
248
IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
Kreuzigung Jesu bereits angezeigt, weshalb die Blutschuld des Blutes Jesu ausgebildet wird und über den Verantwortungsübernehmer kommt. Hierbei gilt allgemein: Die Bindung des Blutes an ein Haupt ist eine Todfolgeaussage.245 Das Blut, welches nun über das Volk zu kommen droht, ist im vollen Umfang unschuldiges Blut (Mt 27,4). Von diesem Hintergrund aus haftet das Volk nicht nur mit seinem Leben (vgl. Jos 2,19; Jon 1,14), sondern auch mit Stadt und Land (vgl. Jer 26,15). Ehe diese Aspekte weiter in die Geschichtstheologie des Evangeliums eingeordnet werden, muss zunächst geklärt werden, um welchen Personenkreis es sich im Fall des rufenden ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ handelt. 3.2. Wer ist das „Volk“? Die Identifikation des Volkshaufens, welcher die Kopfformel über sich ausspricht, ist in der Literatur umstritten.246 Zuvorderst sind zwei zentrale Beobachtungen festzuhalten, hinter die bei der Interpretation des Textes nicht zurückgegangen werden kann. Zum einen der auffällige Wechsel von ȤȜȠȢ (Mt 27,20.24) zu ȜĮંȢ (27,25).247 Dieser ist auch dahingehend zu berücksichtigen, als dass ȤȜȠȢ von Mt 4,25 bis 23,1 eine Erzählfigur darstellt.248 245
Vgl. SCHELKLE, Selbstverfluchung, 148. Der Streit um den genauen Personenumfang von ȜĮંȢ ergibt sich nicht zuletzt aus der verhängnisvollen Rezeptionsgeschichte, die dieser Vers nach sich gezogen hat (vgl. KAMPLING, Blut; LUZ, Mt IV, 285–288; MEISER, Writings sowie die Beispiele bei KELLER, Blutruf, 133f. mit Anm. 21). Zwar setzen die Predigten zur Abrogation des Judentums als Erben dieses „Volkes“ auf Basis dieser Formel relativ spät ein. Obgleich dies bereits von Origenes vorgetragen wurde, hält HAACKER, Blut, 47 fest, dass die Breitenwirkung erst ab dem 4. Jahrhundert erfolgte (vgl. auch SCHELKLE, Selbstverfluchung, 155). Dennoch steht der Vorwurf im Raum, dass die Verwerfung Israels bereits im Mt angelegt sei. Auf Basis dieses Blutrufes des Volkes fand sich zwischenzeitlich gar die erschreckende Deutung, dass es den Christen resp. der Kirche oblag diese Selbstverfluchung umzusetzen. Da „die Juden“ das Blut Christi auf sich beschworen, sei es christliche Pflicht, dieses Blut einzufordern und damit „Massaker und Verbrennungen von Juden“ zu rechtfertigen (vgl. LUZ, Mt IV, 287 mit Verweis auf KAMPLING, Blut, 232.223 Anm. 22). Dass derlei Vorstellungen, welche einen ausgeprägten christlichen Antijudaismus aufweisen, in Beziehung zur Shoa gesetzt werden, darf kaum überraschen (vgl. JACOBS, Blood). Die Frage nach dem Verständnis des Volkes ist notgedrungen auch eine nach der Verantwortung des Evangeliums für seine Rezeptionsgeschichte. Wie im Falle der exegetischen Überlegungen zu Judas fordert auch die Episode um den Blutruf des Volkes eine hermeneutische Reflexion der Ergebnisse heraus, welche unter VII. erfolgt. 247 Vgl. HAMILTON, Death, 185; LUZ, Mt IV, 277. 248 Näheres hierzu bei KONRADT, Israel, 96–108. Dabei ist festzuhalten, dass der ȤȜȠȢ vor Pilatus mit dem ȤȜȠȢ in der Nachfolge Jesu nichts gemein hat. Als Erzählfigur verschwindet der ȤȜȠȢ der Nachfolge offenbar mit Jesu Weggang aus dem Tempel. Das Ende der Wehrufe, bei welchem der Volkshaufen Zuhörer ist, wird von einem umfassenden Szenewechsel begleitet, der als Absonderung der Jünger von der Volksmenge zu verstehen ist. Es gibt anschließend keine weitere öffentliche Lehre Jesu mehr – es ist 246
3. Der Blutruf des Volkes
249
Zum anderen wird das Volk in Mt 27,25 als ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ skizziert, was zwangsläufig eine Gesamtheit anzeigt (vgl. Mt 27,22). Damit verschärft sich die Frage, ob hier die „Gesamtheit“ des Volkes Israels gemeint ist, welches die Kopfformel über sich ausspricht.249 Im äußeren Rahmen scheint die Formel zudem einen „offiziellen Charakter“ einzunehmen.250 Dabei ist allerdings weniger eine etwaige repräsentative Funktion des Volkes entscheidend,251 als vielmehr die gesprächseinleitende Formulierung ਕʌȠțȡȚșİȢ […] İੇʌİȞ. Diese Ausdrucksweise basiert auf dem Hebräischen ʸʮʠʥ ʤʰʲ, welches einen Reaktionszwang anzeigt.252 Die Unschuldsdeklaration des Pilatus erzeugt demnach eine erzählerische Leerstelle, die vom Volk gefüllt wird. Wenn das Volk nun auf diese „antwortend spricht“, dann scheint hier nicht weiter ein übersteigendes Kreischen der Menge dargestellt zu sein, sondern eine sachlich-rationale Aussage.253 Ob hier nun ein begrenzter Volkshaufen oder aber das Volk Israel in seiner Gesamtheit spricht, es handelt sich um einen wohl überlegten Ausspruch, der für diesen Personenverband hochverbindlich und nicht als Aussage im Affekt zu relativieren ist.254 Die entscheidende Frage ist, ob ȜĮંȢ in Personalkontinuität zu ȤȜȠȢ steht und damit eine bestimmte Personengruppe gemeint ist, oder ob ȜĮંȢ über die „alles“ gesagt. Die nächste Verwendung von ȤȜȠȢ findet sich im Zuge der Verhaftung Jesu, wobei dieser „Haufen“ eindeutig als zu den Hohepriestern und Ältesten zugehörig bestimmt ist (Mt 26,47.55). Dieser Bruch macht umso wahrscheinlicher, dass die vorherige Personifikation von ȤȜȠȢ aufgegeben ist (vgl. ebd., 154). 249 Vgl. KONRADT, Israel, 169. 250 STRECKER, Weg, 115. 251 Gegen die Deutung von Strecker, der den offiziellen Charakter in ebendieser repräsentativen Funktion gegeben sieht. 252 S.o.S. 218 bei Anm. 116. Der mt Kreis gebraucht diese Redeeinleitung übermäßig, sodass dieses Textsignal uneindeutig ist. Wenigstens zwei Aspekte lassen indes vermuten, dass ein solcher Einbezug nicht unwahrscheinlich ist: 1) Die Einleitungsformel wird in Dtn 21,7 von den Ältesten gebraucht und ist damit dem kundigen Leser bereits präsent. 2) Prima facie erscheint die Redeeinleitung im Mt überwiegend als Reaktion auf eine vorangegangene Aussage oder ein vorheriges Geschehen (eher als Redeeinleitung denn als Reaktion lassen sich Mt 11,25; 22,1; 27,21 verstehen). 253 Die „hochemotionale“ Ausgestaltung des Rufes einer „fanatisierten Volksmenge“, wie dies bei Johannes Sebastian Bach ausgestaltet wird und im Ohr verweilt (PLATEN, Matthäus-Passion, 189), ist folglich nicht durch den mt Text gedeckt. Zwar heißt es noch in Mt 27,23: Ƞੂ į ʌİȡȚııȢ țȡĮȗȠȞ ȜȖȠȞIJİȢ und auch in Mt 27,24 wird Aufruhr des Volkes nochmals betont (ȝ઼ȜȜȠȞ șંȡȣȕȠȢ ȖȞİIJĮȚ), allerdings ist die zu erwartenden emotionsgeladene Antwort in ein besonders sachliches Gewand gekleidet. 254 Vgl. LUCK, Mt, 301, der hier von einer „rechtsgültige(n) Formel“ spricht und die Szene von der mk Befriedigung „der schreienden Volksmenge“ abhebt. In dieser Hinsicht ist Konradts Einwand gegen Strecker zu kritisieren, insofern er lediglich die tumultartige Szenerie betont, die jedoch hier bewusst zum Stehen zu kommen scheint (vgl. KONRADT, Israel, 175 Anm. 410). Allerdings dürfte auch Luck zu weit gehen, wenn er der Szene „ihre tumultarischen Züge“ gänzlich abspricht (vgl. LUCK, Mt, 301).
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IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
zuvor genannte Volksmenge hinausweist und das „Bundesvolk Israel“ im Blick hat.255 Dabei erscheint Letzteres als langjähriger Konsens hervorzutreten, wobei das Verständnis von ȜĮંȢ als Gottesvolk häufig zur Bekräftigung des Votums führte, wonach „27,24f eine von Mt in Szene gesetzte Ätiologie für das Ende ‚Israels‘ (ist).“256 In der jüngeren Forschung lässt sich ein Wandel beobachten, welcher zunächst die unterschiedlichen Spielarten der Verwerfung Israels hinterfragt und kritisiert,257 sowie in einem weiteren Schritt die Deutung von ȜĮંȢ als Gottesvolk zur Disposition stellt.258 Im Weiteren wird der jüngeren Lesart gefolgt und die intratextuelle Verwendung von ȜĮંȢ fokussiert.259 Die Frage, ob ȜĮંȢ die (anwesende) Volksmenge (ȤȜȠȢ) aus Mt 27,24 fortführt oder das Gottesvolk in seiner Gesamtheit meint, zeigt lediglich „die beiden Enden des Spektrums von Optionen“ an.260 Im lk Doppelwerks tritt eine Verwendung von ȜĮંȢ hervor, die sich in ähnlicher Weise auch für die LXX und das Frühjudentum behaupten lässt:261 Als ȜĮંȢ werden Volksmengen bestimmt, die zum Gottesvolk gehören, wobei dies je nach Kontext Teilmengen oder die Gesamtheit umfassen kann.262 Dementsprechend scheint dem ȜĮંȢ-Begriff ein Israelbezug inhärent zu sein, der hier herausgestellt werden soll.263 Fundamental erscheint dabei, dass eine Verhältnisbestimmung vorgenommen wird: „Der messianische Hirte findet in seinem Volk nicht nur Gefolgschaft, sondern von Anfang an auch böswillige Ablehnung bei den Autoritäten und schließlich bei denen, die sich von diesen beeinflussen lassen.“264 Durch diesen Zusammenhang ist die 255
Für viele vgl. GIELEN, Konflikt, 383. FRANKEMÖLLE, Jahwe, 210. Diese Position findet sich u.a. bei GNILKA, Mt II, 458f.; SAND, Mt, 554; SCHELKLE, Selbstverfluchung, 150f.; SCHWEIZER, Mt, 333; SENIOR, Narrative, 258f.; WEIെ, Kirche, 2074f. Exemplarisch sei zudem auf STRECKER, Weg, 116f. verwiesen. Er verbindet den Blutruf mit Mt 21,43 und Mt 28,15, wo sich insgesamt ausdrücke, dass Israel seiner Sonderstellung enthoben und als eines neben anderen Völkern eingeordnet sei. 257 Die Wirksamkeit dieser Kritik ist abermals mit dem Namen Frankemölle verbunden, der in seinem Matthäuskommentar seine vorherige Interpretation widerruft, gleichwohl aber an der Deutung von ȜĮંȢ als Gottesvolk festhält (vgl. FRANKEMÖLLE, Mt II, 484f.). 258 Positionen, die weiterhin ȜĮંȢ mit dem Gottesvolk identifizieren, führen in intertextueller Hinsicht häufig Ex 24,3 und Dtn 27,15–26 (jeweils konfirmierendes ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ) an (vgl. SETZER, Sinai, 174–176). 259 Vgl. insbesondere KONRADT, Israel, 166–176. 260 KONRADT, Mt, 435. 261 Vgl. KONRADT, Israel, 170–172. 262 Vgl. KONRADT, Mt, 435f. 263 Vgl. KONRADT, Mt, 436: „[Der Wechsel zu ȜĮંȢ] verweist darauf, dass es um ein Geschehen in Israel geht, das sich in die Kette des Widerstandes gegen Gottes Boten in der Geschichte Israels einreiht (vgl. 21,33–46).“ Damit relativiert sich der Vorwurf von LUZ, Mt IV, 278, dass ein bloßer Austausch von ȤȜȠȢ und ȜĮંȢ keinen Bedeutungsmehrgewinn habe. 264 KONRADT, Israel, 174. 256
3. Der Blutruf des Volkes
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beeinflusste Volksmenge zuvorderst mit den Bewohnern Jerusalems zu identifizieren: Dies ist durch Leserlenkungen im Evangelium vorgegeben (vgl. Mt 16,21; 23,37), welche insbesondere durch Mt 2,3 und 21,10 zum Ausdruck kommt, insofern hier ʌ઼ıĮ İȡȠıંȜȣȝĮ bzw. ʌ઼ıĮ ਲ ʌંȜȚȢ in die Christusgegnerschaft einbezogen werden.265 Das Verständnis von ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ als Jerusalemer Volksmenge fügt sich zudem gut in die beiden weiteren Verwendungen von ȜĮંȢ in der Passionsgeschichte ein (Mt 26,5; 27,64).266 Es muss allerdings offenbleiben, ob die etablierten Autoritäten in diese Jerusalemer Volksmenge einzubeziehen sind und dementsprechend die Kopfformel mitsprechen oder nicht.267 265 Vgl. KONRADT, Mt, 436. Wird das „Volk“ als „Jerusalemer Volkshaufen“ bestimmt, welches sich hier in die Ablehnung des göttlichen Boten einreiht, lässt sich die Episode auch gut mit Jer 26,15 in Beziehung setzen. Während dort der Prophetenmord durch das Jerusalemer Volk von Jeremia durch den Verweis auf (sein) unschuldiges Blut unterbunden wird, bleibt in Mt 27,25 die Forderung nach dem Vergießen unschuldigen Blutes bestehen. In sprachlicher Hinsicht bildet dabei die Formulierung ĮੈȝĮ ਕșȠȞ … ਥijૃ ਫ਼ȝ઼Ȣ bzw. IJઁ ĮੈȝĮ ĮIJȠ૨ ਥijૃ ਲȝ઼Ȣ ein signifikantes Indiz. Hierdurch dürfte dann auch der Topos von Jerusalem als „prophetenmordende Stadt“ (Mt 23,37) aufgerufen sein, wobei die Jerusalemer Opposition gegenüber dem Propheten Jesus bereits in Mt 21,10f. vorgebildet ist (ähnlich KARRER, Jesus, 99; LEVINE, Anti-Judaism, 34). 266 KONRADT, Mt, 437 führt näher aus, dass die Verwendung in Mt 26,5 nicht nur dem „Selbstverständnis [der Autoritäten] als Führer Israels“ entspricht, sondern auch durch șંȡȣȕȠȢ Mt 26,5 und 27,24f. miteinander verbunden sind. Darüber hinaus ist die Pragmatik der Adressaten mitzudenken. Das „Volk“, in welchem dieser Tumult entstehen könnte, kann nur in lokaler Hinsicht als relevant bestimmt werden, wodurch abermals das Jerusalemer Volk im Blick ist. Ähnliches gilt für Mt 27,64, insofern das Jerusalemer Volk der Erstadressat der potenziellen Jünger-Lüge wäre, da der Leichendiebstahl die Anwesenheit der Jünger in Jerusalem voraussetzt und eine Erstverkündigung vor Ort plausibel wäre. Diesem spezifischen Gebrauch fügt sich auch der Begriff ȠȣįĮȠȚȢ (Mt 28,15) ein, falls dieser eine „globale“ Verbreitung des Gerüchts vom Leichendiebstahl in der „jüdischen Welt“ ausdrückt. Damit erfolgt allerdings keine Neubestimmung der nicht-christusgläubigen Juden, die nun nicht mehr „Israel“ oder „Gottesvolk“ seien, sondern vielmehr ein neutrales Festhalten, dass sich das Gerücht „in jüdischen Kreisen verbreitet hat“ (ebd., 458). Dient der Begriff demnach einer gewissen Entgrenzung auf Juden im Allgemeinen, so ist vice versa ȜĮંȢ in der mt Passionsgeschichte eher mit einer Begrenzung konnotiert. 267 Da nachdrücklich von den Ältesten des Volkes gesprochen wird, ist mit ȜĮંȢ der Jerusalemer Volkshaufen konstitutiv auf die etablierten Autoritäten bezogen. Daher lässt sich präzisieren, dass mit ȜĮંȢ: „[…] (diejenigen gemeint sein könnten), die sich von den Hohenpriester und Ältesten bevormunden lassen“ (POPA, Konflikt, 157). Versteht man zudem die Volksmenge als Sprachrohr der Autoritäten (s.o.S. 213 bei Anm. 84), wäre es abwegig, wenn die Autoritäten aus den Rufenden ausgeklammert werden. Eine weitere potenzielle intertextuelle Referenz könnte diesen Befund bestätigen. In Jer 33,7f.LXX wird der Prophet von den Priestern, Propheten und ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ als todeswürdig verurteilt. Wie in Mt 27 ergibt sich ein Zusammenschluss der etablierten Autoritäten und dem Volk, welches als Jerusalemer Bevölkerung zu bestimmen ist (vgl. Jer 33,12LXX). In dieser Hinsicht könnte auch Jer 33LXX als Folie für Mt 27 dienen, insofern dort mit dem Verweis auf das
252
IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
Aus dem Bisherigen ergibt sich, dass ȜĮંȢ hier den Jerusalemer Volkshaufen vor Pilatus meint, der in gewisser Hinsicht partiell für die Jerusalemer Bevölkerung steht und womöglich darüber hinaus diejenigen umfasst, die sich in die Abhängigkeit der etablierten Autoritäten, genauer der Hohepriester und Ältesten begeben.268 Dieses „Volk“ fühlt sich, in der versammelten Gesamtheit, offenbar zu einer Reaktion auf das Unschuldsbekenntnis des Pilatus herausgefordert – wenngleich die Reaktion von den Autoritäten zu erwarten wäre –, und ist bereit die Verantwortung für die Hinrichtung Jesu zu übernehmen.269 Die Verantwortungsübernahme durch den Ausspruch der Kopfformel ist dabei so ausgestaltet, dass der Volkshaufen einen Unschuldigen verurteilt, wenngleich es bis zum Ausspruch derselben (zwischenzeitlich) von Jesu Schuld überzeugt ist.270 3.3. Die Ergebnisse im Lichte der realhistorischen Umstände Als Zwischenergebnis konnte festgehalten werden, dass der Blutruf in Adaption der biblisch geprägten Kopfformel eine Verantwortungsübernahme für das Blut Jesu zum Ausdruck bringt.271 Die biblischen Paralleltexte der Kopfformel dieser Ausprägung legen zudem nahe, dass die Übernahme einer Blutschuld eine Todfolgeaussage impliziert.272 Da das Blut Jesu darüber hinaus als unschuldiges Blut bestimmt ist (Mt 27,4; in Mt 27,24 durch Mt 27,19 und den Intertext Dtn 21,1–9), wird eine geschichtstheologische Dimension eingespielt, welche als Straffolge der Verantwortungsübernahme den Landunschuldige Blut Jeremias Leben verschont bleibt, hier aber die Hinrichtung trotz dieser Warnung erfolgt. 268 Vgl. POPLUTZ, Mt, 267. Dies gilt trotz der offenkundigen intertextuellen Referenz zu Dtn 21, auf welche CARGAL, Blood, 106 aufmerksam macht. Dies muss aber nicht notwendig ein Verständnis von ȜĮંȢ als Gottesvolk Israel als Sprechenden evozieren, sondern fügt sich gleichermaßen in die alternative Deutung ein, insofern die Gefährdungslage des gesamten Volkes unterstrichen wird, die durch einen Bruchteil dieses Volkes hervorgerufen wird. 269 Vgl. KONRADT, Israel, 179. 270 Die sprachlichen Komponenten des Textes lassen auf eine sachlich-rationale Verurteilung eines Schuldigen schließen, insofern das „Volk“ von den Autoritäten überzeugt wurde und gewissenhaft bereit ist die Verantwortung wahrzunehmen. Gleichwohl ist die Kopfformel derlei ausgestaltet, dass Jesus als (potenziell) Unschuldiger präsentiert wird, was dem „Wissen“ des Volkes entgegensteht. Die naheliegende Deutung dieses Phänomens ist, dass hier abermals eine Spannung zwischen erzählter Zeit und erzählender Zeit zu erkennen ist. Das Evangelium kann der Volksmenge keinen Ausspruch in den Mund legen, welcher Jesus als Schuldigen verurteilt, weshalb die Menge in der Erzählung gezwungen ist, die Möglichkeit seiner Unschuld mitzugehen. In dem Ausspruch geht dies so weit, dass es de facto nicht erst in der der Interpretation, sondern bereits im Wortlaut unschuldiges Blut über sich ruft (s.o. bei Anm. 241). 271 Vgl. KELLER, Blutruf, 145; KONRADT, Israel, 177. 272 Vgl. KOSMALA, Blood, 104.
3. Der Blutruf des Volkes
253
verlust und das Exil erwarten lässt. Der Adressat eines solchen Strafgerichts ist durch ȜĮંȢ bestimmt und meint somit den Jerusalemer Volkshaufen resp. Jerusalem selbst. Diese Konkretisierung bestätigt sich durch einen bisher unberücksichtigten Aspekt des Blutrufes – seine Ausweitung auf die Kinder (țĮ ਥʌ IJ IJțȞĮ ਲȝȞ). Gemeint ist hier die konkrete nächste Generation,273 welche in das Strafgericht miteinbezogen wird. Eine Entgrenzung von IJ IJțȞĮ auf alle kommenden Generationen hat auch angesichts der Ausgestaltung der Kopfformel jede Wahrscheinlichkeit gegen sich. 274 Das Strafgericht betrifft folglich die Jerusalemer Volksmenge und deren Kinder. Der Einbezug der Kinder stellt ein Textsignal da, welches auf einen historischen Haftpunkt des vorgestellten Strafgerichts verweist, welcher außerhalb der erzählten Zeit des Evangeliums liegt.275 Mit der stereotypen Veranschlagung von 40 Jahren als Zeitraum einer Generation gelangt man, ausgehend vom historisch wahrscheinlichen Todesjahr Jesu 30 n.Chr.,276 exakt zur Zerstörung Jerusalems und des Tempels im Jahre 70 n.Chr. Dementsprechend legt sich ein Bezug des Blutrufes auf die Zerstörung Jerusalems nahe, die vom mt Kreis offenkundig als Strafgericht an der Jerusalemer Bevölkerung für die Kreuzigung Jesu verstanden wurde.277 Wenn aber das Gericht über Jerusalem als Blut-
273
Vgl. KONRADT, Israel, 178 Anm. 422 samt der aufgeführten Literatur. Es finden sich in den Schriften Israels nur zwei, letztlich miteinander korrespondierende Belege, in welchen die Kopfformel über den Täter hinaus ausgesprochen wird und die Familie des Täters bzw. dessen Dynastie mitumfasst: 2Sam 3,29; 1Kön 2,33. Die zeitliche Reichweite dieser Kopfformel wird als „ewig“ bekundet. Während dies in 2Sam 3 nur insinuiert wird, ist die Ewigkeitsformel in 1Kön 2 explizit ausgesprochen (vgl. LAU, Hände, 71 mit Verweis auf GIELEN, Passionserzählung, 160). In diesem Zusammenhang wird offenbar eine Korrespondenz aufgetan, sodass das Haus Joabs mit dem Haus Davids kontrastiert wird. Jenes muss auf Dauer untergehen, damit sich an diesem die ewige Verheißung erfüllen kann. Die Bedrohung der davidischen Dynastie durch Joab erfordert äquivalent den Untergang der Dynastie Joabs. Solches ist in Mt 27 jedoch nicht gegeben. Die intertextuelle Referenz in 1Kön 2,33 ist auch Zeuge dafür, dass die allgemeingültige Ausweitung auf die folgenden Generationen durch eine „Ewigkeitsformel“ erfolgt (İੁȢ IJઁȞ ĮੁȞĮ). Durch Mt 21,19 ist wiederum ersichtlich, dass der mt Kreis derlei Formulierungen kannte. Wenn der Blutruf des Volkes nun auf diese Ewigkeitsformel verzichtet, dürfte dadurch eine Begrenzung auf die direkt folgende Kindergeneration implementiert sein (vgl. insgesamt DIES., Konflikt, 383; anders HAACKER, Blut, 48, der allerdings letztlich zum selben Ergebnis kommt). 275 Eine Verzögerung der Bluttilgung einer Blutschuld ist, wie die Erzählung um die Blutschuld Joabs zeigt, zwar nicht wünschenswert, aber möglich. 276 Vgl. REINBOLD, Prozess, 79–81, der jedoch offenhält, ob dieser 14. Nissan (joh Chronologie) mit dem 7. April 30 oder 3. April 33 zu bestimmen ist. 277 Diese Deutung des Blutrufes anhand des Verweises auf die Kinder erscheint derzeit als Konsens und wird daher in den meisten Kommentaren vertreten (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 592; FIEDLER, Mt, 411f.; FRANCE, Mt, 1058; FRANKEMÖLLE, Mt II, 482f.; GNILKA, Mt II, 459; HAGNER, Mt II, 827; KONRADT, Mt, 436f.; LUZ, Mt IV, 281; ferner 274
254
IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
tilgung für die Blutschuld Jesu mit der Eroberung und Zerstörung Jerusalems erfolgt, bedeutet dies gleichermaßen, dass diese Schuld mit 70 n.Chr. abgegolten ist.278 Wenngleich diese Deutung eines Strafgerichts im Sinne einer geschichtlichen Zäsur innerhalb der Geschichte Israels als Konsens gilt, finden sich in der jüngeren Forschung vermehrt Stimmen, die eine weitergehende Deutung favorisieren. An dieser Stelle soll nur ein knapper Überblick über die These entfaltet werden, auf welche zu einem späteren Zeitpunkt nochmals ausführlicher einzugehen sein wird.279 Dieser Ansatz setzt nicht bei der Neubestimmung von ȜĮંȢ an, sondern fragt nach der inhaltlichen Bestimmung von ĮੈȝĮ. Während zuvor argumentiert wurde, dass das Blut Jesu als Gerichtsblut zu verstehen ist, was sich sowohl aus den intertextuellen Referenzen der Kopfformel als auch dem „dtr“ geprägten Verständnis des unschuldigen Blutes ergibt, bringt diese Deutung Mt 27,25 intratextuell mit Mt 26,28 in Verbindung. Die Bestimmung des Blutes als versöhnendes Blut sei auch auf den Ausspruch des Volkes zu beziehen.280 Die These versteht dabei ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ als das „Gottesvolk Israel“, welches hier zwar nicht realiter, aber doch repräsentativ die Verantwortung für das Blut Jesu auf sich nimmt und über sich und die folgende Generation herabruft. Dieser Ruf betrifft folglich das ganze Volk. Zumeist wird mit Blick auf das Blut von einer Doppeldeutigkeit ausgegangen: Die Grunddeutung, wonach das Blut Jesu als Gerichtsblut zu verstehen ist, wird um eine zweite ergänzt. Diese nunmehr entscheidende Deutung ist,
THEOBALD, Heere, 308). Ohne Bezugnahme auf 70 n.Chr. hingegen GUNDRY, Mt; NOLLAND, Mt; SAND, Mt. 278 Vgl. LAU, Hände, 51. Ähnlich FRANKEMÖLLE, Mt II, 482f.; GIELEN, Konflikt, 386; KONRADT, Israel, 217; PAUL, Texte, 94. In einer anderen Lesart erfolgt mit 70.n.Chr. zugleich die Ablösung Volkes Israels durch die ecclesia (vgl. FRANCE, Mt, 1058; GNILKA, Mt II, 459). 279 S.u. V.3.3.1.; V. Exkurs 4; ferner VII.5.5. 280 Dieser Bezug wurde immer wieder gesehen, aber häufig als Option offengelassen (vgl. GNILKA, Mt II, 460 mit Bezug auf SCHELKLE, Selbstverfluchung, 155f.; SCHWEIZER, Mt, 333). Diese These selbst wird gemeinhin mit dem Aufsatz „‚His Blood be Upon Us and Upon our Children‘. A Matthean Double Entendre?“ von Cargal verbunden und wurde zuletzt von Hamilton nachdrücklich erneuert (vgl. HAMILTON, Blood; DIES., Death; weitere Rezeptionen dieser These zumeist mit Bezug auf Cargal finden sich u.a. bei BEDENBENDER, Blut, 39f.; EBNER, Tendenzen, 141; Frankemölle, Mt II, 486; HAYS, Gospels, 135f.; JANKOWSKI, Blut, 28f.; JANOWSKI, Tat, 29; KNOWLES, Jeremiah, 207.307; LAU, Hände, 71f.; REPSCHINSKI, Christology, 263; SIMMONDS, Uses, 169–169; DERS., Message, 754). Die Stoßrichtung der These ist indes nicht neu und kann als „soteriologische Argumentation“ gefasst werden (vgl. KELLER, Blutruf, 147–150 im Anschluss an BROER, Antijudaismus, 336f.). Diese fußt auf Überlegungen von MUെNER, Traktat, 309, der das heilvolle Blut Jesu aus Hebr 12,24; 1Tim 2,6 und Lk 23,34a ableitet (vgl. KELLER, Blutruf, 147–149), wobei dieser Deutung aufgrund der willkürlichen Bezugsstellen frühzeitig widersprochen wurde (vgl. KAMPLING, Blut, 236).
4. Der Blutruf als innerweltliches Gerichtswort
255
dass dem Blut Jesu auch eine sühnende Funktion innewohne, sodass das Volk die Versöhnung durch das Heilswerk Christi auf sich herabruft.281 Es finden sich in dieser Lesart zwei Blutbezugsmöglichkeiten.282 Die bisherige Darstellung, wonach ĮੈȝĮ in mehrfacher Hinsicht als Ausdruck einer geschichtstheologischen Reflexion zum Untergang Jerusalems gebraucht wird und damit primär durch Mt 23,35 bestimmt ist, sowie die vorläufigen Ergebnisse zum ȜĮંȢ-Begriff zeigen, dass dieser Vorschlag nur schwer zu halten ist.283
4. Der Blutruf als innerweltliches Gerichtswort 4. Der Blutruf als innerweltliches Gerichtswort
Die angesammelten Teilbeobachtungen sollen nun in ein großes Ganzes zusammengefügt werden, um zu einem einheitlichen Verständnis zu gelangen. Leitend ist dabei die Bestätigung der Annahme, dass es sich beim Blut, welches Pilatus von sich weist und das Volk über sich ruft, um unschuldiges Blut handelt und als solches in dieser Episode mit einer Schwellenfunktion zu verbinden ist. Die kunstvolle Komposition dieser Episode erfolgt nicht nur durch die Adaption mehrerer Prätexte aus den Schriften Israels, sondern durch deren Verschränkung in einen Erzählzusammenhang, wie die folgende Graphik verdeutlicht: ੁįઅȞ į ȆȚȜ઼IJȠȢ IJȚ ȠįȞ ੩ijİȜİ ਕȜȜ ȝ઼ȜȜȠȞ șંȡȣȕȠȢ ȖȞİIJĮȚ, ȜĮȕޫȞ ވįȦȡ ܻʌİȞަȥĮIJȠ IJޟȢ Ȥİ߿ȡĮȢ ਕʌȞĮȞIJȚ IJȠ૨ ȤȜȠȣ ȜȖȦȞ· ܻșࠜިȢ İݧȝȚ ܻʌާ IJȠࠎ ĮݬȝĮIJȠȢ IJȠުIJȠȣ· ਫ਼ȝİȢ ȥİıșİ. țĮ ਕʌȠțȡȚșİȢ ʌ઼Ȣ ȜĮઁȢ İੇʌİȞ· IJާ ĮݮȝĮ ĮރIJȠࠎ ijߩ ݘȝߢȢ țĮ ޥʌ ޥIJ ޟIJޢțȞĮ ݘȝࠛȞ Handwaschungsritus + Unschuldsdeklaration + Kopfformel
Dtn 21,1–9
2Sam 3,28f.
Während der Handwaschungsritus zusammen mit der Unschuldsdeklaration auf Dtn 21,6f. verweist, führt die Unschuldsdeklaration in Kombination mit der Kopfformel zu einem literarischen Topos, welcher sich in 2Sam 3,28f.; SusTh und in Ansätzen auch in der Apg wiederfindet. Diese beiden disparaten Intertexte müssen zunächst für sich gedeutet werden, ehe ihre Komposition interpretiert werden kann. Für Dtn 21,1–9 ergaben sich verschiedene Zugangsmöglichkeiten, da der Ritus des Pilatus lediglich die innere Ritualsequenz aufgreift. Insgesamt wird deutlich, dass Pilatus eine maximale Distanzierung 281 Vgl. SIMMONDS, Message, 754; STEIN, Vergebung, 143; SULLIVAN, Insights, 455f.; ferner SIMMONDS, Uses, 184. 282 Vgl. HAMILTON, Blood, 84. 283 Vgl. GARBE, Hirte, 109; KONRADT, Israel, 177 Anm. 420; LUZ, Mt IV, 290.
256
IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
von der Tat anstrebt. Mit dem Rückgriff auf den Ritus wird der Präfekt zugleich entblößt, da weder das Setting noch er selbst die entscheidenden Voraussetzungen für eine solche Distanzierung mitbringen: zum einen ist die Tat noch nicht vollzogen, weshalb die fokussierte Tatbetrachtung des Ritus absurd wird, zum anderen weiß Pilatus um sämtliche Umstände der Hinrichtung Jesu und kann sich daher nicht mit dem konstitutiven Verweis auf die eigene Unwissenheit selbst entlasten. Insgesamt erscheint der Ritus daher als eine oberflächliche Entlastung des Pilatus, die durch den Intertext zur subversiven Anklage wird.284 Das Handwaschritual ist keineswegs eine Entlastung des Präfekten. Durch den Intertext und die letztlich als unzureichend anzusehende Entsühnung wird das Gefährdungspotenzial gleichermaßen durch Dtn 21,1–9 bestimmt.285 Dieses ist durch das Motiv des unschuldigen Blutes gegeben, welches in Dtn 21 durch den expliziten Landbezug in einer geschichtstheologischen Dimension erscheint.286 In dieser wird angezeigt, dass eine ungesühnte Blutschuld im Falle von unschuldigem Blut zum Verlust des Landes führen kann. Durch diese intertextuelle Referenz ist für Mt 27,24f. von einer ungesühnten Blutschuld auszugehen, weshalb diese Aspekte zur Deutung im Mt einzubeziehen sind und ĮੈȝĮ in dieser Episode als unschuldiges Blut zu bestimmen ist.287 Das Gefährdungspotenzial betrifft allerdings nicht den Gefährder selbst, da Pilatus als Römer wohl aus dem innerisraelitischen Geschichtsprozess auszuklammern ist. Gleichwohl wird durch die Intervention des Pilatus die Gefährdung von Volk und Land nochmals verstärkt, indem durch ihn das Blut eindeutig als unschuldiges Blut bestimmt wird, er die Blutschuld ferner nicht verhindert und zuletzt dem Volk aufbürdet, wodurch die Gefahr nun real über Israel kommt. Eine ähnliche Fokussierung erfolgt durch den zweiten Intertext, welcher auf einem eher allgemeinen literarischen Topos basiert. Für sich genommen ist die Kopfformel des Volkes eher ungewöhnlich, stellt aber letztlich nur eine von mehreren unterschiedlichen Varianten dar. Die eigentliche Problematik liegt darin, dass der Jerusalemer Volkshaufen, welcher mit ȜĮંȢ gemeint ist, letztlich ein Schuldeingeständnis für das Vergießen unschuldigen Blutes formuliert,288 obgleich die Volksmenge zuvor als von der Schuld Jesu 284
Vgl. hierzu nochmals die Unterscheidung zwischen public message und hidden message (s.o.S. 237 Anm. 196), wobei die differenzierte Wahrnehmung des Textes aus dem jeweils unterschiedlichen Umweltwissen resultiert. 285 Es ließ sich zuvor die Absurdität des Sühnerituals nachweisen, welches in Dtn 21 zur Entsühnung des Volkes ausformuliert ist, während die versuchte Selbstentsühnung des Pilatus die Verantwortungsübernahme des Volkes nach sich zieht. Dabei wird das eigentliche Objekt der Tatentlastung zum Tatsubjekt (Täter). 286 S.o. II.4.2. 287 Vgl. HAMILTON, Blood, 97f. 288 Dieses ergibt sich aus den unterschiedlichen Erzählebenen: Das Volk übernimmt die Verantwortung für den Tod eines Schuldigen, wobei ihm der Erzähler Worte in den Mund
4. Der Blutruf als innerweltliches Gerichtswort
257
überzeugt charakterisiert wurde.289 Die Kopfformel selbst ist als bedingte Selbstverfluchung oder bedingte Todfolgeverantwortungsübernahme zu verstehen, die gleichwohl in ihrer Ausgestaltung („sein Blut auf uns …“) nahelegt, dass diese Bedingungen erfüllt sind. Durch diese Spannung wird abermals impliziert, dass es sich im Falle Jesu um unschuldiges Blut handelt. Eine weitere Pointierung erhält die Kopfformel durch die Zusammenstellung mit der Unschuldsdeklaration. Da diese wortgleich zu 2Sam 3,28LXX bzw. SusTh 46 gebildet ist und in beiden Erzählungen die Kopfformel in zentraler Stellung aufgegriffen wird, ist ein solcher Zusammenhang auch für legt, die den Tod eines Unschuldigen implizieren. Hierdurch wird der Ausspruch zum Schuldeingeständnis. Ähnlich NOLLAND, Mt, 1178, der zunächst auf der Erzählebene sagen kann: „On the lips of the people it is a statement of readiness to take responsibility, not a confession of guilt“, um später in Bezug auf der Erzählerebene zu verdeutlichen: „But Matthew chooses the ‚blood…on‘ (ĮੈȝĮ ਥʌ) language to echo 23:35. And since, as far as Matthew is concerned, the people take innocent blood on themselves, the overtones of blood guilt and of punishment which the OT links provide for 23:35 carry over now to 27:25.“ 289 Neben den sprachlichen Indizien, welche sich aus ʌİșȦ und dem Wortlaut der Kopfformel ergeben, wäre durch Dtn 21,1–9 ein weiterer inhaltlicher Hinweis möglich: In Dtn 21,8f. kommt als Kernanliegen zum Ausdruck, dass das unschuldige Blut aus der Mitte des Volkes weggeschafft wird. Dies ist durch die biҵartƗ-Formel kodiert (vgl. DIETRICH, Schuld, 362–370; ferner Anm. 130). Zieht man diesen Topos für Mt 27 als Intertext heran, so wäre eine zweistufige Bezugnahme möglich. Die Überzeugung des Volkshaufens – als rationales Gegenüber zur eher emotionalen Ausgestaltung bei Mk (vgl. BOND, Pilate, 127; GIELEN, Konflikt, 380; DIES., Passionserzählung, 157; SAND, Mt, 553) – impliziert eine Begründbarkeit der Todeswürdigkeit Jesu. Es ist zwar müßig zu spekulieren, durch welchen Vorwurf die Hohepriester und die Ältesten den Volkshaufen auf ihre Seite ziehen. Die radikale Forderung seiner Tötung (Mt 27,20b.22c.23c) in Verbindung mit der rituellen Reaktion des Pilatus könnten jedoch darauf verweisen, dass „das Volk“ Jesus als Böses in seiner Mitte austilgen möchte. Dies ließe sich gut mit Dtn 13,2–6 und der darin gegebenen Warnung vor dem falschen Propheten und Wundertäter in Verbindung bringen (vgl. HAGNER, Mt II, 823f., der eine solche Bezugnahme zu implizieren scheint, allerdings keine Bibelstelle benennt, sondern allgemein von der Wertung Jesu als „charlatan and blasphemer“ spricht; ähnlich KOSMALA, Blood, 116 mit Verweis auf „[a] later Jewish tradition“). Denkbar wären auch die allgemeinere Vorschrift zur Verführung zu Abfall von JHWH (Dtn 17,2–7; vgl. auch ਥțİȞȠȢ ʌȜȞȠȢ in Mt 27,63). Ist dieser Aspekt im Hintergrund der Episode mitzulesen, so ließe sich darin abermals eine tiefsinnige und schwerwiegende Ironie des mt Kreises erkennen. Wenn der Volkshaufen später das Blut Jesu über sich ruft und sich damit – wenigstens ein Stück weit – mit dem unschuldigen Blut identifiziert, so wird es selbst zum Bösen, welches aus der Mitte Israels zu entfernen ist (vgl. Dtn 19,10). Die entscheidende Pointe ist dabei nicht, dass das Volk und seine Kinder verworfen werden, sondern dass ein Teil des Volkes, eben jenes, welches mit dem Bösen zu identifizieren ist, aus der Mitte Israels um Israels willen entfernt werden muss. Diese Figur schließt mit ein, dass das ganze Volk, welches vor Pilatus die Haftung für Jesu Tod übernimmt, nicht mit dem Volk Israel zu identifizieren ist, sondern mit einer daraus ausgesonderten Gruppe, an welcher sich das Gericht vollzieht (vgl. Num 16).
258
IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
Mt 27,24f. plausibel. Allerdings ist anzumerken, dass in Mt 27,24f. ein Sprecherwechsel vorgenommen wird. In den beiden anderen Erzählungen tritt derjenige, welcher die Unschuldsdeklaration ausspricht, zugleich als derjenige auf, der die Verantwortung durch die Kopfformel auf den Täter spricht und in letzter Konsequenz auch das Todesurteil ausformuliert. In Mt 27,24f. hingegen wird die Unschuldsdeklaration von Pilatus ausgesprochen und die Kopfformel vom Volk. Dies ist neben einer gewissen Erzähllogik auch dadurch zu begründen, dass so die Problematik der Causa Jesu als Problem in Israel deutlich wird. Es handelt sich bei der impliziten Frage, ob die Tötung Jesu einen Fall von unschuldigem Blut darstellt, um eine innerjüdische Kontroverse, die im Falle einer Verantwortungsübertragung durch Pilatus zu einer Fremdanklage würde. Die Verantwortungsübernahme ist daher notwendig, um das Geschehen als israelbezogen zu bestimmen und hinsichtlich der Schuldhaftigkeit zu legitimieren.290 Durch diesen Zusammenhang ergibt sich ein weiteres subversives Interpretationspotenzial: Die Abfolge aus Unschuldsdeklaration – Kopfformel – Bluttilgung scheint für 2Sam 3; 1Kön 2 konstitutiv zu sein. Dabei ist der Sprecher der Deklaration, trotz seiner Distanzierung von der Tat, in die Bestrafung des (eigentlichen) Täters einbezogen. David spricht sich zwar von der Blutschuld um Abner frei und belastet Joab durch die Kopfformel, gleichwohl ist es an ihm bzw. seinem legitimen und juristischen Nachfolger Salomo diese Blutschuld einzufordern und die Bluttilgung zu vollziehen. In ähnlicher Art und Weise ist auch Daniel involviert. Durch seine öffentliche Distanzierung von der Tat führte er den Rechtsprozess als Ankläger und Richter weiter, wobei er das Todesurteil via Kopfformel über den beiden Ältesten ausspricht (SusTh 55.59). Das Urteil selbst wird zwar von der Synagogengemeinde vollzogen (SusTh 61f.), die Verurteilung erging jedoch durch Daniel. Ein solcher Zusammenhang wäre schließlich auch für Mt 27 denkbar. Pilatus distanziert sich maximal von der Tat und bekennt seine Unschuld am Blut Jesu. Aus den oben genannten Gründen erfolgt zwar keine Anklage des Volkes; gleichwohl nimmt der Volkshaufen bereitwillig das Blut Jesu und damit die (potenzielle) Blutschuld auf sich. Dies entspricht der Abfolge Unschuldsdeklaration – Kopfformel. Es stellt sich nun die Frage, ob die Durchführung einer Bluttilgung gleichermaßen mitzudenken ist und wer dafür zuständig ist. Da die Anklage durch Pilatus eingeleitet wurde und die von ihm erzeugte Leerstelle das „Volk“ zur Verantwortungsübernahme zwingt, scheint es naheliegender zu sein, Pilatus für die Ausführung der Bluttilgung in Haftung zu nehmen. Da Pilatus im Evangelium pointiert als
290 Dies liegt m.E. auf derselben Linie wie der Wechsel von ȤȜȠȢ zu ȜĮંȢ (vgl. KONRADT, Israel, 174 zum Wechsel als Anzeige der Israelbezogenheit).
4. Der Blutruf als innerweltliches Gerichtswort
259
ਲȖİȝઆȞ auftritt,291 erfolgt hierdurch eine Fokussierung auf den Amtstitel und sein Auftreten als Repräsentant Roms. 292 Wenn also Pilatus in seiner Funktion als römischer Amtsträger für die Durchführung der Bluttilgung zuständig ist, dann gilt dies weiterhin auch für seine Amtsnachfolger, sofern die Blutschuld ungesühnt bleibt.293 Diese Lesart legt nahe, dass die Fronstellung des jüdisch-römischen Kriegs bereits in der Verurteilung Jesu implementiert wird. Die richtende Verantwortung für das unschuldige Blut Jesu liegt in römischen Händen und wird auch von diesen durchgeführt, insofern es die Römer sind, welche realhistorisch für die Zerstörung Jerusalems und des Tempels verantwortlich sind. Der Repräsentant Roms distanziert sich zunächst von der Hinrichtung Jesu, die Blutschuld wird vom Jerusalemer Volkshaufen übernommen, die Bluttilgung in repräsentativer Kontinuität von den Römern durchgeführt.294 Durch diese Funktionalisierung der Pilatusfigur knüpft der Autorenkreis an die gängige Vorstellung von fremden Völkern als Strafwerkzeugen JWHWs an.295 Der mt Kreis übersteigt dieses Motiv allerdings, 291 Der häufige Gebrauch der Amtsbezeichnung für Pilatus konnte bereits als mt Besonderheit herausgestellt werden (vgl. bei Anm. 35). 292 Vgl. BOND, Pilate, 135f., die jedoch weniger auf die repräsentative denn die stereotype Konnotation des Titelgebrauchs eingeht. Es ist gleichwohl denkbar, den Ausdruck als eine Fronstellung zwischen Pilatus und Jesus zu sehen, insofern Letzterer ebenfalls mit herrschaftlichem Kolorit ausgestattet ist. Dies umfasst terminologisch auch das Wortfeld ਲȖİȝઆȞ: Im Mt wird der Stellenwert Bethlehems und die Erwählung Jesu mit ਥț ıȠ૨ Ȗȡ ਥȟİȜİıİIJĮȚ ਲȖȠȝİȞȠȢ ausgedrückt. Es ist daher naheliegend, hier eine Konfliktlinie zwischen „God’s empire that Jesus represents, and Rome’s empire that Pilate represents“ zu sehen (vgl. CARTER, Empire, 157). Dieser Aspekt der Erzählung soll zwar mitgedacht, aber nicht fokussiert sein (vgl. hierzu ebd., 157–163). Bedeutsam ist jedoch festzuhalten, dass auch in dieser Deutung die repräsentative Funktion des Pilatus geschärft wird. Für solches spricht auch die mt Zufügung, dass Pilatus auf der ȕોȝĮ saß (Mt 27,19; vgl. LUCK, Mt, 299). 293 Analog rächt Salomo als Amtsnachfolger Davids die ungesühnte Blutschuld Joabs. 294 Die römische Kontinuität mag historisch gebrochen sein, da der Ausbruch des Krieges mit dem Amtsende des römischen Prokurators Gessius Florus zusammenfällt. Demnach sind Vespasian und sein Sohn Titus, welche den Krieg von römischer Seite führen und somit die Eroberung Jerusalems zu verantworten haben, als Bluttilger zu erwägen, wenngleich sie weder Präfekten noch Prokuratoren waren. Diese Differenzierung ist allerdings unnötig komplex. Es stellt sich schlicht die Frage, wer vor Ort als römischer Repräsentant memoriert worden ist. Der mächtigste Römer in Palästina zur Zeit Jesus war Pilatus, zur Zeit des jüdisch-römischen Kriegs letztlich Titus. Dies ist die entscheidende Analogie, auch ohne faktische Amtskontinuität. Dafür spricht auch, dass die Königsfigur in Mt 22,1–7, welche die Zerstörung der Stadt verantwortet, auf den römischen Kaiser resp. dessen Befehlsgewalt durchlässig ist, unabhängig von einer konkreten Bezugnahme (vgl. WEAVER, Fruits, 113f.). 295 Mit Bezug auf den Fall von Jerusalem wird dies auch bei Josephus deutlich (vgl. DÖPP, Deutung, 225f.). Das Evangelium greift bereits in Mt 22,7 auf diesen Topos zurück (vgl. WEAVER, Fruits, 110 Anm. 12; zur Diskussion s.u.S. 309 bei Anm. 215). Dass sich die Vorstellung auch in einer Einzelperson manifestieren kann, zeigt zuletzt auch die Figur
260
IV. Die Unschuldsdeklaration des Pilatus (Mt 27,24f.)
insofern das fremde Volk nicht nur zum Vollstrecker wird, sondern bereits im Vorfeld quasi-mahnend auftritt.
5. Fazit 5. Fazit
Mit Mt 27,24f. liegt erneut eine schriftgelehrte Eigenkomposition des mt Kreises vor, welche an markanter Stelle in die Passionsgeschichte eingefügt wurde. Das unschuldige Blut markiert hier eine Schwellensituation, wobei zugleich die Frage nach der Verantwortung für den Tod Jesu aufgeworfen wird. Die mt Komposition lässt, wie bereits in Mt 27,3–10, ein dichtes Netz an intertextuellen Anspielungen erkennen, in welches zugleich geprägte Sprachformen eingetragen sind. Ein tiefergehendes Verständnis der Perikope setzt demnach eine umfangreiche Sozialisierung in den Schriften Israels voraus.296 Mit der Figur des Pilatus wird eine Referenz zu Dtn 21,1–9 gesetzt, die nicht nur den Prozess Jesu als (potenzielles) Vergießen von unschuldigem Blut markiert, sondern auch ein subversives Spiel mit der römischen Verantwortung treibt. Die oberflächliche Selbstentlastung des Hegemonen durch die Unschuldsdeklaration erweist sich auf der Tiefenebene als unzureichend, was die in- bzw. perverse Adaption des Ritus unterstreicht. Das auf der Oberfläche entstandene Verantwortungsvakuum wird durch den anwesenden Jerusalemer Volkshaufen ausgefüllt. Mit einer Kopfformel übernehmen sie – aufgrund der Verführung durch die etablierten Autoritäten – die Verantwortung. Durch verschiedene Textsignale ist der Ausspruch des Volkes auf die mt Geschichtstheologie durchlässig:297 Mit ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ wird angezeigt, dass die Verantwortungsübernahme durch den Jerusalemer Volkshaufen ganz Israel betrifft, aber nicht ganz Israel verantwortlich ist. In der konkreten Ausgestaltung der Kopfformel wird Jesu Unschuld markiert und damit die Dynamik des unschuldigen Blutes in geschichtstheologischer Dimension freigesetzt. Der Einbezug der Kinder legt nahe, dass diese in besonderer Weise von den Konsequenzen der Verantwortungsübernahme (mit-)betroffen sind. So wird die Zerstörung Jerusalems und des Tempels 70 n.Chr. als Straffolge gedeutet, die sich realhistorisch erst in der folgenden Generation ereignet hat. Mit diesem historiNebuzaradan in den Rabbinica. In der ausgestalteten Sacharja-Legende fungiert der babylonische Befehlshaber als Bluttilger für das Blut Sacharjas, welches im Tempel vergossen wurde (s.u. V. Exkurs 2, S. 295ff.). 296 Damit geht auch die Annahme unterschiedlicher Verständnisebenen einher, die sich im konkreten Fall im Zueinander von hidden message und public message zusammenbringen lassen (s.o.S. 237 Anm. 196). 297 Es muss nachdrücklich betont werden, dass das Evangelium hier eine Retrospektive einnimmt. Der mt Kreis kann diese geschichtstheologische Deutung vornehmen, weil die Geschichte so verlaufen ist. Damit sind Fragen nach „was wäre gewesen, wenn …“ von vorneherein unzulässig.
5. Fazit
261
schen Ereignis als Verständnisschlüssel der Episode wird sodann deutlich, dass auch Pilatus in Haftung genommen wird. Aufgrund der unzureichenden Unschuldsdeklaration werden der römische Hegemon und seine Nachfolger als Exekutoren der Straffolge markiert, die entsprechend für die Bluttilgung des vergossenen unschuldigen Blutes verantwortlich sind.298 Somit werden die römische und „jüdische“ Verantwortung für den Tod Jesu zusammengebunden. Ungeachtet dieser Zusammenhänge darf nicht übersehen werden, dass im Hintergrund die etablierten Autoritäten als die treibende Kraft für die Kreuzigung Jesu inszeniert werden, insofern letztlich Pilatus und der Volkshaufen zu den Werkzeugen ihres Willens werden. Es ist daher davon auszugehen, dass in der Episode in besonderer Weise die realen Zusammenhänge des römisch-jüdischen Krieges unter Einbezug der Schriften Israels als Deutung für den Tod Jesu fruchtbar gemacht werden, obgleich die Letztverantwortung für das Geschehene den etablierten Autoritäten zur Last gelegt wird.
298
Die unterschwellige Inszenierung der Römer als Bluttilger führt abermals zu einer subversiven Anklage und nicht zu einer Entlastung derselben. Zwar werden die Römer implizit als Strafwerkzeug Gottes bestimmt, zugleich aber als Zerstörer der Stadt und des Tempels entlarvt. Es ist daher naheliegend, dass auch das römische Reich in die mt Adaption der „dtr“ geprägten Geschichtstheologie einzutragen ist. Insgesamt zeigen die Schriften Israels nicht nur das JHWH Fremdvölker als Werkzeug gebraucht, sondern dass in deren strafender Funktionalisierung zugleich Machtbegrenzung und letztlich auch deren Untergang miteingeschlossen sind. Wenn die Römer als Strafwerkzeug Gottes dienen, sind sie seiner Macht untergeordnet. Wahrscheinlich ist auch mitzudenken, dass weder das Assyrische Großreich mit 722 v.Chr. noch das Babylonische Reich mit 587 v.Chr. bestehen blieb, sondern gleichermaßen dem Fremdvölkergericht unterworfen war (vgl. insbesondere Jer 50,18; es seien exemplarisch auf folgende Fremdvölkersprüche verwiesen: gegen Assur in Jes 10,5–15; 14,24–27; bzw. Babel in Jes 13,1–14,23; 21,1–10; Jer 25; 50,1–51,58). Mit Pilatus als Teilschuldigem und den Römern als Bluttilgern an Jerusalem ist zugleich eine subversive Kritik angezeigt, die auch den Untergang Roms erwarten lässt. Ob sich dieser Aspekt von der allgemeinen Naherwartung der mt Gemeinde absondern lässt, ist jedoch kaum zu bestimmen.
V.
Heil und Gericht oder Heil im Gericht? Zum matthäischen Gebrauch der Formel ĮੈȝĮ … ਥțȤȣȞȞંȝİȞȠȞ 1. Hinführung 1. Hinführung
1.1. Belegstellenübersicht Das Motiv des vergossenen Blutes (ĮੈȝĮ … ਥțȤȣȞȞંȝİȞȠȞ) wird im Mt zweimal verwendet: Mt 23,35; 26,28. Im Gegensatz zum Bisherigen handelt es sich in beiden Fällen um Textpassagen, die dem mt Kreis durch die Tradition vorgeben sind (Q 11,50 bzw. Mk 14,24), wobei die mt Adaption jeweils kleinteilige Bearbeitungen erkennen lassen, die eine Näherbestimmung von ĮੈȝĮ zur Folge haben. Abgesehen von dieser intratextuellen Referenz scheint den beiden mt Perikopen nur wenig gemein. Gleichwohl wird diese Referenz von manchen Exegeten als ausreichend signifikant angesehen, um von diesem Befund aus eine einheitliche Blutlehre zu behaupten, die Mt 26,28 über Mt 23,35 letztlich an Mt 27,4.24f. bindet. Diese Annahme gewinnt an Plausibilität, wenn ĮੈȝĮ von Mt 23,35 aus entfaltet und die Charakterisierung von Blut einerseits als Gerecht- bzw. Unschuldigsein und andererseits als Vergossensein als hermeneutischer Schlüssel zementiert wird. Es ist daher in einem ersten Schritt die formelhafte Zusammenstellung von ĮੈȝĮ + ਥțȤȦ zu untersuchen,1 die weitgehend unabhängig vom Motiv des unschuldig vergossenen Blutes als Spezialform erfolgen muss. Die unterschiedlichen Charakterisierungen des vergossenen Blutes erfordern ferner, dass die beiden Perikopen Mt 23,29–39 und Mt 26,26–29 je für sich in den Blick genommen und auf die Funktion des Blutmotivs hin untersucht werden. In einem letzten Schritt soll nochmals die Frage nach dem intratextuellen Zusammenhang und dem mt Umgang mit dem Blutmotiv aufgenommen und beantwortet werden.
1
Auf eine Differenzierung zwischen ਥțȤȦ und dem neutestamentlichen ਥțȤȞ(Ȟ)Ȧ kann, wie in Wörterbüchern und TLG, verzichtet werden (vgl. GEMOLL u.a., GEMOLL, 275; BAUER, Wörterbuch, 498f.).
264
V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
1.2. Der traditionsgeschichtliche Hintergrund der Formel ĮݮȝĮ + țȤޢȦ Das Motiv des vergossenen Blutes (ĮੈȝĮ + ਥțȤȦ) basiert auf dem hebräischen Syntagma ʭʣ ʪʴˇ.2 Die Belegstellen lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen:3 Im einen Bedeutungsspektrum wird mit ĮੈȝĮ + ਥțȤȦ ein gewaltsamer Tod umschrieben,4 im anderen besteht eine Nähe zum Kult. 5 Das erste Bedeutungsspektrum umschreibt sowohl konkrete Tötungen bzw. Tötungsabsichten6 als auch den gewaltsamen Tod als Allgemeinaussage.7 Ein 2 Im Vergleich zum Motiv des unschuldigen Blutes zeigt sich hier eine hohe terminologische Kohärenz der hebräischen und griechischen Belegstellen. Lediglich die masoretischen Belege Ez 23,45; 33,25; 36,18 fehlen in der LXX, wohingegen nur Hos 12,15 LXX die Formel ohne sprachlichen Bezugspunkt im MT aufweist. Dementsprechend fokussiert die folgende Untersuchung den griechischen Befund. In die erarbeitete Kategorisierung werden zudem die Derivate von ȤȦ einbezogen, wovon ʌȡȠıȤȦ besondere Signifikanz aufweist (hierbei erfolgt ein Seitenblick auf die entsprechenden Belegstellen im MT); zudem finden sich wenige Belege mit ȤȦ; ਕʌȠȤȦ; ਥȖȤȦ; ਥʌȚȤȦ und țȤȣıȚȢ. Zur Vollständigkeit wurden darüber hinaus die Belegstellen von ʭʣʪʴˇ in den Textfunden von Qumran überblickt. Da sich hier keine signifikante Abweichung feststellen ließ, werden die Belegstellen ohne tiefergehende Untersuchung in die Schematisierung eingepflegt. 3 Von der hier vorgestellten Schematisierung sind diejenigen Belege ausgenommen, die das Blutvergießen „konkret-deskriptiv“ (Formulierung entnommen aus EBERHART, Kultmetaphorik, 103) verstehen oder dieses Bild vergleichend gebrauchen. Terminologisch überwiegen hier Derivate: 1Kön 18,28; 22,35; Arist 90; Philo her. 185; Flav.Jos.Bell. I 82; III 529; IV 72; Flav.Jos.Ant. XIII 314f.; XIX 94; Hebr 11,28. Auszuscheiden sind darüber hinaus diejenigen Belege, bei denen keine oder nur eine lose Verbindung zwischen den beiden Lemmata besteht: Ex 4,9; Ez 16,36; Apk 16,3.4; Philo Mos. I 81; Flacc. 190; unter Einbezug der Derivate zudem Hos 4,2; Philo det. 100; spec. III 25; Flav.Jos.Ant. IX 108; hinsichtlich der Texte von Qumran CD-A xii,14. 4 Vgl. CHRIST, Blutvergiessen, 28–30; EBERHART, Studien, 224–226; DERS., Kultmetaphorik, 82. LAUBACH, Blut, 196 benennt Aisch.Eu. 653 als ersten Beleg eines solchen Gebrauchs. 5 Vgl. EBERHART, Studien, 27–31.124f. 6 Vgl. Gen 37,22; 1Sam 25,31LXX; 1Kön 2,31; TestSeb 2,2; VitProph 23,1; Apg 22,20. Unter Einbezug der Derivate zudem Flav.Jos.Ant. VIII 361. Eine Sonderform stellen die beiden Belege Dtn 21,7; Ez 18,10 dar, die sich zwar auf eine konkrete Person beziehen, aber von dieser abstrakt-allgemein sprechen, sowie 1QHa x,32f. (= 4Q428 Fragm. 3 1), wo die Identität des Individuums nicht zu bestimmen ist (hier und im Weiteren folgt die Nomenklatur GARCÍA MARTÍNEZ, SE 1; DERS., SE 2; kursiv gesetzte Belegstellen aus Qumran hingegen DJD). 7 Vgl. Gen 9,6; Dtn 19,10; 2Kön 21,16; 24,4; 1Chr 22,8; 28,3; 2Chr 36,5dLXX; 1Makk 1,37; 7,17; 2Makk 1,8; Ps 13,3LXX(?); 78,3.10LXX; 105,38LXX; Spr 1,16; 6,17; Sir 28,11; 34,22; PsSal 8,20; Jo 4,19; Jes 59,7; Jer 7,6; 22,3.17; Klgl 4,13; Hos 12,15; Zeph 1,17; Ez 14,19; 16,38; 22,3.4.6.9.12.27; 24,7; Philo somn. I,74; Lk 11,50; Röm 3,15; Apk 16,6; Sib III 311–313; unter Einbezug der Derivate zudem Sir 27,15; Sib XII 237. Dieser Kategorie sind zudem die Mehrheit der Belege aus Qumran zuzuordnen: 1QM vi,17 (vgl. 4Q491 Fragm. 14_15,9); 4Q175 29 (vgl. 4Q379 Fragm. 22 ii,13f.); 4Q219 ii,18.20 (= Jub 21,19f.); CD-A xii,6 (= 4Q266 Frgm. 9 i,16; 4Q267 Frgm. 9 iii,1; 4Q271 Frgm. 5 i,21);
1. Hinführung
265
Überblick dieser Belegstellen zeigt sodann, dass ĮੈȝĮ mit ਥțȤȦ zwar grundlegend für die Umschreibung eines gewaltsamen Todes gebraucht wird,8 allerdings die individuelle Zuspitzung eher eine Ausnahme darstellt. Es ist daher möglich, aber nicht zwingend, dass sich vergossenes Blut im Mt auf Jesu gewaltsamen Tod bezieht.9 Das zweite Bedeutungsspektrum umfasst einerseits das Blutvergießen als notwendigen Akt einer (profanen) Schlachtung,10 andererseits dasjenige am Altar im Rahmen verschiedener Opfervorschriften. 11 Die Verwendung von Blut in kultischen Zusammenhängen erfolgt in zweifacher Weise, die streng voneinander zu unterscheiden sind. Es handelt sich einerseits um die sogenannten „Blutmanipulationen“ oder „Blutapplikationen“, bei welchen ein Teil des Schlachtblutes in verschiedenen kultisch-sakral aufgeladenen Handlungen Verwendung findet;12 andererseits 4Q504 Frgm. 8 recto 14; 4Q525 Frgm. 13 3. Gemäß dem auf S. 42 in Anm. 7 Formulierten kann über 4Q219 ii (ʭʣʪʴˇ) für Jub 21,19 der Sprachgebrauch von Û (Blut) und ½¶ (vergießen) sicher bestimmt und davon ausgehend weitere Belegstellen geprüft werden. Eine entsprechende Stichwortprüfung mit Hilfe der deutschen Übersetzung offeriert für das Vergießen von Blut folgende Belegstellen: Jub 6,8; 7,23–25.27–29.32f.; 11,2.5; 14,11; 21,7.19; 23,20.23 (vgl. BERGER, Jub). Für 1Hen 9,1 lässt sich für Û + ½¶ im Griechischen ĮੈȝĮ + ਥțȤȞȞȦ finden (vgl. DILLMANN, 1Hen; UHLIG, 1Hen). Demnach können für dieses Bedeutungsspektrum zudem die Belegstellen Jub 6,8; 7,23–25.27–29.32f.; 11,2.5; 21,19; 23,20.23; 1Hen 9,1; 47,2 aufgeführt werden. Für 2Bar kann lediglich auf syrische Fassung verwiesen werden, wobei unter methodischem Vorbehalt (vgl. S. 42 Anm. 6) 2Bar 48,37; 61,2 als Belegstellen von ¾â (Blut) + Êü~ (to pour; shed; vgl. SOKOLOFF/ BROCKELMANN, Lexicon, 105) dieser Kategorie zugeordnet werden können. 8 Vgl. CHRIST, Blutvergiessen, 18, der nochmals betont, dass der Ausdruck „kein neutrales Wort für ‚töten‘ [ist], sondern es enthält ein Urteil über die Tat: Es ist ein vorsätzliches und insofern, von der Ausnahme der Vergeltung abgesehen, ein schuldhaftes Töten“ (Hervorhebung im Original). In dieses Spektrum sind auch alle Belege des unschuldigen Blutes einzubeziehen, insofern das Motiv die gewaltsame Tötung zusätzlich disqualifiziert: Dtn 19,10; 1Sam 25,31LXX; 2Kön 21,16; 24,4; 2Chr 36,5dLXX; 1Makk 1,37; 2Makk 1,8; Ps 105,38LXX; Spr 6,17; Jo 4,19; Jer 7,6; 22,3.17; Klgl 4,13; TestSeb 2,2. 9 Zum Gebrauch dieses Bedeutungsspektrums im NT jenseits der Deuteworte vgl. EBERHART, Kultmetaphorik, 105–112. 10 Vgl. Lev 17,13; Dtn 12,16; 15,23. 11 Nach HARTENSTEIN, Bedeutung, 132 erfolgt das Ausgießen von Blut am Altar bei allen Arten von Tieropfern, sodass vom Prozedere selbst nicht auf ein bestimmtes Opfer (genannt wird das Sündopfer) zurückgeschlossen werden kann. 12 Gemeinhin wird zwischen dem „kleinen“ und „großen Blutritus“ unterschieden (vgl. EBERHART, Studien, 121–124). In beiden Fällen erfolgt das Bestreichen der Hörner des Altars mit Blut (vgl. Lev 4; 16,18), wobei im „großen Ritus“ diesem eine (siebenmalige) Blutbesprengen/-bestreichung des Heiligtums vorangeht (vgl. Lev 4,6f.; 16,14–20, ähnlich Ez 45,18–20). Die Blutriten dienen wohl der Reinigung der Kultgegenstände, die sodann weitere Kulthandlungen ermöglichen (vgl. ebd., 286). Eine Applikation an Menschen findet sich bei der Priesterweihe und bei Aussätzigen (Ex 29,20; Lev 8,23; 14,14). Zur Übersicht vgl. BERGMAN/KEDAR-KOPFSTEIN, ThWAT II, 263f.; eine ausführliche Analyse der Blutriten hat EBERHART, Studien vorgelegt.
266
V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
um das Vergießen des (Rest-)Blutes des Schlachttieres am Altar. Letzteres wird primär durch die Formel ĮੈȝĮ + ਥțȤȦ ausgedrückt, wobei dem Akt offenbar keine kultische Funktion inhärent ist,13 sondern die legitime Entsorgung des nicht kultisch verwendeten Blutes meint. 14 In phänomenologischer Hinsicht gleicht dieser Vorgang dem „Besprengen“ des Altars (MT: ʷʸʦ; LXX: ʌȡȠıȤȦ), weshalb hier häufig keine Differenz gesehen wird.15 Da es sich in diesen Belegstellen allerdings überwiegend um die einzige geschilderte Bluthandlung im dargestellten Ritus handelt,16 wäre zu fragen, ob in diesen Fällen dem Blut ein ritueller Eigenwert zukommt. Mit Philo spec. IV 125 ließe sich ein Libationsritus (ıʌȠȞį) vermuten,17 der über die bloße Blutentsorgung hinausgeht. Gleichwohl muss dies spekulativ bleiben. Im israelitisch(-judäischen) Kult wird Blut folglich entweder in einer explizit 13 Vgl. HARTENSTEIN, Bedeutung, 131 mit Bezug auf die Sündopferriten Lev 4; 16. Dies gilt wahrscheinlich auch für den einzigen kultisch konnotierten Beleg von ʭʣʪʴˇ in Qumran 1Q22 iv,2, wo aufgrund der Leerstellen im Fragment das Blutvergießen und die sühnende Wirkung in unmittelbarer Nähe zueinander zu stehen kommen. Obgleich diese Passage den Instruktionen zum Versöhnungstag zuzuordnen ist (vgl. hierzu und 1Q22 insgesamt DAHMEN, Mose-Schriften, 2.1), deutet die Formulierung nicht auf einen Blutritus, der ähnlich wie Lev 19 Versöhnung bewirkt, sondern auf eine Blutentsorgung. Diese Annahme muss zwar spekulativ bleiben, allerdings ist der Textbestand zu unsicher, um daraus anderweitige Implikationen abzuleiten. 14 Das Zueinander einer Blutmanipulation und der anschließenden Entsorgung des Blutes am Altar findet sich durchweg in Belegstellen, die ĮੈȝĮ + ਥțȤȦ (MT: ʪʴˇ) bezeugen: Ex 29,12; Lev 4,7.18.25.30.34; 9,9 (MT: ʷʸʦ). An wenigen Stellen wird dieselbe Vorstellung mit ʌȡȠıȤȦ ausgedrückt: Dtn 12,27 (MT: ʪʴˇ); Philo spec. I 231. Einzubeziehen sind, gemäß dem in Anm. 7 Ausgeführten, auch Jub 14,11; 21,7 (Û + ½¶). Möglicherweise steht eine solche Differenzierung auch im Hintergrund von Lev 17,4, wo das Schlachten an einem illegitimen Ort, d.h. nicht am Altar, als Blutvergießen (ʪʴˇ; ਥțȤȦ) bezeichnet wird. Primär ist damit die illegitime Schlachtung als „Mord/gewaltsamer Tod“ charakterisiert (vgl. LIWAK, ThWAT VIII, 431), gleichwohl könnte zugleich die illegitime Blutentsorgung mit im Blick sein. Lediglich in Lev 8,15 könnte das Vergießen des Blutes (ਥțȤȦ) als Blutritus verstanden werden. Allerdings erfolgt die Entsühnung des Alters bereits durch den Blutritus an den Hörnern des Altars, sodass auch hier eher eine Blutentsorgung vorliegt. 15 Vgl. EBERHART, Studien, 124f. 16 Vgl. Ex 29,16; Lev 1,5.11; 3,2.8.13; 7,2(.14?); 8,19; 9,12.18; 17,6; Num 18,17; 2Kön 16,13.15; 2Chr 29,22; Philo spec. I 205; IV 125; QG I 62; ähnlich Ez 43,18. An wenigen Stellen erfolgt ein Blutritus samt Ausgießung am Altar, die mit ʌȡȠıȤȦ ausgedrückt wird: Ex 29,21; Lev 8,24 (zu Ex 24,6; Philo her. 182 s.u. V.3.2.3.a; vgl. ferner die Belege ohne Derivat von ȤȦ: Lev 1,15; 5,9; Ez 43,20). In anderer Weise fällt 2Chr 35,11 aus der Schematisierung heraus, da hier die „Besprengung“ (ʌȡȠıȤȦ) als eigener Ritus genannt wird, ohne den Verbleib des Restblutes anzusprechen. 17 Für ein solches Verständnis lässt sich ferner auf Sib VIII 113 sowie Sir 50,15 verweisen, wo das „Blut der Trauben“ am Altar ausgegossen wird. Zwar wird diese Formulierung mit ਥțȤȦ gebildet, aber durch die Verwendung des gesamten „Traubenblutes“ ähnelt der Akt einem Libationsopfer (vgl. DAHM, Opfer, 3.17).
1. Hinführung
267
dargestellten Blutapplikation gebraucht oder aber in Form einer Art Übergangshandlung am Altar ausgegossen. Für Letzteres gilt: Die Ausgießung des gesamten oder des nach einem Besprengungsritus übrigen Blutes kommt bei allen Opferarten vor. Sie wird stets am Brandopferaltar vorgenommen und dient der Rückführung des Tierblutes, in dem sich das Leben des Tieres befindet, zu Gott, der am Altar präsent ist […]. Tierblut wird also im Kult nicht geopfert.18
Mit Blick auf die Blutapplikationen lassen sich hingegen drei Wirkweisen unterscheiden:19 1) die reinigende/sühnende, 2) die beziehungsstiftende und 3) die apotropäische. In den Schriften Israels überwiegt die erste Wirkweise,20 wonach Blutapplikationen eine Reinigung ermöglichen, die – je nach rituellem Zusammenhang und bei „physische(m) Kontakt“21 – Menschen oder Kultgegenständen zukommt.22 Die reinigende Wirkung des Tierblutes ist dabei sowohl in seiner Eigenschaft als Lebensträger als auch seiner aus diesem Umstand resultierenden Heiligkeit begründet,23 wie sich aus Lev 17,11 erschließen lässt.24
18
EBERHART, Studien, 229. Die Schematisierung bei HARTENSTEIN, Bedeutung, 132, die auf EBERHART, Studien rekurriert, bleibt auf den Textbestand des Alten Testaments begrenzt (ähnlich bereits BÖCHER, Blut, 730). Auf eine eigenständige Prüfung, ob diese Schematisierung auch für das Frühjudentum haltbar ist, muss an dieser Stelle verzichtet werden, wenngleich der obige Verweis auf das Libationsverständnis bei Philo bereits eine Leerstelle offenlegt (mit BÜCHNER, Remarks, 269f. ist jedoch anzumerken, dass bei ihm der Sprachgebrauch von ĮੈȝĮ der griechisch-römischen Welt angeglichen wird und sich demnach vom Sprachgebrauch der LXX entfernt). Für die Blutthematik insgesamt lässt sich nach EBERHART, Kultmetaphorik, 97 im „Judentum“ eine weitgehende Kontinuität festhalten, wenngleich die sühnende Funktion des Blutes in weiteren Bereichen Anwendung findet (bspw. Märtyrerblut) und im rabbinischen Spitzensatz „Es gibt keine Sühne ohne Blut“ mündet (vgl. insgesamt ebd., 97–103; hier 103 mit Verweis auf bJoma 5a; bSev 6a; Sifra 4,10; vgl. aber bereits Hebr 9,22). 20 Die letzten beiden Wirkweisen sind an sehr spezifische Riten gebunden, nämlich den (2) kultisch konnotierten Bundesschluss am Sinai (Ex 24; s.u. V.3.2.3.a) und (3) das nichtkultische Passaritual (Ex 12). Für Letzteres lassen sich zudem die Ursprünge der Beschneidung geltend machen (vgl. Ex 4,24–26). 21 EBERHART, Studien, 259. 22 So HARTENSTEIN, Bedeutung, 136 im Anschluss an EBERHART, Studien, 287. Es sei zudem allgemein betont, dass die jeweiligen Gebrauchskontexte und terminologisch vielfältigen Übersetzungstermini eine genaue Bedeutung von Sühne kaum ermöglichen, sodass im Kern die Blutapplikationen in ihrer Wirkweise als Reinigung verstanden werden (vgl. DERS., Kultmetaphorik, 85f.), wodurch sich eine gewisse terminologische Breite ergibt und sühnen, reinigen, heiligen weitgehend synonym verstanden werden. 23 Vgl. EBERHART, Studien, 261. 24 Vgl. EBERHART, Kultmetaphorik, 82–87; ähnlich auch GILDERS, Blood, 184–186, der jedoch von einer Absolutierung dieses Verständnisses warnt. 19
268
V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
Durch diese Differenzierung wird deutlich, dass Blut nur in bestimmten rituellen Vollzügen als Heilsmittel fungiert.25 Dies gilt insbesondere für Handlungen, in denen mit Blut Subjekte oder Objekte bestrichen werden. Davon zu trennen ist die Entsorgung des (Rest-)Blutes (terminologisch: ʪʴˇ/ਥțȤȦ), die zwar im Ritus eingebunden ist, aber keine eigenständige Wirkweise erkennen lässt. Solches Blut kann kaum als Heils-/Sühnemittel verstanden werden. Das Vergießen von Blut kann folglich nur in einem weiteren Sinne der kultischen Dimension zugeordnet werden, die gleichwohl eine weitere Deutungsmöglichkeit darstellt.26 Mit Blick auf das Mt besteht die Möglichkeit, diese Bedeutungsspektren zunächst auf die beiden Perikopen zu verteilen, sodass in Mt 23,35 das Verständnis eines gewaltsamen Todes hervortritt, während in Mt 26,28 die kultische Dimension in den Vordergrund treten könnte. Dies gilt es im Einzelnen zu prüfen.
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1) 2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
2.1. Hinführung Das vergossene Blut wird in Mt 23,35 durch įțĮȚȠȞ näherbestimmt, wodurch sich der im Mt singuläre Befund vom vergossenen gerechten Blut (ĮੈȝĮ įțĮȚȠȞ ਥțȤȣȞȞંȝİȞȠȞ) ergibt.27 Das Blutvergießen kann daher nicht für sich allein untersucht werden, sondern ist bereits in das Motiv des unschuldigen Blutes integriert. Als solches ist es in einen Begründungszusammenhang eingewoben, der sowohl die vorangehende Wehrufreihe im Allgemeinen als auch den letzten Wehruf im Speziellen in ein abschließendes Gerichtswort überführt. Die Schwellenfunktion des Motivs kommt hier am deutlichsten 25
Anders UTZSCHNEIDER, Vergebung, der auch für die Blutapplikationen in Lev 4,1– 5,13 zum Ergebnis kommt, dass Blut lediglich „Sühnezeichen“ und kein „Sühnemittel“ darstellt (vgl. ebd., 156; Hervorhebung im Original). 26 Jenseits der literarischen Zeugen wäre indes zu fragen, ob durch die virulente Tempelpraxis, wie sie in Arist 90 beschrieben ist und sich literarisch in architektonischen Vorstellungen niederschlägt (vgl. Tacitus, Hist. 5,12; 11QT 32; mJoma 5,6; mMid 3,2; zur Archäologie vgl. EBERHART, Studien, 31), die Vorstellung von Blutvergießen nicht wesentlich stärker im Alltagsleben in kultischer Hinsicht präsent war. Andererseits gilt zugleich, dass durch den geschichtlichen Kontext des römisch-jüdischen Krieges das vergossene Blut als gewaltsames Todesschicksal ebenso markant vor Augen stand (s.o.S. 188–189 Anm. 373–380). 27 Zur Gleichsetzung dieser Formulierung mit dem Motiv des unschuldigen Blutes s.o.S. 43 Anm. 9. Es sei darauf verwiesen, dass das Motiv überwiegend in dieser umfassenden Ausformulierung bezeugt ist (vgl. [ਥțȤȦ + ĮੈȝĮ] + ਕșȠȢ: 1Sam 25,31LXX; 2Kön 21,16; 24,4; 2Chr 36,5dLXX; 1Makk 1,37; 2Makk 1,8; Ps 105,38LXX; Jer 7,6; 22,3.17; TestSeb 2,2; + įțĮȚȠȢ: Spr 6,17; Jo 4,19; Klgl 4,13; + ਕȞĮIJȚȠȢ: Dtn 19,10).
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
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zum Vorschein, da mit dem gerechten Blut eindeutig der Übergang von der Auflistung des Fehlverhaltens zum Strafgericht markiert ist. Mit der Perikope verbinden sich zwei zentrale Fragestellungen. Einerseits ist der Gebrauch des Motivs hier abermals ein mt Proprium, insofern hier wohl eine Änderung des Q-Textes vorliegt. Dementsprechend gilt es im synoptischen Vergleich das mt Profil und den Gebrauch des Motivs des unschuldigen Blutes zu deuten. Damit verbunden stellt sich andererseits die Frage der Reichweite der Gerichtsdimension. Aus den bisherigen Ergebnissen wäre zu erwarten, dass auch für Mt 23,29–39 eine geschichtstheologische Dimension plausibilisiert werden kann.28 2.2. Synoptische Vorüberlegungen 2.2.1. Zur strukturellen Einbindung der Wehrufe Die Wehrufrede findet sich in Mt 23,13–36 bzw. Lk 11,37–54 und basiert vermutlich auf der gemeinsamen Spruchquelle Q, wenngleich der genaue Wortlaut nicht zu rekonstruieren ist und unterschiedliche Fassungen nicht auszuschließen sind.29 Dabei unterscheiden sich die jeweiligen Adaptionen in den Evangelien nicht nur in ihrem literarischen Setting, sondern auch in ihrem Wortlaut. Durch diese beiden Aspekte lässt sich ein jeweiliges Profil erkennen, insofern sich sowohl für das Lk als auch für das Mt spezifische Abweichungen vom rekonstruierten Text plausibilisieren lassen.30 In der lk Adaption reagieren die Wehrufe situativ auf das Unverständnis eines Pharisäers über das ausbleibende Händewaschen Jesu. Dieser Vorfall führt zu einer Generalabrechnung mit den Pharisäern, die in vier Wehrufen ausgestaltet
28 Die alternative Konzeption von Hamilton, die von Mt 23,35 ausgehend das Motiv des unschuldigen Blutes in einer kosmologischen Dimension entfaltet (s.o. I.1.2.; II.4.4.), wird an verschiedenen Stellen aufgegriffen und in ihren Grundannahmen hinterfragt. 29 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 303; FIEDLER, Mt, 350; GNILKA, Mt II, 282; HAGNER, Mt II, 665f.; KONRADT, Mt, 354; LUCK, Mt, 246; LUZ, Mt III, 318–320; SAND, Mt, 458. 30 Die jeweiligen Wehrufe sind nicht deckungsgleich. Lukas überliefert zwei Wehrufe (Lk 11,43.46), die das Mt zwar inhaltlich, aber nicht formal aufweist (vgl. DAVIES/ ALLISON, Mt III, 283). Die Rückführung der Wehrufe auf Q setzt demnach eine Einzelfalluntersuchung voraus. Zwar gilt mit WOLTER, Lk, 430: „Dass die beiden Texte überlieferungsgeschichtlich in dem Sinne miteinander verwandt sind, dass sie gemeinsame Vorfahren vom Stamme Q haben, lässt sich nicht leugnen […]. Die Fruchtlosigkeit der bisherigen überlieferungs- und redaktionsgeschichtlichen Diskussion hat ansonsten deutlich gemacht, dass es gänzlich ausgeschlossen ist, weitergehende Aussagen über die Vorstufe(n) der beiden vorliegenden Texte zu machen, die mehr sind als konsensunfähige Vermutungen.“ Um allerdings zu einer plausiblen Profilschärfung zu gelangen, wird mit der Textrekonstruktion der Reihe Documenta Q mit den drei relevanten Schriften JOLLIFFE/HARB, Woes; JOLLIFFE, Woes; JOHNSON, Judgement sowie der darauf basierenden Zusammenstellung in HOFFMANN/HEIL, Spruchquelle gearbeitet.
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
ist.31 Diesen gesellen sich drei weitere Wehrufe gegen Schriftgelehrte (ȞȠȝȚțȠ) hinzu, die auf den Einwand eines Schriftgelehrten reagieren. Der abschließende Vers lässt erkennen, dass die Rede – trotz des Aufenthalts im Haus des Pharisäers (Lk 11,37) – eine gewisse Öffentlichkeitswirkung hatte, sofern die Schriftgelehrten und Pharisäer in Lk 11,53 nicht als Teil der Mahlgemeinschaft zu verstehen sind. Führt in mikrostruktureller Betrachtung das Stichwort ĭĮȡȚıĮȠȢ zur Mahnrede, lässt sich auf makrostruktureller Ebene kein Anhaltspunkt zur Platzierung festmachen. Insgesamt fügt sich die Rede als Teil des eher „lose“ angeordneten Sonderguts in den Reisebericht (Lk 9,51–18,14) ein.32 Gegenüber den lk Wehrufen ist die mt Ausgestaltung der sieben Wehrufe als kunstvolle Komposition einer öffentlichen Mahnrede hervorzuheben. Sie bildet einerseits den Abschluss der Jerusalemer Streitgespräche zwischen den etablierten Autoritäten und Jesus (Mt 21,23–22,46), andererseits den Abschluss des öffentlichen Wirkens Jesu in Jerusalem (Mt 21,1–23,39) und somit handelt es sich um die letzte öffentliche Rede Jesu, die sich an das Volk (ȤȜȠȢ) richtet.33 Der Adressatenwechsel von Volk und Jüngern (Mt 23,1) zu Schriftgelehrten und Pharisäern (Mt 23,13) ist unerheblich, da ein Szenenwechsel erst in Mt 24,1 erfolgt und beide Personengruppen wenigstens als Zuhörer mitzudenken sind.34 Mit Bezug auf Mt 21–23 bilden die Wehrufe 31
Genauer handelt es sich um drei Wehworte gegen die Pharisäer, die mit ȠĮ eingeleitet sind (Lk 11,42.43.44), und einer vorangehenden Anklage ohne diesen Ausruf, die jedoch inhaltlich dem fünften Wehruf des Mt entspricht. Nach SCHMITHALS, Geschichte, 474f. soll so die harte Anklage des Gastgebers abgemildert werden. 32 Vgl. RUSAM, Lukasevangelium, 191; WOLTER, Lk, 366. Für SALDARINI, Delegitimation, 669 ist die Passage Ausdruck für die wachsende Feindschaft zwischen Jesus und den Autoritäten. BOVON, Lk II, 220 erwägt, dass die Mahlszene durch den ersten (lk) Wehruf inspiriert ist und das Konfliktfeld Mk 7 verarbeitet. 33 Es finden sich mehrere Indizien, die für eine Zäsur zwischen Mt 24,2 und Mt 24,3 sprechen, sodass die Wehrufrede von der eschatologischen Gerichtsrede (Mt 24,3–25,46) zu trennen ist. Zum einen bildet Mt 23 den Abschluss des Streites mit den etablierten Autoritäten im Tempel (Mt 21–22). Es wird ausdrücklich gesagt, dass seine Rede in Mt 23 an das Volk und die Jünger gerichtet ist. Der Nachklapp zum abschließenden Gerichtswort (Mt 23,37–39) in Mt 24,1f. markiert eine lokale Zäsur – Jesus verlässt den Tempel und kehrt anschließend nicht mehr zu diesem zurück. Zum anderen bildet Mt 24,3 eine personale und lokale Zäsur. Die Rede richtet sich exklusiv an die Jünger und wird auf dem Ölberg verortet (ähnlich CARLSTON/EVANS, Synagogue, 443; FIEDLER, Mt, 363; HAGNER, Mt II, 681 mit Bezug auf Mt 23,39; KONRADT, Mt, 371; LUZ, Mt III, 418; anders EBNER, Matthäusevangelium, 131, der zwar diese Differenz sieht, allerdings Mt 26,1 als Hinweis versteht, dass die beiden Reden „als zusammengehöriger Komplex“ zu lesen sind). 34 Unscharf bleibt jedoch, an wen sich die Rede primär richtet. Da sich Jesus zuvor im Streitgespräch mit den Jerusalemer Autoritäten befand, ist die Annahme einer „Endabrechnung“, nachdem er sie zum Schweigen brachte (Mt 22,46), plausibel. Denkbar wäre allerdings auch ein Adressatenwechsel mit Mt 23,1, sodass ab Mt 23,13 „das Stilmittel der Apostrophe“ vorliegt (vgl. KONRADT, Mt, 359).
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
271
somit den Höhepunkt des Streits Jesu mit den etablierten Autoritäten, weswegen sich die Wehrufe nicht nur einzeln an Pharisäer oder Schriftgelehrte richten, sondern jeweils beide (Ƞੂ ȖȡĮȝȝĮIJİȢ țĮ Ƞੂ ĭĮȡȚıĮȠȚ) als Heuchler (ਫ਼ʌȠțȡȚIJĮ) angesprochen sind.35 Da die Wehrufe zugleich den Abschluss der öffentlichen Verkündigung Jesu (Mt 4,17–23,39) markieren, korrespondiert diese letzte öffentliche Rede in Form der Wehrufe mit der Eröffnung der ersten öffentlichen Rede – den Makarismen der Bergpredigt (Mt 5,3–12).36 Unter diesem Aspekt finden sich verschiedene intratextuelle Referenzen,37 wobei das Motiv der Verfolgung bzw. Bedrängnis der Propheten die deutlichste Parallele bildet (Mt 5,11f.; 23,30f.34f.). Die Abrechnung mit seinen Gegnern unter der Perspektive der Leidensnachfolge ist offenbar das Letzte, was Jesus dem Volk zu sagen hat. Den Wehrufen kommt im Mt folglich ein großes Gewicht zu. Die Struktur des 23. Kapitels wird meist als eine typisch mt Dreiteilung bestimmt.38 Der erste Block in Mt 23,1–12 stellt eine allgemeine Warnung des Volkes und der Jünger vor den Schriftgelehrten und Pharisäern dar.39 Im zweiten Block (Mt 23,13–36) folgen die sieben Wehrufe. Das Kapitel schließt mit einem Gerichtswort als dritter Block (Mt 23,37–39). Die Gliederung der sieben Wehrufe ist im Detail umstritten. Konsensfähig erscheint die Zuordnung der beiden ersten Wehrufe, die sich am „Verhältnis der Schriftgelehrten und Pharisäer zu den anderen Menschen und deren Heil“ abarbeiten.40 Häufig werden der dritte und vierte Wehruf verbunden, welche halachische Fehlgänge im Blick haben.41 Für die letzten drei Wehrufe finden sich verschiedene Zuordnungen. Einerseits stellt das Reinhalten der Gefäße im fünften 35 Eine Ausnahme stellt der dritte Wehruf dar, der sich an „die blinden Führer“ richtet (vgl. LUZ, Mt III, 317.325–329). ਫ਼ʌȠțȡȚIJȢ erscheint als mt Vorzugswort, insofern 13 der 17 neutestamentlichen Belege im Mt zu finden sind. Näheres zum Hintergrund des Wortes findet sich bei DAVIES/ALLISON, Mt I, 580f.; LUZ, Mt III, 321. Im Wesentlichen wird mit diesem Terminus gegen die Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit bzw. Schein und Sein polemisiert. 36 Eine Zusammenstellung von Makarismen und Wehrufen kennt auch Lk 6,20–23.24– 26 (Weiteres s.o.S. 135 Anm. 80). Die Wehrufe der Feldrede sind jedoch von den späteren Wehrufen gegen die Pharisäer getrennt und verschieden (vgl. FRANKEMÖLLE, Handlungsanweisungen, 168f.); zudem sind sie dem mt Kreis offenbar unbekannt. 37 Vgl. KAMPEN, Matthew, 160–168. 38 Vgl. KONRADT, Mt, 353; DAVIES/ALLISON, Mt III, 257 mit der in Anm. 2 aufgeführten Literatur. 39 Hierin ist der Vorwurf der Heuchelei bereits angelegt, insofern ihr Auftreten von ihrem Tun unterschieden wird (Mt 23,2–7). Deren Streben nach Aufmerksamkeit und Ehrung wird zudem das Niedrigkeitsethos in Mt 23,8–12 entgegengesetzt (zu diesem vgl. GUTTENBERGER ORTWEIN, Status, 201). 40 LUZ, Mt III, 317. Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 282; KONRADT, Mt, 359. 41 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 282; FIEDLER, Mt, 350; FRANCE, Mt, 868; LUZ, Mt III, 317; HAGNER, Mt II, 666.
272
V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
Wehruf eine halachische Praxis dar und könnte den beiden vorangehenden Wehrufen zugeordnet werden.42 Andererseits lässt sich der sechste Wehruf als Fortführung des Gegensatzpaares „innen – außen“ ebenfalls an den fünften Wehruf zurückbinden.43 Aufgrund der Stichwortverknüpfung durch IJijȠȢ (und įțĮȚȠȢ), ist eine Trennung des siebten und sechsten Wehrufs nur schwer möglich. Es finden sich aber inhaltliche Gründe für eine Trennung des fünften und sechsten Wehrufes, trotz der Stichwortverknüpfung ȟȦșİȞ – ıȦșİȞ. In den mittleren Wehrufen (3–5) wird die halachische Praxis zwar in ihren Intentionen kritisiert, aber nicht grundsätzlich.44 Eine grundsätzliche Abrogation findet sich in den ersten und letzten beiden Wehrufen.45 Darüber hinaus wird „das Motiv der ‚Blindheit‘“ nur in den drei mittleren Wehrufen gebraucht, sodass hier eine Stichwortverknüpfung in der Anklage vorliegt.46 Daher ist der Gliederung 2 + 3 + 2 der Vorzug zu geben. Unabhängig von der Frage der Gliederung ist auffällig, dass den Wehrufen ein Moment der Steigerung inhärent ist.47 Dies zeigt sich nicht zuletzt am zunehmenden Umfang und der gesteigerten Komplexität der Wehrufe.48 Dass hier ein komparativer Aufbau vorliegt, ergibt sich zudem aus dem formgeschichtlichen Abgleich. Wehrufreihen sind als Proprium der Schriften Israels anzusehen, wobei das prophetische Scheltwort stets mit einer Gerichtsankündigung verbunden war,49 wodurch die Erwartungshaltung der Leser und Hörer vorgeprägt ist. Indem der mt Kreis das Gerichtswort erst nach dem siebten Wehruf platziert, erfolgt ein Spannungsaufbau, der die Unausweichlichkeit dieses Gerichts unterstreicht.50 Der siebte Wehruf bildet folglich den Höhepunkt der mt 42
Die Gliederung der Wehrufe entspräche demnach 2 + 3 + 2. Vgl. KONRADT, Mt, 359; LUZ, Mt III, 317; NOLLAND, Mt, 932; POPLUTZ, Mt, 229. 43 Die Gliederung der Wehrufe entspräche demnach 2 + 2 + 2 + 1. Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 282; FIEDLER, Mt, 350; FRANCE, Mt, 868; HAGNER, Mt II, 666f. Zur Stichwortverknüpfung țĮșĮȡȗȦ – ਕțĮșĮȡıĮ vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 299. 44 Vgl. POPLUTZ, Mt, 229. 45 Vgl. LUZ, Mt III, 317. 46 Vgl. FIEDLER, Mt, 350; NOLLAND , Mt, 938. POPLUTZ, Mt, 229 bindet die Signifikanz des Gebrauchs von IJȣijȜંȢ in Mt 23,16f.19.24.26 an die „fundamentale Unkenntnis der Schrift“ seitens der etablierten Autoritäten zurück (mit Verweis auf Mt 15,14; 12,3–7; 19,14; 21,16.42; 22,41–46). 47 Wie u.a. SIMMONDS, Woe, 338f. anmerkt, setzt das Crescendo bereits mit den Streitgesprächen in Mt 21 ein und wächst bis zu den Wehrufen an. 48 Vgl. LUZ, Mt III, 317, wobei mit ihm einschränkend zu bemerken ist, dass der dritte Wehruf diesem Trend entgegensteht. 49 Vgl. LUZ, Mt III, 316. Auf Basis des TLG wird ȠĮ zeitlich vor dem NT – neben wenigen Belegen bei Äsop (6. Jahrhundert v.Chr.) – lediglich in der LXX und der Henochliteratur verwendet. Eine zeitgenössische Verwendung findet sich in frühchristlicher Literatur, jüdischen bzw. frühchristlichen Pseudepigraphien, Josephus, den Vitae Aesopi, Epiktet und Aelius Herodianus. 50 Vgl. LUZ, Mt III, 317.
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
273
Komposition. Aus diesem resultiert einerseits eine Gerichtsbegründung, die auf die etablierten Autoritäten abzielt und daher mit den Wehrufen zusammenzubinden ist (Mt 23,34–36), andererseits leitet dieser zu einem allgemeinen Gerichtswort über, welches pauschal Jerusalem anspricht. Der Übergang zwischen den beiden letzten Blöcken in Mt 23 ist daher fließend.51 Zum weiteren Verständnis des Blutmotivs in Mt 23,35 genügt es daher, die beiden letzten Wehrufe eingehender zu betrachten und diese mit der Gerichtsaussage in Verbindung zu setzen. Im Folgenden werden nun die zentralen Passagen nebeneinandergestellt und erste Beobachtungen festgehalten, wobei die Gegenüberstellung vom Mt und Lk unter Zuhilfenahme der Rekonstruktion von Q die Ausgangsbasis für die exegetischen Einzelbetrachtungen der mt Verse darstellt.52 2.2.2. Erste Beobachtungen a) Mt 23,27f./Lk 11,44 Mt 23,27f. ȅރĮބ ޥȝ߿Ȟ, ȖȡĮȝȝĮIJİȢ țĮ ĭĮȡȚıĮȠȚ ਫ਼ʌȠțȡȚIJĮ, ݼIJȚ ʌĮȡȠȝȠȚȗİIJİ IJijȠȚȢ țİțȠȞȚĮȝȞȠȚȢ, ȠIJȚȞİȢ ȟȦșİȞ ȝȞ ijĮȞȠȞIJĮȚ ੪ȡĮȠȚ, ıȦșİȞ į ȖȝȠȣıȚȞ ੑıIJȦȞ ȞİțȡȞ țĮ ʌıȘȢ ਕțĮșĮȡıĮȢ. 28 ȠIJȦȢ țĮ ਫ਼ȝİȢ ȟȦșİȞ ȝȞ ijĮȞİıșİ IJȠȢ ਕȞșȡઆʌȠȚȢ įțĮȚȠȚ, ıȦșİȞ į ਥıIJİ ȝİıIJȠ ਫ਼ʌȠțȡıİȦȢ țĮ ਕȞȠȝĮȢ. 27
Q 11,44 ȅރĮބ ޥȝ߿Ȟ, [[IJȠȢ ĭĮȡȚıĮȠȚȢ,]]
Lk 11,44 ȅރĮބ ޥȝ߿Ȟ,
ݼIJȚ [[ਥı]]IJ [[੪Ȣ]] IJ ȝȞȘȝİĮ IJ ਙįȘȜĮ,
ݼIJȚ ਥıIJ ੪Ȣ IJ ȝȞȘȝİĮ IJ ਙįȘȜĮ,
țĮ Ƞੂ ਙȞșȡȦʌȠȚ [Ƞੂ] ʌİȡȚʌĮIJȠ૨ȞIJİȢ ਥʌȞȦ Ƞț ȠįĮıȚȞ.
țĮ Ƞੂ ਙȞșȡȦʌȠȚ [Ƞੂ] ʌİȡȚʌĮIJȠ૨ȞIJİȢ ਥʌȞȦ Ƞț ȠįĮıȚȞ.
Im sechsten Wehruf liegen nur partielle Berührungspunkte zwischen der mt und lk Fassung vor.53 Diese reduzieren sich auf den Vergleich der Adressaten 51 Eine Differenzierung ist jedoch dadurch gegeben, dass der Ausspruch über Jerusalem in Q unverbunden mit den Wehrufen stand, wie dies von Lk 13,34f. tradiert wurde (vgl. HOFFMANN/HEIL, Spruchquelle, 92f.). Die Zusammenstellung ist demnach mt (vgl. LUZ, Mt III, 318). 52 Zur Übersicht wird auf die Rekonstruktion von Q bei HOFFMANN/HEIL, Spruchquelle zurückgegriffen. 53 Vgl. HAGNER, Mt II, 666.
274
V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
mit Gräbern und deren Beziehung zu ihren Mitmenschen. Während in Q/Lk die Spitze offenbar in der Gefahr einer (versehentlichen) ethischen Verunreinigung durch den Umgang mit den Pharisäern liegt,54 wird im Mt der Fokus auf „Schein und Sein“ gelegt (vgl. Mt 23,1–7).55 Die marginalen Berührpunkte zeigen einen kreativen Prozess an, welcher die Topoi „innen – außen“ des vierten Wehrufs (vgl. auch Q 11,39f.) und „Schein – Sein“ des zweiten lk Wehrufs gegen die Pharisäer (Q 11,43) miteinander verbindet und in diese Vorlage (Q 11,44) einbezieht. b) Mt 23,29–33/Lk 11,47f. Mt 23,29–33 ȅރĮބ ޥȝ߿Ȟ, ȖȡĮȝȝĮIJİȢ țĮ ĭĮȡȚıĮȠȚ ਫ਼ʌȠțȡȚIJĮ, ݼIJȚ ȠݧțȠįȠȝİ߿IJİ IJȠઃȢ IJijȠȣȢ IJࠛȞ ʌȡȠijȘIJࠛȞ țĮ țȠıȝİIJİ IJ ȝȞȘȝİĮ IJȞ įȚțĮȦȞ, 30 țĮ ȜȖİIJİ· İੁ ਵȝİșĮ ਥȞ IJĮȢ ਲȝȡĮȚȢ IJȞ ʌĮIJȡȦȞ ਲȝȞ, Ƞț ਗȞ ਵȝİșĮ ĮIJȞ țȠȚȞȦȞȠ ਥȞ IJ ĮȝĮIJȚ IJȞ ʌȡȠijȘIJȞ. 31 ੮ıIJİ ȝĮȡIJȣȡİIJİ ਦĮȣIJȠȢ IJȚ ȣੂȠ ਥıIJİ IJȞ ijȠȞİȣıȞIJȦȞ IJȠઃȢ ʌȡȠijIJĮȢ. 32 țĮ ਫ਼ȝİȢ ʌȜȘȡઆıĮIJİ IJઁ ȝIJȡȠȞ IJࠛȞ ʌĮIJޢȡȦȞ ބȝࠛȞ. 33 ijİȚȢ, ȖİȞȞȝĮIJĮ ਥȤȚįȞȞ, ʌȢ ijȖȘIJİ ਕʌઁ IJોȢ țȡıİȦȢ IJોȢ ȖİȞȞȘȢ; 29
Q 11,47f. ȅރĮބ ޥȝ߿Ȟ,
Lk 11,47f. 47 ȅރĮބ ޥȝ߿Ȟ,
ݼIJȚ ȠݧțȠįȠȝİ߿IJİ IJ ȝȞȘȝİĮ IJࠛȞ ʌȡȠijȘIJࠛȞ,
ݼIJȚ ȠݧțȠįȠȝİ߿IJİ IJ ȝȞȘȝİĮ IJࠛȞ ʌȡȠijȘIJࠛȞ,
Ƞੂ į ʌĮIJȡİȢ ਫ਼ȝȞ ਕʌțIJİȚȞĮȞ ĮIJȠȢ.
Ƞੂ į ʌĮIJȡİȢ ਫ਼ȝȞ ਕʌțIJİȚȞĮȞ ĮIJȠȢ.
48
48
47
… ȝĮȡIJȣȡ[[İIJİ ਦĮȣIJȠȢ IJȚ ȣੂȠ]] ਥıIJİ IJࠛȞ ʌĮIJޢȡȦȞ ބȝࠛȞ. …
ਙȡĮ ȝȡIJȣȡȢ ਥıIJİ țĮ ıȣȞİȣįȠțİIJİ IJȠȢ ȡȖȠȚȢ IJࠛȞ ʌĮIJޢȡȦȞ ބȝࠛȞ, IJȚ ĮIJȠ ȝȞ ਕʌțIJİȚȞĮȞ ĮIJȠȢ, ਫ਼ȝİȢ į ȠੁțȠįȠȝİIJİ.
Der rekonstruierte Kern zeichnet sich durch den Vorwurf aus, dass der Aufbau von Prophetengräbern im Widerspruch zur eigenen Abstammung von Prophetenmördern steht. Während im Lk der Gegensatz von Bauen und Töten hervorgehoben wird, zeigt sich im Mt eine andere Zuspitzung: die genetisch 54
Vgl. LUZ, Mt III, 340f. Vgl. KONRADT, Mt, 362f. Eine überzeugende Motivanalyse zu den „getünchten Gräbern“ wurde von LAU, Grabmäler vorgelegt. Die weißen und schönen Grabmäler lassen das Davidsgrab in Jerusalem bzw. die Patriarchengräber in Hebron assoziieren, welche von Herodes mit „weißem Stein“ bzw. „schönem Marmor“ aufgehübscht wurden (Flav.Jos.Ant. XVI 182; Flav.Jos.Bell. IV 531f.). Die mt Fassung hat demnach eine andere Vorstellung von weißen Gräbern im Blick als die lk und bereitet so den siebten Wehruf vor. 55
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
275
bedingte Aktualisierung der prophetenmordenden Existenz. In beiden Fassungen steht jedoch das dtr Motiv vom gewaltsamen Geschick der Propheten im Hintergrund.56 Auf der mt Textoberfläche bleibt hingegen die ausgesagte Distanzierung der Angesprochenen erklärungsbedürftig, da diese nur schwer eine gleichzeitige Identifikation mit den Vätern, d.h. mit den Distanzierten, rechtfertigt.57 Im Hintergrund dürfte abermals der Widerspruch von Schein und Sein stehen,58 der allerdings erst mit der fortführenden Begründung der „Unheilsankündigung“59 deutlich wird. Als eigenständige Eintragung ist der Topos des Sündenmaßes zu verstehen,60 wohingegen die abschließende Gerichtsankündigung mit Mt 3,7 korrespondiert. c) Mt 23,34–36/Lk 11,49–51 Mt 23,34–36 ǻȚ ޟIJȠࠎIJȠ ੁįȠઃ ਥȖઅ ਕʌȠıIJȜȜȦ ʌȡઁȢ ਫ਼ȝ઼Ȣ ʌȡȠijޤIJĮȢ țĮޥ ıȠijȠઃȢ țĮ ȖȡĮȝȝĮIJİȢ· ȟ ĮރIJࠛȞ ਕʌȠțIJİȞİIJİ țĮ ıIJĮȣȡઆıİIJİ țĮ ਥȟ ĮIJȞ ȝĮıIJȚȖઆıİIJİ ਥȞ IJĮȢ ıȣȞĮȖȦȖĮȢ ਫ਼ȝȞ țĮ įȚઆȟİIJİ ਕʌઁ ʌંȜİȦȢ İੁȢ ʌંȜȚȞ· 35 ʌȦȢ Ȝșૉ ਥijૃ ਫ਼ȝ઼Ȣ ʌ઼Ȟ ĮݮȝĮ įțĮȚȠȞ țȤȣȞȞިȝİȞȠȞ ਥʌ IJોȢ ȖોȢ 34
56
Q 11,49–51 49 įȚ ޟIJȠࠎIJȠ țĮ ਲ ıȠijĮ … İੇʌİȞ· ਕʌȠıIJİȜ [[ʌȡઁȢ]] ĮIJȠઃȢ ʌȡȠijޤIJĮȢ țĮޥ ıȠijȠઃȢ, țĮ ȟ ĮރIJࠛȞ ਕʌȠțIJİȞȠ૨ıȚȞ
Lk 11,49–51 įȚ ޟIJȠࠎIJȠ țĮ ਲ ıȠijĮ IJȠ૨ șİȠ૨ İੇʌİȞ· ਕʌȠıIJİȜ İੁȢ ĮIJȠઃȢ ʌȡȠijޤIJĮȢ țĮޥ ਕʌȠıIJંȜȠȣȢ, țĮ ȟ ĮރIJࠛȞ ਕʌȠțIJİȞȠ૨ıȚȞ
țĮ įȚઆȟȠȣıȚȞ,
țĮ įȚઆȟȠȣıȚȞ,
50
50
[[ȞĮ]] ਥțȗȘIJȘșૌ IJާ ĮݮȝĮ ʌȞIJȦȞ IJȞ ʌȡȠijȘIJȞ IJާ țțİȤȣȝޢȞȠȞ ਕʌઁ țĮIJĮȕȠȜોȢ țંıȝȠȣ ਕʌઁ IJોȢ ȖİȞİ઼Ȣ IJĮIJȘȢ,
49
ȞĮ ਥțȗȘIJȘșૌ IJާ ĮݮȝĮ ʌȞIJȦȞ IJȞ ʌȡȠijȘIJȞ IJާ țțİȤȣȝޢȞȠȞ ਕʌઁ țĮIJĮȕȠȜોȢ țંıȝȠȣ ਕʌઁ IJોȢ ȖİȞİ઼Ȣ IJĮIJȘȢ,
Zu diesem Topos s.o.S. 52–55. Eine solche Identifikation generiert Lukas durch die Formulierung ıȣȞİȣįȠțİIJİ IJȠȢ ȡȖȠȚȢ IJȞ ʌĮIJȡȦȞ ਫ਼ȝȞ (vgl. LUZ, Mt III, 344), wenngleich diese sachlogisch ebenfalls querliegt. 58 Vgl. KONRADT, Mt, 363. 59 LUZ, Mt III, 367. 60 Vgl. KONRADT, Mt, 364. Die Vorstellung eines sich füllenden Sündenmaßes ist breit in der frühjüdischen und frühchristlichen Literatur bezeugt: Gen 15,16; 2Makk 6,14f.; Jub 29,11; LibAnt 3,3; 26,13; 36,1; 41,1; 47,9; 1Thess 2,16; Barn 5,11; EvPetr 5,17 (vgl. DERS., Israel, 247 Anm. 338). 57
276
V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
ܻʌާ IJȠࠎ ĮݬȝĮIJȠȢ ݈ȕİȜ IJȠ૨ įȚțĮȠȣ ݐȦȢ IJȠࠎ ĮݬȝĮIJȠȢ ǽĮȤĮȡަȠȣ ȣੂȠ૨ ǺĮȡĮȤȠȣ, Ȟ ਥijȠȞİıĮIJİ ȝİIJĮȟީ IJȠ૨ ȞĮȠ૨ țĮ IJȠࠎ șȣıȚĮıIJȘȡަȠȣ. 36
ਕȝȞ ȜޢȖȦ ބȝ߿Ȟ, ਸ਼ȟİȚ IJĮ૨IJĮ ʌȞIJĮ ਥʌ IJȞ ȖİȞİȞ IJĮIJȘȞ.
51
ܻʌާ ĮݬȝĮIJȠȢ ݈ȕİȜ ݐȦȢ ĮݬȝĮIJȠȢ ǽĮȤĮȡަȠȣ IJȠ૨ ਕʌȠȜȠȝȞȠȣ
51
ȝİIJĮȟީ IJȠࠎ șȣıȚĮıIJȘȡަȠȣ țĮ IJȠ૨ ȠțȠȣ· ȞĮ ȜޢȖȦ ބȝ߿Ȟ, ਥțȗȘIJȘșıİIJĮȚ ਕʌઁ IJોȢ ȖİȞİ઼Ȣ IJĮIJȘȢ.
ȝİIJĮȟީ IJȠࠎ șȣıȚĮıIJȘȡަȠȣ țĮ IJȠ૨ ȠțȠȣ· ȞĮ ȜޢȖȦ ބȝ߿Ȟ, ਥțȗȘIJȘșıİIJĮȚ ਕʌઁ IJોȢ ȖİȞİ઼Ȣ IJĮIJȘȢ.
ܻʌާ ĮݬȝĮIJȠȢ ݈ȕİȜ ݐȦȢ ĮݬȝĮIJȠȢ ǽĮȤĮȡަȠȣ IJȠ૨ ਕʌȠȜȠȝȞȠȣ
Die markantesten mt Abweichungen in diesem Abschnitt sind die Änderung des Sprechers von der Weisheit (Gottes) zu Jesus selbst und die präsentische Sendung der Boten.61 Darüber hinaus stellt sich der Umfang der Bedrängnisund Verfolgungssituation der Gesandten62 als Angleichung an das Geschick Jesu dar.63 Im Fokus steht weiterhin das gewaltsame Geschick der Propheten, 61
Die argumentative Stellung von įȚ IJȠ૨IJȠ gepaart mit dem präsentischen ਕʌȠıIJȜȜȦ ist an Polemik kaum zu überbieten: „Die Jünger werden nicht nur trotz der vorausgehenden Verfolgung gesandt (vgl. 10,16–25), sondern geradezu wegen der Verfolgung, damit auf diese Weise das Sündenmaß der ‚Väter‘ der Schriftgelehrten über sie hereinbrechen kann (V.33.35)“ (KONRADT, Mt, 364; Hervorhebungen im Original). 62 Es ist wahrscheinlich, dass Q ursprünglich von ʌȡȠijIJĮȢ țĮ ıȠijȠȢ sprach (vgl. KONRADT, Mt, 364; LUZ, Mt III, 368; NOLLAND, Mt, 944; TIWALD, Logienquelle, 58). Lukas ersetzte die Weisen durch Apostel, an welchen er insgesamt ein besonderes Interesse zeigt (anders u.a. GUNDRY, Mt, 469; STECK, Israel, 29f., die ਕʌંıIJȠȜȠȢ für ursprünglich halten), während der mt Kreis die für ihn wichtigen Schriftgelehrten ergänzte, ohne die Weisen, welche wohl im Trägerkreis von Q wichtig waren, zu streichen. LUZ, Mt III, 370 erwägt, dass der mt Kreis die ȖȡĮȝȝĮIJİȢ synonym zu ıȠijȠ verstand und entsprechend ergänzte. Insgesamt scheinen damit die jeweiligen Bezeichnungen der Boten auf die Ämtervorstellungen der Evangelien durchlässig zu sein. 63 Vgl. LUZ, Mt III, 368 mit Verweis auf die intratextuellen Referenzen auf Mt 10,17.23; 20,19. Deutlich wird dies insbesondere an ıIJĮȣȡઆıİIJİ, welches einerseits auf den Kreuzestod Jesu anspielt, andererseits hyperbolisch zu verstehen ist (vgl. BECKER, Zerstörung, 67). Selbst wenn bspw. das mögliche Kreuzesschicksal Petri mitzudenken ist (vgl. Eus.h.e. III 1,2; Joh 21,18f.; 13,36), ist diese Todesart an Christusgläubigen durchweg von Römern praktiziert worden; die wenigen zeitgenössischen Tötungen von Christusgläubigen im „jüdischen“ Kontext erfolgen in anderen Formen (vgl. Apg 7,58f.; 12,2; Flav.Jos.Ant. XX 200). Aussageabsicht scheint die Betonung einer Schicksalsgemeinschaft zwischen Jesus und seinen Boten zu sein, die entweder in real erlittener Drangsal (bspw. Synagogenstrafen) oder der allgemeinen Kenntnis frühchristlicher Martyrien gründet. Demnach besteht ein Restzweifel, ob es sich bei der Darstellung insgesamt um eine historische Reminiszenz (vgl. COHEN, Matthew, 292) resp. Kontingenzbewältigung oder eine „theol[ogische] Aussage“ handelt (vgl. SAND, Mt, 473, der für Letzteres votiert), wenngleich die Schicksalsgemeinschaft als solche wenigstens für die Kommunikationssituation des Evangeliums Plausibilität besessen haben muss.
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
277
welches in diesem Abschnitt jedoch nur in Q/Lk eigens pointiert wird (IJઁ ĮੈȝĮ ʌȞIJȦȞ IJȞ ʌȡȠijȘIJȞ). Im Mt kommt hingegen das Motiv des unschuldigen Blutes zu stehen.64 Die mt Charakterisierungen der Figuren werden kontrovers diskutiert und insbesondere unter V.2.4.3 erörtert. Auf den ersten Blick fällt zudem auf, dass Lukas die prophetische Akzentuierung mit einem kosmologischen Impetus verbindet (ਕʌઁ țĮIJĮȕȠȜોȢ țંıȝȠȣ),65 während der mt Kreis die kosmologische Dimension auszublenden scheint. d) Mt 23,37–39/Lk 13,34f. Mt 23,37–39 37 ݯİȡȠȣıĮȜޣȝ ݯİȡȠȣıĮȜޤȝ, ݘ ܻʌȠțIJİަȞȠȣıĮ IJȠީȢ ʌȡȠijޤIJĮȢ țĮޥ ȜȚșȠȕȠȜȠࠎıĮ IJȠީȢ ܻʌİıIJĮȜȝޢȞȠȣȢ ʌȡާȢ ĮރIJޤȞ, ʌȠıޠțȚȢ ݗșޢȜȘıĮ ਥʌȚıȣȞĮȖĮȖİȞ IJ ޟIJޢțȞĮ ıȠȣ, ݺȞ IJȡިʌȠȞ ݻȡȞȚȢ ਥʌȚıȣȞȖİȚ IJ ȞȠııަĮ ĮIJોȢ ބʌާ IJޟȢ ʌIJޢȡȣȖĮȢ, țĮ ޥȠރț ݗșİȜޤıĮIJİ. 38
ݧįȠީ ܻijަİIJĮȚ ބȝ߿Ȟ ݸ ȠݭțȠȢ ބȝࠛȞ ȡȘȝȠȢ. 39 ȜޢȖȦ Ȗȡ ބȝ߿Ȟ, Ƞ ރȝޤ ȝİ ݫįȘIJİ ਕʌૃ ਙȡIJȚ ݐȦȢ ਗȞ İݫʌȘIJİ· İރȜȠȖȘȝޢȞȠȢ ݸ ȡȤިȝİȞȠȢ Ȟ ݷȞިȝĮIJȚ țȣȡަȠȣ.
Q 13,34f. 34 ݯİȡȠȣıĮȜޣȝ ݯİȡȠȣıĮȜޤȝ, ݘ ܻʌȠțIJİަȞȠȣıĮ IJȠީȢ ʌȡȠijޤIJĮȢ țĮޥ ȜȚșȠȕȠȜȠࠎıĮ IJȠީȢ ܻʌİıIJĮȜȝޢȞȠȣȢ ʌȡާȢ ĮރIJޤȞ, ʌȠıޠțȚȢ ݗșޢȜȘıĮ ਥʌȚıȣȞĮȖĮȖİȞ IJ ޟIJޢțȞĮ ıȠȣ, ݺȞ IJȡިʌȠȞ ݻȡȞȚȢ ਥʌȚıȣȞȖİȚ IJ[[]] ȞȠııަĮ ĮIJોȢ ބʌާ IJޟȢ ʌIJޢȡȣȖĮȢ, țĮ ޥȠރț ݗșİȜޤıĮIJİ. 35 ݧįȠީ ܻijަİIJĮȚ ބȝ߿Ȟ ݸ ȠݭțȠȢ ބȝࠛȞ. ȜޢȖȦ .. ބȝ߿Ȟ, Ƞ ރȝޣ ݫįȘIJ ޢȝİ ݐȦȢ [[ਸ਼ȟİȚ IJİ]] İݫʌȘIJİ· İރȜȠȖȘȝޢȞȠȢ ݸ ȡȤިȝİȞȠȢ Ȟ ݷȞިȝĮIJȚ țȣȡަȠȣ.
Lk 13,34f. 34 ݯİȡȠȣıĮȜޣȝ ݯİȡȠȣıĮȜޤȝ, ݘ ܻʌȠțIJİަȞȠȣıĮ IJȠީȢ ʌȡȠijޤIJĮȢ țĮޥ ȜȚșȠȕȠȜȠࠎıĮ IJȠީȢ ܻʌİıIJĮȜȝޢȞȠȣȢ ʌȡާȢ ĮރIJޤȞ, ʌȠıޠțȚȢ ݗșޢȜȘıĮ ਥʌȚıȣȞȟĮȚ IJޟ IJޢțȞĮ ıȠȣ ݺȞ IJȡިʌȠȞ ݻȡȞȚȢ IJȞ ਦĮȣIJોȢ ȞȠııȚޟȞ ބʌާ IJޟȢ ʌIJޢȡȣȖĮȢ, țĮ ޥȠރț ݗșİȜޤıĮIJİ. 35
ݧįȠީ ܻijަİIJĮȚ ބȝ߿Ȟ ݸ ȠݭțȠȢ ބȝࠛȞ. ȜޢȖȦ [į] ބȝ߿Ȟ, Ƞ ރȝޣ ݫįȘIJ ޢȝİ ݐȦȢ [ਸ਼ȟİȚ IJİ] İݫʌȘIJİ· İރȜȠȖȘȝޢȞȠȢ ݸ ȡȤިȝİȞȠȢ Ȟ ݷȞިȝĮIJȚ țȣȡަȠȣ.
Die Klage über Jerusalem als Höhepunkt des Wehrufkapitels zeichnet sich insbesondere durch die hohe sprachliche Kohärenz aus.66 Die wenigen mt Eigenheiten fallen kaum ins Gewicht. Festzuhalten ist hingegen, dass die 64
S.u. V.2.6. Für Q ist davon auszugehen, dass dieses Gerichtswort auf das eschatologische Endgericht hin zugespitzt war (vgl. LUZ, Mt III, 370). Während Lukas dies durch die wörtliche Aufnahme ebenfalls suggeriert, scheint im Mt durch den Wegfall der kosmologischen Dimension eine andere Kontextualisierung vorzuliegen (s.u. V.2.5.). 66 Vgl. MILLER, Rejection, 233. 65
278
V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
Zusammenstellung dieser Klage mit den Wehrufen auf den mt Kreis zurückgeht.67 Dadurch werden die in Q verstreuten Elemente zum dtr Motiv des gewaltsamen Geschicks der Propheten miteinander verbunden.68 Zuletzt ist der jeweils unterschiedliche Ort des Logion im Evangelium hervorzuheben. Das Psalmzitat des Gerichtswortes erscheint in beiden Evangelien auch beim Einzug Jesu in Jerusalem. Da im Lk dieser nach dem Wort über Jerusalem zu stehen kommt (Lk 19,38) könnte das Logion in diesem Evangelium auf die Ankunft Jesu in Jerusalem vorausblicken. Im Mt wiederum wird der Einzug vor den Wehrufen erzählt (Mt 21,9), sodass sich zwar eine Klammer hinsichtlich Jesu öffentlichen Wirkens in Jerusalem ergibt, Zeit und Ort des erneuten Ausrufs des Psalmzitats jedoch unbestimmt sind.69 2.3. Das matthäische Profil des letzten Wehrufs Die Wehrufreihe arbeitet sich insgesamt am Topos der Heuchelei ab, insofern durchweg der Widerspruch zwischen dem Sein der Schriftgelehrten und Pharisäer und deren Selbstdarstellung nach außen herausgestellt wird.70 Die ersten Vorwürfe betreffen deren Selbstdarstellung als keyholder zum Heil. Von ihnen wird eine Art repräsentative Schlüsselfunktion an der Schnittstelle – sowohl innerjüdisch als auch an den Rändern – behauptet, wobei sie jeweils dem Gegenüber den Zugang zum Himmelreich versperren. Die nächsten drei Wehrufe zielen auf das Verhalten dieser Autoritäten innerhalb der jüdischen Gemeinschaft ab, worin die Diskrepanz zwischen deren Tun und Sollen zum Ausdruck kommt. Die letzten beiden Wehrufe greifen nun das Wesen der Schriftgelehrten und Pharisäer an, das durch die Diskrepanz von Sein und Schein, d.h. Heuchelei, bestimmt ist.71 In dieser Hinsicht lässt sich eine Be67
Zur Diskussion vgl. LUZ, Mt III, 377f. Trotz der redaktionellen Arbeit ist eine solche Zusammenstellung angesichts der sprachlichen Marker naheliegend; ebd., 368 verweist auf ʌȡȠijોIJĮȚ, ਕʌȠțIJİȞȦ und ਕʌȠıIJȜȜȦ ʌȡંȢ. 68 Vgl. KONRADT, Deutung, 227. Darüber hinaus weist das Motiv auf die ParabelTrilogie zurück, was nochmals die kompositorische Gesamtanlage unterstreicht (s.u. V. Exkurs 3). Eine ähnliche redaktionelle Arbeit kann indes auch bei Lukas vermutet werden, insofern hier Jerusalem-Worte miteinander verknüpft sind (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 312). 69 S.u. V.2.7. 70 Vgl. POPLUTZ, Mt, 229; anders SAND, Mt, 461, der den Konflikt in die Frage nach der rechten Gesetzesauslegung verortet. 71 Ähnlich SALDARINI, Delegitimation, 673. Im Anschluss an die Begriffsunterscheidungen bei KOSTER, Invektive könnte hier ein Übergang von Polemik zu Invektive festgehalten werden. Während v.a. die drei mittleren Wehrufe als aggressiv geführter Sachstreit und damit als Polemik verstehbar sind, zielen die letzten beiden Wehrufe ganz auf „die vernichtende Herabsetzung“ (ebd., 40) der Pharisäer und Schriftgelehrten und spielen so im Register der Invektive. Koster selbst versteht Mt 23 als polemischen Angriff mit invektivischer Würzung, wobei er v.a. auf die Bezeichnungen Heuchler, blinde Wegführer, Dummköpfe und Natterngezücht verweist (ebd., 49f.).
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
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wegung von außen nach innen beobachten. Der sechste Wehruf erweist sich daher als eine Schnittstelle, welche vom heuchlerischen Tun zum heuchlerischen Sein überleitet. Diese Grundaussage zum Wesen der Pharisäer und Schriftgelehrten bildet den Auftakt des siebten Wehrufs. In diesem wird das „wahre Sein“ der Autoritäten in eine geschichtliche Dimension eingebunden, insofern sie sich selbst in die Reihe der Prophetenmörder durch das Verwandtschaftsverhältnis einordnen.72 Durch die Verfolgung und Tötung der Jesusboten agieren die Angesprochenen („dieses Geschlecht“73) gleich einem Geschlecht von Prophetenmördern;74 wie ihre Väter zuvor füllen sie in dieser Kontinuität das Sündenmaß.75 Von besonderer Bedeutung ist folglich die Parallelisierung der Jesusboten mit den biblischen Propheten und deren Geschick sowie der aktuellen Autoritäten mit den vorherigen, die das blutige Geschick der Propheten verantworteten.76 Der siebte Wehruf samt seiner Begründung scheint die Tatsache eines bereits erfolgten innerweltlichen Gerichts der Vätergeneration auszublenden (722 bzw. 587 v.Chr.), um so die gesamte Sündengeschichte auf ein – in der erzählten Welt – noch ausstehendes Gericht hin zu bündeln (d.i. 70 n.Chr.).77 Diese Bündelung ist letztlich in der zuvor aufgezeigten Parallelisierung begründet. Hierdurch wird die Verkündigung des Evangeliums zur finalen und letztgültigen Umkehrbotschaft Gottes (vgl. Mt 3,2; 4,17; 10,7), deren Ablehnung durch die Autoritäten zur Zäsur und zum innerweltlichen Gericht führen muss und dadurch eine Sonderstellung erhält. Diese geschichtliche Dimension ist im Mt nicht zu leugnen, da zuletzt das Gericht über Jerusalem expressis verbis ausgesprochen wird (Mt 23,37–39). Durch das JerusalemWort wird das Motiv des Prophetenmordes erneut eingetragen, sodass der gesamten Argumentationszusammenhang von Mt 23,29–39 mit einem Verweis auf die Propheten gerahmt und verschränkt wird (vgl. Mt 23,29.30f.34.37). Damit sind erste Spuren gelegt, welche sich innerhalb der näheren Untersuchung des siebten Wehrufs erhärten lassen müssen. Hierfür werden die 72 Vgl. POPLUTZ, Mt, 229: „Die Pharisäer und Schriftgelehrten pflegen zwar sorgsam die Prophetengräber und distanzieren sich von ihren prophetenmordenden Vätern, aber ihnen entgeht der innere Widerspruch ihrer Rede: Indem sie die prophetenmordende Vorgängergeneration weiterhin als ihre ‚Väter‘ bezeichnen, stellen sie sich dazu als ‚Söhne‘ in ungebrochene Kontinuität (23,31)“; ferner HAGNER, Mt II, 672. 73 Zum Verständnis von ȖİȞİ als Geschlecht vgl. KONRADT, Israel, 248–251. 74 Vgl. KONRADT, Mt, 363: „Sie demonstrieren Verehrung der verstorbenen Propheten und opponieren gleichzeitig gegen die gegenwärtigen Propheten.“ 75 Aufgrund dieses konkreten Zusammenhangs kann die Überzeugungskraft der mt Argumentation nicht durch allgemeine Schriftverweise verifiziert (vgl. Ex 20,5; Klgl 5,7) oder falsifiziert (vgl. Dtn 24,16; Jer 31,29f.; Ez 18,2) werden (gegen FIEDLER, Mt, 357). 76 Vgl. KONRADT, Deutung, 228. 77 Eine solche Denkfigur ähnelt dem dritten Schema des dtrGB (vgl. STECK, Israel, 186–189), wobei das mt Geschichtsbild differenzierter ist. Auf die bleibenden zeitlichen Inkohärenzen wird unter V.2.7. eingegangen.
280
V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
traditionsgeschichtlichen Hintergründe des mt Sprachgebrauchs und das spezifische Profil in den Blick genommen. Exkurs 1: Jesus als inszenierter Jeremia Jenseits konkreter Traditionsbezüge ist für das Verständnis der Wehrufe insgesamt, vor allem aber der letzten Verse, die implizite Inszenierung Jesu als Jeremia von entscheidender Bedeutung. 78 Diese wird bereits in Mt 16,14 vorgezeichnet, wobei sich die dortige Nennung Jeremias und die (impliziten) Figurenanalogien wohl wechselseitig bedingen. 79 Es ist daher angezeigt, dieses „Cluster“ jer Kolorits für das Mt zu konstatieren.80 Für Mt 23 sind dabei die Charakteristika des verfolgten Propheten und des Gerichtspropheten zentral.81 Die Leiden Jeremias, welche sich durch Jer hindurchziehen, werden auch in frühjüdischen Texten memoriert (vgl. Sir 49,7).82 Gleichwohl scheinen derlei Leiden in der frühjüdischen Antike nicht exklusiv auf Jeremia bezogen zu sein, wie sich nicht zuletzt im dtr Motiv des Geschicks der Propheten zeigt.83 Ähnliches ließe sich auch für die Zeichnung Jeremias als Un-
78 Diese Vorstellung wird zwar im Evangelium als christologisch unzureichend gekennzeichnet (vgl. Mt 16,14–17), gleichwohl scheint durch die Namensnennung „Jeremia“ ein wesentliches Charakterelement der Person Jesu markiert zu sein. 79 Die Syntax mit ਙȜȜȠȚ … ਪIJİȡȠȚ könnte darauf deuten, dass Jesus im Volk entweder dem Typus Johannes der Täufer/Elia, d.h. der Vorläufertradition (vgl. Mt 3,3.11; 11,14; 17,10–13), oder dem Typus Jeremia/Prophet zugeordnet wird (vgl. WINKLE, Model, 155f.). Für Letzteres könnte sich – trotz Mt 14,1–13a – einerseits das Leidensgeschick des Propheten bzw. die dtrPA nahelegen, andererseits die Unheilprophetie – insbesondere mit Bezug auf den Tempel. 80 KONRADT, Mt, 259. Ein bedeutender Aspekt, der hier nur anzureißen ist, ist die Hirtenmetaphorik, welche sowohl bei Jeremia als auch im Evangelium (Mt 2,6; 9,36; 10,6; 15,24) in unterschiedlichen Elementen ausgestaltet ist. So findet sich einerseits das Motiv der schlechten Hirten (Jer 2,8; 10,21; 12,10f.; 23,1–4; 25,34–36; 50,6), andererseits auch das Bild von Israel als verlorenen Schafen (Jer 10,21; 50,6). Neben der Figurenzeichnung ist zudem auf die mannigfaltigen intertextuellen Referenzen zu verweisen, welche nicht nur explizit gemachte Zitate (Mt 2,16–18; 27,9f.), sondern auch mehr oder weniger offensichtliche Anspielungen umfassen. Vgl. ausführlich dazu KNOWLES, Jeremiah, 162– 221; kritisch hingegen FREY, Reception, 502. 81 Vgl. SCHWEIZER, Mt, 221. 82 Dieser Aspekt wird bspw. von MENKEN, References, 17–23 ins Zentrum seiner Überlegungen gestellt. 83 Vgl. V.2.4.1. Trotz dieser gewissen Egalisierung ist die Leidensdichte Jeremias besonders hoch, sodass sich seine Prophetenleiden als besonders naheliegende Analogie anbieten. Vgl. KNOWLES, Jeremiah, 248: „To recapitulate briefly, Jeremiah is mocked and cursed (Jer. 15.10; 20.7–8), persecuted and plotted against (Jer. 17.18; 18.18.; 20.10), beaten and put into stocks (Jer. 20.2; 37.15), imprisoned (Jer. 32.2–3; 33.1; 37.15–16), cast into a cistern (Jer. 38.6), threatened with burning (Eupolemus, Fragment 4, in Eusebius, Praeparatio Evangelica 9.39.3) or less specific means of death (Jer. 11.19, 21; 26.8, 11),
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
281
heilspropheten behaupten, da Tempelkritik und Gerichtsworte ebenfalls nicht exklusiv jer sind. Verwiesen sei allerdings auf die „Jeremia-Renaissance“,84 die eine primäre Bezugnahme auf Jeremia als zurückgewiesener Prophet und Künder der Tempelzerstörung plausibilisieren.85 Die Figurenzeichnung Jesu als Jeremia hat im Gesamtzusammenhang der Perikope mehrere Anhaltspunkte. Der Erzählzusammenhang Mt 21,1–24,2 setzt mit prophetischem Kolorit in Mt 21,1–11 ein, welches durch die Kennzeichnung Jesu als Prophet (Mt 21,11) explizit gemacht wird und sich in der anschließenden Tempelreinigung als prophetische Zeichenhandlung samt Ausdeutungswort abermals bestätigt.86 Die prophetische Botschaft zielt auf die ideelle Funktion des Tempels ab (Gebetshaus statt Räuberhöhle), wobei sich aus dem Wort nicht sofort erschließt, ob die notwendige Reinigung des Tempels durch Restauration oder Destruktion erfolgen soll.87 Auch im weiteren Verlauf finden sich sowohl prophetisch anmutende Zeichenhandlungen (Mt 21,18f.), Verweise auf prophetische Identifikationen (Mt 21,26; 21,34– 36.37–39.46; Mt 22,3–6) und relativ offensichtliche Anspielungen auf geprägte prophetische Texte (Mt 21,33f.). Letztlich wird auch die Gesetzesdiskussion (22,15–46) mit den Propheten in Beziehung gesetzt (Mt 22,40). Das prophetische Gepräge ist demnach assoziativ vorauszusetzen, sobald Jesus in Mt 23,1 die Bühne betritt. Werden die Wehrufe Jesu als prophetische Rede im Tempel verstanden, was das äußere Setting durchaus nahelegt, dann tritt eine szenische Analogie zur Tempelrede des Jeremia (Jer 7,1–34; 26,1– 19) hervor.88 Die Tempelrede ist in Jer zweimal aufgenommen, wobei sich gewisse Analogien zeigen. Als Ort der Verkündigung ist jeweils der Tempel bestimmt and ultimately, martyred by stoning (Liv. Proph. 2.1; Par. Jer. 9.31–32; Midrash Haggadah on Num. 30.15).“ 84 S.o.S. 102 Anm. 281. 85 Vgl. WHITTERS, Jesus, 230; ferner CARLSTON/EVANS, Synagogue, 421 mit den in Anm. 128 Genannten. 86 Signifikant erscheint hierbei die mt Umstellung der Feigenbaum-Perikope, welche im Mk zwischen Einzug und Tempelreinigung zu stehen kommt. Eine vergleichbare Unterbrechung dieses Erzählzusammenhangs findet sich in Lk 19,41–44 mit dem Trauerwort über Jerusalem. Da im Joh Tempelreinigung und Einzug in Jerusalem voneinander getrennt stehen, ist ein unmittelbarer Bezug der beiden Erzählpassagen nur im Mt gegeben: „der mt Jesus (schreitet) sofort zur Tat“ (KONRADT, Mt, 324). 87 Im Gesamtduktus des Evangeliums, aber auch durch die intertextuelle Referenz auf Jer 7,11 wird nahegelegt, dass das Wort eher auf die Zerstörung des Tempels zielt. Dies mag aber auch dem Umstand geschuldet sein, dass in der Erzählzeit bereits Fakten geschaffen wurden. 88 Ähnlich WINKLE, Model, 163–171, welcher die inhaltliche Parallelität der jeweiligen Tempelreden auf die drei Motive „sending of the prophets“, „murder of the prophets“ und „prophetic judgment against the temple“ zuspitzt (ebd., 163); ferner BASSER/COHEN, Mt, 532–537.
282
V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
(vgl. Jer 7,2; 26,2),89 worauf eine Gesetzesparänese erfolgt (Jer 7,3–11; 26,3– 5), die in einem Gerichtswort mit Verweis auf Schilo mündet (Jer 7,12–15; 26,6).90 Während die Rede in Jer 7 mit Polemik gegen kultische Verfehlungen fortfährt, wird dieselbe in Jer 26 in einen narrativen Rahmen eingebettet, welcher von der Ablehnung der Botschaft Jeremias und seiner Bedrängnis berichtet. Durch die Gesetzesforderung und die Mahnungen zum rechten Verhalten ist ein gewisser thematischer Bezug zu Mt 23 gegeben. Gleichwohl sind die konkreten inhaltlichen und sprachlichen Parallelen sehr begrenzt, was mitunter den jeweiligen Adressaten geschuldet ist.91 In allen drei Redeerzählungen wird allerdings auf das Motiv des unschuldigen Blutes eingegangen (Jer 7,6; 26,15; Mt 23,35).92 Durchweg klingt hierdurch ein Gerichtshorizont an, der in den beiden Jeremiareden konditional (positiv in Jer 7,6; negativ in Jer 26,15), im Mt hingegen kausal eingetragen ist (Mt 23,35).93 Da das Motiv aus sich heraus, aber auch in den genannten Erzählzusammenhängen als Schwellenmotiv der Gerichtsbegründung 89 Das Tempelsetting ist in Jer 7LXX nicht wiedergegeben, wenngleich die Bezugnahme auf den Tempel durch Vers 4 erhalten bleibt. KNITTEL, Heiligtum, 121 Anm. 4 deutet daher Jer 7,1–2aMT als spätere Ergänzung aus Jer 26. 90 Ungeachtet konkreter Kenntnisse des Schicksals Schilos wird eindeutig, dass der Verweis als Drohung der Tempelzerstörung fungiert (vgl. WINKLE, Model, 169f.; s.o.S. 64 Anm. 103). 91 Während in Jer die Gesamtheit Judas in den Blick kommt und die Autoritäten nur marginal herausgehoben sind (vgl. Jer 26,11), richten sich Jesu Wehrufe dezidiert an die Schriftgelehrten und Pharisäer, die als etablierte Autoritäten der Erzählzeit zu verstehen sind. Weiterführend kann jedoch mit KONRADT, Deutung, 245 mit Anm. 115 hervorgehoben werden, dass die „führenden Schichten“ häufig das Gegenüber der jer Kritik bilden. 92 Von Jer 7,6 aus lässt sich ein intertextuelles Cluster postulieren. Das Motiv des unschuldigen Blutes wird hier als Verbot eingeführt, insofern kein Blut an dieser Stätte vergossen werden soll (ȝ ਥțȤȘIJİ ਥȞ IJ IJંʌ IJȠIJ). Es ist unklar, ob mit „dieser Stätte“ die Stadt Jerusalem (vgl. Jer 7,3) oder der Tempel gemeint ist (abhängig vom Verständnis von Jer 7,14; zur Polyvalenz ferner RO, Jeremiah). Sollten sich ȠੇțȠȢ und IJંʌȠȢ aufeinander beziehen, ergäbe sich nicht nur eine Referenz zu Mt 23,38, sondern auch zu 2Chr 24,21 (s.u. V.2.4.3.). 93 Gelegentlich wird diese Bezugnahme mit dem Verweis auf die terminologische Differenz von ĮੈȝĮ ਕșȠȞ (Jer 7,6; 33,15LXX) und ĮੈȝĮ įțĮȚȠȞ (Mt 23,35) angefragt (vgl. WINKLE, Model, 168, der die Anfrage allerdings nur impliziert und zurückweist). Neben dem plausiblen Axiom, dass die beiden Syntagmata im mt Sprachgebrauch, wie auch in der LXX, synonym zu verstehen sind (s.o. II.1.), könnte ĮੈȝĮ įțĮȚȠȞ auch auf ein intertextuelles Cluster verweisen. Naheliegend wäre eine Referenz auf Klgl 4,13LXX, welches über das jer Kolorit hinaus inhaltliche Bezüge zur Tempelrede erkennen lässt, insofern in Klgl 4,12 die törichte Zionstheologie angeprangert wird (vgl. Jer 7,4) und in Klgl 4,13 Priester und Propheten angeklagt werden. Diese Zweiergruppe bildet in Jer 26,8.11.16 die Gegnerschaft Jeremias. Die Zusammenstellung dieser beiden Personengruppen im Plural ist in Jer ohnehin weit verbreitet: mit Jer 2,8.26; 4,9; 5,31; 8,1; 13,13; 33,7f.11.16; 34,16; 36,1; 39,32; Bar 1,16; Klgl 4,13 handelt es sich damit um 15 von 22 Versen der LXX (inkl. der Belege von ȥİȣįȠʌȡȠijIJȘȢ).
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
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fungiert, ist nicht nur eine szenische, sondern auch eine inhaltliche Analogie zwischen den Reden des Jeremia und den Wehrufen Jesu gegeben. Jesus kündigt, wie Jeremia vor ihm, in einer Tempelrede das Gericht über Jerusalem an, wobei – bei Jesus explizit, bei Jeremia implizit – das Vergießen unschuldigen Blutes durch die etablierten Autoritäten dafür verantwortlich gemacht wird.94 2.4. Das Blut der Propheten 2.4.1. Zur Erinnerungskultur der Prophetentraditionen im Frühjudentum Der Komplex des siebten Wehrufes (Mt 23,29–39) wird durch das Stichwort ʌȡȠijIJȘȢ (Mt 23,29.30.31.34.37) zusammengehalten. Dies trifft bereits auf den Wehruf samt Begründung in Q 11,47.49.50 zu, wird jedoch durch die Zusammenstellung mit Q 13,34 im Mt intensiviert.95 Im Hintergrund stehen dabei die greifbaren Prophetentraditionen des antiken Judentums, die durch den Q-Text vorgeben sind, deren Kenntnis aber auch für den mt Kreis vorauszusetzen ist. Neben der Tradition vom gewaltsamen Geschick der Propheten96 94 Neben dieser Figurenanalogie Jesu und Jeremias wurde vorgeschlagen, Mt 23 mit Ez 24 in Verbindung zu bringen (vgl. BECKER, Zerstörung). Die Argumente ähneln einander, insofern auch in dieser These vorgetragen wird, dass es sich jeweils um prophetische Rede handelt, wobei in Ez der Aspekt einer Wehrede hervortrete (vgl. Ez 24,6.9, wobei hier jeweils im Hebräischen ʩʥʠ gebraucht wird, die LXX jedoch nur für Ez 24,6 die Wehartikulation ੯ bezeugt). Zudem adressiert die Gerichtsankündigung jeweils Jerusalem, welches in Ez als „Stadt des vergossenen Blutes“ angesprochen wird (MT: Ez 24,6.9; LXX: Ez 24,6). Durch dieses Blutvergießen inmitten der Stadt (ਥȞ ȝı ĮIJોȢ) ergeben sich Nähen zu Klgl 4,13; Ez 22,3; VitProph 23,1 sowie 1Sam 20,12; Jes 4,4. Wäre die rabbinische Sacharja-Legende in Mt 23,35 mitzudenken, läge eine weitere Verschränkung mit Ez 24,7 vor (s.u. V.2.4.3). Da sich vom mt Textbestand aus jedoch nur durch die Vermittlung via VitProph 23,1 und/oder Klgl 4,13 eine intertextuelle Referenz zu Ez 22,3; 24,7 ergibt, ist ein solcher Zusammenhang von Mt und Ez eher unwahrscheinlich. Zudem kritisiert Ez 24,7, dass das Blut nicht auf die Erde (Ȗો) vergossen wurde, was konträr zu Mt 23,35 steht. Aus diesen Beobachtungen heraus wird deutlich, dass Ez 24 bestenfalls ein sekundärer Intertext zu Mt 23 darstellt und daher insgesamt eine Bezugnahme unwahrscheinlich ist. 95 Über die konkrete Stelle hinausgehend fällt auf, dass der mt Gebrauch von ʌȡȠijsignifikant höher ist als in Mk und Q (vgl. FOSTER, Prophets, 117f.). 96 Das Motiv der Prophetenmorde wird in Q 11,49 offenbar mit dem Motiv der Verfolgung (įȚઆțȦ) verbunden. Nach STECK, Israel, 161 (mit Verweis auf Jub 1,12) wurde dieses im Zuge der „syrischen Religionsverfolgung“ in der hellenistischen Zeit in die dtrPA integriert. Die Verfolgung von Propheten wird indes bereits bei Jeremia greifbar: Mit Bezug auf das Stichwort įȚઆțȦ ist hierfür Jer 17,18; 20,11 zu nennen, wobei sich die Verfolgung Jeremias auch in erzählerischen Passagen niederschlägt (Jer 20,1f.; 26,7–19; 32,2–5; 37,1–38,28). Eine stereotype Verfolgung der Propheten, mit Nähen zur dtrPA, wie Mt 5,12b und Apg 7,52 zum Ausdruck bringen, lässt sich hingegen terminologisch nicht greifen (vgl. den eher abwegigen Beleg in Flav.Jos.Ant. IX 238; exemplarisch sei auch auf
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
ist für die Zeitenwende ein reges Interesse an Prophetenviten greifbar. In den Vitae prophetarum (VitProph)97 ist der gewaltsame Tod eines Propheten zwar nicht das grundsätzliche Schicksal desselben, aber das blutige Schicksal nimmt in der Legendenbildung breiten Raum ein und geht teilweise über die biblischen Darstellungen hinaus.98 Die VitProph folgen einem schematischen Aufbau, der durch den (sekundären) Titel vorgeben ist: „Namen der Propheten und woher sie sind und wo sie starben und wie und wo sie begraben liegen.“99 In dieses Grundschema sind bisweilen einerseits Erzählungen aus dem Leben der Propheten bzw. deren Lehre eingewoben, anderseits auch
Lk 6,22f. verweisen, wo konkrete Schmähungen, aber keine Verfolgungen genannt werden). Der traditionsgeschichtliche Hintergrund ist wohl weniger bei den Propheten zu suchen als in der „Verfolgung der Gerechten“ (vgl. KONRADT, Mt, 70 mit Verweis auf SapSal 2,10–20; 1Hen 95,7; ferner in Anlehnung an DAVIES/ALLISON, Mt III, 260 TestLev 16,2; 1Hen 12,5; AssMos 6,3f.; 1QHa [xii,32]; [xii,8f.]; 1QpHab xi,4–8; Philo legat. 120– 131; Flav.Jos.Bell. II 254–258). Dieser Zusammenhang wäre eine mögliche Erklärung, weshalb der siebte Wehruf nicht nur explizit auf die dtrPA zurückgreift, sondern auch die Gerechten (vgl. Mt 23,29.35) in den Blick nimmt. Das Motiv der Verfolgung könnte zuletzt von frühchristlichen Erfahrungswerten der nachösterlichen Verkündigung mitgeprägt sein, wie sich im lk Doppelwerk und im Mt zeigt. Besonders deutlich wird dies in der Darstellung des Paulus als Verfolger von Christusgläubigen (Apg 9,4f.; 22,4.7f.; 26,11.14f.). Als Reflexion nachösterlicher Verfolgung sind zudem Mt 5,10–12.44; 10,23; Lk 21,12; Joh 15,20 zu werten. Insgesamt lassen sich nach LUZ, Mt I, 289 „zahlreichen Verfolgungsparänesen“ feststellen (vgl. Hebr 10,32–34; 1Petr 2,12; 3,14.16f.; 4,12–17; 2Tim). 97 Aufgearbeitet durch SCHWEMER, Studien I; DIES., Studien II; DIES., VitProph. Wenngleich die VitProph nur christlich überliefert wurden und Interpolationen nicht auszuschließen sind, dürfte die Grundschrift frühjüdischen Ursprungs sein und ist in die Zeit vor der Zerstörung des Zweiten Tempels zu datieren (vgl. DIES., Studien I, 68; DIES., VitProph, 547f.). Aufgrund der palästinischen Herkunft kann eine gewisse Verbreitung postuliert werden (vgl. ebd., 548). Die VitProph sind demnach ein Zeugnis für ein genuin frühjüdisches Interesse am Leben der biblischen Propheten, wobei das Leben und Sterben von 23 Propheten berichtet wird. Diese setzen sich aus den 16 Schriftpropheten zusammen sowie weiteren Propheten aus den Geschichtsbüchern in chronologischer Reihenfolge: Nathan (2Sam 7,2 u.ö.); Achia von Silo (1Kön 11,29 u.ö.); Joad (2Chr 9,29; 12,15; 13,22; identifiziert mit dem anonymen Propheten in 1Kön 13); Azarja (2Chr 15,1–8); Elia (1Kön 17 u.ö.); Elisa (1Kön 19,6 u.ö.); Sacharja Ben Jojada (2Chr 24,20–22). 98 Berichtet wird das Zersägen Jesajas unter Manasse (VitProph 1,1), die Steinigung Jeremias durch das Volk in Ägypten (VitProph 2,1), die Tötung Ezechiels durch einen Fürsten Israels (VitProph 3,2), das Hinabstürzen Michas durch Joram (VitProph 6,1), die Erschlagung Amos durch einen Sohn Amasjas (VitProph 7,1) und die Tötung Sacharja Ben Jojadas durch Joas in Altarnähe (VitProph 23,1). Diese individuellen Tötungsfälle stehen nicht nur in ihren Einzelfällen in einem gewissen Kontrast zu den biblischen Berichten, sondern auch in ihrem Umfang, da in den Schriften Israels lediglich die Ermordung Urias (Jer 26,20–24) und Sacharja Ben Jojadas (2Chr 24,20–22) berichtet wird (vgl. WINKLE, Model, 165). 99 SCHWEMER, VitProph, 561.
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
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Nachwirkungen nach deren Tod benannt. Durch diese Kurzbiographien lassen sich die VitProph als eine Art who is who-Lexikon verstehen.100 Die durchgängige Nennung der Bestattungsorte in den VitProph stellt zudem einen potenziellen Referenzrahmen für den in Mt 23 resp. Q 11,47–51 literarisch bezeugten Bau von Prophetengräbern resp. -denkmälern und deren Verehrung dar.101 Diese werden meist mit den Monumentalbauten im Kidrontal aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. in Verbindung gebracht,102 welche noch heute mit Prophetennamen besetzt sind. Archäologische und sozialgeschichtliche Erwägungen sprechen dafür, dass es sich bei den Monumentalgräbern im Kidrontal um Bauten der priesterlichen und/oder schriftgelehrten Oberschicht Jerusalems handelt, die zudem als römisch-hellenistische Bauten noch vor dem jüdisch-römischen Krieg entstanden sind.103 Ab der byzantinischen Zeit werden die Monumentalbauten nachweislich mit verschiedenen biblischen Gestalten verbunden, wobei hier auch auf Propheten zurückgegriffen wurde.104 Das Alter solcher Namenstraditionen ist kaum zu bestimmen, 100
Vgl. SCHWEMER, Studien I, 27; DIES., Vitae, 203. Vgl. JEREMIAS, Heiligengräber; VAN DER HORST, Prophetengräber. Für eine Praxis solcher Bauten und Verehrung lassen sich lediglich Indizien finden, von diesen aber reichlich. Besonders markant sind Patriarchengräber in Hebron, welche von Herodes umfassend ausgebaut wurden und in architektonischer Hinsicht eindeutig mit dem Tempel von Jerusalem in Beziehung gesetzt werden können (vgl. ebd., 15; LIGHTSTONE, Commerce, 51). Es ist daher plausibel, die Patriarchengräber als Wallfahrtszentrum zu verstehen. Als literarisches Indiz ist auf Tob 4,17 zu verwiesen, wo sich die Wendung IJઁȞ IJijȠȞ IJȞ įȚțĮȦȞ findet. 102 In topographischer Hinsicht ist zweierlei festzuhalten: Das Kidrontal stellt einerseits eine der wichtigsten Nekropolen Jerusalems dar und bereits in israelitischer Zeit sind „repräsentative Felsgräber“ nachzuweisen (KÜCHLER, Jerusalem, 673). Andererseits diente das Kidrontal als Müllhalde der Stadt, wobei der natürliche Abfluss dafür sorgte, dass das Weggeworfene – im Gegensatz zum Hinnomtal – auch aus den Augen verschwand. Dies betraf nicht nur Schlachtabfälle, sondern auch illegitime Kultgegenstände (vgl. 2Kön 23,4.6.12) und zuletzt auch Propheten (vgl. Jer 26,23 mit 2Kön 23,6). In diesen Beispielen schimmert eine umfassende Beseitigung durch, die wohl der Logik „aus den Augen, aus dem Sinn“ folgt. Vgl. ebd., 673 mit Bezug auf Jer 26,23: „Über die Tötung [sc. der Propheten] hinaus sollte durch eine unehrenhafte Beseitigung die Erinnerung und bes. das Aufkommen einer Verehrung verunmöglicht werden.“ 103 Dies trifft insbesondere auf den Kuppel-Monolith, das Giebelgrab und den Pyramidenmonolith zu (vgl. KÜCHLER, Jerusalem, 699–704). 104 Vgl. KÜCHLER, Jerusalem, 704–707. Eine Einheitlichkeit lässt sich dabei nicht feststellen, wobei häufiger auf den Namen Sacharja zurückgegriffen wird. Dies dürfte jedoch bereits Teil der Rezeptionsgeschichte des Wehrufes sein: Hierfür spricht insbesondere eine Inschrift („Kritzelei“) über dem Eingang des Kuppel-Monolithen (ebd., 704f.), die offenbar den priesterlichen Märtyrer Sacharja (2Chr 24,20–22) mit dem Vater des Johannes (Lk 1,5) verbindet (vgl. ebd., 726). Seit dem 15. Jahrhundert ist der Pyramiden-Monolith mit dem Namen Sacharja verbunden, wobei hier ebenfalls das dynamische Zueinander der beiden Priester Sacharja bzw. Zacharias evoziert ist (vgl. ebd., 725f.). 101
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
allerdings könnten die VitProph auf eine frühjüdische Verbindung zwischen Propheten und den Monumentalgräbern im Kidrontal deuten. Nach VitProph 14,2 wurde Haggai „in der Nähe des Grabes der Priester (begraben)“.105 Es ist davon auszugehen, dass diese Lokalisierung auf die Monumentalbauten im Kidrontal verweist.106 Der kleine Prophet Sacharja wiederum wurde in der Nähe Haggais begraben (VitProph 15,6). Sollten diese Notizen aus dem 1. Jahrhundert stammen, so ließe sich für die Monumentalgräber im Kidrontal ein prophetisches Kolorit plausibilisieren, welches möglicherweise im Hintergrund von Mt 23,29–33 steht.107 Dabei ist es wohl unerheblich, welches Grab im Einzelnen als Prophetengrab memoriert wurde.108 Eine solche Verehrung findet sich jedoch nicht in außerneutestamentlichen literarischen Quellen. Bei Josephus werden immerhin das Davidsgrab sowie die Patriarchengräber in Hebron und deren Renovierung genannt. 109 Diese entsprechen zwar dem Kriterium des prächtigen Ausbaus; die Bestatteten sind indes keine idealtypischen Propheten, die ein gewaltsames Geschick erlitten haben.110 Für das 1. Jahrhundert n.Chr. kann demnach von einem regen Interesse an den Propheten ausgegangen werden, das sich einerseits im stereotypen Todesschicksal manifestiert (dtrPA), andererseits individuelle Biographien kennt (VitProph), die zwar häufig, aber nicht durchweg dieses Stereotyp aufnehmen.111 Daneben bilden sich um die Zeitenwende offenbar Lokaltraditionen von Prophetengräbern aus, die sich mit bestehenden topographischen Besonderheiten verbinden.112 Der siebte Wehruf lässt sich gut in dieses Setting einordnen, insofern auch hier auf Grabtraditionen, die dtrPA und eine prophetische Kurzbiographie zurückgegriffen wird. Im Weiteren soll nun der Blick auf die genannten „Propheten“ gerichtet werden. 105
SCHWEMER, VitProph, 630. Vgl. JEREMIAS, Heiligengräber, 72f.; KÜCHLER, Jerusalem, 725; SCHWEMER, Studien II, 147f.172. 107 Auf die Priestergräber wird indirekt auch bei Sacharja Ben Jojadas verwiesen, insofern er „bei seinem Vater“ begraben wird (vgl. SCHWEMER, VitProph, 653). Da dieser zuvor als Priester eingeführt und das Begräbnis durch Priester durchgeführt wurde, wäre eine solche Assoziation nicht abwegig. Allerdings wird Jojada nach 2Chr 24,16 bei den Königsgräbern begraben, sodass die Verortung zu diesen Priestergräbern nicht zwingend ist. 108 Vgl. KÜCHLER, Jerusalem, 727. 109 Vgl. Flav.Jos.Ant. XVI 182; Flav.Jos.Bell. IV 531f. 110 LAU, Grabmäler, 479 verweist jedoch auf Apg 2,29f., wo Davids Grab Erwähnung findet und er selbst als Prophet charakterisiert wird. 111 Obwohl das blutige Schicksal keineswegs jeden Propheten trifft, ist dennoch eine gewisse Dominanz desselben erkennbar. Im Gegensatz zum biblischen Bericht wird von allen drei großen Propheten eine Ermordung berichtet, wobei diese Prophetenmorde zusammen mit dem an Sacharja Ben Jojada die VitProph rahmen. 112 Vgl. hierzu die Verortung der Gräber Haggais und Sacharjas in der Nähe der Priestergräber (im Kidrontal) oder auch Jesajas Grab unter der Eiche Rogel (VitProph 1,1) bzw. in Nähe der Königsgräber und des Grabs der Priester (VitProph 1,6). 106
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
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2.4.2. Abel, der Gerechte Die Charakterisierung Abels als įțĮȚȠȢ findet sich sowohl in frühjüdischer als auch frühchristlicher Literatur.113 Aus diesem Befund wurde bisweilen abgeleitet, dass Abel als „prototypical martyr“ zu verstehen sei.114 Jenseits der recht jungen Charakterisierung Abels als Gerechter115 scheint die Figurenzeichnung der frühjüdischen Antike allerdings primär dem biblischen Bild zu entsprechen, wobei ein Schwerpunkt auf dem Klagemotiv zu liegen scheint.116 113 Das Gerechtsein Abels wird teilweise wörtlich, teilweise umschrieben ausformuliert (vgl. LUZ, Mt III, 373 Anm. 33): įțĮȚȠȢ (Hebr 11,4; 1Joh 3,12; AscJes 9,8; TFrag Gen 4,10); ਚȖȚȠȢ (vgl. TestIss 5,4); ਕȡİIJ (vgl. Philo sacr. 14; det. 32 [allerdings wird nur Noah in dieser Schrift explizit als gerecht charakterisiert: 105.121.170]; Flav.Jos.Ant. I 53); įȚțĮȚȠıȞȘȢ ਥʌİȝİȜİIJȠ (Flav.Jos.Ant. I 53); ȝĮȡIJȣȡȦ (TestAbr B 11,2). 114 Vgl. KEENER, Mt, 556 mit Verweis auf LibAnt 16,2; TestAbr A 13; B 11; VitAd 23; ApkMos 2f.; 40,4f.; 1Clem [4]; AscJes 9,8. Eine Sichtung der Quellen zeigt, dass Abel durchweg als erstes Mordopfer memoriert wird, doch eine „Märtyrerfigur“, abgesehen von TestAbr B 11 (und ggf. TPsJ Gen 4), lässt sich daraus kaum ableiten (ähnlich WACKER, Weltordnung, 183 mit Bezug auf Jub 4,2; 1Hen 85,3f.; Philo migr. 13; det. 35–47). 115 Vgl. NAUMANN, Geschichte, 40, der terminologische Nachweise dieser Charakterisierung ebenfalls erst im 1. Jahrhundert n.Chr. erkennt und zudem als Reaktion auf die zeitlich vorangehende Negativzeichnung Kains wertet. Er sieht indes in der Märtyrertradition Vorläufer dieser Kennzeichnung. Der Verweis von ebd., 41f. auf 4Makk 18 bereitet hingegen Schwierigkeiten, da die Datierung des Buches umstritten ist. Als markante Datierungszeiten dienen die Regierungszeiten Caligulas (vgl. WOSCHITZ, Parabiblica, 141f.) und Hadrians (vgl. SIEGERT, Einleitung, 580f.); mit KLAUCK, 4Makk, 669 kann auf 90–100 datiert werden. 116 Für die Annahme einer jungen Tradition und die Dominanz des biblischen Bildes lässt sich 1Hen 22 ins Feld führen: Die Darstellung der Unterwelt beginnt mit der Nennung eines rufenden ʌȞİ૨ȝĮ, welches mit Abel identifiziert wird (1Hen 22,5–7) und offenbar das Motiv des rufenden Blutes aufnimmt (vgl. Gen 4,10), wenngleich ĮੈȝĮ nicht genannt wird. Erst in der späteren Schematisierung der Unterwelt (1Hen 22,8–13) werden insgesamt vier Höhlen geschildert, wovon eine für die Gerechten, eine für die Sünder, eine für Klagende und eine letzte für Gottlose vorgesehen ist. Die Schilderung lässt offen, in welcher Höhle sich Abel befindet bzw. ob die Höhle der Klagenden, was die naheliegende Lokalisierung darstellt, ebenfalls mit Gerechten gefüllt ist (vgl. NICKELSBURG, 1Hen I, 308). Insgesamt legt die Darstellung der Unterwelt in 1Hen 22 weder nahe, dass die Klagenden als Gerechte zu verstehen sind, noch macht der Verweis auf Abel diese zu Gerechten, da er selbst nicht auf diese Weise charakterisiert wird (vgl. WACKER, Weltordnung, 179–184; anders BYRON, Abel, 750–752). Vielmehr scheint hierbei der Topos des ruhelosen Geistes aufgegriffen zu sein (vgl. WACKER, Weltordnung, 195), der zudem mit einem Rachemotiv verbunden scheint (vgl. ebd., 184–188; ähnlich Q 11,51; TPsJ Gen 4,10). Die (Nicht-)Charakterisierung Abels in 1Hen legt in Verbindung mit den aufgeführten Verweisen in Anm. 113 folglich nahe, dass sich das Motiv seines Gerechtseins erst um die Zeitenwende ausgebildet hat (anders NAUMANN, Geschichte, 42 mit Anm. 16, der Abel als Repräsentant der Märtyrer versteht und hierin einen Vorläufer seines Gerechtseins erwägt). Es ist sodann auch nicht einsichtig, weshalb HAMILTON, Secrets, 133f. die Abelfigur im Lichte von 1Hen 6–11 ausleuchtet. Ungeachtet der fraglichen Annahme, dass die Blutrufthematik in
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Basiert bei genauerer Betrachtung die mt Figurenzeichnung als Gerechter bereits auf einem recht dünnen Traditionsgerüst, so finden sich für die implizite Charakterisierung Abels als Prophet in Q 11,50f. keinerlei Parallelen.117 Allenfalls kann auf die recht fluide Zuschreibung des Prophetenseins verwiesen werden.118 Dieser Befund legt nahe, dass das Zueinander von Abel und Sacharja unter dem Stichwort der prophetischen Existenz, welches offenbar die Basis in Q bildet, nur schwer nachzuvollziehen ist. Die mt Charakterisierung erklärt sich daher gut als Korrektur eines solchen Unverständnisses:119 Der mt Kreis relativiert dieses „prophetische“ Missverständnis, indem er 1) Abel als Gerechten tituliert und 2) IJઁ ĮੈȝĮ ʌȞIJȦȞ IJȞ ʌȡȠijȘIJȞ in ʌ઼Ȟ ĮੈȝĮ įțĮȚȠȞ ändert und so Abel und Sacharja unter einem neuen Paradigma zusammenbindet.120 Durch diese Änderungen wird allerdings eine Bedeutungsverschiebung vorgenommen, insofern die Bluttaten an Abel und Sacharja nicht mehr unter dem Vorzeichen des dtr Geschicks der Propheten stehen, sondern als Vergießen unschuldigen Blutes bestimmt werden.121 Eine nähere Betrachtung der Abelfigur ist darüber hinaus kaum möglich und muss daher in ihrer Bezugnahme auf Sacharja Ben Barachia erfolgen. 2.4.3. Der prophetische Priester Sacharja Die Sacharjafigur ist nicht minder komplex, insofern dessen Identität umstritten ist. Die Schwierigkeit ergibt sich aus der doppelten Charakterisierung, die einerseits durch ȣੂȠ૨ ǺĮȡĮȤȠȣ, anderseits durch die Umstände seines Todes – Ȟ ਥijȠȞİıĮIJİ ȝİIJĮȟઃ IJȠ૨ ȞĮȠ૨ țĮ IJȠ૨ șȣıȚĮıIJȘȡȠȣ – bestimmt ist. In den Schriften Israels finden sich sowohl ein Sacharja Ben Barachia (Sach 1,1.7)122 als auch ein Sacharja, der auf dem Tempelareal ermordet wurde
1Hen 7,6; 9,2 nicht nur topisch, sondern auch explizit auf Abel zurückzuführen sei, bleibt ob des mangelhaften sprachlichen Bezugs unklar, weshalb die Charakterisierung Abels als Gerechter auf 1Hen zurückgeführt werden kann. Vgl. auch die Behauptung DIES., Death, 27: “[…] Matthew operates within a sphere of thought seen in 1 Enoch and prevalent in early Jewish literature, a thought-world in which innocent blood, typified by the blood of Abel is central to the question of Jerusalem’s fate and its future” (Hervorhebung J.V.). 117 FITZMYER, Lk II, 951 erwägt, dass diese Charakterisierung „fits his [sc. Luke’s] general view of the OT in which most of it is regarded as some sort of prophecy.“ 118 Vgl. BOCK, Lk II, 1122. 119 Vgl. GNILKA, Mt II, 298. Aufgrund dieses Befunds ist es für die Fragestellung auch nicht zielführend, die Herkunft der Charakterisierung Abels als Prophet näher zu beleuchten, da diese Vorstellung offenkundig nicht mehr für die mt Fassung von Belang ist. Anders GUNDRY, Mt, 471, der daran zweifelt „that Matthew would have balked at the putting of Abel among the prophets“. 120 Vgl. MARSHALL, Lk, 505. 121 Zum Verhältnis der beiden Motive zueinander s.u. V.2.6. 122 Gemeint ist der Schriftprophet, der nicht mit dem Sacharja Ben (Je)Berechja in Jes 8,2 identisch sein dürfte (anders BLANK, Death, 329f. mit Verweis auf bMak 24b).
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(2Chr 24,20–22). Die beiden sind jedoch nicht identisch, insofern von Ersterem in VitProph 15,6 ein friedlicher Tod im hohen Alter bezeugt wird, während zweiterer als Sacharja Ben Jojada bekannt ist (2Chr 24,20; VitProph 23,1; Flav.Jos.Ant. IX 168.171). Als dritte Möglichkeit wird ein gewisser Sacharja Ben Bareis erwogen, der im Zuge der zelotischen Besetzung des Jerusalemer Tempels im jüdisch-römischen Krieg im Tempelareal hingerichtet wurde (vgl. Flav.Jos.Bell. IV 334–344). Die jeweilige Identifizierung des Sacharja hat zugleich Auswirkungen auf das Zueinander von Abel und Sacharja, sodass sich verschiedene Erklärungsmodelle finden lassen. Die verbreitetste ist dabei die kanonische Argumentation.123 Diese bezieht sich auf Sacharja Ben Jojada124 und basiert auf der Annahme eines abgeschlossenen hebräischen Kanons, welcher mit Gen beginnt und mit 2Chr endet. Der Totschlag Abels stehe somit am kanonischen Anfang, die Hinrichtung Sacharjas am Ende.125 Die Zeitspanne von Abel bis Sacharja entspräche somit der Gesamtheit der kanonischen Schriften Israels. Neben der grundlegenden Frage der Identifikation des Sacharjas sind es in erster Linie die Fragen nach der Kanonbildung,126 die eine solche Deutung problematisieren. Insbesondere der Verweis auf bBB 14b, aus welchem heraus 2Chr als endstelliges Buch postuliert wird, ist problematisch. Trotz einzelner Indizien, die einen ähnlichen Umfang dieses Kanons plausibilisieren,127 kann der Verweis auf den babylonischen Talmud nicht allein die Beweislast für
123 Vgl. BECKER, Zerstörung, 67; BLANK, Death, 331; DAVIES/ALLISON, Mt III, 319; FIEDLER, Mt, 357; FRANCE, Mt, 880; GIELEN, Konflikt, 318; NOLLAND, Mt, 947; TIWALD, Kommentar, 126.195; ZAHN, Mt, 658f. 124 Die in diesem Fall fehlerhafte Nennung von ȣੂȠ૨ ǺĮȡĮȤȠȣ im Mt wird zumeist als Versehen bestimmt (vgl. KONRADT, Mt, 365; STRECKER, Weg, 114 Anm. 5; SCHWEIZER, Mt, 290; ferner KALIMI, Story, 257 der neben einer Verwechslung eine bewusste Änderung zugunsten des bekannteren Propheten für möglich hält). Tatsächlich lässt sich auch in rabbinischer Zeit eine solche Namensverwechslung nachweisen, sodass eine Verschmelzung verschiedener Sacharja oder fehlerhafte Identifikationen nicht ungewöhnlich erscheinen (vgl. LUZ, Mt III, 374 mit Anm. 46; HAMILTON, Death, 156; ähnlich NOLLAND, Mt, 947, der von einer „deliberate interpretive equation“ spricht). 125 Es ist einschränkend hinzuzufügen, dass es sich keineswegs um die letzte Tötung von Propheten handelt (vgl. 2Chr 36,15f.). Allerdings findet sich nach Sacharja Ben Jojada in 2Chr kein weiterer eindeutig identifizierbarer Prophet, der getötet wird. Problematisch ist die Annahme, dass Sacharja der letzte getötete Prophet der monarchischen Zeit ist. Dies hat nicht nur den hier geschilderten Befund gegen sich, sondern auch die Tatsache, dass mit Uria in Jer 26,20–24 ein weiteres individuelles Prophetenschicksal berichtet wird, dass wesentlich näher am Ende der staatlichen Zeit zu stehen kommt. 126 Zur Kanonfrage vgl. SCHOEPFLIN, Kanon. 127 Die Nennung 24 kanonischer Bücher und deren Reihenfolge im rabbinischen Traktat hat, zumindest was die Zahl belangt, verschiedene ältere Zeugen für sich. So berichtet bereits Josephus von 22 Büchern, die vermutlich denselben Umfang meinen (vgl. SCHOEPFLIN, Kanon, 3.3).
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einen entsprechenden Kanon in dieser Reihenfolge für das 1. Jahrhundert n.Chr. tragen.128 Ein anderer Vorschlag, der ebenfalls die zeitliche Komponente fokussiert, identifiziert Sacharja mit dem Sohn Bareis, von welchem Josephus berichtet.129 Dessen Ermordung im Tempel wird auf 66 n.Chr. datiert und ermöglicht so die Annahme einer Zeitspanne, die vom Beginn der Menschheit bis in die unmittelbare Gegenwartserfahrung hineinreicht.130 Es ist nicht abwegig, dass der mt Autorenkreis auf zeitaktuelles Geschehen einzelner Personen verweist, insofern die Schrecken des jüdisch-römischen Kriegs durchaus im Evangelium aufgenommen sind. Andererseits scheint die mt Konzeption davon auszugehen, dass es eine prophetische Kontinuität gibt, die mit den biblischen Propheten beginnt und in Jesus bzw. seinen Nachfolgern mündet. Es stellt sich daher die Frage, ob ein nicht-christusgläubiger Prophet131 in zeitlicher Distanz zur Auferstehung für eine solche Endstellung vorstellbar wäre.132 Es ist zudem anzufragen, ob die Schilderungen in Flav.Jos.Bell. IV unabhängig von 2Chr zu lesen sind. Zwar zeigt die Erzählung einige Eigenständigkeiten auf, die ein gewisses Zutrauen in die Historizität ermöglichen (Gerichtskomödie, Wurf des Leichnams ins Tal, Bestrafung der Richter). Andererseits lassen einige Motive 2Chr 24 assoziieren,133 sodass eine 128 Vgl. PEELS, Blood, 593f. Dies gilt insbesondere für die Stellung der Chroniken, welche in den Codices keineswegs immer die Endstellung einnehmen. Im Codex Leningradensis stehen sie am Anfang der Ketubim, was in der Textausgabe der BHS ignoriert wird (vgl. SCHOEPFLIN, Kanon, 3.4). 129 Vgl. DÖPP, Deutung, 22f.; SCHMITHALS, Geschichte, 484. 130 Diese Deutung setzt voraus, dass die Endfassung des Q-Textes recht spät datiert wird (vgl. SCHMITHALS, Geschichte, 485) oder aber, dass der mt Kreis auf dieses Ereignis rekurriert und eine neue Identifikation des Sacharja vornimmt (vgl. GNILKA, Mt II, 301f.; STECK, Israel, 37–40). 131 Zwar wäre es in der Darstellung des Sacharjas nicht gänzlich ausgeschlossen, dass hier ein christusgläubiger Jude angeklagt wird und Josephus diesen Aspekt ausblendet. Dafür spräche, dass die Anklage vage bleibt und Josephus auch anderweitig auf das Schicksal von Christusgläubigen verweist, ohne auf deren Bekenntnis einzugehen, wie dies bei Jakobus (Flav.Jos.Ant. XX 200) der Fall ist und für Jesus Ben Ananias (Flav.Jos.Bell. VI 300–309) erwogen werden kann (vgl. THEIെEN, Bedeutung, 179f.). Da allerdings Sacharja durch das (jüdisches) Scheingericht nicht verurteilt wird, sondern sich dieses mit ihm solidarisiert (Flav.Jos.Bell. IV 341), ist diese Annahme eher unwahrscheinlich. Es bleibt also fraglich, ob Sacharja Ben Bareis für den mt Kreis tatsächlich eine Vorbildfunktion einnehmen konnte oder von ihm als Christusgläubiger memoriert wurde. 132 Vgl. BOCK, Lk II, 1123, der zudem darauf verweist, dass „a Christian gloss“ ebenso unwahrscheinlich ist, da es naheliegendere Märtyrer gegeben hätte. Der Verweis auf den biblischen Propheten heißt allerdings noch nicht, dass eine nachösterliche Bildung ausgeschlossen ist, denn der Ausspruch zielt offenbar nicht auf ein zeitaktuelles Geschehen. 133 Im Einzelnen kann festgehalten werden: der Name Sacharja, die „prophetische“ Anklage der Autoritäten (2Chr 24,20: ʌĮȡĮʌȠȡİİıșİ IJȢ ਥȞIJȠȜȢ țȣȡȠȣ; Flav.Jos.Bell. IV 339: ʌıĮȢ ĮIJȞ įȚİȟİȚ IJȢ ʌĮȡĮȞȠȝĮȢ), das Kriegssetting und die Lokalisierung des
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fiktional-aktualisierende Reformulierung dieser Geschichte möglich wäre. Sollte es sich bei der Erzählung von Josephus lediglich um eine aktualisierte Fassung von 2Chr 24 handeln,134 so wäre eine historische Bezugnahme des Mt hierauf gänzlich unwahrscheinlich. Darüber hinaus scheint die Namensähnlichkeit von ǺȡİȚȢ (Flav.Jos.Bell. IV 335) und ǺĮȡĮȤĮȢ (Sach 1,1) eher im Interesse des Lösungsvorschlags zu liegen, als eine Erklärung zu bieten. Da eine Identifikation mit Sacharja Ben Bareis auszuschließen ist, rekurriert das Logion wohl auch im Mt auf Sacharja Ben Jojada, was zugleich die Mehrheitsmeinung darstellt.135 Diese Identifikation Sacharjas mit dem in 2Chr 24 Genannten ist aufgrund der Ortsbeschreibung der Ermordung naheliegend und zugleich umstritten. Die eher detaillierte Beschreibung im Mt passe nicht zur recht allgemeinen Verortung in 2Chr. Es ist daher plausibel, dass VitProph 23 bzw. der Traditionskomplex, aus welchem die SacharjaErzählung stammt, zwischen Mt 23 und 2Chr 24 zu schalten ist.136 Dies passt zugleich zur übergeordneten Thematik des Prophetenmordes. Die Charakterisierung Sacharja Ben Jojadas zielt in 2Chr in erster Linie auf seine priesterliche Existenz, wenngleich er in einem prophetischen Kolorit auftritt, insoTodes im Tempelareal (2Chr 24,21: ਥȞ ĮȜૌ ȠțȠȣ țȣȡȠȣ; Flav.Jos.Bell. IV 343: ਥȞ ȝı IJ ੂİȡ). Möglicherweise ist die Darstellung der Tötung durch das Schwert durch VitProph 23,1 vorgestellt, da hier lediglich von Blutvergießen nicht von Steinigung gesprochen wird (anders SCHWEMER, VitProph, 652 Anm. 1e), die sich gegen die Schwertassoziation ausspricht). Die Differenz der „Bestattung“ (VitProph 23,1: „bei seinem Vater“; Flav.Jos.Bell. IV. 343: Wurf in Schlucht, möglicherweise ins Kidrontal) könnte durch eine fehlende Notiz in 2Chr 24 begründet sein. Trotz dieser auffälligen Parallelen berichtet Josephus auch das Schicksal des Sacharja Ben Jojada – allerdings erst in seinem Zweitwerk (Flav.Jos.Ant. IX 168.171). 134 Ein solcher Prozess ist auch aufgrund späterer christlicher Traditionsprozesse nicht unwahrscheinlich. Das Lebensende von Zacharias, dem Vater von Johannes dem Täufer, wird spätestens seit dem Protev ebenfalls mit den Farben aus 2Chr 24 gezeichnet (vgl. KÜCHLER, Jerusalem, 726). 135 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 319; FIEDLER, Mt, 357; KALIMI, Story, 251f.; KONRADT, Mt, 365; LUZ, Mt III, 373f.; PEELS, Blood, 598f.; SALDARINI, Delegitimation, 677 Anm. 50. 136 Die mt Bestimmung Ȟ ਥijȠȞİıĮIJİ ȝİIJĮȟઃ IJȠ૨ ȞĮȠ૨ țĮ IJȠ૨ șȣıȚĮıIJȘȡȠȣ weist starke Ähnlichkeiten mit den VitProph auf: Ȟ ਕʌțIJİȚȞİȞ ȦȢ ȕĮıȚȜİઃȢ ȠįĮ ਥȤંȝİȞĮ IJȠ૨ șȣıȚĮıIJȘȡȠȣ, țĮ ਥȟȤİİȞ IJઁ ĮੈȝĮ ĮIJȠ૨ ȠੇțȠȢ ǻĮȣį ਕȞ ȝıȠȞ ਥʌ IJȠ૨ ĮੁȜȝ. Die Fassung der VitProph scheint dabei zugleich stärker als das Mt an die Raumkonzeption und Personenkonstellation von 2Chr 24,21 gebunden zu sein: țĮ ਥȜȚșȠȕંȜȘıĮȞ ĮIJઁȞ įȚૃ ਥȞIJȠȜોȢ ǿȦĮȢ IJȠ૨ ȕĮıȚȜȦȢ ਥȞ ĮȜૌ ȠțȠȣ țȣȡȠȣ. Der Ort des Geschehens erfährt folglich literaturgeschichtlich eine zunehmende Spezifizierung. Nach 2Chr 24 erfolgte die Ermordung im Tempelvorhof, nach VitProph 23 in der Nähe des Altars, wobei das Blut „mitten vor dem Ailam“ vergossen wurde (SCHWEMER, VitProph, 653; d.h. unmittelbar vor der Vorhalle des Tempels). In Mt 23 erfolgt die Tötung zwischen Tempel und Altar, welches mit dem Ort der VitProph weitgehend identisch sein dürfte (ähnlich DIES., Vitae, 215f., die jedoch die Raumkonzeption in VitProph für „bewusster“ hält als die des NT).
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
fern der Erzählung über ihn eine allgemein gehaltene Notiz über die Sendung von Propheten durch JHWH vorangeht (2Chr 24,19) und sein Auftreten vor dem Volk und seine Botschaft prophetische Stereotype bedienen. In den VitProph wird die Charakterisierung Sacharjas als Prophet zwar terminologisch nicht deutlicher, ist aber durch dessen Aufnahme in das Korpus der Propheten offenkundig.137 In den Evangelien ist die prophetische Darstellung nur in Q 11,51 terminologisch eindeutig. Gleichwohl bleibt das prophetische Setting auch in Mt 23 erkennbar, wobei der spezifische Zusatz Ben Barachia als prophetische Charakterisierung gelesen werden kann. Sowohl durch die Lokalisation der Ermordung als auch die eindeutigere Charakterisierung Sacharjas als Prophet wird deutlich, dass Q/Mt und VitProph 23,1 ungefähr auf derselben literarischen Stufe zu stehen kommen, wobei die evangelische Tradition zwar jünger sein dürfte, eine literarische Abhängigkeit hingegen unwahrscheinlich ist. 138 Dies ist auch dahingehend bedeutsam, dass in beiden Fassungen eine Verbindung mit der Tempelzerstörung vorgezeichnet, aber noch nicht vollständig ausformuliert ist.139 In literarischer Hinsicht scheint es, dass VitProph näher an 2Chr gebunden bleibt als Q/Mt. Es ist daher davon auszugehen, dass Q/Mt eher auf VitProph bzw. der dahinterliegenden Tradition basiert denn auf 2Chr.140 Da Q/Mt eher 137 Bei Josephus ist ebenfalls das Zueinander von prophetischer und priesterlicher Existenz benannt (vgl. Flav.Jos.Ant. IX 168f.). In der rabbinischen Tradition ist die Wandlung zum Propheten auch terminologisch abgeschlossen (vgl. jTaan 69a; bGit 57b; bSan 96b; u.ö.). 138 Vgl. SCHWEMER, Studien II, 298. 139 Demgegenüber mutet seltsam an, dass der Erzählerkommentar in 2Chr 24,22 lediglich die Undankbarkeit des Joas tadelt, aber das Blutvergießen im Tempel nicht skandalisiert, sondern dieses gar in rechtliches Kolorit kleidet (vgl. JAPHET, 2Chr, 304f.). Es wäre allerdings auch denkbar, dass die Erzählung von Sacharja die allgemein gehaltenen Prophetenmorde im Vorfeld der Tempelzerstörung, die in 2Chr 36,15f. berichtet werden, exemplarisch illustriert. 140 Neben dem auffallenden lokalen Bezug auf den Altar, scheint auch die Beschreibung des Todes signifikant zu sein. Die VitProph zeichnen sich im Regelfall durch eine detaillierte Todesdarstellung aus (Jesaja: ʌȡȚıșİȢ İੁȢ įȠ [1,1]; Jeremia: ȜșȠȚȢ ȕȜȘșİȢ [2,1]; Micha: ਕȞૉȡșȘ țȡȘȝȞȦșİȢ [6,1]; Amos: ਥȞ ૧ȠʌȜ ʌȜȟĮȢ [7,1]; Joad: ਥʌIJĮȟİȞ ȜȦȞ [19,1]). Daher ist die Wortwahl ਕʌȠțIJİȞȦ in VitProph 23,1 auffällig (vgl. noch Ezechiel [3,1]). Dies gilt umso mehr angesichts der Angabe ਥȜȚșȠȕંȜȘıĮȞ in 2Chr 24,21. Während sich dieser Befund für VitProph nicht erhellen lässt, bleibt bedeutsam, dass die Evangelien ebenfalls einen allgemeinen Terminus für die Tötung des Sacharja gebrauchen, was abermals auf eine Nähe zu VitProph deutet. In den beiden Evangelien treten für diese allgemeine Umschreibung deren Vorzugswörter hervor. Lukas nutzt ਕʌંȜȜȣȝȚ, wobei die Verteilung in den Evangelien für sich spricht: Mt (19); Mk (10); Lk (27); Joh (10). Ähnliches gilt für den mt Gebrauch von ijȠȞİȦ (vgl. dazu Anm. 169). Für die mt Textfassung ist einerseits hervorzuheben, dass in der Beschreibung der Tötung eine syntaktische Parallele vorliegt (Ȟ ਕʌțIJİȚȞİȞ ȦȢ ȕĮıȚȜİઃȢ ȠįĮ ਥȤંȝİȞĮ IJȠ૨ șȣıȚĮıIJȘȡȠȣ bzw. Mt: Ȟ ਥijȠȞİıĮIJİ ȝİIJĮȟઃ IJȠ૨ ȞĮȠ૨ țĮ IJȠ૨ șȣıȚĮıIJȘȡȠȣ); andererseits, dass die Nennung von „töten und
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von der in VitProph greifbaren Tradition abhängig sind als von 2Chr, ist eine neuer Vorschlag für die Endstellung des Sacharjas im Wehruf-Logion zu erwägen: In einem nicht näher zu bestimmenden Teil des Frühjudentums erfolgte eine Zusammenstellung prophetischer Personen, in welcher Sacharja Ben Jojada die Endstellung einnimmt. Sowohl die VitProph als auch das Logion in Q/Mt partizipieren an dieser Vorstellung, die sich unabhängig vom Postulat eines bereits abgeschlossenen Kanons erklären lässt. Die Zeitspanne als Ausdruck von „Vollständigkeit“141 ist damit weder kanonisch (Gen bis 2Chr) noch historisch (Schöpfung bis römisch-jüdischer Krieg) ergründet, sondern findet ihren Zielpunkt im letzten erinnerten Propheten der biblischen Geschichtsschreibung der staatlichen Zeit.142 Dieser prophetische Lösungsvorschlag entspricht damit dem Zeitraum, der auch in der kanonischen Lösung präsentiert wird, ist aber nicht auf den Kanon als solchen angewiesen. Gleichwohl wird ein Zeitraum umrissen, der durch das Blutvergießen vom Anfang der Menschheitsgeschichte bis zum Ende der staatlichen Zeit Israels reicht, wobei dieses in der Tötung der Propheten kulminiert. Dass das Ende mit Sacharja Ben Jojada markiert wird, ist dabei nicht nur formal durch die Schlussstellung in den VitProph, sondern auch sachlich durch die beginnenden Vorzeichen hinsichtlich des Tempelkultes begründet (vgl. VitProph 23,2). Damit ist es unerheblich, dass es „(noch) andere Propheten“ gibt,143 die in Frage kämen, da diese offenbar nicht Teil dieser Erinnerungskultur sind.144 steinigen“ in Mt 23,37 dieser Interpretation nicht widerspricht, da diese zwar einen Zusammenhang mit der Sacharja-Erwähnung evozieren mag, aber besser als intratextuelle Referenz auf Mt 21,35 zu verstehen ist (s.u. V. Exkurs 3). Zudem gilt mit WOLTER, Lk, 497, dass mit ਕʌȠțIJİȞȦ țĮ ȜȚșȠȕȠȜȦ „kein historischer Rückblick gegeben, sondern eine Wesensaussage formuliert (wird).“ 141 In dieser Zuspitzung als übergeordnete Kategorie sieht KONRADT, Israel, 249f. keinen großen Bedeutungsunterschied zwischen der kanonischen und der historischen Deutung; anders DERS., Mt, 365. 142 Die Rückführung dieser Tradition auf VitProph relativiert zudem eine weitere Schwierigkeit. In der LXX wird der Name Sacharja Ben Jojadas mit ǹȗĮȡȚĮȢ wiedergegeben, weshalb ein Rückbezug auf jenen erschwert sei (vgl. GALLAGHER, Blood, 123– 129 mit Verweis auf die Auslegungsgeschichte der griechischsprachigen Kirchenväter; SCHWEIZER, Mt, 290). In den VitProph ist Sacharja hingegen mit ǽĮȤĮȡĮȢ wiedergegeben (vgl. SCHWEMER, Studien II, 72*), sodass der Wiedererkennungswert gegeben ist. 143 SCHWEMER, VitProph, 655 (VitProph Subscriptio). Welche damit gemeint sind, muss offenbleiben. Faktisch kann aus dem kanonischen Textbestand nur die Ermordung Urias (vgl. Jer 26) als namentlich genannter Prophetenmord erhoben werden (s.o. Anm. 98). 144 Die vorgeschlagene These hat zwei Schwachstellen. Einerseits sind die VitProph in mehreren Fassungen überliefert und bezeugen unterschiedliche Reihenfolgen. Öfter, aber nicht durchweg, kommt die Vita von Sacharja Ben Jojada in der Endstellung zu stehen. Gleichwohl lassen sich die Änderungen häufig erklären, sodass die VitProph „nach der wahrscheinlich ursprünglichsten Reihenfolge Sacharja Ben Jojada als letzten Propheten (nennen)“ (SCHWEMER, Studien I, 31; zur Diskussion vgl. ebd., 27–31). Andererseits
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In ebendiese ist offenbar auch Q einzuordnen. Es ist wahrscheinlich, aber nicht zu beweisen, dass diese Erinnerungskultur auch vom Schriftgelehrtenkreis der mt Gemeinde erkannt und beibehalten wurde. Darauf deuten der Beibehalt der sprachlichen Verschränkungen mit Q und damit der Erzählfassung von VitProph bei gleichzeitiger sachlogischer Annäherung an die Erzählfassung in 2Chr 24.145 Erklärungsbedürftig bleibt die Charakterisierung Sacharjas als ȣੂȠ૨ ǺĮȡĮȤȠȣ. Als favorisierte Lösung erscheint die Annahme einer Verwechslung.146 Denkbar wäre zudem eine Verschmelzung zweier Sacharja, insofern dem bekannten Schriftpropheten der Tod des eher unbekannten prophetischen Priesters zugesprochen wird.147 Eine solche Verschmelzung wäre jedoch hinsichtlich der Nähe zu VitProph, welche die beiden Sacharja eindeutig differenziert, problematisch. Alternativ wird eine Verschmelzung „for theological reasons“ erwogen.148 Demnach soll durch ȣੂȠ૨ ǺĮȡĮȤȠȣ eine bewusste intertextuelle Referenz zu Sach 1,1.7 hergestellt werden, wodurch das prophetische Wort Sach 1,2–6 aufgerufen wird.149 Der jeweilige Verweis auf die Väter stellt damit in erster Linie eine Warnung an die Autoritäten dar, die
erfolgt eine Problemverlagerung, insofern die Endstellung des Sacharja Ben Jojada auf die VitProph bzw. des im Hintergrund stehenden Traditionsmilieus verlagert wird. Dass Sacharja als letzter Prophet genannt wird, bedarf in den VitProph zwar des Einbezugs der Chroniken, aber nicht deren etwaigen Endstellung im Kanon (anders SCHWEMER, Vitae, 224f.). Vielmehr beschließt dessen Vita die exemplarische Auswahl von sieben Propheten aus den Geschichtsbüchern (1/2Sam; 1/2Kön; 1/2Chr), wobei Sacharja offenbar als Zeitgenosse zu Elia und Elisa einbezogen wird. Während die Auswahl dieser sieben Propheten ungeklärt bleiben muss, ist die Anordnung derselben chronologisch erklärbar (vgl. hierzu DIES., Studien II, 284). Falls der Sacharja im Logion mit Sacharja Ben Jojada identifiziert wird, muss seine Stellung als „letzter Prophet“ in Q/Mt daher entweder die Kenntnis der VitProph bzw. deren Traditionshintergrund oder aber die kanonische Abfolge der biblischen Bücher voraussetzen. M.E. stellen die VitProph insgesamt die zeitgenössisch wahrscheinlichere Bezugsgröße dar. 145 Vgl. MCAFEE MOSS, Zechariah, 112. 146 S.o. Anm. 124. 147 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 319. Anders GUNDRY, Mt, 471, der die Verschmelzung durch die Zitataufnahme in Mt 27,9f. begründet sieht. Weitergehend RÖLVER, Existenz, 335, der annimmt, dass die beiden biblischen Sacharjas noch mit Sacharja Ben Bareis verschmolzen sind. 148 MCAFEE MOSS, Zechariah, 122. 149 Vgl. MCAFEE MOSS, Zechariah, 123: „Zech 1.2–6 recalls a situation where people in the past had to make the decision whether to continue, or to break with, the behavior patterns of their forebears. The inclusio around verses 2–6 is the twofold identification of Zechariah as son of Berechiah, son of Iddo (1.1, 7). The language almost turns in on itself, as the prophet exhorts the present generations not to be like their fathers in rejecting the God who speaks through prophets: […]“ (Hervorhebungen im Original).
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abermals zur Umkehr aufgerufen werden.150 Problematisch bleibt bei dieser Lesart, dass der Abrechnungscharakter der Wehrufe in gewisser Hinsicht konterkariert wird. Gleichwohl könnte die Pragmatik ebendarin liegen, insofern die Abrechnung in der erzählten Zeit volle Gültigkeit besitzt, während der implizite Umkehrruf in besonderem Maße für die Erzählzeit ausgesprochen ist. Die Angesprochenen (~80 n.Chr.) sollen demnach mit der eigenen Vätergeneration (~30 n.Chr.) brechen, die wie deren Vätergeneration (von Abel bis Sacharja) die Prophetentötung praktiziert hat. Eine weitere plausible Annahme ist, dass der mt Kreis schlichtweg das prophetische Kolorit des Logions verdeutlichen wollte und den prophetischen Priester durch die Identifikation mit dem Schriftpropheten eindeutig als Prophet gekennzeichnet wissen wollte.151 Während die Endstellung des Sacharja Ben Jojada durch eine Erinnerungskultur erklärbar ist, die sich in den VitProph niederschlägt, stellt sich weiterhin die Frage, ob und welcher Zusammenhang zu Abel – jenseits der zeitlichen Dimension – besteht. Es finden sich mehrere Aspekte, die ein sachlogisches Zueinander anzeigen.152 Exkurs 2: Sacharja in der rabbinischen Literatur Aufgrund der Identifikation Sacharjas mit dem Sohn Jojadas und dem Stellenwert der Blutthematik wurde bisweilen auf die rabbinische Literatur verwiesen.153 Die vermutlich älteste Fassung der rabbinischen Sacharja150
Vgl. MCAFEE MOSS, Zechariah, 124: „With Zech 1.1–6 in mind, it is possible to read the text of Matt 23.29–36(37–39) in a similar way. If the scribes and Pharisees persist in their refusal to acknowledge Jesus, they will bring upon themselves God’s righteous judgment, as their fathers did when they rejected the word of God which the former prophets spoke in order to bring them back to God. This reading yields an interpretation of Jesus’ woes, combined with a prediction of desolation, as a conditional pronouncement: if the scribes and Pharisees will repent and acknowledge Jesus, then their pending judgement will be lifted“ (Hervorhebung im Original). 151 Vgl. ZAMFIR, Motifs, 154 Anm. 51. 152 Vgl. PEELS, Blood, 598; MCAFEE MOSS, Zechariah, 113. Die folgende Argumentation (s.u. V.2.5.) beschränkt sich weitgehend auf die mt Textfassung und prüft daher das Zueinander von Abel und Sacharja, wie es im Mt präsentiert wird. Die einzelnen Aspekte wären in ähnlicher Weise für Q keineswegs abwegig, sind aber nicht eindeutig am Text festzumachen. Weiterführende Erwägungen zu den Hintergründen in Q bleiben daher außen vor. 153 Der Seitenblick auf die Rabbinica ist nicht zuletzt durch deren Gebrauch bei HAMILTON, Death, 130–147 begründet. Angesichts der grundsätzlichen methodischen Vorbehalte rekurriert sie auf Richard Bauckham und hält für ihre Untersuchung der Sacharja-Legende fest: „Yet he also argues that study even of rabbinic texts is useful for understanding the New Testament, in part because theses texts may preserve old traditions, but also because they show the use of interpretive approaches shared in common with the New Testament period. In case of the Zechariah story, both points appear to be true. Continuity between
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Legende findet sich in jTaan 69a,65–69b,10154 und ist im engeren Sinne eine Erklärung, weshalb 80.000 Priesternachkommen „über dem Blut Sacharja[s]“ starben (jTaan 69a,65–71).155 Die Erzählung umfasst drei Abschnitte und beginnt mit der Näherbestimmung des Orts der Ermordung (Priestervorhof) durch Verweise auf Lev 17,13 und Ez 24,7 (jTaan 69a,65–71).156 Diesem folgt als eine Art Zwischenfazit eine umfassende Delegitimierung der Tat, worin das Motiv des unschuldigen Blutes aufgegriffen wird (jTaan 69a,71– 73).157 Der abschließende narrativ ausgestaltete Abschnitt setzt die bereits erfolgte Eroberung Jerusalems voraus und ist offenbar im Tempelareal lokalisiert (vgl. Jer 39,1–10; 2Kön 25,1–21). Nebuzaradan fällt aufwallendes Blut auf und er möchte die Hintergründe erfahren. Trotz der Schlachtung von Opfertieren und 80.000 Priesternachkommen versiegt das Blut nicht,158 sodass erst die erzürnte Frage, ob das Blut die Auslöschung der ganzen Nation fordere, zum Erbarmen Gottes führt und das Blut verschlungen wird.159 Die Lives of the Prophets and the rabbinic legends (with Matthew falling somewhere in between) points to an old common tradition“ (ebd., 131). 154 Zur Textgrundlage vgl. LEHNARDT, Taޏaniyot, 152–154. 155 Die Erwähnung von 80.000 Priesternachkommen findet sich auch in den nächsten beiden Erzählkomplexen jTaan 69b,10–13.13–27 (vgl. LEHNARDT, Taޏaniyot, 154f.). 156 Die Frage wird von Rabbi Judan an Rabbi Acha gerichtet und in dieser Konstellation häufig rezipiert (vgl. EkhaR Proems V.XXIII; II.2, § 4; IV.13 § 16; QohR X.4, § 1; PesK XV; ähnlich QohR III.16, §1). 157 Vgl. LEHNARDT, Taޏaniyot, 153: „Sieben Übertretungen (zugleich) begingen (die) Israeliten an diesem Tag: Sie töteten einen Priester, Propheten und Richter; sie vergossen unschuldiges Blut; sie machten den Vorhof unrein; (außerdem) war Shabbat, und (es war) der Yom ha-Kippurim.“ Die literarische Funktion des unschuldigen Blutes ist in diesem Passus nicht eindeutig zu bestimmen. Einerseits könnte das Motiv als Zentrum der Aufzählung verstanden werden, andererseits deutet die zweifache Zeitbestimmung auf eine Steigerung hin, die den gesamten Sündenkatalog komparativ erscheinen lässt. Das Vergießen unschuldigen Blutes wird durch Ort und Zeitpunkt übertroffen, sodass eine Schwellenfunktion nur bedingt erkennbar ist. Anderseits ist der Bezug auf ein israelbezogenes Strafgericht unverkennbar, was sich insbesondere im Stellenwert der Blutthematik im letzten Abschnitt zeigt. Die Charakterisierung des Blutes als unschuldiges Blut findet sich jedoch nur in jTaan und (vermutlich) davon abhängigen Midraschim. Die babylonischen Fassungen (bGit 57b; bSan 96b) zeigen an, dass die Blutthematik auch ohne das Motiv des unschuldigen Blutes behandelt werden kann. Dies spricht abermals dafür, dass das Motiv nur eine untergeordnete Funktion einnimmt. 158 Nach HAMILTON, Death, 144 rekurriert die hohe Opferzahl einerseits auf die traumatischen Erfahrungen der zweifachen Eroberung Jerusalems und Zerstörung des Tempels, andererseits wird dadurch der Ernst der Problemlage des unschuldigen Blutes unterstrichen. Hier gilt es zu bedenken, dass diese zweite Bezugnahme nur für jTaan (und hiervon abhängigen Schriften) gültig ist, da im babylonischen Talmud zwar die Opferzahlen höher liegen, der Verweis auf das unschuldige Blut jedoch fehlt. Hier liegt die hohe Opferzahl offenbar einzig im Mord an Sacharja begründet. 159 In den Fassungen des babylonischen Talmuds (bGit 57b; bSan 96b) mündet die Szene – anders als in jTaan – in die Konvertierung von Nebuzaradan zum Judentum (vgl.
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Legende findet sich in verschiedenen Variationen in weiteren rabbinischen Schriften wieder, wobei hier eine gewisse Abhängigkeit untereinander zu vermuten ist.160 Insgesamt kristallisiert sich ein Motivelement aus den Rabbinica heraus, welches einer näheren Erklärung bedarf: der Blutfleck im Tempel. In Protev 23f. findet sich eine Erzählung, die vom Martyrium des Zacharias, des Vaters des Johannes, berichtet. Einzelne sprachliche Indizien legen nahe, dass der Text primär von Mt 23,34–36 und 2Chr abhängig ist.161 Das markanteste Motiv ohne Parallele ist die Vorstellung eines Blutflecks statt einer Leiche am Altar (Protev 24,2: ʌĮȡ IJઁ șȣıȚĮıIJȒȡȚȠȞ ȀȣȡȓȠȣ ĮੈȝĮ ʌİʌȘȖંȢ), welcher auch EkhaR Proems XXIII). Hamilton versteht diese als Hoffnungszeichen angesichts der Bluttilgung im innerweltlichen Gericht (vgl. HAMILTON, Death, 147). Diese Episode kann indes nicht in die Logik des unschuldigen Blutes eingetragen werden, da die babylonischen Fassungen lediglich die dritte Erzählpassage überliefern. Weder die Lokalisierungsfrage noch die Charakterisierung der Bluttat in ihrer siebenfachen Sündhaftigkeit (unter Nennung des unschuldigen Blutes) findet sich in bGit 57b; bSan 96b. 160 Vgl. bereits STRACK/BILLERBECK, Bill. I, 940–942. Neben den drei talmudischen Belegen wird auf die Midraschim (PesK; EkhaR; QohR) verwiesen. In literaturgeschichtlicher Hinsicht, wobei eine Datierung nur auf Endtextebene möglich ist (vgl. STEMBERGER, Einleitung, 60), dürfte dabei jTaan 69ab die älteste Fassung der Sacharja-Legende darstellen (4. Jahrhundert). Das Verhältnis zu den zwei Traktaten des babylonischen Talmuds (bGit 57b; bSan 96b) lässt sich nur schwer bestimmen, ist aber aufgrund der fehlenden Nennung des unschuldigen Blutes irrelevant. Als weitere Zeugen sind PesK (5. Jahrhundert; ebd., 327); EkhaR (5./6. Jahrhundert; vgl. ebd., 315); QohR (6.–7./8. Jahrhundert; ebd., 352) zu nennen. Die wörtliche Wiedergabe der siebenfachen Sündenliste spricht am stärksten für eine zitatartige Aufnahme von jTaan in den jeweiligen Midraschim. Bisweilen wird diese Sacharja-Legende mit weiteren Sacharja-Nennungen in Verbindung gebracht: In der rabbinischen Ausdeutung von Klgl 2,20 wird die KannibalismusKlage in Klgl 2,20a als Folge der Ermordung von Priestern und Propheten in Klgl 2,20b begründet (vgl. bJoma 38b; EkhaR I.16, §51; II.20, § 23). Dieser Traditionsstrang scheint weitgehend unabhängig von der Sacharja-Legende zu sein und rezipiert offenbar dessen Doppelcharakterisierung als „Priester und Prophet“, welche sich auch aus 2Chr 24 und VitProph 23 ergibt. Es ist fraglich, ob damit die Sacharja-Legende vollständig aufgerufen wird (so HAMILTON, Death, 132 Anm. 7) und deshalb einen „breiten Raum“ in den Rabbinica einnimmt (EGO, Targum, 180). Ein weiterer unzulässiger Verweis ist der Einbezug von MekhJ als Zeugen für das hohe Alter der Sacharja-Legende (implizit bei HAMILTON, Death, 130.141.143): Im Traktat Amalek wird Sacharja nicht mit Namen benannt und auch seine Ermordung steht nur bedingt im Fokus; vielmehr zielt die Passage primär auf das Schicksal des Königs Joas ab. Die Ausdeutung des Rachemotivs (vgl. 2Chr 24,22) bleibt auf Joas bezogen und eine Ausweitung auf Israel ist nicht erkennbar. Die Aufnahme von 2Chr 24 bleibt damit weitgehend auf der Ebene einer Schriftzitation. 161 Nach Protev 23,3 wird Herodes unschuldiges Blut vergießen (ਕșȠȞ ĮੈȝĮ ਥțȤȪȞİȚȢ; möglich ist hier neben Mt 23,35 eine Referenz auf Jer 33,15LXX); der Tötungsakt wird mit ijȠȞİȦ umschrieben (Protev 23,3; 24,2.3; vgl. Mt 23,35); der Mord erfolgt in der Nähe des Altars (șȣıȚĮıIJȡȚȠȞ: Protev 24,2; vgl. Mt 23,35; Q 11,51; VitProph 23,1). Anderweitige Referenzen finden sich zudem durch die Tötung durch einen König (Protev 23,2f.; vgl. 2Chr 24,22; VitProph 23,1) und das Motiv der Rache (Protev 24,2; vgl. 2Chr 24,22).
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zudem zu Stein verwandelt wurde/geronnen ist (Protev 24,3: IJઁ ĮੈȝĮ ĮIJȠ૨ ȜȓșȠȞ ȖİȖİȞȘȝȑȞȠȞ). Gleichwohl findet sich das Motiv auch in anderen christlichen Texten, sodass hier keine Singularität vorliegt.162 Womöglich liegen hier erste Indizien vor, dass die Erzählung aus 2Chr 24 mit Ez 24,7 verbunden wurde. Dieses Zusammenlesen ist für die rabbinische Sacharja-Legende konstitutiv. Damit werden die Spezifika der rabbinischen Sacharja-Tradition in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhundert greifbar.163 Mit Protev 23 als literarischem Zeugnis findet sich für das Kolorit der rabbinischen Erzählungen ein naheliegenderer Bezug, als dies für VitProph und Mt/Q der Fall ist.164 162
In Tertullian, Scorpiace VIII.3 (Anfang 3. Jahrhundert) steht: Zacharias inter altare et aedem trucidatur perennes cruoris sui maculas silicibus assignans. Durch dessen Einreihung in die Gruppe der biblischen Propheten David, Jesaja und Jeremia ist eine Identifikation mit Sacharja Ben Jojada naheliegend, wenngleich die Beschreibung des Todesorts und der Todesart von den Evangelien abhängig sein dürfte. Der Verweis auf die unvergänglichen Blutflecke lässt sich auch hier nicht aus den literarischen Vorstufen erklären und zeigt an, dass im Hintergrund offenbar eine Sacharja-Legende steht, die in Protev für Zacharias adaptiert wurde. Zu nennen ist zudem das Itinerarium Burdigalense, in welchem erwähnt wird, dass das Blut des Sacharja noch auf dem Steinboden zu sehen sei (vgl. BRODERSEN [Hg.], Reise, 54f.). Die Darstellung und der Verweis auf die Soldaten deutet allerdings darauf, dass hier der neutestamentliche Zacharias gemeint ist und die Legende auf Protev 23f. fußt (vgl. KÜCHLER, Jerusalem, 726). Demnach zeigt sich, dass um 333 eine Jerusalemer Lokaltradition mit dem Blutfleck des Sacharjas bekannt ist. Sollte das allgemeine Urteil anwendbar sein, wonach in den frühen Pilgerberichten nur wenige genuin christliche Traditionsorte bezeugt sind (vgl. VAN DER HORST, Prophetengräber, 17f.), könnte hier eine frühjüdische Ortstradition im Hintergrund stehen, die christlich überlagert wurde. 163 Eine nähere Bestimmung ist gleichwohl von der Datierung des Protev abhängig. TOEPEL, Protevangelium, 32–42 datiert auf 180–200 (ähnlich PLISCH, Bibel, 30; anders KÜCHLER, Jerusalem, 726, der vom Ende des 3. Jahrhundert ausgeht). Für die Datierung der rabbinischen Sacharja-Legende verweist EGO, Targum, 180f. mit Bezug auf BLANK, Death, 340f. auf R. Jehoschua b. Qarcha als Ersttradenten und zieht mit bGit 57b die Hadrianische Verfolgung als historischen Haftpunkt heran. Selbst wenn diese Datierung statthaft ist, dann liegen hier bestenfalls die Anfänge der Legende und selbst diese sind in zeitlicher Hinsicht eher von VitProph/Mt/Q abhängig als umgekehrt. 164 Die „shared thought-world“ bzw. „shared interpretative traditions“, die HAMILTON, Death, 152 mit Anm. 3 für die Rabbinica, Mt und VitProph postuliert, lässt sich daher eher für Protev 23f. und Rabbinica behaupten, sodass die Legendenbildung eher im 2. Jahrhundert ihre Ursprünge hat und somit als sekundärer Auswuchs zu VitProph und Mt zu werten ist. Der Einbezug der Rabbinica ist bei Hamilton offenbar zur Klärung der Herkunft des Syntagmas ĮੈȝĮ ǽĮȤĮȡȠȣ motiviert, welches in 2Chr nicht hervorsticht (vgl. ebd., 154). Zu Unrecht schließt sie dabei m.E. eine Bezugnahme auf 2Chr 24,25 aus, da es sich hier nicht um unschuldiges Blut handele (ebd., 153 Anm. 7). Dieser Verweis ist zwar korrekt, verkennt aber, dass das Motiv des unschuldigen Blutes erst durch den mt Kreis eingetragen wurde. Das Blut Sacharjas in Q 11,51 kann daher problemlos aus 2Chr 24,25 entnommen und später vom mt Kreis transformiert worden sein. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das Motiv des unschuldigen Blutes dem „dtr“ Sprachgebrauch
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Vor diesem Hintergrund ist es daher plausibel eine literaturgeschichtliche Entwicklung anzunehmen, die auch hinsichtlich des Erzählumfangs und der ausschmückenden Details kohärent ist. Dies gilt insbesondere für den jeweiligen Bezug des Todes Sacharjas auf die Tempelzerstörung. Dieser ist in 2Chr nicht existent und bleibt in VitProph und vermutlich auch in Q implizit.165 Noch auf der Ebene des Mt ist lediglich ein semi-expliziter Zusammenhang in Form einer Gerichtsdrohung hergestellt.166 Auf dieser Ebene bleibt trotz aller Transformation auch Protev stehen, insofern der țįȚțȠȢ lediglich angekündigt wird (Protev 24,2). Die narrative Ausgestaltung der talmudischen Erzählungen, die nicht nur geschichtsdeutend, sondern auch geschichtsschreibend einen Zusammenhang der Ermordung Sacharjas mit der Tempelzerstörung benennen, 167 ist als jüngstes Stadium dieser Entwicklung plausibel. 2.5. Von Abel bis Sacharja Die Nennung des Motivs des unschuldigen Blutes fungiert als eine Art Überschrift, welche die beiden Figuren Abel und Sacharja (Ben Jojada) unter dem Aspekt des Gerechtseins sachlogisch zusammenbindet.168 Während dies bei Abel explizit durch dessen Charakterisierung als Gerechten zum Ausdruck gebracht wird, klingt dies bei Sacharja höchstens implizit an, insofern
entstammt und in den Büchern der Chroniken (abgesehen vom sekundären Einschub in 2Chr 36,5dLXX) keine Verwendung findet (vgl. hierzu II.2.). Dementsprechend lässt sich das Blutmotiv aus den erzählerischen Grundlagen 2Chr 24,25; VitProph 23,1 erklären, die Charakterisierung desselben als unschuldiges Blut als mt Proprium kennzeichnen. Ein Heranziehen der Rabbinica ist demnach weder notwendig noch sinnvoll. Ein kreativer Prozess muss ohnehin für das Blut Abels vorausgesetzt werden, welches kein geprägter literarischer Topos ist. Das eher lose Zueinander von ĮੈȝĮ und ǹȕİȜ (Gen 4,9f.) findet sich noch in Philo det. 69; ApkMos 2,2, sodass das ĮੈȝĮ ਢȕİȜ erstmals neutestamentlich bezeugt ist (Lk 11,51/Mt 23,35; vgl. Hebr 12,24). 165 Zu VitProph vgl. SCHWEMER, Vitae, 223f. 166 Es wird hier von semi-explizit gesprochen, da in der kompositorischen Zusammenstellung der Wehrufe mit dem Jerusalemwort einerseits eine Verdeutlichung erfolgt, die so in Q noch nicht gegeben ist, andererseits die Gerichtsthematik nicht exklusiv auf den Tod des Sacharjas fokussiert wird. Vielmehr steht weiter das Motiv des unschuldigen Blutes im Fokus der Gerichtsbegründung. In den Rabbinica wird hingegen die Eroberung Jerusalems und die Tötung der Priesternachkommen einzig durch das Blut Sacharjas begründet. Eine solche personale Zuspitzung ist möglicherweise sogar erst durch diejenige des Mt auf das Blut Jesu inspiriert. 167 Vgl. jTaan 69a,65–69b,10. 168 Der mt Kreis umgeht so die Problematik des Q-Textes, welcher die beiden Figuren unter dem Stichwort Prophet zusammenführt. Mag dies für Sacharja gültig sein, findet sich in der Umwelt kein Hinweis, dass Abel als Prophet verstanden wurde (s.o. V.2.4.2.).
300
V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
die Tötung durch ijȠȞİȦ als illegitim bestimmt ist.169 Wenngleich das Gerechtsein bzw. Unschuldigsein der Figuren ein notwendiges Postulat hinsichtlich der Erzähllogik in Gen 4; 2Chr 24 darstellt,170 bleibt dennoch auffällig, dass in erster Linie die Bluttat als solche disqualifiziert wird.171 Damit ähnelt die biblische Figurenzeichnung einem zentralen Aspekt des Motivs des unschuldigen Blutes: Im Fokus steht weniger die (moralische) Integrität der Ermordeten (anders Hebr 11,4; 1Joh 3,12), als die radikale Delegitimierung der Tat als solcher. Ein weiteres „Charaktermerkmal“ eint die beiden Figuren, insofern sie jeweils zu Gott rufen und um (Blut-)Rache bitten.172 In beiden Fällen scheint diesem Ruf eine Zeugenfunktion zuzukommen. Der Blutschrei Abels evoziert Gott als Richterfigur,173 während Sacharja selbst Gott als Richter herbeiruft: įȠȚ țȡȚȠȢ țĮ țȡȚȞIJȦ (2Chr 24,22).174
169
Die Verwendung von ijȠȞİȦ ist im NT äußerst selten und wird primär im Zusammenhang mit der Zitation des Dekalogs gebraucht (Mt 5,21; 19,18; Mk 10,19; Lk 18,20; Röm 13,9; Jak 2,11). Weiterer Gebrauch findet sich lediglich in Jak 4,2; 5,6 und Mt 23,31.35. Aus Mt 23,31 lässt sich ableiten, dass der mt Kreis die Ermordung der Propheten mit dem Dekalog in Beziehung setzt und somit die Taten der Väter an den Propheten zusätzlich als expliziten Verstoß gegen die Gebote Gottes disqualifiziert (ähnlich GUNDRY, Mt, 471). In der frühjüdischen Umwelt findet sich neben dem dekalogischen Gebrauch (1Hen 99,15?; Sib II 73; III 765?; Philo decal. 36) die Verwendung im Zusammenhang von Kain und Abel (1Hen 22,7.12; 1Hen 100,2?; ApkMos 3,1; 40,4; Philo det. 178). Dies mag Zufall sein, ist gleichwohl auffällig. 170 In Gen 4 ergibt sich dies aus der Annahme des Opfers durch JHWH. Für 2Chr sind die Aspekte des göttlich-prophetischen Auftrags (2Chr 24,19f.) und der Verweis auf die Barmherzigkeit seines Vaters (2Chr 24,22) zu nennen, welche die Tötung eindeutig als illegitim bestimmen. 171 Die Disqualifikation der Bluttat Kains erfolgt „von höchster Stelle“ in Form einer Gottesrede, während in 2Chr die Hinrichtung Sacharjas einerseits durch einen Erzählerkommentar (2Chr 24,22), andererseits durch eine spätere Blutrache (2Chr 24,25; ਥʌșİȞIJȠ […] ਥȞ ĮȝĮıȚȞ ȣੂȠ૨ ǿȦįĮİ) diskreditiert wird. 172 Im Falle Abels ist dieser Ruf auf das Blut Abels verlagert (vgl. Gen 4,10; Jub 4,3; Philo sacr. 69.79; Hebr 12,24), obgleich dieses Rufen in wenigen Texten auch an Abel selbst rückgebunden erscheint (1Hen 22,5–7: rufendes ʌȞİ૨ȝĮ in der Unterwelt; s.o. Anm. 116). Die Vorstellung eines solchen Blutschreis mit Bitte um göttliche Intervention/Rache findet sich zudem in 2Makk 8,3f.; ähnlich Hi 16,18. Der Vorstellungskomplex in Verbindung mit dem Blut der Gerechten stellt zudem ein zentrales Motiv in 1Hen 47 (s.o.S. 96 Anm. 258) dar. Trotz der Vorbehalte hinsichtlich der Datierung (s.o.S. 42 Anm. 7), liegt hier ein ähnlicher Motivkomplex vor, insofern Gebet („Ruf“) und Blut aufeinander bezogen sind und von der Erde aufsteigen. Dieser Vorgang wird im Himmel in der Hoffnung auf das anstehende Gericht positiv aufgenommen (ähnlich auch Apk 19,2). 173 Vgl. GERTZ, Gen, 168f. 174 Ähnlich auch Flav.Jos.Ant. IX 169. Dieser Aspekt fehlt in den VitProph, allerdings wird im Anschluss an die Ermordung vom Verlust kultischer Fähigkeiten im Jerusalemer Tempel berichtet, was sich am besten als göttliche Strafe verstehen lässt. Das Rufmotiv fehlt indes gänzlich.
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Dieser Konnex unterstreicht offenbar das jeweilige Gerichtsszenario und fokussiert so auf das göttliche (Straf-)Gericht.175 Ein weiterer Aspekt, den das Evangelium vorgibt, ist das Vergießen des unschuldigen Blutes ਥʌ IJોȢ ȖોȢ (Mt 23,35).176 Es wäre möglich, dass ਥʌ IJોȢ ȖોȢ auf den Blutschrei Abels ਥț IJોȢ ȖોȢ rekurriert.177 So zentral der Land-/ Ackeraspekt in Gen 4 auch ist, erklärt eine solche Verschränkung weder den Mehrwert der Textänderung noch ergibt sich daraus eine zusätzliche Verschränkung mit Sacharja. Denkbar wäre, dass damit lediglich eine schriftgemäße Formulierung gewählt wird.178 Nimmt man indes den sprachlichen Bezug von ਥțȤȣȞȞંȝİȞȠȞ ਥʌ IJોȢ ȖોȢ auf ʌ઼Ȟ ĮੈȝĮ įțĮȚȠȞ ernst, ergibt sich ein weitergehender Interpretationshorizont. Das Motiv des unschuldigen Blutes konnte mehrfach, auch im Mt, mit einer Landperspektive in Beziehung gesetzt werden. Die Bluttat ist demnach in erster Linie ein Problem des Landes Israels (vgl. insbesondere Dtn 19; 21), insofern Landverlust die Straffolge ist. Dementsprechend könnte die Textänderung auch darin gründen, die kosmologische Dimension des Blutvergießens (ਕʌઁ țĮIJĮȕȠȜોȢ țંıȝȠȣ) zu streichen und dieses als Geschehen in bzw. mit Bezug auf Israel zu beschränken.179 Die Autoritäten sind demnach nicht für sämtliches Blutvergießen 175
Vgl. zum bisherigen PEELS, Blood, 597–599, der in ähnlicher Weise drei gemeinsame Topoi benennt: illegitimes Blutvergießen, Blutschrei und göttliches Gericht. 176 Die Berücksichtigung dieses Lokalaspektes ist bedeutsam, da die zeitliche Komponente des Q-Textes IJઁ ਥțțİȤȣȝȞȠȞ ਕʌઁ țĮIJĮȕȠȜોȢ țંıȝȠȣ (Q 11,50) ersetzt wurde. 177 Vgl. NOLLAND, Mt, 946. 178 In diesem Fall wird durch die Formulierung kein Bindeglied zwischen Abel und Sacharja hergestellt, sondern allgemein angezeigt, dass Blut eben auf die/der Erde vergossen wird (ĮੈȝĮ + ਥʌ + Ȗો): Dtn 12,16; 15,23; 1Sam (14,32;) 26,20; 1Chr 22,8; Ez 24,7; 1Hen 9,1 (im Griechischen bezeugt, davon ausgehend kann ZÝZĿà/ als äthiopisches Äquivalent behauptet [Û* = Erde; ÛZZ = auf; vgl. DILLMANN/MUNZINGER, Lexicon, 217.1003–1005] und gemäß der Annäherung nach oben S. 42 Anm. 7 für Jub fruchtbar gemacht werden: Jub 7,24.29[.30.32]; 11,2.5; 23,20.23); (Lk 22,44;) Kol 1,20; Apk 18,24; eine ähnliche Vorstellungswelt zeigen Gen 4,10 (= Philo det. 69.79; QG I 70); 4,11 (= Philo det. 100; agr. 21); Ex 7,19.21; Ps 105,38LXX; Jo 4,19; Jes 34,7; 63,3LXX.6; Jer 26,10LXX; Ez 14,19; 21,37; 1Hen 9,9; 47,1; Jub 7,25.27.33; 21,19; Sib I 156; III 322.696; Apk 8,7; 19,2; Philo Mos. I 81; virt. 199; praem. 68; revers: Lev 17,13; Hi 16,18; Jes 26,21. 179 Vgl. GNILKA, Mt II, 300f. Die vorgelegte Argumentation ist vom Verständnis von Ȗો im Mt abhängig. Insgesamt finden sich 43 Belege mit einem der Vokabel entsprechenden Bedeutungsspektrum. Zwei Gebrauchsweisen können für die nähere Betrachtung ausgeschieden werden: Zum einen ein „vegetativer“ Gebrauch (Mt 10,29; 12,40; 13,5.8.23; 14,24.34; 15,35; 25,18.25; 27,51), zum anderen der Gebrauch als Gegenüber zu ȠȡĮȞંȢ (Mt 5,18.35; 6,10.19; 11,25; 16,19; 18,18.19; 23,9; 24,30.35; 27,45; 28,18). In der näheren Betrachtung finden sich einige Belege, in welchen mit Ȗો ein konkreter Landstrich bezeichnet wird, der auf das Land Israel hin ausgerichtet ist (Mt 2,6.20f.; 4,15; 9,26.31; 10,15; 11,24). Eine eher kosmologische Dimension findet sich durchweg in „globalen“ Perspektiven (Mt 5,13: „Salz der Erde – Licht der Welt“; 12,42: „Enden der Erde“; 17,25:
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
verantwortlich, sondern für dasjenige, welches sich explizit in Israel und an Propheten und Gerechten ereignet.180 Das Blutvergießen an den beiden Figuren scheint zuletzt mit einer jeweils bedeutsamen Zäsur verbunden zu sein. Offensichtlich gilt dies für die Ermordung Abels, welche erstmals Blutvergießen markiert. Die Folge ist dabei nicht nur maßloses Blutvergießen und der notwendige Neuanfang (Gen 6,5–7), in dessen Folge Blutvergießen partiell legitimiert wird (Gen 9,1–7), sondern auch eine Aussonderung innerhalb der Menschheit, die bereits bei Noah angelegt ist (vgl. Gen 6,8.18) und sich letztlich mit Abraham (Gen 12) „Könige der Erde“). Zurück bleiben einige wenige Stellen, die wie Mt 23,35 sowohl eine globale als auch israelzentrierte Perspektive einnehmen können: Mt 5,5 verheißt den Gewaltlosen das Erbe des Landes. Damit wird ein gängiger Topos aufgegriffen, der bereits „ins Kosmische transponiert“ ist (LUZ, Mt I, 283; anders hingegen DERS., Mt IV, 333 Anm. 15, wo er Mt 5,5 mit Mt 23,35 als „Ausnahme“ bestimmt, wobei nicht eindeutig ist, ob sich diese Ausnahme auf die Bedeutung von Ȗો im Sinne von Welt bezieht oder die Eindeutigkeit dieses Verständnisses angefragt ist). Uneindeutig ist auch die Sündenvergebung auf Erden (Mt 9,6). Einerseits deutet die Frage nach der Vollmacht und der Menschensohn darauf, dass hier ein „himmlisches“ Geschehen auf Erden stattfindet und somit die Erde als Gegenpol zum Himmel zu verstehen ist (vgl. DERS., Mt II, 37 Anm. 14 mit Verweis auf Mt 28,18). Andererseits ist die Sündenvergebung im Mt ein Topos, der sich primär mit der Sendung zum Volk Israel verbindet (vgl. Mt 1,21). Zumindest in der Erzählsituation scheint ein Bezug auf die Vergebungsvollmacht in Israel nicht abwegig zu sein. Strittig ist zudem das Logion Mt 10,34. Einerseits wird durch die Kategorie des „Friedens“ eher eine weltweite Dimension eingespielt, andererseits deutet das „Bringen des Schwertes“ nicht auf kriegerische Handlungen, sondern auf die Entzweiung der Familien hin. Dieses Motiv kann als „jüdischer Topos“ (ebd., 138) verstanden werden und deutet so eher auf ein israelbezogenes Geschehen (vgl. KONRADT, Mt, 172, der das Logion auf das Wirken des irdischen Jesus bezieht). Insgesamt zeigt sich also, dass sich der mt Gebrauch Ȗો zwar tendenziell durch Eindeutigkeit auszeichnet, es gleichwohl aber Stellen gibt, die sowohl kosmisch-global als auch israelbezogen verstehbar sind. Während es allerdings für das globale Verständnis mit țંıȝȠȢ wenigstens eine weitere Vokabel im mt Sprachgebrauch gibt, die eindeutig eine kosmisch-globale Dimension aufruft (vgl. Mt 4,8; 5,14; 13,35,38; 16,26; 18,7; 24,21; 25,34; 26,13) und diese in Mt 23,35 übergangen wird (vgl. Q 11,50), scheint hier eher eine lokale Begrenzung auf Israel intendiert zu sein. Eine Spezifizierung des Landes auf Israel erwägen auch DAVIES/ALLISON, Mt III, 317. 180 Es ist offenkundig, dass der Komplex des siebten Wehrufes an sich unverhältnismäßig ist, insofern die etablierten Autoritäten nicht nur für das von ihnen zu verantwortende Blut Jesu bzw. seiner Jünger verantwortlich gemacht werden, sondern für sämtliche Boten, die in Israel aufgetreten und in Folge der Umkehraufforderung getötet worden sind (vgl. HAGNER, Mt II, 676). Die mt Fassung scheint dabei sowohl eine Be- als auch Entgrenzung im Blick zu haben: Ersteres erfolgt durch die Beschränkung der lokalen Dimension, insofern das Blutvergießen auf das Land Israel begrenzt wird. Letzteres ergibt sich hinsichtlich der personalen Dimension, insofern nicht „nur“ die Propheten, sondern alle, die als unschuldiges Blut charakterisiert sind, einbezogen werden (s.u. V.2.6.). Die Auslegung von SAND, Mt, 473, wonach „(a)lles gerechte Blut, das jemals vergossen wurde“ über die Autoritäten käme, ist demnach überzeichnet (Hervorhebung J.V.).
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in Israel manifestiert (Gen 15; 17). Versteht man diese Erwählung zudem durch das Wohnen Gottes unter den Menschen, welches sich im Tempel manifestiert, stellt das Blutvergießen im Tempel den nächsten gravierenden (mit Gen 4 vergleichbaren) Tabubruch dar. Dieser Tabubruch lässt sich auch sprachlich festmachen. Es wurde aufgezeigt, dass Blutvergießen in kultischen Kontexten nur an bestimmten Orten erfolgen durfte und Blut insgesamt am Altar zu entsorgen ist.181 Die Hinrichtung Sacharjas erscheint in diesem Zusammenhang als besondere Perversion. Während der Ort des Blutvergießens (am Altar) in dieser kultischen Rechtsetzung legitim erscheint,182 ist das Vergießen des Blutes (als das eines Menschen) im höchsten Maße illegitim.183 Weder der Raum der Schöpfung noch der ausgesonderte, heiligste Raum auf Erden bleiben folglich von Blutvergießen verschont. Dieser zweifache Tabubruch eint die Bluttaten von Abel und Sacharja.184 Damit lassen sich insgesamt mehrere Verbindungen zwischen Abel und Sacharja festhalten, die eine sachlogische Bezugnahme rechtfertigen und im Mt pointiert werden: (1) Postulat der Unschuld bzw. deren Gerechtsein; (2) Betonung der illegitimen Tötung (entspricht zugleich dem Motiv des unschuldigen Blutes); (3) Einforderung der göttlichen Rache; (4) konstitutiver Bezug auf das Land und (5) die Geschichte Israels. 2.6. Das Motiv des unschuldigen Blutes als Substitut der dtrPA Aus dem Bisherigen legt sich nahe, dass der mt Kreis IJઁ ĮੈȝĮ ʌȞIJȦȞ IJȞ ʌȡȠijȘIJȞ als unzureichend empfunden hat und daher auf das Motiv des unschuldigen Blutes zurückgreift. Im mt Sprachgebrauch sind die Propheten zwar nicht eindeutig definiert, aber stets als abgegrenzte Gruppe erkennbar.185 Gemeint sind einerseits die Schriftpropheten als vorchristliche und normative
181
S.o. V.1.2. Vgl. Ex 24,6; 29,12.16.21; Lev 1,5.11.15; 3,2.8.13; 4,7.18.25.30.34; 5,9; 7,2; 8,15.19.24.30; 9,9.12.18; 16,18; 17,6; Num 18,17; Dtn 12,27; 2Kön 16,13.15; 2Chr 29,22.24; Ez 43,18.20; 45,19. Philo her. 182; QG I 62. Die sakramentale Ortsbestimmung wird auch bei COHEN, Matthew, 292 hervorgehoben. 183 Dieses Zueinander vom illegitimen Blutvergießen am legitimen Ort wird in einer Erzählepisode der Rabbinica besonders deutlich, insofern Nebuzaradan gegenüber behauptet wird, dass es sich bei dem Blutfleck um das Blut der Opfertiere handelt (vgl. jTaan 69a,73–69b,10). Wenngleich diese Zuordnung von Blutvergießen und Altar bereits in 2Chr 24,21 angelegt scheint, wird diese erst in VitProph 23,1 und in der Folge in Q 11,51; Mt 23,35; Protev 24,2 auch terminologisch greifbar. Diese Auffälligkeit verstärkt sich durch die fehlende Verdeutlichung bei Josephus (vgl. Flav.Jos.Ant. IX 168; Flav.Jos.Bell. IV 343). 184 Ähnlich bereits PEELS, Blood, 599. 185 Dies gilt auch für die ȥİȣįȠʌȡȠijોIJĮȚ (Mt 7,15; 24,11.24), welche in der folgenden Schematisierung unberücksichtigt bleiben. 182
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
Boten Gottes,186 andererseits eine spezifische Gruppe – vermutlich frühchristliche Wandermissionare;187 einen Sonderfall nimmt die Charakterisierung Johannes des Täufers bzw. Jesu als Prophet ein.188 Geht man davon aus, dass die Gruppe der Propheten im Urchristentum klar abzugrenzen war, muss der mt Kreis eine Entgrenzung vornehmen, die neben Propheten weitere urchristliche Märtyrer berücksichtigen kann.189 Der mt Text verdeutlicht, dass sich nicht jegliches Blutvergießen, welches die christliche(n) Gemeinde(n) ereilt, an Propheten vollzieht.190 Hierfür konnte auf das Motiv des unschuldigen Blutes zurückgegriffen werden, welches keinen klaren Personenbestand definiert, aber am selben literarischen Ort wie die dtrPA steht.191 Die Geschichtsvorstellung, die auch in Q/Lk zum Ausdruck kommt, wird folglich im Mt adaptiert. Es ist daher naheliegend, dass die Gerechten im Mt als Sammelbegriff für weitere frühchristliche Gruppen zu verstehen sind, die der exklusiven Gruppe der Propheten beigeordnet werden.192 Mit der gelegentlichen Zusammenstellung von Propheten und Gerechten im Evangelium (Mt 10,41; 13,17; 23,29) ist der Wechsel vom Blut der Propheten zum Motiv des unschuldigen Blutes vorbereitet.193 Dem stereotypen Schicksal der Propheten wird im 186 Die Bezeichnung „Propheten“ als Verweis auf normative Schriften findet sich sowohl in der Zusammenstellung von „Thora und Propheten“ (Mt 5,17; 7,12; 11,13; 22,40), als auch in den jeweiligen Einleitungsformeln der Reflexionszitate bzw. dem allgemeinen Verweis in Mt 26,56. Dies gilt auch für Mt 13,35, insofern David im Frühjudentum als Prophet charakterisiert werden konnte (Apg 2,29f.) und allgemein als Dichter der Psalmen galt (vgl. DIETRICH, David, 93). Zu dieser Kategorie gehören auch allgemeine Verweise auf die vorchristlichen Propheten (Mt 5,12; 23,29–31.37), die bisweilen namentlich genannt werden (Mt 12,39; 24,15). 187 Vgl. SCHWEIZER, Matthäus, 142f. mit Bezug auf Mt 10,41; 23,34. Zum Phänomen der Wanderpropheten vgl. THEIെEN, Wanderradikalismus. Die Verbreitung solcher prophetischen Gruppen im südsyrischen Raum wird durch die Didache bestätigt (vgl. KOCH, Geschichte, 453–455; TIWALD, Logienquelle, 317–128). Zum mt Profil frühchristlicher Propheten vgl. CARLSTON/EVANS, Synagogue, 311f. 188 Vgl. Mt 11,9.13; 14,5; 16,14; 21,26 bzw. Mt 13,57; 16,14; 21,11.46; 23,37. 189 Es gibt Hinweise, dass in judenchristlichen Kreisen die Tempelzerstörung mit dem Tod des Jakobus 62 n.Chr. zusammengebracht wurde (vgl. THEIെEN, Bedeutung, 181– 183). Auch für ihn wäre die Bezeichnung als „Prophet“ unzureichend, wohingegen der Namenszusatz „der Gerechte“ bereits früh bezeugt ist (vgl. EvThom 12; näherhin ÖHLER, Geschichte, 272f.). Daran könnte man ablesen, dass die tendenziell bekannten frühchristlichen Märtyrer besser unter das Stichwort des unschuldigen/gerechten Blutes gebracht werden konnten, als sie zu „Propheten“ zu stilisieren. 190 Vgl. SAND, Mt, 474. 191 S.o. II.4. 192 Anders SCHWEIZER, Matthäus, 156, der die Propheten als Teilmenge der Gerechten versteht. 193 Eine solche Parallelstellung findet sich kaum in der griechischsprachigen Literatur (TestDan 2,3; Philo her. 260; Flav.Jos.Ant. X 38) und ist daher als mt Proprium anzusehen (gegen LUZ, Mt II, 149, der für Mt 10,41 ein judenchristliches Logion annimmt). Bemer-
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literarischen Prozess das Schicksal der Gerechten beigesellt, wobei sich beide Schicksale im Motiv des unschuldigen Blutes wiederfinden.194 Im Näheren ist nun noch auf die Funktion des Motivs im Argumentationszusammenhang einzugehen. Zunächst ist festzuhalten, dass das Motiv des unschuldigen Blutes hier in der Variante des gerechten Blutes aufgegriffen ist. Aufgrund des prophetischen Settings, welche die Wehrufrede zusätzlich als Tempelrede inszeniert, erscheint Klgl 4,13LXX als naheliegender Intertext und Stichwortgeber.195 Es konnte aufgezeigt werden, dass mit dem Motiv des gerechten Blutes in Klgl 4,13 erstmals eine Begründung für das geschilderte Leid in Klgl 4 geliefert wird und sich diese auf das massive Fehlverhalten der Autoritäten – Propheten und Priester – stützt.196 Hier wie dort erscheint demnach das Motiv als Unheilbegründung, insofern das Vergießen von gerechtem Blut den Autoritäten angelastet wird. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass es nur wenige Belegstellen für das Motiv des unschuldigen Blutes gibt, die sowohl das Blutvergießen als Faktum konstatieren als auch eine kollektive Täterschaft dafür verantwortlich machen.197 Für eine schriftgemäße Bearbei-
kenswert ist, dass der Beleg in Flav.Jos.Ant. X 38 eine Relecture von 2Kön 21,16; 24,4 darstellt und das Vergießen unschuldigen Blutes bei Josephus durch das Töten aller Gerechten und täglich einiger Propheten reformuliert wird. 194 Ähnlich ZAMFIR, Motifs, 154 Anm. 51: „There may be a shift in Matt from one motif to the other, but in no way is the theme of the persecuted prophet eliminated, but rather the broader theme of innocent bloodshed includes the more specific case of killed prophets.“ 195 Neben den sprachlichen Referenzen ist es zudem plausibel anzunehmen, dass die Klgl in jüdischen Kreisen nach 70 n.Chr. Hochkonjunktur hatten und dementsprechend präsent waren (vgl. MOFFITT, Bloodshed, 302). Dies stellt zugleich eine deutliche Veränderung zur Zeit des Zweiten Tempels dar, in welcher die Klgl allenfalls sporadisch aufgenommen wurden (vgl. LANGE/WEIGOLD, Quotations, 185f.). Sofern dies haltbar ist, wäre für die Frage nach dem Woher dieser Rede (s.o. Anm. 192) zu konstatieren, dass sie sich aus der Reflexion der Wehworte im Lichte des von Klgl 4,13 oder dem damit verbundenen Cluster (s.o.S. 282 Anm. 93) ergibt (ähnlich KONRADT, Deutung, 244). Weitere Belegstellen, die ĮੈȝĮ įțĮȚȠȞ mit ਥțȤȦ aufweisen, aber weniger signifikant erscheinen, sind Spr 6,17; Jo 4,19 (vgl. hierzu o.S. 84 [II.4.3.1.c] bzw. S. 69 [II.4.1.1.j]). 196 S.o.S. 68 (II.4.1.1.i). 197 Als kollektive Täter werden (abgesehen von Priester und Propheten in Klgl 4,13) das eigene Volk (Ps 105,38LXX; Jes 59,7; Jer 2,34; 19,4; TestLev 16,3), ein fremdes Volk (Jo 4,19) und eine ausgesonderte Gruppe im Kriegszusammenhang (1Makk 1,37; 2Makk 1,8) genannt. Bei vielen besonders markanten Belegstellen für das Motiv des unschuldigen Blutes bleibt die Täterschaft an ein Individuum gebunden (vgl. bspw. 2Kön 21,16; 24,4) oder das Blutvergießen wird in der Sphäre des Möglichen belassen (vgl. bspw. Jer 7,6; 26,15). Der Einbezug von Belegen von Blutvergießen ohne Unschuldsterminus weicht von diesem Ergebnis nur marginal ab; allenfalls die Anklagen Jerusalems in Ez 22,3.4.6.9.12.27; 24,7 wären alternativ als potenzielle Referenztexte denkbar. Da hierbei aber das Stichwort įțĮȚȠȢ erklärungsbedürftig bliebe, scheint sich abermals zu mani-
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
tung der Vorlage Q 11,50 scheint sich demnach Klgl 4,13 angesichts der Vorgaben, dass das Blutvergießen bereits vollzogen wurde und exklusiv den Autoritäten anzulasten ist, in besonderer Weise angeboten zu haben. Unter das Stichwort der Schriftgemäßheit fällt auch der Gebrauch der Kopfformel198 (Mt 23,35: ʌȦȢ Ȝșૉ ਥijૃ ਫ਼ȝ઼Ȣ ʌ઼Ȟ ĮੈȝĮ …) im Kontrast zum Moment der Blutforderung (Q 11,50: ȞĮ ਥțȗȘIJȘșૌ IJઁ ĮੈȝĮ …). Der Gebrauch ਥțȗȘIJȦ + ĮੈȝĮ geht in der LXX weithin auf ʭʣ ˇʸʣ zurück, wobei sich insgesamt nur wenige Belegstellen finden lassen.199 Wenngleich sich mit Gen 9,5 ein markanter Beleg findet, der die göttliche Racheforderung angesichts vergossenen Blutes in dieser Formulierung ausdrückt,200 wird doch insgesamt deutlich, dass dieser Sprachgebrauch kaum in den Schriften Israels verankert ist.201 Abermals lässt sich die ungewöhnliche Q-Formulierung nicht weiter erhellen, während diejenige des mt Kreises dem Sprachgebrauch der Schriften Israels entspricht.202 In Mt 23,35 wird die Kopfformel in der Form „x’s Blut auf y“ gebraucht, wobei gilt x y. Damit ist eine Verantwortungsübertragung angezeigt, die im konkreten Fall durch die direkte Anrede in der 2. Pers. Pl. unterstrichen wird.203 Wie die bisherige Darstellung der Kopfformel nahelegt, findet sich auch in diesem Fall ein situativgeschichtlicher Gebrauch, der in einem konkreten Erzählzusammenhang zu stehen kommt. Insgesamt entspricht demnach die Pragmatik der intertextuellen Referenz auf Klgl 4,13 zugleich derjenigen des Gebrauchs der Kopfformel. Der mt festieren, dass der mt Kreis auf intertextuelle Referenzen zu Ez weitgehend verzichtet (s.o.S. 283 Anm. 94). 198 S.o. IV.3.1. 199 Vgl. Gen 9,5; 42,22; 2Sam 4,11 (ˇʷʡ); Jdt 8,21; Ps 9,13; Ez 3,18.20 (jeweils ˇʷʡ); 33,6.8 (ˇʸʣ/ˇʷʡ). 200 Vgl. BOVON, Lk II, 236. 201 Während die pagane Literatur diesen Befund ebenso wenig erhellt, könnte mit NICKELSBURG/VANDERKAM, 1Hen II, 165 auf 1Hen 47,4d verwiesen werden. Sollte Q hiervon geprägt sein, bleibt allerdings unklar, weshalb die naheliegende Näherbestimmung durch įțĮȚȠȞ ausblieb. Die mt Änderung, sofern Q so vorlag und die Referenz auf 1Hen gesehen wurde, könnte dann auf einen bewussten Verzicht der henochischen Formulierung und derer kosmologisch-eschatologischen Implikationen deuten (s.o.S. 96 bei Anm. 258). Andererseits könnte die mt Änderung zu ਥʌ IJોȢ ȖોȢ auf 1Hen 9,1 oder der Rezeption des Blut-Flut-Schemas in Jub 7,24f.29; ferner 11,2.5; 23,20.23 verweisen (vgl. HAMILTON, Death, 79f.). Dies setzt jedoch ein kosmologisches Verständnis von Ȗો voraus (s.o. Anm. 179) und kann zudem nicht erklären, weswegen der mögliche Ausgangspunkt 1Hen 47 intertextuell verdunkelt wird. Die Kopfformel erscheint zumindest weder in 1Hen noch im Jub. 202 Ähnlich LUZ, Mt III, 268. 203 Der Gesamtüberblick (s.o.S. 242 Anm. 220) macht deutlich, dass die direkte Anrede eher selten vorkommt. Dies ist dahingehend zu verschärfen, dass 2Sam 16,8 als „Falschprophetie“ zu werten und TestLev 16,3 als christliche Interpolation vielleicht sogar von Mt abhängig ist. Demnach bleibt nur Jer 26,15 als signifikante Parallele, was abermals für einen engen Zusammenhang des jeweiligen Tempelrede-Settings spricht.
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
307
Kreis nutzt nicht nur das polemische Potenzial des Motivs des gerechten Blutes in seiner geschichtstheologischen Dimension und unterstreicht so die Notwendigkeit des anzukündigenden Gerichts, welches durch die Wehrufreihe bereits präludiert ist, sondern spitzt das Versagen der Autoritäten nochmals in besonderer Weise zu. Indem die Pharisäer und Schriftgelehrten mit den Priestern und Propheten des vierten Klagelieds parallelisiert werden, erfolgt eine schriftgemäße Delegitimation dieser Autoritäten. Gleich wie die Untaten der etablierten Autoritäten der staatlichen Zeit das Leid der Bevölkerung und die Zerstörung zu verantworten haben, so sind auch die Pharisäer und Schriftgelehrten durch die Tötung Jesu resp. der Jesusboten für das Leid und die Zerstörung 70 n.Chr. verantwortlich. Dass die mt Wehrufrede dabei auf die Pharisäer und Schriftgelehrten fokussiert wird, wenngleich in den Streitgesprächen die gesamten Jerusalemer Autoritäten adressiert sind, zeigt nochmals die Durchlässigkeit auf die spezifische Situation der mt Gemeinde an. Die intratextuelle Referenz, die durch die Kopfformel zu Mt 27,24f. erzeugt wird, lässt sich als Weg vom allgemeinen Versagen der Autoritäten hin zum Spezialfall Jesus verstehen, sodass sowohl in apologetischer als auch polemischer Aussageabsicht nochmals pointiert hervorgehoben wird, dass Jesu Blut unrechtmäßig vergossen wurde.204 In beiden Passagen kommt demnach zum Ausdruck, dass die als innerweltliches Gericht verstandene Zerstörung Jerusalems ihre Ursache im Blutvergießen der Väter an den Propheten und Gerechten findet, welches von den Söhnen mit Bezug auf Mt 23,34–36 an den Boten Jesu und mit Bezug auf Mt 27,24f. an Jesus selbst fortgeführt wurde. Exkurs 3: Die dtrPA im Matthäusevangelium Da der synoptische Vergleich nahelegt, dass die dtrPA aus Q in das Motiv des unschuldigen Blutes transformiert wurde, lohnt ein Seitenblick auf den sonstigen Gebrauch der dtrPA im Mt. Dieser kommt in der Parabeltrilogie Mt 21,28–22,14 eine zentrale Stellung zu und sie ist damit als Teil der Jerusalemer Verkündigung gleichermaßen auf das grand finale der Wehrufrede bezogen.205 Hier ist bereits die Abrechnung mit Jesu Gegnern vorgezeichnet, welche – im Gegensatz zur Wehrufrede – eine umfassende Front im Blick hat.206 Die dtrPA begegnet in diesem Komplex erstmals in der zweiten Para204
Näheres s.u. VI.3. In makrostruktureller Hinsicht werden die beiden Abschnitte zudem durch Psalmzitate zusammengehalten. In Mt 21,42 wird Ps 118,22f. zitiert, in Mt 23,39 (und 21,9) Ps 118,25f. 206 Die Nennung der Gegner erfolgt zumeist in Zweiergruppen, wobei im engeren Sinne „Hohepriester und Älteste“ (Mt 21,23) bzw. „Hohepriester und Pharisäer“ (Mt 21,45), im weiteren Sinne „Hohepriester und Schriftgelehrte“ (Mt 21,15), „Jünger der Pharisäer und Herodianer“ (Mt 22,15f.) und „Sadduzäer“ (Mt 22,23) im Blick sind. 205
308
V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
bel (Mt 21,33–45). Das Gleichnis der bösen Winzer entwirft ein Geschichtsbild, welches ganz auf die Autoritäten hin ausgerichtet ist.207 Der Zielpunkt des Erzählten ist demnach der Austausch der Führungsschicht (Mt 21,41),208 wobei Hohepriester und Pharisäer erkennen, dass sie angesprochen sind (Mt 21,45)209 und sich gar selbst richten (Mt 21,41).210 Der gewaltsame Austausch der Führerschicht (Mt 21,41) reagiert im Gleichnis auf die gewaltsame Rückweisung der Boten des Weinbergsbesitzers, die ultimativ in der Tötung des Sohns und Erben mündet (Mt 21,34–39). In diesem Bild wird eindeutig die dtrPA adaptiert,211 sodass die Boten mit den vorchristlichen Propheten zu identifizieren sind, der Sohn mit Jesus. Die etablierten Autoritäten werden mit den mörderischen Weinbauern gleichgesetzt, die durchweg die Boten des Weinbergbesitzers/Gottes vernichtet haben und in dieser Kontinuität auch nicht vor dem Mord an dessen Sohn zurückschrecken. Bereits hier ist die Figurenzeichnung der etablierten Autoritäten, wenn auch in der Spezifizierung von Hohepriestern und Pharisäern, als Prophetenmörder und deren Delegitimation vorgezeichnet, die in Mt 23,29–39 nochmals ausformuliert wird. Ähnliches gilt für die folgende Parabel (Mt 22,1–14), wobei hier ein anderer Zeitabschnitt der Geschichtsdeutung fokussiert wird. Im Gleichnis sendet der König Boten aus, um zum Hochzeitmahl seines Sohnes einzuladen.212 Auch diese erleiden ein gewaltsames Schicksal (Mt 22,6). Waren zuvor die vorchristlichen Boten Gottes im Blick, sind dieses Mal die Jünger Jesu resp. die frühchristlichen Missionare gemeint (vgl. Mt 23,34).213 Wen der König 207 Vgl. KONRADT, Mt, 333f. In der jüngeren Forschung ist als Konsens greifbar, dass hier keine Substitutionstheorie vertreten wird, in welcher der Weinberg als „Gottesreich“ vom Volk Israel auf die ecclesia übergeht (vgl. STECK, Israel, 304). Vielmehr ist der Weinberg selbst mit Israel zu identifizieren, wie sich v.a. aus Jes 5 ergibt (vgl. KONRADT, Israel, 189–191 mit den in Anm. 44 genannten zusätzlichen Verweisstellen). 208 Vgl. KONRADT, Israel, 200f.; DERS., Mt, 335f. 209 Die gemeinsame Erkenntnis von Pharisäern und Hohepriester in diesem Kontext ist bedeutsam, insofern sie hierdurch trotz der unterschiedlichen Adressatenrichtung in Mt 23 bzw. Mt 27 als etablierte Autoritäten in eins gefasst werden können. Unterstrichen wird diese Beobachtung dadurch, dass das Mt hier von der mk Vorlage abweicht (Mk 12,12), welche offenbar die Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten im Blick hat (vgl. Mk 11,27). In der lk Parallele (Lk 20,19) sind ebenfalls Hohepriester und Älteste, aber keine Pharisäer bezeugt. Bemerkenswert ist zudem, dass hier erstmals eine pharisäische Reaktion des Verstehens auf eine Aussage Jesu erfolgt (vgl. MARSHALL, Portrayals, 111). 210 Vgl. THEOBALD, Heere, 306. 211 Vgl. FIEDLER, Mt, 331; FRANKEMÖLLE, Jahwe, 250; GNILKA, Mt II, 228; KONRADT, Mt, 334; LUZ, Mt III, 223. Diese Adaption der dtrPA ist gleichwohl bereits in Mk 12,1–12 vorgebildet (vgl. WEIHS, Jesus, 15–32). 212 Die Szenerie legt nahe, dass es sich hierbei um die Hochzeit des Erhöhten handelt, sodass die Zeitperspektive hier die nachösterliche Sendung im Blick hat (vgl. KONRADT, Mt, 339). 213 Anders THEOBALD, Heere, 305 Anm. 7, der in Mt 22,3 die alttestamentlichen Propheten vermutet.
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
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zur Hochzeit einlädt, bleibt unbestimmt (țİțȜȘȝȞȠȚ Mt 22,3.4.8).214 Wesentlich ist jedoch die Strafaktion des Königs gegen die Mörder und deren Stadt (Mt 22,7). Dabei ist die Rede von einer Streitmacht (IJ ıIJȡĮIJİȝĮIJĮ) und dem Brennen der Stadt (IJȞ ʌંȜȚȞ ĮIJȞ ਥȞʌȡȘıİȞ) kaum willkürlich gewählt, sondern spiegelt die römische Eroberung Jerusalems wider.215 Diese Interpretation und auch deren Zuordnung zur dtrPA wird durch die Tatsache gestützt, dass der mt Kreis das Grundgerüst des Gleichnisses zwar Q entnommen hat (vgl. Lk 14,16–24),216 allerdings das Motiv des Mordes an den Knechten und die folgende Strafaktion an Mördern und Stadt redaktionell eingefügt hat. Zudem erfolgt durch den Topos des Nichtwollens eine intratextuelle Verschränkung mit Mt 23,37.217 In beiden vorliegenden Gleichnissen liegt offenkundig eine Adaption der dtrPA vor, welche jedoch nicht auf die Sündengeschichte des Volkes Bezug nimmt, sondern den Schwerpunkt auf das Handeln der Autoritäten legt. Entgegen der üblichen Bestrafung des ganzen Volkes im dtrGB kommt in diesen beiden Gleichnissen eine partikulare Bestrafung in den Blick, die den Winzern (Mt 21,41) bzw. den Mördern und ihrer Stadt (Mt 22,7) gilt.218 Ein ähnliches Verständnis zeigte sich bereits für Mt 23, insofern weder die Schriftgelehrten und Pharisäer noch Jerusalem als Repräsentanten des Volkes 214 Es ist naheliegend, bei der Hochzeitseinladung eines Königs an die Oberschicht zu denken und dementsprechend auch hier die etablierten Autoritäten zu vermuten, allerdings lässt sich dies nicht nachweisen (vgl. THEOBALD, Heere, 306). Marshall legt dieses Gleichnis explizit auf die Pharisäer aus, wobei sie diese Interpretation von Mt 23 her entfaltet (vgl. MARSHALL, Portrayals, 113). 215 So die Mehrheitsmeinung (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 201; DÖPP, Deutung, 21; FIEDLER, Mt, 334; GNILKA, Mt II, 239; KONRADT, Mt, 340; LUZ, Mt III, 242; SCHWEIZER, Mt, 273; TIWALD, Logienquelle, 111; THEOBALD, Heere, 307). Insbesondere im angloamerikanischen Raum finden sich vereinzelte Stimmen gegen diese Annahme, wobei dies zumeist mit einer Datierung des Evangeliums vor 70 n.Chr. verbunden ist (vgl. FRANCE, Mt, 825; GUNDRY, Mt, 602; HAGNER, Mt II, 628f.; NOLLAND, Mt, 887f.; ferner SAND, Mt, 438). Dass das Mt auch eine Motivaufnahme erkennen lässt, wonach JHWH fremde Völker gegen Jerusalem ziehen lässt (vgl. bspw. Jes 44,28–45,7; Jer 25,9), ist kein zwingendes Argument gegen die Ausdeutung der Stadt als Jerusalem im Jahre 70 (s.o.S. 259 bei Anm. 291–295). 216 Vorläufig wird an diesem literarischen Hintergrund festgehalten, wenngleich DAVIES/ALLISON, Mt III, 194 und LUZ, Mt III, 233 dagegen berechtigte Einwände erheben. 217 Vgl. VAN DER KWAAK, Klage, 160f. 218 Der Einbezug der Stadt als kollektives Moment ist nur bedingt statthaft, da die folgende erneute Einladung keine lokale Differenz erkennen lässt. Richtet sich im Bild also die Einladung zunächst an die Oberen der Stadt, welche nun mitsamt ihrem Eigentum vernichtet wurden, erfolgt die zweite an das einfache Volk, das auf den Straßen lebt (vgl. KONRADT, Mt, 340f.). In pragmatischer Hinsicht mag zwar das Volk von der Zerstörung betroffen sein, aber in der Logik des Gleichnisses bleibt das Volk von der Strafaktion unberührt.
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
Israels angesehen werden, sondern diese partikular ausgeschieden werden. Folglich entsprechen sich die Geschichtslogiken der Parabeln und der Wehrufe darin, dass sie die Zerstörung Jerusalems 70 n.Chr. durch das mörderische Verhalten der etablierten Autoritäten gegenüber den Boten Gottes begründen. Während in Mt 23 das Zueinander bzw. die Austauschbarkeit der dtrPA und des Motivs des unschuldigen Blutes erkenntlich wurde, lässt sich für Mt 21f. vermuten, dass hier eine narrative Ausgestaltung vorliegt, die an beide Konzepte anschlussfähig ist. Da die Bildebene die Boten als įȠ૨ȜȠȚ bezeichnet,219 liegt keine eindeutige Terminologie vor, sodass eine gewisse Bedeutungsoffenheit hinsichtlich der Identifikation dieser Boten mitschwingt.220 Die Hintergrundfolie des mt Geschichtsbilds bildet demnach das dtrGB mit einer Schwerpunktsetzung auf der Tötung der Boten, wobei hier sowohl die dtrPA als auch das Motiv des unschuldigen Blutes assoziiert werden kann. 2.7. Das Gerichtswort über Jerusalem und die Reichweite des unschuldigen Blutes Im abschließenden Gerichtswort in Mt 23,37–39 wird die vorherige Gerichtsbegründung auf Jerusalem hin spezifiziert.221 Diese Begründung zielt indes nicht auf eine Ausweitung des Gerichtshorizonts auf ganz Israel, sondern führt die bisherige Gegnerschaft Jesu, die sich aus den etablierten Autoritäten und der Stadt Jerusalem zusammensetzt,222 weiter. Das Logion liest sich als Kurzfassung des dtrGB:223 Es eröffnet mit dem Verweis auf das tödliche
219
Vgl. Mt 21,34–36; 22,3f.6.8.10. Durch den intratextuellen Bezug von Mt 23,37 und Mt 21,35 via ਕʌȠțIJİȞȦ und ȜȚșȠȕȠȜȦ legt sich für die zweite Parabel die Ausdeutung der vorchristlichen Boten als Propheten nahe. Zwar wird auch in Mt 22,6 der Tötungsakt mit ਕʌȠțIJİȞȦ umschrieben, aber durch das im Mt singuläre ਫ਼ȕȡȗȦ ist diese Identifizierung für die dritte Parabel nicht notwendig gegeben. 221 Hiermit liegt eine bedeutsame Differenz zur lk Fassung und wahrscheinlich auch zu Q vor. Zwar klingt auch in diesen durch das Stichwort ਥțȗȘIJȦ eine Gerichtsdimension an, die auf „diese Generation“ bezogen ist, allerdings ist der Bezug auf Jerusalem und dessen Zerstörung 70 n.Chr. nur bedingt erkennbar. Darüber hinaus folgt der Gerichtsbegründung ein weiterer Wehruf, der die Gerichtsperspektive zu relativieren scheint. Die Komposition im Mt läuft hingegen auf das Gericht zu und meint durch die Integration von Q 13,34f. eindeutig Jerusalem. Erst in dieser Zusammenstellung wird der Gerichtshorizont eindeutig hervorgerufen, da Q 13,34f. für sich noch kein Gerichtswort darstellt (vgl. THEIെEN, Bedeutung, 166). Der Übergang zwischen dem „abschließenden“ ਕȝȞ ȜȖȦ ਫ਼ȝȞ und dem emphatischen Auftakt İȡȠȣıĮȜȝ İȡȠȣıĮȜȝ sollte daher nicht allzu sehr gewichtet werden. 222 Vgl. Mt 2,3 mit Mt 21,10; näherhin S. 251 bei Anm. 265. 223 Ähnlich TIWALD, Logienquelle, 106; DERS., Kommentar, 147–149 mit Anm. 393 mit Bezug auf Q 13,34f., der im Gegensatz zu Steck die Elemente (C) als Strafgericht und Umkehr und (D) als Heilwende bestimmt und so einem SER-Schema annähert. 220
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
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Geschick der Propheten (C/A).224 Anschließend folgt im Bild der Henne, die ihre Küken sammelt,225 die Abfolge von Umkehraufforderung (B) und deren Ablehnung (C).226 Dies mündet unweigerlich in das innerweltliche Strafgericht (D),227 welches im Gesamtduktus im Verhalten der etablierten Autoritäten begründet ist (Mt 23,32) und sich – in der erzählten Zeit – zeitnah vollziehen wird (Mt 23,36).228 Da das Gericht auf die Zerstörung Jerusalems bezogen ist, wird mit Mt 23,38 ein Zeitrahmen abgeschlossen (70 n.Chr.), der jedoch durch das abschließende Psalmzitat aufgesprengt wird.229 224 Die Sündengeschichte des Volkes (A) ist hier nicht eigens angesprochen. Implizit ist diese durch das Fehlverhalten der Väter bereits vorgegeben, kommt hier aber zugleich als Charaktereigenschaft in Form des Tötens der Propheten zu stehen, welche zudem partizipial ausgedrückt ist (vgl. MÜLLER, Gerichtsankündigung, 134f.). 225 Zum Bild vgl. Dtn 32,11; Ruth 2,12; Ps 17,8; Jes 31,5. Mit dem Bild der wiederholten Sammlung der Küken wird bereits in dieser Abfolge die Zeitdimension aufgesprengt, insofern dieser Akt wohl kaum mit der (einmaligen) Verkündigung des irdischen Jesus in Jerusalem gleichzusetzen ist, sondern offenbar auch die frühchristliche Mission miteinschließt (vgl. LUZ, Mt III, 381). 226 Jenseits des stereotypen Gebrauchs des dtrGB bzw. der dtrPA wäre zu erwägen, ob dieser Zusammenhang insbesondere aus Jer abgeleitet wurde (vgl. Jer 7,13f.; 26,5f.; 25,3f.8f.; 29,19). Darauf könnten zumindest intertextuelle Verschränkungen von Mt 23,34.37f. mit JerLXX 22,5; 32,3f.8f. hinweisen (vgl. ZAMFIR, Motifs, 171). 227 Das Strafgericht wird durch ੁįȠઃ ਕijİIJĮȚ ਫ਼ȝȞ ȠੇțȠȢ ਫ਼ȝȞ ȡȘȝȠȢ ausgedrückt. Durch die mt Änderung von į zu Ȗȡ ist dieses Verlassensein auf Jesus bezogen, womit sich zunächst eine Preisgabe des ȠੇțȠȢ ergibt (vgl. GUNDRY, Mt, 473 mit Verweis auf Ez 8,6; 11,22–25; 1Hen 89,56; 2Bar 8,2). Mit ȠੇțȠȢ ist wahrscheinlich der Tempel gemeint (vgl. bspw. Mt 12,4; 21,13), obwohl primär von ੂİȡંȞ oder ȞĮંȢ gesprochen wird (vgl. FRANCE, Mt, 883; KONRADT, Deutung, 235; LUZ, Mt III, 382; WINKLE, Model, 170f.). Das Motiv des Verlassens (ਕijİIJĮȚ) korrespondiert zudem mit dem unmittelbar folgenden Weggang Jesu aus dem Tempel in Mt 24,1 (ਥȟİȜșઅȞ ȘıȠ૨Ȣ ਕʌઁ IJȠ૨ ੂİȡȠ૨ ਥʌȠȡİİIJȠ), was – unter dem Gesichtspunkt, dass Jesus die Anwesenheit Gottes verkörpert – dem Auszug der Herrlichkeit Gottes in Ez 9–11 entspricht (s.o. II.5.3.4.c). Eine solche Preisgabe des Tempels ist gleichsam als Gerichtsmotiv zu verstehen (vgl. KONRADT, Deutung, 235; ferner DAVIES/ALLISON, Mt III, 334 Anm. 37 mit Verweis auf Jer 12,7; Ez 8,12; 9,9; LibAnt 19,2) und lässt sich am besten als Anspielung auf die Zerstörung von Stadt und Tempel im römisch-jüdischen Krieg verstehen. Dies legt sich auch durch die intratextuelle Verknüpfung zu Mt 24,15 via ȡȘȝȠȢ nahe, wenngleich hierin wohl zuvorderst die Drangsal des Krieges und nicht die der vollzogenen Eroberung im Blick sind. Über diese Referenz ist intertextuell auch an Dan 9,27 zu denken, wo eine ähnliche Figur ersichtlich wird (vgl. KONRADT, Mt, 368; DERS., Deutung, 238f.). 228 Vgl. THEOBALD, Heere, 308 Anm. 21. 229 Das Psalmzitat aus Ps 118,26 bildet zunächst eine Art Klammer der öffentlichen Verkündigung Jesu in Jerusalem (Mt 21,9; 23,39). In beiden Fällen wird auf die Ankunft Jesu geblickt, wobei sich diese in Mt 21 auf den Einzug Jesu als Sohn Davids in Jerusalem bezieht, während in Mt 23 wohl die Parusie des eschatologischen Richters im Blick ist; beides lässt sich mit messianischen Vorstellungen verbinden. Auch die Sprecherkreise divergieren: Während in Mt 21 der Ausruf von einer partikularen Gruppe ausgeht, wird in Mt 23 die Stadt Jerusalem als Sprecherin des Psalmwortes inszeniert. Sollte aufgrund des
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
Der Bezug auf ein eschatologisches Endgericht (F) in Mt 23,39230 ermöglicht allerdings für den zukünftigen Sprecher des Psalmwortes (= Jerusalem) sowohl eine positive als auch negative Lesart. Eine positive Lesart gründet primär auf dem Charakter des Psalmworts, wobei der heilvolle Aspekt terminologisch durch İȜȠȖȦ getragen wird.231 Demgegenüber steht die (simple) Beobachtung, dass eine heilsperspektivische Deutung das Gesamtsetting in seiner Gerichtsperspektive konterkariert, weshalb überwiegend das Psalmzitat als zu spätes Konstatieren der Herrschaft Christi gedeutet wird.232 Eine dritte eschatologischen Settings und der Gerichtsdimension Mt 25,31–46 als Referenztext mitzudenken sein, käme eine universale Perspektive in den Blick, die über die bisher angesprochene Stadt Jerusalem hinausreicht. 230 Während die Zäsur zwischen Mt 24,2.3 nahelegt, dass die beiden Reden strikt voneinander zu trennen sind und dementsprechend auch das innerweltliche Gericht vom eschatologischen Endgericht zu unterscheiden ist (s.o.S. 270 Anm. 33), wird hier ersichtlich, dass eine vollständige inhaltliche Trennung nur begrenzt möglich ist. Bereits in Mt 23,33 wird mit dem Stichwort ȖİȞȞĮ in der geschichtstheologischen Konzeption der Wehrede eine eschatologische Strafperspektive festgehalten. Gleichermaßen greifen die Bilder der eschatologischen Gerichtsrede in Mt 24 auf realhistorische Ereignisse des innerweltlichen Strafgerichts um 70 n.Chr. zurück. Dies erklärt sich wohl daraus, dass in Mt 24,3 eine Doppelfrage gestellt wird, die eine zweifache Antwort erfordert. Nach KONRADT, Mt, 371 lassen sich die Ausführungen Jesu nicht als „eine fortlaufende Sequenz“ verstehen, sondern haben unterschiedliche Bezüge im Blick. So richtet sich Mt 24,6–14 an den Erdkreis, Mt 24,15–28 speziell an Judäa, Mt 24,29–31 schließlich auf die Parusie. Im Mittelteil zu Judäa finden sich die Rückverweise auf den jüdisch-römischen Krieg, insofern die „Gräuel der Verwüstung“ aus Dan 9,27; 11,31; 12,11 auf die Tempelzerstörung durchlässig sind (s.o. Anm. 227). Gleichwohl folgt aus diesem Rückverweis keine Gleichsetzung, sodass das innerweltliche Gericht, welches sich in der Tempelzerstörung manifestiert, vom eschatologischen Gericht geschieden bleibt: „Im Gesamtduktus der Rede wird dabei deutlich, dass die Tempelzerstörung keineswegs das Ende der Weltzeit bedeutet oder dieses unmittelbar einleitet“ (ebd., 373). Trotz allem bleiben die Perspektiven derart miteinander verbunden, dass die Folgen des innerweltlichen Gerichts auf die Konsequenzen im eschatologischen Gericht verweisen und umgekehrt, sich die kommenden Drangsale im Endgericht aus dem Strafgericht über Jerusalem ableiten lassen. 231 Vgl. CARTER, Matthew 23, 68 mit Verweis auf Mt 14,19; 21,9; 25,35; 26,26. Unter der Prämisse, dass mit Jerusalem ganz Israel gemeint ist, verbindet bereits Origenes Mt 23,39 mit Röm 11,26 und sieht darin eine Heilsperspektive für das Gottesvolk (vgl. LUZ, Mt III, 383 mit Verweis auf Fr 464 = GCS Orig XII 191f.). Mit Bezug auf Q 13,34f. versteht TIWALD, Logienquelle, 106f. die Topoi der eschatologischen Umkehr und der Gottverlassenheit des Tempels als frühjüdische Allgemeinplätze, die gerade deshalb mit Blick auf eine positive Wendung zu lesen sind, wobei er mögliche Modifikationen im Mt nicht diskutiert. Eine positive Lesart von Mt 23,39 wird u.a. vertreten von DÖPP, Deutung, 25; FIEDLER, Mt, 358–360; FRANKEMÖLLE, Mt II, 385–388; GUNDRY, Mt, 474; POPLUTZ, Mt, 231; zurückhaltend SCHWEIZER, Mt, 290. 232 ALLISON, Prophecy, 76f. merkt an, dass in Ps 118,26 die Segensworte vom Tempel her gesprochen werden (ਥȟ ȠțȠȣ țȣȡȠȣ). Da dieser nach Mt 23,38 verödet ist ( ȠੇțȠȢ […] ȡȘȝȠȢ), sei die intertextuelle Grundlage für eine Heilsbotschaft nicht (mehr) gegeben. KONRADT, Mt, 368 verweist zudem auf die traditionsgeschichtliche Parallele in 1Hen
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
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Alternative gründet auf einem konditionalen Verständnis von ਪȦȢ ਙȞ,233 sodass das Wiedersehen Jesu mit dem Anerkennen seiner Messianität einhergeht.234 Diese Konditionalität muss allerdings eher individuell denn kollektiv gedacht werden. Es widerspräche der mt eschatologischen Konzeption, wenn das kollektive Bekenntnis Jerusalems zur Voraussetzung der Parusie Christi verkäme.235 Vielmehr scheint in diesem Vers die Hoffnung mitzuschwingen, dass trotz aller gegenteiligen Erfahrung in der gegenwärtigen Erzählzeit zwischen der Zerstörung Jerusalems und der (zeitnahen?) Parusie Christi ein umfangreiches Bekenntnis zu Jesus als Christus in Jerusalem stattfinden wird.236 Die Interpretationsschwierigkeiten der Passage liegen abermals in der komplexen zeitlichen Verschränkung des Gerichtswortes.237 In der erzählten Zeit markiert ਕʌૃ ਙȡIJȚ eine Zäsur, die sich einerseits mit dem Weggang Jesu aus dem Tempel und dem Ende seiner öffentlichen Verkündigung manifestiert. Andererseits liegt diese Zäsur außerhalb der erzählten Zeit, insofern sie der Tempelzerstörung nachgeordnet erscheint.238 Auf der Ebene der Erzähl62 (vgl. zudem HAGNER, Mt II, 682); weitere Vertreter der Position sind GNILKA, Mt II, 305; LUZ, Mt III, 383f.; STRECKER, Weg, 114f. 233 Zur möglichen sprachlichen Verwendung und zu Paralleltexten vgl. ALLISON, Prophecy, 78f. 234 Diese Position wurde v.a. von VAN DER KWAAK, Klage vorgetragen, findet sich aber laut LUZ, Mt III, 384 Anm. 58 bereits bei Hieronymus. Anders gelagert bei ALLISON, Prophecy, 80, der aus den Versen die (universale?) Anerkennung Jesu als Messias zur konditionalen Voraussetzung für die Parusie deutet: „The thought of judgement is present because, for now, Israel has not received the messenger of God; she has refused to accept the one sent to her, and therefore the redemption has not come. And yet, despite this element of judgement, the thought of salvation is also present. For Jesus affirms that, if she will, Jerusalem can, in the end, bless in the name of the Lord the one who will come, and her doing so, that is, her repentance, will lead to deliverance.“ Mit anderer Schwerpunktsetzung, aber ähnlichem Ergebnis auch FRANCE, Mt, 884f.; NOLLAND, Mt, 953; SAND, Mt, 476. 235 Vgl. FIEDLER, Mt, 358f. 236 Vgl. NOLLAND, Mt, 953: „The best option seems to be to understand the material as prophetic of a change of heart that will come during the period of the church’s mission: despite all the difficulties and all the hostility, the Matthean church expected a significant Jewish turning to Christ.“ 237 Vgl. KONRADT, Mt, 368. 238 Die Zeitebenenproblematik lässt sich wohl nur im Zueinander von innerweltlichem und eschatologischem Gericht lösen, wenngleich hier unterschiedliche Zeitlogiken aufeinanderprallen. Die erste Zeitlogik begründet vom Standpunkt des Autorenkreises den Zusammenhang des Blutvergießens und der erfolgten Tempelzerstörung. In dieser Hinsicht wäre es naheliegend, das Gericht als abgeschlossenes Geschehen zu werten, sodass das blutige Sündenmaß wieder auf null gestellt ist (vgl. GARBE, Hirte, 184). Dies könnte zur Annahme führen, dass Israel aus dem Endgericht ausgeklammert wird oder ein Spezialgericht erhält (vgl. ebd., 90f.206). Eine zweite Zeitlogik schimmert hingegen durch den eschatologischen Ausblick durch und bindet so das Gericht an Jerusalem paradigmatisch an das Endgericht zurück. Damit erscheint die innerweltliche Zäsur aufgrund des Blut-
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
zeit lässt sich daran anknüpfen, wobei das Logion mehrere Aspekte voraussetzt:239 (1) Der Rückblick auf das erfolgte Gericht stellt grundsätzlich eine geschichtliche Legitimation Jesu dar, insofern dieses (auch) auf seinen Tod und den seiner Boten reagiert.240 (2) Diejenigen, welche Jesus ablehnen, hier durch die etablierten Autoritäten und Jerusalem personifiziert, gehen unweigerlich ins Gericht. (3) Der Weggang Jesu und das Ende der unmittelbaren Verkündigung nach Tod und Auferstehung bringen zum Ausdruck, dass alles gesagt ist.241 Es bedarf – auch unter Einbezug von (1) – keiner weiteren Verdeutlichung der Lage. (4) Unter diesen Voraussetzungen ist in der Erzählzeit eine Seite zu wählen, die bereits intratextuell in Mt 21,9–11 vorgezeichnet ist: Entweder steht man auf der Seite der Christusgläubigen oder aber auf der Seite Jerusalems. Dem Psalmzitat kommt offenbar eine Doppeldeutung zu, welche vom eigenen Standpunkt zu Jesus abhängig ist. Wer sich Jesus verweigert, wird – wie die etablierten Autoritäten und Jerusalem der erzählten Zeit – erst zur (wahren) Erkenntnis gelangen, wenn es bereits zu spät ist, und das Gericht wird über ihm vollstreckt (vgl. 1Hen 62). Wer indes Jesus gegenwärtig als Christus erkennt, wird ihn sehen und in den Jubelruf der ȤȜȠȚ einstimmen (können): „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn.“242
vergießens als Ausblick auf das Geschehen im Endgericht. Die Autoritäten und mit ihnen Jerusalem, die das innerweltliche Gericht zu verantworten und zu ertragen haben, werden auch im endzeitlichen Gericht verurteilt werden. Das Logion erhält so die Spitze, dass diejenigen, die weiterhin denen folgen, die das innerweltliche Gericht verursacht haben, der gemeinschaftlichen Verurteilung im Endgericht entgegengehen (vgl. KONRADT, Deutung, 234). 239 Ähnlich CARTER, Matthew 23, 68, der jedoch das SER-Schema grundlegt und damit Mt 23,39 als Hinweis auf die heilvolle Restauration versteht; dagegen FRANCE, Mt, 885; LUZ, Mt III, 384 Anm. 57. 240 Vgl. KONRADT, Deutung, 228 mit Verweis auf DÖPP, Deutung, 22–24. 241 Vgl. STECK, Israel, 293: „Jesu letztes Wort an Israel“. 242 Diese Doppeloption setzt tendenziell eine Naherwartung der Parusie Christi voraus. Die Gemeinde befindet sich demnach in einer Zeit anhaltender Verkündigung, in welcher eine Umkehr noch möglich ist (E). Aus dem Text lässt sich daher kaum erheben, wie mit der zeitlichen Verschiebung umzugehen ist. Dies trifft insbesondere auf diejenigen zu, die nicht zur Christuserkenntnis gelangen. Ob auch für diese ein endgültiges Gericht anzunehmen ist, ist zumindest wahrscheinlich, da spätestens mit der Kenntnis des Evangeliums alle Optionen offenbar sind. Eine Heilsperspektive für Israel (neben der Fortführung Israels im Christusglauben), wie dies in Röm 11,26.31 formuliert ist, entspricht wohl nicht dem mt Denken (vgl. HAGNER, Mt II, 681). Andererseits scheint in diesem Gerichtswort eine Hoffnungsperspektive ausgesprochen zu sein, die trotz aller bisherigen Enttäuschungserfahrungen bei der Israelmission auf eine überwiegende Annahme des Christusglaubens im nicht-christusgläubigen Judentum zielt.
2. Das Blut des Gerichts (Mt 23,29–24,1)
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2.8. Zwischenfazit Die Überlegungen zum siebten Wehruf konnten erneut ein spezifisches mt Interesse am Motiv des unschuldigen Blutes unterstreichen. Ausschlaggebend sind hierfür die beobachteten Änderungen, welche der mt Kreis an der hypothetischen Textvorlage Q vornimmt und welche sich in Abgrenzung zur lk Version hervorheben lassen. Dabei wurde deutlich, dass das prophetische Kolorit der Szene in mehrfacher Hinsicht unterstrichen wurde, wobei die Inszenierung der Wehrufrede Jesu in Analogie zur Tempelrede Jeremias am deutlichsten hervortritt. Es ist daher kaum verwunderlich, dass die Elemente der prophetischen Erinnerungskultur der zeitgenössischen Umwelt ihre Spuren hinterlassen haben, wenngleich diese bereits Q zu entnehmen sind.243 Der mt Kreis transformiert hingegen das Motiv des Prophetenblutes in das des unschuldigen Blutes, um so eine terminologische Entgrenzung zu ermöglichen und Gerechte und Propheten gleichermaßen in das Blutvergießen der einstigen und gegenwärtigen Autoritäten einzubeziehen. Infolgedessen konnte Abel als ein paradigmatischer Gerechter gekennzeichnet werden, wohingegen Sacharja durch ȣੂȠ૨ ǺĮȡĮȤȠȣ zusätzlich als Prophet markiert wurde.244 Das Zueinander der beiden Figuren liegt nicht allein im Stichwort Blut und der damit verbundenen illegitimen Tötung begründet, sondern umfasst daneben den Ruf um Rache, der durch den Landbezug geschichtstheologisch eingeholt werden kann. Die Notwendigkeit einer göttlichen Reaktion wird im Gerichtswort eingelöst, welches auf Jerusalem abzielt und somit das Blutvergießen von Abel bis Sacharja auf das innerweltliche Strafgericht an Jerusalem 70 n.Chr. zulaufen lässt. Hierdurch ergibt sich eine komplexe Zeitstruktur, die sich lösen lässt, indem das Blutvergießen einerseits als retrospektive Begründung für die römische Eroberung und Zerstörung Jerusalems und des Tempels herangezogen wird, andererseits paradigmatisch auf das Schicksal der Autoritäten und ihrer Nachfolger – sowohl in der erzählten Zeit als auch der Erzählzeit – bezogen wird, welches sodann deren Geschick im eschatologischen Gericht präludiert.
243
Es sei dabei an die Prophetengrabtraditionen erinnert sowie das (postulierte) erinnerte Ende der Prophetie in der staatlichen Zeit mit Sacharja Ben Jojada. 244 Es ist unklar, ob es sich dabei um ein Versehen handelt oder der mt Kreis sich des prominenteren Sacharjas bedient, um das prophetische Bild zu betonen. Zugleich sei an die bemerkenswerten und stichhaltigen Erwägungen von MCAFEE MOSS, Zechariah erinnert (s.o. bei Anm. 145–151).
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
3. Das Blut der Versöhnung (Mt 26,26–29) 3. Das Blut der Versöhnung (Mt 26,26–29)
3.1. Hinführung Das vergossene Blut in Mt 26,28 ist in der jüngeren Forschungsgeschichte unter einem spezifischen Gesichtspunkt in den Fokus gerückt. Der für viele Exegeten anstößige Blutruf in Mt 27,24f. soll durch einen intratextuellen Rückbezug auf Mt 26,28 relativiert und überwunden werden. Das (Gerichts-) Blut, welches über das Volk kommt, wird mit dem Blut Jesu verbunden, das für viele vergossen wurde zur Vergebung der Sünden.245 Dies ist Ausdruck der grundlegenden Frage, ob für den mt Sprachgebrauch ein einheitliches Blutverständnis herausgearbeitet werden kann, welches die bisher erörterte Konzeption des unschuldigen Blutes als Gerichtsmotiv mit dem offenbar sühnenden Blut Jesu in Mt 26,28 zusammenbringt. 246 Es ist daher notwendig, das mt Verständnis von ĮੈȝĮ im Kontext der Einsetzungsworte so genau wie möglich zu bestimmen, ehe eine Gesamtschau erfolgen kann. Zunächst ist festzuhalten, dass ĮੈȝĮ auch in Mt 26,28 neben ਥțȤȦ mit weiteren Attributen versehen ist, die den Blutbegriff über das Vergossenwerden hinaus charakterisieren. Dies gilt einerseits für den syntagmatischen Gebrauch als Bundesblut (IJઁ ĮੈȝĮ ȝȠȣ IJોȢ įȚĮșțȘȢ),247 andererseits für die Zusammenstellung mit ਙijİıȚȢ248 bzw. ਖȝĮȡIJĮ.249 Insgesamt fällt auf, dass 245
Vgl. CARGAL, Blood; HAMILTON , Blood; HAYS, Gospels, 135f.; JANKOWSKI, Blut, 29; ferner RATZINGER, Jesus II, 210. 246 Wenigstens unterschwellig scheint damit auch eine gewisse Apologie für den Trägerkreis des Evangeliums einherzugehen, dessen ursprünglich pro-jüdische Intention gegen die spätere Rezeptionsgeschichte in Stellung gebracht wird (vgl. SIMMONDS, Uses). 247 Das Zueinander von ĮੈȝĮ und įȚĮșțȘ findet sich überwiegend in christlichen bzw. christlich beeinflussten Texten (Mk 14,24; Lk 22,20; 1Kor 11,25; Hebr 9,20; 10,29; 12,24; 13,20; TestBen 3,8), obgleich die Formel mit Ex 24,8 in den Schriften Israels bereits an prominenter Stelle steht (vgl. zudem Sach 9,11). Zu TestBen vgl. BECKER, TestXII, 132f. 248 Während der Bezug in Lev 16,26f. eher lose erscheint (anders urteilt HAMILTON, Death, 221), wird das Zueinander in christlichen Texten pointiert gebraucht (vgl. Eph 1,7; Hebr 9,22; Barn 5,1). Dieser Befund lässt sich nochmals durch die Zusammenstellung von ਙijİıȚȢ mit ਖȝĮȡIJĮ unterstreichen. Auch diese Wortkombination ist in den Schriften Israels und den frühjüdischen Schriften überschaubar (vgl. Lev 16,25–27; 1Hen 13,2–4; Philo spec. I 190), während die Zusammenstellung in christlichen Texten verbreitet ist (vgl. Mk 1,4; Lk 1,77 [= Oden 9,77]; 3,3; 24,47; Apg 2,38; 5,31; 10,43; 13,38; 26,18; Kol 1,14; Hebr 10,18). 249 In den Schriften Israels finden sich einzelne Belegstellen, die Blut und Sünde im Zusammenhang eines Sühnerituals, welches häufig mit dem Blutvergießen am Altar einhergeht, nennen (vgl. Ex 30,10; Lev 4,25.29f.34; 5,9; 6,23; 8,14f.; 9,8f.; 10,17f.; 16,15.27; 2Chr 29,22f.; Ez 43,19f.). In christlichen Texten wird diese Vorstellung aufgegriffen (vgl. Hebr 13,11), aber meist hinsichtlich des Todes Jesu adaptiert (1Joh 1,7; Apk 1,5; Barn 5,1) oder mit diesem überboten (Hebr 10,4). Als Belegstellen sind diejenigen auszuklammern, die Blutvergießen als Sünde definieren (Klgl 4,13) oder nur einen marginalen Zusammen-
3. Das Blut der Versöhnung (Mt 26,26–29)
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die meisten Belege derartiger Wortkombinationen in christlichen Kontexten gebraucht werden und eine traditionsgeschichtliche Kontextualisierung auf wenigen Versen fußen muss. Andererseits lässt sich anhand der beigestellten Termini ein kultisches Kolorit als gemeinsamer Nenner behaupten, welches an das zweite Bedeutungsspektrum von ĮੈȝĮ + ਥțȤȦ denken lässt.250 3.2. Textgeschichtliche Hintergründe der Einsetzungsworte 3.2.1. Die verschiedenen Textversionen Die Einsetzungsworte sind in verschiedenen Fassungen überliefert, welche zumeist in zwei Traditionsstränge geteilt werden: den pln-lk (1Kor 11,23–25; Lk 22,19f.) und den mk-mt (Mk 14,22–25; Mt 26,26–29).251 Die Interpretation derselben ist nicht nur durch verschiedene Rekonstruktionen der Urfassung belastet,252 sondern auch durch die dogmatischen Frontstellungen, sodass jedwede Exegese in den Konflikt um das rechte Verständnis hineingezogen wird.253 Daher sollen hier lediglich Einzelaspekte, die für die Untersuchung des Blutbegriffes relevant erscheinen, diskutiert werden und auf eine systematische Gesamtschau – sofern möglich – verzichtet werden. Die Textgeschichte der Einsetzungsworte ist vielfach diskutiert worden und ein Konsens scheint kaum gegeben. Umstritten ist, ob und in welchem Umfang und Kontext die Worte auf den historischen Jesus zurückreichen, in welchem Umfeld diese in frühchristlicher Zeit rezipiert wurden254 und welchem Deutewort der traditionsgeschichtliche Vorrang zuzugestehen ist. Für die Fragestellung nach der Bedeutung von ĮੈȝĮ im Mt sind derlei Fragen nur in wenigem wichtig. Dies ist einerseits in der eindeutigen Abhängigkeit der mt Fassung vom Mk begründet,255 andererseits in der wahrscheinlichen hang erkennen lassen (2Kön 21,16;24,3f.; 2Chr 36,5dLXX; Jes 59,3; Ez 3,20; PsSal 8,12f.; Hebr 12,4; Flav.Jos.Ant. XV 359). 250 Ähnlich LEROY, Blut, 44. 251 Vgl. THEIെEN/MERZ, Jesus, 366–369. 252 Vgl. THEIെEN/MERZ, Jesus, 371–373; zudem STRATOMEIER, Abendmahl, 37–82, der die jeweiligen Stränge auf eine antiochenische bzw. Jerusalemer Form zurückführt. Zu den grundsätzlichen Vorbehalten diesbezüglich vgl. SCHRÖTER, Abendmahl, 125. 253 Ähnlich LÖHR, Entstehung, 52. Zum Wechselspiel von Exegese und Dogmatik vgl. die umfangreiche Darstellung bei LUZ, Mt IV, 107–113. 254 Exemplarisch sei auf THEOBALD , Leib verwiesen, der den Ritus des Brotbrechens als wöchentliche Praxis der frühchristlichen Gemeinden versteht, wohingegen s.E. die Einsetzungsworte (insbesondere der Aspekt des vergossenen Blutes) der jährlichen christlichen Passafeier entstammen. Während Ersteres der Versicherung der Gegenwärtigkeit des Auferstandenen diente, sieht Letzteres die Feier des (Sühne-)Todes Jesu vor. Die wöchentliche Feier des Abendmahls sei demnach eine spätere Entwicklung, die in den Evangelien greifbar wird. 255 Vgl. KONRADT, Mt, 405; LUCK, Mt, 284; LUZ, Mt IV, 95; NOLLAND, Mt, 1071; SAND, Mt, 526; THEIെEN/MERZ, Jesus, 367.
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Unkenntnis der lk-pln Tradition im mt Gemeindekontext.256 Mit Bezug auf die Blutthematik ist die Annahme plausibel, dass sich die Formel vom vergossenen Blut erst später mit Blick auf den Kreuzestod Jesu ausbildete.257 Es stellt sich davon ausgehend die Frage, ob das vergossene Blut – als potenziell nachösterliche Formulierung – eher auf den Aspekt des gewaltsamen Todes Jesu oder auf ein kultisches Kolorit abzielt. Jenseits überlieferungsgeschichtlicher Spekulationen, die sich angesichts der Fragestellung kaum vermeiden lassen, kann zudem festgehalten werden, dass der Blutthematik ein konstitutiver Bezug auf den Bund zu eigen ist.258 Es ist daher anzunehmen, dass im mk-mt Traditionsstrang das Moment des Vergießens zum Bundesblut hinzugewachsen ist.259 Dies evoziert die Annahme, dass das Vergossensein des Bundesblutes eher dem kultischen Kontext zuzuordnen ist, was es im Näheren zu prüfen gilt.260 256
Dies lässt sich aus dem Umstand ersehen, dass erst Lukas um einen Ausgleich der divergierenden Fassungen bemüht ist (vgl. THEIെEN/MERZ, Jesus, 367; ähnlich GIELEN, Passionserzählung, 75). Die verschiedenen Versuche auf inhaltlicher Ebene eine Kohärenz zu erzeugen, müssen hiervon methodisch getrennt werden, da keinerlei sprachliche Indizien diese Annahme erhärten. 257 Vgl. THEOBALD, Leib, 126. Der sekundäre Charakter verstärkt sich zudem, wenn das pln Kelchwort als das ältere angesehen wird (vgl. BÖSEN, Tag, 101; GNILKA, Mt II, 403 mit Verweis auf DERS., Mk II, 247–249.240–243; STRATOMEIER, Abendmahl, 59), welches zwar auch einen Blutbezug aufweist, aber nicht das Motiv des Vergossenseins. 258 Gleichwohl erfolgt eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung, insofern die pln-lk Fassung den Neuen Bund ins Zentrum stellt, der im Blut Jesu gründet, wohingegen die mkmt Fassung das Bundesblut Jesu betont. Es scheint einigermaßen konsensfähig zu sein, dass die jeweiligen Fassungen unterschiedliche bundestheologische Referenztexte in den Blick nehmen. So findet sich die (pln-lk) țĮȚȞ įȚĮșțȘ in Jer 31,31–34 wieder, während IJઁ ĮੈȝĮ IJોȢ įȚĮșțȘȢ auf Ex 24,8; Sach 9,11 rekurriert (vgl. LEHMEIER, Abendmahl, 4.1.4; 4.1.5; SÖDING, Mahl, 136). 259 Die Erwägungen können angesichts der syntaktischen Parallelstruktur der Deuteworte zusätzlich plausibilisiert werden (s.u. Anm. 264). 260 Diese überlieferungsgeschichtlichen Erwägungen sind für die mk Textfassung unproblematisch, da im Mk kein Deutungskonflikt durch eine weitere Nennung von ĮੈȝĮ + ਥțȤȦ entsteht. Dieser ergibt sich erst für Mt, sofern er vom Autorenkreis überhaupt als solcher wahrgenommen wurde. Im vorherigen Abschnitt konnte aufgezeigt werden, dass in Mt 23,35 das Motiv des vergossenen Prophetenblutes durch das unschuldig vergossene Blut ersetzt wurde, wodurch der traditionsgeschichtliche Hintergrund bestimmbar wird. Sollte dem mt Kreis diese Problematik präsent gewesen sein, wäre zu erwarten, dass auch in Mt 26,28 eine Verdeutlichung angestrebt wird, um die Formel zu kontextualisieren. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass hier ein Traditionsstück vorliegt, welches aufgrund des liturgischen Gebrauchs nur begrenzt veränderbar ist. Es ist daher fraglich, wie hoch der Umstand anzusetzen ist, dass kein Synonym für unschuldig gebraucht wird, um so das vergossene Bundesblut eindeutig dem Komplex des unschuldigen Blutes zuzuweisen. Abgesehen von diesem argumentum e silentio lässt sich jedoch anführen, dass die zusätzliche Charakterisierung des Blutes zur Vergebung der Sünden in einen kultischen Kontext weist. Während das äußere Setting des letzten Mahls folglich evoziert, dass die
3. Das Blut der Versöhnung (Mt 26,26–29)
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3.2.2. Die matthäischen Besonderheiten Die mt Fassung folgt dem mk Aufbau, wonach das letzte Mahl zunächst als Passamahl angekündigt (Mt 26,17–19) und die Szene bei Tisch mit der Überwerfung zwischen Jesus und Judas während des Mahls eröffnet wird. Es ist naheliegend, dass der mt Kreis hier den Verzehr des Passamahls vor Augen hatte,261 obgleich explizite Indizien hierfür ausbleiben.262 Der Ritus wird, wie der Judas-Abschnitt zuvor, durch einen Genitivus absolutus als neue Szene eingeführt263 und besteht überwiegend aus zwei komplementären Elementen, die syntaktisch parallel aufgebaut sind.264 Die Änderungen an der mk Fassung lassen sich auf die liturgische Praxis der mt Gemeinde zurückführen.265 Trotz der stärkeren syntaktischen Parallelität der beiden Deuteworte, bleibt das Übergewicht des zweiten Deutewortes erkennbar, weshalb hier offenbar eine Betonung vorliegt, welche im Mt durch den Zusatz „zur Vergebung der Stichworte ĮੈȝĮ und ਥțȤȦ das Todesgeschick aufrufen (vgl. KWON, Death, 164; LUZ, Mt IV, 113f. SCHRÖTER, Abendmahl, 129), deutet das Wortfeld der Passage eher auf eine kultische Konnotation. 261 Vgl. GNILKA, Mt II, 401f.; KONRADT, Mt, 405; LICHTENBERGER, Bund, 217; SCHRÖTER, Abendmahl, 43. Es ist sodann festzuhalten, dass es sich hierbei kaum um einen historischen Sachverhalt handelt, da – unter Einbezug der wahrscheinlicheren joh Chronologie – Jesus bereits vor dem Sederabend hingerichtet wurde (vgl. BÖSEN, Tag, 73–87). Die Inszenierung Jesu letzten Mahls als Passamahl dürfte sodann auf das Mk zurückgehen und wurde vom mt Kreis übernommen (vgl. WEIDEMANN, Bundesblut, 71–73). 262 Vgl. LUZ, Mt IV, 102–105. Ähnlich wie Luz hebt EBERHART, Kultmetaphorik, 127 die sprachliche Inkongruenz hervor, wonach beim Abendmahl ਙȡIJȠȢ verwendet wird und nicht die geforderten ਙȗȣȝĮ (mit Verweis auf Ex 12,8.39; mPes 1,1–2,5; 5,4; die bei NOLLAND, Mt, 1073 Anm. 98 aufgeführten Gegenbelege sind aufgrund der Zuordnung von ਙȡIJȠȢ zu ਙȗȣȝȠȢ nicht überzeugend). 263 SAND, Mt, 526 verweist zudem auf das redaktionelle į und die Namensnennung Jesu als Abschnittsmarker. Die bei STRATOMEIER, Abendmahl, 20–23 diskutierte Frage, ob der doppelte Genitivus absolutus unabhängige Traditionsstücke markiert, ist für die hier gestellte Frage und den mt Zusammenhang von untergeordneter Bedeutung. 264 Vgl. LUZ, Mt IV, 94: „26 ȜĮȕઅȞ ਙȡIJȠȞ țĮ İȜȠȖıĮȢ țȜĮıİȞ țĮ įȠઃȢ IJȠȢ ȝĮșȘIJĮȢ 27 ȜĮȕઅȞ ʌȠIJȡȚȠȞ țĮ İȤĮȡȚıIJıĮȢ įȦțİȞ ĮIJȠȢ İੇʌİȞ ȜȕİIJİ ijȖİIJİ IJȠ૨IJં ਥıIJȚȞ IJઁ ıȝ ȝȠȣ. ȜȖȦȞ ʌİIJİ ਥȟ ĮIJȠ૨ ʌȞIJİȢ 28 IJȠ૨IJȠ ਥıIJȚȞ IJઁ Įੈȝ ȝȠȣ IJોȢ įȚĮșțȘȢ“. Die syntaktische Angleichung ist eine mt Änderung, die in dieser Strenge im Mk noch nicht zu sehen ist (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 465; LEROY, Vergebung, 31f.). 265 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 471f.; FIEDLER, Mt, 388; FRANCE, Mt, 992; GIELEN, Passionserzählung, 69; GNILKA, Mt II, 398f.; KONRADT, Mt, 406; LUZ, Mt IV, 95; SANDNES, Meal, 466f.; STRATOMEIER, Abendmahl, 37–39; THEIെEN/MERZ, Jesus, 368; VOGEL, Heil, 96. Anders WEIDEMANN, Bundesblut, 60–63; SAND, Mt, 526f. DAVIES/ALLISON, Mt III, 465 weisen zu Recht darauf hin, dass sich die kultätiologische Dimension, die v.a. in der direkten Anrede der Leserschaft ihren Ausdruck findet, durch das Ausbleiben des Anamnesis-Befehls erst der entsprechend sozialisierten Leserschaft erschließt.
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
Sünden“ abermals verstärkt ist. Hierdurch und durch andere Indizien ergibt sich für den mt Kontext ein eigenes Netz potenzieller intertextueller Referenzen: Am markantesten erscheint die Nennung des Bundesblutes, welche eindeutig auf Ex 24,6–8 rekurriert und damit auf einen bundestheologischen Zusammenhang verweist,266 der bereits durch die Einführung des Mahls als Passamahls angelegt ist. Jenseits dieses Bezugs, in welchen sodann die Blutthematik primär einzuordnen ist, können die Stichworte įȚĮșțȘ und ਖȝĮȡIJĮ mit Jer 38,31–34LXX in Beziehung gesetzt werden. Zwar ist diese Referenz nur im pln-lk Traditionsstrang sprachlich durch țĮȚȞ įȚĮșțȘ evident,267 allerdings ließ sich bereits für Mt ein breites jer Kolorit nachweisen, sodass sich dieses Referenzpotenzial auch jenseits jenes Traditionsstrangs ergibt.268 Zuletzt lässt sich erwägen, dass Jes 53,12 durch die Stichworte ਖȝĮȡIJĮ und ʌȠȜȜȠ eingespielt wird. 3.2.3. Intertextuelle Bezüge a) Ex 24,6–8 Die Formel IJઁ ĮੈȝĮ IJોȢ įȚĮșțȘȢ tritt erstmals in Ex 24,8 auf und wird in den Schriften Israels auffällig selten aufgenommen.269 Die Erzählung setzt mit der Verkündigung der Thora, deren Akzeptanz durch das Volk und das Aufschreiben derselben ein. Anschließend wird ein Altar errichtet, worauf ein Brandopfer (MT: ʤʬʲ) dargebracht sowie ein Schlachtopfer (MT: ʭʩʮʬˇʧʡʦ) geschlachtet wird. Von diesem wird das Blut aufgefangen, wovon die eine Hälfte am Altar entsorgt (MT: ʷʸʦ; LXX: ʌȡȠıȤȦ), während die andere Hälfte in Schalen gesammelt wird. Mit diesem Blut wird das Volk – nach Verlesung des Bundesbuches270 und dessen Akzeptanz durch das Volk – besprengt (MT: ʷʸʦ; LXX: țĮIJĮıțİįȞȞȣȝȚ). Ein solcher Vorgang ist in den Schriften Israels einmalig, sodass die Deutung des Blutritus umstritten ist. Unbestritten ist hingegen, dass dem Ritus eine zentrale bundestheologische Stellung zukommt. Dem Ereignis wohnt folglich das Moment eines „soteriologische(n) Grunddatum(s)“ inne. 271 266
Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 464f.473. Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 473. Die wenigen Textzeugen, die IJȠ ĮȚȝĮ ȝȠȣ IJȘȢ țĮȚȞȘȢ įȚĮșȘțȘȢ aufweisen, können nicht überzeugen (vgl. EVANS, Jeremiah, 313). 268 Vgl. KNOWLES, Jeremiah, 207–209. 269 Daneben in den Schriften Israels nur noch in Sach 9,11. Gleichwohl ist darauf zu verweisen, dass durch das konstitutive Opfer im Zusammenhang mit Bundesschlüssen sehr wohl eine blutige Dimension eingespielt werden kann (vgl. Gen 8,20; 12,8; 15,7–21; 22). Auch in Ex 4,24–26; 12,21–28 kommen die Topoi Bund und Blut zusammen, wenngleich hier die apotropäische Wirkung eindeutig hervortritt. 270 „Alle Worte“ (Ex 24,3f.) lassen sich am besten mit dem Bundesbuch (Ex 20,22– 23,23) identifizieren (vgl. FISCHER /MARKL, Ex, 268) 271 Hierzu s.u. Anm. 331. 267
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Gemeinhin wird dem Blut in dieser Perikope eine (singuläre) beziehungsstiftende Wirkweise zuerkannt.272 Alternativ wurde erwogen, dass der Blutritus nicht allein eine Beziehungsstiftung bewirkt,273 sondern das Bundesblut in Ex 24 gleichermaßen heiligende/reinigende Funktionen übernimmt wie auch andere Blutmanipulationen.274 Zuvorderst ist daher festzuhalten, dass durch das Stichwort IJઁ ĮੈȝĮ IJોȢ įȚĮșțȘȢ Ex 24 einen offenkundigen Intertext darstellt und die Wirkweise von ĮੈȝĮ umstritten ist.275 Das Stichwort Bundesblut führt des Weiteren zu Sach 9,11, wo wohl ein Rückbezug auf Ex 24,8 eingespielt wird. Da Sach 9,9 in Mt 21,5 eindeutig erzählerisch aufgenommen ist, wäre eine doppelte intertextuelle Referenz plausibel.276 In der Heilsbotschaft des Sacharja über den Friedenskönig wird neben der Befriedung der umliegenden Völker die Rückkehr aus dem Exil verkündet. Dieses Exilsende begründet sich mit Verweis auf das Bundesblut (MT: ʪʺʩʸʡʚʭʣʡ; LXX: ਥȞ ĮȝĮIJȚ įȚĮșțȘȢ). Offenbar stellt der Sinai-Bund die Grundlage zur Fortexistenz des Bundesvolkes über den Staatsuntergang hinaus dar, sodass die (geschichtliche) Kontinuität des Volkes hieran zurückgebunden wird. Einer solchen Annahme liegt jedoch die Vorstellung eines vorangehenden Strafgerichts zugrunde.277 Unabhängig von der Leerstelle, die 272
S.o. V.1.2. DOHMEN, Ex II, 202–204 betont durchweg, dass der Ritus in besonderer Weise von den übrigen Riten als „Einmaliges und Einzigartiges“ abgehoben wird. Hervorzuheben ist dabei die hälftige Verteilung des Blutes auf Volk und Altar, welche bei ebd., 203 als Gleichstellung der beiden Größen gedeutet wird (FISCHER/MARKL, Ex, 270 sprechen von einer „Blutsgemeinschaft“ [Hervorhebung im Original]; ferner GILDERS, Blood, 39–41). In ähnlicher Weise deutet auch Philo, QE II 35 den Blutritus als einheitsstiftend (vgl. BIALE, Blood, 51–53). Anders argumentiert WEIDEMANN, Bundesblut, 92 mit Anm. 146, der die Blutausgießung am Altar als Abschluss des Opferrituals versteht und den Blutritus als davon abzutrennenden „Verpflichtungs- bzw. Fluchsetzungsritus“. Da allerdings zum Abschluss der Opferhandlung das gesamte Blut am Altar auszugießen wäre, dürfte der Ritus noch nicht beendet sein. EBERHART, Studien, 270 verweist zudem darauf, dass die Kulthandlung der ideellen und faktischen Kultinstallation (Ex 25–31 bzw. Lev 8f.) vorangeht. 273 So HARTENSTEIN, Bedeutung 133; vgl. zudem BERGMAN/KEDAR-KOPFSTEIN, ThWAT II, 261f. Trotz der impliziten Darstellung des letzten Mahls als Passamahl und des darauf erfolgenden Rekurses auf Ex 12 finden sich in Mt 26 keinerlei Indizien, die für das Blut Jesu eine apotropäische Wirkweise nahelegen, was somit ausgeschlossen wird. 274 Diese Interpretation wird weitgehend den Ergebnissen der alttestamentlichen Blutund Verbrennungsriten von EBERHART, Studien und dessen eigener Applikation der Ergebnisse auf das NT (vgl. DERS., Kultmetaphorik) entnommen (zur Ausführung s.u. V.3.3.1.). 275 Diese intertextuelle Referenz wird u.a. von DAVIES/ALLISON, Mt III, 472f.477; FIEDLER, Mt, 390; GNILKA, Mt II, 401; HAGNER, Mt II, 773; KONRADT, Israel, 364; LUZ, Mt IV, 115; VOGEL, Heil, 94 genannt. 276 Vgl. NOLLAND, Mt, 1079; ZIETHE, Namen, 214 mit Anm. 180. 277 Vgl. NOLLAND, Mt, 1080. Worin dieses Strafgericht begründet war, lässt sich aus dem unmittelbaren Textzusammenhang nicht erheben. Insgesamt scheint sich Deuterosacharja (Sach 9–11) mit Ursachenangaben bedeckt zu halten; allenfalls die schlechten
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den Verweis auf das Bundesblut notwendig macht, scheint in Sach 9 eine geschichtstheologische Dimension vorzuliegen:278 Der Rückverweis auf das (beziehungsstiftende) Bundesblut führt so zur Bundeserneuerung angesichts des (geschichtlichen) Scheiterns des Bundes. b) Jer 38,31–34LXX Durch die pln-lk Rede von ਲ țĮȚȞ įȚĮșțȘ ist die intertextuelle Referenz zu Jer 38,31–34LXX fest in der Diskussion um die Einsetzungsworte verankert.279 In literaturgeschichtlicher Hinsicht wurde bereits festgehalten, dass mögliche überlieferungsgeschichtliche Spekulationen keine argumentative Basis für das Verständnis der mt Einsetzungsworte bieten, sondern sich eine mögliche Referenz zu Jer aus dem Mt selbst ergeben muss. Diskutieren lassen sich hierbei folgende Indizien: Wenngleich es einige Belegstellen gibt, in denen įȚĮșțȘ und ਖȝĮȡIJĮ (meist lose) aufeinander bezogen sind,280 so scheint lediglich in Jer 38LXX das Motiv der Bundesstiftung mit dem expliziten Zuspruch von Sündenvergebung einherzugehen.281 Die mt Zufügung des Topos der Sündenvergebung könnte daher in der ergänzenden Anspielung auf Jer 38LXX begründet sein.282 Ein zweites Indiz liefern die grundlegenden Erwägungen eines intertextuellen Netzes zwischen Mt und Jer, welches schon an verschiedenen Stellen aufgezeigt wurde.283 Während das Kriterium des konkreten Vorwissens und in gewisser Hinsicht auch das der Plausibilität erfüllt sein dürften, 284 ist das Kriterium der Aktivierung diskutabel. Diesbezüglich Hirten könnten, angesichts ihrer intertextuellen Aufnahme im Mt, stark gemacht werden. Es wäre zudem zu erwägen, ob der Verweis auf das Bundesblut ebenfalls auf das Bundesbuch resp. die Thora abzielt (s.u. V.3.3.2.) und demnach der Bundesbruch analog zu anderen Erklärungsmodellen in der Gesetzesübertretung des Volkes zu sehen ist. 278 Vgl. ZIETHE, Namen, 214. 279 Vgl. aber HORN, Verheißung, 195 mit Anm. 19, der mit Verweis auf WOLFF, Jeremia, 132–134 die Deutlichkeit der Referenz und deren Nutzen für die Abendmahlsüberlieferung insgesamt bezweifelt. 280 Vgl. Ex 34,9f.; Lev 26,24f.41f.; 2Chr 25,4; Neh 1,5f.; Ps 24,7–11; 77,37f.; 88,33– 35; PsSal 10,1–4; Sir 28,5–8; Dan 9,13; 11,30–32; ohne Signifikanz Gen 15,16–18; Sir 39,5–8; 47,11. 281 Vgl. EVANS, Jeremiah, 313. Ähnlich KNOWLES, Jeremiah, 208f., der jedoch die Zusammenstellung von ਕijȘȝȚ und ਖȝĮȡIJĮ in den Blick nimmt. NOLLAND, Mt, 1081 verweist hingegen noch auf Ez 16,62f. Dieser Konnex ist durch das Stichwort įȚĮșțȘ zwar möglich, lässt sich allerdings nicht durch weitere Termini untermauern. 282 In dieser Rekonstruktion würde der mt Kreis unabhängig der pln-lk Tradition das Moment des neuen Bundes einspielen, ohne jedoch dies am Wortbestand des Textes hervorzuheben (vgl. KWON, Death, 164f.). Dies führt sodann über das Mk hinaus, welches – trotz potenzieller Kenntnis der pln Tradition – diesen Aspekt nicht aufgreift. 283 S.o. v.a. V. Exkurs 1. 284 Das Kriterium der history of interpretation ist aufgrund der pln-lk Fassung in diesem Fall nicht hilfreich.
3. Das Blut der Versöhnung (Mt 26,26–29)
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scheint das Kriterium volume nur eingeschränkt erfüllt zu sein, sodass recurrence die höchste Beweislast trägt. Diese ist durch das explizit gemachte Jeremia-Zitat Jer 38,15LXX in Mt 2,18 gegeben.285 Obgleich der mt Kreis in Mt 2,18 eine der wenigen Unheilpassagen aus dem „Trostbüchlein“ Jer 37,1– 38,40LXX als Erfüllungszitat gebraucht,286 kann die Kenntnis des gesamten Kontextes vorausgesetzt werden.287 Die mt Einsetzungsworte sollten daher unter dem Postulat der Kenntnis des neuen Bundes aus Jer 38LXX gelesen werden.288 c) Jes 53,12 Wird Jesu vergossenes Bundesblut für die vielen als Sterben für paraphrasiert, und der Zusatz zur Vergebung der Sünden im Sinne von um der Sünden willen verstanden,289 so läge eine einigermaßen deutliche Anspielung auf Jes 53,12 vor, die durch die sprachliche Referenz ʌȠȜȜȞ gestützt wäre.290 Die Bezüge zwischen Jes 53,12 und Mt 26,28 sind in dieser Zusammenstellung zwar offenkundig,291 allerdings stellt sich die Situation für die Einzelelemente 285 Zum mt Zitat und zu seinen sprachlichen Besonderheiten vgl. MENKEN, Matthew, 143–159. 286 KRAUS/KARRER (Hg.), LXX.D, 1327. 287 Vgl. KNOWLES, Jeremiah, 38; NIEDERHOFER, Impact. Eine intertextuelle Referenz auf Jer 38LXX wird u.a. vertreten von CARTER, Matthew, 218; FRANCE, Mt, 994; GUNDRY, Use, 58; HAGNER, Mt II, 773; HAM, Supper, 61f.; KNOWLES, Jeremiah, 208; KONRADT, Mt, 406; SANDNES, Meal, 467. 288 Erklärungsbedürftig bleibt hingegen, weshalb der mt Kreis die Anspielung auf den neuen Bund nicht hervorhebt. Zwar finden sich verschiedene textkritische Zeugen, die IJȠ ĮȚȝĮ ȝȠȣ [IJȠ] IJȘȢ țĮȚȞȘȢ įȚĮșȘțȘȢ aufweisen; dabei dürfte es sich aber um spätere Angleichungen an Lk 22,20 handeln (vgl. LUZ, Mt IV, 94 Anm. 1.2). Denkbar wäre, dass die Einsetzungsworte derart fest in der Gemeindeliturgie verankert waren, dass eine Änderung nicht möglich war, und/oder eine weitere Überfrachtung des Deutewortes zur Folge gehabt hätte (eine Überfrachtung des Becherwortes wird allgemein von GNILKA, Mt II, 399 konstatiert). Zuletzt lässt sich vermuten, dass der mt Kreis bereits ein Gespür für die im Konzept des neuen Bundes angelegte Frage nach Kontinuität und Diskontinuität hatte (s.u. V.3.3.2.). Nach GROെ, Bund überwiegt das Moment der Diskontinuität in Jer 31, sodass es adäquater sei, vom neuen Bund und nicht von Bundeserneuerung zu sprechen. Ist dieses Verständnis für die mt Gemeinde vorauszusetzen, so könnte der mt Kreis bewusst auf den Terminus neuer Bund verzichtet haben, um die Kontinuität zum Sinai-Bund beizubehalten und die implizite Abrogation eines alten Bundes zu unterbinden. Ein solches Verständnis entspräche zumindest den bisherigen Beobachtungen zur Israeltheologie im Mt. 289 Ähnlich HAM, Supper, 60f. 290 Darüber hinaus könnte eine (allgemeingültige) Austauschbarkeit von ĮੈȝĮ und ȥȣȤ (vgl. Lev 17,11.14) als weitere Referenz postuliert werden (vgl. HAM, Supper, 61). 291 U.a. vertreten durch FRANKEMÖLLE, Jahwe, 356; DERS., Mt II, 449; GNILKA, Mt II, 401; HAGNER, Mt II, 773; HAM, Supper, 60f.; KONRADT, Israel, 364.
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
anders dar. Die sprachliche Referenz ʌȠȜȜȞ ist dem mt Kreis bereits durch Mk vorgegeben, sodass deren Beweiskraft schwindet.292 Gleiches gilt für das Motiv der Sündenvergebung, welches Mk 1,4 entnommen und neu akzentuiert worden ist.293 Gleichwohl gilt mit Bezug auf die Intertextualitätskriterien, insbesondere das der volume, für Jes 53,12 Ähnliches wie für Jer 38,31– 34LXX. Das Jesajabuch bildet einen der zentralen Referenztexte des Mt, weshalb abermals das konkrete Vorwissen gegeben ist. Die recurrence ist im Vergleich zu Jer 38LXX etwas deutlicher.294 Es stellt sich daher die Frage nach der thematic coherence. Diese hängt an der Frage des Blutverständnisses in Mt 26,28 und dessen Durchlässigkeit auf ੰȞ ʌĮȡİįંșȘ İੁȢ șȞĮIJȠȞ ਲ ȥȣȤ ĮIJȠ૨.295 3.2.4. Intratextuelle Bezüge Der Versuch einer systematisierenden Deutung des Blutmotivs in der Abendmahlsperikope kann nicht allein aus dem komplexen Spiel potenzieller Intertexte allein erfolgen, sondern muss gleichermaßen die intratextuellen Verbindungslinien berücksichtigen. Diese ergeben sich aus den mt Abweichungen von der mk Fassung. a) Sündenvergebung Im synoptischen Vergleich fällt auf, dass die Wendung İੁȢ ਙijİıȚȞ ਖȝĮȡIJȚȞ von der Johannestaufe (Mk 1,4; Lk 3,3) verlagert und an das Becherwort angliedert wird.296 Der mt Kreis entkoppelt offenbar das Motiv der Sünden292 Vgl. SCHRÖTER, Abendmahl, 129 Anm. 174, der aufgrund dieses schwachen Befunds diese Referenz verwirft. Ähnlich FIEDLER, Mt, 391; LUZ, Mt IV, 115. 293 S.u. V.3.2.4.a). 294 Auf das vierte Gottesknechtslied (Jes 52,13–53,12) werden – von den ‚loci citati et allegati ex vetere testamento‘ des NA28 – zahlreiche Anspielungen geltend gemacht: Jes 53,7/Mt 27,12; Jes 53,10/Mt 20,28; Jes 53,12/Mt 12,29; 26,28; 27,38; Jes 52,15/Mt 13,16. Ein explizites Zitat liegt mit Jes 53,4 in Mt 8,17 vor (vgl. insgesamt auch HAM, Supper, 60f.). HENGEL, Sühnetod betont zudem die Singularität des Stellvertretungsgedankens – insbesondere im Kontrast zu Ex 32,32ff.; Dtn 24,16. Nach ihm zeichnet sich der leidende Gottesknecht zudem in seiner Anschlussfähigkeit angesichts des griechisch-römischen Diskurses zum stellvertretenden Sterben aus. 295 Für die Betonung dieses Aspekts des leidenden Gerechten resp. des Martyriums für andere vgl. FIEDLER, Mt, 391 mit Rückverweis auf das Mt und dessen Nähe zu 2Makk 7,38; 4Makk 1,1; 6,28f.; 17,21f.; vgl. ferner auch die Darstellung bei WOYKE, Gottesknecht. 296 Im Lk lässt sich beobachten, dass die Wendung zweimalig gebraucht (Lk 3,3; 24,47) und in den Abschiedsworten mit der nachösterlichen Verkündigung für die Völker zusammengebracht wird, die wiederum in Tod und Auferstehung gründet. Dementsprechend scheint die Heilsbotschaft als solche, und weniger das Todesgeschick Jesu, als objektiver Grund für die Sündenvergebung in Erscheinung zu treten (in diese Lesart ließe sich zudem Lk 1,77 einfügen).
3. Das Blut der Versöhnung (Mt 26,26–29)
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vergebung von seiner Verbindung mit der Täufertradition und bindet dieses exklusiv an Jesus.297 Dies hat nicht nur die Reduzierung der Johannesfigur als Vorläufer Jesu zur Folge,298 sondern bindet letztlich die Ermöglichung jeglicher Sündenvergebung auf Erden (vgl. Mt 9,8; 18,15–20.21–35) an das Bundesblut zurück. Insofern erfüllt sich in Mt 26,28 (objektiv) die Verheißung der Sendung Jesu, die in Mt 1,21 als „Rettung seines Volkes von ihren Sünden“ bestimmt ist.299 Diese intratextuelle Referenz verdeutlicht, dass das Volk Israel als Primäradressat zu denken ist, 300 wenngleich die Formel ʌİȡ ʌȠȜȜȞ wohl zugleich das Heil für die Völker aussagt301 und damit besser mit „für alle“ wiederzugeben ist.302 Trotz dieser universalen Konzeption für alle stellt sich die Frage der konkreten subjektiven Aneignung. Im Mt manifestiert sich Sündenvergebung einerseits im irdischen Wirken des Menschensohnes, anderseits ist die Macht hierfür den Menschen (Mt 9,8), genauer der ecclesia (Mt 18) gegeben. Gleichwohl scheint diese Verortung der Sündenvergebung erst durch das in Mt 26,28 Ausgesagte ermöglicht zu werden. Dies hat zur Folge, dass die subjektive Aneignung des Heilswirkens Gottes in Jesus nach der mt Konzeption in der Partizipation an demselben erfolgt. Abermals hängt es am Verständnis der Wirkweise des Blutes Jesu wie diese Partizipation ermöglicht wird. Entweder durch das heiligende Blut Jesu, wodurch sich ein subversives Potenzial hinsichtlich Mt 27,24f. ergibt,303 oder durch die Integration in den durch Jesu Tod erneuerten Bund, welcher in der beziehungsstiftenden Wirkweise des Blutes Jesu gründet. In beiden Fällen findet die Partizipation am Geschick Jesu in der Mahlgemeinschaft ihren Ausdruck,304 sodass sich das Heil potenziell für alle erfüllt, konkret aber für diejenigen, die Teil der (jesuanischen) Gemeinschaft sind.305
297
Zu den Hintergründen vgl. LEROY, Vergebung, 35–37. Vgl. HÄFNER, Vorläufer, 12f. 299 Vgl. LUZ, Mt IV, 116: „Die Vergebung der Sünden ist für Matthäus das Zentrum der Sendung Jesu.“ 300 Vgl. KONRADT, Mt, 407. Eine Engführung auf die ecclesia verbietet sich weiterhin. 301 Vgl. ZIETHE, Namen, 220–222. 302 Vgl. KONRADT, Mt, 406. 303 S.u. V.3.3.1. und V. Exkurs 4. 304 Vgl. LUZ, Mt IV, 120. 305 Damit wird aber kein Ausschluss Israels forciert; vgl. KONRADT, Mt, 407: „Vielmehr verweist der Zusammenhang von V. 28 mit 1,21 gerade auf die Einbindung des Heilstodes Jesu in die Bundesgeschichte Gottes mit Israel, so dass es adäquater ist, von einer Erneuerung des einen Bundes zu sprechen, wie dies atl. Bundestheologie entspricht und in der mt Jesusgeschichte selbst durch das Mt insgesamt prägende Kontinuitätsmotiv naheliegt. Nur ist hinzuzufügen, dass für Matthäus mit dieser Erneuerung des Bundes dessen Ausweitung bzw. Universalisierung einhergeht, da dem Tod des Gottessohnes eine universale Heilsbedeutung zukommt.“ Zu den bleibenden Schwierigkeiten dieses Verständnisses s.u. bei Anm. 335–343. 298
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
b) Immanuel-Motiv Im eschatologischen Logion zum Weinverzicht in Mt 26,29 ist in der mt Fassung ȝİșૃ ਫ਼ȝȞ eingefügt, sodass das gemeinschaftliche Trinken im eschatologischen Gastmahl zum mt Proprium wird. Hierdurch wird ein zweites zentrales mt Anliegen hinsichtlich der Sendung Jesu in der Abendmahlsperikope eingespielt, welches in Mt 1,23 eingeführt und in Mt 28,20 bekräftigt wird. Dieser Verweis auf das Immanuel-Motiv lässt sich wohl am besten als Zuspruch an die Jünger resp. die Gemeinde verstehen, das in besonderer Weise die (eschatologische) Gemeinschaft im Reich Gottes hervorhebt.306 Dies geht über die bloße (individuelle) Hoffnung Jesu auf sein Eingehen in das Reich Gottes hinaus (vgl. Mk 14,25), insofern die Jünger (exemplarisch) in dieses einbezogen sind. Damit gewinnt das Logion eine prophetische Dimension,307 die als Zuspruch an die Gemeinde fungiert.308 Der Einbezug des Immanuel-Motivs ist auch angesichts der Zeitlichkeitsdimensionen, die in Mt 26,26–29 hervortreten, konsequent. Die Verschränkung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lässt sich im Abendmahl durch die erinnerte Bundesstiftung, den impliziten Anamnesis-Auftrag und den Ausblick auf das eschatologische Mahl beobachten.309 Dies gilt auch für das Immanuel-Motiv, welches sowohl im irdischen Wirken verankert als auch in dem des Erhöhten gegenwärtig und zukünftig zugesagt ist.
306 Vgl. GIELEN, Passionserzählung, 70. Die eschatologische Dimension wird darüber hinaus durch ਕʌૃ ਙȡIJȚ zum Ausdruck gebracht, welches in den Synoptikern ein weiteres mt Proprium ist (vgl. Mt 23,39; 26,29.64; weitere Belege im NT sind Joh 13,19; 14,7; Apk 14,13). In Mt 23,39 und Mt 26,29 wird diese Formulierung zudem mit ਪȦȢ aufgelöst, sodass hier eine Zwischenzeit markiert wird („von jetzt bis …“), die abermals den eschatologisch konnotierten Kontext unterstreicht. Dies gilt in ähnlicher Weise auch für Mt 26,64, wenngleich die ausgesagte Einsetzung Jesu als Weltenrichter in die erzählerische Jetztzeit fällt. Andererseits dürfte das Kommen auf den Wolken des Himmels in den Motivkomplex des endzeitlichen Richters gehören (vgl. Mt 24,30), sodass auch hier eine eschatologische Dimension eingespielt wird. Insgesamt erfolgt durch die Eintragung von ਕʌૃ ਙȡIJȚ eine Verstärkung der Ausrichtung auf das eschatologische Gastmahl und damit das endzeitliche Heil, welches im Abendmahl versichert wird (vgl. KONRADT, Mt, 408). 307 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 477. 308 Vgl. KONRADT, Mt, 408: „Für die Jünger enthält V. 29 zum einen die Vergewisserung, dass ihre Trennung von Jesus nur eine vorläufige sein wird, und zum anderen die Verheißung, dass sie am eschatologischen Heil teilhaben werden (vgl. 19,28f).“ 309 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 477: „Regarding the past, the text tells us that Jesus established a new covenant through the sacrifice of his own blood. Concerning the present, Matthew’s narrative of the last supper is instruction for the church’s ongoing celebration of the Lord’s Supper, and it implies that participation in this rite is participation in the effects of Jesus’ self-sacrifice. As for the future, the eschatological banquet is here, interpreted as a restoration of the table fellowship broken by Jesus’ death – which in turn suggests that table fellowship with the risen Lord is a foretaste of the consummation.“
3. Das Blut der Versöhnung (Mt 26,26–29)
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3.3. Das Blutvergießen im Kontext der Abendmahlsperikope Die bisherigen Überlegungen lassen ein komplexes Gefüge erkennen, dessen Facetten nur schwer auseinanderzuhalten sind. Dies gilt bereits für die Frage nach den Plausibilitäten und Deutungspotenzialen der inter- und intratextuellen Bezüge. Bislang ist keiner der potenziellen Intertexte sicher auszuscheiden, sodass mit einem polyphonen Klangraum zu rechnen ist. 310 Für die konkrete Rückfrage nach dem vergossenen Blut in Mt 26,28 ist die Polyvalenz jedoch problematisch, insofern sowohl die Schwerpunktsetzung der Bezugstexte als auch deren Verständnis das exegetische Ergebnis maßgeblich beeinflussen.311 Für den mt Kontext scheint es angemessen zu sein, dass zur Deutung des Blutmotivs (wenigstens) die drei Größen Blut, Bund und Sündenvergebung ins Verhältnis gesetzt werden müssen, wobei Ex 24 als primärer Intertext heranzuziehen ist. Davon ausgehend können weitere Intertexte plausibilisiert und Deutungspotenziale diskutiert werden. Im Wesentlichen legen sich dabei zwei Deutungsmöglichkeiten nahe, die im Folgenden vorzustellen sind; im ersten Fall wird das Blutvergießen als reinigendes Heilsmittel verstanden, im zweiten hingegen als Verifikation der Bundesstiftung. 3.3.1. Zur heiligenden Wirkweise des Bundesblutes Die Annahme, dass dem Blut Jesu materialiter eine heiligende Funktion zukommt, ist von einem spezifischen Verständnis von Ex 24 und dem dortigen Bundesblut abhängig. 312 Versteht man den Besprengungsritus in Ex 24,8 als Ermöglichung der Gottesschau (Ex 24,9–11), dann ist es naheliegend das Blut als Sühnemittel anzusehen, durch welches die notwendige Reinigung zur Theophanie erfolgt.313 Diese Wirkweise des Blutes lässt sich zudem gut mit 310
Positiv formuliert KONRADT, Mt, 406: „Matthäus operiert mit einem Netz von Anspielungen auf die Schrift, die der Deutung des Todes Jesu ihre theologische Tiefendimension vermittelt.“ 311 Vgl. bspw. HAMILTON, Death, 222, die den Schwerpunkt auf Ex 24 und Lev 16 legt und in ihrer Auslegung weitgehend auf Jer 31 und Jes 53 verzichtet. 312 Anders STRATOMEIER, Abendmahl, 41, der ohne nähere Begründung eine sühnende Wirkung des Blutes von Jer 31,34 aus behauptet. 313 Konkret folgt auf die Bundesstiftung die Gottesbegegnung von Mose, Aaron, Nadab, Abihu und den 70 Ältesten auf dem Berg Sinai. Da diese Theophanie ohne tödlichen Zwischenfall erfolgt und in Tischgemeinschaft mündet, geht Eberhart davon aus, dass das Bundesblut die Volksrepräsentanten geheiligt hat und so die Begegnung ermöglicht wurde. Eine Analogie sieht er in Jes 6,1–7, wo der Gottesbegegnung ebenfalls eine Heiligung/ Reinigung vorangeht (vgl. insgesamt EBERHART, Studien, 270–273). Mit DOHMEN, Ex II, 205f. ist dieses Geschehen jedoch auch ohne Blutverweis als Verschonung durch JHWH zu verstehen, die sodann repräsentativ durchlässig ist für die Integration des Volkes in das priesterliche Königreich. Mit WEIDEMANN, Bundesblut, 94 wäre zu erwägen, dass diese Tischgemeinschaft den Hintergrund für das eschatologische Logion der erneuten Tisch-
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anderen Blutriten in Beziehung setzen, welche der Logik folgen, dass Blut heiligt, weil es selbst heilig ist.314 Unter dieser Voraussetzung wären die Größen Blut, Bund und Sündenvergebung derart aufeinander bezogen, dass das Bundesblut selbst sündenvergebend (heiligend/reinigend) wirkt und so die Begegnung mit JHWH ermöglicht wird.315 Der Bundesschluss selbst wird folglich in der Blutbesprengung erwirkt, welche erst das Zueinander von Volk und JHWH ermöglicht. Die Applikation dieser Deutung auf das Mt setzt eine besondere Gewichtung der mt Näherbestimmung des vergossenen Bundesblutes durch İੁȢ ਙijİıȚȞ ਖȝĮȡIJȚȞ voraus.316 Da die heiligende Wirkweise von Blut erst durch den physischen Kontakt mit dem Heilsmittel erfolgt,317 muss eine solche Interpretation des mt Deutewort postulieren, dass sich dieses auf den Inhalt des Bechers bezieht.318 Der Wein im Becher wird gemeinschaft ਥȞ IJૌ ȕĮıȚȜİ IJȠ૨ șİȠ૨/ʌĮIJȡંȢ ȝȠȣ (Mk 14,25; Mt 26,29) bildet (s.o. S. 326, V.3.2.4.b). 314 Vgl. EBERHART, Studien, 257–259.287f. Ähnlich auch SIMMONDS, Uses, 17, der mit Verweis auf bSev 4b jedoch allgemein behauptet: „The word ‚blood‘ can mean ‚sacrifice‘.“ 315 Eine sühnende Wirkung des Bundesblutes ist in Ex 24 unabhängig von dieser spezifischen Interpretation nur schwer festzuhalten, wird aber von den beiden Targumim TO und TPsJ zu Ex 24,8 bezeugt (vgl. u.a. WEIDEMANN, Bundesblut, 90f. mit Anm. 141). Deren Quellenwert ist jedoch umstritten, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob diese als Zeugen für ein eben solches Verständnis in Mt 26,28 dienen können (zur Datierung vgl. FISCHER, Text, 162f.). Dies gilt trotz einer ähnlichen Vorstellung in Hebr 9,19–22, da nicht zu entscheiden ist, ob die beiden neutestamentlichen Vorstellungen auf jüdisches Allgemeingut rekurrieren (vgl. HAMILTON, Death, 222), oder, sofern die mt und hebr Referenzen auf Ex 24 überhaupt vergleichbar sind, jeweils aufgrund des Christusgeschehens zu ähnlichen Assoziationen kamen. 316 Während ਙijİıȚȢ nur bedingt als Reinigungsterminus zu verstehen ist, könnte jedoch die frühchristliche Prägung in diese Richtung weisen. In der Jesustradition ist die Formel offenbar zunächst mit der Johannestaufe verbunden (vgl. LEROY, Vergebung, 46), sodass ein Bezug zwischen Reinigung (im/mit Wasser) und Sündenvergebung konstitutiv scheint (vgl. Mk 1,4; Lk 3,3; ferner Apg 2,38). Aus diesem Kontext wird die Formel im Mt herausgelöst und mit der Blutthematik verbunden (so auch in Eph 1,7; Hebr 9,22; Barn 5,1; eine verwandte Vorstellung könnte in 1Clem 7,4 vorliegen, wobei hier auf die Wirkung der ȝİIJȞȠȚĮ rekurriert wird). 317 S.o.S. 267 bei Anm. 21. 318 Ein solches Verständnis des Kelchwortes findet sich in der Forschung auch unabhängig vom hiesigen Argumentationszusammenhang und basiert meist auf dem pragmatisch gedachten Zueinander der beiden Imperative: Wird Brot gegessen, so muss der Trinkbefehl den Inhalt des Bechers, d.h. den Wein, meinen (vgl. LICHTENBERGER, Bund, 223; WOLTER, Lk, 707f. mit Bezug auf Lk 22,20; ZAHN, Mt, 698f.; ähnlich auch BIALE, Blood, 53f.; GIELEN, Passionserzählung, 76; STRATOMEIER, Abendmahl, 59; VOGEL, Heil, 82 Anm. 28). Diese Annahme könnte zudem mit der breit bezeugten Metapher ĮੈȝĮ ıIJĮijȣȜોȢ (vgl. Gen ; Dtn [= Oden 2,14]; Makk ; Sir ; 50,15) begründet werden, welche das symbolische Zueinander von Wein und Blut in der Umwelt unterstreicht. Ob dies in der Umschreibung des Weins durch ȖȞȘȝĮ IJોȢ ਕȝʌȜȠȣ (Mt
3. Das Blut der Versöhnung (Mt 26,26–29)
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(symbolisch) zum Blut Jesu, welches Sühne bewirkt bzw. von Sünden reinigt.319 Gleich wie das Volk in Ex 24 durch den physischen Kontakt mit dem Bundesblut zur Gottesschau befähigt wird, so ermöglicht der (physische) Konsum des Weins die Teilhabe am Bund.320 Ist folglich der Schwerpunkt auf den physischen Kontakt mit dem Blut Jesu gelegt, welches als Sühnemittel Sündenvergebung bewirkt, so wäre weiter zu fragen, ob dieses Verständnis mit den weiteren Blutbelegen des Evangeliums in Einklang zu bringen ist. Eine erste sprachliche Referenz führt über ĮੈȝĮ ਥțȤȣȞȞંȝİȞȠȞ zu Mt 23,35 zurück. Allerdings wird hier ĮੈȝĮ nicht als das Blut Jesu näherbestimmt, da das gerechte Blut zunächst auf den Zeitraum von Abel bis Sacharja reduziert erscheint. Selbst wenn die Boten Jesu (und in chronologischer Stringenz das Blut Jesu selbst) in diese Blutfülle (ʌ઼Ȟ ĮੈȝĮ) einbezogen werden, liegt der Fokus auf dem Blut in seiner Gesamtheit, aber kaum auf dem Blut Jesu und dessen spezifischer Wirkweise. In Mt 27,4 hingegen wird das unschuldige Blut mit Jesus identifiziert. Allerdings finden sich hier keine Hinweise, dass dem Blut Jesu eine heiligende Funktion zukommt. Dies liegt einerseits an dem starken intertextuellen Bezug zu Dtn 27,25 und dem dortigen Blutverständnis, andererseits am Transformationsprozess, welchen das Blut durchläuft. Ginge man von einer reinigenden Wirkweise aus, die im physischen Kontakt gründet, würde dies implizit zur Heiligung/Reinigung von (Bestechungs-)Geld, Tempel und Acker führen, was weitergehende Schwierigkeiten mit sich bringt.321 Mit dem „Blut dieses (IJȠIJȠȣ) [Menschen]“ in Mt 27,24 26,29) angelegt ist, muss offenbleiben. Auffällig ist zumindest, dass ȠੇȞȠȢ nicht gebraucht wird, wobei dies auch in Vermeidung einer intratextuellen Referenz auf Mt 27,34 (vgl. bereits Mk 14,25; 15,23) oder poetischem Sprachgebrauch gründen könnte. 319 Eine solche Deutung setzt jedoch einen – wenigstens symbolischen – Bruch mit dem Blutgenussverbot voraus, wie dies von REXEIS, Verletzung vorgeschlagen wird (ähnlich EBERHART, Kultmetaphorik, 122; FRANCE, Mt, 993). Es ist jedoch äußerst fraglich, ob die Vorstellung der getrunkenen Flüssigkeit als Blut Jesu für den mt Kontext überhaupt vorstellbar ist, steht doch der Verzehr von Blut im krassen Widerspruch zu den Geboten der Thora (vgl. Gen 9,4; Lev 3,17; 7,26f.; 17,10–14; Dtn 12,16.23f.; 15,23; zudem 1Sam 14,32–35; 11QT 53,5f.; Jub 6,7–14; 7,28–34; 11,2; 21,6; 1Hen 7,5; Flav.Jos.Ant. I 102; VI 120f.; Apg 15,20.29; 21,25; zu den Hintergründen des Verbots vgl. BERGMAN/KEDARKOPFSTEIN, ThWAT II, 262). Diese Problemnennung findet sich auch bei FIEDLER, Mt, 389 und ist m.E. die schwerwiegendste Anfrage an eine solche Interpretation. 320 Ähnlich HAGNER, Mt II, 773. Mit anderer Akzentuierung ähnelt dies zudem der Interpretation bei BERGER, Theologiegeschichte, §186f. Er sieht das tertium comparationis in der „(besondere[n]) Flüssigkeit(, die) auf alle verteilt wird“ – in Ex 24,8 ist dies die Besprengung des Bundesblutes, in Mt 26,28 das Trinken des als Bundesblut gedeuteten Weins (ebd., 317). 321 Während die Heiligung des Ackers in seiner Funktion als Fremdenfriedhof für eine soteriologische Konnotation des Prozesses fruchtbar gemacht werden könnte (vgl. HEIL, Blood, 121f.; SIMMONDS, Uses, 180; WICK, Judas, 35), lässt sich ähnliches für Geld und Tempel schwerlich behaupten. Hinsichtlich des Geldes entstünde ein erzähllogischer Widerspruch zur Scheu der Hohepriester in Mt 27,6, der sich auch als Ironie kaum sinnvoll
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
bzw. „seinem (ĮIJȠ૨) Blut“ in Mt 27,25 findet sich eine ähnliche starke Blutidentifikation wie mit „meinem (ȝȠȣ) Bundesblut“ in Mt 26,28. Diese eindeutige Bezugnahme auf das Blut Jesu lässt im Blutruf des Volkes ein doppeltes Aussagepotenzial vermuten:322 Die Gerichtsmotivik des Blutrufs, die zudem durch die intratextuelle Referenz zwischen Mt 27,25 (ਥijૃ ਲȝ઼Ȣ) und Mt 23,35 (ਥijૃ ਫ਼ȝ઼Ȣ) unterstrichen wird, ist zwar kaum zu verkennen. 323 Allerdings könnte man zugleich das Blut Jesu (IJઁ ĮੈȝĮ ĮIJȠ૨) an Mt 26,28 (IJઁ Įੈȝ ȝȠȣ IJોȢ įȚĮșțȘȢ) zurückbinden. Denn die Bildsprache des Blutrufes evoziert den physischen Kontakt des Volkes mit dem Blut Jesu und – im Lichte der vorgestellten Deutung von Mt 26,28 – dessen Heilswirkung. Dem Blutruf läge damit ein subversives Potenzial inne, welches auf einer geschichtstheologischen Ebene das Gericht in und an Israel begründet, während zugleich eine heilsgeschichtliche Perspektive eingespielt wird, worin das Blut nicht nur zu Gericht, sondern auch umfassender Reinigung und Heiligung des (ganzen) Volkes führt. Insgesamt wird ersichtlich, dass diese Deutung keine kohärente Blutlehre ermöglicht, insofern Mt 26,28 weder als Sonderfall ausgeschieden werden kann noch dessen Interpretationsaspekte gänzlich auf alle anderen Blutbelege übertragbar sind. Dies spricht noch nicht in Gänze gegen eine solche Interpretation des Blutes Jesu, zeigt aber bereits die Schwierigkeiten dieser Konzeption an. In Exkurs 4 (u.S. 337–339) sollen weitere Probleme aufgezeigt werden, die gegen ein solches Zusammenlesen von Mt 26,28 und Mt 27,25 sprechen. 3.3.2. Zur beziehungsstiftenden Wirkweise des Bundesblutes Ein anderes Interpretationsgeflecht entfaltet sich, wenn das Bundesblut in seiner beziehungsstiftenden Wirkweise fokussiert wird. Dieses Verständnis knüpft an die Beobachtung an, dass das Bundesblut in Ex 24 auf das Bundesbuch rekurriert und die Wortwahl zuvorderst auf ein konstitutives Element des Bundesschlusses bezogen ist.324 Dieses Zentrum ist in Ex 24 durch IJઁ ȕȚȕȜȠȞ IJોȢ įȚĮșțȘȢ bestimmt, welches offenbar dem Bundesschluss voraussetzend vorangestellt ist. Der Bund wird erst ermöglicht, sobald im Bundes-
auflösen lässt. Eine Heiligung des Tempels wäre angesichts der vielfältigen Hinweise auf dessen Preisgabe und Zerstörung konterkarierend. Es müsste daher entweder behauptet werden, dass das Blut nur den Acker, nicht aber das Geld und den Tempel heiligt. Dies liegt jedoch quer zum physischen Kontakt und zudem bliebe völlig unklar, weshalb der Blutacker heiligt, während das Blutgeld von einer solchen Wirkweise ausgenommen ist. 322 Vgl. den Begriff Double Entendre bei CARGAL, Blood. 323 S.o. V.2.6. sowie IV.4. 324 Vgl. DOHMEN, Ex II, 203; ferner WILLI-PLEIN, Haggai, 168. Eine solche Bezugnahme ist auch sprachlich durch das Agieren Moses unterstrichen, der jeweils das Blut bzw. das Buch „nimmt“ (MT: ʧʷʩʥ; LXX: ȜĮȕઅȞ; vgl. FISCHER/MARKL, Ex, 270).
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buch die Gott-Mensch- und die Mensch-Mensch-Beziehung fundiert wird. Dem (Blut-)Ritus käme demnach eine andere Funktion zu, nämlich die der Verifikation des Bundesschlusses.325 Die Besprengung des Volkes mit Bundesblut bestätigt folglich in besonderer Weise den Bund zwischen Volk und JHWH, der mit der Annahme des Bundesbuches geschlossen wurde (vgl. Ex 24,7).326 In ähnlicher Weise kann auch der Ritus des Abendmahls verstanden werden. Da in allen Versionen der Einsetzungsworte der bundestheologische Impetus offensichtlich ist,327 lässt sich das Geschehen über den gemeinschaftsstiftenden Aspekt hinaus als Bundesgeschehen deuten. Dieser Bundesbezug klingt womöglich auch in der Memorierung des Abendmahls als Passamahl an (Mt 26,17–19). Zwar stellt das Passa selbst kein bundestheologisches Ereignis im eigentlichen Sinne dar. Gleichwohl erfolgt im Exodus die Konstituierung einer Gemeinschaft, welche den Bund schließen wird, und derselbe dient zugleich als Identitätsmerkmal des Volkes. Es ist jedoch anzumerken, dass die Bezüge der Abendmahlsfeier selbst kaum Elemente der Passafeier aufnehmen. Allenfalls ließe sich überlegen, ob die Deuteworte Jesu in Analogie zur Ausdeutung der symbolischen Speisen des Sederabends gebildet sind.328 Eine thematische Parallele ergibt sich durch das Motiv der Sündenvergebung, da dieses die angekündigte Rettung von Sünde (Mt 1,21) einlöst. Wird diese Sündenrettung im Gesamtsetting des ersten Kapitels auch als Rettung aus dem Exil verstanden,329 läge es nahe, in der von Jesus zugesprochenen Sündenvergebung einen Zuspruch hinsichtlich des Endes des Exils zu vermuten. Die Bundesstiftung Jesu bewirkt demnach eine Befreiung aus diesem Exil, die im Bund erfahrbar wird. Die Memorierung der Abendmahlsszene als neuer Exodus scheint zwar ein frühchristlicher Allgemeinplatz zu sein.330 Dass dahinter die frühjüdische Vorstellung eines Zusammenhangs von Sündengeschichte Israels und Exilierung steht, ist hingegen in besonderer Weise im Mt hervorgehoben.331 325
Vgl. ALBERTZ, Ex II, 139; FISCHER/MARKL, Ex, 271. Beide verweisen zudem darauf, dass die nächste Nähe zum Ritus in der Priesterweihe (Ex 29,20f.; Lev 8,23f.40) und hierin einerseits die Vorstellung vom Volk aus Priestern (Ex 19,6), andererseits die größtmögliche Bindung zwischen Gott und Mensch zum Ausdruck kommt. 326 Vgl. REXEIS, Verletzung, 89. FISCHER/MARKL, Ex, 267 sprechen aufgrund dieses Umstands von der „Blut- und Buchliturgie“. 327 VOGEL, Heil, 79 spricht von einem „unverwechselbare(n) Kennzeichen“. 328 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 469 mit Verweis auf mPes 10,3–4. 329 S.o. II.5.3.1. 330 Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 477f. 331 Dieser jeweilige Zusammenhang wird von KONRADT, Mt, 405 im Stichwort „soteriologisches Grunddatum“ zusammengeführt: „Die Deuteworte über Brot und Wein fügen sich hier formal ein, knüpfen aber nicht an bestimmte Elemente der Passamahlfeier an, sondern bringen Neues ein: Der Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten als soteriologischem Grunddatum der Geschichte des Gottesvolkes tritt mit dem Tod Jesu ‚zur Vergebung der Sünden‘ (V. 28) ein neues soteriologisches Grunddatum zur Seite.“
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
Der zentrale Aspekt des Ritus ist demnach die Ausbildung einer Bundesgemeinschaft, was einen soteriologischen Aspekt zunächst auszuschließen scheint.332 Gleichwohl ist zu fragen, ob der Gesamtkomplex von Exodus zum Sinai bis Bundesschluss als „soteriologisches Grunddatum“ zu verstehen ist, sodass in der Konstitution des Bundes wenigstens partiell eine sündenvergebende Pointe mitzudenken ist. Manifest wird diese in der Gabe des Opferkultes, welche im Anschluss innerhalb dieser bundestheologischen Konzeption Sündenvergebung ermöglicht. Im Gegensatz dazu lässt die mt Konzeption keine weiteren „äußeren“ Medien erkennen,333 sondern bindet Sündenvergebung an die Gemeinschaft zurück. Dies lässt sich einerseits aus der Fokussierung der Sündenthematik auf zwischenmenschliche Aspekte erheben, andererseits ist dieselbe häufig in kollektive Dimensionen gekleidet (vgl. Mt 6,12.14f.; 9,6). Wenn aber Sündenvergebung notwendig in der Gemeinschaft erfolgt, bedarf es in der mt Konzeption keiner Heilsmittel wie des Opferkults oder eines katharischen Verständnisses des Blutes Jesu, sondern der Teilhabe an der sündenvergebenden Gemeinschaft. Daher bildet der Tod Jesu offenbar das einmalige Geschehen aus, welches die Praxis der Sündenvergebung in der Gemeinde ermöglicht, und es ist der Eintritt in die durch dieses Geschehen konstituierte Gemeinschaft, welche für den Einzelnen die Sündenvergebung zur Folge hat und in welcher untereinander zwischenmenschliche Sündenvergebung zu praktizieren ist.334 Demzufolge ist die mt Bundeskonzeption auf die Person Jesu bezogen. Damit stellt sich die Frage, ob diese Bundesstiftung in Kontinuität zum Sinai-Bund als Bundeserneuerung oder in Diskontinuität als neuer Bund zu verstehen ist. Die Beziehungsstiftung durch Bundesblut erfolgt in der Szene zunächst unter den Mahlteilnehmern und ist durch das Possessivpronomen (ȝȠȣ) an die Person Jesu zurückgebunden.335 Gleichsam weisen die Deuteworte über den Kreis der Anwesenden hinaus, weshalb der Bund allen zugesprochen ist, die am beziehungsstiftenden Blut Jesu partizipieren (IJઁ ʌİȡ ʌȠȜȜȞ ਥțȤȣȞȞં332 Vgl. ALBERTZ, Ex II, 140 in Abgrenzung zur „christlichen Adaption“ in Mt 26,28; Mk 14,24. Anders HAMILTON, Death, 222, die zwar die Primärdeutung des Blutritus als Bundesverifikation mitgeht („In Exodus, this blood has to do with the ratification of the covenant and not with atonement and cleansing, in contrast to the sacrifices of Leviticus 16“), sodann aber diesen Zusammenhang für den mt Kontext mit Verweis auf die Targumim auflöst, um so das sühnende Verständnis zu priorisieren (s.o. Anm. 315). 333 Gegen BERGER, Theologiegeschichte, 736, der mit dem Trinken des „messianischen Wein(s)“ von einem solchen Medium ausgeht. 334 Vgl. BERGER, Theologiegeschichte, 470; VOGEL, Heil, 97. Zudem BERGER, Theologiegeschichte, 319 mit Verweis auf §533, der allerdings (in Analogie zur Blutbesprengung in Ex 24,8) das Trinken aus dem Kelch zum konstitutiven Element der Bundesstiftung erhebt. Seine Deutung ist indes von der Annahme geleitet, dass das Todesgeschick Jesu im Abendmahlsbericht nicht eingespielt sei; dies hat allerdings durch den sprachlichen Marker ĮੈȝĮ + ਥțȤȦ jede Wahrscheinlichkeit gegen sich (vgl. LICHTENBERGER, Bund, 222f.). 335 Vgl. LICHTENBERGER, Bund, 221.
3. Das Blut der Versöhnung (Mt 26,26–29)
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ȝİȞȠȞ). Trotz des offenkundigen Rekurses auf den Sinai-Bund erhält der Bund hierdurch eine spezifische Prägung, weshalb wegen des konstitutiven Bezugs auf die Person Jesu zu fragen ist, ob eine Bundeserneuerung oder ein neuer Bund (in Abwehr/Überwindung/… eines alten Bundes) im Blick ist. Es wurde zuvor festgehalten, dass für den mt Kreis die Kenntnis von Jer 38,31– 34LXX vorauszusetzen ist. Dies ist auch dahingehend naheliegend, als dass nur in Jer 38LXX die Sündenvergebung eindeutig als Konsequenz aus dem Bundesschlusses resultiert.336 Festzuhalten ist weitergehend, dass dem jeweiligen Bundesschluss die Initiative Gottes zugrunde liegt, im Falle Jesu wenigstens die Initiative des Gott-ist-mit-uns, der sein Volk von seinen Sünden rettet.337 Durch diese doppelte Bestimmung als Jesus und Immanuel wird zugleich die Heilsgeschichte des Volkes Israels aufgerufen, sodass die Bundesstiftung durch Jesu Tod und hierdurch die Ermöglichung von Sündenvergebung in einen heilsgeschichtlichen Kontext eingebunden wird. Es ist daher besser von einer Bundeserneuerung zu sprechen – wenigstens für den mt Kontext. Wenn allerdings diese Bundeserneuerung in der Person Jesu gründet und durch sein Blut verifiziert wird, dann kann letztlich die Kontinuität des Bundes mit Israel nicht am Bekenntnis zu Jesu vorbei erfolgen.338 Für den mt Kreis ist daher anzunehmen, dass er die Teilhabe an Israel von der Partizipation am erneuerten Bund durch Jesus abhängig macht. Dabei bleibt Israel zwar Erstadressat der Erneuerung, wenngleich hierdurch auch die Eingliederung der Völker in den (Sinai-)Bund ermöglicht wird, aber ein Israel neben dieser Bundeserneuerung durch Jesus scheint in der mt Konzeption nicht vorgesehen zu sein.339 Wird das Selbstverständnis des mt Kreises als „legitimer Sachverwalter des theologischen Erbes Israels“340 konsequent weitergedacht, so ist offensichtlich, dass der Fortbestand des Volkes Israels nur innerhalb dieser Bundeserneuerung gewährt ist, wohingegen alle, die sich dieser Eingliederung entgegenstellen, letztlich aus dem Bund herausfallen. Zu Recht muss daher in ein objektives und subjektives Heilsgeschehen unterschieden werden. Die Rettung gilt dem Volk Israel, sofern es den Schritt der
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S.o.S. 322 bei Anm. 281. Damit ist nicht gemeint, dass die Bundeserneuerung im Abendmahl durch einen autonomen gottgleichen Jesus erfolgt. Die Initiative und das Einsetzen des Bundes bleibt auch hier an Gott zurückgebunden, was sich nicht zuletzt in den Lobes- und Dankesvokabeln der Abendmahlsszene zeigt, die eindeutig Gott adressieren (vgl. auch den Verweis auf die ȕĮıȚȜİĮ IJȠ૨ ʌĮIJȡંȢ ȝȠȣ in Mt 26,29). 338 SCHRÖTER, Abendmahl, 125 betont, dass trotz der verschiedenen Anspielungen auf die Bundesschlüsse der Schriften Israels der Bund in Mk/Mt „vom Tod Jesu her verstanden und dadurch in eine neue Perspektive gerückt“ wird. 339 Vgl. KONRADT, Israel, 403: „Für Matthäus steht dabei zugleich fest, dass die ‚verlorenen Schafe des Hauses Israel‘ allein in der ecclesia Rettung von ihren Sünden finden.“ 340 KONRADT, Deutung, 252. 337
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
Bundeserneuerung durch Jesus mitgeht.341 Wer diesen Schritt verweigert – wie immer wieder paradigmatisch an den Autoritäten aufgezeigt wird –, fällt letzten Endes aus dem Bund heraus. Es ist daher zwar angemessen, die mt Konzeption als Bundeserneuerung zu werten,342 wenngleich in letzter Konsequenz ein neuer Bund aus Juden und Nichtjuden, der im Blut/Tod Jesu gestiftet ist, hervorgeht.343 Ist diese Interpretation auf den gemeinschaftsstiftenden Aspekt hin korrekt, so kann auch der Bezug des mt Deutewortes – sprachlich korrekt – auf den Becher erklärt werden, insofern durch das gemeinschaftliche Trinken aus dem einen Kelch die Bundesgemeinschaft verdeutlicht wird. Das gemeinsame Trinken symbolisiert folglich die Partizipation am Geschick Jesu.344 Eine solche Deutung fügt sich zuletzt gut in das Gesamtgefüge der Einsetzungsworte ein. Die symmetrische Struktur legt nahe, dass sich die Deutungsworte gegenseitig erschließen. Mit Bezug auf IJȠ૨IJં ਥıIJȚȞ in Mt 26,26 ist festzuhalten, dass – konträr zur dogmatischen Streitfrage – ein Rückbezug auf ਙȡIJȠȢ in generischer Hinsicht nicht haltbar ist.345 Das Demonstrativpronomen ist daher auf das ganze Geschehen am Brot zu beziehen: dessen Brechen, Verteilen und Essen.346 Analog bezieht sich IJȠ૨IJȠ auf das Trinken aus dem einen Becher und nicht auf eine etwaige Flüssigkeit in
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Analog zu Ex 24 wäre zu erwägen, ob diese Teilhabe am Bund Jesu nicht allein in einer formellen Eingliederung in denselben begründet liegt, sondern vielmehr in der Befolgung seiner Thorainterpretation gründet. Zwar wird durch den Tod Jesu objektiv die Bundeserneuerung bewirkt, die subjektive Aneignung der soteriologischen Wirkung haftet indes am Gehorsam gegenüber den ethischen Forderungen Jesu bzw. seiner vollmächtigen Gesetzesauslegung. Es ist daher nicht abwegig, dass durch das Bundesblut die Tiefendimension des Bundesbuches eingespielt wird, sodass die Gemeinschaft des Bundes auf die Thorainterpretation Jesu verpflichtet wird (vgl. insbesondere Mt 28,20). 342 Vgl. DOHMEN, Ex II, 220f. 343 Vgl. BACKHAUS, Gottes, der in ähnlicher Weise meint, dass „(d)er ‚neue Bund‘ der eine soteriologisch vertiefte und universal entgrenzte Gottesbund (ist)“ (ebd., 43, Hervorhebung im Original). Hiervon ausgehend markiert er bleibende Spannungen im jüdischchristlichen Dialog, die sich trotz der Betonung der Kontinuität zum Sinai-Bund durch „Gottes Heilsinitiative“ in der Person Jesu Christi ergeben (vgl. ebd., 52–55; hier 54). Auf diese Problemanzeige und die damit verbundene Frage nach der (inner-)jüdischen Verortung der mt Gemeinde wird unter VII.4. eingegangen. 344 Vgl. LUZ, Mt IV, 114f.: „Durch den einen Becher, der unter den Jüngern kreist, wird der Bezug auf Jesus betont: Auf seinen Tod gründet sich der Bund; an seinem Tod haben alle, die aus diesem Becher trinken Anteil; sein Tod verbindet sie alle“ (Hervorhebungen im Original); ähnlich SCHRÖTER, Abendmahl, 130. 345 Vgl. KONRADT, Mt, 405; LEHMEIER, Abendmahl, 4.1.1. Anders LÖHR, Entstehung, 57, der von einer attractio an ıȝĮ ausgeht; ähnlich WEIDEMANN, Bundesblut, 84f. Anm. 114 gegen LUZ, Mt IV, 112. 346 Vgl. KONRADT, Mt, 405; LUZ, Mt IV, 112f.; SCHRÖTER, Abendmahl, 128; VOGEL, Heil, 81.
3. Das Blut der Versöhnung (Mt 26,26–29)
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demselben.347 Das trotz dieser gegenseitigen Bezugnahme das Deutewort des Bechers umfangreicher erscheint, dürfte sich aus dem traditionsgeschichtlichen Hintergrund erklären lassen. Das Brechen von Brot – insbesondere gepaart mit dem Lobpreis Gottes348 – entstammt frühjüdischer Mahlpraxis und zielt auf das Stiften von Gemeinschaft ab.349 Das Deutewort konstatiert, dass diese Gemeinschaftsstiftung im Tode Jesu erfolgt, weshalb die Annahme eines vorösterlichen Deutewortes umstritten ist;350 schließlich ist es erst durch dieses Geschehen – Brechen, Verteilen und Essen des Brotes – auf den Tod Jesu durchlässig.351 Während das Brotwort mit einer knappen Deutung auskommt, scheint das Kelchmotiv begründungsbedürftiger zu sein.352 Daher ist zu vermuten, dass das Kreisen des einen Bechers keine Analogien in der frühjüdischen Umwelt hatte.353 Demnach scheint mit dem Becherritus etwas Genuines vorzuliegen, sodass hierin der konstitutive Akt des Ritus vermutet werden kann.354 Insgesamt steht auch in der Praxis die Beziehungsstiftung im Vordergrund, die sowohl rituell also auch sprachlich zum Ausdruck gebracht 347 Vgl. LEHMEIER, Abendmahl, 4.1.4f., die die mk/mt Fassung von der pln/lk abhebt, wo sich IJȠ૨IJં eindeutig (nur) auf den Becher bezieht (ähnlich SCHRÖTER, Abendmahl, 129; zur alternativen Bezugsmöglichkeit auf den Inhalt des Bechers s.o. Anm. 318). 348 Zu İȜȠȖıĮȢ vgl. LUZ, Mt IV, 105f. 349 Vgl. LUZ, Mt IV, 106. Die Mahlpraxis nimmt zudem in der Verkündigung Jesu durchweg einen hohen Stellenwert ein (vgl. LEHMEIER, Abendmahl, 2.3. mit Verweis auf Mk 2,15; 6,35–44; Lk 14,1.12–15; Mt 11,19; vgl. zudem Mt 14,19; 15,36), weshalb diese auch für den historischen Jesus plausibel ist. 350 Für eine nachösterliche Bildung der Deuteworte plädiert SCHRÖTER, Abendmahl, 132–134: „Die Einsetzungsworte gehen weder auf Jesus zurück noch waren sie fester Bestandteil der frühchristlichen Mahlliturgien. Es handelt sich vielmehr um eine ‚Kultätiologie‘, in der eine wichtige Deutung des Abendmahls festgehalten wird“ (hier 134); anders THEOBALD, Leib. 351 Der Brotgestus wird häufig als Symbol für den Tod Jesu angesehen (vgl. DAVIES/ ALLISON, Mt III, 470; FRANCE, Mt, 991f.; HAGNER, Mt II, 772; KONRADT, Mt, 405; NOLLAND, Mt, 1076; anders BERGER, Theologiegeschichte, 318; LUZ, Mt IV, 106). 352 Dies mag auch daran liegen, dass das Bechermotiv in den Schriften Israels als Zornesbecher erscheint und dementsprechend mit Gericht konnotiert sein könnte (vgl. LIESS, Becher, 2.). Es bedarf daher einer Umdeutung. Gerade in Passionszusammenhängen, in denen das Leidensgeschick mit dem Trinken aus dem Becher ausgedrückt wird, scheint dieses Gerichtsmotiv noch eingespielt zu sein (vgl. Mt 20,22f.; 26,39.42; ferner Joh 18,11). 353 So LUZ, Mt IV, 106 Anm. 34; NOLLAND, Mt, 1077f.; implizit auch BERGER, Theologiegeschichte, 318; LUCK, Mt, 285; unentschlossen DAVIES/ALLISON, Mt III, 472; GNILKA, Mt II, 401. Zumindest lässt sich festhalten, dass sich diese Praxis deutlich vom Weintrinken beim Sederabend unterscheidet, bei welchem von jedem Teilnehmer vier Becher Wein getrunken werden (vgl. LUZ, Mt IV, 103 mit Verweis auf [m]Pes 10,1). 354 Dieser Aspekt des Ritus scheint daher ein Proprium der urchristlichen Eucharistie darzustellen, welches möglicherweise auf den historischen Jesus zurückgeht (vgl. BÖSEN, Tag, 107; REXEIS, Verletzung, 78, die jedoch anschließend das Konstitutive des Becherkreisens zugunsten des Becherinhalts relativiert).
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wird. Einmal mehr scheint sich zu bestätigen, dass das vergossene Bundesblut in seiner beziehungsstiftenden Wirkweise zu verstehen ist. Anhand all dieser Gesichtspunkte wird deutlich, dass die Formel ĮੈȝĮ ਥțȤȣȞȞંȝİȞȠȞ primär den Tod Jesu umschreibt,355 welcher eine Gemeinschaft stiftet.356 Mit der Realisierung der Sündenvergebung in dieser kommt ihr eine heiligende Funktion zu. Dementsprechend ist es nicht das materielle Blut Jesu, welches heiligend/katharisch wirkt. Die subtile kultische Konnotation des Sprachgebrauchs unterstreicht die soteriologische Dimension des Todes Jesu,357 ohne jedoch das Element des Blutes als solches sakral zu überhöhen.358 Im Zentrum steht damit die Lebenshingabe Jesu,359 in welcher seine Sendung zur 355 Gelegentlich erfolgt der Einwand, dass der Kreuzestod Jesu nicht glaubhaft mit ĮੈȝĮ ਥțȤȣȞȞંȝİȞȠȞ umschrieben werden könne, da die Kreuzigung keine blutige Todesart sei (vgl. BÜCHNER, Remarks, 270f.). Dieser Einwand ist aufgrund der formelhaften Sprache nur bedingt statthaft, überzeugt aber auch anderweitig nicht. Zwar mag in medizinischer Hinsicht der Blutverlust bei einer Kreuzigung marginal sein, gleichwohl evoziert die Darstellung der Evangelien, dass Jesus blutig geschlagen am Kreuz hängt, denn eine Geißelung bleibt nicht ohne Folgen (vgl. Mt 27,26 parr.). Der Gekreuzigte blutet folglich bereits unabhängig vom Kreuz (zu den Hintergründen einer Geißelung vgl. BÖSEN, Tag, 234). Da es sich hierbei zudem um eine typische Begleitstrafe handelt (vgl. LIEBS, Richtern, 101), dürfte der blutige Anblick eines Gekreuzigten auch aus der Umwelt heraus bekannt sein. 356 Vgl. SAND, Mt, 527: „Das Blutvergießen Jesu (sein Tod also) meint das Inkraftsetzen eines göttlichen Heilsbundes […].“ 357 Vgl. hierzu auch die bei NOLLAND, Mt, 1080 diskutierten Anspielungen auf Jes 52,13–53,12; 4Makk 6,28f.; 17,21f.; Ex 32,20. 358 Die soteriologische Sprache lässt sich zunächst gut mit den kultischen Belegen zu ĮੈȝĮ + ਥțȤȦ in den Schriften Israels verbinden, insofern in diesen die Substanz Blut durchweg zwar als heiliges, aber nicht als heiligendes Abfallprodukt in Erscheinung tritt (s.o.S. 266 bei Anm. 14). Erwägenswert ist zudem die mt Änderung vom mk ބʌޡȡ ʌȠȜȜȞ (vgl. Lk 22,20; 1Kor 11,24: ਫ਼ʌȡ ਫ਼ȝȞ) zu ʌİȡ ޥʌȠȜȜȞ, welche der Unterstreichung eines kultisch-sakralen Klangraums dienen könnte (vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 474f.; GUNDRY, Mt, 528; HAMILTON, Death, 221). Im Hintergrund steht die Beobachtung, dass das Sündopfer ʺʠʨʧ in der LXX mit ʌİȡ IJોȢ ਖȝĮȡIJĮȢ wiedergeben wird (anders STRATOLXX MEIER, Abendmahl, 40f., der hierin eine redaktionelle Annäherung an Jes 53,4.10 sieht). Es ist davon auszugehen, dass hierdurch die soteriologische Wirkung des Todes Jesu betont werden soll, nicht aber die seines Blutes (vgl. auch LUZ, Mt IV, 115 in Abwehr eines soteriologischen Verständnisses des eucharistischen Ritus). 359 Durch das Motiv der Lebenshingabe liegt eine starke thematic coherence zu Jes 53,12 vor. Möglicherweise wird dieser Bezug in Wechselwirkung mit der vorgetragenen Deutung auch dahingehend verstärkt, als dass mit Jes 54 unmittelbar eine Heilsrede eingespielt wird, die den Friedensbund zum Ziel hat (Jes 54,10). Insofern könnte auch in Jes die Lebenshingabe mit dem Bundesmotiv verbunden sein und so zum Motivspender resp. Motivverifikator werden. Allerdings finden sich kaum Hinweise, dass Jes 54 im NT oder der frühjüdischen Umwelt übermäßig rezipiert wurde (vgl. loci citati vel allegati des NA28; LANGE/WEIGOLD, Quotations, 137). Fraglich bleibt trotz allem, ob diese Referenz auf Jes 53(f.) bereits für den mt Kreis plausibel oder erst der Rezeptionsgeschichte zuzuordnen ist (vgl. Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 467).
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Sündenrettung kulminiert, die durch die und in der Bundeserneuerung ermöglicht wird. Damit bleibt als Ergebnis, dass das vergossene Blut Jesu sinnbildlich der Verifikation der Bundeserneuerung dient,360 wobei diese in der Person Jesu konstituiert ist und sich in dieser Stiftung Sündenvergebung ereignet. Eine katharische Wirkung des Blutes Jesu scheint kein Gedanke des Mt zu sein. Exkurs 4: Der Blutruf des Volkes als unterschwelliges Heilsereignis? An verschiedenen Stellen wurde bereits genannt, dass Mt 27,24f. von manchen Exegeten im Lichte von Mt 26,28 interpretiert und darin eine Heilsbotschaft für Israel gesehen wurde. Die bisherigen Ergebnisse haben diese Deutung in verschiedener Weise hinterfragt, konnten aber die These nicht gänzlich verwerfen. Eine erste Anfrage ergibt sich in Folge des partikularen Verständnisses von ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ.361 Ist der Ausdruck, wie zuvor argumentiert, allein auf die Autoritäten und den Jerusalemer Volkshaufen zu beziehen, so käme das heiligende Blut nur dieser Gruppe zugute. Die mt Konzeption scheint zwar ein gewisses Schwarz-weiß-Denken zu kennen, insofern die jüdischen Adressaten letztlich vor die Wahl zwischen der christusgläubigen Gemeinde und der nicht-christusgläubigen Synagoge gestellt werden. Hier bliebe allerdings kaum ein Raum für Indifferenz, der erzählfigürlich im Evangelium jedoch durch die ȤȜȠȚ eindeutig besetzt ist. Es ist kaum vorstellbar, dass es dieser unentschiedenen Gruppe in letzter Konsequenz schlechter ergehen sollte als den ausgewiesenen Gegnern Jesu. Dementsprechend scheint diese soteriologische Konzeption nur dann aufzugehen, wenn ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ mit dem ganzen Volk Israel identifiziert würde.362 Eine zweite Anfrage zielt auf das Verständnis des Blutes Jesu als Heilsmittel.363 Wird ein solches sowohl auf der Textoberfläche als auch in subversiven Nebenklängen negiert, finden sich keine weiteren Hinweise, die den Ruf „sein Blut über uns“ ins Positive wenden können. Es konnte gezeigt werden, dass die Kopfformel stets mit einer Blutsphäre verbunden ist, die eine Haftung anzeigt. Da die heiligende Wirkweise des Blutes Jesu dem
360 Es ist daher angebracht, die Deutung auf dieser phänomenologischen Ebene zu belassen, insofern lediglich festgehalten scheint, dass hier (Passion) wie dort (Ex 24,8) Blut vergossen wurde, um die Bundesstiftung zu verifizieren (vgl. HARTENSTEIN, Bedeutung, 132; ähnlich GNILKA, Mk II, 245f.). 361 S.o. IV.3.2. 362 Die beiden Positionen lassen sich möglicherweise dann in Einklang bringen, wenn die Gerichtsperspektive des Blutes partikular und die Heilsperspektive universal gedacht wird. Ob eine solche komplexe Deutung in der Kommunikationssituation des Evangeliums einleuchtet, darf bezweifelt werden. Vgl. ferner VII.5.5. 363 S.o. V.3.3.1.
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V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
Evangelium fremd zu sein scheint, fällt es schwer, solches ex nihilo als subversives Interpretament in das Evangelium einzutragen. Neben diesen zentralen Anfragen können weitere Indizien angeführt werden, die ein Zusammenlesen der beiden Perikopen bezweifeln lassen. Zunächst lohnt ein Blick auf das jeweilige kommunikative Setting und darauf, in welcher Figurenkonstellation die Aussagen getätigt werden. In Mt 26,28 spricht Jesus selbst und bestimmt seinen Tod als beziehungsstiftend und damit heilsbringend. Es ist daher in der mt Figurenzeichnung unzweifelhaft, dass hier mit höchster Autorität eine autonome Aussage getätigt wird. Dagegen stellt der Blutruf des Volkes eine Reaktion des Volkshaufens auf die Verantwortungszuschreibung des Pilatus dar und ist demnach von dieser abhängig. Unter Einbezug von Mt 27,19 ruft das Volk folglich das Blut eines Gerechten auf sich herab, was im kommunikativen Setting sowohl durch das Stichwort įțĮȚȠȢ als auch die Formel ਥʌ + Personalpronomen auf Mt 23 rekurriert. Dies ist auch angesichts des Figurenwissens naheliegend, insofern der von den Autoritäten verführte Volkshaufen nun das reformuliert, was zu den Autoritäten gesagt worden war.364 Zwar lässt sich in beiden Fällen der Blutbegriff von Jesus herleiten, allerdings wird dieser in unterschiedlichen Kommunikationssituationen und mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt ausformuliert. Wenn nun das Volk den durch die Autoritäten vermittelten Blutbegriff aufnimmt, der zudem durch Pilatus vorgegeben ist, so ist in dieser Figurenperspektive eine Rückbindung des Blutverständnisses an Mt 26,28 kaum haltbar. Dies gewinnt auch dadurch an Plausibilität, dass in Mt 26,28 zwar die Jünger nicht allein expressis verbis angesprochen sind, sondern viele (resp. alle). Gleichwohl macht das Setting der Bundeserneuerung deutlich, dass die objektive Realisierung des Heils der subjektiven Aneignung bedarf. Es ist daher notwendig am in Jesu Geschick erneuerten Bund teilzuhaben. Diese Teilhabe könnte im Begriff ȝĮșȘIJȢ ausgesagt sein (vgl. Mt 26,26), sodass mit Mt 28,19f. diese Aneignung durch Taufe und Befolgen der Thoraauslegung Jesu erfolgt. Da jedoch in Mt 27,24f. eine Ablehnung der Person Jesu zum Ausdruck kommt, wäre eine gleichzeitige – wenn auch unterschwellig/ironisch/subversiv gedachte – Aneignung des Blutes Jesu zur Teilhabe an seiner Person gänzlich widersinnig. Nach dieser Kommunikationsanalyse auf Figurenebene lässt sich auch das kommunikative Setting der Erzählebene hinterfragen.365 Angesichts der konfliktbeladenen Kommunikationssituation des mt Kreises sind hierbei vor allem apologetische und polemische Intentionen zu vermuten. Für Mt 26 ist 364
Die gilt unabhängig von der Feindifferenzierung, wonach sich der siebte Wehruf an Pharisäer und Schriftgelehrte richtet, der Volkshaufen aber durch die Hohepriester und die Ältesten verführt wird. 365 Vgl. bspw. die Differenzierung in „first degree narrative“ und „second degree narrative“ bei CARGAL, Blood, 102f.
3. Das Blut der Versöhnung (Mt 26,26–29)
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ein apologetisches Interesse offensichtlich. In verdichteter Form wird hier eine Deutung des Todesgeschicks Jesu vorgenommen: sein Blut wurde vergossen – zur Sündenvergebung. Da mit dem Blutvergießen ein gewaltsamer und damit potenziell illegitimer Tod in den Blick kommt, wird darin bereits die Unschuld Jesu konstatiert und die Kreuzigung als (Justiz-)Mord stilisiert. Das Moment der Sündenvergebung wiederum qualifiziert den Tod als soteriologisch wirksame Lebenshingabe. Beides zeichnet sich durch apologetische Interessen aus, insofern einerseits die Anstößigkeit der Hinrichtung am Kreuz als Ermordung (und damit als prophetisches Geschick) relativiert werden soll, andererseits darüberhinausgehend als sinnvolles Sterben zugunsten anderer charakterisiert wird. So wird der hypothetischen Polemik, dass Jesus gestorben ist, eine apologetische Deutung entgegengesetzt, wozu dieses Sterben diente. Mt 27,24f. geht über diese apologetische Tendenz hinaus und operiert stattdessen mit Polemik. Aufgrund der Durchlässigkeit des Blutrufes auf die Gerichtsthematik, wird hierdurch aufgezeigt, welche Folgen die illegitime Tötung Jesu mit sich bringt, die geschichtstheologisch in der Zerstörung Jerusalems und des Tempels ablesbar sind. Es ist daher fraglich, ob diese offenkundige Polemik in Mt 27,24f. sinnvoll aufrechtzuerhalten ist, wenn eine subversive Apologetik des Volkes mitzudenken wäre. Dies wäre zudem singulär, da im gesamten Evangelium keine Kommunikationssituation erkennbar ist, in denen der Erzähler apologetisch zugunsten der Opponenten Jesu eingreift. 3.4. Erwägungen zur bundestheologischen Sühnekonzeption im Matthäusevangelium Im Vorherigen konnte aufgezeigt werden, dass das Motiv des vergossenen Bundesblutes zwei Perspektiven zusammenbindet: einerseits wird durch das Bundesblut eine bundestheologische Konzeption aufgerufen, die eine heilswirksame Bundeserneuerung evoziert. Diese wird andererseits im vergossenen Blut verifiziert, d.h. der Tod Jesu wird als Bestätigung der Bundeserneuerung herangezogen. Da der Bund selbst soteriologische Qualität besitzt, kann der Tod Jesu – als äußeres Bundeszeichen – als „soteriologisches Grunddatum“ bestimmt werden.366 Wie dieser Bund konstituiert ist, lässt sich indes nur schwer aus dem Evangelium erheben, da die bundestheologischen 366
Vgl. DAVIES/ALLISON, Mt III, 474: „There is no parallel in other last supper accounts to this clause [sc. İੁȢ ਙijİıȚȞ ਖȝĮȡIJȚȞ], which underlines that the death of Jesus is soteriological, a deliverance from slavery to sin. […] As in Rom 11.26–7; Heb 10.16– 19; and 11.15 the new covenant is associated with the forgiveness of sins. The result is partial exegesis of 1.21: Jesus saves his people from their sins by dying for them and so permits a new relationship with God.“ Ihren weiteren Ausführungen, wonach die soteriologische Qualität des Bundes einzig aus Ex 24 (resp. der entsprechenden Targumim) und nicht aus Jer 38LXX abzuleiten sei, ist indes nicht zuzustimmen.
340
V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
Impulse nur von Mt 26,28 aus entfaltet werden können. Eine Annäherung soll im Folgenden unter Zuhilfenahme der These des Bundesnomismus erfolgen. 367 Mit diesem Konzept wird versucht ein „allgemeine(s) und repräsentative(s) Religionsmuster der jüdischen Mehrheitsgesellschaft“ abzubilden.368 Den zentralen Bezugspunkt bildet dabei die Thora, wobei zum näheren Verständnis das Zueinander von getting-in und staying-in entscheidend ist. Das getting-in ist Ausdruck des Gnadenhandeln Gottes, welches sich in der Gabe der Thora an Israel manifestiert. Ex 24 kann als ein Gründungsmythos dieser Vorstellung verstanden werden, insofern hier der (gnadenhafte) Bundesschluss durch die Gabe des Bundesbuches zelebriert wird. Die Gabe der Thora als Heilsgeschehen begründet sich dadurch, dass in derselben die Möglichkeit zur Sühne bei Gesetzesübertretung ausformuliert ist. Mit Bezug auf Ex 24 entsprächen diesem bspw. die folgenden Schilderungen des Opfer- resp. Sühnekultes. Die Gabe der Thora gewährt demnach auch das staying-in innerhalb des Bundes. Dieses Modell lässt sich nun von Ex 24 aus auf das Mt applizieren. Das getting-in erfolgt in der Bundeserneuerung, wobei diese im Tod Jesu, d.h. dem vergossenen Bundesblut ihre Bestätigung findet. In Analogie zu Ex 24 und der dortigen Annahme des Bundesbuches ist sodann zu vermuten, dass die jesuanische Auslegung der Thora als Basisdokument dieser Bundeserneuerung zu verstehen ist, wie dies in Mt 28,18–20 zum Ausdruck kommt (įȚįıțȠȞIJİȢ ĮIJȠઃȢ IJȘȡİȞ ʌȞIJĮ ıĮ ਥȞİIJİȚȜȝȘȞ ਫ਼ȝȞ).369 Die Teilhabe am Bund gründet folglich in der Bewahrung der Thora, wie sie von Jesus vollmächtig verkündigt wurde.370 Das staying-in wird indes neu bestimmt, da die Sündenvergebung nicht weiter an kultische oder quasikultische Äußerlichkeiten gekoppelt ist, sondern in die Ermächtigung der Gemeinschaft zur gegenseitigen Sündenvergebung verlagert wird. Dem hohen ethischen Anspruch der Thora in der vollmächtigen Auslegung Jesu korrespondiert folglich die stete Bereitschaft zur und Praxis der Sündenvergebung innerhalb der Gemeinschaft. Für ein solches bundestheologisches Modell lassen sich zudem Indizien an verschiedenen Stellen im Evangelium finden. Im Vater unser wird die Bitte um Vergebung unmittelbar ins Verhältnis zur eigenen Vergebungsbereitschaft gesetzt (Mt 6,12; țĮ ਙijİȢ ਲȝȞ 367
Eine knappe Darstellung findet sich bei TILLY/ZWICKEL, Religionsgeschichte, 128f. Die These wurde erstmals von SANDERS, Paul entwickelt; vgl. ferner DERS., Judaism, 262– 275. 368 TILLY/ZWICKEL, Religionsgeschichte, 129. Die These selbst ist Ausdruck der New Perspective on Paul und wird dementsprechend primär im Umfeld der pln (Gesetzes-) Theologie erörtert (vgl. BACHMANN, Perspective, 32.35). 369 In Ex 24,7 wird die Bereitschaft des Volkes den Geboten Gottes zu gehorchen in besonderer Weise herausgestellt (vgl. DOHMEN, Ex II, 204f.). 370 Ähnlich WENGST, Christsein, 134, wobei er mit der Referenz auf Ex 24,8 den Bund (exklusiv) an Israel rückbindet. Dies scheint mit Blick auf Mt 28,18–20 eine unzulässige Zuspitzung zu sein.
4. Fazit
341
IJ ੑijİȚȜȝĮIJĮ ਲȝȞ, ސȢ țĮݘ ޥȝİ߿Ȣ ਕijțĮȝİȞ IJȠȢ ੑijİȚȜIJĮȚȢ ਲȝȞ). Noch deutlicher wird das Zueinander von Zuspruch und Anspruch im Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht (Mt 18,23–35). Die Vergebung der immensen Schuld des Knechtes durch den Herrn wird in ein Verhältnis zur (mangelhaften) Vergebungsbereitschaft des Schuldners hinsichtlich seines Mitknechtes gesetzt: Wer Sündenvergebung erfährt, ist aufgefordert Sünden zu vergeben.371 Oder mit Blick auf den zweiten Teil des Gleichnisses: Nur wer selbst Sündenvergebung praktiziert und so den Willen des Vaters tut, kann sogleich Sündenvergebung erfahren (Mt 18,35).372 Positiv gewendet, steht dahinter die Vorstellung: Wer durch die Bundeserneuerung Sündenvergebung erfahren hat, kann nicht anders als Sündenvergebung zu praktizieren. Die Sündenvergebung in der Gott-Mensch-Beziehung, welche sich bundestheologisch durch das getting-in einstellt, fordert also die Sündenvergebung in der Mensch-Mensch-Beziehung – als staying-in – ein.
4. Fazit 4. Fazit
Die Untersuchung der beiden Perikopen ergab, dass ĮੈȝĮ + ਥțȤȦ sowohl in Mt 23,35 als auch in Mt 26,28 primär der Umschreibung eines gewaltsamen Todes dient, wenngleich in Mt 26,28 die kultischen Anklänge der Formel nicht gänzlich auszublenden sind. Trotz dieser inhaltlichen und intratextuellen Referenz ist nicht zu übersehen, dass der mt Kreis die vorgegebene Tradition so überarbeitet hat, damit sich die beiden Textaussagen nicht gegenseitig erschließen. In Mt 23,35 nimmt der mt Kreis die Formel auf und transformiert sie in das Motiv des unschuldig vergossenen Blutes und verdeutlicht so die geschichtstheologischen Implikationen, die durch die dtrPA bereits in der Q-Vorlage und dem äußeren Kontext des siebten Wehrufes angelegt sind. In Mt 26,28 hingegen überarbeitet der mt Kreis das Motiv in den gesetzten Grenzen des liturgischen Gebrauchs. Durch die soteriologische Aufwertung des vergossenen Blutes wird die Umdeutung des Todes Jesu als Heils371
Vgl. SCHWEIZER, Matthäus, 114f.; SIKER, Sin, 64f. Vgl. SIKER, Sin, 59. Aus dem Gleichnis lässt sich nicht erheben, ob die mangelnde Praxis der Sündenvergebung einen Ausschluss aus dem Bund zur Folge hat bzw. die Folter der endgültigen Exklusion gleichkommt. Da dem Gleichnis jedoch die Anleitung zur Exkommunikation vorangeht, in der der uneinsichtige Schuldner aus der Gemeinde verstoßen werden kann und dies im Himmel offenbar nicht folgenlos bleibt (Mt 16,19), scheint die Weigerung dem Mitmenschen die Sünden zu vergeben ein Herausfallen aus dem Bund darzustellen. Indes kann mit Bezug auf das Evangelium lediglich die positive Seite festgehalten werden, wie dies bspw. bei LUZ, Mt IV, 117 formuliert ist: „Die Stellen im Matthäusevangelium, welche zur Vergebung der Sünden auffordern (18,21f.23–35; vgl. 6,12), gewinnen vom Herrenmahl her ihre Tiefe: Anderen ihre Schuld zu vergeben heißt, an der Sendung Jesu zu partizipieren und der von ihm empfangenen Gabe zu entsprechen.“ 372
342
V. Heil und Gericht oder Heil im Gericht?
geschehen verdeutlicht und die soteriologische Qualität der Bundeserneuerung, vermutlich in Anspielung auf Jer 31, verstärkt. Im Gegensatz zu Mt 23,35 wird dabei aber nicht das Medium Blut fokussiert,373 sondern die dahinterliegende Umschreibung des Todes Jesu. In dieser Hinsicht ist daher von einem redaktionellen Interesse des mt Kreises auszugehen, welches in der wertschätzenden Übernahme des Traditionsgutes die beiden Blutbelege so gut wie möglich und so weit wie nötig voneinander trennt. Ein Zusammenlesen der Blutbelege ist daher erst der rezeptionsgeschichtlichen Ebene, nicht aber der redaktionellen zuzuordnen. In der folgenden Schlussbetrachtung sollen die mt Blutbelege noch einmal in ihrer Gesamtheit systematisiert und in ihrer Intention zusammengefasst werden.
373 Durch die Bestimmung des vergossenen Blutes als unschuldiges Blut, welches zudem in Form einer Kopfformel über die etablierten Autoritäten heraufbeschworen wird, stellt sich – wenigstens assoziativ – eine Art Blutsphäre ein, die ein gewisses mediales Verständnis dieses Blutes mit sich bringt.
VI.
Resümee: Die Pragmatik des Motivs des unschuldigen Blutes im Matthäusevangelium 1. Zur Frage eines einheitlichen Sinnhorizonts 1. Zur Frage eines einheitlichen Sinnhorizonts
Die konzeptionelle Deutung des unschuldigen Blutes im Mt mündet bei Hamilton in den Spitzensatz: „Innocent blood defiles, and so the people are cast out. But the innocent blood of Jesus brings finally (in the mercy of God) the cataclysm, and so the new creation.“1 Durch ihre Einordnung des unschuldigen Blutes in eine eschatologische Dimension, welche sodann die Blutthematik im Schema von Reinheit und Verunreinigung fundiert, wagt sie ein Zusammenlesen aller mt Blutbelege. Dem unschuldigen Blut Jesu kommt demnach eine Doppelfunktion zu: Die Tempelzerstörung wird zwar als Folge des Blutvergießens bestimmt, allerdings ist diesem speziellen Blutvergießen zugleich ein kataklystisches Moment zu eigen, das eine „new creation“ ermöglicht, die nicht zuletzt in der Auferstehung Jesu angezeigt wird. Dieses Zusammenlesen von Mt 23,35; 26,28; 27,4; 27,24f. ist jedoch aus verschiedenen Gründen nicht haltbar. Wie aufgezeigt wurde, entstammt der konzeptionelle Zusammenhang von Blutverunreinigung und Blutreinigung, welcher aus dem Zueinander vom Blutvergießen Kains und der Flut resultiert, der henochischen Literatur, die ihrerseits das Motiv des unschuldigen Blutes nicht kennt.2 Darüber hinaus basiert die Konzeption auf der Annahme, dass in Mt 26,28 dem Blut Jesu eine sühnende Funktion zukommt.3 Dies muss allerdings aufgrund der traditionsgeschichtlichen Hintergründe zurückgewiesen werden. Das Blut Jesu ist im mt Denken weder als Bundesblut noch als unschuldiges Blut als reinigend zu bestimmen. Da es folglich nicht statthaft 1
HAMILTON, Death, 227 (Hervorhebung im Original). S.o.S. 8f. bei Anm. 38–42. 3 Vgl. HAMILTON, Death, 224: „In bringing together defilement and cleansing, destruction and recreation in Jesus’ blood, so that it is both innocent blood and sacrificial blood for the forgiveness of sins, Matthew adds a new element to the logic of innocent blood. Innocent blood in Matthew leads to cataclysm that destroys and cleanses: so far Matthew follows the innocent blood paradigm. What is new is the idea made available in the Last Supper traditions about Jesus’ blood, that Jesus’ innocent blood is also the blood that saves.“ 2
344 VI. Resümee: Die Pragmatik des Motivs des unschuldigen Blutes bei Matthäus ist, sämtliche Blutbelege in eine einheitliche mt Blutkonzeption zu subsumieren, ist ein differenziertes Zusammenlesen von Nöten. Mt 26,28 kann demnach nicht mit dem Motiv des unschuldigen Blutes zusammengebracht werden und sollte daher für sich behandelt werden. Die Pragmatik des vergossenen Bundesblutes als Verifikation des erneuerten Bundes ist in den exegetischen Ausführungen ausreichend betrachtet worden und bedarf hier keiner Wiederholung. Das Bundesblut kommt im Mt wohl aufgrund der Jesustradition und des grundsätzlichen Stellenwerts der Einsetzungsworte in dieser (aber auch in der Gemeindetradition) zu stehen, ist aber vom Motivkomplex des unschuldigen Blutes zu trennen. Entsprechend gilt es nun zu prüfen, ob die übrigen Blutbelege (Mt 23,35; 27,4.24f.) in Abgrenzung zu Mt 26,28 in einen gemeinsamen Sinnhorizont eingetragen werden können.
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes in der matthäischen Adaption des dtrGB 2. Das Motiv des unschuldigen Blutes in der mt Adaption des dtrGB
Die exegetischen Untersuchungen der jeweiligen Perikopen legen nahe, dass mit dem Motiv des unschuldigen Blutes jeweils eine oder mehrere intertextuelle Referenzen gesetzt werden, die überwiegend den Schriften Israels entstammen. Für die jeweiligen Perikopen lassen sich allerdings verschiedene Intertexte feststellen: Für Mt 23,35 wurde in erster Linie Klgl 4,13LXX geltend gemacht, wobei durch die Figurennennungen auch Gen 4; 2Chr 24,20–22 und VitProph 23 in den Blick kamen. Durch die Verbindung von ਥijૃ ਫ਼ȝ઼Ȣ mit dem Motiv des unschuldigen Blutes und der Inszenierung des Auftritts Jesu in Anlehnung an die Tempelrede Jeremias bildet sodann Jer 26,15 eine mögliche intertextuelle Referenz. Mit Blick auf Mt 27,3–10 bilden Dtn 27,25 und Sach 11,4–9 offensichtliche Intertexte, wobei durch den metakommunikativen Hinweis auf Jeremia in Mt 27,9 auch Jer 18f.; 32 heranzuziehen sind. Der Suizid lässt sich zudem gut mit Dtn 21,22f. in Verbindung setzen. Für das Motiv des unschuldigen Blutes sind in dieser Perikope zunächst Dtn 27,25 und Jer 19,4 hervorzuheben, wobei die „prophetische“ Funktionalisierung der Judasfigur sodann Jer 26,15 assoziieren lässt. In Mt 27,24f. schließlich bilden Dtn 21,1–9, der Erzählzusammenhang um David, Joab und Abner mit den Spitzensätzen in 2Reg 3,28f.; 26,5; 3Reg 2,31–33 sowie SusTh 46.(55.59.)62 zentrale Intertexte aus. Der formelhafte Gebrauch der Kopfformel lässt sich zudem von Jos 2,19MT aus erschließen und setzt in Verbindung mit dem unschuldigen Blut abermals eine Referenz auf Jer 26,15. Insgesamt wird damit deutlich, dass sich die Grundannahme des forschungsgeschichtlich zweiten Zugriffs bestätigt, insofern die markanten intertextuellen Referenzen insbesondere auf die „dtr“-jer Schriften weisen. 4 Aus dieser 4
S.o.S. 7f. bei Anm. 27–34.
2. Das Motiv des unschuldigen Blutes in der mt Adaption des dtrGB
345
Beobachtung lässt sich umgekehrt aber kaum erheben, welcher Umstand den mt Kreis zum Gebrauch des Motivs inspirierte. Da es sich bei Mt 27,3–10 und Mt 27,24f. um eigenständige Kompositionen des mt Kreises handelt, lässt sich dieser Gebrauch des Motivs nicht in der Jesustradition festmachen. Mit Blick auf Mt 23,35 hingegen lässt sich Q 11,49–51 als mögliche Inspirationsquelle bestimmen. 5 Mit diesem Verweis legt sich nahe, dass das Motiv des unschuldigen Blutes im Mt als Substitut für die dtrPA in Erscheinung tritt.6 Dies ergibt sich jedoch nicht nur aus dem Rekurs auf Mt 23,35/Q 11,49–51, sondern auch durch die Beobachtung, dass das Motiv im Mt durchweg einer geschichtstheologischen Dimension zuzuordnen ist.7 Hierdurch legt sich eine Zuordnung des Motivs zum dtrGB nahe, welches zudem als geschichtstheologisches Grundschema des Evangeliums fungiert.8 Sowohl der Rekurs auf die dtrPA als auch die Zuordnung des Motivs zur geschichtstheologischen Dimension verweisen darauf, dass das Motiv des unschuldigen Blutes im Mt in einer Mixtur der Elemente B/C zu stehen kommt. Mit Blick auf Element B können sowohl Judas (Mt 27,4) als auch Pilatus (Mt 27,24) und in Abstrichen auch Jesus selbst (Mt 23,35) als Mahner charakterisiert werden, die vor dem Vergießen von unschuldigem Blut warnen, da andernfalls schwere Konsequenzen drohen. Durch diesen mahnend-drohenden Impetus des Motivs erinnert der mt Gebrauch insgesamt besonders stark an Jer 26,15, wie auch durch die intertextuellen Referenzen nahegelegt wird. Es wird gleichwohl im Evangelium ersichtlich, dass die durch das Motiv vermittelte Mahnung unverzüglich scheitert. Am deutlichsten wird dies in Mt 23,35, wo der mahnende Charakter ohnehin am schwächsten ausgeprägt ist. Das Vergießen des gerechten Blutes wird als Tatsache konstatiert. Dieses ist primär an die Zeit von Abel bis Sacharja zurückgebunden, aber auch auf die Bedrängnis der (nachösterlichen) Jesusboten durchlässig. Die Mahnung entfaltet sich hauptsächlich in der Erzählzeit, da sie in der erzählten Zeit bereits als gescheitert markiert ist.9 Ähnliches gilt für Mt 27,24f., insofern hier der 5 Es ist demnach möglich, aber letztlich nicht zu erweisen, dass der mt Kreis im Zuge der Überarbeitung von Q 11,49–51 überhaupt erst inspiriert wurde, das Motiv des unschuldigen Blutes auch an anderer Stelle im Evangelium zu adaptieren. 6 S.o. V.2.6. 7 S.o. II.3–4. 8 S.o. II.5.3. 9 Diese Einschätzung gilt besonders, wenn die Pharisäer und Schriftgelehrten als Adressaten des Wehrufs in den Blick genommen werden. Für diese fallen auf der Erzählebene Mahnung und Urteil in eins zusammen. Treten indes stärker die Jünger und Volksmenge als Primäradressaten in den Blick (Mt 23,1), so kann die Wehrufrede insgesamt als Mahnung an diese verstanden werden, welche sich in polemischer Weise an den Schriftgelehrten und Pharisäern als Negativbeispiel abarbeitet. In diesem Fall bleibt die Mahnung mit Blick auf das unschuldige Blut auch für die erzählte Zeit gültig, wenngleich von den Angesprochenen kaum eine Intervention zu erwarten ist, die das Vergießen des unschuldigen Blutes verhindert.
346 VI. Resümee: Die Pragmatik des Motivs des unschuldigen Blutes bei Matthäus mahnende Impetus einem Aushandlungsprozess weicht, der die Frage nach der Verantwortung für das Vergießen des (unschuldigen) Blutes und den daraus folgenden Konsequenzen klärt. Mit Rückgriff auf Jer 26,15 ist zu bedenken, dass eine Initiative zugunsten des unschuldigen Blutes grundsätzlich möglich wäre, sobald dieses als solches benannt wurde. Das Gesamtsetting des Prozesses Jesu und die bereits zuvor einsetzenden Kreuzigungsrufe deuten bereits darauf, dass die Mahnung vergeblich bleiben wird. Am stärksten tritt daher der mahnende Aspekt in Mt 27,3–10 hervor, wo Judas zudem als „prophetischer“ Mahner inszeniert wird. Hier richtet sich die Mahnung zudem explizit an die Hohepriester und Ältesten, welche in der mt Figurenzeichnung als einzige auf diese konkrete Mahnung reagieren und das Vergießen unschuldigen Blutes verhindern könnten. Die besondere Gefährdung des Landes, welche durch das unschuldige Blut zum Ausdruck kommt, scheint zudem durch das Schicksal des Judas – sofern hier eine intertextuelle Referenz auf Dtn 21,22f. vorliegt – bekräftigt zu werden. Jenseits dieser mahnenden Grundausrichtung des Motivgebrauchs lassen die Perikopen keinen Zweifel daran, dass die Intervention scheitert, was mit Blick auf das Kreuzesgeschick Jesu ohnehin unumgänglich ist. Entsprechend kommt in den Perikopen auch das Element C zum Ausdruck. In Mt 23,35 ist dies durch die Einbettung des Motivs selbstevident. In Mt 27,25 wird durch den Blutruf markiert, dass der Jerusalemer Volkshaufen die Verantwortung für den Tod Jesu übernimmt, wobei die Formulierung der Kopfformel bereits anzeigt, dass durch die Kreuzigung unschuldiges Blut vergossen werden wird.10 Besonders deutlich wird die Rückweisung der mahnenden Intervention abermals in Mt 27,3–10, insofern die Antwort der Hohenpriester ein massives Verkennen oder bewusstes Ignorieren der Drohung erkennen lässt. Darüber hinaus treiben sie ab Mt 27,11f. den Prozess gegen Jesus weiter aktiv voran. Die mt Erzählperspektive weiß aufgrund des Kreuzestodes Jesu nicht nur um die Abweisung der Mahnung, sondern auch um deren Konsequenzen, die sich in der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des Tempels manifestieren. Hierauf wird in den zentralen Perikopen mehr oder weniger deutlich angespielt. Dementsprechend wird in der Aufnahme des Motivs durch den mt Kreis auch Element D eingespielt. Der offenkundigste Verweis auf das innerweltliche Strafgericht liegt in Mt 23 vor, insofern dieses mit Mt 23,37–39 explizit über Jerusalem angekündigt wird. Einen aussagekräftigen Hinweis bietet auch Mt 27,25, insofern mit dem Einbezug der Kinder die unmittelbar folgende Generation in den Blutruf eingebunden wird.11 Dies dient der 10
S.o.S. 246f. bei IV. Anm. 239–242. Darüber hinaus verweist die gescheiterte Verantwortungsabgabe des Pilatus, die als hidden message durch die intertextuelle Referenz auf Dtn 21,1–9 eingespielt wird, sowie dessen implizite Kennzeichnung als Bluttilger darauf, dass der mt Kreis auch auf die römi11
3. Das unschuldige Blut als geschichtstheologisches Interpretament
347
Überbrückung des Zeitraums zwischen der Kreuzigung Jesu und dem als solches verstandenen Strafgericht 70 n.Chr.12 Ein subtiler Hinweis findet sich in Mt 27,3–10. Mit dem Kauf des Blutackers bürden die Hohenpriester und Ältesten – über das Medium der 30 Silberlinge – dem Land explizit das unschuldige Blut auf. Der Acker wird so zum Unheilzeichen, welches die drohende Gefährdung des Umlands Jerusalems und des Landes Israel signalisiert.13 Insgesamt wird demnach deutlich, dass das Motiv des unschuldigen Blutes jeweils mit den Elementen B/C des dtrGB korrespondiert und zugleich die Folgen im Sinne von Element D impliziert. Diese Beobachtungen bekräftigen nochmals die Annahme, dass das Motiv des unschuldigen Blutes im Mt analog zur dtrPA im „klassischen“ dtrGB gebraucht wird. Damit fügt sich das Motiv des unschuldigen Blutes gut in die geschichtstheologische Gesamtkomposition des Evangeliums ein. Im Motiv verdichtet sich demnach das (vorläufige) Scheitern der göttlichen Umkehrintervention angesichts der Sündenexistenz des Volkes Israel. Der Tod Jesu am Kreuz erschließt sich als ein Vergießen unschuldigen Blutes, insofern das innerweltliche Strafgericht auf dieses Vergehen folgt. Damit lässt sich das Motiv des unschuldigen Blutes in zweierlei Weise aufschließen. Zum einen wird damit eine geschichtstheologische Deutung des Todes Jesu vorgenommen. Zum anderen wird zugleich ausgehend vom Tod Jesu die Geschichte Israels gedeutet. In beiden Fällen wird das Motiv zu einem geschichtstheologischen Interpretament.
3. Das unschuldige Blut als geschichtstheologisches Interpretament des Todes Jesu und der Geschichte Israels 3. Das unschuldige Blut als geschichtstheologisches Interpretament
3.1. Die apologetische Legitimation Jesu Die Deutung des Todes Jesu als Tod eines Gerechten bzw. Unschuldigen dürfte eine der frühesten im frühen „Christentum“ darstellen.14 Der mt Kreis scheint hieran zu partizipieren und lässt im Evangelium verschiedene Gewährsleute auftreten.15 Während Judas und Pilatus die Unschuld Jesu unter Rückgriff auf das Motiv des unschuldigen Blutes bezeugen, charakterisiert ihn die Frau des Pilatus als einen Gerechten. Ehe hierauf näher einzugehen sche Beteiligung am innerweltlichen Strafgericht anspielt (s.o.S. 258–259 bei Anm. 290– 295). 12 S.o. IV.3.3. 13 S.o. III.3.3.3. Möglicherweise ist auch der Begriff des Blutackers selbst in der mt Kommunikationssituation auf die blutigen Folgen der römischen Eroberung Jerusalems durchlässig (s.o.S. 188–189 bei Anm. 372–380). 14 S.o.S. 4f. bei I. Anm. 15–16. 15 Vgl. PAUL, Texte, 244.251; ferner GNILKA, Mt II, 445.
348 VI. Resümee: Die Pragmatik des Motivs des unschuldigen Blutes bei Matthäus ist, bleibt zu bemerken, dass sich im Evangelium weitere literarische Strategien zum Erweis der Unschuld Jesu finden lassen. Besonders markant tritt dies in der Frage nach einem Zeichen hervor, welches durch das „Zeichen des Jonas“ in Aussicht gestellt wird (vgl. Mt 12,38–42; 16,1–4). Dieses wird durch die Episode des Gerüchts des Leichendiebstahls erzählerisch ausgestaltet (vgl. Mt 27,62–66; 28,11–15). Auf der literarischen Ebene werden die Hohenpriester, Pharisäer (!) und Ältesten (Mt 27,62; 28,11f.) als implizite Zeugen der Wahrheit eingespannt.16 Sowohl die expliziten Unschuldszeugen als auch die etablierten Autoritäten als implizite Zeugen der Auferstehung lassen Rückschlüsse auf eine Kommunikationssituation zu, in der Jesus als Schuldiger behauptet wurde, der am Kreuz sein gerechtes Schicksal erlitten habe.17 Dieser Vorwurf wird in jüdischen Kreisen des mt Umfelds als Gegenerzählung greifbar (vgl. Mt 28,15). Es ist allerdings einsichtig, dass die bloße Behauptung der Unschuld Jesu im Evangelium kaum Überzeugungskraft entfaltet haben dürfte. Für deren Entfaltung ist hingegen entscheidend, dass der mt Kreis Jesus eben nicht einfach als unschuldig, gerecht, schuldlos oder mit einem anderen Unschuldsterminus charakterisiert, sondern auf das Motiv des unschuldigen Blutes zurückgreift. Dies ist zwar, wie bereits zuvor konstatiert, nur begrenzt eine Formel, die ein Werturteil über das Opfer ausspricht, sondern vielmehr den Täter disqualifiziert.18 Dass dennoch auch die Assoziation der faktischen Unschuld Jesu anklingen soll, unterstreicht das Unschuldszeugnis der Frau des Pilatus, welches ohne Blutbezug auskommt (vgl. Mt 27,19). Mit dem unschuldigen Blut erfolgt allerdings über die Unschuldscharakterisierung hinaus eine geschichtstheologische Einbindung, die ihrerseits Überzeugungskraft entfalten soll. Wenn das Vergießen unschuldigen Blutes in der Logik der Schriften Israels den Landbesitz gefährdet, zu Exil und Tempelzerstörung führen kann, und Jesu Geschick solcherart charakterisiert wird, dann muss sich dieser Zusammenhang auch realgeschichtlich widerspiegeln.19 In dieser Lesart wird offenkundig, dass der mt Kreis die Katastrophe von 70 n.Chr. gebraucht, um nicht zu sagen missbraucht, um das Zeugnis der Christusgläubigen zu legitimieren. Mit Rückgriff auf die Logik des dtrGB schreibt er die Geschichte Israels in einer schriftgemäßen Art und Weise weiter, in welcher alles unschuldige Blut in Jesus kulminiert, sowohl das der früheren 16
Dass eine solche literarische Ausgestaltung des Zeichens Überzeugungskraft entfaltete und dem Gerücht des Leichendiebstahls entgegenwirkte, darf bezweifelt werden. Nach Iust.dial. 108,2 war das Gerücht noch im 2. Jahrhundert weit verbreitet. 17 Paulus zeugt in 1Kor 1,18.23 davon, dass der Tod Jesu, insbesondere der schändliche Tod am Kreuz, eine große Herausforderung für das Frühchristentum darstellte (vgl. hierzu im Allgemeinen FREY, Deutung, 44–50; zur mt Apologetik im Speziellen vgl. LAU, Hände, 63–65). 18 Vgl. CHRIST, Blutvergiessen, 36; s.o. II.2. 19 Vgl. KONRADT, Israel, 177.
3. Das unschuldige Blut als geschichtstheologisches Interpretament
349
Propheten als auch das der Umkehrboten Jesu. Auf diesen Frevel und die erfolgte Verunreinigung des Landes muss eine (göttliche) Reaktion erfolgen, die sich nur in Exil und Tempelzerstörung äußern kann.20 Indem der mt Kreis Jesu Kreuzigung als Vergießen unschuldigen Blutes charakterisiert, bilden die realgeschichtliche Eroberung Jerusalems und Zerstörung des Tempels 70 n.Chr. durch die Römer die logische, wenngleich im Evangelium selbst nicht als Geschichtserzählung ausformulierte, Folge der mt Geschichtskonzeption. Damit bietet der mt Kreis zwar noch keine Erklärung, warum Jesus starb, aber es wird deutlich, dass er als Unschuldiger ans Kreuz genagelt wurde. Dieser Justizmord konnte als Vergießen unschuldigen Blutes nicht ohne göttliche Antwort bleiben. Entsprechend wird der realhistorische Geschichtsverlauf unter Rückgriff auf das Motiv des unschuldigen Blutes zum Erweis der Unschuld Jesu miss-/gebraucht. 3.2. Die polemische Delegitimation der etablierten Autoritäten Die Kehrseite dieser apologetisch ausgerichteten Legitimation Jesu stellt eine polemische Delegitimation dar. Die erfolgte Eroberung Jerusalems und die Zerstörung des Tempels evoziert die Rückfrage, wer das Strafgericht zu verantworten hat. Bereits in den Schriften Israels ließ sich das Motiv des unschuldigen Blutes als ein mögliches Interpretament für eine derartige Kontingenzbewältigung festhalten. Während abermals nicht zu klären ist, weshalb der mt Kreis auf ebendieses Motiv zurückgreift,21 so zeigt dessen Integration im Evangelium an, dass der Gebrauch analog zu demjenigen in den Schriften Israels erfolgt. In dieser Konzeption ist entscheidend, dass der mt Kreis nicht im eigentlichen Sinne „dtr“ Theologie aufgreift, sondern eher in der „spätdtr“ Tradition steht.22 Gemeint ist damit, dass die Verantwortung für den Untergang des Staates nicht mehr als Eigenverantwortung des ganzen Volkes ausgeführt wird (vgl. Dtn; Ps 106), sondern den führenden Autoritäten, insbesondere den Königen Judas angelastet wird. Dies lässt sich in Verbindung mit dem Motiv des unschuldigen Blutes besonders deutlich an 2Kön 21,16; 24,3f. (= 2Chr 36,5dLXX) und einigen Belegstellen der Jeremiatradition festmachen (Jer 20
Die erwartbaren Folgen ergeben sich aus der Geschichtsanalogie zur ersten Eroberung Jerusalems und dem anschließenden Exil 587 v.Chr. (s.o. II.4.). 21 Es ist nicht unplausibel, dass ebendiese doppelte Verweisfunktion des Motivs die Adaption desselben nahelegte. Das Motiv kann nicht nur zur Geschichtsdeutung fruchtbar gemacht werden, sondern ist auch, wie zuvor gezeigt wurde, auf die Grundannahme, dass mit Jesus ein Gerechter/Unschuldiger am Kreuz gestorben ist, durchlässig. Der Rückgriff auf das Motiv ermöglichte demnach eine schriftgemäße Entfaltung, in welcher zwei Grundanliegen kulminieren konnten. 22 Die folgende Unterscheidung greift auf SCHMID, Manasse zurück, der allerdings aufgrund der starken konzeptionellen Divergenz auf den Begriff „(spät-)dtr“ verzichtet und von einem „golaorientierten“ Trägerkreis spricht (hierzu s.o.S. 59 Anm. 77).
350 VI. Resümee: Die Pragmatik des Motivs des unschuldigen Blutes bei Matthäus 22,3.17; Klgl 4,13; ferner 2Bar 64,2). Eine solche differenzierte Zuschreibung der Verantwortlichkeit liegt auch im Mt vor. Der Wehruf in Mt 23,35 ist gegen Schriftgelehrte und Pharisäer gerichtet, das Sündenbekenntnis des Judas wird vor den Hohepriestern und Ältesten ausgesprochen und auch das Unschuldsbekenntnis des Pilatus scheint sich primär an diese Gruppen zu richten und eher sekundär an den Jerusalemer Volkshaufen, der ohnehin in Abhängigkeit der etablierten Autoritäten zu sehen ist.23 Wenn nun die etablierten Autoritäten als einheitliche Front vor dem Vergießen des unschuldigen Blutes gewarnt und letztlich für dieses Vergießen verantwortlich gekennzeichnet werden, dann gilt dies in der Folge auch für die Katastrophe 70 n.Chr. Der Einbezug des Jerusalemer Volkshaufens in Mt 27,25 steht dieser Beobachtung nicht entgegen und ist wohl mit Blick auf den realhistorischen Verlauf notwendig. Zudem wird dadurch markiert, dass ganz Israel von der Katastrophe berührt wird, wie die mt Gemeinde vermutlich aus eigener Erfahrung weiß. Aus einer solchen „Schicksalsgemeinschaft“24 ist allerdings keine „Haftungsgemeinschaft“ abzuleiten.25 Vielmehr versinnbildlichen der Jerusalemer Volkshaufen und mit ihm das Schicksal der Jerusalemer Bevölkerung die Konsequenzen für diejenigen, die sich in die Abhängigkeit der etablierten Autoritäten begeben.26 Mit dieser Verantwortungszuschreibung wird ersichtlich, dass der mt Kreis mit dem unschuldigen Blut nicht nur eine Legitimation Jesu intendiert, sondern zugleich eine radikale Delegitimation der etablierten Autoritäten verfolgt. Aus der Geschichte heraus wird offensichtlich: Die etablierten Autoritäten haben nicht zum Wohl des Volkes gehandelt. Indem sie Judas ab23
S.o.S. 213 bei Anm. 84–88. Vgl. FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 99f.; GIELEN, Konflikt, 319. 25 An dieser Stelle sei vermerkt, dass das Strafgericht als Reaktion auf den Blutruf in erster Linie auf die Jerusalemer Bevölkerung zu beziehen ist, was dem mt Sprachgebrauch von ȜĮંȢ in Mt 27,24f. entspricht. Gleichwohl ist in gewisser Hinsicht das gesamte Volk Israels von den Auswirkungen des Strafgerichts betroffen, insofern das religiöse – aber auch politische und ökonomische – Zentrum zerstört wird. Das Gericht betrifft also alle, wenngleich nicht alle dafür verantwortlich gemacht werden. Vgl. GIELEN, Konflikt, 387: „So hat die Einlösung ihres Rufes in der Zerstörung Jerusalems zunächst aufgrund des Verlustes der identitätsstiftenden Institution des Tempels negative Auswirkungen für das jüdische Volk in seiner Gesamtheit.“ 26 Vgl. GIELEN, Konflikt, 387: „So lotet Mt in 27,20–25 exemplarisch den Grad der Abhängigkeit des Volkes von seinen religiösen und politischen Autoritäten und die Konsequenzen seiner Bereitschaft, ihnen bedingungslos zu folgen, für die nichtchristusgläubigen Mitglieder des Volkes Israel in seinem Erfahrungsraum und dem seiner realen Erstadressaten aus: […]. Das Schicksal Jerusalems ist vor diesem Hintergrund eine bleibende Warnung.“ Mit Mt 27,64 wird jedoch deutlich, dass die Beeinflussung des Volkshaufens in Mt 27,20 nicht absolut zu setzen ist. Die etablierten Autoritäten befürchten trotz allem, dass die Auferstehungsbotschaft zu einem überzeugenden Argument für das Volk (ȜĮંȢ) werden könnte und es (wieder) auf die Seite der Christusgläubigen wechselt. 24
3. Das unschuldige Blut als geschichtstheologisches Interpretament
351
gewiesen und den Jerusalemer Volkshaufen zur (blutigen) Verantwortungsübernahme überredet/verführt haben, riskierten sie bewusst das Strafgericht, welches bereits in der Wehrufrede zur Sprache kam. Das verhängnisvolle Handeln der (nicht-christusgläubigen) etablierten Autoritäten bietet so eine geschichtliche Folie, die in die Erzählzeit der mt Gemeinde hineinreicht. Sie spricht den (noch-)nicht-christusgläubigen Synagogengemeindemitgliedern zu, dass ihre nicht-christusgläubigen Autoritäten (hier in Gestalt der Pharisäer) schon einmal in jüngster Vergangenheit Unheil für das Volk bewirkt haben (hier vor allem in Gestalt der Hohepriester und Ältesten, aber auch der Pharisäer und Schriftgelehrten). Diese Delegitimation reicht folglich über die erzählte Zeit hinaus und greift so das pharisäische Gegenüber der mt Gemeinde der Erzählzeit direkt an. Der mt Kreis generiert demnach eine Geschichtserzählung, in welcher das pharisäische Gegenüber als Verderber des Volkes gezeichnet wird, was an der jüngeren Geschichte abzulesen ist. Durch die implizite Verschmelzung des innerweltlichen und des eschatologischen Gerichts bildet sich sodann eine bleibende Warnung aus: Wer weiterhin den etablierten Autoritäten, d.h. der pharisäischen Position folgt, geht unweigerlich ins Gericht.27 Wenngleich das Motiv des unschuldigen Blutes primär in eine innergeschichtliche Gerichtslogik eingebunden ist, sodass das Strafgericht bereits vollzogen wurde und die Blutschuld für das Blut Jesu abgegolten ist, bleibt die Warnung angesichts der Kontinuität der nichtchristusgläubigen Autoritäten aktuell. In der komplexen Gemeindesituation hat dies einen paränetischmissionarischen Impetus, der sich an die (noch-)nicht-christusgläubigen Juden richtet.28 Indem mit Jesus unschuldiges Blut vergossen wurde und der realhistorische Geschichtsverlauf den schriftgemäßen Konsequenzen dieses Verbrechens entsprach, wurde Jesus als Davidsohn und Gottessohn legitimiert und die etablierten Autoritäten als seine Gegner delegitimiert. Das nicht-christusgläubige Judentum steht damit vor der Wahl, ob es der neuen Führungsschicht der Jünger resp. der christusgläubigen Schriftgelehrten im Christusglauben folgt oder weiter zur nicht-christusgläubigen Führungsschicht der Pharisäer hält. Der mt Kreis lanciert unter Rückgriff auf die Schriften Israels und die Konzentration auf das Motiv des unschuldigen Blutes eine innerjüdische Geschichtsdeutung,29 in welcher letztlich ein 27
Vgl. KONRADT, Israel, 383: „Letztere [sc. Tempelzerstörung] wird in ihrer matthäischen Deutung zur Warnung, dass die, die sich gegen Jesus und seine ecclesia stellen, dem eschatologischen Gericht entgegengehen. Oder anders: Die Zerstörung der Stadt wird im Konflikt der Gemeinde mit der pharisäisch dominierten Synagoge zur Disqualifikation des Gegenübers und zur Legitimation der eigenen Person funktionalisiert.“ 28 Vgl. KONRADT, Deutung, 251. 29 Abzuweisen sind demnach solche Positionen, die von einer „christlichen Deutung“ der Tempelzerstörung ausgehen, wie dies – trotz frühjüdischer Kontextualisierung – bei HAACKER, Blut, 48 hervortritt: „Mt 27,25 bietet demnach eine christliche Deutung der
352 VI. Resümee: Die Pragmatik des Motivs des unschuldigen Blutes bei Matthäus Führungsanspruch der mt Schriftgelehrten für das Volk Israel zur Geltung gebracht wird. Die besondere Finesse liegt zudem darin, dass durch das Motiv nicht nur die jüngste Geschichte des Volkes Israels innerhalb der mt Kommunikationssituation plausibel gedeutet werden kann, sondern auch der Kreuzestod Jesu als integraler Bestandteil der Geschichte Israels erscheint. Die Integration des Todes Jesu in die Geschichte Israels und die Deutung des Ersteren in Letzterer findet ihren Zielpunkt in der Abrogation des mt Gegenübers. So bildet das Motiv des unschuldigen Blutes – auch mit Blick auf die Rezeptionsgeschichte desselben, wie im Epilog auszuführen sein wird – eine wahrhaft blutige Polemik aus.
Katastrophe des Jahres 70 n.Chr. vom gewaltsamen Geschick Jesu her – und nicht eine Prognose oder gar ein Programm für die weitere Geschichte des jüdischen Volkes. Die Logik dieser Deutung ist gut biblisch und jüdisch; vergleichbare Reflexionen über das Schicksal Jerusalems finden sich auch bei Josephus (z.B. in Bell 2,454f im Blick auf den Eidbruch beim Massaker an einer römischen Truppe, die sich den Juden ergeben hatte)“ (Hervorhebung J.V.). Dies zeigt nochmals an, wie schwierig eine genaue Standortbestimmung des Evangeliums ist. Die hier gewählte Rede von einer „christusgläubigen“ und nicht einer „christlichen“ Perspektive, soll in erster Linie verdeutlichen, dass die mt Argumentation sich innerhalb des frühjüdischen Deutungsspektrums bewegt und dementsprechend eine Deutung aus den Schriften Israels erfolgt. Zugleich erfolgt diese in einer neuen Perspektive, nämlich der des Christusglaubens, und verlässt damit den innerjüdischen Diskurs zwar nicht unbedingt, aber bricht ihn zumindest auf. Würde hingegen diese Perspektive als „christlich“ bezeichnet werden, ließe dies eine vollzogene und bewusste Trennung zwischen „jüdisch“ und „christlich“ assoziieren, was weder den historischen Umständen noch dem mt Selbstverständnis angemessen erscheint (s.u. VII.).
VII.
Epilog: Hermeneutische Erwägungen zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Matthäusevangeliums 1. Hinführung 1. Hinführung
Die Untersuchung des mt Gebrauchs des unschuldigen Blutes hat ergeben, dass das Motiv der Delegitimation der etablierten Autoritäten dient. Diese haben mit ihren Bestrebungen zur Kreuzigung Jesu und der weitergehenden Verfolgung der Christusgläubigen unschuldiges Blut vergossen, welches – analog zur „dtr“ Geschichtsdeutung in den Schriften Israels – das ganze Volk in Mitleidenschaft zieht und zur Eroberung Jerusalems und Zerstörung des Tempels führt. Wenngleich also die etablierten Autoritäten als Verantwortliche skizziert werden, bleibt das Volk Israel von deren Wirken nicht unverschont. Diese Schicksalsgemeinschaft evoziert eine Verantwortungsgemeinschaft, die – je nach Deutung von Mt 27,25 – zwar nicht in den Texten grundgelegt ist, wenigstens aber rezeptionsgeschichtlich zur reduktionistischen Aussage führte, wonach „die Juden Jesus getötet“ haben.1 Doch lässt sich die antijüdische Rezeptionsgeschichte nicht allein auf diesen Spitzensatz, der primär auf Mt 27,25 gründet, reduzieren. Auch in den übrigen untersuchten Perikopen finden sich Motivspender des Antijudaismus. Dies gilt sowohl für die Judasfigur als solche und deren spezifische Charakterisierung als auch für die Entfaltung des Geschicks der verfolgten Propheten, welches bisweilen Anleihen für die heilsgeschichtliche Ablösung Israels zugunsten der ecclesia bot (vgl. insbesondere Mt 21,33–45). Es stellt sich daher die Frage, ob und in welcher Weise das Mt Ausdruck eines christlichen Antijudaismus ist.2 1
Wie tief dieser Vorwurf bis heute verankert ist, zeigen nicht zuletzt die Erfahrungen von LEVINE, Anti-Judaism, 12; SHULER, Response, 38; ferner OZ, Judas, 274f. 2 Es ist weithin anerkannt, dass zwischen Antijudaismus als spezifischer Abwertung des Judentums aus einer christlichen Perspektive heraus (für einen sehr knappen Überblick vgl. BELLER, Antisemitismus, 21–36) und dem Antisemitismus als neuzeitlicher Abrogation des Judentums aus „rassistischen“ Beweggründen zu differenzieren ist (vgl. NONN, Antisemitismus). In der Alltagssprache scheint eine solche Differenzierung kaum mehr möglich zu sein, insofern jegliche Feindseligkeit gegenüber Juden unter das Schlagwort Antisemi-
354
VII. Epilog: Zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Matthäus
Um zu einer adäquaten Einschätzung zu gelangen, bedarf es der Reflexion des eigenen Standorts und des zu untersuchenden Phänomens. Die Frage nach dem mt Antijudaismus erfolgt im Angesicht einer „Theologie resp. Exegese nach Auschwitz“.3 Es bleibt zwar fraglich, ob die Verantwortung des christlichen Antijudaismus für die Katastrophe der Shoa jemals umfassend aufgearbeitet werden kann4 und sich derselbe angesichts dessen jemals überwinden lässt.5 Jedenfalls können – wenigstens die zeitgenössischen deutschsprachitismus gebracht wird, unabhängig davon, ob diese tatsächlich mit rassistischem Denken begründet wird oder bspw. mit einem Antizionismus (zu diesem ebd., 98–100). Ähnliches gilt für den Begriff Antijudaismus (vgl. NIRENBERG, Anti-Judaismus, 15). In den folgenden Ausführungen soll mit Antijudaismus in erster Linie die spezifisch christliche Konnotation und demnach die theologische Abrogation des Judentums gemeint sein, die allerdings – nicht nur ob des Sprachgebrauchs – auch durchlässig ist für weitergehende, aber eher sekundäre Konnotationen. Mit FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 79 ist hervorzuheben, dass eine „sprachliche Differenzierung“ zwischen dem „(theologischen) Antijudaismus und (rassischen) Antisemitismus“ keinesfalls erlaubt, „die direkte oder indirekte Mitverantwortung und Schuld der christlichen Kirchen für die mörderische Barbarei des Nationalismus zu leugnen oder zu verwischen.“ Zur Problematisierung der Terminologie vgl. auch WEIെ, Kirche, 2039f. 3 Vgl. FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 103f. 4 Es ist wohl kaum zu bestreiten, dass die antisemitische Propaganda der NS-Zeit auch auf religiösen Traditionselementen aufbaute (vgl. NONN, Antisemitismus, 19–23). Eine Vielzahl an antijüdischen Stereotypen und Mythen lässt sich an Entwicklungen innerhalb der Geschichte des Christentums festmachen, wobei öfters die „jüdische Weltverschwörung“ als Produkt des 13. Jahrhunderts (vgl. SALZBORN, Antisemitismus, 12), die Ritualmordlegende mit ihren Ursprüngen im 11./12. Jahrhundert (vgl. BELLER, Antisemitismus, 23) oder die allgemeine Intoleranz gegenüber Juden des späten Luther im 16. Jahrhundert als Erbe der lutherischen Tradition geltend gemacht werden. Damit ist ein christlicher Nährboden des späteren Antisemitismus bestimmt, der – recht plakativ – der nachpaulinischen Zeit (vgl. ebd., 21) oder schlicht den „Reflexions- und Legitimationsproblemen des Christentums“ (vgl. SALZBORN, Antisemitismus, 12) zugeordnet wird. Während damit die Verantwortung des „kirchlichen Antijudaismus“ nicht zu bestreiten ist, bleibt allerdings die Frage nach der Grundlegung desselben im NT umstritten (vgl. KAMPLING, Antijudaismus, 86). Jenseits dieser wissenschaftlichen Erforschung des Antisemitismus sollte die weitreichende selbstkritische Aufarbeitung desselben im deutschen Protestantismus nicht verschwiegen werden (vgl. NONN, Antisemitismus, 65; ferner die Zusammenstellung kirchlicher Verlautbarungen von 1945–1987 bei RENDTORFF, Volk). Auf jüdischer Seite wurden die verschiedenen selbstkritischen und um Veränderung bemühten Stellungnahme christlicher Kirchen von einigen Gelehrten positiv zur Kenntnis genommen, wie die Erklärung Dabru Emet zeigt (zu dieser vgl. NACHAMA/HOMOLKA/BOMHOFF, Basiswissen, 604–606). 5 Exemplarisch sei hierfür auf die Entwicklungen innerhalb der römisch-katholischen Kirche verwiesen, welche zwar durch Nostra Aetate eine fundamentale Neubestimmung des jüdisch-christlichen Verhältnisses vornahm (vgl. BELLER, Antisemitismus, 150), die aber keineswegs vor institutioneller Rückkehr zu Antijudaismen gefeit ist – wie sich in der Kontroverse über die Karfreitagsbitte für die Juden zeigt (vgl. NACHAMA/HOMOLKA/ BOMHOFF, Basiswissen, 601–604; ferner den Sammelband HOMOLKA/ZENGER, Karfreitagsfürbitte; ein ähnliches Beispiel nennt FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 79 Anm. 23).
1. Hinführung
355
gen – exegetischen Betrachtungen, die eine jüdisch-christliche Verhältnisbestimmung tangieren, kaum ohne diesen Seitenblick auskommen. 6 Mit Blick auf die mögliche Reproduktion antijüdischer Stereotype in den exegetischen Ergebnissen ist solches in besonderem Maße geboten.7 Es scheint demnach angebracht zu sein, in der gegenwärtigen exegetischen Forschung dieses Problembewusstsein zu konstatieren, selbst wenn damit noch keine Problemlösung behauptet werden kann oder gar ein konsensualer Umgang festzustellen wäre. Neben dieser dezidiert christlich-theologischen Notwendigkeit, über die eigene Verantwortung antijüdischer Implikationen zu reflektieren und Rechenschaft abzulegen, lässt sich bisweilen immer mehr ein (weitgehend säkularer) Antisemitismus beobachten,8 der zwar ebenfalls in neutestamentlicher Motivik gründen kann, aber sich doch weitgehend davon gelöst zu haben scheint.9 Diese Beobachtung hat auch Konsequenzen für die Betrachtung des mt Antijudaismus. Zum einen kann über die Rezeptionsgeschichte nur eine Annäherung erfolgen, die in ihren historischen Kontexten plausibel sein muss.10 Zum anderen ist auch in der Antike der Unterschied 6
Vgl. BROER, Verhältnis, 8: „Das Thema [sc. Antijudaismus] ist also der neutestamentlichen Exegese unserer Zeit von der Geschichte vorgegeben, und wir haben uns mit ihm auseinanderzusetzen, ob wir wollen oder nicht, ganz unabhängig von der Frage, ob wir zu endgültigen Antworten gelangen können. Im übrigen wird schon der Versuch einer Antwort unter der Perspektive dessen, wozu auch Christen gegenüber Juden in der Lage waren, bereits eine veränderte Sichtweise bewirken und zu einem Bewußtseinswandel beitragen.“ 7 Umfassender formuliert HAACKER, Elemente, 404: „Dabei sind wir Heutigen gefragt, in welchem Maße wir noch immer an den Traditionen partizipieren, deren destruktive Potenz in den Verbrechen an den Juden offenbar geworden ist. Unter diesen Vorzeichen steht die Ursachenforschung im Dienst einer Neubesinnung aus Verantwortung für die Zukunft, damit das Entsetzliche sich weder wiederholen noch in gewandelter Form wieder auferstehen kann.“ 8 Zur gesellschaftspolitischen Entwicklung des Antisemitismus nach 1945 vgl. NONN, Antisemitismus, 92–105. 9 So bereits Hannah Arendt, allerdings mit Bezug auf die Ideologie des Nationalsozialismus (vgl. SALZBORN, Antisemitismus, 13). Innerhalb der Geschichtswissenschaft ist diese Differenzierung hoch umstritten. Während von einem Forschungsstrang die Kontinuität zwischen christlichem Judenhass und modernem Antisemitismus behauptet wird, wird in anderen Forschungssträngen von verschiedenen Transformationen ausgegangen, wobei hier insbesondere die rassentheoretische Grundlegung als Diskontinuität geltend gemacht wird (vgl. insgesamt NONN, Antisemitismus, 10–16). 10 Es mag, exemplarisch, durchaus ein Entwicklungsprozess festzuhalten sein, der von der Figurenzeichnung eines habgierigen Judas zur Verschwörungstheorie des weltweiten Finanzjudentums führt. Gleichwohl liegen dazwischen noch einige Entwicklungsstufen, die sich nicht allein aus dem Mt erklären lassen. In diesem Fall wurde bereits im exegetischen Block darauf verwiesen, dass sich das Habgiermotiv als stereotype Kardinalsünde (neben Unzucht) im Frühjudentum festhalten lässt (s.o.S. 122 Anm. 13), sodass für den mt Kontext dieser Zusammenhang eher anzunehmen ist, als dass hierdurch bereits das Bild des
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VII. Epilog: Zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Matthäus
zwischen einer aus dem Christusglauben resultierenden Abrogation des Judentums und einem „weltlichen“ Judenhass festzustellen.11 Zwar mögen die beiden Stränge bereits in frühchristlichen Schriften, sicher aber später im Laufe der Zeit im Christentum eng miteinander verschmolzen sein, doch ist dies für den mt Kontext eingehender zu prüfen und gegebenenfalls voneinander zu unterscheiden. Neben dieser zeitgeschichtlichen Kontextualisierung darf sodann der persönliche Standpunkt nicht aus dem Blick geraten.12 Daher gilt es zu bedenken, dass die weiteren Ausführungen aus einer westeuropäischen, näherhin deutschen, christlichen Sozialisierung heraus erwogen werden. Dies determiniert zwar nicht das Forschungsergebnis, wie ein Blick in die Forschungsgeschichte zeigt, markiert aber einen unhintergehbaren Blickpunkt, von welchem aus auf die Thematik geschaut wird.13 Doch nicht nur der eigene Blickwickel, sondern auch der Zugriff auf den betrachteten Gegenstand ist geschichtlichen und sozialen Kontingenzen unterworfen. Anhand des Mt sei darauf verwiesen, dass dieses sich zwar als Streitschrift in einer innerjüdischen Kontroverse kontextualisieren lässt, später aber als Evangelium dem neutestamentlichen Kanon zugeordnet wurde und uns heute nur als Teil des christlichen Kanons zur Verfügung steht.14 Für ein adäquates Verständnis des antijüdischen Potenzials des Mt müsste hinter diese Kanonisierung zurückgetreten werden, was aus heutiger Sicht weder von einem jüdischen noch einem christlichen Standpunkt aus möglich ist. Das Mt kann folglich nicht als reiner Gegenstand in seinem ursprünglichen historischen Kontext betrachtet werden, obgleich erst dies ein adäquates Urteil zuließe. Dabei bleibt problematisch, dass jedwede historische Kontextualisierung des antijüdischen Potenzials, sei dieses nun dadurch bestätigt oder negiert, lediglich auf die jeweilige historische Rekonstruktion der mt Gemeinde bezogen ist. Ob das Mt resp. der mt Kreis als antijüdisch zu werten ist, ist folglich vom Verständnis des mt Kreises abhängig, welches auch in der Forschungsperspektive gründet.15 Daraus
„geldgierigen Juden“ vorgebildet ist. Es ist damit fraglich, ob dem mt Kreis diese spätere Entwicklung anzulasten ist. 11 Vgl. grundlegend SCHÄFER, Judenhaß. 12 Vgl. FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 83f. 13 Ähnlich NONN, Antisemitismus, 2; ferner SHULER, Response, 41f.; WENGST, Christsein, 13–25. Dies gilt m.E. mutatis mutandis allerdings auch für dezidiert jüdische Perspektiven, mit denen auf dieselbe Fragestellung geblickt wird (vgl. LEVINE, Anti-Judaism, 11: „There can be no fully objective interpretations, because meaning is obtained in the conjunction of the text, its readers, and the communities of interpretation within which the readers live“). 14 Vgl. LEVINE, Anti-Judaism, 19 mit Anm. 29; ähnlich KAMPLING, Antijudaismus, 94– 96. 15 Ähnlich CARTER, Response, 54f.; vgl. ferner die unterschiedlichen Reaktionen von Seminargruppen auf die einschlägigen Texte, die ebd., 58 mit Anm. 35 festhält.
1. Hinführung
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ergibt sich die Schwierigkeit, dass eine adäquate Bestimmung des antijüdischen Potenzials des Mt die Rezeptionsgeschichte des Mt ausklammern sollte, zugleich ebendies aber nicht möglich ist.16 Es ist unumgänglich mit historischen Rekonstruktionen zu arbeiten, die jedoch so transparent wie möglich zu skizzieren sind, um anschlussfähig zu bleiben. Hierbei bildet das Ergebnis der exegetischen Untersuchung die Ausgangsbasis, sodass die jüdische Kontextualisierung der mt Gemeinde ebenso zum Axiom der folgenden Überlegung wird wie die Annahme, dass die Jesusgeschichte als schriftgemäß inszeniert wird. Demnach bleibt zwar mit Amy-Jill Levine problematisch, dass das Mt eine Jesusgeschichte erzählt, und nicht etwa die Geschichte Israels oder Gottes weitererzählt wird,17 es darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, wie diese Geschichte erzählt wird. Und diese ist in besonderem Maße darauf bedacht, die Jesusgeschichte in die Geschichte des Gottesvolkes Israel einzubinden.18 Mit aller Vorsicht sollte dem Mt daher zugestanden werden, dass dem Gesamtentwurf – entgegen der historischen Entwicklung – ein ebenso umfassendes frühjüdisches Wirkpotenzial innewohnt, wie sich dieses urchristlich entfaltet hat. Der postulierte Eigenanspruch des mt Kreises, wonach das Evangelium ein Reformdokument des Frühjudentums darstellt („Sachverwaltung des Erbes Israels“) und nicht ein identitätsstiftendes Gründungsdokument der Christenheit,19 sollte demnach in der hermeneutischen Reflexion berücksichtigt werden.20 Im weiteren Vorgehen soll daher das antijüdische Potenzial des Mt in synchroner und diachroner Perspektive geprüft werden, ehe das Evangelium als solches nochmals eigens fokussiert wird. Den Ausgangspunkt bilden jeweils die behandelten Perikopen resp. das Motiv des unschuldigen Blutes. 16
In ähnlicher, aber radikalisierter Weise spricht ADAM, Readers, 436–439 einem Text grundlegend ab, Träger einer Ideologie zu sein – in diesem Fall das Mt als Träger eines Antijudaismus – und verlagert diese Interpretation in Lesezusammenhänge: „Matthew’s Gospel is not anti-Jewish unless, and only to the extent that, we make an anti-Jewish interpretation with it“ (ebd., 439); ähnlich FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 82. 17 Vgl. LEVINE, Anti-Judaism, 17. 18 Ähnlich CARTER, Response, 51f., der gegen Levine festhält, dass für das Mt auch „a theocentric reading“ möglich ist (vgl. auch FRANKEMÖLLE, Kirche, 112–117) und entsprechend auch dem mt Kreis ein „jüdisches“ Selbstverständnis attestiert werden kann. 19 Vgl. KAMPEN, Matthew, 20. 20 Diese Annahme markiert einen Scheidepunkt. Nur wer bereit ist bzw. wem es möglich ist, hinter die realhistorischen Entwicklungen zurückzugehen und diesen Eigenanspruch anzuerkennen, vermag es, den weiteren Ausführungen wohlwollend zu folgen. In gewisser Hinsicht bestätigt sich somit, dass bei DONALDSON, Jews, 53f. entfaltete Koordinatensystem, wonach die Einschätzung des Evangeliums (1) vom mt Selbstverständnis, (2) vom sozialen Setting und (3) von der rhetorischen Funktion der Polemik abhängig ist. Es wundert daher nicht, dass sich bei anderen sorgfältigen Untersuchungen gegenteilige Einschätzungen finden. Exemplarisch sei auf LEVINE, Anti-Judaism, 19–24; BASSER/ COHEN, Mt, 4–20 verwiesen.
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VII. Epilog: Zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Matthäus
Eine synchrone Perspektive kann durch den Vergleich von Mt 23,29–36 mit 1Thess 2,14–16 erfolgen, wo jeweils die Verfolgung christusgläubiger Juden durch nicht-christusgläubige Juden thematisiert wird. Eine diachrone Perspektive fokussiert auf den mt Gebrauch des Motivs des unschuldigen Blutes im Vergleich zu demjenigen bei Melito von Sardes. In beiden Fällen handelt es sich demnach, mit der Terminologie Theißens, um den Versuch einer historischen Relativierung. 21 An ein vorläufiges Zwischenergebnis schließt sich eine stärker textimmanente Betrachtung des Mt an, in welcher erste Erwägungen zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Evangeliums aus hermeneutischer Perspektive zu stehen kommen.
2. Synchrone Perspektive: Die Verfolgung der Jesusboten in Mt 23 und 1Thess 2,14–16 2. Die Verfolgung der Jesusboten in Mt 23 und 1Thess 2,14–16
Der Vergleich des mt Kreises mit Paulus ist trotz der wahrscheinlichen mt Unkenntnis der pln Schriften und deren Theologie hilfreich für die Frage nach dem antijüdischen Potenzial. In beiden Fällen handelt es sich um christusgläubige Juden, die aufgrund ihres Christusglaubens in den Konflikt mit dem synagogalen Judentum geraten. Dabei unterscheidet sich indes ihre Haltung zum Gesetz, insofern bei Paulus, um der Einheit der Christusgläubigen willen, eine gesetzesliberale Haltung zum Ausdruck kommt, wohingegen der mt Kreis, wohl auch um der jüdisch-synagogalen Einheit willen, eine gesetzeskonservative Haltung einnimmt. Für beide ist demnach geltend zu machen, dass ihre potenziell antijüdischen Aussagen aus einer jüdischen Sozialisierung heraus formuliert werden, die, je nach Perspektive, zwischen innerer Kritik und Trennungspolemik changiert.22 Interessanterweise ähnelt die heftigste antijüdische Polemik des Paulus (resp. des NT23) dem siebten Wehruf der mt Wehrede.24 Es finden sich thematische und wörtliche
21
Vgl. THEIെEN, Aporien, 542–547. Es ist demnach standortabhängig, ob die auf nicht-christusgläubige Juden zielende Polemik als innerjüdische „Sach“-Kritik verstanden wird oder als antijüdische Polemik, die von jemandem geäußert wird, der sich außerhalb und gegen seine eigene Sozialisation/ jüdische Zugehörigkeit stellt. 23 Vgl. KAMPLING, Skizze, 155 mit Verweis auf SCHRECKENBERG, Texte, 133. Ferner KÜMMEL, Weherufe, 135 mit Blick auf Mt 23. 24 Zur kontrovers diskutierten Frage, ob in 1Thess 2 eine nachpaulinische Interpolation vorliegt, vgl. die Überblicksdarstellung von JENSEN, (In)authenticity. Mit ihm ist der Mehrheitsmeinung zu folgen, wonach hier keine Interpolation vorliegt und die Beweislast auf Seiten der Stimmen für die Uneinheitlichkeit liegt (vgl. SCHNELLE, Einleitung, 68f.). Für die hier angestrebte Diskussion ist sodann festzuhalten, dass ein Vergleich der jeweiligen Polemiken angestrebt wird. Dementsprechend wird der weitere Kontext der 22
2. Die Verfolgung der Jesusboten in Mt 23 und 1Thess 2,14–16
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Berührungen, die – unter dem Postulat einer jeweiligen Unkenntnis – wohl auf älteren Traditionselementen beruhen.25 1Thess 2,14–16 14 ਫ਼ȝİȢ Ȗȡ ȝȚȝȘIJĮ ਥȖİȞșȘIJİ, ਕįİȜijȠ, IJȞ ਥțțȜȘıȚȞ IJȠ૨ șİȠ૨ IJȞ ȠıȞ ਥȞ IJૌ ȠȣįĮ ਥȞ ȋȡȚıIJ ȘıȠ૨, IJȚ IJ ĮIJ ਥʌșİIJİ țĮ ਫ਼ȝİȢ ਫ਼ʌઁ IJȞ ੁįȦȞ ıȣȝijȣȜİIJȞ țĮșઅȢ țĮ ĮIJȠ ਫ਼ʌઁ IJȞ ȠȣįĮȦȞ, 15 IJȞ țĮ IJઁȞ țȡȚȠȞ ਕʌȠțIJİȚȞȞIJȦȞ ȘıȠ૨Ȟ țĮ IJȠઃȢ ʌȡȠijޤIJĮȢ țĮ ਲȝ઼Ȣ ਥțįȚȦȟȞIJȦȞ țĮ șİ ȝ ਕȡİıțંȞIJȦȞ țĮ ʌ઼ıȚȞ ਕȞșȡઆʌȠȚȢ ਥȞĮȞIJȦȞ, 16 țȦȜȣંȞIJȦȞ ਲȝ઼Ȣ IJȠȢ șȞİıȚȞ ȜĮȜોıĮȚ ȞĮ ıȦșıȚȞ, İੁȢ IJઁ ਕȞĮʌȜȘȡıĮȚ ĮIJȞ IJȢ ਖȝĮȡIJĮȢ ʌȞIJȠIJİ. ijșĮıİȞ į ਥʌૃ ĮIJȠઃȢ ਲ ੑȡȖ İੁȢ IJȜȠȢ.
Mt 23,34.32
34
ǻȚ IJȠ૨IJȠ ੁįȠઃ ਥȖઅ ਕʌȠıIJȜȜȦ ʌȡઁȢ ਫ਼ȝ઼Ȣ ʌȡȠijޤIJĮȢ țĮ ıȠijȠઃȢ țĮ ȖȡĮȝȝĮIJİȢ· ਥȟ ĮIJȞ ਕʌȠțIJİȞİIJİ țĮ ıIJĮȣȡઆıİIJİ țĮ ਥȟ ĮIJȞ ȝĮıIJȚȖઆıİIJİ ਥȞ IJĮȢ ıȣȞĮȖȦȖĮȢ ਫ਼ȝȞ țĮ įȚઆȟİIJİ ਕʌઁ ʌંȜİȦȢ İੁȢ ʌંȜȚȞ· 32
țĮ ਫ਼ȝİȢ ʌȜȘȡઆıĮIJİ IJઁ ȝIJȡȠȞ IJȞ ʌĮIJȡȦȞ ਫ਼ȝȞ.
Die Verfolgung der Propheten konnte bereits als frühjüdisches Stereotyp festgehalten werden, auf welches offenbar sowohl Paulus als auch Q/Mt/Lk zurückgreifen. Auch das Sündenmaß entspricht frühjüdischen Konventionen.26 Ebenso offenkundig wie diese beiden Parallelen sind die mannigfaltigen Differenzen. Zunächst unterscheidet sich das rhetorische Setting. Während Paulus die Gemeinde und damit die Verfolgten anspricht und von den Verfolgern in der dritten Person spricht, adressiert der mt Jesus die Verfolger und spricht von den Verfolgten in der dritten Person.27 Gleichermaßen unterscheiden sich diese Gruppen, insofern bei Paulus ein eher verallgemeinernder Duktus herrscht (Verfolgte: [Gemeinde von Thessaloniki analog zu den]
Israeltheologie ausgeklammert, weswegen 1Thess 2 für sich betrachtet und nicht in ein Verhältnis zu Röm 9–11 gesetzt wird. 25 Vgl. HOPPE, 1Thesse, 167; ähnlich ROOSE, 1Thess, 41. Es ist allerdings umstritten, ob Paulus bzw. der mt Kreis (resp. Q) hier jeweils auf ein (gemeinsames) urchristliches Traditionsgut zugreifen. Anders urteilt bspw. TUCKETT, Traditions, 167, der von einem jeweiligem „use of a common idea in Judaism“ ausgeht (ähnlich STEGEMANN, Polemik, 57). Unabhängig davon, ob die Ausformulierungen bei Paulus und dem mt Kreis auf einen gemeinsamen urchristlichen Traditionskern zurückgehen oder unabhängig voneinander die Prophetenaussage und das volle Maß aus der jüdischen Tradition miteinander verbinden, bleiben die Gemeinsamkeiten als Ausgangspunkt eines Vergleichs erhalten und die Differenzen als Möglichkeit zur jeweiligen Profilierung signifikant. 26 S.o.S. 275 Anm. 60. 27 Zur Adressierung der Pharisäer und Schriftgelehrten s.o.S. 270 Anm. 34.
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VII. Epilog: Zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Matthäus
Gemeinden in Judäa; Verfolger: Ƞੂ ȠȣįĮȠȚ28), während der mt Kreis sehr spezifisch formuliert (Verfolgte: Propheten, Weise, Schriftgelehrte; [implizierte] Verfolger: Schriftgelehrte und Pharisäer). In der eher generalisierenden Aussage des Paulus erlitten die Christusgläubigen in Judäa eine massive Verfolgung durch „die Juden“, wohingegen der mt Kreis (lediglich) eine spezifische Verfolgung der christusgläubigen „Eliten“ durch die (synagogalen) „jüdischen“ Autoritäten ankündigt. Dies markiert bereits eine wichtige Differenz, insofern das Mt weiterhin auf einen konkreten regionalen Konflikt durchlässig ist. Die pln Formulierung meint wohl in ähnlicher Weise zuvorderst nicht-christusgläubige Juden, die die Verkündigung des Evangeliums unterbinden,29 stellt aber – insbesondere unter Berücksichtigung der mehrheitlich paganen Adressaten30 – bereits die Weichen für einen generalisierenden und damit kontextlosen Gebrauch. Beide Tatbeschreibungen zeichnen sich durch hyperbolische Auswüchse aus, die allerdings ob der skizzierten Täterschaft unterschiedlich rückgebunden sind. Für Mt 23 wurde bereits gezeigt, dass die Darstellung des Geschicks der Boten durch das Geschick Jesu (und der Gerechten) stilisiert wird, insofern die Autoritäten für die Tötung, Kreuzigung, synagogale Auspeitschung und Verfolgung der Propheten, Weisen und Schriftgelehrten verantwortlich gemacht werden. Wenigstens für die ersten beiden mt Vorwürfe gibt es keine historische Plausibilität,31 weshalb hier eine unzulässige Polemik vorliegt. Bei Paulus scheint das skizzierte Vergehen historisch vertrauenswürdiger zu sein, insofern die Tötungsaussage an Jesus und weitere – vermutlich vorchristliche – Propheten gebunden bleibt und das eigene Schicksal – resp. das der pln Missionare – als Verfolgung bezeichnet wird.32 Obgleich nun der mt Kreis eine unzulässige Zuspitzung der Gefährdungssituation zeichnet, bleibt diese Polemik jedoch weiterhin an die Autoritäten zurückgebunden. Bei Paulus hingegen wird die „realitätsnähere“ Polemik durch die Täterbeschreibung verschärft, insofern der Tod Jesu explizit „den Juden“ angelastet wird. Mit einer solchen Verallgemeinerung übergeht Paulus nicht nur die differenzierten innerjüdischen Verantwortungszuschreibungen am Tode Jesu,33 28 HOPPE, 1Thess, 175 Anm. 52 verweist darauf, dass der Terminus sowohl pagan als auch jüdisch bezeugt ist und keine Standortbestimmung des Paulus anzeigt. 29 Vgl. HOLTZ, Judgment, 286f. 30 Vgl. SCHNELLE, Einleitung, 65. 31 S.o.S. 270 Anm. 63. 32 HOPPE, 1Thess, 176 vermutet als Hintergrund für die Aussage Vorkommnisse auf der ersten Missionsreise. ROOSE, 1Thess, 41 hält hingegen fest, dass in der Beistellung von Tötung und Verfolgung in 1Thess ebenfalls eine partielle Verschmelzung vorliegt, die auf ein „prophetisches Selbstverständnis der Verfasser“ hinweist. Gleichwohl ist ihr eigenes Geschick noch nicht in derselben Weise wie in Mt 23 vorgezeichnet. 33 Eine solche differenzierte Betrachtung lässt sich nicht nur für das Mt festhalten, sondern findet sich auch in Flav.Jos.Ant. XVIII 64 (vgl. HORN, Testimonium, 132f.136).
2. Die Verfolgung der Jesusboten in Mt 23 und 1Thess 2,14–16
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sondern auch die römische Hauptverantwortung.34 Die plakative Aussage, wonach „die Juden Jesus getötet haben“, findet sich in dieser Zuspitzung nur bei Paulus, nicht im Mt.35 In einer solchen Betrachtung bleibt demnach festzuhalten, dass die pln Formel in ihrer Offenheit eine stärkere Anknüpfung zum Antijudaismus mit sich bringt als das Mt. Sicherlich wäre aber auch die mt Darstellung unterbestimmt, würde sie von diesem Vorwurf ob des Vergleichs pauschal freigesprochen werden. Die spezifische Adressierung der etablierten Autoritäten lässt aber in der mt Polemik, unter Einbezug der Konfliktgeschichte des mt Kreises, zuvorderst einen Antipharisäismus erkennen.36 Die Anschlussfähigkeit der pln Formulierungen an einen Antijudaismus ergibt sich sodann aus weiteren Vorwürfen in 1Thess 2,15f., die keine Entsprechung im Mt haben.37 Mit der Aussage țĮ șİ ȝ ਕȡİıțંȞIJȦȞ țĮ ʌ઼ıȚȞ ਕȞșȡઆʌȠȚȢ ਥȞĮȞIJȦȞ greift Paulus offenbar auf gängige judaeophobe Stereotype der antiken Umwelt zurück – namentlich die angebliche Menschenfeindschaft38 und möglicherweise auch den Asebievorwurf.39 Es finden sich
34 Mit Blick auf das Mt sei nochmals festgehalten, dass in seiner Darstellung die Exekution Jesu durch die Römer erfolgt und durch die invertierte Adaption von Dtn 21,1–9 Pilatus als Mitverantwortlicher charakterisiert wird. Selbst wenn insgesamt die etablierten Autoritäten als treibende Kraft dargestellt sind, bleibt entscheidend, dass die römische Beteiligung nicht unterdrückt wird, wie es dies bei Paulus den Anschein hat. 35 Dieses Urteil bleibt m.E. auch mit Verweis auf Mt 27,25 gültig. Selbst wenn, wie zuvor zurückgewiesen wurde, der Ausdruck ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ tatsächlich das ganze Volk Israel meinen sollte und damit analog zur pln Rede von „den Juden“ gesetzt werden könnte, bliebe die Differenz, dass im einen Fall eine Verantwortungsübernahme für den Tod ausformuliert wird, im anderen Fall jedoch eine aktive Tötung. 36 Vgl. KONRADT, Israel, 404f.; VOS, Schriftgelehrte, 126; ferner WEIെ, Kirche, 2038f.: „Ur- bzw. frühchristlicher ‚Antijudaismus‘ stellt sich offensichtlich hier, am ursprünglichen historischen Ort des Matthäusevangeliums, als ‚Antipharisäismus‘ dar.“ 37 Es soll dabei nicht negiert werden, dass auch die mt Polemik im siebten Wehruf nicht für sich steht, sondern dieser eine ganze Reihe antipharisäischer Polemiken vorangeht. Gleichwohl bleiben diese abermals auf Pharisäer und Schriftgelehrte reduziert und nimmt stets binnenjüdische Topoi auf (s.o. V.2.3.). 38 Vgl. HAACKER, Elemente, 407 mit Verweis u.a. auf Tacitus, Hist. 5,2f.; Est 3,13eLXX; zu den historischen Hintergründen vgl. NIRENBERG, Anti-Judaismus, 25–57, insbesondere 38–44; anders HOPPE, 1Thess, 177f., der die pln Übernahme dieses paganen Stereotyps als Ausdruck der Verhinderung der Heidenmission kontextualisiert, weshalb der generalisierte Menschenhass paganer Façon nicht im Blick sei (ähnlich bereits KAMPLING, Skizze, 155f.179f.). Diesen Rückbezug macht er insbesondere an 1Thess 2,16a fest, sodass hier „kein Kollektivverdikt gegen alle Juden“ vorliege (HOPPE, 1Thess, 179). Gleichwohl wäre eine solche pln Binnendifferenzierung, die nur Juden in den Blick geraten lässt, die die Mission verhindern, weniger eindeutig als diejenige des Mt. 39 Zur Zusammenstellung der beiden Vorwürfe vgl. ROOSE, 1Thess, 41; STEGEMANN, Polemik, 54; VOLLENWEIDER, Antijudaismus, 42f.; WICK, Gesamtzusammenhang, 9.21f.
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VII. Epilog: Zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Matthäus
zwar verschiedene Versuche, die pln Aussagen aus sich heraus zu verstehen40 und die Übernahme paganer Stereotype als forschungsgeschichtliches Konstrukt zu entlarven,41 allerdings bliebe dann immer noch die Problematik bestehen, dass die pln Formulierungen an pagane antijüdische Stereotype anschlussfähig bleiben und primär in eine pagane Lebenswelt hineingesprochen sind.42 Paulus scheint demnach über den binnenjüdischen Sprachgebrauch hinauszugehen43 und reichert so die Polemik, welche wohl in der innerjüdischen prophetischen Kritik gründet, um antijüdische Klischees der paganen Umwelt an.44 Da im Mt ein solches Überschreiten des innerjüdischen Sprachraums nicht festzustellen ist,45 lässt sich nochmals unterstreichen, dass gerade im Vergleich zu 1Thess die Polemiken des mt Kreises besser als Antipharisäismus zu bestimmen sind.46 40 HOPPE, 1Thess, 177 mit Anm. 62 meint, dass das Missfallen Gottes eine pln Formulierung ist und demnach nicht vom paganen Asebievorwurf abgeleitet werden kann. NIRENBERG, Anti-Judaismus, 25f.56f. fragt darüber hinaus grundsätzlich an, wie weit derartige antijüdische Stereotype in der Antike überhaupt verbreitet waren. 41 Vgl. KAMPLING, Paulus, der die „hypothetische Exegese“, wonach Paulus in 1Thess 2 „pagane judenfeindliche Parolen“ übernahm, als „interessengeleitet wertet“, insofern „Paulus zum Sprecher judenfeindlicher Sentenzen (gemacht wurde)“ (vgl. ebd., 359.373). 42 Vgl. HAACKER, Elemente, 408.410f. Daran ändert m.E. auch die ausbleibende antijüdische Rezeption von 1Thess 2,15f. in der Antike nur wenig (so aber HOPPE, 1Thess, 182). 43 Vgl. HOPPE, 1Thess, 177 mit Blick auf den Menschenhass: „[…] Paulus (verlässt) die der jüdischen Tradition entstammenden Deutungsmuster und geht zu allgemeinen antijüdischen Verdikten der hellenistisch-römischen Umwelt über […]“. 44 Vgl. HAACKER, Elemente, 406.411; ROOSE, 1Thess, 42; THOMA, Theologie, 238. 45 Vgl. FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 85; WEIെ, Kirche, 2091. 46 Die Frage, ob die pln Aussagen in 1Thess als Antijudaismus richtig erfasst sind, darf getrost der Paulusforschung überlassen werden. Hier seien lediglich Grundzüge der jüngeren Diskussion festgehalten. So finden sich verschiedene Versuche, die pln Polemik vom Vorwurf des Antijudaismus freizusprechen. Gerade die bleibende Spannung in israeltheologischer Hinsicht zu Röm 11,25f. führte zu innerpaulinischen Relativierungen im Sinne einer Entwicklung oder den zuvor genannten Versuchen einer Ausscheidung der Verse als Interpolation (vgl. die Skizzierung bei STEGEMANN, Polemik, 56f.). Stegemann selbst insistiert darauf, dass die Gerichtsaussage in 1Thess 2,16 keine ewige Verwerfung intendiert und damit ein Anknüpfungspunkt für die Wertung als Antijudaismus verloren ginge. Demnach sei auch in 1Thess 2,16 ein innerweltliches Gericht im Blick (vgl. ebd., 58f.). Darauf aufbauend führt WICK, Gesamtzusammenhang aus, dass die Polemik gegen die Juden in rhetorischer Hinsicht zu relativieren sei. So richtet sich der Vorwurf und damit auch der angekündigte Zorn Gottes gleichermaßen an die Landsleute der Thessalonicher – demnach Heiden, wie auch in der analogen Passage 1Thess 4,2–8 eine jüdische Heidenkritik aufgenommen ist. Die Relativierung der Schärfe der Rhetorik wird sodann durch eine Adressatenspezifizierung relativiert. Es sind durchweg nur diejenigen Juden im Blick, die die Verkündigung des Evangeliums verhindern. Dies entspräche zwar einer der mt Polemik vergleichbaren Gruppe, allerdings blieben hinsichtlich der Täterbezeichnung und Tatbeschreibung signifikante Differenzen. Interessanterweise fällt bei all diesen Relativie-
3. Das Motiv des unschuldigen Blutes bei Melito von Sardes
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3. Diachrone Perspektive: Das Motiv des unschuldigen Blutes bei Melito von Sardes 3. Das Motiv des unschuldigen Blutes bei Melito von Sardes
Die räumliche und zeitliche Distanz zwischen dem mt Kreis und Melito von Sardes lässt zu Recht fragen, ob ein Vergleich angebracht ist. Allerdings ist die Zusammenstellung von ĮੈȝĮ mit ਕșȠȞ erstmals seit dem Mt bei Melito in einem ähnlichen Zusammenhang bezeugt.47 Im vielfältigen Spektrum des 2. Jahrhunderts n.Chr. und den unterschiedlichen Bezugnahmen auf die Schriften Israels zeigt sich bei Melito ein positiver Zugriff. 48 Diese Haltung kommt zudem durch seine Pilgerreise in das Heilige Land zum Ausdruck, 49 die er offenbar auch als Studienreise zur Erstellung einer Kanonliste der „Bücher des Alten Bundes“ nutzte.50 Obgleich einzelne Indizien für eine
rungen auf, dass der Gesamtduktus weiterhin als antijüdisch gewertet wird – die Relativierungen zielen demnach eher auf darauf ab, die Grundlegung einzelner Aspekte des christlichen Antijudaismus in 1Thess 2 anzufragen (vgl. KAMPLING, Paulus, 373f.; STEGEMANN, Polemik, 61). Eine Beurteilung der Passage als antijüdisch scheint demnach zulässig zu sein (vgl. auch KONRADT, Gericht, 73–93). 47 Diese Annahme ist von der jeweiligen Datierung der Passa-Homilie und dem Protevangelium des Jakobus abhängig. Eine Datierung der Ersteren ist nur mithilfe der Lebenszeit des Melito möglich, dessen Tod gemeinhin um 180 datiert wird (vgl. BLANK [Hg.], Melito, 14). Einzelne Indizien weisen möglicherweise auf die 60er Jahre des 2. Jahrhunderts, aber auch dies ist umstritten (vgl. ANGERSTORFER, Melito, 4; BLANK [Hg.], Melito, 40). Das Protev wird ebenfalls auf die Zeit Mitte bis Ende des 2. Jahrhunderts datiert (vgl. PLISCH, Bibel, 30). Diese Schrift setzt durch die Fokussierung auf das Leben Marias und ihrer Jungfräulichkeit eigene Akzente, aber die Abhängigkeit von den kanonischen Evangelien ist kaum zu übersehen. Deutlich wird dies anhand einer christlichen Relektüre der Sacharja-Legende, die allerdings auf das Schicksal des Zacharias übertragen wird. Hier findet sich eine Nennung des unschuldigen Blutes, was eine Abhängigkeit von Mt 23,35f. nahelegt (Protev 23,3; s.o. V. Exkurs 2). Ein weiterer Beleg in Protev 14,1 ist auf das mögliche Todesgeschick Mariens bezogen, sollte Josef sie der Untreue anklagen. Da diese Verwendung eher auf die Aufnahme der rechtlichen Dimension in einer individuellen Dimension hinweist, bleibt der Beleg zwar auffällig, bildet aber keine geeignete Kontrastfolie zum mt Gebrauch. Eine letzte Schrift, die möglicherweise noch dem zweiten Jahrhundert entstammt und das Motiv bezeugt, stammt von Clemens von Alexandrien (Paidagogos, I.10.94.3). Hierbei handelt es sich um eine Adaption von Spr 1,11, sodass das Motiv im Rahmen einer weisheitlichen Unterweisung ebenfalls in einer individuellen Dimension erscheint, die nur begrenzt ein Vergleichspotenzial mitbringt. 48 Nach Fragment 6 hat Melito explizit gegen Marcion angeschrieben, wobei diese konkrete Zuschreibung umstritten ist (vgl. HALL [Hg.], Pascha, 68–71.xxx). Vgl. ferner COHICK, Melito, 81–85, die auch für Peri Pascha anti-marcionitische Züge erwägt. 49 Vgl. BLANK (Hg.), Melito, 19. 50 BLANK (Hg.), Melito, 19 mit Verweis auf Eus.h.e. [IV] 26,13f. Melito prägte demnach den Begriff „Altes Testament“, wobei diese überlieferte Kanonliste weitgehend mit dem heutigen Kanon der hebräischen Bibel übereinstimmt – es fehlt das Buch Esther (vgl. RITTER, Kanonbildung, 273f.).
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jüdische Abstammung Melitos anschlussfähig sind, 51 wird dies allgemein eher ausgeschlossen.52 Von seinem laut Euseb umfassenden Werk ist lediglich die Schrift Peri Pascha (PP) überliefert,53 die gemeinhin als Homilie eingeschätzt wird.54 Dieses Werk lässt sich in zwei Hauptteile gliedern, wobei der erste Part (PP 1–45) auf das Passa Israels ausgehend von Ex 12 ausgerichtet ist, der zweite (PP 46–105) auf das „christliche Passa“.55 In seinem heilsgeschichtlichen Entwurf versteht Melito das alttestamentliche Israel als einen Typus, welchem eine gewisse Berechtigung zugestanden wird (PP 40f.).56 Durch das Christusereignis wird dies allerdings übertroffen und in der Folge entwertet (PP 42–45).57 Melito formuliert eine typologische Substitutionstheorie aus, insofern die heilsgeschichtliche Relevanz Israels lediglich in der Verweisfunktion auf und die Ablösung durch den Christusglauben bestimmt ist.58 Hieraus resultiert die in PP 72–99 ausformulierte scharfe Gerichtsrede gegenüber Israel, die mit ihren schweren Anschuldigungen zwar primär auf die Zeitgenossen Jesu zielt, aber zugleich auf das zeitgenössische jüdische Gegenüber Melitos durchlässig scheint.59 Das Crescendo der Vorwürfe, welche rhetorisch geschickt zur Verurteilung der Täter führen sollen und mit denen das Erzeugen von Hass in Kauf genommen wird,60 mündet im ultimativen Vorwurf des Gottesmordes (PP 96). Überraschend kurz schließt sich daran eine Anspielung auf die Eroberung und Zerstörung Jerusalems als Konsequenz für diesen „unerhörte(n) Mord […] inmitten Jerusalems“61 (PP 94) an (PP 99).62 Die antijüdische Ausrichtung der Passa-Homilie Melitos 51
ANGERSTORFER, Melito benennt die Osterfeier nach quartodecimanischer Weise, die midraschartige Exegese von Ex 12 mit Nähen zur Passahaggada sowie stilistische und sprachliche Nähen zum „Alten Testament“ als Hinweise einer jüdischen Prägung. Diese Einschätzung wird von LEONHARD, Pesach, 45f., allerdings mit Bezug auf Alistair Stewart-Sykes, zurückgewiesen. Zudem stellt sich gerade mit Blick auf die quartodecimanische Festweise die Frage, ob eine gleichzeitig jüdische und christliche Existenz überhaupt möglich wäre (vgl. ANGERSTORFER, Melito, 23f.). 52 Vgl. LEONHARD, Pesach, 46; ferner FRENSCHKOWSKI, Melito, 1021; NICKLAS, Jews, 32f. 53 BLANK (Hg.), Melito, 14f. 54 Vgl. BLANK (Hg.), Melito, 22–25. 55 Vgl. NICKLAS, Jews, 26f. 56 Vgl. BLANK (Hg.), Melito, 16. 57 Vgl. ANGERSTORFER, Melito, 201f. 58 Vgl. BUCHINGER, Melito, 85f.; COHICK, Melito, 78f.; LIEU, Identity, 81f.; TAYLOR, Critique, 67–69. 59 Vgl. ANGERSTORFER, Melito, 205.211; skeptisch COHICK, Melito, 58; SCHRECKENBERG, Texte, 202. 60 Vgl. OSTEN-SACKEN, Mordanklage, 348f. 61 Übersetzung übernommen bei BLANK (Hg.), Melito, 127. 62 Vgl. ANGERSTORFER, Melito, 226; BUCHINGER, Melito, 81; COHICK, Melito, 62f.; MORESCHINI/NORELLI, Handbuch, 66; NICKLAS, Jews, 28; WHITE (Hg.), Sermon, 76.
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steht demnach außer Frage,63 allerdings findet sich keine Aufnahme paganer Judenfeindlichkeit. In der Grundaussage argumentiert Melito in seiner Gerichtsrede ähnlich wie der mt Kreis: in geschichtstheologischer Manier wird die Zerstörung Jerusalems mit dem Tod Jesu in Beziehung gesetzt. Auf dieser Grundlage ist ein Vergleich der expliziten Israeltheologie des Melito mit der impliziten des mt Kreises möglich, wobei vor allem auf die Differenzen geblickt werden soll. Zunächst fällt die unterschiedliche äußere Form auf. Im Mt baut die geschichtstheologische Deutung des Todes Jesu auf einer erzählerischen Grundstruktur auf, die mit dem dtrGB identifiziert wurde. Der Tod Jesu als unschuldigen Blutes und die Tempelzerstörung werden so in die Geschichte Israels integriert. Der im Evangelium anklingende Zusammenhang erschließt sich allerdings erst als Deutung der Geschichte, die auf der Ebene der Rezipienten erfolgen muss. Demgegenüber entfaltet Melito eine Gerichtsrede, die sich ganz auf das Geschick Jesu konzentriert und die Verantwortung Israels konstatiert. Die Rückverweise auf die Geschichte Israels stellen das Wirken Jesu in derselben heraus und unterstreichen den allgemeinen Duktus „Gutes wird mit Bösem vergolten“ (PP 72).64 Im Gegensatz zum Mt bildet der Verweis auf die Zerstörung Jerusalems das eindeutige Ende und die unbestreitbare Konsequenz der Tötung Jesu (PP 99). Die Rezipienten werden folglich eindeutig auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Die geschichtstheologische Deutung bedarf offenbar keiner Begründung, sondern liegt gänzlich der Anklage zugrunde, die in immer neuen Anläufen das überragende Unrecht und die unsägliche Schuld der Täter beschreibt. Melito scheint hierfür eine dezidiert externe Perspektive einzunehmen. Auf eine solche erzählerische Distanz weist auch die Darstellung der Täter. Für den mt Zusammenhang ist die Differenzierung zwischen Volk und Autoritäten von entscheidender Bedeutung. Diese Differenz findet sich bei Melito nicht. Bei ihm kommt stets ganz Israel in den Blick. Diese kollektive Beschuldigung korrespondiert mit der vorherigen Abrogation Israels als Typus (PP 31–45) und dessen heilsgeschichtlicher Ersetzung durch die Kirche (PP 43). Zwar mag die heilsgeschichtliche Abrogation durch das überragende Christusereignis begründet sein, im Gesamtzusammenhang geht diese aber auch – wenigstens implizit – mit einer Verwerfung aufgrund der kollektiven Täterschaft einher.65 Diese Annahme wird zudem durch den Einbezug der 63 Vgl. BUCHINGER, Melito, 80–82; MORESCHINI/NORELLI, Handbuch, 66; NICKLAS, Jews, 30; LEONHARD, Pesach, 44f.; SCHRECKENBERG, Texte, 201; VOLLENWEIDER, Antijudaismus,40f.; WHITE (Hg.), Sermon, 15. 64 Ähnlich KAMPLING, Bausteine, 135, der hierin den antijüdischen Topos des „undankbaren Juden“ begründet sieht. 65 Gemäß der Formel „Gutes mit Bösem vergelten“ (PP 72) hat Israel nicht nur „Gott getötet“ (PP 96), sondern auch das Heil abgelehnt (PP 92).
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Römer unterstützt. Für das Mt konnte aufgezeigt werden, dass die Handwaschung des Pilatus eher eine unterschwellige Polemik gegen den Hegemonen darstellt und diesen im intertextuellen Klangraum vielmehr belastet als entschuldigt. Dieser Klangraum wird bei Melito allenfalls implizit erzeugt und dürfte insgesamt so dumpf sein, dass das Motiv der Handwaschung hier eher als Unschuldsgeste zu verstehen ist (PP 92).66 Auch sonst finden sich bei Melito – im Gegensatz zum Mt – keine Hinweise auf eine Schuld der Römer; vielmehr wird das Handeln der römischen Soldaten von Geißelung über Spottkranz bis hin zur Kreuzigung Israel angelastet (PP 79.93).67 Mit Kollektivschuldthese und Substitutionstheorie finden sich nun bei Melito zwei antijüdische Stereotype, die auch dem Mt zur Last gelegt werden.68 Die vorherigen Exegesen haben jedoch deutlich gemacht, dass weder für Mt 21,33–45 noch für Mt 27,24f. eine solche Deutung haltbar ist.69 Die unbestreitbare Rezeptionsgeschichte nötigt dennoch zur Frage, worin die Unterscheidung zwischen Melito und dem mt Kreis festzumachen ist. Im Wesentlichen geht es hierbei um eine Verhältnisbestimmung der jeweiligen Autoren zu „Israel“, wobei eingehender zu prüfen ist, was mit „Israel“ gemeint ist und auf welche Weise die schriftgemäße Argumentation angelegt ist. Der jeweilige Gebrauch des Motivs des unschuldigen Blutes bildet hierfür eine geeignete Grundlage. Das Motiv wird bei Melito zu Beginn der Gerichtsrede gegen Israel verwendet. Hierdurch steht es zwar in einem geschichtstheologischen Gesamtzusammenhang, bildet aber in der konkreten Verwendung in PP 74 eher eine rechtliche Dimension aus. Die nächsten Parallelen der Formulierung „kein unschuldiges Blut zu vergießen“ scheinen in Jer 7,6; 22,3.17 vorzuliegen,70 66
Vgl. DÖPP, Deutung, 29. Vgl. SCHRECKENBERG, Texte, 204. In manchen Passagen ist es möglich, die römischen Soldaten als Exekutive mitzudenken. Die Darstellung verlagert sich jedoch von der Ausführung von Verspottung, Geißelung und Kreuzigung hin zu deren Vorbereitungen, die nach Melito nur von Israel vorgenommen wurden (vgl. ALBL, Authors, 42). Folglich wird Israel auf der Textoberfläche als entscheidender Akteur skizziert. Die faktische Ausführung durch die Römer wird weder genannt noch finden sich Textsignale, die sie ins Gedächtnis rufen. Die römische Beteiligung ist nur auf Basis von Vorwissen in den Text integrierbar. Demnach ist anzunehmen, dass Melito hier bewusst eine Akzentverschiebung zulasten Israels vornimmt, die für die Berichte in den Evangelien zwar noch anschlussfähig bleibt, aber faktisch die römische Beteiligung unterdrückt und in PP 76 gänzlich übergeht. Eine vergleichbare Verantwortungsübertragung findet sich auch im EvPetr (vgl. NICKLAS, Jews, 21f.). 68 Vgl. die exemplarische Übersicht bei FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 73–76. 69 Eine solche Grundunterscheidung wird auch von LEVINE, Anti-Judaism, 30–35 festgehalten, wenngleich sie insgesamt zu einer anderen Wertung des antijüdischen Potenzials im Mt kommt. 70 Vgl. COHICK, Use, 171f.; HALL (Hg.), Pascha, 41; ähnlich WHITE (Hg.), Sermon, 71; anders BLANK (Hg.), Melito, 121, der Ex 23,7; Dtn 27,25 als Referenzstellen angibt. 67
3. Das Motiv des unschuldigen Blutes bei Melito von Sardes
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sachlich kommen der Gebotsformulierung durch die Zusammenstellung von Ƞ + ਥțȤȦ jedoch auch Dtn 19,10; 21,7 nahe.71 Die Folgeformel ȞĮ ȝ șȞૉȢ țĮțȢ lässt in der Zuspitzung eine individuelle Dimension erkennen, die allerdings durch die vorherige Personifikation dieses Individuums mit Israel auf eine geschichtstheologische Dimension durchlässig ist. Insgesamt liegt hier eine rechtliche Dimension vor, die zugleich geschichtstheologisch konnotiert ist. Ohne den Gebrauch des Motivs überbewerten zu wollen, wird deutlich, dass die folgenden Ausführungen zur Tat Israels als Bruch des in den Schriften niedergelegten Rechts inszeniert werden, wobei dieser spezifische Gesetzesübertritt die Vernichtung des Täters zur Folge hat. Dies erfüllt sich in PP 99, wenngleich hier der Gottesmord und nicht der Gesetzesbruch als primärer Ursachenzusammenhang hervortritt,72 wie bereits in PP 74 durch die Erwiderung Israels ਫȖઅ ȝȞ, ijȘıȞ ıȡĮȜ, ਕʌțIJİȚȞĮ IJઁȞ țȡȚȠȞ vorgezeichnet ist. Mithilfe des Motivs wird offenbar ein Gesetzesverstoß gegen Israel in Stellung gebracht. Unter diesen Gesichtspunkten fällt die Einleitung des Gebots mit der Formulierung ਵ Ƞ ȖȖȡĮʌIJĮȚ ıȠȚ auf. Mit wenigen Ausnahmen erscheint ȖȖȡĮʌIJĮȚ in neutestamentlichen Schriften als Signalwort, das ein Schriftzitat einleitet.73 Da es überwiegend in den pln Briefen und den synoptischen Evangelien verwendet wird, scheint dieses Signalwort die Schriften Israels als allgemeingültige Referenzgröße in einer tendenziell innerjüdischen Kommunikationssituation anzuführen und somit als gemeinsamen Bezugspunkt zu bestimmen.74 Zwar bildet auch bei Melito der Verweis auf die Schrift eine
71 Die Schwierigkeit einer intertextuellen Referenz ergibt sich dadurch, dass in Dtn 19,10 das unschuldige Blut nicht wie bei Melito durch ĮੈȝĮ ਕșȠȞ, sondern ĮੈȝĮ ਕȞĮIJȚȠȞ ausgedrückt wird. 72 Bei genauerer Betrachtung ist die Vernichtungsaussage über Israel als Folge der ausbleibenden Reaktion auf den Tod des Herrn zu begreifen. Diese steht zudem in Kontrast zur Trauer des Kosmos. Gleichwohl reagiert auch dieser auf den Tod Gottes resp. des Königs Israels durch die Hand Israels, weshalb dies allenfalls eine Feinjustierung darstellt. 73 Vgl. Mt 2,5; 4,4.6f.10; 11,10; 21,13; 26,24,31; Mk 1,2; 7,6; 9,12f; 11,17; 14,21.27; Lk 2,23; 3,4; 4,4.8.10; 7,27; 10,26; 19,46; 24,46; Joh 8,17; Apg 1,20; 7,42; 13,33; 15,15; 23,5; Röm 1,17; 2,24; 3,4.10; 4,17; 8,36; 9,13.33; 10,15; 11,8.26; 12,19; 14,11; 15,3.9.21; 1Kor 1,19.31; 2,9; 3,19; 4,6; 9,9; 10,7; 14,21; 15,45; 2Kor 8,15; 9,9; Gal 3,10.13; 4,22.27; Hebr 10,7; 1Petr 1,16. Lediglich in Joh 20,31; Apk 13,8; 17,8 wird mit der Formulierung nicht auf eine der Schriften Israels verwiesen. 74 Ein solcher Schriftverweis bildet im Diskus der Evangelien zumeist eine normative Autorität aus, die nicht mehr hinterfragt wird (vgl. SCHRENK, ThWNT 1, 747). Allerdings ist es von der Figurenzeichnung abhängig, ob ein solcher Schriftverweis eine schriftgemäße Handlungsweise nach sich zieht oder nicht. Exemplarisch sei auf Mt 2 und Mt 4 verwiesen. Im ersten Fall wird durch den Schriftbezug Bethlehem als Geburtsort des Messias bestimmt, wobei die Magier und die Hohenpriester und Schriftgelehrten unterschiedlich auf dieses Wissen reagieren. Bei der Versuchung Jesu wird Satan stets durch
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normative Größe aus, allerdings scheint er sich als Ankläger durch den Gebrauch der direkten Anrede ıȠȚ zu distanzieren. Dies meint wohl nicht, dass das Vergießen unschuldigen Blutes nicht auch Melito resp. den Christusgläubigen verboten ist, macht aber deutlich, dass in diesem Kommunikationszusammenhang nur Israel daran gemessen wird. Melito nimmt sich (und wohl auch die Christusgläubigen insgesamt) aus der Gesprächssituation heraus, weshalb alles weitere, das verhandelt wird, als Problem Israels bestimmt ist. Hierdurch trägt er nochmals eine Distinktion zwischen „Christentum“ und „Israel“ ein, die sich im Mt nicht findet. Analog zu den Schriften Israels bleibt die mt Gemeinde als Teil des Volkes Israels in die Dynamik des unschuldigen Blutes eingebunden und ist damit Teil der Schicksalsgemeinschaft, selbst wenn sie Folge des Fehlverhaltens der Autoritäten ist. Melito hingegen nimmt sich aus dieser Dynamik heraus – das Verbot und die Straffolge bleiben ganz an Israel (ıȠȚ) gebunden. Melito verhandelt demnach einen Gesetzesbruch von Israel, aber nicht – wie der mt Kreis – in Israel.75 Diese Differenz ist entscheidend, denn hierdurch kommt ein fundamentaler Registerwechsel zum Ausdruck, der für die Frage nach dem mt Antijudaismus weiterführend ist. Indem sich Melito aus dem Rechtszusammenhang des unschuldigen Blutes herausnimmt, führt er fort, was bereits durch seine typologische Exegese in den vorherigen Abschnitten zum Ausdruck gekommen ist. Israel bildet ein kollektiviertes Gegenüber, welchem das „Christentum“ entgegensteht. Der Gesetzesübertritt wird so zum Vorwurf aus einer externen, letztlich als superior inszenierten, Perspektive heraus. Zwar bildet das Vergießen unschuldigen Blutes bei Melito kein argumentatives Zentrum aus, allerdings liegt hier der einzige Vorwurf eines Verstoßes gegen das für Israel geschriebene Gesetz vor.76 Dieser Gesetzesbruch stellt folglich nicht das einzige Vergehen dar, dessen Israel angeklagt wird, aber es ist der einzige entsprechend eingeleitete Schriftzitate in die Schranken gewiesen, was ihn allerdings in den ersten beiden Fällen nicht daran hindert, Jesus in anderen Bereichen zu prüfen. 75 Allgemeiner konstatiert auch SCHRECKENBERG, Texte, 203: „Melito verschärft jedoch die Anklage [sc. innerjüdischer Schelt- und Gerichtsrede] ins Maßlose, indem er aus weiter christlicher Distanz von außen her zum Volk Israel spricht und mit ausschweifendem Pathos in immer neuen Anläufen sich fast überschlagend die Missetat anprangert […]“ (Hervorhebung J.V.). 76 Eine erste weitere Zitation der Schriften Israels findet sich in PP 72, in welcher der Vorwurf „Gutes mit Bösem vergelten“ mit dem Handeln gegen den Gerechten angereichert wird, um damit das Leiden Christi als schriftgemäß zu ergründen (BLANK (Hg.), Melito, 120f. verweist auf Gen 44,4; Ps 35,4.12; 41,7; Jes 3,10; ferner SapSal 2,12). Eine spätere Zitation findet sich in PP 93, wo Ex 12,8 zur Charakterisierung Israels gebraucht wird. Insgesamt weist die Gerichtsrede zahlreiche thematische und wörtliche Anspielungen auf die Schriften auf (vgl. insbesondere PP 82–85.87f.94), die allerdings nicht bewusst fokussiert erscheinen. Es ist daher anzunehmen, dass der Schriftanspielung auf das unschuldige Blut ein gewisses Gewicht zukommt, wenngleich die Schriftzitation als solche nicht im argumentativen Fokus liegt.
3. Das Motiv des unschuldigen Blutes bei Melito von Sardes
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Anklagepunkt, den Melito explizit aus den Schriften ableitet. Dies setzt abermals einen Kontrast zum mt Gebrauch des Motivs. Da in der mt story line das Gericht nur implizit eingespielt wird, können die Verweise auf das unschuldige Blut in der erzählten Zeit weitgehend analog zu Jer 26,15 verstanden werden: die Autoritäten werden durchweg vor dem Vergießen des unschuldigen Blutes gewarnt, obgleich feststeht, dass sie nicht davon ablassen werden.77 Damit wird die Pragmatik ausgebildet, dass die etablierten Autoritäten als Führer des Volkes versagt haben und das Schicksal Israels in den Händen der christusgläubigen Schriftgelehrten besser aufgehoben ist. Melitos Gebrauch lässt sich indes besser an Jer 19,4, zurückbinden, wo das Vergießen unschuldigen Blutes als Frevel konstatiert und das Gericht angekündigt wird. Allerdings tritt Melito so als „externer Prophet“ auf, der nicht seinem Volk verkündet, sondern eher die Perspektive eines Fremdvölkerspruchs einnimmt.78 Melitos Anklage entstammt daher nicht mehr dem innerjüdischen Diskurs, vielmehr ermächtigt er sich zu einer Aussage über Israel anhand dessen eigenen Bewertungsmaßstabs. Hierdurch findet ein fundamentaler Transfer statt, insofern die Logik des Motivs nicht mehr in der kritischen Betrachtung der eigenen (!) Geschichte zu stehen kommt, sondern zur Abrogation einer „fremden“ Geschichte gebraucht wird.79 Von dieser Kontrastfolie ausgehend, lässt sich das mt Selbstverständnis und die Frage nach dem antijüdischen Potenzial nochmals eingehender beleuchten. Zentral ist dabei weiterhin die Frage nach dem jeweiligen Standort.80 77
Zur Einschätzung der mt Polemik insgesamt als paränetisch-warnend vgl. FRANKEAntijudaismus, 85. 78 Eine ähnliche Perspektive findet sich in TestLev 16,3, weshalb dieser Vers als christliche Interpolation bewertet wird. Damit wird deutlich, dass eine solche Perspektive kaum als Ausdruck eines innerjüdischen Standorts zu verstehen ist. Ein solcher Gebrauch des Motivs erinnert zudem an Jo 4,19, wo ebenfalls die bloße Disqualifikation Ägyptens und Edoms zum Ausdruck kommt. 79 Hiermit wird sodann deutlich, dass sich Melito weder als „jüdisch“ identifiziert noch als Teil von Israel und dessen Geschichte betrachtet. Man muss hinsichtlich des eigenen Selbstverständnisses wahrscheinlich mit LEONHARD, Pesach, 45 sogar so weit gehen, dass sich die Identität Melitos konträr zu der des mt Kreises verhält: „Anti-Judaism plays a powerful role in the self-definition that Melito wants his audience to embrace.“ Ob dies allerdings ausreicht, den Antijudaismus in seiner Funktion als identity marker, der sich nur bedingt auf wirkliche „Juden“ bezieht, zu relativieren, wie dies von COHICK, Israel, 371f. angenommen wird, bleibt fragwürdig. 80 Es wäre gänzlich unzureichend, würde man lediglich konstatieren, dass das mt antijüdische Potenzial nivelliert sei, weil es „nicht so schlimm“ ist wie der offene Antijudaismus eines Melitos. Ähnlich hält LEVINE, Anti-Judaism, 17 mit Blick auf eine Relativierung des Evangeliums angesichts der Polemik in den Schriftrollen von Qumran fest: „The point also should not be that the Gospels are ‚better‘ than the scrolls: Torquemada was probably ‚better‘ than Eichmann, and The Dearborn Independent ‚better‘ than Der Stürmer“ (Hervorhebungen im Original). MÖLLE,
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VII. Epilog: Zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Matthäus
Zunächst ist zu fragen, ob mit der Größe „Israel“ jeweils auf dasselbe Bezug genommen wird. Nur wenig hilfreich scheint die für Melito gestellte Frage zu sein, ob mit Israel das „alte Bundesvolk“ oder ein „Volk im ethnologischen Sinne“ gemeint ist.81 Die heilsgeschichtlichen Einbettung Israels, die sowohl in der Anklage (PP 82–85.87f.) als auch in der Betrachtung von Ex 12 zum Ausdruck kommt, weist vor allem auf ein Israel, welches sich in der Kontinuität der in den Schriften Israels bezeugten Geschichte Israels sieht resp. als solches konstruiert wird.82 Ein solches Gebilde kann als biblisches Judentum83 verstanden werden und zwar unabhängig davon, ob die Darstellung bei Melito ein reales Pendant hat. Die Bezeichnung biblisches Judentum ist auch für das Israel des mt Kreises zulässig, welchem dieser sich selbst zugehörig sieht und wie bereits zu Beginn des Evangeliums ersichtlich wird. In beiden Konzeptionen geht es demnach um ein Israel, an welchem JHWH in der Geschichte handelt und welches sich auf die Schriften Israels als normative Größe bezieht.84 Dass sich der mt Kreis innerhalb, Melito indes außerhalb des biblischen Judentums verortet, dürfte in der unterschiedlichen Verortung des Christusereignisses innerhalb der Geschichte Israels begründet sein. In beiden Fällen bildet zwar der Christusglaube ein Differenzkriterium aus, allerdings liegt dieses im Falle des Mt innerhalb des biblischen Judentums, wohingegen es bei Melito bereits die Wasserscheide zwischen „Judentum“ und „Christentum“ darstellt. Während Melito folglich ganz Israel abqualifiziert,85 delegitimiert der mt Kreis nur einen sehr spezifischen Teil Israels. Bei Melito wird also ganz Israel als (nicht-christusgläubiges) Israel aus der Heilsgeschichte herausgestrichen. Das Mt zielt indes auf eine weitreichende Akzeptanz der Thoralehre Jesu und der Führung durch die christusgläubigen Schriftgelehrten anstelle der Pharisäer. Dass die Fortexistenz 81
Vgl. BLANK (Hg.), Melito, 82. Wegen dieses Befundes und anderen neigt COHICK, Melito, 73 zur Annahme, dass bei Melito nicht das kontemporäre Judentum mit im Blick ist. Sie weist zudem darauf hin, dass die Homilie als solche wenig bis nichts über das etwaige jüdische Gegenüber Melitos aussagt, weshalb diesem auch nicht mit weitgehend haltlosen Spekulationen über die Sozialisierung der jüdischen Gemeinde in Sardes beizukommen ist (vgl. auch die kritische Darstellung von TAYLOR, Critique, 52–63). 83 Terminologie nach KRATZ, Israel (s.o.S. 35 Anm. 150). In eine ähnliche Richtung weisen die ersten vier Charakteristika, welche ALBL, Authors, 21f. für „(t)he orthodox Christian understanding of Jews in early Christian literature“ benennt. 84 Damit ist allerdings noch nicht ausgesagt, dass der jeweilige Zugriff auf die Schriften als normative Größe identisch ist. Dieser ist innerhalb des biblischen Judentums vielmehr als plural anzusehen und ergibt sich u.a. aus geschichtlichen Kontingenzen und gruppenspezifischen Entwicklungen. Als exemplarischer Exponent dieses Phänomens sei auf die Gemeinschaft von Qumran verwiesen, die sicherlich dem biblischen Judentum zuzuordnen ist, gleichwohl aber deutlich vom „Mehrheitsjudentum“ divergiert (KRATZ, Israel, 230: „fortgeschrittenes, radikalisiertes Stadium des biblischen Judentums“). 85 Nach BLANK (Hg.), Melito, 83 lässt sich dies als Aufnahme joh Theologie verstehen. 82
4. Das bleibende Problem mit dem matthäischen Antipharisäismus
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Israels daraus folgend an den Christusglauben gebunden wird, führt aber im Evangelium noch nicht so weit, dass der nicht-christusgläubige Teil Israels als Israel exkludiert wird – die Verkündigung an Israel bleibt bestehen. Obgleich also Melito und der mt Kreis weitgehend dasselbe Israel im Blick haben, führt ihre jeweilige (un)differenzierte Betrachtung desselben und ihre jeweilige Verhältnisbestimmung zu dieser Größe zu einem unterschiedlichen Umgang. Beide nutzen u.a. das Motiv des unschuldigen Blutes und greifen damit auf einen geschichtstheologisch kodierten Sprachgebrauch der Schriften Israels zurück, der primär zur Selbstdeutung der eigenen Geschichte gebraucht wird. Da sich der mt Kreis als Teil dieser Geschichte versteht, führt dessen Adaption zu einer Binnendifferenzierung, sodass sich die Polemik gegen einen Teil des Volkes, im Wesentlichen die etablierten Autoritäten, richtet. Melito hingegen stellt sich außerhalb der Geschichte Israels. Seine Adaption der biblischen Geschichtsdeutung führt nun zur Transformation von Eigenkritik zu Fremdkritik. Dementsprechend richtet sich die Polemik gegen das ganze Volk, die zwar nach der Schrift formuliert ist, aber aufgrund des Registerwechsels nicht weiter als schriftgemäß angesehen werden kann. Damit bestätigt sich nochmals, dass der mt Kreis besser als antipharisäisch zu bezeichnen ist, wohingegen die Homilie eindeutig antijüdische Züge aufweist.
4. Das bleibende Problem mit dem matthäischen Antipharisäismus 4. Das bleibende Problem mit dem matthäischen Antipharisäismus
Im Folgenden ist der Frage nachzugehen, ob die Spezifizierung der mt Polemik als Antipharisäismus nicht doch einen akademischen Winkelzug darstellt, um die antijüdische Grundierung des Evangeliums zu übertünchen.86 Dieser Vorwurf wäre umso berechtigter, je mehr die Pharisäer bzw. deren Position als Repräsentanten „jüdischen Glaubens“ anzusehen wären. Für eine solche Einordnung finden sich wenigstens zwei Anknüpfungspunkte. Die mt Weltsicht scheint zwar das nicht-christusgläubige Judentum als noch-nichtchristusgläubiges Israel zu verstehen, sodass die Autoritätenkritik als Polemik gegen einen kleinen Teil des Volkes gerichtet ist. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Weltsicht bereits für die damalige Zeit als realitätsfern zu werten ist. Die nicht-christusgläubige Position verdichtet sich in der Gruppe der Pharisäer, was sowohl innerhalb des Evangeliums als auch in der rekonstruierten Konfliktgeschichte gilt. Diese Fixierung spricht dafür, dass die Pharisäer als Repräsentanten oder zumindest Stellvertreterfiguren eines
86 Vgl. das kritische Urteil bei FLUSSER, Bemerkungen, 28: „Heutzutage versucht fast ein jeder zu beweisen, daß es im Neuen Testament keinen Antijudaismus gibt.“
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VII. Epilog: Zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Matthäus
niemals-christusgläubigen Judentums zu verstehen sind.87 Bereits für den Kontext der mt Gemeinde ist nun anzunehmen, dass dies die Mehrheitsposition innerhalb des synagogalen Umfelds darstellt. Die Kritik träfe demnach realiter nicht nur einen kleinen Teil Israels, sondern die überwältigende Mehrheit, sodass der Antipharisäismus ob der realen Mehrheitsverhältnisse in einen Antijudaismus kippt.88 Dies setzt aber weitergehend eine Figur voraus, wonach das christusgläubige Judentum als „wahres Israel“ verstanden wird und das nicht-christusgläubige Judentum über kurz oder lang aus Israel ausgeschlossen wird. Eine solche Denkfigur wird nicht explizit im Mt entfaltet, allerdings konnte mit Blick auf Mt 26,28 eine solche Tendenz festgehalten werden.89 Die Bundeserneuerung des Volkes Israel ist an das Christusereignis zurückgebunden: an die soteriologisch wirksame und in Jesu Tod gestiftete Gemeinschaft sowie an das Halten der Gebote nach der Thoraauslegung Jesu. Im Fall der nicht-christusgläubigen Juden ergäbe sich dann aus dem Umkehrunwillen die Nichtteilhabe an der Bundeserneuerung, was letztlich zur Exklusion aus Israel führt und letztlich doch implizit die ecclesia als „wahres Israel“ zurückließe.90 Zwar könnte dem mt Kreis zugestanden werden, dass diese Konsequenz der endgültigen Exklusion durch die andauernde Verkündigung an Israel nicht ausformuliert werden kann, allerdings bildet die Gegenüberstellung von nicht-christusgläubigem und christusgläubigem Judentum, gerade angesichts der innerweltlichen und eschatologischen Drohkulisse, eine gewisse Analogie zur expliziten Trennung von „Israel“ und „Christentum“ bei Melito aus.91 87
Vgl. WEIെ, Kirche, 2067–2069, der zudem die Beiordnung der verschiedenen jüdischen Gruppierungen, insbesondere derjenigen von Pharisäern und Sadduzäern, als einen Anhaltspunkt dafür sieht, dass das Judentum als solches in einen „scharfe(n) Kontrast“ zur Jesusbewegung gestellt wird. Ähnlich BORMANN, Theologie, 289, der mit Rückgriff auf die Ethnizitätsforschung eine konstitutive Identifikation von einer Ethnie mit deren Elite konstatiert. 88 Selbst wenn mit ADAM, Readers, 442 gilt, dass „(t)he general group to whom the ‚woes‘ shift is not ‚all of Judaism‘ but ‚all who identify themselves with the scribes and Pharisees‘“, kann diese Identifikationsgruppe mit der jüdischen Mehrheit in eins fallen und so eine antijüdische Interpretation rechtfertigen. 89 S.o. bei V. Anm. 338–343. 90 Dieser Aspekt ergibt sich insbesondere durch die hamartiologische Grundlegung im Evangelium, wonach das Volk nach Mt 1,21 in Sünden verhaftet ist und es Jesu Aufgabe ist, es aus diesen zu retten, was sich durch die Bundeserneuerung in Mt 26,28 erfüllt. Da hierdurch allerdings „nur“ die objektive Realisierung erfolgt, die subjektive Aneignung allerdings noch aussteht, erweist sich der Christusunglaube als Ablehnung der heilvollen Zuwendung Gottes, wodurch für den nicht-christusgläubigen Juden weiterhin das Verharren in der Sünde ausgesagt werden muss. 91 Ein ähnlicher Schluss wird von LEVINE, Anti-Judaism, 35 gezogen: „The First Gospel establishes the locus of truth to be that of Jesus: Abraham’s lineage culminates in him; Moses’ Law finds its fulfillment in him; the covenant community is that which is
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Eine solche Wertung des mt Antipharisäismus als kaschierte Polemik gegen das nicht-christusgläubige „Mehrheitsjudentum“ verschärft sich zusätzlich, sofern eine Kontinuität zwischen dem Pharisäertum der mt Zeit und dem rabbinischen Judentum angenommen wird.92 Falls den Ursprüngen „des“ heutigen Judentums im (nicht-christusgläubigen) Pharisäertum eine normative Geltung hinsichtlich der eigenen Identität zukommt, könnte die damalige antipharisäische Polemik der Christusgläubigen als ein seit damals bestehender bis heute gültiger Antijudaismus gedeutet werden.93 In dieser Perspektive wäre der Christusglauben als zentrale Differenz sowohl der heutigen als auch der mt Zeit bestimmt. Eine solche Betrachtung hätte allerdings auch zur Folge, dass das Selbstverständnis des mt Kreises als christusgläubiges Judentum unzulässig wäre. Zudem müsste derselbe aus der geschichtlich kontingenten Entwicklung heraus, bereits in der Antike als „Christentum“ mit einer aus dem Judentum stammenden Trägerschaft charakterisiert werden.94 Die mt Gemeinde wäre demnach ob ihres Christusglaubens außerhalb des Judentums zu verorten, weshalb die Polemik nicht mehr innerjüdisch erfolgt und folglich als antijüdisch zu werten wäre.95 Abermals würde die Wertung der mt Polemik als Antipharisäismus das eigentliche Phänomen Antijudaismus kaschieren. Diese beiden eher strohmannartigen Erwägungen vernachlässigen, dass das Evangelium in eine spezifische Kommunikationssituation in einem konkreten historischen Kontext eingebunden ist.96 Hier ergibt sich jedoch die Schwierig-
gathered in his name. Those who do not proclaim him remain a part of church’s missionary endeavor, but they are outsiders rather than insiders. And as outsiders their belief system, interpretation of Torah, relationship to Abraham, and so forth are at best irrelevant and, in actuality, condemned as false and unfaithful.“ 92 Zur Problematisierung dieser Annahme in der jüngeren Forschung vgl. KAMPEN, Matthew, 30–34. 93 Vgl. LEVINE, Anti-Judaism, 35f.; ähnlich ADAM, Readers, 448: „[…] much of what Matthew criticized in his contemporaries contributes to the identity of the continuing Jewish community.“ 94 In dieser Hinsicht widerspricht LEVINE, Anti-Judaism, 17 einer Zuordnung des mt Kreises zur „prophetic polemic“, da das Evangelium weder auf Israel noch Gott, sondern Jesus ausgerichtet sei: „The focus of Matthew is not entirely on tshuvah, repentance, with turning back toward good and away from evil. Matthew advocates a turn to something new.“ Mit Blick auf die Adaption des dtrGB im Mt ließ sich allerdings feststellen, dass die mt Geschichtslogik primär auf „Umkehr“ ausgerichtet ist. Demnach ist es perspektivenabhängig, ob die Rückbindung dieser Umkehr an das Auftreten Jesu als innerjüdisches Geschehen gewertet werden darf oder nicht (ähnlich CARTER, Response, 52f.). Levine ist offenbar nicht bereit, dem mt Kreis dieses (jüdische) Selbstverständnis zuzugestehen. 95 So bspw. VOLLENWEIDER, Antijudaismus, 46f., der allerdings auch darauf verweist, dass die Übernahme antijüdischer Polemik von christusgläubigen Juden durch Heidenchristen eine andere Qualität besitzt. 96 Vgl. FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 84; WEIെ, Kirche, 2040f.
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VII. Epilog: Zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Matthäus
keit, dass sich diese historische Situation nur durch Rekonstruktion erschließt, die ihrerseits nicht konsensfähig ist. Demnach lässt sich kaum erheben, wie das Mehrheitsverhältnis von christusgläubigem und nicht-christusgläubigem Judentum im mt Kontext zu bestimmen ist, ob und in welchem Ausmaß der Christusglaube ein Differenzkriterium darstellte und inwiefern der im Mt durchschimmernde Konflikt zwischen christusgläubigen Schriftgelehrten und nicht-christusgläubigen Pharisäern überhaupt in das ortansässige „Mehrheitsjudentum“ hineinwirkte. Mit einer Hermeneutik des Vertrauens ist daher dem mt Kreis eher zuzugestehen, dass sich die spezifische Kritik an den Pharisäern an die Pharisäer richtet und nicht darüber hinaus weitere Juden in der Kritik einbezogen sind.97 Es bleibt somit insgesamt problematisch, dass die nicht-christusgläubigen Pharisäer wenigstens implizit aus Israel exkludiert werden, eine Übertragung dieser Implikation auf andere (nicht-christusgläubige) Juden ist allerdings eher unzulässig.98 Demgegenüber ist vielmehr hervorzuheben, dass der antipharisäischen Polemik eben auch eine warnende Funktion zukommt, die zumindest, ob dies nun zulässig ist oder nicht, erkennen lässt, dass das Primärziel einen Umkehraufruf unter Gebrauch eines Negativbeispiels darstellt. Der nicht-christusgläubige Jude ist daher in erster Linie ein „verlorenes Schaf“, welches ob der Unfähigkeit des schlechten Hirten (d.h. der Pharisäer) zur Herde zurückgebracht werden muss (Mt 9,36; 18,12f.) und eben nicht (mit diesem) unter die Wölfe fallen soll (vgl. Joh 10,12).99 Nichtsdestotrotz ist der mt Kreis mit seinem schriftgemäßen Programm für eine innerjüdische Erneuerung im Christusglauben faktisch gescheitert. Dass sich nun ausgerechnet diejenige schriftgemäße Position mehrheitsfähig durchsetzen konnte, deren Anfänge – nicht ganz zu Unrecht – im Pharisäismus vermutet werden, darf kein Kriterium zur Beurteilung des mt Kontextes sein. Es ließe sich daraus allenfalls erklären, weshalb der mt Antipharisäismus in der Geschichte des Christentums besonders anschlussfähig für eine Polemik am späteren (rabbinischen) Judentum wurde. Aus dieser kontingenten Entwicklung ergibt sich daher eine Verantwortung für die heutige (christliche) Rezeption des Evangeliums, aber eine Rückprojektion dieser
97 Im Fokus steht damit weiterhin der Streit um den Führungsanspruch zwischen den nicht-christusgläubigen Pharisäern und den christusgläubigen Schriftgelehrten. Vgl. auch ADAM, Readers, 442: „Likewise […] the rebukes of the Pharisees can function as criticisms not of the Pharisees’ Judaism, but of their exercise of authority“ (Hervorhebung im Original). 98 Anders BORMANN, Theologie, 289f. 99 Anders LEVINE, Anti-Judaism, 32: „The non-Christian Jew yet to hear the Gospel is a ‚lost sheep of the house of Israel‘; the one who hears and rejects epitomizes the damned.“ Diese Wertung ist zwar sicherlich eine nachvollziehbare, aber m.E. nicht notwendige Entfaltung, die über das im Mt Geschriebene hinausgeht.
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Verantwortung auf den mt Kreis ist kaum zu rechtfertigen.100 Dem mt Kreis ist vielmehr zuzugestehen, dass er sich eine gänzlich andere Entwicklung erhoffte. Aber auch die Wertung dieser Hoffnung, nämlich auf ein mehrheitliches Bekenntnis Israels zu Jesus Christus, als antijüdisch stellt einen unzulässigen Anachronismus dar, da diese Position erst im Rückblick und nach Ausbildung der beiden Größen „Judentum“ und „Christentum“ überhaupt als antijüdisch gewertet werden kann. 101 Oder anders und polemisch zugespitzt: Hätte sich die mt Hoffnung bewahrheitet, würde sich heutzutage die Frage nach dem mt Antijudaismus nicht stellen, da sich das „Christentum“ wohl kaum als eigenständige Größe gegenüber dem „Judentum“ abgegrenzt hätte.102 Eine solche Wertung ist indes nur zulässig, solange die mt Polemik in einem innerjüdischen Diskurs verortet bleibt. Sobald dieser Rahmen verlassen wird und der Zugriff auf die Schriften Israels und die hieraus abgeleitete innerjüdische Kritik nicht mehr im christusgläubigen Judentum verortet sind, sondern im allgemeinen christlichen Sprachgebrauch aufgenommen werden, wird die Grenze zum Antijudaismus bereits überschritten, da dies nicht mehr auf eine binnenjüdische Entwicklung abzielen kann.103 Ebendiese Entwicklung findet sich bei Melito, aber auch anderen christlichen Autoren des 2. Jahrhunderts,104 als Ergebnis der nichtjüdisch soziali-
100
Anders LEVINE, Anti-Judaism, 12: „While anti-Judaic readings of the First Gospel may be declared in error from the perspective of contemporary ecumenical theology, I do not find them wrong from either a literary-critical or historical-critical standpoint.“ 101 Zur Entstehung der beiden Begriffe als Gegensatzpaar und zu deren inhaltlicher Bestimmung – insbesondere in den häresiologischen Auseinandersetzungen der frühen Kirche – vgl. VOGEL, Streit. 102 Dabei ist zwar primär an die Entwicklung gedacht, dass sich das Judentum tatsächlich mehrheitlich dem Christusglauben zugewandt hätte. Zugleich ist durch diese Änderung in der Geschichte jedoch mindestens mitzudenken, dass auch das Christentum heutzutage nicht in der gegenwärtigen Form, möglicherweise überhaupt nicht (mehr) existieren würde. 103 Ähnlich urteilt LEVINE, Anti-Judaism, 35, welche aber die Überschreitung zum Antijudaismus bereits durch die Verabsolutierung Jesu im mt Kommunikationsraum als gegeben ansieht; ferner FLUSSER, Bemerkungen, 29f., der den Antijudaismus im NT dem Heidenchristentum zuordnet und hierfür auch Redaktionsschichten in den Evangelien postuliert. Dieser Position lässt sich, wie bereits öfters markiert, eine andere Einschätzung entgegensetzen, die sich exemplarisch bei ADAM, Readers, 436 findet: „Matthew obviously excoriates various Judean parties, but he does so from within Judaism – not over against Judaism“ (Hervorhebung im Original). Entsprechend ist auch die Einschätzung FLUSSER, Bemerkungen, 29, wonach „prophetische Scheltworte“ keine Analogie zu den – nicht näher bestimmten Antijudaismen des Neuen Testamens – haben, da dieser „nie einen hebräischen, sondern immer einen griechischen Klang“ haben, gerade mit Blick auf die hier vorgelegte Untersuchung zum Mt, zurückzuweisen. 104 Ein weiteres markantes Beispiel, für einen solchen Registerwechsel, in welchem die Schriften Israels durch einen christlichen Autor heidnischer Herkunft gegen Israel in
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VII. Epilog: Zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Matthäus
sierten Fortentwicklung des Christentums bei gleichzeitigem Beibehalt des „jüdischen Erbes“.105 Deren Polemik gegen Israel richtet sich bisweilen auch gegen den Beibehalt jüdischer Elemente innerhalb des „Christentums“, sodass nicht auszuschließen ist, um nicht zu sagen wahrscheinlich, dass das christusgläubige Judentum der mt Gemeinde auch Opfer dieser polemischen Angriffe geworden wäre/wurde.106 Dementsprechend bleibt es berechtigt, für den mt Kontext für eine Differenzierung von Antipharisäismus und Antijudaismus zu plädieren, wobei die entscheidende Schwierigkeit bleibt, dass die konkrete Kommunikationssituation ebenso unwiderruflich vergangen ist, wie sie auch in vermeintlich analogen Kommunikationssituationen nicht mehr einzuholen ist.107 Es ist demnach weitgehend perspektivenabhängig, ob der Antipharisäismus in der historischen Kommunikationssituation des Mt als Antijudaismus zu werten oder davon zu unterscheiden ist.108 Stellung gebracht werden, stellt Justins Dialog mit Tryphon dar (vgl. MORESCHINI/ NORELLI, Handbuch, 99–103; HAUSCHILD/DRECOLL, Lehrbuch I, 131). 105 Vgl. NICKLAS, Jews, 30 mit Verweis auf die englische Übersetzung von MORESCHINI/NORELLI, Handbuch, 66. 106 Vgl. LIEU, Identity, 82 mit Blick auf die erinnerte Geschichte Israels bei Melito: „Yet more than this, in each of these authors the consequence has been to deny any alternative line of remembering. Israel’s history of unfaithfulness can lead only to subsequent rejection; the memory of those who were faithful becomes an ever more finely drawn line, witnesses by word and suffering to Christ, denied to the Jews and offering no hope of further restoration. While such a negative remembering, and not-remembering of times of faithfulness and renewal, is a denial of the Jews’ own claims to identity, it will also, although as yet hardly explicitly, rule out those of Jewish Christians.“ Man könnte zwar entgegnen, dass der mt Kreis ebenfalls auf eine negativ fokussierte Erinnerung der Geschichte Israels rekurriert. Allerdings tritt hier abermals die Binnendifferenzierung hervor, insofern die Verfallsgeschichte des dtrGB an die Autoritäten zurückgebunden wird, wohingegen das Volk, insbesondere in der Figur der ȤȜȠȚ verkörpert, dazu aufgerufen wird, diesem Weg nicht zu folgen, sondern positiv auf den Umkehraufruf zu reagieren. In diesem und in der schriftgemäßen Inszenierung der Jesusgeschichte wird daher wenigstens implizit eine positive Erinnerung an die Geschichte Israels aufgerufen, in welche Gottes Heilshandeln in Jesus eingetragen wird. Aus der Perspektive Melitos gilt wohl auch für die mt Gemeinde: „Judenchristentum als eigene Möglichkeit ist kein reflektiertes Thema mehr“ (vgl. KRETSCHMAR, Kirche, 25). 107 Die realhistorischen Entwicklungen verhindern jeden Zugang zu einer innerjüdischen Kontroverse um den Christusglauben und die Frage nach dessen schriftgemäßer Legitimität. Die „judenchristliche“ Tradition ist im Formierungsprozess der Großkirchen marginalisiert und delegitimiert worden (vgl. KRETSCHMAR, Kirche, 27) und auch die moderne Bewegung der Messianischen Juden ermöglicht keinen Zugriff auf ein christusgläubiges Judentum, welches hinter den Trennungsprozess von „Judentum“ und „Christentum“ zurückgehen kann. 108 Ähnlich, aber deutlich allgemeiner formuliert auch CARTER, Response, 62: „My fear is that parts of Matthew can be construed as anti-some-forms-of-Judaism by some readers at some times. My great joy is not all parts, not all Judaisms, and not by all readers“
5. Beispiele einer hermeneutischen Umdeutung
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Diese Überlegungen führen zu letzten Erwägungen – nämlich der Frage, wie heutzutage mit dem mt Antipharisäismus und dessen antijüdischer Rezeptionsgeschichte umzugehen ist. Hierfür sollen vor allem Problemskizzen aufgeführt werden, die sich aus dem geschichtstheologischen Gebrauch des Motivs des unschuldigen Blutes im Mt ergeben.
5. Beispiele einer hermeneutischen Umdeutung 5. Beispiele einer hermeneutischen Umdeutung
5.1. Problemskizze Die m.E. historisch-kritisch korrekte Bewertung des antijüdischen Potenzials des mt Kreis als spezifischer Antipharisäismus entbindet die exegetische Betrachtung des Evangeliums allerdings nicht von einer Auseinandersetzung mit der als antijüdisch zu bewertenden Rezeptionsgeschichte. In den exegetischen Passagen wurde bereits auf verschiedene Epiphänomene hingewiesen: die stereotype Gleichsetzung von Judas mit den Juden (und umgekehrt),109 die heilsgeschichtliche Abrogation (u.a. durch Übertragung der Wehrede auf alle Juden) und die erschreckende Legitimation von Judenpogromen durch den Blutruf des Volkes, in welcher sich Christen als Bluträcher inszenierten. Eine verantwortbare Exegese muss diese Rezeptionsgeschichte im Blick behalten und dafür Sorge tragen, dass eine antijüdische Rezeption verunmöglicht wird. Hierfür ist offenbar eine Veränderung des Lesekontextes notwendig,110 welche sich erst mit der Zeit einstellt. Ein erster und notwendiger, der wahrscheinlich wichtigste, Schritt stellt hierbei eine differenzierte Betrachtung Israels und die durchgehende Unterscheidung von Volk und etablierten Autoritäten im Mt dar.111 Es hilft allerdings nur wenig, wenn die polemischen Vorwürfe an den Pharisäern haften bleiben, sofern diese (heutzutage) unterschwellig als „Juden“ oder deren „Repräsentanten“ assoziiert bleiben. Daher (Hervorhebung im Original). Insgesamt ist innerhalb der Forschungslandschaft die nicht sonderlich überraschende Tendenz festzustellen, dass dezidiert jüdische Perspektiven und diejenigen christlichen Perspektiven, die darum bemüht sind, sich eine dezidiert jüdische Perspektive anzueignen, eher zur Wertung eines Antijudaismus tendieren. Die Wertung als Antipharisäismus findet sich v.a. bei solchen Exegeten, die sich (zumindest dem eigenen Anspruch nach) um eine rein historische Perspektive bemühen. 109 Vgl. LUZ, Mt IV, 251f. mit Verweis auf Hieronymus, In Ps 108; Hilar. 29,2; Aug.serm. 51,7 (11). 110 So hält auch ADAM, Readers, 449 fest: „Where we are willing to live without antiJudaism, beyond bigotry and scapegoating altogether, there Matthew will simply not be read as an anti-Jewish text.“ 111 Vgl. FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 87–91. Als weitere Schritte nennt er erstens die Berücksichtigung der dezidiert christlichen Adressaten, welche er bereits für die mt Kommunikationssituation geltend macht, und zweitens der intertextuellen Einbettung des Mt in die frühjüdische Überlieferung.
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VII. Epilog: Zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Matthäus
ist es weitergehend von zentraler Bedeutung, dass ein Bewusstsein für die Reproduktion antijüdischer Stereotype im kulturellen Gedächtnis der Kirche geschaffen wird, welche in der eigenen Schrifttradition grundgelegt sind. Die Perikopen-/Leseordnung der EKD bzw. der Römisch-Katholischen Kirche haben offenbar auf die Gefahr diese Reproduktion dergestalt reagiert, dass die zentralen Texte aus dem Korpus der gottesdienstlichen Lesungen ausgeschieden wurden.112 Damit wird zwar sicherlich der Reproduktion der neutestamentlichen Passagen mit antijüdischem Potenzial vorgebeugt, allerdings stellt sich die Frage, ob damit sonderlich viel gewonnen ist. Die Texte bleiben weiterhin – zumindest potenziell – Teil des kollektiven Gedächtnisses, sodass in der Perikopenordnung wohl ein Versuch zu sehen ist, diese aus dem kollektiven Gedächtnis der Kirche resp. des Gottesdienstes zu streichen. Es scheint aber, dass dieses (oberflächliche) Ignorieren der Texte keine Aufarbeitung derselben darstellt und es – zumindest im gottesdienstlichen Leben – keinen natürlichen Ort gibt, an welchem Letztere erfolgen könnte.113
Eine bleibende Problematik einer solchen Aufarbeitung besteht darin, dass die konkrete Kommunikationssituation, in welcher das Motiv des unschuldigen Blutes seine argumentative Kraft entfalten sollte, unwiderruflich verloren ist. Dies ergibt sich nicht nur aus dem „garstigen Graben“. Wesentlich entscheidender ist der vollzogene Registerwechsel, in welchem der polemische Gebrauch des Motivs seinem innerjüdischen Raum entnommen ist und ausschließlich (heiden-)christlich rezipiert wird.114 In ersteren Kommunikationsraum lässt sich nicht zurückkehren, wie anhand der nun tradierten Trennung von „Judentum“ und „Christentum“ ersichtlich ist, durch welche jede Form
112 In der alten wie neuen Perikopenordnung (vgl. Liturgische Konferenz/Evangelische Kirche in Deutschland [Hg.], Perikopenbuch, 827f.) werden weder die drei markanten Stellen zum unschuldigen Blut (Mt 23,29–39; 27,3–10; 27,11–26) aufgeführt noch bspw. das Gleichnis der bösen Winzer (Mt 21,33–45). Ähnliches gilt für das Lektionar zur Feier der Heiligen Messe (vgl. Deutsche Bischofskonferenz/Österreichische Bischofskonferenz/ Schweizer Bischofskonferenz [Hg.], Lesejahr A, 409f.): Das Mt bildet das grundgelegte Evangelium für das Lesejahr A, in welchem am 27. Sonntag Mt 21,33–43 als Evangelium vorgesehen ist. An Palmsonntag kann die gesamte Passion Mt 26,14–27,66 (Kurzfassung Mt 27,11–54) gelesen werden; Mt 23,29–39 entfällt auch in der Leseordnung der RömischKatholischen Kirche. Demzufolge gilt, dass die Perikopen zwar nicht in Gänze aus den gottesdienstlichen Lesungen exkludiert sind, aber ob des Gesamtzusammenhangs deutlich marginalisiert erscheinen. 113 Dafür, dass es einer solchen Aufarbeitung i.S. einer „Wiedergutmachung“ bedarf und diese auch seitens der „exegetischen Wissenschaft […] im Dienst an der Kirche“ zu leisten ist, plädiert u.a. KAMPLING , Antijudaismus, 92–94. 114 Vgl. FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 87: „Die primäre Funktion des Matthäusevangeliums […] änderte sich radikal in der heidenchristlichen Rezeption vom 2.Jh. an.“ Anders als bspw. LEVINE, Anti-Judaism, 26 gehe ich davon aus, dass dieser Registerwechsel erst in der (heiden-)christlichen Rezeption des Mt erfolgte und nicht schon in der mt Aufnahme der Jesustradition.
5. Beispiele einer hermeneutischen Umdeutung
379
eines „christusgläubigen Judentums“ ausgeschieden wurde.115 Die Tragik im christlichen Antijudaismus liegt demzufolge darin, dass binnenjüdische Polemiken in den christlichen Sprachgebrauch übernommen wurden, wodurch die „Selbstkritik“ in „Fremdkritik“ kippte, wie dies bei Melito von Sardes besonders deutlich hervortritt.116 Dieser Registerwechsel ist allerdings zugleich unser christliches Erbe und Teil unserer Tradition, insofern sich dieser nicht zuletzt durch die Kanonisierung des Mt manifestiert. Eine antijüdische Rezeption ist nunmehr in zweierlei Hinsicht grundgelegt und daher besonders fatal: Zum einen wurde/wird das in den Evangelien Niedergeschriebene nach dem Registerwechsel als historisch grundierter Schriftbeweis angeführt.117 Die feinen intertextuellen und geschichtstheologischen Nuancen, die in der mt Kommunikationssituation diesen Schriftgebrauch erhellen, konnten hingegen kaum mehr wahrgenommen werden. Zum anderen gilt, dass selbst wenn die intertextuellen Referenzen auf das „Alte Testament“ erkannt wurden, dies allenfalls eine zusätzliche schriftgemäße Bestätigung der antijüdischen Interpretation ausbildete.118 5.2. Zur matthäischen Geschichtstheologie Ein markantes Beispiel eines antijüdischen Registerwechsels bildet die Deutung der Tempelzerstörung als Geschichtserweis. 119 Im mt Kommunikationsraum bildete diese den Anknüpfungspunkt, um die Deutung des Todes Jesu als Vergießen unschuldigen Blutes zu legitimieren und zugleich die etablierten Autoritäten als Führer des Volkes zu delegitimieren. Die Geschichtsdeutung der Katastrophe kann nunmehr in den unterschiedlichen Kommunikationsräumen zu unterschiedlichen Konsequenzen führen. In einem binnenjüdischen 115 Vgl. BLANK, Antijudaismus, 63 mit Blick auf das 2. Jahrhundert: „[…] in der Synagoge hatten sie [sc. die Judenchristen] keine Heimat mehr, und in der ‚Heidenkirche‘ wurde ihre Existenz ebenfalls schwieriger.“ 116 Vgl. THOMA, Theologie, 99: „Es gehört zur Tragik der Theologie-, Verkündigungsund Menschheitsgeschichte, daß man die Polemik gegen die Pharisäer in den Evangelien durch Verabsolutierungen und falsche Akzentuierungen mißdeutete. Die Heidenchristen verstanden die jüdische Gattung ‚Polemik‘ schon im 2. Jahrhundert n. Chr. nicht mehr. Ihr Antipharisäismus floß mit ihrem Antijudaismus zusammen“; ähnlich DONALDSON, Jews, 149–151. 117 Vgl. KAMPLING, Bausteine, 124f.; MEISER, Writings, 237. 118 Vgl. KAMPLING, Bausteine, 126f. mit Verweis auf das Motiv der Blindheit. Ein solcher antijüdischer Umgang mit der Schrift wird zudem in der Adversus-IudaeosLiteratur praktiziert, in welcher der Christusglaube gesetzt ist und die Schriften Israels (lediglich) als Schriftbeweis – meist in typologischer oder allegorischer Auslegung – herangezogen werden (vgl. GEORGE, Antijudaismus, 78f.). 119 Vgl. KAMPLING, Bausteine, 127–129 (hier 128): „Ohne zu übertreiben, wird man diesen Topos zu den Lieblingsthemen antijüdischer Polemik zählen dürfen“; ferner ALBL, Authors, 45f.
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VII. Epilog: Zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Matthäus
Kommunikationsraum wäre anzunehmen, dass diese Binnendifferenzierung erkennbar wird und als solche – zumindest in der Theorie – gleichberechtigt (und damit gleichermaßen umstritten) mit anderen binnendifferenzierten Deutungen zu stehen kommt. Diese Form der Kontingenzbewältigung angesichts der Zerstörung Jerusalems unterscheidet den mt Kreis demnach kaum von anderen Schriften.120 Der mt Kreis ist demnach kaum dafür zu kritisieren, dass er – gemäß den antiken jüdischen Konventionen – eine theologische Deutung der Geschichte vornimmt.121 Bis heute bleibende Schwierigkeiten ergeben sich allerdings in der Übertragung dieses Konzepts in den primär heidenchristlichen Kommunikationsraum des 2. Jahrhunderts, in welchem das „Jüdische“ zu einem Platzhalter dessen wurde,122 was aus dem „orthodoxen“ Glauben auszuscheiden ist.123 Unter diesem Geschichtspunkt scheint auch das Konzept Israel als „alter Bund“ heilstheologisch abrogiert zu werden, was sodann an die Tempelzerstörung in geschichtstheologischer Manier zurückgebunden wird.124 Neben Melitos Peri Pascha können Justin und später 120 Die Deutung der Tempelzerstörung, die auch vor polemischer Verantwortungszuschreibung nicht zurückschreckt, findet sich in verschiedenen frühjüdischen Schriften des 1./2. Jahrhunderts. Josephus begründet die Zerstörung des zweiten Tempels unter Verweis auf die „gottlosen“ Zeloten, die in ihrer Verblendung die Katastrophe über das ganze Volk Israel gebracht haben (vgl. Flav.Jos.Bell. VI 109f.124–131). Auch hier findet sich demnach eine innerjüdische Verantwortungszuschreibung, die als solche kaum als antijüdisch zu werten ist. Weitere Deutungsmuster, die zumindest in Teilen eine innerjüdische Verantwortungszuschreibung und die Adaption biblischer Deutungen der ersten Tempelzerstörung erkennen lassen, finden sich bei DÖPP, Deutung unter Verwendung frühjüdischer, christlicher, rabbinischer und gnostischer Texte. Allerdings muss wohl für die zeitlich nächsten, dezidiert jüdischen Quellen (4Esr; 2Bar; 4Bar; Sib IV.V) festgehalten werden, dass in diesen Texten eher das Faktum der römischen Übermacht konstatiert und die Tempelzerstörung mit der babylonischen Eroberung parallelisiert wird. Dabei wird weniger stark die Geschichtsdeutung der Vergangenheit fokussiert, d.h. nach dem Warum der Tempelzerstörung gefragt, sondern vielmehr eine Deutung der Gegenwart und Zukunft vorgenommen, weshalb die Verhältnisbestimmung der eigenen jüdischen Identität im römischen Reich nach der Katastrophe zum zentralen Anliegen wird (vgl. JONES, Reactions, 271–280; ähnlich DÖPP, Deutung, 288; ferner STONE, Reactions). 121 Vgl. DEINES, Erkennen, 403f. 122 Dieses Urteil gilt insbesondere mit Blick auf die Schriften des Ignatius (vgl. NICKLAS, Parting, 28–30), aber auch darüber hinaus (vgl. HAUSCHILD/DRECOLL, Lehrbuch I, 131f.). 123 Es ist gleichwohl auch im 2. Jahrhundert umkämpft, was „orthodox“ und was entsprechend auszuscheiden ist. Wenigstens die proto-orthodoxen Strömungen halten in ihren Auseinandersetzungen mit Marcion und ähnlichen Strömungen an den Schriften Israels fest, wenngleich auch hier der Beibehalt dieser nur durch die christologische Ingebrauchnahme erfolgte. Ein anderes Beispiel ist der Kalenderstreit um die quartodecimanische Position. 124 Die Dynamik dieser Deutung dürfte sicherlich durch den gescheiterten Bar KochbaAufstand und dessen weitreichende Folgen (vgl. hierzu SCHÄFER, Geschichte, 191f.) verstärkt worden sein.
5. Beispiele einer hermeneutischen Umdeutung
381
Origenes als markante Zeugen für diese Deutung angeführt werden.125 In Folge dieser geschichtstheologischen Deutung werden die Tempelzerstörung und das Exil Israels zum bleibenden Zeichen der Legitimität des Christentums.126 Das bereits im Mt angelegte Zusammenfallen Israels als Topos der Geschichtstheologie und der Landtheologie scheint demnach ein mögliches Erbe aus dem Motiv des unschuldigen Blutes darzustellen. Nicht nur die Tempelzerstörung und das daraus folgende Exil der Juden bot in der christlichen Rezeptionsgeschichte demnach eine historische Legitimation Jesu, sondern auch das bleibende Brachland (resp. der ausbleibende Wiederaufbau des Tempels) und die fehlende Staatlichkeit. Das (leere) Land blieb demnach ein weithin zeitaktuell gültiger Nachweis der Legitimation des Christentums bei gleichzeitiger Delegitimation des Judentums.127 Es ist daher kaum verwunderlich, dass diese landtheologische Perspektive mit ihren geschichtstheologischen Wurzeln einen neuerlichen Topos innerhalb des jüdisch-christlichen Dialogs ausbildet, der sich notwendigerweise aus der Neugründung des Staates Israel 1948 ergibt.128 Die Frage, ob und in welcher Weise dem Staat Israel eine theologische Bedeutung zukommt, ergibt sich mit Blick auf die mt Geschichtstheologie und deren Rezeption folglich auch aus der eigenen christlichen Tradition heraus und nicht erst aus dem jüdisch-christlichen Dialog. 129 Wird an der Möglichkeit der Geschichtsdeutung festgehalten, so erfordert dies häufig, dass dem Staat Israel eine gewisse theologische Qualität zugesprochen wird.130 Hierbei bedarf es allerdings einer 125
Vgl. Iust.dial. 52,4; Or.princ. 4.1.3. Frühkirchliche Stimmen bestätigen die Deutung des brachliegenden Tempelareals als Zeichen für die Bestrafung der Juden (vgl. KÜCHLER, Jerusalem, 143f.; DERS., Tempel, 154–158; ähnlich ALBL, Authors, 46f.). Die besondere theologische Deutung des Brachlandes zeigt sich auch in der Außenperspektive, insofern Kaiser Julian offenbar den Aufbau eines dritten Tempels als Zeichen gegen die jesuanische Prophetie (und in letzter Konsequenz gegen die Legitimität des Christentums selbst) anstrebte (vgl. KÜCHLER, Jerusalem, 145; DERS., Tempel, 160f.). 127 Vgl. GEORGE, Antijudaismus, 83f. 128 Vgl. HIRSCHBERG, Provokation, 196–285. 129 Ähnlich HIRSCHBERG, Provokation, 240. Diese Differenzierung ist auch dahingehend notwendig, als dass der Staat Israel selbst in den verschiedenen Strömungen des Judentums unterschiedlich bewertet wird (vgl. ebd., 195–197.223–235). Den Gegenstand der landtheologischen Reflexion über den Staat Israel stellt demnach das bloße Faktum dieser „Rückkehr der Diaspora-Juden in das Heilige Land“ dar, nicht aber deren konkrete Ausgestaltung. Entsprechend bedarf es in diesem Kontext m.E. auch keine Positionierung und Bezugnahme zum Nahostkonflikt, wenngleich es in diesem weder an land- noch geschichtstheologischen Argumenten aus jüdischer, christlicher und muslimischer Perspektive mangelt (vgl. exemplarisch zum christlichen Zionismus ebd., 235–238). Es soll daher nicht der Frage nachgegangen werden, ob das Festhalten an der bleibenden Erwählung Israels zwangsläufig mit dem Wohnen des Volkes in diesem Land einhergeht (vgl. hierzu ebd., 208f.; FLUSSER, Bemerkungen, 17f.). 130 Vgl. HIRSCHBERG, Provokation, 238–270. 126
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VII. Epilog: Zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Matthäus
scharfen Unterscheidung: der Staat Israel kann als „Zeichen der Treue Gottes“ verstanden werden,131 wobei zeitgleich eine sakrosankte Überhöhung zu vermeiden ist.132 Man könnte diese Anfrage allerdings auch anderweitig lösen und den zuvor betonten Registerwechsel ernst nehmen. In dieser Perspektive wäre für jedwede land- und geschichtstheologische Deutung, die in der Katastrophe von 70 n.Chr. grundgelegt ist, zu betonen: Hier ist jedoch grundsätzlich zu fragen, ob es im Rahmen (heiden-)christlicher Theologie legitim ist, der jüdischen Geschichte eine theologische Sinndeutung geben zu wollen – zumal, wenn eine solche Deutung eine Schuldzuweisung an die Juden für Katastrophen beinhaltet, deren Opfer die Juden waren. Wer die Zerstörung des Tempels im Jahre 70 so deutet, der kann diese Deutung auch auf Auschwitz übertragen. Ein Versuch, den Juden die Schuld für Auschwitz zuzusprechen, kann es jedoch weder in christlicher Theologie noch andernorts geben.133
Es ist demnach angemessen, den Staat Israel wenigstens als Problemmarker theologisch fruchtbar zu machen, insofern dessen Existenz anzeigt, dass eine geschichts- und landtheologische Legitimation Jesu nur durch theologische Inkohärenz aufrechtzuerhalten ist.134 Letztlich bleibt aufgrund dieser Verknüpfungen abermals zu konstatieren, dass die im Mt durch das Motiv des unschuldigen Blutes vorgetragene Geschichtsdeutung sowohl in der antiken Rezeption als auch in gegenwärtiger (heiden-)christlicher Perspektive gewissermaßen dem Evangelium im Wege steht. Mit anderen Worten: Die mt Geschichtstheologie richtet sich nicht an die Christusgläubigen aus den Völkern (und wohl kaum an die Christusgläubigen aus dem gegenwärtigen Israel). In der Rezeptionsgeschichte des Mt ließ sich nunmehr feststellen, dass die mt Geschichtstheologie in einem (heiden-)christlichen Kommunikationsraum in einer antijüdischen Ausdeutung übernommen wurde.135 Die veränderte Kommunikationssituation sorgte demnach für einen Registerwechsel, um die 131
So die Formulierung des Beschlusses der Rheinischen Landessynode von 1980 (zu dieser vgl. RENDTORFF, Volk, 71–89). 132 Vgl. Evangelische Kirche in Deutschland (Hg.), Land, 108. 133 GOെMANN, Land, 175. 134 Vgl. GOെMANN, Land, 181: „Während einerseits die Geschichte der Juden, ihre Vertreibung aus dem verheißenen Land und ihr Leben im Exil, als göttliche Strafe gesehen und damit theologisch interpretiert wurden, wird in bezug auf die neue Staatlichkeit jede theologische Deutung abgelehnt und eine ‚Enttheologisierung der Geschichte‘ gefordert“; ähnlich WINKLER, Haltung, 158f., der angesichts dieser Inkohärenz einen Vorschlag in religionstheologischer Perspektive unterbreitet, in welchem Israel und die Kirche durch ihre Infragestellung des anderen (Christusglaube bzw. „exklusive Verbindung von Land und Volk“) einander zu „beschämten Zeugen“ werden. 135 Ebendiese veränderte Kommunikationssituation, in welcher die mt Geschichtstheologie kaum mehr adäquat rezipiert werden kann und daher missbraucht wurde, stellt eine schwerwiegende und grundlegende Anfrage an solcherart Erwägungen dar, die aus den biblischen Texten geschichtstheologische Deutungsmodelle ableiten wollen, wie dies etwa bei DEINES, Erkennen der Fall ist.
5. Beispiele einer hermeneutischen Umdeutung
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theologischen Aussagen der binnenjüdischen Konfliktsituation für die „Kirche“ fruchtbar machen zu können. Hierdurch wurde nicht zuletzt der mt Antipharisäismus in einen Antijudaismus mit all jenen furchtbaren Konsequenzen transformiert. Dabei steht außer Frage, dass sich für einen solchen Prozess Anhaltspunkte im Evangelium finden lassen, wenngleich sich die faktische Ausgestaltung wohl erst durch die veränderte Kommunikationssituation und weitere geschichtliche Kontingenzen ergab. Eben solches ist allerdings auch für die Gegenwart festzuhalten, sodass der veränderte Kommunikationsraum und die bestehenden geschichtlichen Kontingenzen – konkret ist hiermit der jüdisch-christliche Dialog im Angesicht von Auschwitz gemeint – zu einem anderen theologischen Umgang mit den theologischen Aussagen des Evangeliums auffordern. Erst unter dieser Voraussetzung scheint es in hermeneutischer Perspektive statthaft zu sein, nach Anhaltspunkten im Evangelium zu suchen, die – mitunter entgegen der mt Kommunikationssituation – eine (heiden-)christliche Rezeption der theologischen Aussagen ermöglicht. In den exegetischen Abschnitten wurde bereits verschiedentlich auf solche Lesarten verwiesen, die – mit Blick auf die mt (!) Kommunikationssituation – zurückgewiesen wurden. Diese sollen hier nochmals kurz skizziert und auf ihren hermeneutischen Mehrwert geprüft werden. 5.3. Zu Mt 23 In einer hermeneutischen Perspektive ließe sich für Mt 23 stark machen, dass die angesprochenen Pharisäer und Schriftgelehrten nicht eindeutig als Teil der Zuhörerschaft herausgestellt werden. Wenn sich diese folglich als faktische Zuhörer ausklammern lassen, dann blieben das Volk und die Jünger als Adressaten zurück (Mt 23,1).136 Sofern das Volk (Ƞੂ ȤȜȠȚ) – zusammen mit den Jüngern – gemäß der mt Figurenzeichnung als (potenzielle) ecclesia aufzufassen ist, kann die Wehrufrede als Kritik an den Führern der ecclesia und so als binnenkirchliche Herrschaftskritik verstanden werden.137 Der Vorwurf der Heuchelei trifft damit nicht (mehr/allein) das konkrete mt Gegenüber der pharisäischen Synagogenleitung, sondern fordert – ungeachtet der konkreten Beispiele – eine Selbstprüfung der christlichen Autoritäten (und jedes Gemeindegliedes?) angesichts des Schlagworts „Heuchelei“ ein.138 In dieser Hinsicht kann sodann die Forderung zur Demut (Mt 23,8–12) mit der
136
Vgl. FRANKEMÖLLE, Handlungsanweisungen, 157f.; LIMBECK, Mt, 255f. Es wäre sodann zu überlegen, ob durch das Stichwort ȖȡĮȝȝĮIJİȢ und dem Selbstverständnis des mt Kreises als ȖȡĮȝȝĮIJİȢ eine eigenadressierte Kritik vorliegt. 137 Vgl. WEIെ, Kirche, 2081–2084. 138 Vgl. FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 104f.; DERS., Handlungsanweisungen, 155 mit Verweis auf Mt 7,5; 24,51, wo sich Heuchelei als Topos der Selbstkritik wiederfindet.
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VII. Epilog: Zum Umgang mit dem antijüdischen Potenzial des Matthäus
Warnung vor Heuchelei verbunden werden.139 Doch selbst wenn die Wehrufreihe primär der binnenchristlichen Selbstprüfung dienen soll, stellen die aufgeführten Beispiele weiterhin karikierende Überzeichnungen der pharisäischen Lehrmeinung dar.140 Eine geänderte Adressatenrichtung ermöglicht noch keine Überwindung des antijüdisch aufgeladenen Antipharisäismus. Es bedarf demnach auch einer Dekonstruktion des mt Pharisäerbildes – bspw. mithilfe einer Aufarbeitung des historischen Quellenmaterials.141 Wenn dies alles mitbedacht wird, so ist es möglich, die in Mt 23 erhobenen Vorwürfe als kritische Prüfsteine für christliches/kirchliches Handeln heranzuziehen,142 obgleich hierdurch der mt Kommunikationsraum überschritten wird.143 Mit Blick auf das Motiv des unschuldigen Blutes muss sich demnach auch die Christenheit ihrer eigenen gewaltvollen Geschichte bewusst werden, seien es nun der zu Unrecht verfolgten innerkirchlichen Christusboten oder – in verallgemeinernder Perspektive – all der „Unschuldigen“, die aus einer fehlgeleiteten Christusnachfolge heraus ermordet wurden. Hier wiegt es nun besonders schwer, dass aus den (literarisch konstruierten) Verfolgten selbst Verfolger wurden bzw. die literarische Konstruktion dieser Verfolgung als Rechtfertigung für Verfolgung der vermeintlichen Verfolger diente.144 In 139
Ähnlich FRANKEMÖLLE, Handlungsanweisungen, 157–160. Vgl. FIEDLER, Mt, 343f.; FRANKEMÖLLE, Handlungsanweisungen, 187f. Es besteht folglich weiterhin die Gefahr der typologischen Relativierung, insofern deren Fehlverhalten zur Orientierung der christlichen Selbstprüfung wird (dies zeigt sich u.a. bei ebd., 162–168.187f.). Im Aufruf, kein Heuchler zu sein, ist weiterhin – gerade bei Bezugnahme auf Mt 23 – eine Reproduktion antijüdischer Stereotype wahrzunehmen, im konkreten Fall der umgangssprachlich synonyme Gebrauch von „Pharisäer“ und „Heuchler“ (vgl. DUDENREDAKTION [Hg.], Duden, 1365; ferner FRANKEMÖLLE, Handlungsanweisungen, 134f.). 141 Vgl. LUZ, Mt III, 357–365; MUെNER, Traktat, 253–275; THOMA, Theologie, 99; WILK, Quellen. 142 Vgl. auch das Schlusswort bei den Ausführungen von FRANKEMÖLLE, Handlungsanweisungen, 190: „Der ‚Pharisäismus – will man ihn überhaupt so nennen – ist eine Gefahr für jede religiöse Institution; Christen haben, zumal in der Zeit nach Auschwitz, keinerlei Grund und Anlaß, von sich selbst und von der eigenen kirchlichen Gemeinschaft abzusehen.“ 143 Vgl. LUZ, Mt III, 390f.; GNILKA, Mt II, 269; anders FRANKEMÖLLE, Handlungsanweisungen, 152f., der für den mt Kontext einen innerjüdischen Diskurs ausschließt und folglich die innerchristliche Adressierung als Autorenintention behauptet. 144 Für diesen Transfer gilt es einen weiteren, nicht unwesentlichen Umstand zu berücksichtigen. Die mt Kommunikationssituation setzt – historisch plausibel – voraus, dass hier eine Minderheitenrhetorik vorliegt, d.h. aus der Perspektive der Unterdrückten und Verfolgten gegen die „Mächtigen“ polemisiert wird. Dieser Umstand soll nicht die Polemik als solche unhinterfragt legitimieren, allerdings ist dadurch angezeigt, wie der skizzierte Registerwechsel zusätzliche Dynamik entfalten konnte. Die Polemik wurde in der Völkerkirche offenbar beibehalten, ohne die sich umkehrenden Machtverhältnisse eigens zu reflektieren – vielmehr diente dieser Wandel der zusätzlichen Selbstlegitimation. Die Schärfe der mt Polemik mag daher der eigenen Bedrängnis geschuldet und in dieser kontextuell 140
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einer solchen hermeneutischen Perspektive wird demnach deutlich, dass die jesuanische/göttliche Warnung „kein unschuldiges Blut zu vergießen“ – entgegen dem Gebrauch bei Melito – dezidiert den Christusgläubigen gilt145 und – sofern an einer geschichtstheologische Deutung der Welt festgehalten wird – ein derartiges Fehlverhalten zum innerweltlichen Gericht an der ecclesia führt.146 5.4. Zu Mt 27,3–10 Die antijüdischen Stereotype zu Mt 27,3–10 haften primär an der Judasfigur selbst.147 Daraus abgeleitete Charakterzüge, die in der antijüdischen Rezeption fruchtbar gemacht wurden, sind u.a. das Motiv der Habgier/des Wuchers, des unbußfertigen Sünders und am wirkmächtigsten des „Verräters“ des Herrn.148 In den exegetischen Ausführungen ließ sich zeigen, dass ein solches Verständnis der Judasfigur im mt Kommunikationsraum nicht plausibel ist. Vielmehr tritt Judas als „Prophet“ gegen die Autoritäten auf. Judas ist damit bereits in der mt Kommunikationssituation eine tragische Figur, an welcher die unzureichende Führung der etablierten Autoritäten und womöglich die Übertragung des Orts der Sündenvergebung vom Tempel zur Gemeinde verdeutlicht werden.149 Die im Evangelium angelegte eher ambivalente Funktionalisierung der Judasfigur erfährt in der christlichen Rezeptionsgeschichte – auch durch Anreicherung anderweitiger Charakterzeichnungen in den Evangelien und anderer Schriften – eine antijüdische Ausgestaltung. 150 Eine hermeneutische Reflexion der Judasfigur, die allein auf das Mt bezogen bleibt, legitim sein. Die Übernahme dieser scharfen Rhetorik in einen anderen Kontext markiert hingegen abermals den Registerwechsel von antipharisäischer Polemik zum Antijudaismus. 145 Es darf an dieser Stelle positiv vermerkt werden, dass es wenigstens einzelne Beispiele gibt, in denen Christen ihre jüdischen Mitmenschen als diejenigen erkannten, deren unschuldiges Blut nicht vergossen werden darf, wie die Geschehnisse in Le Chambon zeigen (vgl. hierzu HALLIE, Geschichte). 146 Ähnlich LIMBECK, Mt, 269. 147 Vgl. ZWIEP, Judas. 148 Vgl. LUZ, Mt IV, 252f. 149 Die Erzählung könnte demnach auch verdeutlichen, dass vom Tempel her keine Sündenvergebung mehr zu erwarten ist und es demnach keine Sündenvergebung jenseits der Gemeinde geben kann. Zu dieser Problematik s.u. Anm. 158. 150 Hervorzuheben ist sodann das unheilvolle Zusammenlesen von „Judas“ und „Jude“, welches im Nationalsozialismus im Ruf „Juda[s] verrecke!“ zur „Kampfansage […] zur Vernichtung des Judentums“ zugespitzt wurde (vgl. KÄSER-BRAUN, Judas, 21–23, hier 23). Ein solches Ineinander von „Jude“ und „Judas“ findet sich bereits in der frühen Kirche (vgl. ZWIEP, Judas, 79). In jüdischen Kreisen wurde auf diese Identifikation mitunter durch eine positive Umdeutung der Judasfigur reagiert, in welcher Judas als frommer Gegenspieler Jesu inszeniert wurde, wie dies bspw. im Toledot Jeschu der Fall ist (vgl. BAMMEL, Judas; SCHÄFER, Polemik, 49f.).
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scheint daher kaum möglich zu sein bzw. erschöpft sich im exegetischen Ergebnis, nämlich ihrer Funktionalisierung als „Prophet“. Neuere theologische Erwägungen zu Judas lassen sich aber auch an das Mt rückbinden. Neben verschiedenen Versuchen, den historischen Hintergrund des Judas zu erhel151 len, die allesamt mehr oder weniger gelungene Spekulationen darstellen, wird vor allem die heilstheologische Problematik herausgestellt: „Ohne Judas 152 kein Kreuz, ohne das Kreuz keine Erfüllung des Heilsplans“. Das Herausstellen der heilstheologischen Notwendigkeit des sogenannten „Verrats“ steht in gewisser Weise analog zur „prophetischen“ Funktionalisierung der Judasfigur im Mt. Das (historische) Faktum der „Überlieferung“ muss gedeutet werden und wird hierfür in einen größeren Zusammenhang gestellt. Mit Blick auf das Motiv des unschuldigen Blutes und die mt Judasfigur könnte hervorgehoben werden, dass Judas den radikalsten Zeugen der Unschuld Jesu darstellt. Das Scheitern seiner Intervention steht diesem Zeugnis nicht entgegen, sondern unterstreicht die neugewonnene Überzeugung im Angesicht des drohenden Todes Jesu zulasten der Autoritäten. Deren fatale Reaktion auf die Reue des Judas ließe sich – von Mt 23 her gelesen – vielleicht ebenfalls auf die Frage nach dem Handeln in der ecclesia übertragen. Der Tod des Judas gründet auch in deren Versagen als Sühneinstitution und – im übertragenen Sinne – deren mangelhafter seelsorgerlicher Kompetenz. Nach dem Mt ist der ecclesia die Vollmacht zur Vergebung der Sünden anvertraut. Judas mag sich in der historischen Fiktion an die falsche Sühneinstitution gewandt haben; doch die Rezeptionsgeschichte – und womöglich bereits Mt 26,24 – legt nicht unbedingt nahe, dass eine Hinwendung zur ecclesia erfolgreich gewesen wäre. Der unbarmherzige Umgang mit einem reuigen Sünder und die (indirekte) Verweigerung der Sündenvergebung stellt demnach kein Spezifikum der etablierten Autoritäten dar, sondern bildet auch eine Gefahr innerhalb der verfassten ecclesia. In gewisser Hinsicht perpetuiert die antijüdische Abrogation der Judasfigur im Christentum über Jahrhunderte hinweg dessen Abweisung durch die nicht-christusgläubigen Autoritäten des Evangeliums. Wer die Reue des Judas als „Judasreue“ wertet,153 untergräbt auch sein Zeugnis und damit das Bekenntnis zur Unschuld Jesu. Das tragische Geschick des Judas mag sich in dieser hermeneutischen 151 Vgl. exemplarisch DERRETT, Iscariot; HARRISON, Verräter; KLASSEN, Judas; KLAUCK, Jünger; MACCOBY, Judas; SCHWARZ, Jesus; VOGLER, Judas. 152 JENS, Fall, 8; vgl. ferner LUZ, Mt IV, 259f. Eine erste Tendenz einer solchen Umdeutung lässt sich wahrscheinlich bereits im gnostischen Judasevangelium beobachten, welchem allerdings ein anderer heilsgeschichtlicher Entwurf zugrunde liegt (vgl. hierzu BRANKAER, Evangelium). Eine umfassende theologische Deutung der (gesamtbiblischen) Judasfigur in ihrer Spannung zwischen Verrat und Mitwirkung findet sich bei Karl Barth an zentraler Stelle der Erlösungslehre (vgl. BARTH, KD II/2 §34.5; zur Darstellung vgl. KÄSER-BRAUN, Judas). 153 Vgl. LUZ, Mt IV, 234 mit Anm. 31.
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Perspektive auch als Warnung und Einschärfung des Primats der Barmherzigkeit verstehen lassen, an welchem (auch) die christlichen Kirchen immer 154 wieder scheitern. 5.5. Zu Mt 27,25 Die bisherigen Erwägungen führen mit Blick auf Mt 27,25 nur wenig überraschend dazu, dass aus hermeneutischer (!) Perspektive abermals zu erwägen ist, den Blutruf des Volkes mithilfe des Kelchworts (Mt 26,28) auszudeuten.155 In Folge des skizzierten (kaum zu vermeidenden) Registerwechsels kam es zu einer (vermeidbaren?) fatalen Rezeption des Verses, welche eine zeitlose Gültigkeit des Blutfluches behauptete. Es ist mit Blick auf die Forschungsgeschichte nachvollziehbar, dass dieser den Kommunikationsraum des Evangeliums überschreitenden und die Aussageintention verfälschenden Lesart eine andere entgegenzusetzen gesucht wurde, die wenigstens nicht per se antijüdisch ausgerichtet ist. Um Mt 27,25 mit Mt 26,28 verbinden zu können, ist es allerdings notwendig, dass dem Blut Jesu in Mt 26,28 eine sühnende Wirkung zugesprochen wird. Diese Annahme konnte zwar im mt Sprachgebrauch nicht überzeugen, allerdings könnte dieses Verständnis aus anderen frühchristlichen Schriften hinsichtlich der Deutung des Todes Jesu eingetragen werden (vgl. Hebr 9,12–22; Barn 5,1). Erst hierdurch lässt sich das Blut Jesu in einer sühnenden Funktion mit der Charakterisierung Jesu als unschuldiges Blut durch den Blutbegriff zusammenbringen. Dies hat eine Umdeutung des unschuldigen Blutes zur Folge, die weder vom traditionsgeschichtlichen Hintergrund noch vom mt Gebrauch abgesichert ist, aber eine Neudeutung der Blutthematik im Evangelium ermöglicht: Durch den Blutruf des Volkes käme das Blut Jesu nunmehr sühnend über das ganze Volk und entfaltet so auch für (das nicht-christusgläubige) Israel seine soteriologische Wirkung. In gewisser Hinsicht verlagert sich somit die Erfüllung von Mt 1,21
154 Dies gilt auch hinsichtlich der Anwendung der ethischen Forderungen im Mt, wie KONRADT, Mt, 300 anhand des radikalen Scheidungsverbots ausführt. 155 Im Gegensatz zu den bisherigen Überlegungen stellt das folgende Gedankenexperiment einen radikalen Bruch mit den exegetischen Erwägungen dar und ist demnach eine (hermeneutische) Lesart gegen das Mt resp. den rekonstruierten mt Kommunikationsraum. Den einzigen evangelischen Anknüpfungspunkt bildet der auffällige Gebrauch von ĮੈȝĮ in Zusammenstellung mit ਥțȤȦ, wobei diese ebenfalls gegen das Ergebnis aus V. in Stellung gebracht wird. Da ein solches Zusammenlesen allerdings, unter Ausklammerung der historischen Kritik, auf einer Rezipientenebene grundsätzlich möglich erscheint und bisweilen auch für die mt Kommunikationssituation erwogen wurde, scheint es angebracht zu sein, die Ausdeutung von Mt 27,24 im Lichte von Mt 26,28 unter den skizzierten hermeneutischen Gesichtspunkten zu reflektieren (vgl. HAYS, Gospels, 136).
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weg von Mt 26,28 hin zu Mt 27,25, wodurch auch IJઁȞ ȜĮઁȞ ĮIJȠ૨ und ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ zusammengebracht werden könnten. 156 Allerdings sind auch in dieser Umdeutung wenigstens zwei Schwierigkeiten auszumachen. Eine soteriologische Wirkung für ganz Israel setzt voraus, dass auch das ganze Volk das Blut Jesu über sich herabruft. Dementsprechend muss ʌ઼Ȣ ȜĮંȢ mit ganz Israel identifiziert werden. Ein Blick in die Forschungsgeschichte und frühchristliche Schriften zeigt, dass ein solches Verständnis möglich ist,157 allerdings muss damit auch die zuvor beobachtete Differenzierung Israels, vornehmlich in Autoritäten und Volksmengen, aufgegeben werden. Es ist gleichsam die Ironie dieser Auslegung, dass es erst diese dezidiert antijüdische (und eben nicht antipharisäische) Lesart ermöglicht, die Passage bewusst nicht antijüdisch zu lesen. Eine zweite Schwierigkeit ergibt sich auf der theologischen Metaebene. Das Heil für „die Juden“ bleibt mit Mt 26,28 an den soteriologisch wirksamen Tod Jesu und die Vergewisserung desselben im Abendmahl zurückgebunden. Das Volk Israel hat demnach Anteil an der Heilswirksamkeit des Todes Jesu, wobei sich das Heil nur in der ecclesia voll realisiert. Hierdurch wird zuvorderst die Substitutionstheorie zementiert. Das wahre Israel findet sich in der ecclesia, obgleich die Rettung des (nicht-christusgläubigen) Israels resp. dessen Nicht-Verwerfung ebenfalls im Kreuzestod Jesu gründet. Israel wird demnach nicht qua Israel und der bleibenden Verheißung an dasselbe gerettet, sondern nur durch das Heilshandeln Christi. In gewisser Hinsicht könnte man fast von einer erzwungenen Rettung sprechen, insofern die Ablehnung Jesu durch ganz Israel, welche sich nach dieser Lesart in der Kreuzigung Jesu zeigt, wiederum die Rettung von ganz Israel durch ebendiesen Kreuzestod nach sich zieht. Ein paradoxes Konstrukt. In letzter Konsequenz wird hierdurch das (nicht-christusgläubige) Judentum unter den Christusglauben subsumiert. Damit wird faktisch ein eigener Heilsweg für Israel negiert und die (ungewollte) Eingliederung in die ecclesia zu einer anderen Spielart eines Antijudaismus.158 Eine solche Lesart vermag zwar die Vorstellung einer Verwerfung Israels zu verunmöglichen, gleichwohl nur durch die Verabsolutierung des Heilshandelns Christi. Dies mag ein 156
In dieser Lesart ereignet sich folglich nicht nur eine objektive Heilsrealisierung, die Israel, im Falle einer subjektiven Aneignung, zugutekommen kann, sondern die Heilsaneignung zugunsten Israels erfolgt bereits durch den Blutruf im Narrativ des Mt. Ganz Israel ist demnach durch das sühnende Blut Jesu von seinen Sünden gerettet. 157 S.o. IV.1.; IV.4.3. 158 Eben hier liegt eine gewisse Parallele zur Judasperikope vor, sofern mit dieser ausgesagt werden soll, dass der Tempel als Sühneinstitution bereits für Judas abrogiert ist. Es gäbe für ihn als „Juden“ keine Möglichkeit der Sündenvergebung jenseits der Rückkehr in die Gemeinde. Ein solches Verständnis könnte auch im Mt einen Antijudaismus erkennen lassen, allerdings scheinen eher die Autoritäten im Versagen ihrer priesterlichen Funktion adressiert zu sein, weshalb hier ein Antipharisäismus zu vermuten ist.
6. Fazit
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konsequentes Weiterdenken der mt Christologie darstellen, hilft allerdings im jüdisch-christlichen Dialog nur bedingt weiter. Ein eigener Heilsweg, der in der bleibenden Erwählung gründet, bleibt Israel auch in dieser Lesart des Mt verwehrt und scheint als „Subsumierungstheorie“ nur einen marginalen Mehrwert zur Substitutionstheorie darstellen.159
6. Fazit 6. Fazit
In Anbetracht dieser Erwägungen bleibt es offenbar unerlässlich, das antijüdische Potenzial des Evangeliums mit Verweis auf die differenzierte Betrachtung Israels und die innerjüdische Kommunikationssituation als Antipharisäismus zu relativieren und hierdurch zu einer möglichst umfassenden Kritik des antijüdischen Potenzials des Evangeliums, welches sich in der Rezeptionsgeschichte niederschlägt, zu gelangen. Mit Blick auf das Motiv des unschuldigen Blutes bedarf es daher der Betonung, dass es sich hierbei um die Ausformulierung einer innerjüdischen Geschichtstheologie handelt, die das erfahrene Leid deutet und den etablierten Autoritäten anlastet. Die (heiden-)christliche Rezeption dieser Geschichtsdeutung führte (mitunter) zur Verwerfung Israels, was allerdings quer zum mt Kommunikationszusammenhang steht. Darüber hinaus ist anzufragen, ob eine derartige Geschichtslegitimation Jesu überhaupt eine sinnvolle theologische Kategorie darstellt. Wollte man diese aufrechterhalten, so käme man nicht umhin, sowohl Auschwitz als innerweltliches Gerichtshandeln Gottes zu verstehen als auch die Staatsgründung Israels als Widerlegung oder zumindest massive Anfrage der geschichtstheologischen Legitimation Jesu. Unter diesen Gesichtspunkten muss an der geschichtstheologischen Konzeption des Mt, die sich im Motiv des unschuldigen Blutes verdichtet, eine theologische Sachkritik anschließen. Es ist zwar nicht sinnvoll, dem mt Kreis hier einen Missbrauch der Geschichtstheologie zu unterstellen, insofern das Motiv in der innerjüdischen Kommunikationssituation durchaus eine schriftgemäße Deutung der Geschichte Israels darstellt. Es mag dem mt Kreis sogar zugute zu halten sein, dass er das Geschick Jesu als unschuldiges Blut in die Geschichte Israels eintragen (oder besser in dieser belassen) kann und die Kreuzigung Jesu eben nicht als Grenzmarker gegen Israel in Stellung bringt. Der Missbrauch dieser Geschichtsdeutung erfolgte allerdings durch die (heiden-)christliche Umdeutung dieser Konzeption, was grundsätzlich davor warnen sollte, diese Deutung aufrechtzuerhalten. Da es christlicher Theologie nicht zusteht, die jüdische Geschichte zu deuten, das Motiv des unschuldigen Blutes sich allerdings als innerjüdisches Geschichtsinterpretament erweist, sollte von einer Legitimation Jesu und der Deutung seines Todes durch das Motiv des 159
Diese Logik steht sodann auch konträr zu den pln Ausführungen in Röm 9–11.
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unschuldigen Blutes in der heutigen Theologie abgesehen werden.160 Am Ende gilt: Die mt Kommunikationssituation ist unwiderruflich verloren und es bedarf der theologischen Sachkritik, welche theologischen Einsichten des mt Kreises rezipierbar sind und welche nicht.161 Die Deutung des Todes Jesu als Vergießen unschuldigen Blutes kann letztlich nur denjenigen überzeugen, der unter Einkauf aller geschichtstheologischen Konsequenzen, davon überzeugt sein möchte.
160
Da das Motiv des unschuldigen Blutes in den Schriften Israels und auch im Mt derart stark in eine Geschichtsdynamik eingebunden ist, scheint es nicht statthaft zu sein, das Motiv allein in auf den Unschuldszeugen reduzierter Form zu tradieren. Die Unschuld Jesu wird durch das Motiv dadurch zum Ausdruck gebracht, dass das Geschichtsereignis der Eroberung Jerusalems und der Tempelzerstörung als Beweis instrumentalisiert werden. M.E. lässt sich diese Perspektive nicht von der Charakterisierung Jesu als unschuldiges Blut trennen. Zwar ist es sehr wohl möglich, den Tod Jesu als denjenigen eines Gerechten zu verstehen. Allerdings wäre es ratsam, diese Aussage auf anderweitige Belegstellen des Mt abzustützen – so bspw. auf das Zeugnis der Frau des Pilatus (Mt 27,19), welches jedoch partiell mit dem Motiv des unschuldigen Blutes korrespondiert, oder auf die intertextuelle Identifikation Jesu mit dem Psalmbeter aus Ps 22 als leidender Gerechter in Mt 27,46 (vgl. KONRADT, Mt, 444f.). 161 Ähnlich FRANKEMÖLLE, Antijudaismus, 106: „Die Christen aus den Völkern (wie wir) haben nicht das Recht, eine innerjüdische Polemik (wie sie im Matthäusevangelium vorliegt) theologisch zu perpetuieren. Aus heidenchristlicher Perspektive ist theologische Sachkritik gemäß der Metapher vom Balken und Splitter (Mt 7,3–5) an israelkritischen Texten des NT zu üben.“
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Stellenregister Im folgenden Stellenregister wurden hochgestellte Ziffern für Belege, die nur in den betreffenden Fußnoten belegt sind, verwendet. Ferner wurden Seitenzahlen kursiviert, wenn es bei mehreren Belegen eine Hauptstelle gibt.
1. Altes Testament (nach Septuaginta) Genesis 3–6 3 4 4,9f. 4,10 4,11 6 6,1–4 6,5–7 6,11 6,13 9,1–7 9,4 9,5 9,6 9,5f. 15,16 22,1–18 23,4–18 37,22 37,28 42,22 49,11 Exodus 4,24–26 7,19
8 89223 95, 96, 97, 300, 301, 303, 344 299164 96255, 287116, 300172, 301178 301178 96, 302 97 302 95 95 302 329319 46, 306 46, 78170, 99, 13685, 2647 93235 27560 5766 174302, 185 2646 174302 306199 48, 328318, 90225
26720, 320269 301178
7,21 9,12 12 12,8 12,39 19,6 20,5 20,22–23,23 21,12 21,14 21,17 21,32 22,18 22,21–23 23,7 23,8 24,3 24,6–8
24,7 24,8
24,9–11 30,10 32,20
301178 186366 26720, 320269, 321273, 364, 370 319262 319262 331325 27975 320270 46, 131 226 13160 174301 13160 13160 439, 36670 13053 250258, 320270 320–322, 327, 329f., 334341, 339366, 340 331, 340369 26720, 316247, 318258, 320f., 327, 328315, 329320, 332334, 337360, 340370 327 316249 336357
434 Levitikus 1,4 3,17 4 7,26f. 13,1–14,32 16 16,8 16,26f. 17 17,4 17,9 17,10–14 17,11 17,13 17,14 18 18,8 18,9 18,17 18,23 18,29 19 20,3–5 20,9–16 20,9 20,11–13 20,15 20,16 20,17 20,27 24,16 24,17 27,4 Numeri 16 16,22 27,16 27,17
Stellenregister
91 329319 26512, 26613, 26825, 316249 329319 113352 219, 26613, 327311 26512 316248 97260, 98268, 185364 13476, 26614 13476 329319 44, 97260, 267, 323290 26510, 296, 301178 44, 323290 13160 13160 13160 13160 13160 13160 26613 13476 45 13160, 242216, 243223, 245232 242216, 243223, 245232 13160 242216, 243223, 245232 13160 242216, 243223, 245232 159 131, 13685 174301
257289 93236 93236 176311
35 35,31f. 35,33
Deuteronomium 4,25–27 4,40 5,16 5,33 6,3 6,7 6,18 6,20–25 10,13 12–26 12,5 12,11 12,16 12,21 12,23 12,25 12,27 12,28 13,2–6 13,6 14,23 14,29 15,23 16,2 16,6 16,11 16,19 17,5 17,7 17,8 17,12 19 19,1–13 19,1 19,2 19,3 19,6 19,8 19,11–13
4624, 90224, 98268 46 45, 78171, 96, 13685
77161, 78166 77161, 78166, 79173 79173 79173 79173 77161 79173 5145 79173 58 115367 115367 47, 26510, 301178, 329319 115367 44, 47, 329319 79173 47 79173 257289 220130 115367 64101 47, 26510, 301178, 329319 115367 115367 115367 13053 13476 220130, 257289 47 220130 4624, 78171, 81, 301 76, 79176, 96257, 99 77 77 77 47 77 13685
Altes Testament 19,10
19,12 19,13
19,19 21 21,1–9
21,1 21,5 21,6 21,6f. 21,7 21,8f.
21,8 21,9 21,18–21 21,22f.
21,23 22,8 22,21f. 22,24 23,19 24,7 24,16 25,1–3 26,2 27f. 27
41, 43, 45, 47, 51f., 76, 77–79, 90225, 93, 99, 182350, 195, 257289, 2647, 2658, 26827, 367 47 41, 43, 47, 51f., 76, 77–79, 79176, 93, 182350, 195, 220130 89, 13685, 220130 155, 201 46, 76, 77161, 79, 79176, 96257, 155194, 213, 214–222, 236, 237–241, 252, 255f, 257289, 260, 344, 34611, 36134 80, 218119, 219 21388, 218119 21598 216107, 255 217, 222, 239203, 249252, 2646, 367 41, 43, 47, 51f., 76, 79f., 93, 99, 182350, 195, 219, 236, 257289 4833, 220130, 239205 84, 220130 115367 150–153, 153187, 155f., 194, 196407, 344, 346 80, 152f. 4732 220130 220130 168275, 179335 220130 27975, 324294 28 115367 220128 80, 101276, 154
27,15–26 27,15 27,16 27,17 27,19 27,20 27,21 27,22 27,23 27,24 27,25
27,26 28–30 28 28f. 28,58 28,63–65 29,21 30,19f. 32 32,11 32,14 32,35 32,42f. 32,43 Josua 2,19
6,26 Richter 4,21f. 9 9,24
435 131, 132, 13477, 250258 13160, 13578, 195404 13578 13578 13160, 13578 13160 13160 13160 13160 4624, 93, 131, 13578, 226 413, 43, 45, 4624, 47, 51f., 78169, 80f., 83195, 99, 124, 130, 13160, 131–136, 13578, 153, 153187, 155, 182350, 193396, 194, 196407, 197, 257288, 329, 344, 36670 81, 152 101276 75 80 81 81 46 75153 101276 311225 48, 328318 4624 48 4624, 93235
223140, 233187, 242, 243, 244, 245, 248, 344 149165
412 145 234190, 242, 243, 244, 245
436
Stellenregister
16 16,4–22 17
145 173300, 174302 195404
17 17,14 17,23
Ruth 2,12
311225
21 26,5
1. Samuel (1Reg) 16,8 17,49–51 19,4 19,5
20,12 25 25,26 25,31
26,20 31 2. Samuel (2Reg) 1 1,16 2,18–32 2,26f. 3 3,24f. 3,27 3,28 3,28f. 3,29
3,29f. 3,30 3,39 4,11 7 15,31–34 16,8 16,23
28 412 82 41, 43, 4836, 51f., 81, 82, 13369 28394 4624 41, 43, 51f., 81, 85f. 41, 43, 51f., 81, 85f., 2646, 2658, 26827 301178 145
26,5f. 1. Könige (3Reg) 2,5
2,8f. 2,31 2,31f. 2,32f. 2,32 2,33
2,37 145 242, 244, 245232, 245236, 246238 86 225 258 225 86, 225f. 223, 224142, 225, 235, 257 230, 246, 255, 344 230, 242, 243220, 244, 245, 246, 253274 235 225, 226155 228162 306199 87212 147 234190, 242, 244, 245, 306203 145, 147
2,44 15 16,29–34 18,28 19,2 22,17 22,35 2. Könige (4Reg) 9,7 21,16
23,26f. 24,3f. 24,4
145, 147f. 147 143135, 145, 147, 196407 154190, 216102 226, 227, 229169, 230, 231, 234, 236, 344 230
412, 45, 51, 81, 86f., 224142, 246237 (siehe auch 2Reg 26,5) 234190 228165, 2646 86211, 224142 235, 344 231, 242, 243220, 244, 245, 246 229f., 242, 243220, 244, 245, 246, 253274, 258 234190, 242, 244f. 234190, 242, 244f. 145 150165 2643 158f. 176311 2643
93235, 159222 41–43, 51f., 56– 59, 6077, 6181, 65108, 67117, 72139, 82190, 99, 189378, 220130, 2647, 2658, 26827, 305, 349 111328 66114, 71, 349 41–43, 4728, 51f., 56, 58f., 6077, 65108, 67117,
437
Altes Testament 72139, 82190, 99, 182350, 189378, 220130, 2647, 2658, 26827, 305 1. Chronik 4,23 22,8 28,3 2. Chronik 18,16 27,33 24,19 24,20–22
24,21 24,22 24,25 29,22 33 36,5dLXX
36,15f.
180337 91230, 2647, 301178 2647
176311 147 292, 300170 284, 285104, 289–294, 297f., 300, 344 28292, 291136, 303183 292139, 297, 300 298f., 300171 316249 5764 413, 43, 51f., 66114, 71f., 189378, 2647, 2658, 26827, 317249, 349 289125, 292140
Esra 9
53
Nehemia 5,15 9,26
174302, 185364 55
Esther 3,13eLXX 7,9f. 8,12eLXX
Judit 8,21 11,19 13,8f.
36138 88 413, 43, 51f., 81, 87–89
306199 176311 412
Tobit 3,10 4,17 13,12 1. Makkabäer 1–2 1,37
6,34 7,17 9,42 2. Makkabäer 1,8
145145 285101 13580
73 413, 43, 51f., 73f., 2647, 2658, 26827, 305197 328318 2647 93235
1,16 6,14f. 7 7,38 8,3f. 9,4 9,9 9,15 9,28 15,30–35
413, 43, 51f., 72f., 2647, 2658, 26827, 305197 412 27560 5456 324295 70133, 300172 183356, 189377 412, 165257 184356 412 412
4. Makkabäer 1,1 6,28f. 12,14 17,21f. 18
324295 324295, 336357 414 324295, 336357 287115
Psalmen 2,9 9,13 14(13),3 17,8 22 24,4 26,6 37,32f. 41,10 69 69,26 73,13
180337 306199 2647 311225 390160 21599 215 83195 148159 160f. 165257 215
438 79(78),3 79(78),10 94(93),21
97 106(105),38
109 118,22f. 118,25f. 118,26 130(129),8 Sprüche (Proverbien) 1,11 1,16 6,17
Hiob 16,18
Stellenregister 2647 2647 41, 43, 4836, 51f., 81, 83, 95251 83 41, 43, 51f., 5766, 60f., 220130, 2647, 2658, 26827, 301178, 305197, 349 160f. 307205 307205 311f. 106
36347 2647 41, 43, 51f., 61, 81, 84, 94243, 2647, 2658, 26827, 305195
Hosea 1,4 3,2 6,6 12,15
93235 174302 111f. 242, 244225, 264
Amos 2,7 4,1 5,7 5,12
13578 6292 13578 6292
Micha 2,1f. 3,10 4,1–8 5,1 5,3
13578 66115 114363 114365 114365
Joel 4,19
300172 4,21
Weisheit Salomos 2,1–10 4,19 15,7
28498 164 180337
Jesus Sirach 14,18 17,31 27,15 28,11 33,13 34,22 38,29 39,26 49,7 50,15
38161 38161 2647 2647 180337 2647 180337 48, 328318 280 26617, 328318
Psalmen Salomos 8,20 8,12f. 17,22–25
2647 317249 106304
Jona 1,14
41, 43, 4937, 51f., 69f., 93235, 182350, 223140, 2647, 2658, 26827, 301178, 305, 36978 70132, 93235
41, 43, 48, 51f., 81, 84, 99, 1192, 221134, 242, 243, 244, 245, 246, 248
Nahum 3,1
13578
Habakuk 2,6 2,9 2,12 2,19 2,20
13578 13578 66115, 13578 13578 113356
Zephanja 1,17 3,1
2647 13578
Sacharja 1,1 1,2–6 1,7 9–11 9,9 9,11 10,2 11,4–17
11,4 11,10f. 11,12 11,12f. 11,13
11,14 11,15–16 Jesaja 1,15 4,4 5 5,8 5,21–23 6,1–7 7 10,1 13,14 26,21 29,16 31,5 34,7 41,25 45,9f. 45,9 45,10 52,13–53,12 53,4 53,5 53,12 54,10 59,3
Altes Testament
439
59,7
41, 43, 51f., 61f., 94243, 2647, 305197 180339 114 301178 301178 180339
288, 291, 294 294, 295150 288, 294 321277 174, 321 316247, 318258, 320269, 321 176311 172–180, 185, 187, 191, 197, 344 183351 173 173, 175303, 184359 161, 173, 176 13684, 170, 176f., 180337, 186366, 190383, 193 173 173
45, 21598 28394 308207 13578 13578 327313 113 13578 176311 301178 180337 311225 301178 180337 180339 180337 13578 324294 324294, 336358 310 320, 323f., 327311, 336359 336359 317249
59,15f. 60,1–6 63,3 63,6 65,7f. Jeremia 2,8 2,23 2,26 2,34
2,35 4,9 5,31 7,1–8,3 7,1–15 7,2 7,3–11 7,3 7,4 7,6f. 7,6
7,7 7,11 7,12–15 7,13f. 7,14 7,31f. 7,31 7,32 7,34 8,1 10,21 11,19 11,21 12,10f. 13,13 15,10 17,18
28080, 28293 183355 28293 41, 43, 48, 51f., 58, 62f., 182350, 305197 62 28293 28293 63, 281 67 282 282 28292 282 219126 41, 43, 48, 51f., 58, 63f., 65f., 75, 182350, 2647, 2658, 26827, 282, 28292, 305197, 366 64, 219126 28187 282 311226 28292 183353 181343 64105, 183354 66111 28293 28080 28083 28083 28080 28293 28083 28083, 28396
440 18 18,2f. 18,3 18,4 18,6 18,18 19
19,1–13 19,1f. 19,1 19,2 19,3 19,4
19,5 19,6–9 19,6
19,7 19,10–13 19,11 19,12f. 19,13 19,14f. 20,1f. 20,2 20,7f. 20,10 20,11 21f. 22,3
22,5 22,6–9 22,13 22,17
Stellenregister 180f., 186f., 197, 344 180337 187370 180337 180337 28083 181–184, 185, 186f., 188, 190, 191387, 197f., 344 63, 64, 187370 65 180337, 182 181343 65, 182, 189 41, 43, 48, 51f., 57, 6077, 6181, 64f., 182350, 189, 190381, 191, 305197, 344, 369 57, 65107 65, 181 181343, 182, 183351, 188376, 189 183, 184356 65 183, 190 189 183353 182 28396 28083 28083 28083 28396 66114 41, 43, 48, 51f., 58, 64101, 65–67, 75, 182350, 2647, 2658, 26827, 350, 366 66f., 305197 66 13578 41, 43, 48, 51f., 58, 65–67, 94243, 182350, 2647,
22,19 22,20–23 23,1–4 25(32),3f. 25(32),8f. 25,11 25,34–36 26(33) 26(33),2–6 26(33),2 26(33),3–5 26(33),5f. 26(33),6 26(33),7–19 26(33),7–9 26(33),7f. 26(33),8 26(33),11 26(33),12 26(33),15
26(33),16 26(33),20–24 26(33),26 27,17 29,19 31,29f. 31(38),15 31(38),31–34
31(38),34 32(39) 32(39),1–5 32(39),2f.
2658, 26827, 350, 366 184356 67 28080 305197 305197 66111 28080 63, 99, 193, 281, 282 67 282 282 305197 282 28396 67 251267, 28293 28083, 28293 28083, 28291, 28293 251267 41, 43, 48, 51f., 65, 67f., 75, 81, 82191, 84, 182350, 193396, 219, 242, 243222, 244, 245, 246, 248, 251265, 282, 297161, 305197, 306203, 344–346, 369 28293 68120, 28498, 289125, 293143 285102 66111 305197 279 323 318258, 320, 322f., 324, 327311, 333, 339366, 342 327312 184–186, 186f., 188, 197, 344 185, 28396 28083
Altes Testament 32(39),6–15 32(39),9 32(39),10 32(39),15 32(39),32 32(39),42–44 33,1 37,1–38,28 37,15 38,6 39,1–10 44,2 44,6 44,22 46(26),10 48,10 50,6 51,35
Baruch 1,16 Klagelieder (Threni) 1 1,1 2 2,20 4,2 4,12 4,13
184, 187370 174302 184359 184, 185363, 186 28293 186 28083 28396 28083 28083 296 66111 66111 66111 48, 93235, 301178 48 28080 48, 70133, 242, 243222, 244, 245
28293
4,14 5,7
53 68123 53 69128, 297160 180337 68, 28293 7f., 425, 43, 28394, 48, 51f., 68f., 189378, 2647, 2658, 26827, 28293, 28394, 305f., 316249, 344, 350 48 27975
Ezechiel 3,18 3,20 9–11 11,22–25 14,19 16,38 18,2 18,10
306199 306199, 317249 311227 114, 311227 2647, 301178 93235, 2647 27975 2646
18,13 20 21,37 22 22,3 22,12f. 23,37 23,45 24,6 24,7
24,9 33,4 33,4f. 33,6 33,8 33,25 34,5 34,8 34,23 36,18 39,11–16 43,19f. Susanna 46
53 55 59 60 61f. 62
Daniel 1–6 9 9,27 11,31 12,11
441 242, 243223, 245 6181 301178 189378, 2647, 305197 28394, 2647, 28394, 305197 13160, 2647, 305197 45, 6181 45, 93235, 2642 28394 2647, 28394, 296, 298, 301178*, 305197 28394 246241 242, 243223, 245 306199 306199 2642 176311 176311 175306 2642 189377 316249 9, 99 51f., 223139, 233–235, 238200, 256, 344 90225 233, 235, 258, 344 233, 235, 258, 344 414, 89f. 258 414, 43, 51f. 81, 89f., 234, 236, 344
20856 53, 5456 311227, 312230 312230 312230
442
Stellenregister
2. Neues Testament Matthäusevangelium 1,1–17 1,1 1,10 1,19 1,21
1,23 2 2,1 2,3 2,4–6 2,4 2,6 2,11 2,13 2,16–18 2,16 2,18 2,20f. 3,2 3,6 3,7–10 3,7 3,8 3,11 3,15 4 4,5 4,6–8 4,15 4,17 4,24 5,3–12 5,5 5,10–12 5,11f. 5,12 5,17 5,17–19 5,17–20 5,20 5,21 5,44
83
19 , 105 105298 5764 20754, 20854 103, 106, 113355. 325, 331, 37290, 387 113, 114, 326 105302¸106303, 170282, 36774 114, 115 251, 310222 194400 2191, 125 107, 114365, 28080, 301179 114 239202 38163, 110 239202 323 301179 109, 279 108 110 275 109 109, 28079 20858 36774 115370 149163 301179 103291, 109, 279 1669 13580, 271 302179 28496 271 28396 30 31133 110 26, 31 300169 28496
6,12 6,14f. 7,3–5 7,5 7,15–23 7,15 7,29 8,1–4 8,17 8,25 9 9,1–8 9,6 9,8 9,9–13 9,13 9,20 9,21f. 9,26 9,31 9,32–34 9,36 10,4 10,6 10,7–15 10,7 10,15 10,17 10,18f. 10,22 10,23 10,34 10,41 11,2–6 11,2 11,9–14 11,16 11,19 11,24 11,29f. 12 12,3 12,4 12,5 12,7
332, 340, 341372 332 390161 383138 27113 25105, 176310, 303185 1985 113352 324294 108317, 12320 112 108 332 325 109 103291, 111 38161 108317 301179 301179 1458 176311, 28080, 374 12318 28080 110 109, 279 301179 1249, 28 1672 108317 28496 302179 20754, 304 108317 110 109, 304188 110332 109, 335349 301179 31 112 32138 311227 32138 111
Neues Testament 12,14 12,15 12,22–24 12,23f. 12,29 12,31 12,38–42 12,38f. 12,41 12,45 12,46 13 13,16 13,17 13,52 13,57 14,1–8 14,1–12 14,5 14,14–29 14,19 14,30 15,1–20 15,24 15,36 16,1–4 16,6 16,11f. 16,14 16,17 16,18 16,19 16,21–23 16,21 16,25 17,22f. 18,15 18,17 18,8f. 18,12f. 18,15–20 18,20 18,21–35 18,21 18,23–35 18,35 19,4
1459, 110, 12633, 21175, 239202 146149 1458 30129 324294 108 348 21275 109328, 110332 110332, 125 125 167 324294 20754, 304 19, 2191 304188 412 110 12531, 304188 38163 335349 108317 1667 109327, 28080 335349 21275, 348 28117 28117 280, 304188 38161 11, 106 341372 110, 126 103291, 12318, 251 108317 110, 12318, 126 128 11, 1672 13475 374 325 114358, 115 325, 341372 108317, 128 12944, 341 341 32138
19,18 19,25 20,2 20,17–19 20,17 20,18f. 20,13 20,22f. 20,28 21,1–11 21,2 21,4f. 21,5 21,7 21,9–11 21,9 21,10f. 21,10 21,11 21,13 21,16 21,18f. 21,19 21,23 21,24–27 21,26 21,28–22,14 21,28–32 21,29 21,32 21,33–45 21,34–39 21,35 21,41 21,42 21,43 21,45 21,46 22,1–14 22,1–7 22,3–6 22,3 22,6 22,7 22,12
443 300169 108317 174301 110 126 12318, 126 12216 335352 103291, 324294 281 174 174303 321 174303 314 278, 307205, 311229 251265 251, 310222 12531, 281, 304188 176, 311227 32138 281 253274 125 109, 110 281, 304188 307, 310 109, 110, 128 128, 175 128, 175 38163, 110, 308, 353, 366, 378112 281, 308 293140, 310220 28114, 308, 309 32138, 307205 250256 1459, 308 281, 304188 38163, 110, 308f. 111, 259294 281 308213 308, 310220 2296, 111, 195, 259294, 309 12216
444 22,31 22,40 23 23,2–12 23,1 23,2–7 23,3–7 23,4 23,7f. 23,8–12 23,8 23,13–39 23,13–36 23,13 23,21 23,27–36 23,27f. 23,29–39
23,29–36 23,29–33 23,29 23,30f. 23,31 23,32 23,33 23,34–36 23,34
23,34f. 23,35
23,35f.
Stellenregister 32138 281 26, 383–385 2090, 28120, 271 270, 281, 3459, 383 27139, 274 28117 31 122 27139, 383 29120 13580 269, 271 270 113 110 273f. 37, 195, 208, 283, 308, 315, 378112 295150, 358 186368, 274f., 285f. 20754, 279, 283, 28496 110, 271, 279, 283 192391, 300169 311, 359 312230 111, 198, 275– 277, 297, 307 1249, 19, 28, 110, 279, 283, 304187, 308, 311226, 359 200, 271 4, 6, 7, 8, 37, 38162, 20754, 255, 257288, 263, 268, 282, 28394, 28496, 291136, 292, 297161, 300169, 301, 302179, 303, 306, 318260, 329f., 338, 341f., 343f., 345, 346, 350 36347
23,36 23,37–24,2 23,37–39 23,37
23,38 23,39
24,1 24,2 24,3 24,11 24,13 24,15f. 24,15 24,20 24,22 24,24 24,30 24,34 24,51 25,31–45 25,46 26,1–27,66 26,3–5 26,3f. 26,3 26,4 26,5 26,6–12 26,14–16 26,14f. 26,15 26,17–19 26,20–25 26,21f. 26,23 26,24 26,25 26,26–29 26,26
110332, 311 111 277f., 279, 295150, 310, 346 251, 279, 283, 293140, 309, 310220, 311226 177, 28292, 311, 312232 307205, 311229, 312, 314239, 326306 177, 270, 311227 27033, 312230 27033, 312230 25105, 303185 108317 105302 311227 105302 108317 25105, 176310, 303185 326306 110332 383138 13580, 311229 20858 110 12633 1459 12528 239202, 247244 251 12213 121, 124, 129, 154 191388 124, 167, 173, 184359, 192390 319, 331 12318 123 164247 135, 386 122f. 38, 317, 326 334, 338, 372
Neues Testament 26,28
26,29 26,33–35 26,39 26,42 26,47 26,49 26,50 26,51 26,55 26,59 26,61 26,64 26,66 26,67f. 26,69–75 26,74 26,75 27,1–3 27,1 27,2 27,3–10
27,3–5 27,3
27,3f. 27,4
38, 108, 113355, 200, 254, 263, 268, 316, 318260, 323f., 327, 328315, 329320, 330, 332332, 337f., 340, 341, 343f., 386f. 326, 328313, 329318, 333337 127 335352 335352 249248 122 122 412 249248 12633 111 326306 239202 412, 222137 127 158 144137 130 12528, 12633, 239202 114, 205 30, 37, 119f., 154, 156, 160f., 167, 169, 179, 196–198, 199, 20118, 247, 260, 344f., 346, 347, 378112, 385–387 124, 153, 156, 182, 192 12112, 12318, 124, 126, 127, 128, 136, 167, 176, 177 20752 4, 6, 834, 37, 119, 128, 135, 155197, 156, 167, 193396, 194400, 213,
27,5
27,5f. 27,6 27,7 27,8–10 27,8 27,9f. 27,9 27,10 27,11–26 27,11–14 27,11f. 27,11 27,12 27,13 27,15 27,17f. 27,17 27,18 27,19 27,20–25 27,20 27,22 27,23f. 27,23 27,24–26 27,24f.
27,24
445 240f., 248, 252, 329, 343f., 345 129, 145, 146149, 148, 153, 167, 176, 177 133 13472, 157, 167, 176, 329321 162, 167, 176, 178, 190 167 163243, 167, 183, 187f., 191 167, 170f., 185 170283, 187, 344 167, 176, 178, 185366, 192390 37, 204, 238196, 378112 210 346 157, 205 324294 20646 205 205 246238, 252 206 20854, 259292, 338, 348, 390160 35026 133, 247, 248, 257289, 35026 246238, 249, 257289 516 210, 249253, 257289 199, 240f. 4, 6, 8, 10, 195, 201, 225149, 231, 235, 250, 251266, 255, 256, 258, 260, 307, 316, 325, 337–339, 343f., 345, 35025, 366 37160, 205, 21599, 216107, 223139,
446
27,25
27,26 27,27–31 27,27 27,29 27,34 27,37 27,38 27,40 27,42 27,46 27,49 27,51 27,53 27,62–66 27,62 27,63 27,64 28 28,10 28,11–15 28,11f. 28,15 28,16 28,18–20 28,19f. 28,19 28,20 Markusevangelium 1,4f. 1,4 1,12f. 1,21f. 1,22 2,1–12 2,15 3,19 6,14–29
Stellenregister 237, 248, 249253, 250, 252, 329f., 345 110332, 200, 235, 243, 246, 248, 249, 251265, 253, 254, 330, 346, 350, 35129, 353, 36135, 387–389 336355 412, 222137 157206 122 329318 109 324294 108317, 111 108317 390160 108317 113355 115370 348 1459, 348 257289 251, 35026 116372 115 154191, 348 125, 348 30129, 250256, 251266, 348 115, 124 340 338 109328 111, 326, 334341
108321 316248, 324, 328316 29123 29123 1985 108321 335349 121, 12318 38163
6,34 6,35–44 7,1–23 7,19 7,31 8,1–10 8,31 9,30–32 9,43–48 10,19 10,33f. 12,1–12 12,9 13,14 13,17 14,5 14,10f. 14,10 14,11 14,17–21 14,18–20 14,20 14,21 14,22–25 14,24 14,25 14,32 14,41 14,43–45 14,71 15,2 15,7 15,8 15,9 15,11 15,14 15,23 Lukasevangelium 1,5 1,77 3,1 3,3 3,19f. 4,16–20
176311 335349 1667, 27032 27, 30 109327 109327 12318 12318 163 300169 12318 38163, 308211 28114 2295 13579 174301 121, 173 121, 12318 173, 175303 12318 123 148159 121, 123, 13579 317–320 263, 316247, 324, 332332, 336358 326, 328313, 329318 164247 109322 121 159220 157 20641 205 206 206 516, 257289 329318
285104 108321, 316248, 324296 20220¸ 20535 108321, 316248, 324, 328316 38163 20
447
Neues Testament 5,11 5,17–26 5,28 6,6 6,20–26 6,22f. 7,36–50 9,7–9 11,4 11,37–54 11,43 11,44 11,46 11,47f. 11,49–51 11,50f. 11,50 11,51 13,1f. 13,34f. 14,1 14,12–15 14,15–24 14,33 16,9 18,20 18,22 19,38 19,41–44 20,9–19 20,16 20,19 20,20 21,12 22,1 22,3 22,19f. 22,20 22,22 22,44 22,47 23,4 23,14f. 23,22 23,34 23,47 24,33
164248 108321 164248 165 135, 27136 28496 108321 38163 108321 269f. 26930 273 26930 274 275f. 97258 2647 299164 20220, 20328 27351, 277 335349 335349 38163, 309 164248 164248 300169 164248 278 28186 38163 28114 308209 20535, 336357 28496 12528 1219, 149163, 165 317 316247, 323288, 328318 165257 413, 301178 316248 516 516 516 254280 164 115
24,47
108321, 110328, 115, 324296
Logienquelle Q (Verzählung nach Lukas) 6,22 1882 7,32 1882 10,10 1882 11,16–32 1882 11,39f. 274 11,43 274 11,44 273, 274 11,47–51 285 11,47f. 274 11,47 283 11,49–51 275f., 345 11,49 283 11,50f. 288, 307 11,50 1882, 263, 283, 301175, 302179, 306 11,51 287116, 292, 297161, 298164, 303183 13,34f. 277, 283, 310, 312231 Johannesevangelium 1,13 3,1 4,5 6,53–56 6,70f. 9,22 10,12 12,4–6 12,42 13,18 13,19 13,27 13,36 14,7 15,20 16,2 18,11 18,31 18,38 19,1–5 19,4 19,6
413 23100 164247 413 1219 28119 374 12213 28119 148159 326306 1219, 149163 27663 326306 28496 28119 335352 12633 516 412 516 516
448 19,31–34 19,34 20,24–27 21 21,18f. Apostelgeschichte 1,15–25 1,16 1,18 1,19 1,20 2,29f. 2,38 3,13 3,17 4,27 4,34 4,36f. 5,1–11 5,3 5,8 5,28 5,31 6,11–8,3 7,52 7,58f. 9,1f. 9,4f. 9,21f. 10,43 12,2 12,21–23 13,28 15,5 15,20 15,29 16,27 18,6
20,7 20,26 20,28 22,4
Stellenregister 412 4 412 158 27663
1205, 160f., 169, 196f. 165 163243, 164 163–167, 168, 184358 163, 165257 286110, 304186 316248, 328316 20220 236192 20220 164 164249 165 164, 165 164 4, 236192, 242, 243, 244225, 245 316248 1882 28396 27663 1774 28496 1774 316248 27663 165257 20220, 316248 23100, 26107 329319 329319 137 223140, 233187, 235192, 242, 244, 245232 1878 223140, 233187, 236192 413 28496
22,7f. 22,19 22,20 23,6 23,12 23,14 23,21 26,11 26,14f. 26,18 Römerbrief 3,16 5,9 8,23 9–11 9,3 11,25f11,26
28496 1249 4, 2646 1774 158 158 158 28496 28496 316248
11,31 13,9
2647 413 12111 35924, 389159 158 36246 312231, 314242, 339366 314242 300169
1. Korintherbrief 1,18 1,23 10,16 11,23–25 11,23 11,24 11,25 11,27 12,3 15,50
34817 34817 413 317 12111 336358 413, 316247 413 158 38161
2. Korintherbrief 7,8–10 11,24
12737 1249, 28
Galaterbrief 1,13 1,16 2 2,20 3,10–14 3,13
1774 38161 25103 12111 152 151–153
449
Neues Testament Epheserbrief 1,7 2,13 5,3 5,5 6,12
13
4 , 316 328316 413 12213 12213 38161
248
Philipperbrief 3,5f.
17
Kolosserbrief 1,14 1,20 3,5
316248 4, 301178 12213
,
74
1. Thessalonicherbrief 2,14–16 358–362 2,15f. 361, 36242 2,16 27560, 26138, 36246 4,2–8 36246 4,3–6 12213 1. Timotheusbrief 2,6 6,13
254 20220
2. Timotheusbrief
28496
Hebräerbrief 2,14 9,12–22 9,18–22 9,20 9,22 10,4 10,16–19 10,18 10,19 10,29 10,32–34 11,4 11,15 11,28 11,37
280
38161 413, 387 413, 328315 316247 26719, 316248, 328316 413, 316249 339366 316248 413, 2643 413, 316247 28496 287113, 300 339366 413 5762
13,4f. 13,11 13,20
317249 413, 254280, 299164, 300172 12213 413, 316249 413
Jakobusbrief 2,11 4,2 5,6
300169 300169 300169
1. Petrusbrief 1,2 1,19 2,12 3,14 3,16f. 4,12–17
413 413 28496 28496 28496 28496
2. Petrusbrief 2,14
12213
1. Johannesbrief 1,7 3,12 5,6 5,8
413, 316249 287113, 300 413 413
Judasbrief 1,11
9 13579
12,4 12,24
Johannesoffenbarung 1,5 5,9 6,10f. 6,10 8,7 12,11 14,13 16,3 16,4 16,6 17,6 18,24 19,2
413, 316249 413 97258 4, 70133, 93235 301178 413 326306 2643 2643 4, 2647 4 4, 301178 4, 93235, 300172, 301178
450
Stellenregister
3. Frühjüdische Schriften 3.1 Philo von Alexandrien De agricultura 21 De decalogo 36
I,81 301
De mutatione nominum Cainis 121 108317 300169
Quod deterius potiori insidiari soleat 32 287113 35–47 287114 69 299164, 301178 79 301178 100 301178 105 287113 121 287113 170 287113 178 300169 Quis rerum divinarum heres sit 185 2643 260 304193 Legatio ad Gaium 120–131 299–305 302
301178
178
28496 20220, 20327 20429
De praemiis et poenis 68
301178
Quaestiones in Exodum II,35 351272 Quaestiones in Genesin I,70 301178 De sacrificiis Abelis et Caini 14 287113 69 300172 79 300172 De somniis I,74
2647
De migratione Abrahami 13 287114
De specialibus legibus I,190 316248 I,200–211 91 I,204 42f., 51f., 81, 91f. IV,125 266
De vita Mosis I,314
De virtutibus 199
225150
301178
3.2 Josephus Antiquitates I,53 I,58 I,102 IV,222 V,306–317 VI,120f. VII,9–45 VII,228
287113 154190 329319 21598, 216100 174300 329319 232 148159
VII,229 VIII,13–16 VIII,361 IX,168f. IX,168 IX,169 IX,171 X,38
13685 232 2646 292137 289, 291133, 303183 300174 289, 291133 425, 56, 304f.193
451
Frühjüdische Schriften X,79f. X,89–96 XII,204 XIII,314f. XIII,380 XV,359 XVI,182 XVII,345–348 XVIII,2 XVIII,55–64 XVIII,55–59 XVIII,55 XVIII,60–62 XVIII,64 XVIII,85–89 XVIII,177 XIX,94 XX,135 XX,166 XX,200 XX,201
102281 102281 20855 2643 151182 317249 27455, 286109 20856 12633 20220 20327 205 20327 202, 36033 20220, 20328 20220 27, 2643 20855 114361 27663, 290131 1882
Bellum Judaicum I,82 II,111–113 II,117 II,166–177 II,169–174 II,175–177 II,175 II,254–258 II,314 II,539 II,561 III,351–354 III,361–382 III,361 III,363–365 III,369–379 III,376f.
2643 20856 12633 20220 20327 20327 177322 28496 20855 114361 1673 141120 152 141120 141 141 152
III,380 III,391 III,400 III,404 III,529 IV,72 IV,79f. IV,118 IV,150f. IV,201 IV,215 IV,313 IV,317 IV,334–344 IV,335 IV,339 IV,341 IV,343 IV,531f. V,15–20 V,19 V,100–105 V,104 V,355 V,412 V,459 VI,95–110 VI,109f. VI,121 VI,124–131 VI,299 VI,300–309 VII,368 VII,400
141 140115, 141120 141 141120 2643 2643 140115 414 188374 188374 188374 188 153186 289, 290 291 290133 290131 303183, 291133, 303183 27455, 286109 188 188 188374 414 414 114361 113356 188374 380120 188 380120 114361 290131 1673 140115
Vita 16 342 355
20855 20855 20855
3.3. Jüdisch-hellenistische Literatur Apokalypse Abrahams Aristeasbrief 90
305f.
21599, 216100
Ascensio Jesaiae 9,8
287
940
2643, 26826
452 Assumptio Mosis 6,3f. 2. Baruch/Syrische Baruchapokalypse 8,2 48,37 61,2 64,2 64,6
Stellenregister
284
96
102281, 380120 114361, 311227 426, 2657 426, 2657 42f., 51f., 57, 74f., 182350, 350 114361
4. Baruch/Paraleipomena Jeremiae 102281, 380120 9,31f. 28183 4. Esra
380120
Eupolemus Frag. 4
28083
1. (Äthiopischer) Henoch 6–11 6,4–6 7,4 7,5 7,6 8,4 9 9,1 9,2 9,7 9,9 12,5 13,2–4 22 22,5–7 22,7 22,12 47 47,1–4 47,1f. 47,2 47,4
9, 96 8, 70133, 95249, 96, 287116 158220 96255 329319 288116 96255 95249, 96 941, 52, 96, 2657, 301178, 306201 288116 427 52, 96, 301178 28496 316248 287116 70133, 287116, 300172 300169 300169 42, 300172 70133 427, 43, 52, 96255 2657 427, 43, 52, 96255, 97258, 306201
62 62,2 69,27f. 85,3f. 89f. 89,56 95,7
313f.232, 314 106304 106304 287114 5456 114361, 311227 28496
2. (Slawischer) Henoch 52 13580 Joseph und Aseneth 11,10–18 Jubiläenbuch 1,12 4,2 4,3 5,2 6,2 6,7–14 6,7–10 6,8 7,22–33 7,22–25 7,23–25 7,23 7,24f. 7,24 7,25 7,27–29 7,27 7,28–34 7,29 7,32f. 7,33 11,2–5 11,2 11,5 14,11 21,6–8 21,6 21,7 21,17–20 21,19f. 21,19 21,20
107310 9, 97 28396 287114 300172 97260 97260 329319 97260 2657 28 97 52, 2657 941 306201 301178 301178 2657 301178 329319 301178, 306201 2657 301178 97 2657, 301178, 306201, 329319 2657, 301178, 306201 2657, 26614 97264 329319 2657, 26614 97 13052, 2657 301178 97
453
Frühjüdische Schriften 23,20 23,23 29,11
98266, 2657, 301178 306201 98266, 2657, 301178, 306201 27560
Liber Antiquitatum Biblicarum (auch Ps-Philo) 9 1,22 941 2,1 941 2,10 941 3,1–4 941 3,3 27560 3,10 941 16,2f. 941, 287114 19,2 311227 26,13 27560 36,1 27560 41,1 27560 47,9 27560 62,5 941, 425*, 82191 Martyrium Jesajas 5,1
56
Mose-Apokalypse 2f. 2,2 3,1 40,4f.
287114 299164 300169 287114, 300169
Oratio Manassis 12–15
107310
Psalmen Salomos 8,12f. 8,20 17,22–25
317249 2647 106304
III,41–45 III,184–189 III,311–313 III,312 III,322 III,696 IV IV,136 V VIII,113 XII,237
Testament Abrahams A 13 287114 Testament Abrahams B 11 287114 11,2 287113 Vita Adae et Evae 23 Vitae Prophetarum 1,1 1,6 2,1 3,1 3,2 6,1 7,1 14,2 15,6 19,1 23
23,1 Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos) 2,10–20 28496 2,12 26876 4,19 164 15,7 180337 Sibyllinen I,156 II,73 III
23,2 Subscriptio 301178 300169 9
12213 12213 941, 70133, 2647 425 301178 301178 380120 414 380120 26617 2647
287114 284–286 56, 28498, 286112, 292140 286112 28183, 28498, 292140 292140 28498 28498, 292140 28498, 292140 286 286, 289 292140 291, 294f., 297160, 298f., 344 2646, 28394, 28498, 289, 291133, 291136, 292, 292140, 293142, 297161, 299164, 303183 293, 300174 293143
454 Testamente der Zwölf Patriarchen Levi 14,5f. 16f. 16,2 16,3
18,9 Juda 17,1 18,2–6 23,5 Issachar 5,4
Stellenregister
5353, 5456 12213 5456 74, 28496 42f., 51f., 74, 242, 243220, 244, 245, 305197, 306203, 36978 106304
12213 12213 12737
287
Sebulon 1,4 1,5 2,2
3,1–3 3,3 9,1–9
90 90 42f., 51f., 81, 90f., 1192, 2646, 2658, 26827 195403 168274 90
Dan 2,3 5,5–7
304193 12213
Gad
174302
Benjamin 3,8
316247
113
3.4 Qumran CD-A/Damaskusschrift i,19f. ii,8 iii,6 xii,6 1Q22 iv,2
9, 5456 95251 95251 95251 2647
266
ii,20
2647
4Q428 Fragm. 3 1
2646
4Q266 Fragm. 9 i,16
2647
4Q267 iii,1
2647
13
1QHa x,32f. xii,32 xii,8f.
264 28498 28498
4Q271 Fragm. 5 i,21
2647
1QM/Kriegsrolle vi,17
2647
4Q379 Fragm. 22 ii,13f.
2647
1QpHab xi,4–8
28498
4Q491 Fragm. 14_15,9
2647
6
4Q175 29
264
4Q219 ii ii,18
427, 2657 2647
7
4Q504 Frag. 3 ii Frag. 8 recto 14
94244 95246 5147 52, 94f., 2657
4Q505
94244
455
Rabbinisches Schrifttum 4Q506
94244
4Q525 Fragm. 13 3
2657
11QMelch ii,6–8
106304
4QpNah Fragm. 3–4 i,7
151182
11QT/Tempelrolle 29,8f. 32 53,5f. 63,7f. 64,6–9 64,7–13 64,9–11 64,11–13 64,12
113356 190380, 26826 329319 412, 43, 52, 94 153187 147151 153187 153187 151
4. Rabbinisches Schrifttum Birkat ham-mînîm
24101
Mischna Arakhin 9,4
176315
Joma 5,6
190380, 26826
Middot 3,2
26826
Pesachim 1,1–2,5 10,3–4 Sanhedrin 6,4 10,2
151 292137, 296, 297 5662 148159
Sevachim 4b 6a
328314 26719
Jerusalemer Talmud Berakhot 9,1
26106
262
319 331328
151 147151
Babylonischer Talmud Bava Batra 14b 289 Gittin 57b
Sanhedrin 46b 96b 103b 106b
292137, 296, 297, 298163
Jevamot 49b
5662
Joma 5a 38b
26719 297160
Ta‘anit 69,a 69a,65–69b,10 69a,71–73 69b,10–13 69b,13–27
292137 296, 297160, 299167, 303183 296 296155 296155
Mekhilta deRabbi Jishmaޏel Traktat Amalek 297160 Midrasch Echa Rabbati Proem. V Proem. XXIII I.16, §51 II.2, §4 II.20, §23 IV.13, §16
297160 296156 296156, 297159 297160 296156 297160 296156
456 Midrasch Qohelet Rabba III.16, §1 X.4, §1
Stellenregister
297160 296156 296156
Pesiqta deRav Kahana 297160 XV 296156
Targum Neophyti
151
Targum Onqelos zu Ex 24,8 zu Dtn 21,22f.
328315 151
Targum Pseudo-Jonathan zu Gen4 287114 zu Gen4,10 287116 zu Ex 24,8 328315
Sifra 4,10
26719
Sifre Devarim Pisqa 221
151, 152182
5. Antikes Christentum Augustinus De civitate Dei I,17 Barnabasbrief 5,11
1. Clemensbrief 4 7,4
13896
158219
27560, 316, 328316, 387
Dialogus cum Tryphone Judaeo 53,4 381125 108,2 34816 120,5 5662
287114 328316
Johannes Chrysostomos Adversus Judaeos 1777
Clemens Alexandrinus Paidagogos I.10.94.3 36347 Didache 7,1 8 10,5 14,1 16
1669 1669 1669 1878 1669
Eusebius Historia ecclesiastica III 1,2 IV 26,13f.
27663 36350
Irenaeus Adversus haereses I,26,2
Justinus Apologiae 1,31,6
Melito Peri Pascha 43 72 74 92–99 92 94 96 99
Martyrium des Polykarp 9 158219 Origenes De principiis 4.1.3
25
103
363–371 365 365 366, 367, 36876 364 366 364 364, 36565 364f., 36565, 367
381125
457
Inschriften Papiasfragmente 6
Petrusevangelium 1,1 5,17
120 , 164, 165257, 189380
23,3f. 23,3 24,2 24,3
297161 297161, 36347 297, 299, 303183 297161, 298
237195 27560
Thomasevangelium 12
304189
Tertullian Scorpiace VIII.3
298162
5
Protevangelium des Jakobus 14,1 36347 23f. 291134, 297, 298
6. Griechische und römische Autoren Aischylos Eumeniden 653 Cassius Dio Historia Romana 44,17,1 71,30,1 Cicero In Verrem Euripides Hercules 1161 Herodot Historiae I,35 Homer Ilias 6,43 11,179 Ovidius Fasti II,39f.
Plinius d.J. Epistulae 10,96
158219
Seneca d.J. De ira III,15
144141
411
Sophokles Ajas 654–656
21599
414
Tacitus Annales 15,44
20220
2644
20856 223140, 233187
De vita Iulii Agricolae 45 411 21599
164251 164251
Historiae 5,2f. 5,12
36138 114361, 26826
Vergilius Aeneis II,719
21599
21599
7. Inschriften CIJ 725 (= IJO Ach70–71)
42f., 51f., 81, 92f., 13264
Autorenregister Adam, Andrew K.M.…357, 372, 373, 374, 375, 377 Albl, Martin…370 Alkier, Stefan…33, 34, 106, 107f. Allison, Dale C.…6, 26, 123, 127, 129, 168, 169, 171, 205, 208, 272, 302, 309, 312, 313, 319, 326, 339 Angerstorfer, Ingeborg…364
Carter, Warren…5, 204, 205, 206, 207, 208, 238, 312, 314, 357, 376f. Chapman, David…88, 151f. Christ, Hieronymus…47, 265 Cohen, Akiva…12, 13, 22, 29, 292, 303 Cohick, Lynn H.…363, 369, 370 Collinet, Benedikt J.…60, 82 Crowe, Brandon D.…101
Backhaus, Knut…11, 334 Baillet, Maurice…94 Barrett, Charles K.…163, 164 Barth, Karl…190, 386 Bartsch, Anne…3 Baumgarten, Joseph M.…152 Becker, Hans-Jürgen…283 Bedenbender, Andreas…206, 211 Benoit, Pierre…178, 189, 190 Berges, Ulrich…69 Berghorn, Matthias…12, 13, 168, 190 Bergman, J.…44, 47, 329 Billerbeck, Paul…148, 297 Black, Mark C.…173 Blank, Josef…368, 370, 379 Bock, Darell L.…290 Bormann, Lukas…11, 13, 372 Bovon, François…135, 270 Brandscheidt, Renate…226 Braulik, Georg…50, 131 Braun, Christina von…1 Broer, Ingo…355 Broich, Ulrich…33 Brown, Raymond E.…147, 171, 240 Büchner, Dirk…267
Dahmen, Ulrich…70 Davies, W.D.… 6, 26, 123, 127, 129, 168, 169, 171, 205, 208, 272, 302, 309, 319, 326, 339 De Jonge, Marinus…54 Deines, Roland…382 Deissler, Alfons…175 Deissmann, Adolf…43, 93 Derrett, J. Duncan M.…197 Dietrich, Jan…45, 131, 132, 136f., 143, 145, 147, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 222 Dietrich, Walter…85, 86 Dillmann, August…9, 42, 265 Dobbeler, Stephanie von…72, 73 Doeve, Jan W.…193 Dohmen, Christoph…321, 327 Donaldson, Terence L.…357 Döpp, Heinz-Martin…7f., 9, 10, 33, 55, 380 Driver, Samuel R.…131 Dunn, James D.G.…22
Calabi, Francesca…91 Cargal, Timothy…8, 200, 237, 246f., 252, 254, 338 Carlston, Charles E.… 15, 23, 30
Eberhart, Christian…264, 265, 267, 319, 321, 327 Ebner, Martin…4, 27, 103, 270 Ego, Beate…151, 298 Evans, Craig A.… 15, 23, 30 Fiedler, Peter…209, 238, 279, 329
460
Autorenregister
Finnern, Sönke… 33, 34, 35, 36, 124, 126, 132 Fischer, Alexander A.…177, 328 Fischer, Georg…62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 182, 185, 321, 331 Fitzmyer, Joseph A.…288 Fleischer, Gunther…70 Flusser, David…371, 375 Foster, Paul…23 France, Richard T.…206, 209, 210 Frankemölle, Hubert…19, 200, 201, 250, 354, 369, 377, 378, 384, 390 Frevel, Christian…69 Frey, Johannes…180 Frey, Jörg…115 Gager, John G.…92, 93 Garbe, Gernot…110 Gass, Erasmus…58 Gielen, Marlis…36f., 132, 133, 205, 206, 208, 211, 212, 350 Giesebrecht, Friedrich…65 Gnilka, Joachim…6, 21, 155, 167, 169, 208, 210, 243, 323 Goßmann, Hans-Christoph…382 Groß, Walter…323 Gundry, Robert H.…133, 183, 288, 294 Gurtner, Daniel M.…42, 116, 177 Haacker, Klaus…247, 248, 253, 351f., 355, 361 Häfner, Gerd…109, 160 Hagner, Donald A.…106, 107, 125, 127, 179, 257, 314 Ham, Clay A.…177, 186 Hamilton, Catherine S.…7–9, 10, 33, 35, 43, 51, 70, 90, 95, 96, 97f., 183, 192, 199, 200, 233, 254, 269, 287, 295, 296, 297, 298, 316, 327, 332, 343f. Hartenstein, Friedhelm…45, 265, 267 Haug, Donatus…161 Hays, Richard B.…34, 387 Heid, Stefan…17 Heil, John P.…8, 168 Heininger, Bernhard…103 Hengel, Martin…162, 324 Hirschberg, Peter…381 Höffken, Peter…61 Hofmann, Dagmar…139, 141
Hoppe, Rudolf…360, 361, 362 Horn, Friedrich W.…203 Hossfeld, Frank-Lothar…60, 61, 83 Howell, David B.…11 Hugo, Philippe…224, 225, 226, 227, 228, 229 Jensen, Matthew…358 Jeremias, Joachim…176, 179 Kalimi, Isaac…289 Kampen, John…12, 13, 18, 373 Kampling, Rainer…248, 254, 362, 365, 378, 379 Kedar-Kopfstein, B.… 44, 47, 329 Keel, Othmar…183 Keener, Craig S.…195, 287 Kingsbury, Jack D.…104 Kipfer, Sara…228, 234 Klassen, William…127, 190 Klauck, Hans-Josef…155, 164, 166, 173, 185f., 192 Klostermann, August…162 Knauf, Ernst A.…173, 226 Knittel, Ann-Kathrin…64, 68, 282 Knowles, Michael…170, 181, 280, 322 Koch, Dietrich-Alex…16, 17, 20, 29 Koch, Klaus…45, 47, 231… Konradt, Matthias…11, 14, 18, 19, 25, 27, 30, 31, 38, 102, 105, 108, 109, 112, 113, 116, 123, 125, 146, 169, 172, 174, 176, 188, 207, 209, 210, 248, 249, 250, 251, 258, 270, 275, 276, 279, 282, 293, 302, 305, 308, 312, 314, 325, 326, 327, 331, 333, 351, 387 Kosmala, Hans…243, 257 Koster, Severin…15, 278 Kratz, Reinhard G.…35, 50, 370 Kretschmar, Georg…25 Küchler, Max…162, 189, 285, 298, 381 Kunczik, Michael…2 Lange, Armin…100, 336 Lau, Markus…215, 218, 221, 238, 239, 241, 245, 274, 286 Lehmeier, Karin…335 Leonhard, Clemens…364, 369 Leroy, Herbert…325 Levine, Amy-Jill…356, 357, 366, 369, 372, 373, 374, 375, 378
Autorenregister Lichtenberger, Hermann…332 Lieu, Judith…17, 376 Lim, Timothy H.…100, 101 Limbeck, Meinrad…155, 191 Lohfink, Norbert…50 Lohmeyer, Ernst…172 Löhr, Hermut…334 Luck, Ulrich…136, 249 Lundbom, Jack R.…62, 65, 66, 130 Lüthi, Kurt…135 Luz, Ulrich…11, 16, 17, 19, 23, 28, 29, 30, 102, 104, 106, 114, 122, 126, 127, 134, 147, 153, 160, 173, 175, 176, 186, 204, 206, 208, 239, 243, 250, 272, 276, 284, 302, 304, 309, 317, 319, 325, 334, 336, 341f. Maier, Johann…94, 95 Mares, Marie-Louise…3 Marguerat, Daniel…200 Markl, Dominik…321, 331 Marshall, Mary…309 McAfee Moss, Charlene…294f., 315 Meiser, Martin…121, 134, 165 Menken, Maarten J.J.…20, 157, 177, 178, 184, 186, 280, 323 Merkel, Helmut…159 Merz, Annette…4, 126, 129 Moffitt, David M.…7f. Montefiore, Claude G.…199 Moo, Douglas J.…131, 176, 191 Morgenstern, Matthias…26 Mußner, Franz…254 Naumann, Thomas…287 Nickelsburg, George W.E.…306 Nicklas, Tobias…25, 366, 376 Nirenberg, David…362 Nolland, John…133, 136, 154, 209, 257, 289, 313, 321, 322, 336 Nortje, L.…136 Noth, Martin…86 Öhler, Markus…16f., 22, 166 Ostmeyer, Karl-Heinrich…93, 95 Otto, Eckart…78, 79, 132, 150 Overman, J.A.…12, 23, 25 Oz, Amos…121
461
Paul, Dagmar…225 Peels, H.G.L.…301 Piotrowski, Nicholas G.…54, 105, 106, 107 Popa, Romeo…125, 200, 251 Poplutz, Uta…272, 279 Porter, Stanley E.…35, 235 Portier-Young, Anathea E.…237 Powell, Mark A.…103, 104 Ratzinger, Joseph…211 Reed, David A.…144, 156 Reinbold, Wolfgang…203, 204, 253 Reis, David. M.…35 Repschinski, Boris…106, 114 Rexeis, Elisabeth…329, 335 Robertson, Jesse E.…164 Rölver, Olaf…294 Roose, Hanna…360 Rose, Martin…76, 77, 78, 79, 80 Rothfuchs, Wilhelm…15, 170, 179 Rüggemeier, Jan…33, 34, 35, 36, 124, 126, 132 Runesson, Anders…18, 23, 24, 115 Saldarini, Anthony J.…11, 12, 17, 27, 28, 270, 278 Sand, Alexander…278, 302, 319, 336 Sanders, E.P.…340 Schaefer, Christoph…51 Schäfer, Peter…24, 356 Schaper, Joachim…75 Schmauch, Werner…172 Schmid, Konrad…49, 59f., 70, 76, 349 Schmithals, Walter…270, 290 Schnelle, Udo…11, 16, 25, 26 Schott, Martin…176 Schottroff, Willy…131, 134, 135 Schreckenberg, Heinz…368 Schroer, Silvia…225, 228 Schröter, Jens…152, 317, 324, 333, 335 Schumacher, Thomas…116 Schwartz, Daniel R.…21 Schweizer, Eduard…237, 304 Schwemer, Anna M.…284, 291 Senior, Donald…146, 171, 172, 177, 179, 196 Sim, David C.…17, 25 Simmonds, Andrew…238, 239, 272, 328
462
Autorenregister
Smelik, Klaas A.D.…49, 58 Steck, Odil H.…51, 53, 54, 72, 74, 111, 283 Stegemann, Ekkehard W.…362 Stegemann, Wolfgang…203 Steiner, Till M.…226, 227, 228, 230 Stendahl, Krister…13 Steymans, Hans U.…195 Stökl Ben Ezra, Daniel…35 Strack, Hermann L.…148, 297 Stratomeier, Hermann-Josef…319, 327, 336 Strecker, Georg…11, 249, 250 Swobada, Sören…2, 141 Theißen, Gerd…4, 126, 129, 149, 246 Theobald, Michael…308, 317 Thoma, Clemens…379 Tiwald, Markus…15, 110, 310, 312 Tkacz, Catherine B.…89 Trilling, Wolfgang…11, 14 Tuckett, Christopher M.…359 Utzschneider, Helmut…268 Van der Kwaak, H.…313 Van Hooff, Anton J.…, 138, 140, 143, 156 Van Keulen, Percy…58 Van Tilborg, Sjef…174, 175, 188 Van Unnik, Willem C.…146, 148, 154 vanderKam, James C.…9, 306 Viviano, Benedict T.…20, 30 Vogel, Manuel…25, 331 Vollenweider, Samuel…373
Vonach, Andreas…183 Walker, Rolf…191 Wanke, Gunther…180, 185 Warmuth, G.…48f., 65 Weaver, Dorothy J.…136, 155, 207, 212, 240 Weidemann, Hans-Ulrich…12, 321, 327 Weigold, Matthias…100, 336 Weimar, Peter…84 Weinfeld, Moshe…48 Weiß, Hans-Friedrich…21, 361, 372 Weitzman, Steven…142 Wellhausen, Julius…178 Wengst, Klaus…340 Werlitz, Jürgen…228 Wettlaufer, Ryan D.…223 Whelan, Caroline F.…138, 143, 191 Wick, Peter…172, 175f., 191, 193, 362 Winkle, Ross E.…281, 282 Winkler, Ulrich…382 Wolff, Hans W.…69f. Wolter, Michael…269, 293 Wrede, William…122 Wright, N.T.…102, 105, 108, 135 Yadin, Yigael…190 Zahn, Theodor…157 Zamfir, Korinna…192, 305 Zenger, Erich…60, 61, 83 Ziethe, Carolin…5, 20, 36, 114 Zipfel, Astrid…2 Zwiep, Arie W.…163, 385
Sachregister Abel…9, 97, 287–289, 299–303, 315, 329, 345 Abendmahl…123, 316–320, 324–326, 327–337, 339, 343, 388 – Einsetzungsworte…316–324, 334f. – Kelchwort…112, 327–337, 387–389 Abraham…97f., 106f., 372f. Ahitofel…145–148 Acker…164f., 168, 184–186, 189f. – Blut~…160–163, 167f., 169, 179f., 182–184, 187–191, 195–197, 330f., 347 – Landgut…160f., 163–167, 169, 187f. – Töpfer~…160, 167f., 171, 176, 179f., 183f., 187, 190 Antiochia…16f. Antijudaismus…8, 14, 238, 248, 353– 358, 361–363, 364–366, 368–371, 372–379, 382–389 Antipharisäismus…361f., 371–377, 379, 383–385, 388f. Apokalyptik…53, 94–98, 314, 326 Apologetik…14, 32, 307, 338f., 347–349 Aposteldekret…17, 31 Apostelgeschichte…22, 158, 161–167, 169, 188–190, 197, 236, 255 Asyl/-stätte…76–79, 228 Ätiologie…161, 183, 191, 200, 250, 319, 335 Autoritäten…13f., 30, 38, 103, 110, 123, 124–126, 128, 130, 133, 144, 156f., 175f., 179, 182, 185, 191f., 195–198, 206f., 209–214, 236, 239–241, 243, 246f., 251f., 260f., 270–273, 282f., 302, 307–314, 348–351, 353, 361, 369, 371, 377, 379, 385f., 389 – Älteste…13f., 89, 110, 124–126, 128, 132, 133, 153f., 156f., 159, 167, 176, 179, 181f., 190f., 193, 194–196, 199,
–
–
– –
206f., 210–214, 216f., 221f., 224, 233–237, 239–241, 249, 251f., 257f., 308, 338, 346–348, 350f. Hohepriester…13, 14, 21, 110, 124– 126, 128f., 132, 133–136, 146, 149, 153–157, 159, 167f., 176–179, 181f., 185f., 190–192, 194–196, 197, 199, 206f., 210–214, 239, 241, 249, 251f., 257, 308, 329, 338, 346–348, 350f., 367 Pharisäer…11–15, 17–19, 21, 23– 28, 30–33, 110, 112f., 126, 128, 146, 194, 196, 211, 239, 270f., 273f., 278f., 282, 295, 307–309, 338, 345, 348, 350f., 360f., 370–372, 374, 377, 383f. Sadduzäer…110, 307, 372 Schriftgelehrte…100, 13, 19–21, 26, 28, 31f., 124–126, 194, 270f., 273f., 278f., 282, 295, 307–309, 338, 345, 350–352, 360f., 367, 372, 383
Barmherzigkeit…12, 26, 31, 90f., 111f., 341, 386f. Bestechung/Korruption…91f., 122, 123, 125, 130f., 135f., 154, 155, 168, 173, 212, 217 Bestattung…66, 146, 148, 150 – Friedhof…160, 162, 181, 183f., 185f., 188f., 190, 198, 329 152f., 156, 183f. – Grab/Grabmal…92f., 162f., 186, 274, 279, 284–286 – Massengrab…162, 181, 183f., 188f. Blut…1f.,4f., 33, 38, 42, 44–48, 99, 130, 199, 227, 234, 254, 264f., 267f., 323, 328, 332, 336, 341f. – ~ auf die Erde…8–10, 45, 79f., 95– 98, 188–191, 275, 283, 301–303, 306 – ~ im Tempel…7f., 188f., 260, 276, 282, 288–292, 296–298, 303
464
Sachregister
– ~ in der Stadt…65, 70f., 189, 282f. – ~ Jesu… 2, 4, 37f., 161, 169, 191, 235, 239, 241, 243, 246, 248, 252, 254f., 257–259, 299, 302, 316, 318, 321, 325, 327, 329f., 332, 336f., 343, 351, 387f. – ~entsorgung…265–268, 303, 320 – ~forderung…93, 97, 306 – ~geld…134, 160, 168, 177, 179, 185f., 194f., 330 – ~metaphorik…47f., 328 – ~rache/-rächer…84 227, 231, 300 – ~ritus…264–268, 320–322, 327–332 – ~ruf…37, 199–201, 204, 239, 242f., 245, 247f., 252, 287f., 316, 330, 337– 339, 346, 350, 377, 387f. – ~schande…45, 242f., 244 – ~schuld…7, 45–47, 60, 76–80, 82, 84–87, 90, 132f., 168, 191, 194, 214, 216–222, 224f., 227–235, 239, 244– 248, 252–254, 256, 258f., 351 – ~sphäre…45f., 80, 132f., 191, 195, 214, 216, 218, 221, 229–231, 235, 244f., 337, 342 – ~tilger…228–233, 236, 253, 258–261, 346 – ~vergießen…1–4, 9, 38f., 42, 44–46, 48, 52, 56–61, 63–75, 77–79, 81f., 85–91, 93–95, 99, 117, 130, 133, 154, 168, 181f., 191, 194f., 208f., 214, 217, 219–222, 225–229, 231, 233– 235, 245f., 251, 256, 260f., 263–268, 282f., 288, 292f., 296f., 301–307, 313–315, 316–319, 323, 327–329, 332f., 336f., 339–342, 343–350, 366– 369, 379, 385, 387, 390 – Bundes~…316, 318–323, 325, 327– 336, 339f., 343f. – Kriegs~…86, 226f. – Tier~…97, 188, 264–268, 296, 303 – unschuldiges ~…5–10, 14, 33–38, 41–46, 47–49, 51–53, 55–100, 117f., 119f., 129–133, 154–156, 168f., 181f., 185, 189–191, 193–195, 197f., 199, 208f., 213, 219–223, 226f., 231, 233–237, 241, 243, 246, 248, 251f., 254–261, 263–265, 268f., 275–277, 282f., 288, 296–305, 307, 310, 315, 316, 318, 329, 338, 341f., 343–352,
353, 357, 363, 365–369, 371, 378f., 381f., 384–387, 389f. Bund…63, 75f., 106, 173, 220, 267, 318, 320–322, 325–342, 380 – neuer Bund…318, 322f., 326, 332– 334, 337–342, 344, 372f. Buße…108–110., 127–129, 165, 295, 313, 328, 373, 385–387 – Umkehr…18, 53–55, 62f., 71, 98, 109f., 134, 279, 294f., 313, 347, 373f., 376 christusgläubige Juden…12–15, 17–33, 276, 290, 314, 337, 349–352, 358– 362, 370f., 371–379 Damaskus…16f., 22 David…81f., 85–87, 105, 107, 114, 133, 147f., 223–235, 244, 253, 258f., 344 Deuteronomismus…7, 47–51, 54f., 60f., 67, 71f., 76, 99–101, 106, 117, 155, 198, 218f., 220, 232, 245, 261, 298f., 344f., 349 – dtrGB…51, 52–56, 61, 64, 72, 75, 98–100, 104–116, 117f., 309f., 344– 347, 365, 373, 376 – dtrPA…18, 52–55, 56f., 59, 74, 116, 192, 275–280, 283f., 286, 288, 303– 310, 311, 339, 344–347, 353, 360 Entstehungsgeschichte…5, 11–33 Erfüllung…14f., 19f., 30–32, 103, 113, 170, 325, 372, 387f. Exil…54, 58f., 60–62, 67, 71f., 75–77, 90f., 99f., 104–109, 114–116, 117f., 184–186, 220, 252f., 321, 331, 348f., 381f. Fluch…46, 50, 75–77, 80f., 92f., 130, 131–136, 149–157, 158f., 192, 194– 197, 220, 228, 230, 232, 234, 244, 246–248, 257 – Bewahrung vor ~…150, 154f. Flucht…20, 22f., 26, 105, 146 Flut…8f., 51, 94–98, 306, 353 Fremdvölkersprüche…98, 259–261, 309, 369 Frühjudentum…3, 11f., 14, 16–19, 22– 26, 30f., 35, 50f., 73, 88, 100, 105,
Sachregister 107, 113, 115, 117, 122, 129, 188, 237, 239, 251, 257, 283–286, 288, 293, 314, 331, 334–336, 351f., 357, 359f., 370–375, 378f. Gebote…51, 77, 80, 87, 90, 129, 131, 155f., 331, 334, 340, 372 – Blutgenussverbot…44, 47, 97, 329 – Dekalog…138, 300 – Liebes~…31, 112 – Reinheits~…112, 271f. – Sabbat~…12, 112, 211 – Todesstrafe…131, 149 – Tötungsverbot…78f., 84, 85f., 97, 138 Gehorsam…113, 334, 340 Geld…46, 85, 119, 124, 130, 133f., 136, 154, 157, 164, 168–171, 173–180, 184f., 187, 189, 192–195, 197f., 212, 217, 329f., 347 – Blut~…160, 168, 177, 179, 185f., 194f., 330 Gemeinde (matthäische)…10–33, 104– 107, 114–116, 129, 146, 196f., 224, 261, 307, 313f., 317–320, 323, 325, 326, 332f., 341, 350f., 356f., 368, 371–373, 376, 385 Gerechtigkeit…3, 31, 49, 65, 76, 83, 130, 186, 207f., 228 Gericht…9, 53–56, 59–68, 70, 71–75, 80, 83f., 99f., 111, 114, 117, 131, 173, 180–182, 185f., 187, 191–195, 198, 200f., 235, 244, 253f., 257, 268– 273, 275, 279, 282f., 296f., 299, 300f., 307, 310–315, 321, 330, 335, 346f. 349–351, 362, 364–369, 385, 389 – End~…135, 236, 244, 277, 312–314 – Selbst~…136, 149, 153, 156, 194 Gerichtsbarkeit…126, 129f., 131, 207f., 210, 222, 226, 233, 247, 290f. Geschichtsdeutung/Geschichtstheologie…10, 49–51, 54, 70f., 75– 77, 87, 99f., 117, 155, 186f., 198, 219f., 255, 260f., 269, 299, 306–309, 315, 339, 341, 345, 347–352, 365– 367, 371, 379–383, 389f. Gewalt…1–5, 43–45, 55, 65, 78, 95, 192, 264–268, 308, 318, 339, 341
465
(Christus-)Glaube…18, 21f., 25–32, 314, 351f., 358, 364, 370–379, 380, 382, 388 Habgier…122,f. 129f., 165f., 174, 355f., 385 Handwaschung…212, 214–217, 236, 237–241, 255f., 366 Heiden…(s. Völker) Heil…313, 337–339 Herodes…13, 106, 110, 125, 140, 146, 239, 274, 285, 297 Hinnomtal…162f., 181–184, 189f., 285 Hirtenmotiv…31, 172–176, 250, 280, 321f., 333, 374 Identitätsmarker…15, 26, 73f.,75f. Immanuel…113–115, 326, 333 Intertextualität…6–10, 33–36, 98, 100– 102, 344–347 Israel/Gottesvolk…3, 14, 19, 27f., 32, 38, 45, 51, 53–55, 59, 60–63, 65, 67f., 69–75, 77–83, 89f., 94, 98–101, 103– 110, 116f., 127, 130, 153, 167, 170f., 173, 176, 180–182, 185, 193, 196, 200f., 204f., 214, 218–222, 239, 248– 252, 254–258, 260, 280, 292f., 296, 302f., 308–314, 320–323, 325, 327– 331, 333, 337–340, 347–352, 353, 357, 359, 361f., 364–377, 380–382, 387–390 – Land Israel…12f.,51f., 60f., 63f., 67, 75, 77–82, 96, 99f., 117, 155f., 185f., 195f., 214, 216, 219–222, 248, 256, 301–303, 346–349, 381f. – Sendung zu Israel…13, 16, 18, 103, 106, 109, 302, 313, 325, 336f., 373 – Verwerfung Israels…200f., 248, 250, 362, 365f., 388f. Jeremia…62–68, 101f., 180–186, 193, 219, 251f., 280–283, 322f. Jerusalem…65, 71, 106, 112–116, 183, 203, 251, 270, 277f., 279, 281f., 285f., 289, 296, 298, 305, 310–314, 351f. – Bevölkerung ~…200f., 251–253, 256, 259f., 337–339, 346, 350f. – Eroberung ~s (s. auch Tempelzerstörung)…7, 9, 22, 49, 104, 116f., 188–
466
Sachregister
191, 195f., 253, 259–261, 307, 309f., 315, 346–352, 364f., 380, 382, 390 Jesus…1f., 4–6, 9f., 13f., 16, 18, 22, 27, 29–31, 36–38, 102–118, 121–129, 132–136, 146, 153f., 164, 191, 193f., 196, 198, 203–211, 222, 236–239, 246–248, 252–261, 270f., 276, 290, 295, 302, 307f., 311–314, 316–319, 325f., 331–341, 344–352, 357, 361, 365, 367f., 370, 372f., 375f., 380– 382, 389f. – Auferstehung…4f., 30, 102, 314, 343, 348, 350 – Christus/Messias…4f., 105, 107f., 110, 114–116, 125, 133, 147, 158f., 194, 205–207, 246, 250, 311–314, 334, 367, 375f., 388f. – Davidssohn…105, 107, 114, 147, 190, 311, 351 – Gottessohn…102, 113, 146, 351 – König…4f., 29, 125, 207, 246 – Kreuzigung…4, 126, 151f., 222, 247f., 253, 261, 276, 318, 336, 339, 346–349, 352, 366, 388f. – Menschensohn…13, 18, 102, 126, 302, 325 – Passion…1, 4, 7, 36f., 38, 103f., 125, 147, 197, 260, 335 – Prophet…207f., 251, 257, 271, 280– 283, 304, 315, 326, 339, 381 Tod…196, 238f., 258, 339, 359, 365 – Todesurteil…125f., 127f., 136, 207, 211, 239, 257 – Unschuld…4, 6, 133, 136, 207f., 211, 222, 246f., 260, 339, 347–349, 386, 390 Johannes (Evangelium)…4, 28, 104, 121f., 158, 189, 197, 203, 222, 253, 281, 319, 370 Johannes (Täufer)…4, 38, 108–112, 125, 280, 304, 324f., 328 Joseph…90, 107, 168, 174 Judas…36f., 120–136, 143f., 146, 148f., 152, 153–159, 165–168, 175–179, 191–198, 207, 213, 240f., 344–347, 350, 355, 377, 385f. Juden…(s. Frühjudentum) Judenchristentum…(s. christusgläubige Juden)
Jüdisch-römischer Krieg…3, 14, 105, 141, 188f., 195, 197f., 259, 261, 268, 289f., 311f. Jünger…103f., 109–112, 115, 121–124, 128f., 166, 211, 248, 251, 270f., 276, 302, 308, 319, 326, 334, 338, 345, 351, 383 Kanon…5, 34f., 289f., 293f., 356, 363 Kataklysmus…(s. Reinigung) Katastrophe…55, 59, 116, 118, 195f., 246, 198, 348–350, 379 Kidrontal…190, 234, 285f., 291 Kirche…107, 200, 248, 254, 308, 326, 353f., 359, 365, 372, 376, 378f., 383– 388 Kommunikationssituation/-raum…5, 21, 27, 31–37, 100–102, 196, 237f., 241, 276, 338f., 347f., 352 Konflikt…12–16, 21f., 23–28, 32, 103f., 110f., 125, 129, 194, 203–205, 209, 213, 259, 338f., 351, 358–361, 374, 383 Kopfformel…46, 48, 225, 228–231, 233– 236, 242–258, 260, 306f., 337, 342, 344, 346 Land…9, 45, 48, 51f., 60f., 63f., 66f., 75–81, 85, 89, 96–98, 99f., 110, 117, 150, 155f., 184–186, 188–191, 194– 196, 214–216, 219–222, 248, 252f., 256, 301–303, 315, 346–349, 381f. Leidensankündigung…123, 126f. Logienquelle…19, 23, 27, 29, 269, 273– 278, 283, 290, 299, 301 Lukas…4, 28, 104,106, 108, 121, 135, 158, 162–167, 169, 197, 236, 250, 269f., 273–278, 284, 288, 292, 304, 310, 317f., 322, 324, 359 Makarismen…135, 271 Markus…4, 15f., 19, 27–32, 108f., 114, 116, 157, 170, 189, 197, 238, 317– 319 Messias/Messianismus…4f., 19, 105– 108, 110, 114, 125, 133, 147, 194, 205, 250, 311, 313, 367 Mission…16–19, 22, 25f., 103, 115f., 238, 311, 313f., 351, 372f.
Sachregister Missionare…110, 304, 308, 360 Motiv…5–10, 14f., 18, 33–39, 43f., 47– 51, 55–101, 106–118, 121f., 124, 125, 131, 132, 143f., 153, 159, 164f., 167, 172f., 175, 176, 180, 186, 197f., 208, 247, 259f., 264f., 268f., 271, 272, 274, 278f., 280f., 283f., 287, 297f., 299f., 302, 303–307, 309, 311, 315, 318, 322, 324f., 326, 331, 335f., 339, 341, 343–347, 349, 351f., 353, 355, 366f., 369, 371, 378, 382, 385, 389f. Opfer…4, 57, 91f., 97, 111–113, 154, 219, 243, 265–267, 296, 300, 320f., 336, 328, 332, 336, 340 – Kinder~…49, 57, 60f., 64f., 181, 182f. Passaamnestie…204–206, 209–211 Paulus…17, 22, 25f., 151f., 166, 189, 236, 284, 317f., 322, 340, 348, 354, 358–362, 389 Petrus…17, 121, 123, 127, 157–159, 160f., 165f. Pilatus…5, 36f., 126, 157, 198, 199, 201–214, 222, 237–241, 246f., 249, 252, 255–261, 338, 345–348, 350, 361, 366 Polemik…11, 13–15, 31f., 198, 278, 307, 338f., 349–352, 357f., 360–363, 369, 373–379, 384f., 390 Prophet…18, 21, 49, 53, 55, 64f., 67–69, 84, 100, 105, 110, 170–187 191–195, 197f., 207f., 219, 241, 251, 257, 272, 274–279, 281–295, 298f., 302–305, 308, 310, 313, 315, 326, 344, 346, 349, 359, 369, 373, 375, 381, 385f. – ~engeschick…68, 72, 74f., 192f., 276f., 279, 284f., 289, 291–293, 295, 298, 300, 339, 362 (s. dtrPA) – ~enverfolgung…116, 271, 276, 279f., 283f., 305, 353, 356–360, 384 Qumran…20, 42, 94f., 100f., 115, 151, 153, 264, 369f. Rache…43, 46, 70, 92f., 145, 156, 227, 287, 297, 299f., 303, 306, 315 (s. Blutrache) Reflexionszitate…(s. Erfüllung)
467
Reich Gottes…14, 259, 326 Reinheit…79f, 112, 155, 168, 179, 214f., 218, 222, 343 – Reinigung…45, 48, 60, 113, 215–218, 228f., 239, 265, 267, 321, 327–330, 332, 343 – kataklystische ~…9, 95–98, 343 – Verunreinigung…69, 74, 78, 91, 97f., 150, 155f., 168, 177, 185, 194f., 218f., 274, 343, 349 Reue…120, 126–129, 143, 156, 175, 179, 192, 194, 198, 213, 241, 386f. Ritus…46, 79f., 131, 155, 204, 212–222, 236–241, 255–257, 260, 265–268, 316f., 319–321, 326f., 331f., 335f. Römer…4f., 113, 138–140, 142f., 148, 151f., 154, 202–205, 207f., 210, 212, 237f., 240, 259–261, 276, 309, 315, 346f., 349, 352, 361, 366, 380 Sacharja (ben Jojada)…8–10, 260, 276, 283–286, 288–303, 315, 329, 345, 363 Satan/Teufel…104, 121, 149, 165, 367f. Schrift/Schriften Israels…5–10, 12, 14f., 18, 20, 30, 34–36, 52, 100–102, 117, 161, 169, 255, 267, 272, 289f., 316, 320, 336, 344, 363, 367, 370f. – Schriftgemäßheit…13–15, 19f., 24, 26f., 30–32, 136, 153, 174, 178, 185, 301, 305–307, 348f., 351f., 356f., 366–368, 371, 374–376, 379, 389f. – Schriftkenntnis…20f., 26, 31–33, 125, 170–172, 175, 187, 193–195, 197, 212, 238, 260, 272, 327 Schriftgelehrtenkreis (matthäischer)… 13–16, 19–33, 35, 36f., 100–102, 111, 120–125, 129, 135, 152f., 167, 169– 179, 183f., 187, 188, 195–198, 206, 208, 212, 216, 222, 238f., 249, 253, 257, 259f., 263, 272, 275–278, 283, 288, 290, 294f., 298–300, 303–307, 309, 315, 316, 318f., 322–324, 333, 336, 338, 341f., 345–351, 356–358, 359–362, 365f., 368–371, 372–376, 378, 380, 383, 385, 389f. Silber…(s. Geld) Schuld…54, 56, 60, 62, 67, 69, 71, 73, 117, 168, 206, 211, 218, 220–222,
468
Sachregister
227f., 240f., 246f., 252, 254, 256f., 341f., 348, 366, 382 – Kollektiv~…69, 81, 90, 117, 200f., 219–222, 243f., 246, 254, 260, 305, 309f., 350, 353, 361, 365f., 368, 370f., 387–389 SER-Schema…54, 95, 101, 310, 314 Suizid…136–149, 152–156, 179, 192– 194, 196, 344 – ~ bei Josephus…140–142 152f. – ~ in der Bibel…145–148 – ~verbot…137–139, 141, 152f. Sünde…55f., 58–60, 63–65, 68f., 74, 90, 97, 103f., 108, 122, 128f., 133, 149, 155, 168, 216, 219, 232, 287, 296f., 316, 320, 322, 372 – ~nbekenntnis…90, 119, 128–132, 153–155, 192f., 207f. 213, 217–219 – ~ngeschichte…53–55, 59–61, 64f., 104–110, 117, 279, 309, 311, 347, 355 – ~nmaß…275, 279, 313, 359 – ~nvergebung…103, 107–109, 112f., 128f., 134, 159, 302, 316, 318–320, 322–325, 327–334, 336f., 339–341, 343, 385–389 Sühne…46, 72, 76, 79, 97, 112f., 129, 132–134, 143, 146, 154f., 156, 159, 179, 200f., 213f., 218–222, 225, 228, 236, 239f., 255f., 266,–268, 316f., 327–329, 332, 339–341, 343f., 386– 388 Synagoge/Synagogengemeinde…11–14, 17–24, 27–32, 276, 337, 351, 358– 360, 372, 379, 383 Taufe…112, 324f., 328, 338 Tempel…12, 73, 83, 111–116, 129, 134, 157, 168, 175–179, 185, 190, 194, 218, 268, 270, 285, 293, 300, 303, 311f., 329f., 385, 388 – ~kritik…4, 18, 22, 63f., 67, 111–113, 219, 281–283, 305, 315, 344 – ~reinigung…281 – ~schatz…177–179, 203 – ~zerstörung…6–9, 18, 22, 49, 53, 55, 73f., 99, 104, 111 113, 116f., 188f., 195f., 198, 253, 259–261, 281f., 284, 292, 296, 299, 304, 311–313, 315,
339, 343, 346, 348–351, 365, 379– 382, 390 (s. Jerusalem: Eroberung) Thora (Gesetz)…30, 47, 49–51, 75–81, 82, 87, 89, 91f., 101, 112, 113, 133, 142, 153, 155, 214, 220, 372 Thoraauslegung/-hermeneutik…16f., 23– 27, 29, 31, 112, 278, 281f., 334, 358 Tod/Tötung…3, 28, 38, 44–46, 56f., 59, 74, 79, 89f., 214, 221, 225–227, 228f., 232, 243, 245f., 264f., 276, 297, 299f., 303, 307, 308, 310, 315 Töpfer…173, 177–184, 187, 190 (s. Acker) Traum…208f., 247 Ungehorsam…53, 73, 90, 135, 149, 155, 168, 195, 198, 221, 219, 222, 322, 340, 367f., 373, 376 Unheil…10, 53, 67, 80, 85, 172, 186– 188, 190f., 193, 200, 219, 231, 275, 280, 305, 347, 351 Universalismus…83, 114–116, 312f., 324f., 334, 337 Unschuldsdeklaration…207, 212f., 214– 219, 222–225, 230f., 233–239, 244, 246f., 249, 252, 255–258, 260f., 350 Väter/Vorfahren…53f., 71f., 186, 195f., 275f., 279, 294f., 300, 307, 311 Verantwortung…49, 59f., 63, 68f., 73, 75, 89f., 99, 110, 119, 133, 139, 156, 179, 194f., 198, 240, 259–261, 279, 283, 302, 314, 349f., 353, 360f. – ~sübernahme…218, 221f., 237–239, 241f., 243–248, 252, 254, 256f., 258, 260f., 346, 351 – ~szuschreibung…99, 205, 229–231, 233, 235f., 240f., 243–248, 258, 306, 338, 346, 350, 366, 380 Verrat…119–121, 123f., 126., 129f., 136, 147f., 153f., 157, 165, 169, 173, 191, 193, 196, 385f. Völker…11f., 16f., 18f., 23, 25, 26, 31, 103, 109f., 114–116, 185, 186, 324f., 333, 361f., 378f., 382f., 384f., 389f. Volkshaufen/Menge…14, 30, 111, 199– 201, 204–213, 235, 238, 240f., 246– 261, 270, 314, 337f., 346, 351f., 376, 383
Sachregister Vollmacht…13f., 108, 302, 325, 334, 340, 386 Wehrufe…26, 37, 110, 123f., 134f., 154f., 173, 186, 192, 196, 248, 268– 275, 277–286, 293, 295, 299, 302,
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305, 307, 310, 312, 315, 338, 341, 345, 350f., 358, 361, 372, 377, 383– 385 Wille Gottes…31, 110, 112, 208, 341 Zorn…129, 219, 335, 362