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German Pages 263 [288] Year 2021
Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht Band 176 herausgegeben von
Rolf Stürner
Johanna Hennighausen
Das Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils
Mohr Siebeck
Johanna Hennighausen, geboren 1987; Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg i. Br. und Montpellier; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsches und ausländisches Zivilprozessrecht der Universität Freiburg; 2014 Erste Juristische Staatsprüfung; 2016 Zweite Juristische Staatsprüfung; 2020 Promotion; seit 2017 Zulassung als Rechtsanwältin. orcid.org/0000-0003-3693-6962
ISBN 978-3-16-159870-8 / eISBN 978-3-16-159871-5 DOI 10.1628/978-3-16-159871-5 ISSN 0722-7574 / eISSN 2568-7255 (Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.
Für Florian
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Sommersemester 2020 als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Mai 2020 fertiggestellt, Neuerungen konnten noch bis August 2020 berücksichtigt werden. Besonderer Dank gilt zuvörderst meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Jan Felix Hoffmann. Er hat das Dissertationsvorhaben sowohl während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl für deutsches und ausländisches Zivilprozessrecht als auch danach umfassend betreut und vor allem durch seine Diskussionsbereitschaft unterstützt. Herrn Professor Dr. Alexander Bruns danke ich für die Übernahme und rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Ein weiterer Dank gilt Herrn Professor Dr. Dres. h. c. Rolf Stürner. Die Zeit als wissenschaftliche Hilfskraft an seinem Institut war für mich in fachlicher wie auch persönlicher Hinsicht sehr bereichernd. Vor allem seine Großzügigkeit und sein stetes Interesse am Werdegang seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – auch über die Lehrstuhlzeit hinaus – habe ich sehr geschätzt und tue es weiterhin. Bedanken möchte ich mich darüber hinaus für die Aufnahme dieser Arbeit in seine Schriftenreihe, über die ich mich sehr freue. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle auch Frau Victoria Marini, die als gute Seele des Lehrstuhls stets zum Wohl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beigetragen hat und insbesondere bereit war, diese Arbeit abschließend Korrektur zu lesen. Danken möchte ich zudem Herrn Professor Dr. Christoph Althammer und Herrn Professor Dr. Uwe Blaurock, die es mir jeweils ermöglicht haben, als wissenschaftliche Hilfskraft an ihren Instituten tätig und damit über das gesamte Studium und Referendariat Teil der Universität Freiburg zu sein. Ein weiterer Dank gilt der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB für die Möglichkeit zur berufsbegleitenden Promotion. Insbesondere danke ich Herrn Dr. Jan Henning Martens. Er hat das Dissertationsvorhaben unterstützt und mir den Rücken stets freigehalten. Bei meinen Freunden Dr. Andreas Schubert, Cordt-Magnus van GeunsRosch, Florian Titz, Nils Klages, Dr. Philip Ridder, Dr. Tobias Mandler und Dr. Verena Kern bedanke ich mich herzlich für die Durchsicht des Manuskripts und ihre hilfreichen Anmerkungen. Dank gilt vor allem Herrn Florian Titz, der nicht nur während des Referendariats, sondern über die gesamte Dissertations-
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Vorwort
zeit ein wertvoller Gesprächspartner und stets bereit war, sich in verschiedene Rechtsfragen einzudenken und diese mit mir zu diskutieren. Ebenso danke ich herzlich Dr. Verena Kern für die wertvollen Diskussionen und dass sie immer ein offenes Ohr für mich hatte. Ganz besonders danke ich darüber hinaus meinen Eltern Maria Gutberlet und Dr. Udo Hennighausen sowie meiner Schwester Dr. Christine Hennighausen – jede(r) von ihnen hat auf seine bzw. ihre eigene Art und Weise das Gelingen dieser Arbeit und mich auf meinem bisherigen Lebensweg unterstützt. Insbesondere danke ich meinem Vater für sein unermüdliches Interesse, stets den besten Weg zu wählen. Für seine Ratschläge bin ich sehr dankbar. Meinem Ehemann Florian Haße gebührt der größte Dank. Er hat immer an mich und das Gelingen dieser Arbeit geglaubt, war jederzeit für mich da, hat mich in allen Entscheidungen unterstützt, mir stets ein Lächeln auf das Gesicht gezaubert und mich immer darin bestärkt, den Weg zu gehen, der zum Fertigstellen dieser Arbeit erforderlich war. Dafür danke ich ihm von Herzen. Ihm ist diese Arbeit gewidmet. Freiburg i. Br., im August 2020
Johanna Hennighausen
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Teil 1
Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen des § 301 Abs. 1 ZPO 1. Kapitel: Ursprung und Entwicklung des § 301 ZPO ab Einführung durch die Reichsjustizgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Kapitel: Zulässigkeitsvoraussetzungen der Teilbarkeit und Entscheidungsreife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Ursprung, Entwicklung und Würdigung des derzeitigen Diskussionsstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen des § 301 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Teil 2
Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen der Zivilprozessordnung im Übrigen 5. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von Rechtshängigkeitssperre, materieller Rechtskraft und innerprozessualer Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche innerhalb der Zivilprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Schlussbetrachtung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 I. Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Erlass eines Teilurteils . . . . . . . . . 4 II. Folgen des Gebots der Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
B. Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Teil 1
Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen des § 301 Abs. 1 ZPO 1. Kapitel: Ursprung und Entwicklung des § 301 ZPO ab Einführung durch die Reichsjustizgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Einführung des § 273 CPO durch die Reichsjustizgesetze und Motive des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 B. Einführung des Mündlichkeitsprinzips durch die CPO und Teilurteil als Mittel zur Ordnung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Einführung des Mündlichkeitsprinzips durch die CPO . . . . . . . . . . . . . . . 13 II. Teilurteil als Mittel zur Abschichtung des Prozessstoffs . . . . . . . . . . . . . . 15
C. Entwicklung des § 301 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 D. Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. Kapitel: Zulässigkeitsvoraussetzungen der Teilbarkeit und Entscheidungsreife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 A. Teilbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Teilbarkeit im Fall von objektiver und subjektiver Klagehäufung . . . . . . 22
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Inhaltsverzeichnis
1. Teilbarkeit bei objektiver Klagehäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Teilbarkeit bei kumulativer Klagehäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teilbarkeit bei eventueller Klagehäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Teilbarkeit bei subjektiver Klagehäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Teilbarkeit im Fall von Klage und Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Teilbarkeit bei einem einheitlichen Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Entscheidungsreife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Entscheidungsreife gem. § 301 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Präklusion bei Erlass eines Teilurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung des § 296 ZPO durch die Vereinfachungsnovelle 1976 . . . 2. Absoluter und relativer Verzögerungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Relative Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Absolute Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Meinungsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Streitentscheid und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Maßgeblicher Zeitpunkt für eine Verzögerung bei Erlass eines Teilurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schlussurteil als maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ansicht des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teilurteil als maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 27 27 29 29 29 31 32
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C. Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Ursprung, Entwicklung und Würdigung des derzeitigen Diskussionsstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 A. Entwicklung des Gebots der Unabhängigkeit in der Rechtsprechung . 42 I. Erste höchstrichterliche Entscheidungen zur (Un-)Zulässigkeit eines Teilurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Urteil des Reichsgerichts vom 10.12.1881, Az. I 621/81 . . . . . . . . . . a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Urteil des Reichsgerichts vom 30.06.1886, Az. V 58/86 . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Urteil des Reichsgerichts vom 02.10.1899, Az. VI 186/1899 . . . . . . . a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Urteil des Reichsgerichts vom 22.10.1907, Az. II 200/07 . . . . . . . . . . . . .
42 42 42 43 43 44 44 44 44 45 45 45 46 47
Inhaltsverzeichnis
a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Urteil des Reichsgerichts vom 09.04.1920, Az. II 430/19 . . . . . . . . . . a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Urteil des Reichsgerichts vom 17.11.1931, Az. 213/30 . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Urteil des Reichsgerichts vom 10.07.1936, Az. VII 268/1935 . . . . . . a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Urteil des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone vom 04.11.1949, Az. II ZS 38/49 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone . c) Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Urteil des BGH vom 18.12.1954, Az. II ZR 76/54 . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Urteil des BGH vom 30.04.1956, Az. II ZR 217/54 . . . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Vereinbarkeit des Gebots der Unabhängigkeit mit der hinter § 301 ZPO stehenden Konzeption des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . 62 I. Motive des Gesetzgebers bei Einführung des § 273 CPO . . . . . . . . . . . . . 1. Einheitliche Würdigung bei einheitlicher mündlicher Verhandlung . . a) Begriff der „Einheit der mündlichen Verhandlung“ im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einheitliche Würdigung bei einheitlicher mündlicher Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schluss der mündlichen Verhandlung vor Erlass eines Teilurteils . . . . 3. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gebot der Unabhängigkeit als geeignetes Kriterium zur Wahrung einer einheitlichen Verhandlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidungsreife als geeignetes Kriterium zur Sicherstellung der Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
2. Gebot der Unabhängigkeit als geeignetes Kriterium zur Sicherstellung der Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil? . . . . 3. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gebot der Unabhängigkeit als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung oder ein im Rahmen des § 301 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigendes Kriterium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Richterliches Ermessen gem. § 301 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgen bei Einordnung der Unabhängigkeit als ein im Rahmen des § 301 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigendes Kriterium . . . . . . . . . . . 3. Schlussfolgerung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Gebot der Unabhängigkeit in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I. Kommentarliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Kommentarliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Struckmann und Koch (1879) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Endemann (1879) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Hellmann (1879) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kleiner (1880) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Seuffert (1889) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aktuelle Kommentarliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die verschiedenen Ansichten im übrigen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schneider (1976) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. de Lousanoff (1979) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prütting und Weth (1981, 1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schumann (1983) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Musielak (1997) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Peters (1998) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Jauernig (2000) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Jurgeleit (2016) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Jaspersen (2019) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gebot der Unabhängigkeit als Bestandteil der Entscheidungsreife: die Ansicht von Musielak und de Lousanoff . . . . . . . . . . . . . b) Einheitliche Betrachtung von Teil- und Schlussurteil: die Ansicht von Schumann und Jauernig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ansicht Schumanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Begriff der Rechtsordnung, Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Innere Einheit der Rechtsordnung: Bestehen von inhaltlichen Zusammenhängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Vermeidung von Widersprüchen auf Grundlage der Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Schlussfolgerung für die Ansicht Schumanns . . . . . . . . . . .
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bb) Ansicht Jauernigs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gebot der Unabhängigkeit zur Vorbeugung einer „‚Kadi-Justiz‘“: die Ansicht von Schneider und Peters . . . . . . . . . d) Gebot der Unabhängigkeit zur Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen infolge eines zukünftigen Ereignisses: die Ansicht von Prütting und Weth . . . . . . . . . . . . . . . e) Unabhängigkeit als ein im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigendes Kriterium: die Ansicht Jurgeleits . . . . . . . . . . f ) Wegfall des Unabhängigkeitsgebots und Vermeidung von Widersprüchen durch Erlass eines Grundurteils und Erhebung einer Zwischenfeststellungs(wider)klage: die Ansicht von Jaspersen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98 99 100 101 103
104 104
D. Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen des § 301 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 A. Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen von objektiver und subjektiver Klagehäufung gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 1 ZPO . . . . . . . . 109 I. Objektive Klagehäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Teilurteil im Rahmen der kumulativen Klagehäufung . . . . . . . . . . . . . a) Gebot der Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Teilurteil im Rahmen der eventuellen Klagehäufung . . . . . . . . . . . . . a) Unzulässigkeit eines Teilurteils über den Hilfsantrag . . . . . . . . . . . b) Zulässigkeit eines Teilurteils über den Hauptantrag . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Teilurteil im Rahmen der Stufenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gebot der Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herrschende Meinung: Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausweitung der herrschenden Meinung bei Verbindung eines Auskunftsanspruchs gem. § 84a AMG mit einem Schadensersatzanspruch gem. § 84 AMG . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kritik an der herrschenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Subjektive Klagehäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Teilurteil im Rahmen der subjektiven Klagehäufung . . . . . . . . . . . . . a) Gebot der Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen vom Gebot der Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
110 110 110 112 113 113 113 115 116 118 118 119 121 123 126 129 129 130 132
XVI
Inhaltsverzeichnis
a) Teilurteil im Fall der Verfahrensunterbrechung durch Insolvenz gem. § 240 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teilurteil im Fall der Verfahrensunterbrechung gem. § 239 ZPO oder -aussetzung gem. § 246 ZPO durch Tod einer Partei bei Unkenntnis der Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Exkurs: Gefährdung des Justizgewährungsanspruchs als ein das Teilurteil stets rechtfertigender Grund? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herleitung des Justizgewährungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhalt des Justizgewährungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gebot der Unabhängigkeit als Gefährdung eines effektiven Rechtsschutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Teilurteil bei fehlender internationaler Zuständigkeit hinsichtlich eines Streitgenossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Aber: Keine Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit bei Ruhen des Verfahrens gem. § 251 ZPO und Aussetzung des Prozesses gem. § 148 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ruhen des Verfahrens gem. § 251 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfahrensaussetzung gem. § 148 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . f ) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
132 133 134 135 136 138 138 139 140 140 141 141
B. Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen von Klage und Widerklage gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 I. Teilurteil im Rahmen von Klage und Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gebot der Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausnahmen vom Gebot der Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Teilurteil im Rahmen der Stufenwiderklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Teilurteil über die Klage bei rechtsmissbräuchlicher Widerklage . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145 145 146 147 147 149 149
C. Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen eines einheitlichen Anspruchs gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I. Anspruch ist nur der Höhe nach streitig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gebot der Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO analog im Fall eines nur der Höhe nach streitigen Anspruchs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Planwidrige Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anspruch ist nach Grund und Höhe streitig: die Regelung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gebot der Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151 151 153 153 154 155 156 156 156 157
Inhaltsverzeichnis
XVII
III. Bedenken gegen die Pflicht zum Erlass eines Grundurteils mit Blick auf die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei Erhebung einer offenen Teilklage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
D. Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Teil 2
Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen der Zivilprozessordnung im Übrigen 5. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von Rechtshängigkeitssperre, materieller Rechtskraft und innerprozessualer Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 A. Herrschender Streitgegenstandsbegriff als Grundlage für Rechtshängigkeit, Rechtskraft und Bindung des Gerichts . . . . . . . . . . . 166 I. Herrschender Streitgegenstandsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 II. Bedeutung des Streitgegenstandes für Rechtshängigkeit, Rechtskraft und Bindung des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
B. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der Rechtshängigkeitssperre gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 I. Verbot doppelter Rechtshängigkeit gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO . . . . . . . 170 II. Vermeidung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen im Rahmen von § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO und § 301 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . 170 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
C. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext materieller Rechtskraft gem. § 322 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 I. Zweck und Wesen der materiellen Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Materielle und prozessuale Rechtskrafttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Materielle Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prozessuale Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bindungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ne bis in idem-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gegenstand und Reichweite der materiellen Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . III. Vermeidung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen im Rahmen von § 322 Abs. 1 ZPO und § 301 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . IV. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
174 174 174 175 176 177 177 178 180 182
D. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der innerprozessualen Bindungswirkung gem. § 318 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Zweck und Anwendungsbereich der innerprozessualen Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
XVIII
Inhaltsverzeichnis
II. Inhalt und Umfang der innerprozessualen Bindungswirkung . . . . . . . . . . 1. Abänderungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abweichungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umfang der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Innerprozessuale Bindungswirkung im Rahmen des § 301 ZPO . . . . . . . . 1. Anwendung des Abweichungsverbots im Rahmen des § 301 ZPO und die Argumentation der herrschenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
184 184 185 185 186 187 188 189
E. Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche innerhalb der Zivilprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 A. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von Prozesstrennung, Prozessverbindung und Prozessaussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweck und Wesen der Prozesstrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen und Wirkung der Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unbeachtlichkeit der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei Trennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO . . . . . . . (1) Beschluss des OLG Karlsruhe vom 02.03.2006, Az. 2 UF 209/05 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fazit und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prozesstrennung bei Klage und Widerklage gem. § 145 Abs. 2 ZPO . II. Prozessverbindung gem. § 147 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweck und Wesen der Prozessverbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen und Wirkung der Prozessverbindung . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der Prozessverbindung bei vorzeitiger Entscheidungsreife eines der Verfahren . . . . . . . . . . . . a) Zweck des § 300 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schlussfolgerung: Unbeachtlichkeit der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anwendungsbereich des § 300 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . .
193 194 194 194 194 196 197 197 198 200 200 202 204 204 205 205 207 208 208 209 210
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aa) Entscheidung des OLG Celle vom 05.09.2007, Az. 14 U 71/07 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Prozessaussetzung gem. § 148 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweck der Prozessaussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen und Wirkung der Prozessaussetzung . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der Prozessaussetzung: Präjudizialität im Vergleich zum Gebot der Unabhängigkeit . . . . . . . .
XIX 211 212 212 216 216 217 217 217 220 220
B. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von offener und verdeckter Teilklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 I. Zweck und Zulässigkeit der Teilklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von offener und verdeckter Teilklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtskrafterstreckung bei der offenen Teilklage . . . . . . . . . . . . . . . . a) Klagestattgebendes Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gegenansicht Leipolds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klageabweisendes Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gegenansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtskrafterstreckung bei der verdeckten Teilklage . . . . . . . . . . . . . a) Klagestattgebendes Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gegenansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klageabweisendes Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gegenansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aber: Bindung an die Urteilsgründe im Fall der Streitverkündung . . . a) Zweck und Inhalt der Streitverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen für eine wirksame Streitverkündung und die Herbeiführung der Interventionswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der Interventionswirkung . aa) Umfang bei Entscheidung über den gesamten Anspruch im Vorprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Umfang bei teilweiser Entscheidung über den Anspruch durch Erhebung einer Teilklage oder Erlass eines Teilurteils im Vorprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
221 223 223 223 223 224 225 225 226 227 227 227 227 228 229 229 229 230 230 231 231 232 233 233 234
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(1) Herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gegenansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Stellungnahme und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Interventionswirkung im Vergleich zum Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils . . . . . . . . . . . . . . . 5. Möglichkeit sich widersprechender Entscheidungen bei Urteilserlass über eine Teilklage: kein Widerspruch zu einem Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Offene Teilklage als Spiegelbild eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO . . . . . . . b) Aber: Erlass eines Voll-Endurteils im Fall der offenen Teilklage und Parteiwille als maßgebliche Kriterien für die Zulassung von Widersprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234 235 235 236 237 238 238
C. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext beschränkter Rechtsmitteleinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 I. Zulässigkeit von Widersprüchen im Rahmen der beschränkten Rechtsmitteleinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulässigkeit beschränkter Rechtsmitteleinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfang der beschränkten Rechtsmitteleinlegung und Unbeachtlichkeit der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsmitteleinlegung gegen ein Teilurteil und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
240 240 241 242 242
D. Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
Schlussbetrachtung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
Abkürzungsverzeichnis a. A. Abb. Abs. AcP a. E. AG AMG Anm. Art. Aufl. Az. BAG BauR BayObLG Bd. BeckRS Begr. Bekl. BerGer. BGBl. BGH BGHZ
anderer Ansicht Abbildung Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende Amtsgericht Arzneimittelgesetz Anmerkung Artikel Auflage Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Baurecht Bayerisches Oberstes Landesgericht Band Beck-Rechtsprechung Begründer Beklagte(r) Berufungsgericht Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen der amtlichen Sammlung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen BritZ Britische Zone BSG Bundessozialgericht BT-Drucks. Bundestagsdrucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen der amtlichen Sammlung des Bundesverfassungsgerichts bzgl. bezüglich CPO Civilprozeßordnung d. h. das heißt DAR Deutsches Autorecht ders. derselbe dies. dieselbe DS-GVO Datenschutzgrundverordnung DStR Deutsches Steuerrecht Ed. Edition EL Ergänzungslieferung EuGH Gerichtshof der Europäischen Union EuGVÜ Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuGVVO Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
XXII EWiR f. FD-ZVR ff. FG FS gem. GG ggf. GmbH GmS GS GRUR GRUR-RR GS GVG GWR Hrsg. h. M. HRR i. R. d. i. S. i. S. d. i. V. m. insb. JA JBl. JMBl NRW JR Jura JurBüro JuS JW JZ KG Kl. LAG LG LMK m. m. w. N. MDR n. F. NJ NJOZ NJW NJW-RR Nr. NStZ NVwZ-RR NZFam OGH OLG
Abkürzungsverzeichnis
Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht folgende Fachdienst Zivilverfahrensrecht fortfolgende Festgabe Festschrift gemäß Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gemeinsamer Senat Gedenkschrift Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Rechtsprechungs-Report Gedenkschrift Gerichtsverfassungsgesetz Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht Herausgeber herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung im Rahmen des im Sinne im Sinne des in Verbindung mit insbesondere Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Das Juristische Büro Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kammergericht Kläger(in) Landesarbeitsgericht Landgericht Lindenmaier-Möhring Kommentierte BGH-Rechtsprechung mit mit weiteren Nachweisen Monatsschrift für Deutsches Recht neue Fassung Neue Justiz Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Familienrecht Oberster Gerichtshof Oberlandesgericht
OLGR österr. RevGer. RG RGZ Rn. RNotZ RPfleger S. S. sog. StuW u. a. u. U. Urt. v. Var. VersR vgl. VIZ VVG Widerbekl. WM z. B. ZfPW ZPO ZRP ZZP
Abkürzungsverzeichnis
Oberlandesgericht Report österreichische Revisionsgericht Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Randnummer Rheinische Notar-Zeitschrift Der Deutsche Rechtspfleger Satz Seite(n) sogenannt Steuer und Wirtschaft unter anderem unter Umständen Urteil vom Variante Versicherungsrecht vergleiche Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht Versicherungsvertragsgesetz Widerbeklagte(r) Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht zum Beispiel Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Zivilprozess
XXIII
Einleitung Der Zivilprozess dient der Feststellung und Durchsetzung subjektiver Rechte, der Herbeiführung von Rechtsfrieden und Rechtsgewissheit.1 Am Ende eines Rechtsstreits steht das rechtskräftige Urteil, das – soweit der Prozess nicht anderweitig beendet wird2 – Ausdruck und notwendige Voraussetzung für die Herbeiführung der von den Parteien begehrten Rechtssicherheit ist und das Verfahren beendet.3 Die Herbeiführung von Rechtsfrieden und -sicherheit ist zugleich Zweck der materiellen Rechtskraft.4 Die materielle Rechtskraft verhindert, dass dieselbe Streitsache vor demselben oder einem anderen Gericht noch einmal entschieden wird.5 Auf diese Weise werden nicht nur doppelte, sondern vor allem sich widersprechende Entscheidungen vermieden.6 Der Umfang der Rechtskraft beschränkt sich nach der am Parteiwillen orientierten, bewussten Entscheidung des Gesetzgebers auf den Entscheidungssatz.7 Eine Erstreckung auf die nicht im Parteiantrag zum Ausdruck kommenden Urteilselemente erachtete der Gesetzgeber als zu weitgehend.8 Zum Ausgleich für den beschränkten Umfang der Rechtskraft gab der Gesetzgeber den Parteien 1 BGH, NJW 1992, S. 438, 439; Benda/Weber, ZZP 96 (1983), S. 285, 287; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, 1970, S. 125; Stein/ Jonas/Brehm, 23. Aufl. 2014, Einleitung, Rn. 5 ff.; Gottwald, ZZP 95 (1982), S. 245 f.; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011, § 1, Rn. 1 ff.; Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, Einleitung, Rn. 5; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 1, Rn. 12 ff.; Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 572; ders., ZZP 96 (1983), S. 137, 153; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1977, S. 49; ders., FS Baumgärtel, 1990, S. 545 f.; Vollkommer, ZZP 81 (1968), S. 102, 105. 2 Neben einer Beendigung durch Erlass eines Endurteils kann das Verfahren durch Rücknahme der Klage, Abschluss eines Vergleichs oder Erledigung gem. § 91a ZPO abgeschlossen werden, vgl. Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 300, Rn. 2. 3 Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, Einleitung, Rn. 5. 4 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 28. 5 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011, § 62, Rn. 1 f. 6 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 150, Rn. 2. 7 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 291 f.; BGHZ 183, 77 Rn. 9 = NJW 2010, S. 2210 Rn. 9. Tatbestand und Entscheidungsgründe können jedoch ergänzend herangezogen werden, soweit der Entscheidungsinhalt – wie z. B. bei klageabweisenden Urteilen – nicht auf Grundlage der Urteilsformel allein bestimmt werden kann, vgl. z. B. BGH, NJW 1976, S. 1095. 8 „Sie [die Erstreckung der Rechtskraft auf die Gründe nach Savigny] führt aber weit über die Aufgabe des einzelnen Prozesses und über die Absicht der Parteien hinaus, welche den Gegenstand ihres Streits im Petitum ausgedrückt und begrenzt haben und in diesem Prozesse
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Einleitung
die Zwischenfeststellungsklage gem. § 256 Abs. 2 ZPO an die Hand, mit der der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags und der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis erwirken kann.9 Folge ist – soweit eine Partei nicht Zwischenfeststellungs(wider)klage erhebt – die Gefahr sich in den Gründen widersprechender Entscheidungen aufgrund abweichender gerichtlicher Würdigung derselben Tatsachen in einem anderen Prozess. Typische Konstellationen sind die Geltendmachung verschiedener auf einem Rechtsverhältnis beruhender Ansprüche in mehreren Verfahren, der Erlass zweier Urteile infolge einer Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO, die beschränkte Rechtsmitteleinlegung sowie die Erhebung aufeinander folgender Teilklagen. In all diesen Fällen akzeptieren Gesetz und Rechtsprechung aufgrund der auf den Tenor beschränkten materiellen Rechtskraft die Gefahr sich in den Gründen widersprechender Entscheidungen. Im Gegensatz hierzu steht das von der Rechtsprechung entwickelte Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils. Dieses bildet den Gegenstand der vorliegenden Arbeit.
A. Problemaufriss Ein Rechtsstreit wird in der Regel vollumfänglich durch Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 1 ZPO entschieden.10 Das Gericht ist zum Erlass eines Voll-Endurteils verpflichtet, wenn der gesamte Rechtsstreit zur Entscheidung reif ist, d. h. wenn die zur Entscheidung erforderlichen Tatsachen hinreichend geklärt und die Beweise erschöpft sind.11 Ist der Rechtsstreit hingegen nur teilweise entscheidungsreif, so hat das Gericht gem. § 301 Abs. 1 ZPO ein Teilurteil zu ernur über diesen Streitpunkt eine richterliche Entscheidung erwarten.“, Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 291. 9 Die Vorschrift wurde eingeführt, um den Bedenken der Anhänger Savignys, die eine Rechtskrafterstreckung auf die Urteilsgründe befürworteten, entgegenzutreten. Auf diese Weise sollte eine Rechtskrafterstreckung auf die Urteilsgründe erreicht werden, die auf dem ausdrücklich geäußerten Willen der Partei und auf dem Gesetz basierte, vgl. Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 291 f. Vgl. auch Schumann, FS Georgiades, 2006, S. 543, 548 f. So hat auch schon das Reichsgericht formuliert: „Der Zweck der Zwischenfeststellungsklage ist die Ausdehnung der Rechtskraftwirkung auf den Grund der Klage. Sie ist ein Ersatz dafür, daß die Grundlagen der Entscheidung nicht in Rechtskraft übergehen.“, RGZ 170, 328, 330. 10 Gem. § 300 Abs. 1 ZPO bezeichnet das „Endurteil“ ein Urteil über den gesamten Rechtsstreit. Da auch ein Teilurteil gem. § 301 ZPO ein Endurteil ist, jedoch nur über einen abtrennbaren Teil ergeht, wird in dieser Arbeit zum Zwecke der besseren Unterscheidbarkeit das Endurteil über den gesamten Rechtsstreit gem. § 300 ZPO stets als „Voll-Endurteil“ bezeichnet. Der Begriff des Teilurteils wird unverändert verwendet. 11 Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 568; MüKo-ZPO/ders., 6. Aufl. 2020, § 300, Rn. 2; Musielak/Voit/ders., 17. Aufl. 2020, § 300, Rn. 8; Thomas/Putzo/Seiler, 40. Aufl. 2019, § 300, Rn. 2.
A. Problemaufriss
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lassen.12 Über den nicht durch Teilurteil beschiedenen Rest wird durch Schlussurteil entschieden und der Rechtsstreit so insgesamt für die Instanz beendet.13 Teil- und Schlussurteil sind ebenso wie das Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 1 ZPO Endurteile und damit der materiellen Rechtskraft fähig.14 Im Unterschied zum Voll-Endurteil beendet das Teilurteil den Prozess jedoch nur teilweise, d. h. soweit Entscheidungsreife eintritt.15 In diesem Umfang erledigt es den Rechtsstreit jedoch vollständig und es tritt materielle Rechtskraft ein.16 Diese beschränkt sich – wie bei allen anderen Urteilen auch – auf den Streitgegenstand; andere Urteilselemente werden nicht erfasst.17 In seiner Wirkung trennt das Teilurteil den Rechtsstreit in zwei selbständige Verfahren, die nach dessen Erlass so zueinander stehen, als wären sie isoliert eingeklagt worden.18 Über die Kosten des Verfahrens wird gleichwohl einheitlich im Rahmen des Schlussurteils entschieden.19 Das Teilurteil dient damit in erster Linie der Prozessökonomie: Verfahren und Entscheidungen sollen vereinfacht und die Durchsetzung von Rechten durch die Vollstreckung spruchreifer Teile beschleunigt werden.20 Allerdings bewirkt die von der Rechtsprechung entwickelte ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils in zahlreichen Fällen, dass Teilurteile entweder nicht erlassen oder in der Rechtsmittelinstanz für unzulässig erklärt werden.21
12 Abweichend von diesem Grundsatz kann das Gericht gem. § 301 Abs. 2 ZPO vom Erlass eines Teilurteils absehen, wenn das Gericht ein Teilurteil nach Lage der Sache nicht für angemessen erachtet. 13 Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 301, Rn. 2. 14 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, vor § 300, Rn. 29. 15 Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 300, Rn. 2; Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 143. 16 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 59, Rn. 9. 17 BeckOK-ZPO/Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 301, Rn. 52. 18 Braun, Zivilprozeßrecht, 2014, S. 873; Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 322, Rn. 75; Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 146. 19 MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 37. Hinsichtlich der Kostenentscheidung „enthält das Schlußurteil nur eine Ergänzung des vorausgegangenen, eine Kostenentscheidung nicht enthaltenden Teilurteils und bildet infolgedessen in diesem Umfang mit dem Teilurteil ein einheitliches, untrennbares Ganzes, weil die Kostenentscheidung eine notwendige Folge der Entscheidung in der Hauptsache ist.“, BGH, NJW 1993, S. 1063, 1066. 20 BGH, NJW 2015, S. 2429; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 2; Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 301, Rn. 1; ders., FS Lüke, 1997, S. 561; Prütting, MedR 2019, S. 219. 21 Vgl. z. B. BGH, MDR 1992, S. 1036; BGH, MDR 1997, S. 491; BAG, NZA 2006, S. 1062; OLG München, BeckRS 2012, 11256; OLG Nürnberg, NJOZ 2014, S. 1422. Kritisch zum Gebot der Unabhängigkeit als Zulässigkeitsvoraussetzung schon de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 12.
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Einleitung
I. Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Erlass eines Teilurteils Nach dem Wortlaut des § 301 Abs. 1 ZPO ist ein Teilurteil zu erlassen, wenn von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine Anspruch, ein Teil eines einheitlichen Anspruchs oder bei erhobener Widerklage nur die Klage oder Widerklage zur Entscheidung reif ist. Grundlegende Voraussetzung für den Erlass eines Teilurteils ist, auch wenn diese nur implizit aus dem Wortlaut der Norm hervorgeht, die Teilbarkeit.22 Zweites Tatbestandsmerkmal ist der Eintritt vorzeitiger Entscheidungsreife eines abtrennbaren Teils, die der Wortlaut des § 301 Abs. 1 ZPO ausdrücklich verlangt. Zusätzlich zu diesen von Gesetzes wegen zu beachtenden Voraussetzungen hat die Rechtsprechung eine dritte, ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung entwickelt: die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil.23 Danach darf ein Teilurteil nur ergehen, wenn bei dessen Erlass die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zwischen Teil- und Schlussurteil – auch infolge einer abweichenden Beurteilung in der Rechtsmittelinstanz – ausgeschlossen ist, d. h. Teilund Schlussurteil unabhängig voneinander sind.24 Eine solche Gefahr besteht nach der Rechtsprechung immer dann, „wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann“,25 wobei eine abweichende Beurteilung in den Urteilselementen, die weder in Rechtskraft erwachsen noch Bindungswirkung gem. § 318 ZPO entfalten, genügt.26
II. Folgen des Gebots der Unabhängigkeit Das Gebot der Unabhängigkeit hat zur Folge, dass ein Teilurteil in Konstellationen, in denen an anderer, vergleichbarer Stelle in der Zivilprozessordnung ein Urteilserlass zulässig ist und auch bei einer am Wortlaut orientierten Anwendung des § 301 Abs. 1 ZPO möglich wäre, nicht ergehen darf. Diese Divergenz soll anhand des folgenden Beispiels dargestellt werden:27 22 23
Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 143. Die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil bildet die dritte Zulässigkeitsvoraussetzung für den Erlass eines Teilurteils. Das Erfordernis der Unabhängigkeit wird in dieser Arbeit als „Gebot der Unabhängigkeit“ bezeichnet. 24 BGH, NJW 2007, S. 144; BGH, NJW 2012, S. 844 ff.; BGHZ 189, 79 Rn. 15 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 15; BGHZ 189, 356 Rn. 13 = NJW 2011, S. 2736 Rn. 13; BGHZ 193, 60 Rn. 8 = NJW 2012, S. 1083 Rn. 8; BGH, NJW-RR 2013, S. 683; BGH, NJW 2015, S. 2429; OLG Düsseldorf, BeckRS 2016, 8240. 25 BGHZ 189, 356 Rn. 13 = NJW 2011, S. 2736 Rn. 13. 26 BGHZ 189, 356 Rn. 13 = NJW 2011, S. 2736 Rn. 13. Zur ständigen Rechtsprechung des BGH siehe auch BGHZ 107, 236, 242 = NJW 1989, S. 2821, 2822; BGH, NJW 1992, S. 511; BGH, NJW 2001, S. 155; BGH, NJW 2007, S. 156, 157; BGH, MedR 2019, S. 217, 218. 27 Vereinfacht dargestellt nach BGH, NZBau 2014, S. 695 f.
A. Problemaufriss
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Der Kläger beauftragte einen Bauunternehmer mit der Erstellung eines Fertighauses. Nach Errichtung des Hauses traten Mängel am Schallschutz auf. Nach erfolgloser Aufforderung zur Nachbesserung erhob der Kläger gegen den Bauunternehmer Klage auf Zahlung eines Vorschusses zur Beseitigung der Schallschutzmängel und weiteren Schadensersatzes, der ebenfalls auf dem Schallschutzmangel beruhte. Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage insgesamt statt. Auf die Berufung des Beklagten wies das OLG Frankfurt die Klage hinsichtlich des Antrags auf Zahlung eines Kostenvorschusses durch Teilurteil ab, da nur insoweit Entscheidungsreife vorliege.28 Die hiergegen eingelegte Revision des Klägers hatte Erfolg: Der BGH erachtete den Erlass des Teilurteils aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen für unzulässig. Da sich die Vorfrage, ob der Beklagte für die Schallschutzmängel einzustehen habe, auch bei der Entscheidung über den auf diese Mängel gestützten Schadensersatzanspruch stelle, bestehe die Gefahr sich in den Gründen widersprechender Urteile hinsichtlich des Vorschuss- und des Schadensersatzanspruchs.29 Das Teilurteil sei mangels Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil daher in unzulässiger Weise ergangen.
Dem Urteil liegt die Konstellation einer objektiven Klagehäufung gem. § 260 ZPO zugrunde. In diesem Fall hat nach dem Wortlaut des § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 1 ZPO ein Teilurteil zu ergehen, wenn nur einer der eingeklagten Ansprüche zur Entscheidung reif ist. Auf dieser Grundlage hatte das OLG den Antrag auf Vorschusszahlung abgewiesen und die Entscheidung im Übrigen sowie über die Kosten dem Schlussurteil vorbehalten. Der BGH erachtete das Teilurteil jedoch aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen hinsichtlich der nicht in Rechtskraft erwachsenden Vorfrage der Verantwortlichkeit des Bauunternehmers für unzulässig. Die mit dem Erfordernis der Unabhängigkeit einhergehenden Divergenzen treten zutage, wenn man dem Fall die folgenden Annahmen zugrunde legt: 1. Annahme: Der Kläger macht beide Ansprüche nacheinander in verschiedenen Verfahren geltend Verbindet der Kläger die Ansprüche nicht gem. § 260 ZPO, sondern klagt er sie nacheinander in zwei verschiedenen Prozessen ein, so besteht infolge der auf den Entscheidungssatz beschränkten materiellen Rechtskraft die Gefahr, dass die in beiden Verfahren gleichermaßen zu entscheidende Vorfrage des Vorliegens eines Mangels am Schallschutz von den Gerichten unterschiedlich beurteilt wird. In diesem Fall stünden sich zwei in den Gründen widersprechende Entscheidungen gegenüber, die aufgrund der auf den Tenor beschränkten Rechtskraft von der Rechtsprechung akzeptiert würden. Die Möglichkeit einander widersprechender Entscheidungen verhindert einen Urteilserlass jedoch nicht.
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OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2014, 17527, Rn. 19. BGH, NZBau 2014, S. 695.
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Einleitung
2. Annahme: Die beiden Ansprüche werden durch richterlichen Beschluss gem. § 145 Abs. 1 ZPO in verschiedene Verfahren getrennt Im Unterschied zum Ausgangsfall werden die miteinander verbundenen Ansprüche durch richterliche Anordnung gem. § 145 Abs. 1 ZPO in mehrere Verfahren getrennt und in verschiedenen Prozessen mit eigenem Streitwert fortgeführt.30 Über jeden Anspruch ergeht ein Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 1 ZPO.31 Da die Gerichte gem. § 286 Abs. 1 ZPO nach ihrer freien Überzeugung und unabhängig voneinander entscheiden, besteht die Gefahr, dass die Vorfrage des Mangels unterschiedlich beurteilt wird und zwei sich in den Gründen widersprechende Entscheidungen ergehen. Dass diese Gefahr schon bei Trennung der Verfahren vorliegt, steht nach der herrschenden Meinung und höchstrichterlichen Rechtsprechung einem Trennungsbeschluss gem. § 145 Abs. 1 ZPO nicht entgegen.32 3. Annahme: Der Kläger legt beschränkt Rechtsmittel gegen das Urteil ein Anders als im vorliegenden Fall weist das erstinstanzliche Gericht die Klage mangels Verantwortlichkeit des Bauunternehmers für den Schallschutzmangel insgesamt ab. Der Kläger legt gegen die Entscheidung Berufung ein, beschränkt diese jedoch auf den Anspruch auf Vorschusszahlung; im Übrigen wird das Urteil rechtskräftig. Auf die Berufung hebt das Rechtsmittelgericht das Urteil hinsichtlich der Vorschusszahlung auf und gibt der Klage unter Bejahung der Verantwortlichkeit des Bauunternehmers statt. Das Ergebnis sind zwei sich in den Gründen widersprechende Entscheidungen. Die Möglichkeit einander widersprechender Urteile infolge einer beschränkten Rechtsmitteleinlegung steht einer solchen jedoch nicht entgegen.33 4. Annahme: Der Kläger erhebt eine Teilklage hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs In Abweichung vom Ausgangsfall macht der Kläger zunächst nur einen Teil des Schadensersatzanspruchs geltend; den Vorschussanspruch klagt er nicht ein. Nachdem das Gericht der Teilklage stattgegeben hat, klagt er den restlichen Teil des Schadensersatzanspruchs ein. Das Gericht des zweiten Verfahrens verneint im Gegensatz zum ersten Gericht die Verantwortlichkeit des Bauunternehmers und weist die Klage ab. Es ergehen zwei sich in den Gründen widersprechende Entscheidungen. 30 Eine Trennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO erfordert einen sachlichen Grund. Ein solcher ist z. B. denkbar, wenn für den Schadensersatzanspruch ein aufwändiges Sachverständigengutachten aussteht und absehbar ist, dass der Anspruch auf Vorschusszahlung vorzeitig zur Entscheidung reif wird. Siehe zu den Anforderungen an eine Prozesstrennung unten 6. Kapitel. A. I. 1. a), S. 194 ff. 31 Siehe zu den Wirkungen einer Prozesstrennung unten 6. Kapitel. A. I. 2. a) bb), S. 196 f. 32 Siehe hierzu unten 6. Kapitel. A. I. 2. b), S. 197 ff. 33 Siehe zur beschränkten Rechtsmitteileinlegung unten 6. Kapitel. C., S. 239 ff.
B. Ziel der Arbeit
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In jeder der vorgenannten Abwandlungen wird die Gefahr sich in den Gründen widersprechender Entscheidungen infolge abweichender Beurteilung der den beiden Ansprüchen zugrundeliegenden Vorfrage hingenommen. Ausgangspunkt ist jeweils die auf den Tenor beschränkte materielle Rechtskraft, die sich in den Urteilsgründen widersprechende Entscheidungen zulässt. Zwar erwächst auch ein Teilurteil nur hinsichtlich des Entscheidungssatzes in materielle Rechtkraft. Allerdings führt das Gebot der Unabhängigkeit durch die Erstreckung auch auf nicht in Rechtskraft erwachsende Urteilselemente zu einer Reduzierung zulässiger Widersprüche zwischen Teil- und Schlussurteil auf Null und damit faktisch zu einer Erweiterung des Rechtskraftumfangs des Teilurteils im Verhältnis zum Schlussurteil. Das Resultat ist eine unterschiedliche Behandlung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen innerhalb der Zivilprozessordnung.
B. Ziel der Arbeit Die vorliegende Arbeit widmet sich dem Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen des § 301 Abs. 1 ZPO sowie im Kontext zivilprozessualer Konstellationen, in denen ein Urteilserlass trotz der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zulässig ist. Im Fokus stehen hierbei die mit dem obigen Beispiel beschriebenen Fallgestaltungen. Dabei soll jeweils das Spannungsfeld zwischen dem weiten Umfang des Gebots der Unabhängigkeit einerseits und der Zulassung von Widersprüchen andererseits untersucht werden. Ziel ist es, den Grund für Anwendung und Reichweite sowie die Rechtfertigung für das Gebot der Unabhängigkeit zu finden und die zentrale Frage zu beantworten, warum die Rechtsprechung bei Erlass eines Teilurteils Widersprüche über die Grenzen der materiellen Rechtskraft hinaus für unzulässig erachtet, während sie an zahlreichen anderen Stellen der Zivilprozessordnung Widersprüche zwischen den Urteilsgründen unter Berufung auf die engen Rechtskraftgrenzen zulässt.
C. Gang der Untersuchung Der erste Teil dieser Arbeit widmet sich dem Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen des § 301 Abs. 1 ZPO. Grundlage für die Untersuchung ist die Vorschrift des § 301 Abs. 1 ZPO in ihrer heutigen Fassung, die – mit Ausnahme des im Jahr 2000 eingefügten § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO – seit Einführung der Zivilprozessordnung durch die Reichsjustizgesetze im Januar 1877 unverändert ist.34 34
Damals noch Civilprozeßordnung bzw. CPO.
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Einleitung
Zum besseren Verständnis der Vorschrift werden im ersten Kapitel Ursprung und Entwicklung sowie die hinter der Norm stehenden Motive beleuchtet. Auf die vor Einführung der Zivilprozessordnung in den einzelnen Bundesstaaten bestehenden Regelungen zum Teilurteil wird hierbei, soweit solche bestanden, nur am Rande eingegangen. Im zweiten Kapitel werden sodann die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Teilbarkeit und Entscheidungsreife erläutert, bevor im dritten Kapitel die Unabhängigkeit als ungeschriebene Voraussetzung eingehend analysiert wird. Da das Gebot der Unabhängigkeit von der Rechtsprechung entwickelt wurde, erfolgt die Untersuchung des Gebots der Unabhängigkeit im dritten Kapitel ausgehend von einer Analyse der ersten zu § 301 Abs. 1 ZPO ergangenen höchstrichterlichen Entscheidungen. Daran anschließend wird anhand der Motive des Gesetzgebers bei Einführung der Vorschrift zum Erlass eines Teilurteils überprüft, ob und inwieweit das Gebot der Unabhängigkeit der Konzeption des Gesetzgebers entspricht. In diesem Rahmen wird auch auf die Ermessenvorschrift des § 301 Abs. 2 ZPO eingegangen. Im Anschluss erfolgt eine Untersuchung der verschiedenen in der Literatur vertretenen Ansichten zum Gebot der Unabhängigkeit. Auf Grundlage der Erkenntnisse des dritten Kapitels thematisiert das vierte Kapitel die Anwendung des Gebots der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen des § 301 Abs. 1 ZPO, wobei ein Fokus auf die von der Rechtsprechung zugelassenen Ausnahmen von der Unabhängigkeit gelegt wird. Der zweite Teil dieser Arbeit widmet sich dem Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zivilprozessualer Konstellationen, in denen sich widersprechende Entscheidungen zulässig sind. Da das Gebot der Unabhängigkeit über die Rechtskraftgrenzen hinausgeht, die Rechtsprechung im Übrigen jedoch auf die Rechtskraftgrenzen rekurriert, werden im fünften Kapitel als Ausgangspunkt des zweiten Teils zunächst Gegenstand und Reichweite der materiellen Rechtskraft untersucht. Daneben werden das Verbot doppelter Rechtshängigkeit gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO und die innerprozessuale Bindungswirkung gem. § 318 ZPO als gesetzliche Schranken zur Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen erörtert. Darauf aufbauend erfolgt im sechsten Kapitel eine Analyse des Gebots der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche im Rahmen der Zivilprozessordnung. Hierbei wird auf die Institute der Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO, der Prozessverbindung gem. § 147 ZPO, der Prozessaussetzung gem. § 148 Abs. 1 ZPO sowie auf die Möglichkeit zur Erhebung einer verdeckten und offenen Teilklage und zur beschränkten Rechtsmitteleinlegung eingegangen. Die Arbeit schließt mit einer Schlussbetrachtung und einem Fazit.
Teil 1
Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen des § 301 Abs. 1 ZPO
1. Kapitel
Ursprung und Entwicklung des § 301 ZPO ab Einführung durch die Reichsjustizgesetze A. Einführung des § 273 CPO durch die Reichsjustizgesetze und Motive des Gesetzgebers Die Regelung zum Erlass eines Teilurteils gem. § 301 ZPO geht auf die mit Erlass der Civilprozeßordnung (CPO) im Rahmen der Reichsjustizgesetze eingeführte Vorschrift des § 273 CPO zurück. Die Reichsjustizgesetze wurden am 30.01.1877 verabschiedet und traten am 01.10.1879 in Kraft. Durch sie wurden die bis dato in Deutschland bestehenden unterschiedlichen Regelungen, einschließlich der Zivilprozessordnungen, vereinheitlicht.1 Die Vorschrift des § 273 CPO lautete: „Ist von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine, oder ist nur ein Theil eines Anspruchs, oder bei erhobener Widerklage nur die Klage oder die Widerklage zur Entscheidung reif, so hat das Gericht dieselbe durch Endurtheil (Theilurtheil) zu erlassen. Die Erlassung eines Theilurtheils kann unterbleiben, wenn das Gericht sie nach Lage der Sache nicht für angemessen erachtet.“2 1 Kissel, NJW 2004, S. 2827. Siehe zu Entwicklung und Reformen der ZPO auch Coing/ Dahlmanns, Handbuch der Quellen und Literatur, 1982, Bd. III/2, S. 2615 ff., zur CPO insb. S. 2672 ff. und Roth, JR 2018, S. 159 ff. 2 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung,1880, S. 35. Die Regelung zum Erlass eines Teilurteils war jedoch keine „Erfindung“ der Reichsjustizgesetze. Bereits die Bürgerliche Prozeßordnung für das Königreich Hannover vom 08.11.1850 regelte in § 346 den Erlass eines Teilurteils, vgl. Dahlmanns, Bürgerliche Prozessordnung für das Königreich Hannover (1971), S. 561 ff. Interessanterweise lag der Hauptanwendungsfall des damaligen § 346 im Erlass eines Urteils über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs, während für die anderen Fallgruppen nur eine analoge Anwendung in Abs. 2 der Vorschrift vorgesehen war. So hieß es in § 346 der Bürgerlichen Prozeßordnung für das Königreich Hannover: „Ist ein und derselbe streitige Anspruch nur theilweise zur Entscheidung reif, sei es in quantitativer Beziehung auf einzelne Theile desselben oder der Nebenforderungen (vergl. jedoch § 347), sei es hinsichtlich der zur Begründung oder Entkräftung dieses Anspruchs oder dessen Nebenforderungen benutzten verschiedenen Angriffs- oder Vertheidigungsmittel, so kann das Gericht, ohne daß hiergegen Rechtsmittel zulässig wären, nach Umständen entweder den spruchreifen Punct sofort entscheiden, oder die Entscheidung desselben bis dahin, daß sämmtliche Puncte zu dieser reif sind, aussetzen. […] Die vorstehenden Bestimmungen finden auch dann Anwendung, wenn es sich um verschiedene, von einander unabhängige Ansprüche handelt, analoge Anwendung.“ In einer Fußnote zu Abs. 2 wird sodann auf die Anwendung der Norm auf die sub-
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1. Kapitel: Ursprung und Entwicklung des § 301 ZPO
Der vom Abgeordneten Bähr in der Justizkommission gestellte Antrag, dem Gericht zur Vermeidung eines doppelten Instanzenzuges und einer Verzögerung der Entscheidung über den Rest3 die Möglichkeit einzuräumen, das Teilurteil erst nach Erlass des Schlussurteils für anfechtbar und vollstreckbar zu erklären, wurde abgelehnt.4 Man befand, dem Teilurteil solle seine praktische Relevanz nicht genommen werden.5 Etwaige Nachteile könnten zudem durch Ausübung des richterlichen Ermessens gem. § 273 Abs. 2 CPO vermieden werden.6 Bereits bei Einführung der Vorschrift zum Erlass eines Teilurteils standen damit prozessökonomische Gesichtspunkte im Vordergrund. So folgt aus der Begründung zum Entwurf der Civilprozeßordnung, dass das Teilurteil – neben anderen prozessualen Instituten – der Beschränkung und Vereinfachung des Prozessstoffs dienen sollte.7 Es war das Anliegen des Gesetzgebers, das mündliche Verfahren mit Blick auf die Herbeiführung einer zeitnahen Entscheidung übersichtlich und einfach zu gestalten.8 Hintergrund dieses Bestrebens war die Bewegung weg von einem bislang schriftlich geführten Zivilprozess hin zu einem mündlichen Verfahren, welches mit Erlass der Reichsjustizgesetze auch Grundlage der Zivilprozessordnung wurde.9 jektive und objektive Klagehäufung sowie auf die Klage und Widerklage verwiesen. Auch die Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für das Königreich Bayern enthielt Regelungen zum Erlass eines (obligatorischen) Teilurteils in Art. 266 und Art. 267. So hieß es in Art. 266: „Ist von mehreren in derselben Klage begriffenen Forderungen oder im Fall der Klagenhäufung von den zusammen angebrachten Klagen die eine zum Endurtheile, die andere nur zu einem Zwischenentscheide reif, so ist gleichermaßen über beide in demselben Urtheile das Erforderliche zu erkennen.“ Und in Art. 267 hieß es: „Ist ein Theil des Klageanspruchs nicht mehr streitig, so darf die Verurtheilung des Beklagten bezüglich dieses Theils durch die Entscheidung über den noch streitigen nicht aufgehalten werden.“ Hierauf verweist auch Bezold/ Hellmann, 1879, § 273 CPO, Anm. 2 e), S. 23. 3 Die Möglichkeit einer Verzögerung sah Bähr für den Fall gegeben, dass ein Rechtsmittel gegen das Teilurteil eingelegt werde und das Gericht mit der Entscheidung über den Rest bis zur Rechtskraft des Teilurteils abwarte, Bezold/Hellmann, 1879, § 273, Anm. 2 e), S. 121 ff. 4 Konkret schlug der Abgeordnete Bähr folgende Regelung vor: „Das Gericht kann in dem Theilurteil aussprechen, daß Rechtsmittel gegen dasselbe erst nach Erlass des zu den übrigen Punkten zu ertheilenden Endurteils statthaft sein sollen. In diesem Falle bleibt auch die Vollstreckbarkeit des Theilurteils ausgesetzt.“ Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 598 f., 1003. Vgl. hierzu auch die Kommentierung von Bezold/ Hellmann, 1879, § 273, Anm. 2 e), S. 121 ff., Kleiner/Kleiner, 1880, § 273 CPO, S. 147 und Struckmann/Koch, 2. Aufl. 1879, § 273 CPO, Anm. 1), S. 233 f. sowie die Ausführungen von Jurgeleit, BauR 2016, S. 375, 379. 5 Bezold/Hellmann, 1879, § 273, Anm. 2 e), S. 121 ff.; Struckmann/Koch, 2. Aufl. 1879, § 273 CPO, Anm. 1), S. 233 f. 6 So führte der Abgeordnete Thilo aus: „Was Antragsteller [Bähr] erreichen wolle, sei schon durch Abs. 2 des Entwurfs erreicht. Das Gericht werde die Erlassung eines Theilurteils nicht für angemessen erachten, sobald die Ergreifung eines Rechtsmittels vorauszusehen, oder die sofortige Vollstreckbarkeit bedenklich sei.“, Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 599. 7 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132, 283. 8 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132. 9 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 118. Vgl. auch
B. Einführung des Mündlichkeitsprinzips durch die CPO
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B. Einführung des Mündlichkeitsprinzips durch die CPO und Teilurteil als Mittel zur Ordnung des Verfahrens I. Einführung des Mündlichkeitsprinzips durch die CPO Vor Inkrafttreten der durch die Reichsjustizgesetze eingeführten CPO galt das Prinzip der Schriftlichkeit, d. h. die Parteien mussten sämtliche Prozesshandlungen schriftlich vornehmen; soweit das Vorbringen mündlich erfolgte, musste es durch ein Gerichtsprotokoll festgehalten werden.10 Der Richter war verpflichtet, die Prozessakten in chronologischer Reihenfolge zu sammeln.11 Ferner lag dem Verfahren eine feste gesetzliche Reihenfolge zugrunde, die den Rechtsstreit in mehrere, strikt einzuhaltende Abschnitte zerlegte.12 So war der Prozess in ein Behauptungs- und ein Beweisverfahren getrennt.13 Damit einher ging der bis zur Einführung der CPO geltende Grundsatz der Eventualmaxime, der die Parteien verpflichtete, „die zur Verfügung stehenden Angriffsund Verteidigungsmittel jeweils gleichzeitig und so früh wie möglich vorzutragen, ungeachtet dessen, ob es wirklich darauf ankommen wird.“14 Der vor Einführung der CPO bestehende Zivilprozess war für seine oftmals auftretende Verzögerung und Verschleppung von Verfahren bekannt.15 Da man hierfür allen voran das Schriftlichkeitsprinzip als Ursache und das Mündlichkeitsprinzip als Lösung für diesen Missstand erachtete, führte der Gesetzgeber mit Erlass der CPO das Mündlichkeitsprinzip ein.16 Nach der Konzeption des Gesetzgebers sollten die Parteien nun vor ein unbefangenes Gericht treten, welches den Rechtsstreit so, wie es ihn in der mündlichen Verhandlung erlebt, würdigen sollte.17 Zwar sollte es – zumindest im AnStruckmann/Koch, die die Einführung des Mündlichkeitsprinzips als „wenn auch nicht das letzte Ziel, doch das wichtigste Mittel der großen Reformbewegung“ bezeichnen, Struckmann/ Koch, 6. Aufl. 1895, § 119 CPO, Anm. 1, S. 145. Zur Entwicklung und Einführung des Mündlichkeitsprinzips siehe auch Arens, Mündlichkeitsprinzip und Prozeßbeschleunigung, 1995, S. 10 ff. 10 Arens, Mündlichkeitsprinzip und Prozeßbeschleunigung, 1995, S. 11; Renaud, Lehrbuch des Gemeinen deutschen Civilproceßrechts, 2. Aufl. 1873, S. 204 f. 11 Renaud, Lehrbuch des Gemeinen deutschen Civilproceßrechts, 2. Aufl. 1873, S. 205. 12 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 79, Rn. 44. 13 Bettinger, Prozessmodelle im Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 51. 14 Leipold, ZZP 93 (1980), S. 237, 257. 15 Arens, Mündlichkeitsprinzip und Prozeßbeschleunigung, 1995, S. 12. 16 Hierbei setzte sich der Gesetzgeber mit anderen Prozessordnungen auseinander, denen – zumindest teilweise – bereits das Mündlichkeitsprinzip zugrunde lag. So finden in den Materialien z. B. der damals in Frankreich geltende Code de Procédure Civile sowie die Allgemeine bürgerliche Prozeßordnung für das Königreich Hannover Erwähnung, Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 8 ff. Siehe hierzu auch Arens, Mündlichkeitsprinzip und Prozeßbeschleunigung, 1995, S. 12 f., der zudem auf das hinter der Einführung eines mündlichen Verfahrens stehende politische Motiv hinweist, das gerichtliche Verfahren öffentlich zu gestalten. 17 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 121.
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1. Kapitel: Ursprung und Entwicklung des § 301 ZPO
waltsprozess – vorbereitende Schriftsätze geben.18 Das in diesen Schriftsätzen von den Parteien Vorgebrachte durfte das Gericht jedoch nur berücksichtigen, wenn hierüber auch in der mündlichen Verhandlung verhandelt wurde.19 Das Resultat war ein „reines Mündlichkeitsprinzip“.20 Damit einher ging der heute noch geltende Grundsatz der Einheit der mündlichen Verhandlung,21 demzufolge „eine bestimmte mündliche Verhandlung, selbst wenn sie in mehrere äußerliche Akte zerfällt, als ein Akt anzusehen ist.“22 Der bis zur Einführung der CPO geltende Grundsatz der Eventualmaxime wurde hingegen abgelehnt.23 Auch das mit der CPO eingeführte Mündlichkeitsprinzip führte im Ergebnis jedoch zu Prozessverschleppungen und -verzögerungen; so fehlte es insbesondere an Fristen zum rechtzeitigen Vortrag und wirksamen Möglichkeiten zur Zurückweisung verspäteten Vorbringens.24 Vielmehr konnten die Parteien gem. § 251 und § 256 CPO Angriffs-, Verteidigungs- und Beweismittel grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung geltend machen. Zwar sah die Civilprozeßordnung mit der Vorschrift des § 252 CPO auch eine Regelung zur Zurückweisung nachträglichen Parteivortrags vor. Diese beschränkte sich jedoch auf Verteidigungsmittel des Beklagten – der Kläger war hingegen nicht erfasst – und verlangte neben Prozessverschleppungsabsicht oder grober Nachlässigkeit seitens des Beklagten einen Antrag des gegnerischen Anwalts; zudem war die Präklusion auf die Instanz beschränkt.25 Das Problem wurde da18
Vgl. § 120 CPO. So heißt es in den Materialien: „Aus dem Verhältnisse der Schriftsätze, welche der mündlichen Verhandlung vorausgehen, zu dieser selbst folgt wenigstens als Regel zweierlei: zuerst, daß das Gericht Alles zu berücksichtigen hat, was ihm mündlich vorgetragen wird, wenngleich es in den vorbereitenden Schriftsätzen angeführt worden ist; zweitens aber umgekehrt, daß das Gericht ein thatsächliches Vorbringen, welches in den vorbereitenden Schriftsätze enthalten ist, den Gegenstand der mündlichen Verhandlung aber nicht gebildet hat, nicht berücksichtigen darf. In dieser zweiten Folge liegt für eine jede Partei ein sehr entschiedener sachlicher Zwang, den Rechtsstreit und zwar vollständig mündlich zu verhandeln.“, Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 121. 20 Arens, Mündlichkeitsprinzip und Prozeßbeschleunigung, 1995, S. 20. 21 Stein/Jonas/Kern, 23. Aufl. 2017, § 128, Rn. 40; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 79, Rn. 43 ff. 22 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 129. 23 Siehe auch Endemann/Endemann, 1879, § 251 CPO, S. 48 ff. und Leipold, ZZP 93 (1980), S. 237, 258, jeweils mit Hinweis darauf, dass eine völlige Abschaffung der Eventualmaxime jedoch nicht erfolgte. So auch die Gesetzesbegründung, Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 131. 24 Arens, Mündlichkeitsprinzip und Prozeßbeschleunigung, 1995, S. 19 f. Siehe zur Entwicklung der Civilprozeßordnung auch Coing/Dahlmanns, Handbuch der Quellen und Literatur, 1982, Bd. III/2, S. 2615, 2684 ff. Es folgten weitere Gesetzesänderungen. Insbesondere wurden mit dem Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren vom 03.12.1976, welches maßgeblich auf die Schrift von Fritz Baur „Wege zur Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß“ von 1966 zurückgeht, die heutigen Vorschriften zur Präklusion sowie die Vorschriften der §§ 271 ff. ZPO eingeführt. 25 Endemann/Endemann, 1879, § 252 CPO, S. 55; Henckel, GS Bruns, 1980, S. 111, 116 f., der darauf hinweist, dass Anwälte einen solchen Antrag kaum stellen würden. Die Notwendig19
B. Einführung des Mündlichkeitsprinzips durch die CPO
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durch verschärft, dass auch die Leitung des Prozesses in entscheidenden Teilen in den Händen der Parteien lag.26 Die Folge waren Gesetzesänderungen, mit denen das Mündlichkeitsprinzip nach und nach wieder abgeschwächt wurde.27
II. Teilurteil als Mittel zur Abschichtung des Prozessstoffs Bei Einführung der Civilprozeßordnung war sich der Gesetzgeber der fehlenden Übertragbarkeit der bislang für den schriftlichen Prozess geltenden Grundsätze auf das mündliche Verfahren und der drohenden Unübersichtlichkeit durch den nunmehr gleichzeitigen Parteivortrag bewusst.28 Um gleichwohl den Anforderungen eines mündlichen Verfahrens zu entsprechen, d. h. „daß der Prozeßstoff einer mündlichen Verhandlung ein thunlichst beschränkter sei, nicht zu Vielerlei und zu Verschiedenartiges umfasse; daß die Möglichkeit leichter Uebersichtlichkeit gegeben und bei Bestimmung dieser Möglichkeit nur die gewöhnliche durchschnittliche Befähigung von Richtern und Anwälten in Betracht gezogen werde, daß die behufs Abgabe eines Urtheils erforderliche Würdigung des in einer mündlichen Verhandkeit hierfür sah der Gesetzgeber in der ansonsten aus einer endgültigen Zurückweisung folgenden „materielle[n] Benachtheiligung des Beklagten“, Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 130. Für im Berufungsverfahren verspätet vorgebrachte Angriffs- und Verteidigungsmittel sah die Vorschrift des § 502 CPO zudem die Möglichkeit eines Vorbehalts im Urteil vor, vgl. Endemann/Endemann, 1879, § 502 CPO, S. 435. 26 So erfolgte z. B. die Ladung zum Termin gem. § 191 CPO durch die Partei, welche über die Hauptsache oder über einen Zwischenstreit verhandeln wollte und Fristen konnten gem. § 202 CPO durch Vereinbarung der Parteien verlängert oder verkürzt werden. Siehe für eine zusammenfassende Darstellung Bettinger, Prozessmodelle im Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 51 ff. 27 So wurde z. B. 1909 zunächst für das Verfahren vor den Amtsgerichten und 1924 sodann auch für das Verfahren vor den Landgerichten die Möglichkeit der Bezugnahme auf die vorbereitenden Schriftsätze eingeführt, vgl. Arens, Mündlichkeitsprinzip und Prozeßbeschleunigung, 1995, S. 19 ff. Siehe zur Entwicklung der Civilprozeßordnung auch Coing/Dahlmanns, Handbuch der Quellen und Literatur, 1982, Bd. III/2, S. 2615, 2684 ff. und Henckel, GS Bruns, 1980, S. 111, 116 ff. Es folgten weitere Gesetzesänderungen. Hervorzuheben ist hierbei das Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren vom 03.12.1976, mit dem die Vorschriften der §§ 271 ff. ZPO und insbesondere die Präklusionsvorschrift des § 296 ZPO eingeführt wurden, siehe auch oben Fn. 24. 28 So heißt es in der Begründung: „Das schriftliche Verfahren ist seiner Natur nach ein einseitiges ungleichzeitiges. Der schriftliche Prozeß bewegt sich in selbstbestimmten Stadien vorwärts; auf die Klage folgt die Vernehmlassung, auf diese die Replik, auf diese die Duplik. Jeder Schriftsatz hat einen bestimmten Inhalt und selbst für diesen eine bestimmte Reihenfolge. Die technisch-prozessualische Regel, dass Repliken nicht zu antizipieren seien, hat für das schriftliche Verfahren Sinn und Bedeutung. Die Übertragung dieser Verhältnisse auf den mündlichen Prozeß, welcher seiner Natur nach ein zweiseitiges, gleichzeitiges Verfahren ist, würde, selbst wenn sie durchzuführen wäre, ganz unnatürlich sein. Die mündlichen Parteivorträge müssen geordnet sein, der Vorsitzende hat hierauf zu achten, und muß befugt sein, die Trennung der Verhandlung über verschiedene Punkte anzuordnen, wenn deren gemeinschaftliche Verhandlung die Uebersichtlichkeit aufheben würde.“, Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 128.
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1. Kapitel: Ursprung und Entwicklung des § 301 ZPO
lung vorgelegten Prozeßstoffs dieser der Zeit nach so nahe folge, als es die Verhältnisse nur immer gestatteten“,29
erachtete es der Gesetzgeber für erforderlich, „daß das Verfahren in mehrere Abschnitte mit einem bestimmten Prozeßstoff [zerfalle], welche in sich und gegen einander durch den Richter wie die Parteien bindende Urteile abgeschlossen, später in ihrer Verbindung das Endurtheil ergeben.“30
Zu diesem Zweck gab der Gesetzgeber dem Gericht verschiedene Möglichkeiten an die Hand, das Verfahren abzuschichten.31 Von großer Bedeutung erachtete der Gesetzeber hierbei „die dem Gericht gewährte Befugnis, auf Antrag oder von Amtswegen entweder [durch eine Prozesstrennung] eine Trennung der Verhandlung und der Entscheidung oder [durch Erlass eines Teilurteils] auch bei ungetrennter Verhandlung eine getrennte Entscheidung eintreten zu lassen.“32
Das Teilurteil führe dabei zu einer den Urteilsgegenstand betreffend vollständigen Erledigung für die Instanz,33 könne als Endurteil vorzeitig vollstreckt werden und unterliege der selbständigen Anfechtung durch Rechtsmittel.34 29
Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132.
30 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132. 31 Bezold/Hellmann, 1879, §§ 272–276, Anm. 1 a. E., S. 118 mit Verweis auf
die Möglichkeit des Gerichts zum Erlass zweier Endurteile bei verbundenen Prozessen sowie auf die Befugnis zum Erlass von Teil- und Zwischenurteilen. Siehe auch Struckmann und Koch, die ausführen, es „fehl[e] nicht an Mitteln, der in Folge dessen wegen Häufung des Prozeßstoffs drohenden Verwirrung entgegenzuwirken […].“, Struckmann/Koch, 6. Aufl. 1895, § 119 Anm. 2, S. 150 mit Verweis unter anderem auf die Zulässigkeit vorbereitender Schriftsätze, die Prozesstrennung und den Erlass eines Teilurteils. 32 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132, Hervorhebung durch die Verfasserin. Siehe auch Gaupp/Gaupp, 1. Aufl. 1879, § 136 CPO, Anm. I, S. 318. Dass sich der Gesetzgeber mit der Befugnis zur „Trennung der Verhandlung und der Entscheidung“ auf die Prozesstrennung (und nicht auf das Teilurteil) bezieht, zeigt sich auch an anderer Stelle der Materialien. So führt der Gesetzgeber z. B. aus: „Die mündlichen Parteivorträge müssen geordnete sein, der Vorsitzende hat hierauf zu achten, und muß befugt sein, die Trennung der Verhandlung über verschiedene Punkte anzuordnen, wenn deren gemeinschaftliche Verhandlung die Uebersichtlichkeit aufheben würde.“, Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 128, Hervorhebung durch die Verfasserin. Ferner heißt es in der Begründung zu § 136 CPO, die Vorschriften träfen „durch das dem Gerichte eingeräumte Trennungsrecht Vorkehr, daß trotz massiger Anhäufung des Prozeßstoffs der mündlichen Verhandlung die Uebersicht und Ordnung bewahrt und daß die mündliche Verhandlung auf das für die Entscheidung nothwendige Maß beschränkt werde.“, Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 216. 33 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132. 34 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 283 ff. So verweist der Gesetzgeber auf die Selbständigkeit des Teilurteils gegenüber dem Schlussurteil, wenn er ausführt, dass es „… selbstverständlich [sei], daß Rechtsbehelfe irgendwelcher Art, welche den erledigten Theil des Prozeßstoffs betreffen, für die Instanz nicht mehr geltend gemacht werden können, und daß ein im späteren Laufe des Rechtsstreits ergehendes Versäuminsurtheil
C. Entwicklung des § 301 ZPO
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Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte das Teilurteil damit der Beschränkung des Prozessstoffs und auf diese Weise der Strukturierung35 sowie der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens dienen, ohne jedoch – wie im Fall einer Prozesstrennung – eine Spaltung der Verhandlung und damit des Verfahrens herbeizuführen.36 Im Ergebnis sollte der Richter so vor einer Überforderung geschützt und zu einer Entscheidung befähigt werden. Deutlich wird dies insbesondere, wenn der Gesetzgeber seinen Überlegungen die „gewöhnliche durchschnittliche Befähigung von Richtern und Anwälten“37 zugrunde legt.
C. Entwicklung des § 301 ZPO Ein Blick auf den Wortlaut des § 273 CPO zeigt, dass die Vorschriften des § 273 CPO und des § 301 ZPO bis zur Einfügung des Satzes 2 in die Regelung des § 301 Abs. 1 ZPO durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30.03.2000 – in Kraft getreten am 01.05.2000 – praktisch deckungsgleich waren. Mit dem Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen wurde eine Reihe von Normen eingeführt, „die die Verzögerung von Zahlungen wirtschaftlich unattraktiv machen und die Möglichkeiten, fällige Ansprüche zügig gerichtlich geltend zu machen, verbessern [sollten].“38 Dem Gesetzgeber war es dabei ein Anliegen, die Stellung kleiner und mittlerer Baubetriebe – insbesondere in den neuen Bundesländern – zu verbessern.39 Die Einführung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO war zugleich Umsetzung der bis dahin ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die für den Fall eines Teilurteils über einen einheitlichen, nach Grund und Höhe streitigen Anspruch den gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils forderte.40 Insoweit wurde – neben den erledigten Theil des Prozeßstoffs überall nicht berührt.“, Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132. 35 Auf diesen Aspekt verweist Leipold, ZZP 93 (1980), S. 237, 258. 36 Die heute in § 145 ZPO geltende Vorschrift zur Prozesstrennung war damals in § 136 CPO geregelt und lautete: „(1) Das Gericht kann anordnen, daß mehrere in einer Klage erhobene Ansprüche in getrennten Prozessen verhandelt werden. (2) Dasselbe gilt, wenn der Beklagte eine Gegenforderung vorgebracht hat, welche mit der Klage geltend gemachten Forderung nicht in rechtlichem Zusammenhang steht.“ Der Begriff der „Gegenforderung“ in § 136 Abs. 2 CPO sollte dabei neben Einreden auch die Widerklage erfassen, vgl. Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 216. Hierauf verweisen auch Struckmann/Koch, 2. Aufl. 1879, § 136 CPO, Anm. 4, S. 103. Im Wesentlichen entspricht die heutige Vorschrift des § 145 ZPO daher noch der ursprünglichen Regelung des § 136 CPO. 37 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132. 38 BT-Drucks. 14/2752, S. 2. 39 BT-Drucks. 14/2752, S. 9. 40 RGZ 6, 49, 57; BGHZ 107, 236, 242 = NJW 1989, S. 2821, 2822; BGH, NJW 1992, S. 511; BGH, NJW 1997, S. 2184, 2185; OLG Hamm, JMBl NRW 1965, S. 279; OLG Düsseldorf, MDR 1985, S. 942; OLG Köln, NJW-RR 1992, S. 908; Kiesel, NJW 2000, S. 1673, 1682;
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1. Kapitel: Ursprung und Entwicklung des § 301 ZPO
der Anforderung an die Teilbarkeit bei einem nach Grund und Höhe streitigen Anspruch41 – das Gebot der Unabhängigkeit in § 301 Abs. 1 ZPO niedergelegt.42 Eine allgemeine Regelung, die die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen für alle in § 301 Abs. 1 ZPO enthaltenen Konstellationen ausschließt, wurde hingegen nicht eingefügt. Spätere im Gesetzesentwurf zum Forderungssicherungsgesetz43 enthaltene Vorschläge für eine Änderung des § 301 ZPO waren ebenfalls nicht auf eine generelle Einführung der Unabhängigkeit als Zulässigkeitsvoraussetzung gerichtet.44 Weitere Gesetzesinitiativen zur Anpassung des § 301 ZPO gab es nicht.
D. Kapitelzusammenfassung Die Vorschrift des § 301 ZPO geht auf die Regelung des § 273 CPO zurück, die mit der am 30.01.1877 im Rahmen der Reichsjustizgesetze verabschiedeten CPO eingeführt wurde. Dem Gesetzgeber war es hierbei ein Anliegen, dem Gericht – neben weiteren Instituten – eine Möglichkeit zur Abschichtung des Prozessstoffs an die Hand zu geben. Hintergrund war das mit der CPO eingeführte strikte Mündlichkeitsprinzip, welches den Parteien – in Abkehr von dem bis dahin geltenden Grundsatz der Schriftlichkeit und der damit einhergehenden Eventualmaxime – das gleichzeitige Vorbringen ihrer Angriffs-, Verteidigungsund Beweismittel bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung ermöglichte und die Präklusion verspäteten Vorbringens nur sehr eingeschränkt zuließ. Um gleichwohl die Übersichtlichkeit und Ordnung der mündlichen Verhandlung zu bewahren, sollten die Gerichte durch die Möglichkeit zum Erlass eines Teilurteils befähigt werden, „bei ungetrennter Verhandlung eine getrennte Entscheidung eintreten zu lassen“45 und so den Streitstoff abzuschichten.
vgl. auch die Darstellung und Urteilsanalyse bei de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 34 ff. 41 Siehe zur Teilbarkeit im Fall eines nach Grund und Höhe streitigen Anspruchs und dem Erfordernis zum Erlass eines Grundurteils unten 2. Kapitel. A. III., S. 24 ff. 42 Siehe zum Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch unten 4. Kapitel. C., S. 150 ff. 43 Gesetz zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen vom 23.10.2008, siehe zum Forderungssicherungsgesetz die Ausführungen von Peters, ZRP 2006, S. 142 ff. und Kunze/Paulus, ZRP 2005, S. 44 ff. 44 Vgl. BT-Drucks. 15/3594, S. 6. Die dort enthaltenen Vorschläge bezogen sich auf eine Änderung der Ermessensvorschrift des § 301 Abs. 2 ZPO (das Ermessen sollte nur noch in zwei Fällen ausgeübt werden können), die Einführung einer Antragsmöglichkeit durch die Parteien als § 301 Abs. 3 ZPO sowie die Normierung einer Pflicht des Gerichts zur Fortführung des nicht durch Teilurteil entschiedenen Teils als § 301 Abs. 4 ZPO. Die Vorschläge wurden jedoch nicht im Forderungssicherungsgesetz umgesetzt. 45 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132.
D. Kapitelzusammenfassung
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Die Vorschrift des heutigen § 301 ZPO hat seit ihrer Einführung im Rahmen der Reichsjustizgesetze nur wenig Veränderung erfahren. So wurde lediglich mit dem Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30.03.2000 die Regelung des § 301 Abs. 1 ZPO durch Einfügung des Satzes 2 dahingehend erweitert, dass über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs, der nach Grund und Höhe streitig ist, durch Teilurteil nur entschieden werden kann, wenn zugleich ein Grundurteil über den restlichen Teil des Anspruchs ergeht. Die Regelung setzte die bis dahin bereits gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung um, die in eben diesem Fall den gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils forderte. Weitere Gesetzesänderungen gab es nicht. Insbesondere hat der Gesetzgeber bis heute nicht das von der Rechtsprechung entwickelte Gebot der Unabhängigkeit in der Norm des § 301 ZPO festgeschrieben.
2. Kapitel
Zulässigkeitsvoraussetzungen der Teilbarkeit und Entscheidungsreife Die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil als Voraussetzung für den Erlass eines Teilurteils bildet den Kern dieser Arbeit. Bei diesem Erfordernis handelt es sich jedoch nur um eine von insgesamt drei Zulässigkeitsvoraussetzungen. Neben der Unabhängigkeit, welche oftmals als drittes Kriterium genannt wird,1 müssen Teilbarkeit und Entscheidungsreife vorliegen. Da die Unabhängigkeit jedoch nur im Zusammenhang mit den anderen beiden Voraussetzungen, insbesondere der Entscheidungsreife betrachtet werden kann,2 sollen im nachfolgenden Kapitel zunächst die Merkmale der Teilbarkeit und Entscheidungsreife erläutert werden.
A. Teilbarkeit Die Teilbarkeit ist ebenso wie die Unabhängigkeit nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung im Wortlaut des § 301 Abs. 1 ZPO enthalten. Sie ist jedoch nach dem Sinn und Zweck sowie dem Inbegriff der Vorschrift, d. h. eine Entscheidung über einen abgrenzbaren Teil zu erlassen, zwingende Voraussetzung für ein Teilurteil.3 Unproblematisch ist die Teilbarkeit bei Erlass eines Teilurteils im Fall der objektiven Klagehäufung und einfachen Streitgenossenschaft gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 1 ZPO sowie bei einem Teilurteil über eine Klage oder Widerklage gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 3 ZPO, da in all diesen Konstellationen auch die Erhebung getrennter Klagen möglich wäre.4 Soll hingegen ein Teilurteil gem. 1 Vgl. nur Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 2; BLAH/Hunke, 78. Aufl. 2020, § 301, Rn. 5; Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 301, Rn. 3; MüKo-ZPO/ders., 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 17; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 301, Rn. 2 ff. 2 de Lousanoff z. B. erachtet die Unabhängigkeit als vollständig in der Entscheidungsreife erfasst und daher als überflüssig. Siehe ausführlich zur Ansicht de Lousanoffs unten 3. Kapitel. C. II. 2., S. 82 ff. 3 Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 143. Vgl. auch MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 4, der die Abgrenzbarkeit auch als selbstverständliche Voraussetzung bezeichnet. Zur Teilbarkeit von Schuldverträgen siehe Hoffmann, JuS 2017, S. 1045 ff. 4 MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 4; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 301, Rn. 2.
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2. Kapitel: Zulässigkeitsvoraussetzungen der Teilbarkeit und Entscheidungsreife
§ 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs ergehen, so muss dieser Teil so individualisiert und abgrenzbar sein, dass er einer gesonderten rechtlichen und tatsächlichen Beurteilung zugänglich ist.5 Im Folgenden werden die einzelnen Konstellationen erläutert.
I. Teilbarkeit im Fall von objektiver und subjektiver Klagehäufung 1. Teilbarkeit bei objektiver Klagehäufung Im Fall der objektiven Klagehäufung gem. § 260 ZPO ist zwischen der kumulativen und der eventuellen Klagehäufung zu unterscheiden.
a) Teilbarkeit bei kumulativer Klagehäufung Bei der kumulativen Klagehäufung folgt die Teilbarkeit bereits aus der Häufung mehrerer prozessualer Ansprüche in einer Klage.6 Eine materiell-rechtliche Verknüpfung zwischen den Ansprüchen ist für die Teilbarkeit unbeachtlich; sie wird erst bei Anwendung des Gebots der Unabhängigkeit relevant.7 Stets erforderlich ist aufgrund des Bestimmtheitserfordernisses jedoch, dass aus dem Teilurteil deutlich hervorgeht, über welchen der Streitgegenstände entschieden wird.8
b) Teilbarkeit bei eventueller Klagehäufung Wie bei der kumulativen Klagehäufung, so ergibt sich auch im Fall der eventuellen Klagehäufung die Teilbarkeit aus der Verbindung mehrerer Streitgegenstände in einer Klage. Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Haupt- und Hilfsantrag steht der Teilbarkeit nicht entgegen, sondern ist Frage der Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil.9
2. Teilbarkeit bei subjektiver Klagehäufung Auch bei der subjektiven Klagehäufung in Form der einfachen Streitgenossenschaft gem. §§ 59 ff. ZPO liegt Teilbarkeit vor, da sie – sei es auf Kläger- oder Beklagtenseite – nur eine äußerliche Verbindung mehrerer Prozessrechtsver5 BGHZ 108, 256, 260 = NJW 1989, S. 2745, 2746; BGH, NJW 1992, S. 1769, 1770; BGH, NJW 2000, S. 137, 138; Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 301, Rn. 3a, 5; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 301, Rn. 2. 6 BGH, NJW 1993, S. 2173; MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 4; Saenger/ Saenger, 8. Aufl. 2019, § 301, Rn. 2. 7 Siehe zur Unabhängigkeit im Rahmen der kumulativen Klagehäufung unten 4. Kapitel. A. I. 1., S. 110 ff. 8 Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 301, Rn. 5. 9 Siehe zur Unabhängigkeit im Rahmen der eventuellen Klagehäufung unten 4. Kapitel. A. I. 2., S. 113 ff.
A. Teilbarkeit
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hältnisse und Prozesse in einem Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung darstellt und jeder der Streitgenossen auch alleine hätte verklagt werden bzw. alleine hätte klagen können.10 Aus diesem Grund ist auch der Erlass eines Teilurteils im Fall der notwendigen Streitgenossenschaft gem. § 62 ZPO, bei der gegenüber allen Streitgenossen nur eine einheitliche Entscheidung ergehen kann, unzulässig11 und stellt einen von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel dar.12 Eine Ausnahme im Rahmen des § 62 ZPO – und damit der Erlass eines Teilurteils – ist nur möglich, wenn bereits die Klage nur gegen einen der notwendigen Streitgenossen zulässig gewesen wäre, weil die übrigen Streitgenossen schon vor Klageerhebung erklärt haben, zu der im Wege der Klage begehrten Leistung verpflichtet und bereit zu sein.13
II. Teilbarkeit im Fall von Klage und Widerklage Wie bei der objektiven Klagehäufung, so besteht auch im Fall von Klage und Widerklage bereits aufgrund der verschiedenen Streitgegenstände Teilbarkeit.14 Ein rechtlicher Zusammenhang, der eine Trennung der Prozesse gem. § 145 Abs. 2 ZPO verhindern würde, sei es, weil Klage und Widerklage aus demselben Tatbestand hergeleitet werden oder weil sie in einem Bedingungsverhältnis zueinanderstehen, schadet nicht.15 Eine solche Verzahnung wird erst im Rahmen der Unabhängigkeit relevant.16
10 BGH, NJW 1988, S. 2113; OLG Hamm, NJW 1996, S. 1083; Thomas/Putzo/Hüßtege, 40. Aufl. 2019, vor § 59, Rn. 1; MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 4; Prütting, MedR 2019, S. 216; Regenfus, JA 2018, S. 888; Schellhammer, Zivilprozess, 15. Aufl. 2016, Rn. 922. 11 Gleichwohl erwächst das unzulässig erlassene Teilurteil in Rechtskraft, wobei das Urteil nicht gegenüber den anderen Streitgenossen wirkt, vgl. BGHZ 131, 376, 382 = NJW 1996, S. 1060, 1061 f. 12 BGH, NJW 1962, S. 1722; BGH, NJW 1991, S. 101; BGH, NJW 2000, S. 291, 292; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 30; BeckOK-ZPO/Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 301, Rn. 18d; Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 301, Rn. 14. 13 BGH, NJW 1962, S. 1722, 1723; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 31; BLAH/Hartmann, 77. Aufl. 2019, § 62, Rn. 24; a. A. MüKo-ZPO/Schultes, 6. Aufl. 2020, § 62, Rn. 34, der eine Ausnahme nur zulassen will, wenn sich einer der Streitgenossen der Zwangsvollstreckung unterwirft oder die geschuldete Mitwirkung bereits erbracht hat. 14 MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 4. 15 RGZ 101, 40, 43; BGH, NJW 1975, S. 1228; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 7; BLAH/Hunke, 78. Aufl. 2020, § 301, Rn. 31; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 145, Rn. 8. 16 Siehe zum Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen von Klage und Widerklage unten 4. Kapitel. B., S. 143 ff.
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2. Kapitel: Zulässigkeitsvoraussetzungen der Teilbarkeit und Entscheidungsreife
III. Teilbarkeit bei einem einheitlichen Anspruch Auch ein einheitlicher Anspruch ist teilbar im Sinne des § 301 Abs. 1 ZPO. Die Einheitlichkeit schließt die Teilbarkeit nicht aus.17 Der zu entscheidende Teil kann sich sowohl auf den Streitgegenstand der Klage als auch auf den der Widerklage beziehen.18 Teilbarkeit liegt grundsätzlich vor, wenn es sich um einen abgrenzbaren, eindeutig individualisierbaren quantitativen Teil des Anspruchs handelt, der auch Gegenstand einer Teilklage und damit Urteilsgegenstand eines Voll-Endurteils hätte sein können.19 Diese Kriterien erfüllt z. B. ein sich aus mehreren Einzelposten zusammensetzender, materieller Anspruch, soweit die Einzelposten eindeutig ziffernmäßig oder anderweitig bestimmt und individualisierbar sind.20 Die Anforderungen an die Teilbarkeit eines einheitlichen Anspruchs bei Erlass eines Teilurteils gehen jedoch noch über die Voraussetzungen an die Teilbarkeit im Rahmen einer Teilklage hinaus: Denn während die Zulässigkeit einer Teilklage „leidglich“ erfordert, dass ein einheitlicher Lebenssachverhalt in mehrere Streitgegenstände zerlegt werden kann, verlangt der Erlass eines Teilurteils die Teilbarkeit eines einheitlichen Streitgegenstandes.21 Deutlich wird der Unterschied bei einem Anspruch auf Zahlung von Rest werklohn, dessen Grundlage eine sich aus mehreren Einzelposten zusammensetzende Schlussrechnung ist: So kann ein Teilbetrag aus einem Schlussrechnungssaldo Gegenstand einer Teilklage sein, ohne dass dieser Teilbetrag individualisiert, d. h. einzelnen Positionen der Schlussrechnung zugeordnet werden muss.22 Hintergrund ist, dass der Schlussrechnungssaldo als einheitliche Forderung und die der Rechnung zugrundeliegenden Positionen nur als Rechnungsposten betrachtet werden.23 Die Individualisierung erfolgt dann durch das Gericht, welches im Rahmen seiner Entscheidung die dem eingeklagten Betrag zugrundeliegenden Positionen prüft und dem eingeklagten Teilbetrag zuordnet.24 17
BGH, NJW-RR 1990, S. 1303, 1304; BGH, NJW 1992, S. 1769, 1770. RGZ 66, 396, 297; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 10. 19 RGZ 22, 400, 401; RGZ 66, 396, 398; RGZ 96, 8, 11; BGHZ 97, 264, 266 = NJW 1986, S. 2245, 2246; BGH, NJW-RR 1989, S. 1149; BGH, NJW 1992, S. 1760, 1770; BGH, NJWRR 2009, S. 494, 495; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 10; BeckOK-ZPO/ Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 301, Rn. 19; BLAH/Hunke, 78. Aufl. 2020, § 301, Rn. 5; Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 301, Rn. 5; MüKo-ZPO/ders., 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 10; Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 301, Rn. 17; Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 301, Rn. 6. 20 BGHZ 108, 256, 260 = NJW 1989, S. 2745, 2746; BGH, NJW-RR 2009, S. 494, 495; Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 301, Rn. 7. 21 Sonntag, NZBau 2008, S. 361, 362 f. Siehe zur Teilklage auch unten 6. Kapitel. B., S. 221 ff. 22 BGH, NZBau 2008, S. 319, 320; vgl. auch MüKo-ZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, § 253, Rn. 108. 23 BGH, NZBau 2007, S. 167, 168; BGH, NZBau 2008, S. 319, 320. 24 Sonntag, NZBau 2008, S. 361, 363. Siehe auch die Entscheidung des BGH, NJW 2000, 18
A. Teilbarkeit
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Der Erlass eines Teilurteils hingegen setzt voraus, dass der abzuurteilende Teil hinreichend individualisiert ist.25 Dies erfordert im Fall eines Teilurteils über einen Teil einer einheitlichen Forderung aus einem Schlussrechnungssaldo, dass der Grund des Anspruchs – d. h. die Zuordnung eines bestimmten Rechnungspostens – feststeht. Daher muss, wenn der Anspruch nach Grund und Höhe streitig ist, gem. § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO zugleich ein Grundurteil ergehen.26 Andernfalls – so der BGH – fehle es bereits an der erforderlichen Teilbarkeit, da über den Grund eines einheitlichen Anspruchs nur einheitlich entschieden werden könne.27 Für das Beispiel eines Teilurteils über einen Teil einer einheitlichen Restwerklohnforderung aus einem Schlussrechnungssaldo bedeutet dies, dass – soweit Grund und Höhe streitig sind – das Teilurteil mit einem Grundurteil verbunden werden muss, das über jeden der Schlussrechnung zugrundeliegenden Einzelposten dem Grunde nach entscheidet.28 Auch ein Schmerzensgeldanspruch, welcher dem „Grundsatz der Einheitlichkeit“29 unterliegt und weder „in einen Betrag auf angemessenen Ausgleich und einen weiteren Betrag zur Genugtuung, noch in Teilbeträge zum Ausgleich
S. 3718, 3719, in der das Gericht zu einem im Wege der Teilklage geltend gemachten Schadensersatzanspruch ausführt: „Die Kl. macht 100000 DM aus einer Gesamtsumme von 2464867 DM geltend, die sich aus mehreren Einzelpositionen zusammensetzt. Insoweit handelt es sich um einen einheitlichen Schaden mit unselbstständigen Rechnungsposten, nicht aber um verschiedene prozessuale Ansprüche. Hier bedarf es grundsätzlich keiner Erklärung über die Reihenfolge der Prüfung […].“ 25 Siehe in diesem Kapitel Fn. 19. 26 So auch schon die Rechtsprechung vor Einführung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30.03.2000, vgl. BGHZ 107, 236, 242 = NJW 1989, S. 2821, 2822; BGH, NJW 1992, S. 511; BGH, NJW 1992, S. 1769, 1770. Darüber hinaus dient der gleichzeitige Erlass eines Grundurteils dem Ausschluss der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen. Siehe hierzu unten 4. Kapitel. C., S. 150 ff. 27 BGH, NJW 1992, S. 511; BGH, NJW 1992, S. 1769, 1770. Vorrangig wird der gleichzeitige Erlass eines Grundurteils jedoch mit dem Ausschluss der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen begründet, vgl. BGHZ 107, 236, 242 = NJW 1989, S. 2821, 2822; BGH, NJW 2001, S. 760 f. Zu den Anforderungen an den Erlass eines Grundurteils über eine auf Zahlung von Werklohn gerichtete Klage, die sich aus mehreren Einzelpositionen einer Schlussrechnung zusammensetzt, siehe BGH, NZBau 2007, S. 167 f. mit kritischer Anmerkung Sonntag, NZBau 2007, S. 168 f. 28 Sonntag, NZBau 2007, S. 168, 169, der die seiner Anmerkung zugrundeliegende Entscheidung des BGH vom 09.11.2006, Az. VII ZR 151/05 (NZBau 2007, S. 167 f.) kritisiert und sich für eine Entscheidung durch Teilurteil auch dann ausspricht, „wenn dem Auftragnehmer – nach Prüfung der Gegenforderungen – auf Grund eines einzelnen Nachtrags bereits mit Sicherheit ein positiver Saldo zusteht, selbst wenn weitere Positionen der Schlussrechnung dem Grunde nach noch streitig sind.“ 29 BGH, NJW 2004, S. 1243, wonach „die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Schmerzensgelds auf Grund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbilds zu bemessen [ist].“
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2. Kapitel: Zulässigkeitsvoraussetzungen der Teilbarkeit und Entscheidungsreife
bestimmter Verletzungen aufgespalten werden kann“,30 ist einer Entscheidung durch Teilurteil zugänglich, wenn im Zeitpunkt dieser ein Mindestschaden feststeht und sich nicht endgültig klären lässt, welche Änderungen des Gesundheitszustandes noch eintreten können.31 Liegen diese Voraussetzungen vor, so kann das Gericht dem Verletzten den im Entscheidungszeitpunkt feststehenden Mindestschaden zusprechen und später den Betrag auf die volle abzuschätzende Summe erhöhen.32 Unzulässig ist es jedoch, dem Verletzten nur einen Teil des im Zeitpunkt der Entscheidung zustehenden Mindestschadens zuzusprechen, da einer solchen Entscheidung wiederum der Grundsatz der Einheitlichkeit entgegensteht.33 Neben der Teilbarkeit ist für die Zulässigkeit eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch zudem erforderlich, dass das Gericht die Teilung vornimmt und kenntlich macht. Nicht ausreichend ist es daher, wenn das Gericht einen sich aus mehreren bezifferten Einzelposten zusammensetzenden Zahlungsanspruch lediglich nach Zeitabschnitten aufteilt und die Einzelposten den Zeitabschnitten weder im Urteil noch im Parteivorbringen zuordnet.34 Im Ergebnis bedarf es bei Erlass eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch daher immer einer Einzelfallprüfung dahingehend, ob der zu entscheidende Streitgegenstand teilbar und damit die Grundvoraussetzung für den Erlass eines Teilurteils erfüllt ist.35
B. Entscheidungsreife Die zweite notwendige Zulässigkeitsvoraussetzung für den Erlass eines Teilurteils ist die vorzeitige Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils. Sie wird explizit vom Wortlaut des § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO erfasst und ist, da es sich beim Teilurteil um ein Endurteil handelt, selbstverständliche Voraussetzung für dessen Erlass.36 30 BGH, NJW 2004, S. 1243, 1244. Vgl. auch OLG Düsseldorf, NJW 1997, S. 2333, 2334; OLG Saarbrücken, NJW 2011, S. 3169, 3170; vgl. zur Einheitlichkeit Palandt/Grüneberg, 79. Aufl. 2020, § 253, Rn. 23. 31 BGH, NJW 2004, S. 1243, 1244; Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 3. 32 BGH, NJW 2004, S. 1243, 1244. 33 OLG München, Urt. v. 11.07.2013, Az. 23 U 695/13 – juris, Rn. 18. 34 BGHZ 108, 256, 260 = NJW 1989, S. 2745, 2746. 35 So fehlt es zum Beispiel im Fall einer Kündigungsschutzklage und dem Auflösungsantrag gem. § 9 KSchG an der Teilbarkeit, da die Auflösung des Arbeitsverhältnisses einen unselbständigen, nicht abtrennbaren Teil des Streitgegenstandes darstellt. In der Folge ist es unzulässig, über die Sozialwidrigkeit der Kündigung durch ein Teilurteil vorab zu entscheiden und die Entscheidung über die Auflösung einem Schlussurteil vorzubehalten, vgl. BAG, NJW 1980, S. 1484, 1485. Weitere Beispiele bei Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 301, Rn. 15; Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 301, Rn. 7. 36 So auch Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 568.
B. Entscheidungsreife
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I. Entscheidungsreife gem. § 301 Abs. 1 ZPO Der Begriff der Entscheidungsreife gem. § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO wird wie im Rahmen des § 300 Abs. 1 ZPO verstanden, mit dem Unterschied, dass für ein Teilurteil der Eintritt teilweiser Entscheidungsreife genügt.37 Sie liegt vor, wenn das Gericht über die (teilweise) Klagestattgabe oder -abweisung befinden kann.38 Voraussetzung dafür ist, dass der zu entscheidende Tatsachenstoff, der bei Teilurteilserlass vorliegt,39 unter Maßgabe des § 139 ZPO hinreichend geklärt und erörtert ist und die Beweise erschöpft sind.40 Solange noch weiteres Parteivorbringen zulässig und dieses nicht gem. § 296 ZPO präkludiert ist, darf ein Teilurteil nicht ergehen.41
II. Präklusion bei Erlass eines Teilurteils Gem. § 296 Abs. 1 ZPO sind verspätete, d. h. nach Ablauf einer vom Gericht gesetzten Frist vorgebrachte Angriffs- und Verteidigungsmittel nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts durch ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert würde. Streitig im Rahmen des § 301 Abs. 1 ZPO ist, welcher Zeitpunkt für die Annahme einer Verzögerung maßgeblich ist: der Erlass des Teil- oder des Schlussurteils. Bevor auf den maßgeblichen Zeitpunkt näher eingegangen wird, sollen zunächst der Hintergrund des § 296 ZPO und der Verzögerungsbegriff im Sinne der Vorschrift zusammenfassend erläutert werden.42
1. Einführung des § 296 ZPO durch die Vereinfachungsnovelle 1976 Die Vorschrift des § 296 ZPO wurde mit dem Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren 1976 eingeführt (sog. Vereinfachungs37 Im Unterschied hierzu fordert ein Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 1 ZPO Entscheidungsreife des gesamten Rechtsstreits. 38 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 59, Rn. 8; abweichend Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311 ff., der vertritt, dass sich die im Rahmen des § 301 ZPO erforderliche Teil-Entscheidungsreife von der in § 300 ZPO erforderlichen Voll-Entscheidungsreife unterscheide, siehe zur Ansicht Jauernigs unten 3. Kapitel. C. II. 7., S. 88 f. 39 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 28. 40 Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 300, Rn. 2; Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 568; MüKo-ZPO/ders., 6. Aufl. 2020, § 300, Rn. 2; Musielak/Voit/ders., 17. Aufl. 2020, § 300, Rn. 8; Thomas/Putzo/Seiler, 40. Aufl. 2019, § 300, Rn. 2. 41 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 300, Rn. 6; Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 6. 42 Eine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Verzögerungsbegriff und den nach der Vereinfachungsnovelle vom 03.03.1976 entstandenen Ansichten wäre für die Frage, ob im Rahmen der Präklusion auf das Teil- oder Schlussurteil abzustellen ist, nicht zielbringend und würde an dieser Stelle zu weit führen. Für eine detaillierte Auseinandersetzung siehe z. B. Kallweit, Prozeßförderungspflicht, 1983 und Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, 1988.
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2. Kapitel: Zulässigkeitsvoraussetzungen der Teilbarkeit und Entscheidungsreife
novelle). Hintergrund war das seit Erlass der CPO durch die Reichsjustizgesetze weiterhin bestehende Problem langer Verfahrensdauern.43 So verfolgte der Gesetzgeber mit der Vereinfachungsnovelle erneut das Ziel,44 „das gerichtliche Verfahren zu rationalisieren, zu vereinfachen und damit zugleich zu beschleunigen und die Gerichte zu entlasten.“45 Im Fokus stand die Konzentration des Verfahrens und vor allem der mündlichen Verhandlung.46 Zu diesem Zweck wurden neben der Vorschrift des § 296 ZPO insbesondere die Regelungen der §§ 271 ff. ZPO neu gestaltet und den Gerichten die Möglichkeit zur Bestimmung eines frühen ersten Termins oder eines schriftlichen Vorverfahrens gegeben.47 Zudem wurde mit Einführung gesetzlicher und richterlicher Fristen (insb. § 273 Abs. 2 Nr. 1, § 275 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, 4, § 276 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 ZPO) die Prozessförderungspflicht der Parteien konkretisiert.48 Ziel war die Etablierung eines effektiven Hauptverhandlungsmodells, welches durch eine umfassende Vorbereitung die Möglichkeit zur Erledigung des Rechtsstreits in einem Termin, der Hauptverhandlung, geben sollte.49 Mit Einführung des § 296 ZPO und dessen Bezugnahme auf die neuen Fristenregelungen kamen neue Fragestellungen auf, die es zu beantworten galt. Zwar hatte es auch zuvor Regelungen zur Präklusion gegeben.50 Allerdings wurde unter den Voraussetzungen des neuen § 296 ZPO eine Präklusion verspäteten Vorbringens erheblich erleichtert.51 Hierbei führte insbesondere die Frage über die „Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits nach Ablauf einer hierfür gesetzten Frist“ gem. § 296 ZPO zu Diskussionen und schließlich zur Entwicklung der absoluten und relativen Theorie.52 Diese sollen nachfolgend erläutert werden. 43 Siehe
Bettinger, Prozessmodelle im Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 54 ff. Siehe zu den Novellen vor Einführung des Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren Bettinger, Prozessmodelle im Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 54 ff. 45 BT-Drucks. 7/2729, S. 1. 46 BT-Drucks. 7/2729, S. 1. Grundlage der Vereinfachungsnovelle war das von Fritz Baur maßgeblich vorbereitete Stuttgarter Modell, welches die 20. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart auf Basis der von Baur 1966 veröffentlichten Schrift „Wege zur Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß“ entwickelt hatte, vgl. Arens, Mündlichkeitsprinzip und Prozeßbeschleunigung, 1995, S. 30 ff.; Baur, NJW 1987, S. 2636, 2639; Bettinger, Prozessmodelle im Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 61 ff.; Stürner, ZZP 127 (2014), S. 271, 287 f. 47 Baur, NJW 1987, S. 2636, 2639. Siehe auch BT-Drucks. 7/2729, S. 39. 48 BT-Drucks. 7/2729, S. 38. 49 Arens, Mündlichkeitsprinzip und Prozeßbeschleunigung, 1995, S. 30 ff.; Bettinger, Prozessmodelle im Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 69 ff. 50 Vor der Vereinfachungsnovelle enthielten die Vorschriften der §§ 279, 279a und 283 Abs. 2 ZPO Möglichkeiten zur Präklusion nachträglichen Vorbringens. 51 Insbesondere war mit § 296 ZPO in Abkehr zum vorher geltenden § 279 ZPO kein qualifiziertes Verschulden mehr erforderlich – gem. § 279 ZPO musste Verschleppungsabsicht oder grobe Nachlässigkeit vorliegen –, sondern es genügte einfaches Verschulden für eine Zurückweisung. Siehe auch BT-Drucks. 7/2729, S. 39. 52 Baur, NJW 1987, S. 2636, 2640. 44
B. Entscheidungsreife
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2. Absoluter und relativer Verzögerungsbegriff Lange Zeit war umstritten, wie der Begriff der „Verzögerung“ im Sinne des § 296 ZPO zu verstehen ist. Dominiert wurde dieser Meinungsstreit von zwei Lagern: den Vertretern der relativen Theorie (relativer Verzögerungsbegriff ) und den Vertretern der heute herrschenden absoluten Theorie (absoluter Verzögerungsbegriff ).
a) Relative Theorie Nach der relativen Theorie ist für die Frage, ob eine Verzögerung im Sinne des § 296 ZPO vorliegt, eine hypothetische Betrachtung der Gesamtdauer des Rechtsstreits zugrunde zu legen.53 Hierfür werden die voraussichtliche Verfahrensdauer bei noch erfolgender Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens und die Dauer des Prozesses, die dieser haben würde, wenn das verspätete Vorbringen rechtzeitig vorgebracht worden wäre (sog. hypothetische Verfahrensdauer), verglichen. Ist die hypothetische Verfahrensdauer kürzer als die voraussichtliche, so ist das Vorbringen gem. § 296 ZPO präkludiert und darf nicht mehr berücksichtigt werden.54 Begründet wird diese Ansicht mit dem durch § 296 ZPO verfolgten Zweck, eine durch Parteiverhalten verursachte Verfahrensverzögerung zu verhindern.55 Hierfür sei es erforderlich, die Prozessdauer bei pflichtgemäßem Verhalten der Partei, d. h. bei rechtzeitigem Vorbringen der Angriffs- und Verteidigungsmittel, zu betrachten. Verkürze sich die Dauer bei rechtzeitigem Vorbringen nicht, so sei die Verzögerung auch keine Folge pflichtwidrigen Parteihandelns.56 Auch wenn die relative Theorie sowohl in Literatur als auch in obergerichtlicher Rechtsprechung zahlreiche Anhänger gefunden hat,57 hat sich der absolute Verzögerungsbegriff, insbesondere durch die Rechtsprechung des BGH, als herrschend durchgesetzt.
b) Absolute Theorie Nach dem herrschenden absoluten Verzögerungsbegriff ist für die Feststellung einer Verzögerung maßgeblich, ob der Prozess bei Zulassung des verspäteten 53 Bronsch, JR 1980, S. 112, 113; Fuhrmann, Zurückweisung, 1987, S. 88; Knöringer, NJW 1977, S. 2336, 2337; Leipold, ZZP 93 (1980), S. 237, 249; Pieper, FS Wassermann, 1985, S. 773, 774 ff.; Rudolph, FS aus Anlaß des 10-jährigen Bestehens der Deutschen Richterakademie in Trier, 1983, S. 151, 166; Schneider, MDR 1978, S. 969. 54 Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, 1988, S. 212. 55 Leipold, ZZP 93 (1980), S. 237, 250. 56 Leipold, ZZP 93 (1980), S. 237, 250. 57 OLG Frankfurt a. M., NJW 1979, S. 375; OLG Frankfurt a. M., NJW 1979, S. 1715; OLG Hamburg, NJW 1979, S. 1717; OLG Hamm, NJW 1979, S. 1717; OLG Hamm, MDR 1979, S. 765. Siehe ferner die Nachweise in Fn. 53 in diesem Kapitel.
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2. Kapitel: Zulässigkeitsvoraussetzungen der Teilbarkeit und Entscheidungsreife
Vorbringens länger dauern würde als bei dessen Zurückweisung.58 Ausgangspunkt ist die Restdauer des Verfahrens, d. h. die Zeit des Prozesses, die dieser vom Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung des verspäteten Vorbringens noch voraussichtlich andauern wird.59 Verlängert sich im Fall der Zulassung des verspäteten Vorbringens die Prozessdauer im Vergleich zu einer Nichtzulassung, so liegt eine Verzögerung vor und das Vorbringen ist präkludiert.60 Auch hierbei wird u. a. mit dem Zweck der Norm argumentiert: So diene § 296 ZPO einer Beschleunigung des Verfahrens und einer Verkürzung ansonsten langer Prozesse.61 Diese Funktionen könnten jedoch nur erfüllt werden, wenn die Präklusionsvorschrift klar gehandhabt würde.62 Die damit einhergehenden „Nachteile für ein Bemühen um materiell richtige Entscheidungen“63 habe der Gesetzgeber vor dem Hintergrund einer Prozessbeschleunigung bewusst in Kauf genommen.64 Auch stünde die absolute Theorie nicht in Widerspruch zum verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör. So gewähre Art. 103 Abs. 1 GG den Prozessbeteiligten (lediglich) die Gelegenheit, sich zu dem zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern, und stelle sicher, dass das entscheidende Gericht die Ausführungen zur Kenntnis nehme und in seine Erwägungen einbeziehe.65 Ein Schutz der Parteien davor, dass ihr Vortrag aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise nicht berücksichtigt werde, bestehe hingegen nicht.66 Erst im Fall eines Rechtsmiss58 BGHZ 75, 138, 142 = NJW 1979, S. 1988; BGHZ 76, 236, 239 = NJW 1980, S. 1167, 1168; BGHZ 86, 31, 34 = NJW 1983, S. 575, 576 f.; BGH, NJW 2012, S. 844; BGH, NJW 2012, S. 2808, 2809; OLG Rostock, NJOZ 2004, S. 294, 296 f.; BLAH/Bünnigmann, 78. Aufl. 2020, § 296, Rn. 40 f.; Deubner, NJW 1977, S. 921, 923; ders., NJW 1979, S. 337; Musielak/ Voit/Huber, 17. Aufl. 2020, § 296, Rn. 13; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011, § 28, Rn. 16, 18; MüKo-ZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, § 296, Rn. 80; Thomas/Putzo/Seiler, 40. Aufl. 2019, § 296, Rn. 14; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 68, Rn. 31; Schellhammer, Zivilprozess, 15. Aufl. 2016, Rn. 462; Wieczorek/Schütze/Weth, 4. Aufl. 2013, § 296, Rn. 99 ff.; ders., Zurückweisung verspäteten Vorbringens, 1988, S. 259. 59 Kallweit, Prozeßförderungspflicht, 1983, S. 921, 923; Deubner, NJW 1977, S. 921, 923, der die absolute Betrachtungsweise auf den Wortlaut der § 296 Abs. 1, Abs. 2 ZPO und § 528 Abs. 1, Abs. 2 ZPO stützt: Indem die Frage der Zulassung des verspäteten Vorbringens für die Feststellung einer Verzögerung maßgeblich sei, würde die Vorschrift den Richter anweisen, „die Prozeßdauer im Falle der Zulassung mit der im Falle der Zurückweisung zu vergleichen.“ Allein diese Argumentation überzeugt jedoch nicht, da der Wortlaut mit der Bezugnahme auf die Zulassung noch keinen Vergleichsmaßstab für eine Verzögerung bietet, so auch Schneider, NJW 1979, S. 2614, 2615 und OLG Hamburg, NJW 1979, S. 1717, 1718. Vielmehr bleibt der Maßstab für eine Verzögerung offen. Allerdings lässt der Wortlaut auch nicht auf eine hypothetische Betrachtungsweise schließen. 60 Kallweit, Prozeßförderungspflicht, 1983, S. 44. 61 BGHZ 86, 31, 33 = NJW 1983, S. 575, 576; BVerfGE 54, 117, 126 = NJW 1980, S. 1737. 62 BGHZ 86, 31, 34 = NJW 1983, S. 575, 576. 63 BGHZ 86, 31, 33 = NJW 1983, S. 575, 576. 64 BGHZ 75, 138, 142 = NJW 1979, S. 1988; BGHZ 76, 133, 136 = NJW 1980, S. 945, 946; BGHZ 83, 371, 380 = NJW 1982, S. 1708, 1710. 65 BVerfGE 11, 218 = MDR 1960, S. 734; BVerfGE 36, 92 = NJW 1974, S. 133. 66 BVerfGE 54, 117, 126 = NJW 1980, S. 1737; BVerfGE 55, 72 = NJW 1981, S. 271, 273.
B. Entscheidungsreife
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brauchs würden die verfassungsrechtlichen Grenzen erreicht.67 Dies sei z. B. der Fall, wenn eindeutig erkennbar sei, dass dieselbe Verzögerung auch bei rechtzeitigem Vortrag eingetreten wäre und die Pflichtwidrigkeit der Parteien nicht ursächlich für die Verzögerung sei.68 Im Ergebnis muss damit das Verschulden der Partei alleinige Ursache für die Verzögerung sein.69 Eine Benachteiligung durch Verfahrensfehler des Gerichts soll ausgeschlossen werden.70
c) Meinungsstreit Gegen die absolute Theorie wenden die Vertreter des hypothetischen Verzögerungsbegriffs die Gefahr einer „Überbeschleunigung“71 des Verfahrens ein, d. h., dass der Rechtsstreit infolge der Präklusion früher beendet werde als im Fall eines rechtzeitigen Vorbringens der Parteien.72 Eine solche Überbeschleunigung wird an dem vom OLG Hamburg gebildeten Beispiel deutlich:73 Der Beklagte, dem eine Frist zur Klageerwiderung gem. § 276 Abs. 1 S. 2 ZPO gesetzt wurde, wirft den Schriftsatz mit der Klageerwiderung nicht am Tag des Fristablaufs in den Nachtbriefkasten ein, sondern gibt ihn erst am nächsten Tag um 08:00 Uhr und damit verspätet auf der Geschäftsstelle ab. Der Inhalt des Schriftsatzes hätte umfangreiche Beweiserhebungen zur Folge. Eine Entschuldigung hat der Beklagte nicht.
Eine Anwendung des absoluten Verzögerungsbegriffs würde in dem vom OLG Hamburg überspitzt gebildeten Fall74 zu einer Präklusion des Vorbringens und damit zu einer erheblichen Verkürzung des Verfahrens führen, da der Rechtsstreit bei Berücksichtigung des Vorbringens im Vergleich zu einer Nichtberücksichtigung (Restdauerbetrachtung) infolge der dann erforderlichen Beweisaufnahme erheblich verzögert würde. Das Ergebnis wäre die von den Gegnern befürchtete Überbeschleunigung.75 Gegen die Argumentation der relativen Theorie wenden die Vertreter der absoluten Theorie hingegen ein, dass der hinter § 296 ZPO stehende Zweck nur durch eine strenge Anwendung der Vorschrift erreicht werden könne; et67
BVerfGE 75, 302, 316 = NJW 1987, S. 2733, 2735. BVerfGE 75, 302, 316 = NJW 1987, S. 2733, 2735. 69 MüKo-ZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, § 296, Rn. 13; Wieczorek/Schütze/Weth, 4. Aufl. 2013, § 296, Rn. 133. 70 Deubner, NJW 1977, S. 921, 924; ders., NJW 1979, S. 337, 341; Wieczorek/Schütze/ Weth, 4. Aufl. 2013, § 296, Rn. 133. 71 Deubner, NJW 1977, S. 921, 923. 72 OLG Hamburg, NJW 1979, S. 1717, 1718; Leipold, ZZP 93 (1980), S. 237, 249 f.; Lüke, JuS 1981, S. 503, 504; Schneider, NJW 1979, S. 2614, 2615. 73 OLG Hamburg, NJW 1979, S. 1717, 1718. 74 Auf die extrem gebildete Fallkonstellation weist auch das OLG selbst hin, vgl. OLG Hamburg, NJW 1979, S. 1717, 1718. 75 Im Gegensatz hierzu müsste nach der relativen Theorie der Vortrag aufgrund des Gleichlaufs zwischen hypothetischer Verfahrensdauer, d. h. bei rechtzeitigem Vorbringen, und tatsächlicher Verfahrensdauer, d. h. bei Zulassung des Vortrags, zugelassen werden. 68
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2. Kapitel: Zulässigkeitsvoraussetzungen der Teilbarkeit und Entscheidungsreife
waige, damit einhergehende unbefriedigende Ergebnisse seien hinzunehmen.76 Der hypothetische Verzögerungsbegriff eigne sich hierfür nicht: So sei eine hypothetische Betrachtungsweise von zu vielen, nicht verlässlich bestimmbaren Faktoren abhängig, was im Ergebnis zu Rechtsunsicherheiten führe.77 Darüber hinaus könne die verspätete Partei unter Anwendung der relativen Theorie eine Verzögerung durch geschicktes Vorbringen verhindern und auf diese Weise eine Präklusion praktisch ausschließen.78 Im Ergebnis widerspreche eine relative Betrachtung damit dem Zweck der Prozessbeschleunigung.79
d) Streitentscheid und Zwischenergebnis Im Ergebnis ist der herrschenden Meinung der Vorzug zu geben. Zwar führt die absolute Theorie im Einzelfall zu materiell ungerechten Ergebnissen. Gegen die Anwendung der relativen Theorie sprechen jedoch die mit ihr einhergehende Rechtsunsicherheit und Möglichkeit der Einflussnahme auf die Präklusion durch die verspätete Partei. Eine Anwendung des relativen Verzögerungsbegriffs zwingt das zu entscheidende Gericht darüber hinaus zu Prognoseentscheidungen und bietet Angriffsfläche für die Rechtsmittelinstanz.80 Der absolute Verzögerungsbegriff hingegen eröffnet für Gericht und Partei gleichermaßen einen eindeutigeren Beurteilungsrahmen. Gleichzeitig verhindert der strenge Kausalitätsbegriff, dass Parteivorbringen präkludiert wird, obwohl (Mit-)Verschulden auf Seiten des Gerichts vorliegt. Den nachfolgenden Überlegungen wird daher der absolute Verzögerungsbegriff zugrunde gelegt.
3. Maßgeblicher Zeitpunkt für eine Verzögerung bei Erlass eines Teilurteils Nach dem Wortlaut des § 296 Abs. 1 ZPO ist Parteivortrag präkludiert, wenn dessen Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde. Für die Erledigung des Rechtsstreits durch Urteilserlass sind im Rahmen des § 301 Abs. 1 ZPO zwei Anknüpfungspunkte denkbar: das Teil- und das Schlussurteil. Während die Rechtsprechung und ein Teil der Literatur auf den Erlass des Schlussurteils abstellen, verweisen andere Stimmen im Schrifttum auf den Erlass des Teilurteils. 76
BGHZ 76, 133, 136 = NJW 1980, S. 945, 946. BGHZ 86, 31, 37 = NJW 1983, S. 575, 576; BGHZ 86, 198, 202 f. = NJW 1983, S. 1495; Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, 1988, S. 227; Wieczorek/Schütze/ders., 4. Aufl. 2013, § 296, Rn. 99 ff. 78 So könne die verspätete Partei z. B. übermäßig viele Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbringen oder nur solche Beweismittel anbieten, die typischerweise viel Zeit in Anspruch nähmen (z. B. Sachverständigengutachten oder Benennung von Zeugen, die sich für längere Zeit im Ausland befinden), vgl. Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, 1988, S. 226; mit Bezug auf Weth auch MüKo-ZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, § 296, Rn. 78; vgl. auch Lenz, NJW 2013, S. 2551, 2553. 79 BGHZ 75, 138, 142 = NJW 1979, S. 1988 ff. 80 So auch Lenz, NJW 2013, S. 2551, 2553. 77
B. Entscheidungsreife
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a) Schlussurteil als maßgeblicher Zeitpunkt aa) Ansicht des BGH Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Erlass des Schlussurteils für die Erledigung des Rechtsstreits im Sinne des § 296 ZPO maßgeblich.81 Da die Vorschrift des § 296 ZPO eine Verzögerung des gesamten Rechtsstreits verhindern wolle, könne, solange der Rechtsstreit nicht insgesamt zur Entscheidung reif sei, eine Verzögerung im Sinne der Vorschrift nicht eintreten.82 In der Folge dürften Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht durch Teilurteil als verspätet zurückgewiesen werden, wenn sie noch im zeitlichen Rahmen des dem Schlussurteil vorbehaltenen Rechtsstreits ohne eine Verzögerung desselben berücksichtigt werden könnten.83 Da der Rechtsstreit ohnehin noch weitergeführt werden müsse, sei es der gegnerischen Partei zuzumuten, zu dem verspäteten Vortrag Stellung zu nehmen.84 Dies gelte auch dann, wenn der Erlass des Teilurteils nicht allein dem Zweck der Zurückweisung des verspäteten Vorbringens diene.85 Im Gegensatz dazu sei eine Abweisung verspäteten Klagevorbringens zum Klagegrund durch Grundurteil zulässig, da das Zwischenurteil über den Grund alle Anspruchsgrundlagen abhandele und den Rechtsstreit im Ganzen betreffe; das Teilurteil hingegen beziehe sich nur auf einzelne Klageansprüche und wirke damit nicht präjudiziell für das Schlussurteil bzw. für das gesamte Verfahren.86
bb) Meinungsstand in der Literatur Die Literatur hat sich überwiegend der Auffassung des BGH angeschlossen.87 So geht z. B. Kallweit, wie auch der BGH, basierend auf dem Wortlaut des § 296 ZPO von einer Gesamterledigung des Rechtsstreits aus: Erledigung bedeute stets die Beendigung des gesamten Verfahrens.88 Da das Teilurteil das Verfahren jedoch nur hinsichtlich eines Teils zum Abschluss bringe, könne die gem. § 296 ZPO erforderliche Gesamterledigung nicht eintreten. Ferner folge 81
BGHZ 77, 306, 308 f. = NJW 1980, S. 2355 f. BGHZ 77, 306, 308 f. = NJW 1980, S. 2355. BGHZ 77, 306, 308 f. = NJW 1980, S. 2355 f.; BGH, NJW 1981, S. 1217; BGH, WM 1984, S. 1620, 1623; OLG Hamm, BauR 2004, S. 120, 121; Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 6; Stein/Jonas/Thole, 23. Aufl. 2018, § 296, Rn. 55. 84 BGHZ 77, 306, 308 f. = NJW 1980, S. 2355, 2356. 85 BGHZ 77, 306, 308 f. = NJW 1980, S. 2355, 2356. 86 BGHZ 77, 306, 308 f. = NJW 1980, S. 2355, 2356 mit Verweis auf BGH, WM 1979, S. 918 ff. Kritisch hierzu Deubner, NJW 1980, S. 2356. 87 BeckOK-ZPO/Bacher, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 296, Rn. 20; Fuhrmann, Zurückweisung, 1987, S. 102 f.; Musielak/Voit/Huber, 17. Aufl. 2020, § 296, Rn. 21; Kallweit, Prozeßförderungspflicht, 1983, S. 62 f.; Thomas/Putzo/Seiler, 40. Aufl. 2019, § 296, Rn. 14. Differenzierend hingegen Stein/Jonas/Thole, 23. Aufl. 2018, § 296, Rn. 57. 88 Kallweit, Prozeßförderungspflicht, 1983, S. 60. 82 83
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2. Kapitel: Zulässigkeitsvoraussetzungen der Teilbarkeit und Entscheidungsreife
aus der zulässigen Verbindung mehrerer Streitgegenstände und Prozessrechtsverhältnisse in einer Klage sowie der zulässigen Erhebung einer Widerklage in einem Prozess, dass die Erledigung des Rechtsstreits alle Streitgegenstände erfassen müsse.89 Nur so könne der Erlass sich in den Gründen widersprechender Entscheidungen verhindert werden.90 Auch Fuhrmann erachtet das Schlussurteil als maßgeblich für die Bestimmung der Präklusion im Rahmen des § 296 ZPO.91 Im Gegensatz zu Kallweit argumentiert Fuhrmann jedoch mit den verschiedenen hinter § 301 ZPO und § 296 ZPO stehenden Zweckrichtungen:92 Der Erlass eines Teilurteils verfolge primär den Zweck, der obsiegenden Partei vorzeitig einen vollstreckbaren Titel zu verschaffen. Ob das Teilurteil darüber hinaus der Verfahrensbeschleunigung und -konzentration diene, könne dahinstehen, da diese Zwecke nicht von § 296 ZPO gedeckt würden.93 Zwar sollten die Gerichte durch die Fristvorschriften vor einer Mehrfachbelastung geschützt werden. In erster Linie wolle die Präklusionsvorschrift jedoch verhindern, dass die Gerichte durch Zulassung verspäteten Vorbringens zu weiteren Terminen und so zu einer durch pflichtwidriges Parteiverhalten verursachten Verlängerung des Verfahrens gezwungen würden.94 Da nach Erlass des Teilurteils jedoch weiterhin eine Verhandlung zum Zwecke der Entscheidung über den Rest durch Schlussurteil erforderlich sei, werde das mit § 296 ZPO verfolgte Ziel nicht erreicht.95 Leipold und Thole hingegen differenzieren und folgen dem BGH mit der Einschränkung, dass nur dann auf den Erlass des Schlussurteils abzustellen sei, wenn das verspätete Vorbringen auch den Anspruch oder Anspruchsteil betreffe, bzgl. dessen die Präklusionsvoraussetzungen nicht gegeben seien.96 Werde z. B. die Klage nachträglich erweitert oder erhebe der Beklagte im Laufe des Verfahrens eine Widerklage und betreffe das (verspätete) Vorbringen auch diesen nachträglich eingebrachten Teil, so sei es „vom materiellen Gerechtigkeitsgehalt her“97 wenig überzeugend, wenn der infolge Präklusion entscheidungsreife Teil 89
Kallweit, Prozeßförderungspflicht, 1983, S. 62 f. Kallweit, Prozeßförderungspflicht, 1983, S. 65. 91 Fuhrmann, Zurückweisung, 1987, S. 102 ff. 92 Fuhrmann, Zurückweisung, 1987, S. 102. 93 Das Argument überzeugt nicht, da § 296 ZPO nach einhelliger Meinung in Literatur und Rechtsprechung der Prozessbeschleunigung dient, siehe nur BVerfGE 54, 117, 126 = NJW 1980, S. 1737; BGHZ 86, 31, 33 = NJW 1983, S. 575, 576; BeckOK-ZPO/Bacher, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 296, Rn. 1; Musielak/Voit/Huber, 17. Aufl. 2020, § 296, Rn. 1; Lenz, NJW 2013, S. 2551 f.; MüKo-ZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, § 296, Rn. 1; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 296, Rn. 1. 94 Fuhrmann, Zurückweisung, 1987, S. 102. 95 Fuhrmann, Zurückweisung, 1987, S. 102. 96 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 296, Rn. 70 ff.; Stein/Jonas/Thole, 23. Aufl. 2018, § 296, Rn. 55 ff. Sich dem anschließend auch Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 28. 97 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 296, Rn. 70; Stein/Jonas/Thole, 23. Aufl. 2018, § 296, Rn. 55. 90
B. Entscheidungsreife
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ohne Berücksichtigung des fristwidrigen Vorbringens durch Teilurteil ausscheide, über den restlichen Teil der Vortrag hingegen in die Entscheidung einfließen müsse, ohne dass im Ergebnis eine Zeitersparnis eintrete.98 Ergänzend verweist Thole auf die in diesem Zusammenhang (ohnehin) bestehende Unzulässigkeit eines Teilurteils infolge der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen.99 Beziehe sich das verspätete Vorbringen jedoch nur auf den durch Teilurteil zu erledigenden Teil, so müsse für die Präklusion auf den Erlass des Teilurteils abgestellt werden.100 Andernfalls könne eine Präklusion durch Erweiterung der Klage oder Erhebung einer Widerklage gem. § 261 Abs. 2 ZPO umgangen werden.101 Die vom BGH angedeuteten Ausnahmen im Fall einer missbräuchlichen Umgehung der Präklusionsvorschrift seien für eine klare Abgrenzung hingegen nicht ausreichend.102 98 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 296, Rn. 70. Da es sich bei einer Klageerweiterung und Erhebung einer Widerklage jeweils um einen selbständigen Angriff und kein Angriffs- oder Verteidigungsmittel handelt, findet § 296 ZPO keine Anwendung, vgl. Musielak/ Voit/Huber, 17. Aufl. 2020, § 296, Rn. 6. 99 Stein/Jonas/Thole, 23. Aufl. 2018, § 296, Rn. 55 mit Verweis auf BGH, NJW 1981, S. 1217. Eine solche „Doppelrelevanz“ verspäteten Vorbringens ist z. B. in folgender Konstellation gegeben: K, der spätere Kläger, verkauft an B, den späteren Beklagten, 100 Kisten Rotwein. In dem schriftlichen Kaufvertrag vereinbaren die Parteien, dass K die Kisten entladebereit am Bestimmungsort zur Verfügung stellen soll (dies entspricht der Vereinbarung DAP Incoterms 2020, „Delivered at Place/Geliefert … benannter Ort“). Durch einen von keiner Partei zu vertretenden Umstand werden die Kisten bei der Entladung zerstört. Unter Berufung auf die Vereinbarung im Kaufvertrag klagt K gegen B auf Zahlung des Kaufpreises gem. § 433 Abs. 2 BGB. Die Gefahr des zufälligen Untergangs sei mit der Bereitstellung der entladebereiten Kisten am Bestimmungsort auf B übergegangen. In der nach Fristablauf, d. h. verspätet bei Gericht eingegangenen Klageerwiderung macht B geltend, die Parteien hätten den Kaufvertrag im Nachgang mündlich dahingehend geändert, dass K die Ware nicht nur entladebereit zur Verfügung stellen solle, sondern auch zur Entladung der Weinkisten verpflichtet gewesen sei (dies entspricht der Vereinbarung DPU Incoterms 2020, „Delivered at Place Unloaded/ Geliefert … benannter Ort entladen“). Als Beweis bietet B die Vernehmung von Zeugen an. Auf Grundlage seines Vorbringens hält B der Zahlungsforderung als Verteidigung die Einrede des nicht erfüllten Vertrags gem. § 320 BGB entgegen. Zudem erhebt er – basierend auf demselben Sachverhalt – Widerklage auf Lieferung (neuen) Rotweins gem. § 433 Abs. 1 BGB. Da die Widerklage kein Verteidigungsmittel im Sinne des § 296 Abs. 1 ZPO ist, muss das Gericht das Vorbringen des B zu der von den Parteien (angeblich) getroffenen Vereinbarung bei seiner Entscheidung über die Widerklage berücksichtigen. Gleichzeitig wäre – unter Zurückweisung des verspäteten Verteidigungsvorbringens gem. § 296 Abs. 1 ZPO – die Zahlungsklage zur Entscheidung reif und damit der Erlass eines Teilurteils grundsätzlich möglich. Dann bestünde jedoch aufgrund der Möglichkeit einer abweichenden Beurteilung der Frage des Gefahrübergangs im Rahmen der Widerklage die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen und ein Teilurteil wäre bereits aus diesem Grund unzulässig. Solche Widersprüche hingegen zulassend Gounalakis, MDR 1997, S. 216, 220. 100 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 296, Rn. 71; Stein/Jonas/Thole, 23. Aufl. 2018, § 296, Rn. 57. So im Ergebnis auch Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 296, Rn. 12. 101 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 296, Rn. 71; Stein/Jonas/Thole, 23. Aufl. 2018, § 296, Rn. 57; Gerhardt, ZZP 99 (1986), S. 492, 496; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 296, Rn. 12. 102 Stein/Jonas/Thole, 23. Aufl. 2018, § 296, Rn. 57.
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2. Kapitel: Zulässigkeitsvoraussetzungen der Teilbarkeit und Entscheidungsreife
b) Teilurteil als maßgeblicher Zeitpunkt Die vom BGH und von Teilen des Schrifttums vertretene Ansicht ist in der Literatur, und auch vereinzelt in der Rechtsprechung, auf Kritik gestoßen.103 So ergebe sich aus dem Wortlaut des § 296 ZPO nicht, dass mit „Erledigung des Rechtsstreits“ nur eine Erledigung des gesamten Rechtsstreits gemeint sei; auch eine Teilerledigung stelle eine Erledigung dar.104 Zum anderen sprächen Systematik und Telos der Vorschrift für eine Präklusion durch Teilurteil. Da § 296 ZPO in den Vorschriften zum Verfahren bis zum Urteil105 stehe und unabhängig vom Ausgang des Verfahrens anzuwenden sei, könne es keinen Unterschied machen, ob Entscheidungsreife für den Erlass eines Teil-, Grund- oder Voll-Endurteils vorliege und eine ganze oder teilweise Erledigung erfolgen könne.106 Darüber hinaus werde der § 296 ZPO zugrundeliegende Zweck der Verfahrenskonzentration und -beschleunigung bei Anwendung der herrschenden Meinung nicht erfüllt.107 So ermögliche die Bezugnahme auf den gesamten Rechtsstreit dem Beklagten, durch Erhebung einer Widerklage eine Zurückweisung verspäteten Vorbringens zu umgehen:108 Da die Widerklage als selbständige Klage nicht der Vorschrift des § 296 ZPO unterliege und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gem. § 261 Abs. 2 ZPO erhoben werden könne,109 fehle es bei Abstellen auf das Schlussurteil bei Erhebung einer Widerklage an der erforderlichen Entscheidungsreife des gesamten Rechtsstreits und eine Präklusion sei nicht mehr zulässig.110 Da die Erhebung der Widerklage jedoch al103 Vgl. Deubner, NJW 1980, S. 2356; Gounalakis, MDR 1997, S. 216, 220; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 296, Rn. 12; Hermisson, NJW 1983, S. 2229, 2232; Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 296, Rn. 71; Mertins, DRiZ 1985, S. 344, 346; MüKo-ZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, § 296, Rn. 110 f.; Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 158; Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, 1988, S. 256 ff.; Wieczorek/Schütze/ders., 4. Aufl. 2013, § 296, Rn. 129 f.; im Ergebnis so auch LG Berlin, MDR 1983, S. 63 f. 104 Deubner, NJW 1980, S. 2356; Gounalakis, MDR 1997, S. 216, 217; Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 150. 105 So die Überschrift des ersten Titels im ersten Abschnitt des zweiten Buches der ZPO. 106 Deubner, NJW 1980, S. 2356; MüKo-ZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, § 296, Rn. 111; Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 151; Wieczorek/Schütze/Weth, 4. Aufl. 2013, § 296, Rn. 130. 107 Deubner, NJW 1980, S. 2356; Gounalakis, MDR 1997, S. 216, 217; MüKo-ZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, § 296, Rn. 111; Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 151. 108 Gounalakis, MDR 1997, S. 216; Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 138; so geschehen in BGH, NJW 1995, S. 1223 f. Eine Grenze sieht der BGH im Fall des Rechtsmissbrauchs gegeben. So könne eine Präklusion dann angenommen werden, „wenn die Erweiterung der Widerklage rechtsmißbräuchlich wäre, insbesondere nur den Sinn haben könnte, den Verspätungsfolgen zu entgehen.“, BGH, NJW 1986, S. 2257, 2258, kritisch hierzu Stein/Jonas/Thole, 23. Aufl. 2018, § 296, Rn. 57. 109 Bender/Belz/Wax, Das Verfahren, 1. Aufl. 1977, Rn. 49; Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 132. 110 Vgl. BGH, NJW 1981, S. 1217; BGH, NJW 1985, S. 3079, 3080; Gounalakis, MDR
B. Entscheidungsreife
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lein dem Beklagten obliege,111 könne er auf diese Weise Einfluss auf die Präklusion nehmen.112 Im Ergebnis müsse daher eine Präklusion bereits dann möglich sein, wenn der Rechtsstreit nur teilweise erledigt werden könne.113 Soweit Widersprüche zwischen Teil- und Schlussurteil infolge einer teilweisen Präklusion entstehen könnten, seien diese hinzunehmen. Würden die Ansprüche in getrennten Verfahren geltend gemacht, so wäre die Präklusion in einem Verfahren auch ohne Einfluss auf den anderen Prozess.114
c) Stellungnahme Im Ergebnis ist der differenzierenden Ansicht Leipolds und Tholes zu folgen, die nur dann auf den Erlass des Schlussurteils abstellen und eine Präklusion ablehnen, wenn das verspätete Vorbringen auch den Anspruch oder Anspruchsteil betrifft, bzgl. dessen die Präklusionsvoraussetzungen nicht greifen.115 Sie wird einerseits dem Wesen des Teilurteils als Mittel zur teilweisen Erledigung eines Rechtsstreits gerecht und beugt andererseits sich in den Gründen widersprechenden Entscheidungen vor, wenn eine Präklusion verspäteten Vorbringens nicht zu einer Zeitersparnis des Verfahrens insgesamt führen würde. Zudem entspricht dieser Ansatz der im Rahmen des § 296a ZPO überwiegend vertretenen Ansicht, dass Angriffs- und Verteidigungsmittel, welche nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragen werden, auch dann nicht mehr vorgebracht werden dürfen, wenn das auf die mündliche Verhandlung ergehende Urteil ein Teilurteil ist und der dem Schlussurteil vorbehaltene Teil unabhängig von diesem ist.116 Zwar könnte man der hier mit Leipold und Thole vertretenen Ansicht entgegengehalten, dass sie in ihrer Wirkung dem Gebot der Unabhängigkeit sehr nahe komme; denn letztlich wird durch die Berücksichtigung verspäteten Vor1997, S. 216; Musielak/Voit/Huber, 17. Aufl. 2020, § 296, Rn. 42; MüKo-ZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, § 296, Rn. 110; Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 132. 111 Anders im Fall der Flucht in die Säumnis und bei der Flucht in die Berufung, im Rahmen derer die Gegenpartei ggf. Einfluss nehmen kann, vgl. hierzu die ausführliche Darstellung bei Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 134 ff. 112 MüKo-ZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, § 296, Rn. 110. 113 Deubner, NJW 1980, S. 2356; Gounalakis, MDR 1997, S. 216, 217; Hermisson, NJW 1983, S. 2229, 2232; Knöringer, NJW 1977, S. 2336, 2337; Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 158; Wieczorek/Schütze/Weth, 4. Aufl. 2013, § 296, Rn. 129 f. 114 Gounalakis, MDR 1997, S. 216, 220. 115 Siehe oben in diesem Kapitel Fn. 96. 116 OLG Celle, OLGR Celle 2004, S. 110, 112; BLAH/Bünnigmann, 78. Aufl. 2020, § 296a, Rn. 4; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 296a, Rn. 4; a. A. OLG Köln, OLGR Köln 1992, S. 303; dem OLG Köln folgend MüKo-ZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, § 296a, Rn. 4. Die Argumentation des OLG Köln, ein Teilurteil sei keine Endentscheidung, überzeugt vor dem Hintergrund, dass das Teilurteil bereits nach dem Wortlaut des § 301 ZPO ein Endurteil über einen abgrenzbaren Teil ist, jedoch nicht. Siehe zum Schluss der mündlichen Verhandlung bei einem Teilurteil unten 3. Kapitel. B. I. 2., S. 66 ff.
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2. Kapitel: Zulässigkeitsvoraussetzungen der Teilbarkeit und Entscheidungsreife
bringens und Nichterlass eines Teilurteils auch die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen vermieden. Der maßgebende Unterschied zum Gebot der Unabhängigkeit liegt jedoch darin, dass die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen bei Nichterlass eines Teilurteils aufgrund Einbeziehung von an sich verspätetem und mit dem (potentiellen) Teilurteil in Zusammenhang stehenden Vorbringen tatsächlich besteht und nicht nur theoretischer Natur ist. Insbesondere beruht sie nicht auf der „bloßen“ Erwägung des Gerichts, dass aufgrund potentiellen (und nicht bereits vorliegenden) neuen Parteivortrags eine abweichende Beurteilung im Schlussurteil möglich ist. Die Mindermeinung, die eine Präklusion durch Teilurteil auch bei Bezugnahme des verspäteten Vorbringens auf den dem Schlussurteil vorbehaltenen Teil zulassen will, ist hingegen abzulehnen. Andernfalls müsste das Gericht den Rechtsstreit, ohne dass eine Verkürzung der Prozessdauer insgesamt eintreten würde, unter Zugrundelegung unterschiedlicher Tatsachen würdigen und entscheiden. Das Resultat wären sich widersprechende Entscheidungen und materiell-rechtlich ungerechte Ergebnisse, ohne jedoch den Zweck des § 296 ZPO zu erfüllen.117 Nur wenn der durch Teilurteil auszuscheidende Teil unabhängig von dem Rest ist und mit diesem nicht in rechtlichem Zusammenhang steht, sind der Erlass eines Teilurteils und eine Präklusion daher gerechtfertigt. Aus diesem Grund ist auch die Ansicht des BGH und der ihm folgenden Literatur abzulehnen. Denn es wäre nicht sachgerecht, wenn allein die Möglichkeit einer Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens im zeitlichen Rahmen des Schlussurteils ohne inhaltlichen Bezug zu diesem eine Präklusion und damit eine vorzeitige Entscheidung durch Teilurteil verhindern würde. Die Bezugnahme des BGH und des ihm folgenden Schrifttums auf die Erledigung des gesamten Rechtsstreits und das Verbot einer Präklusion durch Teilurteil zeigen jedoch, dass die herrschende Meinung Teil- und Schlussurteil – trotz faktischer Spaltung des Verfahrens und einer die Instanz abschließenden Teilerledigung durch Erlass des Teilurteils118 – als zwei, einem gemeinsamen Verfahren zugehörige Urteile betrachtet.119
117 Darüber hinaus würde dies auch der hinter § 301 ZPO stehenden Intention des Gesetzgebers widersprechen, dass Teil- und Schlussurteil eine ungetrennte Verhandlung zugrunde liegen soll. Siehe hierzu unten 3. Kapitel. B. I., S. 62 ff. 118 Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 2; Gounalakis, MDR 1997, S. 216, 217; Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132. 119 Da auch nach der hier mit Leipold und Thole vertretenen Ansicht eine Präklusion unzulässig ist, wenn Teil- und Schlussurteil in rechtlichem Zusammenhang stehen, erfolgt auch insoweit eine gemeinsame Betrachtung von Teil- und Schlussurteil.
C. Kapitelzusammenfassung
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C. Kapitelzusammenfassung Die Teilbarkeit ist die grundlegende Voraussetzung für den Erlass eines Teilurteils. Sie ist in den Fällen der Klagehäufung – sei diese subjektiv oder objektiv – sowie bei Klage und Widerklage aufgrund des Vorliegens mehrerer Streitgegenstände unproblematisch gegeben.120 Die Teilbarkeit eines einheitlichen Anspruchs setzt dessen Individualisierbarkeit und Abgrenzbarkeit voraus. Die Anforderungen an die Teilbarkeit im Rahmen des § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO gehen dabei über die Voraussetzungen an die Teilbarkeit im Rahmen einer Teilklage hinaus, da der Erlass eines Teilurteils die Teilbarkeit eines einheitlichen Streitgegenstandes verlangt, während die Zulässigkeit einer Teilklage nur erfordert, dass ein einheitlicher Lebenssachverhalt in mehrere Streitgegenstände gespalten werden kann. Ist ein einheitlicher Anspruch nach Grund und Höhe streitig, erfordert die Vorschrift des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO mangels Teilbarkeit des Anspruchsgrundes den gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils.121 Materielle Zusammenhänge zwischen den zu trennenden Ansprüchen oder Anspruchsteilen stehen einer Teilbarkeit nicht entgegen, sondern werden erst im Rahmen des Gebots der Unabhängigkeit relevant.122 Der Begriff der Entscheidungsreife bei Erlass eines Teilurteils wird wie bei Erlass eines Voll-Endurteils gem. § 300 Abs. 1 ZPO verstanden: Das Gericht muss – soweit durch Teilurteil entschieden wird – die Tatsachengrundlage hinreichend geklärt und erörtert haben. Die Beweise müssen erschöpft sein. Verspätetes Parteivorbringen darf nicht zulässig sein.123 Im Rahmen des § 296 ZPO stellt die herrschende Meinung auf eine Erledigung des gesamten Rechtsstreits und bei Erlass eines Teilurteils damit auf den Erlass des Schlussurteils ab. In der Folge ist eine Präklusion verspäteter Angriffs- und Verteidigungsmittel unzulässig, wenn diese noch im zeitlichen Rahmen des dem Schlussurteil vorbehaltenen Rechtsstreits ohne eine Verzögerung desselben berücksichtigt werden können.124 In der herrschenden Meinung kommt das Verständnis von Teil- und Schlussurteil als zwei selbständige, aber einem gemeinsamen Verfahren zugehörige Endurteile zum Ausdruck.125 Allerdings eröffnet die herrschende Meinung durch Inbezugnahme auf das Schlussurteil im Rahmen des § 296 ZPO dem Beklagten die Möglichkeit, durch Erhebung einer Widerklage oder Erweiterung der Klage die Entscheidungsreife des gesamten Rechtsstreits zu verzögern und auf diese Weise den hinter § 296 ZPO stehenden Zweck einer Verfahrensbeschleunigung und -konzen120 121
Siehe oben S. 22 ff. Siehe oben S. 24 ff. 122 Siehe oben S. 22 ff. 123 Siehe oben S. 27. 124 Siehe oben S. 33 ff. 125 Siehe oben S. 37 f.
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2. Kapitel: Zulässigkeitsvoraussetzungen der Teilbarkeit und Entscheidungsreife
tration zu vereiteln. Aus diesem Grund sollte eine Zurückweisung verspäteten Vorbringens – und damit der Erlass eines Teilurteils – dann zulässig sein, wenn das fristwidrige Vorbringen mit dem durch Schlussurteil zu entscheidenden Teil weder rechtlich noch tatsächlich in Zusammenhang steht. Denn es wäre nicht sachgerecht, eine Präklusion allein aufgrund der Möglichkeit einer Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens im zeitlichen Rahmen des Schlussurteils ohne inhaltlichen Bezug zu diesem zu untersagen.126
126
Siehe oben S. 37 f.
3. Kapitel
Gebot der Unabhängigkeit – Ursprung, Entwicklung und Würdigung des derzeitigen Diskussionsstandes Die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil ist die dritte Voraussetzung für den Erlass eines Teilurteils. Sie geht weder aus dem Wortlaut des § 301 ZPO hervor noch ist sie – wie die Teilbarkeit – selbstverständliche Zulässigkeitsvoraussetzung. Vielmehr wurde das Erfordernis der Unabhängigkeit im Laufe der Zeit von der Rechtsprechung entwickelt, um Widersprüche zwischen Teilund Schlussurteil vollumfänglich auszuschließen.1 Um dieses Ziel zu erreichen, fasst die Rechtsprechung das Gebot der Unabhängigkeit sehr weit und versagt den Erlass eines Teilurteils bereits dann, wenn Widersprüche hinsichtlich gemeinsamer Vorfragen drohen, die weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht gem. § 318 ZPO binden, wobei die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz genügt.2 Ein Teilurteil kann nach der Rechtsprechung zulässigerweise daher nur ergehen, wenn ausgeschlossen ist, dass sich Teil- und Schlussurteil in dem vorgenannten Umfang widersprechen.3 Da die ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung der Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil von der Rechtsprechung entwickelt wurde, wird nachfolgend zunächst die Entwicklung der Unabhängigkeit in der Rechtsprechung untersucht. Darauf aufbauend wird auf Grundlage der Gesetzesmaterialien 1 Die
Zulässigkeitsvoraussetzung der Unabhängigkeit wird in Rechtsprechung und Literatur auch als „Widerspruchsfreiheit“ erörtert, vgl. z. B. BGH, NJW-RR 2013, S. 683, 684; BGH, NJW 2013, S. 1009; BAG, NJOZ 2013, S. 2056; OLG Düsseldorf, BeckRS 2016, 7274, Rn. 28; BeckOK-ZPO/Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 301, Rn. 28; Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 2; Fleischer, NZFam 2016, S. 679, 681; MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 17; Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 71 ff.; Schmitz, NJW 2000, S. 3622 ff. 2 So heißt es in BGHZ 189, 79 Rn. 15 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 15 z. B.: „Allerdings darf nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung […] ein Teilurteil (§ 301 ZPO) nur ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen – auch in Folge abweichender Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht – ausgeschlossen ist. Eine Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ist namentlich dann gegeben, wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann. Das gilt auch insoweit, als es um die Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung von bloßen Urteilselementen geht, die weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden.“ 3 BGH, NJW 2007, S. 144; BGH, NJW 2012, S. 844 ff.; BGHZ 189, 79 Rn. 15 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 15; BGHZ 189, 356 Rn. 13 = NJW 2011, S. 2736 Rn. 13; BGHZ 193, 60 Rn. 8 = NJW 2012, S. 1083 Rn. 8; BGH, NJW-RR 2013, S. 683; BGH, NJW 2015, S. 2429; OLG Düsseldorf, BeckRS 2016, 8240.
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
überprüft, ob und inwieweit das Gebot der Unabhängigkeit den Motiven des Gesetzgebers bei Einführung der Vorschrift zum Erlass eines Teilurteils entspricht und ob die Unabhängigkeit als ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung vor diesem Hintergrund gerechtfertigt ist. Im Anschluss erfolgen eine Darstellung und Bewertung der verschiedenen in der Literatur zum Gebot der Unabhängigkeit vertretenen Ansichten.
A. Entwicklung des Gebots der Unabhängigkeit in der Rechtsprechung Seit Einführung der Vorschrift zum Erlass eines Teilurteils im Rahmen der CPO durch die Reichsjustizgesetze sind zahlreiche Urteile zur Frage der Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit eines Teilurteils ergangen. Maßgebend für die vorliegende Untersuchung sind hierbei insbesondere die Entscheidungen, die sich mit der Frage der Unzulässigkeit infolge der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen befassen. Um die Entwicklung der ungeschriebenen Zulässigkeitsvoraussetzung nachzuvollziehen, werden nachfolgend einige ausgewählte höchstrichterliche Entscheidungen in chronologischer Reihenfolge mit Blick auf die Entstehung der Unabhängigkeit analysiert.4 Hierbei werden die Urteile und der ihnen zugrundeliegende Sachverhalt zunächst dargestellt und anschließend rechtlich bewertet.
I. Erste höchstrichterliche Entscheidungen zur (Un-)Zulässigkeit eines Teilurteils 1. Urteil des Reichsgerichts vom 10.12.1881, Az. I 621/815 a) Sachverhalt Erstmals hatte sich das Reichsgericht mit den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Teilurteils in seinem Urteil vom 10.12.1881 zu befassen.6 In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall verlangte der Kläger von dem Beklagten Zahlung eines einheitlichen Betrags aus dem Saldo eines Kontokorrentverhältnisses. Insgesamt lagen dem einheitlichen Antrag vier streitige Posten zugrunde. Nach Abweisung der Klage in erster Instanz wurde der Beklagte auf die Berufung des Klägers durch Teilurteil zu einer Teilzahlung verurteilt. Ferner stellte das Berufungsgericht den Anspruchsgrund fest. Im Übrigen wies es die 4
Eine ausführliche Urteilsanalyse findet sich auch bei de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979. 5 RGZ 6, 49 ff. 6 RGZ 6, 49 ff.
A. Entwicklung des Gebots der Unabhängigkeit in der Rechtsprechung
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Klage zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das erstinstanzliche Gericht zurück.7 Auf die Revision des Beklagten hob das Reichsgericht das Teilurteil auf.
b) Entscheidung des Reichsgerichts Das Reichsgericht erachtete das Teilurteil für unzulässig. Da das Berufungsgericht eine den Anspruchsgrund betreffende erforderliche Beweisaufnahme unterlassen habe, seien sowohl Grund als auch Höhe der Forderung noch streitig. Ein Teilurteil hätte jedoch nur ergehen dürfen, „wenn zugleich anerkannt war, daß der Beklagte nicht befugt sei, die bemängelten vier Posten aus dem Debet zu streichen und der Streit sich nur auf die Höhe dieser Posten beschränkte. Sobald jedoch die erste Frage noch nicht entschieden, die Möglichkeit also gegeben war, daß das Schlußresultat des Kontokorrents sich so gestalte, daß der Saldo des Klägers unter die [in der Berufung zugesprochene] Summe herabsank, war das Teilurteil ungerechtfertigt.“8
c) Rechtliche Bewertung Der ersten zum heutigen § 301 ZPO ergangenen höchstrichterlichen Entscheidung liegt die Konstellation eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO zugrunde. Grund für die Aufhebung war eine unterlassene Beweisaufnahme, in deren Folge sowohl Anspruchsgrund als auch -höhe noch streitig waren. Im Ergebnis fehlte es damit an der für ein Teilurteil erforderlichen Entscheidungsreife.9 Bereits in der ersten zu einem Teilurteil ergangenen höchstrichterlichen Entscheidung ist der heute in § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO geregelte Grundsatz niedergelegt, dass ein Teilurteil über einen nach Grund und Höhe streitigen Anspruch nur ergehen darf, wenn der Grund unstreitig feststeht. Das Gebot der Unabhängigkeit als solches findet hingegen keine ausdrückliche Erwähnung. So ist die Möglichkeit sich widersprechender Entscheidungen, wenn sich im Schlussurteil herausstellte, dass dem Kläger insgesamt weniger zustand als im Teilurteil zugesprochen, nur eine Folge fehlender Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils und nicht Ausdruck der Unabhängigkeit. Ein Rückgriff auf das Gebot der Unabhängigkeit war damit nicht erforderlich.
7 8
RGZ 6, 49, 51. RGZ 6, 49, 57. 9 Darüber hinaus fehlte es an der für ein Teilurteil erforderlichen Teilbarkeit. Siehe zur Teilbarkeit eines einheitlichen Anspruchs oben 2. Kapitel. A. III., S. 24 ff.
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
2. Urteil des Reichsgerichts vom 30.06.1886, Az. V 58/8610 a) Sachverhalt Gegenstand der zweiten Entscheidung war ebenfalls ein Streit über Grund und Höhe eines einheitlichen Anspruchs. Dem Kläger war infolge einer Enteignung eine Entschädigungszahlung zugesprochen worden. Der Kläger erachtete die Entschädigung für zu gering und verlangte klageweise die Nachprüfung der Gründe für die Enteignung und eine weitere Zahlung. Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Das erstinstanzliche Gericht hielt die Nachprüfung für unstatthaft und wies die Zahlungsklage durch Teilurteil teilweise ab. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Auf die Revision hob das Reichsgericht das Teilurteil auf.
b) Entscheidung des Reichsgerichts Das Reichsgericht entschied, ein Teilurteil über eine einheitliche Geldforderung setze voraus, dass das Bestehen oder Nichtbestehen des zu entscheidenden Teilbetrags so sicher feststehe, „daß die Erörterung und Entscheidung der anhängig bleibenden Streitfragen eine Änderung hierin nicht herbeiführen“ könne.11 Eine Abweisung durch Teilurteil sei daher nur möglich, wenn sicher sei, dass dem Kläger bei Erlass des Schlussurteils nicht mehr als der nach der Teilabweisung verbleibende Rest zustehe, d. h. die Klageabweisung durch Teilurteil materiellrechtlich richtig sei. Sei dies nicht gewährleistet, so sei der abgrenzbare Teil nicht zur Entscheidung reif.12 Da die vom Kläger vorgebrachte Begründung jedoch die gesamte Forderung (und nicht nur einen Teil) beträfen und sich die Frage, ob und in welchem Maße der Kläger zu viel gefordert habe, erst nach Erörterung aller für die Wertbestimmung der Entschädigung maßgeblichen Umstände entscheiden lasse, fehle es vorliegend bereits an der für ein Teilurteil erforderlichen Teilbarkeit des Streitgegenstandes.13
c) Rechtliche Bewertung Auch der zweiten Entscheidung liegt die Konstellation des § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO zugrunde. In diesem Fall erachtete das Reichsgericht das Teilurteil 10 RGZ 16, 423 ff. Siehe hierzu auch die Analyse von de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 66 ff. 11 RGZ 16, 423, 425. 12 RGZ 16, 423, 425. So auch in RGZ 96, 8, 11, wo das Reichsgericht für den Fall einer Abweisung des Teils eines einheitlichen Anspruchs durch Teilurteil ausführt: „Soll ein Teil einer Geldforderung abgewiesen werden, so muß feststehen, daß die Geldforderung ihrem Betrage nach über denjenigen Betrag nicht hinausgehen kann, um welchen die ganze geforderte Summe den abgewiesenen Teil übersteigt.“ Auch in dieser Entscheidung wurde das Teilurteil mangels Entscheidungsreife und Sicherheit über den Anspruchsgrund aufgehoben. Siehe hierzu auch de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 72 ff. 13 RGZ 16, 423, 426.
A. Entwicklung des Gebots der Unabhängigkeit in der Rechtsprechung
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in erster Linie mangels Teilbarkeit für unzulässig. Gleichzeitig hat es die Anforderungen an die, insbesondere auch hinsichtlich des Anspruchsgrundes, erforderliche Entscheidungsreife herausgestellt, indem es ausführt, „die Existenz oder Nichtexistenz des Anspruchs in Höhe des zur Vorausentscheidung gelangenden Teilbetrags [müsse] so klar gestellt sein, daß die Erörterung und Entscheidung der anhängigen bleibenden Streitfragen eine Änderung hierin nicht herbeiführen [könne]“.14
Ein Verweis auf die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil als dritte Zulässigkeitsvoraussetzung liegt hierin jedoch nicht. Vielmehr qualifiziert das Reichsgericht die Möglichkeit der Einflussnahme des Schlussurteils auf das Teilurteil als Frage der Entscheidungsreife.
3. Urteil des Reichsgerichts vom 02.10.1899, Az. VI 186/189915 a) Sachverhalt In dem der Entscheidung des Reichsgerichts vom 02.10.1899 zugrunde liegenden Sachverhalt stritten die Parteien u. a. um Zahlung von ausstehendem Werklohn. Der Kläger war von dem Beklagten mit dem Bau einer Villa beauftragt worden. Nach Fertigstellung des Hauses stand die Zahlung des restlichen Werklohns für den Bau sowie für weitere, nachträglich in Auftrag gegebene Arbeiten noch aus. Der Kläger machte die Beträge daraufhin im Wege einer Zahlungsklage geltend.16 Der Beklagte beantragte Klageabweisung. Er wandte ein, die Arbeiten seien teilweise mangelhaft und ihm stünden die Klageforderung übersteigende Gegenansprüche zu. Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage größtenteils statt. Der Beklagte legte Berufung ein und verlangte u. a. Zahlung von Schadensersatz infolge der Baumängel.17 Das Berufungsgericht folgte der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts, wonach der Beklagte zu einer Minderung des Werklohns infolge von Baumängeln nicht berechtigt sei, und wies den Antrag des Beklagten auf Schadensersatz durch Teilurteil teilweise ab.18 Die auf die Entscheidung vom Beklagten eingelegte Revision blieb ohne Erfolg.
b) Entscheidung des Reichsgerichts Das Reichsgericht erachtete das Teilurteil für zulässig. Da sich das Berufungsgericht der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts angeschlossen und die 14
RGZ 16, 423, 425.
15 RG, Gruchot 46 (1902), S. 422 ff. 16 In dem der Entscheidung zugrundeliegenden
Fall hatte der Kläger die Ansprüche im Laufe des Verfahrens an eine Bank abgetreten und verlangte Zahlung an die Bank. Zu Vereinfachungszwecken wird auf die Dreieckskonstellation hier verzichtet. 17 Es ist anzunehmen, dass der Beklagte den Anspruch im Wege der Widerklage geltend machte. Dies geht aus dem Urteil jedoch nicht eindeutig hervor. 18 Auch der Kläger legte Berufung ein; diese ist für das auf die Berufung des Beklagten ergangene Teilurteil jedoch irrelevant.
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
Ansprüche des Beklagten für unbegründet erachtet habe, sei der Rechtsstreit insoweit zur Entscheidung reif und ein Teilurteil über den Schadensersatzanspruch zulässig gewesen. Das Gericht habe nur den zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung vorgebrachten Prozessstoff zu berücksichtigen. Potenzielles weiteres Vorbringen, das zu einer anderen Beurteilung führen könne, sei hingegen nicht relevant. Andernfalls könne ein Teilurteil nie ergehen.19
c) Rechtliche Bewertung Auch diese Entscheidung behandelt die Konstellation eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch und ist ein weiteres Beispiel für die konsequente Anwendung der geschriebenen Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Erlass eines Teilurteils. Insbesondere erachtete das Reichsgericht eine potenzielle Änderung des Streitstoffs durch weiteres Vorbringen, welches bei Erlass des Teilurteils nicht vorlag, für irrelevant. Auf die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ging das Gericht hingegen nicht ein. Die Feststellung des Reichsgerichts, ein Teilurteil könne andernfalls nie erlassen werden, beschreibt das Resultat der Anwendung des heute herrschenden Unabhängigkeitsgebots: die Unzulässigkeit eines Teilurteils, wenn die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung – z. B. durch neuen Parteivortrag – im Schlussurteil oder in der Rechtsmittelinstanz besteht.20 In dem vorliegenden Fall hätte ein Teilurteil nach heutiger Rechtslage mangels Unabhängigkeit daher nicht ergehen dürfen, da aufgrund der Möglichkeit weiteren Parteivortrags die Gefahr einer abweichenden Beurteilung sowohl in derselben als auch in der Rechtsmittelinstanz bestand.
19 Das Reichsgericht führte hierzu aus: „Die Parteien müssen nach § 273 CPO darauf vorbereitet sein, daß das Gericht, wenn es einen Theil des Anspruchs ohne Beweisaufnahme für begründet oder unbegründet erachtet, ein Theilurteil erlassen wird, und deshalb, um nicht mit etwaigen Rechtsbehelfen präkludiert zu werden, diese rechtzeitig vorbringen. Müßte das Gericht darauf Rücksicht nehmen, daß sich der Streitstoff im Laufe des Rechtsstreits noch ändern kann, so könnte es nie ein Theilurteil erlassen, da die Möglichkeit stets vorliegen wird, daß noch Thatsachen vorgebracht werden, welche eine andere Entscheidung herbeiführen würden. Das würde indes nicht der Vorschrift des § 273 CPO entsprechen.“, RG, Gruchot 46 (1902), S. 422, 424. 20 Siehe nur BGHZ 143, 189 = NJW 2000, S. 800, 801. In dieser Entscheidung erachtete der BGH ein Teilurteil über einen Antrag auf Feststellung künftiger Schäden, der gem. § 260 ZPO mit einem Antrag auf Zahlung von Schmerzensgeld für bereits entstandene Schäden verbunden war, wegen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen für unzulässig, obwohl der beiden Ansprüchen zugrundeliegende Haftungsgrund zwischen den Parteien außer Streit stand. Siehe zu dieser Entscheidung unten 4. Kapitel. A. I. 1. a), S. 111 f.
A. Entwicklung des Gebots der Unabhängigkeit in der Rechtsprechung
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4. Urteil des Reichsgerichts vom 22.10.1907, Az. II 200/0721 a) Sachverhalt In der vierten zu betrachtenden Entscheidung standen sich eine Klage und eine Widerklage – jeweils auf Zahlung einer Geldsumme gerichtet – gegenüber. Während sich die Klage aus mehreren Einzelposten zusammensetzte und sowohl nach Grund und Höhe streitig war, war die Widerklage unstreitig. Ferner hatte der Kläger mit einem Teil der Klageforderung die Aufrechnung gegen die im Wege der Widerklage geltend gemachte Forderung erklärt. Das erstinstanzliche Gericht befand die Klageforderung in Höhe eines Teilbetrags für begründet und wies die Widerklage in dieser Höhe durch Teilurteil ab. Das Gericht stützte seine Entscheidung darauf, dass die im Wege der Widerklage geltend gemachte Forderung infolge der Aufrechnung teilweise erloschen sei. Eine Zuordnung des für begründet erachteten Betrags zu den einzelnen Klageposten nahm das Gericht hierbei nicht vor. Nach erfolgloser Berufung des Beklagten hob das Reichsgericht die Entscheidung in der Revision wegen Unzulässigkeit des Teilurteils auf.
b) Entscheidung des Reichsgerichts Das Reichsgericht führte aus, ein Teilurteil hätte nur ergehen dürfen, „wenn das Landgericht […] nicht nur die grundsätzliche Einwendung des Beklagten gegen die Klageforderung für unbegründet erklärt, sondern auch bestimmte Posten der Klageforderung der Höhe nach festgestellt hätte. Dann wäre eine nach allen Richtungen bestimmte Grundlage für die Entscheidung, für die Ausscheidung eines qualitativ bestimmten Teils des Prozeßstoffs durch Teilurteil gegeben gewesen“.22
Denn handele es sich wie hier um eine Forderung, die sich aus mehreren Einzelposten zusammensetze, müsse bei Erlass eines Teilurteils erkennbar sein, über welchen Posten oder über welche Forderung entschieden werde. Nicht ausreichend sei daher der bloße Verweis, dem Kläger stehe ein bestimmter Betrag, mit dem aufgerechnet werden könne, zu. Solange der noch anhängige Teil für den durch Teilurteil auszuscheidenden relevant sei, liege keine Entscheidungsreife vor.23 Da das erstinstanzliche Gericht vorliegend jedoch nur über einen bestimmten Betrag entschieden habe, ohne festzulegen, auf welche Posten der Klageforderung sich die Abweisung der Widerklage infolge der Aufrechnung 21 RGZ 66, S. 396 ff. Siehe hierzu auch die Analyse von de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 43 ff. 22 RGZ 66, 396, 397. 23 So führt das Reichsgericht aus: „[E]s gehört zur Spruchreife, daß eine Endentscheidung (über einen Teil) erlassen werden kann, für die die künftige Entscheidung über den anderen Teil ohne Belang ist. Dasselbe gilt von dem Teilurteile bezüglich der Widerklage, wenn der Kläger seine Forderung vorsorglich zur Aufrechnung benutzt hat.“, RGZ 66, 396, 398.
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beziehe und es dem Beklagten somit möglich sei, in der Verhandlung über den Rest weiterhin jeden einzelnen Posten zu bestreiten, fehle die „hinreichend bestimmte und sichere Grundlage für die Entscheidung durch Teilurteil“.24
c) Rechtliche Bewertung In der vierten Entscheidung wurde die der Widerklage zugrundeliegende Forderung durch Teilurteil teilweise abgewiesen. Da über die Widerklage nicht voll entschieden wurde, handelt es sich im Ergebnis auch hier um ein Teilurteil über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs.25 Das Reichsgericht erachtete das Teilurteil jedoch mangels Entscheidungsreife für unzulässig. Da die teilweise Abweisung der Widerklage auf der Aufrechnung des Klägers mit seiner Klageforderung beruhte und mit Erlass des Teilurteils auch ein Teil der Klageforderung erledigt werden sollte, hätte das Berufungsgericht den ausscheidenden Teil der Klageforderung hinreichend qualifizieren müssen. Im Ergebnis führte damit die mangelnde Bestimmtheit des auszuscheidenden Teils zur Unzulässigkeit des Teilurteils, nicht hingegen die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen.26
5. Urteil des Reichsgerichts vom 09.04.1920, Az. II 430/1927 a) Sachverhalt28 Gegenstand der folgenden Entscheidung war eine Streitigkeit zwischen einem GmbH-Gesellschafter und der GmbH selbst. Der Kläger hatte auf seine Stammeinlage von 100.000 Mark nur einen Betrag von 40.000 Mark erbracht. In diesem Umfang hatte die Gesellschaft einen Anspruch gegen den Kläger, wobei der Kläger eine teilweise Tilgung der Forderung einwandte. Dem Kläger wiederum standen Mietzinsforderungen gegen die Gesellschaft zu. Diese hatte ihm der Vermieter der Gesellschaft zur Sicherung einer Forderung des Klägers gegen den Vermieter abgetreten. Nach Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft klagte der Gesellschafter nunmehr auf Zahlung des Mietzinses in Höhe der gesicherten Forderung. Die GmbH erhob u. a. Widerklage auf den noch ausstehenden Teil der Stammeinlage. Während das erst24
RGZ 66, 396, 398. solches Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO kann sowohl über einen Teil der Klage- als auch der Widerklageforderung ergehen, vgl. Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 10. 26 Siehe hierzu auch de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 45 ff., der die im Urteil verwendeten Formulierungen als tragend für die Entwicklung des Gebots der Unabhängigkeit erachtet. Ebenfalls mangels Bestimmtheit für unzulässig erklärt wurde das Teilurteil in RGZ 143, 170 ff., siehe hierzu auch de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 52 ff. 27 RGZ 98, 302 ff. 28 Aufgrund der Komplexität des Sachverhalts, die für die Entscheidung nicht relevant ist, wird der Sachverhalt hier leicht vereinfacht dargestellt. 25 Ein
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instanzliche Gericht der Mietzinsklage teilweise stattgab und die Klage sowie die Widerklage im Übrigen abwies, änderte das OLG in der Berufung das Urteil ab und verurteilte den Kläger auf die Widerklage durch Teilurteil auf Zahlung eines Teils der Stammeinlage an die Gesellschaft. Die Ansprüche des Klägers wies das Gericht größtenteils zurück. Mit der Revision rügte der Kläger unter anderem die Unzulässigkeit des Teilurteils – jedoch ohne Erfolg.
b) Entscheidung des Reichsgerichts Das Reichsgericht wies die Revision zurück und erhielt das Teilurteil aufrecht. Der Vortrag des Klägers, das Teilurteil sei unzulässig, da das OLG im Laufe des noch anhängigen Verfahrens hinsichtlich der Stammeinlage noch zu einer anderen Auffassung gelangen könne, greife nicht. So stünde die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung durch den Richter zu einem späteren Zeitpunkt der Entscheidungsreife zum Zeitpunkt des Teilurteils nicht entgegen, wenn zu diesem Zeitpunkt alle Tatsachen feststünden.29
c) Rechtliche Bewertung Das Urteil ist ebenso wie die oben dargestellte Entscheidung des Reichsgerichts vom 02.10.189930 eines der Beispiele, in denen ein Teilurteil für zulässig befunden und aufrechterhalten wurde. Es betrifft ebenfalls den Fall eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch – hier den im Wege der Widerklage geltend gemachten Anspruch auf Einzahlung der noch ausstehenden Stammeinlage. Das Gebot der Unabhängigkeit findet auch in diesem Urteil keine Erwähnung. Jedoch wäre das Teilurteil – nicht zuletzt wegen der Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz – heute wegen mangelnder Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil für unzulässig befunden worden. Der Einwand des Klägers, es bestehe die Möglichkeit, dass das Berufungsgericht im Rahmen des Schlussurteils hinsichtlich einzelner Punkte zu einer anderen rechtlichen Beurteilung und so zur Unbegründetheit des Teilurteils kommen könne, beschreibt im Ergebnis nichts anderes als die drohende Gefahr sich widersprechender Entscheidungen. Diesen Umstand allein erachtete das Reichsgericht jedoch nicht für ausreichend, um das Teilurteil als unzulässig aufzuheben. Vielmehr könne – so das Reichsgericht – die Möglichkeit einer später ggf. abweichenden Beurteilung, für die es derzeit keine Anhaltspunkte gebe, „daran, daß bei Erlassung des Teilurteils die Voraussetzungen dafür vor29 So führt das Reichsgericht aus: „Sollte dieser Fall [die Änderung der Tatsachengrundlage] eintreten (wofür übrigens zurzeit nicht der geringste Anlaß vorliegt), so könnte dies daran, daß bei Erlassung des Teilurteils die Voraussetzungen dafür vorhanden waren, nichts ändern.“, RGZ 98, 302, 308 f. 30 Siehe zu RG, Gruchot 46 (1902), S. 420 ff. in diesem Abschnitt oben unter Ziff. 3, S. 45 f.
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handen waren, nichts ändern.“31 Das Urteil entspricht damit der Entscheidung des Reichsgerichts vom 02.10.189932 und steht gleichzeitig im Gegensatz zur Unabhängigkeit im heutigen Sinne.
6. Urteil des Reichsgerichts vom 17.11.1931, Az. 213/3033 a) Sachverhalt Gegenstand der Entscheidung des Reichsgerichts vom 17.11.1931 war eine sich aus mehreren Einzelposten zusammensetzende Zahlungsklage auf Schadensersatz. Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage teilweise statt. Das Berufungsgericht hob das Urteil auf, erließ ein Zwischenurteil über den Grund und verurteilte den Beklagten durch Teilurteil zu einer Teilzahlung in Höhe von 100.000 Mark, ohne jedoch den zugesprochenen Betrag einem der einzelnen Schadensposten zuzuweisen. Obwohl bereits die erste Einzelforderung für eine Verurteilung zur Zahlung in dieser Höhe ausgereicht hätte, stützte sich das Berufungsgericht auf alle Einzelpositionen, einschließlich einer von der Klägerin nachgereichten Forderung, die nicht vom Grundurteil abgedeckt war. Zugleich erließ das Berufungsgericht einen Beweisbeschluss über die Frage, ob und inwieweit der Beklagte hinsichtlich der Schadenspositionen 2 bis 4 und der nachgereichten Forderung der Klägerin überhaupt zum Schadensersatz verpflichtet war.
b) Entscheidung des Reichsgerichts Das Reichsgericht hob das Teilurteil als unzulässig auf, da die dem Kläger zugesprochenen 100.000 Mark keinen ziffernmäßig abgrenzbaren Teil einzelner Positionen, sondern einen vom Berufungsgericht durch Schätzung ermittelten Teilbetrag der Gesamtforderung darstellen würden. Die Folge sei eine bestehende Unklarheit darüber, welcher Teil der einzelnen Positionen durch Teilurteil ausgeschieden sei. Dies sei mit der Vorschrift des § 301 ZPO jedoch unvereinbar: Für ein Teilurteil über einen einheitlichen Anspruch sei vielmehr erforderlich, dass der beschiedene Teil des einheitlichen Anspruchs genau feststehe; die Festlegung eines Mindestbetrages sei hingegen unzulässig.34
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RGZ 98, 302, 308 f. Mit Verweis auf diese Entscheidung schreiben Stein/Jonas, 15. Aufl. 1934, § 301, Anm. 4, dass die Frage der Entscheidungsreife „nach demjenigen Prozeßstoff zu entscheiden [sei], der zur Zeit des Erlasses des Theilurteils vorliegt […], ohne Rücksicht auf die Möglichkeit weiteren Vorbringens im späteren Verlauf des Prozeßes.“ 32 Siehe zu RG, Gruchot 46 (1902), S. 420 ff. in diesem Abschnitt oben Ziff. 3, S. 45 f. 33 RG, HRR 1932, Nr. 553. 34 Hierbei nahm das Reichsgericht Bezug auf die vorhergehende Entscheidung in RGZ 66, 396 ff. Mit ähnlicher Argumentation auch RGZ 143, 170 ff. Siehe zu dieser Entscheidung auch de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 52 ff.
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c) Rechtliche Bewertung Wie die vorherigen Urteile, so befasst sich auch diese Entscheidung mit einem Teilurteil über einen einheitlichen Anspruch. Grund für die Aufhebung war wie schon in der oben dargestellten Entscheidung des Reichsgerichts vom 22.10.190735 die mangelnde Bestimmtheit des auszuscheidenden Teils. Die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen findet auch in diesem Urteil keinen Eingang. Das Urteil bestätigt „lediglich“ die noch heute geltende Voraussetzung, dass ein Teilurteil über einen sich aus mehreren Einzelposten zusammensetzenden Anspruch zulässig ist, soweit die Einzelposten eindeutig ziffernmäßig oder anderweitig bestimmt und individualisierbar sind.36
7. Urteil des Reichsgerichts vom 10.07.1936, Az. VII 268/193537 a) Sachverhalt Der letzten zu betrachtenden Entscheidung des Reichsgerichts lag eine objektive Klagehäufung zugrunde. Ausgangssituation des Prozesses war ein Pachtvertrag zwischen einem Pächter und der beklagten Gutsverwaltung. Der später verstorbene Pächter – selbst nicht Partei des Verfahrens – hatte durch zwei notarielle Urkunden gegenüber der Klägerin, einer Getreide- und Düngemittelfirma, Schulden in Höhe von insgesamt 70.000 Mark anerkannt. Zur Sicherung dieser Schulden hatte der Pächter Gegenstände des Gutsinventars an die Klägerin übereignet. Nach dem Tod des Pächters nahm die Gutsverwaltung die Güter, einschließlich des Inventars, in Besitz. Daraufhin verlangte die Getreide- und Düngemittelfirma von der Gutsverwaltung klageweise Auskunft über den Bestand des Inventars, Feststellung ihres Sicherungseigentums an den Gegenständen und Feststellung darüber, dass der Beklagten kein dem Sicherungseigentum vorgehendes Verpächterpfandrecht an dem Inventar über einen Betrag von 15.000 Mark hinaus zustehe. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht dem Auskunfts- und Eigentumsfeststellungsantrag durch Teilurteil statt. Der negative Feststellungsantrag bzgl. des Verpächterpfandrechts sollte dem Schlussurteil vorbehalten sein. Auf die Revision der Beklagten hob das Reichsgericht das Teilurteil auf und wies die Sache an das Landgericht zurück.
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RGZ 66, 396 ff., siehe zu dieser Entscheidung in diesem Abschnitt oben S. 47 f. zu den noch heute geltenden Voraussetzungen z. B. BGHZ 108, 256, 260 = NJW 1989, S. 2745, 2746; BGH, NJW-RR 2009, S. 494, 495; Prütting/ Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 301, Rn. 7. 37 RGZ 151, 381 ff. 36 Vgl.
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b) Entscheidung des Reichsgerichts Das Reichsgericht führte aus, das Berufungsgericht hätte vor der Entscheidung über den Auskunfts- und Eigentumsfeststellungsantrag zunächst über das Pfandrecht der Beklagten befinden müssen. Denn ergäbe eine Prüfung, dass die Forderungen der beklagten Gutsverwaltung aus dem Pachtvertrag den Wert des von der Klägerin in Anspruch genommenen Inventars und deren eigene Forderungen überstiegen, so würde der Anspruch der Klägerin auf das Inventar, und damit auch das rechtliche Interesse an der Feststellung ihres Eigentums, entfallen.38 „Eine Aufrechterhaltung des […] Teilurteils würde also möglicherweise mit dem über das Pfandrecht zu fällenden Schlußurteil unverträglich sein, sodaß das Teilurteil nicht bestehen bleiben kann, weil die Zuerkennung eines Anspruchs durch Teilurteil als unzulässig angesehen werden muß, wenn die Möglichkeit besteht, daß das spätere Schlußurteil zu seiner Abweisung führt.“39
Es sei daher nicht möglich, die Entscheidung über das Pfandrecht von der Entscheidung über den Rest abzutrennen. Mangels Entscheidungsreife sei das Teilurteil daher in unzulässiger Weise ergangen.40
c) Rechtliche Bewertung In Abweichung zu den vorangegangenen Urteilen betrifft die letzte Entscheidung die Konstellation eines Teilurteils über einen von mehreren gem. § 260 ZPO verbundenen Streitgegenständen, wobei vorliegend über zwei von drei Ansprüchen durch Teilurteil entschieden wurde. Im Ergebnis erachtete das Reichsgericht auch in diesem Fall das Teilurteil mangels Entscheidungsreife für unzulässig. Da das für den Feststellungsantrag erforderliche rechtliche Interesse durch die Entscheidung über das Verpächterpfandrecht bedingt sei, dürfe – so das Reichsgericht – eine vorzeitige Entscheidung über den Feststellungsantrag durch Teilurteil nicht ergehen. Auch ein vorzeitiges Urteil über den Auskunftsanspruch erachtete das Reichsgericht aus diesem Grund für unstatthaft. Im Ergebnis fehlte es aufgrund des zwischen den Ansprüchen bestehenden Bedingungsverhältnisses damit an der erforderlichen Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils. Gleichwohl erinnert die Begründung des Reichsgerichts – die Stattgabe eines von mehreren Ansprüchen sei unzulässig, wenn die Mög38 Auch der eingeklagte Auskunftsanspruch würde entfallen, wenn die Klägerin aufgrund der Höhe der pfandrechtlichen Ansprüche kein Zugriffsrecht auf das Inventar hätte. Die für einen Auskunftsanspruch erforderliche Herausgabepflicht würde ebenso wenig bestehen wie ein sonstiges Rechtsverhältnis, das der Klägerin einen Anspruch auf Auskunft gem. § 242 BGB gewähren würde, RGZ 151, 381, 384. 39 RGZ 151, 381, 384. 40 RGZ 151, 381, 384.
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lichkeit bestehe, dass das Schlussurteil zur Abweisung des Teilurteils führe – bereits an das Gebot der Unabhängigkeit im heutigen Sinne.
8. Urteil des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone vom 04.11.1949, Az. II ZS 38/4941 a) Sachverhalt Die Klägerin der folgenden Entscheidung hatte sich gegenüber dem Beklagten in einem Vergleich zum Ersatz von Aufwendungen verpflichtet, die im Rahmen der Errichtung eines Gebäudes entstanden waren. Nach Abschluss des Vergleichs erhielt der Beklagte staatliche Baukostenzuschüsse. In der Folge klagte die Klägerin auf Feststellung, dass dem Beklagten aufgrund des staatlichen Zuschusses aus dem Vergleich kein Anspruch auf Aufwendungsersatz mehr zustünde. Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und bezifferte den Aufwendungsersatzanspruch auf ca. 8.000 DM. Darüber hinaus machte er geltend, dass weitere Aufwendungen für die Errichtung des Gebäudes noch ausstünden. Das Landgericht stellte in erster Instanz durch Teilurteil fest, dass dem Beklagten aus dem Vergleich keine höheren Forderungen als in Höhe von rund 600 DM zustünden. Die hiergegen eingelegte Berufung des Beklagten blieb ohne Erfolg. Die Revision führte zur Aufhebung des Teilurteils und Zurückweisung der Sache an das Landgericht.
b) Entscheidung des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone Der Oberste Gerichtshof erachtete das Teilurteil für unzulässig. Da ein Teilurteil den Prozess in voneinander unabhängige Teile spalte, könne ein Teilurteil nur ergehen, wenn es durch das Schlussurteil unter keinen Umständen mehr berührt werden könne. Da vorliegend jedoch die Möglichkeit bestand, dass der Beklagte seinen Aufwendungsersatzanspruch im weiteren Verfahren erhöhe und dies aufgrund der Äußerungen des Beklagten auch zu erwarten war, bestehe die Gefahr, dass das Teilurteil später unrichtig werde, „und zwar nicht nur hinsichtlich der Wortfassung, sondern auch in seinem sachlichen Inhalt. In solchem Fall [könne] aber der Erlaß eines Teilurteils im Interesse der Verhinderung einander widersprechender Entscheidungen und der daraus zu besorgenden Unklarheit und Verwirrung nicht als zulässig erachtet werden.“42 41 42
OGH BritZ 3, 20 ff. Insgesamt führt das Gericht in diesem Kontext aus: „Es [das Teilurteil] kann, da es den Prozeß in zwei voneinander unabhängige Teile spaltet, nur dann erlassen werden, wenn es durch das über den Rest ergehende Schlußurteil unter keinen Umständen berührt werden kann […]. Diese Gefahr besteht aber vorliegend jedenfalls dann, wenn der Beklagte in der Verhandlung über den noch anhängigen Rest seine Ansprüche über den bisher behaupteten Umfang
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c) Rechtliche Bewertung Das Urteil des Obersten Gerichtshofs betrifft die Konstellation eines Teilurteils über einen Teil eines negativen Feststellungsantrags und ist eine der ersten Entscheidungen, in denen das Gebot der Unabhängigkeit – in ähnlicher Weise wie heute – zum Ausdruck kommt.43 Im Ergebnis fehlte es jedoch bereits an der für ein Teilurteil erforderlichen Entscheidungsreife: So erachtete der Oberste Gerichtshof das Teilurteil aufgrund der konkret erwartbaren Möglichkeit einer Anspruchserweiterung seitens des Beklagten im weiteren Verfahren für unzulässig. Im Unterschied zu den Entscheidungen des Reichsgerichts vom 09.04.192044 und 02.10.1899,45 bei denen bei Erlass des Teilurteils keine Anhaltspunkte für eine später abweichende Beurteilung oder weiteres Vorbringen vorlagen, musste das Gericht hier im Zeitpunkt der Entscheidung bereits mit weiterem Vortrag seitens des Beklagten rechnen, sodass es an der für ein Teilurteil erforderlichen Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils fehlte.46 Gleichwohl erinnern die Ausführungen des Gerichts, das Teilurteil könne bei einer Änderung der Tatsachengrundlage unrichtig und der Erlass eines Teilurteils daher „im Interesse der Verhinderung einander widersprechender Entscheidungen und der daraus zu besorgenden Unklarheit und Verwirrung nicht als zulässig erachtet werden“,47 an das Gebot der Unabhängigkeit im heutigen Sinne. Letztlich kommt in der Entscheidung damit das Bedürfnis des Gerichts zum Ausdruck, Teil- und Schlussurteil auf eine gemeinsame Tatsachengrundlage zu stützen. Insoweit steht die Entscheidung im Gegensatz zu den Urteilen des Reichsgerichts vom 02.10.189948 und 09.04.1920.49
von 8 541,31 DM hinaus erhöht, eine Möglichkeit, mit deren Eintritt umso mehr gerechnet werden kann, als der Beklagte stets behauptet hat, daß die Kosten für die Dacherneuerung und Holzverschalung noch ausstünden. Dann könnte sich im Schlußurteil ergeben, daß die Ansprüche des Beklagten doch höher sind als 577,49 DM. Das Teilurteil wäre dann schlechthin unrichtig, und zwar nicht nur hinsichtlich der Wortfassung, sondern auch in seinem sachlichen Inhalt. In solchem Falle kann aber der Erlaß eines Teilurteils im Interesse der Verhinderung einander widersprechender Entscheidungen und der daraus zu besorgenden Unklarheit und Verwirrung nicht als zulässig erachtet werden.“, OGH BritZ 3, S. 20, 23 f., unter Verweis auf die vorangegangene Entscheidung des Reichsgerichts in RGZ 151, 381 ff. 43 Die erste Entscheidung, in der das Gebot der Unabhängigkeit in seiner heutigen Form ausdrücklich genannt wird, ist das Urteil des BGH vom 30.04.1956, Az. II ZR 217/54. Siehe hierzu in diesem Abschnitt unten S. 57 ff. 44 RGZ 98, 302 ff., in diesem Abschnitt oben Ziff. 5, S. 48 ff. 45 RG, Gruchot 46 (1902), S. 422 ff., in diesem Abschnitt oben Ziff. 3, S. 45 f. 46 So auch Blomeyer, Enzyklopädie, 1963, § 84 II, Fn. 3; de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 25. Siehe zur Entscheidung des OGH auch Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 316. 47 OGH BritZ 3, S. 24. 48 RG, Gruchot 46 (1902), S. 422 ff., in diesem Abschnitt oben Ziff. 3, S. 45 f. 49 RGZ 98, 302 ff., in diesem Abschnitt oben Ziff. 5, S. 48 ff.
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9. Urteil des BGH vom 18.12.1954, Az. II ZR 76/5450 a) Sachverhalt Die nachfolgende Entscheidung ist eines der ersten vom BGH ergangenen Urteile zur Frage der Zulässigkeit eines Teilurteils.51 Auch wenn die Zulässigkeit nur am Rande thematisiert wird, ist die Entscheidung für das heute herrschende Verständnis der Unabhängigkeit von Relevanz. Die Parteien des Rechtsstreits, zwei niedergelassene Ärzte, hatten im Wege eines Tauschvertrags ihre Praxen getauscht. Nach Unstimmigkeiten trafen die Parteien eine Rücktauschvereinbarung und behielten sich ein 10-tägiges Rücktrittsrecht vor. Der spätere Kläger trat von dem Vertrag fristgerecht zurück. Der andere Arzt und spätere Beklagte erklärte daraufhin die Anfechtung des ursprünglichen Tauschvertrags wegen arglistiger Täuschung. In der Folge verlangte der Kläger klageweise die Feststellung, dass der Vertrag wirksam und nicht nichtig sei, und ferner den Beklagten auf Unterlassung zu verurteilen, in der Nähe seiner alten Praxis selbst als Arzt tätig zu werden. Das Landgericht wies den Unterlassungsantrag durch Teilurteil ab, da eine solche Wettbewerbsklausel selbst bei Wirksamkeit des Tauschvertrags nichtig sei. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Auf die Revision des Klägers, der die Unzulässigkeit des Teilurteils nicht rügte, befasste sich der BGH mit der Frage, inwiefern das unter Umständen unzulässige Teilurteil auch ohne Verfahrensrüge überprüft werden könne.
b) Entscheidung des BGH Der BGH führte aus, es sei nicht unmittelbar nachprüfbar, ob „das Berufungsgericht mit Recht von der Zulässigkeit des vom Landgericht erlassenen, auf den Klageantrag zu 2) beschränkten Teilurteils ausgegangen [sei] oder ob das Teilurteil wegen eines untrennbaren Zusammenhangs zwischen den beiden Klageanträgen, vor allem mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz, mithin wegen mangelnder Entscheidungsreife des Klageantrags zu 2), nicht erlassen werden durfte […].“52
Weitere Ausführungen zur Zulässigkeit traf der BGH nicht, da er – in Abweichung zur heutigen Rechtsprechung53 – eine Überprüfung des Teilurteils mangels Verfahrensrüge für unzulässig erachtete. 50 51
BGHZ 16, 71 ff. Zuvor erging noch die Entscheidung des BGH vom 13.10.1954, Az. VI ZR 49/54 = ZZP 68 (1955), S. 51 ff., in der ein Teilurteil über eine unselbständige Anschlussberufung für unzulässig befunden wurde. 52 BGHZ 16, 71, 73. 53 BGH, NJW 2011, S. 2800, 2802. Der BGH hat seine ursprünglich anderslautende Rechtsprechung, der zufolge es einer entsprechenden Verfahrensrüge für die Überprüfung des Teilurteils bedurfte, aufgegeben, siehe BGHZ 189, 356 Rn. 19 ff. = NJW 2011, S. 2736 Rn. 19 ff.
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c) Rechtliche Bewertung Auch wenn die Entscheidung die Frage der Zulässigkeit des Teilurteils über einen von mehreren Ansprüchen gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 1 ZPO nur streift, so ist sie dennoch für die Analyse des Gebots der Unabhängigkeit relevant. Sie zeigt, dass der BGH einen materiellen Zusammenhang zwischen den beiden Ansprüchen ursprünglich als Frage der Entscheidungsreife und nicht – wie heute – der Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil betrachtete.54 Gleichzeitig kann der Formulierung des BGH, dass „das Teilurteil wegen eines untrennbaren Zusammenhangs zwischen den beiden Klageanträgen, vor allem mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz, mithin wegen mangelnder Entscheidungsreife des Klageantrags zu 2), nicht erlassen werden durfte“,55
ein Hinweis auf das Erfordernis der Unabhängigkeit entnommen werden. Denn es ist unter Zugrundelegung des herrschenden Verständnisses von der Entscheidungsreife56 nicht nachvollziehbar, dass die Möglichkeit einer abweichenden Beurteilung in der Rechtsmittelinstanz zur fehlenden Entscheidungsreife führen soll.57 Vielmehr entspricht es der Absicht des Rechtsmittelführers, dass das Gericht höherer Instanz den Rechtsstreit abweichend vom vorherigen Gericht beurteilt.58 Gleichwohl hat der BGH diesen Aspekt in seine Ausführungen zur Zulässigkeit eines Teilurteils aufgenommen und damit – ebenso wie der Oberste Gerichtshof der Britischen Zone59 – das Bedürfnis einer einheitlichen Entscheidung zum Ausdruck gebracht. Im Ergebnis spiegelt die Entscheidung damit den Eingang des Gebots der Unabhängigkeit in die höchstrichterliche Rechtsprechung wider. Hierbei hat der BGH – der Literatur folgend – seine zum Grundurteil bestehende Rechtsprechung auf das Teilurteil übertragen: Nach dieser müsse von Amts wegen – und nicht erst auf entsprechenden Parteiantrag – verhindert werden, dass ein Verfahren auf ein Urteil aufbaue, das keine Grundlage in der ZPO habe. Nur auf diese Weise werde bei einem unter Verstoß gegen das Unabhängigkeitsgebot erlassenen Teilurteil verhindert, dass sich der Verfahrensfehler vertiefe und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bestehen bleibe. So hat der BGH ausgeführt: „Eine derartige Gefahr ist nicht nur in den in der Rechtsprechung bislang anerkannten Ausnahmefällen, sondern generell nicht zu akzeptieren. Ein derartiger Fehler ist daher auch vom RevGer. von Amts wegen zu berücksichtigen.“, BGHZ 189, 356 Rn. 27 = NJW 2011, S. 2736 Rn. 27. 54 Siehe zur Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei der objektiven Klagehäufung infolge materiell-rechtlicher Verzahnung unten 4. Kapitel. A. I., S. 110 ff. 55 BGHZ 16, S. 71, 73. 56 Danach liegt Entscheidungsreife vor, wenn das Gericht über die (teilweise) Klagestattgabe oder -abweisung befinden kann, d. h. der zu entscheidende Tatsachenstoff unter Maßgabe des § 139 ZPO hinreichend geklärt und erörtert ist und die Beweise erschöpft sind, siehe hierzu oben 2. Kapitel. B., S. 26 ff. 57 So auch Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 301, Rn. 29. 58 So auch Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 72. Siehe zur Ansicht Peters’ in diesem Kapitel unten C. II. 6., S. 87 f. 59 Siehe hierzu in diesem Abschnitt oben Ziff. 8, S. 53 f.
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10. Urteil des BGH vom 30.04.1956, Az. II ZR 217/5460 a) Sachverhalt Zuletzt soll das erste Urteil des BGH erläutert werden, in dem die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen und das Erfordernis der Unabhängigkeit ausdrücklich erwähnt werden.61 In dieser Entscheidung hatte der BGH über die Zulässigkeit der Abweisung einer unselbständigen Anschlussberufung durch Teilurteil zu befinden.62 Die Klägerin, Halterin eines LKW, klagte nach einem Verkehrsunfall gegen ihre Haftpflichtversicherung auf Feststellung des Bestehens des Versicherungsschutzes. Das Landgericht gab der Klage statt. Die Versicherung legte Berufung ein und beantrage die Abweisung der Klage. Nach Ablauf der Berufungsfrist ging die Klägerin zu einer Leistungsklage über und beantragte im Wege der unselbständigen Anschlussberufung, die Beklagte zu einer Zahlung von rund 10.000 DM zu verurteilen. Das Berufungsgericht hob das erstinstanzliche Urteil auf und erklärte den Zahlungsanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt. Die Revision der Beklagten führte zur Aufhebung und Zurückweisung der Entscheidung.
b) Entscheidung des BGH Der BGH führte aus, eine Entscheidung über eine unselbständige Anschlussberufung vorab durch Teilurteil sei unzulässig. Aufgrund der – wenn auch nur theoretischen – Möglichkeit einer (einvernehmlichen) Rücknahme der Berufung oder ihrer Verwerfung als unzulässig hinge das rechtliche Schicksal der Anschlussberufung von dem der Berufung ab. Solange ein solches Abhängigkeitsverhältnis bestehe, könne ein Teilurteil über die Anschlussberufung mangels Entscheidungsreife nicht ergehen.63 Darüber hinaus sei der Ausgang der Entscheidung über die Berufung auch inhaltlich für die Entscheidung über die Anschlussberufung maßgebend: Da beide Rechtsmittel denselben Gegenstand 60
BGHZ 20, 311 ff. = NJW 1956, S. 1030 ff. Urteil wird in zahlreichen weiteren Entscheidungen als Nachweis für das heute herrschende Gebot der Unabhängigkeit zitiert, siehe z. B. BGH, NJW 1987, S. 441 ff.; BGH, NJW 1960, S. 339; BGH, GRUR 1961, S. 85, 87; BGH, NJW-RR 1994, S. 379, 380; BGH, NJW 1997, S. 453, 455; BGH, NJW 1999, S. 1718, 1719; BGH, NJW 2002, S. 145; OLG Köln, NJW-RR 1992, S. 908, 909; OLG Jena, NZG 2003, S. 232, 233; OLG Zweibrücken, NJOZ 2005, S. 1550, 1551; OLG Köln, NJW-RR 2016, S. 401, 402; LG Bonn, NJW-RR 1990, S. 19. 62 Das Urteil schließt sich an die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des BGH zur Unzulässigkeit eines Teilurteils über eine unselbständige Anschlussberufung an, vgl. RGZ 159, 293 ff. und BGH, ZZP 68 (1955), S. 51, 55. 63 So führte der BGH aus: „Solange das rechtliche Schicksal der Anschlußberufung wegen ihrer Abhängigkeit von der Berufung noch in der Schwebe ist, ist der von ihr erfaßte Teil des Rechtsstreits nicht entscheidungsreif im Sinne des § 301 Abs. 1 ZPO […].“, BGHZ 20, 311, 312 = NJW 1956, S. 1030, 1031. 61 Das
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
beträfen, führe die Stattgabe der Berufung zur Abweisung der Anschlussberufung und umgekehrt. Ein Teilurteil dürfe jedoch nur ergehen, „wenn die Entscheidung über den Teil unabhängig davon ist, wie der Streit über den Rest ausgeht, die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen also ausgeschlossen ist […].“64
c) Rechtliche Bewertung Die Entscheidung des BGH ist das erste höchstrichterliche Urteil, in dem die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen sowie die Unabhängigkeit von Teilund Schlussurteil, ohne dass dies jedoch erforderlich gewesen wäre, ausdrücklich erwähnt werden. Sie schließt sich an die (hier nicht erörterte) Entscheidung des Reichsgerichts vom 31.01.193965 und an das Urteil des BGH vom 13.10.195466 an, in denen ebenfalls ein Teilurteil über eine unselbständige Anschlussberufung mangels Entscheidungsreife für unzulässig erachtet wurde. Allen drei Urteilen lag aufgrund des Bedingungsverhältnisses zwischen der unselbständigen Anschlussberufung und der Berufung damit eine Prozesssituation zugrunde, in der trotz innerprozessualer Abhängigkeit ein Teilurteil erlassen wurde. Betrachtet man die Entscheidungsgründe des Urteils, so können diese in zwei Komplexe geteilt werden: in die Ausführungen zum bestehenden Bedingungsverhältnis einerseits und die Erläuterung zur erforderlichen Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils andererseits. Da es aufgrund der innerprozessualen Abhängigkeit zwischen der unselbständigen Anschlussberufung und der Berufung jedoch bereits an der für ein Teilurteil erforderlichen Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils fehlte und ein Teilurteil bereits aus diesem Grund unzulässig war, hätte es des weiteren Verweises auf die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen und die Unabhängigkeit nicht bedurft. Gleichwohl hat der BGH auf diese Bezug genommen und somit die – neben der bereits bestehenden prozessualen Verknüpfung – inhaltliche Verbindung der Ansprüche betont. So würden sich die Ansprüche gegenseitig ausschließen, da sich die Beklagte gegen die Feststellung ihrer Leistungspflicht richte, während die Klägerin auf eine Verurteilung der Beklagten zu eben dieser Leistung abziele.67 Im Ergebnis hat der BGH damit die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung bei Bestehen eines materiell-rechtlichen Zusammenhangs hervor64 BGHZ 20,
311, 312 = NJW 1956, S. 1030, 1031. Hierbei nimmt der BGH u. a. auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in OGH BritZ 3, 20 ff. und das Urteil des Reichsgerichts in RGZ 151, 381 ff. Bezug. 65 RGZ 159, 293, 294, das hierzu ausführt: „Die unselbständige Anschlußberufung ist durch die Bestimmung, daß sie im Falle einer Zurücknahme der Berufung unwirksam wird oder als unzulässig zu verwerfen ist […] so eng mit der Berufung verknüpft, daß sie vor der Entscheidung über die Berufung einer abgesonderten Entscheidung nicht zugänglich ist.“ 66 BGH, ZZP 68 (1955), S. 51, 55. 67 BGHZ 20, 311, 312 = NJW 1956, S. 1030, 1031.
A. Entwicklung des Gebots der Unabhängigkeit in der Rechtsprechung
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gehoben und auf diese Weise den Weg für die Etablierung der Unabhängigkeit als ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung geebnet.
II. Fazit Die dargestellten Urteile sind die ersten zur Frage der Zulässigkeit eines Teilurteils ergangenen höchstrichterlichen Entscheidungen. Auffallend ist, dass den Verfahren überwiegend die Konstellation eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO zugrunde lag68 und die Teilurteile – soweit sie aufgehoben wurden – entweder aufgrund fehlender Bestimmtheit des durch Teilurteil ausgeschiedenen Teils69 oder aufgrund von Unsicherheit über Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchsgrundes70 und damit letztlich wegen fehlender Entscheidungsreife für unzulässig erklärt wurden.71 Auch die heute in § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO normierte Pflicht zum gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils sowie die Anforderung an die Abgrenzbarkeit und Individualisierbarkeit des auszuscheidenden Anspruchsteils haben ihren Ursprung in den ersten zu einem Teilurteil ergangenen höchstrichterlichen Entscheidungen.72 Insgesamt spiegeln die Urteile damit die noch heute für ein Teilurteil über einen einheitlichen Anspruch gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO geltenden Zulässigkeitsvoraussetzungen wider. Soweit in den untersuchten Entscheidungen Teilurteile für zulässig erachtet wurden,73 standen etwaige, zu einem späteren Zeitpunkt abweichende Beurteilungen in derselben Instanz einem Urteilserlass nicht entgegen. Auch die Möglichkeit einander widersprechender Entscheidungen infolge einer abweichenden rechtlichen Bewertung in der Rechtsmittelinstanz hat das Reichsgericht nicht in Erwägung gezogen. Das Gebot der Unabhängigkeit im heutigen Sinne fand bei der Frage, ob ein Teilurteil in zulässiger Weise ergangen ist, damit keine Anwendung. Auch die oben dargestellten Entscheidungen des Reichsgerichts vom 10.07.193674 und des BGH vom 30.04.195675 widersprechen diesem Ergebnis nicht. Zwar wird insbesondere in der Entscheidung des BGH das Gebot der Unabhängigkeit im heutigen Sinne erwähnt, wenn der BGH ausführt, ein Teilurteil dürfe nur ergehen, „wenn die Entscheidung über den Teil unabhängig davon 68 Vgl. RGZ 6, 49 ff.; RGZ 16, 423 ff.; RG, Gruchot 46 (1902), S. 422 ff.; RGZ 66, 369 ff.; RGZ 96, 8 ff.; RGZ 98, 302 ff.; RG, HRR 1932, Nr. 553; OGH BritZ 3, 20 ff. 69 So in RGZ 66, 396 ff., RG, HRR 1932, Nr. 553 und RGZ 143, 170 ff. 70 So in RGZ 6, 49 ff. und RGZ 16, 423 ff. 71 So z. B. in RGZ 16, 423, 425 und RGZ 66, 396, 398. 72 Vgl. RGZ 6, 49, 57, RGZ 16, 423 ff., RGZ 66, 396 ff. und RG, HRR 1932, Nr. 553. 73 So in RG, Gruchot 46 (1902), S. 422 ff. und RGZ 98, 302 ff. 74 RGZ 151, 381 ff., siehe hierzu oben S. 51 ff. 75 BGHZ 20, 311 = NJW 1956, S. 1030. Siehe hierzu oben S. 57 ff. Abweichend hier aber Prütting und Weth, siehe in diesem Kapitel unten C. II. 3., S. 83 f.
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
ist, wie der Streit über den Rest ausgeht, die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen also ausgeschlossen ist […].“76 Beiden Urteilen lagen jedoch besondere Prozesskonstellationen mit einem Abhängigkeitsverhältnis zugrunde,77 die jeweils zur Aufhebung des Teilurteils wegen fehlender Entscheidungsreife geführt haben.78 Beide Entscheidungen können damit ebenso wenig wie die vorangegangenen Urteile des Reichsgerichts als repräsentative Beispiele für das Gebot der Unabhängigkeit in seiner heutigen Form herangezogen werden. Dass die Entscheidung des BGH vom 30.04.195679 gleichwohl in zahlreichen Fällen als Nachweis für das Gebot der Unabhängigkeit zitiert wird,80 ist vermutlich auf die erstmalige Formulierung der „Gefahr einander widersprechender Entscheidungen“81 zurückzuführen. Gleichwohl kann den analysierten Urteilen das Bedürfnis der Gerichte entnommen werden, sich widersprechende Entscheidungen über in Zusammenhang stehende Ansprüche oder Anspruchsteile verhindern zu wollen und hierbei über die Anforderungen der Entscheidungsreife und Teilbarkeit hinauszugehen.82 So haben die Gerichte dieses Bedürfnis an verschiedenen Stellen zum Ausdruck gebracht, wenn sie z. B. ausführten, dass ein Teilurteil „im Interesse der Verhinderung einander widersprechender Entscheidungen und der daraus zu besorgenden Unklarheit und Verwirrung“83 oder „wegen eines untrennbaren Zusammenhangs zwischen den beiden Klageanträgen, vor allem mit Rücksicht auf die 76 BGHZ 20, 311, 312 = NJW 1956, S. 1030, 1031. Hierbei nimmt der BGH u. a. auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in OGH BritZ 3, 20 ff. und des Reichsgerichts in RGZ 151, 381 ff. Bezug. 77 Im Fall des Reichsgerichts war das für das Teilurteil erforderliche Feststellungsinteresse von der Entscheidung über den Rest im Schlussurteil abhängig, vgl. RGZ 151, 381 ff. Im Fall des BGH wurde über eine unselbständige Anschlussberufung trotz Abhängigkeit derselben von der Berufung entschieden, vgl. BGHZ 20, 311, 312 = NJW 1956, S. 1030. 78 Eine ähnliche Situation lag auch der Entscheidung des BGH vom 19.11.1959 zugrunde, vgl. BGH, NJW 1960, S. 339 f. Auch hier wurde über zwei von insgesamt vier Anträgen durch Teilurteil vorab entschieden, obwohl die Entscheidung über den ersten Antrag nicht ohne gleichzeitige Entscheidung über den vierten Antrag hätte ergehen können. Von den insgesamt vier eingeklagten Ansprüchen war der letzte Antrag auf Feststellung gerichtet. Die Entscheidung über den Feststellungsantrag bildete dabei zugleich eine Vorfrage des ersten Antrags. Konnte das Gericht also über den ersten Antrag durch Teilurteil entscheiden, weil insoweit Entscheidungsreife vorlag, so hätte es gleichermaßen über den vierten Antrag befinden müssen. Eine isolierte Entscheidung über den ersten Antrag, ohne zugleich über den vierten Antrag – trotz Entscheidungsreife – zu entscheiden, war damit nicht zulässig. So auch de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 29 ff. 79 BGHZ 20, 311 = NJW 1956, S. 1030. 80 Siehe in diesem Kapitel Fn. 61. 81 BGHZ 20, 311, 312 = NJW 1956, S. 1030, 1031. 82 Ein solches Bedürfnis zeigt insbesondere die Entscheidung des BGH vom 18.12.1954, in der die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz fälschlicherweise unter die fehlende Entscheidungsreife gefasst wurde, vgl. BGHZ 16, 71 ff. Siehe hierzu in diesem Kapitel oben B. 9., S. 55 f. 83 OGH BritZ 3, 20, 24.
A. Entwicklung des Gebots der Unabhängigkeit in der Rechtsprechung
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Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz“84 nicht ergehen dürfe bzw. nur zulässig sei, „wenn die Entscheidung über den Teil unabhängig davon ist, wie der Streit über den Rest ausgeht, die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen also ausgeschlossen ist […].“85 Indem diese von der Rechtsprechung in bestimmten Prozesskonstellationen getroffenen Formulierungen immer wieder zum Bestandteil späterer Entscheidungen über die Zulässigkeit eines Teilurteils gemacht wurden,86 haben die Gerichte die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil als ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung für den Erlass eines Teilurteils etabliert. Auf diese Weise hat die Rechtsprechung letztlich ihrem Bedürfnis nach einer vollumfänglichen Vermeidung von Widersprüchen zwischen Teil- und Schlussurteil Rechnung getragen, ohne sich einer näheren Qualifizierung der Unabhängigkeit zu unterwerfen. Als abschließendes Beispiel hierfür soll die Entscheidung des BGH vom 15.11.1960 angeführt werden,87 in der es heißt: „Das [Berufungsgericht] ist von der zu § 301 ZPO entwickelten Rechtsprechung ausgegangen, wonach ein Teilurteil über einen oder einige von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nicht ergehen darf, wenn ein untrennbarer Zusammenhang mit den anderen Ansprüchen besteht, vor allem mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung der Rechtsmittelinstanz. Die Entscheidung über den Teil muß unabhängig davon sein, wie die Entscheidung über den Rest ausgeht, die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen also ausgeschlossen sein (OGHZ 3, 20, 23; BGHZ 16, 71, 72; 20, 311, 312 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).“88
Als Nachweise für das Gebot der Unabhängigkeit wurden in dieser Entscheidung die oben erläuterten Urteile des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone89 sowie die beiden zuletzt genannten Entscheidungen des BGH90 zitiert, obgleich es in allen drei Entscheidungen bereits an der für ein Teilurteil erforderlichen Entscheidungsreife fehlte und die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen sowie das Gebot der Unabhängigkeit nur am Rande Eingang fanden. 84
BGHZ 16, 71, 73. BGHZ 20, 311, 312 = NJW 1956, S. 1030, 1031. So wurde insbesondere die Entscheidung BGHZ 20, 311 ff. = NJW 1956, S. 1030 ff. in zahlreichen weiteren Urteilen als Nachweis für das heute herrschende Gebot der Unabhängigkeit zitiert, siehe nur BGH, NJW 1987, S. 441 ff.; BGH, NJW 1960, S. 339; BGH, GRUR 1961, S. 85, 87; BGH, NJW-RR 1994, S. 379, 380; BGH, NJW 1997, S. 453, 455; BGH, NJW 1999, S. 1718, 1719; BGH, NJW 2002, S. 145; OLG Köln, NJW-RR 1992, S. 908, 909; OLG Jena, NZG 2003, S. 232, 233; OLG Zweibrücken, NJOZ 2005, S. 1550, 1551; OLG Köln, NJW-RR 2016, S. 401, 402; LG Bonn NJW-RR 1990, S. 19. 87 BGH, GRUR 1961, S. 85 ff. 88 BGH, GRUR 1961, S. 85, 87. 89 OGH BritZ 3, 20 ff., siehe oben Ziff. 8, S. 53 f. 90 BGHZ 16, 71 ff., siehe Ziff. 9, S. 55 f. und BGHZ 20, 311, 312 = NJW 1956, S. 311 ff., siehe oben Ziff. 10, S. 57 ff. 85 86
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
Ob die Entwicklung des Gebots der Unabhängigkeit durch die Rechtsprechung gerechtfertigt ist, soll im nachfolgenden Abschnitt anhand der Motive des Gesetzgebers bei Einführung der Vorschrift zum Erlass eines Teilurteils untersucht werden. Ziel ist es, die hinter der Vorschrift des § 273 CPO bzw. § 301 ZPO stehende Konzeption des Gesetzgebers bei Einführung der Vorschrift nachzuvollziehen und anhand dieser zu überprüfen, ob die Entwicklung der ungeschriebenen Zulässigkeitsvoraussetzung der Intention der Väter der Zivilprozessordnung entspricht.
B. Vereinbarkeit des Gebots der Unabhängigkeit mit der hinter § 301 ZPO stehenden Konzeption des Gesetzgebers I. Motive des Gesetzgebers bei Einführung des § 273 CPO Wie im ersten Kapitel aufgezeigt, wurde mit Einführung der CPO durch die Reichsjustizgesetze auch das Mündlichkeitsprinzip fester Bestandteil des Zivilprozesses. In Abkehr von dem bis dato geltenden Schriftlichkeitsprinzip und der damit einhergehenden Eventualmaxime war den Parteien nunmehr ein gleichzeitiger Vortrag ihres Tatsachenstoffs möglich; dieser musste in der mündlichen Verhandlung vor dem zu entscheidenden Gericht vorgebracht werden.91 Um die Gerichte gleichwohl vor einer Überforderung des von nun an zeitgleich aufkommenden Prozessstoffs zu schützen, erachtete der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Abschichtung des Tatsachenstoffs für erforderlich und das Teilurteil neben anderen Instituten als hierfür geeignetes Mittel.92 Insbesondere befand der Gesetzgeber auch die Prozesstrennung durch richterliche Anordnung gem. § 136 CPO (heute § 145 ZPO) als ein weiteres wirksames Instrument zur Zerlegung des Streitstoffs.93 So treffe „das dem Gericht eingeräumte Trennungsrecht Vorkehr, daß trotz massiger Anhäufung des Prozeßstoffs der mündlichen Verhandlung die Uebersicht und Ordnung bewahrt und daß die mündliche Verhandlung auf das für die Entscheidung notwendige Maß beschränkt werde.“94
Mit der Prozesstrennung kann das Gericht anordnen, dass mehrere in einer Klage gem. § 260 ZPO miteinander verbundene Ansprüche oder gem. §§ 59, 91
Siehe zur Entwicklung vom Schriftlichkeitsprinzip zum Mündlichkeitsprinzip oben 1. Kapitel. B. I., S. 13 ff. 92 Siehe oben 1. Kapitel. B. II., S. 15 ff. 93 Als weiteres Mittel zur Abschichtung des Prozessstoffs erachtete der Gesetzgeber die Möglichkeit zum Erlass eines Zwischenurteils, vgl. Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132. 94 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 216. Siehe zu weiteren Ausführungen in der Gesetzesbegründung ders., Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 128, 132.
B. Vereinbarkeit des Unabhängigkeitsgebots mit der Konzeption des Gesetzgebers 63
60 ZPO verbundene Prozessrechtsverhältnisse95 in getrennten Verfahren verhandelt werden, wenn dies aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist (§ 145 Abs. 1 ZPO). Gleiches gilt für eine Klage und Widerklage, wenn diese nicht in rechtlichem Zusammenhang stehen (§ 145 Abs. 2 ZPO).96 Infolge der Trennung werden die verbundenen Ansprüche und Prozessrechtsverhältnisse bzw. Klage und Widerklage gespalten und in mehreren selbständigen Verfahren mit einem eigenen Streitwert fortgeführt; an deren Ende ergeht jeweils ein eigenes VollEndurteil im Sinne des § 300 Abs. 1 ZPO.97 Da eine Trennung des Verfahrens mit einer Trennung der Verhandlung einhergeht, wird die Prozesstrennung in der Gesetzesbegründung auch als Befugnis des Gerichts zur „Trennung der Verhandlung und der Entscheidung“ bezeichnet.98 Im Gegensatz dazu sollte das Gericht nach der Konzeption des Gesetzgebers durch Erlass eines Teilurteils „lediglich“ befugt sein, „bei ungetrennter Verhandlung eine getrennte Entscheidung eintreten zu lassen.“99 Im Ergebnis wollte der Gesetzgeber den Gerichten mit der Möglichkeit zur Prozesstrennung und zum Erlass eines Teilurteils damit zwei Hilfsmittel mit unterschiedlicher Reichweite und Zweckrichtung zur Abschichtung des in der Verhandlung aufkommenden Prozessstoffs an die Hand geben: einerseits die Verfahrenstrennung zur Trennung von Verhandlung und Entscheidung zum Zwecke der Übersicht und Ordnung der mündlichen Verhandlung und Beschränkung des Prozessstoffs auf das für die Entscheidung notwendige Maß;100 andererseits das Teilurteil zur Er-
95 Im Fall der notwendigen Streitgenossenschaft ist eine Trennung jedoch unzulässig. Siehe zu den Voraussetzungen einer Prozesstrennung unten 6. Kapitel. A. I. 2. a), S. 194 ff. 96 Die Regelungen des § 145 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO waren ursprünglich in § 136 Abs. 2 CPO zusammengefasst und wurden im Rahmen einer Gesetzesnovelle in die Absätze 2 und 3 und damit in zwei selbständige Regelungen aufgespalten. 97 So heißt es auch in der Gesetzesbegründung zur Streitgenossenschaft: „[So] gestattet der Entwurf nicht nur im Falle der Gemeinsamkeit (§ 56), sondern auch im Falle der Gleichartigkeit der Streitpunkte (§ 57), daß mehrere Personen als Streitgenossen gemeinschaftlich klagen oder verklagt werden können, da auch in dem letzteren Falle die prozessualische Möglichkeit einer ordnungsmäßigen Verhandlung der mehreren Ansprüche in demselben Verfahren gegeben und dem Gerichte durch das ihm unbeschränkt eingeräumte Trennungsrecht (§ 130) das Mittel gewährt ist, die Verbindung wieder aufzuheben, wenn sich herausstellt, daß dieselbe zu einer Verwirrung des Verfahrens führen muß, oder daß aus anderen Gründen der dadurch angestrebte Zweck nicht erreicht zu werden vermag.“, Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 171 f. Siehe zur Prozesstrennung auch unten 6. Kapitel. A. I., S. 194 ff. 98 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132. 99 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132. Siehe auch oben 1. Kapitel. B. II., S. 15 ff. 100 Vgl. Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 216. Später hat der Gesetzgeber den Zweck der Prozesstrennung um die Verzögerung eines Teils des Rechtsstreits ergänzt. Nicht mehr ausreichend sei es hingegen, „dass der Prozessstoff durch die Trennung übersichtlicher gestaltet und geordnet werden würde.“, BT-Drucks. 17/10160, S. 27.
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
ledigung eines auf Grundlage einer ungetrennten mündlichen Verhandlung vorzeitig zur Entscheidung reifen Teils.101 Nach der Intention des Gesetzgebers sollte durch Erlass eines Teilurteils mangels Trennung der Verhandlung damit keine Trennung des Verfahrens im Sinne des § 136 CPO bzw. § 145 ZPO eintreten, sondern das Verfahren sollte trotz Erledigung und Ausscheiden eines vorzeitig zur Entscheidung reifen Teils weiterhin als einheitliches betrachtet werden. Ausdruck dessen sind letztlich auch die für Teil- und Schlussurteil im Schlussurteil einheitlich ergehende Kostenentscheidung,102 die Möglichkeit des Gerichts gem. § 301 Abs. 2 ZPO, anstatt eines Teilurteils ein einheitliches Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 1 ZPO zu erlassen, sowie die zwischen Teil- und Schlussurteil bestehende Bindungswirkung des § 318 ZPO.103 Diese hinter § 301 ZPO stehende Konzeption des Gesetzgebers könnte der Grund für das Erfordernis der Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil sein: Das Gebot der Unabhängigkeit wäre dann Ausdruck der Teil- und Schlussurteil ungetrennt zugrundeliegenden Verhandlung sowie eines einheitlichen Verfahrens und gleichsam ein Kriterium, welches verhindert, dass durch Erlass eines Teilurteils eine Trennung der Verhandlung herbeigeführt und der Prozessstoff im Ergebnis so gewürdigt wird, wie es nur in getrennten Verfahren zulässig ist. Voraussetzung hierfür wäre freilich, dass eine ungetrennte Verhandlung auch eine einheitliche Würdigung des Prozessstoffs durch das Gericht erfordert, das Unabhängigkeitsgebot seinem Inhalt nach geeignet ist, eine Trennung der Verhandlung zu verhindern, und dass dasselbe Ergebnis nicht bereits durch das Merkmal der Entscheidungsreife bei Erlass eines Teilurteils erfüllt werden kann. Diese Aspekte sollen im Folgenden untersucht werden.
1. Einheitliche Würdigung bei einheitlicher mündlicher Verhandlung a) Begriff der „Einheit der mündlichen Verhandlung“ im Zivilprozess Die mündliche Verhandlung wird gem. § 136 Abs. 1 ZPO durch den Vorsitzenden eröffnet und, wenn das Gericht die Sache für vollumfänglich erörtert, d. h. für entscheidungsreif befindet, gem. § 136 Abs. 4 ZPO wieder geschlossen und die Entscheidung wird verkündet.104 Stellt sich nach Schluss der mündlichen Verhandlung heraus, dass noch keine Entscheidungsreife vorlag, kann das Ge101 Vgl. Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132. 102 BGH, NJW 1993, S. 1063, 1066. Im Gegensatz hierzu ergeht bei einer Prozesstrennung
im Zuge des für jeden Anspruch zu erlassenden Voll-Endurteils gem. § 300 Abs. 1 ZPO auch eine eigene Kostenentscheidung. Siehe ausführlich zur Wirkung der Prozesstrennung unten 6. Kapitel. A. I. 1. a) bb), S. 196 f. 103 Siehe zur Bindungswirkung unten 5. Kapitel. D., S. 183 ff. 104 Stein/Jonas/Kern, 23. Aufl. 2017, § 136, Rn. 6, 10; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 156, Rn. 1.
B. Vereinbarkeit des Unabhängigkeitsgebots mit der Konzeption des Gesetzgebers 65
richt gem. § 156 ZPO ausnahmsweise die Wiederöffnung der Verhandlung anordnen.105 Mit Einführung des Mündlichkeitsprinzips in den Zivilprozess ging auch der Grundsatz der „Einheit der mündlichen Verhandlung“ einher. Danach ist „eine bestimmte mündliche Verhandlung, selbst wenn sie in mehrere äußerliche Akte zerfällt, als ein Akt anzusehen“.106 An diesem Verständnis hat sich bis heute nichts geändert: So werden weiterhin sämtliche Verhandlungstermine, soweit mehrere stattfinden, als eine Einheit betrachtet. Dies hat zur Folge, dass einmal vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel in späteren Terminen erhalten bleiben.107 Gleiches gilt für „das bei ‚einer‘ mündlichen Verhandlung abgegebene Geständnis“, das Anerkenntnis und den Verzicht.108 Im Ergebnis wirkt aufgrund der Einheit der mündlichen Verhandlung damit das einmal Verhandelte auch für weitere Termine fort.109
b) Einheitliche Würdigung bei einheitlicher mündlicher Verhandlung Mit Blick auf die Einheit der mündlichen Verhandlung stellt sich die Frage, wie das Gericht den im Rahmen der einheitlichen Verhandlung aufkommenden Streitstoff zu würdigen hat. Zunächst hat das Gericht seiner Entscheidung den gesamten Prozesssoff zugrunde zu legen, der beim Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegt.110 Im Fall einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 128 Abs. 2 ZPO bestimmt das Gericht einen Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können; dieser entspricht dann dem Schluss der mündlichen Verhandlung.111 Diesen in der Verhandlung vorgebrachten Prozessstoff hat das Gericht gem. § 286 ZPO nach seiner freien richterlichen Überzeugung zu würdigen.112 Die Würdigung selbst ist Sache des Tatrichters und das Revisionsgericht ist an die Feststellungen des Richters gem. § 559 Abs. 2 ZPO gebunden.113 Da sich die Würdigung jedoch auf den gesamten Inhalt der Verhandlung und die Er105
Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 156, Rn. 1. Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 129. 107 MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 128, Rn. 7; Stein/Jonas/Kern, 23. Aufl. 2017, § 128, Rn. 40. 108 Stein/Jonas/Kern, 23. Aufl. 2017, § 128, Rn. 44. 109 Stein/Jonas/Kern, 23. Aufl. 2017, § 128, Rn. 44. 110 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 300, Rn. 19. 111 Stein/Jonas/Kern, 23. Aufl. 2017, § 128, Rn. 80. Die Vorschrift des § 128 Abs. 2 ZPO wurde durch eine Novelle 1950 eingeführt. Im Rahmen der Vereinfachungsnovelle 1976 wurde die Regelung sodann um die Pflicht des Gerichts ergänzt, einen Schlusstermin für die Einreichung von Schriftsätzen und einen Termin zur Verkündung der Entscheidung festzulegen, Stein/Jonas/Kern, 23. Aufl. 2017, § 128, Rn. 50. 112 MüKo-ZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, § 286, Rn. 3. 113 BGH, NJW 1993, S. 935, 937; BGH, NJW-RR 2004, S. 425; Stein/ Jonas/Jacobs, 23. Aufl. 2018, § 559, Rn. 49. 106
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
gebnisse der Beweisaufnahme beziehen muss, bleibt revisionsrechtlich überprüfbar, „ob der Tatrichter sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt“.114
Daraus folgt, dass das Gericht seiner Entscheidung den gesamten Inhalt der Verhandlung zugrunde zu legen und diesen einheitlich zu würdigen hat, wenn es die Revisibilität der Entscheidung aus diesem Grund vermeiden will.115 Für den Erlass eines Teilurteils bedeutet dies wiederum, dass – wenn Teilund Schlussurteil nach der Intention des Gesetzgebers auf einer ungetrennten Verhandlung beruhen sollen – das Gericht bereits bei Teilurteilserlass sämtlichen, bei Schluss der gesamten Verhandlung vorliegenden Tatsachenstoff berücksichtigen und einheitlich würdigen muss.116 Muss das Gericht jedoch bereits bei Teilurteilserlass den gesamten Prozessstoff würdigen, so stellt sich die Frage, inwiefern ein Teilurteil überhaupt ergehen kann, wenn die mündliche Verhandlung mangels Erledigung des gesamten Rechtsstreits bei Teilurteilserlass insgesamt noch nicht geschlossen und weiteres Parteivorbringen daher grundsätzlich zulässig ist.117 Darüber hinaus ist zu beantworten, inwieweit dem Teilurteil ein Schluss der mündlichen Verhandlung vorausgeht.
2. Schluss der mündlichen Verhandlung vor Erlass eines Teilurteils Die Frage, ob und inwieweit die mündliche Verhandlung vor Erlass eines Teilurteils geschlossen wird, findet in der Literatur im Rahmen des § 301 ZPO kaum ausdrückliche Erwähnung. Während in der älteren Kommentarliteratur in den Erläuterungen zur Vorschrift des § 273 CPO teilweise noch ausgeführt wird, der Erlass eines Teilurteils setze voraus, „dass in Betreff des zu entscheidenden Theils die Verhandlung geschlossen [werde]“,118 finden sich solche Hinweise heute nicht mehr. 114 115
BGH, NJW-RR 2004, S. 425 f. Siehe zum Erfordernis einer einheitlichen Würdigung bei einem einheitlichen Verfahren auch BGH, NJW-RR 1992, S. 253, 254 und OLG München, NJW-RR 1994, S. 1278. 116 Eine einheitliche Würdigung ist dem Gericht jedoch nicht mehr möglich, wenn ein Teil des Verfahrens durch Teilurteil abgespalten wird und sich, soweit zulässig, in der Rechtsmittelinstanz oder in dem noch in erster Instanz anhängigen Verfahren neue Tatsachen ergeben, die beide Teile betreffen. An einer einheitlichen Würdigung fehlt es auch, wenn derselbe Tatsachenstoff aufgrund abweichender Rechtsauffassung unterschiedlich gewürdigt wird. 117 Gem. § 296a ZPO können Angriffs- und Verteidigungsmittel nach Schluss der mündlichen Verhandlung nicht mehr vorgebracht werden. 118 Endemann/Endemann, 1879, § 273 CPO, S. 101, der hierzu weiter ausführt: „Es muss also theilweiser Schluss vorausgehen, der dann auch hier nach § 281 den Zwang, das Urtheil zu erlassen, mit sich bringt. Entschliesst sich das Gericht, das Theilurtheil nicht zu erlassen,
B. Vereinbarkeit des Unabhängigkeitsgebots mit der Konzeption des Gesetzgebers 67
Ausführungen hierzu – sowohl in Literatur als auch in Rechtsprechung – lassen sich jedoch im Rahmen des § 296a ZPO finden. So wird ausgeführt, das auf die nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergehende Urteil könne auch ein Teilurteil sein, wenn der durch Teilurteil beschiedene Teil nicht mehr Gegenstand der noch folgenden mündlichen Verhandlung sei.119 Daraus folgt, dass auch dem Teilurteil ein Schluss der mündlichen Verhandlung vorausgeht. Für den (teilweisen) Schluss der Verhandlung vor Erlass eines Teilurteils spricht zudem die Vorschrift des § 136 Abs. 4 ZPO, die erfordert, dass die Verhandlung bei Entscheidungsreife geschlossen und ein Urteil erlassen wird. Zwar geht aus dem Wortlaut des § 136 Abs. 4 ZPO selbst nicht hervor, ob die Verhandlung auch nur insoweit geschlossen werden kann, wie die Entscheidung des Gerichts reicht.120 Eine Differenzierung im Wortlaut des § 136 Abs. 4 ZPO hinsichtlich der Entscheidung durch „Urteil“ erfolgt jedoch nicht, was für eine Anwendung der Vorschrift auch auf das Teilurteil spricht.121 Gegenteiliges folgt auch nicht aus der Literatur. Soweit diese auf die Frage des „Urteils“ im Rahmen des § 136 Abs. 4 ZPO eingeht, spricht sie – wenn auch ohne nähere Begründung – von der Entscheidungsreife für ein End- und Zwischenurteil.122 Da es sich bei dem Teilurteil nach dem eindeutigen Wortlaut des § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO jedoch um ein Endurteil handelt,123 kann die Vorschrift des § 136 Abs. 4 ZPO auch vor diesem Hintergrund nur so verstanden werden, dass sie neben dem Voll-Endurteil gem. § 300 ZPO ein Teilurteil gem. § 301 ZPO erfasst. Mit Blick auf die Vorschriften der §§ 136 Abs. 4 und 296a ZPO geht damit auch dem Erlass eines Teilurteils ein Schluss der Verhandlung voraus. Allerdings wird, da der Rechtsstreit nur teilweise vollständig erörtert und zur Ent-
so bleibt nichts übrig, als den Theilschluss der Verhandlung wieder aufzuheben.“ Vgl. auch Gaupp/Gaupp, 1. Aufl. 1879, § 273 CPO, Anm. III, S. 131. 119 Vgl. OLG Celle, OLGR Celle 2004, S. 110, 112; BLAH/Bünnigmann, 78. Aufl. 2020, § 296a, Rn. 4; Prütting/Gehrlein/Deppenkemper, 11. Aufl. 2019, § 296a, Rn. 5; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 296a, Rn. 4; Stein/Jonas/Thole, 23. Aufl. 2018, § 296a, Rn. 6, 12; a. A. OLG Köln, OLGR Köln 1992, S. 303; dem OLG Köln folgend MüKo-ZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, § 296a, Rn. 4. Die Argumentation des OLG Köln, ein Teilurteil sei keine Endentscheidung, überzeugt vor dem Hintergrund, dass das Teilurteil bereits nach dem Wortlaut des § 301 ZPO ein Endurteil über einen abgrenzbaren Teil ist, jedoch nicht. 120 § 136 Abs. 4 ZPO heißt: „Er [der Vorsitzende] schließt die Verhandlung, wenn nach Ansicht des Gerichts die Sache vollständig erörtert ist, und verkündet die Urteile und Beschlüsse des Gerichts.“ 121 Zwar spricht § 136 Abs. 4 ZPO von der „vollständigen Erörterung der Sache“. Auch ein abgrenzbarer Teil kann jedoch vollständig erörtert sein. Zudem verlangt § 136 Abs. 4 ZPO auch nicht die vollständige Erörterung des „gesamten Rechtsstreits“. 122 MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 136, Rn. 8; Stein/Jonas/Kern, 23. Aufl. 2017, § 136, Rn. 10. 123 Siehe z. B. auch Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, vor § 300, Rn. 22.
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
scheidung reif ist, die Verhandlung auch nur insoweit geschlossen, wie durch Teilurteil entschieden wird.124
3. Schlussfolgerung Mit Blick auf die Motive des Gesetzgebers bei Einführung des § 273 CPO, dem Gericht mit dem Erlass eines Teilurteils die Möglichkeit zu einer getrennten Entscheidung bei ungetrennter Verhandlung zu geben,125 lässt sich unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen zum Erfordernis einer einheitlichen und vollständigen Würdigung des gesamten in der Verhandlung aufkommenden Prozessstoffs und dem teilweisen Schluss der mündlichen Verhandlung vor Erlass eines Teilurteils Folgendes schließen: Soll Teil- und Schlussurteil eine ungetrennte Verhandlung zugrunde liegen und wird die Verhandlung vor Erlass eines Teilurteils insoweit geschlossen, als der Prozessstoff durch Teilurteil ausscheidet, so müssen, damit das Gericht bereits bei Teilurteilserlass den gesamten, zu dem beschiedenen Teil vorgetragenen Prozessstoff würdigen kann, Teil- und Schlussurteil voneinander unabhängig sein; eine materiell-rechtliche Verknüpfung zwischen den zu erledigenden Teilen darf nicht bestehen.126 Andernfalls würde das Gericht mit dem Teilurteil – trotz der Erfordernisse einer ungetrennten Verhandlung sowie einer einheitlichen und vollständigen Würdigung des gesamten in der Verhandlung aufkommenden Prozessstoffs – eine Entscheidung erlassen, die unter Umständen auf einer anderen Tatsachengrundlage oder einer anderen rechtlichen Würdigung beruht als das Schlussurteil. Das Ergebnis wären eine getrennte Entscheidung bei getrennter Verhandlung und – mangels einheitlicher Würdigung des gesamten Tatsachenstoffs bei Teilurteilserlass – ein revisibles Urteil.
124 Dies entspricht letztlich wieder der im Rahmen des § 296a ZPO vertretenen Ansicht, dass das auf die nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergehende Urteil ein Teilurteil sein kann, wenn der durch Teilurteil beschiedene Teil nicht mehr Gegenstand der noch folgenden mündlichen Verhandlung ist. Vgl. hierzu OLG Celle, OLGR Celle 2004, S. 110, 112; BLAH/ Bünnigmann, 78. Aufl. 2020, § 296a, Rn. 4; Prütting/Gehrlein/Deppenkemper, 11. Aufl. 2019, § 296a, Rn. 5; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 296a, Rn. 4; Stein/Jonas/Thole, 23. Aufl. 2018, § 296a, Rn. 6, 12. 125 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132. Siehe auch oben 1. Kapitel. B. II., S. 15 ff. 126 Auch dies entspricht der Auffassung, dass ein Urteil im Sinne des § 296a ZPO, das auf den Schluss der mündlichen Verhandlung ergeht, nur dann ein Teilurteil sein kann, wenn die weitere Verhandlung nicht mehr den durch Teilurteil bereits beschiedenen Streitgegenstand betrifft, siehe oben Fn. 119. Zu Recht führt Thole im Rahmen des § 296a ZPO daher aus: „Soweit das Urteil die Instanz nicht abschließt (Zwischenurteil, Teilurteil), bezieht sich der Ausschluss nachträglichen Vorbringens nur auf diejenigen Teilfragen bzw. diejenigen Teile des Streitgegenstands, über die das Urteil ergangen ist.“, Stein/Jonas/Thole, 23. Aufl. 2018, § 296a, Rn. 12.
B. Vereinbarkeit des Unabhängigkeitsgebots mit der Konzeption des Gesetzgebers 69
II. Gebot der Unabhängigkeit als geeignetes Kriterium zur Wahrung einer einheitlichen Verhandlung? Es wurde festgestellt, dass Teil- und Schlussurteil mit Blick auf die Konzeption des Gesetzgebers, d. h., dass Teil- und Schlussurteil eine ungetrennte Verhandlung zugrunde liegen soll, voneinander unabhängig sein müssen. Andernfalls würde das Gericht Gefahr laufen, mit Erlass eines Teilurteils wie bei der Prozesstrennung eine getrennte Entscheidung bei getrennter Verhandlung herbeizuführen und eine anfechtbare Entscheidung zu erlassen.127 Müssen Teil- und Schlussurteil jedoch unabhängig sein, so stellt sich die Frage, wie diese Unabhängigkeit bei Teilurteilserlass sichergestellt werden kann. Die Rechtsprechung hat hierfür das Gebot der Unabhängigkeit entwickelt. Neben dem Gebot der Unabhängigkeit könnte jedoch auch die für ein Teilurteil erforderliche Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils als geeignetes Kriterium zur Wahrung der Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil in Betracht kommen. Maßgebend hierfür sind die Anforderungen an den Eintritt teilweiser Entscheidungsreife.
1. Entscheidungsreife als geeignetes Kriterium zur Sicherstellung der Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil? Ob die für ein Teilurteil erforderliche Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils geeignet ist, die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil sicherzustellen und damit eine getrennte Entscheidung bei ungetrennter Verhandlung zu gewährleisten, bemisst sich nach dem Inhalt der Entscheidungsreife. Bereits im Rahmen der CPO galt, dass der Rechtsstreit zur Entscheidung reif ist, „sobald die thatsächlichen Unterlagen desselben für das Gericht zu der Klarheit gediehen sind, daß ihm kein Zweifel mehr darüber besteht, ob dieselben zur Abweisung der Parteianträge oder zur Verurtheilung gemäß den Parteianträgen führen müssen.“128
Was den Erlass eines Teilurteils betrifft, so galt das vorstehend Gesagte entsprechend für einen abtrennbaren Teil.129 Insoweit hat sich das Verständnis der Entscheidungsreife nicht verändert: Auch heute ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif, wenn der zu entscheidende Tatsachenstoff hinreichend geklärt und erörtert ist, die Beweise erschöpft sind und das Gericht über die (teilweise) Klagestattgabe oder -abweisung befinden kann.130 127 Siehe die vorangehenden Ausführungen S. 62 ff., insb. die Schlussfolgerung S. 68. 128 Bezold/Hellmann, 1879, § 272 CPO, Anm. 2 b), S. 118 f. Siehe auch Endemann/Ende-
mann, 1879, § 272 CPO, S. 99. 129 Bezold/Hellmann, 1879, § 273 CPO, Anm. 2 d), S. 120 f. 130 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 59, Rn. 8. Siehe zur Entscheidungsreife auch oben 2. Kapitel. B., S. 26 ff.
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
Mit Blick auf die Intention des Gesetzgebers, dass Teil- und Schlussurteil eine ungetrennte Verhandlung zugrunde liegen soll und die oben gezogene Schlussfolgerung, dass eine ungetrennte Verhandlung bei Erlass eines Teilurteils nur bei Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil möglich ist, wäre es denkbar, aufgrund der Möglichkeit weiteren Parteivortrags nach Teilurteilserlass – sei es in erster oder zweiter Instanz – und des damit einhergehenden Risikos verschiedener Tatsachengrundlagen bereits auf die fehlende, für ein Teilurteil aber erforderliche Teil-Entscheidungsreife zu schließen, wenn die zu trennenden Teile inhaltlich miteinander verknüpft sind. Des Gebots der Unabhängigkeit bedürfte es zur Bewahrung einer ungetrennten Verhandlung und eines einheitlichen Verfahrens dann nicht. Allerdings ergibt sich bereits aus den Motiven zur CPO, dass der Gesetzgeber die Berücksichtigung jeglichen potentiellen Parteivortrags gerade nicht für erforderlich hielt, um einen Rechtsstreit für entscheidungsreif zu erachten. So heißt es in den Ausführungen zur Präklusion in der allgemeinen Begründung: „Daneben darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß eine Partei, welche mit dem Vorbringen zögert, dieses auf die Gefahr hin thut, durch das Urtheil mit weiteren Rechtsbehelfen sich ausgeschlossen zu sehen, da das Gericht auf die Möglichkeit eines noch zulässigen weiteren Vorbringens keine Rücksicht zu nehmen hat. Dieses Moment muß sich umso wirksamer erweisen, als das mündliche Verfahren dahin führt, Theilurteile und Zwischenurtheile für geboten zu erachten, die Erlassung solcher Urtheile aber zur Folge hat, daß Rechtsbehelfe irgend welcher Art, die den erledigten Rechtsstoff betreffen, nicht nachgeholt werden können.“131
Der Gesetzgeber wollte das Gericht damit gerade nicht durch die „bloße“ Möglichkeit weiteren Parteivortrags an einem Urteilserlass hindern.132 In der Folge ist es denkbar, dass der zu entscheidende Tatsachenstoff hinreichend geklärt und mit den Parteien erschöpfend erörtert worden ist und dennoch eine Partei nach Eintritt teilweiser Entscheidungsreife und Erlass eines Teilurteils neue Tatsachen vorbringt oder bislang Unstreitiges aufgrund neuer Erkenntnisse bestreitet.133 Soweit die zu trennenden Teile inhaltlich miteinander verknüpft sind, sieht sich das Gericht dann der Gefahr ausgesetzt, dass es bei Erlass des Schlussurteils aufgrund einer Änderung der Tatsachengrundlage zu einer anderen Beurteilung kommt als noch bei Erlass des Teilurteils und Teilund Schlussurteil auf getrennten mündlichen Verhandlungen beruhen. 131
Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 130. dessen sind auch die oben erläuterten Entscheidungen des Reichsgerichts vom 02.10.1899, Az. VI 186/1899 (siehe oben S. 45 f.) und vom 09.04.1920, Az. II 430/19 (siehe oben S. 48 ff.). Vgl. auch BVerwG, NJW 1989, S. 118, 119. 133 So verweist auch Althammer darauf, dass die „Frage der Entscheidungsreife […] nach demjenigen Prozessstoff zu entscheiden [ist], der zur Zeit des Erlasses des Teilurteils vorliegt.“, Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 28. 132 Ausdruck
B. Vereinbarkeit des Unabhängigkeitsgebots mit der Konzeption des Gesetzgebers 71
So erachtete auch der BGH ein Teilurteil über einen Feststellungsantrag, der gem. § 260 ZPO mit einem Antrag auf Zahlung von Schmerzensgeld verbunden war, für unzulässig, weil aus Sicht des Gerichts die Gefahr bestand, dass der zum Zeitpunkt der Entscheidung beiden Anträgen zugrundeliegende und zwischen den Parteien unstreitige Haftungsgrund streitig werde.134 Ein solches Risiko kann durch die Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils jedoch nicht ausgeschlossen werden, sondern nur durch Abwarten der Entscheidungsreife des gesamten Rechtsstreits. Gleiches gilt für die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen infolge geänderter Tatsachengrundlage in der Rechtsmittelinstanz. Denn legt eine Partei gegen ein Teilurteil Rechtsmittel ein und wird neuer oder in erster Instanz zu Unrecht präkludierter Vortrag vorgebracht, so besteht aufgrund unterschiedlichen Prozessstoffs in erster und zweiter Instanz auch hier die Gefahr verschiedener Tatsachengrundlagen. Zudem kann die Entscheidungsreife auch bei gleichbleibender Tatsachengrundlage nicht verhindern, dass das Gericht bei Erlass des Schlussurteils zu einer anderen Rechtsauffassung kommt oder das Rechtsmittelgericht denselben Prozessstoff abweichend beurteilt und der Streitstoff damit uneinheitlich gewürdigt wird.135 Denn die Frage der Entscheidungsreife betrifft die vollständige Aufklärung des Sachverhalts,136 nicht hingegen die auf dieser Grundlage erfolgende rechtliche Würdigung.137 134
BGHZ 143, 189 = NJW 2000, S. 800, 801. Siehe zu dieser Entscheidung unten, 4. Kapitel. A. I. 1. a), S. 111 f. 135 So prüft das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil in den Grenzen des § 528 S. 2 ZPO vollständig auf materiell-rechtliche Fehler, wobei eine Rechtsverletzung vorliegt, „wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (§ 546), etwa weil einschlägige Vorschriften übersehen oder unrichtig angewendet werden bzw. Subsumtionsfehler vorliegen (§ 513).“, Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 529, Rn. 38. 136 Vgl. Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 300, Rn. 6 f.; Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 300, Rn. 2; MüKo-ZPO/ders., 6. Aufl. 2020, § 300, Rn. 2; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 300, Rn. 3. 137 Zwar ist die Entscheidungsreife insoweit mit dem materiellen Recht verknüpft, als das anzuwendende Recht den Maßstab für die Aufklärung des Sachverhalts bildet, vgl. auch BVerwG, NJW 1989, S. 118, 119. Denn nur wenn das Gericht diejenigen Fragen aufklärt, die ihm das anzuwenden Recht vorgibt, ist es zu einer Subsumtion des Sachverhalts unter die Norm und damit zu einer Entscheidung in der Lage. Die tatsächlich erfolgende rechtliche Würdigung des ermittelten Tatsachenstoffs, d. h. ob das Gericht z. B. einen Kaufvertragsschluss annimmt oder nicht, ist von der eigentlichen Aufklärung des Sachverhalts jedoch losgelöst. Vgl. auch Jacobs, der im Rahmen des § 546 ZPO ausführt, die Feststellung des Sachverhalts sei etwas anderes als dessen rechtliche Würdigung, Stein/Jonas/Jacobs, 23. Aufl. 2018, § 546, Rn. 5. Ausdruck dessen ist letztlich auch, dass das Gericht seiner Entscheidung den bei Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegenden Prozessstoff zugrunde legt, diesen Prozessstoff grundsätzlich aber nach Maßgabe des im Zeitpunkt der Verkündung anwendbaren Rechts würdigt, Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 300, Rn. 19, 28; Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 300, Rn. 7.
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
Auch bei Eintritt teilweiser Entscheidungsreife verbleiben damit Lücken, die zu einer fehlenden Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil und damit zum Erlass eines revisiblen Teilurteils führen können. Im Ergebnis ist die Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils allein daher nicht geeignet, die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil zu gewährleisten.
2. Gebot der Unabhängigkeit als geeignetes Kriterium zur Sicherstellung der Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil? Es stellt sich damit die Frage, ob das von der Rechtsprechung entwickelte Gebot der Unabhängigkeit geeignet ist, die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil sicherzustellen und eine getrennte Entscheidung bei ungetrennter Verhandlung zu gewährleisten. Nach der Rechtsprechung des BGH darf ein Teilurteil nur ergehen, „wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen – auch in Folge abweichender Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht – ausgeschlossen ist.“138 Die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen wird dabei bejaht, „wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann. Das gilt auch insoweit, als es um die Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung von bloßen Urteilselementen geht, die weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden.“139
In seiner Wirkung verhindert das Gebot der Unabhängigkeit damit den Erlass eines Teilurteils, sobald die bloße Möglichkeit besteht, dass das Gericht im Schlussurteil über eine beide Urteile betreffende Frage – sei es aufgrund neuer Tatsachengrundlage infolge weiteren Parteivortrags oder aufgrund einer anderen Rechtsauffassung – abweichend entscheidet.140 Auf diese Weise schließt das Gebot der Unabhängigkeit letztlich die Lücken, die auch nach Eintritt der Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils verbleiben. Denn indem das Gebot der Unabhängigkeit – anders als die Entscheidungsreife – auch die Möglichkeit weiteren Parteivortrags sowie die Änderung der Rechtsauffassung, sei es in erster oder zweiter Instanz, erfasst, wird die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil vollumfänglich gewährleistet und die Einheit der Verhandlung und des Verfahrens wird bewahrt. Im Ergebnis ist das Gebot der Unabhängigkeit damit geeignet, die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil sicherzustellen, die zum Erhalt einer ungetrennten Verhandlung und einheitlichen Würdigung und damit zum Erlass eines zulässigen Teilurteils erforderlich ist. 138
BGHZ 189, 79 Rn. 15 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 15. BGHZ 189, 79 Rn. 15 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 15. 140 BGH, NJW 2000, S. 1405, 1406. 139
B. Vereinbarkeit des Unabhängigkeitsgebots mit der Konzeption des Gesetzgebers 73
3. Schlussfolgerung Mit Blick auf die Intention des Gesetzgebers, durch Erlass eines Teilurteils bei ungetrennter Verhandlung eine vorzeitige Erledigung eines entscheidungsreifen Teils zu ermöglichen, ist das von der Rechtsprechung entwickelte Gebot der Unabhängigkeit geeignet und erforderlich, um die für eine ungetrennte Verhandlung notwendige Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil zu gewährleisten. Im Ergebnis ist das Gebot der Unabhängigkeit damit Ausdruck der Teil- und Schlussurteil einheitlich zugrundeliegenden Verhandlung und ein erforderliches Kriterium, welches verhindert, dass der Prozessstoff bei Erlass eines Teilurteils so gewürdigt wird, wie es nur in getrennten Verfahren möglich ist, und ein revisibles Urteil ergeht. Da dasselbe Ergebnis auch nicht durch die Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils erreicht werden kann, ist das Gebot der Unabhängigkeit notwendig und seine Entwicklung durch die Rechtsprechung gerechtfertigt. Daran anschließend stellt sich die Frage, ob das Gebot der Unabhängigkeit auch als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung seine Berechtigung hat oder ob die Unabhängigkeit als ein im Rahmen des Ermessens gem. § 301 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigender Faktor betrachtet werden sollte.
III. Gebot der Unabhängigkeit als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung oder ein im Rahmen des § 301 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigendes Kriterium? Gem. § 301 Abs. 2 ZPO kann das Gericht vom Erlass eines Teilurteils absehen, wenn es ein Teilurteil nach Lage der Sache nicht für angemessen erachtet. Je nachdem, ob man die Unabhängigkeit als ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung oder als ein im Rahmen des richterlichen Ermessens zu berücksichtigendes Kriterium betrachtet, ergeben sich Unterschiede mit Blick auf die Überprüfung der Unabhängigkeit und die Aufhebung eines Teilurteils in der Rechtsmittelinstanz bei Verstoß gegen das Unabhängigkeitsgebot. Bevor auf diese Unterschiede eingegangen wird, soll die Ermessensvorschrift des § 301 Abs. 2 ZPO zusammenfassend dargestellt werden.
1. Richterliches Ermessen gem. § 301 Abs. 2 ZPO Gem. § 301 Abs. 2 ZPO kann der Erlass eines Teilurteils unterbleiben, wenn es das Gericht nach Lage der Sache nicht für angemessen erachtet. Die Vorschrift gibt dem Gericht die Möglichkeit, von der an sich in § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO normierten Pflicht zum Erlass eines Teilurteils („hat das Gericht […] zu erlassen“141) abzusehen. Im Ergebnis wird die Pflicht des Abs. 1 auf diese Weise 141
§ 301 Abs. 1 S. 1 ZPO heißt: „Ist von mehreren in einer Klage geltend gemachten An-
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
durch ein sachgemäßes Ermessen ersetzt, wobei der Erlass des Teilurteils weiterhin die Regel bleiben soll.142 Macht das Gericht von seinem Ermessen Gebrauch und erlässt es trotz teilweiser Entscheidungsreife kein Teilurteil, so ist die Ausübung dieses Ermessens nur eingeschränkt überprüfbar. Denn grundsätzlich unterliegt nur die Zulässigkeit einer Entscheidung einer Überprüfung in der Rechtsmittelinstanz, nicht hingegen auch deren Zweckmäßigkeit und Angemessenheit.143 Eine Überschreitung der Ermessensgrenzen bleibt jedoch überprüfbar.144
2. Folgen bei Einordnung der Unabhängigkeit als ein im Rahmen des § 301 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigendes Kriterium Erachtet man die für ein zulässiges Teilurteil erforderliche Unabhängigkeit als ein im Rahmen des § 301 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigendes Kriterium und ein Teilurteil bei fehlender Unabhängigkeit für unangemessen, so sind Fehler des Gerichts bei Ausübung dieses Ermessens – will man den Erlass eines Teilurteils trotz fehlender Unabhängigkeit nicht per se als Überschreitung der Ermessensgrenzen betrachten145 – in der Rechtsmittelinstanz nur eingeschränkt überprüfbar. Insbesondere wäre ein Verstoß gegen das Gebot der Unabhängigkeit – anders als im Fall einer Zulässigkeitsvoraussetzung – auch nicht ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensmangel, der zur Aufhebung des Teilurteils führt.146 sprüchen nur der eine oder ist nur ein Teil eines Anspruchs oder bei erhobener Widerklage nur die Klage oder die Widerklage zur Endentscheidung reif, so hat das Gericht sie durch Endurteil (Teilurteil) zu erlassen.“ 142 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 38; BeckOK-ZPO/Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 301, Rn. 30; Schneider, MDR 1976, S. 93. 143 OLG Düsseldorf, NJW 1970, S. 2217, 2218; OLG Düsseldorf, NJW 1974, S. 2010; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 40; BeckOK-ZPO/Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 301, Rn. 29. 144 OLG Düsseldorf, NJW 1970, S. 2117, 2118. 145 So aber OLG Düsseldorf, NJW 1970, S. 2217, 2218, das die Frage der Unabhängigkeit – in Abweichung zur sonstigen Rechtsprechung – der Vorschrift des § 301 Abs. 2 ZPO zuordnet, die Grenze des Ermessens jedoch überschritten sieht, wo die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen droht und hierzu ausführt: „Gemäß § 301 ZPO kann in den Fällen, in denen einer von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen ein Teil zur Endentscheidung reif ist, das Gericht diesen Teil des Streitgegenstandes ausklammern und über ihn durch Teilurteil entscheiden. Diesen Verfahrensweg zu beschreiten, ist weitgehend dem gerichtlichen Ermessen zu überlassen. In der Rechtsmittelinstanz ist daher nicht nachprüfbar, ob der Erlaß eines Teilurteils zweckmäßig oder unzweckmäßig war oder ob etwa noch weitere Teile des Streitgegenstandes in die Teilentscheidung hätten einbezogen werden sollen […]. Das Ermessen des Gerichts zum Erlaß eines Teilurteils findet indes seine Grenzen dort, wo der von ihm abgespaltene Teil des Streites auf materiell-rechtlicher Ebene mit dem anhängig gebliebenen Klagegrund dergestalt verbunden geblieben ist, daß die Entscheidung über den noch nicht ausgeurteilten Teil den Gegenstand des Teilerkenntnisses berührt.“ 146 Siehe zur Behandlung eines Verstoßes gegen das Gebot der Unabhängigkeit als ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensmangel auch in diesem Kapitel oben Fn. 53.
B. Vereinbarkeit des Unabhängigkeitsgebots mit der Konzeption des Gesetzgebers 75
Mit Blick auf die Intention des Gesetzgebers, dass Teil- und Schlussurteil eine ungetrennte Verhandlung zugrunde liegen soll,147 würde bei Berücksichtigung der Unabhängigkeit im Rahmen des § 301 Abs. 2 ZPO der Erhalt dieser Einheit letztlich in das Ermessen des Gerichts gestellt. Damit einher ginge die Gefahr, dass Teil- und Schlussurteil auf getrennten Verhandlungen beruhen, obgleich eine getrennte Entscheidung bei getrennter Verhandlung nach der Vorstellung des Gesetzgebers nur bei der Prozesstrennung bzw. in getrennten Verfahren möglich sein soll.148 Auch die für ein zulässiges Teilurteil einheitliche Würdigung des in der Verhandlung aufkommenden Prozessstoffs wäre dann nicht mehr sichergestellt.149 Das Resultat wäre eine faktische Vermischung der mit unterschiedlicher Reichweite und Zweckrichtung ausgestalteten Institute der Prozesstrennung einerseits und des Teilurteils andererseits, ohne jedoch eine sichergestellte Korrekturmöglichkeit durch das Rechtsmittelgericht. Damit einher ginge die Gefahr einer „Kadi-Justiz“.150 So könnten die Gerichte durch Erlass eines Teilurteils trotz fehlender Unabhängigkeit vom gesetzgeberischen Willen abweichen und mangels (einheitlicher) Würdigung des gesamten in der Verhandlung vorgetragenen Tatsachenstoffs ein an sich revisibles Urteil erlassen, ohne dass es – will man nicht von einer Ermessensüberschreitung ausgehen – zu einer Aufhebung desselben kommen könnte. Ein solches Ergebnis ist mit Blick auf die gesetzgeberische Konzeption des § 301 ZPO und die Gefahr einer den Anschein der Willkür tragenden Justiz jedoch nicht haltbar. Zudem würde eine Berücksichtigung der Unabhängigkeit im Rahmen des Ermessens zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen. Diese könnten letztlich nur ausgeschlossen werden, wenn der Erlass eines Teilurteils trotz fehlender Unabhängigkeit eine Überschreitung der Ermessensgrenzen darstellen und ein Verstoß gegen das Gebot der Unabhängigkeit auf diese Weise einer vollumfänglichen Überprüfung in der Rechtsmittelinstanz zugänglich würde. Dann würde die Unabhängigkeit jedoch wie eine ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung behandelt.
3. Schlussfolgerung und Ergebnis Soll die hinter § 301 ZPO stehende gesetzgeberische Konzeption des Teilurteils als Mittel zur Abschichtung des Prozessstoffs durch Erledigung eines vorzeitig entscheidungsreifen Teils auf Grundlage einer ungetrennten Verhandlung sichergestellt und die damit einhergehende Abgrenzung zur Prozesstrennung als 147 148
Siehe hierzu oben S. 15 ff. und S. 62 ff. Siehe oben S. 62 ff. 149 Siehe zur einheitlichen Würdigung oben S. 65 f. 150 Der Begriff der „Kadi-Justiz“ im Zusammenhang mit der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei Erlass eines Teilurteils geht auf Schneider zurück, MDR 1976, S. 93. Siehe zur Ansicht Schneiders in diesem Kapitel unten C. II. 1., S. 81.
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
Instrument zur Trennung von Verhandlung und Entscheidung zum Zwecke der Ordnung und Übersicht der Verhandlung gewährleistet werden, so muss die Unabhängigkeit entweder dritte Zulässigkeitsvoraussetzung für den Erlass eines Teilurteils sein oder im Rahmen des Ermessens bei Nichtberücksichtigung zu einer Überschreitung der Ermessensgrenzen führen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass durch Teilurteilserlass eine getrennte Entscheidung bei getrennter Verhandlung eintritt und das Gericht vom Willen des Gesetzgebers abweicht, ohne dass diese Abweichung in der Rechtsmittelinstanz korrigiert werden kann. Da die Unabhängigkeit damit faktisch jedoch nie im Ermessen des Gerichts liegen kann, sollte sie auch nicht als ein im Rahmen des § 301 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigendes Kriterium, sondern als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung angesehen werden. Dieses Verständnis wird auch dieser Arbeit zugrunde gelegt.
C. Gebot der Unabhängigkeit in der Literatur Seit Einführung der Vorschrift zum Erlass eines Teilurteils hat das Gebot der Unabhängigkeit in der Literatur immer wieder Beachtung gefunden. Insbesondere mit Blick auf die Ungeschriebenheit des Gebots der Unabhängigkeit wurde sich um eine Qualifizierung des von der Rechtsprechung entwickelten Erfordernisses bemüht, sei es als dritte Zulässigkeitsvoraussetzung mit eigenständigem Inhalt151 oder als Bestandteil der Entscheidungsreife.152 Der nachfolgende Abschnitt widmet sich den verschiedenen zum Gebot der Unabhängigkeit vertretenen Ansichten in der Literatur. Den Ausgangspunkt bilden hierbei die historische und aktuelle Kommentarliteratur. In einem zweiten Teil werden sodann die weiteren im Schrifttum vertretenen Auffassungen beleuchtet.
I. Kommentarliteratur 1. Historische Kommentarliteratur a) Struckmann und Koch (1879)153 Das Gebot der Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil findet in der Kommentierung von Struckmann und Koch zu § 273 Abs. 1 CPO keine ausdrückliche Erwähnung. Vielmehr betonen Struckmann und Koch den Vorteil einer 151 So zum Beispiel Schneider (siehe unten S. 81) sowie Prütting und Weth (siehe unten S. 83 f.). 152 So z. B. de Lousanoff (siehe unten S. 82 f.) Musielak (siehe unten S. 86 f.). 153 Struckmann/Koch, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich nebst den auf den Civilprozeß bezüglichen Bestimmungen, 2. Aufl. 1879, § 273 CPO.
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„Beschränkung und Vereinfachung des übrig bleibenden Prozeßstoffs“ sowie einer „baldigen exekutorischen Erledigung“ durch Erlass eines Teilurteils.154 Lediglich in den Anmerkungen zur Ermessensvorschrift des § 273 Abs. 2 CPO kann eine Andeutung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen als ein dem Erlass eines Teilurteils entgegenstehender Faktor gesehen werden, wenn die Autoren ausführen, dass es die „konkrete Beschaffenheit des Falls [ergebe], ob infolge eines (selbstständig appelabeln und vollstreckbaren) Theilurteils Verzögerungen oder Verwicklungen wegen eines zwischen dem zur Entscheidung reifen und dem noch nicht reifen Theil bestehenden engen inneren Zusammenhangs zu befürchten [seien]“,155
die das Gericht zum Nichterlass eines Teilurteils veranlassen könnten. Ob Struckmann und Koch mit den befürchteten Verwicklungen die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen meinen, bleibt mangels weiterer Hinweise offen. Die Kommentierung zeigt jedoch, dass Struckmann und Koch offensichtlich von Situationen ausgingen, in denen die Gerichte aufgrund eines engen rechtlichen Zusammenhangs zwischen den zu trennenden Teilen vom Erlass eines Teilurteils absehen konnten und dass, falls Struckmann und Koch in diesem Rahmen von einer Widerspruchsgefahr ausgingen, die Vermeidung dieser Gefahr über die Ermessensvorschrift des § 273 Abs. 2 CPO, mithin über eine Entscheidung von Fall zu Fall, erfolgen sollte und nicht über eine allgemeine dritte Zulässigkeitsvoraussetzung. Ein Ansatz für die Unabhängigkeit als Zulässigkeitsvoraussetzung bei Erlass eines Teilurteils findet sich damit nicht.
b) Endemann (1879)156 Ähnlich wie Struckmann und Koch betont auch Endemann in erster Linie den hinter einem Teilurteil stehenden Zweck der Prozessökonomie: So liege dem Teilurteil der Gedanke zugrunde, „im Interesse der obsiegenden Partei […] den entscheidungsreifen Theil des streitigen Anspruchs so rasch als möglich, unabhängig von dem noch nicht entscheidungsreifen der Vollstreckbarkeit entgegenzuführen.“157 154 155
Struckmann/Koch, 2. Aufl. 1879, § 273 CPO, Anm. 1, S. 234. Struckmann/Koch, 2. Aufl. 1879, § 273 CPO, Anm. 5, S. 234. Dies erinnert an die Formulierung des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in seiner Entscheidung vom 04.11.1949, in der es ausführt, dass im Fall eines möglicherweise später unrichtig werdenden Teilurteils ein solches „im Interesse der Verhinderung einander widersprechender Entscheidungen und der daraus zu besorgenden Unklarheit und Verwirrung“ nicht erlassen werden dürfe, OGH BritZ 3, 20, 24 (siehe oben S. 53 f.). Als weiteren Grund für den Nichterlass eines Teilurteils nennen Struckmann und Koch die Beseitigung der Anfechtbarkeit infolge eines Unterschreitens der Rechtsmittelsumme, Struckmann/Koch, 2. Aufl. 1879, § 273 CPO, Anm. 5, S. 234. 156 Endemann, Erläuterungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Civilprozessordnung des Deutschen Reichs sammt Einführungsgesetzen, 1879, § 273 CPO. 157 Endemann/Endemann, 1879, § 273 CPO, S. 101.
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
Anhaltspunkte für eine Berücksichtigung des noch anhängigen, durch Schlussurteil zu bescheidenden Teils mit Blick auf eine mögliche Gefahr sich widersprechender Entscheidungen lassen sich – wenn überhaupt – auch hier nur im Rahmen der Ausführungen zur Ermessensvorschrift des § 273 Abs. 2 CPO finden. So sei der Erlass eines Teilurteils nicht angemessen, wenn „die Wirkung des Theilurteils, dessen Rechtskraft und Vollstreckbarkeit zum Schaden der Sache oder der Parteien gereichen könnte.“158 Da ein solcher Nachteil jedoch in vielen Punkten – z. B. in der Beseitigung der für eine Rechtsmitteleinlegung erforderlichen Beschwerdesumme – liegen kann, folgt aus den Ausführungen Endemanns nicht zwangsweise ein Verweis auf eine zwischen Teil- und Schlussurteil drohende Widerspruchsgefahr bzw. das Erfordernis einer Unabhängigkeit. Die Erläuterungen können vielmehr auch als allgemeiner Hinweise verstanden werden, wann von einem Teilurteil gem. § 273 Abs. 2 CPO abzusehen ist. Ein Ansatz für die Unabhängigkeit als dritte Zulässigkeitsvoraussetzung findet sich damit nicht.
c) Hellmann (1879)159 Auch Hellmann stellt das Interesse der Parteien an einer baldigen Vollstreckung des durch Teilurteil beschiedenen Teils in den Vordergrund.160 Anhaltspunkte für das Gebot der Unabhängigkeit lassen sich jedoch auch in den Ausführungen zu § 273 Abs. 2 CPO nicht finden.161 So nennt Hellmann als potenzielle Gründe für den Nichterlass eines Teilurteils mangels Angemessenheit die zu erwartende Anfechtung des Teilurteils, die Beseitigung der Revisionssumme bei zweifelhaften Rechtsfragen sowie die baldige Entscheidungsreife des gesamten Rechtsstreits.162 Darüber hinaus deutet die Kommentierung zu § 273 Abs. 1 Var. 3 CPO im Fall eines Teilurteils über eine Klage- oder Widerklage eher auf eine Unbeachtlichkeit von Widersprüchen hin. So sei ein Teilurteil „ohne Rücksicht darauf, ob Klage- und Widerklageanspruch in rechtlichem Zusammenhange stehen oder nicht“,163 bei Entscheidungsreife einer der Klagen zu erlassen. Im Ergebnis lassen sich auch aus der Kommentierung Hellmanns damit keine Rückschlüsse auf das Gebot der Unabhängigkeit ziehen. Im Gegenteil spricht die Erläuterung zu § 273 Abs. 1 Var. 3 CPO eher für die Zulassung von Widersprüchen.
158 Endemann/Endemann, 159 Bezold/Hellmann,
1879, § 273 CPO, S. 102. Die Gesetzgebung des Deutschen Reiches mit Erläuterungen, 1879,
§ 273 CPO. 160 Bezold/Hellmann, 1879, § 273 CPO, Anm. 2 a), S. 118. 161 Bezold/Hellmann, 1879, § 273 CPO, Anm. 2 a), S. 121 ff. 162 Bezold/Hellmann,1879, § 273 CPO, Anm. 2 e), S. 122. 163 Bezold/Hellmann, 1879, § 273 CPO, Anm. 2 d), S. 121.
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d) Kleiner (1880)164 Wie bei Hellmann und Endemann, so ergeben sich auch aus der Kommentierung Kleiners keine Anhaltspunkte für das Gebot der Unabhängigkeit – weder aus den Ausführungen zu § 273 Abs. 1 CPO noch zur Ermessensvorschrift des § 273 Abs. 2 CPO.165 Im Gegensatz zu den vorherigen Vertretern verzichtet Kleiner auch auf die Darstellung von Konstellationen, in denen das Gericht vom Erlass eines Teilurteils wegen dessen Unangemessenheit absehen kann.
e) Seuffert (1889)166 Auch aus der Kommentierung Seufferts lassen sich keine Rückschlüsse auf das Gebot der Unabhängigkeit ziehen. So stellt Seuffert zunächst die Vor- und Nachteile eines Teilurteils gegenüber, wobei die Vorteile, d. h. die Vereinfachung des Verfahrensstoffs und die Vollstreckbarkeit des Teilurteils, die Nachteile wie die Befugnis des Gerichts, über die Revisionssumme zu disponieren, überwiegen würden.167 Im Rahmen der Ausführungen zu § 273 Abs. 2 CPO nennt Seuffert sodann als potenzielle Gründe für den Nichterlass eines Teilurteils die „Verzögerung des in der Instanz anhängig bleibenden Prozeßstoffes durch Einlegung eines Rechtsmittels“,168 die „Zerstörung der Revisionssumme“169 sowie eine „rasche Erledigung des restlichen Prozeßstoffes“.170 Anhaltspunkte für das Gebot der Unabhängigkeit finden sich damit weder in den Ausführungen zu § 273 Abs. 1 CPO noch zu § 273 Abs. 2 CPO.
2. Aktuelle Kommentarliteratur Die aktuelle Kommentarliteratur erachtet die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil, soweit eine Einordnung erfolgt,171 überwiegend als selbständige Zulässigkeitsvoraussetzung für den Erlass eines Teilurteils.172 Wo auf einen 164
Kleiner, Kommentar zur Civilprozeßordnung für das deutsche Reich, 1880, § 273 CPO. Hierauf verweist auch Jurgeleit, BauR 2016, S. 375, 381. 166 Seuffert, Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich nebst dem Einführungsgesetze vom 30. Januar 1877, 4. Aufl. 1889, § 273 CPO. 167 Seuffert, 4. Aufl. 1889, § 273 CPO, Anm. 1, S. 360. 168 Seuffert, 4. Aufl. 1889, § 273 CPO, Anm. 3, S. 360. Eine solche Verzögerung ist denkbar, wenn das Gericht mit der Entscheidung über den Rest abwartet, bis über das Teilurteil rechtskräftig entschieden ist. So auch die Argumentation des Abgeordneten Bähr im Rahmen seines Antrags, siehe hierzu 1. Kapitel. A. I., S. 11 ff. 169 Seuffert, 4. Aufl. 1889, § 273 CPO, Anm. 3, S. 360. 170 Seuffert, 4. Aufl. 1889, § 273 CPO, Anm. 3, S. 360. 171 Ohne Einordnung z. B. Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 12; Thomas/Putzo/ Seiler, 40. Aufl. 2019, § 301, Rn. 3. Vgl. auch BLAH/Hunke, 78. Aufl. 2020, § 301, Rn. 6, der jedoch darauf hinweist, es sei „keineswegs die Aufgabe des unteren Gerichts, nun auch noch die Möglichkeit einzukalkulieren, daß das höhere Gericht seine Entscheidung abändern könnte.“ 172 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 14; BeckOK-ZPO/Elzer, 37. Ed. 165
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Zusammenhang zwischen der Unabhängigkeit und dem Erfordernis teilweiser Entscheidungsreife eingegangen wird, wird die Unabhängigkeit im Ergebnis ebenfalls als selbständige Zulässigkeitsvoraussetzung und nicht als Teil der Entscheidungsreife betrachtet.173 So führt beispielsweise Rensen aus, die Entscheidungsreife allein sei bei Zugrundelegung ihres allgemeinen Verständnisses nicht geeignet, Widersprüche im gleichen Umfang auszuschließen wie das Gebot der Unabhängigkeit. Insbesondere die Berücksichtigung einer möglicherweise abweichenden Beurteilung in der Rechtsmittelinstanz könne nicht über die Voraussetzungen der Teilbarkeit und Entscheidungsreife gelöst werden.174 Wolle man solche Widersprüche gleichwohl über die Entscheidungsreife vermeiden, so würde dies zu einem anderen Verständnis derselben führen.175 Nur Musielak widerspricht der herrschenden Auffassung, wonach die Unabhängigkeit eine eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung ist, und stellt darauf ab, dass die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen, deren Vermeidung er grundsätzlich für richtig erachtet, bereits durch die Voraussetzungen der Abgrenzbarkeit und Entscheidungsreife vermieden werde.176 Auf die Ansicht Musielaks wird im Rahmen der einzelnen, im übrigen Schrifttum vertretenen Ansichten gesondert eingegangen.177
3. Fazit Die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil findet in den ersten zu § 273 CPO erfolgten Kommentierungen keine Erwähnung. Soweit sich Anhaltspunkte finden lassen, wobei ein konkreter Bezug zur Unabhängigkeit auch hier fehlt, sind diese in der Vorschrift des § 273 Abs. 2 CPO angelegt. Im Gegensatz hierzu steht die aktuelle Kommentarliteratur, die die Unabhängigkeit aufgreift und – mit Ausnahme von Musielak – als dritte Zulässigkeitsvoraussetzung betrachtet.178 Der Eingang der Unabhängigkeit in Stand 01.07.2020, § 301, Rn. 8; Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 301, Rn. 27 ff.; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 301, Rn. 6; Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 301, Rn. 9. 173 So bei Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 14 (Fn. 73); Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 301, Rn. 29; Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 301, Rn. 9. 174 Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 301, Rn. 29. Im Gegensatz hierzu hat der BGH in seiner Entscheidung vom 18.12.1954 die Möglichkeit einer abweichenden Beurteilung in der Rechtsmittelinstanz als fehlende Entscheidungsreife betrachtet, vgl. BGHZ 16, 71 ff. Siehe hierzu in diesem Kapitel A. I. 9., S. 55 f. 175 Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 301, Rn. 29. 176 Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 301, Rn. 3; MüKo-ZPO/ders., 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 17. 177 Siehe hierzu in diesem Abschnitt unten C. II. 5., S. 86 f. 178 Siehe hierzu in diesem Abschnitt oben C. I. 2., S. 79 f. Da jedoch auch Musielak die Unabhängigkeit nicht in der Ermessensvorschrift des § 301 Abs. 2 ZPO verortet, sondern sie in den Voraussetzungen der Abgrenzbarkeit und Entscheidungsreife als erfüllt ansieht, entspricht
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die aktuelle Kommentarliteratur ist – ungeachtet ihrer dogmatischen Einordnung – Folge der Entwicklung und Manifestierung des Gebots der Unabhängigkeit im Laufe der Zeit durch die Rechtsprechung. Der fehlende Bezug in den ersten zur Zivilprozessordnung erschienenen Kommentaren zur Unabhängigkeit im heutigen Sinne kann den jeweiligen Autoren daher nicht vorgeworfen werden. Allerdings wäre es auf Grundlage der Gesetzesbegründung damals wie heute möglich (gewesen), zur Erforderlichkeit der Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil Stellung zu nehmen. Ausführungen zur Konzeption des Gesetzgebers bei Einführung des § 273 CPO, das Gericht durch Erlass eines Teilurteils zu einer getrennten Entscheidung bei ungetrennter Verhandlung zu befähigen, finden sich jedoch weder in der historischen noch in der aktuellen Kommentarliteratur.
II. Die verschiedenen Ansichten im übrigen Schrifttum 1. Schneider (1976)179 Schneider zufolge handelt es sich bei der Unabhängigkeit um eine mit eigenem Inhalt ausgestattete Zulässigkeitsvoraussetzung.180 Die Ursache für die Notwendigkeit dieser Voraussetzung sieht Schneider in der Norm des § 318 ZPO.181 Danach sei das Gericht im Rahmen des Schlussurteils zwar an den Ausspruch des Teilurteils gebunden. Da sich diese Bindung jedoch nur auf den Tenor selbst und nicht auch auf die ihm zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen und deren rechtliche Beurteilung erstrecke, könnten diesbezüglich Unterschiede zwischen Teil- und Schlussurteil auftreten.182 Gleiches gelte infolge einer Abänderung des Teilurteils in der Rechtsmittelinstanz.183 Diese drohenden Divergenzen gelte es zu vermeiden. Andernfalls bestünde die Gefahr einer „‚Kadi-Justiz‘“.184 Daher bedürfe es der besonderen, nicht im Gesetz erwähnten Zulässigkeitsvoraussetzung der Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil.185 auch Musielak im Ergebnis nicht der historischen Kommentarliteratur. Siehe zur Ansicht Musielaks in diesem Abschnitt unten C. II. 5., S. 86 f. 179 Schneider, MDR 1976, S. 93 ff. 180 Schneider, MDR 1976, S. 93. 181 Schneider, MDR 1976, S. 93. 182 Schneider, MDR 1976, S. 93. 183 Schneider, MDR 1976, S. 93 Als Beispiel hierfür nennt Schneider den Fall, dass in einem Prozess über einen Verkehrsunfall der Kläger im Teilurteil nach §§ 7, 17 StVG mit einer Haftungsquote von 50 % belastet wird und im Schlussurteil die Haftung wegen eines unabwendbaren Ereignisses verneint wird, vgl. Schneider, MDR 1976, S. 93. 184 Schneider, MDR 1976, S. 93. 185 Schneider, MDR 1976, S. 93.
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2. de Lousanoff (1979)186 Die Ansicht de Lousanoffs basiert auf einer umfangreichen Analyse höchstrichterlicher und obergerichtlicher Entscheidungen zum Erlass eines Teilurteils, in deren Rahmen er die Entwicklung der Unabhängigkeit als ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung durch die Rechtsprechung skizziert. Hierbei kommt de Lousanoff zu dem Schluss, dass das Gebot der Unabhängigkeit im Laufe der Zeit – zunächst noch im Rahmen der Entscheidungsreife,187 sodann von dieser unabhängig188 – Eingang in die Judikatur gefunden habe, bis die Unabhängigkeit schließlich zur dritten Zulässigkeitsvoraussetzung herangewachsen sei.189 Entgegen der angewandten Praxis bedürfe es dieses Kriteriums jedoch nicht, da es in allen untersuchten Fällen bereits an der für ein Teilurteil erforderlichen Entscheidungsreife gefehlt habe.190 Mit Blick auf die zu § 301 ZPO ergangenen Urteile mangele es den Gerichten daher oftmals an Präzision bei Anwendung und Formulierung der in § 301 ZPO normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen.191 Um Unklarheiten bei der Anwendung des § 301 ZPO zu vermeiden, plädiert de Lousanoff daher für die Aufstellung eines Fall- bzw. Beispielkatalogs und gegen die Anwendung einer allgemeinen Formel zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen.192 Nur im Fall eines Teilurteils über den Hauptantrag im Rahmen einer eventuellen Klagehäufung bedürfe es der Unabhängigkeit als dritte Zulässigkeitsvoraussetzung.193 So bestehe bei der eventuellen Klagehäufung die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen immer dann, wenn das erstinstanzliche Gericht den Hauptanspruch durch Teilurteil abweise, sodann über den Hilfsantrag befinde und das Berufungsgericht bei Rechtsmitteleinlegung gegen das Teilurteil über den Hauptantrag (erneut) zu entscheiden habe. In dieser Konstellation sei es möglich, dass sowohl dem Haupt- als auch dem Hilfsanspruch stattgegeben werde, was mit dem Sinn und Zweck einer eventuellen Klagehäufung nicht vereinbar sei.194 Darüber hinaus widerspreche die in dieser Situation be186
de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979. So z. B. in RGZ 66, 396, 398, in der es heißt: „Es muß vielmehr erkennbar gemacht werden, über welche Posten entschieden wird, und es gehört zur Spruchreife, daß eine Entscheidung (über den Teil) erlassen werden kann, für die die künftige Entscheidung über den anderen Teil ohne Belang ist.“ 188 RGZ 96, 8, 11; RGZ 143, 170; BGH, WM 1961, 323. 189 de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 37 ff., 85 ff., 116 ff. 190 de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 86. Siehe ferner die Zusammenfassung am Ende eines jeden Abschnitts bei de Lousanoff, Zulässigkeit eines Teilurteils (1979), S. 37 ff., 85 ff., 116 ff. 191 Vgl. z. B. die Ausführungen zu RGZ 66, 396 bei de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 46. 192 de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 87. 193 de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 132. 194 de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 132. 187
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stehende Widerspruchsgefahr dem Zweck eines Teilurteils, das der Herbeiführung einer „quantitative[n] Teilung des Prozeßstoffes“195 und einer endgültigen, vom Schlussurteil unabhängigen Entscheidung diene.196 Im Ergebnis spricht sich de Lousanoff – entgegen der herrschenden Meinung197 – daher gegen die grundsätzliche Zulässigkeit eines Teilurteils über den Hauptantrag im Fall der eventuellen Klagehäufung und damit für die Anwendung der Unabhängigkeit in dieser Konstellation aus. Etwas anderes gelte nur, soweit das Teilurteil – wie bei Revisionsentscheidungen – über den Hauptanspruch sofort rechtskräftig werde; dann sei die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen und der Erlass eines Teilurteils zulässig.198
3. Prütting und Weth199 (1981, 1985) Prütting und Weth vertreten die Auffassung, dass in den meisten Fällen die fehlende Entscheidungsreife oder Teilbarkeit, nicht hingegen die fehlende Unabhängigkeit zur Unzulässigkeit eines Teilurteils führe.200 Ohne Notwendigkeit hätten sich die Gerichte daher allzu sehr vom Gesetzeswortlaut des § 301 ZPO entfernt.201 Allerdings gebe es Konstellationen, in denen die Unabhängigkeit als dritte Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Teilurteils erforderlich sei.202 Dies seien Fälle, in denen ein zukünftiges Ereignis die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen trotz vorzeitiger Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils hervorrufen könne.203 Als Beispiel nennen Prütting und Weth allen voran das Teilurteil über ein unselbständiges Anschlussrechtsmittel.204 Entgegen der Auffassung des BGH 195
de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 135. de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 135. Die von de Lousanoff vertretene Ansicht zur Unzulässigkeit eines Teilurteils über den Hauptanspruch ist mit der herrschenden Meinung jedoch abzulehnen. Da das Schlussurteil über den Hilfsantrag von der rechtskräftigen Abweisung des Hauptantrags in Form einer auflösenden Bedingung abhängt, wird das Schlussurteil über den Hilfsantrag, wenn der unterliegende Kläger Rechtsmittel gegen das Teilurteil über den Hauptantrag einlegt und das Berufungsgericht dem Hauptantrag stattgibt, bei Rechtskraft des Berufungsurteils automatisch gegenstandslos. Die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ist dann ausgeschlossen. Siehe zur herrschenden Meinung unten 4. Kapitel. A. I. 2., S. 113 ff. 198 de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 135. 199 Prütting, ZZP 94 (1981), S. 103 ff.; ders./Weth, ZZP 98 (1985), S. 131 ff. 200 Prütting, ZZP 94 (1981), S. 103, 105; ders./Weth, ZZP 98 (1985), S. 131,143 f. 201 Prütting, ZZP 94 (1981), S. 103, 105, der in seiner Buchbesprechung zur Monografie de Lousanoffs diesem überwiegend folgt. 202 Prütting, ZZP 94 (1981), S. 103, 105. So auch später zusammen mit Weth, in Prütting/ Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 143 ff. 203 Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 144. 204 Prütting, ZZP 94 (1981), S. 103, 105 und ders./Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 144 mit Verweis auf BGHZ 20, 311 ff. = NJW 1956, S. 1030 ff.; RGZ 159, 293, 294 und BAG, Urt. v. 20.02.1975, Az. 2 AZR 168/74 –, juris. Da die in Bezug genommenen Teilurteile jedoch je196 197
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fehle es in diesem Fall nicht an der für ein Teilurteil erforderlichen Entscheidungsreife, da sich diese immer nur auf den Schluss der letzten mündlichen Verhandlung beziehe.205 Aus diesem Grund müssten künftige Ereignisse für ihre Bestimmung unberücksichtigt bleiben.206 In der Folge sei das zwischen dem Hauptrechtsmittel und unselbständigen Anschlussrechtsmittel bestehende Abhängigkeitsverhältnis, infolge dessen das Anschlussrechtsmittel unzulässig werden könnte, wenn das Hauptrechtsmittel zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen werde,207 irrelevant für die Entscheidungsreife. Gleichwohl bestehe aufgrund eines möglichen Wegfalls des Hauptrechtsmittels die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zwischen Teil- und Schlussurteil. Auch wenn der Einfluss eines künftigen Ereignisses die Ausnahme darstelle, so bedürfe es der Unabhängigkeit als dritte Zulässigkeitsvoraussetzung immer dann, „wenn durch ein bei Erlaß des Teilurteils noch nicht eingetretenes (also zukünftiges) prozessuales Ereignis der Bestand des Teilurteils berührt [werde].“208 Als weitere Beispiele nennen Prütting und Weth209 das Teilurteil über einen Hilfsanspruch bei eventueller Klagehäufung sowie die oben dargestellte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone,210 obgleich es in allen Konstellationen bereits an der für ein Teilurteil erforderlichen Entscheidungsreife fehlte. Gleiches gilt für die von Prütting genannte Entscheidung eines Teilurteils über eine unstreitige Werklohnforderung, gegen die mit mehreren, im Eventualverhältnis stehenden Gegenansprüchen aufgerechnet wird.211 Auch hier fehlte es an der erforderlichen Entscheidungsreife.212
weils mangels Entscheidungsreife aufgehoben wurden, kann der Verweis nicht überzeugen. Siehe hierzu in diesem Kapitel unten, S. 101 ff. 205 Prütting, ZZP 94 (1981), S. 103, 105 und ders./Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 144 mit Verweis auf § 323 Abs. 2 und § 767 Abs. 2 ZPO. Siehe zur Frage der Zulässigkeit eines Teilurteils über eine unselbständige Anschlussberufung auch Rimmelspacher, FS Odersky, 1996, S. 623 ff. 206 Prütting, ZZP 94 (1981), S. 103, 105; ders./Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 144. 207 Vgl. für die Berufung § 524 Abs. 4 ZPO und für die Revision § 554 Abs. 4 ZPO. 208 Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 145. Bemerkenswert ist, dass Prütting und Weth auf ein prozessuales Ereignis und nicht auf einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen Teilund Schlussurteil abstellen. 209 Zwar nennen Prütting und Weth ausdrücklich nur das Beispiel einer unselbständigen Anschlussberufung, vgl. Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 144. Über den Verweis in Fn. 69 in Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 144 auf Prütting, ZZP 94 (1981), S. 103, 105 f. nehmen sie die anderen Beispiele jedoch ebenfalls in Bezug. 210 Siehe zu dieser Entscheidung in diesem Kapitel A. I. 8., S. 53 f. 211 Prütting, ZZP 94 (1981), S. 103, 106. 212 So führte das OLG Düsseldorf, NJW 1972, S. 1474 in seiner Entscheidung aus: „Im Teilurteil kann auch ein Teil einer Klageforderung abgewiesen werden, sofern nur die Voraussetzung der selbständigen Entscheidungsreife i. S. dieser Vorschrift [des § 301 ZPO] im konkreten Fall gegeben ist. Daran mangelt es hier.“
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4. Schumann (1983)213 Auch Schumann hat sich mit dem Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils befasst. Ihm zufolge ist das Gebot der Unabhängigkeit notwendiger Bestandteil einer materiellrechtsfreundlichen, d. h. am materiellen Recht orientierten Auslegung der Prozessgesetze.214 Grundlage für eine solche Auslegung sei der hinter dem Zivilprozess stehende Zweck der Durchsetzung materieller Rechte des Einzelnen.215 Die materiellrechtsfreundliche Auslegung diene – ausgehend von einem Gleichordnungsverhältnis zwischen materiellem Recht und Prozessrecht216 – der Vermeidung von Wertungswidersprüchen und bewahre auf diese Weise die Einheit der Rechtsordnung.217 So gebe es „materiellrechtliche Direktiven“,218 die Einfluss auf die Interpretation des Prozessrechts hätten.219 Dem Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils liege dabei die Direktive zugrunde, dass materiell-rechtlich Einheitliches nicht prozessual getrennt werden dürfe.220 Vor diesem Hintergrund sei es der „Verdienst des Reichsgerichts“,221 dass die Entscheidungsreife bei Erlass eines Teilurteils nicht isoliert auf den abgrenzbaren Teil betrachtet werde, sondern das Gericht darüber hinaus die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil prüfe.222 Auf diese Weise werde ein materiell-rechtlich einheitlicher Zusammenhang, der prozessual – zum Beispiel durch verschiedene Anträge – getrennt worden sei, wieder so einheitlich betrachtet, wie es das materielle Recht verlange. Schumann zufolge bezieht sich die Entscheidungsreife im Rahmen des § 301 Abs. 1 ZPO damit nicht auf den einzelnen Streitgegenstand, sondern auf das dazu gehörende materielle Rechtsverhältnis.223 So konsequent Schumann den Nichterlass eines Teilurteils bei materiellrechtlicher Einheit fordert, so konsequent verlangt er als Ausdruck der Direkti213 214
Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 588 f. Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 588 f. Eine materiellrechtsfreundliche Auslegung zeigt sich Schumann zufolge in einer ganzen Reihe prozessrechtlicher Institute, so z. B. in der parteierweiternden Widerklage bei Rechtsgemeinschaft auf Klägerseite oder der gewillkürten Prozessstandschaft als Folge der Einziehungsermächtigung, Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 578 f. Siehe zu materiell-rechtlichen Zusammenhängen der gewillkürten Prozessstandschaft auch Hoffmann, ZZP 130 (2017), S. 403 ff. 215 Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 572. 216 Im Gegensatz hierzu basiere die konforme Auslegung auf einem Über- und Unterordnungsverhältnis der Rechtsquellen, Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 576. 217 Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 577. 218 Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 588. 219 Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 588. 220 Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 588 f. 221 Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 589. 222 Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 589 mit Verweis auf RGZ 151, 381. Siehe zu dieser Entscheidung in diesem Kapitel oben A. I. 7., S. 51 ff. 223 Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 589.
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
ve, dass materiell-rechtlich Getrenntes nicht prozessual vermengt werden dürfe, den Erlass eines Teilurteils bei materiell-rechtlich gebotener Trennung:224 So sei im Fall einer Besitzschutzklage, der eine petitorische Widerklage gegenüberstehe, bei Entscheidungsreife des Besitzschutzanspruchs dieser durch Teilurteil zu bescheiden, selbst wenn die Gefahr bestehe, dass der Widerklage im Schlussurteil stattgegeben werden müsse. Da das materielle Recht dem Besitzschutz den Vorrang gebe, müsse ein Teilurteil bei Begründetheit des Besitzschutzanspruchs ohne Rücksicht auf eine spätere Entscheidung über die Widerklage ergehen.225
5. Musielak (1997)226 Auch Musielak wirft mit Blick auf die fehlende gesetzliche Grundlage die Frage nach der Begründung für das Gebot der Unabhängigkeit auf.227 Zu diesem Zweck untersucht Musielak – wie bereit de Lousanoff sowie Prütting und Weth – eine Reihe höchstrichterlicher und obergerichtlicher Entscheidungen228 und kommt zu dem Schluss, dass „die angeblich zusätzliche Zulässigkeitsvoraussetzung der Unabhängigkeit für den Erlaß eines Teilurteils […] lediglich eine Umschreibung für die Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils des Prozeßstoffes [sei].“229
So sei ein Teilurteil wegen fehlender Entscheidungsreife – und nicht wegen der fehlenden Unabhängigkeit – unzulässig, wenn ihm tatsächliche Feststellungen zugrunde gelegt würden, die Tatsachen widersprechen könnten, auf denen das später zu erlassende Schlussurteil beruhe.230 Im Ergebnis lasse sich die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen daher bereits durch die Merkmale der Abgrenzbarkeit und Entscheidungsreife ausschließen.231 In diesem Zusammenhang befasst sich Musielak auch mit dem von Prütting angeführten Gegenbeispiel eines Teilurteils über eine unselbständige Anschlussberufung.232 Zwar stimmt er Prütting dahingehend zu, dass ein Teilurteil über ein unselbständiges Anschlussrechtsmittel unzulässig sei. Die Unzulässigkeit folge jedoch nicht aus der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen, sondern aus der fehlenden Entscheidungsreife. So sei eine Entscheidung über ein unselbständiges Anschlussrechtsmittel erst möglich, wenn dessen Statt224 225
Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 591. Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 591. 226 Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561 ff. 227 Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561 f., 568. 228 Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 570 f. 229 Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 574. 230 Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 569 f. 231 Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 569 f. (575); MüKo-ZPO/ders., 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 17; Musielak/Voit/ders., 17. Aufl. 2020, § 301, Rn. 3. 232 Musielak, FS Lüke, 1997, S. 571, 575 f.
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gabe oder Abweisung feststehe. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass das Anschlussrechtsmittel seine Wirkung nicht mehr verlieren könne. Solange der Wegfall des Anschlussrechtsmittels infolge Rücknahme des Hauptrechtsmittels oder Verwerfung desselben als unzulässig jedoch nicht ausgeschlossen sei, trete keine Entscheidungsreife ein. Auch in den anderen von Prütting angeführten Fällen fehle es an der für ein Teilurteil erforderlichen Entscheidungsreife.233 Im Rahmen seiner Ausführungen widmet sich Musielak darüber hinaus der Zulässigkeit eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch bei streitigem Anspruchsgrund. Da sich die Frage nach dem Anspruchsgrund bei einem einheitlichen Anspruch für die gesamte Klageforderung stelle, fehle es an der Abgrenzbarkeit des zu entscheidenden Teils, solange über den Grund nicht abschließend entschieden sei. Solle über einen Teil einer einheitlichen Klageforderung ein Teilurteil ergehen, dessen Anspruchsgrund streitig sei, so müsse für die Zulässigkeit daher zugleich ein Grundurteil ergehen.234 Insoweit steht Musielak mit der herrschenden Meinung und der seit dem 01.05.2000 im Gesetz verankerten Regelung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO in Einklang.
6. Peters (1998)235 Peters sieht die Relevanz des Gebots der Unabhängigkeit ähnlich wie Schneider in der Vermeidung einer nach außen hin willkürlichen, irrationalen Rechtsprechung der Gerichte: So sei es für die Parteien nicht nachvollziehbar, wenn dieselbe Vorfrage innerhalb eines Verfahrens unterschiedlich beurteilt würde.236 Zu vernachlässigen seien nur solche widersprüchlichen Entscheidungen, die infolge neuen, nach Erlass des Teilurteils vorgebrachten Parteivortrags ergangen seien; diese seien „‚in Ehren‘ erlassen“.237 Darüber hinaus komme dem Gebot der Unabhängigkeit eine „pädagogische Wirkung“ zu:238 Das Gericht solle nicht durch planloses Abschichten des Prozessstoffes versuchen, einem großen Verfahren Herr zu werden, ohne dabei das gesamte Verfahren in den Blick zu nehmen. Vielmehr müsse das Gericht den Rechtsstreit insgesamt würdigen.239 Die eigentliche Bedeutung misst Peters der Unabhängigkeit jedoch mit Blick auf die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung im Instanzenzug bei: So bestehe die Gefahr einer unterschiedlichen Beurteilung derselben Rechtsfragen weniger in derselben als vielmehr in höherer Instanz nach Ein233 234
Musielak, FS Lüke, 1997, S. 571, 576. Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 573; MüKo-ZPO/ders., 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 19; Musielak/Voit/ders., 17. Aufl. 2020, § 301, Rn. 13. 235 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67 ff. 236 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 71. 237 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 71. 238 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 71. 239 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 71.
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legung eines Rechtsmittels; dieses sei gerade darauf ausgerichtet, eine andere Beurteilung derselben Rechtsfragen herbeizuführen.240 Aus prozessökonomischen Erwägungen und Gründen der Zweckmäßigkeit sollte das Teilurteil – so Peters – daher öfters mit einem Urteil über den Anspruchsgrund verbunden werden, um dem Rechtsmittelgericht eine umfassende und abschließende Prüfung zu ermöglichen.241 Das in diesem Kontext von Peters angeführte Beispiel einer Zahlungsklage auf Mietzins für ein volles Jahr,242 bei der durch Teilurteil über die Ansprüche der ersten Jahreshälfte entschieden wird, entspricht der Konstellation eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO. Die Forderung von Peters, in solchen Fällen aus Zweckmäßigkeitsgründen ein Grundurteil zu erlassen, um eine umfassende und endgültige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts und eine Bindung des erstinstanzlichen Gerichts herbeizuführen, entspricht im Ergebnis der heute im Gesetz verankerten Regelung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO. Ob Peters das Gebot der Unabhängigkeit als in § 301 ZPO enthalten sieht oder als dritte Zulässigkeitsvoraussetzung erachtet, bleibt jedoch offen: So stimmt Peters einerseits der Schlussfolgerung de Lousanoffs zu, die Unabhängigkeit sei in der Entscheidungsreife verankert; auf der anderen Seite führt er aus, das „Gebot der Widerspruchsfreiheit [lasse sich freilich] nicht voll aus § 301 ZPO herleiten.“243
7. Jauernig (2000)244 Auch Jauernig hat die Unabhängigkeit anhand mehrerer, höchstrichterlicher Entscheidungen untersucht. Aus einer Analyse wiederkehrender, vom BGH verwendeter Formulierungen des Gebots der Unabhängigkeit folgert Jauernig, dass „die Widerspruchsfreiheit nur die Folge bestehender Unabhängigkeit“245 und nur letztere Voraussetzung für ein Teilurteil sei. Im Ergebnis würden Entscheidungsreife und Teilbarkeit in der Unabhängigkeit zusammengefasst.246 Dass die Gerichte gleichwohl nur selten von fehlender Entscheidungsreife sprächen, sondern sich vielmehr des Begriffs der Unabhängigkeit bemühten, sei auf den Unterschied zwischen der in § 301 ZPO erforderlichen „‚Teil‘-Entscheidungsreife“247 und der in § 300 ZPO geforderten „‚Voll‘-Entscheidungsreife“248 zurückzuführen. Dieser Unterschied wiederum beruhe auf den verschiedenen 240
Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 72. Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 72 f. Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 69, 72. 243 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 72. 244 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311 ff. 245 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 314. 246 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 314. 247 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 314. 248 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 314. 241 242
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Zeitpunkten der zu fällenden Entscheidung.249 So nehme das Gericht bei Erlass eines Voll-Endurteils gem. § 300 ZPO das gesamte bis zum Urteil stattgefundene Verfahren in den Blick; zukünftige Ereignisse brauche es nicht zu berücksichtigen. Anders sei dies bei Erlass eines Teilurteils: Zwar trenne das Teilurteil den Prozess in zwei selbständige Verfahren; materiell seien die formal getrennten Teile jedoch einheitlich zu betrachten, da sie aufgrund der Ermessensvorschrift des § 301 Abs. 2 ZPO ebenso durch Voll-Endurteil hätten beschieden werden können.250 Daher müsse schon bei Erlass des Teilurteils der Inhalt des Schlussurteils in den Blick genommen werden, um (theoretische) Widerspruchsmöglichkeiten zu ermitteln. Anders ausgedrückt sei „die gegenwärtige Teilentscheidungsreife zu messen […] am möglichen Inhalt eines künftigen Schlußurteils“.251 Da die Trennung der materiell-rechtlichen Einheit jedoch erst durch Erlass des Teilurteils und nicht – wie Schumann meint252 – bereits durch Stellung mehrerer Klageanträge erfolge, müsse die Einheit auch prozessual, d. h. durch „Verschmelzen von Teil- und Schlußurteil zu einem Urteil“ wiederhergestellt werden.253 Komme daher „jede noch so entfernte Möglichkeit“254 eines Widerspruchs zwischen Teil- und Schlussurteil in Betracht, wobei eine Abänderung in der Rechtsmittelinstanz zu berücksichtigen sei,255 so fehle es „an der ‚Unabhängigkeit‘ des Teilurteils vom Schlußurteil oder anders gewendet […] an der Teil-Entscheidungsreife.“256
8. Jurgeleit257 (2016) Jurgeleit hat sich mit dem Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen der bauprozessualen Praxis befasst.258 So sei ein Baumängelprozess, in dem typischerweise mehrere Mängel mit jeweils eigenem Streitgegenstand gem. § 260 ZPO miteinander verbunden würden, aufgrund seiner Komplexität prädestiniert für den Erlass eines Teilurteils. Gleichwohl seien die Gerichte, soweit sie die Klage hinsichtlich nur eines Teils der Mängel für begründet hielten, aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen am Erlass eines Teilurteils gehindert.259 249 250
Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 314. Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 314 f. 251 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 312. 252 Siehe zur Ansicht Schumanns in diesem Kapitel oben C. II. 4., S. 85 f. 253 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 315. 254 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 315. 255 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 317. 256 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 315. 257 Jurgeleit, BauR 2016, S. 375 ff. 258 Zur Frage von Grund- und Teilurteil in Bauprozessen, wenn neben einem Leistungsauch ein Feststellungsantrag gestellt wird, siehe auch Zepp, NZBau 2017, S. 141 ff. 259 Jurgeleit, BauR 2016, S. 375, 376 f. Zwar könne der Erlass eines Zwischenfeststellungsurteils über präjudizielle Fragen gem. § 256 Abs. 2 ZPO die Widerspruchsgefahr ausschließen. Hierfür bedürfe es jedoch eines Antrags der Parteien sowie eines streitigen präjudiziellen Rechtsverhältnisses, ders., BauR 2016, S. 375, 378.
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Zur Beantwortung der Frage nach dem Bedürfnis, sich widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, widmet sich Jurgeleit neben Wortlaut, Telos, Entstehungsgeschichte und Systematik des § 301 ZPO auch den ersten zu einem Teilurteil ergangenen Entscheidungen. Erkenntnisse für das Gebot der Unabhängigkeit ließen sich hierbei – so Jurgeleit – jedoch nur aus der Rechtsprechung gewinnen.260 Insbesondere das Verhältnis zur materiellen Rechtskraft lasse keine Rückschlüsse auf das Gebot der Unabhängigkeit zu: Denn würden die auf einem Vertrag beruhenden Baumängel nicht gemeinsam, sondern in verschiedenen Prozessen eingeklagt, so bestünde ebenfalls die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen.261 Auch den Gesetzesmaterialien sei „keine Einschränkung zu entnehmen, um sich widersprechende Entscheidungen zu verhindern.“262 Im Ergebnis zeige eine Analyse der Rechtsprechung, dass zu Zeiten des Reichsgerichts Teilurteile noch wegen fehlender Entscheidungsreife als unzulässig erachtet und umgekehrt Teilurteile bei Vorliegen von Entscheidungsreife erlassen worden seien, selbst wenn in diesem Fall die Gefahr einer abweichenden Beurteilung bestanden habe.263 Eine Änderung sei erst durch die Rechtsprechung des BGH eingetreten. Als Beispiel verweist Jurgeleit auf die oben erörterte Entscheidung des BGH vom 30.04.1956 über ein Teilurteil im Fall einer unselbständigen Anschlussberufung.264 Zwar habe der BGH das Teilurteil mangels Entscheidungsreife zurückgewiesen. Zugleich habe er jedoch ausgeführt, ein Teilurteil dürfe nur ergehen, wenn die Entscheidung über den Teil unabhängig davon sei, wie der Streit über den Rest ausgehe und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen sei. Mit diesem Zusatz habe der BGH, ohne dies zu beabsichtigen, das Gebot der Unabhängigkeit geschaffen.265 Die weitere Rechtsprechung des BGH habe sodann dazu geführt, 260 Soweit
Jurgeleit auch in der Kommentierung von Struckmann und Koch sowie Endemann keine Anhaltspunkte für das Gebot der Unabhängigkeit sehen will (vgl. Jurgeleit, BauR 2016, S. 375, 381), kann dem nach den oben gewonnen Ergebnissen jedoch nicht ohne Weiteres gefolgt werden. Zwar wird das Gebot der Unabhängigkeit nicht ausdrücklich und nicht im Sinne einer dritten Zulässigkeitsvoraussetzung erörtert; gleichwohl gibt es – insbesondere bei Struckmann und Koch – Hinweise darauf, dass eine einheitlich materiell-rechtliche Betrachtung im Rahmen des § 273 Abs. 2 CPO dazu führen kann, vom Erlass eines Teilurteils mangels Angemessenheit abzusehen. Siehe hierzu in diesem Kapitel oben C. I. 1., S. 76 ff. 261 Darüber hinaus sei der Topos der Widerspruchsfreiheit nicht mit der abweichenden Rechtsprechung des BGH zur Stufenklage zu vereinbaren, bei der ein Teilurteil über den Auskunftsanspruch auf erster Stufe trotz der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ergehen könne, Jurgeleit, BauR 2016, S. 371, 380 f. Zur Stufenklage siehe unten 4. Kapitel. A. I. 3., S. 116 ff. 262 Jurgeleit, BauR 2016, S. 375, 379. 263 Jurgeleit, BauR 2016, S. 371, 382, mit Verweis auf RGZ 98, 302, 309 f., siehe zu dieser Entscheidung in diesem Kapitel A. 5., S. 48 ff. 264 BGHZ 20, 311, 312 = NJW 1956, S. 1030 ff., siehe zu dieser Entscheidung in diesem Kapitel A. 10., S. 57 ff. 265 Dass der BGH keine neue Zulässigkeitsvoraussetzung habe schaffen wollen, zeige die
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dass die Unabhängigkeit immer mehr zu einer eigenen Zulässigkeitsvoraussetzung herangewachsen sei.266 Im Ergebnis gebe es damit keinerlei Rechtfertigung für die dritte Zulässigkeitsvoraussetzung. Vielmehr habe der „Topos, sich widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, […] nur als Behauptung in einem Nebensatz Eingang in die Rechtsprechung des BGH gefunden.“267 Auf diese Weise sei dem Teilurteil jedoch seine praktische Relevanz genommen worden. Daher müsse die Rechtsprechung des BGH überdacht und den Gerichten müssten im Rahmen des § 301 Abs. 2 ZPO „sinnvolle Gestaltungsmöglichkeiten“ eingeräumt werden.268
9. Jaspersen269 (2019) Zuletzt hat sich Jaspersen mit dem Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils auseinandergesetzt. Unter Hinweis auf den ursprünglichen Gesetzeswortlaut vor Einführung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO und die Ausführungen Jurgeleits, dass sich Hinweise für das Gebot der Unabhängigkeit weder aus Telos und Entstehungsgeschichte der Norm noch aus der Systematik der ZPO ergäben, kritisiert Jaspersen das Gebot der Unabhängigkeit und insbesondere dessen Reichweite, Widersprüche über die Rechtskraft und Bindungswirkung hinaus auszuschließen.270 Eine dogmatisch überzeugende Herleitung habe die Rechtsprechung bis heute nicht angebracht. Dies gelte auch mit Blick auf die von der Rechtsprechung zugelassenen Ausnahmen vom Widerspruchsverbot und die sonst im Rahmen der ZPO zulässigen Widersprüche, wie z. B. im Rahmen der Stufenklage.271 Im Ergebnis könne die Rechtsprechung „in dogmatischer Hinsicht für ihr Widerspruchsverbot nur den – weichen – Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ins Feld führen.“272 Allerdings dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO die Rechtsprechung aufgegriffen und bestätigt habe.273 Über diesen Willen könne man sich ohne eine Änderung des Gesetzes nur schwerlich hinwegsetzen.274
Bezugnahme des BGH auf RGZ 151, 381 ff. (siehe hierzu in diesem Kapitel A. 7., S. 51 ff.) sowie die Tatsache, dass der BGH die Unabhängigkeit nicht in den Leitsatz der Entscheidung aufgenommen habe, Jurgeleit, BauR 2016, S. 375, 382 f. 266 Jurgeleit, BauR 2016, S. 375, 383, mit Verweis auf die Entwicklung in BGH, NJW 1960, S. 339 f. und BGH LM Nr. 22 zu § 301 = BGH, VersR 1971, S. 930 ff. 267 Jurgeleit, BauR 2016, S. 371, 384. 268 Jurgeleit, BauR 2016, S. 371, 384. 269 Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171 ff. 270 Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 177 f. 271 Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 178. 272 Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 178. 273 Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 178. 274 Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 178.
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Im Weiteren untersucht Jaspersen das Grundurteil gem. § 304 ZPO und die Zwischenfeststellungsklage gem. § 256 Abs. 2 ZPO als Möglichkeiten zur verbindlichen Klärung von Urteilselementen und Vorfragen, um „den mit dem Widerspruchsverbot verbundenen Einschränkungen gerecht zu werden“.275 Durch diese könne dem von der Rechtsprechung entwickelten Widerspruchsverbot Rechnung getragen werden.276 Kritisch sieht Jaspersen in diesem Zusammenhang den Wortlaut des § 304 Abs. 1 ZPO, der einen Streit nach Grund und Höhe erfordere. Infolge dessen dürfe im Fall eines nur der Höhe nach streitigen Anspruchs ein Grundurteil nicht ergehen und ein Teilurteil über den einheitlichen Anspruch sei mangels Unabhängigkeit unzulässig.277 Aus diesem Grund sei das Erfordernis eines streitigen Grundes in § 304 Abs. 1 ZPO zu streichen.278 Zudem müsse in Abweichung von der Rechtsprechung und der sich ihr anschließenden Literatur, denen zufolge für ein Grundurteil der geltend gemachte Anspruch mit Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe bestehen muss, ein Grundurteil bereits dann zulässig sein, wenn durch Erlass eines Grundurteil das Verfahrens durch Abschichtung des Prozessstoffs beschleunigt werden könne. Der Erlass eines Teilurteils infolge eines Grundurteils müsse hierfür ausreichen.279 Bzgl. der Möglichkeit zur Erhebung einer Zwischenfeststellungsklage spricht sich Jaspersen für eine verstärkte Hinweispflicht der Gerichte aus.280 Da es sich bei einem Zwischenfeststellungsantrag um eine sinnvolle Möglichkeit handele, den Prozessstoff abzuschichten und das Verfahren prozessökonomisch zu gestalten, liege ein solcher Antrag im Interesse beider Parteien; eine Befangenheit des Gerichts werde durch eine Anregung der Parteien zur Stellung eines solchen Antrags daher nicht begründet.281 Zum Zwecke der Klarstellung sollte § 256 Abs. 2 ZPO jedoch dahingehend ergänzt werden, dass das Gericht auf eine entsprechende Antragstellung hinwirken kann.282 Mit Blick auf die Möglichkeiten zum Erlass eines Grundurteils und zur Erhebung einer Zwischenfeststellungsklage spricht sich Jaspersen im Ergebnis für den Wegfall des Widerspruchsverbots im Rahmen des § 301 ZPO aus. Hierfür könnte die Pflicht zum Erlass eines Grundurteils gem. § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO entfallen und der Gesetzgeber könnte in der Begründung seine Abkehr vom Erfordernis der Unabhängigkeit zum Ausdruck bringen.283 275
Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 180. Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 191. Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 184 f. 278 Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 191. 279 Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 178. 280 Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 190. 281 Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 190. 282 Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 191. 283 Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 191. 276 277
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10. Stellungnahme Die in der Literatur vertretenen Ansichten zeigen, dass sich kein einheitliches Bild zum Gebot der Unabhängigkeit zeichnen lässt. Zunächst lassen sich verschiedene „Lager“ ausmachen: Während sich Schneider sowie Prütting und Weth, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, für die Unabhängigkeit als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung aussprechen,284 vertreten de Lousanoff und Musielak die Ansicht, dass es der Unabhängigkeit als drittes Kriterium nicht bedürfe und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bereits durch das Merkmal der Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils ausgeschlossen werden könne.285 Peters hingegen befindet sich zwischen diesen beiden Auffassungen, da er das Gebot der Unabhängigkeit einerseits als in der Entscheidungsreife verankert sieht, andererseits jedoch nicht vollständig aus § 301 ZPO herleiten will.286 Im Ergebnis kommt er jedoch, da er dem Gebot der Unabhängigkeit ebenfalls eine Schutzfunktion vor einer „Kadijustiz“287 und eine „pädagogische Wirkung“288 zuspricht, der Ansicht Schneiders am nächsten. Jauernig und Schumann wiederum nähern sich dem Gebot der Unabhängigkeit – wenn auch unterschiedlich begründet – über eine einheitliche Betrachtung von Teil- und Schlussurteil und eine entsprechende Modifizierung der Entscheidungsreife bei Erlass eines Teilurteils.289 Die Ansichten Jurgeleits und Jaspersens hingegen weichen gänzlich von den oben erwähnten Auffassungen ab. Während sich die vorgenannten Vertreter maßgeblich an einer Einordnung der Unabhängigkeit als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung oder als ein in der Entscheidungsreife bereits enthaltener Bestandteil orientieren, kritisieren Jurgeleit und Jaspersen das Gebot der Unabhängigkeit in seinem Grundsatz. Während Jurgeleit hierbei ein Überdenken der bisherigen Rechtsprechung und eine Erweiterung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums im Rahmen des § 301 Abs. 2 ZPO fordert, spricht sich Jaspersen für einen Wegfall des Unabhängigkeitsgebots und eine Vermeidung von Widersprüchen über den vermehrten Erlass von Grundurteilen und Erhebung von Zwischenfeststellungklagen aus. Mit Blick auf das oben gewonnene Ergebnis, dass das Gebot der Unabhängigkeit als dritte Zulässigkeitsvoraussetzung zur
284 Siehe
zur Ansicht Schneiders in diesem Kapitel oben C. II. 1., S. 81 und zur Ansicht von Prütting und Weth C. II. 3., S. 83 f. 285 Siehe zur Ansicht de Lousanoffs in diesem Kapitel oben C. II. 2., S. 82 f. und zur Ansicht Musielaks C. II. 5., S. 86 f. 286 Siehe zur Ansicht Peters in diesem Kapitel oben C. II. 6., S. 87 f. 287 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 71. 288 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 71. 289 Siehe zur Ansicht Schumanns in diesem Kapitel oben C. II. 4., S. 85 f. und zur Ansicht Jauernigs C. II. 7., S. 88 ff.
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
Bewahrung einer einheitlichen Verhandlung und eines einheitlichen Verfahrens erforderlich ist, soll nachfolgend zu den verschiedenen in der Literatur vertretenen Auffassungen Stellung genommen werden. Mehrere Vertreter derselben Ansicht werden hierbei zusammengefasst.
a) Gebot der Unabhängigkeit als Bestandteil der Entscheidungsreife: die Ansicht von Musielak und de Lousanoff Nach der von Musielak und de Lousanoff vertretenen Auffassung ist das Gebot der Unabhängigkeit bereits bei Anwendung der Zulässigkeitsvoraussetzung der Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils erfüllt.290 Im Ergebnis verorten die beiden Vertreter die Unabhängigkeit dogmatisch damit in das Merkmal der Entscheidungsreife. Wie oben aufgezeigt, ist die Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils alleine jedoch nicht ausreichend, um jede potentielle Möglichkeit weiteren Parteivortrags und damit einhergehend verschiedene Tatsachengrundlagen auszuschließen.291 Auch kann die Entscheidungsreife nicht eine Änderung der Rechtsauffassung des Gerichts verhindern.292 Die Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils ist daher nicht geeignet, die für ein zulässiges Teilurteil erforderliche Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil zur Bewahrung einer ungetrennten Verhandlung sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund ist die Ansicht Musielaks und de Lousanoffs daher abzulehnen.
b) Einheitliche Betrachtung von Teil- und Schlussurteil: die Ansicht von Schumann und Jauernig Schumann und Jauernig zufolge sind Teil- und Schlussurteil im Rahmen der Entscheidungsreife einheitlich zu betrachten. Während sich Schumann hierbei auf eine materiell-rechtliche Einheit von Teil- und Schlussurteil stützt, liegt Jauernigs Ansatz eine prozessrechtliche Betrachtungsweise zugrunde. Da beide Vertreter auf diese Weise eine Modifizierung der für ein Teilurteil erforderlichen Entscheidungsreife vornehmen, sollen beide Ansätze zunächst näher untersucht werden, bevor zu diesen Stellung genommen wird.
290 de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 86; siehe ferner die Zusammenfassung am Ende eines jeden Abschnitts ders., Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 37 ff., 85 ff., 116 ff. Die von de Lousanoff angenommene Ausnahme, bei Erlass eines Teilurteils über einen Hauptanspruch im Fall der eventuellen Klagehäufung bedürfe es des Gebots der Unabhängigkeit, soll, da diese Annahme mit der herrschenden Meinung abzulehnen ist, an dieser Stelle außer Betracht bleiben. Siehe zu Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 574. 291 Siehe oben S. 69 ff. 292 Siehe oben S. 69 ff.
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aa) Ansicht Schumanns Schumann zufolge ist das Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils notwendiger Bestandteil einer materiellrechtsfreundlichen Auslegung der Prozessgesetze zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen und zur Bewahrung der Einheit der Rechtsordnung.293 Grundlage der Ansicht Schumanns ist damit das auf Karl Engisch zurückgehende Prinzip der Einheit der Rechtsordnung. Dieses soll nachfolgend zusammenfassend erläutert werden.294
(1) Einheit der Rechtsordnung Nach dem von Engisch entwickelten Prinzip der Einheit der Rechtsordnung gilt es, Widersprüche innerhalb der Rechtsordnung zu vermeiden.295 Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass verschiedene zu einer Rechtsordnung gehörende Teilrechtsordnungen mit dem „Ziel der Harmonisierung der Gesamtrechtsordnung“ inhaltlich miteinander verknüpft werden.296
(2) Begriff der Rechtsordnung, Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Einheit Die Rechtsordnung besteht Engisch zufolge aus Sollenssätzen, d. h. „aus Sätzen, die – wenigstens ihrem letzten Gehalte nach – bestimmen, wie sich der Rechtsgenosse allgemein oder hier und jetzt verhalten soll.“297 Neben Gesetzen und Verordnungen sind auch „Verfügungen und Entscheidungen der Verwaltungsbehörden und Gerichte“ von der Rechtsordnung erfasst.298 Mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung differenziert Engisch zwischen der äußeren Verbindung299 und deren inneren, materiellen Einheit.300 Die äußere Einheit ist hierbei grundlegende Voraussetzung für eine Einheit überhaupt, da sich die Frage nach der Einheit der Rechtsordnung nur stellen kann, wenn zueinander in Widerspruch tretende Normen zu einer Rechtsordnung gehören, „also tatsächlich eine Normenkollision innerhalb einer einheitlichen Rechtsord293 Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 577, 588 f. 294 Der Topos der „Einheit der Rechtsordnung“ geht auf die Veröffentlichung der erweiter-
ten Fassung der Heidelberger Antrittsvorlesung von Karl Engisch im Jahr 1935 zurück. Vgl. Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 1 ff. Siehe umfassend zur Einheit der Rechtsordnung z. B. Baldus, Einheit der Rechtsordnung, 1995; Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998 und K. Schmidt, Einheit der Rechtsordnung, 1994. 295 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 68. 296 Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 142. 297 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 4 ff. 298 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 7, siehe auch S. 9. 299 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 7 ff. Den Zusammenhalt der Rechtsordnungen als äußere Einheit sieht Engisch in dem „Wille[n] der durch die Rechtsordnung selbst konstituierten Gemeinschaft, der dieser Rechtsordnung Dauer und Einheit verleiht.“, Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 25. 300 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 24 ff.
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nung in Frage steht.“301 Hierbei wird die äußere Einheit oftmals als gegeben vorausgesetzt.302 Auch Schumann setzt die äußere Verbindung von materiellem Recht und Prozessrecht zu einer einheitlichen Rechtsordnung voraus, wenn er aus einzelnen Direktiven des materiellen Rechts Rückschlüsse für die Auslegung des Prozessrechts zum Zwecke der Einheit der Rechtsordnung ableitet und die Entscheidungsreife im Sinne des § 301 ZPO auf Basis einer materiellrechtsfreundlichen Auslegung „nicht isoliert auf den einzelnen prozessualen Antrag“, sondern „auf das hinzugehörende materielle Rechtsverhältnis“ bezieht.303 Da Schumann die äußere Einheit von materiellem und prozessualem Recht voraussetzt, wird für das Verständnis der Auffassung Schumanns nachfolgend nur die innere, materielle Einheit der Rechtsordnung näher beleuchtet.
(3) Innere Einheit der Rechtsordnung: Bestehen von inhaltlichen Zusammenhängen Engisch zufolge bestehen sowohl innerhalb der einzelnen Teilrechtsordnungen als auch innerhalb der gesamten Rechtsordnung inhaltliche Beziehungen.304 Diese „inhaltslogischen Zusammenhänge“305 zeigen sich sowohl äußerlich – z. B. durch Bedingungsverhältnisse306 – als auch materiell durch normative und teleologische Beziehungen.307 So werde beispielsweise das Einkommenssteuerrecht normativ durch die Grundsätze der Gleichheit und Gerechtigkeit bestimmt, wenn der Mehrverdienende mehr Steuern zahlen müsse als der Kinderreiche und gleich hohes Einkommen in gleicher Weise besteuert werde.308 Mit 301
Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 147. Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 147. Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 589. 304 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 29. So trete z. B. die Figur des „gesetzlichen Vertreters“ sowohl im Strafrecht, im Privatrecht als auch im Prozessrecht zu Tage, ders., Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 32. Für weitere Beispiele siehe ders., Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 29 ff. 305 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 32. 306 Als Beispiel nennt Engisch das Vorliegen einer strafbaren Haupttat als Voraussetzung für die Strafbarkeit einer Teilnahme, Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 33. 307 Normativer Art seien Verknüpfungen, wenn „die Rangordnung der Wertungen und Rechtsgüter und die Prinzipien der Gerechtigkeit und der Gleichbehandlung des Gleichen bestimmend [seien].“, Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 33. Ein teleologischer Zusammenhang liege hingegen vor, wenn „durch wechselseitige Ergänzung der Rechtsnormen Erfolge vereint mit anderen Erfolgen oder auch als Mittelzwecke für andere Erfolge angestrebt, wenn erwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden getrachtet oder wenn Organe und Institute zur Herbeiführung oder Ermöglichung vom Gesetzgeber begehrter Erfolge vorgesehen werden.“, Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 33. 308 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 33. Siehe zur Widerspruchsfreiheit im Steuerrecht auch Kirchhof, StuW 2000, S. 316 ff. Als Beispiel für einen teleologischen Zusammenhang nennt Engisch die Ergänzung der strafrechtlichen Normen zueinander, wie z. B. die Ergänzung des § 242 StGB durch die Regelung zur Unterschlagung gem. § 246 StGB. 302 303
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Blick auf das Verhältnis von materiellem Recht und Prozessrecht stehen diese Engisch zufolge aufgrund der Erforderlichkeit des Prozessrechts zur Durchsetzung der subjektiven Rechte in einer „Zweckverbindung“ zueinander.309
(4) Vermeidung von Widersprüchen auf Grundlage der Einheit der Rechtsordnung Trotz der bereits in vielen Bereichen bestehenden inneren Einheit der Rechtsordnung, fehle es – so Engisch – noch an einer vollständigen Umsetzung.310 Dies zeige sich anhand weiterhin auftretender Widersprüche, die Engisch als „Störungen der Einheit“ bezeichnet.311 Diese Widersprüche gelte es unter Zugrundelegung des Prinzips der Einheit der Rechtsordnung zu vermeiden.312 Die Einheit der Rechtsordnung könne hierbei als „Axiom“313 oder „Postulat juristischer Arbeit“314 fungieren: Als Axiom wirke „[das] Prinzip dort, wo die Einheit bewußt oder versteckt als vorhanden unterstellt und den juristischen Erwägungen zugrunde gelegt [werde].“315 Als Postulat komme die Einheit der Rechtsordnung hingegen zum Tragen, „wo die Einheit zunächst vermißt und erst in der juristischen Arbeit hergestellt [werde].“316 Als Axiom und als Postulat diene die Einheit der Rechtsordnung hingegen in der Analogie sowie den Instrumenten der argumenta a maiori, a minori und e contrario.317 Darüber hinaus könnten Widersprüche innerhalb der Rechtsordnung durch eine „‚Auslegung aus dem Zusammenhang‘“318 vermieden werden.319 Hierbei seien neben der systematischen Stellung der Vorschrift insbesondere solche 309 310
Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 34 f. Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 41 f. 311 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 42. Im Rahmen der Widersprüche sei zwischen scheinbaren und echten Widersprüchen zu unterscheiden. Könne der Widerspruch bereits durch die Auslegung der Norm aufgelöst werden, so handele es sich nur um einen scheinbaren Widerspruch; andernfalls jedoch um einen echten, Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 43. Innerhalb der echten Widersprüche differenziert Engisch wiederum zwischen technischen Widersprüchen, Konkurrenzwidersprüchen, normativen und teleologischen Widersprüchen (Wertungswidersprüchen) und Prinzipienwidersprüchen, Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 43 ff. 312 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 68 f. 313 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 69. 314 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 69. 315 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 69. 316 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 69. 317 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 70. Siehe hierzu auch Baldus, Einheit der Rechtsordnung, 1995, S. 189 f. 318 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 70. 319 Engisch verfolgt hierbei den Ansatz einer „subjektiv-teleologischen Auslegungsmethode, d. h. […] einer Auslegungsmethode, die hinter den Worten der Gesetze den Willen des Gesetzgebers sucht, und bei Anwendung des Gesetzes auf den einzelnen Fall, auch wo dieser nicht unmittelbar vom Gesetzgeber vorgestellt war, dessen Zwecke und Absichten zur Geltung bringt.“, Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 70.
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Normen zu berücksichtigen, die in inhaltlichem Zusammenhang stünden; darüber hinaus seien normative und prinzipielle Beziehungen einzubeziehen.320
(5) Schlussfolgerung für die Ansicht Schumanns Mit Blick auf die vorangegangenen Ausführungen und die von Engisch postulierten Verfahrensweisen zur Vermeidung von Widersprüchen handelt es sich bei der von Schumann am materiellen Recht orientierten Auslegung der Entscheidungsreife dogmatisch um die von Engisch geforderte „‚Auslegung aus dem Zusammenhang‘“.321 Indem Schumann bei der Auslegung der Entscheidungsreife im Sinne des § 301 ZPO die materiellrechtliche Direktive zugrunde legt, dass materiellrechtlich Einheitliches prozessual nicht getrennt werden dürfe,322 und die Entscheidungsreife auf das dem prozessualen Anspruch zugrundeliegende materielle Rechtsverhältnis erstreckt, modifiziert er das grundsätzlich in § 300 ZPO enthaltene Verständnis der Entscheidungsreife zugunsten einer Einheit der Rechtsordnung bei Erlass eines Teilurteils.
bb) Ansicht Jauernigs Auch Jauernigs Auffassung liegt im Ergebnis der Topos der Einheit der Rechtsordnung zugrunde, wobei Jauernig auf eine Einheit zwischen den Sollenssätzen des § 300 ZPO und des § 301 ZPO und damit auf eine Einheit innerhalb der Zivilprozessordnung als Teilrechtsordnung abstellt. Zunächst sind Jauernig zufolge Teil- und Schlussurteil materiell als Einheit zu betrachten.323 Den Grund hierfür sieht Jauernig – im Gegensatz zu Schumann – jedoch nicht in dem zum Anspruch gehörenden materiellen Rechtsverhältnis begründet, sondern in der prozessualen Möglichkeit, gem. § 301 Abs. 2 ZPO anstatt zwei Urteilen ein gemeinsames Voll-Endurteil zu erlassen.324 Aus diesem Grund stützt Jauernig die Verbindung von Teil- und Schlussurteil auch nicht auf eine materiell-rechtliche Betrachtung, sondern prozessual auf „das Verschmelzen von Teil- und Schlußurteil zu einem Urteil.“325 Indem Jauernig durch eine einheitliche Betrachtung von Teil- und Schlussurteil bei Teilurteilserlass letztlich solche Widersprüche zwischen Teil- und Schlussurteil verhindern will, die auch bei Erlass eines gemeinsamen Voll-Endurteils ausgeschlossen würden, bedient sich Jauernig – wie bereits Schumann – des Prinzips der Einheit der Rechtsordnung. Im Gegensatz zu Schumann stellt Jauernig jedoch nicht auf eine Einheit zwischen zwei Teilrechtsordnungen ab, 320 321
Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 71 f. Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 70. 322 Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 588 f. 323 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 314. 324 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 314. 325 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 315.
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sondern zielt auf die (Wieder-)Herstellung der Widerspruchsfreiheit zwischen dem Erlass eines Voll-Endurteils gem. § 300 ZPO und dem Erlass eines Teilurteils gem. § 301 ZPO ab und bezweckt damit eine Harmonisierung von in Zusammenhang stehenden Sollenssätzen innerhalb der Zivilprozessordnung.
cc) Stellungnahme Sowohl Schumann als auch Jauernig plädieren für eine einheitliche Betrachtung von Teil- und Schlussurteil bei Erlass eines Teilurteils. Während sich Schumann zufolge die Entscheidungsreife im Sinne des § 301 ZPO auf das dem zu bescheidenden Teil zugrundeliegende materielle Rechtsverhältnis erstreckt,326 tritt Jauernig zufolge „Teil-Entscheidungsreife“327 nur ein, wenn jede noch so entfernte Möglichkeit eines Widerspruchs zwischen Teil- und Schlussurteil ausgeschlossen ist.328 Aus beiden Ansichten folgt damit eine Modifizierung des Begriffs der Entscheidungsreife im Rahmen des § 301 ZPO. So müssen nach Schumann und Jauernig in Abweichung von dem Grundsatz, dass der Rechtsstreit zur Entscheidung reif ist, wenn der zu entscheidende Tatsachenstoff unter Maßgabe des § 139 ZPO hinreichend geklärt und erörtert ist und die Beweise erschöpft sind,329 das Schlussurteil und mögliche Widersprüche mit diesem bei Erlass eines Teilurteils vorausschauend in den Blick genommen werden.330 Dies impliziert auch die Berücksichtigung der Möglichkeit, dass Unstreitiges streitig wird und die Parteien während des Verfahrens neue Tatsachen vorbringen, sowie das Risiko einer abweichenden Rechtsauffassung durch das Gericht. Im Ergebnis sind damit beide Ansätze geeignet, durch Modifizierung der für ein Teilurteil erforderlichen Entscheidungsreife die für ein zulässiges Teilurteil erforderliche Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil sicherzustellen und die Einheit der Verhandlung und damit des Verfahrens zu gewährleisten. Vergleicht man die beiden Auffassungen, so ist jedoch der Ansicht Jauernigs der Vorzug zu geben. Hintergrund ist, dass – wie Jauernig richtig ausführt – eine Spaltung des Verfahrens erst durch Erlass des Teilurteils und nicht bereits durch Stellung der Anträge eintritt,331 und es daher einer einheitlichen Betrachtung auf prozessualer – nicht hingegen auf materieller – Ebene durch Einbezie326 Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 589, siehe zur Ansicht Schumanns oben C. II. 4., S. 85 f. 327 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 315. 328 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 315. Siehe zur Ansicht Jauernigs oben C. II. 7., S. 88 f. 329 Siehe zur Entscheidungsreife oben 2. Kapitel. B., S. 26 ff. 330 So führt auch Jauernig aus: „§ 300 ZPO stellt darauf ab, daß der abgelaufene Prozeß ein Stadium erreicht hat, in dem ein Schlußpunkt – das Endurteil – gesetzt werden kann. Der Urteiler nimmt Vergangenheit und Gegenwart in den Blick, künftige Entwicklungen dieses Rechtsstreits stehen nicht zur Debatte. Ganz anders liegt es bei der Teil-Entscheidungsreife nach § 301 ZPO.“, Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 314. 331 Dass die Spaltung erst durch Erlass des Teilurteils erfolgt, entspricht im Übrigen auch
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hung des Schlussurteils bedarf.332 Denn wollte man von einer Spaltung durch Stellung der Anträge ausgehen, könnte man Schumann auch entgegenhalten, die Partei habe durch Stellung mehrerer Anträge bewusst eine Spaltung herbeigeführt und sozusagen in die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen „eingewilligt“. Darüber hinaus werden durch die von Jauernig verfolgte prozessual einheitliche Betrachtung von Teil- und Schlussurteil zum Zweck der Vermeidung solcher Widersprüche, die auch bei Erlass eines Voll-Endurteils gem. § 300 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen wären, die Vorschriften des § 300 ZPO und des § 301 ZPO als Sollenssätze der Zivilprozessordnung in Einklang gebracht.333 Obgleich die Ansicht Jauernigs damit im Grundsatz einen überzeugenden Ansatz bietet, so ist auch dieser im Ergebnis abzulehnen. Denn auch wenn mit Blick auf die Teil- und Schlussurteil einheitlich zugrunde liegende Verhandlung eine Einbeziehung möglicher Änderungen der Tatsachengrundlage bei Schluss der einem Teilurteil vorausgehenden Verhandlung nachvollziehbar ist, so kann die Änderung der Rechtsauffassung durch das Gericht bei unverändertem Streitstoff mittels der Entscheidungsreife nicht überzeugend begründet werden. Denn die Entscheidungsreife betrifft nur die für eine Entscheidung erforderliche Sachverhaltsaufklärung, nicht hingegen auch die auf dieser Grundlage erfolgende rechtliche Würdigung.334 Vor diesem Hintergrund greift eine Modifizierung der Entscheidungsreife bei Erlass eines Teilurteils, die auch eine Änderung der Rechtsauffassung erfassen soll, zu weit.
c) Gebot der Unabhängigkeit zur Vorbeugung einer „‚Kadi-Justiz‘“:335 die Ansicht von Schneider und Peters Schneider zufolge handelt es sich bei dem Gebot der Unabhängigkeit dogmatisch um eine „besondere, im Gesetz nicht erwähnte Zulässigkeitsvoraussetzung“,336 die neben der Teilbarkeit und Entscheidungsreife bei Erlass eines Teilurteils gem. § 301 Abs. 1 ZPO vorliegen muss. Die Berechtigung sieht Schneider in der Vermeidung einer „‚Kadi-Justiz‘“,337 d. h. in der Vorbeugung aus Sicht der Parteien willkürlicher Entscheidungen durch die Gerichte. Der von Peters vertretene Ansatz ist mangels einer Festlegung hingegen keiner eindeutigen dogmatischen Einordnung zugänglich. So scheint Peters der der Ansicht des BGH, vgl. BGH, NJW 2007, S. 156, 157. Siehe zu dieser Entscheidung unten 4. Kapitel. A. II. 2. b), S. 133 f. 332 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 315. Siehe zur Ansicht Jauernigs auch oben C. II. 7., S. 88 f. 333 Siehe oben S. 98 f. 334 Siehe oben S. 71, insb. Fn. 137. 335 Schneider, MDR 1976, S. 93; Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 71. 336 Schneider, MDR 1976, S. 93. 337 Schneider, MDR 1976, S. 93.
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Unabhängigkeit eine Zwitterstellung zuzusprechen, wenn er diese einerseits als in § 301 ZPO verankert sieht, andererseits die Unabhängigkeit aber nicht vollständig aus § 301 ZPO herleiten will.338 Allerdings spricht Peters dem Gebot der Unabhängigkeit – ähnlich wie Schneider – insbesondere eine Schutzfunktion vor einer „‚Kadijustiz‘“339 und insoweit eine von der Entscheidungsreife losgelöste Bedeutung zu.340 Verfolgt man den von Schneider und Peters vertretenen Ansatz weiter, wonach das Gebot der Unabhängigkeit der Vorbeugung einer „Kadijustiz“ dient, kann das Gebot der Unabhängigkeit als ein Korrektiv betrachtet werden, das durch die Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen der Herbeiführung von in der Praxis gewollten Ergebnissen dient. Eine Einordnung dieses Korrektivs als ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung vorausgesetzt, entspricht die Auffassung im Ergebnis zwar dem im Rahmen dieser Untersuchung gewonnenen Resultat. Allerdings handelt es sich bei der Auffassung Schneiders und Peters um einen maßgeblich vom gewünschten Ausgang des Verfahrens hergeleiteten Ansatz. Eine überzeugende Begründung für die Vermeidung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei Erlass eines Teilurteils über die Rechtskraftgrenzen hinaus bleiben die beiden Vertreter hingegen schuldig.
d) Gebot der Unabhängigkeit zur Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen infolge eines zukünftigen Ereignisses: die Ansicht von Prütting und Weth Prütting und Weth zufolge handelt es sich bei der Unabhängigkeit dogmatisch um eine dritte, für den Erlass eines Teilurteils erforderlich Zulässigkeitsvoraussetzung.341 Im Gegensatz zu Schneider und Peters stützen Prütting und Weth die Rechtfertigung für das Gebot der Unabhängigkeit jedoch nicht auf die Vermeidung einer aus Sicht der Parteien willkürlichen Rechtsprechung. Ihnen zufolge bedarf es der Unabhängigkeit als Zulässigkeitsvoraussetzung für den Erlass eines Teilurteils immer dann, wenn die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen trotz vorzeitiger Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils infolge eines zukünftigen Ereignisses besteht.342 Allerdings lag in keiner der 338
Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 71 f. ZZP 111 (1998), S. 67, 71. Peters das Gebot der Unabhängigkeit als Bestandteil der Entscheidungsreife betrachtet, kann auf die Ausführungen zu den Rechtsfolgen bei Zugrundelegung der Ansicht von de Lousanoff und Musielak verwiesen werden, siehe oben S. 94. 341 So schreibt Prütting, dass bei Vorliegen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen infolge eines zukünftigen Ereignisses „eine zusätzliche, im Gesetz nicht genannte Zulässigkeitsvoraussetzung der ‚Unabhängigkeit des Teilurteils vom Schlußurteil‘ nicht zu entbehren [ist].“, Prütting, ZZP 94 (1981), S. 103, 106. Zu demselben Ergebnis kommen auch Prütting und Weth gemeinsam, siehe Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 145. 342 Siehe in diesem Kapitel oben C. II. 3., S. 83 f. 339 Peters, 340 Soweit
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von Prütting und Weth herangezogenen Urteile trotz teilweiser Entscheidungsreife die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen aufgrund des Eintritts eines zukünftigen Ereignisses vor. Als Beispiele für die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei Erlass eines Teilurteils trotz teilweiser Entscheidungsreife nennen Prütting und Weth343 den Erlass eines Teilurteils über eine unselbständige Anschlussberufung, ein Teilurteil über einen Hilfsanspruch bei eventueller Klagehäufung,344 die oben dargestellte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone345 sowie den Fall eines Teilurteils über eine unstreitige Werklohnforderung, gegen die mit mehreren zusammenhängenden Gegenansprüchen im Eventualverhältnis aufgerechnet wird.346 Im Ergebnis kann jedoch keines der als Nachweis angeführten Urteile überzeugen, da es in allen Fällen bereits an der für ein Teilurteil erforderlichen Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils fehlte.347 So werden sowohl ein Teilurteil über eine unselbständige Anschlussberufung348 als auch über einen Hilfsanspruch im Rahmen der eventuellen Klagehäufung nach der herrschenden Meinung aufgrund der innerprozessualen Abhängigkeit – zu Recht – mangels Entscheidungsreife, und nicht aufgrund eines Verstoßes gegen das Gebot der Unabhängigkeit, für unzulässig erachtet.349 Und auch im Fall der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone 343 Zwar nennen Prütting und Weth ausdrücklich nur das Beispiel einer unselbständigen Anschlussberufung, Prütting/Weth, ZZP 98 (1985), S. 131, 146. Über den Verweis in Fn. 67 auf Prütting, ZZP 94 (1981), S. 103, 106 nehmen sie die anderen Beispiele jedoch ebenfalls in Bezug. 344 Der in Prütting, ZZP 94 (1981), S. 103, 106 genommene Bezug auf de Lousanoff – dieser erachte für den Fall des Teilurteils über einen Hilfsanspruch das Kriterium der Unabhängigkeit ebenfalls für notwendig – geht fehl, da de Lousanoff das Gebot der Unabhängigkeit nur im Fall eines Teilurteils über den Hauptanspruch, und nicht bei einem Teilurteil über den Hilfsanspruch, für erforderlich hält, vgl. hierzu de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 131 ff. 345 Siehe zu dieser Entscheidung in diesem Kapitel oben A. I. 8., S. 53 f. 346 Prütting, ZZP 94 (1981), S. 103, 106 mit Verweis auf OLG Düsseldorf, NJW 1972, S. 1474 ff. 347 Insbesondere stützen sich die in Bezug genommenen Entscheidungen zur Unzulässigkeit eines Teilurteils über eine unselbständige Anschlussberufung auf die mangelnde Entscheidungsreife. Vgl. BGHZ 20, S. 311 = NJW 1956, S. 1030 ff.; RGZ 159, 293, 294 und BAG, Urt. v. 20.02.1975, Az. 2 AZR 168/74 –, juris. 348 Insoweit kann insbesondere der Argumentation Musielaks gefolgt werden, siehe oben C. II. 5., S. 86 f. 349 Siehe zur Unzulässigkeit eines Teilurteils über eine unselbständige Anschlussberufung z. B. RGZ 159, 293, 294 f.; BGHZ 20, 311 ff. = NJW 1956, S. 1030 ff.; BAG, Urt. v. 20.02.1975, Az. 2 AZR 168/74 –, juris und zur Unzulässigkeit eines Teilurteils über den Hilfsanspruch im Rahmen der eventuellen Klagehäufung z. B. BGH, NJW-RR 1989, S. 650; Stein/ Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 33; Stein/Jonas/ders., 23. Aufl. 2018, § 300, Rn. 9; Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 18; Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 301, Rn. 39. Weitere Nachweise und Ausführungen zur Unzulässigkeit eines Teilurteils über den Hilfsanspruch siehe unten 4. Kapitel. A. I. 2., S. 113 ff.
C. Gebot der Unabhängigkeit in der Literatur
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fehlte es – wie oben aufgezeigt – am Eintritt vorzeitiger Teilentscheidungsreife.350 Gleiches gilt für das letztgenannte Beispiel eines Teilurteils über eine unstreitige Werklohnforderung, gegen die mit mehreren, in Zusammenhang stehenden Gegenansprüchen im Eventualverhältnis aufgerechnet wird; auch hier wurde das Teilurteil mangels Entscheidungsreife aufgehoben.351 Die von Prütting und Weth herangezogenen Nachweise für die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen infolge eines zukünftigen Ereignisses können im Ergebnis damit nicht überzeugen. Da Prütting und Weth ihre Argumentation für das Erfordernis der Unabhängigkeit als ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung jedoch maßgeblich auf die genannten Beispiele stützen, entfällt auch die Grundlage für ihre Auffassung.
e) Unabhängigkeit als ein im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigendes Kriterium: die Ansicht Jurgeleits Nach dem von Jurgeleit verfolgten Ansatz ist die Rechtsprechung zum Gebot der Unabhängigkeit zu überdenken und dem richterlichen Ermessen gem. § 301 Abs. 2 ZPO müssten „sinnvolle Gestaltungsmöglichkeiten“ eingeräumt werden.352 Die Forderung Jurgeleits nach diesen Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen des richterlichen Ermessens legt nahe, dass Jurgeleit, auch wenn dies aus seinen Ausführungen nicht ausdrücklich hervorgeht, materiell-rechtliche Zusammenhänge im Rahmen des richterlichen Ermessens gem. § 301 Abs. 2 ZPO berücksichtigen und nicht gänzlich vom Gebot der Unabhängigkeit Abstand nehmen will. Den Grund für seine Forderung sieht Jurgeleit maßgeblich in der fehlenden Stütze der Unabhängigkeit in Wortlaut, Telos und Entstehungsgeschichte des § 301 ZPO. So habe der „Topos, sich widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, […] nur als Behauptung in einem Nebensatz Eingang in die Rechtsprechung des BGH gefunden.“353 Allerdings muss Jurgeleit mit Blick auf die hier erfolgte Untersuchung widersprochen werden. Denn wie im Rahmen dieser Untersuchung gezeigt werden konnte, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass das Gericht durch das Teilurteil eine getrennte Entscheidung bei ungetrennter Verhandlung erlassen soll und das Gebot der Unabhängigkeit erforder350
Siehe zur Entscheidung in diesem Kapitel oben A. I. 8., S. 53 f. So heißt es in der Entscheidung des OLG Düsseldorf, NJW 1972, S. 1474: „Im Teilurteil kann auch ein Teil einer Klageforderung abgewiesen werden, sofern nur die Voraussetzung der selbständigen Entscheidungsreife i. S. dieser Vorschrift [des § 301 ZPO] im konkreten Fall gegeben ist. Daran mangelt es hier.“ Das Gericht befand, dass über die der Klageforderung entgegengestellte zusammenhängende Gesamtverteidigung nur insgesamt, d. h. bei vollständiger Entscheidungsreife hätte entschieden werden dürfen, OLG Düsseldorf, NJW 1972, S. 1474 ff. 352 Jurgeleit, BauR 2016, S. 375, 384. 353 Jurgeleit, BauR 2016, S. 371, 384. 351
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
lich ist, um diese ungetrennte Verhandlung zu wahren.354 Im Ergebnis verhindert das Unabhängigkeitsgebot damit eine Vermischung von Prozesstrennung und Teilurteil als zwei unterschiedliche Instrumente zur Abschichtung des Prozessstoffs.355 Darüber hinaus wurde aufgezeigt, dass es mit Blick auf die eingeschränkte Möglichkeit zur Überprüfung des richterlichen Ermessens in der Rechtsmittelinstanz und die Gefahr einer Abweichung vom gesetzgeberischen Willen ohne Korrekturmöglichkeit nicht vertretbar wäre, die Frage der Unabhängigkeit in das richterliche Ermessen zu stellen. Die Ansicht Jurgeleits ist daher abzulehnen.
f) Wegfall des Unabhängigkeitsgebots und Vermeidung von Widersprüchen durch Erlass eines Grundurteils und Erhebung einer Zwischenfeststellungs(wider)klage: die Ansicht von Jaspersen Jaspersen zufolge sollte das Unabhängigkeitsgebot bei Erlass eines Teilurteils entfallen und Widersprüche bzgl. Urteilselementen und Vorfragen sollten über einen vermehrten Erlass von Grundurteilen und die Erhebung von Zwischenfeststellungs(wider)klagen vermieden werden. Auch Jaspersen stützt seine Ansicht maßgeblich auf die fehlende dogmatische Herleitung und den nur „weichen Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsprechung“.356 Auch wenn die Forderungen Jaspersens, die Vorschrift des § 256 Abs. 2 ZPO um ein Hinwirkungsrecht des Gerichts zu ergänzen und das Erfordernis des streitigen Grundes in § 304 Abs. 1 ZPO zu streichen, grundsätzlich zu begrüßen sind,357 kann seiner Forderung, das Widerspruchsverbot entfallen zu lassen, im Ergebnis nicht gefolgt werden. Denn wie im Rahmen dieser Untersuchung gezeigt, ist das Gebot der Unabhängigkeit Ausdruck der durch den Gesetzgeber in den Materialien niedergelegten ungetrennten Verhandlung bei Erlass eines Teilurteils und der damit einhergehenden einheitlichen Würdigung des Prozessstoffs. Insoweit kann auf die Ausführungen zur Ansicht Jurgeleits verwiesen werden.358 Mit Blick auf die Verankerung der Unabhängigkeit in der Gesetzesbegründung kann die Ansicht von Jaspersen im Ergebnis daher nicht überzeugen.
11. Fazit Mit Blick auf das anhand der Motive des Gesetzgebers gewonnene Ergebnis, dass die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil für den Erlass eines zu354 355
Siehe oben S. 62 ff., insb. S. 68. Siehe oben S. 68. 356 Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 178. 357 Siehe zum Erlass eines Teilurteils bei einem nur der Höhe nach streitigen Anspruch unten S. 151 ff. 358 Siehe die vorangehenden Ausführungen, S. 103 f.
D. Kapitelzusammenfassung
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lässigen Teilurteils erforderlich und die Entscheidungsreife nicht geeignet ist, diese Unabhängigkeit zu gewährleisten, sind nur die von Schneider und Peters sowie von Prütting und Weth vertretenen Ansätze grundsätzlich geeignet, die Intention des Gesetzgebers umzusetzen. Allerdings mangelt es allen Vertretern an einer überzeugenden dogmatischen Begründung. Damit verbleibt es bei dem im Rahmen dieser Untersuchung gewonnenen Ergebnis, dass das Gebot der Unabhängigkeit Ausdruck der Teil- und Schlussurteil ungetrennt zugrundeliegenden Verhandlung und als dritte Zulässigkeitsvoraussetzung erforderlich ist, um diese Einheit zu erhalten. Auf diese Weise verhindert das Gebot der Unabhängigkeit, dass das Gericht mit Teilurteilserlass das Verfahren trennt, den Tatsachenstoff so würdigt, wie es nur in getrennten Prozessen möglich ist, und ein revisibles Urteil ergeht.
D. Kapitelzusammenfassung Eine Analyse der ersten zur Zulässigkeit eines Teilurteils ergangenen höchstrichterlichen Urteile hat ergeben, dass den untersuchten Entscheidungen – mit wenigen Ausnahmen – die Konstellation eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch zugrunde lag oder besondere Prozesskonstellationen mit rechtlichem Abhängigkeitsverhältnis den Gegenstand der Verfahren bildeten. Hierbei wurde nachgewiesen, dass die heute geltenden Anforderungen zum Erlass eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch – insbesondere das Erfordernis der hinreichenden Individualisierung, Bestimmbarkeit und Abgrenzbarkeit sowie der gleichzeitige Erlass eines Grundurteils bei Streit über Grund und Höhe des Anspruchs gem. § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO – auf die ersten höchstrichterlichen Entscheidungen zurückzuführen sind. Insoweit geht auch das in § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO verankerte Gebot der Unabhängigkeit auf die ersten zu § 301 ZPO ergangenen Urteile zurück.359 Für die übrigen Konstellationen des § 301 ZPO konnte ein solcher Nachweis – insbesondere mit Blick auf das Gebot der Unabhängigkeit – nicht geführt werden. So geht die Unabhängigkeit als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung weder auf die ersten höchstrichterlichen Urteile zurück noch wurde sie durch eine Entscheidung des Gesetzgebers Bestandteil des § 301 ZPO.360 Allerdings hat die Urteilsanalyse ein Bestreben der Gerichte aufgezeigt, sich widersprechende Entscheidungen über in Zusammenhang stehende Ansprüche oder Anspruchsteile zu verhindern. So haben die Gerichte – auch wenn dies für ihre jeweilige Entscheidung nicht erforderlich war – an verschiedenen Stellen zum Ausdruck gebracht, die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen 359 360
Siehe oben S. 42 ff., S. 59 ff. Siehe oben S. 59 ff.
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
zwischen Teil- und Schlussurteil ausschließen zu wollen.361 Diese Formulierungen haben die Gerichte in späteren Entscheidungen als Nachweis für die (Un-) Zulässigkeit eines Teilurteils herangezogen und so schließlich die Unabhängigkeit als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung etabliert. Die hieran anschließende Untersuchung der Motive des Gesetzgebers hat gezeigt, dass die Entwicklung des Gebots der Unabhängigkeit durch die Rechtsprechung im Ergebnis der Intention des Gesetzgebers bei Einführung der Vorschrift zum Erlass eines Teilurteils entspricht und das Erfordernis der Unabhängigkeit daher gerechtfertigt ist. So wollte der Gesetzgeber nach Einführung des Mündlichkeitsprinzips in die CPO dem Gericht mit dem Teilurteil ein Hilfsmittel zur Abschichtung des in der mündlichen Verhandlung aufkommenden Prozessstoffs an die Hand geben. Die Gerichte sollten hierbei befugt sein, durch Erlass eines Teilurteils eine getrennte Entscheidung bei ungetrennter Verhandlung eintreten zu lassen. Im Unterschied hierzu sollten die Gerichte durch die Möglichkeit zur Anordnung einer Prozesstrennung gem. § 136 CPO (heute § 145 ZPO) eine Trennung von Verhandlung und Entscheidung herbeiführen und so den zu verhandelnden Prozessstoff auf das Wesentliche beschränken. Vor diesem Hintergrund konnten die Prozesstrennung und der Erlass eines Teilurteils als zwei verschiedene Instrumente zur Abschichtung des Prozessstoffs mit unterschiedlicher Zweckrichtung und Reichweite herausgearbeitet werden: das Teilurteil zur Erledigung eines auf Grundlage einer ungetrennten mündlichen Verhandlung vorzeitig zur Entscheidung reifen Teils und die Prozesstrennung zur Trennung von Verhandlung und Entscheidung zum Zwecke der Übersicht und Ordnung der Verhandlung und Beschränkung des Prozessstoffs auf das notwendige Maß.362 Um eine Vermischung der beiden Institute zu verhindern und eine Würdigung des Prozessstoffs, wie sie nur in getrennten Verfahren erfolgen soll, im Rahmen des Teilurteils auszuschließen, wurde die Unabhängigkeit von Teilund Schlussurteil für erforderlich und das Gebot der Unabhängigkeit als geeignetes Mittel befunden, um diese Unabhängigkeit zu gewährleisten.363 Hierbei wurde auch gezeigt, dass die Unabhängigkeit als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung erforderlich ist, da weder die Entscheidungsreife eines abgrenz361 Siehe oben S. 59 ff. So haben die Gerichte beispielsweise ausgeführt, dass ein Teilurteil „im Interesse der Verhinderung einander widersprechender Entscheidungen und der daraus zu besorgenden Unklarheit und Verwirrung“ (OGH BritZ 3, 20, 24), oder „wegen eines untrennbaren Zusammenhangs zwischen den beiden Klageanträgen, vor allem mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz“ nicht ergehen dürfe (BGHZ 16, 71, 73) bzw. dass ein Teilurteil nur zulässig sei, „wenn die Entscheidung über den Teil unabhängig davon ist, wie der Streit über den Rest ausgeht, die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen also ausgeschlossen ist.“ (BGHZ 20, 311, 312 = NJW 1956, S. 1030, 1031). 362 Siehe oben S. 62 ff. 363 Siehe oben S. 72 ff.
D. Kapitelzusammenfassung
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baren Teils diese Funktion erfüllen kann, noch eine Berücksichtigung der Unabhängigkeit im Rahmen des Ermessens gem. § 301 Abs. 2 ZPO ausreichend ist.364 Daran anschließend wurde das Gebot der Unabhängigkeit in der Literatur untersucht.365 Eine Analyse der historischen Kommentarliteratur hat ergeben, dass die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil – im Gegensatz zur gegenwärtigen Kommentarliteratur – keine Erwähnung als dritte Zulässigkeitsvoraussetzung findet. Soweit es Anhaltspunkte für eine Berücksichtigung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen gibt, sind diese dem richterlichen Ermessen gem. § 273 Abs. 2 CPO zuzuordnen.366 Im übrigen Schrifttum wird die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil unterschiedlich behandelt. Während einige Vertreter die Unabhängigkeit als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung qualifizieren,367 erachten andere diese als in der Entscheidungsreife enthalten.368 Bei den letztgenannten Vertretern, die das Gebot der Unabhängigkeit der Entscheidungsreife zuordnen, kann differenziert werden, ob der Begriff der Entscheidungsreife wie in § 300 ZPO verstanden369 oder mit Blick auf die Besonderheiten des § 301 ZPO modifiziert wird.370 Nur Jurgeleit und Jaspersen vertreten einen von § 301 Abs. 1 ZPO losgelösten Ansatz, indem sie die Unabhängigkeit als Zulässigkeitsvoraussetzung insgesamt in Frage stellen. Während sich Jurgeleit hierbei im Ergebnis für eine Berücksichtigung der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen im Rahmen des Ermessens gem. § 301 Abs. 2 ZPO ausspricht,371 plädiert Jaspersen für eine Abschaffung des Widerspruchsverbots im Rahmen des § 301 ZPO und für eine Vermeidung von Widersprüchen durch den vermehrten Erlass von Grundurteilen und eine häufigere Erhebung von Zwischenfeststellungsklagen.372 Mit Blick auf das im Rahmen dieser Untersuchung gewonnene Ergebnis, dass die Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil für den Erlass eines zulässigen Teilurteils als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung erforderlich ist, konnten nur die in der Literatur vertretenen Ansätze als grundsätzlich geeignet angesehen werden, die die Unabhängigkeit ebenfalls als eigenständige Zuläs364
Siehe oben S. 73 ff. Siehe oben S. 76 ff. Siehe zur historischen Kommentarliteratur oben S. 76 ff. 367 So Schneider (siehe oben S. 81) sowie Prütting und Weth (siehe oben S. 83 f.). 368 So de Lousanoff (siehe oben S. 82 f.), Musielak (siehe oben S. 86 f.), Jauernig (siehe oben S. 88 f.) und Schumann (siehe oben S. 85 f.). Peters hingegen steht zwischen der Einordnung der Unabhängigkeit als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung und der Qualifizierung als Bestandteil der Entscheidungsreife, siehe oben S. 87 f. 369 So de Lousanoff (siehe oben S. 82 f.) und Musielak (siehe oben S. 86 f.). 370 So Jauernig (siehe oben S. 88 f.) und Schumann (siehe oben S. 85 f.). 371 Siehe oben S. 89 ff. 372 Siehe oben S. 91 f. 365 366
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3. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit – Entwicklung und Diskussionsstand
sigkeitsvoraussetzung erachten.373 Aufgrund der jeweils fehlenden dogmatisch überzeugenden Begründung wurde jedoch an dem im Rahmen dieser Untersuchung auf Basis der Gesetzesbegründung erarbeiteten Ergebnis festgehalten. Danach ist das Gebot der Unabhängigkeit Ausdruck der Teil- und Schlussurteil einheitlich zugrundeliegenden Verhandlung und als dritte Zulässigkeitsvoraussetzung notwendig, um diese Einheit zu bewahren. Auf diese Weise verhindert das Gebot der Unabhängigkeit, dass das Gericht mit Erlass eines Teilurteils die Verhandlung und so das Verfahren trennt und – mangels (einheitlicher) Würdigung des gesamten in der Verhandlung aufkommenden Prozessstoffs – ein (aus diesem Grund) revisibles Urteil erlässt.
373
Siehe oben S. 104 f.
4. Kapitel
Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen des § 301 Abs. 1 ZPO Gem. § 301 Abs. 1 ZPO kann ein Teilurteil über einen von mehreren miteinander verbundenen Ansprüchen oder eines von mehreren Prozessrechtsverhältnissen (§ 301 Abs. 1 S. 1 Var. 1 ZPO), über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs (§ 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO) oder – bei erhobener Widerklage – nur über die Klage oder Widerklage ergehen (§ 301 Abs. 1 S. 1 Var. 3 ZPO). In allen Konstellationen kann die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zwischen Teil- und Schlussurteil aufgrund des von der Rechtsprechung entwickelten Gebots der Unabhängigkeit dem Erlass eines Teilurteils entgegenstehen. Es gibt jedoch Fallgestaltungen, wie z. B. die Stufenklage, in denen Rechtsprechung und Literatur eine Ausnahme von dem Erfordernis der Unabhängigkeit zulassen.1 Im nachfolgenden Kapitel wird das Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen des § 301 Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten erörtert. Hierbei wird das Teilurteil über einen einheitlichen Anspruch – entgegen der im Wortlaut des § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO genannten Reihenfolge – am Ende dieses Kapitels behandelt, da es aufgrund des in § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO normierten Erfordernisses des gleichzeitigen Erlasses eines Grundurteils bei Streit über Grund und Höhe des Anspruchs einen Sonderfall darstellt. Es folgen daher zunächst Ausführungen zum Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils im Fall der objektiven und subjektiven Klagehäufung sowie bei Zusammentreffen von Klage und Widerklage.
A. Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen von objektiver und subjektiver Klagehäufung gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 1 ZPO Bei Erlass eines Teilurteils gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 1 ZPO ist zwischen den Konstellationen der objektiven und subjektiven Klagehäufung zu unterscheiden. Im Rahmen der objektiven Klagehäufung muss wiederum zwischen der 1
Siehe zur Stufenklage in diesem Kapitel unten S. 116 ff.
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
kumulativen und der eventuellen Klagehäufung sowie der Stufenklage differenziert werden.2
I. Objektive Klagehäufung Gem. § 260 ZPO kann der Kläger mehrere prozessuale Ansprüche gegen denselben Beklagten in einer Klage miteinander verbinden, wenn für sämtliche Ansprüche dasselbe Prozessgericht zuständig und dieselbe Prozessart zulässig ist.3 Eines rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhangs zwischen den Ansprüchen bedarf es hierfür nicht.4 Die objektive Klagehäufung dient damit der Prozessökonomie: Schriftsätze können einheitlich erstellt, die Ansprüche können gemeinsam verhandelt und entschieden werden; das Gericht muss nur einmal Beweis erheben.5 Auch die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen kann auf diese Weise vermindert werden.6 Darüber hinaus führt die gemeinsame Geltendmachung mehrerer Streitgegenstände aufgrund der degressiv gestaffelten Gerichts- und Anwaltsgebühren zu Kostenvorteilen.7 Allerdings kann das Gericht, wenn es dies für sachdienlich hält und die übrigen Voraussetzungen vorliegen, die verbundenen Ansprüche gem. § 145 Abs. 1 ZPO in verschiedene Verfahren trennen.8
1. Teilurteil im Rahmen der kumulativen Klagehäufung a) Gebot der Unabhängigkeit Werden mehrere Ansprüche im Rahmen des § 260 ZPO kumulativ, d. h. nebeneinander und ohne Ausgestaltung eines besonderen Abhängigkeits- oder Bedingungsverhältnisses zueinander erhoben,9 versagt die Rechtsprechung den Erlass eines Teilurteils aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entschei2 Ein Teilurteil über einzelne Klagegründe bei einheitlichem Klageantrag ist mangels verschiedener Streitgegenstände hingegen unzulässig, vgl. BGH, NJW 1971, S. 564. 3 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011, § 88, Rn. 2; Saenger, MDR 1994, S. 860. 4 BeckOK-ZPO/Bacher, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 260, Rn. 4. 5 MüKo-ZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, § 260, Rn. 2; Bitter, NJW 2005, S. 1235, 1238; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 260, Rn. 1; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 260, Rn. 1. 6 MüKo-ZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, § 260, Rn. 2; Musielak/Voit/Foerste, 17. Aufl. 2020, § 260, Rn. 1; Saenger, MDR 1994, S. 860; AK-ZPO/Wassermann, § 260, Rn. 1. Siehe zum Erfordernis einer einheitlichen Würdigung bei einer einheitlichen Verhandlung oben 3. Kapitel. B. I. 1. b), S. 65 f. 7 Wieczorek/Schütze/Assmann, 4. Aufl. 2013, § 260, Rn. 1; BeckOK-ZPO/Bacher, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 260, Rn. 2; Bitter, NJW 2005, S. 1235, 1238. Zur Streitwertberechnung bei Anspruchsmehrheiten vgl. Schumann, NJW 1982, S. 2800 ff. 8 Siehe zur Prozesstrennung unten 6. Kapitel. A. I., S. 194 ff. 9 Siehe zur eventuellen Klagehäufung in diesem Kapitel unten A. I. 2, S. 113 ff. und zur Stufenklage A. I. 3., S. 116 ff.
A. Unabhängigkeitsgebot im Rahmen objektiver und subjektiver Klagehäufung 111
dungen, wenn die Ansprüche materiell-rechtlich miteinander verzahnt sind.10 Eine solche Verzahnung besteht z. B. in dem von Jurgeleit gebildeten Fall der Verbindung mehrerer, auf einem Vertragsverhältnis beruhender Mängelansprüche in einem Bauprozess.11 Die materiell-rechtliche Verknüpfung folgt hier aus dem allen Ansprüchen gleichermaßen zugrundeliegenden Werkvertrag.12 Bei einer Verbindung von Leistungs- und Feststellungsklage nimmt die Rechtsprechung eine materiell-rechtliche Verzahnung insbesondere an, wenn die Ansprüche auf demselben tatsächlichen Geschehen, wie z. B. bei einem Verkehrsunfall, beruhen.13 Dies gilt auch, wenn der dem Leistungs- und Feststellungsantrag gemeinsam zugrundeliegende Haftungsgrund zwischen den Parteien unstreitig ist.14 So erachtete der BGH ein Teilurteil über einen Feststellungsantrag, der gem. § 260 ZPO mit einem Zahlungsanspruch auf Schmerzensgeld verbunden war, wegen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen für unzulässig, obwohl der beiden Anträgen zugrundeliegende Haftungsgrund zwischen den Parteien außer Streit stand.15 In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall stritten die Parteien um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall, wobei die Verantwortlichkeit der Beklagten für den Unfall zwischen den Parteien unstreitig war. Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage teilweise statt; im Übrigen wies es die Klage ab. Beide Parteien legten Berufung ein. Im Wege einer Klageerweiterung verlangten die Kläger – neben der bereits in erster Instanz beantragten Schmerzensgeldzahlung für bereits entstandene Schäden – nunmehr auch die Feststellung, dass die Beklagten sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall zu ersetzen hätten. Das OLG gab dem Feststellungsantrag im We10 BGHZ 157, 133, 143 = NJW 2004, S. 1662, 1665; BGHZ 189, 79 Rn. 16 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 16; BGH, VersR 2017, S. 888, 889; BGH, MedR 2019, S. 217, 218. 11 Jurgeleit, BauR 2016, S. 375, 376 f. Siehe zur Ansicht Jurgeleits oben 3. Kapitel. C. II. 8., S. 89 ff. 12 Jurgeleit, BauR 2016, S. 375, 377. 13 BGH, NJW 2000, S. 1405, 1406; BGH, NJW 2001, S. 155; BGH, NJW 2001, S. 760; BGH, NJW 2008, S. 1709, 1710; BGHZ 182, 116, 122 = NJW 2009, S. 2814, 2815; BGHZ 209, 157 Rn. 30 = NJW 2016, S. 1648 Rn. 30; abweichend noch OLG Koblenz, NJWRR 1988, S. 532 f., das bei gleichzeitiger Geltendmachung eines Leistungs- und eines Feststellungsantrags aus demselben Schadensereignis ein Teilurteil über einen Feststellungsantrag für zulässig erachtete und ausführte: „Die Entscheidung über das Feststellungsbegehren ist unabhängig davon, wie im Schlußurteil über das Zahlungsbegehren entschieden werden wird. Zwar werden beide Klagebegehren auf ein- und dasselbe Schadensereignis gestützt. Aus der sich hieraus ergebenden Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung des Anspruchs- oder Haftungsgrundes folgt indes noch nicht das Gebot einer einheitlichen Entscheidung, zumal § 301 ZPO ausdrücklich auch den Erlaß eines Teilurteils über den Teil eines Anspruchs […] vorsieht und damit unterschiedliche Ergebnisse zum Anspruchsgrund in Kauf nimmt.“ Mit Blick auf die mittlerweile gefestigte Rechtsprechung ist jedoch anzunehmen, dass das OLG Koblenz den Erlass des Teilurteils heute ebenfalls für unzulässig erachten würde. 14 BGHZ 143, 189 = NJW 2000, S. 800, 801. 15 BGHZ 143, 189 = NJW 2000, S. 800, 801.
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
sentlichen durch Teilurteil statt. Die noch ausstehende Entscheidung über den Schmerzensgeldanspruch behielt das Gericht dem Schlussurteil vor. Auf die Revision hob der BGH das Teilurteil wegen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zwischen Teil- und Schlussurteil auf.16 Zwar bestehe – so der BGH – mangels Streits über den Anspruchsgrund kein Raum für den Erlass eines Grundurteils gem. § 304 ZPO. Da jedoch nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Haftungsgrund im weiteren Verfahren über den Schmerzensgeldanspruch streitig werde und das Berufungsgericht den Grund im Rahmen des Schlussurteils anders beurteile als im Teilurteil, bestehe die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen und das Teilurteil über den Feststellungsantrag sei unzulässig.17
b) Stellungnahme Die Anwendung des Gebots der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils über einen von mehreren, kumulativ geltend gemachten Ansprüchen entspricht dem hinter § 260 ZPO stehenden Zweck einer gemeinsamen Verhandlung und Beweisaufnahme über die verbundenen Streitgegenstände. Denn indem das Gebot der Unabhängigkeit den Erlass eines Teilurteils untersagt, wenn aufgrund einer materiell-rechtlichen Verzahnung zwischen den geltend gemachten Ansprüchen die Möglichkeit sich widersprechender Entscheidungen besteht – sei es in erster Instanz oder im Rechtsmittelverfahren –, stellt das Unabhängigkeitsgebot sicher, dass die zur gemeinsamen Verhandlung und Beweisaufnahme verbundenen Ansprüche auch auf Basis einer einheitlichen Verhandlung und Beweisaufnahme beschieden werden. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass das Gericht durch Erlass eines Teilurteils über einen der beiden Streitgegenstände eine Trennung der Verhandlung und der Entscheidung herbeiführt und die Ansprüche damit so behandelt werden, als seien sie Gegenstand getrennter Verfahren, obgleich die Ansprüche weder in getrennten Verfahren erhoben wurden noch das Gericht diese gem. § 145 ZPO getrennt hat. Dieses Ergebnis würde 16
BGHZ 143, 189 = NJW 2000, S. 800 f. BGHZ 143, 189 = NJW 2000, S. 800, 801. Ausschlaggebend für die Unzulässigkeit des Teilurteils infolge der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen war, dass sich der Feststellungsantrag nur auf die Erstattung künftiger Schäden erstreckte, während sich der Schmerzensgeldanspruch auf bereits entstandene Schäden bezog. Das Gericht hatte dem Schlussurteil damit nicht nur die Entscheidung über die Höhe des Schmerzensgeldantrags, sondern insgesamt, d. h. über Grund und Höhe vorbehalten. Im Fall einer vollumfänglichen Feststellung über bestehende und künftige Schäden und einer Entscheidung im Schlussurteil nur über die Höhe wäre eine Bindung hinsichtlich des Haftungsgrundes hingegen über § 318 ZPO bzw. über die Rechtskraft gegeben gewesen. Die Gefahr sich widersprechender Entscheidung hätte dann nicht bestanden. Kritisch zu dieser Entscheidung Schmitz, NJW 2000, S. 3622, 3623, der das Urteil im Kontext des damals neu eingeführten § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO erörtert und sich zur Überwindung der Befürchtungen des BGH für den Erlass eines Grundurteils auch bei unstreitigem Anspruchsgrund ausspricht. Siehe hierzu in diesem Kapitel unten C. I. 1. S. 151 ff. 17
A. Unabhängigkeitsgebot im Rahmen objektiver und subjektiver Klagehäufung 113
jedoch sowohl der Ausgestaltung des Teilurteils als Instrument zur Erledigung eines abgrenzbaren, vorzeitig zur Entscheidung reifen Teils auf Basis einer ungetrennten Verhandlung als auch dem hinter § 260 ZPO stehenden Zweck der Verbindung mehrerer Ansprüche zur gemeinsamen Verhandlung und Beweisaufnahme widersprechen.
2. Teilurteil im Rahmen der eventuellen Klagehäufung Im Gegensatz zur kumulativen Klagehäufung stehen die geltend gemachten Ansprüche im Fall der eventuellen Klagehäufung in einem Bedingungsverhältnis im Sinne einer zulässigen innerprozessualen Verbindung zueinander.18 Der Kläger stellt einen Haupt- und einen Hilfsantrag, wobei der Hilfsantrag erst verhandelt und entschieden werden soll, wenn das Gericht den Hauptantrag für unbegründet oder unzulässig erachtet oder der Hauptantrag für erledigt erklärt worden ist.19 Im Fall der eventuellen Klagehäufung ist ein Teilurteil daher sowohl über den Haupt- als auch über den Hilfsanspruch denkbar. In beiden Fällen bedarf es des Gebots der Unabhängigkeit zur Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen aufgrund des prozessualen Bedingungsverhältnisses jedoch nicht.
a) Unzulässigkeit eines Teilurteils über den Hilfsantrag Nach der ganz herrschenden Meinung ist ein Teilurteil über den Hilfsantrag aufgrund dessen innerprozessualer Abhängigkeit vom Hauptantrag bereits mangels Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils unzulässig.20 Des Gebots der Unabhängigkeit bedarf es hingegen nicht.
b) Zulässigkeit eines Teilurteils über den Hauptantrag Im Gegensatz hierzu kann nach der herrschenden Meinung ein abweisendes Teilurteil über den Hauptantrag ergehen, da dessen Entscheidung nicht von der über den Hilfsantrag abhängt.21 18 Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 260, Rn. 8; ders., MDR 1994, S. 860, 861. 19 BGH, NJW 2003, S. 3202, 3203; MüKo-ZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020,
§ 260, Rn. 10; Saenger, MDR 1994, S. 860, 861. 20 BGH, NJW-RR 1989, S. 650; Stein/ Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 300, Rn. 9; Stein/Jonas/ders., 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 33; Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 18; Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 301, Rn. 39; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 301, Rn. 8; Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 301, Rn. 11. Vgl. auch BeckOK-ZPO/ Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 301, Rn. 18e, Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 301, Rn. 14 und MüKo-ZPO/ders., 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 21, die ein Teilurteil über den Hilfsanspruch nicht einmal ansprechen. Differenzierend hingegen Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 322, der ein Teilurteil in diesem Fall nicht für generell unzulässig hält, sondern auf die Angemessenheit i. R. d. § 301 Abs. 2 ZPO verweist. 21 BGHZ 56, 79, 80 f. = NJW 1971, S. 1316, 1317; BGH, NJW 1992, S. 2080, 2081;
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
Die hiergegen angeführten Argumente der Gegenansicht, auch bei einem abweisenden Teilurteil über den Hauptantrag bestehe die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen, wenn der Kläger gegen das Teilurteil Rechtsmittel einlege und das Berufungs- oder Revisionsgericht dem Hauptantrag stattgebe, während das erstinstanzliche Gericht über den Hilfsantrag (ggf. rechtskräftig) entscheide,22 hat der BGH als „ohne praktische Bedeutung“23 zurückgewiesen. Durch den Erlass des Teilurteils über den Hauptanspruch signalisiere das Gericht, dass es mit der Entscheidung über den Hilfsantrag bis zum Eintritt der Rechtskraft des Teilurteils warten wolle.24 Zudem sei eine zwischenzeitliche Entscheidung über den Hilfsantrag auch praktisch ausgeschlossen, da die Akten im Fall einer Rechtsmitteleinlegung gegen das Teilurteil an das höhere Gericht weitergegeben würden.25 Die Ausführungen des BGH sind in Literatur und Rechtsprechung auf starke Kritik gestoßen.26 So sei es durchaus denkbar, dass das Teilurteil erlassende Gericht eine andere Praxis pflege, Zweitakten anfertige und das Schlussurteil unabhängig vom Ausgang des Rechtsmittelverfahrens über das Teilurteil treffe.27 Darüber hinaus sei die Annahme des BGH, eine Entscheidung über den Rest sei infolge der Weitergabe der Akte an das Rechtsmittelgericht praktisch ausgeschlossen, „im Zeitalter der Photokopie […] unzeitgemäß.“28
BGH, NJW 1995, S. 2361; BGH, NJW-RR 2014, S. 979, 980; Bähr, JR 1971, S. 332 f.; Brox, FS 150 Jahre Carl Heymanns Verlag, 1965, S. 121, 128; Merle, ZZP 83 (1970), S. 436, 447. Zum Teilurteil über eine im Haupt- und Hilfsantrag gestellte Patentanmeldung siehe Hövelmann, GRUR 2009, S. 718 ff. 22 de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 135 f. Gegen die Zulässigkeit eines Teilurteils über den Hauptantrag auch Bülow, DNotZ 1971, S. 376, 377, der eine für ein Teilurteil erforderliche quantitative Teilung des Prozessstoffs im Fall von Haupt- und Eventualantrag ablehnt, da der Kläger nur eine Rechtsfolge begehre. 23 BGHZ 56, 79, 81 = NJW 1971, S. 1316, 1317. 24 BGHZ 56, 79, 81 = NJW 1971, S. 1316, 1317. Habe der Kläger den Hilfsantrag jedoch unter die Bedingung gestellt, dass der Haupantrag rechtskräftig abgewiesen werde, müsse das Gericht den Hauptantrag sogar durch Teilurteil abweisen, Brox, FS 150 Jahre Carl Heymanns Verlag, 1965, S. 121, 128. Kritisch hierzu Bähr, JR 1971, S. 332, 333. 25 BGHZ 56, 79, 81 = NJW 1971, S. 1316, 1317. Vgl. auch Blomeyer, Enzyklopädie, 1963, § 84 III 1 b) und Brox, FS 150 Jahre Carl Heymanns Verlag, 1965, S. 121, 128, die in diesem Fall auch auf die Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens verweisen. So auch Merle, ZZP 83 (1970), S. 436, 477. 26 OLG Düsseldorf, NJW 1972, S. 1474, 1475; Stein/ Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Fn. 135; Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 322. 27 OLG Düsseldorf, NJW 1972, S. 1474, 1475. Zustimmend Stein/ Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Fn. 135. 28 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 322. Mit Blick auf die heutigen technischen Mittel und die Einführung der elektronischen Akte ab dem 01.01.2026 durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 05.07.2017 ist davon auszugehen, dass der BGH heute nicht mehr auf das Argument der Zweitakte zurückgreifen würde.
A. Unabhängigkeitsgebot im Rahmen objektiver und subjektiver Klagehäufung 115
c) Stellungnahme Der herrschenden Meinung, die ein abweisendes Teilurteil über den Hauptantrag für zulässig und ein Teilurteil über den Hilfsantrag für unzulässig erachtet, ist im Ergebnis zuzustimmen. Im Fall eines Teilurteils über einen Hilfsantrag fehlt es aufgrund der innerprozessualen Abhängigkeit des Hilfsantrags vom Hauptantrag bereits an der für ein Teilurteil erforderlichen Entscheidungsreife. Denn solange der Hauptantrag nicht für unbegründet oder unzulässig erachtet oder für erledigt erklärt worden ist, kann über den Hilfsantrag mangels Bedingungseintritts nicht entschieden werden. Ein den Hauptantrag abweisendes Teilurteil über den Hauptanspruch ist hingegen zulässig. Soweit der BGH die Zulässigkeit jedoch mit der erforderlichen Anfertigung von Zweitakten begründet, ist dies – unabhängig von den technischen Möglichkeiten zur Erstellung einer Aktenkopie – abzulehnen. Das rein technische Argument ist damals wie heute per se nicht geeignet, die Zulässigkeit eines abweisenden Teilurteils über den Hauptantrag zu begründen. Der rechtliche Grund für die Zulässigkeit eines Teilurteils über den Hauptantrag ist vielmehr auch hier das innerprozessuale Bedingungsverhältnis. So hängt das Schlussurteil über den Hilfsantrag von der rechtskräftigen Abweisung des Hauptantrags in Form einer auflösenden Bedingung ab: Legt der unterliegende Kläger Rechtsmittel gegen das Teilurteil über den Hauptantrag ein und gibt das Berufungsgericht dem Hauptantrag statt, wird das Schlussurteil über den Hilfsantrag bei Rechtskraft des Berufungsurteils automatisch gegenstandslos; die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ist dann ausgeschlossen.29 Des Gebots der Unabhängigkeit bedarf es hierfür nicht. Darüber hinaus kann auch der Einwand der Kritiker, der Kläger begehre nur eine Rechtsfolge, sodass nicht zwei Urteile – Teil- und Schlussurteil – ergehen könnten,30 nicht überzeugen. Gegen diese Argumentation spricht bereits, dass der Kläger nur dann lediglich eine Entscheidung anstrebt, wenn er mit seinem Hauptantrag Erfolg hat. Für den Fall jedoch, dass der Hauptantrag abgewiesen wird, kommt es dem Kläger gerade auf den Erlass einer weiteren Entscheidung an. Ob diese in einem oder zwei Urteilen erfolgt, kann für den Kläger keinen Unterschied machen.31 29 BGH,
NJW 1995, S. 2361; Bähr, JR 1971, S. 332, 333; Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 322 f.; Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 301, Rn. 14; Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 301, Rn. 38; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 301, Rn. 8. Macht der Kläger hingegen zwei selbständig nebeneinanderstehende Klagegründe wechselseitig im Eventualverhältnis geltend, so ist ein Teilurteil dem BGH zufolge wegen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen unzulässig, vgl. BGH, NJW 1992, S. 2080, 2081; BGH, NJW 1995, S. 2361. 30 Bruns, Zivilprozeßrecht, 1. Aufl. 1968, § 25 I, S. 205; Bülow, DNotZ 1971, S. 376, 377. 31 So auch Bähr, JR 1971, S. 332; Merle, ZZP 83 (1970), S. 436, 447.
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
3. Teilurteil im Rahmen der Stufenklage Die Stufenklage ist nach der herrschenden Meinung ein besonderer, von den Voraussetzungen des § 260 ZPO unabhängiger Fall der objektiven Klagehäufung.32 Gem. § 254 ZPO kann der Kläger einen Auskunftsanspruch und/oder einen Antrag auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung mit einem noch unbezifferten Leistungsantrag als Stufenklage miteinander verbinden.33 Eine solche Verbindung ist jedoch nur zulässig, wenn die Ansprüche auf erster und zweiter Stufe der Bezifferung des bei Klageerhebung noch unbestimmten Leistungsantrags auf dritter Stufe dienen.34 In diesem Mittel-Zweck-Verhältnis, d. h., dass die auf erster und/oder zweiter Stufe gestellten Anträge (lediglich) als Hilfsmittel ohne selbständige Bedeutung der Bezifferung des eigentlichen Klageziels dienen, besteht die Besonderheit.35 Hat der Kläger schon vor dem Verfahren eine Auskunft vom Beklagten erhalten und hält er diese für falsch, kann der Kläger auch auf die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs verzichten und nur auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und Leistung klagen.36 Die Stufenklage ermöglicht es dem Kläger damit, eine Auskunftsklage mit einer Leistungsklage zu verbinden, ohne auf dritter Stufe einen dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entsprechenden Antrag zu stellen.37 Im Gegensatz zur kumulativen Klagehäufung werden die Ansprüche im Rahmen der Stufenklage sukzessive, d. h. nacheinander geltend gemacht; jede Stufe wird separat verhandelt und durch Teilurteil entschieden.38 Die Ansprüche bilden dabei – auch gebührenmäßig – prozessual selbständige Teile eines ein32 BGH, NJW 1994, S. 3102, 3103; BGH, NJW 2003, S. 2748; BGH, NJW 2012, S. 2180, 2182; BeckOK-ZPO/Bacher, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 254, Rn. 1; MüKo-ZPO/BeckerEberhard, 6. Aufl. 2020, § 254, Rn. 6; Musielak/Voit/Foerste, 17. Aufl. 2020, § 254, Rn. 1; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 254, Rn. 1; Schlitt/Müller/Kasper, 2. Aufl. 2017, § 9, Rn. 75; Kellermann-Schröder, JuS 2015, S. 998; Lüke, JuS 1995, S. 144; Prütting, MedR 2011, S. 717; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 254, Rn. 1; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 254, Rn. 1; Schäuble, JuS 2011, S. 506, 507; Schneider, MDR 1969, S. 626. Für eine Anwendung der Voraussetzungen des § 260 ZPO hingegen Assmann, Stufenklage, 1990, S. 15; Wieczorek/Schütze/dies., 4. Aufl. 2013, § 254, Rn. 5. 33 Prütting, MedR 2011, S. 717. 34 Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 254, Rn. 4; Kassebohm, NJW 1994, S. 2728, 2729; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 254, Rn. 2. Dient der Auskunftsanspruch nicht der Bezifferung des Leistungsanspruchs und wurden die Ansprüche gleichwohl als Stufenklage gem. § 254 ZPO geltend gemacht, so kann die unzulässige Stufenklage in eine zulässige objektive Klagehäufung gem. § 260 ZPO umgedeutet werden, vgl. hierzu BGHZ 189, 79 Rn. 13 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 13. 35 BGH, NJW 1999, S. 2520, 2522; BGH, NJW 2012, S. 2180, 2181. 36 Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 254, Rn. 9. 37 Wieczorek/Schütze/Assmann, 4. Aufl. 2013, § 254, Rn. 1; Berenreuther, JA 2001, S. 490 ff. Kritisch zu den Kostenfolgen bei Stattgabe des Auskunftsanspruchs, wenn sich herausstellt, dass kein Anspruch auf Leistung besteht, Hoffmann, ZZP 125 (2012), S. 345, 346. 38 Lüke, JuS 1995, S. 144, 145; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 254, Rn. 1, 8; Schäuble, JuS 2011, S. 506, 507.
A. Unabhängigkeitsgebot im Rahmen objektiver und subjektiver Klagehäufung 117
heitlichen Verfahrens.39 Die Kostenentscheidung ergeht einheitlich im Schlussurteil.40 Ein Teilurteil über die nächste Stufe ist erst zulässig, wenn das Teilurteil der vorherigen Stufe in Rechtskraft erwachsen ist; bis zu diesem Zeitpunkt und bis zum Antrag einer Partei auf Urteilserlass über die nächste Stufe wird der Rechtsstreit unterbrochen.41 Ergibt hingegen bereits die Prüfung des Auskunftsantrags auf erster Stufe, dass der Leistungsantrag seinem Grunde nach nicht besteht, oder fehlt es bei allen Anträgen an einer Prozessvoraussetzung, so kann das Gericht bereits auf erster Stufe über alle Anträge entscheiden und die Klage abweisen, auch wenn der Kläger noch nicht alle Anträge gestellt hat.42 Darüber hinaus kann das Gericht das Teilurteil über den Auskunftsanspruch mit einem Grundurteil über den Zahlungsanspruch verbinden, wenn – was die Ausnahme ist – die Leistungspflicht unabhängig von der zu erteilenden Auskunft feststeht;43 denn ein Grundurteil darf nur ergehen, wenn die Klageforderung mit hoher Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe besteht.44 Soweit der Erlass eines Grundurteils nicht möglich ist, ist das Gericht bei Entscheidung über den Leistungsantrag mangels Rechtskrafterstreckung auf die Urteilsgründe nicht an seine rechtliche Beurteilung zum Grund des Hauptanspruchs im Teilurteil auf erster Stufe gebunden, sodass insoweit die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen besteht.45 39 BGHZ 76, 9, 12 = NJW 1980, S. 1106, 1107; BGH, NJW 1994, S. 2895; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 254, Rn. 4. 40 OLG Karlsruhe, FamRZ 2003, S. 943, 944; Wieczorek/Schütze/Assmann, 4. Aufl. 2013, § 254, Rn. 77; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 254, Rn. 5. 41 BGH, NJW 2012, S. 2180, 2183; BGH, NJW-RR 2015, S. 188, 189; Prütting/Gehrlein/ Geisler, 11. Aufl. 2019, § 254, Rn. 13; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 254, Rn. 11; Schlitt/Müller/Kasper, 2. Aufl. 2017, § 9, Rn. 74; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 254, Rn. 8 f.; Schäuble, JuS 2011, S. 506, 507; a. A. Wieczorek/Schütze/Assmann, 4. Aufl. 2013, § 254, Rn. 47, die den Eintritt der Rechtskraft des Teilurteils nicht als eine in § 254 ZPO enthaltene Voraussetzung betrachtet. Beziffere der Kläger den Leistungsantrag jedoch, ohne das Berufungsverfahren über den Auskunftsanspruch abzuwarten, gehe er das Risiko ein, dass das Berufungsgericht den Auskunftsanspruch als unbegründet erachte und sich dies auf den Leistungsantrag auswirke. Kritisch zur herrschenden Meinung auch Peters, ZZP 111 (1998), S. 67 ff. 42 BGH, NJW 2002, S. 1042, 1044; BGH, NJW-RR 2011, S. 189, 191; BGHZ 214, 45 Rn. 19 = NJW 2017, S. 1946 Rn. 19; OLG Celle, NJW-RR 1995, S. 1021; OLG Koblenz, RNotZ 2007, S. 287, 288; BeckOK-ZPO/Bacher, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 254, Rn. 19; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 254, Rn. 9; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 254, Rn. 22; a. A. OLG Hamm, NJW-RR 1990, S. 709; Assmann, Stufenklage, 1990, S. 71 ff.; Wieczorek/Schütze/dies., 4. Aufl. 2013, § 254, Rn. 59; Schneider, MDR 1969, S. 624, 625, die eine Entscheidung auch über den Hauptantrag ablehnen, da dieser noch nicht Gegenstand der Verhandlung sei und damit auch nicht Gegenstand des Urteils sein könne. 43 BGHZ 141, 79, 89 f. = NJW 1999, S. 1706, 1709; BGH, NJW-RR 2011, S. 189, 191; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 254, Rn. 10; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 254, Rn. 22; Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 73 f. 44 BGH, NJW-RR 2001, S. 383, 384; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 304, Rn. 15. 45 BGHZ 107, 236, 242 = NJW 1989, S. 2821, 2822; BGHZ 210, 30 Rn. 32 = NJW 2016, S. 2662 Rn. 32; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 254, Rn. 31.
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
Im Gegensatz hierzu ist das Teilurteil über den Auskunftsantrag präjudiziell für den Anspruch auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, weil der Antrag auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung an die Erteilung einer Auskunft geknüpft ist.46 In der Folge kann die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen nur zwischen der ersten und der dritten bzw. der zweiten und der dritten Stufe entstehen.47 Für die Untersuchung der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils wird im Folgenden daher das Verhältnis zwischen erster und zweiter Stufe nicht weiter beleuchtet. Darüber hinaus wird zur Vereinfachung nur auf das Verhältnis zwischen erster und dritter Stufe, d. h. zwischen Auskunfts- und Leistungsantrag, eingegangen. Das hierzu mit Blick auf das Gebot der Unabhängigkeit Gesagte gilt für das Verhältnis zwischen zweiter und dritter Stufe entsprechend.
a) Gebot der Unabhängigkeit aa) Herrschende Meinung: Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit Die herrschende Meinung folgert aus der stufenweisen Geltendmachung der Ansprüche und der Befreiung vom Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO – in Abweichung zur Ermessensvorschrift des § 301 Abs. 2 ZPO – eine „Pflicht zur sukzessiven Verhandlung der Ansprüche und zum Erlass eines Teilurteils“.48 Der Umfang der materiellen Rechtskraft erstrecke sich stets nur auf die jeweilige Stufe; eine darüber hinausgehende Bindung bestehe nicht und widerspreche dem Wesen der Rechtskraft.49 Darüber hinaus würde die noch erforderliche Bezifferung des Hauptantrags ohne eine isolierte Entscheidung über den Auskunftsanspruch unmöglich.50 Ferner könne es keinen Unterschied machen, ob der Kläger zunächst den Auskunftsanspruch separat und anschließend den Leistungsanspruch einklage oder ob er beide Ansprüche im Wege einer Stufenklage miteinander verbinde.51 Auch stelle das Teilurteil über den Auskunftsanspruch im Fall eines einheitlichen Rechtsverhältnisses von Auskunfts- und Leistungsanspruch kein Zwischenurteil über den beide Ansprüche betreffenden Anspruchsgrund dar.52 In 46 MüKo-ZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, § 254, Rn. 22; Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 73. Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 73. 47 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 73. 48 Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 254, Rn. 1. Vgl. auch BGH, NJW-RR 2011, S. 189, 191; Assmann, Stufenklage, 1990, S. 11; Wieczorek/Schütze/dies., 4. Aufl. 2013, § 254, Rn. 4; Lüke, JuS 1995, S. 144, 145. 49 BGH, WM 1970, S. 405, 406; BGH, NJW-RR 2011, S. 189, Rn. 24; BGH, NJW 2012, S. 2180, 2183; BGH, NJW-RR 2018, S. 518, Rn. 13; BeckOK-ZPO/Bacher, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 254, Rn. 22. 50 BGHZ 189, 79 Rn. 17 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 17. 51 Baumgärtel, JR 1970, S. 186. 52 BGHZ 107, 236, 242 = NJW 1989, S. 2821, 2822; BGHZ 210, 30 Rn. 32 = NJW 2016,
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der Folge dürften Vorfragen, die sowohl den Auskunfts- als auch den Zahlungsanspruch beträfen – z. B. bzgl. der Frage der Verjährung –, auf jeder Stufe unterschiedlich entschieden werden.53 Die damit bei Erlass des Teilurteils über den Auskunftsanspruch bestehende Widerspruchsgefahr im Verhältnis zum Leistungsantrag sei hinzunehmen.54 Nur wenn das erstinstanzliche Gericht auf erster Stufe einheitlich über alle Anträge entscheide, sei die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen.55
bb) Ausweitung der herrschenden Meinung bei Verbindung eines Auskunftsanspruchs gem. § 84a AMG mit einem Schadensersatzanspruch gem. § 84 AMG Die von der herrschenden Meinung im Rahmen des § 254 ZPO zugelassene Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit hat der BGH mit Urteil vom 29.03.2011 auf eine – wie vom Senat ausgeführt – der Stufenklage vergleichbare Situation übertragen.56 In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte der Kläger einen Auskunftsanspruch gem. § 84a AMG57 mit einem Schadensersatzanspruch gem. § 84 AMG58 als Stufenklage verbunden.59 Da der Auskunftsanspruch jedoch S. 2662 Rn. 32; Wieczorek/Schütze/Assmann, 4. Aufl. 2013, § 254, Rn. 58. Zur Zulässigkeit eines Zwischenfeststellungsantrags im Rahmen der Stufenklage siehe BGH, ZIP 1999, S. 447, 448. 53 BGH, NJW-RR 2011, S. 189, Rn. 24. Kritisch hierzu Peters, ZZP 111 (1998), S. 67 ff. 54 BGHZ 107, 236, 242 = NJW 1989, S. 2821, 2822; BGH, NJW 1999, S. 3049; BGH, NJW-RR 2011, S. 189, Rn. 24; BGHZ 189, 79 Rn. 17 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 17; BGH, NJW 2012, S. 2180, 2183; OLG Düsseldorf, OLGR Düsseldorf 1992, S. 75; OLG Karlsruhe, MDR 1992, S. 804. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BGH auch, wenn der Stufenklage ein im Wege der Widerklage oder im Wege der vor der Stufenwiderklage erhobenen Klage ein Anspruch gegenübersteht, der mit den durch die Stufenklage verfolgten Ansprüchen materiellrechtlich verknüpft ist, vgl. BGH, NJW-RR 2011, S. 189, 192. 55 BGH, NJW-RR 2011, S. 189, 191. 56 BGHZ 189, 79 Rn. 18 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 18. 57 § 84a Abs. 1 S. 1 AMG lautet: „Liegen Tatsachen vor, die die Annahme begründen, dass ein Arzneimittel den Schaden verursacht hat, so kann der Geschädigte von dem pharmazeutischen Unternehmer Auskunft verlangen, es sei denn, dies ist zur Feststellung, ob ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 84 besteht, nicht erforderlich.“ Der Auskunftsanspruch ist damit darauf gerichtet, dem Geschädigten die Darlegung und den Nachweis einer Gefährdungshaftung des pharmazeutischen Unternehmers gem. § 84 AMG zu erleichtern. Indem der Geschädigte alle notwendigen Informationen für die von ihm darzulegenden und zu beweisenden Anspruchsvoraussetzungen verlangen kann, soll der Wissensvorsprung des pharmazeutischen Unternehmers ausgeglichen und Chancengleichheit gewährleistet werden. Im Ergebnis bezweckt die Norm damit eine Erleichterung der Begründung der Anspruchsgrundlage und der Kausalität des Schadensersatzanspruches; er dient hingegen nicht der Bezifferung des Leistungsanspruchs, vgl. BGHZ 189, 79 Rn. 9 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 9; Prütting, MedR 2011, S. 717, 718; Spickhoff/Spickhoff, 3. Aufl. 2018, § 84a AMG, Rn. 1. 58 § 84 Abs. 1 S. 1 AMG lautet: „Wird infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich dieses Gesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung
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nicht der Bezifferung des Leistungsanspruchs diente, deutete das Gericht die Stufenklage in eine objektive Klagehäufung gem. § 260 ZPO um.60 Trotz einer materiell-rechtlichen Verzahnung der miteinander verbundenen Ansprüche und der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen erachtete der BGH das über den Auskunftsanspruch ergangene Teilurteil jedoch für zulässig.61 Der BGH führte aus, der vorliegend geltend gemachte Auskunftsanspruch gem. § 84a AMG stelle – ebenso wie der Auskunftsanspruch im Rahmen einer Stufenklage – ein Hilfsmittel für den Schadensersatzanspruch dar; nur Letzterer bilde das eigentliche Rechtsschutzziel. Daher sei die Situation mit § 254 ZPO vergleichbar. Eine Entscheidung über den Auskunftsanspruch vorab durch Teilurteil sei deshalb geboten gewesen, um die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele einer prozessualen Chancengleichheit zu verwirklichen. Ein Widerspruch zwischen den Entscheidungen aufgrund der unstreitig vorliegenden materiellrechtlichen Verzahnung zwischen dem Auskunftsbegehren gem. § 84a AMG einerseits und dem Schadensersatzanspruch gem. § 84 AMG andererseits sei damit, so wie auch eine mögliche Widersprüchlichkeit hinsichtlich der auf den verschiedenen Stufen der Stufenklage zu treffenden Entscheidungen, zu akzeptieren.62 von der Zulassung befreit worden ist, ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen nicht unerheblich verletzt, so ist der pharmazeutische Unternehmer, der das Arzneimittel im Geltungsbereich dieses Gesetzes in den Verkehr gebracht hat, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen.“ 59 BGHZ 189, 79 Rn. 18 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 18. 60 BGHZ 189, 79 Rn. 13 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 13. Eine Umdeutung ist insbesondere dann möglich, wenn in einer unzulässigen Prozesshandlung eine andere zulässige Prozesshandlung enthalten ist und davon ausgegangen werden kann, dass die zulässige Prozesshandlung bei Kenntnis der Unzulässigkeit der anderen Handlung gewollt war. Da die Stufenklage einen Sonderfall der objektiven Klagehäufung darstellt, liegen die vorgenannten Kriterien bei der Umdeutung einer unzulässigen Stufenklage in eine zulässige objektive Klagehäufung typischerweise vor, Prütting, MedR 2011, S. 717, 718. 61 BGHZ 189, 79 Rn. 18 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 18. 62 BGHZ 189, 79 Rn. 17 f. = NJW 2011, S. 1815 Rn. 17 f. Zustimmend Prütting, MedR 2011, S. 717, 718. Auf Grundlage der vorgenannten Entscheidung des BGH (BGHZ 189, 79) hat sich das OLG Köln mit der Frage befasst, inwieweit bei Verbindung eines Auskunftsanspruchs aus Art. 15 DS-GVO mit einem Schadensersatzanspruch aus § 6 Abs. 5 VVG eine vorzeitige Entscheidung über den Auskunftsanspruch zulässig sei. Hierzu hat das OLG ausgeführt: „Diese Überlegungen sind auf die vorliegend gegebene Konstellation eines Auskunftsanspruchs aus Art. 15 DS-GVO im Zusammenhang mit einem Schadensersatzanspruch aus § 6 VVG indes nicht übertragbar. Anders als der Auskunftsanspruch nach dem Arzneimittelgesetz ist der Auskunftsanspruch nach der Datenschutz-Grundverordnung nämlich nicht speziell dazu entwickelt worden, Schadensersatzansprüche ‚durchsetzbar‘ zu machen, die mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung unmittelbar nichts zu tun haben. […] Zwar mag eine Auskunft über personenbezogene Daten auch Erkenntnisse und Indizien hervorbringen, die einen Schadensersatzanspruch nach gänzlich anderen Vorschriften begründen oder zumindest nahelegen können. Dabei handelt es sich aber nicht um den eigentlichen Zweck der DS-GVO, sondern um einen bloß zufälligen Nebeneffekt. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die DS-GVO gezielt dazu geschaffen worden wäre, die grundsätzliche Struktur des deut-
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cc) Kritik an der herrschenden Meinung Kritik an der von der herrschenden Meinung im Rahmen des § 254 ZPO zugelassenen Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit wurde in der Vergangenheit von unterschiedlichen Vertretern geübt. So hat sich u. a. Zeuner – im Anschluss an Reimer63 – gegen die Zulassung von Widersprüchen und für eine Lösung über die Ausweitung der Rechtskraft des Teilurteils über den Auskunftsanspruch ausgesprochen.64 Da das Urteil über den Auskunftsanspruch die Entscheidung über den Hauptanspruch vorbereite und ihr in der Regel vorausgehe, gehöre „der Hauptanspruch – seinem Grunde nach – nicht nur zum Ursprung, sondern auch zum Ziel des Hilfsanspruches“.65 In der Folge sei das Gericht bei Urteilserlass über den Hauptanspruch an seine bei Entscheidung über den Auskunftsanspruch getroffene rechtliche Beurteilung des beide Ansprüche betreffenden Grundes gebunden: Werde dem Auskunftsanspruch daher rechtskräftig stattgegeben, dürfe der Hauptanspruch nicht mehr mangels Grundes abgewiesen werden. Umgekehrt dürfe der Hauptanspruch nicht mehr zugesprochen werden, wenn der Auskunftsanspruch mangels Bestehens des Anspruchsgrundes des Leistungsantrags abgewiesen wurde.66 Auch Grunsky hat sich gegen die Zulassung von Widersprüchen und für eine Rechtskrafterstreckung des Teilurteils über den Auskunftsanspruch ausgesprochen.67 Da der Leistungsanspruch schon mit Klageerhebung rechtshängig werde, wisse der Beklagte von Verfahrensbeginn an, dass der Auskunftsanspruch nur der Vorbereitung des Hauptanspruchs diene und nur letzterer Ziel des Prozesses sei.68 Es fehle daher an dem „Überraschungseffekt“, den der Gesetzgeber durch die Begrenzung der Rechtskraft auf den Streitgegenstand habe vermeiden wollen.69 Es sei dem Beklagten deshalb zumutbar, sich entsprechend zu verteidigen.70 Blomeyer hat sich ebenfalls der Ansicht Zeuners angeschlossen; darüber hinaus hat er sich für den gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils ausgesprochen.71 Da dem Auskunftsanspruch nur stattgegeben werden könne, wenn der schen Zivilprozessrechts, die jedem Anspruchsteller die Darlegung und den Beweis der ihm günstigen Tatsachen auferlegt, umzukehren.“, OLG Köln, BeckRS 2019, 16261, Rn. 73. 63 Reimer, Patentgesetz, 1950, § 47 Anm. 125. 64 Zeuner, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft, 1959, S. 157 ff., insb. S. 162. 65 Zeuner, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft, 1959, S. 161. 66 Zeuner, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft, 1959, S. 162, mit dem Hinweis, dass die rechtskräftige Abweisung des Hilfsanspruchs aus anderen Gründen – z. B. weil der Beklagte die Auskunft schon erteilt habe – der Bejahung des Hauptanspruchs nicht entgegenstehe. 67 Grunsky, JZ 1970, S. 226 ff. 68 Grunsky, JZ 1970, S. 226, 227 f. 69 Grunsky, JZ 1970, S. 226, 228. Zu den Grenzen der materiellen Rechtskraft siehe unten 5. Kapitel. C. II., S. 178 ff. 70 Grunsky, JZ 1970, S. 226, 228. 71 Blomeyer, Enzyklopädie, 1963, § 89 V 4 c).
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
Hauptanspruch dem Grunde nach feststehe und der Hauptanspruch immer nach Grund und Höhe streitig sei, sei es angemessen, das Urteil über den Auskunftsanspruch mit einem Grundurteil über den Hauptanspruch zu verbinden.72 Auch Peters hat sich für eine Vermeidung von Widersprüchen bei der Stufenklage ausgesprochen.73 Im Gegensatz zu den vorgenannten Vertretern will Peters Widersprüche jedoch nicht durch eine Bindung des Gerichts über den Streitgegenstand hinaus vermeiden.74 Eine solche Erstreckung widerspreche der Regelung des § 318 ZPO und führe zu einem „‚Denkverbot‘“ des Gerichts über die vom Gesetz festgelegten Grenzen hinaus.75 Ferner habe die Ansicht Zeuners im Fall einer Rechtsmitteleinlegung gegen das Teilurteil über den Zahlungsanspruch und gleichzeitiger Unzulässigkeit eines Rechtsmittels gegen den Auskunftsanspruch – z. B. mangels Erreichens der Beschwerdesumme – zur Folge, dass das Rechtsmittelgericht bei seiner Entscheidung über den Zahlungsanspruch an die Beurteilung des erstinstanzlichen Gerichts über Vorfragen im Teilurteil über den Auskunftsanspruch gebunden sei, obwohl die Entscheidung über den Auskunftsanspruch nicht überprüft werden könne.76 Zur Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen im Rahmen der Stufenklage müsse daher am Gebot der Unabhängigkeit festgehalten und das Teilurteil über den Auskunftsanspruch bei Stattgabe desselben mit der Begründung, der Zahlungsanspruch bestehe dem Grunde nach, mit einem Grundurteil über den Leistungsantrag auf dritter Stufe verbunden werden.77 Denn werde über den Zahlungsanspruch bereits bei Entscheidung über den Auskunftsanspruch gesprochen, so könne über dessen Grund auch verhandelt und durch Grundurteil entschieden werden.78 Auch an dem für eine Verhandlung des Zahlungsanspruchs notwendigen Parteiantrag scheitere der Erlass eines Grundurteils nicht.79 Da § 254 ZPO die Stellung eines unbezifferten Antrags erlaube und dieser nicht „‚auf Eis‘“ gelegt werden müsse, könne der Zahlungsantrag bereits auf erster Stufe gestellt werden.80 72 Blomeyer, Enzyklopädie, 1963, § 89 V 4 c). A. A. Baumgärtel, JR 1970, S. 186 f., der auf die Selbständigkeit der beiden Ansprüche trotz Verbindung in einer Stufenklage verweist. Auch sei eine Vergleichbarkeit mit § 304 ZPO nicht gegeben, da der Hauptanspruch nicht nach Grund und Höhe streitig, sondern die Höhe vielmehr unbekannt sei. 73 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67 ff. 74 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 69 ff. 75 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 70 mit Verweis auf die beschränkte Bindungswirkung des § 318 ZPO. 76 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 70. 77 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 73 f. 78 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 73 f. 79 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 73. 80 Peters, ZZP 111 (1998), S. 67, 74. So auch Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 254, Rn. 13. Einschränkend Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 254, Rn. 8, der sich für eine gesonderte Antragstellung ausspricht. Würden hingegen die Anträge gleichzeitig gestellt, so müssten die zu früh gestellten Anträge zurückgestellt werden. Eine Abweisung als unzulässig sei
A. Unabhängigkeitsgebot im Rahmen objektiver und subjektiver Klagehäufung 123
b) Stellungnahme Für die Frage, ob die Anwendung des Gebots der Unabhängigkeit im Rahmen der Stufenklage gerechtfertigt ist, sollen einerseits noch einmal der hinter dem Teilurteil und dem Gebot der Unabhängigkeit stehende Zweck und andererseits das mit der Stufenklage verfolgte Ziel in den Blick genommen werden. Wie im Rahmen dieser Untersuchung festgestellt, dient das Teilurteil der Abschichtung des in der Verhandlung aufkommenden Prozessstoffs durch Erledigung eines vorzeitig zur Entscheidung reifen Teils mittels Erlasses getrennter Entscheidungen bei ungetrennter Verhandlung.81 Das Gebot der Unabhängigkeit ist dabei erforderlich, um die Teil- und Schlussurteil ungetrennt zugrunde liegende Verhandlung und die damit einhergehende einheitliche Würdigung des Tatsachenstoffs zu wahren.82 Demgegenüber steht die Stufenklage als Sonderfall der objektiven Klagehäufung, bei der die auf erster und/oder zweiter Stufe gestellten Anträge als Hilfsmittel ohne eigenständige Bedeutung der Bezifferung des auf letzter Stufe gestellten Leistungsantrags dienen83 und – im Unterschied zur kumulativen Klagehäufung – sukzessive geltend gemacht, verhandelt und entschieden werden.84 Deutlich wird der Unterschied insbesondere in dem Umstand, dass im Fall der Stufenklage ein Teilurteil grundsätzlich über jede Stufe ergehen muss, bevor über die nächste Stufe entschieden werden kann.85 Das mit dem Gebot der Unabhängigkeit verfolgte Ziel, eine ungetrennte Verhandlung und einheitliche Würdigung im Fall eines materiell-rechtlichen Zusammenhangs zwischen den zu trennenden Teilen durch Nichterlass eines Teilurteils zu wahren, kann aufgrund der im Rahmen des § 254 ZPO bestehenden Pflicht zum Erlass eines Teilurteils damit nicht umgesetzt werden. Mit Blick auf die Pflicht zum Erlass eines Teilurteils bei der Stufenklage und den Charakter der auf erster und zweiter Stufe gestellten Anträge als Hilfsmittel könnte man bei einer rein funktionalen Betrachtung dieser „Hilfsanträge“ zu dem Ergebnis kommen, dass die Verhandlung, welche durch Erlass eines Teilurteils nicht getrennt werden soll, erst diejenige über den Leistungsantrag auf dritter Stufe ist, nicht hingegen – mangels selbständiger Bedeutung – die Verhandlungen auf erster und zweiter Stufe. Im Ergebnis würde dem Teilurteil dann nicht mehr die Bedeutung eines Instruments zur Abschichtung des Prozessstoffs jedoch nicht erforderlich, da eine vorzeitige Verhandlung und Entscheidung über den Hauptantrag ausgeschlossen sei. 81 Siehe oben 3. Kapitel. B. I., S. 62 ff. 82 Siehe oben 3. Kapitel. B. II. 2., S. 72 ff. 83 Siehe oben Fn. 35 in diesem Kapitel. 84 Siehe zur getrennten Geltendmachung, Verhandlung und Entscheidung z. B. Stein/ Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 254, Rn. 8. 85 Hiervon ausgenommen ist die Abweisung der Klage auf erster Stufe, wenn auf Grundlage der Prüfung des Auskunftsantrags der Leistungsantrag seinem Grunde nach nicht besteht oder es bei allen Anträgen an einer Prozessvoraussetzung mangelt, Fn. 42 in diesem Kapitel.
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
bei ungetrennter Verhandlung zukommen, sondern die Ansprüche würden bei Urteilserlass so behandelt, als seien sie in getrennten Verfahren erhoben worden. In der Konsequenz müsste über die einzelnen Stufen anstatt eines Teilurteils dann jedoch ein Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 1 ZPO unter Abtrennung des jeweiligen Anspruchs ergehen. Allerdings würde den „Hilfsanträgen“ dann die selbständige Bedeutung beigemessen, die ihnen im Rahmen der Stufenklage gerade nicht zukommen soll. Zudem würde eine rein funktionale Betrachtung der stufenweise erhobenen Ansprüche deren materiell-rechtliche Verknüpfung zueinander unberücksichtigt lassen. Denn es ist einer Stufenklage gem. § 254 ZPO immanent, dass die auf erster und/oder zweiter Stufe gestellten Anträge der Bestimmung des auf letzter Stufe eingeklagten Leistungsantrags dienen und die Anträge folglich inhaltlich miteinander verknüpft sind. Unter Berücksichtigung dieser Verknüpfung ist es daher sachgerecht, wenn die mit der Stufenklage geltend gemachten Ansprüche den Gegenstand eines einheitlichen Verfahrens bilden. Gleichzeitig ist es mit Blick auf das zwischen den Ansprüchen bestehende Zweck-Mittel-Verhältnis, d. h. die Bestimmung des Leistungsantrags auf dritter Stufe mit Hilfe der vorausgehenden Anträge, erforderlich, dass die Ansprüche einer getrennten Entscheidung zugänglich sind. Sollen die einzelnen Stufen jedoch durch Teilurteil beschieden werden, dann muss auch die hinter § 301 ZPO stehende Intention des Gesetzgebers, d. h. durch Erlass eines Teilurteils eine getrennte Entscheidung bei ungetrennter Verhandlung herbeizuführen, Berücksichtigung finden. Kann zu diesem Zweck aufgrund der im Rahmen des § 254 ZPO bestehenden Pflicht zum Erlass eines Teilurteils im Fall der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen nicht von einem Teilurteil abgesehen werden, so muss, wenn das Gericht seine Entscheidung über den Auskunftsanspruch auf das Bestehen des dem Leistungsantrag zugrundeliegenden Anspruchsgrundes stützt, die Einheit der Verhandlung entweder durch eine ausnahmsweise Erstreckung der Rechtskraft auf die Urteilsgründe oder durch gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils erfolgen. Hierbei ist im Ergebnis der Ansicht Peters der Vorzug zu geben, der den gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils fordert. Es überzeugt, dass das Gericht, wenn es bereits auf erster Stufe im Zuge des Auskunftsanspruchs über den Grund des Leistungsanspruchs spricht, auch über diesen verhandelt und ein Grundurteil über den Leistungsantrag erlässt, und zwar unabhängig davon, ob das Gericht eine Leistungspflicht des Beklagten für wahrscheinlich hält oder nicht. Denn die im Rahmen des § 304 ZPO vorgetragenen Bedenken, der Erlass eines Grundurteils könne mit Blick auf die Erlangung einer rechtskräftigen Entscheidung über das Grundurteil zu einer Verzögerung des Prozesses führen,86 greifen aufgrund der bei der Stufenklage ohnehin erforderlichen Rechtskraft 86
Siehe hierzu die Nachweise bei Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2016, § 304, Rn. 1.
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des Teilurteils über den Auskunftsantrag und die im Rahmen des Teilurteils erfolgende Prüfung des Anspruchsgrundes, wenn das Gericht im Zuge des Auskunftsantrags auch über den dem Leistungsanspruch zugrunde liegenden Grund entscheidet, nicht. Wird der Anspruchsgrund des Leistungsantrags jedoch bereits auf früherer Stufe bejaht, so ist es auch gerechtfertigt, ein der Rechtskraft fähiges Grundurteil über diesen zu erlassen.87 Darüber hinaus ist umgekehrt auch die Abweisung einer Klage insgesamt auf erster Stufe zulässig, wenn sich bei Prüfung des Auskunftsantrags herausstellt, dass der dem Leistungsanspruch zugrunde liegende Grund nicht besteht. Erachtet das Gericht den Auskunftsanspruch jedoch unabhängig vom Bestehen des Anspruchsgrundes für begründet, kommt der gleichzeitige Erlass eines Grundurteils nicht Betracht.88 Zwar wird gegen den gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils die „abgesonderte Antragstellung“89 im Rahmen des § 254 ZPO angebracht.90 Für die Möglichkeit einer Entscheidung über den Grund des Leistungsantrags bereits auf erster Stufe spricht jedoch, dass – wie Peters anführt – die Vorschrift des § 254 ZPO gerade die Stellung eines unbezifferten Leistungsantrags ermöglicht, dass mit Erhebung der Stufenklage bereits sämtliche Ansprüche rechtshängig werden91 und die Verjährung auch hinsichtlich aller Ansprüche, einschließlich des noch unbestimmten Leistungsantrags, gehemmt wird.92 Die Rechtshängigkeit sämtlicher Ansprüche und die Unterbrechung des Laufs der Verjährung zeigen, dass der unbezifferte Leistungsantrag gerade nicht bedeutungslos ist und nicht erst Wirkung entfaltet, wenn über ihn durch Schlussurteil entschieden wird. Zwar könnte eine Entscheidung über den Anspruchsgrund auch über die Erhebung einer Zwischenfeststellungs(wider)klage gem. § 256 Abs. 2 ZPO erreicht werden.93 Die Wahrung einer ungetrennten Verhandlung bei Erlass eines Teilurteils würde dann jedoch in die Hände der Parteien gelegt. Die Umsetzung 87 Dies
sollte für die vom BGH erfolgte Ausweitung der Grundsätze der Stufenklage auf die Verbindung des Auskunftsanspruchs gem. § 84a AMG mit einem Schadensersatzanspruch gem. § 84 AMG entsprechend gelten. 88 In diesem Fall besteht bei Erlass des Teilurteils mangels gemeinsamer Vorfrage jedoch auch nicht die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen. Auch das Gebot der Unabhängigkeit würde dann nicht greifen. 89 Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 254, Rn. 8. So auch BGH, NJW-RR 2015, S. 188, 189. 90 Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 254, Rn. 8. 91 BGH, NJW 1992, S. 2563; BGH, NJW 2015, S. 1093, 1094. 92 BGH, NJW-RR 2006, S. 948, 949. Etwas anderes gilt jedoch im Fall einer Stufenklage, die in einer auf die vorbereitenden Ansprüche verkürzten Form gestellt wird, vgl. BGH, NJW 2017, S. 1954, 1957. 93 Zur Zulässigkeit eines Zwischenfeststellungsantrags im Rahmen der Stufenklage siehe BGH, ZIP 1999, S. 447, 448. Einschränkend BGH, MDR 1961, S. 751, der die Erhebung einer Zwischenfeststellungsklage auf die Verpflichtung zur Zahlung des auf dritter Stufe geltend gemachten Betrags für unzulässig erachtet hat, da die Feststellungsklage in diesem Fall nur dazu diene, vorzeitig eine Vorabentscheidung über den Grund des Zahlungsanspruches zu erreichen und die stufenweise Verhandlung und Entscheidung zu umgehen. Auch bestehe in diesem Fall kein Feststellungsinteresse, da der Kläger das Rechtsschutzziel – die Verpflichtung
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
der hinter § 301 ZPO stehenden Intention des Gesetzgebers darf jedoch nicht den Parteien überlassen werden.94 Auch den Vertretern, die sich widersprechende Entscheidungen durch eine Ausweitung der materiellen Rechtskraft zwischen den Stufen verhindern wollen,95 kann mit Blick auf die ansonsten erforderliche Abweichung von den gesetzlichen Rechtskraftgrenzen nicht zugestimmt werden. Zwar stellt auch die Zulassung eines Grundurteils unabhängig von der Wahrscheinlichkeit einer Leistungspflicht eine Abweichung vom Gesetz dar. Im Vergleich zu einer Erstreckung der Rechtskraft auf die Urteilsgründe des Teilurteils über den Auskunftsanspruch ist die erweiterte Zulassung eines Grundurteils, wenn auf früherer Stufe ohnehin über den Anspruchsgrund des Leistungsantrags entschieden wird, jedoch der geringere Eingriff zum Erhalt einer ungetrennten mündlichen Verhandlung bei Erlass eines Teilurteils. Auch die Forderung Grunskys, der Beklagte könne sich mit Blick auf den Hauptanspruch von Anfang an angemessen verteidigen, vermag einen solchen Eingriff in das System der ZPO nicht zu rechtfertigen.
II. Subjektive Klagehäufung § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 1 ZPO erfasst neben einem Teilurteil über einen von mehreren prozessualen Ansprüchen auch ein Teilurteil über einen von mehreren (einfachen) Streitgenossen. Zwar geht die Anwendung des § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 1 ZPO auf die subjektive Klagehäufung aus dem Wortlaut selbst nicht hervor.96 Die Erweiterung auf die einfache Streitgenossenschaft gem. §§ 59, 60 ZPO ist jedoch allgemein anerkannt.97 Ein Teilurteil über einen von mehreren notwendigen Streitgenossen ist hingegen bereits aufgrund fehlender Teilbarkeit unzulässig.98 des Beklagten zur Zahlung – bereits mit dem auf dritter Stufe rechtshängigen Leistungsantrag erreiche. 94 Dem steht nicht entgegen, dass im Rahmen der subjektiven Klagehäufung aufgrund der Selbständigkeit der Prozessrechtsverhältnisse der Erlass eines Teilurteils trotz der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen erforderlich sein kann. Denn in diesem Fall führt die selbständige Prozessführung der Streitgenossen zu einer Abweichung vom geltenden Grundsatz einer ungetrennten Verhandlung. Ein Handeln der Parteien zum Erhalt der einheitlichen Verhandlung ist hingegen nicht notwendig. Siehe hierzu in diesem Kapitel unten II. 1., S. 129 ff. 95 So insbesondere Zeuner, Grunsky und auch Blomeyer, siehe in diesem Kapitel oben S. 121 f. 96 § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 1 ZPO spricht nur von der Geltendmachung mehrerer Ansprüche in einer Klage, nicht hingegen auch von der Geltendmachung durch mehrere Kläger bzw. gegen mehrere Beklagte. 97 BGH, NJW 1999, S. 1638, 1639; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 12; BeckOK-ZPO/Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 301, Rn. 18; Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 6; Thomas/Putzo/Seiler, 40. Aufl. 2019, § 301, Rn. 2. So auch schon Bezold/Hellmann, 1879, § 273 CPO, Anm. 2 d) β), S. 120. 98 Siehe zur Teilbarkeit und zur Ausnahme der Unzulässigkeit eines Teilurteils im Fall der notwendigen Streitgenossenschaft oben 2. Kapitel. A. I. 2., S. 22 f.
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Gem. §§ 59, 60 ZPO können mehrere Personen als Streitgenossen gemeinschaftlich klagen oder verklagt werden, wenn sie – wie z. B. im Fall von Miteigentümerschaft – hinsichtlich des Streitgegenstandes in Rechtsgemeinschaft stehen, aus demselben tatsächlichen und rechtlichen Grund berechtigt oder verpflichtet sind, so beispielsweise bei Gesamtschuldnern eines gemeinsamen Kaufvertrags, oder wenn gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden.99 Da die subjektive Klagehäufung durch die Verbindung mehrerer Streitgegenstände auch zur objektiven Klagehäufung führt, müssen zusätzlich die Voraussetzungen des § 260 ZPO analog vorliegen.100 Wie die objektive Klagehäufung, so dient auch die Streitgenossenschaft der Prozessökonomie: Durch eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung können doppelte Prozesse und Beweisaufnahmen vermieden und Kosten gespart werden.101 Auch soll eine übereinstimmende Beurteilung der streitigen Punkte die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen verhindern und so zur Rechtssicherheit beitragen.102 Die Verbindung der Prozessrechtsverhältnisse in einer Klage ändert jedoch nichts an deren grundsätzlichen Unabhängigkeit voneinander.103 Jeder Streitgenosse ist so zu behandeln, als ob er allein mit dem Gegner prozessieren würde.104 Auch können sich die Verfahren unterschiedlich entwickeln.105 Im Ergebnis handelt es sich daher vor allem um eine äußere, verfahrensrechtliche Verbindung; die materiell-rechtliche Behandlung der einzelnen Prozessrechts99 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011, § 81, Rn. 2. Vgl. zur letztgenannten Konstellation auch BGH, NJW 1975, S. 1228 f. 100 BeckOK-ZPO/Dressler, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 59, Rn. 6; Gottwald, JA 1982, S. 64, 65; Lindacher, JuS 1986, S. 379, 380; MüKo-ZPO/Schultes, 6. Aufl. 2020, § 59, Rn. 10. 101 BGH, NJW 1992, S. 981, 982; BeckOK-ZPO/Dressler, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 59, Rn. 1; Musielak/Voit/Weth, 17. Aufl. 2020, § 60, Rn. 2. 102 Saenger/Bendtsen, 8. Aufl. 2019, § 60, Rn. 1; Blomeyer, Enzyklopädie, 1963, § 109 vor I; Bruns, Zivilprozeßrecht, 1. Aufl. 1968, § 11 II, S. 83; BLAH/Bünnigmann, 78. Aufl. 2020, vor § 59, Rn. 2; BeckOK-ZPO/Dressler, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 59, Rn. 1; Gottwald, JA 1982, S. 64 f.; AK-ZPO/Koch, § 59, Rn. 1; Lindacher, JuS 1986, S. 379; MüKo-ZPO/Schultes, 6. Aufl. 2020, § 59, Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Schulze, 4. Aufl. 2017, § 59, Rn. 5; Musielak/ Voit/Weth, 17. Aufl. 2020, § 60, Rn. 2. So auch schon die Gesetzesbegründung, in der es heißt: „Abgesehen von den äußeren Vortheilen der Abkürzung, Vereinfachung und Kostenersparung hat die Verbindung mehrerer Prozesse zu gleichzeitiger Verhandlung und Entscheidung den Vortheil, daß sie eine übereinstimmende Beurtheilung der den verbundenen Prozessen gemeinsamen oder gleichartigen Streitpunkte garantiert.“, Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 171. 103 Stein/Jonas/Bork, 23. Aufl. 2014, § 61, Rn. 1. 104 BGH, NJW-RR 1989, S. 1099; Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 172. 105 So kann z. B. ein Streitgenosse durch Abschluss eines Vergleichs aus dem Rechtsstreit ausscheiden oder seinen Rechtsstreit für erledigt erklären, vgl. BeckOK-ZPO/Dressler, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 61, Rn. 9.
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
verhältnisse bleibt indes unberührt.106 So können die einzelnen Streitgenossen Angriffs- und Verteidigungsmittel unabhängig voneinander geltend machen und dieselben Tatsachen abweichend voneinander bestreiten oder zugestehen, sodass Widersprüche bei Beurteilung der Prozessrechtsverhältnisse entstehen können.107 Betreffen die nur von einem Streitgenossen vorgebrachten Angriffs- oder Verteidigungsmittel jedoch alle Streitgenossen und haben diese nicht selbst eine Erklärung abgegeben, so nimmt der BGH eine Geltung der Angriffs- und Verteidigungsmittel für alle Streitgenossen an.108 Auch kann das Gericht ein Geständnis oder Anerkenntnis eines Streitgenossen im Rahmen der freien Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO gegenüber den anderen Streitgenossen berücksichtigen.109 Erfolgt eine gemeinsame Beweisaufnahme, so darf das Gericht gemeinsame Tatsachen nur einheitlich würdigen.110 Auf der anderen Seite darf ein Streitgenosse aufgrund der rein prozessualen Verbindung und beibehaltenen Selbständigkeit der Rechtsverhältnisse keine materiell-rechtliche Verknüpfung zwischen den Klagen herstellen: So ist die Einlegung einer unselbständigen Anschlussberufung unter der Bedingung, dass die Klage des anderen Streitgenossen abgewiesen wird, unzulässig.111 Andernfalls würden die Prozesse entgegen § 61 ZPO auch innerlich miteinander verknüpft und das Gericht müsste – so der BGH – über die Berufung des Gegners der Streitgenossen entweder einheitlich entscheiden oder zuerst durch Teilurteil über den Anspruch desjenigen Streitgenossen befinden, von dessen Unterliegen die Anschlussberufung des anderen Streitgenossen abhängen soll.112 Wie die nachfolgende Darstellung zeigen wird, hält die Rechtsprechung trotz der Selbständigkeit der Prozessrechtsverhältnisse auch bei Erlass eines 106
Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 172. Auf die Motive verweist auch MüKo-ZPO/Schultes, 6. Aufl. 2020, § 59, Rn. 1. Auch die Vorschrift des § 61 ZPO spricht davon, dass die Streitgenossen „dem Gegner dergestalt als Einzelne gegenüberstehen, dass die Handlungen des einen Streitgenossen dem anderen weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen.“ 107 BGH, NJW-RR 1989, S. 1099; BHG, NJW-RR 2003, S. 1344; MüKo-ZPO/Schultes, 6. Aufl. 2020, § 61, Rn. 4. 108 BGH, NJW 2015, S. 2125, 2126; Stein/Jonas/Bork, 23. Aufl. 2014, § 61, Rn. 3; MüKo- ZPO/Schultes, 6. Aufl. 2020, § 61, Rn. 4. 109 OLG Frankfurt, GRUR-RS 2017, 146060, Rn. 72; Zöller/Althammer, 33. Aufl. 2020, § 61, Rn. 8; Thomas/Putzo/Hüßtege, 40. Aufl. 2019, § 61, Rn. 12. 110 RGZ 41, 415, 419; BGH, NJW-RR 1992, S. 253, 254; BeckOK-ZPO/Dressler, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 61, Rn. 7; Thomas/Putzo/Hüßtege, 40. Aufl. 2019, § 61, Rn. 12; Musielak/ Voit/Weth, 17. Aufl. 2020, § 61, Rn. 6. 111 BGH, NJW-RR 1989, S. 1099. Vgl. zur Unzulässigkeit der Verknüpfung einer Prozesshandlung eines Streitgenossen mit dem Ausgang des Verfahrens gegen einen anderen Streitgenossen auch Musielak/Voit/Weth, 17. Aufl. 2020, § 61, Rn. 2. 112 Vgl. BGH, NJW-RR 1989, S. 1099. Auf die Problematik der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei Erlass eines solchen Teilurteils geht der Senat jedoch nicht ein.
A. Unabhängigkeitsgebot im Rahmen objektiver und subjektiver Klagehäufung 129
Teilurteils über mehrere Streitgenossen – mit wenigen Ausnahmen – am Gebot der Unabhängigkeit fest.113
1. Teilurteil im Rahmen der subjektiven Klagehäufung a) Gebot der Unabhängigkeit Wie bei der objektiven Klagehäufung, so besteht auch bei der subjektiven Klagehäufung die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen, wenn die Ansprüche materiell-rechtlich miteinander verzahnt sind.114 Eine solche Verzahnung besteht insbesondere dann, wenn die Ansprüche gegen die Streitgenossen auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt beruhen.115 So hat z. B. das OLG Karlsruhe ein Teilurteil gegen einen von mehreren an einer Operation beteiligten Ärzten wegen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen für unzulässig erachtet, weil die gleiche Haftungsfrage im Rahmen des Schlussurteils erneut zu beantworten war.116 Auch gilt bei der subjektiven Klagehäufung, dass die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen durch die Möglichkeit einer abweichenden Beurteilung in der Rechtsmittelinstanz gegeben sein kann und damit zur Unzulässigkeit des Teilurteils führt.117 Hingegen wird ein Teilurteil – zu Recht – aufgrund fehlender Entscheidungsreife, und nicht wegen fehlender Unabhängigkeit, als unzulässig aufgehoben, wenn das Gericht die Beweisaufnahme zu einer Frage, die für die Entscheidung gegen mehrere oder alle Streitgenossen von Bedeutung ist, auf ein Prozessrechtsverhältnis beschränkt und über die anderen Streitgenossen durch Teilurteil entscheidet.118 Hintergrund ist, dass die Beweise aufgrund der Einheitlichkeit des Verfahrens nur einmal zu erheben und einheitlich zu würdigen sind, sodass unterschiedliche Ergebnisse in Bezug auf die Streitgenossen ausgeschlossen sind.119 In der Folge ist der Erlass eines Teilurteils unzulässig. 113 Zu den von der Rechtsprechung zugelassenen Ausnahmen siehe unten in diesem Kapitel A. II. 2., S. 132 ff. 114 BGH, NJW 2004, S. 1662, 1665; BGH, NJW 2007, S. 156, 157; BGH, MedR 2019, S. 216 f.; OLG Düsseldorf, NJOZ 2016, S. 1145, 1146; Regenfus, JA 2018, S. 888, 889, der darauf hinweist, dass eine solche Verzahnung bei einer Streitgenossenschaft die Regel sei, da andernfalls bereits die Voraussetzungen der §§ 59, 60 ZPO nicht vorliegen würden. 115 BGH, NJW 2004, S. 1452 ff. 116 OLG Karlsruhe, NJW-RR 2005, S. 798. Siehe hierzu auch Stein/ Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 12; Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 301, Rn. 3b; MüKo- ZPO/ders., 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 6. Siehe auch die Entscheidung des BGH vom 21.11.2017, in der der Senat ein Teilurteil über eine Amtshaftungsklage gegen einen beamteten Oberarzt, der zusammen mit der Klinik wegen desselben Schadens als einfacher Streitgenosse verklagt wurde, wegen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen als unzulässig aufgehoben hat, BGH, MedR 2019, S. 216 f. 117 Schleswig-Holsteinisches OLG, MDR 2002, S. 662; Schneider, MDR 2001, S. 232. 118 BGH, NJW-RR 1992, S. 253, 254. 119 BGH, NJW-RR 1992, S. 253, 254. Siehe auch OLG München, NJW-RR 1994, S. 1278,
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
b) Stellungnahme Die Anwendung des Gebots der Unabhängigkeit im Rahmen der subjektiven Klagehäufung entspricht – wie bereits im Fall der objektiven kumulativen Klagehäufung – dem hinter der einfachen Streitgenossenschaft stehenden Zweck, die Prozessrechtsverhältnisse einer gemeinsamen Verhandlung und Beweisaufnahme und damit einer einheitlichen Beurteilung der alle Streitgenossen betreffenden Streitpunkte zugänglich zu machen. Indem das Gebot der Unabhängigkeit den Erlass eines Teilurteils verhindert, wenn die Gefahr sich widersprechender Urteile besteht, wird eine einheitliche Entscheidung sichergestellt. Gleichwohl muss mit Blick auf die trotz Verbindung der Prozessrechtsverhältnisse rein prozessuale Verknüpfung gefragt werden, ob die Anwendung des Gebots der Unabhängigkeit gerechtfertigt ist. So kann die Selbständigkeit der Prozessrechtsverhältnisse120 auch eine unterschiedliche Beurteilung gemeinsamer Tatsachen durch das Gericht erfordern. Dies ist z. B. der Fall, wenn ein Streitgenosse eine Tatsache gesteht oder unstreitig stellt und ein anderer Streitgenosse dieselbe Tatsache bestreitet. In dieser Konstellation kann der eine Rechtsstreit vorzeitig zur Entscheidung reif und durch Teilurteil beschieden werden, während das Gericht hinsichtlich des Rests noch eine Beweisaufnahme durchführen muss. Die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen folgt dann aus der Natur der einfachen Streitgenossenschaft als prozessuale Verbindung materiell-rechtlich selbständiger Prozessrechtsverhältnisse, innerhalb derer jeder Streitgenosse über das ihn betreffende Verfahren disponieren kann.121 Darüber hinaus kann auch die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen infolge einer abweichenden Beurteilung in der Rechtsmittelinstanz nicht vollständig durch Nichterlass eines Teilurteils und Erlass eines Voll-Endurteils gem. § 300 Abs. 1 ZPO über alle Streitgenossen ausgeschlossen werden. Denn jeder Streitgenosse ist in der Frage der Rechtsmitteleinlegung unabhängig,122 sodass auch bei Erlass eines Voll-Endurteils gem. § 300 Abs. 1 ZPO im Fall das zugleich auf die fehlende Unabhängigkeit verweist (S. 1279). Auf die Unabhängigkeit abstellend auch Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 12. 120 Jeder Streitgenosse kann z. B. ein Anerkenntnis abgeben, einen Verzicht erklären, einen Vergleich abschließen oder die Klage zurücknehmen, vgl. MüKo-ZPO/Schultes, 6. Aufl. 2020, § 61, Rn. 5. 121 OLG Nürnberg, BeckRS 2013, 18666, das den Erlass eines Teilurteils in dieser Konstellation zugelassen hat. Siehe auch BeckOK-ZPO/Dressler, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 61, Rn. 10. 122 BGH, NJW-RR 2006, S. 286, 287; BeckOK-ZPO/Dressler, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 61, Rn. 13; Thomas/Putzo/Hüßtege, 40. Aufl. 2019, § 61, Rn. 15 f.; MüKo-ZPO/Schultes, 6. Aufl. 2020, § 61, Rn. 6. Ausdruck dieser Unabhängigkeit ist auch die oben erwähnte Entscheidung des BGH, wonach ein Streitgenosse keine materiell-rechtliche Verknüpfung zu den anderen Streitgenossen herstellen darf, indem er eine unselbständige Anschlussberufung unter der Bedingung einlegt, dass die Klage des anderen Streitgenossen abgewiesen wird, BGH, NJW-RR 1989, S. 1099.
A. Unabhängigkeitsgebot im Rahmen objektiver und subjektiver Klagehäufung 131
einer nicht durch alle Streitgenossen gleichermaßen erfolgenden Rechtsmitteleinlegung die Möglichkeit einer abweichenden Beurteilung einer mehrere Streitgenossen betreffenden Streitfrage durch das Rechtsmittelgericht besteht. Die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ist dann ebenfalls Resultat und notwendige Konsequenz der Selbständigkeit der Prozessrechtsverhältnisse. Mit Blick auf die Unabhängigkeit der Streitgenossen voneinander und die Möglichkeit sich widersprechender Entscheidungen infolge der rein prozessualen Verbindung der Prozessrechtsverhältnisse könnte man den Nichterlass eines Teilurteils über einen von mehreren Streitgenossen aufgrund der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen daher insgesamt für ungerechtfertigt erachten. Hiergegen spricht jedoch, dass in den vorgenannten Fällen die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen auf das Handeln der Parteien im Rahmen ihrer selbständigen Prozessführung zurückzuführen ist, während die Widerspruchsgefahr auch unabhängig von der Selbständigkeit der Prozessrechtsverhältnisse durch Teilurteilserlass eintreten kann. Eine solche Gefahr besteht insbesondere dann, wenn die Streitgenossen durch einen komplexen einheitlichen Lebenssachverhalt verbunden sind, der je nach Beurteilung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. So liegt z. B. der Fall, wenn der Direktor eines Krankenhauses und ein Belegarzt als einfache Streitgenossen auf Zahlung von Schmerzensgeld verklagt werden, wobei dem Direktor Organisationsmängel und dem Belegarzt Behandlungsfehler vorgeworfen werden und beide Vorwürfe in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen.123 In einer solchen Konstellation besteht die Möglichkeit, dass das Gericht bei Erlass eines Teilurteils nur über einen der Streitgenossen solche Tatsachen, die beiden Prozessrechtsverhältnissen zugrunde liegen, im Schlussurteil abweichend beurteilt. In diesem Fall ist es jedoch gerechtfertigt, das Gebot der Unabhängigkeit anzuwenden und den Erlass eines Teilurteils zu untersagen. Andernfalls würden eine Trennung von Verhandlung und Entscheidung durch Erlass eines Teilurteils und damit die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen drohen, ohne dass diese auf die Selbständigkeit der Streitgenossen und ein Handeln der Parteien zurückzuführen sind. Dies würde jedoch sowohl dem 123 So in BGH, NJW 2004, S. 1452 ff. In dieser Entscheidung hat der BGH ausgeführt: „Es handelt sich um einen komplexen einheitlichen Lebenssachverhalt, der auch dadurch geprägt ist, dass die Tätigkeit der anwesenden Hebamme je nach Zeitabschnitt und rechtlicher Sicht dem Bekl. zu 1 [dem Belegarzt] oder dem Bekl. zu 2 [dem Direktor des Krankenhauses] zugeordnet werden kann. Da das BerGer. ein – durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellendes – ärztliches Tätigwerden im Vorfeld des Geburtsvorgangs für erforderlich hält, kann es für die Haftung beider Bekl. darauf ankommen, welche ärztlichen Maßnahmen situationsbedingt erforderlich waren. Dass hier eine ausreichend deutliche zeitliche oder sachbedingte Zäsur vorliegt, die eine widerspruchsfreie, völlig getrennte Beurteilung beider Verantwortungsbereiche ermöglicht, lässt sich auf Grund der bisher getroffenen Feststellungen nicht ausreichend sicher sagen.“
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
hinter der Verbindung mehrerer Prozessrechtsverhältnisse stehenden Zweck einer gemeinsamen Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung sowie der Intention des Gesetzgebers, durch Erlass eines Teilurteils eine getrennte Entscheidung bei ungetrennter Verhandlung herbeizuführen, zuwiderlaufen. Im Ergebnis ist die Anwendung des Gebots der Unabhängigkeit im Rahmen der einfachen Streitgenossenschaft daher insoweit gerechtfertigt, als die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen nicht auf die Selbständigkeit der Prozessrechtsverhältnisse und das Handeln der Parteien zurückzuführen ist. Beruht die Widerspruchsgefahr hingegen auf dem Handeln der Streitgenossen im Rahmen ihrer selbständigen Prozessführung, so ist der Erlass sich ggf. widersprechender Entscheidungen gerechtfertigt. Denn das Gebot der Unabhängigkeit verfolgt nicht den Zweck, die Parteien in ihrer Disposition und Prozessführung zu beschränken.124 Gibt einer der Streitgenossen daher z. B. ein Anerkenntnis ab und wird der Rechtsstreit insoweit zur Entscheidung reif, so ist die für ein Teilurteil erforderliche Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil Folge der Selbständigkeit der Prozessrechtsverhältnisse und der Erlass eines Teilurteils sachgerecht. Besteht die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen jedoch ungeachtet der selbständigen Prozessführung, so ist die Anwendung des Gebots der Unabhängigkeit mit Blick auf den Zweck der subjektiven Klagehäufung und die hinter § 301 ZPO stehende Intention des Gesetzgebers gerechtfertigt.
2. Ausnahmen vom Gebot der Unabhängigkeit a) Teilurteil im Fall der Verfahrensunterbrechung durch Insolvenz gem. § 240 ZPO Für den Fall, dass ein Verfahren wegen Eröffnung eines Konkurs- oder Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines einfachen Streitgenossen gem. § 240 ZPO unterbrochen wird, hat der BGH entschieden, dass ein Teilurteil über das Verfahren der übrigen Streitgenossen trotz der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zulässig ist, wenn nicht abzusehen ist, dass die Unterbrechung alsbald aufgehoben wird.125 Die sonst bei der subjektiven Klagehäufung geltenden Grundsätze, dass die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen dem Erlass eines Teilurteils entgegenstehe und eine Beweisaufnahme aufgrund der Einheitlichkeit des Verfahrens für alle Prozessrechtsverhältnisse ge124 So
führt auch der BGH im Kontext zulässiger Widersprüche im Rahmen der beschränkten Rechtsmitteleinlegung aus: „§ 301 I ZPO regelt allein die Zulässigkeit gerichtlicher Entscheidungen. Aus dieser Vorschrift lässt sich eine Beschränkung der Dispositionsbefugnis der Parteien […] nicht herleiten.“, BGHZ 170, 180 Rn. 8 = NJW 2007, S. 1466 Rn. 8. Siehe zu dieser Entscheidung unten 6. Kapitel. C. I. 2., S. 241 f. 125 BGH, NJW-RR 2003, S. 1002 f.; BGHZ 189, 356 Rn. 17 = NJW 2011, S. 2736 Rn. 17; BGH, NJW-RR 2013, S. 683, 685; BGH, NJW 2007, S. 156, 157; BGH, GRUR 2017, S. 520, 521. So auch schon BGHZ 148, 214, 216 = NJW 2001, S. 3125, ohne jedoch die Ausnahme zu begründen.
A. Unabhängigkeitsgebot im Rahmen objektiver und subjektiver Klagehäufung 133
meinsam zu erfolgen habe, fänden im Fall einer Verfahrensunterbrechung gem. § 240 ZPO keine Anwendung.126 Gerechtfertigt sei diese Ausnahme aufgrund der faktischen Trennung der Verfahren, die durch die Unterbrechung infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über einen Streitgenossen eintrete. Darüber hinaus sei die Dauer der Unterbrechung ungewiss und könne sich durchaus auf mehrere Jahre belaufen. Aufgrund der fehlenden Möglichkeit der Streitgenossen, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beeinflussen, sei es daher „mit dem Anspruch der übrigen Prozessbeteiligten auf einen effektiven Rechtsschutz nicht vereinbar, wenn die Unterbrechung des Verfahrens eine Entscheidung nur deshalb nachhaltig verzögern würde, weil die abstrakte Gefahr einer widersprüchlichen Entscheidung nach einer eventuellen Aufnahme des Verfahrens besteh[e].“127
Beruhe die Verzögerung jedoch auf dem Willen einer Partei und könne das Verfahren jederzeit durch Parteihandeln beendet werden, sei der Erlass eines Teilurteils trotz der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen mangels Gefährdung des Anspruchs auf einen effektiven Rechtsschutz unzulässig; eine Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit sei dann nicht gerechtfertigt.128
b) Teilurteil im Fall der Verfahrensunterbrechung gem. § 239 ZPO oder -aussetzung gem. § 246 ZPO durch Tod einer Partei bei Unkenntnis der Erben Auch im Fall einer Verfahrensunterbrechung oder -aussetzung durch Tod einer Partei hat der BGH eine Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit zugelassen, wenn mangels Kenntnis von den Erben nicht absehbar ist, wann das Verfahren insgesamt fortgesetzt werden kann und ein Teilurteil aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen im Verhältnis zu den übrigen Streitgenossen ansonsten nicht ergehen darf.129 In Anlehnung an seine Rechtsprechung zu § 240 ZPO hat der BGH die Ausnahme mit der durch den Tod einer Partei eintretenden faktischen Verfahrenstrennung begründet.130 Wie auch bei einer Unterbrechung aufgrund Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestünde – soweit nicht andere Anhaltspunkte vorliegen – das Risiko einer immensen Verfahrensverzögerung, die mit dem Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz nicht zu vereinbaren sei.131 Entgegen 126 127
BGH, NJW-RR 2003, S. 1002 f. BGH, NJW-RR 2003, S. 1002, 1003; zustimmend Hirtz, EWiR 2003, S. 493 f. 128 BGH, NJW-RR 2013, S. 683, 685. Siehe hierzu die Anmerkungen von Hirtz, EWiR 2013, S. 457 f. und Elzer, FD-ZVR 2013, 345271, die der Entscheidung des BGH zustimmen. 129 BGH, NJW 2007, S. 156, 157 f.; OLG Celle, OLGR Celle 2009, S. 190, 191. 130 BGH, NJW 2007, S. 156, 157 f. 131 Mangels Kenntnis von den Erben als Prozessnachfolger und der Möglichkeit zur Anhörung derselben habe in dem zu entscheidenden Fall auch keine Möglichkeit zur Trennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO bestanden, um das Verfahren fortzuführen, vgl. BGH, NJW 2007, S. 156, 157.
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
der Auffassung des Berufungsgerichts sei die Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit jedoch nicht mit dem Verhalten der Parteien zu rechtfertigen. So hatte das Berufungsgericht das Teilurteil – unter Abweichung vom Gebot der Unabhängigkeit – mit der Begründung erlassen, nicht das Gericht, sondern die Parteien selbst hätten durch ihr willkürliches Verhalten, d. h. durch Stellung der Klageanträge und der damit einhergehenden Spaltung der Ansprüche, die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen herbeigeführt.132 Der BGH hielt dem jedoch entgegen, es sei nicht maßgeblich, „wer für die Gefahr widersprechender Entscheidungen ‚verantwortlich‘ [sei].“133 Da die Verantwortung zudem stets beim Gericht liege, das das Teilurteil erlasse oder gem. § 301 Abs. 2 ZPO von diesem absehen könne, stelle die Verantwortlichkeit auch kein zweckmäßiges Kriterium dar, um eine Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit zu rechtfertigen. Die Parteien könnten durch ihr Verhalten nur zur vorzeitigen Entscheidungsreife eines von mehreren Teilen beitragen, nicht jedoch die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen erzeugen.134 Die Herbeiführung der Entscheidungsreife allein rechtfertige es jedoch nicht, vom Gebot der Unabhängigkeit abzusehen.135 Eine Ausnahme sei daher nur zulässig, wenn – wie im Rahmen des § 240 ZPO – eine Unterbrechung oder Aussetzung zu einer Gefährdung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz führe.136
c) Exkurs: Gefährdung des Justizgewährungsanspruchs als ein das Teilurteil stets rechtfertigender Grund? Mit Blick auf die von der Rechtsprechung zugelassenen Ausnahmen vom Gebot der Unabhängigkeit zugunsten eines effektiven Rechtsschutzes bei Erlass eines Teilurteils über einen von mehreren Streitgenossen zur Vermeidung einer überlangen Verfahrensdauer im Rahmen der §§ 239, 240 und § 246 ZPO stellt sich die Frage, ob der Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz generell zur Nichtanwendung des Gebots der Unabhängigkeit führen kann bzw. sollte. Um dies zu beantworten, werden nachfolgend zunächst Grundlage und Inhalt des Justizgewährungsanspruchs zusammenfassend erläutert. 132
BGH, NJW 2007, S. 156, 157. BGH, NJW 2007, S. 156, 157. Insoweit setzt sich der BGH mit der von Jauernig vertretenen Ansicht in Einklang, die Trennung erfolge durch den Erlass des Teilurteils und nicht durch Stellung der Klageanträge, Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 315. Siehe zur Ansicht Jauernigs oben 3. Kapitel. C. II. 7., S. 88 f. Im Gegensatz hierzu geht Schumann von einer Zersplitterung durch Stellung der Klageanträge durch die Parteien aus, Schumann, FS Larenz, 1983, S. 571, 589, siehe zur Ansicht Schumanns oben 3. Kapitel. C. II. 4., S. 85 f. 134 So zum Beispiel, wenn nur ein Teil der Klage bestritten wird, vgl. BGH, NJW 2007, S. 156, 157. 135 BGH, NJW 2007, S. 156, 157. 136 BGH, NJW 2007, S. 156, 157. 133
A. Unabhängigkeitsgebot im Rahmen objektiver und subjektiver Klagehäufung 135
aa) Herleitung des Justizgewährungsanspruchs Der Anspruch des Einzelnen auf Justizgewährung in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten wird mangels ausdrücklicher Bestimmung auf nationaler Ebene137 aus dem Rechtsstaatsprinzip i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitet.138 Gegen Akte der öffentlichen Gewalt bietet Art. 19 Abs. 4 GG einen ausdrücklich normierten Rechtsschutz.139 Da Art. 19 Abs. 4 GG jedoch nur einen Schutz durch und nicht gegen den Richter gewährt, fallen Akte der Rechtsprechung nicht unter die Vorschrift.140 Auch Art. 101 Abs. 1. S. 2 GG und Art. 103 Abs. 1 GG vermögen nicht als Grundlage für den Justizgewährungsanspruch zu dienen: Während Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG die gerichtsinterne Zuständigkeit betrifft, erfasst Art. 103 Abs. 1 GG die Rechtslage „vor Gericht“ und nicht den Weg „zum Gericht“.141 Mit Blick auf das Verbot der Selbsthilfe,142 das staatliche Gewaltmonopol und die innerstaatliche Friedenspflicht bedarf es jedoch auch für zivilrechtliche Streitigkeiten eines angemessenen Ausgleichs für den Bürger zur Durchsetzung seiner Rechte.143 Dieser Ausgleich wird durch die dem Staat obliegende Pflicht zur Bereitstellung eines Systems zur Rechtsdurchsetzung und durch die Möglichkeit des Einzelnen, diese Pflichtausübung in Anspruch zu nehmen, geschaffen.144 Während das Rechtsstaatsprinzip die Pflicht des Staates zur Be137 Auf völkerrechtlicher Ebene folgt der Anspruch auf Zugang zu den Gerichten aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, der jedem Einzelnen ein Recht darauf gewährt, dass über zivilrechtliche Streitigkeiten von einem Gericht in unabhängiger und unparteiischer Weise in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird, vgl. hierzu auch Stein/Jonas/Brehm, 23. Aufl. 2014, Einleitung, Rn. 286; R. Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2017, S. 7 f.; Isensee/Kirchhof/Papier, 3. Aufl. 2010, § 176, Rn. 9. 138 BVerfG, NJW 1997, S. 2811, 2812; BGHZ 210, 292 Rn. 52 = NJW 2016, S. 2266 Rn. 52; Ahrens, FS 300 Jahre OLG Celle, 2011, S. 257, 260; Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325, 328; Mangoldt/Klein/Starck/Huber, 7. Aufl. 2018, Art. 19, Rn. 362; R. Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2017, S. 8 f.; Maunz/Dürig/SchmidtAßmann, 87. EL 2019, Art. 19 Abs. 4, Rn. 16; Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann, 7. Aufl. 2018, Art. 2, Rn. 322. 139 Bethge, NJW 1991, S. 2391, 2394; Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 323, 329; Maurer, 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band II, 2001, S. 467, 491; ders., FS Bethge, 2009, S. 535 f.; Isensee/Kirchhof/Papier, 3. Aufl. 2010, § 176, Rn. 1, 20; Schwab/Gottwald, Verfassung und Zivilprozeß, 1984, S. 32. 140 BVerfGE 65, 76, 90 = NJW 1983, S. 2929. 141 Isensee/Kirchhof/Papier, 3. Aufl. 2010, § 176, Rn. 3. Vgl. auch Maunz/Dürig/Jachmann-Michel, 87. EL 2019, Art. 101, Rn. 4 f.; Maurer, 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band II, 2001, S. 467, 491. 142 Selbsthilfe ist nur in engen gesetzlichen Grenzen zulässig, wenn dies zur Abwendung eines Rechtsverlustes zwingend geboten ist (z. B. §§ 227–229 BGB), Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, Einleitung, Rn. 6. 143 Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, Einleitung, Rn. 6; Maurer, 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band II, 2001, S. 467, 491 f.; Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, S. 218; Schmidt-Jortzig, NJW 1994, S. 2569, 2571. 144 Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325, 327; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl.
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
reitstellung eines Systems zur Rechtsdurchsetzung statuiert, ermöglicht Art. 2 Abs. 1 GG dem Bürger die Herbeiführung dieser Pflicht.145 Im Ergebnis stellt der Justizgewährungsanspruch damit ein subjektives öffentliches Recht des Einzelnen gegen den Staat dar, das die Kehrseite zum staatlichen Gewaltmonopol, zur innerstaatlichen Friedenspflicht und dem Selbsthilfeverbot bildet.146
bb) Inhalt des Justizgewährungsanspruchs Der Justizgewährungsanspruch umfasst neben dem Recht auf Zugang zu den Gerichten den Anspruch auf eine „grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes und eine verbindliche Entscheidung durch einen Richter.“147 Hierzu gehört auch der Anspruch auf Durchführung des Verfahrens in einem zeitlich angemessenen Rahmen, d. h. ein Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz.148 Das Erfordernis einer verbindlichen richterlichen Entscheidung nimmt hierbei als Voraussetzung für einen wirksamen Rechtsschutz eine zentrale Rolle ein:149 Es dient dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit, die auch einen wesentlichen Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips darstellen.150 Gleichwohl folgt aus der Pflicht zum Erlass eines abschließenden Urteils keine inhaltliche Festlegung der Einzelheiten der subjektiven und objektiven Grenzen der Rechtskraft; insoweit steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu.151 Im Ergebnis besteht der Anspruch auf Justizgewährung damit nur im Rahmen der geltenden Prozessgesetze.152 Zwar müssen sich die Prozessvorschriften an dem Inhalt des Justizgewährungsanspruchs messen lassen.153 Der 2011, § 1, Rn. 3; Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, S. 218; Isensee/Kirchhof/Schmidt-Aßmann, 3. Aufl. 2004, § 26, Rn. 71. 145 Maurer, FS Bethge, 2009, S. 535, 536; Zuck, NJW 2013, S. 1132. 146 BVerfGE 54, 277, 291 = NJW 1981, S. 39, 41; Bethge, NJW 1991, S. 2391, 2393; Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325, 327; MüKo-ZPO/Rauscher, 6. Aufl. 2020, Einleitung, Rn. 18; Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, S. 217 ff.; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, 87. EL 2019, Art. 19 Abs. 4, Rn. 16. 147 BVerfGE 54, 277, 291 = NJW 1981, S. 39, 41. Vgl. auch Bruns, FS Stürner, 2013, S. 257; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 3, Rn. 1. 148 BVerfGE 55, 349, 369 = NJW 1981, S. 1499, 1500; Isensee/Kirchhof/Papier, 3. Aufl. 2010, § 176, Rn. 18; Schmidt-Jortzig, NJW 1994, S. 2569. 149 Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, 1970, S. 120 ff.; Isensee/Kirchhof/Papier, 3. Aufl. 2010, § 176, Rn. 20. 150 Isensee/Kirchhof/Papier, 3. Aufl. 2010, § 176, Rn. 20; Isensee/Kirchhof/Schmidt-Aßmann, 3. Aufl. 2004, § 26, Rn. 81. Im Rahmen der Judikative wird die Rechtssicherheit durch die Rechtskraft als verfassungsrechtlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips gewährleistet, Maunz/Dürig/Grzeszick, 87. EL 2019, Art. 20, Rn. 49 f. 151 Isensee/Kirchhof/Papier, 3. Aufl. 2010, § 176, Rn. 20. 152 Wieczorek/Schütze/Prütting, 4. Aufl. 2015, Einleitung, Rn. 115. So ist auch die Zahlung eines Gerichtskostenvorschusses mit dem Grundgesetz vereinbar, vgl. BVerfGE 10, 264, 267 = NJW 1960, S. 331. 153 Bethge, NJW 1991, S. 2391, 2393 f., der im Rahmen seiner Ausführungen zum Rechts-
A. Unabhängigkeitsgebot im Rahmen objektiver und subjektiver Klagehäufung 137
Justizgewährungsanspruch selbst konkretisiert jedoch nur den äußeren Rahmen; eine inhaltliche Festlegung gibt er indes nicht vor. Die Grenze der Ausgestaltung ist erreicht, wo durch eine Norm der Zugang zu den Gerichten oder die Rechtsdurchsetzung in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird.154 Eine solche unzumutbare Erschwerung tritt z. B. ein, wenn die Parteien aufgrund überlanger Verfahrensdauer eine endgültige Entscheidung nicht in einem angemessenen Zeitraum erzielen können. Die Durchführung des Verfahrens in einem zeitlich angemessenen Rahmen stellt damit einen weiteren unerlässlichen Aspekt zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dar.155 Aus diesem Grund ist es dem Richter versagt, den Rechtsstreit durch grundlose Unterlassung einer Terminierung oder Nichtvornahme einer Beweisaufnahme zu verzögern und eine Entscheidung trotz Vorliegens von Entscheidungsreife in der Sache zu verweigern.156 Welcher Zeitraum angemessen im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes ist, ist dabei von Fall zu Fall zu beurteilen und bedarf einer Abwägung im Einzelfall.157 Kommt es zu einer überlangen Verfahrensdauer und erleidet ein Beteiligter dadurch einen Nachteil, so sieht die Vorschrift des § 198 GVG, die durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 eingeführt wurde, eine angemessene Entschädigung vor. Für die Frage nach der Angemessenheit verweist § 198 Abs. 1 S. 2 GVG auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere auf die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.158 Der BGH hat darauf basierend die Verfahrensdauer dann für unangemessen erachtet, „wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 S. 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die pflege-Entlastungsgesetz darauf hinweist, dass die verfahrensrechtlichen Anforderungen an den Zugang zu den Gerichten und der Weg in die Rechtsmittelinstanz nicht zu einer Gefährdung des durch den Justizgewährungsanspruch gesicherten Rechtsschutzes führen dürften. 154 BVerf GE 10, 264, 267 = NJW 1960, S. 331; Wieczorek/Schütze/Prütting, 4. Aufl. 2015, Einleitung, Rn. 115. 155 BVerfG, NJW 1997, S. 2811, 2812; Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325, 328; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, 1970, S. 122 f.; Maurer, FS Bethge, 2009, S. 535, 542; Isensee/Kirchhof/Papier, 3. Aufl. 2010, § 176, Rn. 19, 21; Zuck, NJW 2013, S. 1132. 156 Stein/Jonas/Brehm, 23. Aufl. 2014, Einleitung, Rn. 290. Siehe zur Entscheidungspflicht des Richters auch Kirchhof, NJW 1986, S. 2275, 2280. 157 BVerfG, NJW 1997, S. 2811, 2812. Siehe zur Entschädigung im Fall einer überlangen Verfahrensdauer gem. § 198 GVG auch R. Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2017. 158 Daneben wird teilweise als entscheidend erachtet, ob das Gericht eine Verfahrenshandlung hätte früher vornehmen können, so z. B. Böcker, DStR 2011, S. 2173, 2174 f.; Gercke/Heinisch, NStZ 2012, S. 300, 301. Kritisch hierzu R. Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2017, S. 14.
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staats, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist.“159
Die Bezugnahme auf die verfassungsrechtlichen Normen verdeutliche – so der BGH –, dass nicht jede Verzögerung für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer ausreiche; vielmehr müsse die Prozessdauer hierfür eine Grenze überschreiten, die für die Beteiligten unzumutbar und sachlich nicht mehr gerechtfertigt sei.160
cc) Gebot der Unabhängigkeit als Gefährdung eines effektiven Rechtsschutzes? Das Gebot der Unabhängigkeit hat zur Folge, dass ein Teilurteil trotz teilweiser Entscheidungsreife nicht ergehen darf, wenn die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen besteht. Unstreitig führt das Gebot damit zu einer Verzögerung des Verfahrens, soweit die geltend gemachten Ansprüche oder Prozessrechtsverhältnisse in einem materiell-rechtlichen Zusammenhang stehen. Eine solche Verzögerung könnte den Erlass eines Teilurteils unter Zulassung der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen jedoch nur dann stets rechtfertigen, wenn die Anwendung der Unabhängigkeit in allen Fällen, in denen ein Teilurteil aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen nicht ergehen darf, zu einer den Justizgewährungsanspruch gefährdenden Verfahrensverzögerung führen würde. Da die Anforderungen an die Annahme eines Verstoßes gegen den Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz infolge einer Verfahrensverzögerung jedoch sehr hoch sind, ist nicht jede auf das Gebot der Unabhängigkeit zurückzuführende Verfahrensverzögerung geeignet, einen solchen Verstoß zu rechtfertigen. Wie die im Rahmen der §§ 239, 240 und § 246 ZPO von der Rechtsprechung zugelassenen Ausnahmen zeigen, bedarf es vielmehr einer insgesamt ungewissen Verfahrensdauer und einer fehlenden Einflussmöglichkeit der Parteien auf den Fortgang des Prozesses, um eine Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit zugunsten eines effektiven Rechtsschutzes zu rechtfertigen. Nur eine für die Parteien unzumutbare Verzögerung einer in den Gründen einheitlichen Entscheidung kann den Erlass eines Teilurteils trotz der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen gestatten.
dd) Stellungnahme Der Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz als Bestandteil des Justizgewährungsanspruchs ist nicht geeignet, den Erlass eines Teilurteils per se, d. h. ungeachtet der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen einzufordern. 159 160
BGHZ 199, 87 Rn. 28 = NJW 2014, S. 220 Rn. 28. BGHZ 199, 87 Rn. 31 = NJW 2014, S. 220 Rn. 31.
A. Unabhängigkeitsgebot im Rahmen objektiver und subjektiver Klagehäufung 139
Dies ist mit Blick auf die hohen Anforderungen an einen Verstoß gegen den Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz gerechtfertigt. Denn ob sich ein Verfahren in unangemessener Weise verzögert, bedarf einer Abwägung im Einzelfall; feste Grenzen hat der Gesetzgeber bewusst nicht festgelegt.161 Es wäre daher nicht sachgerecht, jede durch Anwendung des Unabhängigkeitsgebots entstehende Verfahrensverzögerung unabhängig von deren Dauer als eine den Justizgewährungsanspruch gefährdende Verzögerung zu betrachten und auf diese Weise – ohne dass ein hinreichender Grund vorliegt – durch Erlass eines Teilurteils trotz der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen eine Trennung von Verhandlung und Entscheidung und damit des Verfahrens herbeizuführen, obgleich nach der Intention des Gesetzgebers Teil- und Schlussurteil eine einheitliche Verhandlung zugrunde liegen und eine Trennung des Prozesses gerade nicht stattfinden soll.162 Darüber hinaus ist es denkbar, dass auch der Erlass eines Teilurteils in der Gesamtschau zu einer größeren Verzögerung des Verfahrens führt als das Abwarten des Eintritts der Entscheidungsreife des gesamten Rechtsstreits. Denn legt die im Teilurteil unterliegende Partei aufgrund der ansonsten eintretenden Rechtskraft – soweit zulässig – Rechtsmittel gegen das Teilurteil ein und steht das im Rechtsmittelverfahren anhängige Teilurteil mit dem der Entscheidung durch Schlussurteil vorbehaltenen Teil in rechtlichem Zusammenhang, so wird das erstinstanzliche Gericht unter Umständen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts bis zum Erlass des Schlussurteils abwarten wollen. Je nachdem, wie umfangreich sich das Rechtsmittelverfahren gestaltet, kann dann eine erhebliche Verzögerung des restlichen, dem Schlussurteil vorbehaltenen Verfahrens eintreten. Mit Blick auf die hohen Anforderungen an einen Verstoß gegen den Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz und die Möglichkeit einer Verzögerung des Rechtsstreits auch bei Erlass eines Teilurteils steht der Anspruch des Einzelnen auf Justizgewährung der Anwendung der Unabhängigkeit als ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung zum Zwecke einer in den Gründen einheitlichen Entscheidung daher nicht grundsätzlich entgegen.
d) Teilurteil bei fehlender internationaler Zuständigkeit hinsichtlich eines Streitgenossen Auch bei fehlender internationaler Zuständigkeit hinsichtlich eines Streitgenossen ist der Erlass eines Teilurteils zulässig.163 Im Gegensatz zu den vorherigen Konstellationen der §§ 240, 239 ZPO und § 246 ZPO bedarf es mangels der Ge161 162
BT-Drucks. 17/3802, S. 18. Siehe zum Teilurteil als Instrument zur Abschichtung des Prozessstoffs durch Erlass getrennter Entscheidungen bei ungetrennter Verhandlung oben S. 62 ff. 163 BGH, NJW 2015, S. 2429 f.; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 13.
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
fahr sich widersprechender Entscheidungen hierfür jedoch keiner Ausnahme. Da infolge der fehlenden internationalen Zuständigkeit bereits kein Sachurteil ergehen darf, kann auch die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei Erlass eines abweisenden Teil-Prozessurteils nicht eintreten.164
e) Aber: Keine Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit bei Ruhen des Verfahrens gem. § 251 ZPO und Aussetzung des Prozesses gem. § 148 ZPO aa) Ruhen des Verfahrens gem. § 251 ZPO Keine Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit hat der BGH in seiner Entscheidung vom 11.05.2011165 hingegen für den Fall zugelassen, dass das Gericht nach Erlass eines Teilurteils für den noch bei ihm anhängigen Teil auf Antrag der Parteien gem. § 251 ZPO das Ruhen des Verfahrens anordnet.166 In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall stritten die Parteien – auf Klägerseite standen 418 Beteiligte in einfacher Streitgenossenschaft – um die Wirksamkeit von insgesamt vier Gaspreiserhöhungen des beklagten Energieversorgungsunternehmens. Den Vertragsverhältnissen zwischen den Klägern und dem Energieversorgungsunternehmen lagen jeweils von den Klägern unterzeichnete Vertragsformulare zugrunde. Die Kläger beantragten die Feststellung, dass die in den jeweiligen Gasversorgungsverträgen geltenden Preise fortbestünden. Das in der ersten Instanz zuständige Landgericht wies die Klage hinsichtlich der ersten drei Preiserhöhungen durch Teilurteil ab. Nachdem ein Teil der Kläger Berufung gegen das Teilurteil eingelegt hatte, ordnete das Landgericht auf übereinstimmenden Antrag der Parteien hinsichtlich des noch bei ihm anhängigen Teils das Ruhen des Verfahrens gem. § 251 ZPO bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über das Teilurteil an. Auf die Berufung der Kläger hob das OLG Dresden das Teilurteil auf und gab der Klage statt. Die hiergegen eingelegte Revision des beklagten Energieversorgers hatte Erfolg und führte zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der BGH führte aus, das Landgericht habe das Teilurteil aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen in unzulässiger Weise erlassen; ein Ausnahmefall infolge der Anordnung des Ruhens des Verfahrens liege mangels einer vergleichbaren Situation wie im Fall einer Unterbrechung des Verfahrens durch Insolvenz oder Tod nicht vor.167 Da die Verzögerung durch das Ruhen des Verfahrens auf dem Willen der Parteien beruhe und diese das Verfahren jederzeit wieder aufnehmen könnten, bestehe kein Raum für eine Ausnahme vom 164
Siehe vorangehende Fn. 163. BGH, Urt. v. 11.05.2011, Az. VIII ZR 42/10 = BGHZ 189, 356 ff. = NJW 2011, S. 2736 ff. Im Rahmen dieser Entscheidung hat der BGH auch erstmals die Unzulässigkeit eines Teilurteils als einen von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensfehler angesehen. 166 BGHZ 189, 356 Rn. 15 ff. = NJW 2011, S. 2736 Rn. 15 ff. Zustimmend Kreße, NJ 2011, S. 474 f.; kritisch hingegen Stamm, LMK 2011, 321451. 167 BGHZ 189, 356 Rn. 15 ff. = NJW 2011, S. 2736 Rn. 15 ff. 165
A. Unabhängigkeitsgebot im Rahmen objektiver und subjektiver Klagehäufung 141
Gebot der Unabhängigkeit. Der Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz könne nicht als Rechtfertigung herangezogen werden.168 Kritisiert wurde diese Entscheidung von Stamm, der das Urteil mit Blick auf die Funktion eines Teilurteils als Musterentscheidung für fehlerhaft erachtet hat.169 Zwar stimmt Stamm der grundsätzlichen Anwendung des Gebots der Unabhängigkeit zum Zwecke der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen mit Blick auf die öffentliche Wahrnehmung der Justiz zu.170 Das Gebot der Unabhängigkeit dürfe jedoch „nicht zum Selbstzweck mutieren, insbesondere nicht in dem von der Dispositionsmaxime beherrschten Zivilprozess.“171 Indem der BGH das Teilurteil trotz Antrags der Parteien auf Ruhen des Verfahrens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über das Teilurteil für unzulässig erachtet habe, lasse er das Interesse an einem Teilurteil als Musterentscheidung und den ausdrücklich geäußerten Willen der Parteien zur zügigen Herbeiführung einer solchen Entscheidung außer Acht. Die von den Parteien beantragte Aussetzung bis zum Eintritt der Rechtskraft sei jedoch eine mit Blick auf die Grundsätze der Dispositionsmaxime und Prozessökonomie zulässige unwiderrufliche Befristung und Selbstbindung. Dies habe der BGH verkannt.172
bb) Verfahrensaussetzung gem. § 148 Abs. 1 ZPO In ähnlicher Weise wie im Rahmen des § 251 ZPO verneint der BGH eine Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit auch dann, wenn das Gericht das Verfahren über einen von mehreren Streitgenossen gem. § 148 Abs. 1 ZPO aussetzt.173 Im Unterschied zu einer Verfahrensunterbrechung gem. § 240 ZPO, gegen die eine Partei machtlos sei, könne der Aussetzungsbeschluss gem. § 252 ZPO angefochten werden. Eine Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit auf Grundlage des effektiven Rechtsschutzes sei daher nicht gerechtfertigt.174
f) Stellungnahme Betrachtet man die vom BGH im Rahmen der subjektiven Klagehäufung zugelassenen Ausnahmen, so ist diesen gemein, dass auf Kläger- und/oder Be168 BGHZ 189, 356 Rn. 15 ff. = NJW 2011, S. 2376 Rn. 15 ff.; a. A. noch OLG Düsseldorf, WM 2008, S. 750, 751 und Saenger/Saenger, 3. Aufl. 2009, § 301, Rn. 6. 169 Stamm, LMK 2011, 321451. Siehe zur Funktion des Teilurteils als Musterentscheidung auch BGHZ 157, 133, 143 = NJW 2004, S. 1662, 1665. 170 Stamm, LMK 2011, 321451. 171 Stamm, LMK 2011, 321451. 172 Stamm, LMK 2011, 321451. 173 BGH, GRUR 2015, S. 1201, 1205. Da die Entscheidung vor Einführung des § 148 Abs. 2 ZPO durch das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12.07.2018, in Kraft getreten am 01.11.2018, ergangen ist, differenziert die Entscheidung nicht zwischen § 148 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO und bezieht sich auf den heutigen § 148 Abs. 1 ZPO. 174 BGH, GRUR 2015, S. 1201, 1205.
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
klagtenseite mehrere Parteien als einfache Streitgenossen beteiligt sind, die Verfahrensunterbrechung bzw. -aussetzung durch ein Ereignis von außen veranlasst wird, die Unterbrechung bzw. Aussetzung nur gegen einen Streitgenossen wirkt, ein Teilurteil gegen die übrigen Streitgenossen aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen nach einer eventuellen Wiederaufnahme des Verfahrens nicht ergehen darf und die übrigen Streitgenossen die Wiederaufnahme des Prozesses nicht beeinflussen können. Im Ergebnis führen die Unterbrechung bzw. Aussetzung des Verfahrens gegenüber einem Streitgenossen und das damit einhergehende Verbot zum Erlass eines Teilurteils gegenüber den übrigen Streitgenossen zu einer Schicksalsgemeinschaft aller Streitgenossen ohne deren Zutun. Ohne die Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit würde die Unterbrechung bzw. Aussetzung gegenüber einem Streitgenossen – soweit sich nicht eine Fortsetzung des Prozesses insgesamt abzeichnet – daher zu einem Verfahrensstillstand gegenüber allen Streitgenossen auf unabsehbare Zeit und damit zu einem Verstoß gegen den grundrechtlich verankerten Justizgewährungsanspruch führen. Dies erkennt auch der BGH, wenn er ausführt, es „wäre mit dem Anspruch […] auf einen effektiven Rechtsschutz nicht vereinbar, wenn die Unterbrechung des Verfahrens eine Entscheidung nur deshalb nachhaltig verzögern würde, weil die Gefahr einer widersprüchlichen Entscheidung nach einer eventuellen Aufnahme des Verfahrens besteh[e].“175
Wie ein Vergleich mit der Rechtsprechung zu § 251 und § 148 ZPO zeigt, ist insbesondere die fehlende Einflussmöglichkeit der betroffenen Streitgenossen zur Wiederaufnahme des Verfahrens für die Zulassung einer Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit durch den BGH maßgeblich.176 Aus diesem Grund lässt der BGH auch im Fall einer Verfahrensaussetzung durch Tod einer Partei gem. § 246 ZPO trotz Antragserfordernisses eine Ausnahme von der Unabhängigkeit zu.177 Entscheidend für den BGH ist damit nicht die Einflussnahme bei Aussetzung des Verfahrens – andernfalls müsste eine Ausnahme aufgrund der gerichtlichen Anordnung auch im Rahmen des § 148 ZPO erfolgen –, sondern die Möglichkeit der Partei, die Wiederaufnahme des Verfahrens und damit die Fortsetzung des Prozesses zu bewirken.178 So kann im Fall des § 246 ZPO nur die Aussetzung des Verfahrens durch Antrag einer Partei herbeigeführt werden; der Fortgang hingegen ist gem. § 246 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 239 Abs. 1 ZPO von der Aufnahme des Prozesses durch die Rechtsnachfolger abhängig. Sind die Erben jedoch unbekannt und können die Parteien eine Wiederaufnahme nicht be175
BGH, NJW 2007, S. 156, 158. BGHZ 189, 356 Rn. 18 = NJW 2011, S. 2736 Rn. 18; BGH, NJW 2007, S. 156, 158. 177 Im Gegensatz hierzu geht Regenfus bei einer Aussetzung auf Parteiantrag gem. § 246 ZPO nicht von einer Ausnahme aus, vgl. Regenfus, JA 2018, S. 888, 892. 178 BGH, NJW 2007, S. 156, 158. 176
B. Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen von Klage und Widerklage
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schleunigen, droht auch bei einer antragsgemäßen Aussetzung gem. § 246 ZPO eine den Rechtsschutzanspruch gefährdende Verzögerung. Die vom BGH zugelassenen Ausnahmen vom Erfordernis der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils führen im Ergebnis zu einer Trennung von Verhandlung und Entscheidung durch Erlass eines Teilurteils zugunsten einer ansonsten drohenden Verletzung des Justizgewährungsanspruchs. Die Ausnahme ist mit Blick auf den sonst drohenden Stillstand des Verfahrens gerechtfertigt. Dies gilt allerdings nur, wenn aufgrund bereits teilweiser Entscheidungsreife eine Prozesstrennung nicht mehr zulässig ist.179 Ist der Rechtsstreit über die übrigen Streitgenossen hingegen noch nicht (teilweise) zur Entscheidung reif, sollten die Verfahren zur Vermeidung einer Vermischung von Prozesstrennung gem. § 145 ZPO und Teilurteil als zwei verschiedene Instrumente zur Abschichtung des Prozessstoffs180 getrennt und jeweils durch Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 1 ZPO beschieden werden.181
B. Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen von Klage und Widerklage gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 3 ZPO Beschränkt sich der Beklagte nicht auf eine Verteidigung gegen die Klage, sondern erhebt er eine Widerklage als Gegenangriff, erlaubt § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 3 ZPO – bei Vorliegen der übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen – den Erlass eines Teilurteils über die Klage oder Widerklage.182 Durch die Erhebung einer Widerklage wird es dem Gegner ermöglicht, nachträglich einen Gegenanspruch in den Prozess einzuführen und auf diese Weise Waffengleichheit zwischen den Parteien herzustellen: Der Beklagte muss sich gegen die Klage und der Kläger muss sich als Widerbeklagter gegen die Widerklage verteidigen.183 Darüber hinaus dient die Widerklage einer einheitlichen Verhandlung und Entscheidung von in Zusammenhang stehenden Ansprüchen.184 Die Widerklage bezweckt damit auch die Vermeidung einer 179 180
Siehe zur Prozesstrennung unten 6. Kapitel. A. I., S. 193 ff. Siehe hierzu oben S. 62 ff. 181 Der inhaltliche Zusammenhang sollte einer Trennung in diesem Fall nicht entgegenstehen, da – wie die Ausnahmen zeigen – auch der Erlass eines Teilurteils zulässig ist. 182 Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Widerklage siehe z. B. Haase, JuS 1967, S. 405 ff.; Huber, JuS 2007, S. 1079 ff.; Koch, JA 2013, S. 95 ff.; Korte, JA 2005, S. 534 ff.; Wagner, JA 2014, S. 655 ff. Zur Bedeutung des § 33 ZPO für die Zulässigkeit der Widerklage siehe z. B. Rimmelspacher, FS Lüke, 1997, S. 655 ff. 183 Huber, JuS 2007, S. 1079. 184 Saenger/Bendtsen, 8. Aufl. 2019, § 33, Rn. 1; Musielak/Voit/Heinrich, 17. Aufl. 2020, § 33, Rn. 1; Korte, JA 2005, S. 534; Luckey, MDR 2002, S. 743; MüKo-ZPO/Patzina, 6. Aufl. 2020, § 33, Rn. 1; Putzo, NJW 1964, S. 500 ff.; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2014, § 33, Rn. 1; Zöller/Schultzky, 33. Aufl. 2020, § 33, Rn. 2.
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
Zersplitterung und Vervielfältigung der Prozesse sowie der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen.185 Trotz der Verbindung bleibt die Widerklage selbständig, weshalb für sie die allgemeinen Prozessvoraussetzungen vorliegen müssen.186 Streitig ist in diesem Zusammenhang, ob die Vorschrift des § 33 Abs. 1 ZPO, der zufolge eine Widerklage erhoben werden kann, „wenn der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln in Zusammenhang steht“,187 eine besondere Prozessvoraussetzung oder lediglich einen besonderen Gerichtsstand regelt.188 Während der BGH von einer besonderen Prozessvoraussetzung ausgeht,189 sieht die herrschende Lehre – und in Teilen auch die neuere Rechtsprechung – in § 33 ZPO die Funktion einer reinen Zuständigkeitsregelung.190 Gegen eine besondere Prozessvoraussetzung führt die herrschende Meinung insbesondere die systematische Stellung des § 33 ZPO in den Vorschriften zum Gerichtsstand an.191 185 BGHZ 40, 185, 188 = NJW 1964, S. 44, 45; BGH, NJW 1981, S. 2642, 2643; BGHZ 149, 222, 229 f. = NJW 2002, S. 751, 753; BGH, NJW 2011, S. 460, 461; BGH, NJW 2001, S. 2094; Braun, Zivilprozeßrecht, 2014, S. 538; Fellner, MDR 2011, S. 146; Fischer, ZZP 43 (1913), S. 87, 100; Musielak/Voit/Heinrich, 17. Aufl. 2020, § 33, Rn. 1; Rimmelspacher, FS Lüke, 1997, S. 655, 660; Roth, FS Beys, 2003, S. 1353, 1354. Siehe auch die Gesetzesbegründung zu § 33 ZPO bei Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 158. 186 BGHZ 40, 185, 188 = NJW 1964, S. 44, 45; Huber, JuS 2007, S. 1079, 1080. 187 Siehe den Wortlaut des § 33 Abs. 1 ZPO. Ein rechtlicher Zusammenhang liegt vor, wenn „Ansprüche und Gegenansprüche aus demselben Tatbestand hergeleitet werden, oder […], soweit sie aus verschiedenen Tatbeständen sich ergeben, diese in einem Bedingungsverhältnis zueinander stehen, oder […], wenn Anspruch und Gegenanspruch verschiedenen Rechtsverhältnissen entspringen, diese nach ihrem Zweck und nach der Verkehrsanschauung wirtschaftlich als ein Ganzes, als ein innerlich zusammengehöriges Lebensverhältnis erscheinen.“, BGH, NJW 1975, S. 1228. 188 Auf diesen Streit verweisen z. B. Braun, Zivilprozeßrecht, 2014, S. 542 f.; Fischer, ZZP 43 (1913), S. 87, 96 ff.; Haase, JuS 1967, S. 405, 407; Heinsheimer, ZZP 38 (1909), S. 1 ff.; Huber, JuS 2007, S. 1079, 1080; Luckey, MDR 2002, S. 743. 189 BGHZ 40, 185, 187 = NJW 1964, S. 44; BGHZ 147, 220, 224 f. = NJW 2001, S. 2094, 2095. So auch Heinsheimer, ZZP 38 (1909), S. 1 ff.; Putzo, NJW 1964, S. 500 ff.; Prütting/ Gehrlein/Wern, 11. Aufl. 2019, § 33, Rn. 1 a. E. 190 OLG Frankfurt a. M., GRUR-RR, 2012, S. 329; Saenger/Bendtsen, 8. Aufl. 2019, § 33, Rn. 1; Blomeyer, Enzyklopädie, 1963, § 62 II 2 b); Musielak/Voit/Heinrich, 17. Aufl. 2020, § 33, Rn. 3; Korte, JA 2005, S. 534, 536; MüKo-ZPO/Patzina, 6. Aufl. 2020, § 33, Rn. 2; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 97, Rn. 21; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2014, § 33, Rn. 3; Schneider, MDR 1998, S. 20 f.; Zöller/Schultzky, 33. Aufl. 2020, § 33, Rn. 1; Wagner, JA 2014, S. 655, 656; differenzierend Rimmelspacher, FS Lüke, 1997, S. 655, 656. Allerdings ist der Streit dogmatischer und weniger praktischer Natur, da der Zulässigkeitsmangel einer nicht konnexen Widerklage gem. § 39 S. 1 ZPO infolge rügeloser Verhandlung oder hilfsweise gem. § 295 Abs. 1 ZPO geheilt werden kann, vgl. Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 97, Rn. 22; MüKo-ZPO/Patzina, 6. Aufl. 2020, § 33, Rn. 2; Zöller/Schultzky, 33. Aufl. 2020, § 33, Rn. 1. 191 BLAH/Bünnigmann, 78. Aufl. 2020, § 33, Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, 4. Aufl. 2015, § 33, Rn. 2; MüKo-ZPO/Patzina, 6. Aufl. 2020, § 33, Rn. 2; Zöller/Schultzky, 33. Aufl. 2020, § 33, Rn. 1.
B. Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen von Klage und Widerklage
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Darüber hinaus beziehe sich auch § 33 Abs. 2 ZPO nur auf die Zuständigkeit.192 Ferner folge aus § 145 Abs. 2 ZPO, der die Trennung von Klage und Widerklage bei Fehlen eines rechtlichen Zusammenhangs ermögliche, dass die Erhebung einer inkonnexen Widerklage zulässig sein müsse.193 Auch die Möglichkeit des Erlasses eines Teilurteils bei nicht in Zusammenhang stehender Klage und Widerklage gem. § 301 Abs. 1 ZPO spreche für die Einordnung des § 33 Abs. 1 ZPO als bloße Gerichtsstandregelung.194 Hätte der Gesetzgeber hingegen mit § 33 Abs. 1 ZPO eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung regeln wollen, so hätte er ein „nur“ in den Wortlaut des § 33 Abs. 1 ZPO einfügen müssen.195 Im Ergebnis ist der herrschenden Lehre zu folgen, da sie der Regelung des § 33 Abs. 1 ZPO mit Blick auf deren Systematik und Wortlaut am besten gerecht wird. Darüber hinaus käme der Trennungsmöglichkeit gem. § 145 Abs. 2 ZPO mangels rechtlichen Zusammenhangs zwischen Klage und Widerklage andernfalls nur eine Auffangfunktion zu: § 145 Abs. 2 ZPO würde nur der Abtrennung einer ursprünglich unzulässig erhobenen Widerklage dienen, deren Zuständigkeitsmangel z. B. infolge rügeloser Verhandlung gem. § 39 S. 1 ZPO geheilt wurde.
I. Teilurteil im Rahmen von Klage und Widerklage 1. Gebot der Unabhängigkeit Erhebt der Beklagte eine Widerklage und ist die Klage oder Widerklage vorzeitig zur Entscheidung reif, darf ein Teilurteil über eine der Klagen nach der herrschenden Meinung nur ergehen, wenn die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist.196 Eine Widerspruchsgefahr zwischen Klage und Widerklage liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn diese denselben Gegenstand betreffen,197 in rechtlichem Zusammenhang stehen – so z. B. im Fall einer Aufrechnung mit einem Teil der Klageforderung gegen die Widerklage – oder den Klagen dieselben Vorfragen zugrunde liegen, beispielsweise weil sie auf demselben Vertragsverhältnis beruhen.198 192
MüKo-ZPO/Patzina, 6. Aufl. 2020, § 33, Rn. 2. Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2014, § 33, Rn. 4. Ackermann, Drittwiderklage, 2011, S. 27, Fn. 4. 195 Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2014, § 33, Rn. 4; Zöller/Schultzky, 33. Aufl. 2020, § 33, Rn. 1. 196 Vgl. z. B. BGH, NJW-RR 1992, S. 1339, 1340; BGH, NJW-RR 2012, S. 849, 850; BeckOK-ZPO/Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 301, Rn. 22; Wieczorek/ Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 301, Rn. 43; Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 301, Rn. 16. 197 Vgl. BGH, NJW-RR 1992, S. 1339, 1340. In dieser Entscheidung verlangten die Parteien von der jeweils anderen Partei – und damit gegenläufig – mit Klage und Widerklage die Einwilligung in die Auszahlung eines hinterlegten Betrags wegen ungerechtfertigter Bereicherung. 198 BGH, NJW-RR 1994, S. 379, 380; BGH, NJW-RR 2012, S. 849, 850; OLG Zwei193 194
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
Steht der Klage hingegen eine im Urkundenverfahren erhobene Widerklage gegenüber, erachtet der BGH ein Teil-Vorbehaltsurteil über die Urkundenwiderklage für zulässig.199 So könne durch Erlass des Teil-Vorbehaltsurteils dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die im Wege des Urkundenverfahrens erhobene Widerklage in der Regel vorzeitig zur Entscheidung reif werde. Im Nachverfahren, in dem die Beweisbeschränkungen des Urkundenverfahrens keine Anwendung mehr fänden, sei dann eine gemeinsame Beweisaufnahme mit dem der Klage zugrundeliegenden Anspruch möglich.200 Auch scheitere der Erlass eines Teil-Vorbehaltsurteils nicht an der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen: Da sich das Gebot der Unabhängigkeit nur auf die endgültige Entscheidung beziehe, sei ein Teil-Vorbehaltsurteil aufgrund seiner Vorläufigkeit auch dann zulässig, wenn Klage und Urkundenwiderklage auf einem gemeinsamen Rechtsverhältnis beruhten.201 Denn durch die Vorläufigkeit des Teil-Vorbehaltsurteils werde die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen vermieden.202 Im Nachverfahren hingegen sei eine Teilentscheidung aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen unzulässig; dann müsse eine einheitliche Entscheidung ergehen.203 Im Ergebnis werde durch eine Verbindung von Klage und Urkundenwiderklage und die damit einhergehende einheitliche Entscheidung im Nachverfahren die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen besser vermindert als bei getrennter Verhandlung von Klage und Widerklage.204
2. Stellungnahme Die Anwendung des Gebots der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils über die Klage oder Widerklage entspricht dem Zweck des § 33 Abs. 1 ZPO, durch Verbindung einer mit der Klage in Zusammenhang stehenden Widerklage eine gemeinsame Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung herbeizuführen und so die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen und eine Zersplitterung der Prozesse zu verhindern. Andernfalls könnte das hinter der Verbrücken, OLGR Zweibrücken 2003, S. 37, 38; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 8; Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 9; Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 301, Rn. 43. 199 BGHZ 149, 222, 228 f. = NJW 2002, S. 751, 753. Siehe zu dieser Entscheidung auch die Anmerkung von Remmerbach, MDR 2002, S. 407 ff. 200 BGHZ 149, 222, 229 f. = NJW 2002, S. 751, 753. 201 Vollkommer, EWiR 2002, S. 409, 410; Schultz, BGH-Report 2002, S. 251, 252, der ausführt, der Widerkläger könne durch die Möglichkeit eines Teilurteils den Kläger mit seiner Urkundenwiderklage „überholen“. 202 Schultz, BGH-Report 2002, S. 251, 252. 203 Vollkommer, EWiR 2002, S. 409, 410. 204 BGHZ 149, 222, 229 f. = NJW 2002, S. 751, 753; Vollkommer, EWiR 2002, S. 409, 410; a. A. BeckOK-ZPO/Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 301, Rn. 23, der ein Teil-Vorbehaltsurteil mangels Unabhängigkeit der Urkundenwiderklage von der Entscheidung über den Rest ablehnt.
B. Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen von Klage und Widerklage
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bindung gem. § 33 Abs. 1 ZPO stehende Ziel nachträglich aufgehoben werden. Dies gilt jedoch nur, soweit Klage und Widerklage in rechtlichem Zusammenhang stehen, da andernfalls die Widerspruchsgefahr, die durch eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung vermieden werden soll, nicht besteht. Ob man das Erfordernis der Konnexität zwischen Klage und Widerklage dabei mit dem BGH als besondere Prozessvoraussetzung oder mit der herrschenden Literatur und neueren Rechtsprechung als Gerichtsstandregelung klassifiziert, ist im Ergebnis nicht von Bedeutung. Dass der Nichterlass eines Teilurteils bei einem rechtlichen Zusammenhang gerechtfertigt ist, zeigt auch die Vorschrift des § 145 Abs. 2 ZPO, der zufolge Klage und Widerklage nur bei fehlender Konnexität getrennt werden dürfen. Der mit § 33 Abs. 1 ZPO verfolgte Zweck, eine Zersplitterung und Vervielfältigung der Prozesse zu vermeiden,205 setzt sich letztlich in der Regelung des § 145 Abs. 2 ZPO fort. Es wäre daher nicht gerechtfertigt, durch Erlass eines Teilurteils eine konnexe Klage und Widerklage zu trennen und den rechtlichen Zusammenhang, der auch durch richterliche Anordnung gem. § 145 Abs. 2 ZPO nicht aufgelöst werden darf, aufzuheben.206 Andernfalls würde der Erlass eines Teilurteils trotz Konnexität zu einer Zersplitterung und Vervielfältigung der Prozesse und der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen führen und damit – abgesehen von der entgegenstehenden Intention des Gesetzgebers, durch Erlass eines Teilurteils eine getrennte Entscheidung bei ungetrennter Verhandlung eintreten zu lassen – sowohl dem hinter der Widerklage stehenden Willen des Gesetzgebers207 als auch dem Telos des § 33 ZPO widersprechen.
II. Ausnahmen vom Gebot der Unabhängigkeit 1. Teilurteil im Rahmen der Stufenwiderklage Erhebt der Beklagte eine Stufenwiderklage, so sind Widersprüche auf zwei Ebenen denkbar: zwischen den mit der Stufenwiderklage verbundenen Anträgen auf Auskunft, Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und Leistung sowie zwischen diesen Ansprüchen und der Klageforderung. Soweit Widersprüche im Verhältnis der stufenweise geltend gemachten Ansprüche untereinander drohen, gilt das zur Stufenklage Gesagte: Ein Teilurteil darf trotz der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ergehen.208 205
Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 158. Zugrundelegung der Ansicht des BGH, der in der Konnexität eine besondere Prozessvoraussetzung sieht, würde durch die Trennung infolge des Teilurteils darüber hinaus rückwirkend das Zulässigkeitserfordernis aufgehoben. 207 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 158. 208 Zur Stufenklage siehe in diesem Kapitel oben S. 116 ff. Im Übrigen wäre andernfalls auch keine Vollstreckung des Antrags auf erster oder zweiter Stufe möglich. 206 Unter
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
Auch im Verhältnis der Stufenwiderklage zur Klageforderung lässt die Rechtsprechung eine Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit zu: So kann über den Auskunftsanspruch der Stufenwiderklage trotz materiell-rechtlicher Verzahnung mit der Klage, z. B. weil diese auf demselben Rechtsverhältnis beruhen, und der damit einhergehenden Gefahr einander widersprechender Entscheidungen durch Teilurteil entschieden werden.209 Die zur Stufenklage genannten Argumente gelten dem BGH zufolge entsprechend, da andernfalls weder über die Klage noch über die Widerklage entschieden werden könne: So würde eine Entscheidung über den Auskunftsanspruch auf erster Stufe der Widerklage an der materiell-rechtlichen Verknüpfung mit der Klage scheitern, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass Vorfragen im Rahmen der Klage anders beurteilt würden als im Rahmen des Auskunftsanspruchs.210 Auch sei eine gleichzeitige Entscheidung über den Auskunfts- und Klageanspruch aufgrund der Gefahr eines Widerspruchs zu dem auf letzter Stufe der Widerklage erhobenen Leistungsanspruch bei Anwendung des Gebots der Unabhängigkeit unzulässig.211 Da der Auskunftsanspruch lediglich ein Hilfsmittel für das eigentliche Rechtsschutzziel, den Leistungsanspruch, darstelle und nur dieser der Klageforderung gleichrangig gegenüberstehe, „[sei] es gerechtfertigt, die Rangordnung zwischen Auskunftsanspruch und Zahlungsanspruch bei der Stufenklage auch im Verhältnis zwischen dem Auskunftsanspruch und dem vom Gegner des Auskunftsanspruchs geltend gemachten Zahlungsanspruch zu berücksichtigen.“212
Ein möglicher Widerspruch zwischen der Entscheidung über den Auskunftsanspruch und dem Urteil über die Klage sei daher ebenso hinzunehmen wie ein möglicher Widerspruch zwischen den im Rahmen der Stufenklage ergehenden Teilurteilen.213 Aufgrund des gleichrangigen Verhältnisses von Klageforderung und Leistungsanspruch der Stufenwiderklage verbleibe es im Fall eines Teilurteils über einen dieser Ansprüche jedoch weiterhin beim Erfordernis der Unabhängigkeit. Die Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit gelte daher nur, soweit es im Rahmen der Stufenwiderklage um die Bestimmung des Leistungsanspruchs gehe.214
209 BGH, NJW-RR 2011, S. 189, 191 f.; BGHZ 189, 79 Rn. 17 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 17. 210 BGH, NJW-RR 2011, S. 189, 192. 211 BGH, NJW-RR 2011, S. 189, 192. 212 BGH, NJW-RR 2011, S. 189, 192. 213 BGH, NJW-RR 2011, S. 189, 192. 214 Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 301, Rn. 12.
B. Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen von Klage und Widerklage
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2. Teilurteil über die Klage bei rechtsmissbräuchlicher Widerklage Eine weitere Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit lässt die Rechtsprechung zu, wenn die Erhebung der Widerklage rechtsmissbräuchlich ist; in diesem Fall kann durch Teilurteil vorab über die missbräuchliche Widerklage unabhängig von einem rechtlichen Zusammenhang mit der Klage entschieden werden.215 Missbräuchlichkeit kann vorliegen, wenn die Widerklage allein der Ausschaltung missliebiger Zeugen – dann in Form der Drittwiderklage – oder der reinen Prozessverschleppung dient.216 Ob eine Verzögerung des Verfahrens oder das Ausschalten eines Zeugen durch Erhebung einer (Dritt-)Widerklage jedoch zur Missbräuchlichkeit und Abweisung der Klage wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben führt,217 ist im Einzelfall zu prüfen. So wird z. B. die Erhebung einer Widerklage zur Umgehung der Präklusionsvorschriften grundsätzlich als zulässiges Mittel anerkannt;218 und auch das Ausschalten eines Zeugen durch Erhebung einer Drittwiderklage führt nicht per se zur Missbräuchlichkeit.219
3. Stellungnahme Die von der Rechtsprechung im Rahmen von Klage- und Widerklage zugelassenen Abweichungen vom Gebot der Unabhängigkeit überraschen mit Blick auf die bisherigen Ausnahmen nicht und stehen mit diesen in Einklang. So rechtfertigt die Rechtsprechung im Rahmen der Stufenwiderklage den Erlass eines Teilurteils über den Auskunftsanspruch trotz materiell-rechtlicher Verzahnung mit dem Klageanspruch mit dem Fortgang des Prozesses. Dem ist zuzustimmen, da andernfalls der Zweck des Zivilprozesses, eine Durchsetzung der subjektiven Rechte zu ermöglichen,220 gefährdet wäre. Allerdings sollte auch hier – soweit bereits im Rahmen des Auskunftsanspruchs über den Anspruchsgrund des Leistungsantrags der Widerklage entschieden wird – ein Grundurteil er215 BGH, NJW 1986, S. 2257, 2258 a. E.; OLG Köln, BeckRS 2017, 27568, Rn. 39 f.; OLG Köln, BeckRS 2018, 27568 Rn. 39; LG Koblenz, MDR 1999, S. 1020, 102; LG Gießen, NJW-RR 2003, S. 381; LG Berlin, NJOZ 2005, S. 49 f.; Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 10. 216 BGH, NJW 1986, S. 2257, 2258 a. E.; OLG Köln, BeckRS 2018, 27568 Rn. 39. Siehe zur Problematik der Widerklage zum Ausschalten von Zeugen Foerste, MDR 2016, S. 1123 ff.; Luckey, MDR 2002, S. 743, 744; Schneider, MDR 1998, S. 21, 24; Uhlmannsiek, MDR 1996, S. 114 ff. 217 Ein Rechtsmissbrauch führt zu einem Verstoß gegen Treu und Glauben, vgl. BGHZ 172, 218, 222 f. = NJW 2007, S. 3279, 3280; BGH, NJW 2013, S. 1369. 218 Hierauf verweisend OLG Köln, BeckRS 2018, 27568 Rn. 41. 219 Vgl. z. B. LG Koblenz, MDR 1999, S. 1020, 1021, das die Missbräuchlichkeit bejaht hat, da mit Ausschalten des Zeugen durch Erhebung der Drittwiderklage das einzige der Klägerin zur Verfügung stehende Beweismittel ausgeschaltet wurde. 220 Siehe 1. Kapitel Fn. 1.
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gehen, welches das Gericht gem. § 318 ZPO bei seiner Entscheidung über den Leistungsantrag der Widerklage bindet und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ausschließt. Beruhen der Leistungsantrag der Widerklage und der Klageanspruch auf demselben Anspruchsgrund und führt die Bejahung des Widerklageanspruchs materiell-rechtlich zur Abweisung des Klageantrags, so muss die Klage zugleich durch Teilurteil abgewiesen werden.221 Andernfalls besteht aufgrund der auf das Betragsverfahren des Anspruchs, der dem Grunde nach bejaht wurde,222 beschränkten Bindungswirkung des Grundurteils die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen. Soweit eine Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit im Fall einer missbräuchlich erhobenen Widerklage zugelassenen wird, ist dem zuzustimmen. Denn erhebt der Beklagte in missbräuchlicher Weise eine Widerklage, ist er mit Blick auf den hinter der Verbindung von konnexer Klage und Widerklage stehenden Zweck, sich widersprechende Entscheidungen zu vermindern, nicht schutzwürdig.223
C. Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen eines einheitlichen Anspruchs gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO Gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO ist ein Teilurteil über einen Teil eines einheitlichen Klage- oder Widerklageanspruchs zulässig.224 Wie bei den übrigen Konstellationen des § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO darf ein Teilurteil hierbei jedoch nur ergehen, wenn die zu bescheidenden Teile unabhängig voneinander sind und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist.225 Darüber hinaus sieht das Gesetz für den Fall, dass ein einheitlicher Anspruch nach Grund und Höhe streitig ist, die Pflicht des Gerichts zum gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils gem. § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO vor.226 Bzgl. der Anforderungen für den Erlass eines Teilurteils über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs ist daher stets zwischen einem nur der Höhe und einem nach Grund und Höhe streitigen Anspruch zu unterscheiden.227 221
Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 304, Rn. 19. BGH, NJW 2002, S. 1806. 223 Siehe zum Zweck der Widerklage in diesem Kapitel oben S. 143 ff. 224 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 10. 225 BGH, MedR 2019, S. 217; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 14; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 301, Rn. 6. 226 BGHZ 107, 236, 242 = NJW 1989, S. 2821, 2822; BGH, NJW 1992, S. 511; Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 301, Rn. 47; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 301, Rn. 7. 227 Soweit nachfolgend von „Anspruch“ die Rede ist, ist hiermit stets der prozessuale Anspruch, d. h. der sich aus Klageantrag und dem ihm zugrundeliegenden Sachverhalt zusammensetzende Streitgegenstand gemeint. Siehe zum herrschenden Streitgegenstandsbegriff unten 5. Kapitel. A., S. 166 ff. 222
C. Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen eines einheitlichen Anspruchs
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I. Anspruch ist nur der Höhe nach streitig 1. Gebot der Unabhängigkeit Ist der zwischen den Parteien in Streit stehende Anspruch nur der Höhe nach streitig, kann ein Teilurteil ergehen, wenn der abzuurteilende Teil abgrenzbar und individualisiert ist „und die Entscheidung über diesen Teil unabhängig vom Ausgang des Streits über den Rest ist, also die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen, auch infolge einer abweichenden Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht, nicht besteht“.228
Ein Teilurteil ist daher z. B. unzulässig, wenn unselbständige Rechnungsposten eines einheitlichen Schadensersatzanspruchs, die grundsätzlich durch Teilurteil beschieden werden können, als Vorfrage des Schlussurteils entscheidungserheblich sind.229 Auf den ersten Blick ergeben sich im Vergleich zu den übrigen Varianten des § 301 Abs. 1 ZPO daher keine Besonderheiten, wenn der Anspruch nur der Höhe nach streitig ist. Allerdings stellt sich unter Berücksichtigung der im Rahmen der objektiven Klagehäufung erläuterten Entscheidung des BGH vom 30.11.1999, in der der Senat ein Teilurteil über einen Feststellungsantrag, der gem. § 260 ZPO mit einem Zahlungsantrag auf Schmerzensgeld verbunden war, trotz unstreitigen Haftungsgrundes aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen für unzulässig erachtet hat,230 die Frage, inwieweit ein Teilurteil über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs trotz unstreitigen Anspruchsgrundes grundsätzlich unzulässig sein kann. Diese Frage hat insbesondere Schmitz beleuchtet, der die Entscheidung des BGH im Kontext des damals neu eingeführten § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO erörtert hat.231 In dem erwähnten Urteil hatte der BGH die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen trotz unstreitigen Haftungsgrundes bei Urteilserlass damit begründet, dass der Haftungsgrund noch im weiteren Verfahren streitig werden könne.232 Eine solche Gefahr besteht jedoch nicht nur bei Verbindung von auf demselben Schadensereignis beruhender Leistungs- und Feststellungsklage, wenn die Leistungsklage auf Zahlung von Schmerzensgeld für bereits entstandene Schäden und die Feststellungsklage auf die Ersatzpflicht künftiger Schäden gerichtet ist,233 sondern auch bei Geltendmachung eines einheitlichen An228 BGH, NJW 1992, S. 1769, 1770, für unselbständige Rechnungsposten eines einheitlichen Schadensersatzanspruchs; BGH, NJW-RR 1990, S. 1303 f., für eine Schadensberechnung, die aus einer bloßen Addition einzelner, voneinander unabhängiger Positionen besteht; BGH, NJW-RR 2009, S. 494, 495. 229 BGH, NJW-RR 2009, S. 494, 495. 230 BGHZ 143, 189 = NJW 2000, S. 800, 801. 231 Schmitz, NJW 2000, S. 3622 f. 232 BGHZ 143, 189 = NJW 2000, S. 800, 801. 233 So in BGHZ 143, 189 = NJW 2000, S. 800, 801. Siehe zum Sachverhalt dieser Entscheidung auch oben S. 111 f.
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
spruchs. Wird über den Teil einer einheitlichen Forderung entschieden und ist der Grund bei Erlass des Teilurteils unstreitig, so besteht bei Entscheidung über den Rest ebenfalls die Möglichkeit, dass eine der Parteien erstmals Einwände gegen den Anspruchsgrund erhebt und dieser streitig wird. Die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen aufgrund Streitigwerdens von zuvor unstreitigen Tatsachen kann faktisch nie ausgeschlossen werden.234 Das Resultat wäre, dass ein Teilurteil über einen nur der Höhe nach streitigen Anspruch aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen und der gleichzeitigen Unzulässigkeit eines Grundurteils nie ergehen darf. Zur Überwindung dieses Problems schlägt Schmitz zwei Lösungsansätze vor: Entweder dürfe eine Beurteilung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen nur nach dem bei Teilurteilserlass vorhandenen Parteivorbringen erfolgen oder es müsse auch bei unstreitigem Anspruchsgrund der gleichzeitige Erlass eines Grundurteils zulässig sein.235 Im Ergebnis spricht sich Schmitz für den gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils aus.236 Zwar widerspreche dies dem Wortlaut des § 304 ZPO, sodass man sich über diesen hinwegsetzen müsse. Die Regelung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO schließe hingegen den gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils nicht aus. So besage die Vorschrift nur, dass bei Streit über Grund und Höhe ein Grundurteil zusammen mit dem Teilurteil zu erlassen sei. Hieraus folge jedoch nicht die Unzulässigkeit des gleichzeitigen Erlasses eines Grundurteils auch bei unstreitigem Anspruchsgrund.237 Kritisch zum Erlass eines Grundurteils bei einem nur der Höhe nach streitigen Anspruch trotz des ausdrücklichen Wortlauts des § 304 Abs. 1 ZPO hat sich Jaspersen geäußert. Zwar stimmt er Schmitz dahingehend zu, dass auch im Fall eines unstreitigen Grundes im Fall des § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO der gleichzeitige Erlass eines Grundurteils zulässig sein sollte. Sich zu diesem Zweck jedoch „mit einem Erst-Recht-Schluss hinwegzusetzen“, hält Jaspersen mit „dem klaren Gesetzeswortlaut“ für nicht vertretbar.238 Um gleichwohl den Erlass eines Teilurteils bei unstreitigem Grund zu ermöglichen, plädiert Jaspersen für eine Anpassung des § 304 Abs. 1 ZPO und die Streichung des Erfordernisses eines streitigen Grundes.239 234 Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 17, der von der „stets gegebenen Möglichkeit eines künftigen Streitigwerdens des Grundes“ spricht. Die Frage, ob ein zum Streitigwerden führendes Vorbringen ggf. gem. § 296 Abs. 1 ZPO präkludiert ist, stellt sich erst an zweiter Stelle. 235 Schmitz, NJW 2000, S. 3622, 3623. 236 Schmitz, NJW 2000, S. 3622, 3623. 237 Schmitz, NJW 2000, S. 3622, 3623. So auch Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 17, der sich ebenfalls für eine „‚berichtigende Auslegung‘“ des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO ausspricht und auf die Voraussetzung eines in Streit stehenden Grundes verzichten will. 238 Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 185. 239 Jaspersen, FS Vorwerk, 2019, S. 171, 191. Gleichzeitig will sich Jaspersen von dem Gebot der Unabhängigkeit insgesamt lösen und spricht sich auch für eine Streichung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO aus. Siehe zur Ansicht Jaspersens oben 3. Kapitel. C. II. 9., S. 91 f.
C. Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen eines einheitlichen Anspruchs
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Thole hingegen löst das Problem, indem er die Möglichkeit, dass der Grund streitig werde, für die Annahme eines streitigen Grundes im Sinne des § 301 Abs. 1 S. 2 und § 304 ZPO ausreichen lässt.240
2. Stellungnahme Die Rechtsprechung wendet das Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen des § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO bei einem nur der Höhe nach streitigen Anspruch in gleichem Maße an wie in den übrigen Konstellationen des § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO: Der Erlass eines Teilurteils ist unzulässig, wenn die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zwischen Teil- und Schlussurteil besteht, wobei eine abweichende Beurteilung von nicht in Rechtskraft erwachsenden Urteilselementen und eine anderslautende Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz zu berücksichtigen sind.241 Im Ergebnis dient auch hier das Gebot der Unabhängigkeit der Bewahrung einer einheitlichen Verhandlung, Beweisaufnahme und Würdigung. Dies gilt mit Blick auf das Erfordernis einer einheitlichen Entscheidung über den Anspruchsgrund umso mehr.242 Soweit unter Berücksichtigung der Entscheidung des BGH vom 30.11.1999243 jedoch davon auszugehen ist, dass die Rechtsprechung auch im Fall eines nur der Höhe nach streitigen Anspruchs ein Teilurteil aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen infolge der Möglichkeit des Streitigwerdens des Anspruchsgrundes für unzulässig erachten würde, sollte – ungeachtet des Erfordernisses eines streitigen Grundes – der gleichzeitige Erlass eines Grundurteils zulässig sein. Andernfalls könnte ein Teilurteil über einen nur der Höhe nach streitigen Anspruch faktisch nie ergehen. Neben einer wie von Schmitz und Feskorn vorgeschlagenen berichtigenden Auslegung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO oder einer – wie von Jaspersen befürworteten – Anpassung des § 304 ZPO könnte zu diesem Zweck jedoch auch eine analoge Anwendung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO in Betracht kommen. Bevor zu den einzelnen Ansätzen Stellung genommen wird, soll daher zunächst die Möglichkeit einer analogen Anwendung untersucht werden.
a) § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO analog im Fall eines nur der Höhe nach streitigen Anspruchs? Voraussetzung für eine analoge Anwendung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO auf einen nur der Höhe nach streitigen Anspruch wären das Vorliegen einer planwidri240
Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 304, Rn. 17. BGH, MedR 2019, S. 217. 242 Siehe zum Erfordernis einer einheitlichen Entscheidung über den Anspruchsgrund BGH, NJW 1992, 1769, 1770. 243 BGHZ 143, 189 = NJW 2000, S. 800, 801. 241
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
gen Regelungslücke auf Seiten des Gesetzgebers bei Einführung der Vorschrift sowie eine vergleichbare Interessenlage.244
aa) Planwidrige Regelungslücke Eine analoge Anwendung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO auf ein Teilurteil über einen nur der Höhe nach streitigen einheitlichen Anspruch setzt voraus, dass der Gesetzgeber bei Einführung der Vorschrift durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30.03.2000245 in planwidriger Weise eine Ausweitung der Vorschrift auf diese Konstellation versäumt hat. Bei der Frage, ob eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, ist „[d]er dem Gesetz zu Grunde liegende Regelungsplan […] aus ihm selbst im Wege der historischen und teleologischen Auslegung zu erschließen und es ist zu fragen, ob das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht, planwidrig unvollständig ist.“246
Die Vorschrift des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO wurde durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30.03.2000 im Zuge einer Reihe weiterer Normen eingeführt, „die die Verzögerung von Zahlungen wirtschaftlich unattraktiv machen und die Möglichkeiten, fällige Ansprüche zügig gerichtlich geltend zu machen, verbessern [sollten].“247 Auf diese Weise sollte die Stellung kleiner und mittlerer Baubetriebe verbessert werden.248 Im Fokus stand – wie das Gesetz selbst sagt – die Geltendmachung von Geldforderungen. Auch durch Erlass eines Teilurteils über einen einheitlichen Zahlungsanspruch kann die Durchsetzung einer fälligen Geldforderung gefördert werden; dies gilt umso mehr, wenn der Grund der geltend gemachten Forderung zwischen den Parteien unstreitig ist und der Erlass eines Teilurteils mangels der Erforderlichkeit einer Beweisaufnahme zum Grund daher schneller erfolgen kann. Steht in diesem Fall dem Erlass eines Teilurteils mangels Zulässigkeit eines Grundurteils jedoch das Gebot der Unabhängigkeit entgegen, so wird der durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen verfolgte Zweck einer verbesserten Durchsetzung von Zahlungsansprüchen im Fall eines nur der Höhe nach streitigen Anspruchs in sein Gegenteil verkehrt. Vor diesem Hintergrund liegt die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke bei Einführung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO nahe.
244 Siehe zu den Voraussetzungen einer Analogie z. B. BGHZ 170, 187 Rn. 14 ff. = NJW 2007, S. 992 Rn. 14 ff.; Danwerth, ZfPW 2017, S. 231, 232 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl. 1995, S. 202 ff. 245 BGBl. Teil I 2000 Nr. 14. 246 BGHZ 170, 187 Rn. 15 = NJW 2007, S. 992 Rn. 15. 247 BT-Drucks. 14/2752, S. 2. 248 BT-Drucks. 14/2752, S. 9.
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Gegen die Planwidrigkeit sprechen hingegen die Ausführungen in der Beschlussempfehlung zum Gesetzesentwurf. Soweit sich der Gesetzgeber hierbei zur Einführung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO äußert, heißt es: „Soweit bei einem einheitlichen Anspruch, der nach Grund und Höhe streitig ist, über einen betragsmäßigen Teil entschieden werden soll, weist die Rechtsprechung (z. B. BGH NJW 1989, 2821, 2822; 1992, 511) mit der Verbindung von Grund- und Teilurteil einen Weg, der mit der vorgesehenen Ergänzung des § 301 ZPO gesetzlich festgeschrieben wird. In diesen Fällen kann hiernach durch Teilurteil entschieden werden, wenn zugleich ein Grundurteil über den restlichen Teil des Anspruchs ergeht.“249
Der Gesetzgeber hat damit explizit nur auf die Variante Bezug genommen, nach der ein Anspruch nach Grund und Höhe streitig ist. Zudem spricht gegen eine Planwidrigkeit die oben erwähnte Entscheidung des BGH vom 30.11.1999, in der der Senat ein Teilurteil über einen Feststellungsantrag, der gem. § 260 ZPO mit einem Zahlungsantrag auf Schmerzensgeld verbunden war, trotz unstreitigen Haftungsgrundes aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen für unzulässig erachtet hatte.250 Auch wenn die Entscheidung nur wenige Monate vor Einführung des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen ergangen ist, so hätte der Gesetzgeber diese jedoch bei Einführung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO berücksichtigen können. Insbesondere zeigt auch die Historie zum Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen, dass die Regelung zum gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils erst mit der Beschlussempfehlung vom 21.02.2000 Eingang in den Gesetzesentwurf gefunden hat.251 Im ersten Entwurf vom 23.06.1999 war eine solche Regelung hingegen noch nicht enthalten.252 Der Gesetzgeber hat sich damit erst zu einem relativ späten Zeitpunkt mit der Einführung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO befasst und hätte hierbei auch die Entscheidung des BGH berücksichtigen können. Die eindeutige Feststellung einer Planwidrigkeit ist daher nicht möglich. Auf die Frage einer vergleichbaren Interessenlage kommt es daher nicht mehr an.253
bb) Zwischenergebnis Mangels einer (eindeutigen) planwidrigen Regelungslücke bei Einführung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO scheidet eine analoge Anwendung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO auf einen nur der Höhe nach streitigen Anspruch daher aus. 249
BT-Drucks. 14/2752, S. 14. BGHZ 143, 189 = NJW 2000, S. 800, 801. 251 BT-Drucks. 14/2752. 252 BT-Drucks. 14/1246. 253 Eine vergleichbare Interessenlage wäre jedoch insofern zu bejahen, als dass der gleichzeitige Erlass eines Grundurteils dem Ausschluss der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen dient. Soweit der gleichzeitige Erlass eines Grundurteils bei einem nach Grund und Höhe streitigen Anspruch zudem erforderlich ist, um die Teilbarkeit des Anspruchs herbeizuführen, trifft dies auf einen nur der Höhe nach streitigen Anspruch hingegen nicht zu. Siehe zur Teilbarkeit oben 2. Kapitel. A. III., S. 24 ff. 250
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
b) Fazit Mangels der Möglichkeit einer analogen Anwendung stellt sich weiterhin die Frage, wie der gleichzeitige Erlass eines Grundurteils auch bei einem nur der Höhe nach streitigen Anspruch begründet werden kann. Ob man mit Schmitz und Feskorn eine berichtigende Auslegung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO annimmt und sich über den Wortlaut des § 304 Abs. 1 ZPO hinwegsetzt, mit Thole die Möglichkeit eines Streitigwerdens für einen nach Grund und Höhe streitigen Anspruch ausreichen lässt oder sich mit Jaspersen für eine Änderung des § 304 Abs. 1 ZPO und eine gleichzeitige Abschaffung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO ausspricht, ist am Ende eine dogmatische Frage. Denn letztlich plädieren alle Vertreter – zu Recht – für den gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils bei einem auch nur der Höhe nach streitigen Anspruch. Im Ergebnis ist jedoch der Ansicht Tholes der Vorzug zu geben. Denn wenn mit Blick auf die Entscheidung des BGH vom 30.11.1999254 davon auszugehen ist, dass die Rechtsprechung den Erlass eines Teilurteils über einen nur der Höhe nach streitigen Anspruch mit der Begründung untersagt, dass der bislang unstreitige Grund streitig werden könne, wird der unstreitige Grund gedanklich bereits so gestellt, als sei er streitig. Wird die Möglichkeit des Streitigwerdens jedoch derart in Betracht gezogen, dass der Erlass eines Teilurteils unzulässig wird, so ist es auch gerechtfertigt, ein Grundurteil zu erlassen. Ob der Grund bereits streitig ist, kann dann nicht mehr erheblich sein. Daher sollte die Möglichkeit eines Streitigwerdens für die Annahme eines streitigen Grundes im Sinne des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO i. V. m. § 304 Abs. 1 ZPO ausreichen. Einer Gesetzesänderung wie Jaspersen sie fordert und eines völligen Hinwegsetzens über den Wortlaut des § 304 Abs. 1 ZPO bedarf es dann nicht.
II. Anspruch ist nach Grund und Höhe streitig: die Regelung des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO 1. Gebot der Unabhängigkeit Sind Grund und Höhe eines einheitlichen Anspruchs streitig, so ist ein Teilurteil über einen Teil dieses Anspruchs gem. § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO nur zulässig, wenn zugleich ein Zwischenurteil über den Grund gem. § 304 ZPO über den restlichen Teil des Anspruchs ergeht. Das Erfordernis des gleichzeitigen Erlasses eines Grundurteils wurde durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30.03.2000 eingeführt und ist Ausdruck der bis zu diesem Zeitpunkt gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung.255 Das Grundurteil dient hierbei zwei Zielen: der Herbeiführung der Abgrenzbarkeit sowie dem Ausschluss der Gefahr sich widersprechen254 255
BGHZ 143, 189 = NJW 2000, S. 800. Siehe zur Entwicklung in der Rechtsprechung oben 3. Kapitel. A. I., S. 42 ff.
C. Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen eines einheitlichen Anspruchs
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der Entscheidungen.256 So würde es ohne Erlass eines Grundurteils bereits an der für ein Teilurteil erforderlichen Teilbarkeit fehlen.257 Nicht ausreichend für den Erlass eines Grundurteils ist hierbei, dass das Gericht das Urteil im Rubrum als „Grund- und Teilurteil“ bezeichnet; vielmehr muss die Entscheidung über den Anspruchsgrund im Tenor enthalten sein oder aus den Entscheidungsgründen so deutlich hervorgehen, dass die Urteilsformel gem. § 319 ZPO berichtigt werden kann.258
2. Stellungnahme Mit Blick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zum gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils im Fall eines Teilurteils über einen einheitlichen, nach Grund und Höhe streitigen Anspruch259 und die Umsetzung der Rechtsprechung in § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO ist der gleichzeitige Erlass eines Grundurteils gerechtfertigt. Er entspricht darüber hinaus dem hinter § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO stehenden Grundsatz, dass der Grund eines einheitlichen Anspruchs nicht teilbar ist,260 sowie der Intention des Gesetzgebers, durch Erlass eines Teilurteils eine getrennte Entscheidung bei ungetrennter Verhandlung eintreten zu lassen.261
III. Bedenken gegen die Pflicht zum Erlass eines Grundurteils mit Blick auf die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei Erhebung einer offenen Teilklage? Grundsätzliche Bedenken gegen die Pflicht zum gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils – sowohl bei einem nur der Höhe als auch bei einem nach Grund und Höhe streitigen Anspruch – könnten jedoch mit Blick auf die Möglichkeit der Erhebung einer offenen Teilklage und der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei Erlass eines Voll-Endurteils über die Nachforderung in einem weiteren Verfahren entstehen. So hat das Gericht in beiden Fällen, d. h. bei Erlass eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch sowie bei Erlass eines Voll-Endurteils über eine Teilklage, Kenntnis von einer über den Urteilsgegenstand hinausgehenden Forderung, die auf demselben Anspruchsgrund beruht.262 256 Siehe zur Abgrenzbarkeit oben 2. Kapitel, Fn. 27; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 19 m. w. N. 257 BGH, NJW 1992, S. 511; BGH, NJW 1992, S. 1769, 1770; siehe zur Teilbarkeit auch oben 2. Kapitel. A. III., S. 24 ff. Die Erhebung einer Teilklage steht hierzu nicht in Widerspruch, da der Kläger bei einer Teilklage den Anspruch nur der Höhe nach, nicht jedoch dem Grunde nach aufspaltet, siehe zur Teilklage unten 6. Kapitel. B., S. 221 ff. 258 BGH, BeckRS 2017, 110702, Rn. 12; BGH, MedR 2019, S. 217. 259 Siehe oben 2. Kapitel. B., S. 42 ff. 260 BGH, NJW 1992, S. 511; BGH, NJW 1992, S. 1769, 1770. 261 Siehe oben S. 62 ff. 262 Mangels dieser Kenntnis fehlt es bei der verdeckten Teilklage an einer Vergleichbarkeit.
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
Im Gegensatz zu § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO fehlt es bei der offenen Teilklage jedoch an der Rechtshängigkeit der Nachforderung.263 Die gerichtliche Geltendmachung durch den Kläger ist zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Teilklage noch ungewiss.264 Darüber hinaus erfolgt durch Erlass eines VollEndurteils gem. § 300 Abs. 1 ZPO über eine Teilklage auch keine Trennung des Anspruchsgrundes. Macht der Kläger nach Erlass eines Voll-Endurteils über die Teilklage die Nachforderung in einem zweiten Verfahren geltend, so ergeht in diesem Prozess eine neue Entscheidung über den Anspruchsgrund insgesamt. Eine Spaltung des Anspruchsgrundes erfolgt nicht. Im Rahmen der Teilklage ist der Kläger hinsichtlich einer einheitlichen Entscheidung über den Anspruchsgrund daher nicht schutzwürdig. Macht der Kläger wie im Rahmen des § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO jedoch einen einheitlichen Anspruch insgesamt geltend, so ist es auch gerechtfertigt, über den Anspruchsgrund einheitlich zu entscheiden.265 Ferner besteht im Fall eines einheitlichen Anspruchs keine Trennungsmöglichkeit durch gerichtliche Anordnung wie sie gem. § 145 Abs. 1 ZPO bei Verbindung mehrerer Ansprüche und Prozessrechtsverhältnisse oder gem. § 145 Abs. 2 ZPO bei nicht in rechtlichem Zusammenhang stehender Klage und Widerklage zulässig ist.
D. Kapitelzusammenfassung Das von der Rechtsprechung entwickelte Gebot der Unabhängigkeit findet in allen Konstellationen des § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO Anwendung. Bei Erlass eines Teilurteils über einen von mehreren im Rahmen der kumulativen Klagehäufung geltend gemachten Ansprüchen versagt die Rechtsprechung den Erlass eines Teilurteils im Fall einer materiell-rechtlichen Verzahnung zwischen den Streitgegenständen.266 Mit Blick auf den hinter § 260 ZPO stehenden Zweck, die verbundenen Ansprüche einer gemeinsamen Verhandlung und Beweisaufnahme – und damit auch einer einheitlichen Würdigung – zugänglich zu machen, verhilft das Gebot der Unabhängigkeit der Verwirklichung dieses Ziels. Denn andernfalls bestünde die Gefahr, dass das Gericht durch Erlass eines Teilurteils über einen der beiden Ansprüche eine Trennung der Verhandlung und Entscheidung herbeiführt und die Ansprüche so behandelt würden, als seien sie Gegenstand getrennter Verfahren. Das mit der objektiven 263 Dies gilt freilich auch für den Fall der verdeckten Teilklage. Das Teilurteil über einen einheitlichen Anspruch gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO ist jedoch nur mit der offenen Teilklage vergleichbar. Siehe hierzu näher 6. Kapitel. B. II. 5. a), S. 238 f. 264 Siehe zur Teilklage im Zusammenhang mit dem Gebot der Unabhängigkeit 6. Kapitel. B., S. 221 ff. 265 Dies gilt freilich unabhängig davon, ob der Anspruch nur der Höhe oder nach Grund und Höhe streitig ist. 266 Siehe oben S. 110 ff.
D. Kapitelzusammenfassung
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Klagehäufung verfolgte Ziel würde dann – ohne dass eine Trennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO angeordnet wurde – ausgehebelt. Soweit mehrere Ansprüche in einem Eventualverhältnis zueinander stehen, d. h. als Haupt- und Hilfsanspruch geltend gemacht werden, ist mit der herrschenden Meinung ein Teilurteil über den Hilfsanspruch abzulehnen und ein abweisendes Teilurteil über den Hauptanspruch für zulässig zu erachten.267 In beiden Fällen bedarf es des Gebots der Unabhängigkeit jedoch nicht, da die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit des Teilurteils jeweils aus dem innerprozessualen Bedingungsverhältnis folgt: So ist ein Teilurteil über einen Hilfsantrag aufgrund des innerprozessualen Bedingungsverhältnisses zum Hauptantrag bereits mangels Entscheidungsreife unzulässig. Ein Teilurteil über den Hauptanspruch ist hingegen trotz der Möglichkeit des Erlasses eines Schlussurteils über den Hilfsanspruch bei gleichzeitiger Rechtsmitteleinlegung gegen das Teilurteil über den Hauptanspruch zulässig, da das Schlussurteil über den Hilfsantrag von der rechtskräftigen Abweisung des Hauptantrags in Form einer auflösenden Bedingung abhängt und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen daher ausgeschlossen ist.268 Im Fall der Stufenklage ist der Erlass eines Teilurteils trotz der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen zulässig. Verbindet der Kläger einen Anspruch auf Auskunft oder eidesstattliche Versicherung auf erster bzw. zweiter Stufe mit einem Leistungsanspruch auf dritter Stufe gem. § 254 ZPO, erfordert die Fortführung des Prozesses den Erlass eines Teilurteils über die erste bzw. zweite Stufe trotz der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen mit dem Urteil über den Leistungsanspruch auf dritter Stufe.269 Wird der Anspruch auf Auskunft oder eidesstattliche Versicherung jedoch mit der Begründung zugesprochen, dass der Anspruch auf dritter Stufe dem Grunde nach besteht, sollte der gleichzeitige Erlass eines Grundurteils auf erster Stufe ungeachtet der Wahrscheinlichkeit einer Leistungspflicht zulässig sein. Andernfalls würde die hinter § 301 ZPO stehende Intention des Gesetzgebers, dass Teil- und Schlussurteil eine ungetrennte Verhandlung zugrunde liegen soll, unterlaufen. Zudem ist auch eine rein funktionale Betrachtung der auf erster und zweiter Stufe erhobenen „Hilfsanträge“, die zu einer generellen Zulassung von Widersprüchen führen könnte, mit Blick auf die materiell-rechtliche Verzahnung der Ansprüche zueinander nicht sachgerecht.270 Den von der Rechtsprechung im Rahmen der Stufenklage verfolgten Zweck einer Fortführung des Prozesses hat der BGH auf die Verbindung eines Auskunftsanspruchs mit einem Schadensersatzanspruch gem. §§ 84a, 84 AMG im 267
Siehe oben S. 113 ff. Siehe oben S. 113 ff., insb. Fn. 29. Siehe oben S. 118 f. 270 Siehe oben S. 123 ff. 268 269
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4. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen
Wege der objektiven Klagehäufung gem. § 260 ZPO übertragen.271 In beiden Fällen dient die Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit der Verwirklichung des Zwecks des Zivilprozesses als ein Instrument zur Durchsetzung der durch das materielle Recht gewährten Ansprüche. Werden nicht mehrere Ansprüche, sondern mehrere Prozessrechtsverhältnisse als einfache Streitgenossenschaft gem. §§ 59, 60 ZPO miteinander verbunden, so versagt die Rechtsprechung aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen den Erlass eines Teilurteils, wenn die Prozessrechtsverhältnisse materiell-rechtlich miteinander verzahnt sind, z. B. weil sie auf demselben Lebenssachverhalt beruhen. Wie auch im Rahmen der objektiven kumulativen Klagehäufung ist die Anwendung des Gebots der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils über einen von mehreren Streitgenossen zur Sicherstellung einer gemeinsamen Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung über die Ansprüche gerechtfertigt. Soweit ein Streitgenosse jedoch infolge der Selbständigkeit der Prozessrechtsverhältnisse selbst die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen herbeiführt – z. B. indem er im Gegensatz zu den übrigen Streitgenossen eine streitige Tatsache in Bezug auf sich unstreitig stellt –, ist der Erlass eines Teilurteils trotz der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen sachgerecht und notwendig, um die selbständige Prozessführung der Streitgenossen nicht zu gefährden.272 Darüber hinaus lässt die Rechtsprechung eine Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit zugunsten der Gewährleistung des Anspruchs auf einen effektiven Rechtsschutz zu, wenn das Verfahren bei Nichterlass eines Teilurteils aufgrund der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen zwischen Teil- und Schlussurteil zu einem Stillstand kommen würde und die Parteien keinen Einfluss auf den Fortgang des Verfahrens haben. Eine solche Möglichkeit sieht der BGH in den Fällen einer Verfahrensaussetzung bzw. -unterbrechung gem. §§ 240, 239 ZPO und § 246 ZPO gegeben.273 Allerdings ist der Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz nicht per se geeignet, eine Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit zu rechtfertigen.274 Im Rahmen von Klage und Widerklage versagt die Rechtsprechung den Erlass eines Teilurteils, wenn die Klagen denselben Gegenstand betreffen, in rechtlichem Zusammenhang stehen oder den Ansprüchen dieselben Vorfragen zugrunde liegen.275 Die Anwendung des Gebots der Unabhängigkeit entspricht dabei dem hinter § 33 Abs. 1 ZPO stehenden Zweck, durch eine Verbindung von in rechtlichem Zusammenhang stehenden Klagen eine gemeinsame Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung herbeizuführen und auf diese Weise 271
Siehe oben S. 119 ff. Siehe oben S. 129 ff. Siehe oben S. 132 ff. 274 Siehe oben S. 138 f. 275 Siehe oben S. 145 ff. 272 273
D. Kapitelzusammenfassung
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sowohl die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen als auch eine Zersplitterung der Prozesse zu verhindern. Eine Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 3 ZPO lässt der BGH im Fall einer Stufenwiderklage sowie bei Erhebung einer rechtsmissbräuchlichen Widerklage zu. Dem ist zuzustimmen, da es im Fall einer missbräuchlichen Widerklage an der Schutzwürdigkeit des Beklagten fehlt und bei der Stufenwiderklage der Prozess – wie auch bei der Stufenklage – andernfalls zum Erliegen käme. Allerdings ist auch im Rahmen der Stufenwiderklage an der Zulässigkeit eines Grundurteils ungeachtet der Wahrscheinlichkeit der Leistungspflicht festzuhalten, wenn im Rahmen des auf erster oder zweiter Stufe ergehenden Teilurteils auch über den Grund des auf dritter Stufe geltend gemachten Leistungsantrags entschieden wird. Beruhen der Leistungsantrag der Widerklage und der Klageanspruch hierbei auf demselben Anspruchsgrund und führt die Bejahung des Widerklageanspruchs materiell-rechtlich zur Abweisung des Klageantrags, so muss die Klage zugleich durch Teilurteil abgewiesen werden.276 Für den Fall eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch ist danach zu differenzieren, ob dieser nur der Höhe nach oder nach Grund und Höhe streitig ist. Für letzteren Fall verlangt § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO den gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils. Das Grundurteil soll dabei sowohl eine Widerspruchsgefahr ausschließen als auch zur Abgrenzbarkeit und Teilbarkeit des zu entscheidenden Anspruchsteils führen.277 Ist der Anspruch hingegen nur der Höhe nach streitig, ist mit Blick auf die Entscheidung des BGH vom 30.11.1999278 davon auszugehen, dass der Erlass eines Teilurteils aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen unzulässig ist, da der bislang unstreitige Grund streitig werden könnte. Da auf diese Weise jedoch der unstreitige Anspruchsgrund gedanklich bereits so behandelt wird, als sei er streitig, sollte die Möglichkeit des Streitigwerdens für die Annahme eines streitigen Grundes in § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO i. V. m. § 304 Abs. 1 ZPO ausreichen und auch im Fall eines nur der Höhe nach streitigen Anspruchs der gleichzeitige Erlass eines Grundurteils zulässig sein. Andernfalls wäre der Erlass eines Teilurteils über einen nur der Höhe nach streitigen Anspruch immer unzulässig.279
276
Siehe oben S. 147 ff. Siehe oben S. 156 f. BGHZ 143, 189 = NJW 2000, S. 800, 801. 279 Siehe oben S. 156. 277 278
Teil 2
Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen der Zivilprozessordnung im Übrigen
5. Kapitel
Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von Rechtshängigkeitssperre, materieller Rechtskraft und innerprozessualer Bindungswirkung Die Norm des § 301 ZPO steht in den Vorschriften zum Urteil im zweiten Buch der Zivilprozessordnung. Da ein Teilurteil ein Endurteil über einen abgrenzbaren Teil ist, finden alle auf ein Voll-Endurteil gem. § 300 ZPO anwendbaren Regelungen, insbesondere zur Bindung des Gerichts gem. § 318 ZPO und zur Rechtskraft gem. § 322 ZPO, auch auf Teil- und Schlussurteil Anwendung.1 Während die Normen des § 318 ZPO und des § 322 ZPO am Ende eines jeden Verfahrens relevant werden, bestimmt die Vorschrift des § 261 ZPO dessen Anfang. Gem. § 261 Abs. 1 ZPO wird durch Erhebung einer Klage die Rechtshängigkeit der Streitsache begründet. Damit einher geht das Verbot jeder Partei gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, denselben Streitgegenstand während der Dauer des Verfahrens bei demselben oder einem anderen Gericht anhängig zu machen. Auf diese Weise sollen die Gerichte vor Mehrfachbelastungen geschützt und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen in derselben Sache soll vermieden werden.2 Wie die Rechtshängigkeit, so verhindert auch die materielle Rechtskraft „mehrfache oder gar sich widersprechende Entscheidungen in derselben Sache […], die Rechtshängigkeit durch das Verbot des Nebeneinander, die Rechtskraft durch das Verbot des Nacheinander von Prozessen de eadem re.“3
Die Zeit bis zum Eintritt der materiellen Rechtskraft wird durch die Bindung des Gerichts an das erlassene Urteil gem. § 318 ZPO überbrückt. Mit den Vorschriften der §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 318 und 322 ZPO beinhaltet die Zivilprozessordnung damit drei Institute, die zu verschiedenen Zeitpunkten eines Verfahrens sich widersprechende Entscheidungen verhindern.4 Der Umfang dieser Widerspruchsfreiheit wird maßgeblich durch den Streitgegenstand, der zu1 2
Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, vor § 300, Rn. 22, 28 f. Musielak/Voit/Foerste, 17. Aufl. 2020, § 261, Rn. 9. 3 Gaul, FS Flume, 1978, S. 433, 513. 4 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 19; MüKo-ZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, § 261, Rn. 4; Lüke, JuS 2000, S. 1042; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 318, Rn. 4.
166 5. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit und §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 322 Abs. 1, 318 ZPO gleich Urteilsgegenstand ist, bestimmt.5 Wie das Gesetz, so verfolgt auch die Rechtsprechung mit dem Gebot der Unabhängigkeit den Zweck, sich widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Im Gegensatz zu den gesetzlichen Vorschriften geht die Rechtsprechung jedoch über den in § 261, § 318 und § 322 ZPO zugrundeliegenden Maßstab hinaus, indem sie Widersprüche auch hinsichtlich der nicht in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungsgründe ausschließen will. Im nachfolgenden Kapitel wird das Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 318 und 322 ZPO untersucht. Hierbei gilt es vor allem, die verschiedenen Zweckrichtungen darzustellen. Der nachfolgenden Analyse vorangestellt wird eine Erläuterung des Streitgegenstandes als gemeinsamer gesetzlicher Maßstab zur Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen im Rahmen der §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 318 und 322 ZPO.
A. Herrschender Streitgegenstandsbegriff als Grundlage für Rechtshängigkeit, Rechtskraft und Bindung des Gerichts Die Literatur hat sich in der Vergangenheit immer wieder ausführlich mit Begriff und Umfang des Streitgegenstandes befasst.6 Eine auch nur annähernd umfangreiche Erörterung wäre jedoch – abgesehen davon, dass dies den Umfang dieser Arbeit sprengen würde – der Zielsetzung dieses Vorhabens nicht dienlich. Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Untersuchung des von der Rechtsprechung entwickelten Gebots der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils im Rahmen des § 301 ZPO sowie im System der Zivilprozessordnung. Zu diesem System gehören auch sich im Laufe der Zeit etablierte Grundsätze wie der heute ganz herrschende zweigliedrige Streitgegenstandsbegriff im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, demzufolge sich der Streitgegenstand aus Klageantrag und dem ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt zusammensetzt.7
I. Herrschender Streitgegenstandsbegriff Der Streitgegenstand dient der Bestimmung des Gegenstands der Streitsache. Er legt neben der Zulässigkeit des Rechtswegs und der Zuständigkeit des Gerichts8 insbesondere den Umfang des zwischen den Parteien geführten Prozesses und 5 BGHZ 194, 314 Rn. 21 = GRUR 2013, S. 401 Rn. 21; Baumgärtel, JuS 1974, S. 69, 70 f.; MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 113; Lent, ZZP 65 (1952), S. 315 f.; Musielak, NJW 2000, S. 3593; Stein/Jonas/Roth, 22. Aufl. 2008, vor § 253, Rn. 4. 6 Vgl. hierzu nur Althammer, Streitgegenstand, 2012. 7 Vgl. zur Entstehung des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs z. B. Althammer, Streitgegenstand, 2012, S. 57 ff. und Beys, ZZP 105 (1992), S. 145, 153. 8 Lent, ZZP 65 (1952), S. 315; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, vor § 253, Rn. 4.
A. Herrschender Streitgegenstandsbegriff als Grundlage
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die Reichweite der gerichtlichen Entscheidung fest.9 Die Frage nach der Abgrenzung des Streitgegenstandes hat in der Vergangenheit immer wieder Anlass zur Diskussion gegeben.10 Heute herrschend ist der zweigliedrige Streitgegenstandsbegriff, demzufolge sich der Streitgegenstand nach dem Klageantrag und dem ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt bestimmt.11 Zusammen bilden sie einen prozessualen Anspruch.12 Klageantrag und der zugrundeliegende Sachverhalt werden – zugleich als Ausdruck der in der Zivilprozessordnung verankerten Dispositionsmaxime – gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO durch den Kläger im Rahmen der Klagschrift bestimmt.13 Der Lebenssachverhalt umfasst alle Tatsachen, die aus Sicht der Parteien bei einer natürlichen und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören.14 Dabei ist unerheblich, ob die Parteien alle zum Sachverhalt gehörenden Tatsachen tatsächlich vorgetragen haben und die nicht vorgetragenen Tatsachen aufgrund Kenntnis derselben hätten vorbringen können.15 Maßgeblich ist vielmehr, ob eine sinnvolle Teilung des Sachverhalts auf mehrere eigenständige Geschehensabläufe und damit eine selbständige rechtliche Beurteilung möglich ist.16 Ist dies nicht der Fall, so handelt es sich um einen einheitlichen Lebenssachverhalt, der alle materiell-rechtlichen Ansprüche umfasst, die sich mit Hilfe des Klageantrags aus dem Sachverhalt herleiten lassen.17 9 Siehe zum Regelungszweck auch Beys, ZZP 105 (1992), S. 145, 146 f.; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011, § 37, Rn. 1. 10 Siehe nur Beys, ZZP 105 (1992), S. 145 ff.; Habscheid, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß, 1956; ders., FS Schwab, 1990, S. 181 ff.; Rimmelspacher, Materiellrechtlicher Anspruch, 1970; Schwab, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß, 1954; ders., JuS 1965, S. 81 ff. 11 BGH, NJW 1990, S. 1795, 1796; BGHZ 117, 1, 5 = NJW 1992, S. 1172, 1173; BGH, NJW 1993, S. 333, 334; BGH, NJW 2003, S. 585, 586; BGHZ 183, 77 Rn. 9 = NJW 2010, S. 2210 Rn. 9; BGHZ 198, 294 Rn. 15 = NJW 2014, S. 314 Rn. 15; BGH, NJW 2016, S. 1818, 1821; Wieczorek/Schütze/Assmann, 4. Aufl. 2013, § 253, Rn. 62, 74; BeckOK-ZPO/Bacher, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 253, Rn. 51; Baumgärtel, JuS 1974, S. 69, 70; Beys, ZZP 105 (1992), S. 145, 153, 163; MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 112; Habscheid, FS Schwab, 1990, S. 181, 182; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011, § 37, Rn. 34 ff.; Musielak, NJW 2000, S. 3593; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 93, Rn. 28; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, vor § 253, Rn. 11; BLAH/Weber, 78. Aufl. 2020, § 322, Rn. 15; BeckOK-ZPO/Wendtland, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 2, Rn. 4. 12 BGHZ 117, 1, 5 = NJW 1992, S. 1172, 1173. 13 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011, § 24, Rn. 6 ff., der die Dispositionsbefugnis des Klägers aufgrund der Bindung des Gerichts gem. § 308 Abs. 1 ZPO auch als „Dispositionslast“ bezeichnet. 14 BGHZ 117, 1, 6 = NJW 1992, S. 1172, 1173; BGHZ 198, 294 Rn. 15 = NJW 2014, S. 314 Rn. 15. 15 BGHZ 157, 47, 51 = NJW 2004, S. 1252, 1253; BGHZ 194, 314 Rn. 19 = GRUR 2013, S. 401 Rn. 19, vgl. zu dieser Entscheidung auch die Anmerkung von Gottwald, FS Köhler, 2014, S. 173 ff. 16 Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, Einleitung, Rn. 76; auf Musielak Bezug nehmend auch BGHZ 194, 314 Rn. 19 = GRUR 2013, S. 401 Rn. 19. 17 BGHZ 198, 294 Rn. 15 = NJW 2014, S. 314 Rn. 15.
168 5. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit und §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 322 Abs. 1, 318 ZPO Auf Grundlage des Lebenssachverhalts bestimmt der Kläger mit seinem Klageantrag die von ihm begehrte Rechtsfolge und somit den Umfang der richterlichen Entscheidung.18 Vorfragen und präjudizielle Rechtsverhältnisse nehmen am Streitgegenstand daher nur Teil, wenn über sie eine Zwischenfeststellungs(wider)klage gem. § 256 Abs. 2 ZPO erhoben wird.19 Der Klageantrag dient somit der Festlegung des Streitgegenstandes, der Umgrenzung der Entscheidungsbefugnis des Gerichts und der Bestimmung von Inhalt und Reichweite der materiellen Rechtskraft.20 Damit das Gericht den Streitgegenstand für seine Entscheidung umgrenzen kann, muss der Klageantrag gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt sein. Dies ist der Fall, wenn die erstrebte Rechtsfolge konkret bezeichnet ist, Inhalt und Reichweite der materiellen Rechtskraft des Urteils absehbar sind und die Entscheidung eine weitere inhaltliche Auseinandersetzung in der Zwangsvollstreckung entbehrlich macht.21 Gleichzeitig dient das Bestimmtheitserfordernis dem Schutz des Beklagten: Dieser soll auf Grundlage des Klageantrags sein Risiko erkennen und sich entsprechend verteidigen können.22 Der herrschende Streitgegenstandsbegriff ist Basis für die nachfolgenden Ausführungen und wird hierbei den Vorschriften der §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 318 und 322 ZPO einheitlich zugrunde gelegt.23 18
Wieczorek/Schütze/Assmann, 4. Aufl. 2013, § 253, Rn. 74. BGHZ 183, 77 Rn. 10 = NJW 2010, S. 2210 Rn. 10. 20 Wieczorek/Schütze/Assmann, 4. Aufl. 2013, § 253, Rn. 74. 21 So die Zusammenfassung in Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 253, Rn. 26 mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung; siehe auch Prütting/Gehrlein/Geisler, 11. Aufl. 2019, § 253, Rn. 28. Es gibt freilich Situationen, in denen aufgrund einer im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht möglichen (hinreichenden) Bestimmbarkeit des Klageantrags, insbesondere bei fehlender Bezifferbarkeit, Ausnahmen vom Bestimmtheitsgebot zugelassen werden. Die erforderliche Bestimmtheit wird dann entweder im Laufe des Verfahrens – zum Beispiel bei Erhebung einer Stufenklage durch Teilurteil – oder am Ende eines Verfahrens durch Erlass des Endurteils herbeigeführt. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass das Gericht aufgrund des Lebenssachverhalts zu einer konkreten Entscheidung in der Lage ist. Siehe hierzu Stein/Jonas/ Roth, 23. Aufl. 2016, § 253, Rn. 45 ff. sowie zu den Ausnahmen der Stufenklage, des unbezifferten Antrags bei Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen und der Unterlassungsklage Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 96, Rn. 30 ff. 22 BGH, NJW 1978, S. 1584; BGH, NJW 1983, S. 1056; BLAH/Anders, 78. Aufl. 2020, § 253, Rn. 38. 23 So auch die herrschende Meinung, vgl. z. B. BGHZ 194, 314 Rn. 21 = GRUR 2013, S. 401 Rn. 21; Büscher, GRUR 2012, S. 16, 24; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 93, Rn. 7; Walker, ZZP 111 (1998), S. 429, 449. Im Gegensatz hierzu will die Literatur teilweise auf einen relativen Begriff des Streitgegenstands abstellen, „der sich an den jeweiligen Prozesssituationen orientiert […].“, Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, vor § 253, Rn. 41. Siehe auch Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 92 f. Die Vertreter plädieren insbesondere für eine unterschiedliche Weite des Streitgegenstandsbegriffs im Rahmen der Rechtshängigkeit im Vergleich zum Urteilsgegenstand: Da die Rechtshängigkeitssperre der Verfahrenskonzentration diene, sei bei Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO der Begriff des Streitgegenstands weit zu verstehen. Dementsprechend sei „die Einbeziehung aller Tatsachen, die den Klageantrag (oder in anderer Terminologie: das Klägerinteresse) rechtfer19
B. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der Rechtshängigkeitssperre
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II. Bedeutung des Streitgegenstandes für Rechtshängigkeit, Rechtskraft und Bindung des Gerichts Im Rahmen des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO dient der Streitgegenstand der Identifizierung bereits anhängiger Streitigkeiten in derselben Sache.24 Auf diese Weise wird bis zum Urteilserlass verhindert, dass über denselben prozessualen Anspruch mehrfach – sei es in identischer oder sich widersprechender Weise – entschieden wird. Ab Urteilserlass sorgt der Streitgegenstand sodann im Rahmen der §§ 318 und 322 ZPO durch Bestimmung des Umfangs von Bindungswirkung und Rechtskraft für die Vermeidung mehrfacher, ggf. sich widersprechender Urteile in derselben Sache.25 Auf Grundlage des Streitgegenstandes verfolgen damit alle drei Vorschriften zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Prozesses dasselbe Ziel: die Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen über denselben prozessualen Anspruch – die Rechtshängigkeitssperre am Anfang und während des Prozesses, die Bindungswirkung ab Urteilserlass und die materielle Rechtskraft ab Eintritt der formellen Rechtskraft und damit ab Beendigung des Verfahrens. Dem steht die von der Rechtsprechung im Rahmen des § 301 ZPO bei Erlass eines Teilurteils verfolgte Absicht gegenüber, Widersprüche zwischen Teil- und Schlussurteil über den Streitgegenstand hinaus zu vermeiden. Dieses Spannungsfeld ist Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen.
B. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der Rechtshängigkeitssperre gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO Am Anfang eines jeden Prozesses steht die Rechtshängigkeit der Streitsache. Gem. § 261 Abs. 1 ZPO tritt diese durch Erhebung der Klage, d. h. durch Zustellung der Klageschrift an den Beklagten gem. § 253 Abs. 1 ZPO ein.26 Die Rechtshängigkeit hat sowohl materiell-rechtliche als auch prozessrechtliche Wirkung.27 Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich – mangels Retigen, […] sachlich angebracht, da sie zur Konzentration der Prozesse führ[e] und der Druck auf die Parteien, den möglichen Stoff im anhängigen Prozess vorzutragen […], durchaus zuzumuten [sei].“, Stein/Jonas/ders., 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 93. Vgl. auch Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, vor § 253, Rn. 47, 60. Im Gegensatz hierzu sei im Rahmen des § 322 ZPO ein enges Verständnis des Streitgegenstandsbegriffs anzulegen, da den Parteien andernfalls eine umfassende Präklusion für einen etwaigen Zweitprozess drohe, Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, vor § 253, Rn. 61. So auch Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 93 f. 24 MüKo-ZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, § 261, Rn. 56; siehe hierzu in diesem Kapitel unter B. I., S. 170. 25 Siehe hierzu in diesem Kapitel unter C., S. 173 ff. und D, S. 183 ff. 26 Kleinbauer, JA 2007, S. 416. 27 MüKo-ZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, § 261, Rn. 2.
170 5. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit und §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 322 Abs. 1, 318 ZPO levanz der materiell-rechtlichen Wirkungen – auf die prozessuale Wirkung der Rechtshängigkeitssperre.
I. Verbot doppelter Rechtshängigkeit gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO Auf prozessualer Ebene nimmt die Rechtshängigkeitssperre eine wichtige Funktion ein. So ist es gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO jeder Partei untersagt, dieselbe Streitsache während der Dauer der Rechtshängigkeit bei demselben oder einem anderen Gericht anhängig zu machen.28 Erforderlich ist die Identität des Streitgegenstandes. Eine Klage ist daher nur ausgeschlossen und als unzulässig abzuweisen, wenn dieselben Parteien betroffen sind,29 derselbe Antrag gestellt wird, wobei das kontradiktorische Gegenteil eingeschlossen ist, und sich die Klage auf denselben Lebenssachverhalt bezieht.30 Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, greift das Verbot des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Die Rechtshängigkeitssperre ist negative Prozessvoraussetzung und von Amts wegen zu beachten.31 Gericht und Parteien sollen so vor einer drohenden Mehrfachbelastung geschützt und der Erlass mehrerer, sich ggf. widersprechender Entscheidungen über denselben prozessualen Anspruch soll verhindert werden.32
II. Vermeidung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen im Rahmen von § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO und § 301 Abs. 1 ZPO Bereits am Anfang eines jeden Verfahrens trägt das Gesetz mit der Rechtshängigkeitssperre gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO dafür Sorge, dass mehrfache, sich ggf. widersprechende Entscheidungen über denselben Streitgegenstand in mehreren Prozessen vermieden werden. Diese Zielsetzung unterscheidet sich maßgeblich von der im Rahmen des § 301 Abs. 1 ZPO verfolgten Absicht der Rechtsprechung. Diese will durch das Gebot der Unabhängigkeit nicht gegenläufige Mehrfachentscheidungen über denselben prozessualen Anspruch, sondern sich in den Gründen widersprechende Urteile über abtrennbare Teile einer Klage33 oder – bei erhobener Widerklage – über die Klage oder Widerklage verhindern. 28 BeckOK-ZPO/Bacher,
123.
37. Ed. Stand 01.07.2020, § 261, Rn. 13; Stein, JuS 2016, S. 122,
29 Erfasst sind auch Personen, auf die sich die Rechtskraft gem. §§ 325 ff. ZPO erstreckt, vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1995, S. 510. 30 BGH, NJW-RR 2013, S. 1105, 1106; Musielak/Voit/Foerste, 17. Aufl. 2020, § 261, Rn. 9 ff. 31 Musielak/Voit/Foerste, 17. Aufl. 2020, § 261, Rn. 9, 11; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 261, Rn. 16. 32 BGHZ 4, 314, 322 = NJW 1952, S. 705, 706; BGH, NJW 1986, S. 2195, 2196. 33 Dies können mehrere gem. § 260 ZPO miteinander verbundene Ansprüche oder gem. §§ 59, 60 ZPO miteinander verbundene Prozessrechtsverhältnisse sowie ein abgrenzbarer Teil eines einheitlichen Anspruchs sein.
B. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der Rechtshängigkeitssperre
171
Grund hierfür ist die ansonsten eintretende Trennung von Verhandlung und Entscheidung durch Erlass eines Teilurteils, obgleich Teil- und Schlussurteil eine ungetrennte Verhandlung zugrunde liegen soll.34 Mit Blick auf die unterschiedlichen Zielrichtungen ist die Rechtshängigkeitssperre gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO daher nicht geeignet, das von der Rechtsprechung im Rahmen des § 301 Abs. 1 ZPO verfolgte Ziel zu erreichen.35 Darüber hinaus liegt der Rechtshängigkeitssperre und dem Gebot der Unabhängigkeit ein unterschiedliches Verständnis hinsichtlich des Umfangs zulässiger Widersprüche zugrunde. So erfordert der Umfang der Rechtshängigkeitssperre die Identität des Streitgegenstandes; nur dann greift das Verbot des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Im Rahmen des § 301 ZPO sind die Voraussetzungen hingegen deutlich weiter gefasst: Hier versagt das Gebot der Unabhängigkeit den Erlass eines Teilurteils bereits dann, wenn zwischen den durch Teil- und Schlussurteil zu bescheidenden Teilen ein materiell-rechtlicher Zusammenhang und damit einhergehend die Möglichkeit sich in den Entscheidungsgründen widersprechender Urteile besteht. Im Gegensatz zum Verbot anderweitiger Rechtshängigkeit, bei der mit der Identität des Streitgegenstandes hohe Anforderungen an den Ausschluss einer Klage gestellt sind, genügt im Rahmen des § 301 Abs. 1 ZPO damit lediglich eine Übereinstimmung zwischen den zu bescheidenden Teilen, um einen Urteilserlass zu untersagen. Wollte man das Verständnis des Gebots der Unabhängigkeit im Sinne des § 301 Abs. 1 ZPO auf die Rechtshängigkeitssperre gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO übertragen, so wären Klagen, die auf demselben Lebenssachverhalt beruhen, denen jedoch ein anderer Klageantrag und damit ein anderer Streitgegenstand zugrunde liegt, unzulässig. So wäre z. B. die Erhebung einer Leistungsklage auf Schadensersatz bei gleichzeitiger Rechtshängigkeit einer Klage auf Feststellung aus demselben Schadensereignis unzulässig, wie auch ein Teilurteil über eine Klage auf Feststellung künftiger Schäden nicht ergehen darf, wenn diese mit einer Leistungsklage auf Zahlung von Schmerzensgeld für bereits entstandene Schäden gem. § 260 ZPO verbunden wurde und beide Klagen auf demselben Schadensereignis beruhen.36 Ein solches Ergebnis käme freilich dem Verständnis des EuGH mit Blick auf die Frage doppelter Rechtshängigkeit entgegen. So ist nach der vom EuGH entwickelten „Kernpunkttheorie“ eine anderweitige Rechtshängigkeit „desselben Anspruchs“ im Sinne des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO37 gegeben, wenn die vor 34
Siehe oben 3. Kapitel. B. I., S. 62 ff. die unterschiedliche Zweckrichtung verweist auch Jurgeleit, BauR 2016, S. 375,
35 Auf
379.
36 Siehe
zur Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei Leistungs- und Feststellungsklage oben 4. Kapitel. A. I. 1., S. 111 ff. 37 Art. 29 Abs. 1 EuGVVO lautet: „Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt
172 5. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit und §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 322 Abs. 1, 318 ZPO Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten erhobenen Klagen im „Kernpunkt“38 denselben Streit – wie z. B. die Wirksamkeit eines Vertrags – betreffen, wobei nur die Klageansprüche des jeweiligen Klägers und nicht auch die vom Beklagten erhobenen Einwendungen berücksichtigt werden.39 In der Folge hat das zweitangerufene Gericht das Verfahren auszusetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht (Art. 29 Abs. 1 EuGVVO). Steht die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts sodann fest, muss sich das später angerufene Gericht für unzuständig erklären (Art. 29 Abs. 3 EuGVVO).40 Da sich das Verbot doppelter Rechtshängigkeit im Rahmen des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO im Gegensatz zur Rechtsprechung des EuGH jedoch am herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff orientiert und der Klageantrag der Leistungsklage über den Feststellungsantrag hinausgeht, versagt § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO eine solche „Doppelung“ von Leistungs- und (negativer) Feststellungsklage mangels Identität der Streitgegenstände gerade nicht.41 Im Ergebnis schafft die am herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstand ausgerichtete Rechtshängigkeitssperre gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO damit die Gefahr, die die Rechtsprechung bei Erlass eines Teilurteils zu verhindern sucht: die Gefahr sich in den Entscheidungsgründen widersprechender Urteile. das später angerufene Gericht unbeschadet des Artikels 31 Absatz 2 das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht.“ 38 EuGH, NJW 1989, S. 665, 666. 39 EuGH, NJW 1989, S. 665, 666 (Gubisch/Palumbo); EuGH, EuZW 2003, S. 542 (Gantner Electronic GmbH/Basch Exploitatie); MüKo-ZPO/Gottwald, 5. Aufl. 2017, Art. 29 Brüssel Ia-VO, Rn. 10; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, 58. EL Okt. 2019, Art. 29 EuGVVO n. F., Rn. 24 ff.; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, vor § 253, Rn. 44; Thole, NJW 2013, S. 1192, 1194; Walker, ZZP 111 (1998), S. 429, 433. Die Kernpunkttheorie geht auf das zu Art. 21 EuGVÜ ergangene Urteil des EuGH vom 08.12.1987 zurück (Art. 21 EuGVÜ entspricht im Wesentlichen dem heute geltenden Art. 29 EuGVVO). In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall klagte eine Partei in Italien auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Kaufvertrags, während die andere Partei in Deutschland auf Erfüllung desselben Kaufvertrags Klage erhoben hatte. Der EuGH befand zugunsten einer Sicherstellung der Anerkennung und Vollstreckung, dass die Leistungs- und die negative Feststellungsklage denselben Gegenstand beträfen und daher ein Fall doppelter Rechtshängigkeit im Sinne des Art. 21 EuGVÜ vorliege. Der EuGH führte hierzu aus: „Vor allem wenn es wie im vorliegenden Fall um den internationalen Kauf beweglicher Sachen geht, verfolgt die auf Vertragserfüllung gerichtete Klage den Zweck, diesen Vertrag wirksam werden zu lassen, während die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit und Auflösung ihm gerade jede Wirksamkeit nehmen soll. Kernpunkt beider Rechtsstreitigkeiten ist somit die Wirksamkeit dieses Vertrags.“, EuGH, NJW 1989, S. 665, 666 (Gubisch/Palumbo). Kritik hat die Kernpunkttheorie allerdings erfahren, da sie sog. „Torpedoklagen“ ermögliche, d. h., dass durch Erhebung einer negativen Feststellungsklage in Staaten mit langsam arbeitender Justiz eine Leistungsklage in Mitgliedstaaten mit schnellerer Justiz blockiert werden könnte, siehe hierzu z. B. MüKo-ZPO/Gottwald, 5. Aufl. 2017, Art. 29 Brüssel Ia-VO, Rn. 14; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, Art. 29 EuGVVO n. F., Rn. 6. 40 Geimer/Schütze/E. Pfeiffer/M. Pfeiffer, 58. EL Okt. 2019, Art. 29 EUGVVO n. F., Rn. 49 ff. 41 BGH, NJW-RR 2013, S. 1105, 1106.
C. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext materieller Rechtskraft
173
III. Fazit Die Rechtshängigkeitssperre und das Gebot der Unabhängigkeit verfolgen unterschiedliche Ziele: Während die Vorschrift des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO – ausgehend vom herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff – der Vermeidung mehrfacher, sich ggf. widersprechender Entscheidungen über denselben prozessualen Anspruch in unterschiedlichen Verfahren dient, verfolgt das Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils den Zweck, Widersprüche zwischen innerhalb einer Klage oder im Rahmen von Klage und Widerklage geltend gemachten abtrennbaren Teilen zu vermeiden und so eine Trennung von Verhandlung und Entscheidung durch Erlass eines Teilurteils zu verhindern.
C. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext materieller Rechtskraft gem. § 322 Abs. 1 ZPO Die Zivilprozessordnung fasst unter den Begriff der Rechtskraft sowohl die formelle Rechtskraft im Sinne des § 705 ZPO, d. h. die Unanfechtbarkeit eines Urteils,42 sowie die materielle Rechtskraft gem. § 322 ZPO, d. h. die Bestimmung des inhaltlichen Umfangs einer Entscheidung.43 Formelle und materielle Rechtskraft gelten für alle Urteile und Beschlüsse, die befristet und selbständig anfechtbar sind oder für unanfechtbar erklärt wurden.44 Die formelle Rechtskraft sichert als äußerer Rahmen den Bestand des Urteils und ist Voraussetzung für die materielle Rechtskraft.45 Ein Urteil wird formell rechtskräftig, wenn gegen dieses ein (weiteres) Rechtsmittel nicht statthaft, die Rechtsmittelfrist verstrichen ist oder wenn die Parteien gem. §§ 515, 565 ZPO dem Gericht gegenüber auf ein Rechtsmittel verzichtet haben.46 Über Inhalt und Reichweite der Bindungswirkung des Urteils besagt die formelle Rechtskraft hingegen nichts. Diese Funktion erfüllt die materielle Rechtskraft gem. § 322 Abs. 1 ZPO, die dem Eintritt der formellen Rechtskraft folgt. Diese ist Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung.
42
Kritisch zum Begriff der Unanfechtbarkeit Schmidt, RPfleger 1974, S. 177, 180 f. Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 1; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 150, Rn. 2; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 322, Rn. 1; Musielak/Voit/Lackmann, 17. Aufl. 2020, § 705, Rn. 1; Hk-ZV/Giers, 3. Aufl. 2015, § 705, Rn. 1. 44 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 3. 45 Braun, JuS 1986, S. 364, 365; MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 1; Werner, Rechtskraft und Innenbindung zivilprozessualer Beschlüsse, 1983, S. 19. 46 Braun, JuS 1986, S. 364, 365; Schmidt, RPfleger 1974, S. 177, 180. 43
174 5. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit und §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 322 Abs. 1, 318 ZPO
I. Zweck und Wesen der materiellen Rechtskraft Wird über einen Streitgegenstand ein Urteil erlassen und erwächst dieses in formelle Rechtskraft, so verhindert die materielle Rechtskraft, dass in einem neuen Verfahren eine zweite, ggf. widersprechende Entscheidung über denselben Streitgegenstand ergeht.47 Die materielle Rechtskraft ist Ausdruck der durch das Rechtsstaatsprinzip zu gewährleistenden Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes des Bürgers auf die Beständigkeit des Rechts.48 Nur wenn eine Entscheidung endgültige Verbindlichkeit für die Parteien erlangt, kann Rechtsfrieden eintreten.49 Die Frage nach dem Wesen der Rechtskraft und ihrer dogmatischen Einordnung war lange Zeit Gegenstand kontroverser Diskussionen. Die hierbei entstandenen Rechtskrafttheorien lassen sich im Ansatz in zwei Kategorien unterteilen: die materielle und die prozessuale Theorie.50 Beide Ansätze sollen im Folgenden erläutert werden, bevor näher auf Umfang und Reichweite der Rechtskraft und ihr Verhältnis zum Gebot der Unabhängigkeit eingegangen wird.
1. Materielle und prozessuale Rechtskrafttheorie a) Materielle Theorie Die anfangs herrschende materielle Theorie, die zunächst auch vom Reichsgericht vertreten wurde,51 geht von einer Übereinstimmung zwischen materieller Rechtslage und richterlicher Entscheidung aus.52 Maßgeblich begründet wurde diese Theorie von Savigny,53 der die Rechtskraft 1847 als „das höchst wichtige Rechtsinstitut, […], welches nichts Anderes ist, als die Fiction der Wahrheit, wodurch das rechtskräftige Urtheil gegen jeden künftigen Versuch der Anfechtung oder Entkräftung gesichert wird“ beschrieb.54 Während ein richtiges Urteil die bisherige Rechtslage bestätige und einen zusätzlichen Titel schaffe, gestalte ein unrichtiges Urteil die Rechtslage neu und wirke konstitutiv.55 Durch den so erzeugten Gleichlauf werde ein Auseinanderfallen zwischen 47 48
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 152, Rn. 1. Maunz/Dürig/Grzeszick, 87. EL 2019, Art. 20, Rn. 49 f., 69, 101. 49 MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 2; Schwab/Gottwald, Verfassung und Zivilprozeß, 1984, S. 28. 50 So auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 152, Rn. 3. 51 Vgl. z. B. RGZ 46, 334, 336; RGZ 71, 309, 311. 52 Roth, Ritsumeikan Law Review Nr. 33 2016, S. 83, 84. 53 Weitere Vertreter der materiellen Theorie waren u. a. Kohler, FS Klein, 1914, S. 1 ff.; Neuner, ZZP 54 (1929), S. 217; Reichel, FS Wach, 1913, S. 1, 5; Pagenstecher, Zur Lehre von der materiellen Rechtskraft, 1905, S. 302 ff.; ders., ZZP 37 (1908), S. 1 ff. 54 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 6, 1847, S. 261. 55 In der Folge wird durch ein zu Unrecht zusprechendes Urteil ein zunächst materiell nicht bestehendes Recht zur Entstehung gebracht und bei unrichtiger Abweisung einer Klage
C. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext materieller Rechtskraft
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dem Inhalt der Entscheidung und der wahren materiellen Rechtslage vermieden bzw. beseitigt.56 Ferner habe die Änderung des materiellen Rechts zur Folge, dass ein neuer Richter in einem zweiten Prozess über dieselbe Sache zu dem gleichen Ergebnis kommen müsse und einander widersprechende Urteile vermieden würden.57 Eine Modifizierung der materiellen Rechtskrafttheorie wurde von Pohle entwickelt,58 der ausgehend von der Prämisse, dass dem Urteil eine den Streit und die Ungewissheit beseitigende Feststellungswirkung zukomme, dieser Feststellungwirkung die „Bedeutung einer Vermutung“ beimaß.59 Da aufgrund der Funktion des richterlichen Urteils der Beweis des Gegenteils nicht möglich sei, begründe „das rechtskräftige Urteil eine unwiderlegbare Vermutung dafür […], dass die vom Urteil ausgesprochene Rechtsfolge zu Recht besteh[e].“60 Auf diese Weise werde die Wirkung der materiellen Rechtskraft im Fall eines richtigen Urteils verdeutlicht.61 Auch das Reichsgericht schloss sich zunächst der materiellen Theorie an.62 Ab 1930 wandte es sich jedoch von dieser ab und vertrat die nachfolgend zu erörternde und noch heute herrschende prozessuale Theorie.63
b) Prozessuale Theorie Nach der heute herrschenden64 prozessualen Theorie hat das Urteil reinen funktionellen Charakter: Es erkennt die bestehende Rechtslage, entfaltet aber keine erlischt ein bestehender Anspruch, siehe hierzu Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 22; Blomeyer, Enzyklopädie, 1963, § 88 III 1; Kohler, Prozeß als Rechtsverhältnis, 1888, S. 111 f.; ders., FS Klein, 1914, S. 1; Martens, ZZP 79 (1966), S. 404, 405 f.; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 152, Rn. 3; Roth, Ritsumeikan Law Review Nr. 33 2016, S. 83, 84; vgl. auch Pagenstecher, Zur Lehre von der materiellen Rechtskraft, 1905, S. 305. 56 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322, Rn. 22. 57 Bötticher, Kritische Beiträge, 1930, S. 130. 58 Pohle, GS Calamandrei, 1958, S. 377 ff.; kritisch hierzu Gaul, FS Flume, 1978, S. 443, 520. 59 Pohle, GS Calamandrei, 1958, S. 377, 388. 60 Pohle, GS Calamandrei, 1958, S. 377, 388; Pohle, (österr.) JBl. 1957, S. 113, 118; zustimmend Blomeyer, JR 1968, S. 407, 409. 61 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 23. 62 RGZ 46, 334, 336; RGZ 71, 309, 311; RGZ 75, 213, 215; RGZ 78, 389, 395, wo das Gericht ausführt: „Das rechtskräftige Urteil macht streitige Rechtsverhältnisse zwischen den Parteien endgültig unstreitig und legt sie in ihrer materiellen Gestaltung für die Zukunft unabänderlich fest, sodaß was das Urteil ausgesprochen hat, nunmehr Recht wird, auch wenn es vorher dem materiellen Rechte bei dessen richtigem Verständnis nicht entsprach.“ 63 RGZ 129, 246, 248, hier führte das Reichsgericht aus: „Ein Urteil bringt nicht Rechte zur Entstehung, sondern stellt nur fest, was Rechtens ist.“ 64 RGZ 129, 246, 248; RGZ 167, 328, 334 f.; BGHZ 3, 83, 85 f. = NJW 1951, S. 886 f.; BAGE 1, 196 = NJW 1955, 476, 479; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 18; Gaul, FS Flume, 1978, S. 512 f.; MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 9; BeckOKZPO/Gruber, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 322, Rn. 9; Hellwig, Wesen und subjektive Begren-
176 5. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit und §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 322 Abs. 1, 318 ZPO unmittelbare Wirkung auf das materielle Recht.65 Mit Ausnahme von Gestaltungsurteilen nimmt ein rechtskräftiges Urteil damit keinen Einfluss auf das materielle Recht,66 sondern bindet das Gericht nur im Fall eines erneuten Prozesses über dieselbe Sache.67 Die prozessuale Theorie hat in der Vergangenheit zwei Ausgestaltungen erfahren: die Bindungstheorie und die ne bis in idemLehre.
aa) Bindungstheorie Nach der vor allem von Hellwig68 und Stein69 vertretenen Bindungstheorie hat ein Urteil „die prozessrechtliche Wirkung, dass jeder spätere Richter an die im rechtskräftigen Urteil enthaltene Rechtsdeklaration gebunden ist und seinem eigenen Urteil zu Grunde legen muss“.70 Die Bindung erstrecke sich dabei nur auf die Rechtsfolgen, nicht hingegen auch auf die Tatsachen.71 Dies bewirke, dass ein Gericht in einem neuen Prozess zwar keine abweichende Entscheidung, jedoch eine identische Entscheidung über dieselbe Streitsache treffen dürfe.72 In ihrer Wirkung nehme die Rechtskraft dem Richter des zweiten Prozesses damit die Möglichkeit, nach eigener Überzeugung zu entscheiden.73 Ein zweites, identisches Urteil sei hingegen möglich.74 Betreffe der zweite Prozess jedoch denselben Streitgegenstand, so stehe einem neuen Verfahren, und damit zung der Rechtskraft, 1901, S. 10; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 152, Rn. 5 f.; Roth, Ritsumeikan Law Review Nr. 33 2016, S. 83, 85; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 322, Rn. 10; Zöller/Vollkommer, 33. Aufl. 2020, vor § 322, Rn. 16; Zöller/ders., 33. Aufl. 2020, vor § 322, Rn. 16. 65 MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 9; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 152, Rn. 5. 66 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 18; Zöller/Vollkommer, 33. Aufl. 2020, vor § 322, Rn. 16. 67 MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 9. 68 Hellwig, Wesen und subjektive Begrenzung der Rechtskraft, 1901. 69 Gaupp/Stein, 4. Aufl. 1899, § 322, II; Gaupp/ders., 5. Aufl. 1901, § 322, II; so fortgeführt von Stein/Jonas/Schönke/Pohle, 18. Aufl. 1953, § 322, II 2; unklar hier Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011, § 62, Rn. 5, der Hellwig und Stein bei der ne bis in idem-Lehre verortet. 70 Hellwig, Wesen und subjektive Begrenzung der Rechtskraft, 1901, S. 18. Vgl. auch ders., System I, 2. Aufl. 1980, S. 777; Gaupp/Stein, 4. Aufl. 1899, § 322, II und Gaupp/ders., 5. Aufl. 1901, § 322, II; vgl. auch die Darstellung und Nachweise bei Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 19, insb. den Verweis auf RGZ 160, 163, 165 und RGZ 167, 328, 334 f. 71 Gaupp/Stein, 4. Aufl. 1899, § 322, II; Stein/Jonas/Schönke/Pohle, 18. Aufl. 1953, § 322, II 2. 72 Hellwig, Wesen und subjektive Begrenzung der Rechtskraft, 1901, S. 12, 18; so auch Stein/Jonas/Schönke/Pohle, 18. Aufl. 1953, § 322, II 3. 73 Gaupp/Stein, 5. Aufl. 1901, § 322, II. 74 Gaupp/Stein, 5. Aufl. 1901, § 322, II, der dort ausführt: „… die Rechtskraft ist kein Prozeßhindernis mehr, denn sie hindert nicht die wiederholte, sondern nur die inhaltlich widersprechende Entscheidung.“, kritisch hierzu Bötticher, Kritische Beiträge, 1930, S. 130 f.
C. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext materieller Rechtskraft
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einem zweiten Urteil, bis auf wenige Ausnahmefälle75 der Einwand des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses entgegen.76
bb) Ne bis in idem-Lehre Die zweite Ausprägung der prozessualen Theorie ist die heute herrschende ne bis in idem-Lehre. Nach der ne bis in idem-Lehre, die zunächst vor allem von Schwartz77 und Bötticher78 vertreten wurde und der sich auch der BGH angeschlossen hat, wirkt die Rechtskraft bei identischem Streitgegenstand in einem ersten und zweiten Prozess nicht als bloße Bindung, sondern als Prozesshindernis bzw. negative Prozessvoraussetzung, die jede weitere Verhandlung und Entscheidung über dieselbe Sache ausschließt.79 Ist die rechtskräftige Entscheidung hingegen Vorfrage des zweiten Prozesses, so entfaltet die Rechtskraft nach der ne bis in idem-Lehre hinsichtlich der Vorfrage (nur) eine Bindungswirkung für den Richter; der Folgeprozess als solcher wird hingegen nicht ausgeschlossen.80
2. Stellungnahme Dem Streit um die dogmatische Einordnung des Wesens der Rechtskraft als prozessual oder materiell kommt, da sich durch die Theorien weder Umfang noch Wirkung der Rechtskraft bestimmen lassen, vor allem eine „Lehr- und Erklärungsfunktion“ zu.81 Im Ergebnis ist jedoch der heute herrschenden ne bis in idem-Lehre der Vorzug zu geben, da sie der Aufgabe der Gerichte, d. h. der Anwendung des geltenden Rechts und nicht – mit Ausnahme der Gestaltungsurteile – der Veränderung der materiellen Rechtslage, gerecht wird.82 Darüber 75
Siehe hierzu Gaul, FS Weber, 1975, S. 155, 163. Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 1950, S. 108; kritisch hierzu Gaul, FS Flume, 1978, S. 443, 514; ders., FS Weber, 1975, S. 155, 163. 77 Schwartz, FG Dernburg, 1900, S. 311, 334. 78 Bötticher, Kritische Beiträge, 1930, S. 133 ff. 79 BAGE 1, 196 = NJW 1955, S. 476, 477; BGH, NJW 1958, S. 790, 791; BGHZ 34, 337, 339 = NJW 1961, S. 917, 918; BGHZ 35, 338, 340 = NJW 1961, S. 1969; BGHZ 36, 365, 367 = NJW 1962, S. 1109; BGH, NJW 1985, S. 2825, 2826; mit ausdrücklichem Verweis auf das „ne bis in idem-Gebot“ BGH, NJW 2004, S. 1805, 1806. Nach dem BGH folgt aus der Unzulässigkeit einer erneuten Klage die Unangreifbarkeit der Entscheidung, so formuliert in BGH, NJW 1960, S. 1460, 1461 und BGH, NJW 1985, S. 2535. Vgl. auch Stein/Jonas/ Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 20; MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 9; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 1950, S. 108 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 152, Rn. 1, 10; Thomas/Putzo/Seiler, 40. Aufl. 2019, § 322, Rn. 7; Zöller/Vollkommer, 33. Aufl. 2020, vor § 322, Rn. 17. 80 Gaul, FS Flume, 1978, S. 513 ff.; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011, § 62, Rn. 19; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 152, Rn. 15; Zöller/ Vollkommer, 33. Aufl. 2020, vor § 322, Rn. 18. 81 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 26. Vgl. auch MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 13. 82 Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 322, Rn. 11; BLAH/Hunke/Weber, 78. Aufl., 2020, Grdz. § 322, Rn. 9. 76
178 5. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit und §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 322 Abs. 1, 318 ZPO hinaus bedarf es zur Erreichung des von der materiellen Rechtskraft verfolgten Zwecks der Sicherstellung des Rechtsfriedens keiner Umgestaltung der materiellen Rechtslage.83 Ferner schützt die ne bis in idem-Lehre die Gerichte durch das ihr innewohnende Wiederholungsverbot vor unnötigen doppelten Entscheidungen über dieselbe Frage.84 Das mögliche Auseinanderfallen von Inhalt des Urteils und materieller Rechtslage im Fall eines unrichtigen Urteils ist freilich die Schwachstelle der prozessualen Theorie.85 Gleichzeitig ist diese Schwachstelle im Fall der erfolgreichen Wiederaufnahme eines Verfahrens Chance für die zunächst unterlegene Partei, indem die Gerichte dann auf das unveränderte materielle Recht zurückgreifen können.86 Die prozessuale ne bis in idem-Lehre wird damit dem Urteil als Ausdruck richterlicher „Rechtsfindung mit dem besonderen Geltungsanspruch und der besonderen Geltungskraft, die dem Amt des Richters – und nur diesem – eigentümlich sind“,87 am besten gerecht.
II. Gegenstand und Reichweite der materiellen Rechtskraft Um die von der materiellen Rechtskraft verfolgten Ziele, d. h. die Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen in derselben Streitsache und die Wahrung des Rechtsfriedens, zu erreichen, ist die Bestimmung von Gegenstand und Reichweite der materiellen Rechtskraft unerlässlich. Nach dem Wortlaut des § 322 Abs. 1 ZPO sind Urteile der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist. Anknüpfungspunkt für den Gegenstand ist damit der Anspruch, wobei „Anspruch“ im Sinne des § 322 Abs. 1 ZPO den prozessualen Anspruch und somit den Streitgegenstand, nicht hingegen den materiell-rechtlichen Anspruch gem. § 194 Abs. 1 BGB meint.88 Die Reichweite der Rechtskraft wiederum richtet sich nach dem Umfang der Entscheidung über den Anspruch („insoweit“).89 83
Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 322, Rn. 4. MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 13; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 322, Rn. 13. 85 MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 13 mit Verweis auf Braun, FS Spellenberg, 2010, S. 69, 78, der das Auseinanderfallen zwischen Urteil und materieller Rechtslage als „Spiel“ bezeichnet, „das nur dazu taugt, damit eine rechtskräftig unterlegene Partei sich einreden kann, sie sei ‚in Wahrheit‘ doch im Recht.“; vgl. auch Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 322, Rn. 11. 86 MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 13; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 152, Rn. 8. 87 Leipold, Ritsumeikan Law Review Nr. 4 1989, S. 161 f.; ders., FS 150jähriges Jubiläum Areios Pagos, Bd. V, 2007, S. 225 f. 88 BGHZ 42, 340, 344 = NJW 1965, S. 688, 690; BGH, NJW 2007, S. 1466, 1467; Stein/ Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 89 f.; Brox, NJW 1962, S. 1203; Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325, 326; Musielak, NJW 2000, S. 3593; BLAH/Weber, 78. Aufl. 2020, § 322, Rn. 2, 15. 89 So heißt es in § 322 Abs. 1 ZPO: „Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als 84
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Durch die Bezugnahme auf die richterliche Entscheidung werden der Rechtskraft enge Schranken auferlegt.90 So erstreckt sich die materielle Rechtskraft nur auf den „unmittelbaren Gegenstand des Urteils, d. h. auf die Rechtsfolge, die auf eine Klage oder Widerklage aufgrund eines bestimmten Sachverhalts bei Schluß der mündlichen Verhandlung den Entscheidungssatz bildet.“91
Die Urteilselemente, insbesondere die Entscheidungsgründe, erwachsen – entgegen der von Savigny vertretenen Ansicht – hingegen nicht in Rechtskraft.92 Die daraus resultierende Beschränkung der Rechtskraft auf den Tenor ist Folge einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers.93 Dieser erachtete die von Savigny vertretene Auffassung für zu weitreichend, da sie über die von den Parteien verfolgten Absichten und damit über die Aufgabe des Zivilprozesses hinausgehe.94 Die Parteien würden keine endgültige Entscheidung über die der Klage zugrundeliegenden Tatsachen und Gründe, sondern nur über die in ihrem Antrag festgelegten Rechtsfolgen beabsichtigen; aus diesem Grund sollten auch nur diese in Rechtskraft erwachsen. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Parteien von Entscheidungen getroffen würden, die nicht Gegenstand ihres Klageziels gewesen seien und deren Reichweite die Parteien nicht absehen konnten.95 Würden die Parteien jedoch eine Entscheidung über ein im Laufe des Verfahrens streitiges Rechtsverhältnis begehren und den Umfang der Rechtskraft erweitern wollen, so stünde ihnen der Weg der Zwischenfeststellungs(wider)klage offen. Auf diese Weise werde ebenfalls das von Savigny verfolgte Ziel erreicht96 – jedoch auf Basis des Parteiwillens und nicht auf Basis des Gesetzes.97 Im Ergebnis beschränkt sich die materielle Rechtskraft damit auf die Rechtsfolgen; die Urteilselemente, insbesondere Entscheidungsgründe, festgestellte Tatsachen und Tatbestandsmerkmale, bedingenden Rechte und Gegenrechte über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist.“, Hervorhebung durch die Verfasserin. 90 BGH, NJW 1995, S. 967. 91 BGH, NJW 1983, S. 2032. 92 BGHZ 183, 77 Rn. 9 = NJW 2010, S. 2210 Rn. 9. 93 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 290 ff.; BGHZ 183, 77 Rn. 9 = NJW 2010, S. 2210 Rn. 9. 94 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 291. 95 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 69, unter Hinweis auf Hahn (vorherige Fußnote). 96 Savigny zufolge sollte nicht nur die Entscheidung über die Rechtsfolgen, sondern es sollten auch die richterlichen Feststellungen in Rechtskraft erwachsen, „… welche über die den durch Klage oder Widerklage erhobenen Anspruch bedingenden Rechte (Präjudizialpunkte, Legitimationspunkte […]) erfolgt sind.“, Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 290. 97 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 291 f. Daneben besteht freilich von vornherein – bei Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen – die Möglichkeit der Erhebung einer Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO.
180 5. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit und §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 322 Abs. 1, 318 ZPO (mit Ausnahme der Aufrechnung, vgl. § 322 Abs. 2 ZPO), werden nicht erfasst.98 Allerdings können Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend herangezogen werden, soweit der Entscheidungsinhalt nicht auf Grundlage der Urteilsformel allein bestimmt werden kann.99 Die Beschränkung der Rechtskraft auf die ausgesprochene Rechtsfolge wird durch die Möglichkeit der Parteien zur Erhebung einer Feststellungs- oder Zwischenfeststellungs(wider)kla ge ausgeglichen.100
III. Vermeidung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen im Rahmen von § 322 Abs. 1 ZPO und § 301 Abs. 1 ZPO Da sich der Umfang der materiellen Rechtskraft auf die Rechtsfolgen beschränkt, werden sich widersprechende Entscheidungen auch nur insoweit ausgeschlossen. Die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zur Begrenzung der Reichweite der Rechtskraft setzt sich in der eingeschränkten Möglichkeit zur Vermeidung sich widersprechender Urteile fort: Die im Rahmen eines Urteils zu entscheidenden Rechtsverhältnisse, die Grundlage des Rechtsfolgenausspruchs sind, sollten nach der Vorstellung des Gesetzgebers nur rechtskräftig und bindend werden, wenn die Parteien dies ausdrücklich durch Erhebung einer Zwischenfeststellungs(wider)klage beantragt haben. Dem Parteiwillen und dem Schutz der Parteien vor unbeabsichtigten Konsequenzen kommt bei Erreichen des von der materiellen Rechtskraft bezweckten Rechtsfriedens damit eine zentrale Rolle zu. Die Parteien sollen den Umfang der von ihnen beabsichtigten Rechtsgewissheit und Rechtssicherheit selbst bestimmen können. Die daraus folgenden Konsequenzen zeigen sich an folgendem Beispiel:101 Der Beklagte hatte von den Klägern Räume für seine Tanzschule gemietet. Aufgrund von Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück wurden die Mieträume beschädigt und waren teilweise nicht mehr nutzbar. In der Folge behielt der Beklagte einen Teil der Miete ein, woraufhin die Kläger das Mietverhältnis kündigten und Räumungsklage erhoben. Die Räumungsklage wurde rechtskräftig abgewiesen. Daraufhin machte der Beklagte außerprozessual Schadensersatzansprüche geltend. Um diese zu entkräften, erhoben die Kläger in einem zweiten Verfahren Feststellungsklage mit dem Ziel, das Nichtbestehen des Mietverhältnisses rechtskräftig feststellen zu lassen. Die Klage wurde sowohl in erster 98 BGH, NJW 1995, S. 967; Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322, Rn. 70. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Tatsachen nicht rechtskräftig festgestellt werden können, besteht jedoch gem. § 256 Abs. 1 ZPO für den Fall der Feststellung der Echtheit einer Urkunde, Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 322, Rn. 23. 99 BGHZ 34, 337, 339 = NJW 1961, S. 917; BGHZ 36, 365, 367 = NJW 1962, S. 1109; BGH, NJW 1976, S. 1095, mit dem Hinweis, dass insbesondere bei klageabweisenden Urteilen nur unter Zuhilfenahme des Tatbestandes und der Gründe nachvollzogen werden könne, warum die Rechtsfolge verneint worden sei. Vgl. auch Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 292; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 322, Rn. 23. 100 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 72. 101 BGHZ 43, 144 ff. = NJW 1965, S. 693 f.
C. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext materieller Rechtskraft
181
als auch in zweiter Instanz aufgrund entgegenstehender Rechtskraft des Urteils über die Räumungsklage abgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Klage.
Der BGH führte aus, die Rechtskraft des Urteils über die Räumungsklage stehe der Feststellungsklage nicht entgegen. Da über das Mietverhältnis im Vorprozess keine Zwischenfeststellungsklage erhoben worden sei, sei hierüber auch nicht rechtskräftig entschieden worden. Andernfalls würde das Urteil über die mittels Klageantrag durch die Parteien gezogenen Grenzen hinausgehen.102 Mit seiner Entscheidung hat sich der BGH klar zu den vom Gesetzgeber gewählten Rechtskraftschranken positioniert. Folge ist – mit Blick auf das beschriebene Urteil –, dass ein Gericht in einem anderen, auch auf die Vorfrage des Mietverhältnisses gestützten Prozess insoweit nicht an die Entscheidung des ersten Gerichts gebunden ist, sondern das Bestehen bzw. Nichtbestehen des Mietverhältnisses abweichend beurteilen kann. Die daraus folgende logische Konsequenz ist die Gefahr sich in den Gründen widersprechender Entscheidungen. Diese Gefahr der Rechtsunsicherheit und Rechtsungewissheit kann nach der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers nur durch entsprechenden Parteiantrag auf Feststellung des Bestehens bzw. Nichtbestehens des Mietverhältnisses ausgeschlossen werden. Im Gegensatz hierzu steht das von der Rechtsprechung entwickelte Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils. Der Unterschied wird bei Modifizierung des oben genannten Beispiels deutlich: Hätte der Beklagte auf die gegen ihn gerichtete Räumungsklage eine Widerklage auf Schadensersatz erhoben, die das Bestehen des Mietverhältnisses voraussetzt, so wäre bei vorzeitiger Entscheidungsreife einer der Klagen ein Teilurteil aufgrund der Gefahr sich – ggf. erst in der Rechtsmittelinstanz – in den Gründen widersprechender Entscheidungen unzulässig gewesen: Aufgrund der Trennung des Verfahrens durch Erlass des Teilurteils bestünde die Möglichkeit, dass die Vorfrage des Mietverhältnisses entweder durch das erstinstanzliche Gericht im Rahmen des Schlussurteils oder durch das Berufungsgericht im Fall der Rechtsmitteleinlegung gegen das Teilurteil abweichend beurteilt würde. 102 BGHZ 43, 144, 146 = NJW 1965, S. 693, 694. Der BGH führt in diesem Kontext aus: „Die Frage, ob ein Mietverhältnis durch eine Kündigung aufgelöst worden ist oder trotz der Kündigung fortbesteht, kann rechtliche Vorfrage für zahlreiche Ansprüche sein, insbesondere auch für einen Räumungsanspruch des Vermieters und für verschiedenartige mietvertragliche Ansprüche beider Parteien. […] Würde man der hierbei getroffenen Feststellung über die Vorfrage des Weiterbestehens des Mietverhältnisses ebenfalls Rechtskraft zuerkennen, so erhielte damit jenes Urteil eine Wirkung, die weit über die durch die damaligen Klageanträge gezogenen Grenzen hinausginge. Eine solche weitgehende Wirkung hätte nur erreicht werden können, wenn eine der Parteien im Vorprozeß eine Zwischenfeststellungsklage über das Fortbestehen oder die Beendigung des Mietverhältnisses gemäß § 280 ZPO [heute § 256 Abs. 2 ZPO] erhoben hätte.“
182 5. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit und §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 322 Abs. 1, 318 ZPO Die gemeinsame, nicht von der Rechtskraft erfasste Vorfrage verhindert damit den Erlass eines Teilurteils; einer Zwischenfeststellungs(wider)klage bedarf es hingegen nicht.
IV. Stellungnahme Wie die Rechtshängigkeitssperre gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, so ist auch die materielle Rechtskraft nicht geeignet, das von der Rechtsprechung im Rahmen des § 301 Abs. 1 ZPO verfolgte Ziel einer vollumfänglichen Widerspruchsfreiheit zwischen Teil- und Schlussurteil zu erreichen. Grund hierfür ist im Rahmen des § 322 ZPO die Beschränkung der materiellen Rechtskraft auf den Entscheidungssatz. Mit Blick auf die verschiedenen Zweckrichtungen ist dies im Ergebnis jedoch sachgerecht. Durch die materielle Rechtskraft soll verhindert werden, dass in einem neuen Verfahren eine zweite, ggf. widersprechende Entscheidung über denselben Streitgegenstand ergeht.103 Im Gegensatz hierzu will das Gebot der Unabhängigkeit eine Trennung von Verhandlung und Entscheidung durch Erlass eines Teilurteils verhindern und sicherstellen, dass die durch Teil- und Schlussurteil beschiedenen Teile nicht so behandelt werden als seien sie Gegenstand getrennter Verfahren.104 Das Gebot der Unabhängigkeit dient damit der Bewahrung einer gemeinsamen Verhandlung und einheitlichen Würdigung der Teilund Schlussurteil zugrunde liegenden Tatsachen.105 Das durch das Gebot der Unabhängigkeit verfolgte Ziel unterscheidet sich damit grundlegend von dem der materiellen Rechtskraft. Denn während dem Gebot der Unabhängigkeit der Erhalt eines gemeinsamen Verfahrens zugrunde liegt, bezieht sich die materielle Rechtskraft auf verschiedene Prozesse. Aus diesem Grund können auch die bei Ausgestaltung der materiellen Rechtskraft vom Gesetzgeber angestellten Erwägungen, ein vollumfänglicher Ausschluss von Widersprüchen durch eine Erstreckung der Rechtskraft auf die Urteilsgründe ginge über die von den Parteien verfolgten Absichten und damit über die Aufgabe des Zivilprozesses hinaus,106 nicht auf die Norm des § 301 ZPO und das dort bestehende Bedürfnis widerspruchsfreier Entscheidungen übertragen werden. Da darüber hinaus auch durch eine Zwischenfeststellungs(wider)klage als Instrument zur Erweiterung der Rechtskraft107 nicht sämtliche im Rahmen einer Klage streitigen Rechtsfragen unter den Schutz der materiellen Rechtskraft ge103 104
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 152, Rn. 1. Siehe oben 3. Kapitel. B. I., S. 62 ff. 105 Siehe oben 3. Kapitel. B. I., S. 62 ff. 106 Siehe in diesem Kapitel Fn. 94. 107 Schumann, FS Georgiades, 2006, S. 543, 548 f. Vgl. auch Gaul, FS Gerhardt, 2004, S. 259, 299 f.
D. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der innerprozessualen Bindungswirkung 183
stellt werden können,108 können die Parteien im Rahmen des § 301 ZPO dasselbe Ergebnis auch nicht durch Ausübung ihrer Dispositionsbefugnis erreichen. Darüber hinaus wäre es nicht sachgerecht, die Umsetzung des hinter § 301 ZPO stehenden gesetzgeberischen Willens von einem Handeln der Parteien abhängig zu machen.
D. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der innerprozessualen Bindungswirkung gem. § 318 ZPO I. Zweck und Anwendungsbereich der innerprozessualen Bindungswirkung Bis zum Eintritt der formellen und materiellen Rechtskraft muss die im Urteil getroffene Entscheidung zum Zwecke der Rechtssicherheit, der Bewahrung der Autorität der Gerichte und des Vertrauens der Parteien in den Bestand der Entscheidung – ausgenommen eine Anfechtung des Urteils durch Rechtsmittel – vor einer einseitigen Aufhebung, Abweichung und Änderung durch das erkennende Gericht geschützt werden.109 Diese Funktion übernimmt die innerprozessuale Bindungswirkung gem. § 318 ZPO. Sie gewährleistet, dass das Urteil bis zum Eintritt der Rechtskraft unverändert bleibt.110 Stimmt die Entscheidung jedoch nicht mit dem ursprünglichen Willen des Gerichts überein, erlauben die §§ 319 bis 321 ZPO in engen Grenzen eine Durchbrechung der Bindungswirkung zum Zwecke der Urteilsberichtigung und -ergänzung:111 So gestatten § 319 ZPO und § 320 ZPO eine Berichtigung des Urteils insbesondere bei offensichtlichen Unrichtigkeiten und § 321 ZPO lässt auf Antrag einer Partei die Ergänzung des Urteils im Falle einer Urteilslücke zu; der Kern der Entscheidung bleibt jedoch in allen Fällen unberührt und die Bindungswirkung wird nicht beeinträchtigt.112 Im Gegensatz zur materiellen Rechtskraft ist der Eintritt der innerprozessualen Bindungswirkung nicht an die formelle Rechtskraft gebunden, sondern be108
So verneint der BGH in ständiger Rechtsprechung die Möglichkeit einer Feststellungsund Zwischenfeststellungs(wider)klage über „bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses, reine Tatsachen oder etwa die Wirksamkeit von Willenserklärungen oder die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens“, BGH, NJW 2018, S. 3441, 3442. Kritisch hierzu und sich für eine weite Interpretation des Rechtsverhältnisses aussprechend, Althammer, NJW 2015, S. 878; MüKo-ZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, § 256, Rn. 26 f.; Brehm, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 89, 104 ff.; E. Habscheid, ZZP 112 (1999), S. 37, 44 ff.; Zeuner, FS Schumann, 2001, S. 595 ff. 109 KG Berlin, NJW-RR 2006, S. 1577, 1578; Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 565; Musielak/Voit/ders., 17. Aufl. 2020, § 318, Rn. 1; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 318, Rn. 1. 110 Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 318, Rn. 1. 111 Hüneke, Jura 2009, S. 50 m. w. N. 112 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 318, Rn. 16; Hüneke, Jura 2009, S. 50; Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 318, Rn. 1.
184 5. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit und §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 322 Abs. 1, 318 ZPO ginnt bereits mit Erlass des Urteils.113 Die Bindung endet, wenn die Entscheidung durch ein Gericht höherer Instanz aufgehoben wird.114 Nach dem Wortlaut des § 318 ZPO findet die Bindungswirkung auf alle von einem Gericht erlassenen End- und Zwischenurteile Anwendung. Teilurteile sind als Endurteile über einen vorzeitig zur Entscheidung reifen Teil daher auch erfasst.115 Auf Beschlüsse findet die innerprozessuale Bindungswirkung hingegen grundsätzlich keine Anwendung.116 Eine Ausnahme gilt jedoch für Beschlüsse, die auf eine sofortige Beschwerde ergangen sind, der Rechtsbeschwerde unterliegen und wie Urteile der Rechtskraft fähig sind.117 Bevor auf die innerprozessuale Bindungswirkung im Rahmen des § 301 ZPO näher eingegangen wird,118 sollen Inhalt und Umfang des § 318 ZPO zusammenfassend erläutert werden.
II. Inhalt und Umfang der innerprozessualen Bindungswirkung Die innerprozessuale Bindungswirkung hat einen negativen und einen positiven Inhalt: das negative Verbot der Abänderung, Ergänzung und Aufhebung der Entscheidung und das positive Verbot der Abweichung, demzufolge das Gericht das von ihm erlassene Urteil im weiteren Verfahren zugrunde legen muss.119 In ihrem Umfang gleicht die innerprozessuale Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft.120
1. Abänderungsverbot Das in § 318 ZPO enthaltene (negative) Abänderungsverbot erfasst das Verbot der Änderung, Ergänzung und Aufhebung der Entscheidung. Infolge des113 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 318, Rn. 1; Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 318, Rn. 12; Hüneke, Jura 2009, S. 50; Jauernig, MDR 1982, S. 286. 114 BGHZ 106, 219, 221 f. = NJW 1989, S. 1486, 1487. Darüber hinaus besteht eine Bindung z. B. auch dann nicht mehr, wenn das Revisionsgericht seine bislang vertretene Rechtsprechung aufgibt, BGH, NJW 2013, S. 1310, 1311; Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 318, Rn. 14 m. w. N.; Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 318, Rn. 19. 115 Schneider, MDR 1976, S. 93. 116 Schmidt, RPfleger 1974, S. 177, 178; Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 318, Rn. 15. 117 Eine Gegenausnahme besteht jedoch im Fall einer zulässigen und begründeten Anhörungsrüge, durch die das Gericht sowohl von der Bindungswirkung als auch von der formellen und materiellen Rechtskraft freigestellt wird, BGH, NJW 2018, S. 3388 f.; BeckOK-ZPO/ Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 318, Rn. 8; Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 318, Rn. 9. Da im Folgenden die Bindungswirkung ausschließlich im Rahmen des § 301 ZPO beleuchtet werden soll, wird auf die entsprechende Anwendung des § 318 ZPO im Rahmen von Beschlüssen in dieser Arbeit nicht näher eingegangen. 118 Siehe hierzu in diesem Kapitel unten D. III., S. 186 ff. 119 BeckOK-ZPO/Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 318, Rn. 2; Hüneke, Jura 2009, S. 50; Jauernig, MDR 1982, S. 286; Lüke, JuS 2000, S. 1042, 1043; Schmidt, RPfleger 1974, S. 177, 178; Werner, Rechtskraft und Innenbindung zivilprozessualer Beschlüsse, 1983, S. 12 f. 120 Siehe in diesem Kapitel unten D. II. 3., S. 185 f.
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sen ist es dem erkennenden Gericht – mit Ausnahme einer Berichtigung oder Ergänzung gem. §§ 319 bis 321 ZPO – untersagt, seine Entscheidung nachträglich, z. B. durch Widerruf der Verkündung oder durch Erlass einer neuen Entscheidung, zu ändern.121 Auch kann das Abänderungsverbot nicht durch einvernehmliche Vereinbarung der Parteien abbedungen werden.122 Das Abänderungsverbot erstreckt sich auf alle Elemente des Urteilsausspruchs, einschließlich der Kostenentscheidung.123
2. Abweichungsverbot In Ergänzung zum Abänderungsverbot verpflichtet das (positive) Abweichungsverbot das Gericht, seine Entscheidung im weiteren Verfahren zugrunde zu legen; neues Parteivorbringen darf das Gericht hinsichtlich der entschiedenen Punkte daher nicht mehr zulassen oder berücksichtigen.124 In der Folge ist das Gericht an die in einem Vorbehalts- oder Zwischenurteil ausgesprochene Rechtsfolge im weiteren Prozess gebunden; dies gilt auch bei Erlass eines Teilurteils.125
3. Umfang der Bindungswirkung Der Umfang der innerprozessualen Bindungswirkung beschränkt sich – wie auch im Fall der materiellen Rechtskraft – auf die Entscheidung des Gerichts, d. h. auf den Tenor; die tatsächlichen Feststellungen, Entscheidungsgründe und präjudiziellen Rechtsverhältnisse werden ohne entsprechenden Parteiantrag auf eine Feststellungs- oder Zwischenfeststellungs(wider)klage nicht erfasst.126 Aus diesem Grund ist das Gericht im Rahmen einer Stufenklage gem. § 254 ZPO bei Entscheidung über den Leistungsanspruch auch nicht an etwaige, bereits im
121 OLG Frankfurt a. M., OLGZ 1970, S. 172, 173; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 318, Rn. 9. 122 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 318, Rn. 9; Baumgärtel, MDR 1969, S. 173; Thomas/Putzo/Seiler, 40. Aufl. 2019, § 318, Rn. 5; a. A. BeckOK-ZPO/Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 318, Rn. 38, der eine Bindung des Gerichts trotz Verzichts der Parteien als „pure Förmelei“ bezeichnet. 123 KG Berlin, NJW-RR 2006, S. 1577, 1578. Zu Ausnahmen von der Bindungswirkung, z. B. im Fall eines Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil gem. §§ 338, 342 ZPO, und zur Abhilfe bei Verletzung des rechtlichen Gehörs, siehe Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 318, Rn. 13 ff. 124 BGHZ 51, 131, 138 = NJW 1969, S. 1253, 1255; Götz, JZ 1959, S. 681, 682; Hüneke, Jura 2009, S. 50. Ggf. müssen die Gründe zur Bestimmung des Umfangs der Bindungswirkung herangezogen werden, BGH, NJW 2017, S. 1480, 1483. 125 Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 318, Rn. 4. 126 GmS BGHZ 60, 392, 396 = NJW 1973, S. 1273, 1274; Thomas/Putzo/Seiler, 40. Aufl. 2019, § 318, Rn. 1. Zur Bindungswirkung des Vorbehaltsurteils im Urkundenprozess siehe Stürner, ZZP 85 (1972), S. 424 ff.
186 5. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit und §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 322 Abs. 1, 318 ZPO Rahmen des Teilurteils über den Auskunftsanspruch in den Entscheidungsgründen getroffene Ausführungen zur Leistungsklage gebunden.127 Die Beschränkung ist mit Blick auf den von § 318 ZPO verfolgten Zweck, das erkennende Gericht nach Urteilserlass während des weiteren Verfahrens bis zum Eintritt der Rechtskraft an die von ihm ausgesprochene Rechtsfolge zu binden und so den Vertrauensschutz der Parteien zu wahren,128 gerechtfertigt. Wollte man die Bindung auf die Entscheidungsgründe und präjudiziellen Rechtsverhältnisse ausdehnen, so würde die Wirkung des § 318 ZPO weit über die vom Gesetzgeber im Rahmen der materiellen Rechtskraft bewusst gesetzten Grenzen hinausgehen.129 Gleichzeitig wäre ihre tatsächliche Wirkung beschränkt, da die von ihr erfassten Tatsachen und Rechtsverhältnisse nicht in Rechtskraft erwachsen würden. Der auf dem prozessualen Anspruch beruhende Gleichlauf zwischen Rechtshängigkeitssperre, Bindung des Gerichts und Rechtskraft wäre gestört. Eine weitergehende Bindung des § 318 ZPO ist daher abzulehnen.
III. Innerprozessuale Bindungswirkung im Rahmen des § 301 ZPO Die innerprozessuale Bindungswirkung findet sowohl hinsichtlich des Abänderungs- als auch des Abweichungsverbots auf das Teilurteil Anwendung.130 Wird das Teilurteil formell rechtskräftig, so geht die innerprozessuale Bindungswirkung in die materielle Rechtskraft über.131 Für das im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchende Gebot der Unabhängigkeit sind mit Blick auf die innerprozessuale Bindungswirkung nur das Abweichungsverbot und dessen Umfang maßgeblich.132 Hintergrund ist, dass die herrschende Meinung das Abweichungsverbot im Rahmen des § 301 ZPO nicht nur auf den durch Teilurteil ausgeschiedenen Teil beschränkt, sondern auch eine Berücksichtigung im Rahmen des Schlussurteils verlangt.133 Hinsichtlich des Abänderungsverbots bestehen hingegen keine Besonderheiten. Die folgenden Ausführungen beschränken sich daher auf das Abweichungsverbot.
127 BGH, NJW-RR 2011, S. 189, 191; BeckOK-ZPO/Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 318, Rn. 42; Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 318, Rn. 14. 128 BeckOK-ZPO/Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 318, Rn. 1. 129 Siehe zur Reichweite der Rechtskraft in diesem Kapitel C. II., S. 178 ff. 130 BGH, NJW 1967, S. 1231; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2001, S. 522, 523; Stein/Jonas/ Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 17; de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 16 f.; Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 564; Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 301, Rn. 58; Schneider, MDR 1976, S. 93. 131 de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 16 f.; Götz, JZ 1959, S. 681. 132 Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 565. 133 BGH, NJW 1967, S. 1231; Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 12; Musielak/ Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 318, Rn. 5; Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 318, Rn. 2; Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 318, Rn. 14.
D. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der innerprozessualen Bindungswirkung 187
1. Anwendung des Abweichungsverbots im Rahmen des § 301 ZPO und die Argumentation der herrschenden Meinung Aus der Anwendung des Abweichungsverbots des § 318 ZPO auf das Teilurteil folgert die herrschende Meinung, dass das Gericht die durch Teilurteil beschiedene Rechtsfolge bei Erlass des Schlussurteils zu berücksichtigen habe.134 Von den Vertretern der herrschenden Auffassung hat sich insbesondere Musielak mit der Begründung der Anwendung des Abweichungsverbots auf das Verhältnis zwischen Teil- und Schlussurteil befasst.135 Ausgangspunkt für seine Überlegung ist das dem Teil- und Schlussurteil ursprünglich einheitlich zugrundeliegende Verfahren: So sei es aus Sicht der Parteien nicht nachvollziehbar, wenn ein zunächst einheitlicher Rechtsstreit ohne Zutun der Parteien getrennt und sodann vom Gericht unterschiedlich entschieden würde.136 Zwar werde der Prozess durch Erlass eines Teilurteils in zwei voneinander unabhängige Teile gespalten, die wie zwei von vornherein getrennte Verfahren behandelt würden.137 Allerdings dürfe diese Verselbständigung „nicht so weit durchgeführt werden, daß Teil- und Schlußurteil im selben Verhältnis zueinander stehen, wie die Entscheidungen, die in selbständigen Prozessen zwischen denselben Parteien ergangen sind.“138
Es müsse berücksichtigt werden, dass der Rechtsstreit zunächst ein einheitlicher gewesen und erst durch das Gericht aufgespalten worden sei. Der hinter § 318 ZPO stehende Zweck des Vertrauensschutzes der Parteien könne – so Musielak – nur erreicht und gewahrt werden, wenn durch Ausdehnung des Abweichungsverbots verhindert werde, „dass ein einheitlich begonnener Rechtsstreit allein aufgrund einer Trennung durch Teilurteil unterschiedlich entschieden werden kann.“139 Denn im Gegensatz zu getrennten Prozessen, bei denen sich eine unterschiedliche Behandlung derselben Rechtsfragen durch denselben Richter noch durch die formale Begründung der „Eigenständigkeit jedes Rechtsstreits“ vertreten lasse,140 bestehe hierfür kein Raum, „wenn die Verselb134 Vgl. die Nachweise in vorangehender Fn. 133. Hinsichtlich des Umfangs gilt das oben Gesagte: Die Bindung des Gerichts beschränkt sich aufgrund des Gleichlaufs mit der materiellen Rechtskraft auf die ausgesprochene Rechtsfolge; die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen kann mit Hilfe des § 318 ZPO daher nicht ausgeschlossen werden, vgl. de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 17; Lüke, JuS 2000, S. 1042, 1043. 135 MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, § 318, Rn. 5; Musielak/Voit/ders., 17. Aufl. 2020, § 318, Rn. 5; ders., FS Lüke, 1997, S. 561, 566. 136 Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 566. 137 Musielak/Voit/Musielak., 17. Aufl. 2020, § 318, Rn. 5; MüKo-ZPO/ders., 6. Aufl. 2020, § 318, Rn. 5; ders., FS Lüke, 1997, S. 561, 566. 138 Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 566. 139 MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, § 318, Rn. 5. So auch in Musielak/Voit/ders., 17. Aufl. 2020, § 318, Rn. 5 und ders., FS Lüke, 1997, S. 561, 566 f. Hinsichtlich des Umfangs der Bindungswirkung geht Musielak mit der herrschenden Meinung von einer Beschränkung auf die durch Teilurteil entschiedene Rechtsfolge aus, ders., FS Lüke, 1997, S. 561, 567. 140 Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 566.
188 5. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit und §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 322 Abs. 1, 318 ZPO ständigung nicht durch die Parteien, sondern durch den Richter herbeigeführt [werde].“141 Soweit auch andere Vertreter der herrschenden Meinung Argumente für die Ausdehnung des Abweichungsverbots im Rahmen des § 301 ZPO anführen, nehmen sie auf Musielak und seine Ausführungen zum einheitlichen Verfahren Bezug.142
2. Stellungnahme Auch wenn im Ergebnis der herrschenden Meinung und der Argumentation Musielaks zu folgen ist, kann die Begründung, die maßgeblich auf die durch den Richter – und nicht durch die Parteien – herbeigeführte Spaltung des ursprünglich einheitlichen Verfahrens abstellt, nicht vollends überzeugen. Zwar ist die Argumentation Musielaks insoweit stimmig, als Musielak auf das einheitliche Verfahren und die einheitliche Würdigung abstellt und betont, dass die durch Teilurteilserlass getrennten Teile nicht so behandelt werden dürften, als seien sie Gegenstand getrennter Verfahren. Denn dies entspricht dem hinter § 301 ZPO stehenden Zweck, eine getrennte Entscheidung bei ungetrennter Verhandlung eintreten zu lassen. Allerdings fehlt es an einer Auseinandersetzung mit einer Verselbständigung der Verfahren durch Prozesstrennung und der Unterscheidung zwischen dem Teilurteil als Mittel zum Erlass einer getrennten Entscheidung bei ungetrennter Verhandlung einerseits und der Verfahrenstrennung als Instrument zur Trennung von Verhandlung und Entscheidung andererseits. Denn auch im Fall des § 145 ZPO kommt es zu einer Verselbständigung der Verfahren von außen, unabhängig vom Willen der Parteien. Gleichwohl findet in diesem Fall die innerprozessuale Bindungswirkung – zu Recht – keine Anwendung. Hintergrund ist die durch Anordnung der Prozesstrennung auch hinsichtlich der Verhandlung eintretende Selbständigkeit und damit endgültige Trennung des Prozesses, in deren Folge die Ansprüche in selbständigen Verfahren in verschiedenen Akten und mit jeweils eigenem Streitwert fortgeführt und jeweils durch eigenes Endurteil gem. § 300 Abs. 1 ZPO beschieden werden.143 Das von Musielak ins Feld geführte Argument der „Verselbständigung nicht durch die Parteien, sondern durch den Richter“,144 genügt – ohne Bezugnahme auf § 145 ZPO und eine Darstellung der prozessualen Unterschiede – damit nicht. Denn im Ergebnis ist es dieser prozessuale Unterschied, und nicht die Trennung durch den Richter, die vorrangig als Grund für die Nichtanwendung der 141 142
Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 566. Vgl. z. B. Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 318, Rn. 14. 143 Siehe hierzu unten 6. Kapitel. A. I. 2. a) bb), S. 196 f. Auch bei Erlass eines Teilurteils wird das Erreichen der Rechtsmittelsumme jedoch unabhängig von dem noch anhängigen Verfahren ermittelt, MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 30. 144 Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 566.
D. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der innerprozessualen Bindungswirkung 189
innerprozessualen Bindungswirkung im Rahmen des § 145 ZPO und ihre Anwendung im Verhältnis zwischen Teil- und Schlussurteil angesehen werden muss. Zwar ergehen mit Teil- und Schlussurteil auch zwei der Rechtskraft fähige, selbständig anfechtbare Endurteile.145 Dies allein vermag die letztlich fehlende endgültige Trennung des Prozesses bei Erlass eines Teilurteils jedoch nicht aufzuheben. Vor diesem Hintergrund ist der herrschenden Meinung zuzustimmen.
IV. Fazit Die innerprozessuale Bindungswirkung gem. § 318 ZPO und das ihr innewohnende Abweichungsverbot finden trotz Spaltung des Verfahrens durch Teilurteilserlass auf das Verhältnis zwischen Teil- und Schlussurteil Anwendung. Hintergrund ist die fehlende formale, endgültige Trennung des Verfahrens im Sinne des § 145 ZPO. Auch die Anwendung des § 318 ZPO ist damit Ausdruck des Verständnisses von Teil- und Schlussurteil als zwei Entscheidungen, die trotz Spaltung einem Verfahren zugehörig sind und eine prozessuale Einheit bilden. Aufgrund der auf die entschiedene Rechtsfolge begrenzten Bindungswirkung vermag die Erstreckung des Abweichungsverbots jedoch nicht den hinter dem Gebot der Unabhängigkeit stehenden Zweck einer vollumfänglichen Widerspruchsfreiheit zwischen Teil- und Schlussurteil zu erfüllen.146 Eine Ausnahme gilt freilich für den (seltenen) Fall, dass die im Teilurteil beschiedene Rechtsfolge für das Schlussurteil präjudiziell ist.147 Das von der Rechtsprechung im Rahmen des § 301 ZPO verfolgte Ziel könnte mit Hilfe des § 318 ZPO daher nur im Wege einer Erweiterung des Umfangs auf die nicht in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungsgründe erreicht werden, die jedoch abgelehnt wurde.148 Darüber hinaus würde eine Erweiterung der Bindungswirkung im Rahmen des § 301 ZPO mit dem Ziel, sich in den Gründen widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, auch zu einer „Zweckentfremdung“ des § 318 ZPO führen. Denn die Bindungswirkung soll gewährleisten, dass das vom Gericht erlas145 Auch ein unzulässiges Teilurteil ist der Rechtskraft fähig. Etwas anderes gilt nur, soweit die Unzulässigkeit aus der fehlenden Bestimmtheit des erledigten Teils des Klageanspruchs folgt, OLG Brandenburg NJW-RR 2017, S. 399, 401; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 301, Rn. 16. 146 de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, 1979, S. 17 f.; Musielak, FS Lüke, 1997, S. 561, 567. 147 Götz, JZ 1959, S. 681 f., der als Beispiel die Klage eines Arbeitnehmers auf Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses und eine gleichzeitige Klage (§ 260 ZPO) auf Verurteilung des Arbeitgebers zur Lohnzahlung nennt. Entscheidet das Gericht über den Feststellungsantrag durch Teilurteil, so ist die entschiedene Rechtsfolge – d. h. das Bestehen bzw. Nichtbestehen des Arbeitsverhältnisses – für die Entscheidung über den Lohnanspruch präjudiziell. 148 Siehe oben S. 185 f.
190 5. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit und §§ 261 Abs. 3 Nr. 1, 322 Abs. 1, 318 ZPO sene Urteil bis zum Eintritt der Rechtskraft unverändert bleibt.149 Das Gebot der Unabhängigkeit hingegen dient dem Erhalt einer gemeinsamen Tatsachengrundlage und einheitlichen Würdigung dieser Tatsachen bei Urteilserlass. Das Gebot der Unabhängigkeit geht damit der die Bindungswirkung entfaltenden Entscheidung voraus; es bereitet diese sozusagen vor. Auch die Bindungswirkung gem. § 318 ZPO kann das Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils damit nicht ersetzen.
E. Kapitelzusammenfassung Das Verbot doppelter Rechtshängigkeit gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, die materielle Rechtskraft gem. § 322 Abs. 1 ZPO sowie die Bindungswirkung gem. § 318 ZPO sind allesamt nicht geeignet, Widersprüche im gleichen Umfang auszuschließen wie das Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils. Hintergrund ist die Beschränkung der drei Institute auf den Streitgegenstand, die keine Widerspruchsfreiheit zwischen den einer Entscheidung zugrundeliegenden rechtlichen Vorfragen fordert. Zudem verfolgen die Institute im Vergleich zum Gebot der Unabhängigkeit jeweils eine andere Zweckrichtung. Aus diesem Grund kann das hinter der Unabhängigkeit als dritte Zulässigkeitsvoraussetzung stehende Ziel nicht durch Anwendung der §§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, 322 Abs. 1 ZPO oder 318 ZPO erreicht werden. So dient das Verbot doppelter Rechtshängigkeit der Vermeidung mehrfacher, sich ggf. widersprechender Entscheidungen über denselben Streitgegenstand in mehreren Prozessen, während das Gebot der Unabhängigkeit den Ausschluss einander widersprechender Entscheidungen über innerhalb eines Verfahrens abtrennbare Teile bezweckt und so eine Trennung von Verhandlung und Entscheidung durch Erlass eines Teilurteils verhindern will. Im Ergebnis liegen den beiden Vorschriften damit unterschiedliche Zweckrichtungen zugrunde.150 Auch eine Analyse des Gebots der Unabhängigkeit im Rahmen der materiellen Rechtskraft hat gezeigt, dass das Gebot der Unabhängigkeit und die materielle Rechtskraft verschiedene Ziele verfolgen und die unterschiedliche Ausgestaltung der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen daher gerechtfertigt ist. Während die Rechtskraft verhindern will, dass in einem neuen Prozess ein zweites, ggf. widersprechendes Urteil über denselben Streitgegenstand erlassen wird, dient das Gebot der Unabhängigkeit dem Erhalt einer gemeinsamen Tatsachengrundlage und einheitlichen Würdigung des Prozessstoffs und damit der Bewahrung der Einheit des Verfahrens. Da im Rahmen des § 301 ZPO ein solches Ergebnis auch nicht durch Erhebung einer Zwischenfest149
150
Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 318, Rn. 1. Siehe oben S. 170 ff.
E. Kapitelzusammenfassung
191
stellungs(wider)klage gem. § 256 Abs. 2 ZPO durch eine der Parteien erreicht werden kann, und es zudem nicht sachgerecht wäre, die Umsetzung des hinter § 301 ZPO stehenden gesetzgeberischen Willens in die Hände der Parteien zu legen, ist die Anwendung des Gebots der Unabhängigkeit im Rahmen des § 301 ZPO auch unter diesem Aspekt sachgerecht und erforderlich.151 Mit Blick auf die innerprozessuale Bindungswirkung gem. § 318 ZPO wurde festgestellt, dass das in § 318 ZPO enthaltene Abweichungsverbot auch auf das Verhältnis zwischen Teil- und Schlussurteil Anwendung findet und das Gericht infolge dessen bei Erlass des Schlussurteils an die im Teilurteil ausgesprochene Rechtsfolge gebunden ist.152 Grund für die Anwendung des § 318 ZPO auf das Verhältnis zwischen Teil- und Schlussurteil ist die fehlende endgültige Trennung des Verfahrens, wie sie im Rahmen einer Prozesstrennung gem. § 145 ZPO stattfindet. Auch die Anwendung des § 318 ZPO im Rahmen des § 301 ZPO spiegelt damit die hinter § 301 ZPO stehende gesetzgeberische Intention wider: Teil- und Schlussurteil sind zwei Endurteile, die aufgrund der ihnen ungetrennt zugrunde liegenden Verhandlung einem einheitlichen Verfahren zugehörig sind.153 Gleichwohl ist die Bindungswirkung infolge der Beschränkung auf den Tenor nicht geeignet, das Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils zu ersetzen.154
151
Siehe oben S. 180 ff. Siehe oben S. 187 ff. Siehe oben S. 189 f. 154 Siehe oben S. 185 f. und S. 189 f. 152 153
6. Kapitel
Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche innerhalb der Zivilprozessordnung Im nachfolgenden Kapitel wird das Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche im Rahmen der Zivilprozessordnung beleuchtet. Hierbei wird in einem ersten Abschnitt auf die Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO, die Prozessverbindung gem. § 147 ZPO und die Prozessaussetzung gem. § 148 Abs. 1 ZPO eingegangen. Darauffolgend wird das Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche bei Erhebung einer offenen und verdeckten Teilklage und abschließend im Rahmen der beschränkten Rechtsmitteleinlegung beleuchtet.
A. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von Prozesstrennung, Prozessverbindung und Prozessaussetzung I. Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO Gem. § 145 Abs. 1 ZPO kann das Gericht anordnen, dass mehrere in einer Klage erhobene Ansprüche in getrennten Prozessen verhandelt werden, wenn dies aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist. Das Gleiche gilt gem. § 145 Abs. 2 ZPO für eine vom Beklagten erhobene Widerklage, wenn diese nicht in rechtlichem Zusammenhang mit der Klage steht. Darüber hinaus erlaubt § 145 Abs. 3 ZPO eine Trennung für den Fall, dass der Beklagte mit einer Forderung aufrechnet, die mit der eingeklagten Forderung nicht in rechtlichem Zusammenhang steht. Bis auf die letztgenannte Variante erfasst § 145 ZPO damit Konstellationen, in denen auch der Erlass eines Teilurteils zulässig sein kann. Aus diesem Grund wird nachfolgend nur auf die Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO eingegangen. Die Möglichkeit einer Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 3 ZPO bleibt mangels Vergleichbarkeit außer Betracht. Bevor das Gebot der Unabhängigkeit im Kontext des § 145 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO untersucht wird, werden zunächst Zweck und Wesen der Prozesstrennung allgemein und sodann die jeweiligen Voraussetzungen und Wirkungen einer Verfahrenstrennung erläutert.
194
6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
1. Zweck und Wesen der Prozesstrennung Die Anordnung der Prozesstrennung durch den Richter ist eine prozessleitende Maßnahme,1 die der Förderung und Beschleunigung des Verfahrens dient.2 Der Trennungsbeschluss ist nicht selbständig anfechtbar, sondern unterliegt als eine dem Urteil vorausgegangene Entscheidung der Nachprüfbarkeit im Rahmen des Rechtsmittels über das Urteil selbst.3 Wie auch das Teilurteil dient die Prozesstrennung der Abschichtung des in der Verhandlung aufkommenden Prozessstoffs.4 Durch die Aufspaltung des Rechtsstreits in mehrere Prozesse soll das Verfahren übersichtlicher gestaltet und abtrennbare Teile sollen einer Erledigung durch Urteilserlass schneller zugeführt werden.5 Eine Trennung allein zum Zwecke der besseren Übersichtlichkeit, ohne dass dadurch eine verzögerte Erledigung vermieden würde, genügt jedoch nicht.6 Darüber hinaus kann durch die Abtrennung verhindert werden, dass eine Entscheidung über vorzeitig entscheidungsreife Teile durch eine Bindung an das Schlussurteil verzögert wird.7
2. Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO a) Voraussetzungen und Wirkung der Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO aa) Voraussetzungen Voraussetzung für eine Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO ist, dass mehrere Ansprüche in einer Klage erhoben werden, wobei „Anspruch“ im prozessrechtlichen Sinne den Streitgegenstand, bestehend aus Antrag und dem ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt, meint.8 Eine Abtrennung einzelner Anspruchsgrundlagen innerhalb eines Streitgegenstandes ist daher nicht zuläs1
Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 148, Rn. 1. BGH, NJW 1995, S. 3120 ff.; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 1; Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 128 f., 216; Schneider, MDR 1974, S. 7, 8; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 145, Rn. 1. 3 BGH, NJW 1995, S. 3120; BGH, NJW-RR 2015, S. 957. 4 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132. 5 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 216; MüKo-ZPO/ Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 145, Rn. 1. 6 So heißt es in der Gesetzesbegründung: „Die Prozesstrennung setzt nur voraus, dass die gemeinsame Verhandlung und Entscheidung der Sache überhaupt zu einer verzögerten Erledigung eines wesentlichen Teils des Rechtsstreits führen würde. Eine erhebliche Verzögerung wird nicht mehr vorausgesetzt. Es bleibt jedoch dabei, dass mit der Prozesstrennung künftig nur das Ziel verfolgt werden darf, eine verzögerte Erledigung der abzutrennenden Prozessteile zu vermeiden. Für eine Trennung genügt es dagegen nicht mehr, dass der Prozessstoff durch die Trennung übersichtlicher gestaltet und geordnet werden würde.“, BT-Drucks. 17/10160, S. 27. 7 Schneider, MDR 1974, S. 7, 8. 8 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 5. 2
A. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von §§ 145, 147, 148 Abs. 1 ZPO
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sig.9 Neben der objektiven Klagehäufung erfasst § 145 Abs. 1 ZPO auch die subjektive Klagehäufung in Form der einfachen Streitgenossenschaft gem. §§ 59, 60 ZPO.10 Ob die subjektive oder objektive Klagehäufung bei Klageerhebung oder erst nachträglich erfolgt, ist unerheblich.11 Die Anordnung der Trennung des Verfahrens ist nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes gerechtfertigt und steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.12 Ein sachlicher Grund kann „die Vermeidung einer verzögerten Entscheidung einzelner abtrennbarer Teile des Rechtsstreits, die Förderung der Übersichtlichkeit des Prozessstoffes sowie die Ermöglichung einer Teilaussetzung sein“.13
Im Rahmen des Ermessens hat das Gericht abzuwägen, ob eine Prozesstrennung der Beschleunigung des Verfahrens und einer zeitnahen Entscheidung dient oder nicht, wobei das Gericht auch die Möglichkeit einer Entscheidung durch Teilurteil bei seiner Prognose zu berücksichtigen hat.14 Nur wenn sich ein abgrenzbarer Teil der Klage aller Voraussicht nach schneller entscheiden lassen wird als der andere, ist eine Abtrennung sachlich gerechtfertigt.15 Andernfalls kann das Gericht nicht von dem Grundsatz des § 272 Abs. 1 ZPO abweichen, den Rechtsstreit in einem umfassend vorbereiteten Haupttermin zu erledigen.16 Besteht zwischen den Ansprüchen ein rechtlicher Zusammenhang, kann dies der erforderlichen Sachdienlichkeit der Trennung entgegenstehen.17 9 Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 145, Rn. 1. 10 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 5;
MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 145, Rn. 4; Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 171 f.; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 145, Rn. 6 f. 11 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 5. 12 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 13 ff.; BLAH/Bünnigmann, 78. Aufl. 2020, § 145, Rn. 4. 13 BT-Drucks. 17/11385, S. 18. Vgl. auch BGH, NJW 1995, S. 3120. Die Voraussetzung eines sachlichen Grundes für eine Trennung wurde erst durch das Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften vom 05.12.2012, in Kraft getreten am 01.01.2013, eingeführt. Die Regelung stellt das Ergebnis einer mehrfachen Änderung des § 145 Abs. 1 ZPO dar. Zunächst konnte das Gericht den Prozess gem. § 145 Abs. 1 ZPO ohne erhöhte Anforderungen trennen. Sodann sah das Gesetz kurzzeitig (vom 01.11.2012 bis zum 31.12.2012) strengere Anforderungen an eine Prozesstrennung vor: Danach war eine Trennung nur zulässig, „wenn eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung der erhobenen Ansprüche zu einer erheblich verzögerten Erledigung eines wesentlichen Teils des Rechtsstreits führen würde.“, BT-Drucks. 17/18799 S. 11. Mit der heute geltenden verallgemeinernden Fassung des § 145 Abs. 1 ZPO wollte der Gesetzgeber unter Rückgriff auf die Rechtsprechung schließlich verdeutlichen, dass eine Trennung der Verfahren nur zulässig ist, wenn dafür sachliche Gründe bestehen, vgl. BT-Drucks. 17/11385, S. 18. 14 BT-Drucks. 17/8799, S. 28; Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 145, Rn. 5. 15 BGH, NJW 1995, S. 3120; MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 145, Rn. 7. 16 MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 145, Rn. 7. 17 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 5; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 145, Rn. 4; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 145, Rn. 4.
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
Auf der anderen Seite muss eine Trennung erfolgen, wenn die Klagehäufung als solche unzulässig ist, z. B. weil die Ansprüche verschiedene Prozessarten betreffen (Urkundenprozess und ordentliches Verfahren oder Familiensachen und Nichtfamiliensachen).18 Umgekehrt darf eine Trennung aufgrund der Einheitlichkeit der Entscheidung im Fall der notwendigen Streitgenossenschaft19 sowie im Fall von Haupt- und Eventualantrag, da der Hilfsantrag andernfalls entgegen dem Willen des Klägers zu einem Hauptantrag würde, nicht erfolgen.20 Auch das Gesetz enthält Verbote zur Trennung eines Verfahrens, so z. B. in § 518 S. 2 ZPO sowie in § 246 Abs. 3 S. 6 AktG und § 249 Abs. 2 AktG.21 Eine Trennung ist darüber hinaus ausgeschlossen, sobald der Rechtsstreit teilweise oder ganz zur Entscheidung reif ist; dann muss – soweit zulässig – ein Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 ZPO bzw. ein Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 1 ZPO ergehen.22
bb) Wirkung Die Trennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO hat zur Folge, dass die verbundenen Ansprüche und Prozessrechtsverhältnisse in mehreren selbständigen Verfahren mit einem eigenen Streitwert fortgeführt werden, an deren Ende für jeden Anspruch bzw. über jedes Prozessrechtsverhältnis ein eigenes Endurteil im Sinne des § 300 Abs. 1 ZPO ergeht.23 Die Streitgegenstände werden damit so behandelt, als seien sie in selbständigen Klagen erhoben worden, weshalb über jeden der neuen Prozesse auch eine neue Akte angelegt werden muss.24 Im Gegensatz 18
Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 13; Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 145, Rn. 5; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 145, Rn. 5; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 145, Rn. 10; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 145, Rn. 2. 19 Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 145, Rn. 5; MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 145, Rn. 10; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 145, Rn. 7. 20 Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 145, Rn. 5; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 145, Rn. 10. 21 So auch Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 145, Rn. 10. 22 Als Grund für die Unzulässigkeit einer Trennung nach Eintritt teilweiser oder ganzer Entscheidungsreife wird angeführt, dass eine Trennung dann nur noch unnötige und zusätzliche Kosten für die Parteien verursache, keine Vorteile mehr bringe und das hinter § 145 ZPO stehende Ziel der Straffung und Konzentration des Prozessstoffes gleichermaßen durch ein Teilurteil erreicht werden könne, OLG München, OLGR München 2000, S. 279; OLG München, 19 U 1565/09 –, juris, Rn. 14. Vgl. zur Unzulässigkeit bei Eintritt (teilweiser) Entscheidungsreife auch Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 7; BLAH/Bünnigmann, 78. Aufl. 2020, § 145, Rn. 1; Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 145, Rn. 2; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 145, Rn. 5; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 145, Rn. 10; Schneider, MDR 1974, S. 7, 8. 23 BLAH/Bünnigmann, 78. Aufl. 2020, § 145, Rn. 7; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 145, Rn. 11; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 145, Rn. 6. 24 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 19 f.; BLAH/Bünnigmann., 78. Aufl. 2020, § 145, Rn. 7; Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 145, Rn. 3; Schneider, MDR 1974, S. 7, 9; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 145, Rn. 11; a. A. Katz, ZZP 28 (1901), S. 63, 71, der annimmt, der Prozess werde durch die Trennung nicht in mehrere Verfahren gespalten,
A. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von §§ 145, 147, 148 Abs. 1 ZPO
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zum Teilurteil, welches bei ungetrennter Verhandlung eine getrennte Entscheidung herbeiführen soll, hat die Prozesstrennung damit eine Trennung von Verhandlung und Entscheidung zur Folge.25 Die bis zur Trennung, z. B. durch eine Beweisaufnahme, gewonnenen Ergebnisse und vorbereitenden Schriftsätze bestehen nach der Trennung für beide Prozesse fort.26 Hinsichtlich der rechtlichen Würdigung dieser Tatsachen ist das Gericht mit Blick auf die nunmehr getrennten Verhandlungen jedoch frei. Eine Pflicht zu einer einheitlichen Würdigung des in den nunmehr getrennten Verhandlungen aufkommenden Prozessstoffs besteht damit nicht mehr. Da das Gericht nach dem Grundsatz der perpetuatio fori gem. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO jedoch für beide Verfahren zuständig bleibt und die Prozesstrennung auch keine Änderung des Spruchkörpers zur Folge hat – etwas anderes gilt, wenn die Klagehäufung gem. § 260 ZPO wegen unterschiedlicher Prozessgerichte unzulässig war27 –, kann jedoch angenommen werden, dass die Tatsachen in den meisten Fällen trotz Trennung des Verfahrens in gleicher Weise gewürdigt werden. Eine Pflicht hierzu besteht infolge der Trennung jedoch nicht mehr. Kostenrechtlich hat eine Trennung zur Folge, dass sich die Wertgebühren wegen des Wegfalls der Degressionswirkung erhöhen können, Gerichtskosten unter Umständen nachgezahlt werden müssen und die Parteien im Fall des Unterliegens einem höheren Risiko hinsichtlich der gegnerischen Kosten ausgesetzt sind.28 Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass infolge der Trennung die für ein Rechtsmittel erforderliche Beschwerdesumme nicht mehr erreicht wird, wobei dies allein einer Trennung nicht entgegensteht.29
b) Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO aa) Unbeachtlichkeit der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei Trennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO Werden mehrere Ansprüche/Prozessrechtsverhältnisse gem. § 145 Abs. 1 ZPO in verschiedene Verfahren getrennt und stehen die Ansprüche/Prozessrechtversondern nur in verschiedene Situationen zerlegt, da es insbesondere auch an einer für einen Prozess erforderlichen Klageerhebung fehle. So auch Kohler, ZZP 20 (1894), S. 1, 52. 25 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 132. Siehe hierzu auch oben S. 62 ff. 26 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 20; MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 145, Rn. 12. 27 OLG Düsseldorf, NJW-RR 2011, S. 572, 573; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 21 f.; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 145, Rn. 12. Vgl. auch MüKo-ZPO/ Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 145, Rn. 13, der darauf hinweist, dass der Kläger andernfalls durch eine unzulässige Klagehäufung die Zuständigkeit des Gerichts bestimmen könne. 28 Schirp/Kondert, NJW 2010, S. 3287, 3288. Vgl. auch BT-Drucks. 17/8799, S. 27. 29 RGZ 6, 416, 417 f.; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 15; MüKo-ZPO/ Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 145, Rn. 7.
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
hältnisse in rechtlichem Zusammenhang, so besteht infolge der auf den Tenor beschränkten materiellen Rechtskraft die Gefahr, dass über die nunmehr getrennten Teile einander widersprechende Entscheidungen ergehen. Eine solche Widerspruchsgefahr ist dem BGH und der Literatur zufolge für eine Trennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO jedoch unbeachtlich.30 Dies gilt auch dann, wenn die zu trennenden Teile – wie z. B. bei Gesamtschuldnern – wirtschaftlich einheitlich zu betrachten sind, in einem rechtlichen Zusammenhang stehen oder materiellrechtlich voneinander abhängen.31 Dies steht im Gegensatz zum Erlass eines Teilurteils gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 1 ZPO, in dessen Rahmen die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen zur Unzulässigkeit eines Teilurteils führt und eine Trennung der Ansprüche/Prozessrechtsverhältnisse verhindert.32 Ausdruck dieser unterschiedlichen Behandlung ist die Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 02.03.2006,33 in der das Gericht unter Verweis auf die Tatsache, dass der Erlass eines Teilurteils wegen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen unzulässig sei, einen Teil des Verfahrens gem. § 145 Abs. 1 ZPO zum Zwecke der Beschleunigung abgetrennt hat.34
(1) Beschluss des OLG Karlsruhe vom 02.03.2006, Az. 2 UF 209/0535 Hintergrund der Entscheidung des OLG Karlsruhe war eine Unterhaltsstreitigkeit. Die Klägerin nahm den Beklagten auf Abänderung eines geschlossenen Vergleichs zur Zahlung von Trennungsunterhalt in Anspruch. In der Berufungsinstanz wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten eröffnet und das Verfahren gem. § 240 ZPO unterbrochen. In der mündlichen Verhandlung beantragte die Klägerin sodann, die Berufung – mit Blick auf die Unterbrechung gem. § 240 ZPO – nur hinsichtlich der nach Eröffnung des In30
BGH, NJW 2003, S. 2386, 2387 unter ausdrücklichem Verweis darauf, dass die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen die Zulässigkeit der Verfahrenstrennung nicht berühre und die Trennung gem. § 145 ZPO nicht den gleichen Einschränkungen unterliege wie das Teilurteil. Siehe auch OLG Karlsruhe, NJW-RR 2006, S. 1302, 1303; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 1; BLAH/Bünnigmann, 78. Aufl. 2020, § 145, Rn. 4; Prütting/ Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 145, Rn. 5; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 145, Rn. 4; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 145, Rn. 10. Vgl. auch MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 145, Rn. 2, der ausführt, vor diesem Hintergrund scheine es problematisch, „dass über die Prozesstrennung nach Abs. 1 ZPO im Grunde die Voraussetzungen für ein zulässiges Teilurteil umgangen werden könnte[n].“ 31 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 5; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 145, Rn. 4; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 145, Rn. 4, die jeweils darauf hinweisen, dass im Fall eines rechtlichen Zusammenhangs eine Trennung in der Regel jedoch nicht sachdienlich ist. 32 Siehe zum Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen der Klagehäufung oben 4. Kapitel. A., S. 109 ff. 33 OLG Karlsruhe, NJW-RR 2006, S. 1302. 34 OLG Karlsruhe, NJW-RR 2006, S. 1302, 1303. 35 OLG Karlsruhe, NJW-RR 2006, S. 1302, 1303.
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solvenzverfahrens entstandenen Unterhaltsansprüche weiterzuverfolgen. Ob die Unterbrechung des Verfahrens auch die Unterhaltsansprüche für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfasste, ließ das OLG offen, da die Klägerin – auch für den Fall einer Unterbrechung insgesamt – das Verfahren jedenfalls hinsichtlich der Trennungsunterhaltsansprüche für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in zulässiger Weise wieder aufgenommen habe.36 Aufgrund der im Ergebnis nur teilweisen Verfahrensunterbrechung bestand bei vorzeitiger Entscheidungsreife der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Unterhaltsansprüche damit die grundsätzliche Möglichkeit, ein Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 1 ZPO zu erlassen. Da aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Arbeitslosigkeit beider Parteien jedoch sowohl für den Zeitraum vor als auch nach Insolvenzeröffnung maßgeblich war, ob und ggf. in welchem Umfang den Parteien fiktive Einkünfte zuzurechnen seien, erachtete das OLG Karlsruhe den potenziellen Erlass eines Teilurteils37 hinsichtlich der Trennungsunterhaltsforderungen nach Insolvenzeröffnung aufgrund der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen bei Wiederaufnahme des unterbrochenen Teils für unzulässig. Diese Unzulässigkeit führe – so das OLG – zu einem faktischen Ruhen des Verfahrens.38 Allerdings erachtete es das OLG als für die Klägerin nicht zumutbar, hinsichtlich der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Trennungsunterhaltsansprüche, die gem. § 40 InsO nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden könnten, die Durchführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens abzuwarten.39 Um eine zügige Entscheidung herbeizuführen, trennte das Gericht daher das Verfahren hinsichtlich der Unterhaltsforderungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 145 Abs. 1 ZPO ab.40 Zwar könne – so das OLG – auf diese Weise nicht die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen werden. Da die Vorschrift des § 145 Abs. 1 ZPO jedoch nicht den 36 Da die Klägerin als Insolvenzgläubigerin gem. § 86 InsO auch berechtigt gewesen sei, bestimmte Verfahren, die die Insolvenzmasse beträfen, wieder aufzunehmen, gelte dies erst recht für Verfahren, die keine Insolvenzforderungen umfassen würden, OLG Karlsruhe, NJWRR 2006, S. 1302, 1303. 37 Da noch keine teilweise Entscheidungsreife eingetreten war, durfte ein Teilurteil – auch deshalb – noch nicht ergehen. Insoweit stellte das OLG Karlsruhe hypothetische Erwägungen an. 38 Die Argumentation des OLG Karlsruhe erinnert an die im Rahmen der einfachen Streitgenossenschaft zugelassene Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit, wenn über das Vermögen eines von mehreren Streitgenossen das Insolvenzverfahren eröffnet und der Prozess gem. § 240 ZPO unterbrochen wird. In diesem Fall wird ein Teilurteil über die anderen, nicht von der Unterbrechung betroffenen Streitgenossen trotz der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei Wiederaufnahme des unterbrochenen Teils zugelassen, wenn nicht abzusehen ist, dass die Unterbrechung alsbald aufgehoben wird. Siehe hierzu oben 4. Kapitel. A. II. 2. a), S. 132 f. 39 OLG Karlsruhe, NJW-RR 2006, S. 1302, 1303. 40 OLG Karlsruhe, NJW-RR 2006, S. 1302, 1303.
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gleichen Einschränkungen unterliege wie der Erlass eines Teilurteils, sei die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen für eine Prozesstrennung unbeachtlich und eine Trennung daher zulässig.41
(2) Stellungnahme Die Entscheidung des OLG Karlsruhe verdeutlicht die unterschiedliche Behandlung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei Erlass eines Teilurteils und bei Trennung mehrerer Ansprüche/ Prozessrechtsverhältnisse gem. § 145 Abs. 1 ZPO: Während die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen den Erlass eines Teilurteils verhindert, ist dieselbe Gefahr für eine Trennung mehrerer Ansprüche/ Prozessrechtsverhältnisse unbeachtlich. Vielmehr kann durch eine rechtzeitige Trennung, d. h. vor Eintritt teilweiser Entscheidungsreife, die Verzögerung einer Entscheidung durch Unzulässigkeit eines Teilurteils verhindert werden.42 Voraussetzung für eine solche Trennung ist jedoch, dass das Gericht die Ansprüche/Prozessrechtsverhältnisse vorrausschauend betrachtet und eine Verzögerung aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen für unangemessen erachtet. Tritt hingegen vorzeitig teilweise Entscheidungsreife ein und hat das Gericht nicht vorausschauend gehandelt und die Ansprüche/Prozessrechtsverhältnisse sozusagen präventiv getrennt, kann sich das Gericht in dem Dilemma einer Verzögerung aufgrund der Unzulässigkeit eines Teilurteils infolge der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen befinden. Ist in diesem Fall nicht ausnahmsweise der Erlass eines Teilurteils trotz der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen zulässig, z. B. weil der Justizgewährungsanspruch gefährdet ist,43 müssen Gericht und Parteien die Verfahrensverzögerung hinnehmen.
bb) Fazit und Stellungnahme Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen einer Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO – im Gegensatz zu einer Abspaltung eines vorzeitig zur Entscheidung reifen Teils durch Erlass eines Teilurteils gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 1 ZPO – nicht entgegensteht. Grund 41 OLG Karlsruhe, NJW-RR 2006, S. 1302, 1303. Kritisch zu der Entscheidung Gottwald, FamRZ 2006, S. 957, der auf die Möglichkeit der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei Geltendmachung der Ansprüche in verschiedenen Verfahren hinweist. Darüber hinaus ergehe – so Gottwald – in den meisten Fällen kein Urteil über eine anhängige Insolvenzforderung, da sich ein Verfahren über die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung aufgrund der üblicherweise zu erwartenden geringen Quote nach Feststellung der Forderung nicht mehr lohne. 42 So auch Schneider, MDR 1974, S. 7, 8. 43 Siehe zur Ausnahme vom Gebot der Unabhängigkeit bei Gefährdung des Justizgewährungsanspruchs oben 4. Kapitel. II. 2., S. 132 ff.
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hierfür sind die unterschiedliche Ausgestaltung und Natur der Prozesstrennung und des Teilurteils als zwei verschiedene Instrumente zur Abschichtung des in der Verhandlung aufkommenden Prozessstoffs.44 Während die Prozesstrennung als prozessleitende Maßnahme zu einer Trennung von Verhandlung und Entscheidung mit dem Ziel der Vermeidung einer infolge gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verzögerten Erledigung führt und – abgesehen von der Erforderlichkeit eines sachlichen Grundes – nur zulässig ist, solange noch keine (teilweise) Entscheidungsreife eingetreten ist, wird durch Erlass eines Teilurteils ein vorzeitig zur Entscheidung reifer Teil erledigt. Wenn das Gericht mit der Prozesstrennung jedoch dafür Sorge tragen soll, dass eine verzögerte Erledigung infolge einer gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung der Sache vermieden wird, so muss eine Trennung – zur Not – auch zu Lasten einer einheitlichen Würdigung des Prozessstoffs von in Zusammenhang stehenden Ansprüchen oder Prozessrechtsverhältnissen möglich sein. Andernfalls würde der Zweck des § 145 Abs. 1 ZPO unterlaufen.45 Im Gegensatz hierzu steht das Teilurteil, durch dessen Erlass ein vorzeitig zur Entscheidung reifer Teil erledigt wird. Diese Erledigung erfolgt auf Grundlage einer Teil- und Schlussurteil ungetrennt zugrunde liegenden Verhandlung. Im Fall des Teilurteils geht es damit nicht mehr um die Vermeidung einer infolge von gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung drohenden verzögerten Erledigung, sondern um die vorzeitige Erledigung selbst, und zwar auf Basis eines einheitlich verhandelten Tatsachenstoffs.46 Das maßgebende Kriterium, welches letztlich über die Möglichkeit einer Prozesstrennung oder den Erlass eines Teilurteils entscheidet, ist – abgesehen von den jeweils im Übrigen erforderlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen – der Eintritt der Entscheidungsreife. Denn die Prozesstrennung ist nur zulässig, solange der Rechtsstreit noch nicht (teilweise) zur Entscheidung reif ist. Umgekehrt setzt das Teilurteil die vorzeitige Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils voraus. Es bedarf für eine Prozesstrennung damit einer rechtzeitigen Prognose des Gerichts, inwieweit eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führt. Kann das Gericht den Rechtsstreit jedoch so weit aufklären, dass dieser ganz oder teilweise zur Entscheidung reif ist, so ist eine Prozesstrennung nicht mehr erforderlich und deren Unzulässigkeit daher gerechtfertigt. Denn die Gefahr 44 45
Siehe hierzu oben 3. Kapitel. B. I., S. 62 ff. So z. B. in der Entscheidung des OLG Karlsruhe, siehe oben S. 198 ff. 46 Die Teil- und Schlussurteil ungetrennt zugrunde liegende Verhandlung verlangt die einheitliche Würdigung des Prozessstoffs, weshalb das Gebot der Unabhängigkeit den Erlass eines Teilurteils im Fall der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen untersagt. Andernfalls würde die vorzeitige Erledigung durch Teilurteil zu einer Trennung von Verhandlung und Entscheidung führen und der Prozessstoff würde so gewürdigt, wie es nur in getrennten Verfahren zulässig ist. Siehe hierzu oben S. 62 ff.
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einer Verzögerung infolge einer gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung der Sache, wie sie durch die Prozesstrennung verhindert werden soll, besteht dann nicht mehr. Allerdings bleibt auch bei Eintritt teilweiser Entscheidungsreife die Gefahr einer verzögerten Erledigung bestehen, und zwar dann, wenn infolge der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen der Erlass eines Teilurteils unzulässig ist. Im Ergebnis kann auch durch den Eintritt teilweiser Entscheidungsreife damit ein Prozessabschnitt entstehen, in dem das Gericht mangels Zulässigkeit eines Teilurteils oder einer Verfahrenstrennung an einer vorzeitigen Erledigung gehindert ist. Vor diesem Hintergrund könnte man erwägen, eine Prozesstrennung trotz Eintritts teilweiser Entscheidungsreife für zulässig zu erachten, wenn ein Teilurteil aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen nicht ergehen darf und – bei Anstellung einer Prognose vor Eintritt der Teilentscheidungsreife – eine Prozesstrennung zulässig gewesen wäre. Allerdings würde dies zu einer doppelten Prognose und zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen; das Gebot der Unabhängigkeit könnte unterlaufen werden. Darüber hinaus ist eine solche Modifizierung auch nicht erforderlich. Denn im Fall einer Gefährdung der Rechtsdurchsetzung und eines Stillstands des Verfahrens aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen stellt der grundrechtlich verankerte Justizgewährungsanspruch sicher, dass das Verfahren nicht zum Erliegen kommt und die mit Eintritt teilweiser Entscheidungsreife entstandene „Lücke“ durch den ausnahmsweisen Erlass eines Teilurteils trotz fehlender Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil geschlossen wird.
3. Prozesstrennung bei Klage und Widerklage gem. § 145 Abs. 2 ZPO § 145 Abs. 2 ZPO gestattet eine Prozesstrennung im Fall einer von dem Beklagten erhobenen Widerklage. Für die Widerklage gelten dabei die gleichen Rechtsfolgen wie für eine Trennung mehrerer Ansprüche/Prozessrechtsverhältnisse gem. § 145 Abs. 1 ZPO: Nach der Trennung werden die Klagen in getrennten Verfahren verhandelt und es ergehen zwei Endurteile im Sinne des § 300 Abs. 1 ZPO, die jeweils in Rechtskraft erwachsen.47 Im Gegensatz zu § 145 Abs. 1 ZPO ist eine Trennung von Klage und Widerklage jedoch nur zulässig, wenn die Widerklage mit der Klage nicht in rechtlichem Zusammenhang steht. Der rechtliche Zusammenhang im Sinne des § 145 Abs. 2 ZPO ist dabei ebenso auszulegen wie im Rahmen des § 33 ZPO:48 Er liegt vor, wenn Klage und 47 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 19; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 145, Rn. 8, 6. Voraussetzung ist jedoch, dass der Beklagte mit seiner Widerklage über ein bloßes Entgegentreten gegen das klägerische Vorbringen hinausgeht, da andernfalls die Widerklage wegen Rechtshängigkeit des Streitgegenstandes als unzulässig abzuweisen ist, vgl. BAG, NZA 1990, S. 987, 988; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 145, Rn. 22. 48 MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 145, Rn. 5.
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Widerklage – wie bei der Zwischenfeststellungs- oder Eventualwiderklage – in einem Bedingungsverhältnis zueinanderstehen oder wenn Anspruch und Gegenanspruch ein gemeinsames Rechtsverhältnis zugrunde liegt, wobei es ausreicht, wenn die Ansprüche derart wirtschaftlich zusammenhängen, dass eine Trennung treuwidrig wäre.49 Resultieren beide Ansprüche hingegen aus verschiedenen Rechtsverhältnissen, so ist ein Zusammenhang anzunehmen, wenn die Ansprüche „nach ihrem Zweck und nach der Verkehrsanschauung wirtschaftlich als ein Ganzes, als ein innerlich zusammengehöriges Lebensverhältnis erscheinen.“50 Bei der Frage, ob ein rechtlicher Zusammenhang besteht, ist, soweit mit der Klage und/oder der Widerklage mehrere Ansprüche geltend gemacht werden, jeder mit der Widerklage erhobene Anspruch auf einen rechtlichen Zusammenhang mit der Klage zu überprüfen.51 Im Gegensatz zu § 145 Abs. 1 ZPO, in dessen Rahmen eine inhaltliche Verknüpfung zwischen den Ansprüchen/Prozessrechtsverhältnissen einer Trennung nicht zwingend entgegensteht, verhindert eine inhaltliche Verbindung zwischen Klage und Widerklage eine Trennung derselben. Dies ist mit Blick auf den hinter § 33 ZPO stehenden Zweck, durch die Verbindung von in rechtlichem Zusammenhang stehender Klage und Widerklage eine gemeinsame Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung herbeizuführen und so eine Zersplitterung der Prozesse zu verhindern, gerechtfertigt. Denn sind Klage und Widerklage konnex und ist damit der besondere Gerichtsstand des § 33 ZPO begründet,52 soll es auch bei der Verbindung der Klagen im Prozess bleiben.53 Tritt jedoch vorzeitig teilweise Entscheidungsreife ein und ist der Erlass eines Teilurteils aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen – was aufgrund der Konnexität der Regelfall sein wird – unzulässig, so muss auch hier der Justizgewährungsanspruch zugunsten einer Teilerledigung greifen, wenn andernfalls die Rechtsdurchsetzung der Parteien gefährdet würde.
49 BGH,
NJW 1975, S. 1228; OLG Brandenburg, Urt. v. 12.11.2011, Az. 12 U 115/11 –, juris, Rn. 3; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 145, Rn. 8; BeckOK-ZPO/ Wendtland, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 145, Rn. 8. 50 BGH, NJW 1975, S. 1228. 51 OLG Brandenburg, Urt. v. 12.11.2011, Az. 12 U 115/11 –, juris, Rn. 3; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 6; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 145, Rn. 14; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 145, Rn. 8. 52 Siehe zur Qualifizierung der Konnexität oben 4. Kapitel. B., S. 143 ff. 53 MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 145, Rn. 5. Anders als bei der Verbindung von Klage und Widerklage gem. § 33 ZPO bedarf es für die Zulässigkeit einer objektiven Klagehäufung hingegen keines rechtlichen Zusammenhangs. Auch vor diesem Hintergrund ist die unterschiedliche Ausgestaltung der § 145 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO daher gerechtfertigt. Gleiches gilt für die unter § 145 Abs. 1 ZPO fallende subjektive Klagehäufung mit Blick auf die trotz Verbindung weiterhin bestehende Selbständigkeit der Prozessrechtsverhältnisse.
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II. Prozessverbindung gem. § 147 ZPO Gem. § 147 ZPO kann das Gericht – als Gegenstück zur Prozesstrennung – die Verbindung mehrerer, bei ihm anhängiger Prozesse derselben oder verschiedener Parteien zum Zwecke der gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung anordnen. Der Prozessverbindung gem. § 147 ZPO liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verbindung zweier Verfahren und die damit einhergehende Prozessförderung nicht nur den Parteien, sondern auch dem Gericht obliegen soll.54
1. Zweck und Wesen der Prozessverbindung Die Verbindung mehrerer Verfahren durch das Gericht gem. § 147 ZPO ist eine prozessleitende Maßnahme und unterliegt, ebenso wie die Prozesstrennung, nur einer Überprüfung im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens gegen das Endurteil selbst.55 Die Prozessverbindung dient der Verfahrensbeschleunigung:56 Doppelarbeit und sich unter Umständen widersprechende Entscheidungen sollen durch eine einheitliche Verhandlung, Beweisaufnahme und -würdigung sowie eine gemeinsame Entscheidung vermieden werden.57 Dies ist insbesondere dann möglich, wenn den miteinander zu verbindenden Prozessen derselbe Sachverhalt zugrunde liegt und dieser für beide Verfahren ganz oder teilweise entscheidungserheblich ist.58 Eine Verbindung nur zum Zwecke der gemeinsamen Beweisaufnahme und Verhandlung bei getrennter Entscheidung genügt für eine Verbindung im Sinne des § 147 ZPO jedoch nicht und ist unzulässig; in diesem Fall kommt der Anordnung nur die Bedeutung einer den Prozess vorübergehend vereinfachenden Maßnahme zu.59 Ergeht hingegen eine Anordnung 54 Vgl. RGZ 6, 416, 417. Diesem Grundsatz folgend heißt es in der Begründung des Entwurfs der Civilprozeßordnung zu § 132 CPO (heute § 147 ZPO), dass „dem Gericht die Befugnis [zukomme], bei ihm anhängige Prozesse derselben oder verschiedener Parteien zum Zwecke der gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden, also eine objektive und subjektive Klagenkumulation von Amtswegen anzuordnen.“, Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 217. 55 Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 147, Rn. 6a; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 147, Rn. 3, 7. 56 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 145, Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 147, Rn. 1; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 147, Rn. 1. 57 BLAH/Bünnigmann, 78. Aufl. 2020, § 147, Rn. 2; MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 147, Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 147, Rn. 1. 58 OLG Hamm, BeckRS 2015, 19340, Rn. 23; Stein/ Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 1. 59 BGH, NJW 1957, S. 183, 184; Schneider, MDR 1974, S. 7, 8; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 147, Rn. 2; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 147, Rn. 1. Die Rechtsfolgen einer Verbindung gem. § 147 ZPO treten dann nicht ein; vielmehr werden weiterhin getrennte Akten geführt und es ergehen getrennte Endurteile, Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 22. Eine solche Verbindung ist insbesondere dann zu erwägen, wenn sich der Sach- und Streitstand der einzelnen Prozesse nur in einem untergeordneten Aspekt decken, sodass ein einheitliches Urteil nicht zweckmäßig erscheint, vgl. Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 147, Rn. 8.
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mit der Absicht einer Verfahrensverbindung im Sinne des § 147 ZPO und werden – ohne dass die Verbindung zuvor gem. § 150 ZPO aufgehoben wird – zwei getrennte Urteile erlassen, so ist die Spaltung prozessual unbeachtlich.60 Für die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels ist dann von einer einheitlichen Entscheidung auszugehen.61
2. Voraussetzungen und Wirkung der Prozessverbindung a) Voraussetzungen Für eine Verbindung gem. § 147 ZPO müssen zunächst mehrere Prozesse vor demselben Gericht anhängig sein.62 Nicht erforderlich ist, dass die Verfahren vor demselben Spruchkörper des Gerichts anhängig sind.63 Eine Verbindung von Prozessen, von denen einer bei einem Einzelrichter und der andere bei einer Zivilkammer anhängig ist, ist aufgrund der unterschiedlichen Besetzung und der Selbständigkeit des Einzelrichters jedoch unzulässig.64 Darüber hinaus dürfen keine Verfahren miteinander verbunden werden, die in unterschiedlichen Prozessarten geführt werden.65 Ferner dürfen die miteinander zu verbindenden 60
Unter Verweis auf RGZ 142, 255, 257, Schneider, MDR 1974, S. 7, 8. 401, 402; BGH, NJW 1957, S. 183; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 22. 62 Gericht im Sinne der Vorschrift bedeutet „die organisatorische gerichtsverfassungsrechtliche Einheit eines örtlich zuständigen Amtsgerichts, Landgerichts, Oberlandesgerichts oder des BGH“, Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 147, Rn. 4. 63 Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 147, Rn. 2. Richtigerweise ist jedoch in den Fällen, in denen die Prozesse vor verschiedenen Spruchkörpern anhängig sind, aufgrund des Gebots des gesetzlichen Richters gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG die Zustimmung aller am Verfahren Beteiligter, d. h. der Parteien und der Spruchkörper, für eine Verbindung einzuholen. Ebenso für eine Zustimmung Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 15; BLAH/ Bünnigmann, 78. Aufl. 2020, § 147, Rn. 2; Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 147, Rn. 2; MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 147, Rn. 3; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 147, Rn. 2; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 147, Rn. 10; a. A. BLAH/Hartmann, 77. Aufl. 2019, § 147, Rn. 8; Fischer, MDR 1996, S. 239, 240. Dieses Zustimmungserfordernis gilt auch bei der Verbindung von Verfahren, die bei verschiedenen Einzelrichtern anhängig sind, sei es originär gem. § 348 ZPO oder durch Übertragung gem. § 348a ZPO, vgl. Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 3. 64 OLG Frankfurt a. M., OLGR Frankfurt 2003, S. 67, 68; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 3; MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 147, Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 147, Rn. 4. Dies gilt sowohl für eine Verbindung durch den Einzelrichter als auch für eine Verbindung durch die Kammer, Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 3. 65 Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 147, Rn. 3; MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 147, Rn. 4; BeckOK-ZPO/Wendtland, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 147, Rn. 4. Dies gilt z. B. für eine Verbindung eines Urkundenprozesses mit dem Nachverfahren, vgl. BGH, NJW 1978, S. 44, sowie für eine Verbindung zwischen dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren und dem Hauptprozess, siehe hierzu Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 9; Wieczorek/Schütze/ Smid, 4. Aufl. 2013, § 147, Rn. 5 jeweils mit weiteren Beispielen. 61 RGZ 49,
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
Prozesse nicht teilweise oder insgesamt zur Entscheidung reif sein.66 Hintergrund ist, dass bei Eintritt teilweiser oder gesamter Entscheidungsreife eines der Verfahren eine weitere Verhandlung nicht mehr erforderlich ist und der Zweck des § 147 ZPO, mehrere Prozesse gemeinsam zu verhandeln und auf Basis einer einheitlichen Verhandlung eine Entscheidung zu erlassen, nicht mehr erreicht werden kann.67 Werden zwei Verfahren verbunden und wird nach deren Verbindung jedoch ein Prozess vorzeitig zur Entscheidung reif, so hat das Gericht nach der Vorschrift des § 300 Abs. 2 ZPO ein Voll-Endurteil und kein Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 ZPO zu erlassen.68 Eine Verbindung gem. § 147 ZPO erfordert zudem, dass die Ansprüche in rechtlichem Zusammenhang stehen oder in einer Klage im Wege der subjektiven oder objektiven Klagehäufung hätten geltend gemacht werden können.69 In Erweiterung der für eine einfache Streitgenossenschaft erforderlichen Voraussetzungen genügt für einen Zusammenhang im Sinne des § 147 ZPO, dass „die geltend gemachten Forderungen dergestalt nach ihrem Zweck und der Verkehrsanschauung wirtschaftlich zusammenhängen, so dass sie als ein ganzer, innerlich zusammengehörende[r] Lebenssachverhalt erscheinen.“70 Eine Identität des den Ansprüchen zugrundeliegenden Lebenssachverhalts ist damit nicht erforderlich.71 Ebenso wenig müssen die Prozesse zwischen denselben Parteien geführt werden.72 Ob das Gericht eine Prozessverbindung anordnet, steht, soweit kein Geoder Verbot vorliegt,73 im Ermessen des Gerichts.74 Das Gericht hat danach 66
MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 147, Rn. 2; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 147, Rn. 5; Steinert/Theede/Knop, Zivilprozess, 9. Aufl. 2011, Kap. 3, Rn. 227; BeckOK-ZPO/ Wendtland, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 147, Rn. 2. 67 BGH, NJW 1957, S. 183; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 4; Schneider, MDR 1974, S. 7, 8. 68 Siehe hierzu ausführlich in diesem Kapitel unten A. II. 3., S. 208 ff. 69 Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 147, Rn. 5. 70 OLG Hamm, BeckRS 2015, 19340, Rn. 22. Auf die Erweiterung im Vergleich zu den Voraussetzungen im Rahmen des § 60 ZPO verweist auch MüKo-ZPO/Schultes, 6. Aufl. 2020, § 60, Rn. 2 f. 71 Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 147, Rn. 3. 72 Zu den Rollen der Parteien im verbundenen Verfahren, siehe die Ausführungen zu den Wirkungen einer Prozessverbindung, 6. Kapitel. A. II. 1. b), S. 207 f. 73 Eine Verbindung muss z. B. in den gesetzlich angeordneten Fällen des § 518 Abs. 2 ZPO im Berufungsverfahren, des § 137 FamFG bei Scheidungs- und Folgesachen sowie bei mehreren Anfechtungs- und Nichtigkeitsprozessen gem. § 246 AktG bzw. § 249 Abs. 2 S. 1 AktG erfolgen, Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 12 mit weiteren Beispielen. Ein Verbot hingegen liegt z. B. in dem oben genannten Beispiel einer Verbindung von zwei in unterschiedlichen Prozessarten geführten Verfahren vor, siehe Fn. 65 in diesem Kapitel. 74 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 11; Schneider, MDR 1974, S. 7, 8; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 147, Rn. 11. Das Ermessen ist gebunden und unterliegt dem Willkürverbot. Eine Ablehnung der Verbindung aus sachfremden Gründen, z. B. weil sich die Zahl der Geschäftsnummer dadurch verringert, ist daher unzulässig, Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 11.
A. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von §§ 145, 147, 148 Abs. 1 ZPO
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zu entscheiden, „ob die Verbindung der Wahrheitsfindung dient, die Endentscheidungen beschleunigt und – z. B. aus Gründen der Kostenersparnis – prozeßwirtschaftlich ist.“75 Das Interesse einer Partei am Erreichen der Rechtsmittelsumme ist hingegen unbeachtlich.76
b) Wirkung Infolge der Prozessverbindung werden die Verfahren wie bei anfänglicher Klagehäufung zusammengefasst und bilden ab dem Zeitpunkt der Anordnung eine neue Einheit mit einheitlicher Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung, wobei die bisher erzielten Ergebnisse bestehen bleiben.77 Mehrere Klagen werden so behandelt, als seien sie von Anfang an in einer Klagehäufung verbunden gewesen.78 Mehrere Kläger bzw. Beklagte werden infolge der Verbindung zu Streitgenossen mit all den sich daraus ergebenden Wirkungen.79 Treten Kläger und Beklagter hingegen auf verschiedenen Seiten der Prozesse auf, werden sie – ohne dass die Voraussetzungen einer Widerklage vorliegen müssen – zu Widerkläger bzw. Widerbeklagten.80 Nicht möglich ist hingegen, dass dieselbe Person in demselben Verfahren zugleich Kläger und Beklagter ist.81 Die Streitwerte werden gem. § 5 ZPO zusammengerechnet.82 Dies gilt sowohl für die Berechnung des Rechtsmittelstreitwertes83 als auch für die Gebüh75 76
Schneider, MDR 1974, S. 7, 8. BSG, MDR 1973, S. 967; vgl. für weitere Beispiele Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 11. 77 BGH, NJW 1957, S. 183; Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 147, Rn. 5; BLAH/ Bünnigmann, 78. Aufl. 2020, § 147, Rn. 19; MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 147, Rn. 9; Schumacher, Prozeßtrennung und -verbindung, 1999, S. 116. 78 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 23. 79 OLG Köln, VersR 1973, S. 285; Schumacher, Prozeßtrennung und -verbindung, 1999, S. 117. Aus diesem Grund ist auch eine teilweise Zeugenvernehmung mit Wirkung nur für einen der verbundenen Prozesse bei gleichem Sachverhalt unzulässig; eine Parteivernehmung kann nur erfolgen, sofern deren Voraussetzungen vorliegen, OLG Köln, DAR, S. 188; LAG Hamm, MDR 1970, S. 710. Eine Ausnahme gilt nur bei der Vernehmung eines Streitgenossen über Tatsachen, die äußerlich klar abgrenzbar sind und ausschließlich einen anderen Streitgenossen betreffen, Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 24; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 147, Rn. 8; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 147, Rn. 5. A. A. noch Gaupp, der ausführt, die Parteien des einen Prozesses würden nicht Streitgenossen in dem anderen, sodass eine Partei des einen Rechtsstreits auch als Zeuge in dem anderen Rechtsstreit vernommen werden könne, Gaupp/Gaupp, 1. Aufl. 1879, § 137 CPO, Anm. III., S. 392. 80 Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 147, Rn. 5; MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 147, Rn. 9; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 147, Rn. 7; Saenger/Wöstmann, 8. Aufl. 2019, § 147, Rn. 8; vgl. auch die Entscheidung des OLG Celle, OLGR Celle 2007, S. 854; kritisch dazu Katz, ZZP 28 (1901), S. 63, 66, der auf die (erforderliche) willkürliche Entscheidung des Gerichts hinweist, in dieser Konstellation festzulegen, welche der Klagen zur Widerklage werde und welche ihre Klagefunktion behalte. 81 BLAH/Hartmann, 77. Aufl. 2019, § 147, Rn. 12. 82 A. A. Gaupp/Gaupp, 1. Aufl. 1879, § 137 CPO, Anm. III., S. 392. 83 Schumacher, Prozeßtrennung und -verbindung, 1999, S. 120; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 25, unter Verweis auf die Voraussetzung, dass die Verbindung in der
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
ren- und Zuständigkeitsstreitwerte.84 Die sachliche Zuständigkeit bleibt gem. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO mangels Rückwirkung der nachträglichen Verbindung jedoch unverändert.85 Insbesondere bleibt das Amtsgericht auch nach einer Verbindung zuständig, wenn der Zuständigkeitsstreitwert von 5.000 Euro überschritten wird.86
3. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der Prozessverbindung bei vorzeitiger Entscheidungsreife eines der Verfahren Wird nach der Verfahrensverbindung einer der Prozesse vorzeitig zur Entscheidung reif, so hat das Gericht nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 300 Abs. 2 ZPO ein Voll-Endurteil, nicht hingegen ein Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 ZPO zu erlassen.87 In der Folge wäre die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen unbeachtlich und würde einem Urteilserlass nicht entgegenstehen. In diesem Kontext soll das Gebot der Unabhängigkeit nachfolgend untersucht werden. Hierfür werden zunächst Zweck und Anwendungsbereich des § 300 Abs. 2 ZPO erläutert.
a) Zweck des § 300 Abs. 2 ZPO Der Erlass eines Voll-Endurteils gem. § 300 Abs. 2 ZPO im Fall der vorzeitigen Entscheidungsreife eines von mehreren gem. § 147 ZPO miteinander verbundenen Verfahren soll verhindern, dass die Parteien Nachteile daraus erleiden, dass Vorinstanz und nicht erst in der Rechtsmittelinstanz erfolgte; so auch RGZ 6, 416; RGZ 44, 419, 420. 84 RGZ 44, 419, 420; BGH, Urt. v. 16.07.2015, Az. IX ZR 136/14 –, juris, unter Hinweis darauf, dass der Gebührenstreitwert nach der Verbindung nicht höher sein kann als bei ursprünglicher Verbindung der Ansprüche und dass bei wirtschaftlicher Identität (mehrere Anfechtungsklagen gegen denselben Hauptversammlungsbeschluss) keine Zusammenrechnung stattfand. Hierauf verweist auch Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 27. Vgl. auch Schneider, MDR 1974, S. 7, 9; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 147, Rn. 20; BeckOK-ZPO/Wendtland, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 147, Rn. 15. 85 RGZ 5, 354, 355 und RGZ 6, 416, 417 unter Hinweis darauf, dass die Verbindung gem. § 147 ZPO nicht bloß eine äußere Verbindung darstelle. Infolge der Verbindung tue das Gericht nur das, was der oder die Kläger zweckmäßigerweise schon vorher hätten tun sollen; a. A. Katz, ZZP 28 (1901), S. 63, 64, der darauf abstellt, dass es sich bei der Verbindung um eine „formelle, äussere, keine materielle, innere“ handele und dass dem Gericht nicht die gleiche Befugnis wie den Parteien zukomme. 86 OLG Hamm, MDR 2013, S. 1307; KG Berlin, MDR 2017, S. 846; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 26; Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 147, Rn. 6; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 147, Rn. 7; BeckOK-ZPO/Wendtland, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 147, Rn. 14. Etwas anderes gilt nur, wenn der Kläger die Zuständigkeit des Amtsgerichts zuvor durch Zerlegung des Anspruchs erschlichen hatte, KG Berlin, MDR 2017, S. 846; OLG Hamm, MDR 2013, S. 1307; Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 147, Rn. 6; Schumacher, Prozeßtrennung und -verbindung, 1999, S. 119. A. A. AG Neukölln, MDR 2005, S. 772. 87 BGH, NJW 1957, S. 183; MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, § 300, Rn. 8; Wieczorek/ Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 300, Rn. 25; Schneider, MDR 1974, S. 7, 8.
A. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von §§ 145, 147, 148 Abs. 1 ZPO
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das Gericht – ohne oder gegen ihren Willen – die Verbindung angeordnet hat.88 Da die Verbindung gem. § 147 ZPO auf einer richterlichen Anordnung beruhe, müsse diese aufgehoben werden, wenn aufgrund des Eintritts vorzeitiger Entscheidungsreife eines der Prozesse kein Bedürfnis mehr für eine einheitliche Verhandlung bestehe.89 Aus diesem Grund wird durch den Erlass eines VollEndurteils gem. § 300 Abs. 2 ZPO die Verbindung, ohne dass es hierfür eines förmlichen Beschlusses gem. § 150 ZPO bedarf, wieder aufgehoben.90 Hinsichtlich der Rechtsmittelsumme werden die sodann wieder getrennten Verfahren, wie auch bei Teil- und Schlussurteil, selbständig voneinander behandelt.91
b) Schlussfolgerung: Unbeachtlichkeit der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen Der hinter § 300 Abs. 2 ZPO stehende Zweck kann nur erfüllt werden, wenn die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen dem Erlass eines Voll-Endurteils und der damit einhergehenden Trennungsanordnung gem. § 150 ZPO nicht entgegensteht. Zwar wird die Unbeachtlichkeit der Widerspruchsgefahr weder in Rechtsprechung noch Literatur erwähnt. Andernfalls würden die Parteien jedoch durch die gerichtlich veranlasste Verbindung im Vergleich zu einem separaten Fortgang der Prozesse benachteiligt. Denn wäre infolge einer Verbindung gem. § 147 ZPO trotz Entscheidungsreife des gesamten Rechtsstreits eines der Verfahren ein Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 2 ZPO aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen unzulässig,92 so wären die Parteien durch die Verbindung schlechter gestellt als vorher. Einer solchen Benachteiligung soll § 300 Abs. 2 ZPO jedoch entgegenwirken. Aus diesem Grund darf die Gefahr 88
Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 23; Stein/Jonas/ders., 23. Aufl. 2018, § 300, Rn. 30; Schumacher, Prozeßtrennung und -verbindung, 1999, S. 115. 89 BGH, NJW 1957, S. 183; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 300, Rn. 30; Stein/ Jonas/ders., 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 23; Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 300, Rn. 6; Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 300, Rn. 12; MüKo-ZPO/ders., 6. Aufl. 2020, § 300, Rn. 8; Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 300, Rn. 25; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 300, Rn. 9; Schumacher, Prozeßtrennung und -verbindung, 1999, S. 115. 90 BGH, NJW 1957, S. 183; Stein/ Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 23, 29; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 147, Rn. 7 unter Hinweis darauf, dass korrekterweise vor Erlass des Endurteils ein förmlicher Aufhebungsbeschluss gem. § 150 ZPO erfolgen sollte; Schumacher, Prozeßtrennung und -verbindung, 1999, S. 115. Im Gegensatz zu Teil- und Schlussurteil im Rahmen des § 301 ZPO liegt den beiden Endurteilen damit auch keine gemeinsame Kostenentscheidung zugrunde. 91 BGH, NJW 1957, S. 183; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 23; Schumacher, Prozeßtrennung und -verbindung, 1999, S. 115; BeckOK-ZPO/Wendtland, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 147, Rn. 15. 92 Da eine Verbindung gem. § 147 ZPO erfordert, dass die Prozesse in rechtlichem Zusammenhang stehen, ist davon auszugehen, dass die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen regelmäßig gegeben ist.
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
einander widersprechender Entscheidungen dem Erlass eines Voll-Endurteils gem. § 300 Abs. 2 ZPO nicht entgegenstehen.
c) Anwendungsbereich des § 300 Abs. 2 ZPO Mit Blick auf den Wortlaut des § 300 Abs. 2 ZPO könnte angenommen werden, dass die Vorschrift unabhängig davon Anwendung findet, ob infolge der Prozessverbindung eine subjektive oder objektive Klagehäufung entsteht oder sich die verbundenen Verfahren nunmehr als Klage und Widerklage gegenüberstehen. In der Konsequenz würde die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen in keiner der genannten Konstellationen einem Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 2 ZPO bei vorzeitiger Entscheidungsreife eines der Verfahren entgegenstehen. Allerdings vertreten einige Stimmen in der Literatur, dass die Vorschrift des § 300 Abs. 2 ZPO nur auf den Fall der subjektiven Klagehäufung Anwendung finde und im Fall einer objektiven Klagehäufung ein Teilurteil gem. § 301 ZPO zu erlassen sei.93 Thole hingegen begrenzt den Anwendungsbereich des § 300 Abs. 2 ZPO auf „die vom Gericht vorgenommene Verbindung mehrerer unabhängiger Verfahren gegen verschiedene Prozessgegner“.94 Nicht erfasst seien daher die objektive Klagehäufung sowie die subjektive Klagehäufung, wenn der Kläger „mit einer einzigen Klage mehrere Beklagte in Anspruch nimmt oder umgekehrt auf Klägerseite eine Mehrheit von Personen auftritt, und zwar auch nicht bei nachträglichem Parteibeitritt bzw. Klageerweiterung“.95
In diesen Fällen sei ein Teilurteil gem. § 301 ZPO zu erlassen.96 Ob die Norm des § 300 Abs. 2 ZPO auch für die durch eine Verbindung entstehende Konstellation einer Klage und Widerklage gilt, bleibt hingegen weitgehend unerörtert.97 Rückschlüsse lassen sich insoweit jedoch aus der Gesetzesanwendung selbst ziehen. Beispiel hierfür ist die nachfolgende Entscheidung des OLG Celle vom 05.09.2007, demzufolge auch im Fall einer durch Verbindung entstandenen Klage und Widerklage bei vorzeitiger Entscheidungsreife einer der Klagen ein Teilurteil zu erlassen ist.98 93 So z. B. Zöller/Feskorn, 33. Aufl. 2020, § 300, Rn. 6; MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, § 300, Rn. 8; Musielak/Voit/ders., 17. Aufl. 2020, § 300, Rn. 12; Wieczorek/Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 300, Rn. 26; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 300, Rn. 9. Ohne diese Differenzierung hingegen BGH, NJW 1957, S. 183; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2017, § 147, Rn. 23; Schumacher, Prozeßtrennung und -verbindung, 1999, S. 115. 94 Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 300, Rn. 6. 95 Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 300, Rn. 6. 96 Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 300, Rn. 6. 97 Thole zufolge gilt in diesem Fall schon § 300 Abs. 1 ZPO, Prütting/ Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 300, Rn. 6 a. E. Wie Thole mit Blick auf den Wortlaut der §§ 300 Abs. 2 und 301 Abs. 1 ZPO zu dieser Annahme kommt, bleibt jedoch offen. 98 OLG Celle, OLGR Celle 2007, S. 854 ff.
A. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von §§ 145, 147, 148 Abs. 1 ZPO
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aa) Entscheidung des OLG Celle vom 05.09.2007, Az. 14 U 71/0799 In dem der Entscheidung des OLG Celle zugrundeliegenden Fall hatte das LG Hannover in der Vorinstanz zwei Verfahren gem. § 147 ZPO miteinander verbunden, denen der gleiche Sachverhalt – ein Verkehrsunfall – zugrunde lag.100 In dem zeitlich zuerst anhängigen Verfahren klagte die Halterin eines Lkw gegen den Versicherer eines Pkw auf Schadensersatz. Der Fahrer des versicherten Pkw war bei dem Unfall zwischen dem Pkw und dem Lkw tödlich verunglückt. In dem zweiten Prozess (der späteren Widerklage) klagten die Tochter und die Ehefrau des verstorbenen Pkw-Fahrers als Streitgenossen gegen die Klägerin aus dem ersten Verfahren (die Halterin des Lkw) sowie gegen den Fahrzeugführer des Lkw und dessen Haftpflichtversicherer. Infolge der Verbindung der beiden Prozesse gem. § 147 ZPO wurden die Klägerinnen des zweiten Prozesses zu Widerklägerinnen, obwohl die Voraussetzung einer Widerklage, dass diese von einem Beklagten der Vorklage erhoben wird, nicht vorlag.101 Prozess 1 Klägerin Halterin Lkw
Schadensersatz
Beklagter Versicherer Pkw
Prozess 2 Klägerin 1 Ehefrau des Pkw-Fahrers §§ 59, 60 ZPO Klägerin 2 Tochter des Pkw-Fahrers
Beklagte 1 Halterin Lkw Beklagter 2 Fahrer Lkw Beklagte 3 Haftpflicht Lkw
Abb. 1: Darstellung der beiden Prozesse vor Verbindung gem. 147 ZPO
99
OLG Celle, OLGR Celle 2007, S. 854 ff. LG Hannover, BeckRS 2007, 142400. OLG Celle, OLGR Celle 2007, 854. Infolge der Einbeziehung der Tochter und Mutter als Widerklägerinnen zu 1 und 2 sowie des Lkw-Fahrers und dessen Haftpflichtversicherers als Widerbeklagte zu 2 und 3, ohne deren vorherige Beteiligung am Prozess, lag zudem eine parteierweiternde Widerklage vor. 100 101
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
Verbundener Prozess Teilurteil Klägerin Widerbekl. 1
Schadensersatz
Beklagter Versicherer Pkw
Widerbekl. 2 Fahrer Lkw
Widerklägerin 1 Ehefrau des Pkw-Fahrers
Widerbekl. 2 Haftpflicht Lkw
Widerklägerin 2 Tochter des Pkw-Fahrers
Abb. 2: Darstellung der beiden Prozesse nach Verbindung gem. 147 ZPO Das LG Hannover entschied sodann durch Teilurteil über den zuerst anhängigen Prozess der Halterin gegen den Pkw-Versicherer und wies die Klage ab.102 Auf die Berufung der Klägerin hob das OLG Celle das Teilurteil auf. Da sich bei beiden Klagen die Vorfrage der Unabwendbarkeit des Unfalls für den Pkw-Fahrer stelle, bestehe die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen. Diese Gefahr bestehe mangels Rechtskraft über die Vorfrage nicht nur im Fall einer abweichenden Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht selbst, sondern auch bei Zurückweisung der Berufung. In letzterer Konstellation bestehe das Risiko, dass das erstinstanzliche Gericht, z. B. aufgrund neuer Besetzung der Kammer oder zwischenzeitlicher Änderung der Rechtsauffassung, die Vorfrage der Unabwendbarkeit anders als im Rahmen des Teilurteils beurteile.103
bb) Zwischenergebnis Auf Grundlage der Entscheidung des OLG Celle ist auch im Fall der infolge einer Verbindung entstandenen Klage und Widerklage bei Eintritt vorzeitiger Entscheidungsreife ein Teilurteil gem. § 301 ZPO zu erlassen. Hierbei kann die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen dem Erlass eines Teilurteils entgegenstehen.
d) Stellungnahme Hinsichtlich der Frage, ob im Fall des § 147 ZPO ein Teil- oder Voll-Endurteil über einen vorzeitig zur Entscheidung reifen Prozess zu erlassen ist, besteht 102 Das
LG Hannover erachtete den Verkehrsunfall für den bei dem Unfall tödlich verunglückten Pkw-Fahrer entgegen der Ansicht der Klägerin als unabwendbar und wies die Klage daher ab, LG Hannover, BeckRS 2007, 142400, Rn. 10 ff. 103 OLG Celle, OLGR Celle 2007, 854, 855.
A. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von §§ 145, 147, 148 Abs. 1 ZPO
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kein einheitliches Bild. Grund hierfür dürfte das Spannungsverhältnis zwischen dem klaren Wortlaut und dem hinter § 300 Abs. 2 ZPO stehenden Zweck einerseits sowie dem Telos des § 147 ZPO andererseits sein. Während § 300 Abs. 2 ZPO etwaige infolge einer richterlichen Verbindungsanordnung entstehende Nachteile für die Parteien verhindern will,104 soll durch die Verbindung gem. § 147 ZPO eine gemeinsame Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung über in Zusammenhang stehende, aber in verschiedenen Prozessen geltend gemachte Streitgegenstände herbeigeführt werden. Die Beantwortung der Frage, ob im Fall des § 147 ZPO bei vorzeitiger Entscheidungsreife ein Teilurteil oder ein Voll-Endurteil zu ergehen hat, könnte sich danach bemessen, ob den Verfahren im Fall der vorzeitigen Entscheidungsreife eines der Prozesse weiterhin eine ungetrennte Verhandlung mit einheitlicher Würdigung zugrunde liegen soll,105 oder ob der Eintritt der Entscheidungsreife eines Verfahrens zur Aufhebung der Verbindung führt und die Prozesse in der Folge separat durch Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 ZPO zu entscheiden sind. Hierfür soll noch einmal auf die Motive des Gesetzgebers eingegangen werden. Nach der Gesetzesbegründung gewährt die Möglichkeit zur Prozessverbindung dem Gericht die Befugnis, „bei ihm anhängige Prozesse derselben oder verschiedener Parteien zum Zwecke der gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden, also eine objektive und subjektive Klagenhäufung von Amtswegen anzuordnen.“106
Der Gesetzgeber wollte die Verbindung mehrerer Streitgegenstände nicht ausschließlich vom Willen der Parteien abhängig machen.107 Wenn das Gericht jedoch in gleicher Weise wie die Parteien zur Verbindung mehrerer Streitgegenstände befugt sein soll, spricht vieles dafür, die Verbindungen auch auf Rechtsfolgenseite gleich zu behandeln und bei vorzeitiger Entscheidungsreife eines von mehreren gem. § 147 ZPO verbundenen Prozessen ein Teilurteil zu erlassen. Andererseits spricht gegen den Erlass eines Teilurteils der klare Wortlaut des § 300 Abs. 2 ZPO, dem zufolge im Fall der vorzeitigen Entscheidungsreife eines Prozesses ein Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 1 ZPO zu ergehen hat. Allerdings ist der Erlass eines Voll-Endurteils gem. § 300 Abs. 2 ZPO nur dann stringent, wenn man in der Verbindung mehrerer Verfahren wie Gaupp nicht eine „Vereinigung der mehreren Prozesse zu einem Prozeß“, sondern die Wirkung „nur in der gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung unter Auf104
Siehe zum Zweck des § 300 Abs. 2 ZPO oben S. 208 f. Dies würde den Erlass eines Teilurteils erfordern. Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 217. 107 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 172. 105 106
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
rechterhaltung ihrer rechtlichen Besonderheit“ sieht.108 So will Gaupp auch die Vorschriften zur Streitgenossenschaft nicht anwenden.109 Die Betrachtung der Verbindung nur als „äußere Klammer“ wiederum widerspräche dem klaren gesetzgeberischen Willen, die Gerichte mit der Prozessverbindung zu einer Anordnung von objektiver und subjektiver Klagehäufung von Amts wegen zu befähigen.110 Es stellt sich daher (weiterhin) die Frage, wie dieses Spannungsverhältnis zwischen dem Telos des § 147 ZPO einerseits und der gesetzlichen Regelung des § 300 Abs. 2 ZPO und dem hinter ihr stehenden Zweck sinnvoll aufgelöst werden kann. Als weiterer Ansatzpunkt könnten die Schutzwürdigkeit der Parteien und das Vertrauen in die Justiz dienen. So scheint es schwerlich nachvollziehbar, dass das Gericht einerseits eine Verbindung von Prozessen zum Zwecke der gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung anordnen, bei Entscheidungsreife eines der Verfahren von einer gemeinsamen oder zumindest einheitlichen Entscheidung dann jedoch ohne Weiteres absehen kann. Einem solchen Verfahrensgang würde leicht der Anschein einer willkürlichen Rechtsprechung anlasten. Zwar könnte dieser durch Anwendung des § 301 ZPO und das Gebot der Unabhängigkeit vermieden werden. Im Ergebnis würde dann jedoch das Bedürfnis nach einer einheitlichen Entscheidung höher gewichtet als das Interesse der obsiegenden Partei des vorzeitig entscheidungsreifen Verfahrens an einem vollstreckbaren Titel. Denn aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen im Fall eines rechtlichen Zusammenhangs dürfte auch kein Teilurteil über den entscheidungsreifen Prozess ergehen. Ein solches Ergebnis scheint mit Blick auf die durch den Richter angeordnete, und nicht durch die Parteien herbeigeführte Verbindung jedoch ebenso wenig sachgerecht wie die Möglichkeit, trotz Verbindung und gemeinsamer Verhandlung und Beweisaufnahme sich widersprechende Entscheidungen zu erlassen. Denn im Gegensatz zu einer von der Partei initiierten Verfahrensverbindung, bei der die Parteien den Eintritt der Entscheidungsreife beeinflussen können – z. B. durch Beibringung von Tatsachen und Beweisen oder durch das Unstreitigstellen von Streitigem – steht ihnen diese Möglichkeit im Fall einer Prozessverbindung je nach inhaltlicher Verzahnung der Verfahren nur bedingt zu. Ist der eigene Rechtsstreit zur Entscheidung reif und fehlt es für die Entscheidungsreife des anderen Verfahrens z. B. an Tatsachen oder Beweisen, die außerhalb des Einflussbereichs der Parteien des entscheidungsreifen Prozesses liegen, so stecken die Parteien des entscheidungsreifen Verfahrens sozusagen in 108 Gaupp/Gaupp, 1. Aufl. 1879, § 137 CPO, Anm. III., S. 392. So auch Katz, ZZP 28 (1901), S. 63, 64, der in der Verbindung nur eine „Aneinanderreihung“ der Prozesse sieht. 109 Gaupp/Gaupp, 1. Aufl. 1879, § 137 CPO, Anm. III., S. 392. Vgl. auch Katz, ZZP 28 (1901), S. 63, 69. 110 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 217. Vgl. auch RGZ 5, 354, 355.
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einem fremden Prozess fest, ohne diesen beschleunigen zu können. Der Nichterlass einer Entscheidung erscheint dann nicht gerechtfertigt. Ein solches „Steckenbleiben“, ohne dass der Fortgang des Verfahrens beeinflusst werden kann, wird jedoch nur im Fall einer durch Verbindung entstandenen subjektiven Klagehäufung eintreten, bei der infolge der Verbindung sich nunmehr Parteien in einem gemeinsamen Prozess gegenüber bzw. nebeneinander stehen, die in den vormals getrennten Verfahren im jeweils anderen Prozess nicht beteiligt waren. Dann ist es jedoch gerechtfertigt, wenn bei vorzeitiger Entscheidungsreife eines der Verfahren die Verbindung wieder aufgehoben und ein Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 ZPO erlassen wird.111 Bei einer durch Verbindung entstandenen objektiven und subjektiven Klagehäufung sowie bei Klage und Widerklage, bei der auch vor Trennung – zumindest teilweise – dieselben Parteien beteiligt waren, besteht die Gefahr eines „Steckenbleibens“ hingegen nicht. Da sich weiterhin, wenn auch wie im Fall des OLG Celle nicht ausschließlich, dieselben Parteien gegenüberstehen, können diese wie auch zuvor den Fortgang des Verfahrens beeinflussen. Würde in diesem Fall gleichwohl bei Eintritt vorzeitiger Entscheidungsreife ein VollEndurteil gem. § 300 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 ZPO ergehen und damit die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen außer Acht gelassen, so würde der hinter § 147 ZPO stehende Zweck einer gemeinsamen Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung unterlaufen.112 Denn wie oben aufgezeigt, ist eine Verbindung nur zum Zwecke einer gemeinsamen Verhandlung und Beweisaufnahme ohne einheitliche Entscheidung unzulässig.113 Auf eine ebensolche unzulässige Verbindung würde es jedoch hinauslaufen, wenn man auch im Fall der objektiven und subjektiven Klagehäufung sowie bei Klage und Widerklage, bei der sich (in Teilen) dieselben Parteien gegenüberstehen wie zuvor, bei Eintritt vorzeitiger Entscheidungsreife ein Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 2 ZPO und kein Teilurteil erlassen würde. Die teilweise in der Literatur vertretene Ansicht, die Vorschrift des § 300 Abs. 2 ZPO finde auf den Fall der subjektiven Klagehäufung, nicht hingegen auch auf den Fall der objektiven Klagehäufung Anwendung, ist mangels Differenzierung daher abzulehnen. 111 Dies entspricht im Ergebnis der Ansicht Tholes, der den Anwendungsbereich des § 147 ZPO auf die „Verbindung mehrerer unabhängiger Verfahren gegen verschiedene Prozessgegner“ beschränkt, Prütting/Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 300, Rn. 6. Insbesondere wird in diesem Fall auch nicht das mit § 147 ZPO verfolgte Ziel einer gemeinsamen Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung umgangen. Denn da es bereits an der Entscheidungsreife fehlt, wenn das Gericht die Beweisaufnahme zu einer Frage, die für die Entscheidung gegen mehrere oder alle Streitgenossen von Bedeutung ist, auf ein Prozessrechtsverhältnis beschränkt (siehe hierzu oben S. 129), dürfte in diesem Fall auch kein Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 2 ZPO ergehen. 112 Unberührt muss auch hier freilich die Zulässigkeit eines Teilurteils trotz der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bleiben, wenn ansonsten der Anspruch auf Justizgewährung gefährdet würde. 113 Siehe Fn. 59 in diesem Kapitel.
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
e) Ergebnis Die Anwendung des § 300 Abs. 2 ZPO und der Erlass eines Voll-Endurteils im Fall der vorzeitigen Entscheidungsreife eines von mehreren gem. § 147 ZPO miteinander verbundenen Prozessen ist nur sachgerecht, wenn mit der Prozessverbindung zwei Verfahren zusammengeführt werden, in deren Folge sich Parteien in einem gemeinsamen Prozess gegenüber bzw. nebeneinander stehen, die in den vormals getrennten Verfahren im jeweils anderen Prozess nicht beteiligt waren. Stehen sich infolge der Verbindung (in Teilen) jedoch dieselben Parteien gegenüber, so hat ein Teilurteil gem. § 301 ZPO zu ergehen, da andernfalls der hinter § 147 ZPO stehende Zweck unterlaufen würde.
III. Prozessaussetzung gem. § 148 Abs. 1 ZPO Gem. § 148 Abs. 1 ZPO kann ein Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen114 Rechtsstreits bildet115 oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist,116 anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist.117 Die Vorschrift gilt für alle Instanzen und findet sowohl auf das Klage- als auch das Beschlussverfahren Anwendung.118 Der Zusammenhang zwischen der Verfahrensaussetzung gem. § 148 Abs. 1 ZPO einerseits und dem Gebot der Unabhängigkeit andererseits ist nicht auf den ersten Blick erkennbar. Wie das Gebot der Unabhängigkeit, so verfolgt jedoch auch die Verfahrensaussetzung gem. § 148 Abs. 1 ZPO das Ziel, 114 Schneider zufolge ist damit Rechtshängigkeit gem. § 261 Abs. 1, Abs. 2 ZPO gemeint, vgl. Schneider, JurBüro 1979, S. 785, 786; anders jedoch die h. M. vgl. MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 148, Rn. 11; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 148, Rn. 6 mit Verweis auf die Entscheidungen des OLG Karlsruhe, NJW 1995, S. 1296, 1297 und des LAG München, MDR 1998, S. 783; Tappe, Möglichkeiten der Entscheidungsharmonisierung, 1998, S. 35. 115 Unzulässig ist eine Aussetzung daher in Bezug auf eine Entscheidung in demselben Prozess. Vgl. OLG Koblenz, VersR 1992, S. 1536, das eine Aussetzung eines Verfahrens gegen einen Fahrzeughalter mit Blick auf die gleichzeitig gegen den Haftpflichtversicherer als Streitgenossen erhobene Klage abgelehnt hat. Hierauf Bezug nehmend Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 148, Rn. 10; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 148, Rn. 6. 116 Im Folgenden wird sich auf die Erörterung der Aussetzung aufgrund eines anderen Zivilprozesses beschränkt. 117 Die nachfolgende Untersuchung beschränkt sich auf die Aussetzungsmöglichkeit gem. § 148 Abs. 1 ZPO. Die aufgrund des Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12.07.2018, in Kraft getreten am 01.11.2018, eingeführte Regelung zur Aussetzungsmöglichkeit gem. § 148 Abs. 2 ZPO für den Fall, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, bleibt mangels Relevanz für die Analyse des Gebots der Unabhängigkeit im Rahmen dieser Arbeit außer Betracht. 118 Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 148, Rn. 6 f.
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sich widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Im Rahmen des § 148 Abs. 1 ZPO geschieht dies über die Voraussetzung der Vorgreiflichkeit, d. h., dass der Streitgegenstand des einen Verfahrens Vorfrage des auszusetzenden Verfahrens sein muss.119 In diesem Kontext soll das Gebot der Unabhängigkeit beleuchtet werden. Zunächst folgt jedoch eine zusammenfassende Darstellung des Zwecks und der Voraussetzungen für eine Prozessaussetzung sowie eine Erläuterung deren Wirkung.
1. Zweck der Prozessaussetzung Die Prozessaussetzung gem. § 148 Abs. 1 ZPO bezweckt die Vermeidung doppelter Prüfungen und Entscheidungen über dieselben Rechtsfragen in verschiedenen Prozessen und damit die Vermeidung der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen.120 Indem ein Prozess zugunsten einer einheitlichen Entscheidung ausgesetzt wird, dient die Vorschrift der Abstimmung mehrerer Verfahren.121 Im Ergebnis verhilft die Verfahrensaussetzung damit zu „einer Ökonomie der Prozesse, die nicht kurzsichtig auf den einem Richter vorliegenden Rechtsstreit, sondern auf den Entscheidungszusammenhang abstellt.“122 Die Kehrseite sind regelmäßig eine Verzögerung des auszusetzenden Verfahrens und – unter Umständen – eine Gefährdung des Justizgewährungsanspruchs.123 Aus diesem Grund muss das Gericht bei seiner Ermessensentscheidung über eine Aussetzung die Vor- und Nachteile hinreichend abwägen.124
2. Voraussetzungen und Wirkung der Prozessaussetzung a) Voraussetzungen Grundlegende Voraussetzung für eine Aussetzung gem. § 148 Abs. 1 ZPO ist die Präjudizialität des einen Rechtsstreits für den anderen, d. h., dass ein Verfahren für den auszusetzenden Prozess vorgreiflich sein muss.125 Dem Wortlaut nach ist hierbei eine teilweise Abhängigkeit ausreichend.126 Nicht erforderlich 119
Siehe hierzu die nachfolgenden Ausführungen zu den Voraussetzungen einer Prozessaussetzung, S. 217 ff. 120 Fichtner, Grenzen des richterlichen Ermessens, 1996, S. 60 ff.; MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 148, Rn. 1; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 148, Rn. 1; Schilken, GS Heinze, 2005, S. 763; Schneider, JurBüro 1979, S. 787, 788 f.; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 148, Rn. 1; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 148, Rn. 1; BeckOK-ZPO/Wendtland, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 148, Rn. 1; Saenger/Wöstmann, 8. Aufl. 2019, § 148, S. 1. 121 K. Schmidt, NJW 1979, S. 409, 411. 122 K. Schmidt, NJW 1979, S. 409, 411. 123 So auch MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 148, Rn. 1; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 148, Rn. 2; ders., FS Jayme, Band I, 2004, S. 747, 749. 124 BGH, GRUR 2012, S. 93. 125 Schneider, JurBüro 1979, S. 785, 789. 126 Diese Abhängigkeit detailliert aufzeigend Mittenzwei, Die Aussetzung des Prozesses,
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
ist hingegen, dass beide Verfahren zwischen denselben Parteien geführt werden.127 Der Bezug des § 148 Abs. 1 ZPO auf das „Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses“ entspricht der Regelung des § 256 Abs. 2 ZPO, welche die Erhebung einer Zwischenfeststellung(wider)klage für ein im Laufe des Verfahrens streitig gewordenes Rechtsverhältnis gestattet, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise abhängt. Der Begriff des „Rechtsverhältnisses“ wird in beiden Normen gleich verstanden und bedeutet „eine bestimmte, rechtlich geregelte Beziehung einer Person zu anderen Personen oder zu Gegenständen“.128 Beiden Vorschriften ist darüber hinaus gemein, dass die Entscheidung über das Rechtsverhältnis in Rechtskraft erwächst – einmal in dem gesondert anhängigen Prozess und einmal durch Erhebung einer Zwischenfeststellungs(wider)klage in demselben Verfahren. Für § 148 Abs. 1 ZPO bedeutet dies, dass das von dem anderen Gericht zu entscheidende Rechtsverhältnis zwar Vorfrage des auszusetzenden Prozesses sein kann (und in der Regel ist), aber Streitgegenstand des anderen Verfahrens sein muss. So liegt z. B. der Fall in einem Verfahren über die Herausgabe einer Sache, wenn parallel in einem anderen Prozess über die Feststellung der Eigentümereigenschaft an derselben Sache gestritten wird.129 Dann ist das auszusetzende Gericht (Herausgabeprozess) durch die materielle Rechtskraft des anderen Prozesses (Feststellungsprozess) gebunden. Nicht ausreichend ist es daher, dass das streitige Rechtsverhältnis in beiden Prozessen lediglich eine Vorfrage bildet und „Vorfragenidentität“130 vorliegt.131 Ebenso wenig genügen 1971, S. 24. Im Fall einer nur teilweisen Abhängigkeit muss die Aussetzung auf den betreffenden Teil beschränkt werden, vgl. Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 148, Rn. 22. 127 Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 148, Rn. 4; Schneider, JurBüro 1979, S. 785, 789. 128 BGH, NJW 1998, S. 1957. Vgl. auch VGH Mannheim, NVwZ-RR 2013, S. 622; Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 148, Rn. 9; Schilken, GS Heinze, 2005, S. 763 f.; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 148, Rn. 5. Bloße Vorfragen sind hingegen nicht erfasst, siehe 5. Kapitel Fn. 108. 129 Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 148, Rn. 9. 130 Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 148, Rn. 23; ders., FS Jayme, Band I, 2004, S. 747, 756. 131 BGH, NJW-RR 2005, S. 925, 926; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 148, Rn. 5a; Mittenzwei, Die Aussetzung des Prozesses, 1971, S. 111; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 148, Rn. 23; Stürner, JZ 1978, S. 499, 501; Tappe, Möglichkeiten der Entscheidungsharmonisierung, 1998, S. 35. Eine Ausnahme liegt vor, wenn die Entscheidung des auszusetzenden Prozesses Gestaltungswirkung hat, vgl. hierzu Schilken, GS Heinze, 2005, S. 763, 764, oder Interventionswirkung i. S. d. § 74 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 68 ZPO für den ausgesetzten Prozess entfaltet, vgl. etwa BGH, NJW-RR 2012, S. 575, 576; OLG Hamm, NJW-RR 1994, S. 1343 f.; Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 148, Rn. 9; kritisch hierzu Göbel, BauR 2004, S. 1533 ff. Aus diesem Grund ist § 148 Abs. 1 ZPO auch nicht auf Massenklagen oder Revisionsverfahren anwendbar, denen die Bedeutung eines Musterprozesses zukommen könnte, vgl. BGH, NJW-RR 2012, S. 575, 576; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 148, Rn. 20; Stürner, JZ 1978, S. 499, 501, der eine analoge Anwendung diskutiert und für diesen Fall befürwortet. Als Ausgleich hat der Gesetzgeber mit der Regelung des § 148 Abs. 2 ZPO nun jedoch die Möglichkeit
A. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von §§ 145, 147, 148 Abs. 1 ZPO
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ein rein tatsächlicher Einfluss des einen auf das andere Verfahren oder Zweckmäßigkeitserwägungen, z. B. durch Ausstrahlung einer Beweisaufnahme oder das Ersparen mehrfacher Beweiswürdigungen.132 Aus diesem Grund kann eine Aussetzung gem. § 148 Abs. 1 ZPO auch nicht allein aus prozessökonomischen Gesichtspunkten oder um der Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen willen erfolgen.133 Ferner kommt eine Aussetzung nur in Betracht, wenn der Rechtsstreit noch nicht ganz oder teilweise zur Entscheidung reif ist.134 Nur dann wird das gerichtliche Ermessen eröffnet, in dessen Rahmen das Gericht die Interessen der Parteien abwägen muss.135 Das Einverständnis einer oder beider Parteien entbindet das Gericht von dieser Pflicht nicht.136 Nur wenn die richterliche Prüfung ergibt, dass eine Aussetzung nicht zu einer Verletzung des Justizgewährungsanspruchs führt, kann das Verfahren ausgesetzt werden.137 Auf der anderen Seite kann sich das Ermessen zu einem Aussetzungszwang reduzieren, wenn z. B. die Voraussetzungen einer Sachentgeschaffen, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher ist, die Aussetzung eines Verfahrens bis zur Erledigung eines Musterfeststellungsverfahrens anzuordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden. Vgl. zur Musterfeststellungsklage z. B. Heese, JZ 2019, S. 429 ff. 132 BGHZ 162, 373, 375 = NJW 2005, S. 1947; BAG, NJOZ 2005, S. 2318, 2324; BGH, NJW-RR 2014, S. 758, 759; BGH, NJW-RR 2012, S. 575, 576; MüKo-ZPO/Fitsche, 6. Aufl. 2020, § 148, Rn. 10, a. A. noch MüKo-ZPO/Wagner, 4. Aufl. 2013, § 148, Rn. 10; ebenso a. A. Dahlem/Wiesner, NZA-RR 2001, S. 169, 170; Fichtner, Grenzen des richterlichen Ermessens, 1996, S. 74. 133 OLG Köln, NJW 1958, S. 106, 107; OLG Jena, NJW-RR 2001, S. 503; Stein/Jonas/ Roth, 23. Aufl. 2016, § 148, Rn. 25; Saenger/Wöstmann, 8. Aufl. 2019, § 148, Rn. 4. 134 BLAH/Bünnigmann, 78. Aufl. 2020, § 148, Rn. 14; Saenger/Wöstmann, 8. Aufl. 2019, § 148, Rn. 3. 135 BGH, GRUR 2012, S. 93; BAG, NJW 2014, S. 1903, 1904; Wieczorek/Schütze/Smid, 4. Aufl. 2013, § 148, Rn. 4. Vom Gericht zu berücksichtigende Faktoren sind hierbei insbesondere die sich durch die Aussetzung ergebende Gesamtdauer des Verfahrens und die dadurch entstehenden Nachteile für die Parteien, das Interesse an der Vermeidung von Doppelprüfungen und sich divergierender Entscheidungen sowie die Dauer der Urteilsfindung des vorgreiflichen Verfahrens, vgl. BVerfG, NJW 2013, S. 3432, 3433; BGH, GRUR 2012, S. 93; OLG Dresden, NJW 2000, S. 442, 443; Prütting/Gehrlein/Dörr, 11. Aufl. 2019, § 148, Rn. 1; Fichtner, Grenzen des richterlichen Ermessens, 1996, S. 62 f.; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 148, Rn. 31. 136 Im Gegensatz hierzu hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens gem. § 251 ZPO auf Parteiantrag anzuordnen. Auf diesen Unterschied verweisend BVerfG, NJW 2013, S. 3432, 3433. Auch die neue Regelung des § 148 Abs. 2 ZPO setzt den Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher sein darf, voraus. 137 OLG Saarbrücken, Urt. v. 16.10.2010, Az. 4 U 433/08 – 136 –, juris, Rn. 108. Wegen bestehender Eilbedürftigkeit ist eine Aussetzung daher grundsätzlich in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, im Urkundenprozess sowie bei Entscheidungen über Prozesskostenhilfe unzulässig, MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 148, Rn. 2; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 148, Rn. 2; Saenger/Wöstmann, 8. Aufl. 2019, § 148, Rn. 3; siehe ausführlich hierzu Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 148, Rn. 32.
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
scheidung in dem auszusetzenden Verfahren nicht geklärt werden können138 oder wenn mit einer rechtswegfremden Gegenforderung aufgerechnet wird.139 Ausgeschlossen ist eine Aussetzung hingegen, wenn die Möglichkeit einer Prozessverbindung gem. § 147 ZPO besteht.140
b) Wirkung Die Wirkungen der Aussetzung richten sich nach § 249 ZPO.141 Prozessuale Fristen hören mit der Aussetzung des Verfahrens auf zu laufen und beginnen mit Wiederaufnahme des Verfahrens von neuem.142 Prozesshandlungen, die eine Partei während der Aussetzung vornimmt, entfalten gem. § 249 Abs. 2 ZPO gegenüber der anderen Partei keine rechtliche Wirkung. Die Wirkungen enden automatisch, sobald das nicht ausgesetzte Verfahren endgültig beendet ist.143 Einer Aufnahmeerklärung durch die Parteien bedarf es nicht.144 Ferner enden die Wirkungen, wenn das Gericht die Aufhebung der Aussetzung gem. § 150 ZPO anordnet.145 Die Bindungswirkung des einen Prozesses für das ausgesetzte Verfahren folgt aus der Rechtskraft, der Gestaltungsoder aus der Interventionswirkung des vorgreiflichen Verfahrens.146
3. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der Prozessaussetzung: Präjudizialität im Vergleich zum Gebot der Unabhängigkeit Die Analyse der Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung gem. § 148 Abs. 1 ZPO hat gezeigt, dass eine Aussetzung nur zulässig ist, wenn der eine Rechtsstreit für den anderen präjudiziell ist. Zwar bezweckt die Vorschrift durch den Ausschluss einer doppelten Prüfung identischer Rechtsfragen die Vermeidung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen.147 Der Ausschluss der Widerspruchsgefahr ist jedoch auf den Umfang dieser Rechtsfrage beschränkt. Im Gegensatz hierzu werden durch das Gebot der Unabhängigkeit Widersprüche hinsichtlich sämtlicher Rechtsfragen ausgeschlossen, die sich sowohl im 138
BGHZ 97, 135, 145 = NJW, 1986, S. 1744, 1746. BGHZ 16, 124, 138 = NJW, 1955, S. 497, 498 mit dem Hinweis, nur so könne eine unzulässige und unerwünschte Überschneidung der verschiedenen Rechtswege für Forderung und Gegenforderung verhindert werden. Darüber hinaus ist eine Aussetzung teilweise gesetzlich geregelt, so z. B. in §§ 152–154 ZPO. 140 OLG Koblenz, NJW 1986, S. 742; LAG Hamm MDR 1984, S. 173; MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 148, Rn. 14; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 148, Rn. 31; Musielak/ Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 148, Rn. 2. 141 Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 148, Rn. 38. 142 Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 249, Rn. 2. 143 MüKo-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 148, Rn. 18. 144 BGHZ 106, 295, 296 = MDR, 1989, S. 540. 145 Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 148, Rn. 8. 146 Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2016, § 148, Rn. 38. 147 Siehe in diesem Kapitel Fn. 120. 139
B. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von offener und verdeckter Teilklage 221
Rahmen des Teil- als auch des Schlussurteils stellen und unterschiedlich beurteilt werden könnten. Da das ausgesetzte Verfahren zudem nur durch eine rechtskräftige Entscheidung, Gestaltungs- oder Interventionswirkung des anderen Prozesses gebunden sein kann,148 erfordert die Vorgreiflichkeit im Sinne des § 148 Abs. 1 ZPO, dass die Rechtsfrage, soweit nicht ein Fall einer Gestaltungs- oder Interventionswirkung vorliegt, Streitgegenstand des anderen Verfahrens ist.149 Die Anforderungen an einen Ausschluss der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen im Rahmen des § 148 Abs. 1 ZPO sind damit deutlich höher gefasst als bei Erlass eines Teilurteils gem. § 301 Abs. 1 ZPO. Grund hierfür sind die mit der Verfahrensaussetzung einhergehenden Nachteile einer u. U. langen Verzögerung des ausgesetzten Verfahrens. Eine solche Verzögerung soll nicht durch jede Rechtsfrage, die beiden Prozessen zugrunde liegt, begründet werden können, sondern die Rechtsfrage muss Streitgegenstand eines der Verfahren sein. Dies ist insbesondere mit Blick auf die Selbständigkeit der Prozesse gerechtfertigt. Darüber hinaus ist es nicht das Ziel des § 148 Abs. 1 ZPO, die Einheitlichkeit eines Verfahrens zu bewahren, sondern „nur“ die einheitliche Entscheidung über eine Rechtsfrage herbeizuführen, über die „ohnehin“ eine rechtskräftige Entscheidung ergehen wird. Im Gegensatz hierzu steht das Gebot der Unabhängigkeit, das im Rahmen des § 301 ZPO der Bewahrung der Einheit der Verhandlung und damit des Verfahrens bei Erlass eines Teilurteils dient.150 Im Ergebnis liegen den Vorschriften des § 301 ZPO und des § 148 Abs. 1 ZPO damit verschiedene Zweckrichtungen zugrunde, die eine unterschiedliche Behandlung der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen rechtfertigen.
B. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von offener und verdeckter Teilklage Im nachfolgenden Abschnitt wird das Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche bei Erhebung einer offenen und verdeckten Teilklage untersucht.
I. Zweck und Zulässigkeit der Teilklage Die Teilklage ermöglicht es dem Kläger, nur einen Teil einer an sich höheren Forderung einzuklagen. Auf diese Weise können der Streitwert gering gehal148
Siehe in diesem Kapitel Fn. 146. Siehe zur Präjudizialität in diesem Kapitel unter A. III. 2., S. 217 ff. 150 Siehe oben 3. Kapitel. B., S. 62 ff., insb. S. 73. 149
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
ten und das Kostenrisiko vermindert werden.151 Die grundsätzliche Zulässigkeit der Teilklage ist Ausdruck und Konsequenz der Dispositionsmaxime: Dem Kläger muss die Möglichkeit gewährt werden, nur einen Teil eines einheitlichen Anspruchs einzuklagen.152 Voraussetzung für die Teilklage ist daher die Teilbarkeit des Anspruchs.153 Diese erachtet der BGH als eigene Zulässigkeitsvoraussetzung.154 Die Teilklage kann als offene oder verdeckte Teilklage erhoben werden. Im Unterschied zur offenen Teilklage, bei der der Kläger kenntlich macht, dass er nur einen Teilbetrag einklagt, ist diese Absicht im Rahmen der verdeckten Teilklage für das Gericht und die übrigen Parteien nicht ersichtlich.155 Mangels Rechtsschutzbedürfnisses ist der Beklagte im Fall einer verdeckten Teilklage daher nicht berechtigt, eine negative Feststellungswiderklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO zur Vorbeugung späterer Nachforderungsklagen zu erheben.156 Stets erforderlich ist für eine Teilklage – sei diese offen oder verdeckt – die Bezifferung des Klageantrags; andernfalls ist davon auszugehen, dass der gesamte Anspruch von der Klage erfasst sein soll.157
151 Assmann, FS Schwab, 2000, S. 1, 18, die auch auf das geringere Prozessrisiko hinsichtlich der Prozessführung verweist (dem Kläger könnten zu einem späteren Zeitpunkt z. B. bessere Beweise vorliegen); so auch Friedrich, Probleme bei der Teilklage, 1995, S. 27 f. Vgl. auch Bruns, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1979, Rn. 235 a (S. 371); Eckardt, Jura 1996, S. 624; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 155, Rn. 14; Zeiss, NJW 1968, S. 1305. Ausführlich zu prozesstaktischen Erwägungen bei der Teilklage siehe Trommler, Die Teilklage im Zivilprozess, 2017, S. 47 ff. 152 Batsch, ZZP 86 (1973), S. 254 f.; Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, Einleitung, Rn. 35; Pohle, ZZP 77 (1964), S. 98, 101 f.; Trommler, Die Teilklage im Zivilprozess, 2017, S. 6 ff.; Zeiss, NJW 1968, S. 1305 mit Verweis auf § 308 ZPO und § 268 ZPO (heute § 264 ZPO). 153 Keine Teilbarkeit besteht beispielsweise bei einem Anspruch auf Herausgabe einer bestimmten Sache, Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 327 f.; mit weiteren Beispielen Zeiss, NJW 1968, S. 1305. 154 BGH, NJW 1994, S. 3165; BGH, NJW 2004, S. 1243. Vgl. auch Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 327 f.; Kannowski, ZZP 119 (2006), S. 63, 66 mit Verweis auf die Rechtsprechung des BGH; Marburger, GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 187, 188; a. A. Batsch, ZZP 86 (1973), S. 254 f. Fn. 2, dem zufolge im Fall der Unteilbarkeit die Klage als unbegründet und nicht als unzulässig abzuweisen ist. 155 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 139, 145; BeckOK-ZPO/Bacher, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 253, Rn. 54; Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 322, Rn. 67. 156 BGHZ 34, 337, 342 = NJW 1961, S. 917, 918; Brötel, JuS 2003, S. 429, 433; Friedrich, Probleme bei der Teilklage, 1995, S. 35; Marburger, GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 187, 190; Pohle, ZZP 77 (1964), S. 98, 114; Zeiss, NJW 1968, S. 1305 ff. 157 BGH, NJW 1988, S. 2300, 2301; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 150 mit Verweis auf Kuschmann, FS Schiedermair, 1976, S. 351, 375 und Pohle, ZZP 77 (1964), S. 98, 108. Vgl. auch Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 322, Rn. 68; Zöller/Vollkommer, 33. Aufl. 2020, § 322, Rn. 49; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, 12. Aufl. 2014, Rn. 584.
B. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von offener und verdeckter Teilklage 223
II. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von offener und verdeckter Teilklage Erhebt der Kläger eine Teilklage, erwirkt er mit dem rechtskräftigen Urteil eine Entscheidung über einen Teil einer einheitlichen Forderung. Auch bei einem Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO ergeht eine Teilentscheidung über einen einheitlichen Anspruch. Teilklage und Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO sind insoweit vergleichbar. Im Unterschied zu einem Teilurteil über einen einheitlichen, nach Grund und Höhe streitigen Anspruch, bei dem der gleichzeitige Erlass eines Grundurteils gem. § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ausschließt,158 besteht bei Erhebung einer Teilklage das Risiko, dass bei Geltendmachung der Nachforderung durch den Kläger zu einem späteren Zeitpunkt das Gericht des zweiten Prozesses – mangels Bindungswirkung an die Entscheidungsgründe des ersten Urteils – die den beiden Verfahren zugrundeliegenden Tatsachen abweichend beurteilt und sich widersprechende Entscheidungen ergehen. Vor diesem Hintergrund wird seit jeher diskutiert, ob und – wenn ja – inwieweit sich die Rechtskraft des Vorprozesses der Teilklage auf das spätere Verfahren der Nachforderung erstreckt.159 Hierbei wird zwischen der offenen und der verdeckten Teilklage und wiederum zwischen klageabweisendem und klagestattgebendem Urteil unterschieden. Da die Reichweite der Rechtskraft im Rahmen der offenen und verdeckten Teilklage für die Zulässigkeit von Widersprüchen – und damit für eine Vergleichbarkeit mit dem Gebot der Unabhängigkeit – maßgeblich ist, wird nachfolgend zunächst der Diskussionsstand zur Rechtskraft in Literatur und Rechtsprechung zusammenfassend dargestellt.
1. Rechtskrafterstreckung bei der offenen Teilklage a) Klagestattgebendes Urteil aa) Herrschende Meinung Gibt das Gericht der Teilklage statt, so beschränkt sich die Rechtskraft nach der herrschenden Meinung auf diese Entscheidung; eine Erstreckung auf die (noch) nicht eingeklagte Nachforderung besteht nicht.160 Dies gilt unabhän158
Vgl. zu § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO oben 4. Kapitel. C. II. 1., S. 156 ff. nur Batsch, ZZP 86 (1973), S. 254 ff.; Eckardt, Jura 1996, S. 624 ff.; Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311 ff.; Kannowski, ZZP 119 (2006), S. 63 ff.; Kuschmann, FS Schiedermair, 1976, S. 351 ff.; Leipold, FS Zeuner, 1994, S. 431 ff.; Marburger, GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 187 ff.; Sonntag, NZBau 2008, S. 361 ff.; Zeiss, NJW 1968, S. 1305 ff. 160 BGHZ 34, 337, 342 = NJW 1961, S. 917, 918; BGH, JR 1987, S. 458, 459; BGH, 159 Vgl.
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
gig davon, ob es sich bei dem entschiedenen Teil um einen quantitativ und qualitativ individualisierbaren Anspruchsteil oder nur um einen quantitativen Teil eines einheitlichen Anspruchs handelt.161 Um eine entsprechende Rechtskrafterstreckung auch für die Nachforderung herbeizuführen, besteht für den Beklagten die Möglichkeit, und auch das hierfür erforderliche rechtliche Interesse, eine negative Feststellungswiderklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO zu erheben.162
bb) Gegenansicht Leipolds Entgegen der herrschenden Ansicht vertritt Leipold die Auffassung, dass bei teilweiser Geltendmachung eines nicht individualisierten Anspruchs den positiven Feststellungen zum Anspruchsgrund eine Rechtskrafterstreckung für den später eingeklagten Teil zukomme.163 Leipold begründet seine Auffassung mit einer „zweckentsprechende[n] Auslegung des Merkmals ‚Entscheidung über den Anspruch‘ im Sinne des § 322 Abs. 1 ZPO“164 und mit der Einheitlichkeit des nur teilweise eingeklagten, nicht individualisierten Anspruchs.165 Würde einem teilweise eingeklagten, nicht individualisierten Anspruch stattgegeben, so sei das Bestehen des Anspruchs Inhalt der Schlussentscheidung und nicht Vorfrage. Die Rechtskrafterstreckung nur auf die Anspruchsbegründung reiche daher auch nicht so weit wie eine ErNJW 1997, S. 3019, 3020; BGHZ 93, 330, 334 = NJW 1985, S. 1340, 1341; BGH, NJW 2017, S. 893, Rn. 19; Assmann, FS Schwab, 2000, S. 1, 4; Eckardt, Jura 1996, S. 624, 626; Gerhardt, ZZP 114 (2001), S. 246, 249; MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 126; Jauernig/ Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011, § 63, Rn. 10; Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 331; Kuschmann, FS Schiedermair, 1976, S. 351, 355; Musielak, FS Schumann, 2001, S. 295, 297; Musielak/Voit/ders., 17. Aufl. 2020, § 322, Rn. 71; Pohle, ZZP 77 (1964), S. 98, 115; Zöller/Vollkommer, 33. Aufl. 2020, § 322, Rn. 47; Zeiss, JR 1987, S. 460; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, 12. Aufl. 2014, Rn. 580; Zeuner, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 337, 348. A. A. Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322, Rn. 140; ders., FS Zeuner, 1994, S. 431, 438; sich Leipold anschließend Stein/ Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 140; vor Leipold bereits Bruns, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1979, Rn. 235 c (S. 372 f.). 161 Vgl. Kuschmann, FS Schiedermair, 1976, S. 351, 355, der als Beispiel für eine individualisierte Teilklage eine Klage auf Zahlung eines Teilbetrags eines Lohnanspruchs für einen bestimmten (individualisierbaren) Zeitraum nennt und für einen nicht individualisierten Anspruch eine Klage auf Zahlung eines Teils einer einheitlichen Kaufpreisforderung, vgl. dort Fn. 11; so auch Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 139; kritisch zur Unterscheidung zwischen individualisierten und nicht individualisierten Ansprüchen hingegen Assmann, FS Schwab, 2000, S. 1, 13. 162 Kuschmann, FS Schiedermair, 1976, S. 351, 356. 163 Dies gelte hingegen nicht für Feststellungen, die der Geltendmachung weiterer Beträge entgegenstehen könnten, vgl. Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322, Rn. 140, sich Leipold anschließend Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 140; Leipold, FS Zeuner, 1994, S. 431, 445 ff. 164 Leipold, FS Zeuner, 1994, S. 431, 446. 165 Leipold, FS Zeuner, 1994, S. 431, 445 f.
B. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von offener und verdeckter Teilklage 225
streckung der Rechtskraft auf die gesamten Urteilsgründe.166 Darüber hinaus stünde der herrschende Rechtskraftbegriff einer Erstreckung auch deshalb nicht entgegen, weil die für ein enges Verständnis sprechenden Sachargumente167 im Fall der Teilklage keine Anwendung fänden.168 Hinzu komme, dass im Fall der offenen Teilklage eine Erstreckung der Rechtskraft auf den Anspruchsgrund für die Parteien nicht unerwartet oder überraschend sei: Indem der Kläger bei Klageerhebung offenlege, nur einen Teil einer eigentlich höheren Forderung einzuklagen, sei für beide Parteien ersichtlich, dass die richterlichen Beurteilungen zum Anspruchsgrund den gesamten Anspruch – und nicht nur einen Teil – beträfen. Eines besonderen Feststellungswillens der Parteien für die gleichzeitige Erhebung einer Feststellungsklage über den Anspruchsgrund bedürfe es daher nicht.169
b) Klageabweisendes Urteil aa) Herrschende Meinung Nach der herrschenden Meinung erstreckt sich die Rechtskraft bei der offenen Teilklage auch im Fall einer Klageabweisung nur auf den eingeklagten Teil.170 Dem Kläger steht es danach frei, nach Abweisung der Teilklage noch den restlichen Teil in einer weiteren Klage geltend zu machen. Gestützt wird diese Ansicht insbesondere auf den Wortlaut des § 322 Abs. 1 ZPO, auf die Behandlung der Rechtskrafterstreckung im Fall der Stattgabe einer Teilklage sowie auf die Vorschrift des § 308 Abs. 1 ZPO, die eine 166 167
Leipold, FS Zeuner, 1994, S. 431, 446. Für den engen Rechtskraftbegriff führt Leipold an anderer Stelle u. a. die andernfalls eintretende weitreichende Wirkung für die Parteien an: Im Fall einer Rechtskrafterstreckung auf die Urteilsgründe würden die Parteien an Feststellungen gebunden, über die sie eventuell nicht gestritten hätten. Sie könnten sich gezwungen sehen, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen, um eben diese Feststellung aufzuheben, obwohl sie mit dem Endergebnis zufrieden seien, vgl. Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322, Rn. 68 f. 168 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322, Rn. 142; Leipold folgend Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 142. 169 Leipold, FS Zeuner, 1994, S. 431, 446, 448. Das für eine negative Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse des Beklagten werde dadurch hingegen nicht beeinträchtigt. Dem Beklagten müsse weiterhin die Möglichkeit einer negativen Feststellungsklage zukommen, um für den Fall der Klagestattgabe das Nichtvorliegen eines über die Klage hinausgehenden Anspruchs feststellen lassen zu können, ders., FS Zeuner, 1994, S. 431, 449. 170 RGZ 16, 355 ff.; RGZ 120, 317, 319; RGZ 172, 118, 124 f.; BGHZ 34, 337, 342 = NJW 1961, S. 917; BGH, NJW 1961, S. 1813, 1814; BGHZ 93, 330, 334 = NJW 1985, S. 1340, 1341; BGH, NJW 2017, S. 893 Rn. 19; Assmann, FS Schwab, 2000, S. 1, 11 ff.; Batsch, ZZP 86 (1973), S. 254, 284 ff.; Brötel, JuS 2003, S. 429, 431 f.; Eckardt, Jura 1996, S. 624, 630 f.; Gerhardt, ZZP 114 (2001), S. 246, 249; MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 128; Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 332; Kuschmann, FS Schiedermair, 1976, S. 351, 354; Marburger, GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 187, 199; BLAH/ Weber, 78. Aufl. 2020, § 322, Rn. 65; Zeuner, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 337, 349 f.; Zöller/Vollkommer, 33. Aufl. 2020, § 322, Rn. 47.
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
Entscheidung des Gerichts über den Parteiantrag hinaus untersagt.171 Darüber hinaus wird § 322 Abs. 2 ZPO172 als Argument gegen eine Rechtskrafterstreckung angeführt: Was die Vorschrift für den Fall der Aufrechnung durch den Beklagten regele – nämlich dass die Entscheidung über das Nichtbestehen der Gegenforderung nur bis zur Höhe des Betrags der Rechtskraft fähig sei, für den die Aufrechnung geltend gemacht werde –, müsse für die Teilklage entsprechend gelten.173
bb) Gegenansicht Die Gegenansicht hingegen will im Fall der Klageabweisung einer Teilklage eine Bindung des Gerichts an die Entscheidung über den Anspruchsgrund anerkennen.174 Sie begründet dies mit der vollumfänglichen Entscheidung des Gerichts: So müsse das Gericht zur Abweisung einer Teilklage das Nichtbestehen des gesamten Anspruchs prüfen und feststellen. Weise das Gericht eine Teilklage ab, so stehe daher fest, dass der zugrundeliegende Anspruch insgesamt – und damit auch für weitere Teilbeträge – nicht bestehe.175 Diese Bindung wird teilweise auf eine Erstreckung der Rechtskraft auf den gesamten Anspruch gestützt.176 Im Gegensatz hierzu erachtet Musielak den Grund für eine Bindung in der präjudiziellen Wirkung des Urteils: Dieses enthalte die Feststellung des Gerichts, dass dem Kläger überhaupt kein Anspruch zustehe. An diese Feststellung sei der Richter des Nachfolgeprozesses nach Eintritt der Rechtskraft gebunden, dürfe hinsichtlich desselben Lebenssachverhalts keine abweichende Entscheidung treffen und müsse die Klage als unbe171 Assmann, FS Schwab, 2000, S. 1, 11 ff.; Kuschmann, FS Schiedermair, 1976, S. 351, 354 f.; Marburger, GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 187, 199; Schmidt, Rechtskrafterstreckung, 1971, S. 31; Zöller/Vollkommer, 33. Aufl. 2020, § 322, Rn. 47; Zeiss, NJW 1968, S. 1305. 172 § 322 Abs. 2 ZPO lautet: „Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft fähig.“ 173 RGZ 16, 355, 357; Brox, NJW 1962, S. 1203, 1204; Friedrich, Probleme bei der Teilklage, 1995, S. 17 f.; Kuschmann, FS Schiedermair, 1976, S. 351, 355; Zeiss, NJW 1968, S. 1305; Zeuner, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 337, 350 f. 174 Leipold, FS Zeuner, 1994, S. 431, 439 ff. für nicht individualisierte Teilklagen; Stein/ Jonas/ders., 22. Aufl. 2008, § 322, Rn. 142; sich Leipold anschließend Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 142. Siehe auch Bruns, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1979, Rn. 235 b (S. 371 f.); Fenge, FS Pieper, 1998, S. 31, 40; AK-ZPO/ders., § 322, Rn. 21; Musielak/Voit/ Musielak, 17. Aufl. 2020, § 322, Rn. 72 f.; Schulte, Zur Rechtskrafterstreckung bei Teilklagen, 1999, S. 83 ff., 94 ff.; Zeiss, Zivilprozeßrecht, 9. Aufl. 1997, Rn. 581, der damit von seiner früheren Auffassung abweicht (vgl. noch NJW 1968, S. 1305 ff.). 175 Leipold, FS Zeuner, 1994, S. 431, 441; Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 322, Rn. 71; Schulte, Zur Rechtskrafterstreckung bei Teilklagen, 1999, S. 84 ff. 176 So z. B. Leipold, der eine Begrenzung auf den Antrag als eine „Begrenzung der Rechtskraft unter dasjenige Maß, das sich aus dem Wortlaut des § 322 Abs. 1 ZPO ergibt“ betrachtet, Leipold, FS Zeuner, 1994, S. 431, 441. Vgl. auch Stein/Jonas/ders., 22. Aufl. 2008, § 322, Rn. 142; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 142.
B. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von offener und verdeckter Teilklage 227
gründet abweisen.177 Der Umfang der Rechtskraft werde hingegen nicht berührt.178
c) Stellungnahme Im Ergebnis ist der herrschenden Ansicht zu folgen, die sich gegen eine Bindungswirkung ausspricht. Dies gilt sowohl für die Stattgabe als auch die Abweisung einer offenen Teilklage. In beiden Fällen sprechen die gesetzlichen Vorschriften des § 322 Abs. 1 ZPO und des § 308 Abs. 1 ZPO gegen eine Rechtskrafterstreckung auf den gesamten Anspruch.179 Auch besteht im Fall der Klageabweisung keine – wie von Musielak angeführt – Präjudizialität, die das Gericht im Nachfolgeprozess binden würde. Hierfür fehlt es bereits an einer in Rechtskraft erwachsenden Feststellung des Gerichts. Zwar ist der Mindermeinung zuzusprechen, dass das Gericht im Fall einer Klageabweisung alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen prüfen muss und die Klage erst dann abweisen kann, wenn diese Prüfung ergeben hat, dass eine Anspruchsgrundlage nicht besteht. Allerdings handelt es sich hierbei um eine Feststellung in den Entscheidungsgründen, die bei Fehlen eines negativen Feststellungsantrags, zu dem der Beklagte bei der offenen Teilklage berechtigt ist, nicht in Rechtskraft erwächst und daher keine präjudizielle Wirkung entfalten kann.180
2. Rechtskrafterstreckung bei der verdeckten Teilklage a) Klagestattgebendes Urteil aa) Herrschende Meinung Mit den gleichen Argumenten wie bei der offenen Teilklage verneint die herrschende Meinung auch im Fall der Klagestattgabe einer verdeckten Teilklage eine Rechtskrafterstreckung auf den nicht eingeklagten Teil.181 Eine Rechts177 Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 322, Rn. 72 f.; ders., FS Schumann, 2001, S. 295, 305 f., der diese Annahme auf den Fall einer individualisierten Teilklage beschränkt; a. A. Batsch, ZZP 86 (1973), S. 254, 285. 178 Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 322, Rn. 72, 74; ders., FS Schumann, 2001, S. 295, 305. 179 Gegen die abweichende Ansicht Leipolds hinsichtlich einer Rechtskrafterstreckung im Fall der Klagestattgabe spricht insbesondere dessen eigene Widersprüchlichkeit, im Fall der Teilklage ausnahmsweise vom strengen Rechtskraftbegriff abweichen zu wollen, diesen im Übrigen aber anzuwenden, siehe in diesem Kapitel Fn. 167. 180 Zöller/Vollkommer, 33. Aufl. 2020, § 322, Rn. 37. 181 BGHZ 135, 178, 181 = JZ 1997, S. 1126; BGH, NJW 1997, S. 3019, 3020; BGHZ 151, 1, 3 = NJW 2002, S. 2167 f.; BGHZ 205, 43 Rn. 19 = NJW 2015, S. 2566 Rn. 19; Batsch, ZZP 86 (1973), S. 254, 268 ff.; Brox, NJW 1962, S. 1203, 1204; Eckardt, Jura 1996, S. 624, 627 f.; Elzer, JuS 2001, S. 224, 226; MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 130; Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 332; Kuschmann,
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
kraft „gegen den siegreichen Kläger“182 gebe es nicht. Der fehlende Vorbehalt des Klägers ändere daran nichts.183 Insbesondere folge aus der Bezifferung eines bestimmten Betrags ohne Vorbehalt oder Hinweis auf eine darüberhinausgehende Forderung nicht, dass der Kläger zu einem späteren Zeitpunkt nicht einen weiteren Betrag geltend machen wolle.184 Eine Auslegung über eine eindeutige Bezifferung im Klageantrag hinaus komme daher nicht in Betracht.185 Gegen eine solche Interpretation spreche auch, dass andernfalls der Klageerweiterung gem. § 264 Nr. 2 ZPO keine Bedeutung mehr zukomme.186 Die Begrenzung und Individualisierung des Klageantrags sei darüber hinaus Ausdruck der Dispositionsmaxime; auch bei Fehlen eines Vorbehaltes dürfe das Gericht daher nicht entgegen § 308 Abs. 1 ZPO über den Antrag hinaus entscheiden.187
bb) Gegenansicht Die Gegenauffassung hingegen will – insbesondere gestützt auf die Auslegung des Klageantrags – bei einer Klage ohne Nachforderungsvorbehalt eine Bindung des Gerichts an das Urteil des ersten Prozesses annehmen.188 Bringe der Kläger bei Klageerhebung nicht zum Ausdruck, dass er mindestens den geltend gemachten Betrag fordern könne, so führe „diese Beschränkung in seiner Rechtsbehauptung auch zu einer entsprechenden Auslegung der Rechtskraft“.189 Auch stehe eine solche Verfahrensweise mit dem Grundsatz der Prozessökonomie in Einklang: Stelle der Kläger nicht heraus, dass er nur einen Teil einer an sich höheren Forderung geltend mache, so sei ihm der gesamte Streitgegenstand im Sinne einer Konzentration des Verfahrens zu „oktroyieren“.190 FS Schiedermair, 1976, S. 351, 366 ff.; Musielak, FS Schumann, 2001, S. 295, 297 f.; Musielak/Voit/ders., 17. Aufl. 2020, § 322, Rn. 72; Pohle, ZZP 77 (1964), S. 98 ff.; Zöller/Vollkommer, 33. Aufl. 2020, § 322, Rn. 48; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, 12. Aufl. 2014, Rn. 581; Zeuner, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 337, 348; vgl. auch Marburger, GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 187, 191 ff., die das Ergebnis jedoch für unbefriedigend hält und eine Präklusion des klägerischen Vortrags im Nachfolgeprozess, der Anspruch sei tatsächlich höher, vorschlägt, wenn der Kläger nicht nachweist, dass er im ersten Verfahren unverschuldet nicht den gesamten Betrag geltend gemacht hat. 182 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 332. 183 BGHZ 187, 227 Rn. 9 = NJW 2011, S. 1367 Rn. 9. 184 Friedrich, Probleme bei der Teilklage, 1995, S. 42 f. 185 Eckardt, Jura 1996, S. 624, 627; Elzer, JuS 2001, S. 224, 226. 186 Friedrich, Probleme bei der Teilklage, 1995, S. 44. 187 Batsch, ZZP 86 (1973), S. 254, 269 f.; Kuschmann, FS Schiedermair, 1976, S. 351, 367; Marburger, GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 187, 192; Pohle, ZZP 77 (1964), S. 98, 101 f. 188 Pagenstecher, JW 1925, S. 712; Grasmeher, FamRZ 1961, S. 241, 244; ders. FamRZ 1961, S. 266 f.; Lent, NJW 1955, S. 1865, 1866. 189 Lent, NJW 1955, S. 1865, 1866. So auch Grasmeher, der immer von einer Vollklage ausgehen will, solange sich der Kläger keine Nachforderung vorbehalten hat oder sich die Beschränkung aus den Umständen ergibt, vgl. Grasmeher, FamRZ 1961, S. 241, 244; ders. FamRZ 1961, S. 266 f. 190 Bötticher, MDR 1962, S. 724, 725.
B. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von offener und verdeckter Teilklage 229
b) Klageabweisendes Urteil aa) Herrschende Meinung Für den Fall der Klageabweisung einer verdeckten Teilklage kann auf die Ausführungen zur Abweisung einer offenen Teilklage verwiesen werden. Nach der herrschenden Meinung ist auch hier eine Erstreckung der Rechtskraft auf den noch nicht eingeklagten Teil ausgeschlossen, sodass der Kläger eine Nachforderungsklage erheben kann.191 Umfang und Inhalt der Rechtskraft würden sich nach dem eingeklagten Anspruch sowie dem Klageantrag bestimmen und nicht umgekehrt.192 Der Wille des Klägers sei damit entscheidend.193 Zudem dürfe dem Kläger bei Klageabweisung nicht etwas aberkannt werden, was ihm umgekehrt im Fall einer Klagestattgabe auch nicht zugesprochen werde.194
bb) Gegenansicht Die Gegenauffassung geht im Fall der Abweisung einer verdeckten Teilklage von einer Rechtskrafterstreckung auf den nicht eingeklagten Teil aus.195 Bei dem abweisenden Urteil handele es sich um ein Feststellungsurteil über das Nichtbestehen des gesamten Anspruchs.196 Wolle der Kläger trotz vorheriger Abweisung eine Nachforderungsklage geltend machen, so sei die Klage – da sie das kontradiktorische Gegenteil darstelle – als unzulässig abzuweisen.197
191 BGHZ 93,
330, 334 = NJW 1985, S. 1340, 1341; BGHZ 135, 178, 181 = JZ 1997, S. 1126, m. (insoweit ablehnender) Anm. Jauernig, JZ 1997, 1127 f.; BGH, NJW 1997, S. 3019, 3020; BGHZ 205, 43 Rn. 19 = NJW 2015, S. 2566 Rn. 19; Batsch, ZZP 86 (1973), S. 254, 283 ff.; Brötel, JuS 2003, S. 429, 433; Brox, NJW 1962, S. 1203, 1204; Eckardt, Jura 1996, S. 624, 629 f.; Elzer, JuS 2001, S. 224, 227; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 155, Rn. 17; Schmidt, Rechtskrafterstreckung, 1971, S. 64 ff.; Trommler, Die Teilklage im Zivilprozess, 2017, S. 151 f.; Zöller/Vollkommer, 33. Aufl. 2020, § 322, Rn. 48; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, 12. Aufl. 2014, Rn. 583; Zeiss, NJW 1968, S. 1305, 1306 f. 192 Assmann, FS Schwab, 2000, S. 1, 14; Batsch, ZZP 86 (1973), S. 254, 285; Brox, NJW 1962, S. 1203, 1204: Kuschmann, FS Schiedermair, 1976, S. 351, 365; Schmidt, Rechtskrafterstreckung, 1971, S. 65. 193 Eckardt, Jura 1996, S. 624, 630. 194 Kuschmann, FS Schiedermair, 1976, S. 351, 366; Zeiss, NJW 1968, S. 1305, 1306. 195 Lent/Jauernig, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl. 1966, § 63 II; so auch heute noch vertreten in Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011, § 63, Rn. 11. Vgl. auch Bruns, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1979, Rn. 235 b (S. 371 f.); Fitting, ZZP 20 (1880), S. 266, 280; Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 332 f.; ders., JZ 1997, S. 1127, 1128; Zeiss, Zivilprozeßrecht, 9. Aufl. 1997, Rn. 581. 196 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 333; ders., JZ 1997, S. 1127, 1128. 197 Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311, 334 f.; ders., JZ 1997, S. 1127, 1128; Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, § 322, Rn. 73, der auch in diesem Fall wegen der Präjudizialität des Vorprozesses eine Klageabweisung als unbegründet annimmt.
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
c) Stellungnahme Auch hinsichtlich der verdeckten Teilklage ist der herrschenden Auffassung zu folgen: Sie ist die konsequente und folgerichtige Umsetzung des allgemeinen Rechtskraftverständnisses. Die Rechtskraft erstreckt sich weder im Fall der Klagestattgabe noch im Fall der Klageabweisung auf den noch nicht eingeklagten Teil. Der fehlende Vorbehalt des Klägers vermag an der Beurteilung und dem Grundsatz, dass sich der Umfang der Rechtskraft nach dem Streitgegenstand und dem klägerischen Antrag bestimmt, nichts zu ändern.198 Ist über die Nachforderung nicht rechtskräftig entschieden worden, so steht einer erneuten Klage weder der Einwand der entgegenstehenden Rechtskraft, einschließlich des kontradiktorischen Gegenteils, entgegen noch ist das Gericht des Folgeprozesses an das erste Urteil gebunden. Auch eine Präjudizialität besteht mangels Feststellungsantrags nicht. Vielmehr muss es dem Kläger mit Blick auf die Dispositionsmaxime freistehen, ob er die Erhebung einer Teilklage offenlegt oder nicht. Dass ein fehlender Vorbehalt im ersten Prozess ggf. zu materiellen Einwänden des Beklagten im Folgeprozess führen kann,199 bleibt das Risiko des Klägers.200 Die Möglichkeit materieller Einwendungen vermag die prozessuale Zulässigkeit einer Nachforderungsklage daher nicht zu ändern.
3. Zwischenergebnis Die Rechtskraft im Fall der Teilklage – sei diese offen oder verdeckt – beschränkt sich sowohl bei klagestattgebendem als auch bei klageabweisendem Urteil auf den eingeklagten Teil als Streitgegenstand des Verfahrens. Das Gericht des Folgeverfahrens ist nicht an die Entscheidungsgründe des Vorprozesses gebunden. Macht der Kläger nur einen Teil eines einheitlichen Anspruchs geltend, so kann auch nur insoweit eine Entscheidung ergehen. Eine über den Entscheidungssatz hinausgehende Bindungswirkung wäre weder mit dem herrschenden Verständnis der materiellen Rechtskraft noch mit dem Antragsgrundsatz des § 308 Abs. 1 ZPO vereinbar.
198 So auch BGHZ 85, 367, 373 f. = NJW 1983, S. 390, 391; BayObLG, NJW-RR 1988, S. 547, 549; Stein/ Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 90 f.; Zöller/Vollkommer, 33. Aufl. 2020, § 322, Rn. 30. 199 In Betracht kommen insbesondere der Einwand des Verzichts, des Erlasses oder der Verwirkung, vgl. BGH, NJW 1979, S. 720; BGH 135, 178, 183 = JZ 1997, S. 1126, 1127; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 322, Rn. 13. 200 Zu beachten ist auch, dass die Verjährung im Fall einer Teilklage – sei diese offen oder verdeckt – nur in dem mit der Klage erhobenen Umfang gehemmt wird. Macht der Kläger später weitere Forderungen geltend, so muss die Verjährung für diese Forderungen selbständig geprüft werden, vgl. BGH, NJW 1993, S. 1179, 1180; BGHZ 151, 1, 2 f. = NJW 2002, S. 2167 f.; BGH, NJW-RR 2008, S. 521, 522; Elzer, JuS 2001, S. 224, 226; Saenger/Saenger, 8. Aufl. 2019, § 322, Rn. 25; Zöller/Vollkommer, 33. Aufl. 2020, § 322, Rn. 48.
B. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von offener und verdeckter Teilklage 231
4. Aber: Bindung an die Urteilsgründe im Fall der Streitverkündung Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass ein über eine Teilklage ergehendes Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 1 ZPO keine Bindungswirkung über den Streitgegenstand hinaus entfaltet, besteht nach der herrschenden – nicht unumstrittenen – Meinung im Fall der Streitverkündung gem. §§ 72 ff. ZPO.201 Eine Bindungswirkung gilt nach der herrschenden Auffassung auch bei Erlass eines Teilurteils. Als Grund hierfür wird in beiden Fällen die infolge einer wirksamen Streitverkündung eintretende Interventionswirkung gem. § 74 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 68 ZPO angeführt.202 Bevor auf die Frage der Bindungswirkung, d. h. den Umfang der Interventionswirkung bei Teilklage und Teilurteil infolge einer Streitverkündung näher eingegangen wird, werden Zweck und Inhalt der Streitverkündung sowie deren Voraussetzungen zusammenfassend dargestellt.
a) Zweck und Inhalt der Streitverkündung Mittels der Streitverkündung kann eine Partei (Streitverkünder) durch förmliche Zustellung einen nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten (Streitverkündungsempfänger oder Streitverkündeter) von einem anhängigen Rechtsstreit (Vorprozess) benachrichtigen und ihm so die Möglichkeit einer Beteiligung am Verfahren eröffnen.203 Die Streitverkündung bezweckt die Herbeiführung der Interventionswirkung gem. § 74 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 68 ZPO.204 Diese bewirkt, dass der Streitverkündungsempfänger für den Fall eines Folgeprozesses zwischen ihm und dem Streitverkünder die rechtliche Würdigung und die tragenden tatsächlichen Feststellungen des Urteils im Vorprozess, die nicht in Rechtskraft erwachsen, gegen sich gelten lassen muss.205 Die Streitverkündung soll damit verhindern, dass der Streitverkünder infolge einer materiell-rechtlichen Verzahnung der Ansprüche des Vor- und Folgeprozesses mehrere Verfahren führen muss, aufgrund der Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung der beiden Verfahren zugrundeliegenden Tatsachen aber Gefahr läuft, alle Prozesse zu verlieren, obwohl er ein Verfahren bei einheitlicher Würdigung der Tatsachen gewinnen müsste.206 Im Ergebnis kommt dem Streitverkünder damit eine Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast im Folgeprozess gegen den Streitverkündeten zu.207 201 202
Siehe z. B. BGH, NJW 1969, S. 1480, 1481. Zum Meinungsstreit siehe unten S. 234 f. Siehe unten S. 234. 203 Stein/Jonas/Jacoby, 23. Aufl. 2014, § 72, Rn. 1; Knöringer, JuS 2007, S. 335. 204 Knöringer, JuS 2007, S. 335. 205 Knöringer, JuS 2007, S. 335; Kraft, GWR 2016, S. 47; Krüger, JA 2014, S. 202, 203. 206 BGHZ 116, 95, 100 = NJW 1992, S. 1698, 1699; BGH, VersR 1997, S. 1363; Wust, NJW 2017, S. 2886. 207 Werres, NJW 1984, S. 208, 209.
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
Gleichzeitig wird dem Dritten durch Einbeziehung in den Rechtsstreit des Vorprozesses rechtliches Gehör gewährt und seine Beteiligung kann zur Sachverhaltsaufklärung beitragen.208 Auf diese Weise wird die streitverkündende Partei für den Fall eines Unterliegens im ersten Prozess und eines Folgeverfahrens gegen den Dritten vor dem Einwand geschützt, der Vorprozess sei mangelhaft geführt oder unrichtig entschieden worden.209 Im Ergebnis dient die Vorschrift neben einer Verringerung der Prozesse damit der Vermeidung sich in den Gründen widersprechender Entscheidungen über dieselben Rechtsfragen.210
b) Voraussetzungen für eine wirksame Streitverkündung und die Herbeiführung der Interventionswirkung Voraussetzung für die Herbeiführung der Interventionswirkung ist – neben einer rechtskräftigen Entscheidung211 – die Zulässigkeit der Streitverkündung im Vorprozess, wobei diese erst durch das Gericht des Folgeprozesses geprüft wird.212 Erforderlich ist insbesondere, dass ein zulässiger Streitverkündungsgrund, mithin ein Anspruch des Streitverkünders gegen den Dritten oder ein drohender Anspruch des Dritten gegen den Streitverkünder, vorliegt. Die herrschende Meinung lässt hierfür – in Erweiterung des Wortlauts des § 72 Abs. 1 ZPO – genügen, dass ein vermeintlicher Anspruch des oder gegen den Dritten mit dem im Vorprozess von dem Streitverkünder geltend gemachten Anspruch in einem Verhältnis der wechselseitigen Ausschließung, d. h. in einem Alternativverhältnis steht.213 In der Folge müssen die jeweiligen Ansprüche derart materiell-rechtlich miteinander verknüpft sein, dass „die positiven Voraussetzungen des einen Rechtsverhältnisses zugleich negative Voraussetzungen des anderen sind.“214 Die Interventionswirkung sichert auf diese Weise den Erhalt der Al208 BGHZ 204, 12 Rn. 14 = NJW 2015, S. 559 Rn. 14; Musielak/Voit/Weth, 17. Aufl. 2020, § 72, Rn. 1. 209 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 179. 210 RGZ 77, 360, 365; BGHZ 8, 72, 79 f.; BGHZ 204, 12 Rn. 14 = NJW 2015, S. 559 Rn. 14. 211 Keine Interventionswirkung tritt daher bei einer Beendigung durch Vergleich ein, BGH, NJW 1969, S. 1480, 1481. 212 BGH, NJW 2017, S. 3718, 3720; Haertlein, JA 2007, S. 10, 14; Stein/Jonas/Jacoby, 23. Aufl. 2014, § 68, Rn. 3; Werres, NJW 1984, S. 208 ff. Die Prüfung entfällt jedoch, wenn der Streitverkündungsempfänger dem Rechtsstreit beitritt und zum Nebenintervenienten wird, MüKo-ZPO/Schultes, 6. Aufl. 2020, § 72, Rn. 17. 213 Der Wortlaut des § 72 Abs. 1 ZPO, der erfordert, dass die Partei des Vorprozesses für den Fall einer für sie ungünstigen rechtskräftigen Sachentscheidung glaubt, einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können oder selbst von einem Dritten in Anspruch genommen zu werden, sei hingegen zu eng gefasst, vgl. BGHZ 204, 12 Rn. 15 = NJW 2015, S. 559 Rn. 15; Eibner, JurBüro 1988, S. 150, 155; Knöringer, NJW 1977, S. 335, 336; MüKo-ZPO/Schultes, 6. Aufl. 2020, § 72, Rn. 9; Wust, NJW 2017, S. 2886. Nach der Rechtsprechung ist darüber hinaus auch ein drohender Anspruch im Fall des Obsiegens erfasst, vgl. BGH, VersR 1997, S. 1363. 214 Häsemeyer, ZZP 84 (1971), S. 179, 184.
B. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von offener und verdeckter Teilklage 233
ternativität der Ansprüche.215 Die damit einhergehende Gefahr, dass sich eine im Vorprozess falsche Entscheidung im Folgeprozess perpetuiert, wird mit Blick auf das andernfalls bestehende Risiko, dass ein Alternativverhältnis in ein Gleichordnungsverhältnis verkehrt werden könnte, hingenommen.216
c) Gebot der Unabhängigkeit im Kontext der Interventionswirkung Die Reichweite der Bindungswirkung – und damit auch der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen im Folgeprozess – bestimmt sich nach dem Umfang der Interventionswirkung. Hinsichtlich des Umfangs wird zwischen den Konstellationen einer Entscheidung über den gesamten Anspruch und einer Teilentscheidung über den Anspruch im Vorprozess, sei es durch Erhebung einer Teilklage oder durch Erlass eines Teilurteils, unterschieden. Bevor die Interventionswirkung im Fall einer Teilentscheidung näher erläutert wird, erfolgt eine Darstellung der Interventionswirkung bei Urteilserlass über den gesamten Anspruch.
aa) Umfang bei Entscheidung über den gesamten Anspruch im Vorprozess Bei einer Entscheidung über den gesamten Anspruch hat die Streitverkündung gem. § 74 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 68 ZPO zur Folge, dass der Streitverkündete im Folgeprozess nicht mit der Behauptung gehört wird, der Rechtsstreit des Vorprozesses sei unrichtig entschieden worden.217 Der Vortrag des Streitverkündeten darf sich damit nicht gegen das Urteil des Vorprozesses, einschließlich der entscheidungsträchtigen Urteilselemente, richten.218 Im Ergebnis ist das Gericht des Folgeprozesses damit über den in Rechtskraft hinaus erwachsenden Entscheidungssatz gebunden.219 Eine Bindung besteht dabei jedoch nur hinsichtlich solcher Feststellungen, auf denen das Urteil des Vorprozesses beruht; überschießende Feststellungen sind hingegen nicht erfasst.220 Welche Urteilselemente tragend sind, beurteilt sich danach, worauf die Entscheidung objektiv nach zutreffender Rechtsauffassung beruht; die subjektive Auffassung des Erstgerichts ist nicht erheblich.221 Darüber hinaus kann der Streitverkündete weiterhin solche Tatsachen vortra215
Häsemeyer, ZZP 84 (1971), S. 179, 185. Häsemeyer, ZZP 84 (1971), S. 179, 186 f. 217 Vgl. den Wortlaut des § 68 ZPO. 218 Stein/Jonas/Jacoby, 23. Aufl. 2014, § 68, Rn. 5. 219 BGH, NJW 1969, S. 1480, 1481; Bruns, FS Schima, 1969, S. 111, 120 f.; Lüke/Arens, Zivilprozessrecht, 10. Aufl. 2011, § 42, Rn. 453; Wieczorek/Schütze/Mansel, 4. Aufl. 2017, § 68, Rn. 86. Eine Rechtskrafterstreckung i. S. d. § 322 Abs. 1 ZPO auf die tragenden Urteilselemente folgt daraus jedoch nicht, Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 50, Rn. 63; Wieser, ZZP 79 (1966), S. 246, 295. 220 BGHZ 157, 97, 99 = VIZ 2004, S. 176, 177. Dies gilt auch für fehlende Feststellungen, die das Gericht hätte treffen müssen, Saenger/Bendtsen, 8. Aufl. 2019, § 68, Rn. 6 f. 221 BGHZ 157, 97, 99 = VIZ 2004, S. 176, 177; OLG Hamm, NJW-RR 1996, S. 1506, 216
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gen, die nicht mit den tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen der Vorentscheidung in Widerspruch stehen.222 Auf subjektiver Ebene beschränkt sich die Interventionswirkung auf das Verhältnis zwischen Streitverkünder und Streitverkündetem; eine Ausweitung auf den Gegner des Vorprozesses ist nicht zulässig.223 Darüber hinaus kann die Interventionswirkung stets nur zu Ungunsten des Streitverkündeten und nur zugunsten des Streitverkünders wirken.224
bb) Umfang bei teilweiser Entscheidung über den Anspruch durch Erhebung einer Teilklage oder Erlass eines Teilurteils im Vorprozess Streitig ist der Umfang der Interventionswirkung im Folgeprozess, wenn im Vorprozess – sei es infolge einer Teilklage oder eines Teilurteils – nur teilweise über den Streitgegenstand entschieden wird und der eingeklagte Betrag des Folgeprozesses über den des Erstprozesses hinausgeht.225 In diesem Fall stellt sich die Frage, ob die Interventionswirkung auf den im Vorprozess entschiedenen Teil beschränkt ist oder sich auf den vollen Streitgegenstand des Folgeprozesses erstreckt.
(1) Herrschende Meinung Die herrschende Meinung nimmt eine vollständige Erstreckung der Interventionswirkung auf den Streitgegenstand des Folgeprozesses an, da die getroffenen Feststellungen unteilbar seien.226 Insoweit gehe die Interventionswirkung über die Rechtskraft hinaus.227 Andernfalls könne es zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen, wenn der im Folgeprozess geltend gemachte Anspruch von dem des Erstprozesses abweiche.228 Auch entspreche es nicht der Prozessökonomie, wenn der Vorprozess im Folgeverfahren faktisch wiederholt werden müsse, nur weil ein kleiner Teil im Vorprozess nicht eingeklagt worden sei.229 1507; OLG Saarbrücken, OLGR Saarbrücken 2007, S. 376, 377 f.; Saenger/Bendtsen, 8. Aufl. 2019, § 68, Rn. 6; MüKo-ZPO/Schultes, 6. Aufl. 2020, § 68, Rn. 15. 222 Stein/Jonas/Jacoby, 23. Aufl. 2014, § 68, Rn. 6. 223 Saenger/Bendtsen, 8. Aufl. 2019, § 68, Rn. 9. 224 BGH, NJW 1987, S. 1894; Saenger/Bendtsen, 8. Aufl. 2019, § 68, Rn. 9; Eibner, JurBüro 1988, S. 282 f. 225 BeckOK-ZPO/Dressler, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 68, Rn. 13. 226 RG, JW 1935, S. 3539; RG, JW 1936, S. 1966; BGH, NJW 1969, S. 1480, 1481; BGH, VersR 1985, S. 568, 569; OLG Saarbrücken, OLGR Saarbrücken 2007, S. 376, 377; Stein/ Jonas/Jacoby, 23. Aufl. 2014, § 68, Rn. 10; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 50, Rn. 59. 227 RG, JW 1935, S. 3539, mit Hinweis darauf, dass die Interventionswirkung andererseits infolge der im Rahmen der Streitverkündung anerkannten Einrede der mangelhaften Prozessführung hinter § 322 ZPO zurücktrete. 228 BGH, NJW 1969, S. 1480, 1481. Kritisch hierzu Eibner, der geltend macht, Schwierigkeiten bei der Abgrenzung seien „eine Konsequenz dessen, daß man die Rechtskraft bei Teilklagen auf den eingeklagten Teil beschränkt.“, Eibner, JurBüro 1988, S. 282, 288. 229 BGH, NJW 1969, S. 1480, 1481.
B. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von offener und verdeckter Teilklage 235
(2) Gegenansicht Die Gegenansicht hingegen will die Bindungswirkung auf den Streitgegenstand der Teilklage oder des Teilurteils des Vorprozesses beschränken.230 Eine solche Beschränkung erforderten bereits der hinter der Interventionswirkung stehende Zweck und das Interesse der Hauptpartei.231 So sei das hinter § 68 ZPO stehende Interesse des Streitverkünders, ein Unterliegen in mehreren Verfahren aufgrund sich widersprechender Beurteilungen derselben Tatsachen zu vermeiden, nur insoweit berechtigt, als im Vorprozess über die Sache rechtskräftig entschieden worden sei. Eine darüberhinausgehende Bindung würde aufgrund der Begrenzung auf den Streitgegenstand im Vorprozess zu Lasten des Dritten wirken.232 Darüber hinaus vermeide eine Erstreckung der Interventionswirkung auf den Folgeprozess nicht Widersprüche, sondern provoziere diese: So bestehe aufgrund der auf den Streitgegenstand beschränkten Rechtskraft hinsichtlich des nicht im Vorprozess entschiedenen Teils die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen, wenn dieser Teil außerhalb des Folgeprozesses in einem weiteren Verfahren zwischen den Parteien des Vorprozesses eingeklagt werde.233
(3) Stellungnahme und Kritik Die von der herrschenden Meinung befürwortete Erstreckung der Interventionswirkung im Folgeprozess über die Teilentscheidung hinaus ist mit Blick auf den Zweck, sich widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, nachvollziehbar. Andernfalls bestünde im Fall einer betragsmäßig über den Vorprozess hinausgehenden Klage gegen den Streitverkündeten das Risiko, dass das Gericht im Folgeprozess den überschießenden Betrag aufgrund einer abweichenden Beurteilung der tragenden Feststellungen abweisen könnte, im Übrigen der Klage aufgrund der Bindungswirkung gem. § 74 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 68 ZPO jedoch stattgeben müsste. Das Ergebnis wäre ein durch Teilung der getroffenen Feststellungen einheitliches Urteil mit sich widersprechenden Entscheidungsgründen. Für den Streitverkündeten führt die Erstreckung jedoch zu einem belastenden Resultat, ohne dass er im Vorprozess seine Interessen vollständig verfolgen 230 Zöller/Althammer, 33. Aufl. 2020, § 68, Rn. 10; BeckOK-ZPO/Dressler, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 68, Rn. 13.1; Eibner, JurBüro 1988, S. 282, 286; Häsemeyer, ZZP 84 (1971), S. 170, 200 f.; Wieczorek/Schütze/Mansel, 4. Aufl. 2017, § 68, Rn. 124; MüKo-ZPO/Schultes, 6. Aufl. 2020, § 68, Rn. 17. 231 BeckOK-ZPO/Dressler, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 68, Rn. 13.1. 232 BeckOK-ZPO/Dressler, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 68, Rn. 13.1; Häsemeyer, ZZP 84 (1971), S. 179, 201; MüKo-ZPO/Schultes, 6. Aufl. 2020, § 68, Rn. 17. 233 Zöller/Althammer, 33. Aufl. 2020, § 68, Rn. 10; Eibner, JurBüro 1988, S. 282, 287 f. Zwar ist es mit Blick auf die Anknüpfung an ein Unterliegen der Hauptpartei im ersten Prozess unwahrscheinlich, dass der Kläger den zweiten Teil gegen den ursprünglichen Beklagten geltend macht; ausgeschlossen ist diese Möglichkeit jedoch nicht.
236
6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
konnte.234 Darüber hinaus ist ein vergleichbares Ergebnis, d. h. die unterschiedliche Beurteilung derselben tatsächlichen Feststellungen, mangels Rechtskrafterstreckung auch im Fall zweier nacheinander erhobener Teilklagen möglich. Auch hier erfolgt eine Spaltung der getroffenen Feststellungen, wenn die Gerichte die tragenden Urteilselemente abweichend voneinander beurteilen. Ferner verbleibt auch bei einer Erstreckung der Interventionswirkung hinsichtlich des nicht rechtskräftig entschiedenen Teils die Gefahr sich in den Gründen widersprechender Entscheidungen, wenn dieser später gegen den Beklagten des Vorprozesses separat eingeklagt und abweichend entschieden wird.235 Auch wenn die von der herrschenden Meinung vertretene Ausweitung der Interventionswirkung zu einer Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen und – auf diese Weise – zu in der Praxis handhabbaren Ergebnissen führen kann, so sind die infolge der vollumfänglichen Interventionswirkung ergehenden Urteile bei einer nur teilweisen Entscheidung im Vorprozess nicht sachgerecht. Insbesondere die verbleibende Möglichkeit sich widersprechender Entscheidungen hinsichtlich des nicht im Vorprozess rechtskräftig entschiedenen Teils bei dessen späterer Geltendmachung in einem separaten Verfahren gegen den Beklagten des Vorprozesses kann – bei gleichzeitiger Erstreckung der Interventionswirkung im Folgeprozess gegen den Dritten – im Ergebnis zu ebensolchen Widersprüchen führen wie eine Beschränkung der Interventionswirkung auf den Streitgegenstand. Im Ergebnis ist daher mit der Gegenansicht eine Beschränkung auf den im Vorprozess entschiedenen Streitgegenstand zu befürworten.
cc) Interventionswirkung im Vergleich zum Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils Die Interventionswirkung und das Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils verfolgen denselben Zweck: die Vermeidung sich in den Gründen widersprechender Entscheidungen. Im Übrigen unterscheiden sich die Instrumente jedoch. Zunächst bezweckt die Interventionswirkung – im Gegensatz zum Gebot der Unabhängigkeit, das widersprüchliche Entscheidungen zwischen denselben Parteien innerhalb eines Prozesses verhindern will, – den Ausschluss einander widersprechender Entscheidungen hinsichtlich materiell-rechtlich zusammenhängender Rechtsverhältnisse über das Verfahren hinaus. Während das Gebot der Unabhängigkeit durch Erhalt einer ungetrennten Verhandlung innerprozessuale Widersprüche zwischen zu trennenden Ansprüchen verhindern will, dient die Interventionswirkung der Vermeidung sich widersprechender Urteile 234 235
So auch Häsemeyer, ZZP 84 (1971), S. 179, 201. Siehe hierzu das Beispiel von Eibner über die auf teilweise Kaufpreiszahlung gerichtete Klage eines Händlers gegen den (angeblichen) Käufer und die Streitverkündung gegen den beim Kauf handelnden Vertreter, Eibner, JurBüro 1988, S. 282, 288.
B. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext von offener und verdeckter Teilklage 237
in einem neuen Verfahren und damit letztlich der Verbindung von Rechtsverhältnissen außerhalb des § 147 ZPO.236 Darüber hinaus handelt es sich bei der als Zulässigkeitsvoraussetzung ausgestalteten Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil um einen Automatismus, der vom Gericht bei Erlass eines Teilurteils anzuwenden ist. Im Gegensatz hierzu steht die Interventionswirkung im Ermessen der Partei, die den Streit verkünden muss. Auch hinsichtlich des Grades der materiell-rechtlichen Verknüpfung zwischen den Ansprüchen, bzgl. derer sich widersprechende Entscheidungen vermieden werden sollen, unterscheiden sich das Gebot der Unabhängigkeit und die Interventionswirkung: Während das Gebot der Unabhängig im Rahmen des § 301 Abs. 1 ZPO keine erhöhten Anforderungen an die materiell-rechtliche Verknüpfung zwischen den zu trennenden Teilen stellt, erfordert die Interventionswirkung gem. § 74 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 68 ZPO ein echtes Alternativverhältnis zwischen den Rechtsverhältnissen in dem Sinne, dass die positiven Voraussetzungen des einen Verhältnisses zugleich die negativen Voraussetzungen des anderen darstellen.237 Eine gleichartige Entscheidung über beide Ansprüche derart, dass beide Ansprüche zu- oder abgewiesen werden, muss denklogisch ausgeschlossen sein. Es bedarf im Vergleich zum Teilurteil damit eines deutlich gesteigerten Maßes an Widersprüchlichkeit. Im Ergebnis unterscheiden sich die Interventionswirkung und das Gebot der Unabhängigkeit in ihrer jeweiligen Ausgestaltung und ihren Anforderungen an die Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen damit derart, dass sie als zwei voneinander unabhängige Institute zur Vermeidung von Widersprüchen angesehen werden müssen: das Gebot der Unabhängigkeit als Instrument zur Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen innerhalb eines Prozesses, nur mit Wirkung für die Parteien und unabhängig von dem Grad der materiell-rechtlichen Verzahnung der durch das Gericht zu trennenden Teile; die Interventionswirkung als Mittel zum Ausschluss einander widersprechender Entscheidungen gegenüber einem Dritten, über das Verfahren hinaus und hinsichtlich mehrerer in einem Alternativverhältnis zueinander stehender Rechtsverhältnisse.
5. Möglichkeit sich widersprechender Entscheidungen bei Urteilserlass über eine Teilklage: kein Widerspruch zu einem Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO Es wurde festgestellt, dass sich die Rechtskraft im Fall der Teilklage – sei diese offen oder verdeckt – sowohl bei klagestattgebendem als auch bei klageabwei236 Aus diesem Grund kann der hinter §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO stehende Zweck auch nicht durch Prozessverbindung gem. § 147 ZPO erreicht werden. Hierfür fehlt es an der Anhängigkeit des zweiten Rechtsverhältnisses. Der Streitverkündung kommt damit eine vorbeugende Wirkung für im Alternativverhältnis stehende Ansprüche zu. 237 Häsemeyer, ZZP 84 (1971), S. 179, 184.
238
6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
sendem Urteil auf den eingeklagten Teil als Streitgegenstand des Verfahrens beschränkt. Eine Erstreckung der Entscheidungsgründe auf den Prozess über die Nachforderung besteht nicht. Dies hat zur Folge, dass sich das Urteil des Erstprozesses über die Teilklage und das Urteil des Zweitprozesses über die Nachforderung in den Gründen widersprechen können. Diese Widerspruchsgefahr – auch wenn sie als solche im Rahmen der Teilklage selten bezeichnet wird238 – wird von der herrschenden Meinung akzeptiert.239 Wie die folgenden Ausführungen zeigen, steht dies indes nicht in Widerspruch zur Unzulässigkeit eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO im Fall der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen zwischen Teil- und Schlussurteil.
a) Offene Teilklage als Spiegelbild eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO Mit Blick auf die Norm des § 301 ZPO ist das Teilurteil über einen einheitlichen Anspruch gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO mit einem Voll-Endurteil über eine offene Teilklage vergleichbar.240 Der enge Zusammenhang ergibt sich bereits daraus, dass die Teilbarkeit eines einheitlichen Anspruchs bei Erlass eines Teilurteils grundsätzlich dann bejaht wird, wenn der abzuurteilende Teil auch im Wege einer Teilklage hätte geltend gemacht werden können.241 Darüber hinaus ist die Kenntnis des ein Teilurteil erlassenden Gerichts über den noch anhängigen restlichen Teil des Anspruchs mit der Kenntnis des Gerichts bei Urteilserlass über eine offene Teilklage vergleichbar: Auch hier weiß das Gericht von einer über das Urteil hinausgehenden Mehrforderung.242
b) Aber: Erlass eines Voll-Endurteils im Fall der offenen Teilklage und Parteiwille als maßgebliche Kriterien für die Zulassung von Widersprüchen Im Gegensatz zum Erlass eines Teilurteils gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO fehlt es bei der offenen Teilklage jedoch an der Streitgegenständlichkeit der Nachforderung. Die gerichtliche Geltendmachung derselben durch den Kläger ist zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Teilklage noch ungewiss. Aus diesem Umstand ergibt sich zugleich der wesentliche Unterschied zwischen einem Voll-Endurteil über eine offene Teilklage gem. § 300 Abs. 1 ZPO und einem 238
Vgl. jedoch Elzer, JuS 2001, S. 224, 226. BGH, NJW 2017, S. 893, Rn. 19; Brötel, JuS 2003, S. 429, 433; Elzer, JuS 2001, S. 224, 226; MüKo-ZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2020, § 322, Rn. 126. 240 So im Ansatz auch Jauernig, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Band III, 2000, S. 311; Jurgeleit, BauR 2016, S. 375, 380. 241 Siehe hierzu und zu den erhöhten Anforderungen an die Teilbarkeit eines einheitlichen Anspruchs oben 2. Kapitel. A. III., S. 24 ff. 242 Mangels dieser Kenntnis fehlt es bei der verdeckten Teilklage an einer direkten Vergleichbarkeit. 239
C. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext beschränkter Rechtsmitteleinlegung
239
Teilurteil über einen einheitlichen Anspruch gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO: Während das Teilurteil in seiner Entscheidung „quantitativ hinter dem Streitgegenstand [zurückbleibt]“,243 wird im Fall eines Voll-Endurteils über eine Teilklage der geltend gemachte Streitgegenstand „quantitativ aus[ge]schöpft“.244 In beiden Fällen ergeht damit zwar eine Entscheidung über einen Teil. Während es sich im Fall des § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO jedoch tatsächlich um eine Teilentscheidung handelt, ergeht im Fall einer offenen Teilklage ein den Streitgegenstand voll ausschöpfendes Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 1 ZPO.245 Darüber hinaus ist der hinter dem jeweiligen Klageverfahren stehende Parteiwille zu berücksichtigen. Klagt der Kläger einen einheitlichen Anspruch in seiner Gesamtheit ein, so soll über diesen Anspruch auch einheitlich entschieden werden. Ist ein Teil gleichwohl vorzeitig zur Entscheidung reif, so gewährleistet die Vorschrift des § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO bei Streit über Grund und Höhe, dass über den Grund einheitlich entschieden wird und Widersprüche insoweit ausgeschlossen werden.246 Macht der Kläger hingegen nur einen Teil eines einheitlichen Anspruchs klageweise geltend, so kann er nicht erwarten, dass das Urteil über den Entscheidungssatz hinaus für ein etwaig späteres Klageverfahren Bindungswirkung entfaltet. Will der Kläger sein Prozessrisiko durch Erhebung einer Teilklage niedrig halten, so muss er hierfür auch den Preis der auf den Tenor beschränkten Rechtskraftwirkung zahlen. Die unterschiedliche Behandlung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen im Rahmen der Teilklage und bei Erlass eines Teilurteils ist daher stimmig und gerechtfertigt.
C. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext beschränkter Rechtsmitteleinlegung Nach der Rechtsprechung und herrschenden Literatur verhindert das Gebot der Unabhängigkeit den Erlass eines Teilurteils auch dann, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen infolge einer abweichenden Beurteilung in der Rechtsmittelinstanz besteht.247 Es wurde festgestellt, dass dies erforder243 Zöller/Vollkommer,
33. Aufl. 2020, vor § 322, Rn. 46.
244 Zöller/Vollkommer, 33. Aufl. 2020, vor § 322, Rn. 47. 245 Freilich ist auch ein Teilurteil über eine Teilklage möglich,
wenn sich der mit der Teilklage einheitliche Anspruch aus mehreren einzelnen Positionen zusammensetzt und der Kläger die einzelnen Positionen klarstellt, vgl. z. B. BGH, NJW 1992, S. 1769, 1770. 246 Nach der hier vertretenen Auffassung sollte auch im Fall eines nur der Höhe nach streitigen Anspruchs der gleichzeitige Erlass eines Grundurteils zulässig sein. Siehe hierzu oben 4. Kapitel. C. I. 2., S. 153. 247 Siehe nur BGHZ 189, 79 Rn. 15 = NJW 2011, S. 1815 Rn. 15; BGHZ 193, 60 Rn. 8 = NJW 2012, S. 1083 Rn. 8; BGH, NJW 2015, S. 2429; Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 301, Rn. 14; BeckOK-ZPO/Elzer, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 301, Rn. 8; Zöller/Feskorn,
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
lich ist, um die Teil- und Schlussurteil ungetrennt zugrunde liegende Verhandlung und einheitliche Würdigung des in der Verhandlung aufkommenden Prozessstoffs zu bewahren.248 Der nachfolgende Abschnitt widmet sich dem Gebot der Unabhängigkeit mit Blick auf die Gefahr einer abweichenden Beurteilung in der Rechtsmittelinstanz noch einmal aus einer anderen Perspektive, und zwar unter Berücksichtigung der Möglichkeit sich widersprechender Entscheidungen aufgrund beschränkter Rechtsmitteleinlegung gegen ein Voll-Endurteil gem. § 300 Abs. 1 ZPO und ein Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 ZPO.249
I. Zulässigkeit von Widersprüchen im Rahmen der beschränkten Rechtsmitteleinlegung 1. Zulässigkeit beschränkter Rechtsmitteleinlegung Ausgangspunkt für eine beschränkte Rechtsmitteleinlegung ist deren grundsätzliche Zulässigkeit in der Zivilprozessordnung. Die Möglichkeit der beschwerten Partei, nur teilweise gegen ein Urteil Rechtsmittel einzulegen, ergibt sich für die Berufung aus § 520 Abs. 3 Nr. 1 ZPO und für die Revision aus § 551 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Beide Normen verlangen in der Begründung des Rechtsmittels eine Erklärung des Rechtsmittelführers darüber, inwieweit er das Urteil anficht und welche Abänderung bzw. Aufhebung des Urteils er beantragt. Durch Stellung der Rechtsmittelanträge legt der Rechtsmittelkläger damit Umfang und Ziel seines Begehrens fest.250 Die Beschränkung des Rechtsmittels setzt sich in der Entscheidung des Gerichts fort: Das Gericht ist bei Erlass des Urteils gem. § 528 ZPO bzw. § 557 Abs. 1 ZPO an die Anträge der das Rechtsmittel einlegenden Partei gebunden.251
33. Aufl. 2020, § 301, Rn. 12; MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, § 301, Rn. 17; Prütting/ Gehrlein/Thole, 11. Aufl. 2019, § 301, Rn. 10. Im Gegensatz hierzu vertritt Hunke, es sei nicht „die Aufgabe des unteren Gerichts, nun auch noch die Möglichkeit einzukalkulieren, daß das höhere Gericht seine Entscheidung abändern könnte“, BLAH/Hunke, 78. Aufl. 2020, § 301, Rn. 6. 248 Siehe oben 3. Kapitel. B. I. 1., S. 64 ff. 249 Die beschränkte Rechtsmitteleinlegung umfasst sowohl den Fall, dass nur hinsichtlich eines Teils eines einheitlichen Streitgegenstandes Rechtsmittel eingelegt wird als auch die Konstellation, dass hinsichtlich eines von mehreren Streitgegenständen Rechtsmittel eingelegt wird, vgl. BGHZ 170, 180 Rn. 7 = NJW 2007, S. 1466 Rn. 7. 250 Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 520, Rn. 22; BeckOK-ZPO/Wulf, 37. Ed. Stand 01.07.2020, § 520, Rn. 14. 251 BGH, NZA 2019, S. 34, 36. Neben den Anträgen wird der Verfahrensgegenstand vor allem durch den Entscheidungsumfang der vorinstanzlichen Entscheidung bestimmt, vgl. für die Berufung Stein/Jonas/Althammer, 23. Aufl. 2018, § 528, Rn. 2 und für die Revision Musielak/Voit/Ball, 17. Aufl. 2020, § 528, Rn. 2.
C. Gebot der Unabhängigkeit im Kontext beschränkter Rechtsmitteleinlegung
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2. Umfang der beschränkten Rechtsmitteleinlegung und Unbeachtlichkeit der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen Die Beschränkung des Rechtsmittels kann sich sowohl in der Berufung als auch in der Revision auf einen quantitativ abgrenzbaren Teil des vom erstinstanzlichen Gericht abgeurteilten Prozessstoffes beziehen.252 Eine Beschränkung ist daher sowohl auf einen von mehreren Streitgegenständen als auch auf einen abgrenzbaren Teil eines einheitlichen Anspruchs möglich.253 Darüber hinaus kann ein Rechtsmittel auf Verteidigungsmittel wie z. B. die Aufrechnung beschränkt werden, sofern diese ebenfalls tatsächlich und rechtlich abtrennbar sind.254 Nicht erforderlich ist hingegen, dass über den angefochtenen Teil auch in zulässiger Weise durch Teilurteil hätte entschieden werden können.255 Aus diesem Grund steht die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen einer beschränkten Rechtsmitteleinlegung nicht entgegen. Ausdruck dessen ist die Entscheidung des BGH vom 12.12.2006.256 In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall standen sich eine jeweils auf Zahlung von Schadensersatz gerichtete Klage und Widerklage gegenüber. Den Klagen lag ein Verkehrsunfall als gemeinsames Schadensereignis zugrunde. Im Rahmen der Revision führte der BGH aus, die materiell-rechtliche Verzahnung zwischen Klage und Widerklage stehe einer Anfechtung nur der Widerklage nicht entgegen: „Erwächst ein Urteil über zwei mit Klage und Widerklage geltend gemachte gegenseitige Ansprüche aus einem Verkehrsunfall nur hinsichtlich eines dieser Ansprüche in Rechtskraft, tritt dadurch hinsichtlich des Gegenanspruchs keine Bindungswirkung ein. Bei der Entscheidung über den noch anhängigen Anspruch kann das Gericht, wenn es zu einer anderen Bewertung des Lebenssachverhalts gelangt, eine von der Begründung des früheren Urteils abweichende Entscheidung treffen. […] Dem steht nicht entgegen, dass bei der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ein Teilurteil gem. § 301 I ZPO grundsätzlich auch dann nicht ergehen dürfte, wenn es eine Frage entscheiden würde, die sich im weiteren Verfahren über einen anderen Anspruch noch einmal stellt, wenn es sich dabei nur um eine Vorfrage handelt, die nicht in Rechtskraft erwächst […]. § 301 I ZPO regelt allein die Zulässigkeit gerichtlicher Entscheidungen. Aus dieser Vorschrift lässt sich eine Beschränkung der Dispositionsbefugnis der Parteien […] nicht herleiten.“257
252
BGH, NJW 2003, S. 2529; BGH, NJW 2007, S. 1466; Musielak/Voit/Ball, 17. Aufl. 2020, § 520, Rn. 22; Wieczorek/Schütze/Gerken, 4. Aufl. 2014, § 520, Rn. 62; Zöller/Heßler, 33. Aufl. 2020, § 520, Rn. 29; Müller-Rabe, NJW 1990, S. 283 f. 253 BGHZ 170, 180 Rn. 7 = NJW 2007, S. 1466 Rn. 7; Zöller/Heßler, 33. Aufl. 2020, § 551, Rn. 6; Müller-Rabe, NJW 1990, S. 283 f. 254 BGH, NJW-RR 2001, S. 1572, 1573. 255 BGHZ 170, 180 Rn. 8 = NJW 2007, S. 1466 Rn. 8. 256 BGHZ 170, 180 = NJW 2007, S. 1466. 257 BGHZ 170, 180 Rn. 8 = NJW 2007, S. 1466 Rn. 8.
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
3. Stellungnahme Das Urteil des BGH vom 12.12.2006 veranschaulicht die im Rahmen der Rechtsmitteleinlegung bestehende und akzeptierte Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bei Einlegung eines Rechtsmittels nur gegen einen Teil der Entscheidung. Die vom BGH im Rahmen des Urteils getroffenen Ausführungen sind dabei auf alle Fälle der beschränkten Rechtsmitteleinlegung übertragbar.258 In allen Konstellationen, in denen der Erlass eines Teilurteils wegen der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ggf. unzulässig wäre, ist eine beschränkte Rechtsmitteleinlegung daher zulässig. Entscheidend für die Zulässigkeit der Widersprüche ist dem BGH zufolge die Dispositionsbefugnis der Parteien, die nicht durch das Gebot der Unabhängigkeit des § 301 Abs. 1 ZPO beeinträchtigt werden könne.259 Grund für die Zulassung von Widersprüchen ist damit der Parteiwille, der durch die Stellung der Anträge, mithin durch die Disposition der Parteien, zum Ausdruck kommt.
II. Rechtsmitteleinlegung gegen ein Teilurteil und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen Die Rechtsmitteleinlegung gegen ein Teilurteil basiert ebenso wie die Rechtsmitteleinlegung nur gegen einen Teil eines Urteils auf dem Willen der anfechtenden Partei. Vor diesem Hintergrund könnte es gerechtfertigt sein, die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen infolge einer Rechtsmitteleinlegung gegen das Teilurteil nicht als Hinderungsgrund für den Erlass eines Teilurteils anzusehen. Im Unterschied zu einer beschränkten Rechtsmitteleinlegung fehlt es im Fall der Rechtsmitteleinlegung gegen ein Teilurteil jedoch an der Disposition der das Rechtsmittel einlegenden Partei, nur einen Teil anzufechten. Da der Erlass eines Teilurteils Resultat der Entscheidungsbefugnis des Gerichts ist, kann die Anfechtung des (gesamten) Teilurteils nicht Ausdruck des Rechtsmittelführers sein, nur einen Teil angreifen zu wollen. Vielmehr wird er durch die Disposition des Gerichts, d. h. durch Erlass des Teilurteils, zur Einlegung eines Rechtsmittels nur gegen einen Teil des Verfahrens „gezwungen“, will er die Entscheidung nicht akzeptieren. Die Ausgangssituation der Rechtsmitteleinlegung gegen ein Teilurteil insgesamt und der beschränkten Rechtsmitteleinlegung sind daher nicht miteinander vergleichbar. Auch vor diesem Hintergrund ist die unterschiedliche Behandlung der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen daher gerechtfertigt. 258 Vgl. zu den Möglichkeiten einer beschränkten Rechtsmitteleinlegung z. B. MüKo/ Rimmelspacher, 5. Aufl. 2016, § 520, Rn. 31. 259 BGHZ 170, 180 Rn. 8 = NJW 2007, S. 1466 Rn. 8.
D. Kapitelzusammenfassung
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Legt der Rechtsmittelführer gegen das Teilurteil hingegen nur beschränkt Rechtsmittel ein, so ist dies Ausdruck seines Willens, der auch vom Gericht zu berücksichtigen ist. So hat auch der BGH ausgeführt: „Hat der Rechtsmittelführer ein Teilurteil nur bezüglich eines abgrenzbaren Streitgegenstands angegriffen und begehrt die gegnerische Partei nur die Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels, so begrenzt dies zunächst die Sachentscheidungskompetenz. Die Parteien haben gerade den Streitgegenstand durch das Rechtsmittel und den Verzicht auf ein Anschlussrechtsmittel festgelegt. Der Umstand, dass ein Verfahrensfehler weiter als der Streitgegenstand im Rechtsmittelverfahren reicht, liefert allein noch keine Rechtfertigung für eine über den Streitgegenstand hinausgehende Sachentscheidungskompetenz, die einen Eingriff in die Rechtskraft eines Teilurteils und damit in den Besitzstand des Rechtsmittelführers darstellt.“260
Aus diesem Grund kann das Rechtsmittelgericht im Fall einer nur beschränkten Rechtsmitteleinlegung gegen das Teilurteil – auch bei Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels – das Teilurteil aufgrund des Verbots der reformatio in peius nicht insgesamt aufheben.261
D. Kapitelzusammenfassung Die Analyse des Gebots der Unabhängigkeit im Rahmen des § 145 Abs. 1 ZPO hat gezeigt, dass die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen einer Trennung von Ansprüchen oder Prozessrechtsverhältnissen in mehrere Verfahren nicht entgegensteht.262 Im Gegensatz hierzu steht das Gebot der Unabhängigkeit, welches den Erlass eines Teilurteils über einen von mehreren prozessualen Ansprüchen oder einfachen Streitgenossen im Fall der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen untersagt. Die Untersuchung hat ergeben, dass die unterschiedliche Behandlung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen mit Blick auf die verschiedenen Zweckrichtungen und die unterschiedliche Natur der Prozesstrennung einerseits und des Teilurteils andererseits gerechtfertigt ist. Die Verfahrenstrennung soll als prozessleitende Maßnahme eine infolge gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung entstehende Verzögerung des Rechtsstreits verhindern und damit zu einer beschleunigten Erledigung verhelfen. Zu diesem Zweck kann die Trennung trotz der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen erforderlich sein. Im Gegensatz hierzu wird durch Erlass eines Teilurteils ein vorzeitig zur Entscheidung reifer Teil erledigt; eine Prozesstrennung ist aufgrund der teilweisen Entscheidungsreife und insoweit möglichen Erledigung dann nicht mehr notwendig. Tritt jedoch teilweise Entscheidungsreife ein und ist infolge der Gefahr sich widersprechender Entschei260
BGH, NJW 2013, S. 1009, 1010. BGH, NJW 2013, S. 1009. 262 Siehe oben S. 197 ff. 261
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
dungen auch der Erlass eines Teilurteils unzulässig, so muss der Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz zum Erlass eines Teilurteils trotz der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen führen, wenn andernfalls die Rechtsdurchsetzung gefährdet wäre.263 Eine Prozesstrennung von Klage und Widerklage ist gem. § 145 Abs. 2 ZPO unzulässig, wenn Klage und Widerklage in rechtlichem Zusammenhang stehen. Hintergrund ist der hinter § 33 ZPO stehende Zweck, durch die Verbindung von in rechtlichem Zusammenhang stehender Klage und Widerklage eine gemeinsame Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung herbeizuführen und so eine Zersplitterung der Prozesse zu verhindern. Diese Verbindung soll auch durch das Gericht nicht wieder aufgehoben werden können. Wird jedoch eine der Klagen vorzeitig zur Entscheidung reif und ist der Erlass eines Teilurteils aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen unzulässig, so muss auch in diesem Fall der Erlass eines Teilurteils mit Blick auf den Justizgewährungsanspruch zulässig sein, wenn andernfalls die Rechtsdurchsetzung der Parteien gefährdet würde.264 Die Analyse des § 147 ZPO hat gezeigt, dass auch im Rahmen einer Prozessverbindung die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen bestehen kann. Dies ist der Fall, wenn einer der verbundenen Prozesse vorzeitig zur Entscheidung reif wird und – bei Anwendung des § 300 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 ZPO – ein Voll-Endurteil zu ergehen hat. Allerdings sollte der Anwendungsbereich des § 300 Abs. 2 ZPO auf den Fall der vorzeitigen Entscheidungsreife eines von mehreren gem. § 147 ZPO miteinander verbundenen Prozessen beschränkt werden, in dem sich infolge der Prozessverbindung nunmehr Parteien in einem gemeinsamen Verfahren gegenüber bzw. nebeneinander stehen, die in den vorher getrennten Prozessen jeweils nicht beteiligt waren. In den übrigen Fällen ist ein Teilurteil gem. § 301 ZPO zu erlassen. Andernfalls würde der hinter § 147 ZPO stehende Zweck unterlaufen.265 Die Untersuchung der Prozessaussetzung gem. § 148 Abs. 1 ZPO hat gezeigt, dass die Vorschrift die Vermeidung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bezweckt.266 Der Ausschluss eines Widerspruchs beschränkt sich jedoch auf eine mehrere Prozesse betreffende Rechtsfrage. Voraussetzung ist, dass diese Rechtsfrage den Streitgegenstand eines der Verfahren bildet oder Gestaltungs- oder Interventionswirkung entfaltet; bloße Vorfragenidentität genügt nicht.267 Der Umfang, in dem sich widersprechende Entscheidungen ausgeschlossen werden sollen, ist im Rahmen des § 148 Abs. 1 ZPO damit deutlich enger gefasst als bei Erlass eines Teilurteils gem. § 301 Abs. 1 ZPO, bei dem die 263
Siehe oben S. 200 ff. Siehe oben S. 202 f. Siehe oben S. 212 ff. 266 Siehe oben S. 217. 267 Siehe oben S. 217 ff. 264 265
D. Kapitelzusammenfassung
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Gefahr einer abweichenden Beurteilung von Vorfragen für die Versagung eines Teilurteils genügt. Die unterschiedliche Behandlung ist mit Blick auf die verschiedenen Zweckrichtungen der Prozessaussetzung einerseits und des Gebots der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils andererseits gerechtfertigt. Denn im Unterschied zum Gebot der Unabhängigkeit, welches die Einheit der Verhandlung und damit des Verfahrens bewahren will, bezweckt § 148 Abs. 1 ZPO „nur“ die Herbeiführung einer einheitlichen Entscheidung über eine Rechtsfrage, über die „ohnehin“ eine rechtskräftige Entscheidung ergehen wird.268 Die Analyse der offenen und der verdeckten Teilklage mit Blick auf das Gebot der Unabhängigkeit hat ergeben, dass das Voll-Endurteil über eine offene Teilklage gem. § 300 Abs. 1 ZPO und das Teilurteil über einen einheitlichen Anspruch gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO miteinander vergleichbar sind.269 Dass die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen den Erlass eines Teilurteils über einen einheitlichen Anspruch gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO verhindert, dem Erlass eines klagestattgebenden oder klageabweisenden Urteils über eine offene Teilklage hingegen nicht entgegensteht, ist mit Blick auf die unterschiedlichen Entscheidungsformen gerechtfertigt: Zwar ergeht in beiden Fällen eine Entscheidung über einen Teil. Nur bei Erlass eines Teilurteils handelt es sich jedoch tatsächlich um eine Entscheidung über einen Teil eines Rechtsstreits. Im Fall einer offenen Teilklage hingegen wird der Streitgegenstand durch Erlass eines Voll-Endurteils gem. § 300 Abs. 1 ZPO voll ausgeschöpft.270 Darüber hinaus ist die unterschiedliche Behandlung der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen mit Blick auf den jeweils hinter dem Verfahren stehenden Parteiwillen gerechtfertigt.271 Soweit Widersprüche gegenüber einem Dritten durch eine Streitverkündung und die damit einhergehende Interventionswirkung gem. § 74 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 68 ZPO ausgeschlossen werden können,272 wurde festgestellt, dass die Interventionswirkung und das Gebot der Unabhängigkeit zwei voneinander unabhängige, nicht miteinander vergleichbare Instrumente zur Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen sind.273 Während die Interventionswirkung Widersprüche über das Verfahren hinaus, gegenüber einem Dritten und hinsichtlich mehrerer in einem Alternativverhältnis zueinander stehender Rechtsverhältnisse verhindern will, dient das Gebot der Unabhängigkeit der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen innerhalb eines Prozesses, 268
Siehe oben S. 220 f.
269 Siehe oben S. 238. 270 Neben einem Voll-Endurteil
ist auch der Erlass eines Teilurteils über eine Teilklage möglich, wenn sich der mit der Teilklage einheitliche Anspruch aus mehreren einzelnen Positionen zusammensetzt und der Kläger die einzelnen Positionen klarstellt, vgl. z. B. BGH, NJW 1992, S. 1769, 1770. 271 Siehe oben S. 238 f. 272 Siehe oben S. 231 ff. 273 Siehe oben S. 236 f.
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6. Kapitel: Gebot der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche
entfaltet Wirkung nur gegenüber den Parteien des Verfahrens und findet unabhängig vom Grad der materiell-rechtlichen Verzahnung der durch das Gericht zu trennenden Teile Anwendung.274 Die Untersuchung des Gebots der Unabhängigkeit im Kontext zulässiger Widersprüche im Rahmen der beschränkten Rechtsmitteleinlegung hat gezeigt, dass bei vollständiger Anfechtung eines Teilurteils die Disposition der das Rechtsmittel einlegenden Partei fehlt, nur einen Teil der richterlichen Entscheidung angreifen zu wollen. Diese ist, da der Erlass des Teilurteils auf einer Entscheidung des Gerichts basiert, im Gegensatz zu einer beschränkten Rechtsmitteleinlegung nicht gegeben. Allerdings gilt dies nur, soweit die Partei das Teilurteil insgesamt anficht. Legt die Partei hingegen nur teilweise Rechtsmittel gegen das Teilurteil ein, so hat das Gericht den von der Partei ausgedrückten Willen, nur einen Teil eines Teils anzufechten, ebenso zu berücksichtigen.275
274 275
Siehe oben S. 236 f. Siehe oben S. 242 f.
Schlussbetrachtung und Fazit Anliegen dieser Arbeit war es, das Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils sowie im System zulässiger Widersprüche innerhalb der Zivilprozessordnung zu untersuchen und den Grund für Anwendung und Reichweite des Gebots der Unabhängigkeit im Rahmen des § 301 Abs. 1 ZPO zu bestimmen. Zu diesem Zweck wurden die Gesetzesmaterialien beleuchtet sowie die Entwicklung der Unabhängigkeit in der Rechtsprechung und die verschiedenen zum Gebot der Unabhängigkeit in der Literatur vertretenen Ansichten untersucht. Darüber hinaus wurde das Gebot der Unabhängigkeit im Rahmen von materieller Rechtskraft, Rechtshängigkeitssperre und Bindungswirkung gem. § 318 ZPO sowie im Kontext zulässiger Widersprüche bei Anordnung einer Prozesstrennung, -verbindung und -aussetzung, Erhebung einer offenen und verdeckten Teilklage – einschließlich der Streitverkündung – sowie bei der beschränkten Rechtsmitteleinlegung analysiert. Es konnte gezeigt werden, dass die Entwicklung des Gebots der Unabhängigkeit durch die Rechtsprechung der hinter der Vorschrift des § 301 ZPO stehenden Konzeption des Gesetzgebers entspricht, durch Erlass eines Teilurteils eine getrennte Entscheidung bei ungetrennter Verhandlung eintreten zu lassen. Nach Einführung des strikten Mündlichkeitsprinzips in die Zivilprozessordnung wollte der Gesetzgeber den Gerichten mit der Möglichkeit zum Erlass eines Teilurteils – insbesondere neben der Prozesstrennung – ein weiteres Instrument zur Abschichtung des nun gleichzeitig in der Verhandlung aufkommenden Prozessstoffs an die Hand zu geben. Diese Teil- und Schlussurteil ungetrennt zugrunde liegende Verhandlung und das damit einhergehende Erfordernis einer einheitlichen Würdigung des vorgetragenen Prozessstoffs sind der Grund für Existenz, Inhalt und Reichweite des Gebots der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils. Da die Unabhängigkeit auch weder durch die Entscheidungsreife eines abgrenzbaren Teils erreicht werden kann noch in das Ermessen des Gerichts oder die Disposition der Parteien gestellt werden sollte, ist ihre Ausgestaltung als dritte Zulässigkeitsvoraussetzung gerechtfertigt und erforderlich. Die Analyse des Gebots der Unabhängigkeit in den verschiedenen Konstellationen des § 301 Abs. 1 ZPO hat gezeigt, dass die Konzeption einer Teil- und Schlussurteil ungetrennt zugrunde liegenden Verhandlung nicht stets stringent eingehalten werden kann und die Rechtsprechung Ausnahmen vom Gebot der
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Schlussbetrachtung und Fazit
Unabhängigkeit zulässt. Soweit diese Ausnahmen auf einer ansonsten eintretenden Gefährdung des Justizgewährungsanspruchs basieren, ist dies gerechtfertigt. Soweit die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen jedoch durch den gleichzeitigen Erlass eines Grundurteils vermieden werden kann, sollten die Gerichte – auch wenn hierfür eine Abweichung von den Voraussetzungen des § 304 Abs. 1 ZPO erforderlich ist – das Teilurteil mit einem Grundurteil verbinden. Dies gilt insbesondere für den Fall eines Teilurteils über einen nur der Höhe nach streitigen Anspruch gem. § 301 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO, bei dem aufgrund der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen und Unzulässigkeit eines Grundurteils andernfalls von einem Teilurteil abzusehen ist. Die Untersuchung des Gebots der Unabhängigkeit im Kontext von materieller Rechtskraft, Rechtshängigkeitssperre und Bindungswirkung gem. § 318 ZPO sowie im Rahmen zulässiger Widersprüche in der Zivilprozessordnung im Übrigen hat bestätigt, dass das Gebot der Unabhängigkeit, auch wenn es auf den ersten Blick wie ein Fremdkörper im System der Zivilprozessordnung erscheint, infolge der jeweils unterschiedlichen Zweckrichtungen gerechtfertigt ist. Im Ergebnis muss daher an dem Erfordernis der Unabhängigkeit als Zulässigkeitsvoraussetzung bei Erlass eines Teilurteils festgehalten werden. Bestrebungen in der jüngeren Literatur, die eine Abschaffung des Unabhängigkeitsgebots befürworten, sind abzulehnen. Andernfalls würde die hinter § 301 ZPO stehende Intention des Gesetzgebers, dass Teil- und Schlussurteil trotz Abspaltung eines vorzeitig zur Entscheidung reifen Teils eine ungetrennte Verhandlung zugrunde liegen und durch das Teilurteil keine Trennung des Verfahrens eintreten soll, unterlaufen. Um etwaige Unsicherheiten über das Gebot der Unabhängigkeit bei Erlass eines Teilurteils zu verhindern, sollte der Gesetzgeber das Erfordernis der Unabhängigkeit von Teil- und Schlussurteil im Wortlaut des § 301 ZPO verankern und so die ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung zu einer geschriebenen werden lassen.
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Sachregister (kursive Seitenzahlen beziehen sich auf Erwähnungen in den Fußnoten) Abänderungsverbot 184 f., 186 Abweichungsverbot 185–188 Analogievoraussetzungen 154 f. Arzneimittelgesetz (AMG) – Auskunftsanspruch 119 f. – objektive Klagehäufung 119 f. – Schadensersatzanspruch 119 f. Ausnahmen, siehe Gebot der Unabhängigkeit Aussetzung des Verfahrens, siehe Prozessaussetzung Baur, Fritz 14, 28, siehe auch Vereinfachungsnovelle Bedingung, innerprozessuale, siehe Klage häufung, eventuelle Bindungstheorie 176 f.; siehe auch Rechtskrafttheorie Bindungswirkung, innerprozessuale – Abänderungsverbot 184 f., 186 – Abweichungsverbot 185–188 – Umfang 185 f. – zwischen Teil- und Schlussurteil 186–190 Bürgerliche Prozeßordnung für das Königreich Hannover 11 Civilprozeßordnung (CPO) 11–15 – Eventualmaxime 13 f. – Mündlichkeitsprinzip 13–15 – Schriftlichkeitsprinzip 13 f. DS-GVO 120 Einheit der mündlichen Verhandlung 14, 64–66 Einheit der Rechtsordnung 95–98 Engisch, Karl, siehe Einheit der Rechtsordnung Entscheidungsreife 26 f., 69–72; siehe auch Präklusion
Ermessen – Prozessaussetzung 219 f. – Prozesstrennung 195 f. – Prozessverbindung 206 f. – Teilurteil 73 f., 77–79 Eventualmaxime 13 f. Feststellungsklage, siehe Zwischenfest stellungs(wider)klage Flucht in die Widerklage, siehe Präklusion Gebot der Unabhängigkeit 4 f., 41 f. – Ausnahmen 118 f., 132–134, 139–143, 147–150 – einheitlicher Anspruch 150–153, 156 f. – Entwicklung in der Rechtsprechung 42–62 – eventuelle Klagehäufung 113–115 – kumulative Klagehäufung 110–113 – Stufenklage 118 f., 121–126 – subjektive Klagehäufung 129–132 – Widerklage 145–147 – Zwischenfeststellungs(wider)klage 92, 104 Gefahr sich widersprechender Entscheidungen, siehe Gebot der Unabhängigkeit Gerichtsstand der Widerklage, siehe Widerklage Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen 17 f., 154–156 Grundurteil 17 f., 25, 92, 117, 121–126, 156 f. Hauptantrag, siehe Klagehäufung, eventuelle Hilfsantrag, siehe Klagehäufung, eventuelle Hypothetische Verfahrensdauer, siehe Präklusion, relative Theorie Interessenlage, vergleichbare, siehe Analogievoraussetzungen
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Sachregister
Interventionswirkung, siehe Streit verkündung Justizgewährungsanspruch 134–138 Kernpunkttheorie 171 f. Klagehäufung – siehe auch Gebot der Unabhängigkeit – DS-GVO 120 – eventuelle 22, 113–115 – kumulative 22, 110–113 – objektive 22, 110 – Stufenklage 116–119, 121–126 – subjektive 22 f.,126–132 – § 84a und § 84 AMG 119 f. Konnexität 143–145, 147, 202 f. Lebenssachverhalt, siehe Streitgegenstandsbegriff, zweigliedriger Mündlichkeitsprinzip 13–15 Musterfeststellungsverfahren, siehe Prozessaussetzung Ne-bis in idem-Lehre, siehe Rechtskrafttheorie Präjudizialität 217 f.; siehe auch Prozessaussetzung Präklusion – absolute Theorie 29–32 – Baur, Fritz 14, 28 – bei Erlass eines Teilurteils 32–38 – Flucht in die Widerklage 33–37 – in der CPO 14 f., 70 – relative Theorie 29, 31 f. – Stuttgarter Modell 28 – Überbeschleunigung 31 – Vereinfachungsnovelle 1976 27 f., 65 Prozessaussetzung – Ermessen 219 f. – Gebot der Unabhängigkeit 141, 220 f. – Musterfeststellungsverfahren 218 f. – Präjudizialität 217 f. – Rechtsverhältnis 218 – subjektive Klagehäufung 141 – Voraussetzungen 217–220 – Vorfragenidentität 218 – Wirkung 220 – Zweck 217 Prozeßordnung in bürgerlichen Rechts streitigkeiten für das Königreich B ayern 12
Prozessrechtsverhältnis 127 f., siehe auch Klagehäufung, subjektive Prozesstrennung – Ermessen 195 f. – Gebot der Unabhängigkeit 197–202 – in der CPO 62–64 – Klage und Widerklage 202 f. – Voraussetzungen 194–196 – Wirkung 196 f. – Zweck 194 Prozessverbindung – Endurteil gem. § 300 Abs. 2 ZPO 208– 215 – Ermessen 206 f. – Gebot der Unabhängigkeit 208 – Voraussetzungen 205–207 – Wirkung 207 f. – Zweck 204 f. Prozesszweck 1 Rechtshängigkeitssperre – siehe auch Streitgegenstandsbegriff, zweigliedriger – EuGVVO 171 f. – ZPO 169–173 Rechtskraft – siehe auch Rechtskrafttheorie – formelle 173 – materielle 173 f., 178 –180 – Reichweite 178–180 – Zweck 174 – Zwischenfeststellungs(wider)klage 2, 168, 179–181, 183 Rechtskrafterstreckung, siehe Teilklage Rechtskrafttheorie – Bindungstheorie 176 f. – materielle 174 f. – Ne bis in idem-Lehre 177 – prozessuale 175 f. Rechtsmitteleinlegung, beschränkte – gegen ein Teilurteil 242 f. – Umfang 241 – Verbot der reformatio in peius 243 – Zulässigkeit 240 Rechtsschutz, effektiver 132–134, 138 f., 141 f.; siehe auch Justizgewährungsanspruch Rechtsstaatsprinzip, siehe Justizgewährungsanspruch reformatio in peius, siehe Rechtsmittel einlegung, beschränkte Regelungslücke, planwidrige, siehe Analogievoraussetzungen
Sachregister Reichjustizgesetze 11; siehe auch Civil prozeßordnung (CPO) Ruhen des Verfahrens 140 f. Savigny, Friedrich Carl von 2, 174, 179; siehe auch Rechtskrafttheorie Schluss der mündlichen Verhandlung 37, 66–68 Schlussurteil 3; siehe auch Gebot der Unabhängigkeit Schriftlichkeitsprinzip 13 f. Streitgegenstandsbegriff – Kernpunkttheorie 171 f. – zweigliedriger 166–168 Streitgenossenschaft – siehe auch Klagehäufung, subjektive – notwendige 22 f., 126 Streitverkündung – Gebot der Unabhängigkeit 236 f. – Interventionswirkung 232–236 – Voraussetzungen 232 f. – Zweck 231 f. Stufenklage 116–119, 121–126 – Teilurteil 117 f. – Umdeutung in objektive Klagehäufung 120 – Voraussetzungen 116 Stufenwiderklage 147 f. Stuttgarter Modell 28 Teilbarkeit – einheitlicher Anspruch 24–26 – eventuelle Klagehäufung 22 – kumulative Klagehäufung 22 – subjektive Klagehäufung 22 f. – Widerklage 23 Teilklage – negative Feststellungswiderklage 222 – offene 223–227, 238 f. – Rechtskrafterstreckung 223–231 – Streitverkündung 231–238 – verdeckte 227–230 – Zulässigkeit 221 f. – Zweck 221 f. Teilurteil – siehe auch Gebot der Unabhängigkeit – § 273 CPO 11 f. – einheitlicher Anspruch 150–153 – Entwicklung des § 301 ZPO 17 f. – eventuelle Klagehäufung 113–115 – kumulative Klagehäufung 110–113, 119 f.
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– Stufenklage 116–118 – Stufenwiderklage 147 f. – subjektive Klagehäufung 129–132 – Urkundenwiderklage 146 – Widerklage 145–147 – Voraussetzungen 4 Teil-Vorbehaltsurteil, siehe Urkunden widerklage Torpedoklagen 172 Überbeschleunigung, siehe Präklusion Unabhängigkeit, siehe Gebot der Unabhängigkeit Unterbrechung des Verfahrens, siehe Ver fahrensunterbrechung Urkundenwiderklage 146 Verbot doppelter Rechtshängigkeit, siehe Rechtshängigkeitssperre Vereinfachungsnovelle 1976 27 f., 65; siehe auch Präklusion Verfahrensaussetzung, siehe Prozess aussetzung Verfahrensdauer, überlange siehe Justizgewährungsanspruch Verfahrensunterbrechung – siehe auch Gebot der Unabhängigkeit, Ausnahmen – durch Insolvenz 132 f. – durch Tod einer Partei 133 f. Verzögerung, siehe Präklusion Vorfragenidentität, siehe Präjudizialität Widerklage – Gebot der Unabhängigkeit 145–147 – Gerichtsstand 144 f. – Konnexität 143–145, 147, 202 f. – rechtsmissbräuchliche 149 – Stufenwiderklage 147 f. – Teilurteil 145–147 – Urkundenwiderklage, 146 – Zweck 143 f. Widerspruchsfreiheit 41, siehe auch Gebot der Unabhängigkeit Widerspruchsverbot, siehe Gebot der Unabhängigkeit Zivilprozess, siehe Prozesszweck Zwischenfeststellungs(wider)klage 2, 125, 168, 179–181, 183, 218, 222, siehe auch Gebot der Unabhängigkeit